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German Pages 423 Year 2009
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 386
Effiziente Verhaltenssteuerung durch den Ersatz von Nichtvermögensschäden Eine ökonomische Analyse des Schmerzensgeldund des Geldentschädigungsrechts anhand des deutschen Haftungsrechts
Von Jan-Patrick Bost
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JAN-PATRICK BOST
Effiziente Verhaltenssteuerung durch den Ersatz von Nichtvermögensschäden
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 386
Effiziente Verhaltenssteuerung durch den Ersatz von Nichtvermögensschäden Eine ökonomische Analyse des Schmerzensgeldund des Geldentschädigungsrechts anhand des deutschen Haftungsrechts
Von Jan-Patrick Bost
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-12976-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Hohen Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur wurden bis zum 31. Mai 2006 berücksichtigt. Mein herzlicher und besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Horst Eidenmüller, LL.M. (Cambridge), an dessen Lehrstuhl ich eine äußerst lehrreiche Zeit verbringen durfte und der die streng ökonomische Ausrichtung dieser Arbeit angeregt und maßgeblich beeinflusst hat. Herrn Prof. Dr. Johannes Hager danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Dank gebührt auch Herrn Dr. Gebhard Rehm, LL.M. (Columbia Univ.) und Herrn Dr. Markus Rehberg, Dipl.-Volksw., LL.M. (Cambridge). Beide haben mir stets als Ansprechpartner zur Verfügung gestanden und durch ihre wertvollen Anregungen zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch Stefanie Obst, Inga Hammerschmidt und Torge Lehmann, die mir bei den Korrekturarbeiten wichtige Unterstützung geleistet haben. Zugeeignet sei diese Arbeit meinen Eltern, die mein Studium und meine Promotion stets liebevoll und mit großem Interesse begleitet und gefördert haben. Düsseldorf, im Dezember 2008
Jan-Patrick Bost
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil 1 Grundlagen
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A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . I. Der homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rationalität (rationality) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigennützigkeit (self-interest) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rolle von Regeln für den homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 19 21 28 31 36
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden . . . . . . I. Streitende Lehren zum Begriff des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . 1. Natürlicher (faktischer) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normativer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausbildung des dualistischen Schadensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kriterien des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Messbarkeit in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personale Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 40 40 42 44 45 46 53 54
C. Analyse des Ist-Zustands in der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . . . . I. Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reine Ausgleichsfunktion nach BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Doppelfunktion“ nach BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Verfeinerter Sühnegedanke“ nach BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Objektivierung der Ausgleichsfunktion nach BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Weitere Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion nach BGH (Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94), BGHZ 128, 117 . . . . . . . . . .
56 58 58 59 59 61 64 67 69
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Inhaltsverzeichnis f) Zwischenergebnis (insbesondere im Hinblick auf das Zweite SchadÄndG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geldentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens nach BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 – „Paul Dahlke“ b) Analogie zu § 847 BGB a.F. nach BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 – „Herrenreiter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verdrängung des § 253 BGB a.F. durch Art. 1 GG nach BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 – „GinsengWurzel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nach BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 – „Soraya“ . . . . . e) Zwischenergebnis (insbesondere im Hinblick auf das Zweite SchadÄndG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgleich und Genugtuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Ergebnis des ersten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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78 80 81 84 87 87 88 91 92
Teil 2 Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse) A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) . . . . . . . . . . . . I. Der Schadenseintritt aus ökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Soziale und private Kosten eines Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schaden als internes Ereignis (Selbstschädigung) . . . . . . . . . . . . . . b) Schaden als externes Ereignis (Fremdschädigung) . . . . . . . . . . . . . 2. Unilaterale und bilaterale Schadensvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anpassung des verwendeten Modells an die Gegebenheiten der Realität a) Annahme der kostenlosen Administration des Haftungsrechts . . . . b) Annahme des asymmetrischen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Annahme der Risikoneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Annahme der Solvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Annahme der Eigenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Geldentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 96 96 101 101 106 111 117 117 119 122 126 129 133 133
Inhaltsverzeichnis 1. Kostenminimierung bei variablem Vorsorge- und konstantem Aktivitätsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftungsversagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleich der Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenminimierung bei variablem Vorsorge- und variablem Aktivitätsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenminimierung bei bilateral variablem Vorsorgeniveau und konstantem Aktivitätsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftungsversagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleich der Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenminimierung bei bilateral variablem Vorsorge- und Aktivitätsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand . . . . . . . . . . . . . b) Verschuldenshaftung mit und ohne Mitverschuldenseinwand . . . . . c) Vergleich der Haftungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die vorsätzliche Schädigung – ein Sonderfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besonderheiten unter ökonomischen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . 2. Effizientes Verhalten im Bereich der vorsätzlichen Schädigung . . . . . . 3. Anreizvermittlung durch die Haftungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abweichungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monetarisierungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Quantitative Begrenzungen der Ersatzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltendmachungsdefizite (enforcement error) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgen der Abweichung der Höhe der Ersatzpflicht von der Schadenshöhe 1. Folgen einer pauschalen Abweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen einer partiellen Abweichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 134 135 136 137 143 145 152 152 153 156 156 160 164 166 169 170 171 174 174 174 181 187 190 190 191 192 192 195 196 199 200 201 203 206 206 209
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Inhaltsverzeichnis 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Monetarisierungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Monetarisierung von Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ex-post-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ex-ante-Methode (Hand-Rule-Methode) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung der Schadensersatzhöhe im Fall der Körperverletzung aa) Subjektive Kosten des tödlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Empirische Untersuchungen und Bildung eines Mittelwerts . . cc) Übertragung auf den Fall der Körperverletzung . . . . . . . . . . . . c) Bestimmbarkeit der Schadensersatzhöhe im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsbegrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltendmachungsdefizit (enforcement error) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die vorsätzliche Schädigung – ein Sonderfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 212 212 214 214 227 230 231 235 244 246 247 247 248 251 251 255
C. Ergebnis des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Teil 3 Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz mit dem deutschen Deliktsrecht A. Anpassung des geltenden Rechts an die Vorgaben des Effizienzkriteriums . . . I. Möglichkeit der richterlichen Implementierung des Effizienzkriteriums . . 1. Das Rechtsanwendungsverständnis der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effizienz als Politik des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effizienz nicht als Politik des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effizienz als Politik des Schmerzensgeldrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Politik des haftungsausfüllenden § 253 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . b) Politik der haftungsbegründenden Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung von Gefährdungs- bzw. Verschuldenshaftung . . . . . . . b) Bestimmung der Fahrlässigkeit über die Learned-Hand-Formel . .
256 257 257 258 262 263 264 270 270 271 271 277 293 293 306
Inhaltsverzeichnis
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3. Haftungsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung der ex-ante-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgehen gegen Haftungsobergrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einführung der Kehrwertberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Geldentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effizienz als Politik des Geldentschädigungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergleich zwischen der ökonomischen Soll-Lage und der Ist-Lage b) Rechtliche Zulässigkeit der Anpassung an die ökonomischen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Monetarisierung des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Monetarisierung des Nichtvermögensschadens . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatsächliche Möglichkeit der Anpassung an die ökonomischen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 316 319 320 322 323 323 325 328 328
B. Anpassung des zukünftigen Rechts an die Vorgaben des Effizienzkriteriums . . I. Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anordnung der Gefährdungshaftung für gefährliche Tätigkeiten . . . . . 2. Learned-Hand-Formel zur Bestimmung der Fahrlässigkeit . . . . . . . . . II. Haftungsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung von Nichtvermögensschäden nach der ex-ante-Methode . 2. Streichung der Haftungsobergrenzen bei der Gefährdungshaftung . . . 3. Proportionaler Ausgleich von Defiziten als (unzulässiger) Strafschadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. (Fakultative) Gewinnabschöpfung bei vorsätzlicher Schädigung . . . . .
361 363 363 368 369 369 376
338 339 349 356 357 359 360
378 383
C. Ergebnis des dritten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
Einführung „Was soll’s, wir machen moderne Märchenblätter.“ 1 Franz Burda
Nachdem das Recht des Ersatzes von Nichtvermögensschäden fast ein Jahrhundert ein „Aschenbrödel-Dasein“ im deutschen Recht geführt hat, ist es in Bewegung geraten. Diese Innovation ging allerdings weniger vom Gesetzgeber aus, obwohl dieser immerhin die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden in Geld durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften mit Wirkung zum 1. August 2002 im Wege der Reformierung des § 253 BGB stark erweitert hat. 2 Der entscheidende Anstoß kam aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch die fast schon als legendär zu bezeichnende Entscheidung „Caroline von Monaco I“ vom 15. November 1994. 3 Während im Bereich des Haftungstatbestandes diese Entscheidung im Wesentlichen eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung darstellte, fand der vermeintliche Quantensprung, den dieses Urteil für das zivilrechtliche Schadensrecht einleitete, auf der Rechtsfolgenseite statt. Diese Erweiterung formulierte der VI. Zivilsenat in seinem amtlichen Leitsatz folgendermaßen: „Erfolgt der Einbruch in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorsätzlich mit dem Ziel der Auflagensteigerung und Gewinnerzielung, dann gebietet der Gedanke der Prävention, die Gewinnerzielung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung einzubeziehen.“ 4
In diesem Urteil gestand der Bundesgerichtshof der Prävention zum ersten Mal nachhaltigen Einfluss auf die Bestimmung der Höhe der für einen verursachten Nichtvermögensschaden geschuldeten Entschädigung zu. Dies führte dazu, dass unter Beachtung dieser Rechtsauffassung der klagenden Caroline von Monaco für den von ihr erlittenen Nichtvermögensschaden ein Ersatzanspruch zugesprochen wurde, dessen Höhe die bisher in vergleichbaren Fällen zugestandenen Beträge um ein Vielfaches überstieg.
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Burda, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. 18. 03. 2004 (Nr. 66/04), S. 42. Zweites SchadÄndG vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2674). Das Erste SchadÄndG datiert vom 16. August 1977 (BGBl. I, S. 1577 ff.). 3 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 – „Caroline I“. 4 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (1, Leitsatz b) – „Caroline I“. 2
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Einführung
Das Problem, das sich beim Ersatz von Nichtvermögensschäden in Geld zwangsläufig stellt, ist die Monetarisierung des entstandenen Schadens. Denn anders als regelmäßig beim Vermögensschaden kann hier die Höhe des Schadens und somit der Ersatzpflicht nicht mathematisch exakt durch das erkennende Gericht quantifiziert werden. Diese Unsicherheit resultiert daraus, dass der tatsächlich entstandene Schaden seiner Natur nach nicht in Geld ausgedrückt werden kann, da sich für Geld grundsätzlich kein Äquivalent erwerben lässt, das den entstandenen Schaden eins zu eins ersetzt. Dieses Dilemma kommt – am Beispiel der Ehrverletzung – in einem spanischen Sprichwort zum Ausdruck: „Ehre und Geld gehen nicht in denselben Sack.“ 5 Den Gerichten kommt deshalb bei der Bestimmung der Höhe des Ersatzanspruchs ein gewisses Ermessen zu (§ 287 Abs. 1 S. 1 ZPO); dies wird auch am Wortlaut des § 253 Abs. 2 BGB deutlich, der davon spricht, dass „eine billige Entschädigung in Geld“ zu gewähren ist. Ihren Spielraum füllen die Gerichte letztlich mit Erwägungen aus, die sie aus den Funktionen ableiten, die sie dem Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens zuvor selbst beigemessen haben. Daher ist es sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht von großem Interesse, was unter dem höchstrichterlich in die Schadensrechtsdogmatik eingeführten Begriff „Prävention“ zu verstehen ist und wie er im Einzelnen auszugestalten ist. Mehr als eine Dekade nach dem „Caroline“-Urteil soll mit dieser Arbeit versucht werden, die durch den Bundesgerichtshof kreierte Präventionsfunktion in einem wirtschaftswissenschaftlichen Sinne zu verstehen. Es wird daher untersucht, wie der vom Bundesgerichtshof postulierte „Gedanke der Prävention“ unter dem Aspekt der Effizienz zu verstehen ist, welche praktischen Konsequenzen daraus für das Haftungsrecht im Einzelnen resultieren und ob und gegebenenfalls wie eine solche effizienzorientierte Bestimmung mit dem deutschen (Schadens-)Recht vereinbar ist. Dabei geht es nicht darum, die Prämissen der ökonomischen Analyse des Rechts und deren grundsätzliche Eignung, juristische Sachverhalte zu beurteilen, umfassend zu thematisieren. 6 Vielmehr wird die ökonomische Theorie und ihr Verhaltensmodell des homo oeconomicus der durchzuführenden Analyse zugrunde gelegt, ohne diesen Ansatz zunächst gegen alle bestehenden – und zum Teil auch nicht von der Hand zu weisenden – Einwendungen zu verteidigen. 5 Spanisches Sprichwort, übersetzt und überliefert von: Arthur Schopenhauer, zitiert nach: E. Helle (1969), S. 49. 6 Der hier verwendete Begriff „ökonomische Analyse des Rechts“ geht zurück auf die Übersetzung des Werkes von Richard A. Posner „Economic Analysis of Law“. Allerdings ist der englische Begriff der „analysis“ umfassender und weitergehend als der deutsche Begriff „Analyse“. „Analysis“ impliziert, dass mit Hilfe des Instrumentariums der Wirtschaftswissenschaften rechtliche Fragestellungen behandelt werden. Dies bringt die deutsche Übersetzung „Analyse“ nicht umfassend zum Ausdruck. Kirchner (1997), S. 5 f. schlägt daher den Begriff „ökonomische Theorie des Rechts“ vor. Da sich die Bezeichnung „ökonomische Analyse des Rechts“ aber bereits eingebürgert hat, findet sie trotz der berechtigten Bedenken auch hier Verwendung.
Einführung
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Da jedenfalls auch kein anderes Denkmodell existiert, das verlässlichere Prognosen menschlichen Verhaltens ermöglichen könnte, 7 soll auf das ökonomische als Analyseinstrument zurückgegriffen werden, um aus dem realwissenschaftlichen Blickwinkel der Mikoökonomie heraus das geltende deutsche Ersatzrecht im Bereich der Nichtvermögensschäden einer konkreten Prüfung zu unterziehen. In Teil 1 der Arbeit werden dafür einführend die notwendigen wirtschaftsund rechtswissenschaftlichen Grundbegriffe geklärt. Im zweiten Teil wird eine Soll-Analyse durchgeführt. Es wird also aufgeschlüsselt, wie das System der außervertraglichen Haftung aus ökonomischer Sicht optimalerweise ausgestaltet sein sollte, um dem Individuum Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten zu vermitteln. Im abschließenden Teil 3 wird dann überprüft, inwieweit das deutsche Schadensrecht mit den aus dieser ökonomischen Analyse resultierenden Vorgaben tatsächlich schon übereinstimmt oder jedenfalls an diese angepasst werden kann.
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Becker (1993), S. 402: „... [N]o approach of comparable generality has yet been developed that offers serious competition to rational choice theory.“
Teil 1
Grundlagen „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest.“ 1 Adam Smith
In diesem ersten Teil sollen die Grundlagen der Arbeit gelegt werden. Zunächst, wird in das ökonomische Verhaltensmodell des homo oeconomicus eingeführt und insbesondere sein Normverständnis beleuchtet (ökonomische Grundlagen, A.). In den folgenden Teilen wird dann der Begriff des rechtlichen Untersuchungsgegenstands, des Nichtvermögensschadens, geklärt, wie er sich in der Rechtswissenschaft ausgebildet hat (rechtliche Grundlagen, B.). Schließlich werden die leading cases aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Schmerzensgeld im Fall der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und zur Geldentschädigung für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts daraufhin untersucht, welche Funktionen die Rechtsprechung diesen Schadensersatzzahlungen beimisst (IstAnalyse, C.).
A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus „I wonder who it was defined man as a rational animal. It was the most premature definition ever given. Man is many things, but he is not rational.“ 2 Oscar Wilde
Die ökonomische Analyse des Rechts untersucht, welche Aus- und Anreizwirkungen rechtliche Normen auf menschliches Verhalten haben. Diese Untersuchung ist nur möglich, wenn gleichzeitig bestimmte Annahmen über das Verhalten der 1 2
Smith (1776, 1976), S. 26 f. Wilde (1891, 1994), S. 36.
A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus
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von diesen Rechtsnormen betroffenen Menschen getroffen werden. Daher wird das in den Wirtschaftswissenschaften vorherrschende Verhaltensmodell des homo oeconomicus auf die Untersuchung rechtlicher Strukturen übertragen. 3
I. Der homo oeconomicus Die Mikroökonomie befasst sich mit der Frage, ob und wie in den bestehenden Entscheidungsspielräumen einer Marktwirtschaft die unzähligen Einzelentscheidungen der verschiedenen Wirtschaftseinheiten aufeinander abgestimmt werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Güter, um die die Marktteilnehmer wetteifern (Unternehmen um Produktionsfaktoren, Haushalte um Konsumgüter), knapp sind, d. h. es gibt im Vergleich zu den Bedürfnissen (Präferenzen) zu wenig Ressourcen. Die Teilnehmer empfinden daher subjektiv einen Mangel, den sie durch Konsum der jeweiligen Güter oder Dienstleistungen zu beseitigen wünschen. In diesem Wettbewerb der Nachfrager um die angebotenen Güter entsteht aus Angebot und Nachfrage ein Preis: je höher der Preis, desto geringer die Nachfrage und vice versa. Preise haben somit die Funktion, die Nachfrage nach Gütern zurückzudrängen, um auf diese Weise eine rationierende Zuteilung der knappen Güter an die einzelnen Nachfrager zu ermöglichen. Daher ist es den Individuen grundsätzlich unmöglich, alle ihre Bedürfnisse (gleichzeitig) zu erfüllen. Gilt es für einen Haushalt, eine bestimmte Geldsumme bei gegebenen Preisen auf den Kauf von Gütern aufzuteilen, so wird er jede zur Verfügung stehende Geldeinheit derjenigen Verwendung zuführen, die ihm den jeweils höchsten Nutzen bringt. Exemplarisch sei ein Markt unterstellt, in dem es nur die beiden Güter Nahrungsmittel und Kleidung gibt. Solange auf diesem Markt der Nutzen einer Geldeinheit durch Nahrungskonsum größer ist als durch Kleidungskonsum, lässt sich der Gesamtnutzen durch Umverteilung von Geld aus dem Kleidungs- in den Nahrungsmittelkauf vergrößern. Endlich wird der Haushalt die Geldsumme so aufteilen, dass die letzte für Nahrung ausgegebene Geldeinheit den gleichen Nutzen hat wie die letzte für Kleidung ausgegebene (Gesetz vom Ausgleich der Grenznutzen des Geldes). So maximiert der Einzelne den von ihm erreichbaren Nutzen: Durch keine Umverteilung einer Geldeinheit von einer Verwendung in die eine andere lässt sich eine Vergrößerung des Nutzens erzielen. 4 Jedes Individuum hat 3
Für Kirchgässner (2000), S. 134 ist es gerade die konsequente Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells, welche die ökonomische Analyse des Rechts zu einer „ökonomischen“ werden lässt. Umfassende Nachweise zur Kritik am ökonomischen Verhaltensmodell aus dem Lager der Rechtswissenschaft finden sich beispielsweise bei: Shavell (1987), S. 291 – 298; Eidenmüller (1995, 2005), S. 7; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 11, Fn. 14. 4 Die hier für Haushalte angestellte Überlegung gilt für Unternehmen entsprechend. Zwar wird für sie regelmäßig angenommen, sie zielen auf die Maximierung des Gewinns ab. Kirchgässner (2000), S. 15 f. hat aber überzeugend nachgewiesen, dass sowohl Haushalte
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Teil 1: Grundlagen
innerhalb des bestehenden, durch Handlungsrestriktionen (wie z. B. Recht, Moral oder Tradition) eingegrenzten Spielraums die Freiheit, diejenige Handlungsalternative zu wählen, von der es sich die Maximierung seines Nettonutzens verspricht. Die mikroökonomische Theorie beruht somit auf einer individualistischen Gesellschaftskonzeption. Jeder Einzelne darf und soll sein Eigeninteresse verfolgen. Dementsprechend wird der homo oeconomicus als ein rationaler, eigennütziger Mensch (REM) 5 bezeichnet. 6 als auch Unternehmen einzig nach Maximierung ihres Nutzens streben. Das Ziel der Gewinnmaximierung bei Unternehmen sei nur ein abgeleitetes Ziel aus der Annahme der Nutzenmaximierung. Zum Ganzen sei auf die Standardliteratur zur Mikroökonomie verwiesen, z. B. Schumann / Meyer / Ströbele (1999), S. 1 ff.; Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 138 f. 5 Cooter / Ulen (2004), S. 350: „One of the central assumptions in economic theory is that decision-makers are rationally self-interested.“ (meine Hervorhebung). Im englischen Sprachgebrauch ist die Abkürzung REMM (resourceful, evaluating, maximizing man) gebräuchlich. 6 Dieses Modell des Menschen ist keine Errungenschaft der modernen Mikroökonomie oder gar der Ökonomischen Analyse des Rechts. Schon Aristoteles (384 –322 v. Chr.) sprach in seinem Werk „Politik“ (350 v. Chr., 1997) davon, dass die Habgier der Menschheit unersättlich sei (Buch 2, VII.: „And the avarice of mankind is insatiable.“). Auch Niccolo Macciavelli (1469 –1527) ging in „Il Principe“ („Der Fürst“) davon aus, dass alle Menschen letztlich das gleiche Ziel haben, nämlich die Erlangung von Ruhm und Reichtum. Welche Methode der Einzelne zur Erreichung dieses Ziels anwendet, sei ihm und der jeweiligen Situation zu überlassen (Macciavelli [1532, 1978], S. 104). Bernard de Mandeville (1670 –1733) verfasste 1705 die Fabel „The Grumbling Hive or Knaves turn’d Honest“: Das gesellschaftliche System soll danach so gestaltet werden, dass alle Mitglieder selbst dann im allgemeinen Interesse handeln, wenn sie sich eigennützig verhalten. Denn es sei davon auszugehen, dass jeder Einzelne nur auf die Mehrung seines Nutzens aus sei – nicht die Tugend, sondern das Laster sei die Quelle des Allgemeinwohls (Mandeville [1705, 1968], S. 67 –79). Adam Smith (1723 –1790) vertrat in seinem ökonomischen Hauptwerk „An Inquiry into the Nature and Cause of the Wealth of Nations“, dass die Produktion überlebenswichtiger Güter nicht vom Wohlwollen (benevolence) der Produzierenden abhänge, sondern in deren ureigenem Interesse (own interest) liege und deshalb – aus dem Streben nach dem eigenen Vorteil – stattfinde (Smith [1776, 1976], S. 26 f.). Sich daran anlehnend, schuf Jeremy Bentham (1748 –1832) die utilitaristische Ethik, die später von John Stuart Mill, Henry Sidgwick und anderen weiterentwickelt wurde. Bentham proklamierte das Prinzip der Nützlichkeit (principle of utility), das jede Handlung danach bemisst, ob sie das Glück der von ihr betroffenen Gruppe vermehrt. Die Veränderung des Nutzens jeder von einer Handlung betroffenen Person sei daher zu untersuchen. Diese individuellen Nutzensaldi seien dann in eine Gesamtbilanz einzustellen. Wenn die Bilanz positiv sei, habe sie den Gesamtnutzen gemehrt und sei für die Gemeinschaft von Nutzen (Bentham [1789, 1948], S. 12). Im 20. Jahrhundert kam es zur Abkehr vom interpersonalen Nutzenvergleich des Utilitarismus (kardinale Nutzenkonzeption) und zum Übergang zum (wohlfahrts-)ökonomischen Effizienzkriterium (ordinale Nutzenkonzeption) in der modernen Ökonomie. Demnach muss der Mensch nicht mehr länger seinen Nutzen auf einer kardinalen Skala in – willkürlichen – Zahlen messen, sondern er muss lediglich eine (ordinale) Wahl treffen, ob
A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus
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1. Rationalität (rationality) a) Rational ist ein Mitteleinsatz, bei dem der Nutzen des handelnden Individuums (Zweck), der aus einem feststehenden Mittelvorrat gewonnen wird, maximiert wird. 7 In diesem Fall ist die optimale Zweck-Mittel-Relation erreicht. Damit der homo oeconomicus rationale Entscheidungen treffen kann, muss er vor allem wissen, welche der wählbaren Alternativen für ihn persönlich den höchsten Nutzen abwirft (subjektiver Begriff des Nutzens). Er muss daher eine Präferenzordnung aller ihm denkbaren Wahlalternativen aufstellen (können), um unter den erreichbaren die von ihm am höchsten eingestufte Präferenz zu wählen. Diese Präferenzordnung muss die Axiome der Vollständigkeit und der Transitivität erfüllen: 8 Vollständigkeit (comparability) bedeutet, dass der Entscheidende alle Wahlmöglichkeiten miteinander vergleichen und ordnen kann. In einem paarweisen Vergleich muss er also festlegen, ob er die Handlungsalternative A der Alternative B vorzieht, ob er umgekehrt B gegenüber A bevorzugt oder ob er zwischen beiden Alternativen indifferent ist. Diese Präferenzordnung wird jedoch unabhängig von den mit ihnen verbundenen Kosten (Preis) erstellt. Es kann also sein, dass jemand A (Porsche) vor B (BMW) vor C (Mercedes) einordnet. Wenn er sich aber keinen Porsche kaufen kann (oder in Anbetracht des Preises nicht kaufen möchte), verlangt die Rationalität, dass er unter den verbleibenden Möglichkeiten B und C diejenige wählt, die er relativ am höchsten einordnet (hier: B = BMW). Vollständigkeit erfordert also nicht, dass auch tatsächlich stets die am höchsten eingeordnete Alternative gewählt wird, sondern lediglich, dass der Entscheider alle seine Wahlmöglichkeiten in eine ordinale Rangordnung bringt. Diese Präferenzliste muss weiterhin transitiv (transitivity) sein. Das heißt, die Reihung, die sich aus dem Paarvergleich je zweier Alternativen ergibt, muss auch für einen dritten, nicht durchgeführten Paarvergleich richtig sein. Wenn also ein Porsche einem BMW vorgezogen wird (A > B) und ein BMW einem Mercedes (B > C), dann muss ein Porsche auch einem Mercedes vorgezogen werden (A > C). Diese Transitivitätsannahme stellt sicher, dass die gewählten Präferenzen untereinander konsistent sind. Durch diese beiden Annahmen allein kann jedoch die Rationalität der Entscheidung nicht dauerhaft garantiert werden. Wenn beispielsweise ein Entscheider zum Zeitpunkt t1 A gegenüber B vorzieht, zum Zeitpunkt t2 aber B gegenüber A, muss diese Entscheidung nicht zwangsläufig irrational sein. Sie kann nämlich auch auf einem Präferenzwechsel beruhen, weil etwa die Nachfrage des Entscheiders an A gesättigt ist oder weil er neue Verwendungsmöglichkeiten für B aufgetan hat. er einen Zustand für besser oder für schlechter als einen anderen hält. Umfassend dazu: Eidenmüller (1995, 2005), S. 42 – 55. Zur historischen Entwicklung des ökonomischen Verhaltensmodells im Ganzen: Lofthouse / Vint (1978), S. 586 ff. 7 Schumann / Meyer / Ströbele (1999), S. 97. 8 Hastie / Dawes (2001), S. 256 ff.; Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 105 f.
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Teil 1: Grundlagen
Da sich die Präferenzen einer Person aber ausschließlich auf Grundlage der von ihr tatsächlich vorgenommenen Handlungen bestimmen lassen, könnte auf diese Weise jede Änderung menschlichen Verhaltens durch den – lapidaren – Verweis auf eine eingetretene Präferenzänderung „erklärt“ werden. Dies stellte aber eine Aussage ohne empirischen Gehalt dar; die Rationalitätshypothese liefe letztlich leer. 9 Um dies zu verhindern, ist es erforderlich, von Präferenzen des Entscheidenden auszugehen, die sich nicht willkürlich ändern und (zumindest) über einen gewissen Zeitraum hinweg als stabil anzusehen sind: 10 „Stable in the sense that they [the preferences, der Verf.] do not change too rapidly or quixotically.“ 11 Unter diesen Voraussetzungen der Rationalität und der Präferenzstabilität lässt sich eine Veränderung menschlichen Verhaltens (hier: die Entscheidung zugunsten von B zum Zeitpunkt t2) allein darüber erklären, dass sich die bestehenden Handlungsrestriktionen geändert haben. Im Gegensatz zum Präferenzwechsel können Änderungen der Handlungsrestriktionen objektiv ermittelt werden. Dies ermöglicht es, das Verhalten des Einzelnen auf sich verändernde Handlungsrestriktionen (beispielsweise in Gestalt sich verändernder rechtlicher Rahmenbedingungen) zuverlässig zu untersuchen. b) Dieses Konzept der Rationalität (rational-choice model) ist allerdings wiederholt angegriffen worden. aa) Ein gezielter Einwand richtet sich dagegen, dass dem homo oeconomicus vollständige Informiertheit unterstellt werde, aufgrund derer er wie eine Maschine blitzschnell entscheiden könne. Ralf Dahrendorf spricht in diesem Zusammenhang von einem „... Verbraucher, der vor jedem Einkauf Nutzen und Kosten sorgsam abwägt und Hunderte von Preisen vergleicht, bevor er seine Entscheidung trifft“ 12 und bezeichnet den homo oeconomicus als „eine seltsame Kreatur“ 13. Dahrendorf ist in der Tat zuzugeben, dass es im wirklichen Leben kaum eine Person geben dürfte, die vor dem Kauf einer Tüte Milch die Preise sämtlicher umliegender Supermärkte miteinander vergleicht und letztlich dort einkauft, wo die ihr entstehenden Gesamtkosten aus Kaufpreis, Zeitverlust und Anfahrtskosten am niedrigsten sind. Tatsächlich sind Wirtschaftssubjekte nie vollständig informiert: „Prices change with varying frequency in all markets, and, unless a market is completely centralized, no one will know all the prices which various sellers (or buyers) quote at a given time.“ 14 Die Unvollständigkeit der Information kann sich z. B. darauf beziehen, dass dem Konsumenten nicht alle Entscheidungsalternati9
Lindenberg (1984), S. 98. Sen (1977, 1999), S. 91; umfassend zum Problem des Präferenzwechsels: Kirchgässner (2000), S. 38 – 40. 11 Cooter / Ulen (2004), S. 351, Fn. 1. 12 Dahrendorf (1958), S. 179. 13 Dahrendorf (1958), S. 179. 14 Stigler (1961), S. 213. 10
A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus
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ven, nicht alle Eigenschaften der angebotenen Güter oder nicht die günstigsten Bezugsquellen bekannt sind. Die Eigenschaft der vollständigen Informiertheit des homo oeconomicus ist eine simplifizierende Abstraktion von der Wirklichkeit, die zur Untersuchung bestimmter Fragen sinnvoll ist: 15 Beispielsweise lässt sich der Nachweis, dass und wie sich die Nachfrage nach einem bestimmten Gut erhöht, wenn dessen Preis gesenkt wird, besser und exakter führen, wenn das Marktumfeld von der Unsicherheit der unvollständigen Information losgelöst ist (Fiktion eines idealen Informationszustands). Dieses fundamentale Nachfragegesetz kann aber durchaus auch auf denjenigen Zustand (rück-)übertragen werden, in dem der Konsument nicht vollständig informiert ist, ohne dass die Grundaussage des Gesetzes darunter leiden würde. Die Annahme vollständiger Information stellt mithin eine Art Übungskünstlichkeit dar. Die Rationalität, die von dem Individuum im Rahmen des ökonomischen Verhaltensmodells eingefordert wird, bedeutet lediglich, dass der Einzelne in der Lage sein muss, seinen Handlungsspielraum abzuschätzen, zu bewerten und dann dementsprechend zu handeln. Das Individuum muss also fähig sein, auf Veränderungen systematisch zu reagieren: 16 Erkennt es, dass die Handlungsalternative A aufgrund äußerer Umstände weniger attraktiv geworden ist, muss es eine neue Präferenzordnung aufstellen, die dem neuerdings geringeren Nutzen von A Rechnung trägt. Zweifellos sind in der Realität die Handlungen des Einzelnen wegen des unvollständigen Informationsstands in aller Regel nicht optimal. Denn der Entscheidende könnte seinen Informationsstand regelmäßig verbessern, indem er sich einen weitergehenderen Marktüberblick für das jeweilige Gut verschafft. Mit dieser Informationsbeschaffung sind aber zwangsläufig auch Informationskosten verbunden (insbesondere der Verlust von Zeit, aber auch Verlust von Geld etwa für den Erwerb von Warentestvergleichen). Das Treffen einer Entscheidung in diesem Zustand der unvollständigen Information ist dann rational, wenn die Kosten, die notwendig sind, um zusätzliche Informationen zu beschaffen, den Nutzen übersteigen, den der Entscheidende erzielen würde, wenn er seine Entscheidung auf der entsprechend verbesserten Informationsbasis treffen würde. Er würde sich sogar irrational verhalten, wenn er in dieser Situation nach perfekter Information streben würde. 17 Der homo oeconomicus muss also seine Entscheidung unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls zu seinem relativen Vorteil treffen und so den größten konkret erreichbaren Nutzen realisieren. bb) Weiterhin wird gegen das Konzept der Rationalität vorgetragen, dass sich Menschen – entgegen der Annahme des Verhaltensmodells – tatsächlich nicht rational verhalten. Ansatzpunkt dieser Kritik ist dabei nicht, dass (fast) alle Menschen manchmal irrational handeln. Denn die Ökonomie geht zwar von individuellem 15 16 17
Kirchgässner (2000), S. 17, 69 f. Kirchgässner (1991), S. 106; Posner (1998b), S. 1556. Stigler (1961), S. 216; Posner (1972b, 2003), S. 18; Posner (1998b), S. 1553.
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Teil 1: Grundlagen
Verhalten aus; sie untersucht aber nicht das Verhalten eines bestimmten Individuums, sondern das „typische“ Verhalten der Mehrheit einer untersuchten Gruppe. Die Mikrotheorie bildet daher die Grundlage dafür, um anhand des Verhaltens eines durchschnittlichen Mitglieds der Gruppe Makrophänomene zu erklären. 18 Das (irrationale Fehl-)Verhalten einer einzelnen Person geht somit nach dem Gesetz der großen Zahl als Ausreißer im Durchschnittsverhalten der Gruppe unter, sofern diese nur groß genug gewählt ist. Der Einwand knüpft vielmehr an empirische Untersuchungen an, die belegen, dass sich alle Menschen in systematischer Weise irrational verhalten. Danach erliegt fast jeder Mensch, anstatt die bestehenden Wahlmöglichkeiten nüchtern zu analysieren und so die Präferenzen richtig zu ermitteln, bei der Entscheidungsfindung in bestimmten Situationen einer (Fehl-) Steuerung aus dem Unterbewusstsein. 19 Es wurde etwa eine Framing Anomaly nachgewiesen, d. h. die Entscheidung über ein und dieselbe Frage ist nicht allein davon abhängig, wie hoch der erwartete Nutzen bzw. Gewinn der verfügbaren Handlungsalternativen ist, sondern auch davon, in welcher Richtung die Ergebnisse dieser Wahlmöglichkeiten von dem bestehenden Referenzpunkt abweichen. 20 So wurden in einer Studie Patienten pflichtgemäß über das Mortalitätsrisiko einer anstehenden Operation informiert. Wenn den Patienten eine Überlebenswahrscheinlichkeit (z. B. 85%) genannt wurde, stimmten signifikant mehr Patienten der Operation zu, als wenn sie über die Sterbewahrscheinlichkeit (hier entsprechend 15%) aufgeklärt wurden. Die Entscheidung des Einzelnen konnte also – ohne Informationen zu unterdrücken oder zu entstellen – allein dadurch beeinflusst werden, dass die möglichen Folgen der Entscheidung auf eine bestimmte Weise präsentiert wurden. In einer anderen Untersuchung antwortete auf die Frage, ob es mehr Wörter mit sieben Buchstaben gebe, die in das Schema 1 „––ung“, oder mehr, die in das Schema 2 „––-n-“ ergänzt werden können, die Mehrheit der Befragten, dass das Schema 1 weiter verbreitet sei. Dies ist aber logisch nicht möglich, da das Schema 1 ein Spezialfall von Schema 2 ist und somit ein einziges Wort, das Schema 2 und nicht gleichzeitig Schema 1 erfüllt, 21 ausreicht, damit Schema 2 häufiger auftritt. Dass die Mehrheit für Schema 1 optiert hat, hängt damit zusammen, dass sich spontan viele Wörter finden lassen, die Schema 1 erfüllen (z. B. Heizung, Wohnung, Leitung usw.). Dagegen ist es deutlich schwieriger, intuitiv ein Wort zu bilden, das Schema 2 erfüllt. Entscheidungen werden also häufig, ohne analytische Erwägungen anzustellen, auf Grundlage der verfügbaren Erinnerung getroffen, die – wie gesehen – nicht immer frei von Denkfehlern ist (Biased Memory Anomaly). 22 18
Becker (1993), S. 402. Ein Kurzüberblick über die wichtigsten durch empirische Forschungen aufgedeckten Verhaltensanomalien findet sich bei: H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 66 –70. 20 Kahnemann / Tversky (1984), S. 346. 21 Beispielsweise der Imperativ Singular von „zeichnen“: „Zeichne!“. 19
A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus
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Als letztes Beispiel sei die Anomalie der versunkenen Kosten angeführt (Sunk Costs Fallacy). Wenn man beispielsweise zwanzig Euro für die Miete von Ski ausgegeben hat und auf dem Parkplatz der Talstation bemerkt, dass es ein lausiger Tag zum Skilaufen ist, würde man „eigentlich“ lieber wieder nach Hause fahren. Dennoch wird es häufig so sein, dass man – schließlich sind die Ski ja schon bezahlt – trotzdem Ski läuft. Der Denkfehler liegt hier darin, dass das Vermögen schon in dem Moment um zwanzig Euro vermindert worden ist, als die Ski gemietet wurden. Diese zwanzig Euro sind Ausgaben, die irreversibel in der Vergangenheit getätigt wurden und die bei einer gegenwärtig zu treffenden Entscheidung ignoriert werden müssen – eben versunkene Kosten. Der Blick des rationalen Entscheiders muss allein auf die zukünftigen Folgen (und damit auch auf die zukünftigen Kosten) seines Handelns gerichtet sein: 23 „‚[B]ygones‘ should be ‚bygones‘.“ 24 Da der größere Lustgewinn in dem Moment der Entscheidung aus der sofortigen Rückfahrt resultiert, stellt allein dies die rational richtige Entscheidung dar, anstatt die versunkenen Kosten zu honorieren und so dem schlechten Geld (Miete für die Ski) noch gutes (Entgelt für den Ski-Pass) hinterher zu werfen. In der Realität lässt sich in diesem Sinne irrationales Verhalten häufig beobachten, wenn weiteres Geld investiert wird, um die bisher getätigten Investitionen zu „retten“. Eine Erklärung dafür, warum versunkene Kosten so häufig in die aktuelle Kalkulation aufgenommen werden, kann darin gesehen werden, dass gewissermaßen dem zukünftigen Ich durch die Anmietung der Ski zu verstehen gegeben worden ist, dass der Nutzen durch den geplanten Ski-Ausflug maximiert werden kann. Gerade aber dieser Wunsch nach konsistentem Handeln kann dazu führen, dass, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern (hier: schlechtes Wetter), ein Verhalten irrational wird. 25 Diese und weitere empirisch nachgewiesene Abweichungen vom Postulat der Rationalität stellen systematische Anomalien im menschlichen Verhalten dar. Sie 22
Hastie / Dawes (2001), S. 84 f. Mit dieser Biased Memory Anomaly lassen sich beispielsweise auch persönliche „Zufälle“ aufklären: An dem Tag, an dem jemand von einer Person, die er seit Jahren nicht gesehen oder gesprochen hat, einen überraschenden Telefonanruf erhält, hat er kurz vorher an sie gedacht. Diesen (vermeintlichen) Zufall erinnert der Betroffene gut. Aber wie häufig denkt man an Personen, die man aus dem Auge verloren hat, ohne einen Anruf zu erhalten? Nur wird dieser Vorgang, weil er ja ganz normal ist, nicht in der Erinnerung gespeichert. Darüber hinaus sind „Zufälle“ bei Betrachtung einer ausreichend großen Menge von Menschen keineswegs zufällig, sondern sogar äußerst wahrscheinlich. 23 Posner (1972b, 2003), S. 19; Hastie / Dawes (2001), S. 37; auf Seite 38 wird folgende Aussage eines Soldaten am ersten Tag des ersten Golfkriegs (16. 01. 1991) als Paradigma für die sunk costs fallacy genannt: „Finally, the day has finally come. You’ve got to think logically and realistically. Too much money’s been spent, too many troops are over here, too many people had too many hard times not to kick somebody’s ass.“ 24 Korobkin / Ulen (2000), S. 1124. Dieser Ausdruck findet sich beispielsweise auch bei: Posner (1998b), S. 1562. 25 Korobkin / Ulen (2000), S. 1125.
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Teil 1: Grundlagen
beeinflussen die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Präferenzen für den Entscheidungsprozess gebildet werden, (fast) aller Individuen. Das Regelverhalten wird sich deshalb in Richtung der systematischen Irrationalitäten verschieben. Ein Ausgleich in der Masse – wie bei den oben angesprochenen Irrationalitäten einzelner Personen – findet nicht statt, weil ja die gesamte betrachtete Gruppe systematisch diesen Anomalien unterliegt. Zu einem gewissen Grad wird derartig irrationales Verhalten allerdings vom Markt bestraft. Als Beispiel sei eine Person angeführt, die – aus welchem Grund auch immer – ihre Präferenzen intransitiv bildet (A > B, B > C, aber A < C). Angenommen dieser Person wird das Gut B geschenkt. Da sie A gegenüber B bevorzugt, wird sie, um B gegen A – eine von ihr höher bewertete Alternative – zu tauschen, einen gewissen Geldbetrag zahlen. Entsprechend wird sie für den Tausch von A in C und für den Tausch von C in B verfahren. Im Ergebnis wäre sie dadurch wieder im Ausgangszustand B angekommen, hätte aber Geld verloren. In diesem Kreislauf wird sie einen unendlichen Geldbetrag zu zahlen bereit sein, ohne jemals ein fixes Endziel erreichen zu können. Ein Verhandlungspartner, der um eine Anomalie des anderen weiß, kann dieses irrationale Verhalten bewusst zu seinem eigenen Vorteil ausnutzen. Nicht rational handelnde Personen werden daher regelmäßig zu „Geldpumpen“ (money pumps). 26 Mittel- bis langfristig droht ihnen deshalb die Insolvenz, sie werden also vom Markt verschwinden (fehlende evolutorische Stabilität der Irrationalität). 27 Über den Grund dafür, dass sich trotzdem immer wieder irrationales Verhalten auf den Märkten beobachten lässt, lässt sich nur mutmaßen: Entweder verhalten sich Personen nur in so geringem Maße irrational, dass sie die dadurch verursachten Verluste finanziell verkraften können oder die Irrationalitäten gleichen sich im Mittel wechselseitig aus oder es betreten ständig neue irrational Handelnde das Marktgeschehen. Jedenfalls ist anzunehmen, dass Menschen dauerhaft und systematisch gegen das Postulat der Rationalität verstoßen. Daher ist nicht davon auszugehen, dass der rational handelnde homo oeconomicus ein universelles Menschenbild ist, das den Menschen in der ganzen Komplexität seiner Existenz abbildet. Vielmehr ist er ein „Modell vom Menschen [...], das auf die positive (Folgen-)Analyse ganz bestimmter, für die Ökonomie zentraler Situationen zugeschnitten ist.“ 28 Das ökonomische Verhaltensmodell ist also letztlich eine 26
Hastie / Dawes (2001), S. 263. Posner (1998b), S. 1570 f. 28 Homann (1994), S. 400 f. (Hervorhebung im Original). In diesem Sinne auch: Machlup (1970), S. 128: „... [I]t was obvious to all that any concept classified as ‚ideal type‘ was a mental tool, helpful in thinking and talking about certain phenomena.“; Posner (1972b, 2003), S. 17: „... [A]n economic theory of law will not capture the full complexity, richness, and confusion of the phenomena [...] that it seeks to illuminate. But its lack of realism in the sense of descriptive completeness, far 27
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vereinfachende Abstraktion von der Realität. 29 Richard A. Posner vergleicht das Modell des homo oeconomicus mit den Newton’schen Fallgesetzen: Auch letztere seien insofern unrealistisch, als sie vom freien Fall unter Vernachlässigung des Luftwiderstands ausgehen. Obwohl Körper in der Wirklichkeit regelmäßig nicht im Vakuum fallen, seien die Fallgesetze aber dennoch geeignet, das Verhalten von Körpern mit hinreichender Exaktheit zu prognostizieren. Sowohl beim ökonomischen Verhaltensmodell als auch bei den Fallgesetzen handele es sich um Theorien und somit um eine wissenschaftliche Erklärung der Wirklichkeit – nicht um deren Abbildung. 30 Trotz der systematischen Neigung zur Irrationalität in bestimmten Situationen kann man also davon ausgehen, dass sich die Majorität einer zu untersuchenden Gruppe – und nur diese ist für die ökonomische Analyse relevant – rational verhält. 31 Zwar unterliegen abstrakt alle diesen systematischen Irrationalitäten. Aber nicht alle Gruppenmitglieder befinden sich auch konkret in einer Situation, in der die systematische Irrationalität auch tatsächlich auftritt: Beispielsweise mögen zu einer Beratung über die drohende Insolvenz einer Aktiengesellschaft alle zusammenkommen, die ein Interesse an dem Unternehmen haben. An dem Tisch sitzen dann etwa der Vorstand, Teile des Aufsichtsrates, der Betriebsratsvorsitzende, der Großinvestor, die Gläubiger und der designierte Insolvenzverwalter. Alle Teilnehmer unterliegen generell der Anomalie der versunkenen Kosten. In diesem konkreten Fall befindet sich allerdings allein der Großinvestor in einer Situation, in der diese Sunk Costs Fallacy seine Entscheidungsfindung beeinflussen kann. Das ökonomische Verhaltensmodell bleibt also grundsätzlich ein nützliches Modell, mit dessen Hilfe sich verlässliche Prognosen für das Verhalten der Menschen in der Realität treffen lassen. Vorsicht ist nur dann geboten, wenn sich die gesamte zu from invalidating the theory, is a precondition of theory.“; Kirchgässner (1991), S. 105: „Andererseits muss sich dieses Menschenbild auf die wesentlichen Merkmale beschränken und insofern von vielen, auch wichtigen Facetten des menschlichen Verhaltens abstrahieren; eine exakte Beschreibung ist weder möglich noch wird sie angestrebt.“; Becker (1993), S. 385: „... [The economic approach] is a method of analysis, not an assumption about particular motivations.“; Witte (1994), S. 144: „Natürlich ist er ein Produkt der Retorte und kein wirklicher Mensch.“; Eidenmüller (2005), S. 217: „Der so beschriebene homo oeconomicus ist nicht ein real existierendes Individuum. Es handelt sich vielmehr um ein abstrahierendes Konstrukt, das Prognosezwecken dient.“ (Hervorhebungen jeweils im Original). 29 Dahrendorf (1958), S. 178: „... [W]enn seine [die des homo oeconomicus, der Verf.] Voraussetzungen auch fremd und unglaubwürdig anmuten mögen, so erlauben sie den Wirtschaftswissenschaften doch richtige Prognosen.“ 30 Posner (1972b, 2003), S. 17: „Newton’s law of falling bodies is unrealistic in its basic assumtion that bodies fall in a vacuum, but it is still a useful theory because it predicts with reasonable accuracy the behavior of a wide variety of falling bodies in the real world. [...] A theory that sought faithfully to reproduce the complexity of the empirical world in its assumptions would not be a theory – an explanation – but a description.“ 31 Posner (1998b), S. 1556 f.
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betrachtende Gruppe in einer Situation der systematischen Irrationalität befindet, wenn etwa das Verhalten von Großinvestoren bei Verhandlungen zur Abwendung einer Insolvenz untersucht wird. Abseits solcher Sonderfälle kann das Rationalitätskriterium aufrecht erhalten werden, ohne die Verlässlichkeit der Prognose in Frage stellen zu müssen. 2. Eigennützigkeit (self-interest) Dem ökonomischen Verhaltensmodell liegt jedoch traditionell nicht allein die Annahme zugrunde, dass der Mensch rational handelt, sondern auch, dass er handelt, um seinen eigenen Vorteil zu mehren (eigennütziges Handeln). Das bedeutet, dass sich der Einzelne entsprechend seinen eigenen Präferenzen – und nicht den Präferenzen Dritter – verhält. Francis Y. Edgeworth hielt dies schon im 19. Jahrhundert für das oberste Prinzip der Ökonomie: „The first principle of Economics is that every agent is actuated only by self-interest.“ 32 Dazu ist es erforderlich, dass sich der homo oeconomicus feste Ziele setzt, die vielfältiger Natur sein können, z. B. Gesundheit bis ins hohe Alter, sozialer oder beruflicher Aufstieg, Macht, Lebensfreude. Um diese Vorstellungen zu verwirklichen, wird er bestrebt sein, eine größtmögliche Anzahl von gesellschaftlichen Gütern (die häufig mit Geld gleichgesetzt werden) zu sammeln. Dabei wird ihm teilweise unterstellt, dass er bei diesem Prozess des Sammelns, anderen Personen, die wiederum ihr persönliches Glück anstreben, weder helfe noch schade. Es sei ihm egal, ob es seinen Mitmenschen gut oder schlecht gehe, es gebe daher unter den Menschen weder Liebe oder Hass, weder Neid noch Schadenfreude. John Rawls bezeichnet diesen Zustand als „gegenseitig desinteressierte Vernünftigkeit“ 33. Thorstein Veblen beschrieb diese Gesinnung des homo oeconomicus auf plastische Weise so: „He is a lightning calculator of pleasures and pains, who oscillates like a homogeneous globule of desire of happiness under the impulse of stimuli that shift about the area, but leave him intact. [...] Self-imposed in elemental space, he spins symmetrically about his own spiritual axis until the parallelogram of forces bears down upon him, whereupon he follows the line of the resultant.“ 34
Eine solche Person, die ihre Präferenzen im sozialen Vakuum allein nach ihrem eigenen Nutzen und Wohlergehen bestimmt, wird von Amartya K. Sen als „social moron“ 35 oder als „rational fool“ 36 tituliert. Denn in der Realität leben Individuen 32 Edgeworth (1881), S. 16; er ging aber selbst davon aus, dass dieses von ihm proklamierte „first principle“ nicht besonders realistisch war, S. 104: „... [T]he concrete nineteenth century man is for the most part an impure egoist.“ (meine Hervorhebung). 33 Rawls (1971, 1999), S. 125: „mutually disinterested rationality“. 34 Veblen (1898, 1993), S. 138. 35 Sen (1977, 1999), S. 99: „The purely economic man is indeed close to being a social moron“ (Hervorhebung im Original).
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nicht in einer eigenen, nach außen abgeschlossenen Welt, sondern mit vielen anderen in einer Gesellschaft zusammen. 37 Daher kommt es zwangsläufig zur Aufnahme interpersonellen Kontakts. In dem Zustand des Desinteresses (Indifferenz) befinden sich die Waagschalen des Wohlwollens auf der einen und der Missgunst auf der anderen Seite exakt im Gleichgewicht. Tatsächlich verhält sich der Durchschnittsmensch gegenüber Personen, mit denen er Beziehungen unterhält – und seien es auch nur (Geschäfts-)Beziehungen unpersönlicher Art –, aber häufig wohlwollend (z. B. höflich oder nett) oder missgünstig (etwa abweisend oder neidisch). 38 Das Verhalten eines Individuums wird also durchaus auch von anderen Werten und Präferenzen beeinflusst als allein vom Eigennutz (meddlesome preferences). Der Einzelne wird seinen Nutzen deshalb auf diejenige Art und Weise maximieren, die er für richtig hält, und wird daher durch Motive wie Liebe, Feindschaft oder Mitleid auch vom Nutzen anderer Personen beeinflusst. 39 Um dieser Tatsache hinreichend Rechnung zu tragen, erscheint es geboten, nicht von egoistischem Verhalten des homo oeconomicus zu sprechen. Denn der Begriff „egoistisch“ impliziert die negative Wertung der Selbstsucht, die dem Menschen in dieser Allgemeinheit nicht zukommt. Richard A. Posner beschreibt die zweite Anforderung des ökonomischen Verhaltensmodells daher folgendermaßen: „... [M]an is a rational maximizer of his ends in life, his satisfactions – what we shall call his „self-interest“. [...] And self-interest should not be confused with selfishness; the happiness [...] of other people may be a part of one’s satisfactions. To avoid this confusion, economists prefer to speak of ‚utility‘ [...] rather than of self-interest.“ 40
Sobald also andere Personen an Einfluss auf die Entscheidung des Einzelnen gewinnen, bricht der homo oeconomicus aus seiner – artifiziell geschaffenen – Isolation aus. Er trifft seine Entscheidung nicht mehr allein im Hinblick auf seinen eigenen Nutzen, sondern auch im Hinblick auf den Nutzen anderer und handelt somit zwangsläufig zu einem gewissen Grade altruistisch. Dabei sind allerdings zwei Kategorien zu unterscheiden: der echte und der unechte Altruismus. 41 Beim unechten Altruismus (sympathy) berührt die Berücksichtigung der Interessen Dritter unmittelbar auch das eigene Wohlergehen. Beispielsweise engagiert sich jemand (A) in einer Hilfsorganisation, (nur oder zumindest auch) weil er bei dem Gedanken an die unmenschlichen Lebensumstände obdachloser Kinder in seiner 36
Sen (1977, 1999), S. 106. Ein literarisches Exempel des Rückzugs in die gesellschaftliche Isolation kreierte Joris-Karl Huysmans (1884, 1955) mit der Hauptfigur seines Romans „A rebours“, Jean Floressas des Esseintes. Dieser versucht, aus dem sozialen Leben auszusteigen, und zieht sich in völlige Abgeschiedenheit zurück, an der er aber schließlich zugrundegeht. 38 Boulding (1970), S. 126. 39 Becker (1993), S. 386: „... [I]ndividuals maximize welfare as they conceive it“ (Hervorhebung im Original); Becker / Murphy (2000), S. 3 –5. 40 Posner (1972b, 2003), S. 3. 41 Unterscheidung nach Sen (1977, 1999), S. 91 ff. 37
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Stadt selbst depressiv wird. Echter Altruismus (commitment) liegt dagegen vor, wenn die Interessen anderer das eigene Wohlergehen nicht berühren. So engagiert sich beispielsweise die Person B genauso intensiv wie A, obwohl ihr persönliches Befinden nicht unter dem Gedanken an die Kinder leidet, sondern weil sie deren Lebensumstände schlicht für verbesserungswürdig hält. Diese Unterscheidung ist nur scheinbar heuristisch. Im Fall des unechten Altruismus ist das eigene Wohlbefinden des Handelnden von dem Nutzen derjenigen Person abhängig, die Nutznießer dieser Handlung ist (Nutzeninterdependenz). Der Einzelne handelt also (zumindest auch) deshalb im Interesse des Dritten, um seinen eigenen Nutzen zu steigern. 42 Daher kann diese Form des altruistischen Handelns als eigennützig im weiteren Sinne bezeichnet werden. Wenn in dem Beispielsfall der Nutzen der handelnden Person A stärker dadurch gesteigert wird, dass sie sich ehrenamtlich für die Rechte der Kinder einsetzt (Folge: Linderung der eigenen Depression ohne Vermögensmehrung), als wenn sie einer bezahlten Arbeit nachginge (Folge: Mehrung des eigenen Vermögens um den Arbeitslohn, aber psychische Leiden), wird sie die unentgeltliche Tätigkeit für sich als nützlicher einordnen als die entgeltliche. Sie verhält also rational-eigennützig, wenn sie ehrenamtlich hilft. 43 Bei einer Person, die aus echtem Altruismus heraus handelt, ist dies anders. Die Person B wählt eine Handlungsmöglichkeit unter mehreren aus (hier: das Engagement für die Kinder), obwohl sie darum weiß, dass diese ihr weniger persönlichen Nutzen bringen wird als eine andere (hier: Nachgehen einer bezahlten Beschäftigung). Unter rational-eigennützigen Motiven hätte sie sich für die bezahlte Beschäftigung entscheiden müssen. Denn die Wahl dieser Handlungsalternative ist zur Maximierung ihres persönlichen Nutzens besser geeignet als die ehrenamtliche Tätigkeit. Durch echtes altruistisches Handeln wird also diejenige Annahme des REM-Modells widerlegt, nach der immer ein Gleichklang zwischen der Entscheidung eines Einzelnen (personal choice) und der für ihn größten verfügbaren Nutzenmehrung (personal welfare) besteht. Das ökonomische Verhaltensmodell ist mithin nicht in der Lage, menschliches Verhalten im Bereich echten Altruismus zu erfassen und richtig vorherzusagen. Allerdings ist davon auszugehen, dass echter Altruismus in der modernen Gesellschaft wichtige Entscheidungen im Bereich privater Güter nicht zu beeinflussen vermag. 44 Nahezu unvorstellbar ist (echtes) altruistisches Verhalten bei 42
Zu der (schwierig zu beantwortenden) Frage, wenn jemand für einen Dritten handelt und dadurch zwar seinen eigenen Nutzen maximiert, die Steigerung des eigenen Nutzens aber nicht kausal für das Handeln war: Sen (1977, 1999), S. 92. 43 Umfassend: Posner (1998b), S. 1557 f. Ceteris paribus müsste sich ein homo oeconomicus auch dafür engagieren, einem anderen zu schaden, wenn er sich an dessen Leid erfreut. 44 Eher relevant werden kann echter Altruismus dagegen für Entscheidungen im Bereich von öffentlichen Gütern, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass entweder Nichtberechtigte wirksam vom Konsum ausgeschlossen werden können oder der Konsum nicht
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Entscheidungen von Unternehmen, von denen angenommen wird, dass sie eine Maximierung ihres Gewinns anstreben. Dass die Interessen anderer dann ausschlaggebend für eine Entscheidung sind, erscheint allenfalls dann möglich, wenn der Entscheidende selbst zwischen mehreren Handlungsalternativen indifferent ist. Solch eine Entscheidung verstößt aber wiederum nicht gegen rational-eigennützig aufgestellte Präferenzen. Soweit das klassische Modell des homo oeconomicus also davon ausgeht, dass der Mensch rational-eigennützige Entscheidungen trifft, können beide Axiome – wie gezeigt – gezielt angegriffen und teilweise sogar empirisch nachweisbar widerlegt werden. Diese Kritik berücksichtigend, ist das moderne ökonomische Verhaltensmodell insofern modifziert worden, als ihm nicht mehr die Annahme zugrunde liegt, dass der Mensch rein materiell orientiert ist. Stattdessen werden in die Bewertung prinzipiell alle Eigenschaften einbezogen, die mit einer bestehenden Handlungsalternative verbunden sind. 45 Dementsprechend liegt dem homo oeconomicus beileibe kein so materialistisch-absurdes Menschenbild zugrunde, wie dies teilweise Glauben gemacht werden soll. Insbesondere geht das Modell nicht davon aus, dass sich jedes Individuum in jedem einzelnen Fall rational-eigennützig verhält, sondern nur davon, dass dies in der überwiegenden Mehrheit der betrachteten Fälle so sein wird. Indem vereinzelte Verstöße gegen die Rationalität und die Eigennützigkeit der Entscheidungsfindung nachgewiesen werden, wird daher nicht das ökonomische Verhaltensmodell in toto in Frage gestellt, sondern nur punktuell auf mögliche Ungenauigkeiten und Inkorrektheiten in bestimmten Situationen hingewiesen. Aus methodischen Gründen ist es deshalb auch weiterhin tunlich, den handelnden Personen rational-eigennütziges Verhalten zu unterstellen.
II. Die Rolle von Regeln für den homo oeconomicus Der Spielraum des homo oeconomicus, innerhalb dessen er die für sich optimale Entscheidung zu treffen sucht, wird durch Handlungsrestriktionen begrenzt. Hierbei ist zwischen äußeren und inneren Handlungsrestriktionen zu unterscheiden: 46 Äußere Beschränkungen sind gesetzliche Vorschriften sowie gesellschaftliche Rerivalisiert (z. B. Straßen, Umwelt, aber auch Rechtssicherheit). Dazu: Sen (1977, 1999), S. 94 ff. 45 Zu den Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer Anpassung des Verhaltensmodells auf Grundlage des Behaviorismus im Einzelnen: Korobkin / Ulen (2000), S. 1053 ff., die insofern zwischen „thin models“ und „thick models“ unterscheiden. Eidenmüller (2005), S. 221 spricht davon, dass die „... ökonomische Theorie [...] damit vor der Herausforderung [steht], den homo oeconomicus im Lichte stabiler und relevanter Rationalitätsdefizite, die systemimmanent bisher nicht erklärbar sind, zu rekonstruieren.“ (Hervorhebung im Original). 46 Kirchgässner (1993), S. 183.
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geln, innere sind Entscheidungsregeln, die sich das Individuum selbst gibt. Da es diese nach seinem Dafürhalten verändern kann, sind für die Beleuchtung des Normverständnisses allein jene, die externen Beschränkungen, bedeutsam. 1. Der Einzelne sieht sich vor einer Entscheidung mit einem Wust vorgegebener Restriktionen konfrontiert. Zum einen gibt es gesellschaftlich anerkannte Normen, die bestimmte Verhaltensweisen fordern oder ablehnen (z. B. die Mülltrennung aus Gründen des Umweltschutzes oder das Abnehmen einer Kopfbedeckung beim Betreten einer Kirche aus Gründen der Pietät). Bei diesen gibt es jedoch keine Handhabe, diese gegenüber einem Unwilligen durchzusetzen. Eine derartige Vorschrift, gegen die verstoßen werden kann, ohne dass für diesen Verstoß eine Sanktion droht, „... steht für den homo oeconomicus im sprichwörtlichen Sinne ‚nur auf dem Papier‘.“ 47 Zum anderen werden Verhaltenspflichten durch Rechtsnormen aufgestellt, deren Übertretung durch die staatliche Gewalt sanktioniert wird. 48 Dadurch werden diese Reglementierungen für den homo oeconomicus zwar beachtlich; doch stellen sie keineswegs unumstößliche Grenzen seines Handelns dar: 49 Denn er beachtet Rechtsnormen nicht per se, weil er sie oder ihre Einhaltung sozialethisch für richtig hält. Sein einziges Ziel besteht darin, diejenige Handlungsalternative zu wählen, mit der er seinen persönlichen Nutzen maximieren kann. Er wird daher umfassend analysieren, ob sein Nutzen im Fall des rechtskonformen oder im Fall des rechtswidrigen Verhaltens größer ist. Unter diesen Blickwinkel prüft er, ob die Kosten, die ihm durch die Sanktion infolge der Nichtbeachtung einer Rechtsnorm entstehen würden, so hoch sind, dass der Rechtsbruch für ihn unwirtschaftlich und somit die Rechtseinhaltung vorzugswürdig ist. Die rechtlichen Sanktionen sind somit aus ökonomischer Sicht als Preis für die Wahl der Handlungsmöglichkeit anzusehen, die durch das Gesetz untersagt wird, wodurch sich die per Rechtsnorm sanktionierte Handlungsmöglichkeit verteuert. 50 Da nach dem Gesetz der Nachfrage bei Konstanz aller übrigen Faktoren und steigendem Preis die von den Verbrauchern nachgefragte Menge eines Gutes sinkt, 51 wird sich der homo oeconomicus in desto geringerem Maße rechtswidrig 47 Eidenmüller (1995, 2005), S. 34 (Hervorhebung im Original). In diesem Sinne auch schon Stigler (1970), S. 526: „All prescriptions of behavior for individuals require enforcement.“ Wenn jemand sich dennoch durch soziale Normen in seinem Handeln beeinflussen lässt, ist dies damit erklärbar, dass der Handelnde die (sozialen) Normen seiner Umgebung verinnerlicht hat. Übertritt er diese Normen, empfindet er Schande und / oder Schuld. Diese Empfindungen sind als eine Art Sanktion im weiteren Sinne anzusehen. Wenn der Handelnde sich entgegen seiner direkten Interessen einer sozialen Norm unterwirft, dann tut er dies, um die drohenden Sanktionen in Form von Schande und / oder Schuld abzuwenden. Daher handelt er auch in diesem Fall letztlich rationaleigennützig. Dazu: Cooter (1996), S. 1662. 48 Cooter / Ulen (2004), S. 3: „A law is an obligation backed by a state sanction.“ 49 Becker (1968), S. 169: „... [O]bedience to law is not taken for granted.“ 50 Kirchgässner (1993), S. 183 f.; Eidenmüller (1995, 2005), S. 35; Cooter / Ulen (2004), S. 3, 368 ff.
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verhalten, je weiter durch die Sanktion der Preis für das rechtswidrige Verhalten ansteigt. Sobald die ihm bei rechtmäßigem Verhalten entstehenden privaten Kosten die bei rechtswidrigem Verhalten unterschreiten, wird er sich, soweit das eine für das andere ein perfektes Substitut ist, rechtskonform verhalten. Inwieweit eine Rechtsnorm für den homo oeconomicus als Handlungsrestriktion bedeutsam ist, hängt dementsprechend maßgeblich von der Höhe des von ihm im Fall ihrer Übertretung zu zahlenden Preises ab. 2. Diese Arbeit befasst sich mit dem deliktischen Ersatz von Nichtvermögensschäden, also mit einer zivilrechtlichen Sanktion. Im Zivilrecht werden für die Übertretung von rechtlichen Handlungsge- oder -verboten nicht wie etwa im Strafrecht durch den Staat Strafen im klassischen Sinne verhängt, sondern es geht – vergröbernd gesprochen – um den Ersatz von Schäden, die unter gleichgeordneten Rechtssubjekten entstanden sind. Im vertraglichen Bereich haben die Vertragspartner die Möglichkeit, einen vollständigen Vertrag (perfect contract) zu schließen, in dem sie für jede Eventualität eine Regelung vorsehen können, d. h. jedes Risiko (z. B. die Unmöglichkeit der Leistung) kann interessengerecht gestreut und jede Ressource kann effizient allokiert werden. 52,53 Die vertragliche Gegenleistung – regelmäßig der Preis – ist von der vorgenommenen Verteilung der Risiken und Ressourcen abhängig: Je mehr Risiken die eine Seite zu tragen hat und je weniger Ressourcen sie erhält, desto teurer wird sie sich ihre vertraglich geschuldete Leistung bezahlen lassen und vice versa. Ein derart umfassender Vertrag ist definitionsgemäß lückenlos, sodass die Parteien nicht auf staatliche Hilfe angewiesen sind, die durch den Gesetzgeber in Gestalt einer subsidiär eingreifenden Rechtsordnung oder durch die Gerichte im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung oder der Feststellung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geleistet werden kann. Es ist allerdings evident, dass ein solcher vollständiger Vertrag in der Rechtswirklichkeit so gut wie nie abgeschlossen werden wird, weil die Vertragsverhandlungen viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden, im ökonomischen Sinne also die Transaktionskosten zu hoch sind. Aufgabe des Vertragsrechts ist es daher, unvollständige Verträge durch die Aufstellung von Standardregeln wie beispielsweise die §§ 280 ff., 434 ff. BGB zu ergänzen, die immer dann eingreifen, wenn die Parteien sich über bestimmte Punkte nicht geeinigt haben. Dadurch kann eine reibungslose Abwicklung von Vertragsverhältnissen gewährleistet werden. 51
Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 51. Dazu: Cooter / Ulen (2004), S. 217 f.; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 401 ff. 53 Effizienz ist im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums zu verstehen. Danach ist ein Zustand A gegenüber einem Zustand B vorzuziehen, wenn für mindestens eine beteiligte Person eine Verbesserung ihrer Situation eintritt und der Vorteil der Gewinner aus Zustand A so groß ist, dass sie die Verlierer (theoretisch) für deren Verlust kompensieren könnten. Umfassend dazu und zur Abgrenzung zum Pareto-Kriterium: Eidenmüller (1995, 2005), S. 47 ff. 52
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Im deliktischen Bereich – als Paradigma sei ein Unfall im Straßenverkehr genannt – existieren dagegen typischerweise keine vertraglichen Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem; zwischen beiden besteht vor dem Eintritt des schädigenden Ereignisses kein Schuldverhältnis. 54 Die beteiligten Parteien konnten deshalb die Risiken eines eintretenden Schadens nicht unter sich verteilen, sodass sich das Schädigungsrisiko im Marktpreis nicht widerspiegelt und auf dieser Ebene daher auch nicht vom Schädiger zu tragen ist. Solche Schäden, die außerhalb vertraglicher Beziehungen auftreten, werden in der Ökonomie als negative Externalität (negative externality) bezeichnet. 55 Konsequenz dessen ist, dass ein potentieller Schädiger keinerlei Aufwand zur Vermeidung von möglichen Schäden treffen wird – ihm droht ja kein Nachteil. Umgekehrt wird ein potentiell Geschädigter überoptimalen Aufwand betreiben müssen, um Schäden von sich fern zu halten, weil er nicht weiß, von wo ihm Schäden drohen, und weil er davon ausgehen muss, dass der Schädiger selbst keinerlei eigene Vorsichtsmaßnahmen ergreifen wird. 56 Dies soll an folgendem klassischen Beispiel verdeutlicht werden: 57 Eine Eisenbahnlinie führt an einem Getreidefeld eines Bauern vorbei. Durch den Funkenflug der (Dampf-)Lokomotive kommt es regelmäßig dazu, dass sich das auf dem Feld stehende Getreide entzündet. Der im Fall eines Feuers drohende Schaden auf dem Feld beläuft sich auf 150 Euro. Der Bauer kann diese Schadensgefahr dadurch vermeiden, dass er denjenigen Teil des Feldes, der an den Bahndamm grenzt, nicht bewirtschaftet; die Eisenbahngesellschaft kann sie durch Einsatz von Funkenfiltern vermeiden. Im Hinblick auf die Höhe des drohenden Schadens von 150 Euro in Variante 0 sind alle drei verfügbaren Möglichkeiten der Schadensvermeidung unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Die effiziente Lösung besteht im Einbau eines einfachen Filters und in der Einhaltung eines Sicherheitsabstandes durch den Bauern von 16 m (Variante 2), was die Gesamtkosten auf 75 Euro halbieren würde. Für die Eisenbahngesellschaft stellen aber sowohl der dem Bauern drohende Schaden von 150 Euro als auch der von diesem einzuhaltende Sicherheitsabstand externe Kosten dar. Sofern die Eisenbahngesellschaft also für den Brandschaden 54 Es soll hier keinesfalls in Frage gestellt werden, dass die deliktische Haftung – wenn ihre Voraussetzungen vorliegen – selbständig neben einer vertraglichen Haftung im Wege einer echten Anspruchskonkurrenz auch dann eingreift, wenn zwischen den Parteien ein Vertrag besteht und eine vertragliche Pflicht verletzt worden ist; dazu: BGH (Urt. v. 7. 03. 1996 – I ZR 68/94), NJW-RR 1996, 1121 (1122). 55 Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 839. 56 Posner (1972b, 2003), S. 192. 57 Dieser Beispielsfall aus dem England des frühen 20. Jahrhunderts stammt ursprünglich von Pigou (1932, 1962), S. 134. Er taucht in der Literatur zur ökonomischen Analyse des Rechts immer wieder – zur Verdeutlichung verschiedenster Probleme – auf. Vgl. nur Coase (1960), S. 29 –35; Posner (1972b, 2003), S. 173; Cooter (1989b), S. 1154 f. Ein ähnlicher Fall war auch tatsächlich in den fünfziger Jahren einmal Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem OLG Schleswig (Urt. v. 24. 04. 1952 – 1 U 232/51), NJW 1953, 106.
A. Die Rechtswirklichkeit aus der Sicht des homo oeconomicus Var. 0: Kein Filter und kein Abstand vom Gleis
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Var. 1: Kein Filter und 80 m Abstand vom Gleis
Var. 2: Einfacher Filter und 16 m Abstand vom Gleis
0 Euro
0 Euro
50 Euro
Kosten des Bauern
150 Euro
125 Euro
25 Euro
0 Euro
Gesamtkosten
150 Euro
125 Euro
75 Euro
100 Euro
Kosten der Bahn
Var. 3: Doppelter Filter und kein Abstand vom Gleis 100 Euro
Abbildung 1
nicht haften muss, wird sie, um ihre privaten Kosten zu minimieren, keinen Filter einbauen. Der Bauer hingegen wird, um sein Feld vor einem Feuer zu bewahren und seine privaten Kosten auf das mögliche Maß zu senken, einen 80 m breiten Sicherheitsabstand zum Bahndamm lassen, was ihm Kosten in Höhe von 125 Euro verursacht (Variante 1). Die Aufgabe, die hier dem Deliktsrecht zufällt, besteht darin, negative Einflussfaktoren zu neutralisieren und in den Dienst des Rechts zu stellen. Aus ökonomischer Sicht lässt sich dieser Leitgedanke dadurch verwirklichen, dass die gesamten sozialen Kosten eines Verhaltens bei derjenigen Person internalisiert werden, die für die Entstehung dieser Kosten verantwortlich ist. 58 Juristisch kann dieses Ziel der Kosteninternalisierung realisiert werden, indem der Schadensverursacher verpflichtet wird, dem Geschädigten dessen Schaden umfassend zu ersetzen. Durch diese Ersatzpflicht werden die vom Schädiger bei einer anderen Person verursachten Kosten zu seinen privaten. Die maßgeblichen Verhaltensanreize gehen also im Bereich der außervertraglichen Haftung unmittelbar und ausschließlich von der gesetzlichen Regelung aus, denn die an der Schädigung beteiligten Personen sind hier wegen prohibitiv hoher Transaktionskosten regelmäßig nicht in der Lage, durch Verhandlungen das gesetzlich statuierte Haftungsregime zu verändern. Durch die gesetzlichen Haftungstatbestände (wie z. B. §§ 823 ff. BGB) wird gleichsam eine Regelung oktroyiert, welche die Beteiligten getroffen haben könnten (und im Optimalfall aus wirtschaftlicher Sicht auch hätten tref58 Der Ansatz der Kosteninternalisierung und die diesem vorgelagerte Unterscheidung zwischen privaten und sozialen Kosten gehen zurück auf Arthur C. Pigou (1932, 1962), S. 134 f.: „... [W]e have to distinguish precisely between the two varieties of marginal net product, which I have named respectively social and private. The marginal social net product is the total net product of physical things or objective services due to the marginal increment of resources in any given use or place, no matter to whom any part of this product may accrue. [...] The marginal private net product is that part of the total net product of physical things or objective services due to the marginal increment of resources in any given use or place which accrues in the first instance – i.e. prior to sale – to the person responsible for investing resources there. In some conditions this is equal to, in some it is greater than, in other it is less than the marginal social net product.“ (Hervorhebungen im Original).
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fen sollen), wenn sie im Vorhinein Gelegenheit gehabt hätten, eine individuelle Risikoverteilung – wie bei einem vollkommenen Vertrag – auszuhandeln: „The economic essence of tort law is its use of liability to internalize externalities created by high transaction costs.“ 59 Ein potentieller Schädiger muss in dieser Konstellation mit privaten Ersatzkosten rechnen, deren Höhe sich aus dem Produkt des zu erwartenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts ergibt. Der homo oeconomicus wird auf diese Weise incentiviert, vorsichtiger im Umgang mit Dritten zu sein, um zu verhindern, dass seine privaten Kosten durch die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz ansteigen. Effizient ist das Deliktsrecht dann, wenn es beide Beteiligten induziert, die gesamtgesellschaftlich optimale Lösung zu wählen. Im Beispielsfall kann dies etwa dadurch erreicht werden, dass eine Haftung der Eisenbahngesellschaft dann eingreift, wenn sie dasjenige Maß an Sorgfalt nicht erbracht hat, das die effiziente Schadensvorsorge erfordert. Sie müsste demnach dann für den Brandschaden haften, wenn sie keinen einfachen Funkenfilter (Vorsorgekosten von 50 Euro) eingebaut hat. Sobald sie allerdings dieser Anforderung genügt, muss sie von einer Haftung freigestellt sein. Auch der Bauer hat in diesem Fall einen Anreiz, einen Brand auf seinem Feld zu vermeiden, weil er einen entstehenden Schaden nicht ersetzt bekommen würde. Er wird daher seinerseits den optimalen Abstand von 16 m zum Bahndamm einhalten. Der unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten unerwünschte Eintritt des Brandschadens wird daher vermieden, obwohl (oder richtiger: gerade weil) sich sowohl der potentielle Schädiger als auch der potentielle Geschädigte rational-eigennützig verhalten.
III. Zwischenergebnis Demnach ist festzuhalten: Die Sanktion für die Verletzung einer rechtlichen Norm muss aus ökonomischer Sicht so hoch sein, dass der homo oeconomicus sein Ziel, seinen persönlichen Nutzen zu maximieren, nicht durch Wahl einer Handlungsmöglichkeit erreicht, die das geltende Recht verletzt. Die Kosten, die ihm infolge seines rechtsverletzenden Handelns entstehen, müssen den Nutzen übersteigen, den er aus der Rechtsverletzung ziehen könnte – der Rechtsbruch ist dann schlicht zu teuer. Wie eine solche Kosteninternalisierung über das Haftungsrecht im Einzelnen erfolgen kann, wird in Teil 2 ausführlich erörtert werden.
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Cooter / Ulen (2004), S. 310.
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden
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B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden „Cum pro eo, quod interest, dubitationes antiquae in infinitum productae sunt.“ 60 Iustinian
Um der Forderung nach umfassender Kosteninternalisierung gerecht zu werden, ist es im Rahmen des Schadensrechts erforderlich, den verursachten Schaden zu verteilen. Aus ökonomischer Sicht ist es dabei unerheblich, ob es sich dabei um einen Vermögens- oder einen Nichtvermögensschaden handelt; Schaden ist gleich Schaden. Allerdings stellt die ökonomische Analyse des Rechts einzig eine Methode der Rechtsanwendung de lege lata und der Rechtssetzung de lege ferenda dar. Sie kann – und will – juristische Begriffe nicht eigens bestimmen. 61 Stattdessen greift sie auf die dem zu analysierenden Recht zugrunde liegenden Begriffsbestimmungen zurück. Da nach der Aufgabenstellung allein der Teilbereich der Nichtvermögensschäden untersucht wird, ist der Begriff des Nichtvermögensschadens auf Grundlage des geltenden Rechts von dem des Vermögensschadens abzugrenzen. Dabei ist – wie während der gesamten Analyse – die Rechtslage zugrunde zu legen, so wie sich derzeit nach Gesetz und obergerichtlicher Rechtsprechung darstellt. Die gesetzliche Regelung der §§ 249 bis 255 BGB spaltet den einheitlichen Oberbegriff „Schaden“ in den Vermögensschaden (materieller Schaden) einerseits und in den Nichtvermögensschaden (immaterieller Schaden, ideeller Schaden) andererseits auf. Dabei statuiert das allgemeine Schadensrecht lediglich, auf welche Weise ein Schaden zu ersetzen ist; eine Definition des Begriffs „Schaden“ fehlt. Der historische Gesetzgeber war der Auffassung, dass das Gesetz den Begriff des Schadens nicht für alle erdenklichen Fälle im Voraus festlegen könne, ohne sich in einer unbefriedigenden, weil unübersehbaren Kasuistik zu verlieren. 62 Zwar ist anderen Rechtsordnungen eine Legaldefinition keineswegs fremd. So legt etwa § 1293 des österreichischen ABGB fest: „Schade heißt jeder Nachteil, welcher jemandem an Vermögen, Recht oder seiner Person zugefügt worden ist.“ In ähnlicher Weise bestimmte das Allgemeine Preußische Landrecht (Teil 1, Titel 6, § 1): „Schade heißt jede Verschlimmerung des Zustandes eines Menschen, in Ansehung seines Körpers, seiner Freiheit, oder Ehre, oder seines Vermögens.“ Die Verfasser des BGB gingen jedoch davon aus, dass sich die Praxis, ohne durch eine gesetzliche Definition eingeengt zu sein, auch weiterhin im Einzelfall 60 61 62
Iustianian, in: Corpus Iuris Civilis, C. 7, 47, 1. Schiemann (1981), S. 181. Motive II (1888), S. 19.
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Teil 1: Grundlagen
zurechtfinden werde und solle. 63 Aus den Anhaltspunkten, die die Systematik der §§ 249 ff. BGB bietet, lässt sich durchaus ein dem BGB zugrundeliegender Schadensbegriff rekonstruieren: Ein Schaden ist ein Nachteil, den jemand an seinen geschützten Gütern erleidet, unabhängig davon, ob diese zum Vermögen zählen oder nicht. 64 Allerdings spiegelt diese Definition letztlich nur die gesetzlich angelegte Dichotomie zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden wider und ist ohne Unterdefinition dieser Begriffe nicht subsumtionsfähig. 65 63
Motive II (1888), S. 19. Hirsch (1969), S. 313 meint dazu: „Gerade § 847 BGB bildet eine Domäne des sog. Richterrechts. Reformideen, die hier abweichend vom Gesetz ständige Rechtsprechung geworden sind, werden als geltendes ‚Richterrecht‘ für sakrosankt betrachtet.“ 64 Ähnliche Definitionen finden sich beispielsweise bei Deutsch (1976), S. 11 – 13 und Hohloch (1981), S. 416. 65 Nahezu alle europäischen Rechtsordnungen und solche, die von diesen abstammen, kennen die Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden; einen umfassenden Überblick dazu gibt: Stoll (1964), S. 61 ff. Trotzdem nimmt das deutsche Recht insoweit eine Sonderstellung ein, als die Ersatzfähigkeit eines Schadens maßgeblich von dieser Einordnung abhängt. In anderen Rechtsordnungen knüpfen sich zwar durchaus Konsequenzen materieller oder prozessualer Art an diese Unterteilung. Die grundlegende Frage der Ersatzfähigkeit wird dort aber nicht von dieser begrifflichen Trennung abhängig gemacht. Aus diesem Grund kommt der Unterscheidung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden allein im deutschen Recht eine derart einschneidende Bedeutung zu, sodass die genaue Abgrenzung auch entsprechend stark umstritten ist. In diesem Sinne auch schon: Fischer (1903), S. 3 f.; Heck (1929), S. 56 – 58. So spricht Art. 1382 des französischen Code Civil allein von „dommage“. Dieser Begriff umfasst in seiner Allgemeinheit sowohl den Vermögensschaden (dommage matériel) als auch den Nichtvermögensschaden (dommage moral). Es besteht hier also keine gesetzliche Beschränkung, Nichtvermögensschäden in Geld zu ersetzen. Nichtvermögensschäden können deshalb grundsätzlich genauso wie Vermögensschäden en nature (Naturalrestitution) oder en argent (Geldersatz) ersetzt werden. Eine ständige Erweiterung des Vermögensschadensbegriffs wie im deutschen Recht ist nicht notwendig. Als dommage matériel werden dementsprechend nur solche Positionen anerkannt, die im Verkehr tatsächlich als geldwert angesehen werden. Allerdings steht der Ersatz eines dommage moral – im Gegensatz zum Ersatz eines dommage matériel – weitgehend im Ermessen des Richters. Dieser Unterschied ergibt sich aus den nach dem Prozessrecht zu wählenden Klagearten: Ersatz für dommage matériel ist im Wege einer action civile, Ersatz für dommage moral hingegen im Wege einer action en réparation du préjudice moral zu suchen (Malaurie / Aynès [1997], S. 145 ff.). Auch das englische Recht kennt die Unterteilung des Schadensbegriffs in „pecuniary loss“ und „non-pecuniary loss“. Aus der historischen Trennung zwischen common law und equity resultiert, dass Schäden in der Regel in Geld (damages) ersetzt werden und die Naturalrestitution (specific enforcement) als equitable relief nur ausnahmsweise gewährt wird, wenn damages inadäquat sind. Pecuniary loss ist der Schaden, der mathematisch bestimmbar (d. h. in Geld messbar) ist, und wird umfassend ersetzt. Non-pecuniary loss hingegen wird mit Sicherheit nur in festumrissenen Fallgruppen (sog. „permissable headings“) ersetzt, wie z. B. „pain and suffering“ oder „loss of amenities”. Außerhalb dieser Fallgruppen gibt es aber – der Tradition des common law entsprechend – keine absolute Ersatzsperre kraft Gesetzes, wie sie § 253 Abs. 1 BGB statuiert. Vielmehr obliegt es den Gerichten, Ersatz für non-pecuniary loss auch außerhalb dieser Fallgruppen zuzusprechen,
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden
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Die Rechtslage im 19. Jahrhundert war maßgeblich von den Entwicklungen des Pandektismus geprägt, unter dessen – gerade im Schuldrecht – unverkennbarem Einfluss das Bürgerliche Gesetzbuch geschaffen wurde. Der Gesetzgeber des BGB lehnte sich daher bewusst an den Schadensbegriff des gemeinen Rechts an, der bis zum Inkrafttreten des BGB gegolten hatte. 66 Schon vor der umfassenden Kodifizierung des gesamtdeutschen Zivilrechts im BGB hatte Friederich Mommsen 1855 die Monographie „Zur Lehre von dem Interesse“ verfasst und darin das bisher bestehende, stark zersplitterte Schadensrecht des gemeinen Rechts vereinheitlicht. Das Interesse definierte Mommsen als „die Differenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie derselbe in einem gegebenen Zeitpunkt ist, und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkte haben würde.“ 67 Dieses Interesse könne im Einzelfall sowohl daraus entstehen, dass das bestehende Vermögen verringert werde (effektiver Geldabfluss, positiver Schaden, damnum emergens), als auch daraus, dass eine Vergrößerung des Vermögens verhindert werde (verhinderter Geldzufluss, entgangener Gewinn, lucrum cessans). 68 Das so ermittelte Interesse sei dann im Rahmen eines vollständigen Schadensersatzes zu ersetzen. 69 Problemlos ist diese Differenzhypothese 70 auf den Ersatz von Vermögensschäden anwendbar. Anders verhält es sich jedoch, wenn ein Nichtvermögensschaden zu ersetzen ist. Klassische Nichtvermögensschäden wie körperlicher Schmerz, soweit sie dies für angemessen und rechtspolitisch wünschenswert erachten (Markesinis / Deakin [1996], S. 719 – 722; Burrows, in: Birks [2000], S. 846 –851 [18.99 ff.]). Für das österreichische Recht wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Ein Überblick über das Recht der Staaten der USA würde den Rahmen dieser Anmerkung sprengen. 66 Motive II (1888), S. 18; Isele (1949), S. 4; Windscheid (1906, 1963), Band 1, S. 31 (§ 6b): „Auch das BGB. knüpft, wie jede Kodifikation, an das bisherige Recht an und lehnt sich in sehr vielen Beziehungen an das Pandektenrecht. Das Verständnis des BGB wird sich nur dem erschließen, der im Besitz der Errungenschaften der bisherigen gemeinrechtlichen Wissenschaft ist.“ 67 Mommsen (1855), S. 3. 68 Mommsen (1855), S. 11, 134. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Schadensarten ist für das geltende Recht praktisch ohne Bedeutung. Sie beruht auf historischen Gründen, da ältere Kodifikationen den entgangenen Gewinn teilweise überhaupt nicht oder nur unter anderen Voraussetzungen als den positiven Schaden für ersatzfähig erklärten (Motive II [1888], S. 17 f.). Bekannt und relevant war diese Differenzierung beispielsweise schon im römischen Recht (dazu: Medicus [1962], S. 308 f.). Auch das österreichische ABGB trifft in § 1323 eine solche Differenzierung zwischen verursachtem Schaden (damnum emergens) und voller Genugtuung (lucrum cessans). So kann der Geschädigte die volle Genugtuung nur im Fall eines aus böser Absicht oder aus einer auffallenden Sorglosigkeit verursachten Schadens verlangen (§ 1324 S. 1 ABGB). In der Nachfolge Mommsens wollte das BGB diese Unterscheidung jedoch gerade überwinden, weil sich eine genaue Grenze tatsächlich nur schwer ziehen lässt. 69 Mommsen (1855), S. 27, 59 ff. 70 Dieser Begriff geht zurück auf: Heck (1929), S. 37.
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Teil 1: Grundlagen
Ärger oder Verdruss tauchen in keiner Vermögensbilanz auf, weil sie nicht als ein mit einer konkreten Summe bezifferbarer Posten bilanziert werden können. Wenn ein Schädiger beispielsweise dem Geschädigten körperliche Schmerzen erheblicher Art zufügt, entsteht dadurch keine Differenz zwischen der Vermögensbilanz des Geschädigten vor dem Erleiden der Schmerzen und der nach dem Erleiden der Schmerzen. Die Berechnung über die Differenzhypothese, an die sich die Verfasser des BGB anlehnten, kann also Nichtvermögensschäden definitionsgemäß nicht erfassen. Dafür kann zwar ihrem „Erfinder“ Mommsen kein Vorwurf gemacht werden, denn er ging – in der Tradition des römischen und des gemeinen Rechts 71 – davon aus, dass ein Schaden, der kein Vermögensschaden ist, nicht ersatzfähig sei und Nichtvermögensschäden somit bei der Schadensberechnung unberücksichtigt zu bleiben haben. 72 Das ändert aber nichts daran, dass § 253 Abs. 1 BGB Nichtvermögensschäden – wenn auch nur ausnahmsweise – für ersatzfähig erklärt und dieser Begriff daher definiert werden muss. Eben aus § 253 Abs. 1 BGB selbst ergibt sich aber der entscheidende Ansatzpunkt für seine Begriffsbestimmung, nämlich dass das Gesetz einen solchen Schaden als Nichtvermögensschaden ansieht, „der nicht Vermögensschaden ist“. Auch wenn diese Feststellung tautologisch zu sein scheint, führt sie aber immerhin zu dem Schluss, dass der Begriff des Nichtvermögensschadens antithetisch vom Vermögensschaden abgegrenzt werden muss und somit untrennbar mit der Konkretisierung Begriffs „Vermögensschaden“ verbunden ist.
I. Streitende Lehren zum Begriff des Vermögensschadens Um die Definition des Vermögensschadens entbrannte alsbald nach Inkrafttreten des BGB in der Wissenschaft ein Streit, der von zwei sich grundsätzlich gegenüberstehenden Lehren geprägt war. 1. Natürlicher (faktischer) Begriff Hans Albrecht Fischer sah den Vermögensschaden – in Anlehnung an den allgemeinen Sprachgebrauch – als eine tatsächliche Minderung des Vermögens 71
Motive II (1888), S. 799. Digesten (D.) 9, 3, 7 (Gaius): „liberum corpus nullam recipit aestimationem“; Windscheid (1906, 1963), Band 2, S. 55 (§ 257): „Zur Leistung von Interesse verpflichtet sein heißt: verpflichtet sein zum Ersatz des Nachteils, welcher in der Vermögenslage einer Person [...] eingetreten ist ...“ (meine Hervorhebung); S. 55 Fn. 3 (§ 257): „Ein Forderungsrecht auf Ersatz eines andern als Vermögensnachteiles ist weder undenkbar, noch durch das positive R. an und für sich ausgeschlossen. Aber jedenfalls sind Forderungsrechte dieser Art von verschwindender praktischer Bedeutung, und die juristische Lehre vom Interesse ist ausgebildet lediglich als Lehre vom Vermögensinteresse.“ (meine Hervorhebung; Verweise weggelassen). 72 Mommsen (1855), S. 122, 133 f.
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden
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an. 73 Auch den Begriff des Vermögens wollte Fischer tatsächlich verstanden wissen, weil ein juristischer Vermögensbegriff lediglich Rechte umfasse und dieser undifferenzierte Begriff „Recht“ nicht das faktische Moment der Genussfähigkeit erfassen könne, das für den Inhaber eines Gutes gerade dessen Wert ausmache. 74 Das Vermögen bestimme sich daher nach ökonomischen Gesichtspunkten: Vermögen sei die Gesamtheit der in der Verfügungsgewalt eines Rechtssubjekts stehenden wirtschaftlich wertvollen Güter, d. h. aller Güter, deren Wert sich in Geld messen lasse. 75 Durch Addition aller dieser wirtschaftlich wertvollen Güter lasse sich dann der konkrete Wert des Vermögens errechnen. 76 Für das Vorliegen eines Vermögensschadens müsse es zu einer Minderung des so ermittelten Vermögens gekommen sein, die mit Hilfe der Differenzhypothese bestimmt werden könne: 77 Ergibt sich aus dem Vergleich des Vermögenswertes vor dem schädigenden Ereignis mit dem nach dem schädigenden Ereignis ein negativer Gesamtsaldo, bestehe ein Vermögensschaden, den der Schädiger im Rahmen des von ihm geschuldeten Schadensersatzes dann auszugleichen habe. Resultiert aus dem Vergleich dagegen kein negativer Gesamtsaldo, habe sich das Vermögen lediglich in seiner Zusammensetzung geändert; es liege kein Schaden vor. Dieser Schadensbegriff ist dem Menschen zwar nicht von der Natur zwangsläufig vorgegeben. Er ist aber insofern „natürlich“, als dieser Begriff des Schadens aus der sozialen Realität – und somit aus einem außerrechtlichen Bereich – übernommen und kein gesonderter rechtlicher Schadensbegriff geprägt wird. Diesem Ansatz hielt Robert Neuner entgegen, dass es durchaus Fälle gebe, in denen zwar nach der Differenzhypothese kein negativer Saldo bestehe, weil dieser etwa durch eine Leistung eines Dritten ausgeglichen worden ist, aber dennoch ein Ersatzanspruch gegen den Schuldner gewährt werden müsse, weil die Kompensation des Dritten gegenüber dem Schuldner des Ersatzanspruchs außer Betracht zu bleiben habe. 78 Ein Beispiel dafür ist die Beschädigung einer Sache eines Kindes: Wenn ein Schädiger schuldhaft die einzige Winterjacke eines Kindes irreparabel beschädigt, hat das Kind hat einen Anspruch auf Ersatz der Jacke gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB. Gleichzeitig hat es aber auch aus §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen seine Eltern, dass diese sich um angemessene Bekleidung kümmern, mit der das Kind gesund durch den Winter kommt. Kommen die Eltern nun ihrer Pflicht nach, erhält das Kind von ihnen eine neue Jacke, sodass bei strikter Anwendung der Differenzhypothese das Kind keinen negativen Vermögenssaldo mehr hat, den es gegenüber dem Schädiger geltend 73 74 75 76 77 78
Fischer (1903), S. 26. Fischer (1903), S. 14 f. Fischer (1903), S. 12. Fischer (1903), S. 16, 20 f. Fischer (1903), S. 21. Neuner (1931), S. 279 f.
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machen könnte. Es ist also denkbar, dass ein ersatzfähiger Vermögensschaden an einem konkreten Objekt eintritt, ohne dass sich die Gesamtvermögensbilanz negativ verändert. 2. Normativer Begriff Ausgehend von diesen Defiziten des natürlichen Schadensbegriffs entwickelte sich eine Lehre, die den Inhalt des Begriffs „Schaden“ – unter einer mehr oder weniger weitgehenden Verdrängung seines bisherigen natürlichen Inhalts – im Wege normativer Betrachtung neu festzulegen suchte. a) Zurückgehend auf die schon früh von Hans Walsmann 79 und Paul Oertmann 80 geäußerte Kritik wollte Robert Neuner den Schaden nicht als abstrakte Differenz im Gesamtvermögen verstanden wissen, sondern als Verletzung eines spezifischen Vermögensinteresses, d. h. als konkrete Einbuße an einem bestimmten Gut, das im Verkehr gegen Geld erworben werden könne und das als Bestandteil des Vermögens eigenständig und objektiv zu bewerten sei. 81 Der Schadensersatzanspruch trete nach seinem Sinn und Zweck an die Stelle des Anspruchs, der seinerseits unmittelbar aus einem Recht erwachsen sei (Rechtsverfolgungsfunktion). 82 Wird also ein Recht beeinträchtigt – wie das Eigentum des Kindes an der Jacke im Beispielsfall –, bleibt diese Verletzung auch dann nicht sanktionslos, wenn die Eltern dem geschädigten Kind eine neue Jacke kaufen. Darüber hinaus solle es jedoch dem Gläubiger frei stehen nachzuweisen, dass sein persönlicher Schaden größer sei als dieser objektive Wert. Für diesen Nachweis stehe dem Geschädigten dann die Berechnung über Differenzhypothese offen. 83 Der objektive Vermögensschaden sei deshalb nur der jedenfalls zu ersetzende (Mindest-)Schaden, im Einzelfall sei der Ersatz eines höheren subjektiven Schadens möglich. Das Recht bestimme folglich – abseits des natürlichen (subjektiven) Schadens – den gemeinen Wert einer Sache, der sich nach dem Aufwand bemesse, der für das betreffende Gut vernünftigerweise angemessen sei – eben den objektiven Wert. 84 Dieser gemeine Wert ist aber keine real existierende Größe, selbst wenn – wie Neuner selbst konstatiert – dieser Wert häufig dem Marktpreis entsprechen dürfte. 85 Er ist vielmehr ein vom Recht zum Zweck der Schadensbezifferung am Maßstab der Angemessenheit erst zu erschaffenes Kunstgebilde. 86 79 80 81 82 83 84 85 86
Walsmann (1900), S. 10 f. Oertmann (1901), S. 7. Neuner (1931), S. 290. Neuner (1931), S. 291. Neuner (1931), S. 296. Neuner (1931), S. 306 f. Neuner (1931), S. 307. Mertens (1967), S. 55.
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden
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b) Ausgangspunkt der Überlegungen Walter Selbs war die gerechte Lastenverteilung im Mehrpersonenverhältnis – als Paradigma diene auch hier wieder der Fall des geschädigten Kindes. Er kam zu dem Schluss, dass ein Schaden im Regelfall zunächst nicht mehr vom Schädiger selbst getragen werde, sondern von demjenigen, dem die soziale Last obliege (z. B. von Versicherungen, Arbeitgebern oder wie im Beispielsfall von den unterhaltsverpflichteten Eltern). 87 Um den Schaden aber nicht endgültig bei der Allgemeinheit zu belassen, dürfe dieser nicht mehr naturalistisch als reale Differenz im Vermögen des Geschädigten bestimmt werden, sondern es müsse die normative Schadensberechnung zum methodischen Grundsatz erhoben werden. 88 Grundlage dessen sei, dass es in der gesamten Rechtsordnung keine Aussage gebe, die nicht normativ zu verstehen sei. 89 Daher sei auch der Begriff des Schadens in einem umfassenden Sinne normativ aufzufassen, was erforderlich sei, um den Schadensbegriff „... aus einer naturalistischen Betrachtungsweise zu befreien und ihn den Zwecken der Haftungsnormen besser dienstbar zu machen.“ 90 Unter diesem Gesichtspunkt der Normativität sei es dem Schädiger als demjenigen, der dem Schaden am nächsten steht, zu verwehren, sich auf den durch einen Dritten geleisteten Ausgleich zu berufen. 91 Allerdings stellte Selb selbst wenig später klar, dass allein mit der Aussage, der Schadensbegriff sei ausschließlich normativ zu bestimmen, noch kein positiver Gegenbegriff zum – vermeintlich überkommenen – natürlichen Schadensbegriff geschaffen worden ist. 92 Dieser Ansatz wendet sich allein gegen die naturalistische Auffassung, der Schaden sei ein „dem Recht vorgegebener Begriff aus dem Rechenbuch“. 93 Wenn aber dem normativen Schadensbegriff keine begrifflichen Wertungen zu entnehmen sind, wird letztlich über diese „Leerformel“ 94 – gleichsam als deus ex machina – ein Schaden überall dort fingiert, wo 87 Selb (1963), S. 49. Weitnauer (1963), S. 109 äußert sich ähnlich: „Bei gesetzlichen Regelungen im Schadensersatzrecht [...] muß man stets auch berücksichtigen, daß es hier um mehr als die Lösung eines Konflikts zwischen zwei Individuen, daß es vielmehr um ein soziales Ereignis geht, ja daß man beinahe jeden Haftpflichtfall als so etwas wie eine soziale Krankheit ansehen kann.“ (Hervorhebung im Original). 88 Selb (1963), S. 52. 89 Selb (1973), S. 366. 90 Selb (1963), S. 11. 91 Selb (1963), S. 18, 50 f. 92 Selb (1964), S. 39; Selb (1973), S. 367 spricht von seinem Versuch, einen allumfassenden Schadensbegriff für das BGB aufzustellen, gar als „Jugendsünde“. 93 Selb (1973), S. 366. 94 Hagen (1969), S. 64 meint für den Fall der Normativierung: „Der Schadensbegriff erstarrt dann zu einer leeren Hülse ohne eigenständigen Aussagegehalt; er wird zu einer Leerformel, die jeweils erst durch rechtliche Wertungen ad hoc auszufüllen und damit als Tatbestandsmerkmal weitgehend funktionsuntüchtig ist.“ (Nachweis weggelassen). Keuk (1972), S. 42 spricht vom normativen Schaden als einer „beliebig ausfüllbare[n] Leerformel“; Medicus (1979), S. 236 sieht als Folge einer Normativierung des Schadens die Gefahr,
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dessen Ersatzfähigkeit für richtig gehalten wird. 95 Denn „normativ“ bedeutet nach seinem Wortsinn nicht mehr, als dass der Begriff des Schadens durch rechtliche Wertungen geprägt oder beeinflusst ist. 96 3. Ausbildung des dualistischen Schadensbegriffs 97 Aus dieser Diskussion heraus hat sich der Konsens gebildet, dass einerseits der natürliche Schadensbegriff in bestimmten Situationen unter normativen Gesichtspunkten eingeschränkt werden muss (z. B. Versagung einer Vorteilsanrechnung), 98 dass andererseits aber ein vom natürlichen Schadensbegriff vollkommen abgelöster normativer Schadensbegriff nicht in der Lage ist, verlässliche und nicht willkürlich anmutende Ergebnisse zu liefern. 99 Trotzdem ist es bis heute nicht gelungen, einen einheitlichen und unwidersprochenen Begriff des Schadens zu definieren. 100 In Abhängigkeit von der durch die Autoren jeweils eingenommene Grundposition finden sich unzählige Ansätze zur Annäherung, die teilweise von der naturalistischen Seite und teilweise von der normativen Seite aus vorgenommen wird. Es besteht aber weitgehend Einigkeit darüber, dass im Ergebnis von einem natürlichen Schadensbegriff auszugehen ist. Dieser wird durch die normative Lehre dort ergänzt, wo die natürliche Betrachtung einen „blinden Fleck“ 101 hat, d. h. wo mit der Differenzhypothese ein fassbarer Schaden nicht ermittelt werden kann und dieses Ergebnis anderen Wertentscheidungen der Rechtsordnung oder Billigkeitserwägungen nicht entspricht. Die Differenzmethode ist mithin „norma-
„... das Schadensersatzrecht zu einem konturlosen Billigkeitsrecht [zu] denaturieren“; Lange / Schiemann (2003), S. 39 f. vergleichen denjenigen, der den normativen Schadensbegriff schlagwortartig gebrauche, mit „Münchhausen, der sich selbst mit dem Schopfe aus dem Sumpf zieht“. 95 Mertens (1967), S. 89. 96 Im Hinblick darauf revidierte Selb (1964), S. 19 seine Ansicht auch dahingehend, dass grundsätzlich an der Differenzhypothese festzuhalten sei; ob konkrete Schadensposten oder Ausgleichszahlungen im Rahmen der vorzunehmenden Saldierung zu berücksichtigen seien, sei dann jedoch normativ zu bewerten. 97 Zu diesem Begriff hat Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 249, Rdnr. 22 treffend angemerkt, dass allein mit dieser Etikettierung für das lösungsbedürftige Sachproblem noch nichts gewonnen sei. Es kommt vielmehr darauf an, wie der Kompromiss im Einzelnen ausgestaltet wird. Bei dessen inhaltlicher Ausbildung vermag diese plakative Bezeichnung keine Hilfe zu leisten. 98 Mertens (1967), S. 85 f.; Lange / Schiemann (2003), S. 38. 99 Larenz (1987), S. 426, Fn. 12 a.E. 100 Übersichten zu den unzähligen Begriffsdefinitionen des Schadens finden sich beispielsweise bei Mertens (1967), S. 23 – 87 oder bei Magnus (1987), S. 11 –19. 101 Ott / H.-B. Schäfer (1986), S. 621. Steffen (1995), S. 2058 spricht von „schwarze[n] Löcher[n], in deren Sog Schadenspositionen verschwinden“.
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tiv eingebunden“ 102. Der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs fasste den für ihn maßgeblichen Kompromiss folgendermaßen zusammen: „Zwar drückt sich ein Vermögensschaden in der Differenzbilanz stets als Minderung von Aktiv- oder Vermehrung von Passivposten aus; es ist aber Aufgabe rechtlicher Bewertung, die Parameter der Bilanz für den Zweck des Schadensausgleichs mit festzulegen.“ 103
Solche wertenden Korrekturen nimmt der Bundesgerichtshof zum einen in Fällen vor, in denen Leistungen Dritter an den Geschädigten dem Schädiger nicht zugute kommen sollen (etwa Leistungen aus Systemen kollektiver Sicherung, insbesondere Versicherungen) 104, zum anderen bei der Verletzung von Positionen, die ohne wertende Korrektur nicht ersatzfähige Nichtvermögensschäden wären und die durch die Korrektur in den Bereich der – umfassend zu ersetzenden – Vermögensschäden gezogen werden (wie beispielsweise häusliche Arbeit 105 oder Sachnutzungen 106).
II. Kriterien des Vermögensschadens Aus diesem von der Mehrheit getragenen Begriff des Vermögensschadens sind nun die konstituierenden Merkmale herauszuarbeiten, die einen Schaden bei ihrem Vorliegen zu einem Vermögensschaden machen und – entsprechend der Negativdefinition des § 253 Abs. 1 BGB – bei ihrem Nichtvorliegen zu einem Nichtvermögensschaden. Die so ermittelten Kriterien sind dann daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der ratio legis des § 253 Abs. 1 BGB übereinstimmen.
102
BGH (Beschl. v. 9. 06. 1986 – GSZ 1/86), BGHZ 98, 212 (217). BGH (Beschl. v. 9. 06. 1986 – GSZ 1/86), BGHZ 98, 212 (217 f.). 104 BGH (Urt. v. 19. 11. 1955 – VI ZR 214/54), BGHZ 19, 94 (99 f.); BGH (Urt. v. 17. 10. 1957 – II ZR 161/56), BGHZ 25, 322 (327 f.); zur Übersicht: Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 249, Rdnr. 221 – 232. 105 BGH (Beschl. v. 9. 07. 1968 – GSZ 2/67), BGHZ 50, 304 (305 f.); BGH (Urt. v. 25. 09. 1962 – VI ZR 244/61), BGHZ 38, 55 (59 f.); BGH (Urt. v. 11. 07. 1972 – VI ZR 194/ 70), BGHZ 59, 172 (173 f.); zur Übersicht: Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 249, Rdnr. 77 – 86. 106 BGH (Beschl. v. 9. 06. 1986 – GSZ 1/86), BGHZ 98, 212 (220 –225); bei der entgangenen Nutzung eines Pkw: BGH (Urt. v. 30. 09. 1963 – III ZR 137/62), BGHZ 40, 345 (348 –351); BGH (Urt. v. 15. 04. 1966 – VI ZR 271/64), BGHZ 45, 212 (218 – 221); BGH (Urt. v. 26. 03. 1985 – VI ZR 267/83), NJW 1985, 2471 (2471); BAG (Urt. v. 23. 06. 1994 – 8 AZR 537/92), NJW 1995, 348 (348); zur Übersicht: Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 249, Rdnr. 57 – 61. 103
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1. Messbarkeit in Geld a) Von welchem Ansatz zur Bestimmung des Vermögensschadens man nun auch immer ausgehen mag, es liegt ihm – wie gezeigt – jeweils die Annahme zu Grunde, dass die verletzte Position in Geld messbar sein muss (vermögenswertes Gut). 107 Dieses Kriterium ergibt sich schon aus der gesetzlichen Regelung: So ist für einen Vermögensschaden in den Fällen des § 251 BGB uneingeschränkt Ersatz in Geld zu leisten, während für einen Nichtvermögensschaden gemäß § 253 Abs. 1 BGB eine Entschädigung in Geld nach § 251 BGB nur in positiv bestimmten Ausnahmefällen gefordert werden kann. 108 Wenn das Gesetz also davon ausgeht, dass ein erlittener Vermögensschaden – anders als ein Nichtvermögensschaden – stets durch die Zahlung von Geld entschädigt werden kann, setzt dies voraus, dass Nachteil (hier: Vermögensschaden) und Vorteil (hier: Zahlung der Geldsumme) miteinander verrechenbar sind, gleichsam einen gemeinsamen Nenner haben. In Geld messbar ist ein Schaden jedenfalls dann, wenn sich der Wert des geschädigten Gutes objektiv eindeutig und frei von subjektiven Neigungen und Anschauungen bestimmen lässt. Beschädigt beispielsweise der Student S versehentlich in einer Buchhandlung einen neuen Palandt irreparabel, lässt sich der Wert des Palandt exakt auf die Höhe des gebundenen Buchpreises von 100 Euro bestimmen. Das gleiche gilt, wenn dem Studenten dieses Missgeschick in der Universitätsbibliothek passiert. Ein Unterschied besteht zwar unter dem Aspekt, dass die Universitätsbibliothek ihre Bücher nicht zum Verkauf anbietet. Dieser Gesichtspunkt der (fehlenden) Veräußerlichkeit eines Gegenstands im Einzelfall ändert jedoch nichts an dessen (Geld-)Wert. Die Messbarkeit in Geld wird daher 107 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156); Fischer (1903), S. 261; Stoll (1964), S. 127; Mertens (1967), S. 153; Weyers (1973), S. 49; Larenz (1987), S. 485; Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 249, Rdnr. 28; Lange / Schiemann (2003), S. 50 f. Etwas anders: Schiemann, in: Staudinger (2005), § 253, Rdnr. 19, der nicht danach abgrenzt, ob ein Schaden finanziell berechenbar (i. S.v. bewertbar), sondern danach, ob ein Schaden „finanziell spürbar“ sei. Dagegen allein Hagen (1971), S. 181: „Ein Vermögensschaden liegt dann [wenn das Kriterium der Messbarkeit in Geld ausschlaggebend ist, der Verf.] schon bei jedem Eingriff in die gegenständliche Sphäre vor, sofern nur die Erreichung irgendeines – materiellen oder ideellen – Lebenszieles dem Vermögenssubjekt erschwert wird. Dass diese Beeinträchtigung in Geld gemessen werden kann, ist für den Tatbestand eines Vermögensschadens nicht erforderlich.“ (Hervorhebungen im Original). 108 Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB schuldet der Schädiger für jeden Schaden, also auch für Nichtvermögensschäden. § 253 Abs. 1 BGB beschränkt allein die Gewährung einer Entschädigung in Geld für Nichtvermögensschäden nach § 251 Abs. 1 BGB. Gerade im Bereich von Nichtvermögensschäden (z. B. Körperverletzung, Beleidigung, diskreditierende Paparazzi-Photographie) ist die Naturalrestitution (hier: Ersatz der Heilungskosten, Widerruf, Herausgabe des Negativs) aber für den Geschädigten oft unzureichend, denn der Geschädigte begehrt regelmäßig eine darüber hinausgehende Entschädigung in Geld. Genau hier greift § 253 Abs. 1 BGB ein.
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden
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auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Rechtsgutsinhaber den Gegenstand selbst unentgeltlich erworben hat. Auch dann, wenn der zerstörte Palandt der Universitätsbibliothek von einem Förderverein gestiftet worden ist, beträgt ihr Schaden 100 Euro. Denn dies ist der Preis, zu dem der Palandt auf dem Markt erhältlich ist und den die Universität somit aufwenden muss, um den entstandenen Schaden auszugleichen. 109 Allein auf diesen (Wieder-)Beschaffungspreis ist abzustellen. Selbst wenn der Student in der rechtshistorischen Abteilung der Bibliothek eine Erstauflage des BGB zerstören würde, ergeben sich keine Unterschiede. Zwar besteht für Antiquariat keine Buchpreisbindung (§ 3 S. 2 BuchPrG) und es existiert daher für dieses Buch kein feststehender Preis. Dessen wirtschaftlicher Wert bildet sich aber, wie es regelmäßig der Fall ist, auf dem freien Markt aus Agebot und Nachfrage. Der so ermittelte Preis ist maßgeblich – für die Erstauflage des BGB genauso wie für (nahezu) jedes andere Gut, vom Kilo Mehl über DesignerSchuhe bis hin zum Industrieroboter. Die ausschlaggebende Eigenschaft, die einen Schaden zu einem Vermögensschaden macht, scheint also zu sein, ob das geschädigte Gut einen abstrakt in Geld messbaren Wert hat. 110 b) Dieses Abgrenzungskriterium müsste mit den Beweggründen der gesetzgeberischen Entscheidung in Einklang stehen, bei Nichtvermögensschäden gemäß § 253 Abs. 1 BGB 111 einen Ersatz in Geld grundsätzlich auszuschließen. Die Norm war in ihrer Entstehung Ende des 19. Jahrhunderts Gegenstand starker Auseinandersetzungen. Der Redaktor Franz von Kübel hatte zunächst in dem von ihm vorgelegten Teilentwurf des Obligationenrechts (§ 14 Abs. 2 S. 1 TE-OR) folgende Fassung vorgeschlagen: „Wegen eines anderen als eines Vermögensschadens kann eine durch das freie Ermessen des Richters zu bestimmende Entschädigung in Geld gefordert werden.“ 112 Diesen Vorschlag begründete von Kübel damit, dass ein Schaden nicht allein an Vermögensgütern, sondern auch an immateriellen Gütern (z. B. durch Bereiten von Schmerzen oder Genussstörungen) entstehen könne. 113 109 Die fakultative Nachlassgewährung für wissenschaftliche Bibliotheken von bis zu fünf Prozent gemäß § 7 Abs. 2 BuchPrG soll hier unbeachtet bleiben. 110 Es kommt nicht darauf an, ob der Gegenstand konkret gegen Geld veräußerlich ist. So sind Rechte, denen kraft Gesetzes die Eigenschaft der Übertragbarkeit genommen ist (z. B. bestimmte Forderungen gemäß §§ 399, 400 BGB oder Nießbrauch gemäß § 1059 S. 1 BGB), unveräußerlich. Dennoch handelt es sich um Güter, die normalerweise (abstrakt) auf dem Markt gegen Geld erhältlich sind. Dazu: Larenz (1987), S. 485. 111 § 253 Abs. 1 BGB trat erst zum 1. August 2002 in Kraft (Art. 2 Nr. 2 des 2. SchadÄndG vom 19. Juli 2002 [BGBl. I, S. 2674 f.]). Dieser entspricht jedoch wortund inhaltsgleich dem bereits zum 1. Januar 1900 eingeführten § 253 BGB a.F. (Art. 2 Nr. 2 lit. a). Durch das 2. SchadÄndG wurde allein der § 253 Abs. 2 BGB neu eingeführt (Art. 2 Nr. 2 lit. b). Sofern im Folgenden von § 253 Abs. 1 BGB die Rede ist, beziehen sich die Ausführungen zugleich immer auch auf den § 253 BGB a.F. 112 Jakobs / Schubert (1978), S. 110. 113 v. Kübel (1881, 1980), S. 717.
