Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren: Eine rechtsökonomische Analyse der Massenprivatisierung in Rußland und der Tschechischen Republik [1 ed.] 9783428497829, 9783428097821

Institutionelle Investoren gewinnen weltweit als Anteilseigner von Unternehmen an Bedeutung. In denjenigen Transformatio

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Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren: Eine rechtsökonomische Analyse der Massenprivatisierung in Rußland und der Tschechischen Republik [1 ed.]
 9783428497829, 9783428097821

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KATHARINA PIS TOR

Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz Grossekettler, Münster· Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, Hamburg . Christi an Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier· Reinhard H. Schmidt, Frankfurt/Main

Band 43

Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren Eine rechtsökonomische Analyse der Massenprivatisierung in Rußland und der Tschechischen Republik

Von

Katharina Pistor

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Pistor, Katbarina: Eigentumsrefonn mittels institutioneller Investoren : eine rechts ökonomische Analyse der Massenprivatisierung in Rußland und der Tschechischen Republik I von Katharina Pistor. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts; Bd. 43) Zug\.: München, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09782-3

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany

© 2000 Duncker &

ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-09782-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 e

Vorwort

Institutionelle Investoren gewinnen weltweit als Anteilseigner von Unternehmen an Bedeutung. Welche Auswirkungen dies auf die Unternehmensführungskontrolle hat und welche rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit diese Institutionen sich den Interessen ihrer Anleger entsprechend verhalten, ist bislang nur für entwickelte Marktwirtschaften untersucht worden. Diese Arbeit ist der Analyse institutioneller Investoren als Eigentümer privatisierter Unternehmen in Transformationsländern gewidmet. Dort wo, wie in Rußland und der tschechischen Republik, Massenprivatisierungsprogramme verwirklicht wurden, sollten diese Institutionen als Neueigentümer privatisierter Unternehmen maßgeblich an deren Umstrukturierung mitwirken. Die Praxis hat jedoch gezeigt, daß diese Eigentümer weitgehend passiv sind und zudem die Kontrolle dieser Institutionen - d.h. die Kontrolle der Kontrolleure - erhebliche Schwierigkeiten aufwirft. Die Arbeit zieht für die theoretische Analyse die Property Rights Theorie heran und stützt sich darüber hinaus auf umfangreiche rechts vergleichende Analyse sowie auf empirische Daten aus den genannten Ländern. Die Arbeit hat im Sommersemester 1998 der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation vorgelegen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 23. Juli 1998 statt. Literatur und Rechtsentwicklung konnten bis zum Ende des Jahres 1998 berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich allen danken, die direkt zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Allen voran Professor Dr. Dr. dres. h.c. Klaus J. Hopt, der diese Arbeit betreut hat. Er hat großes Verständnis dafür gezeigt, daß ich mich während der Entstehung dieser Arbeit in den USA aufgehalten habe und hat die zusätzlichen Mühen einer Fernbetreuung auf sich genommen. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Dr. Dieter Pfaff, der die Arbeit als Zweitkorrektor in kürzester Zeit begutachtet hat. Die Arbeit wäre in dieser Form ohne die empirische Erhebung der russischen Investmentprivatisierungsfonds, die ich gemeinsam mit den Professoren Roman Frydman von der ökomischen Fakultät der New York University und Andrzej Rapaczynski von der Columbia Law School in New York im Sommer 1994 durchgeführt habe, nicht möglich gewesen. Sie haben wesentlich zur Konzeption der Erhebung beigetragen und mich sowohl persönlich als auch finanziell mit den Mitteln des Central European University (CEU) Privatization

Vorwort

6

Project, dem ebenfalls mein Dank gilt, großzügig unterstützt. Für editorische Arbeiten am Manuskript danke ich Frau Christel Kremer.

Hamburg, im Februar 1999

Katharina Pistor

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .....................................................................

19

1. Privatisierung als Rechtsrefonn .........................................

19

2. Theoretische Grundlagen ................................................ 24 3. Rechtsvergleichende Analyse ........................................... 25 4. Aufbau der Arbeit... ... ... ... ... ... ......... ..... ...... ........ ..........

27

II. Funktion und Grundelemente der Privatisierung ...........................

29

1. Privatisierungsverfahren .................................................

29

2. Grundelemente der Massenprivatisierung ... ............ ...... .........

31

3. Massenprivatisierung in Rußland ....................................... 35 4. Institutionelle Investoren in Rußland ................................... 44 5. Massenprivatisierung in der Tschechischen Republik................. 46 6. Institutionelle Investoren in der tschechischen Republik... . . . .. . . . . . . 53 7. Zusammenfassung........................................................ 56

ill.

T~eoretische

Grundlagen .................................................... 58

1. Ökonomische Analyse des Rechts ...................................... 59 2. Alternative ökonomische Theorien und Rechtsanalyse ............... a) Transaktionskostenökonomie ........................................ b) Vertrags theorie ........................................................ c) Property Rights Theorie ..............................................

61 62 63 64

3. Grundlagen und Entwicklung der Property Rights Theorie...........

66

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen. ... . . . 70 a) Unternehmenstheorie ................................................. 70 b) Anwendung der Unternehmenstheorie auf Aktiengesellschaften 77 5. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Eigentumssubjekte

80

6. Zusammenfassung........................................................

83

8

Inhaltsverzeichnis IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse ................

84

1. Property Rights Theorie und Aktienrecht ..............................

84

2. Das Verhältnis von Aktienrecht und Kapitalmarktrecht ...............

88

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre ......... ........

92

a) Kontrollrechte .........................................................

95

(1) Organisation...................................................... 95 (2) Handlungsmaxime ............................................... 96 (3) Gleichbehandlungsgrundsatz ....................................

96

(4) Partizipation...................................................... 97 (5) Stimmrechte. ...... ...... ...... ... ..... ......... .......... ........

97

(6) Bezugsrechte ..................................................... 98 (7) Minderheitenrechte ..............................................

98

(8) Informationsrechte ...............................................

99

(9) Anfechtungs- und Klagerechte .................................. 99 b) Verfügungsrechte ..................................................... 100 (1) Verfügungsfreiheit ............................................... 100

(2) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen ........................ 101 (3) Informations- und Bewertungsrechte ........................... 102 c) Vermögensrechte ..................................................... 102 (1) Beteiligung an Wertzuwachs .................................... 102

(2) Informations- und Bewertungsrechte ........................... 103 d) Systematisierung der property rights der Aktionäre ................ 104 4. Zusammenfassung ........................................................ 107 V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht ......................... 109

1. Organisation .............................................................. 110 2. Kontrollrechte ............................................................ 113 a) Handlungsmaxime .................................................... 113 b) Gleichbehandlungsgrundsatz ........................................ 116 c) Partizipation ........................................................... 118 d) Stimmrechte .................................................... ~ . .. . .. 122 e) Bezugsrecht ........................................................... 125 f) Minderheitenrechte ................................................... 126

Inhaltsverzeichnis

9

g) Informationsrechte .................................................... 127 h) Anfechtungs- und Klagerechte ...................................... 130 3. Verfügungsrechte ......................................................... a) Verfügungsfreiheit .................................................... b) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen ............................. c) Informations- und Bewertungsrechte ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

134 134 135 140

4. Vermögensrechte ......................................................... 141 a) Beteiligung an Liquidationswert und Wertzuwachs ................ 141 b) Informations- und Bewertungsrechte ............................... 142 5. Zusammenfassung ........................................................ 143 VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht .................. 145 1. Organisation .............................................................. 147

2. Kontrollrechte ............................................................ a) Handlungsmaxime .................................................... b) Gleichbehandlungsgrundsatz ........................................ c) Partizipation ........................................................... d) Stimmrechte ........................................................... e) Bezugsrechte .......................................................... f) Minderheitenrechte ................................................... g) Informationsrechte .................................................... h) Anfechtungs- und Klagerechte ......................................

149 149 152 153 153 155 156 156 158

3. Verfügungsrechte ......................................................... a) Verfügungsfreiheit .................................................... b) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen ............................. c) Informations- und Bewertungsrechte ...............................

160 160 161 166

4. Vermögensrechte ......................................................... 167 a) Teilhabe an Wertzuwachs ............................................ 167 b) Informations- und Bewertungsrechte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169 5. Zusammenfassung ........................................................ 169 VII. Vergleichende Analyse und Implikationen für Transformationsländer ... 172 1. Property rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht ...................................................................... 173 2. Die Funktion staatlichen Rechts für die Bestimmung von property rights ...................................................................... 177

Inhaltsverzeichnis

10

3. Aufgabe des Gesellschaftsrechts in Transfonnationsländem a) b) c) d)

Organisation........................................................... Handlungsmaxime .................................................... Partizipation ........................................................... Stimmrechte...........................................................

181 183 183 184 184

4. Zusammenfassung ........................................................ 185 VIII. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer ................... 187 1. Institutionelle Investoren und Unternehmensführungskontrolle ...... 188 a) Der derzeitige Diskussionsstand ..................................... 190 b) Property rights Analyse institutioneller Investoren ................ 195 c) Das Verhalten institutioneller Investoren im Ländervergleich .... 200 2. Implikationen für eine Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren ................................................................... 204 3. Zusammenfassung ........................................................ 206 IX. Die Kontrolle der Kontrolleure .............................................. 207

1. Regelungsstandards im Rechtsvergleich ................................ 207 2. Rechtliche Organisation ................................................. 211 a) Gesellschaftsform ..................................................... 212 b) Vertragsform .......................................................... 212 c) Trustform .............................................................. 213 3. Verwahrung des Anlagevermögens ..................................... 214 4. Zugangsvoraussetzungen ................................................ 217 5. Staatliche Aufsicht ....................................................... 219 6. Bewertungsregeln ........................................................ 223 7. Investitions- und Finanzierungsregeln .................................. 225 8. Publizitätspflichten ....................................................... 229 9. Anlegerrechte ............................................................. 230 10. Zusammenfassung........................................................ 234 X. Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren in Rußland .......... 236 1. Rechtliche Rahmenbedingungen für Aktionäre ........................ 236 a) Organisation........................................................... 242

Inhaltsverzeichnis b) Kontrollrechte ......................................................... (1) Handlungsmaxime ............................................... (2) Gleichbehandlungsgrundsatz .................................... (3) Partizipation ...................................................... (4) Stimmrechte ...................................................... (5) Bezugsrecht ...................................................... (6) Minderheitenrechte .............................................. (7) Informationsrechte ............................................... (8) Klagerechte ....................................................... c) Verfügungsrechte ..................................................... (1) Verfügungsfreiheit ............................................... (2) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen ........................ (3) Informationsrechte ............................................... (4) Bewertungsrechte ................................................ d) Vermögensrechte ..................................................... (1) Beteiligung an Wertzuwachs .................................... (2) Bewertungsrechte ................................................ (3) Prüfungskommission ............................................ (4) Informationsrechte ...............................................

11

246 246 246 247 247 251 251 253 254 255 255 258 260 261 262 262 263 263 264

e) Zusammenfassung .................................................... 267 2. Kontrolle der IPFs ........................................................ 271 a) Rechtliche Organisation .............................................. 273 b) Verwahrung des Anlagevermögens .................................. 274 c) Zugangs voraussetzungen ............................................. 275 d) Staatliche Aufsicht ................................................... e) Bewertungsregeln ..................................................... f) Investitionsregeln ..................................................... g) Publizitätspflichten ...................................................

277 277 278 279

h) Anlegerrechte ......................................................... 280 i) Zusammenfassung .................................................... 282 3. IPFs als Untemehmenseigentürmer: Der empirische Befund ......... 283 a) Realisierung erworbener Eigentumspositionen 1992 - 1994 ...... 284 (1) IPFs als aktive Aktionäre ........................................ 284 (2) IPFs als passive Aktionäre ...................................... 288 b) Bewährung der IPFs als Unternehmenseigentümer: 1994-1997 . 290 (1) Eigentumsposition und Liquidität des Kapitalmarktes ........ 291 (2) Rechtliche Rahmenbedingungen ................................ 292

12

Inhaltsverzeichnis

(3) Kontrolle der Kontrolleure ...................................... 292 (4) Weitere Faktoren ................................................. 293 (5) Überlebensstrategien .................................... . .. . . . ... 294 c) Zusammenfassung .................................................... 296 XI. Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren in Tschechien ....... 297 1. Rechtliche Rahmenbedingungen für Aktionäre ........................ 297 a) Organisation........................................................... 300 b) Kontrolirechte ......................................................... (1) Handlungsmaxime ............................................... (2) Gleichbehandlungsgrundsatz .................................... (3) Partizipation ...................................................... (4) Stimmrecht ....................................................... (5) Bezugsrechte ..................................................... (6) Minderheitenrechte .............................................. (7) Informationsrechte ............................................... (8) Klagerechte .......................................................

302 302 303 303 304 307 308 308 309

c) Verfügungsrechte ..................................................... 309 (1) Verfügungsfreiheit ............................................... 309 (2) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen ........................ 310 d) Vermögensrechte ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Beteiligung an Wertzuwachs .................................... (2) Bewertungsrechte ................................................ (3) Prüfung ........................................................... (4) Informationsrechte ...............................................

313 313 313 314 314

e) Zusammenfassung .................................................... 314 2. Kontrolle der IPFs ........................................................ 316 a) Rechtliche Organisation .............................................. 317 b) Verwahrung des Anlagevermögens .................................. 318 c) Zugangsvoraussetzungen ............................................. 320 d) Staatliche Aufsicht ................................................... 321 e) Bewertungsregeln ..................................................... 322 f) Investitions- und Finanzierungsregeln .............................. 323

g) Publizitätspflichten ................................................... 326 h) Anlegerrechte ......................................................... 327 i) Zusammenfassung .................................................... 330

Inhaltsverzeichnis

3. IPFs als Unternehmenseigentümer: Der empirische Befund .......... a) Realisierung erworbener Eigentumspositionen 1992 - 1994 ...... (1) IPFs als aktive Aktionäre ........................................ (2) IPFs als passive Aktionäre ...................................... b) Bewährung der IPFs als Eigentümer: 1995 - 1997 ................. (1) Eigentumsposition und Liquidität des Kapitalmarktes ........ (2) Rechtliche Rahmenbedingungen ................................ (3) Kontrolle der Kontrolleure ...................................... (4) Überlebensstrategien ............................................. c) Zusammenfassung ....................................................

13

332 332 332 336 337 337 339 339 340 340

XII. Abschließende Analyse und Bewertung .................................... 342 I. Untersuchungsziele und angewandte Methoden ....................... 342 2. Unklare property rights der Aktionäre in Transfonnationsländern ... 344 3. IPFs als Neueigentümer privatisierter Unternehmen .................. 347 4. IPFs im Kontrollvakuum ................................................. 349 5. Institutionelle Investoren als Untemehmenseigentümer ............... 351 6. Zusammenfassung........................................................ 355

xm. Schlußthesen .................................................................. 359 Literaturverzeichnis ................................................................. 361

Sachverzeichnis ..................................................................... 379

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Anzahl der Unternehmen in öffentlichem Eigentum vor Beginn der Privatisierung. . . . .. . . . . .. . . . . .... .. ... .. . . . . . . ... . . . . . . .. . ... . . . . . . 30 Tabelle 2: Eigentumsstruktur privatisierter Unternehmen in Rußland ........ 42 Tabelle 3: Konzentration von Vouchern bei russischen IPFs .......... ......... 45 Tabelle 4: Eigentumsstruktur privatisierter Unternehmen in Tschechien ..... 52 Tabelle 5: Tschechische IPFs in der ersten Privatisierungswelle .............. 54 Tabelle 6: Nomenklatur der property rights der Aktionäre ..................... 105 Tabelle 7: Vergleichende Übersicht über die property rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht ........................ 175 Tabelle 8: Property rights der Aktionäre nach russischem Recht .............. 240 Tabelle 9: Alliierte Aktionäre der IPFs .......................................... 287 Tabelle 10: Property rights der Aktionäre im Zeitpunkt der Privatisierung nach russischem und tschechischem Recht .......................... 299

Abkürzungsverzeichnis

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für civilistische Praxis

a.F.

alte Fassung

AG

Die Aktiengesellschaft

AktG

Deutsches Aktiengesetz

AOZ

Zakon ob akcionemych ob§cestvach (Gesetz über Aktiengesellschaften der Russischen Föderation)

Art.

Artikel

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

bzw.

beziehungsweise

DeI.

Delaware

ders.

derselbe

dies.

dieselbe

ed.

edition (Auflage)

eds.

editors (Herausgeber)

EU

Europäische Union

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FMFG

Finanzmarktförderungsgesetz

Fn

Fußnote

GeL

General Corporate Law (Delaware)

gern.

gemäß

16 GKI GmbH

Abkürzungsverzeichnis Goskomimustestvo (Russisches Privatisierungskommittee) . Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Großkomm

Großkommentar

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

i.d.R.

in der Regel

IOSCO

International Organization of Securities Commissions

IPF

Investmentpri vatisierungsfonds

IPO

Initial Public Offering

JZ

Juristenzeitschrift

KAG

KapitaIanlagegesellschaft

Kölner Komm

Kölner Kommentar

KonTraG

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich

KritV

Kritische Vierteljahreszeitschrift für Rechtswissenschaft

LG

Landgericht

m.w.N

mit weiteren Nachweisen

MBEO

Management-and-employee-buy-out

MBO

Management-buy-out

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NYSE

New York Stock Exchange

OGAW

Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren

OTC

Over The Counter Trade

OZ

Obchodni ZAkonlk (Tschechisches Handelsgesetzbuch)

Rn

Randnummer

S.

Seite

SEC

Securities and Exchange Commission

StGB

Strafgesetzbuch

tsch.

tschechisch, -e, -es

UmwG

Umwandlungsgesetz

Gesetzgebung und

Abkürzungsveneichni s

17

usw.

und so weiter

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vol.

Volume

WM

Wertpapierrnitteilungen

WpHG

Wertpapierhandelsgesetz

z.T.

zum Teil

ZBB

Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft

ZGB

Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZISIF

Zäkon 0 investi~nich spole~nostech a investi~nfch fondech (Gesetz über Investmentfirmen und Investmentfonds der Tschechischen Republik)

ZPO

Zi vilprozeßordnung

2 Pi'tor

Hinweise Sofern nicht ausdrücklich anderes vermerkt wird. sind die zitierten russischen Gesetze in der CD Rom Datei "Garant" der Firma Garant-Servis. Moskau, enthalten. Die Umschrift kyrillischer Schrift folgt der Bibliothekstranskription.

I. Einleitung Der Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftsordnung hat die Länder Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion vor die Aufgabe gestellt, die Voraussetzungen für eine marktwirtschaftliche Ordnung zu schaffen. Aus Sicht vieler Ökonomen lag der Schlüssel zum Erfolg darin. die Hindernisse, die das sozialistische System Marktkräften entgegenstellte. zu beseitigen, und somit deren freie Entfaltung zu ermöglichen. 1 Die notwendigen Rahmenbedingungen hierfür sollten im wesentlichen durch drei wirtschaftliche Reformmaßnahmen geschaffen werden: Stabilisierung, Preisliberalisierung und Privatisierung. 2 Während die Notwendigkeit umfassender institutioneller und rechtlicher Reformen durchaus erkannt wurde, wurde den ökonomischen Reformmaßnahmen in der Regel der Vorrang eingeräumt. Diese sollten die Voraussetzung für die Nachfrage nach rechtlichen Reformen schaffen, deren Nutzen erst im Zusammenhang mit entsprechenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen offenbart werde. 3

1. Privatisierung als Rechtsreform Demgegenüber zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, daß jedenfalls eine der drei Reformmaßnahmen, die Privatisierung, eine inhärent rechtliche Reformmaßnahme ist und ohne adäquate rechtliche Rahmenbedingungen nicht die gewünschten Erfolge zeitigen kann. Ziel der Privatisierung ist eine umfassende Reform der Eigentumsordnung in der Erwartung. daß dies zu einer effizi-

1 Siehe nur die Einleitung zu Blanchard, The Economics of Post-Communist Transition: "lbe fact that transition came with an often large initial decrease in output should be seen as a puzzle. After all, the previous economic system was characterized by a myriad distortions. One might have expected that removing most of them would lead to a large increase, not a decrease, in output." 2 Grundlegend hierzu Upton/Sachs, Creating a Market Economy in Bastern Europe: The Case of Poland; sowie UptonlSachs, Prospects for Russia's Economic Reforms. Für einen Überblick über den Erfolg der Stabilisierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen siehe Weltbank, From Plan to Market Kapitel 2 S. 22 ff. Zu den Privatisierungsmaßnahmen ebenda, Kapitel 3 S. 44 ff. 3 So ausdrücklich Weltbank, From Plan to Market. S. 45. die darauf hinweist, daß der erste Schritt in dem Transformationspozeß der Schritt von einem zentral staatlichen Planungssystem zu einem Marktsystem mit Risiko, finanzieller Diziplin und starken Anreizen für profitorieniertes Verhalten sei.



20

I. Einleitung

enteren Nutzung begrenzter Wirtschaftsgüter führen werde. Eigentum aber ist per definitionem eine rechtliche Kategorie. Sachherrschaft kann weitgehend durch physische Gewalt gesichert werden. Für eine umfassende wirtschaftliche Nutzung von Sachen bzw. Rechten ist jedoch erforderlich, daß die Rechte, die verschiedenen Personen hieran zustehen sollen, eindeutig zugeordnet sind und von der Rechtsordnung anerkannt werden. Dies gilt insbesondere in modemen Wirtschaften, die sich durch ein hohes Maß an verbrieften Rechten auszeichnen, die sich nicht aus Sachherrschaft, sondern aus Rechtsherrschaft ergeben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Sacheigentum waren dem Grunde nach in den meisten Transformationsländern bereits vorhanden, bzw. wurden bald nach der Wende geschaffen. Die Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe stellte jedoch weit höhere Anforderungen an die Rechtsordnungen dieser Länder. Die ehemaligen Staatsbetriebe wurden zunächst in Aktiengesellschaften umgewandelt. Die Privatisierung erfolgte durch die Übertragung der Aktien auf private Investoren. Damit erhielten diese Investoren in jedem Fall ein Recht am Papier, bzw. sofern keine Aktienzertifikate ausgegeben wurden, einen Anspruch darauf, in dem Aktienregister des betreffenden Unternehmens geführt zu werden. Die entscheidende Frage war jedoch, ob diese Aktionäre damit zugleich ein Recht aus dem Papier bzw. aus dem Eintrag in dem Aktienregister erhielten, das im Rechtsverkehr als durchsetzungsfahiger und damit wirtschaftlich nutzbarer Anspruch anerkannt werden würde. Die beiden hier untersuchten Länder, Rußland und die Tschechische Republik, hatten vor Durchführung der Privatisierung Aktiengesetze - oder jedenfalls Rechtsverordnungen betreffend Aktiengesellschaften - erlassen, die die Binnenorganisation der Aktiengesellschaften regelten und die wesentlichen Rechte und Pflichten der Aktionäre einerseits, und der mit der Unternehmensleitung betrauten Organe andererseits, festlegten. Doch waren, wie in dieser Arbeit gezeigt werden wird, diese Regelungen weitgehend lückenhaft. Insbesondere fehlte es an detaillierten Verfahrensrechten, wie Informations-, Bewertungsrechten, aber auch Klagerechten, die es den Aktionären ermöglicht hätten, ihre materiellen Rechte einzufordern und durchzusetzen. Diese Defizite waren nicht zuletzt deshalb problematisch, weil diese beiden Länder Privatisierungsverfahren gewählt haben, die die Überführung von Aktien in den Streubesitz individueller Aktionäre sowie institutioneller Investoren vorsahen. Rußland und Tschechien waren die ersten Länder, die sogenannte Voucher- oder Massenprivatisierungsverfahren durchgeführt haben. Dies ist ein besonderes Privatisierungsverfahren, bei dem der Staat Voucher als Kapitalsubstitut an die Bevölkerung ausgibt.

1. Privatisierung als Rechtsreform

21

Diese Voucher können dafür eingesetzt werden, im Zuge der Privatisierung Unternehmensaktien, bzw. Anteile in spezialisierten institutionellen Investoren, den sogenannten Investrnentprivatisierungsfonds (IPFs), zu erwerben. In letzterem Fall erhalten die Investoren im Gegenzug für ihre Voucherinvestition Anteilsrechte in dem betreffenden Fonds. Dieser wiederum kann seinerseits mit dem Voucherkapital Aktien in privatisierten Unternehmen erwerben. IPFs übernehmen somit die Funktion von Intermediären zwischen Kapitalanlegern und Unternehmen. Dies wirft die Frage auf, welche Rolle IPFs als Neueigentümer privatisierter Unternehmen spielen werden und auf welche Weise die Kontrolle dieser Finanzintermediäre sichergestellt werden kann. Diese Fragen deuten bereits an, daß es jedenfalls bei dieser Form der Privatisierung um weit mehr ging, als lediglich darum, formale Eigentumstitel von staatlicher Hand auf private Investoren zu übertragen. Mit der Massenprivatisierung wurde vielmehr der Versuch unternommen, die vormals zentralstaatlich gelenkten Wirtschaften unmittelbar in hochentwickelte kapitalistische Wirtschaftsordnungen zu überführen. Die Anforderungen, die sich hieraus an die rechtlichen Rahmenbedingungen ergaben, lassen sich mit Hilfe eines evolutionären Modells, das Robert Clark für die historische Entwicklung des kapitalistischen Systems in den Vereinigten Staaten entworfen hat, veranschaulichen. 4 Diese Entwicklung läßt sich nach Clark in vier Stadien unterteilen: das erste Stadium ist das Stadium des Unternehmers, das zweite des professionellen Unternehmensrnanagers. Das dritte Stadium wird durch den institutionellen Investor gekennzeichnet und das vierte Stadium schließlich soll als das Stadium des Anlagestrategen bezeichnet werden. s Dabei löst das jeweils folgende Stadium das vorausgegangene nicht notwendig ab. Vielmehr können mehrere Stadien grundstäzlich nebeneinander existieren. Das Stadium des Unternehmers zeichnet sich durch die wachsende Bedeutung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung aus, die jedoch unter der direkten Kontrolle des Unternehmenseigentümers, bzw. einer kleinen Gruppe von Gesellschaftern, bleiben. Im zweiten Stadium wird die direkte Kontrolle über das Unternehmen zunehmend auf professionelle Manager übertragen. Der Kapitalbedarf der Unternehmen wird durch eine wachsende Zahl an Gesellschaftern (Aktionären) gedeckt, zu denen der professionelle Manager in einem treuhänderischen Verhältnis steht. Das dritte Stadium schließlich rückt den Portfo-

elark, The Four Stages of Capitalism. Clark nennt das vierte Stadium "the age of the savings planner." Damit soll die weitere Differenzierung der Kapitalanlage in Kapitalangebot und professionalisierte Anlageberatung erfaßt werden, bei denen der eigentliche Anspruchsberechtigte der Kleinanieger ist, der seine Sparguthaben, Pensionsrtlcklagen, u.s.w, treuhänderisch auf Dritte überträgt. Siehe ebenda, S. 565. 4

S

22

I. Einleitung

liomanager als Mittler zwischen Kapitalanleger und Produktivvermögen in den Mittelpunkt. Die Trennung von Eigentum und Kontrolle wird nunmehr durch die Trennung von Kapitalangebot und Kapitalinvestition komplementiert. Das vierte Stadium schließlich zeichnete sich Anfang der achtziger Jahre, als dieses Modell entworfen wurde, selbst in den Vereinigten Staaten erst in seinen Grundzügen ab. Clark sieht für dieses Stadium eine weitere Differenzierung von Kapitalangebot und Kapitalverwendung sowie eine fortschreitende Spezialisierung in der Anlageberatung voraus. Der für die vorliegende Arbeit relevante Aspekt dieser Analyse ist, daß jedes dieser Stadien von umfangreichen Rechtsreformen begleitet ist, die einen Funktionswandel des Rechts wiederspiegeln. Im ersten Stadium wurden die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung von Aktiengesellschaften standardisiert und weitgehend liberalisiert. Für die Gründung einer Gesellschaft war nunmehr lediglich die Einhaltung der festgelegten gesetzlichen Bestimmungen, nicht jedoch zusätzliche Genehmigungen staatlicher Stellen, erforderlich. 6 Diese Aktiengesetze bestimmten die wesentlichen Rechte der Aktionäre einerseits und der Unternehmensführung andererseits und enthielten darüber hinaus Vorschriften zum Schutze der Unternehmensgläubiger. 7 Mit der zunehmenden Trennung von Eigentum und Kontrolle, die nach diesem Modell das zweite Stadium der Entwicklung charakterisiert, gewann die rechtliche Ausgestaltung der Beziehung zwischen den professionellen Managern und den Aktionären des Unternehmens an Bedeutung. Die umfassenden Entscheidungsbefugnisse, die dem Management eingeräumt wurden, stellten die Kontrollmöglichkeiten der Aktionäre in Frage. Gesetzliches Korrelat dieses Entwicklungsstadiums war nach Clark die Verabschiedung der Wertpapier- und Börsengesetzgebung von 1933/34 im Anschluß an die große Depression. 8 Ziel dieser Reformmaßnahmen, die die Errichtung einer unabhängigen Börsenaufsicht beinhalteten, war die Herstellung und Sicherung von Informationstransparenz auf dem Kapitalmarkt. Der Gegenstand gesetzlicher Regelungen wurde von dem gesellschaftsrechtlichen Binnenverhältnis, d.h. der Zuordnung von Rechten und Pflichten der Aktionäre, Manager und Gläubiger des Unterneh-

6 Allgemein zum Übergang von dem Konzessions- zum Registrierungssytem in Europa siehe Beckerath, Handwörterbuch der Sozialwissenschaften: einen Überblick tiber die Entwicklung in England und den Vereinigten Staaten gibt Blumberg, The Multinational Challenge to Corporation Law, S. 22 ff. 7 Clark nennt diese Gesetze bereits "enabling". Tatsächlich waren diese Gesetze jedoch weit restriktiver als die heutigen aktienrechtlichen Vorschriften. In der amerikanischen Literatur werden daher die Gesetze des neunzehnten Jahrhunderts mittlerweile als obligatorisch (mandatory) oder gar als prohibitiv bezeichnet, während der Gebrauch des Terminus "enabling" auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte beschränkt bleibt. Siehe dazu im einzelnen Kapitel VI und VII. 8 Clarle, The Four Stages ofCapitalism. S. 564.

1. Privatisierung als Rechtsrefonn

23

mens, auf das Verhältnis zwischen Kapitalanlegern einerseits und den Unternehmen andererseits verschoben. Damit wurden zugleich neue regulative Aufgaben für den Staat in der Form der Kapitalmarktaufsicht geschaffen. Mit der wachsenden Bedeutung der institutionellen Investoren rückte im dritten Stadium schließlich das Verhältnis zwischen Kapitalanlegern und Finanzintermediären in den Mittelpunkt rechtlicher Reformmaßnahmen. Die Grundlagen hierfür wurden in den USA durch den Investment Company Act von 1940 geschaffen. Dieses Modell verdeutlicht die Interdependenz von Rechts- und Wirtschaftsentwicklung am Beispiel der Unternehmensfinanzierung und Unternehmenskontrolle. Zwar ist die Notwendigkeit der rechtlichen Regelungen, die im zweiten und dritten Stadium erlassen wurden, nicht unbestritten geblieben. So hat es durchaus Stimmen gegeben, die hierin eine durch die Depression ausgelöste Überreaktion des Gesetzgebers gesehen haben und postulieren, daß diese Vorschriften die Kapitalmarktentwicklung nicht nur nicht gefördert, sondern möglicher Weise sogar behindert habe. 9 Eine solche These ist schwer überprüfbar, da sie sich auf rein hypothetische alternative Geschehensabläufe beruft. Es soll daher hier davon ausgegangen werden, daß objektiv ein Regelungsbedarf bestand, der durch die Verabschiedung der genannten Vorschriften gedeckt wurde. Unterstellt man die Richtigkeit des beschriebenen Modells jedenfalls in seinen Grundzügen, so wird deutlich, daß die Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren, wie sie in Rußland und der Tschechischen Republik durchgeführt wurde, unmittelbar die Verwirklichung des dritten Stadiums der kapitalistischen Wirtschafts weise anstrebte. Damit stellt sich die Frage, ob die rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorhanden waren. Neben dem Aktienrecht, das die Rechte und Pflichten der Neueigentümer privatisierter Unternehmen bestimmt, gewinnen somit die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investmentfonds und die Sicherung der Kontrolle über diese Kontrolleure für eine Bewertung des Erfolgs der Eigentumsreform an Bedeutung. Aus diesem Grunde werden in dieser Arbeit neben den Aktiengesetzen auch die Vorschriften über Investmentfonds und Investmentgesellschaften einer detaillierten Analyse unterzogen.

9 Siehe beispielsweise Stigler. Public Regulation of the Securities Markets. Kritsch zu diesen Argumenten Seligman. The Historical Need for a Mandatory Corporate Disclosure System. Ihm folgend Coffee. Market Failure and the Econornic Case for a Mandatory Disclosure System.

24

I. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen Die Analyse der genannten rechtlichen Regelungen beruht auf einer ökonomischen Analyse des Rechts. Sie erlaubt es, die Auswirkungen rechtlicher Normen auf wirtschaftliches Verhalten zu untersuchen und eignet sich daher grundsätzlich für eine Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Eigentumsreform in Rußland und Tschechien. Für eine derartige Untersuchung bieten sich verschiedene theoretische Ansätze an. Vorliegend wird vor allem auf die Property Rights Theorie abgestellt, deren Grundzüge vor allem von Armen Alchian, Ronald Coase und Harold Demsetz entwickelt wurden, und die in den letzten Jahren von Sanford Grossman, Oliver Hart und John Moore weiterentwickelt wurde. 10 Die Wahl dieses theoretischen Ansatzes folgt aus dem Untersuchungsgegenstand. Die Privatisierung als Reformmaßnahme beruht auf der Annahme, daß die Zuordnung von property rights Auswirkungen auf das Verhalten von Wirtschaftsakteuren hatY Dabei stehen Unterschiede zwischen staatlichem und privatem Eigentum oftmals im Mittelpunkt der Analyse. Die Property Rights Theorie eignet sich jedoch allgemein für eine Analyse der Zuordnung von property rights auch im Bezug auf private Rechtsinhaber. Die Grundzüge dieser Theorie wurden zunächst anhand von property rights an Sachen entwickelt. Mittlerweile hat sich die Property Rights Theorie jedoch zu einem wichtigen theoretischen Ansatz für die Erklärung der Entstehung und Funktionsweise von Unternehmen entwickelt (sogenannte Firmen- oder Unternehmenstheorie). Die wesentlichen Erkenntnisse der Property Rights Theorie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Existenz von property rights beruht darauf, daß Wirtschaftstransaktionen mit erheblichen Kosten verbunden sind. Zu diesen Kosten gehören insbesondere Kosten der Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung. Aufgrund dieser Kosten ist es Parteien grundsätzlich nicht möglich, ihre jeweiligen rechtlichen Beziehungen betreffend eines Gegenstands vollständig zu spezifizieren. Verträge sind somit notwendiger Weise unvollständig. Gegenstand der property rights sind die Rechte, die - auf der Grundlage der postulierten Unvollständigkeit von Verträgen - nach Abzug sämtlicher vertraglicher Verbindlichkeiten verbleiben. Diese Rechte werden als Residualrechte bezeichnet. Sie vermitteln

10 Zu der Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Property Rights Theorie im einzelnen siehe KapitelllI. 11 Die Bezeichnung. "property rights" an Stelle von "Eigentumsrechten" wird vorliegend verwendet, um Uberschneidungen mit dem jurstisch belegten Begriff der Eigentumsrechte zu vermeiden. Siehe hierzu auch die Darstellung der überwiegend kritischen Diskussion zur Anwendung eigentumsrechtlicher Kategorien auf die Aktiengesellschaft in Deutschland in Kapitel IV.

3. Rechtsvergleichende Analyse

25

die Letztentscheidungsgewalt über den Gegenstand der property rights und fallen deren Inhaber, dem Eigentümer, zu. Damit ist zunächst lediglich der Gegenstand von property rights geklärt. Hieran anschließend stellt sich die Frage, ob die Art und Weise der Zuordnung von property rights das wirtschaftliche Ergebnis, d.h. die effiziente Nutzung begrenzter Wirtschaftsgüter, beeinflußt. Neue Erkenntnisse, die mit Hilfe der Property Rights Theorie gewonnen wurden, zeigen, daß die Zuordnung der property rights die Verhandlungsposition der Parteien bereits ex ante beeinflußt. Insbesondere bestimmt sie den Umfang spezifischer Investitionen, die die jeweilige Partei in Bezug auf den Vertragsgegenstand zu tätigen bereit ist. Hierauf aufbauend wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, eine "Verfassung" der Aktiengesellschaft zu entwerfen, die eine möglichst optimale Zuordnung der property rights trifft. Dabei zeigt sich, daß mit der Property Rights Theorie eine grundsätzliche Zuordnung der property rights, die aus Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechten bestehen, möglich ist. Eine abschließende Erklärung der oftmals im Detail voneinander abweichenden aktienrechtlichen Regelungen in verschiedenen Rechtsordnungen kann jedoch nicht gegeben werden. In einem weiteren Schritt wird mit Hilfe der Property Rights Theorie die Zuordnung der Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte bei institutionellen Investoren untersucht. Diese Analyse verdeutlicht, daß die Kontrolle dieser Institutionen nicht allein den Anlegern überlassen werden kann. Denn diesen stehen Kontrollrechte nur in beschränktem Maße zur Verfügung, bzw. sie sind in der Regel nicht in der Lage, ihre Kontrollrechte wahrzunehmen. Dieses Ergebnis bestätigt den Befund des Clark'schen Modells, nach dem das Stadium des institutionellen Investors von Rechtsreformen begleitet wird, deren Gegenstand die Regulierung des Rechtsverhältnisses zwischen Kapitalanlegern einerseits und institutionellen Investoren andererseits ist. Damit ist nichts über den konkreten Inhalt oder Umfang staatlicher Regelungen gesagt. Insbesondere spricht dies nicht für eine extensive staatliche Interventionspolitik, wohl aber für die Errichtung rechtlicher Rahmenbedingungen, die es Investoren ermöglichen, ihre Rechte durchzusetzen und die darüber hinaus die Voraussetzungen für staatliche Intervention jedenfalls als ultima ratio schaffen.

3. Rechtsvergleichende Analyse Ergänzt wird die rechtsökonomische Analyse durch eine rechtsvergleichende Untersuchung. Dies ist erforderlich, um die Regelungsdichte von Aktien- bzw. Investmentfondsgesetzen in entwickelten Marktwirtschaften aufzuzeigen. Damit soll zugleich einer typischen Gefahr der rechtsökonomischen Analyse begegnet werden, die darin liegt, daß aus theoretischen Überlegungen heraus Ansprüche

26

I. Einleitung

an gesetzliche Vorschriften gestellt werden, die die meisten Länder, einschließlich der Länder, die entwickelte Marktwirtschaften und hoch differenzierte Rechtssysteme haben, nicht erfüllen. Ein solcher Realitätsbezug erscheint vor allem im Hinblick darauf, daß die Rechtsordnungen der Transformationsländer sich während des Untersuchungszeitraums im Umbruch befanden, notwendig. Als Vergleichsländer werden für das Aktienrecht das deutsche Recht sowie das Recht des Staates Delaware stellvertretend für das amerikanische Recht herangezogen. Die Auswahl dieser Rechtsordnungen beruht in erster Linie darauf, daß diese Länder für die Aktiengesetze Rußlands einerseits und Tschechiens andererseits Pate gestanden haben. Das neue Aktiengesetz Rußlands, das 1996 in Kraft trat, wurde unter wesentlicher Beteiligung amerikanischer Berater entworfen. Zwar weicht es in vielen Punkten von dem Recht des Staates Delaware ab, doch weist es hinreichende Bezüge zum amerikanischen Recht auf, um einen deutlichen Einfluß zu bejahen. Für die aktienrechtlichen Regelungen, die vor Verabschiedung dieses Gesetzes galten, ist der Befund weniger eindeutig. Doch standen bereits viele der Privatisierungsvorschriften, die aktienrechtliche Regelungen trafen, unter dem Einfluß amerikanischer Rechtsberater. Demgegenüber läßt sich das tschechische Aktienrecht weitgehend auf das deutsche Recht zurückführen. Dieser Einfluß geht bereits auf die enge Anlehnung des Rechts der Tschecheslowakei an das deutsche Recht vor dem zweiten Weltkrieg zurück. Deutlichster Ausdruck hierfür ist die dem deutschen Recht entlehnte zweigliedrige Verwaltungsstruktur der Aktiengesellschaft bestehend aus Vorstand und Aufsichtsrat. Das neue tschechische Handelsgesetzbuch von 1992 hat auch Elemente der deutschen Mitbestimmung übernommen. Für die Analyse des Rechts der Investmentfonds wird demgegenüber im wesentlichen auf internationale Standards zurückgegriffen, wie sie die Europäische Richtlinie für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) von 1985 sowie die Principles for Collective Investment Schemes der International Organization for Securities Committees (lOSCO) darstellen. 12 Der Grund hierfür liegt darin, daß es für diese Analyse weniger darauf ankommt, die Besonderheiten nationaler Rechtsordnungen aufzuzeigen, als vielmehr darauf, allgemeine Standards für die rechtliche Regelung institutioneller Investoren zu erarbeiten. Dennoch wurde die deutsche Rechtslage beispielhaft in die Analyse mit aufgenommen, um darzulegen, daß nationalstaatliche Regelungen oftmals weit detailliertere Vorschriften als die genannten internationalen Regelungen bzw. Empfehlungen treffen. 13

Siehe hierzu Kapitel IX. Bei den genannten CIS Principles handelt es sich lediglich um Empfehlungen, nicht um bindendes Recht. 12

13

4. Aufbau der Arbeit

27

Diese rechts vergleichenden Bezüge dienen dazu, die Rechtsentwicklung in Rußland und Tschechien nicht allein aufgrund ökonomischer Theorien zu beurteilen, sondern sie in den Kontext der Entwicklung der genannten Rechtsgebiete in anderen Ländern bzw. internationaler Trends zu stellen.

4. Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Zunächst werden die Grundzüge der Massenprivatisierungsprogramme Rußlands und der Tschechischen Republik, ihre Konzeption, Durchführung und wesentlichen Ergebnisse dargestellt (Kapitel 11). Im Anschluß daran werden die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit entwikkelt. Verschiedene theoretische Ansätze, die sich grundsätzlich als Ausgangspunkt für diese Untersuchung eignen würden, werden kurz vorgestellt und die Vorzüge der Property Rights Theorie erörtert. Es folgt eine detaillierte Darstellung der Entwicklung der Property Rights Theorie, einschließlich ihres Beitrages zur Firmentheorie (Kapitel III). Auf dieser Grundlage wird eine Property Rights Analyse der Aktiengesellschaft vorgenommen und die Zuordnung der in den property rights enthaltenen Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte erörtert (Kapitel IV). Hieran schließt sich eine Analyse des deutschen (Kapitel V) sowie des amerikanischen Aktienrechts (Kapitel VI) an. In einem weiteren Kapitel werden diese heiden Rechtsordnung miteinander verglichen und Implikationen für das Aktienrecht der Transformationsländer abgeleitet. In diesem Zusammenhang werden auch die theoretischen Grundlagen des Aktienrechts, die dem neuen russischen Aktiengesetz zugrunde lagen, dargestellt (Kapitel VII). In Kapitel VIII wendet sich die Arbeit der Analyse institutioneller Investoren zu. Zunächst werden wiederum die theoretischen Grundlagen erarbeitet und die Zuordnung der Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte bei Investmentfonds mit Hilfe der Property Rights Theorie analysiert. Es folgt eine Darstellung der europäischen OGAW Richtlinie sowie der CIS Principles der IOSCO, die durch die Darstellung des deutschen Kapitalanalgerechts ergänzt werden (Kapitel IX). Kapiteln X und XI sind den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Eigentumsreform mittels institutioneller Investoren in Rußland und Tschechien gewidmet. Es werden jeweils zunächst die aktienrechtlichen Bestimmungen und ihre Entwicklung seit Beginn der Wirtschaftsreformen dargestellt. Es folgt eine entsprechende Analyse der rechtlichen Vorschriften für Investmentfonds. Schließlich werden vorhandene empirische Daten über das Verhalten der IPFs als Unternehmenseigentümer und ihre weitere Entwicklung nach Abschluß der Massenprivatisierung kritisch erörtert.

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I. Einleitung

Kapitel XII faßt die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit zusammen. In Kapitel XIII werden diese als Schlußthesen wiedergegeben.

11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung Die Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe war eine der grundlegenden Reformmaßnahmen, die in den Ländern Mittel- und Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems angestrebt wurde. Die bestehende Eigentumsordnung, die die wesentlichen Produktionsmittel in das Eigentum des Volkes bzw. des Staates stellte, wurde als eine der Hauptursachen für die Ineffizienz des bestehenden Systems angesehen. Die theoretische Grundlage fllr diese Einschätzung staatlichen Eigentums bietet die Property Rights Theorie, deren Grundzüge in dem folgenden Kapitel III dargestellt werden sollen.\ Vorliegend soll die Annahme, daß privates Eigentum zu einer besseren Nutzung begrenzter Wirtschaftsgüter beiträgt und daher effizienter ist als staatliches Eigentum unterstellt werden und auf der Grundlage dieser Annahme die Privatisierungsverfahren und wesentlichen Ergebnisse der Privatisierung in Rußland und Tschechien erörtert werden.

1. Privatisierungsverfahren Die angestrebte Privatisierung der in staatlichem Eigentum stehenden Betriebe in den ehemals sozialistischen Ländern stellte allein zahlenmäßig bisher nicht gekannte Anforderungen an die Logistik der Privatisierung. Die bis dato radikalsten Privatisierungsmaßnahmen in der industrialisierten Welt waren unter Margaret Thatcher in Großbritannien vorgenommen worden. Dort wurden von 1980 bis 1987 insgesamt siebenunddreißig Unternehmen privatisiert. Dreizehn Unternehmen wurden durch öffentlichen Verkauf von Aktien, achtzehn durch direkten Verkauf an private Investoren sowie weitere zwölf im Zuge von sogenannten management-and-employee-buy-outs (MEBOs) privatisiert? Pro Jahr ergibt dies eine Privatisierungsquote von etwas über fünf Unternehmen. In Anbetracht der Zahl der staatlichen Unternehmen in beispielsweise der Tschecheslowakei oder Rußland hätte, so wurde argumentiert, eine Privatisierung al\ Wie Schmidt richtig betont, basierten die meisten Privatisierungsstrategien jedoch weniger auf theoretischen Überlegungen oder einer fundierten ökonomischen Grundlage, sondern auf dem Glauben, daß privates Eigentum tatsächlich effizienter sei. Siehe Schmidt, Incomplete Contracts and Privatization, S. 569. 2 LiptoniSachs, Privatization in Eastern Europe: The Case of Poland. Die Autoren geben einen Überblick uber die Anzahl privatisierter Unternehmen rur den genannten Zeitraum in Tabelle 4, S. 324

30

11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

lein der im föderalen Staatseigentum stehenden Unternehmen unter gleichen Bedingungen Jahrzehnte in Anspruch genommen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1 Anzahl der Unternehmen in öffentlichem Eigentum vor Beginn der Privatisierung Land

Anzahl der Unternehmen

Rußland Föderales Eigentum

57,036

Eigentum der Republiken

10,046

Eigentum der Regionen und Kreise

14,989

Kommunales Eigentum

63,567

Tschecheslowakei Staatliches Eigentum

27,460

Kommunales Eigentum

1,118

Eigentum der Kooperativen

5,879

Quelle: FIIr Rußland: Panorama Privatizatsü des Russischen Kommittees flIr die Vewal-

tung staatlichen Eigentums, No. 13 (40), Juli 1994 S. Si-52.' FIIr die Tschecheslowakei siehe FrydmanlRopoa;ynskilEarle, Tbc Privatization Process in Central Europe S.66.

Allerdings zeigen die Ergebnisse der Privatisierung in Ostdeutschland, Ungarn und Estland, daß eine recht zügige Privatisierung im Wege öffentlicher Ausschreibungen, Versteigerungen und Direktverkauf von Unternehmensanteilen an strategische Investoren durchaus möglich ist. 4 Die Erfahrungen dieser Länder bezeugen auch, daß auch andere Argumente, die gegen herkömmliche Privatisierungsverfahren vorgetragen wurden, letztlich nicht durchgeschlagen haben. So wurde zum einen betont, daß die Kapitalausstattung der inländischen

3 Die Angaben in Rüster, Privatisierung und Strukturwandel russischer Unternehmen, weisen höhere Zahlen aus. Danach gab es zu Beginn des Jahres 1993204.998 Staatsbetriebe in der russischen Föderation. Siehe Tabelle 1, S. 238. 4 In Ostdeutschland wurde die Privatisierung bereits Ende 1995 abgeschlossen. Insgesamt waren 14.000 Unternehmen veräußert worden. Viele dieser Unternehmen waren Abspaltungen der ursprünglich 8.000 Unternehmen, die für die Privatisierung vorgesehen waren. Siehe jüngst Dyck, Privatization in Bastern Germany: Management Selection and Economic Transition. Dyck betont zu Recht, daß Massenprivatisierung das Managementproblem nicht löst. Siehe ebenda, S. 567. Nach dem EBRD Transition Report (1997) befinden sich in Ungarn und Estland die meisten ehemaligen Staatsbetriebe in vollem bzw. mehrheitlichem privaten Eigentum der Unternehmen in privater Hand. Siehe EBRD, Transition Report, S. 167 für Estland, S. 173 für Ungarn.

2. Grundelemente der Massenprivatisierung

31

Bevölkerung nicht ausreiche, den Verkauf der Unternehmen zu einem angemessenen Preis durchzuführen. Selbst unter Berücksichtigung nicht unerheblicher Sparguthaben der Bevölkerung sei davon auszugehen, daß das Gesamtvolumen des inländisch verfügbaren Kapitals nur einen Bruchteil des potentiellen Wertes der staatlichen Wirtschaftsunternehmen ausmache. s Daher liefe eine Privatisierung fast zwangsläufig darauf hinaus, daß inländische Investoren von wesentlich finanzkräftigeren ausländischen Investoren verdrängt würden. Wenn dies aus wirtschaftlichen Gründen durchaus begrüßt werden könne,6 sei aus politischer Sicht eine solche Strategie jedoch in den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas nicht vertretbar. Aufgrund dieser Ausgangslage erschien eine zügige Privatisierung nach herkömmlichen Methoden unwahrscheinlich oder gar unmöglich. Aus diesen Gründen wurde nach alternativen Privatisierungsmethoden gesucht, die sowohl das Verfahren beschleunigen, als auch zu einer Beteiligung der Bevölkerung an den privatisierten Unternehmen beitragen sollte.

2. Grundelemente der Massenprivatisierung Erste Ansätze für ein neues Privatisierungskonzept wurden von Reformern in Polen und Tschechien vorgeschlagen.1 Sie bildeten die Grundlage für zwei Massenprivatisierungsmodelle, die verschiedenen Ländern als Vorlage für ihre Privatisierungsprogramme gedient haben. 8 Beide Modelle beruhen darauf, daß eine Vielzahl von Unternehmen durch Versteigerungen von Unternehmensanteilen in der Form von Aktien veräußert werden. Der erste Schritt bei der Privatisierung ist die Umwandlung ehemaliger Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften. Die Unternehmensanteile können sodann in Versteigerungen erworben

S LiptoniSachs, Privatization in Bastern Europe: The Case of Poland, veranschlagen, daß der Wert der 500 größten Unternehmen das gesamte private Sparguthaben um mindestens das zweieinhalbfache übersteigt. Siehe S. 325 f. und Tabelle 5. 6 Für einen anschaulichen Vergleich der Privatisierung von Unternehmen in Polen mit und ohne ausländischer Beteiligung siehe McDonald, Why Privatization is Not Enough. 1 Das grundlegende Modell für die Massenprivatisierung scheint durch Lewandowski und Szomberg entwickelt worden zu sein. Siehe LewandowskilSzomberg, Property Reform as a Basis for Social and Economic Reform. Zur Entwicklung der Konzeption des Massenprivatisierungsprogramms in Tschechien siehe Pauly/friska, Investment Funds in the Czech Republic. Siehe auch FrydmanIRapaczynskilEarle, The Privatization Process in Central Europe, S. 72 ff. für die Grundlagen der Privatisierung in der tschechischen Republik; sowie FrydmanIRapaczynskilEarle, The Privatization Process in Russia, Ukraine, and the Baltic States, S. 38 ff. für Rußland. 8 Die wesentlichen Elemente dieser Modelle sind dargestellt in LiptoniSachs, Privatization in Eastern Europe: The Case of Poland sowie in FrydmanIRapaczynski, Markets and Institutions in Large Scale Privatization: An Approach to Economic and Social Transformation in Eastern Europe.

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

werden. In diesen Versteigerungen sind als besondere Zahlungsmittel sogenannte Voucher oder Privatisierungscoupons (im weiteren einheitlich als Voucher bezeichnet) zugelassen. Diese stellen Optionsrechte dar, die kostenlos bzw. für eine geringe Gebühr an die Bevölkerung ausgegeben werden. Die beiden Modelle unterscheiden sich vor allem darin, wie diese Voucher in Anteilsrechte an Unternehmen umgesetzt werden. Nach dem einen Modell, das im weiteren als "reguliertes Modell" bezeichnet werden soll,9 können die Voucher von den Berechtigten lediglich dazu verwendet werden, Anteilsrechte an den eigens zu diesem Zweck gegründeten institutionellen Investoren zu erwerben. Diese Investoren, die sogenannten Investment-Privatisierungsfonds (lPFs), werden vom Staate gegründet. Sie sollen jedoch von privaten Managementfirmen verwaltet werden. Zum Erwerb von Unternehmensaktien in den Versteigerungsverfahren sind auschließlich IPFs berechtigt. Darüber hinaus sieht dieses Modell vor, daß IPFs bestimmten Vorgaben für den Erwerb von Unternehmensanteilen unterliegen. So muß jeder IPF in mehreren Unternehmen ein umfangreiches Aktienpaket, einen sogenannten Kernanteil, erwerben. Hiermit sollte die Grundlage flir eine effektive Unternehmensführungskontrolle geschaffen werden. 10 Das zweite Modell, das im folgenden als "Marktmodell" bezeichnet werden soll, überläßt Investitionsentscheidungen und die Allokation von Unternehmensanteilen in weit größerem Maße dem freien Spiel der Kräfte. Im Unterschied zu dem regulierten Modell haben Voucherinhaber die Möglichkeit, diese nach ihrer Wahl entweder direkt in Unternehmen zu investieren, oder damit Anteilsrechte in IPFs zu erwerben. Die IPFs selbst werden nicht staatlich gegründet, sondern sind private Gründungen, die lediglich einer staatlichen Lizenz bedürfen, um als Investmentfonds operieren zu können. Schließlich können IPFs die Zusammensetzung ihres Portfolios grundsätzlich selbst bestimmen, wobei sie lediglich generellen gesetzlichen Regeln für institutionelle Investoren unterliegen. Polen ist das einzige Land, das dem ersten Modell gefolgt ist. Die meisten anderen Länder, die Massenprivatisierungsprogramme durchgeführt haben, haben das letztere Modell gewählt. 11 Dies gilt auch für die beiden Länder, die Ge9 Zur theoretischen Konzeption siehe Lipton/Sachs. Privatization in Eastem Europe: The Case of Poland, S. 321 ff. Die Umsetzung dieses Modells in Polen ist durch das Privatisierungsgesetz von 1991 erfolgt. Sie weist jedoch in der DurchfUhrung erhebliche Modifikationen von dem genannten Konzepten auf. Für eine dertaillierte Darstellung des polnischen Massenprivatisierungsprograrnms siehe Frydman/Rapaczynski/Earle. The Privatization Process in Central Europe, S. 194 ff. 10 In Polen. dem Hauptvertreter dieses Modells. beträgt dieser Kemanteil 33 Prozent. 11 Ursprünglich haben 15 Länder Mittel- und üsteuropas sowie der ehemaligen UdSSR sich rur Massenprivatisierungsprogramme entschieden. Rußland, Tschechien. Moldau und Kasachstan haben diese Programme mittlerweile zum Abschluß gebracht.

2. Grundelemente der Massenprivatisierung

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genstand dieser Untersuchung sind, Rußland und die Tschechische Republik. Allerdings wurden nicht sämtliche Unternehmen in diesem Verfahren privatisiert. Alternative Privatisierungsstrategien, einschließlich des Direktverkaufs von Unternehmensaktien an strategische Investoren wurden in den Privatisierungsvorschriften Tschechiens ausdrücklich vorgesehen. In Rußland wurde ein weitaus größerer Teil der ehemaligen Staatsbetriebe im Wege des sogenannten Leasingverfahrens auf die Arbeitnehmer und Angestellten dieser Unternehmen übertragen. 12 Diesem Verfahren lagen Unternehmensreformen, die bereits zu Zeiten der Perestroika eingeführt wurden, zugrunde, nach denen Staatsbetriebe von den Arbeitnehmern und Angestellten gepachtet werden konnten. Diesen Vereinbarungen wurde später eine Kaufoption hinzugefügt. 13 Die Attraktivität des Marktmodells beruht darauf, daß die Rolle des Staates minimiert wird und Marktprinzipien den Privatisierungsprozeß bestimmen. In diesen Vorzügen liegen zugleich die Schwächen des Modells. Zunächst besteht die Gefahr, daß Unternehmensaktien auf eine Vielzahl von Aktionären verteilt werden, die keine Möglichkeit haben, effektive Kontrollrechte auszuüben. Das sich hieraus ergebende Kontrollvakuum erlaubt es dem Unternehmensmanagement, seine Position im Unternehmen auszubauen, ohne von den Eigentümern daran gehindert werden zu können. 14 Ein solches Ergebnis wäre für die ehemals sozialistischen Länder, in denen die Ineffizienz der Wirtschaft weitgehend auf das Fehlen effektiver privater Eigentümer zurückgeführt wird, kaum eine Verbesserung des Status quo ante. Diese Gefahr ist von den Architekten des Marktmodells durchaus erkannt worden. Die Lösung dieses Problems wird vor allem in den IPFs gesehen. Sie sollen dazu dienen, die an die Bevölkerung ausgegebenen Voucher zu akkumulieren und das so gewonnene Kapital zum Erwerb konsolidierter Unternehmensanteile verwenden. Hierin liegt ihre Schlüsselrolle nicht nur für das Privatisierungsverfahren, sondern auch für das sich im

Das regulierte Modell wird zur Zeit in Polen umgesetzt. Bulgarien und Rumänien sind nach anfänglichen Versuchen mit Massenprivatisierungsprogrammen mittlerweile zu konventionellen Privatisierungsmethoden übergegangen. Für einen Überblick über die unterschiedlichen Privatisierungsverfahren in den Transformationsländern siehe Weltbank, From Plan to Market, S. 50 ff. 12 Siehe Earle/Estrin, After Voucher Privatization: Tbe Structure of Corporate Ownership in Russian Manufacturing, S. 18, die zu Recht darauf hinweisen, daß diese Form der Priviatisierung in der wissenschaftlichen Diskussion, die sich vorwiegend mit der Massenprivatisierung beschäftigt, vernachlässigt worden ist. 13 Einen detaillierten Fallbericht über die mehrfache Umwandlung eines staatlichen Unternehmens in Rußland geben Gray/Hendley. Developing Commercial Law in Transition Economies: Examples from Hungary and Russia, S. 154 ff. 14 Eindrücklich von Berle and Means 1933 für die USA analysiert. Berle/Means. Tbe Modem Corporation and Private Property. 3 Pistor

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

Anschluß an die Privatisierung entwickelnde System der Unternehmensführungskontrolle. IS Fraglich ist, ob IPFs diese Rolle erfüllen können. Erfahrungen in entwickelten Marktwirtschaften mit institutionellen Investoren ergeben einen durchaus gemischten Befund. Auf der einen Seite des Spektrums stehen die deutschen Universalbanken, denen weithin eine entscheidende Rolle bei der Unternehmensftihrungskontrolle zugebilligt wird. 16 Auf der anderen Seite stehen die weit diversifizierten Mutual Funds in den USA, die eine vorwiegend passive Rolle spielen. Die Gründe für diese unterschiedliche Rolle institutioneller Investoren sind nach wie vor nicht geklärt. Zum Teil wird die Passivität institutioneller Investoren auf rechtliche Regelungen zurückgeführt, die deren Rolle als aktive Unternehmenseigentümer verhindern. 11 Mittlerweile mehren sich jedoch die Stimmen, die die Ursachen für die Passivität institutioneller Investoren in der vielen institutionellen Investoren eigenen Struktur, und somit in endogenen Faktoren, sehen. 18 Eine systematische Untersuchung dieses Problems steht jedoch bis heute aus. Die Massenprivatisierungsverfahren in Rußland und Tschechien bieten die Gelegenheit, das Verhalten institutioneller Investoren als Unternehmenseigentümer zu untersuchen, wobei die wesentlichen Rahmenbedingungen, denen sich IPFs gegenüber sahen, zu berücksichtigen sind. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört zunächst die Eigentumsposition, die sie in dem Privatisierungsverfahren erwerben konnten. Hierzu zählen jedoch auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich den neuen Eigentümern als Aktionäre der ehemaligen Staatsbetriebe stellen sowie die Kontrollmechanismen, denen sie selbst unterworfen sind. In diesem Kapitel sollen lediglich das Verfahren und die Ergebnisse der Massenprivatisierung in Rußland und Tschechien dargestellt werden. Die eingehende Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen, einschließlich einer theoretischen und rechtsvergleichenden Analyse dieser Rahmenbedingungen ist der eigentliche Gegenstand der Arbeit und wird in den folgenden Kapiteln abgehandelt.

IS Frydman/Rapaczynski, Markets and Institutions in Large Scale Privatization: An Approach to Economic and Social Transformation in Eastem Europe, S. 262 ff., sowie Paulylfriska, Investment Funds in the Czech Republic. 16 Kritisch jedoch aufgrund empirischer Daten Edwards/Fischer, Banks, Finance and Investment in Germany, Kapitel 9, S. 196 ff. 11 So vor allem Roe, Political Elements in the Creation of a Mutual Fund Industry, ders., Strong Managers, Weak Owners: Tbe Political Roots of American Corporate Finance; sowie Bladc, Agents Watching Agents: Tbe Promise of Institutional Investor Voice. 18 Rock, The Logic and (Uncertain) Significance of Institutional Shareholder Activism. Zur Darstellung dieser verschiedenen Meinungen im einzelnen siehe Kapitel VIII.

3. Massenprivatisierung in Rußland

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3. Massenprivatisierung in Rußland In Rußland wurden in der Zeit von Dezember 1992 bis Ende Juni 1994 ca. 14.000 Unternehmen im Wege der Voucherversteigerungen privatisiert. 19 Die genaue Zahl steht nicht fest, da einige Unternehmen mehr als eine Voucherversteigerung durchlaufen haben. 20 Voucherversteigerungen sind wesentlicher Bestandteil des Massenprivatisierungsverfahrens. bei denen Unternehmensaktien ausschließlich für Voucher angeboten werden. An den Versteigerungen in Rußland konnten sich natürliche und juristische Personen beteiligen. sofern sie nicht zu dem Kreis derer gehörten. die als potentielle Käufer. im Privatisierungsverfahren nach dem Privatisierungsgesetz ausgeschlossen waren. 2 I In Rußland wurde nur ein Teil der Unternehmensanteile in Voucherversteigerungen angeboten. Der Umfang der Aktienanteile eines Unternehmens. der für öffentliche Voucherversteigerungen zugänglich gemacht werden sollte, war zunächst nicht gesetzlich festgelegt. Nachdem oftmals nur geringe Aktienanteile angeboten wurden. wurde durch eine Reihe von Präsidialerlassen bestimmt. daß mindestens 29 Prozent der Aktien eines Unternehmens in öffentlichen Voucherversteigerungen angeboten werden sollten. 22 Tatsächlich wurden im Durchschnitt 17.6 Prozent der Aktien eines Unternehmens in diesem Verfahren privatisiert. 23

19 Für eine detaillierte Darstellung des Versteigerungsverfahrens siehe Boycko/Shleijer/Vishny, Privatizing Russia. Für eine umfassende Analyse der Privatisierung in Rußland, die auch andere Privatisierungsverfahren mit einbezieht, siehe Krüßmann, Privatisierung und Umstrukturierung in Rußland, S. 197 ff. Für die Massenprivatisierung siehe insbes. S. 311 ff. 20 Nach Boycko/Shleijer/Vishny, Privatizing Russia Tabelle 5.1., S. 106, betrug die Anzahl der Voucherversteigerungen 15.779. Die Autoren, die maßgeblich an der Gestaltung und Durchführung des Verfahrens beteiligt waren, schätzen die Anzahl der im Voucherverfahren privatisierten Unternehmen auf 14.000. 21 Siehe Art. 9 des Russischen Gesetzes über die Privatisierung staatlicher und kommunaler Unternehmen in der Russischen Föderation in der Fassung vom 11.6.1992 (im folgenden zitiert als Privatisierungsgesetz 1992). Danach waren staatliche Verwaltungen sowie Unternehmen, in denen die Staatsanteile mehr als 25 Prozent betrugen, als Käufer im Privatisierungsverfahren ausgeschlossen. 22 Präsidialerlaß Nr. 640 vom 8. Mai 1993 "Über staatliche Garantien zum Schutz des Rechts russischer Bürger auf Beteiligung an der Privatisierung". Dieser Erlaß wurde durch den Obersten Sowjet am 20. Juli 1993 für verfassungswidrig erklärt (VerfUgung Nr. 5468-1). Der Ministerrat erließ daraufhin am 10. August eine Verordnung, die der Sache nach den Präsidialerlaß vom Mai 1993 wiederherstellte. Siehe Verordnung Nr. 757 "Über die Verwirklichung zusätzlicher Maßnahmen zum Schutz der Beteiligung russischer Bürger an der Privatisierung." Diese Abfolge einander widersprechender Regelungen ist eindrückliches Beispiel für die politische Auseinandersetzung, die in Rußland die Massenprivatisierung begleitet hat. Siehe hierzu auch SachslPistor, Introduction: Progress, Pitfalls, Scenarios, and Lost Opportunities, S. 8 ff. 23 Boycko/Shleijer/Vishny, Privatizing Russia, Tabelle 5.1., S. 106.

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

Das Privatisierungsprogramm für 199224 teilte die in staatlichem Eigentum stehenden Unternehmen in verschiedene Kategorien ein: Erstens, Unternehmen, die zwingend der Privatisierung unterlagen25 zweitens, Unternehmen, die von der Privatisierung ausgeschlossen waren26 ; drittens, Unternehmen, die nur mit der Zustimmung der Russischen Regierung27 bzw. der Zustimmung des Staatkommittees für Privatisierung (GKI) privatisiert werden konnten;28 und viertens, Unternehmen, deren Privatisierung regionalen Privatisierungsprogrammen und der Zustimmung der jeweiligen Regierung unterlagen. 29 Unter den Unternehmen, die durch Voucherversteigerungen privatisiert wurden, befanden sich vorwiegend Unternehmen, deren Privatisierung zwingend vorgesehen war. Allerdings wurden auch Aktienpakete von Unternehmen, die dem Entscheidungsvorbehalt der Russischen Regierung oder GKIs unterlagen, wie beispielsweise Ölund Gasunternehmen, in diesem Verfahren veräußert. Die Privatisierungspläne der letztgenannten Unternehmen sahen in der Regel Abweichungen von dem Standardverfahren vor. Insbesondere behielt der Staat einen Anteil von mindestens 40 Prozent der Unternehmensaktien für einen Zeitraum von mindestens 24 "Privatisierungsprogramm fUr die Privatisierung staatlicher und kommunaler Unternehmen in der Russischen Föderation fUr das Jahr 1992", das am 6. Juni 1992 durch den Obersten Sowjet verabschiedet wurde (im folgenden als Privatisierungsprogramm 1992 zitiert). Das Verhältnis zwischen Privatisierungsgesetz und Privatisierungsprogramm läßt sich wie folgt charakterisieren: Das Privatisierungsgesetz stellt die Grundsätze fUr das Privatisierungsverfahren auf. Es bestimmt beispielsweise, welche natürlichen und juristischen Personen berechtigter Weise sich als Käufer am Privatisierungsverfahren beteiligen können, welche Privilegien den Arbeitnehmern eines Unternehmens zukommen sollen, usw. Demgegenüber stellt das jeweilige Privatisierungsprogramm die Umsetzung des Gesetzes dar. Allerdings entwickelte sich das Privatisierungsprogramm zunehmend zu der eigentlichen gesetzlichen Grundlage fUr die Privatisierung. In ihm wurden nicht nur die Jurisdiktion verschiedener Verwaltungseinheiten über die Privatisierung bestimmter Unternehmenstypen festgelegt, sondern zunehmend auch Grundregeln des Gesellschaftsrechts eingefUhrt. Dies gilt insbesondere fUr das Privatisierungsprogramm von 1994. Siehe dazu näher Kapitel X.l. 25 Hierzu gehörten insbesondere Handels- und Transportunternehmen sowie Unternehmen im Bau-, Agro- und Konsumgütersektor, siehe Art. 2.5 Privatisierungsprogramm 1992. 26 Von der Privatisierung ausgeschlossen waren im wesentlichen militärische Einrichtungen, Rohstoffe sowie wichtige KulturgUter, siehe Art. 2.1 Privatisierungsprogramm 1992. 27 Dies umfaßte Banken, Energieunternehmen, einschließlich Unternehmen im Atom-, ÖI- und Gassektor, Edelmetall verarbeitende Unternehmen, sowie Presse- und Druckereiunternehmen, siehe Art. 2.2 Privatisierungsprogramm 1992. 28 Hierzu zählten Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe oder dominanten Stellung von besonderer Bedeutung waren, darunter Luft-, Wasser- und Eisenbahnfahrtsunternehmen, sowie akademische und andere technisch-wissenschaftliche Einrichtungen. Siehe Art. 2.3 Privatisierungprogramm 1992. Die Abkürzung bezieht sich auf die Abkürzung fUr "Goskomimukestvo", das Staatliche Kommittee fUr die Verwaltung staatlichen Vermögens der Russischen Föderation. 29 Art. 2.4 Privatisierungsprogramm 1992.