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Teil 1: Grundlagen
Um diesen Nichtvermögensschaden auf billige Art und Weise zu ersetzen, sei der Ersatz in Geld das einzige und richtige Mittel. 114 Gegen den Entwurf von Kübels wurde jedoch von der Kommission vorgetragen, diese Fassung sei derart allgemein und unbestimmt, dass sie zur praktischen Handhabung ungeeignet sei. Gleichzeitig gewähre sie dem erkennenden Richter einen weitgehend unbeschränkten Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Höhe er als angemessenen Ersatz für die Verletzung von Nichtvermögensschäden ansehe. Die vorgeschlagene Norm versäume es, dem Richter objektive Anhaltspunkte zu geben, und berge daher die Gefahr in sich, dass maßlos übersteigerte und im Vergleich zwischen Gerichten untereinander nicht stimmige Entschädigungssummen zugesprochen werden. Eine solche mögliche (Fehl-)Einschätzung des erkennenden Richters zu korrigieren, sei den Revisionsgerichten regelmäßig nicht möglich. 115 Außerdem sei der Umstand, dem Richter eine solche diskretionäre Gewalt und umfassende Souveränität zuzuerkennen, noch bei der Beratung der Zivilprozessordnung als dem deutschen Recht fremd eingestuft und daher als bedenklich verworfen worden. 116 Es sei zwar durchaus anzuerkennen, dass im Grundsatz immaterielle Rechte nicht weniger schutzwürdig und schutzbedürftig seien als materielle Rechte. Dieser Schutz solle jedoch nicht über eine unbestimmte Blankettnorm geschehen, wie sie durch von Kübel vorgeschlagen worden sei, sondern durch spezielle Bestimmungen, die einzelne, für schützenswert erachtete Güter gesondert betreffen. 117,118 Mit den Stimmen der Mehrheit wurde daher am 18. September 1882 folgender durch von Weber eingebrachte Antrag beschlossen: „Wegen eines anderen als eines Vermögensschadens kann eine Entschädigung nur in den vom Gesetze bestimmten Fällen gefordert werden.“ 119 Diese Fassung wurde § 221 des Ersten Entwurfes des BGB und entspricht dem heutigen § 253 Abs. 1 BGB schon weitgehend. Aus Sicht des historischen Gesetzgebers lag die ratio legis dieser engeren Fassung in folgenden drei Gesichtspunkten: Die Bemes114
v. Kübel (1881, 1980), S. 717. Jakobs / Schubert (1978), S. 111. 116 Motive II (1888), S. 22. 117 Jakobs / Schubert (1978), S. 111 f. 118 In das BGB von 1900 wurden jedoch tatsächlich nur zwei solcher schützenden Sondertatbestände aufgenommen: Gemäß § 847 BGB a.F. (aufgehoben durch Art. 2 Nr. 7 des 2. SchadÄndG vom 19. Juli 2002 [BGBl. I, S. 2674], der aber nunmehr erweitert in § 253 Abs. 2 BGB n.F. fortbesteht) konnte im Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit (Abs. 1), im Fall der Freiheitsentziehung (Abs. 1) sowie im Fall der Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts einer Frau (Abs. 2) eine Entschädigung für Nichtvermögensschäden verlangt werden (Schmerzensgeld). Und gemäß § 1300 Abs. 1 BGB a.F. (aufgehoben durch Art. 1 Nr. 1 des EheschlRG vom 4. Mai 1998 [BGBl. I, S. 833]) hatte eine unbescholtene Verlobte, die ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattete, im Fall des Verlöbnisbruchs einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens in Geld (sog. Kranzgeld). 119 Jakobs / Schubert (1978), S. 111 f. 115
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sung des Schadensersatzes für Nichtvermögensschäden dürfe erstens nicht in das freie Ermessen des Gerichts gestellt werden, weil der Richter sonst eine „dem deutschen Recht fremde Souveränität seiner Stellung gegenüber dem Streitverhältnis“ 120 erhalten würde. Zweitens widerstrebe es der herrschenden Auffassung in der Rechtswissenschaft wie im Volk, immaterielle Lebensgüter genauso wie Vermögensgüter mit Geld aufzuwiegen. 121 Denn in diesem Fall bestehe drittens die Gefahr, dass aus unlauteren Motiven wie Eigennutz und Gewinnsucht schikanöse Prozesse geführt werden, um ideelle Güter in Geld umzusetzen. 122 Um Nichtvermögensschäden, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sich ihre Höhe nicht mathematisch genau in Geld bestimmen lässt, zu ersetzen, ist es aber erforderlich, den Betrag der Geldentschädigung zu beziffern. Somit wird eine gerichtliche Schätzung des Schadens über § 287 ZPO unumgänglich. Der Tatrichter ist dabei freier gestellt als nach § 286 ZPO, wonach regelmäßig der volle Beweis durch den Kläger zu erbringen und das Gericht zu „überzeugen“ ist. § 287 ZPO ermäßigt demgegenüber das Beweismaß in der Weise, dass jedenfalls eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeigungsbildung ausreicht. 123 Dem erkennenden Gericht wird also bei der Schätzung des Nichtvermögensschadens in der Tat ein gewisses Ermessen zugestanden, das durch das Gericht jedoch pflichtgemäß und rechtsfehlerfrei ausgeübt werden muss. Ob der Tatrichter von zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und die maßgeblichen Umstände ausreichend berücksichtigt hat, ist aber sehr wohl Gegenstand der Nachprüfung durch das Revisionsgericht: Sofern die Grenzen des Ermessens überschritten wurden, liegt ein Revisionsgrund vor. 124 Das bestehende tatrichterliche Ermessen bei der Höhe des Nichtvermögensschadens kann also keinesfalls als unbeschränkt oder gar willkürlich bezeichnet werden. In Anbetracht der Spielräume, die der Gesetzgeber den Gerichten in der weiteren Entwicklung des Bürgerlichen Rechts – teilweise sehenden Auges – eingeräumt hat, 125 120
Motive II (1888), S. 22. Mugdan II (1899), S. 517. 122 Mugdan II (1899), S. 517. 123 BGH (Urt. v. 2. 07. 1992 – IX ZR 256/91), NJW 1992, 2694 (2695); Prütting, in: Münchener Kommentar-ZPO (2000), § 287, Rdnr. 17. 124 BGH (Urt. v. 2. 04. 2001 – II ZR 331/99), NZM 2001, 859 (860); Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 253, Rdnr. 74. 125 Als Beispiele seien hier nur aus dem Recht der unerlaubten Handlung genannt: Die sog. dreifache Schadensberechnung im Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts oder die Rechtsprechung zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und zum allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstige Rechte i. S.v. § 823 Abs. 1 BGB. Obwohl es der Bundesrat für erforderlich hielt, das allgemeine Persönlichkeitsrecht als neugefassten § 847 BGB im Wege des 2. SchadÄndG vom 19. Juli 2002 ins BGB aufzunehmen, wurde dieser Antrag vom Bundestag zurückgewiesen, damit „der bewährten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht der Boden entzogen“ werde (BTDrucks. 14/7752, S. 49). Paradigmatisch für die Einstellung des Gesetzgebers zur Frage des Spielraums der Gerichte: BT-Drucks. 14/7752, S. 11. 121
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kann der dem erkennenden Gericht zukommende Spielraum bei der Bestimmung des Nichtvermögensschadens auch kaum (mehr) als „dem deutschen Recht fremd“ bezeichnet werden. 126 Dies gilt umso mehr, als die vermeintliche Besorgnis, auf die sich die Redaktoren des BGB beriefen, im Rahmen der Diskussion um die CPO 1877 gar nicht in diesem Maße bestanden hatte; der Gesetzgeber vertraute vielmehr darauf, „... daß der deutsche Richter mit Takt und Sachkenntniß von den ihm beigelegten weitreichenden Befugnissen den rechten Gebrauch machen wird“. 127 Der zweite Einwand, dass es unsittlich sei, immaterielle Schäden mit Geld aufwiegen zu lassen, entstammt der Naturrechtslehre und hielt sich lange Zeit hartnäckig im Rechtsbewusstsein. Beispielsweise war im Allgemeinen Preußischen Landrecht kodifiziert, dass allein Personen aus dem Bauern- oder dem gemeinen Bürgerstand ein Schmerzensgeldanspruch zustehen könne (Teil 1, Titel 6, § 112). Bei Personen höheren Standes wurde auf die dem Geschädigten verursachten Schmerzen einzig bei Bestimmung der gesetzmäßigen Strafe Rücksicht genommen (Teil 1, Titel 6, § 114). Dementsprechend hatte sich in weiten Teilen der Bevölkerung die Vorstellung verfestigt, dass es etwas Ordinäres sei, sich für immaterielle Schäden genauso wie für materielle Schäden in Geld entschädigen zu lassen. Interessanterweise findet sich diese Sorge aber noch nicht in den Motiven zu § 221 des Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1888. 128 Sie wurde erst in der sich an diesen anschließenden Diskussion reanimiert. Gustav Hartmann führte dazu – stellvertretend für viele andere – aus: „Es ist dem tieferen deutschen Sinn widerstrebend, die heiligsten Gefühle in schnödem Mammon abzumessen und jede schuldhafte Kränkung derselben durch eine Geldleistung aufwägen zu lassen.“ 129 Im Anschluss daran tauchte dieses Argument dann in den Protokollen der Beratungen der II. Kommission und der Reichstagskommission auf. 130 126
Stoll (1964), S. 60; Medicus (2000), S. 216; Lange / Schiemann (2003), S. 426. Die Begründung des Entwurfs des § 260 CPO a.F. (= § 287 ZPO) hob explizit hervor: „Der Gesetzgeber darf von der Erwartung ausgehen, daß der deutsche Richter mit Takt und Sachkenntniß von den ihm beigelegten weitreichenden Befugnissen den rechten Gebrauch machen wird; insbesondere fehlt es der Besorgniß, daß die Gerichte in Fällen, in denen von einer speziellen Sachkunde keine Rede sein kann, zu kostbaren Expertisen greifen, oder daß sie umgekehrt bei der Feststellung des Schadens in einer willkürlichen, das deutsche Rechtsbewusstsein verletzenden Weise verfahren werden, an allen Anhaltspunkten.“ (Hahn [1881, 1983], Hervorhebung im Original). Stoll (1964), S. 60 überlegt, ob sich diese Unstimmigkeit damit begründen lassen könne, dass die Redaktoren des BGB noch im gemeinen Prozessrecht verwurzelt und sich der Neuerungen durch die Zivilprozessordnung von 1877 noch gar nicht bewusst waren. 128 Motive II (1888), S. 21 – 23. 129 G. Hartmann (1888), S. 364. Entschiedener Protest gegen die starke Einschränkung der Ersatzansprüche für Nichtvermögensschäden findet sich dagegen z. B. bei v. Liszt (1889), S. 30: „Das Privatrecht des Entwurfes ist ausschließlich (oder fast ausschließlich) Vermögensrecht. [...] [D]arum die Schutzlosigkeit aller immateriellen Rechtsgüter. [...] Wenn Hab‘ und Gut ihm gesichert sind, was will der deutsche Staatsbürger mehr!“ 127
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Auch wenn die Redaktoren des BGB vor 1900 noch nicht in der Lage waren, die von ihnen postulierte Gleichwertigkeit von materiellen und immateriellen Rechten konsequent gegen alle konservativen Widerstände durchzusetzen, so ist ein derartiges von Standesethik geprägtes Gesellschaftsbild jedenfalls heute überholt. Vielleicht aktueller denn je ist aber der dritte Beweggrund für die Beschränkung der Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden, der aus den Jahrhunderte langen Erfahrungen mit der aestimatorischen Injurienklage resultierte. 131 Wie schon von den Redaktoren vorausgeahnt, besteht nach wie vor die Gefahr, dass versucht wird, aus einem Schadensfall einen Glücksfall zu machen und aus einer Verletzung eines immateriellen Guts, dessen Höhe ohnehin nur schwer bezifferbar ist, im wahrsten Sinne des Wortes Kapital zu schlagen. Weitete man die Ersatzfähigkeit aus, vermittelte dies Anreize, immaterielle Werte beinahe schrankenlos in Geld umzusetzen. Diese Bedenken fasste Samuel Stryk schon 1732 in folgende Worte: „Da sucht ein jeder reich zu werden durch solche Injurienprozesse und ist zu verwundern, daß unsere bösen Jurisconsulti solche aestimatorischen Injurienklagen nicht längst inter modos adquirendi gesetzt.“ 132
Im Hinblick darauf ist zweifelhaft, dass das Kriterium der Messbarkeit in Geld allein zu einer interessengerechten Abgrenzung von Vermögensschaden zu Nichtvermögensschaden in der Lage ist. Denn auch unzweideutig immaterielle Güter wie Gesundheit oder Lebensfreude können bis zu einem gewissen Grad erkauft werden und werden dadurch in Geld messbar. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: So buche der Student S für die vorlesungsfreie Zeit eine Mittelmeerkreuzfahrt auf dem Clubschiff „La Traviata“ in der türkischen Ägäis für 999 Euro. Im Hafen wird ihm mitgeteilt, dass sein Koffer durch Verschulden des Zolls leider nicht an Bord gekommen ist. Der Student muss daher die gesamte Kreuzfahrt mit der Kleidung bestreiten, die er am Körper trägt. Nach seiner Rückkehr verlangt S vom Zoll Ersatz des ihm aus der Nichtzusendung des Koffers entstandenen Schadens: Indem ihm sein Koffer und damit die Gelegenheit, in angemessener und gewohnter Weise Wäsche und Kleidung zu wechseln, vorenthalten wurde, sei er in der von ihm angestrebten Erholung erheblich beeinträchtigt worden. 133 Der 130
Mugdan II (1899), S. 517. Im römischen Recht wurde unter der iniuria jede Verletzung einer fremden Person sowie jede Missachtung einer fremden Persönlichkeit verstanden. Unter deutschrechtlichem Einfluss wurde der Anwendungsbereich der actio iniuriarum im Mittelalter jedoch fast ausschließlich auf eine Privatstrafenklage wegen Beleidigungen eingeengt. Die in diesem Sinne verstandene Injurie wurde definiert als jede Handlung, durch welche die Ehre, der gute Ruf oder die Achtung eines Menschen vorsätzlich beleidigt wird. Historisches Paradigma für eine Verbalinjurie ist „Hurensohn“. Der Kläger musste seinen Schaden mit folgender Formel schätzen: „Der Beklagte hat mich einen Hurensohn geschimpft, ich nähme nicht 100 Gulden, dass diese Behauptung wahr sei.“ Dazu: Kaufmann (1963), S. 424 f., 439; Kaser / Knütel (2003), S. 322 f. 132 Stryk (1732), zitiert nach Kaufmann (1963), S. 439. 131
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Teil 1: Grundlagen
III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sprach in dem „Seereisefall“ dem Kläger auf diesen Antrag hin einen Anspruch auf Ersatz seines Vermögensschadens zu. Denn der Reisende habe sich durch die Zahlung des vereinbarten Reisepreises unter anderem – wie etwa dem Entgelt für die Kabinennutzung und die Verpflegung – auch die Möglichkeit zum ungestörten und erholsamen Genuss einer Seereise durch Vermögensaufwendungen „erkauft“. 134 Dadurch, dass der Reisende in diesem Genuss beeinträchtigt worden ist, werde auch das mit den getätigten Vermögensaufwendungen (Reisepreis) erstrebte – vermögenswerte – Äquivalent in Gestalt der Erholungsmöglichkeit auf der Kreuzfahrt beeinträchtigt. Der entstandene Schaden sei daher kein immaterieller, sondern ein in Geld messbarer und deshalb materieller Schaden. 135 Auf Grundlage einer solchen Kommerzialisierung werden Schädigungen an immateriellen Gütern in Geld messbar. 136 Wenn aber ein Genuss allein dadurch zu einem Vermögensgut würde, dass man ihn sich gewöhnlich gegen Zahlung von Geld verschaffen kann, dann ließen sich mit dieser Begründung auf Grundlage des immer weitergehenden technischen Fortschritts nahezu alle immateriellen Güter wie beispielsweise körperliches Wohlbefinden, geistige Genüsse oder Lebensfreude in Vermögensgüter umwandeln – und Schädigungen daran zu (stets in Geld ersatzfähigen) Vermögensschäden. 137 Auf diese Weise würde § 253 Abs. 1 BGB zwar formal in seinem Anwendungsbereich geachtet. Der Vermögensschaden würde aber derart weit in den originären Bereich des Nichtvermögensschadens ausgedehnt, dass die Regelung des § 253 Abs. 1 BGB in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohen und dass somit deren Zweck, die Umsetzung immaterieller Güter in Geld zu verhindern, unterlaufen werden würde. 138 Deshalb ist das Merkmal der Messbarkeit in Geld infolge der fortgeschrittenen Marktökonomisierung als alleiniges Kriterium unzureichend, weil nicht in der Lage, eine trennscharfe Grenze zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden zu ziehen, wie sie aber von § 253 Abs. 1 BGB vorausgesetzt wird. Mathematisch ausgedrückt
133 Beispielsfall in Anlehnung an BGH (Urt. v. 7. 05. 1956 – III ZR 243/54), NJW 1956, 1234 – „Seereisefall“. Thüsing (2001a), S. 287 bezeichnet diesen Fall als „erste[n] Bote[n] künftiger Entwicklung“ im Schadensrecht. 134 BGH (Urt. v. 7. 05. 1956 – III ZR 143/54), NJW 1956, 1234 (1235) – „Seereisefall“. 135 BGH (Urt. v. 7. 05. 1956 – III ZR 243/54), NJW 1956, 1234 (1235) – „Seereisefall“. 136 Medicus (1981), S. 595 spricht davon, dass der Kommerzialisierungsgedanke „... in unserer Zeit einer fast umfassenden Kommerzialisierung den mit Geld zu ersetzenden Schaden maßlos erweitern würde.“ Es gibt aber in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Tendenzen, die Entwicklung der Kommerzialisierung zu begrenzen (z. B. BGH [Urt. v. 15. 12. 1970 – VI ZR 120/69], BGHZ 55, 146 – „Jagdpacht“; weitere Beispiele finden sich bei Lange / Schiemann [2003], S. 56 f.). Stoll (1971), S. 593 hat daher den Eindruck, dass „... der BGH gerne die Geister wieder los würde, die er selbst gerufen hat.“ 137 Larenz (1965), S. 496; Schiemann, in: Staudinger (2005), § 253, Rdnr. 12. 138 Medicus (2000), S. 219; Lange / Schiemann (2003), S. 52 f.
B. Die Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden
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handelt es sich bei der Messbarkeit in Geld also um eine notwendige Bedingung für das Vorliegen eines Vermögensschadens, nicht aber um eine hinreichende. 2. Personale Bindung Es ist daher ein zusätzliches Kriterium erforderlich, um das Nichtvermögensgut in einer Weise vom Vermögensgut abzugrenzen, die mit der ratio des § 253 Abs. 1 BGB vereinbar ist. Dies ist das Merkmal der personalen Bindung. 139 Dadurch kann der aus der Kommerzialisierung resultierenden Grenzverschiebung entgegengewirkt werden. Denn ein Vermögensschaden liegt danach nur dann vor, wenn die Höhe des eingetretenen Schadens anhand eines objektivierten Maßstabs erfolgen kann. Dementsprechend ist ein Nichtvermögensschaden immer dann gegeben, wenn ein Schadensposten seiner Natur nach nicht losgelöst von einer subjektiven Bewertung des Geschädigten quantifiziert werden kann. 140 Paradigma für einen Vermögensschaden ist der Verlust von Geld. Dieses kann seiner Natur nach einem anderen zustehen und ist, ohne dass es seinen Charakter ändert, von seinem jetzigen Inhaber ablösbar (und somit gegenständlich). Der entstandene Schaden lässt sich objektiv bestimmen, ohne dass es auf die subjektive Wertschätzung des Einzelnen an dem verlorenen Geld ankommt. Übertragen auf den „Seereisefall“ bedeutet das: Die abstrakte Berechtigung zur Teilnahme an der Kreuzfahrt, die dem Studenten S die Aussicht auf Erholung und Genuss verschaffte, lässt sich objektiv in Geld bewerten. 141 Sofern die Reise ihr Geld wert ist, beläuft sich deren Wert auf 999 Euro. Hätte der Schädiger also bewirkt, dass S überhaupt nicht an der Reise teilnehmen kann, indem er ihn vor Reiseantritt mit seinem Kraftfahrzeug angefahren und verletzt hätte, könnte S eben diese Summe als Vermögensschaden geltend machen. Dagegen ist der Genuss, den der Reisende auf der Kreuzfahrt tatsächlich empfindet – genauso wie dessen Störung durch Aufregung und Unwohlsein infolge des verlorenen Gepäcks – etwas in hohem Maße Subjektives, von der individuellen Person des Geschädigten Abhängiges. So folgt beispielsweise auch nicht allein daraus, dass ein anderer Passagier, der für seine Kreuzfahrt erster Klasse 1.998 Euro bezahlt hat, auch tatsächlich einen doppelt so hohen Genuss empfindet. Das, was mit dem höheren Preis bewertet wird, ist nicht der Grad des Genusses, sondern einzig und allein die abstrakte Genussmöglichkeit, die sich aus einer Kreuzfahrt erster Klasse ergibt. 142 Der tatsächlich empfundene Genuss einer Person ist jedoch 139
Larenz (1987), S. 486. Larenz (1987), S. 485 f. 141 Dies gilt selbst dann, wenn diese Berechtigung aufgrund vertraglicher Klauseln nicht übertragbar, d. h. nicht von der Person des S ablösbar, ist. Es kommt für die Frage der persönlichen Bindung nicht darauf an, ob rechtlich eine Veräußerung zulässig ist, sondern ob naturgemäß eine Ablösung möglich ist; s. o., vgl. Teil 1 B. II. 1. a). 142 Larenz (1965), S. 497. 140
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Teil 1: Grundlagen
nie vergleichbar mit dem einer anderen Person und muss für jede Person individuell ermittelt werden. Vor allem hängt er keineswegs proportional von der Höhe der aufgewendeten Geldmittel ab, sondern maßgeblich von Faktoren wie dem Wetter, den Mitreisenden, der eigenen körperlichen und seelischen Verfassung und eben auch von der Möglichkeit, in dem gewohnten Maße Bekleidung zu wechseln. Die Beeinträchtigung des tatsächlichen Genusses stellt deshalb einen Nichtvermögensschaden dar. Indem kumulativ auf das Merkmal der personalen Bindung des Schadens an die Person des Geschädigten abgestellt wird, kann also verhindert werden, dass durch Kommerzialisierung die Grenze zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden immer weiter zugunsten des Vermögensschadens verschoben wird, weil die Frage, ob dem verursachten Schaden auf dem freien Markt ein messbarer Geldwert zukommt, an seiner unauflöslichen Zuordnung zu einer Person nichts zu ändern vermag. Der nach dem Willen des Gesetzgebers entgegenzuwirkenden Umsetzung von Nichtvermögensgütern in Geld im Wege des Schadensersatzes wird so ein wirksamer Riegel vorgeschrieben.
III. Zwischenergebnis Resümmierend ist festzuhalten: Eine klare Abgrenzung von Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden, mit deren Hilfe jeder Einzelfall eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden kann, ist nicht möglich. Denn da die Ersatzfähigkeit einer Schadensposition nach deutschem Recht grundlegend von dieser Einordnung abhängt, sind die Interessen des Schädigers und des Geschädigten derart konträr, dass es immer Bestrebungen der einen wie der anderen Seite geben wird, den Bereich des – stets ersatzfähigen – Vermögensschadens auszuweiten bzw. einzuengen. Es besteht daher eine Grauzone, in der die Grenzen zwischen Vermögensund Nichtvermögensschaden fließend zu sein scheinen. 143 Dieses Problem, das die (Rechts-)Wissenschaft nun schon seit dem Entstehen der gesetzlich angeordneten Dichotomie mit Inkrafttreten des BGB beschäftigt, kann offensichtlich nicht über die Formulierung einer scheinbar abschließenden und prägnanten Definition gelöst werden. Einen abermaligen Versuch, abstrakte Kriterien für diese Abgrenzung aufzustellen, ist aber auch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Denn in diesem zwielichtigen Bereich befinden sich Schadenspositionen wie etwa entgangene Nutzungsmöglichkeiten oder die Beeinträchtigung von Arbeitskraft und Freizeit. Insoweit ist die Frage zu entscheiden, ob es sich um einen Vermögensschaden handelt, der stets ersatzfähig ist, oder ob es sich um einen Nichtvermögensschaden 143 Mertens, in: Soergel (1990), Vor § 249, Rdnr. 62; Lange / Schiemann (2003), S. 56. Magnus (1987), S. 283 spricht davon, dass „... sich die Abgrenzung zum Nichtvermögensschaden [...] kaum noch fassen [lässt]“.
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handelt, der in Ermangelung einer einschlägigen Ausnahmevorschrift zu § 253 Abs. 1 BGB nicht in Geld ersatzfähig ist. Ohne eine Ausweitung des Vermögensschadensbegriffs auf diese Fälle blieben die genannten Positionen also ersatzlos. Gegenstand dieser Arbeit sind hingegen Schäden wie z. B. Schmerzen nach einer Körperverletzung, die infolge einer gerade bestehenden Ausnahmevorschrift (hier: § 253 Abs. 2 BGB) als Nichtvermögensschäden ersatzfähig sind. Die bestehende Grauzone wird also gar nicht betroffen, sodass es für diese Zwecke genügt, auf die dargestellte Abgrenzung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden zurückzugreifen, da sie praktikable und mit der ratio legis des § 253 Abs. 1 BGB übereinstimmende Ergebnisse liefert. Ein Vermögensschaden liegt dementsprechend dann vor, wenn der Schaden in Geld messbar und nicht mit der Person des Geschädigten verbunden ist. 144 Aus der antithetischen Abgrenzung des § 253 Abs. 1 BGB ergibt sich somit für den Begriff des Nichtvermögensschadens folgende Negativdefinition: Ein Nichtvermögensschaden ist ein Schaden, der schlechthin nicht in Geld messbar ist, und ein Schaden, der seiner Natur nach an die Person des Berechtigten gebunden und sich deshalb nicht objektiv beziffern lässt.
144 Stoll (1973), S. 19; Larenz (1987), S. 486; Mertens, in: Soergel (1990), Vor § 249, Rdnr. 62; Lange / Schiemann (2003), S. 50; Schiemann, in: Staudinger (2005), Vorbem zu §§ 249 ff, Rdnr. 46. Anderer Ansicht ist Gottwald (1979), S. 146, der meint, dass Larenz auf diese Weise auch die vermögensrechtlichen Folgen von z. B. Körperverletzungen aus dem Bereich des Vermögensschadens ausnehme, die das Gesetz unbestreitbar als ersatzfähig ansieht (dazu: Protokolle I [1897], S. 298). Schon der Ansatzpunkt dieser Kritik Gottwalds ist jedoch unzutreffend: Er stützt sich darauf, dass Larenz den Körper als ein Nichtvermögensgut ansieht. Es ist aber eine scharfe Trennlinie zwischen den Begriffspaaren Vermögensgut – Nichtvermögensgut und Vermögensschaden – Nichtvermögensschaden zu ziehen (dazu: Grunsky [1968], S. 10; Dreier [2002], S. 74 f.). Auch aus der Verletzung eines Nichtvermögensguts kann durchaus ein Vermögensschaden resultieren (BGH [Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54], BGHZ 20, 345 [352] – „Paul Dahlke“). Dementsprechend sieht Larenz (1987), S. 428 f. auch beispielsweise die Heilungskosten für die Verletzung des Körpers (Nichtvermögensgut) als einen Vermögensfolgeschaden (Vermögensschaden) an, der – sofern eine Naturalrestitution nicht möglich ist – gemäß § 251 BGB in Geld ersetzt werden muss.
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Teil 1: Grundlagen
C. Analyse des Ist-Zustands in der höchstrichterlichen Rechtsprechung „Das Schmerzensgeld soll den Verleger ruhig schmerzen.“ 145 Erich Steffen
Auf Grundlage dieser Abgrenzung lässt sich zwar bestimmen, ob nun ein Nichtvermögensschaden vorliegt oder nicht. Die hier virulente Frage, wie hoch der zu entschädigende Nichtvermögensschaden ist, vermag sie freilich nicht zu beantworten. Dies zu klären, ist aber erforderlich, um in Teil 3 A der Arbeit untersuchen zu können, inwieweit das geltende Recht den in Teil 2 zu erarbeitenden Vorgaben, die aus Sicht der ökonomischen Theorie an das Recht zu stellen sind, entspricht bzw. an diese angepasst werden kann. Die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden ist in den letzten Jahren durch die Formulierung zahlreicher Ausnahmevorschriften zu dem Grundsatz des § 253 Abs. 1 BGB stark erweitert worden. So kann gemäß § 611a Abs. 2 BGB ein Arbeitnehmer, der wegen seines Geschlechts benachteiligt wird, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Das gleiche Recht steht nach § 651f Abs. 2 BGB dem Reisenden zu, dessen Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt wurde. 146 Ein Ersatz von Nichtvermögensschäden ist beispielsweise auch in § 97 Abs. 2 UrhG oder § 40 Abs. 3 SeemannsG 147 gesetzlich angeordnet. Grundlegend ausgeweitet wurde die Ersatzfähigkeit der Nichtvermögensschäden 2002 durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften: 148 Durch die Schaffung des § 253 Abs. 2 BGB wurde ein einheitlicher und umfassender Anspruch auf „Schmerzensgeld“ 149 bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung geschaffen, der nicht mehr län145
Steffen (1996b), S. 366. Es war nach Einführung des § 651f Abs. 2 BGB zunächst umstritten, ob der Anspruch für nutzlos verwendete Urlaubszeit einen Vermögens- oder einen Nichtvermögensschaden ersetzt. Der Bundesgerichtshof, die Instanzgerichte sowie die überwiegende Ansicht in der Literatur verstehen die nutzlos aufgewendete Urlaubszeit inzwischen jedoch als Nichtvermögensschaden. Umfassend dazu: Eckert, in: Staudinger (2001), § 651f, Rdnr. 45 –59 m.w. N. 147 Es handelt sich hierbei um einen außergewöhnlichen Fall des Ersatzes von Nichtvermögensschäden. Dieses sog. „Hungergeld“ ist in Fällen zu zahlen, in denen der Kapitän berechtigterweise gemäß § 40 Abs. 1 SeemannsG Speisen und Getränke gekürzt hat, weil der Vorrat an Verpflegung aus unabwendbaren Gründen (wie z. B. einem Unwetter) nicht mehr ausreichend erscheint. 148 Zweites SchadÄndG vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2674 ff.). 149 Weder der Normtext des § 253 BGB noch der des § 847 BGB a.F. benutzen den Begriff „Schmerzensgeld“. Trotzdem ist dieser Terminus in der Rechtswissenschaft genauso wie im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert und das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. 11. 2001 (BGBl. I, 146
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ger danach unterscheidet, auf welchem Rechtsgrund die Haftung beruht. 150 Zwar entspricht diese Regelung weitgehend der des früheren § 847 Abs. 1, 2 BGB. Wie sich aus der systematischen Position jener Norm im Schadensrecht des allgemeinen Schuldrechts ergibt, kann der Verletzte allerdings anders als bisher eine billige Entschädigung in Geld auch dann verlangen, wenn sich sein Schadensersatzanspruch aus einem Vertrag ergibt. Außerdem erhält der Geschädigte nunmehr auch in Fällen der Gefährdungshaftung Ersatz in Geld für Nichtvermögensschäden. Dies wird durch die neu eingefügten Verweisungen in den haftungsrechtlichen Nebengesetzen zum BGB, welche die jeweiligen Ansprüche aus Gefährdungshaftung statuieren (z. B. § 11 S. 2 StVG, § 6 S. 2 HaftPflG, § 8 S. 2 ProdHaftG), zweifelsfrei klargestellt. 151 Darüber hinaus billigte der Gesetzgeber, dass im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem Geschädigten auf richterrechtlicher Grundlage eine „Geldentschädigung“ 152 für die von ihm erlittenen Nichtvermögensschäden gewährt wird. Die Analyse, nach welchen Grundsätzen das geltende Recht auf Basis der (vagen) gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ersatz für Nichtvermögensschäden gewährt, erfolgt – stellvertretend für alle anderen Fälle des Ersatzes von Nichtvermögensschäden – zunächst anhand des praktisch S. 3138 ff.) verlieh ihm sogar als amtliche Überschrift des bis zum 31. Juli 2002 geltenden § 847 BGB a.F. für einige Monate Gesetzeskraft (S. 3201). Der Begriff „Schmerzensgeld“ impliziert fälschlicherweise, dass dem Geschädigten nur körperlich fühlbare Beeinträchtigungen seines Wohlbefindens – eben Schmerzen – ausgeglichen werden müssen. Historischer Ausgangspunkt des Begriffs „Schmerzensgeld“ waren wohl die Art. 20, 21 der Carolina, wonach jemandem, der unzulässigerweise gefoltert worden war, ein Ersatzanspruch zustand. § 253 BGB spricht dagegen nicht von „Schmerzensgeld“, sondern davon, dass eine Entschädigung für einen Schaden gewährt wird, der nicht Vermögensschaden ist. Dies können zwar Schmerzen des Geschädigten sein; der ersatzfähige Nichtvermögensschaden ist aber keinesfalls darauf beschränkt. Präziser wäre es daher, von einer „Entschädigung von Nichtvermögensschäden in Geld“ zu sprechen. Soweit im Folgenden von „Schmerzensgeld“ die Rede ist, ist damit keinerlei Einschränkung bezweckt. Dieser Begriff wird vielmehr pars pro toto für die „Entschädigung von Nichtvermögensschäden in Geld“ benutzt. 150 BT-Drucks. 14/7752, S. 14. 151 Nach ganz überwiegender und zutreffender Meinung ergibt sich die Rechtsfolge, dass unter anderem auch im Rahmen der Gefährdungshaftungstatbestände Geldersatz wegen Nichtvermögensschäden zu leisten ist, bereits aus der systematischen Stellung des § 253 Abs. 2 BGB im allgemeinen Schuldrecht. Die vom Gesetzgeber im Rahmen der Rechtsgrundlagen der Gefährdungshaftung für erforderlich gehaltenen Regelungen wie etwa § 11 S. 2 StVG haben daher nur deklaratorischen Charakter. Vgl. dazu nur: Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 253, Rdnr. 2, 18. 152 Der Terminus „Geldentschädigung“ als Bezeichnung für die gesonderte Kategorie des Anspruchs auf Ersatz des im Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung erlittenen Nichtvermögensschadens wurde seitens des Bundesgerichtshofs expressis verbis erst durch das „Caroline I“-Urteil (BGH [Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94], BGHZ 128, 1 [1, Leitsatz b]) eingeführt. Dazu: Steffen (1996a), S. 727; Ehmann, in: Erman (2004), Anh § 12, Rdnr. 373.
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bedeutsamsten Falles des Schmerzensgelds (I.) und danach anhand des in der Rechtswissenschaft umstrittensten Falles der Geldentschädigung bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (II.).
I. Schmerzensgeld Das gemäß § 253 Abs. 2 BGB zu gewährende Schmerzensgeld ist die in der Praxis bei weitem wichtigste Konstellation, in der ein Nichtvermögensschaden in Geld ersetzt wird. 1. Haftungsbegründung Die Ersatzfähigkeit setzt voraus, dass „wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten“ ist. Der Schädiger muss dem Geschädigten also zuvörderst überhaupt zum Ersatz verpflichtet sein. Diese Ersatzpflicht resultiert nicht aus § 253 Abs. 2 BGB, da die §§ 249 ff. BGB ausschließlich haftungsausfüllende Wirkung haben und somit den Inhalt einer anderweitig begründeten Pflicht zum Schadensersatz näher bestimmen. Es muss daher ein gesonderter haftungsbegründender Tatbestand erfüllt sein. Damit eine Entschädigung für Nichtvermögensschäden zugesprochen wird, ist weiterhin die Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführten Rechtsgüter erforderlich. Die Rechtsgüter „Körper“, „Gesundheit“ und „Freiheit“ sind im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu verstehen. „Freiheit“ meint also auch hier die körperliche Bewegungsfreiheit und nicht die allgemeine Handlungsfreiheit. Das Rechtsgut der „sexuellen Selbstbestimmung“ erfasst jede Fremdbestimmung zu sexuellen Handlungen und ist geschlechtsneutral ausgestaltet, sodass sowohl Männer als auch Frauen ersatzberechtigt sein können. 153 Weiterhin muss diese Rechtsgutsverletzung dem Schädiger zurechenbar und darf nicht nur unerheblich sein. Ob und wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann im Einzelfall Gegenstand diffiziler Abgrenzungsfragen werden. Dies ist aber ein Problem der konkreten Rechtsanwendung, wobei in großem Umfang auf die Rechtsprechung zu § 847 BGB a.F. und zu § 823 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden kann.
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BT-Drucks. 14/7752, S. 26.
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2. Haftungsfolge Ein sich generell stellendes Problem ist dagegen die Bemessung der auf Grundlage des § 253 Abs. 2 BGB zu gewährenden „billigen Entschädigung in Geld“ für erlittene Nichtvermögensschäden. Deren Höhe bestimmt der Richter nach seinem Ermessen. Die Schwierigkeiten und Bedenken, die sich daraus ergeben, sind schon in den Materialien zum BGB angeklungen. 154 Bei dem richterlichen Ermessen handelt es sich jedoch nicht um eine willkürliche Entscheidung, sondern dieses ist unter Berücksichtigung der im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte auszuüben. Welche das sind, ist entscheidend davon abhängig, welche Funktion dem Schmerzensgeld zugemessen wird. a) Reine Ausgleichsfunktion nach BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs befand zum § 847 BGB a.F., dass es sich bei der geschuldeten billigen Entschädigung in Geld für Nichtvermögensschäden um einen „rein privatrechtlichen Anspruch“ 155 und somit um einen „echten Schadensersatzanspruch“ 156 handele. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut, wonach der Verletzte „auch“ wegen eines Nichtvermögensschadens Ersatz in Geld verlangen kann (§ 847 Abs. 1 BGB a.F. bzw. § 253 Abs. 2 BGB). Daraus folge, dass § 847 BGB a.F. einen gewöhnlichen Anspruch auf Ersatz des Schadens gewähre, der sich von den übrigen Schadensersatzansprüchen allein dadurch unterscheide, dass ein Nichtvermögensschaden in Geld ersetzt werde. 157 Ferner ergebe sich aus der Systematik des Schadensrechts, dass Nichtvermögensschäden prinzipiell genauso wie Vermögensschäden nach § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution zu ersetzen seien. Da bei Nichtvermögensschäden aber ein Ausgleich in Natur häufig unmöglich sei, habe das Gesetz – als Ausnahme von § 253 BGB a.F. (= § 253 Abs. 1 BGB) – in § 847 Abs. 1 BGB a.F. den Ersatz in Geld zugelassen, um dem immateriellen Belangen gebührend Rechnung zu tragen. 158 Die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung in Geld gemäß § 847 Abs. 1 BGB a.F. habe damit den Charakter einer (gewöhnlichen) Schadensersatzzahlung. Dafür spreche auch die Entstehungsgeschichte: Zwar ist der § 847 BGB a.F. in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch noch als eine Strafvorschrift im weiteren Sinne und dementsprechend als Neuerung angesehen worden. 159 154 155 156 157 158 159
s. o., vgl. Teil 1 B. II. 1. BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (224). BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (225). BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (225). BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (226). Motive II (1888), S. 799 f.
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Dies beruhe aber darauf, dass für die Aufnahme der Norm in den Entwurf eine strafrechtliche Bestimmung über die Buße bei Körperverletzungen maßgeblich gewesen sei (§ 231 StGB a.F. 160). 161 Bei dieser Buße handelte es sich jedoch um einen rein privatrechtlichen Anspruch des Geschädigten, der, selbständig neben dem Strafanspruch des Staates stehend, kumulativ durch den Strafrichter zugesprochen werden konnte. 162 Konsequenterweise finde sich in den Protokollen der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs auch kein Anhaltspunkt mehr dafür, dass dem § 847 BGB a.F. ein pönaler Charakter zukommen solle. 163 Zweck der gemäß § 847 Abs. 1 BGB a.F. geschuldeten Geldleistung sei es demnach ausschließlich, auf zivilrechtlichem Wege den infolge einer unerlaubten Handlung zurechenbar erlittenen Nichtvermögensschaden auszugleichen. Ebenso wie beim Ersatz von Vermögensschäden sei folglich die Zahlung desjenigen Geldbetrags notwendig, aber auch ausreichend, der den verursachten Nachteil ausgleicht. 164 Mit der dem Schmerzensgeld folglich allein zuzuerkennenden Ausgleichsfunktion sei es – genauso wie bei der Bestimmung der Anspruchshöhe wegen eines Vermögensschadens – unvereinbar, bei der Bemessung der Anspruchshöhe andere Aspekte wie die Vermögenslage des Schädigers oder gar seiner Versicherung zu berücksichtigen. Denn eine Herabsetzung der Höhe des Ersatzanspruchs im Hinblick auf eine verhältnismäßige Armut des Schädigers würde denknotwendig zu einer zur gebotenen Schadenskompensation zu geringeren Summe führen. 165 Ob der Kompensationszweck jedoch auch die Beachtung des Verschuldensgrads des Schädigers ausschließe, ließ der Senat bewusst offen. 166 Nach diesem Urteil des III. Zivilsenats kommt der Zahlung von Schmerzensgeld also – genauso wie einer Ersatzzahlung für einen erlittenen Vermögensschaden – allein die Funktion der Kompensation zu. Mit Wirkung zum 1. November 1952 ging allerdings die Zuständigkeit für alle Ansprüche aus unerlaubter Handlung – und 160 § 231 StGB a.F. wurde durch Art. 18 § 103 des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 489) aufgehoben. § 231 Abs. 1 StGB a.F. lautete: „In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an denselben zu zahlende Buße erkannt werden.“ 161 BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (224). 162 Schröder, in: Schönke / Schröder (1974), § 231, Rdnr. 6. 163 BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (224 f.) unter Verweis auf Protokolle II (1898), S. 740 f. 164 BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (226 f.). 165 BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (227 f.). 166 BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (225). Unter der Prämisse, dass es sich um einen echten Schadensersatzanspruch handelt, der einzig auf Ausgleich gerichtet ist, muss der Grad des Verschuldens konsequenterweise ebenfalls unberücksichtigt bleiben. Aus §§ 823 Abs. 1, 276 BGB folgt, dass der verantwortliche Schädiger unabhängig davon auf den vollen Betrag des Schadens haften muss, ob er nun vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Die Höhe des zu ersetzenden Schadens bleibt nämlich von der jeweiligen Verschuldensform unberührt.
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somit auch für das Schmerzensgeld – vom III. auf den VI. Zivilsenat über. Schon in seiner Entscheidung vom 10. April 1954 gab sich der VI. Zivilsenat betont distanziert: „Den in der Entscheidung des III. Zivilsenats [...] aufgestellten Grundsatz [...] hat der erk. Sen. bisher noch nicht zur Grundlage einer Entsch. gemacht. Auch im vorl. Fall erübrigt sich eine Stellungnahme hierzu.“ 167 Als eine Stellungnahme unumgänglich wurde, rief der VI. Zivilsenat den Großen Senat für Zivilsachen an und legte ihm die Frage vor, ob bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe weitere Umstände zu berücksichtigen seien, insbesondere die Vermögensverhältnisse und der Grad des Verschuldens des Schädigers. 168 b) „Doppelfunktion“ nach BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 Der Große Senat für Zivilsachen ging bei der Beantwortung dieser Frage vom Wortlaut der Norm aus. Danach kann der Geschädigte für seinen erlittenen Nichtvermögensschaden eine „billige Entschädigung in Geld“ – und keinen „Ersatz seines Schadens“ – verlangen (§ 847 Abs. 1 BGB a.F. bzw. § 253 Abs. 2 BGB). Nach einer umfassenden Untersuchung aller Fälle, in denen das BGB von „Billigkeit“ spricht, gelangte der Große Senat zu der Überzeugung, dass in diesen Fällen eine freie, alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Entscheidung getroffen werden müsse. 169 Damit wandte er sich gegen die engere, allein auf Schadensausgleich abzielende Auslegung dieses Begriffs durch den III. Zivilsenat. Der Große Zivilsenat stimmte dessen Entscheidung zwar insoweit zu, als dort davon ausgegangen worden war, dass dem Schmerzensgeld kein unmittelbarer Strafcharakter innewohne. Im Gegensatz dazu führte es der Große Zivilsenat aber als maßgeblich an, dass sich das Schmerzensgeld rechtsgeschichtlich aus dem Strafrecht entwickelt habe und diese Herkunft auch noch nachwirke. So seien nach einigen Partikularrechten aus der Zeit vor dem Erlass des BGB regelmäßig Umstände zu berücksichtigen gewesen, die über den reinen Ausgleichsgedanken hinausgehen, wie etwa der Grad des Verschuldens oder die Vermögensverhältnisse. Dies zeige, dass das Schmerzensgeld immer auch vom Gesichtspunkt „der Buße oder, um mit dem treffenden Ausdruck [...] zu reden, der Genugtuung“ 170 (zumindest mit-)beeinflusst worden sei. Freilich sei der Anspruch auf Ersatz von Nichtvermögensschäden – wie es der III. Zivilsenat betont hatte – rechtstechnisch als ein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch ausgestaltet. Diese formale Konstruktion betrachtete der Große Zivilsenat jedoch nicht als ausschlaggebend: Es 167
BGH (Urt. v. 10. 04. 1954 – VI ZR 61/53), NJW 1954, 1034 (1034). Prozessual handelte es sich um eine Divergenzvorlage gemäß § 132 Abs. 2 Var. 1 GVG. 169 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (151 –154). 170 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (155). 168
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sei maßgeblich auf den Inhalt abzustellen und danach unterscheide sich dieser Anspruch erheblich von den üblichen, auf Ersatz von Vermögensschäden gerichteten Ersatzansprüchen. Denn bei Vermögensschäden lasse sich deren Wert mehr oder weniger genau bestimmen und deshalb auch ersetzen. Nichtvermögensschäden dagegen seien gerade nicht in Geld messbar und lassen sich daher rechnerisch nicht exakt ermitteln. Insbesondere sei es auch nicht möglich, die erlittenen Schmerzen mit den Freuden aus der Gewährung des Geldbetrags zu saldieren, weil für den Geschädigten immer verschiedene Möglichkeiten existieren, sich Annehmlichkeiten zu verschaffen. Daher gebe es keinen fixen Bezugspunkt, an dem der zum Ausgleich eines Nichtvermögensschaden erforderliche Betrag ausgerichtet werden könne: 171 „... [E]ine ‚an sich‘ angemessene Entschädigung wegen immaterieller Schäden [gibt] es nicht.“ 172 Der Ausgleichszweck gebe für die Bemessung der Entschädigung vielmehr nur einen „recht groben Anhalt“ 173. Besonders deutlich werde dies an Fällen, in denen der Verletzte physisch oder psychisch derart stark geschädigt ist, dass er subjektiv das Bewusstsein der Schädigung nicht mehr besitzt (etwa wenn der Geschädigte im Koma liegt). Ein Ausgleich, der durch eine profane Geldzahlung ohnehin kaum denkbar erscheint, entbehre hier jeglicher Grundlage, weil das Opfer selbst gar nicht das Bewusstsein einer Schädigung habe, die ausgeglichen werden könne. Obwohl in diesen Fällen also ein tatsächlicher Ausgleich des Schadens unerreichbar ist, sei es dennoch anerkannt, dass ein Schmerzensgeld gezahlt werden müsse. 174 Vornehmlich, nicht aber ausschließlich, in diesen Konstellationen komme dem Ersatz von Nichtvermögensschäden daher die Funktion der Genugtuung zu. Das Schmerzensgeld sei infolgedessen ein Anspruch eigener Art mit einer doppelten Funktion: Es soll einerseits den beim Geschädigten eingetretenen immateriellen Schaden ausgleichen (Ausgleichs- / Kompensationsfunktion) und andererseits dem Geschädigten die ihm vom Schädiger geschuldete Genugtuung verschaffen (Genugtuungsfunktion). Primärer Zweck dieses Ersatzanspruchs sei jedoch weiterhin der Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung. Da der auszugleichende Schaden jedoch nicht wie ein Vermögensschaden mathematisch bestimmbar und somit auch nicht einem exakten Ausgleich zugänglich sei, müsse eine „billige“ Entschädigung alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, weshalb die Ausgleichs- um die Genugtuungsfunktion zu ergänzen sei. 175 Diese Genugtuungsfunktion geht auf die Überlegung zurück, dass durch den Schadensfall eine besondere Verbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem entstehe, deren konkrete Umstände des Einzelfalls bei der Bestimmung des 171 172 173 174 175
BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (164). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156 f.). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (154 f.).
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Schmerzensgelds berücksichtigt werden müssen. 176 Durch die Kompensationsfunktion geboten ist allein die Berücksichtigung von Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung. Darüber hinaus seien aber auch der Grad des Verschuldens des Schädigers sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse von Schädiger und Geschädigtem einzubeziehen, wodurch insbesondere die dem Geschädigten widerfahrende Kränkung und das ihm persönlich zugefügte Unrecht beachtlich werden. So bestehe in Fällen eines erhöhten Verschuldensgrads beim Schädiger, d. h. bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln, zum einen die Möglichkeit der Verbitterung beim Verletzten, zum anderen könne es auch aus Gründen der Billigkeit geboten erscheinen, die Entschädigung zu erhöhen. Entsprechend sei umgekehrt ein geringes Verschulden (leichteste Fahrlässigkeit) zu Gunsten des Schädigers zu berücksichtigen. 177 Sollte der Geschädigte seinerseits außergewöhnlich wohlhabend sein, könne ihm ein vom Schädiger zu zahlender Geldbetrag kaum einen Ausgleich bieten, sodass auch hier der Gedanke des Ausgleichs zurück- und der der Genugtuung hervortreten müsse. 178 Korrespondierend seien ebenfalls die Vermögensverhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen. So, wie besonders günstige wirtschaftliche Verhältnisse des Schädigers zur Festsetzung einer höheren Entschädigung führen können, könne dessen schlechte wirtschaftliche Situation eine Herabsetzung bedingen, weil es nicht der Sinn des Schmerzensgeldes sei, den Schädiger nachhaltig in Schwierigkeiten zu bringen. Allerdings dürfe selbst größte wirtschaftliche Not nicht dazu führen, dass der Schuldner von der Pflicht zur Zahlung von Schmerzensgeld vollständig frei werde. 179 Konsequenterweise sei daher bei den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schädigers auch das Bestehen eines Versicherungsschutzes zu berücksichtigen, weil ein versicherter Schädiger wirtschaftlich besser dastehe als ein unversicherter. 180 Soweit gegen die Berücksichtigung dieses Umstands geltend gemacht werde, dass nach den Grundsätzen des Schuldrechts die Leistungsfähigkeit des Schuldners den Umfang der Leistungspflicht nicht beeinflusse, sei zu beachten, dass dieser Grundsatz ausschließlich für den Ersatz von Vermögensschäden gelte. 181 Gegen die Einbeziehung dieser zusätzlichen, aus der Genugtuungsfunktion resultierenden Umstände lasse sich auch nicht anführen, dass durch deren Berücksichtigung die Höhe der „billigen Entschädigung“ in die eine oder die andere Richtung variiert und damit die „an sich“ gebotene Höhe verändert werde. Diese Ansicht beruhe nämlich auf der fehlerhaften Annahme, dass sich die Höhe der billigen Entschädigung zunächst abschließend nach dem Ausmaß des auszuglei176 177 178 179 180 181
BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (157). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (157 f.). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (159). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (159 f.). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (165 f.). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (161).
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chenden Schadens bestimme und dass diese Höhe dann durch Berücksichtigung zusätzlicher Umstände im Rahmen der Genugtuungsfunktion contra legem herauf- oder herabgesetzt werde. Stattdessen ergebe sich der „billige“ Betrag selbst erst aus einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Der Geschädigte erhält danach also beispielsweise im Fall einer absichtlichen Schädigung durch eine wohlhabende Person nicht etwa mehr als das „angemessene Schmerzensgeld“, sondern die Angemessenheit des Schmerzensgeldes bestimme sich gerade erst unter Beachtung der Umstände der konkreten Schädigung, der Schädigungsabsicht und der Höhe des Vermögens des Schädigers. Die Vermögensverhältnisse und der Verschuldensgrad leisten also genauso wie der Umfang des tatsächlichen immateriellen Schadens jeweils einen eigenständigen Beitrag im Rahmen der Bezifferung der billigen Entschädigung in Geld. 182 Ausgehend von dem als Primärzweck anerkannten Ausgleichsgedanken sei die Höhe der Entschädigung in erster Linie vom Umstand des tatsächlichen entstandenen Nichtvermögensschadens abhängig, also – soweit er überhaupt in Geld kommensurabel ist – von Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden. Unter den übrigen, der Genugtuungsfunktion entspringenden Umständen lasse sich ein Rangverhältnis nicht abstrakt aufstellen, sondern der Umfang ihrer Berücksichtigung sei den Besonderheiten des Einzelfalls zu entnehmen. 183 Im Anschluss an diesen Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen ging das Schrifttum überwiegend davon aus, dass nunmehr eine gesicherte Rechtslage geschaffen worden sei, auf der die weitere Schmerzensgeldrechtsprechung aufbauen könne. Stellvertretend sei die Erwartung Emil Böhmers angeführt: „Die Schmerzensgelddebatte [...] dürfte nun wohl durch den vorstehenden, überaus sorgfältig, eingehend und tiefschürfend begründeten Beschluss ihr Ende gefunden haben.“ 184 Und in der Tat traf die Rechtsprechung in der Folgezeit ihre Entscheidungen zunächst auf der Grundlage dieser „Doppelfunktionalität des Schmerzensgeldes“. c) „Verfeinerter Sühnegedanke“ nach BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 Erst zwei Jahrzehnte später wurde der VI. Zivilsenat mit einem Fall befasst, bei dessen Beurteilung er an die Grenzen des Beschlusses des Großen Zivilsenats stieß und an dem er die Rechtsprechung zum Sinn und Zweck des Schmerzensgeldes weiterentwickeln musste: Der Schädiger, der mit seinem Pkw innerorts mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h und einer Blutalkoholkonzentration von 1,7 ‰ fuhr, überrollte die sich auf dem Bürgersteig befindliche Geschädigte, die zum Unfallzeitpunkt vierzehn Monate alt war. Sie war infolge des Unfalls völlig 182 183 184
BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (160 f., 164). BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (167 f.). Böhmer (1955), S. 675.
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gelähmt und erlitt eine weitgehende und irreparable Schädigung ihrer Hirnfunktionen. Dieser Fall warf die Frage auf, ob bei einer derartigen Schwerstschädigung überhaupt ein Schmerzensgeld in Betracht komme und nach welchen Grundsätzen es gegebenenfalls zu bemessen sei. Entsprechend der Entscheidung des Großen Zivilsenats ging der VI. Zivilsenat davon aus, dass der Geschädigte vornehmlich für seine immateriellen Einbußen kompensiert werden soll (Ausgleichsfunktion). Allerdings stand es hier fest, dass das persönliche Befinden der Geschädigten in Form der ihr zuteil werdenden Pflege – deren Kosten der Schädiger ohnehin zu tragen hatte (Vermögensschaden) – weder subjektiv noch objektiv in irgendeiner Weise verbessert werden konnte. Für einen derartigen Fall, in dem sich der Geschädigte für einen etwaig zugesprochenen Betrag keinerlei zusätzliche Lebensfreude verschaffen kann, befand der Senat, dass es unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs sinnlos sei, eine Geldsumme für erlittene immaterielle Schäden zuzuerkennen. Es könne nicht als Ausgleich angesehen werden, wenn dem Verletzten „lediglich ein Bankkonto verschafft“ 185 werde. 186 Nach dem Beschluss des Großen Zivilsenats kommt dem Schmerzensgeld insbesondere dann, wenn die Erreichung des Ausgleichszwecks nicht möglich erscheint, die Funktion der Genugtuung zu. 187 Daran anknüpfend stellte der VI. Zivilsenat fest, dass die Genugtuungsfunktion durchaus auch dann relevant werde, wenn dem Geschädigten durch die Zerstörung seiner Persönlichkeit die Einsicht sowohl in den Verlust als auch in die Bedeutung des Ausgleichs genommen werde. Allerdings erfordere auch das tatsächliche Empfinden von Genugtuung, dass überhaupt eine gewisse Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit besteht. Daher stellte der Senat in Frage, ob nicht in solchen Fällen die Funktion der Genugtuung in ihrem traditionellen Sinne genauso überspannt werde, wie es bereits für die Ausgleichsfunktion festgestellt worden ist. 188 Demnach scheint bei Schwerstschädigungen also weder die Kompensationsnoch die Genugtuungsfunktion die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes zu gebieten. Der Senat spricht daher auch explizit davon, dass die „Folgerichtigkeit“ 189 bewirken könne, in diesen Fällen ein Schmerzensgeld gänzlich zu versagen. 190 Tatsächlich hat der Senat aber einen Weg gefunden, um der Geschädigten ein Schmerzensgeld zuzusprechen: 185 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148) unter Verweis auf Wussow (1975), Rdnr. 1181. 186 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148). 187 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (157). 188 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148). 189 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148). 190 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148).
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Teil 1: Grundlagen „Es liegt nicht fern, daß sich die beiden Zweckrichtungen des Schmerzensgeldes in derartigen besonderen Fällen in einem beiden gemeinsamen Bereich überschneiden, in dem ein nicht notwendig pönaler, verfeinerter Sühnegedanke im Sinne der gesetzlichen Regelung fordert, daß die schwere Beeinträchtigung des Menschseins nicht ohne eine wenigstens zeichenhafte Wiedergutmachung bleibt.“ 191
Auch wenn der Geschädigte in diesen Fällen eine Wiedergutmachung für seine Verletzungen nicht mehr wahrnehmen kann, müsse die Beeinträchtigung wenigstens auf eine symbolische Weise gesühnt werden. Dies folge aus der „zeichenhaften Sühnefunktion“ 192, die der Senat in der Schnittmenge von Ausgleich und Genugtuung ausgemacht haben wollte. Diese für wahrnehmungsunfähige Geschädigte entwickelte Funktion gebiete es allerdings nicht, ihnen einen tatsächlichen Ausgleich zu schaffen, sondern lediglich, dem Schädiger ein fühlbares Opfer zu bereiten. Dass es infolgedessen dem Schädiger im Hinblick auf die zu zahlende Summe unter Umständen sogar zugute kommen kann, dass er den Geschädigten derart gravierend verletzt hat, sei kein Widerspruch zur gesetzlichen Wertung. Schließlich knüpfe der Gesetzgeber an die Verletzung des noch höher einzustufenden Rechtsguts Leben gar keine Zahlungsverpflichtung. Es sei deshalb nur ein symbolischer Betrag von hier 30.000 DM zuzusprechen, anstatt das Schmerzensgeld an den (weitaus höheren) Summen zu orientieren, die in Fällen zugestanden werden, in denen es um einen Ausgleich vom Geschädigten tatsächlich wahrgenommener Dauerschäden geht. 193 Dass auf diese Weise das Schmerzensgeld noch weiter entmaterialisiert und von der Berechnungsweise bei Vermögensschäden losgelöst wird, als dies ohnehin schon im Rahmen der Genugtuungsfunktion geschieht, sei im Interesse der Sühnefunktion hinzunehmen. 194 Obwohl der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs – mit einleuchtenden Argumenten – die Einschlägigkeit der Ausgleichs- und der Genugtuungsfunktion an sich verneinte, sprach er dennoch aus der von ihm neu kreierten Sühnefunk191 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148) (meine Hervorhebung, Nachweis weggelassen). 192 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1149). 193 Mitte der Siebziger Jahre, als dieses Urteil des BGH erging, wurden Geschädigten, die die ihnen zugefügten Dauerschäden bewusst wahrnehmen konnten, durchaus schon Schmerzensgelder zugesprochen, die diesen Betrag von 30.000 DM deutlich übertrafen: Das LG Kleve (Urt. v. 26.03. 1974 – 2 O 104/73) hielt im Fall einer Querschnittslähmung eines 33-jährigen Mannes ein Schmerzensgeld von 170.000 DM für angemessen. Das OLG Stuttgart (Urt. v. 19. 02. 1975 – 1 U 96/74) sprach einer 52-jährigen Frau, die infolge eines Unfalls vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt war und quälende Schmerzen in der Brust hatte, 125.000 DM plus 350 DM Rente pro Monat zu. Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 12. 12. 1975 – 10 U 326/74) verurteilte den Schädiger, der einem zweijährigen Mädchen Verletzungen zugefügt hatte, die zur Querschnittslähmung führten, zu einer Zahlung von 90.000 DM und einer monatlichen Rente von 400 –500 DM auf Lebenszeit. Urteile zitiert nach Hacks / Ring / Böhm (2005). 194 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1149).
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tion ein wenigstens symbolisches Schmerzensgeld zu. Dieses Schmerzensgeld hat weniger einen Wert für den Geschädigten, der ja infolge seiner schweren Verletzung weder seinen Schaden noch die zugesprochene Schmerzensgeldsumme wahrnehmen kann. Sein einziger Zweck liegt vielmehr darin, dem Schädiger ein fühlbares Opfer abzuringen, das aber sehenden Auges auf einen geringeren Betrag beziffert wird, als wenn ein tatsächlicher Schadensausgleich stattfinden würde. Diese Rechtsprechung bestätigte der VI. Zivilsenat durch seine Entscheidung vom 22. Juni 1982: In Fällen, in denen der Geschädigte infolge des Unfalls seine Beeinträchtigungen nicht voll wahrnehmen kann und somit ein Ausgleich unmöglich ist, könne er auch keine Genugtuung empfinden. Daher müsse der zuzusprechende symbolische Betrag hinter den sonst bei solchen Verletzungen üblichen Größenordnungen zurückbleiben. 195 Allerdings lässt der VI. Zivilsenat in dieser Entscheidung die nur kurz zuvor entwickelte Sühnefunktion des Schmerzensgeldes unerwähnt. Stattdessen hängt er die symbolische Wiedergutmachung unmittelbar an der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes auf, ohne dafür allerdings Gründe anzuführen und nicht ohne konzedieren zu müssen, dass der Geschädigte in seiner Lage „Genugtuung in Wahrheit nicht empfinden kann“ 196. 197 In diesem Sinne entschied der Senat dann noch einmal durch Urteil vom 2. Juli 1985. 198 d) Objektivierung der Ausgleichsfunktion nach BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 Am 13. Oktober 1992 hatte der VI. Zivilsenat dann über einen Fall zu befinden, in dem die Klägerin infolge eines gravierenden Fehlers des behandelnden Arztes schwergeschädigt auf die Welt gebracht wurde. Sie war an Armen und Beinen gelähmt, die Motorik war nur rudimentär ausgebildet und ihr geistiger Entwicklungsstand entsprach dem eines Säuglings, ohne dass Hoffnung auf Weiterentwicklung bestand. Sie litt daher weder physisch noch psychisch unter ihrer Beeinträchtigung. Der VI. Zivilsenat wandte sich entsprechend der Vorgabe des Großen Zivilsenats zunächst der Ausgleichsfunktion zu. Diese erschöpfe sich danach nicht in der Förderung des psychischen Wohlbefindens, indem dem Geschädigten durch das Schmerzensgeld Annehmlichkeiten verschafft werden, welche die Schmerzen in einem hypothetischen Gesamtsaldo tilgen. Wesentliche Grundlage der Entschädigung seien vielmehr Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen. 199 Die Ausgleichsfunktion sei dementsprechend einzig darauf 195 196 197 198
BGH (Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80), NJW 1982, 2123 (2124). BGH (Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80), NJW 1982, 2123 (2124). BGH (Urt. v. 22. 06. 1982 – VI ZR 247/80), NJW 1982, 2123 (2124). BGH (Urt. v. 2. 07. 1985 – VI ZR 68/84), VRS 69, 339 (341).
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auszurichten, den tatsächlich erlittenen immateriellen Schaden durch eine billige Entschädigung in Geld zu kompensieren. Ein solcher Schaden bestehe nicht nur im Fall tatsächlich durch den Geschädigten wahrgenommener körperlicher oder seelischer Schmerzen. Auch die Einbuße der Persönlichkeit infolge einer schweren Hirnschädigung stelle an sich schon einen auszugleichenden Nichtvermögensschaden dar – unabhängig davon, ob der Betroffene diese Beeinträchtigung empfinde. 200 Der VI. Zivilsenat rückte damit von seinem bisherigen subjektiven Verständnis des Ausgleichs des immateriellen Schadens ab und löste ihn so von der Wahrnehmungsfähigkeit des Geschädigten. Nach der früheren Rechtsprechung sei die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes verkürzt worden, insbesondere wenn die Schwere der Verletzung als ein Umstand betrachtet worden sei, der die Höhe der Entschädigung erheblich verringere. 201 Dementsprechend seien auch die Bemessungsgrundlagen für die Entschädigungshöhe zu ändern: Angesichts des hohen Wertes, den Art. 1, 2 GG der Würde des Menschen und seiner Persönlichkeit zumessen, sei es ein Widerspruch in sich, wenn die irreparable Zerstörung der Persönlichkeit als ein Umstand betrachtet werde, der das Schmerzensgeld mindere. Bei Beeinträchtigungen solchen Ausmaßes verbiete das Menschenbild des Grundgesetzes eine lediglich symbolische Wiedergutmachung. Es sei stattdessen eine selbständige Bewertung dessen durchzuführen, was im Einzelfall als Entschädigung für diesen Verlust als „billig“ anzusehen ist. 202 In den Fällen der Schwerstschädigung sei daher – wie sonst auch – eine Würdigung aller Umstände durch den Tatrichter vorzunehmen, in deren Rahmen er die Persönlichkeitszerstörung in den Mittelpunkt zu stellen und einer eigenständigen Bewertung zuzuführen habe. Dabei könne und solle der Richter das jeweilige Ausmaß der Empfindungsunfähigkeit berücksichtigen. 203 Eine derartige Bemessung der Entschädigung unterscheidet sich damit von den Fällen, in denen der Geschädigte seine Schädigung noch wahrnehmen kann. Denn diese ganz anders liegenden Schädigungsfälle, in denen die Basis der Empfindungsfähigkeit nicht betroffen ist, können und sollen gerade nicht als Maßstab herangezogen werden. 204 Es wurde vielmehr eine „eigenständige Fallgruppe“ 205 gebildet, nämlich die der objektivierten Ausgleichsfunktion. Die Genugtuungsfunktion dagegen sei weiterhin subjektiv zu verstehen und deshalb davon abhängig, ob der Geschädigte überhaupt noch Genugtuung für seine Verletzung durch Zahlung einer Entschädigung in Geld 199 200 201 202 203 204 205
BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156, 154). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (7 f.). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (5). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (5, 7). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (8 f.). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (5). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (8).
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empfinden könne. Jedenfalls in Fällen der Empfindungslosigkeit des Geschädigten sei daher die Genugtuungsfunktion bedeutungslos. 206 Den in der Entscheidung vom 16. Dezember 1975 entwickelten verfeinerten Sühnegedanken bezeichnete der Senat als für das zivilrechtliche Haftungs- und Schadensersatzsystem „nicht tragfähig“ 207. Die Rechtsprechung, dass bei Schwerstschädigungen unter dem Gesichtspunkt des verfeinerten Sühnegedankens eine bloß symbolische Entschädigung zuzusprechen ist, hat der Senat somit ausdrücklich aufgegeben. Stattdessen wurde die Ausgleichsfunktion stärker in den Vordergrund gerückt, indem in derartigen Fällen der auszugleichende immaterielle Schaden objektiv, d. h. losgelöst vom tatsächlichen Empfinden des Geschädigten, bestimmt wird. 208 Der so ermittelte Schaden ist dann umfassend auszugleichen. Die Genugtuungsfunktion dagegen bleibt ohne Einfluss auf die Höhe der angemessenen Entschädigung. In dieser besonderen Fallgruppe wird also die Doppelfunktion durchbrochen und das Schmerzensgeld allein unter dem Gesichtspunkt der Kompensation bemessen. Diese Änderung seiner Rechtsprechung bestätigte der Senat durch sein Urteil vom 16. Februar 1993 ohne nennenswerte sachliche Änderungen. 209 Die Entscheidungen führten dazu, dass in Fällen der Persönlichkeitszerstörung das Schmerzensgeld deutlich angehoben wurde, auf bis zu 500.000 Euro in den denkbar schwersten Fällen. 210 e) Weitere Zurückdrängung der Genugtuungsfunktion nach BGH (Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94), BGHZ 128, 117 Im November 1994 hatte der VI. Zivilsenat über einen Fall zu befinden, in dem die Klägerin bei einem Banküberfall als Geisel genommen und mit einer (täuschend echt aussehenden Schein-)Waffe bedroht worden war. Infolge dieses Erlebnisses, bei dem sie Todesängste ausgestanden hatte, litt die Klägerin unter Schlaflosigkeit und Alpträumen. Dafür verlangte sie ein angemessenes Schmerzensgeld. Ausgangspunkt der Entscheidung des VI. Zivilsenats war wiederum die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes. Aus Gründen der Kompensation sei ein Schmerzensgeld gerechtfertigt, das einerseits die kurze Zeit der Geiselnahme und die objektiv geringe Gefahr, andererseits aber die subjektiv durchlittene Todesangst und deren Folgen berücksichtige. 211 Der Schwerpunkt der Entscheidung lag aber 206
BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), NJW 1993, 781 (783 f.). BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (7). 208 Deutsch (1993), S. 784 bezeichnet diese objektivierte Ausgleichsfunktion in Anlehnung an ihre Ableitung aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als „Würdefunktion“. 209 BGH (Urt. v. 16. 02. 1993 – VI ZR 29/92), VersR 1993, 585 (585 f.). 210 OLG Hamm (Urt. v. 16. 01. 2002 – 3 U 156/00), NJW-RR 2002, 1604; OLG Hamm (Urt. v. 12. 05. 2003 – 3 U 122/02), MDR 2003, 1291. 207
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im Bereich der Genugtuung. Im Hinblick auf die Genugtuungsfunktion, die im Schrifttum weitreichende Kritik erfahren hatte, betonte der Senat zwar, dass sie im Anschluss an den Beschluss des Großen Zivilsenats nach wie vor anzuerkennen sei. Allerdings gab der Senat Zweifel an deren Reichweite zu erkennen. „Vorliegend kann dahinstehen, in welchem Umfang ein Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten bei nur fahrlässigen, insbesondere leicht fahrlässigen Rechtsgutsverletzungen eine Rolle spielen kann. Jedenfalls bei vorsätzlichen Straftaten [...] ist nicht zu verkennen, daß sie zu einer „besonderen persönlichen Beziehung“ zwischen Geschädigtem und Schädiger (so BGHZ 18, 149, 157 [der Beschluss des Großen Zivilsenats, der Verf.]) [...] führen, die für einen angemessenen Ausgleich mitberücksichtigt werden muß.“ 212
Im Bereich von Vorsatztaten könne die Art und Weise der Schadenszufügung eine besondere Einstellung des Geschädigten gegenüber dem Schädiger hervorrufen. Diesem Bedürfnis des Geschädigten könne allein unter dem Aspekt der Genugtuung Rechnung getragen werden. Das Schmerzensgeld sei zwar nicht mehr von dem dem Zivilrecht fremden Bedürfnis nach Rache oder Abrechnung mit dem Schädiger geprägt, sondern ein vorrangig auf Ausgleich gerichteter Ersatzanspruch. Weil der zu ersetzende immaterielle Schaden aber nicht in Geld messbar ist, sei er nach dem Billigkeitsprinzip unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entschädigen. In diese umfassende Billigkeitsentscheidung sei unter anderem auch der Wunsch des Geschädigten nach Genugtuung einzubeziehen. Die Aufrechterhaltung der Genugtuungsfunktion sei also jedenfalls bei vorsätzlichem Handeln unbedenklich. 213 In einem obiter dictum nahm der Senat aber auch zur Genugtuungsfunktion im Bereich fahrlässiger Schädigungen Stellung. Er warf die Frage auf, ob auch in diesen Fällen ein Genugtuungsbedürfnis bestehe, und ließ deren Beantwortung dann demonstrativ offen. Dadurch gab der VI. Zivilsenat zu verstehen, dass er es sich jedenfalls vorstellen kann, in einem entsprechend gelagerten Fall die Genugtuungsfunktion unberücksichtigt zu lassen, wenn es an dem Bedürfnis des Geschädigten nach Genugtuung gegenüber dem Schädiger fehlt. In seinem Urteil vom 16. Januar 1996 bestätigte der VI. Zivilsenat diese Tendenz noch einmal, indem er davon sprach, dass „... jedenfalls bei vorsätzlichen Straftaten [...] auch ein Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mitzuberücksichtigen ist.“ 214
211
BGH (Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94), BGHZ 128, 117 (118 f.). BGH (Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94), BGHZ 128, 117 (120 f.). 213 BGH (Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94), BGHZ 128, 117 (121). 214 BGH (Urt. v. 16. 01. 1996 – VI ZR 109/95), NJW 1996, 1591 (1591) (meine Hervorhebung). 212
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f) Zwischenergebnis (insbesondere im Hinblick auf das Zweite SchadÄndG) In Anlehnung an den Beschluss des Großen Zivilsenats aus dem Jahr 1955 geht der zuständige VI. Zivilsenat grundsätzlich von einer Doppelfunktion des Schmerzensgeldes aus. Fast schon gebetsmühlenartig wird zu Beginn annähernd jeder Entscheidung zu dieser Frage wiederholt, dass „dem Schmerzensgeld eine doppelte Funktion zukommt“ 215, nämlich Ausgleich und Genugtuung. In den Begründungen seiner Entscheidungen ist die Genugtuungsfunktion jedoch tatsächlich deutlich in den Hintergrund getreten. So wird in den Fällen der Empfindungslosigkeit des Geschädigten das Schmerzensgeld nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der „verfeinerten Sühne“, welcher der gemeinsamen Schnittmenge von Ausgleich und Genugtuung zu entnehmen sein sollte, gewährt. Denn, so führte es der VI. Zivilsenat überzeugend aus, ein Geschädigter, der in seiner Wahrnehmungsfähigkeit gestört ist, kann gerade auch keine Genugtuung mehr empfinden. 216 Stattdessen habe die Bemessung des Schmerzensgeldes allein im Hinblick auf den (objektivierten) Ausgleichsgedanken zu erfolgen. In einer aktuellen Entscheidung zu dieser Fallgruppe wird die Frage des Schmerzensgeldes daher auch nur noch unter dem Aspekt der Kompensation erörtert; die Genugtuungsfunktion bleibt im Anschluss an die Entscheidung aus dem Jahr 1992 vollkommen unerwähnt. 217 Damit hat sich der Senat in einen gewissen Widerspruch zum Beschluss des Großen Zivilsenats gesetzt, der es in Fällen fehlenden Empfindungsbewusstseins noch für unmöglich hielt, einen umfassenden Ausgleich des erlittenen Nichtvermögensschadens vorzunehmen. 218 In diesem Bereich ist die Genugtuungsfunktion nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats also schon weitgehend obsolet geworden. Und auch in den „gewöhnlichen“ Fällen des Schmerzensgelds, in denen dem Geschädigten der Umfang seiner Schädigung bewusst ist, erkennt der Senat die Genugtuungsfunktion explizit nur noch für die Fälle vorsätzlicher Schädigung an. Für Fälle (leichter) Fahrlässigkeit stellt er den Aspekt der Genugtuung offen in Frage. Seit seiner Entscheidung aus dem Jahr 1994 bot sich dem Senat jedoch keine Möglichkeit mehr, auf diese Fallkonstellation einzugehen. Der VI. Zivilsenat versteht den Begriff des Ausgleichs jedoch weiter als der Große Zivilsenat, sodass sich in der Mehrzahl der Fälle eine billige Entscheidung schon allein aufgrund der Kompensationsfunktion ergibt. Auf diese Weise wird die Genugtuungsfunktion immer weiter zurückgedrängt, ohne dass sich der Senat bisher gänzlich von ihr 215 BGH (Urt. v. 16. 12. 1975 – VI ZR 175/74), NJW 1976, 1147 (1148); vgl. z. B. auch: BGH (Urt. v. 22.06.1982 – VIZR247/80), NJW 1982, 2123 (2123); BGH (Urt. v. 13.10.1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (4 f.); BGH (Urt. v. 16. 02. 1993 – VI ZR 29/92), VersR 1993, 585 (585); BGH (Urt. v. 29. 11. 1994 – VI ZR 93/94), BGHZ 128, 117 (120). 216 BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), NJW 1993, 781 (783 f.). 217 BGH (Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97), NJW 1998, 2741 (2743). 218 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156 f.).
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abgewendet hätte. Eine vollständige Aufgabe der Genugtuungsfunktion durch ein Senatsurteil wäre schon aus prozessualen Gründen nicht möglich. Denn gemäß § 132 Abs. 2 Var. 1 GVG ist eine Rechtsfrage, in der ein Senat von der Rechtsprechung des Großen Senats für Zivilsachen abweichen möchte, dem Großen Senat für Zivilsachen zur Entscheidung vorzulegen (Divergenzvorlage). Ob der VI. Zivilsenat diese Frage nach der Funktion des Schmerzensgeldes dem Großen Zivilsenat nach mehr als einem halben Jahrhundert tatsächlich erneut vorlegen würde, wenn ein Fall fahrlässiger Schädigung zur Entscheidung käme, erscheint nach den bisherigen Andeutungen wahrscheinlich, gehört aber letztlich in das Reich der Spekulation. Zumindest ist es dem VI. Zivilsenat verwehrt, sich offen zur Aufgabe der Genugtuungsfunktion zu bekennen, was er – jedenfalls für den Fall vorsätzlichen Handelns – ja auch gar nicht möchte. Dieter Giesen beschrieb diesen durch das besprochene Urteil aus dem Jahr 1992 in Gang gesetzten Prozess bildhaft: „Gleichwohl hat die neue Entscheidung einen wesentlichen Stützpfeiler aus dem dogmatischen Fundament der Genugtuungsfunktion gerissen. [...] Die Zitadelle der Genugtuungsfunktion ist nun angeschlagen, aber noch nicht gefallen.“ 219 Entsprechend dieser starken Betonung der Ausgleichsfunktion sind bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe hauptsächlich aus der Kompensation resultierende Umstände zu berücksichtigen. Dies sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, der Umfang und die Dauer des dadurch bedingten Leidens sowie das Ausmaß der Schadenswahrnehmung durch den Geschädigten. Unter dem Aspekt der Genugtuung wird nach der neueren Rechtsprechung lediglich noch der Grad des Verschuldens als ein möglicherweise zu berücksichtigender Faktor anerkannt. Die Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem werden dagegen nicht mehr als maßgebliche Umstände angeführt. 220 Durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften wurde mit Wirkung zum 1. August 2002 unter anderem der § 253 Abs. 2 BGB neu eingeführt und die Verpflichtung zur Zahlung von Schmerzensgeld auch auf die Fälle der Gefährdungshaftung ausgedehnt. Der Gesetzgeber sprach in seiner amtlichen Gesetzesbegründung von einer „gefestigte[n] Rechtsprechung“ 221 zur Doppelfunktion des Schmerzensgeldes, in die er das neue Gesetz einfügen wolle. Insoweit, als dadurch das Schmerzensgeld auch auf die Gefährdungshaftung ausgedehnt wurde, war sich der Gesetzgeber allerdings durchaus der Gefahr bewusst, dass die Funktion der Genugtuung, die eine „Sanktion für ein regelwidriges vorwerfbares Verhalten“ 222 gewährleisten solle, bei einer vom Verschulden un219
Giesen (1993), S. 520 f. BGH (Urt. v. 12. 05. 1998 – VI ZR 182/97), NJW 1998, 2741 (2742); anders noch: BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (160 f., 164). 221 BT-Drucks. 14/7752, S. 14. 222 BR-Drucks. 265/98, S. 24. 220
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abhängigen Haftung zwangsläufig bedeutungslos werde. 223 Der Gesetzgeber zog daraus aber nicht den Schluss, dass eine Ausweitung des Schmerzensgeldes auf Tatbestände der Gefährdungshaftung deswegen zu unterbleiben habe. Vielmehr sei das Schmerzensgeld bei der Gefährdungshaftung allein unter dem Aspekt des Ausgleichs zu bemessen. Denn auch in der Rechtsprechung sei die klare Tendenz zu erkennen, die Ausgleichsfunktion mehr und mehr zu akzentuieren. Lediglich im Bereich der Haftung für schweres Verschulden (insbesondere bei vorsätzlichem Handeln) sei die Genugtuungsfunktion neben der Ausgleichsfunktion noch als beachtlich anzusehen. 224 In diesen Fällen könne und müsse sie auch weiterhin Berücksichtigung finden, wenn der konkrete Einzelfall dies gebiete. 225 Sowohl die Judikative als auch die Legislative messen dem Schmerzensgeld also eine doppelte Funktion der Kompensation und der Genugtuung zu. Allerdings wird an der Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte deutlich, dass die Genugtuungsfunktion in den Hintergrund gerückt und auf Fälle eindeutigen Verschuldens beschränkt werden soll. Spiegelbildlich wird der Aspekt der Kompensation, der jeder Haftungsregelung innewohnt, betont und ist in vielen Konstellationen des Schmerzensgeldes mittlerweile zu der allein bestimmenden Funktion geworden.
II. Geldentschädigung Nach der Konzeption des deutschen Privatrechts sind zwar einzelne besondere Persönlichkeitsrechte als schützenswert anerkannt (z. B. das Namensrecht gemäß § 12 BGB oder das Recht am eigenen Bild gemäß § 22 KunstUrhG), eine gesetzliche Normierung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts existiert hingegen nicht. Aus diesem Grund verweigerte das Reichsgericht einem solchen allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch in ständiger Rechtsprechung die Anerkennung. 226 Der insgesamt nur schwach ausgeprägte zivilrechtliche Schutz individueller Ehre und Persönlichkeit wurde aber infolge des Wertewandels nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mehr und mehr als unzureichend angesehen. So erkannte der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs dann auch 1954 in der „Leserbrief“-Entschei223
BR-Drucks. 265/98, S. 26; BT-Drucks. 14/7752, S. 14. BT-Drucks. 14/7752, S. 25. 225 BT-Drucks. 14/7752, S. 15. Anderer Ansicht sind aber Teile der Literatur, die die Erstreckung des Schmerzensgeldes auch auf die Gefährdungshaftung aus unterschiedlichen Gründen als Aufgabe der Genugtuungsfunktion im Ganzen verstehen wollen. Dazu exemplarisch nur: Jaeger / Luckey (2002), S. 48; Huber (2003), S. 124; Wagner (2004), S. 321. 226 Grundlegend: RG (Urt. v. 7. 11. 1908 – Rev I 638/07), RGZ 69, 401 (403 f.) – „Nietzsche-Briefe“; dieser Entscheidung folgend: RG (Urt. v. 8. 06. 1912 – Rev I 382/11), RGZ 79, 397 (398); RG (Urt. v. 12. 05. 1926 – I 287/25), RGZ 113, 413 (414). Das Reichsgericht billigte Persönlichkeitsrechten aber über § 826 BGB bis zu einem gewissen Grad Schutz zu; zuletzt: RG (Urt. v. 18. 10. 1939 – VI 309/38), RGZ 162, 7 (10 ff.). 224
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dung („Schachtbrief“-Entscheidung) auf Drängen des Schrifttums das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein „sonstiges Recht“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB an, das sich aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ergebe und das von jedermann auch im Privatrechtsverkehr zu achten sei. 227 Dieter Medicus bezeichnet diese Herleitung als „juristische Mißgeburt“ 228. Claus-Wilhelm Canaris meint, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht weder systematisch noch teleologisch in die ursprüngliche Konzeption des BGB hineinpasse: Diesem sei weitgehend die „sozialtypische Offenkundigkeit“ fremd, die den übrigen in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter und Rechten gemein sei. Denn es fehle ihm an einem greifbaren Substrat, das auf vergleichbare Weise wie die Sache für das Eigentum oder wie der menschliche Körper für die Gesundheit stehe. 229 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist während der vergangenen fünf Jahrzehnte Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen in Rechtsprechung und Literatur gewesen und eines der umstrittensten Gebiete des Zivilrechts überhaupt. Dies resultiert zum einen daraus, dass auf die Persönlichkeit eines Individuums bei (fast) jeder sozialen Interaktion eingewirkt wird, was zu permanenten Beeinträchtigungen dieses Rechts führt, die von klassischen Rechten wie dem Eigentum oder Rechtsgütern wie der Gesundheit in dieser Form unbekannt sind. Zum anderen blieb das allgemeine Persönlichkeitsrecht trotz umfassender Reformen des Schuldrechts einer der „weißen Flecken auf der juristischen Landkarte des BGB“ 230 und seine Voraussetzungen, Grundlagen, Grenzen und Rechtsfolgen werden weiterhin durch die Zufälligkeiten höchstrichterlicher Einzelfallentscheidungen bestimmt. 1. Rechtsgrundlagen In der „Leserbrief“-Entscheidung war der Antrag des Klägers auf Widerruf und somit auf die Gewährung negatorischen Rechtsschutzes gerichtet. Der Bundesgerichtshof brauchte in diesem Fall daher nicht zu einer Rechtsgrundlage des aus einer Verletzung resultierenden Schadensersatzanspruchs Stellung zu nehmen. Nur wenig später wurde er dann aber auch mit der ersten Klage auf Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschäftigt. a) Keine Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens nach BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 – „Paul Dahlke“ Der bekannte Schauspieler Paul Dahlke machte einen Anspruch auf Schadensersatz geltend, nachdem eine Photographie, die ihn auf einem Motorroller 227 228 229 230
BGH (Urt. v. 25. 05. 1954 – I ZR 211/53), BGHZ 13, 334 (338) – „Leserbrief“. Medicus (2004a), Rdnr. 615. Larenz / Canaris (1994), S. 491. Stürner (1996), S. 743 f.
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des Unternehmens NSU zeigte, von NSU ohne eine diesbezügliche Zustimmung Dahlkes zu Werbezwecken genutzt worden war. Der I. Zivilsenat urteilte, dass NSU allein zur Förderung der eigenen Geschäftsinteressen kein Recht habe, das Bild einer bekannten Persönlichkeit ohne deren Einverständnis zu veröffentlichen. Der Schutz der Persönlichkeitssphäre des Abgebildeten genieße also Vorrang, weshalb eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu bejahen sei. 231 Ein ersatzfähiger Schaden resultiere aus dieser Verletzung jedoch nur dann, wenn Dahlke einen Vermögensschaden erlitten habe, da nach geltendem Recht (§ 253 BGB a. F). ein Nichtvermögensschaden im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht zu einem Anspruch auf Geldersatz führen könne. 232 Nach den herrschenden Gepflogenheiten sei es generell so, dass bekannte Personen Veröffentlichungen von Photos zu Werbezwecken nur gegen Zahlung einer nicht unerheblichen Vergütung gestatten. 233 Der Senat ging also davon aus, dass prinzipiell auch der Schauspieler Dahlke gegen eine entsprechende Vergütung bereit gewesen wäre, sein Bild für die Werbeaktion des Unternehmens NSU zur Verfügung zu stellen. Dadurch, dass NSU das Photo tatsächlich ohne die Einwilligung Dahlkes zu Werbezwecken genutzt hat, sei dem Schauspieler diese angemessene Lizenzgebühr für die Veröffentlichung entgangen. Diese Veröffentlichung stelle somit einen unzulässigen Eingriff in ein „vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht“ 234 dar. Entsprechend den für den Fall der Verletzung von Urheberrechten gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätzen sei Dahlke daher als Schadensersatz ein Betrag zuzubilligen, der gerade derjenigen Summe entspreche, die er als Vergütung für die Einwilligung in die Veröffentlichung des Photos hätte verlangen können. 235 b) Analogie zu § 847 BGB a.F. nach BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 – „Herrenreiter“ Nicht einmal zwei Jahre später hatte sich der I. Zivilsenat erneut mit dem Problem des Schadensersatzes infolge von Persönlichkeitsverletzungen zu befassen. Der Hersteller des Präparats „Okasa“, das der Steigerung der sexuellen Potenz dienen sollte, veröffentlichte zu Werbezwecken ein Plakat mit dem Photo eines Turnierreiters – des Herrenreiters – ohne dessen Einwilligung und unterschrieb es mit dem Slogan: „Nimm Okasa und Du kommst über die Hürde“. Der Reiter, ein wohlhabender Brauereibesitzer, verlangte in Anlehnung an den „Dahlke“Fall Schadensersatz in Höhe von 15.000 DM. Obwohl dieser Sachverhalt einige unübersehbare Parallelen zu der vorhergehenden Entscheidung aufwies, meinte 231
BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (347 –352) – „Paul Dahlke“. BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (352 f.) – „Paul Dahlke“. 233 BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353) – „Paul Dahlke“. 234 BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353) – „Paul Dahlke“ (Hervorhebung im Original). 235 BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353 f.) – „Paul Dahlke“. 232
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der Senat, hier keinen Vermögensschaden konstruieren zu können. Und so musste er, um dem Kläger Schadensersatz zuzusprechen, einen Weg finden, die der Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden grundsätzlich entgegenstehende Sperre des § 253 BGB a.F. zu überwinden. Dem lagen folgende Erwägungen des I. Zivilsenats zugrunde: Für eine Schadensberechnung nach der fiktiven Lizenzgebühr wie im Fall Dahlke sei es zwingende Voraussetzung, dass die Einwilligung üblicherweise erteilt werde. Denn diese Art der Schadensberechnung erfordere, dass tatsächlich ein Vermögensschaden irgendeiner Art zugefügt worden sei, da die Schadensermittlung über die fiktive Lizenzgebühr einzig den Nachweis der Schadenshöhe, nicht aber den des Schadenseintritts erleichtern solle. 236 Der Senat kam hier aber zu dem Ergebnis, dass der Kläger sein Bild niemals freiwillig – auch nicht gegen Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr – für diese Werbeaktion für „Okasa“ zur Verfügung gestellt hätte, die ihn in eine derart unwürdige Lage gebracht hat. Wenn er aber die konkrete Nutzung seines Bildes unter keinen Umständen gestattet haben würde, ja er schon die bloße Unterstellung einer solchen Bereitschaft als kränkend empfinden müsse, dann sei eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher und damit vermögensrechtlicher Belange ausgeschlossen. Der Kläger verlange dementsprechend Ersatz und Genugtuung für die ideelle Beeinträchtigung, die er dadurch erlitten habe, dass er durch die Werbeaktion gedemütigt und der Lächerlichkeit Preis gegeben worden sei, mithin den Ersatz eines Nichtvermögensschadens. 237 Gemäß § 253 BGB a.F. (= § 253 Abs. 1 BGB) darf jedoch für einen Nichtvermögensschaden eine Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Ausnahmefällen gewährt werden; und ein solcher existiert für den Fall der Verletzung des – richterrechtlich entwickelten – allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht. Der I. Zivilsenat hielt jedoch die Bildung einer Analogie zu § 847 Abs. 1 BGB a.F. unter dem Aspekt der Freiheitsentziehung für zulässig und geboten und gab insoweit explizit die Rechtsprechung des „Dahlke“-Urteils wieder auf, in dem noch Nichtvermögensschäden im Bereich von Persönlichkeitsrechtsverletzungen für nicht ersatzfähig erklärt worden waren. 238 Ein solcher Analogieschluss setzt eine Gesetzeslücke vergleichbarer Interessenlage voraus. Das BGB enthielt damals so wenig wie heute eine Regelung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Allein durch diese Unvollständigkeit ist aber noch keine Lücke nachgewiesen, denn eine Lücke ist mehr als das bloße Schweigen des Gesetzes und erfordert das Fehlen einer nach dem Regelungszusammenhang zu erwartenden Regelung (Planwidrigkeit). 239 Der I. Zivilsenat räumte ein, dass zwar der Gesetzgeber des BGB 236
BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (352 f.) – „Herrenreiter“. BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (352 f.) – „Herrenreiter“. 238 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (357 f.) – „Herrenreiter“. 239 Canaris (1964, 1983), S. 16, 31 ff. mit eingehenden Ausführungen zum Begriff der Gesetzeslücke. 237
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noch davon überzeugt war, dass es ein zivilrechtlich zu schützendes allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht gebe. 240 Die fehlende Regelung im BGB wäre demnach als ein beredtes Schweigen des Gesetzes und somit nicht als Lücke zu betrachten. Unter dem Einfluss des Grundgesetzes aber, das einen umfassenden Individualschutz garantiere, sei der Wille des historischen Gesetzgebers berichtigt worden. Da sich das aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG folgende Gebot zu einem Ausbau des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes nicht durch unmittelbaren Rückgriff auf die Verfassung selbst verwirklichen lasse, sei im Privatrecht ein im Wege der Rechtsfortbildung zu behebendes Regelungsdefizit entstanden. Es könne daher von einer „Lücke i.w. S.“ 241 gesprochen werden, die zwar nicht entgegen dem ursprünglichen Plan des BGB, sehr wohl aber entgegen der Gesamtrechtsordnung bestehe. 242 Die vergleichbare Interessenlage ergebe sich daraus, dass eine aus einer Persönlichkeitsrechtsverletzung resultierende Freiheitsberaubung „im Geistigen“ (innere Freiheit) regelmäßig genauso wenig wie der Entzug der körperlichen Bewegungsfreiheit (äußere Freiheit) durch Naturalrestitution ausgeglichen werden könne. Ebenso liegen bei beiden die Schadensfolgen der Verletzung in der Regel vorrangig auf immateriellem Gebiet. Um den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der persönlichen Freiheit nicht auf unerträgliche Weise zu vernachlässigen, sei es daher geboten, die in § 847 BGB a.F. getroffene Regelung für die äußere Freiheit auch auf die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte innere Freiheit zu erstrecken. 243 Das Persönlichkeitsrecht wurde durch den I. Zivilsenat so in entsprechender Anwendung über das Recht der unerlaubten Handlungen geschützt und der Schaden des Klägers, der als Nichtvermögensschaden spezifiziert und auf 10.000 DM taxiert wurde, im Wege des Schmerzensgeldes (analog § 847 BGB a.F.) ersetzt, wobei hinsichtlich der Funktion auf die oben angeführten Grundsätze zu Ausgleich und Genugtuung zurückgegriffen werden konnte und auch zurückgegriffen wurde. Zu den grundlegenden Fragen, ob § 253 BGB a.F. eine Sperre für den Ersatz immaterieller Schäden in Geld und somit auch ein Verbot der Analogie zu § 847 BGB a.F. enthalte und wie die Grundrechte, die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG nur den Staat binden, auf das Privatrecht Einfluss nehmen können, schwieg der Senat jedoch in seiner Entscheidungsbegründung. 244 Auch machte er nicht deutlich, ob bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Nichtvermögensschäden nunmehr umfassend in Geld entschädigt werden oder ob ihre Ersatzfähigkeit weiteren Beschränkungen unterliegen solle. 240 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (356) – „Herrenreiter“; vgl. dazu Mugdan II (1899), S. 1297. 241 Larenz / Canaris (1995), S. 248. 242 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (356) – „Herrenreiter“. So auch: Larenz / Canaris (1995), S. 248. 243 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (356) – „Herrenreiter“. 244 Zu Recht kritisch dazu: Larenz / Canaris (1995), S. 249.
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Mit Urteil vom 18. März 1959 hatte dann auch der IV. Zivilsenat über einen vergleichbaren Fall zu befinden, in dem die Schauspielerin und Sängerin Caterina Valente ohne ihr Einverständnis in einer Werbeanzeige mit Haftcreme für Zahnvollprothesen (Kukident) in Verbindung gebracht wurde. Ein Vermögensschaden, wie er im Fall Paul Dahlkes vom I. Zivilsenat noch bejaht worden war, scheide hier aus, weil es die Klägerin – ähnlich wie im „Herrenreiter“-Fall – ablehne, ihre Einwilligung in die Nutzung ihres Namens für eine solche Werbung zu erteilen, selbst gegen Zahlung der üblichen Vergütung. Zu der Frage des Ersatzes ihres Nichtvermögensschadens in Geld konnte der Senat aus zivilprozessualen Gründen keine Stellung nehmen, weil die Klägerin die Feststellung ihres etwaigen Nichtvermögensschadens nicht beantragt hatte. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde daher aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. 245 Bis zu dieser prozessualen Sperre folgte der IV. Zivilsenat allerdings dem durch den I. Zivilsenat gebahnten Pfad und trat jedenfalls dem Standpunkt des I. Zivilsenats nicht entgegen, erlittene Nichtvermögensschäden in Geld über eine Analogie zu § 847 Abs. 1 BGB a.F. zu ersetzen. c) Verdrängung des § 253 BGB a.F. durch Art. 1 GG nach BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 – „Ginseng-Wurzel“ Nur kurze Zeit später wurde auch dem VI. Zivilsenat ein vergleichbarer Fall zur Revision vorgelegt. Der Kläger, ein Professor für Völker- und Kirchenrecht, hatte einem befreundeten Pharmakologen von einem Koreaaufenthalt GinsengWurzeln mitgebracht. Ein Unternehmer, der ein ginsenghaltiges Kräftigungsmittel vertrieb, warb für sein Produkt damit, dass unter anderem der klagende Professor die potenzsteigernde Wirkung erforscht und anerkannt habe. Dieser fühlte sich in seinem Persönlichkeitsrecht dadurch verletzt, dass zum einen der Eindruck erweckt werde, er habe sich auf einem fachfremden Gebiet ein Urteil erlaubt, und zum anderen, dass er tatsächlich Werbung für dieses Produkt mache, was ihn der Lächerlichkeit insbesondere seiner Studenten und Kollegen preisgebe. Unter Berufung auf das „Herrenreiter“-Urteil verlangte er Ersatz seines immateriellen Schadens in Geld. Ohne die logisch vorgelagerte Frage, ob ein Vermögens- oder ein Nichtvermögensschaden vorliegt, zu problematisieren, befasste sich der VI. Zivilsenat unmittelbar damit, wie der Ersatz von Nichtvermögensschäden in Geld rechtsdogmatisch zu konstruieren sei. Ausgehend von dem Grundsatz des § 253 BGB a.F. schloss sich der VI. Zivilsenat insoweit dem I. Zivilsenat an, als dieser ausgeführt hatte, dass sich die Wertschätzung für das Persönlichkeitsrecht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere durch Inkrafttreten des Grundgesetzes grundle245
BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (17 f.) – „Caterina Valente“.
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gend verändert habe. Auch nahm er an, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts unzureichend sei, weil im Fall ideeller Beeinträchtigungen keine adäquate rechtliche Sanktion ausgelöst werde. 246 Während der I. Zivilsenat die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden in Geld einige Jahre zuvor im Wege einer Analogie zu § 847 BGB a.F. begründet hatte, wählte der VI. Zivilsenat dafür einen anderen Weg: Wenn die Rechtsordnung auf eine Entschädigung für Nichtvermögensschäden als das wirksamste Mittel verzichte, um die Ehre und die Würde des Einzelnen zu sichern, lasse das Zivilrecht wesentliche Wertentscheidungen der Art. 1, 2 GG ungeschützt und werde so dem grundgesetzlichen Wertsystem nicht mehr gerecht. Es sei daher von Verfassungs wegen geboten, die Persönlichkeitswerte im geistigen Bereich genauso zu schützen, wie dies im Bereich der von Art. 2 Abs. 2 GG genannten Persönlichkeitsgüter geschehe, die ebenfalls Ausfluss des Persönlichkeitsrechts seien. 247 Anders als der I. Zivilsenat, der unter dem Einfluss der Grundrechte versucht hatte, eine zivilrechtlicher Dogmatik entsprechende Analogie zu § 847 BGB a.F. zu kreieren, verzichtete der VI. Zivilsenat auf diese „scheinpositivistische Etikette der Analogie“ 248 und griff zur Herleitung des Ersatzanspruchs unmittelbar auf die Grundrechte zurück. Woraus genau diese Ableitung zu erfolgen habe, machte er in seinem Urteil jedoch nicht deutlich. Auch dazu, auf welche Weise die Grundrechte Einfluss auf das Zivilrecht nehmen, bezog er keine Stellung. 249 Nicht einmal zwei Jahre später erhielt der VI. Zivilsenat dann die Möglichkeit, den von ihm gewählten Ansatz über Art. 1, 2 GG gegen Angriffe aus dem Schrifttum zu verteidigen, die ihm unter anderem die Wahrnehmung legislatorischer Aufgaben vorwarfen. 250 Dazu führte er aus, dass der Richter, wenn er die Bindung an die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen ernst nehme, im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz nicht mehr an die Entscheidung des Gesetzgebers aus dem 19. Jahrhundert gebunden sein könne, bei Persönlichkeitsverletzungen keinen Ersatz immaterieller Schäden zu gewähren. 251 Es folge aus der Natur der Sache, dass dem Richter im Bereich des Persönlichkeitsschutzes, wo die rechtlichen Konturen unscharf seien, ein sehr hohes Maß an Gestaltungsfreiheit und Verantwortung zukomme. Dieses habe sich in der modernen Rechtsprechung durch den Einfluss von Generalklauseln entwickelt und gehe sicherlich über das Maß hinaus, das der Gesetzgeber noch 1900 vorgesehen hatte. Alles in allem sei die 246 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (366 f.) – „GinsengWurzel“. 247 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (367 f.) – „GinsengWurzel“. 248 Köndgen (1976), S. 68. 249 Kritisch zu diesen Fragen: Hager (1994), S. 373 ff.; Larenz / Canaris (1995), S. 249. 250 Münzel (1960), S. 2028; P. Hartmann (1962), S. 15; Löffler (1962), S. 227. 251 BGH (Urt. v. 5. 03. 1963 – VI ZR 55/62), BGHZ 39, 124 (131 f.) – „Fernsehansagerin“.
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richterrechtliche Ausbildung des Schadensersatzes für immaterielle Schäden im Bereich des Persönlichkeitsrechts keine „seiner Stellung wesensfremde“ 252. d) Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nach BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 – „Soraya“ 1964 hatte der VI. Zivilsenat dann über einen Fall zu entscheiden, in dem der Axel-Springer-Verlag ein frei erfundenes „Exklusiv-Interview“ in Großformat mit Prinzessin Soraya Esfandiary-Bakhtiary, der geschiedenen Gemahlin des damaligen Schahs des Iran, abgedruckt hatte. In Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung sah der Senat in diesem Vorgehen einen Eingriff in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts von Soraya, der allein schon deshalb nicht durch einen Widerruf (Naturalrestitution) wieder gutgemacht werden könne, weil seit dem Erscheinen des Interviews mehr als drei Jahre vergangen waren (sog. „Deaktualisierung“ 253). Daher verurteilte er die Beklagte nach den oben dargestellten Grundsätzen, an die Klägerin einen Betrag von 15.000 DM zu zahlen. 254 Gegen dieses Urteil legte der Axel-Springer-Verlag Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht stellte seinerseits heraus, dass es das Urteil allein auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts hin überprüfen werde und nicht im Hinblick auf die „Richtigkeit“ der Zivilrechtssprechung. 255 Nachdem das Bundesverfassungsgericht sowohl die Ableitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, 2 GG als auch die erforderliche Berücksichtigung der Wertigkeit des Art. 5 Abs. 1 GG durch den VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in verfassungsrechtlicher Hinsicht gebilligt hatte, 256 hielt es auch die Bedenken des Beschwerdeführers dagegen, dass die Rechtsfortbildung durch das oberste Zivilgericht gegen die Grenzen der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz verstoßen habe, für nicht gerechtfertigt. Der Richter sei nach dem Grundgesetz nicht allein darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Denn dies setze eine – faktisch unerreichbare – Lückenlosigkeit 252
BGH (Urt. v. 5. 03. 1963 – VI ZR 55/62), BGHZ 39, 124 (133) – „Fernsehansagerin“. Diese Terminologie für derartige Vorgänge führte der Bundesgerichtshof erst später ein; vgl. z. B. BGH (Urt. v. 9. 12. 2003 – VI ZR 38/03), NJW 2004, 1034 (1035). In diesem Fall kam der VI. Zivilsenat jedoch wegen der Schwere der Ehrverletzung nicht zu dem Ergebnis, dass schon Deaktualisierung eingetreten sei, obwohl auch hier das Erscheinen des Artikels mehr als drei Jahre zurücklag. 254 BGH (Urt. v. 8. 12. 1964 – VI ZR 201/63), NJW 1965, 685 (686) – „Soraya“. 255 BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (280 f.) – „Soraya“. 256 BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (280 – 286) – „Soraya“. 253
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der positivgesetzlichen Regelungen voraus. Aufgabe des Richters sei es daher insbesondere auch, gesetzes- oder verfassungsimmanente Wertvorstellungen zu verwirklichen. Das „Altern der Kodifikation“ im Zivilrecht gebiete dabei eine zunehmende Freiheit des Richters zur Rechtsfortbildung, um die gesetzlichen Normen ihrem sozialen und politischen Kontext anzupassen. 257 Insbesondere sei durch die vorliegende Rechtsfortbildung im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Enumerationsprinzip des § 253 BGB a.F. nicht außer Kraft gesetzt, sondern lediglich um einen Anwendungsfall erweitert worden. 258 „Ein Ergebnis aber, das auf einem zivilrechtlich zumindest diskutablen, jedenfalls den Regeln zivilrechtlicher Hermeneutik nicht offensichtlich widersprechenden Wege gewonnen wurde, kann von der Verfassung her nicht beanstandet werden, wenn es gerade der Durchsetzung und dem wirksamen Schutz eines Rechtsgutes dient, das diese Verfassung selbst als Mittelpunkt ihres Wertsystems ansieht. Dieses Ergebnis ist ‚Recht‘ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG – nicht im Gegensatz, sondern als Ergänzung und Weiterführung des geschriebenen Gesetzes.“ 259
Nach dieser Billigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch das Bundesverfassungsgericht dürfte Angriffen mit der Zielrichtung, sie überschreite die Grenzen der zulässigen Rechtsfortbildung und sei ein Übergriff in die Aufgaben des Gesetzgebers, der Boden endgültig entzogen worden sein. Dabei sollte jedoch die Tragweite dieser Entscheidung auch nicht überschätzt werden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat – wie Claus-Wilhelm Canaris es treffend formuliert hat – nicht entschieden, dass „... die Rechtsprechung des BGH [...] durch die Verfassung geboten [ist]; es hat nur gesagt, daß sie durch diese nicht verboten ist.“ 260 e) Zwischenergebnis (insbesondere im Hinblick auf das Zweite SchadÄndG) Dieser rechtsdogmatische Weg über Art. 1, 2 GG wurde vom Bundesgerichtshof schon 1965 als „ständige Rechtsprechung“ 261 bezeichnet, 1971 sprach er von einer 257
BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (287 f.) – „So-
raya“. 258
BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (292) – „Sora-
ya“. 259
BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (291) – „Sora-
ya“. 260 Larenz / Canaris (1994), S. 496 (Hervorhebungen im Original, Fußnote weggelassen). Ähnlich auch: Canaris (1999a), S. 101 mit der Gegenüberstellung der Begriffe „verfassungslegitimiert“ und „verfassungsdeterminiert“ (Hervorhebungen im Original) und Canaris (1999b), S. 82 f. 261 BGH (Urt. v. 12. 10. 1965 – VI ZR 95/64), NJW 1965, 2395 (2396) – „Mörder unter uns“.
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„unterdessen gefestigten Rechtsprechung“ 262. Dieter Giesen merkte dazu zwar kritisch an: „Selbst eine höchstrichterliche Entscheidung wird nicht dadurch überzeugender, daß man sie ständig wiederholt.“ 263 Karl Larenz, der der Gewährung einer billigen Entschädigung in Geld für immaterielle Schäden bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich ablehnend gegenüber stand, konstatierte aber 1973: Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei gefestigt durch eine lange Reihe von Entscheidungen, „... die auf dem Wege über den ‚Gerichtsgebrauch‘ zur Bildung eines Gewohnheitsrechtes geführt hat.“ 264 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht dient, wie der I. Zivilsenat in seiner Entscheidung „Marlene Dietrich“ konsequent aus der bisherigen Entwicklung seiner Rechtsprechung gefolgert hat, „dem Schutz nicht nur ideeller, sondern auch kommerzieller Interessen der Persönlichkeit“ 265. Somit wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht „zweispurig“ 266 ausdifferenziert: Einerseits schütze das Persönlichkeitsrecht vermögenswerte Interessen der Person. So entstehe dem Betroffenen aus der wirtschaftlichen Verwertung einer Persönlichkeit und dem mit ihr verbundenen Image häufig eher ein finanzieller als ein ideeller Nachteil. Da der Bundesgerichtshof seit der Entscheidung „Paul Dahlke“ für diesen kommerziellen Aspekt der Persönlichkeit im Fall der Verletzung eines besonderen Persönlichkeitsrechts ein vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht anerkannt habe, müsse dem Verletzten folgerichtig auch im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf Ersatz seines Vermögensschadens entstehen. 267 Andererseits diene das Persönlichkeitsrecht aber auch dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Wert- und Achtungsanspruch der Persönlichkeit. Um einen adäquaten Schutz zu gewährleisten, müsse das Recht für den Fall der Beeinträchtigung dieser Interessen neben Abwehransprüchen auch einen Anspruch auf Ersatz des erlittenen Nichtvermögensschadens vorsehen. 268 Dieser Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens wurde in Abkehr von der „Herrenreiter“-Entscheidung seit der Entscheidung „Ginseng-Wurzel“ unmittelbar auf die privatrechtsgestaltende Wirkung der Grundrechte gestützt. 269 Lange Zeit wurde zwar in der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats nicht mit letz262
BGH (Urt. v. 26. 01. 1971 – VI ZR 95/70), NJW 1971, 698 (699) – „Liebestropfen“. Giesen (1971), S. 801 (Hervorhebung des Originals weggelassen). 264 Larenz (1973), S. 453. Er fügte allerdings kritisch an: „Es kann der Geltung des nunmehrigen Gewohnheitsrechtes keinen Abbruch tun, daß die dazu führende Übung sich ursprünglich unter Verletzung rechtlicher Vorschriften gebildet hat.“ 265 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (214, Leitsatz 1) – „Marlene Dietrich“. 266 Wagner (2000a), S. 717. 267 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (219 f.) – „Marlene Dietrich“. 268 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (218 f.) – „Marlene Dietrich“. 263
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ter Konsequenz deutlich, woraus er die Rechtsgrundlage für die zu gewährende Entschädigung in Geld für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts nun dogmatisch genau ableiten wollte. In der Entscheidung „Ginseng-Wurzel“ selbst schien es so, als habe der Senat die Grundrechtsordnung als eigenständige Quelle für diesen Anspruch aktiviert. Das Grundgesetz selbst schien danach die erforderliche gesetzliche Ausnahmeregelung zu ersetzen, die entgegen dem Grundsatz des § 253 BGB a.F. Nichtvermögensschäden für in Geld ersatzfähig erklärt. In einer späteren Entscheidung sprach der VI. Zivilsenat jedoch davon, dass der Geschädigte „entsprechend der Regelung des § 847 BGB vom Schädiger einen Ausgleich in Geld“ verlangen könne. 270 Dies deutete auf eine (Wieder-)Annäherung an die „Herrenreiter“-Entscheidung des I. Zivilsenats hin. Denn auch der VI. Zivilsenat schien nunmehr doch wieder von § 847 BGB a.F. als Rechtsgrundlage ausgehen zu wollen. Dessen Anwendbarkeit erschloss er sich jedoch nicht über eine Analogie zur „Freiheitsentziehung“. Vielmehr werde der § 847 BGB a.F. durch die grundgesetzlich gebotenen Wertungen modifiziert und ermögliche daher den Ersatz trotz des generellen Ersatzverbots des § 253 BGB a.F. In der „Caroline“-Entscheidung stellte der Senat dann jedoch explizit klar, dass es sich bei der Geldentschädigung als Folge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB a.F. handele, sondern „um einen Rechtsbehelf, der unmittelbar auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht“ 271 und sich dementsprechend nicht auf die Bestimmungen des BGB stützt. 272 Dieser Ansatz wurde in den nachfolgenden Entscheidungen ausgebaut und weiter gefestigt. 273 Der Gesetzgeber des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften war sich der Problematik im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewusst. 274 Zwar wurde dessen Verletzung ausdrücklich nicht in den 269
Sehr kritisch zum Ausmaß des Einflusses, den die Grundrechte auf das Privatrecht haben: Larenz / Canaris (1994), S. 494 und Hager (1994), S 373 ff. jeweils m.w. N. In diesem Sinne auch Westermann (1998), S. 132, der auf die Schwierigkeiten des Zivilrechtlers hinweist, die entstehen, wenn „beständig mit den als kleine Münze in den Verkehr gebrachten Grundrechten geklimpert wird“. 270 BGH (Urt. v. 12. 10. 1965 – VI ZR 95/64), NJW 1965, 2395 (2396) – „Mörder unter uns“. 271 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (15) – „Caroline I“. 272 Deutsch (2005), S. 989 spricht daher insoweit von „Verfassungszivilrecht“. 273 BGH (Urt. v. 5. 12. 1995 – VI ZR 332/94), NJW 1996, 984 (985) – „Caroline II“; BGH (Urt. v. 12. 12. 1995 – VI ZR 223/94), NJW 1996, 985 (987); BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (218) – „Marlene Dietrich“; BGH (Urt. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/03), BGHZ 160, 298 (302) – „Alexandra“. 274 Zweites SchadÄndG vom 19. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2674). Eine Übersicht zu den Entwürfen seit 1959, das allgemeine Persönlichkeitsrecht zumindest als Generalklausel im BGB festzuschreiben und so das kodifizierte Recht der Rechtsentwicklung anzupassen, die sich außergesetzlich durch Richterrecht vollzogen hat, findet sich bei: Baston-Vogt (1997), S. 166 – 174.
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Kreis ersatzfähiger Nichtvermögensschäden gemäß § 253 Abs 2 BGB aufgenommen. Dies solle und könne einer Geldentschädigung im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber nicht entgegenstehen. 275 Der Gesetzgeber betrachtete diesen Ersatzanspruch als von § 253 BGB ganz und gar unabhängig. Eine einfachgesetzliche Vorschrift könne nämlich diesen aus den Grundrechten folgenden Anspruch ohnehin nicht tangieren; eine – vom Bundesrat dringend angeregte 276 – Kodifikation würde allenfalls klarstellenden Charakter haben. 277 Der Gesetzgeber bestätigte also den jüngsten höchstrichterlichen Ansatz, eine Geldentschädigung unabhängig von § 847 BGB a. F bzw. § 253 Abs. 2 BGB n.F. allein unter Berufung auf Art. 1, 2 GG zuzusprechen. Er hat damit vor kürzester Zeit ausdrücklich seinen Willen zur Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden bei Persönlichkeitsverletzungen bekundet. Folglich dürfte sowohl eine Ablehnung der Ersatzfähigkeit als auch eine Lösung über eine Analogie zu § 253 Abs. 2 BGB mangels planwidriger Unvollständigkeit des Gesetzes für unabsehbare Zeit kaum noch vertretbar sein. Der Entschädigungsanspruch resultiert also aus dem Wertesystem des Grundgesetzes. Denn ein daran auszurichtender Persönlichkeitsschutz wäre unzureichend, wenn eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts keine der ideellen Beeinträchtigung adäquate Sanktion auslösen würde. Daher überwinden – anstelle einer gesetzlich normierten Ausnahme – unmittelbar die Verfassungsnormen die Sperre des § 253 Abs. 1 BGB. 278 Rechtsgrundlage des Anspruchs auf eine billige Entschädigung in Geld für erlittene Nichtvermögensschäden infolge einer Persönlichkeitsverletzung ist somit § 823 Abs. 1 BGB i.V. m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG. 279 2. Haftungsbegründung Der Anspruch auf Geldentschädigung setzt zunächst denknotwendig die Verletzung eines fremden allgemeinen Persönlichkeitsrechts voraus. Dieses ist – anders 275
BT-Drucks. 14/7752, S. 24. BT-Drucks. 14/7752, S. 49 f.; vgl. dazu die Gegenäußerung des Bundestages: BTDrucks. 14/7752, S. 55. 277 BT-Drucks. 14/7752, S. 24 f. 278 Anders beispielsweise Medicus (2004b), Rdnr. 817, der davon ausgeht, dass sich die Sperrwirkung des § 253 Abs. 1 BGB auf diesen Anspruch auf Geldentschädigung schon gar nicht beziehe. 279 Wie hier die ganz h.M.: BGH (Urt. v. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/03), BGHZ 160, 298 (302) – „Alexandra“; Heinrichs, in: Palandt (2006), § 253, Rdnr. 10; Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 253, Rdnr. 27 (jeweils m.w. N.). Anders z. B. Beuthien (2003), S. 1222, der den Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 i.V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ableiten möchte. Dadurch wird aber der Tatsache keine Rechnung getragen, dass der Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden in Geld im Fall der Persönlichkeitsverletzung gerade kein „Schmerzensgeld“-Anspruch i. S.v. § 253 Abs. 2 BGB sein soll und bewusst ohne Anhaltspunkt in der gesetzlichen Kodifikation blieb. 276
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als die in § 823 Abs. 1 BGB angeführten Rechtsgüter – nicht auf den Schutz eines gegenständlich verkörperten Interesses beschränkt (wie z. B. der Körper), wodurch seine Grenzen nicht bestimmt und auch kaum bestimmbar sind. Sein Tatbestand ist vielmehr – um eine Formulierung des Bundesgerichtshofs aufzugreifen – von „generalklauselartiger Weite und Unbestimmtheit“ 280. Die geschützte freie Entfaltung der einen Person konfligiert daher permanent mit der ebenfalls geschützten freien Entfaltung anderer Personen. Zwar ist es anerkannt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine gesicherte Rechtsposition gewährt, aber nicht jeder Eingriff stellt auch ohne Weiteres eine Verletzung dar. Ob eine solche vorliegt, lässt sich endgültig erst im Bereich der Rechtswidrigkeit durch eine umfassende Güter- und Interessenabwägung mit den kollidierenden Rechten des Eingreifenden ermitteln. 281 So kann sich der Verletzer beispielsweise auf die Freiheit der Presse (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) 282 oder auf die Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) 283 berufen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht stellt deshalb – wie auch das Recht am Unternehmen (Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) – ein „Rahmenrecht“ 284 dar. Im Bereich dieser Abwägung ist ein gerechter Ausgleich zwischen den geschützten Interessen des Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre einerseits sowie den ebenfalls geschützten Interessen der Allgemeinheit auf Berichtserstattung und Information andererseits herzustellen und auf diese Weise im Einzelfall die abstrakt nicht trennscharf zu ziehende Grenze zur Verletzung zu konkretisieren. 285 Nur wenn diese Abwägung zuungunsten des Eingreifenden ausfällt, liegt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Allgemeingültige und zugleich subsumtionsfähige Kriterien für die Abwägung lassen 280
BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (11) – „Caterina Valente“. EGMR (Urt. v. 26. 04. 2004 – 59320/00), NJW 2004, 2647 (2649) – „Caroline von Hannover / Deutschland“; BVerfG (Urt. v. 15. 12. 1999 – 1 BvR 653/96), BVerfGE 101, 361 (388 ff.) – „Caroline“; so auch schon: BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (368) – „Ginseng-Wurzel“. 282 Aktuelles Beispiel: BGH (Urt. v. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/03), BGHZ 160, 298 (305) – „Alexandra“. 283 Aktuelles Beispiel: OLG Hamm (Urt. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 (920) – „tv total“. 284 Dieser Begriff geht zurück auf Wolfgang Fikentscher (1965, 1997), Rdnr. 1216. Schwerdtner (1977), S. 97, der diese Bezeichnung zwar grundsätzlich billigt, weist aber darauf hin, dass sie rechtstheoretisch nicht exakt sei. Dem offenen Tatbestand (Rahmentatbestand) entspringe nicht ein Rahmenrecht im Sinne einer einzigen Verhaltensnorm, sondern ein Bündel vielfältiger, vom Richter erst noch aufzustellender Verhaltennormen. Ein Rahmentatbestand stelle daher nicht selbst eine Verhaltensnorm (absolutes Recht) auf, sondern beinhalte eine Ermächtigungsnorm für den Richter, der seinerseits dann Verhaltensnormen aufstelle. 285 EGMR (Urt. v. 26. 04. 2004 – 59320/00), NJW 2004, 2647 (2649) – „Caroline von Hannover / Deutschland“; BVerfG (Urt. v. 15. 12. 1999 – 1 BvR 653/96), BVerfGE 101, 361 (388 ff.) – „Caroline“. Zu den Unterschieden bei der Abwägung im Einzelfall zwischen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Heldrich (2004), S. 2634 ff. 281
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sich dementsprechend kaum aufstellen. Es ist deshalb im Schrifttum zu einer Einteilung in Fallgruppen gekommen, innerhalb derer konkretere Kriterien formuliert werden können. 286 Anders als im Fall des Schmerzensgelds ist die Rechtsverletzung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch lediglich notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für den Ersatz eines erlittenen Nichtvermögensschadens in Geld, d. h. nicht jede Verletzung eines Persönlichkeitsrechts führt auch zwangsläufig zu einem Anspruch auf Geldentschädigung. Zusätzliche Voraussetzung ist vielmehr, dass diese zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Geschädigten zwingend erforderlich ist. In der insofern grundlegenden „Ginseng“-Entscheidung begründete der VI. Zivilsenat diese Einschränkung damit, dass angesichts der Unsicherheit der vorzunehmenden Abwägung ansonsten die Gefahr bestünde, dass unbedeutende Beeinträchtigungen durch den Geschädigten in unangemessener Weise ausgenutzt werden, um daran zu verdienen. 287 Daher wird erstens gefordert, dass es sich objektiv um eine erhebliche Verletzung handelt oder dem Schädiger subjektiv eine schwere Schuld zur Last fällt. 288 Zweitens komme selbst bei derart gravierenden Eingriffen eine Entschädigung nur dann in Betracht, wenn die Einbuße, die der Geschädigte erlitten hat, nicht auf andere Art als durch die Entschädigung in Geld auszugleichen sei (sog. Subsidiarität der Geldentschädigung 289). Der Geschädigte soll also vorrangig im Wege der Naturalrestitution in den Zustand zurückversetzt werden, der ohne die Verletzung bestand; so muss 286
Derartige Einteilungen in Fallgruppen finden sich beispielsweise bei: Larenz / Canaris (1994), S. 498 –517; Hager (1995), S. 566 ff.; Larenz / Wolf (1997), § 8, Rdnr. 29 –40; Fikentscher (1997), Rdnr. 1226 – 1231; Medicus (2002), Rdnr. 1080 –1083. 287 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 159/60), BGHZ 35, 363 (368 f.) – „GinsengWurzel“. 288 Das BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 – „Soraya“ sprach, als es diese Rechtsprechung im Grunde bestätigte, jedoch ausdrücklich davon, dass eine erhebliche Beeinträchtigung und schweres Verschulden kumulativ vorliegen müssen (S. 286). In diesem Sinne auch: Schiemann, in: Staudinger (2005), § 253, Rdnr. 58. Darin ist aber wohl nur ein (Redaktions-)Versehen seitens der Verfassungsrichter zu sehen. Jedenfalls hat die zivilgerichtliche Rechtsprechung im Folgenden weiterhin das alternative Vorliegen dieser beiden Gesichtspunkte genügen lassen; so reichte z. B. in BGH (Urt. v. 1. 12. 1981 – VI ZR 200/80), NJW 1982, 635 (636) – „Heinrich Böll“ neben der objektiv schweren Verletzung ein einfaches Verschulden aus. Ähnlich auch: BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 159/60), BGHZ 35, 363 (369) – „Ginseng-Wurzel“; BGH (Urt. v. 5. 03. 1963 – VI ZR 55/62), BGHZ 39, 124 (133) – „Fernsehansagerin“; BGH (Urt. v. 7. 01. 1969 – VI ZR 202/66), MDR 1969, 472 (472); Rixecker, in: Münchener Kommentar (2001), § 12 Anh., Rdnr. 214; Ehmann, in: Erman (2004), Anh § 12, Rdnr. 384. 289 Die Bezeichnung der Geldentschädigung als „subsidiär“ ist missverständlich. Damit ist nicht gemeint, dass der an sich bestehende Anspruch hinter andere, durch eben diese Handlung ausgelöste Ansprüche zurücktritt. „Subsidiarität“ meint hier vielmehr, dass die Rechtsfolge der Gewährung des Ersatzes von Nichtvermögensschäden in Geld nur dann zugesprochen werden kann, wenn andere Rechtsfolgen wie Widerruf, Unterlassung, Gegendarstellung oder Ersatz des Vermögensschadens die Verletzung nicht in dem Maße
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beispielsweise bei einem falschen Zeitungsartikel die Auslieferung der Zeitung unterbunden werden oder es muss ein Widerruf gleicher Aufmachung gedruckt werden. Nur in Fällen, in denen dies wegen der Schwere der Verletzung oder wegen Deaktualisierung nicht (mehr) ausreichend ist, sei eine Entschädigung in Geld für die erlittenen ideellen Einbußen geboten, um den Wertungen der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG auf dem Gebiet des Persönlichkeitsschutzes hinreichend Rechnung zu tragen. 290 Alle angeführten Tatbestandsmerkmale von der Interessenabwägung über die Intensität bis hin zur Subsidiarität sind derart weit und damit unspezifisch, dass bei der Subsumtion auf allen Ebenen problematische Grenzfälle auftreten können. Diese Fragen können (und sollen) daher nicht auf dieser abstrakten Ebene geklärt werden; dies ist Aufgabe der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall. 3. Haftungsfolge Welche Faktoren bei der Bemessung der Höhe der Geldentschädigung zu beachten sind, ist – wie schon beim Schmerzensgeld – maßgeblich davon abhängig, welche Funktionen der Entschädigungszahlung zukommen. Dadurch, dass der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung die Geldentschädigung im Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung inzwischen vom Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB (bzw. § 847 BGB a.F.) abgekoppelt hat, hat er sich einen Spielraum geschaffen, innerhalb dessen er die Funktionen dieses Anspruchs eigenständig und unabhängig von den Vorgaben der für das Schmerzensgeld bestehenden Dogmatik ausgestaltet hat. a) Ausgleich und Genugtuung Zwar sprach der I. Zivilsenat in der „Herrenreiter“-Entscheidung eine billige Entschädigung noch analog § 847 BGB a.F. zu. Er sah den Ersatz für die erlittenen Nichtvermögensschäden in Geld dementsprechend als einen Anspruch auf „Schmerzensgeld“ 291 an. Einem solchen Anspruch kommen im Anschluss an den Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 6. Juli 1955 die Funktionen des Ausgleichs und der Genugtuung zu. 292 Erschien es jedoch schon bei Verletzungen ausgleichen können, wie es durch Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geboten ist. Korrekter wäre es somit von der „Subsidiarität der Rechtsfolge Geldentschädigung“ zu sprechen. 290 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 159/60), BGHZ 35, 363 (369) – „GinsengWurzel“; BGH (Urt. v. 8. 12. 1964 – VI ZR 201/63), NJW 1965, 685 (686) – „Soraya“; BGH (Urt. v. 12. 10. 1965 – VI ZR 95/64), NJW 1965, 2395 (2396); BGH (Urt. v. 30. 01. 1996 – VI ZR 386/94), BGHZ 132, 13 (29) – „Lohnkiller“; BGH (Urt. v. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/03), BGHZ 160, 298 (306) – „Alexandra“. 291 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (358) – „Herrenreiter“.
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der körperlichen Integrität schwierig, den auszugleichenden Schaden rechnerisch genau zu bestimmen, ist dies bei immateriellen Verletzungen im geistigen Bereich unmöglich. In dem Maße, in dem daher die Ausgleichsfunktion aus tatsächlichen Gründen zurücktreten muss, rücke folglich die Genugtuungsfunktion im Bereich der Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in den Vordergrund. Sie erlange gerade hier „ihre besondere Bedeutung“ 293. Der VI. Zivilsenat rückte mit der Entscheidung „Ginseng-Wurzel“ von der Analogie zu § 847 BGB a.F. wieder ab, was es ihm ermöglichte, eine Neubestimmung des Inhalts des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen. So seien die Rechtsfolgen aus Verletzungen des Körper, der Gesundheit oder der Freiheit auf der einen Seite und aus Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der anderen Seite nicht zwingend einander entsprechend zu bestimmen. Ein Anlass zur Differenzierung resultiere schon allein daraus, dass der haftungsbegründende Tatbestand im Fall der Geldentschädigung ungleich unbestimmter ist als im Fall des Schmerzensgelds. Auch sei es nicht beabsichtigt, für jede noch so geringfügige Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine Geldentschädigung zuzubilligen. Ferner begründen – anders als beim Schmerzensgeld – nur schwerwiegende, nicht anders ausgleichbare Verletzungen einen Anspruch auf eine Geldentschädigung. In Umkehrung der traditionellen, vom Schmerzensgeld bekannten Rangfolge stehe daher bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Genugtuungsfunktion im Vordergrund. Zu prüfen sei daher, ob es im Einzelfall geboten ist, auf die Persönlichkeitsverletzung mit der Zubilligung einer Geldentschädigung zu reagieren. 294 Auch begrifflich grenzte der Bundesgerichtshof die geschuldete Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vom Schmerzensgeld ab, indem er sie als „Genugtuung“ 295 bezeichnete. Die Ausgleichsfunktion, die hier aus den genannten Gründen ohnehin kaum von Bedeutung sein kann, wurde so auch terminologisch in den Hintergrund gerückt – spiegelbildlich zu der Funktionsrangfolge beim klassischen Schmerzensgeld. b) Prävention Schon früh findet sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Persönlichkeitsrecht auch der Gedanke des Rechtsgüterschutzes. So wird beispiels292 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149. Ausführlich dazu: Teil 1 C. I. 2. b). 293 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (358) – „Herrenreiter“. 294 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (368 f.) – „GinsengWurzel“. 295 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (368, 369) – „GinsengWurzel“. In der Folgeentscheidung „Fernsehansagerin“ sprach der BGH (Urt. v. 5. 03. 1963 – VI ZR 55/62), BGHZ 39, 124 (133) von einem „Anspruch auf Zahlung einer Genugtuung“.
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weise bereits in der „Herrenreiter“-Entscheidung angesprochen, dass es notwendig sei, bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts Schutz gegen wesenseigentümliche Schäden zu gewähren. 296 Ähnlich war in der „Ginseng“-Entscheidung die Rede davon, dass die Rechtsordnung ohne den Geldersatz auf ihr wirksamstes Mittel verzichte, das ihr zum Schutz des Persönlichkeitsrechts zur Verfügung stehe. 297 Dem unlauteren Gewinnstreben auf Kosten fremder Persönlichkeitsrechte könne nur dadurch entgegengetreten werden, dass dem Schädiger das Risiko eines fühlbaren materiellen Verlustes auferlegt werde. 298 Später erklärte der VI. Zivilsenat dann ausdrücklich, dass es die besondere Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen gebiete, sowohl dem Gedanken der Genugtuung als auch dem Gedanken, das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen zu schützen, Rechnung zu tragen. 299 Der Aspekt der Rechtserhaltung und des Rechtsschutzes war für das Persönlichkeitsrecht also schon seit geraumer Zeit aus höchstrichterlichen Urteilen bekannt. Vor diesem Hintergrund war deshalb die „Caroline“-Entscheidung, in der der VI. Zivilsenat die Prävention zu einem zentralen Gedanken der Persönlichkeitsrechtsprechung erhob, gar nicht so progressiv und überraschend, wie es häufig angenommen wird. Allerdings – und dies war die auf dieses Urteil zurückgehende Innovation – räumte der Senat in dieser Entscheidung dem Aspekt der Prävention erstmals nachhaltigen Einfluss auf die Höhe der Entschädigung ein. Denn der Präventionszweck könne nur dann erreicht werden, wenn die Entschädigung der Höhe nach ein Gegenstück zur Verletzungshandlung bilde, die in einer vorsätzlichen Verletzung fremder Persönlichkeitsrechte zur Steigerung des eigenen Gewinns bestand. Das heiße zwar nicht, „... daß in solchen Fällen rücksichtloser Kommerzialisierung der Persönlichkeit eine ‚Gewinnabschöpfung‘ vorzunehmen ist, wohl aber, daß die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung einzubeziehen ist. Von der Höhe der Geldentschädigung muß deshalb ein echter Hemmungseffekt auch für eine solche Vermarktung der Persönlichkeit ausgehen.“ 300 Unter Beachtung dieser Auffassung entschied das OLG Hamburg, an das der Fall zurückverwiesen worden war, dass ein Betrag von insgesamt 180.000 DM angemessen sei, nachdem der Klägerin zuvor in der Berufungsinstanz lediglich 30.000 DM zugesprochen worden waren. 301 Diese Summe überstieg die Obergrenze dessen, was jemals zuvor als Entschädigung für eine Persönlichkeitsverletzung zugestanden worden war, um das Dreifache. 302 Damit setzte sich der Bundesgerichtshof deutlich von seiner bisherigen Rechtsprechung 296
BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (354 f.) – „Herrenreiter“. BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (368) – „Ginseng“. 298 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (369) – „Ginseng“. 299 BGH (Urt. v. 22. 01. 1985 – VI ZR 28/83), NJW 1985, 1617 (1619) – „Nacktfoto“. 300 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. 301 OLG Hamburg (Urt. v. 25. 07. 1996 – 3 U 60/93), NJW 1996, 2870 (2874) – „Caroline I“. 297
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ab. Die bis dato zugesprochenen geringen Geldentschädigungen, die auf den Ausgleich des Schadens des Verletzten ausgerichtet waren, hatten den Medien eine weitgehend sanktionslose Verletzung fremder Persönlichkeitsrechte ermöglicht. Jedenfalls waren die in der Regel allenfalls als symbolisch zu bezeichnenden Summen nicht geeignet gewesen, von Verletzungen wirksam abzuschrecken. ClausWilhelm Canaris spricht daher von der „(überaus verständliche[n]) Empörung der Richter des BGH über die dreiste Verhöhnung des [Persönlichkeits-] Rechts“ 303, die für die erstmalige Berücksichtigung der Prävention bei der Festlegung der Entschädigungshöhe ausschlaggebend gewesen sein könnte. Jedenfalls in Fällen, in denen die Persönlichkeit eines Individuums rücksichtslos durch die Medien vermarktet und zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen benutzt wird, hat sich der Gedanke, die Höhe der Entschädigung auch im Hinblick auf Prävention und Hemmungseffekt zu bestimmen, inzwischen obergerichtlich zu einer ständigen Rechtsprechung verfestigt. Exemplarisch aus neuster Zeit seien zwei Entscheidungen angeführt. So sprach das OLG Hamm einer zum Verletzungszeitpunkt 16-jährigen 70.000 Euro als Entschädigung dafür zu, dass ein Kurzinterview von ihr zum Gegenstand einer aggressiv verfremdenden Satire im Rahmen der Sendung „tv total“ gemacht wurde, in der ihr, ohne dass sie in irgendeiner Form dazu Anlass gegeben hatte, eine Tätigkeit im pornographischen Filmgewerbe nahe gelegt wurde. 304 Und der Bundesgerichtshof sprach Alexandra von Hannover, der Tochter Carolines, für unberechtigterweise geschossene und veröffentlichte Fotos einen Ersatzanspruch von über 76.000 Euro zu. 305 Dabei handelt es sich um die höchsten Entschädigungen im Bereich des Persönlichkeitsrechts, 302 Stefanie M. Graf hatte 1994 gerichtlich eine Entschädigung von 60.000 DM von der Rockgruppe „Die angefahrenen Schulkinder“ zugesprochen bekommen für deren Lied mit der Textpassage: „I wanna make love / To Steffi Graf / Like her father / Did a thousand times before“. OLG Karlsruhe (Urt. v. 27. 04. 1994 – 7 O 114/93), NJW 1994, 1963 (1964) – „Steffi Graf“. In einem Pressefall lag zuvor die höchste jemals zugesprochene Entschädigung bei 50.000 DM, die Prinz Bernhard von den Niederlanden für die Behauptung erhielt, dass seine Tochter Prinzessin Irene auf seine Veranlassung hin vor ihrer Eheschließung ihr Kind abgetrieben habe. OLG Hamburg (Urt. v. 26. 03. 1970 – 3 W 4/70), UFITA 1970, 94 (96) – „Prinz Bernhard von den Niederlanden“. 303 Canaris (1999a), S. 106, der aber die dogmatische Herleitung des Anspruchs heftig kritisiert. In diesem Sinne auch schon Seitz (1996), S. 2850: „Aus richterlicher Sicht war es unabdingbar, ein Machtwort zu sprechen. Es war doch wohl ziemlich offensichtlich, daß der mächtige Konzern dem Recht auf der Nase und der Prinzessin auf dem Titelblatt herumtanzte. Deshalb ist die Entscheidung des BGH in ihrer Eindringlichkeit zu begrüßen. Dogmatisch hätte ich den Weg über §§ 812 ff. BGB eher gewählt; er wäre etwas ehrlicher.“ 304 OLG Hamm (Urt. v. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 (919) – „tv total“. 305 BGH (Urt. v. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/03), BGHZ 160, 298 (307) – „Alexandra“. Der BGH bestätigte das erstinstanzliche Urteil aus dem Jahre 2001, in dem der Klägerin 150.000 DM zugesprochen wurden, umgerechnet circa 76.693 Euro.
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die Minderjährigen jemals durch ein deutsches Gericht zugesprochen worden sind. Diese Rechtsprechung setzt damit die durch die „Caroline“-Entscheidung eingeläutete Entwicklung fort. c) Zwischenergebnis Der VI. Zivilsenat selbst fasste jüngst seine Rechtsprechung zur Funktion der Geldentschädigung in einem amtlichen Leitsatz wie folgt zusammen: „Bei der Bemessung der Geldentschädigung stellen der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers, der Präventionsgedanke und die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung [also Kompensation, der Verf.] Bemessungsfaktoren dar, die sich je nach Lage des Falles unterschiedlich auswirken können.“ 306
Anders als bei Schadensersatzansprüchen für Vermögensschäden, wo nach höchstrichterlicher Rechtsprechung allein die Funktion der Kompensation maßgeblich ist, und auch anders als beim Schmerzensgeld, wo sich eine Doppelfunktion aus Kompensation und Genugtuung herausgebildet hat, kommt der Geldentschädigung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen somit eine „Dreifachfunktion“ zu. In Hinblick auf die Rangfolge dieser drei Funktionen wird in der jüngeren Rechtsprechung immer wieder deutlich gemacht, dass grundsätzlich der Gedanke der Genugtuung, flankiert vom Gedanken der Prävention, im Vordergrund stehen soll und die Kompensation zugunsten der Prävention mehr und mehr zurücktreten müsse. 307 Zu beachten ist jedoch, dass die Präventionsfunktion durch den Bundesgerichtshof bisher ausschließlich in Fällen postuliert wurde, in denen eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Massenmedien in Rede stand – seien es die Printmedien wie in den Fällen „Herrenreiter“, „GinsengWurzel“ oder „Caroline“, sei es das Fernsehen wie beispielsweise bei den Entscheidungen „Stern-TV“ 308 oder „tv total“ 309. Dazu ist jedoch anzumerken, dass gerade die kommerzielle Ausnutzung der Persönlichkeitsrechte Einzelner durch die Medien auch bei Weitem zu den erheblichsten Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt – in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht. Außerdem ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung kein Hinderungsgrund, diese Prävantivfunktion auch auf Fälle zu erstrecken, in denen der Verletzer nicht aus dem Bereich der Massenmedien stammt.
306
BGH (Urt. v. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/03), BGHZ 160, 298 (298, Leitsatz 2) – „Alexandra“ (Nachweise weggelassen). 307 BGH (Urt. v. 5. 12. 1995 – VI ZR 332/94), NJW 1996, 984 (985) – „Caroline II“; BGH (Urt. v. 12. 12. 1995 – VI ZR 223/94), NJW 1996, 985 (987); BGH (Urt. v. 26. 11. 1996 – VI ZR 323/95), NJW 1997, 1048 (1050) – „Stern-TV“. 308 BGH (Urt. v. 26. 11. 1996 – VI ZR 323/95), NJW 1997, 1048 (1050) – „Stern-TV“. 309 OLG Hamm (Urt. v. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 (919) – „tv total“.
92
Teil 1: Grundlagen
Aus dieser dreifachen Funktion, an der die Höhe der Geldentschädigung auszurichten ist, ergeben sich dementsprechend die Bemessungskriterien. 310 Darunter finden sich vor allem Aspekte, die aus der Genugtuungsfunktion folgen und schon vom Schmerzensgeld her bekannt sind, wie etwa der Grad des Verschuldens des Verletzers oder seine wirtschaftlichen Verhältnisse. Soweit dies hier möglich ist, können auch kompensatorische Elemente wie Intensität oder Dauer der Persönlichkeitsverletzung eine Rolle spielen. Aus dem Bereich der Prävention können spezielle Kriterien wie die vom Verletzer verfolgten Interessen an der Schädigung und die Wiederholungsgefahr im Einzelfall Berücksichtigung finden.
D. Ergebnis des ersten Teils Für den ersten Teil lässt sich somit Folgendes festhalten: Der in Teil 2 durchzuführenden effizienzorientierten Analyse des Rechts des Schmerzensgelds und der Geldentschädigung ist das Verhaltensmodell des homo oeconomicus zugrunde zu legen. Dessen Ziel ist die Maximierung seines persönlichen Nutzens. Er wird daher rechtliche Vorgaben übertreten, wenn der Nutzen, den er durch den Rechtsverstoß erzielen kann, den ihm daraus drohenden Erwartungswert der Sanktion übersteigt, die im zivilrechtlichen Bereich in der Pflicht zum Schadensersatz besteht (A.). Der Begriff des im Rahmen dieser Arbeit maßgeblichen Nichtvermögensschadens ergibt sich antithetisch aus einer Abgrenzung zum Vermögensschaden. Er liegt – unter Berücksichtigung der ratio legis des § 253 Abs. 1 BGB – dann vor, wenn ein Schaden in Geld messbar und seiner Natur nicht mit der Person des Geschädigten verbunden ist (B.). Dem Ersatz dieses Nichtvermögensschadens in Geld kommen beim Schmerzensgeld und bei der Geldentschädigung nach der Rechtsprechung unterschiedliche Funktionen zu. Im Bereich des Schmerzensgeldes steht die Kompensationsfunktion im Vordergrund, der Genugtuungsgedanke greift lediglich noch vereinzelt ein. Bei der Geldentschädigung lässt sich dagegen eine dreifache Funktion ausmachen. Neben der Genugtuung steht hier insbesondere die Prävention im Fokus der Überlegungen. Der hier kaum zu verwirklichende Gedanke des Ausgleichs wird dagegen weitgehend vernachlässigt (C.).
310
Zu den Bemessungskriterien im Bereich der Persönlichkeitsverletzung im Einzelnen: Prinz (1996), S. 955 f.
Teil 2
Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse) „Indem die [Rechts-] Wissenschaft das zufällige zu ihrem Gegenstande macht, wird sie selbst zur Zufälligkeit; drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur.“ 1 Julius Hermann von Kirchmann
Aus Sicht der ökonomischen Theorie haben alle rechtlichen Regelungen – und somit auch die Schadensersatzhaftung – dem übergeordneten Ziel der Maximierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt zu dienen. Dieses Ziel wird nicht dadurch erreicht, dass mit der Statuierung der zivilrechtlichen Ersatzpflicht lediglich die Kompensation desjenigen Schadens bezweckt wird, den der Geschädigte im Einzelfall erlitten hat. Denn auf der Ausgleichsebene stellt die Kompensation eines bereits entstandenen Schadens ein volkswirtschaftliches Nullsummenspiel dar, in dem Geld von der Person des Schädigers ohne systematischen Wohlfahrtsgewinn auf die Person des Geschädigten umverteilt wird. 2 Und auf der Abwicklungsebene verursacht dieser Umverteilungsprozess gar noch eigenständige (tertiäre) Kosten, sodass es durch die Vornahme des Ausgleichs zu einem zusätzlichen Wohlfahrtsverlust kommt – neben dem, der ohnehin schon durch die Schädigung eingetreten ist. 3 Richard A. Posner bringt den Sinn und Zweck von Schadensersatz aus ökonomischer Sicht auf den Punkt: 1
v. Kirchmann (1848, 1990), S. 23. Deutsch (1979), S. 1325 beschreibt den wirtschaftlich unbefriedigenden Effekt einer reinen Kompensation im Hinblick auf das Produkthaftungsrecht pointiert als „besteuerte[n] und mit Gewinnanteilen belastete[n] Griff des Kunden in die eigene Tasche“ (dies ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Deutsch [1996], S. 496 f. sonst ein ausdrücklicher Befürworter der Ausgleichsfunktion ist). 3 Konsequent zu Ende gedacht, müsste das Ausgleichsprinzip zu einer Ersetzung der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung durch eine umfassende Versicherungslösung führen. So müsste sich der Staat zu einer Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit machen, jeden entstandenen Schaden ausgleichen und die entstehenden Lasten gleichmäßig auf seine Bürger verteilen. Denn die reine Ausgleichsfunktion würde diese Versicherungslösung (im Hinblick auf die tertiären Kosten) weitaus kostengünstiger erfüllen als das geltende Haftpflichtsystem. Dazu: Kötz (1990a), S. 644; in diesem Sinne auch schon: Holmes (1881, 2
94
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse) „... [T]he economist is not [...] interested in the one question that concerns the victim and his lawyer: Who should bear the costs of this accident? To the economist, the accident is a closed chapter. The costs that it inflicted are sunk. The economist is interested in how to prevent future accidents that are not cost-justified and thus in reducing the sum of accident and accident-prevention costs.“ 4
Der Ausgleich eines Schadens zielt allein auf die Behebung eines einzelnen, in der Vergangenheit liegenden Ereignisses ab. Der Blick des Ökonomen ist aber nach vorne gerichtet, auf die Verhinderung zukünftiger Wohlfahrtsverluste durch neuerliche Schadenseintritte. Im Gegensatz zu bereits eingetretenen Schäden lassen sich nämlich im Hinblick auf zukünftige Schäden volkswirtschaftliche Gewinne realisieren. Aus ökonomischer Sicht kommt dem (außervertraglichen Haftungs-) Recht deshalb die Funktion zu, menschliche Verhaltensweisen so zu steuern, dass das Ziel der gesamtgesellschaftlichen Effizienz erreicht wird. Soweit in diesem Zusammenhang von Prävention die Rede ist, ist damit nichts anderes gemeint als die Steuerung des Verhaltens der beteiligten Personen. 5 Der Schädiger soll also durch die ihm haftungsrechtlich angedrohte Pflicht, die durch ihn verursachten Schadenskosten tragen zu müssen, dazu veranlasst werden, sein Maß an Vorsorge im Vorfeld der Schädigung zu erhöhen und so den Eintritt eines Schadens zu verhindern. 6 Da allerdings nicht nur der Schaden, sondern auch die Schadensvorsorge Kosten verursacht, muss eine Abwägung zwischen diesen beiden Kostenfaktoren vorgenommen werden, mit dem Ziel, den bestmöglichen und somit effizienten Kompromiss zwischen Schadenserwartungswert auf der einen und Schadensvorsorgekosten auf der anderen Seite herbeizuführen. Es geht also nicht um eine maximale, sondern um eine optimale Verhinderung von Schädigungen, sodass nur diejenigen Schadensereignisse vermieden werden sollen, die es sich wegen des damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Gewinns zu vermeiden lohnt. 7 Eine derart verstandene Prävention kann die Rechtsordnung dadurch erreichen, dass sie den Einzelnen dazu veranlasst, Schadensverhütung in eben diesem effizi1960), S. 96. Im Fall einer Ersetzung der Haftung durch einen umfassenden Versicherungsschutz in Quebec für Autounfälle ließ sich jedoch empirisch nachweisen, dass es infolge dessen zu einer erheblichen Zunahme von Unfällen gekommen ist. Dazu: Dewees / Duff / Trebilcock (1996), S. 415 ff. Dies belegt, dass der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung eine über den bloßen Ausgleich hinausgehende Funktion zukommt. 4 Posner (1972b, 2003), S. 25 (Hervorhebung im Original). 5 In der Rechtswissenschaft wird der Begriff der Prävention dagegen häufig enger dahingehend verstanden, dass präventiv nur solche Normen wirken, die Verhaltensverbote mit Sanktionen bewehren (paradigmatisch dazu die Ausführungen Möllers [2006], S. 209 f.). Da bei Gefährdungshaftungsnormen die Haftungsfolge definitionsgemäß nicht von der Verbotswidrigkeit eines Verhaltens abhängt, kann die Gefährdungshaftung zwar nicht nach dem juristischen, sehr wohl aber nach dem weiteren ökonomischen Verständnis der Prävention dienen. Dazu: Blaschczok (1999), S. 161. 6 Grundlegend: Jaffe (1953), S. 240; Calabresi (1965), S. 713; Calabresi (1970), S. 24 ff.; Brown (1973), S. 326. 7 Calabresi (1970), S. 68 ff.; Posner (1972a), S. 32.
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
95
enten Maß zu betreiben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Individuum nach dem hier zugrunde gelegten Verhaltensmodell des homo oeconomicus bestrebt ist, unter den von ihm vorgefundenen Rahmenbedingungen ausschließlich seinen persönlichen Nutzen zu maximieren. 8 Es nimmt also weder auf das volkswirtschaftliche Wohlergehen noch auf die normativen Vorgaben des Rechts Rücksicht. 9 Damit der homo oeconomicus systematisch und dauerhaft als Diener der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt etabliert werden kann, sind deshalb zwei grundlegende Voraussetzungen zu erfüllen. Die erste betrifft die Frage der Haftungsauferlegung, das „Ob“ der Haftung. Der Schaden muss im Wege des Haftungsrechts einem Beteiligten insoweit auferlegt werden, als dieser unter Effizienzgesichtspunkten zum Treffen weiterer Vorsorgemaßnahmen induziert werden soll. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte Ersatz seines Schadens vom Schädiger verlangen kann, ist daher allein im Hinblick darauf zu entscheiden (A.). Die zweite Voraussetzung betrifft das „Wieviel“ der Haftung. Die Höhe der Schadensersatzpflicht, die das Haftungsrecht an eine Rechtsverletzung knüpft, muss so bemessen werden, dass der „Preis“, den der Schädiger für die Schädigung zu zahlen hat, die durch ihn tatsächlich verursachten sozialen Kosten exakt widerspiegelt. Denn einzig dann wird der Schädiger die von ihm zu verursachten Schadenskosten auch umfassend internalisieren (B.). 10 Da der homo oeconomicus eine Tätigkeit nur ausüben wird, wenn der daraus für ihn zu erwartende private Nutzen die ihm entstehenden privaten Kosten übersteigt, wird er unter den aufgestellten Voraussetzungen durch sein rational-eigennütziges Verhalten immer zugleich auch die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt mehren.
8
s. o., vgl. Teil 1 A. I. s. o., vgl. Teil 1 A. II. 10 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass hier ausschließlich die Auswirkungen zivilrechtlicher Haftung untersucht werden. Tatsächlich wird das Verhalten jedoch nicht ausschließlich durch die drohende zivilrechtliche Haftung beeinflusst. Insbesondere im Bereich der Körperverletzung sind die durch die Straftatbestände der §§ 223 ff., 229 StGB vermittelten Anreize zur Schadensvermeidung zu berücksichtigen. Wie stark diese Anreize sind, ist aber eine zu weitreichende Frage, als dass sie hier in der gebotenen Kürze beantwortet werden könnte. Das Zusammenspiel der Anreize von zivilrechtlichen Schadensersatzpflichten mit anderen infolge der Schädigung drohenden (z. B. strafrechtlichen) Sanktionen ist derart kompliziert, dass es Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung sein müsste. 9
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) „For the rational study of the law the black-letter man may be the man of the present, but the man of the future is the man of statistics and the master of economics.“ 11 Oliver Wendell Holmes
Haftung befasst sich immer mit der Frage, wer die Kosten einer Schädigung letztlich zu tragen hat. Der Begriff der Schädigung ist dabei denkbar weit zu verstehen als jedes Ereignis, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit durch das Verhalten des Schädigers beeinflusst werden kann und aus dem eine Einbuße resultiert, die eine dritte Person (Geschädigter) hinnehmen muss. Dem gesetzlichen Haftungsrecht kommt dabei aus ökonomischer Sicht die Aufgabe zu, zwischen den Beteiligten – Schädiger und Geschädigtem – die aus der Schädigung resultierenden Kosten so zu verteilen, dass ihnen Anreize vermittelt werden, das jeweils effiziente Maß an Vorsorge zu treffen. Denn im Bereich des Deliktsrechts haben die Beteiligten regelmäßig keine Möglichkeit, vor der Schädigung eine Vereinbarung über die Verteilung des Schadens zu treffen, 12 wodurch die gesetzlich angeordnete Haftung unmodifiziert zur Anwendung gelangt. Nur wenn das Haftungsrecht dieser Aufgabe gerecht wird, kann das gesamtgesellschaftliche Ziel erreicht werden, den aus den Tätigkeiten von Schädiger und Geschädigtem erwachsenden Nutzen zu maximieren. 13 Zunächst wird daher erörtert, welche Kosten eine Schädigung aus ökonomischer Sicht verursacht und welche Anreize durch das Haftungsrecht idealerweise vermittelt werden sollten (I.). Danach werden die effizienten Haftungstypen für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (II.) und der Verletzung der Gesundheit bzw. des Körpers (III.) erarbeitet. Zuletzt wird auf die Konstellation der vorsätzlichen Schädigung einzugehen sein, bei der einige Besonderheiten auftreten, die eine gesonderte Darstellung erforderlich machen (IV.).
I. Der Schadenseintritt aus ökonomischer Sicht Tagtäglich gibt es unzählige Ereignisse, bei denen die beteiligten Personen an ihren Rechten und Rechtsgütern verletzt werden. Dadurch entstehen soziale Kosten, die sich in zwei grundlegende Kostenfaktoren aufteilen lassen: die Kosten 11 12 13
Holmes (1897), S. 469. Zu der Bedeutung dieser Annahme sogleich: Teil 2 A. I. 1. b) aa). Grundlegend: Calabresi (1970), S. 136.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
97
infolge des tatsächlichen Schadenseintritts und die Kosten der getroffenen Vorsorgemaßnahmen. Die Schadenskosten, die für die ökonomische Betrachtung relevant sind, bestehen dabei nicht in den Kosten eines einzelnen tatsächlich entstandenen Schadens. Da zukünftiges Verhalten gesteuert werden soll, kommt es vielmehr auf den im Vorfeld einer Schädigung bestehenden Schadenserwartungswert (expected accident cost) an. Dieser entspricht dem Produkt aus der (durchschnittlich zu erwartenden) Höhe des Schadens (S ) und aus der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts (W): W × S . 14 Diese Funktion ist in der ersten Kurve der Abbildung 2 dargestellt, auf deren horizontaler Achse das Maß an Vorsorge, das der Handelnde auf sich nimmt, und auf deren vertikaler Achse der Erwartungswert des drohenden Schadens aufgetragen ist. Der streng monoton fallende Verlauf der Kurve verdeutlicht, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit und damit auch der Erwartungswert des Schadens mit zunehmender Vorsorge geringer werden. Mathematisch gewendet ist die Wahrscheinlichkeit eine in Abhängigkeit von dem Maß der getroffenen Vorsorge (V) abnehmende Funktion: W = W(V). Der Begriff Vorsorge im weiteren Sinn umfasst jede Handlung, die die Wahrscheinlichkeit oder die Höhe eines Schadens verringert. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens hängt nicht allein von der Intensität der Vorsorge ab, sondern auch von dem Umfang der potentiell schädigenden Aktivität. 15 Dabei steigt grundsätzlich linear zum Aktivitätsniveau auch die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit an. Um diese zu verringern, bestehen also zwei Möglichkeiten. Der potentielle Schädiger kann ein höheres Maß an Vorsicht bei der Ausführung seiner Tätigkeiten aufwenden (qualitative Vorsorge, Vorsorge im engeren Sinn) und er kann sein Aktivitätsniveau senken (quantitative Vorsorge). 16 Aus den möglichen Vorsorgemaßnahmen resultieren jedoch ebenfalls Kosten, wie etwa der Verlust von Geld, Zeit oder Annehmlichkeiten. Je höher also das Vorsorgeniveau gewählt wird, desto höher werden auch diese Vorsorgekosten. Das wird in der graphischen Darstellung daran deutlich, dass die Kurve, die die Vorsorgekosten abbildet (Kurve 2), stetig ansteigt. 17
14
Grundlegend: Calabresi (1970), S. 18 ff. Diese Unterscheidung zwischen level of activity und level of care findet sich schon bei: Calabresi (1965), S. 715. Die strikte Trennung bei der Betrachtung der verschiedenen Haftungssysteme wurde zuerst hervorgehoben von: Shavell (1980), S. 1. Es ist durchaus möglich, das Aktivitätsniveau in den Begriff der Vorsorge zu integrieren und Vorsorge umfassend in diesem weiten Sinne zu verstehen. Weil die Aktivität jedoch in der (Rechts-)Wirklichkeit nur selten und allenfalls zufällig als Bestandteil der Vorsorge aufgefasst wird und weil auch Fälle der konstanten Aktivität betrachtet werden sollen, wird hier zwischen Vorsorge im engeren Sinne und Aktivität unterschieden, um Missverständnissen vorzubeugen. 16 Wenn im Folgenden von „Vorsorge“ die Rede ist, beziehen sich die Ausführen lediglich auf die qualitative Vorsorge (Vorsorge im engeren Sinn). Sollte die Vorsorge im weiteren Sinn gemeint sein, wird dies ausdrücklich erwähnt werden. 17 Aus Gründen der Vereinfachung und Übersichtlichkeit wird angenommen, dass die Kosten jeder einzelnen Einheit Vorsorge konstant sind und sich somit nicht mit zuneh15
98
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Um die Kernpunkte in Bezug auf das optimale Verhältnis von Vorsorge und Schadenserwartungswert besser veranschaulichen und klarer herausarbeiten zu können, soll hier von anderen Problemkreisen abstrahiert werden, die die Ergebnisse beeinflussen können. Es wird daher angenommen, dass ein Schadensereignis keine weiteren sozialen Kosten verursacht. Weiterhin wird unterstellt, dass die Beteiligten unversichert und risikoneutral sind sowie dass die rechtliche Durchsetzung von Ersatzansprüchen kostenlos möglich ist. Diese Vereinfachung stellt nur scheinbar eine Verlagerung der Problematik in eine beliebig veränderte Kunstwelt dar. Genau dies war aber der entscheidende Schritt in Guido Calabresis klassischem Werk „The Cost of Accident“, in dem zum ersten Mal die unterschiedlichen Anreize der Haftungsmodelle systematisch untersucht wurden. Die Notwendigkeit dieser – zumindest temporären – Vereinfachung beschrieb Calabresi selbst so: „To be complete, such a work would have to be mammoth.“ 18 Die Rückübertragung der in diesem Modell erarbeiteten Ergebnisse auf die Realität wird im Anschluss diskutiert und nachgewiesen werden. Im Rahmen des Modells ergeben sich die erwarteten Gesamtkosten eines Unfalls (K) somit allein aus der Addition der beiden Kostenfaktoren Vorsorge und Schadenserwartungswert: (Gleichung 1)
K = V + W(V) × S
Graphisch ergibt sich die Kurve der Gesamtkosten aus den Kurven der beiden Einzelkosten. Unter Effizienzgesichtspunkten ist derjenige Kompromiss zwischen Abwehr des drohenden Schadens (Vorsorge) und Hinnahme des Schadens (Schadenserwartungswert) zu finden, bei dem die gesamtgesellschaftlichen Kosten minimiert werden. Dieses globale Minimum der U-förmigen Gesamtkostenkurve ist hier mit dem Punkt V ∗ bezeichnet. Nur in diesem Punkt sind die Kosten einer weiteren Einheit Vorsorge (soziale Grenzkosten, marginal social cost) exakt gleich dem Nutzen durch die Verringerung der erwarteten Schadenshöhe (sozialer Grenznutzen, marginal social benefit): 19 V ∗ = −W(V ∗ ) × S . Dies entspricht der zentralen Forderung der Wohlfahrtsökonomie, dass genau so viele Einheiten eines Gutes mender Vorsorge verändern. Eine Einheit Vorsorge kostet also pauschal x Euro. Daher stellt der Graph eine Ursprungsgerade mit der Steigung x dar. Dieses ist ein willkürlich gewähltes Beispiel. Der Graph könnte ebenso gut eine – links- oder rechts- – gekrümmte Kurve sein. Jedenfalls ist er aber streng monoton steigend. 18 Calabresi (1970), S. 14. Zur Rolle des Modells in der Ökonomie: Polinsky (1989), S. 1 f. (mit einem Augenzwinkern) oder auch Cooter / Ulen (2004), S. 350. Ob und gegebenenfalls wie sich eine Anpassung der Annahmen dieses Modells an die Wirklichkeit auf die auf Basis dieses Modells erarbeiteten Ergebnisse auswirkt, soll sogleich geklärt werden: Teil 2 A. I. 3. 19 Dieser systematisch wohlfahrtsorientierte Ansatz findet sich zuerst bei: Brown (1973), S. 324 – 326.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
99
600
Kosten (in Euro)
500
400
Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten Gesamtkosten
300
V* 200
100
1
3
5
7
9
11 13
15
17
19
21
Vorsorge (Geschwindigkeit in km/h)
Abbildung 2
produziert werden sollen (hier: „Produktion“ von Vorsorge durch das Treffen entsprechender Maßnahmen), dass auch noch die letzte produzierte Einheit alle durch sie verursachten Kosten (hier: Kosten für das Treffen der letzten Einheit Vorsorge) mit ihrem Nutzen (hier: Absenken des Erwartungswertes des Schadens) deckt. 20,21 In haftungsrechtliche Terminologie gefasst, heißt dies: Das Maß der durch die Beteiligten aufzuwendenden Vorsorge muss so lange angehoben werden, bis die
20
Diese Forderung wurde begründet durch: Pigou (1932, 1962), S. 315. Calabresi (1970), S. 136 ff., Calabresi (1972), S. 1060 und Demsetz (1972), S. 28 stellen zur Bestimmung des Haftungsträgers auf die Figur des cheapest cost avoider ab (auch: least cost avoider oder best cost avoider). Die Person, die mit dem geringsten Aufwand den Eintritt des Schadens hätte verhindern können und dies nicht getan hat, solle zum Schadensersatz herangezogen werden. Das Modell des cheapest cost avoider kann grundsätzlich nur Situationen der unilateralen Schadensverursachung erklären, in denen das Schadensrisiko durch alleinige Vorsorge entweder des Schädigers oder des Geschädigten vollständig beseitigt werden kann. Im Fall einer bilateralen Schadensverursachung führt es dagegen in der Regel zu ineffizienten Ergebnissen, weil hier nicht ein Beteiligter allein, sondern beide Beteiligten zusammen durch ihren jeweiligen Vorsorgebeitrag den Schadenserwartungswert minimieren. Es gibt hier also nicht den einen cheapest cost avoider, dem allein die Bürde des Vorsorgetreffens auferlegt werden sollte. Die optimalen Anreizwirkungen von Haftungsregeln können folglich nicht zuverlässig über das cheapestcost-avoider-Modell ermittelt werden (Brown [1973], S. 326 f.; Shavell [1987], S. 17 f.). So wies Richard A. Posner (1973), S. 213 f. überzeugend nach, dass die Anwendung des cheapest cost avoider in (zu) vielen Fällen zur Anwendung der Gefährdungshaftung ohne Mitverschuldenseinwand führen würde. Für eine solche (Über-)Anwendung der Gefährdungshaftung gibt es jedoch keinen ökonomischen Grund (Posner [1973], S. 221) und sie führt deshalb zu ineffizienten Ergebnissen (so auch: Shavell [1987], S. 18). John 21
100
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Grenzkosten der letzten Einheit an Vorsorge exakt dem Grenznutzen entsprechen, der in der Verringerung des Schadenserwartungswerts besteht. Mathematisch lässt sich dieser Wert V ∗ dadurch ermitteln, dass die erste Ableitung der Gleichung 1 im Hinblick auf die Vorsorge V gleich null gesetzt wird: (Gleichung 2)
1 = −W (V ∗ ) × S 22, 23
Wird an diesem Minimum bei V ∗ nur eine Einheit mehr an Vorsorge aufgewendet (V ∗ + 1), fallen zusätzliche Kosten von 1 an (Ansteigen von Kurve 2). Gleichzeitig verringert sich dadurch zwar auch der Schadenserwartungswert (W(V ∗ + 1) × S < W(V ∗ ) × S , Abfallen von Kurve 1). Allerdings ist jenseits des optimalen Vorsorgemaßes V ∗ der zusätzliche Nutzen geringer als die aufgewendeten Kosten (z. B. Verringerung von W(V ∗ + 1) × S nur um 0,9), sodass diese weitere Vorsorge ineffizient ist: 1 > −W (V ∗ ) × S . Die sozialen Gesamtkosten des Schadensereignisses steigen schon wieder an (Ansteigen von Kurve 3), wenn überoptimale Vorsorge (V > V ∗ ) getroffen wird. Spiegelbildlich verhält es sich, wenn weniger Vorsorge getroffen wird (V < V ∗ ). Wird die Vorsorge um eine Einheit reduziert (V ∗ − 1), werden zwar Vorsorgekosten in eben dieser Höhe eingespart. Gleichzeitig steigen dadurch aber die zu erwartenden Schadenskosten an – und zwar relativ stärker (z. B. um 1,1): 1 < −W (V ∗ ) × S . Deshalb ist es hier geboten, weitere Vorsorge zu treffen. Um die sozialen Kosten zu minimieren und so entsprechend den Nutzen zu maximieren, ist es also unter dem Blickwinkel der Effizienz erforderlich, genau das Maß an Vorsorge V ∗ zu wählen.
P. Brown (1973), S. 327 meint dementsprechend auch: „The notion of least cost avoider is [...] likely to confuse rather than to clarify matters.“ H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 226, Fn. 26 wollen das Konzept des cheapest cost avoider in der Weise modifizieren, dass nicht mehr der gesamte Vorsorgeaufwand der gesamten daraus resultierenden Schadensverringerung gegenübergestellt werden soll. Es sollen stattdessen Differenzquotienten – und nicht mehr Durchschnittswerte – miteinander verglichen werden. Durch diese Marginalbetrachtung komme der modifizierte cheapest cost avoider „der Optimalitätsbedingung nahe“. Infolge der trotz allem verbleibenden Unsicherheiten taugt diese Figur allenfalls als „Faustformel“, die im Einzelfall auch in die Irre führen kann und deshalb mit Vorsicht zu verwenden ist. Sie ist aus der modernen Literatur zur ökonomischen Analyse des Rechts daher auch so gut wie verschwunden (vgl. nur Posner [2003], S. 207 [Verwendung nur im Bereich der vorsätzlichen Schädigung], Shavell [2003], Kap. 2, S. 10; Cooter / Ulen [2004]). 22 Der Strich ( ) hinter dem W zeigt an, dass es sich um die erste Ableitung handelt. Je höher die Anzahl der Striche ist, desto höher ist auch der Grad der Ableitung. 23 Die erste Ableitung der Funktion W zeigt die Steigung des Graphen der Funktion W(V) an. Die Steigung der Kurve 3 ist negativ, sodass das Minus-Zeichen vor W den Ausdruck −W(V) positiv werden lässt. Dazu ausführlich: Shavell (1987), S. 33 f., 180; Cooter / Ulen (2004), S. 321 f.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
101
Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, welcher der Beteiligten welchen Anteil zu dieser Vorsorge V ∗ beitragen soll und wie man ihn dazu bewegen soll, eben diese Vorsorge auch tatsächlich zu treffen. Es ist deshalb zu untersuchen, ob und wie der Einzelne durch das Haftungsrecht induziert werden kann, exakt das effiziente Maß an Vorsorge zu treffen. 1. Soziale und private Kosten eines Schadens Durch jedes menschliche Verhalten entstehen zwangsläufig Kosten. Dabei ist aus mikroökonomischer Sicht zwischen sozialen Kosten, die der Gesellschaft als Ganzes entstehen, und privaten Kosten, die dem jeweils handelnden Individuum entstehen, zu unterscheiden. 24 Fallen alle entstehenden Kosten beim Handelnden an, sind die privaten gleich den sozialen Kosten. Indem der Einzelne sein Ziel verfolgt, den eigenen Nutzen durch Minimierung der privaten Kosten zu maximieren, fördert er dann zugleich immer auch die gesellschaftliche Wohlfahrt (a). Sobald jedoch auch nur ein Teil der sozialen Kosten bei einem Dritten entsteht (externe Kosten), bleiben die privaten hinter den sozialen Kosten zurück. In diesem Fall können das private Ziel, den eigenen Nutzen zu maximieren, und das gesamtgesellschaftliche Ziel, Anreize zu effizientem Handeln zu vermitteln, auseinander fallen (b). a) Schaden als internes Ereignis (Selbstschädigung) Die Wirkungsweise der Kostentragungspflicht soll mit Hilfe der Denkfigur von der „ideellen Gesamtperson“ 25 verdeutlicht werden. Man fragt, wie sich eine Person verhalten würde, wenn sie Schädiger und Geschädigter in einer Person wäre. In einem solchen Fall der (gedachten) Selbstschädigung treffen sowohl die Kosten für die Vorsorgemaßnahmen (V) als auch die Kosten des Schadens in Höhe des Schadenserwartungswerts (W × S ) dieselbe Zurechnungseinheit, also z. B. ein Unternehmen oder – stark vereinfacht – eine natürliche Person (self-inflicted injury). Die gesamten sozialen Kosten werden somit für dessen betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung relevant (private Kosten); externe Kosten, die durch den Betroffenen ignoriert werden könnten, gibt es nicht. Angenommen der Student S hat eine Marktlücke für sich entdeckt und finanziert sein Studium durch eine Tätigkeit als Fahrradkurier, der zwischen zwei Gebäuden eines Unternehmens eilige Post hin und her transportiert. Als Fahrradfahrer kann er den kürzesten Weg über einen befestigten Feldweg wählen (1 km), der für Kraftfahrzeuge gesperrt ist. Da er erfolgs-, d. h. zeitabhängig, bezahlt wird, fährt er 24
Pigou (1932, 1962), S. 134 f.; vgl. Teil 1 A. II. 2. Dazu: Adams (1985), S. 165, 167; H.-B. Schäfer / Ott (1986), S. 32 f.; Adams (1989), S. 788 f. („integrierte Person“). 25
102
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
regelmäßig unter Vernachlässigung jeder Vorsicht, so schnell wie ihm möglich mit einer Geschwindigkeit (v) von 30 km/h. In diesem Fall benötigt er für die Strecke exakt zwei Minuten (= 120 Sekunden) und erhält für seine Leistung eine Vergütung von 5 Euro je Fahrt. Für jede Sekunde, die er langsamer ist, werden ihm 2 Cent von diesem Betrag abgezogen. In dieser Ausgangssituation (v = 30 km/h und V = 0) besteht eine Wahrscheinlichkeit von 4%, dass er ohne Beteiligung eines Dritten stürzt, weil er beispielsweise in einer Kurve auf dem Feldweg wegrutscht. Der ihm im Fall eines Unfalls durchschnittlich entstehende Schaden (S ) an Fahrrad, Bekleidung und Gesundheit betrage insgesamt 100 Euro. 26 Es soll hier davon ausgegangen werden, dass S diesen Weg durchschnittlich 100 Mal pro Monat fährt (Aktivitätsniveau = 100 Fahrten; maximaler Monatsverdienst = 500 Euro). Die Sturzwahrscheinlichkeit pro Fahrt ist mit dem Aktivitätsniveau zu multiplizieren, sodass S monatlich mit vier Stürzen zu rechnen hat (4% × 100 Fahrten = 400%). Der Erwartungswert des drohenden Schadens pro Monat beziffert sich somit auf 400 Euro = 100 Euro × 400%. Um seine Sturzwahrscheinlichkeit zu verringern, müsste er sein Maß an Vorsorge im weiteren Sinne anheben. aa) Die erste Möglichkeit besteht darin, dass S langsamer und damit vorsichtiger fährt (Anhebung der qualitativen Vorsorge). Dann würde sich die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes mit jedem Stundenkilometer, um den er seine Geschwindigkeit verringern würde, reduzieren. Die Sturzwahrscheinlichkeit bei 0 km/h – wenn er also gar nicht fährt – beträgt 0%. 27 Es soll hier angenommen werden, dass die Unfallwahrscheinlichkeit von da ab im Quadrat zur Erhöhung der Geschwindigkeit zunimmt (W~v2 ). Dementsprechend erreicht sie bei der von S erzielbaren Höchstgeschwindigkeit (vmax = 30 km/h) ihr Maximum von 400%. Die Sturzwahrscheinlichkeit in Prozent lässt sich durch folgende Formel mathematisch bestimmen: W = 4/9 × v2 . Aus der Verringerung der Geschwindigkeit folgt aber denknotwendiger Weise, dass er für die Strecke von 1 km eine längere Fahrzeit benötigen wird. Diese aus der zusätzlichen Fahrzeit resultierende Reduzierung 26 Es soll hier angenommen werden, dass der durchschnittlich entstehende Schaden nicht dadurch beeinflusst wird, dass Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden, sondern konstant bleibt. Es ist zwar für die Realität sehr wohl davon auszugehen, dass auch die Schadenshöhe von dem Maß der getroffenen Vorsorgemaßnahmen abhängig ist: S = S (V). So dürfte die Schadenshöhe regelmäßig bei einem Sturz bei langsamerer Geschwindigkeit geringer sein als bei einem Sturz bei höherer Geschwindigkeit. Für den Gedankengang der Modellanalyse ist es aber gleichgültig, ob die Schadenshöhe in Abhängigkeit von der Vorsorge bestimmt wird oder nicht. Aus Gründen der Vereinfachung wird daher von einer konstanten Schadenshöhe ausgegangen. Dazu: Brown (1973), S. 326; Landes / Posner (1987), S. 61. 27 Die Wahl dieses extremsten Vorsorgeniveaus von 0 km/h ist gleichbedeutend mit der Einstellung der Aktivität. Solange die Aktivität aber ausgeführt wird – und sei es mit der höchsten Vorsicht, z. B. 1 km/h –, wird es (wenn auch nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit) zu Schädigungen kommen. Es ist gerade das Charakteristikum des unvorsätzlichen Verhaltens, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung durch Vorsorgemaßnahmen lediglich verringert, nie aber vollständig ausgeschlossen werden kann. Dazu: Posner (1985), S. 1226.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
103
des Entgelts macht seine Vorsorgekosten (V) aus. Für eine Auslieferung mit Maximalgeschwindigkeit erhält S pro Fahrt den Höchstbetrag von 5 Euro. Bei einer Geschwindigkeit von beispielsweise nur 20 km/h braucht er hingegen schon drei Minuten (= 180 Sekunden). Die zusätzliche Fahrzeit von hier 60 Sekunden führt zu einer Verringerung des Fahrtentgelts um 120 Cent (Entgelt 20 km/h = 3,80 Euro). Um die Vorsorgekosten pro Monat zu ermitteln, sind die Vorsorgekosten pro Fahrt (hier: 1,20 Euro) mit der Höhe des monatlichen Aktivitätsniveaus (hier: 100) zu multiplizieren. Die dem S anfallenden Vorsorgekosten belaufen sich also bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h auf monatlich 120 Euro (V 20 km/h = 120 Euro). Ziel des S ist es, eine Geschwindigkeit – und damit ein Vorsorgeniveau – zu ermitteln, bei dem er den aus seiner Tätigkeit erwachsenen Nettoverdienst maximieren kann. Geschwindigkeit (Vs )
Erwartungswert des Schadens (W×S)
Vorsorgekosten (zusätzl. Gesamt- NettoSek.×100×2 Cent) kosten gewinn 28
30 km/h 400,00% × 100 € ≈ 400 €
0,0 Sek.
0€
400 €
100 €
25 km/h 277,78% × 100 € ≈ 278 €
+24,0 Sek.
48 €
326 €
174 €
23 km/h 235,11% × 100 € ≈ 235 €
+36,5 Sek.
73 €
308 €
192 €
22 km/h 215,11% × 100 € ≈ 215 €
+43,6 Sek.
87 €
302 €
198 €
21 km/h 196,00% × 100 € ≈ 196 €
+51,4 Sek.
103 €
299 €
201 €
20 km/h 177,78% × 100 € ≈ 178 €
+60,0 Sek.
120 €
298 €
202 €
19 km/h 160,44% × 100 € ≈ 160 €
+69,5 Sek.
139 €
299 €
201 €
18 km/h 144,00% × 100 € ≈ 144 €
+80,0 Sek.
160 €
304 €
196 €
17 km/h 128,44% × 100 € ≈ 128 €
+91,8 Sek.
184 €
312 €
188 €
15 km/h 100,00% × 100 € ≈ 100 €
+120,0 Sek.
240 €
340 €
160 €
10 km/h
44,44% × 100 € ≈ 44 €
+240,0 Sek.
480 €
524 €
–24 €
5 km/h
11,11% × 100 € ≈ 11 €
+600,0 Sek.
1200 €
1211 €
–711 €
+∞ Sek.
∞€
∞€
−∞ €
0 km/h
0,00% × 100 € ≈
0€
Abbildung 3
Der Erwartungswert des Schadens steigt, sobald die Geschwindigkeit erhöht wird, an – zunächst langsam, dann immer stärker bis auf den Maximalwert von 400 Euro bei 30 km/h. Wenn S seinen Schadenserwartungswert verringert, indem er die Geschwindigkeit reduziert, entstehen ihm Vorsorgekosten, deren Höhe von der jeweiligen Geschwindigkeit abhängig ist. Sofern diese Kosten für den Zeitverlust den Betrag nicht übersteigen, um den der Erwartungswert des Schadens 28
Die Werte in Euro werden aus Gründen der Übersichtlichkeit auf volle Euro-Beträge auf- bzw. abgerundet.
104
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
reduziert werden kann, ist es für S unter rational-eigennützigen Gesichtspunkten geboten, seine Geschwindigkeit herabzusetzen. Denn auf diese Weise kann er seine Gesamtkosten verringern. Wenn dagegen die ihm entstehenden Kosten durch den Zeitverlust höher sind als die Verringerung des zu erwartenden Schadens, wird er weiterhin das Unfallrisiko auf sich nehmen und mit der entsprechend höheren Geschwindigkeit fahren. Das globale Minimum erreicht die Gesamtkostenkurve bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h. Hier benötigt S für den Weg zwar eine Minute mehr pro Fahrt, wodurch ihm monatliche Vorsorgekosten in Höhe von 120 Euro entstehen (V ∗ = 120 Euro). Gleichzeitig sinkt aber der Erwartungswert des Schadens um über die Hälfte ab (W(V ∗ ) × S = 178 Euro). Insgesamt liegen die erwarteten Gesamtkosten des S bei 20 km/h (298 Euro) deutlich unter denen der Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h (400 Euro). Dadurch, dass er sein Vorsorgeniveau (qualitative Vorsorge) anhebt, kann er also die ihm drohenden Gesamtkosten aus seiner Tätigkeit signifikant senken. Graphisch dargestellt ergibt sich folgendes Schaubild: 600 550 500
Kosten (in Euro)
450 400
V*
350 300
Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten Gesamtkosten
250 200 150 100 50 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 4
bb) Alternativ kann Vorsorge aber auch dadurch getroffen werden, dass das Niveau der potentiell schädigenden Aktivität reduziert wird (Anhebung der quantitativen Vorsorge). S müsste also weniger Fahrradfahrten über den Feldweg auf
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
105
sich nehmen. Dies kann er am einfachsten dadurch erreichen, dass er seine Tätigkeit als Kurier ganz aufgibt. Dann würde er jedoch gleichzeitig auch seine Einnahmen verlieren, was weder zur Maximierung seines privaten Nutzens noch zur Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens sinnvoll erscheint. S könnte seine Kurierdienste aber anstatt mit dem Fahrrad zu Fuß oder durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erledigen. Es sei unterstellt, dass er auf beide Arten einen Unfall komplett vermeiden kann; der Erwartungswert des Schadens beträgt entsprechend 0 Euro. Wenn er den Weg (1 km) zu Fuß zurücklegt, kann er nicht schneller als 6 km/h gehen, er benötigt also 10 Minuten (= 600 Sekunden, Zeitverlust von 480 Sekunden). Nutzt er öffentliche Verkehrsmittel, braucht er – inklusive der Wartezeit und des vom Bus zu fahrenden Umwegs – insgesamt 4 Minuten (= 240 Sekunden, Zeitverlust von 120 Sekunden). Hinzu kommt, dass er eine Fahrkarte lösen muss. Der Preis für eine Kurzstreckenkarte betrage 1 Euro. Bei 100 Fahrten im Monat fallen somit Fahrkartenkosten von insgesamt 100 Euro an. Fortbewegungsart
Erwartungswert (W×S)
Vorsorgekosten Gesamt- Netto(Sek.×100×2 Cent) kosten nutzen
Rad 30 km/h 400,00% × 100 € ≈ 400 €
0,0 Sek.
0€
400 €
100 €
Rad 20 km/h 177,78% × 100 € ≈ 178 € +60,0 Sek.
120 €
298 €
202 €
960 €
960 €
–460 €
240 € 0 € +120,0 Sek. + 100 €
340 €
160 €
0€
0€
Fuß 6 km/h ÖPNV keine Aktivität
0 € +480,0 Sek.
0€
0€
Abbildung 5
Geht S zu Fuß, sind die Vorsorgekosten so hoch, dass sie über dem zu erwartenden Entgelt von 500 Euro liegen. Dies stellt also keine erwägenswerte Alternative dar. Mit dem Bus liegen die Gesamtkosten zwar unter denen der Höchstgeschwindigkeit mit dem Fahrrad, aber über denen der effizienten Geschwindigkeit mit dem Fahrrad. Eine Absenkung des Aktivitätsniveaus dadurch, dass S auf andere Möglichkeiten zurückgreift, seine Kurierdienste zu erledigen, kommt aus ökonomischen Gesichtspunkten daher nicht in Betracht. Um seine Gesamtkosten zu minimieren und so seinen Nutzen zu maximieren, wird S also weiterhin monatlich 100 Fahrten mit dem Fahrrad über den Feldweg zurücklegen, dabei aber in Zukunft die Geschwindigkeit von 20 km/h wählen. Auf diese Weise nimmt er einerseits ein gewisses Schadensrisiko, andererseits aber zu einem gewissen Grad auch Vorsorgekosten auf sich. 29 In dieser Konstellation der 29
Dieses (willkürlich gewählte) Zahlenbeispiel verdeutlicht das wichtige Faktum, dass das optimale Maß an Vorsorge in der Regel nicht zu dem geringsten möglichen Wert
106
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Selbstschädigung, in der die Kosten der Vorsorge sowie deren Nutzen in Form der Verringerung des Schadenserwartungswerts ein und dieselbe Person treffen (Vollinternalisierung), wird also das optimale Maß an Vorsorge erreicht, ohne dass es rechtlicher Interventionen bedarf. Hier erfüllt der Betroffene, indem er sich rational-eigennützig verhält, zugleich die Anforderungen der Effizienz. b) Schaden als externes Ereignis (Fremdschädigung) An einem gewöhnlichen Unfall sind allerdings regelmäßig zwei zu unterscheidende Personenkreise beteiligt, nämlich der Schädiger und der Geschädigte (Unfall als Fremdschädigung). Dabei soll aus Gründen der Vereinfachung unterstellt werden, dass nur der Geschädigte einen unmittelbaren Schaden aus dem Unfall erleide, der Schädiger hingegen nicht (asymmetrischer Schaden). 30 Zur Verdeutlichung soll eine Abwandlung des Beispielsfalls dienen. S verursache diesmal einen Unfall mit einem Dritten (z. B. einem Fußgänger oder Jogger). Der durchschnittlich zu erwartende Schaden des potentiellen Unfallopfers betrage 100 Euro, 31 S selbst erleide diesmal keinen Schaden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h und einem Aktivitätsniveau von 100 Fahrten pro Monat belaufe sich erneut auf 400%. Diesen Wert kann S wiederum dadurch verringern, dass er eine geringere Geschwindigkeit wählt. Um die sozialen Gesamtkosten zu minimieren, ist es dementsprechend auch hier geboten, die Vorsorge V s∗ = 20 km/h zu treffen. 32 Wie bei der Selbstschädigung dargelegt, werden jedenfalls dann ausreichende Anreize zur Minimierung der sozialen Kosten gesetzt, wenn alle Kosten des Undes erwarteten Schadens führt. (Dies würde nämlich das höchste Niveau an Vorsorge erfordern, hier: Vs = 0 km/h.) Dasjenige Maß an Vorsorge, das noch als sozial nützlich betrachtet werden kann, ist begrenzt (hier: V ∗s = 20 km/h). Korrespondierend gibt es auch ein entsprechendes Ausmaß an Schaden, dessen Hinnahme sozial nützlich ist. Dazu: Shavell (1987), S. 7; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 134. 30 Eine Überprüfung, welche Auswirkungen diese modellhafte Annahme auf die Gegebenheiten der Realität (regelmäßig symmetrische Schadensverteilung) hat, erfolgt sogleich: Teil 2 A. I. 3. b). 31 Die Person des geschädigten Dritten ist in einem Fall wie dem vorliegenden nicht bestimmbar. Geschädigter kann jeder Benutzer des Feldwegs sein, auf dem der Schädiger seine Aktivität ausführt. Es gibt also nicht einen potentiell Geschädigten, sondern n potentiell Geschädigte. Sofern im Folgenden von dem potentiell Geschädigten die Rede ist, steht er pars pro toto für alle potentiell Geschädigten. Dadurch entsteht ein Mehr an Übersichtlichkeit, ohne dass dadurch in der Sache etwas verändert wird. Dazu: Diamond (1974), S. 114. 32 Variable, die allein auf die Person des Schädigers bezogen sind, sind dadurch gekennzeichnet, dass der jeweiligen Variablen das Subskript „s“ hinzugefügt wird (z. B. Vs ). Entsprechend werden individuelle Variable des Geschädigten durch das Subskript „g“ markiert (z. B. Vg ). In gleicher Weise werden Variable, die sich allein auf den Haftenden bzw. auf den Nichthaftenden beziehen, mit dem Subskript „h“ bzw. „n“ gekennzeichnet.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
107
falls von einer einzigen Person zu tragen sind. Im Bereich der Fremdschädigung fallen jedoch nicht mehr alle Kosten des Unfallereignisses originär bei einer Person an, sondern verteilen sich im Regelfall unter den Beteiligten. Die Kosten für die Vorsorgemaßnahmen, durch welche die Wahrscheinlichkeit des Unfalls herabgesetzt werden kann, fallen jeweils der Person zur Last, die sie vornimmt. Und die Pflicht zur Tragung der Schadenskosten ist letztlich von dem gesetzlich angeordneten Haftungssystem abhängig. Dabei sind drei grundlegende Haftungsmodelle zu unterscheiden: Erstens die Haftungsversagung, bei der die gesamten Schadenskosten beim Geschädigten verbleiben (reine Geschädigtenhaftung), zweitens die Gefährdungshaftung, bei der der Schädiger unabhängig von seinem Verschulden jeden von ihm verursachten Schaden zu ersetzen hat (reine Schädigerhaftung), und drittens die Verschuldenshaftung, unter deren Geltung der Schädiger dem Geschädigten (nur) dann ersatzpflichtig wird, wenn er das rechtlich geforderte Maß an Sorgfalt, das hier als V ◦ bezeichnet werden soll, nicht eingehalten hat. Es ist deshalb für den jeweiligen Haftungsfall eingehend zu überprüfen, ob die durch die verschiedenen Haftungsregelungen vorgenommene Distribution der Kosten den Beteiligten optimale Anreize in Bezug auf das individuell zu treffende Maß an Vorsorge vermitteln kann (V = V ∗ ). aa) Für die Frage der gesetzlich anzuordnenden Haftung und deren Auswirkungen auf die Beteiligten sind zwei grundlegend verschiedene Fälle zu unterscheiden: Fälle innerhalb und außerhalb des Anwendungsbereichs des Coase-Theorems. Dieses von Ronald H. Coase entwickelte Theorem besagt, dass die Primärallokation klar spezifizierter und übertragbarer Rechtspositionen die Effizienz und Art der Finalallokation dieser Positionen nicht beeinflusst, sofern die Transaktionskosten gleich null sind (Invarianzthese). 33 Solange also die Transaktionskosten geringer 33
Das Coase-Theorem wurde von Ronald H. Coase durch dessen klassischen Aufsatz „The Problem of Social Cost“ aus dem Jahre 1960 begründet. Allerdings wurde das „Theorem“ durch Coase nicht als solches verkündet, sondern in der Folgezeit aus den in seiner Arbeit niedergelegten Argumenten abgeleitet. Es ist jedoch überliefert, dass Coase dessen Kernaussage explizit in einem Seminar an der University of Chicago formuliert haben soll; dazu: Cooter (1982a), S. 14, Fn. 10. Auch die Bezeichnung des Denkmodells als „Coase-Theorem“ geht auf einen anderen zurück, nämlich auf Stigler (1966), S. 113. Missverständlich ist dabei zum einen der Ausdruck „Theorem“, der impliziert, dass es sich um ein mathematisches Gesetz handeln könnte. Die Formulierung eines solchen lag Coase jedoch fern. Zum anderen lassen sich Kommentatoren häufig in die Irre führen, indem sie annehmen, Coase habe sein „Theorem“ einzig auf ein Modell einer Welt aufgebaut, in der es keine Transaktionskosten gebe. Coase (1988), S. 174 versucht, diesen Fehlschluss selbst aufzuklären: „The world of zero transaction costs has often been described as a Coasian world. Nothing could be further from the truth.“ Dies klang auch schon an bei Coase (1960), S. 15: „The argument has proceeded up to this point on the assumption [...] that there were no costs involved in carrying out market transactions. This is, of course, a very unrealistic assumption.“ Ganz im Gegenteil beschäftigte sich Coase gerade nicht hauptsächlich mit der Kunstwelt, in der Transaktionen kostenlos verfügbar sind, sondern nutzte dieses Modell nur als
108
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
sind als der im Wege einer Kooperation realisierbare Gewinn (cooperative surplus), werden die Beteiligten die ursprüngliche Verteilung über Verhandlungen so verändern, dass ihr individueller Gewinn maximiert wird (Coase-Fall). Sind hingegen die Transaktionskosten höher als der mögliche kooperative Gewinn, werden keine Verhandlungen und somit auch keine Transaktionen stattfinden. Die Normen der Rechtsordnung entscheiden daher in diesem Bereich unmittelbar und endgültig über die Allokation von Rechtspositionen (kein Coase-Fall). Die Ausgangssituation (Primärallokation) gibt jeweils die gesetzlich angeordnete Haftung vor, die für jede erdenkliche Situation festlegt, welcher der beiden Beteiligten für den entstandenen Schaden zu haften hat – bei der Haftungsversagung immer der Geschädigte, bei der Gefährdungshaftung immer der Schädiger und bei der Verschuldenshaftung abhängig von der Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs entweder der eine oder der andere. Der Haftende hat ein genuines Interesse daran, den Erwartungswert des Schadens dadurch zu verringern, dass er entsprechende Vorsorgemaßnahmen ergreift. Für den Nichthaftenden hingegen stellen diese Kosten des drohenden Schadens unbeachtliche externe Kosten dar. An einer Reduzierung des Schadenserwartungswerts durch kostspielige Vorsorgemaßnahmen ist er dementsprechend nicht interessiert, weil er von durch ihn ergriffene Vorsorgemaßnahmen (private Kosten = 1) nicht persönlich profitiert (privater Nutzen = 0). Den Nutzen seiner Vorsorgemaßnahmen hat allein der Haftende, für den sich der Erwartungswert des zu ersetzenden Schadens verringert. Kosten und Nutzen der Vorsorge fallen also insoweit auseinander. Der Nichthaftende wird daher seine Vorsorge minimieren. (1) Im Coase-Fall werden der potentielle Schädiger und der potentielle Geschädigte vor Eintritt des schädigenden Ereignisses in Verhandlungen eintreten und das Haftungssystem per Individualvereinbarung zu ihrem beiderseitigen Vorteil verändern. Der Nichthaftende wird (nur) dann bereit sein, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, wenn der Haftende ihn für deren Kosten kompensiert. Niedrige Transaktionskosten und ein funktionierender Markt ermöglichen es, dass sich der Haftende an den Nichthaftenden wendet und sie die Zahlung eines Geldbetrages als Gegenleistung dafür vereinbaren, dass der Nichthaftende sein Vorsorgeniveau so weit anhebt, dass die vom Haftenden zu erwartenden Kosten minimiert und entsprechend der zu verteilende Gewinn aus ihrer Kooperation maximiert wird. Aufgrund dieser Vereinbarung stellt sich die Kostenverteilung zwischen den Beteiligten folgendermaßen dar: Der Nichthaftende trägt die Kosten seiner persönlichen Vorsorge (Kn = Vn ), der Haftende die Kosten seiner persönlichen Vorsorge, die des Schadenserwartungswerts sowie die des Betrages Z, den er an den Nichthaftenden zahlen muss (Kh = Vh + W(Vh,n ) × S + Zn ). Die konkrete Höhe dieser Zahlung an den Nichthaftenden hängt von den Umständen des EinExtremfall, um seinen Denkansatz ohne den störenden Einfluss von zusätzlichen Faktoren wie Transaktionskosten veranschaulichen zu können.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
109
zelfalls und dem individuellen Verhandlungsgeschick der Beteiligten ab. 34 Der Minimalbetrag, den der Nichthaftende fordern wird, ist die Summe, die ihn seine Vorsorgemaßnahmen Vn kosten. Der Maximalbetrag, den umgekehrt der Haftende zu zahlen bereit sein wird, beläuft sich auf den kooperativen Gewinn. In dieser Konstellation, in der Verhandlungen zwischen den Beteiligten aufgrund niedriger Transaktionskosten ökonomisch sinnvoll sind, hat der Haftende also nicht nur seine Kosten (Kh ) im Auge, sondern auch die Kosten des Nichthaftenden (Kn ), weil er diesem ja entsprechende Anreize durch die Zahlung einer Geldsumme setzen muss. Folglich werden alle anfallenden Kosten für ihn beachtlich und in seine persönliche Kalkulation internalisiert. Um eine Minimierung seiner privaten Kosten zu erreichen, ist der Haftende deshalb bestrebt, das effiziente Maß an Vorsorge zu erreichen, wodurch gleichzeitig auch die sozialen Kosten minimiert werden: Vh = Vh∗ und Vn = Vn∗ . Unabhängig vom gesetzlich angeordneten Haftungsmodus werden die Beteiligten daher das effiziente Maß an Vorsorge V ∗ treffen. 35 Relevant ist also nicht die ursprüngliche Kostenverteilung der gesetzlichen Regelung, sondern die Kostenverteilung, wie sie aus den Verhandlungen der Beteiligten resultiert. Die gesetzlich normierte Haftung wirkt sich deshalb nicht auf die Höhe der sozialen Gesamtkosten des Unfalls aus, sondern ihre Funktion beschränkt sich allein auf die Distribution von Reichtum unter den Beteiligten, d. h. wer die Rolle des Haftenden und wer die Rolle des Nichthaftenden übernimmt und wer dementsprechend welchen Anteil an den konstanten sozialen Kosten zu tragen hat. (2) In vielen Fällen der deliktischen Haftung (im weiteren Sinne 36) können die Beteiligten aber nur unter so großen Kosten zu Verhandlungen zueinander finden, dass die Transaktionskosten den potentiell erzielbaren Gewinn aus ihrer Kooperation übersteigen. Dies ist eine Konstellation, die außerhalb des Geltungsbereichs des Coase-Theorems liegt. John Prather Brown beschreibt diese Situation mit dem Bild eines Spieles: „... [C]onsidering the victim and the injurer as noncommunicating parties in a game played according to liability rules“ 37. Bei diesem Spiel werden die Beteiligten im Rahmen der geltenden „Spielregeln“, die durch 34 Coase (1960), S. 5: „What payment would in fact be made would depend on the shrewdness of the [...] bargainers.“ Zum Begriff „bargaining skills“: Landes / Posner (1987), S. 34. 35 Demsetz (1972), S. 27; Brown (1973), S. 348 f. 36 Dieser Begriff soll verstanden werden als jede (Verschuldens- und Gefährdungs-) Haftung, die außerhalb einer vertraglichen oder vertragsähnlichen Vereinbarung Schadensersatzpflichten statuiert. Ob es einen einheitlichen Begriff der unerlaubten Handlung überhaupt gibt und durch welche Merkmale er gegebenenfalls gekennzeichnet ist, ist umstritten. Eine Übersicht zum Streitstand findet sich bei K. Schäfer, in: Staudinger (1986), Vorbem zu §§ 823 ff, Rdnr. 5 und daran anschließend auch bei Hager, in: Staudinger (1999), Vorbem zu §§ 823 ff, Rdnr. 25. 37 Brown (1973), S. 347.
110
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
das jeweilige Haftungsrecht verbindlich aufgestellt werden (Primärallokation = Finalallokation), versuchen, ihre privaten Kosten zu minimieren. Für die Beteiligten einer Fremdschädigung sind nicht die sozialen Gesamtkosten beachtlich, sondern jeweils nur ein Teil: für den Nichthaftenden seine Vorsorgekosten, für den Haftenden seine Vorsorgekosten und die Schadenskosten. Aus Sicht des Nichthaftenden resultiert daraus der Anreiz, seine privaten Kosten und damit seine Vorsorgemaßnahmen auf null zu reduzieren. Dass dadurch der Erwartungswert des Schadens ansteigt, ist ihm gleich, weil diese Kosten vom Haftenden zu tragen und dementsprechend aus seiner Warte externalisiert sind. Vorsorgemaßnahmen werden also nur noch durch den Haftenden getroffen. Dadurch wird sich in der Regel der Schadenserwartungswert erhöhen, weil der Haftende allein dem Schaden nicht so gut entgegenwirken kann, wie dies Haftender und Nichthaftender gemeinsam vermocht hätten. Im Ergebnis wird die Vorsorge des Haftenden auf ein überoptimales Maß ansteigen (Vh ≥ Vh∗ ), während sich die Vorsorge des Nichthaftenden auf null, und damit auf ein suboptimales Niveau, verringern wird (Vn < Vn∗ ). Unterschiedliche Haftungssysteme führen in dieser Konstellation, in der die Beteiligten nicht miteinander verhandeln, also durchaus auch zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf den Schadenserwartungswert und das Maß an Vorsorge, das die Beteiligten zu treffen induziert werden. Der gesetzlichen Haftungsanordnung kommt hier also nicht mehr länger „nur“ ein distributiver, sondern ein allokativer Effekt zu. 38 bb) Da in der realen Welt, außerhalb des von Coase geschaffenen Modells Transaktionen immer Kosten verursachen, 39 ist es nicht nur dann, wenn diese den kooperativen Gewinn übersteigen und somit prohibitiv hoch sind (kein Coase-Fall), sondern auch dann, wenn Verhandlungen ökonomisch durchaus sinnvollerweise durchführbar sind (Coase-Fall), erstrebenswert, das Haftungsrecht schon originär derart auszugestalten, dass der Bedarf der Beteiligten an Transaktionen und die Entstehung der damit verbundenen Kosten minimiert werden. Dies forderte auch schon Coase selbst: „Even when it is possible to change the legal delimitation of rights through market transactions, it is obviously desirable to reduce the need for such transactions and thus reduce the employment of ressources in carrying them out.“ 40 38
Coase (1960), S. 19: „... [T]he situation is quite different when market transactions are so costly as to make it difficult to change the arrangement of rights established by the law. In such cases, the courts directly influence economic activity.“ Demsetz (1972), S. 26: „Significant transacting cost implies that the rule of liability generally will have allocative effects (as Coase recognizes).“ 39 Cooter / Ulen (2004), S. 92 teilen die Transaktionskosten in drei Kategorien ein: search costs, bargaining costs und enforcement costs. Ähnlich auch schon: Coase (1960), S. 15. 40 Coase (1960), S. 19.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
111
Das Haftungsrecht sollte unter Effizienzgesichtspunkten deshalb im Optimalfall – unabhängig davon, ob eine individuelle Veränderung des bestehenden Haftungsregimes mit ökonomisch vertretbarem Aufwand möglich wäre oder nicht – den Beteiligten Anreize zu effizientem Verhalten vermitteln. Das Deliktsrecht muss also unter Effizienzgesichtspunkten denjenigen hypothetischen Kompromiss, den die Beteiligten vereinbart hätten, wenn sie die Möglichkeit zu Verhandlungen über die Kostenverteilung im Schadensfall gehabt hätten, möglichst perfekt imitieren. Dazu stehen ihm mit der Gefährdungshaftung, der Verschuldenshaftung und der Haftungsversagung drei Werkzeuge zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe müssen für den Einzelnen an sich externe Kosten mit einem „Preisschild“ 41 versehen und dadurch für ihn beachtlich gemacht werden. Robert D. Cooter und Thomas S. Ulen bringen die dem Deliktsrecht aus ökonomischer Sicht zukommende Aufgabe folgendermaßen auf den Punkt: „The economic essence of tort law is its use of liability to internalize externalities created by high transaction costs.“ 42 Es muss also letztlich haftungsrechtlich die Realisierung der gedanklichen Kunstfigur der ideellen Gesamtperson angestrebt werden, die keine externen Kosten kennt und deren private Kosten den sozialen Kosten entsprechen. 2. Unilaterale und bilaterale Schadensvorsorge Ausgehend von der Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch Vorsorgemaßnahmen der Beteiligten im Vorfeld des Unfalls zu beeinflussen, lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden, der unilaterale und der bilaterale Fall. a) Im bilateralen Fall wirken sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte bei der Schadensvorsorge mit. Beide haben jeder für sich die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit und / oder die Höhe des Schadens durch eigene Vorsorgemaßnahmen wirkungsvoll zu beeinflussen und so den Erwartungswert des Schadens zu verringern. Die sozialen Gesamtkosten setzen sich hier entsprechend Gleichung 1 folgendermaßen zusammen: K = Vs + Vg + W(V s,g ) × S . In diesem Fall ist es erforderlich, dass beide Beteiligten Vorsorge in jeweils effizienter Höhe betreiben, um die sozialen Kosten auf das geringstmögliche Maß zu beschränken: V s∗ > 0 und Vg∗ > 0. Im unilateralen Fall dagegen kann nur ein Beteiligter wirkungsvoll Vorsorgemaßnahmen ergreifen, um den Erwartungswert des Schadens zu verringern. Da der Schädiger – von extremen Ausnahmefällen abgesehen – immer in der Lage ist, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verringern, ist Unilateralität dann gegeben, wenn Vorsorge durch den Geschädigten tatsächlich nicht möglich oder unter Effizienzgesichtspunkten nicht wünschenswert ist. Das ist dann der Fall, wenn die Kosten der Vorsorgemaßnahmen den Nutzen der Vorsorge in Form einer 41 42
White (1989), S. 308: „putting a price-tag on negative externality“. Cooter / Ulen (2004), S. 310; in diesem Sinne auch schon Calabresi (1970), S. 144.
112
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Verringerung des Schadenserwartungswerts übersteigen: ΔVg > Δ − W(Vg ) × S . Das kann daraus resultieren, dass entweder die Kosten der Vorsorge extrem hoch sind oder die Verringerung des Schadenserwartungswerts nur sehr gering ist. So kann beispielsweise der Betreiber eines Atomkraftwerks bzw. der Pilot eines Flugzeugs, nicht aber ein Anlieger bzw. ein Flugpassagier den Eintritt des Schadensereignisses beeinflussen. 43 Die Einseitigkeit der Schadensbeeinflussung kann unterschiedliche Gründe haben, ist aber hauptsächlich auf den Grundgedanken der überwiegenden Gefahrbeherrschung und Gefahrkenntnis durch den Schädiger zurückzuführen. 44 Die sozialen Gesamtkosten ergeben sich hier daher lediglich aus zwei Summanden: K = Vs +W(Vs )×S . Eine Minimierung der sozialen Kosten wird dadurch bewirkt, dass allein der Schädiger das effiziente Maß an Vorsorge trifft: V s∗ > 0 und Vg∗ = 0. b) Daher sind nun die Schädigungssituationen bei der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts daraufhin zu untersuchen, um welchen Fall der Schadensverursachung es sich bei ihnen typischerweise handelt. Der Grund dafür, auf den Regel- und nicht auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen, liegt darin, dass hier ein effizientes Haftungssystem für die Zukunft entwickelt werden soll. Im Idealfall sollte dieses dann abstrakt-generelle Geltung haben. Die Effizienzüberlegungen, die anzustellen sind, müssen sich daher ebenso abstrakt-generell auf einen repräsentativen Fall dieser Haftungsgruppe beziehen und nicht auf eventuelle Besonderheiten von Einzelfällen. aa) Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist eine effiziente Vorsorge nur unilateral durch den Schädiger möglich. Dieser Schluss ergibt sich zwar noch nicht zwingend aus dem Argument, der Nutzen der Vorsorgemaßnahmen (Verringerung des Schadenserwartungswerts) sei gering. Zweifellos 43 Selbst in Situationen wie diesen ist es theoretisch denkbar, dass der potentielle Geschädigte Vorsorgemaßnahmen trifft. Ein Anlieger könnte sein Haus gegen die Folgen einer Nuklearkatastrophe absichern oder ein Passagier könnte sich mit allen verfügbaren Sicherheitsvorrichtungen ausrüsten, die seine Überlebenswahrscheinlichkeit im Falle eines Absturzes erhöhen Ein solches Vorgehen würde aber astronomische Kosten verursachen, die vernünftigerweise von niemandem getroffen werden sollen. Das Verhältnis der Vorsorgekosten des Geschädigten zu deren Nutzen in Form der Verringerung des Schadenserwartungswerts verrät schon auf den ersten Blick die Ineffizienz der Vorsorge. Ein ähnlich gelagerter Fall findet sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: BGH (Urt. v. 14. 01. 1992 – VI ZR 120/91), NJW 1992, 1043. Der Kläger verlangte vom Beklagten die Kosten für den Einbau einer gasdichten Haustür. Diese sei eine angemessene Vorsorgemaßnahme, weil es bereits einmal zu einem Gasunfall im nahe gelegenen Chemiewerk des Beklagten gekommen sei, von dem der Kläger betroffen war. Der VI. Zivilsenat verneinte diesen Anspruch jedoch im Ergebnis, weil der frühere Schadensfall lediglich der Anlass dafür gewesen sei, dass die Vorsorgemaßnahme (Einbau der Schutztür) getroffen worden sei. Seiner Zielrichtung nach diene der Einbau aber ausschließlich der Abwehr künftiger Rechtsgutsverletzungen und sei deshalb nicht im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs ersatzfähig. 44 Schulz (1984), S. 616.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
113
zutreffend ist diese Aussage für gewöhnliche Bürger, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, dass etwa heimlich Fotos gemacht oder ohne ihre Zustimmung weitergegeben werden, in der Tat verschwindend gering ist. 45 Dementsprechend geht der individuelle Schadenserwartungswert aus Sicht des potentiell Geschädigten gegen null, sodass es volkswirtschaftlich nicht wünschenswert erscheint, zu dessen Verringerung kostspielige Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Würde der Einzelne hier tatsächlich entsprechend tätig werden, grenzte dies vielmehr regelmäßig schon an paranoides Verhalten. Anders gelagert sind die Fälle allerdings bei „Prominenten“, insbesondere bei absoluten Personen der Zeitgeschichte 46. Wie sich an den Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage und an der Häufigkeit ersehen lässt, mit der beispielsweise Angehörige der Fürstenfamilie Grimaldi von Monaco den Schutz deutscher Gerichte in Anspruch nehmen, ist die Wahrscheinlichkeit in diesen Kreisen offenbar keineswegs gering, dass es zu Verletzungen des Persönlichkeitsrechts kommt. Deshalb lassen sich unter diesem Aspekt Vorsorgemaßnahmen jedenfalls nicht in dieser Allgemeinheit als unproportional abqualifizieren. Es erscheint vielmehr erforderlich, die Einordnung der Schadensvorsorgeart danach aufzugliedern, ob es sich um eine herausragende oder eine gewöhnliche Person handelt. Die Einheitlichkeit der Einordnung der Persönlichkeitsrechtsverletzung als eine Situation der unilateralen Schadensverursachung wird jedoch durch den Gesichtspunkt der (unverhältnismäßig) hohen Kosten einer wirksamen Vorsorge seitens des potentiell Geschädigten gewährleistet. Denn für ihn ist es – wenn überhaupt – nur mit immensem Aufwand möglich, gegen Verletzungen seines Persönlichkeitsrechts Vorsorgemaßnahmen zu treffen, unabhängig davon, wie bekannt er ist und wie wahrscheinlich eine Verletzung auch sein mag. Die Schwierigkeiten, das eigene Recht vor Verletzungen durch Dritte zu bewahren, resultieren daraus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein seiner Natur nach unkörperliches Rechtsgut schützt. Anders ist die Situation beispielsweise beim Eigentum: Dieses gewährt ein umfassendes Herrschaftsrecht über (bewegliche und unbewegliche) Sachen, also körperliche Gegenstände. Dementsprechend kann der Eigentümer sein Grundstück umzäunen oder seine goldene Uhr in einem Tresor verschließen und sie so vor den Einwirkungen potentieller Schädiger schützen. 47 Die Persönlichkeit dage45 Gänzlich ausgeschlossen sind derartige Verletzungen jedoch nicht. Ein Fall, in dem das Persönlichkeitsrecht einer unbekannten Person verletzt wurde, ist beispielsweise entschieden worden vom OLG Hamm (Urt. v. 3. 03. 1997 – 3 U 132/96), NJW-RR 1997, 1044. In diesem Fall hatte ein Angestellter eines Fotostudios zunächst Aktfotos einer unbekannten Person heimlich zurückbehalten und diese später mit gefälschter Modellverzichtserklärung an eine Zeitschrift verkauft. Diese veröffentlichte eines der Fotos im Zusammenhang mit einem Beitrag zu dem Thema: „7 Tips für den Mega Orgasmus“. Die Klägerin forderte und erhielt vom Verlag der Zeitschrift eine Geldentschädigung in Höhe von 20.000 DM. Ähnlich auch: OLG Hamm (Urt. v. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 – „tv total“. Auf diesen Fall wird im Rahmen von Teil 3 ausführlich eingegangen werden. 46 Zu diesem Begriff: Hager, in: Staudinger (1999), § 823, Rdnr. C200 f.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
gen ist weder ein sinnlich wahrnehmbares noch ein fest umrissenes Gut. So lassen sich die konkreten rechtlichen Grenzen des Persönlichkeitsrechts endgültig erst im Wege einer Abwägung der betroffenen Interessen bestimmen. Auch ist der Schutzgegenstand des Persönlichkeitsrechts nicht in irgendeinem Gegenstand – wie das Eigentum in der Uhr – verkörpert, an dem sich schädigende Verletzungsfolgen niederschlagen könnten. Claus-Wilhelm Canaris spricht insoweit zutreffender Weise davon, dass dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die „sozialtypische Offenkundigkeit [fehlt]“ 48. Das ändert freilich nichts daran, dass von Rechts wegen auch dieses immaterielle Persönlichkeitsrecht umfassenden Schutz für sich in Anspruch nehmen kann. Tatsächlich wird jedoch die gebührende Achtung durch Dritte infolge dieser amorphen Gestalt des Persönlichkeitsrechts erschwert, weil ein potentieller Schädiger häufig nicht weiß und unter Umständen nicht einmal wissen kann, wie weit der Schutzumfang des Persönlichkeitsrechts im Einzelfall reicht. Vice versa ist es für einen böswilligen Schädiger aufgrund der Immaterialität deutlich einfacher möglich, ein fremdes Persönlichkeitsrecht zu verletzen als fremdes Eigentum. Denn der Schutzgegenstand des Persönlichkeitsrechts ist nicht an den Ort seiner jeweiligen Verkörperung gebunden, sondern (zumindest potentiell) ubiquitär verfügbar. Das bedeutet, dass dasselbe Recht zeitgleich von mehreren Personen an einem oder an verschiedenen Orten einer nichtrivalisierenden, die Substanz nicht verletzenden Mehrfachnutzung zugänglich ist. 49 Für die schädigende Einwirkung auf das Persönlichkeitsrecht ist insbesondere kein körperliches Näheverhältnis notwendig wie etwa bei der Beschädigung oder der Wegnahme einer Sache, sondern seine Verletzung kann theoretisch über tausende Kilometer hinweg immer und überall durch jede beliebige Person erfolgen. Für den potentiellen Geschädigten ist es deshalb kaum möglich, sein Persönlichkeitsrecht wirksam vor möglichen Verletzungen durch diese unbestimmbare Zahl möglicher Schädiger zu schützen. Er müsste einen letztlich aussichtslosen Kampf an unzähligen Fronten gegen für ihn unsichtbare Gegner kämpfen. Infolgedessen würde eine Einheit an Vorsorge (Kosten = 1) nur zu einer Reduzierung des Schadenserwartungswerts um einen Bruchteil dessen führen (z. B. Nutzen = 0,01). 47 Damit soll nicht gesagt werden, dass im Fall einer möglichen Verletzung des Eigentums der potentielle Geschädigte immer in der Lage ist, wirksame Vorsorgemaßnahmen zu treffen, und dass es sich infolgedessen zwangsläufig um einen bilateralen Schadensfall handeln muss. So kann beispielsweise der Eigentümer eines Strandgrundstücks nicht mit zumutbarem Aufwand verhindern, dass dieses durch Öl eines havarierten Tankers verseucht oder durch einen Flugzeugabsturz verwüstet wird. Es sind also auch im Bereich des Eigentums durchaus Fälle der unilateralen Schadensverursachung denkbar. Typischerweise dürfte es sich dort aber um Fälle der bilateralen Schadensverursachung handeln. 48 Larenz / Canaris (1994), S. 491. In diesem Sinne auch: Canaris (1983), S. 35. 49 Dazu umfassend: Troller (1983), S. 55 ff.; Dreier (2002), S. 60 ff. Diese besondere Verletzlichkeit immaterieller Rechte erkennt auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an; dazu beispielsweise: BGH (Urt. v. 8. 10. 1971 – I ZR 12/70), BGHZ 57, 116 (118) – „Wandsteckdose II“.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist es daher für den potentiell Geschädigten geboten, auf Vorsorge zu verzichten. Für den potentiellen Schädiger hingegen, der z. B. einen Bericht über eine bestimmte Person anfertigt, ist es sehr viel einfacher möglich, wirksame Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Denn anders als für den potentiell Geschädigten ist für ihn die bestehende Gefahr nicht eine abstrakte, unbestimmte, die von überall zu drohen scheint, sondern konkretisiert sich auf einen individualisierbaren Personenkreis, im Beispielsfall auf die Person, über die berichtet wird. Er kann deshalb geeignete Maßnahmen treffen, um die Verletzungswahrscheinlichkeit im Einzelfall zu verringern, indem er etwa seine Information nur aus verlässlichen Quellen bezieht, den Rat eines Rechtsbeistandes in der konkreten Sache einholt oder sich sogar mit der betroffenen Person in Verbindung setzt. 50 Während der potentiell Geschädigte unter Effizienzgesichtspunkten also keine Vorsorgemaßnahmen ergreifen sollte, kann der potentielle Schädiger regelmäßig mit ökonomisch vertretbarem Einsatz durchaus die Verletzung fremder Persönlichkeitsrechte verhindern. bb) Eingriffe in die Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung, die eine Schmerzensgeldzahlung begründen können, erfordern dagegen – ähnlich wie Eingriffe in das Eigentum – eine relative körperliche Nähe des Schädigers. Dem Geschädigten ist es dementsprechend grundsätzlich möglich, drohende Gefahren für diese Rechtsgüter verlässlich wahrzunehmen. In konkret erkannten Gefahrensituationen ist der Rechtsgutsinhaber dann regelmäßig mit relativ geringen Kosten in der Lage, Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen und so seine bedrohten Rechtsgüter nach außen abzuschirmen. Dies wird am typischen Fall eines Unfalls im Straßenverkehr deutlich, aus dem der quantitativ größte Anteil der Schmerzensgeldfälle resultiert. Beispielhaft sei nur der Fall angeführt, dass ein Fußgänger eine Straße überqueren möchte, auf der sich ein Kraftfahrzeug nähert. Sowohl der potentielle Schädiger (hier: der Kraftfahrer) als auch der potentielle Geschädigte (hier: der Fußgänger) sind in der Lage, die Gefährdung für das Rechtsgut (hier: die körperliche Unversehrtheit) zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung des Unfalls zu ergreifen. So kann der Kraftfahrer seine Geschwindigkeit verringern oder zumindest Bremsbereitschaft herstellen und der Fußgänger kann entweder warten oder die Straße schnelleren Schrittes überqueren. Der Geschädigte kann also prinzipiell ähnlich gut wie der Schädiger durch geeignete Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verringern. Der klassische Unfall ist also ein Fall bilateraler Vorsorge. Einen bedeutenden Anteil in der gerichtlichen Praxis des Schmerzensgelds machen aber auch die Fälle der Arzthaftung aus. 51 Hier begibt sich der Patient Rat suchend in die Hände eines Fachmanns, weil er selber nicht mehr weiter weiß. Es 50
Zu dem Umfang der Prüfungspflichten: Hager (1996), S. 193 ff. Vgl. dazu nur die Übersicht bei Hacks / Ring / Böhm (2005), S. 39. Giesen (1995), Rdnr. 31 schätzt die Arzthaftungsfälle auf bis zu 30.000 pro Jahr. 51
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
besteht also eine gravierende Informationsasymmetrie zwischen dem „Verkäufer“ Arzt und dem „Käufer“ Patient. 52 Dem evident schlechter informierten Patienten Verantwortung für die Abwehr des Schadens aufzubürden, erscheint auf den ersten Blick kaum gerechtfertigt. Im extremsten Fall wird er unter Vollnarkose operiert und ist somit jeder Einflussmöglichkeit beraubt. Während der Operation kann daher unzweifelhaft allein der Chirurg, nicht aber der Operierte den Eintritt des Schadens beeinflussen und es scheint sich folglich um einen unilateralen Vorsorgefall zu handeln. Im Gegensatz zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist eine Mitwirkung des Geschädigten an der Schadensvorsorge jedoch nicht gänzlich wirkungslos und somit auch nicht unerwünscht. So kann der Patient den Schadenserwartungswert vor, während und nach der Behandlung reduzieren, indem er beispielsweise regelmäßig zu Vor- und Nachsorgeuntersuchungen erscheint, den Arzt über eventuelle Medikamentenunverträglichkeiten aufklärt oder sich an ärztliche Anweisungen hält. Anders als beim Unfall, bei dem prinzipiell beide durch Einhaltung der bestehenden Verhaltensgrundsätze gleichermaßen die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts beeinflussen können, sind hier zwar die Anteile ungleich verteilt. Hauptadressat des Appells zur Schadensvermeidung ist fraglos der Arzt. Wenn allerdings der Patient keinerlei Vorsorgemaßnahmen trifft, kann er dadurch leicht den Erfolg der gesamten Behandlung unterminieren. Auch wenn sein Anteil an der Gesamtvorsorge in der Regel relativ gering sein dürfte, ist es zur Minimierung der entstehenden sozialen Gesamtkosten dennoch angezeigt, dass auch er Vorsorgemaßnahmen ergreift. Für die Fälle des Schmerzensgeldes ist demnach festzuhalten, dass es sich typischerweise um Fälle der bilateralen Vorsorge handelt. In deren Rahmen wird der dem potentiellen Schädiger aufgebürdete Anteil an der Gesamtvorsorge desto größer, je gefährlicher eine Tätigkeit ist und je stärker die Kontrolle über diese Tätigkeit in seinen Händen gebündelt ist, wie im Fall des unter Vollnarkose operierenden Arztes. So klein der Anteil des potentiellen Geschädigten an der Vorsorge im Einzelfall aber auch sein mag, ändert dies nichts daran, dass es sich um einen Fall der bilateralen Vorsorge handelt. 53 Und selbst wenn ausnahmsweise vom Geschädigten tatsächlich einmal aus Effizienzgründen keine Vorsorge zu fordern ist, führt dies nicht zu einer Unanwendbarkeit oder Fehlerhaftigkeit dieses Modells. Denn der unilaterale Fall stellt lediglich eine Verengung des bilateralen Modells Es mag verwundern, dass die Arzthaftung hier als Beispiel der Anreizwirkung des außervertraglichen Haftungsrechts angeführt wird, denn nach herrschender Meinung schließt nicht nur der Privatpatient, sondern auch der versicherte Kassenpatient mit dem behandelnden Arzt einen zivilrechtlichen Vertrag. Dazu: BGH (Urt. v. 3. 02. 1967 – VI ZR 114/65), BGHZ 47, 75 (78 f.). Der rechtstatsächliche Schwerpunkt der Arzthaftung liegt aber im Recht der unerlaubten Handlung. Bei dessen Dominanz erscheint die Verletzung von Vertragspflichten bei der Haftungsbegründung gleichsam nur als leeres Anhängsel ohne selbständige Bedeutung. Dazu: Giesen (1995), Rdnr. 3; Katzenmeier (2002a), S. 83 f. 52 Danzon (1991), S. 52. 53 Shavell (2003), Kap. 2, S. 5.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
117
in dem Sinne dar, dass der Wert der vom Geschädigten zu fordernden Vorsorge gleich null ist (Vg = 0). Es handelt sich bei dieser Ausnahmekonstellation somit um einen Sonderfall, der von dem umfassenderen bilateralen Modell durchaus zuverlässig erfasst werden kann. Die beiden zu untersuchenden Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der körperlichen Unversehrtheit unterscheiden sich also im Hinblick auf die durch den Geschädigten zu treffende Vorsorge grundlegend. Während eine Vorsorge des potentiell Geschädigten im Fall der drohenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts praktisch unmöglich ist (unilaterale Schädigervorsorge), ist diese Vorsorge durch den Geschädigten im Fall des Verletzung der Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung regelmäßig geboten, sodass es sich um einen Fall der bilateralen Vorsorge handelt. Die Auswirkungen dieser Differenzierung werden bei der Suche nach dem effizienten Haftungssystem deutlich hervortreten. 3. Anpassung des verwendeten Modells an die Gegebenheiten der Realität Dem Haftungsmodell, das bisher vorgestellt wurde, liegen einige vereinfachende Annahmen zugrunde. So wurden bisher die Kostenlosigkeit der Administration des Haftungsrechts, die Asymmetrie der Schadensverteilung, risikoneutrales Verhalten der Beteiligten und die Nichtverfügbarkeit von Versicherungen unterstellt. Mit Hilfe dieser Annahmen war es möglich, sich auf die Kernfrage der Haftung aus ökonomischer Sicht zu beschränken, nämlich die Minimierung der aus dem Schaden resultierenden sozialen Kosten. Die so erarbeiteten Anforderungen an ein effizientes Haftungssystem bleiben aber nicht viel mehr als ein hübsch anzuschauendes Denkmodell, wenn es sich nicht auch auf die real existierenden Umweltbedingungen übertragen lässt. Zu klären ist deshalb, wie sich die Anpassung an die Realität auf die Annahmen des artifiziell vereinfachten Modells auswirkt. 54 a) Annahme der kostenlosen Administration des Haftungsrechts Die zu minimierenden sozialen Kosten einer Schädigung ergaben sich im Rahmen des Modells allein aus der Summe der Vorsorgekosten und des Schadenserwartungswerts. Einen nicht zu vernachlässigenden Bestandteil der sozialen Kosten bilden tatsächlich aber auch die administrativen Kosten (tertiäre Kosten 54 In diesem Sinne beispielsweise auch Cooter / Ulen (2004), S. 350: „The model that we introduced in the last chapter made some implicit simplifying assumptions. The grand tradition in economics would have us assert our intention to relax these simplifications but then forget to do so. But we aspire to do better.“
118
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
im Sinne Calabresis). 55 Diese resultieren aus der Rechtsverfolgung, Abwicklung und Verteilung der bereits entstandenen primären Schadenskosten. In einem Privatrechtsstreit treten derartige Kosten beispielsweise auf als Anwaltsgebühren, als Gerichtskosten, als Verwaltungskosten der Versicherungen, als Kosten des Staates für den Aufbau und Unterhalt des gesamten Justizsystems, aber auch als Zeitverlust der Beteiligten infolge der Schadensabwicklung. Diese Kosten sind rein instrumentell, d. h. sie dienen allein der Haftungsabwicklung und haben keine Auswirkung auf die präventive Steuerung der Beteiligten. Ein Teil der vom Schädiger zu zahlenden Summe „versickert“ gewissermaßen in diesem Vorgang der Haftungserzwingung, sodass nicht der gesamte vom Schädiger gezahlte Betrag beim Geschädigten ankommt. 56 Jede Verringerung dieser Kosten ist deshalb ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn. Sofern es an einer Haftungsanordnung ganz fehlt, verbleibt der Schaden beim Geschädigten, wo er auch ursprünglich anfällt; eine Verschiebung des Schadens zum Schädiger über das Haftungsrecht findet somit nicht statt. Deshalb entstehen auch keinerlei administrative Kosten für die Re-Allokation des Schadens. Im Gegensatz dazu entsteht unter dem Regime einer Gefährdungs- wie auch einer Verschuldenshaftung (zumindest partiell) eine Haftpflicht des Schädigers, wodurch administrative Kosten auftreten. Zu deren Minimierung drängt sich also die Haftungsversagung geradezu auf. 57 Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Verringerung der tertiären Kosten nicht das einzige Ziel darstellt. Denn die Haftungsversagung führt zu ineffizienten Ergebnissen, weil die von ihr vermittelten Verhaltensanreize regelmäßig zu einem relativ höheren Anstieg der primären Kosten führen. 58
55
Calabresi (1970), S. 28 f. Die von Calabresi als sekundäre Kosten bezeichnete Kategorie von Schäden, die dadurch entstehen, dass eine einmal entstandene Schadenslast einer Person allein zufällt und nicht über Versicherungen auf mehrere Schultern umverteilt wird, betrifft das Schadensrecht nicht unmittelbar. Zu dieser Frage, ob und wann eine Versicherung zur Risikostreuung unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll ist, sogleich: Teil 2 A. I. 3. c), e). 56 Thüsing (2003), S. 747 verweist auf eine in den USA durchgeführte Untersuchung, wonach für jeden Dollar, den der Geschädigte am Ende eines Prozesses als Schadensersatz erhielt, 53 Cent tertiäre Kosten entstanden. Fraglos bewirken die teilweise recht gravierenden Unterschiede im Zivilprozess zwischen US-amerikanischem und deutschem Recht, dass der Anteil der tertiären Kosten in Deutschland nicht diese astronomischen Höhen erreicht. Als (mahnendes) Beispiel ist diese Studie aber allemal geeignet. Zumal nach deutschem Recht die vor Gericht unterliegende Partei die Gerichtskosten sowie die gesamten außergerichtlichen Kosten zu tragen hat (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Bei einer Schadensersatzklage auf 10.000 Euro entstehen so gemäß RVG und GKG tertiäre Kosten von über 3.000 Euro bei einem Endurteil im „Normalverfahren“. 57 Calabresi (1970), S. 225 f. 58 Zu den von einer Haftungsversagung vermittelten (ineffizienten) Anreizen: Teil 2 A. II. 1. a), III. 1. a).
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
119
Hinsichtlich der im Rahmen der Haftungsabwicklung entstehenden Verwaltungskosten ist zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung zu differenzieren. Während für eine Haftung aus Gefährdung lediglich dargelegt werden muss, dass durch ein Verhalten des Schädigers der Schaden verursacht wurde, muss bei der Haftung aus Verschulden nachgewiesen werden, dass der Schaden durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten verursacht wurde. Die Abwicklung dieser beiden Haftungssysteme wirft somit tertiäre Kosten unterschiedlicher Art auf: 59 Im Fall der Gefährdungshaftung treten nur die Anspruchskosten (claim costs) auf, d. h. die Kosten für den Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen wie etwa der Schadenshöhe oder der Kausalität. Bei der Verschuldenshaftung entstehen zusätzlich auch noch Informationskosten (information costs), indem das Gericht das Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt V ◦ bestimmen muss und dann noch festzulegen hat, ob der Schädiger dieses Maß tatsächlich eingehalten hat oder nicht. Insofern verringert die Gefährdungshaftung die möglichen Quellen von administrativen Kosten auf eine einzige. Allerdings ist die Gefährdungshaftung auf der Ebene der Verwaltungskosten nicht uneingeschränkt vorteilhaft: 60 Denn das Verschuldenserfordernis stellt ein zusätzliches Korrektiv dar, sodass im Bereich der Gefährdungshaftung mehr Geschädigte die Möglichkeit haben, erfolgreich Ersatzansprüche geltend zu machen, als unter dem Regime der Verschuldenshaftung. Während die Gefährdungshaftung also zu quantitativ mehr Haftungsfällen führt, die aber relativ günstig in Bezug auf die jeweils entstehenden administrativen Kosten abgehandelt werden können, führt die Verschuldenshaftung zu weniger, aber relativ teueren Verfahren. Dementsprechend bietet es sich in Hinblick auf die Minimierung der Verwaltungskosten an, die Gefährdungshaftung in Fällen einzusetzen, in denen sich die Schadenssumme relativ gut beziffern, die Verschuldenshaftung hingegen dann, wenn sich der effiziente Sorgfaltsmaßstab relativ leicht ermitteln lässt. Die Verwaltungskosten, die im Gegensatz zur Haftungsversagung bei Gefährdungs- und Verschuldenshaftung entstehen, lassen die letzten beiden Haftungsarten also dann als aus volkswirtschaftlicher Sicht vorzugswürdig dastehen, wenn der durch sie im Wege der Prävention bewirkte Nutzen in Form einer Verringerung der sozialen Primärkosten (Vorsorge- und Schadenskosten) größer ist als ihre administrativen Kosten. Um die sozialen Kosten zu minimieren, muss daher der optimale Kompromiss zwischen den verschiedenen Kostenfaktoren gefunden werden. b) Annahme des asymmetrischen Schadens Bisher wurde unterstellt, dass jeder Beteiligte eines Unfalls den Schaden entweder als potentieller Schädiger zufügt oder ihn als potentieller Geschädigter 59 60
Landes / Posner (1987), S. 65. Landes / Posner (1987), S. 41.
120
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
erleidet; niemand war beides auf einmal (asymmetrischer Schadensfall). 61 Diese Annahme ist natürlich für den Regelfall des Unfalls unrealistisch. Denn jemand, der wie der Student S andere Verkehrsteilnehmer durch sein Verhalten gefährdet, gefährdet zu einem gewissen Grad immer auch sich selbst. Wenn es zu einer Kollision mit einem Dritten kommt, wird regelmäßig auch S als Schädiger mit seinem Fahrrad stürzen. Deshalb soll angenommen werden, dass im Falle eines Unfalls (Gesamtschaden pro Unfall: 100 Euro) der Geschädigte einen Schaden von 60 Euro und S als Schädiger selbst einen Schaden von 40 Euro erleidet. Die Kuriertätigkeit des S per Fahrrad schafft somit ein Risiko des Schadenseintritts sowohl für den Verursacher (S s , Selbstschädigung, self-risk) als auch für Dritte (S g , Fremdschädigung, other-risk). Fraglich ist, ob und gegebenenfalls wie sich die symmetrische Schadensverteilung auf das Maß an Vorsorge auswirkt, welches zu ergreifen der Schädiger aus ökonomischer Sicht incentiviert werden muss. In dieser Konstellation darf nicht der Fehler begangen werden, die Schadenskosten allein anhand des Fremdschadens S g zu bestimmen. Zwar ist für die haftungsrechtliche Schadensverteilung ausschließlich dieser Schaden von Bedeutung. Es wäre aber zu kurz gedacht, das effiziente Maß an Vorsorge nur im Hinblick auf die Kosten der Vorsorge und des Fremdschadens S g zu bestimmen: K = Vs + W(Vs ) × S g . Denn auch der Eigenschaden des Schädigers S s verursacht zu beachtende soziale Kosten. Der Unterschied zum Fremdschaden besteht darin, dass diese Kosten aus Schädigersicht immer auch private Kosten darstellen, weil er seinen eigenen Schaden unabhängig vom geltenden Haftungssystem selbst zu tragen hat. 62 Diese Kosten werden keineswegs dadurch unbeachtlich, dass der Schädiger insoweit eine Abwägung von Kosten und Nutzen der Vorsorge selbständig in einem rein internen Prozess vornimmt und diese nicht erst durch das Haftungsrecht erzwungen werden muss. 63 Durch seine Vorsorgemaßnahmen verringert der Schädiger also nicht nur den Erwartungswert des Fremdschadens S g , sondern auch den des Eigenschadens S s . In die Formel zur Berechnung der Gesamtkosten sind daher alle Kosten einzustellen, neben den Vorsorgekosten und den Schadenskosten des Geschädigten also auch die Schadenskosten des Schädigers selbst: 64 K = Vs + W(Vs ) × (S g + S s ). Die anderenfalls entstehende Anreizverzerrung wird an dem Beispielsfall evident. Wird der Posten des Eigenschadens bei der Ermittlung der effizienten Vorsorge außer acht gelassen, bewirkt dies, dass das Maß an geforderter Vorsorge niedriger angesetzt wird, als es erforderlich ist, um die sozialen Gesamtkosten zu minimieren. Wird lediglich der Fremdschaden in Ansatz gebracht, liegt das 61 Auch der Fall der reinen Selbstschädigung ist ein Fall der asymmetrischen Schadensverteilung. Hier verbleibt der Schaden in voller Höhe beim Schädiger. 62 Cooter / Porat (2000), S. 21 f.; Posner (2003), S. 170. 63 Zur Schadensinternalisierung bei der Selbstschädigung: Teil 2 A. I. 1. a). 64 Cooter / Porat (2000), S. 20, 33.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) Vorsorge
Erwartungswert des Schadens (W×S)
Vorsorgekosten
121
Gesamtkosten (Fremd- / Eigen- / Gesamtschaden)
v in km/h
W
S s(40 €)
S g (60 €)
30 km/h
400%
160,00 €
240,00 €
V s in € V s + W × S g V s + W × S s V s+W×(S s+S g) 0€
240,00 €
160,00 €
400,00 €
25 km/h
278%
111,20 €
166,80 €
48 €
214,80 €
159,20 €
326,00 €
24 km/h
256%
102,40 €
153,60 €
60 €
213,60 €
162,40 €
316,00 €
23 km/h
235%
94,00 €
141,00 €
73 €
214,00 €
167,00 €
308,00 €
22 km/h
215%
86,00 €
129,00 €
87 €
216,00 €
173,00 €
302,00 €
21 km/h
196%
78,40 €
117,60 €
103 €
220,60 €
181,40 €
299,00 €
20 km/h
178%
71,20 €
106,80 €
120 €
226,80 €
191,20 €
298,00 €
19 km/h
160%
64,00 €
96,00 €
139 €
235,00 €
203,00 €
299,00 €
18 km/h
144%
57,60 €
86,40 €
160 €
246,40 €
217,60 €
304,00 €
Abbildung 6
(scheinbar) kostenminimierende Vorsorgeniveau bei einer Geschwindigkeit von 24 km/h. Es gelingt dementsprechend nicht, die gesamtgesellschaftlichen Kosten zu minimieren. Denn diese erreichen ihr Minimum tatsächlich erst bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h. Der Nutzen der Vorsorge, der in der Verringerung des Schadenserwartungswerts besteht, würde so um exakt den Prozentsatz unterbewertet, den der Eigenschaden am Gesamtschaden ausmacht (hier: 40%). 65 Nur wenn alle sozialen Kostenfaktoren berücksichtigt werden, kann auf Grundlage einer Abwägung von Kosten und Nutzen das effiziente Maß an Vorsorge V ∗ bestimmt werden. Wird dementsprechend bei der Suche nach dem richtigen Maß an Vorsorge richtigerweise von dem Gesamtschaden, d. h. Fremdschaden plus Eigenschaden, ausgegangen (hier: 100 Euro), ist das Ergebnis dasselbe wie im Fall der asymmetrischen Schadensverteilung: V ∗ = 20 km/h. Da der symmetrische Schaden letztlich eine Kombination aus Selbstschädigung und Fremdschädigung ist, beläuft sich das Maß der effizienten Vorsorge also unabhängig davon, bei welchem der Beteiligten der Schaden anfällt, auf denselben Betrag, solange nur alle durch die Schädigung verursachten Schäden in die Bewertung einbezogen werden. 66 Wenn im Modell von einer asymmetrischen Schadensverteilung ausgegangen wird, mag diese Annahme zwar unrealistisch sein. Im Ergebnis erleichtert sie aber die Darstellung, ohne die Ergebnisse der Analyse zu beeinflussen, selbst wenn sich der entstehende Schaden tatsächlich zwischen Schädiger und Geschädigtem verteilt (symmetrische Schadensverteilung).
65 66
Cooter / Porat (2000), S. 24. Zur Selbst- und Fremdschädigung: Teil 2 A. I. 1. a) und b).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
c) Annahme der Risikoneutralität Dass ein bestimmtes Verhalten zum Eintritt eines Schadens führt, ist regelmäßig nicht sicher, sondern nur möglich. So führt beispielsweise bei Unfällen ein spezifisches Verhalten eines potentiellen Schädigers nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden. Selbst wenn es sich um ein sehr gefährliches Verhalten handelt oder der Betrachtungszeitraum ausreichend groß gewählt wird und die Wahrscheinlichkeit auf 100% oder gar darüber ansteigt, kann nicht vorhergesagt werden, wann genau und unter welchen Umständen sich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verwirklicht. Eine solche Situation liegt auch im Beispielsfall vor: Bei jeder einzelnen Kurierfahrt per Fahrrad droht ein Unfall, er ist also möglich. Sofern alle Fahrten eines Monats betrachtet werden, steigt die Wahrscheinlichkeit auf 400% an, d. h. es kommt statistisch zu vier Unfällen pro Monat. Bei welcher der 100 Fahrten genau das Schadensereignis eintritt, steht aber keineswegs fest. In dieser Situation der Unsicherheit ist es schwer, den Wert einzelner Handlungsalternativen zu bestimmen und unter ihnen die „beste“ auszuwählen. So steht der Einzelne vor der Frage, ob die Aussicht auf einen Schaden von 100 Euro mit einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit besser, schlechter oder genauso gut ist wie die Aussicht auf einen sicheren Schaden von 10 Euro. Der Erwartungswert des Schadens ist in beiden Fällen gleich (fair-gamble-situation). Es muss einzig die Entscheidung zwischen einem höheren Schaden mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit und einem geringeren Schaden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit getroffen werden. Für die Analyse dieser Situation der Unsicherheit hat der Mathematiker Daniel Bernoulli im 18. Jahrhundert drei klassische Grundmodelle erarbeitet, nach denen sich die individuelle Nutzenfunktion ausrichten kann: Risikoneutralität (N1 ), Risikofreude (N2 ) und Risikoaversion (N3 ). 67 Alle drei Graphen verlaufen streng monoton steigend; mathematisch formuliert: die erste Ableitung aller Nutzenfunktionen ist größer als null (N1 , N2 und N3 > 0). In jedem Fall erhöht also eine Einheit mehr an Einkommen den Nutzen, der Grenznutzen jeder Einheit Einkommen ist positiv. 68 Die Krümmung der Kurven, die sich mathematisch aus der zweiten Ableitung ergibt, ist allerdings 67
Bernoulli (1730/31, 1896), §§ 3 – 5. Dieses ist die Grundannahme, die dem 1. Gossenschen Gesetz (Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen) zugrunde liegt. Es sind allerdings durchaus Konstellationen denkbar, in denen zusätzlicher Verbrauch auch größeren Grenznutzen bringen kann (z. B. wenn das zweite Glas Bier noch besser schmeckt als das erste). Im anderen Extrem sind auch ein Grenznutzen von null (z. B. wenn das achte Glas Bier das Wohlbefinden nicht weiter steigert [Sättigung]) oder gar ein negativer Grenznutzen nicht auszuschließen (z. B. wenn das neunte Glas sogar Übelkeit erzeugt [Widerwillen]). Dazu: Schumann / Meyer / Ströbele (1999), S. 46. Im Anschluss an Bernoulli (1730/31, 1896), § 3 orientiert sich die ökonomische Analyse jedoch an den gewöhnlichen Fällen. 68
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
123
2,5
Nutzen (N)
2
1,5 risikoneutral risikofreudig risikoavers 1
0,5
0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11 12 13 14 15
Einkommen
Abbildung 7
unterschiedlich: Im Fall der Risikoneutralität ist der Verlauf der Grenznutzenkurve konstant steigend, eine Gerade (N1 = 0). Der Graph, der den Verlauf des Nutzens bei steigendem Einkommen für den Fall der Risikofreude abbildet, beschreibt eine Linkskurve (N2 > 0, konvexer Verlauf), der der Risikoaversion dagegen eine Rechtskurve (N3 < 0, konkaver Verlauf). Bei der risikoaversen Person wird also der marginale Nutzenzuwachs mit jeder zunehmenden Einheit an Einkommen immer geringer (unterproportionaler Nutzenzuwachs). Mit anderen Worten: Ihr Nutzenzuwachs durch eine Steigerung des Einkommens um eine zusätzliche Einheit ist geringer als der Nutzenverlust durch eine Verringerung des Einkommens um eine bestehende Einheit. Deshalb wird der Risikoaverse 10 Euro, die er mit Sicherheit erhält, der Aussicht auf 100 Euro, die er nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% erhält, vorziehen. Sein persönlicher Nutzenzuwachs durch eine geringere, aber mit Sicherheit gezahlte Summe Geld ist infolge der unterproportionalen Relation nämlich höher als der durch eine höhere, aber nur möglicherweise gezahlte Geldsumme gleichen Erwartungswerts. Eine risikofreudige Person würde hingegen die unsichere Aussicht vorziehen, eine risikoneutrale wäre indifferent. 69 Ceteris paribus verhält es sich bei drohenden Schäden: Der Risikoaverse zieht den geringeren Schaden bei höherer Wahrscheinlichkeit vor (hier: sicherer Verlust von 10 Euro). Der Risikofreudige verhält sich umgekehrt (hier: möglicher Schaden 69 Die Basis für die moderne Analyse von Entscheidungen unter Risiko wurde gelegt von: M. Friedman / Savage (1948), S. 279 ff. Kritisch zu dieser Theorie vom Erwartungsnutzen (expected utility theory) allerdings: Kahneman / Tversky (1979), S. 263 ff.