3. Massenprivatisierung in Rußland

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drei Jahren. Die Privatisierung dieser Aktienanteile vollzog sich nach anderen Grundsätzen, die sich erheblich von den für das Massenprivatisierungsverfahren geltenden Regeln unterschieden. 3O Die folgenden Darstellungen beziehen sich demgegenüber ausschließlich auf das Standardverfahren, das für die Mehrzahl der Unternehmen galt. Zur Vorbereitung der Privatisierung wurde jedes Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 31 Die Umwandlung der Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften erfolgte nicht pauschal für alle Unternehmen durch Gesetz. Vielmehr wurde jedes Unternehmen aufgrund eines vom Unternehmen ausgearbeiteten Privatisierungsplanes versehen mit einer Bilanz, die den' Buchwert der Unternehmenswerte zu Anfang des Jahres 1992 wiedergab, durch das zuständige Privatisierungskommittee umgewandelt und registriertY Für diese Unternehmen wurde eigens eine Modellsatzung ausgearbeitet, die diese ihrer Registrierung als Aktiengesellschaft zugrunde zu legen hatten. 33 Im Anschluß daran wurden die Aktien auf den zuständigen Vermögensfonds übertragen, dem die eigentliche Privatisierung unterlag. 34 Die Privatisierung erfolgte nach dem im Unternehmen erstellten Privatisierungsplan. Dieser Privatisierungsplan unterlag den im Privatisierungsprogramrn sowie in dem Präsidialerlaß Nr. 721 vom 1.7.1992 niedergelegten rechtlichen Vorgaben. Danach konnten die Arbeitnehmer jedes Unternehmens zwischen

30 Für einen Überblick über das "Aktien gegen Darlehen - Verfahren", in dem eine Reihe von Öl- und Mineralunternehmen privatisiert wurden, siehe Pistor, Shares for Loans Privatization in Russia. Eine kurze Darstellung dieses Verfahrens siehe auch Krüßmann, Privatisierung und Umstrukturierung in Rußland, S. 505 ff. 31 Präsidialerlaß Nr. 721 vom 1. Juli 1992 "Über die organisatorischen Voraussetzungen für die Reorganisation staatlicher Unternehmen sowie freiwilliger Zusammenschlüsse staatlicher Unternehmen in Aktiengesellschaften", der sowohl das Umwandlungsstatut als auch die Modell-Satzung, die von allen Aktiengesellschaften, die im Zuge der Umwandlung des Staatsbetriebes gegründet wurden, übernommen werden mußte, verabschiedet. 32 Im ganzen Land wurden Zweigstellen des föderalen GKIs gegründet. Darüber hinaus wurden regionale und lokale Privatisierungskommiuees errichtet. Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf föderales Eigentum, die durch die regionalen Zweigstellen GKIs umgewandelt und dann privatisiert wurden. 33 Zu den Einzelheiten dieser Modellsatzung siehe unter Kapitel X.l. 34 Im Unterschied zu anderen Transformationsländem, die lediglich eine zentrale Privatisierungsbehörde errichtet haben, hat Rußland sich für eine doppelgliedrige Administration für die Privatisierung staatlichen Vermögens entschieden. Der Vermögensfonds ist wie GKI eine föderale Einrichtung mit Zweigstellen im ganzen Land. Er hat jedoch keinen Ministeriumrang und wurde im Anschluß an die sogenannten Oktoberereignisse 1993 formal GKI untergeordnet. In der Regel war die Zweigstelle des Vermögensfonds in der Region, in der das zu privatisierende Unternehmen seinen Sitz hatte, für die Durchführung der Privatisierung zuständig.

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

drei Privatisierungsvarianten wählen. 3s Nach der ersten Variante erwarben Arbeitnehmer sowie berechtigte ehemalige Arbeitnehmer. darunter insbesondere Rentner. 40 Prozent der Aktien des Unternehmens. Davon wurden 25 Prozent als stimmrechtslose Aktien kostenlos auf die Arbeitnehmer des Unternehmens verteilt. 5 Prozent standen als Stimmrechtsaktien dem Erwerb durch das Management zum nominalen Preis zur Verfügung. Die verbleibenden 10 Prozent der Aktien konnten von Arbeitnehmern für 70 Prozent des Buchwertes erworben werden. Diese Variante wurde im Ergebnis von einem Drittel aller privatisierten Unternehmen gewählt. 36 Nach der zweiten Variante konnten 51 Prozent der stimmrechtsfähigen Aktien für einen Preis. der dem 1.7-fachen Buchwert des Unternehmens im Januar 1992 entsprach. von den Arbeitnehmern und Pensionären des Unternehmens erworben werden. Etwa zwei Drittel aller privatisierten Unternehmen hat sich für diese Variante entschieden. Nach einer dritten Variante konnte eine Gruppe von Arbeitnehmern 40 Prozent der Aktien zu einem günstigen Preis erwerben. sofern sie einen Urnstrukturierungsplan vorlegten. Sie erwarben damit zugleich Optionsrechte. weitere Unternehmensaktien nach Durchführung dieses Umstrukturierungsplanes zu erwerben. Diese Variante war auf relativ kleine Unternehmen beschränkt und kam nur in Einzelfällen zur Anwendung. Für die Verteilung der Aktien auf Arbeitnehmer und berechtigte ehemalige Arbeitnehmer nach der ersten bzw. der zweiten Variante wurden unternehmensintern sogenannte "geschlossene" Versteigerungen abgehalten. Der Privatisierungsplan des Unternehmens. der zuvor vom Arbeitskollektiv verabschiedet worden war. bestimmte die Zahlungsmittel sowie besondere Vorrechte bestimmter Arbeitnehmergruppen. So wurde regelmäßig vereinbart. daß Mittel des Unternehmens. die für den Erwerb von Unternehmensanteilen zur Verfügung gestellt wurden. nach einem Muster verteilt wurden. das sich nach Position und Dauer der Tätigkeit im Unternehmen richtete. und beschäftigten Arbeitnehmern in der Regel höhere Anteile einräumte als Pensionären. 31 Erst nachdem die Arbeitnehmer eines jeden zu privatisierenden Unternehmens ihre Anteile gesichert hatten. wurden Aktienpakete öffentlich zum Ver3S Die Varianten wurden im einzelnen im Privatisierungsprogramm 1992 definiert, siehe Art. 5.4. Die Preisbestimmungen für den Erwerb der Aktien nach den verschiedenen Varianten finden sich in weiteren GKI Verordnungen. insbesondere in der Verordnung Nr. 308-r vom 27. Juli 1992, mit der die Regelung für die sogenannten "geschlossenen Versteigerungen", die nur für Arbeitnehmer zugänglich waren, verabschiedet wurde. 36 Siehe Blasi/Kroumova/Kruse, Kremlin Capitalism: The Privatization of the Russian Economy, S. 41. 31 Hierbei handelt es sich um die sogenannten "Privatisierungsfonds" des Unternehmens. Auf diese Weise sollten Arbeitnehmern darlehensweise Mittel überlassen werden, Aktien ihres Unternehmens zu erwerben. Siehe im einzelnen die GKI Verordnung Nr. 308-r vom 27. Juli 1992.

3. Massenprivatisierung in Rußland

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kauf angeboten. Wie ausgeführt. sollte der Mindestanteil für jedes Unternehmen 29 Prozent der Unternehmensaktien betragen. Allerdings erreichten viele Unternehmen in Verhandlungen mit dem zuständigen Vermögensfonds. daß dieses Paket auf mehr als ein Versteigerungsverfahren verteilt wurde. Diese Maßnahme diente vor allem dazu. den Erwerb größerer Aktienpakete durch "feindliche" Investoren zu verhindern. Darüber hinaus hatten Unternehmen die Möglichkeit. in ihrem Privatisierungsplan die Einrichtung eines Arbeitnehmeraktienfonds vorzusehen. Unternehmen. die sich für die erste Privatisierungsoption entschieden hatten. konnten auf diese Weise weitere 10 Prozent der Aktien des Unternehmens dem Zugriff außenstehender Investoren entziehen. Für Unternehmen. die nach dieser zweiten Option privatisiert wurden. wurde der Anteil immerhin auf 5 Prozent begrenzt. 38 Die restlichen Aktien verblieben vorerst im staatlichen Eigentum. 39 Ihre Privatisierung sollte je nach den Vorgaben des Privatisierungsplanes durch Direktverkäufe oder Geldversteigerungen an Investoren vollendet werden. Nach Abschluß der Voucherprivatisierung hat sich der Privatisierungsprozeß jedoch deutlich verlangsamt. so daß davon auszugehen ist. daß in einer Vielzahl (teil)privatisierter Unternehmen. der Staat nach wie vor einen relativ bedeutenden Anteil der Unternehmensaktien hält. Das Voucherverfahren selbst bestand aus Versteigerungen. die in der Regel von den regionalen Zweigstellen des Vermögensfonds in der Region abgehalten wurden. in der das Unternehmen seinen Sitz hatte. Nur wenige Unternehmen wurden an einem der fünf interregionalen Versteigerungszentren angeboten. die eigens für die Privatisierung großer Unternehmen von nationalem Interesse gegründet worden waren. 4O Das Massenprivatisierungsverfahren in Rußland verlief demnach sowohl zeitlich als auch geographisch dezentral. Unternehmen wurden in ihrer Region angeboten. sobald ihr Privatisierungsplan von dem zuständigen Privatisierungs38 Die Einrichtung von Arbeitnehmeraktienfonds (Fond Akcionirovanija Rabotnikov Predprijatija, abgekürzt FARP) war in dem Privatisierungsgesetz von 1991 vorgesehen und blieb auch nach der Änderung dieses Gesetzes im Sommer 1992 erhalten. Mit Verordnung des Obersten Sowjets vom 9. März 1993 Nr. 213 ("Über die Voraussetzungen für die Gründung von Aktienfonds für Arbeitnehmer") wurde festgelegt. daß in Unternehmen. die nach der Privatisierungsoption 1 privatisiert wurden. bis zu 10 Prozent der stimmrechtsfllhigen Aktien in einen F ARP überfUhrt werden konnten. sofern der ursprüngliche Privatisierungsplan dies vorsah. Für Unternehmen. die nach der zweiten Option privatisiert wurden. wurde der Anteil auf 5 Prozent begrenzt (siehe Art. 2 der gennanten Bestimmung). 39 Zum Umfang staatlichen Eigentums in Rußland nach Abschluß des Privatisierungsverfahrens siehe EarlelEstrin, After Voucher Privatization: The Structure of Corporate Ownership in Russian Manufacturing. Eine Übersicht über das verbleibende staatliche Eigentum in Unternehmen. die im Voucherverfahren privatisiert wurden. geben Pistorffurkewitz, Coping with Hydra - State Ownership After Privatization, S. 205 ff. 40 Art. 5.4.4 des russischen Privatisierungsprogramms von 1993.

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

kommittee bestätigt, sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt waren, und nachdem die Arbeitnehmer ihren Anteil gesichert hatten. Für potentielle Investoren bedeutete dies, daß Informationen über angebotene Unternehmen nicht zentral erhältlich waren. Ein Vergleich alternativer Anlagemöglichkeiten war daher nur begrenzt möglich. Viele Investoren waren geographisch auf die Region ihres Sitzes beschränkt und es war nur schwer vorherzusehen, zu welchem Zeitpunkt welche Unternehmen angeboten würden. Das begrenzte Voucherkapital konnte so nur mit Einschränkungen gezielt eingesetzt werden. Zwar waren Voucher handelbar, so daß die Möglichkeit bestand, weiteres Voucherkapital zu einem späteren Zeitpunkt zu erwerben. Aufgrund der erheblichen Schwankungen, denen der Preis von Voucher unterlag, waren die Kosten eines solchen zusätzlichen Kapitalerwerbs allerdings nur schwer vorhersehbar. 41 Insbesondere gegen Ende der Voucherprivatisierung, die sechs Monate im voraus für Ende Juni 1994 angekündigt wurde, stieg der Preis der Voucher beträchtlich. 42 Das Massenprivatisierungsverfahren wurde mit der Verteilung von 151 Millionen Vouchern an die russische Bevölkerung im Herbst 1992 eingeleitet. Verfahrenstechnisch wurde dies dadurch bewerkstelligt, daß jeder Bürger ein Voucher an der lokalen Zweigstelle der staatlichen Sparbank gegen eine geringe Gebühr von 25 Rubeln (umgerechnet etwa 15 Pfennige zum damaligen Zeitpunkt) erwerben konnte. Ende Januar 1993 hatten 98 Prozent der Bevölkerung von diesem Recht Gebrauch gemacht. 43 Jeder Voucher hatte einen nominalen Wert von 10.000 Rubeln. Im Herbst 1992 entsprach diesem ein Gegenwert von ca. 50 DM. Dieser Nennwert hatte den erklärten Zweck, Voucher als Zahlungsmittel attraktiv zu machen. Mit dem Wertverfall des Rubels in den folgenden Jahren wurde dieser Zweck jedoch weitgehend unterminiert. Das Versteigerungsverfahren war bewußt einfach gestaltet. Angebote für den Erwerb der Aktien eines Unternehmens konnten über einen Zeitraum von dreißig Tagen abgegeben werden. Diese Angebote waren bindend und konnten nicht zurückgenommen werden. Investoren war es jedoch unbenommen, weitere Angebote vor Fristablauf abzugeben. Ein Angebot bestand in der Deponierung einer beliebigen Anzahl von Vouchern. Nach Ablauf der Frist wurde die Anzahl der angebotenen Aktien durch die Anzahl der abgegebenen Voucher geteilt und so die Anzahl der Aktien, die jedem Investor zukamen, errechnet. Der Umfang des Aktienpaketes, das ein Investor erwarb, bestimmte sich somit nach der An41Zur Entwicklung des Voucherpreises, siehe Boycko/Shleijer/Vishny, Privatizing Russia, S. 99 ff. 42 Siehe Boycko/Shleijer/Vishny, Privatizing Russia, Abbildung 5.1. Der reale Wert der Voucher fluktuierte erheblich während des Privatisierungsverfahrens. Zum Zeitpunkt der Ausgabe der Voucher betrug ihr Wert umgerechnet knapp US $ 35. Im Sommer 1993 erreichte er einen Tiefpunkt von $ 4. In den letzten sechs Monaten vor Ende der Voucherprivatisierung schwanke er zwischen umgerechnet US $12 und US $ 25. 43 Boycko/Shleijer/Vishny, Privatizing Russia, S. 100.

3. Massenprivatisierung in Rußland

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zahl der von einem Investor investierten Voucher in Relation zu der Summe aller abgegebenen Voucher. Überstieg die Anzahl der Voucher die Anzahl der Aktien, wurden die Aktien geteilt und zu einem geringeren Nennwert als den zunächst festgelegten 1.000 Rubeln ausgegeben. Je größer die Nachfrage nach einem Unternehmen, desto geringer daher die Wahrscheinlichkeit, ein Aktienpaket von bedeutenderem Umfang zu erwerben. Die einzige Möglichkeit für Investoren, eine gewisse Kontrolle über die Größe des Aktienpaketes zu behalten, war ein Angebot der sogenannten zweiten Variante abzugeben. 44 Danach konnte ein Investor bestimmen, daß er einen von ihm bestimmten Mindestanteil des Unternehmens für seine Voucher erwerben wollte. Lag am Ende der Ausschreibung der zu diesem Preis erhältliche Anteil darunter, galt sein Angebot als rückwirkend nicht erteilt. Damit bestand für diesen Investor zwar die Möglichkeit, sein Kapital anderweitig zu investieren, doch hatte er die Möglichkeit, Aktien dieses Unternehmens im Privatisierungsverfahren zu erwerben, vergeben. Aufgrund der in dieser Gebotsvariante liegenden Alles-oder-Nichts Option hat sie in der Praxis nur wenig Gebrauch gefunden. 45 Die Eigentumsstruktur der Unternehmen, die im Wege der Massenprivatisierung veräußert wurden, ist aufgrund dieser Regelungen weitgehend vorhersehbar. In einem Großteil der Unternehmen stehen Arbeitnehmern gemeinsam Mehrheitsanteile zu. Außenstehende Investoren sind auf Minderheitspositionen beschränkt, bzw. können jedenfalls nicht mehr als 29 Prozent der Aktien eines Unternehmens erwerben. Schließlich spielt der Staat vertreten durch den Vermögensfonds eine bedeutende Rolle. Diese Annahmen werden durch empirische Befunde bestätigt. Die typische Eigentumsstruktur eines Unternehmens, das im Voucherfahren privatisiert wurde, ist in Tabelle 2 dargestellt. Die Daten beruhen auf unterschiedlichen Quellen. Die Angaben weichen im Detail voneinander ab, geben jedoch im großen und ganzen ein ähnliches Bild wieder. Weit über 50 Prozent aller Aktien lagen im Durchschnitt in den Händen von Arbeitnehmern, die Unternehmensanteile nicht nur in den unternehmensinternen geschlossenen Versteigerungen, sondern auch in den Voucherversteigerungen erwerben konnten. Unter den Arbeitnehmern des Unternehmens sticht der Anteil des Unternehmensmanagements her-

44 Das Verfahren fUr die Voucherversteigerung einschließlich der verschieden Gebote ist in den jeweiligen Privatisierungsprogrammen enthalten. Siehe beispielsweise Art. 5.42. Privatisierungsprogramm 1992. 4S Interviews mit Portfoliomanagern von Voucherinvestmentfonds in Rußland. Nicht publizierte Pilotstudie des Central European University Privatization Project unter Leitung der Autorin, Januar 1994.

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

vor. 46 In der Tat ist es dem Management gelungen, seinen Anteil weiter zu konsolidieren. Darüber hinaus hatte es erheblichen Einfluß auf die Verwaltung der Aktien der Arbeitnehmer des Unternehmens. Der Aktienanteil des Unternehmensmanagements gibt die tatsächlichen Kontrollverhältnisse daher nicht unbedingt wieder. Nur etwa 20 Prozent aller Aktien standen nach Abschluß der Voucherprivatisierung im Eigentum von außenstehenden Investoren, d.h. Aktionären, die nicht zugleich Arbeiter oder Angestellte des fraglichen Unternehmens waren. Davon fielen weniger als 5 Prozent auf die IPFs.

Tabelle 2 Eigentumsstruktur privatisierter Unternehmen in Rußland

Investortyp Staat Arbeitnehmer davon Unternehmensmanagement Private externe Investoren davon IPFs

Durchschnittsanteile in Prozent/Erhebung 1

Durchschnittsanteile in ProzentIErhebung 2

13

15

65

66,1

9 21 n.b.

19,7 19,0 4,6

Anmerltung: nb = nicht bekannt Quelle: ErbebuDg 1: 8/asVKroumovalKruse. Krem1in Capitalism: The Privatization of tbe Russian Economy Tabelle 4. S. 193 (Daten ftIr 1994) . Erbebuog 2: &lr/eiEs/ri". After Voucher Privatization: The SbUClID'e of Corporate OWDenbip in Russian Manufacturing Tabelle 16.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Privatisierungsverfahren darauf ausgerichtet war, in einem einfachen Verfahren eine große Anzahl von Unternehmen schnellstmöglichst zu privatisieren. Um dies zu erreichen, wurden erhebliche Kompromisse eingegangen. Arbeitnehmern der Unternehmen wurden Mehrheitsanteile zugebilligt. In einem Großteil der privatisierten Unternehmen fanden sich außenstehende private Investoren daher nach Abschluß der Massenprivatisierung in einer Minderheitsposition. Die Position privater Anleger wurde durch die Ausgestaltung des Versteigerungsverfahrens weiter geschwächt. Der Erwerb größerer Aktienpakete war durch ein Verfahren, das einem Lotteriespiel gleichkam, weitgehend unmöglich. Investoren hatten in dem

46 Bereits im Verfahren der geschlossenen Versteigerung konnte sich das Unternehmensmanagement regelmäßig einen größeren Anteil sichern. Darüber hinaus enstanden unternehmensinterne Aktienmärkte. Schließlich wurden oftmals juristische Personen entweder direkt durch das Unternehmensmanagement gegründet oder als Tochtergesellschaften unter Kontrolle des Managements errichtet, die sich aktiv auf dem sekundären Aktienmarkt beteiligten.

3. Massenprivatisierung in Rußland

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dezentral organisierten Verfahren nur unzureichend Zugang zu Informationen darüber, zu welchem Zeitpunkt bestimmte Unternehmen angeboten wurden. Die erhältlichen Informationen gaben darüber hinaus nur unzureichend Auskunft über den gegenwärtigen und potentiellen Wert des Unternehmens, da sie lediglich Angaben über den Buchwert des Unternehmens machten, der nach sowjetischen Buchhaltungsgrundsätzen ermittelt und zudem durch die fortschreitende Inflation eruiert worden war. Die Ausgestaltung des Versteigerungsverfahrens verhinderte es, daß eine Art Marktwert während der Versteigerung ermittelt wurde. Dem stand bereits die dezentrale Organisation des Versteigerungsverfahrens im Wege. Darüber hinaus hatten Investoren zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihr Angebot abgaben, keine Information über die Nachfrageseite und konnten ihr Angebot daher nicht entsprechend korrigieren. 47 Schließlich befanden sich nach Abschluß der Voucherversteigerung umfangreiche Aktienpakete nach wie vor in staatlicher Hand bzw. in der Verwaltung des zuständigen regionalen Vermögensfonds. Dies bewirkte eine weitere Schwächung der Rolle außenstehender Investoren, nicht zuletzt deswegen, weil zwischen regionalen Vertretern der Vermögensfonds und Unternehmensmanagements oftmals eine enge Allianz besteht. Letztlich wurde somit die Privatisierung durch die Schwächung außenstehender privater Eigentümer erkauft. Selbst wenn man zugesteht, daß aus politischen Gründen eine andere Form der Privatisierung wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt kaum durchführbar gewesen wäre, ist doch deutlich, daß dieses Verfahren erheblich von den Ziel vorgaben der Privatisierung abwich. Durch die Massenprivatisierung wurde die Oe-facta-Kontrolle des Unternehmensmanagements, die dieses bereits seit den Unternehmensreformen zur Zeit der Perestroika ausübte, legalisiert. 48 Die Reallokation von Eigentumsrechten betraf lediglich Minderheitspositionen im Unternehmen. Diese Ergebnisse haben, wie später zu zeigen sein wird (siehe Kapitel X.), die Rolle der IPFs als Aktionäre in den privatisierten Unternehmen maßgeblich beeinflußt.

47 Investoren haben sich zum Teil diese Information mit allen erdenklichen Mitteln verschafft. So geht aus den Protokollen vieler Versteigerungsverfahren hervor, daß ein und derselbe Investor während der Ausschreibungsfrist vielfach Aktien "nachgeschoben" hat - offensichtlich aufgrund von Informationen über die Zahl anderer Investoren bzw. der Voucherpakete, die sie hinterlegt hatten. Nicht selten wurden auch andere Methoden wie die Bestechung von Versteigerungspersonal eingesetzt, wie aus Interviews mit Investoren hervorging. 48 Zu den Ergebnissen der Unternehmensreformen während der Perestroika, siehe Kroll/Johnson, Managerial Strategies for Spontaneous Privatization.

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11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

4. Institutionelle Investoren in Rußland Eine der großen Herausforderungen des Massenprivatisierungsverfahrens nach dem Marktmodell, das in Rußland und Tschechien verwirklicht wurde, war, ob IPFs durch Marktkräfte, d.h. ohne Hinzutun des Staates, spontan entstehen würden. Da IPFs eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung von Voucherund Aktienkapital zugedacht war, bestand die Gefahr, daß ohne derartige Mittler zwischen dem Voucherkapital der Kleininvestoren und den Unternehmensaktien die meisten privatisierten Unternehmen in Streubesitz übergehen würden, der eine effektive Kontrolle der Unternehmensführung durch die Unternehmenseigner weitgehend ausschließt. In dem Zeitpunkt, als die Massenprivatisierung eingeleitet wurde, gab es darüber hinaus keinen Kapitalmarkt, so daß corporate governance im Wege der Marktkontrolle ebenfalls fraglich erschien. Die spontane Entstehung von IPFs hat sich in der Praxis als das geringste Problem erwiesen. In Rußland wurden zwischen Oktober 1992 und dem Frühjahr 1994 über 600 Lizenzen für IPFs von den zuständigen GKIs ausgegeben. 49 Im Frühsommer 1994, kurz vor Ende der Massenprivatisierung, waren 516 IPF tätig. sO Den IPFs ist es sogar gelungen, einen erheblichen Teil der ausgegebenen Voucher zu akkumulieren. Sie erwarben zusammen 34,74 Millionen der 151 Millionen Voucher, die an die Bevölkerung ausgegeben worden waren. Dies entspricht einem Prozentsatz von 23,2 Prozent. SI Wie noch zu zeigen sein wird, liegt dieser Anteil erheblich unter den Vergleichszahlen tschechischer IPFs. Für eine Beurteilung der Tätigkeit der IPFs sind jedoch die jeweiligen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. In Rußland waren die meisten IPFs unbekannte Neugründungen, die sich anders als viele der tschechischen IPFs, die von etablierten Banken gegründet wurden, nicht auf bekannte Handelsnamen berufen konnten. Darüber hinaus waren in Rußland, nicht jedoch in Tschechien, Voucher handelbar. Hierdurch erweiterte sich die Verwendungsmöglichkeit der Voucher für Kleinanleger, die diese nicht nur zum Erwerb von Anteilen in Investmentfonds oder Unternehmensanteilen verwenden, sondern als Zahlungsmittel einsetzen konnten. Die Handelbarkeit von Vouchern ermöglichte es schließlich anderen Investoren Voucherkapital zu akkumulieren, die in direktem Wettbewerb mit IPFs standen und den Verkäufern Bargeld, nicht lediglich An-

49 Nach Akamatsu. Enterprise Govemance and Investment Funds in Russian Privatization, S. 137, betrug die genaue Anzahl der ausgegenen Lizenzen 637. so Als Indiz für die Aktivität von IPFs galt, daß sie von der zuständigen KontrollsteIle in Moskau telefonisch erreicht und über die Investition ihrer Voucher befragt werden konnten. Zur Population der russischen Vourcherfonds siehe Frydmanl Pistor/Rapaczynski. Investing in Insider-Dominated Firrns: A Study of Russian Voucher Privatization Funds. S. 196 f. SI Siehe FrydmaniPistor/Rapaczynski. Investing in Insider-Dominated Firrns: A Study of Russian Voucher Privatization Funds. insbesondere Tabelle 5.1., S. 194 f.

4. Institutionelle Investoren in Rußland

45

sprüche auf künftige Gewinne in der Form von Fond-Anteilen, boten. Die Konzentration der Voucher in den Händen von IPFs ist auch deshalb beachtlich, weil 40 Prozent der ausgegebenen Voucher von Arbeitnehmern in ihre eigenen Unternehmen investiert wurden. Diese Voucher standen dem Markt und damit IPFs folglich nicht zur Verfllgung. Hinsichtlich der Verteilung von Vouchern unter den IPFs, läßt sich eine deutliche Konzentration von Vouchern zugunsten der zehn größten IPFs verzeichnen. Über 8 Prozent aller ausgegebenen Voucher bzw. 37 Prozent der von allen IPFs gemeinsam erworbenen Voucher fanden sich in den Händen von zehn IPFs wieder, wie aus Tabelle 3 hervorgeht.

Tabelle 3 Konzentration von Vouchern bei russischen IPFs Anzahl der erworbenen

IPF

Voucher Pervyj Vou~emyj Fond Lukoil Fond Alfa Kapital Narodnyj Cif Moskovskaja Nedvifmost' DerZavnyj Rosif Programma Pivatizatsija LLD-Fond Partnerstvo Summe

Prozent der Voucher aller IPFs

4.000,000

11,6

2.000,000

5,8

2.000,000

5,8

1.250.000

3,6

1.000,000

2,9

560,000

1,6

551,185

1,6

500,000

1,4

470,000

1,4

450,000

1,3

12.781,185

37

Quelle: FrydmaniPistor/Rapaczynslci, Investing in Insider·Dominated FJmIS: A Study of Russian Voucher Privatization Funds, Tabelle 5.26 S. 235. Namen der betroffenen IPFs beruhen auf Erhebungsmaterialien. im Besitz der Autorin.

Den größten IPFs stand somit Voucherkapital in erheblichem Umfang zur Verfügung, das sie für den Erwerb von Unternehmensanteilen einsetzen konnten. Allerdings sahen die entsprechenden rechtlichen Vorschriften vor, daß IPFs lediglich bis zu 10 Prozent der Aktien eines Emittenten erwerben konnten. 52 Damit war zugleich die Rolle der IPFs als aktive Unternehmenseigentümer erheblich eingeschränkt. Als Reaktion auf die weit stärker als erwartete Dominanz von Arbeitnehmern im Unternehmen und die schwache Stellung von IPFs und anderer außenstehender Investoren wurde diese Investitionsgrenze für IPFs seit

52

Zu den Einzelheiten siehe Kapitel X.

46

11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

Beginn des Jahres 1994 von 10 Prozent auf 25 Prozent heraufgesetzt. s3 Diese Regelung trat jedoch nur sechs Monate vor Abschluß des Massenprivatisierungsverfahrens in Kraft. Für die Unternehmen, die die Voucherversteigerung bereits durchlaufen hatten, blieben IPFs damit auf den sekundären Markt verwiesen, um ihre Anteile an den Unternehmen zu erhöhen. Im Ergebnis lag der Umfang der Aktienpakete, die IPFs erwarben, wie gezeigt, weit unter den gesetzlichen Vorgaben. Nach einer Erhebung der russischen IPFs, die im Sommer 1994 durchgeführt wurde,s4 betrug das durchschnittliche Aktienpaket der 6,89 Prozent. Für die 10 Prozent der größten Fonds liegt der durchschnittliche Anteil pro Unternehmen etwas höher, nämlich bei 9,08 Prozent, für die 10 Prozent der kleinsten Fonds dagegen deutlich niedriger, nämlich bei lediglich 4,64 Prozent.ss Angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen sind dieser Ergebnisse durchaus bemerkenswert. In Anbetracht der Tatsache, daß Arbeitnehmer in etwa Zweidrittel aller Unternehmen über 65 Prozent der Aktien verfügten, und weitere 15 Prozent bis 21 Prozent der Aktien in staatlicher Händen lagen, sind selbst Aktienpakete, die sich der 10 Prozent Grenze nähern, jedoch als marginal zu bezeichnen.

5. Massenprivatisierung in der Tschechischen Republik Die Massenprivatisierung in der heutigen Tschechischen Republik wurde noch während des Bestehens der Tschecheslowakei konzipiert und begonnnen, jedoch lediglich in Tschechien zu Ende geführt. Die vorliegenden Ausführungen beziehen sich auf die Tschecheslowakei, soweit von der ersten Welle des Privatisierungsverfahrens die Rede ist, für die zweite Welle jedoch ausschließlich auf die tschechische Republik. Im Vergleich zum russischen Massenprivatisierungsverfahren war das tschechische Verfahren wesentlich stärker administrativ kontrolliert und zentralisierter in seiner Durchführung. Zu Beginn der Massenprivatisierung wurde von staatlicher Seite eine Liste von Unternehmen, die der Privatisierung unterlagen, erstellt. Die Liste umfaßte in der damals noch existierenden Tschecheslowakei

S3 Art. 9.4 Abs. 2 Russisches Privatisierungsprogramm für das Jahr 1994, verabschiedet durch Präsidialerlaß vom 23. Dezember 1993 (im weiteren al s Privatisierungsprogramm 1994 zitiert). S4 Die Ergebnisse dieser Erhebung sind dargestellt in FrydmaniPistorlRapaczynski, Investing in Insider-Dominated Firms: A Study ofRussian Voucher Prlvatization Funds. Siehe hierzu Kapitel X.3. ss Siehe FrydmaniPistorlRapaczynski, ebenda, Tabelle 5.5, S. 199. Zu den Ergebnissen einer Erhebung privatisierter Unternehmen im gleichen Zeitraum siehe EarlelEstrin, After Voucher Privatization: The Structure of Corporate Ownership in Russian Manufacturing (Tabelle 16).

5. Massenprivatisierung in der Tschechischen Republik

47

insgesamt 2.285 Unternehmen. Diese Zahl wurde jedoch alsbald auf 1.491 Unternehmen reduziert. s6 Die Auswahl und Zusammensetzung der Liste erfolgte nach Kriterien und in einem Verfahren, das den Augen der Öffentlichkeit weitgehend entzogen war. S7 Das tschechische Privatisierungsgesetz überließ es den Antragstellern, einen Privatisierungsplan vorzulegen, der die Art und Weise der Privatisierung festlegen sollte. s8 Antragsberechtigt war nicht lediglich das Unternehmensmanagement, sondern auch andere Kaufinteressenten. Tatsächlich wurden in dem Zeitraum von 1991 bis Ende 199320,88 Prozent sämtlicher bewilligter Privatisierungsprojekte vom Management der zu privatisierenden Unternehmen eingereicht. 59 Eine Zustimmung zu dem Privatisierungsplan mußte zunächst von dem staatlichen Gründungsorgan des Unternehmens eingeholt werden (i.d.R. dem zuständigen sektorspezifischen Ministerium). Die Letztentscheidungsgewalt für Unternehmen, die von Ministerien gegründet waren, oblag dem Finanzministerium, bzw. für Unternehmen, deren Gründer im Rang unter Ministerien standen, bei anderen staatlichen Stellen in der tschechischen bzw. slowakischen Republik. 6O In dem Genehmigungsverfahren wurde ausdrücklich solchen Privatisierungsprojekten Vorzug gegeben, die einen Großteil der Aktien für die Versteigerung im Massenprivatisierungsverfahren vorsahen. Von der Möglichkeit, andere Formen der Privatisierung jedenfalls für Teile der Unternehmensaktien vorzuschlagen, wurde dennoch vielfach Gebrauch gemacht. Im Anschluß an die Genehmigung wurden die Unternehmen als Aktiengesellschaften registriert und die Verwaltung der Aktien bis zur Verteilung an private Investoren je nach Eigenturnslage dem nationalen Vermögensfonds bzw. dem tschechischen oder slowakischen Vermögensfonds übertragen. Das Massenprivatisierungsverfahren wurde in zwei Abschnitte unterteilt, die als "Privatisierungswellen" bezeichnet wurden. Jede Welle war ihrerseits in eine Anzahl von Versteigerungsrunden eingeteilt, deren genaue Zahl zu Beginn der Privatisierungswelle nicht feststand. Der Grund für diese Vorgehensweise war, daß ein Marktgeschehen simuliert werden sollte, in dem Angebot und

S6 Mladek, Voucher Privatization in Czechia and Slovakia, MejstriklLastovicka/MarcinciniSemetillo, Privatization and Opening the Capital Market in the Czech and Slovak Republic, Shaftk, Making a Market: Mass Privatization in the Czech and Slovak Republics; sowie Svejnar/Singer, Using Vouchers to Privatize an Economy. S7 Siehe Mladek, ebenda, S. 9. 58 Siehe Art. 6 des Gesetzes über die Übertragung von staatlichem Eigentum auf andere Personen vom 26. Februar 1991. Englische Übersetzung der tschecheslowakischen Industrie- und Handelskammer, kommentiert von Franti~ek Faldyna. S9 Kotrba, Czech Privatization: Players and Winners. Zu beachten ist, daß sich diese Zahlen auf die Gesamtzahl aller Privatisierungsprojekte bezieht und nicht auf die 1.491 Unternehmen, die von Staats wegen zu privatisieren waren, beschränkt war. Die Zahl sämtlicher Privatisierungsprojekte betrug nach Kotrba 23.478. 60 Art. 8 tsch. Privatisierungsgesetz.

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11. Funktion und Grundelernente der Privatisierung

Nachfrage zur Deckung gebracht werden sollten. Zugleich sollte jedoch auch sichergestellt werden, daß das Verfahren in absehbarer Zeit beendet werden konnte, ohne dieses Geschehen von vornherein einem strategischen Kalkül für die Endrunde auszusetzen. 61 Das Massenprivatisierungsverfahren in der Tschechischen Republik dauerte vom Herbst 1991 bis zum Frühjahr 1995. Die erste Privatisierungswelle zog sich von Oktober 1991 bis Juni 1993 hin. 62 Die zweite Privatisierungswelle begann im August 1993 und war mit der Ausgabe der Aktien im Frühjahr 1995 abgeschlossen. 63 Für jede der beiden Privatisierungswellen läßt sich das Verfahren in die folgenden Phasen unterteilen. Zunächst wurden der Bevölkerung Voucherhefte, die 1.000 Voucherpunkte enthielten, angeboten. Die 1.000 Punkte konnten in zehn Teile verschiedener Größenordnung aufgeteilt werden und boten somit jedem Bürger die Möglichkeit, sich durch Investitionen in verschiedene Objekte zu diversifizieren. Der Preis der Voucherhefte betrug 1.000 tschechische Kronen oder den Gegenwert eines Viertel des durchschnittlichen monatlichen Einkommens zum damaligen Zeitpunkt. 64 Damit lag der Betrag weit unter dem potentiellen Wert, das diese Voucher verkörperten. Zum Erwerb von Voucherheften waren alle Staatsbürger, die zum Zeitpunkt der Registrierung mindestens achtzehn Jahre alt waren, berechtigt. 77 Prozent aller Berechtigten machten von ihrem Recht, Voucherhefte zu erwerben, in der ersten Runde Gebrauch. 6S Anders als in Rußland war der Handel mit Vouchern untersagt. Diese konnten lediglich zum Erwerb von Unternehmensaktien im Rahmen der Privatisierung, bzw. zum Erwerb von Anteilsrechten in IPFs eingesetzt werden. Der Erwerb der Voucher wurde registriert und die Informationen in eine elektronische Datei eingespeichert. Diese zentrale Registrierung der Voucherinhaher war Voraussetzung dafür, daß das Handelsverbot von Vouchern durchgesetzt werden konnte. Zugleich bereitete es die Grundlage für das computerisierte Versteigerungsverfahren und für die Administration des Aktienmarktes.

61 Wäre beispielsweise von vornherein angekündigt worden, daß lediglich zwei Runden abgehalten wUrden, so hätten sich womöglich nur wenige Investoren bereitgefunden, in der ersten Runde ihr Votum für den Wert verschiedener Unternehmen abzugeben und der Versteigerungprozeß hätte sich auf die zweite Runde konzentriert. Darüber hinaus war offensichtlich, daß der Staat ein Interesse daran hatte, die Privatisierung zu einern erfolgreichen Ende zu bringen. Die Preisgabe der Anzahl der Runden hätte daher dazu führen können, daß Investoren bewußt unterboten hätten, um den Preis der Aktien zu drUcken. 62 Die erste Privatisierungswelle war bereits im Dezember 1992 abgeschlossen, jedoch dauerete es weitere sechs Monate bis die in dem Verfahren zugesprochenen Aktien tatsächlich verteilt worden waren. Zum Zeitablauf des Privatisierungsverfahrens im einzelnen siehe Mladek, Voucher Privatization in Czechia and Slovakia Tabelle 7, S. 26. 63 Siehe Mladek, ebenda, Tabelle 10, S. 29. 64 Mladek, ebenda, S. 10. 6S Svejnar/Singer, Using Vouchers to Privatize an Economy, S. 44.

5. Massenprivatisierung in der Tschechischen Republik

49

Zur Einleitung der Massenprivatisierung wurde vom 1. März bis zum 26. April 1992 die sogenannte "Null-Runde" abgehalten, in der Voucherinhabern die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Voucher in IPFs zu investieren. Im Mai begann die erste Versteigerungsrunde. Anders als in Rußland wurde das Versteigerungsverfahren zentral durchgeführt. Die Aktien der 1.491 Unternehmen in der Tschecheslowakei, darunter 988 Unternehmen in der tschechischen Republik, die für die erste Welle zugelassen waren, wurden in der ersten Runde zu einem einheitlichen Preis von drei Aktien pro 100 Voucherpunkte angeboten. Als grobe Richtlinie für die Preissetzung wurde die Anzahl der verkauften Voucherhefte zugrunde gelegt und diese durch den Buchwert der Summe aller angebotenen Aktien geteilt. 66 Für den Fall, daß die Aktien eines Unternehmens unter- bzw. überschrieben wurden, konnte das betreffende Unternehmen aus der laufenden Privatisierungsrunde zurückgezogen werden, um den Aktienpreis der Nachfrage entsprechend anzugleichen. Insbesondere waren Unternehmen, bei denen die Nachfrage das Angebot um mehr als 25 Prozent überstieg, zurückzuziehen, der Preis ihrer Aktien heraufzusetzen, und sie erst in der folgenden Runde erneut anzubieten. Für den Fall, daß die Nachfrage das Angebot um weniger als 25 Prozent überstieg, wurden die Aktien nach einem Verfahren zugeteilt, das individuelle Bieter gegenüber IPFs begünstigte. Zunächst wurden individuelle Bieter vollständig befriedigt. Die verbleibenden Aktien wurden auf IPFs im Verhältnis zu den von ihnen gemachten Angeboten verteilt. Dabei sollte sichergestellt werden, daß jeder IPF jedenfalls 80 Prozent der Aktien, für die er geboten hatte, erhielt. 67 In dem entgegensetzten Fall, in dem das Angebot an Unternehmensaktien die Nachfrage überstieg, wurden die Aktien für die geboten worden war, zu dem für die Runde festgesetzten Preis ausgegeben und die verbleibenden Aktien zu einem geringeren Preis in der folgenden Runde neu angeboten. Das Bestreben, administrativ auf die reale Nachfrage zu reagieren, macht zugleich deutlich, warum eine ganze Reihe von Versteigerungsrunden notwendig waren, um Angebot und Nachfrage zur Deckung zu bringen. Da eine realistische Marktbewertung zu Beginn der Versteigerung nicht möglich war, mußte der Umfang der Nachfrage zu einem bestimmten Preis erst getestet und der Preis im folgenden mehrfach justiert werden. Die staatlichen Interventionen, die hierfür erforderlich waren, wurden auch dazu genutzt, die Preise so festzusetzen, daß die Privatisierung in absehbarer Zeit zu Ende geführt werden konnte. Um dies zu erreichen, wurden die Regeln über die Justierung der Aktienpreise im Verlauf der Versteigerungsrunden modifiziert und weitgehend in das Ermessen der mit dem Versteigerungsverfahren betrauten öffentlichen Angestellten

66 Letztlich Uberstieg der Buchwert der Aktien jedoch den Buchwert der Voucherpunkte. siehe Svejnar/Singer. ebenda, S. 45. 67 Svejnar/Singer. ebenda, S. 45.

4 Pistor

11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

50

gestellt. Bereits in der zweiten Runde der ersten Privatisierungswelle wurden trotz erheblicher Unter- und Überschreibung der Aktien vieler Unternehmen, keines mehr vollständig zurückgezogen. Vielmehr wurden nach einem ad hoc Schema Preisspielräume gebildet, um zu einer Deckung von Angebot und Nachfrage zu gelangen. Dabei wurde nunmehr durchaus in Kauf genommen, daß der Preis für Unternehmen, bei denen die Nachfrage gering war, verfiel. Bereits in der dritten Runde wurden in solchen Unternehmen 97 Aktien für 100 Voucherpunkte (der ursprüngliche Preis war drei Aktien pro 100 Voucherpunkte) zugeteilt.68 Bis zum Ende der vierten Runde wurde die Anzahl der Versteigerungsrunden offengelassen. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde offiziell verkündet, daß die fünfte Runde die letzte Runde sein sollte. Um die Unsicherheit hinsichtlich der Preisfestsetzung für diese letzte Runde zu begrenzen, wurde versichert, daß alle Investoren, die ein Gebot für Unternehmen, für die eine große Nachfrage bestand, abgeben würden, Aktien erhalten sollten und die Preise dieser Aktien entsprechend angepaßt werden sollten. Insoweit wurde hier auf das vereinfachte Verteilungsverfahren, das den russischen Versteigerungen zugrunde lag, zurückgegriffen. Demgegenüber sollten Aktien in Unternehmen, die am Ende der vierten Runde unterschrieben blieben, nur dann zugeteilt werden, wenn eine relative Deckung von Angebot und Nachfrage zustande kommen sollte. 69 Auf diese Weise sollte verhindert werden, daß umfangreiche Aktienpakete zu Spottpreisen an einige wenige Investoren abgegeben wurden. Insgesamt wurden in der ersten Privatisierungswelle 61,4 Prozent sämtlicher Aktien veräußert. Die zweite Privatisierungswelle fand im nunmehr getrennten Land lediglich in der Tschechischen Republik statt. Von Dezember 1993 bis März 1994 fand die sogenannte Nullrunde statt, in der Voucher in IPFs investiert werden konnten. Im Anschluß daran begannen die eigentlichen Privatisierungsrunden, die bis zum Jahresende 1994 abgeschlossen waren. In der zweiten Welle wurden insgesamt 861 Unternehmen, somit eine geringere Anzahl als die in der ersten Welle in der tschechischen Repulbik angebotenen 988 Unternehmen, versteigert. 70 Hierunter befanden sich 185 Unternehmen, die in der ersten Runde bereits angeboten worden waren, deren Aktien jedoch keine Abnehmer gefunden hatten.

69

Svejnar/Singer. ebenda, S. 45. Svejnar/Singer. ebenda, S. 46.

70

Für einen Überblick über die Ergebnisse der zweiten Privatisierungsrunde, siehe

68

Coffee. Institutional Investors in Transitional Economies: Lessons from the Czech Experience. S. 136 f.

5. Massenprivatisierung in der Tschechischen Republik

51

Die Nachfrage nach Voucherheften war wiederum beachtlich. 74 Prozent aller Berechtigten, kaum weniger als in der ersten Runde (77 Prozent), erwarben Voucherhefte. Das Verfahren entsprach dem der ersten Privatisierungswelle mit der Abweichung, daß insgesamt sechs Privatisierungsrunden durchlaufen wurden. Dabei machten sich bereits in der ersten Versteigerungsrunde deutliche Lerneffekte auf Seiten der Investoren bemerkbar. Nur 15 der 861 zur Versteigerung angebotenen Unternehmen wurden tatsächlich in der ersten Runde veräußert, da Anbieter diese Runde mittlerweile als Phantornrunde, die dem Testen von Angebot und Nachfrage, nicht aber dem entgültigen Erwerb von Aktien dienen würden, erkannt hatten. 71 Zu Beginn der letzten Runde· waren erst 54 Prozent aller angebotenen Aktien veräußert worden, da Investoren offensichtlich auf den Preisverfall in der Endrunde warteten. Ein weiterer Unterschied zu der ersten Privatisierungswelle lag darin, daß eine Reihe von Unternehmen bereits teilprivatisiert waren, so daß bereits ein auf Angebot und Nachfrage beruhender Preis als Anhaltspunkt bestand. Für einige dieser Unternehmen, deren Aktien schon an der Börse gehandelt wurden, gab es sogar einen sekundären Marktpreis als Referenzpunkt. Die durch das Privatisierungsverfahren gesetzten Rahmenbedingungen lassen den Schluß zu, daß IPFs in Tschechien eine wesentlich bessere Ausgangsposition erhielten, als die gleichen Institutionen in Rußland. Aufgrund des zentral organisierten Verfahrens, konnten sie den relativen Wert verschiedener Anlageobjekte vergleichen und ihre Investitionen entsprechend zielbewußt einsetzen. Der Umstand, daß mehrere Versteigerungsrunden abgehalten wurden, erlaubte es ihnen zudem, ihre Präferenz mit der anderer Anleger zu vergleichen, wodurch eine Art Marktbewertung zustande kam. Das tschechische Massenprivatisierungsverfahren war daher weniger einem Lotteriespiel vergleichbar. Es barg jedoch erhebliche Gefahren für einen Mißbrauch des Entscheidungsspielraums, der den mit dem Versteigerungsverfahren betrauten staatlichen Angestellten eingeräumt worden war. Allerdings haben sich diese Befürchtungen in der Praxis nicht bestätigt. Die Preisjustierung hat sich jedoch im Verlaufe des Verfahrens immer weiter von einer Marktsimulation entfernt, da das Ziel, die Privatisierung zügig zum Ende zu bringen, zunehmend in den Vordergrund rückte. Weitere Vorteile im Vergleich mit dem russischen Privatisierungsverfahren ergaben sich dadurch, daß in der Voucherversteigerung wesentlich umfangreichere Aktienpakete einzelner Unternehmen - einschließlich Mehrheitsanteile angeboten wurden. Dies ermöglichte es Investoren, entsprechend umfangreiche Aktienanteile zu erwerben. Den Arbeitnehmern der Unternehmen wurden keine Vorkaufsrechte eingeräumt. Daher bestimmte sich die Einflußmöglichkeit der neuen Eigentümer nach ihrem relativen Gewicht im Verhältnis zu anderen Neueigentümern, nicht zu Insidern, bzw. einer Koalition von Insidern und dem 71

4*

Ebenda.

52

11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

Staat. Schließlich konnten IPFs bis zu 20 Prozent der Aktien eines Unternehmens erwerben. Dies lag zwar unter den 25 Prozent, die russische IPFs seit Januar 1994 erwerben durften. Allerdings war diese Obergrenze doppelt so hoch wie die ursprüngliche Grenze von 10 Prozent für russische IPFs. Eine wesentlich aktivere Rolle der IPFs in den Unternehmen war daher grundsätzlich möglich. Die empirischen Befunde bestätigen diese Vermutungen (siehe Tabelle 4). In Tschechien sind IPFs gemeinsam als stärkste Anteilseigner privatisierter Unternehmen hervorgegangen. Die nächstgrößte Gruppe sind Kleinanleger. gefolgt vom Staat. Im Vergleich zu Rußland befand sich nach Abschluß des Privatisierungsverfahrens ein wesentlich größerer Anteil der Aktien im Streubesitz von Kleininvestoren. Anstelle von Mehrheitsanteilen in den Händen der Arbeitnehmer wie in Rußland. die zwar Einzelpersonen zustanden. aber in der Regel indirekt durch das Unternehmensmanagement kontrolliert wurden. waren 40 Prozent der Aktien auf Einzelinvestoren verteilt. Der Umfang der staatlichen Anteile läßt sich zum einen dadurch erklären, daß der Staat sich Eigentumsrechte in einzelnen Unternehmen jedenfalls temporär vorbehielt. Dies gilt insbesondere für den Energiesektor. Zum anderen ist dies darauf zurückzuführen. daß für diese Aktien keine Abnehmer gefunden wurden.

Tabelle 4 EigentlllmStruktur privatisierter Unternehmen in Tschechien Investortyp

Durchschnittsanteile (in Prozent)

Staat

8,37

Einzelinvestoren

36,53

IPFs

39,39

Inländische Investoren

3,25

Ausländische Investoren

1,34

Nicht verkauft

11.12

Quelle: Stijn Claessens (1994) zilien in Coffu. Institutional Investors in Transitional Economies: Lessons from the euch ExperieDCe,

S.48.

6. Institutionelle Investoren in der tschechischen Republik Die Anzahl der in der Tschecheslowakei gegründeten IPFs war nicht wesentlich geringer als in Rußland. trotz des wesentlich kleineren Landes und der

6. Institutionelle Investoren in der tschechischen Republik

53

geringeren Anzahl von Unternehmen, die für die Privatisierung vorgesehen waren. Die Gründung von IPFs verlief zunächst recht schleppend. Erst nachdem ein IPF, der von einem in den Vereinigten Staaten aufgewachsenen Tschechen gegründete "Harvard Capital & Consulting" IPF, eine agressive Werbekampagne gestartet und jedem Investor den zehnfachen Wert seiner Einlage binnen zwölf Monaten versprochen hatte, entstand eine rege Nachfrage nach Vouchern und damit zugleich der Anreiz, weitere IPFs zu gründen. Insgesamt wurden 420 IPFs für die erste Privatisierungswelle gegründet, 260 in der Tschechischen Republik und weitere 160 in der Slowakei. An der zweiten Welle nahmen 353 IPFs teil. 72 IPFs in Tschechien haben einen wesentlich höheren Anteil der ausgegebenen Voucher akkumuliert, als russische IPFs. So haben die für die erste Privatisierungswelle gegründeten 420 IPFs in der ehemaligen Tschecheslowakei zusammen 71,8 Prozent sämtlicher für diese Privatisierungswelle zur Verfügung stehenden Voucher erworben. 73 In der zweiten Privatisierungswelle lag der Gesamtanteil der tschechischen IPFs an den ausgegebenen Vouchern bei 74 Prozent. 74 Dies versetzte die IPFs in die Lage, insgesamt etwa 66,3 Prozent der privatisierten Unternehmensaktien zu erwerben. Die Konzentration der Eigentumsanteile in den Händen der IPFs war tatsächlich noch wesentlich höher als diese Zahlen vermuten lassen, denn die größten IPFs gehörten in der Regel zu ein- und derselben Investmentgruppe, die von einem Betreiber verwaltet wurde. Diese dreizehn Investrnentgruppen kontrollierten am Ende der ersten Privatisierungswelle 77,3 Prozent der von allen IPFs akkumulierten Voucherpunkte, was einem Anteil von 55,73 Prozent sämtlicher an die Bevölkerung ausgegebenen Voucherpunkte entspricht (siehe Tabelle 5). Die zweite Privatisierungswelle brachte ebenfalls eine deutliche Konsolidierung der Voucherpunkte und folglich der Unternehmensaktien zugunsten der

72 Coffee, Institutional Investors in Transitional Economies: Lessons from the Czech Experience, S. 138. 73 Mladek, Voucher Privatization in Czechia and Slovakia, S. 21; sowie MejstrikiLastovicko/MarcinciniSemetillo, Privatization and Opening the Capital Market in the Czech and Slovak Republic, S. 35. 74 Coffee, ebenda S. 136.

11. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

54

Tabelle 5 Tschechische IPFs in der ersten Privatisierungswelle

Anzahl der IPFs

Voucher Punkte

Prozent

950.432,200

11,13

Investieni banka group, Prag

12

724.123,600

8,5

Harvard Group

8

Investment Gruppe Ceska sporitelna Prag

638.548,000

7,5

Vseobecna uverova, Bratislawa

500.587,700

5,9

Kornmereni banka

465.530,300

5,5

334.040,900

3,9

Ceska Pojistovna Slovenska IB

13

333.045,400

3,9

Slovenska sporitelna & VSZ Kosice

4

168.864,400

2,0

Creditanstalt

2 4

166.256,000

1,9

117.624,000

1,4 1,4

PPF Zivnostenska banka

1

117.541,500

Slovenska poistovna

6

116.682,500

1,4

Agrobanka

17

111.087,900

1,3

Summe

71

8.541.000,000

55,73

Anmerlcung: Prozeotzahlen beziehen sich auf sllml1iche an die Bevölkerung ausgegebenen Aktien. Quelle: Tschechisches PrivatisieruogsmiDisterium. in Mladek. Voucher Privatization in Czechia and Slovakia, Tabelle 13 S. 22.

größten IPFs. Jedoch veränderte sich die relative Stärke der Investmentgruppen beträchtlich. So konnte die Gruppe um Ceska Sporitelna IPF, die in der ersten Welle 950 Millionen Voucherpunkte erworben hatte, lediglich 124 Punkte sichern und fiel damit auf Platz neun. 7S Eine wesentliche Neuerung in der zweiten Privatisierungswelle war die rechtliche Organisation der Fonds. Während in der ersten Runde die meisten Fonds in der Gesellschaftsform organisiert waren, spielten in der zweiten Runde Trustfonds, oder unit trusts, eine wichtige Rolle. 76 Insgesamt nahmen 195 Investmentfonds und 158 unit trusts an der zweiten Privatisierungswelle teil. Unter den 71 größten Fonds befanden sich 41 unit trusts, davon 27 geschlossene und 14 offene. n Den ersten Platz für die zweite Privati-

Siehe dazu im einzelnen Kapitel XI.3. Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen rur die Organisation dieser verschiedenen Typen von Investmentfonds im einzelnen siehe unten Kapitel IX. Die tschechischen Regelungen sind in Kapitel XI.2 besprochen. n Coffee, Institutional Investors in Transitional Economies: Lessons from the Czech Experience, Tabelle 4.2, S. 138. 75

76

6. Institutionelle Investoren in der tschechischen Republik

55

sierungswelle nahm die Investmentgruppe um die größte private Bank in Tschechien, Agrobanka, ein. Die Situation der tschechischen IPFs am Ende der Massenprivatisierung unterscheidet sich demnach erheblich von der der russischen IPFs. Zwar unterlagen auch die tschechischen IPFs einer Obergrenze hinsichtlich des Umfangs der Aktien, die sie in einem Unternehmen erwerben konnten. Diese Schranke war allerdings mit 20 Prozent doppelt so hoch als jedenfalls anfänglich in Rußland. 78 Hinzu kommt, daß tschechische IPFs mehr als zwei Drittel aller ausgegebenen Voucher erwerben konnten. Die wesentlichen Gründe hierflir liegen in der Unzulässigkeit des Handeins mit Vouchern und der dominierenden Rolle altbekannter und vertrauter Banken als Sponsoren vieler der größten Fonds. 79 Darüber hinaus wurden, anders als in Rußland, in Tschechien durchschnittlich über 80 Prozent der Unternehmensaktien im Voucherverfahren veräußert. Das günstigere Verhältnis von Angebot und Nachfrage für Unternehmensaktien ermöglichte es den tschechischen IPFs, sich als bedeutende Unternehmenseigentümer zu etablieren. Schließlich gehörten viele IPFs zu ein- und derselben Investmentgruppe. Betrachtet man die Eigentumsanteile allein der zehn größten Investmentgruppen, so ergibt sich, daß jede dieser Gruppen im Durchschnitt über 38,36 Prozent der Unternehmensaktien verfügte. 80 Im Vergleich mit russischen IPFs bestand daher die Möglichkeit, daß sie direkten Einfluß auf die Geschicke der Unternehmen in ihrem Portfolio nehmen würden. 81 Der Preis für diese starke Position der IPFs im Unternehmen ist, daß sich IPFs in Tschechien kaum als Vorreiter liquider Aktierunärkte erweisen werden. Selbst entwickelte liquide Aktienmärkte sind wenig geneigt, umfangreiche Aktienpakete ohne erheblichen Preisdiskont zu absorbieren. Dies gilt um so mehr für den erst im Entstehen begriffenen Aktienmarkt eines kleinen Landes wie Tschechien.

78 Für eine umfassende Diskussion dieser Schranke und zu dem Vorschlag, diese zu eliminieren, um IPFs größere Einflußmöglichkeiten einzuräumen, siehe Coffee. Institutional Investors in Transitional Economies: Lessons from the Czech Experience, S. 160

ff. 19 Siehe FrydmanIPistorlRapaczynski. Investing in Insider-Dominated Firms: A Study of Russian Voucher Privatization Funds, S. 194. 80 Coffee. Institutional Investors in Transitional Economies: Lessons from the Czech Experience. Tabelle 4.3., S. 141. 81 So verftlgen die fUnf größten tschechischen IPFs in 271 Unternehmen gemeinsam über 50 Prozent der Aktienanteile MejstrikllAstoviclwlMarcincinlSemetillo. Privatization and Opening the Capital Market in the Czech and Slovak Republic, Tabelle 19, S.

40.

56

H. Funktion und Grundelemente der Privatisierung

7. Zusammenfassung Russische und tschechische IPFs sind sehr unterschiedlich aus den Massenprivatisierungsverfahren hervorgegangen. Während in Tschechien IPFs sich als starke oder gar dominierende Eigentümer etabliert haben, ist das Resultat der russischen IPFs zwar angesichts der Rahmenbedingungen beachtlich,im Vergleich zu den tschechischen IPFs jedoch deutlich schwächer. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man sich von IPFs eine Rolle als aktive Unternehmenseigentümer bzw. als maßgeblich Beteiligte bei den notwendigen Urnstrukturierungsmaßnahmen in privatisierten Unternehmen verspricht. Hinsichtlich der alternativen Rolle der IPFs als Vorhut von Portfolioinvestoren auf liquiden Aktienmärkten war die Situation nach Abschluß des Privatisierungsverfahrens weniger eindeutig. Tendenziell waren russische IPFs besser positioniert, sich auf den Aktienhandel zu spezialisieren, und sei es allein deswegen, weil ihnen andere Handlungsoptionen nicht offenstanden. Die Eigentumsposition, die IPFs in privatisierten Unternehmen erwerben konnten, ist jedoch nur einer von mehreren Faktoren, die deren Verhalten als Unternehmenseigentümer bestimmt. Zu den anderen Faktoren gehören die institutionellen, einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Überwachung der Unternehmensführung einerseits und die Beteiligung am Aktienhandel andererseits. Mit der Privatisierung hatten die IPFs nämlich zunächst lediglich Eigentumsansprüche erworben, die in entsprechenden Dokumenten bzw. Computerauszügen verbrieft waren. Um sich als Unternehmenseigentümer zu etablieren, mußten IPFs die darin liegenden Rechte erst realisieren. Ein erster Testfall hierfür waren die Hauptversammlungen der privatisierten Aktiengesellschaften. Sowohl nach russischem als auch nach tschechischem Recht muß eine Hauptversammlung einmal im Kalenderjahr einberufen werden. Die erste Hauptversammlung nach Abschluß des Privatisierungsverfahrens gab IPFs die Möglichkeit, sich an der Wahl der Unternehmensführung zu beteiligen, bzw. sich um Positionen in den Organen der Gesellschaft zu bewerben. Daß hierfür der Umfang der von ihnen erworbenen Aktienpakete eine nicht unbedeutende Rolle spielte, ist offensichtlich. Welche Rechte und Einflußmöglichkeiten die von den IPFs eingenommenen Positionen diese ihnen jedoch letztlich verschaffen würde, ist eine Frage des geltenden Gesellschaftsrechts. Ähnliches gilt für die Möglichkeit der IPFs, sich zu aktiven Aktienhändlern zu entwickeln. Dies setzt voraus, daß sie Aktien übertragen und die Erwerber ohne weiteres die in den Aktien verbrieften Rechte am Unternehmen wahrnehmen können. Auch dies ist im wesentlichen eine Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen. Darüber hinaus spielte die Entwicklung der Kapitalmärkte eine wichtige Rolle, denn die Liquidität dieser Märkte hat wesentlichen Einfluß auf die Kosten von Handelstransaktionen. Die Entstehung eines liquiden Kapitalmarktes hängt jedoch nicht zuletzt davon ab, daß Investoren im Vertrauen auf die Realisierbarkeit ihrer Rechte Aktien erwerben.

7.Zusanunenfassung

57

Schließlich stellt sich die Frage, auf welche Weise IPFs dazu angehalten werden, die ihnen eingeräumten Befugnisse als Unternehmenseigentümer und als Verwalter umfangreichen Anlagevermögens nicht zu mißbrauchen. Ihre Entstehung und den Umfang des Investitionskapitals in der Form von Vouchern verdanken diese Institutionen der Massenprivatisierung. Die Tatsache, daß Voucher nahezu kostenlos an die Bevölkerung vergeben wurden, erleichterte die Investition dieses Kapitals in Institutionen, die neu gegründet waren und daher keine Nachweise über ihre Vertrauenswürdigkeit oder Erfolge als Verwalter von Anlagekapital erbringen konnten. Als Gegenwert für die Voucher erhielten die Anleger Anteilsrechte in den IPFs. Auch hier stellt sich die Frage, ob diese Rechte realisierbar waren und welche Voraussetzungen die Rechtsordnung hierfür zur Verfügung stellte. Die Rechtsordnung nimmt somit eine zentrale Stellung für die Realisierung der Eigentumsrechte im Anschluß an die Privatisierung ein. Der wesentliche Teil dieser Arbeit ist daher der Analyse des Aktienrechts einerseits sowie des Rechts der Investmentfonds andererseits gewidmet. Diese Analyse beschränkt sich nicht auf eine Untersuchung des russischen und des tschechischen Rechts. Vielmehr wird eine umfassende rechtsvergleichende Untersuchung dieser Rechtsgebiete vorgenommen. Dies soll die Bandbreite möglicher rechtlicher Regelungen und ihre Implikationen für den Gehalt der Rechte an Unternehmen einerseits und Investmentfonds andererseits aufzeigen. Zunächst sollen jedoch die theoretischen Voraussetzungen der Privatisierung einer genaueren Untersuchung unterzogen werden.

111. Theoretische Grundlagen Ziel der Privatisierung war es, nicht lediglich formal Eigentumstitel des Staates auf Private zu übertragen, sondern die Voraussetzung für eine effizientere Nutzung begrenzter Wirtschaftsgüter zu schaffen.! Im Hinblick auf die Reformziele stellt sich die Frage, ob die gewählten Reformmaßnahmen grundsätzlich geeignet sind, die gewünschten Ergebnisse herbeizuführen. In diesem Kapitel sollen hierfür die theoretischen Grundlagen gelegt werden. Es gilt, einen theoretischen Ansatz zu entwickeln, der es erlaubt, das Konzept der Massenprivatisierung in Bezug auf die gesetzten Reformziele kritisch zu würdigen und die Ergebnisse der Privatisierung zu analysieren. Ein solcher theoretischer Ansatz sollte eine Erklärung für die postulierte höhere Effizienz privaten gegenüber öffentlichen Eigentums bieten. Er sollte darüber hinaus nicht nur einfache Eigenturnsstrukturen an Sachen, sondern auch die wesentlich komplexer gestalteten Eigentumsstrukturen an Unternehmen erfassen. Um die Funktion institutioneller Investoren (der IPFs) als neue Unternehmenseigentümer ermitteln zu können, sollte dieser Ansatz schließlich in der Lage sein, Aussagen über das Verhalten verschiedener Typen privater Eigentümer, einschließlich institutioneller Investoren, zu machen. Theoretische Ansätze, die für die genannte Fragestellung in Betracht kommen, ergeben sich aus den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere aus der neuen Institutionenökonomie. 2 Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften ist es, Vorhersagen über das Verhalten von Wirtschaftssubjekten zu machen. Dabei ist gerade in jüngerer Zeit den institutionellen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Verhaltens zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt worden. Hierzu gehört auch die Erforschung der Interdependenz zwischen Recht und Wirtschaftshandeln, eine Forschungsrichtung die unter dem Namen der economic analysis of law (ökonomische Rechtsanalyse) bekannt geworden ist.

! Für eine kritische Darstellung der verschiedenen Effizienzbegriffe, die sich in den Wirtschaftswissenschaften herausgebildet haben, siehe Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 41 ff. 2 Einen Überblick üder die Erkenntnisse der New Institutional Economics (NIE) in Bezug auf finanzielle Institutionen und corporate govemance gibt Mayer, Financial Systems and Corporate Govemance: A Review of the Evidence.

I. Ökonomische Analyse des Rechts

59

1. Ökonomische Analyse des Rechts Die philosophischen Wurzeln der ökonomischen Analyse des Rechts liegen in dem von Jeremy Bentham im frühen neunzehnten Jahrhundert begründeten Utilitarismus. 3 Als eigenständige Disziplin, die sowohl von Vertretern der Wirtschaftswissenschaften als auch von Juristen ausgeübt wird, hat sie sich jedoch erst in den letzten vierzig Jahren etabliert. Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften finden sich seit Anfang der fünfziger Jahre starke Strömungen, die Institutionen als entscheidende Determinanten sozialen Verhaltens auffassen. 4 Besondere Aufmerksamkeit wurde rechtlichen Institutionen gewidmet. Umgekehrt haben Juristen zunehmend den Versuch unternommen, rechtliche Regelungen nicht nur normativ, sondern auch positiv zu verstehen. Aus ökonomischer Sicht steht im Mittelpunkt der Versuch, die Auswirkungen alternativer rechtlicher Normen auf wirtschaftliches Verhalten zu untersuchen. Aus juristischer Sicht überwiegt dagegen das Interesse an einer normativen Analyse, die letztlich in Reformvorschläge mündet. 5 Die wesentlichen Betätigungsfelder für eine ökonomische Analyse rechtlicher Regelungen waren zunächst das Wettbewerbs-, insbesondere das Antimonopolrecht, daneben aber auch rechtliche Rahmenbedingungen für die Organisation von Unternehmen. 6 Mittlerweile ist die ökonomische Analyse jedoch auch auf ander Bereiche des Rechts übertragen worden. Manche Vertreter gehen so weit, ihren universellen Nutzen für die Analyse rechtlicher Normen zuzusprechen.' Die ökonomische Analyse des Rechts ist nach wie vor umstritten. Dies gilt vor allem, wenn die ökonomische Rechtsanalyse dazu herangezogen wird, normative Prinzipien für Gesetzgebung oder gar Rechtsprechung abzuleiten. In den USA spielt die ökonomische Rechtsanalyse auch hier eine bedeutende Rolle. Demgegenüber wird in Kontinentaleuropa, einschließlich in Deutschland, der Postulierung wirtschaftlicher Prinzipien als Maßstab für Gesetzgebung und ins-

3 Siehe eingehend hierzu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 22 ff. 4Der Begriff der Institutionen wird hier Douglass North folgend verstanden als Grenzen menschlichen HandeIns, die von Sozialverbänden gesetzt werden. North, Institutions, Institutional Change, and Economic Performance, S. 4: "Institutions incIude any form of constraint that human beings devise to shape human interaction." North unterscheidet hiervon Organisationen, die ebenfalls soziales Handeln strukturieren, zugleich aber selbständige Handlungssubjekte sind. Hierzu zlIhlen sowohl politische als auch wirtschaftliche Organisationen. Ebenda, S. 4-5. 5 Siehe auch Posner, Economic Analysis ofLaw, S. 58 f. 6 Posner, Economic Analysis of Law, S. 21 ff, gibt einen Überblick über die Entwicklung der economic analysis of law in den Vereinigten Staaten. 7 Die Universalität der ökonomischen Analyse ist insbesondere von dem Nobelpreisträger Becker postuliert worden. Dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 68 f. Auch Posner vertritt diesen Standpunkt. Vgl. nur das Inhaltsverzeichnis von Posner, Economic Analysis of Law.

III. Theoretische Grundlagen

60

besondere Gesetzesanwendung nach wie vor mit großer Skepsis begegnet. 8 Die normative Funktion, d.h. der Versuch aus ökonomischen Erwägungen Rechtssätze bzw. deren Anwendung auf den Einzelfall abzuleiten, ist jedoch nur eine von drei wesentlichen Anwendungsbereichen der ökonomischen Analyse des Rechts. 9 Neben der normativen Funktion spielt die prognostische Funktion eine bedeutende Rolle. Aufgrund einer ökonomischen Analyse werden künftige Rechtsregeln - seien sie gesetzlicher oder rein vertraglicher Natur - abgeleitet. Schließlich kann die ökonomische Analyse des Rechts dafür eingesetzt werden, alternative rechtliche Regelungen zu analysieren und zu bewerten. Diese positive Funktion ist von besonderem Nutzen für die rechtsvergleichende Analyse. Eine ökonomische Analyse verschiedener Lösungsmöglichkeiten für vergleichbare Rechtsprobleme erlaubt eine funktionale Betrachtung unabhängig von der jeweiligen idiosynkratischen Entstehungsgeschichte rechtlicher Reglungen und ihrer dogmatischen Einordnung. Dies heißt nicht, daß rechtliche Lösungen unabhängig von den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen bewertet werden können. Insofern ist auch für eine rechtsvergleichende funktionale Analyse ein hohes Maß an spezifischer Kenntnis der verglichenen Länder erforderlich. Der Bezugspunkt ist jedoch in diesem Fall die ökonomische Funktion rechtlicher Institutionen, die unabhängig von der jeweiligen Rechtsordnung definiert werden kann. In dieser Arbeit wird die ökonomische Analyse des Rechts vorwiegend in dem zuletzt genannten, postiven Sinn, angewandt. Ziel der Arbeit ist es, die Ergebnisse der Massenprivatisierung in Rußland und Tschechien einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Insbesondere soll das Konzept der Massenprivatisierung auf dem Hintergrund der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen analysiert und die sich hieraus ergebenden Schlußfolgerungen mit den empirischen Ergebnissen der Massenprivatisierung verglichen werden. Aus dieser Analyse lassen sich nicht nur Folgerungen für den Erfolg der Massenprivatisierung ableiten. Vielmehr kann diese Analyse auch dazu dienen, über mögliche 8

Siehe Kirchner, The Difficult Reception ofLaw and Economics in Gennany, S. 278

f. sowie die Nachweise bei Taupitz, Ökonomische Analyse und Haftungsrecht. S. 116.