124
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
von 100 Euro mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit), der Risikoneutrale ist wiederum indifferent. In der Realität verhalten sich die meisten Menschen risikoavers. Es ist also grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Person bei identischem Erwartungswert das sichere Einkommen dem unsicheren vorzieht, respektive den sicheren Schaden dem unsicheren. Dieser Gedanke erscheint auch schon intuitiv richtig: „... [A] person will not gamble his entire net worth for a fifty percent chance of doubling it, particularly if losing it means starvation.“ 70 Dass das hier verwendete ökonomische Modell den Beteiligten trotzdem Neutralität – und nicht Aversion – gegenüber Risiko unterstellt, liegt daran, dass die Annahme von Risikoneutralität exaktere Vorhersagen erlaubt, da die Nutzenfunktion eine Gerade beschreibt (N1 = 0) und daher ihr Verlauf genau berechnet werden kann. Im Fall der Risikoaversion dagegen hängt der Verlauf des Graphen maßgeblich davon ab, wie stark die Aversion ausgeprägt ist, d. h. mathematisch gewendet, welchen Wert N3 im Einzelfall genau annimmt, von dem allein bekannt ist, dass er negativ ist (N3 < 0). In diesem Bereich entstünde eine Prognoseungenauigkeit, die es erschwerte, unter Effizienzgesichtspunkten exakte Anforderungen an das Verhalten der Beteiligten zu stellen. 71 Diese durch Annahme von Risikoneutralität erfolgende Abweichung von der Wirklichkeit lässt sich dadurch ausgleichen, dass der Einzelne das ihm drohende Risiko versichert. Da nach dem bisher Gesagten risikoaverse Personen ein geringeres sicheres Einkommen gegenüber einem höheren unsicheren bevorzugen, sind sie bereit, für eine Verminderung dieser Unsicherheit auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten, d. h. geringe Geldsummen mit Sicherheit zu zahlen (hier: Versicherungsprämien), um unsichere Schädigungen ihres Vermögens in größerer Höhe (hier: drohender Schadenseintritt) zu vermeiden. Mit den Worten Kenneth Abrahams ausgedrückt: „People pay a few of their last-earned dollars in order to avoid the risk of losing their first-earned dollars.“ 72 Es besteht also eine Nachfrage nach Versicherungen gegen die bestehende Unsicherheit. Die Risikoversicherer ihrerseits sind ebenfalls keine risikofreudigen Spieler, sondern im Grundsatz ebenso risikoavers wie ihre Versicherungsnehmer. Ihnen gelingt es aber, wenn sie eine ausreichend große Zahl von Versicherungsnehmern an sich binden, die individuellen Risiken im Kollektiv ihres Versicherungsbestands sowie im Ablauf der Zeit auszugleichen (pooling of risks) – je mehr Versicherungsnehmer, desto zuverlässiger gelingt der Risikoausgleich. 73 Für den einzelnen Versicherungsnehmer unvorhersehbare Ereignisse werden für den Versicherer im 70
Landes / Posner (1981a), S. 867. Landes / Posner (1987), S. 57; Shavell (1987), S. 187. 72 Abraham (1986), S. 24. 73 Zweifel / Eisen (2003), S. 84, 240 ff.; Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 232 f.; Farny (2006), S. 22. 71
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
125
Wege der Kumulation zu einem kalkulierbaren Risiko. So weiß zwar der Einzelne nicht, ob er im nächsten Jahr einen Unfall mit einem Radfahrer erleiden wird; wie hoch der statistische Erwartungswert eines solchen Unfalls für die Gesamtzahl der Versicherten ist, kann der Versicherer aber zuverlässig ermitteln. Dies stellt sicher, dass mit zunehmender Anzahl der Teilnehmer an einer Versicherung die Schwankung der zu zahlenden Prämie und damit die von den Unfällen ausgelöste Einkommensminderung beim Versicherungsnehmer gegen null geht. Die Versicherung fungiert insofern als ein privates Haftungssystem, das die erwarteten Kosten, die dem einzelnen Versicherungsnehmer aus einem für ihn in der Zukunft liegenden, unsicheren Schadensereignis drohen, intertemporal und interpersonell auf die Gesamtzahl der Versicherten verteilt und in eine gegenwärtig feststehende Zahlungspflicht transformiert. 74 Diese Zahlungspflicht des Versicherten besteht in der vertraglich festgelegten Versicherungsprämie, die seinem individuell erwarteten Verlust in der jeweiligen Versicherungsperiode entspricht. 75 Im Gegenzug wird der Versicherer dem Versicherungsnehmer für den Fall, dass sich das Risiko realisiert, eine dem Verlust entsprechende Geldsumme zahlen. Auf einem funktionierenden Versicherungsmarkt, auf dem Versicherungen zu einem aktuarisch fairen Preis angeboten werden, kann auch eine im höchsten Maße risikoaverse Person für jede befürchtete Unsicherheit Versicherungen abschließen. Dementsprechend kann sie so lange einen unsicheren großen Verlust (drohender Schaden) gegen einen sicheren kleinen Verlust (Versicherungsprämie) annähernd gleichen Erwartungswerts eintauschen, bis ihr tatsächliches Einkommen für jeden erdenklichen Fall der Unsicherheit ihrem rechnerisch erwarteten Einkommen entspricht (full insurance). Das ihr zur Verfügung stehende Einkommen ist damit davon unabhängig, ob ein Schaden entsteht oder nicht. 76 Im Fall einer solchen Vollversicherung verhält sich deshalb selbst eine extrem risikoaverse Person gegenüber den ihr drohenden Risiken genauso wie eine risikoneutrale Person, weil sie die Unsicherheit auf den Versicherer verlagert hat. 77 Solange ein frei zugänglicher, fairer Versicherungsmarkt existiert, darf das Haftungsrecht daher Schädiger und Geschädigte so behandeln, als seien sie risikoneutral, ohne dass die Ergebnisse des Modells von den real auftretenden abweichen. 78 74 Calabresi (1970), S. 58: „If he buys liability insurance, he pays approximately the costs of accidents that, statistically speaking, he will ‚cause‘.“ Cooter (1991), S. 21: „Insurance permits the sale of potential liabilities and recovery rights without selling the good to which they adhere.“ 75 In der Realität setzt sich eine Versicherungsprämie aus verschiedenen Komponenten zusammen: dem Schadenserwartungswert des Versicherten (Risikokosten), einem Sicherheitszuschlag, einem Betriebskostenzuschlag (insbesondere für Vertriebs- und Verwaltungskosten) und einem Gewinnzuschlag. Dazu: Farny (2006), S. 60 ff. 76 Priest (1987), S. 1539. 77 Ehrlich / Becker (1972), S. 627. 78 Landes / Posner (1981a), S. 867 f.: „If people who want insurance and are willing to pay for it can obtain insurance in the insurance market or in some informal substitute for it, there is no reason to use the tort system to provide insurance also.“
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
d) Annahme der Solvenz Im Modell wird ferner davon ausgegangen, dass der Schädiger solvent ist, dass er also die ihm haftungsrechtlich auferlegte Ersatzpflicht auch tatsächlich begleichen kann. In der Realität kommt es aber – nicht gerade selten – vor, dass der Schädiger nicht in der Lage ist, diesen Betrag in voller Höhe auch tatsächlich zu zahlen – er ist insoweit „judgment-proof“. Dies gilt für natürliche genauso wie für juristische Personen und kann seinen Grund darin haben, dass nur ein relativ geringes Vermögen vorhanden ist oder dass ein außergewöhnlich hoher Schaden verursacht worden ist (wie z. B. beim Betrieb eines Atomkraftwerks). Die Auswirkungen seien an einem Beispielsfall verdeutlicht, in dem ein Schädiger, der über ein Vermögen von 15.000 Euro verfügt, möglicherweise für einen Schaden von 100.000 Euro haften muss. Übersteigt die rechtlich angeordnete Haftung aber das tatsächlich vorhandene Vermögen, wird der überschießende Betrag für die Kalkulation des Schädigers irrelevant, denn die Höhe seiner tatsächlich zu erbringenden Ersatzleistung ist denknotwendig auf die Höhe seines Vermögens beschränkt. Er behandelt deshalb die Schädigung, die zu einer Haftung von 100.000 Euro führt, genauso wie eine Haftung von nur 15.000 Euro. Die Anreizwirkung, die durch die deliktische Haftung vermittelt wird, geht so zwar nicht vollständig verloren, wird aber jedenfalls abgeschwächt. Denn der potentielle Schädiger wird bei seiner KostenNutzen-Analyse in Bezug auf etwaige Vorsorgehandlungen den Nutzen in Gestalt einer möglichen Verhinderung des Schadenseintritts mit lediglich 15.000 Euro bewerten anstatt mit 100.000 Euro. Dies kann nachhaltige Auswirkungen auf sein Vorsorgeverhalten haben. Wenn der Schädiger durch eine Vorsorgemaßnahme, die ihm Kosten von 5.000 Euro verursachen würde, die Eintrittswahrscheinlichkeit von 30% auf 20% reduzieren könnte, würde sich der soziale Nutzen auf 5.000 Euro (= 0,1 × 100.000 Euro – 5.000 Euro) belaufen; die Vorsorgemaßnahme ist also unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten geboten. Aus privater Sicht rentiert sich die Vorsorge jedoch nicht, da sie dem Schädiger Nettokosten von 3.500 Euro (= 0,1 × 15.000 Euro – 5.000 Euro) verursacht. Er wird daher auf Vorsorge verzichten. 79 Entsprechend verringert sich auch der dem Schädiger vermittelte Anreiz, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Da sein Vermögen 79 Die Anreizwirkung zum Treffen effizienter Vorsorge hängt nicht allein von der Höhe des Vermögens ab, sondern auch von dem jeweils geltenden Haftungsregime. Unter der Geltung einer Gefährdungshaftung wird der Schädiger gar keine Vorsorge treffen, wenn sein Vermögen gering genug ist. Ab einer bestimmten Größe des Vermögens wird er dann ein positives Maß an Vorsorge treffen, das mit steigendem Vermögen proportional zunimmt. Unter einer Verschuldenshaftung wird der Schädiger dagegen nur dann keine Vorsorge treffen – und somit gegen den Maßstab geforderter Sorgfalt verstoßen –, wenn sein Vermögen sehr gering ist. Schon bei einem deutlich geringeren Vermögen als bei der Gefährdungshaftung wird sich diese Strategie aber nicht mehr lohnen. Dann wird der Schädiger unmittelbar das effiziente Maß an geforderter Sorgfalt V ◦ = V ∗ einhalten. Dies hat seinen Grund darin, dass die Anreizvermittlung unter der Verschuldenshaftung schärfer ist: Der Schädiger kann der Haftung dadurch vollständig entkommen, dass er
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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geringer ist als der Schaden, den er verursachen kann, würden Teile der Prämie, die der potentielle Schädiger für seine Haftpflichtversicherung zahlen müsste, Schäden abdecken, die er ohne Abschluss einer Versicherung ohnehin nicht würde tragen müssen. Wenn der potentielle Schädiger im Beispielsfall den drohenden Schaden von 100.000 Euro voll über eine Versicherung abgedeckte, würde er 85% seiner Prämie für diejenigen 85.000 Euro der möglichen Haftungssumme zahlen, die er ohnehin nicht hätte zahlen können, wenn er keine Versicherung abgeschlossen hätte. Potentielle Schädiger werden sich daher rationalerweise gegen den Abschluss einer Versicherung entscheiden, zumindest gegen den Abschluss einer Versicherung in voller Höhe des Schadens, den sie verursachen könnten. 80 Diese Unfähigkeit zum Ersatz entstehender Schäden und der daraus resultierende Anreiz, auf Versicherungsschutz in der erforderlichen Höhe zu verzichten, führt zu Abschwächungen der durch das Haftungsrecht vermittelten Verhaltensanreize in mehrfacher Hinsicht. Auf der einen Seite wird der Schädiger ein zu geringes Maß an Vorsorge und ein exzessives Aktivitätsniveau wählen. Dabei ist er, weil er von sich aus keine Versicherung abschließen wird, dem Risiko ausgesetzt, im Falle des Schadenseintritts Ersatz leisten zu müssen. Da der Schädiger regelmäßig risikoavers ist, stellt dies für ihn noch eine zusätzliche Belastung dar. Auf der anderen Seite läuft der Geschädigte Gefahr, für seinen erlittenen Schaden nicht vollumfänglich kompensiert zu werden. Zur Lösung dieser Probleme kommen zwei Gegenmaßnahmen in Betracht. 81 Zum einen könnte gesetzlich normiert werV ∗ einhält, während er bei der Gefährdungshaftung dadurch lediglich die Wahrscheinlichkeit seiner Haftung verringert. Auch wird der Schädiger bei der Verschuldenshaftung schon bei einer geringeren Vermögensgröße beginnen, Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Die Verschuldenshaftung ist somit weniger empfänglich für Anreizverzerrungen als die Gefährdungshaftung. Dazu: Shavell (1986), S. 47 und umfassend zu den Unterschieden im Bereich der Anreizverzerrungen bei Verschuldens- und Gefährdungshaftung: Teil 2 B. II. 2. 80 Calabresi (1970), S. 58; Shavell (1984), S. 361. In dieser Allgemeinheit gilt dies allerdings nur für risikoneutrale Personen. Risikoaverse Personen werden eher beginnen, Versicherungen zu kaufen, um ihr bestehendes Vermögen zu schützen. Die konkrete Größe hängt dabei vom Grad der individuellen Aversion ab. Z. B. kann es sein, dass ein risikoaverser Schädiger mit einem Vermögen von 60.000 Euro bereit ist, einen drohenden Schaden von 100.000 Euro in voller Höhe zu versichern. Sobald das Vermögen aber nur ausreichend gering ist (z. B. 3.000 Euro), wird niemand mehr – trotz Risikoaversion – bereit sein, eine Versicherung abzuschließen. 81 Um hier regulativ einzugreifen, stehen eine Reihe von möglichen Gegenmaßnahmen zur Verfügung. Dazu: Brown / Holahan (1980), S. 165; Shavell (1987), S. 277 f.; Kaplow / Shavell (2002), S. 1 ff.; Cooter / Ulen (2004), S. 310; Shavell (2005), S. 74; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 385 f. Für die hier untersuchte Fragestellung der Anreizsetzung durch das Haftungsrecht unmittelbar sind aber nur die beiden angesprochenen Alternativen geeignet. Die anderen Möglichkeiten befassen sich z. B. mit der Ausdehnung der Haftung im Wege der Durchgriffshaftung oder der Haftung des Geschäftsherrn, einer unmittelbaren Regulierung durch Sicherheitsvorschriften, der Auferlegung von Steuern und Abgaben oder der Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Jede dieser Möglichkeiten hat Vorzüge, aber auch Nachteile. Eine empirische Untersuchung monographischen Umfangs darüber, ob das zivilrechtliche
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
den, dass Personen, die eine bestimmte schadensträchtige Aktivität durchführen wollen, ein Mindestvermögen nachweisen müssen. Wenn dessen Höhe so festgelegt wird, dass daraus die höchste konkret drohende Haftungssumme bezahlt werden könnte (hier: 100.000 Euro), wird zwar das „Judgment-Proof -Problem“ gelöst, es entstehen allerdings neue. Eine solche Regulierung mag für Aktivitäten, an denen es nur wenige Teilnehmer gibt (z. B. Bau eines Atomkraftwerks), praktisch umsetzbar sein. Bei Massenaktivitäten wie der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr dagegen erscheint es unter tatsächlichen Gesichtspunkten unmöglich, eine solche Mindestsumme zunächst festzusetzen und später auch zu überprüfen, ob das Vermögen tatsächlich den geforderten Schwellenwert erreicht. Zusätzlich hat dieser Ansatz auch in methodischer Hinsicht eine gravierende Nebenwirkung: Zur Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens ist die Vornahme einer Tätigkeit dann geboten, wenn deren Nutzen deren erwarteten Schaden übersteigt. 82 Das hier aufgestellte Erfordernis des Mindestvermögens knüpft jedoch die Erlaubnis, eine Tätigkeit ausführen zu dürfen, daran, dass der Betroffene in der Lage sein muss, den möglicherweise eintretenden Schaden tatsächlich zu ersetzen. Wenn im Beispielsfall der Schaden von 100.000 Euro mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% droht, ist die Durchführung dieser Aktivität geboten, sobald der daraus resultierende Nutzen den Schadenserwartungswert von 1.000 Euro übersteigt. Allein dieses Kriterium muss unter dem Aspekt der Effizienz ausschlaggebend sein. Wenn aber ein Mindestvermögen in Höhe des tatsächlich möglichen Schadens gefordert wird, schließt das Teilnehmer von der Aktivität aus, die nicht über 100.000 Euro verfügen, obwohl ihr Tätigwerden aus gesamtgesellschaftlicher Sicht durchaus wünschenswert ist. 83 Die Bedingung eines Mindestvermögens ist somit nicht erstrebenswert. Zum anderen kann allen potentiellen Schädigern die Pflicht auferlegt werden, eine (Pflicht-)Versicherung in vollem Umfang des tatsächlich möglichen Schadens abzuschließen. 84 Dieser Lösungsansatz leidet nicht unter dem Defizit des vorstehenden, weil die Prämienhöhe in der (Pflicht-)Versicherung allein von der Höhe Haftungsrecht seine ökonomischen Aufgabe der effizienten Schadensprävention besser als andere Regulierungsmethoden erfüllt, findet sich bei: Dewees / Duff / Trebilcock (1996). Die Untersuchung befasst sich insbesondere mit der Wirkung der Haftung im Bereich des Straßenverkehrs, medizinischer Fehlversorgung, von Produktfehlern, Umweltschäden und Arbeitsunfällen. 82 Umfassend dazu: Shavell (2005), S. 66 f. 83 Shavell (1986), S. 53. 84 Dabei soll davon ausgegangen werden, dass das Vermögen des Schädigers immerhin ausreicht, um die Versicherungsprämien für eine Versicherung des drohenden Schadens zu zahlen. Dies ist durchaus realistisch, da der Erwartungswert des Schadens im Regelfall deutlich geringer ist als der tatsächlich entstehende Schaden (infolge der Diskontierung in Höhe der jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit). Paradigma einer solchen Pflichtversicherung ist im geltenden Recht die Versicherungspflicht des Halters eines Kraftfahrzeugs gemäß § 1 PflVersG.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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des erwarteten Schadens abhängig ist. Im Beispielsfall dürfte jeder die konkrete Aktivität ausführen, der bereit und in der Lage ist, die fällige Versicherungsprämie von circa 1.000 Euro zu bezahlen, also auch dann, wenn sein Vermögen weit unter 100.000 Euro betragen sollte. Der Abschluss einer unter Effizienzgesichtspunkten durchaus wünschenswerten Versicherung, zu dem die Haftungsandrohung hier keinen ausreichenden Eigenanreiz vermitteln kann, wird auf diese Weise von außen über eine Rechtspflicht induziert. Der Effekt einer solchen Pflichtversicherung ist dabei derselbe wie der einer freiwillig abgeschlossenen Versicherung: Die Schadensersatzpflicht wird in voller Höhe von der Versicherung übernommen und so – wenn auch indirekt – für den Versicherten beachtlich. 85 Gleichzeitig befreit er sich dadurch von dem ihn treffenden Risiko und der Geschädigte kann sich sicher sein, seinen Schaden in voller Höhe ersetzt zu bekommen. Durch eine mandatorische Versicherung kann also das „Judgment-Proof -Problem“ überwunden und somit die – realitätsferne – Annahme umfassender Solvenz der potentiellen Schädiger aufrechterhalten werden. e) Annahme der Eigenhaftung Die Untersuchung geht entsprechend der Konzeption des BGB davon aus, dass im Fall der Verursachung eines Schadens das Individuum des Schädigers dem Individuum des Geschädigten Schadensersatz aus seinem eigenen Vermögen leisten muss, sofern die Voraussetzungen einer Haftungsnorm erfüllt sind. Diese individualistische Denkweise entspricht aber nicht der heutigen sozialen Wirklichkeit, denn Schäden werden überwiegend nicht mehr vom Schädiger selbst, sondern von für ihn einspringenden Kollektivgemeinschaften privater oder sozialer Natur ausgeglichen. D. h. das unmittelbare deliktsrechtliche Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem wird im Rahmen der Schadensregulierung praktisch durch Versicherungen überlagert. Für die hier untersuchten Nichtvermögensschäden in Gestalt von Schmerzensgeld und Geldentschädigung dürfte die tatsächliche Ausgangssituation so sein, dass der potentielle Schädiger die ihm drohende Haftpflicht regelmäßig versichert haben wird (third party insurance). Soweit bisher von der Haftung des Schädigers die Rede war, betrafen diese Aussagen also wirtschaftlich regelmäßig seinen Haftpflichtversicherer. Mikroökonomisch wird durch den Abschluss eines Versicherungsvertrags das bestehende Risiko des einzelnen Versicherten auf die Versicherung und somit auf die Gemeinschaft aller Versicherten übertragen (loss spreading). Im Wege dieses Transfers kommt es aus der Sicht des Versicherten zu einer (Re-)Externalisierung der ihm drohenden Haftungs-
85 Die Anreizwirkung hängt von der Ausgestaltung des konkreten Versicherungsverhältnisses ab und ist keine Frage, die einzig mit dem Erfordernis einer Pflichtversicherung verbunden ist. Zur Anreizwirkung im Fall der Versicherung der drohenden Haftpflicht sogleich: Teil 2 A. I. 3. e).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
kosten. Es steht daher zu befürchten, dass der Abschluss einer Versicherung die wirksamen Anreize zur Vorsorge, die das Deliktsrecht setzen soll, unterminiert. aa) Unterstellt sei zunächst, eine Versicherung biete einen Einheitstarif für alle Versicherungsnehmer an, der unabhängig von der individuellen Schadenshäufigkeit und dem individuellen Vorsorgeaufwand nach Durchschnittswerten bestimmt wird (unvollkommene Versicherungen, imperfect insurance 86). Dies kann daraus resultieren, dass das Versicherungsunternehmen eine individuelle Staffelung seines Prämiensystems entweder nicht anbieten will oder nicht anbieten kann, was insbesondere bei Massenversicherungen mit kurzer Laufzeit der Fall ist (z. B. Reiserücktrittsversicherungen). Im Beispielsfall droht bei dem effizienten Maß an Vorsorge V ∗ = 20 km/h, zu dessen Einhaltung die gesetzliche Regelung Anreize vermitteln soll, ein Schaden von 178 Euro pro Monat. Die Versicherungsprämie P betrage daher für jeden Versicherungsnehmer dieser Art monatlich 178 Euro (private Kosten des Versicherten). 87 Die Kosten für den drohenden Schaden (Unfallversicherung des Geschädigten, first party insurance) bzw. für die drohende Haftung (Haftpflichtversicherung des Schädigers, third party insurance) übernimmt dagegen die Versicherung, sodass die aus der Schädigung selbst resultierenden Kosten aus Sicht des Versicherten externalisiert sind. Die Kosten für die individuelle Vorsorge V ∗ hat er hingegen wiederum selbst zu tragen. Um seine privaten Gesamtkosten zu minimieren, die sich aus Vorsorgekosten und Versicherungsprämien zusammensetzen (K = V +P), vermittelt dieses System des Einheitstarifs dem Versicherungsnehmer Anreize, seinen Vorsorgeaufwand möglichst weit herabzusetzen. Wendet S nicht mehr die effiziente Vorsorge V ∗ , sondern gar keine Vorsorge mehr auf, verringern sich seine Gesamtkosten von 298 Euro (KV=V ∗ ) auf 178 Euro (KV=0 ). Aus der Sicht eines rationalen Versicherungsnehmers ist es somit geboten, den Vorsorgeaufwand unmittelbar nach Abschluss der Versicherung drastisch zu reduzieren, weil ihm die auf diese Weise eingesparten Vorsorgekosten persönlich voll zugute kommen (hier: 120 Euro), während er den damit verbundenen Anstieg des Schadenserwartungswerts (hier: Anstieg um 222 Euro auf 400 Euro) infolge der versicherungsgemäßen Durchschnittsbildung vollständig als externen Effekt auf die Gemeinschaft der Versicherten abwälzen kann (Anreize zu opportunistischem Verhalten, moral hazard). 88 86 Diese Terminologie orientiert sich an Polinsky (1989), S. 70, 72. Diese Unterscheidung traf im Grunde auch schon Calabresi (1970), S. 303: Er bezeichnete solche Versicherungen als (aktuarisch) „fair“, deren Prämien die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in Abhängigkeit von der individuell getroffenen Vorsorge des jeweiligen Versicherungsnehmers abbilden. 87 In der Realität müssen die Versicherer über die Prämien sowohl ihre Verwaltungskosten als auch ihren Gewinn erwirtschaften; dazu: Teil 2 A. I. 3. c). Somit ist davon auszugehen, dass die Versicherungsprämie tatsächlich über 178 Euro liegen würde. Diese Erhöhung der Prämie bleibt hier aber außer Betracht, weil sie für die vorliegenden Betrachtungen ohne Bedeutung ist. 88 Arrow (1963), S. 961; Shavell (1982), S. 127; Zweifel / Eisen (2003), S. 295 ff.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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Durch diese Herabsetzung der Vorsorge des Versicherungsnehmers erhöht sich die Zahl der Unfälle und damit der Erwartungswert des Schadens, den die Versicherung zu tragen hat. Im Beispiel steigt die Belastung der Versicherung durch die von S verursachten Schadenskosten von effizienten 178 Euro auf ineffiziente 400 Euro an. Mittelfristig wird es daher zu einer Erhöhung der Einheitstarife kommen. Wenn die Versicherung neben S noch eine weitere Person X gegen das identische Risiko versichert, steigt die Gesamtbelastung der Versicherung auf 578 Euro (400 Euro durch S , 178 Euro durch X). Der neue Einheitstarif beträgt für die beiden Versicherungsnehmer dementsprechend jeweils 289 Euro. Infolge dieser Anhebung der Versicherungsprämien wird die Versicherung solche Versicherungsnehmer verlieren, deren Schadenserwartungswert geringer ist als die zu dessen Abdeckung notwendige Versicherungsprämie. So wird X, der einen Schaden von 178 Euro erwarten muss, nicht bereit sein, diesen für 289 Euro zu versichern. Er wird deshalb aus der Versicherung austreten und es vorziehen, das Risiko des Schadenseintritts wieder selbst zu tragen und seine privaten Kosten durch Einhaltung des effizienten Vorsorgelevels V ∗ zu minimieren. Die Versicherung verliert also das „gute Risiko“ (X) und behält das „schlechte Risiko“ (S ), was letztlich dazu führt, dass die Versicherung erneut ihre Prämien anheben muss (hier: auf 400 Euro). 89 Dieser Effekt der Negativauslese (adverse selection) kann in einen sich selbst verstärkenden Prozess münden, wenn sich der Versicherungspool infolge des ständig fortschreitenden Verlusts der relativ besten Risiken kontinuierlich verschlechtert, was dazu führen kann, dass ein vormals funktionierender Versicherungsmarkt in dieser Todesspirale zusammenbricht. 90 In Fällen, in denen das versicherte Risiko durch den Versicherungsnehmer beeinflusst werden kann, wird also durch Versicherungen mit Einheitstarifen jeder über das Haftungsrecht eventuell vermittelte Anreiz, Schäden auf das effiziente Maß zu begrenzen, zunichte gemacht. bb) Bei einer idealtypischen Versicherung (vollkommene Versicherung, ideal / perfect insurance) hingegen sind die Versicherungsprämien entsprechend dem individuellen Vorsorgeniveau des Versicherten gestaffelt. Die Höhe der Prämie spiegelt also exakt den Schadenserwartungswert wider, der aus dem durch den Versicherten konkret getroffenen Maß an Vorsorge resultiert. Wenn S , nachdem er seine Vorsorge auf null reduziert hat (Schadenserwartungswert von 400 Euro), eine diesem Vorsorgeverhalten entsprechende Versicherungsprämie zahlen müsste, würde er unverzüglich zum Vorsorgelevel V ∗ zurückkehren, um so seine privaten Kosten zu minimieren (KV ∗ = 278 Euro, KV=0 = 400 Euro). Die Versicherung induziert den Versicherten also nicht, sein Vorsorgeniveau auf ein ineffizientes Maß herabzusetzen, da sie den erwarteten Schaden über die Prämien an den Ver89 Akerlof (1970), S. 492 f.; Priest (1987), S. 1541. Eine empirische Untersuchung zum Phänomen der Negativauslese findet sich bei Priest (1991), S. 44 –46. 90 Akerlof (1970), S. 493; Priest (1987), S. 1541.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
sicherten weiterreicht (Vermeidung des moral hazard). Außerdem resultiert aus diesem individuellen Prämiensystem, dass die Beiträge jedes Versicherten in Abhängigkeit von seinem persönlichen Schadenserwartungswert bestimmt werden und somit nicht durch die Versichertengemeinschaft aufgefangen werden müssen (Vermeidung der adverse selection). Diese Art der Versicherung, die sich nicht an durchschnittlichen, sondern an individuellen Werten orientiert, nimmt dem Versicherten die Möglichkeit, in der Masse seiner Mit-Versicherten unterzutauchen. Dieses Ideal einer individuell bemessenen Versicherungsprämie lässt sich praktisch durch umfassende Input-Kontrollen vor und während des Versicherungsvertrags verwirklichen. Eine laufende Beobachtung der zur Schadensverhinderung und –eindämmung durch den Versicherungsnehmer getroffenen Maßnahmen mag bei hohem Einzelfallschadenspotential z. B. in der Industrie durchaus üblich sein, im alltäglichen Massengeschäft wie bei einer privaten Unfallhaftpflicht wird eine solche individuelle Überwachung aber aus Gründen der Wirtschaftlichkeit regelmäßig unterbleiben. Tatsächlich wird häufig (erst) nach Eintritt eines Schadens das tatsächlich getroffene Maß an Vorsorge überprüft, was mit den verfügbaren technischem Mitteln und mit vertretbarem Kostenaufwand durchaus möglich ist. Stellt die Versicherung dabei eine Unterschreitung des vertraglich festgelegten Vorsorgemaßstabs fest, kann die Versicherung gegen den Versicherten Regress nehmen. 91 Des weiteren stehen vertragliche und gesetzliche Instrumente wie eine Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers, Bonus-Malus- oder Schadensfreiheitsrabattsysteme, ein Deckungsausschluss für bestimmte Gefahren, ein Verbot der willkürlichen Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) oder ein Risikoausschluss für bestimmte Formen der Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 61 VVG) zur Verfügung, um die infolge der Versicherung beim Versicherungsnehmer entstehenden moral-hazard-Effekte zu neutralisieren. 92 Wenn auch eine risikogerechte Tarifierung eines jeden Einzelfalls in Anbetracht der damit verbundenen immensen Kosten nur für wenige großvolumige Policen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein mag, stehen dennoch eine Reihe von Behelfen zur Verfügung, die der Versicherer einsetzen kann und im eigenen Interesse auch einsetzen sollte, um eine Annäherung an die idealtypische Versicherung erreichen. 93 Auch ein versichertes Individuum befindet sich deshalb im Hinblick auf die vermittelten Anreize in derselben Situation wie ein nicht versichertes, da die Steuerungseffekte der deliktischen Haftung durch eine idealtypische Versicherung unverzerrt an den Versicherten weitergegeben werden. 94 Denn für den Einzelnen ist es irrelevant, ob er den Schaden in Höhe des Erwartungswerts unmittelbar zu 91
Umfassend: Adams (1985), S. 227 – 232. Adams (1985), S. 232 ff.; Wagner (1999), S. 1445 f.; Cooter / Ulen (2004), S. 54, 354 f. 93 In diesem Sinne optimistisch für das deutsche Recht: Weyers (1971), S. 461 f.; Adams (1985), S. 237 ff.; Wagner (1991), S. 179; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 218. Skeptischer: Rehbinder (1989), S. 151; Huber (2003), S. 122. 94 James (1948), S. 560; Adams (1985), S. 224; Polinsky (1989), S. 70. 92
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
133
tragen hat oder ob er ihn mittelbar über eine dementsprechende Prämie an die Versicherung entrichten muss. 95 Für einen Versicherten lohnt es sich dadurch, seiner Versicherung ein „gutes Risiko“ zu sein und in gleicher Weise wie ein Nichtversicherter Schäden zu vermeiden. f) Zwischenergebnis Das vorgestellte ökonomische Modell ist demgemäß für die vorzunehmende Analyse, ob das Haftungsrecht Anreize zu effizientem Verhalten vermittelt, durchaus verwendbar. Denn auch nach Berücksichtigung der vom Modell realiter abweichenden Gegebenheiten und der damit verbundenen Lockerung seiner simplifizierenden Annahmen bleibt die Steuerungsmöglichkeit der deliktischen Haftung weitgehend intakt. Einzig die entgegen der Annahme des Modells auftretenden administrativen Kosten können unter Umständen die Effizienz von Haftungsanordnungen negativ beeinflussen, wenn diese tertiären Kosten höher sind als die durch die Anreize der Haftung erreichte Reduzierung der (primären) Schadenskosten. Diese Frage bedarf jedoch einer Überprüfung im Einzelfall und kann nicht pauschal beantwortet werden. Grundsätzlich ist also festzuhalten, dass die Annahmen des Modells weitgehend intakt auf die Wirklichkeit übertragbar sind und das vereinfachte und daher übersichtliche Modell weiterhin genutzt werden kann, um die Auswirkungen der Haftung zu demonstrieren. Im Folgenden sollen die vom Haftungsregime vermittelten Auswirkungen zunächst für den Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (II.) und danach für den der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit (III.) untersucht werden. Zwingende inhaltliche Gründe sprechen weder für diese noch für eine andere Reihenfolge, da beide Untersuchungen voneinander unabhängig sind. Die Analyse des unilateralen Falls der Geldentschädigung wird letztlich deshalb vorgezogen, weil der komplexere bilaterale Fall nach der Darstellung des unilateralen einfacher zu verstehen ist.
II. Die Geldentschädigung Es ist zu analysieren, welches Haftungsmodell für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den Beteiligten effiziente Verhaltensanreize setzt. 96 Hierbei handelt es sich um einen unilateralen Schadensfall, d. h. allein der Schädi95 Shavell (1987), S. 213. Dies wird bei Polinsky (1989), S. 70 –72 durch ein Zahlenbeispiel sehr gut veranschaulicht. Ein ähnliches Beispiel findet sich bei H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 216. 96 Die folgenden Erwägungen gelten entsprechend auch für die besonderen Persönlichkeitsrechte. Da die Argumentationsmuster in der juristischen Diskussion insoweit nahezu parallel verlaufen, können diese ohne nähere Differenzierung schlicht mitbehandelt werden.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
ger kann durch sein Verhalten das Risiko des Schadenseintritts beeinflussen, indem er entsprechende Vorsorgemaßnahmen ergreift. Das Verhalten des Geschädigten hingegen spielt in dieser Analyse keine beachtenswerte Rolle: Vs > 0, Vg = 0. 97 Die sozialen Gesamtkosten ergeben sich daher allein aus den Vorsorgekosten des Schädigers und dem Schadenserwartungswert: K = Vs + W(Vs ) × S (Gleichung 1, angepasst an den Fall der unilateralen Schädigung). Um den potentiellen Schädiger zur Einhaltung des effizienten Vorsorgeniveaus V s∗ zu induzieren, muss das Haftungsrecht die Wahl ineffizienter Handlungsmöglichkeiten durch Kosteninternalisierung derart verteuern, dass deren Wahl zur Maximierung seines privaten Nutzens ungeeignet ist. Ein Haftungssystem, das diesen Anforderungen gerecht wird, soll zunächst für den Fall erarbeitet werden, in dem das Vorsorgeniveau variabel und das Aktivitätsniveau konstant ist (1.); im Anschluss daran wird dann der Fall analysiert, in dem sowohl das Vorsorge- als auch das Aktivitätsniveau variabel sind (2.). 1. Kostenminimierung bei variablem Vorsorge- und konstantem Aktivitätsniveau Die Analyse bezieht sich also zunächst auf den Fall, dass der Schädiger das Schädigungsrisiko ausschließlich über sein Maß an Vorsorge steuern kann. Das Niveau der Aktivität hingegen sei konstant, sodass sie als Schadensfaktor außer acht gelassen werden kann. 98 Die Untersuchung zielt daher allein darauf ab, ein Haftungssystem zu finden, das dem Schädiger Anreize zur Wahl des gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Vorsorgeniveaus V s∗ setzt. Um dieses Ziel zu erreichen, kommen die drei grundlegenden Haftungstypen in Betracht, die Haftungsversagung, die Gefährdungshaftung und die Verschuldenshaftung.
97
s. o., vgl. Teil 2 A. I. 2. b) aa). Dies ist keine vollkommen unrealistische Situation. Denn das Aktivitätsniveau ist in der Praxis häufig konstant oder jedenfalls nur in engen Grenzen variierbar. So kann beispielsweise der Arbeitnehmer, der täglich mangels Alternativen mit seinem Kraftfahrzeug zu seinem Arbeitsplatz fahren muss, sein Aktivitätsniveau nicht verringern. Auch die sog. Yellow Press muss, um ihre Ausgaben füllen und auf diese Weise rentabel arbeiten zu können, über Prominente berichten und dabei in fremde Persönlichkeitsrechte eingreifen. Der Einzelne steht damit vor der Wahl, entweder seine Aktivität einzustellen – und damit gleichzeitig auf seine Einnahmequelle zu verzichten – oder seine Aktivität in gleichem Maße fortzusetzen. (Auch eine Veränderung des Geschäftskonzepts der Zeitschrift wäre eine Aktivitätseinstellung in diesem Sinne, da dadurch eine Aktivität auf einem anderen „Markt“ ausgeübt würde.) Sofern er sich für die zweite Möglichkeit entscheidet, steht er vor der erneuten Wahl, ob er bei Ausübung dieser Aktivität das rechtlich geforderte Vorsorgeniveau einhalten will oder nicht, ob also – bezogen auf Presseunternehmen – fremde Persönlichkeitsrechte verletzt oder ob über den Markt Lizenzen daran erworben werden. 98
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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a) Haftungsversagung Die Haftungsversagung stellt eine (negative) Haftungsanordnung dar, wenn der Begriff der Haftung so weit verstanden wird, dass sie zu regeln hat, wer letztlich die Kosten eines Unfalls tragen soll. 99 Wenn eine Ersatzpflicht (E) des Schädigers von Rechts wegen nicht bestimmt wird, verbleibt der Schaden (S ) in voller Höhe dort, wo er auch originär angefallen ist, nämlich beim Geschädigten (reine Geschädigtenhaftung); den Schädiger trifft in diesem Fall keine Ersatzpflicht (E = 0). Die Schadenskosten stellen aus Sicht des Schädigers somit externe Kosten dar. Er ist daher bezüglich der Frage indifferent, ob und wie oft es zu einer Schädigung Dritter kommt. Die Kosten für Vorsorgemaßnahmen (V) dagegen fallen beim Schädiger an und verbleiben auch bei ihm (interne Kosten). Die ihn treffenden Gesamtkosten (K s ) ergeben sich in dieser Konstellation deshalb ausschließlich aus seinen persönlichen Vorsorgekosten (Vs ): K s = Vs + 0 × W(Vs ) × S = Vs . Weil der Schädiger keinen Nutzen daraus hat, die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verringern, wird er, um seine Kosten zu minimieren, das Vorsorgeniveau auf null reduzieren. Wenn eine rechtliche Haftungsregelung fehlt, gibt es somit keinerlei Anreize für den Schädiger, Vorsorge zu treffen. Daher wird S im Beispielsfall, der – obwohl er einen Fall der Körperverletzung behandelt – auch hier zur Verdeutlichung immer wieder herangezogen werden wird, 100 mit 30 km/h den Feldweg entlang fahren und andere Personen übermäßig gefährden. Die potentiell Geschädigten haben in dieser unilateralen Konstellation ihrerseits keine Möglichkeit, Maßnahmen zur Schadensvorsorge zu treffen. Im Ergebnis beläuft sich die Gesamtvorsorge also auf null (V = 0). Der Schadenserwartungswert erreicht dementsprechend seine maximale Höhe von 400 Euro monatlich (Kg = W(V = 0) × S ). Die Haftungsversagung induziert den potentiellen Schädiger somit zu ineffizientem Verhalten: 101 Der Schädiger wird seine Vorsorge auf null reduzieren, obwohl er die Vorsorge V s∗ treffen sollte. An dieser Stelle muss das Recht intervenieren, um ein Verhalten zu unterbinden, das aus der Sicht des rational handelnden Individuums zwar geboten, aus gesamtgesellschaftlicher Sicht aber suboptimal ist. 102
99
s. o., vgl. Teil 2 A. I. 1. b). Soweit, wie der Fall bisher ausgestaltet ist, ist die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts allein von dem Vorsorgeverhalten des Schädigers abhängig. Es handelt sich mithin – wie bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – um einen unilateralen Fall. 101 Es ist durchaus denkbar, dass die Haftungsversagung in Einzelfällen die effiziente Haftungsregelung darstellt. Da sie – spiegelbildlich zur Gefährdungshaftung (dazu sogleich unter b) – allein das Vorsorgeniveau des Geschädigten steuern kann, führt sie dann zu optimalen Anreizen, wenn einzig der Geschädigte Vorsorgemaßnahmen treffen kann. 100
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
b) Gefährdungshaftung Eines der Haftungssysteme, mit denen das Recht aktiv auf das Verhalten der Beteiligten einwirken kann, ist das der Gefährdungshaftung. Durch deren positive Haftungsanordnung werden die anfallenden Kosten anders verteilt, als sie aufgrund der natürlichen Schadensdistribution anfallen. Hier trifft den Schädiger unabhängig davon eine Ersatzpflicht, ob er die Schädigung verschuldet hat oder nicht (reine Schädigerhaftung). Im Idealfall der vollständigen Kompensation des entstandenen Schadens (perfect compensation), der hier zunächst unterstellt werden soll, 103 beläuft sich die Ersatzpflicht des Schädigers exakt auf die Höhe des Schadens. Der Erwartungswert der den Schädiger treffenden Ersatzpflicht (expected legal judgment cost) ergibt sich daher aus der Höhe des durchschnittlich entstehenden Schadens multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts: W(Vs ) × S . Insofern stellt die Gefährdungshaftung gleichsam das Spiegelbild der Haftungsversagung dar, als hier in jedem Fall der Schädiger – und nicht wie dort der Geschädigte – den Schaden zu tragen hat. Beim Schädiger sind demnach sowohl die Kosten der Vorsorgemaßnahmen als auch die des Schadens in der vollen Höhe seines Erwartungswerts internalisiert: K s = Vs + W(Vs ) × S . Deshalb fällt auch der Vorsorgenutzen in Gestalt der Verringerung des erwarteten Schadens beim Schädiger an. Um seine privaten Kosten K s zu minimieren, wird er daher ein Maß an Vorsoge wählen, das für ihn den optimalen Kompromiss zwischen Vorsorgekosten auf der einen und Haftungskosten auf der anderen Seite darstellt. Ökonomisch gewendet, wird er also so lange sein Vorsorgeniveau steigern, bis der Grenznutzen einer zusätzlichen Einheit an Vorsorge exakt deren Grenzkosten entspricht: Vs = −W (V s∗) × S (Gleichung 2, angepasst an den Schädiger als hier einzigen Kostenträger). Im Beispielsfall wird S , um seinen eigenen Nutzen zu maximieren, daher die Geschwindigkeit V s∗ von 20 km/h wählen. Der Geschädigte hingegen trägt keine Kosten mehr – weder für Vorsorgemaßnahmen, die er in diesem unilateralen Fall gar nicht treffen kann, noch für den drohenden Schaden, der ihm vom Schädiger vollständig ersetzt wird. Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist hier der Geschädigte also indifferent, ob er einen Unfall erleidet oder nicht. 104 102 Dies entspricht dem alten Grundsatz, den schon Oliver Wendell Holmes (1881, 1960), S. 50 aufgestellt hat: „... [S]ound policy lets losses lie where they fall, except where a special reason can be shown for interference.“ 103 Eingehend zur Frage der unter ökonomischem Aspekt gebotenen Höhe der Ersatzpflicht: Teil 2 B. 104 Die hier in Rede stehende Entschädigung kann die erlittenen Schäden jedoch jedenfalls dann nicht vollständig kompensieren, wenn durch den Unfall schwerste Verletzungen drohen. Daher wird auch die Aussicht auf vollständigen Schadensersatz den Geschädigten nicht in jedem Fall tatsächlich indifferent gegenüber einer drohenden Schädigung werden lassen. Zur Problematik der Berechnung von Entschädigungen im Fall von Nichtvermögensschäden (Monetarisierungsproblem): Teil 2 B. III. 1. a).
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
137
Da in dieser unilateralen Konstellation unter dem Regime der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung alle entstehenden sozialen Kosten in der Person des Schädigers internalisiert werden, entsprechen dessen private Kosten den sozialen Gesamtkosten: K s = K. Aus dem tradeoff zwischen Vorsorgekosten und Vorsorgenutzen, den der Schädiger vornimmt, resultiert somit nicht nur das für ihn persönlich optimale Vorsorgeniveau, sondern zugleich auch das gesamtgesellschaftlich effiziente: Vs = V s∗ = V ∗ . Die Minimierung der privaten Kosten geht also Hand in Hand mit der Minimierung der sozialen Kosten – eine Situation, wie sie aus der Konstellation der Selbstschädigung bereits vertraut ist. 105 Die Gefährdungshaftung vermittelt folglich in dieser Konstellation Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten. c) Verschuldenshaftung Die dritte grundsätzlich mögliche Form der Haftungsregelung ist die Verschuldenshaftung. aa) Im Rahmen der Verschuldenshaftung muss der Schädiger den entstandenen Schaden nur dann ersetzen, wenn er ihn in vorwerfbarer Weise verursacht hat (partielle Haftung). Zur Feststellung dieses Verschuldensvorwurfs statuiert das Recht – entweder über eine Rechtsnorm oder durch Entscheidung des erkennenden Gerichts – einen Vorsorgemaßstab V ◦ , an dem das Verhalten des Schädigers gemessen wird. Die Verschuldenshaftung unterscheidet sich somit insofern von den beiden bisher beschriebenen Haftungsregelungen, als hier für den Schaden nicht durchgängig eine bestimmte Person haftet. Ob die Pflicht zur Schadenstragung nun dem Schädiger oder dem Geschädigten auferlegt wird, ist im Einzelfall davon abhängig, ob der Schädiger den rechtlich geforderten Sorgfaltsmaßstab V ◦ beachtet hat oder nicht. Es gilt somit, zwei grundlegende Fälle zu unterscheiden: Hält der Schädiger das erforderliche Maß an Vorsoge ein (Vs ≥ Vs◦, permitted zone, Fall 1), trifft ihn kein Verschuldensvorwurf und somit auch keine Haftung (E = 0). Er hat dann lediglich die Kosten seiner Vorsorgemaßnahmen zu tragen: K s 1 = Vs . Wenn dem Schädiger dagegen eine Sorgfaltspflichtverletzung zur Last fällt (Vs < Vs◦, forbidden zone, Fall 2), handelt er schuldhaft und ist dementsprechend dem Geschädigten haftbar (E = S ). Bei dem Schädiger internalisieren sich hier zusätzlich zu den Kosten der Vorsorge die gesamten Schadenskosten: K s 2 = Vs + W(Vs ) × S . In der „erlaubten Zone“ (Vs ≥ Vs◦, Fall 1) belaufen sich die 105 s. o., vgl. Teil 2 A. I. 1. a). Ein Unterschied besteht prima facie darin, dass der Schaden bei der Selbstschädigung unmittelbar beim Schädiger entsteht, während er bei der Fremdschädigung originär bei einer anderen Person eintritt. Es kommt aber nicht darauf an, bei wem der Schaden anfällt, sondern darauf, wer letztlich den Schaden zu tragen hat. Über die Gefährdungshaftung wird der beim geschädigten Dritten angefallene Schaden vollständig auf den Schädiger verlagert. Dieser hat also wie im Fall der Selbstschädigung den Schaden in voller Höhe zu tragen.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
privaten Kosten des Schädigers also auf die Vorsorgekosten, die mit zunehmender Geschwindigkeit immer geringer werden, bis sie bei Vs = Vs◦ = 20 km/h ihr Minimum erreichen. 106,107 Wird dieses Maß an Vorsorge unterschritten (Vs < Vs◦, Fall 2, ab 21 km/h), hat der Schädiger zusätzlich zu seinen (weiterhin sinkenden) Vorsorgekosten auch die Schadenskosten zu tragen. Die privaten Kosten des Schädigers steigen jenseits des Punkts Vs◦ daher schlagartig an und sind von da an mit den sozialen Gesamtkosten deckungsgleich. Robert D. Cooter und Thomas S. Ulen beschreiben diese Situation sehr plastisch folgendermaßen: „The standard [of care, der Verf.] therefore partitions the universe of action into a permitted zone of adequate precaution and a forbidden zone of insufficient precaution.“ 108 Das Maß der rechtlich geforderten Vorsorge V ◦ ist daher als ein Schwellenwert (threshold level) anzusehen. Um seine eigenen Kosten aus der schadensträchtigen Tätigkeit zu minimieren, ist der Schädiger bestrebt, möglichst genau dieses rechtlich geforderte Maß an Vorsorge Vs◦ einzuhalten. In diesem Fall handelt der Schädiger nicht schuldhaft und dem Geschädigten wird ein Ersatzanspruch versagt. Letzterer hat somit den Schaden selbst zu tragen: K s = Vs◦ und Kg = W(Vs◦) × S .
106 Dass hier Vs◦ = V ∗s = 20 km/h ist, wird zunächst unterstellt. Zu den Auswirkungen, wenn V ◦ nicht V ∗ entspricht, sogleich unter cc). 107 Hier wird davon ausgegangen, dass allein die Geschwindigkeit, mit der sich der Schädiger fortbewegt, die Vorsorge ausmacht. In der Realität beeinflusst jedoch das Verhalten des Schädigers die Unfallwahrscheinlichkeit regelmäßig auf mehr als eine Weise (mehrdimensionale Beeinflussung: z. B. auch durch Umschauen oder durch Beachten der Vorfahrtsregeln). Wenn trotzdem das Maß der rechtlich gebotenen Sorgfalt V ◦ eindimensional allein über die Höhe der Geschwindigkeit festgelegt wird, wird dem Schädiger auch nur insoweit ein Anreiz zu effizientem Verhalten gesetzt. (Es ist dem Gericht allerdings in der Praxis kaum möglich, z. B. die Häufigkeit des Umschauens festzulegen und zu beurteilen.) D. h. S wird sich zwar an die effiziente Geschwindigkeit von 20 km/h halten, aber die übrigen Sorgfaltsanforderungen außer Acht lassen, weil sie nicht in die rechtlich geforderte Sorgfalt integriert sind und ihm somit keinen Nutzen bringen, sondern nur Kosten verursachen. Die Verschuldenshaftung kann daher zum effizienten Vorsorgeverhalten nur in der Verhaltensdimension anreizen, für die der Verschuldensstandard definiert ist. Denn nur für diese Art von Verhalten muss der Schädiger im Fall der Standardunterschreitung auch haften. Die Verschuldenshaftung setzt also ein lückenhaftes Anreizsystem, das zwangsläufig bestimmte Maßnahmen zur Schadensverhütung ignoriert. Bei der Gefährdungshaftung hingegen werden dem Schädiger Anreize vermittelt, das optimale Maß an Vorsorge im Hinblick auf alle Dimensionen der Vorsorge einzuhalten, weil die gesamten Kosten bei ihm internalisiert sind. Jede Reduzierung des erwarteten Schadens senkt zugleich auch die erwartete Ersatzpflicht des Schädigers, ganz gleich durch welche Art von Vorsorge sie erreicht wird (eventuell sogar durch eine neu entwickelte und somit bislang unbekannte Art der Vorsorge). Unter diesem Aspekt ist die Gefährdungshaftung der Verschuldenshaftung also überlegen. Dazu: Adams (1985), S. 128 f.; Shavell (1987), S. 9; Endres (1989), S. 125 f. 108 Cooter / Ulen (1986), S. 1085.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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600 550 500
Kosten (in Euro)
450 400
Vs° = Vs*
350
Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten Kosten des Schädigers Gesamtkosten
300 250 200 150 100 50 1
3
5
7
9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 8
bb) Dieser geforderte Standard V ◦ darf aber nicht im Einzelfall willkürlich bestimmt werden. Denn dadurch würden nicht nur Aspekte des Verkehrs- und des Vertrauensschutzes gefährdet, sondern auch unter ökonomischen Gesichtspunkten falsche Verhaltensanreize kreiert. Erforderlich ist eine Bestimmung anhand einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse. Den ersten systematischen Versuch, die rechtlich geforderte Sorgfalt als volkswirtschaftlich effiziente Sorgfalt zu begreifen und sie somit auf Basis einer strengen Relation zwischen Vorsorgemaßnahmen und drohendem Schaden zu bestimmen, unternahm der amerikanische Bundesrichter Learned Hand. Im Urteil des U.S. Supreme Court United States v. Carroll Towing Co. entwickelte er die später nach ihm benannte Learned-Hand-Formel: „... [T]he owner’s duty, as in other similar situations, to provide against resulting injuries is a function of three variables: (1) The probability that she [the ship in the case, der Verf.] will break away; (2) the gravity of the resulting injury, if she does; (3) the burden of adequate precautions. Possibly it serves to bring this notion into relief to state it in algebraic [...] terms: if the probability be called P; the injury, L; and the burden, B; liability depends upon whether B is less than L multiplied by P: i.e., whether B less than PL.“ 109
Entsprechend dieser Formel liegt also ein Verschulden dann vor, wenn die Kosten des Schädigers für die zur Vermeidung des Schadens notwendige Vorsorge geringer sind als der Erwartungswert des dem Geschädigten drohenden Schadens, nach der hier verwendeten Notation also: Vs < W(Vs ) × S . Das effiziente Maß an Vorsorge V ∗ lässt sich mit dieser Formel aber nur in einer Grenzbetrachtung 109
United States v. Carroll Towing Co., 159 F. 2d 169, 173 (2d Cir. 1947).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
zutreffend bestimmen, also in Bezug auf zusätzliche Aufwendungen für Vorsorgemaßnahmen (marginalisierte Learned-Hand-Formel): 110 Die optimale Vorsorge V ∗ ist erreicht, wenn die Grenzkosten der letzten getroffenen Einheit an Vorsorge gleich dem daraus resultierenden Grenznutzen sind: ΔV = ΔW(V) × S . Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist es daher geboten, das Maß der rechtlich geforderten Vorsorge V ◦ so zu bestimmen, dass es dem effizienten Vorsorgeaufwand V ∗ entspricht. Übertragen auf den Beispielsfall bedeutet dies, dass ein Verschulden des S erst bei einem Unterschreiten der optimalen Vorsicht von V ∗ = 20 km/h angenommen werden darf. Trifft der Schädiger dieses oder gar ein höheres Maß an Vorsorge, ist ein Verschulden abzulehnen. cc) Die Aufgabe, den rechtlich geforderten Sorgfaltsmaßstab V ◦ zu bestimmen und diesen dann mit dem Verhalten des Schädigers zu vergleichen, kommt letztlich dem erkennenden Gericht zu. Gelingt es ihm, das rechtlich geforderte Maß an Vorsoge V ◦ entsprechend dem wirtschaftlich gebotenen Maß V ∗ zu bestimmen, wird der Schädiger induziert, genau dieses Maß an Vorsorge V ◦ = V ∗ zu treffen, um seine eigenen Kosten zu minimieren. Würde er dieses Niveau an Vorsorge unterschreiten (hier: Geschwindigkeit von mehr als 20 km/h), sparte er zwar Vorsorgekosten ein, müsste aber gleichzeitig dem Geschädigten dessen Schaden ersetzen, wodurch seine privaten Kosten schlagartig in die Höhe schnellen würden. Wenn er aber ein höheres Maß an Vorsorge treffen würde (hier: Geschwindigkeit von weniger als 20 km/h), erhöhten sich seine privaten Vorsorgekosten, ohne dass er daraus einen Vorteil hätte. Denn die Schadenskosten müsste er auch bei dem geringeren Vorsorgeniveau V ◦ schon nicht mehr tragen. Indem dem Schädiger so der Anreiz vermittelt wird, durch Wahl des Vorsorgeniveaus V ◦ = V ∗ seine eigenen Kosten zu minimieren, werden gleichzeitig auch die gesellschaftlichen 110 Die Formel in der Formulierung, die Judge Learned Hand für sie gewählt hat, vergleicht die Gesamtkosten der Vorsorge eines Beteiligten mit den erwarteten Gesamtkosten des Schadenseintritts und nimmt ein Verschulden dann an, wenn die Kosten für die vollständige Vorsorge geringer sind als die Kosten in Höhe des Erwartungswerts des Schadens. Sie kann somit nur die Frage beantworten, ob es ökonomisch sinnvoller ist, vollständige oder gar keine Vorsorge zu treffen. Angenommen, die Kosten der vollständigen Vorsorge seien geringer, soll der Schädiger dann jedes Mal gehalten sein, vollständige Vorsorge zu treffen? Die Antwort lautet nein, weil dies regelmäßig zu ineffizienten Lösungen führen würde. Es ist vielmehr zu ermitteln, welches Maß an Vorsorge der Schädiger unter Effizienzgesichtspunkten einhalten muss, um nicht schuldhaft zu handeln. Dieses beträgt in der Regel nicht 0% oder 100% der möglichen Vorsorge, sondern irgendeinen Wert dazwischen. Der Wert der optimalen Vorsorge ist dort erreicht, wo die Grenzkosten weiterer Vorsorge gleich dem Grenzertrag in Form des erwarteten Schadensverringerung sind. Solange also ΔV < ΔW(V) × S ist, ist unter Effizienzpunkten weitere Vorsorge sinnvoll (Marginalisierung der Learned-Hand-Formel). Erreicht der Schädiger dieses Maß an Vorsorge nicht, handelt er schuldhaft. Dazu: Posner (1972b, 2003), S. 168; Brown (1973), S. 332 –335; Cooter / Ulen (2004), S. 333 –337; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 158 f., Fn. 8. In den USA wird diese Hand-Rule von der überwiegenden Mehrzahl der Kommentatoren als maßgebliche Definition des Begriffs der Fahrlässigkeit angesehen, vgl. nur Restatements (Second) of Torts, 291 – 293.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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Gesamtkosten des schädigenden Verhaltens auf ihren geringstmöglichen Wert reduziert. Die Verschuldenshaftung setzt in diesem Fall genauso wie die Gefährdungshaftung Anreize zu effizientem Verhalten. 111 Der Unterschied besteht einzig darin, dass hier im Fall der Vorsorge V ∗ durch den Schädiger der Schaden bei dem Geschädigten verbleibt, während er bei der Gefährdungshaftung vom Schädiger zu tragen ist. Diese distributive Frage, welcher der beiden Beteiligten letztlich die Schadenskosten zu tragen verpflichtet wird, ist eine rein rechtspolitische Entscheidung, die sich auf die von der Haftung vermittelten Anreize nicht auswirkt. Allerdings ist auch der Fall denkbar, dass der gerichtlich geforderte Sorgfaltsstandard V ◦ nicht dem ökonomisch gebotenen Maß an Vorsorge V ∗ entspricht: V ◦ = V ∗ . Eine solche Abweichung kann ihren Grund beispielsweise darin haben, dass die Gerichte sich nicht am Kriterium der Effizienz orientieren, dass sie nicht über alle erforderlichen Informationen wie etwa Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens oder genaue Schadenshöhe verfügen oder auch dass sie einen Fehler bei der Festlegung von V ◦ oder bei der Beurteilung des Schädigerverhaltens begehen. 112 Die Gerichte können dabei einerseits einen zu geringen Grad an Vorsorge wählen (V ◦ < V ∗ , hier z. B. V ◦ = 25 km/h). Um seine Kosten zu minimieren, wird S seine Vorsorge auf eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf 25 km/h beschränken. Liegt der rechtlich geforderte Sorgfaltsmaßstab V ◦ also unter dem ökonomisch gebotenen V ∗ , gibt die Verschuldenshaftung Anreize, dieses Maß V ◦ und nicht das effiziente Maß V ∗ zu wählen. Andererseits können die Gerichte aber auch einen zu hohen Grad an Vorsorge fordern (V ◦ > V ∗ ). Aus Gründen der Kostenminimierung ist es für den Schädiger auch hier prinzipiell ratsam, V ◦ zu erfüllen und somit ein überoptimales Maß an Vorsorge zu erbringen. Es ergibt sich jedoch dann eine Besonderheit, wenn der gerichtliche Sorgfaltsmaßstab V ◦ derart überspannt ist, dass die vom Schädiger im Fall V ◦ zu tragenden Kosten (KV ◦ = V ◦ ) über denen liegen, die der Schädiger im Fall der effizienten Vorsorge V ∗ (KV ∗ = V ∗ + W(V ∗ ) × S ) zu tragen hat: KV ◦ > KV ∗ , d. h. V ◦ > V ∗ + W(V ∗ ) × S . Würde das Gericht im Beispielsfall eine Geschwindigkeit von 10 km/h als erforderliche Sorgfalt festlegen, entstünden S für die Einhaltung dieses Vorsorgeniveaus V ◦ Kosten von 480 Euro (KV ◦ = 480 Euro). Für ihn 111 Es mag sich die Frage aufgedrängt haben, warum es denn dann überhaupt noch Verschuldensfälle gibt, wenn die Verschuldenshaftung wirksame Anreize zur Einhaltung des rechtlich geforderten Sorgfaltsmaßstabs V ◦ bietet. Ein Grund für schuldhaftes Handeln liegt darin, dass es dem Beteiligten im Einzelfall unmöglich sein kann, sein Maß an Vorsorge in der konkreten Situation der Schädigung exakt zu kontrollieren. Ein anderer Grund liegt darin, dass eine gewisse Unsicherheit darüber besteht, welches Maß an Vorsorge durch die Gerichte genau gefordert werden wird (dazu sogleich unter dd)). Auf diese Weise kann es zu schuldhaftem Verhalten kommen, obwohl durch die Verschuldenshaftung an sich beachtliche Anreize zu nichtschuldhaftem Verhalten gesetzt werden (sog. disequilibrium behavior). Dazu: Cooter (1982b), S. 85 f.; Shavell (1987), S. 81 f., 84; Cooter (1997), S. 87. 112 Shavell (1987), S. 79 f.; Endres (1991a), S. 109.
142
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
wäre es daher kostengünstiger, das Niveau V ∗ = 20 km/h zu wählen und sich somit schuldhaft zu verhalten. Denn in diesem Fall müsste er zwar sowohl die Vorsorgekosten (120 Euro) als auch die Schadenskosten (178 Euro) tragen. Die Gesamtkosten KV ∗ liegen aber mit 298 Euro dennoch deutlich niedriger. Ist das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge V ◦ also zu hoch, kommt es zu einer auf den ersten Blick paradoxen Reaktion des Schädigers: Solange die Gesamtkosten KV ◦ unter denen des effizienten Vorsorgeniveaus KV ∗ liegen (KV ◦ < KV ∗ ), wird der Schädiger auf eine Überhöhung des Vorsorgestandards V ◦ mit steigendem Vorsorgeaufwand reagieren, um so seine Kosten zu minimieren: Vs = Vs◦. Steigt der Standard aber über ein bestimmtes Niveau hinaus an, bei dem die Kosten KV ◦ die Kosten KV ∗ trotz Schadenstragungspflicht übersteigen, wird der Schädiger seine Vorsorge unmittelbar auf das effiziente Maß V ∗ zurückfahren. 113 Die Verschuldenshaftung setzt also für den Schädiger – von dem angesprochenen extremen Ausnahmefall abgesehen – nur dann Anreize dafür, das effiziente Maß an Vorsorge V ∗ einzuhalten, wenn das rechtlich geforderte Maß an Sorgfalt V ◦ genau dem effizienten Wert V ∗ entspricht. dd) Dass der Schädiger Vorsorgemaßnahmen exakt in der Höhe von V ◦ treffen kann, setzt jedoch voraus, dass er seinerseits das rechtlich geforderte Maß an Sorgfalt V ◦ genau kennt. Dieses Maß ist aber regelmäßig im Vorfeld des schädigenden Ereignisses (ex ante) unbestimmt und wird erst durch das erkennende Gericht ex post konkret festgelegt. 114 Selbst wenn der Schädiger das optimale Maß an Vorsorge wählt (Vs = V ∗ ), kann er sich nicht sicher sein, dass er auf diese Weise der Haftung entkommt. Denn er kann nicht zuverlässig vorhersagen, welches Vorsorgeniveau V ◦ das Gericht im Prozess als erforderlich ansehen wird (vague standard of care), z. B. weil dem Schädiger die dafür notwendigen Informationen fehlen oder weil er immer auch damit rechnen muss, dass das Maß der rechtlich geforderten Sorgfalt durch das Gericht abweichend von dem der effizienten Vorsorge festgelegt wird (V ◦ = V ∗ ). Diese Unsicherheit birgt für den Schädiger Potential an Ineffizienz: 115 Sollte das Gericht ein geringeres Maß an Vorsorge für rechtlich erforderlich halten als der Schädiger tatsächlich getroffenen hat (z. B. Vs◦ = 21 km/h und Vs = 20 km/h), so hat der Schädiger teilweise überflüssige Vorsorgekosten auf sich genommen, die ihm keinen Nutzen bringen (hier: V2 0 km/ h [120 Euro]−V2 1 km/h [103 Euro] = 17 Euro). Im umgekehrten Fall, wenn das Weil der Schädiger schuldhaft handelt (Vs < Vs◦), muss er alle anfallenden Kosten internalisieren. Diese Situation eines übermäßig ineffizienten Vorsorgestandards ist somit identisch mit der der Gefährdungshaftung. Dazu: Shavell (1987), S. 83. 114 Nur ausnahmsweise steht das Maß an erforderlicher Sorgfalt vor dem Schadensfall detailliert fest. Dieses ist z. B. der Fall, wenn in Gemeindesatzungen die Pflicht niedergelegt ist, dass der Fußweg vor einem Grundstück bei Schnee und Eis bis spätestens 7 Uhr geräumt oder gestreut sein muss. Dieses Beispiel ist entlehnt von: H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 173. 115 Craswell / Calfee (1986), S. 281 –284; Cooter (1991), S. 24; Cooter / Ulen (2004), S. 341. 113
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
143
Gericht V ◦ höher als das vom Schädiger tatsächlich getroffene Maß an Vorsorge ansetzt (z. B. Vs◦ = 19 km/h und Vs = 20 km/h), wird das Gericht dem Schädiger schuldhaftes Verhalten bescheinigen und ihn haftbar machen. Er muss also zusätzlich zu seinen Vorsorgekosten den Schaden tragen (hier: V2 0 km/h [120 Euro] + S 2 0 km/h [178 Euro] = 298 Euro). Diese ihm im Fall zu geringer Vorsorge drohende Ersatzpflicht (Vs < Vs◦) verursacht ihm also ungleich höhere Kosten als eventuell überflüssigerweise aufgewendete Vorsorgemaßnahmen im Fall zu hoher Vorsorge (Vs > Vs◦). Diese Asymmetrie in den drohenden Kosten vermittelt dem Schädiger letztlich Anreize, ein höheres Maß an Vorsorge zu treffen (z. B. Vs = 19 km/h), als er eigentlich meint, dass das Gericht fordern wird (Vs◦ = V s∗ = 20 km/h). 116 Denn durch die Über-Vorsicht (overcompliance, overprecaution) verschafft sich der Schädiger eine Art „Vorsorgepolster“ (phenomenon of ‚defensive medicine‘), durch das er eine ihm drohende Haftung mit größerer Wahrscheinlichkeit vermeiden kann. Selbst wenn der gerichtlich angelegte Sorgfaltsmaßstab tatsächlich dem ökonomisch gebotenen entspricht, drängt diese ex ante bestehende Unsicherheit den Schädiger dazu, überoptimale und somit ineffiziente Vorsorgemaßnahmen zu treffen (Vs > Vs◦ = V s∗): 117 „This ‚sword of Damocles‘ effect suggests that given a choice between one unit of overprecaution and one unit of underprecaution, the injurer will choose the overprecaution.“ 118 Für die Verschuldenshaftung ergibt sich somit folgendes Bild: Der Angelpunkt der Verschuldenshaftung, um den sich letztlich deren gesamte Analyse dreht, ist das Maß der rechtlich geforderten Sorgfalt V ◦ . Wenn es den Gerichten gelingt, das effiziente Vorsorgeniveau V ∗ zu erkennen und V ◦ entsprechend zu bestimmen, und wenn es zusätzlich dem Schädiger gelingt, seine Vorsorge Vs schon ex ante auf eben dieses Maß einzurichten (Vs = V ◦ = V ∗ ), setzt die Verschuldenshaftung dem Schädiger Anreize, das effiziente Maß an Vorsorge V ∗ aufzuwenden. Dass beide genannten Bedingungen aber mit praktisch schwer zu beseitigenden Unwägbarkeiten belastet sind, wurde aufgezeigt. d) Vergleich der Haftungsregeln Nachdem alle drei möglichen Haftungstypen für den Fall der unilateralen Schädigung bei konstantem Aktivitätsniveau mit ihren Eigenarten beleuchtet worden 116 Es sind umgekehrt in Ausnahmekonstellationen auch durchaus Fälle denkbar, in denen es aus Sicht des Schädigers geboten ist, infolge der Unsicherheit unteroptimale Vorsorge zu treffen. Dies ist von der jeweiligen Schadensfunktion abhängig, d. h. von den tatsächlichen Vorsorgeaufwendungen, von den eingesparten bzw. zusätzlichen Vorsorgeaufwendungen und von der Höhe und der Wahrscheinlichkeit der drohenden Haftung. Dazu: Craswell / Calfee (1986), S. 288 f.; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 173. 117 Diese Ausführungen zur Unsicherheit und deren Auswirkungen gelten entsprechend auch für den Geschädigten, wenn er einen bestimmten Verhaltensmaßstab einhalten will, um den Vorwurf des Mitverschuldens zu vermeiden. 118 Grady (1983), S. 810.
144
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
sind, ist ein Vergleich anzustellen, welche Anreize die jeweiligen Haftungsmodi vermitteln. Haftungsregelung
Vorsorgemaßnahmen
Schadenstragung Schädiger
Geschädigter (+)
Keine Haftung
(–)
(–)
Gefährdungshaftung
(+)
(+)
Verschuldenshaftung
(+)
(+), wenn Vs
A s × Vs . Aus gesellschaftlicher Sicht ist die Erhöhung des Aktivitätsniveaus jedoch nur dann wünschenswert, wenn der zusätzliche Nutzen größer ist als die zusätzlich entstehenden sozialen Gesamtkosten, die sich nicht nur aus den Vorsorgekosten für V ◦ , sondern auch aus den zu erwartenden Schadenskosten (W(Vs◦) × S ) zusammensetzen: N s (A s ) > A s × Vs◦+ A s × W(Vs◦) × S . Hält S im Beispielsfall das Maß an geforderter Sorgfalt V ◦ ein (hier: V ◦ = 20 km/h), muss er in seine private Kosten-Nutzen-Analyse auf der Kostenseite lediglich seine Vorsorgekosten für V ◦ einstellen. Der gleichzeitig eintretende Anstieg des Schadenserwartungswerts – bei 200 Fahrten verdoppelt sich entsprechend auch der jeweilige Schadenserwartungswert – ist für ihn ohne Belang: Er handelt nicht schuldhaft und muss den entstehenden Schaden nicht ersetzen. Dementsprechend berücksichtigt der Schädiger diejenigen Schadenskosten, die trotz der geforderten Vorsorge V ◦ entstehen, bei seiner Kalkulation, ob der aus der Aktivität gezogene private Nutzen deren private Kosten übersteigt, nicht. Die Verschuldenshaftung vermag also zwar die Vorsorge, nicht aber die Aktivität auf das effiziente Maß zu steuern. 130 Bei einem variablen Aktivitätsniveau wird der Schädiger daher im Fall der Verschuldenshaftung zur Maximierung seines eigenen Nutzens regelmäßig ein aus volkswirtschaftlicher Sicht zu hohes Aktivitätsniveau wählen. 129
s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. c). Die praktische Bedeutung dieser aus der Verschuldenshaftung resultierenden Fehlsteuerung hängt davon ab, wie hoch die durch die Verletzung zu erwartenden Schäden sind. Wenn eine Aktivität ihrer Natur nach selbst dann sehr gefährlich ist, wenn sie mit der rechtlich gebotenen Sorgfalt V ◦ ausgeführt wird, sind die Folgen eines exzessiven Aktivitätsniveaus des Schädigers für die soziale Wohlfahrt relativ gravierend (z. B. Sprengen von Gestein, Ausführen eines Kampfhundes). Wenn hingegen der Schadenserwartungswert einer Aktivität, wenn sie mit gebotener Sorgfalt V ◦ ausgeführt wird, klein ist, sind die Konsequenzen dieser Schwäche weniger bedeutend (z. B. Mähen des Rasens, Ausführen eines zahmen Schoßhundes). 130
150
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Dieses Versagen der Verschuldenshaftung resultiert aus der Annahme, dass das Maß der rechtlich gebotenen Sorgfalt V ◦ allein durch das Niveau der Vorsorge im engeren Sinne bestimmt wird. Würde in die Definition der Anforderungen an V ◦ zusätzlich auch die Aktivitätshöhe einbezogen, würde der Schädiger auch sicherstellen wollen, dass er kein exzessives Maß an Aktivität ausübt, um nicht gegen V ◦ zu verstoßen. 131 Es erscheint daher wünschenswert, dass die Gerichte auch die Aktivität in das Maß der rechtlich geforderten Vorsorge V ◦ integrieren. Allerdings ist es für den Richter in der Realität nahezu unmöglich, das effiziente Aktivitätsniveau festzulegen. Er benötigt dafür zusätzliche Informationen, um festlegen zu können, welchen Nutzen der Schädiger aus seiner jeweiligen Aktivität zieht und welches Maß an Aktivität das optimale darstellt. Im Regelfall werden die dadurch anfallenden Informationskosten so hoch sein, dass sie die mögliche Einsparung von Primärkosten übertreffen. 132 Zusätzlich müsste auch noch die tatsächliche Höhe des Aktivitätsniveaus des Schädigers ermittelt werden, um dieses dann mit dem effizienten Niveau vergleichen zu können. Dagegen erscheint es leichter – wenn auch nicht in jedem Fall leicht – festzustellen, welches Maß an Vorsorge (im engeren Sinne) in dem konkreten Schädigungsfall erforderlich gewesen ist und welches tatsächlich eingehalten wurde. 133 Das Aktivitätsniveau in die Bestimmung des geforderten Sorgfaltsniveaus V ◦ zu inkorporieren, würde die Defizite der Verschuldenshaftung in der Verhaltenssteuerung beseitigen und ist daher theoretisch erstrebenswert, praktisch aber unmöglich. Die Verschuldenshaftung bleibt deshalb auf dem Auge der Aktivitätssteuerung blind und kann keine Anreize zur Wahl des effizienten Aktivitätsniveaus setzen. d) Sofern das Aktivitätsniveau variabel ist, ergeben sich aus den drei Haftungssystemen folgende Anreizwirkungen: Bei der Gefährdungshaftung vermindert sich infolge der Vollinternalisierung der private Nutzen des Schädigers unmittelbar durch den Anstieg des Schadenserwartungswerts; die privaten Kosten des Schädigers sind also gleich den sozialen Kosten. Sobald der Schädiger seinen Nutzen maximiert, wählt er daher zwangsläufig immer auch das effiziente Niveau an Vorsorge und an Aktivität. Im Gegensatz dazu wird der Schädiger seine Aktivität unter dem Regime der Verschuldenshaf131 Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht macht es keinen Unterschied, ob die sozialen Kosten durch Vorsorgemaßnahmen im engeren Sinne oder durch eine Verringerung der Aktivität gesenkt werden. Eine Substitution des einen Verhaltens durch das andere ist also möglich und dann sinnvoll, wenn eine dieser Alternativen kostengünstiger verfügbar ist. Dazu: Adams (1985), S. 124 – 128; Shavell (1987), S. 25 f. Zur Erweiterung des für die Verschuldenshaftung maßgeblichen Standards um weitere Dimensionen der Vorsorge: Shavell (1987), S. 25 f.; vgl. auch schon Teil 2 A. I., II. 1. c) aa). 132 Landes / Posner (1987), S. 71: „There is a tradeoff between the information cost of considering the injurer’s activity level as an aspect of due care and the allocative costs of ignoring the activity level.“ 133 Shavell (1987), S. 25.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) Haftungsregelung
Vorsorge
Aktivität
151
Schadenstragung Schädiger
Geschädigter
Keine Haftung
(–)
(–)
(–)
(+)
Gefährdungshaftung
(+)
(+)
(+)
(–)
Verschuldenshaftung
(+)
(−)
(+), wenn Vs < Vs◦ (+), wenn Vs ≥ Vs◦
Abbildung 11
tung auf ein aus gesamtgesellschaftlicher Sicht exzessives Niveau hochfahren. Denn solange er hier den geforderten rechtlichen Standard V ◦ einhält, ist der aus der Aktivitätserhöhung resultierende Anstieg des Schadenserwartungswertes für seinen persönlichen Kalkül irrelevant. Im Fall der Haftungsversagung bleibt sowohl das Vorsorge- als auch das Aktivitätsniveau ungesteuert. Diese Auswirkungen sollen anhand des Beispielsfalls verdeutlicht werden: Sozialer Nutzen
Aktivität 0 bei 20 / 30 km/h
Privater Nutzen bei Gefährdungshaftung
Privater Nutzen bei Verschuldenshaftung
Privater Nutzen bei fehlender Haftung
0€
0€
0€
0€
Aktivität 100 bei 20 km/h
202 €
202 €
380 €
380 €
Aktivität 100 bei 30 km/h
100 €
100 €
100 €
500 €
Aktivität 200 bei 20 km/h
104 €
104 €
460 €
560 €
Aktivität 200 bei 30 km/h
–100 €
–100 €
–100 €
800 €
Abbildung 12
Während der Schädiger unter Geltung einer Gefährdungshaftung zu effizientem Verhalten induziert wird (Vs = 20 km/h, A s = 100 Fahrten), wird er unter einer Verschuldenshaftung zwar das effiziente Maß an Vorsorge von 20 km/h wählen, aber ein zu hohes Aktivitätsniveau von 200 Fahrten. Und bei einer Haftungsversagung wird er das suboptimale Vorsorgeniveau von 30 km/h mit dem exzessiven Aktivitätsniveau von 200 Fahrten kombinieren.
152
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
3. Zwischenergebnis Für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die einen Fall der unilateralen Schadensvorsorge durch den Schädiger darstellt, stellt im Ergebnis die Gefährdungshaftung das optimale Haftungssystem dar. Denn von den zur Verfügung stehenden Instrumenten vermag es sie allein, sowohl das Versorge- als auch das Aktivitätsniveau des potentiellen Schädigers effizient zu steuern.
III. Das Schmerzensgeld Entsprechend ist nun auch für das Schmerzensgeld zu untersuchen, welches Haftungsregime den Beteiligten Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten (im weiteren Sinne) vermitteln kann. Da es sich um einen Fall der bilateralen Schadensverursachung handelt, 134 können beide, der Schädiger und der Geschädigte, sowohl durch das von ihnen jeweils gewählte Niveau an Vorsorge im engeren Sinne (qualitative Vorsorge) als auch durch das an Aktivität (quantitative Vorsorge) die Wahrscheinlichkeit und die Schwere des eintretenden Schadens beeinflussen. Die Gesamtkosten der Schädigung ergeben sich somit durch Addition des Schadenserwartungswerts und der Vorsorgekosten beider Beteiligten: K = Vs + Vg + W(Vs , Vg ) × S (Gleichung 1, angepasst an den Fall der bilateralen Schädigung). Dieser bilaterale Fall der Schadensverursachung stellt eine Extension des unilateralen Modells dar, denn es müssen die Vorsorgemaßnahmen beider Beteiligten auf das effiziente Maß gesteuert werden. Dabei wird Art und Umfang des Vorsorgeverhaltens des einen regelmäßig durch das Vorsorgeverhalten des jeweils anderen beeinflusst, sodass es zwischen beiden zu wechselseitigen Konflikten kommen kann. 135 So hängt beispielsweise die Geschwindigkeit, mit der ein Radfahrer unterwegs ist, davon ab, wie vorsichtig sich die Fußgänger verhalten, die denselben Weg benutzen. Und wie vorsichtig wiederum die Fußgänger sind, hängt umgekehrt von der Vorsicht der Radfahrer ab. Um in dieser Situation des interdependenten Verhaltens nachzuweisen, dass sich die Beteiligten auf eine bestimmte Weise verhalten werden, ist es erforderlich, die Anreizwirkung aus beiden Perspektiven zu beleuchten: Zum einen ist also zu ermitteln, wie sich der Schädiger verhalten wird, wenn es feststeht, dass sich der Geschädigte auf eine bestimmte Weise verhalten wird, und zum anderen, wie sich der Geschädigte verhalten wird, wenn es feststeht, dass sich der Schädiger auf eine bestimmte Weise verhalten 134
s. o., vgl. Teil 2 A. I. 2. b) bb). Die Analyse der dadurch entstehenden Probleme ist das Feld der Spieltheorie. Sie beschreibt rationales Verhalten in interdependenten Situationen, in denen der Nutzen des einen Spielers vom Verhalten des jeweils anderen abhängig ist und sich die Spieler dieser Tatsache bewusst sind. Umfassend dazu: Rasmusen (2001), S. 11 ff. m.w. N. 135
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
153
wird. Eine solche Strategiekombination, in der keiner der Beteiligten einen Anlass hat, sein Verhalten zu verändern, weil er durch sein gegenwärtiges Verhalten unter Berücksichtigung des zu erwartenden Verhaltens des anderen bereits seinen erwarteten Nutzen maximiert, stellt ein Nash-Equilibrium (Nash-Gleichgewicht) dar (sog. self-enforcing strategy 136). 137 Das Equilibrialverhalten von Schädiger und Geschädigtem unter dem Regime unterschiedlicher Haftungsregeln wird im Folgenden untersucht und jeweils mit den unter Effizienzgesichtspunkten gebotenen Verhaltensweisen verglichen. Ziel ist es, ein Haftungssystem zu finden, das beiden Beteiligten zur Maximierung ihres privaten Nutzens Anreize vermittelt, gerade das effiziente Maß an Vorsorge aufzuwenden. Zunächst wird der Fall untersucht, dass die Beteiligten bei konstantem Aktivitätsniveau das Schadensrisiko allein durch ihr Maß an Vorsorge (im engeren Sinne) beeinflussen können (1.), danach soll zusätzlich dazu auch die Variabilität des Aktivitätsniveaus (quantitative Vorsorge) angenommen werden (2.). 1. Kostenminimierung bei bilateral variablem Vorsorgeniveau und konstantem Aktivitätsniveau Die sozialen Kosten ergeben sich in dieser Konstellation aus den Vorsorgekosten beider Beteiligten und dem Schadenserwartungswert (Gleichung 1): K = Vs + Vg + W(Vs , Vg ) × S . 138 Beide müssen zu effizientem Vorsorgeverhal136 Zu diesem Begriff sowie zum Nash-Equilibrium: Pyndick / Rubinfeld (2005), S. 626 ff. 137 Grundlegend: Nash (1950), S. 155 ff. Eine erste umfassende Umsetzung dieses wirtschaftswissenschaftlichen Ansatzes auf das Deliktsrecht findet sich bei Brown (1973), S. 347. Brown (1973), Shavell (1987), Shavell (2003) und H.-B. Schäfer / Ott (2005) beziehen sich etwa explizit auf die Ausführungen von Nash und bauen ihre Analyse darauf auf. Auch andere Autoren im Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts wie beispielsweise Landes / Posner (1987) rekurrieren auf dieses Konzept; auch wenn sie es nicht so stark in den Mittelpunkt stellen, legen sie es ihrer Analyse aber implizit zugrunde (vgl. z. B. S. 75). 138 In diesem bilateralen Schadensfall kann – im Gegensatz zum unilateralen – durch deliktische Haftung nicht garantiert werden, dass nur sozial nützliche Aktivitäten unternommen werden. Sozial nützlich sind Tätigkeiten, wenn ihr Gesamtnutzen die Gesamtkosten übersteigt: N > V + W(V) × S . Durch Haftungsregeln können zwar die Schadenskosten bei einem der Beteiligten in voller Höhe internalisiert werden. Dadurch summieren sich die privaten Kosten des Haftenden auf folgenden Wert: Kh = Vh + W(Vh , Vn ) × S . Die Vorsorgekosten des Nichthaftenden Vn verbleiben jedoch in jedem Fall bei diesem und werden nicht in die private Kosten-Nutzen-Rechnung des Haftenden einbezogen. Beispielsweise betrage der Nutzen einer Tätigkeit 100 Euro, der Schadenserwartungswert 70 Euro und die Vorsorgekosten je 20 Euro. Dann wird der Schädiger diese Tätigkeit trotz einer ihm auferlegten Haftung durchführen, weil sein Nutzen von 100 Euro seine Kosten von 90 Euro (= 70 Euro + 20 Euro) übersteigt. Aus sozialer Sicht fallen jedoch zusätzlich noch die Vorsorgekosten des Geschädigten von weiteren 20 Euro an, sodass der soziale Nutzen –10 Euro
154
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse) Schadenserwartungswert
Vorsorgekosten
Gesamtkosten
Vorsorge des Geschädigten
Vorsorge des Geschädigten
Vorsorge des Geschädigten
Vorsorge des Schädigers
Vg 0
Vg 1
Vg 2
Vg 0
Vg 1
Vg 2
Vg 0
Vg 1
Vg 2
30 km/h 400 € 320 € 280 €
0€
5€
30 € 400 € 325 € 310 €
28 km/h 348 € 278 € 244 €
17 €
22 €
47 € 365 € 300 € 291 €
25 km/h 278 € 222 € 195 €
48 €
53 €
78 € 326 € 275 € 273 €
24 km/h 256 € 205 € 179 €
60 €
65 €
90 € 316 € 270 € 269 €
23 km/h 235 € 188 € 165 €
73 €
78 € 103 € 308 € 266 € 268 €
22 km/h 215 € 172 € 151 €
87 €
92 € 117 € 302 € 264 € 268 €
21 km/h 196 € 157 € 137 € 103 € 108 € 133 € 299 € 265 € 270 € 20 km/h 178 € 142 € 125 € 120 € 125 € 150 € 298 € 267 € 275 € 19 km/h 160 € 128 € 112 € 139 € 144 € 169 € 299 € 272 € 281 € 18 km/h 144 € 115 € 101 € 160 € 165 € 190 € 304 € 280 € 291 € Abbildung 13
ten induziert werden. Zur Verdeutlichung soll auch hier wieder auf den schon bekannten Beispielsfall zurückgegriffen werden. Die Unfallwahrscheinlichkeit liegt wiederum bei 400%, sofern weder S Vorsorge aufwendet (Vs = Vs 0, d. h. 30 km/h) noch der potentiell Geschädigte (Vg = Vg 0). Das Aktivitätsniveau des S ist wieder konstant bei 100 Fahrten (maximaler Nutzen: 500 Euro) und der Erwartungswert des Schadens beträgt 100 Euro. S könnte durch Reduzierung seiner Geschwindigkeit die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts verringern. Aber auch der Geschädigte – und das ist neu – könnte der Unfallwahrscheinlichkeit durch geeignete Maßnahmen begegnen: In Betracht kommt für ihn erstens, dass er beim Begehen der Wege die nötige Sorgfalt wie Umschauen an Wegkreuzungen oder Gehen am Wegesrand anwendet (Vorsorgelevel 1), und zweitens, dass er zusätzlich leuchtende Kleidung trägt, um besser wahrgenommen werden zu können (Vorsorgelevel 2). Den Vorsorgelevel 1 (Vg 1) einzuhalten, verursacht dem Geschädigten Kosten von 5 Euro und führt zu einer Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts um 20% gegenüber dem Wert bei Vg 0. Die zweite Stufe der Vorsorge (Vg 2) kostet den Geschädigten insgesamt 30 Euro und führt zu einer Verringerung von 30%. Das jeweils effiziente Maß an Vorsorge auf Seiten des Schädigers (Vs ) und auf Seiten des Geschädigten (Vg ) ist – wegen der wechselseitigen Abhängigkeit – nicht getrennt voneinander, sondern simultan zu ermitteln, weil sich die Höhe des einen Vorsorgeniveaus auf das jeweils andere auswirkt und dieses beeinflusst. Die gesamtgesellschaftlich anzustrebenden positiven Vorbeträgt und die Tätigkeit daher besser unterbleiben sollte. Dazu: H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 240 f.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
155
390
Soziale Kosten (in Euro)
370
350 Gesamtkosten Vg0 Gesamtkosten Vg1 Gesamtkosten Vg2
330
310
290
22 km/h 270
250 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 14
sorgewerte V s∗ und Vg∗ erfüllen folgende Gleichungen: 1 = −W s (Vs , Vg∗ ) × S und 1 = −Wg (V s∗, Vg )×S . V s∗ minimiert dann die aus der Tätigkeit resultierenden sozialen Kosten bei konstanter Vorsorge des Geschädigten und umgekehrt minimiert Vg∗ die sozialen Kosten bei feststehender Vorsorge des Schädigers. Dementsprechend ist V s∗ = V s∗(Vg∗ ) und Vg∗ = Vg∗ (V s∗). 139 Das effiziente Ergebnis wird dann erreicht, wenn sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte ein mittleres Maß an Vorsorge wählen: V s∗ = 22 km/h und Vg∗ = Vg 1. 140 Es muss nun ermittelt werden, welches der verschiedenen Haftungssysteme sowohl dem Schädiger als auch dem Geschädigten Anreize vermittelt, das jeweils effiziente Vorsorgeniveau auch tatsächlich einzuhalten.
139
Shavell (1987), S. 37; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 235. Das Zahlenbeispiel ist willkürlich gewählt. Dennoch verdeutlicht es die Tendenz, dass die optimale Vorsorge regelmäßig Vorsorgemaßnahmen beider Parteien erfordert. Außerdem wird evident, dass der schadensmindernde Effekt zusätzlicher Vorsorge immer geringer wird, beim Schädiger genauso wie beim Geschädigten. Es lassen sich natürlich auch Beispielsfälle konstruieren, in denen das effiziente Ergebnis erreicht wird, wenn nur der Schädiger (vgl. oben den Fall unilateraler Schädigung) oder nur der Geschädigte Vorsorgemaßnahmen ergreift. Es sind sogar Fälle denkbar, in denen es die Effizienz gebietet, dass keiner der Beteiligten Vorsorge trifft. Im Regelfall – von der unilateralen Schädigung abgesehen – ist es jedoch so, dass das optimale Ergebnis dann erreicht wird, wenn beide Beteiligten einen (zumindest geringen) aktiven Beitrag zur 140
156
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
a) Haftungsversagung Fehlt es an einer Haftungsanordnung (reine Geschädigtenhaftung), wird der Schädiger auch im bilateralen Schädigungsfall keine Vorsorgemaßnahmen treffen, weil die dadurch zu reduzierenden Kosten des Schadenserwartungswerts aus seiner Sicht externe Kosten darstellen (Vs = Vs 0 = 30 km/h). Der Geschädigte, der den gesamten Schaden zu tragen hat, wird sich auf dieses Schädigerverhalten einstellen und ein überoptimales Maß an Vorsorge treffen, um seine privaten Kosten zu minimieren: Vg = Vg (Vs 0). Im Beispielsfall wird er das höchste verfügbare Vorsorgeniveau Vg 2 wählen. Auf diese Weise kann er gegenüber dem Vorsorgeniveau Vg 1 durch einen Mehraufwand an Vorsorge von 25 Euro den ihn treffenden Schaden um 40 Euro und somit seine privaten Kosten um 15 Euro reduzieren. Aus seiner Sicht ist dies die optimale Handlungsalternative bei gegebenem Schädigerverhalten Vs = Vs 0. Das Equilibrialverhalten, das die Haftungsversagung induziert, besteht also darin, dass der Schädiger gar keine und der Geschädigte exzessive Vorsorgemaßnahmen trifft, und ist damit ineffizient. b) Gefährdungshaftung Weiterhin kommt zur Anreizsteuerung die Gefährdungshaftung in Betracht. aa) Hier wird dem Schädiger im Wege der Haftung der gesamte von ihm verursachte Schaden aufgebürdet. Um diese Kosten möglichst gering zu halten, werden ihm Anreize zum Treffen von Vorsorgemaßnahmen gesetzt. Der Geschädigte hingegen wird für seinen erlittenen Schaden vollständig kompensiert, weshalb er indifferent bezüglich des Schadenseintritts ist. 141 Er wird daher, um seine privaten Kosten zu minimieren, keine Vorsorgemaßnahmen ergreifen. In Kenntnis dessen, dass der Geschädigte keine Vorsorge trifft (Vg = Vg 0), wird nun der Schädiger versuchen, seine persönlichen Kosten zu minimieren: K s = Vs + W(Vs , 0) × S . Dies entspricht der Ausgangssituation der Gefährdungshaftung im unilateralen Schädigungsfall. 142 Im Beispielsfall wird der Geschädigte gar keine Vorsorge ergreifen und der Schädiger zur Minimierung seiner Kosten eine GeschwindigSchadensvorsorge leisten. Auch für die übrigen Fälle ist dieses Modell jedoch durchaus anwendbar. Die notwendige Modifikation besteht allein darin, dass der Vorsorgewert desjenigen Beteiligten, der zur Erreichung der effizienten Vorsorge nicht erforderlich ist, null gesetzt wird. In einem unilateralen Schadensfall müsste beispielsweise die Vorsorge des Geschädigten gleich null gesetzt werden: Vg = 0. Dazu: Shavell (1987), S. 10 f.; H.B. Schäfer / Ott (2005), S. 236. 141 Posner (1973), S. 207. Dies bezieht sich allerdings wiederum allein auf die ökonomische Sicht. Der Geschädigte kann durchaus einen Anreiz haben, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um Schäden zu verhindern, die durch Zahlung einer Schadensersatzsumme gleich welcher Höhe nicht vollständig ausgeglichen werden können, z. B. gravierende Körperverletzungen oder der Tod. Zur Problematik der Monetarisierung von Nichtvermögensschäden: Teil 2 B. I. 1., III. 1. a).
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
157
keit von 20 km/h wählen: Vg = Vg 0 und Vs = Vs (Vg 0) = 20 km/h. Die Gefährdungshaftung als reine Schädigerhaftung kann als Spiegelbild der fehlenden Haftungsanordnung (reine Geschädigtenhaftung) daher ebenfalls keine Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten vermitteln. bb) Dieses Unvermögen der Gefährdungshaftung, das Vorsorgeverhalten des potentiellen Geschädigten zu steuern, lässt sich aber dadurch korrigieren, dass ergänzend eine Mitverschuldensklausel eingeführt wird. Das Mitverschulden des Geschädigten ist kein Verschulden im technischen Sinne gegen einen anderen, sondern gegen sich selbst. Wenn jemand dasjenige Maß an Vorsorge nicht trifft, das nach Lage der Dinge erforderlich ist, um sich selbst im effizienten Umfang vor Schäden zu bewahren, muss er den Verlust oder jedenfalls die Kürzung seines Ersatzanspruchs hinnehmen, d. h. er hat seinen Schaden (teilweise) selbst zu tragen. Zur Regelung des Mitverschuldens existieren zwei grundlegende Konzepte, das haftungsausschließende und das haftungsmindernde Mitverschulden. 143 (1) Unter der Herrschaft einer Gefährdungshaftung mit haftungsausschließendem Mitverschulden (defense of contributory negligence) haftet im Grundsatz der Schädiger voll für alle von ihm verursachten Schäden nach dem Prinzip der Gefährdungshaftung. Sobald allerdings das Vorsorgeniveau des Geschädigten unter das rechtlich geforderte absinkt (Vg < Vg◦), ist der Geschädigte „contributorily negligent“. 144 Ihm wird dadurch schon bei der geringsten Fahrlässigkeit der Ersatzanspruch gegen den Schädiger versagt und er hat seinen Schaden in voller Höhe selbst zu tragen. In dieser Konstellation wird zum einen der Schädiger durch die Anordnung der Gefährdungshaftung und der damit verbundenen Vollinternalisierung der sozialen Kosten dazu veranlasst, das effiziente Maß an 142 Das hat seinen Grund darin, dass die vom Geschädigten gewählte Vorsorge gleich null ist (Vg = Vg 0). Somit trifft allein der Schädiger Vorsorge, was den unilateralen Schadensfall gerade ausmacht. 143 Für das „haftungsmindernde Mitverschulden“ finden sich in der Literatur auch die Bezeichnungen „anteiliges Mitverschulden“ und „relatives Mitverschulden“. 144 Das haftungsausschließende Mitverschulden (defense of contributory negligence) wird rechtstechnisch genauso behandelt wie das Verschulden des Schädigers (negligence): Das Verhalten des Geschädigten wird an dem Verhaltensmaßstab der rechtlich gebotenen Vorsorge V ◦ (hier: Vg◦) gemessen. Dazu: Teil 2 A. II. 1. c). Die Doktrin der contributory negligence beherrschte traditionell seit dem grundlegenden Fall Butterfield v. Forrester (103 Eng. Rep. 926 [1809]) das anglo-amerikanische Common Law: „He who comes to court has to come with clean hands.“ In den letzten Jahrzehnten wurde sie jedoch mehr und mehr zurückgedrängt und in der Mehrheit der Staaten durch comparative negligence ersetzt. Dazu umfassend: Prosser / Keeton (1984), S. 451 ff., 468 ff.; Cooter / Ulen (1986), S. 1072 – 1079. Auch dem deutschen Recht ist diese Figur des haftungsausschließenden Mitverschuldens nicht gänzlich unbekannt. Im gemeinen Recht existierte im Rahmen der Culpa-Kompensation ebenfalls ein Alles-oder-Nichts-Prinzip. Dieses wurde in Deutschland erst 1900 durch die Einführung des § 254 BGB abgeschafft. Dazu: Lange / Schiemann (2003), S. 534 f.
158
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Vorsorge zu treffen (Vs = V s∗). Zum anderen wird auch dem Geschädigten durch die ihm drohende Versagung des Ersatzanspruchs ein Anreiz gesetzt, die sozial optimale Vorsorge zu treffen (Vg = Vg◦ = Vg∗ ). 145 Im Beispielsfall würde also der Geschädigte peinlich genau darauf achten, dass er Vg 1(= Vg∗ = Vg◦) einhält, um seinen Ersatzanspruch im Fall der Schädigung nicht zu verlieren. Dementsprechend hat S den entstehenden Schaden über die Gefährdungshaftung alleine zu tragen. Um die ihn treffenden Kosten in dieser Situation zu minimieren, wird er eine Geschwindigkeit von 22 km/h wählen und so auch seinerseits Vorsorge in effizienter Höhe treffen (Vs = V s∗). Auf diese Weise werden beide Beteiligten induziert, sich effizient zu verhalten. 146 (2) Bisher wurden Anreize zur effizienten Vorsorge dadurch geschaffen, dass einer der Beteiligten die gesamten Schadenskosten zu tragen hatte. Der Haftende musste, um seine privaten Kosten zu minimieren, Vorsorge im effizienten Maß treffen. Der Nichthaftende wurde dadurch zur Einhaltung eines bestimmten Vorsorgestandards angeregt, dass ihm angedroht wurde, ihm im Fall des Zurückbleibens hinter diesem Standard die Schadenskosten in vollem Umfang aufzuerlegen. Bei der Gefährdungshaftung mit haftungsminderndem Mitverschulden (defense of relative negligence) wird die Kostenlast des Schadens hingegen erstmalig zwischen den Beteiligten aufgeteilt; es kommt zu einer Abkehr von der „Alles-oder-Nichts“Kostentragung: Der Schädiger hat infolge der ihm drohenden Gefährdungshaftung den vollen Schaden zu tragen, solange der Geschädigte den ihm im Wege des Mitverschuldens auferlegten Vorsorgemaßstab Vg◦ einhält (Vg ≥ Vg◦, Fall 1). Beachtet der Geschädigte jedoch diese geforderte Sorgfalt nicht (Vg < Vg◦, Fall 2), greift die Mitverschuldensregel ein. Sie verlagert den Schaden allerdings nicht wie das haftungsausschließende Mitverschulden in voller Höhe auf den Geschädigten, sondern lediglich anteilig. Die Größe dieses Anteils (T) bewegt sich zwischen null und dem vollen Schaden und ist abhängig von der relativen Höhe seines Verschuldens im Hinblick auf die durch den Geschädigten tatsächlich getroffene Vorsorge: Je höher diese ist und je näher sie somit dem rechtlich geforderten Maß an Vorsorge Vg◦ kommt, desto geringer ist der vom Geschädigten selbst zu tragende Anteil am Schaden. 147 145 Dies setzt voraus, dass es den Gerichten gelingt, das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge Vg◦ entsprechend dem effizienten Maß an Vorsorge Vg∗ zu bestimmen. Zu den Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Bestimmung eines rechtlich geforderten Sorgfaltsmaßstabs entsprechend dem effizienten: Teil 2 A. II. 1. c) cc). 146 Diese Situation, in der beide Beteiligten effiziente Vorsorge treffen, stellt das einzige Equilibrium dar. Trifft der Schädiger Vorsorge, der Geschädigte aber nicht, wird dem Geschädigten sein Ersatzanspruch versagt, und er ist bestrebt, die geforderte Vorsorge zu treffen. Treffen beide keine Vorsorge, wird der Geschädigte ebenfalls Vorsorge treffen wollen, damit ihm ein Ersatzanspruch zugesprochen wird. Und trifft nur der Geschädigte, nicht aber der Schädiger Vorsorge, wird der Schädiger, der dann voll haften muss, bestrebt sein, seine Vorsorge auf das effiziente Maß zu erhöhen, um seine privaten Kosten zu minimieren.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) V g ≥ Vg◦ = V ∗g (Fall 1)
V g < Vg◦ = V ∗g (Fall 2)
Vs ≥ V ∗s
K s = V ∗s + W(V ∗s , Vg ) × S Kg = Vg
K s = V ∗s + T s × W(V ∗s , Vg ) × S Kg = Vg + T g × W(V ∗s , Vg ) × S
Vs < V ∗s
K s = Vs + W(Vs , Vg ) × S Kg = Vg∗
K s = Vs + T s × W(Vs , Vg ) × S Kg = Vg + T g × W(Vs , Vg ) × S
159
Abbildung 15
Der Geschädigte wird also das von ihm rechtlich geforderte Vorsorgeniveau einhalten (Vg = Vg◦), um die gesamten Schadenskosten auf den Schädiger überzuwälzen. 148 Der Schädiger wird in dieser Situation zur Minimierung seiner privaten Kosten ebenfalls Vorsorgemaßnahmen in effizienter Höhe ergreifen (Vs = V s∗). 149 Auch unter Berücksichtigung eines haftungsmindernden Mitverschuldens und der daraus resultierenden Aufteilung der Schadenssumme unter die Beteiligten werden also Anreize zu effizientem Vorsorgehandeln gesetzt, solange das rechtlich geforderte Vorsorgeniveau Vg◦ entsprechend dem effizienten Vg∗ bestimmt wird und solange der Mitverschuldensanteil in der richtigen Höhe bemessen wird. 150 Im Beispielsfall beträgt der Erwartungswert des Schadens bei effizienter Vorsorge beider Beteiligten 172 Euro; die Vorsorgekosten des Schädigers belaufen sich in diesem Fall auf 87 Euro (V s∗ = 22 km/h) und die des Geschädigten auf 5 Euro (Vg∗ = Vg 1). Angenommen der Geschädigte überlegt, um diese Kosten einzusparen, keine Vorsorgemaßnahmen mehr zu treffen, während der Schädiger die von ihm erwartete Vorsorge trifft: Vg = Vg 0 und Vs = 22 km/h. Der Erwartungswert des Schadens stiege dadurch um 43 Euro auf 215 Euro an. Da der Geschädigte hier durch sein Verhalten diesen Anstieg der erwarteten Schadenskosten verursa147 Mathematisch ausgedrückt: Die Größe des Anteils T, den der Schädiger zu tragen hat, liegt zwischen null und eins: 0 < T < 1. Der Anteil T ist dabei allein von der durch den Geschädigten getroffenen Vorsorge abhängig: T = T(Vg ). Die Höhe des Anteils nimmt mit zunehmender Vorsorge des Geschädigten ab: T (Vg ) < 0. Wenn sich Vg dem geforderten Vorsorgewert Vg◦ annähert, geht die Größe des Anteils, den der Geschädigte zu tragen hat, gegen null. Dazu: Shavell (1987), S. 38. 148 Dies gilt freilich nur, solange der ihm drohende Schadensanteil größer ist als die durch die Absenkung des Vorsorgeniveaus unterhalb von Vg◦ eingesparten Vorsorgekosten. 149 Im Fall des Mitverschuldens des Geschädigten gilt dies jedoch entsprechend wiederum dann, wenn der Anteil des Schadens, den der Geschädigte zu tragen hat, nicht so groß wird, dass sich die effiziente Vorsorge für den Schädiger nicht mehr rentiert. 150 Shavell (1987), S. 14; Landes / Posner (1987), S. 81; H.-B. Schäfer / Wehrt (1989), S. 95 f. Gelingt es nicht, Vg◦ = Vg∗ zu bestimmen, kommt es zu einer Anreizverschiebung. Übersteigt das vom Geschädigten rechtlich geforderte Maß an Vorsorge das sozial gebotene (Vg◦ > Vg∗ ) und wird bei Verfehlen dieses (zu hohen) Standards ein Mitverschulden des Geschädigten angenommen, wird der Geschädigte ein über- und der Schädiger ein unteroptimales Maß an Vorsorge aufwenden. Für den umgekehrten Fall (Vg◦ < Vg∗ ) ergibt sich entsprechend ein umgekehrtes Ergebnis.
160
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
chen würde, muss ihm über eine Eigenhaftung im Rahmen des Mitverschuldens ein Anreiz gesetzt werden, auch weiterhin das effiziente Vorsorgeniveau Vg 1 zu realisieren. Der ihm so aufzuerlegende Anteil an den Schadenskosten muss daher einerseits den Betrag der einzusparenden Vorsorgekosten übersteigen (hier: 5 Euro). Andererseits darf er aber nicht den Betrag überschreiten, um den der Schadenserwartungswert infolge der Vorsorgeabsenkung ansteigen würde (hier: 43 Euro), weil sonst die Anreizwirkung für den Schädiger, seinerseits Vorsorgemaßnahmen in effizienter Höhe zu treffen, unterminiert werden würde. Liegt der Anteil, um den die Haftung des Schädigers infolge des Mitverschuldens gekürzt und dem Geschädigten auferlegt wird, zwischen diesen beiden Grenzen (5 Euro < T < 43 Euro; prozentual auf den zu erwartenden Gesamtschaden von 215 Euro bezogen: zwischen 2,3% und 20,0%), werden sowohl dem Schädiger durch die Gefährdungshaftung als auch dem Geschädigten durch das haftungsmindernde Mitverschulden wirksame Vorsorgeanreize vermittelt. Wird die Gefährdungshaftung also durch eine der beiden zur Verfügung stehenden Mitverschuldensklauseln modifiziert, vermittelt sie beiden Beteiligten Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten. In diesem Fall trägt der Schädiger seine Vorsorgekosten sowie die Schadenskosten und der Geschädigte seine Vorsorgekosten: K s = V s∗ + W(V s∗, Vg∗ ) × S und Kg = Vg∗ . c) Verschuldenshaftung Alternativ steht auch noch der dritte Haftungsmodus der Verschuldenshaftung zur Verfügung. aa) Die (unmodifizierte) Verschuldenshaftung ist so konzipiert, dass der Schädiger dann nicht haftet, wenn er mindestens das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge Vs◦ beachtet; tut er dies nicht, haftet er hingegen voll. Gelingt es den Gerichten, das rechtlich geforderte Maß an Sorgfalt entsprechend dem effizienten Vorsorgewert zu bestimmen (V ◦ = V ∗ ), werden beide Beteiligten zu optimalem Vorsorgeverhaltenen induziert: 151 Der Schädiger wird exakt das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge treffen, weil jede Einheit mehr aus seiner Sicht nutzlos 151 Aus den bereits angesprochenen Gründen kann es aber vorkommen, dass das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge nicht dem effizienten Maß entspricht: V ◦ = V ∗ . Durch eine solche Abweichung kann es im Einzelfall zu einer Anreizverzerrung für den Schädiger wie auch für den Geschädigten kommen, weil sie weiterhin versuchen werden, ihre privaten Kosten zu minimieren. Dazu: Teil 2 A. II. 1. c) cc). Unter diesem Aspekt birgt die Verschuldenshaftung ein gegenüber der Gefährdungshaftung gesteigertes Ineffizienzpotential. Zahlenbeispiele für die möglichen, in ihrer Wirkung grundlegend verschiedenen Konstellationen der Anreizverzerrung finden sich bei: H.-B. Schäfer / Wehrt (1989), S. 94 f. Die dort an einem konkreten Beispiel nachgewiesenen Verhaltensweisen lassen sich allerdings nicht unbesehen auf den hier verwendeten Beispielsfall übertragen, weil sich aus den konkret anfallenden Kosten- und Nutzenwerten im Einzelfall andere Anreize ergeben kön-
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
161
ist, jede Einheit weniger aber zur Haftpflicht führt: Vs = Vs◦ = V s∗. Dementsprechend wird dem Geschädigten sein Schaden nicht ersetzt, d. h. er hat zusätzlich zu den Kosten seiner persönlichen Vorsorge auch die Schadenskosten zu tragen: Kg = Vg +W(Vs◦, Vg )×S . Er wird deshalb bestrebt sein, ein solches Vorsorgeniveau einzunehmen, auf dem er die ihm entstehenden Kosten minimiert. Im Beispiel wird S eine Geschwindigkeit von 22 km/h wählen (K s = Vs = 87 Euro) – das geringstmögliche Maß an Vorsorge, bei dem er einer Haftung noch entgehen kann. Der potentielle Geschädigte wird dann Vorsorge in Höhe von Vg 1 treffen, wodurch er seine privaten Kosten minimieren kann (Kg = 177 Euro). Die Verschuldenshaftung bietet somit beiden Beteiligten Anreize, effizientes Vorsorgeverhalten an den Tag zu legen. bb) Auch die Verschuldenshaftung kann durch einen Mitverschuldenseinwand modifiziert werden. Dafür kommen auch hier die beiden im Rahmen der Gefährdungshaftung vorgestellten Ansätze in Betracht. (1) Zunächst soll das haftungsausschließende Mitverschulden betrachtet werden (negligence rule with the defense of contributory negligence). Der Schädiger haftet unter dem Regime einer solchen Haftung dann nicht, wenn er mindestens das rechtlich geforderte Vorsorgeniveau Vs◦ einhält. Unterschreitet er dieses, haftet er – und dies ist die Veränderung gegenüber der unmodifizierten Verschuldenshaftung – jedoch nur dann, wenn der Geschädigte seinerseits das von ihm geforderte Maß an Vorsorge Vg◦ beachtet hat. Der Schädiger muss den Schaden also nur dann ersetzen, wenn seine Vorsorge hinter dem rechtlich geforderten Maß zurückbleibt und gleichzeitig der Geschädigte das von ihm rechtlich geforderte Maß an Vorsorge einhält: Vs < Vs◦ und Vg ≥ Vg◦. Um ihre privaten Kosten zu minimieren, werden aber auch hier beide angereizt, das jeweils rechtlich geforderte Sorgfaltsniveau einzuhalten. Diese Anreize resultieren jedoch schon allein aus der Verschuldenshaftung an sich. Die Anordnung des haftungsausschließenden Mitverschuldens ist also eine überflüssige Erweiterung. Denn die Modifikation über das Mitverschulden, das den Geschädigten im Fall der Ersatzhaftung des Schädigers zur Einhaltung des optimalen Sorgfaltsmaßstabs anregen soll, greift im Bereich des Equibrialverhaltens überhaupt nicht ein. (2) Außerdem besteht die Möglichkeit, ein haftungsminderndes Mitverschulden anzuordnen (comparative negligence rule). Wie bei der vorherigen Haftungsregel bewirkt die Verschuldenshaftung auf der Schädigerseite, dass er nicht haftet, wenn er die geforderte Sorgfalt einhält (Vs ≥ Vs◦), und dass er haftet, wenn er die geforderte Sorgfalt nicht einhält (Vs < Vs◦). Der Einwand des Mitverschuldens führt auf der Seite des Geschädigten dazu, dass im Fall des Verschuldens des Schädigers dessen nen. Dies bedeutet nicht, dass eines der beiden verwendeten Zahlenbeispiele fehlerhaft ist, sondern belegt vielmehr, wie stark die vermittelten Anreize in diesen Konstellationen von den Zufälligkeiten des jeweiligen Einzelfalls abhängig sind. Dazu auch: Endres (1991a), S. 114 – 117.
162
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Haftung eingeschränkt wird, wenn gleichzeitig auch der Geschädigte schuldhaft gehandelt hat: Vs < Vs◦ und Vg < Vg◦. Anders als beim haftungsausschließenden Mitverschulden entfällt aber der Ersatzanspruch des Geschädigten bei beiderseitigem Verschulden nicht vollständig, sondern wird anteilig gekürzt. Die Höhe dieses Anteils ist hier nicht nur davon abhängig, wie weit der Geschädigte hinter dem geforderten Maß an Vorsorge zurückbleibt – so noch bei der Gefährdungshaftung mit haftungsminderndem Mitverschulden –, sondern auch davon, wie stark der Schädiger hinter der von ihm geforderten Vorsorge zurückbleibt. 152
Vs ≥ V ∗s Vs < V ∗s
V g ≥ Vg◦
V g < Vg◦
K s = V ∗s Kg = Vg∗
K s = V ∗s Kg = Vg + W(V ∗s , Vg ) × S
+ W(V ∗s , Vg∗ ) × S K s = Vs + W(Vs , Vg∗ ) × S Kg = Vg∗
K s = Vs + T s × W(Vs , Vg ) × S Kg = Vg + T g × W(Vs , Vg ) × S
Abbildung 16
Um seine privaten Kosten zu minimieren, wird der Schädiger hier das Maß an rechtlich geforderter Vorsorge einhalten. Der Geschädigte, der in dieser Situation die Schadenskosten zu tragen hat, wird dementsprechend ebenfalls das effiziente Maß an Vorsorge treffen. Sofern der Mitverschuldensanteil weder zu hoch noch zu gering angesetzt wird, vermittelt also auch diese Haftung Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten. 153 152 Bei der Gefährdungshaftung ist die Höhe des anteiligen Mitverschuldens allein von dem Maß an Vorsorge abhängig, das der Geschädigte getroffen hat. Dort liegt es aber auch in der Natur der Sache, dass vom Schädiger nicht die Einhaltung eines rechtlich gesetzten Vorsorgemaßstabes Vs◦ gefordert wird. Im Rahmen der Verschuldenshaftung richtet sich der Mitverschuldensanteil jedoch nach der Vorsorge beider Beteiligten und deren jeweiliger relativer Abweichung vom geforderten Maß an Vorsorge: 0 < T < 1 und T = T (Vs , Vg ). 153 In den Anfängen der ökonomischen Analyse des Rechts vertrat die Mehrzahl der Kommentatoren noch die Auffassung, dass das haftungsmindernde Verschulden Anreize zu ineffizientem Vorsorgeverhalten gebe und daher der Verschuldenshaftung mit haftungsausschließendem Mitverschulden unterlegen sei. So kam Brown (1973), S. 346 f. im Wege einer formalen mathematischen Analyse zu dem Ergebnis, dass jede Form der Verschuldenshaftung außer derjenigen mit haftungsminderndem Mitverschulden (comparative negligence) effizient sei. Dieser Schluss lag nicht darin begründet, dass seine Analyse fehlerhaft war, sondern allein darin, dass er ein Modell untersuchte, das er zwar comparative negligence nannte, das aber nicht dem entspricht, was allgemein darunter verstanden wird. Er verstand unter comparative negligence Folgendes (S. 329, 331): „The doctrine of comparative negligence apportions the liability according to the relative liability of the two parties. [...] Negligence is the incremental reduction in accident probability per dollar spent, and the liability of the injurer is his negligence divided by the negligence of both parties.“ Er stellte also auf die relative Effektivität von Vorsorgemaßnahmen ab, sodass der Schädiger auch dann schuldhaft handelt, wenn er die
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
163
Im Beispielsfall beträgt der Schadenserwartungswert bei bilateral effizienter Vorsorge 172 Euro. Es soll unterstellt werden, dass sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte überlegen, ihre Vorsorgeniveaus abzusenken auf Vs = 24 km/h und auf Vg = Vg 0. Die Vorsorgekosten würden sich dadurch für den Schädiger um 27 Euro auf 60 Euro und für den Geschädigten um 5 Euro auf 0 Euro reduzieren. Der Erwartungswert des Schadens hingegen würde um 84 Euro auf 256 Euro ansteigen. Der Anteil, der dem Geschädigten auferlegt wird, muss also seine eingesparten 5 Euro übersteigen, um ihn wieder dazu zu bringen, die effiziente Vorsorge Vg = Vg 1 zu treffen. Zugleich muss aber der Anteil des Schädigers an dem zusätzlich entstehenden Schaden von 84 Euro mehr als 27 Euro betragen, um entsprechend auch ihn zur effizienten Vorsorge Vs = 22 km/h zu induzieren. Im Allgemeinen muss also der Mitverschuldensanteil des Geschädigten einerseits so hoch sein, dass er dessen Einsparung bei den Vorsorgekosten übersteigt (hier: 5 Euro), und andererseits so gering, dass der vom Schädiger selbst zu tragende Anteil auch diesem noch ausreichende Anreize zur Vorsorge vermittelt (hier: 256 Euro – 172 Euro – 27 Euro = 57 Euro). Solange sich der Mitverschuldensanteil innerhalb dieser Grenzen hält (5 Euro < T g < 57 Euro; auf den zu erwartenden Gesamtschaden von 256 Euro bezogen: zwischen 2,0 und 22,2%), werden beiden Beteiligten effiziente Verhaltensanreize vermittelt. 154
Wahrscheinlichkeit mit geringerem Aufwand als der Geschädigte hätte herabsetzen können, obwohl er sich optimal verhalten hat. Die tatsächliche Regel der comparative negligence hingegen verteilt die Haftung nach dem relativen Verschulden der Beteiligten, in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Unterschreiten des rechtlich geforderten Vorsorgestandards. Das durch Brown analysierte Modell sollte daher, um es von dem der comparative negligence zu unterscheiden, korrekterweise als „comparative precaution“ (so: Cooter / Ulen [1986], S. 1080) oder als „comparative care“ (so: Haddock / Curran [1985], S. 63) bezeichnet werden. Calabresi (1970), S. 158, Posner (1972b), S. 70 f. (Posner revidierte diese Ansicht in der dritten Auflage seines Werkes, die 1986 erschien, wie auch in dem Aufsatz Landes / Posner [1980], S. 537 f.) und G. Schwartz (1978), S. 704 f. stützten sich auf informale Zahlenbeispiele und kamen zu dem Ergebnis, dass es infolge der Verteilung der Schadenskosten auf beide Beteiligten vom Zufall abhängt, ob effiziente Anreize gesetzt werden oder nicht (vgl. nur G. Schwartz [1978], S. 705: „... [C]omparative negligence can sometimes be successful, but only on a fortuitous basis.“). Diese Ansichten wurden jedoch durch formal-mathematische Analysen widerlegt: Haddock / Curran (1985), S. 59 –63; Cooter / Ulen (1986), S. 1084 –1086; Rubinfeld (1987), S. 380 –383. Ein informales Zahlenbeispiel mit eben diesem Ergebnis findet sich bei: Landes / Posner (1980), S. 537. 154 Adams (1985), S. 68 –70 meint, dass sich der Anteil, zu dem der Geschädigte im Fall seines Mitverschuldens die Schadenskosten zu tragen hat, rechnerisch bestimmen lasse. Dazu seien zunächst die prozentualen Abweichungen der tatsächlichen Vorsorge des Schädigers wie auch des Geschädigten von der rechtlich geforderten Vorsorge zu bestimmen: ΔVs = (Vs◦ − Vs )/Vs◦ und ΔVg = (Vg◦ − Vg )/Vg◦. Der Quotient daraus, aufgelöst nach dem vom Geschädigten zu tragenden Haftungsanteil Tg , ergibt folgende Formel: Tg = (ΔVs /ΔVg ) / (1 + [ΔVs /ΔVg ]). Dies führt im Beispielsfall zu einem Mitverschuldensanteil
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
cc) Unabhängig davon, ob nun die Verschuldenshaftung mit oder ohne Mitverschuldenseinwand angeordnet wird, werden beide Beteiligten jeweils zu effizientem Vorsorgeverhalten induziert. Diese Anreize resultieren jedoch schon allein aus der Verschuldenshaftung an sich. Die Anordnung des Mitverschuldens ist also insoweit für die Wirkung der Haftung bedeutungslos. Dies liegt darin begründet, dass unter dem Regime einer Verschuldenshaftung die Einhaltung der geforderten Sorgfaltsstandards Vs◦ und Vg◦ für Schädiger und Geschädigten das Equilibrium darstellt. Denn sobald auch nur einer hinter den gestellten Anforderungen zurückbleibt, werden diesem Schadenskosten auferlegt, die er anderenfalls nicht hätte tragen müssen. Um dieser Kostentragungspflicht zu entgehen, wird er bestrebt sein, das von ihm geforderte Maß an Vorsorge einzuhalten. 155 Verhalten sich die Beteiligten effizient, hat der Schädiger allein die Kosten für seine persönliche Vorsorge zu tragen, der Geschädigte dagegen sowohl seine persönlichen Vorsorgekosten als auch die Schadenkosten: K s = V s∗ und Kg = Vg∗ + W(V s∗, Vg∗ ) × S . Bei der Verschuldenshaftung sind somit in Bezug auf die Kostenverteilung Schädiger und Geschädigter gegenüber der Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand vertauscht. d) Vergleich der Haftungsregeln Es ergibt sich für den bilateralen Schadensfall mit konstantem Aktivitätsniveau damit folgendes Gesamtbild: des Geschädigten Tg von 23,7%: ΔVs =(87 € – 60 €)/87 €= 0, 31; ΔVg = (5 € – 0 €) / 5 € = 1; Tg = 0,31 / 1,31 = 0,237. Dies entspricht einem Betrag von 60,67 Euro. Der so bestimmte Mitverschuldensanteil ist aber nach dem oben ermittelten Ergebnis zu hoch und vermittelt somit dem Schädiger keine Anreize, die effiziente Vorsorge V ∗s = 22 km/h zu treffen. In dieser Ausgestaltung wäre die Verschuldenshaftung mit haftungsminderndem Mitverschulden nicht effizient. Eine allgemeingültige, mathematisch exakte Bestimmung des Mitverschuldensanteils auf Basis dieser Formel ist also nicht möglich. Die Anteile müssen vielmehr in jedem konkreten Einzelfall im Hinblick auf die jeweiligen Grenzen festgelegt werden. 155 Allerdings ist die Verschuldenshaftung ohne Mitverschuldenseinwand dann der Verschuldenshaftung mit Mitverschuldenseinwand unterlegen, wenn der Schädiger – entgegen dem wirksam gesetzten Anreiz zu nicht schuldhaftem Handeln – doch gegen den ihm gesetzten Standard verstößt und mithin schuldhaft handelt. Denn in diesem Fall vermittelt die einfache Verschuldenshaftung dem Geschädigten Anreize, seine Vorsorge auf null zu reduzieren, weil ihm sein Schaden in voller Höhe durch den Schädiger ersetzt wird. Sobald der Schädiger schuldhaft handelt, entsprechen die von der einfachen Verschuldenshaftung ausgehenden Anreize also denen der Gefährdungshaftung. Unter dem Regime einer Verschuldenshaftung mit Mitverschuldenseinwand hingegen wird der Geschädigte trotz des schuldhaften Handelns des Schädigers das von ihm geforderte Sorgfaltsniveau Vg◦ einhalten, um zu verhindern, dass ihm sein Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger gänzlich versagt oder jedenfalls gekürzt wird. Dazu: Landes / Posner (1987), S. 76 f.; Shavell (1987), S. 15, Fn. 14.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) Haftungsregelung
Vorsorgemaßnahmen Schädiger
Gesch.
Keine Haftung
(–)
Gefährdungshaftung
(+)
Gefährdungshaftung mit Mitverschulden
165
Schadenstragung Schädiger
Gesch.
(+)
(–)
(+)
(–)
(+)
(–)
(+)
(+)
(+)
(+)
Verschuldenshaftung
(+)
(+)
(+)
(+)
Verschuldenshaftung mit Mitverschulden
(+)
(+)
(+)
(+)
Abbildung 17
Die Haftungsversagung und die Gefährdungshaftung ohne Mitverschuldenseinwand führen nicht zu gesamtgesellschaftlich optimalen Ergebnissen. Dagegen veranlassen sowohl die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand als auch jede Form der Verschuldenshaftung beide Beteiligten zur Einhaltung des effizienten Vorsorgeniveaus. Dies gelingt durch eine Kombination der beiden Haftungsprinzipien der Vollinternalisierung und der Standardsetzung. 156 So unterliegt bei den effizienten Haftungssystemen jeweils der für den Schaden Haftende der Maxime der Vollinternalisierung und der Nichthaftende der Maxime der Standardsetzung: 157 Es gelingt dem Geschädigten bei der Gefährdungshaftung mit Mitverschulden und dem Schädiger bei der Verschuldenshaftung mit oder ohne Mitverschulden die anfallenden Schadenskosten vollständig zu vermeiden und sie dem anderen aufzubürden, indem sie die geforderte Sorgfalt einhalten (Prinzip der Standardsetzung). Spiegelbildlich minimieren der Schädiger bei der Gefährdungshaftung mit Mitverschulden und der Geschädigte bei der Verschuldenshaftung mit oder ohne Mitverschulden durch Einhaltung der geforderten Vorsorge die von ihnen zu tragenden Kosten für Vorsorge und Schädigung (Prinzip der Vollinternalisierung). Jedes dieser Haftungssysteme beinhaltet im Ergebnis Elemente der Verschuldenshaftung – sei es auf der Seite des Schädigers (einfache Verschuldenshaftung), sei es auf der Seite des Geschädigten im Rahmen seines Mitverschuldens (Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand) oder sei es auf beiden Seiten (Verschuldenshaftung mit Mitverschuldenseinwand). Charakteristikum der Verschuldenshaftung ist es gerade, dass einer der Beteiligten der Schadenstragungspflicht dadurch entkommen kann, dass er den gesetzten Standard einhält. Der andere Beteiligte wird dann, weil die Schadenskosten entsprechend bei ihm internalisiert sind, ebenfalls das effiziente Maß an Vorsorge treffen, um seine privaten Kosten zu minimieren. Im Rahmen des Modells, das die Haftungsregeln allein auf die Verteilung der entstehenden Vorsorge- und Schadenskosten hin untersucht, 156 157
Zu diesen Begriffen: Teil 2 A. II. 1. d). Shavell (1987), S. 16; Cooter (1991), S. 22.
166
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
sind diese Haftungssysteme somit gleichwertig. Anders als bei dem unilateralen Schädigungsfall lässt sich auch kein praktischer Vorteil der Gefährdungshaftung damit begründen, dass diese die Unwägbarkeiten bei der gerichtlichen Bestimmung des Grades der erforderlichen Vorsorge V ◦ umgeht. 158 Denn hier kann allein die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand eine effiziente Verhaltenssteuerung sicherstellen. Deshalb hat hier im Bereich der Mitverschuldensseite des Geschädigten ebenfalls eine – mit den bekannten Schwierigkeiten verbundene – Standardsetzung zu erfolgen. 2. Kostenminimierung bei bilateral variablem Vorsorge- und Aktivitätsniveau Die Beteiligten können jedoch regelmäßig neben ihrem Vorsorgeniveau auch ihr Aktivitätsniveau verändern. Da infolge einer Veränderung des Aktivitätsniveaus der Nutzen beider Beteiligten variabel ist, muss dieser wiederum in die Formel aufgenommen und kann nicht mehr als konstante Größe vernachlässigt werden. Ziel aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es, den gesamtgesellschaftlichen Nettonutzen, der sich aus dem Verhalten der Beteiligten ergibt, zu maximieren: N(A s ) + N(Ag ) − (A s × Vs + Ag × Vg ) − A s × Ag × W(Vs , Vg ) × S . Die Maximalwerte für den individuellen Nutzen des Schädigers und des Geschädigten ergeben sich jeweils aus der ersten Ableitung: N (A s ) = Vs + Ag × W(Vs , Vg ) × S und N (Ag ) = Vg + A s × W(Vs , Vg ) × S . 159 Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Vereinfachung soll die Untersuchung im Beispielsfall auf je drei Vorsorge- und Aktivitätsniveaus pro Beteiligten beschränkt werden. Für den Geschädigten ergeben sich dadurch Neuerungen insofern, als sein Aktivitätsniveau zum ersten Mal relevant wird. Beide Beteiligten haben jeweils auch die Möglichkeit, das Aktivitätsniveau A s 0 bzw. Ag 0 zu wählen. 158
s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. c) bb) – dd). Dies ist die Beschreibung des allgemeinen Falls der Schädigung. Dieses Modell kann jede Variante der Schädigung abbilden, weil jede Verhaltensvariabilität beider Beteiligten erfasst ist, sowohl hinsichtlich der Vorsorge als auch hinsichtlich der Aktivität. Alle bisher behandelten Fälle, also die unilaterale Schädigung mit konstantem und variablem Aktivitätsniveau sowie die bilaterale Schädigung mit konstantem Aktivitätsniveau könnten auch in diesem Modell behandelt werden. Letztlich werden sie es sogar, indem die für das jeweilige Modell irrelevanten, weil konstanten Variablen (z. B. das Aktivitätsniveau beim bilateralen Schadensfall mit konstantem Aktivitätsniveau) einfach vernachlässigt werden. So könnte auch der hier nicht explizit behandelte Fall des bilateral variablen Vorsorge- und unilateral variablen Aktivitätsniveaus über dieses Modell erfasst und analysiert werden. Das umfassende Modell mit allen Variablen sollte aber nur im Bedarfsfall angewendet werden. Denn so kann die Analyse auf diejenigen Elemente konzentriert werden, die im jeweiligen Schadensfall variabel und somit ausschlaggebend sind. Vorsorgebemühungen des Inhabers eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die weitgehend ohne Wirkung bleiben, können vernachlässigt werden. 159
Schädiger
Geschädigter
Geschädigter
Sozialer Gesamtnutzen (N(A s ) + N( A g ) { (A s × Vs + A g × V g ) { A s × A g × W(Vs , V g ) × S)
0
5 5
30
30 0
0 10 60
10 60
0
0
0
0
0
0
0 500 495 470 600 590 540
0 400 320 280 800 640 560 500 600 675 690 300 450 480
0
0
5
30
0
10 60
0 800 640 560 1600 1280 1120 700 400 555 610 –300 10 120
Abbildung 18
A s 2 / Vs 2 700 1200 1300 240 240 245 270 240 250 300 0 356 285 249 712 568 498 460 604 670 681 348 480 502
A s 2 / Vs 1 700 1200 1300 174 174 179 204 174 184 234 0 430 344 301 860 688 602 526 596 677 693 266 428 464
A s 2 / Vs 0 700 1200 1300 0
A s 1 / Vs 2 500 1000 1100 120 120 125 150 120 130 180 0 178 142 125 356 285 250 380 702 733 725 624 685 670
A s 1 / Vs 1 500 1000 1100 87 87 92 117 87 97 147 0 215 172 151 430 344 301 413 693 736 732 583 659 650
0
500 600
0
0
A s 1 / Vs 0 500 1000 1100 0
As 0
Geschädigter
Geschädigter 160
Schadenserwartungswert ( A s × A g × W(Vs , V g ) × S)
Ag 0 Ag 1 Ag 2 Ag 0 1/0 1/1 1/2 2/0 2/1 2/2 Ag 0 1/0 1/1 1/2 2/0 2/1 2/2 Ag 0 1/0 1/1 1/2 2/0 2/1 2/2
Vorsorgekosten ( A s × Vs + A g × V g )
Privater Nutzen (N( A s ) + N( A g ))
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung) 167
168
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Solange wenigstens einer der beiden diese Möglichkeit wahrnimmt, d. h. darauf verzichtet, den Feldweg zu benutzen, kann es denknotwendig zu keinem Unfall kommen, da ein solcher die Präsenz beider Beteiligten voraussetzt. Dementsprechend ist es in diesem Fall unnötig, dass der einzig aktive Beteiligte Vorsorgemaßnahmen trifft. Sobald aber beide Beteiligte ein positives Aktivitätsniveau wählen, sind Unfälle möglich. In dieser Situation ist die Ausgangslage grundsätzlich vergleichbar mit den schon behandelten Fallgestaltungen: Es muss also für beide Beteiligten dasjenige Vorsorge- und dasjenige Aktivitätsniveau ermittelt werden, aus dem am Ende der größtmögliche soziale Nettonutzen resultiert. Die Vorsorgeniveaus Vs 0, 1, 2(Vs 0 = 30 km/h, Vs 1 = 22 km/h, Vs 2 = 20 km/h) sowie Vg 0, 1, 2 sind schon aus dem Fallbeispiel im Rahmen der Analyse des bilateral variablen Vorsorgeniveaus bei konstanten Aktivitätsniveaus bekannt. 161 Beim Aktivitätsniveau entspricht A0 keiner Aktivität, also Unterlassen der Tätigkeit. A1 steht für eine jeweilige Aktivität von 100, A2 entsprechend für eine Aktivität von 200. Sowohl die Vorsorge- als auch die erwarteten Schadenskosten steigen proportional mit dem gewählten Aktivitätsniveau an. Der Nutzen aus der Aktivität steigt dagegen nur unterproportional an. Bei A0 beträgt der Nutzen logischer Weise 0 Euro, bei A1 beläuft sich der Nutzen für beide auf je 500 Euro, bei A2 für den Schädiger auf 700 Euro und für den Geschädigten auf 600 Euro. Der soziale Gesamtnutzen der beiderseitigen Aktivität erreicht seinen größten Wert von 736 Euro bei A∗s = A s 1, V s∗ = Vs 1, A∗g = Ag 1 und Vg∗ = Vg 1. In dieser Konstellation entstehen Vorsorgekosten beim Schädiger von 87 Euro und beim Geschädigten von 5 Euro sowie Schadenskosten in Höhe von 172 Euro. Die sozialen Gesamtkosten belaufen sich also auf 264 Euro. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist es nur dann wünschenswert, dass der einzelne Beteiligte – sei es der potentielle Schädiger oder der potentielle Geschädigte – seine Tätigkeit ausübt, wenn der jeweilige individuelle Nutzen diese auftretenden sozialen Gesamtkosten übersteigt. Ist der private Nutzen hingegen geringer, ist es aus sozialer Sicht vorzugswürdig, dass dieser Beteiligte seine Aktivität unterlässt und der andere Beteiligte, der den relativ größeren Nutzen aus seiner Tätigkeit hat, diese ausführen kann, ohne dass Kosten für Vorsorgemaßnahmen und den drohenden Schaden anfallen. 162 Wenn beispielsweise der Nutzen des Geschädigten aus seiner Aktivität Ag 1 lediglich 200 Euro, der des Schädigers bei A s 1 aber nach wie vor 500 Euro 160
Ob nun ein potentiell Geschädigter die gesamte Aktivität von z. B. 200 Einheiten Aktivität ausführt oder ob sich auf z. B. 200 Personen potentiell Geschädigter je eine Einheit Aktivität verteilt, ist irrelevant. Der Nutzen sei für jede Möglichkeit der Aktivitätsverteilung identisch. 161 s. o., vgl. Teil 2 A. III. 1. 162 Dafür ist es nicht einmal notwendig, dass der Nutzen dieses Beteiligten die sozialen Gesamtkosten übersteigt. Selbst wenn der Nutzen darunter liegt (z. B. 250 Euro), ist die Aktivität sozial wünschenswert, weil ja gerade keinerlei soziale Kosten anfallen, wenn nur ein Beteiligter seine Tätigkeit ausführt und somit weder Kosten für Vorsorge noch für drohende
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
169
betrüge, beliefe sich der soziale Gesamtnutzen in der Ausgangssituation nur noch auf 436 Euro (= 700 Euro – 92 Euro – 172 Euro). Deshalb wäre es hier wünschenswert, dass der Geschädigte seine Tätigkeit unterlässt und allein der Schädiger aktiv wird. Denn dann könnte dieser seine Vorsorge (im weiteren Sinne) auf null reduzieren (A s 2/Vs 0), sodass sich der soziale Gesamtnutzen auf 700 Euro (= 700 Euro – 0 Euro – 0 Euro) belaufen würde. Da aber im Beispielsfall der Nutzen beider (hier: je 500 Euro) die entstehenden sozialen Gesamtkosten (hier: 264 Euro) übersteigt, ist es geboten, dass sie auch beide ihre Aktivität ausführen. Unter dem Aspekt der Effizienz muss also ein Haftungssystem gefunden werden, das dem Schädiger Anreize zum Verhalten Vs 1/A s 1 sowie dem Geschädigten zum Verhalten Vg 1/Ag 1 vermittelt. Aufbauend auf der Analyse des bilateral variablen Vorsorgeniveaus bei konstantem Aktivitätsniveau sollen überhaupt nur diejenigen Haftungssysteme untersucht werden, die dort Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten vermittelt haben. Dementsprechend beschränkt sich die Untersuchung auf die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand und die Verschuldenshaftung mit und ohne Mitverschuldenseinwand. 163 a) Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand Wie oben gezeigt wurde, vermag es diese Haftungsregel, beiden Beteiligten Anreize zum Treffen effizienter Vorsorgemaßnahmen zu geben. 164 Der Schädiger hat, weil der Geschädigte das von ihm geforderte Maß an Vorsorge einhält und ihm somit kein Mitverschulden zur Last fällt, hier die gesamten Schadenskosten zu tragen. Infolge der Internalisierung dieser Kosten wird der Schädiger seine Aktivität nur dann erhöhen, wenn diese Erhöhung einen Nettogewinn an Nutzen mit sich bringt, und somit das effiziente Maß an Vorsorge wählen, weil er nur auf diese Weise auch seinen privaten Nutzen maximieren kann. 165 Die einzigen Kosten, die der Geschädigte hier zu tragen hat, sind die Kosten seiner Vorsorgemaßnahmen, die erforderlich sind, um dem Standard Vg◦ zu genügen und so dem Vorwurf des Mitverschuldens zu entgehen. Für seinen erlittenen Schaden wird er durch den Schädiger voll kompensiert. Aus diesem Grund wird er sein Aktivitätsniveau immer dann erhöhen, wenn sein privater Nutzen aus dieser Erhöhung die Schädigungen anfallen (soziale Kosten: 0 Euro). Wenn im Beispielsfall keine Fußgänger auf dem Feldweg wären, könnte S mit 30 km/h unterwegs sein und sein Aktivitätsniveau auf 200 erhöhen. Unabhängig davon, wie hoch sein Nutzen daraus ist, wäre diese Tätigkeit unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnenswert, weil durch sie keinerlei soziale Kosten entstehen. 163 Es wird hier nicht mehr zwischen den beiden Möglichkeiten, das Mitverschulden zu berücksichtigen, unterschieden, weil – wie gezeigt – beide identische Anreize vermitteln, solange V ◦ entsprechend V ∗ bestimmt wird. 164 s. o., vgl. Teil 2 A. III. 1. b) bb). 165 s. o., vgl. Teil 2 A. II. 2. b).