Eidenmüller räumt der ökonomischen Rechtsanalyse einen wichtigen Anwendungsbereich für die Gesetzgebung ein, steht ihrer Anwendung durch die Rechtsprechung jedoch skeptisch gegenüber. Siehe Eidenmüller, Rechtsanwendung, Gesetzgebung und ökonomische Analyse, S. 87 ff. 9 Friedman, Law and Economics, S. 144. Siehe auch Posner, Economic Analysis of Law, S. 23 ff. Ein Beispiel rur normative Folgerungen aus einer positiven ökonomischen Analyse des Rechts ist die Anwendung der Vertragstheorie auf Aktiengesellschaften. Aus dem Umstand, daß Ökonomen die Aktiengesellschaft als einen "Nexus von Verträgen" bezeichnet haben, wurde vielfach abgeleitet, daß damit das Gesellschaftsrecht der Vertragsfreiheit der Parteien unterstehen sollte. Siehe Gordon, The Mandatory Structure of Corporate Law, S. 1550 ff. Die Grundzüge der Vertragstheorie werden unter 2.b) und deren Anwendung auf die Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit der Untemehmensthcorie unter 4. dargestellt.

2. Alternative ökonomische Theorien und Rechtsanalyse

61

Änderungen der bestehenden Rechtslage nachzudenken. Die Möglichkeit aus einer positiven Analyse der Interdependenz wirtschaftlicher und rechtlicher Faktoren normative Schlußfolgerungen zu ziehen, sollte jedoch nicht als Vorbehalt gegen die positive Analyse dienen.

2. Alternative ökonomische Theorien und Rechtsanalyse Neuere theoretische Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften, deren Ziel es ist, die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handeins sowie die Entstehung und Funktion wirtschaftlicher Institutionen zu erklären, sind aus einer Kritik an der neoklassischen Ökonomik entstanden. Gegenstand der neoklassischen Theorie sind Märkte sowie Einzelpersonen als Nutzenmaximierer im Rahmen des ihnen zustehenden Budgets. 1o Das Resultat dieser Nutzenmaximierung hängt maßgeblich von den Präferenzen des Konsumenten ab. Einzelne Marktteilnehmer haben grundsätzlich keinen Einfluß auf den Preis der Güter, die sie konsumieren wollen. Die Quantität der konsumierten Güter bestimmt sich daher nach dem Verhältnis ihres Preises und dem Rang, den diese auf der Präferenzskala des Konsumenten einnehmen. Das sich hieraus ergebende Gleichgewichtsmodell von Angebot und Nachfrage beruht auf einer Reihe vereinfachender Grundannahmen. Zu diesen Annahmen gehört, erstens, daß der Austausch von Wirtschaftsgütern, die damit verbundene Informationsbeschaffung sowie die Durchsetzung von Ansprüchen aus Vertrag oder Eigentum, grundsätzlich keine Kosten verursachen, zweitens, daß Wirtschaftsgüter vollständig zugeordnet sind und in privatem Eigentum stehen, und drittens, daß Unternehmen grundsätzlich Profitmaximierer sind. 11 Die Existenz von Unternehmen wird grundsätzlich unterstellt. Unternehmen, die ein einziges Produkt herstellen, werden durch ihre Produktionsfunktion definiert, die besagt, welches Produktionsvolumen unter gegebenen Produktionsfaktoren erreicht werden kann. Das Management des Unternehmens wird durch einen selbstlosen allein der Nutzenmaximierung des Unternehmens verschriebenen Manager dargestellt. Dabei werden Anreizstrukturen, die sich aus den Binnenverhältnissen des Unternehmens wie auch aus seiner Eigentumsstruktur ergeben, ignoriert. Darüber hinaus wird die interne Organisation des Unternehmens vernachlässigt und schließlich

10 Demgegenüber betonen Holmstrom und Tirole, daß das Transaktionsvolumen innerhalb von Firmen an das Volumen von Markttransatkionen heranreichen und diese schon allein aus diesem Grunde größere Aufmerksamkeit verdienen. Holmstrom/Tirole, The Theory ofthe Firm, S. 63. 11 Für eine Zusammenfassung dieser Grundannahmen der neoklassischen Ökonomie, die auf zunehmende Kritik von verschiedener Seite gestoßen ist, siehe De Alessi, Property Rights, Transaction Costs, and X-Efficiency: An Essay in Econornic Theory, S. 64 ff.

62

1II. Theoretische Grundlagen

bietet die neoklassische Theorie keine Anhaltspunkte dafür, wo die Grenze zwischen Unternehmen und Märkten zu bestimmen ist. 12 Demgegenüber stehen bei den neueren Ansätzen nicht Märkte und die Allokation begrenzter Wirtschaftsgüter im Zentrum der Analyse. Vielmehr geht es bei diesen neueren Ansätzen darum, die Organisationsformen der Wirtschaft, ihr Verhältnis zu den Machtstrukturen der Gesellschaft sowie die sich hieraus ergebenden Anreizstrukturen für wirtschaftliches Verhalten zu analysieren. Zu den wichtigsten neuen Theorien, die sich der Erklärung von Institutionen, insbesondere der Existenz und Funktionsweise von Unternehmen widmen, gehören die Transaktionskostenanalyse, die Agency- oder Vertragstheorie sowie die Property Rights Theorie. Diese drei Ansätze sollen hier nur kurz vorgestellt und die Wahl der Property Rights Theorie als Grundlage für die folgende Analyse gerechtfertigt werden. Zudem soll auf diese Weise veranschaulicht werden, daß der ökonomischen Analyse rechtlicher Institutionen eine Vielzahl alternativer theoretischer Ansätze zur Verfügung stehen, deren Erklärungsinhalte mittlerweile deutlich über die vereinfachenden Grundannahmen der neoklassischen Ökonomik hinausweisen. Dies bereichert die ökonomische Rechtsanalyse, weist jedoch auch auf die darin liegenden Schwierigkeiten hin. Denn, wie die Darstellung der Property Rights Theorie insbesondere zeigen wird, die theoretische Erfassung wirtschaftlicher Institutionen steckt noch in den Kinderschuhen. 13 Die bisherigen Ergebnisse können flir die Analyse und Bewertung wesentlicher rechtlicher Rahmenbedingungen herangezogen werden, eignen sich jedoch nur begrenzt für eine detailliertere Analyse.

a) Transaktionskostenökonomie

Die Transaktionskostenökonomie versteht sich als Teil einer neuen institutionellen Ökonomie. Sie geht davon aus, daß Wirtschaftsorganisationen einschließlich Unternehmen einer Vielzahl von Zwecken dienen können. Von diesen Hauptzwecken kann jedoch ein wirtschaftlicher Zweck unterschieden werden, der allen ökomischen Organisationen zugrunde liegt. Dies ist die Kostenreduktion. 14 Wirtschaftsorganisationen verdanken somit ihre Existenz der Tatsache, daß Transaktionen erhebliche Kosten verursachen, die durch Integration

Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, S. 17. So auch ausdrücklich Williamson, The Mechanisms of Govemance, S. 54: "Recent continuing headway notwithstanding, transaction cost econmics maintains that our understanding of the economic institutions of capitalism - firms, markets, hybrids, bureaus - is very primitive". 14 Für eine Zusammenfassung der Transaktionskostenökonomie siehe jüngst Williamsan, The Mechanisms of Govemance Kapitel 3, S. 54 ff. 12

13

2. Alternative ökonomische Theorien und Rechtsanalyse

63

und damit die Internalisierung von Kosten reduziert werden können. ls Zu den Kritikpunkten an der neoklassischen Theorie gehört nicht nur die Vernachlässigung von Insitutionen. Ihr wird vielmehr auch vorgeworfen, daß die von ihre gemachten Annahmen über menschliches Verhalten zu weit von der Realität entfernt sind. Dem rationalen homo oeconomicus wird menschliches Verhalten gegenübergestellt, das sich beispielsweise durch Opportunismus und Eigensucht auszeichnen kann. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, daß Verträge unvollständig sind. Vertrags versprechen werden nicht ohne weiteres eingehalten, selbst wenn dies ökonomisch rational wäre. Damit gewinnen Institutionen für die Überwachung und Durchsetzung von Verträgen an Bedeutung. 16 Während einige der Annahmen der Transaktionskostenökonomie, wie insbesondere die Annahme unvollständiger Verträge, fruchtbar für das Verständnis von Unternehmen ist, liegt die eigentliche Schwäche der Transaktionskostenökonomie darin, daß allein mit dem Kostenargument die Funktionsweise von Institutionen bzw. alternativer Kontrollmechanismen nicht erklärt werden kann. Denn die Höhe der Transaktionskosten kann in der Regel nicht eindeutig bestimmt werden und es bleibt unklar, welche Mechanismen letztlich zur Reduktion der Transaktionskosten führen. Folglich ist auch eine Abwägung alternativer Szenarien unter Bezug auf die jeweils entstehenden Transaktionskosten ein Unterfangen mit hohen Unsicherheitsfaktoren. 17

b) Vertragstheorie

Die Vertragstheorie befaßt sich ebenfalls explizit mit der Organisation von Unternehmen. Sie versucht, die Anreizstrukturen, die sich aus der Position der am Unternehmen Beteiligten ergeben, zu erklären. So können Unterschiede in dem Verhalten von Unternehmensmanagement einerseits und Unternehmenseigentümern andererseits aus deren Interessenslage erklärt werden. Während Unternehmenseigentümer die Maximierung ihrer Investition anstreben, verfolgt das Management seine eigenen Interessen. 18 Die Eigentümer müssen daher

IS Grundlegend Coase, The Nature of the FirrnWilliamson, Markets and Hierarchies, Analysis and Antitrust Implications: a Study in the Economics of Internal Organization; Williamson, The Economic Institutions of Capitalism: Firms, Markets, Relational Contracting; KleiniCrawJordiAlchian, Vertical Integration, Appropriable Rents, and the Competitive Contracting Process. 16 Williamson, The Mechanisms of Govemance, S. 56 f. 17 Zur Kritik an der Transaktionskostenökonomie siehe Hart, An Economist's Perspective on the Theory of the Firm, S. 1763; sowie Schneider, Ökonomische Theorie der Unternehmung, S. 5-12. 18 Zu den Begründern der Vertragstheorie zählen AlchianIDemsetz, Production, Information Costs, and Economic Organization; und vor allem JenseniMeckling, Theory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure.

III. Theoretische Grundlagen

64

Kontrollmechanismen entwickeln, um das Management zu veranlassen, ihren Interessen nachzukommen. Hierzu zählen rechtliche Mechanismen, wie die Binnenorganisation der Gesellschaft, monetäre Anreize, wie Aktienoptionen sowie Wettbewerb. Die Vertragstheorie vermag zwar diese unterschiedlichen Interessen und die sich daraus ergebenden Kosten (agency costs) zu beschreiben, sie bietet jedoch keine Erklärung für die Ursachen dieser unterschiedlichen Interessen an. Die Gleichsetzung von Unternehmen mit Märkten, die die Vertragstheorie vornimmt, steht einer Erklärung für die Entstehung von Firmen, die eine Abgrenzung von Firmen und Märkten voraussetzt, entgegen. 19 Dennoch wird von juristischer Seite für die Analyse von Aktiengesellschaften und dem Verhältnis zwischen Unternehmensführung und Aktionären meist auf die Vertragstheorie zurückgegriffen. Hierauf wird im Zusammenhang mit der Darstellung der Entstehungsgeschichte der Property Rights Theorie zurückzukommen sein.2°

c) Property Rights Theorie

Gegenstand der Property Rights Theorie ist es, die Auswirkungen der Zuordnung von property rights an Sachen bzw. Rechten zu erklären. Obwohl die Property Rights Theorie sich zunächst auf Eigentumsverhältnisse an Sachen beschränkt hat, hat sie mittlerweile erheblichen Einfluß auf die Unternehmenstheorie gewonnen. 21 Property rights im Sinne der Property Rights Theorie sind in ihrer allgemeinsten Definition Handlungsrechte, die sich aus der Kontrolle von Sachen und Rechten ergeben. 22 Gegenstand der Property Rights Theorie ist es, zu ergründen, in welchem Maße die Zuordnung von Handlungsrechten das Verhalten der Inhaber dieser Rechte sowie die wirtschaftliche Nutzung der Eigentumsobjekte, auf die sich diese Handlungsrechte beziehen, beeinflußt. Sie nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf Annahmen, die zuvor bereits von Vertretern der Transaktionskostenökonomie gemacht wurden. 23 Die Property Rights Theorie geht grundsätzlich davon aus, daß Rechte, gleich welcher Art, vertraglich zugeordnet werden können. Allerdings sind die

Siehe Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, S. 18. Siehe hierzu unten 4.a). 21 Für einen Überblick über die verschiedenen Unternehmenstheorien siehe Holmstrom/Tirole, The Theory of the Firm, Hart, An Economist's Perspective on the Theory of the Firm; ders, Firms. Contracts, and Financial Structure; KÖlIdgell, Die Relevanz der ökonomischen Theorie der Unternehmung flIr rechtswissenschaftliche Fragestellungen ein Problemkatalog; sowie Schneider, Ökonomische Theorie der Unternehmung. 22 Siehe auch SclräjerlOtt, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts. S. 19

20

453 f. 23

Hart, An Economist's Perspective on the Theory of the Firm, S. 1765.

2. Alternative ökonomische Theorien und Rechtsanalyse

65

Kosten einer vollständigen vertraglichen Regelung in der Regel zu hoch. Der wesentliche Grund hierfür ist, daß es an einer vollständigen Transparenz von Informationen fehlt. Die Parteien eines Vertrages sind somit nicht in der Lage, für alle Eventualitäten Vorsorge zu treffen. Hieraus wird gefolgert, daß Verträge notwendig unvollständig sind. 24 Die verbleibenden nicht zugeordneten Rechte werden als Residualrechte bezeichnet. Sie fallen dem Eigentümer, dem Inhaber der property rights, zu. Eigentum ist somit ein notwendiges Institut in einer Welt ohne vollständige Information. Die Zuordnung der property rights hat erheblichen Einfluß auf das Verhalten von Wirtschaftsakteuren sowie die Nutzung der Objekte, auf die sich die property rights beziehen. Denn die Zuordnung der Residualrechte vermittelt den Inhabern der property rights das Recht, über die Nutzung ihrer Eigentumsobjekte in allen vertraglich nicht geregelten Fällen frei zu entscheiden. Damit erhält der Inhaber der property rights eine starke Verhandlungsposition gegenüber anderen Beteiligten, deren Position lediglich vertraglich sanktioniert ist. Den Inhaber der Residualrechte treffen nicht nur die Nutzen, sondern auch die Kosten der Nutzung seines Eigenturnsobjektes. Es ist daher davon auszugehen, daß dies seine Entscheidungen mitbestimmt. Im Gegensatz zur Vertragstheorie und zur Transaktionskostenökonomie bietet die property rights eine theoretisch schlüssige Erklärung für die Abgrenzung zwischen Firmen und Märkten und stellt damit eine vollständige Theorie des Unternehmens zur Verfügung. Sie erklärt auch die Ursachen für die unterschiedlichen Interessenslagen von Unternehmenseigentümern, Unternehmensmanagement und Arbeitnehmern. Dies macht die Property Rights Theorie für die Problemstellung der vorliegenden Arbeit attraktiv, denn sie bietet eine umfassende Theorie, auf deren Grundlage die Ergebnisse der Massenprivatisierung in Rußland und Tschechien untersucht werden soll. Einige Vorbehalte müssen dennoch gemacht werden. Erstens ist die Aktiengesellschaft bisher weder von der Property Rights Theorie noch von anderen Unternehmenstheorien modelltheoretisch erfaßt worden. Dennoch können die wesentlichen Prinzipien, die die Property Rights Theorie für die Erklärung des Phänomens Unternehmen bereitgestellt hat, auf die Aktiengesellschaft übertragen werden. Dies ist Gegenstand von Kapitel IV. Zweitens ist sowohl von der Property Rights Theorie als auch von den anderen erwähnten theoretischen Ansätzen eine Analyse der Eigenturnssubjekte vernachlässigt worden. Reale Eigentumsverhältnisse sind wesentlich komplexer als von der Property Rights Theorie gemeinhin unterstellt. Sie beruhen oftmals auf gestaffelten Eigenturnsverhältnissen, bei denen die verschiedenen Eigentumsmittler nicht Individuen,

24

Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, S. 23 ff. Im einzelnen siehe unten

4. a). 5 Pistor

66

III. Theoretische Grundlagen

sondern selbst Organisationen mit unterschiedlichen Eigentumsstrukturen sein können. Für eine Analyse der Rolle institutioneller Investoren als Neueigentümer privatisierter Unternehmen, die hier unternommen werden soll, bedarf es eines Instrumentariums, das sich nicht nur auf die Unternehmen selbst, sondern auch auf deren Eigentümer bezieht. Wie im einzelnen darzulegen sein wird, gibt die Property Rights Theorie auch für diesen Problemkreis wichtige Anhaltspunkte, die zu einem besseren Verständnis der Strukturprinzipien und Verhaltensweisen institutioneller Investoren beitragen können. Bevor die Grundsätze der Property Rights Theorie auf diese Problemkreise übertragen werden, soll jedoch zunächst ihre Entstehungsgeschichte erörtert werden.

3. Grundlagen und Entwicklung der Property Rights Theorie Als Mitbegründer der Property Rights Theorie gilt Alchian,2S der in der Eigentumsstruktur eine der Rahmenbedingungen und zugleich Begrenzung wirtschaftlichen Handeins gesehen hat. Alchians Kernthese ist, daß verschiedene Eigentumsstrukturen dem jeweiligen Rechtsinhaber unterschiedlich hohe Kosten auferlegen, da sie die Kosten alternativer Entscheidungsmöglichkeiten verändern. Das Wesen von property rights liegt darin, deren Inhabern das Recht zu vermitteln, Sachen und Rechte unter Ausschluß Dritter zu nutzen?6 Alchians klassische Definition von property rights geht über reine Handlungsrechte hinaus und schließt sowohl Abwehrrechte als auch Haftungsregeln mit ein. Er bezeichnet property rights als Mechanismen, die die Kosten wirtschaftlichen Handelns zuordnen. 27 AIchian unterscheidet zwischen privaten und öffentlichen oder kollektiven property rights. Den wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden Eigentumsformen sieht er darin, daß kollektives Eigentum grundsätzlich nicht veräußerbar ist. 28 Diese Eigentumsform verhindert damit eine Spezialisierung der Eigentümer auf Objekte, an denen sie ihre spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten bestmöglichst verwirklichen können. Hieraus folgt, daß das Prinzip des relativen Vorteils nicht zur Anwendung kommt, was einer bestmöglichen Nutzung begrenzter Wirschaftsgüter entgegensteht. Darüber hinaus verändert staatliches Eigentum das Risikoverhalten der Inhaber von property rights, denn die Kosten Siehe grundlegend Alchian, Some Economics of Property. select from a specified set of uses, as against such choosing by someone else". Siehe Alchian, Some Economies ofProperty, S. 15. 27" ... property rights should be viewed by economic theory as a method of allocating among people the costs and benefits arising from the attempts of individuals to wrest wealth from nature and to resolve the inevitable conflicts of interest. Alchian, Some EconomicsofProperty,S.39. 28 Alchian, Some Economics of Property, S. 49. 2S

26 ..... to

3. Grundlagen und Entwicklung der Property Rights Theorie

67

einer jeden Entscheidung werden nur zu einem geringen Teil von den Entscheidungsträgern selbst getragen. 29 Es liegt daher im Interesse der verschiedenen Rechtsinhaber, die größtmöglichen Nutzen aus einer Sache auf Kosten der anderen Rechtsinhaber zu ziehen. Einen wesentlichen Beitrag zu der Funktion von property rights als Grundlage für die Zuordnung von Handlungs- und Haftungsrechten hat Ronald H. Coase mit seiner Theorie der Transaktionskosten geliefert. 3O Er hat die These aufgestellt, daß erst durch die Zuordnung von property rights Markttransaktionen ermöglicht werden. Coase demonstriert seine Argumentation am Beispiel von Nachbarschaftsstreitigkeiten, wie z.B. grasenden Kühen, die das Saatgut des Nachbarbauern beschädigen, oder Emissionen, die von einer neu eingerichteten Zahnarztpraxis ausgehen. Das Betreiben einer Viehwirtschaft bzw. einer Zahnarztpraxis bringt den jeweiligen Inhabern wirtschaftlichen Nutzen. Es führt jedoch auch regelmäßig zu einer Belastung der Nachbarn, deren Felder durch die grasenden Kühe beschädigt, bzw. deren Ruhe durch die Geräuschemissionen der Zahnarztpraxis beeinträchtigt wird. Theoretisch lassen sich die Interessensgegensätze der Nachbarn auf verschiedenste Art lösen. So kann der Inhaber der Viehherde seinen Nachbarn regelmäßig für den entstandenen Schaden entschädigen. Er kann die Viehherde verringern, so daß der Schaden begrenzt wird, oder er kann einen Zaun bauen. Umgekehrt kann auch der Nachbar einen Zaun bauen, um sich selbst vor den grasenden Kühen zu schützen, oder er kann dem Inhaber der Vieherde Entschädigung dafür zahlen, daß er seine Herde verringert. Ähnliches gilt für den Fall der Lärmemission aus einer Zahnarztpraxis. Der Zahnarzt kann seinen Betrieb einschränkten, seinen Nachbarn Schadensersatz zahlen oder flir Schallschutz in seinen Praxisräumen sorgen. Oder die Nachbarn können sich selbst schützen, dem Zahnarzt den Aufwand für Schallschutz, oder den Verlust seiner Einnahmen durch eingeschränkten Praxisbetrieb entschädigen. Welche dieser Varianten von den Parteien gewählt wird, läßt sich abstrakt nicht feststellen. Vielmehr ist es notwendig, zu wissen, wer für den Schaden haftbar ist. Auf der Grundlage dieser Zuordnung der Haftung können die Beteiligten dann ihren Interessen entsprechend eine vertragliche Umverteilung der Kosten vornehmen. Fehlt es jedoch an einer eindeutigen Zuordnung der Verantwortung, so sind Transaktionen, die diese Rechte übertragen oder rekombinieren, und damit eine interessensgerechte Umverteilung der Kosten nur schwer Alchian, Some Economics ofProperty, S. 54 ff. Coase, The Problem of Social Cost, S. 95 ff. Für eine Zusammenfassung der Grundlagen des Coase Theorems siehe Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 84 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 81 ff. Coase gilt allgemein als Begründer der Transaktionskostenökonomik. Allerdings haben seine Arbeiten auch die property rights wesentlich beeinflußt, weshalb diese hier im Zusammenhang mit der Entwicklung der Property Rights Theorie besprochen werden. 29

30

s'

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III. Theoretische Grundlagen

möglich. Eine wesentliche Folgerung dieser Analyse durch Coase ist, daß unter der Voraussetzung, daß Transaktionen kostenlos sind, die Zuordnung von Rechten und Pflichten als Ergebnis vertraglicher Vereinbarungen unabhängig von der ursprünglichen Haftungsregel erfolgt. 31 Diese Folgerung ist von Stigler zum Coase Theorem erhoben worden: "Unter den Bedingungen ungehinderten Wettbewerbs sind soziale und private Kosten identisch ("under perfect competition private and social costs will be equal,,).32 Coase selbst bleibt nicht bei der vereinfachenden Annahme der Abwesenheit von Transaktionskosten stehen. Er führt aus, daß unter der Voraussetzung, daß Transaktionskosten bestehen (wie üblicher Weise in der realen Welt), die ursprüngliche Zuordnung von Eigentumsrechten durchaus Auswirkungen auf das Endresultat, d.h. auf die ökonomische Effizienz des von den Parteien ausgehandelten Ergebnisses, hat. Dabei betont Coase insbesondere die Rolle der Rechtsordnung bei der anfänglichen Zuordnung von Eigentumsrechten. Zwar sei es grundsätzlich denkbar, daß im Zuge des freien Wettbewerbs eine optimale Zuordnung von Eigentumsrechten erreicht werde. Doch die Kosten eines solchen Marktprozesses, der eine vielfache Rekombination von Eigentumsrechten erforderlich macht, könnten sich als prohibitiv erweisen. Folglich käme eine Zuordnung von Rechten und Verantwortlichkeiten, die unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Wertmaximierung optimal wäre, möglicherweise niemals zustande. 33 Es ist daher Aufgabe des Rechtssystems, Klarheit zu schaffen, und hierdurch wirtschaftliche Kosten zu sparen. 34 Unter Weiterentwicklung dieses Ansatzes hat Demsetz einen ersten Versuch zur Begründung einer umfassenden Property Rights Theorie unternommen. 3S Sie basiert ausdrücklich auf der Annahme, daß im Zuge sozialer und wirtschaftlicher Interaktion zwangsläufig Transaktionskosten entstehen. Diese Kosten be-

Coase, The Problem of Sodal Cost, S. 104. Zur Entstehungsgeschichte des Coase Theorem siehe Coase in Coase, The Firm, the Market, and the Law, S. 14. Coase weist hier darauf hin, daß er auf die Notwendigkeit, Transaktionskosten bei der Analyse wirtschaftlichen Verhaltens zu berücksichtigen. hinweisen wollte. DemgegenUber sei die größte Aufmerksamkeit dem Coase Theorem gewidmet worden, das explizit von einer nicht realen Welt ohne Transaktionskosten ausgeht. Siehe ebenda, S. 15. 33 Coase, The Problem of Sodal Cost, S. 115. 34 Coase. ebenda. Coase betont damit die Funktion von Recht als öffentliches Gut im wirtschaftlichen Sinne. d.h. als ein Gut, dessen Verfiigbarkeit der Gemeinschaft Nutzen bringt. das jedoch nicht allein durch die Eigeninitiative der Marktteilnehmer bereitgestellt wUrde, da niemand die Kosten rur die Herstellung dieses Gutes auf sich nehmen wUrde, wenn andere es sodann kostenlos nutzen können. Klassische Beispiele rur sogenannte öffentliche GUter ist die Landesverteidigung. 35 Demsetz. Toward a Theory of Property Rights und Demsetz. Some Aspects of Property Rights. FUr eine zusammenfassende Darstellung der Property Rights Theorie siehe jUngst Demsetz. Property Rights 31

32

3. Grundlagen und Entwicklung der Property Rights Theorie

69

stehen unter anderem aus Bewertungskosten (valuation costs) und aus Um verteilungskosten (realignment costs). Bewertungskosten sind Kosten. die entstehen. um Ansprüche geltend zu machen, sowie entgegenstehende Ansprüche Dritter auszuschließen. Umverteilungskosten entstehen bei der Umverteilung bestehender Rechte und Pflichten. Es ist nach Demsetz Aufgabe und wesentliche Funktion der Eigentumsrechte, Anreizstrukturen zu schaffen. die eine umfassende Internalisierung von Transaktionskosten bewirken. 36 Wie vor ihm AIchian betont Demsetz die Vorteile privater property rights gegenüber staatlichen oder kollektiven property rights für die Internalisierung der Transaktionskosten. Anders jedoch als A1chian sieht Demsetz den wesentlichen Nachteil kollektiven Eigentums nicht so sehr in der mangelnden Übertragbarkeit von Sachen. sondern darin. daß Abwehrrechte gegen die Nutzung dieser Sachen nicht durchsetzbar sind. was regelmäßig zur Übernutzung führt. Der entscheidende Vorteil privater property rights liegt daher weniger in einer Reduzierung der realignment costs. sondern in der Internalisierung der valuation costs. Nach Demsetz zeichnet sich Gemeinschaftseigentum dadurch aus, daß die Gemeinschaft dem Einzelnen das Recht versagt, andere von der Nutzung des Gemeinschaftsobjektes auszuschießen. Demgegenüber bedeutet Privateigentum, daß die Gemeinschaft das Recht des Einzelnen, Dritte von der Nutzung des Eigentumsobjektes auszuschließen, anerkennt. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Verteilung der Kosten, die mit der Nutzung der property rights entstehen. Im Falle von Gemeinschaftseigentum trägt die Gemeinschaft die Auswirkungen der Summe aller individuellen Handlungen, nicht aber der einzelne unmittelbar die Auswirkungen seiner eigenen Handlung. Demgegenüber treffen den Privateigentümer die Auswirkungen seines Handeins direkt. 37 Folglich bewirkt Privateigentum grundsätzlich eine stärkere Internalisierung der Kosten, die durch die Nutzung eines Objektes durch einen Berechtigten entstehen, als Gemeinschaftseigentum. Dies wiederum verändert die Anreizstruktur und damit das Verhalten der Berechtigten. Rechtsinhaber, die nicht nur die Vorteile aus der Nutzung von Sachen ziehen, sondern auch die gegenwärtigen und künftigen Kosten dieser Nutzung tragen, sind eher geneigt, die Kosten der Nutzung wie auch die Kosten alternativer Einkommensmöglichkeiten im Falle der Wertminderung der Sache durch Übernutzung in ihre Überlegungen mit einzubeziehen. Demgegenüber verlagern GemeinschaftseigentUmer die Kosten der Eigentumsnutzung auf künftige Generationen. Um jedenfalls einen Teil dieser Kosten auf

36

Demsetz. Some Aspects of Property Rights, S. 348.

Hierbei wird unterstellt, daß die Auswirkungen des Hande1ns nur den Eigenturnsgegenstand selbst betreffen. Andere Externalitäten, wie z.B. Luftverschmutzung werden nicht berücksichtigt. Dies stellt jedoch den Grundsatz nicht in Frage. denn das Kemproblem der Umweltschäden liegt gerade darin, daß Umweltfaktoren im "Gemeinschaftseigentum" stehen und letztlich niemand von der Nutzung ausgeschlossen oder an den Kosten der Nutzung direkt beteiligt wird. 37

70

III. Theoretische Grundlagen

den einzelnen abwälzen zu können. bedarf es durchsetzungsfähiger Regeln über die Nutzung von Sachen durch verschiedene Rechtsinhaber. Das Aufstellen und die Durchsetzung derartiger Regeln ist aber mit erheblichen Kosten verbunden und führt regelmäßig zu schwer lösbaren kollektiven Entscheidungsproblemen (sogenannte collective action problerns).38 Mit den Arbeiten von Coase. A1chian und Demsetz war die Grundlage für die Property Rights Theorie gelegt. Ihre wesentlichen Bausteine lassen sich wie folgt zusammenfassen: Eine der entscheidenden Rahmenbedingungen wirtschaftlichen HandeIns in einer Welt mit Transaktionskosten ist die Zuordnung von property rights. Die Art und Weise. in der diese Eigentumsrechte zugeordnet sind. verändert die Kosten wirtschaftlichen HandeIns und damit die Anreizstrukturen der Handelnden. Kosten. die mit der Nutzung von Sachen verbunden sind. werden stärker internalisiert. wenn diese den individuellen Verursachern unmittelbar zugeordnet werden.

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen Die Grundlagen der Property Rights Theorie sind. wie aus oben genannten Beispielen ersichtlich. anband einfacher Eigentumsbeziehungen an Sachen entwickelt worden. Die Erkenntnisse aus dieser Untersuchung lassen sich nicht einfach auf Eigentumsrechte an komplexen Organisationsformen. wie Unternehmen. übertragen. Dies folgt daraus. daß eine Vielzahl von Entscheidungsträgern am Unternehmen beteiligt sind. Hierzu zählen nicht nur Eigentümer. sondern auch Arbeitnehmer sowie das Unternehmensmanagement. Eine Unternehmenstheorie muß auch die Beziehung zwischen diesen verschiedenen Interessensgruppen und ihre Auswirkungen auf die Nutzung der Sachen bzw. Rechte. auf die sich deren property rights beziehen. mit einbeziehen.

a) Unternehmenstheorie

Sobald der Blick von sachenrechtlichen Beziehungen auf Eigentumsverhältnisse am Unternehmen gelenkt wird. stellt sich zunächst die grundlegende Frage. warum Unternehmen überhaupt existieren. Theoretisch wäre es durchaus denkbar. daß selbst komplizierte Produktionsabläufe allein auf der Basis bilateraler Verträge vonstatten gingen. Die Frage nach den wirtschaftlichen Gründen vertikaler Integration der Produktionsbeziehungen. d.h. die Frage nach der Ent-

38 Demsetz. Some Aspects of Property Rights. S. 355. Zu collective action problems siehe grundsätzlich Olson. The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups insbes. S. 53 ff.

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen

71

stehung von Unternehmen. hat sich zu einer der Kernfragen der Property Rights Theorie entwickelt. Die Ursprünge der Unternehmenstheorie liegen zeitlich vor der Begründung der Property Rights Theorie. Im Jahre 1937 hat wiederum Coase die Frage nach der Funktion des Unternehmens aufgeworfen. 39 Einen Erklärungsansatz für die Entstehung von Firmen sieht Coase in der Unsicherheit von Markttransaktionen. Diese Unsicherheitskosten würden durch eine hierarchischautoritäre Firmenorganisation vermindert. Während Markttransaktionen durch horizontale Beziehungen gekennzeichnet seien. ermöglichte die Unternehmensorganisation eine Konzentration der Entscheidungsgewalt in den Händen des Unternehmers. der über seine Mitarbeiter Autorität ausübt. Coase sieht in dieser Autoritätsfunktion den entscheidenden Vorteil der Unternehmensorganisation gegenüber horizontalen Vertragsverhältnissen. Die Betonung des Autoritätsprinzips ist indessen von anderer Seite in Frage gestellt worden. 4O Nach Alchian und Demsetz. den Hauptkritikern des Autoritätsprinzips als Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion im Unternehmen. reicht die Autorität des Firmenchefs nicht weiter als die Autorität eines Kunden gegenüber seinem Lieferanten: Sie beinhaltet lediglich die Möglichkeit. das Vertragsverhältnis zu beenden. Folglich bietet das Autoritätsprinzip keine hinreichende Erklärung für das Organisationsprinzip Unternehmen. Alchian und Demsetz bauen demgegenüber für die Begründung einer Firmentheorie auf ihren Vorarbeiten zur Property Rights Theorie auf. 41 Ausgangspunkt ist die Feststellung. daß gemeinschaftliche Produktion wirtschaftliche Vorteile hat. die auf den Synergieeffekten gemeinsamen Handeins beruhen. Zugleich bringt jede Form der Gruppenarbeit jedoch auch Nachteile mit sich: Mitglieder der Gruppe könnten versucht sein. aus dem Gemeinschaftsergebnis Vorteile zu schöpfen. ohne ihren eigenen Beitrag voll zu erbringen (sogenannte free rider). Diese Nachteile. die die aus der gemeinsamen Produktion erhofften Nutzen übersteigen können. könnten jedoch durch effektive Kontrollmechanismen aufgefangen werden. Allerdings ist damit erst ein erster Schritt zur Lösung des Problems unternommen. denn es stellt sich sodann die Frage nach der Kontrolle der Kontrolleure. Unter Bezugnahme auf die Property Rights Theorie argumentieren Alchian und Demsetz. daß derjenige. der die Residualrechte am Unternehmen erwirbt. ein Interesse daran hat. die erforderliche Kontrollfunktion auszuüben. da ihm die erhöhte Produktivität unmittelbar zugute kommt. Dabei werden Residualrechte als Rechte an Sachen und Gewinnen aus der gemeinsamen Produktion definiert. Eigentum bedeutet die Inhaberschaft der Resi-

39

Der Titel dieses bahnbrechenden Aufsatzes ist "The Nature of the Firm". Production, Information Costs, and Economic OrganiZalion. Ebenda, S. 781 ff.

40 AlchianIDemsetz, 41

72

III. Theoretische Grundlagen

dualrechte wie auch der Residualkosten. 42 Im Ergebnis sehen Alchian und Demsetz Firmen als "spezialisierte Märkte",43 die sich lediglich in der Intensität der Kontrolle durch den Unternehmenseigentümer von anderen Märkten unterscheiden. Interne Firmenbeziehungen bilden ein Netzwerk von Verträgen, die sich um den Unternehmenseigentümer gruppieren. Dieser ist Inhaber der Residualgüter der gemeinschaftlichen Produktion, hat das Recht verschiedene Verträge unabhängig voneinander neu zu verhandeln, und kann seine zentrale vertragliche Stellung veräußern. Mit diesem Ansatz haben Alchian und Demsetz den Boden für die Vertragstheorie vom Unternehmen bereitet. Die Vertragstheorie ist von Jensen und Meckling44 weiterentwickelt und deutlich von der Property Rights Theorie unterschieden worden. Jensen und Meckling bezeichnen das Unternehmen als einen "Nexus von Verträgen" und verabschieden sich von dem Versuch, das Unternehmen aus dem Gesichtspunkt der property rights erfassen zu wollen. Im Unterschied zu Alchian und Demsetz betonen sie, daß auch die Residualrechte teilbar und ohne weiteres veräußerbar sind. Der Unterschied zwischen dem Unternehmer als Zentralfigur im Netzwerk der Verträge und anderen Vertragspartnern sei folglich minimal. In den Augen Jensens und Mecklings vermittelt die zentrale Stellung des Unternehmers daher auch keine effektiveren Kontrollrechte. Sie argumentieren, daß bei komplexen Organisationen property rights nicht einheitlich zugeordnet sind, sondern auf verschiedene Risiko- und Entscheidungsträger aufgeteilt werden. Der Unternehmer begibt sich seiner zentralen Stellung aus Gründen der Diversifizierung und Risikominimierung. Er veräußert nicht nur einen Teil seiner Eigentumsrechte und gibt sich mit einer Minderheitsposition zufrieden, sondern verlagert darüber hinaus die eigentlichen Unternehmensentscheidungen auf Dritte. Hierdurch entstehen Kosten, die als agency costs oder Delegationskosten bezeichnet werden. 4s Diese Kosten bestehen im wesentlichen aus Überwachungskosten, Versicherungskosten und Resi-

42 Die Bedeutung der mit dem Eigentum verbundenen Kosten hat die Überlegungen von Coase maßgeblich bestimmt. Siehe Coase, The Problem of SociaI Cost, S. 114 ff. Dennoch wird in der property rights Diskussion dieser Aspekt in der Regel zugunsten eines rein an den Eigentumsrechten und den Nutzen von Eigentum orientierten Ansatzes vernachlässigt. 43 AlchianIDemsetz. Production, Information Costs, and Economic Organization, S. 794. 44 Jensen/Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure. 4S Kübler übersetzt agency costs mit Agenturkosten. Kübler, Aktienrechtsreform und Unternehmensverfassung, S. 144. Da dieser Begriff jedoch im Deutschen oft in anderem Zusammenhang verwendet wird (z.B. Werbeagentur), wird hier der Begriff der Delegationskosten vorgeschlagen.

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen

73

dualverlusten. 46 Überwachungskosten entstehen mit der notwendigen Kontrolle des Managements durch die Eigentümer. Versicherungskosten sind erhöhte Ausgaben zugunsten des Managements in der Fonn von Gehältern und anderen Vorteilen, um es zu Loyalität anzuhalten und damit die Überwachungskosten zu verringern. Residualverluste schließlich entstehen dadurch, daß die Entscheidungen des Managements zwangsläufig von den Vorstellungen der Eigentümer abweichen, wodurch die Eigentümer Verluste erleiden. Die Vertreter der Vertragstheorie sehen in unternehmensinternen Organisationen, wie den Organen der Aktiengesellschaft, Mechanismen, die diese agency costs begrenzen. 41 Die eigentliche Kontrollfunktion über die Handlungsweise der Akteure in dem Netzwerk der Verträge wird nach dieser Auffassung nicht durch Träger von Residualrechten, sondern durch Wettbewerb auf dem Produkt-, Kapital- sowie dem Arbeitsmarkt für Führungskräfte ausgeübt. In ihrer letzten Konsequenz stellt die Vertragstheorie das Konzept des Eigentums am Unternehmen in Frage. Das Unternehmen ist danach nichts weiter als ein Bündel an Verträgen, die die Art und Weise regeln, in der Rohprodukte verbunden werden, um Endprodukte zu produzieren, und in der die Gewinne aus diesen Endprodukten zwischen den Lieferanten der Rohprodukte verteilt werden. Die Vertragstheorie hat vor allem unter den Anhängern der ökonomischen Rechtsanalyse (economic analysis of law) weite Verbreitung gefunden. 48 Sie ist jedoch auch auf erhebliche Kritik gestoßen. Hauptkritikpunkt ist, daß die Vertragstheorie das eigentliche Problem der Finnentheorie, nämlich warum Unternehmen überhaupt bestehen, nicht löst. Sind Firmen nichts anderes als ein Bündel von Verträgen, so könnte der gesamte Produktionsablauf ebenso gut unter Verzicht auf vertikale Integration durch den Markt geregelt werden. 49

46 JensenJMeckling, Theory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure, S. 308. 41 Siehe Fama/Jensen, Agency Problems and Residual Claims. Fama und lengen unterteilen den Entscheidungsprozeß in zwei Gruppen, nämlich Entscheidungsmanagement, zu dem die Initiierung und Umsetzung einer Entscheidung zählt, und Entscheidungskontrolle, wozu die Ratifikation (wichtiger) Entscheidung sowie die Überwachung der Umsetzung der getroffenen Entscheidung gehört. In dieser Trennung des Entscheidungsprozesses, die nach Fama und Jensen in allen komplexen Organisationsformen zu finden ist, wird eine erhebliche Reduzierung der agency costs gesehen. 48EasterbrookiFischel, The Economic Structure of Corporate Law insbes. Kapitel 1; Posner, Economic Analysis of Law, S. 393 ff. Siehe auch Schäfer/Olt, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, TeilS, Unternehmensrecht, S. 521 ff. 49 Hart, An Economist's Perspective on the Theory of the Firm; sowie Schneider, Ökonomische Theorie der Unternehmung, S. 4/5. Kritisch auch Holmstrom/firole, The Theory of the Firm, S. 79 ff.

74

1II. Theoretische Grundlagen

Lösungsansätze für dieses Problem sind wiederum unter Bezugnahme auf die Property Rights Theorie entwickelt worden. 50 Grossman und Hart haben als erste die Dualität von property rights am Unternehmen erkannt. Sie unterscheiden deutlich zwischen Verfligungs- und Kontrollrechten über Sachen und Rechte auf der einen Seite und Vermögensrechten auf der anderen Seite. 51 Während Vermögensrechte wie Jensen und Meckling dargelegt haben,52 in der Tat vertraglich weitgehend aufgeteilt und verschiedenen Rechtsträgern zugeordnet werden können, vermitteln Kontroll- und Verfügungsrechte eine ultima-ratio Entscheidungsgewalt, die Auswirkungen auf wirtschaftliches Handeln hat. Der Grund hierfür liegt darin, daß Verträge notwendigerweise unvollständig sind. Es ist unmöglich, bzw. zu kostenträchtig, alle denkbaren Verfügungen über einen Gegenstand ex ante zu definieren und vertraglich festzulegen. 53 Daher verbleibt selbst nach umfangreichen vertraglichen Vereinbarungen betreffend der Nutzung eines Gegenstandes ein Kern von Residualrechten, die nicht vertraglich festgelegt sind. Diese Rechte stehen demjenigen zu, der physische Kontrolle über diesen Gegenstand hat. Somit ist selbst für die Zuordnung von Vermögensrechten letztlich die sachenrechtliche Beziehung zwischen Eigentümer und Eigentumsobjekt von Bedeutung. Die Konzentration von Kontroll- und Vermögensrechten durch vertikale Integration, d.h. die Zusammenführung der verschiedenen property rights in den Händen eines Eigentümers, vermindert die Unsicherheitskosten, die sich aus der Unvollständigkeit von Verträgen ergeben. Hierin liegt das Wesen vertikaler Integration und damit die Erkärung für die Existenz von Firmen. Stehen verschiedene Gegenstände oder Rechte, die für die Produktion von Wirtschaftsgütern notwendig sind, im Eigentum verschiedener Parteien, so zeigt sich, daß die Art und Weise, in der die Residualrechte zwischen den Beteiligten verteilt sind, Auswirkungen auf die Kosten der gemeinschaftlichen Produktion hat. Dabei ist zu beachten, daß diese Kosten nicht lediglich ex post entstehen, sondern daß sie bereits die Investitionsentscheidungen, die ex ante getroffen werden, beeinflussen. Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden. 54 Schließen ein Verleger und ein Drucker einen Vertrag, in dem sie sich gegenseitig verpflichten, eine so Für eine detaillierte Analyse der Lücken, die weder die Vertrags- noch die Transaktionskostentheorie, wohl aber die Property Rights Theorie schließt, siehe Hart, An Econornist's Perspective on the Theory of the Finn. Für einen kürzeren Überblick siehe auch Hart, Corporate Govemance: Some Theory and Implications, Kapitel 1 und 2. SI GrossmaniHart, The Costs and Benefits of Ownership: A Theory of Vertical and Lateral Integration. 52 JenseniMeckling, Theory of the Finn: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure, S. 309 ff. 53 Siehe GrossmaniHart, ebenda. S. 691 f. 54 Ebenda. S. 710 f.

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen

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bestimmte Zahl von Druckwerken auf einer Anzahl "N" von Druckmaschinen über einen bestimmten Zeitraum fertigzustellen, stellt sich aber nach Abschluß des Vertrages heraus, daß der Einsatz einer weiteren Druckmaschine für beide Parteien gemeinsam erheblich effizienter wäre, so zeigt sich, daß der Umstand, daß der Drucker über die Druckmaschine verfügt, von entscheidender Bedeutung ist. Ihm wird es im Zweifel gelingen, in den folgenden Vertragsverhandlungen seinen Vorteil, der in der Verfügungsmacht über die Druckmaschine liegt, zur Geltung zu bringen. Dies gilt selbst dann, wenn dies die Gesamtkosten der Produktion erhöht. Diese Verteilung der Verfligungsmacht wird bereits bei den ursprünglichen Vertrags verhandlungen berücksichtigt. Ein Verleger, dessen Verhandlungsposition bei Abschluß des Folgevertrages schwächer sein wird, wird weniger als das aus ökonomischer Sicht Optimale investieren. Dies folgt daraus, daß er ein höheres Risiko eingeht, aus seiner Investition keinen wirtschaftlichen Erfolg ziehen zu können. Denn weigert sich der andere Vertragspartner später seinen Beitrag zu erhöhen, so mindern sich aufgrund der höheren Produktionskosten seine Nutzen aus der gemeinschaftlichen Produktion. Der Eigentümer der Druckmaschinen wird demgegenüber aufgrund seiner absehbaren starken Verhandlungsposition im Zeitpunkt des Folgevertrages zur Überinvestition neigen, da ihm die Letztentscheidung über weitere Investitionen zufällt. Dieses unterschiedliche Investitionsverhalten wird sich auch dann durchsetzen, wenn der Produktionsvorgang integriert wird und eine der Parteien über beide Produktionsmittel verfügt. Verfügt beispielsweise der Verleger auch über die Druckmaschinen, wird er diese flexibel nach Bedarf einsetzen oder aber funktionslos lassen, um sein Druckwerk fertigzustellen. Er wird dies selbst dann tun, wenn die Druckmaschinen anderweitig besser genutzt werden könnten. Umgekehrt, verfügt der Drucker auch über die Produktionsmittel des Verlegers, so wird er die Produktionserweiterung der Verlagserzeugnisse im Hinblick auf seine Druckkapazität bestimmen. Beide Varianten, d.h. die Kontrolle des Druckers über den Verlagsbetrieb, aber auch die Kontrolle des Verlegers über den Druckbetrieb, können sich als wirtschaftlich ineffiezient erweisen, da beide Varianten die Möglichkeit nahe legen, daß die Produktionsmittel nicht optimal genutzt werden. Die Frage ist, welche der bei den Kontrollvarianten bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtungsweise das bessere Resultat erbringt. Dies hängt nach dem Modell Grossmans und Harts davon ob, wessen ex ante Investition von größerer Bedeutung für das Gemeinschaftsprodukt ist. Sind beide von gleich großer Bedeutung, so ist Nichtintegration (oder gar Firmenspaltung) das wirtschaftlich effiziente Ergebnis. Ist jedoch der Beitrag beispielsweise des Druckers von größerer Bedeutung und muß er höhere spezifische Investitionen für die Herstellung des Endresultates erbringen, so sollten ihm aus wirtschaftlicher Sicht die Residualrechte auch an dem Verlag zustehen. Interessanterweise lassen Grossman und Hart bei dieser Folgerung eine der Grundannahmen des Coase Theorems fallen. Während das Coase Theorem po-

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III. Theoretische Grundlagen

stuliert, daß ex post Verhandlungen zu effizienten Ergebnissen unabhängig von der ex ante Verteilung der Verfügungsrechte führen, folgern Grossman und Hart, daß die ex ante Effizienz der Beziehung zwischen den Parteien davon abhängt, wie die residualen Kontrollrechte zwischen ihnen verteilt sind. 55 Auch wenn es Grossmann und Hart gelungen ist, den Ursprung vertikaler Integration auf die Verteilung von Eigentumsrechten an Produktionsmitteln zurückzuführen, war damit noch nicht die Bedeutung von Eigentum an der Sachgesamtheit Unternehmen erfaßt. Wie das genannte Beispiel verdeutlicht, bezog sich die Analyse auf Situationen, in denen zwei Alleinunternehmern die Verfügungsbefugnis über Produktionsmittel zustanden. Es ging lediglich um die Frage, ob aus ökonomischer Sicht eine Verschmelzung dieser beiden Firmen sinnvoll ist oder nicht. Die Frage, wie propery rights in komplexeren Organisationen, bei denen es neben dem Unternehmer Angestellte oder sogar weitere Inhaber von Residualrechten gibt, verteilt werden sollen, blieb bei dieser Analyse unbeantwortet. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten haben Hart und Moore56 das Verhältnis von Eigentumsstruktur und Firmenorganisation weiterentwickelt. Mit Hilfe eines erweiterten formalen Modells werden eine Reihe von Problemen, die die Property Rights Theorie aufgeworfen, jedoch bis dato nicht gelöst hatte, angegangen. Der entscheidend neue Aspekt dieses Modells ist, daß relativ komplexe Kontrollstrukturen unter Einbeziehung von Arbeitnehmern, Mitgesellschaftern in einer Personengesellschaft sowie Mitgliedern einer Kooperative (Genossenschaft) modelltheoretisch erstmals erfaßt werden. Im Anschluß an Grossman und Hart unterscheiden Hart und Moore Rechte an Sachen von Rechten an Vermögen. Verfügungsrechte über Sachen beeinflussen nicht nur das Investitionsverhalten des Eigentümers. Sie bilden vielmehr die entscheidende Grundlage für die Autorität des Eigentümers über die an der Produktion beteiligten Menschen, seien es Arbeitnehmer oder Mitglieder einer Genossenschaft. Dies folgt daraus, daß die Verfügungsmacht über Residualrechte an den Produktionsmitteln entscheidende Auswirkungen auf die Zukunft der Mitarbeiter hat, was wiederum deren Verhalten ex ante verändert. Mit diesem Argument wird zugleich die Diskussion zwischen Coase auf der einen Seite und Alchian und Demsetz auf der anderen Seite über die Bedeutung und Grundlage firmeninterner Autorität geklärt. Die eigentliche Grundlage der Autorität des Unternehmers liegt danach in der Verfügungsrnacht über Produktionsmittel. 57 55 Ebenda, S. 718. 56 Hart/Moore, Property Rights and the Nature of the Finn. 57Letztlich ist damit von den Vertretern der Property Rights Theorie modelltheoretisch nachgewiesen worden, was Karl Marx bereits vor über 100 Jahren postuliert hat, daß nämlich das Eigentum über Produktionsmittel entscheidend fIlr wirtschaftliche (und politische) Macht ist.

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen

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Das erklärt zugleich den Unterschied zwischen der Autorität eines Kunden über seine Lieferanten und der des Unternehmenseigentümers über seine Arbeitnehmer. Ausdruck der Autorität ist in beiden Fällen die Kündigung des Vertragsverhältnisses. Im Unterschied zu Lieferanten, die eine Vielzahl von letztlich austauschbaren Kunden versorgen, machen Arbeitnehmer jedoch unternehmensspezifische Investitionen. Ihre potentiellen Einbußen bei Verlust des Arbeitsplatzes sind daher erheblich höher als die der Lieferanten. Während letztere ihre Produkte an neue Kunden absetzen können, müssen Arbeitnehmer in der Regel erneut unternehmensspezifische Investitionen tätigen, bzw. laufen in Gefahr, ihre Arbeitskraft nicht bzw. nicht zu vergleichbaren Preisen vermarkten zu können. Eine wirtschaftlich "optimale" Eigentumsstruktur bestimmt sich nach der Bedeutung des Beitrages des einzelnen für die Gemeinschaftsproduktion, der Anzahl der Beteiligten, sowie den Komplementärbeziehungen zwischen den jeweils beigesteuerten Produktionsfaktoren. Vertikale Integration, d.h. die eigentumsrechtliche Kontrolle eines komplexen Produktionsprozesses bringt dann mehr Vor- als Nachteile, wenn die Produktionsmittel stark komplementär sind. Für eine Verschmelzung zweier bis dato unabhängiger Unternehmen spricht, wenn der Akquisiteur von größerer Wichtigkeit für die gemeinschaftliche Produktion ist als der bisherige Eigentümer des nunmehr untergeordneten Unternehmens.

b) Anwendung der Unternehmenstheorie auf Aktiengesellschaften

Trotz der entscheidenden Fortschritte, die die Firmentheorie gemacht hat, ist das Phänomen komplexer Unternehmen, insbesondere der Aktiengesellschaft, nach wie vor nicht hinreichend erfaßt. Hart und Moore beschränken sich in ihrem Modell auf einfache Organisationen wie Einmannunternehmen mit Angestellten oder Genossenschaften. Sie stellen selbst ausdrücklich klar, daß ihr Modell nicht ohne weiteres auf komplexere Organisationsformen wie die Aktiengesellschaft übertragen werden kann, die durch die Delegation von Kontrollrechten und die Errichtung interner Kontrollstrukturen gekennzeichnet ist. s8 S8 Hart/Moore, Property Rights and the Nature of the Firm, S. 1152 f.; Hart, Corporate Govemance: Some Theory and Implications, untersucht jedoch die optimale Kapital struktur öffentlich gehandelter Aktiengesellschaften, siehe Kapitel 6, S. 126 ff. Er beruft sich dabei weitgehend auf die Property Rights Theorie. So geht Hart von der Feststellung aus, daß es in Aktiengesellschaften mit einer Vielzahl von Aktionären vor allem darum geht, die Mißbrauchsmöglichkeiten des Unternehmensmanagements zu begrenzen. Dies kann jedenfalls zum Teil dadurch erreicht werden, daß das Unternehmen Kapital in der Form von langfristigen Krediten anstelle von Aktien aufnimmt. Für die vorliegende Arbeit, die die Rolle von IPFs als Unternehmenseigentümer zum Gegenstand hat, ist dieser Ansatz jedoch von geringerer Bedeutung.

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III. Theoretische Grundlagen

Auch Jensen und Meckling betonen, daß die von ihnen entwickelte Vertragstheorie, die die Beziehungen zwischen Investoren. Managern. Kreditgebern, Arbeitnehmern, Lieferanten und anderen am Produktionsprozeß mittelbar Beteiligten als ein Netzwerk von Verträgen erklärt. nicht unmittelbar auf große Aktiengesellschaften mit weit verbreiteten und frei gehandelten Aktien übertragbar ist. S9 Auf den ersten Blick erscheint die Vertragstheorie das überzeugendere Erklärungsmodell für die Organisationsform Aktiengesellschaft zu bieten. Überträgt man die Grundzüge dieser Theorie auf die Aktiengesellschaft, so ergibt sich folgendes Bild: Im Mittelpunkt des Unternehmens steht der Aktionär als nunmehr diversifizierter Unternehmer. Durch die Trennung von Eigentum und Kontrolle entstehen ihm Kosten, die sogenannten "agency costs". Diese Kosten werden durch eine Kombination von unternehmens internen Institutionen (den Organen der Gesellschaft) und externen Marktkräften (Aktienmarkt, Arbeitsmarkt für Führungskräfte sowie Produktmärkte) reduziert. Das Führungspersonal des Unternehmens operiert in diesem Modell nicht primär unter dem direkten Druck des Unternehmenseigentümers - wie Moore und Hart für einfache Unternehmen postulieren -, sondern unter dem mittelbaren Druck von Marktkräften, die es dazu veranlassen, sich weitgehend den Wünschen der Aktionäre entsprechend zu verhalten. Zu Recht kritisiert Coffee jedoch, daß dieses Bild dem tatsächlichen Verhältnis zwischen Aktionären und Management nicht gerecht wird. 60 Als entscheidenden Unterschied für das jeweilige Rollenverhalten von Unternehmensmanagement einerseits und Anteilsinhabern andererseits hebt er deren unterschiedliche Risikoposition hervor. 61 Wie von den Vertretern der Vertragstheorie selbst betont, hat der typische Aktionär in einer großen Aktiengesellschaft mit relativ niedriger Aktienkonzentration sein Investitionsrisiko diversifiziert und ist deshalb in Bezug auf ein konkretes Investitionsobjekt im wesentlichen risikoneutral. Die Vertragstheorie ignoriert jedoch die besondere Risikosituation des Managements. So investiert die Managerin (Vorstands vorsitzende) eines Unternehmens regelmäßig überproporzional in ihr Unternehmen. Sie hat lediglich einen Beruf. Darüber hinaus verstärken Zuwendungen des Unternehmens, wie Optionsrechte oder Sachleistungen, ihre Neigung, ihre Zukunft an die des Unternehmens zu binden. Dieses Verhältnis kann über lange Zeit in einem Gleichgewichtszustand sein, während eine Allianz zwischen Management und

S9 JensenIMeclding. Theory of the Firm: Managerial Behaviour. Agency Costs and Ownership Structure. S. 356. 60 Coffee. Shareholders Versus Managers: The Strain in the Corporate Web. S. 92 ff. Siehe auch Coffee. Unstable Coalitions: Corporate Govemance as a Multi-player Garne,

S.1496. 61 Coffee. ebenrla, S. 100 ff.

4. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Unternehmen

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Aktionären besteht. Es wird jedoch gefahrdet oder zerstört, wenn ein Eigentumswechsel bevorsteht oder vollzogen wird. Aufgrund des erhöhten Risikos, dem die Managerin im Vergleich zu Aktionären ausgesetzt ist, hat sie ein Interesse daran, ihre Position zu halten und eine tiefgreifende Änderung der Aktienverteilung abzuwenden. Mit diesem erhöhten Risiko lassen sich auch andere Verhaltensweisen des Unternehmensmanagements weit vor einer direkten Gefährdung ihrer Positionen erklären, wie etwa der Hang zur Vergrößerung des Unternehmens und der eigenen Einflußsphäre sowie ein gewisser Konservativismus gegenüber wesentlichen Neuerungen in der Unternehmensorganisation. 62 Die entscheidende Frage ist, woraus sich diese unterschiedliche Risikoposition der Aktionäre einerseits und des Unternehmensmanagements andererseits ergibt. Coffee bemüht ein Modell impliziter Verträge zwischen Management und Unternehmen, die einseitig aufgekündigt werden können und damit die Partei, die auf den Bestand der Verträge vertraut, einem erheblichen Risiko aussetzt. 63 Dieses Modell beschreibt die unterschiedliche Risikoposition von Unternehmensmanagement und Aktionären, gibt jedoch keine Erklärung dafür, woraus diese unterschiedliche Risikoposition resultiert. Allein die Berufung darauf, daß Aktionäre sich diversifizieren können, während das Unternehmensmanagement wie auch die Arbeitnehmer und Angestellten des Unternehmens unterdivisifiziert sind, bleibt unbefriedigend. Die Risikoposition von Unternehmensmanagement einerseits und Aktionären andererseits unterscheidet sich nämlich selbst dann, wenn auch die Unternehmenseigentümer unterdiversifiziert sind, wie dies beispielsweise bei Aktionären mit umfangreichen Anteilen (Großaktionäre) der Fall ist. Demgegenüber läßt sich mit Hilfe der Property Rights Theorie die unterschiedliche Risikoposition von Management und Aktionären durchaus erklären. Sie beruht darauf, daß die Verfügungsgewalt über das Unternehmen als Ganzes den Aktionären zusteht. Dies ist die Ursache dafür, daß die impliziten Verträge zwischen Managern und Anteilseignern einseitig zum Nachteil des Unternehmensmanagements aufgekündigt werden können. Eine Verabschiedung von der Property Rights Theorie für theoretische Erfassung der Aktiengesellschaft, wie sie von den Vertretern der Vertragstheorie vorgenommen wird, erscheint somit voreilig.

62 Siehe auch Coffee Coffee. Shareholders Versus Managers: The Strain in the Corporate Web. S. 84 f.. 87 f. 63 Coffee. Shareholders Versus Managers: The Strain in the Corporate Web, S. 85. Coffee folgert aus seiner Analyse. daß die Publikumsgesellschaft verstanden werden müsse "as an imperfect and unstable risk-sharing arrangement between managers, employees, and shareholders....., ebenda, S. Il3.

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111 Theoretische Grundlagen

Das Verhältnis zwischen Aktionären und Management weist somit ähnliche Züge auf wie das von Hart und Moore analysierte Verhältnis zwischen Firmeneigentümer und Arbeitnehmern. Nach Hart und Moore liegt der Grund für die stärkere Position des Unternehmers in seiner Verfügungs gewalt über Sachen, insbesondere Produktionsmittel. Die Aktionäre üben keine direkte Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel aus. Die Stärke ihrer Position folgt daraus, daß sie über das Unternehmen als Ganzes verfügen können. Ob diese Verfügungsgewalt mehr ist als ein nominales Recht, hängt davon ab, ob Aktionäre die Möglichkeit haben, ihre Verfügungsrechte auch zu realisieren. Je nach Ausgestaltung der Rechte der Anteilseigner sowie dem Zustand des Kapitalmarktes kann sich das Recht, über das Unternehmen als Ganzes zu verfügen, als effektives Kontrollmittel oder aber als stumpfes Schwert erweisen. Entscheidend ist daher, ob die in den Eigentumsrechten am Unternehmen liegende implizite Ankündigung, von diesem Recht Gebrauch zu machen, glaubhaft gemacht werden kann. Bei komplexen Eigentumsverhältnissen, wie sie insbesondere bei der Aktiengesellschaft vorzufinden sind, erweist sich somit, daß der Rechtsordnung, deren Bedeutung schon Coase für die Zuordnung von Haftungspflichten betont hat, eine außerordentlich wichtige Rolle zukommt.

5. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Eigentumssubjekte Im Zentrum der Property Rights Theorie steht das Eigentumsobjekt. Diejenigen, die die Residualrechte an dem Eigentumsobjekt innehaben, sind die Inhaber der property rights, deren Eigentümer. Mit diesem Blickwinkel, der von den Eigentumsobjekten ausgeht und von ihnen auf die Eigentumssubjekte schließt, wird der Blick auf die Identität der Eigentumssubjekte selbst verstellt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß Sachen oder Sachgesamtheiten durchaus im Eigentum sehr unterschiedlicher Eigentumssubjekte stehen können. Das tatsächliche Erscheinungsbild der Eigentumsstrukturen von Unternehmen ist somit wesentlich komplexer, als von den Vertretern der Property Rights Theorie gemeinhin angenommen. Insbesondere ist Unternehmenseigentum nicht nur auf diejenigen beschränkt, die wesentliche Produktionsmittel beisteuern. Vielmehr gibt es in vielen Marktwirtschaften Unternehmen, die im Mehrheitseigentum ihrer Rohstofflieferanten, Abnehmer oder auch Arbeitnehmer stehen. Dies wirft die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen verschiedene Eigentumssubjekte property rights an Unternehmen erwerben. Hansmann hat sich dieser Frage in einer umfassenden Untersuchung über das Eigentum an Unternehmen angenommen. 64 Dabei baut er im wesentlichen auf die Property Rights Theorie so-

64

Hansmann. The Ownership of Enterprise. S. 20 ff.

5. Anwendbarkeit der Property Rights Theorie auf Eigentumssubjekte

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wie auf die auf Coase zurückgehende und von Williamson entwickelte Transaktionskostenökonomie auf. Nach der Transaktionsökonomie sind mit dem Austausch von Wirtschaftsgütern notwendigerweise Kosten verbunden. Eine ihrer wesentlichen Betätigungsfelder ist die Frage, welche institutionellen Rahmenbedingungen geeignet sind, Transaktionskosten weitestgehend zu minimieren. Hansmann kombiniert diesen Transaktionskostenansatz mit der Propety Rights Theorie und fragt, welches die kostengünstigste Zuordnung von property rights auf verschiedene Eigentumssubjekte ist. Eine wirtschaftlich effiziente Zuordnung von property rights ist diejenige, welche unter Berücksichtigung des Gegenstandes der gemeinschaftlichen Produktion geeignet ist, die Transaktionskosten zwischen dem Unternehmen auf der einen Seite, und den an dem Unternehmen direkt oder indirekt Interessierten, den sogenannten "patrons" des Unternehmens, auf der anderen Seite, zu minimieren. Dabei ist zu bedenken, daß Eigentum selbst mit Kosten verbunden ist, insbesondere mit Überwachungskosten. Darüber hinaus hat die Zuordnung von property rights auf eine bestimmte Gruppe von patrons Auswirkungen auf die Transaktionskosten anderer patrons, die nicht Inhaber der property rights sind. Eine effiziente Zuordnung von property rights setzt daher voraus, daß die Summe aller Kosten, die durch Transaktionen des Unternehmens mit seinen patrons entstehen, minimiert werden. 6s

Für die vorliegende Arbeit ist dieser Ansatz von Bedeutung, da er den Blick von den Eigentumsobjekten auf die Eigentumssubjekte wendet. Damit wird anerkannt, daß nicht nur die Art und Weise der Verteilung der property rights erheblich ist, sondern daß auch die Zuordnung dieser Rechte auf bestimmte Gruppen von Eigentümern Beachtung verdient. Hansmann analysiert in seiner Untersuchung verschiedene Eigentümer, die sich voneinander durch ihre Beziehung zum Unternehmen unterscheiden. Potentielle Eigentümer sind als Kapitalgeber, Arbeitnehmer, Rohstofftieferanten oder Konsumenten patrons des Unternehmens. Je nach Gegenstand und Größe des Unternehmens kann sich die Verteilung von property rights auf die eine oder andere Gruppe von patrons als wirtschaftlich vorteilhaft erweisen. Allerdings differenziert Hansmann nicht zwischen verschiedenen Typen von Eigentümern, die einer Kategorie der patrons angehören. Dabei weist insbesondere die Gruppe der Kapitalgeber in der Praxis deutlich unterschiedliche Typen von Eigentürmern auf. Sie erstreckt sich von individuellen Kleinanlegern über Unternehmen bis hin zu den institutionellen Investoren. Die corporate governance Literatur hat in jüngster Zeit die Verschiebung der Eigentumsstruktur

6S "The least-cost assignment of ownership is therefore that which minimizes the sum of all of the costs of a firm' s transactions. That is, it minimizes the sum of (1) the costs of market contracting for those dasses of patrons that are not owners and (2) the costs of ownership for the dass of patrons who own the firm." Hansmann. ebenda, S. 22. 6 Pistor

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111. Theoretische Grundlagen

in entwickelten Marktwirtschaften zugunsten institutioneller Investoren festgestellt. 66 Im Hinblick auf die Rolle, die institutionellen Investoren in der Massenprivatisierung zugeordnet wurde, ist diese Frage für den Transformationsprozeß von besonderer Bedeutung. In dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die Property Rights Theorie auch auf die Subjekte von property rights anzuwenden und hieraus Schlüsse auf deren Verhalten als Unternehmenseigentümer abzuleiten. Eine Anwendung der Property Rights Theorie auf die Subjekte von Eigentumsrechten liegt im Grunde genommen nahe. Geht man nämlich davon aus, daß die Art und Weise der Zuordnung von Eigentumsrechten die Nutzung einer Sache oder eines Rechtes beeinflußt, so ist es nur konsequent, diesen Grundsatz auch auf die Inhaber von property rights selbst anzuwenden. Die Property Rights Theorie steht einem solchen Vornehmen somit nicht entgegen. Die Tatsache, daß ihre Hauptvertreter sich zu einer Anwendung dieser Theorie auf die Eigentumssubjekte bisher nicht entschlossen haben, scheint vor allem daran zu liegen, daß zur Vereinfachung formaler Modelle grundsätzlich von einfach strukturierten Eigentumsverhältnissen ausgegangen wird. Tatsächlich sind bestehende property rights Strukturen wesentlich komplexer. So sind die Inhaber von property rights an Unternehmen oftmals keine Einzelpersonen, sondern selbst rechtliche Organisationen verschiedenster Art (wie z.B. eine Aktiengesellschaft oder GmbH) mit einer Vielzahl von property rights Inhabern, die ihrerseits wiederum komplexe rechtliche Organisationen darstellen können. Eine eingehende Analyse der Eigentümer und der Auswirkungen des Verhaltens verschiedener Eigentumssubjekte auf Unternehmen ist gerade im Hinblick auf die Reformbemühungen der ehemals sozialistischen Länder von Bedeutung. Wie in Kapitel II dargestellt, haben die Privatisierungsprogramme in den jeweiligen Ländern unterschiedliche Eigentümer begünstigt. Wenn die Identität der Eigentümer für den Erfolg bzw. Mißerfolg der Privatisierung jedenfalls mitverantwortlich ist, so scheint es daher erforderlich, die Eigentümer selbst einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. 67

66 Zusammenfassend für die USA siehe HawleylWilliams, Corporate Govemance in the United States: The Rise of Fiduciary Capitalism. Siehe auch HoptiBaum, Börsenrechtsreform in Deutschland, S. 293 für einen Vergleich des Aktienbesitzes institutioneller Investoren bei börsennotierten Unternehmen in Deutschland, den Vereinigten Staaten, Japan, Frankreich und Großbritannien. 67 Für erste empirische Versuche, einen Zusammenhang zwischen der Identität der Eigentümer und der Fähigkeit privatisierter Unternehmen, sich den neuen Wirtschaftsbedingungen anzupassen siehe FrydmaniGray/HessellRapaczynksi, Private Ownership and Corporate Performance: Evidence from Transition Economies fllr Tschechien, Ungarn und Polen; sowie EarlelEstrin, After Voucher Privatization: The Structure of Corporate Ownership in Russian Manufacturing für Rußland. Beiden Untersuchungen liegen Daten aus dem Jahre 1994 zugrunde. Späteres Datenmaterial liegt bisher nicht vor.

6. Zusammenfassung

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6. Zusammenfassung Ein Vergleich alternativer ökonomischer Theorien, die sich mit rechtlichen und anderen Institutionen befassen, hat ergeben, daß für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit die Property Rights Theorie den erfolgversprechensten Ansatz bietet. Gegenüber der generellen Institutionenökonomie aber auch der Transaktionskostenökonomie bietet sie den Vorteil, daß sie sich explizit mit dem Problem der Unternehmen und der angemessenen Verteilung von Rechten am Unternehmen befaßt. Gegenüber der Vertragstheorie zeichnet sie sich durch eine umfassendere Erklärung des Phänomens des Unternehmens aus. Allerdings wurden auch auf die Schwächen der Property Rights Theorie hingewiesen. Hierzu gehört, daß die Property Rights Theorie bisher lediglich an relativ einfach strukturierten Eigentumsverhältnissen entwickelt worden ist und daher ihre Übertragbarkeit auf Aktiengesellschaften fraglich erscheint. Dem wird im folgenden Kapitel nachgegangen. In engem Zusammenhang damit steht der Umstand, daß die Property Rights Theorie das Problem der Eigentumsstruktur der Subjekte von property rights weitgehend vernachlässigt hat. Diesem Problem ist Kapitel VII. gewidmet.

6'

IV. Die Rechte der Aktionäre· eine Property Rights Analyse Auf der Grundlage der Property Rights Theorie soll in diesem Kapitel eine rechtsökonomische Analyse der Rechte der Aktionäre vorgenommen werden. Dem liegen die folgenden Erwägungen zugrunde. Vor der Durchführung der Privatisierung wurden die betreffenden Unternehmen in Rußland und Tschechien in Aktiengesellschaften umgewandelt. Diese Umwandlung sollte eine Reihe von Funktionen erfüllen. Zunächst sollten die zu privatisierenden Unternehmen rechtlich eindeutig von staatlichen Stellen sowie Unternehmen, die in staatlicher Hand verblieben, unterschieden werden. Darüber hinaus erhoffte man sich, daß die in dem Aktienrecht angelegte Binnenorganisation der Gesellschaft sich positiv auf die Unternehmensführung auswirken und zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Effizienz beitragen würde. Die Umwandlung der staatseigenen Betriebe in Aktiengesellschaften sollte daneben deren Verkauf vereinfachen. Im Vergleich zu anderen Gesellschaftsformen erleichtert die Aktiengesellschaft den Verkauf von Anteilen, da die Unternehmensanteile in Aktien verbrieft sind und leicht auf die Erwerber übertragen werden können. Schließlich erhoffte man sich von der einfachen Übertragbarkeit der Unternehmensanteile die beschleunigte Entwicklung eines Kapitalmarktes, der zu Neuverteilungen von Unternehmensanteilen und damit zur Vertiefung der Eigentumsreform auf dem Marktwege beitragen sollte.

1. Property Rights Theorie und Aktienrecht Der hier vorgeschlagenen ökonomischen Analyse der Aktionärsrechte unter dem Gesichtspunkt der Property Rights Theorie könnte entgegengehalten werden, daß sie einseitig eine individualistische Auffassung der Aktiengesellschaft vertritt, die den Aktionär als Inhaber der property rights am Unternehmen in den Mittelpunkt der Untersuchung rückt. Dies steht in deutlichem Widerspruch zu der vor allem in Deutschland noch herrschenden Auffassung, die die Aktiengesellschaft als Verband mit überindividueller Zielsetzung versteht. I Dieser Verband beruht auf einer Mitgliedschaft, der drei wesentliche Elemente zueigen sind: (1) ein Zusammenschluß von Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks; (2) eine Organisation zur Bildung rechtserheblicher Entschlüsse;

I

Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht. S. 141 mwN.

I. Property Rigths Theorie und Aktienrecht

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(3) ein Sondervermögen zur Sicherung dieser Zweckgemeinschaft. 2 Die Grundsätze der auf Verbandszugehörigkeit beruhenden Mitgliedschaft finden nicht lediglich auf Personengesellschaften Anwendung, sondern werden als formübergreifendes Prinzip der privatrechtlichen Gesellschaft interpretiert. 3 Aus der Mitgliedschaft lassen sich Rechte und Pflichten des Aktionärs ableiten. Zu den wesentlichen Pflichten gehören die Beitrags- sowie die Treuepflichten, wobei letztere sowohl Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft, gegenüber Mitgesellschaftern, wie auch gegenüber Dritten umfassen. 4 Daneben hat es in der Literatur Bestrebungen gegeben, die Rechtsstellung des Aktionärs anhand genereller Wertungsprinzipien zu erklären. ·Hauptvertreter dieser Richtung ist Wiedemann.s Zu diesen Wertungsprinzipien gehören nach Wiedemann der Individualschutz, der Minderheitenschutz sowie der Kapitalanlegerschutz. Individualschutz und Minderheitenschutz werden aus rechtsethischen Überlegungen abgeleitet, während der Kapitalanlegerschutz vor allem funktional verstanden wird. 6 Der Individualschutz besteht zunächst aus den allgemein anerkannten Mitverwaltungs-, Vermögens- und Kontrollrechten. Darüber hinaus erkennt Wiedeman das Recht, aus dem Verband auszutreten, als individuelles Lösungsrecht an. 7 Minderheitenschutz besteht zum einen in den formellen Rechten, die es einer Gruppe von Aktionären ermöglichen, bestimmte Maßnahmen, wie z.B. die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung oder eine SonderpTÜfung, zu erwirken. Darüber hinaus umfaßt der sachliche Minderheitenschutz die Garantie, an bestimmten Beschlüssen bzw. Wahlen beteiligt zu werden, bzw. Mehrheitsbeschlüsse einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. 8 Schließlich wird der Kapitalanlageschutz als Interessenschutz bezeichnet, "den die Rechtsordnung Personen gewährt, die sich durch Vermittlung des öffentlichen Kapitalmarktes mittelbar oder unmittelbar an Unternehmen oder anderen Sondervermögen zu Anlagezwecken beteiligen.,,9 2 Umfassend hierzu Lutter, Theorie der Mitgliedschaft - Prolegomena zu einem Allgemeinen Teil des Korporationsrechts, S. 94, 102-130. Siehe jedoch Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 243, der den Aktionär als den "wirtschaftlichen Eigentümer" des Unternehmens bezeichnet. 3 Siehe hierzu umfassend Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19, S. 547 ff., 552-565. Dabei wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß diese Konzeption mit der überholten Unterscheidung nach der Rechtsnatur des Verbandes bricht. 4 Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 191II, S. 556. 5 Wiedemann, Gesellschaftsrecht - Ein Lehrbuch des Unternehmens- und Verbandsrechts 3. Kapitel, §§ 7-11. 6 Wiedemann, ebenda, §7 (Individual schutz); §8 Minderheitenschutz; §9 Kapitalanlageschutz. 7 ebenda §7 11. 8 ebenda §8 I 4b. 9 ebenda §9 Ila

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

Die Schwäche dieses Ansatzes liegt daran, daß verschiedene Wertungsprinzipien herangezogen werden müssen, um ein Phänomen, die Grundstrukturen der Aktiengesellschaft, zu erklären. Einfacher und ohne Rückgriff auf rechtsethische Prinzipien lassen sich rechtliche Regelungen, die die Rechte des Aktionärs bestimmen, aus ökonomischer Sicht erklären. Alle drei von Wiedemann aufgeführten Schutzfunktionen des Aktienrechts können danach als Ausführungen der dem Aktionär zustehenden property rights verstanden werden. 10 Diese ergeben sich aus seiner Stellung als Kapitalgeber und bestehen im einzelnen aus Kontroll- und Verfügungs- wie aus seinen Vermögensrechten am Unternehmen. Nach der Property Rights Theorie bestehen Kontrollrechte darin, über die Nutzung einer Sache bzw. eines Rechts zu entscheiden. Aus der Vielzahl der Inhaber der property rights, denen jeweils nur ein pro rata Recht zusteht, ergibt sich die Notwendigkeit, Verfahrensabläufe zu schaffen, die eine gemeinschaftliche Ausübung der Kontrollrechte ermöglicht. Hierzu zählen sowohl Stimmrechte als auch die Delegation bestimmter Entscheidungen auf eigens dafür bestellte Organe. Die Verfügungsrechte beziehen sich u.a. auf das von Wiedemann erwähnte Lösungsrecht. Ein wesentlicher Bestandteil der property rights ist das Recht, über eine Sache bzw. ein Recht, nach belieben verfügen zu können. Bei der Aktiengesellschaft bezieht sich dies sowohl auf die dem einzelnen Aktionär zustehende Aktie, als auch auf das Unternehmen als Ganzes, bzw. auf Teile desselben. Schließlich umfassen die Vermögensrechte das Recht auf Teilhabe an dem Wertzuwachs des Unternehmens, etwa durch Dividendenausschüttung aber auch durch Realisierung des Wertes im Wege des Aktienverkaufs, sowie auf eine Verteilung der verbleibenden Vermögenswerte bei der Liquidation. Dem mag man entgegenhalten, daß die Auffassung von Aktionären als (Mit)Eigentümer des Unternehmens verfehlt sei. Zwar hat der Gesetzgeber des Aktiengesetzes von 1965 deutlich die Stellung des Aktionärs als Unternehmenseigentümer anklingen lassen,l1 doch ist dies beim Schrifttum überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Ein wesentliches Argument gegen eine eigentumsrechtliche Erfassung der Stellung des Aktionärs ist, daß sachenrechtliche Grundsätze 10 Mulbert. der die verbandsrechtliche Tradition zwar kritisiert. wendet sich ausdrücklich, jedoch ohne weitere Begründung gegen eine solche ökonomische Betrachtungsweise: "Es geht nicht darum. mit manchen Vertretern innerhalb der neuen Institutionenökonomie die Organisation AG in einen (Quasi-) Markt aufzulösen." MUlbert nimmt hier ausdrücklich auf die Arbeiten von Alchian Bezug. Zu deren Beitrag rur die Entwicklung der Vertragstheorie vom Unternehmen im einzelnen siehe oben Kapitel III. 4.a). 11 Nicht nur stand die Aktienreform nach Auffassung des Gesetzgebers im Lichte der in der Verfassung niedergelegten Grundsätze des Schutzes von Eigentum sowie der sich entwickelnden Wirtschaftsverfassung einer sozialen Marktwirtschaft. Vielmehr ist dort auch ausdrücklich die Rede von dem "wirtschaftlichen Eigentum der Aktionäre an dem auf ihren Kapitalbeiträgen beruhenden Unternehmen". Siehe Regierungsbegrundung in Aktiengesellschaft. 14, zitiert nach Mülbert. Aktiengesellschaft. Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt. S. 63.

I. Property Rigths Theorie und Aktienrecht

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dem Verhältnis zwischen Aktionären und Gesellschaft nicht gerecht würden. Die Gesellschaft vermittle Eigentum. die Stellung des Aktionärs lasse sich jedoch nicht allein eigentumsrechtlich verstehen. Dies folge insbesondere aus der rechtlichen Ausgestaltung des Eigentums im BGB. Der dort vorgesehene Typenzwang sachenrechtlicher Beziehungen stünde einer beliebigen Neuregelung vertraglicher Zuordnungsverhältnisse entgegen. 12 Aus rechtsdogmatischer Sicht ist dieser Einwand überzeugend. Geht man davon aus. daß Rechtsinstitutionen ausschließlich mit Hilfe der positivrechtlichen Institutionen und hieraus abgeleiteten dogmatischen Konzepten erfaßt werden können. muß eine Anwendung eigentumsrechtlicher Grundsätze auf die Aktiengesellschaft abgelehnt werden. Die Funktion der Property Rights Theorie ist jedoch eine andere. Sie bietet Erklärungsmuster außerhalb der juristischen Begriffswelt. Der Einwand. daß das positive Recht sachenrechtlichen Typenzwang vorsieht. kann daher nicht überzeugen. Er enstammt der juristischen Begriffswelt. nicht jedoch sozialwissenschaftlicher Theorienbildung und Erkenntnis. Ob die Property Rights Theorie überzeugende Erklärungsansätze bietet. muß sich vielmehr danach richten. ob man mit Hilfe dieser Theorie die wesentliche Struktur der Aktiengesellschaft erfassen sowie Aussagen über das Verhalten von Aktiengesellschaften im Wirtschaftsverkehr machen kann. Darüber hinaus ist eingewandt worden. daß die eigentumsrechtliche Auffassung die Stellung eines jeden Aktionärs als Alleineigentümer impliziere. Dies widerspräche jedoch seiner tatsächlichen Position als Mitgesellschafter. die von vornherein durch die Rechte anderer Mitgesellschafter begrenzt sei. 13 Auch dieser Einwand greift im Ergebnis nicht durch. Er stützt sich wiederum ausschließlich auf rechtsdogmatische Erwägungen. die einer sozialwissenschaftlichen Theorie entgegengehalten werden. Wie im Kapitel III im einzelnen dargestellt. ist der Begriff der property rights weiter als der sachenrechtliche Eigentumsbegriff in §§ 903 ff. BGB. Er umfaßt Handlungs- und Haftungsrechte. die sich im wesentlichen in Kontroll-. Verfügungs- und Vermögensrechte unterteilen lassen. Liegt dieses Recht in der Hand eines Eigentümers. entscheidet er allein über die Übertragung und Ausübung dieser Rechte. Sind sie auf mehrere Personen verteilt. so stehen jeder Person diese Rechte entsprechend ihrem Anteil am Unternehmen. d.h. pro rata. zu. Ob dies mit den §§ 903 BGB übereinstimmt. ist für eine Untersuchung der Aktiengesellschaft aus dem Gesichtspunkt der Property Rights Theorie irrelevant. Entscheidend ist vielmehr. ob aus ökonomischer Sicht die Property Rights Theorie das Verhältnis der Aktionäre untereinander und zur Aktiengesellschaft hinreichend erfaßt. Für die interdisziplinäre 12 Wiedemann. Gesellschaftsrecht - Ein Lehrbuch des Unternehmens- und Verbandsrechts. §4 I, S. 199 § 12 III I, S. 700 ff. 13 So Mülbert. Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 64. Ähnlich Wiedemann. ebenda, §12 III I. S. 700 ff.

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

Forschung mag es jedoch hilfreich sein, eindeutig juristisch belegte Begriffe bei der Analyse zu vermeiden. Im folgenden wird daher von den "property rights" der Aktionäre, nicht jedoch von ihren ''Eigentumsrechten'' die Rede sein. 14 Es hat in der Literatur einige Stimmen gegeben, die einem property rights Verständnis des Aktionärs aufgeschlossener gegenüberstehen. ls Eine pragmatischere, an den Interessen der Aktionäre als Kapitalanlegern orientierte Betrachtungsweise, die einem Verständnis der Stellung des Aktionärs aufgrund der Property Rights Theorie recht nahe kommt, spiegelt sich auch in der neueren Rechtsprechung wieder. So hat die Rechtspraxis in den letzten Jahren zunehmend Aktionärsrechte in der Form von Mitwirkungs- und Abfindungsrechten in den Blickpunkt der Diskussion gerückt. Diese lassen sich, wie unten weiter auszuführen sein wird (siehe unter 3.), aus den der Property Rights Theorie entnommenen Kontroll- und Vermögensrechten ableiten. Eine an den Rechten des Aktionärs orientierte Interpretation des Gesellschaftsrechts setzt sich auch in Teilen der Literatur vermehrt durch. 16

2. Das Verhältnis von Aktienrecht und Kapitalmarktrecht Eine umfassende Analyse der Rechtsstellung der Aktionäre kann sich nicht allein auf das Gesellschaftsrecht beziehen, sondern muß das Kapitalmarktrecht mit einbeziehen. Nur aus der Zusammenschau beider Rechtsgebiete ergibt sich der von der Rechtsordnung gewährleistete Anlegerschutz, der den Umfang der property rights des Aktionärs bestimmt. Eine solche umfassende Auffassung des Kapitalanlagerechts ist in den USA seit langem anerkannt. Mit der wachsenden Bedeutung des Kapitalmarktes ist auch in Deutschland in jüngster Zeit zunehmend die Forderung nach der Aufgabe der bisher üblichen Trennung zwischen dem verbandsrechtlich verstandenen Gesellschaftsrecht auf der einen Seite und 14 Für einen ähnlichen pragmatischen Ansatz siehe auch Köndgen, Die Relevanz der ökonomischen Theorie der Unternehmung für rechtswissenschaftliche Fragestellungen ein Problemkatalog, S. 133. IS SO beispielsweise Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen. Siehe auch Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt. 16 So beispielsweise Kübler, Aktienrechtsreform und Unternehmensverfassung, der sich an die in Amerika herrschende Venragstheorie anlehnt, sowie Möllers, Anlegerschutz durch Aktien- und Kapitalmarktrecht - Harmonisierungsmöglichkeiten nach geltendem und künftigem Recht, der das Prinzip des shareholder value als grundSätzlich mit dem geltenden Aktienrecht vereinbar ansehen. Siehe auch Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt. Letzterer statuiert eine Hybridstellung des Aktionärs aufgrund der dem deutschen Recht inhärenten doppelten Zielfunktion, nämlich der Schaffung einer Gerechtigkeitsvorstellungen genügenden Verbandsorganisation einerseits und der Förderung der Kapitalsarnmelfunktion durch anlegergerechte Ausgestaltung der Aktionärsrechte andererseits, S. 100 ff.

2. Das Verhältnis von Aktienrecht und Kapitalmarktrecht

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dem Kapitalmarktsrecht auf der anderen Seite zugunsten eines umfassenden Kapitalanlagerechts aufgestellt worden. 17 Aus ökonomischer Sicht ist die Trennung von Aktien- und Kapitalmarktrecht unbefriedigend, denn sie steht im Widerspruch zu der Interdependenz zwischen Aktienrecht und Kapitalmarktrecht. 18 Eine wesentliche Funkion der Aktiengesellschaft ist die einer Kapitalsammelstelle. Die Kombination von beschränkter Haftung für Anleger und der Möglichkeit, Kapital von einer unbegrenzten Zahl von Anlegern zu erheben, haben die Aktiengesellschaft zu einer bedeutenden wirtschaftlichen Institution im Prozess der Industrialisierung und der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung gemacht. 19 Die Rechte des Aktionärs, die sich aus seiner Stellung als Inhaber der property rights ableiten lassen, haben deutliche Bezüge sowohl zum Aktienrecht als auch zum Kapitalanlagerecht. Dabei sind die Kontrollrechte des Aktionärs noch am stärksten in dem dem Gesellschaftsrecht zuzuordnenden Binnenrecht verankert. Demgegenüber zeigen Verfügungs- und Vermögensrechte enge Verbindung sowohl zum Gesellschafts- als auch zum Kapitalmarktrecht. Das Recht, über Aktien verfügen zu können, läßt sich nämlich nur dann realisieren, wenn der Aktionär Zugang zu Informationen über den Wert des Unternehmens hat und die Übertragung nicht mit hohen Transaktionskosten belastet sind. Der Umfang der Informationen, die einem Aktionär zur Verfügung stehen, ergeben sich sowohl aus dem Gesellschaftsrecht, als auch aus dem Kapitalanlagerecht einschließlich börsenrechtlicher Vorschriften. Darüber hinaus stellen Bilanzrichtlinien standardisierte Grundsätze für den Gehalt der Informationen auf, die es Aktionären sowie potentiellen Anlegern ermöglichen, verschiedene Investitionsobjekte miteinander zu vergleichen. Vermögensrechte der Aktionäre beziehen sich nicht nur darauf, an der Gewinnausschüttung bzw. der Verteilung des Vermögens im Falle der Liquidation des Unternehmens teilzunehmen, was i.d.R. im Aktienrecht geregelt ist, sondern ergeben sich unmittelbar aus der

17 Siehe jüngst Möllers, Anlegerschutz durch Aktien- und Kapitalmarktrecht - Harmonisierungsmöglichkeiten nach geltendem und künftigem Recht. Wie von Möllers nachgewiesen, gibt es seit über 20 Jahren Bestrebungen, das Gesellschaftsrecht als ein das Kapitalmarktrecht ergänzendes Recht aufzufassen. So insbesondere Hopt, Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht? - Die deutsche Entwicklung im internationalen Vergleich, S. 404 ff., 432. AssmanniSchütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts § 1 Rdn.8. Die Diskussion steht in engem Zusammenhang mit der verbandsrechtlichen Konzeption der Aktiengesellschaft in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur. Für eine zusammenfassende Darstellung dieser Literatur siehe oben unter 1. 18 Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 91. 19 Zur ökonomischen Funktion der Aktiengesellschaft siehe Clark, Corporate Law; EasterbrookiFischel, The Economic Structure of Corporate Law; Köndgen, Die Relevanz der ökonomischen Theorie der Unternehmung für rechts wissenschaftliche Fragestellungen - ein Problemkatalog; kritisch Schneider, Ökonomische Theorie der Unternehmung.

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

Möglichkeit, die Aktie zu veräußern und damit Gewinn zu erzielen. Wie hoch der erzielte Gewinn ist, hängt wiederum entscheidend von der Posititon des Aktionärs im Unternehmen und damit von den aktienrechtlichen Regelungen ab. So werden Minderheitspositionen oft zu einem erheblichen Diskont gehandelt. Dies ist darauf zurückzufuhren, daß Minderheitsaktionäre üblicherweise einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Dies zeigt sich insbesondere im Falle von Übernahmen, Verschmelzungen und Eingliederung. Minderheitsaktionäre, die wenig Einfluß auf die Ausgestaltung der diesen Transaktionen zugrunde liegenden Vereinbarungen haben, werden häufig zu ungünstigen Preisen aus dem Unternehmen herausgedrängt (sogenannter freeze-out), bzw. ihr Einfluß im Unternehmen wird marginalisiert. 20 Ebenso können die Transaktionskosten, die durch die Übertragung von Aktien entstehen, den Aktienpreis beeinflussen. Einer solchen einheitlichen rechtsökonomischen Betrachtung der Stellung des Aktionärs wird aus dogmatischer Sicht entgegengehalten, daß sich die Interessenslage eines Mitglieds eines unternehmerisch tätigen Verbandes grundsätzlich von denen eines Kapitalanlegers unterscheiden. Während es ersterem vor allem um die Verwirklichung eines gemeinsamen Zweckes ginge und Vermögensrechte lediglich sekundäre Bedeutung hätten, stünden bei letzterem die Vermögensrechte im Mittelpunkt seiner Interessen?1 Dieser Argumentation liegt eine empirisch zutreffende Beobachtung zugrunde: Nicht alle Aktionäre verhalten sich gleich. Manche sind überaus aktiv und bemühen sich auf die Unternehmensführung und die langfristigen Strategien des Unternehmens Einfluß zu nehmen. Andere verhalten sich überwiegend passiv und beschränken sich weitgehend auf den Handel mit Aktien. Hirschman hat diese verschiedenen Verhaltensweisen mit den plastischen Termini "voice" für Stimmausübung und "exit" für den Austritt aus einer Institution, wie hier dem Unternehmen, belegt. 22 Besonders deutlich wird diese Unterscheidung bei dem Vergleich von Groß- und Kleinaktionären?3 Aktionäre mit umfangreicheren Po-

20 Zur Position von Minderheitsaktionären aus ökonomischer Sicht, siehe Bebchuk, Limiting Contractual Freedom in Corporate Law: The Desirable Constraints on Charter Amendments. Für einen Überblick der Problemstellung, siehe EasterbrookiFischel, The Economic Structure of Corporate Law, Kapitel 5 "Corporate Control Transactions", S.109-144 (134-139). 21 Mülbert. Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 103 f. mwN. 22 So der Titel des Buches von Hirschman. Exit, Voice, and Loyalty; Responses to Dec1ine in Firms, Organizations, and States. Für die Definition dieser Handlungsalternativen siehe ebenda, S. 4. 23 Die Begriffe Groß- und Kleinaktionär dienen lediglich der Kontrastierung und sind nicht an Aktienpakete einer bestimmten Größenordnung gebunden. Die Stellung eines Aktionärs als Groß- oder Kleinaktionär hängt im wesentlichen von der relativen Größenordnung seines Aktienpaketes ab. So vermitteln Aktienpakete von etwa 5 Prozent in den Vereinigten Staaten oft schon erhebliche Einflußmöglichkeiten. was auf die stark

2. Das Verhältnis von Aktienrecht und Kapitalmarktrecht

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sitionen (Großaktionäre) bedienen sich in aller Regel stärker der im Aktienrecht vorgesehenen Kontrollrechte als Kleinaktionäre, die sich vergleichbar passiv verhalten. Hierfür gibt es durchaus plausible ökonomische Erklärungen. Unterstellt man, daß sowohl der Groß- als auch der Kleinaktionär wirtschaftliche Ziele verfolgen, so stellt sich das unterschiedliche Verhalten als Funktion ihrer Position im Unternehmen dar. Aus Kostengründen lohnt sich für den Kleinaktionär die relativ aufwendige aktive Einwirkung auf die Geschicke des Unternehmens kaum. Sein Einfluß ist begrenzt und eine Stärkung seiner Einflußmöglichkeiten setzt voraus, daß er andere Aktionäre zu gemeinsamem Vorgehen motivieren kann. Dem stehen jedoch erhebliche Koordinationskosten (collective action problems) entgegen. Er verhält sich daher durchaus rational, wenn er sich vorwiegend passiv verhält. Seine ''Waffe'' ist der schnelle Rückzug aus dem Unternehmen. Hier erweist sich seine im Binnenverhältnis des Unternehmens schwach erscheinende Position als Stärke, denn sie erlaubt eine schnelle Liquidation des Unternehmensanteils. Allerdings setzt eine kostengünstige und damit effektive Exit-Option einen liquiden Kapitalmarkt voraus. Andernfalls erweist sich die Waffe des "exit" als stumpfes Schwert. Dann ist der Kleinaktionär in der Tat dem Reglement der Unternehmensführung sowie unter Umständen dem der Großaktionäre ausgeliefert. Anders stellt sich demgegenüber die Situation des Großaktionärs dar. Da er von den erwarteten positiven Auswirkungen seiner Einwirkung auf die Unternehmensstrategien ("voice" statt "exit") durch Teilnahme an Hauptversammlungen und Repräsentation in den Organen der Gesellschaft aufgrund seiner Eigentumsposition selbst profitiert, lohnt sich der Einsatz auch dann, wenn er zugleich passiven Aktionären, die derartigen Einsatz scheuen (sogenannte free rider), zugute kommt. Darüber hinaus ist die Exit-Option für den Großaktionär in der Regel mit größeren Schwierigkeiten verbunden. Zwar bietet ein umfangreiches Aktienpaket Neuerwerbern bessere Einflußmöglichkeiten im Unternehmen, was sich positiv im Verkaufspreis niederschlagen kann. Diese Position setzt Aktionäre jedoch auch in größerem Maße den Risiken des Unternehmens aus. Eine solche Transaktion kann vor allem dann zu erheblichen Preiseinbrüchen führen, wenn der Markt relativ illiquide ist. Unter Umständen muß der Großaktionär, der seine Position im Unternehmen aufgeben will, daher mit einem erheblichen Preisnachlaß rechnen. Diese unterschiedlichen Interessenslagen verschiedener Aktionäre bringen Konflikte im Unternehmen mit sich. Diese Interessensgegensätze lassen es jedispersierte Eigentumsstruktur jedenfalls der börsennotierten Unternehmen zUTÜckzufUhren ist. Demgegenüber wäre aufgrund der konzentrierten Eigentumsstruktur deutscher Unternehmen die Grenze zum "Großaktionär" deutlich höher anzusetzen. Für einen Vergleich der Eigentumskonzentration in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Japan siehe Roe. Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States.

IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

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doch nicht als gerechtfertigt erscheinen, eine grundsätzliche Unterscheidung von Aktionären als Anleger und Aktionären als Mitglieder der Gesellschaft zu treffen. Auch bieten sie keine Grundlage dafür, anzunehmen, daß für den passiven Kleinanleger die Ausgestaltung der Kontrollrechte letztlich irrelevant wäre.24 Der typischerweise niedrigere Preis von stimmrechtslosen Aktien spiegelt die marktmäßige Bewertung dieser rechtlich schwach ausgestalteten Position wieder. 25 Rechte, deren Einforderung in der Regel für den Kleinaktionär wirtschaftlich nicht attraktiv sind, können in Ausnahmefällen an Bedeutung gewinnen, und diese Möglichkeit schlägt sich bereits ex ante in der Bewertung der Aktie nieder. Der Kleinaktionär, der sich auf seine Exit-Option stützt, verabschiedet sich nicht aus seiner Stellung als Inhaber von property rights am Unternehmen. Er nimmt lediglich die Rechte wahr, die sich für ihn als die effektiveren erweisen. Besteht die Mehrzahl der Aktionäre aus solchen Kleinaktionären, so wird die Kontrolle der Unternehmensführung damit von der internen Kontrolle weitgehend auf die externe Kontrolle durch den Markt verlagert. Die Bedeutung der sich aus dem Umfang des Aktienpaketes ergebenden Risikoposition des Aktionärs wird auch in der vergleichenden corporate governance Literatur betont. So wird das überwiegend passive Verhalten der Aktionäre in den USA im Vergleich zu dem aktiveren Verhalten deutscher (Großaktionäre) im wesentlichen auf deren unterschiedliche Eigentumsposition im Unternehmen zurückgeführt.26

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre Die Property Rights Theorie hat einen wesentlichen Beitrag zur Theorie des Unternehmens geleistet. Mittlerweile hat es auch erste Ansätze gegeben, die So aber Westennann, Die Zukunftsfragen des Aktiemechts, S. 79 ff. Siehe Zingales, What Determines the Value of Corporate Votes?, der sowohl die empirische Literatur darstellt, als auch aufgrund eines formalen Modells zu dem Ergebnis gelangt, daß der Preis von Aktien durch den Umfang des Stimmrechts beeinflußt wird. Dies ist oftmals nicht direkt meßbar ist, weil die meisten öffentlich gehandelten Aktiengesellschaften jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt Stimmrechte nicht hirneichend differenzieren, um empirisch signifikante Ergebnisse zu erhalten (S. 1049 sowie 10 56 ff.). Der Grund für den Einfluß des Stimmrechts auf den Aktienpreis liegt in der Bedeutung des Stimmrechts bei Kontrolltransaktionen (S. 1071). Für empirische Daten über "voting premium", d.h. Preisdifferenzen, die unterschiedlichen Stimmrechten zugeordnet werden können, siehe auch ShleiferlVishny, A Survey of Corporate Govemance, S. 748 mwN. 26 Coffee, Liquidity Versus Control: The Institutional Investor as Corporate Monitor, S. 1318 ff., der nicht nur auf den Umfang der Aktienpakete in einzelnen Unternehmen, sondern auch auf den Anteil der Wertpapiere in dem Gesamtportfolio der institutionellen Investoren hinweist. Siehe auch Roe, Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States. 24 25

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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Property Rights Theorie auf komplexere Organisationsformen zu übertragen. Doch wird aus ökonomischer Sicht eingeräumt, daß eine vollständige modelltheoretische Erklärung der Aktiengesellschaft mit einer Vielzahl von Aktionären und relativ dispersierter Eigentumsstruktur bisher nicht erfolgt ist. Allerdings gehen die Vertreter der Property Rights davon aus, daß die Grundzüge dieser Theorie auch auf Publikumsaktiengesellschaften anwendbar sind. Eine wesentliche Erweiterung des Modells liegt darin, daß die Aktionäre als Inhaber der property rights am Unternehmen ihre Residualrechte auf die Organe des Managements delegieren. Es gilt daher, Mechanismen bereitzustellen, die einen Mißbrauch der übertragenen Befugnisse in Grenzen halten, wie es das Aktienrecht der meisten Länder tUt. 27 Für die Analyse des Aktienrechts ist die Property Rights Theorie jedoch bisher nur am Rande herangezogen worden. So herrscht in den USA noch überwiegend die Vertragstheorie vor. 28 Danach beruht ein Unternehmen, gleich in welcher Rechtsform, auf einem Netzwerk von Verträgen, die die jeweiligen Rechte und Pflichten der Vertragspartner bestimmen. Rechtliche Regelungen, einschließlich Gesetze oder die durch das Fallrecht entwickelten Prinzipien des Aktienrechts, dienen lediglich dazu, den Abschluß der erforderlichen Verträge zu erleichtern.29 Diese bisher geringe Verbreitung der Property Rights Theorie läßt sich damit erklären, daß diese Theorie erst mit den Arbeiten von Grossmann und Hart 1986 und Hart und Moore 1991 zu einer Theorie entwickelt worden ist, die für die Anwendung auf komplexere Unternehmen geeignet ist. 3O Mittlerweile gibt es erste Ansätze, die Property Rights Theorie für die rechtsökonomische Rechtsanalyse "salonfähig" zu machen. 31 In Deutschland kann die mangelnde Anwendung der Property Rights Theorie auf die Analyse der Aktiengesellschaft vor allem darauf zurückgeführt werden, daß die Diskussion nach wie vor von 27 Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, insbesondere Kapitel 3 §3 und Kapitel 6 bis 8. Hart vernachlässigt jedoch die Rolle des Aktienrechts und legt den Schwerpunkt seiner Analyse auf die Finanzstruktur der Gesellschaft. Besondere Bedeutung kommen in seiner Analyse Kredite nicht nur als Mittel der Unternehmensfinanzierung, sondern insbesondere als Instrumente der Unternehmenstuhrungskontrolle zu. 28 Grundlegend Jensen/Meckling, Tbeory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure; EasterbrookiFischel, Tbe Economic Structure of Corporate Law Kapitell, insbes. S. 15 ff. Für eine Zusammenfassung dieses Ansatzes siehe Kühler, Aktienrechtsreform und Unternehmensverfassung, S. 143-144. 29 So Macey, Corporate Law and Corporate Governance - A Contractual Perspective, S. 186. 30 Grossman/Hart, The Costs and Benefits of Ownership: A Theory of Vertical and Lateral Integration; Hart/Moore, Property Rights and the Nature of the Firm. Siehe hierzu im einzelnen oben unter III.3. 31 So jedenfalls Hart, der die ökonomische Theorie eingängig tur den Juristen erläutert, Hart, An Economist's Perspective on the Theory of the Firm.

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

rechtsdogmatischen, nicht von ökonomischen Prinzipien geprägt ist. Soweit auf ökonomische Prinzipien zurückgegriffen wird, folgt die Diskussion im wesentlichen dem amerikanischen Vorbild und damit der Vertragstheorie. 32 Auf diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, ob die Property Rights Theorie geeignet ist, die ausdifferenzierten und komplexen Regelungen zu erfassen oder gar Hinweise für gesellschaftsrechtliche Regelungen zu geben. Dabei gilt es nicht, mit Hilfe dieser Theorie jede einzelne Norm in den geltenden Aktiengesetzen erklären zu können. Eine umfassende Theorie der Aktiengesellschaft muß jedoch in der Lage sein, die wesentliche Zuordnung der property rights am Unternehmen zu erklären, bzw. ökonomisch sinnvolle Alternativen zu bieten. Auf der Grundlage der Property Rights Theorie können, wie dargestellt, property rights in Kontroll- und Verfügungsrechten einerseits und den Vermögensrechten andererseits unterschieden werden. Dies gilt sowohl für property rights an Sachen wie auch für property rights am Unternehmen. Theoretisch ist es denkbar, diese verschiedenen Rechte zu entbündeln und auf verschiedene Rechtsträger zu übertragen. Aus Sicht der Propery Rights Theorie ist es jedoch sinnvoll, die wesentlichen property rights zu bündeln und auf ein und denselben Rechtsträger zu übertragen. Dies folgt daraus, daß die Aufspaltung der Kontrollrechte Anreizstrukturen schafft, die einer optimalen Nutzung ökonomischer Ressourcen entgegenstehen. 33 Es kann jedoch erforderlich sein, die Residualrechte der Aktionäre zu einem wesentlichen Umfang auf das von den Aktionären bestellte Unternehmensmanagement zu übertragen, um auch dann, wenn sich die Aktien im Streubesitz befinden, eine effiziente Unternehmensführung zu gewährleisten. Damit stellt sich jedoch die Frage, welche Rechte delegationsfähig sind, wie die Aktionäre die interessensgerechte Ausübung delegierter Rechte kontrollieren können, und schließlich, welche Rechte ausschließlich den Aktionären vorbehalten werden sollten, um ihre Position als Inhaber der Residualrechte am Unternehmen zu gewährleisten. Im folgenden wird der Versuch unternommen, die Grundzüge einer "Verfassung" der Aktiengesellschaft auf der Grundlage der Property Rights Theorie zu entwickeln. Wie die weiteren Aus32 So beispielsweise Kübler, Rechtsbildung durch GesetzgebungsweUbewerb? Überlegungen zur Angleichung und Entwicklung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Gemeinschaft. Für einen Überblick über verschiedene ökonomische Ansätze und ihre Relevanz für das Unternehmensrecht siehe Schneider, Ökonomische Theorie der Unternehmung. Kritisch dazu Köndgen, Die Relevanz der ökonomischen Theorie der Unternehmung fUr rechtswissenschaftliche Fragestellungen - ein Problemkatalog. Mülbert hat einen ersten umfassenden Versuch gemacht, aktienrechtliche Regelungen jedenfalls auch funktional zu erklären. Er bleibt jedoch im wesentlichen dem dogmatischen Ansatz verhaftet und weist eine rein ökonomisch-funktionale Erfassung der Aktiengesellschaft, insbesondere für den binnenorganisatorischen Bereich des Akienrechts, von sich. Als Alternative bietet er die These von der HybridsteIlung der Aktiengesellschaft zwischen verbandsrechtlicher Organisation und Kapitalanlageschutz an. Siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, insbes. S. 103 ff. 33 Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, S. 30 ff.

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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führungen ergeben werden, ist es vielfach nicht möglich, spezifische Regelungen aus der Property Rights Theorie herzuleiten. Sie bietet jedoch ein nützliches Rahmenwerk, um alternative Regelungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Dieser Modellverfassung wird in den beiden folgenden Kapiteln VI. und VII. eine Analyse zweier gesellschaftsrechtlicher Regelungen, des deutschen und des amerikansichen Aktienrechts, gegenübergestellt. Diese rechtsvergleichende Analyse bietet gleichsam den Hintergrund für die Analyse des russischen und des tschechischen Aktienrechts (siehe dazu unten Kapitel X und XI).

a) Kontrollrechte

Der wesentliche Inhalt der Kontrollrechte liegt darin, die Nutzung einer Sache bzw. eines Rechts zu bestimmen. Stehen die property rights einem einzelnen Inhaber zu, so hat dieser das Recht, allein hierüber zu entscheiden. Dies gilt sowohl für property rights an Gegenständen, wie auch für property rights an Unternehmen. So entscheidet der Alleinunternehmer in eigener Verantwortung über die Nutzung der Produktionsmittel und den Einsatz des unternehmenseigenen Kapitals. Demgegenüber gestalten sich die Verhältnisse komplizierter, wenn die property rights am Unternehmen auf mehrere verteilt sind. Um zu einer interessensgerechten Entscheidungsfindung und -durchsetzung zu gelangen, ist es erforderlich, Verfahrensabläufe zu definieren und organisatorische Rahmenbedingungen zu schaffen.

( 1) Organisation

Zunächst stellt sich die grundlegende Frage, ob die Inhaber der Residualrechte direkt an der Unternehmensführung beteiligt werden, bzw. ob die Geschäftsführung auf ein eigens hierfür bestelltes Management übertragen werden soll. Letzteres entspricht der Interessenslage bei Unternehmen mit einer Vielzahl von property rights Inhabern, da andernfalls eine effektive Geschäftsführung nicht gewährleistet werden kann. Hieraus folgt zugleich, daß der Geschäftsführung nicht nur der Vollzug von Entscheidungen der property rights Inhaber überlassen werden kann, sondern ihr zugleich ein eigener Entscheidungsspielraum eingeräumt werden muß. Mit einer solchen Delegation umfassender Entscheidungsgewalt delegieren die Aktionäre im Ergebnis ihre Residualrechte auf das Management. Damit entstehen Probleme der Kontrolle der Unternehmensführung, die als agency costs bezeichnet werden.

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

(2) Handlungsmaxime

Die Delegation der Geschäftsführung kann mit der Vorgabe von Handlungsmaximen verknüpft werden, die dem Unternehmensmanagement Maßstäbe für ihre Entscheidungen setzen und zugleich als Kriterien für die Überprüfung seiner Entscheidungen dienen. Hierzu zählen allgemeine Sorgfaltspflichten, aber auch spezifizierte Verhaltensvorgaben, einschließlich von Verboten bestimmter Transaktionen. Sie können mit Verfahrensrechten bewehrt und damit durchsetzbar gemacht werden.

(3) Gleichbehandlungsgrundsatz

Darüber hinaus fragt sich, ob allen Inhabern von Residualrechten Partizipationsrechte in gleichem Umfang zukommen sollen. Grundsätzlich ist es möglich und in der Praxis durchaus üblich, Aktien auszugeben, die keine Stimmrechte vermitteln, bzw. die höhere oder niedrigere Stimmrechte haben als andere. Auch historisch war der Umfang des jedem Aktionär zustehenden Stimmrechts umstritten. Das heute vorherrschende Prinzip, daß jede Aktie grundsätzlich eine Stimme vermittelt, hat sich erst im späten neunzehnten Jahrhundert durchgesetzt, in Deutschland deutlich später als beispielsweise in den Vereinigten Staaten. Zuvor war der Grundsatz, daß jedem Aktionär - unabhängig von dem Umfang seines Stimmrechts - eine Stimme zustand, die Norm. 34 Aus dem Gesichtspunkt der Property Rights Theorie folgt, daß Aktien mit gleichem Stimmgewicht der Vorzug zu geben ist. 35 Diese Regelung allein gewährleistet, daß die verschiedenen Komponenten der property rights des Aktionärs so gebündelt sind, daß sie Anreize schaffen, die sich aus dem Aktienbesitz ergebenden Rechte wirtschaftlich optimal zu nutzen. Stimmrechte nach Köpfen mögen demokratischer wirken, geben jedoch Aktionären, die einem wesentlich geringeren Risiko ausgesetzt sind als Großaktionäre, die Möglichkeit, Entscheidungen herbeizuführen, deren Kosten Dritte zu tragen haben.

34 Siehe hierzu Dunlavy. Corporate govemance in the Late 19th Century Europe and USA - The Case of Shareholder Voting Rights. 3S Siehe auch GrossmaniHart. One Share-One Vote and the Market for Corporate Control. Entscheidend sind die Stimmrechte nach diesem Modell fllr Kontrolltransaktionen und die Wahl eines neuen Managements. Im Ergebnis ähnlich Harris/Raviv. Corporate Govemance, Vorting Rights and Majority Rules.

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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(4) Partizipation Eine wesentliche Aufgabe des Aktienrechts ist es daher, Kontrollinstrumentarien zur Verfügung zu stellen, die es den Aktionären erlauben, eine den Interessen der Aktionäre gerechtwerdende Ausübung der delegierten Residualrechte sicherzustellen. Darüber hinaus gilt es die Entscheidungen zu identifizieren, die grundsätzlich in der Entscheidungsgewalt der Aktionäre verbleiben müssen, um ihre Stellung als Inhaber der Residualrechte zu sichern. Wie die Diskussion der property rights in Kapitel III ergeben hat, vermitteln Residualrechte die Letztentscheidungsgewalt über die betroffenen Rechte bzw. Sachen. Hierzu gehört insbesondere die Auflösung des Unternehmens, wie auch die Übertragung des Unternehmens als Ganzes. Hieraus folgt zugleich, daß den Aktionären die Entscheidungsgewalt über Satzungsänderungen zusteht, denn aus der Satzung ergibt sich die Verteilung der Residualrechte am Unternehmen. Demgegenüber sind Entscheidungen, die die normale Geschäftsführung des Unternehmens betreffen, übertragbar, ohne daß dies die Stellung der Aktionäre als Inhaber der Residualrechte beeinträchtigen würde.

(5) Stimmrechte Neben der grundsätzlichen Regelung des Stimmengewichts jedes Aktionärs bedarf es einer Festlegung von Verfahrens grundsätzen für die Entscheidungsfindung. Der einfachste Verfahrensgrundsatz für die Entscheidungsfindung mehrerer gleichberechtigt Beteiligter ist das Prinzip, daß Entscheidungen einstimmig gefällt werden. Es eignet sich für kleinere Unternehmen mit einer begrenzten Zahl an Beteiligten. Demgegenüber stellt sich bei einer größeren Zahl von Beteiligten die Gefahr, daß einzelne ihre Stimme verweigern, um auf diese Weise für sich den größten Vorteil zu erwirken (hold up problem). Dies verlangsamt den Entscheidungsfindungsprozeß und kann ihn gar ganz zum Erliegen bringen. Daher bietet sich bei einer Vielzahl von property rights Inhabern das Mehrheitsprinzip als Alternative zum Einstimmigkeitsprinzip an. Dabei sollte nicht übersehen werden, daß für den Unterlegenen das Mehrheitsprinzip eine deutliche Einschränkung seiner Kontrollrechte darstellt. Doch erscheint es im Vergleich zu der möglichen Kräfteumverteilung zugunsten von Minderheiten, die sich aus dem Einstimmigkeitsprinzip ergeben kann, den Interessen der Beteiligten eher gerecht zu werden. Das in den Aktienrechten der meisten Länder anzutreffende Mehrheitsprinzips kann somit aus den Interessen der Aktionäre unter Berücksichtigung der Anreizstrukturen, die sich aus alternativen Verfahren ergeben können, abgeleitet werden. Eine solche Kosten-NutzenAbwägung kann auch dazu führen, daß bei grundsätzlicher Anerkennung des Mehrheitsprinzips bestimmte Entscheidungen an Einstimmigkeit bzw. an eine qualifizierte Mehrheit gebunden werden. Da dies wiederum zu den erwähnten hold up Problemen fuhren kann, ist es jedoch sinnvoll, qualifizierte Mehrheiten 7 Pislor

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

auf Grundsatzentscheidungen über den Fortgang und den Bestand des Unternehmens in seiner jetzigen Form, bzw. dessen Umwandlung oder Übertragung, zu beschränken. Die Bestellung der Geschäftsführung, auf die ein Teil der Residualrechte übertragen wird, kann unmittelbar durch die Aktionäre erfolgen. Eine Direktwahl entspricht dem Modell der "direkten Demokratie".36 Sie teilt mit diesem die gleichen Vor- und Nachteile. Für die Vorteile läßt sich auf die unmittelbare Einflußnahme der Aktionäre auf die Auswahl des Managements verweisen. Allerdings stellen sich hierbei für Unternehmen mit einer Vielzahl von Aktionären erhebliche Probleme bei der Kontrolle des Unternehmensmanagements, denn der Prozeß der Entscheidungsfindung wirft dann erhebliche Kosten auf. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß die Unternehmensführung vorzeitig entlassen werden soll. Kann die Abberufung nur durch die Einberufung aller Aktionäre erfolgen und bedarf es hierfür einer Mehrheitsentscheidung, so wird eine Entscheidung in der Regel nur schwer herbeizuführen sein. Dies würde zur Folge haben, daß das Management im Ergebnis von einer Kontrolle durch die Inhaber der property rights entbunden wird. Das Repräsentationsprinzip stellt eine Alternative zur Direktwahl der Unternehmensführung dar. Danach wählen Aktionäre Repräsentanten, die mit der Unternehmensführungskontrolle, einschließlich der Wahl und Abberufung des Managements betraut werden.

(6) Bezugsrechte

Eine besonderes Problem stellt sich bei der Emission zusätzlicher Aktien. Denn hierdurch wird der relative Anteil der bisherigen Aktionäre am Unternehmen gemindert. Das relative Gewicht der bisherigen Aktionäre kann durch die Einräumung eines Bezugsrechts gesichert werden, das ihnen eine Art Vorkaufsrecht für die neu emittierten Aktien gibt, um ihren relati ven Anteil am Unternehmen zu erhalten. Es läßt sich jedoch auch vertreten, daß ihre Rechte hinlänglich dadurch gewahrt sind, daß sie über die Kapitalerhöhung befinden können. Darüber hinaus können sie auf dem Markt Aktien erwerben, um ihre Kontrollposition zu wahren.

(7) Minderheitenrechte

Wie mehrfach bereits erwähnt, ist die Stellung von Minderheitsaktionären im Unternehmen deutlich schwächer als die von Groß- bzw. Mehrheitsaktionären. Dies gilt nicht lediglich dem Unternehmensmanagement gegenüber, sondern

36

Black/Kraakman, A Self-Enforcing Model ofCorporate Law, S. 1943 f.

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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auch im Verhältnis zu anderen Aktionären. Es stellt sich daher die Frage, auf welche Weise diese in dem Umfang der jeweiligen Aktienpakete begründete Stellung ausgeglichen werden kann bzw. soll. In Betracht kommen erhöhte Anforderungen an Mehrheitserfordernissen, das Recht, eine Entscheidungsfindung durch die Einberufung einer Hauptversammlung herbeizuführen sowie Maßnahmen, um ihren Einfluß auf die Wahl der Unternehmensführung zu verbessern. Letzteres kann beispielsweise durch die Einführung eines kumulativen Wahlrechts erreicht werden. Dies erlaubt es Aktionären, ihre Stimmen so zu bündeln, daß auch Minderheitsaktionäre die Möglichkeit haben, einen Repräsentanten zu wählen. 31 Verfahrenstechnisch bedeutet dies, daß jedem Aktionär so viele Stimmen zugeordnet werden, wie es Repräsentanten zu wählen gibt. Sämtliche Repräsentanten werden sodann in einem Wahlgang bestimmt, wobei jeder Aktionär das Recht hat, seine Stimmen zu bündeln, bzw. sie auf die Kandidaten zu verteilen. Ein solches Wahlrecht kann, muß aber nicht, zu einer Einschränkung des Stimmengewichts von Großaktionären führen. Es hat den Vorteil, daß es Kleinaktionären jedenfalls die Möglichkeit bietet, ihre Kontrollrechte dadurch wahrzunehmen, daß sie (gemeinsam) jedenfalls einen Repräsentanten bestellen.

(8) Informationsrechte

Zur Ausübung ihrer Partizipationsrechte bedürfen Aktionäre entscheidungsrelevanter Informationen, die ihnen von den Gesellschaftsorganen, auf die sie einen Teil ihrer Residualrechte delegiert haben, zur Verfügung zu stellen sind.

(9) Anfechtungs- und Klagerechte

Bisher haben unsere Überlegungen dazu geführt, daß es ftir die Wahrnehmung'von Kontrollrechten in Unternehmen mit einer Vielzahl an Aktionären erforderlich ist, Gesellschaftsorgane einzuführen, sowie Verfahren festzulegen, nach denen die Bestellung dieser Organe erfolgen soll. Unterstellt man, daß die bestellten Organe bzw. deren Mitglieder ihren jeweiligen Auftrag stets uneigennützig erfüllen, so genügen diese Grundstrukturen für die Organisation der Gesellschaft und die internen Verfahrensabläufe. Geht man jedoch davon aus, daß dies nicht oder nicht immer der Fall ist, ist es erforderlich, die Kontrollrechte der Aktionäre im Binnenbereich der Gesellschaft weiter auszubauen. Die Kontrollrechte können sowohl ex ante als auch ex post Kontrollen umfassen. Zu ersteren gehören Zustimmungs vorbehalte, die durch die Aktionäre selbst, oder 31 Die Grundzüge des kumulativen Wahlrechts sind dargestellt in Overrath, Minderheitsvertreter im Aufsichtsrat?

WO

IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

durch das von ihnen direkt bestellte Gremium ausgeübt werden können. Letztere umfassen Anfechtungs- sowie Klagerechte. Der Umfang der ex ante Entscheidungsrechte der Aktionäre sollte aus den bereits genannten Gründen einer effektiven Geschäftsführung und der Gefahr der hold-up problems auf ein Minimum beschränkt werden. Eine ex post Kontrolle sollte sich auf Entscheidungen beschränken, die eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechte der Aktionäre, bzw. ihrer wirtschaftlichen Interessen darstellen. Würde jede Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen, würde dies die Vorzüge der Delegation der Geschäftsführung wieder aufheben.

b) Verfügungsrechte

Während Kontrollrechte im Binnenbereich den Inhaber von property rights in die Lage setzen, auf die Nutzung seines Kapitals Einfluß zu nehmen, verleihen ihm die Verfügungsrechte die Möglichkeit, dieses Eigentum zu veräußern bzw. es mit Rechten Dritter zu belasten. Am einfachsten läßt sich dies wiederum am Beispiel des Eigentums an Sachen darlegen. Verfügungsrechte umfassen hier das Recht, die Sache zu veräußern, sie zu vermieten oder zu verpfänden. Hinsichtlich der property rights am Unternehmen verfügt der Alleinunternehmer über das Recht, das Unternehmen als Ganzes an Dritte zu veräußern. Er kann sich jedoch auch damit begnügen, Teile des Unternehmens rechtlich auszugliedern bzw. sie auf Dritte zu übertragen. Schließlich kann er Anteile an dem ungeteilten Unternehmen veräußern. Durch die Übertragung von Unternehmensanteilen auf Dritte wird der AIleinunternehmer zum Miteigentümer. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf seine Kontrollrechte am Unternehmen, insbesondere dann, wenn im Anschluß an diese Transaktionen seine Anteile weniger als 50 Prozent am Unternehmen betragen. Darüber hinaus schränkt die Übertragung von Unternehmensanteilen seine Verfügungsrechte am Unternehmen für die Zukunft ein. Sein Alleinbestimmungsrecht bezieht sich nunmehr lediglich auf den ihm zustehenden Anteil. Für die Verfügung über das Unternehmen als Ganzes, die Ausgliederung von Unternehmensteilen oder aber die Akquisition und Eingliederung anderer Unternehmen ist er - je nach Ausgestaltung der Kontrollrechte - nunmehr an das Mehrheitsprinzip, im Einzelfall sogar an das qualifizierte Mehrheits- oder Einstimmigkeitsprinzip gebunden.

(1) Veifügungsfreiheit Im Hinblick auf Verfügungen, die das den einzelnen Aktionären zustehende Aktienpaketes betreffen, werden die Verfügungsrechte dadurch umfassend gewährleistet, daß die Aktionäre ihre Anteile jederzeit zu einem von ihnen ausgehandelten Preis veräußern können.

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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Selbst wenn die Verfügungsfreiheit des einzelnen Aktionärs rechtlich gewährleistet ist, ist diese dann schwer zu realisieren, wenn eine angemessene Bewertung der Vermögensanteile unmöglich ist. Eine Bewertung der Aktienanteile setzt voraus, daß dem Aktionär wesentliche Informationen über den Wert des Unternehmens zugänglich sind. Erleichtert werden Verfügungen durch den offenen Handel von Aktien, da dann ein Marktwert zur Verfügung steht. Neben den Bewertungsfragen wirkt sich auch das Verfahren für die Übertragung von Aktien auf die Kosten einer Transaktion und damit letztlich auf den materiellen Gehalt der Verfügungsfreiheit aus. Dies bedeutet. daß die Infrastruktur des Aktienhandels einschließlich der Marktorganisation sowie die Marktzugangsvoraussetzungen Einfluß auf den wirtschaftlichen Wert der Aktie haben.

(2) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen Sofern es nicht lediglich um die Verfügung über einzelne Aktienanteile, sondern um die Verfügung über das Unternehmen als Ganzes geht, fragt man sich. wer über diese Transaktion entscheiden können soll. In Frage kommt das Unternehmensmanagement auf der einen Seite und die Aktionäre der Gesellschaft auf der anderen Seite. Aus den obigen Erwägungen zur angemessenen Verteilung der Kontrollrechte und dem Umfang delegationsfahiger Rechte folgt, daß solche Entscheidungen grundsätzlich den Aktionären als Inhaber der Residualrechte am Unternehmen vorbehalten bleiben sollten. Bei Verschmelzungen und anderen Unternehmenskombinationen ist diese Frage getrennt für jedes der Unternehmen zu beantworten. Im Grundsatz sollte dann, wenn der Kernbestand der Residualrechte am Unternehmen betroffen ist, den Aktionären ein Entscheidungsrecht eingeräumt werden. Das gilt auch für Transaktionen, die sich zwar nur auf einzelne Unternehmensgegenstände beziehen, die sich jedoch bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung als Verfügungen über das Unternehmen bzw. einen wesentlichen Teil des Unternehmens darstellen. Auch wenn damit grundsätzlich die Entscheidungsgewalt zugeordnet ist. bedarf es noch weiterer Entscheidungen darüber, welche Mehrheitsverhältnisse erforderlich sind. Da die Aktionäre gleichberechtigte Inhaber von property rights am Unternehmen sind und eine Verfügung über das Unternehmen als Ganzes jeden Inhaber hinsichtlich der Substanz seiner property rights betreffen, könnte man argumentieren, daß für solche weitreichenden Entscheidungen Einstimmigkeit erforderlich ist. Dies würde jedoch im Ergebnis darauf hinauslaufen, Transaktionen über das Unternehmen als Ganzes unmöglich zu machen. Damit würde zugleich ein wesentliches Kontrollrecht der Aktionäre entfallen. Denn die Verfugung über das Unternehmen als Ganzes stellt die ultima ratio Entscheidungsgewalt der Inhaber der property rights dar. Aus diesen Gründen sollte ein (einfacher) Mehrheitsentscheid grundsätzlich ausreichen.

102

IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

(3) Informations- und Bewertungsrechte

Kernbestand der Verfügungsrechte des Aktionärs ist nicht nur die Freiheit, über das ihm zustehende Aktienpaket zu verfügen, sondern auch an Entscheidungen, die Verfügungen über das Unternehmen als Ganzes betreffen, beteiligt zu werden. Zu diesem Zweck kann es geboten sein, die Verfügungsrechte durch Informations- und Bewertungsrechte verfahrensmäßig weiter abzusichern. Besondere Probleme ergeben sich bei der Übertragung des Unternehmens als Ganzes. Die Entscheidung hierüber sollte aus der Sicht der Property Rights Theorie grundsätzlich den Aktionären, nicht dem Unternehmensmanagement zustehen. Allerdings sollten aufgrund der hold up problems keine höheren Anforderungen als eine einfache Mehrheit gestellt werden. Als Ausgleich kann den Aktionären, die gegen die Übertragung gestimmt haben, ein Anspruch auf Wertersatz zugesprochen werden.

c) Vermögensrechte

Vermögensrechte schließlich geben den Inhabern von property rights am Unternehmen einen Anspruch auf Teilhabe an den Gewinnen des Unternehmens.

( I) Beteiligung an Wertzuwachs

Dieses Recht läßt sich zunächst durch die regelmäßige Verteilung der Gewinne auf die Aktionäre verwirklichen. Darüber hinaus können Aktionäre durch die Ausübung ihres Verfügungsrechts an den ihnen zustehenden Aktien den Wertzuwachs des Unternehmens verwirklichen. Beide Formen der Realisierung der Vermögensrechte stehen wirtschaftlich in engem Zusammenhang. So zeigen empirische Untersuchungen, daß Aktien von Unternehmen, die hohe Dividenden ausschütten, oftmals höher gehandelt werden als andere Aktien. 38 Allerdings kann die Ausschüttung von Dividenden im Einzelfall durch außergewöhnlichen Wertzuwachs auf dem Aktienmarkt kompensiert werden. Schließlich steht dem Aktionär als Inhaber von pro rata property rights am Unternehmen ein Anspruch zu, im Falle der Liquidation des Unternehmens an der Verteilung der verbleibenden Aktiva teilzuhaben. Letzterer Anspruch steht den Aktionären zu, ohne daß es einer Entscheidung der Unternehmensführung bzw. der Aktionäre bedürfte. Er ergibt sich aus ihrer Stellung als Inhaber der nach Abzug sämtlicher Verpflichtungen verbleibenden

38

Zinga/es. What Determines the Value ofCorporate Votes?

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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Residualrechte am Unternehmen. Aus den auf die Individualinteressen der Aktionäre abstellenden Gesichtspunkten der Property Rights Theorie liegt es nahe, den Aktionären das Recht zuzugestehen, durch Mehrheitsbeschluß darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe die vom Unternehmen zu erwirtschaftenden Gewinne verteilt werden oder aber für künftige Investitionen des Unternehmens bzw. als Finanzreserven verwendet werden sollen. Eine Einschränkung folgt lediglich daraus, daß es im Interesse des langfristigen Gewinnzuwachses wirtschaftlich geboten sein kann, auf eine Verteilung der Gewinne zu verzichten. Für den einzelnen Aktionär stellt sich dies jedoch nur dann als möglicher Vorteil dar, wenn er seine Anlage in dem Unternehmen als langfristige Anlage versteht und weniger Interesse an der Liquidierung kurzfristig erzielter Gewinne hat. Alternativ kann die Entscheidung über die Gewinnverteilung dem Gremium übertragen werden, in das die Aktionäre ihre Repräsentanten entsenden.

(3) Informations- und Bewertungsrechte Vermögensrechte setzen voraus, daß es möglich ist, den Wert der Vermögensanteile zu ermitteln. Schwierigkeiten bei der Wertermittlung können sich für den einzelnen Aktionär daraus ergeben, daß der Wert von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, deren Kenntnis Zugang zu Informationen voraussetzt. Es liegt daher im Interesse der Aktionäre, daß unternehmensrelevante Informationen nach Grundsätzen aufgestellt werden, die den Marktwert des Unternehmens wiederspiegeln sowie, daß diese Informationen ihnen regelmäßig zur Verfügung gestellt werden. Zur Sicherung dieser Ansprüche kann es erforderlich sein, eine professionelle Bewertung des Unternehmens, bzw. eine Überprüfung der von der Unternehmensführung durchgeführten Bilanz, durchzuführen. Die in den Bilanzen des Unternehmens enthaltenen Informationen allein bilden noch nicht den Marktwert. Sie erlauben Anbietern und Nachfragern jedoch, einen solchen auszuhandeln. Deutlich einfacher ist die Ermittlung eines Marktpreises, wenn eine Aktiengesellschaft an der Börse gehandelt wird. Durch den kontinuierlichen Kauf und Verkauf von Aktien bildet sich ein Marktpreis, der allgemein als Richtschnur für den Wert des Unternehmens verwendet werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn man zugesteht, daß selbst entwickelte Aktienmärkte nicht effizient im engeren Sinne sind, d.h. daß der Preis der Aktien nicht sämtliche unternehmensrelevanten Faktoren enthält. Denn der an der Börse erzielte Preis gibt jedenfalls den Preis wieder, auf den sich Anbieter und Nachfrager unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen regelmäßig einigen.

104

IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

d) Systematisierung der property rights der Aktionäre Aus den Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechten konnten die Rechte des Aktionärs im einzelnen abgeleitet werden. Dabei hat sich der Überblick auf eine Darstellung der Grundzüge beschränkt. Die dargestellten Rechte lassen sich in materielle sowie in Verfahrensrechte unterteilen. 39 Einen Überblick über die wesentlichen Aktionärsrechte und deren Systematisierung gibt Tabelle 6. Dabei unterscheidet sich diese Nomenklatur der property rights der Aktionäre von vergleichbaren Ansätzen, Indikatoren für die wichtigsten Rechte der Aktionäre zu entwickeln. In einer Studie wurden beispielsweise als wesentliche Aktionärsrechte identifiziert die Stimmengleichheit, die Möglichkeit, sich im Wege der Briefwahl (proxy by mai I) an der Hauptversammlung zu beteiligen, kumulatives Wahlrecht, das Recht von Minderheitsaktionären, eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen sowie das Klagerechte der Aktionäre, u.a. 4O Als theoretische Grundlage beziehen sich die Autoren auf finanztheoretische Erwägungen ohne diese weiter zu spezifizieren. Tatsächlich ist diese Einteilung jedoch deutlich vom angloamerikanischen Recht geprägt, das den Schwerpunkt auf die externe Kontrolle durch Klagerechte bzw. Stimmrechtsübertragungen (proxy fights) legt. Im Vergleich dazu bemüht sich die vorliegende Aufstellung darum, die ausgewählten Indikatoren auf eine konsistente theoretische Grundlage, die Property Rights Theorie, zu stellen. Insofern geht dieser Ansatz auch über die bereits erwähnte Unterteilung der Rechte der Aktionäre in materielle Rechte einerseits und Verfahrensrechte andererseits hinaus. 41 Denn diese Einteilung allein gibt keine Auskunft darüber, worauf sich die materiellen Rechte der Aktionäre gründen. Auf der Grundlage der Property Rights Theorie ergeben sich diese Rechte aus den Residualrechten, d.h. den Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechten der Inhaber der property rights. Die materiellen Rechte der Aktionäre bestimmen die Zuordnung der Rechte, die sich aus der Stellung des Aktionärs als Inhaber der property rights am Unternehmen ergeben. Die Verfahrensrechte sind demgegenüber darauf ausge-

39 Diese Unterteilung lehnt sich an Black/Kraakman, A Self-Enforcing Model of Corporate Law, an. 40 La Porta/Lopez-de-Silanes/ShleijerlVishny, Law and Finance. Als negativer Indikator wurde darüber hinaus eine Vorschrift angesehen, die eine Hinterlegung der Aktien im Vorfeld der Hauptversammlung anordnet. Diese Vorschrift scheint jedoch in erster Linie dem Zweck zu dienen, in Rechtsordnungen wo Inhaberaktien vorherrschen, die Berechtigung, an der Hauptversammlung teilzunehmen, festzustellen. 41 Siehe dazu Black/Kraakman, ebenda.

3. Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre

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Tabelle 6

Nomenklatur der property rights der Aktionäre

Materielle Rechte

Verfahrensrechte

Kontrollrechte

Verfügungsrechte

Vermögensrechte

Handlungsmaximen Parität Partizipation Stimmrecht Bezugsrechte Minderheitenrechte Informationsrechte Klagerecht

Verfügungsfreiheit

Teilhabe an Wertzuwachs

Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen Bewertungsrechte Informationsrechte

Bewertungsrechte Informationsrechte

Quelle: Zusammenstellung der Autorin.

richtet, diesen Rechten zur Durchsetzung zu verhelfen. Wie im Verfassungsrecht, so stellen auch im Gesellschaftsrecht die Verfahrensrechte einen unabdingbaren Teil der Rechte des Aktionärs dar, ohne die die materiellen Rechte lediglich Programmsätze ohne wesentliche praktische Relevanz bleiben. 42 Vergleicht man die drei wesentlichen Aspekte der property rights der Aktionäre, so gewinnt die Ausgestaltung der Kontroll- und Verfügungsrechte besondere Bedeutung. Den entscheidenden Unterschied zwischen Inhabern der property rights und anderen Anspruchsberechtigten, denen vertraglich zugesicherte Rechte zustehen, liegt darin, daß den Inhabern der property rights die Letztentscheidungsgewalt über das Unternehmen zusteht. Diese Letztentscheidungsgewalt ergibt sich insbesondere aus dem Recht, über das Unternehmen als Ganzes verfügen zu können. Weniger einschneidend, jedoch auf dem gleichen Grundsatz beruhend, ist das Recht, die Unternehmensführung jedenfalls über den Weg der Repräsentanten bestimmen und abberufen zu können. Interne Kontrollrechte

42 Im deutschen Recht wurde die Bedeutung der Verfahrensrechte für das Oesellschaftsrecht vor allem durch die Holzmüller-Entscheidung (BOHZ 83, 122 (127) anerkannt. Dort heißt es, daß eine "materiell begründete Rechtsverfolgung ( ... ) aber grundsätzlich nicht daran scheitern (darf), daß die dem Aktiengesetz eigenen Rechtsbehelfe tatbestandsmäßig versagen".

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IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

der Aktionäre bilden daher ein wichtiges Komplementär zu den Verfügungsrechten. Sie ermöglichen es Aktionären, im Vorfeld von Aktien- und Unternehmensübertragung auf die Geschäftsführung Einfluß zu nehmen. Demgegenüber fallen die Vermögensrechte als Kernbestand der property rights der Aktionäre weniger ins Gewicht. 43 Sie können durch Vertrag übertragen werden, ohne daß dies Einfluß auf die Letztentscheidungsgewalt der Aktionäre hätte. Dies bedeutet nicht, daß Vermögensrechte unerheblich sind. Sie bestimmen vielmehr die Attraktivität der Aktie als Investitionsobjekt. Die Realisierung der aufgezeigten Rechte des Aktionärs hängt neben den Verfahrensrechten in erheblichen Umfang von Organisationsprinzipien ab. Für die Binnenorganisation der Gesellschaft ist hierauf bereits in der Diskussion der Kontrollrechte hingewiesen worden. Das Repräsentationsmodell stellt für Unternehmen mit einer Vielzahl von property rights Inhabern das dem Modell der "direkten Demokratie" vorzuziehende Prinzip dar. Für Verfügungs- und Vermögensrechte ergeben sich wichtige Organisationsprinzipien nicht aus der internen Organisation, sondern aus der Organisation von Aktienmärkten. Es würde zu weit führen, aus der Stellung der Aktionäre ein Recht auf die Organisation von Aktienmärkten bzw. die Notierung des Unternehmens an der Börse abzuleiten. Es ist jedoch offensichtlich, daß aus Sicht der Aktionäre der Handel auf organisierten liquiden Märkten erhebliche Vorteile mit sich bringt. Er mindert die Transaktionskosten, da die Erhebung sowie die Verarbeitung von Informationen zentralisiert wird. Organisierte Märkte fördern den Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern und Nachfragern und vermitteln zwischen Käufern und Verkäufern. Darüber hinaus erleichtern sie die Bewertung der Aktien des eigenen Unternehmens und bieten zugleich wichtige Vergleichsmaßstäbe für alternative Anlageobjekte. 44 Fehlt es an zentralisierten Märkten für Unternehmensaktien, führt dies in der Regel zu höheren Transaktionskosten, die sich in der Regel nachteilig für den Aktionär auswirken. 4s Dies gilt selbst dann, wenn 43 Anders MUlbert, der die wesentliche Aufgabe in dem Schutz der Vermögensrechte des Aktionäre erblickt. Siehe Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 149 f. 44 Zur Funktion von Börsen siehe RudolphIRöhr, Grundfragen der Börsenorganisation aus ökonomischer Sicht 6. B. I, 6. C. Der Börsenkurs wird von den Autoren als öffentliches Gut bezeichnet: Die Grenznutzerkosten sind gering und die Kursverbreitung ist "eine zwangsläufige Notwendigkeit rur den Marktbetrieb Börse" S. 260. Dabei betonen die Autoren jedoch, daß Börsen nicht nur transaktionskostenreduzierende Wirkungen haben, sondern von den Börsenintermediären auch zum Ausbau ihrer Machtstellung und zu monopolistischen Tendenzen gebraucht werden können. 45 Durch Computertechnologien befindet sich der Begriff der zentralisierten Märkte derzeit im Wandel. Systeme wie INSTINET oder POSIT in den USA bieten institutionellen Investoren Zugang zur Preis feststellung einer Börse an. Siehe RudolphIRöhr, Grundfragen der Börsenorganisation aus ökonomischer Sicht 6.0.1, S. 274. Nicht die Zentralisierung der Transaktionen, sondern der Informationen gewinnt daher zunehmend an Bedeutung.