170
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
privaten Kosten der zusätzlichen Vorsorgemaßnahmen übersteigt: ΔNg > ΔVg . Im Beispielsfall macht es für ihn also Sinn, seine Aktivität von Ag 1 auf Ag 2 zu erhöhen. Solange er dabei das geforderte Vorsorgeniveau Vg 1 einhält, handelt er nicht schuldhaft und ihm entstehen zusätzliche Kosten von lediglich 5 Euro, während sich sein Nutzen um 100 Euro steigert – ein privater Nettogewinn von 95 Euro. Aus sozialer Sicht ist eine Erhöhung der Aktivität jedoch nur dann geboten, wenn ihr Nutzen die sozialen Gesamtkosten übersteigt: ΔN > ΔV + ΔS. Neben den zusätzlichen Vorsorgekosten von 5 Euro steigt aber außerdem der Schadenserwartungswert um 172 Euro an. Die zusätzlich entstehenden sozialen Gesamtkosten übersteigen somit den möglichen Nutzenzuwachs um 77 Euro. Eine Anhebung des Aktivitätsniveaus durch den Geschädigten ist daher sozial unerwünscht. Die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand kann also zwar das Vorsorgeniveau beider Beteiligten sowie das Aktivitätsniveau des Schädigers auf das effiziente Maß steuern. Für die Wahl der Aktivitätshöhe durch den Geschädigten vermittelt sie jedoch keine wirksamen Anreize: Vs = V s∗, A s = A∗s , Vg = Vg∗ , Ag > A∗g . b) Verschuldenshaftung mit und ohne Mitverschuldenseinwand Auch die Verschuldenshaftung kann die Vorsorge beider Beteiligten auf das effiziente Niveau steuern: Vs◦ = V s∗ und Vg◦ = Vg∗ . 166 Der Schädiger, der den geforderten Vorsorgelevel einhalten wird, handelt nicht schuldhaft und der entstehende Schaden verbleibt daher unkompensiert beim Geschädigten. Dieser wird seinerseits peinlich genau auf die Einhaltung des effizienten Aktivitätsniveaus achten, um seine privaten und – infolge der umfassenden Internalisierung der Schadenskosten – gleichzeitig auch die sozialen Kosten zu minimieren. Für den Schädiger hingegen sind diese Schadenskosten unbeachtlich. Er muss, solange er das von ihm geforderte Maß an Vorsorge Vs◦ einhält, den Schaden nicht ersetzen und wird daher seine Aktivität erhöhen, solange der Nutzen seine privaten Kosten aus der Vorsorge übertrifft: ΔN s > ΔVs . Im Beispielsfall wird S daher seine Aktivität von A s 1 auf A s 2 anheben, weil er dadurch einen zusätzlichen Nettonutzen von 113 Euro realisieren kann (ΔN s = 200 Euro, ΔVs = 87 Euro). Unter dem Aspekt der Gesamtnutzenmaximierung hingegen ist dieses Verhalten nicht wünschenswert, weil dem Nutzenzuwachs von 200 Euro ein Kostenzuwachs von insgesamt 259 Euro gegenübersteht (ΔVs = 87 Euro, ΔS = 172 Euro). Die Verschuldenshaftung kann also das Vorsorgeniveau beider Beteiligten sowie das Aktivitätsniveau des Geschädigten wirksam steuern, nicht aber das Aktivitätsniveau des Schädigers: Vs = V s∗, A s > A∗s , Vg = Vg∗ , Ag = A∗g . 166 s. o., vgl. Teil 2 A. III. 1. c) aa) und bb). Dies gilt gleichermaßen für die Verschuldenshaftung mit und ohne Mitverschuldenseinwand, weil es infolge der durch die Verschuldenshaftung gesetzten Anreize gar nicht zu der Situation kommt, in der die Mitverschuldensanordnung relevant werden würde.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
171
c) Vergleich der Haftungsregeln Die Anreizwirkungen, die von den verschiedenen Haftungsregeln ausgehen, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Haftungsregelung
Vorsorgemaßnahmen
Aktivitätsniveau
Schadenstragung
Schädiger Gesch. Schädiger Gesch. Schädiger Gesch. Keine Haftung
(–)
(+)
(–)
(+)
(–)
(+)
Gefährdungshaftung
(+)
(–)
(+)
(–)
(+)
(–)
Gefährdungshaftung mit Mitverschulden
(+)
(+)
(+)
(–)
(+)
(+)
Verschuldenshaftung
(+)
(+)
(–)
(+)
(+)
(+)
Verschuldenshaftung mit Mitverschulden
(+)
(+)
(–)
(+)
(+)
(+)
Abbildung 19
Keines der verfügbaren Haftungssysteme vermag es im Ergebnis, beiden Beteiligten zugleich Anreize zur Wahl des aus gesamtgesellschaftlicher Sicht optimalen Aktivitätsniveaus zu setzen. Durch die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand kann kein Einfluss auf das Aktivitätsniveau des Geschädigten und durch die Verschuldenshaftung mit oder ohne Mitverschuldenseinwand kein Einfluss auf das des Schädigers ausgeübt werden. Auch hier zeigt sich wieder die Symmetrie der beiden Haftungssysteme, indem die Steuerungsanreize exakt spiegelverkehrt auftreten. Der Grund dafür liegt letztlich in folgendem Dilemma begründet: Damit ein Beteiligter induziert wird, sein Aktivitätsniveau entsprechend dem effizienten zu bestimmen, ist es erforderlich, dass er die aus der Schädigung entstehenden Kosten zu tragen hat (residualer Kostenträger). Wegen der Charakteristik der zivilrechtlichen Haftung, dass der vom Schädiger zu zahlende Betrag an den Geschädigten fließt, ist es aber unmöglich, beiden Beteiligten zugleich die Schadenskosten aufzuerlegen. 167 Robert D. Cooter und Thomas S. Ulen beschreiben diese Zwickmühle plastisch: „To hit two policy targets, two controls are usually required, just as two stones are usually needed to hit two birds.“ 168 Somit lässt jedes 167 Die betrachteten Haftungsregeln sind Funktionen, die allein von den aus dem jeweiligen Maß an Vorsorge erwachsenen Kosten Vs und Vg und vom Betrag der drohenden Schädigung W(Vs , Vg ) × S abhängig sind, nicht aber vom Aktivitätsniveau der Beteiligten A s und Ag. Eine effiziente Steuerung auch des Aktivitätsniveaus ist nur dann möglich, wenn es gelingt, das Maß an Aktivität in den Begriff der Vorsorge und somit in die Funktion zu inkorporieren. Allerdings ist eine derartige Integration praktisch regelmäßig mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden. Dazu: Teil 2 A. II. 2. c); Shavell (1980), S. 7; Shavell (1987), S. 30.
172
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
zivilrechtliche Haftungssystem zwangsläufig das Aktivitätsniveau eines Beteiligten ungesteuert. Dies erklärt auch, warum auch eine Kumulation von Gefährdungsund Verschuldenshaftung in dieser Situation nicht weiterhilft. Denn selbst unter deren paralleler Geltung muss der Schädiger dem Geschädigten den verursachten Schaden entweder ersetzen oder nicht. Die zusätzliche Anspruchsgrundlage gibt also dem Geschädigten lediglich eine weitere Möglichkeit, den Ersatz seines Schadens zu erlangen, ändert aber nichts daran, dass der vom Schädiger zu zahlende Betrag dem Geschädigten zufließt. Um das Aktivitätsniveau beider Beteiligten zu steuern, muss neben der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung ein zweites Korrektiv in die Verhaltenssteuerung inkorporiert werden – also, um im Bild zu bleiben, ein „zweiter Stein“ zur Hand genommen werden. 169 In Betracht kommt dafür insbesondere eine staatliche Regulierung in Form von Steuern, Ge- und Verboten oder Strafen im weitesten Sinne. Beispielsweise könnte dem Schädiger im Fall der Schädigung ein Bußgeld in Höhe des Schadens auferlegt werden, während der Geschädigte unter dem Regime einer Verschuldenshaftung seinen tatsächlichen Schaden selber tragen muss. Umgekehrt könnte auch der Geschädigte mit einer Steuer belastet werden, die sich exakt auf den individuellen Schadenserwartungswert pro Einheit an Aktivität beläuft und die proportional mit dem Aktivitätsniveau ansteigt, wobei der Schädiger einer Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand unterliegt. Dann müssten beide Beteiligte einen Betrag in Höhe des entstandenen Schadens zahlen und würden das jeweils effiziente Aktivitätsniveau wählen, um ihre privaten Kosten zu minimieren. Da sich diese Arbeit jedoch allein mit der Steuerungswirkung der zivilrechtlichen Haftung befasst, ist zu untersuchen, welches der beiden Haftungssysteme die relativ beste Lösung bietet: „... [T]he choice [...] is a choice between the lesser of two evils.“ 170 Die Wahl hängt letztlich davon ab, wessen exzessiver Tätigkeitsumfang sozial schädlicher, d. h. kostenintensiver ist, das des potentiellen Schädigers oder das des potentiellen Geschädigten. Das hängt davon ab, wessen Verhalten typischerweise kostenträchtiger ist. Wenn etwa ein Verhalten des Schädigers, obwohl es mit der geforderten Sorgfalt ausgeführt wird, trotzdem noch mit einem überdurchschnittlich hohen Schadenserwartungswert verbunden ist (z. B. Ausführen eines aggressiven Kampfhunds), ist es wünschenswert, den Umfang dieser Aktivität zu minimieren. Daran ändert sich auch nichts durch die 168
Cooter / Ulen (2004), S. 333. Shavell (1980), S. 7; Shavell (1987), S. 29; H.-B. Schäfer / Wehrt (1989), S. 101; Cooter / Ulen (2004), S. 333; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 243. 170 Shavell (1980), S. 7. Diese Situation wird auch mit dem Begriff „Shavells Theorem“ belegt, weil Steven Shavell diesen unbefriedigenden Konflikt als Erster nachgewiesen hat. Wohlfahrtsökonomisch handelt es sich hierbei um die Suche nach der second best solution, weil die erstbeste Lösung – Steuerung der Aktivitätsniveaus beider Beteiligten – nicht möglich ist. 169
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
173
Überlegung, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auch durch eine Aktivitätszunahme des Geschädigten ansteigt. Insbesondere wenn es sich dabei um alltägliche Verhaltensweisen (wie etwa einen Spaziergang oder den Weg zur Arbeit) handelt, ist es aber nicht geboten, diese Aktivitäten zugunsten der freien Aktivitätssteuerung des Schädigers zu beschränken. Denn durch die Steuerung der gefährlicheren Schädigeraktivität gelingt regelmäßig eine wirkungsvollere Verringerung des Schadenserwartungswerts, als wenn allen potentiell Geschädigten die Pflicht auferlegt wird, der Gefahrenquelle aus dem Weg zu gehen. Zwar sind auch durchaus Fälle denkbar, in denen die Tätigkeit des Schädigers nicht sonderlich gefährlich ist, sobald sie mit der geforderten Sorgfalt ausgeführt wird (z. B. Fußball spielen auf einem Bolzplatz). Dann erscheint es nicht von derartiger Wichtigkeit, dessen Aktivitätsniveau zu beschränken. Stattdessen kann es sinnvoller sein, die Aktivität des potentiell Geschädigten zu steuern, durch die dieser sich erst in die Gefahr einer Schädigung gebracht hat (z. B. Spielen mit einem Kleinkind neben dem Tor des Bolzplatzes). Dementsprechend ist hier die Anordnung einer Verschuldenshaftung geboten. Auf diese Weise wird der potentielle Geschädigte zu einer Abwägung von Kosten und Nutzen gezwungen. Er wird also nur dann auch weiterhin mit seinem Kind neben dem Tor spielen, wenn sein Nutzen daraus die ihm drohenden Schäden übersteigt. Da regelmäßig durch Spielen an einem anderen Ort derselbe Nutzen erzielt werden kann (hohe Subsituierbarkeit der konkreten Tätigkeit), wird er in Zukunft einen solchen auswählen und somit die Gefahr des Schadenseintritts beseitigen. Hier wird ein präventiver Ansatz verfolgt, der – losgelöst vom Einzelfall – auf Verhaltenssteuerung im Vorfeld der Schädigung abzielt. Deshalb muss abstrakt für die gesamte betroffene Fallgruppe „Schmerzensgeld“ bestimmt werden, wessen Aktivitätsniveau typischerweise kostenintensiver ist. Schon an den oben dargestellten Beispielsfällen wird deutlich, dass Konstellationen, in denen besser das Aktivitätsniveau des potentiell Geschädigten gesteuert werden soll, zwar nicht abwegig, aber doch ungewöhnlich erscheinen. Für diese untypischen Situationen ist es hinzunehmen, dass durch die drohende Gefährdungshaftung der potentielle Schädiger in Ausnahmefällen sein Aktivitätsniveau ineffizient weit herabsetzt, wenn für den Regelfall eine effiziente Verhaltenssteuerung erreicht werden kann. Unter Berücksichtigung dessen sollte deshalb die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand angeordnet werden. Der potentielle Schädiger wird dadurch zu der Abwägung gezwungen, ob sein persönlicher Nutzen aus seiner Tätigkeit (etwa dem Ausführen und damit letztlich auch aus dem Halten des Kampfhundes) die durch diese verursachten sozialen Kosten, die durch die drohende Haftpflicht auch zu seinen privaten Kosten werden, übertrifft. Nur wenn dies der Fall ist, wird er seine Tätigkeit weiterhin ausführen. Ansonsten wird er sie aufgeben (hier: den Hund abgeben) und so die Gefahr eines Schadenseintritts bei einem sich sozial adäquat verhaltenden Dritten verhindern. Dagegen kann eine Verschuldenshaftung mit oder ohne Mitverschuldenseinwand Gefahrenquellen nicht zuverlässig verringern.
174
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
3. Zwischenergebnis Auf Basis dieser typisierenden Betrachtung ist für den bilateralen Fall des Schmerzensgeldes die Gefährungshaftung mit Mitschuldenseinwand als relativ bestes Haftungsregime heranzuziehen, um das Ziel der gesamtgesellschaftlichen Kostenminimierung zu verwirklichen.
IV. Die vorsätzliche Schädigung – ein Sonderfall Der Fokus der ökonomischen Analyse des Haftungsrechts war bis zu diesem Punkt auf nichtvorsätzliche Schädigungen gerichtet. Auch wenn in der Praxis die weit überwiegende Mehrzahl von Schädigungen unvorsätzlich geschehen mag, kommen dennoch immer wieder auch vorsätzliche Schädigungen vor. Sie zeichnen sich unter ökonomischen Gesichtspunkten durch eine Reihe von Besonderheiten aus, die es erforderlich machen, sie gesondert zu behandeln. 1. Besonderheiten unter ökonomischen Gesichtspunkten Für die rechtliche Beurteilung, ob ein Haftungstatbestand verwirklicht worden ist, ist die Frage, ob der Schädiger vorsätzlich gehandelt hat oder nicht, regelmäßig irrelevant: Bei der Gefährdungshaftung ist die Haftung ohnehin vom Vorliegen eines Verschuldens unabhängig und bei der Verschuldenshaftung wird innerhalb des Haftungstatbestands normalerweise kein Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gemacht. 171 Aus ökonomischer Sicht kommt der vorsätzlichen Begehungsweise aber dennoch eine Sonderstellung zu: Im Bereich des nichtvorsätzlichen Verhaltens wird ein Konflikt zwischen mehreren erlaubten Aktivitäten geregelt (z. B. die Nutzung eines Feldwegs als Radweg durch S einerseits und als Fußweg durch die potentiellen Geschädigten andererseits). Durch die Haftungsanordnung wird der Preis der jeweiligen Tätigkeit bestimmt, der dafür zu zahlen ist, dass es bei deren Ausführung zu Schädigungen kommen kann. Im Gegensatz dazu stellt die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung ein verbotenes Verhalten dar (z. B. eine Eigentumsverletzung durch einen Diebstahl). 172 „... [R]ules that impose liability for accidental harms do not license intentional harms. Punishing a forbidden act is different from pricing a permitted act.“ 173 Die Aufgabe, die sich dem Deliktsrecht aus ökonomischer Sicht stellt, ist also im Fall der vorsätzlichen 171 Exemplarisch sei nur auf § 823 Abs. 1 BGB hingewiesen (anders aber beispielsweise § 826 BGB). 172 Cooter (1991), S. 15; Posner (2003), S. 205. 173 Cooter (1991), S. 15. In diesem Sinne aus schon Epstein (1975), S. 391: „... [T]reating intentional harms differently from accidental ones is not difficult to see. With the intentional infliction of harms, it is not necessary to decide which of two innocent
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
175
Schädigung von der im Fall der nichtvorsätzlichen Schädigung zu unterscheiden. Für beide Fälle sind verschiedene Strategien notwendig. Während dort die richtigen Anreize dafür gesetzt werden sollen, dass das Maß eines Verhaltens, das zu einem fahrlässigerweise verursachten Unfall führt, auf die effiziente Höhe begrenzt wird, soll hier verhindert werden, dass sehenden Auges einem anderen ein Schaden zugefügt wird. a) Dafür ist es unumgänglich, zunächst die Fälle der vorsätzlichen von denen der unvorsätzlichen Schädigung abzugrenzen und somit letztlich den Begriff des Vorsatzes zu bestimmen. Dazu soll der maßgebliche Gesichtspunkt des Vorsatzes aus ökonomischer Sicht ermittelt und ausdifferenziert werden. Dies geschieht anhand verschiedener Beispielsfälle, in denen die Abwehrkosten des Schädigers in Relation zum Erwartungswert des Schadens gesetzt werden. 174 Fall
Quotient Wahrschein- Drohender Erwartungswert des Abwehrkosten lichkeit (W) Schaden Schadens (W × S) des Schädigers aus (Vs ) und (W × S) 175 (Vs ) (S )
1
1%
100 €
1€
100,00 €
100,000
2
1%
100 €
1€
0,90 €
0,900
3
1%
100 €
1€
0,25 €
0,250
4
90%
100 €
90 €
80,00 €
0,889
5
90%
100 €
90 €
100,00 €
1,111
6
10%
100 €
10 €
–1,00 €
–0,100
7
90%
100 €
90 €
–1,00 €
–0,011
8
90%
100 €
90 €
0,10 €
0,001
Abbildung 20
In Fall 1 sind die Kosten, die der Schädiger aufbringen muss, um den Schadenseintritt zu verhindern, deutlich höher als der Erwartungswert des Schadens. Um einen Euro an erwartetem Schaden abzuwenden, müssen 100 Euro aufgewendet werden. An diesem (Miss-)Verhältnis wird deutlich, dass eine Verhinderung durch den Schädiger ineffizient ist: Es handelt sich um ein Ereignis, das mit vertretbaren Kosten nicht abwendbar ist (z. B. die Gefahr, dass ein Tier unvermittelt auf die Straße läuft und getötet wird); ein Verschulden des Schädigers ist in dieser persons should be required to bear the loss in question. The element of intention makes the case an easy one, by allowing the loss to be placed upon the person who willed it, upon the person who is ‚bad‘ in the strongest sense of the word.“ 174 Landes / Posner (1987), S. 158 f.; Posner (2003), S. 208 f. 175 Diese Relationsbildung beruht auf dem Gedanken der Learned-Hand-Formel; dazu: Teil 2 A. II. 1. c) bb).
176
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Konstellation abzulehnen. Fall 2 ist der typische Fahrlässigkeitsfall, in dem die Kosten, die der Schädiger zur Vermeidung des Schadens aufbringen muss, knapp unter dem Erwartungswert des Schadens liegen. 176 Hier ist es geboten, dass der Schädiger den Schadenseintritt verhindert. Tut er dies nicht, handelt er schuldhaft und hat den Schaden (auch) im Rahmen einer Verschuldenshaftung zu ersetzen. Im dritten Fall liegen die Abwehrkosten signifikant unter dem Erwartungswert des Schadens. Dem Schädiger muss es hier einleuchten, dass von ihm ein entsprechender Aufwand zur Vermeidung des Schadens erwartet wird. Da die erforderliche Sorgfalt somit in besonders schwerem Maße verletzt wird, handelt es sich um einen Fall der groben Fahrlässigkeit. 177 Im vierten Fall ist die Wahrscheinlichkeit und entsprechend auch der Erwartungswert des Schadens erheblich höher (z. B. der Erwartungswert des Schadens pro Monat bei den Kurierfahrten des S ). Hier scheint es nahe zu liegen, dem Schädiger, der trotz der hohen Schadenswahrscheinlichkeit von 90% tätig geworden ist, den Vorwurf vorsätzlichen Handelns zu machen ist. Allerdings ist zu beachten, dass neben der Wahrscheinlichkeit auch die Schadensvermeidungskosten sehr hoch sind. Es ist letztlich allein die Höhe der Aktivität (z. B. bei S 100 Fahrten pro Monat), die sowohl die Wahrscheinlichkeit und damit den Erwartungswert des Schadens als auch proportional die Vorsorgekosten ansteigen lässt. Der Schädiger weiß zwar fast sicher, dass er irgendwann innerhalb des Betrachtungszeitraums (hier: ein Monat) durch seine Tätigkeit einen Schaden verursachen wird; er weiß aber nicht, durch welches konkrete Verhalten. Setzt man die Schadensabwehrkosten in Relation zum Erwartungswert des Schadens, so wird evident, dass der Quotient aus dem (hohen) Erwartungswert des Schadens und den (hohen) Abwehrkosten des Schädigers von der Aktivitätserhöhung unbeeinflusst bleibt. Dieser ist in Fall 2 und Fall 4 fast gleich – in Fall 4 sogar noch etwas geringer – und dementsprechend ist auch der Grad des Verschuldensvorwurfs ähnlich: In beiden Fällen handelt es sich um einfache Fahrlässigkeit. Noch deutlicher wird dies an Fall 5: Obwohl eine hohe Wahrscheinlichkeit und deshalb auch ein entsprechend hoher Schadenserwartungswert besteht, sind die Abwehrkosten noch höher. Hier ist es sogar ineffizient, den Schadenseintritt zu verhindern, dem Schädiger ist deshalb kein Verschuldensvorwurf zu machen. Allein eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts macht ein Verhalten somit noch nicht zu einer vorsätzlichen Schädigung. Richard A. Posner mahnt daher mit Recht: „We must be careful to distinguish intent from awareness. Otherwise we would fall into the trap.“ 178 176
s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. c). Deren Anforderungen formulierte der ehemalige amerikanische Bundesrichter Learned Hand im Fall Conway v. O’Brien, 111 F. 2d 611, 612 (2d Cir. 1940), rev’d on other grounds, 312 U.S. 492 (1941) folgendermaßen: „... [N]ot only must the interest which [the injurer, der Verf.] would have had to sacrifice [to avoid the accident, der Verf.] be less than the risk to which he subjects others, but it must so far fail to match that risk that some opprobrium or reproach attaches to him.“ 178 Posner (1985), S. 1221. In diesem Sinne auch Köndgen (2000), S. 688. 177
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
177
In Fall 6 dagegen ist die Eintrittswahrscheinlichkeit wieder verhältnismäßig gering. Was aber den grundlegenden Unterschied zu den vorhergehenden Fällen ausmacht, ist die Tatsache, dass die zur Abwehr des Schadens erforderlichen Kosten negativ sind, d. h. der Schädiger nimmt Kosten auf sich, er verbraucht extra Ressourcen, um die schädigende Tätigkeit auszuführen. Dies ist beispielsweise dann gegeben, wenn S sich am Rand des Feldwegs versteckt und mit Steinen auf Passanten wirft. Die Chance, dass er sie trifft und auch tatsächlich verletzt, beträgt lediglich 10%. Um den Eintritt des Schadens zu verhindern, müsste er diese ihm Kosten verursachende Tätigkeit (hier: Kosten von 1 Euro) schlicht unterlassen, wodurch er nicht nur den Schadenseintritt (hier: Erwartungswert von 10 Euro) verhindern, sondern auch seine Tätigkeitskosten (hier: 1 Euro) einsparen würde. Es ist also eine Einsparung sozialer Kosten in Höhe von insgesamt 11 Euro möglich. Trotz der relativ geringen Wahrscheinlichkeit der Schädigung handelt S daher vorsätzlich (dolus directus ersten Grades). Fall 7 verdeutlicht dies noch einmal. Wiederum handelt S , um zielgerichtet jemanden zu verletzen. Nur ist diesmal die Wahrscheinlichkeit erheblich höher (90%), weil er etwa mit seinem Fahrrad direkt auf die zu schädigende Person zufährt. Auch hier könnte die Schädigung dadurch verhindert werden, dass er die entsprechende Tätigkeit unterlässt und auf diese Weise sowohl deren Kosten einspart als auch die Schädigung verhindert. Hier liegt ebenfalls Vorsatz in Form des dolus directus ersten Grades vor. Ebenso ist in Fall 8 eine Schädigung höchstwahrscheinlich. Zu ihrer Verhinderung müsste der Schädiger diesmal allerdings aktive Vorsorge betreiben – wenn auch nur in geringem Umfang. Die Schadensvermeidungskosten nehmen dementsprechend in dieser Konstellation wieder einen positiven Wert an. Dem ist beispielsweise so, wenn S beschließen würde, Teile der Strecke mit geschlossenen Augen zurückzulegen, um sich zu entspannen. Er könnte diese Unfallgefahr dadurch beseitigen, dass er auf den (geringen) Nutzen aus der Entspannung seiner Augen verzichtete (Abwehrkosten = 0,10 Euro). Fall 8 unterscheidet sich von dem Fall 3 der groben Fahrlässigkeit dadurch, dass der Quotient hier dramatisch geringer ist und stark gegen null tendiert. Allerdings wurde Vorsatz in den Fällen 6 und 7 bisher nur dann angenommen, wenn der Quotient negativ war. Ein Vergleich von Fall 7 und Fall 8 ergibt folgendes Bild: In Fall 7 ist ein Schaden von 90 Euro zu erwarten, wenn der Schädiger Schadensverursachungskosten von 1 Euro (Vs = −1 Euro) auf sich nimmt, dagegen nur ein Schaden von 0 Euro, wenn der Schädiger untätig bleibt (Vs = 0 Euro). Durch effizientes Verhalten (V s∗ = 0 Euro) können also insgesamt 91 Euro gespart werden. Im Fall 8 ist ein Schaden von 90 Euro zu erwarten, wenn der potentielle Schädiger keine Vorsorgemaßnahmen ergreift (Vs = 0 Euro). Trifft er aber Vorsorge in Höhe von nur 0,10 Euro (Vs = 0, 10 Euro), beträgt der Erwartungswert des Schadens 0 Euro. Der Nettonutzen des effizienten Verhaltens, das diesmal bei V s∗ = 0, 10 Euro gegeben ist, beläuft sich hier also auf 89,90 Euro. Während die Kosten der Schadensvermeidung sehr niedrig sind, ist der soziale Nutzen sehr hoch. Auch wenn er knapp hinter dem in Fall 7 zurückbleibt, in dem der Schädiger in Verletzungsabsicht auf
178
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
sein Opfer zugefahren ist, ist er aber doch bedeutend höher als im Fall der groben Fahrlässigkeit (Fall 3). Fraglos stellt das absichtliche Handeln (Fall 6, 7) den eindeutigsten Fall vorsätzlichen Handelns dar. Dieses aber auch als den einzigen anzusehen, würde eine Diskontinuität in die Analyse des Deliktsrechts einführen, die der Denkweise der Ökonomie gemeinhin fremd ist. Es erschiene willkürlich, den (Grenz-)Fall 8 in eine komplett andere Kategorie einzuordnen als die Fälle 6 und 7. 179 Die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung ist hier bei der einzelnen Tätigkeit so hoch, dass der Schädiger die Schädigung eines Dritten bei jeder Fahrt mit geschlossenen Augen für möglich halten und in Kauf nehmen muss (dolus eventualis). Er handelt somit auch in Fall 8 vorsätzlich. Aus ökonomischer Sicht ist Vorsatz also immer dann gegeben, wenn der Quotient aus den Kosten für die Vermeidung des Schadens (Divisor) und den Kosten für den Erwartungswert des Schadens (Dividend) entweder einen negativen Wert oder einen extrem geringen Wert gegen null einnimmt. Dies resultiert jedoch nicht schon zwangsläufig daraus, dass bei vorsätzlichem Verhalten die Wahrscheinlichkeit und somit der Erwartungswert des Schadens regelmäßig recht hoch ist. Wie an den Fällen 4 bis 6 deutlich wird, ist dies weder notwendige noch hinreichende Bedingung für die Annahme von Vorsatz. 180 Das entscheidende Kriterium ist, dass die Abwehrkosten bei vorsätzlichem Handeln im Verhältnis zum erwarteten Schaden disproportional gering sind. Dies liegt darin begründet, dass der Schädiger, der die Möglichkeit des Schadenseintritts erkennt und billigt, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit in der Regel mit geringem Aufwand vermindern kann. Im Bereich des dolus eventualis ist ein relativ unbedeutender aktiver Aufwand nötig, wodurch der Quotient einen sehr geringen Wert über null einnimmt. Im Bereich der zielgerichteten Schädigung ist dagegen sogar nur ein passives Unterlassen der schädigenden Tätigkeit erforderlich, sodass die Abwehrkosten und damit auch der Quotient einen negativen Wert einnehmen. b) Auf den ersten Blick scheint sich das bisher entwickelte Modell für die unvorsätzlichen Schädigungen auch auf vorsätzlich zugefügte Schädigungen anwenden zu lassen. Denn dessen Schlussfolgerungen waren weder von der (hohen) Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts noch von der (disproportional geringen) Höhe der Schadensabwehrkosten abhängig. Es ergeben sich allerdings bei vorsätzlichem Verhalten aus zweierlei Gründen Besonderheiten gegenüber der Analyse nichtvorsätzlicher Schädigungen. 181 Erstens wurde bisher unausgesprochen unterstellt, dass der Schädiger aus der Schadenszufügung keinen Gewinn zieht. Das soll 179 Landes / Posner (1981b), S. 133; Landes / Posner (1987), S. 158 f.; Posner (2003), S. 206. 180 Landes / Posner (1981b), S. 129: „If the theory of intent thus goes too far in some cases, it does not go far enough in others.“ 181 Landes / Posner (1981b), S. 130; Landes / Posner (1987), S. 153; Kaplow / Shavell (1999), S. 13.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
179
nicht heißen, dass der Schädiger aus der zu einer nichtvorsätzlichen Schädigung führenden Tätigkeit keinen Nutzen erzielt. Selbstverständlich tut er dies, sonst hätte er ja keinerlei Anreiz, überhaupt tätig zu werden. So kommt S durch seine Fahrradkurierfahrten, auf denen es zu Unfällen mit Dritten kommt, zu einem guten Nebenverdienst. Der Nutzen des nichtvorsätzlichen Schädigers resultiert jedoch nicht aus der Schadenszufügung selbst (hier: dem Unfall), sondern aus der Ausführung derjenigen Tätigkeit, die das Risiko der Schädigung mit sich bringt (hier: die Kurierfahrten) – und zwar unabhängig davon, ob es im Einzelfall zu einer Schädigung kommt oder nicht. Die Schädigung stellt also lediglich ein (unerwünschtes) Nebenprodukt dieser Tätigkeit dar. Unerwünscht ist es deshalb, weil sich durch den Schadenseintritt nicht nur der Nutzen des nichtvorsätzlichen Schädigers nicht erhöht (hier: das Entgelt des S ), sondern sich sogar noch verringert (hier: durch drohende Schadensersatzzahlungen an den geschädigten Dritten). Im englischen Sprachgebrauch hat sich für diese Fälle, in denen der Schädiger aus dem Eintritt des Schadens keinen Gewinn erzielt (G = 0), der Begriff „utility from action“ („UFA“) eingebürgert. 182 Bei der vorsätzlichen Schädigung hingegen ist es regelmäßig so, dass der Schädiger gerade durch die Schädigung des anderen einen eigenen Gewinn erzielen kann und will. 183 Denn hier weiß er, dass er eine Rechtspflicht verletzt, und er weiß auch, dass diese Verletzung eine Verpflichtung zum Schadensersatz zur Folge haben wird. Zur Maximierung des persönlichen Nutzens ist eine vorsätzliche Schadenszufügung daher nur dann geboten, wenn der Nutzenzuwachs aus der Schädigung den Nutzenverlust in Höhe des zu erwartenden Schadensersatzes übersteigt (sog. equilibrium fault). 184 So wird der homo oeconomicus beispielsweise einen Diebstahl nur dann begehen, wenn der Wert der wegzunehmenden Sache den Erwartungswert des ihm drohenden Schadensersatzanspruchs übersteigt. 185 Der persönliche Nutzen des Schädigers erwächst also nicht aus der potentiell schädigenden Handlung, sondern unmittelbar aus der tatsächlichen Zufügung der Schadens: G > 0. In der eingeführten Terminologie handelt es sich um einen Fall des „utility from injury“ („UFI“). 186 Die Unterschiede werden deutlich, wenn es zu einer Schädigung kommt: Anders als beim „UFA“-Fall steigert der Schädiger beim „UFI“-Fall seinen Nutzen gerade durch die Schädigung. Während er dort also seinen Nutzen maximiert, wenn er nicht schädigt, maximiert er ihn hier, wenn er schädigt. 182
Biggar (1995), S. 3, 9 f. Landes / Posner (1987), S. 153 f.; Kaplow / Shavell (1999), S. 13. Dies gilt gerade nicht für den Grenzfall 8. Dort ist aber der Quotient aus Schadensabwehrkosten und Schadenserwartungswert so gering, dass es aus Gründen der Modellkonsistenz geboten ist, ihn als Fall der vorsätzlichen Schädigung zu behandeln. 184 Cooter (1982b), S. 86. 185 Zusätzlich zur zivilrechtlichen Ersatzpflicht drohende strafrechtliche Sanktionen bleiben hier unbeachtet. 186 Biggar (1995), S. 3, 9 f. 183
180
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Zweitens wurde bislang angenommen, dass ein durch den Schädiger aktiv getroffener Aufwand die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verringert. Im Beispielsfall ist die Schadenswahrscheinlichkeit sichtbar zurückgegangen, sobald S langsamer gefahren ist: W(Vs > 0) < W(Vs = 0). Mit anderen Worten: Das gebotene Vorsorgeniveau, das vom Schädiger gefordert wurde, um den Schadenserwartungswert zu minimieren, war immer ein positiver Wert: V s∗ > 0. Bei vorsätzlichem Verhalten dagegen wird der Schädiger gerade zielgerichtet tätig, um zu schädigen. So begibt sich beispielsweise der Dieb gerade deshalb zum Tatort und führt gerade deshalb die Wegnahmehandlung aus, damit ihm der Diebstahl der begehrten Sache gelingt. Um die Schädigung zu verhindern, müsste der Schädiger diese – ihm Kosten verursachende – Tätigkeit schlicht unterlassen. Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts steigt hier also durch das Tätigwerden des Schädigers an: W(Vs > 0) > W(Vs = 0). Da die Kosten, die der Schädiger zur Abwehr des Schadens eingehen müsste, daher einen negativen Wert einnehmen, minimiert der Schädiger seine privaten Vorsorgekosten nicht dann, wenn er den Geschädigten verletzt (so bei der unvorsätzlichen Schädigung: V s∗ > 0), sondern gerade dann, wenn er ihn nicht verletzt: V s∗ = 0. Diese beiden Aspekte stehen miteinander in Zusammenhang: Wenn der Schädiger Kosten auf sich nehmen muss, um die Schädigung zuzufügen, wird er dies nur dann tun, wenn er aus der Schädigung einen Gewinn erzielen kann (G > 0). 187 Die sozialen Gesamtkosten einer vorsätzlichen Schädigung lassen sich somit in folgender Formel ausdrücken, die eine Modifikation der Gleichung 1 ist: (Gleichung 3)
K = Vs + Vg + W(Vs , Vg ) × (S − G)
Die Konstellation der vorsätzlichen Schädigung soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Die Schadensvermeidungskosten des Schädigers (Vs ) 188 sollen sich auf einen Betrag von 10 Euro beziffern. Würde der Schädiger diese Kosten nicht auf sich nehmen, käme es entsprechend zu keiner Verletzung und somit auch zu keinem Schaden, d. h. V s∗ = 0. Der Erwartungswert des Schadens berechnet sich aus den Faktoren der Wahrscheinlichkeit und der Differenz von Schaden des Schädigers und Gewinn des Geschädigten: W(Vs ) × (S g − G s ). Die Schädigungswahrscheinlichkeit betrage im Fall der Ausführung der Verletzungshandlung 100%. Allein der zweite Faktor – die Differenz aus Schaden und Gewinn der Tätigkeit – ist somit variabel. Hierbei sind wegen der Besonderheit der vorsätzlichen Schadenszufügung, dass der Schädiger durch die schädigende Tätigkeit unmittelbar einen Gewinn erzielen kann, zwei grundlegende Konstellationen zu unterscheiden: In der ersten übersteigt der Gewinn den Schaden nicht (G s ≤ S g , 187
Landes / Posner (1987), S. 153. Der Begriff „Vorsorgekosten“ erscheint hier zu eng, weil der Schädiger bewusst Kosten auf sich nimmt, um die Zufügung der Schädigung zu ermöglichen. 188
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
181
Fall 1a und 1b), in der zweiten hingegen schon (G s > S g , Fall 2). Als jederzeit verfügbare Handlungsalternative wird als Fall 0 das Unterlassen der Schädigung als Bezugsgröße dargestellt. Vs
W(Vs )
Sg
Gs
Fall 0
0€
0%
0€
Fall 1a
10 €
100%
Fall 1b
10 €
100%
Fall 2
10 €
100%
W(Vs ) × (S g − G s )
Nutzen
0€
0€
0€
100 €
80 €
20 €
–30 €
100 €
100 €
0€
–10 €
100 €
120 €
–20 €
10 €
Abbildung 21
Anhand dieser Beispielsfälle soll nun überprüft werden, ob die zur Verfügung stehenden zivilrechtlichen Haftungssysteme die Beteiligten zu effizientem Verhalten induzieren können (3.). Dafür muss aber zunächst geklärt werden, durch welches Verhalten der soziale Nutzen maximiert wird (2.). 2. Effizientes Verhalten im Bereich der vorsätzlichen Schädigung Im Regelfall wird der Gewinn des Schädigers aus der vorsätzlichen Handlung geringer oder bestenfalls gleich dem Schaden des Geschädigten sein: G s ≤ S g . Ein Beispiel, in dem der Schaden den Gewinn übersteigt (G < S ), ist ein Diebstahl, bei dem der Dieb die gestohlene Sache geringer bewertet als der Bestohlene (z. B. S klaut einen Palandt in einer Buchhandlung, der für diese einen [Weiterverkaufs] Wert von 100 Euro, für S aber nur einen Wert von 80 Euro hat, Fall 1a). Eine Entsprechung von Schaden und Gewinn (G = S ) liegt dann vor, wenn der Schädiger das Diebesgut genauso hoch bewertet wie der Geschädigte (z. B. der gestohlene Palandt hat auch für S einen Wert von 100 Euro, Fall 1b). Da dem Schädiger für die Ermöglichung des Diebstahls und dem Geschädigten für die Verhinderung möglicher Diebstähle Kosten entstehen, ist der Gesamtsaldo aller Kostenfaktoren G, S und V in diesen Konstellationen negativ: G s − Vs − S g < 0. Daher ist es geboten, die geplante Aktivität schlicht zu unterlassen (Fall 0). Wenn der Gewinn des Schädigers jedoch die Höhe des Schadens übersteigt (beispielsweise wenn S den Palandt für sich mit 120 Euro bewertet, Fall 2), ist es durchaus denkbar, dass auch nach Abzug aller Kosten ein positiver Gesamtsaldo verbleibt. Die Vornahme einer solchen vorsätzlichen Schädigung scheint daher unter Effizienzgesichtspunkten gegenüber dem Unterlassen (Fall 0) vorzugswürdig zu sein – ein aus der Warte eines gesetzestreuen Juristen schier unerträglicher Gedanke. Zu seiner Beruhigung sei aber vorweggenommen, dass dieses Verhalten auch aus ökonomischer Sicht nicht geboten ist. Denn dem Schädiger bietet sich neben den Handlungsmöglichkeiten Schädigung (Fall 2) und Unterlassen der Schädigungshandlung (Fall 0) noch eine dritte Alternative: Er kann die Einwilligung des bisherigen Rechtsin-
182
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
habers einholen. So kann S im Beispielsfall den Wert des Palandt von 120 Euro für sich nicht nur durch Diebstahl realisieren, sondern auch dadurch, dass er das Buch im Einvernehmen mit dem bisherigen Eigentümer zum Preis von 100 Euro kauft. Genauso kann, wenn ein Persönlichkeitsrecht eines anderen betroffen ist, ein Lizenzvertrag ausgehandelt oder, wenn es um eine Körperverletzung geht, die vorherige Einwilligung des Betroffenen eingeholt werden. a) Beim Diebstahl nimmt der Schädiger einen Gegenstand des Geschädigten weg. Vergleichbar ist die Situation der Persönlichkeitsrechtsverletzung, etwa im Fall „Caroline von Monaco“: Der Schädiger berichtete über das Privatleben der monegassischen Prinzessin ohne deren Einwilligung. Er nahm sich – um in der Terminologie des Diebstahls zu bleiben – die Lizenz einfach. Der Schädiger nötigt dem Rechtsinhaber das Nutzungsrecht also einseitig ab (coercive transfer of wealth), das dieser ihm gegen Zahlung eines entsprechenden Geldbetrags auch über den Markt übertragen hätte (acquisitive tort). 189 In Anbetracht dieser Möglichkeit der Markttransaktion ist die vorsätzliche Aneignung fremder Rechtsgüter im Wege der Schädigung ineffizient. 190 Der Grund dafür besteht allerdings nicht darin, was der Schädiger getan hat. Die Veränderung der Güterallokation war durchaus erwünscht, da der Schädiger das Recht hier höher bewertet als der Geschädigte. Durch die Umverteilung des Rechts kann also ein volkswirtschaftlicher Gewinn von im Beispielsfall 20 Euro erzielt werden. Der Punkt ist vielmehr, wie der Schädiger es getan hat. Anstatt eine einvernehmliche Lösung zu suchen, hat er dem Betroffenen den Palandt bzw. die Lizenz an dessen Persönlichkeitsrecht einseitig abgenötigt. „... [T]he ‚evil‘ act was the defendant’s decision to take instead of acquire by voluntary agreement. [...] The legal evil, 189
Diese Bezeichnung geht zurück auf: Posner (1985), S. 1196. Dies gilt freilich nur unter der Bedingung niedriger Transaktionskosten. Da der Schädiger vorsätzlich einem anderen einen Schaden an dessen allgemeinem Persönlichkeitsrecht oder dessen körperlicher Unversehrtheit zufügen will, ist aber davon auszugehen, dass dem Schädiger die Person des Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit ihr in Verhandlungen eintreten kann. Es handelt sich hier eben gerade nicht um einen Unfall unter Fremden wie im Fall der nichtvorsätzlichen Schädigung. Dementsprechend darf aber das Ziel der Erzwingung von Markttransaktionen dann nicht gelten, wenn eine Transaktion zwischen den Beteiligten entweder gar nicht oder nur unter Überwindung beträchtlicher Hindernisse möglich ist. Dies ist bei vorsätzlichen Schädigungen dann denkbar, wenn der potentielle Schädiger zwar den von ihm erstrebten Gegenstand, nicht aber den Rechtsinhaber ausmachen kann. Als Beispiel sei der verirrte Wanderer angeführt, der in den Bergen eine Jagdhütte findet, in sie eindringt und die dort vorgefundenen Lebensmittel verzehrt (klassisches Beispiel nach Landes / Posner [1981b], S. 132). Der Nutzen des Wanderers übersteigt den Schadens des Eigentümers. Da aber keine Möglichkeit zu einer vertraglichen Einigung zwischen den beiden besteht, ist die Erzwingung einer Markttransaktion über das Haftungsrecht nicht wünschenswert. Wenn Verhandlungen unmöglich sind, kann es daher ausnahmsweise die optimale Lösung sein, den potentiellen Schädiger schädigen zu lassen und den Geschädigten für seinen Verlust zu kompensieren (effiziente Schädigung). 190
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
183
then, is [...] the contractual bypass.“ 191 Denn die einseitige Wegnahme durch den Schädiger führt nicht allein zu einer Veränderung der Güterallokation, sondern ruft auf Seiten des potentiellen Geschädigten Kosten zum Schutz seines Rechts hervor, die von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind. So hat der Geschädigte im Rahmen der Vertragsfreiheit das Recht, eigenständig darüber zu entscheiden, ob und mit wem er zu welchen Konditionen einen Überlassungsvertrag schließt. Um willkürliche Beeinträchtigungen seiner Rechte durch Dritte zu verhindern oder jedenfalls zu erschweren und somit um sicherzustellen, dass er sein Recht nur dann überträgt, wenn sein subjektives Interesse (hier: Weiterverkaufswert von 100 Euro) gewahrt ist, wird der potentiell Geschädigte Vorsorgemaßnahmen gegen mögliche Schädigungen ergreifen. Da aber der Schädiger, der die genauen Umstände der Schädigung kennt, jedenfalls mit geringerem Aufwand – nämlich durch schlichtes Unterlassen der Schädigungshandlung – den Schadenseintritt verhindern kann, sind diese Ressourcen, die der Geschädigte zum Schutz seiner Rechtsgüter aufwendet, aus gesamtgesellschaftlicher Sicht verschwendet. Zusätzlich resultiert eine weitere Verschwendung daraus, dass in Anbetracht dieser Vorsorgemaßnahmen des potentiellen Geschädigten auch der Schädiger zusätzliche Maßnahmen ergreifen muss, um seinerseits die Schutzvorkehrungen des Rechtsinhabers zu überwinden. 192 Diese Kostenspirale entsteht bei einer einvernehmlichen vertraglichen Lösung nicht, da die Zustimmung des Rechtsinhabers in die Übertragung des Rechts den einseitig abgenötigten Rechtstransfer in eine von beiden Seiten begehrte und somit bilateral nutzenmaximierende Transaktion verwandelt: 193 „Consent [...] 191
Haddock / McChesney / Spiegel (1990), S. 27. Landes / Posner (1987), S. 154 ff. Dies stellt eine Kostenspirale dar, die sich immer weiter in die Höhe schrauben wird, da beide Beteiligten immer weitergehende Vorkehrungen treffen werden, solange nur ihr privater Grenznutzen ihre privaten Grenzkosten übersteigt. Köndgen (2000), S. 682 führt als weiteres Argument gegen die einseitige Abnötigung an, dass auf diese Weise die Institution des Marktes und die ihm zukommende Allokationsfunktion geschwächt werde. 193 Auch bei einer vertraglichen Lösung entstehen den Beteiligten zweifellos Kosten für die Vornahme der Transaktion. Diese beschränken sich aber, da regelmäßig zumindest der Schädiger die Person des Geschädigten bestimmen kann (keine search costs), auf die Verhandlungskosten. Im Fall des Rechtsbruchs hingegen fallen ungleich höhere Kosten an, da ein Rechtsstreit geführt werden muss, der zunächst nur zwischen den Parteien – auch hier aber regelmäßig schon mit höherem Aufwand als bei den Vertragsverhandlungen – und später häufig vor Gericht geführt wird. Dabei fallen neben den privaten Kosten und den Rechtsanwaltsund Gerichtsgebühren des Schädigers und des Geschädigten auch noch weitere, von den Gebühren nicht abgedeckte soziale Kosten für den Unterhalt des gerichtlichen Systems an. Diese Kosten sind ungleich höher als die Verhandlungskosten. So ging der Fall „Caroline I“ durch drei Instanzen und wurde schließlich vom BGH noch einmal an das OLG Hamburg zurückverwiesen, damit dieses die genaue Summe des zu zahlenden Schadensersatzes festlege. Von der ersten Verletzung im Jahre 1991 bis zum letzten Urteil des OLG Hamburg 192
184
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
transforms the brawl into the boxing match.“ 194 Infolgedessen stellt der freiwillige Austausch über den Markt die effiziente Methode der Ressourcenallokation dar. 195 b) Grundlegend anders scheint sich die Situation im Fall der Körperverletzung darzustellen: Schlägt der Schädiger einem anderen – beispielsweise einem Nebenbuhler, der ihm seine Freundin ausgespannt hat – mit der Faust ins Gesicht, erzwingt er dadurch nicht die Übertragung geldwerter Positionen. Der Beweggrund für den Faustschlag liegt stattdessen allein darin, den anderen zu schädigen und aus dieser Schädigung einen Nutzen nicht finanzieller Art zu erzielen (z. B. Schadenfreude). Der vom Schädiger erstrebte Vorteil ist durch eine hypothetische Markttransaktion nicht zu realisieren und somit nicht substituierbar. Sein Nutzengewinn beruht vielmehr auf einer negativen Nutzeninterdependenz zwischen Schädiger und Geschädigtem (interdependent negative utility), d. h. der Nutzen des Schädigers erhöht sich dann – und nur dann –, wenn sich gleichzeitig der Nutzen des Geschädigten verringert (passion tort): 196 „The injurer benefits because the victim suffers harm.“ 197 In konsequenter Anwendung der ökonomischen Theorie erscheint es prima facie effizient, wenn der Schädiger hier schädigt, sobald seine Zahlungsbereitschaft den von dem Geschädigten als Schadensersatz geforderten Betrag übersteigt, vom 25. 07. 1996 vergingen fast fünf Jahre des Rechtsstreits. Allerdings stellen diese Kosten aus Sicht des Schädigers zum Teil externe Kosten dar, insbesondere die Steuergelder des Staates zum Unterhalt der Gerichte. Und auch die Anwalts- und Gerichtsgebühren, die er nur als unterlegene Partei des Rechtsstreits zu tragen hat (§ 91 ZPO), wird er regelmäßig nicht in seine Kalkulation einbeziehen, da er – sonst hätte er ja eine rechtmäßige Lösung gesucht – darauf vertraut haben dürfte, dass seine Verletzung unbemerkt, jedenfalls aber unentschädigt bleiben werde. Dazu: Landes / Posner (1987), S. 157; Shavell (2003), Kap. 4, S. 16. 194 Landes / Posner (1981b), S. 143. 195 Posner (1985), S. 1195; Landes / Posner (1987), S. 48; Kaplow / Shavell (1996a), S. 763; Cooter (1997), S. 78; Polinsky / Shavell (1998), S. 945 ff.; Polinsky / Shavell (2000), S. 771. 196 Solche passion torts sind nicht nur durch Körperverletzungen vorstellbar. Auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (z. B. durch eine Beleidigung) oder ein Diebstahl (z. B. durch die Wegnahme eines für den Dieb völlig wertlosen, für den Bestohlenen aber wertvollen Liebesbriefes) können solche passion torts darstellen. Es soll also keineswegs eine feste Einordnung von Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als acquisitive tort und von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit als passion tort vorgenommen werden. Vielmehr sollen die Beispiele lediglich der Verdeutlichung der jeweiligen Konstellation dienen. 197 Polinsky / Shavell (1998), S. 909 (Hervorhebung im Original). Ähnlich Posner (1985), S. 1198. Anders im Bereich der acquisitive torts: Dort profitiert der Schädiger auch dann von in vollem Umfang von seiner Schädigung, wenn der Geschädigte diese überhaupt nicht bemerkt. So realisiert sich der Nutzen aus dem Palandt für S (unabhängig davon, ob dieser nun 80, 100 oder 120 Euro beträgt) auch dann, wenn in der Buchhandlung niemand den Verlust des Buches bemerkt.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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sobald also der Schädiger die Schädigung höher bewertet als der Geschädigte den Schaden. Ein Beispiel kann anhand des Falls 2 gebildet werden, wenn S in Erwartung der von ihm empfundenen Schadenfreude infolge des Schlages ins Gesicht seines Nebenbuhlers abzüglich der ihm entstehenden Kosten 110 Euro zu zahlen bereit ist, der Schaden des Nebenbuhlers jedoch durch Zahlung von 100 Euro ausgeglichen werden kann. Anders als bei den acquisitive torts exisitiert hier auch keine alternative Marklösung, weil eine Transaktion kein Substitut für den abgenötigten Transfer darstellt. Denn nur der spontane Faustschlag, der den Nebenbuhler unverhofft und unvorbereitet trifft, ist S 110 Euro wert; für einen Boxkampf, in den der Geschädigte vorher eingewilligt hat, würde er hingegen nicht mehr als z. B. 20 Euro zahlen wollen. Seine die Zahlungsbereitschaft begründende Schadenfreude resultiert ja gerade aus dem Nötigungscharakter seines Verhaltens und lässt sich dementsprechend nicht über den Markt realisieren. 198 Diese Lösung, auf Grund derer Anreize zur Vornahme derartiger passion torts gesetzt werden müssten, vertreten jedoch nicht einmal die hardliner innerhalb der ökonomischen Analyse des Rechts. Stattdessen behilft man sich auf folgende Weise: Da der Gewinn des Schädigers bei einem passion tort auf einer negativen Nutzeninterdependenz beruht, kann der Schädiger durch eine solche Schädigung zwar seinen Nutzen vergrößern, im Gegensatz zu den acquisitive torts aber nicht seinen Reichtum. 199 Während eine Steigerung des privaten Reichtums zugleich immer auch die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt mehrt, sei dies für einen Nutzenzuwachs des Schädigers, der allein auf negativer Nutzeninterdepenz beruht, nicht der Fall. Der private Nutzengewinn des Schädigers aus der Verletzung wird als sozial wertlos (socially illicit utility 200) angesehen und bei der Berechnung des Gesamtnutzens außen vor gelassen. 201 Die Vornahme einer Schädigung ist im Rahmen eines solchen passion tort danach also auch nicht in einer dem Beispielsfall entsprechenden Konstellation wünschenswert, da sie aus sozialer Sicht keinerlei beachtlichen Nutzen, sondern allein Kosten verursacht.
198 Posner (1985), S. 1198 f.; Landes / Posner (1987), S. 157. Abweichend ist die Situation in dem gerade angesprochenen Fall des verirrten Wanderers, der in eine Jagdhütte einbricht und die dort gefundenen Lebensmittel verzehrt. Für den dortigen Diebstahl der Lebensmittel existiert ein konsensuales Substitut (Verkauf der Lebensmittel). Die Schädigung ist allein deshalb erforderlich, weil die Marktlösung wegen der hohen Transaktionskosten nicht verfügbar war. In diesem Fall ist die Schädigung also effizient, da durch sie der gesamtgesellschaftliche Reichtum gemehrt wird. Konsequenterweise ist dieser Fall der Schädigung als acquisitve tort einzuordnen. 199 Landes / Posner (1987), S. 157; Shavell (1987), S. 147 f.; Shavell / Polinsky (1998), S. 908 f. 200 Dieser Terminus geht zurück auf Stigler (1970), S. 527. Gleichbedeutend finden sich die Bezeichnungen „immoral / illegitimate benefit / satisfactions“. 201 Landes / Posner (1987), S. 157; Shavell (1987), S. 147 f.; Shavell / Polinsky (1998), S. 908 f.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Problematisch daran ist, dass eine normative Korrektur der an sich positiven ökonomischen Analyse erfolgt, die als erforderlich angesehen wird, weil die Ergebnisse der positiven ökonomischen Analyse im Gegensatz zu den allgemeinen rechtlichen und sittlichen Maßstäben stehen. 202 War es bisher so, dass die Frage des sozialen Werts bzw. Unwerts eines Verhaltens ohne Belang für die ökonomische Analyse war, wird nunmehr auf negativen Nutzeninterdependenzen beruhender Schädigergewinn ausgeklammert. Die dementsprechend vorzunehmende Kategorisierung von Nutzen als sozial wertlos (socially illicit) ist eine wertende Entscheidung, die sich letztlich danach ausrichtet, was die Gesellschaft zum sozialen Nutzen und zur sozialen Wohlfahrt hinzuzählen möchte und was nicht. Es existiert jedoch keine theoretische Grundlage für die Beurteilung der sozialen Wertigkeit von Nutzen. Dieser Ansatz ist empirisch leer, da er nicht erklärt, warum Nutzen, den der Schädiger infolge der Schädigung erzielt, zum Teil sozial wertlos und zum Teil wertvoll sein soll. 203 Es wird letztlich für diesen, die Erklärungskraft des Modells übersteigenden Problemfall eine spezielle Ausnahmeregelung geschaffen. Die ethischen Gesichtspunkte werden zu Beginn so in die positive Effizienzanalyse integriert, dass es nicht überraschen kann, dass sie am Ende auch die entsprechende Beachtung finden und dass der Faustschlag als ineffizient und damit unerwünscht erachtet wird. David Friedman spricht daher zutreffend von „defining the problem out of existence“ 204. Zwar dürfte ein solcher korrigierender Eingriff nur selten erforderlich werden. Denn zum einen dürfte die Motivation unternehmerischen Handelns auf Basis der Rationalitätsannahme nicht negativen Nutzeninterdependenzen, sondern einzig dem Ziel der Gewinnmaximierung entspringen. Danach kommt es nicht auf die Maximierung des Nutzens, sondern auf die Maximierung des Reichtums an. 205 Zum anderen handelt es sich im Bereich der negativen Nutzeninterdependenz bei dem hier gebildeten Fall um eine eher theoretische Ausnahmekonstellation. Es ist unwahrscheinlich, dass dasjenige Leid, das der Schädiger dem Geschädigten zufügt, zu einem überproportionalen Nutzen beim Schädiger führt. Dies sei am Extrembeispiel der Tötung verdeutlicht: Während der Gewinn des Schädigers endlich ist, ist der Verlust des Geschädigten unendlich. Auch in anderen Fällen der Schädigung ist das Ergebnis ähnlich. So wird ein Steinewerfer dann nicht mehr randalieren, wenn er die von ihm angerichteten Schäden ersetzen müsste, weil seine privaten Kosten dann infolge der Ersatzpflicht seinen privaten Nutzen in aller Regel übersteigen. Es besteht also eine grundlegende Unterproportionalität zwischen dem Gewinn des Schädigers, den er aus der Schädigung ziehen kann, und 202 Ellis (1982), S. 31: „normative determination“; S. 32: „normativ decision“; S. 33: „stipulation“. 203 Friedman (1989), S. 1128 – 1130; Haddock / McChesney / Spiegel (1990), S. 12 f. 204 Friedman (1989), S. 1130. Im Grundsatz ebenfalls kritisch: Polinsky / Shavell (1998), S. 909, Fn. 125; Shavell (2003), Kap. 4, S. 15, Fn. 89. 205 Landes / Posner (1987), S. 157, Fn. 9; Polinsky / Shavell (1998), S. 908 –910.
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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dem Verlust des Geschädigten. 206 Trotzdem deckt die in dieser zumindest denkbaren Fallkonstellation vorzunehmende Korrektur eine Schwäche des Ansatzes auf, indem sie zu einem Bruch mit der positiven Methode des effizienzorientierten Analyseinstruments zwingt, da ihr mit rein ökonomischen Mitteln nicht beizukommen ist. Durch den dargestellten Eingriff muss diese Schwäche – gleichsam künstlich von außen kommend – korrigiert werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, dass passion torts in jeder denkbaren Konstellation ineffizient und daher nicht wünschenswert sind. Nach allem ist jedoch festzuhalten, dass sowohl im Bereich der acquisitive torts als auch im Bereich der passion torts – wenn auch nur über Umwege – eine vorsätzliche Schädigung auf Basis der ökonomischen Theorie unter Effizienzgesichtspunkten nicht wünschenswert ist. 3. Anreizvermittlung durch die Haftungssysteme Die Untersuchung der von den Haftungssystemen ausgehenden Verhaltensanreize kann für die Geldentschädigung sowie für das Schmerzensgeld gemeinsam vorgenommen werden, da es sich im Bereich der vorsätzlichen Schädigung jeweils um einen Fall der unilateralen Schadensverursachung handelt. Während diese Einordnung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht den oben aufgestellten Grundsätzen entspricht, mag sie aber für den Fall der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit verwundern, wurde diese Konstellation doch bisher als ein Fall bilateraler Schadensvorsorge bezeichnet. 207,208 Die obige Untersuchung beruhte aber auf der Annahme, dass es sich um eine nichtvorsätzliche Schädigung der körperlichen Unversehrtheit handele. Kann der Schädiger dort die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch Vorsorgemaßnahmen lediglich verringern, kann er hier den Eintritt des Schadens mit Sicherheit vermeiden, indem er das schädigende Verhalten schlicht unterlässt: Wenn er nicht mit Verletzungsabsicht zuschlägt, kommt es auch nicht zu einer Körperverletzung beim potentiell Geschädigten. 209 Gewiss kann sich der Geschädigte auch in diesen Fällen grundsätzlich gegen eine ihm drohende Schädigung schützen. Da er aber nicht weiß, von wem ihm wann welche Schädigung droht, ist eine Vorsorge für ihn nur mit disproportional höherem Aufwand möglich und somit ineffizient. 210 Anders als bei der unvorsätz206
Posner (1985), S. 1197; Posner (2003), S. 207. s. o., vgl. Teil 2 A. I. 2. 208 Entsprechendes gilt selbstverständlich auch für die vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung, die gemäß § 253 Abs. 2 BGB ebenfalls dazu führen kann, dass ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen ist. 209 Dies gilt so nur für die Fälle des direkten Vorsatzes. Im Fall des Eventualvorsatzes (Fall 8) sind die dem Schädiger entstehenden Kosten in Relation zu den Abwehrkosten des Geschädigten jedoch verschwindend gering, sodass die hier getroffene Wertung auch für diese Fälle übernommen werden kann. 207
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
lichen Schädigung trägt also bei der vorsätzlichen allein der Schädiger die Bürde der Schadensvermeidung: Vg∗ = 0. 211 Das vom Schädiger zu fordernde Verhalten besteht darin, dass er die auf die Herbeiführung des schädigenden Erfolgs abzielende Tätigkeit unterlässt: V s∗ = 0. 212 Folglich werden auch beim Schmerzensgeld die entstehenden Kosten durch das Vorsorgeniveau V s∗ = 0, Vg∗ = 0 minimiert. Exemplarisch sei für die Körperverletzung der gezielte Faustschlag ins Gesicht des Geschädigten und für die Persönlichkeitsrechtsverletzung die vereinfachte Nachbildung des Falles „Caroline von Monaco“ 213 angeführt, in dem der schädigende Verlag einen frei erfundenen Artikel unter dem Deckmantel eines „Exklusiv-Interviews“ mit Caroline von Monaco abdruckte und angebliche private Details aus dem Leben der Prinzessin veröffentlichte. a) Im Fall der Haftungsversagung hat der Schädiger einzig seine Schadensvermeidungskosten (Vs ) zu tragen, während ihm der aus der Schädigung erwartete Gewinn (G s ) in voller Höhe zufließt. Die Schadenskosten (S g ) verbleiben bei dem Geschädigten und stellen deshalb für den Schädiger unbeachtliche externe Kosten dar. Solange sein Gewinn größer ist als seine eigenen Kosten, die ihm aus der Zufügung der Verletzung entstehen (G s > Vs ), wird der Schädiger daher Dritte verletzen, und zwar unabhängig davon, ob dieser Gewinn größer oder kleiner ist als der Schaden, den er dem Geschädigten zufügt. Die Haftungsversagung vermittelt dem Schädiger somit keinerlei Anreize, Rechte anderer zu achten. Um seinen eigenen Gewinn zu maximieren, wird er in dieser Konstellation geradezu dazu angehalten, fremde Rechte zu verletzen. b) Wird hingegen eine Gefährdungshaftung angeordnet, muss der Schädiger in jedem Fall, also gerade auch bei einer vorsätzlichen Rechtsverletzung, den entstandenen Schaden ersetzen. Die Schadenskosten und somit alle anfallenden Faktoren (Vs , S g und G s ) werden dadurch beim Schädiger internalisiert. Wie schon bei der unvorsätzlichen Schädigung festgestellt, berücksichtigt er daher im Rahmen seines privaten Kosten-Nutzen-Kalküls alle sozialen Kosten und mini210
s. o., vgl. Teil 2 A. I. 2. Da von dem Geschädigten kein (positives) Maß an Vorsorge gefordert wird (Vg∗ = 0), kann ihn entsprechend auch nicht der Vorwurf eines Mitverschuldens treffen. Müsste der Geschädigte nämlich den Einwand des Mitverschuldens fürchten, erhielte er Anreize, selbst Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen (Vg∗ > 0), um eine eventuell bevorstehende Schädigung durch einen Dritten zu verhindern oder jedenfalls zu erschweren. Da die effiziente Schädigeraktivität aber ohnehin null ist (V ∗s = 0), würde jede Form von Vorsorge durch den Geschädigten zum Selbstschutz aus sozialer Sicht eine reine Verschwendung von Ressourcen darstellen. Dazu: Landes / Posner (1987), S. 155; Posner (2003), S. 206 f. 212 Dies gilt nur für Fälle des direkten Vorsatzes (z. B. Fall 6 und 7). Im Fall des dolus eventualis (Fall 8), in denen die ausgeführte Tätigkeit nicht zielgerichtet die Schadenszufügung beabsichtigt, ist das vom Schädiger zu fordernde Vorsorgeniveau hingegen nicht null, sondern beläuft sich auf den (relativ sehr geringen) Wert, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auf das effiziente Maß reduziert wird. 213 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 – „Caroline I“. 211
A. Ausgestaltung des Haftungstatbestands (Haftungsbegründung)
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miert deshalb mit seinen privaten Kosten zugleich die sozialen Gesamtkosten. 214 An dieser Stelle wird nun aber die Differenzierung in die beiden Unterfälle 1 und 2 relevant: Für den Fall, dass der Schädigergewinn den Schaden nicht übersteigt (G s ≤ S g , Fälle 1a und 1b), sind die dem Schädiger aus der Schädigung entstehenden privaten Kosten so hoch, dass sein potentieller Gewinn davon aufgezehrt wird und die Schädigung dem Schädiger ein privates Defizit beschert. Er wird die Schädigung deshalb unterlassen (also: Fall 0). Im Fall 2 (G s > S g ) hingegen kann der Gewinn so groß sein, dass dem Schädiger, obwohl er die gesamten sozialen Kosten zu tragen hat, ein Nettogewinn verbleibt: G s − (S g + Vs ) > 0. Um seinen privaten Nutzen zu maximieren, wird er daher die schädigende Handlung ausführen. Die Gefährdungshaftung kann den Schädiger somit nicht zuverlässig induzieren, die wünschenswerte Verhaltensweise zu wählen, d. h. die Schädigung zu unterlassen (Fall 0) und gegebenenfalls das erstrebte Gut über den Markt zu erwerben. c) Im Rahmen der Verschuldenshaftung wird ein Sorgfaltsmaßstab V ◦ aufgestellt, bei dessen Unterschreiten der Schädiger den Schaden des Geschädigten ersetzen muss. Die Höhe dieses im Einzelfall durch die Gerichte zu bestimmenden Maßstabs ist fundamental von der Ausgestaltung der jeweiligen Haftungsnorm abhängig. Dabei reicht die Bandbreite der rechtlich geforderten Vorsorge V ◦ von einfacher Fahrlässigkeit bis hin zu Vorsatz. 215 Unabhängig davon, wie hoch (bzw. niedrig) dieser Maßstab angesetzt ist, verstößt der Schädiger aber in jedem Fall gegen den rechtlich geforderten Sorgfaltsmaßstab V ◦ , wenn er die Schädigung vorsätzlich zufügt. 216 Da er deshalb auch unter Geltung einer Verschuldenshaftung immer einer Haftung für den entstandenen Schaden unterliegt, internalisiert er die Schadenskosten in voller Höhe, sodass für ihn auch hier alle Kostenfaktoren beachtlich sind. Es ergibt sich dementsprechend in dieser Hinsicht kein Unterschied zur Gefährdungshaftung. Denn wenn der Verschuldensgrad so hoch ist, dass der Schädiger zwangsläufig schuldhaft handelt, transformiert sich die Verschuldenshaftung in eine Gefährdungshaftung. 217,218
214
s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. b). Im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB handelt der Schädiger schon dann schuldhaft, wenn ihm einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Die Annahme von Verschulden bei § 826 BGB setzt dagegen zwingend vorsätzliches Handeln voraus. 216 Vgl. dazu: § 276 Abs. 3 BGB. 217 Rubinfeld (1987), S. 384 f.; Shapiro (1991), S. 6. 218 Auch die oben für den Fall der unvorsätzlichen Schädigung herausgearbeitete Schwäche der Verschuldenshaftung im Hinblick auf die Aktivitätssteuerung des Schädigers bleibt hier ohne Relevanz. Dort wurde nachgewiesen, dass der Schädiger, sobald er den geforderten Sorgfaltsmaßstab V ◦ einhält, seine Aktivität auf ein sozial exzessives Maß erhöhen kann, ohne dass diese Größe durch die Verschuldenshaftung gesteuert werden kann (dazu: Teil 2 A. II. 1. c)). Da er hier die Schädigung ja aber gerade vorsätzlich zufügt, liegt sein tatsächliches Vorsorgeniveau immer unterhalb des rechtlich geforderten: Vs < Vs◦. Der 215
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Folgerichtig wird der Schädiger daher im Fall 1 (G s ≤ S g ) die Schädigung unterlassen und sich somit effizient verhalten. Sobald der Gewinn des Schädigers aber den Schaden übersteigt (G s > S g , Fall 2), ergeben sich – folgerichtig – im Bereich der Verschuldenshaftung die gleichen Probleme wie bei der Gefährdungshaftung. Selbst wenn der Schädiger den Schaden der Geschädigten in voller Höhe zu ersetzen hat, kann sich die Verletzung unter Umständen für den Schädiger trotzdem noch „rechnen“. Auch die Verschuldenshaftung kann dem Schädiger daher keine Anreize zu umfassend effizientem Verhalten vermitteln. 4. Zwischenergebnis Für die vorsätzliche Schädigung ergibt sich folgendes Ergebnis: Sofern der aus der schädigenden Tätigkeit zu erzielende Gewinn des Schädigers den Schaden der Geschädigten nicht übersteigt (G s ≤ S g ), setzen die Gefährdungshaftung wie auch die Verschuldenshaftung dem Schädiger gleichermaßen Anreize zum Unterlassen der Schädigungshandlung. Für den Fall, dass der Gewinn den Schaden übersteigt (G s > S g ), können jedoch beide Haftungssysteme den Schädiger nicht zuverlässig von einer Schädigung abhalten. Die Verwirklichung der ökonomischen Vorgabe ist also allein über den haftungsbegründenden Tatbestand nicht möglich. Realisierbar erscheint eine solche Anreizvermittlung mit Hilfe einer Erhöhung der dem Schädiger drohenden Schadensersatzhaftung. Ob und gegebenenfalls wie dies zu geschehen hat, ist eine Frage, die in Teil 2 B. IV. geklärt werden wird.
V. Zwischenergebnis Ausgangspunkt der Suche nach dem unter Effizienzgesichtspunkten optimalen Haftungsregime ist die Überlegung, dass das Haftungssystem den Beteiligten Anreize vermitteln muss, das gesamtgesellschaftlich optimale Maß an Schadensvorsorge V ∗ zu treffen, damit die aus dem schadensträchtigen menschlichen Verhalten resultierenden sozialen Gesamtkosten minimiert werden. Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das einen unilateralen Fall der Schadensvorsorge darstellt, gelingt dies durch die Anordnung einer Gefährdungshaftung. Im bilateralen Vorsorgefall der Körperverletzung ist es nicht möglich, das Vorsorgeverhalten (im weiteren Sinne) beider Beteiligten durch die Anordnung einer Haftung effizient zu steuern. Die Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand lässt das Aktivitätsniveau des Geschädigten, die Verschuldenshaftung mit oder ohne MitverschulSchädiger ist also bei der vorsätzlichen Schädigung nicht in der Lage, bei Ausführung der schädigenden Tätigkeit den geforderten Sorgfaltsmaßstab V ◦ einzuhalten. Er unterschreitet somit V ◦ , handelt schuldhaft und muss den entstehenden Schaden ersetzen. Unter diesen Umständen muss er die Kosten in Höhe des Schadenserwartungswerts internalisieren. Er wird deshalb davon absehen, seine Aktivität zu erhöhen.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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denseinwand spiegelbildlich das Aktivitätsniveau des Schädigers ungesteuert. Da das Maß an quantitativer Vorsorge auf Seiten des potentiellen Schädigers im Hinblick auf die Kostenminimierung typischerweise kostenwirksamer ist, ist eine Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand vorzuziehen. Im Sonderfall der vorsätzlichen Schädigung vermitteln die Gefährdungshaftung wie auch die Verschuldenshaftung identische Verhaltensanreize. Sofern der Gewinn des Schädigers den von ihm verursachten Schaden übersteigt, kann ihn allerdings keine von beiden verlässlich dazu induzieren, die gesamtgesellschaftlich trotzdem nicht wünschenswerte Schädigung zu unterlassen. Insoweit ist eine Unterstützung der Anreizwirkung durch die Haftungshöhe erforderlich.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge) „Who steals my purse steals trash; ’tis something, nothing; ’Twas mine, ’tis his, and has been slave to thousands; But he that filches from me my good name Robs me of that which not enriches him, And makes me poor indeed.“ 219 William Shakespeare
Im vorhergehenden Teil wurde analysiert, welche Anreize die verschiedenen Haftungsregeln den Beteiligten vermitteln. Insoweit ging es bislang ausschließlich um das „Ob“ der Haftung, nicht aber um das „Wieviel“. Es wurde dabei durchweg angenommen, dass sich die Ersatzpflicht des Haftenden (E) exakt auf den beim Geschädigten entstandenen Schaden (S ) beziffert: E = S (perfect compensation). In diesem Fall wird der Schädiger sowohl unter dem Regime einer Gefährdungsals auch unter dem einer Verschuldenshaftung das effiziente Maß an Vorsorge V ∗ wählen, weil er nur so seinen privaten Nutzen zu maximieren vermag. 220 Eine Reihe von Einflussfaktoren kann jedoch bewirken, dass die Höhe der Ersatzpflicht von der Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens abweicht (I.). Denn der dem Geschädigten tatsächlich entstehende Schaden auf der einen und die dem Schädiger drohende Ersatzpflicht auf der anderen Seite sind streng voneinander zu unterscheiden. 221 Und die Anreizwirkung der Haftung hängt für den homo oeconomicus nicht von der Höhe des erwarteten Schadens, sondern allein von der Höhe des Erwartungswerts der ihn treffenden Ersatzpflicht ab: „... [P]urely selfish actors are not concerned with the harm [...] suffered by others, but only with their own expected liability.“ 222 Dementsprechend ist im nächsten Schritt zu untersuchen, 219 220 221 222
Shakespeare (1604, 2003), Akt III, Scene 3, Vers 180 –184 (Iago zu Othello). s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. In dieser Deutlichkeit zuerst: Komesar (1974), S. 457. Cooter / Ulen (2004), S. 375.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
wie sich Abweichungen zwischen E und S auf die von den Haftungssystemen vermittelten Verhaltensanreize auswirken (II.). Im dritten Schritt werden dann Vorschläge erarbeitet, auf welche Weise den bestehenden Abweichungsgründen und den daraus resultierenden Anreizverzerrungen entgegengewirkt werden kann (III.). Zuletzt wird dann wiederum auf die Besonderheiten einer vorsätzlichen Schädigung einzugehen sein (IV.).
I. Abweichungsgründe Eine umfassende Kompensation setzt die korrekte Bewertung und die umfassende Geltendmachung des entstandenen Schadens voraus. Eine Abweichung zwischen der Höhe des Schadens und der Höhe der Ersatzpflicht kann sich aus mehreren, konzeptionell verschieden gelagerten Gründen ergeben, nämlich aus Schwierigkeiten bei der Bewertung des Schadens in Geld (1.), aus quantitativen Begrenzungen des ersatzfähigen Schadens (2.) und aus Geltendmachungsdefiziten (3.). 1. Monetarisierungsproblem Grundlegende Probleme, die Ersatzpflicht exakt auf die Höhe des Schadens festzulegen, ergeben sich dann, wenn der Schaden ganz oder zumindest teilweise an Gütern eintritt, deren Beschädigung sich nicht oder nur schwer in Geld bemessen lässt. Im Rahmen der bisherigen Untersuchungen wurde der Schaden immer auf einen exakt bestimmten Geldbetrag beziffert und auf diese Weise die Monetarisierungsproblematik ausgeblendet. Diese Vereinfachung soll nun insoweit aufgegeben und das Modell dadurch der Realität angenähert werden, als es infolge einer Schädigung in drei aus ökonomischer Sicht zu unterscheidenden Teilbereichen zu einer Verringerung des privaten Nutzens des Geschädigten kommen kann. 223 Der erste – und bisher einzig betrachtete – Bereich beinhaltet Güter, die sowohl zum Konsum als auch zur Produktion anderer Güter eingesetzt werden können (Geld). Bereich 2 umfasst Güter, die mit k Einheiten an Geld hergestellt werden können und die ihrerseits allein dem Konsum dienen (ersetzbares / produzierbares Gut). Bereich 3 schließlich besteht aus Gütern, die ebenfalls allein dem Konsum dienen, aber nicht durch den Einsatz von Geld produziert werden können (unersetzbares / nicht produzierbares Gut 224). 225 Dabei soll angenommen werden, dass der Nutzen von jeder Einheit Geld 1 ist. 226 Aus x Einheiten an Geld, über die 223
Diese Erweiterung des Schadensmodells geht zurück auf Shavell (1987), S. 133 f. Diese „Unersetzbarkeit“ soll hier zunächst unterstellt werden. Der Nachweis dafür findet sich später in Teil 2 B. III. 1. a) aa) (3). 224
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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jemand verfügt, zieht er somit den Nutzen x. Der Nutzen, den er von der ersten Einheit des produzierbaren Guts hat, betrage y. Zur Vereinfachung sei unterstellt, dass er aus einer weiteren Einheit dieses Guts keinen zusätzlichen Nutzen ziehen möge, d. h. seine Nachfrage belaufe sich auf genau eine Einheit. Der persönliche Nutzen übersteigt dabei die Kosten, die aufgewandt werden müssen, um dieses Gut herzustellen: y > k. 227 Weiterhin erziele der Einzelne aus der ersten Einheit des unersetzbaren Gutes den Nutzen z, aus weiteren Einheiten dieses Gutes könne er wiederum keinen zusätzlichen Nutzen ziehen. Sein privater Gesamtnutzen setzt sich aus der Summe der Einzelnutzen zusammen, die er aus diesen drei Gütergruppen zieht: N = x + y + z. Der soziale Gesamtnutzen ergibt sich entsprechend aus der Summe aller dieser so bestimmten privaten Gesamtnutzen. Kommt es zu einer Schädigung, kann auf Seiten des Geschädigten eine Einbuße an allen drei Arten von Gütern entstehen. Um die Verringerung des Gesamtnutzens durch einen Schaden zu bestimmen, muss die jeweilige Einbuße an den einzelnen Gütern beziffert und somit die Betrachtung auf das konkret betroffene Gut individualisiert werden. Wenn der Geschädigte durch einen Schaden eine Einheit an Geld verliert, beträgt der Nutzenverlust im ersten Bereich 1. Verliert er eine Einheit des produzierbaren Gutes, beläuft sich sein Nutzenverlust im zweiten Bereich auf die Anzahl der Einheiten an Geld, die notwendig sind, um dieses Gut herzustellen: die Produktionskosten k. Dieser Einsatz von k Einheiten Geld zur Herstellung reduziert zwar den Sozialnutzen, er ist aber dennoch wünschenswert, weil der Nutzen y aus diesem Gut die Kosten k übersteigt. Wenn schließlich ein unersetzbares Gut beschädigt wird, kann die Einbuße definitionsgemäß nicht unmittelbar durch Einsatz von Geld ausgeglichen werden. Die Möglichkeit, aus dem konkreten unersetzbaren Gut den Nutzen z zu ziehen, ist vielmehr unwiederbringlich verloren. Der Schaden 225 Was unersetzbar ist, hängt zu einem gewissen Grad vom technologischen bzw. medizinischen Standard ab. Beispielsweise kann eine bestimmte Verletzung, die vor einigen Jahrzehnten noch zu einer dauerhaften Schädigung oder Entstellung geführt hat, heute weitgehend heilbar sein. Eine solche Schädigung führt somit zu einem Schaden in Bereich 2 und nicht mehr zu einem Schaden in Bereich 3. 226 Dies entspricht der Annahme der Risikoneutralität; vgl. Teil 2 A. I. 3. c). 227 Wenn der Nutzen, den der Verbraucher aus einem Gut gewinnt, dessen Kosten nicht übersteigt, würde er es nicht kaufen. Dazu: Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 52 f. Auf inhomogenen Märkten kann es vorkommen, dass der Nutzen y geringer ist als der Herstellungspreis k. Dies führt zu Verzerrungen des Modells. Angenommen, jemand hat eine goldene Krawattennadel geerbt, die er für 200 Euro verkaufen kann, für die er für 400 Euro ein Äquivalent erwerben könnte und die für ihn selbst einen Wert von 300 Euro hat. Wird die Krawattennadel durch einen Dritten zerstört, erhält der Erbe Schadensersatz in Höhe des Marktpreises von 400 Euro. Obwohl die Nadel an sich ersetzbar ist, wird der Erbe sie nicht ersetzen, weil sein Nutzen aus der Nadel y (produzierbares Gut) geringer ist als der der 400 Euro (Geld). Eingehend zu dieser Ausnahmekonstellation der konkreten Unersetzbarkeit von abstrakt ersetzbaren Gütern auf inhomogenen Märkten: Cook / Graham (1977), S. 145, Fn. 6.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
beläuft sich daher auf den verlorenen Nutzen z. Unter dem Strich ergibt sich also, dass der Verlust von einer Einheit Geld zu einem unmittelbar in Geld messbaren Schaden von 1, der Verlust des produzierbaren Gutes zu einem unmittelbar in Geld messbaren Schaden von k und der Verlust des unersetzbaren Gutes zu einem nicht unmittelbar in Geld messbaren Schaden von z führt. Der Oberbegriff des Schadens gliedert sich somit im Hinblick auf seine Ersetzbarkeit in zwei Unterarten auf: pekuniäre Schäden und nichtpekuniäre Schäden. Beide Schadensarten verringern den Nutzen des Geschädigten und stellen somit im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt beachtliche Schadensposten dar, die bei der von dem Schädiger zu erbringenden Ersatzleistung berücksichtigt werden müssen. 228 Pekuniäre Schäden lassen sich typischerweise in einer Differenzbetrachtung als Minderung der Aktiva oder als eine Vermehrung der Passiva darstellen und sind daher regelmäßig zuverlässig nachweisbar. 229 So sind für den Verlust eines produzierbaren Gutes aus gesamtgesellschaftlicher Sicht dessen Herstellungskosten k zu ersetzen. Diese lassen sich – zumindest wenn ein funktionierender Markt besteht – relativ leicht ermitteln, da k dann dem Preis des Gutes entspricht, der aus den Kosten- und Nutzenfaktoren resultiert, d. h. letztlich aus Angebot und Nachfrage. Das erkennende Gericht braucht also nicht den persönlichen Nutzen y zu eruieren, den dieses Gut für den Geschädigten hat, da die soziale Wohlfahrt infolge der Schädigung nur um die Herstellungskosten k und nicht um den Nutzen y verringert worden ist. Der wesentliche Unterschied beim unersetzbaren Gut besteht darin, dass es bei diesem einen solchen Preis gerade nicht gibt, weil eine Ersatzbeschaffung über den Markt nicht möglich ist. Der Schaden, den der haftende Schädiger zu ersetzen hat, beläuft sich daher auf den persönlichen Nutzen z, den der Geschädigte von diesem Gut ursprünglich hatte und nunmehr eingebüßt hat (z. B. eine Körperverletzung mit chronischen Folgen). 230 Um den Anforderungen der vollständigen Kompensation zu genügen, kommt das Gericht hier also nicht umhin, den privaten Nutzen des Geschädigten z in Geld zu beziffern: „... [D]ollar values must be assigned to nonpecuniary losses.“ 231 Dies kann allenfalls über eine mittelbare Bewertung geschehen, indem die Anzahl der Einheiten an Geld bestimmt wird, gegen die der Geschädigte sein unersetzbares Gut einzutauschen bereit gewesen wäre. 232 Den subjektiven Nutzenverlust des Geschädigten auf diese Weise in Geld zu bestimmen, ist zwar auf der einen Seite zwingend erforderlich, auf der anderen aber mit kaum absehbaren Schwierigkei-
228
Shavell (1987), S. 133 f. In Grenzfällen kann aber durchaus auch die Feststellung von pekuniären Schäden Schwierigkeiten bereiten. Dazu: Teil 1 B. I. 3. 230 Diese Unbestimmbarkeit ist ein maßgebliches Kriterium des Nichtvermögensschadens, vgl. Teil 1 B. II. 1. 231 Cooter (1989b), S. 1172. 232 Shavell (1987), S. 154. So im Ergebnis auch Cooter / Ulen (2004), S. 369. 229
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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ten verbunden, weil das Ausmaß der Nutzeneinbuße (z) von unterschiedlichen Individuen völlig verschieden empfunden werden kann. 2. Quantitative Begrenzungen der Ersatzpflicht Eine Abweichung der Ersatzpflicht von dem tatsächlichen Schaden kann sich auch daraus ergeben, dass die Haftung des Schädigers in der Summe nach oben begrenzt ist (Haftungsobergrenzen, limitation of liability). Denn in der Realität beläuft sich die Höhe des entstehenden Schadens nicht – wie es bisher angenommen wurde – in jedem konkreten Fall der Schädigung auf einen konstanten Durchschnittsbetrag, sondern ist von Fall zu Fall entsprechend der Umstände der jeweiligen Schädigung unterschiedlich (multiple levels of harm). 233 Dies soll anhand eines Beispiels illustriert werden: Werden keine Vorsorgemaßnahmen getroffen, bestehe eine Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts von 10%. Realisiert sich dieses zehnprozentige Risiko tatsächlich, belaufe sich die Schadenshöhe in 90% der Fälle auf 100 Euro und in den verbleibenden 10% der Fälle auf 1.000 Euro. Der Schadenserwartungswert, d. h. der durchschnittlich bei jeder Tätigkeit anfallende Schaden, beträgt daher 19 Euro = 0,1 × (0,9 × 100 Euro + 0,1 × 1.000 Euro). Auf eben diese Höhe beläuft sich auch die dem Schädiger drohende Haftung im Fall vollständiger Kompensation, wenn keine Haftungsobergrenzen bestehen. Dieser Haftungserwartungswert verringert sich jedoch dann, wenn die Haftung summenmäßig beschränkt ist. 234 Würde in dem Beispielsfall die Haftung für die außergewöhnlichen Schäden in Höhe von 1.000 Euro auf die „typische“ Schadenshöhe von 100 Euro beschränkt, reduzierte sich der vom Schädiger zu erwartende Wert seiner Ersatzpflicht um fast die Hälfte auf 10 Euro = 0,1 × (0,9 × 100 Euro + 0,1 × 100 Euro). Auf diese Weise sinkt der Wert der erwarteten Ersatzpflicht (hier: 10 Euro) unter den des erwarteten Schadens (hier: 19 Euro) ab, sobald auch nur ein Teil des zu erwartenden Schadens über dem Haftungshöchstbetrag liegt. Eine solche quantitative Begrenzung der Ersatzpflicht kann sich zum einen daraus ergeben, dass die aus einer bestimmten Anspruchsgrundlage begründete Ersatzpflicht auf einen Maximalbetrag limitiert ist (externe / rechtliche Beschränkung), 235 und zum anderen daraus, dass das haftende Vermögen des Schädigers 233 Das ändert allerdings nichts daran, dass im Rahmen der ökonomischen Analyse, die die Anreizwirkungen drohender Haftung im Vorfeld einer tatsächlichen Schädigung untersucht, geboten ist, vom prospektiv durchschnittlich zu erwartenden Wert auszugehen ist. Dazu: Polinsky / Shavell (1998), S. 881, Fn. 23; Shavell (2003), Kap. 4, S. 9. 234 (Zu Recht) Kritisch zur Haftungsbeschränkung für den Fall eines ungewöhnlichen Schadenseintritts: Shavell (1987), S. 129; Polinsky / Shavell (1998), S. 900. Geistfeld (1995), S. 790 spricht davon, dass Haftungsobergrenzen ein neues Element der Ungerechtigkeit in das Haftungssystem introduzieren, indem sie gerade die schwersten Schädigungen privilegieren. 235 Haftungshöchstgrenzen finden sich im geltenden Recht z. B. in §§ 12 Abs. 1, 12a Abs. 1 StVG; §§ 9 f. HaftPflG; § 37 LuftVerkG; § 15 UmweltHaftG; § 10 ProdHaftG.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
naturgemäß begrenzt ist (interne / faktische Beschränkung). 236 So ist es durchaus denkbar, dass eine Person einen Schaden verursacht, der ihre finanzielle Leistungsfähigkeit überschreitet und den sie dementsprechend nicht vollständig ersetzen kann (z. B. Verursachung einer Massenkarambolage mit Sachschäden in mehrfacher Millionenhöhe). 237 Sofern auch nur ein einziger Schaden entsteht, der den Haftungshöchstbetrag übersteigt, sinkt die Höhe der zu erwartenden Ersatzpflicht unter die des Schadenserwartungswerts ab. 3. Geltendmachungsdefizite (enforcement error) Darüberhinaus kann ein Abweichen von Schaden und Ersatzpflicht auch daraus resultieren, dass der Geschädigte seinen von Rechts wegen bestehenden Schadensersatzanspruch tatsächlich nicht durchsetzt. Nicht jeder nach materiellem Recht schlechterdings bestehende Schadensersatzanspruch führt zwangsläufig auch zu der Zahlung einer Geldsumme durch den Schädiger an den Geschädigten. So wird eine Geltendmachung des Anspruchs unterbleiben, wenn der Geschädigte die Person des Schädigers nicht kennt und daher schon gar keine Klage gegen sie erheben kann, wie beispielsweise bei einem Unfall auf einem Parkplatz mit anschließender Fahrerflucht. Außerdem wird der Geschädigte seinen Anspruch nur dann – sei es gerichtlich oder außergerichtlich – geltend machen, wenn der für ihn daraus zu erwartende Nutzen seinen erforderlich werdenden Aufwand übersteigt. 238 Die durch die Rechtsverfolgung anfallenden Kosten setzen sich aus dem Verlust an Zeit und eventuell anderweitigen Verdienstmöglichkeiten infol236 Verwiesen sei dazu auf die unter diesem Aspekt vergleichbare Problematik im Bereich des „Judgment-Proof -Problems“: Teil 2 A. I. 3. d). 237 Von besonderer Bedeutung ist dies bei juristischen Personen, da dort das für die Haftung zur Verfügung stehende Kapital auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist (Trennungsprinzip, vgl. nur § 13 Abs. 2 GmbHG, § 1 Abs. 1 S. 2 AktG). Das haftende Vermögen kann sich in dem für den Gläubiger schlimmsten Fall auf nur einige tausend Euro beschränken. In Kenntnis dieser Möglichkeit der Haftungsminimierung liegt es nahe, dass Unternehmen selbst aktiv durch Gründung rechtlich selbständiger Tochtergesellschaften ihre Haftung beschränken. Dazu: Endres (1991a), S. 56; Polinsky / Shavell (1998), S. 942 – 945: „the ability to avoid liability by hiring independent contractors to undertake risky tasks that they would otherwise perform themselves.“ (S. 942). Es ist allerdings zu beachten, dass hier nach überwiegender Ansicht ausnahmsweise die Möglichkeit des Haftungsdurchgriffs auf das Vermögen der Gesellschafter besteht. Es kommt insbesondere die Fallgruppe der Durchgriffshaftung im Konzern in Betracht. Dazu nur: K. Schmidt (2002), S. 217 ff. (kritisch zu dieser Fallgruppe: K. Schmidt (2002), S. 237 ff.). 238 Eidenmüller (2000), S. 13; Cooter / Ulen (2004), S. 392. Besonders deutlich wird dies bei sog. Streuschäden. Hier ist es regelmäßig so, dass der bei jedem einzelnen Geschädigten eingetretene Schaden so gering ist, dass sich aus seiner Sicht eine Geltendmachung nicht lohnt und er deshalb von einer Klage absieht. Der von dem (Streu-)Schädiger insgesamt verursachte Schaden kann jedoch durchaus in die Millionen gehen. Dennoch entgeht er einer Haftung, weil keiner der (vielen) Geschädigten seinen Ersatzanspruch durchsetzen wird.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
197
ge der Geltendmachung, insbesondere aber auch aus den Rechtsanwalts- und Gerichtskosten zusammen. Dabei ist allerdings die zivilprozessuale Kostentragungsregel des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO zu beachten, wonach die unterliegende Partei des Rechtsstreits nicht nur ihre eigenen Kosten zu tragen, sondern auch die dem obsiegenden Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten hat. 239 Die Höhe der zu erwartenden Kosten wird daher ebenfalls von der Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage beeinflusst. Die Bereitschaft des Geschädigten, seinen an sich bestehenden Schadensersatzanspruch auch tatsächlich durchzusetzen, wird durch diese Kostentragungsregelung daher noch zusätzlich verringert, wenn die Wahrscheinlichkeit seines Obsiegens gering ist. Schließlich kann die gerichtliche Durchsetzung eines materiellrechtlich bestehenden Ersatzanspruchs auch daran scheitern, dass der Geschädigte die Voraussetzungen seines Anspruchs nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen kann. Derartige Unwägbarkeiten bestehen speziell beim Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Schädigerverhalten und Schaden. 240 Hier sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Erstens kann Ungewissheit hinsichtlich der Frage bestehen, ob der Schaden tatsächlich das Ergebnis eines menschlichen Verhaltens war oder ob es sich nicht lediglich um ein Naturereignis oder Pech gehandelt hat. Wenn der Geschädigte beispielsweise an Hautkrebs erkrankt, mag es unklar sein, ob seine Erkrankung darauf zurückzuführen ist, dass er sich dem natürlichen Sonnenlicht ausgesetzt hat, oder darauf, dass in einem nahe gelegenen Chemiewerk einige Zeit zuvor kanzerogene Substanzen ausgetreten sind. Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wurde durch den Austritt der Schadstoffe sicherlich erhöht. Ob aber gerade die konkrete Erkrankung des Geschädigten auf den Unfall zurückzuführen ist, wird sich im Regelfall kaum ermitteln lassen, weil der Nachweis nur schwer zu führen ist, welche Person nicht erkrankt wäre, wenn es nicht zu dem Unfall gekommen wäre. Ist aber die Verursachung des Schadens durch menschliches Verhalten ungeklärt, kann auf den bloßen Verdacht hin kein Schadensersatzanspruch zugestanden werden. 241 Und selbst wenn die Verursachung durch menschliches Verhalten feststeht, kann zweitens Unsicherheit bezüglich der Kausalität bestehen, wenn mehrere Personen an der Schädigung beteiligt waren oder wenigstens beteiligt gewesen sein können. So kann beispielsweise der Tod von hunderten frisch geimpfter Hühner auf eine fehlerhafte Impfung 239 Diese Kostentragungsregel findet sich in Europa ganz überwiegend und auch in vielen weiteren Staaten (rule of „loser pays all“). In den USA hingegen hat jede Partei grundsätzlich ihre eigenen Kosten zu tragen, unabhängig vom Ausgang des Prozesses (rule of „each pays his own“). Zu den Unterschieden in der Anreizwirkung dieser beiden Ansätze: Cooter / Ulen (2004), S. 425 f. 240 Shavell (1985), S. 589; Polinsky / Shavell (2000), S. 768. 241 Shavell (1985), S. 589 f. fordert daher für derartige Fälle eine Haftung des möglichen Schädigers, deren Höhe sich proportional an der Wahrscheinlichkeit der Verursachung orientiert, um aus ökonomischer Sicht sinnvolle Anreize zu vermitteln. Kritik am juristischen Kausalitätsbegriff übt auch Adams (1985), S. 149 ff.
198
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
durch den Veterinär, auf eine Unachtsamkeit seines Assistenten bei der Präparation der Impfampullen oder auf eine unzureichende Immunisierung des Impfstoffs durch den Hersteller zurückzuführen sein. 242 Nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen obliegt es hier dem Geschädigten, zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen, dass gerade die beklagte Person kausal für den ihm zugefügten Schaden verantwortlich war. 243 Im Rahmen einer Verschuldenshaftung trifft den Geschädigten zusätzlich noch die Bürde, das Verschulden des Schädigers beweisen zu müssen. Dies wird dadurch besonders problematisch, dass der Geschädigte hier einen Soll-Ist-Vergleich für Vorgänge zu führen hat, die der Schädiger ausgeführt hat. Während sich die Frage der Kausalität objektiv, regelmäßig im Rahmen eines naturgesetzlichen Bedingungszusammenhangs unter Berücksichtigung bestimmter normativer Wertungen lösen lässt, bezieht sich das Verschulden (auch) auf schädigerinterne Vorgänge. Verschulden setzt voraus, dass sich der Schädiger erstens tatsächlich unsachgemäß verhalten hat (äußere Sorgfalt) und dass er zweitens im Vorfeld der Schädigung die Anforderungen, die die äußere Sorgfalt an ihn stellt, selbst erkannt hat oder wenigstens hätte erkennen können (innere Sorgfalt). 244 Da sich diese Vorgänge jedoch in der Sphäre des Schädigers abspielen, kann der Geschädigte den Nachweis eines Verstoßes gegen die innere Sorgfalt nur sehr schwer führen, weil ihm die dafür erforderlichen Einblicke in den Bereich des Schädigers regelmäßig verwehrt sind. Der Verschuldensnachweis kann daher im Einzelfall noch schwerer sein als der der Kausalität. So ist es im Beispielsfall einfacher nachzuweisen, dass der Tod der frisch geimpften Hühner auf die fehlerhafte Zusammensetzung des Impfstoffs zurückzuführen ist, als darzulegen, dass dieser Fehler auf einer Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt durch den Impfstoffhersteller im Rahmen der Produktion beruht. Entkommt der Schädiger aus einem der angeführten Gründe mitunter einer Haftung für von ihm verursachte Schäden, entsteht im System der zivilrechtli242 Beispiel in Anlehnung an BGH (Urt. v. 26. 11. 1968 – VI ZR 212/66), BGHZ 51, 91 (104) – „Hühnerpest“. Der Betreiber einer Hühnerfarm ließ seine Hühner gegen Hühnerpest impfen. Einige Tage danach brach gerade diese Krankheit jedoch aus und mehr als 4.000 Hühner verendeten. Der Betreiber nahm den Hersteller des Impfstoffs auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens in Anspruch, weil der Impfstoff nicht ausreichend immunisiert worden sei und es sich daher noch aktive Newcastle-Disease-Viren im Serum befunden hätten. 243 Besonders erschwert wird der Nachweis der Kausalität insbesondere dann, wenn zwischen dem vermeintlich schädigenden Verhalten und dem Eintritt der Schädigung ein großer zeitlicher Abstand liegt (z. B. Kontaminierung eines Gewässers mit Giften aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs). 244 Detailliert zur Aufgliederung des Begriffs der Sorgfalt in „äußere“ und „innere“ Sorgfalt: Deutsch (1995), S. 94 –98. Erste Ansätze dieser Unterscheidung finden sich in der Rechtsprechung schon bei BGH (Urt. v. 29. 03. 1951 – III ZR 15/50), LM § 823 (Eb) Nr. 1. Explizit dann BGH (Urt. v. 17. 03. 1981 – VI ZR 191/79), BGHZ 80, 186 (198 f.).
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
199
chen Haftung eine statistische Unterkompensation: Der Erwartungswert der dem Schädiger drohenden Ersatzpflicht bleibt hinter der Höhe des Erwartungswerts des dem Geschädigten zugefügten Schadens zurück.
II. Folgen der Abweichung der Höhe der Ersatzpflicht von der Schadenshöhe Ausgangspunkt der bisherigen Überlegungen war die (verifizierte) These, dass ein Schädiger, wenn er für den von ihm tatsächlich verursachten Schaden in voller Höhe haften muss, durch die deliktischen Haftungsregeln weitgehend zu effizientem Vorsorgeverhalten induziert wird. 245 Im Umkehrschluss heißt das, dass, wenn der Erwartungswert der dem Schädiger drohenden Ersatzpflicht vom Erwartungswert des dem Geschädigten drohenden Schadens abweicht, sich dies negativ auf die dem Schädiger durch die Haftung vermittelten Vorsorgeanreize auswirkt. Welcher Art und wie stark die daraus resultierenden Verzerrungen der Vorsorgeanreize für den Schädiger sind, ist im Folgenden zu untersuchen – gerade auch im Hinblick auf Differenzen, die sich zwischen den Haftungssystemen der Gefährdungs- und der Verschuldenshaftung ergeben können. Im Rahmen dieser Analyse sind zwei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden. Im Fall der quantitativen Haftungsbegrenzung treten Abweichungen zwischen Schaden und Ersatzpflicht nur dann auf, wenn der Schaden tatsächlich die Haftungsobergrenze übersteigt. Solange der Schaden unter dieser Grenze liegt, ergeben sich keine Divergenzen: Jeder Euro Schaden entspricht einem Euro an Ersatzpflicht. Oberhalb des Grenzwerts hingegen wird der Schaden überhaupt nicht mehr ersetzt: Ein Euro an Schaden führt zu null Euro an Ersatzpflicht. Es handelt sich daher um einen Fall der partiellen Abweichung von Ersatzpflicht und Schaden (2.). Dagegen tritt im Rahmen des Geltendmachungsdefizits und der Monetarisierungsprobleme die Abweichung unabhängig von der konkreten Schadenshöhe auf. Jeder anfallende Euro an Schaden wird ohne Rücksicht auf die konkrete Schadenshöhe (nur) zu einem bestimmten Anteil ersetzt – sei es, weil sich der verursachte Schaden teilweise nicht in Geld beziffern lässt, sei es, weil nicht jeder Schaden auch tatsächlich geltend gemacht wird. Es liegt insoweit also eine pauschale Abweichung vor (1.). Aus Gründen der Übersichtlichkeit erfolgt die umfassende Analyse der Gefährdungshaftung (a) und der Verschuldenshaftung (b) am Beispiel einer unilateralen Schadensverursachung, weil sie so auf die Vorsorgemaßnahmen des Schädigers konzentriert werden kann und die Auswirkungen der Abweichung deutlicher hervortreten. Diese Effekte treten korrespondierend auch im bilateralen Vorsorgefall
245
s. o., vgl. Teil 2 A.
200
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
auf, in dem nicht nur das Vorsorgeverhalten des Schädigers, sondern auch das des Geschädigten die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts beeinflusst. 1. Folgen einer pauschalen Abweichung Die Höhe der Ersatzpflicht ergibt sich bei der pauschalen Abweichung daraus, dass jeder Euro an erwartetem Schaden mit einem Proportionalitätsfaktor (p), der dem Maß der Abweichung entspricht, multipliziert wird: E = p × S . 246 Der Proportionalitätsfaktor nimmt dabei immer einen positiven Wert an. 247 Liegt p zwischen null und eins, wird der Schaden vom Rechtssystem unterbewertet. Die Ersatzpflicht des Schädigers ist also geringer als der tatsächlich eingetretene Schaden in Form des Nutzenverlusts auf Seiten des Geschädigten (Diskontierung). Ist p gleich eins, entspricht die Ersatzpflicht exakt dem entstandenen Schaden. Es liegt ein Fall der vollkommenen Kompensation (perfect compensation) vor. Wenn p einen Wert von über eins annimmt, handelt es sich um eine Überbewertung des Schadens (Inflationierung). Diese Auswirkungen einer möglichen Diskrepanz zwischen Schaden und Ersatzpflicht sollen am Beispiel des schon aus Teil 2 A. bekannten Falls des Fahrradkuriers S demonstriert werden. Der durchschnittlich zu erwartende Schaden im Fall einer Schädigung betrug dort 100 Euro. 248 Im Rahmen der Untersuchung soll der Proportionalitätsfaktor p, zu dem der Schaden auch tatsächlich zu einer Ersatzpflicht führt, drei verschiedene Werte annehmen: p0 = 1, p1 = 0, 75 und p2 = 0, 25. In den Fällen von p1 und p2 kommt es somit zu einer Diskontierung des Schadens. 249
246
H.-B. Schäfer / Ott (1986), S. 105; Endres (1991a), S. 58; Cooter / Ulen (2004), S. 375. Es soll dabei unterstellt werden, dass der von p eingenommene Wert von der Art der jeweils geltenden Haftungsregel unabhängig ist. Diese Annahme erweist sich insbesondere für Monetarisierungsprobleme im Bereich von Nichtvermögensschäden als realitätsnah und somit belastbar. Denn für die Höhe des Anteils des Nichtvermögensschadens am jeweils entstehenden Gesamtschaden ist die Art der Haftungsregel irrelevant. Bei anderen Abweichungsgründen wie z. B. dem enforcement error liegt es hingegen nahe zu vermuten, dass die Abweichung unter einer Verschuldenshaftung stärker ausfallen wird als unter einer Gefährdungshaftung, weil bei jener dem Schädiger nicht nur die Kausalität, sondern auch noch das Verschulden nachgewiesen werden muss. Dazu: Endres (1991a), S. 66. 248 s. o., vgl. Teil 2 A. I. 2. a), II. 1. a). 249 Die Untersuchung soll aus Platzgründen allein auf den – praktisch weitaus wahrscheinlicheren – Fall der Unterbewertung (Diskontierung) des Schadens beschränkt werden. Die ermittelten Ergebnisse gelten aber umgekehrt genauso für die Überwertung des Schadens. 247
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
201
a) Gefährdungshaftung Im Rahmen einer Gefährdungshaftung hat der Schädiger für jeden von ihm verursachten Schaden zu haften – unabhängig davon, ob er die Schädigung verschuldet hat oder nicht. Da er bestrebt ist, ein Vorsorgeniveau zu wählen, bei dem seine privaten Kosten aus Vorsorge und Ersatzpflicht ihren Minimalwert erreichen, wird er in seine private Kosten-Nutzen-Rechnung deshalb nicht den Wert des Schadens, sondern den der Ersatzpflicht – den diskontierten Schadenswert – einstellen: K s = Vs + W(Vs ) × p × S = Vs + W(Vs ) × E. Weil der Schaden hier nicht zwangsläufig der Ersatzpflicht entspricht, ist es möglich, dass die sozialen Kosten und die privaten Kosten des Schädigers bei unterschiedlichen Vorsorgewerten ihr jeweiliges Minimum erreichen. 250 Geschwindigkeit
Erwartungswert der Ersatzpflicht p0 = 1
Vorsorgekosten
Erwartete Gesamtkosten des Schädigers
p1 = 0, 75
p2 = 0, 25
30 km/h
400 Euro
300 Euro
100 Euro
25 km/h
278 Euro
209 Euro
70 Euro
48 Euro 326 Euro 257 Euro 118 Euro
24 km/h
256 Euro
192 Euro
64 Euro
60 Euro 316 Euro 252 Euro 124 Euro
23 km/h
235 Euro
176 Euro
59 Euro
73 Euro 308 Euro 249 Euro 133 Euro
22 km/h
215 Euro
161 Euro
54 Euro
21 km/h
196 Euro
147 Euro
49 Euro
103 Euro 299 Euro 250 Euro 152 Euro
20 km/h
178 Euro
134 Euro
45 Euro
120 Euro
19 km/h
160 Euro
120 Euro
40 Euro
139 Euro 299 Euro 259 Euro 179 Euro
18 km/h
144 Euro
108 Euro
36 Euro
160 Euro 304 Euro 268 Euro 196 Euro
17 km/h
128 Euro
96 Euro
32 Euro
184 Euro 312 Euro 280 Euro 216 Euro
15 km/h
100 Euro
75 Euro
25 Euro
240 Euro 340 Euro 315 Euro 265 Euro
10 km/h
44 Euro
33 Euro
11 Euro
480 Euro 524 Euro 513 Euro 491 Euro
5 km/h
11 Euro
8 Euro
3 Euro 1200 Euro 1211 Euro 1208 Euro 1203 Euro
0 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
(Vs )
p0 = 1
p1 = 0, 75 p2 = 0, 25
0 Euro 400 Euro 300 Euro
87 Euro 302 Euro
∞ Euro
100 Euro
248 Euro 141 Euro
298 Euro 254 Euro 165 Euro
∞ Euro
∞ Euro
∞ Euro
Abbildung 22
Für den Wert p0 = 1 entsprechen die privaten Kosten des Schädigers den sozialen Gesamtkosten, weil der Schädiger hier seine Vorsorgekosten wie auch die gesamten Schadenskosten – und damit alle anfallenden Kosten – zu tragen hat. In den Fällen p1 = 0, 75 und p2 = 0, 25 hingegen wird die Ersatzpflicht diskontiert: Für jeden Euro, der als Schaden beim Geschädigten anfällt, entsteht 250
Das Minimum lässt sich mathematisch über die erste Ableitung bestimmen. s. o., vgl. Teil 2 A. I.
202
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
lediglich eine Ersatzpflicht des Schädigers in Höhe von 75 Cent bzw. 25 Cent. Daraus resultiert ein Unterschied zwischen dem Erwartungswert des Schadens und dem Erwartungswert der Ersatzpflicht. Die entstehenden Differenzen werden in der graphischen Darstellung besonders deutlich: 600 Erwartungswert der Ersatzpflicht (in Euro)
550 500 450 400 Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten p0 = 1 (= soz. Gesamtkosten) p1 = 0,75 p2 = 0,25
350 300 250 200 150 100 50 1
3
5
7
9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 23
Die Kurven der sozialen Kosten und der privaten Kosten des Schädigers sind für p1 und p2 nicht mehr länger deckungsgleich – anders als beim Grundfall der Gefährdungshaftung, wo sich die Ersatzpflicht exakt auf die Höhe des entstandenen Schadens belief (E = S ). 251 Dort war der Proportionalitätsfaktor eins (p0 = 1), d. h. der Schädiger minimierte seine privaten Kosten bei dem effizienten Vorsorgeniveau von V s∗ = 20 km/h. In den beiden neuen Konstellationen muss der Schädiger jedoch jeweils nur 75% (für p1 = 0, 75) bzw. 25 % (für p2 = 0, 25) der tatsächlich anfallenden Schadenskosten ersetzen. Die Kosten des erwarteten Schadens stellen für ihn somit teilweise unbeachtliche externe Kosten dar. Die Höhe dieses unbeachtlichen Anteils beträgt 1-p, d. h. 25% für p1 und gar 75% für p2 . Die beiden diskontierten Kurven erreichen ihr Minimum daher bei einem geringeren Vorsorgeniveau als die Kurve der sozialen Gesamtkosten, nämlich bei 22 km/h (für p1 = 0, 75) und bei 30 km/h (für p2 = 0, 25). Dies hat seinen Grund darin, dass die Schadenskosten infolge ihrer Diskontierung eine unbedeutendere Rolle und die nicht-diskontierten Vorsorgekosten eine entsprechend bedeutendere 251
s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. b).
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
203
Rolle für die Wahl des Vorsorgeniveaus durch den Schädiger spielen. Vorsorge wird also aus Schädigersicht im Verhältnis zur drohenden Ersatzpflicht teurer. Der Schädiger reduziert deshalb seine Vorsorgekosten im Verhältnis zu den Schadenskosten, bis 1 Euro an eingesparten Vorsorgekosten 1 Euro an zusätzlichen Ersatzkosten hervorruft. Folglich ist der Anteil der Vorsorgekosten an den Gesamtkosten des Schädigers im Fall der Diskontierung evident geringer als bei der vollkommenen Kompensation. 252 Der Schädiger wird daher letztlich induziert, ein zu geringes und somit ineffizientes Vorsorgeniveau zu wählen; es kommt zu einer Unter-Abschreckung (under-deterrence): Vs < V s∗. 253 Jede Diskontierung führt folglich zu einem zu geringen Vorsorgeaufwand des Schädigers und daraus resultierend zu zu hohen Schadenskosten. b) Verschuldenshaftung Unter Geltung einer Verschuldenshaftung sind zwei grundlegende Konstellationen zu unterscheiden: Hält der Schädiger den rechtlich geforderten Vorsorgestandard ein (Vs ≥ Vs◦ = V s∗254, permitted zone), hat er allein seine Vorsorgekosten zu tragen: K s 1 = Vs . Dementsprechend spielen die Höhe der Ersatzpflicht und die Auswirkungen ihrer Diskontierung für ihn keine Rolle. Seine privaten Kosten minimiert er in dieser Konstellation 1, indem er möglichst genau das geforderte Maß an Vorsorge Vs◦ einhält. Missachtet er hingegen den geforderten Standard (Vs < Vs◦ = V s∗, forbidden zone), trifft ihn eine Verpflichtung zum Schadensersatz und die Höhe seiner Ersatzpflicht wird für ihn relevant: K s 2 = Vs + W(Vs ) × p × S = Vs + W(Vs ) × E. In dieser Konstellation 2 entspricht die Ausgangssituation der der Gefährdungshaftung: Der Schädiger wird ein Vorsorgeniveau wählen, bei dem die Summe aus Vorsorgekosten und Schadensersatzkosten den geringstmöglichen Wert erreicht. Ob der Schädiger den geforderten Vorsorgestandard Vs◦ einhalten wird oder nicht, hängt davon ab, ob das Kostenminimum in der Zone 1 oder in der Zone 2 geringer ist. 252 Für das effiziente Vorsorgemaß von V ∗ = 20 km/h (p0 = 1) beträgt das Verhältnis von Vorsorge- zu Schadensersatzkosten 0,67 = 120 Euro / 178 Euro. Im Fall von p1 = 0, 75 verringert sich dieser Quotient schon auf 0,54 = 87 Euro / 161 Euro, im Fall p2 = 0, 25 sinkt er gar auf 0 = 0 Euro / 100 Euro ab. 253 Endres (1991a), S. 59; Cooter / Ulen (2004), S. 337. Im Fall der Inflationierung des Schadens verhält es sich entsprechend umgekehrt: Wenn der Proportionalitätsfaktor einen Wert über 1 annimmt (p > 1) und die drohende Ersatzpflicht somit den Schadenserwartungswert übersteigt, internalisiert der Schädiger einen aus sozialer Sicht zu hohen Betrag. Er wird daher bereit sein, ein Maß an Vorsorge zu treffen, das das effiziente Vorsorgeniveau übertrifft: Vs > V ∗s . Es kommt zur Über-Abschreckung (over-deterrence). Dieses Ergebnis ist aus sozialer Sicht aber ebenso wenig wünschenswert, weil der Schädiger hier S + x Euro aufwendet, um einen Schaden von S Euro zu verhindern. 254 Es soll hier davon ausgegangen werden, dass das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge V ◦ entsprechend dem effizienten Maß V ∗ bestimmt wird. Dazu und zu den Folgen einer möglichen Abweichung umfassend: Teil 2 A. II. 1. c) cc).
204
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Geschwindigkeit
Erwartungswert der Ersatzpflicht p0 = 1
Vorsorgekosten
Erwartete Gesamtkosten des Schädigers
p1 = 0, 75
p2 = 0, 25
30 km/h
400 Euro
300 Euro
100 Euro
25 km/h
278 Euro
209 Euro
70 Euro
48 Euro 326 Euro 257 Euro 118 Euro
24 km/h
256 Euro
192 Euro
64 Euro
60 Euro 316 Euro 252 Euro 124 Euro
23 km/h
235 Euro
176 Euro
59 Euro
73 Euro 308 Euro 249 Euro 133 Euro
22 km/h
215 Euro
161 Euro
54 Euro
87 Euro 302 Euro 248 Euro 141 Euro 103 Euro 299 Euro 250 Euro 152 Euro
(Vs )
p0 = 1
p1 = 0, 75 p2 = 0, 25
0 Euro 400 Euro 300 Euro
100 Euro
21 km/h
196 Euro
147 Euro
49 Euro
20 km/h 255
0 Euro
0 Euro
0 Euro
120 Euro
19 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
139 Euro 139 Euro 139 Euro 139 Euro
18 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
160 Euro 160 Euro 160 Euro 160 Euro
17 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
184 Euro 184 Euro 184 Euro 184 Euro
15 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
240 Euro 240 Euro 240 Euro 240 Euro
10 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
480 Euro 480 Euro 480 Euro 480 Euro
5 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro 1200 Euro 1200 Euro 1200 Euro 1200 Euro
0 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
∞ Euro
120 Euro
∞Euro
120 Euro 120 Euro
∞Euro
∞Euro
Abbildung 24
Graphisch stellt sich dies folgendermaßen dar: 600 Erwartungswert der Ersatzpflicht (in Euro)
550 500 450 400
Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten p0 = 1 p1 = 0,75 p2 = 0,25 Soziale Gesamtkosten
350 300 250 200 150 100 50 1
3
5
7
9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 25
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
205
Die drei in der Abbildung 25 hervorgehobenen Kurven bilden die privaten Gesamtkosten des Schädigers in den Beispielssituationen ab. Im Ausgangsfall der vollkommenen Kompensation (p0 = 1), nimmt die Kurve genau für das Vorsorgeniveau Vs◦ ihr globales Minimum an, insbesondere würde jedes geringere Maß an Vorsorge zu deutlich höheren privaten Kosten führen. Im Fall der Diskontierung (0 < p < 1) ergeben sich jedoch teilweise divergierende Wirkungen. Die zweite Kurve bildet einen Fall geringer Schadensdiskontierung ab (p1 = 0, 75). Auch hier liegt das Minimum der privaten Gesamtkostenkurve des Schädigers für den Fall der Unterschreitung des geforderten Standards über dem Minimum, das sich bei Einhaltung des Standards allein aus den zu tragenden Vorsorgekosten ergibt. Der Schädiger wird also auch hier noch induziert, den rechtlich geforderten Vorsorgestandard Vs◦ einzuhalten. Im Fall starker Diskontierung (p2 = 0, 25) liegt das Minimum der privaten Kostenkurve infolge der nachhaltigen Unterbewertung des Schadens jedoch in der „verbotenen Zone“. Um seine privaten Kosten zu minimieren, wird der Schädiger deshalb den rechtlich geforderten Vorsorgestandard Vs◦ bewusst unterschreiten und seine Vorsorge auf das geringste mögliche Maß reduzieren (hier: Vs = 30 km/h). Die Diskontierung p2 ist folglich so stark, dass sie zu einer Abweichung vom Vorsorgeoptimum (hier: V s∗ = 20 km/h) anregt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Gefährdungshaftung sensibler auf die Wirkungen der Diskontierung reagiert als die Verschuldenshaftung. 256 Bei ersterer führt das Prinzip der Vollinternalisierung dazu, dass bei jeder Diskontierung – und sei sie noch so schwach ausgeprägt – der potentielle Schädiger sein Vorsorgeniveau zur Minimierung seiner privaten Kosten unter das effiziente Maß absenkt. Die Verschuldenshaftung hingegen unterliegt dem Prinzip der Standardsetzung. Es kommt damit genau bei dem als Standard V ◦ definierten Vorsorgeniveau zu einem sprunghaften Anstieg der vom Schädiger zu tragenden Kosten, weil der Schädiger bei einer Unterschreitung nicht mehr nur mit seinen Vorsorgekosten, sondern (erst) von hier an zusätzlich auch mit den Kosten der Ersatzpflicht belastet wird. Die Diskontierung des Schadens muss also so groß sein, dass sie den Kostensprung im Punkt Vs◦ in seiner Wirkung übertrifft. 257 Jedenfalls bestehen aber bei beiden Haftungssystemen infolge der Diskontierung der Ersatzpflicht grundlegende 255 Das rechtlich geforderte Vorsorgeniveau Vs◦ = 20 km/h ist zugleich das effiziente Niveau V ∗s ; dazu: Teil 2 A. II. 1. c). 256 Endres (1991b), S. 139, Fn. 16 spricht von einer „größere[n] Störanfälligkeit [...] der Gefährdungshaftung“. Dazu auch: Shavell (1986), S. 47; Grady (1989), S. 1197; Cooter (1989b), S. 1164. 257 Für den bilateralen Vorsorgefall ergeben sich weitgehend entsprechende Ergebnisse. Bei der Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand wird der Schädiger im Fall der Diskontierung des Schadens ein zu geringes Maß an Vorsorge aufwenden: Vs < V ∗s . Der Geschädigte darf – im Gegensatz zum Ausgangsmodell der vollständigen Kompensation – nur noch davon ausgehen, dass ihm der p-te Teil seines Schadens ersetzt wird; den (1-p)-ten Teil hat er selbst zu tragen. Seine privaten Kosten setzen sich demnach folgendermaßen zusammen: Kg = Vg + (1 − p) × W(Vs , Vg ) × S . Je nach dem, wie stark die Diskontierung und
206
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Defizite im Hinblick darauf, den Beteiligten wirksame Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten zu vermitteln. 2. Folgen einer partiellen Abweichung Haftungsobergrenzen führen ebenfalls zu einer Abweichung des Erwartungswerts des Schadens von dem der Ersatzpflicht. Es liegt aber insoweit ein Sonderfall vor, als die Höhe der erwarteten Ersatzpflicht nicht pauschal von der des erwarteten Schadens abweicht. Die Ersatzpflicht entspricht vielmehr so lange dem erwarteten Schaden, bis die Haftungsobergrenze erreicht ist. Der über diese Obergrenze hinausgehende Betrag wird dann jedoch überhaupt nicht mehr ersetzt. Zur Diskontierung des Schadens kommt es folglich nur für einen Teil des Schadens, für diesen dann aber umfassend. Die allokative Wirkung dieser partiellen Abweichung unterscheidet sich somit von der der pauschalen und macht eine gesonderte Untersuchung erforderlich. In deren Rahmen sind infolge des dargestellten Effekts der Haftungsobergrenze zwei Konstellationen voneinander zu trennen: Zum einen, dass der Erwartungswert der Ersatzpflicht unterhalb der Haftungsobergrenze liegt (Bereich a), und zum anderen, dass er oberhalb der Haftungsobergrenze liegt (Bereich b). a) Gefährdungshaftung Unter dem Regime einer Gefährdungshaftung trifft den Schädiger eine Ersatzpflicht unabhängig von seinem Vorsorgeniveau. Liegt diese Ersatzpflicht unterhalb der Haftungsobergrenze, muss der Schädiger den verursachten Schaden in vollem Umfang ersetzen: E = S . Die Haftungsobergrenze ist hier also ohne Bedeutung. In diesem Bereich a belaufen sich die vom Schädiger zu tragenden wie hoch damit der dem Geschädigten selbst drohende Anteil des Schadens ist, wird der Geschädigte seine privaten Kosten deshalb bei einem Vorsorgeniveau minimieren, das entweder dem rechtlich geforderten Niveau entspricht oder das über diesem liegt: Vg ≥ Vg◦. Als Folge der Diskontierung werden also bei der Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand dem Schädiger Anreize zu suboptimalem und dem Geschädigten unter Umständen Anreize zu überoptimalem Vorsorgeaufwand gegeben. Bei einer Verschuldenshaftung, ob mit oder ohne Mitverschuldenseinwand, kommt es – parallel zum unilateralen Vorsorgefall – erst dann zu einer Anreizverzerrung, wenn die Diskontierung derart stark ist, dass sie den sprunghaften Anstieg der Kostenkurve im Punkt des rechtlich geforderten Vorsorgestandards V ◦ in ihrer Wirkung übertrifft. Nur in diesem Fall ergeben sich auch für den Geschädigten Anreize zu überoptimalem Vorsorgeaufwand. Die Gefährdungshaftung reagiert also auch im bilateralen Fall weitaus empfindlicher auf eine Diskontierung des Schadens als die Verschuldenshaftung. Während es bei der Verschuldenshaftung immerhin noch möglich ist, dass die Beteiligten trotz Diskontierung noch zu effizientem Vorsorgeverhalten induziert werden, werden die Beteiligten bei der Gefährdungshaftung in jedem Fall der Abweichung von Ersatzpflicht und Schaden ineffiziente Vorsorge treffen.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge) Geschwindigkeit
Erwartungswert der Ersatzpflicht HG1=300
HG2=200
HG3=100
207
Vorsorgekosten
Erwartete Gesamtkosten des Schädigers
(Vs )
HG1=300 HG2=200 HG3=100
30 km/h
300 Euro
200 Euro
100 Euro
0 Euro
300 Euro
200 Euro
25 km/h
278 Euro
200 Euro
100 Euro
48 Euro
326 Euro
248 Euro 148 Euro>
24 km/h
256 Euro
200 Euro
100 Euro
60 Euro
316 Euro
260 Euro
160 Euro
23 km/h
235 Euro
200 Euro
100 Euro
73 Euro
308 Euro
273 Euro
173 Euro
22 km/h
215 Euro
200 Euro
100 Euro
87 Euro
302 Euro
287 Euro
187 Euro
21 km/h
196 Euro
196 Euro
100 Euro
103 Euro
299 Euro
299 Euro
203 Euro
20 km/h
178 Euro
178 Euro
100 Euro
120 Euro
298 Euro
298 Euro
220 Euro
19 km/h
160 Euro
160 Euro
100 Euro
139 Euro
299 Euro
299 Euro
239 Euro
18 km/h
144 Euro
144 Euro
100 Euro
160 Euro
304 Euro
304 Euro
260 Euro
17 km/h
128 Euro
128 Euro
100 Euro
184 Euro
312 Euro
312 Euro
284 Euro
15 km/h
100 Euro
100 Euro
100 Euro
240 Euro
340 Euro
340 Euro
340 Euro
10 km/h
44 Euro
44 Euro
44 Euro
480 Euro
524 Euro
524 Euro
524 Euro
5 km/h
11 Euro
11 Euro
11 Euro 1200 Euro 1211 Euro 1211 Euro 1211 Euro
0 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
∞ Euro
∞ Euro
∞ Euro
100 Euro
∞ Euro
Abbildung 26
Kosten auf die Vorsorgekosten und die dem Schaden entsprechenden Ersatzkosten: K s 1 = Vs +W(Vs ) × S = Vs +W(Vs ) × E. Für die Analyse ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Diese treten erst dann auf, wenn die Ersatzpflicht die Haftungsobergrenze überschreitet. Denn in diesem Bereich b braucht der Schädiger die über die Grenze hinausgehenden Schadenskosten nicht mehr zu ersetzen. Die Haftungsobergrenze führt dazu, dass die für den Schädiger zu erwartenden Kosten aus der drohenden Ersatzpflicht nicht weiter ansteigen, sondern auf dem Wert der angeordneten Haftungsgrenze (HG) konstant bleiben: E = HG. Das bedeutet für die privaten Kosten des Schädigers Folgendes: K s 2 = Vs + W(Vs ) × HG = Vs + W(Vs ) × E. Da die Höhe der Ersatzpflicht hinter der Höhe des entstandenen Schadens zurückbleibt (E < S ), werden die dem Schädiger vermittelten Anreize verzerrt. Je niedriger dabei die Haftungsobergrenze ist, desto eher beeinflusst sie die Gesamtkosten des Schädigers und desto stärker ist ihre verzerrende Wirkung. 258 Dies soll wiederum an einem Beispiel verdeutlicht werden. Dabei erfolgt die Untersuchung anhand von drei verschiedenen Haftungsobergrenzen, nämlich HG1 = 300 Euro, HG2 = 200 Euro und HG3 = 100 Euro.