4. Zusanunenfassung

107

es Aktionären im Einzelfall möglich ist, von der mangelhaften Information eines Käufers zu profitieren. Unsicherheiten über die Verläßlichkeit von Informationen und die Integrität von Verkäufern und Märkten führt zu einer Verringerung der Nachfrage nach Unternehmens aktien. Damit wird die reale Möglichkeit der Aktionäre, ihre Verfügungsrechte über einzelne Aktien, wie auch über das Unternehmen als Ganzes auszuüben, erheblich beeinträchtigt. Ihnen verbleiben dann lediglich die internen Kontrollrechte zur Ausübung ihrer property rights. Diese sind jedoch erheblich eingeschränkt, wenn eine reale ExitOption der Aktionäre nicht besteht. Zwischen den internen Kontrollrechten und den Verfügungsrechten des Aktionärs besteht ein enger Zusammenhang. Einerseits gewinnen interne Kontrollrechte an Gewicht, wenn ein Markt für die Übertragung von Kontrollrechten nicht besteht. Andererseits entfällt mit dem Unvermögen der Aktionäre, über ihre Aktien zu vefügen, eine entscheidende ultima ratio Gewalt des Aktionärs, die die Effektivität seiner internen Kontrollrechte beeinträchtigen können.

4. Zusammenfassung In diesem Kapitel wurde auf der Grundlage der Property Rights Theorie ein Modell für die Verteilung der Residualrechte im Unternehmen entwickelt. Dabei zeigt sich, daß wesentliche Grundentscheidungen aus der ökonomischen Theorie abgeleitet werden können. Dies gilt sowohl für die Organisation der Gesellschaft und für die Zuordnung materieller wie auch prozessualer Rechte. Allerdings zeigt diese Übersicht auch, daß über diese Grundprinzipien hinaus mit Hilfe wirtschaftlicher Überlegungen allein eine detaillierte aktienrechtliche Regelung nicht möglich ist. Die relativen Kosten alternativer Entscheidungen sind nicht immer eindeutig. Die Entscheidung bleibt daher letztlich eine Wertentscheidung. Um eine Vorstellung von der Regelungsdichte und den möglichen Wertentscheidungen zu bekommen, die verschiedene Gesetzgeber getroffen haben, sollen nunmehr die aktienrechtlichen Regelungen zu den genannten wesentlichen Aspekten des Gesellschaftsrechts nach deutschem und sodann nach amerikanischem Recht dargestellt werden. Diese beiden Rechtsordnungen repräsentieren zwei unterschiedliche Modelle des Gesellschaftsrechts, die seit langem Gegenstand rechtsvergleichender Erörterungen sind. 46 Darüber hinaus

46 Die Literatur zu diesem Thema ist umfassend. Als Beispiele aus der jüngeren Literatur siehe nur die Beiträge in FeddersenlHommelhofflSchneider, Corporate 00vemance; sowie Roe, Some Differences in Corporate Structure in Oermany, Japan, and the United States. Siehe aber auch bereits Hopt, Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht? - Der international erreichte Stand des Kapitalmarktrechts; sowie Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht.

108

IV. Die Rechte der Aktionäre - eine Property Rights Analyse

haben diese Rechtsordnungen die Entwicklung des Aktionärsrechts in Rußland und Tschechien nachhaltig beeinflußt. 47

47

Siehe hierzu näher unten Kapitel X.I und XI.I.

V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht Der Analyse der property rights der Aktionäre nach deutschem Recht liegt das Aktiengesetz vom 6. September 1965 zugrunde, einschließlich der wesentlichen gesetzlichen Änderungen, die das Gesetz mittlerweile erfahren hat. I Hierzu zählt auch das erst 1998 verabschiedete Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG).2 Neben dem Aktiengesetz wird auch auf das Umwandlungsgesetz, das wichtige Grundsätze für die Verfügungsrechte der Aktionäre über das Unternehmen als Ganzes beinhaltet, Bezug genommen. Auf Vorschriften des Kapitalmarktrechts und verwandter Regelungsgebiete wird verwiesen, sofern dies zur Darstellung der Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte der Aktionäre erforderlich ist. Die Untersuchung geht von dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung dieser Vorschriften aus. Dieses sind die Eckpfeiler des geltenden Aktienrechts. 3 Die Ausführungen des Schrifttums werden berücksichtigt, soweit dies zum Verständnis einzelner Regelungen bzw. für den Hintergrund von Gerichtsentscheidungen von besonderer Bedeutung ist. Zur KlarsteIlung sei auch betont, daß es nicht Ziel des hier verfolgten Ansatzes ist, im Wege einer induktiven Analyse die Grundprinzipien des geltenden Aktienrechts zu erruieren. Vielmehr wird ganz bewußt ein deduktiver Ansatz gewählt und auf der Grundlage der Property Rights Theorie die Zuordnung der Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte analysiert. Auf eine Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen des Aktienrechts wird ebenfalls bewußt verzichtet. Hiergegen mag man einwenden, daß dieser Ansatz einem wirklichen Verständnis des deutschen Aktienrechts nicht gerecht wird. Die hier vorgeschlagene deduktive Analyse dient jedoch vor allem zwei Zielen. Erstens soll dargestellt werden, daß das analytiI Für einen Überblick über die wesentlichen Änderungen des Aktiengesetzes zwischen 1965 und 1992 siehe Assmann in HoptlWiedemann, Aktiengesetz: Großkomm Einl Rn. 210 ff.; sowie Schmidt, Gesellschaftsrecht § 26 11.2 h-k. 2 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 6. März 1998, BGBI. I Nr. 24 vom 27. April 1998,786 ff. Umfassend zu diesem Gesetz Zimmer, Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehrnensvereich. 3 Siehe auch Kübler, Aktienrechtsreform und Unternehmensverfassung, S. 141, der darauf hinweist, daß das bloße Studium des Aktiengesetzes einem ausländischen Juristen eine gute Vorstellung dieses Rechtsgebietes vermittelt. Gleiches ließe sich demgegenüber von dem Recht der GmbH, das weit stärker richterlicher Rechtsfortbildung unterlag, nicht sagen.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

sche Rahmenwerk der Property Rights Theorie, wie es in Kapitel III. und IV. entwickelt worden ist, für eine Beurteilung aktienrechtlicher Regelungen basierend auf ökonomischen Prinzipien herangezogen werden kann. Zweitens soll mit der Besprechung des deutschen und im folgenden Kapitel des amerikanischen Rechts die Bandbreite möglicher aktienrechtlicher Regelungen in westlichen Marktwirtschaften vorgestellt werden. Dies soll die Analyse des russischen und des tschechischen Rechts, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, erleichtern.

1. Organisation Das deutsche Aktienrecht legt entscheidendes Gewicht auf die Binnenorganisation der Aktiengesellschaft. Es sieht zwingend vor, daß jede Aktiengesellschaft drei Organe zu bilden hat, die Hauptversammlung, den Aufsichtsrat und den Vorstand. In der Hauptversammlung sind die Aktionäre vertreten. 4 Der Aufsichtsrat setzt sich zusammen aus Personen, die entweder ausschließlich von den Aktionären oder bei mitbestimmten Unternehmen je zur Hälfte von den Aktionären und den Arbeitnehmern bestellt werden. S Die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder beträgt maximal fünf Jahre. 6 Der Vorstand schließlich wird vom Aufsichtsrat für die Dauer von bis zu fünf Jahren bestimmt. Ihm obliegt die Geschäftsführung des Unternehmens? Der Aufsichtsrat überwacht die Tätigkeit des Vorstandes, ist an der Geschäftsführung selbst jedoch nicht beteiligt. 8 Auch die Hauptversammlung ist von der Geschäftsführung grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen, nach denen entweder der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung an Entscheidungen der Geschäftsführung beteiligt werden können, bestehen lediglich in Fällen, in denen die Satzung Entscheidungen des Vorstandes von der Zustimmung des Aufsichtsrates abhängig macht bzw. der Vorstand der Hauptversammlung eine Frage zur Entscheidung vorlegt. 9 Grundgedanke

§ 118 I AktG. § 96 AktG. Für die unterschiedliche Zusammensetzung des Aufsichtsrats mit und ohne Arbeitnehmervertreter siehe Mertens Kölner Komm § 94 Rdn. 4-13. 6 § 102 AktG bestimmt, daß die Amtszeit eines Mitglieds maximal bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden kann, die über das vierte Geschäftsjahr nach seiner Bestellung beschließt. Durch die Terminierung der Hauptversammlung können dabei Verschiebungen eintreten, "grob gerechnet" läuft dieser Rechnung jedoch auf eine ftlntjährige Amtszeit hinaus. Siehe Hüjfer, Aktiengesetz § 102 Rn. 2. 7 § 76 I AktG. Der Aufgabenkreis der Geschäftsftlhrung durch das Gesetz nicht weiter bestimmt. Siehe Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 254. Siehe auch Schmidt, Gesellschaftsrecht § 28 II l.b (S. 814). 8 § 111 I, IV, S.I AktG. 9 §§ 111 IV, S.2, 119 II AktG. 4

5

1. Organisation

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dieser zwingenden gesetzlichen Regelungen ist es, eine klare Aufgabentrennung vorzunehmen und zugleich ein System gegenseitiger Kontrollen zu errichten. Dies wird weiter dadurch unterstrichen, daß es Aufsichtsratsmitgliedern untersagt ist, zugleich Mitglied des Vorstandes zu sein oder andere Positionen, die zum Gegenstand der Geschäftsführung gehören (wie beispielsweise die Aufgabe eines Prokuristen oder Handlungsbevollmöchtigten), wahrzunehmen. 10 Das Repräsentationsprinzip ist somit im deutschen Aktienrecht mit seiner dualen Verwaltungsstruktur deutlich ausgeprägt. Die Mitglieder des Aufsichtsrates, die von der Hauptversammlung bestellt werden, können auch von ihr wieder abberufen werden. l1 Die Mitglieder des Vorstandes können ebenfalls vor Ablauf ihrer Amtszeit vom Aufsichtsrat abberufen werden. Anders als bei Aufsichtsratsmitgliedern ist hierfür jedoch das Vorliegen eines wichtigen Grundes erforderlich. 12 Neben der Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Aufsichtsrates steht der Hauptversammlung auch das Recht zu, über deren Vergütung zu entscheiden. Sie kann in der Satzung festgelegt oder jeweils durch Beschluß der Hauptversammlung bestimmt werden. 13 In der Praxis wird die Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder nach dem Grundsatz vergütet, daß sie ihre Funktion als Nebenamt, nicht aber vollberuflich wahrnehmen. 14 Eine deutliche Einschränkung erfährt das Repräsentationsprinzip durch das Mitbestimmungsgesetz. Bei mitbestimmten Unternehmen setzt sich der Aufsichtsrat nicht lediglich aus Repräsentanten der Anteilsinhaber, sondern zu gleichen Teilen aus Repräsentanten der Arbeitnehmer zusammen. IS Für die Wahl der Vorstandsmitglieder bedarf es einer qualifizierten Mehrheit von zwei Drittel der Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder. Damit wird sichergestellt, daß die Bestellung des Vorstandes ohne Mitwirkung der Arbeitnehmerseite nicht möglich iSt. 16 Bei anderen Entscheidungen des Aufsichtsrates, für die lediglich eine einfache Mehrheit erforderlich ist, kann die Anteilseignerseite eine Entscheidung

10 § 105 I AktG. Siehe auch Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III 3.a), der dies als Ausdruck der Gewaltenteilung innerhalb der Gesellschaft interpretiert. 11 § 103 I AktG. Siehe auch Schmidt, ebenda, § 28 III 3.C. 12 § 84 I, III AktG. Hierfür ist nach § 107 Abs. 3 AktG ein Beschluß des Gesamtaufsichtsrats erforderlich. Siehe Mertens in Kölner Komm § 84 Rn. 96. Zur Abberufung des Vorstandes siehe auch Schmidt, ebenda, § 2811 2.c. 13 § 113 AktG. Dazu Mertens in Kölner Komm § 113 Rn. 25. 14 Die durchschnittliche Vergütung beträgt derzeit 16.000 DM p.a, rur Aufsichtsratsvorsitzende das Doppelte. Zur Kritik hieran siehe Lutter, Defizite fUr eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, S. 303. 15 Ob Unternehmen der Mitbestimmung unterfallen, hängt vor allem nach deren Rechtsform sowie der Anzahl der Arbeitnehmer ab. Siehe § 1 I MitbestG. 16 § 31 MitbestG. Zum Wahlverfahren, das aus bis zu drei Wahlgängen besteht, siehe Mertens in Kölner Komm Anh. § 177 B § 31 MitbestG Rn. 4 ff. Diese Vorschriften gelten entsprechend rur die Abberufung der Vorstandsmitglieder.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

zu ihren Gunsten herbeiführen, da sie in der Regel den Vorsitzenden des Aufsichtsrates bestimmt, der über zwei Stimmen verfügt. 17 Mit dem KonTraG wurde versucht, die Kontrollfunktion des Aufsichtsrates zu stärken. Allerdings wurden Vorschläge, die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder zu reduzieren, um auf diese Weise die Handlungsfahigkeit dieses Gremiums zu erhöhen, bereits im Vorfeld der Gesetzesberatungen abgelehnt. Insbesondere die Gewerkschaften sahen hierin einen Angriff auf die Mitbestimmung. 18 Auch die Zahl der Aufsichtsratsmandate, die ein Mitglied inne haben kann, wurde nur marginal begrenzt. Trotz vielfacher Vorschläge in dieser Richtung, blieb es bei der Regelung, daß ein Aufsichtsratsmitglied bis zu zehn Mandate wahrnehmen kann. Jedoch wird nunmehr die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden doppelt gezählt. 19 Als Kernbestandteil der Reform des Aufsichtsrats verblieb die Erhöhung der Sitzungsfrequenz jedenfalls bei börsennotierten Unternehmen, die Erweiterung der Berichtspflicht des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat und die engere Anbindung des Abschlußprüfers an den Aufsichtsrat. So muß der Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften nunmehr mindestens zweimal im Kalendarhalbjahr tagen.2° Bisher genügte eine Sitzungsfrequenz von mindestens einmal pro Halbjahr. Der Abstand der Sitzungen ist nicht bestimmt, womit den Gesellschaften eine gewisse Flexibilität eingeräumt wird, diesen selbst zu bestimmen. Klargestellt ist nun, daß der Aufsichtsrat nicht nur einberufen werden, sondern tatsächlich zu Sitzungen zusammentreffen muß. 21 Das KonTraG verdeutlicht auch, daß die Berichtspflicht des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat sich nicht lediglich auf "grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung" bezieht, sondern auch auf solche der Unternehmensplanung. 22 Hierin kommt zum Ausdruck, daß die Kontrolle des Aufsichtsrates nicht nur ex post wirkt, sondern durchaus zukunftsorientiert ist. 23

17 §§ 27 II (Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden), 29 II (Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden) MitbestG. Zu den Einzelheiten siehe Mertens in Kölner Komm Anh. § 177 § 27 MitbestG Rn. 5 ff., § 29 MitbestG. Rn. 5 ff. 18 Siehe Seibert, Kontrolle und Transparenz im Untemehmensbereich (KonTraG) Der Referenten-Entwurf zur Aktienrechtsnovelle. 19 § 100 Abs. 2, S. 2 AktG n.F. Siehe auch Zimmer, Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensvereich, S. 3523; kritisch Baums, Stellungnahme zur Aktienreform 1997. 20 § 110 Abs. 3 AktG n.F. Dazu Zimmer, ebenda, S. 3523. 21 Zimmer, ebenda. 22 § 90 Abs. 1 AktG n.F. 23 Zimmer, ebenda, S. 3524.

2. Kontrollrechte

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2. Kontrollrechte Wie ausgeführt, können die Kontrollrechte der Aktionäre in materielle Rechte und Verfahrensrechte unterschieden werden. Eine weitere Differenzierung folgt aus dem Repräsentationsgrundsatz. Die Aktionäre üben lediglich in begrenztem Umfang ihre Kontrollrechte selbst aus. Zu einem großen Teil werden diese Kontrollrechte auf andere Gesellschaftsorgane, insbesondere auf den Aufsichtsrat delegiert. Diese "delegierten" Kontrollrechte werden im Zusammenhang mit den verschiedenen Rechten der Aktionäre dargestellt.

a) Handlungsmaxime

Ein allgemeiner Grundsatz, wonach die Interessen der Aktionäre der Geschäftsführung zugrunde zu legen sind, ist im deutschen Recht nicht positiv normiert. Aus der Stellung der Aktionäre als Mitglieder der Aktiengesellschaft wird allgemein gefolgert, daß ihre Interessen bei Entscheidungen der Geschäftsführung zu berücksichtigen sind. 24 Doch wird insbesondere im Schrifttum deutlich darauf hingewiesen, daß die Interessen der Aktionäre lediglich eine von mehreren konkurrierenden Zielvorgaben darstellen. Zu diesen Ziel vorgaben zählen die Interessen des Unternehmens, die Interessen der Arbeitnehmer wie auch die Interessen der Öffentlichkeit, welche sich aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ergäben. 2s Neben den Unternehmenszielen spielt auch die Sozialgebundenheit des Eigentums eine wichtige Rolle für Inhalt und Zielseztung der Geschäftsführung. Die Sozial gebundenheit wird heute allgemein aus Art. 14 Grundgesetz abgeleitet. Auf dem Umweg über das Verfassungsrecht wird damit die in dem Aktiengesetz von 1965 nicht mehr enthaltene Gemeinwohlklausel des Aktiengesetzes von 1937 wieder eingeführt. Nach dieser Vorschrift sollte der Vorstand die Gesellschaft so leiten, "wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern".26 Dabei bestehen erhebliche Unsicherheiten, was die Gemeinwohlklausel für die Geschäftsftihrung in der Praxis im

24 So Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen. Raiser betont ausdrücklich die vertraglichen Bindungen, die mit dem Beitritt des Aktionärs zur Gesellschaft entstehen und aus denen ein Recht auf Wahrung der in der Mitgliedschaft verkörperten materiellen und immateriellen Interessen abgeleitet wird (S. 11). Siehe aber auch Schmidt, Gesellschaftsrecht § 28 Il l.a), der insbesondere die Untemehmens- und Gemeinwohlinteressen, die der Vorstand bei seiner Geschäftsführung zu berücksichtigen hat, betont. 2S Hülfer, Aktiengesetz § 76 Rn. 12; Mertens reduziert die Aktionärsinteressen auf einen "Gesichtspunkt, der in angemessenen Grenzen ( ... ) eine Relativierung des Strebens nach Unternehmenserfolg rechtfertigt". Siehe Mertens in Kölner Komm § 76 Rn 30. Zu den verschiedenen Unternehmensinteressen ders. Kölner Komm § 76 Rn 16 ff. 26 Zitiert in Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 Il l.a), S. 813. 8 Pislor

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

einzelnen bedeutet. Zum Teil wird aus der fehlenden Konkretisierung gefolgert, daß eine Berufung auf die Gemeinwohlklausel zur Rechtfertigung konkreter Unternehmensentscheidungen nicht möglich sei. Von anderer Seite wird jedoch darauf hingewiesen, daß Entscheidungen der Geschäftsführung, die zwar die Gewinne des Unternehmens mindern, jedoch dem Wohl der Allgemeinheit oder der Arbeitnehmer dienen, nicht als geschäftsschädigend gewertet werden können. 27 Dem wird wiederum entgegengehalten, daß der Gesetzgeber vor 1965 einer Politisierung des Gesellschaftsrechts entegenwirken wollte. 28 Genau dies werde jedoch erreicht, dürfte sich die Unternehmensführung für ihre Entscheidungen auf sozialpolitische Ziele berufen. Mit der Anerkennung verschiedener Ziel vorgaben für die Unternehmensführung ist das Verhältnis zwischen diesen miteinander konkurrierenden Zielen noch nicht geklärt. Die Tatsache, daß das Aktiengesetz dem Vorstand die eigenverantwortliche Geschäftsführung überträgt, wird zum Teil als Indiz dafür gesehen, daß die Interessen des Unternehmens Vorrang vor den Interessen der Aktionäre haben. 29 Auch wird darauf hingewiesen, daß das Recht des Vorstandes, der Hauptversammlung bestimmte Fragen zur Entscheidung vorzulegen, dazu diene, die berechtigten Gesellschaftsinteressen gegenüber den Aktionären zu vertreten. Damit werde zugleich einer Konzeption der Hauptversammlung als "eine ausschließlich den Aktionären vorbehaltene Veranstaltung zur Durchsetzung ihrer spezifischen Aktionärsinteressen" eine deutliche Absage erteilt. 30 Die herrschende Lehre geht jedoch davon aus, daß das Gesetz einen Vorrang bestimmter Interessen nicht vorsieht, sondern daß diese gleichwertig miteinander konkurrieren. Es ist daher Aufgabe des Vorstandes, im konkreten Einzelfall die verschiedenen Interessen gegeneinander abzuwägen. Die herrschende Lehre beläßt damit im Ergebnis bei Vorliegen von Ziel konflikten dem Vorstand einen weiten Ermessensspielraum. 31 Angesichts dieses umfangreichen Handlungsspielraums kann sich der Vorstand je nach Sachlage für die Rechtfertigung seiner Entscheidung auf die besonderen Interessen der Öffentlichkeit, des Unternehmens oder der Aktionäre berufen. Handlungsmaximen für die Unternehmensführung, die zugleich als Grundlage für die Ausübung von Kontrollrechten durch die Aktionäre dienen könnten, lassen sich hieraus schwerlich ableiten. Man kann sogar so weit gehen,

27

Mertens in Kölner Komm § 76 Rn 10 ff. mwN.

Schmidt, Gesellschaftsrecht § 28 11 l.a Siehe Mertens in Kölner Komm § 76 Rn 6 mit Nachweisen rur die verschiedenen Auffassungen. 30 Martens, Der Einfluß von Vorstand und Aufsichtsrat auf Kompetenzen und Struktur der Aktionäre - Unternehmensverantwortung contra Neutralitätspflicht, S. 532. 31 Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 254. So auch Schmidt, ebenda. 28

29

2. Kontrollrechte

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in der ausdrücklichen Zubilligung einer Vielzahl gleichwertiger Zielvorgaben eine Freistellung des Vorstandes von effektiver Kontrolle zu sehen. Dabei soll nicht verkannt werden, daß wichtige Entscheidungen der Geschäftsführung in der Regel nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch Interessen der Arbeitnehmer sowie der Öffentlichkeit berühren. Entscheidend ist vielmehr, daß ohne eine Bestimmung des relativen Gewichts dieser verschiedenen Interessen ein Kontrollvakuum verbleibt, welches vor allem dem Vorstand zugute kommt. ohne daß sichergestellt werden kann, daß die getroffenen Entscheidungen tatsächlich den vorgegebenen Interessen dienen. In jüngster Zeit ist die Zielfunktion von Publikumsgesellschaftfm zunehmend in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Insbesondere das Schlagwort vom shareholder value ist Gegenstand intensiver Diskussionen geworden. Zum Teil wird vertreten, daß die Ausrichtung der Unternehmensführung vorrangig nach dem shareholder value den Grundsätzen des geltenden Aktienrechts widerspräche. 32 Demgegenüber hat jedoch Mülbert überzeugend argumentiert, daß sich dieses Prinzip aus den Vorschriften des Aktiengesetzes ableiten läßt. 33 Die Rechtsprechung hat bisher noch nicht zu dem Grundsatz des shareholder value Stellung genommen. Allerdings läßt sich aus den wichtigsten Entscheidungen. die in den letzten Jahren ergangen sind, ablesen, daß den Interessen der Aktionäre größeres Gewicht beigemessen wird. 34 Fehlt es an klaren Prioritäten, aus denen sich allgemeine Handlungsmaximen für die Geschäftsführung ableiten ließen, so bestimmt das Gesetz dennoch den Sorgfaltsmaßstab für Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates. Sie sind gehalten. bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers anzuwenden. Für Fehlverhalten haften sie gegenüber der Gesellschaft. 3s Diese Norm soll nicht nur einen Verschuldensmaßstab aufstellen. sondern zugleich einen allgemeinen Verhaltensmaßstab normieren. 36 Allerdings fehlt es an einer Konkretisierung dieses Verhaltensmaßstabes durch die Rechtsprechung, da es im Unterschied zu den Vereinigten 32 Mertens beispielsweise betont, daß der Vorstand gegenüber den Aktionären an seiner eigenständigen Leitungsaufgabe festzuhalten hat, die ihn verpflichte, auch andere Belange zu berücksichtigen. Siehe Mertens in Kölner Komm § 76 Rn. 31. Siehe auch Schmidt, Gesellschaftsrecht § 28 11 l.a). der auf die Unterschiede zum GmbH- Recht hinweist, in dem eine Weisungsgebundenheit der Geschäftsfilhrer gegenüber den Gesellschaftern ausdrücklich normiert ist. 33 Mülbert, Shareholder Value aus rechtlicher Sicht. 34 Für einen Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung seit dem Holzmüller-Urteil (BGHZ 123, 122) siehe Schmidt. Gesellschaftsrecht § 21 V 3.a). Allerdings ist ein allgemeines Klagerecht der Gesellschafter bisher nicht anerkannt. Siehe hierzu auch unter h) Anfechtungs- und Klagerechte. 3S Mertens in Kölner Komm § 93 Rn. 2. 36 Hopt, Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat - zugleich ein Beitrag zur corporate governance-Debatte. S. 916.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

Staaten eine umfassende Rechtsprechung, die diese Handlungsmaximen konkretisiert hätte, nicht gibt. 37 Was im einzelnen unter den Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder zu verstehen ist, bleibt daher weitgehend offen. Das Gesetz enthält jedoch einige Verbotsnormen, die bestimmte Maßnahmen der Geschäftsführung für rechtswidrig erklären. Gesetzlich geregelt ist insbesondere das Wettbewerbsverbot sowie die Vergabe von Krediten durch die Aktiengesellschaft an Vorstandsmitglieder. So bestimmt das Aktiengesetz ausdrücklich, daß Vorstandsmitglieder grundsätzlich kein unabhängiges Handelsgewerbe betreiben oder in dem Geschäftsbereich, in dem die Gesellschaft tätig ist, auf eigene oder fremde Rechnung Geschäfte vornehmen dürfen. 38 Diese Vorschrift verfolgt zwei Ziele. Die Vorstandsmitglieder sollen ihre volle Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Darüber hinaus soll die Gesellschaft vor Konkurrenz aus den eigenen Reihen geschützt werden. 39 Allerdings kann im Einzelfall eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat erteilt werden. Ähnlich bedarf die Kreditvergabe des Unternehmens an Mitglieder des Vorstandes der Zustimmung des Aufsichtsrats. 40 Nicht im einzelnen geregelt ist demgegenüber der Fall, daß der Vorstand die Gesellschaft in Transaktionen vertritt, deren andere Partei er selbst, ein Angehöriger, oder ein von ihm oder Angehörigen kontrolliertes Unternehmen ist. Grenzen für derartige Geschäfte ergeben sich aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Organpflicht, der aus dem Anstellungsvertrag folgenden Pflichten, aus angemaßter Eigengeschäftsführung oder aus Deliktsrecht, insbesondere aus sittenwidriger Schädigung. 41

b) Gleichbehandlungsgrundsatz

Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist mittlerweile ausdrücklich im Aktiengesetz norrniert. 42 Diese Vorschrift wurde im Zuge der Angleichung des deutschen Rechts an die Kapitalschutzrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft 1979 eingefügt. 43 Allerdings war dieser Grundsatz der Sache nach bereits zuvor allge-

37 So auch Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 256. Zu der Rechtslage in den Vereinigten Staaten siehe unten Kapitel VI. 38 § 88 I AktG. 39 Merkt, Unternehmensleitung und Interessenkollision. S. 433. Mertens in Kölner Komm § 88 Rn. 2. 40 § 89 AktG. Dazu Mertens in Kölner Komm § 89 Rn. 11 ff. 41 Umfassend zu den möglichen AnsprUchen und ihrer dogmatischen Einordnung Merkt, Unternehmensleitung und Interessenkollision. 42 §53a AktG. 43 Hüffer § 53a Rn 1. Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 247.

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mein anerkannt. so daß dieser Vorschrift lediglich klarstellende Wirkung zukommt. Der Grundsatz der Parität bezieht sich auf Aktien gleicher Gattung. Er steht der Schaffung unterschiedlicher Gattungen von Aktien. an die sich Rechte und Pflichten verschiedenen Umfangs knüpfen. nicht entgegen. Insbesondere kann die Gesellschaft stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgeben. 44 Das Paritätsprinzip spiegelt sich vor allem in der Ausgestaltung der Stimmrechte der Aktionäre wieder. Grundsätzlich vermittelt jede Aktie gleichen Nennwerts die gleiche Anzahl von Stimmen. 45 Ausnahmen bestehen außer für stimmrechtslose Vorzugsaktien auch für den Fall. daß die Satzung ein Höchststimmrecht vorsieht. Bei Vorzugsaktien wird der Verlust des Stirrimrechts durch die vorzugsweise Behandlung bei der Gewinnverteilung kompensiert. 46 Dem Verlust der Kontrollrechte entspricht somit eine Stärkung der Vermögensrechte. Allerdings enthält das Gesetz auch einige Einschränkungen hinsichtlich der Gleichbehandlung der Aktionäre. So können Aktionäre auf ihre Gleichbehandlung verzichten. indem sie einem Hauptversammlungsbeschluß zustimmen. der sie gegenüber anderen Aktinären benachteiligt. 47 Durch den Zustimmungsvorbehalt für die betroffenen Aktionäre werden grundsätzliche Bedenken gegen eine nachträgliche Änderung der Satzung. die die Rechtsstellung des Aktionärs betreffen. weitgehend ausgeräumt. 4s Allerdings dürfte es erforderlich sein. im Einzelfall die Freiwilligkeit der Zustimmung eines Minderheitsaktionärs zu überprüfen. Darüber hinaus sind Satzungsbestimmungen zulässig. die die Stimmkraft von Aktienpaketen. die ein bestimmte Größenordnung überschreiten. beschränken. 49 Der BGH hat es für zulässig erachtet. eine solche Stimmrechtsbeschränkung auch nachträglich durch einfache Satzungsänderung einzuführen. 50 Wesentliche Funktion dieser Vorschrift soll es sein. eine Majorisierung durch Großaktionäre zu verhindern. sowie feindlichen Übernahmen entgegenzuwirken. 51 Mit anderen Worten. der Minderheitenschutz sowie der Bestand der Gesellschaft und seiner Eigentumsstruktur soll eine Einschränkung der property rights der Aktionäre rechtfertigen. Mehrstimmrechte waren nach dem Aktiengesetz von 1937 ebenfalls zulässig. Danach konnte ein Aktionär mit nur geringen Aktienanteilen erheblichen Einfluß auf die Geschicke des Unternehmens nehmen. Diese Vorschrift wurde im Aktiengesetz von 1965 geändert. wobei je-

§ 12 AktG. Siehe auch Hüjfer, Aktiengesetz. § 12 Rn. 5. § 53a Rn. 5 § 12 I AktG. 46 § 139 I AktG. 47 Hü!fer. Aktiengesetz § 53a Rn. 5. 4S Zu diesen Bedenken siehe insbesondere Bebchuk. Lirniting Contractual Freedom in Corporate Law: The Desirable Constraints on Charter Amendments. 49 § 134 AktG. 50 BGHZ 70. 117. 51 Schmidt. Gesellschaftsrecht § 28 IV 4.b.aa. 44

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doch bestehende Mehrstimrnrechte zunächst rechtlich zulässig blieben. Nach dem KonTraG erlöschen Mehrstimrnrechte nunmehr fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, es sei denn, die Hauptversammlung beschließt ihre Fortgeltung mit einer qualifierzierten Mehrheit von mindestens drei Viertel ihrer Stimmen. 52 Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß in einem zunehmend globalisierten Kapitalmarkt die Aktie als Anlageinstrument standardisiert wird und Investoren nicht durch bestehende Mehrstimmrechte anderer Aktionäre überrascht werden sollen. 53 Dem gleichen Zweck dient die Regelung, daß bei börsennotierten Unternehmen Höchststimmrechte ebenfalls nicht mehr zulässig sind. 54 Für börsennotierte Unternehmen nähert sich die neue Gesetzeslage somit deutlich einer zwingenden "one share-one vote" Regel, die in den meisten anderen Rechtsordnungen lediglich fakultativ vorgesehen ist. 55

c) Partizipation

Alle Aktionäre sind befugt, an den Sitzungen der Hauptversammlung teilzunehmen, unabhängig davon, ob sie über Aktien mit oder ohne Stimmrecht verfügen. 56 Die Beteiligung der Aktionäre an wesentlichen Entscheidungen wird dadurch gesichert, daß eine Reihe von Entscheidungen in die ausschließliche Zuständigkeit der Hauptversammlung gestellt werden. Allerdings können an diesen Entscheidungen lediglich Aktionäre teilnehmen, die im Besitz von stimmrechtsfähigen Aktien sind. Hierzu zählt die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats, die Verwendung des Bilanzgewinns, die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufischtsrats, die Bestellung des Abschlußprüfers, Satzungsänderungen, Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung, die Bestellung von Prüfern im Zusammenhang mit der Gründung oder der Geschäftsführung und schließlich die Auflösung der Gesellschaft. 57 Wie die Aufzählung zeigt, gehören hierzu wichtige Grundlagenentscheidungen, die die Aktionäre in ihren property rights betreffen. 58 Ein Entscheidungsrecht der

52 § 5 EGAktG n.F. Kritisch zu diesen Bestrebungen Zöllner/Hanau, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Beseitigung von Mehrstimmrechten bei Aktiengesellschaften. 53Ähnlich Zimmer, Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensvereich, S. 3527. 54 § 134 Abs. 1 S. 2 AktG n.F. 55 Siehe hierzu die vergleichende Übersicht bei La Porta/Lopez-de-Silanes/ Shleijer/Vishny, Law and Finance. 56 Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 269. 57 Siehe den Katalog in Art. 119 Abs. 1 AktG. 58 Zu diesen Entscheidungen gehören u.a die Umwandlung, Eingliederung, Vermögensübertragung (die mittlerweile im UmwG geregelt sind) sowie der Abschluß von

2. Kontrollrechte

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Hauptversammlung der Aktionäre wird auch in anderen Vorschriften vorgesehen, auf die im Zusammenhang mit den einzelnen Rechten der Aktionäre eingegangen werden soll.59 Die Bedeutung einiger dieser Entscheidungen, wie beispielsweise über die Satzungsänderungen. das Bestehen der Gesellschaft, ihre Kapitalstruktur sowie die Anteilsrechte der Aktionäre wird dadurch unterstrichen, daß das Gesetz in diesen Fällen eine Dreiviertelmehrheit der Stimmen bzw. des Kapitals anordnet. 60 Im übrigen sind Aktionäre von der Beteiligung an der Geschäftsführung ausgeschlossen. Dieser Grundsatz wird dadurch verstärkt, daß das Gesetz vorschreibt, daß die Hauptversammlung nur über solche Entscheidungen der Geschäftsführung entscheiden kann, die der Vorstand ihr zur Entscheidung vorlegt. Aus dieser Vorschrift ist zum Teil abgeleitet worden, daß die vom Vorstand vertretenen Interessen der Gesellschaft Vorrang vor den Interessen der Aktionäre hätten. 61 Allerdings hat sich in den letzten Jahren ein Wandel vollzogen und den Aktionären wird mittlerweile das Recht zugestanden, an wichtigen Unternehmensentscheidungen beteiligt zu werden. Es liegt somit nicht im freien Ermessen der Unternehmensleitung zu entscheiden. wann die Hauptversammlung zu beteiligen ist. Vielmehr hat sie hierbei die Interessen der Aktionäre als Anteilseigner zu berücksichtigen. Eingeleitet wurde dieser Wandel durch die Holzmüllerentscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1983.62 Nach dieser Entscheidung ist der Vorstand verpflichtet, bei Struktumaßnahmen von herausragender Bedeutung, wie beispielsweise der Ausgliederung des wertvollsten Teils des Betriebes aus dem Gesellschaftsvermögen und seiner Übertragung auf eine Tochtergesellschaft, die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen. Der BGH hat mit dieser Entscheidung von einer formalen Betrachtung, die der Hauptversammlung allein in den gesetzlich oder satzungsmäßig geregelten Fällen ein Mitwirkungsrecht einräumt, Abstand genommen, und aufgrund einer an der Stellung der Aktionäre in der Gesellschaft orientierten Interessenabwägung ihre Zuständigkeit in derartigen Angelegenheiten bejaht. Im Schrift-

Untemehmensverträgen (§§ 291 ff. AktG). Siehe dazu die Darstellung zu den Verftlgungsrechten unter 3.b. 59 Einen Überblick über die einzelnen Vorschriften gibt Hüffer § 119 Rn. 9. 60 Siehe § 179 Abs. 2 (Satzungsänderung); § 262 Abs.I Nr. 2 (Auflösung), § 274 Abs. 1 Nr. 2 (Fortsetzung der aufgelösten Gesellschaft), § 182 Abs. 1 (Kapitalerhöhung), § 202 Abs. 2 (Genehmigtes Kapital). § 207 Abs. 2 (Kapitalerhöhungen aus GeseIlschaftsmitteln), §§ 221 Abs. 1.229 Abs. 3 (Kapitalherabsetzung). 61Zur Stellung der Hauptversammlung im Verhältnis zu den anderen Gesellschaftsorganen siehe auch Kühler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen. S. 265 f. 62 BGHZ 83. S. 122 ff. (131). Zur Notwendigkeit einer Zustimmung der Hauptversammlung bezüglich Sachverhalten. die Strukturänderungen der Gesellschaft betreffen, siehe auch Schmidt, Gesellschaftsrecht. § 30 1.1.

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turn wird die Entscheidung unterschiedlich, überwiegend wohl kritisch beurteilt. 63 Wesentlich differenzierter ist das Partizipationsrecht des Aufsichtsrates im Aktiengesetz geregelt. Der Aufsichtsrat sol1 den Vorstand laufend beraten sowie an bestimmten Entscheidungen der Geschäftsführung mitwirken. 64 Inhaltlich ist die Überwachungsfunktion nicht näher ausgestaltet. Aus der gesetzlich normierten Berichtspflicht des Vorstandes läßt sich jedoch im Urnkehrschluß entnehmen, welche wesentlichen Informationen die Aufsichtsratsmitglieder regelmäßig zur Kenntnis nehmen müssen. Hierzu zählen Berichte über die beabsichtigte Geschäftspolitik und die künftige Unternehmensführung, die Rentabilität der Gesel1schaft, den Gang der Geschäfte sowie einzelne Geschäfte, die für die Rentabilität der Gesel1schaft von besonderer Bedeutung sein können. 65 Wie bereits erwähnt, wurde durch das KonTrag klargestel1t, daß die Berichtspflicht auch zukunftsorientiert ist und Geschäftspläne mit einbezieht. Um die Qualität der Kontrol1e durch den Aufsichtsrat zu verbessern, wird zum Teil eine konkretere Inhaltsbestimmung durch Gesetz oder aber durch die Geschäftsordnungen des Aufsichtsrates und des Vorstandes gefordert. 66 Jedoch wird dem zu Recht entgegengehalten, daß eine gesetzliche Ausformulierung der formalen Funktion des Aufsichtsrats die Kontrol1funktion dieses Organs in der Praxis nicht wesentlich verbessern würde. 67 Entscheidender sind demgegenüber die notwendigen Anreizstrukturen für eine verantwortungsvol1e Wahrnehmung der Schlüsselfunktionen des Aufsichtsrats. Neben den generel1en Kontrol1aufgaben können bestimmte Entscheidungen der Geschäftsführung an die Zustimmung des Aufsichtsrats geknüpft werden. 68

63 Siehe Hü!fer, Aktiengesetz § 76 Rn 17, 18 mwN; Mertens in Großkomm § 76 AktG Rdn. 51 ff. Kritisch auch Schmidt, Gesellschaftsrecht § 28 V 2b; sowie Martens, Die Entscheidungsautonomie des Vorstands und die "Basisdemokratie" in der Aktiengesellschaft, der darin einen Angriff auf die Effizienz der Unternehmensführung sieht sowie die Entscheidung mit den Strukturprinzipien des Aktienrechts für unvereinbar hält. Zustimmend demgegenüber Hübner, Die Ausgliederung von Unternehmensanteilen in aktien- und aufsichtsrechtlicher Sicht, der jedoch den Lösungsansatz des BGH (§ 119 Abs. 2 AktG) für bedenklich hält und demgegenüber eine analoge Anwendung des § 293 AktG vorschlägt. Ebenfalls zustimmend Lutter, Organzuständigkeit im Konzern, der die Notwendigkeit der Anpassung existierender aktienrechtlicher Vorschriften für Konzernstrukturen betont (insbesondere S. 840 f.). 64 Lutter, Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, S. 289; BGHZ 114, S. 127 ff. (130). Dazu Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn 249. 65 § 90 AktG. 66 So beispielsweise Lutter, Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, S. 290 f. 67 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft Rn. 86, 87. 68 § 111 IV S.2 AktG.

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Diese Vorschrift ist keine Ermächtigung für die direkte Beteiligung des Aufsichtsrats an der Geschäftsführung. Sie lockert vielmehr das grundsätzliche Verbot, daß einer direkten Mitwirkung des Aufsichtsrats an der Geschäftsführung entgegensteht.69 Einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte sieht das Gesetz nicht vor. 70 Hinsichtlich der Zustimmungsbedürftigkeit von Entscheidungen der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat zeichnen sich in der Rechtsprechung ähnliche Tendenzen ab wie bei der Pflicht des Vorstandes, bestimmte Entscheidungen der Hauptversammlung vorzulegen. So hat der BGH jüngst entschieden, daß der Aufsichtsrat verpflichtet sein kann, die Vorstandstätigkeit an seine Zustimmung zu binden. Auch in diesem Fall schrumpft das dem Aufsichtsrat grundsätzlich zustehende Ermessen für die Frage, welche Geschäfte von seiner Zustimmung abhängig gemacht werden sollen, auf Null. 71 Die von der Rechtsprechung konstatierte Handlungspflicht unterscheidet sich für die beiden Organe der Gesellschaft. Während einerseits der Vorstand verpflichtet wird, eine Entscheidung der Hauptversammlung vorzulegen, obliegt es andererseits dem Aufsichtsrat, seine Zustimmungskompetenz gegenüber dem Vorstand auszudehnen. Der Unterschied kann damit erklärt werden, daß das Gesetz die Hauptversammlung gänzlich von der Mitwirkung an Unternehmensentscheidungen ausschließt und das Initiativrecht ausschließlich auf den Vorstand überträgt, während der Aufsichtsrat durch seine eigene Geschäftsordnung bestimmte Entscheidungen an sich ziehen kann. Allerdings kann die Hauptversammlung die Kontrolle des Vorstandes dadurch verstärken, daß sie in der Satzung Maßnahmen bestimmt, die in jedem Fall der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen.72 In einigen Fällen bestimmt das Gesetz ausdrücklich eine Beteiligung des Aufsichtsrats bei Entscheidungen, die in die Zuständigkeit des Vorstandes fallen. Dies gilt für die Feststellung des Jahresabschlußes und die Bildung von Rücklagen der Gesellschaft. 73 Darüber hinaus ist seine Zustimmung erforderlich, wenn der Vorstand beabsichtigt, neue Aktien auf der Grundlage geneh-

69 So können nicht alle Entscheidungen von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden. Vielmehr soll dies auf erhebliche Geschäfte beschränkt sein. Siehe hierzu Mertens in Kölner Komm § 111 Rn 65 ff. 70 Lutter, Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, S. 300. 71 BGHZ 124, 111 S. 127. Brandes, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Aktiengesellschaft, S. 2183. Kritisch demgegenüber Dreher, ZHR 158 (1994), 614 S. 634 f. 72 § 111 IV S. 2 AktG überläßt es alternativ der Satzung oder der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates, diese Maßnahme anzuordnen. Demgegenüber kann durch Satzung die Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung nicht erheblich erweitert werden. Dies ergibt sich aus der zwingenden Kompetenzverteilung zwischen Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat, die das Gesetz vorsieht (§ 23 V AktG). 73 §§ 172,58,59 AktG.

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migten Kapitals auszugeben. Der Zustimmungsvorbehalt bezieht sich in diesen Fällen auf den Umfang der Rechte. die die ausgegebenen Aktien vermitteln sowie auf die Bedingungen der Aktienausgabe. 74 Der Aufsichtsrat soll die Hauptversammlung einberufen. wenn das Wohl der Gesellschaft dies erfordert. 7s Für die Feststellung der Erforderlichkeit wird dem Aufsichtsrat ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt. Schließlich obliegt es dem Aufsichtsrat. in Fällen. bei denen ein Interessenskonflikt zwischen den Interessen der Unternehmensflihrung und der Gesellschaft vorliegt. wie insbesondere bei der Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder, seine Zustimmung zu erteilen. Gleiches gilt flir die Befreiung der Mitglieder des Vorstandes von dem Wettbewerbsverbot. 76

d) Stimmrechte Die Grundzüge des Stimmrechts sind bereits im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz dargestellt worden. Das Stimmrecht ist das wichtigste Verfahrensrecht der Aktionäre flir die Durchsetzung ihrer Kontrollrechte. Zu weiteren wichtigen Verfahrensrechten neben den Stimmrechten gehören Informationsrechte. Zustimmungs- und Genehmigungsrechte sowie Anfechtungsund Klagerechte. Diese Verfahrensrechte sind somit weitgehend identisch mit den Rechten. die im deutschen Schrifttum als Verwaltungsrechte des Aktionärs bezeichnet werden. 77 Inhalt und Umfang der Stimmrechte werden nicht nur durch das jedem Aktionär zustehende Stimmgewicht. sondern auch durch das Abstimmungsverfahren bestimmt. Hier gilt grundsätzlich das einfache Mehrheitsprinzip. Für Satzungsänderungen sieht jedoch das Gesetz eine qualifizierte Mehrheit vor. 78 Eine Verschärfung des einfachen Mehrheitsprinzips sieht das Gesetz für Entscheidungen vor. die die Grundrechte der Aktionäre betreffen (siehe oben unter c.). Aktionäre müssen bei der Stimmabgabe nicht persönlich anwesend sein. Vielmehr können sie eine schriftliche Stimmrechtsvollmacht ausstellen bzw. eine Legitimationsübertragung vornehmen. Der Unterschied zwischen Stimmrechtsvollmacht und Legitimationsübertragung liegt darin. daß bei der Legiti§ 204 I AktG. § 111 III AktG. 76 §§ 88, 89 AktG. n Hierzu zählen das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung, das Auskunftsrecht, das Stimmrecht, und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen. Neben den Verwaltungsrechten stehen den Aktionären Vermögensrechte zu. Die Verftlgungsrechte werden demgegenüber meistens nicht als eigenständige Kategorie aufgefllhrt. Hüffer § 11 Rn. 3; Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 243. 78 § 179 Abs. 2. 74

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mationsübertragung der Abstimmende in eigenem Namen abstimmt, während er andernfalls als Stimmrechtsvertreter auftritt. 79 Nicht ausdrücklich geregelt ist der Fall, daß das Stimmrecht auf die Gesellschaft selbst übertragen wird. Allerdings nimmt die herrschende Lehre an, daß dies unzulässig sei. Dies wird vor allem daraus geschlossen, daß der Gesellschaft Rechte aus ihren eigenen Aktien nicht zustehen. 80 Folglich sollen die Vertreter der Gesellschaft auch nicht Rechte aus fremden Aktien wahrnehmen können. Ebenfalls nicht geregelt ist die Abstimmung durch Briefwahl, die in den USA als "proxy by mail" weite Verbreitung gefunden hat. Besondere Aufmerksamkeit gilt in der deutschen Diskussion der Übertragung des Stimmrechts auf Banken. 81 Das Depotstimmrecht der Banken läßt sich auf zwei wesentliche Faktoren zurückführen. Zum einen spielen die Banken eine wichtige Rolle als Berater und Verkäufter von Unternehmensaktien. Zum anderen begünstigt der Umstand, daß Aktien in der Regel als Inhaberaktien ausgegeben werden, Kleinaktionäre jedoch in Sammelurkunden verzeichnet sind, eine Institutionalisierung der Stimmrechtsausübung. 82 Die Stimmrechtsübertragung ist weisungsfrei. Allerdings müssen die Banken für die Ausübung der Stimmrechte um Weisungen nachsuchen. Nur für den Fall, daß die Aktionäre keine Weisungen erteilen, kann das Stimmrecht weisungsfrei ausgeübt werden. 83 Das Stimmrecht kann jederzeit widerrufen werden und darf bei einer Übertragung auf Kreditinstitute 15 Monate nicht überschreiten. 84 Die Ausübung der Stimmrechte von Kleinaktionären durch Kreditinstitute kann zu Interessenkonflikten führen. Diese liegen weniger darin, daß Kreditinstitute oftmals zugleich Aktien des gleichen Unternehmens in eigenem Namen halten. Dann kann nämlich davon ausgegangen werden, daß die Banken genuine Eigentümerinteressen wahrnehmen. 85 Interessenkonflikte können sich demgegenüber vor allem daraus ergeben, daß die Banken oftmals zugleich als Kreditgeber dieses Unternehmens fungieren. 86

79§ 134 Abs. 3 AktG (Stimmrechtsvollmacht), § 129 Abs. 3 (Legitimationsllbertragung). 80 § 7tb AktG. 81 Umfassend hierzu Mülbert, Empfehlen sich gesetzliche Regelungen zur Einschränkung des Einflusses der Kreditinstitute auf Aktiengesellschaften?, S. E 40 ff. 82 Baums, The German Banking System, S. 426 ff. 83 In der Praxis machen nur lediglich 2 bis 3 Prozent der Aktionäre von ihrem Weisungsrecht Gebrauch. Siehe Adams, Usurpation von Aktionärsbefugnissen mittels Ringverflechtung in der "Deutschland AG", S. 152. 84 § 135 11 AktG. 85 Ebenso Baums, Stellungnahme zur Aktienreform 1997, S. 29. 86 Siehe hierzu auch Hopt, Self-Dealing and the Use of Corporate üpportunity and Information: Regulating Directors' Conflicts of Interest, S. 304 ff.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

Mit dem KonTraG wurde die Mitteilungspflicht des Vorstandes gegenüber den einzelnen Aktionären hinsichtlich ihres Rechts, ihr Stimmrecht zu übertragen, erweitert. Die Mitteilung soll den ausdrücklichen Hinweis enthalten, daß eine Stimmrechtsübertragung auch auf bankunabhängige Vertreter möglich ist. 87 Darüber hinaus erfährt die Stellung der Banken insofern eine Einschränkung, als daß die Ausübung des Stimmrechts einer Einzelanweisung bedarf, wenn die vertretenen Aktien mehr als 5 Prozent des Grundkapitals ausmachen. 88 Das Stimmrecht der Aktionäre kann in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein. Wichtigster gesetzlich geregelter Fall ist die Interessenkollision. Liegen bei einem Aktionär Sonderinteressen vor, so ist er von der Abstimmung ausgeschlossen. 89 Allerdings erfaßt das Aktiengesetz lediglich wenige typisierte Fälle der Interessenkollision, wie die Entlastung, die Befreiung von Verbindlichkeiten und die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft. Durch Änderung des Aktiengesetzes von 1965 wurden Verträge zwischen der Gesellschaft und einem Aktionär von dem Stimmverbot ausgenommen. Diese gesetzliche Entwicklung steht nach herrschender Meinung im Schrifttum auch der Ableitung eines allgemeinen Stimmrechtsverbots bei Interessenkollision im Wege der Rechtsanalogie entgegen. 9O Die Funktion des Aufsichtsrats ist es, die Geschäftsführung zu überwachen. 9 \ Hierzu gehört zunächst das Recht, die Mitglieder des Vorstandes einschließlich des Vorstandsvorsitzenden zu bestimmen und wieder abzurufen sowie dem Vorstand eine Geschäftsordnung zu geben. 92 Der Vorstand kann für die Dauer von fünf Jahren bestimmt werden, was im Vergleich zu Regelungen anderer Länder, wie beispielsweise den Vereinigten Staaten, lang ist. 93 Die Möglichkeit, 87 § 125 Abs. 1 AktG n.F. Siehe auch Zimmer, Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensvereich, S. 3525. 88 § 135 Abs. 1 S. 3 AktG. n.F. Siehe hierzu auch Assmann, Zur Reform des Vollmachtstinunrechts der Banken nach dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG-E), insbes. S. 106. 89 § 136 I AktG. Zu den Einzelheiten siehe Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 272. 90 Zöllner in Kölner Komm § 136 Rn. 6 sowie Rn. 26. 9\ § 111 I AktG. Grenzen der Überwachungspflicht ergeben sich aus § 90 AktG, der die Berichtspflicht des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat normiert. Alle berichtspflichtigen Angelegenheiten unterliegen der Überwachung. Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft Rn. 103. Mertens in Kölner Komm § 90 Rn. 2, 4. 92 §§ 84, 77 AktG. 93 In den meisten Bundesstaaten der USA gilt, daß die Mitglieder des board of directors lediglich bis zur nächsten Hauptversammlung, d.h. in der Regel flir ein Jahr gewählt werden. Siehe dazu unten Kapitel VI. Das Argument Küblers, nach dem die 5Jahresregelung der Intensivierung der Kontrolle des Vorstandes dient, kann daher nicht überzeugen. Siehe dazu Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 250.

2. Kontrollrechte

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Mitglieder des Vorstandes vorzeitig zu entlassen bzw. nicht wieder zu wählen, stellt jedenfalls theoretisch eine wichtige Sanktion zur Verfügung, wenn auch in der Praxis davon lediglich in Krisensituationen Gebrauch gemacht wird. 94 Rechtlich ist die Entlassung als Kontrollmittel insofern eingeschränkt, als daß Mitglieder des Vorstandes vor Ablauf ihrer Amtszeit nur aus wichtigem Grund ihres Amtes enthoben werden können. 95 Die Anforderungen an die Gründe sind jedoch weniger hoch als für § 626 BGB. Ein Vorstandsmitglied kann somit von seiner Organfunktion bei Fortbestehen des Angestelltenverhältnisses entbunden werden. 96

e) Bezugsrecht

Ebenfalls zu den Kontrollrechten der Aktionäre gehört das Recht der Aktionäre, im Falle der Kapitalerhöhung ihren vor der Kapitalerhöhung bestehenden relativen Anteil beizubehalten. Technisch kann dies dadurch erreicht werden, daß den Aktionären ein Bezugsrechte eingeräumt wird. Das Aktiengesetz sieht ein Bezugsrecht vor, welches grundsätzlich nur durch Beschluß der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit, nicht jedoch durch eine Entscheidung der Verwaltungsorgane der Gesellschaft aufgehoben werden kann. 97 Zulässig soll der Ausschluß des Bezugsrecht dann sein, wenn die Aktienemission 10 Prozent des Grundkapitals nicht überschreitet und der Preis, zu dem sie angeboten werden, den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. 98 Damit soll die Unter-

94 Für eine kritische Stellungnahme zu dem Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat siehe Bemhardt, Aufsichtsrat - die schönste Nebensache der Welt?, S. 315 f.; sowie Götz, Die Überwachung der Aktiengesellschaft im Lichte jüngerer Untemehmenskrisen, S. 353. Empirische Untersuchungen legen jedoch nahe, daß in Krisensituationen die Abberufung der Geschäftsfllhrung ähnliche effektiv ist wie in anderen Ländern. Für einen Vergleich des "management turnover" in Japan und den Vereinigten Staaten auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite siehe Kaplan, Top Executive Rewards and Firm Perforamnce: A Comparison of Japan and the U.S.; und Kaplan, Top Executives, Turnover, and Firm Performance in Germany. Für eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse in deutscher Sprache siehe Kaplan, Corporate Governance und Unternehmenserfolg: ein Vergleich zwischen Deutschland, Japan und den USA. 95 § 84 111 AktG. 96 Kühler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 252; Mertens in Kölner Komm § 84 Rn. 63. 97 § 186 111 S.1 AktG. 98 § 186111 S. 4 AktG. Dabei muß die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck gewahrt sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Ausschluß des Bezugsrechts das angemessene und am besten geeigneste Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschafsinteressen ist. Siehe hierzu Brandes, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Aktiengesellschaft, S. 2185.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

nehmensfinanzierung durch Eigenkapitalaufnahme erleichtert werden. 99 Allerdings besteht die Gefahr, daß auf diese Weise die Eigentumssstruktur des Unternehmens nach den Vorgaben des Unternehmensmanagements geändert bzw. Unternehmensanteile unkontrolliert gegen Rabatt verkauft werden. loo

t) Minderheitenrechte

Das Gesetz geht zwar von dem Grundsatz der Gleichheit aller Aktionäre aus, erkennt aber zugleich die besondere Situation der Minderheitsaktionäre an. Deren Position ist nicht nur gegenüber der Unternehmensführung schwach, sondern auch gegenüber Aktionären, die wesentlich größere Aktienpakete kontrollieren. Allerdings gewährleistet das Gesetz Minderheitenschutz nur in AusnahmeflilIen. So sieht das deutsche Aktiengesetz auch fakultativ kein kumulatives Stimmrecht vor, welches den Einfluß von Minderheitsaktionären auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates erhöhen könnte. 101 Der Minderheitenschutz wird im wesentlichen dadurch gewährleistet, daß Aktionären, die gemeinsam über einen bestimmten Teil des Grundkapitals verfügen, das Recht zugestanden wird, eine Entscheidung durch die Aktionäre bzw. eine gerichtliche Intervention herbeizuführen. Die Entscheidung der Sache nach bleibt dabei der Mehrheit der Aktionäre bzw. dem Gericht überlassen. Minderheitenschutz wird somit durch Verfahrensrechte gewährleistet. Zu den wichtigsten gesetzlich geregelten Fällen gehört das Recht, einen gerichtlichen Antrag auf Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds zu stellen,102 über Wahlvorschläge für Aufsichtsratsmitglieder abzustimmen,I03 eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen 104 sowie einen SonderpTÜfer zu bestellen. 105 Für die meisten Entscheidungen ist erforderlich, daß die Aktionäre, die einen entsprechenden Antrag geltend machen, über 10 Prozent des Grundkapitals verfügen oder ihr gemeinsames Aktienkapital einen Nennbetrag von 2 Millionen DM erreicht. Demgegenüber genügt für die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung, daß die Minderheitsaktionäre den zwanzigsten Teil des Grundkapitals vertreten. Unerheblich ist, ob

Hüjfer, Aktiengesetz § 186 Rn. 39a. 100 Kritisch zu diesen Entwicklungen insbesondere Adams, Stellungnahme zur Aktienrechtsreform 1997, S. 22. 101 Für eine Diskussion des cumulative voting aus deutscher Sicht, siehe Overrath, Minderheitsvertreter im Aufsichtsrat?, der zwar eine Vertretung der Minderheitsaktionäre im Aufsichtsrat befürwortet, das kumulative Wahlrecht hierfür jedoch als suboptimale Lösung ansieht. 102 § 103 III AktG. 103 §I37 AktG. 104 § 122 AktG. lOS §§ 142, 147 AktG. 99

2. Kontrollrechte

127

diese Aktien Stimmrechte verleihen oder stimmrechtslose Vorzugsaktien sind. Die Satzung kann geringe Anforderungen stellen, so daß selbst die Inhaberschaft einer Aktie genügen kann. Sie darf jedoch die Voraussetzungen nicht verschärfen. 106

g) Informationsrechte

Zur Ausübung ihrer Stimmrechte stehen den Aktionären Informations- und Auskunftsansprüche zur Verfügung. In weIchem Umfang Aktionäre Ansprüche auf Auskunft geltend machen werden, richtet sich im Zweifel danach, in weichem Umfang ihnen Informationen unabhängig von einzelnen Begehren zur Verfugung gestellt werden. Es besteht somit ein enger Zusammenhang zwischen den Informationen, die etwa im lahresabschluß enthalten sind und zusätzlichen Begehren auf Auskunftserteilung. Eine umfassendes Informationsrecht der Aktionäre besteht in erster Linie bezüglich des lahresabschlußberichts. 1985 wurde eine Vorschrift in das Aktiengesetz eingeführt, nach der jeder Aktionär den vollständigen lahresabschlußbericht, d.h. nicht nur die verkürzte Form anfordern kann, da letzterer keine vollständige Rechenschaft enthält. 107 Darüber hinaus haben die Aktionäre ein allgemeines Auskunftsrecht nach § 131 AktG. Der Umfang dieses Auskunftsrechts ist umstritten. Während die herrschende Lehre in den Informationsrechten bloße Hilfsrechte für die sachgerechte Wahrnehmung der Stimmrechte sieht, wird von der Rechtsprechung zum Teil ein umfassender Auskunfts- und Kontrollanspruch abgeleitet. lOS Schuldnerin des Auskunftsanspruchs der Aktionäre ist nach herrschender Meinung die Aktiengesellschaft. I09 Der Vorstand hat die Informationen in Vertretung der Gesellschaft zusammenzustellen und zu übergeben. Allerdings wird auch vertreten, daß sich der Anspruch direkt gegen den Vorstand richtet. liD Das Auskunftsrecht kann mündlich oder schriftlich geltend gemacht werden. Entscheidend ist, daß

Hüffer, § 122 Rn. 8. Siehe § 131 I, S.3. Dazu Hüffer, §131 Rn. 20. 108 Für eine Darstellung der Literatur und Rechtsprechung zu diesem Thema siehe Groß, Informations- und Auskunftsrecht des Aktionärs. In seiner Übersicht zur Rechtsprechung des BGH zum Aktienrecht weist der Vorsitzende Richter des BGH jedoch darauf hin, daß eine Auskunftspflicht lediglich bezüglich Gegenständen besteht, die zur Beurteilung einzelner Tagesordnungspunkte erforderlich sind. Siehe Brandes, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Aktiengesellschaft, S. 2184. 109 Hüffer, § 131 Rn. 5. 110 Kühler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 270. 106

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

ein entsprechendes Begehren vorgetragen wird, denn von sich aus ist der Vorstand nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet. 111 Das Begehren kann sich auf alles beziehen, was zum Gegenstand der Aktiengesellschaft und ihrer Tätigkeit gehört. Es stellt daher dem Grundsatz nach ein allgemeines Informationsrecht dar. ll2 Eine Einschränkung ergibt sich jedoch daraus, daß nach dem Wortlauf des Gesetzes nur solche Gegenstände auskunftspflichtig sind, die für eine sachgemäße Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich sind. Zur Bestimmung des Umfangs der Auskunftspflicht wird allgemein auf den Standpunkt eines "objektiv denkenden Aktionärs" bzw. eines "Durchschnittsanlegers" abgestellt. 113 Die Konturen des Auskunftsrechts sind damit nicht deutlich abgegrenzt. Es überrascht daher nicht, daß sich zu diesem Thema eine umfangreiche Judikatur entwickelt hat. Verneint wird eine Auskunftspflicht hinsichtlich Gegenständen, zu denen der Aktionär selbst Zugang hat, wie beispielsweise Informationen, die in dem Jahresabschluß enthalten sind. Strittig ist der Umfang des Informationsrechts der Aktionäre hinsichtlich Minderheitsbeteiligungen der Gesellschaft an anderen Unternehmen. Ein Auskunftsrecht wird in der Rechtsprechung angenommen, wenn die Beteiligung einen erheblichen Umfang annimmt, was dann der Fall sein soll, wenn sie mindestens 10 Prozent der Stimmrechte beträgt oder 10 Prozent des Grundkapitals überschreitet. 114 Dem wird zum Teil entgegengehalten, daß die Aktienanalyse nicht zu den organschaftlichen Aufgaben der Hauptversammlung gehört. Entscheidungserheblich seien derartige Tatsachen lediglich dann, wenn sich aus ihnen Konkretes für die Entlastung des Vorstandes, für Rücklagendotierung oder dergleichen ergäbe. 115 Die Diskussion und Rechtsprechung über den Umfang der Informationsrechte der Aktionäre spiegelt das Dilemma wieder, die Position der Aktionäre im Unternehmen zu definieren, wenn diese lediglich als eine von mehreren grundsätzlich gleichberechtigten Interessengruppen verstanden werden. Nur solche Informationen können von ihnen eingefordert und zur Not eingeklagt werden, die sich aus ihrer gesetzlich definierten organschaftlichen Stellung ergeben. Sieht man Aktionären als Inhaber der property rights am Unternehmen, dürfte ihr Informationsanspruch erheblich weiter gehen. Sie sind dann nicht lediglich befugt, Auskunft über Gegenstände der Tagesordnung einzuholen, son-

HüjJer, § 131 Rn. 8. Hüjjer, § 131 Rn. 11; Zöllner in Kölner Komm § 131 Rn. 18 f. 113 HüjJer, § 131 Rn. 12, 18 mwN. Ebenso Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 270. 114 KG AG 1994,83 (Siemens) unter ausdrucklichen Hinweis auf die EG Transparenz-Richtlinie. Ebenso KG AG 1994,469 (Allianz). 115 HüjJer, § 131 Rn. 19a. 111

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2. Kontrollrechte

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dem haben grundsätzlich ein umfassendes Recht, über alle Gegenstände, die ihre Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte betreffen, informiert zu werden. Dabei soll nicht verkannt werden, daß die Einholung bestimmter Informationen mit erheblichen Kosten verbunden sein kann und daß es daher gilt, dem Informationsbegehren von Aktionären im Einzelfall Grenzen zu ziehen. Doch wäre zunächst von dem Grundsatz eines umfassenden Informationsrechtes unabhängig von den jeweiligen Tagesordnungspunkten auszugehen. Neben diesem allgemeinen Auskunftsrecht sieht das Aktiengesetz eine Reihe weiterer Informationsrechte der Aktionäre vor. Hierzu zählt insbesondere das Recht, rechtzeitig vor der Hauptversammlung über Örtlichkeiten, Zeit und Gegenstand der Hauptversammlung informiert zu werden. Die Einberufung hat mindestens einen Monat im voraus zu erfolgen und die Tagesordnung ist bei der Einberufung bekannt zu machen. Ausnahmen ergeben sich lediglich für den Fall, daß eine Minderheit eine außerordentliche Hauptversammlung einberuft. Dann genügt die Bekanntgabe der Tagesordnung innerhalb von zehn Tagen nach Einberufung der Hauptversammlung. 116 Die Informationspflicht besteht nicht nur gegenüber den Aktionären, sondern auch gegenüber Institutionen, die die Stimmrechte der Aktionäre wahrnehmen. Hierzu zählen insbesondere die Kreditinstitutionen wie auch Vereinigungen der Aktionäre, welche an der letzten Hauptversammlung Stimmrechte der Aktionäre wahrgenommen bzw. Mitteilung über die Einberufung der Hauptversammlung verlangt haben. 117 Für die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben stehen dem Aufsichtsrat eine Reihe von Informationsrechten zu. Der Aufsichtsrat hat insbesondere das Recht, laufend geschäftsrelevante Informationen vom Vorstand zu erhalten und Einsicht in Bücher und andere wichtige Dokumente zu nehmen. Darüber hinaus sind ihm der lahresabschlußbericht einschließlich des Konzernabschlusses, der Prüfungsbericht des Abschlußprüfers, sowie Prüfungsberichte, die beherrschte Unternehmen betreffen, vorzulegen. llg Die Informationsrechte des Aufsichtsrates wurden mit Inkrafttreten des KonTraG erweitert. Während bisher nach dem Wortlaut des Gesetzes der Prüfungsbericht nicht allen Mitgliedern des Aufsichtsrates ausgehändigt werden mußte, was in der Praxis oft dazu geführt hat, daß der Prüfungs bericht nach Abschluß der Aufsichtsratssitzung wieder einge-

116 §§ 123 I, 124 I, 11 AktG. Siehe dazu Wemer in Großkornm § 123 Rn. 3 ff. sowie § 124 Rn. 8 ff. 117 § 125 I AktG. Die Einfügung dieser Vorschrift steht in engem Zusammenhang mit dem Depotstimmrecht der Banken und soll das Informationsrecht der Aktionäre stärken. Siehe dazu Wemer in Großkomm § 125 Rn. 2 sowie 3 ff. 118 Siehe §§ 170 1,337 I, 314 I LV.m. 312 AktG. Semler faßt diese Rechte des Aufsichtsrats als "Kompetenzen und Verpflichtung zur eigenen Information" zusammen. Siehe Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft Rn. 92.

9 Pistor

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

sammelt wurde,J19 schreibt das Gesetz nunmehr zwingend vor, daß Vorlagen und Prüfungsberichte jedem Mitglied des Aufsichtsrates auzuhändigen sind. 120 Des weiteren bemüht sich das KonTraG um eine "Emanzipation" des Abschlußprüfers vom Vorstand und eine engere Anbindung desselben an den Aufsichtsrat. 121 So wird der Abschlußbericht nunmehr dem Aufsichtsrat, nicht wie bisher dem Vorstand, erteilt. 122

h) Anfechtungs- und Klagerechte Die Aktionäre können Beschlüsse der Hauptversammlungen gerichtlich anfechten. 123 Die Anfechtung kann darauf gestützt werden, daß Entscheidungen der Hauptversammlung gegen Gesetz oder Satzung verstoßen. In der Praxis kommt der Verletzung von Verfahrensfehlern besondere Bedeutung zu. So können Mängel in der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung, insbesondere die fehlende bzw. fehlerhafte Bekanntgabe der Hauptversammlung oder Verletzungen der gesetzlichen Fristen im Wege der Anfechtungsklage geltend gemacht werden. 124 Hierfür sieht das Gesetz strenge Fristen vor, um dem Interesse an Verkehrssicherheit und Bestandskraft von Hauptversammlungsbeschlüssen Rechnung zu tragen. Die Anfechtungsklage dient auch der Durchsetzung der Auskunftsansprüche der Aktionäre. Sind Informationen, die für die Entscheidung der Aktionäre von Bedeutung waren, nicht zur Verfügung gestellt worden, so kann dies zur Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses im Wege der Anfechtungsklage führen. l25 Gleiches gilt für andere gesetzlich normierte Berichts- und Informationspflichten mit vermögensrechtlichem Einschlag, die im Zusammenhang mit den Vermögensrechten der Aktionäre diskutiert werden sollen. Das Anfechtungsrecht ist jedoch nicht auf eine Kontrolle von Verfahrensverstößen beschränkt. Vielmehr ist gerade in letzter Zeit die

119 Seibert, Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) - Der Referenten-Entwurf zur Aktienrechtsnovelle, S. 6. 120 § 171 Abs. 1 AktG n.F. 121 Zimmer, Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensvereich, S. 3532. 122 Vgl. § 111 Abs. 2 S. 3 AktG n.F. und § 318 Abs. 1 S. 4 HGB aF. Diese Vorschrift war in dem ursprünglichen Referentenentwurf nicht vorgesehen und wurde erst aufgrund ausdrücklicher Kritik an diesem Versäumnis aufgenommen. Siehe beispielsweise Baums, Stellungnahme zur Aktienreform 1997, S. 31. 123 §§ 243 ff. AktG. 124 Hü!fer, § 243 Rn. 14 mwN. 125 BGHZ 36, 121 (132 ff.), der den Gerichten ein uneingeschränktes Prüfungsrecht zubilligt. Siehe auch LG Frankfurt WM 1989, S. 683 (685). Die Frage, ob eine Auskunftsverweigerung kausal rur die Entscheidung der Hauptversammlung ist, ist nach dieser Rechtsprechung unerheblich.

2. Kontrollrechte

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materielle Beschlußkontrolle durch die Rechtsprechung anerkannt und als eigenes Rechtsinstitut etabliert worden. 126 Die rechtspolitische Funktion des Anfechtungsrechts wird mittlerweile kritisch beurteilt. Hintergrund hierfür ist der Mißbrauch des Anfechtungsrechts durch Aktionäre, die mit der Drohung, wichtige Unternehmensentscheidungen aufzuhalten, die Geschäftsführung zu einem .. Abkauf' ihres Anfechtungsrechts bewegen können. 127 Demgegenüber ist die direkte Klagebefugnis der Aktionäre gegen Miglieder des Vorstandes bzw. des Aufsichtsrats nach dem Gesetz auf wenige Ausnahmetatbestände beschränkt. 128 Ein allgemeines Klagerecht kennt. das deutsche Recht somit nicht. Vielmehr ist der Aktionär in der Regel darauf beschränkt, auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen durch Vorstand oder Aufsichtsrat bzw. durch einen eigens für die Erhebung gerichtlicher Ansprüche zu bestellenden Vertreter hinzuwirken. l29 Im Regelfall besteht keine unmittelbare Haftung des Vorstandes gegenüber den Aktionären. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus dem Aktiengesetz, noch läßt er sich dadurch konstruieren, daß die die Sorgfaltspflicht der Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates statuierenden Vorschriften als Schutzgesetze im Sinne des § 823 11 BGB interpretiert werden. 13O Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn zugleich deliktische Tatbestände des Aktienrechts (§§ 399, 400 AktG), des Strafrechts (§ 266 StGB) oder des Deliktsrechts (§ 826 BGB) eingreifen. Selbst wenn den Aktionären nach diesen Vorschriften ein Haftungsanspruch gegen den Vorstand zusteht, können sie ihren eigenen Vermögensschaden in der Regel nicht liquidieren. Denn insoweit ihr Schaden, der in dem Wertverlust ihrer Aktien liegt, lediglich den von der Gesellschaft erlittenen Schaden widerspiegelt, besteht ein sogenannter Doppelschaden. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Gesellschaft in diesem Fall Vorrang vor den Vermögensinteressen der Aktionäre. l3l Um eine doppelte Inanspruchnahme des Vorstandes zu verhindern, können die Aktionäre nicht Leistung an sich, sondern lediglich Leistung an die Gesellschaft verlangen. Für die Aktionäre bestehen jedoch nur geringe Anreize, den Klageweg zu beschreiten, Hüf!er, § 243 Rn. 22. Siehe dazu Kühler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 278 ff. 128 Kritisch auch Kühler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 248. 129 Die Voraussetzungen hierfUr sind in § 147 Abs. 3 AktG geregelt. 126

127

130 Siehe hierzu im einzelnen Hopt. Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat - zugleich ein Beitrag zur corporate governance-Debatte, S. 924; sowie Hüjfer, § 93 Rn. 19 mwN. 131 Für das Aktiemecht siehe insbesondere BGH NWJ 1987, 1077, S. 1079 f. Danach hat der mittelbar geschädigte Gesellschafter nur einen Anspruch auf Ersatz an die Gesellschaft. .

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

wenn sie sich selbst daraus kaum einen vermögenswerten Vorteil erhoffen können. Auch hinsichtlich der Anspruche der Gesellschaft steht den Aktionären kein derivatives Klagerecht zu. Sie können lediglich darauf hinwirken, daß der Aufsichtsrat die Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand geltend macht. 132 Für dieses Klageinitiativrecht ist nach geltendem Recht ein Beschluß der Hauptversammlung oder ein Begehren von Aktionären, die gemeinsam mindestens zehn Prozent das Grundkapitals vertreten, erforderlich. Um dem möglichen Interessenkonflikt der Aufsichtsratsmitglieder aus dem Weg zu gehen, können sie die Bestellung eines besonderen Vertreters beschließen. Hierfür bedarf es der Stimmen von mindestens 10 Prozent der Aktionäre, deren Anteil mindestens zwei Millionen DM erreichen muß. 133 Die prozessualen Hindernisse für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen die Organe der Gesellschaft wurden zunehmend kritisiert. Das KonTraG hat hieran nicht grundsätzlich etwas geändert, jedoch die Hürde für die Erzwingung einer Klage durch Minderheitsaktionäre deutlich gesenkt. So kann bei Vorliegen eines dringenden Verdachts grober Pflichtverletzung ein Aktionärsquorum von lediglich 5 Prozent des Grundkapitals bzw. einem anteiligen Betrag von einer Millionen DM eine Klage initiieren. l34 Umfassender geregelt sind die Klagerechte der Aktionäre im Bereich des Konzernrechts. 135 Für die außenstehenden Aktionäre einer abhängigen Gesellschaft besteht die Gefahr, daß die Interessen des abhängigen Unternehmens durch die herrschende Gesellschaft vernachlässigt werden. Das Gesetz gibt der abhängigen Gesellschaft daher einen Schadensersatzanspruch gegen die gesetzlichen Vertreter der herrschenden Gesellschaft. Dieser Anspruch kann nicht nur von den gesetzlichen Vertretern der abhängigen Gesellschaft, d.h. ihrem Vorstand. sondern auch von ihren außenstehenden Aktionären geltend gemacht werden. 136 In diesem Fall erkennt das Gesetz somit an, daß die Unternehmensführung aufgrund ihrer eigenen Abhängigkeitsstellung nur in Ausnahmefällen Klage erheben wird und gibt den Aktionären im Ergebnis ein eigenes Klagerecht. 137 Sofern den Aktionären über den Schaden, den sie mittelbar durch den

§ 147 I AktG. § 147 111 AktG. 134 § 147 Abs. 3 AktG n.F. Siehe hierzu auch Zimmer, Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Untemehmensvereich. S. 3527. 135 Siehe §§ 309 IV. 310. 317 AktG. 132 133

§§ 309 11, IV, 310 IV, 3171V AktG. Hü./fer, § 309 Rn 21. Eine Übersicht zum Klagerecht der Aktionäre gibt Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen. 136

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2. Kontrollrechte

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Schaden der Gesellschaft erlitten haben, hinaus ein eigener Schaden entstanden ist, können sie diesen ebenfalls geltend machen. \38 Eine Ausweitung dieser Vorschriften auf die unabhängige Aktiengesellschaft ist bisher nicht erfolgt. Sie wird auch in der Literatur weitgehend abgelehnt. Dabei wird im wesentlichen auf die Gefahr ausufernder Klagen und die möglichen nachteiligen Folgen für die Gesellschaft durch Reputationsverlust hingewiesen. 139 Allerdings hat die Rechtsprechung mittlerweile einen Weg gewiesen, mit dem Aktionäre geltend machen können, daß der Vorstand sie bei grundlegenden Entscheidungen übergangen hat. Verfahrenstechnisch w~rd dies durch eine Feststellungsklage bewerkstelligt. Damit ist die Frage der Schadensersatzansprüche jedoch nicht geklärt. Die Möglichkeit der Aktionäre, den Gerichtsweg zur Wahrung ihrer Mitentscheidungsbefugnis zu beschreiten, ist mit der Holzmüllerentscheidung dennoch erheblich verbessert worden. Grundsätzlich vertritt der Vorstand die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. In dem Fall, in dem der Gesellschaft Ansprüche gegen den Vorstand zustehen, ist demgegenüber der Aufsichtsrat zur Vertretung der Gesellschaft berufen. 14O Die Übertragung der Vertretungsbefugnis auf den Aufsichtsrat ist gleichermaßen ein Ersatz für das Fehlen eines eigenen Klagerechts der Aktionäre. Allerdings ist zu bedenken, daß der Aufsichtsrat nur in Ausnahmefällen geneigt sein wird, von seinem Klagerecht Gebrauch zu machen. Denn wo ein zum Schadensersatz verpflichtendes Fehlverhalten des Vorstandes vorliegt, liegt auch ein Aufsichtsratsverschulden nahe. 141 Der Aufsichtsrat wird daher im Zweifel aus Selbstschutz von der Erhebung solcher Ansprüche absehen. Darüber hinaus kann sich der Aufsichtsrat auf die möglichen Schäden, die der Gesellschaft aus einem solchen Prozeß entstehen könnten, berufen. In ihrem Bemühen, die Kontrolle des Vorstandes zu verbessern, betont die Rechtsprechung zwar vermehrt die Pflicht des Aufsichtsrates, Ansprüche gegen den Vorstand eigenständig zu prüfen und geltend zu machen. 142 Offen bleibt dabei jedoch, auf welche Weise das Unterlassen des Aufsichtsrates geahndet werden soll. Denn nach der gegenwärtigen gesetzlichen Lage müßte der Vorstand die Gesellschaft

138 Dies gilt jedenfalls für den Fall, daß die herrschende Gesellschaft die abhängige Gesellschaft zum Abschluß eines für sie nachteiligen Rechtsgeschäfts veraniaßt. Siehe § 3171 S. 2 AktG. 139 Kritisch insbesondere Mertens, Organhaftung. Grundsätzlich zustimmend Hopt, Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat - zugleich ein Beitrag zur corporate govemance-Debatte, der jedoch im Einzelfall eine Klagemöglichkeit für sachgerecht hält. 140 § 112 AktG. Eine Delegation dieses Vertretungsrechts auf andere Geellschaftsorgane ist ausgeschlossen. Siehe dazu Martens in Kölner Komm § 112 Rn. 2 f. 141 So zu Recht Mertens, Organhaftung, S. 158. 142 Siehe BGH WM 1997, 970, der die Pflichten des Aufsichtsrats diesbezüglich konkretisiert. Dazu Horn, Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats, S. 1136 ff.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

vertreten, wenn sie Ansprüche gegen den Aufsichtsrat erhebt. 143 Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß er dies in der Praxis in den Fällen tun wird, in dem das Fehlverhalten des Aufsichtsrats darin besteht, von der Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand abgesehen zu haben. l44

3. Verfügungsrechte Die Verfügungsrechte der Aktionäre stehen in engem Zusammenhang mit ihren Kontrollrechten. Verfügungsrechte sind nicht nur Ausdruck der Verfügungsfreiheit der Aktionäre, sondern stellen zugleich ein Instrumentarium für die Kontrolle der Unternehmensführung durch Ausübung der Exit-Option dar. Ferner können Investoren ein kontrollierendes Aktienpaket erwerben und eine Änderung der Unternehmensführung herbeiführen.

a) Verftigungsfreiheit

Grundsätzlich kann jeder Aktionär frei über seine Aktien verfügen. 145 Allerdings sieht das Aktienrecht für Namensaktien im Unterschied zu Inhaberaktien die Möglichkeit vor, die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft zu binden. l46 Zweck dieser Regelung ist, wie im Falle der Stimmkraftbeschränkung (siehe oben 2.d), der Schutz vor Überfremdung sowie die Aufrechterhaltung der bestehenden Beteiligungsverhältnisse. 147 Dies sind Interessen, die der Geschäftsführung näher stehen als den Aktionären, deren Interesse in der Regel die uneingeschränkte Verfügungsfreiheit entspricht. Das Gesetz geht von dem Regelfall aus, daß die Zustimmung durch den Vorstand erteilt wird. Allerdings kann die Satzung auch bestimmen, daß die Zustimmung durch den Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung erteilt werden SOIl.148 Die Übertragbarkeit vinkulierter Namensaktien ist jüngst durch den Rechtsstreit um die Veräußerung von Aktien der Aachener und Münchener Beteiligungsgesellschaft Siehe § 147 I AktG. Ähnlich Mertens, Organhaftung, S. 158. 145 Zu diesem Grundsatz siehe BayObLG AG 1989, S. 173 (174 f.) mwN. Danach ist eine Satzungsbestimmung, die Arbeitnehmer nach Beendigung ihres Arbeits- oder Dienstverhältnisses verpflichtet, ihre Aktien an die Gesellschaft oder an eine von ihr benannte Person zu übertragen, nichtig. Zu den Versuchen russischer Manager auf ähnliche Weise. die VerfUgung über Aktien einzuschränken. siehe unten Kapitel X.1. 146 § 68 11 AktG. 147 HüjJer, § 68 Rn. 10 mwN. 148 Hiervon machen insbesondere Unternehmen. die im Familieneigentum stehen. vielfach Gebrauch. Dennoch darf das Zustimmungserfordernis nicht zu einer gänzlichen Unveräußerbarkeit der Aktien fUhren. Siehe BGH AG 1987. 155 (156). 143

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3. Verfügungsrechte

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(AMB) and die Assurances Generales de France in den Blickpunkt der Diskussion gerückt. 149 Dabei stellt sich insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Genehmigung verweigert werden kann, und ob die Entscheidung des nach der Satzung zuständigen Organs einer Inhaltsprüfung durch die Gerichte unterliegt. lso Nach Auffassung des Landgerichts Aachen ist der Vorstand bei seiner Entscheidung nicht gänzlich frei. Vielmehr ist sein Ermessen durch das Gleichbehandlungsgebot der Aktionäre gebunden. Die betroffenen Aktionäre können den Vorstand daher auf Zustimmung zu der Transaktion verklagen. 151

b) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen

Hinsichtlich der Verfügungsrechte sind Vorschriften, die das Verfahren betreffen, vor allem bei der Übertragung des Vermögens als Ganzes von Bedeutung. Verfügungen, die das Unternehmen als Ganzes betreffen, können verschieden strukturiert sein. Das deutsche Recht regelt insbesondere die Verschmelzung von Unternehmen,IS2 die Unternehmensspaltung lS3 sowie die Übertragung wesentlicher Vermögensteile des Unternehmens. lS4 Darüber hinaus enthält das Aktiengesetz Vorschriften über die Eingliederung, die eine Zwischenform zwischen Verschmelzung und Vertragskonzern darstellt. ISS Demgegenüber ist die Übernahme eines Unternehmens durch systematischen Aufkauf von Minderheitsanteilen nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, auch wenn mittlerweile ein freiwilliger Übernahmekodex vorliegt. Vielmehr sind die Aktionäre bisher darauf verwiesen, erst in dem Zeitpunkt, in dem ein Beherrschungsvertrag vorliegt, hierüber abzustimmen oder unter Geltendmachung von Abfindungsansprüchen aus der Gesellschaft auszutreten. IS6 Auch fehlt es an einer Regelung

149 Siehe LG Aachen, WM1992, 1485. Danach sind Satzungsbestimmungen, die eine BegrUndung für die Verweigerung der Zustimmung zur Übertragung der Aktien ausschließen, zulässig (1492). Die Entscheidung über die Zustimmung steht im Ermessen des Vorstandes, der hierbei die Interessen der Gesellschaft, aber auch die des betroffenen Aktionärs zu berücksichtigen hat. ISO ZU dieser Problematik unter Berücksichtigung der Auswirkungen der HolzmüllerEntscheidung siehe Schmidt, Aktionärs- und Gesellschafterzuständigkeiten bei der Freigabe vinkulierter Aktien und Geschäftsanteile - Kompetenzprobleme um § 68 AktG und § 15 Abs. 5 GmbHG. 151 Siehe auch BGH NJW 1987, 1019. 152 §§ 2 ff. UmwG. 153 §§ 123 ff. UmwG. 154 §§ 174 ff. UmwG. ISS §§ 319 ff. AktG. Dazu Schmidt, Gesellschaftsrecht § 30 III.I. 156 Zu dem SpannungsverhäItnis zwischen Übernahme (take-over) Regelung und Konzerneingangskontrolle siehe Hommelhoff, Konzerneingangsschutz durch TakeoverRecht?

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

bezüglich der Übertragung kontrollierender Anteile am Unternehmen. 157 Demgegenüber ist der Abschluß von Beherrschungsverträgen, die ein Unternehmen einem anderen Unternehmen ohne gleichzeitige Übertragung von Aktienanteilen unterstellt, umfassend gesetzlich geregelt. 158 Beherrschungsverträge lassen sich nicht zwanglos in die Verfügungsrechte der Aktionäre einreihen. Durch einen Behrrschungsvertrag werden lediglich Teile der property rights, insbesondere Kontroll- und Vermögensrechte auf ein anderes Unternehmen übertragen. Sie bilden somit ein Beispiel für die Aufsplitterung der Residualrechte am Unternehmen. Während die Aktionäre der Untergesellschaft weiterhin die Verfügungsrechte über ihre Aktien behalten, werden die wesentlichen Kontrollrechte sowie im Falle der Gewinnabführungsverträge, die Vermögensrechte der Aktionäre, auf ein anderes Unternehmen übertragen. Insbesondere übt das herrschende Unternehmen nunmehr die Leitungsmacht über das abhängige Unternehmen aus. IS9 Bei einer wirtschaftlichen Betrachtung stellt der Beherrschungsvertrag eine weitgehende Verfügung über die Residualrechte der Aktionäre dar. Der Gesetzgeber hat somit zu Recht den Abschluß von Beherrschungsverträgen von der Zustimmung der Aktionäre der betroffenen Gesellschaften abhängig gemacht und ihre wirtschaftlichen Interessen durch Ausgleichs- und Abfindungsansprüche gesichert. 160 Darüber hinaus trifft das Gesetz eine Reihe von Vorkehrungen, die die Stellung der Aktionäre beider Gesellschaften des Beherrschungsverhältnisses während seines Bestehens schützen sollen. 161 Die Notwendigkeit für diese gesetzlichen Eingriffe ergeben sich daraus, daß die außenstehenden Aktionäre zwar rechtlich Inhaber der property rights des Unternehmens verbleiben, der wirtschaftliche Gehalt dieser Rechte jedoch mit Abschluß des Beherrschungsvertrages auf das herrschende Unternehmen übertragen wird. Wesentlicher Gegenstand des Konzernrechts ist daher weniger die Konzerneingangskontrolle, als der Minderheitenschutz während der Konzernierung. 162 Konzernierungstatbe157 Das Gesetz sieht jedoch eine umfassende Regelung der Rechtsverhältnisse von Unternehmen mit wechselseitigen Beteiligungen sowie bei Eintritt faktischer Konzernierung vor. Siehe §§ 311 sowie 328 AktG. 158 §§ 291 ff. AktG. 159 § 308 AktG. Siehe auch Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, die auf die ambivalenten Auswirkungen der Konzernierung und mögliche ökonomische Risiken hinweisen. Wie von den Autoren betont, fehlt es jedoch an empirsichen Untersuchungen, die die möglichen Vor- oder Nachteile bezeugen würden. Siehe ebenda § 1 4. S. 13 f. 160 Für die Entscheidungsrechte der Aktionäre siehe § 293 I und 11 AktG. Zu den Einzelheiten der Ausgleichs- und Abfindungsanspruche siehe §§ 304, 305 AktG. 161 Als Zweck des Konzernrechts wird allgemein auf die Gefahrenabwehr verwiesen. Hü!fer, § 291 Rn. 4 sowie § 15 Rn. 3. Die Gefahrenabwehr soll sowohl dem Schutz der Minderheitsaktionäre als auch dem Gläubigerschutz dienen. 162 Zur eingeschränkten Konzerneingangskontrolle bei Aktiengesellschaften siehe auch Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht § 4a .3, S. 81.

3. Verfügungsrechte

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stände, d.h. die Entstehung von Abhängigkeitsverhältnissen zwischen anfänglich unabhängigen Unternehmen sind anderen Rechtsordnungen nicht unbekannt. Die rechtlichen Regelungen beziehen sich jedoch in der Regel ausschließlich auf die Konzerneingangskontrolle, d.h. den Verfügungstatbestand. 163 Da die Darstellung des deutschen Aktienrechts in der vorliegenden Arbeit rechtsvergleichenen Zwecken dient, soll auf eine detaillierte Darstellung des Konzernrechts hier verzichtet werden. Transaktionen, die nicht nur vertragliche Kontrollrechte vermitteln, sondern eine Verfügung über die property rights am Unternehmen darstellen, sind mittlerweile im Umwandlungsgesetz niedergelegt. 164 Der gesetzliche Ausgangsfall, auf die die Vorschriften der anderen Umwandlungstatbestände Bezug nehmen, ist die Verschmelzung. Das Gesetz regelt zwei Formen der Verschmelzung: Die Aufnahme eines anderen Rechtsträgers auf einen bestehenden Rechtsträger sowie die Übertragung bestehender Rechtsträger auf einen durch Neugründung errichteten dritten Rechtsträger. l65 Für die Entscheidung über die Verschmelzung sind die Anteilsinhaber der beteiligten Rechtsträger zuständig. l66 Führt die Verschmelzung zur Aufnahme einer Aktiengesellschaft durch eine andere, so sind dies die Aktionäre bei der beteiligten Aktiengesellschaften. 161 Ein Beschluß der Hauptversammlung ist lediglich dann entbehrlich, wenn sich bereits neun Zehntel des Kapitals der übertragenden Gesellschaft in der Hand der übernehmenden Gesellschaft befinden. 168 Werden die Aktiengesellschaften durch Übertragung auf eine eigens gegründete dritte Gesellschaft übertragen, gilt, daß die Satzung dieser Gesellschaft erst dann wirksam wird, wenn die Anteilsinhaber der Aktiengesellschaften die auf diese Gesellschaft übertragen werden sollen, zustimmen. l69 Für einen wirksamen Beschluß bedarf es einer Mehrheit von drei viertel des vertretenen Grundkapitals. 110 Damit erhalten Aktionäre, die gemeinsam über mehr als 25 Prozent des Grundkapitals verfügen, eine Sperrminorität gegen Verschmelzungsbeschlüsse. Vor Durchführung der Hauptversammlung, an der über die Unternehmensübertragung entschieden werden soll, sind den Aktionären umfangreiche Informationen einschließlich des Verschmelzungsvertrages, der Jahresabschlüsse der beteiligten Gesellschaften sowie der Prüfungsberichte zur Verfügung zu stellen. Allerdings müssen diese Informationen lediglich ausgelegt werden. Nur für den So auch Rommelhoff, Konzerneingangsschutz durch Takeover-Recht?, S. 457 ff. Die Änderung erfolgte durch das UmwBerG von 1994, BGBI. 13210. 165 § 2 Nr. 1 und 2 UmwG. 166 § 13 I UmwG. 161 §§ 60, 13 UmwG. 168 § 62 UmwG. 169 § 76 II UmwG. 110 § 65 I UmwG. 163

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

Fall, daß Aktionäre ausdrücklich eine Abschrift der Unterlagen verlangen, müssen diese ausgehändigt werden. 111 Das Gesetz sieht zwingend vor, daß in dem Verschmelzungsvertrag ein Abfindungsgebot enthalten sein muß, das sich an die Aktionäre richtet, die gegen die Verschmelzung Widerspruch zur Niederschrift erklären. 112 Eine bloße Stimmenthaltung oder selbst eine Stimmabgabe gegen die Verschmelzung genügt somit nicht. Das Abfindungsgebot kann auf Erwerb der Anteile des Aktionärs durch die Gesellschaft oder auf Mitgliedschaft gegen eine angemessene Barabfindung lauten. 113 Zur Wahrung der Interessen der Aktionäre sieht das Gesetz zwingend vor, daß für jede der beteiligten Aktiengesellschaften mindestens ein Verschmelzungsprüfer zu bestellen ist. 114 Ihm fällt insbesondere die Aufgabe zu, die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bzw. der Abfindung, die in dem Verschmelzungsvertrag vorgesehen ist, zu untersuchen und zu der Bewertungsmethode Stellung zu nehmen. Der Verschmelzungsprüfer wird von den Vertretungsorganen der Gesellschaften, d.h. dem Vorstand, oder auf Antrag des Vorstandes von dem zuständigen Gericht bestellt. 115 Eine Unternehmensspaltung liegt dann vor, wenn ein Rechtsträger aufgelöst wird, jedoch an die Stelle der Abwicklung die Übertragung seines Vermögens auf andere Rechtsträger erfolgt, bzw. wenn Teile seines Vermögens auf andere Rechtsträger gegen die Gewährung von Anteilsrechten an diesem Rechtsträger übertragen werden. 116 Für Aktiengesellschaften errichtet das Gesetz eine grundsätzliche Spaltungsschranke für die ersten zwei Jahre nach Eintragung der Aktiengesellschaft in das Register. 111 Damit wird Aktionären einer neu gegründeten Aktiengesellschaft ein Bestandsschutz auf Zeit eingeräumt. Darüber hinaus schreibt das Gesetz vor, daß vor der Beschlußfassung über die Spaltung der Vorstand die Aktionäre über wesentliche Veränderungen des Vermögens der Gesellschaft zu unterrichten hat. Die Berichtspflicht erstreckt sich auch auf den Vorstand der übernehmenden Gesellschaft, der wiederum hiervon die Anteilsinhaber seiner Gesellschaft zu unterrichten hat. Zweck dieser Berichtspflicht, die über die für die Verschmelzung geltenden Anforderungen hinausgeht, ist es, Aktionären der beteiligten Gesellschaften die für ihre Entscheidungen erheblichen Informationen zugänglich zu machen. Denn unterschiedliche Geschäfts-

Für die Einzelheiten vgl. § 63 UmwG. § 29 UmwG. 113 Das Umwandlungsgesetz erklärt ausdrücklich, daß die Vorschriften des Aktiengesetzes, die dem Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft entgegenstehen, hier nicht anwendbar sind. §§ 29 UmwG, 71b IV S.2 AktG. 114 §§ 60, 9-12 UmwG. l1S §10 I UmwG. 116 Zu den verschiedenen Spaltungstatbeständen siehe § 123 UmwG. 111 § 141 AktG. 111

112

3. Verfilgungsrechte

139

entwicklungen für verschiedene Teile der übertragenden Gesellschaft können sich in dem Wert der Anteile niederschlagen, auch wenn der Gesamtwert des Unternehmens nicht wesentlich beeinträchtigt ist. Die Vermögensübertragung unterscheidet sich von den Fällen der Verschmelzung und Spaltung dadurch, daß als Gegenleistung keine Anteile in einer Gesellschaft oder Mitgliedschaft geleistet werden. Die Vermögensübertragung erfolgt unter Auflösung, jedoch ohne Abwicklung der Gesellschaft. 178 Bisher nicht gesetzlich geregelt ist, wie erwähnt, der Fall der Übernahme. Jedoch ist seit Oktober 1995 ein Übernahmekodex in Kraft, der allgemeine Verhaltensmaßstäbe für die an einer freiwilligen Übernahme beteiligten Parteien aufstellt. 179 Der Übernahmekodex ist eine rein fakultative Regelung, der sich Unternehmen unterwerfen können. Er beschränkt sich auf einige grundsätzliche Regelungen des freiwilligen Übernahmevorganges. Den Aktionären des Zielunternehmens soll die Möglichkeit gegeben werden, eine informierte Entscheidung über die Übertragung ihrer Aktien zu treffen. Umfassende Informationen und Transparenz sind daher Kernbestandteile des Übernahmekodex. Bei einer Übernahme sind sämtliche Aktionäre grundsätzlich gleichzubehandeIn. ISO Hieraus folgt, daß für den Fall, daß die Anzahl der verkaufswilligen Aktionäre die Übernahmeofferte übersteigen, der Übernehmer diese Angebote prorata zu erfüllen hat. 181 Darüber hinaus sieht der Kodex eine Meistbegünstigungsklausel vor, nach der die günstigsten Bedingungen, auf die sich der Verkäufer während der Angebotsfrist einläßt, sich automatisch auf alle weiteren Offerten erstrecken. 182 Der Bieter kann sein Angebot lediglich auf einen Teil der Aktien erstrecken, gestaffelte Übernahmeangebote machen oder für Angebote innerhalb unterschiedlicher Angebotsfristen verschiedene Preise anbieten. 183 Doch gilt auch hier, daß eine Befriedigung der Aktionäre, die sich zum Verkauf entschließen, prorata erfolgen muß. Eine Grenze derartige Teilangebote ist dem

§ 174 UmwG. Nach dem Wortlaut des Übemahmekodex ist sein Zweck dazu beizutragen, "daß öffentliche Angebote all die Informationen enthalten, die rur eine sorgfllltige und sachgerechte Entscheidung der Wertpapierinhaber und der Organe der betroffenen Gesellschaft (Ziel gesellschaft) notwendig sind." Der Kodex tritt an die Stelle der Leitsätze rur Übernahmeangebote aus dem Jahre 1979, die wie der Kodex von der Börsensachverständigenkommission erarbeitet wurden. Siehe Assmann, Verhaltensregeln rur freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, S. 563. Siehe auch Hopt, Europäisches und deutsches Übernahmerecht rur einen Vergleich des europäischen Richtlinienentwurfs und des freiwilligen Übernahmekodex. 180 Art. 1 Übernahmekodex. 181 Art. 10 Übernahmekodex. 182 Art. 13 Übernahmekodex. 183 Assmann, VerhaltensregeIn rur freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, S. 567. 178 179

140

V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

Anbieter dadurch gezogen, daß er nach dem Erwerb von 50 Prozent der stimmrechtsfahigen Aktien gezwungen ist, ein Pflichtangebot über alle noch ausstehenden Wertpapiere der Zielgesellschaft abzugeben. 184 Dem Pflichtangebot kann der Übernehmer nur dadurch entgehen, daß er innerhalb von achtzehn Monaten nach Überschreitung der 50 Prozent Grenze einen Unternehmensvertrag mit der Zielgesellschaft eingeht, eine Eingliederung beschließt oder einen Formwechsel bzw. eine Verschmelzung mit der Zielgesellschaft bewirkt. Im Ergebnis wird der Übernehmer dadurch genötigt, entweder einen (qualifizierten) Mehrheitsbeschluß der Aktionäre über seine dominierende Position im Unternehmen herbeizuführen oder aber alle Aktionäre auf deren Verlangen auszulösen.

c) Informations- und Bewertungsrechte

Für die Wahrnehmung ihrer Verfügungsrechte stehen den Aktionären umfangreiche Informationsrechte zur Verfügung. Für die Verschmelzung, Spaltung und die Vermögensübertragung ergeben sich diese Informationsrechte aus dem Umwandlungsgesetz. Ihre wesentliche Funktion ist, Aktionären Einsicht in die Unterlagen der betroffenen Unternehmen sowie die Vertäge, in denen die Einzelheiten der Übertragung geregelt werden, zu geben. 18s Die Bestellung eines Prüfers von Gesetzes wegen soll die Vermögensrechte der Aktionäre schützen. Wie dargestellt, definiert der Übernahmekodex die Informationspflichten des Erwerbers. Gesetzliche Vorschriften für den Fall der Unternehmensverfügung im Wege des Aktienerwerbs auf dem Markt finden sich im Aktiengesetz sowie im Wertpapierhandelsgesetz. Das Aktiengesetz verpflichtet den Erwerber von Aktienpaketen zur Offenlegung, sobald er mehr als 25 Prozent der Aktien eines Unternehmens erworben hat. 186 Bis zur Verabschiedung des neuen Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) im Jahre 1994 187 unterlagen Ankäufe von Aktienpaketen unterhalb dieser Grenze keiner gesetzlich normierten Offenlegungspflicht. Das WpHG hat die Offenlegungspflicht für den Erwerb von Unternehmensanteilen nunmehr erheblich ausgedehnt. Nicht nur werden neben Aktiengesell184 Art. 16 Übernahmekodex. Dazu kritisch Assmann, Verhaltensregeln für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, S. 569 ff. 185 Für die Verschmelzung siehe § 62 III UmwG. Diese Vorschrift findet auch auf die Spaltung und die Vermögensübertragung im Wege der Verweisung Anwendung. Siehe §§ 125, 176 I UmwG. 186 §§ 20 ff.AktG. 187 Gegenstand des Wertpapierhandelsgesetzes ist neben dieser Offenlegungspflicht vor allem der Insiderhandel. Das Gesetz stellt die Umsetzung der EG-Insider-Richtlinie, der EG-Transparenzrichtlinie sowie der EG-Wertpapierdienstleitungsrichtlinie dar. Siehe hierzu im einzelnen Assmann in AssmanniSchneider, Wertpapierhandelsgesetz Einl. Rn. 12 ff.

4. Vennögensrechte

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schaften auch andere Unternehmen erfaßt, so daß die Offenlegungspflicht rechtsformneutral ist. Darüber hinaus greift die Offenlegungspflicht bereits wesentlich früher ein. Die Überschreitung der 5-Prozent-Grenze löst eine Offenlegungspflicht aus, die nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der Wertpapieraufsichtsbehörde gegenüber besteht. Dadurch werden neben dem Unternehmen und seinen Aktionären auch andere potentielle Erwerber von der Transaktion in Kenntnis gesetzt. Weitere Schwellenwerte, die zur Offenlegung sowohl bei Erwerb als auch bei Verkauf verpflichten, sind 10, 25, 50 und 75 Prozent. 188 Vorrangiger Zweck der Offenlegungspflicht ist ein ordnungspolitischer, nämlich die Förderung der Transparenz und damit des Vertrauens in den Kapitalmarkt. 189 Eine Verletzung der Offenlegungspflicht hat jedoch auch geseIlschaftsrechtliche Konsequenzen, denn für den betreffenden Aktionär ruht in der Zeit zwischen Eintreten des meldepflichtigen Tatbestandes und dem Vollzug der Meldepflicht sein Stimmrecht. 190 Nimmt er dennoch an einer Abstimmung der Hauptversammlung teil, so ist der Beschluß fehlerhaft und unterliegt grundsätzlich der Anfechtung. 191

4. Vermögensrechte Der Aktionär stellt dem Unternehmen Kapital zur Verfügung. Im Gegenzug erhält er neben seinen Kontrollrechten einen Anspruch auf Teilhabe an dem Wertzuwachs des Unternehmens sowie der verbleibenden Aktiva im Falle der Liquidation.

a) Beteiligung an Liquidationswert und Wertzuwachs

Dem Grundsatz nach wird im Falle der Auflösung der Geseilschaft das nach Abzug der Verbindlichkeiten verbleibende Vermögen auf die Aktionäre verteilt. l92 Diese Regelung entspricht der Rolle der Aktionäre als Inhaber der Residualrechte am Unternehmen. Allerdings läßt die herrschende Meinung im Schrifttum den Ausschluß des Rechts auf Teilhabe an der Vermögensverteilung

188 Die Schwellenwerte lassen sich vor allem damit rechtfertigen, daß diese Werte von Relevanz für bestehende aktienrechtliche Regelungen sind, welche Minderheitenschutz oder Mehrheitsregelungen an ähnliche Schwellenwerte binden. Siehe dazu Schneider in AssmanniSchneider, Wertpapierhandelsgesetz § 21 Rn. 13 f. 189 Schneider in AssmanniSchneider, WertpapierhandelsgesetzVor § 21 Rn. 17. 190 § 28 WpHG. 191 § 243 AktG. Zu den Einzelheiten siehe Schneider in AssmanniSchneider, Wertpapierhandelsgesetz § 28 Rn 16 f. 192 § 271 AktG.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

in der ursprünglichen Satzung zu. Es wird auch für möglich gehalten, dies nachträglich in die Satzung aufzunehmen. Allerdings wird für diesen Fall grundsätzlich verlangt, daß alle Aktionäre dieser Satzungsänderung zustimmen. 193 Neben dem Verteilungsanspruch steht den Aktionären grundsätzlich ein Anspruch auf Teilhabe an den Gewinnen des Vermögens zu. Im Regelfall stellt nicht die Hauptversammlung, sondern stellen Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam den Jahresabschluß fest. 194 Für die Feststellung des Jahresabschlusses trifft das Gesetz detaillierte Regelungen, die vor allem dem Gläubigerschutz dienen. Diese Vorschriften stellen zugleich sicher, daß die Bilanzen verschiedener Aktiengesellschaften nach den gleichen Grundsätzen aufgestellt und somit im wesentlichen vergleichbar sind. Vorstand und Aufsichtsrat können bei der Feststellung des Jahreabschlusses beschließen, daß ein Teil des Bilanzgewinns von der Verteilung an die Aktionäre ausgenommen werden soll. Die gesetzliche Höchstgrenze ist 50 Prozent, jedoch kann die Satzung der Gesellschaft eine höhere Grenze bestimmen. 19s Die Vorschrift ermöglicht es, einen Teil des Gewinns von der Verteilung an die Aktionäre auszuschließen, soll jedoch zugleich die Bildung unbegrenzter stiller Reserven verhindern. 196 Diese Mittel können zur Finanzierung neuer Investitionen aus Eigenmitteln des Unternehmens dienen. 191 Über die Verwendung des Bilanzgewinns soll jedoch die Hauptversammlung beschließen. Allerdings ist sie hierbei an die Vorgaben des Jahresabschlusses gebunden. 19B

b) Informations- und Bewertungsrechte

Wichtigstes Verfahrensrecht der Aktionäre als Ausfluß ihrer Vermögensrechte ist der Anspruch auf Zugang zu Informationen, die ihnen Auskuft über die Finanzlage der Gesellschaft geben können. Informationen über die Finanzlage der Gesellschaft finden sich in dem Jahresabschluß und dem Lagebericht

Hü!fer, § 271 Rn. 2 mwN. § 172 I LV.m. § 170 AktG, §§ 323 ff. HGB. Die Hauptversammlung ist für die Feststellung des Jahresabschlusses lediglich dann zuständig, wenn Vorstand und Aufsichtsrat ihr dies überlassen haben oder wenn der Aufsichtsrat den Jahresabschluß nicht gebilligt hat. Hüffner § 173 Rn. 2. 19S § 58 11 AktG. 193

194

196 Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 286. 197 Hü!fer, § 58 Rn. 1. 19B § 174 Abs. 1 AktG. Siehe hierzu auch Kübler, Gesellschaftsrecht - Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, S. 287 f.

5. Zusammenfassung

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der Gesellschaft. Für die Feststellung des lahreabschlusses verweist das Aktienrecht zunächst pauschal auf die Vorschriften des Handelsgesetzbuches, ergänzt diese jedoch durch eigene Vorschriften. l99 Darüber hinaus können Aktionäre abgesehen von den gesetzlich vorgesehenen Fällen eine Prüfung durch einen unabhängigen Prüfer beantragen, wenn ihre Vermögens interessen durch Maßnahmen der Geschäftsführung beeinträchtigt werden.

5. Zusammenfassung Aus dem Überblick über die property rights der Aktionäre nach deutschem Recht ergibt sich, daß die Grundentscheidungen über das Unternehmen im wesentlichen den Aktionären zugeordnet sind. Hierzu zählen Satzungsänderungen sowie grundlegende Entscheidungen über die Übertragung des Unternehmens oder Teile desselben und seinen Fortbestand. Die Zuordnung dieser Grundentscheidungen auf die Aktionäre bedeutet, daß die Aktionäre als Inhaber der Residualrechte angesehen werden, denen die Letztentscheidungsgewalt über das Unternehmen zusteht. Diese grundsätzliche Kompetenzzuordnung wird jedoch durch Vorschriften, die den Vollzug dieser Entscheidungen erschweren, bzw. die andere am Unternehmen Beteiligte, wie beispielsweise Arbeitnehmer, an wichtigen Entscheidungen beteiligen, überlagert. Deutlichster Ausdruck für letzteres ist die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes. Hierdurch wird die Möglichkeit der Aktionäre, die Zusammensetzung des Vorstandes zu bestimmen, eingeschränkt. Die Übertragung der Kontrolle über den Vorstand auf den Aufsichtsrat bedeutet zugleich, daß die Aktionäre bei der Ausübung ihrer Kontrollrechte die Rechte und Interessen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat berücksichtigen müssen. Zwar können sich die Anteilseigner durch die Gründung von Ausschüssen sowie das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden in den meisten Fällen durchsetzen. Doch entstehen durch die Größe des Aufsichtsrats und der Komplexität des Entscheidungsfindungsprozesses höhere Kosten bei der Ausübung der Kontrollrechte. Eine Direktkontrolle des Vorstandes durch die Aktionäre ist weitestgehend ausgeschlossen und gewinnt erst mit der jüngsten Rechtsprechung, die im Einzelfall eine Pflicht des Vorstandes statuiert, wichtige Entscheidungen der Hauptversammlung vorzulegen, an Bedeutung. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrates unterliegen keiner Direktkontrolle durch die Aktionäre. Dies liegt im wesentlichen daran, daß es an Verfahrensvorschriften, die eine Klageerhebung ermöglichten, fehlt. Darüber hinaus herrscht ein Defizit an eindeutigen Hand-

199

§ 150 AktG i.V.m. §§ 242, 264 HGB; §§ 152, 158, 160 AktG.

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V. Property rights der Aktionäre im deutschen Recht

lungsmaximen sowie an Verfahren. die eine Überprüfung der Einhaltung derartiger Vorgaben ermöglichen würden. Nicht nur die Kontrolle der Unternehmensführung durch Aktionäre im Wege der Klage ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Gleiches gilt für die Kontrolle. die durch die Verfügung über das Unternehmen als Ganzes ausgeübt wird. Hier erschweren Vorschriften. die auf den ersten Blick dem Schutz vor allem der Minderheitsaktionäre dienen. Transaktionen. die zu einem Wechsel der Kontrolle über das Unternehmen führen könnten. In der Regel müssen die Aktionäre beider Gesellschaften derartigen Transaktionen mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Damit wird jedoch die Möglichkeit. daß eine Entscheidung zugunsten einer Unternehmenstransaktion getroffen wird. erschwert. Im Ergebnis erscheint der Vorstand daher in mehrfacher Hinsicht von der Kontrolle durch die Aktionäre isoliert. Intern wird die Kontrolle durch ein Organ ausgeübt. auf dessen Zusammensetzung die Aktionäre nur zur Hälfte Einfluß nehmen können. Die Dauer der Amtszeit des Vorstandes und des Aufsichtsrates schließt eine laufende Kontrolle der Aktionäre durch Neuwahl aus. zumal eine Abberufung von Vorstandsmitgliedern vor Ablauf ihrer Amtszeit durch das Erfordernis eines besonderen Grundes erschwert ist. Insgesamt läßt sich feststellen. daß das deutsche Recht zwar im wesentlichen den Aktionären die Residualrechte am Unternehmen zuspricht. die Durchsetzung dieser Rechte jedoch nicht verfahrensrechtlich erleichtert. sondern im Gegenteil an hohe Voraussetzungen knüpft. die eine effektive Kontrolle durch die Aktionäre mit erheblichen Kosten versieht. Das KonTraG hat hier einige Erleichterungen gebracht. jedoch die Ausstattung der Aktionäre mit Verfahrensrechten nicht grundsätzlich geändert.

VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht Die Darstellung der property rights der Aktionäre nach amerikanischem Recht ist in mehrfacher Hinsicht schwieriger als die Darstellung der Rechtslage nach deutschem Recht. In den Vereinigten Staaten ist das Gesellschaftsrecht national nicht einheitlich geregelt, sondern fallt in die Jurisdiktion der Einzelstaaten. Jeder Staat hat sein eigenes Aktiengesetz. Zwar gleichen sich viele Statuten in den Grundzügen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, daß zwischen den Staaten ein Wettbewerb besteht. gesetzliche Regelungen zu erlassen, die eine Niederlassung bzw. Registrierung in ihrem Staat besonders attraktiv machen. Um eine Abwanderung der Unternehmen in andere Bundesstaaten zu verhindern, passen die Staaten ihr Gesellschaftsrecht an die jeweils attraktivsten Regelungen an. 1 Der Trend zur Angleichung des Gesellschaftsrechts liegt jedoch zu einem nicht unerheblichen Teil an den Modellgesetzen, die von der American Bar Association erarbeitet wurden. und die vielen Einzelstaaten als Vorlage für gesetzliche Änderungen gedient haben. 2 Dennoch verbleiben wichtige Unterschiede im Einzelfall. Das in der Rechts- und Wirtschaftspraxis wichtigste Aktienrecht ist das Recht des Staates Delaware. Viele der größten Unternehmen sind in diesem Staat registriert. was aufgrund der in den Vereinigten Staaten geltenden Registrierungsfreiheit möglich ist. Als Ursache dafür, daß Delaware derartige Prominenz als Ort der Registrierung großer Aktiengesellschaften gewonnen hat, wird vor allem auf die Steuerbegünstigungen und das flexible, den Interessen des Unternehmensmanagements weit entgegenkornrnende Gesellschaftsrecht verwiesen. Hinzu kommt, daß nicht nur die Anwälte in diesem Bundesstaat, sondern auch die Gerichte aufgrund der großen Nachfrage nach dem Recht des Staates Delaware sich zunehmend auf das Gesellschaftsrecht spezialisiert haben. Diesem Kompetenzbonus als Auswirkung der Nach-

1 Zur Kritik an diesem "race for the bottom" siehe Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law. Mittlerweile wird jedoch auch vertreten. daß dieser Wettberwerb sich positiv auf die Rechte der Aktionäre ausgewirkt habe. Siehe insbesondere Romano, The Genius of American Corporate Law. 2 Vorliegend wird auf den sogenannten Revised Model Business Corporation Act von 1984 Bezug genommmen. Dieser ist abgedruckt in Eisenberg, Corporations and Business Associations - Statutes. Rules. Materials. and Forms, S. 456-670.

10 Pislor

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

frage wird die unverminderte Attraktivität Delawares trotz Rechtsangleichung in anderen Staaten zugesprochen.} Aufgrund seiner praktischen Bedeutung wird in der folgenden Darsellung der property rights der Aktionäre nach amerikanischem Recht das Gesellschaftsrecht des Staates Delaware daher im Mittelpunkt stehen. 4 Die Darstellung wird ergänzt durch Hinweise auf die Principles of Corporate Govemance des American Law Institute. Sie stellen allgemeine Empfehlungen für die Ausgestaltung der Rechte und Plichten der Aktionäre und des Unternehmensmanagements dar, die einer effektiven Unternehmensführungskontrolle dienen so liens und haben die Diskussion in den Vereinigten Staaten über die künftige Ausrichtung des Gesellschaftsrechts seit ihrer endgültigen Verabschiedung 1994 nachhaltig beeintlußt. Eine weiterer Aspekt, der die Darstellung des amerikanischen Gesellschaftsrechts erschwert, ist die zentrale Rolle, die die Rechtsprechung für die Weiterentwicklung und inhaltliche Gestaltung des Aktienrechts einnimmt. Dies steht in deutlichem Gegensatz zum deutschen Recht, wo aktienrechtliche Fälle nach wie vor eher selten sind. 6 Es wird sogar vertreten, daß die Rolle der Gerichte mit der weitgehenden Liberalisierung des amerikanischen Gesellschaftsrechts, d.h. der Reduzierung zwingender rechtlicher Vorschriften, erheblich zugenommen hat. 7 Da eine ausfUhrliehe Darstellung der Rechtsprechung zu den wesentlichen Aspekten der property rights der Aktionäre den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird im Folgenden vorwiegend auf Sekundärliteratur zurückgegriffen, in der die wesentliche Entwicklung der Rechtsprechung dargestellt ist. 8

3 Für einen Überblick über die Diskussion über die Vorzüge des Staates Delaware in Sachen Gesellschaftsrecht siehe Kübler, Rechtsbildung durch Gesetzgebungswettbewerb? Überlegungen zur Angleichung und Entwicklung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Gemeinschaft. Aus der amerikanischen Diskussion vgl. Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law; sowie Romano, The Genius of American Corporate Law. 4 De1aware General Corporation Law (DeI. GeL), abgedruckt in Eisenberg, Corporations and Business Associations - Statutes, Rules, Materials, and Forms, S. 352- 455. 5 Siehe ALl, Principles of Corporate Govemance: Analysis and Recommendations (PCG). Auszüge sind abgedruckt in Eisenberg, Corporations and Business Associations - Statutes, Rules, Materials, and Forms, S. 890-961. 6 In der Regel wird erst bei Konkurs der Gesellschaft durch den Konkursverwalter geklagt. So Mertens, Organhaftung, S. 158. 7 VgI. Coffee, The MandatorylEnabling Balance in Corporate Law: An Essay on the Judicial Role, S. 1621. 8 Zu den wichtigsten hier verwendeten Sekundärquellen, die der Analyse zugrunde liegen zählen Clark, Corporate Law; KleinlCoffee, Business Organization and Finance Legal and Economic Principles; sowie EasterbrooklFischel, The Economic Structure of Corporate Law.

1. Organisation

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Neben dem einzelstaatlichen Recht nimmt das föderale Wertpapierrecht. insbesondere der Securities Act von 1933 und der Securities and Exchange Act aus dem Jahre 1934 eine bedeutende Rolle für die Ausgestaltung der Rechte des Aktionärs ein. Sie enthalten wichtige Regelungen über die Inforrnationsrechte der Aktionäre nicht nur im Rahmen der Aktienemission und des Aktienhandels. sondern auch für die Übertragung von Stimmrechten für die Hauptversammlung (sogenannte Proxy Regelungen).9

1. Organisation Im Unterschied zur Binnenorganisation der Aktiengesellschaft nach deutschem Recht mit ihrer zweigliedrigen aus Aufsichtsrat und Vorstand bestehenden Managementstruktur, kennt das amerikanische Recht lediglich eine eingliedrige Managementstruktur. Die Aktionäre wählen die Mitglieder des board of directors. Ursprünglich sahen die Gesetze vor, daß die Direktoren die Unternehmensführung selbst wahrnehmen. Allerdings hat sich in der Praxis eine Verteilung der Aufgaben herausgebildet, die der deutschen zweigliedrigen Managementstruktur nicht unähnlich ist. So wird die eigentliche Unternehmensführung in der Regel nicht durch die Direktoren. sondern durch von den Direktoren ernannten Manager, die sogenannten Offiziere (officers) der Gesellschaft, wahrgenommen. Die gesetzlichen Vorschriften wurden der Praxis angepaßt. So bestimmt das Recht des Staates Delaware mittlerweile. daß die Unternehmensführung von den Direktoren oder unter ihrer Leitung ausgeübt wird. 10 Die eigentliche Aufgabe des board beschränkt sich somit auf eine überwachende und beratende Tätigkeit. Anders als nach deutschem Recht ist es zulässig und in der Praxis üblich. daß das board jedenfalls zum Teil von den Offizieren der Gesellschaft besetzt wird. Eine dem deutschen Recht entsprechende Inkompatibiliätsvorschrift kennt das amerikanische Recht nicht. Allerdings empfehlen die Principles of Corporate Govemance. daß die Mehrheit der Direktoren aus Personen

9 Letztere sind vor allem in dem Securities and Exchange Act von 1934 sowie in den von der Securities and Exchange Commission erlassenen Ausführungsbestimmungen (Rules) enthalten. Der Securities and Exchange Act ist abgedruckt in Eisenberg, Corporations and Business Associations - Statutes, Rules, Materials, and Forms, S. 11441213. Die wichtigsten hier besprochenen Ausfllhrungsbestimmungen finden sich ebenda S.1214ff. 10 § 141 DeI. GCL: "The business and affairs of every corporation organized under this charter shall be managed by or under the direction of a board of directors, except as may be otherwise provided in this chapter or in its certificate of incorporation." Zur Rolle der Direktoren, siehe C/art, Corporate Law §3.2.

10·

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

bestehen soll, die nicht zugleich Managementaufgaben dieses Unternehmens wahrnehmen. 11 Die Direktoren werden direkt von dell Akt:onären gewählt. Die Anzahl der Mitglieder des board ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich geregelt. Eine Reihe von Staaten verlangen, daß das board mindestens drei Direktoren hat. In Delaware genügt die Bestellung eines einzelnen Direktors. 12 Direktoren werden in der Regel für die Zeit von einer Hauptversammlung bis zur nächsten, d.h. für etwa ein Jahr bestellt. Hat das board mehrere Direktoren, kann die Satzung der Gesellschaft vorsehen, daß die Direktoren in verschiedene Klassen eingeteilt werden, die jeweils nacheinander zur Wahl stehen (staggered board).13 Damit wird eine gewisse Kontinuität der Unternehmensführung, zugleich aber auch eine regelmäßige Kontrolle der Aktionäre über die Zusammensetzung des board gewährleistet. Allerdings zeigt die Praxis, daß Direktoren meist wiedergewählt werden und die Aktionäre relativ wenig Einfluß auf die Zusammensetzung des board haben. 14 Die Direktoren können nach dem Recht des Staates Delware vor Ablauf ihrer Amtszeit ohne Grund wieder abberufen werden. Die Satzung kann strengere Voraussetzung vorsehen und die Abberufung von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig machen. 15 Andere einzel staatliche Regelungen verlangen häufig das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die vorzeitige Abberufung der Direktoren. Das board kann Ausschüsse (committees) bestellen, um die Arbeit des board effektiver zu gestalten. Nach den Principles of Corporate Governance empfiehlt es sich, ständige Ausschüsse für die Rechnungslegung, die Nominierung unabhängiger Direktoren sowie die Vergütung der Direktoren zu bestellen. 16 Für die Praxis von größerer Bedeutung ist, daß die New Yorker Börse für die dort notierten Unternehmen zwingend vorschreibt, daß ein Prüfungskommittee eingerichtet wird, welches mit unabhängigen Direktoren zu besetzen ist. 11

11 §3A.Ol der PCG lautet: "It is recommended as a matter of corporate practice that (a) the board of every large public\y held corporation should have a majority of directors who are free of any significant relationship with the corporation's senior executives ...... 12 Siehe § 141 b DeI. GCL. 13 § 141 d DeI. GCL. 14 Die Kandidaten ftIr das board werden in der Regel von den Direktoren bzw. dem Untemehmensmanagement vorgeschlagen. Darüber hinaus übt das Managmenet durch seine Kontrolle über die "Proxy-Maschinerie" erheblichen Einfluß auf den Ausgang der Wahlen aus. Zu den Proxy-Regelungen siehe unten d. 15 §141 k DeI. GCL. 16 §§ 3.05, 3A.03, 3A.04, 3A.OS PCG. 11 Klein/Cojfee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 131.

2. Kontrollrechte

149

Die Offiziere des Unternehmens werden von dem board ernannt. Gesetzlich ist die Zahl und Zusammensetzung der Offiziere nicht im einzelnen vorgeschrieben. Manche einzelstaatlichen Gesetze bestimmen, daß eine Gesellschaft Offiziere für bestimmte Funktionen zu schaffen hat, einschließlich den Präsidenten, einen oder mehrere Vizepräsidenten, einen Finanzoffizier sowie einen Verwaltungsoffizier. Demgegenüber überläßt Delaware es der Gesellschaftssatzung oder dem board of directors zu bestimmen, weIche Positionen im einzelnen geschaffen werden sollen. Nach diesem Recht ist es auch möglich, daß eine Person mehrere Funktionen ausfüllt. 18 Auch die Offiziere können jederzeit ohne Grund als Offizier abberufen werden. Dies gilt selbst dann, wenn sie einen Anstellungsvertrag haben, der nicht ohne weiteres fristlos gekündigt werden kann. 19

2. Kontrollrechte Ausgehend von dem Grundmodell der eingliedrigen Managementstruktur wird die nach dem gesetzlichen Modell die Unternehmensführung von den Aktionären auf das board übertragen. Dieses delegiert diese Funktionen in der Regel weiter an die Offiziere der Gesellschaft. Die den Aktionären verbleibenden internen Kontrollrechte bestehen aus dem Recht, die Mitglieder des board zu wählen und abzuberufen und über Angelegenheiten, die von grundlegender Bedeutung für die Gesellschaft sind, abzustimmen. Darüber hinaus stehen ihnen eine Reihe von Verfahrensrechten zu, die sicherstellen sollen, daß die Direktoren bei Ausführung ihrer Tätigkeit die Interessen der Aktionäre berücksichtigen.

a) Handlungsmaxime

Wesentlich größere Bedeutung als im deutschen Recht haben nach amerikanischen Recht die materiellen Handlungsmaximen. Obwohl auch im amerikanischen Recht die Direktoren und Offiziere der Gesellschaft in erster Linie Vertreter der Gesellschaft und nicht der Aktionäre sind, werden ihre wesentlichen Handlungspflichten aus dem Trust- und Vertretungsrecht abgeleitetet. 2o Eine

18 Für die Einzelheiten siehe § 142 DeI. GCL. Die Vorschrift stellt ein Musterbeispiel für ein Gesellschaftsrecht dar, daß lediglich den Rahmen feststeckt, die Einzelheiten jedoch den Parteien überläßt (sogenanntes enabling law). 19 § 142 DeI. GCL. Zur Stellung der officer allgemein siehe Clark, Corporate Law,

§ 3.3. 20 Siehe Klein/Coffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles: "Although the directors are not agents of the shareholders in the legal sense, they are considered to be quasi-trustees who are subject to "fiduciary duties" owed to

150

VI. Propeny rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

Verletzung dieser Handlungspflichten ist mit den weiter unten darzustellenden Klagerechten bewehrt. Die materiellen Handlungsmaximen bilden den Drehund Angelpunkt für die gerichtliche Überprüfung des Handeins der Direktoren und Offiziere der Gesellschaft. Beide Führungsgruppen des Unternehmens unterliegen einer allgemeinen Sorgfaltspflicht (duty of care) gegenüber der Gesellschaft. Inhalt der allgemeinen Sorgfaltspflicht ist, daß die Direktoren und Offiziere die Sorgfalt und Vorsicht anwenden müssen, die ein umsichtiger Dritter in ähnlichen Situationen anwenden wÜTde. 21 Anders als das deutsche Recht, das jedenfalls nach Auffassung eines Teils des Schrifttums die Interessen der Gesellschaft und die Interessen der Aktionäre als gegensätzliche Interessen auffaßt, werden in den Vereinigten Staaten diese Interessen als überwiegend gleichgerichtet verstanden. So bezeichnen die PCG den Zweck der Gesellschaft als das Betreiben eines Unternehmens mit dem Ziel, die Profite der Gesellschaft und die Rendite der Aktionäre zu erhöhen. 22 Umfang und Inhalt der Sorgfaltspflicht sind weitgehend durch Richterrecht entwickelt worden. Danach kann eine Verletzung der Sorgfaltspflicht auf Unterlassung, auf grober oder einfacher Fahrlässigkeit beruhen. Von den Gerichten wird eine Schadensersatzpflicht der Direktoren wegen Verletzung ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht tendenziell dann bejaht, wenn sie auf Unterlassung beruht. Hierzu gehört beispielsweise das Versäumnis, an Sitzungen des board teilzunehmen, sich mit wesentlichen Aspekten der Unternehmensführung vertraut zu machen, wichtige Berichte zur Kenntnis zu nehmen oder sich in Krisensituationen an fachkundigen Rat zu wenden. 23 Eine Haftung für positives Tun wird demgegenüber in der Regel nur dann angenommen, wenn in dem Verhalten zugleich eine Verletzung einer strengeren Handlungsmaxime, der duty of loyalty (Loyalitätspflicht) liegt. Die Loyalitätspflicht spezifiziert die allgemeine Sorgfaltspflicht dahingehend, daß ein Direktor oder Offizier seine eigenen Interessen den Interessen der Gesellschaft oder der Aktionäre nicht voranstellen darf. Eine Verletzung der Loyalitätspflicht wird vor allem bei eigennützlichen Transaktionen und der Ausnutzung von corporate opportunities erwogen. 24 the corporation; in essence, these duties amount to the same kind of duty of loyalty and duty of care that an agent owes to his or her principal." 21 Clark, Corporate Law, § 3.4, S. 123. PCG definiert die duty of care in § 4.01 (a) wie folgt: "a director or officer has a duty to the corporation to perform the director's functions in good faith, in a manner that he or she reasonably beJieves to be in the best interest of the corporation, and with the care that an ordinarily prudent person would reasonably be expected to exercise in a like position and under siIniIar circurnstances." 22 " ••. conduct of business activities with a view to enhancing corporate profit and shareholder gain." PCG § 2.01. 23 Clark. ebenda, § 3.4, S. 125. 24 Für eine Diskussion dieser Fallgruppen und ihre Behandlung aus rechtsvergleichender Sicht siehe Hopt. Self-Dealing and the Use of Corporate Opportunity and Information: Regulating Directors' Conflicts of Interest. Für die Darstellung der deutschen

2. Kontrollrechte

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Potentiell eigennützliche Transaktionen liegen vor, wenn die Gesellschaft einen Vertrag mit einem Direktor, Offizier oder anderen ihnen nahestehenden Personen schließt. Während bis zu Beginn dieses Jahrhunderts die Gerichte jegliche eigennützigen Transaktionen für pflichtwidrig gehalten haben, gilt mittlerweile, daß diese Transaktionen zulässig sein sollen, wenn sie von den nicht interessierten Direktoren oder der Hauptversammlung der Aktionäre genehmigt wurden bzw. wenn sie grundsätzlich fair sind. 2s Die Verletzung einer corporate opportunity stellen Sachverhalte dar, bei denen der Direktor entweder Kenntnis von Geschäftsmöglichkeiten oder aber Zugang zu Sachen, die im Eigentum der Gesellschaft stehen, erhält, und diese nicht für die Gesellschaft, sondern für seine persönlichen Vorteile nutzt. 26 Die Ausnutzung von corporate opportunities ist den Direktoren und Offizieren der Gesellschaft grundsätzlich untersagt. Etwas anderes gilt nur, wenn sie unter vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes beispielsweise die Geschäftsmöglichkeit zunächst der Gesellschaft angetragen haben, diese - vertreten durch die nicht betroffenen Direktoren - sie hingegen abgelehnt hat. Ähnlich gelagert ist der Fall, daß Direktoren oder Offiziere sich geschäftlich in Bereichen betätigen, die mit dem Geschäftsbereich der Gesellschaft in Wettbewerb stehen. 27 Weder die Gerichte, noch die einzelstaatlichen Gesetze stellen ein grundsätzliches Wettbewerbsverbot auf. Voraussetzung fm zulässigen Wettbewerb ist jedoch, daß dieser fair ist, d.h. daß Betriebsgeheimnisse der Gesellschaft nicht preisgegeben werden. Geschäfte, die von Dirketoren in direkter Konkurrenz zu der Gesellschaft getätigt werden, bedürfen in der Regel der Zustimmung der nicht betroffenen Direktoren. Darüber hinaus ist es den Direktoren wie auch den Offizieren grundsätzlich unbenommen, unmittelbar im Anschluß an ihre Tätigkeit in der Gesellschaft eine ähnliche Tätigkeit in Konkurrenz zu der Gesellschaft aufzunehmen. Allerdings können Handlungen im Vorfeld dieses Wechsels eine Verletzung der Loyalitätspflicht darstellen. Das gilt beispielsweise dann, wenn ein scheidender Direktor oder Offizier versucht, Kunden oder Angestellte abzuwerben. 28 Die allgemeine Sorgfaltspflicht (duty of care), nicht jedoch die Loyalitätspflicht, wird durch die von der Rechtsprechung entwickelte business judgment

Rechtslage siehe jüngst Merkt, Unternehmensleitung und Interessenkollision. Weitere Fälle, die vorliegend jedoch vernachlässigt werden sollen, ist die Festsetzung der Vergütung rur Direktoren sowie besonders gelagerte Fälle der VerfUgung von Großaktionären über ihr Aktienpaket. 2S Clark, Corporate Law. §5.1. S. 160 ff. Siehe auch § 144 DeI. GCL. 26 Für die Einzelheiten der corporate opportunity doctrine vgl. Clark, ebenda. § 7. 27 Zu den Einzelheiten siehe Klein/Colfee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles. S. 167. 28 Klein/Colfee, ebenda, S. 167.

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

rule eingeschränkt. Diese Regel besagt, daß die Direktoren für eine Entscheidung, selbst für eine Fehlentscheidung nicht haftbar sind, wenn diese Entscheidung das Ergebnis der Ausübung ihres Ermessensspielraumes ist. Die business judgment rule soll die Direktoren davor schützen, von den Aktionären für Entscheidungen zur Verantwortung gezogen zu werden, die Teil einer verantwortlichen Unternehmensführung sind. 29 Sie stellt somit ein Gegengewicht zur Übertragung der weitreichenden Managementfunktion auf das board dar. Prozessual bedeutet die business judgrnent rule, daß Entscheidungen, die dieser Regel unterfallen, inhaltlich von den Gerichten nicht überprüft werden können. Die Grenzen der business judgment rule sind umstritten. Während von manchen Gerichten verlangt wird, daß das Verhalten der Direktoren an Betrug oder an illegales Verhalten grenzt, lassen andere Gerichte bereits den Vorwurf grober Fahrlässigkeit genügen. 30

b) Gleichbehandlungsgrundsatz

Der Grundsatz der Parität der Aktionäre ist in dem Aktiengesetz des Staates Delaware nicht ausdrücklich niedergelegt. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, daß Aktien gleicher Gattung den Aktionären gleiche Rechte verschaffen. Der Wahlmodus ist ebenfalls nicht gesetzlich geregelt. So besteht nach den einzelstaatlichen Gesetzen die Möglichkeit, von dem Grundsatz, daß jede stimmrechtsfähige Aktie eine Stimme gleichen Gewichts vermittelt, in der Satzung abzuweichen. Zu bedenken ist jedoch, daß die Regeln des New York Stock Exchange (NYSE) die "one shareholder - one vote" -Regel ftir Unternehmen, die an dieser Börse geführt werden, zwingend vorschreiben. Die weite Verbreitung dieser Regelung in der Satzung der wichtigsten amerikanischen Unternehmen ist daher nicht weiter verwunderlich. 31 Mit der Zunahme des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Börsen und der wachsenden Bedeutung des Over-The-Counter (OTC) Handels,32 scheint die Bedeutung dieser auf den NYSE beschränkte Regelung im Rücklauf zu sein. Um dem Verlust seines

29 In der Rechtsprechung hat sich die Formulierung eingebürgert, die business judgment rule (BJR) sei "a presumption that in making a business decision, the directors of a corporation acted on an informed basis in good faith and in the honest belief that the action was taken in the best interest of the corporation." Clark, Corporate Law, § 3.4, S. 123 f. mit Fn. 4. 30 KleiniCoffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S.150. 31 Weniger überzeugend ist das Argument von Easterbrook und Fischei, die die weitere Verbreitung der "one share - one vote"-Regel auf deren überlegene Wettbewerbsfähigkeit zurückfUhren. Siehe EasterbrookiFisehel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 72 f. 32 Beeker, Börsen- und Kapitalmarktrecht der Vereinigten Staaten, S. 813 f.

2. Kontrollrechte

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Marktanteils Handelsaktivitäten entgegenzuwirken, wird mittlerweile am NYSE über den Fortbestand dieser Regelung diskutiert. 33

c) Partizipation

Die Aktionäre sind von der Geschäftsführung selbst ausgeschlossen. Wichtigster Ausdruck der ihnen nach Delegation der Unternehmensführung verbleibenden Residualrechte ist ihr Stimmrecht (siehe unter d.). Das Stimmrecht verleiht den Aktionären die Möglichkeit, die Mitglieder des board of directors durch Wahl zu bestimmen und wieder abzuberufen, Resolutionen zu verabschieden, sowie grundlegende Entscheidungen, die den Bestand des Unternehmens, seine Kapitalstruktur und Verfügungen über das Unternehmen als Ganzes betreffen, zu treffen?4

d) Stimmrechte

Nach dem Recht des Staates Delaware genügt für Entscheidungen der Hauptversammlung in der Regel die einfache Mehrheit, doch können Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung durch Satzung von einer qualifizierten Mehrheit abhängig gemacht werden. Ein Quorum für eine wirksame Entscheidung der Hauptversammlung liegt dann vor, wenn eine Mehrheit der stimmrechtsfahigen Aktien an der Hauptversammlung vertreten ist. 35 Die Wahl der Direktoren, wie auch ihre Abberufung, erfolgt nach dem in der Satzung der Gesellschaft festgelegtem Wahlmodus. Hierfür genügt die einfache Mehrheit der stimmrechtsfahigen Aktien. Einige Bundesstaaten sehen für die 33 Klein/Cojfee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 122. Diese Entwicklung wirft interessante Fragen über die Bedeutung der "Privatisierung" gesellschaftsrechtlicher Grundregelungen auf. Zwar mag man argumentieren, daß die Marktentwicklung ein effizientes Ergebnis hervorbringen wird. So vor allem EasterbrookiFischel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 34 ff. (37). Siehe auch jüngst Romano, Empowering Investors: A market Approach to Securities Regulation, die für einen stärkeren Wettbewerb der wertpapierrechtlichen Regelungen in den USA plädiert. Siehe aber auch Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law, S. 1461 ff. fiir den Wettbewerb zwischen den Bundesstaaten der Vereinigten Staaten. Vergleichbares gilt jedoch auch flir den Wettbewerb zwischen autonomen Regelungen verschiedener Handelsplätze. 34 § 211 (b) DeI. GCL bestimmt, daß die Direktoren der Gesellschaft durch die Hauptversammlung gewählt werden. Für SatzungSänderungen einschließlich Kapitalerhöhungen siehe § 242 (b); für Unternehmenstransaktionen §§ 251 (c), 271 (a) DeI. GCL. 35 § 216 DeI. GCL.