258 Wenn die Haftungsobergrenze dagegen so hoch ist, dass selbst der höchste erwartete Schadenswert unterhalb dieses Limits liegt (bezogen auf das Beispiel: HG > 400 Euro), wirkt die Haftungsobergrenze auf die privaten Gesamtkosten des Schädigers nicht mehr ein und ist somit auch ohne Einfluss auf die dem Schädiger gesetzten Anreize. Der Bereich b des Modells wird gar nicht betroffen.
208
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Graphisch stellt sich dies folgendermaßen dar: 600 Erwartungswert der Ersatzpflicht (in Euro)
550 500 450 400
Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten Ohne Haftungsobergrenze HG1 = 300 HG2 = 200 HG3 = 100
350 300 250 200 150 100 50 1
3
5
7
9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 27
Die für den Schädiger relevanten Kosten setzen sich wie folgt zusammen: Im Bereich a verlaufen sie – wie aus früheren Beispielen bekannt – auf der Gesamtkostenkurve. Sobald jedoch die Haftungsobergrenze eingreift und somit Bereich b erreicht ist, bricht der Graph gleichsam nach unten weg. Für jede der beiden Teilfunktionen existiert je ein lokales Minimum. Die dem Schädiger vermittelten Verhaltensanreize sind davon abhängig, welches dieser lokalen Minima das globale Minimum der Gesamtkurve darstellt, d. h. – weniger mathematisch formuliert – in welchem Fall ihm die geringsten Kosten entstehen. Bei einer Haftungsobergrenze von 300 Euro liegt das lokale Minimum des Bereichs b oberhalb des Minimums des Bereichs a: K s (V s=0 ) > K s (V s∗). Der Schädiger minimiert bei dieser relativ hohen Haftungsobergrenze somit seine Kosten weiterhin auf dem Vorsorgeniveau Vs = V s∗. Die Haftungsbegrenzung HG1 = 300 Euro ist deshalb allokativ bedeutungslos. Bei den beiden niedrigeren Haftungsobergrenzen HG2 = 200 Euro und HG3 = 100 Euro hingegen liegt das globale Minimum im Bereich b: K s (V s=0 ) < K s (V s∗). Der Schädiger wird also auf Vorsorge ganz verzichten und deren Kosten einsparen, weil er der Pflicht zum Ersatz der auf diese Weise immens ansteigenden Schadenskosten durch das Eingreifen der Haftungsobergrenzen weitgehend entkommt. Die beiden die Haftung stärker beschränkenden Obergrenzen vermitteln dem Schädiger somit Anreize zu suboptimalem Vorsorgeverhalten.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
209
b) Verschuldenshaftung Unter der Geltung einer Verschuldenshaftung ist die Kostenkurve des Schädigers durch einen sprunghaften Anstieg im Punkt der rechtlich geforderten Vorsorge Vs◦ gekennzeichnet. Genau an diesem Punkt minimiert der Schädiger prinzipiell seine Kosten, wodurch ihm vermittelt wird, eben dieses Vorsorgeniveau auch einzuhalten. Durch die Einführung von Haftungsobergrenzen kann jedoch auch dieser Anreiz verzerrt werden. Geschwindigkeit
Erwartungswert der Ersatzpflicht HG1=300
HG2=200
HG3=100
Vorsorgekosten
Erwartete Gesamtkosten des Schädigers
(Vs )
HG1=300 HG2=200 HG3=100
30 km/h
300 Euro
200 Euro
100 Euro
0 Euro
300 Euro
200 Euro
100 Euro
25 km/h
278 Euro
200 Euro
100 Euro
48 Euro
326 Euro
248 Euro
148 Euro
24 km/h
256 Euro
200 Euro
100 Euro
60 Euro
316 Euro
260 Euro
160 Euro
23 km/h
235 Euro
200 Euro
100 Euro
73 Euro
308 Euro
273 Euro
173 Euro
22 km/h
215 Euro
200 Euro
100 Euro
87 Euro
302 Euro
287 Euro
187 Euro
21 km/h
196 Euro
196 Euro
100 Euro
103 Euro
299 Euro
299 Euro
203 Euro
20 km/h 259
0 Euro
0 Euro
0 Euro
120 Euro
120 Euro
120 Euro
120 Euro
19 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
139 Euro
139 Euro
139 Euro
139 Euro
18 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
160 Euro
160 Euro
160 Euro
160 Euro
17 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
184 Euro
184 Euro
184 Euro
184 Euro
15 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
240 Euro
240 Euro
240 Euro
240 Euro
10 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
480 Euro
480 Euro
480 Euro
480 Euro
5 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro 1200 Euro 1200 Euro 1200 Euro 1200 Euro
0 km/h
0 Euro
0 Euro
0 Euro
∞ Euro
∞ Euro
∞ Euro
∞ Euro
Abbildung 28
Zur Beschreibung der Kostenkurve sind zunächst die beiden für die Verschuldenshaftung typischen Zonen zu unterscheiden. In der erlaubten Zone hält der Schädiger das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge ein (Vs ≥ Vs◦) und hat daher allein seine Vorsorgekosten zu tragen. In der verbotenen Zone dagegen unterschreitet er das geforderte Vorsorgemaß (Vs < Vs◦) und er hat neben den Vorsorgekosten auch die Kosten für den Ersatz des Schadens zu tragen. 260 Nur in dieser forbidden zone – denn nur hier muss der Schädiger überhaupt haften – kann die Haftungsobergrenze eingreifen. Tut sie das, ist Bereich b erreicht; tut sie das noch nicht, 259 Das rechtlich geforderte Vorsorgeniveau Vs◦ = 20 km/h ist wiederum zugleich das effiziente Niveau V ∗s ; dazu: Teil 2 A. II. 1. c). 260 s. o., vgl. Teil 2. A. II. 1. c) aa).
210
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse) 600
Erwartungswert der Ersatzpflicht (in Euro)
550 500 450 400
Erwartungswert des Schadens Vorsorgekosten Ohne Haftungsobergrenze HG1 = 300 HG2 = 200 HG3 = 100
350 300 250 200 150 100 50 1
3
5
7
9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Geschwindigkeit (in km/h)
Abbildung 29
handelt es sich noch um Bereich a. Für jeden dieser insgesamt drei Teilabschnitte existiert ein lokales Minimum. Die dem Schädiger vermittelten Anreize sind wiederum davon abhängig, welches dieser Minima global ist. Bei der Haftungsobergrenze von HG1 = 300 Euro liegt das globale Minimum der Kostenkurve exakt am Schwellenwert: Vs = Vs◦ = 20 km/h. Dort treffen den Schädiger private Kosten von insgesamt 120 Euro. Würde er das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge unterschreiten, könnte er seine privaten Kosten im Bereich a bei Vs = 21 km/h allenfalls auf 299 Euro und im Bereich b bei Vs = 30 km/ h auf 300 Euro begrenzen. Trotz der Haftungsobergrenze von 300 Euro werden dem Schädiger also Anreize vermittelt, das effiziente Vorsorgeniveau von Vs = Vs◦ = 20 km/h zu wählen. Auch bei einer Haftungsobergrenze von HG2 = 200 Euro befindet sich das globale Minimum der Kurve bei dem Vorsorgewert Vs = Vs◦ = 20 km/h. Anders verhält es sich jedoch bei der Haftungsobergrenze HG3 von lediglich 100 Euro. Hier liegt das globale Minimum der Kostenkurve des Schädigers bei Vs = 30 km/h. Wenn der Schädiger vollständig auf Vorsorgemaßnahmen verzichtet, fallen ihm allein Kosten für die Ersatzpflicht an. Gleichsam unter dem Schutz dieser Haftungsbegrenzung kann er also sein Vorsorgeniveau auf null reduzieren: K s (V s=0 ) < K s (Vs◦). Im Rahmen einer Verschuldenshaftung werden dem Schädiger erst dann fehlerhafte Anreize vermittelt, wenn die Haftungsobergrenze schon bei einem sehr geringen Wert eingreift und auf diese Weise den Erwartungswert der Ersatzpflicht so weit reduziert, dass die erwarteten privaten Gesamtkosten bei der Minimalvorsorge Vs = 0 geringer sind als die privaten Vorsorgekosten bei der Optimalvorsorge Vs = Vs◦.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
211
Trotz der konzeptionell bestehenden Unterschiede lässt sich daher auch für die partielle Abweichung ein ähnliches Fazit ziehen wie für die pauschale: Die Verschuldenshaftung erweist sich als „robuster“ 261 gegenüber der Gefahr, dass die vermittelten Anreize verzerrt werden. 262 Dies wird im Beispielsfall insbesondere anhand der Haftungsbegrenzung HG2 (200 Euro) deutlich. Die Begrenzung auf diese Summe ist ausreichend, um potentielle Schädiger unter der Gefährdungshaftung zu einer Reduzierung ihres Vorsorgeniveaus zu induzieren, während eine Begrenzung der Ersatzpflicht auf eben diese Höhe unter einer Verschuldenshaftung unbeachtlich ist. Anders als im Bereich der pauschalen Abweichung führt jedoch im Bereich der Gefährdungshaftung nicht schon jede noch so geringe Abweichung auch unmittelbar zu einer Anreizverzerrung, sondern die Abweichung muss in Relation zum entstehenden Schaden ein beachtliches Maß erreichen. Die quantitativen Haftungsbegrenzungen stellen im Ergebnis eine „kaum begründbare Subventionierung“ 263 von Tätigkeiten dar, deren Schadenserwartungswert so hoch ist, dass der entstehende Schaden die bestehenden rechtlichen oder faktischen Haftungsbegrenzungen übersteigt.
261
Endres (1991a), S. 69. Diese Ergebnisse sind auch auf die Fälle der bilateralen Schadensvorsorge entsprechend übertragbar. Im Bereich der Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand minimiert der Schädiger bei einer nur leichten Diskontierung des Schadens seine Kosten weiterhin bei dem effizienten Vorsorgeniveau: Vs = V ∗s . Der Geschädigte wird dann, um sich seinen Ersatzanspruch ungeschmälert zu erhalten, den rechtlich geforderten Mitverschuldensanteil Vg◦ einhalten: Vg = Vg◦. Wird die Diskontierung aber stärker, ist es für den Schädiger geboten, auf eine Vorsorge komplett zu verzichten: Vs = 0. Dadurch verändert sich auch für den Geschädigten die Ausgangssituation grundlegend. Denn es besteht die Gefahr, dass der von ihm zu erwartende Ersatzanspruch gegen den Schädiger durch das Eingreifen der Haftungsbeschränkung weit hinter dem erwarteten Schaden zurückbleibt. Trotz der Haftung muss der Geschädigte dann Teile der Schadenskosten selbst tragen und diese somit in seine private Kostenrechnung internalisieren. Soweit die Vorsorgemaßnahmen der beiden Beteiligten substitutiv sind, wird der Geschädigte daher hier regelmäßig einen über das Maß an rechtlich geforderter Vorsorge hinausgehenden Vorsorgeaufwand treffen, um seine privaten Kosten zu minimieren: Vg ≥ Vg◦. Entsprechend kommt es auch bei der Verschuldenshaftung grundsätzlich nur dann zu einer Anreizverzerrung, wenn die Haftungsbegrenzung den Schädiger dazu veranlasst, hinter dem rechtlich geforderten Vorsorgeniveau Vs◦ zurückzubleiben. Dies ist in Anbetracht der relativen Unempfindlichkeit der Verschuldenshaftung nur in Fällen denkbar, in denen der ersatzfähige Schaden stark durch die Haftungsobergrenzen beschränkt wird (wie z. B. bei HG3 = 100 Euro). In diesem Fall wird der Geschädigte trotz der Haftung des Schädigers nur teilweise für seinen erlittenen Schaden kompensiert. Es kann daher für ihn geboten sein, sein Vorsorgeniveau über das rechtlich geforderte Maß Vg◦ zu erhöhen, um seine privaten Kosten zu minimieren: Vg ≥ Vg◦. 263 H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 213. 262
212
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
3. Zwischenergebnis Sowohl die pauschale als auch die partielle Abweichung der Ersatzpflicht von der Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens können die durch ein Haftungsregime prinzipiell, d. h. für den Fall der vollkommenen Kompensation, vermittelten Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten unterminieren. 264 Nur dann, wenn die Höhe der drohenden Ersatzpflicht exakt dem drohenden Schaden entspricht – und zwar unabhängig von den Anteilen an Vermögens- und Nichtvermögensschaden und unabhängig von der konkreten Höhe des Schadens –, werden die Beteiligten incentiviert, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht optimalen Vorsorgemaßnahmen zur Risikoreduzierung zu treffen. 265
III. Gegenmaßnahmen Dass jeder verursachte Euro an Schaden zu genau einem Euro an drohender Ersatzpflicht führen muss, hat also unter Effizienzgesichtspunkten das Leitmotiv bei der Bestimmung der Höhe der Ersatzpflicht zu sein: E = S . Deshalb muss gegen die ausgemachten Abweichungsgründe vorgegangen werden, damit eine Diskrepanz zwischen Ersatzpflicht und Schaden verhindert wird und die Ersatzpflicht die ihr zukommende Steuerungswirkung auf den ersatzpflichtigen Schädiger ausüben kann. 266 1. Monetarisierungsproblem Damit ein Schaden dem Geschädigten durch den Schädiger ersetzt werden kann, muss er in Geld bewertet werden. 267 Von fundamentaler Bedeutung für die 264 Es ist durchaus auch denkbar, dass beide Arten der Abweichung simultan auftreten. In diesem Fall sind die Auswirkungen der jeweiligen Effekte zu kumulieren. 265 Shavell (1987), S. 134; Polinsky / Shavell (1998), S. 878; Cooter / Ulen (2004), S. 313, 337. 266 Einschränkend ist insoweit zu sagen, dass die Verwirklichung dieses Ziels aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht um jeden Preis wünschenswert ist. Eine Angleichung der Ersatzpflicht an die Höhe des tatsächlichen Schadens macht nur dann Sinn, wenn die marginalen sozialen Kosten der Ermittlung der exakten Schadenshöhe den marginalen Nutzenzuwachs nicht übersteigen, der daraus resultiert, dass den Beteiligten auf diese Weise Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten vermittelt werden. Dazu schon: Komesar (1974), S. 457. 267 Gemäß § 249 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich für jeden Schaden primär Ersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten. Dieser Grundsatz hat aber insbesondere im Bereich von Nichtvermögensschäden nur eine sehr geringe praktische Bedeutung, weil eine Herstellung in Natur hier in der Regel nicht möglich ist. (Sie ist allenfalls als Widerruf ehrverletzender Behauptungen denkbar; diese Rechtsfolge lässt sich allerdings auch schon auf einen
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
213
Bemessung der Ersatzpflicht ist dabei dessen korrekte Monetarisierung. Dies ist insbesondere für nicht produzierbare Güter (Bereich 3 des Modells 268) problematisch, da sich hier die Frage nach der Bemessung eines unersetzbaren Guts in Geld stellt. Louis L. Jaffe bezeichnete den dafür erforderlich werdenden Prozess als „the attempt to measure [...] the immeasurable“ 269. Robert D. Cooter und Thomas S. Ulen sprechen insoweit von einem „quälenden Problem“ 270: „... [H]ow is the court to assign a dollar value to intangible (but real) losses?“ 271 Die Schwierigkeit der Schadensbewertung besteht darin, dass – anders als bei einer Schädigung an Gut 1 (Geld) oder an Gut 2 (ersetzbare Güter) – keine erkennbare Relation zwischen dem erlittenen nichtmonetären Schaden und dem monetären Schadensersatz besteht. Dieses Problem soll anhand von Beispielen verdeutlicht werden, die einerseits natürlich Rechtsgutsverletzungen betreffen, auf die der Fokus dieser Arbeit gerichtet ist, die andererseits aber auch paradigmatisch die im Zusammenhang mit der Monetarisierung auftretenden Schwierigkeiten aufzeigen. Im ersten Fall verursacht ein Schädiger schuldhaft einen Unfall, infolge dessen der Geschädigte, ein Jura-Professor und passionierter Violinist, den kleinen Finger seiner linken Hand verliert. Der Geschädigte hat weder bemerkenswerte Schmerzen zu ertragen noch entsteht ihm ein Verdienstausfall, da er schon am folgenden Tag wieder seine Vorlesungen halten kann. Ihm entstehen infolge der Verletzung somit zum einen Kosten für die gebotene ärztliche Versorgung der Verletzung. Durch eine sachgerechte Behandlung der Wunde konnte die Gesundheit des Geschädigten – bis auf den verlorenen Finger – wiederhergestellt werden. Insoweit stellt die Gesundheit ein Gut dar, das durch den Einsatz von Geld mit ärztlicher Hilfe wiederhergestellt werden kann, sodass es sich um einen Schaden im Bereich 2 des Modells handelt (ersetzbares Gut). Zum anderen kann der Geschädigte seit dem Verlust des Fingers aber seinem geliebten Hobby nicht mehr wie früher nachgehen. Das Spiel auf der Violine ist ihm ohne den linken kleinen Finger nicht mehr in der gewohnten Weise möglich. Die Lebensfreude, die er aus dem eigenen Musizieren gewinnen konnte, und der daraus resultierende Nutzen sind ihm infolge der Schädigung unwiederbringlich verloren gegangen. Diese konkrete Möglichkeit, durch Violinenspiel Lebensfreude zu gewinnen, kann er auch nicht durch Einsatz von Geld zurückholen. Dieser Teil des Schadens stellt mithin einen Schaden im Bereich 3 des Modells dar (unersetzbares Gut). negatorischen Beseitigungsanspruch gemäß §§ 1004, 12 BGB analog gründen, der kein Verschulden erfordert.). In diesem Sinne auch: Thüsing (2001b), S. 127. 268 Zur Erweiterung des Schadensmodells: vgl. Teil 2 B. I. 1. 269 Jaffe (1953), S. 225. In diesem Sinne auch Calabresi (1970), S. 206: „It [the market, der Verf.] must seek to give things money values, but money values are not necessarily adequate representations of these types of injuries.“ 270 Cooter / Ulen (2004), S. 313: „vexing problem“. 271 Cooter / Ulen (2004), S. 313.
214
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Im zweiten Fall führt der Schädiger eine Werbekampagne für Zahnhaftcreme durch, bei der er den Namen einer bekannten Künstlerin ohne deren Zustimmung verwendet. 272 Heilungskosten entstehen hier nicht, weil das Persönlichkeitsrecht infolge seiner Unkörperlichkeit durchaus zeitgleich von mehreren Personen genutzt werden kann, ohne dass es zu einer Einwirkung auf die Integrität des Persönlichkeitsrechts, d. h. zu einer Reparaturbedürftigkeit im weitesten Sinn kommt. Dadurch, dass ihr Name ohne ihre Zustimmung genutzt wurde, ist der Geschädigten jedoch die Lizenzgebühr entgangen, von deren Zahlung in solchen Fällen die Einwilligung abhängig gemacht zu werden pflegt. Für diesen Verlust kann sie kompensiert werden, indem ihr der hypothetische Wert dieser Lizenz ersetzt wird (Schaden im Bereich 1 [Geld]). Darüber hinaus erleidet sie auch noch einen Schaden dadurch, dass ihr Name und damit letztendlich sie selbst gegen bzw. ohne ihren Willen mit Zahnhaftcreme und Zahnprothesen in Verbindung gebracht wird. Auf diese Weise wird sie der Lächerlichkeit preisgegeben und ihr Ehranspruch verletzt. Die daraus resultierende Verringerung ihrer Lebensfreude ist ein Schaden im Bereich 3 (unersetzbares Gut). Nachdem die einzelnen Schadensposten nun identifiziert worden sind, stellt sich die Aufgabe, diese Posten in Geld zu bewerten. Dafür werden zunächst die Grundlagen der Schadensmonetarisierung erarbeitet (a), um darauf aufbauend möglichst exakte Leitlinien für die Bezifferung der Schäden im Fall einer Verletzung des Körpers (b) und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (c) aufzustellen. a) Die Monetarisierung von Schäden Der Zielpunkt, auf den hin die Höhe der Ersatzpflicht für verursachte Schäden ausgerichtet werden muss, besteht darin, den Geschädigten vollkommen zu kompensieren (perfect compensation). Schadensersatz ist dann vollkommen, wenn der mögliche Geschädigte indifferent ist zwischen dem Zustand „Keine Schädigung“ und dem Zustand „Schädigung mit Kompensation“. aa) Ex-post-Methode Dieses Ziel scheint sich dadurch erreichen zu lassen, dass die Ersatzsumme exakt den Nutzenverlust ausgleicht, der aus der konkreten Schädigung entstanden ist (ex-post-Methode). Zu überprüfen ist, ob der Geschädigte auf diese Weise tatsächlich vollständig für alle Schadensposten kompensiert wird. Aus Sicht einer jeden Person unterteilt sich das Leben in zwei Zeitabschnitte: In Zustand 1 unterliegt sie einem bestimmten Schadenseintrittsrisiko, das Risiko 272 Dieser Fall ist an den Sachverhalt angelehnt, der der Entscheidung BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59), BGHZ 30, 7 – „Caterina Valente“ zugrunde lag. Dieser Fall wird eingehend in Teil 3 A. III. 3. behandelt werden.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
215
hat sich aber noch nicht verwirklicht. In Zustand 2 dagegen ist der Schaden tatsächlich eingetreten. Dieser Schaden soll hier beispielhaft in dem Verlust des linken kleinen Fingers des Jura-Professors bestehen, der Rechtshänder ist und somit zwar keine grundlegenden Einschränkungen durch diese Verletzung erfährt, dem aber sein geliebtes Violinenspiel nicht mehr möglich ist. Es soll angenommen werden, dass der Einzelne sein Vermögen ausschließlich für zwei Alternativen ausgeben kann, entweder für den Konsum oder in Zustand 1 für die Risikovorsorge bzw. in Zustand 2 für die Behandlung der Verletzung. Die oberste Maxime des Einzelnen besteht darin, seinen persönlichen Gesamtnutzen aus seinem Vermögen über beide Zeitabschnitte hinweg zu maximieren. 273 Bei der Erreichung dieses Ziels sind das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens von Geld und die daraus resultierende Risikoaversion zu beachten. 274 Der Einzelne bevorzugt daher sichere Verluste kleineren Ausmaßes gegenüber unsicheren Verlusten größeren Ausmaßes, selbst wenn deren Erwartungswert identisch ist. Diese Präferenz des risikoaversen Menschen kann durch Abschluss von Versicherungen befriedigt werden. 275 Mit Hilfe von Versicherungen kann er aus dem Zustand 1, in dem die Verletzung noch nicht eingetreten ist und in dem daher der Gesamtnutzen des Einzelnen relativ hoch ist, Geld in den Zustand 2, in dem der erwartete Gesamtnutzen infolge der drohenden Schädigung geringer ist, transferieren, um mit diesem Geld dort seinen Nutzen zu erhöhen. Der Transfer funktioniert folgendermaßen: In Zustand 1 muss der potentiell Geschädigte auf Teile seines Vermögens verzichten, um die Versicherung zu finanzieren. Die Höhe der Versicherungsprämien bemisst sich dabei nach dem Erwartungswert des Schadens für die jeweilige Periode. Beträgt der drohende Schaden beispielsweise 4.000 Euro und die Eintrittswahrscheinlichkeit für das Jahr, für das die Prämie zu entrichten ist, 50%, so beläuft sich die Prämie auf 2.000 Euro. 276 Sollte sich im Zustand 2 das versicherte Risiko realisieren, zahlt die Versicherung an den Versicherten eine dem Schaden entsprechende Geldsumme (hier: 4.000 Euro). 277 Der Einzelne wird so lange Geld von Zustand 1 in Zustand 2 umschichten, bis der Grenznutzen des 273
s. o., vgl. Teil 1 A. I. s. o., vgl. Teil 2 A. I. 3. c). 275 s. o., vgl. Teil 2 A. I. 3. c). 276 Die Versicherungsprämie setzt sich in der Realität nicht – wie hier angenommen – allein aus dem Erwartungswert des Schadens zusammen. Vielmehr liegt sie leicht darüber, da der Versicherte auch für die anteiligen Verwaltungskosten und den Gewinn der Versicherung aufzukommen hat. Von diesen zusätzlichen Kosten wird hier aus Gründen der Vereinfachung abstrahiert. Zu beachten ist, dass dieses vereinfachte Modell nur dann realitätsnahe Ergebnisse liefert, wenn die hier vernachlässigten Kosten für Verwaltung und Gewinn der Versicherung so gering sind, dass sie den Nutzengewinn aus der Angleichung des Grenznutzens nicht übersteigen. 277 Es handelt sich hier um einen Fall der Schadensversicherung. Der Versicherer ist verpflichtet, dem Versicherten den durch den Eintritt des Versicherungsfalls konkret entstandenen Schaden zu ersetzen (konkrete Bedarfsdeckung). Davon zu unterscheiden ist die Summenversicherung. Bei ihr hat der Versicherer im Versicherungsfall – unabhängig 274
216
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
letzten Euros, den er vor der Schädigung in die Versicherung eingezahlt hat, genau dem Grenznutzen eines Euros entspricht, den er im Fall der Schädigung aus der Versicherung erhalten wird. 278 Das Motiv des Versicherten für den Abschluss von Versicherungen liegt somit darin, den Grenznutzen seines Vermögens intertemporal auszugleichen und so den erwarteten Gesamtnutzen seines Vermögens zu maximieren. Ein Versicherungsabschluss ist demnach nur dann ökonomisch sinnvoll, wenn der Grenznutzen des transferierten Geldes im Zielzustand höher ist als im Ausgangszustand. 279 Es mag sich inzwischen die Frage aufgedrängt haben, was diese Überlegungen zur Eigenversicherung eines drohenden Schadens mit der Frage des Fremdersatzes im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs zu tun haben. Denn die Frage der Eigenversicherung befasst sich allein mit dem privaten Kalkül des Geschädigten und klammert den Schädiger komplett aus. Jeder einzelne Versicherte wird den Abschluss des Versicherungsvertrags davon abhängig machen, ob diese Versicherung für ihn einen Vorteil bringen wird und ob der mit ihr verbundene Geldtransfer seinen Gesamtnutzen maximiert. Da die Gemeinschaft der Versicherten aber gleichermaßen aus potentiellen Schädigern wie aus potentiellen Geschädigten besteht, kommt es hier daher nicht – und das ist der entscheidende Punkt – auf eine Interessenabwägung zwischen Schädiger und Geschädigtem an, sondern auf die Optimierung der intertemporalen Vermögensverteilung eines jeden Mitglieds der Risikogruppe. 280 Und letztlich stellt auch das deliktische Haftungssystem nichts anderes als eine Versicherung dar, die der Geschädigte im Wege der gesetzlichen Haftungsanordnung mit dem Schädiger abschließt. 281 Führt eine Einkommensumschichtung über eine solche Versicherung im weitesten Sinne nicht zu einer Maximierung des Gesamtnutzens, weil die im Zustand 1 entstehenden Kosten das Nutzenniveau stärker senken, als die in Zustand 2 gezahlte Versicherungssumme den Nutzen steigern kann, wird es jedes Mitglied der Risikogemeinschaft vorziehen, auf den Transfer zu verzichten, um stattdessen in Zustand 1 über ein höheres Realvermögen zu verfügen. Diese Risikogemeinschaft umfasst im Fall einer Versicherung alle Mitglieder der Versicherung und im Fall einer gesetzlich angeordneten deliktischen Haftung alle Mitglieder der Gesellschaft. Den Schaden vollständig nach diesem ex-post-Ansatz von dem Eintritt eines tatsächlichen Schadens beim Versicherten – die im Vertrag fest vereinbarte Summe zu leisten (abstrakte Bedarfsdeckung). Selbst wenn in einer Schadensversicherung (z. B. Haftpflichtversicherung) eine maximale Versicherungssumme vereinbart werden kann, führt dies zwar zu einer betragsmäßigen Beschränkung der Versichererleistung, ändert aber nichts an dem Typus der Schadensversicherung. 278 G. Fromm (1968), S. 168 f.; Zeckhauser (1973), S. 156; Cook / Graham (1977), S. 148; Priest (1987), S. 1539. 279 Zeckhauser (1973), S. 157. 280 Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 568. 281 Danzon (1984), S. 520; Köndgen (1991), S. 175; Calfee / Rubin (1992), S. 371.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
217
30000
C 25000
A Nutzen (N)
20000
B 15000
Nutzen
10000
5000
0 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Vermögen (in Tausend Euro)
Abbildung 30
zu ersetzen, macht also unter Effizienzgesichtspunkten nur dann Sinn, wenn es die damit verbundene Vermögensumschichtung dem Einzelnen ermöglicht, seinen Gesamtnutzen über beide Zeitabschnitte hinweg zu maximieren. 282 Anhand des Beispielsfalls, in dem dem Einzelnen der Verlust seines linken kleinen Fingers droht, ist daher zu untersuchen, ob und gegebenenfalls inwieweit sich der potentiell Geschädigte gegen dieses Risiko versichern würde. Soweit er eine Versicherung abschließen würde, ist eine Haftungsanordnung nach der expost-Methode unter dem Aspekt der Effizienz geboten, im Übrigen nicht. (1) Der Verlust des Fingers führt zum einen zu einer Wunde an der Hand. Diese kann durch die gebotene ärztliche Behandlung versorgt werden, sodass die Gesundheit des Geschädigten wiederhergestellt wird (ersetzbares Gut). 283 Um die Auswirkungen eines solchen Schadens zu verdeutlichen, sei folgende Ausgangssituation unterstellt: Der Geschädigte verfüge über ein Vermögen von 10.000 Euro. Im Fall des Verlustes des kleinen Fingers (Eintrittswahrscheinlichkeit: 50%) drohen ihm Kosten für die ärztliche Versorgung von insgesamt 4.000 Euro. Dementsprechend beläuft sich sein Vermögen, solange sich das Risiko des Fingerverlusts nicht verwirklicht hat (Zustand 1), auf 10.000 Euro (Punkt A). Sollte sich das Risiko dagegen verwirklichen (Zustand 2), beträgt es nur noch 6.000 Euro (Punkt B). 282
Danzon (1984), S. 520; Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 567. Diese hier in Bezug auf ersetzbare Güter (Bereich 2 des Modells) gemachten Aussagen gelten entsprechend für Schädigungen im Bereich 1 des Modells (Geld). 283
218
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Ohne Versicherung wird der Betroffene also mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% entweder am Punkt A oder am Punkt B der Kurve landen. Den Nutzen, den der Geschädigte aus dem jeweiligen Bestand seines Vermögens ziehen kann, ergibt sich aus der folgenden Tabelle: 284 Vermögen
Nutzen
Vermögen
Nutzen
1.000 Euro
10.000
11.000 Euro
25.100
2.000 Euro
14.000
12.000 Euro
25.500
3.000 Euro
17.000
13.000 Euro
25.750
4.000 Euro
19.100
14.000 Euro
26.000
5.000 Euro
20.500
15.000 Euro
26.200
6.000 Euro
21.800
16.000 Euro
26.350
7.000 Euro
22.800
17.000 Euro
26.500
8.000 Euro
23.500
18.000 Euro
26.600
9.000 Euro
24.150
19.000 Euro
26.700
10.000 Euro
24.650
20.000 Euro
26.800
Abbildung 31
In Zustand 2 ist der Bedarf des Betroffenen an Geld größer als im Zustand 1. Dies lässt sich daran ablesen, dass die Steigung der Nutzenfunktion in Punkt B deutlich größer ist als in Punkt A. Der Grenznutzen einer Einheit an Geld ist also nach der Schädigung höher (positively wealth impacting loss 285). Daher ist es für den Betroffenen sinnvoll, Geld aus Zustand 1 in Zustand 2 zu transferieren. Schließt er eine Versicherung für den drohenden Schaden ab, hat er in Zustand 1 eine Versicherungsprämie von 2.000 Euro (= 0,5 × 4.000 Euro) zu zahlen, wodurch sich sein Vermögen auf 8.000 Euro (= 10.000 Euro – 0,5 × 4.000 Euro) reduziert. Dafür erhält er im Zustand 2 aus der Versicherung Ersatz des von ihm erlittenen Schadens, sodass sein erwartetes Vermögen in diesem Zustand ebenfalls 8.000 Euro (= 6.000 Euro + 0,5 × 4.000 Euro) beträgt. Durch den Versicherungsabschluss wird also Geld aus dem Zustand 1, in dem der Grenznutzen von Geld relativ gering ist (graphisch: relativ geringe Steigung der Nutzenkurve in Punkt A), in den Zustand 2, in dem der Grenznutzen relativ hoch ist (graphisch: relativ starke Steigung der Nutzenkurve in Punkt B), umverteilt. Der Einzelne 284 Die konkreten Werte des Nutzens, die aus der jeweiligen Vermögensgröße resultieren, sind zwar willkürlich gewählt. Sie sind aber insoweit als repräsentativ anzusehen, als der unterproportionale Anstieg des Nutzens im Verhältnis zum Vermögen die Gesetzmäßigkeit des abnehmenden Grenznutzens von Geld widerspiegelt. 285 Diese Unterscheidung von Schadenstypen nach dem Einfluss des Schadens auf den Grenznutzen des Geldes geht zurück auf: Cooter (1989a), S. 388 f.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
219
schließt auf diese Weise die Lücke zwischen Punkt A und Punkt B und gleicht so den aus seinem Vermögen resultierenden Grenznutzen für beide Zustände aus. Mit jedem transferierten Euro wandert der Punkt A auf der Nutzenkurve nach links und umgekehrt der Punkt B nach rechts. Wenn sich Punkt A und Punkt B treffen, wird der Einzelne den Geldtransfer einstellen, d. h. keine weitergehende Versicherung mehr abschließen. Denn in diesem Punkt C ist er indifferent, ob er sich in Zustand 1 oder in Zustand 2 befindet; der Grenznutzen ist hier für beide Zustände identisch. Der erwartete Gesamtnutzen wird auf diese Weise aber vergrößert. Denn der sichere, aber geringere Verlust in Höhe der zu zahlenden Versicherungsprämie (hier: 2.000 Euro) verringert den erwarteten Gesamtnutzen infolge des abnehmenden Grenznutzens von Geld weniger als die Wahrscheinlichkeit eines größeren Verlusts mit gleichem Erwartungswert (hier: 0,5 × 4.000 Euro). So beläuft sich das Vermögen im Versicherungsfall in jedem Fall auf 8.000 Euro, was zu einem erwarteten Nutzen von 23.500 führt. Im Fall der Nichtversicherung beträgt das Vermögen mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 50% entweder 6.000 Euro oder 10.000 Euro, sodass der erwartete Gesamtnutzen hier lediglich 23.225 (= [21.800 + 24.650] / 2) beträgt. Da es im Falle eines Schadens an einem ersetzbaren Gut ausschließlich zu einer Bewegung entlang der bestehenden Nutzenkurve – und nicht zu einer vertikalen Verschiebung der gesamten Kurve – kommt, gibt es keinen Konflikt zwischen den Handlungszielen, den Gesamtnutzen (durch Ausgleich des Grenznutzens) zu maximieren und den Gesamtnutzen auszugleichen. 286 Zur Erreichung dieser Ziele würde der potentielle Geschädigte unter idealen Bedingungen für die ihm drohenden Schäden an ersetzbaren Gütern eine Versicherung abschließen. 287 Dementsprechend erfüllt in diesem Bereich die ex-post-Methode die unter Effizienzgesichtspunkten an die Schadensbemessung zu stellenden Anforderungen. (2) Der Verlust des Fingers führt zum anderen aber auch zu einer Verringerung der Lebensfreude des Geschädigten. Auch dieser Teil des Schadens könne – so war die obige Annahme – durch Zahlung eines Geldbetrags vollständig kompensiert werden, wenn sich der Geschädigte nur mit diesem Geld so viele zusätzliche Freuden leisten könne, dass auf diese Weise der erlittene Nutzenverlust ausgeglichen 286
Cooter (1989a), S. 394; Croley / Hanson (1995), S. 1818; Schieren (1998), S. 40 f. Dies gilt in dieser Allgemeinheit nur für homogene Güter. Bei diesen Gütern, die der Geschädigte auf dem Markt nach seinem Belieben kaufen oder verkaufen kann (z. B. Gold oder Aktien), entspricht der subjektive Wert exakt dem Marktpreis, sodass der Marktpreis eben auch genau der Summe entspricht, die den Geschädigten indifferent gegenüber einer Schädigung werden lässt. Bei einem streng an die Person des Geschädigten gebundenen Gut, das er zwar kaufen, nicht aber verkaufen kann (z. B. Gesundheit), kann die Indifferenzsumme unter dem Marktpreis liegen (I ≤ M). Bei einem einzigartigen Gut, das der Geschädigte vor der Schädigung zwar hätte verkaufen können, nach der Schädigung aber nicht mehr ankaufen kann (z. B. Unikate wie ein verkleinerte Nachbau der Universität), kann die Indifferenzsumme dagegen auch über dem Marktpreis liegen (I ≥ M). Dazu: Cooter (2003), S. 1100. 287
220
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
werde. Schon daran, dass für den Schadensersatz an eine solche Saldierungsbetrachtung angeknüpft wird, wird der grundlegende Unterschied zum Schaden an einem ersetzbaren Gut deutlich: Dieses kann dadurch ersetzt werden, dass dem Geschädigten ein Geldbetrag zugesprochen wird, mit dem er auf dem Markt ein perfektes Substitut für das verlorene Gut erwerben kann. Er wird folglich sowohl quantitativ als auch qualitativ entschädigt. Im Falle einer Schädigung eines unersetzbaren Guts hingegen erleidet der Geschädigte einen Verlust, für den es auf dem Markt kein Substitut zu kaufen gibt. Bekommt er trotzdem auch hier einen „Anti-Verlust“ in Geld zugesprochen, soll er damit in die Lage versetzt werden, den erlittenen Schaden (z. B. Schmerz oder Verlust an Lebensfreude) dadurch auszugleichen, dass er sich mit diesem Geld Dinge leistet, die ihm Freude bereiten. Er muss also so viel Geld erhalten, dass der erlittene Nutzenverlust exakt durch die zusätzlich „erkaufte“ Lebensfreude ausgeglichen werden kann. Da die Geldentschädigung allenfalls die Nutzeneinbuße im Saldo egalisieren, aber die konkret verlorene Lebensfreude nicht wiederbringen kann, kann Geld Schäden an nicht ersetzbaren Gütern lediglich quantitativ, nicht aber qualitativ entschädigen. 288 George L. Priest bringt diese Situation auf den Punkt: „However severe the pain, a larger bank account is an imperfect anesthetic.“ 289 Dieses sei anhand des Beispielsfalls verdeutlicht: Infolge des Verlusts des Fingers kommt es zu einer Beeinträchtigung des persönlichen Wohlergehens und somit zu einer Verringerung des Nutzens, der im Graphen auf der vertikalen Achse aufgetragen ist. Im Gegensatz zu Schäden an ersetzbaren Gütern, wie sie dem Geschädigten in Form der Behandlungskosten entstehen, führt dieser Schaden aber nicht zugleich auch zu einer Verringerung des Vermögens. Der Wert des Vermögens, der graphisch auf der horizontalen Achse aufgetragen ist, verändert sich nämlich nicht. Daher sinkt infolge der Schädigung die Grundlinie des individuellen Nutzens des Geschädigten (baseline utility) ab. 290 Es entsteht ein vermögensneutraler Schaden (wealth neutral loss), durch den sich der Bedarf des Geschädigten an Geld nicht verändert: 291 Die Steigung der Kurve, die den Grenznutzen des Vermögens abbildet, bleibt für den jeweiligen Wert des Vermö288 A. Schwartz (1988), S. 408 sowie Croley / Hanson (1995), S. 1912 unterscheiden insoweit zwischen „replacement“ eines Schadens an einem ersetzbaren Gut und „substitution“ eines Schadens an einem nicht ersetzbaren Gut. Thüsing (2001b), S. 127 hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Nichtvermögensschäden regelmäßig nicht restituiert, sondern nur kompensiert werden können. 289 Priest (1987), S. 1547. In eben diesem Sinne auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. Teil 1. C. I. 1. c). 290 Croley / Hanson (1995), S. 1814 f. sprechen für diesen Fall von „baseline-dependent utility“, im Gegensatz zur Schädigung an einem ersetzbaren Gut, wo es sich um „baselineindependent utility“ handele. 291 Denkbar ist neben dem bereits erwähnten positively wealth impacting loss als dritte Kategorie schließlich auch der Fall des negatively wealth impacting loss. Diese Unterscheidung trifft zwar Cooter (1989a), S. 388 f. noch nicht, der davon ausgeht, dass ein
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
221
gens dieselbe. 292 Im Ergebnis kommt es – anders als bei einer Schädigung eines ersetzbaren Guts – nicht zu einer Positionsveränderung entlang der bestehenden Nutzenkurve (dort: Wechsel von Punkt A zu Punkt B); vielmehr wird hier die Nutzenkurve des Geschädigten in ihrer bisherigen Form nach unten versetzt. 293 Graphisch stellt sich diese Situation folgendermaßen dar:
Verlust entweder den Grenznutzen des Geldes erhöht (positively wealth impacting) oder ihn unberührt lässt (wealth neutral). Croley / Hanson (1995), S. 1798 f. erweitern dieses Modell jedoch um den Fall, dass ein Schaden den Grenznutzen des Geldes verringert (negatively wealth impacting). Das obige Beispiel soll dafür dahingehend abgewandelt werden, dass der Geschädigte erblinde. Sein Wohlergehen wird durch die Erblindung – insoweit noch parallel zum Verlust des Fingers – verringert. Es stehen dem Betroffenen infolge des Verlusts seines Augenlichts aber nun nicht mehr alle Möglichkeiten offen, seinen persönlichen Nutzen zu steigern. Der Nutzen, den der Einzelne somit aus dem Geld ziehen kann, oder – anders formuliert – der Faktor, mit dem er Geld in Nutzen umsetzen kann, hängt maßgeblich von seiner persönlichen Situation ab. Seinen früheren Hobbys wie etwa Tennis und Motorradfahren kann er nicht mehr nachgehen und auch die Freude an einem Plasmafernseher ist stark eingeschränkt. Stattdessen muss er seinen Konsum auf die wenigen, ihm verbleibenden Handlungsalternativen konzentrieren (z. B. Gourmetessen). Um das Maß an Nutzen, das ihm dadurch entgeht, dass ihm infolge seiner Erblindung viele Möglichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen, durch die ihm verbleibenden Möglichkeiten auszugleichen, muss er diese wenigen Freuden exzessiv genießen. Der Nutzen jeder für Gourmetessen ausgegebenen Einheit an Geld ist daher sehr gering. Der Grenznutzen des Geldes ist somit im Zustand 2 geringer als im Zustand 1. In dieser Situation ist die Ersatzlage folglich noch schlechter als im Fall der wealth neutrality. Theoretisch sind auch Fälle des Nichtvermögensschadens denkbar, in denen sich der Grenznutzen des Geldes erhöht (positively wealth impacting loss). Solche Fälle sind aber aus den genannten Gründen unwahrscheinlich. Das zum negatively wealth impacting loss Gesagte gilt für diese Gruppe entsprechend umgekehrt. Die Darstellung des Problems erfolgt im Folgenden allein für den Fall der Neutralität (wealth neutral loss), weil hier die Auswirkungen der Verschiebung der Nutzenkurve nach unten (Verringerung des Gesamtnutzens bei gleich bleibendem Vermögen) deutlicher hervortreten und nicht durch den zusätzlichen Effekt des verringerten Grenznutzens verzerrt werden. Die erarbeiteten Defizite bei der Ersatzfähigkeit stellen sich in vergleichbarem Maße auch im Fall des negatively oder des positively wealth impacting loss. Auf eventuelle Besonderheiten wird in den Fußnoten verwiesen. Dazu: Calfee / Rubin (1992), S. 375 –379; Viscusi (1992), S. 9, 75 ff.; Shavell (2003), Kap. 5, S. 9 f. 292 Ein Vorfall, der den Bedarf an Geld nicht erhöht, darf nicht verwechselt werden mit einem Vorfall, bei dem kein Schaden entsteht. Der hier dargestellte Vorfall verringert das Wohlbefinden des Betroffenen und somit seinen Nutzen. Der Umstand, dass sein Bedarf an Geld nach dem Vorfall nicht ansteigt, bedeutet nicht, dass er keinen Schaden erlitten hat (hier: Verlust eines Fingers der linken Hand). Dazu: Cooter (1989a), S. 390. 293 Im Fall des negatively wealth impacting loss wird die Kurve ebenfalls infolge des Nutzenverlusts nach unten versetzt. Zusätzlich verringert sich in dieser Konstellation jedoch auch der Grenznutzen des Geldes, d. h. die Steigung der Kurve wird geringer. Eine gute graphische Übersicht dazu findet sich bei Croley / Hanson (1995), S. 1800 und umfassende Überlegungen zur Versicherung eines Risikos in dieser Situation stellen Croley / Hanson (1995) auf S. 1821 f. dar.
222
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse) 30000
Z
25000
W X
Nutzen (N)
20000
Y Nutzen in Zustand 1 Nutzen in Zustand 2
15000
10000
5000
0 1
2
3 4
5
6 7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Vermögen (in Tausend Euro)
Abbildung 32
Die einzelnen Werte ergeben sich aus folgender Tabelle: Vermögen
Nutzen in Zustand 1
Nutzen in Zustand 2
Vermögen
Nutzen in Zustand 1
Nutzen in Zustand 2
1.000 Euro 2.000 Euro
10.000
7.500
11.000 Euro
25.100
22.600
14.000
11.500
12.000 Euro
25.500
23.000
3.000 Euro
17.000
14.500
13.000 Euro
25.750
23.250
4.000 Euro
19.100
16.600 14.000 Euro
26.000
23.500
5.000 Euro
20.500
18.000
15.000 Euro
26.200
23.700
6.000 Euro
21.800
19.300
16.000 Euro
26.350
23.850
7.000 Euro
22.800
20.300
17.000 Euro
26.500
24.000
8.000 Euro
23.500
21.000
18.000 Euro
26.600
24.100
9.000 Euro
24.150
21.650
19.000 Euro
26.700
24.200
10.000 Euro
24.650
22.150
20.000 Euro
26.800
24.300
Abbildung 33
Im Zustand 1 vor dem Verlust des Fingers befindet sich der Betroffene auf dem Ausgangspunkt Z. Nach der Schädigung (Zustand 2) sinkt der Gesamtnutzen infolge der verlorenen Lebensfreude um 2.500 Nutzeneinheiten auf Punkt Y ab, ohne dass sich der Wert des Vermögens ändert. Es entsteht also eine zweite Nutzenkurve, die in einem Abstand von hier 2.500 Nutzeneinheiten parallel zu der
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
223
früheren Nutzenkurve verläuft. Der Grenznutzen des Geschädigten ist in diesem beiden Punkten Z und Y aber identisch, denn die Steigung ist infolge des parallelen Verlaufs der beiden Kurven denknotwendig gleich. Um den erwarteten Gesamtnutzen aus Zustand 1 und aus Zustand 2 auszugleichen, kann der Betroffene über Versicherungen Geld intertemporal umverteilen. In Zustand 2 erreicht er dasselbe Maß an Nutzen, das er in Zustand 1 im Ausgangspunkt Z hatte, in Punkt X. Dieses ist der Punkt, in dem er in Bezug auf den rein quantitativen Nutzen indifferent ist zwischen „Zehn Finger“ und „Neun Finger mit Kompensation“ (Nutzenniveau: 23.500 Einheiten). Da der Grenznutzen von Geld jedoch mit zunehmendem Vermögen abnimmt und die Nutzenkurve im Zustand 2 parallel nach unten verschoben ist, benötigt der Betroffene einen relativ hohen Geldbetrag, um das entsprechende Maß an Nutzen zu erreichen. Dies wird graphisch daran deutlich, dass der Punkt X auf der horizontalen Achse einen wesentlich höheren Wert einnimmt als der Punkt Z (im Beispielsfall: 14.000 Euro statt 8.000 Euro). Um dieses zusätzliche Bedürfnis in Zustand 2 von hier 6.000 Euro zu versichern, wäre es in Zustand 1 erforderlich, eine entsprechende Versicherungsprämie aufzuwenden (hier: 3.000 Euro). Durch den Abschluss dieser Versicherung würde sich dementsprechend in Zustand 1 sowohl das Vermögen (hier: auf 5.000 Euro) als auch das Nutzenniveau (hier: auf 20.500 Nutzeneinheiten) reduzieren (Punkt W). Der Grenznutzen einer Einheit an Geld ist allerdings für den Geschädigten im Zustand 2 nach der Schädigung (hier: Punkt X) geringer als im Zustand 1 vor der Schädigung (hier: Punkt W): Die Steigung der Kurve in Punkt X ist geringer ist als in Punkt W. 294 Mit anderen Worten: Der Nutzenverlust, den der Geschädigte in der Zeit vor der Schädigung durch die von ihm zu zahlende Versicherungsprämie erleidet, übersteigt den Nutzengewinn, den er nach der Schädigung aus der Auszahlung der Versicherungssumme hat. Anhand der Werte des Beispielsfalls soll dies exemplarisch verdeutlicht werden. Realisiert sich das Schadensrisiko, sinkt der Nutzen des Geschädigten im Fall der Nichtversicherung von Punkt Z auf Punkt Y ab. Der erwartete Gesamtnutzen des Geschädigten bestimmt sich somit folgendermaßen: 0, 5 × (U(Z) + U(Y)). Im Beispielsfall beträgt dieser daher 22.250 (= 0, 5 × [23.500 + 21.000]). Dieser Erwartungswert liegt über dem im Fall der Versicherung: 0, 5 × (U(X) + U(W)). In diesem Fall beträgt der erwartete Gesamtnutzen des Geschädigten lediglich 22.000 (= 0,5 × [23.500 + 20.500]). Bei einer Schädigung eines unersetzbaren Gutes kommt es somit – anders als bei der Schädigung eines ersetzbaren Gutes – infolge der Verschiebung der Nutzenfunktion nach unten zu einem Konflikt zwischen Ausgleich und Maximierung des Gesamtnutzens. 295 Das Ziel des homo 294
Ein empirischer Nachweis dafür findet sich bei: Viscusi / Evans (1990), S. 371. Gleichbedeutend ist die Gegenüberstellung von Ausgleich des Gesamtnutzens und Ausgleich des Grenznutzens, denn durch den Ausgleich des Grenznutzens wird der Gesamtnutzen maximiert. 295
224
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
oeconomicus ist jedoch nicht der Ausgleich, sondern die Maximierung seines Gesamtnutzens. Die Eingehung einer Versicherung bewirkt dagegen allein den Ausgleich des Gesamtnutzens. Ein Versicherungsabschluss ist daher nur dann effizient, wenn durch den Ausgleich des Gesamtnutzens zugleich – gleichsam bei Gelegenheit der Versicherung – der Gesamtnutzen intertemporal maximiert werden kann. Denn in Zustand 1 Geld für eine Versicherung zu bezahlen, ist nur dann sinnvoll, wenn das so in Zustand 2 transferierte Geld für den Einzelnen dort einen größeren Wert hat. 296 Ist der Grenznutzen in beiden Zuständen gleich (hier: gleiche Steigung der Nutzenkurve in Punkt Z und Punkt Y), ist hingegen ein Geldtransfer von einem Zustand in den anderen ineffizient. Der Abschluss einer Versicherung führt in diesen Fällen zu einer Verringerung des erwarteten Gesamtnutzens, weil der Preis, den der Betroffene für die Versicherung zahlen muss, um ein Äquivalent für den Nutzenverlust nach Eintritt des Schadens zu erhalten, vor Eintritt des Schadens einen größeren Nutzenverlust hervorruft als die Versicherungssumme im Fall ihrer Auszahlung an Nutzengewinn bewirken kann. Im Beispielsfall führen die Kosten der Versicherung in Zustand 1 zu einem Nutzenverlust von 3.000 Einheiten (von Punkt Z [23.500 Einheiten] auf Punkt W [20.500 Einheiten]); der in Zustand 2 aus der Versicherung resultierende Nutzenzuwachs beträgt dagegen lediglich 2.500 Einheiten (von Punkt Y [21.000 Einheiten] auf Punkt X [23.500 Einheiten]). Es ist daher aus Sicht des potentiell Geschädigten geboten, sein Vermögen vor der Schädigung ausschließlich für gegenwärtige Lebensfreuden – und nicht zum Abschluss einer Versicherung – zu nutzen. Denn hier kann er Geld wirkungsvoller in Nutzen umsetzen als in Zustand 2: 297 Der Grenznutzen (graphisch: die Steigung) ist im Fall der Versicherung in Zustand 1 (hier: Punkt W) größer als in Zustand 2 (hier: Punkt X). Eine Versicherung für Schäden an unersetzbaren Gütern verschlechtert folglich den intertemporalen Konsumplan des potentiellen Geschädigten und darf daher unter dem maßgeblichen Aspekt der Maximierung des Gesamtnutzens nicht abgeschlossen werden. 298 Deshalb ist unter Effizienzgesichtspunkten ein Ersatz solcher Schäden an unersetzbaren Gütern durch das Haftungsrecht nach der ex-post-Methode nicht wünschenswert. 296
Shavell (2003), Kap. 5, S. 10. Im Fall des negatively wealth impacting loss wird der Betroffene sogar zu einer „umgekehrten Versicherung“ tendieren (anti-insurance, disinsurance). Der potentielle Geschädigte wird also in Zustand 1 Kredite aufnehmen, um mit diesem Geld ihm Freude bereitende Dinge zu unternehmen, deren Vornahme ihm in Zustand 2 verwehrt sind. Diese Kredite wird er dann im Zustand 2 zurückzahlen, in dem er Geld nicht mehr so „leicht“ in Lebensfreude umsetzen kann. Der Grund dafür liegt darin, dass der Grenznutzen eines jeden Euro in dieser Konstellation in Zustand 1 per definitionem höher ist (graphisch: größere Steigung) als in Zustand 2. Dazu: Priest (1987), S. 1547; Croley / Hanson (1995), S. 1799 f., 1821 f., 1893 – 1895. Umgekehrt wird der Betroffene im Fall des positively wealth impacting loss eine „normale“ Versicherung abschließen. Dies verdeutlicht noch einmal, dass die Frage des Versicherungsabschlusses allein davon abhängt, ob der Grenznutzen von Geld vor oder nach der Schädigung höher ist. 297
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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(3) Zusammenfassend lässt sich festhalten: Schäden an ersetzbaren Gütern führen zu einer Positionsveränderung auf der bestehenden Nutzenkurve, welche durch diese Art der Schädigung an sich unverändert bleibt. Die Verringerung des Gesamtnutzens geht daher auch immer einher mit einem Anstieg des Grenznutzens. Hier macht eine Versicherung unter dem maßgeblichen Aspekt der Maximierung des Gesamtnutzens Sinn. Entsprechend erfüllt eine Kompensation für Schäden nach dem ex-post-Prinzip die mikroökonomischen Anforderungen. Im Fall der Schädigung unersetzbarer Güter hingegen kommt es zu einem Absinken der individuellen Nutzenkurve. Nach der Schädigung existiert also eine zweite Kurve, die parallel unterhalb der ersten verläuft. Eine Verringerung des Gesamtnutzens führt hier somit nicht zu einem Anstieg des Grenznutzens, sodass die Aspekte des Ausgleichs und der Maximierung des Gesamtnutzens auseinanderfallen. Eine Versicherung dieser Schäden und somit auch eine Kompensation auf Basis der expost-Methode, durch die allein ein intertemporaler Ausgleich des Gesamtnutzens bewirkt werden kann, ist daher ineffizient. 299 Denn die Summe, die der Schädiger danach zahlen müsste, führt bei ihm zu einem größeren Nutzenverlust (hier: Verlust von 3.000 Nutzeneinheiten) als sie beim Geschädigten an zusätzlichem Nutzen stiftet (hier: Gewinn von 2.500 Nutzeneinheiten). 300 Insoweit, als das Vermögen (Bereich 1 des Schadensmodells) und ersetzbare Güter (Bereich 2 des Modells) geschädigt werden, werden Schäden über den expost-Ansatz also übereinstimmend mit den ökonomischen Anforderungen ersetzt. Für Schäden dagegen, für die keine Marktsubstitute existieren (Bereich 3 des Schadensmodells), treten bei der Anwendung des ex-post-Prinzips grundlegende Schwierigkeiten auf. Hier kann es sein, dass keine Geldsumme groß genug ist, um den Geschädigten indifferent zu machen zwischen dem Zustand „Keine Schädigung“ und dem Zustand „Schädigung mit Kompensation“. An dem Extremfall, dass die Schädigung zum Tod des Geschädigten führt, wird dies besonders deutlich. 301 Dies gilt entsprechend auch für nicht-tödliche Verletzungen. Dem Geschädigten müsste im Beispielsfall eine so hohe Geldsumme gezahlt werden, 298 Cooter (1989a), S. 392; Croley / Hanson (1995), S. 1799 f.; dazu auch die Kontrollfrage 5 bei H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 391 (Antwort unter: http://www2.jura.unihamburg.de/le [„L&E Lehrbuch Schäfer / Ott“; letzter Zugriff: 1. 03. 2006]). Andere Ergebnisse beruhen auf einer Verwechslung von Gesamt- und Grenznutzen, wodurch der Gesamtnutzen nicht maximiert, sondern lediglich intertemporal ausgeglichen wird, was aber dem Interesse des Betroffenen nicht entspricht. D. Friedman (1982), S. 82 f. wies dies überzeugend nach. (Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich die Ausführungen Friedmans auf einen Fall des negatively wealth impacting loss beziehen.) 299 Cook / Graham (1977), S. 149: „... [T]he individual will purchase insurance against only the financial loss associated with the loss of the commodity“. 300 D. Friedman (1982), S. 90: „... [T]he problem of giving large sums of money to individuals who cannot benefit from them.“ 301 Zur Bestimmung des „Werts des Lebens“, der aus ex-ante-Sicht keineswegs unendlich hoch ist, im Einzelnen: Teil 2 B. III. 1. b) bb).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
dass er die Unlust, die er infolge des unwiederbringlichen Verlusts seines Fingers erlitten hat, durch erkaufte Lust ausgleichen kann. Dabei ist aber zu bedenken, dass der Genuss einiger Formen der „käuflichen Lebensfreude“, wie beispielsweise das Musizieren auf einer Geige, den kleinen Finger der linken Hand erfordert. Der Grenznutzen des dem Geschädigten zugesprochenen Schmerzensgelds wird also dadurch reduziert, dass aufgrund der Verletzung eine Reihe von Möglichkeiten, die persönliche Freude zu maximieren, eliminiert sind. Wie stark der Nutzen von Geld verringert ist, hängt von der Art der Verletzung im konkreten Einzelfall ab (sehr stark z. B. bei Tod oder Koma, deutlich geringer etwa beim Verlust eines kleinen Fingers). Sofern es also überhaupt möglich ist, den Verletzten für die von ihm erlittenen Schäden an unersetzbaren Gütern zu kompensieren, müssten überproportional hohe Summen gezahlt werden. Es wäre der Geldbetrag zu ermitteln, der den Geschädigten zwischen Zustand 1 und Zustand 2 indifferent werden ließe. 302 So „gerecht“ eine derartige Bestimmung des Schadensersatzes auf Grundlage des ex-post-Ansatzes prima facie auch erscheinen mag, sie ist ineffizient und würde im Ergebnis zu einer Überkompensation des Geschädigten führen, da sie ihm Schäden ersetzen würde, die er selbst nicht versichern würde. 303 Dies ist letztlich der Grund, warum solche Schäden aus ökonomischer Sicht im Fall ihres tatsächlichen Eintritts als unersetzbar anzusehen sind. 304 Die ex-post-Methode, die den Ausgleich des Gesamtnutzens bewirkt, weist unter Effizienzgesichtspunkten Defizite auf, da insoweit allein die Maximierung des Gesamtnutzens das maßgebliche Kriterium ist. Beim Ersatz von Schäden am Vermögen und an ersetzbaren Gütern wird dieses Defizit nicht offenbar, da hier die Aspekte des Ausgleichs und der Maximierung des Gesamtnutzens zusammenfallen. Virulent wird diese Unzulänglichkeit jedoch im Bereich 3 beim Ersatz von Schäden an unersetzbaren Gütern. Hier wirkt sich der aus ökonomischer Sicht bestehende Mangel der ex-post-Methode aus und vermittelt durch Überkompensation fehlerhafte Anreize. 302 D. Friedman (1982), S. 81 bezeichnet die Auswirkungen dieser Art der Entschädigung kritisch als: „... [C]reation of blind billionaires living in profligate luxury (and so compensating, with pleasures that large amounts of money will buy, for the lost pleasures that it cannot buy).“ Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 567: „Es wäre dann [...] nach der maximalen Geldsumme zu fragen, die dem Geschädigten noch irgendeinen Nutzenvorteil bringt und von deren weiterer Erhöhung er bei vernünftiger Betrachtung keinen anderen Vorteil mehr haben kann als das Gefühl, reich zu sein.“ 303 D. Friedman (1982), S. 84 wies dazu überzeugend nach, dass eine scheinbar vollständige Kompensation nach der ex-post-Methode tatsächlich eine Überkompensation darstellt, weil sich in der Erwartung einer solchen Zahlung Märkte bilden würden, auf denen die potentiell Geschädigten Versicherungen an sich selbst verkaufen würden, um ihr Einkommen im Vorfeld der Schädigung zu erhöhen. Zu diesem Ergebnis der Überkompensation gelangen auch: Croley / Hanson (1995), S. 1819 f., 1916. 304 Dies ist der angekündigte Nachweis für die unter Teil 2 B. I. 1. getroffene Behauptung zur Unersetzbarkeit von Schäden im Bereich 3 des Modells.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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bb) Ex-ante-Methode (Hand-Rule-Methode) Da die ex-post-Methode unter mikroökonomischen Blickwinkel methodische Defizite aufweist und deshalb zum Ersatz von Schäden an nicht ersetzbaren Gütern ungeeignet ist, besteht scheinbar ein Dilemma: Auf der einen Seite ist ein umfassender Ersatz aller verursachten Schäden im Rahmen der deliktischen Haftung nötig, um die durch die Schädigung verursachten Kosten beim Schädiger zu internalisieren und ihm so wirksame Anreize zur Schadensvermeidung zu setzen. Auf der anderen Seite erscheint es paradox, einen Ersatz für einen erlittenen Schaden zu gewähren, der als unersetzbar anzusehen ist. Als Ausweg kommt nur ein Wechsel der Perspektive in Betracht, aus der der Schaden betrachtet wird. Bislang wurde retrospektiv überprüft, ob ein Geldbetrag existiert, der dem Geschädigten nach der Schädigung (ex post) als vollständige Kompensation dienen kann, der ihn also indifferent bezüglich der erlittenen Schädigung macht. Alternativ steht ein Wechsel auf die ex-ante-Seite offen, also in die Situation, in der der Schaden noch nicht eingetreten ist, der potentielle Geschädigte aber prospektiv einem gewissen Schadenseintrittsrisiko unterliegt. Jede Person ist tagtäglich zu einem gewissen, wenn auch nur geringen Grad einem Risiko ausgesetzt, dass es zu einer Schädigung an einem unersetzbaren Gut kommt. Zu denken sei nur an die Gefahr eines Unfalls im Straßenverkehr, der zu chronischen Beschwerden und so zu einer Verminderung der Lebensfreude führen könnte. David Friedman beschreibt diese Situation plastisch: „... [P]otential victims are seen as facing a lottery of outcomes which includes some probability of injury. “ 305 Zwar werden per definitionem für tatsächlich erlittene Schäden an nicht ersetzbaren Gütern auf dem Markt keine Substitute gehandelt. Sehr wohl kann aber das ex ante in dieser „Schadenslotterie“ bestehende Risiko durch Einsatz von Ressourcen verringert werden. So können beispielsweise in Autos zusätzliche Vorrichtungen eingebaut werden, die die Sicherheit der Insassen erhöhen. Ob der potentiell Geschädigte tatsächlich bereit ist, zur Verringerung des ihm drohenden Risikos Geld für Vorsorgemaßnahmen auszugeben, ist Gegenstand einer rationalen Entscheidung: Der Betroffene wird nur dann Vorsorgemaßnahmen ergreifen, wenn sein privater Nutzen der Vorsorge seine privaten Kosten übersteigt. 306 Er wird also so lange Geld für Vorsorge ausgeben, wie ein zu diesem Zweck gezahlter Euro noch zu mindestens einem Euro an Risikoverringerung führt. Durch eine solche Grenzbetrachtung lässt sich der Betrag ermitteln, den eine optimal versicherte Person (die also eine Versicherung nur gegen Schäden an ersetzbaren Gütern abgeschlossen hat 307) selbst aufzuwenden bereit wäre, um das Risiko eines (dementsprechend nicht versicherten) Schadens an unersetzbaren Gütern zu 305 306 307
D. Friedman (1982), S. 87. Cooter (2003), S. 1109. s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
verringern, wenn sie allein dieses beeinflussen könnte. 308 Robert D. Cooter fasst diesen Prozess folgendermaßen zusammen: „When precaution is costly, buying it forces people to trade off money and risk, including searching for the point of indifference between them.“ 309 Die so ermittelte Summe stellt zugleich den Betrag dar, den eine vom Risiko betroffene Person rationalerweise von einem Dritten akzeptieren würde, um sich einem bestimmten Risiko auszusetzen. Denn es wird ihr mit diesem Geldbetrag ermöglicht, ihr persönliches Risiko durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen wieder auf den Wert zu verringern, der vor der Risikoerhöhung bestanden hat. 310 Das vor dem Schadenseintritt bestehende Risiko, dass ein Schaden an einem unersetzbaren Gut eintritt, kann auf diese Weise also – anders als ein tatsächlich eingetretener Schaden (ex-post-Sicht) – durchaus in Geld bewertet werden. 311 Die Bemessung der Schadensersatzsumme hat sich bei diesen Schäden daher an dem ex ante bestehenden Risiko des Schadenseintritts, das sich letztlich im Schaden verwirklicht hat, zu orientieren. Der Wechsel auf die ex-ante-Seite führt somit zur Schaffung von Äquivalenz zwischen Geld und Schadenseintrittsrisiko und nicht – wie die ex-post-Betrachtung – von Äquivalenz zwischen Geld und Schaden. Um den Unterschied auch begrifflich deutlich zu machen: Es handelt sich hier streng genommen nicht mehr um einen Fall des Schadensersatzes im engeren Sinne, sondern um einen Fall des Risikoersatzes. 312 Zur Ermittlung der Höhe der Ersatzpflicht im konkreten Schadensfall muss das in Geld bezifferte Risiko auf den Fall des tatsächlich eingetretenen Schadens hochgerechnet werden. Für den erforderlich werdenden Rechenvorgang ist eine leicht modifizierte Learned-Hand-Formel heranzuziehen: Anstatt sie in ihrem traditionellen Anwendungsbereich zur Bestimmung der effizienten Vorsorge (V) einzusetzen, 313 wird sie hier zur Berechnung der Höhe der Ersatzpflicht (E) benutzt. Um die Ersatzpflicht zu beziffern, muss die Formel entsprechend nach der Variablen E aufgelöst werden: E = V/W. 314 Das Vorsorgemaß V ist der Wert des Risikos, d. h. der Geldbetrag, den der potentiell Geschädigte effizienterweise 308
Shavell (1987), S. 234; Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 567. Cooter (2003), S. 1109. Vgl. ebenda, S. 1098: „point of indifference between less risk and more expenditure on precaution“. 310 Eine Bewertung des Risikos und somit dessen Ausgleich in Geld ist auf diese Weise jedenfalls so lange möglich, wie das Risiko des Schadenseintritts nicht überdurchschnittlich hoch ist, d. h. die sozialtypische Höhe nicht übersteigt. Wenn das Risiko aber ansteigt, wird der Eintritt des Schadens immer wahrscheinlicher, bis er schließlich fast sicher ist. Ein an sich in Geld ersetzbares Risiko verwandelt sich so in einen nicht in Geld ersetzbaren Schaden. Dazu: D. Friedman (1982), S. 85; Landes / Posner (1987), S. 187 –189; Cooter (2003), S. 1102 f. 311 D. Friedman (1982), S. 83; Cooter (2003), S. 1102. 312 Die Terminologie geht zurück auf Cooter (1997), S. 79, der diesen Ansatz als „risk equivalent method“ bezeichnete. 313 Eingehend zur Learned-Hand-Formel im Bereich der Verschuldenshaftung: Teil 2 A. II. 1. c) bb). 309
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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eingesetzt hätte, um das ihm drohende Risiko zu verringern, und den er entsprechend als Entgelt dafür akzeptiert hätte, dass sein Risiko durch das Verhalten eines Dritten erhöht wird. Der Wert der Wahrscheinlichkeit W beläuft sich auf die durch den hypothetischen Schadensvermeidungsaufwand mögliche Verminderung des Risikos eines Schadenseintritts. Sofern sich dieses Risiko (0% < W < 100%), das auf diese Weise in Geld beziffert werden kann, zu einem tatsächlichen Schaden realisiert, wird es linear auf den Fall des sicheren Schadenseintritts (100%) hochgerechnet. 315 Angenommen, der potentiell Geschädigte sei bereit, genau 10 Euro aufzuwenden, um die Wahrscheinlichkeit, seinen linken kleinen Finger infolge eines Unfalls zu verlieren, von 1% auf 0,75% zu reduzieren, das verbleibende Restrisiko nehme er in Kauf, um über ein höheres Realvermögen im Zustand vor der Schädigung (Zustand 1) zu verfügen. Der sich auf Basis dieser ex-anteMethode seinem kleinen Finger vom potentiellen Geschädigten beigemessene „Wert“ beläuft sich danach auf 4.000 Euro= 10 Euro/0, 0025, den der Schädiger im Fall der Verletzung zu ersetzen hat. Wenn die Höhe der Ersatzpflicht für Schäden an unersetzbaren Gütern auf diese Weise ermittelt wird, wird auf Seiten des potentiellen Schädigers der Nutzen der Risikoverringerung beachtlich, der aus den von ihm getroffenen Vorsorgemaßnahmen resultiert. Denn dadurch kann er den Erwartungswert der ihm drohenden Schadensersatzhaftung verringern. So werden unter dem Regime einer Gefährdungshaftung ohnehin alle anfallenden Kosten bei ihm internalisiert und seine private Kosten-Nutzen-Analyse entspricht der gesamtgesellschaftlichen. Daher wird er hier das effiziente Maß an Vorsorge treffen, da, wenn ihn eine Pflicht zum Schadensersatz trifft, aus ökonomischer Sicht das Risiko eines Dritten für ihn genauso beachtlich ist wie sein eigenes. Und auch bei einer Verschuldenshaftung wird er, um die Schadenskosten des Geschädigten nicht tragen zu müssen, ebenfalls das effiziente Maß an Vorsorge einhalten, sofern der geforderte Sorgfaltsmaßstab diesem Wert entspricht. Bei der Wahl seines Vorsorgeverhaltens 314 In der Originalnotation: L = B/p. Dazu statt vieler: Landes / Posner (1987), S. 188; Cooter (1997), S. 79; Posner (2003), S. 198; Cooter / Ulen (2004), S. 370. Diese Art der Schadensberechnung, ohne sich dabei jedoch explizit an die Learned-Hand-Formel anzulehnen, fordern auch: D. Friedman (1982), S. 85; Shavell (1987), S. 234; Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 567. 315 Genau genommen, ist diese lineare Hochrechnung nur für denjenigen Fall die optimale Höhe der Ersatzpflicht, dass der Schädiger risikoneutral ist. Dies entspricht zwar regelmäßig nicht der Realität, da er risikoavers sein dürfte. Allerdings kann der Schädiger die ihm drohende Haftungsverpflichtung versichern. Denn unabhängig davon, ob ihm diese Schadensersatzpflicht infolge einer Verletzung eines ersetzbaren oder einer unersetzbaren Gutes droht, stellt sie für ihn immer eine Geldzahlungspflicht dar. Dies ist streng von der Situation des Geschädigten zu unterscheiden: Dieser kann den ihm drohenden Schaden für unersetzbare Güter nicht versichern, ohne den Erwartungswert seines intertemporalen Gesamtnutzens zu verringern. Im Ergebnis kommt es daher nicht zu Überabschreckung, wenn die Höhe der Ersatzpflicht linear hochgerechnet und der Schädiger somit als eine risikoneutrale Person behandelt wird. Dazu: Teil 2 A. I. 3. c).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
berücksichtigt der potentielle Schädiger somit alle anfallenden Schadenskosten, nämlich drohende Schäden sowohl an ersetzbaren als auch an unersetzbaren Gütern. Und auf der Seite des Geschädigten kommt es zu einer Kompensation der erlittenen Schäden. Aus der ex-ante-Sicht wird er dadurch nicht schlechter gestellt, wenn sich das Risiko verwirklicht und der Schaden tatsächlich eintritt, als wenn es sich nicht verwirklicht hätte. Denn der Geschädigte erhält exakt den Betrag, den er selbst rationalerweise zur Vermeidung des Schadensereignisses aufgewendet hätte. Aus der ex-post-Sicht hingegen ist der Geschädigte durch diesen Betrag nicht ausreichend kompensiert. Diese auf den ersten Blick verwunderlich Diskrepanz resultiert daraus, dass hier die – gerade nachgewiesenen 316 – unterschiedlichen Wirkungsweisen (Ausgleich des Gesamtnutzens durch die ex-post-Methode und Maximierung des Gesamtnutzens durch die ex-ante-Methode) evident werden. 317 Während bei Schäden an ersetzbaren Gütern zwischen beiden Berechnungsmethoden im Ergebnis kein Unterschied besteht, kommt es bei Schäden an unersetzbaren Gütern zur Divergenz. Diese lässt sich auch nicht beseitigen, da die Ersatzsumme zwangsläufig nur nach einer der beiden Möglichkeiten ermittelt werden kann. Da das mikroökonomisch maßgebliche Ziel die Maximierung des Gesamtnutzens ist, hat die Schadensberechnung unter diesem Aspekt über die ex-ante-Methode zu erfolgen. Mag dies im Bereich von Schäden an ersetzbaren Gütern im Ergebnis noch nicht relevant werden, muss im Bereich von Schäden an unersetzbaren Gütern zwingend die Schadensberechnung über die ex-ante-Methode erfolgen. Darüber können gleichzeitig der beim Geschädigten eingetretene Schaden an unersetzbaren Gütern kompensiert wie auch die entstehenden Schadenskosten in die Kalkulation des Schädigers internalisiert werden. 318 Das vermeintliche Dilemma zwischen Kompensation und Prävention wird auf diese Weise gelöst. b) Bestimmung der Schadensersatzhöhe im Fall der Körperverletzung Entsprechend dem anzuwendenden ex-ante-Ansatz ist der Betrag, den ein potentiell Geschädigter vor der Schädigung zur Verringerung eines bestehenden Risikos zu zahlen bereit ist, auf die Schadensersatzsumme im Fall der Schädi316
s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa) (2). Viscusi (1998), S. 661. 318 D. Friedman (1982), S. 90; Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 568; Cooter (2003), S. 1099. Anderer Ansicht sind aber Danzon (1984), S. 521 und Shavell (1987), S. 231 f. Sie meinen, dass die Höhe der Entschädigung, die der Geschädigte erhalten sollte, unter der Summe liegen könne, die dem Schädiger aus Gründen der effizienten Anreizvermittlung auferlegt werden müsse. Diese Einschränkung bezieht sich jedoch ausschließlich auf Fälle des negatively wealth impacting loss. Anreizverzerrungen aus diesem Grund werden hier dadurch ausgeschlossen, dass die Analyse auf einem Fall des wealth neutral loss basiert; dazu: Rubinfeld (1984), S. 553. 317
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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gung hochzurechnen: E = V/W. Um die Höhe der Ersatzpflicht E berechnen zu können, ist es erforderlich, die beiden Variablen V und W zu beziffern. Diese Bewertung hat im Wege einer Marginalbetrachtung zu erfolgen, über die der Preis bestimmt werden kann, den ein potentiell Geschädigter zu zahlen bereit ist (V), um das Risiko einer Körperverletzung um einen bestimmten Betrag zu vermindern (W). 319 Derartige Untersuchungen, die empirisch verlässliche Werte für den Fall der Körperverletzung liefern, existieren jedoch nicht. 320 Sehr wohl gibt es aber empirische Untersuchungen über den so genannten „Wert des Lebens“, d. h. über die Kosten von Vorsorgemaßnahmen, die der Betroffene zur Abwendung tödlicher Schädigungsrisiken auf sich zu nehmen bereit ist. 321 Davon ausgehend wird ein Vorgehen in drei Schritten erforderlich: Im ersten Schritt (aa) wird die Methodik dieser Untersuchungen zur Todesverhütung vorgestellt. Danach (bb) wird dann versucht, auf Basis empirischer Untersuchungen einen aus ex-ante-Sicht vertretbaren „Wert des Lebens“ zu ermitteln. Zuletzt (cc) werden die für das Rechtsgut Leben ermittelten Ergebnisse auf das hier relevante Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit übertragen. aa) Subjektive Kosten des tödlichen Risikos Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die empirische Bestimmung des „Werts des Lebens“ (value of life). Schon dieser Terminus – der sich aber in der wissenschaftlichen Diskussion eingebürgert hat – gibt Anlass zu Missverständnissen und zu Fehlinterpretationen des Untersuchungsgegenstands. Denn erstens geht es nicht im eigentlichen Sinne darum, den Wert des Lebens selbst zu bestimmen. Das Leben ist für den Einzelnen zweifelsohne unbezahlbar. Niemand würde sein Leben gegen irgendeinen Geldbetrag – und sei er noch so utopisch hoch – eintauschen. Kein Geldbetrag kann einen Toten für die Nutzeneinbuße entschädigen, die er infolge des Verlusts seines Lebens erleidet. Der Grund dafür liegt ökonomisch gesehen weniger darin, dass der intrinsische Wert des menschlichen Lebens per se unendlich hoch ist, sondern darin, dass ein Toter aus seinem Vermögen keinen Nutzen mehr ziehen kann. Denn mit dem Tod sinkt die Nutzenkurve eines 319
s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) bb). Zwar finden sich durchaus empirische Studien über den Wert nichttödlicher Unfälle, beispielsweise bei Viscusi (1992), S. 61 –63. Repräsentativ sind die dort ermittelten Werte jedoch nicht, weil es die Körperverletzung nicht gibt. Die Bandbreite von Verletzungsfolgen reicht von Schürfwunden über Knochenbrüche bis hin zum dauerhaft komatösen Zustand. Eine „Durchschnittsverletzung“, von der ausgehend andere Verletzungen eingeschätzt werden können, existiert nicht. Die Folgen einer Körperverletzung müssen daher für jeden Einzelfall gesondert bewertet werden. 321 Im Bereich des tödlichen Risikos stellt sich das von der Körperverletzung bekannte Problem, den Grad der Verletzung zu bewerten und in Relation zu anderen Verletzungen zu setzen nicht. Ob der Geschädigte tot ist oder nicht, ist eine zweifelsfrei feststellbare Tatsache. 320
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Individuums irreversibel auf null ab. 322 Unabhängig von der Höhe vermag es deshalb kein Schadensersatzanspruch, das Nutzenniveau eines Getöteten auf das Niveau zurückzubringen, das er vor der Schädigung als Lebender innehatte. Es lässt sich also kein Betrag beziffern, der ihn indifferent werden ließe zwischen dem Zustand 1 „Leben“ und dem Zustand 2 „Tod mit Schadensersatz“. In diesem Sinne ist das Leben, und somit auch der infolge des Todes tatsächlich erlittene Schaden, für den Einzelnen unbezahlbar und kann daher auch retrospektiv nicht beziffert werden: „... [T]he reason it is impossible to ‚fully compensate‘ someone for the loss of his life is not that the value of his life to him is infinite, [...] but that the value of compensation to a corpse is in most cases small.“ 323 Dagegen ist es aber über eine prospektive Messung sehr wohl möglich zu ermitteln, wie der Einzelne das ex ante bestehende Risiko des Todes mit Geld aufwiegt. Entscheidend ist danach, welchen Geldbetrag der Einzelne zu zahlen bereit ist, um ein bestehendes Risiko von sich abzuwenden bzw. welcher Geldbetrag ihm geboten werden muss, damit er ein zusätzliches Risiko für sein Leben eingeht. Diese ex ante bestehende statistische Bereitschaft, ein Risiko bestimmter Höhe einzugehen, ist strikt von dem Wert des tatsächlich eingetretenen Schadens (also: des Lebens) zu unterscheiden (ex post). Zweitens legt der Begriff „value of life“ nahe, dass es darum gehen könnte, den Wert zu bestimmen, den die Gesellschaft dem (Über-)Leben des Einzelnen beimisst. Ein solcher von individuellen Interessen losgelöster und somit objektivierter Ansatz müsste sich daran orientieren, welchen Beitrag der Einzelne (potentiell) zum Bruttosozialprodukt leistet (human capital approach). Ein auf diese Weise gemessener Beitrag ist aber unzureichend, um den Beitrag des Individuums zum gesellschaftlichen Gesamtnutzen in seiner Gänze und Komplexität zu erfassen. Insbesondere existiert keinerlei konzeptionelle Grundlage dafür, die zukünftigen Verdienstmöglichkeiten einer Person mit dem Wert ihres Lebens zu verknüpfen. Der objektive Ansatz würde daher zu der „absonderlichen Konsequenz“ 324 führen, dass der „Wert des Lebens“ eines Nichterwerbstätigen mit null, der eines Rentners sogar negativ bemessen werden müsste. Machte man mit diesem Ansatz ernst, folgte daraus, dass der Tod eines Rentners den gesamtgesellschaftlichen Nutzen erhöht und somit erwünscht ist. 325 Derartige Versuche, den Wert der Todesverhü322 Zur Verdeutlichung sei auf die graphische Darstellung des Absinkens des Nutzenkurve im Fall einer Schädigung von unersetzbaren Gütern verwiesen: s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa) (2) (Abbildung 32). Der Nutzen, den der Geschädigte aus seinem Vermögen – ganz gleich welche Höhe es auch annehmen mag – ziehen kann, ist null. Seine Nutzenkurve sinkt im Fall seines Todes bis auf die horizontale Achse ab. 323 D. Friedman (1982), S. 82. 324 Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 570. Viscusi (1978), S. 361 spricht diesbezüglich von einer „unacceptable implication“. 325 Devons (1954, 1961), S. 107 bezeichnet diesen Ansatz als „ludicrous“ und zieht die von diesem implizierte Schlussfolgerung (S. 108): „Indeed if we could only kill off enough old people we could show a net gain on accidents as whole!“
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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tung zu beziffern, sind nicht nur unvollständig, sondern auch dilettantisch und haben dazu geführt, diese Forschungsrichtung in Misskredit zu bringen. Maßgeblich für die Bestimmung des Werts des Lebens darf allein eine subjektive Sichtweise sein, die danach fragt, welchen Wert der Einzelne selbst dem Rest seines Lebens beimisst. 326 Präziser – aber auch weniger prägnant – wäre daher die von Robert D. Cooter vorgeschlagene Bezeichnung als „subjektive Kosten des tödlichen Risikos“ (subjective cost of a fatal risk). 327 Thomas C. Schelling legte diesem Ansatz 1968 das konzeptionelle Fundament. Er nahm an, dass der Betrag, den ein Individuum zur Verringerung seiner Todeswahrscheinlichkeit zu zahlen bereit ist, maßgeblich davon abhängt, wie hoch das Risiko konkret ist, wer die Vorsorgekosten zu tragen hat, wer Nutznießer der Vorsorge ist und ob der Betroffene vor Realisierung der Schädigung identifiziert werden kann. 328 Der Diskussion soll hier exemplarisch der einfachste Fall zugrunde gelegt werden: Ein Individuum zahlt aus seinem Vermögen einen Geldbetrag, um ein ihm selbst drohendes Todesrisiko mit Sicherheit um einen feststehenden Betrag zu verringern. Beispielsweise sind Verbraucher bereit, für ein Produkt, das nicht mit einem gewissen Risiko behaftet ist, einen höheren Preis zu zahlen als für ein Produkt, das dieses Risiko in sich birgt. Umgekehrt verlangen Arbeitnehmer eine Erhöhung ihres Entgelts, wenn sie während ihrer Arbeitszeit einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Bildlich gesprochen geht es um eine Lotterie des Todesrisikos. 329 Da die Verringerung eines bestehenden Risikos nur durch Vorsorgemaßnahmen möglich ist, die ihrerseits Vermögenseinbußen mit sich bringen, müssen die von einem solchen Risiko betroffenen Individuen eine Abwägung zwischen Risiko und Vermögen vornehmen (tradeoff ), um ihren jeweiligen Nutzen zu maximieren. Der Einzelne wird auf diese Weise einen bestimmten Grad an Risiko ermitteln, den er einzugehen bereit ist bzw. den er – umgekehrt – nicht durch Einsatz von Vermögen abzuwehren bereit ist. Er wird daher so lange Geld für risikoverringernde Vorsorgemaßnahmen zahlen, bis die Grenzkosten der Risikoverringerung genauso hoch sind wie deren Grenznutzen (breakeven payment 330). In diesem Fall entspricht die 326
Mishan (1971), S. 690; Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 570; Viscusi (1998), S. 660. Ein vieldiskutierter Aufsatz, in dem jeglicher Versuch der Wertbestimmung des Lebens in Geld abgelehnt und entsprechend als zum Scheitern verurteilt („doomed to failure“) bezeichnet wird, stammt von Broome (1978), S. 91 ff. Kritisch dazu neben anderen: Buchanan / Faith (1979), S. 245 ff.; Viscusi (2000a), S. 114 –116. Eine Kurzübersicht über die historische Entwicklung dieser Forschungsrichtung, die den Wert des Lebens zu ermitteln versucht, findet sich bei: Jones-Lee (1976), S. 20 – 42. 327 Cooter (2003), S. 1109. Schelling (1968), S. 127 schlägt „worth of preventing death“ vor, Viscusi (1998), S. 662 „the value of small risks to life“. 328 Schelling (1968), S. 142 – 158. 329 Viscusi (2000a), S. 112: „The basic value-of-life approach in economics [...] deals with lotteries on risks of death.“ 330 Zu diesem Begriff: Shepard / Zeckhauser (1982), S. 101. Cooter (2003), S. 1109 bezeichnet das Ergebnis der Abwägung als „point of indifference“ zwischen Risiko und Reichtum.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Vergrößerung des Nutzens daraus, dass der Einzelne sein Risiko vermindert hat, exakt der Verringerung des Nutzens, die daraus resultiert, dass sein Vermögen infolge der Vorsorgekosten gemindert wurde. Wenn ein Einzelner also bereit ist, 100 Euro für Vorsorgemaßnahmen aufzubringen, um das für sein Leben bestehende Risiko um 0,01% zu verringern, lässt sich über die modifizierte LearnedHand-Formel E = V/Wv der Wert E errechnen, den diese Person ihrem Leben im Vorfeld der Schädigung beimisst: E = 1.000.000 Euro = 100 Euro/0, 0001. 331 Dementsprechend existieren auch Fälle, in denen der Einzelne nicht (mehr) bereit ist, ein bestehendes Risiko durch kostenträchtige Vorsorgemaßnahmen zu verringern, nämlich dann, wenn die Grenzkosten der Vorsorge deren Grenznutzen übersteigen. Dass Menschen tatsächlich Risiken für ihr Leben eingehen, ist praktisch allgegenwärtig, denn Risiko ist ein inhärenter Teil nahezu jedes menschlichen Verhaltens. So entstehen dem Einzelnen beispielsweise Risiken durch seine Ernährung, bei der Fortbewegung, an seinem Arbeitsplatz und in seiner Freizeit. Teilweise ist diese Risikoveränderung substantiell (wie bei einem Hochseiltänzer oder bei einer Expedition zum Matterhorn), teilweise ist sie aber auch unmerklich gering (wie beim Überqueren der Straße trotz roter Ampel oder beim Konsum einer großen Portion Pommes frites mit Mayonnaise). Sogar jemand, der sich in seiner Wohnung einschließt, geht das Risiko ein, dass er Opfer eines gewaltsa331 Etwas anderes kann sich dann ergeben, wenn die Wahrscheinlichkeit des Todes ansteigt. Dies hat seinen Grund darin, dass der Wert, den der Einzelne einem bestehenden Schadenseintrittsrisiko beimisst, maßgeblich von dessen Höhe abhängt. Die Tatsache, dass jemand bereit ist, gegen eine Zahlung von 100 Euro die Erhöhung seiner Todeswahrscheinlichkeit von 0,01% einzugehen, heißt nicht, dass diese Person gegen eine Zahlung von 166.667 Euro die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von 16,67% in Kauf nimmt und sich bereit erklärt, Russisches Roulette zu spielen, wenn eine Kammer des Revolvers geladen ist. Denn je höher die Wahrscheinlichkeit wird, je stärker sie sich also 100% annähert, desto ähnlicher wird das drohende Risiko dem sicheren Schaden. So würde niemand einen noch so hohen Geldbetrag akzeptieren, wenn er als Gegenleistung unmittelbar sein Leben verlieren würde (hier entsprechend 1.000.000 Euro): „No one will play Russian roulette with all six chambers of the gun loaded.“ (Buchanan / Faith [1979], S. 245; in diesem Sinne auch schon Calabresi [1970], S. 91. Der Verweis auf „Russisches Roulette“ findet sich zur Illustration in dem Zusammenhang, in dem hohe Wahrscheinlichkeiten des Todes diskutiert werden, immer wieder. Die Einführung dieses Beispiels in die wissenschaftliche Diskussion geht [wohl] zurück auf Richard J. Zeckhauser, vgl. dazu: Thaler [1982], S. 171.) Sobald die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts also auf einen beachtlichen Wert ansteigt, nimmt die Gegenleistung, die das Individuum fordern wird, um das Risiko einzugehen, stark zu, bis sie schließlich ins Unendliche ansteigt, sobald aus der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts Sicherheit wird. Warum der Einzelne sein „unbezahlbares“ Leben ständig geringen Gefahren aussetzt, lässt sich damit (nur) erklären, dass das Verhältnis zwischen dem Wert des Lebens und dem Risiko des Todes ein nichtlineares ist. Der (Gegen-)Wert des Lebens steigt vielmehr überproportional zur Wahrscheinlichkeit des Todes an. Der Graph ist dementsprechend keine Gerade, sondern beschreibt eine streng monoton steigende, links gekrümmte Kurve. Dazu: Landes / Posner (1987), S. 187 –189.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
235
men Einbruchdiebstahls wird oder dass ihm im buchstäblichen Sinne die Decke auf den Kopf fällt. Solche (geringen) Risiken gehen Menschen tagtäglich ein, obwohl sie sich durch relativ geringen Aufwand vermeiden ließen oder sie nur einen verschwindend geringen Gewinn mit sich bringen. Dass der tatsächliche, unwiederbringliche Verlust des Lebens für den Betroffenen unbezahlbar ist, sagt daher nichts über den Wert aus, den der Einzelne seinem Leben in dem Moment beimisst, in dem er die Entscheidung trifft, es einem gewissen Risiko auszusetzen. Die Frage, deren Antwort der Schlüssel zur Bezifferung der subjektiven Kosten des tödlichen Risikos ist, besteht also darin, welchen Betrag der Einzelne zu zahlen bereit ist, um ein bestimmtes Todesrisiko (geringer Höhe) zu verhindern. 332 bb) Empirische Untersuchungen und Bildung eines Mittelwerts Damit dieser theoretische Ansatz auch für die Praxis nutzbar gemacht werden kann, ist es notwendig, auf dessen Basis einen empirisch verlässlichen „Wert des Lebens“ zu ermitteln. Da Sicherheit bzw. Risiko für das Leben nicht auf expliziten Märkten gehandelt wird, gibt es keinen ablesbaren Marktpreis für das Gut „Sicherheit“. Es ist vielmehr im Rahmen von Studien ein impliziter Preis zu ermitteln, gegen dessen Zahlung Individuen bereit sind, Risiken für ihr Leben in Kauf zu nehmen bzw. nicht mehr in Kauf zu nehmen. 333 Es existieren zwei voneinander zu unterscheidende Typen von Untersuchungen, durch die ein solcher Wert empirisch ermittelt werden kann. Zum einen kann dies dadurch geschehen, dass Testpersonen in standardisierten Interviews (questionnaires) zu ihrem hypothetischen Verhalten in einer durch den Interviewer vorgegebenen Situation befragt werden (contingent-valuation approach), zum anderen dadurch, dass direkt das Verhalten von 332
Noch einmal zur Klarstellung: Es soll keinesfalls der Eindruck vermittelt werden, dass der über diese ex-ante-Methode ermittelte Wert den Wert des Lebens des verstorbenen Geschädigten beziffert. Das wäre eine ebenso halt- wie gehaltlose Aussage. Dazu: Buchanan / Faith (1979), S. 246: „To say that ‚costs‘ are infinite for the person who loses his life in the draw of a lottery in which he rationally chose to participate is to say nothing at all about the value that such an individual placed on life in the moment at which the choice was made.“ (Hervorhebung im Original). Der jeweils errechnete Wert gibt einzig den Betrag an Schadensersatz an, der dem potentiellen Schädiger im Vorfeld der Schädigung Anreize vermittelt, das effiziente Maß an Vorsorge zu treffen, und es dem potentiell Geschädigten ermöglicht, sein ex ante bestehendes Risiko durch eigene Vorsorgemaßnahmen wieder auf das Ausgangsniveau abzusenken. 333 Diese Untersuchungen beziehen sich allesamt auf die geringen Gefahrwahrscheinlichkeiten von Unfällen. Für Fälle, in denen das Risiko für das Leben deutlich höher ist, existieren solche Untersuchungen nicht. Hier lässt es sich auch nicht mehr mit dem allgemeinen Sprachgebrauch vereinbaren, noch von „Unfällen“ zu sprechen (vgl. den Beispielsfall mit dem Russischen Roulette). Die subjektiven Kosten des tödlichen Risikos sind in diesen Fällen – wie oben nachgewiesen – deutlich höher. Um welchen konkreten Betrag genau sie höher sind, lässt sich in Ermangelung spezifischer Untersuchungen nicht eindeutig beziffern.
236
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
tatsächlich betroffenen Personen beobachtet und ausgewertet wird (revealed-preference approach). Der erste Ansatz bietet zwar gewisse Vorteile (z. B. kann ein Interview exakt auf eine Kernfrage zugeschnitten werden und ist erheblich leichter durchführbar). Es wird dort aber nur nach unverbindlichen Meinungen zum Verhalten in fiktiven Konstellationen gefragt. Im Gegensatz dazu orientiert sich die zweite Methode an tatsächlichem Verhalten in realen Entscheidungssituationen. Die Verlässlichkeit der rein hypothetischen Antworten des ersten Ansatzes ist deshalb schwer zu bewerten, weil diese nicht von einer konkreten Bereitschaft, ein reales Risiko einzugehen, untermauert sind. Deshalb werden Untersuchungen, die nach dem contingent-valuation approach durchgeführt worden sind, hier nicht berücksichtigt. 334 Innerhalb des hier maßgeblichen revealed-preference approach sind dabei wiederum zwei verschiedene Herangehensweisen zu unterscheiden. Erstens kann die Untersuchung auf die Zahlungsbereitschaft von Individuen gestützt werden, die sich im Kauf von Sicherheitsvorkehrungen zur Verringerung des bestehenden Risikos manifestiert hat (willingness to pay, WTP). Der Einzelne steht also vor der Wahl, ob er das bestehende Risiko reduziert und dafür sein Vermögen verringert oder ob er sich dem bestehenden Risiko aussetzt und sein Vermögen unverändert bleibt. Zweitens kann an empirisch feststellbare Risikoprämien angeknüpft werden, die das Individuum als Ausgleich dafür akzeptiert, dass es einem zusätzlichen Risiko im Rahmen einer gefährlichen Verhaltensweise ausgesetzt wird (willingness to accept, WTA). Hier steht der Einzelne entsprechend vor der Alternative, ob er sich einem zusätzlichen Risiko aussetzt und dafür eine sein Vermögen mehrende Ausgleichszahlung erhält oder ob er es bei dem bisherigen Risiko belässt und sein Vermögen unverändert bleibt. (1) Untersuchungen, die an der willingness to accept ansetzen, basieren auf dem Lohnaufschlag, der auf das größere Risiko eines gefährlicheren Arbeitsplatzes zurückgeht (wage-risk studies). Diesen Untersuchungen liegt ein schon von Adam Smith entwickeltes Prinzip zugrunde, dass auf dem Markt bei gleicher Qualifikation diejenige Tätigkeit aus einem bestimmten Tätigkeitsfeld (z. B. Baubranche) zum höchsten Preis angeboten wird, die auch die höchsten Risiken beinhaltet (z. B. Bau eines Hochhauses). Umgekehrt ist der offerierte Lohn für dieselbe Tätigkeit mit dem geringsten Risiko am niedrigsten (z. B. Bau eines Einfamilienhauses). 335 Aus Sicht der anbietenden Arbeitgeber resultiert dies daraus, dass es 334
Schelling (1968), S. 143; Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 570 f.; Viscusi (1998), S. 662; Viscusi (2000b), S. 202. 335 Adam Smith (1776, 1976), S. 116 (Chapter X – Of Wages and Profit in the different Employments of Labour and Stock): „The whole of the advantages and disadvantages of the different employments of labour and stock must, in the same neighbourhood, be either perfectly equal or continually tending to equality.“ Tätigkeiten, die gewisse Nachteile mit sich bringen (z. B. erhöhtes Risiko bzw. geringere Bezahlung), müssen also anderweitige Vorteile haben, die den bestehenden Nachteil wieder kompensieren (z. B. höhere Bezahlung bzw. geringeres Risiko), um genauso attraktiv für Arbeitnehmer zu sein wie Arbeitsplätze ohne den jeweiligen Nachteil (compensating wage differential).
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
237
für sie im ersten Fall mit enorm hohen Kosten verbunden wäre, einen sicheren Arbeitsplatz bereitzustellen. Arbeitgeber sind also bereit, höhere Löhne für riskantere Tätigkeiten zu zahlen, weil sie dann die (ungleich höheren) Kosten für entsprechende Sicherheitsmaßnahmen einsparen können, die etwa den Bau des Hochhauses genauso sicher werden ließen wie den Bau des Einfamilienhauses. An den Arbeitnehmer wird in diesem Modell lediglich die grundlegende Anforderung der Rationalität gestellt, d. h. er muss mehr Geld gegenüber weniger Geld bevorzugen und bessere Gesundheit gegenüber schlechterer. Auf dem Markt bildet sich dann aus Angebot und Nachfrage ein Preis für die jeweilige Arbeiten. Indem der Arbeitnehmer einen Lohnzuschlag für das zusätzliche Risiko akzeptiert, offenbart er indirekt die Wertschätzung des Risikos für sein eigenes Leben. Diese durch die Beteiligten vorgenommene Abwägung zwischen Vermögen und Risiko (riskwealth tradeoff ) spiegelt sich in dem Aufschlag des Entgelts für die riskantere Tätigkeit gegenüber der weniger riskanten Tätigkeit wider. Auf diese Weise ist es möglich, den Wert E zu bestimmen, den die Beteiligten dem Risiko für das Leben des Arbeitnehmers ex ante beigemessen haben. Diejenigen Studien, die sich an der willingness to pay orientieren, setzen genau entgegengesetzt an. Ausgangspunkt ist hier die Bereitschaft des Individuums, bis zu einem gewissen Grad auf Teile seines Vermögens zu verzichten, um mit diesem Geld sein bestehendes Todesrisiko zu verringern. Der Grad dieser Bereitschaft (V) lässt sich bestimmen, wenn dem Einzelnen die Möglichkeit geboten wird, durch Kauf einer Sicherheitsvorrichtung (z. B. Anschaffung von Rauchmeldern) eine bestehende Gefahr W (hier: die Gefahr, im Schlaf von einem Feuer überrascht zu werden) zu verringern. Es handelt sich dementsprechend um eine Abwägung von Risiko und Vermögen im Bereich des individuellen Konsumverhaltens (consumermarket studies). Die Bewertung des subjektiven Risikos wird hier aus den zusätzlichen Kosten ermittelt, die der Einzelne für Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen einzugehen bereit ist. Für die Variable W lassen sich sowohl die Ausgangshöhe als auch die Höhe nach Anschaffung der Sicherheitsvorrichtung statistisch ermitteln. Indem die für die konkrete Verringerung der Schädigungswahrscheinlichkeit W eingegangenen Kosten V auf den Schadensfall hochgerechnet werden, ist es auch über diesen Ansatz möglich, die subjektive Bewertung des Todesrisikos durch den Einzelnen (E) zu bestimmen. (2) Veröffentlichte Untersuchungen zum „Wert des Lebens“, die auf Basis einer der beiden vorgestellten Ansätze durchgeführt wurden, sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. 336 Bevor die einzelnen Werte tatsächlich miteinander verglichen werden können, muss aber die Vergleichbarkeit hergestellt werden. Denn die verschiedenen aufgeführten Untersuchungen stützen sich auf statistische Daten aus unterschiedlichen Jahren. Dementsprechend beziehen sich auch die ermittelten Beträge für den „Wert des Lebens“ auf unterschiedliche Referenzjah336
Eine vergleichbare Zusammenstellung findet sich bei: Viscusi (1992), S. 51 –67.
238
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
re. Diese werden hinter den Untersuchungen in Klammern angegeben. Um die Vergleichbarkeit sowie eine Anpassung an die fortschreitende Geldentwertung zu gewährleisten, wird der in der jeweiligen Untersuchung ermittelte Betrag (3. Spalte) auf das Jahr 2005 umgerechnet (4. Spalte). Diese intertemporale Anpassung erfolgt, da es sich um US-amerikanische Studien handelt, auf Grundlage des amtlichen Consumer Price Index (CPI) des U.S. Department of Labor. 337 In der fünften Spalte wird der für das Jahr 2005 ermittelte Wert in Bezug gesetzt zu dem Bruttosozialprodukt pro Kopf (per capita gross national product) in den USA im Jahr 2005. 338 Dies geschieht durch Division dieses auf das Jahr 2005 hochgerechneten absoluten Wertes (4. Spalte) durch das Bruttosozialprodukt pro Kopf in den USA im Jahr 2005 (41.800 USD 339). Der so ermittelte Quotient gibt die Relation zwischen der Zahlungsbereitschaft zur Abwendung einer Lebensgefahr und dem durchschnittlichen Reichtum eines Angehörigen der jeweiligen Volkswirtschaft an. Dieser (Grob-)Indikator ermöglicht eine Übertragung der für die USA ermittelten Werte auf andere Volkswirtschaften. 340 In Spalte 6 erfolgt diese Übertragung auf Deutschland durch Multiplikation des Quotienten mit dem deutschen Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt für das Jahr 2005 (29.700 USD). Dieser Wert wird in der letzten Spalte schließlich von US-Dollar in Euro umgerechnet. Dies geschieht anhand des Jahresmittelwerts des Wechselkurses Dollar-Euro für das Jahr 2005 (ca. 1,25 USD / EUR 341). So können die für die US-amerikanische Gesellschaft in der Vergangenheit durchgeführten Untersuchungen auf die gegenwärtigen deutschen Verhältnisse übertragen werden.
337
Der Consumer Price Index (CPI) wird monatlich vom U.S. Department of Labor (Bureau of Labor Statistics) errechnet und ist über das Internet frei zugänglich. Ein Umrechnungsrechner (inflation calculator) findet sich unter: http://www.data.bls.gov/cgibin/cpicalc.pl (letzter Zugriff: 1. 03. 2006). Die Angleichung des durch die Untersuchung ermittelten Betrags auf das Jahr 2005 wird über die jeweiligen Jahresmittelwerte vorgenommen. 338 Zur Klarstellung sei hervorgehoben, dass dies keinen Rückfall zum human-capital approach darstellt. Denn das Bruttosozialprodukt dient nicht dazu, die Wertschätzung des einzelnen Menschenlebens zu bestimmen. Vielmehr soll mit Hilfe des Bruttosozialprodukts pro Kopf einzig eine Umrechnung der für die Volkswirtschaft der USA ermittelten Werte auf die deutschen Verhältnisse bewerkstelligt werden. 339 Eine Übersicht über das (geschätze) Bruttosozialprodukt pro Kopf findet sich unter: http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/rankorder/2004rank.html (letzter Zugriff: 1. 03. 2006). 340 Ott / H.-B. Schäfer (1990), S. 571. 341 Charts über den Wechselkursverlauf finden sich bspw. unter: http://waehrungen .onvista.de/snapshot.html?ID_CURRENCY_FROM=EUR&ID_CURRENCY_TO=USD (letzter Zugriff: 1. 03. 2006).
309.459 USD
783.818 USD
620.422 USD
Wert in USD in D (2005)
Abbildung 24
200.000 USD 1.169.456 USD
2.600.000 USD 11.436.488 USD
894.024 USD
635.228 USD
27,977
830.929 USD
273,600 8.125.926 USD
21,388
154,181 4.579.176 USD
1.999.759 USD 6.444.766 USD 168.000 USD
278,833 8.281.355 USD
5.758.990 USD 11.655.240 USD
664.743 Euro
6.500.741 Euro
508.182 Euro
3.663.341 Euro
6.625.084 Euro
3.576.439 Euro
150,524 4.470.548 USD
1.250.000 USD 6.291.883 USD
2.094.529 Euro
564.493 Euro
677.840 Euro
445,437 13.229.483 USD 10.583.587 Euro
705.617 USD
847.300 USD
3.400.266 Euro
247.567 Euro
627.054 Euro
496.338 Euro
Wert in EUR in D (2005)
9.200.000 USD 18.619.273 USD
23,758
28,529
143,109 4.250.333 USD
10,419
26,391
20,890
Relation zum BSP pro Kopf (2005)
88,154 2.618.161 USD
993.090 USD
1.192.496 USD
5.981.950 USD
435.535 USD
1.103.151 USD
873.187 USD
Wert in USD in USA (2005)
1.073.559 USD 3.684.819 USD
419.000 USD
Natur des untersuchten Risikos Wert in USD im Referenzjahr Anschaffung von Rauchmeldern 254.356 USD (1974 – 79) Benutzung des Sicherheitsgurts 236.107 USD gegen tödliche Unfälle (1972) Wert von Grundeigentum bei 142.000 USD Umweltverschmutzung (1978) Beweggründe beim Kauf von Automobilen im Hinblick auf 3.357.000 USD tödliche Unfälle (1986) Aufgeben des Rauchens (1980) 503.132 USD
Geschwindigkeit auf Autobahnen im Hinblick auf damit verbundenen Zeitverlust (1980) 342 Garbacz (1989) Anschaffung von Rauchmeldern (1968 – 1985) Garen (1988) Risikoprämie für gefährliche Arbeit (1981/82) Viscusi (1978) Risikoprämie für gefährliche Arbeit (1969/70) Moore / Viscusi Risikoprämie für gefährliche (1989) Arbeit (1982) Dillingham (1985) Risikoprämie für gefährliche Arbeit (1977) Dillingham (1979) Risikoprämie für gefährliche Arbeit (1969) R. S. Smith (1976) Risikoprämie für gefährliche Arbeit (1973) Thaler / Rosen Risikoprämie für gefährliche (1975) Arbeit (1967)
Ippolito / Ippolito (1984) Ghosh / Lees / Seal (1975)
Atkinson / Halvorsen (1990)
Portney (1981)
Blomquist (1979)
Dardis (1980)
Autor
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge) 239
240
Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
(3) Aus der Übersicht wird schon auf den ersten Blick deutlich, dass die Spannbreite der Ergebnisse sehr groß ist: Sie reicht von einer knappen Viertelmillion Euro bis zu über 10 Mio. Euro – ein Unterschied um mehr als das 40-fache. Daher drängt sich geradezu die Frage auf, inwieweit den Untersuchungen überhaupt Aussagekraft zukommen kann. Die einzelnen Studien stützen sich jeweils auf Daten eines spezifischen Bereichs, etwa auf das Verbraucherverhalten beim Kauf von Rauchmeldern 343 oder auf eine Unfallstatistik von 496 Arbeitern einer bestimmten Branche 344. Die ermittelten Geldbeträge sind somit zwangsläufig von den zugrunde liegenden empirischen Daten abhängig und stellen den Mittelwert für die jeweils untersuchte Gruppe dar. Die den verschiedenen Studien zugrunde liegenden Gruppen sind aber nicht notwendigerweise homogen. Personen, die ein hohes Risiko auf sich nehmen (wie etwa Berufsrennfahrer oder Bauarbeiter an einem Hochhaus), bewerten ein Risiko für ihr Leben tendenziell unterdurchschnittlich. Durch die Wahl eines überdurchschnittlich riskanten Verhaltens haben sie die Bereitschaft, ihr Leben zu gefährden, offenbart. Personen, die nur ein geringeres Risiko auf sich zu nehmen bereit sind (z. B. Verwaltungsangestellte oder Bauarbeiter an einem Einfamilienhaus), haben dagegen regelmäßig eine höhere Hemmschwelle, ihr Leben zu riskieren, und sind dementsprechend bereit, höhere Beträge für die Schadensvorsorge auszugeben. Die Bewertung des tödlichen Risikos durch Personen, die bereit sind, ihr Leben erhöhten Risiken auszusetzen, ist also geringer als bei Personen mit einer durchschnittlichen oder gar unterdurchschnittlichen Bereitschaft. Es ist daher durchaus denkbar, dass sich eine Untersuchung auf Daten einer Personengruppe stützt, die das ihr drohende Risiko systematisch anders bewertet als die einer anderen Untersuchung zugrunde liegenden Personengruppe. Diese Heterogenität ist ein Grund dafür, warum die Bewertungen des Lebens in unterschiedlichen Studien differieren können. Das bedeutet, dass weder die eine noch die andere Studie fehlerhaft ist. Der Wert, den die Mitglieder der untersuchten Gruppe ihrem Leben beimessen, wurde prinzipiell fehlerfrei ermittelt. 345 Diese Schwankungen verdeutlichen letztlich nur die Tatsache, dass es den allgemeingültigen Wert des Lebens nicht gibt. Der implizite Wert des Lebens ist keine universelle Naturkonstante, sondern reflektiert das Abwägungsverhältnis zwischen Risiko und Vermögen, das unter den Mitgliedern der jeweils untersuchten Gruppe im Hinblick auf das jeweils untersuchte Verhalten vorherrschend ist. Infolge dessen kann nicht eine bestimmte Studie herausgegriffen werden, die als für die Bewertung des Todesrisikos relevant betrachtet wird. Es müssen vielmehr mehrere Studien miteinander kombiniert werden, um verschiede342 Es handelt sich bei dieser Untersuchung um eine britische Studie. Der Wert des Lebens wurde dort für das Jahr 1973 auf 94.000 GBP taxiert. Die Umrechnung auf den US-Dollar-Wert von 1980 wurde vorgenommen durch Blomquist (1982), S. 31. 343 Dardis (1980), S. 1078. 344 Viscusi (1978), S. 359: „blue-collar workers“. 345 Viscusi (1998), S. 663 f.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
241
ne statistische Datensätze und verschiedene Gruppen zu einer Gesamtbetrachtung zu verschmelzen. Aus den einzelnen Studien, die den Wert des Lebens bereits über den Mittelwert, den die betrachteten Personen dem Leben beimessen, ermitteln, ist auf diese Weise also eine Art „Ober-Mittelwert“ zu bilden. Dabei soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass ein solcher Durchschnittswert den einzigen, als maßgeblich heranzuziehenden Wert darstellt. Die Mittelwertbildung stellt – in Ermangelung einer alle Bereiche abdeckenden Studie – lediglich den Versuch dar, einen von den Eigenheiten der einzelnen Untersuchungen abstrahierenden Wert zu ermitteln. Einen präzisen und eindeutig bestimmbaren Wert gibt es nicht, jedenfalls ist bislang noch keine Studie vorgestellt worden, die dessen zuverlässige Bestimmung leisten konnte. Hier geht es allein darum, einen möglichst repräsentativen Wert zu eruieren, auf dessen Grundlage die Analyse fortgeführt werden kann. Dafür erscheint die Mittelwertbildung aus den bestehenden Studien als relativ bestes Mittel. Fraglich ist, welche Studien dafür in Betracht kommen und welche umgekehrt außen vor bleiben müssen. Auf den ersten Blick scheinen prinzipiell der an die willingness to pay und der an die willingness to accept anknüpfende Ansatz zu vergleichbaren Ergebnissen führen zu müssen. Im einen Fall (WTP) zahlt der Einzelne einen bestimmten Geldbetrag, um ein bestehendes Risiko von sich abzuwenden, im anderen (WTA) wird ihm ein bestimmter Geldbetrag gezahlt, weil oder damit er ein zusätzliches Risiko übernimmt. Da es beide Male um die Frage geht, ob der Einzelne den Zustand „Mehr Geld und mehr Risiko“ gegenüber dem Zustand „Weniger Geld und weniger Risiko“ vorzieht, scheint insofern Symmetrie zwischen der Verringerung (WTP) und der Erhöhung (WTA) des Risikos für das Leben zu bestehen. 346 Daran ändert auch der abnehmende Grenznutzen von Geld nichts. Zwar wird der homo oeconomicus, um etwas zu erhalten, regelmäßig weniger Geld zu zahlen bereit sein als er als Kompensation für dessen Aufgabe akzeptieren würde (wealth effect). Denn das Geld der ersten Transaktion fließt aus seinem Vermögen ab, während die zweite Transaktion Geld zu seinem Vermögen hinzufügt. Und bei abnehmendem Grenznutzen des Vermögens bringt eine zusätzliche Einheit an Geld weniger neuen Nutzen als eine Einheit an Geld, die er verliert, an Nutzen kostet. 347 Dieser Effekt ist jedoch für die vorliegenden Untersuchungen ohne Relevanz. Denn hier werden minimale Risiken behandelt, die sich im Bereich von 10 –4 bis 10 –6 abspielen. 348 Wenn der Wert des Lebens beispielsweise auf 5 Mio. Euro taxiert wird, handelt es sich bei einer Wahrscheinlichkeit von 10 –5 lediglich um einen Betrag von 50 Euro, der zur Vermeidung des Risikos be346 So z. B. Mishan (1971), S. 687: „... [T]he analysis of saving life is symmetrical with that of losing it“. 347 s. o., vgl. Teil 2 A. I. 3. c). 348 Dazu die Übersicht bei: Viscusi (1992), S. 52 – 54.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
bzw. gezahlt werden muss. Im Verhältnis zum Gesamtvermögen des Einzelnen ist dieser Betrag so gering, dass der Effekt aus der Abnahme des Grenznutzens vernachlässigt werden kann. Die Notwendigkeit zu differenzieren folgt jedoch aus dem Besitzeffekt (endowment effect 349). Mit diesem Terminus wird das Phänomen bezeichnet, dass der Wert eines Gutes (im weitesten Sinn) für den Einzelnen allein dadurch ansteigt, dass er es in seinem Besitz hat. Der Besitzeffekt tritt jedoch nicht in jeder Situation und für jedes Gut auf. Sofern für ein Gut auf dem Markt ein vollständiges Substitut existiert, entspricht die willingness to pay der willingness to accept. Paradigmatisch für ein problemlos substituierbares Gut ist Geld: Den Wert eines 50Euro-Scheins bemessen derjenige, der die Banknote innehat, und derjenige, der sie haben möchte, exakt auf den in ihr verbrieften Wert. Erst dann, wenn für das Gut auf dem Markt kein Substitut existiert, das Gut also nicht (oder nur schwer) ersetzbar ist, unterliegt der potentielle Verkäufer dem Besitzeffekt, d. h. seine willingness to accept steigt an. Je geringer die Substituierbarkeit des Gutes ist, desto stärker wird der Besitzeffekt und desto größer wird die Disparität zwischen der willingness to accept und der willingness to pay. 350 Angenommen, S habe eine Karte für ein inzwischen ausverkauftes Konzert seiner Lieblingsband zum regulären Preis von 25 Euro im Vorverkauf erworben und der Schwarzmarktpreis sei inzwischen auf 50 Euro angestiegen. Da S unbedingt zu dem Konzert möchte, ist er trotz der Möglichkeit, einen Gewinn zu realisieren, nicht bereit, seine Karte zu verkaufen. Seine willingness to accept liegt also über 50 Euro. Wenn er aber seine Karte verloren oder keine im Vorverkauf erworben hätte, wäre er umgekehrt nicht bereit, 50 Euro zu bezahlen, um zum derzeitigen Marktpreis eine Karte zu erwerben. Seine willingness to pay liegt also unter 50 Euro. Mit anderen Worten: S bewertet den möglichen Aufstieg aus dem Zustand A (keine Karte) in den Zustand B (Karte) mit weniger als 50 Euro. Befindet er sich aber erst einmal im Zustand B, bewertet er diesen Zustand höher als 50 Euro und ist dementsprechend nicht bereit, gegen eine Zahlung von 50 Euro in den Zustand A zurückzuwechseln. 351 Allein die Tatsache, im Besitz einer Eintrittskarte zu sein, führt also dazu, dass die Wertschätzung für die Karte steigt. Dies beruht darauf, dass in dieser Situation tatsächliche Kosten und Opportunitätskosten nicht gleichgesetzt werden und damit gegen eine fundamentale Annahme der Mikroökonomie verstoßen wird. 352 349 Diese Bezeichnung geht zurück auf Richard H. Thaler (1980), S. 44. Dieses Phänomen wird auch bezeichnet als „offer / asking gap“ oder „Willingness to Accept (WTA) / Willingness to Pay (WTP) gap“. Hovenkamp (1991), S. 225, Fn. 2 weist aber mit Recht darauf hin, dass sich der Besitzeffekt nicht allein in der Erklärung dieser Divergenz von WTA und WTP erschöpft und daher nicht mit ihr gleichgesetzt werden darf. 350 Hanemann (1991), S. 636 f.; Eidenmüller (1995, 2005), S. 128. 351 Dieser Fall ist angelehnt an einen Fall bei Kelman (1979), S. 681, der den Besitzeffekt (vgl. S. 690, Fn. 57) u. a. am Beispiel einer Person beschreibt, die nach dem Kauf eines neuen Fernsehers ihren alten behält, aber umgekehrt nicht bereit wäre, Geld für einen Zweitfernseher auszugeben, wenn der alte Fernseher nicht mehr funktionieren würde.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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Infolge dessen ist die Indifferenzkurve der betroffenen Person nicht reversibel. Das beobachtete Auseinanderfallen von WTP und WTA für den Fall, dass keine Möglichkeit besteht, das potentiell zu Schaden kommende Gut zu ersetzen (fehlende Substituierbarkeit der drohenden Schädigung am Rechtsgut Leben), stellt einen solchen Besitzeffekt dar. Dieser Effekt beruht darauf, dass die (negative) Auswirkung eines Verlusts von dem Einzelnen als gravierender empfunden wird als die (positive) Auswirkung eines Gewinns gleicher Höhe. Die Präferenzen des Einzelnen hängen nämlich von einem Referenzpunkt ab, von dem aus er jede Veränderung entweder als Gewinn oder als Verlust bewertet. Dieser Referenzpunkt bestimmt sich durch den status quo, d. h. die Gesamtheit der Güter, über die er verfügt. In diesem Punkt flacht die bis dahin relativ steil ansteigende Grenznutzenkurve des Einzelnen plötzlich ab (kink): 353 Eine Einheit an Geld, die aus dem vorhandenen Vermögen (received income) tatsächlich abgezogen wird, ist für den Einzelnen deutlich wertvoller – und ihr Verlust dementsprechend deutlich schmerzlicher – als eine Einheit an Geld, die zum bereits vorhandenen Vermögen (opportunity income) nicht hinzugefügt wird. Im Beispielsfall ist der Kauf der Karte mit der Aufgabe eines dem Realvermögen zugehörigen Geldbetrags verbunden; beim unterlassenen Verkauf hingegen verzichtet der Karteninhaber – von seinem Referenzpunkt aus betrachtet – „nur“ auf einen Vermögenszuwachs. Die Wertschätzung eines Guts hängt demnach (auch) davon ab, ob der Einzelne es zusätzlich erhält (Vermögenszuwachs, WTA) oder ob er es aus seinem vorhandenen Vermögen abgeben muss (Vermögensverringerung, WTP). Diese aus dem Besitzeffekt resultierende Asymmetrie der Wertschätzung von tatsächlichem und hypothetischem Vermögen betrifft den Inhaber eines Gutes, den potentiellen Verkäufer (WTA); der potentielle Käufer (WTP) hingegen wird durch den Besitzeffekt nicht merklich beeinflusst, denn der am Referenzpunkt befindliche kink wurde noch nicht passiert. 354 Durch den Besitzeffekt wird also die willingness to accept des Einzelnen verzerrt. Auf Grundlage dessen unterliegen die Werte, die nach der WTA-Methode ermittelt werden, einer systematischen irrationalen Übertreibung. Eben dieses Bild zeichnen die in der Tabelle aufgeführten empirischen Untersuchungen auch tatsächlich. Die Summen, die der Einzelne zu zahlen bereit ist, um ein bestehendes Risiko zu verringern (WTP, „buying life“), sind tendenziell deutlich geringer als die Summen, die der Einzelne verlangt, um sich einem zusätzlichen Risiko gleicher Höhe auszusetzen (WTA, „selling life“). Um eine derart gelagerte 352
Dazu: Pindyck / Rubinfeld (2005), S. 52 ff. Knetsch (1984), S. 8; Kahneman / Knetsch / Thaler (1990), S. 1344; Hovenkamp (1991), S. 228; Geistfeld (1995), S. 823; Eidenmüller (1995, 2005), S. 131. 354 Kahneman / Knetsch / Thaler (1990), S. 1344; Geistfeld (1995), S. 824. Ein überzeugender empirischer Nachweis dafür findet sich bei Kahneman / Knetsch / Thaler (1990), S. 1338 – 1341. 353
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Überwertung des Lebensrisikos und damit auch des für die Verhinderung tödlicher Risiken anzusetzenden Betrags zu vermeiden, sind ausschließlich die nach der WTP-Methode ermittelten Werte zu berücksichtigen. Der niedrigste und der höchste der so ermittelten Werte werden dabei als „Ausreißer“ eliminiert. Aus den verbleibenden wird der Durchschnitt ermittelt. Dieser beläuft sich auf gut 890.000 Euro, in etwa das 30-fache des Bruttosozialprodukts pro Kopf. 355 Dies ist der Wert, der – statistisch gesehen – aufgewendet werden sollte, um einen tödlichen Unfall zu verhindern. Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass durch diesen scheinbar präzisen Zahlenwert nicht darüber hinweggetäuscht werden soll, dass es sich letztlich nur um einen Mittelwert aus mehreren Schätzungen handelt. Eine Überbewertung erscheint jedoch als unwahrscheinlich, da sich der hier ermittelte Wert ausschließlich an WTP-Studien orientiert. 356 cc) Übertragung auf den Fall der Körperverletzung Es stellt sich die Frage, wie sich dieser Wert, der als der effizienterweise zur Todesverhütung aufzubringende Betrag angesehen werden soll, auf den Fall der Körperverletzung übertragen lässt. Im Bereich der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit gibt es – anders als im Fall der Tötung – eine unendliche Vielzahl von Zuständen, d. h. von verschiedenen Verletzungsfolgen, für die jeweils ein entsprechender Betrag ermittelt werden muss, der unter Effizienzgesichtspunkten zur Vermeidung des Schadenseintritts eingesetzt werden sollte. Ein erster Schritt zur Übertragung des für das Leben ermittelten Werts auf den Fall der Körperverletzung liegt darin zu ermitteln, welche Art der Verletzung als mit dem Tod vergleichbar (oder gar als schlimmer) angesehen wird. Zu dieser Frage existiert eine Untersuchung von Paul Kind, Rachel Rosser und Alan Williams am Londoner Charing Cross Hospital. 357 Es wurden 70 Personen, die 355
Wie H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 377 zu einem Betrag von 1,5 Mio. Euro gelangen, ist nicht nachvollziebar. Denn im Grundsatz gehen sie von ähnlichen Werten aus (vgl. die Tabelle auf S. 376, in der allerdings der von Thaler / Rosen [1975] ermittelte Wert fälschlicherweise mit 49.000 USD anstatt mit 494.000 USD auf Basis der Preise von 1980 angegeben wird). Auch wenden sie eine vergleichbare Methode der Mittelwertbildung an. Bedenklich erscheint der Wert von 1,5 Mio. Euro insbesondere vor dem Hintergrund, dass H.-B. Schäfer / Ott (2000), S. 352 in der Vorauflage auf Grundlage derselben empirischen Werte noch einen Betrag von 900.000 bis 1.200.000 DM (!) für angemessen hielten. 356 Eher scheint es wahrscheinlich, dass hier eine Unterbewertung erfolgt. So wird in der Literatur der Wert des Lebens regelmäßig auf erheblich höhere Werte taxiert (allerdings teilweise auch unter Rückgriff auf WTA-Studien). Viscusi (2000a), S. 114 spricht etwa von einer „range from $3 million to $9 million“ (ähnlich: Viscusi [2000b], S. 195); die U.S. Environmental Protection Agency ging in einer Studie aus dem Jahr 2000 von einem Durchschnittswert von 5,8 Mio. US-Dollar aus (http://yosemite.epa.gov/ee/epa/eed.nsf /webpages/Guidelines.html [letzter Zugriff: 1. 03. 2006]). 357 Kind / Rosser / Williams (1982), S. 159 ff.