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

Wahl der Direktoren kumulatives Wahlrecht vor, sofern die Satzung dies nicht ausdrücklich ausschließt. Delaware geht den umgekehrten Weg. Kumulatives Wahlrecht ist grundsätzlich zulässig. Es muß jedoch ausdrücklich in der Satzung bestimmt sein, um einzugreifen. 36 Die Aktionäre können die Ausübung ihrer Stimmrechte schriftlich auf Dritte übertragen. 37 Das übertragene Stimmrecht wird im amerikanischen Sprachgebrauch als "proxy" bezeichnet. Die Möglichkeit, durch die Übertragung von Stimmrechten Einfluß auf die Entscheidungen der Hauptversammlung zu nehmen, hat zu einem Wettbewerb um die Stimmrechte der Aktionäre geführt (proxy contest). Es stellte zeitweise das wichtigste Instrument für Änderungen in der Unternehmenskontrolle dar. 38 Anders als im deutschen Recht ist es den Direktoren der Gesellschaft unbenommen, sich an diesem proxy contest zu beteiligen und die Stimmrechte der Aktionäre in der Hauptversammlung auszuüben. Mögliche Interessenkonflikte, insbesondere für die Wahl der Direktoren, bei der die Direktoren selbst in Vertretung der Aktionäre abstimmen können, liegen jedoch auf der Hand. Um einem Mißbrauch des Proxy-Rechts entgegenzuwirken, wurden Vorschriften in den Securities and Exchange Act von 1934 aufgenommen, die die Voraussetzungen für die Werbung und Übertragung von Stimmrechten regeln. 39 Wichtigster Grundsatz dieser Regelungen ist, daß die Werbung von Stimmrechten der mit der Kapitalmarktaufsicht betrauten Securities and Exchange Commission (SEC) gemeldet werden muß und diese die Materialien daraufhin zu überprüfen hat, daß den Aktionären umfassendes Informationsmaterial zu den Gegenständen, auf die sich die Übertragung ihres Stimmrechts bezieht, zur Verfllgung gestellt wird. 4O Diese Regeln finden nicht nur für Proxy-Werbung der Direktoren oder Offiziere, sondern dem Grunde nach auch auf die Stimmwerbung durch andere Aktionäre Anwendung. Dies läßt sich damit rechtfertigen, daß hier ähnliche Gefahren des Mißbrauchs der Vertretungsmacht drohen. Da die Proxyregeln jedoch auch allgemein auf die Kommunikation zwischen Aktionären angewendet wer36 § 214 De\. GCL. Siehe auch die Diskussion des kumulativen Wahlrechts bei Clark, Corporate Law § 9.1. 37 § 212 b De\. GCL. 38 Die bedeutenste Zeit der Proxy contents waren nach Pound die 20er und 30er Jahre, d.h. die Zeit vor Einfllhrung der Proxyregeln. Seit Anfang der 50er Jahre ist die Zahl sowie die Vielfalt der Proxywettbewerbe demgegenüber deutlich zurückgegangen. Siehe Pound, Proxy Voting and the SEC - Investor Protection Versus Market Efficiency, S. 274 f. Pound argumentiert, daß die take over Welle der 60er Jahre als Ersatz fllr die erschwerten Proxybedingungen interpretiert werden kann. 39 § 14 SEA (1934). 40 Die wichtigsten formalen Anforderungen an eine wirksame proxy soliciation sind in § 14a SEA (1934) enthalten. Siehe auch Clark, ebenda, § 9.2, S. 370. Für einen Überblick über die Entwicklung der Proxyregeln siehe Pound, Proxy Voting and the SEC - Investor Protection Versus Market Efficiency.

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den, hat dies die Organisation gemeinsamen HandeIns, und damit letztlich die Untemehmensführungskontrolle durch Aktionäre, mit erheblichen Kosten belastet. Denn die Erflillung dieser Vorschriften ist mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Die Proxyvorschriften sind daher auch zunehmend dahingehend kritisert worden. 41 Die SEC hat darauf mit einer Reform der Proxyregeln reagiert. Wichtigster Bestandteil der 1992 eingeführten Änderungen ist, daß eine Prüfung der Proxymaterialien durch die SEC vor deren Versendung entfällt und daß die Kommunikation zwischen Aktionären, die nicht Gegenstand einer Stimmrechtsübertragung sind, von der Anwendung der Proxyregeln ausgenommen werden. Darüber hinaus wird nunmehr verlangt, daß die verschiedenen Tagesordnungspunkte, für die eine Proxyübertragung begehrt wird, getrennt aufgeführt werden. Damit soll unterbunden werden, daß das Management wie bisher verschiedene Tagesordnungspunkte in einer Weise bündelt, die es ihm erlaubt, auch über Entscheidungen, bei denen Interessenskonflikte nahe liegen, in Vertretung der Aktionäre abstimmen zu können. 42

e) Bezugsrechte

Die Kapitalerhöhung gehört zu den Entscheidungen, die auch nach amerikanischem Recht als Grundsatzentscheidung den Aktionären vorbehalten ist. Allerdings ist es möglich, die Direktoren zur Erhöhung des Kapitals im voraus zu autorisieren und den Zeitpunkt der Aktienemission in ihr Ermessen zu stellen. Je nach der Satzung der Gesellschaft bzw. den Anforderungen des einzeIstaatlichen Rechts kann hierfür eine einfache Mehrheit genügen oder eine qualifizierte Mehrheit erforderlich sein. Ein wichtiges Verfahrensrecht stellt der Grundsatz dar, daß Aktionäre einer Gattung, die von der Kapitalerhöhung betroffen wird, das Recht haben, als Gruppe abzustimmen. 43 Andernfalls könnten sie durch andere Aktionäre, deren Rechte durch eine Kapitalerhöhung nicht oder nicht in gleichem Maße betroffen werden, überstimmt werden. Ein zwingendes Bezugsrecht (preemptive right) sehen die Gesellschaftsrechte der meisten Bundesstaaten nicht mehr vor. Dort, wo das Bezugsrecht noch die Norm ist, kann die Satzung der Gesellschaft hiervon eine Ausnahme machen. Andernorts, wie beispielsweise in Delaware, muß die Satzung aus-

41 Pound, Proxy Voting and the SEC - Investor Protection Versus Market Efficiency, S. 269 ff. mit Angaben zu den Kosten von Gerichtsverfahren, die ein Aktionär bei Verstoß gegen die aufwendigen Proxyvorschriften zu erwarten hat. 42 Einen Überblick über die wesentlichen Änderungen, die 1992 eingefllhrt wurden, geben KleiniCoffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 178ff. 43 § 242 (b) DeI. GCL.

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

drücklich ein Bezugsrecht anordnen, soll ein solches gewährt werden. 44 Als Regelungszweck des Bezugsrechts wird darauf verwiesen, daß eine Gruppe von Aktionären eine Kapitalerhöhung dazu benutzen könnte, an sich selbst Aktien unter deren Marktwert zu emittieren. Diese Gefahr soll jedoch durch die mit Klagerechten bewehrten Sorgfaltspflichten der Direktoren, Offiziere und kontrollierenden Aktionäre hinlänglich gebannt sein. Demgegenüber wird heute vor allem auf die Nachteile des Bezugsrechts hingewiesen, die darin gesehen werden, daß damit die Kapitalerhebung auf dem Markt eingeschränkt wird.

f) Minderheitenrechte

Minderheitenrechte werden im amerikanischen Recht in erster Linie durch die den Aktionären zustehenden Klagerechte gewährleistet. Demgegenüber treten gesetzliche Vorschriften, die Minderheitsaktionären eine Sperrminorität einräumen können, zurück. Dies ist besonders deutlich in dem Aktienrecht des Staates Delaware, wo in der Regel auch für Grundsatzentscheidungen eine einfache Mehrheit genügt. Wenig Gewicht wird nach diesem Recht auch auf die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung der Hauptversammlung durch eine Minderheit der Aktionäre gelegt. Es bleibt der Satzung der Gesellschaft überlassen, eine solche Möglichkeit vorzusehen und das dafür erforderliche Quorum festzulegen. 4s Ebenfalls dem Minderheitenschutz dienlich ist das kumulative Wahlrecht. Doch gilt auch hier in vielen Staaten, wie ausgeführt, daß dies durch Satzung angeordnet werden muß, um Anwendung zu finden. Selbst dort, wo es gesetzlich vorgesehen ist, kann in der Gesellschaftssatzung bestirnt werden, daß es keine Anwendung finden soll.

g) Informationsrechte

Neben den materiellen Handlungsmaximen und den Klagerechten sind die Informationsrechte der Akionäre wichtigster Ausdruck der property rights der Aktionäre nach amerikanischem Recht. Der Gesetzgeber wie auch die Rechtsprechung gehen grundsätzlich davon aus, daß ein wohl informierter Anleger in der Lage ist, rationale Investitionsentscheidungen zu fallen. Zwar wird allgemein zugestanden, daß sich Kleinanleger meist passiv verhalten und kaum in

44 Einen Überblick über die Entwicklung der Bezugsrechte in den USA geben KleiniCoffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 220. 4S Siehe beispielsweise § 211 (d) DeI. GeL: "Special meetings of the stockholders rnay be called by the board of directors or by such person or persons as may be authorized by the certificate ofincorporation or by the by-Iaws."

2. Kontrollrechte

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der Lage sind, die relevanten Informationen angemessen zu bewerten. Jedoch bleibt es ihnen überlassen, ihr Anlagerisiko zu mindern, indem sie ihr Kapital diversifizierten kollektiven Investitionsmittlern, wie Investmentfonds anvertrauen oder jedenfalls deren Verhalten kopieren. 46 Der Schutz der Kleinanleger wird dadurch bewerkstelligt, daß diese InvestitionsmittIer wie auch die Anlageberater umfassenden Informationspflichten sowie der Aufsicht durch staatliche Stellen unterliegen. 47 Die Informationsrechte der Aktionäre werden größtenteils in der föderalen Securities and Exchange Gesetzgebung geregelt. Ihre Zielgruppe sind Investoren allgemein, nicht die Aktionäre eines bestimmten Unternehmens. Im Einzelfall kann zwischen den Aktionären eines Unternehmens einerseits und Investoren andererseits ein Interessenkonflikt vorliegen. Dies gilt beispielsweise für den Fall, daß Unternehmens informationen offengelegt werden müssen, die zu einem Preisverfall der Aktien führen können. Aufgrund ihrer DoppelsteIlung als Aktionäre und Anleger dienen viele Vorschriften jedoch mittelbar auch den Aktionären. Neben staatlichem Recht spielen die Regeln organisierter Märkte eine wichtige Rolle fur den Umfang der Informationsrechte, die Anlegern und Aktionären zustehen. Diese Regeln bestimmen, mit welcher Häufigkeit und in welchem Umfang Unternehmsinformationen publiziert werden müssen. 48 Den Aktionären steht nach amerikanischem Recht gegenüber dem Unternehmen ein umfassender Informationsanspruch zu, der sich nicht nur aus den positivrechtlichen Regelungen ergibt, sondern auch auf das common law gestützt werden kann. 49 Letzteres gibt den Aktionären grundsätzlich die Möglichkeit, die Einsicht in Unternehmensunterlagen gerichtlich zu erwirken, ohne daß es hierfür wie im deutschen Recht, den Umweg über die Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung bedürfte. Allerdings muß sich die Ausübung des Informationsrechts auf Angelegenheiten beziehen, die im Sachzusammenhang mit der Stellung des Aktionärs stehen. 46 Der Gefahr, daß passive uninformierte KleinanIeger letztlich dem Unternehmensmanagement ausgeliefert sind, wie sich vor allem von Berle und Means in ihrem Klassiker zur corporate governance Problematik beschworen wurde, siehe Berle/Means, The Modem Corporation and Private Property, wird heute allgemein weniger Bedeutung beigemesen. DemgegenUber Uberwiegt nunmehr das Argument, daß sich KapitalanIeger rationaler Weise passiv verhalten und die Aktiengesellschaft ein wichtiges und effektives Instrument für die Kapitalanlage passiver Kleinanieger ist. Siehe KleiniCoffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 107 sowie 171 ff. Eine Kontrolle wird vor allem durch den Markt, d.h. die Aktienpreise und letztlich eine Übernahme, ausgeUbt. 47 Zur staatlichen Aufsicht der Investitionsmittier siehe unten Kapitel IX. 48 Die wichtigsten organisierten Märkte in den USA und ihre Anforderungen an die Informationsrechte für Investoren und Aktionäre werden von Becker, Börsen- und Kapitalmarktrecht der Vereinigten Staaten, S. 820 ff. erläutert. 49 Clark, Corporate Law §3. I .3, S. 96 ff.

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

In den einzelstaatlichen Regelungen ist das Informationsrecht der Aktionäre unterschiedlich ausgestaltet. So differenziert das New Yorker Recht beispielsweise nach dem Umfang der Anteile, die ein Aktionär inne hat sowie der Dauer seiner Anteilsinhaberschaft. Aktionäre, die mindestes fünf Prozent der Aktien über mehr als sechs Monate besitzen, haben umfassendere Informationsrechte als Aktionäre mit geringeren Anteilen von kürzerer Dauer. 5o Eine derartige "Diskriminierung" ist dem Recht des Staates Delaware fremd. Es sieht lediglich vor, daß jeder Aktionär ein Recht darauf hat, bei Vorliegen eines vernünftigen Grundes Unternehmensunterlagen, einschließlich der Liste der Aktionäre, einzusehen und hiervon Kopien anzufertigen. Als vernünftiger Grund genügt jeder Grund, der billigerweise den Interessen eines Aktionärs zugerechnet werden kann. 51 Von der Rechtsprechung wird ein Informationsrecht grundsätzlich anerkannt, wenn der Aktionär geltend macht, daß er mit Hilfe der begehrten Information den Wert seiner Investition ermitteln oder mit anderen Aktionären in Kontakt treten möchte. Demgegenüber werden Begehren, die darauf schließen lassen, daß der Aktionär beabsichtigt, die Informationen für seine persönliche investitionsunabhängige Bereicherung zu nutzen oder politische Ziele zu verfolgen, in der Regel abgelehnt. 52

h) Anfechtungs- und Klagerechte Ein eigenständiges Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der Hauptversammlung kennt das amerikanische Recht nicht. Dieses Recht ist in dem umfassenden Klagerecht der Aktionäre enthalten, das ihnen gegen die Direktoren und Offiziere der Gesellschaft, aber auch gegen kontrollierende Gesellschafter bei Verletzung ihrer Sorgfalts- und Treuepflichten zusteht.53 Wichtigstes Instrument für die Geltendmachung von Ansprüchen der Aktionäre gegenüber den Direktoren und Offiziere ist die derivative Klage. Dieser im common law entwickelte Klagetypus erlaubt es Aktionären, den der Gesellschaft entstandenen Schaden durch Klage im Namen der Gesellschaft geltend zu machen. Im Falle des Erfolgs hat die Gesellschaft die Ausgaben des Aktionärs für diesen Rechtsstreit zu übernehmen. 54 Hierfür sind jedoch eine Reihe von

Clark, Corporate Law, §3.1.3, S. 100 f. § 220 (b) DeI. GCL. 52 Für die Einzelheiten vgl. Clark, ebenda, §3.1.3, S. 100 ff. mwN. S3 Umfassend zum Klagerecht der Aktionäre nach amerikanischem Recht siehe Coffee, Organhaftung im amerikanischen Recht. 54 Grundsätzlich trägt jede Partei in einem Prozeß ihre eigenen Kosten. Die Kostenverlagerung bei derivativen Klagen beruht auf der Überlegung, daß Aktionäre, die selbst bei Obsiegen mit hohen Anwaltsgebühren belastet wären, kaum Veranlassung sähen, den Klageweg zu beschreiten. Für die Auswirkungen dieser Regelung in der Praxis siehe 50

51

2. Kontrollrechte

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Voraussetzungen zu erfüllen, die die Erhebung der derivativen Klage erschweren. So muß der klagende Aktionär bereits bei Entstehen des Klagegrundes Aktien der Gesellschaft besessen haben sowie im Zeitpunkt der Erhebung der Klage noch Aktionär der betreffenden Gesellschaft sein. 55 Darüber hinaus verlangt die Rechtsprechung in Delaware, daß der Aktionär vor Erhebung der Klage ein Abhilfeverlangen gegenüber den Direktoren geltend macht (sogenannte demand rule). Damit soll dem board die Möglichkeit gegeben werden, die erwünschte Maßnahme selbst zu ergreifen und so einen Rechtsstreit abzuwenden, oder aber selbst Klage zu erheben.56 Das board kann jedoch auch entscheiden, daß eine Klage gegen die Interessen der Gesellschaft verstößt und daher das Begehren zurückweisen. Sollte das board von dieser Option Gebrauch machen - was in der Praxis der häufigste Fall ist -, so kann der Aktionär hiergegen Mißbrauch geltend machen. Häufiger ist jedoch der Fall, daß der Aktionär Klage erhebt, ohne der demand rule nachgekommen zu sein. Er beruft sich dann darauf, daß das Abfindungsbegehren entbehrlich sei, da es aufgrund der zu erwartenden Entscheidung des board vergeblich wäre. 51 Mittlerweile hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung zu der Frage gebildet, unter welchen Voraussetzungen Klage ohne Befolgung der demand rule erhoben werden kann. Die Einzelheiten hierzu sind für die vorliegende Fragestellung weniger relevant als die Feststellung, daß die derivative Klage ein verfahrensrechtlich recht kompliziertes Instrument ist, daß nicht bei jedem Verdacht des Fehlverhaltens des Unternehmensmanagements eingesetzt werden kann. Neben der derivativen Klage steht den Aktionären die Möglichkeit offen, Klage aus eigenem Recht zu erheben. Dies setzt voraus, daß ein Aktionär direkt in seinen Rechten verletzt wurde. Beispiele hierfür sind die Verletzung seiner Stimmrechte, seines Anspruchs auf Dividendenausschüttung, aber auch Maßnahmen der kontrollierenden Aktionäre, die seine Rechte als Minderheitsaktionär beeinträchtigen. 58 Derartige Klagen können als class action suits durch eine Vielzahl von Aktionären erhoben werden. Eine deutliche Einschränkung der class action suits hat sich daraus ergeben, daß Delaware die Möglichkeit, im Vorfeld einer Untemehmensverschmelzung eine einstweilige Verfügung im Wege des dass action suit mit der Begründung zu erwirken, daß die Bewertung der Aktien nicht Klein/Gaffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 195 ff. 55 Siehe beispielsweise § 327 DeI. GCL. 56 Zur demand rule siehe Gaffee, Organhaftung im amerikanischen Recht, S. 179 f.; sowie Klein/Gaffee, ebenda, S. 197 ff. 51 Dieser Maßnahme kann das board jedoch dadurch vorbeugen, daß es ein unabhängiges Kommittee einsetzt, das über das Begehren des Aktionärs zu entscheiden hat. Siehe Gaffee, Organhaftung im amerikanischen Recht, S. 190. 58 Glark, Corporate Law, §15.1, S. 640; sowie Emanuel, Corporations, S. 263 f.

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

angemessen sei, erheblich eingeschränkt hat. 59 Verschmelzungen können nunmehr lediglich ex post von einzelnen Aktionären angegriffen werden, die einen eigenen Schaden vortragen können. Allerdings erlaubt die Rechtsprechung mehrer Staaten, daß sich diese Aktionäre durch denselben Anwalt vertreten lassen und dadurch ihre Kosten begrenzen können. Der Umfang der Klagerechte nach amerikanischem Recht könnte zu der Vennutung Anlaß geben, daß Direktoren und Offiziere der Gesellschaft in erheblichem Maße dem Risiko ausgesetzt sind, mit Schadensersatzansprüchen belangt zu werden. Eine abschließende Bewertung ihres Haftungsrisikos muß jedoch berücksichtigen, daß durch Indemnifikation und Versicherungen das materielle Risiko weitgehend von den Direktoren und Offizieren auf die Gesellschaft verlagert wird. Das den Mitgliedern der Unternehmensführung verbleibende Risiko, das sicherlich nicht unterbewertet werden sollte, ist im wesentlichen ihre Reputation, die durch Klagen erheblichen Schaden nehmen kann. Die Aktiengesetze der meisten Staaten lassen es zu, daß die Gesellschaft die Direktoren und Offiziere indemnifiziert, d.h. für den Fall, daß diese wegen der Verletzung von Sortfaltspflichten in Ausübung ihrer Funktion in Anspruch genommen werden, die Kosten der Gerichtsverfahren sowie unter Umständen die Erfüllung des Schadens übernimmt. Voraussetzung ist hierfür in der Regel, daß die Direktoren oder Offiziere im Vertrauen darauf gehandelt haben, daß sie den Sorgfaltspflichten genügt haben. Darüber hinaus ist der Abschluß von Versicherungen, die diese Schäden abdecken, üblich. 60 Die Grenzen dieser Risikoverlagerung liegen in der Regel dort, wo das Handeln der Direktoren und Offiziere in den Grenzbereich des Legalen fallt.

3. Verfügungsrechte

a) Verfügungsfreiheit Grundsätzlich steht den Aktionären das Recht zu, jederzeit frei über ihre Aktien zu verfugen. Allerdings ist es nach den meisten einzelstaatlichen Aktiengesetzen zulässig, daß die Satzungen der Gesellschaft hiervon Ausnahmen vorse-

59 Klein/Coffee. Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles. S. 204 f. 60 Delaware hat eine der weitreichensten Regeln. Siehe § 145 DeI. GeL. Danach kann die Satzung nicht nur die Indernnifikation der Direktoren den Abschluß von director and officer (0&0) Versicherungen zu ihren Gunsten vorsehen. Dartlber hinaus bleibt es dem board überlassen, zu bestimmen. ob die fIlr das Eingreifen dieser Schutzmaßnahmen erforderliche Sorgfalt eingehalten wurde.

3. VerfUgungsrechte

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hen. Sie können beispielsweise bestimmen. daß der Aktionär seine Aktien zunächst der Gesellschaft oder anderen Aktionären der Gesellschaft anbieten bzw. deren Zustimmung einholen muß. bevor er sie an Dritte veäußert. 61 Grenzen für die Einführung derartiger Verfligungsbeschränkungen werden durch die autonomen Regeln der Börsen gesetzt.

b) Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen

Ein wesentliches Merkmal des amerikanischen corporate governance System ist. daß die Kontrolle über den Marktmechanismus (sog. market for contro!). d.h. die Verfügung über das Unternehmen als Ganzes. einen zentralen Platz in der Unternehmensführungskontrolle einnimmt. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu Deutschland. wo interne Kontrollmechanismen bisher bei weitem überwogen haben und sich erst in letzter Zeit Unternehmenstransaktionen. wie die feindliche Übernahme. anbahnen. 62 Für Transaktionen. die das Unternehmen als Ganzes betreffen. stellt das amerikanische Recht eine Reihe von Verfahrensvorschriften auf. die aus den materiellen Rechten der Aktionäre folgen. Die meisten dieser Vorschriften sind in den föderalen Wertpapiergesetzen geregelt. Ein wichtiger Grundsatz des Gesellschaftsrechts. der auch in Bezug auf die Verfügungsrechte der Aktionäre Anwendung findet. ist der Gleichbehandlungsgrundsatz. Besonders ausgeprägt sind diese Grundsätze bei Übernahmetransaktionen (tender offers). Bei diesen Transaktionen sind Minderheitsaktionäre in besonderem Maße der Gefahr der Übervorteilung durch den Käufer. durch einflußreiche Mitaktionäre. aber auch durch das Unternehmensmanagement ausgeliefert. So kann der Käufer durch entsprechende Taktik einen Verkaufszwang auf die Aktionäre des zu übernehmenden Unternehmens ausüben. Ein solcher Verkaufszwang entsteht dadurch. daß die Aktionäre in der Regel nicht in der Lage sind. ihre Reaktion auf ein Verkaufsangebot miteinander abzustimmen. Die Anzahl der Aktionäre macht ein solches Vorgehen in den meisten Fällen zu aufwendig (collective action problems). Der Käufer kann sich dieses Dilemma zu Nutze machen. indem er sein Kaufangebot so strukturiert. daß Aktionäre. die sich nicht sofort zum Verkauf entschließen. benachteiligt werden. Beispielsweise kann er ankündigen, bis zu 50 Prozent der Aktien mit einem Marktwert von 100 DM je Aktie für 125 DM zu kaufen. alle verbleibenden Aktien jedoch nur für 75 DM. Im Ergebnis zahlt der Käufer. obwohl er eine Übertragung von Mehrheitsanteilen anstrebt. lediglich den geltenden Marktpreis ohne Aufpreis in der Form einer Kontrollprämie. Durch das gestaffelte Übernahmeangebot kann er jedoch die Aktionäre gegen61 62

§ 202 DeI. GeL. Siehe hierzu auch Hopt. Europäisches und deutsches Übernahmerecht. S. 369.

11 Pi ,tor

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VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

einander ausspielen. Darüber hinaus erreicht er eine Verfügung über das Unternehmen als Ganzes, ohne daß es zu einer Abstimmung der Aktionäre gekommen ist. Denn für die Einberufung einer Hauptversammlung reicht in der Regel die Zeit nicht. Ziel der Verfligungsverfahrensrechte ist es nicht, eine Übernahmetransaktion zu unterbinden. Vielmehr geht es lediglich darum, einen fairen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Bei anderen Unternehmens transaktionen erfolgt dies dadurch, daß die Aktionäre der beteiligten Unternehmen jedenfalls dann, wenn ihre Rechte durch die Transaktionen erheblich betroffen werden, über die Transaktion abstimmen können. Zur Sicherung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Übernahme regelt der Williams Act den Verfahrensablauf der Übernahmetransaktion und normiert die Informationsrechte der Aktionäre. Der potentielle Übernehmer hat die Pflicht, seine etwaigen Übernahmeabsichten offenzulegen, sobald er mehr als 5 Prozent der stimmrechtsfähigen Aktien eines Unternehmens gekauft hat. Zu diesem Zeitpunkt hat er der SEC Informationen über seine Identität zu übermitteln und darzutun, ob er eine Übernahme beabsichtigt. 63 Damit erhalten die Aktionäre sowie die Direktoren und Offiziere des Unternehmens ein Warnsignal. Das Übernahmeangebot muß für mindestens 20 Tage offen bleiben. 64 In dem Angebot soll festgelegt werden, wann Aktien, die nicht mehr angenommen werden, zurückgegeben werden. Aktionären muß das Recht eingeräumt werden, ihre Aktien innerhalb des ausgewiesenen Zeitraums zurückzuziehen, sollten sie ein besseres Angebot von anderen Bietern erhalten. 6S Darüber hinaus muß sich der Übernehmer verpflichten, allen Aktionären den höchsten Preis zu zahlen, zu dem er Aktien während des Bestehens seines Angebots gekauft hat. Sofern er nicht alle Aktionäre bedienen kann, ist es ihm nicht erlaubt, die ersten Verkäufter vollständig zu befriedigen und die späteren zurückzuweisen. Vielmehr ist er verpflichtet, Aktien von allen Aktionären, die zur Annahme seines Angebots bereits waren, prorata zu kaufen. 66 Im Ergebnis erschweren diese Vorschriften eine Übernahme. Sie können sich daher nachteilig für die Unternehmensführungskontrolle einzelner Unternehmen auswirken. Sie sichern jedoch das Vertrauen von Kleinaktionären darin, daß ihre property rights am Unternehmen verfahrensrechtlich gesichert werden, so daß sie die Möglichkeit haben, 63 § 14 d (1) SEA (1934). Die Einzelheiten ergeben sich aus Regulation 14D der SEC. Diese sind abgedruckt in Eisenberg, Corporations and Business Associations Statutes, Rules, Materials, and Forms, 1288 ff. 64 Diese Frist beruht auf SEC Ausfilhrungsbestimmungen für § 14 d (4) SEA (1934), die ausdrücklich eine Ermächtigung vorsieht. Zu den Einzelheiten siehe KleiniCoffee, Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles, S. 184. 6S §14 d (5) SEA (1934) i.V.m. Rule 14d-7 der Regulation 14D. 66 § 14 d (6) SEA (1934). Rule 14d-8 der SEC Regulation 14D regelt die Ausnahmen.

3. VerfUgungsrechte

163

den wirtschaftlichen Wert ihrer Aktien bei Übernahmetransaktionen zu realisieren. 67 Den Rechten der Aktionäre droht im Falle einer Übernahme Gefahr nicht nur von dem potentiellen Käufer, sondern auch vom Unternehmensmanagement. Da erfahrungsgemäß ein Wechsel in der Kontrolle über das Unternehmen mit einem Austausch des Unternehmensmanagement verbunden ist, besteht für dieses Anlaß, einer Übernahme entgegenzuwirken. Das gilt selbst dann, wenn die Übernahme letzlich im Interesse der Aktionäre ist. Die Verteidigungstechniken, die das Unternehmensmanagement entwickelt hat, reichen von de~ sogenannten "poison pills" über "shark repellents" bis hin zum Verkauf der Kronjuwelen. 68 Die Grenzen dieser Verteidigungsstrategien ergeben sich aus den Sorgfaltspflichten der Direktoren und Offiziere, die der gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Grundlage für eine gerichtliche Überprüfung der Verteidigungsmaßnahmen ist zum einen der Securities and Exchange Act (SEA) aus dem Jahre 1934, nach dem es rechtswidrig ist, im Zuge einer Übernahme unrichtige Angaben, Tatsachen zu manipulieren oder entscheidungserhebliche Informationen zu unterschlagen. 69 Entscheidend ist danach, ob die Maßnahmen betrügerische Machenschaften darstellen, die den Preis der Aktien künstlich verändern. Zum anderen können Aktionäre Schadensersatz wegen Verletzung der Sorgfaltspflichten erheben. Die Gerichte in Delaware haben dem Grundsatz nach entschieden, daß auf die Übernahmesituation die business judgment rule Anwendung findet. 70 Danach sind Verteidigungsmaßnahmen dann zulässig, wenn sie in gutem Glauben unternommen werden sowie in angemessenem Verhältnis zu der Übernahmegefahr stehen. Eine angemessene Verteidigungsmaßnahme setzt voraus, daß die Übernahme nicht einfach blockiert wird, sondern sich das Management darum bemüht, ein besseres Angebot einzuholen. Grundsätzlich muß sich das Ma-

67 Diesen Aspekt vernachlässigt Assmann in seiner pauschalen Kritik an dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Siehe Assmann, Verhaltensregeln für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote. 68 Unter poison pills versteht man Aktien, i.d.R. Vorzugsaktien, an die Bedingungen geknüpft sind, die ein feindliches Übernahmeangebot verleiden sollen. Die Übernahme wird als auflösende Bedingung definiert, bei deren Eintritt die betreffenden Aktien in stimmrechtsfllhige Aktien oder Geldansprtiche gegen die Gesellschaft umgewandelt werden. Shark repellents stellen alle binnenorganisatorischen Maßnahmen dar, die einen direkten Zugriff der neuen Aktionäre auf das Management erschweren. Hierzu gehören qualifizierte Mehrheiten für den Verkauf von Kontrollrechten am Unternehmen, Vetorechte sowie boards mit gestaffelten Neuwahlen. Bei einem Verkauf der Kronjuwelen werden die wertvollsten Unternehmensteile auf einen Dritten übertragen, um ein Übernahmeangebot abzuwenden. Einen Überblick über verschiedene Verteidigungsmodalitäten gibt Clark, Corporate Law, S. 571 ff. 69 § 14 e SEA (1934). 70 Siehe Clark, ebenda, S. 584.

11*

164

VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

nagement neutral verhalten und im Interesse der Aktionäre die Voraussetzungen für eine faire "Versteigerung" des Unternehmens schaffen. 71 Hierzu ist kritisch anzumerken, daß die Anwendung der business judgment rule auf die Übernahmesituation der besonderen Interessenlage der Übernahme nicht gerecht wird. Während im Regelfall die Interessen der Aktionäre und des Unternehmensmanagement gleichgerichtet sind, stehen sich diese Interessen bei einer Übernahmesituation 'aufgrund des besonderen Risikos des Unternehmensmanagements entgegen. Die Anwendung der business judgment rule in diesen Fällen läuft darauf hinaus, den Direktoren und Offizieren der Gesellschaft auch dann zu unterstellen, daß sie ihr Ermessen sorgfältig, d.h. im Interesse der Gesellschaft und ihren Aktionären ausüben, wenn ihre eigene Zukunft bedroht ist. 72 Bei anderen Unternehmenstransaktionen ist das Unternehmensmanagement in der Regel direkt als rechtlicher Vertreter der betroffenen Unternehmen beteiligt. Hier stellt sich in erster Linie die Frage, ob die Interessen der betroffenen Aktionäre hinlänglich berücksichtigt werden, insbesondere, ob sie die Letztentscheidungsgewalt über Unternehmenstransaktionen behalten. 73 Diese Fragen stellen sich sowohl bei der Verschmelzung als auch bei der Übertragung des Vermögens der Gesellschaft. Bei der einfachen Verschmelzung wird ein Rechtsträger auf einen anderen übertragen, so daß am Ende lediglich ein Rechtsträger übrig bleibt. Allerdings kann eine Verschmelzung so strukturiert werden, daß zunächst ein neuer Rechtsträger gegründet wird - in der Regel eine Tochtergesellschaft des übernehmenden Rechtsträgers -, der mit dem übernommenen Rechtsträger verschmolzen wird. Erst in einem weiteren Schritt kann, muß aber nicht, die Tochtergesellschaft mit der Muttergesellschaft verschmolzen werden. Bei der Vermögensübernahme können ebenfalls theoretisch zwei Rechtsträger bestehen bleiben. Denn in diesem Fall wird nicht die Gesellschaft als solche, sondern lediglich ihr Vermögen auf einen anderen Rechtsträger übertragen. Allerdings kommt es im Anschluß an die Vermögensübertragung häufig zur Auflösung der Gesellschaft. Für den Fall der einfachen Verschmelzung gilt, daß in der Regel sowohl die Aktionäre der übernommenen Gesellschaft als auch die Aktionäre der überneh-

71 Zu den Einzelheiten dieser Rechtsprechung siehe Klein/Coffee. Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles; sowie Clark. Corporate Law. S. 577 ff. 72 Zu dem Interessenkonflikt des Unternehmensmanagement in einer Übernahmesituation siehe auch Clark. Corporate Law. S. 588 f. 73 Klein/Coffee. ebenda, S. 207. Über die Auswirkungen auf die Rechte der Aktionäre haben diese Formen der Unternehmensübertragung Relevanz für das Steuerrecht sowie für die Haftung für Schulden der übernommenen Gesellschaft.

3. VerfUgungsrechte

165

menden Gesellschaft der Verschmelzung zustimmen müssen. 74 Sofern die Satzung keine höheren Anforderungen stellt, genügt hierfür grundsätzlich eine einfache Mehrheit. Manche Staaten verlangen eine qualifizierte Mehrheit für Entscheidungen über Verschmelzungen; dies gilt jedoch nicht für Delaware. Nach dem Recht des Staates Delaware ist eine Abstimmung der Aktionäre entbehrlich, sofern dieses keine wesentlichen Auswirkungen auf die Satzung der Gesellschaft oder deren Kapitalstruktur hat. 7s Eine Verschmelzung kann entsprechend strukturiert werden. Ein Stimmrecht der Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft entfällt beispielsweise, wenn als Gegenleistung den Aktionären der übernommenen Gesellschaft Aktien aus dem Bestand des aUtclrisierten aber noch nicht emittierten Kapitals der übernehmenden Gesellschaft übertragen werden. Hierdurch werden die bestehenden Rechte der übernehmenden Gesellschaft nicht beeinträchtigt, denn die Aktionäre haben bereits im Grundsatz einer Kapitalerhöhung zugestimmt. Eine Abstimung der Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft ist auch bei einer Verschmelzung einer Tochter- mit der Muttergesellschaft oder einer Verschmelzung eines dritten Unternehmens mit einer Tochtergesellschaft erforderlich. 76 Dahinter steht der Gedanke, daß aus Sicht der Aktionäre der Muttergesellschaft die Eingliederung einer Tochtergesellschaft keine Nachteile mit sich bringt. Diese Überlegungen überzeugen jedoch nur, wenn man jeden Schritt getrennt betrachtet. Bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung stellt sich der Umstand, daß die übernommene Gesellschaft zunächst mit der Tochtergesellschaft und diese sodann mit der Muttergesellschaft verschmolzen wird, als bloße Formalie dar. 77 Auch bei einer Vermögensübernahme müssen zwar die Aktionäre der Gesellschaft, deren Vermögen übertragen wird, hierüber abstimmen, wobei in Delware eine einfache Mehrheit genügt. 78 Die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft haben jedoch grundsätzlich kein Stimmrecht. Die Akquisition von Vermögen fällt grundsätzlich in den Aufgabenbereich der Direktoren bzw. der Offiziere der Gesellschaft und die property rights der Aktionäre werden daher formal nicht berührt. Tatsächlich kann eine Vermögensübernahme jedoch rechtliche Konsequenzen haben, die die Rechte der Aktionäre beeinträchtigen kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn auf eine Vermögensübernahme die Grundsätze

Für Delaware siehe § 251 (c) DeI. GeL. § 251 (f) DeI. GeL. 76 § 251 (g) DeI. GeL. 77 Kritisch zum Vorrang formaler Argumente vor einer wirtschaftlichen Betrachtung bei der Zuordnung von Stimmrechten auch KleiniCoffee. Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles. S. 208. 78 § 271 DeI. GeL. In anderen Staaten wird demgegenüber häufig eine qualifizierte Mehrheit gefordert. Für einen rechtsvergleichenden überblick über die Entscheidungsbefugnis der Aktionäre in derartigen FiIllen siehe Hübner. Die Ausgliederung von Untemehmensanteilen in aktien- und aufsichtsrechtlicher Sicht. S. 799 ff. 74

7S

166

VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

der Gesamtrechtsnachfolge. die für eine Vermögensübernahme nicht unmittelbar gelten, angewendet werden, wie dies einige amerikanische Gerichte mittlerweile getan haben. 79 Im Ergebnis kann dies darauf hinauslaufen, daß die übernehmende Gesellschaft für die Schulden der Gesellschaft, deren Vermögen sie übernommen hat, aufkommen muß.

c) Informations- und Bewertungsrechte

Aktionäre, die nach den genannten Vorschriften ein Stimmrecht haben, können in der Regel auch eine gerichtliche Überprüfung des Kaufpreises verlangen (appraisal right).80 Besondere Bedeutung kommt dem Bewertungsrecht bei der Übernahme zu, bei der der Käufer zunächst nur einen Teil der Aktien erwirbt, sodann es jedoch unternimmt, die verbleibenden Aktionäre zum Verkauf ihrer Aktien zu bewegen. Bewertungsrechte kommen jedoch auch bei Verschmelzungen in Betracht. Der Gehalt dieses Bewertungsrechts steht und fallt mit den Bewertungskriterien, die von den Gerichten zugrunde gelegt werden. Bis vor kurzem herrschte die sogenannte "Delaware Block Methode" vor. Danach wurde aufgrund einer Reihe von Bewertungsmethoden, wie beispielsweise dem Marktwert, Dividendenausschüttung, Einnahmen, Buchwert des Unternehmensvermögens, ein Mittelwert errechnet. Nach dieser Methode wurden Übernahmeoder Verschmelzungsangebote in den meisten Fällen für angemessen gehalten. Denn in der Regel richtet sich der Preis bei Kontrolltransaktionen nach dem Marktpreis, auch wenn letztlich versucht wird, diesen zu drücken. Der Mittelwert aus verschiedenen Methoden, von denen nur eine sich nach dem Marktpreis richtet, liegt jedoch in der Regel unter diesem Wert. Mittlerweile ist die Blockmethode aufgegeben worden. Nach dem Aktiengesetz von Delaware gilt nunmehr, daß fur eine Bewertung des "fair value" alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden sollen. 81

79 Dazu im einzelnen Klein/Cojfee. Business Organization and Finance - Legal and Economic Principles. S. 209 f. 80 § 262 DeI. GeL. 81 § 262 (h) DeI. GCL: .... the Court shall appraise the shares, determining their fair value exclusive of any element of value arising from the accomplishment or expectation of the merger or consolidation ( ... ). In determining such fair value, the Court shall take into account all relevant factors."

4. Vennögensrechte

167

4. Vermögensrechte

a) Teilhabe an Wertzuwachs

Aktionäre, die Inhaber von Aktien gleicher Gattung sind, werden zu gleichen Teilen an dem Vermögen der Gesellschaft beteiligt. Dies gilt sowohl fi1r den Fall der Liquidation des Unternehmens, als auch fi1r die Verteilung von Unternehmensgewinnen. Aus diesem Grundsatz folgt, daß die Gewinnverteilung nicht in einer Weise vorgenommen werden soll, die manche Aktionäre systematisch benachteiligt. Handlungsmaßstab fi1r die Direktoren und Offiziere, die fllr derartige Entscheidungen zuständig sind, ist die allgemeine Sorgfaltspflicht sowie die Loyalitätspflicht. Wird eine Gesellschaft auf Antrag der Direktoren, dem die Aktionäre zustimmen müssen, durch Beschluß der Aktionäre aufgelöst82 oder auf Antrag der Gläubiger liquidiert, so muß die Gesellschaft zunächst alle Ansprüche der gesicherten und ungesicherten Gläubiger erfüllen. 83 Die Aktionäre haben einen Anspruch lediglich auf Verteilung der Aktiva, die nach Befriedigung sämtlicher Verbindlichkeiten verbleiben. Die Ansprüche von Aktionären verschiedener Gattung ergeben sich aus den Rechten, die in den jeweiligen Gattungen verbrieft sind. Dies gilt auch fi1r stimmrechtslose Vorzugsaktien (preferred stock), fi1r die Ansprüche der Aktionäre fllr den Fall der Auflösung entweder in den Gründungsdokumenten oder in der Resolution, die als Rechtsgrundlage fi1r die Emission stimmrechtsloser Vorzugsaktien diente, niedergelegt sind. 84 Eine bevorzugte Behandlung dieser Aktionäre ist somit nicht zwingend vorgesehen, wird jedoch in der Praxis in der Regel im Gegenzug zu einen Verzicht auf Stimmrechte zugestanden. Für die Entscheidung darüber, ob Gewinne des Unternehmens auf die Aktionäre verteilt werden, ist grundsätzlich das board of directors zuständig. Die Einzelheiten werden den Satzungsbestimmungen der einzelnen Gesellschaft überlassen. 8s Gleiches gilt fi1r das Recht der Direktoren zu bestimmen, daß Gewinne nicht ausgeschüttet werden, sondern fi1r die Bildung von Reserven benutzt werden sollen. 86 Wenn somit die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang 82

Zu dem Verfahren rur einen wirksamen Auflösungsbeschluß siehe § 275 DeI.

GeL. § 281 (a) DeI. GeL. § 151 (d) DeI. GeL. 85 Siehe beispielsweise § 170 (a) DeI. GeL: "The directors of every corporation, subject to any restrictions contained in its certificate of incorporation, may declare and pay dividends upon the shares of its capital stock ... " 86 Siehe § 171 DeI. GeL. 83

84

168

VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

vorhandene Gewinne ausgeschüttet werden sollen, den Direktoren überlassen bleibt, stellt das Gesetz strengere Anforderungen daran, wann eine Gewinnausschüttung zu unterbleiben hat. Diese Vorschriften dienen vor allem den Gläubigem, die davor geschützt werden sollen, daß die verbleibenden Aktiva des Unternehmens auf die Aktionäre verteilt werden, bevor sie ihre Ansprüche gegen eine Gesellschaft, die sich in Zahlungsschwierigkeiten befindet, realisieren können. 87 Dem Grundsatz nach ist es Gesellschaften untersagt, eine Dividendenausschüttung vorzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung die Aktiva der Gesellschaft die Passiva übersteigen. 88 Von größerer Bedeutung für die Rechtsstellung der Aktionäre ist die Frage, ob Direktoren entscheiden können, an Stelle einer Dividendenausschüttung Aktionäre an den Gewinnen der Gesellschaft dadurch zu beteiligen, daß die Gesellschaft gesellschaftseigene Aktien von den Aktionären erwirbt. Der Kauf gesellschaftseigener Aktien ist nach amerikanischem Recht grundsätzlich zulässig. Allerdings besteht bei diesen Transaktionen die naheliegende Möglichkeit von Interessenkonflikten. So kann der Rückkauf von Unternehmensaktien beispielsweise auf nur einen Teil der Aktionäre beschränkt sein bzw. zu unterschiedlichen Konditionen erfolgen. Dies liefe auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hinaus. Rückkauftransaktionen können sich auch als Vorbereitung einer Änderung der Eigentumsstruktur am Unternehmen darstellen. Wichtigster Fall ist ein Management buy-out (MBO), bei dem das Unternehmensmanagement mit Hilfe von Krediten die außenstehenden Aktien des Unternehmens aufkauft (going private).89 Trotz der Möglichkeit derartiger Interessenkonflikte wird der Kauf gesellschaftseigener Aktien als Substitut für die Dividendenausschüttung allgemein für zulässig erarchtet und gerade im Hinblick auf die günstigeren steuerrechtlichen Auswirkungen auf Aktionäre auch befürwortet.9O Die Grenzen für derartige Transaktionen ergeben sich wiederum aus den Sorgfaltspflichten, denen die Direktoren und Offiziere der Gesellschaft unterliegen.

87 Zu Sinn und Zweck der Gläubigerschutzvorschriften und der Effektivität dieser Vorschriften siehe Clark, Corporate Law, S. 610 ff.; sowie KleiniCoffee. Business Organization and Finance - Legal and Econornic Principles, S. 215 ff. 88 Kritisch zu den gesetzlichen Vorschriften, die einer Umgehung durch buchhalterische Finesse Tür und Tor öffnen, vor allem Clark, ebenda, S. 610-612. 89 Siehe KleiniCoffee, ebenda, S. 380 ff. 90 Kritisch allerdings zu dem steuerrechtlichen Argument Clark. ebenda, S. 596 f., der darauf hinweist. daß die steuerrechtlichen Auswirkungen von Dividendenausschüttungen von der Situation der einzelnen Aktionäre abhängt sowie daß im Einzelfall Verkaufserlöse für den Rückkauf von Aktien nach amerikanischem Steuerrecht wie Dividenden besteuert werden können.

5.Zusanunenfassung

169

b) Informations- und Bewertungsrechte

Zu den wichtigsten Verfahrensrechten der Aktionäre auch im Bereich der Vermögensrechte gehören die Informationsrechte. Die umfangreichste Information erhalten Aktionäre von Unternehmen, die an Börsen gehandelt werden. Für diese Gesellschaften greifen die Vorschriften der Securities and Exchange Gesetzgebung zur Offenlegung von Unternehmensinformationen bei dem Verkauf von Aktien an die Öffentlichkeit (initial public offering, IPO)91 und die Verpflichtung, regelmäßig Unternehmensinformationen bei der SEC zu hinterlegen. Darüber hinaus unterliegen diese Unternehmen den Vorschriften der jeweiligen Börse, die ebenfalls regelmäßige Publikationspflichten enthalten. Verstöße gegen die Informationspflichten müssen nicht notwendig von den Aktionären bzw. den Investoren, derem Schutz diese Vorschriften vor allem dienen, selbst geahndet werden. 92 Vielmehr kann die Securities and Exchange Commission im Wege ihrer Rechtsaufsicht ein Verfahren gegen Personen einleiten, deren Handlungen in den Bereich des Betruges fallen. 93 Im übrigen erhalten Aktionäre mit der Einladung zur Hauptversammlung umfangreiches Informationsmaterial, zu dem u.a. der lahresabschlußbericht gehört. 94

5. Zusammenfassung Der Überblick über die property rights der Aktionäre nach amerikanischem Recht zeigt, daß die wichtigsten zwingenden gesetzlichen Regelungen, die eine eindeutige Zuordnung von Rechten bewirken, in der föderalen Securities and Exchange Gesetzgebung enthalten sind. Die Informationsrechte, die einen wesentlichen Gegenstand dieser Regelungen bilden, dienen auch den Aktionären. Ihre Schutzrichtung gilt jedoch den Investoren allgemein und der Funktionsfähigkeit eines liquiden Kapitalmarktes, für den Informationstransparenz eine unentbehrliche Voraussetzung ist. Die einzelstaatlichen Aktiengesetze sind wesentlich offener gestaltet. Sie überlassen der Satzung der Gesellschaft einen weiten Spielraum, die Rechte und Pflichten der verschiedenen Beteiligten zu definieren. Dies sollte jedoch nicht

91 Grundlegende Vorschrift ist § 5 des SEC (1933. Zu den Einzelheiten siehe Clark, Corporate Law, S. 720 ff. 92 Allerdings stattet der SEC (1933) die Investoren mit umfangreichen Klagemöglichkeiten aus. Siehe § 11 sowie § 12 SEC (1933). Dazu Clark, Corporate Law, S. 744747. 93 § 17 SEC (1933) und dazu elark, ebenda, S. 748. 94 Clark, ebenda, S. 369 f. Siehe auch oben 2. g).

170

VI. Property rights der Aktionäre im amerikanischen Recht

darüber hinwegtäuschen, daß die Grundentscheidungen über das Unternehmen zwingend den Aktionären zugeordnet sind. Dies gilt flir Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen, Liquidation des Unternehmens, dem Grundsatz nach für Verfügungen über das Unternehmen als Ganzes sowie für den Anspruch der Aktionäre auf Teilhabe an den Unternehmensgewinnen. Selbst nach dem Recht des Staates Delaware findet die Flexibilität und Offenheit des Gesellschaftsrechts hier ihre Grenzen. Tendenzen zur Aufweichung dieser grundsätzlichen Zuordnung der Residualrechte auf die Aktionäre lassen sich jedoch bei der Entwicklung der Stimmrechte der Aktionäre erkennen. Die Entscheidungskompetenz der Aktionäre über wesentliche Angelegenheiten verliert an Bedeutung, wenn die Stimmrechte der Aktionäre verwässert werden. Das hier stellvertretend für das amerikanische Recht untersuchte Gesellschaftsrecht des Staates Delaware ist Stimmrechtsregeln, die von dem Grundsatz, daß jede stimmrechtsfahige Aktie eine Stimme verleiht, gegenüber offen. Gleiches gilt für andere Bundesstaaten. Die meisten Unternehmen halten noch an diesem Grundsatz fest, was vor allem darauf zurückgeführt werden kann, daß die Regeln des NYSE dies verlangen. Eine Änderung dieser Regeln, die derzeit diskutiert wird, kann weitreichende Auswirkungen auf die Zuordnung der Residualrechte am Unternehmen haben. Dies gilt nicht nur für die internen Kontrollrechte, sondern auch für Verfügungen am Unternehmen. Denn mit einer Änderung ihrer Stimmrechte wird den Aktionären auch die Möglichkeit entzogen, entsprechend ihrer Anteile an Entscheidungen, die Verfügungen über das Unternehmen als Ganze betreffen, mitzuwirken. Die Offenheit des Gesellschaftsrechts wird durch die mit Klagerechten bewehrten materiellen Handlungsmaximen der Unternehmensführung weitgehend kompensiert. Diese auf das Trustrecht zurückgehenden Sorgfaltspflichten sind der stärkste Ausdruck daflir, daß die Aktionäre als Inhaber der property rights am Unternehmen angesehen werden. Das Klagerecht der Aktionäre, das sich sowohl gegen die Direktoren als auch gegen die Offiziere richten kann, stellt sich somit als ein wichtiges Gegengewicht gegen die Offenheit der einzelstaatlichen Gesetze dar. 9s Eine gewisse Verschiebung der Kräfteverhältnisse hat sich mit der Verbreitung der business judgment rule und ihrer Anwendung auch auf Fälle, bei denen eine Diskrepanz zwischen den Interessen der Aktionäre und den Interessen des Unternehmens unverkennbar ist, wie beispielsweise bei der Übernahme, angebahnt. Allerdings ist es zu früh, hieraus zu folgern, daß die Gerichte von einer

95 So insbesondere Coffee, The Mandatory/Enabling Balance in Corporate Law: An Essay on the Judicial Role. S. 1635 ff.

5. Zusammenfassung

171

Überprüfung der Entscheidungen des Unternehmensmanagements anhand der allgemeinen Sorgfaltspflicht und der Loyalitätspflicht Abstand nehmen.

VII. Vergleichende Analyse und Implikationen für Transformationsländer In den vorausgegangenen Kapiteln wurden auf der Grundlage der Property Rights Theorie die wesentlichen konstituierenden Elemente des Rechts der Aktiengesellschaft definiert und darautbin an dem Beispiel des deutschen und des amerikanischen Gesellschaftsrechts die Tragfähigkeit dieses Ansatzes demonstriert. Das Modell der property rights der Aktionäre bildet gleichsam ein Prisma, durch das rechtliche Lösungen, die sich in verschiedenen Rechtsordnungen finden, analysiert werden können. Damit stellt dieses Modell einen einheitlichen Bezugsrahmen unabhängig von dem jeweiligen Heimatrecht des Betrachters zur Verfügung. Ein solcher Ansatz kann die rechtsvergleichende corporate governance Literatur bereichern. Ziel der vergleichenden corporate governance Forschung ist es, die verschiedenen empirisch zu beobachteten Modelle der Unternehmensführungskontrolle zu erklären und deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu untersuchen. Aus rechtlicher Sicht stellt sich insbesondere die Frage, in welchem Maße die Ausgestaltung der Aktionärsrechte nach den Rechtsordnungen verschiedener Länder das herrschende corporate governance Modell prägt und damit mittelbar die wirtschaftliche Situtation der Unternehmen beeinflußt. 1 Allerdings hat sich die vergleichende Analyse bisher auf die Diskussion jeweils von Teilaspekten der verschiedenen Gesellschaftsrechte beschränkt, ohne eine umfassende Analyse der verschiedenen Gesellschaftsrechte vorzunehmen. Während zunächst die Binnenorganisation der Aktiengesellschaft und die Frage nach den Vorzügen einer zweigliederigen Managementstruktur mit Vorstand und Aufsichtsrat gegenüber dem amerikanischen Board Modell im Vordergrund stand, hat sich die Diskussion mittlerweile auf die Organhaftung und die Rechte von Minderheitsaktionären verlagert. 2 Im Ansatz oftmals noch enger ist die rechtsvergleichende Untersuchung, I Grundlegend zu dieser Fragestellung, jedoch vorsichtig in den Schlußfolgerungen Roe, Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States. 2 Einen Überblick über den Verlauf der vergleichenden corporate governance Debatte gibt Rock, America's Fascination with German Corporate Governance. Für den Vergleich des deutschen und des amerikanischen Rechts siehe die themenspezifischen Beiträge in FeddersenIHommelhofflSchneider, Corporate Governance. Einen kritischen Überblick über den empirischen Befund für die Relevanz alternativer corporate governance Systeme für den Unternehmenserfolg geben Mayer, Corporate Governance, Competition and Performance; sowie ShleiferlVishny, A Survey of Corporate Go-

I. Property Rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht 173

die das Ziel verfolgt, Mißstände im eigenen Land zu beheben. Die Fragestellung, aus der heraus das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht anderer Länder untersucht wird, ist daher jeweils länderspezifisch. Damit wird in der Regel auch die jeweils eigene Begriffswelt und Anschauungsweise übertragen. 3 Wie die Analyse des deutschen und des amerikanischen Gesellschaftsrechts gezeigt hat, ermöglicht demgegenüber die Bezugnahme auf funktionale Kriterien unabhängig von der eigenen Rechtsordnung die wesentlichen Grundzüge einer rechtlichen Lösung zu untersuchen.

1. Property rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht Im Folgenden sollen die property rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht einander gegenübergestellt werden, um auf diese Weise systematische Unterschiede zu verdeutlichen. Eine derartige Gegenüberstellung kann den Besonderheiten der einzelnen Rechtsordnung nicht gerecht werden, denn sie sieht über Details hinweg. Auf dem Hintergrund der Darstellung des deutschen und des amerikanischen Gesellschaftsrechts in den vorausgegangen Kapiteln, erscheint eine solche Gegenüberstellung jedoch möglich, ohne daß das Gesamtbild verfälscht wird. In Tabelle 7 sind die wesentlichen Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte der Aktionäre nach deutschem sowie nach amerikanischem Recht (Delaware) aufgeführt. Für jede Regelung wird vermerkt, ob diese zwingend vorgesehen ist (0 für obligatorisch) oder ob Abweichungen in der Satzung der Gesellschaft möglich sind (F für fakultativ). Letzteres ist dann der Fall, wenn eine Regelung ausdrücklich als "Kannvorschrift" verfaßt ist oder sich aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschriften bzw. der Interpretation durch die Gerichte ableiten läßt, daß eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung möglich ist. Sofern die jeweilige Rechtsordnung Regeln vorsieht, die von den Kriterien, die als Checkliste in der ersten Spalte aufgeführt sind, abweichen, wird dies durch den Buchstaben "A" vermerkt. Fehlt es gänzlich an derartigen

vernance, die neben den empirischen Befunden auch die theoretischen Grundlagen erörtern. Im Unterschied zu Mayer betonen diese auch die Relevanz rechtlicher Regeln (S. 738 sowie 750 ff.). 3 In einem Überblick über die amerikanische Sicht des deutschen corporate governance Systems kritisiert Rock, daß sich manche Autoren zu sehr in die Begriffswelt anderer Länder hineinversetzen und dadurch im eigenen Land unverständlich werden Rock, America's Fascination with German Corporate Governance, S. 297 f. Sein Lösungsvorschlag, der amerikanischen Begriffswelt verhaftet zu bleiben, überzeugt als rechtsvergleichender Ansatz jedoch nicht.

174

VII. Vergleichende Analyse und Implikationen ft1r Transformationsländer

Regelungen ist dies durch "-" wiedergegeben. V schließlich gibt an, daß eine derartige Regelung verboten bzw. unzulässig ist. Eine solche schematische Übersicht erleichert die Bestandsaufnahme der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede zwischen dem deutschen und amerikanischen Aktienrecht. In der vergleichenden Literatur wird häufig betont, daß der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Rechtsordnungen in dem Überwiegen zwingender Vorschriften nach deutschem Recht und fakultativer Vorschriften im amerikanischen Recht läge. 4 Die Aufstellung in Tabelle 7 verdeutlicht, daß dies nur zum Teil richtig ist. Zwar weist das deutsche Recht in der Tat mehr obligatoritsche Vorschriften auf als das amerikanische, jedoch sind die Unterschiede jedenfalls in Bezug auf die property rights der Aktionäre weniger groß, als diese Auffassung vermuten ließe. s Regelungstatbestände, bei denen das amerikanische Recht flexibler ist als das deutsche Recht, beziehen sich auf die Mehrheitsanfordernisse bei grundlegenden Entscheidungen der Hauptversammlung, die Regelung des Stirnrnrechts sowie die Zustimmung der Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft zu Kontrolltransaktionen. So können grundlegende Entscheidungen jedenfalls nach dem Recht des Staates Delaware mit einfacher Mehrheit geflillt werden sofern die Satzung nicht etwas anderes bestirnrnt, während das deutsche Recht zwingend eine qualifizierte Mehrheit anordnet. Der Grundsatz, daß jede Aktie eine Stimme verleiht, ist im amerikanischen Gesellschaftsrecht nicht zwingend vorgesehen (wohl aber in den Regeln des NYSE), während das deutsche Recht jedenfalls für Inhaberaktien diese Regel zwingend vorsieht. Und schließlich kann bei entsprechender Strukturierung von Kontrolltransaktion nach amerikanischem Recht von einer Zustimmung der Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft zu dieser Transaktion abgesehen werden. Demgegenüber sind nach deutschem Recht Aktionäre beider Gesellschaften abstimmungsberechtigt. Zudem sieht das Gesetz hier zwingend eine qualifizierte Mehrheit vor. In einigen Fällen ist das amerikanische Recht demgegenüber strenger als das deutsche Recht. So sind die Klagerechte gegen die Miglieder der Unternehmensführung und die Repräsentanten der Aktionäre in den betreffenden Organen der Gesellschaft zwingend angeordnet. Demgegenüber enthält das deutsche Recht hier abweichende Bestirnrnungen, die Aktionären lediglich ein Initiativrecht geben, das jedoch an hohe verfahrensrechtliche Anforderungen gebunden ist.

4

So insbesondere BlackiKraakman, A Self-Enforcing Model of Corporate Law, S.

1920 ff. S Auf die Tatsache, daß selbst das Recht des Staates Delaware, das eines der rur abweichende Regelungen offenste Gesellschaftsrecht ist, eine Vielzahl zwingender Vorschriften enthält, weist auch Gordon hin. Siehe Gordon, The Mandatory Structure of Corporate Law, S. 1553 Fn. 16.

1. Property rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht

175

Tabelle 7 Vergleichende Übersicht über die property rights der Aktionäre nach deutschem und amerikanischem Recht

Property rights der Aktionäre

Deutschland

Vereinigte Staaten

O/A

0

O/A

0

Gleichbehandlung Aktien gleicher Gattung

o o

0 0

Emission verschiedener Gattungen

F

F

Partizipation Beteiligung an Geschäftsführung

V

V

o o o o o o

0 0 0 0 0

Organisation Repräsentationsprinzip Kontrollrechte Handlungsmaximen Haftung für Verstoß gegen Handlungsmaxime

Beteiligung an Grundentscheidungen. einschl. SatzungSänderungen Kapitalisierung Liquidation Übertragung substantieller Vermögensanteile Qualifizierte Mehrheit für diese Entscheidungen Zustimmung/Genehmigung Interessenkonflikt Corporate Opportunity Wettbewerb Stimmrechte 1 Aktie = 1 Stimme Quorum (min. 50 Prozent) Vertretungsrecht Wahl der Repräsentanten Abberufung der Repräsentanten Indirekte Wahl des FUhrungsgremiums Abberufung des FUhrungsgremiums Bezugsrechte

F AIF

A

AIF AIF

o

o

O/A

F

o o O/A O/A

o o o

o

o o o o

o F

Minderheitenschutz Kumulatives Wahlrecht Außerordentliche HV Prüfer

F

o o

o o (Fortsetzung nächste Seite)

176

VII. Vergleichende Analyse und Implikationen filr Transformationsländer

(Fortsetzung Tabelle 7) Informationsrechte

o

o

Klagerechte Anfechtung gegen HV BeschlUsse

o

Gegen Mitglieder der Unternehmensfl1hrung

A

Gegen Repräsentanten

A

A

o o

Verftlgungsrechte

o

o

der übertragenen Gesellschaft

o

o

der übernehmenden Gesellschaft

o o

F

o o

o o

Verftlgungsfreiheit Stimmrechte bei Kontrolltransaktionen Zustimmung der Aktionäre

Qualifizierte Mehrheit Informationsrechte Bewertungsrechte

F

Vermögensrechte Verteilung der Aktiva bei Auflösung

F

F

Partizipation an Gewinnen (Dividenden)

F

F

Informationsrechte

0

0

Anmerkungen: A - äbweichende Bestimmung; F =fäkultativ; K = explizites Klagerecht; o = obligatorisch; V = Veroot. "- bedeutet, daß eine Regelung dieses Gegenstandes nicht vorgesehen ist.

Die genannten Unterschiede zwischen den beiden Rechtsordnungen betreffen im wesentlichen Verfahrensrechte. Allerdings hat die detaillierte Analyse dieser Rechtsordnungen auch auf Unterschiede aufmerksam gemacht, die Inhalt und Umfang der Rechte der Aktionäre bzw. Pflichten der Mitglieder der Führungsgremien der Gesellschaft betreffen. Hierzu gehören insbesondere der Umfang, in dem die Handlungsmaximen der Unternehmensführung rechtlich spezifiziert ist. Wie ausgeführt, ist die wesentlich differenziertere Ausgestaltung in den Vereinigten Staaten das Ergebnis einer langen Rechtsprechungstradition, die sich auf die zwingenden Klagerechte der Aktionäre stützt. Nicht erfaßt wird in der Übersicht in Tabelle 7 auch der Umfang, in dem das deutsche Recht zum Zwecke des Gläubigerschutzes bzw. zur Umsetzung des Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmer zwingende Regelungen anordnet. Letzteres ist lediglich durch den Hinweis auf abweichende Bestimmungen beim Repräsentationsprinzip und der Wahl bzw. Abberufung der Repräsentanten angedeutet. Im Vergleich zu diesen und anderen Regelungen, die sich auf die interne Organisation der Gesellschaft beziehen, ist das amerikanische Recht wesentlich offener als das deutsche.

2. Die Funktion staatlichen Rechts für die Bestimmung von property rights

177

Im Ergebnis unterscheiden sich die beiden Rechtsordnungen somit weniger in dem Umfang zwingender bzw. flexibler Regelungen. sondern in den Regelungsgegenständen. die von diesen verschiedenen Regelungsmodalitäten betroffen sind. So beruht das deutsche Recht auf detaillierten zwingenden Regeln für die Binnenorganisation der Gesellschaft. einschließlich klarer Kompetenzabgrenzungen der verschiedenen Gesellschaftsorgane. Die Möglichkeit externer Kontrolle im Wege der Anrufung der Gerichte ist demgegenüber schwach ausgebildet. Insbesondere überwiegt hier das Klagerecht gegen Beschlüsse der Aktionäre gegenüber einer gerichtlichen Kontrolle der anderen Gesellschaftsorgane. Das amerikanische Recht geht den umgekehrten Weg. Zwar wird das Repräsentationsprinzip dem Grunde nach zwingend vorgeschrieben. doch bleibt die weitere Bestimmung der Binnenorganisation der Gesellschaft weitgehend den Satzungen der einzelnen Gesellschaft überlassen. Demgegenüber ist eine externe Kontrolle der Mitglieder der Führungsgremien zwingend verankert. Zwar haben die Gerichte den Umfang ihrer Kontrollbefugnis im Laufe der Jahre durch die business judgment rule eingeschränkt. doch ist dieses Kontrollrecht dem Grunde nach bisher unangetastet geblieben.

2. Die Funktion staatlichen Rechts für die Bestimmung von property rights Auf dem Hintergrund der Diskussion um die Reform des Aktienrechts in Deutschland stellt sich die Frage, welche Bedeutung rechtlichen Regelungen bei der Ausgestaltung der property rights der Aktionäre überhaupt zukommt. Diese Frage ist für die Transformationsländer von besonderer Bedeutung. Bei ihnen geht es nicht lediglich wie bei der gegenwärtigen Reformdiskussion in Deutschland darum, die Unternehmensführungskontrolle zu verbessern, sondern eine grundsätzliche Eigentumsreform mit Hilfe des Gesellschaftsrechts herbeizuführen. Privatisierung bedeutet in erster Linie ein Änderung der Rechtsform des Unternehmens von einem volkseigenen Betrieb in eine Aktiengesellschaft und sodann die Übertragung der in den Aktien verbrieften Titel auf private Inhaber. Eine erfolgreiche Eigentumsreform, die sich nicht lediglich auf eine formale Übertragung von Titeln beschränken will, setzt jedoch voraus, daß diese Rechte realisierbar sind, d.h. eine Eigentumsreform auch materiell vollzogen wird. Es stellt sich daher die Frage, welche Rolle die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften für die Wahrnehmung und Umsetzung der property rights der Aktionäre spielt. In den folgenden Abschnitten soll daher der derzeitige Stand der Diskussion über die Rolle des Gesellschaftsrechts im Verhältnis zu anderen Faktoren für die Unternehmensführungskontrolle skizziert und im Anschluß daran die hieraus folgenden Implikationen für die Transformationsländer diskutiert werden. Zunächst stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Gestaltung der Rechte der Aktionäre von rechts wegen, d.h. durch Gesetz oder Rechtsprechung, fest12 Pistor

178

VII. Vergleichende Analyse und Implikationen für Transformationsländer

gelegt bzw. der vertraglichen Gestaltung der Aktionäre überlassen werden sollen. Stellt man sich auf die Grundlage der vor allem in den USA vorherrschenden Vertragstheorie, so ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Aktionäre ihre Position durch freie Vereinbarung gestalten können und sollen. Aus ökonomischen Gründen ergeben sich Grenzen der Vertragsfreiheit allenfalls aus Kostenerwägungen. Geht man nämlich davon aus, daß Transaktionen Kosten verursachen, so können diese Kosten einer Umverteilung von Rechten, die eine effiziente Zuordnung dieser Rechte bewirken soll, entgegenstehen. Aus diesem Gesichtspunkt kommt der Rechtsordnung in erster Linie die Funktion zu, es den privaten Parteien abzunehmen, einzelne Regelungen jeweils neu zu verhandeln, bzw. Dokumente, die Auskunft über die Rechte geben können, wie beispielsweise Gesellschaftssatzungen, zu studieren. 6 Weitere mögliche Rechtfertigungsgründe ergeben sich insbesondere aus dem Gesichtspunkt des opportunistischen Verhaltens des Unternehmensmanagements sowie daraus, daß Neuerungen auf die Ablehnung der Aktionäre stoßen könnten, obwohl sie letztlich zu Effizienzverbesserungen beitragen.7 Allerdings wird zur Verteidigung der Vertragsfreiheit auf die Kosten der jeweiligen Regelungen verwiesen, die die möglichen Nutzen oftmals übersteigen. Darüber hinaus wird betont, daß Marktmechanismen hinreichend Kontrolle gegen opportunes Verhalten bieten bzw. durch Bewertungsrechte Aktionäre sich Gewißheit über die Auswirkungen alternativer Regelungen verschaffen können. 8 Darüber hinaus kann eine zwingende Regelung dann angezeigt sein, wenn sie ein Gut bereitstellen kann, welches von den Marktteilnehmern allein nicht bereitgestellt werden kann, deren Existenz jedoch letztlich allen zugute kommt (öffentliches Gut).9 Regelungen, die die Transparenz von Informationen im Unternehmensbereich betreffen, können hierzu gerechnet werden. Freiwillig wird ein Unternehmen sich nicht unbedingt kostenträchtigen Offenlegungen unterwerfen, zumal dadurch auch eine erhöhte Kontrolle einhergehen kann. Auch hier kann man jedoch vertreten, daß Marktkräfte letztlich zu einer freiwilligen Offenlegung führen werden. lo Der Beweis hierfllr steht jedoch noch 6 Zu diesem Standardargument als Rechtfertigung für zwingende gesetzliche Regelungen siehe Romano, Answering the Wrong Question: The Tenuous Case for Mandatory Corporate Law, S. 1603. 7 Zu dieser Innovations-Hypothese siehe insbesondere Gordon, The Mandatory Structure ofCorporate Law, S. 1569 ff. 8 In diesem Sinne insbesondere Romano, Answering the Wrong Question: The Tenuous Case for Mandatory Corporate Law, S. 1613 ff. 9 Nach Gordon kann dies jedoch nur eine grobe Richtschnur für zwingende Normen abgeben. Gordon, The Mandatory Structure of Corporate Law, S. 1569. Kritisch auch Romano, Answering the Wrong Question: The Tenuous Case for Mandatory Corporate Law. 10 Die Diskussion wurde in den USA insbesondere im Hinblick auf die umfangreichen Publizitätspflichten nach dem Wertpapierrecht von 1933/34 aufgeworfen. Für eine

2. Die Funktion staatlichen Rechts für die Bestimmung von property rights

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aus. Für eine einheitliche rechtliche Regelung in diesem Bereich spricht auch der Gesichtspunkt der Kostenreduzierung. Denn für Investoren ist entscheidend, daß sie Zugang zu vergleichbaren Informationen über andere Unternehmen haben. Die Bedeutung der Informationen ergibt sich nämlich erst daraus, daß Aktionäre sowie potentielle Anleger in die Lage versetzt werden, den relativen Wert eines Unternehmens im Vergleich zu anderen festzustellen. Hierfür ist eine Vereinheitlichung der Bilanzierungsgrundsätze erforderlich. Zwar kann dies langfristig durch Marktkräfte erreicht werden - ein Beispiel ist das Vordringen amerikanischer Buchhaltungsgrundsätze auf dem deutschen Markt ll -; allerdings kann eine gesetzliche Regelung oder aber eine Vereinheitlicbung der Praxis durch eine nichtstaatliche allgemein anerkannte Organisation dies beschleunigen. Während die Vertragstheorie zwingenden rechtlichen Regelungen grundsätzlich skeptisch gegenüber steht, erscheint aus dem Gesichtspunkt der Property Rights Theorie eine umfassendere Rolle der Rechtsordnung nicht nur vertretbar, sondern sogar erforderlich. Wie in Kapitel III. im einzelnen dargelegt, beruht die Property Rights Theorie auf der Grundannahme, daß Verträge unvollständig sind. Die Parteien eines Vertrages sind nicht in der Lage, für alle Eventualitäten Vorsorge zu treffen bzw. eine solche Vorsorge wäre zu kostenspielig, da es nicht möglich ist, alle Rechte allein vertraglich zu bestimmen. Deshalb verbleiben Residualrechte, die dem Inhaber der property rights zufallen. Auf den Fall des Sacheigentums angewandt bedeutet das, daß der Eigentümer seine Sache vermieten, Dritten Nutzungsrechte einräumen oder die Sache verpfänden kann. Die nach Abzug dieser Verpflichtungen bleibenden Rechte bestimmen den Umfang der Residualrechte. Sie im einzelnen zu bestimmen, ist nicht erforderlich, ja aus den genannten Kostenerwägungen nicht einmal möglich. Es genügt, wenn die Rechtsordnung bestimmt, daß sie dem Eigentümer zufallen. Was bedeutet aber das Konzept der Residualrechte für die Rechte des Aktionärs? Seine Rechte sind von der Sachherrschaft an den Produktionsmitteln des Unternehmens abstrahiert. Der Akionär ist nicht Eigentümer der Produktionsmlttel. Diese stehen im Eigentum des Unternehmens. Er ist vielmehr Inhaber der property rights am Unternehmen. Seine Rechte beruhen auf der rechtlichen Fiktion, daß die in der Aktie verbrieften Rechte ihm die Letztentscheidungsgewalt am Unternehmen einräumen. Seine Rechte lassen sich nicht aus (physischer) Sachherrschaft ableiten, sondern stellen Herrschaft durch Recht, d.h. nur in dem vom Recht zugebilligten Umfang dar. Rechtsherrschaft aber ist ohne Bestimmung des Inhalts der vermittelten Rechte weder existent noch durchsetRegelung über den Markt siehe insbesondere Stigler. Public Regulation of the Securities Markets. Zweifelnd jedoch Seligman. The Historical Need for a Mandatory Corporate Disclosure System; sowie Coffee. Market Failure and the Economic Case for a Mandatory Disclosure System. 11 Siehe hierzu Budde/Steuber. lahresabschluß - Was soll die Veranstaltung? 12·

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VII. Vergleichende Analyse und Implikationen für Transformationsländer

zungsfahig. Wenn es aber nicht mögich ist, die Bestimmung des Inhalts der Residualrechte vertraglichen Absprachen zu überlassen, da Verträge notwendiger Weise unvollständig sind, fallt es im wesentlichen dem Gesetzgeber bzw. dem rechtsetzenden Richter zu, Inhalt und Umfang der property rights der Aktionäre jedenfalls im Zweifelsfall zu bestimmen und gegenüber den vertraglich übertragenen Ansprüchen abzugrenzen. Hiergegen mag man einwenden, daß auch der Gesetzgeber nicht für alle Fälle vorsorgen kann. Er kann aber grundsätzliche Wertungen treffen, die bei der Entscheidung künftiger Fälle Anleitungen geben können. Die Bestimmung der wesentlichen Aspekte der property rights ist auch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Wie von Grossmann und Hart dargelegt, ist selbst unter der Annahme, daß Transaktionen keine Kosten verursachen, die anfangliche Zuordnung der property rights für die wirtschaftliche Effizienz erheblich. Diese Zuordnung bestimmt das Verhalten der Inhaber der property rights bereits ex ante bei ihren Vertragsverhandlungen. Demgegenüber besagt das Coase Theorem, daß in einer Welt ohne Transaktionskosten die ursprüngliche Zuordnung der porperty rights unerheblich ist, da eine effiziente Zuordnung über den Markt erfolgen könnte. Die Notwenigkeit, Inhalt und Grenzen von property rights durch die Rechtsordnung festzulegen, besagt nicht, daß der Gesetzgeber jeden Aspekt der property rights im einzelnen normieren sollte. Vielfach genügen Grundregeln hinsichtlich der wesentlichen Aspekte der materiellen und prozessualen Rechte der Aktionäre. Sie sollten jedoch im Innenverhältnis die Ausgangspositionen für weitere vertragliche Absprachen definieren. Darüber hinaus sollten sie auch im Außenverhältnis zu Dritten die Rechte und Pflichten, die sich aus der Verteilung der property rights im Innenverhältnis ergeben, eindeutig zuordnen. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Verhältnis von materiellen Rechten und Verfahrensrechten zu. Die Ausgestaltung materieller Rechte kann sich dann auf die Normierung von Grundsätzen beschränken, wenn dem Rechtsinhaber zugleich Verfahrensrechte an die Hand gegeben werden, die es ihm ermöglichen, den Inhalt seiner materiellen Rechte im Einzelfall zu präzisieren und durchzusetzen. Wie sich in der Diskussion der verschiedenen postivrechtlichen Modelle des Gesellschaftsrechts gezeigt hat, fallt selbst in den Vereinigten Staaten, wo jedenfalls in der Wissenschaft die Vertragstheorie vorherrscht, die wesentliche Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Aktionärsrechte der Rechtsordnung zu. Zwar sind die rechtlich zwingenden Regelungen in den einzelstaatlichen Gesetzen im Laufe der Zeit wesentlich zurückgenommen worden. Aus zwingenden Normen (mandatory rules) sind im Laufe der Zeit vorwiegend Kannvorschriften geworden. Jedoch hat gleichzeitig die Bedeutung der Rechtsprechung im Akti-

3. Aufgabe des Gesellschaftsrechts in Transformationsländem

181

enrecht zugenommen. 12 Dies ist durch die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Aktienrechts begünstigt worden, die als "enabling" oder ermächtigende Normen bezeichnet werden können. 13 Aus der Perspektive der Property Rights Theorie kann diese Entwicklung dahingehend interpretiert werden, daß für die Bestimmung der aktienrechtlichen Residualrechte auf die Gerichte zurückgegriffen werden kann (ohne daß eine solche gerichtliche Überprüfung vertraglich abbedungen werden kann), die hierfür neben den Vertrags vereinbarungen tradierte sowie gesetzlich statuierte Rechtsprinzipien bemühen. Kerngehalt des zwingenden Gesellschaftsrechts sind somit weniger die materiellen Grundsätze, sondern Verfahrensprinzipien, die es erlauben, im Einzelfall den Gehalt von Rechten durch eine neutrale Instanz bestimmen zu lassen.

3. Aufgabe des Gesellschaftsrechts in Transformationsländern Auf dem Hintergrnd dieser Überlegung stellt sich nunmehr die normative Frage, wie ein Gesellschaftsrecht für die Transformationsländer gestaltet werden könnte. Eine gesetzliche Regelung, die die wesentlichen Rechte der am Unternehmen Beteiligten eindeutig zuordnet, erscheint aus dem Gesichtspunkt der Property Rights Theorie von Bedeutung. Aus ökonomischen Theorien allein lassen sich jedoch lediglich die Grundstrukturen eines solchen Gesetzes ableiten. Anleitungen für den Inhalt einzel gesetzlicher Bestimmungen geben diese Theorien jedoch nicht. Diese detaillierten Regeln können jedoch letztlich entscheidend sein. So hat der Vergleich des deutschen und amerikanischen Gesellschaftsrechts gezeigt, daß verschiedene Rechtsordnungen trotz aller Ähnlichkeiten hinsichtlich der grundsätzlichen Zuordnung der property rights sich in den Details erheblich voneinander unterscheiden können. Darüber hinaus erscheint eine Diskussion der gesellschaftsrechtlichen Regelungen unabhängig von den vorzufindenden wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen unzureichend. Das offene amerikanische Gesellschaftsrecht ist ohne ein Verständnis der Rolle der Gerichte bei der Überprüfung gesellschaftsrechtlicher Sachverhalte nicht zu verstehen. Auch muß der Umstand, daß sich Aktien in den großen amerikanischen Unternehmen überwiegend in Streubesitz befinden, bedacht werden, um die Entwicklung der Rechte der Minderheitsaktionäre einschließlich der Klagerechte und Publizitätspflichten in den richtigen Zusammenhang zu stellen. Umgekehrt hat die Diskussion der deutschen Rechtslage gezeigt, daß eine Diskussion beispielsweise über das Depotstimmrecht der Banken die Funktion der Banken nicht nur als selbständige Aktionäre, sondern auch 12 Coffee. The MandatorylEnabling Balance in Corporate Law: An Essay on the Judicial Role. 13 Zum Gegensatz zwischen "mandatory" und "enabling" Rechtsvorschriften siehe auch BlackiKraakman. A Self-Enforcing Model ofCorporate Law.

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VII. Vergleichende Analyse und Implikationen rur Transformationsländer

als Kreditgeber und Anbieter weiterer Finanzdienstleistungen berücksichtigen muß, um zu einer angemessenen Beurteilung der Auswirkungen rechtlicher Regelungen zu gelangen. Eine rein theoretische Untersuchung rechtlicher Regelungen mit Hilfe der Property Rights Theorie oder verwandter theoretischer Ansätze sieht über diese realen Bedingungen, in denen sich rechtliche Regelungen entfalten, in der Regel hinweg. Sie sind jedoch oftmals letztlich entscheidend für die Umsetzbarkeit rechtlicher Regelungen in die Praxis. Mittlerweile liegt ein Entwurf eines Gesellschaftsrechts vor, der eigens flir die Transformationsländer konzipiert wurde. Er beansprucht, ein Gesellschaftsmodell zur Verfügung zu stellen, das auf die Rahmenbedingungen der Transformationsländer zugeschnitten ist. Das Modell beruht auf dem theoretischen Konzept des selbstvollziehenden Rechts (self-enforcing law).14 Selfenforcement bedeutet nicht, daß Recht tatsächlich selbstvollziehend sei. Es besagt lediglich, daß, soweit möglich, auf gesetzliche Regelungen, die für ihren Vollzug des Eingreifens staatlicher Organe bedürfen, verzichtet werden soll. Der Grund hierfür ist, daß in den Transformationsländern die Fähigkeit, staatlicher Institutionen, insbesondere die Kompetenz der Gerichte, gesellschaftsrechtliche Fragestellungen angemessen und ohne großen Zeitaufwand zu lösen, als gering eingeschätzt wird. 1s Das Modell unterscheidet sich jedoch auch von dem deutschen gesellschaftsrechtlichen Modell, welches überwiegend auf zwingenden materiellrechtlichen Regelungen zum Schutz sowohl der Aktionäre als auch der Gläubiger beruht. 16 Ziel des Entwurfs ist es, Aktionäre mit Verfahrensrechten gegenüber anderen Organen der Gesellschaft und ihrer Mitglieder auszustatten, die sie weitestgehend ohne gerichtliche Hilfe durchsetzen sollen. Neben den institutionellen Rahmenbedingungen werden auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Konzeption eines Gesellschaftsrechts mit einbezogen. So wird ausdrücklich zugestanden, daß Märkte noch nicht entwickelt sind. Dies gilt sowohl flir den Aktienmarkt als auch für den Arbeitsmarkt für Führungskräfte und schließlich für den Produktmarkt. Schließlich nehmen die Autoren dieses Modells jedenfalls für die Transformationsländer Abschied von der Vertragstheorie des Unternehmens. Unabhängig davon, wie die Entstehungsgeschichte von Unternehmen in Marktwirtschaften typischerweise abläuft, sind die ehemaligen Staatsbetriebe in den Transformationsländern jedenfalls nicht Produkt einer vertraglichen Übereinkunft von Investoren und unternehme14 BlackiKraakman. A Self-Enforcing Model of Corporate Law. Das Modell wurde erstmals vorgestellt in BlackiKraakman/Hay. Corporate Law from Scratch. IS BlackiKraakman. A Self-Enforcing Model ofCorporate Law. S. 1914. 16 Eine Diskussion des Gläubigerschutzes ist in der Darstellung des deutschen Rechts zurückgestellt worden, da vorliegend die property rights der Aktionäre im Mittelpunkt der Analyse standen. Als Beispiele rur den ausgeprägten Gläubigerschutz sei hier nur auf die hohen Anforderungen rur das Mindestkapital einer Aktiengesellschaft (§ 7 AktG) hingewiesen. Dazu Hüjfer. § 7 Rn. 1.

3. Aufgabe des Gesellschaftsrechts in Transforrnationsländem

183

rischen Führungskräften. Auch die neue Eigentumsstruktur der privatisierten Unternehmen ist nicht Ausdruck frei waltender Marktkräfte. sondern durch die Privatisierungsprogramme der jeweiligen Länder geprägt. Auf diesem Hintergrund muß Gesellschaftsrecht mehr sein als ein Programm typisierter vertraglicher Vereinbarungen. 17

a) Organisation

Für die Organisation der Gesellschaft sieht das Modell eine eingliedrige Managementstruktur vor. Die Aktionäre sollen die Mitglieder eines Direktorenrates wählen. Diese bestimmen die Mitglieder der Unternehmensführung. Die Direktoren werden jährlich gewählt und die Aktionäre behalten das Recht. diese jederzeit ohne Grund wieder abzuberufen. 18 Mitglieder der Unternehmensführung können ebenfalls jederzeit ohne Grund von den Direktoren abberufen werden kann. Für die Wahl der Direktoren gilt grundsätzlich das einfache Mehrheitsprinzip. Allerdings wird in Unternehmen mit mehr als eintausend Aktionären zwingend kumulatives Wahlrecht vorgeschrieben. Dadurch soll eine möglichst breite Repräsentation der Aktionäre auch im Fall des Streubesitzes erreicht werden. 19

b) Handlungsmaxime

Das self-enforcing Modell stellt keine detaillierten Handlungsmaxime für Direktoren oder Mitglieder der Unternehmensführung auf. Stattdessen wird eine klare Abgrenzung der Interessen durch zwingende gesetzliche Vorschriften vorgenommen. So werden eine Reihe von Transaktionen ausdrücklich verboten. Hierzu gehören Darlehen der Gesellschaft an Mitglieder der Unternehmensführung sowie Zahlung Dritter an dieselben. sofern diese im Zusammenhang mit Transkationen der Gesellschaft stehen. Die möglichen wirtschaftlichen Vorteile derartiger Transaktionen seien nicht hoch genug. um die Mißbräuche. die hierbei zu erwarten sind. auszugleichen. Einem klaren Verbot wird dabei der Vorzug gegenüber einer gerichtlichen Überprüfung auf der Grundlage der Sorgfaltspflichten der Unternehmensführung gegeben. die erst im einzelnen spezifiziert werden müßten. 20

17 So Black rur das Gesellschaftsrecht der USA noch in Blade, Is Corporate Law Trivial?: A Political and Economic Aanalysis. 18 BlackiKraakman, A Self-Enforcing Model ofCorporate Law, S. 1943 ff. 19 Ebenda, S. 1947 f. 20 Ebenda, S. 1958 f.

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VII. Vergleichende Analyse und Implikationen für Transformationsländer

c) Partizipation Bei Transaktionen, die Interessenkonflikte beinhalten können, besteht ein zwingender Zustimmungsvorbehalt für nicht betroffene Direktoren bzw. bei Transaktionen von größerem Umfang für (nicht betroffene) Aktionäre. 21 Für andere Transaktionen besteht ein zwingendes Mitwirkungsgebot der Aktionäre. Bei Kontrolltransaktionen über das Unternehmen haben Aktionäre in der Regel ein Stimmrecht, wobei eine qualifizierte Mehrheit von Zweidrittein gefordert wird. Für Übernahmen besteht ein Pflichtangebot, sobald ein Erwerber mehr als 30 Prozent der Aktien erwirbt. 22 Zugleich werden eine Reihe von Defensivstrategien des Unternehmensmanagements, wie beispielsweise "poison pills", ausdrücklich abgelehnt. Kontrolltransaktionen im Anschluß an das Privatisierungsverfahren sind ausdrücklich erwünscht. Auf diese Weise wird die mit der Privatisierung eingeleitete Eigentumsreform weiter fortgeführt. In der Regel wird erst im Anschluß an eine derartige Transaktion das Unternehmensmanagement, das in der Regel noch aus der Zeit vor der Privatisierung stammt, ausgetauscht werden können. Ihm soll daher der Zugriff auf Defensivstrategien zum Schutz ihrer eigenen Position verwehrt werden?3

d) Stimmrechte Stimmrechte nehmen eine bedeutende Rolle in dem self-enforcing Modell des Gesellschaftsrechts ein. Sie sind wesentlicher Ausdruck der Letztkontrollrechte der Aktionäre. Die "one share - one vote"-Regel soll zwingend gesetzlich verankert werden. Ausnahmen gelten lediglich für verschiedene Gattungen von Aktien, wie beispielsweise stimmrechtslose Aktien. 24 Für eine Reihe von Entscheidungen wird eine qualifizierte Mehrheit von Zweidritteln gefordert. Dies gilt für alle wesentlichen Entscheidungen, die den Bestand des Unternehmens in seiner jetzigen Form betreffen. Darüber hinaus sieht das Modell zwingend vertrauliches Wahlrecht vor. Auf dem Hintergrund insbesondere des russischen Privatisierungsverfahrens, daß Mehrheitsanteile in der Regel in den Händen der Arbeitnehmer eines Betriebes hinterließ, ist diese Regel verständlich. Sie soll verhindern, daß Arbeitnehmer aus Angst vor Verlust ihres Arbeitsplatzes gegen die Unternehmensführung stimmen. Die Wahl der Direktoren soll zwingend durch kumulative Wahl erfolgen. Auf diese Weise soll Minderheitsaktionären die Möglichkeit gegeben werden,

Ebenda, S. Ebenda, S. 23 Ebenda, S. 24 Ebenda, S. 21

22

1959. 1961. 1962. 1945 ff.

4.Zusanunenfassung

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Repräsentanten in die Organe der Gesellschaft zu entsenden. Darüber hinaus soll jedenfalls für große Unternehmen zwingend angeordnet werden, daß mindestens ein Drittel der Direktoren unabhängig, d.h. nicht zugleich Angestellte des Unternehmens sind. 2s Das Modell des "self-enforcing corporate law" hat dem neuen russischen GeseIlschaftsrecht, weIches am 1.1.1996 in Kraft getreten ist, Pate gestanden. Die Einzelheiten dieses Gesetzes, das nicht in allen Punkten dem self-enforcing Modell gefolgt ist, sollen erst im Zusammenhang mit der Darstellung der Entwicklung des russischen Aktienrechts erörtert werden. Hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß das self-enforcing Modell weitgehend einer gesellschaftsrechtlichen Umsetzung der Property Rights Theorie entspricht. Es enthält eine eindeutige Zuordnung der wesentlichen property rights am Unternehmen auf Aktionäre. Diese sind verfahrensrechtlich abgesichert. Ob diese property rights tatsächlich wahrgenommen werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die allein durch ein Gesellschaftsrecht nicht beeinflußt werden können. Ein solches Gesetz schafft jedoch die Voraussetzungen dafür, daß unter den richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Transaktionen über property rights am Unternehmen stattfinden können. Die Autoren dieses Modells erwähnen mit keinem Wort die Property Rights Theorie. Sie sind grundsätzlich Anhänger der in den USA vorherrschenden Vertragstheorie, halten nur deren Voraussetzungen in den Transformationsländern für nicht gegeben. So wird das self-enforcing Modell nicht anband der wesentlichen property rights des Aktionärs, seiner Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechte entwickelt, sondern explizit allein auf verfahrensrechtliche Überlegungen gestützt. Stimmrechte beispielsweise sind wesentliche Elemente dieser Verfahrensrechte. Verfahrensrechte allein sagen jedoch nichts über die Zuordnung der materiellen Rechte aus, weIche mit Hilfe der Verfahrensrechte durchsetzungsfähig gemacht werden sollen. Implizit steht hinter der Ausgestaltung der Verfahrensrechte die Annahme, daß die Aktionäre Inhaber der property rights am Unternehmen sind und ihre Rechte daher verfahrensrechtlich gestärkt werden sollen. Über den Umweg der Transformationsländer hat somit die Property Rights Theorie ersten Einzug in die amerikanische Diskussion des Gesellschaftsrechts erhalten.

4. Zusammenfassung Eine Aufschlüsselung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften auf der Grundlage der Property Rights Theorie ermöglicht den Vergleich verschiedener Gesellschaftsrechte hinsichtlich der Zuordnung von Rechten und Pflichten auf Aktio2S

Ebenda, S. 1947 ff.

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näre, ihrer Repräsentanten bzw. die Unternehmensführung. Hierdurch wird eine Gesamtschau ermöglicht, die es erlaubt, Gemeinsamkeiten festzustellen sowie systematische Unterschiede zu identifizieren. Einschränkend muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß hierbei Unterschiede im Detail sowie Regelungen, die sich nicht direkt mit den property rights der Aktionäre befassen, vernachlässigt werden. Der Vergleich des amerikanischen und des deutschen Rechts hat ergeben, daß trotz vieler Unterschiede beide Rechtsordnungen darin übereinstimmen, daß die Zuordnung wesentlicher Rechte auf die an der Gesellschaft Beteiligten durch den Staat erfolgt. In Deutschland wird dies überwiegend durch zwingende gesetzliche Anordnungen erreicht. In den Vereinigten Staaten basiert dies auf richterlicher Kontrolle. Es liegt daher nahe, in den Transformationsländern Gesetze zu schaffen, die ebenfalls eine klare Zuordnung der property rights der Aktionäre treffen. Das hier vorgestellte self-enforcing Modell befürwortet eine gesetzliche Lösung gegenüber einer Lösung, die der Rechtsprechung eine ähnlich umfassende Regelung einräumt, wie dies in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Dies wird damit begründet, daß die Gerichte in den Transformationsländern eine solche Rolle jedenfalls derzeit noch nicht ausüben können. Der Schwerpunkt der Regelungsvorschläge für dieses "self-enforcing" Modell des Gesellschaftsrechts liegt auf Verfahrensvorschriften, die es Aktionären ermöglichen soll, ihre Rechte intern, d.h. weitestgehend ohne Rückgriff auf die staatlichen Gerichte, durchzusetzen.

VIII. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer In den vorausgegangenen Kapiteln stand die Frage im Mittelpunkt, welche Rechte Aktionären an Unternehmen zustehen. Zur Beantwortung dieser Frage wurde zunächst die Zuordnung der property rights am Unternehmen auf der Grundlage der Property Rights Theorie diskutiert. Ausgangspunkt dieser Diskussion war, daß Aktionäre als Kapitalgeber die Residualrechte arn Unternehmen halten sollten. Die rechtsvergleichende Analyse des deutschen und amerikanischen Gesellschaftsrechts hat gezeigt, daß dem Grunde nach beide Rechtsordnungen die wesentlichen Residualrechte in der Form von Kontroll-, Verfügungs- und Vermögensrechten den Aktionären zuzuordnen sind. In diesem und dem folgenden Kapitel soll nunmehr der Blick von den Unternehmen als den Objekten von property rights auf die Inhaber dieser Rechte gelenkt werden. Dabei stehen die institutionellen Investoren im Mittelpunkt der Analyse, denn ihnen wurde eine besondere Rolle in den Massenprivatisierungsprogrammen Rußlands und Tschechiens eingeräumt. In diesem Kapitel wird zunächst die Funktion institutioneller Investoren als Unternehmenseigentümer wiederum aus theoretischer Sicht diskutiert. Die beiden wichtigsten Ergebnisse dieser Diskussion sind erstens, daß bei institutionellen Investoren in der Form der Investmentfonds eine ausgeprägte Trennung von Verfügungs- und Kontrollrechten einerseits und Vermögensrechten andererseits vorliegt. Dieser Trennung kommt ein hoher Erklärungswert für das überwiegend passive Verhalten der Investmentfonds als Unternehmenseigentümer zu. Zwar fehlt es an hinreichenden empirischen Daten für einen umfassenden Ländervergleich, doch erlauben die verfügbaren Daten den Schluß, daß institutionelle Investoren, bei denen die Trennung von Kontroll- und Vermögensrechten weniger stark ausgeprägt ist, sich tendenziell aktiver verhalten. Das zweite wesentliche Ergebnis ist, daß aufgrund dieser Trennung von Kontroll- und Vermögensrechten, property rights keine hinreichenden Kontrollmechanismen für Investmentfonds sind. Es bedarf daher anderer Kontrollmechanismsen. Die bei den wichtigsten sind Marktkontrolle einerseits und die staatliche Aufsicht andererseits, wobei die Marktkontrolle ebenfalls staatlicher Unterstützung bedarf, insbesondere bezüglich der Durchsetzung von Informationstransparenz. Um die Bandbreite möglicher rechtlicher Kontrollmechanismen aufzuzeigen, bietet Kapitel IX. eine vergleichende Analyse der Regelung bzw. Empfehlungen zur Regelung von institutionellen Investoren in der besonderen Form der kollektiven Anlagefonds.

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VIII. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer

1. Institutionelle Investoren und Unternehmensführungskontrolle Die Gründung institutioneller Investoren in der besonderen Form der IPFs war ein wesentlicher Bestandteil der Massenprivatisierungsverfahren in Tschechien und in Rußland. Nach der Vorstellung eines Teils der Architekten dieser Privatisierungsprogramme sollten IPFs sich aktiv an der Unternehmensumstrukturierung beteiligen.\ Andere sahen in IPFs Nachbildungen amerikanischer mutual funds oder englicher Unit trusts, die sich auf eine eher passive Rolle im Unternehmen und indirekte Unternehmenskontrolle durch den Markt mit Hilfe der Exit-Option beschränken würden. 2 Nach beiden Auffassungen ist es grundsätzlich möglich, daß IPF auf die erforderlichen Strukturmaßnahmen in den Unternehmen Einfluß nehmen. Dies kann durch direkte Einflußnahme auf die Unternehmensführung im Wege des Aktionärsaktivismus einerseits oder aber durch die Kapitalmarktkontrolle im Wege der Exit-Option und der Unternehmensübernahme andererseits erfolgen. Allerdings setzt eine effektive Kapitalmarktkontrolle voraus, daß liquide Kapitalmärkte bestehen, auf die privatisierte Unternehmen für die Erhebung von Kapital bei Bedarf zurückgreifen können. Die historische Entwicklung von Kapitalmärkten im Ländervergleich zeigt, daß die Entwicklung funktionsfähiger liquider Kapitalmärkte ein langwieriger Prozeß ist. 3 Demgegenüber wurde mit der Privatisierung eine umfassende Neuordnung der Eigentumsordnung innerhalb kürzester Zeit angestrebt. Ziel dieser Eigentumsreform war letztlich die Durchführung von Strukturmaßnahmen auf Unternehmensebene, um eine effektivere Nutzung der in den Unternehmen verbundenen Ressourcen zu erreichen und damit die Überlebensfahigkeit der Unternehmen auf dem Markt zu sichern. Diese Zielsetzung setzt notwendig voraus, daß sich die neuen Eigentümer nicht gänzlich passiv verhalten. Vielmehr sollten diese ausreichend Einfluß auf die Unternehmensführung - wie beispielsweise durch die Wahl eines neuen Managements - ausüben, um die Durchführung von Strukturmaßnahmen jedenfalls zu veranlassen. Diese Rolle mußte nicht allein von IPFs wahrgenommen werden. Da diese jedoch eine entscheidende Rolle als Akquisiteure von Aktien in den Voucherversteigerungen spielten, sollte diese Funktion jedenfalls auch von ihnen ausgeübt werden.

\ So vor allem FrydmanIRapaczynski, Markets and Institutions in Large Scale Privatization: An Approach to Economic and Social Transformation in Eastern Europe. Ähnlich Lipton/Sachs, Privatization in Eastern Europe: The Case of Poland jedenfalls hinsichtlich der Unternehmen, in denen IPF Blockaktionäre wären; siehe ebenda, S. 315 ff. 2 So jedenfalls Corbett und Mayer, die dieser Konzeption kritisch gegenüberstehen. Siehe Corbett/Mayer, Financial Reform in Eastern Europe: Progress with the Wrong Model, S. 64 f. Kritisch auch Komai, The Road to a Free Economy - Shifting from a Socialist System, S. 71 ff. 3 Für die historische Entwicklung von Börsenmärkten in Europa siehe Merkt, Zur Entwicklung des deutschen Börsenrechts von den Anfangen bis zum Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz.

1. Institutionelle Investoren und Unternehmensführungskontrolle

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Es stellt sich demnach die Frage, ob institutionelle Investoren in der besonderen Ausgestaltung der IPFs für die Rolle aktiver Unternehmenseigentümer geeignet waren. 4 Im Hinblick darauf, daß sich in entwickelten Marktwirtschaften institutionelle Investoren oftmals passiv verhalten,S bedarf diese Frage einer eingehenden Analyse. Dabei zeigen sich entscheidende Unterschiede zwischen dem Verhalten institutioneller Investoren in verschiedenen Ländern, die sich bei näherer Betrachtung als Unterschiede in der Zuordnung der property rights an dem von den institutionellen Investoren verwalteten Vermögen erklären lassen. Eine Analyse verschiedener Typen institutioneller Investoren ist auch jenseits des Transformationsprozesses von Bedeutung. 6 Der Vergleich deutscher und japanischer Banken einerseits und amerikansicher oder britischer Investmentfonds andererseits hat in den letzten Jahren vielfach Gelegenheit gegeben, die Vor- und Nachteile verschiedener corporate governance Systeme gegeneinander abzuwägen. 7 Vor allem in den USA wurden wiederholt Gesetzesänderungen erwogen, die institutionelle Investoren in die Lage versetzen würden, eine aktivere Rolle zu übernehmen. 8 Derartige Reformvorschläge betreffen jedoch 4 Kritisch zur Rolle institutioneller Investoren als UnternehmenseigentUmer Monks, Schlafende Riesen, S. 332 f., der darauf hinweist, daß institutionelle Investoren weder die Fähigkeit, noch die nötige Anreizstruktur haben, sich als (aktive) Eigentümer zu verhalten. S Coffee, Liquidity Versus Control: The Institutional Investor as Corporate MonitorBlack, Shareholder Passivity ReexaminedBlacklCoffee, Hail Britannia?: Institutional Investor Behavior under Limited Regulation. Tendenziell aktiver zeigen sich eine Reihe institutioneller Investoren in anderen, vorwiegend in kontinentaleuropäischen Ländern. Siehe hierzu die Beiträge in Baums/BuxbaumiHopt, Institutional Investors and Corporate Govemance. Allerdings ist zu bedenken, daß institutionelle Investoren in vielen der europäischen Länder sich strukturell von den amerikanischen Fonds dadurch unterscheiden, daß sie zu Banken oder anderen großen Finanzgruppen gehören. Dies gilt beispielsweise für institutionelle Investoren in Belgien, siehe Wymeersch, Institutional Investors, Financial Groups and their Impact on Corporate Governance in Belgium, S. 352, aber auch fur Deutschland Kübler, Institutional Investors and Corporate Governance: A German Perspective, S. 567. Einen vergleichenden Überblick gibt Buxbaum, Comparative Aspects of Institutional Investment and Corporate Governance, S. 18 f. 6 Institutionelle Investoren werden allgemein verstanden als "Institutionen, die sich auf die Verwaltung von Portefeuilles spezialisieren und zu diesem Zwecke Mitarbeiter speziell für Aufgaben der Kapitalanlage beschäftigen". Siehe Hopt/Baum, Börsenrechtsreform in Deutschland, S. 308. Siehe auch Baums, Rechtstatsachen zu "Institutionelle Investoren und Publikumsgesellschaft" , S. 324, der institutionelle Investoren als Institutionen bezeichnet, "die Gelder von Kunden oder Anlegern oder Pensionsgelder zusammenfassen und - unter anderem - in Aktien investieren". Hierzu zählen Investmentfonds. Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds und Kreditinstitute. 7 Roe, Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States; sowie Macey/Miller, Corporate Governance and Commercial Banking: A Comparative Examination ofGermany, Japan, and the United States .. 8 Black, Shareholder Passivity Reexamined, BlacklCoffee, Hail Britannia?: Institutional Investor Behavior under Limited Regulation, Roe, Some Differences in Corporate

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VIII. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer

ausschließlich Vorschriften, die die Rahmenbedingungen für Investorverhalten definieren. Sind demgegenüber für das Verhalten von Investoren jedenfalls auch solche Faktoren maßgeblich, die sich aus der Zuordnung der property rights ergeben, sind derartige Gesetzesreformen nicht ausreichend, um das Verhalten dieser Eigentümer zu beeinflussen. Die Verhaltensweise institutioneller Investoren als UnternehmenseigentÜIner ist in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses der vergleichenden corporate governance Literatur gerückt. Ursache hierfür ist, daß der Anteil institutioneller Investoren an dem Gesamtvolumen des Aktienbestandes in entwickelten Marktwirtschaften, wie den USA, Großbritannien, Deutschland und Japan, aber auch in anderen Ländern erheblich zugenommen hat. 9 Zunächst wurde eine Bestandsaufnahme der Rolle institutioneller Investoren als Unternehmenseigentümer vorgenommen. \0 Vor allem in den USA ist darüber hinaus die Frage nach den Ursachen alternativer Portfoliomanagementstrategien und des überwiegend passiven Verhaltens der Investmentfonds gestellt worden. Der derzeitige Diskussionsstand basiert überwiegend auf der aus der herrschenden Unternehmenstheorie übernommenen Vertrags- bzw. AgencytheorieY Dieser Diskussionsstand soll zunächst dargestellt werden. In dem folgenden Abschnitt wird eine property rights Analyse institutioneller Investoren vorgenommen. Zur Überprüfung der Ergebnisse dieser Analyse werden vorliegende empirische Daten über das Verhalten verschiedener Typen institutioneller Investoren untersucht. Dies läßt den vorläufigen Schluß zu, daß sich die Zuordnung der property rights an dem verwalteten Anlagevermögen als wichtiger Indikator für deren Portfoliomanagementsstrategie erweist.

a) Der derzeitige Diskussionsstand Die Diskussion zum Thema Aktionärsaktivismus bzw. Passivität institutioneller Investoren hat sich vorwiegend auf den Vergleich von Universalbanken einerseits und Investoren in der Form von kollektiven Anlage- oder Investmentfonds andererseits konzentriert. Den deutschen Universalbanken, die sich nach allgemeiner Auffassung durch ein relativ hohes Maß an Aktionärsaktivismus

Structure in Germany, Japan, and the United States; ders., Strong Managers, Weak Owners: The Political Roots of American Corporate Finance, GilsoniKraakman, Investment Companies as Guardian Shareholders: The PI ace of the MSIC (manageriaI strategie investment company) in the Corporate Govemance Debate. 9 FUr einen vergleichenen Überblick siehe HoptIBaum, Börsenrechtsreform in Deutschland, S. 293 sowie 308 f. 10 Siehe die Beiträge in Baums/BuxbaumiHopt, InstitutionaI Investors and Corporate Govemance. 11 Zu den Einzelheiten dieser Theorie siehe oben KapitelllI.

1. Institutionelle Investoren und UntemehmensfUhrungskontrolle

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auszeichnen, werden die weitgehend passiven amerikanischen mutual funds aber auch die englischen unit trusts gegenübergestellt. 12 Zum Teil ist umstritten, ob der Unterschied in dem Verhalten deutscher Universalbanken einerseits und amerikanischer mutual funds bzw. englischer unit trusts andererseits wirklich so deutlich ist, wie oft unterstellt wird. Nachdem zunächst der postulierte Aktivismus deutscher Banken als empirisch erwiesen galt,13 wurde dies später in Frage gestellt. 14 Nach Auffassung von Edwards und Fischer beispielsweise, kann aus den vorliegenden empirischen Materialien nicht auf eine besondere Aktivität der Banken im Vergleich zu anderen Aktionären geschlossen werden. Das deutsche System der Unternehmensführungskontrolle zeichne sich vielmehr durch hohe Aktienkonzentration aus, die zum Teil in den Händen von Banken, zum Teil aber auch in den Händen anderer Unternehmen lägen. Mit anderen Worten, eine besondere Rolle der Banken in Deutschland sei nicht zu erkennen. Diese Auffassung ist jüngst durch eine weitere Analyse, die eine aktive Rolle der Banken als Unternehmenseigentümer bestätigt, in Frage gestellt worden. ls Selbst wenn man unterstellt, daß die Meinung von Edwards und Fischer zutriffi, wonach Banken keine besondere Stellung im deutschen System der Unternehmensführungskontrolle einnehmen, so weist dies dennoch auf eine besondere Rolle der Banken als institutionelle Investoren hin. Edwards und Fischer argumentieren im wesentlichen, daß Banken sich nicht anders verhalten als andere Großinvestoren. Sofern man den Umfang des Aktienpaketes, d.h. die Eigentumsposition von Investoren im Unternehmen als allein für deren Verhalten ausschlaggebend ansieht, mindert sich in der Tat die oft betonte Sonderrolle der Banken. Sieht man in Banken jedoch eine besondere Form der institutionellen Investoren, die sich in der Regel durch Passivität auszeichnen, so ist der Befund, daß Banken von diesem Muster abweichen und sich ebenso wie andere Unternehmen verhalten, durchaus erheblich. Was die Passivität amerikanischer mutual und pension funds angeht, so haben Tendenzen Anfang der 90er Jahre gezeigt, daß auch in den USA institutionelle Investoren jedenfalls in Ausnahmefallen einen größeren Aktionärsaktivis12 Siehe Roe, Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States; für einen Überblick über den Meinungsstand und die empirischen Befunde zum Aktivismus deutscher Universalbanken siehe jüngst Mülbert, Empfehlen sich gesetzliche Regelungen zur Einschränkung des Einflusses der Kreditinstitute auf Aktiengesellschaften? Für eine Darstellung der vergleichenden Diskussion siehe auch Blair, Ownership and Control- Rethinking Corporate Govemance for the Twenty-First Century, S. 147 ff., die jedoch zu Recht hervorhebt, daß sich die Diskussion erst in den Anfängen befindet (ebenda, S. 146). 13 Siehe Cable, Capital Market Information and Industrial Performance: The Role of West German Banks. 14 Edwards/Fischer, Banks, Finance and Investment in Germany, Kapitel VI, S. 124 ff insbes. S. 166 ff. für eine Diskussion des Verhaltens von Banken in Krisensituationen. 15 Gorton, Universal Banking and the Performance of German Firms.

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VIII. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer

mus an den Tag legen, wobei dies nicht zu einer wirklichen Trendwelle geführt hat. 16 Dies hat einige Kommentatoren dazu verleitet, von einer sich entfaltenden "Aktionärsdemokratie" (shareholder democracy) zu sprechen. 17 Dennoch besteht weitestgehend Einigkeit darüber, daß diese Form von Aktivismus bisher die Ausnahme geblieben ist, wenn sich auch ein gewisser Trend zu stärkerem Aktivismus feststellen läßt. 18 Darüber hinaus sind die Motive dieses Aktivismus nicht immer ganz eindeutig. So haben sich öffentliche Pensionsfonds als Vorreiter des Aktionärsaktivismus hervorgetan, was manche dazu veranlaßt hat, zu vermuten, daß deren Handeln nicht nur von betriebswirtschaftlichen, sondern möglicherweise auch von politischen Motiven bestimmt war. 19 Geht man von dem Paradigma des passiven institutionellen Investors (in der Form des Investmentfonds) in den Vereinigten Staaten und des aktiven institutionellen Investors (in der Form der Universalbank) in Deutschland aus, so lassen sich in der Literatur drei wesentliche Erklärungsmuster für das unterschiedliche Verhalten dieser Typen von Eigentümern feststellen. Nach der ersten Meinung, die vor allem von Roe20 und Black21 vertreten wird, läßt sich das weitgehend passive Verhalten amerikanischer institutioneller Investoren mit der restriktiven rechtlichen Regulierung dieser Investoren erklären. Nicht deren eigenen Interessen spiegeln sich in ihren Investitionsstrategien wieder, sondern diese sind Ausdruck der starken Regulierung dieser Investoren nach amerikanischem Recht. Besondere Bedeutung kommen nach Auffassung dieser Autoren Regeln zu, die umfangreiche Eigentumspositionen institutioneller Investoren in 16 Siehe hierzu Blair, Ownership and Control - Rethinking Corporate Governance for the Twenty-First Century, S. 180 f. 11 Pound, The Effects of Institutional Investors on Takeover Activity: A Quantitative Analysis. Siehe auch Black, Agents Watching Agents: The Promise of Institutional Investor Voice, S. 828, der die zunehmende Aktivität institutioneller Investoren in den USA als Tatsache konstatiert. Mittlerweile wesentlich skeptischer hinsichtlich des Aktivismus institutioneller Investoren in den USA ders. in Black, Shareholder Activism and Corporate Governance in the United States. 18 Black, Agents Watching Agents: The Promise of Institutional Investor Voice, S. 827 ff. 19 So Coffee, Liquidity Versus Control: The Institutional Investor as Corporate Monitor, S. 1293; Romano, Public Pension Fund Activism in Corporate Governance Reconsidered, S. 799 ff. Romano weist auch nach, daß der Aktivismus von öffentlichen Pensionsfonds mit der Anzahl von board Mitgliedern, die ihre Ernennung politischen Motiven verdanken, korreliert. Demgegenüber sind die Profite dieser Fonds negativ mit politischen Ernennungen korreliert. Siehe dazu ebenda, S. 820 ff. Die empirischen Befunde über das Verhalten institutioneller Investoren in den späten 80er und frühen 90er Jahren und die Schwierigkeit einer eindeutigen Bewertung dieser Befunde diskutiert Blair, Ownership and Control - Rethinking Corporate Governance for the Twenty-First Century, S. 175 ff. 20 Roe, Political Elements in the Creation of a Mutual Fund Industry; sowie Roe, Strong Managers, Weak Owners: The Political Roots of American Corporate Finance. 21 Black, Shareholder Passivity Reexarnined.

I. Institutionelle Investoren und UntemehmensfUhrungskontrolle

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Unternehmen mit erheblichen Kosten belegen. 22 Hierzu gehören Verpflichtungen, den Erwerb von Aktienpaketen der Börsenaufsicht zu melden, Haftungsregeln nach dem geltenden Wertpapier- und Konkursrecht sowie andere Rechtsvorschriften, die Aktionäre, die aufgrund der Größe ihres Aktienpaketes als kontrollierende Aktionäre gelten, haftbar machen können, und schließlich steuerrechtliche Vorschriften, die insbesondere institutionelle Investoren mit umfangreichen Aktienpaketen benachteiligen. 23 Diese Ansicht sieht in der Eigentumspostion institutioneller Investoren in Unternehmen den eigentlichen Grund für die Wahl ihrer Portfoliomanagementstrategie und damit die Ursache für das überwiegend passive Verhalten in dieser Institutionen in den Vereinigten Staaten. 24 Demgegenüber vertritt Coffee, daß der Grund für die Passivität institutioneller Investoren nicht in den genannten rechtlichen Regelungen liegt, sondern Ausdruck einer grundlegenden Präferenz institutioneller Investoren ist, die ihrem Wesen nach Risiken gegenüber abgeneigt sind. 25 Nach dieser Auffassung besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Liquidität einerseits und Kontrolle andererseits. Institutionelle Investoren, deren Aufgabe die Diversifizierung des Risikos privater Anleger ist, verhalten sich durchaus rational und dieser Zwecksetzung entsprechend, wenn sie sich auf Liquidität beschränken. Eine Änderung rechtlicher Regelungen allein würde folglich an der Präferenz institutioneller Investoren für ein überwiegend passives Verhalten nichts ändern. Eine dritte Meinung baut auf zwei theoretischen Ansätzen auf, den collective action problems einerseits und der Agency Theorie andererseits?6 Der erstgenannte Ansatz begründet die Passivität institutioneller Investoren damit, daß die Vielzahl von Anlegern gemeinsames Handeln erschwert, da die Organisation kollektiver Aktionen erhebliche Kosten aufwirft. Die Agency Theorie betont demgegenüber die sich den Eigentümern, d.h. den Kapitalanlegern, stellenden Probleme, die mit der Verwaltung des Vermögens beauftragten Repräsentanten zu kontrollieren. Beide Ansätze stehen in engem Zusammenhang. Die Schwierigkeiten, kollektives Handeln zu organisieren, erhöhen die agency costs. Hierdurch wird eine effektive Kontrolle des Unternehmensmanagements ausge22 Roe fUhrt dies auf eine politische Antipathie gegenüber konzentriertem Finanzkapital zurück. Siehe Roe, Strong Managers, Weak Owners: The Political Roots of American Corporate Finance, S. 26 ff. 23 Für einen Überblick über diese Vorschriften, siehe 8lack Blac/e, Agents Watching Agents: The Promise of Institutional Investor Voice, S. 823 ff., sowie Coffee, Liquidity Versus Control: The Institutional Investor as Corporate Monitor, S. 1336 ff. 24 Siehe auch Mayer, Financial Systems and Corporate Govemance: A Review of the Evidence. 25 Coffee, ebenda, S. 1317 ff. 26Rock, The Logic and (Uncertain) Significance of Institutional Shareholder Activism, S. 453 ff. sowie S. 464 ff.

13 Pistor

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VIII. Institutionelle Investoren als Untemehrnenseigentümer

schlossen. Rock, der diesen Standpunkt im wesentlichen entwickelt hat, verdeutlicht zunächst, daß das Argument der collective action problems aufgrund der Entwicklung institutioneller Investoren in den letzten Jahrzehnten deutlich an Erklärungswert eingebüßt hat. Wenn in den USA mittlerweile die 50 größten Manager des in institutionellen Investoren angelegten Vermögens Aktien im Wert von über 736 Milliarden Dollar und somit siebenundzwanzig Prozent des amerikanischen Aktienvermögens kontrollieren, kann von dünn verteiltem Aktienvermögen, das ein gemeinschaftliches Handeln der Aktionäre ausschließt, in der Tat nicht mehr die Rede sein. 27 Rock sieht die Hauptursache für die Passivität von Investmentfonds daher weniger in dem Unvermögen institutioneller Investoren Einfluß zu gewinnen, als vielmehr darin, daß diejenigen, die den nunmehr möglichen Aktionärsaktivismus ausführen könnten, nicht die eigentlichen Rechtsinhaber (principals), sondern deren Repräsentanten (agents) sind. Die Positionierung dieser Repräsentanten in den Investmentfonds begünstigt nach dieser Auffassung ein Höchstmaß an Diversifizierung sowie kurzfristige Portfoliomanagementstrategien. 28 Die Inhaber der Kontrollrechte über das in Investmentfonds zusammengefaßte Vermögen sind jedenfalls in den Vereinigten Staaten typischer Weise Einzelmanager, die in der Regel selbständig auf Komissionsbasis operieren. Sie stehen in hartem Wettbewerb mit anderen Managern und ihr Einkommen richtet sich weitgehend nach ihren Gewinnen. Dies erklärt das Bestreben der Portfoliomanager, Kosten, einschließlich die mit Aktionärsaktivismus verbundenen Kosten, zu begrenzen. Langfristige Investitionen in der Form von Aktionärsaktivismus können sich diese Manager kaum leisten. Das Verhalten der Fondsmanager wird somit durch die weitreichende Trennung von Verfügungs- und Kontrollrechten in Investmentfonds bestimmt. An die Stelle effektiver interner Kontrollmechanismen sind kompetitive Märkte getreten, die einen Mißbrauch der Machtstellung der Manager begrenzen, zugleich aber die Anreizstruktur für kurzfristiges Handeln erhöhen. 29

27 Rock., The Logic and (Uncertain) Significance of Institutional Shareholder Activism, S. 448 ff. Die genannten Daten beziehen sich auf das Jahr 1988. Die Konzentration ist mittlerweile weiter vorangeschritten. Für einen Überblick über die Rolle institutioneller Investoren in den USA und ihrer Behandlung in der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Literatur siehe Hawley/Williams, Corporate Govemance in the Uni ted States: The Rise of Fiduciary Capitalism. 28 Siehe hierzu Rock., The Logic and (Uncertain) Significance of Institutional Shareholder Activism, insbesondere die AusfUhrungen auf den Seiten 472 ff. 29 Gegen diese Meinung trägt Black vor, daß eine wesentliche Ursache für das Verhalten von Fondsmanagem deren "Kultur" sei. Sie hätten sich vorwiegend auf passives Verhalten beschränkt, was jedoch nicht zwingend sei. Sobald rechtliche Regelungen, die die Kosten von Aktionärsaktivismus erhöhen, liberalisiert würden, könnten sich Fondsmanager durchaus in aktivere Vertreter wandeln. Hierzu seien sie durchaus kompetent. Siehe Black., Agents Watching Agents: The Promise of Institutional Investor Voice, S. 820 ff.; kritischer jedoch nunmehr Black, Shareholder Activism and Corporate Govemance in the United States.

1. Institutionelle Investoren und Untemehmensführungskontrolle

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Rock sieht in der Verteilung der Kontrollrechte die eigentliche Ursache für die Wahl der Investitionsstrategie durch institutionelle Investoren. Dabei betont Rock, daß die Verwalter des Anlagevermögens sich nicht in einem Kontrollvakuum befinden. Vielmehr verhindere der starke Wettbewerbsdruck weitgehende Mißbräuche durch die Vermögensmanager. Es ließe sich sogar vertreten, daß die Vermögensmanager von Investmentfonds einer wesentlich stärkeren Marktkontrolle ausgesetzt sind, als das Unternehmensmanagement in gewöhnlichen Aktiengesellschaften. 3O Mit anderen Worten, eine Aufsicht durch die Kapitalanleger, um sich gegen Mißbrauch zu schützen, ist unter der Voraussetzung eines liquiden Kapitalmarktes bei Investmentfonds weniger von Nöten, als bei Aktiengesellschaften. Das Problem bei Investmentfonds ist daher nicht so sehr der Mißbrauch der eingeräumten Machtstellung, als vielmehr die Wahl der Managementstrategien, die überwiegend in einer passiven Portfoliomanagementstratgie resultiert.

b) Property rights Analyse institutioneller Investoren

Bei der Anwendung der Agency-Theorie auf institutionelle Investoren zeigen sich erneut wesentliche Schwächen der Vertrags- sowie der auf sie zurückgehenden Agency Theorie.31 Sie mag zwar erklären, warum Vertreter von dem vereinbarten Handlungsspielraum abweichen und ein Kontrollvakuum zu ihren eigenen Gunsten ausnutzen. Demgegenüber bietet sie jedoch keine Antwort darauf, warum dieser Handlungsspielraum innerhalb der vertraglich oder gesetzlich festgelegten Grenzen von institutionellen Investoren in der zu beobachtenden Weise genutzt wird. Mit Hilfe der Property Rights Theorie läßt sich die von der Vertragstheorie hinterlassene Erklärungslücke weitgehend schließen. Dazu bedarf es jedoch einer Ausweitung der Property Rights Theorie von einer Analyse der Zuordnung der property rights an den jeweiligen Eigentumsobjekten auf die Zuordnung der property rights an den Eigentümern und die daraus folgenden Implikationen für deren Verhalten. Wesen und Funktion der Property Rights Theorie ist es, die Auswirkungen der Allokation von Eigentumsrechten auf verschiedene Rechtsinhaber zu untersuchen. Dabei werden die Eigentumssubjekte selbst in der Regel nicht weiter untersucht. Wie Cooter ausführt, hat " .... ein reines Eigentumsregime ( ... ) kein Interesse an der Identität der Eigentümer".32 Ob es sich bei den Eigentümern um ein Individuum, eine Familie, einen Klan, einen

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Black, Agents Watehing Agents, S. 855.

31 Siehe bereits oben, Kapitel III. 32 Cooler, Organization as Property: Economic Analysis of Property Law Applied to Privatization, S. 85. 13'

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VIlI. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer

Stamm, einen Mitgesellschafter oder -aktionär, eine Kooperative, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ein Kollektiv, eine Stiftung, einen Pensionsfonds, eine Bank oder die Regierung handelt, ist aus Sicht einer so verstandenen Property Rights Theorie grundsätzlich irrelevant. 33 Dies ist offensichtlich kurzsichtig und widerspricht zudem den Grundannahmen der Property Rights Theorie. Geht man nämlich von der Annahme aus, daß die Wirtschaftsakteure in ihrem Verhalten durch ihre Verfügungsrechte über Sachen und Sachgesamtheiten sowie die hierdurch entstehenden Kosten beeinflußt werden, so ist es nur konsequent, diese Annahme auch auf die Eigentümer selbst zu übertragen. Dies wird in der Regel auch stillschweigend getan, wenn es darum geht, die Effizienz öffentlichen (staatlichen) Eigentums im Vergleich zu privatem Eigentum zu beurteilen. Die Tatsache, daß private Eigentümer keine homogene Gruppe sind, sondern sich deutlich durch verschiedene Organisationsformen, bei denen Rechte unterschiedlich zugeordnet sind, voneinander unterscheiden, wird jedoch weitgehend vernachlässigt. Die Einsicht, daß es verschiedene Typen "privater Eigentümer" gibt, hat die anfängliche Diskussion über verschiedene Privatisierungsmodelle für die ehemals sozialistischen Länder beeinflußt. So hat es durchaus Stimmen gegeben, die vor einer starken Rolle institutioneller Investoren generell und vor Investmentfonds im besonderen als Neueigentümer privatisierter Unternehmen gewarnt haben. 34 Darüber hinaus wurden die Vor- und Nachteile von Banken im Vergleich zu Investmentfonds als Unternehmenseigentümer eingehend erörtert. 3S Diese Diskussion bezog sich vor allem auf die Vor- und Nachteile verschiedener corporate governance Modelle - dem deutschen Modell-, in dem Banken eine deutliche Rolle als aktive Unternehmenseigentümer spielen, einerseits, und dem amerikanischen Modell, in dem nicht aktive Investoren, sondern dem Kapitalmarkt die wesentliche Funktion der Unternehmenskontrolle zukommt, andererseits. Die Diskussion alternativer corporate governance Modelle vernachlässigt jedoch typischerweise die einzelnen Elemente dieser Modelle. Ohne eine Erklärung für das unterschiedliche Verhalten verschiedener Typen von Eigentümern, bleibt ein solcher pauschaler Vergleich letztlich unbefriedigend.

ebenda, S. 84 f. So insbesondere Komai, The Road to a Free Economy - Shifting from a Socialist System, S. 71 ff. 3S Phelps/FrydmaniRapaczynskilShleijer, Needed Mechanisms for Corporate Governance in Transition; sowie CorbettiMayer, Financial Reform in Eastern Europe: Progress with the Wrong Model. Eine positive Einschä.tzung von Banken als direkte und indirekte Eigentümer von Unternehmen auf der Grundlage einer statistischen Analyse von Unternehmen. die an der Prager Börse gehandelt werden. geben Claessens/Djankov/Pohl, Ownership and Corporate Governance: Evidence from the Czech Republic. S. 10 ff. Kritisch dazu jedoch unten Kapitel XI.3. 33

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1. Institutionelle Investoren und UnternehmensfUhrungskontrolle

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Wendet man die Property Rights Theorie auf die Unternehmenseigentümer an, so gewinnen mögliche Unterschiede in der Allokation von property rights, die bei verschiedenen institutionellen Investoren festzustellen ist, an Bedeutung. Zunächst zeigt sich, daß verschiedene Portfoliomanagementsrategien - "exit" bzw. "voice" - in der Regel mit verschiedenen Typen institutioneller Investoren einhergehen. 36 So gelten deutsche Universalbanken als aktive Investoren, die sich der "voice"-Option bedienen, während amerikanische aber auch englische mutual funds demgegenüber in der Regel passive Investoren sind, die sich vorwiegend auf Marktkontrolle verlassen und nur vereinzelt Aktionärsaktivismus an den Tag legen. 37 Bei genauer Betrachtung zeigt sich, daß die Parallele zwischen Investortypus und Portfoliomanagementstrategie kein bloßer Zufall ist. Wie bereits von Alchian und Demsetz und anderen Vertretern der Property Rights Theorie im einzelnen dargelegt,38 ist die Zuordnung von Eigentumsrechten maßgeblich für das Verhalten von Eigentümern und den Umfang der von ihnen getätigten Investitionen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, in welchem Umfang verschiedene Rechtsträger an den Kosten und Nutzen der von ihnen getätigten Investoren beteiligt sind. Je größer der erwartete ex post Nutzen abzüglich der Kosten einer Verhaltensstrategie, desto größer die ex ante Investition in eine solche Strategie. Der Umfang der Nutzen wiederum bestimmt sich nach Inhalt und Umfang der dem Investor zustehenden property rights. Dies wurde bereits an dem Beispiel der Integration zweier Unternehmen veranschaulicht. 39 Kauft ein Unternehmen ein anderes auf, so verändert sich das Investitionsverhalten des akquirierenden wie auch des akquirierten Unternehmens. Das akquirierende Unternehmen wird im Anschluß an die Transaktion in der Regel in größerem Umfang spezifische oder idiosynkratische Investitionen in dem akquirierten Unternehmen treffen, als vor dem Kauf. Als Eigentümer des erworbenen Unternehmens stehen diesem Unternehmen nunmehr die Residualrechte zu, so daß ihm sämtliche Nutzen der Investitionen, die er nicht explizit auf andere überträgt, zugute kommen. Demgegenüber beschränkten sich vor dem Kauf die künftigen Nutzen der Investition auf die ex ante geschlossenen und möglicherweise nicht vollständig durchsetzbaren - Verträge. Für das akquirierte Unternehmen verhält es sich genau umgekehrt. Da die Residualrechte 36 Die Heterogenität institutioneller Investoren wird auch von Gode, Erwartungen der institutionellen Anleger und ihr Stimmrechtsverhalten, S. 317 betont. 37 Siehe beispielsweise Black, Shareholder Passivity Reexarnined, Coffee, Liquidity Versus Control: The Institutional Investor as Corporate Monitor; Roe, Some Differences in Corporate Structure in Germany, Japan, and the United States zu dem Verhalten institutioneller Investoren in diesen beiden Ländern. 38 Alchian/Demsetz, Production, Information Costs, and Economic Organization; Demsetz, Some Aspects of Property Rights; sowie Demsetz, The Structure of Ownership and the Theory of the Firm. Siehe dazu die Erörterungen in Kapitel IlI. 39 Siehe hierzu oben Kapitel IlI. Weitere Beispiele finden sich in Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, S. 33.

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VIII. Institutionelle Investoren als Unternehmenseigentümer

nunmehr einem anderen zustehen, verringern sich die Anreize, spezifische Investitionen zu tätigen, deren Nutzen weitestgehend dem Akquisiteur zugute kommen werden. Für institutionelle Investoren folgt hieraus, daß diese dann die Kosten von Aktionärsaktivismus auf sich nehmen, wenn sie - als Inhaber der Residualrechte - an dem langfristigen Nutzen ihrer Investitionstätigkeit beteiligt werden. 4O Dies wiederum hängt von der Allokation der Eigentumsrechte an dem Anlagevermögen der Investoren ab. 41 Investmentfonds sind typischerweise derart strukturiert, daß die Vermögensrechte des Fonds an den Unternehmen in seinem Portfolio seinen Anlegern zustehen, während die Kontrollrechte, d.h. die Rechte über die Nutzung der dem Fonds zustehenden Eigentumsrechte zu entscheiden und damit seine Investitionsstrategie zu definieren, auf den Betreiber bzw. einzelne Portfoliomanager übertragen sind, die treuhänderisch die Verwaltung des Fondvermögens wahrnehmen. 42 Dies sind oftmals von dem Investmentfonds rechtlich unabhängige Manager (im folgenden vereinfachend als Fondsmanager bezeichnet). Die Beziehungen zwischen Fonds und Fondsmanager ergeben sich aus Vertrag. Die hier vorzufindende Trennung von Eigentums- und Kontrollrechten geht damit über die klassische in großen Aktiengesellschaften mit dünn verteilten Anteilseignern vorzufindende Trennung hinaus. Während bei Aktiengesellschaften die mit den Kontrollrechten betrauten Vertreter als Organe der Gesellschaft auftreten und der Kontrolle der Anteilsinhaber durch Ausübung von Stimmrechten unterliegen, sind bei Investmentfonds Vermögens- und Kontrollrechte auf verschiedene, in der Regel rechtlich selbtständige Institutionen verteilt. Selbst wenn Investmentfonds als Aktiengesellschaften organisiert sind und ihren Anteilsinhabern daher Stimmrechte zustehen, kann durch die Ausübung dieser Stimmrechte nicht unmittelbar ein Auswechseln der Managementfirma bzw. des individuellen Fondsmanagers herbeigeführt werden. Vielmehr bedarf es hierfür erst eines Handeins der Gesellschaftsorgane, deren Handlungsspielraum durch vertragliche Bestimmungen mit dem Manager - im Rahmen geltender Rechtsvorschriften - begrenzt sein kann.

40 Siehe auch Maug, Institutional Investors as Monitors: On the Impact of Insider Trading Legislation on Large Shareholder Activism, S. 3. 41 So auch - wenn auch wesentlich auf der Grundlage der Vertragstheorie argumentierend Rock. The Logic and (Uncertain) Significance of Institutional Shareholder Activi sm, S. 472 ff. Blair, Ownership and Control - Rethinking Corporate Governance for the Twenty-First Century kommt zu einem ähnlichen Ergebnis unter Berufung auf Robert Monks und Nell Minow, die das fehlende Risiko der Fondsmanager bezüglich der Unternehmen, in die ein Fonds investiert, als eigentliche Ursache fUr das überwiegend passive Verhalten dieser Investoren sehen. Siehe Blair. S. 186. 42 Zur Abgrenzung der Funktion des Betreibers und der einzelnen Fondsmanager siehe auch unten Kapitel IX.

1. Institutionelle Investoren und UntemehmensfUhrungskontrolle

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Anders als Unternehmensmanager, die mittel- bis langfristig an ein Unternehmen gebunden sind und unternehmensspezifische Expertise erwerben, beruht die Expertise der Fondsmanager darauf, Kapital gewinnbringend anzulegen, was keinerlei spezifischer Investitionen in einzelne Vermögensfonds, die ihrer Verwaltung unterliegen, bedarf. Fondsmanager sind daher nicht in gleichem Maße an einzelne Vermögensmassen gebunden. Dies resultiert in eine Anreizstruktur für Fondsmanager, die kurzfristige Investitionen begünstigt und langfristige Investitionen, die erhebliche Kosten verursachen können, ohne einen zeitlich absehbaren Wertzuwachs zu bringen, benachteiligt. 43 Man mag argumentieren, daß diese Anreizstruktur durch Vergütungsverträge, die die Fondsmanager stärker an den Umsätzen des Fondsvermögens beteiligt, verändert werden kann. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß unternehmensspezifische Investitionen in der Regel erst langfristig Gewinne abwerfen. Diese langfristigen Gewinne kommen den Fondsmanagern, die lediglich vertraglich an den Fonds gebunden sind, dann nicht zugute, wenn ihr Vertragsverhältnis zwischenzeitlich beendet wird. Hieraus folgt, daß sofern man Aktionärsaktivismus als erstrebenswerte Portfoliomanagementstrategie für institutionelle Investoren ansieht, es notwendig ist, der Zuordnung von property rights bei institutionellen Investoren größere Aufmerksamkeit zu schenken. Investmentfonds sind in der Regel derart strukturiert, daß dem Anleger lediglich Rechte an dem Anlagevermögen, das von dem Fonds als Sondervermögen verwaltet wird, zustehen. Kontrollrechte über den Betreiber beschränken sich auf den Vertrag zwischen Anlagevermögen und Vermögensverwalter. Die property rights über den Betreiber fallen vielmehr den Gründern oder Sponsoren dieser Fonds zu. Grundsätzlich ist es denkbar, daß die Kapitalanleger Kontrollrechte sowohl über das Anlagevermögen als auch über die Fondsverwalter erhalten. Wie die rechtsvergleichende Darstellung in Kapitel IX zeigen wird, wird dies formal bei den in der Gesellschaftsform organisierten institutionellen Anlegern erreicht. Sofern die Verwaltung des Fondsvermögens jedoch vertraglich auf Dritte übertragen wird, bleibt es auch hier bei einer Trennung von Kontroll- und Verfügungsrechten einerseits und Vermögensrechten andererseits. Die Rolle dieser institutionellen Investoren als überwiegend passive Investoren ist damit vorgezeichnet. Für sie lohnt es sich in der Regel nicht, die Kosten einer aktiveren Unternehmenspolitik, wie beispielsweise der Organisation gemeinschaftlichen Handeins mit anderen Investoren, auf sich zu nehmen.

43 So auch Blair, Ownership and Control - Rethinking Corporate Govemance for the Twenty-First Century, S. 182 ff.

2oo

VIII. Institutionelle Investoren als Untemehmenseigentümer

Hieraus folgt nicht zwingend, daß sich Investmentfonds in jedem Fall vollkommen passiv verhalten. Wie von Black im einzelnen dargelegt,44 werden institutionelle Investoren typischerweise in den Fällen aktiv, in denen sie sich Auswirkungen ihres Aktivismus über ein einzelnes Unternehmen hinaus versprechen können, so daß sich die Kosten einer Investition in Aktionärsaktivismus rechnen (sogenannte economies of scale). Dies betrifft Maßnahmen, die die grundlegenden "Spielregeln" des Verhältnisses zwischen Unternehmensmanagement und Aktionären betreffen, wie beispielsweise Regelungen über zustimmungspflichtige Geschäfte, den Wahlmodus für die Ernennung des Führungspersonals, aber auch die Festsetzung dessen Vergütung. Bezüglich derartiger Maßnahmen haben sich sowohl britische als auch amerikanische institutionelle Investoren in jüngster Zeit zunehmend aktiv gezeigt. 4s Der Umstand, daß Investmentfonds dann aktiv werden, wenn sie sich Auswirkungen, die über das einzelne Unternehmen hinausgehen, versprechen, widerspricht jedoch nicht der These, daß Investmentfonds als aktive Aktionäre gerade im Hinblick auf die in den Transformationsländern anstehenden notwendigen Strukturmaßnahmen nicht geeignet sind. Denn dies erfordert untemehmensspezifische Investitionen, deren Nutzen sich nicht unbedingt auf andere Unternehmen übertragen lassen.

c) Das Verhalten institutioneller Investoren im Ländervergleich

Eine umfassende Analyse des Verhaltens institutioneller Investoren im Ländervergleich ist nicht möglich, da es an einer entsprechenden Datenerhebung fehlt. Auch genügen die zugänglichen Angaben über die Struktur dieser Investoren nicht für eine detaillierte property rights Analyse. Dies folgende vergleichende Analyse beschränkt sich daher weitgehend auf den Vergleich institutioneller Investoren in England und den USA. 46 Die beiden Länder eignen sich für einen solchen Vergleich, weil sie ähnliche Rahmenbedingungen bieten, sich jedoch auch in einigen wesentlichen Aspekten voneinander unterscheiden. So sind die Aktienmärkte in beiden Ländern gut kapitalisiert und liquide. Sie ermöglichen es Anlegern daher, ohne großen Kosten-

44 Black, The Value of Institutional Investor Monitoring: The Empirical Evidence; sowie aus theoretischer Sicht Black, Agents Watching Agents: The Promise of Institutional Investor Voice, S. 834 ff. 4S Siehe im einzelnen Black, Agents Watching Agents, S. 339. Die Passivität institutioneller Investoren im Hinblick auf untemehmensspezifische Maßnahmen wird von Blair, Ownership and Control - Rethinking Corporate Govemance for the Twenty-First Century, S. 183 bestätigt. 46 Sie beruht im wesentlichen auf der Untersuchung von BlackiCoffee, Hail Britannia?: Institutional Investor Behavior under Limited Regulation, die sowohl auf einer rechtlichen Analyse als auch auf empirischen Erhebungen durch Interviews basiert.

1. Institutionelle Investoren und Unternehmensführungskontrolle

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aufwand sich der Exit-Option zu bedienen. Beide Länder weisen eine Vielzahl verschiedener Typen institutioneller Investoren auf; angefangen von Banken über Versicherungen, bis hin zu Investmentfonds. Da private Pensionsanlagen eine bedeutende Rolle spielen, verfügen Investmentfonds, zumal die wachsende Zahl der Pensionsfonds, in diesen Ländern auch über ein erhebliches Anlagevermögen. 47 Die beiden Länder unterscheiden sich jedoch in dem Ausmaß, in dem sie institutionelle Investoren rechtlichen Regelungen unterwerfen, die ihr Verhalten als Eigentümer beeinflussen könnte. Insbesondere sind in Großbritannien die rechtlichen Regelungen hinsichtlich des Erwerbs größerer Aktienpakete deutlich weniger restriktiv. 48 Für britische Investmentfonds besteht daher jedenfalls theoretisch die Möglichkeit, größere Aktienpakete zu erwerben und sich als aktive Eigentümer zu verhalten, ohne daß ihnen die Rechtsordnung höhere Kosten für aktive Portfoliomanagementstrategien auferlegte. Interessanterweise bezeugt der empirische Vergleich jedoch, daß sich Investmentfonds in beiden Ländern trotz unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen in ihren Portfoliomanagementstrategien nicht signifikant voneinander unterscheiden. Zwar halten britische institutionelle Investoren im Durchschnitt größere Aktienpakete; auch scheinen sie jedenfalls durch informelle Maßnahmen weit stärker auf die Unternehmensstrategien Einfluß zu nehmen, als ihre amerikanischen Gegenüber, doch zeigen sich gerade im Vergleich mit Banken in Deutschland oder Japan mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen britischen und amerikanischen institutionellen Investoren. 49 In beiden Ländern überwiegt passives Anlegerverhalten auf Seiten institutioneller Investoren. so Sowohl in den USA als auch in Großbritannien hat der Aktivismus institutioneller Investoren in den 90er Jahren deutlich zugenommen. Dieser Aktivismus beschränkt sich allerdings vorwiegend auf solche Betätigungsfelder, die dazu geeignet sind, das Verhalten von Unternehmensmanagern in einer Vielzahl 47 BlackiCoffee, Hail Britannia?: Institutional Investor Behavior under Limited Regulation. Für einen Vergleich englischer und australischer institutioneller Investoren siehe Stapledon, Institutional Shareholders and Corporate Govemance. Der letztgenannte Vergleich ist für die vorliegende Untersuchung weniger interessant, da sich Großbritannien und Australien deutlich in der Entwicklung ihres Kapitalmarktes unterscheiden und daher die Auswirkungen unterschiedlicher rechtlicher Regelungen nicht kontrolliert untersucht werden können. 48 BlackiCoffee, ebenda, S. 2001 ff. 49 So sind die Aktienpakete institutioneller Investoren im Durchschnitt relativ klein; institutionelle Investoren werden in Krisensituationen aktiv, verhalten sich ansonsten jedoch weitgehend passiv. In der Tat neigen britische Investmentfonds dazu, ihre Stimmrechte in Unternehmen nicht wahrzunehmen, weil sie befürchten, damit in Interessenkonflikte zu geraten. Schließlich ähneln sich die Grundsätze, nach denen britische und amerikanische Investmentfondsmanager vergütet werden. Siehe BlackiCoffee, Hail Britannia?: Institutional Investor Behavior under Limited Regulation, S. 2028-2055. so BlackiCoffee, ebenda, S. 20 28 ff.; ebenso Stapledon, Institutional Shareholders and Corporate Govemance für Großbritannien, S. 55-154.

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VIII. Institutionelle Investoren als UnternehmenseigentUmer

von Unternehmen zu beeinflussen, und betreffen gerade nicht .