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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sich aus Patienten, Pflegepersonal und Freiwilligen zusammensetzten, befragt, wie sie die Beeinträchtigung einer Verletzung im Hinblick auf Schmerzen und körperliche Einschränkungen als permanente Folge auf einer Skala zwischen 0 und 1 einordnen. Dabei entspricht 0 dem Tod und 1 der völligen Unversehrtheit. Es wurden vier Kategorien des subjektiven Schmerzes – von „keine Schmerzen“ (Schmerz 1) bis hin zu „starken Schmerzen“ (Schmerz 4) – mit acht Kategorien der objektiven Einschränkung – von „keine Einschränkung“ (Einschränkung 1) bis zur „Bewusstlosigkeit“ (Einschränkung 8) – kombiniert. Der komatöse Zustand (Einschränkung 8) sowie der Zustand, in dem der Verletzte mit starken Schmerzen bettlägerig ist (Einschränkung 7 und Schmerz 4), wurden dabei von den Befragten als schlimmer als der Tod eingeordnet. Die Bettlägerigkeit mit moderaten Schmerzen (Einschränkung 7 und Schmerz 3) sowie der Zustand, dass der Betroffene an einen Rollstuhl gebunden ist und starke Schmerzen erleidet (Einschränkung 6 und Schmerz 4), wurden von den Befragten als genauso schlimm wie der Tod eingeschätzt. 358 Aus diesen Bewertungen lässt sich folgern, dass schwerste körperliche Verletzungen mit Dauerfolgen nach mehrheitlicher Auffassung dem Tod gleichkommen. In Fällen, in denen derartige Verletzungen drohen, erscheint es deshalb gerechtfertigt, denselben Vermeidungsaufwand aufzubringen und einzufordern wie in Fällen, in denen der Tod eines Menschen verhindert werden soll. Dementsprechend muss auch hier der für den Fall der Tötung als adäquat ermittelte Betrag als Schadensersatz verhängt werden, um dem Schädiger einen ausreichenden Anreiz zur Vermeidung einer solch schwerwiegenden Verletzung zu setzen. Ein zweiter notwendiger Schritt der Übertragung des „Werts des Lebens“ auf die Fälle der Körperverletzung besteht darin, nicht nur für diese „todesvergleichbaren“ Verletzungen die Brücke zwischen Tötung und Körperverletzung zu schlagen, sondern auch zwischen dem Tod und weniger schweren Verletzungen. Dafür muss eine Art Rangfolge aufgestellt werden, in der letztlich jede Art von Verletzung in Relation zum Tod gesetzt wird. Jede denkbare Körperverletzung muss also als Bruchteil der Tötung ausgedrückt werden. Wenn sich ermitteln ließe, dass jemand zwischen dem sicheren Eintritt der Verletzung X und einer (unsicheren) Todeswahrscheinlichkeit von 10% indifferent ist, muss entsprechend gefordert werden, dass 10% des zur Verhinderung des Todeseintritts zu zahlenden Betrags zur Verhinderung dieser Körperverletzung X aufgewendet werden (hier: ca. 89.000 Euro). Folgerichtig müsste dem Geschädigten dann auch eben diese Summe als Schadensersatz im Fall einer Fremdverletzung zugesprochen werden. Um dieses System umfassend auszugestalten, ist es erforderlich, empirische Untersuchungen durchzuführen, in deren Rahmen die verschiedenen Arten und Ausprägungen der Körperverletzung in Relation zum Tod gesetzt werden. D. h. es muss eine möglichst erschöpfende Liste aufgestellt werden, aus der sich ablesen 358
Kind / Rosser / Williams (1982), S. 159 f.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
lässt, welcher Grad an Todeswahrscheinlichkeit den potentiell Betroffenen ex ante gegenüber der ihm drohenden konkreten Form der Körperverletzung indifferent werden lässt. Denn erst dann erscheint es überhaupt denkbar, dass dieser Ansatz auch von der gerichtlichen Praxis genutzt werden kann. Eine derartige Untersuchung gibt es aber bislang nicht. Auf der bisher bestehenden rein theoretischen Grundlage ist der einzig verlässliche Wert der von 890.000 Euro für schwerste Verletzungen, die dem Tod gleichgestellt werden. c) Bestimmbarkeit der Schadensersatzhöhe im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? Auch bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt sich das Problem, dass neben Schäden in den Bereichen 1 und 2 des Modells Schäden an unersetzbaren Gütern (Bereich 3 des Modells) anfallen, die sich auf Basis des expost-Ansatzes nicht effizient kompensieren lassen. Um das Ziel der vollkommenen Kompensation zu gewährleisten, ist es daher auch hier unerlässlich, diese Schäden über die ex-ante-Methode zu ersetzen: E = V/W. 359 Es muss also ein Geldbetrag (V) ermittelt werden, zwischen dem einerseits und dem Risiko der Schädigung (W) andererseits der potentiell Geschädigte zum Zeitpunkt vor der Verletzung indifferent ist. Spezifische Untersuchungen, auf deren Grundlage sich die Variablen V und W bestimmen ließen, existieren aber für den Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht. Wie schon von der Körperverletzung bekannt, kommt daher auch hier ausschließlich eine Übertragung des für den Fall der Verletzung des Rechtsguts Leben ermittelten Werts auf den Fall der Verletzung des Persönlichkeitsrechts in Betracht. Anders als bei der Körperverletzung sind für das Persönlichkeitsrecht jedoch nicht einmal Studien vorhanden, mit deren Hilfe sich eine Relation zwischen Tötung und Persönlichkeitsrechtsverletzung herstellen ließe. Während dort wenigstens im Bereich schwerster Schädigungen ein – nachvollziebarer – Vergleich zwischen Tod und Körperverletzung möglich ist, ist die Ermittlung einer solchen Relation für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten nur schwer vollstellbar. Der Grund dafür liegt zwar nicht darin, dass die Körperverletzung – im Gegensatz zur Persönlichkeitsrechtsverletzung – gleichsam ein wesensgleiches Minus zum Tod darstellt. Denn sofern es sich empirisch nachweisen ließe, dass allgemein eine Bereitschaft bestünde, zum Schutz seines guten Namens oder seines Kraftfahrzeugs eine zehnprozentige Todeswahrscheinlichkeit auf sich zu nehmen, ließe sich das Rechtsgut Leben durchaus auch in Relation zu einem ihm grundverschiedenen Recht wie das Persönlichkeitsrecht oder das Eigentum setzen. Der Grund besteht vielmehr darin, dass im Bereich des Persönlichkeitsrechts keine so ausgeprägte Kategorisierung wie bei der Körperverletzung vorhanden ist. Dort lassen 359
s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a).
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
247
sich die Verletzungsfolgen etwa als Schürfwunde, als Beinbruch oder als Querschnittlähmung klassifizieren. Hier hingegen kann eine Verletzung immer nur im Einzelfall gewürdigt werden. Welchen Schmerz im Beispielsfall die Erwähnung in einer Werbekampagne für Zahnhaftcreme mit sich bringt, hängt maßgeblich von dem betroffenen Individuum ab, von seinem Alter, seiner Bekanntheit, seinem Ruf usw. Die Schwere des Schadens, der aus einer Verletzung resultiert, d. h. das Maß, um das die Nutzenkurve nach unten absinkt, wird von jedem Einzelnen in jedem Einzelfall anders empfunden. Es erscheint daher auch für die Zukunft nicht vorstellbar, dass Studien entwickelt werden, die die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlässlich in Relation zum drohenden Todesrisiko setzen. Konkrete Beträge für die Variablen V und W, die zur Berechnung der Ersatzpflicht nach der ex-ante-Methode unbedingt erforderlich sind, lassen sich somit nicht ermitteln. d) Zwischenergebnis Die für seinen Ersatz erforderliche Bewertung eines Schadens in Geld ist im Fall der Schädigung unersetzbarer Güter über die ex-post-Methode ineffizient. Der bereits eingetretene Schaden an einem unersetzbaren Gut ist nicht nur tatsächlich, sondern auch wirtschaftlich unmöglich. Stattdessen hat der Ersatz, um das Ziel der vollkommenen Kompensation zu realisieren, nach der ex-ante-Methode zu erfolgen. Allerdings ergeben sich Schwierigkeiten bei der für die praktische Anwendung im Bereich von Schmerzensgeld und Geldentschädigung erforderlichen Bezifferung der Variablen V und W. 2. Haftungsbegrenzungen Ein Abweichen der Ersatzpflicht von dem tatsächlichen Schaden infolge von Haftungsbegrenzungen kann sich auf zweifache Weise ergeben: durch rechtliche und durch faktische Haftungsbegrenzungen. Um die daraus resultierende partielle Abweichung der Ersatzpflicht vom Schaden zu beseitigen, müssen diese Haftungsbegrenzungen aus der Welt geschafft werden. Für die rechtlichen Haftungsbegrenzungen ist dies durch eine Streichung der jeweils bestehenden Haftungsobergrenze möglich. Bei den faktischen Haftungsbegrenzungen handelt es sich um Fälle, in denen das Vermögen des haftenden Schädigers nicht ausreicht, um die zu zahlende Haftungssumme zu begleichen. Letztlich handelt es sich dabei um einen Fall des „Judgment-Proof -Problems“. Dieses lässt sich dadurch beseitigen, dass der Schädiger zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet wird, die den gesamten verursachten Schaden abdeckt. 360 Gegen eine solche Pflichtversicherung spricht 360
s. o., vgl. Teil 2 A. I. 3. d).
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
auch nicht, dass gerade noch das Ergebnis gefunden wurde, dass die Versicherung drohender Schäden an unersetzbaren Gütern ineffizient und daher abzulehnen sei. 361 Diese Schlussfolgerung bezog sich allein auf Eigenversicherungen des Geschädigten. Hier geht es jedoch um eine Versicherung, die der Schädiger für die ihm drohende Haftpflicht für Schäden eines Dritten abschließen soll. Soweit diese ihm drohende Haftungssumme auch Schäden an unersetzbaren Gütern umfasst, stellen diese aus seiner Sicht eine ganz gewöhnliche Geldzahlungsverpflichtung dar. 3. Geltendmachungsdefizit (enforcement error) Soweit die Durchsetzung eines Ersatzanspruchs daran scheitert, dass der geschädigte Anspruchsinhaber nicht alle rechtsbegründenden Voraussetzungen seines Anspruchs zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO) nachweisen kann und daher den Prozess verliert oder in Kenntnis seiner schlechten Beweislage die Geltendmachung des Anspruchs schon von Anfang an unterlässt, kann gegen dieses Geltendmachungsdefizit (enforcement error) auf zwei Ebenen vorgegangen werden, auf der Tatbestands- und auf der Rechtsfolgenseite. a) Die Chance, einen materiellrechtlich bestehenden Schadensersatzanspruch erfolgreich geltend zu machen, kann schon auf der tatbestandlichen Seite vergrößert werden. Schwierigkeiten bei der Beweisführung entstehen vor allem im Bereich der (haftungsbegründenden wie auch der haftungsausfüllenden) Kausalität sowie – wenn erforderlich – im Bereich des Verschuldens. Diesen kann zum einen dadurch begegnet werden, dass die nach den allgemeinen Grundsätzen bestehende Beweislast des geschädigten Anspruchsinhabers umgekehrt wird. So könnte die Beweislast für die Kausalität und / oder das Verschulden dem Schädiger auferlegt werden. Das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale würde dann so lange vermutet, bis es dem Anspruchsgegner gelingt, ihr Nichtvorliegen nachzuweisen (vgl. etwa § 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Zum anderen können dem Geschädigten Beweiserleichterungen gewährt werden, um die bei den genannten Tatbestandsmerkmalen typischerweise auftretenden Beweisschwierigkeiten zu überwinden. 362 Beispiele dafür sind die Beweismaßreduzierung, die das Erfordernis der richterlichen Überzeugung auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil reduziert, oder der Beweis des ersten Anscheins (prima-facie-Beweis). Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit, dass ein rechtlich bestehender Schadensersatzanspruch auch tatsächlich 361
s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa). Zum Unterschied zwischen den Beweiserleichterungen und der Beweislastumkehr: Greger, in: Zöller (2005), Vor § 284, Rdnr. 22. Beweiserleichterungen kann der Richter zur Linderung einer im Einzelfall bestehenden Beweisnot gewähren. Eine Umkehr der Beweislast kann hingegen nur abstrakt-generell erfolgen, also durch den Gesetzgeber oder durch richterliche Rechtsfortbildung. Nichtsdestotrotz können sie aus Sicht des Betroffenen im Ergebnis dieselbe Wirkung entfalten, indem sie für ihn den Prozessverlust verhindern. 362
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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erfolgreich geltend gemacht wird, erhöht werden. Dabei ist aber zu beachten, dass die Beweisanforderungen auch nicht zu stark abgesenkt werden darf, weil sonst die Gefahr einer „Verdachtshaftung“ 363 des mutmaßlichen Schädigers entsteht, der bei dem ihm auferlegten Nachweis, dass er nicht kausal für den Schadenseintritt war bzw. dass er nicht schuldhaft handelte, prinzipiell vergleichbaren Schwierigkeiten ausgesetzt ist wie der Geschädigte. Eine Veränderung der grundsätzlich bestehenden Anforderungen an den Beweis bedarf somit einer umfassenden Abwägung für den jeweiligen Einzelfall oder für die jeweilige Fallgruppe und darf keinesfalls pauschal in die eine oder die andere Richtung vorgenommen werden. b) Eine umfassende Beseitigung des Geltendmachungsdefizits gelingt deshalb nur durch einen korrigierenden Eingriff auf der Rechtsfolgenseite. Dies hat dadurch zu geschehen, dass die Summe des zu zahlenden Schadensersatzes über den tatsächlich entstandenen Schaden hinaus angehoben wird. Eine solche Überhöhung der Ersatzpflicht führt dazu, dass die Gesamtzahl der Schädiger auf lange Sicht im Durchschnitt trotz des bestehenden Geltendmachungsdefizits denjenigen Schaden zu ersetzen hat, der auch tatsächlich verursacht worden ist, sodass der potentielle Schädiger auf diese Weise zu effizientem Vorsorgeverhalten angereizt wird. Wie diese Überhöhung vorzunehmen ist, soll an dem oben eingeführten Beispielsfall demonstriert werden, in dem lediglich eine Wahrscheinlichkeit von W2 = 25% bestand, dass der Schädiger den von ihm verursachten Schaden in Höhe von 100 Euro auch tatsächlich würde begleichen müssen. 364 Der Erwartungswert der dem Schädiger drohenden Ersatzpflicht beläuft sich lediglich auf 25 Euro (= 0, 25 × 100 Euro). Die dadurch verursachte Anreizverzerrung wird ausgeglichen, wenn die dem Schädiger im Fall einer tatsächlichen Haftung drohende Ersatzpflicht auf ein solches Maß angehoben wird, dass die durchschnittlich vom ihm zu zahlende Summe dem verursachten Schaden entspricht. Seine Ersatzpflicht muss also hoch genug sein, um auch diejenigen Schäden abzudecken, deren Ersatz infolge des enforcement errors nicht stattfindet. 365 Die Formel dafür ist simpel: Die Haftungssumme (E), die dem Schädiger auferlegt wird, muss gleich der Höhe des tatsächlichen Schadens (S ) sein, multipliziert mit dem Kehrwert der Wahrscheinlichkeit, dass der Schädiger tatsächlich Ersatz leisten muss, wenn er rechtlich dazu verpflichtet ist (1/W) (rule of the reciprocal 366): E = S × 1 : W = S /W. 367 363
Endres (1989), S. 120; Endres (1991a), S. 53. s. o., vgl. Teil 2 B. II. 1. 365 Die hier aufgemachte Kalkulation mag ungerecht erscheinen. Denn im Beispielsfall müssen drei Schädiger drei Geschädigten keinen Ersatz leisten, während ein Schädiger einem Geschädigten den vierfachen Schaden ersetzt. Unter dem Gesichtspunkt der Verhaltenssteuerung kommt es jedoch nicht auf den jeweiligen Einzelfall, sondern darauf an, die dem potentiellen Schädiger aus ex-ante-Perspektive drohende Ersatzpflicht auf das Niveau des von ihm verursachten Schadens zu erhöhen. Denn (nur) in diesem Fall wird der potentielle Schädiger induziert, effektive Vorsorge zu treffen. Dazu: Craswell (1999), S. 2190: „... [T]he average or expected liability is what governs the deterrence incentives.“ 366 Cooter (1989b), S. 1148; Cooter (1997), S. 90. 364
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Im Beispielsfall müsste die Haftung des Schädigers entsprechend auf 400 Euro (= 100 Euro / 0,25) angehoben werden. Dadurch wird sichergestellt, dass der Erwartungswert der dem Schädiger drohenden Ersatzpflicht E exakt die Höhe des dem Geschädigten tatsächlich drohenden Schadens S einnimmt (hier: 100 Euro). Denn mathematisch egalisieren sich die beiden Faktoren des Terms W und 1/W : E = W × S × 1/W = S . 368 Derjenige Anteil des Gesamtschadensersatzes, der über den tatsächlichen Schaden hinausgeht, soll als „überkompensatorischer Schadensersatz“ (extracompensatory damages, punitive damages) bezeichnet werden. 369 Das unter dem Aspekt der Schadensvorsorge gebotene Maß an überkompensatorischem Schadensersatz 367 Der erste Verweis auf eine derartige Schadensberechnung – wenn auch noch nicht algebraisch formuliert – findet sich bereits bei: Bentham (1789, 1948), S. 173. Moderne Nachweise: Posner (1972b, 2003), S. 219; Shavell (1987), S. 148, 162; Landes / Posner (1987), S. 160; Polinsky / Shavell (2000), S. 768; Cooter / Ulen (2004), S. 376. 368 Eine kritische Betrachtung dieses multiplier principle findet sich bei: Craswell (1999), S. 2186 ff. Auch er folgert aber letztlich, dass das multiplier principle dem potentiellen Schädiger Anreize zu optimalem Vorsorgeverhalten setzen kann. Dieses sei zwar nur ein Weg, um dies zu erreichen – und nicht der einzige. Als Alternativen diskutiert er etwa einen für alle Fälle konstanten Faktor, mit dem der tatsächliche Schaden multipliziert werden soll (optimal constant multiplier, z. B. treble damages), eine für alle Fälle konstante Geldstrafe (optimal constant fine), eine Anpassung der Sorgfaltsstandards (adjustments to the substantive standard) und Haftungsobergrenzen und andere mögliche Anpassungen (caps on damages, and other possible adjustments). Die häufig wiederholte Quintessenz seiner Untersuchung ist: „... [T]he multiplier principle is sufficient, but not necessary for optimal deterrence.“ (S. 2210, 2238, ähnlich auch: S. 2194, 2195). Im Ergebnis argumentiert Craswell folglich nicht gegen das multiplier principle, sondern ausschließlich dafür, den alternativen Lösungsmöglichkeiten, die ebenfalls – mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen – den Schädiger zu optimalen Vorsorgemaßnahmen induzieren können, Beachtung zu schenken. 369 Entsprechend der Tradition des anglo-amerikanischen Rechtskreises wird auch der Begriff „punitive damages“ verwendet. Das Adjektiv „punitive“ verleitet jedoch zu Fehlschlüssen. Denn überkompensatorischer Schadensersatz kann aus Gründen der Schadensprävention auch in Situationen benötigt werden, in denen das Verhalten des Schädigers keine Bestrafung (punishment) rechtfertigt. Dies liegt darin begründet, dass die Prävention daran ansetzt, ob der Schädiger einer Haftung entkommen ist (enforcement error), die Bestrafung dagegen daran, ob das Schädigerverhalten strafwürdig (blameworthy) ist. Es ist aber durchaus denkbar, dass der Schädiger seiner Haftung entkommt, obwohl sein Verhalten nicht strafwürdig ist (und vice versa). Außerdem lässt sich die Höhe des überkompensatorischen Schadensersatzes auf Grundlage des Präventionsgedankens über die rule of the reciprocal exakt auf das Maß festgelegen, zu dem der Schädiger einer Haftung für die von ihm verursachten Schäden entkommen ist. Im Bereich der klassischen punitive damages ist die Höhe des Strafschadensersatzes unklar und steht im Ermessen des erkennenden Gerichts. Robert D. Cooter (1997), S. 81 schildert diese Gegensätzlichkeit so: „Now I turn to the problem of when to impose punitive damages on wrongdoers. One writer has described a theory that judges and juries award punitive damages when, upon hearing the facts, they grip the arm of their chairs and think, ‚Oh my God!‘ This claim explains little and suggests much. I will develop a theory of punitive damages by trying to explain such behavior.“ (Nachweis weggelassen).
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
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ergibt sich aus dem nach der oben stehenden Formel errechneten Betrag des Gesamtschadensersatzes, von dem der Betrag des tatsächlich entstandenen Schadens zu subtrahieren ist. Im Beispielsfall fallen also 300 Euro an überkompensatorischem Schadensersatz an. Der konkrete Faktor (punitive damages multiplier 370) ergibt sich aus dem Verhältnis der Wahrscheinlichkeit, dass der Schädiger der Haftung entkommt, und der Wahrscheinlichkeit, dass er haftbar gemacht wird: (1−W)/W. 371 Im Beispielsfall beträgt dieser Faktor entsprechend 3 (= 0, 75/0, 25). 4. Zwischenergebnis Mit Hilfe der vorgestellten Maßnahmen ist es möglich, die Auswirkungen der tatsächlich bestehenden Abweichungsgründe zu neutralisieren und den Erwartungswert der Ersatzpflicht an den Erwartungswert des Schadens anzupassen (perfect compensation).
IV. Die vorsätzliche Schädigung – ein Sonderfall Wie im Bereich der nichtvorsätzlichen Schädigungen sind Abweichungen der Höhe der Ersatzpflicht von der des Schadens in gleicher Weise auch im Fall der vorsätzlichen Schädigung denkbar, etwa durch Geltendmachungsdefizite oder Monetarisierungsprobleme. Insoweit, als es darum geht, diese Anreizverzerrungen dadurch auszugleichen, dass die erwartete Ersatzpflicht an die Höhe des erwarteten Schadens angepasst wird (E = S ), kann auf die Ausführungen im Rahmen der nichtvorsätzlichen Schädigung verwiesen werden. 372,373 Zusätzlich zu diesen schon behandelten Gründen kann aber die Anreizsteuerung im Bereich Soweit hier von „überkompensatorischem Schadensersatz“ oder auch von „punitive damages“ die Rede ist, soll mit diesen Begriffen allein die Situation erfasst werden, dass dem Schädiger eine Ersatzpflicht auferlegt wird, die den von ihm konkret verursachten Schaden übersteigt. Dazu: Cooter (1989b), S. 1148; Cooter (1997), S. 89 f.; Polinsky / Shavell (1998), S. 890 f. 370 Polinsky / Shavell (1998), S. 890. 371 Diese Formel unterstellt (aus Gründen der Vereinfachung), dass sich die Wahrscheinlichkeit, mit der der Geschädigte seine Ansprüche gegen den Schädiger auch tatsächlich durchsetzt, nicht verändert, wenn die Schadensersatzsumme angehoben wird. Diese Annahme ist jedoch unrealistisch. Denn wenn der dem Geschädigten in Aussicht stehende Betrag der Ersatzsumme ansteigt, vergrößert sich für ihn auch der Anreiz, den Anspruch durchzusetzen. Dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit W ansteigt, sinkt entsprechend der enforcement error und damit auch der Betrag an punitive damages, dessen Höhe ja gerade maßgeblich von dem Faktor 1/W abhängt (sog. second-round effect). Dazu: Polinsky / Shavell (1998), S. 895; Cooter / Ulen (2004), S. 375, Fn. 29. 372 s. o., vgl. Teil 2 B. I.-III. 373 Bemerkenswert ist allerdings, dass H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 373 f. (seit der Neuauflage 2005) fordern, dass der Schaden des Geschädigten an unersetzbaren Gütern im Fall
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
der vorsätzlichen Schädigung noch aus einem weiteren Grund insuffizient sein. Eine grundlegende Besonderheit der vorsätzlichen Schädigung gegenüber der nichtvorsätzlichen Schädigung besteht darin, dass der Schädiger bei jener einen Gewinn (G) unmittelbar aus der Schädigung selbst, und nicht lediglich aus der der Schädigung zugrunde liegenden Handlung zieht (utility from injury): G > 0. 374 Dies soll an einem Beispielsfall verdeutlicht werden: 375 Der Schädiger ist ein Verleger, der sich erhofft, durch die Veröffentlichung eines Artikels über den der vorsätzlichen Verletzung – anders als im Fall der nichtvorsätzlichen Verletzung – nach der ex-post-Methode beziffert werden müsse. Dies begründen sie damit, dass zwischen dem potentiell Geschädigten und dem potentiellen Schädiger (anders als bei der nichtvorsätzlichen Schädigung) keine Identität im Sinne einer Risikogemeinschaft bestehe. Daher sei der potentielle Geschädigte nicht bereit, sich sein Risiko ersetzen zu lassen, sondern verlange den Ersatz des ihm tatsächlich entstandenen Schadens. Auch bei einer hohen Wahrscheinlichkeit der Schädigung im Fall der vorsätzlichen Schädigung bleibt es aber dabei, dass der Schaden unersetzbar im obigen Sinne ist (s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa)). Was allerdings auf diesen Fall nicht unbesehen übertragen werden kann, sind die oben angestellten Überlegungen, auf welchen konkreten Geldbetrag sich die Ersatzpflicht belaufen soll (s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. b) bb)). Denn die Ausgangsüberlegung, auf der diese empirischen Untersuchungen aufgebaut sind, divergieren – und allein dies ist der relevante Unterschied zwischen vorsätzlicher und nichtvorsätzlicher Schädigung – im Fall der vorsätzlichen Schädigung fundamental von der der nichtvorsätzlichen. Letztere beruhen darauf, dass das ex ante bestehende Risiko des Betroffenen, eine Schädigung zu erleiden, sehr gering ist (z. B. das Risiko eines Feuers in der eigenen Wohnung bei Untersuchungen mit Rauchmeldern oder das eines Autounfalls bei Untersuchungen mit Sicherheitsgurten). Dieses geringe Risiko ist der potentielle Geschädigte – als ein nicht individualisiertes Mitglied einer großen Gruppe (z. B. der Gruppe der Autofahrer) – bereit hinzunehmen, wenn ihm der Erwartungswert des ihm drohenden Schadens (V = W × S = W × E) ersetzt wird. Im Fall der vorsätzlichen Schädigung hingegen steht regelmäßig die Person, die von der Schädigung betroffen sein wird, fest (jedenfalls wird der Kreis der potentiell Geschädigten begrenzt sein). Das Risiko des Schadenseintritts beschränkt sich also ex ante auf ein Individuum (oder jedenfalls eine bestimmbare Zahl von Individuen) und ist damit für dieses signifikant höher. Sobald die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts derart ansteigt, nimmt die Gegenleistung, die dieses Individuum fordern wird, um das Risiko einzugehen, stark zu. Denn infolge des nichtlinearen Verhältnisses zwischen Risiko und Geld steigt der risikoäquivalente Geldbetrag überproportional zur Wahrscheinlichkeit des Todes an (dazu: s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. b) aa); dazu: Landes / Posner [1987], S. 187 – 189). Die für alltägliche Kleinstrisiken ermittelten Werte lassen sich daher nicht auf den Fall der vorsätzlichen Schädigung übertragen. Es sind vielmehr neue Untersuchungen erforderlich, die sich mit der Zahlungsbereitschaft des Einzelnen zur Abwehr eines derart hohen Risikos beschäftigen und die den starken Anstieg der Kurve im Bereich dieser hohen Risiken exakt widerspiegeln. Dass solche Analysen existieren, ist aber nicht ersichtlich. Obwohl der ex-ante-Ansatz also prinzipiell auch auf diese Fälle der vorsätzlichen Schädigung anzuwenden ist, darf die konkret für Kleinstrisiken ermittelte Risiko-Geld-Abwägung nicht unbesehen übernommen werden. 374 s. o., vgl. Teil 2 A. IV. 1. b). 375 s. o., vgl. Teil 2 A. IV. 2. a). Der herangezogene Beispielsfall, der sich mit der Verletzung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts befasst, gilt im Prinzip entsprechend auch für
B. Höhe des Schadensersatzes (Haftungsfolge)
253
Geschädigten seine Auflage zu erhöhen (Kosten für die Erstellung des Artikel Vs = 10 Euro). Er steht vor der Wahl, ob er mit dem Betroffenen über eine Lizenz verhandeln soll, die ihn 100 Euro kosten würde, oder ob er das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einfach verletzt. Erwartet er sich aus der Schädigung einen Gewinn G1 von 80 Euro, wird er die ineffiziente Veröffentlichung des Artikels unterlassen. Er Abschluss eines Lizenzvertrags ist unrentabel. Und auch die ihm alternativ offenstehende Möglichkeit, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu verletzen und den Artikel ohne eine berechtigende Lizenz zu veröffentlichen, wird er nicht wählen, wenn es gelingt, die Höhe der erwarteten Ersatzpflicht exakt auf die Höhe des Schadens zu taxieren (E = S = 100 Euro). Denn in beiden Fällen droht ihm ein Verlust von 30 Euro (= 80 Euro – 100 Euro – 10 Euro). Beläuft sich der erwartete Gewinn G2 jedoch auf 120 Euro, würde sich der Abschluss eines Lizenzvertrages lohnen, denn es verbliebe ein privater Nettogewinn von 10 Euro (= 120 Euro – 100 Euro – 10 Euro). Auch hier steht der potentielle Schädiger vor der Alternative, die Lizenz nicht einzuholen und das fremde Recht zu verletzen. Selbst wenn sich in dieser Situation die erwartete Ersatzpflicht auf den erwarteten Schaden beläuft (E = S = 100 Euro), kann die drohende Pflicht zum Schadensersatz dem potentiellen Schädiger keinen wirksamen Anreiz zum Unterlassen der Schädigung vermitteln. Denn er muss dann an den Geschädigten 100 Euro zahlen, die er aus seinem Gewinn von 120 Euro bestreiten kann, und trotzdem verbleibt ihm noch ein Gewinn. 376 Verallgemeinernd ist festzuhalten: Sofern der erwartete Gewinn den erwarteten Schaden nicht übersteigt, genügt eine Ersatzpflicht, die dem Schaden entspricht, um den Schädiger von seiner vorsätzlichen Schädigung abzuhalten: 0 ≤ G ≤ S = E. Der hier anfallende Gewinn wird durch eine Ersatzpflicht, die auf vollkommene Kompensation des Geschädigten ausgerichtet ist, (mit-) abgeschöpft. Anders verhält es sich aber in der zweiten Konstellation, die Dorsey D. Ellis, Jr. so beschreibt: „... [T]he subjective cost of avoidance [...] is greater than the cost recognized by the law.“ 377 Diese subjektiven Kosten des Schädigers, die ihm infolge der Vermeidung der Schädigung entstehen, resultieren nicht – wie im Fall der fahrlässigen Schädigung – aus den Vorsorgekosten Vs . 378 Sie belaufen sich vielmehr auf den Gewinn G, den sich der Schädiger aus der Schädigung versprochen hat und der ihm im Fall der Nichtschädigung entgeht. Die dem die Fälle der Körperverletzung. Auf eventuelle Besonderheiten wird explizit eingegangen werden. 376 s. o., vgl. Teil 2 A. IV. 2. a). 377 Ellis (1982), S. 25. 378 Im Fall der vorsätzlichen Schädigung nimmt der Schädiger häufig sogar gezielt im Fall der Schädigung Kosten auf sich, die im Fall der Nichtschädigung nicht angefallen wären. Die Vorsorgekosten belaufen sich daher dann sogar auf einen negativen Betrag. So fallen dem Schädiger im Beispielsfall 10 Euro an Kosten für das Erstellen und das Veröffentlichen des Artikels an, die er im Fall der Nichtschädigung eingespart hätte: Vs = −10 Euro.
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Teil 2: Effizienz als Prinzip des Deliktsrechts (Soll-Analyse)
Schädiger im Fall der Schädigung drohende Internalisierung aller Gesamtkosten (S + Vs = E + Vs = 110 Euro) liegt unterhalb seiner subjektiven Bewertung des Schadensereignisses (G2 = 120 Euro). Eine am erwarteten Schaden orientierte und somit auf Indifferenz des Geschädigten abzielende Ersatzpflicht setzt dem Schädiger daher unzureichende Anreize zur Schadensvermeidung. 379 Dies hat seinen Grund darin, dass im Fall der nichtvorsätzlichen Schädigung der Nutzen des Schädigers schon ohne eine ihm drohende Haftung für die Zustände „Schädigung“ und „Keine Schädigung“ gleich ist, weil er hier keinen eigenständigen Nutzen aus der Schädigung selbst ziehen kann (utility from action). Sobald ihm im Rahmen der Haftung die Kosten für den verursachten Schaden auferlegt werden, zieht er den Zustand „Keine Schädigung“ vor. Im Fall der vorsätzlichen Schädigung dagegen kann sich dieses Verhältnis umkehren: Sobald der vom Schädiger aus der Schädigung erzielte Gewinn (utility from injury) die ihm entstehenden Kosten übersteigt (G > S + Vs ), zieht er den Zustand „Schädigung“ vor, selbst wenn ihm eine Haftung für die verursachten Schäden droht. Um den Schädiger zwischen beiden Zuständen indifferent zu machen, muss ihm deshalb der Gewinn aus der Schädigung genommen werden: E = G. 380 Das bisher verwendete Modell zur Bezifferung der Höhe der Ersatzpflicht, das auf eine vollkommene Kompensation des Geschädigten (perfect compensation) und somit auf die Indifferenz des Geschädigten abzielt, lässt den Aspekt des Schädigergewinns völlig außer Betracht. Um dem Schädiger effiziente Verhaltensanreize zu setzen, muss der den verursachten Schaden des Geschädigten übersteigende Gewinn abgeschöpft werden. (Nur) Dann verspricht die vorsätzliche Schädigung dem Schädiger keine Steigerung seines Nutzens mehr, weil er sich nach der Schädigung wieder exakt auf dem Punkt seiner Nutzenkurve befindet, auf dem er sich auch schon vor der Schädigung befunden hat. Statt auf vollkommene Kompensation des Geschädigten (perfect compensation) muss die Ersatzpflicht hier dementsprechend auf Abschreckung des Schädigers (perfect disgorgement) abzielen. 381 Dieses stellt einen Bruch mit der bisher verfolgten Vorgehensweise dar, ist aber erforderlich, um den bereits oben geschilderten Besonderheiten der vorsätzlichen Schädigung gerecht werden und um trotz dieser eine effiziente Verhaltenssteuerung gewährleisten zu können. 382 Es ist daher folgende Modifikation vorzunehmen: Soweit die grundsätzlich an der Höhe des Schadens ausgerichtete Ersatzpflicht (E = S ) den Gewinn des Schädigers nicht abschöpfen und dem Schädiger somit keinen Anreiz, die Schädigung zu unterlassen, vermitteln kann, muss sich die Höhe der Ersatzpflicht an dem Gewinn des Schädigers orientieren: E = S + (G − S ) = G. Auf diese Weise wird die (vorsätzliche) Schädigung für 379 380 381 382
s. o., vgl. Teil 2 A. IV. 3. Haddock / McChesney / Spiegel (1990), S. 27; Cooter (1997), S. 76 f. Haddock / McChesney / Spiegel (1990), S. 29 f.; Cooter (1997), S. 77. s. o., vgl. Teil 2 A. IV. 1.
C. Ergebnis des zweiten Teils
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den Schädiger wertlos, da sie keinen Gewinn mehr verspricht. Er wird daher die Transaktion über den Markt abwickeln, im Beispielsfall also eine Lizenz erwerben.
V. Zwischenergebnis Gegen die Gründe, aus denen die Höhe der erwarteten Ersatzpflicht von der Höhe des erwarteten Schadens abweicht und aus denen somit die aus der dem potentiellen Schädiger drohenden Ersatzpflicht resultierenden Verhaltensanreize verzerrt werden, sind auf der Grundlage der ökonomischen Theorie wirksame Gegenmaßnahmen verfügbar. Mit deren Hilfe kann das Ziel der vollkommenen Kompensation, die dem potentiellen Schädiger Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten vermittelt, erreicht werden. In dem Ausnahmefall der vorsätzlichen Schädigung, in dem der dem Schädiger aus der Schädigung resultierende Gewinn die gesamten entstehenden Kosten übersteigt, muss von dem grundsätzlich angestrebten Prinzip der vollkommenen Kompensation des Geschädigten insoweit abgewichen werden, als der aus der Schädigung erzielte Gewinn des Schädigers abgeschöpft werden muss.
C. Ergebnis des zweiten Teils Aus ökonomischer Sicht ist im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Gefährdungshaftung anzuordnen. Bei einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit vermag es weder die Verschuldenshaftung (mit oder ohne Mitverschulden) noch die Gefährdungshaftung, sowohl dem Schädiger als auch dem Geschädigten Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten zu vermitteln. Denn während die Verschuldenshaftung das Aktivitätsniveau des Schädigers nicht regeln kann, lässt die Gefährdungshaftung spiegelbildlich das Aktivitätsniveau des Geschädigten unbeeinflusst. Die Wahl unter diesen beiden hat unter dem Gesichtspunkt zu erfolgen, wessen Regelung wichtiger, d. h. kosteneffizienter, ist. Sofern die auf der Basis der jeweiligen Haftungsregime zugesprochenen Schadensersatzbeträge dem Ziel der vollkommenen Kompensation (bzw. ausnahmsweise dem Ziel der vollkommenen Abschreckung) gerecht werden, werden den Beteiligten bestmögliche Anreize gesetzt, effiziente Vorsorgemaßnahmen zu treffen.
Teil 3
Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz mit dem deutschen Deliktsrecht „At a time when the King of England claimed to be also King of France, he was not always welcome in Paris.“ 1 Ronald H. Coase
Der zweite Teil befasste sich mit dem aus mikroökonomischer Sicht optimalen Haftungskonzept. Dieser Denkansatz hat mit Recht im klassischen Sinne nicht mehr zu tun, als dass die ökonomische Theorie – gleichsam „zufälligerweise“ 2 – auf Rechtsregeln angewendet wird und sie an ökonomischen Maßstäben misst. Rechtsnormen werden dabei nicht als Teil des konstanten außerökonomischen Datenkranzes verstanden, sondern als Anordnungen, die im Rahmen einer Folgenbewertung nach ökonomischen Kriterien zu beurteilen und gegebenenfalls zu verändern sind. 3 Recht wird auf diese Weise für die Ökonomie zu einer relevanten Variablen und kann als Instument zur Verhaltenssteuerung eingesetzt werden. Während die Rechtswissenschaft als Normwissenschaft ihre Aussagen auf das geltende Recht (positives Recht im Sinne der traditionellen Rechtsmethodik) stützt und sie auf dieses bezieht, basiert die ökonomische Analyse auf empirisch überprüfbaren mikroökonomischen Hypothesen. Erwägungen, ob unter dem Aspekt der Effizienz das geltende Recht verändert werden sollte, sind für die Rechtswissenschaft nicht unmittelbar von Bedeutung. Geltendes Recht und ökonomische Analyse des Rechts führen im Grundsatz eine Parallelexistenz. Die ökonomische Analyse bliebe nicht mehr als eine „verwerfliche intellektuelle Spielerei“ 4 oder eine „verbal-provokative Ökomanie“ 5, fände sie allein um ihrer selbst Willen im aus rechtswissenschaftlicher Sicht luftleeren Raum des ökono1
Coase (1978), S. 207. Blaschczok (1993), S. 243. 3 Vgl. dazu nur: Demsetz (1974), S. 31 ff.; Kirchner (1978, 1993), S. 62 f.; Ott / H.B. Schäfer (1988), S. 214. 4 Kübler (1990), S. 691 im Anschluss an Bydlinski (1988), S. 460: „Die ökonomische Analyse figuriert als verwerfliche intellektuelle Spielerei, motiviert durch das frivole Bestreben, den ‚Lorbeer des Neuen, Originellen oder gar Sensationellen ... zu gewinnen‘.“ 5 Taupitz (1996), S. 116. 2
A. Anpassung des geltenden Rechts
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mischen Verhaltensmodells statt. Es ist daher erforderlich zu klären, welchen Einfluss die ökonomische Analyse auf die Rechtswissenschaft hat und wie die aus ihr gezogenen Konsequenzen rechtswissenschaftlich verwertbar sind. Von kaum zu überschätzender Wichtigkeit für die praktische Relevanz der ökonomischen Analyse ist daher die Frage danach, wie sich das effizienzorientierte Instrumentarium der mikroökonomischen Theorie in die Begründungszusammenhänge des deutschen Rechtssystems integrieren lässt. Zu deren Beantwortung ist zwischen zwei grundlegend verschiedenen Integrationsadressaten zu differenzieren: dem Rechtsanwender (A.) und dem Rechtssetzer (B.). Zu Beginn eines jeden dieser beiden Abschnitte ist zunächst zu klären, ob und gegebenenfalls wie sich die Effizienzerwägungen der ökonomischen Analyse des Rechts in das jeweilige Umfeld – lex lata bzw. lex ferenda – inkorporieren lassen. Denn davon hängt es letztlich ab, ob die im engsten Sinne wirtschaftswissenschaftlichen Erwägungen des zweiten Teils rechtswissenschaftlich nutzbar gemacht werden können. Auf dieser Basis wird im Anschluss daran überprüft, welche Anpassungen des Schmerzensgeld- und des Geldentschädigungsrechts an die ökonomischen Postulate konkret nötig und möglich sind.
A. Anpassung des geltenden Rechts an die Vorgaben des Effizienzkriteriums „Alte Träume [...] des [Rechts-] Praktikers von der Reduzierbarkeit der Komplexität seines Arbeitsfeldes auf eine einfache Basistheorie scheinen Wirklichkeit zu werden.“ 6 Norbert Horn
Zunächst ist also aus dem Blickwinkel des Rechtsanwenders zu untersuchen, inwieweit die wirtschaftswissenschaftlichen Ansprüche an das Recht schon heute – de lege lata – für gerichtliche Entscheidungen tatsächlich von Relevanz sind bzw. sein können.
I. Möglichkeit der richterlichen Implementierung des Effizienzkriteriums Damit die ökonomische Analyse des Rechts für die Rechtswissenschaft von Relevanz sein kann und ihre Ergebnisse somit verwertet werden können, muss die an sich bestehende Parallelität zwischen positivem Recht und ökonomischer Analyse 6
Horn (1976), S. 311.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
aufgehoben werden. Dafür muss ein gemeinsamer Bereich, eine Schnittmenge geschaffen werden, in deren Grenzen die auf Grundlage des Effizienzkriteriums aufgestellten Anforderungen in das geltende Recht implementiert werden können. 1. Das Rechtsanwendungsverständnis der ökonomischen Analyse des Rechts Nach dem Rechtsanwendungsverständnis der ökonomischen Analyse des Rechts besteht ein solches Schnittfeld überall dort, wo das positive Recht der Auslegung durch den Rechtsanwender bedarf, um die jeweilige Rechtsnorm überhaupt auf den jeweiligen konkreten Einzelfall anwendbar zu machen. 7 Pars pro toto sei nur auf die Schwierigkeiten einer Subsumtion unter § 242 BGB „als Prototyp einer Generalklausel“ 8 hingewiesen. Infolge seiner inhärenten Unbestimmtheit hat sich § 242 BGB über seinen Wortlaut hinaus zu einer Art „Ermächtigungsgrundlage“ für die Rechtsprechung entwickelt, auf deren Grundlage sie umfassende Korrekturen und Fortbildungen des geltenden Rechts vornimmt. Damit sich diese tief greifende Aufgabe nicht in vermeintlicher Einzelfallgerechtigkeit verliert, muss sie an objektive oder wenigstens objektivierbare gesellschaftliche Werte gebunden werden. An diesem Defizit der Rechtswissenschaft, eine geordnete und exakte Konkretisierung eines ihr eingeräumten Spielraums vorzunehmen, setzt die ökonomische Analyse an. Die ökonomische Theorie bietet nämlich normative Kriterien, die eine Bewertung der Folgen einer Entscheidung und damit die Auswahl unter verschiedenen Konkretisierungsalternativen ermöglichen. 9 So kann am Maßstab des Effizienzkriteriums detailliert ermittelt werden, welche Wahlmöglichkeit den Beteiligten Anreize zu aus gesamtgesellschaftlicher Sicht optimalem Verhalten vermittelt. Anstatt zur Lösung juristischer Wertungsprobleme Abwägungen vorzunehmen, die sowohl in Bezug auf die Methode als auch in Bezug auf das Ergebnis unklar bleiben, vermag es die ökonomische Analyse, offene Wertbegriffe inhaltlich auf gesicherter wirtschaftswissenschaftlicher Grundlage zu konkretisieren. 10 Diese Stringenz und Präzision lassen die ökonomische Theorie als ein geeignetes Mittel für diese Aufgabe erscheinen. Die Frage, wie ein konkreter Einzelfall im Anwendungsbereich des § 242 BGB zu entscheiden ist, lässt sich mit Hilfe einer strengen Kosten-Nutzen-Relation 7 Lehmann (1983), S. 240; Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 214; Ott (1989), S. 30; H.B. Schäfer (1989), S. 19 f.; ähnlich: Wehrt (1992), S. 358; Kötz / H.-B. Schäfer (2003), S. VIII. 8 Roth, in: Münchener Kommentar (2003), § 242, Rdnr. 3; er führt weiter aus, § 242 BGB stelle nur „allgemeine Grundsätze auf [...] und [ermöglicht] den Gerichten unter Mithilfe der Rechtswissenschaft eine Rechtsfortbildung“. 9 Vgl. nur Posner (2003), S. 10 –16; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 23 ff. Posner (1998a), S. 1639 f. beschreibt seinen eigenen Ansatz als pragmatisch. 10 Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 217; Ott (1989), S. 31.
A. Anpassung des geltenden Rechts
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exakt beantworten, d. h. gesamtgesellschaftlich erwünschtes kann von gesamtgesellschaftlich unerwünschtem Verhalten trennscharf abgegrenzt werden. Daher seien – so die Vertreter der ökonomischen Analyse – die offenen Wertbegriffe des Rechts das „Einfallstor“ 11, durch das die ökonomische Analyse ihre theoretisch abgeleiteten normativen Aussagen in das positive Recht einführen kann, ohne dessen Geltung in Frage zu stellen. 12 Um diesen Ansatz praktisch anwendbar zu machen, muss jedoch geklärt werden, was unter solchen „offenen Wertbegriffen“ zu verstehen ist und was sie ausmacht. Claus Ott und Hans-Bernd Schäfer sehen sie überall „... dort, wo das positive Recht explizit oder implizit auf die Notwendigkeit von Wertungen verweist, ohne diese selbst vorzunehmen.“ 13 Als Beispiele führen sie Treu und Glauben (§ 242 BGB), die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB), die Verkehrssitte (§ 157 BGB) oder die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) an. 14 Dabei handelt es sich durchgängig um Generalklauseln und Blankettbegriffe, aus denen durch einfache Subsumtion keine bestimmten Rechtsfolgen ableitbar sind. Sie bedürfen der Präzisierung und Konkretisierung durch den Rechtsanwender, wobei er zweifellos eigene Wertungen vorzunehmen hat. Dass diese Paradigmen der gerichtlichen Ausfüllungsbedürftigkeit als „offen“ im obigen Sinn zu betrachten sind, überrascht kaum. Denn schon Justus Wilhelm Hedemann sprach von den Generalklauseln als „ein Stück offengelassener Gesetzgebung“ 15. Fraglich ist aber, wo die Grenzlinie zu Normen zu ziehen ist, die nicht (mehr) als offen zu bezeichnen sind. Was ist mit dem Begriff der Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB), dem der Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB, insbesondere im Hinblick auf Abs. 2 und 3) oder dem der Unverhältnismäßigkeit (§ 251 Abs. 2 S. 1 BGB)? Ist beispielsweise ein Begriff wie „fest verbunden“ im Sinne des § 94 Abs. 1 S. 1 BGB auch offen oder gerade nicht mehr? Man sollte meinen, er sei nicht offen, denn es scheint sich um eine rein faktische Frage zu handeln, die sich nach der Verkehrsanschauung bemisst und keinerlei juristische Wertung erfordert: Entweder ist eine Sache „fest mit dem Grund und Boden verbunden“ oder sie ist es nicht. So ist ein massives Wohnhaus zweifelsfrei fest mit dem Grundstück, auf das es gebaut ist, verbunden, ein in die Wand gedübelter Hängeschrank oder ein in den Boden geschlagener Holzpfahl dagegen nicht. Was aber ist mit einer auf einem Grundstück aufgeschütteten Kiesfläche, die als Parkplatz dient? 16 Nach 11 Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 214. Lehmann (1983), S. 240 und Schwintowski (1998), S. 587 sprechen von „Einbruchstellen“. 12 Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 214. 13 Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 214. 14 Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 217. Ähnliche Aufzählungen finden sich bei Lehmann (1983), S. 240 und H.-B. Schäfer (1989), S. 19. 15 Hedemann (1933), S. 58. 16 Beispielsfall nach: LG Landshut (Urt. v. 17. 05. 1990 – 4 O 366/90), NJW-RR 1990, 1037. Im Ergebnis bejahte das Gericht hier eine feste Verbindung.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
allgemeiner Ansicht liegt eine feste Verbindung dann vor, wenn die Trennung zur Beschädigung oder Veränderung der abzulösenden Sache führt oder sie nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. 17 Da sowohl der Kies als auch das Grundstück bei einer Trennung physisch unversehrt bleiben würden, kommt es einzig auf die Verhältnismäßigkeit des für die Trennung erforderlichen Aufwands an. Dies ist eine Frage des Einzelfalls, die z. B. von dem Grad der Verdichtung des Untergrunds und der Zugänglichkeit der Parkfläche abhängt. Im Ergebnis ist hier deshalb eine Kosten-Nutzen-Analyse anzustellen, für die sich aus ökonomischer Sicht eine Orientierung am Effizienzkriterium geradezu aufdrängt. Auch das Tatbestandsmerkmal „feste Verbindung“ bedarf also der Konkretisierung und ist am Maßstab des Effizienzkriteriums der Konkretisierung fähig. Letztlich findet nämlich auch hier dieselbe Abwägung statt wie im Rahmen des § 276 Abs. 2 BGB oder des § 242 BGB. Es handelt sich mithin um einen offenen Wertbegriff. Verallgemeinert man dieses Beispiel, gelangt man zu folgendem Problemkern: Unabhängig davon, wie gut sich die große Masse der gewöhnlich anfallenden Fälle unter eine Rechtsnorm subsumieren lässt, ist die Genauigkeit, mit der die Bedeutung eines gesetzlichen Begriffs ermittelt werden kann, limitiert. In Grenzfällen kann daher nicht mit abschließender Sicherheit beurteilt werden, ob ein bestimmter Sachverhalt noch unter eine Norm fällt oder gerade nicht mehr. Dies hat seinen Grund darin, dass sich der Gesetzgeber bei der Formulierung der Gesetze weitgehend der Umgangssprache bedient (z. B. Sache, feste Verbindung) oder auf eine stark an sie angelehnte Fachsprache zurückgreift (z. B. Dienstbarkeit, Anfechtung). Somit sind in den Gesetzesnormen mehr oder minder flexible Ausdrücke enthalten, deren mögliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwanken und je nach den Umständen, dem Zusammenhang, der Satzstellung oder der Betonung eines Wortes unterschiedlich sein kann. Rechtsnormen sind daher grundsätzlich immer verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten zugänglich. 18 Diese Unbestimmtheit an den Begriffsgrenzen bezeichnete H.L.A. Hart als „open texture“ 19. Vermeiden ließe sich diese nur, wenn der Gesetzgeber die Rechtsnormen in einer der mathematischen Logik folgenden Zeichensprache abfasste, sodass der Umfang der verwendeten Begriffe präzise festgelegt ist und sich die (Nicht-) Anwendbarkeit für jeden denkbaren Fall trennscharf klären ließe. Dies wäre aber die Einführung einer „mechanischen Jurisprudenz“ 20, die dem unserigen Verständnis von Rechtswissenschaft nicht entspricht und die nach dem heutigen Stand des Rechts auch nicht realisiert werden kann. Die dem Recht zwangsläufig immanente Unsicherheit ist daher der Preis, der für die Nutzung umgangssprachlicher 17 Ständige Rechtsprechung seit RG (Urt. v. 14. 11. 1938 – V 37/38), RGZ 158, 362 (374 f.). Vgl. dazu nur Holch, in: Münchener Kommentar (2001), § 94, Rdnr. 4. 18 Alexy (1978), S. 17 f.; Larenz (1991), S. 204 f., 320 f. 19 Hart (1961, 1997), S. 128. 20 Hart (1961, 1997), S. 128: „mechanical jurisprudence“.
A. Anpassung des geltenden Rechts
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Terminologie zur Beschreibung (im weitesten Sinne) technischer Sachverhalte zu zahlen ist. Wenn es deshalb dem Gesetzgeber unmöglich ist, Gesetze so zu formulieren, dass jeder denkbare Streitfall durch das Gesetz (vor-)entschieden ist und sich dementsprechend glatt unter das Gesetz subsumieren lässt, dann steht dem Rechtsanwender – zumindest bis zu einem gewissen Grad – immer auch ein Auslegungsspielraum zu. Der Wirkungsbereich des offenen Wertbegriffs beschränkt sich infolge dessen keineswegs auf die offensichtlichen Generalklauseln des deutschen Zivilrechts – wie es die Vertreter der ökonomischen Analyse durch die von ihnen angeführten Regelbeispiele glauben machen wollen. Vielmehr erstreckt sich die faktische Wirkung des Ansatzes umfassend auf alle Rechtsnormen. 21 Der offene Wertbegriff ist somit – was den Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts sicherlich nicht gänzlich ungelegen kommt – ein „ubiquitäres Phänomen“ 22. Es würde keinen tief greifenden Rechtsstreit (hard case 23) mehr geben, der ohne den Rückgriff auf ökonomische Kriterien gelöst werden könnte. Denn die Richter müssten die allgegenwärtigen offenen Rechtsbegriffe systematisch am Maßstab der Effizienz interpretieren. Auf diese Weise würde das Recht nicht punktuell ausoder fortgebildet, sondern grundlegend verändert und umgestaltet. 24 Die Gerichte würden Fall um Fall das gesamte Recht einer ökonomischen Reform unterziehen und nähmen infolgedessen eine rechtspolitische Aufgabe wahr. 25 Robert D. Cooter und James Gordley bringen dieses Problem auf den Punkt: „... [The economic approach to law] blurs the distinction between the making and the application of law.“ 26 Die Handlungsempfehlung der ökonomischen Analyse des Rechts, offene Wertbegriffe anhand wirtschaftlicher Kriterien zu konkretisieren, ist – bildlich gesprochen – „das Trojanische Pferd der ökonomischen Analyse in der Zitadelle des Rechts“ 27.
21 Die (unüberwindlichen) Schwierigkeiten, den Bereich der offenen Wertbegriffe trennscharf abzugrenzen, konzedierend: Ott (1989), S. 30. 22 Eidenmüller (1995, 2005), S. 403. In diesem Sinne auch: R. Kohl (1993), S. 31. 23 Umfassend zum Problem der hard cases: Dworkin (1975), S. 1057 ff. 24 Ott (1989), S. 25: „Um die Zielrichtung des evolutionstheoretischen Ansatzes gleich auf den entscheidenden Punkt zu bringen: der Einfluß der von Rechtsdogmatik und Rechtsprechung verwendeten Begründungen und Kriterien auf die Rechtsentwicklung wird grundsätzlich in Frage gestellt.“ 25 Eidenmüller (1995, 2005), S. 419. 26 Cooter / Gordley (1991), S. 262. 27 Eidenmüller (1995, 2005), S. 403 im Anschluss an Heldrich (1974), S. 281, der diesen Ausdruck mit Blick auf die Integration der Sozialwissenschaften in die rechtswissenschaftliche Ausbildung prägte. Kritisch zu diesem Bild und dem ihm zugrunde liegenden Verständnis: Ott / H.-B. Schäfer (1999), S. 148.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
2. Grenzen des deutschen Rechts Vor diesem Hintergrund trägt letztlich der rechtsanwendende Richter die Hauptlast der Implementierung des Effizienzkriteriums in das geltende Recht. Ausgangspunkt dieser Praxis ist das Rechtsverständnis in den Vereinigten Staaten, dem Ursprungsland der ökonomischen Analyse des Rechts. Das U.S.-amerikanische Rechtssystem, das der Tradition des ursprünglich aus England stammenden common law verpflichtet ist, basiert grundlegend auf richterlichen Einzelfallentscheidungen (case law), die im Rahmen der stare-decisis-Doktrin Bindungswirkung für vergleichbare Fälle entfalten. Auch wenn die Bedeutung des legislativ gesetzten Rechts ständig zunimmt, ist es dort die Rechtsprechung der Gerichte, die die Untergerichte in einer Rechtsfrage präjudiziell bindet, sodass das Gesetz durch das richterliche Fallrecht überlagert wird: „Nicht die Gesetzesvorschrift, sondern die richterliche ‚Glosse‘ ist anzuwendendes Recht.“ 28 Im Bewusstsein dieser gesteigerten Unabhängigkeit des amerikanischen Richters gegenüber dem Gesetzesrecht wendet sich die ökonomische Analyse in den USA mit ihren Postulaten primär an die judikative Gewalt 29 – mit durchschlagendem Erfolg. Die institutionelle Struktur des Rechts in Deutschland ist jedoch eine grundlegend andere. Schon die vom Richter vorgefundene Ausgangslage divergiert klar: Es existiert mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch eine erschöpfende und hochsystematische Kodifikation für das Zivilrecht, die die dogmatische Grundlage einer jeden Entscheidung bildet und an deren Vorgaben die Richter gebunden sind. Zwar ist die Judikative auch hier nicht lediglich der „Mund des Gesetzes“ 30, sondern ihr steht zwangsläufig – wie gerade gezeigt – ein gewisser Interpretationsspielraum bei der Subsumtion des streitigen Einzelfalls unter die einschlägige Gesetzesnorm zu. 31 Das ändert aber nichts daran, dass die Rechtsanwendung der Gerichte gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur innerhalb der von der Legislativen im Rahmen der Gesetze vorgegebenen Wertungsvorgaben erfolgen darf. 32 Paradigmatisch dafür ist eine Aussage, mit der der Gesetzgeber die Begründung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften einleitete: „Zwar war es der Rechtsprechung auf Grund des hohen Abstraktionsgrades der Vorschriften möglich, durch entsprechende Auslegung, aber auch durch richterliche Rechts28 Dieser häufig zitierte Satz stammt von Hay (2005), Rdnr. 24. Dort findet sich auch ein Kurzüberblick über das U.S.-amerikanische Rechtssystem (Rdnr. 17 –24). 29 Cooter / Gordley (1991), S. 262 sprechen von einer „independence vis-à-vis statutory law, and a flexibility that German judges lack“. In diesem Sinne auch Kirchner (1991), S. 282, 284. 30 Montesquieu (1749, 1963), XI. Buch, 6. Kapitel (S. 171): „la bouche qui prononce les paroles de la loi“. 31 So auch: BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (287 f.) – „Soraya“. Zu dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Teil 1 C. II. 1. d). 32 Koch / Rüßmann (1982), S. 164; R. Kohl (1993), S. 45; Schwintowski (2005), S. 13.
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fortbildung, eine Reihe von Anpassungen an die gewandelten Verhältnisse vorzunehmen. Dieser Weg stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo das Gesetz selbst Entscheidungen vorgibt.“ 33
Der deutsche Richter ist also verpflichtet, sich viel stärker an den gesetzlichen Vorgaben zu orientieren, und bringt ihnen ein ganz anderes Grundverständnis entgegen als sein amerikanischer Kollege. Über diese Tatsache besteht auch in der Diskussion über die Möglichkeit einer Integration der ökonomischen Analyse in das deutsche Recht Einigkeit. 34 Den Bestrebungen, Rechtsnormen am Maßstab der Effizienz zu konkretisieren und gegebenenfalls auch zu modifizieren und fortzuentwickeln, ist also nach dem deutschen Verständnis der Gewaltenteilung eine natürliche Grenze gezogen: die der Rechtsnorm zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung. Allein an dieser Vorgabe hat sich die Rechtsanwendung zu orientieren – und nicht an möglicherweise wünschenswerten rechtspolitischen Vorgaben. 35 Im Folgenden soll daher – zunächst auf abstrakt-theoretischer Grundlage und später konkret für das Schmerzensgeld und die Geldentschädigung – untersucht werden, inwieweit sich die ökonomische Analyse zur Interpretation des geltenden deutschen Haftungsrechts heranziehen lässt, ohne die legislativ gesetzten Grenzen zu überschreiten. Dabei sind zwei grundlegende Konstellationen zu unterscheiden: nämlich, ob der Gesetzgeber beim Erlass der jeweiligen Rechtsnorm Gesichtspunkte ökonomischer Effizienz vor Augen hatte oder nicht. a) Effizienz als Politik des Gesetzes Im ersten Fall bezieht der Gesetzgeber ökonomische Erwägungen erkennbar in seine Überlegungen zu der Schutzrichtung der zu erlassenden Norm ein und macht diese so zur Grundlage seiner Regelungen. Wird ökonomische Effizienz auf diese Weise zur „Politik des Gesetzes“ 36, ist der Richter wegen seiner verfassungs33
BT-Drucks. 14/7752, S. 11. H.-B. Schäfer / Ott (1986), S. 135; Behrens (1988), S. 216; Ott (1989), S. 25, 27, 30; Kirchner / Koch (1989), S. 113; Kirchner (1991), S. 283 f.; Taupitz (1996), S. 127. Ein umfassender Vergleich im Rahmen einer funktionalen Analyse insbesondere im Hinblick auf die Unterschiede zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten findet sich bei: Eidenmüller (1995, 2005), S. 404 – 411. 35 Kirchner (1988), S. 204. 36 Der Ausdruck „Politik des Gesetzes“ stammt von Ernst Steindorff (1973), S. 217 ff. Diese Politik (z. B. im Wirtschaftsrecht: Gestaltung und Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse [S. 232 f.]) sei im Rahmen der Auslegung gesondert zu berücksichtigen und ihr müsse im Wege der Auslegung zur Durchsetzung verholfen werden (S. 225). Kritisch zu diesem Begriff der „Politik des Gesetzes“ äußert sich Larenz (1991), S. 332 f.: Die Politik des Gesetzes sei letztlich nichts anderes als der (politische) Zweck des Gesetzes und somit kein neues Auslegungskriterium. 34
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rechtlichen Bindung an Recht und Gesetz verpflichtet, diesen gesetzgeberischen Willen bei der Anwendung der jeweiligen Norm im Einzelfall durchzusetzen. Daher erscheint es nicht lediglich zulässig, sondern geradewegs geboten, dass der Richter die Denkstrukturen der ökonomischen Analyse des Rechts im Rahmen seiner Gesetzesinterpretation berücksichtigt, weil sie auf ihrer gesicherten theoretischen Grundlage am zuverlässigsten zur Erfüllung dieser Aufgabe in der Lage sind. 37 b) Effizienz nicht als Politik des Gesetzes Ungleich diffiziler gestaltet sich die Lage, wenn der Gesetzgeber ökonomische Erwägungen nicht zur Politik des Gesetzes erhoben hat. Eine alleinige Anwendung ökonomischer Wertungskriterien erscheint hier nach dem bisher Gesagten ausgeschlossen. Denn ein solches Vorgehen würde Rechtsnormen eine ökonomische Rückkopplung verschaffen, die so im Gesetz nicht angelegt ist. Dadurch würde sich der auslegende Rechtsanwender über den Zweck hinwegsetzen, der dem Gesetz durch den Gesetzgeber zugrunde gelegt worden ist. Fraglich ist aber, ob – und gegebenenfalls wie – eine punktuelle Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen auch hier möglich ist und ob dies mit den hergebrachten Kanones der Gesetzesauslegung vereinbar ist. 38 Zu dieser Frage lassen sich drei Ansichten ausmachen, die zwar alle ihren gemeinsamen Ausgangspunkt in der klassischen Hermeneutik nehmen, sich dann aber unterschiedlich entwickeln. aa) Zum einen wird von Reinhard Kohl ein restriktiver Ansatz vertreten. Die einer Rechtsnorm durch den Gesetzgeber zugrunde gelegten Wertungen seien durch den Rechtsanwender umfassend zur Geltung zu bringen. Bedarf eine Norm zu ihrer Anwendung im Einzelfall einer konkretisierenden Wertung durch den Rechtsanwender, seien diese Auslegungsspielräume ausschließlich im Sinne des Gesetzgebers auszufüllen. Der Rechtsanwender müsse daher den Willen des Gesetzgebers mit Hilfe der vier klassischen Auslegungskriterien ermitteln und so die Auslegung an den Vorgaben des positiven Rechts orientieren. Hat der Gesetzgeber ökonomische Kriterien nun gerade nicht zu den Wertungsvorgaben Die Einführung dieses Begriffs in die Diskussion um den Stellenwert ökonomischer Argumente für die Auslegung des geltenden Rechts geht zurück auf: Eidenmüller (1995, 2005), S. 452. 37 Allgemeine Ansicht; vgl. dazu nur Salje (1984), S. 280; Kirchner / Koch (1989), S. 111 f.; Eidenmüller (1995, 2005), S. 452; Taupitz (1996), S. 146; Grundmann (1997), S. 434. 38 Thüsing (2001c), S. 348 bezeichnet diesen methodischen Ansatz als „konservativ“ (im Speziellen bezieht sich diese Aussage auf den Vorschlag von Taupitz [1996], auf den sogleich eingegangen wird). Ein weniger „konservativer“, sich also von den Vorgaben der klassischen Auslegungslehre lösender Ansatz stellte aber einen so grundlegenden Wechsel in der Methodik dar, dass er sich ersichtlicherweise nicht mit den geltenden Maßstäben und verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang bringen ließe.
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des Gesetzes gemacht, was in dieser Konstellation definitionsgemäß der Fall ist, fehle es ihnen an der erforderlichen verfassungsrechtlichen Legitimation. Es sei dem Rechtsanweder deshalb in diesen Fällen verwehrt, wirtschaftliche Effizienzerwägungen eigenmächtig in die Interpretation des positiven Rechts einzuführen. Eine ökonomische Folgenberücksichtigung verbiete sich daher in diesen Fällen umfassend. 39 bb) Im Ansatzpunkt ähnlich ist die Ansicht von Christian Kirchner und Stefan Koch, die dann aber einen entscheidenden Schritt weiter geht. Zur Ermittlung, ob sich ein Sachverhalt (Untersatz) unter eine Rechtsnorm (Obersatz) subsumieren lässt, sei allein das traditionelle Auslegungsinstrumentarium anzuwenden, unmodifiziert durch ökonomische Überlegungen. 40 Da es für diese Methodik jedoch nicht ungewöhnlich, sondern geradezu kennzeichnend ist, dass selbst nach einer Auslegung lege artis mehrere konsistente Auslegungsvarianten verbleiben, steht der Rechtsanwender häufig vor der Frage, welche dieser methodisch einwandfrei hergeleiteten Interpretationsalternativen im Einzelfall vorzuziehen ist. Dies hängt davon ab, welchem der verschiedenen Auslegungskriterien das größere Gewicht eingeräumt werden soll. 41 Diese Notwendigkeit, eine Auswahl zwischen den verschiedenen Argumenten vornehmen zu müssen, die allesamt auf die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens abzielen und ohne festes Rangverhältnis nebeneinander stehen, wird selbst von Vertretern der klassischen Methodenlehre als „Schwäche“ 42 empfunden. Der Vorwurf der Beliebigkeit liegt nahe. 43 Um diese Unsicherheit der klassischen Auslegung zu beseitigen, sei die zu treffende Entscheidung zwischen den verschiedenen Auslegungsalternativen von den tatsächlichen Auswirkungen in der realen Lebenswelt der Betroffenen abhängig zu machen, d. h. von den durch sie hervorgerufenen volkswirtschaftlichen Kosten (Rechtsfolgenanalyse). Hier komme dann die ökonomische Analyse ins Spiel, die mit der Effizienz ein Entscheidungskriterium zur Verfügung stelle, das eine eindeutige und transparente Bewertung der Realfolgen gewährleiste und auf diese Weise zur Rationalisierung des Auslegungsergebnisses maßgeblich beitrage. 44 39
R. Kohl (1993), S. 44 f. Kirchner / Koch (1989), S. 114, 122 f. 41 Zur Frage des (fehlenden) Rangverhältnisses der verschiedenen Auslegungskriterien: Alexy (1978), S. 19, 303 – 307 und Larenz (1991), S. 343 – 346 (Fn. 69 m.w. N.). 42 Bydlinski (1991), S. 554: „Gewiß liegt in der Rangproblematik eine Schwäche der überkommenen Methodenlehre.“ Adams (1984), S. 337 als Repräsentant der ökonomischen Analyse bezeichnet diese Situation als „methodisches Vakuum“. 43 Die Vertreter der klassischen Methodenlehre setzen sich gegen diesen Vorwurf jedoch entschieden zur Wehr; vgl. dazu nur: Larenz (1991), S. 346 oder Bydlinski (1991), S. 554 f., 562. 44 Salje (1984), S. 280; Behrens (1988), S. 215 f.; Kirchner / Koch (1989), S. 114, 121 – 124; Kirchner (1991), S. 286 f. Dieser Gedanke findet sich auch bei Eidenmüller (1995, 2005), S. 77. 40
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cc) Nach der Ansicht von Jochen Taupitz schließlich sollen die traditionellen Auslegungsmethoden als „Scharnier“ 45 für die Bedeutung der ökonomischen Analyse im Rahmen der Rechtsanwendung fungieren. Da der Gesetzgeber der Rechtsnorm ökonomische Effizienz hier ja gerade nicht zugrunde gelegt hat, scheiden sowohl das Kriterium der historischen Auslegung als auch – wenn Effizienz im gesamten Regelungszusammenhang unbeachtet geblieben ist – das der systematischen Auslegung dafür aus. Zum Teil lege es aber schon der Wortlaut einer Norm nahe, wirtschaftliche Überlegungen zu berücksichtigen; Hauptwirkungsbereich der ökonomischen Analyse des Rechts sei jedoch die teleologische Auslegung. 46 Dies habe seinen – zumindest aus dem Selbstverständnis der ökonomischen Analyse leicht ableitbaren – Grund darin, dass Effizienzerwägungen (wenigstens unterschwellig) schon auf die rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers Einfluss gehabt haben und dieses Konzept daher aus einem solchen Gesetz unschwer deduziert werden könne. 47 Tatsächlich zur Anwendung kommen können die ökonomischen Wertungen insbesondere dann, wenn dem Richter vom Gesetzgeber ein gewisser interpretatorischer Spielraum zugestanden worden sei, also namentlich bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen. 48 Dabei komme der ökonomischen Theorie freilich keine universale Gültigkeit zur abschließenden Auslegung zu, 49 sondern sie sei nur ein Argumentationsmuster unter mehreren, das im Einzelfall auf seine Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht hin überprüft werden müsse. 50 dd) Im Rahmen der letzten Ansicht erscheint zunächst schon die Begründung dafür problematisch, warum die teleologische Auslegung dem Effizienzkriterium Möglichkeit zur Einwirkung bieten soll. Definitionsgemäß handelt es sich hier um Gesetze, denen der Gesetzgeber ökonomische Effizienz gerade nicht als Politik zugrunde gelegt hat. Von dieser Prämisse geht auch Taupitz bei seinen Überlegungen aus. 51 Selbst wenn er aus dem Selbstverständnis der ökonomischen 45
Taupitz (1996), S. 127. In dieser Deutlichkeit Taupitz (1996), S. 127 für § 251 Abs. 2 BGB. Ähnlich im Ergebnis, aber von einem anderen Ansatz ausgehend: Grundmann (1997), S. 441 –443. Eidenmüller (1995, 2005), S. 454 bezeichnet die Orientierung der Interpretation des Wortlauts und des Sinn und Zwecks von § 276 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. (= § 276 Abs. 2 BGB) anhand ökonomischer Kriterien als „eine zumindest vertretbare Auslegung“. Diederichsen / Wagner (1998), S. 193 verweisen darauf, dass §§ 251 Abs. 2, 906 BGB jedenfalls auch Effizienzerwägungen zugrunde liegen. 47 Taupitz (1996), S. 127. 48 Taupitz (1996), S. 127 f. 49 Dazu Ott / H.-B. Schäfer (1988), S. 214: „Einzuräumen ist, daß viele Vertreter dieses neuen Ansatzes [der ökonomischen Analyse des Rechts, der Verf.] in der Euphorie neuer Erkenntnisse – wie es bei neuen Theorie-Ansätzen häufig geschieht – der Versuchung erlegen sind, darin einen Generalschlüssel zu sehen, der überall paßt und alles zu entschlüsseln vermag.“ In diesem Sinne auch: Blaschczok (1993), S. 4, 245. 50 Taupitz (1996), S. 135 f. So auch: Grundmann (1997), S. 444. 46
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Analyse heraus argumentiert, ist es nicht ersichtlich, wie in dieser Konstellation die „rechtspolitische Hand der ökonomischen Analyse dem Gesetzgeber die Feder geführt“ 52 haben soll. 53 Außerdem sollen ökonomische Kriterien ausschließlich im Rahmen der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen herangezogen werden. Eine zuverlässige Abgrenzung dieser Begriffe gegen die „offenen Wertbegriffe“ der ökonomischen Analyse dürfte kaum möglich sein. Diese Auffassung läuft daher Gefahr, denselben Bedenken ausgesetzt zu sein wie der Inkorporierungsansatz der Vertreter der ökonomischen Analyse. Allerdings darf nicht unterschlagen werden, dass sich dieser Ansatz insofern von dem der ökonomischen Analyse unterscheidet, als Effizienz nur ein Auslegungskriterium unter mehreren darstellt, die miteinander durchaus in Konflikt geraten können und dann einem Kompromiss zugeführt werden müssen. 54 Eine wirklich trennscharfe Demarkation von dem zu weit geratenen Rechtsanwendungsverständnis der ökonomischen Analyse des Rechts gelingt aber nicht. Auf dogmatischer Ebene kommt es dadurch, dass die ökonomische Folgenanalyse und die Auslegungskriterien der traditionellen juristischen Methodik in demselben gedanklichen Schritt verwendet werden, zu einer Vermengung beider Ansätze. Im Bereich der teleologischen Auslegung wird auf diese Weise die klassische Hermeneutik (zumindest teilweise) aufgegeben und durch die effizienzorientierte Folgenabwägung ersetzt. Diese Gemengelage birgt ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential, denn beide Ansätze „stehen gleichsam in gegnerischen Lagern“ 55. 56 Um das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium für die Normanwendung nutzbar zu machen, ist es daher erforderlich, eine praktikable Kooperation von klassischer Hermeneutik und ökonomischer Analyse zu bewerkstelligen. Würde jedoch der Ansatz von Taupitz in die Praxis umgesetzt, stünde der Rechtsanwender schon alsbald vor der Frage, welchem Auslegungskriterium er im Konfliktfall zwischen teleologischer und z. B. historischer Auslegung den Vorrang 51 Taupitz (1996), S. 146 überschreibt nämlich erst einen erheblich späteren Abschnitt, in dem er auf Besonderheiten und Ausnahmen von dem vorher formulierten Grundsatz eingeht, mit „Effizienz als Politik des Gesetzes [...]“ und leitet ihn folgendermaßen ein: „Die Situation ändert sich für den Richter freilich dann, wenn der Gesetzgeber bestimmte ökonomische Effizienzkonzepte erkennbar aufgenommen und zur Grundlage seiner Regelung gemacht hat.“ 52 Taupitz (1996), S. 127. 53 Möglich erscheint dies allenfalls dann, wenn man davon ausgehen möchte, dass die ökonomische Rationalität dem Zivilrecht per se immanent sei. So: Ott (1989), S. 39; Ott / H.-B. Schäfer (1999), S. 148. Auf diese – wohl nur schwer haltbare – These geht Taupitz (1996) jedoch nicht explizit ein. 54 Taupitz (1996), S. 136. 55 Kirchner / Koch (1989), S. 112. 56 Zum grundlegenden Streit zwischen den Vertretern der klassischen Hermeneutik und den Vertretern der Rechtsfolgenorientierung (Folgenberücksichtigung): Koch / Rüßmann (1982), S. 221 – 236; Eidenmüller (1995, 2005), S. 397 – 400.
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einräumen soll. Dieses Problem ist – wie zuvor dargestellt – ein altbekanntes in der klassischen Methodik. Der hier fälligen Auswahl zwischen (ökonomisierter) Teleologie und (nicht ökonomisierter) Historie kommt nun aber eine neue und wesentlich größere Tragweite zu. Sie ist nicht mehr nur die Entscheidung über das jeweilige Gewicht verschiedener, die Auslegung leitender Gesichtspunkte, sondern sie wird zur Grundsatzentscheidung zwischen klassischer Hermeneutik auf der einen und effizienzorientierter Rechtsfolgenanalyse auf der anderen Seite. Eine derart weit reichende Entscheidung kommt nach dem deutschen Rechtsverständnis von Gewaltenteilung jedoch nicht dem Rechtsanwender, sondern allein dem Gesetzgeber zu. Eine gleichzeitige Anwendung von klassischer Hermeneutik und Rechtsfolgenorientierung innerhalb desselben logischen Schritts ist daher abzulehnen. Eine andere Integrationstechnik wählt die zweite Ansicht, indem sie beide Ansätze nicht gleichzeitig, sondern nacheinander zu verwirklichen versucht. In einem ersten Schritt wird eine Auslegung anhand der traditionellen Kriterien vorgenommen. Dem so festgestellten Inhalt einer Rechtsnorm kommt unabhängig davon Geltung zu, ob er effizient ist oder nicht. Erst in einem zweiten Schritt, der nur dann zulässig und erforderlich ist, wenn aus dem ersten Schritt mehrere gleichwertige Auslegungsvarianten resultieren, wird dann unter den verschiedenen zur Verfügung stehenden Alternativen am Maßstab des Effizienzkriteriums die aus ökonomischer Sicht optimale ausgewählt. Durch diese gedankliche Trennung von traditioneller Methodik und ökonomischer Folgenanalyse wird das direkte Aufeinandertreffen der Lager vermieden und eine Möglichkeit geschaffen, die Vorteile beider für sich zu nutzen. Das geltende Recht setzt dadurch dem Einfluss ökonomischer Erwägungen die verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen. Denn damit ökonomische Erwägungen für die Auslegung überhaupt relevant werden, muss das „Nadelöhr“ der klassischen Hermeneutik passiert werden: Primär wird versucht, mit Hilfe der traditionellen Auslegungsmethoden dem Willen des Gesetzgebers zur Geltung zu verhelfen. Die ökonomischen Maßstäbe greifen nur dann – gleichsam hilfsweise – ein, wenn auf dieser Grundlage kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden kann. Indem der Einflussbereich der ökonomischen Analyse klar auf diese Bereiche eingegrenzt ist, wird einerseits der Vorwurf des ubiquitären Einfalls ökonomischer Kriterien in den genuinen Anwendungsbereich der rechtswissenschaftlichen Norminterpretation entkräftet. Andererseits kann mit Hilfe der ökonomischen Analyse das Auswahlproblem der traditionellen Methodik auf rationale und logische Weise gelöst werden. Einem solchen Vorgehen steht auch nicht der Einwand Karl Larenz‘ entgegen, wonach die Auslegung „kein Rechenexempel, sondern eine schöpferische Geistestätigkeit“ 57 sei. Denn auch diese am Maßstab des Effizienzkriteriums vorzunehmende Auswahlentscheidung soll beileibe kein „Rechenexempel“ sein. 57
Larenz (1991), S. 346. Diesen Vorwurf erhebt Fezer (1988), S. 226.
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Zu einer derartigen Abkehr von dem traditionellen, an Werturteilen orientierten Rechtsfindungsverfahren würde es nur dann kommen, wenn das Effizienzkriterium zum alleinigen Maßstab des Rechts würde. Die Außerachtlassung aller anderen Elementarwerte des menschlichen Zusammenlebens neben der Effizienz wird jedoch nicht einmal von konsequenten Vertretern der ökonomischen Analyse gefordert, 58 zumal insbesondere persönliche Freiheiten sogar verfassungsrechtlich abgesichert sind und daher gar nicht ignoriert werden dürfen. Diesen außerökonomischen Werten kann im Einzelfall, abhängig von den Zielvorgaben der Norm, sogar ein überwiegendes Gewicht beizumessen sein und es ist daher keineswegs unvorstellbar, dass auch einer ökonomisch suboptimalen Alternative der Vorzug einzuräumen ist. Effizienz mag also ein denkbarer Faktor im Prozess der Auslegung einer Norm sein, sie ist jedoch keineswegs der einzige, sodass eine effizienzorientierte Auslegung immer unter dem Vorbehalt gegenläufiger juristischer Wertungen steht. 59 Auch und gerade in diesen Fällen vermag jedoch die ökonomische Analyse für den Entscheidungsprozess von Nutzen zu sein, indem mit ihrer Hilfe exakt ermittelt werden kann, wie hoch die durch diese Alternative verusachten zusätzlichen Kosten sind. Dadurch erhält der Rechtsanwender die Möglichkeit, eine umfassende Abwägung anzustellen, ob sein außerökonomisches Ziel diese (vermeidbaren) Kosten rechtfertigt. 60 Die ökonomische Analyse trägt somit in jedem Fall zur Rationalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses bei. Im Ergebnis versucht der Rechtsanwender nach dieser Ansicht in Übereinstimmung mit der klassischen Methodik, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln und ihm zur Geltung zu verhelfen. Er hält sich somit an den vom Gesetzgeber vorgegebenen Spielraum und versucht nicht, ökonomische Überlegungen in die Norminterpretation einzuführen, wo der Gesetzgeber dies nicht vorgesehen hat. Die Folgenanalyse am Maßstab des Effizienzkriteriums dient einzig dazu, unter mehreren rechtsmethodisch gleichwertigen Auslegungsalternativen die unter ökonomischen Gesichtspunkten vorzugswürdige auszuwählen und so ein virulentes Problem der klassischen Methodenlehre einer sachlich nachvollziehbaren Lösung zuzuführen. 61 Der grundlegende Einwand der ersten Ansicht Kohls, die Integration der ökonomischen Analyse in die Rechtsanwendung überschreite den dem Rechtsanwender durch den Gesetzgeber zugestandenen Spielraum, greift hier somit nicht. Die Gesetzesauslegung vor ökonomischen Aspekten vollumfänglich zu verschließen, ist nämlich nicht erforderlich und erscheint deshalb übertrieben. 62 58
Posner (2003), S. 27 f.; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 10. Kirchner (1978, 1993), S. 67; Eidenmüller (1995, 2005), S. 455, 459; Taupitz (1996), S. 118, 136. 60 Posner (1979), S. 109 f.; Kirchner / Koch (1989), S. 124. 61 Plastisch formuliert diese Situation Assmann (1978, 1993), S. 60: „Die Brauchbarkeit der ÖAR liegt damit auf der Ebene minutiöser Steinbrucharbeit. Das Privatrecht ist aber selbst als Teil des Wirtschaftsrechts dazu aufgerufen, zu bestimmen, welche ‚Bruchstücke‘ oder ‚Abbauverfahren‘ der ÖAR es wie übernehmen will.“ (Nachweis weggelassen). 59
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Im Ergebnis ist dieser serielle Ansatz sachgerecht und daher anzuwenden, wenn sich Effizienz nicht als Politik des Gesetzes ausmachen lässt. 3. Zwischenergebnis Der Einfluss ökonomischer Kriterien hängt maßgeblich davon ab, ob Effizienzkonzepte durch den Gesetzgeber zur Politik des jeweiligen Gesetzes gemacht wurden oder nicht. Im ersten Fall ist das Effizienzkriterium umfassend durch den Rechtsanwender zu berücksichtigen. Im zweiten Fall darf der Maßstab der Effizienz nur dann herangezogen werden, wenn unter mehreren gleichrangigen, durch die traditionelle Auslegung ermittelten Auslegungsmöglichkeiten eine Auswahl getroffen werden muss. Diese Überlegungen bilden die rechtstheoretische Grundlage der weiteren Untersuchung und geben die Reihenfolge der Analyse des Rechts des Schmerzensgelds (II.) und der Geldentschädigung (III.) vor: Es ist jeweils zunächst zu prüfen, ob der Gesetzgeber den jeweiligen Normen ökonomische Effizienzerwägungen zugrunde gelegt hat (1.). Nachdem so die Frage, in welchem Maß ökonomische Argumente in die Interpretation des geltenden Rechts einfließen dürfen, auf ein gesichertes rechtsdogmatisches Fundament gestellt wurde, kann – rückgekoppelt an den gesetzgeberischen Willen – geklärt werden, inwieweit Tatbestand (2.) und Rechtsfolge (3.) der Haftpflicht jeweils an die Forderungen der ökonomischen Analyse adaptiert werden können. Die dabei vorzunehmende Überprüfung der einzelnen Punkte erfolgt in maximal drei Schritten: Zunächst wird begutachtet, ob die tatsächliche Rechtslage von der unter ökonomischen Gesichtspunkten geforderten Rechtslage abweicht. Wenn dies der Fall ist, ist zu untersuchen, ob eine Anpassung an die ökonomisch geforderte Rechtslage rechtlich zulässig ist. Wird auch dies bejaht, ist abschließend zu fragen, ob diese Anpassung an die wirtschaftswissenschaftlichen Vorgaben auch tatsächlich für die tägliche Rechtspraxis geeignet ist.
II. Schmerzensgeld Wird eines der Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung verletzt, kann der Geschädigte im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs nach § 253 Abs. 2 BGB auch Ausgleich des erlittenen Nichtvermögensschadens in Geld verlangen. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob das geltende Schmerzensgeldrecht den ökonomischen Vorgaben entspricht und inwieweit es gegebenenfalls de lege lata an diese Vorgaben angepasst werden darf und inwieweit es auch tatsächlich angepasst werden sollte. 62
In diesem Sinne auch Eidenmüller (1993), S. 28 und am Beispiel des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. (§ 276 Abs. 2 BGB n.F.) Eidenmüller (1995, 2005), S. 455.
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1. Effizienz als Politik des Schmerzensgeldrechts? Aus den gerade angestellten rechtstheoretischen Überlegungen ergibt sich das Erfordernis, einleitend der Frage nachzugehen, ob der Gesetzgeber dem Schmerzensgeldrecht Effizienz als Politik zugrunde gelegt hat. Deren Beantwortung wird durch das Faktum erschwert, dass es kein einheitliches Schmerzensgeldrecht gibt. Es existiert stattdessen eine Vielzahl haftungsbegründender Tatbestände, nach denen (auch) wegen eines Nichtvermögensschadens eine Entschädigung in Geld zu gewähren ist. Diese Tatbestände sind teilweise im BGB und teilweise in Spezialgesetzen kodifiziert, teilweise sind sie generalklauselartig weit und teilweise als eng begrenzte Einzeltatbestände gefasst, teilweise gewähren sie schon seit dem Inkrafttreten des BGB Schmerzensgeld und teilweise erst seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften aus dem Jahre 2002 und schließlich sind sie teilweise als Verschuldenshaftungs- und teilweise als Gefährdungshaftungstatbestände ausgestaltet. Paradigmatisch für diese Aufgliederung sind § 823 Abs. 1 BGB für die jeweils erste Alternative und § 7 Abs. 1 StVG (i.V. m. § 11 S. 2 StVG) für die jeweils zweite Alternative. Anders als dieses Konglomerat der haftungsbegründenden Tatbestände ist die haftungsausfüllende Seite weitgehend homogen ausgestaltet: Art, Umfang und Inhalt der Schadensersatzpflicht richten sich in allen Fällen, in denen ein Schmerzensgeld gezahlt werden muss, einheitlich nach § 253 Abs. 2 BGB. Ob dem geltenden Recht zum Ersatz von Nichtvermögensschäden Effizienz als gesetzgeberische Politik zugrunde liegt, wird zunächst im Hinblick auf die für die Gewährung von Schmerzensgeld zentrale Norm des § 253 Abs. 2 BGB untersucht (a). Wäre dies der Fall, wäre Effizienz umfassend für das gesamte Schmerzensgeldrecht in haftungsausfüllenden Bereich als gesetzgeberische Politik anzusehen. Da dieser schadensrechtlichen Norm allerdings – um das Ergebnis vorwegzunehmen – lediglich eine neutrale Ersatzfunktion zukommt, sind danach die einzelnen haftungsbegründenden Tatbestände, in deren Rahmen Nichtvermögensschäden in Geld entschädigt werden können, darauf zu untersuchen, ob der Gesetzgeber immerhin ihnen Effizienzüberlegungen zugrunde gelegt hat (b). a) Politik des haftungsausfüllenden § 253 Abs. 2 BGB Das Recht zum Geldersatz für immaterielle Schäden war mehr als ein Jahrhundert lang weitgehend unverändert und somit im Grundsatz den Leitgedanken aus der Zeit der Kodifikation verhaftet geblieben. Der Gesetzgeber des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften sah sich daher mit dem Problem konfrontiert, „... dass manche dieser Grundsatzentscheidungen zum Schadensrecht nur noch schwer mit den heutigen Verhältnissen und Wertvorstellungen in Übereinstimmung zu bringen sind.“ 63 Dem modernen Gesetzgeber ist darin zuzustimmen, dass die historischen Gründe für die Einführung des § 253 BGB
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a.F. schon lange nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hatten und es kaum noch einsichtig war, warum erlittener immaterieller Schaden im Einzelfall unersetzt zu bleiben hatte. 64 In Anbetracht der sich insofern neu stellenden Regelungsaufgabe wurde der Gesetzesentwurf mit dem Ziel überschrieben, „... das Schadensersatzrecht unter Berücksichtigung der Interessen aller Betroffenen fortzuschreiben und neueren Entwicklungen anzupassen.“ 65 Aus der hier eingenommenen ökonomischen Sichtweise ist es dabei von besonderer Bedeutung, ob im Rahmen dieser Anpassungen an die neueren Entwicklungen dem eingefügten § 253 Abs. 2 BGB Effizienzerwägungen zugrunde gelegt worden sind. Dies könnte sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in seiner amtlichen Begründung für die Einführung des § 253 Abs. 2 BGB explizit auf „ökonomische Auswirkungen“ 66 Bezug genommen hat. In diesem Kontext stellte er darauf ab, dass die Ausweitung der Ersatzfähigkeit von immateriellen Schäden zu einer Mehrbelastung des Haftungsschuldners führen wird. Der Gesetzgeber beschränkte sich jedoch auf die Feststellung dieses Faktums. Er stellte keinerlei Erwägungen dazu an, welche Konsequenzen eine derartige Haftungsausweitung und eine damit einhergehende stärkere Internalisierung negativer externer Effekte für die dem potentiellen Schädiger vermittelte Anreizwirkung aus ökonomischer Sicht mit sich bringt. Stattdessen äußerte der Gesetzgeber – wohl beschwichtigend in Richtung der Haftpflichtversicherer – die Erwartung, dass die Mehrbelastung „überschaubar“ 67 bleiben werde, weil die Ausweitung der Schmerzensgeldhaftung auf die Gefährdungshaftung gegenüber der bisherigen Haftungsanordnung gar keine so grundlegende Erweiterung darstelle. 68 Die Ausweitung der Schmerzensgeldhaftung wird also nicht damit begründet, dass durch sie einem potentiellen 63 BT-Drucks. 14/7752, S. 11. Anstoß für die Reform des Schadensersatzrechts war allerdings weder das Schmerzensgeld noch das Verkehrsunfallrecht, sondern das Arzneimittelrecht und zwar konkret die Frage um die Haftung für mit HI-Viren kontaminierte Blutkonserven. Dieser Sachverhalt wird umfassend dargelegt im Schlussbericht des Untersuchungsausschusses nach Art. 44 GG vom 25. Oktober 1994 (BT-Drucks. 12/8591, S. 33 ff.). Dazu: Deutsch (1998), S. 292 f. 64 Zu der ursprünglichen Begründung des § 253 BGB a.F. im Einzelnen: Teil 1 B. II. 1. b). 65 BT-Drucks. 14/7752, S. 1. 66 BT-Drucks. 14/7752, S. 15. 67 BT-Drucks. 14/7752, S. 16. Ähnlich auch auf S. 2: „Spürbare Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.“ 68 BT-Drucks. 14/7752, S. 16. Als Ausgleich für die trotzdem entstehenden Zusatzkosten infolge der Ausweitung des Schmerzensgeldes auch auf die Gefährdungshaftung, sah der Regierungsentwurf einen Ausschluss für „nicht unerhebliche“ Schäden in § 253 Abs. 2 Nr. 2 des Regierungsentwurfs vor (Erheblichkeitsschwelle). Diese Regelung ist zwar letztlich nicht Gesetz geworden (zu den vermeintlich ausschlaggebenden Beweggründen für die Nichtregelung: Wagner [2002a], Rdnr. 38: Scheitern „an einer unheiligen Allianz der organisierten Verbraucherschutz-, Automobil- und Anwaltsinteressen“). Aber in Fällen nur unerheblicher Verletzungen sah die Rechtsprechung ohnehin schon vor dem
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Schädiger Anreize zur effizienten Schadensprävention vermittelt werden, sondern damit, dass es aus Sicht des Geschädigten unverständlich sei, dass die Frage der Entschädigung seines immateriellen Schadens vom Haftungsgrund abhängig sei, da sein Schutzbedürfnis in Fällen der Gefährdungshaftung genauso hoch sei wie in Fällen der Verschuldenshaftung. 69 Die Betonung der Schutzbedürftigkeit des geschädigten Opfers wird dadurch nachvollziehbar, dass aus dessen Sicht bei Personenschäden regelmäßig das Schmerzensgeld den individuell bedeutsamsten Schadensposten des eigentlichen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs darstellt. Denn die aus einer Verletzung entstehenden Vermögensschäden wie beispielsweise Heilungskosten oder Verdienstausfall werden durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers oder des Arbeitgebers überlagert. 70 Sie betreffen den Verletzten also nicht mehr unmittelbar, sodass die Frage der zivilrechtlichen Haftung in diesem Bereich für den Geschädigten zweitrangig wird. 71 Schmerzensgeld hingegen fehlt im Leistungskatalog aller Sozialversicherungszweige. Durch die Neuregelung wurden die in dieser Hinsicht bestehenden Unterschiede zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung beseitigt, indem ein übergreifender Schmerzensgeldanspruch normiert wurde. § 253 Abs. 2 BGB wurde somit – wie Zweiten SchadÄndG davon ab, Schmerzensgeld zuzusprechen; so z. B. für Kopfschmerzen und Schleimhautreizungen BGH (Urt. v. 14. 01. 1992 – VI ZR 120/91), NJW 1992, 1043 (1043 f.). Diese Aufgabe, Schmerzensgeld auf Fälle erheblicher Verletzungen zu beschränken, überantwortet der Gesetzgeber den Gerichten nunmehr explizit. 69 BT-Drucks. 14/7752, S. 14. Zur Kritik am Fehlen eines Schmerzensgeldanspruchs im Rahmen der Gefährdungshaftung nach altem Recht sei nur verwiesen auf: Deutsch (2001), S. 351 m.w. N. 70 Im Bereich der Vermögensschäden, die infolge einer Körperverletzung entstehen, greifen schon auf Seiten des Geschädigten arbeits- und sozialrechtliche Maßnahmen zur kollektiven Absicherung ein, die diese Schäden in der Regel lückenlos auffangen (first party insurance). So hat der Geschädigte gemäß § 27 SGB V gegen seine gesetzliche Krankenversicherung einen Anspruch auf Heilbehandlung und gemäß §§ 44 ff. SGB V einen Anspruch auf Krankengeld, das den krankheitsbedingten Verdienstausfall kompensieren soll. Vorrangig besteht zudem für den Arbeitgeber nach § 3 EFZG die Pflicht, für eine Dauer von sechs Wochen den vollen Lohn fortzuzahlen. Im Fall einer dauerhaften Schädigung bestehen Ansprüche gegen die gesetzliche Rentenversicherung nach SGB VI. Bei einer Schädigung während der Arbeitszeit oder auf dem Weg zur Arbeit hat der Geschädigte einen Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII). Deliktische Ansprüche auf Ersatz dieser (Vermögens-)Schäden werden daher auf der Ebene Schädiger vs. Geschädigter nur ausnahmsweise Gegenstand eines zivilrechtlichen Gerichtsverfahrens sein. 71 Die Verlagerung des Personenschadensrisikos auf private oder soziale Versicherungsträger erfolgt insoweit allerdings nicht endgültig. Die Ersatzansprüche des Geschädigten gegen den haftungsrechtlich verantwortlichen Schädiger gehen auf die Versicherung über (z. B. § 67 VVG, § 116 SGB X), soweit diese den Schaden durch eigene Leistungen ausgeglichen hat, und ermöglichen so einen Regress gegen den Schädiger. In § 6 EFZG ist auch für den Regress des Lohn fortzahlenden Arbeitgebers eine Anspruchsgrundlage normiert. Das Haftpflichtrecht des privatrechtlichen Schadensausgleichs hat sich in diesem Bereich praktisch in weiten Teilen zu einem „Recht der Regreßvoraussetzungen“ zugunsten von Versicherungsträgern gewandelt; dazu eingehend: Weyers (1971), S. 401; Kötz (1976), S. 26 f.
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es der Gesetzgeber explizit aussprach – unter dem „wichtige[n] Gesichtspunkt eines verbesserten Opferschutzes“ 72 eingeführt. Die mit der Neuregelung verbundene Ausweitung der Schmerzensgeldhaftung zielt also nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf die Steuerung zukünftigen Verhaltens des Schädigers und eine daraus resultierende Förderung des Effizienzziels ab, sondern einzig auf die Befriedigung der Kompensationsinteressen des Geschädigten für bereits in der Vergangenheit erlittene Schädigungen. Daneben waren für die Neuregelung auch das Bestreben, das nationale Recht an die europäischen Nachbarrechtsordnungen anzupassen, sowie „Zweckmäßigkeitsüberlegungen“ ausschlaggebend. 73 Während der erstgenannte Aspekt für die Untersuchung, ob dem Gesetz Effizienz als Politik zugrunde liegt, ohne Bedeutung ist, verhält sich dies mit dem Gedanken der Zweckmäßigkeit anders. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Neuregelgung, die Verschuldenshaftung aus dem genuinen Anwendungsbereich der Gefährdungshaftung zurückzudrängen, damit die Abgrenzung zwischen beiden wieder an Trennschärfe gewinne. In diesen Grenzbereich war die Verschuldenshaftung durch Statuierung umfassender Verkehrspflichten ausgeweitet worden, um einen Ersatz von Nichtvermögensschäden gewährleisten zu können. Infolge der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden im Rahmen der Gefährdungshaftung könne endlich das Ziel verwirklicht werden, dem Geschädigten einen raschen Schadensausgleich unabhängig vom individuellen Verschulden auf Grundlage einer objektiven Risikozuweisung zu ermöglichen. 74 Denn vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes konnte dem Geschädigten ein Schmerzensgeld grundsätzlich nur über die Verschuldenshaftung zugesprochen werden. 75 Im Fall eines Personenschadens (etwa durch einen Verkehrsunfall) war der Geschädigte daher gezwungen, seinen Anspruch neben einem etwaig normierten Gefährdungshaftungstatbestand (hier: § 7 Abs. 1 StVG) zusätzlich auch auf einen Verschuldenshaftungstatbestand (z. B. § 823 Abs. 1 BGB) zu stützen, um ein Schmerzensgeld zu erhalten. 76 Den Gerichten fiel deshalb regelmäßig immer auch die Aufgabe zu, die Verschuldensfrage zu prüfen – trotz der spezialgesetzlichen Normierung einer Gefährdungshaftung, die diese Untersuchung eigentlich entbehrlich machen sollte. Dies nötigte die Gerichte häufig zur Klärung schwieriger Fragen in rechtlicher und insbesondere auch in tatsächlicher Hinsicht, 72
BT-Drucks. 14/7752, S. 14. BT-Drucks. 14/7752, S. 15. 74 BT-Drucks. 14/7752, S. 15: „Ausgleichsmechanismen auf der Grundlage einer einfachen objektiven Risikozuweisung zu schaffen“. 75 Die einzigen Normen, die vor dem Zweiten SchadÄndG auch im Rahmen einer Gefährdungshaftung Geldersatz für Nichtvermögensschäden gewährten, waren § 833 S. 1 BGB (Schädigung durch ein sog. Luxustier) und § 53 Abs. 3 LuftVG a.F. (Schädigung durch ein militärisches Luftfahrzeug). Deren praktische Relevanz war jedoch marginal. 76 Zu den „prozessualen Blüten“, die aus dieser Konstellation resultierten, wird verwiesen auf: Jaeger / Luckey (2002), Rdnr. 34 m.w. N. 73
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die umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahmen, unter Umständen sogar die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens erforderlich machte. Seit der Neuregelung hingegen gewährt die Gefährdungshaftung im Grundsatz dieselbe Rechtsfolge wie die Verschuldenshaftung. 77 Der Gesetzgeber verspricht sich davon, dass die Verschuldensfrage nicht mehr allein wegen des Schmerzensgelds geklärt zu werden braucht, einen „erheblichen Rationalisierungseffekt für die gerichtlichen Verfahren“ 78. Dieser Regelungsansatz lässt sich so deuten, als ziele die Neuregelung darauf ab, Aufwendungen der streitenden Parteien und / oder des Gerichts, die nach Eintritt des Schadens im Rahmen der Abwicklung und Verteilung des Schadens entstehen, zu verringern und auf diese Weise eine Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden. Die Minimierung dieser tertiären Kosten im Sinne Guido Calabresis ist ein wichtiges Ziel, das das Schadensrecht aus ökonomischer Sicht anstreben soll. 79 Wenn eine solche Einsparung möglich ist, ohne dass sich durch die nunmehr eingesetzte Gefährdungshaftung gegenüber der Verschuldenshaftung die primären und sekundären Kosten erhöhen (oder jedenfalls die zusätzlich entstehenden Kosten in diesen Bereichen geringer sind als die Einsparung im Bereich der tertiären Kosten), ist die neue Regelung unter Effizienzgesichtspunkten vorzuziehen. 80 Allerdings ist es zweifelhaft, ob der Gesetzgeber den von ihm als solchen bezeichneten „Rationalisierungseffekt“ 81 tatsächlich auf diese streng ökonomische Weise verstanden hat. Er führt diesen Effekt als Schlusspunkt seiner „Zweckmäßigkeitsüberlegungen“ an, worin sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, der Gefährdungshaftung einen eigenständigen Anwendungsbereich zu verschaffen, in dem sie nicht von der Verschuldenshaftung überlagert wird. Es geht ihm also im Kern um eine rechtsdogmatische Frage, nicht aber um eine effizienzorientierte Folgenanalyse. Selbst wenn der Gesetzgeber die als solche bezeichnete Rationalisierung – wie hier unterstellt – im Sinne einer Minimierung tertiärer Kosten verstanden haben sollte, stellt sie kaum mehr als einen lapidaren Nachsatz dar, in dem „auch“ 82 auf die gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Folgen im Bereich der tertiären Kosten verwiesen werden würde. Auch bei größter Sympathie 77 Der einzige maßgebliche Unterschied in der Rechtsfolge besteht darin, dass die Schadensersatzpflicht im Rahmen der Gefährdungshaftung teilweise durch gesetzlich normierte Haftungshöchstbeträge summenmäßig begrenzt ist. 78 BT-Drucks. 14/7752, S. 15. 79 Calabresi (1970), S. 28 f. Dazu: Teil 2 A. I. 3. a). 80 Zu den Unterschieden hinsichtlich der anfallenden administrativen Kosten (tertiären Kosten) unter dem Regime der Verschuldenshaftung bzw. der Gefährdungshaftung: Teil 2 A. I. 3. a) und Teil 2 A. III. 1. d). 81 BT-Drucks. 14/7752, S. 15. 82 BT-Drucks. 14/7752, S. 15: „Eine positive Regelung hätte damit auch einen erheblichen Rationalisierungseffekt für die gerichtlichen Verfahren zur Folge.“ (meine Hervorhebung).
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für die ökonomische Orientierung des Rechts lässt sich diese Überlegung daher nicht zum Ausgangspunkt für die Neuregelung erheben. Die faktische Folge der „Rationalisierung“ scheint eher als Nebenprodukt entstanden zu sein. Als zentrales Motiv für die Einführung des § 253 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber vielmehr den Aspekt des „verbesserten Opferschutzes“ 83, d. h. der Kompensation des Geschädigten, genannt. Paradigmatisch dafür ist seine allgemeine Zielüberlegung zu Beginn der Gesetzesbegründung, in der er darauf verweist, dass der „... Ersatz des immateriellen Schadens bei Körper- und Gesundheitsverletzungen, der nach geltendem Recht [vor dem Änderungsgesetz, der Verf.] grundsätzlich nur im Rahmen außervertraglicher Verschuldenshaftung gewährt wird, [...] unter Ausgleichsgesichtspunkten bei der Gefährdungshaftung und der Vertragshaftung gleichermaßen in Betracht kommt...“ 84. Neben dieser Ausgleichsfunktion rekurriert der Gesetzgeber, der sich infolge des hohen Abstraktionsgrads der schadensersatzrechtlichen Normen den weitreichenden Möglichkeiten richterlicher Rechtsfortbildung bewusst ist, 85 ausdrücklich auch auf die von der Rechtsprechung entwickelte Genugtuungsfunktion – trotz beständiger Kritik aus dem Schrifttum 86. 87 Zwar sei die Genugtuungsfunktion im Bereich einer verschuldensunabhängigen Haftung ohne Relevanz. Dies stehe ihrer Anerkennung jedoch nicht entgegen, da sich auch die Rechtsprechung in Fällen leichter Fahrlässigkeit von der Genugtuungsfunktion distanziert habe und sich nur noch in Fällen schweren Verschuldens auf sie stütze. 88 Eine am Maßstab der Effizienz ausgerichtete Präventionsfunktion des Schmerzensgelds erwähnt der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung dagegen nicht. Zwar resultiert faktisch aus der Ausweitung der Haftpflicht eine stärkere Internalisierung von Kosten beim Schädiger. Zwischen dem opferbezogenen Ausgleich und der schädigerbezogenen Prävention besteht somit ein integratives Verhältnis, sodass eine auf diese Weise entstehende präventive Wirkung ein beinahe zwangsläufiges Nebenprodukt der Ausgleichskomponente 83
BT-Drucks. 14/7752, S. 14. BT-Drucks. 14/7752, S. 11 (meine Hervorhebung). 85 BT-Drucks. 14/7752, S. 11. Kötz / Wagner (2006) sprechen in ihrem Vorwort von einer „Dominanz des Richterrechts“ im modernen Deliktsrecht. 86 Dazu seien nur beispielhaft angeführt Köndgen (1976), S. 84 –104; E. Lorenz (1981), S. 95 –111; Nehlsen-v. Stryk (1987), S. 124 –126; Heinrichs, in: Palandt (2006), § 253, Rdnr. 11 m.w. N. 87 Zur Entwicklung der Genugtuungsfunktion in der Rechtsprechung im Einzelnen: Teil 1 C. I. 2. 88 BT-Drucks. 14/7752, S. 14 f., 25. Als Nachweise für die hier vertretene Ansicht seien beispielhaft angeführt: Ady (2002), S. 240; Heß / Jahnke (2002), S. 83; Cahn (2003), Rdnr. 131 f.; Huber (2003), S. 125; kritisch jedoch Katzenmeier (2002b), S. 1035: „kein legislativer Nachvollzug [...] richterlicher Rechtsfortbildung“. Explizit anderer Ansicht sind Jaeger / Luckey (2002), Rdnr. 85 sowie Jaeger (2004), S. 218, die den gesetzgeberischen Willen ausgemacht haben wollen, das Schmerzensgeld ausschließlich auf die Ausgleichsfunktion zu stützen und folglich die Genugtuungsfunktion aufzugeben. 84
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ist – und aus Sicht des Gesetzgebers ein sicherlich nicht unerwünschtes. 89 Als Politik hat der Gesetzgeber dem § 253 Abs. 2 BGB jedoch in seiner Gesetzesbegründung ausschließlich die opferbezogenen Aspekte der Kompensation und – mit Abstrichen – der Genugtuung zugrunde gelegt, nicht aber den schädigerbezogenen Aspekt der effektiven Prävention. Diese als gesetzgeberische Politik des § 253 Abs. 2 BGB zu betrachten, wäre schlichtweg eine Unterstellung gegenüber der Legislativen. b) Politik der haftungsbegründenden Tatbestände Es sind daher alle Haftungstatbestände zu untersuchen, die im Rahmen einer deliktischen Verschuldens- oder Gefährdungshaftung Ersatz in Geld für Nichtvermögensschäden gewähren. Die relevanten Tatbestände finden sich im Recht der unerlaubten Handlungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, im Straßenverkehrsrecht, im Luftverkehrsrecht, im Produkthaftungsrecht, im Arzneimittelrecht, im Bundesbergrecht, im Gentechnikrecht, im Atomrecht sowie im Umwelthaftungsrecht. Dem diesbezüglich neutralen § 253 Abs. 2 BGB kommt im Rahmen der von diesen Tatbeständen angeordneten Haftung allein die assistierende Aufgabe zu, die konkreten Schadensersatzanordnungen inhaltlich auszugestalten und so deren Politik gleichsam zu vollstrecken. 90 aa) Schmerzensgeld wird zunächst im Rahmen aller Haftungstatbestände der §§ 823 ff. BGB einschließlich der §§ 829 91, 833 S. 1 92, 839 93 BGB gewährt. Not89 In diesem Sinne beispielsweise schon Deutsch (1971a), S. 247: „Interdependenz der beiden Zwecke Schadensabnahme und Prävention“. So auch das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 11. 10. 1978 – 1 BvR 84/74), NJW 1979, 305 (306). 90 Diese Differenzierung zwischen haftungsbegründendem und haftungsausfüllendem Tatbestand für die Frage der Ermittlung des Zwecks bzw. der Politik einer Norm findet sich in dieser Deutlichkeit zuerst bei Larenz (1959), S. 865. Ihm folgend sprechen beispielsweise Esser / E. Schmidt (2000), S. 169 von einer „Assistentenrolle“ der §§ 249 ff. Genauso: Oetker, in: Münchener Kommentar (2003), § 249, Rdnr. 2, der auch auf deren „dienende Funktion“ abstellt. 91 Über den Ersatz des materiellen Schadens hinaus wurde hier gemäß § 847 BGB a.F. nur dann ein Schmerzensgeld zugesprochen, wenn „... seine Versagung im Einzelfall dem Billigkeitsempfinden krass widerspricht...“, weil die Gewährung von Schmerzensgeld nach altem Recht eine begründungsbedürftige Ausnahme war; so: BGH (Urt. v. 11. 10. 1994 – VI ZR 303/93), BGHZ 127, 186 (193). Dies hat sich durch die Erweiterung des Schmerzensgeldanspruchs durch § 253 Abs. 2 BGB auch auf die Vertragsund die Gefährdungshaftung geändert. Dadurch ist der Grund entfallen, die Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden im Rahmen des § 829 BGB anders zu behandeln als die von Vermögensschäden. 92 So schon zu § 847 BGB a.F.: RG (Urt. v. 6. 03. 1902 – VI 427/01), RGZ 50, 244 (252 f.); bestätigend: BGH (Urt. v. 13. 02. 1956 – III ZR 175/54), BGHZ 20, 61 (68). Nunmehr ergibt sich diese Rechtsfolge zweifelsfrei aus der generell auch auf die Gefährdungshaftung erweiterten Anordnung des § 253 Abs. 2 BGB.
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wendige Voraussetzung dafür ist – neben der Verwirklichung des Haftungstatbestands – die Verletzung eines der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter. Da das Recht der unerlaubten Handlungen seit dem Inkrafttreten des BGB ohne tiefgreifende Veränderungen geblieben ist und insbesondere auch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften diesbezüglich nur marginale Neuerungen mit sich gebracht hat, 94 ist zur Beantwortung der Frage, ob der Gesetzgeber ökonomische Effizienz zur Grundlage der §§ 823 ff. BGB gemacht hat, in den Aufzeichnungen des Gesetzgebungsverfahrens im ausgehenden 19. Jahrhundert nach Anhaltspunkten zu suchen. (1) Einen ersten Ansatz für die Suche nach Effizienzüberlegungen des Gesetzgebers bildet eine Diskussion der Ersten Kommission zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuches vom 4. September 1882, die den Umfang der Haftung aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 und 826 BGB betraf. Es wurde erwogen, die Ersatzpflicht des Schädigers auf solche Schäden zu beschränken, die der Schädiger vorhergesehen habe oder wenigstens habe vorhersehen können. Eine weitergehende Haftung sollte ausgeschlossen werden, weil sie zu einer unerträglichen Härte für den Schädiger führe. 95 Die Wirkung der Schadensersatzpflicht wurde also nicht aus der Perspektive des Geschädigten, der für seinen erlittenen Schaden zu kompensieren ist, sondern aus der Perspektive des Schädigers heraus betrachtet. Die Beschränkung auf den vorhersehbaren Schaden lässt sich als Indiz für die Verankerung einer effizienzorientierten Präventivfunktion im Haftungsrecht deuten: Der Schädiger soll die Folgen seines Handelns bedenken, die daraus entstehenden Kosten mit seinem Nutzen abwägen und danach entscheiden, welches Maß an Vorsorge und Aktivität das für ihn – und im Idealfall auch zugleich das volkswirtschaftlich – optimale darstellt. In diese Abwägung kann er aber denknotwendig nur diejenigen Schadensposten einstellen, die für ihn im Vorfeld der Schädigung vorhersehbar sind. Gegen diese Deutung spricht jedoch der Verweis des Gesetzgebers auf die dem Schädiger sonst drohende „unerträgliche Härte“. Dies weist darauf hin, dass die Kommission die Schädigerperspektive weniger unter dem Aspekt eingenommen hat, dem Schädiger vor der Schädigung Anreize zur Schadensvermeidung zu vermitteln, als vielmehr unter dem Aspekt, den Schädiger nicht nach der Schädigung mit einer unbeschränkten und unbeschränkbaren Haftung zu belasten. Wie dem auch sei: Diese Überlegung konnte sich ohnehin nicht durchsetzen und schon § 704 Abs. 2 des Ersten Entwurfs eines BGB von 1888 (E I), aus dem später 93
RG (Urt. v. 1. 03. 1926 – III 538/25), RGZ 113, 104 (106). Die Erweiterung der Möglichkeit, gemäß § 253 Abs. 2 BGB für Nichtvermögensschäden Ersatz in Geld zu verlangen, veränderte die §§ 823 ff. BGB im Hinblick zur alten Regelung des § 847 BGB a.F. nicht nennenswert. Im Übrigen wurde lediglich § 825 BGB geschlechtsneutral umformuliert, die Altersgrenzen der Deliktsfähigkeit im Straßenverkehr angehoben (§ 828 Abs. 2 BGB n.F.) und in § 839a BGB die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen neu eingeführt. 95 Jakobs / Schubert (1983), S. 882. 94
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§ 823 Abs. 1 BGB entwickelt wurde, ordnete an, dass ein verursachter Schaden unabhängig davon zu ersetzen sei, ob die Entstehung eines Schadens vorauszusehen war. Für § 704 Abs. 1 E I, dem § 823 Abs. 2 BGB entspricht, bestand eine derartige Einschränkung zwar noch. Sie wurde aber 1892 durch die Vorkommission des Reichsjustizamtes als zu eng kritisiert: Sei der Ersatz eines Schadens davon abhängig, dass er für den Schädiger vorhersehbar ist, verkümmere der gebührende Schutz der durch das Verbotsgesetz geschützten Person. 96 Dementsprechend kam es in § 704 E I-RJA zu einer Angleichung der Tatbestände, sodass nunmehr in beiden Fällen der verursachte Schaden ohne Rücksicht darauf ersatzfähig war, ob er vorhersehbar war oder nicht. Im Rahmen der Beratungen der Zweiten Kommission wurde dann zwar beantragt, § 704 E I einen dritten Absatz anzufügen, wonach wenigstens im Fall der fahrlässigen Schädigung der zu ersetzende Schaden doch auf das vorhersehbare Maß beschränkt werden sollte, um eine unbillige Härte für den Schädiger zu verhindern. 97 Dieser Antrag wurde aber mit der Begründung abgelehnt, dass in diesem Fall die Interessen des Geschädigten verletzt werden können, wenn die Ersatzfähigkeit auf das vorhersehbare Maß beschränkt würde. Der Geschädigte habe ein Recht darauf, dass ihm sein Schaden vollumfänglich ersetzt werde. Deshalb habe der in diesem Fall weniger schutzwürdige Schädiger, der den Schaden immerhin verursacht habe, diesen im Zweifel auch zu voll tragen. 98 Die vorgeschlagene Beschränkung der Ersatzpflicht auf vorhersehbare Schäden wurde also unter Verweis auf das schutzwürdige und höherrangige Interesse des Geschädigten an einer umfassenden Kompensation abgelehnt. So war in § 746 des Zweiten Entwurfs (E II), der vom Regelungsgehalt her § 823 BGB entsprach, auch keine Rede mehr von einer derartigen Einschränkung. Der Entwurf nahm die Perspektive des Geschädigten ein; die Kompensation des durch ihn erlittenen Schadens wurde zum Fokalpunkt der Überlegungen. (2) Gegen die Zugrundelegung effizienzorientierter Überlegungen spricht auch die Norm des § 829 BGB, deren Entstehungsgeschichte durchaus wechselvoll war. Der Einführung dieser Vorschrift ging eine heftige Diskussion darüber voraus, ob der deliktsunfähige Schädiger selbst oder ausschließlich der für ihn verantwortliche Dritte einer Haftung unterliegen solle. § 8 TE-OR Nr. 15 sah auch für den deliktsunfähigen Schädiger eine Billigkeitshaftung vor. Diese Norm wurde jedoch 1882 durch die Erste Kommission per Mehrheitsbeschluss wieder gestrichen, weil eine Haftung einer an sich nicht verantwortlichen Person unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen so stark abweiche, dass sie sich angesichts ihrer geringen Bedeutung nicht rechtfertigen lasse. Allein der zur Aufsicht verpflichtete Dritte solle haften. 99 Die Vorkommission des Reichs96 97 98 99
Jakobs / Schubert (1983), S. 892 f. Protokolle II (1898), S. 574 f. Protokolle II (1898), S. 575. Jakobs / Schubert (1983), S. 916 f.
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justizamtes führte 1892 jedoch in § 709a E I-RJA die Billigkeitshaftung wieder ein – trotz nicht auszuräumender Bedenken dagegen, die Haftung in das billige Ermessen des Richters zu stellen. Sie sollte subsidiär eingreifen, d. h. nur für den Fall, dass ein Ersatz des Schadens nicht von einem Dritten erlangt werden kann, und nur dann, wenn nach den konkreten Umständen die Billigkeit eine Vergütung des Schadens erfordere. 100 Im Grundsatz wurde diese Norm durch die Zweite Kommission gebilligt, wobei allerdings die Unterhaltspflichten des Schädigers Berücksichtigung fanden und die Haftung gemäß § 752 E II daher so beschränkt wurde, dass dem Schädiger nicht die Mittel zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten entzogen werden (sog. Schonvermögen, beneficium competentiae). Endlich wurde die Billigkeitshaftung des Schädigers in § 829 BGB, der dem § 813 des Dritten Entwurfs entspricht, gesetzlich festgeschrieben. Gemäß § 829 BGB werden dem Geschädigten in Fällen, in denen weder der Schädiger selbst noch ein für ihn aufsichtspflichtiger Dritter nach § 832 BGB verantwortlich ist, die entstandenen Schäden ersetzt, soweit die Billigkeit dies erfordert. Dies stellt eine Durchbrechung des Verschuldensprinzips des Deliktsrechts dar, die für den potentiellen Geschädigten eine Art Verhaltensgarantie bewirkt: Er darf sich darauf verlassen, dass sein Gegenüber die im Verkehr erforderliche Sorgfalt tatsächlich beachtet oder dass der Gegenüber, wenn er sich nicht sorgfältig verhält, ihm den infolge dieses Verhaltens entstandenen Schaden ersetzen muss. Von diesem Grundsatz statuieren die §§ 827, 828 BGB insoweit eine Ausnahme, als eine deliktsunfähige Person den durch sie verursachten Schaden nicht zu ersetzen hat. Aufgabe des § 829 BGB ist es nun, die aus dieser Ausnahme resultierenden Härten durch eine Billigkeitshaftung im Einzelfall abzumildern. Wenn der Schädiger – insbesondere finanziell, weshalb der Bundesgerichtshof auch vom „Millionärsparagraph[en]“ 101 spricht – weniger schutzbedürftig und schutzwürdig als der Geschädigte erscheint, hat er für den Schaden des Geschädigten einzustehen, obwohl er nach den allgemeinen deliktischen Regelungen dafür nicht verantwortlich ist (sog. Äquitätshaftung). Es geht dabei letztlich allein um die Frage, welchem der Beteiligten die Belastung mit den Schadenskosten im Einzelfall leichter zuzumuten ist, mithin um die Verteilung des Schadens. Im Gegenzug ist § 829 BGB als eine Absage an die Gedanken der Prävention oder gar der Effizienz zu verstehen. Denn im Rahmen der §§ 827, 828 BGB wird der Schaden definitionsgemäß von Personen verursacht, die aufgrund ihrer individuellen Konstitution nicht in der Lage sind, auf die durch das Haftungsrecht vermittelten Verhaltensanreize zu reagieren. So bleibt das Inaussichtstellen einer Haftung im Regelfall ohne Auswirkungen auf das Verhalten eines dreijährigen Kindes oder gar eines Bewusstlosen. Unter dem Aspekt der 100
Jakobs / Schubert (1983), S. 919 f. BGH (Urt. v. 18. 12. 1979 – VI ZR 27/78), BGHZ 76, 279 (284). Deutsch (1996), Rdnr. 477, 486 spricht (unter Berufung auf Bluntschli) von „richesse oblige“. 101
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Prävention gibt es daher keinen Grund, den für solche Anreize unempfindlichen Schädiger haften zu lassen. 102 Der Schaden müsste vielmehr in jedem Schädigungsfall, der durch eine solche Person verursacht wird, dort liegen bleiben, wo er entsteht, d. h. beim Geschädigten. 103 Dass § 829 BGB aber im Einzelfall eine gegenteilige Regelung anordnet, offenbart den diesem Haftungstatbestand zugrunde liegenden Gedanken, seine Politik: Die Kompensation des Geschädigten wird unter Billigkeitsgesichtspunkten als so bedeutsam angesehen, dass das Verschuldensprinzip der deliktischen Haftung durch Anordnung einer Billigkeitshaftung durchbrochen wird. 104 Der § 829 BGB ist eine reine Opferschutznorm, die den vom Geschädigten erlittenenen Schaden dann auf den Schädiger umverteilt, wenn dieser den Schaden leichter zu tragen in der Lage ist. (3) Lediglich an zwei Stellen des Gesetzgebungsverfahrens der heute noch geltenden §§ 823 ff. BGB lassen sich somit in den Ausführungen des Gesetzgebers überhaupt Konflikte zwischen den ökonomischen Effizienzerwägungen und dem Ausgleichsgedanken ausmachen. Und selbst diese wurden durch den Gesetzgeber nicht offen angesprochen, sondern lassen sich nur implizit, gleichsam mit der ökonomischen Lupe, ausfindig machen. Beide Kontroversen wurden – bewusst oder unbewusst – im Sinne des Ausgleichs entschieden. Das Ziel des Deliktsrechts aus Sicht der Ersten Kommission, deren Entwurf die grundsätzliche Ausrichtung der späteren gesetzlichen Regelung maßgeblich prägte, war die Kompensation des Geschädigten. 105 Zur Frage der effizienten Prävention wurde in diesem Zusammenhang kein Wort verloren. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gesetzesbegründung schon mehr als einhundert Jahre alt ist und sich die ökonomische Analyse des Rechts überhaupt erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgebildet hat, ließe sich jedoch argumentieren, dass der Gesetzgeber seinerzeit die ökonomischen Implikationen seiner Regelungen noch nicht erkannt habe, ja gar nicht habe erkennen können. Folglich könnte der Gedanke nahe liegen, die Politik des Deliktsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches kurzerhand durch ökonomische Überlegungen zu „modernisieren“ und es auf diese Weise nachträglich am Maßstab der Effizienz auszurichten. Das setzt aber zunächst überhaupt das Vorliegen einer „Modernisierungslage“ voraus. 102 So auch: Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 829, Rdnr. 20: „Ausfall der Präventionsanreize“. 103 Erinnert sei an dieser Stelle noch einmal an die Aussage von Holmes (1881, 1960), S. 50: „... [S]ound policy lets losses lie where they fall, except where a special reason can be shown for interference.“ 104 Die einzige Ausnahme vom Verschuldensprinzip im Recht der unerlaubten Handlungen des BGB bildet der Gefährdungshaftungstatbestand des § 833 S. 1 BGB. 105 Bezeichnend für diese Grundeinstellung des Gesetzgebers ist eine Sorge, die in der Ersten Kommission 1882 geäußert wurde: „In der neueren Zeit sei vielfach geklagt, das geltende materielle Recht sei [...] zum Schutze der Beschädigten unzureichend.“ (Jakobs / Schubert [1883], S. 875).
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Darunter soll hier verstanden werden, dass die dem Gesetz zugrunde gelegte Politik erstens schon seit geraumer Zeit besteht (formales Kriterium) und sie zweitens infolgedessen inhaltlich überholt erscheint (materielles Kriterium). In formaler Hinsicht ist dies zu bejahen, da die ursprüngliche Begründung seit der Kodifikation nach wie vor gültig ist. Zwar hatte der moderne Gesetzgeber allein in den letzten Jahren im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und insbesondere im Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetz Gelegenheit zur eigenhändigen Überarbeitung. In den Begründungen zu diesen Gesetzen verliert der Gesetzgeber jedoch kein Wort zur Politik der Haftungstatbestände. Dieses Schweigen lässt sich auch nicht in dem Sinne als beredt interpretieren, dass der moderne Gesetzgeber die historische Begründung billigt und in seinen Willen aufnimmt, da die §§ 823 ff. BGB von beiden Änderungsgesetzen im Grundsatz unberührt blieben. Die materielle Voraussetzung, dass die bestehende Begründung expliziten ökonomischen Begründungsmustern entbehrt, ist hingegen nicht erfüllt. Denn der Diskussion um die Einführung der ursprünglich in § 835 BGB geregelten Wildschadenshaftung liegen eine Reihe volkswirtschaftlicher Erwägungen zugrunde. 106 Beispielsweise finden sich Überlegungen zu der Gefahr, durch die Anordnung einer solchen Haftung aussichtslose Prozesse und damit eine Steigerung tertiärer Kosten hervorzurufen. 107 Als Musterbeispiel sei eine Argumentation der XII. Kommission des Reichstages vom 12. Juni 1896 angeführt, in der die präventive Wirkung der mit der Haftungsanordnung verbundenen Internalisierung externer Kosten fast schon schulmäßig dargelegt wird:
106 Die Haftung für Wildschäden wurde zum 1. April 1935 durch das RJagdG in §§ 44 ff. umfassend neu geregelt und § 835 BGB in der Konsequenz durch § 71 Abs. 2 Nr. 1 RJagdG aufgehoben (Gesetz vom 4. 07. 1934, RGBl., S. 549 ff.). Nach dem Zweiten Weltkrieg verlief die Rechtsentwicklung in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich, sodass § 835 BGB teilweise wieder auflebte. Am 1. April 1953 trat dann jedoch eine bundesweit einheitliche Regelung der Haftung für Jagdschäden in §§ 29 ff. BJagdG in Kraft und überantwortete § 835 BGB endgültig der Rechtsgeschichte (Gesetz vom 29. 11. 1952, BGBl. I, S. 780 ff., in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. 09. 1976, BGBl. I, S. 2949 ff.). Ein Abdruck des § 835 BGB a.F. findet sich beispielsweise bei Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 835. 107 Jakobs / Schubert (1983), S. 983: „Dazu komme die Schwierigkeit der technischen Frage: Was ist Wechselwild und wo hat es seinen Standort? Die Frage erheische stets eingehende Untersuchung und sei bei Sauen gar nicht zu entscheiden. In Hannover seien in Folge dessen große Prozesse geführt worden, ohne daß dabei etwas heraus käme.“ (Bemerkung des Ministers für Landwirtschaft); Jakobs / Schubert (1983), S. 984: „Er halte den ganzen § 819a [entspricht § 835 BGB, der Verf.] [...] insofern für bedenklich, als dadurch den Bauern ein Anreiz gegeben werde, im Armenrecht gegen die hohen Herren zu processiren, wobei sie aber stets abgewiesen würden, da das Roth- und Schwarzwild keinen Standort habe.“ (Bemerkung des Staatsministers von Marschall). Die Forderung, das gesamte Schadensersatzrecht umfassend an dem Ideal der Verteilungsgerechtigkeit und die Schadensersatzpflichten primär an ökonomischen Überlegungen auszurichten, findet sich schon bei: Mataja (1888), S. 19 ff., 121 f.
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„... [V]on dem Antragsteller [...] [wurde] namentlich geltend gemacht, daß, wer den Vortheil vom Wilde hat, sei es ein Vortheil des Vergnügens an der Jagd, sei es der pekuniäre Vortheil durch Erlegung des Wildes, billigerweise auch den Schaden tragen müsse, den sein aus dem Walde austretendes Schwarz- oder Rothwild auf den benachbarten Grundstücken verursache, und dieser Schaden sei [...] unter Umständen ein sehr bedeutender. [...] Der Hauptvortheil [...] dieser Einführung der Regreßpflicht werde [...] der sein, daß die Großwaldbesitzer, welche einen erheblichen Wildstand halten oder gar hegen, zur Eingatterung ihres Waldbesitzes gezwungen würden und somit ohne übergroße Kosten der Wildschaden für Schwarz- und Rothwild überhaupt verhindert werde.“ 108
Es existierten somit schon damals Überlegungen dazu, in welcher Weise sich die Haftungsanordnungen tatsächlich auf die Verhaltensweisen der Beteiligten auswirken und welche Anreize ihnen dadurch vermittelt werden. Im Grundsatz vergleichbare Erwägungen werden auch von der modernen ökonomischen Analyse des Rechts angestellt, wenn auch zweifellos mit filigraneren und formalisierteren Mitteln. Die verhaltenssteuernde Wirkung der Haftung war dem historischen Gesetzgeber des BGB also durchaus nicht unbekannt und er verwandte sie auch tatsächlich als ein Analyseinstrument. Seine Entscheidungen können daher nicht „mit einem sich modern gerierenden Federstrich“ 109 beiseite geschoben werden, selbst wenn sich im Bereich der heute noch gültigen Haftungsanordnungen der §§ 823 ff. BGB keine Effizienzerwägungen ausmachen lassen. Und selbst wenn eine materielle Modernisierungslage vorliegen würde, erwachsen darüber hinaus beachtliche Zweifel daran, ob eine „Modernisierung“ durch den Rechtsanwender vorgenommen werden dürfte. Wenn man unter „Politik des Gesetzes“ letztlich die politische Zielsetzung, die „Tendenz“ des Gesetzes versteht, wie sie der Gesetzgeber ihm beigemessen hat, 110 ist eine solche „Modernisierung“ nichts anderes als eine durch den Rechtsanwender vorgenommene Veränderung der zutage getretenen Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Wie bereits dargelegt, steht jenem aber nach dem deutschen Verständnis von Gewaltenteilung eine derart weitreichende Kompetenz nicht zu. 111 Es ist somit festzuhalten, dass eine Ökonomisierung des Haftungsrechts durch den Rechtsanwender an der legislativen Gewalt vorbei nicht möglich ist. Eine nachträgliche „Modernisierung“ vermeintlich veralteter Gesetzesausrichtungen darf daher nicht stattfinden. Im Ergebnis ist daher die Kompensation des Geschädigten als Politik der Haftung aus §§ 823 ff. BGB anzusehen, Effizienz lässt sich dagegen nicht als Politik ausmachen.
108 Mugdan II (1899), S. 1302. Eine ausführliche Analyse der gesetzgeberischen Begründung des § 835 BGB unter ökonomischen Gesichtspunkten findet sich bei: Taupitz (1996), S. 149 – 152. 109 Taupitz (1996), S. 151. 110 Larenz (1991), S. 329, 332 f.; s. o., vgl. Teil 3 A. I. 2. a). 111 s. o., Teil 3 A. I. 2.
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bb) Die Haftung nach dem Haftpflichtgesetz erstreckt sich auf den Betrieb einer Schienen- oder Schwebebahn (§ 1 HaftPflG), bestimmter gefährlicher Anlagen (§ 2 HaftPflG) sowie eines Bergwerks, eines Steinbruchs, einer Gräberei oder einer Fabrik (§ 3 HaftPflG). Das Haftpflichtgesetz trat zum 1. Januar 1978 als Nachfolger des Reichshaftpflichtgesetzes in Kraft. 112 Die damit verbundene Erweiterung der bereits bestehenden Gefährdungshaftungsbestände begründete der Gesetzgeber folgendermaßen: „Maßgebend für die verschärfte Haftung ist die Überlegung, daß bei den heutigen [...] Lebensverhältnissen bestimmte Tätigkeiten und Einrichtungen zwar unentbehrlich sind und daher zugelassen werden müssen, obgleich die davon ausgehende Gefährdung trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht gänzlich beherrscht und Schädigungen Dritter nicht immer vermieden werden können. Wer im Bewußtsein dieser Risiken eine solche Gefahrenquelle eröffnet, muß auch bereit sein, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, ohne daß es darauf ankommen darf, ob im Einzelfall ein Verschulden nachweisbar ist. Dies ist dem Unternehmer eines solchen Betriebes um so eher zuzumuten, als er am ehesten in der Lage ist, die Risiken zu beurteilen und für etwaige Schadensfälle – insbesondere durch Versicherungen – vorzusorgen.“ 113
Neben dem Ausgleichsaspekt stellte der Gesetzgeber darin für die Zuweisung des Schadenstragungsrisikos auch auf ökonomische Kriterien ab. Nach Maßgabe der Learned-Hand-Formel ist dann, wenn die aufzuwendenden Vorsorgekosten den Erwartungswert des Schadens übersteigen, der Eintritt eines Schadens unvermeidbar. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Betreiber an der von ihm geschaffenen Gefahrenquelle „näher dran“ ist als der Geschädigte, darf an die – effiziente – Nichtvermeidung des Schadenseintritts keine Verschuldenshaftung angeknüpft werden. Dennoch ist es geboten, dem potentiellen Schädiger die Pflicht zur Schadenstragung im Wege einer Gefährdungshaftung aufzuerlegen, sofern sein Verhalten, obwohl es mit der geforderten Sorgfalt ausgeführt wird, trotzdem noch eine übermäßige Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts mit sich bringt. 114 Dies gründet nicht zuletzt auch auf den Gedanken, dass der potentielle Schädiger das ihm drohende Haftungsrisiko zu den günstigeren Prämienkonditionen versichern kann (cheapest insurer 115). Denn für den einzelnen potentiellen 112 Haftpflichtgesetz in der Fassung der Neubekanntmachung vom 4. 01. 1978 (BGBl. I, S. 145 ff.). Gemäß Art. 8 Abs. 2 des Ersten Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes vom 16. 08. 1978 (BGBl. I, S. 1577 ff.) trat die Vorgängerregelung des Reichshaftpflichtgesetzes vom 7. 06. 1871 (RGBl., S. 207 ff.) entsprechend zum 1. 01. 1978 außer Kraft. § 1 RHaftPflG war die erste moderne deutsche Gefährdungshaftung für gefährliche Anlagen und diente bei der Einführung der Haftung nach § 7 Abs. 1 KFG als Vorbild (Verhandlungen des Reichstages, 11. Legislaturperiode, Stenographischer Bericht 1905/06, 4. Anlageband, Aktenstück Nr. 264, S. 3248). Der Gedanke, für derartig gefährliche Unternehmungen eine verschuldensunabhängige Haftung zu normieren, kam erstmals schon in § 25 des Preußischen Gesetzes über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3. 11. 1838 (PrGS, S. 505 ff.) zum Ausdruck. 113 BT-Drucks. 8/108, S. 6. 114 s. o., vgl. Teil 2 A. III. 2. c).
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Geschädigten, der nicht abschätzen kann, wann ihm von wo welcher Schaden droht, sind die Kosten, um dieses spezifische Risiko zu versichern, prohibitiv hoch, während der Betreiber als potentieller Schädiger das Risiko kollektiv relativ günstig versichern kann. Auf genau dieses Denkmodell des billigsten Versicherers stellte der Gesetzgeber expressis verbis ab, als er entschied, dem Betreiber eine Gefährdungshaftung aufzubürden anstatt die Schäden der potentiellen Geschädigten unentschädigt zu lassen. Im Haftpflichtgesetz lassen sich neben dem Gedanken der Kompensation somit auch effizienzorientierte Erwägungen ausmachen. cc) Das Straßenverkehrsgesetz geht unmittelbar auf das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (KFG) von 1909 zurück. 116 So statuierte § 7 Abs. 1 KFG eine dem heutigen § 7 Abs. 1 StVG schon weitgehend entsprechende Haftpflicht: 117 „Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter des Fahrzeugs verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ 118 In der amtlichen Begründung finden sich als Beweggrund für die Einführung einer zusätzlichen spezialgesetzlichen Gefährdungshaftung neben der bestehenden Verschuldenshaftung der §§ 823 ff. BGB folgende Erwägungen: „Zur Verhütung und zum Ausgleiche solcher [durch Kraftfahrzeuge verursachte, der Verf.] Unglücksfälle hat sich das geltende bürgerliche Recht nicht als ausreichend erwiesen. [...] Der Nachweis eines Verschuldens ist aber bei den durch Automobile veranlaßten Schäden häufig mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft. [...] Vollständig versagt das geltende Recht in den Fällen, in welchen der Unfall überhaupt nicht durch ein Verschulden, sondern durch die dem Automobilverkehr als solchem innewohnende Gefährlichkeit herbeigeführt worden ist. Eine schärfere Regelung der Haftpflicht erscheint im Interesse der Sicherheit des Verkehrs geboten. [...] [Es] darf von einer Verschärfung der Haftpflicht erhofft werden, daß größere Vorsicht Platz greifen und damit eine Herabminderung der Zahl der Unfälle eintreten wird.“ 119
115
Zum „cheapest insurer“ beispielsweise: H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 406 –408. Gesetz vom 19. 12. 1952 (BGBl. I, S. 837 ff.) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 5. 03. 2003 (BGBl. I, S. 310 ff. mit Berichtigung vom 12. 06. 2003, BGBl. I, S. 919). Die Überführung der Normen des KFG (Gesetz vom 3. 05. 1909, RGBl., S. 437 ff.) in das StVG geht zurück auf Art. 1 des Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs (Gesetz vom 19. 12. 1952, BGBl. I, S. 832 ff.). 117 Die einzige Veränderung des § 7 Abs. 1 StVG geht zurück auf das Zweite SchadÄndG vom 19. 07. 2002 (BGBl. I, S. 2674 ff.): Die Haftung für Unfälle beim Betrieb eines Gespanns wurde auch auf den Halter des Anhängers ausgeweitet, der nunmehr neben dem Halter des Zugfahrzeugs haften muss. Außerdem wurde der Entlastungsgrund in § 7 Abs. 2 StVG vom „unabwendbaren Ereignis“ auf „höhere Gewalt“ verschärft. Beide Änderungen sind jedoch für die dem Haftungstatbestand innewohnende Politik nicht relevant. 118 Die Ausgestaltung dieses Haftpflichttatbestands als Gefährdungshaftung geht zurück auf § 1 des Entwurfs eines Gesetzes über die Haftpflicht für den bei dem Betriebe von Kraftfahrzeugen entstehenden Schaden aus dem Jahr 1906. Ein Gegenentwurf, der eine Verschuldenshaftung mit vermutetem Verschulden vorsah, wurde vom Reichstag abgelehnt. 116
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Diese Begründung der Einführung einer kumulativen Gefährdungshaftung findet ihre Entsprechung in einer Kernaussage der ökonomischen Analyse zu der Frage der Anreizvermittlung: Ein potentieller Schädiger orientiert sein Vorsorgeverhalten an den ihm drohenden Haftungskosten und nicht an den einem potentiellen Geschädigten drohenden Schadenskosten. Muss der potentielle Schädiger nicht für alle von ihm verursachten Schäden haften, weil er entweder nicht schuldhaft gehandelt hat oder weil ihm ein Verschulden nicht nachweisbar ist, kommt es infolge dieser nur unvollkommenen Internalisierung negativer externer Effekte zu einer entsprechenden Herabsetzung seines Vorsorgeniveaus. Um diesem – hier in der Sprache der Ökonomie formulierten, aber vom Gesetzgeber des KFG schon 1906 aufgedeckten – Defizit entgegen zu wirken, sollte die Gefährdungshaftung des § 7 Abs. 1 KFG / StVG eingeführt werden. Eine Gefährdungshaftung führt zu einer Vollinternalisierung aller entstehenden Kosten beim Schädiger, wodurch der potentielle Schädiger induziert wird, das effiziente Maß an Vorsorge einzuhalten. 120 Der Gesetzgeber bezweckte damit insgesamt eine Verhaltenssteuerung der potentiellen Schädiger, die zu einer Verringerung der Schädigungsfälle führen sollte. 121 Neben einer vom Gesetzgeber gleichfalls intendierten Verbesserung des Schadensausgleichs ist die effiziente Schadensverhütung als weiteres Motiv für die Einführung dieser Gefährdungshaftung anzusehen. dd) Die Haftung des Luftfahrzeughalters für am Transport unbeteiligte Dritte, die in § 33 Abs. 1 S. 1 LuftVG normiert ist, entspricht vom Wortlaut her noch der ursprünglichen Haftungsanordnung des § 19 Abs. 1 LuftVG 1922: „Wird beim Betrieb eines Luftfahrzeugs durch Unfall jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter des Fahrzeuges verpflichtet, den Schaden zu ersetzen.“ 122 In der Diskussion vom 12. März 1914 um das einzuführende Luftverkehrsgesetz im Reichstag wurde die Forderung nach 119
Verhandlungen des Reichstages, 11. Legislaturperiode, Stenographischer Bericht 1905/06, 4. Anlageband, Aktenstück Nr. 264, S. 3246 f. 120 s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. b), d). 121 So beispielsweise auch Greger (1990), Vorbem, Rdnr. 12: „Das KFG 1909 war [...] ein Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zur Abwendung von Schäden aus solchem Verkehr.“ (meine Hervorhebung). Dem scheint entgegenzustehen, dass es in der Entwurfsbegründung BT-Drucks. 14/ 7752, S. 30 heißt: „Die Gefährdungshaftung dient dabei dem Ausgleich von Schäden, nicht der Schadensprävention.“ Auf den ersten Blick scheint dies eine klare Absage an ökonomische Effizienzüberlegungen zu sein. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass das gesetzgeberische Verständnis von Prävention nicht mit der Interpretation von Prävention in der Ökonomie übereinstimmt. Wirtschaftswissenschaftlich wird Prävention als Verhaltenssteuerung verstanden und somit deutlich weiter als in der Rechtswissenschaft. Dazu: Einführung zu Teil 2. 122 Der erste Entwurf eines LuftVG entstand bereits 1913. Er wurde nach Zustimmung durch den Bundesrat dem Reichstag vorgelegt und am 12. 03. 1914 dem zuständigen Ausschuss zugewiesen. Infolge des Kriegsausbruchs wurde der Entwurf jedoch nicht weiter beraten. Erst am 18. 07. 1922 wurde das LuftVG endgültig verabschiedet (Gesetz
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einer Einführung einer umfassenden Gefährdungshaftung, wie sie dann schließlich auch Gesetz geworden ist, auf folgendes Argument gestützt: „Der Unternehmer [...], der die gesteigerten Gefahren durch sein Unternehmen hervorgebracht hat, der im Regelfalle Vorteile aus seinem Unternehmen ziehen will und sie auch zieht, muß bis zur Grenze der höheren Gewalt den vollen Schaden tragen. Er mag an dem Schaden im einzelnen Falle schuldlos sein. Noch viel schuldloser ist aber jedenfalls der Verletzte. [...] Im übrigen [...] wird nichts so erzieherisch auf die Unternehmer wirken, wie die von uns vorgeschlagene verschärfte Haftung. Jede Verbesserung der Technik und jede Erfindung von Schutzvorrichtungen wird sich für die Unternehmer lohnen, wenn wir die Haftpflicht so regeln, wie sie im Haftpflichtgesetz geregelt worden ist.“ 123
Diese Begründung redet dem ökonomischen Ansatz der Internalisierung das Wort. Die im Rahmen einer Gefährdungshaftung entstehende Haftpflicht, die einerseits aus der Perspektive des Geschädigten natürlich zu einem Ausgleich des ihm entstandenen Schaden führt, bringt es andererseits aus der Sicht des Schädigers mit sich, dass für diesen alle anfallenden externen Schadenskosten beachtlich werden. Zur Maximierung seines privaten Nutzens wird er auf diese Weise induziert, ein solches Maß an Vorsorge zu treffen, das zugleich das effiziente darstellt. Der eingeführten Haftung nach § 19 Abs. 1 LuftVG 1922, auf die der heutige § 33 Abs. 1 S. 1 LuftVG zurückgeht, lag somit neben dem Gesichtspunkt des Ausgleichs auch der der Effizienz zugrunde. ee) In der Begründung der Haftung gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG 124 findet sich dagegen zur Frage der Politik des Gesetzes allenfalls der Gedanke, dass, wenn sich das Gefahrenpotential eines fehlerhaften Produkts in Form einer Schädigung eines Dritten verwirklicht, ein „unbestreitbares Bedürfnis nach Ausgleich des erlittenen Schadens“ 125 bestehe. 126 Vom nationalen Gesetzgeber wird also allein der Gedanke der Kompensation hervorgehoben. Allerdings geht die Einführung vom 1. 08. 1922, RGBl. I, S. 681 ff.). Die Haftpflichtvorschriften sind zum 1. 09. 1922 in Kraft getreten. Die ursprüngliche Fassung bezog sich – trotz gleich lautenden Wortlauts – auf Schäden, die sowohl den im Luftfahrzeug beförderten Personen als auch den an der Beförderung unbeteiligten Dritten entstanden. Mit dem Vierten Änderungsgesetz zum LuftVG vom 26. 01. 1943 (RGBl. I, S. 69 ff.) wurde der sachliche Geltungsbereich des jetzigen § 33 LuftVG auf die außervertragliche Haftung des Halters gegenüber nicht im Luftfahrzeug beförderten Personen (Drittschäden) beschränkt und die beförderten Personen wurden auf einen Haftungsanspruch aus dem Beförderungsvertrag sowie aus §§ 823 ff. BGB verwiesen. 123 Verhandlungen des Reichstags, 12. Legislaturperiode, Stenographischer Bericht 1914, Band 294, 234. Sitzung, S. 8049 (Zwischenrufe weggelassen). 124 Es ist umstritten, ob es sich bei der Haftung nach § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG tatsächlich um eine Gefährdungshaftung handelt, wie es die Verfasser der Produkthaftungsrichtlinie und die des deutschen Transformationsgesetzes intendierten: BT-Drucks. 11/2447, S. 8, 11, 13. Dazu: Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Einl. ProdHaftG, Rdnr. 15 – 20 m.w. N. 125 BT-Drucks. 11/2447, S. 7.
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des deutschen Produkthaftungsgesetzes auf die EG-Produkthaftungsrichtlinie 127 zurück. Diese Richtlinie enthielt unter anderem folgendes Motiv für die neu einzuführende Haftung: „Nur bei einer verschuldensunabhängigen Haftung des Herstellers kann das [...] Problem einer gerechten Zuweisung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken in sachgerechter Weise gelöst werden.“ 128
Der europäische Gesetzgeber der Richtlinie, die hinsichtlich des zu erreichenden Ziels für die Mitgliedstaaten verbindlich ist (Art. 249 Abs. 3 EG), stellt also die Überlegung des Haftungsrisikos und der Kostentragung in den Vordergrund: Der Produzent hat alle Schäden, die aus der Fehlerhaftigkeit eines Produkts resultieren, zu ersetzen und somit endgültig zu tragen. Da der Produzent die mit diesem verbundenen Gefahren besser beurteilen und im Regelfall schon in einer deutlich früheren Entwicklungsstufe beseitigen oder zumindest abmildern kann, ist die Internalisierung der Haftungskosten auf Seiten des Produzenten aus Effizienzgründen geboten. 129 Über die europarechtlichen Vorgaben findet sich also auch in § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG neben dem Ausgleichs- der Effizienzgedanke wieder. ff) Der Gefährdungshaftungstatbestand für Arzneimittelschäden wurde als § 84 Abs. 1 S. 1 des Arzneimittelgesetzes eingeführt. 130 Trotz der Einführung einer umfassenden Kontrolle von Neumedikamenten, von der sich der Gesetzgeber eine signifikante Verringerung der Schadensrisiken durch Arzneimittel erwartete, war er sich bewusst, dass er keinen absoluten Schutz garantieren kann, da Neumedikamente „unvermeidbar unsicher“ 131 seien. Grund für die Einführung eines Schadensersatzanspruchs auch in diesen Fällen der schuldlosen Schädigung war einerseits das Kompensationsbedürfnis des geschädigten Verbrauchers. 132 126
Gesetz vom 15. 12. 1989 (BGBl. I, S. 2198 ff.). Das ProdHaftG ist zum 1. 01. 1990 in Kraft getreten. Die vorherige Rechtslage war geprägt von der richterrechtlich entwickelten Produzentenhaftung, die ihren Ausgangspunkt in der „Hühnerpest“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs hatte; BGH (Urt. v. 26. 11. 1968 – VI ZR 212/66), BGHZ 51, 91. Diese Haftung, die noch immer konkurrierend neben der Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz angewendet werden kann, ist eine modifizierte Verschuldenshaftung. Einen einführenden Überblick dazu bietet: Medicus (2004a), Rdnr. 650 ff. 127 Amtsblatt EG Nr. L 210/29 vom 7. 08. 1985. Offizielle Bezeichnung: Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. 128 Amtsblatt EG Nr. L 210/29 vom 7. 08. 1985. 129 s. o., vgl. Teil 2 A. III. 2. c). So für die EG-Produkthaftungsrichtlinie im Ergebnis auch Adams (1987a), S. 49. 130 Gesetz vom 24. 08. 1976 (BGBl. I, S. 2445 ff.). Es ist am 1. 01. 1978 in Kraft getreten. 131 BT-Drucks. 7/5091, S. 9. 132 BT-Drucks. 7/5091, S. 9.
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Andererseits findet sich auch folgendes Argument für die Gefährdungshaftung: „Eine individuelle Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers [...] stehe im Einklang mit den ordnungspolitischen Vorstellungen einer freien, vom Wettbewerb geprägten Wirtschaftsordnung.“ 133 Diese (Re-)Individualisierung der Haftungsverantwortung, die im krassen Gegensatz zu der ursprünglich angedachten kollektiven Fondshaftung steht, 134 führt zu einer Internalisierung der Schadenskosten beim jeweiligen Verursacher. Dadurch wird jeder Pharmaunternehmer induziert, Vorsorge bis zum effizienten Maß V ∗ zu treffen. Die Mehrkosten, die infolge der zu treffenden Vorsorge und der drohenden Haftung bestehen, muss er über die Arzneimittelpreise weitergeben. 135 Es wird sich deshalb langfristig derjenige Unternehmer auf dem Markt durchsetzen, der ein Produkt anbietet, das im Hinblick auf Vorsorge- und Haftungskosten optimal kalkuliert ist. Der Verweis auf die Ordnungspolitik des Wettbewerbs lässt sich somit als Anreiz zur effizienten Vorsorge verstehen. Es ist jedoch zu konzedieren, dass die verhaltenssteuernde Wirkung der Haftung hier allenfalls eine sehr vage Andeutung gefunden hat. Es ist weniger so, dass der Gesetzgeber diese Wirkung gezielt herbeiführen wollte, als vielmehr so, dass er diesen Effekt als faktische Nebenfolge der normierten Schadensersatzanordnung anerkannte. Jedenfalls liegt der Schwerpunkt der gesetzgeberischen Intention auf der Kompensation des Geschädigten. Eine Politik der effizienten Verhaltenssteuerung lässt sich nicht ausmachen. gg) § 114 Abs. 1 BBergG ordnet eine verschuldensunabhängige Haftung für Bergschäden an. 136 Der Gesetzgeber führte diese umfassende Gefährdungshaftung erstens ein, um einen einheitlichen Ausgleich solcher Bergschäden sicherzustellen, weil die Verschuldenshaftung gemäß §§ 823 ff. BGB regelmäßig an der fehlenden Nachweisbarkeit des Verschuldens oder der Rechtswidrigkeit scheitern werde. 137 Und zweitens führe diese umfassende Haftungsanordnung zu einem Ausgleich zwischen den Interessen des Bergbauunternehmers, der den Gewinn aus der ihm erlaubten bergbaulichen Tätigkeit zieht, und dem Grundeigentümer, der gemäß § 8 BBergG gewisse Beeinträchtigungen zu dulden hat. Dieser Aufgabe werde das Gesetz nicht zuletzt dadurch gerecht, dass eine Sicherung der sonst nicht realisierbaren Ersatzansprüche bei Insolvenz und anderen Fällen durch die Ermächtigung zur Errichtung einer Bergschadensausfallkasse (§ 122 BBergG) vorgenommen
133
BT-Drucks. 7/5091, S. 10. § 80 des ersten Regierungsentwurfs des AMG 1976 (BT-Drucks. 7/3060, S. 32) sah für den Fall einer schuldlosen Schädigung die Entschädigung aus einem zu schaffenden Arzneimittel-Fonds vor. Dieser Fonds sollte in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit von den Pharmaunternehmen finanziert werden. 135 Dieses Prinzip der Weitergabe von Kosten an den Abnehmer klingt auch in der Gesetzesbegründung an: BT-Drucks. 7/5091, S. 11. 136 Gesetz vom 13. 08. 1980 (BGBl. I, S. 1310 ff.). Es ist am 1. 01. 1982 in Kraft getreten. 137 BT-Drucks. 8/1315, S. 140; BT-Drucks. 8/3965, S. 141. 134
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wird. 138 Beide Motive zielen darauf ab, die Kompensation des durch Bergbau Geschädigten zu verbessern und erleichtern. Präventive Überlegungen spielten für die Einführung des Haftungstatbestands – im Gegensatz zu der der Sicherheitsvorschriften 139 – keine erkennbare Rolle. Effizienz ist somit nicht Politik des § 114 Abs. 1 BBergG. hh) Das Gesetz zur Regelung von Fragen der Gentechnik (GenTechG) enthält in § 32 Abs. 1 einen Gefährdungshaftungstatbestand. 140 Ausgehend von dem ambivalenten Ziel des Gesetzes, einerseits Mensch und Umwelt vor den Risiken der Gentechnik zu schützen und andererseits den rechtlichen Rahmen für die Erforschung und Nutzung der Gentechnik zu schaffen, soll der Haftungstatbestand dem Schutz des Menschen vor den gesetzlich zugelassenen gentechnischen Risiken dienen. 141 Das trotz sorgfältiger Forschung verbleibende Risiko gentechnischer Schädigungen könne dem Bürger nur um den Preis einer gesicherten und umfassenden Haftung des Betreibers zugemutet werden. 142 Insofern stellt der Gesetzgeber auf die Perspektive des Geschädigten ab und hat dessen Kompensation im Blick. Dennoch normierte er die Gefährdungshaftung (auch) „[i]m Interesse einer adäquaten Schadenszuordnung“ 143. Es soll also gerade derjenige mit dem Haftungsrisiko belastet werden, der durch den Betrieb einer gentechnischen Anlage eine Gefahrenquelle im Eigeninteresse schafft. Dies lässt sich als Perspektivwechsel verstehen, von dem Aspekt der Kompensation des Geschädigten zu dem der Prävention auf Seiten des Betreibers. Dieser soll nicht allein durch umfassende Sicherheitsvorschriften zur Einhaltung größtmöglicher Sorgfalt gezwungen werden, sondern auch zur Beachtung solcher Kosten, die trotz des gesetzlichen Sorgfaltsmaßstabs bei Dritten infolge einer Schädigung entstehen können. Dass der Gesetzgeber diese Schadenszuordnung jedoch unter dem Gesichtspunkt der Effizienz – und nicht ausschließlich unter dem an Billigkeitserwägungen orientierten Kriterium der gerechten Schadensverteilung – für geboten hält, wird nicht deutlich. Eine explizit effizienzorientierte Einstellung des Gesetzgebers lässt sich somit auch hier nicht ausmachen. ii) Schon im Rahmen der Erstkodifikation des Bundesatomgesetzes wurde 1959 eine Sonderhaftung für Schädigungen durch nukleares Material gemäß §§ 25 f. AtomG eingeführt. 144 Der Gesetzgeber legte sein Augenmerk bei dieser Haftungsanordnung auf die Kompensation des potentiellen Geschädigten:
138 139 140 141 142 143 144
BT-Drucks. 8/3965, S. 131. BT-Drucks. 8/1315, S. 70; BT-Drucks. 8/3965, S. 2. Gesetz vom 20. 06. 1990 (BGBl. I, S. 1080 ff.). Es ist am 1. 07. 1990 in Kraft getreten. BT-Drucks. 11/5622, S. 1 f. BT-Drucks. 11/5622, S. 33. BT-Drucks. 11/5622, S. 21. Gesetz vom 23. 12. 1959 (BGBl. I, S. 814 ff.). Es ist am 24. 12. 1959 in Kraft getreten.
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„Die auch hier geltenden allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Schadensersatzpflicht bei unerlaubten Handlungen (§§ 823 ff. BGB) können wegen der besonderen [...] Gefahren einen ausreichenden Schutz der möglichen Opfer allein nicht gewährleisten. Der Entwurf sieht deshalb [...] eine strengere Haftung vor.“ 145
Für die (alleinige) Politik des Ausgleichs spricht auch die ursprüngliche Regelung des § 36 AtomG a.F. Danach hatte der Haftende einen Freistellungsanspruch gegen den Bund, wenn dieser eine Genehmigung erteilt hatte und die Haftung einen bestimmten Betrag nicht überschritt. Hintergedanke dieser Regelung war, dass dem Geschädigten so der Ausgleich des entstandenen Schadens durch den solventen Schuldner Bund garantiert war. Gleichzeitig wurde der Betreiber einer nuklearen Anlage vom Haftungsrisiko vollständig befreit. Die präventiven Effekte, die von einer drohenden Haftung im Prinzip ausgehen, wurden dadurch vollständig zerstört. Daran wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber der atomgesetzlichen Haftungsregelung ausschließlich auf die Kompensation des Geschädigten ankommt. Eine vergleichbare Regelung, die sich zwar im Einzelnen von § 36 AtomG a.F. unterscheidet, aber ebenso allein den Ausgleich des Geschädigten sicherstellen soll, ohne das Vorsorgeverhalten des Schädigers zu beeinflussen, findet sich auch heute noch in § 38 AtomG. jj) § 1 UmweltHaftG normiert einen speziellen Gefährdungshaftungstatbestand im Umwelthaftungsrecht. 146 Neben dem Gedanken des gerechten Schadensausgleichs bei individuellen Rechtsgutsverletzungen findet sich für seine Einführung folgendes Motiv: „Das Risiko künftiger Schadensersatzleistungen soll den einzelnen zu einem vorsichtigen, schadensvermeidenden Verhalten veranlassen. [...] Durch die Einführung einer Gefährdungshaftung werden potentielle Umweltschadensverursacher dazu veranlaßt, schadensvermeidende Maßnahmen zu ergreifen, die darauf gerichtet sind, schädliche Umwelteinwirkungen so gering wie möglich zu halten. [...] Schließlich führt die Belastung umweltgefährdender Produktionsprozesse mit einer strengen Umwelthaftung tendenziell zu einer Verteuerung der betroffenen Produkte und Dienstleistungen am Markt: Die Unternehmer müssen mögliche Ersatzleistungen für umweltbedingte Schäden in ihre Kostenrechnung einstellen und versuchen, diese Kosten über den Preis auf Dritte abzuwälzen. Hierdurch werden umweltgefährdende Produktionsprozesse zurückgedrängt und schadensvermeidende Maßnahmen dort getroffen, wo sie am kostengünstigsten sind. Das Umwelthaftungsrecht kann somit über den Preis- und Marktmechanismus dazu beitragen, daß die knappen ökologischen Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden.“ 147
Hier fehlt, worauf Michael Lehmann zutreffenderweise hingewiesen hat, „eigentlich nur noch der zusammenfassende Schlußsatz: Dieses Unwelthaftungs145 146 147
BT-Drucks. 3/759, S. 35. Gesetz vom 10. 12. 1990 (BGBl. I, S. 2634 ff.). Es ist am 1. 01. 1991 in Kraft getreten. BT-Drucks. 11/6454, S. 13; BT-Drucks. 11/7104, S. 14.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
gesetz soll einen Beitrag zur Internalisierung von negativen externen Effekten leisten.“ 148 Der Gesetzgeber macht hier die Effizienz – neben der Kompensation – unter Verwendung ökonomischer Terminologie explizit zur Politik des Gesetzes. Deutlicher wurde diese Intention in der bisherigen Historie der Gesetzgebung zum Haftungsrecht nie herausgehoben. § 1 UmweltHaftG fungiert somit als Musterbeispiel für die im Gesetz niedergelegte Effizienz. 149 kk) Im Ergebnis lassen sich aus dieser Untersuchung zwei Folgerungen ziehen: Erstens besteht keine grundsätzliche Dichotomie zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung im Hinblick auf die ihnen vom Gesetzgeber zugedachte Politik. 150 So liegt der untersuchten Verschuldenshaftung der §§ 823 ff. BGB keine Politik der Effizienz zugrunde. Ob dies nun ein für die Verschuldenshaftung verallgemeinerungsfähiger oder ein allein dem Zufall geschuldeter Umstand ist, kann in Anbetracht der Tatsache, dass lediglich diese eine Verschuldenshaftung Gegenstand der Überprüfung war, nicht abschließend geklärt werden. Im Bereich der Gefährdungshaftung wurden insgesamt neun Tatbestände untersucht. Im Ergebnis findet sich im Umwelthaftungsgesetz ein Tatbestand, dem der Gesetzgeber neben dem Aspekt der Kompensation des Geschädigten expressis verbis mikroökonomische Erwägungen zugrundegelegt und bei dem er auf diese Weise Effizienz zur Politik gemacht hat. Daneben findet sich ein Konglomerat von – wohlwollend gezählt – vier Tatbeständen, bei denen sich allgemein formulierte Überlegungen des Gesetzgebers zur faktischen Auswirkung der Haftungsanordnung als mehr oder weniger deutliche Ausführungen zur effizienzorientierten Verhaltenssteuerung verstehen lassen. Vier weiteren Tatbeständen hat der Gesetzgeber jedoch ausschließlich kompensatorische Funktion zugedacht. Zweitens lässt sich auch keine evolutorische Tendenz in dem Sinne ausmachen, dass der Gedanke der Effizienz ausschließlich oder wenigstens vermehrt in den moderneren Gesetzen anzufinden ist. In der Begründung des Straßenverkehrsgesetzes, das das zweitälteste der untersuchten Gesetze ist, lassen sich schon 1909 relativ deutliche Effizienzbezüge ausmachen, wie auch schon in der Begründung des (inzwischen aufgehobenen) § 835 BGB. Dagegen finden sich im Gentechnikgesetz vom Juni 1990 keinerlei Anhaltspunkte für eine Ausrichtung am Gedanken der Effizienz. Kein halbes Jahr später wurde mit dem Umwelthaftungsgesetz
148
Lehmann (1991a), S. 83; Lehmann (1991b), S. 290. So wird § 1 UmweltHaftG zur Frage der Politik des Gesetzes beispielsweise herangezogen von Eidenmüller (1995, 2005), S. 453 f. oder Taupitz (1996), S. 148 f. 150 Eine Gegenüberstellung von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung und eine Gleichsetzung mit verschiedenen Haftungsfunktionen findet sich – wenn allerdings auch unter etwas anderen Vorzeichen – beispielsweise bei Will (1980), S. 297 oder Deutsch (1996), S. 443. 149
A. Anpassung des geltenden Rechts
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dann dasjenige Gesetz erlassen, das sich am deutlichsten auf Effizienzerwägungen stützt. Zur Frage der Effizienz als Politik des Haftungsrechts lässt sich folglich keine konsequent verfolgte Zielrichtung des Gesetzgebers ausmachen. Die Einbeziehung von Argumenten, die sich am Maßstab ökonomischer Effizienz orientieren, in die Gesetzesbegründung scheint von der individuellen Besetzung des Gremiums, das das jeweilige Gesetz ausarbeitet, abzuhängen und somit – diese Schlussfolgerung drängt sich auf – zu einem gewissen Grad vom Zufall. Wie dem auch sei, es ist festzuhalten, dass der Rechtsprechung das „Tor zur ökonomischen Freiheit“ 151 allenfalls in sehr beschränktem Umfang offen steht. Denn der Gesetzgeber macht keinerlei Anstalten, die ökonomische Theorie systematisch zur umfassenden Grundlage seiner Tätigkeit zu machen. Stattdessen werden die Diskussionen und Begründungen im Regelfall noch immer von den traditionellen juristischen und politischen Argumenten dominiert. Da hier versucht werden soll, die ökonomischen Vorgaben möglichst umfassend umzusetzen, muss diese Umsetzung auf Grundlage desjenigen methodischen Ansatzes erfolgen, der davon ausging, dass Effizienz nicht die Politik des Gesetzes ist. 2. Haftungsbegründung Im Folgenden wird untersucht, ob das geltende Recht im Bereich des Schmerzensgeldes mit den Anforderungen der ökonomischen Analyse des Rechts an die Ausgestaltung des Haftungstatbestands, wie sie in Teil 2 A erarbeitet wurden, übereinstimmt und inwieweit, sofern eine Abweichung vorliegt, de lege lata eine Anpassung an die ökonomischen Postulate möglich ist. Um das Verhalten sowohl des potentiellen Schädigers als auch des potentiellen Geschädigten effizient steuern zu können, lassen sich zwei zentrale Gebote ausmachen: die ökonomisch richtige Verwendung von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung (a) und die Bestimmung des Verschuldens am Maßstab der marginalisierten Learned-HandFormel (b). a) Anwendung von Gefährdungs- bzw. Verschuldenshaftung Im Bereich der Schmerzensgeldhaftung, in dem Vorsorge gegen Rechtsgutsverletzungen grundsätzlich bilateral möglich ist, kann durch keines der verfügbaren Haftungssysteme ein optimales Anreizsystem kreiert werden: Entweder bleibt bei einer Gefährdungshaftung das Aktivitätsniveau des potentiellen Geschädigten oder bei einer Verschuldenshaftung das Aktivitätsniveau des potentiellen Schädigers ungesteuert. Da es im – für die Analyse maßgeblichen – Regelfall 151
Taupitz (1996), S. 154. Markesinis / v. Bar (1981), S. 31 sprechen von einem „... ‚freien‘ oder besser: ‚befreiten‘ gedanklichen Ansatz...“.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
wirksamer ist, das Aktivitätsniveau des Schädigers zu steuern, sollte eine Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand angeordnet werden. 152 Die allgemeine deliktische Haftung ist durch die drei (beschränkten) Generalklauseln in § 823 Abs. 1 (Rechtsverstoß), § 823 Abs. 2 (Gesetzesverstoß) und § 826 BGB (vorsätzlicher Sittenverstoß) als Verschuldenshaftung ausgestaltet. Im Gegensatz dazu kennt das deutsche Recht für die Gefährdungshaftung keine Generaltatbestände, nicht einmal bereichsspezifische. Der Gesetzgeber folgt vielmehr dem Enumerationsprinzip, d. h. das Eingreifen der Gefährdungshaftung bedarf einer speziellen gesetzlichen Anordnung im Hinblick auf die jeweilige Gefahrenquelle, die regelmäßig gesetzlich scharf abgegrenzt ist. 153 Der Rechtsanwender ist an diese fundamentale Entscheidung des Gesetzgebers gebunden. 154 aa) Die Auswirkungen dieser Bindung erscheinen prima facie als nicht übermäßig schwerwiegend, weil der Gesetzgeber Gefährdungshaftungen gezielt in solchen Fallgestaltungen spezialgesetzlich vorgesehen hat, in denen er davon ausging, dass trotz Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt gleichwohl noch erhebliche Schäden drohen, die dementsprechend der Verursacher dieser Gefahr zu tragen verpflichtet werden soll. 155 Daraus könnte folgen, dass jedenfalls für besonders gefährliche Schädigertätigkeiten eine Steuerung des Aktivitätsniveaus 152
s. o., vgl. Teil 2 A. III. 2. c). Statt vieler dazu die Kritik von Zweigert / Kötz (1966), S. 63: „Es fragt sich freilich, ob der deutsche Gesetzgeber mit der fortschreitenden Vermehrung spezialgesetzlicher Gefährdungstatbestände nicht letztlich nur an den Symptomen des Grundübels herumkuriert, indem er von Fall zu Fall diejenigen Unfalltypen einer Gefährdungshaftung unterstellt, zu deren angemessener Lösung sich in der Praxis eine besonders auffällige ‚Streckung‘ des Verschuldensprinzips als erforderlich erwiesen hat.“ Im Bewusstsein dieser verstreuten und unsystematischen Regelung der Gefährdungshaftungstatbestände gab es sich der Gesetzgeber 1989 selbst auf, mittel- bis langfristig „eine Zusammenfassung gefährdungshaftungsrechtlicher Tatbestände im Haftpflichtgesetz“ vorzunehmen (BT-Drucks. 11/5520, S. 12). Diese Absicht scheint aber in Vergessenheit geraten zu sein. 154 Eine derart grundlegende Veränderung des Haftungsrechts durch Einführung einer abstrakt-generellen Regelung, der eine uneingeschränkt rechtspolitische Reichweite zukommt, vorzunehmen, ist eine Aufgabe, die nicht dem Rechtsanwender, sondern dem Gesetzgeber zukommt. Dies hat zum einen staatstheoretisch seinen Grund in dem dem Grundgesetz zugrunde gelegten Verständnis von Gewaltenteilung und dem Legitimationsdefizit der Richter, die im Gegensatz zu den Bundestagsabgeordneten nicht unmittelbar demokratisch legitimiert sind. Zum anderen bestehen funktionale Bedenken gegen die Kompetenz der Gerichte sowie die Eignung des gerichtlichen Verfahrens zur Aufstellung von Normen, weil die richterliche Entscheidung nicht im Rahmen eines abstrakten Gesetzgebungsprozesses mit seinen vielfältigen Informationsmöglichkeiten getroffen wird, sondern im Hinblick auf den konkret zu entscheidenden Einzelfall unter Geltung der zivilprozessualen Verhandlungsmaxime. Eingehend dazu: Eidenmüller (1995, 2005), S. 414 –438; Langenbucher (1996), S. 22 – 29. 155 Vgl. dazu nur die amtlichen Gesetzesbegründungen, die in Teil 3. A. II. 1. b) bb) und cc) wiedergegeben sind. 153
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tatsächlich durch eine spezialgesetzlich angeordnete Gefährdungshaftung erfolgt. In dieser Allgemeinheit ist diese Folgerung jedoch nicht zutreffend, da die Gefährdungshaftung nicht generell für alle gefährlichen Tätigkeiten, sondern lediglich fragmentarisch für einige vom Gesetzgeber herausgegriffene Verhaltensweisen angeordnet ist. So unterliegt beispielsweise jemand, der Erdarbeiten mit einer Feldbahn ausführt, der Gefährdungshaftung nach § 1 HaftPflG, jemand, der dieselbe Arbeit mit einer schweren Planierraupe erledigt, hingegen nicht. Ohne sachlichen Grund unterscheiden sich beispielsweise auch die Schadensersatzregelungen im Bereich von Kraftfahrzeugen und Motorbooten, bei Schwebebahnen und Sesselliften sowie beim Betreten von Eisenbahnen und von Motorschiffen. 156 In den jeweils letztgenannten Konstellationen ist keine Gefährdungshaftung normiert, obwohl sie durchaus als ebenso gefährlich anzusehen sind wie die jeweils vorgenannten. bb) Den Gerichten bleibt also nur die Möglichkeit, abseits dieser normativen Ebene Veränderungen vorzunehmen. Es lassen sich dabei drei unterschiedliche Wege ausmachen. In Betracht kommt zunächst die extensive Interpretation der Merkmale der bestehenden Gefährdungshaftungstatbestände. Allerdings werden einem solchen Vorgehen durch die teilweise sehr detaillierten gesetzgeberischen Vorgaben enge Grenzen gezogen. Wenn beispielsweise in Nr. 64 lit. e des Anhangs zum Umwelthaftungsgesetz geregelt ist, dass eine Anlage im Sinne des Gesetzes ein Betrieb zum Halten von Schweinen mit 500 oder mehr Sauenplätzen ist, besteht nur wenig Auslegungsspielraum. Eine Ausdehnung der Haftung aus § 1 UmweltHaftG auf Betriebe mit lediglich 499 Sauenplätzen ist dadurch ausgeschlossen. Und selbst dort, wo der Wortlaut einer erweiternden Auslegung zugänglich ist, kann dies einzig zu einer punktuellen Erweiterung der Gefährdungshaftung im Einzelfall führen. Die hier angestrebte umfassende Ausdehnung gelingt damit nicht. Alternativ kann versucht werden, in Fällen, in denen das Fehlen einer Gefährdungshaftung als nicht sachgerecht empfunden wird, Abhilfe dadurch zu schaffen, dass die Voraussetzungen der bestehenden Verschuldenshaftung materiellrechtlich durch die Annahme umfassender Verkehrspflichten oder prozessual durch eine Umkehr der Beweislast aufgeweicht werden. Auf diese Weise versucht die Rechtsprechung tatsächlich, die bestehende Verschuldenshaftung einer Gefährdungshaftung anzunähern. 157 Teilweise wird angenommen, dass man bei einer derart modifzierten Verschuldenshaftung die Unterschiede zur Gefährdungshaf156
Umfassende Aufzählungen von Beispielen, die diese Regelungsinkonsistenz belegen, finden sich bei Kötz (1970), S. 16; v. Caemmerer (1971), S. 18 und Kötz (1981), S. 1787 f. 157 Aus der kaum noch zu übersehenden Rechtsprechung zu dieser Frage seien beispielhaft nur zwei bekannte Fälle der Produzentenhaftung herausgegriffen: BGH (Urt. v. 26. 11. 1968 – VI ZR 212/66), BGHZ 51, 91 (97 ff.) – „Hühnerpest“ und BGH (Urt. v. 7. 06. 1988 – VI ZR 91/87), BGHZ 104, 323 (326 ff.) – „Mehrwegflasche“. In der Literatur finden sich dafür Bezeichnungen wie „heimliche“ (Blaschczok [1993], S. 93) oder „versteckte“ Gefährdungshaftung (Wagner, in: Münchener Kommentar [2004], Vor § 823, Rdnr. 24).
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tung „mit der Lupe suchen“ 158 müsse, sie also faktisch fast schon zur Gefährdungshaftung werde. Bei genauem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass zwischen den Anreizwirkungen einer Gefährdungshaftung und denen einer derart modifizierten Verschuldenshaftung noch immer ein grundsätzlicher Unterschied besteht: Unabhängig davon, wie stark die Anforderungen an das Vorsorgeverhalten des Schädigers im Rahmen einer Verschuldenshaftung (V ◦ ) angehoben werden, bleibt es dabei, dass der Residualschaden vom Geschädigten zu tragen ist, während er bei der Gefährdungshaftung beim Schädiger internalisiert wird. 159 Aus diesem Grund kann eine – wie stark auch immer modifizierte – Verschuldenshaftung dem Schädiger im Gegensatz zur Gefährdungshaftung keine Anreize vermitteln, sein Aktivitätsniveau auf das effiziente Niveau zu beschränken. Letztlich kommt als Mittel zur Schaffung neuer oder zur Erweiterung bestehender Gefährdungshaftungstatbestände die Analogiebildung in Betracht. Diese setzt nach den allgemeinen Grundsätzen die Zulässigkeit der Analogie, eine Lücke im Gesetz sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus. (1) Die Obergerichte nehmen ein umfassendes Analogieverbot für das Gefährdungshaftungsrecht an und lehnen dementsprechend eine Erweiterung der Gefährdungshaftung auf andere Tatbestände im Wege der Analogie kategorisch ab. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung spricht Gerhard Wagner von einer „Veränderungssperre im deutschen Haftungsrecht“ 160. Der Entscheidung, die sich 1912 zum ersten Mal nach Inkrafttreten des BGB mit dieser Frage beschäftigte, lag der Fall eines notgelandeten Zeppelins zugrunde, der durch eine Windbö losgerissen wurde und einen Schaulustigen verletzte. Das Reichsgericht stellte in seinem Urteil schlicht fest, dass eine Analogie zur Gefährdungshaftung des § 7 Abs. 1 KFG 161 wegen dessen Ausnahmecharakters nicht möglich sei. 162 Eine ausführlichere Begründung findet sich erst in einer Entscheidung von 1935 anlässlich der Tötung eines Fußgängers durch eine herabgefallene Starkstromleitung. Obwohl der Gesetzgeber inzwischen die Gefährdungshaftungstatbestände beachtlich ausgebaut hatte und das Reichsgericht eine (Gefährdungs-)Haftung in diesem konkreten Fall auch unter Billigkeitsgesichtspunkten befürwortete, lehnte es die analoge Erweiterung erneut ab. Die gefährdungshaftungsrechtlichen Besonderheiten in Gestalt einer kürzeren Verjährung und einer summenmäßigen Beschränkung würde es den Gerichten verwehren, einen Gefährdungshaftungstatbestand im Wege der Analogie aus dem geltenden Recht herzuleiten: 163 „... [D]er 158 Stoll (1961), S. 279. Im Anschluss daran beispielsweise auch: v. Bar (1980), S. 103. Kritisch dazu Kötz (1981), S. 1789, der in diesem Zusammenhang von „Denaturierungen der Verschuldenshaftung“ spricht. 159 s. o., vgl. Teil 2 A. III. 160 Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Vor § 823, Rdnr. 24. 161 § 7 Abs. 1 KFG war der rechtshistorische Vorläufer des § 7 Abs. 1 StVG und entsprach diesem auch inhaltlich weitgehend; vgl. Teil 3 A. II. 1. b) cc). 162 RG (Urt. v. 11. 01. 1912 – VI 86/11), RGZ 78, 171 (172).
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Gesetzgeber [hat] die Ersatzpflicht ohne Nachweis eines Verschuldens besonders festgesetzt, wenn er es für angemessen erachtet. Tut er das nicht, so muß daraus gefolgert werden, daß der Gesetzgeber eine so weit gehende Haftung ablehnt.“ 164 Diese Überlegungen hat sich 1958 auch der Bundesgerichtshof zu eigen gemacht. Habe der Gesetzgeber der Wasserversorgung dienende Rohrleitungsanlagen, die im konkreten Fall bei dem Kläger einen Wasserschaden verursacht hatten, nicht für gefährlich genug erachtet, um sie der Gefährdungshaftung zu unterwerfen, „... so geht es nicht an, das Gesetz entsprechend auch auf die Anlagen der Wasserwerke anzuwenden, wie die Revision es vorschlägt.“ 165 Nachdem in der Folgezeit eine analoge Anwendung der Gefährdungshaftung auf Skischleppanlagen unter Verweis auf deren Ausnahmecharakter 166 und auf die Produzentenhaftung unter Verweis auf die alleinige gesetzgeberische Zuständigkeit zur Ausweitung auf neue Fallgruppen 167 verweigert worden war, begründete der Bundesgerichtshof die Ablehnung der Analogie in einem neuen Wasserschadensfall 1971 ausführlicher, da der Gesetzgeber inzwischen Anstalten gemacht hatte, die Gefährdungshaftung auch auf Wasserleitungen auszuweiten: „Die Gefährdungshaftung, wie sie in unserer Rechtsordnung geregelt ist, hat sich als Ausnahme von der Verschuldenshaftung entwickelt und tritt [...] nur bei im Gesetz besonders geregelten und im einzelnen abgegrenzten Tatbeständen ein. Im Blick auf dieses Enumerationsprinzip, das der Gefährdungshaftung heute noch zugrunde liegt, kann daher von einer vom Richter zu schließenden Lücke nicht gesprochen werden, wenn für Tatbestände der hier interessierenden Art eine Gefährdungshaftung – noch – nicht eingeführt ist, sie vielmehr noch dem das Schadensersatzrecht grundsätzlich beherrschenden Verschuldensprinzip unterworfen bleiben. Jedenfalls aber ist es dem an das Gesetz gebundenen Richter versagt, von sich aus völlig neue, mit einer erweiternden Abgrenzung der im Gesetz bereits festgelegten nicht mehr zu erfassende Tatbestände für eine Gefährdungshaftung einzuführen. Der Richter würde damit über die ihm verfassungsmäßig gesteckten Grenzen hinausgreifen und Aufgaben an sich ziehen, die nach der Verfassung dem Gesetzgeber vorbehalten sind und in dessen alleiniger Zuständigkeit und Verantwortung stehen.“ 168
Seitdem stellt der Bundesgerichtshof die Unzulässigkeit einer Analogiebildung nur noch apodiktisch fest und begnügt sich zur Begründung mit einem Verweis auf die letztgenannte Entscheidung. 169 163
RG (Urt. v. 11. 04. 1935 – VI 540/34), RGZ 147, 353 (355). Weimar (1935), S. 2198 f. weist in seiner zustimmenden Anmerkung umfassend gleichgerichtete Zitate aus der Literatur nach. 164 RG (Urt. v. 11. 04. 1935 – VI 540/34), RGZ 147, 353 (356). 165 BGH (Urt. v. 24. 01. 1958 – VI ZR 291/56), VersR 1958, 194 (194). 166 BGH (Urt. v. 29. 04. 1960 – VI ZR 113/59), NJW 1960, 1345 (1346). 167 BGH (Urt. v. 26. 11. 1968 – VI ZR 212/66), BGHZ 51, 91 (98) – „Hühnerpest“. 168 BGH (Urt. v. 25. 01. 1971 – III ZR 208/68), BGHZ 55, 229 (234); für die in der amtlichen Sammlung nicht abgedruckten gerichtlichen Ausführungen und die gesetzgeberischen Entwurfstexte wird verwiesen auf den Abdruck in: VersR 1971, 452 (452 f.).
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Im Ergebnis streiten in der Rechtsprechung leitmotivisch zwei Bedenken gegen eine Analogiebildung: der Ausnahmecharakter der Gefährdungshaftung und die alleinige Kompetenz des Gesetzgebers zu ihrer Erweiterung. Unabhängig von der Beantwortung der grundlegenden Frage, ob die Formel des singularia non sunt extendenda rechtsmethodisch überhaupt haltbar ist, 170 greift das erste Argument hier ohnehin nicht durch. Denn die Gefährdungshaftung ist keine Ausnahme vom Grundsatz der Verschuldenshaftung. Eine Ausnahme setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine Regel, der er in möglichst weitem Umfang Geltung verschaffen will, für bestimmte, meist eng umschriebene Fälle durchbrochen hat, weil ihm deren Durchsetzung in diesen Fällen wenig praktikabel oder unangebracht erscheint. 171 Eine Ausnahme in diesem Sinne stellt beispielsweise § 935 Abs. 2 BGB von der Regel der Unmöglichkeit des gutgläubigen Erwerbs an abhanden gekommenen Sachen dar 172 oder § 1822 BGB von der Regel der Genehmigungsfreiheit der Geschäfte des Vormunds 173. Gewendet auf diesen Fall trifft es zwar zu, dass die Verschuldenshaftung über die (bereichsspezifischen) Generalklauseln der §§ 823, 826 BGB angeordnet wird und die Gefährdungshaftung nur im Rahmen eng umschriebener Tatbestände eingreift. Ein Ersatzanspruch wird also nahezu umfassend über die Verschuldenshaftung gewährt und nur partiell über spezialgesetzlich enumerierte Gefährdungshaftungstatbestände. Diese beiden unterschiedlichen Haftungsregime stehen aber dennoch in keinem Regel-AusnahmeVerhältnis. Denn anders als im Fall des § 935 Abs. 2 BGB ist die Gefährdungshaftung erstens nicht nur dann zu prüfen, wenn der vermeintliche Grundsatz der Verschuldenshaftung einschlägig ist, sondern wird auch – und in der Praxis gerade – dann relevant, wenn die Voraussetzungen der Verschuldenshaftung nicht erfüllt sind. Und zweitens führt die Verwirklichung eines Gefährdungshaftungstatbestandes anders als bei § 935 Abs. 2 BGB nicht dazu, dass die vermeintliche Regel der Verschuldenshaftung durchbrochen wird, sondern es bestehen im Fall ihrer Verwirklichung zwei ideal konkurrierende Schadensersatzansprüche nebeneinander. Gefährdungshaftung und Verschuldenshaftung sind also voneinander unabhängige Haftungstatbestände, die eine Parallelexistenz führen. 174 Dies macht der Ausdruck „Zweispurigkeit des Haftpflichtrechts“ 175 deutlich. Soweit von ei169
Vgl. nur BGH (Urt. v. 7. 11. 1974 – III ZR 107/72), BGHZ 63, 234 (237). Dies ist jedenfalls in dieser Allgemeinheit sehr zweifelhaft. Heck (1914) meint, keine zweite Formel habe so viel Unheil angerichtet und so viel verfehlte Erkenntnisse verschuldet (S. 186); sie sei daher ohne Wert und bestenfalls als „hermeneutische Eselsbrücke“ verwendbar (S. 188 f.). Spezifisch für das Haftungsrecht formuliert Deutsch (1969), S. 392: „Es gibt keinen Satz der Methodenlehre, der es dem Richter verwehrt, Haftungen aus Einzelgesetzen analog auf andere vergleichbare Fallgruppen zu übertragen.“ In diesem Sinne auch Deutsch (1971b), S. 2. Ganz grundsätzliche Erwägungen zu dieser Frage finden sich bei: Canaris (1964, 1983), S. 181 ff. 171 Larenz (1991), S. 355 f. 172 Beispiel nach Larenz (1991), S. 355. 173 Beispiel nach Canaris (1964, 1983), S. 184. 170
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nem Ausnahmecharakter der Gefährdungshaftung die Rede ist, ist dieser Begriff allein in Bezug auf die zeitlich spätere gesetzliche Einführung der Gefährdungshaftung als zusätzliches zweites Haftungsregime neben der dem deutschen Recht seit je her bekannten Verschuldenshaftung richtig, nicht aber im Hinblick auf ihre rechtsdogmatische Wirkungsweise. Soweit die Gerichte verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Analogiebildung erheben, wurden diese vom Reichsgericht und in Anlehnung daran anfangs auch vom Bundesgerichtshof auf das Argument gestützt, der Gesetzgeber habe überall dort, wo er es für erforderlich halte, eine Gefährdungshaftung angeordnet. Im Umkehrschluss folge aus der Nichtanordnung, dass der Gesetzgeber insoweit eine Gefährdungshaftung für nicht erforderlich halte und deshalb ablehne. Eine gerichtliche Analogie verstoße daher zwangsläufig gegen den Willen des Gesetzgebers und sei aus diesem Grund unzulässig. 176 Diese Folgerung ist jedoch unzutreffend. Der Katalog der Gefährdungshaftungstatbestände stellt keine abgeschlossene Gesamtkonzeption dar, sondern unterliegt seit mehreren Gesetzgebergenerationen einer kontinuierlichen Entwicklung. Diese ist nicht zuletzt auf den technologischen Fortschritt zurückzuführen. So war beispielsweise der Betrieb von Atomkraftwerken für den Gesetzgeber des frühen 20. Jahrhunderts nicht vorhersehbar und folglich auch nicht regelungsbedürftig. Allein aus der fehlenden Anordnung einer Gefährdungshaftung für eine bestimmte Art der Schädigung darf deshalb nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber durch sein momentanes Schweigen eine Regelung bewusst ablehne. Denn der Wille des Gesetzgebers ist durch dieses Schweigen nicht notwendigerweise für alle Zeiten fixiert. 177 Symptomatisch dafür ist die Entwicklung des Haftungsrechts im Fall des Starkstromkabels, das der oben angesprochenen reichsgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahre 1935 zugrunde lag. Nur acht Jahre nach diesem Urteil, in dem das Reichsgericht eine Analogiebildung unter Verweis darauf verweigert hatte, dass das Schweigen des Gesetzgebers beredt und somit als gezielte Ablehnung einer Gefährdungshaftung für den Schäden durch Stromkabel zu deuten sei, trat zum 1. September 1943 § 1a RHaftPflG in Kraft, der eine Gefährdungshaftung unter anderem für solche Schäden einführte, die auf die Wirkung von Elektrizität zurückgehen. 178 Das Schweigen des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des Urteils stellte 174 So auch Bauer (1975), die von sich „sinnvoll ergänzende[n] Haftungsprinzipien“ (S. 311) und „Ausformungen zweier verschiedener, selbständiger Haftungsprinzipien“ (S. 318) spricht. In diesem Sinne auch: Larenz (1981), S. 700; Kötz (1981), S. 1792 und Deutsch (1981), S. 317. 175 Dieser Begriff geht zurück auf Esser (1953), S. 129. Die bei Kötz (1970), S. 39 und Kötz (1981), S. 1792 aufgestellte These, die Gefährdungshaftung sei von gleicher „Dignität“, geht Larenz / Canaris (1994), S. 608 f. dagegen in Anbetracht der bloßen Enumeration der Gefährdungshaftungstatbestände „zu weit“. 176 RG (Urt. v. 11. 04. 1935 – VI 540/34), RGZ 147, 353 (356); BGH (Urt. v. 24. 01. 1958 – VI ZR 291/56), VersR 1958, 194 (194). 177 Statt vieler: Bauer (1975), S. 305; Will (1980), S. 108.
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also keine gezielte Negativregelung für den Bereich von Stromkabeln dar, sondern eine bloße Nichtregelung. Der Bundesgerichtshof wandelte dieses Argument später etwas ab und vertrat in einem Urteil von 1971 die Auffassung, die Gerichte nähmen durch die Einführung völlig neuer Gefährdungshaftungstatbestände gesetzgeberische Aufgaben wahr und überschritten so ihre verfassungsmäßigen Grenzen. 179 Es ist fraglos zutreffend, dass die Gerichte, wenn sie das Recht im Wege des Analogieschlusses ergänzen, zu einem gewissen Grad rechtsetzend tätig werden und somit letztlich gesetzgeberische Aufgaben wahrnehmen. Die Statuierung eines Verbots jeglicher Analogie zu den bestehenden Gefährdungshaftungstatbeständen stellt jedoch keine adäquate Reaktion auf dieses rechtsmethodische Faktum dar, da sie ausschließlich einseitig auf das Verbot der rechtsetzenden Tätigkeit durch die Gerichte abstellt. Dabei wird außer acht gelassen, dass der Richter sich in derartigen Fällen in einem Zwiespalt zwischen zwei verfassungsrechtlichen Postulaten befindet, sich nämlich einerseits nicht zum Normgeber aufzuschwingen und die vom Gesetzgeber erlassenen Gesetze nicht zu verändern und andererseits Rechtsanwendungsgleichheit zu verwirklichen. Durch ein umfassendes Analogieverbot wird dem Richter pauschal der Rückgriff auf eine – unter dem Gebot der Gleichbehandlung eventuell erforderliche – Analogie versagt und er wird gezwungen, vergleichbare Fälle ungleich zu behandeln. Daher hat ein Analogieverbot immer etwas „Anstößiges“ 180 und bedarf einer besonderen Rechtfertigung, d. h. es müssen Gründe erheblicher Tragweite für die Abgeschlossenheit einer Regelung sprechen. 181 Ein solcher liegt in der Regel nur dann vor, wenn sich ein dementsprechender Wille des Gesetzgebers ausmachen lässt. Auch in dieser Hinsicht ist aber wieder auf die dynamische Entwicklung des Gefährdungshaftungsrechts zu verweisen. Kein Gesetzgeber kann die zukünftige technische Weiterentwicklung absehen, sodass er – als Kind seiner Zeit – immer wieder tätig geworden ist und, auf neue Entwicklungen reagierend, 178
Gesetz zur Änderung des Rechtshaftpflichtgesetzes vom 15. 08. 1943 (RGBl. I, S. 489). Durch Art. 1 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 16. 08. 1977 (BGBl. I, S. 1577) wurde diese Haftung für gefährliche Anlagen neu gestaltet. Die geänderte, aber in Bezug auf den Regelungsinhalt vergleichbare Fassung wurde später als § 2 HaftPflG bekannt gemacht (Gesetz vom 4. 01. 1978, BGBl. I, S. 145). Ironischerweise ist die Situation auch in dem angesprochenen Fall von 1958 ähnlich. In eben diesem Jahr wurde ein Referentenentwurf vorgelegt, der in Abs. 2 eine Erweiterung der Gefährdungshaftung des § 1a RHaftPflG auch auf Wasserleitungen vorsah (Wiedergabe im Rahmen von: BGH [Urt. v. 25. 01. 1971 – III ZR 208/68], VersR 1971, S. 452 [453]). Dieser Erweiterungsvorschlag wurde mit Wirkung zum 1. 01. 1978 in § 2 HaftPflG gesetzlich umgesetzt (Gesetz vom 4. 01. 1978, BGBl. I, S. 145). 179 BGH (Urt. v. 25. 01. 1971 – III ZR 208/68), BGHZ 55, 229 (234). 180 Canaris (1964, 1983), S. 183. Canaris (1964, 1983), S. 184: „... [I]m Zweifel ist die Annahme eines Analogieverbotes abzulehnen.“ 181 Canaris (1964, 1983), S. 183 f.
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immer neue Gefährdungshaftungstatbestände gesetzlich normiert hat. Die spezialgesetzlichen Anordnungen von Gefährdungshaftungen gehen also nicht auf einen nur zu einem Zeitpunkt planvoll handelnden Normsetzer zurück, sondern auf die jeweiligen Erfordernisse aktueller Entwicklungen. Ein einheitlicher oder gar abschließender gesetzgeberischer Wille lässt sich mithin nicht ausmachen. Mit den Worten Michael Wills gesprochen, entstand vielmehr im Gefährdungshaftungsrecht „... Stück für Stück ein Flickenteppich, dessen systemstürzender Grundton erst mit der Zeit aufzuleuchten begann.“ 182 Weder die spezialgesetzliche Regelung der Gefährdungshaftungstatbestände als vermeintliche Ausnahmetatbestände noch die verfassungsrechtlichen Vorgaben verbieten deshalb abstrakt jede Analogiebildung im Rahmen der Gefährdungshaftung. Dass sich die Rechtsprechung dennoch absolut und unabhängig vom Einzelfall auf die Unzulässigkeit einer Analogiebildung beruft, ist – wie ClausWilhelm Canaris es formulierte – ein des Öfteren zu beobachtendes Phänomen, da sie „... sich auf diese Weise die Mühe einer genauen Begründung erspart.“ 183 Eine solche Tendenz wird auch hier deutlich: Obwohl die Obergerichte die Ausdehnung der Gefährdungshaftung auf die zu beurteilenden Fälle an sich durchaus befürworteten, 184 scheuen sie sich, dem ausgemachten Missstand durch analoge Anwendung von Gefährdungshaftungstatbeständen aktiv zu begegnen. Bezeichnend dafür ist eine Äußerung des OLG Karlsruhe in einem Urteil aus dem Jahre 2003. In dem Fall war auf dem Rhein ein Tragflächenboot mit einem Surfer kollidiert, wobei dieser schwerste Verletzungen an beiden Beinen davongetragen hatte: „Eine Gefährdungshaftung besteht im Bereich des Binnenschifffahrtsrechts – so sehr man dies auch gerade hinsichtlich besonders schneller Wasserfahrzeuge wie Tragflächen- oder Jetbooten bedauern mag – nicht.“ 185 Diese lapidare Feststellung ist die einzige Aussage, die sich in der Urteilsbegründung zu der Frage einer möglichen Gefährdungshaftung findet. Eine Analogiebildung zog das Gericht nicht einmal mehr in Erwägung – was dem entscheidenden Senat allerdings im Hinblick auf die seit Jahrzehnten gefestigte ablehnende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kaum zum Vorwurf gemacht werden kann. Anders als von der ständigen Rechtsprechung behauptet, besteht aber tatsächlich überhaupt kein Analogieverbot. Die Zulässigkeit einer Analogie hängt damit allein davon ab, ob die allgemeinen Analogievoraussetzungen erfüllt sind.
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Will (1980), S. 109. Canaris (1964, 1983), S. 181. Dort finden sich auch Nachweise zu in dieser Hinsicht repräsentativen Fällen. 184 Vgl. nur RG (Urt. v. 11. 04. 1935 – VI 540/34), RGZ 147, 353 (354) oder BGH (Urt. v. 25. 01. 1971 – III ZR 208/68), BGHZ 55, 229 (233): „Die Notwendigkeit, eine Haftung ohne Verschulden auch für Schäden vorzusehen, die auf einen nicht ordnungsgemäßen Zustand einer Wasserleitung zurückzuführen sind, ist mithin seit langem anerkannt.“ 185 OLG Karlsruhe (Urt. v. 19. 04. 2002 – 1 U 1/02 RhSch), VersR 2003, 752 (753). 183
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(2) Dafür müsste zunächst eine Gesetzeslücke vorliegen. Unter einer Gesetzeslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes zu verstehen. 186 Unvollständig unter Zugrundelegung des hier verfolgten ökonomischen Ansatzes ist die gesetzliche Regelung zur Gefährdungshaftung insoweit, als sie nicht umfassend alle Fälle erfasst, in denen die Steuerung des Aktivitätsniveaus des Schädigers wichtiger ist als die der Aktivität des Geschädigten. Dies ist immer dann der Fall, wenn dem Verhalten des Schädigers, obwohl der Schädiger mit der geforderten Sorgfalt V ◦ handelt, noch immer eine erhöhte Schädigungswahrscheinlichkeit innewohnt. Diese Lücke entspricht auch nicht dem Regelungsplan des Gesetzgebers. Dieser ergibt sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung. 187 Der Gesetzgeber hat den Gefährdungshaftungstatbeständen den Gedanken zugrunde gelegt, dass die Gefährdungshaftung solche Tätigkeiten erfassen soll, die trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt durch den Handelnden nicht vollständig beherrscht werden und von denen dementsprechend trotzdem nicht nur unerhebliche Gefahren ausgehen. Wer im Bewusstsein dieser Risiken eine derartige Gefahrenquelle schaffe, sei zu verpflichten, den daraus entstehenden Schaden auch zu ersetzen. 188 Der Gesetzgeber hat weiterhin nie zum Ausdruck gebracht, dass er alle Situationen, die unter diesen von ihm zum Ausgangspunkt seiner Regelungen gemachten Gedanken fallen, abschließend einer Gefährdungshaftung unterworfen zu haben meint. Auch das gesetzgeberische Vorgehen deutet nicht darauf hin, dass der bestehende „Flickenteppich“ 189 der Gefährdungshaftung diesem Anspruch gerecht werden solle. Denn der Gesetzgeber hat bislang bestimmte, regelmäßig neu entstandene Gefahren aufgegriffen, diese mit geregelten Gefährdungstatbeständen verglichen und auf dieser Grundlage entschieden, ob auch in dem neuen Fall die Anordnung einer Gefährdungshaftung geboten ist. 190 Nach der dem Gefährundungshaftungsrecht immanenten Teleologie erscheint es daher zulässig, die bestehende Regelung auf solche Fälle auszudehnen, die mit den gesetzgeberischen Grundüberlegungen übereinstimmen. (3) Die Übertragung der Rechtsfolge eines oder mehrerer vergleichbarer gesetzlicher Tatbestände auf einen anderen, gesetzlich nicht geregelten Tatbestand setzt 186 Diese Definition geht zurück auf Hans Elze (1916), S. 4. Eingehend zum Begriff der Lücke: Canaris (1964, 1983), S. 16, 31 ff. 187 Canaris (1964, 1983), S. 32; Larenz (1991), S. 373. 188 In diesem Sinne schon: Verhandlungen des Reichstags, 12. Legislaturperiode, Stenographischer Bericht 1914, Band 294, 234. Sitzung, S. 8049 (Zwischenrufe weggelassen) (für die Haftung im Rahmen des LuftVG). So auch: BT-Drucks. 3/759, S. 35 (für die Haftung nach dem AtomG) oder BT-Drucks. 8/108, S. 6 (für die Haftung nach dem HaftPflG); dazu umfassend: Teil 3 A. II. 1. b) bb). 189 Will (1980), S. 109. 190 Exemplarisch sei dazu auf das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf den Gefährdungshaftungstatbestand im LuftVG verwiesen: Verhandlungen des Reichstags, 12. Legislaturperiode, Stenographischer Bericht 1914, Band 294, 234. Sitzung, S. 8047 –8058.
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weiterhin voraus, dass in der für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Hinsicht die Interessenlage (ratio legis) beider Tatbestände vergleichbar zu bewerten ist. 191 (a) Dies kann nur im Wege der Gesamtanalogie erfolgen. Denn das Ziel des Vorgehens ist es nicht, die Gefährdungshaftung von einem spezifisch normierten Tatbestand auf einen anderen, diesem wertungsmäßig gleich zu erachtenden Tatbestand zu übertragen. Stattdessen soll der Gesamtheit der gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die Rechtsfolge der Gefährdungshaftung anknüpfen, ein allgemeiner Rechtssatz entnommen werden, der auf gesetzlich nicht geregelte Sachverhalte wertungsmäßig genauso zutrifft und daher übertragen werden soll. 192 Nur weil der hier dementsprechend maßgebliche Vergleichsmaßstab des gesamten Gefährdungshaftungsrechts enumerativ geregelt und über viele Gesetze verstreut ist, fehlt diesem jedeoch nicht schon zwangsläufig jede innere Einheit. Es existiert vielmehr eine Vielzahl verschiedener Ansätze, über die versucht wird, die dogmatischen Eigentümlichkeiten der Gefährdungshaftung auf allgemeine Grundgedanken zurückzuführen, um so der Gefährdungshaftung ein rechtspolitisches Fundament zu legen: So werden als solche etwa der Vorteil des Schädigers aus der Nutzung der Gefahrenquelle, die bessere Kalkulierbarkeit und Versicherbarkeit des Risikos für den Schädiger, die Nähe des Schädigers zur Gefahrenquelle und die damit verbundene Beweisnot des Geschädigten, die Unausweichlichkeit der Gefahr für den Geschädigten oder die Beherrschung der Gefahrenquelle durch den Schädiger ausgemacht. 193 Die dogmatische Rechtfertigung der Gefährdungshaftung besteht demnach in einer Fülle von Gesichtspunkten, die sich in den einzelnen Gefährdungshaftungstatbeständen mal mehr und mal weniger intensiv ausmachen lassen. So ist der Aspekt, dass die Gefahr für den Geschädigten unausweichlich ist, im Fall eines explodierenden Atomreaktors oder eines abstürzenden Flugzeugs nicht von der Hand zu weisen. Ein Selbstschutz erscheint in diesen 191
Larenz (1991), S. 381; Bydlinski (1991), S. 477 f. Eingehend zum Begriff der Gesamtanalogie: Larenz (1991), S. 383 f. 193 Übersichten über die verschiedenen Konzepte finden sich (jeweils mit weiteren Nachweisen zur Herleitung der Konzepte) bei: v. Caemmerer (1971), S. 15 f.; Brüggemeier (1982), S. 400 f.; Blaschczok (1993), S. 45 – 69. Häufig genannt wird auch der Aspekt der Erlaubtheit der Gefährdung / des Risikos. Formulierungen wie, die Gefährdungshaftung sei gleichsam der Preis für die Zulassung der Gefahrenquelle (Larenz [1963], S. 597) oder „... [d]ie Erlaubnis der Gefährdung wird von einer Ersatzpflicht kompensiert“ (Deutsch [1981], S. 318), implizieren, dass die mit einer Gefährdungshaftung belegten Tätigkeiten nur deshalb überhaupt rechtlich erlaubt seien und „an sich“ verboten gehören. Dies mutet jedoch für solche gesetzlich geregelten Gefahren wie Haustiere, Arzneimittel oder Kraftfahrzeuge zumindest merkwürdig an. Außerdem ist die Prämisse, die Gefährdungshaftung stelle eine positive Erlaubnis eines Verhaltens dar, insofern unzutreffend, als die Gefährdungshaftung keineswegs nur bei rechtmäßigem, sondern durchaus auch bei unrechtmäßigem Verhalten (= unerlaubte Handlung) eingreift. Dazu: Blaschczok (1993), S. 48 f.; Larenz / Canaris (1994), S. 606. 192
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Konstellationen nicht mit zumutbaren Mitteln möglich. Anders verhält sich dies jedoch beispielsweise bei einer Schädigung infolge eines Unfalls zwischen einem Motorrollerfahrer und einem Fußgänger. Hier hat der geschädigte Fußgänger durchaus die Möglichkeit, Maßnahmen zur Vermeidung des Schadenseintritts zu treffen, z. B. durch einen Sprung auf den Bürgersteig. Die Nähe des Schädigers zur Gefahrenquelle und eine daraus resultierende Beweisnot des Geschädigten besteht zweifellos in Fällen wie der Produkthaftung. Der herstellende Schädiger kann hier in der Regel bis ins Detail zurückverfolgen, wo genau der Fehler des Produkts verursacht wurde. Im Fall einer artgerecht gehaltenen Katze, die selbständig durch die Gärten der Nachbarschaft streift und dabei irgendwann einmal die Jacke eines Passanten mit ihren Krallen beschädigt, ist der Schädiger hingegen nicht per se besser als der Geschädigte in der Lage, die Schädigung aufzuklären. Ein einzelnes Prinzip, das für alle gesetzlich geregelten Gefährdungshaftungstatbestände „die“ ratio legis bildet, lässt sich also unter diesen Erklärungsversuchen nicht ausmachen; keiner der unterschiedlichen Ansätze kann Universalität für sich beanspruchen. Sie können das Gefährdungshaftungsrecht vielmehr nur kombinatorisch in dem Sinne ausdeuten, dass zur Erklärung des jeweiligen Haftungstatbestandes mehrere, wenn auch nicht notwendig alle, der genannten Gesichtspunkte zusammenwirken, wobei die Stärke des einen die Schwäche des anderen im konkreten Fall ausgleichen kann. 194 Ein solches schwer fassbares Konglomerat von ausschlaggebenden Prinzipien, dessen Schwerpunkt bei jedem einzelnen Tatbestand auf einem individuell neu zu bestimmenden Teilbereich liegt, verhindert aber die Ausbildung einer einheitlichen ratio legis für das gesamte Gefährdungshaftungsrecht. Denn daraus resultiert, dass die aus rechtsmethodischer Sicht erforderliche Prüfung unmöglich wird, ob die Interessenlage in dem konkreten Schädigungsfall, auf den die Gefährdungshaftung erstreckt werden soll, mit derjenigen bei den gesetzlich geregelten Gefährdungshaftungstatbeständen vergleichbar ist. Die einzige Möglichkeit, ein einheitliches Leitprinzip der Gefährdungshaftung zu ermitteln, besteht darin, die Abstraktion von den einzelnen Tatbeständen und den historischen Zufälligkeiten ihrer Gesetzgebung noch eine Stufe höher zu treiben und so aus den bisher angeführten Ansätzen die gemeinsame Schnittmenge zu ermitteln. Auf dieser (Meta-)Ebene lässt sich als „dogmatisches Zentrum der Gefährdungshaftung“ 195 das Kriterium der besonderen Gefahr ausmachen. 196 194 Wilburg (1941), S. 26 ff.; v. Caemmerer (1971), S. 16; Larenz / Canaris (1994), S. 606. 195 Larenz / Canaris (1994), S. 607. 196 Allgemeine Ansicht, dazu nur: Kötz (1970), S. 21, 28 ff.; Larenz / Canaris (1994), S. 607; Zeuner, in: Soergel (1996), Vor § 823, Rdnr. 12; Esser / Weyers (2000), S. 129 f.; Deutsch / Ahrens (2002), Rdnr. 359; Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Vor § 823, Rdnr. 21. Kritisch aber Blaschczok (1993), S. 53 ff., der unter anderem kritisiert, dass die Gefährdungshaftungstatbestände nicht alle besonders gefährlichen Tätigkeiten erfassen, sondern
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(b) Ausgehend von diesem Kriterium der besonderen Gefahr ist zu überprüfen, ob die Interessenlage mit den geregelten Fällen vergleichbar ist. Der logisch erste Schritt besteht darin zu klären, was die Besonderheit einer Gefahr ausmacht und wie sie im Einzelnen zu bestimmen ist. Als besonders wird eine Gefahr angesehen, die über die Gefahren des täglichen Lebens hinausgeht und zwar entweder hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts oder hinsichtlich der Höhe des drohenden Schadens. 197 Auch auf Basis dieser Begriffsbestimmung lässt sich aber die Frage nicht eindeutig klären, ob eine Gefahr einer gesetzlich geregelten Gefahr hinreichend ähnelt und somit das Kriterium der Besonderheit erfüllt ist, das die Anordnung einer Gefährdungshaftung zwar nicht zwingend gebietet, aber jedenfalls legitimieren kann: „Die Grenze zwischen gefährlichen und ungefährlichen Anlagen und Betrieben ist höchst zweifelhaft und flüssig.“ 198 Diese Weite und Unbestimmtheit rührt daher, dass das für die Gefährdungshaftung einheitliche Kriterium der besonderen Gefahr erst im Wege der (nochmaligen) Abstraktion aus noch relativ spezifischen, aber eben nicht universalen Prinzipien ermittelt wurde. Das führt dazu, dass die „besondere Gefährlichkeit“ zwar die Gefährdungshaftung endlich umfassend erklären kann, aber gleichzeitig so weit und unbestimmt ist, dass darüber eine Ausweitung der Gefährdungshaftung auf eine unabsehbare Vielzahl von weiteren Tatbeständen, die als ebenso gefährlich wie die gesetzlich geregelten angesehen werden, möglich wird. 199 Eine umfassende Ausrichtung der Gefährdungshaftung am Maßstab der besonderen Gefahr würde somit dazu führen, dass das Regime der Gefährdungshaftung im Wege der Analogie de lege lata weit über die tatsächlich gesetzlich geregelten Tatbestände hinaus auf alle (vermeintlich) besonders gefährlichen Tätigkeiten ausgedehnt werden könnte. Durch die Bildung einer solchen Gesamtanalogie am konturenlosen Maßstab der besonderen Gefahr würde das gesetzgeberisch ausgebildete, eng umrissene Enumerationsprinsie nur teilweise regeln würden, während aber ebenso gefährliche Tätigkeiten ungeregelt blieben (S. 54 f.). Das Argument muss aber vom Kopf auf die Füße gestellt werden und verliert dadurch seinen Angriffspunkt. Es geht hier allein darum, ob der Oberbegriff „besondere Gefahr“ Anknüpfungspunkt für alle Gefährdungshaftungstatbestände ist, nicht aber umgekehrt darum, ob alle besonders gefährlichen Tätigkeiten tatsächlich von einer Gefährdungshaftung erfasst werden (was allerdings aus Gründen gesetzgeberischer Konsequenz unzweifelhaft wünschenswert wäre). 197 Allgemeine Ansicht (im Einzelnen durchaus mit geringen Unterschieden, die hier aber nicht relevant werden und auf die daher nicht eingegangen wird), dazu nur: Kötz (1970), S. 29; Kötz (1981), S. 1797 f.; Larenz / Canaris (1994), S. 607; Deutsch / Ahrens (2002), Rdnr. 359. 198 Enneccerus / Nipperdey (1960), S. 1343. Ähnlich: Enneccerus / Lehmann (1958), S. 928. In diesem Sinne auch Larenz (1981), S. 702: „Nun ist aber das Leben in der modernen, hochtechnisierten Gesellschaft von mannigfachen Gefahren verschiedenster Art bedroht; wann ist eine Gefahr in solchem Maße eine ‚besondere‘, daß eine Risikoabnahme angezeigt erscheint?“ 199 Vgl. nur die Aufzählung bei Kötz (1981), S. 1786 f. Tendenziell auch schon Kötz (1970), S. 30.
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zip der Gefährdungshaftung unterminiert und auf diese Weise am Gesetzgeber vorbei eine verdeckte gefährdungshaftungsrechtliche Generalklausel eingeführt werden. Auch wenn das vom Gesetzgeber gewählte Enumerationsprinzip für die Gefährdungshaftung – anders als von der Rechtsprechung angenommen – nicht jede Bildung einer Einzelanalogie pauschal verbietet, beschränkt die kasuistische Aufzählung der einzelnen Tatbestände den Rechtsanwender aber doch insoweit, als er diese Wertung nicht dadurch aushebeln darf, dass er induktiv im Wege der Gesamtanalogie eine vom Gesetzgber so nicht vorgesehene Generalklausel schafft: „... [D]ie Durchbrechung des Katalogs mit Hilfe einer Generalklausel ist unzulässig, die Gleichstellung eines rechtsähnlichen Sondertatbestandes dagegen erlaubt.“ 200 Eine aus ökonomischer Sicht anzustrebende umfassende Erstreckung des Regimes der Gefährdungshaftung auf alle Fälle des Vorliegens einer „besonderen Gefahr“ im Wege der Gesamtanalogie ist deshalb nicht zulässig. 201 Die bestehende Haftungsregelung, die sich de lege lata nicht an die aus ökonomischer Sicht optimale anpassen lässt, weist Steuerungsdefizite im Bereich des Aktivitätsniveaus des potentiellen Schädigers auf. Die Steuerung des Vorsorgeniveaus im engeren Sinne hingegen wird durch die überwiegend geltende Verschuldenshaftung mit Mitverschuldenseinwand, die teilweise von einer Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand begleitet wird, gewährleistet. b) Bestimmung der Fahrlässigkeit über die Learned-Hand-Formel aa) Der Eintritt der Verschuldenshaftung ist im Bereich der fahrlässigen Schädigung davon abhängig, ob der Schädiger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB (V ◦ ) eingehalten hat oder nicht. 202 Damit dem Schädiger Anreize zu gesamtgesellschaftlich wünschenswertem Vorsorgeverhalten gesetzt werden, ist es notwendig, den rechtlich geforderten Vorsorgewert V ◦ mit Hilfe der marginalisierten Learned-Hand-Formel entsprechend dem effizienten Vorsorgewert V ∗ zu bestimmen. Die Kosten der letzten durch den Schädiger getroffenen Einheit an Vorsorge müssen gleich dem dadurch erzielten Nutzen in Gestalt vermiedenen Schadens sein: V ∗ = W(V ∗ ) × S . 203 Zu klären ist nun, ob sich die tatsächliche Beurteilung der Verschuldensfrage durch die Gerichte im Einzelfall an diese ökonomische Vorgabe hält. Schon 200
Canaris (1964, 1983), S. 185. Enneccerus / Lehmann (1958), S. 928; Giesen (1968), S. 1404; Larenz / Canaris (1994), S. 601 f.; Hager, in: Staudinger (1999), Vorbem zu §§ 823 ff, Rdnr. 29. Eine Gesamtanalogie ohne die hier vorgenommene Einschränkung hingegen befürwortend: Bauer (1975), S. 310 ff.; Koziol (1975), S. 183 ff.; Koziol (1988), S. 146 f. 202 Dies gilt entsprechend auch für die Frage des Mitverschuldens sowohl unter dem Regime einer Verschuldens- als auch unter dem einer Gefährdungshaftung. Dazu: Teil 2 A. III. 1. b) bb) und c) bb). 203 s. o., vgl. Teil 2 A. II. 1. c), Teil 2 A III. 1. c), Teil 2 A. III. 2. b). 201
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früh in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs findet sich ein Urteil, in dem der VI. Zivilsenat in Bezug auf die zu treffenden Vorsorgemaßnahmen abwägende Überlegungen anstellte: „Je größer die Gefahren sind, um so höher sind die Anforderungen, die in dieser Hinsicht an ihn [den Schädiger, der Verf.] zu stellen sind.“ 204 In der Tradition dieser Entscheidung urteilte derselbe Senat in der „Apfelschorf“-Entscheidung folgendermaßen: „Nicht jede entfernt liegende Möglichkeit einer Gefahr läßt bereits Sicherungs- und Warnpflichten entstehen [...]. Andererseits darf der Hersteller nicht abwarten, bis erhebliche Schadensfälle eingetreten sind, bevor er Gegenmaßnahmen trifft. Eine Gefahr muß, wenn sie Abwehrpflichten auslösen soll, nicht schon konkret greifbar sein. Inhalt und Umfang einer Warnung und auch ihr Zeitpunkt werden wesentlich durch das jeweils gefährdete Rechtsgut bestimmt und sind vor allem von der Größe der Gefahr abhängig.“ 205
Zur Frage, welche Vorsorgemaßnahmen erforderlich sind, stellte der VI. Zivilsenat erstens mit dem gefährdeten Rechtsgut auf den Erwartungswert des Schadens S und zweitens mit der Größe der Gefahr auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts W(V) ab. Vergleichbare Erwägungen finden sich in einer Vielzahl von Entscheidungen. 206 So setzte der Senat etwa die Kosten für eine Vorsorgemaßnahme, die den Eintritt des konkret eingetretenen Schadens verhindert hätte, zu der Schwere der eingetretenen Verletzung ins Verhältnis. Er hielt dabei das Treffen der Vorsorgemaßnahme für „ohne weiteres“ erforderlich, selbst wenn eine Verletzung wie die eingetretene fernliegend sei. 207 Der Bundesgerichtshof setzt also durchaus die Abwägung von Kosten und Nutzen einer Vorsorgemaßnahme ein, um die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt zu konkretisieren. Festzuhalten ist aber auch, dass trotz einer Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen, die sich mit dieser Frage beschäftigen, kein einziger Fall ersichtlich ist, der tatsächlich mit Hilfe der Learned-Hand-Formel auf der Basis einer konkret bezifferten Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen entschieden wurde. 208 Die Rechtsprechung 204
BGH (Urt. v. 26. 05. 1954 – VI ZR 4/53), VersR 1954, 364 (365). BGH (Urt. v. 17. 03. 1981 – VI ZR 191/79), BGHZ 80, 186 (191 f.) – „Apfelschorf“ (Nachweise weggelassen). 206 So beispielsweise: BGH (Urt. v. 23. 01. 1975 – VII ZR 137/73), NJW 1975, 685 (686); BGH (Urt. v. 15. 02. 1977 – VI ZR 71/76), NJW 1977, 1057 (1057); BGH (Urt. v. 21. 02. 1978 – VI ZR 202/76), VersR 1978, 561 (562); BGH (Urt. v. 29. 11. 1983 – VI ZR 137/82), NJW 1984, 801 (802); BGH (Urt. v. 27. 02. 1996 – VI ZR 86/95), NJW 1996, 1404 (1405); BGH (Urt. v. 18. 03. 1997 – VI ZR 91/96), NJW 1997, 1047 (1048); einschränkend für objektiv sehr unwahrscheinliche, lediglich abstrakte Gefahren: BGH (Urt. v. 11. 04. 1978 – VI ZR 259/76), VersR 1978, 721 (721). 207 BGH (Urt. v. 21. 02. 1978 – VI ZR 202/76), VersR 1978, 561 (562). 208 Kötz / H.-B. Schäfer (1992), S. 355 führen als Ausnahme die Entscheidung des BGH (Urt. v. 29. 11. 1983 – VI ZR 137/82), NJW 1984, 801 – „Eishockey-Puck“ an. Dieses Urteil bildet jedoch nur eine scheinbare Ausnahme. Zwar werden hier immerhin die Kosten der Vorsorgemaßnahmen V auf 110.000 bis 150.000 DM mehr oder weniger konkret beziffert. 205
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beschränkt sich vielmehr auf die gerade dargestellten vagen Vorgaben, die keine konkrete Lösung eines Falls ermöglichen, sondern allenfalls als Orientierungshilfe herangezogen werden können. Obwohl die Gerichte weder exakt mathematische Kosten-Nutzen-Relationen anstellen noch sich explizit ökonomischer Formulierungen und Argumentationen bedienen, meinen die Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts dennoch, dass die Entscheidungen der Rechtsprechung im Ergebnis größtenteils mit den ökonomischen Postulaten übereinstimmen und dass letztlich die „verwendeten Gerechtigkeitsargumente und Rechtsprinzipien sich zu einem großen Teil auf das Effizienzprinzip zurückführen lassen“ 209. 210 Das Fehlen einer streng ökonomischen Analyse sei ganz „[n]atürlich“ 211. Dennoch sei es den Gerichten auch abseits einer derart konkreten Relation von Kosten und Nutzen über intuitive Schätzungen und verständige Annahmen möglich, Abwägungen zu treffen und über diese den Sorgfaltsstandard zu bestimmen. Das durch die Gerichte über eine solche untechnische Abwägung ermittelte Ergebnis sei dabei nicht weniger wirksam. Die von der Rechtsprechung entwickelten Lösungen hätten daher regelmäßig vor dem Maßstab des Effizienzkriteriums Bestand und seien deshalb ein Beleg dafür, „... daß sie nichts anderes als Konkretisierungen des Effizienzprinzips sind oder jedenfalls widerspruchslos auf das Effizienzprinzip zurückgeführt werden können...“ 212.
Der diesen Kosten gegenüberzustellende erwartete Nutzen der Vorsorgemaßnahme, der darin besteht, dass anwesende Zuschauer vor Verletzungen bewahrt werden, wird dagegen nicht in Geld bewertet. Für die Schadenswahrscheinlichkeit W führt der Bundesgerichtshof aus, dass sie nach Treffen der zusätzlichen Vorsorgemaßnahme bei 0,1 bis 0,2% liege, während es ohne diese Maßnahme „sehr viel häufiger“ zu einer Schädigung komme (S. 802). Eine exakte Taxierung unterbleibt aber. Die Höhe des Schadens S , der eintritt, wenn sich die Wahrscheinlichkeit realisiert, wird überhaupt nicht angesprochen. Eine Relation von Kosten und Nutzen im Sinne der Learned-Hand-Formel ist deshalb schon rechnerisch gar nicht möglich und wurde auch vom Gericht nicht in Erwägung gezogen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auch auf eine umfassende Abfrage der Datenbank „Juris“ im Hinblick auf die Inzidenz von Methoden und Ableitungen der ökonomischen Analyse in den Entscheidungen der obersten Bundesgerichte, die im Dezember 1993 von Eidenmüller (1995, 2005), S. 425 durchgeführt wurde und zu dem Ergebnis führte, dass sich die Rechtsprechung nicht explizit ökonomischer Argumente bedient. Zu diesem Schluss gelangt auch Kirchner (1991), S. 279. 209 Ott (1989), S. 28. 210 Adams (1985), S. 121 f.; H.-B. Schäfer / Ott (1986, 2005), S. 54, 160 f.; H.-B. Schäfer (1989), S. 20; Ott (1989), S. 28, 39; Kötz (1990a), S. 649 f.; H.-B. Schäfer (1992), S. 379 f.; Kötz / H.-B. Schäfer (1992), S. 355; Ott / H.-B. Schäfer (1999), S. 139 f.; Kötz / H.-B. Schäfer (2003), S. 5. Im Ansatz so auch: Esser / Weyers (2000), S. 172; Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Vor § 823, Rdnr. 42. 211 Kötz (1990a), S. 649; Kötz (1993), S. 61. 212 Ott (1989), S. 28. Noch pointierter H.-B. Schäfer (1992), S. 380: „... [N]iemals entsteht eine Abweichung oder gar ein Gegensatz zum Effizienzbegriff.“
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Ob richterliche Urteile im Ergebnis tatsächlich dem Effizienzkriterium entsprechen, ist eine empirisch überprüfbare Tatsache. Zur Veranschaulichung sei exemplarisch nur auf den „Wildschutzzaun“-Fall verwiesen, der in das Zentrum der rechtsökonomischen Untersuchungen gerückt worden ist. 213 Kern des Rechtsstreits war die Frage, ob das auf Schadensersatz verklagte Land Hessen verpflichtet war, einen Wildschutzzaun entlang eines Straßenstücks zu errichten, das für regen Wildwechsel bekannt war. 214 Der Bundesgerichtshof verneinte das Bestehen einer solchen Vorsorgeverpflichtung. Interessanterweise sind die Hauptvertreter der gerade dargestellten Ansicht, dass die Rechtsprechung grundsätzlich effizienzorientiert sei, gegenteiliger Auffassung. Sie meinen für diesen Fall durch eine Gegenüberstellung der Kosten eines Zaunes mit dem konkreten Nutzen, der aus der Vermeidung von Wildunfällen resultieren würde, nachweisen zu können, dass das Land Hessen unter dem Blickwinkel der Effizienz einen solchen Zaun hätte errichten müssen. 215 Sobald die vagen Aussagen der Rechtsprechung zur Abwägung der Vorsorgekosten mit dem Grad der Gefahr im Einzelfall konkretisiert werden müssen, kommt es also durchaus dazu, dass die Vertreter der ökonomischen Analyse nicht mehr mit den Ergebnissen der richterlichen Entscheidungen übereinstimmen. Aber selbst wenn man zu ihren Gunsten unterstellen mag, dass es sich bei diesem Fall nur um einen „Ausrutscher“ der Rechtsprechung gehandelt habe und die Majorität der gerichtlichen Entscheidungen den Anforderungen der Effizienz entspreche, lässt sich allein aus der faktischen Übereinstimmung im Ergebnis noch nicht allzu viel folgern. Denn der ökonomischen Analyse kommt bis zu einem gewissen Grad eine deskriptive Funktion zu, und dasselbe Ergebnis kann durchaus auf Grundlage völlig unterschiedlicher Motive erreicht werden. 216 So kann beispielsweise eine gerichtliche Verschärfung des Sorgfaltsstandards bei Unfällen im Straßenverkehr mit Kindern ihren Grund darin haben, dass das geschädigte Kind für seinen konkret erlittenen Schaden kompensiert (Ausgleich), dass das 213
BGH (Urt. v. 13. 07. 1989 – III ZR 122/88), BGHZ 108, 273 – „Wildschutzzaun“. Dass es hier um das Bestehen einer Verkehrspflicht und nicht um die Frage eines Verschuldens im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB ging, ist irrelevant. Im Hinblick auf die Kosten-Nutzen-Analyse sind die Verkehrspflichtverletzung und die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gleichzusetzen. Dazu nur: Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 823, Rdnr. 63 – 65. 215 Kötz / H.-B. Schäfer (1992), S. 355 f.; H.-B. Schäfer (1992), S. 377 ff.; Kötz / H.B. Schäfer (2003), S. 3 ff.; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 187 ff. Nicht verschwiegen werden soll, dass Kötz (1990b), S. 17 eben diese Entscheidung in einem Vortrag noch für „gewiß vernünftig“ hielt. Es ist allerdings zu konzedieren, dass er schon in der anschließenden Diskussion Zweifel daran anmeldete (S. 42 f.). Umfassende Erwägungen dazu, ob diese Entscheidung dem Effizienzkriterium gerecht wird oder nicht, finden sich bei: Taupitz (1996), S. 156 – 165. 216 Assmann (1989), S. 48; Blaschczok (1993), S. 289; Eidenmüller (1995, 2005), S. 473; Taupitz (1996), S. 121. 214
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geschädigte Kind vor den finanziellen Auswirkungen seines Handelns geschützt (Paternalismus) oder dass der schädigende Kraftfahrer durch Internalisierung aller entstehenden Kosten zu effizientem Vorsorgeverhalten induziert werden soll (Effizienz). 217 Dass sich das Ergebnis Schadensersatz unter Zugrundelegung eines bestimmten Motivs (hier: Effizienz) erreichen lässt, ist zwar notwendige Bedingung dafür, dass dieses Motiv für die Entscheidung überhaupt ausschlaggebend gewesen sein kann, nicht aber hinreichende Bedingung dafür, dass es dies auch tatsächlich war. Der Rückschluss von einem Ergebnis, welches sich auch unter Zugrundelegung des Effizienzkriteriums erreichen lässt, darauf, dass der Entscheidung tatsächlich Effizienz zugrunde gelegt worden ist, ist somit logisch nicht zutreffend. Genauso gut könnte in dem Beispielsfall auch das Motiv der Kompensation oder das des Paternalismus ausschlaggebend gewesen sein. Es ist deshalb erforderlich, dasjenige Motiv zu erforschen, das der jeweiligen richterlichen Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegen hat. Konkretisiert auf den Fall der Verschuldensfeststellung heißt das, dass zu klären ist, ob die Gerichte mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Abwägung eine am Effizienzkriterium orientierte Entscheidung treffen wollen. Zwar finden sich in den Urteilen häufig ökonomisch schillernde Erwägungen, die sich mit dem Verhältnis von Vorsorgekosten zum Erwartungswert des dadurch abzuwendenden Schadens beschäftigen. Diese gerichtlichen Abwägungen sind jedoch immer an schwer fassbaren, „diffusen“ 218 Kriterien wie Erheblichkeit oder Unzumutbarkeit orientiert. 219 Durch die allenfalls unpräzise ökonomische Argumentation wird deutlich, dass die Richter sich bislang nicht in die Hände der mathematischen Exaktheit der Ökonomie begeben haben und dieses auch nicht wollen. Auf diese Weise halten sie sich die Möglichkeit offen, im Einzelfall in ihre Entscheidungen verschiedene Wertungen einfließen zu lassen. 220 Somit erscheint die These nicht haltbar, dass „... sich die geltenden Regeln des Haftungsrechts [...] über weite Strecken hinweg in der Tat an dem genannten Steuerungsziel [der Effizienz, der Verf.] orientieren...“ 221. Es wäre „gekünstelt“ 222, einem Richter, der explizit keine ökonomischen Argumente gebraucht, effizienzorientierte Entscheidungsziele unterzuschieben. 223 217 Ein ähnliches Beispiel findet sich (dort zur Verdeutlichung der Motivation des Gesetzgebers) bei: Eidenmüller (1995, 2005), S. 473. 218 Grundmann, in: Münchener Kommentar (2003), § 276, Rdnr. 61, 62. 219 Vgl. dazu nur die (Teil-)Übersichten über judizierte Einzelfälle bei Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 823, Rdnr. 407 –546 oder bei Löwisch, in: Staudinger (2004), § 276, Rdnr. 60 – 91. 220 Anders als in Deutschland ist in den USA die Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt im Rahmen der Verschuldenshaftung deutlich stärker und expliziter an dem Kriterium der Effizienz und der Learned-Hand-Formel ausgerichtet; dazu nur Landes / Posner (1987), S. 96 ff. m.w. N. 221 Kötz / H.-B. Schäfer (1992), S. 355; Kötz / H.-B. Schäfer (2003), S. 5. 222 Eidenmüller (1995, 2005), S. 475. 223 Eidenmüller (1995, 2005), S. 474 f.
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Selbst wenn also die von den Gerichten gefällten Entscheidungen gelegentlich oder sogar häufig mit den unter dem Effizienzaspekt zu fordernden Ergebnissen übereinstimmen, ist dieser Gleichlauf mehr oder weniger zufällig. 224 Denn es lässt sich nicht nachweisen, dass die Gerichte die Verschuldensfrage tatsächlich am Maßstab der effizienzorientierten Learned-Hand-Formel klären. bb) Im folgenden Schritt ist nun zu klären, ob die unter dem Postulat der Effizienz gebotene Bestimmung des Verschuldens anhand der Learned-HandFormel im Rahmen des richterlichen Entscheidungsspielraums eingeführt werden darf. Dieses Problem der rechtlichen Zulässigkeit der effizienzorientierten Auslegung ist nach Maßgabe der oben erarbeiteten rechtstheoretischen Kriterien zu lösen. Da die Verschuldensfrage in den hier relevanten Fällen vornehmlich für die Haftung aus §§ 823 ff. BGB geklärt werden muss, denen Effizienz nicht als gesetzgeberische Politik zugrunde liegt, 225 darf Effizienz als Kriterium der Begriffsbestimmung nur dann herangezogen werden, wenn unter mehreren durch die klassische Hermeneutik ermittelten Auslegungsmöglichkeiten eine Auswahl zu treffen ist. 226 Das Gesetz statuiert in § 276 Abs. 2 BGB als Anforderung an das individuelle Verhalten lediglich blankettartig, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt einzuhalten ist. Die Konkretisierung dieser Anordnung im Einzelfall obliegt den Gerichten als Rechtsanwendern. Nur scheinbar handelt es sich bei der Normanwendung also um eine gewöhnliche Subsumtion. Die Besonderheit liegt hier darin, dass der Rechtsanwender die konkreten Voraussetzungen der Rechtsfolge „Fahrlässigkeit“ nicht in einer Form im positiven Recht vorfindet, die die Subsumtion erlaubte. Er muss vielmehr zunächst selbst die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt im Einzelfall detaillierter ausarbeiten und letztlich eigenständig das erforderliche SollVerhalten V ◦ definieren. Erst dann kann er an dieser von ihm selbst aufgestellten (Unter-)Definition im Wege der Subsumtion überprüfen, ob das tatsächliche IstVerhalten des Schädigers V s dem geforderten Soll-Verhalten Vs◦ entspricht oder ob es dahinter zurückbleibt. Zentraler Punkt der Fahrlässigkeitsprüfung ist damit die Festlegung des erforderlichen Soll-Verhaltens. Dessen Bestimmung erfolgt im Einzelfall durch einen Vergleich des Interesses des Schädigers an der Wahrung seiner Handlungsfreiheit mit dem Interesse des Geschädigten nach Schutz seiner Rechtsgüter. 227 Wie schwer sich die Gerichte damit tun, allgemeingültige Konkretisierungskriterien aufzustellen, offenbart die „kaum mehr zu überblickende Rechtsprechung“ 228 zu diesem Thema, die sich in Einzelfällen und Fallgruppen zu verlieren droht. 229 Und diese Schwierigkeiten sind durchaus nachvollziehbar. 224 225 226 227 228
Vgl. dazu: Dworkin (1980), S. 222. s. o., vgl. Teil 3 A. II. 1. b) aa). s. o., vgl. Teil 3 A. I. Dazu nur: Weyers (1971), S. 391. Löwisch, in: Staudinger (2004), § 276, Rdnr. 60.
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So stand das Gericht im „Wildschutzzaun“-Fall vor der Frage, ob die Errichtung des Zauns an der Straße erforderlich war oder nicht. 230 Die Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit ist zur Lösung dieser Frage nahezu ohne Wert. Sie vermag allenfalls die anzustellenden Überlegungen grob vorzugeben, kann aber dem Richter keine für dessen Einzelfallentscheidung maßgeblichen Argumente für und wider die Errichtung des Zauns liefern. Da der Begriff der Erforderlichkeit dem Rechtsanwender einen derart weiten Konkretisierungsspielraum zugesteht, lässt sich die Frage des Verschuldens durch eine klassische Gesetzesauslegung nicht zweifelsfrei beantworten. Die rechtstheoretischen Voraussetzungen für das Zurückgreifen auf das Kriterium der Effizienz zur Lösung des Problems liegen mithin vor. 231 cc) Jenseits dieser Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit ist auf die tatsächliche Einsetzbarkeit der Learned-Hand-Formel in der gerichtlichen Praxis einzugehen. Selbst die Befürworter einer Anwendung konzedieren, dass „... genaues Zahlenwerk, auf das sich eine Aufrechung der Nutzen gegen die Kosten stützen ließe, oft fehlt oder nur mit erheblicher Mühe oder großem Zeitaufwand zu erlangen ist...“ 232. Schon Richter Learned Hand selbst hatte die mit der Anwendung seiner Formel verbundenen grundsätzlichen Informationsprobleme erkannt und dämpfte die Erwartungen an deren buchstabengetreue Anwendbarkeit: „It is indeed possible to state an equation for negligence in the form, C = P × D. [...] But of these factors care is the only one ever susceptible of quantitative estimate, and often that is not. The injuries are always a variable within limits, which do not admit of even approximate ascertainment; and, although probability might theoretically be estimated, if any statistics were available, they never are. [...] It follows that all such attempts are illusionary.“ 233
Es erscheint aussichtslos, dass einem Gericht bei einem Verkehrsunfall die Feststellung gelingt, ob der Nutzen aus der Autofahrt des Schädigers und der Nutzen aus dem Spaziergang des Geschädigten die mit der jeweiligen Aktivität verbun229 Vgl. dazu nur die (Teil-)Übersichten über judizierte Einzelfälle bei Wagner in: Münchener Kommentar (2004), § 823, Rdnr. 407 –546 oder bei Löwisch in: Staudinger (2004), § 276, Rdnr. 60 – 91. 230 BGH (Urt. v. 13. 07. 1989 – III ZR 122/88), BGHZ 108, 273 – „Wildschutzzaun“. 231 Die Bestimmung der Fahrlässigkeit am Maßstab der Learned-Hand-Formel ist jedenfalls für solche Fälle anerkannt, in denen es ausschließlich um Sachschäden geht; dazu: Heinrichs, in: Palandt (2006), § 276, Rdnr. 19. Zu der Frage, ob und wie sich die relevanten Werte bei Personenschäden im Hinblick auf Art. 1, 2 GG monetarisieren lassen: Teil 3 A. II. 3. a). 232 Kötz / H.-B. Schäfer (1992), S. 355; Kötz / H.-B. Schäfer (2003), S. 5. In diesem Sinne auch Adams (1985), S. 130 f.; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 182. 233 Moisan v. Loftus, 178 F. 2d 148, 149 (2d Cir. 1949). Ähnlich äußerte sich Learned Hand auch schon in Conway v. O’Brien, 111 F. 2d 611, 612 (2d Cir. 1940): „... [The three factors] are practically not susceptible of any quantitative estimate, and the second two are generally not so, even theoretically.“
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denen Grenzkosten einschließlich der erwarteten Unfallschäden übersteigen. 234 Die Befürworter führen jedoch an, dass es praktisch durchaus Fälle wie etwa den „Wildschutzzaun“-Fall gebe, in denen die erforderlichen Zahlenwerte entweder durch die Parteien vorgetragen worden oder vom Gericht mit Leichtigkeit zu ermitteln seien. 235 Dort hatte beispielsweise der Kläger vorgetragen, dass „... in den Jahren 1984 und 1985 etwa 50 bis 60 Verkehrsunfälle durch Wild verursacht worden sind“ 236. Da der Beklagte diesen Wert nicht bestritten hatte, hatte das Gericht diesen Wert infolge des Beibringungsgrundsatzes seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Die Befugnis, die tatsächliche Richtigkeit dieser Zahl zu überprüfen, geht dem Gericht ab. Für die effizienzorientierte Verschuldensbestimmung über die Learned-Hand-Formel ist es aber von grundlegender Bedeutung, dass die in sie eingestellten Werte inhaltlich korrekt sind – und nicht unstreitig. Ob der Kläger diesen Wert lediglich laienhaft überschlagen hatte oder ob er detaillierte Informationen bei der Straßenverkehrsbehörde eingeholt hatte, ist nicht ersichtlich. Geradezu beispielhaft für die oft mangelnde Präzision solcher Aussagen ist es, dass es sich in diesem konkreten Fall nicht einmal zweifelsfrei klären lässt, ob sich in den beiden Jahren des Betrachtungszeitraums jeweils 50 bis 60 Unfälle ereignet haben sollen oder insgesamt. 237 Nicht einmal in einem Fall wie diesem, der im Hinblick auf die zahlenmäßige Quantifizierung eine ausnehmend günstige Informationslage bietet, besteht daher eine verlässliche Datengrundlage. Und für den gewöhnlichen Durchschnittsfall ist eine derart detaillierte Informationslage als schlichtweg wirklichkeitsfern zu bezeichnen. 238 Dem Vorschlag, die maßgeblichen Beträge durch das Gericht ermitteln zu lassen, steht weitgehend die Struktur des Zivilprozessrechts entgegen. Das Gericht darf unter Geltung des Beibringungsgrundsatzes seiner Entscheidung prinzipiell nur dasjenige Tatsachenmaterial zugrunde legen, das von den Parteien vorgetragen worden ist. Zwar räumt § 139 Abs. 1 ZPO dem Gericht die Möglichkeit ein, durch Nachfragen und Hinweise auf den Vortrag entscheidungserheblicher Tatsachen durch die Parteien hinzuwirken. Auch dies führt jedoch letztlich nur zu einer Verla234 235 236
So auch: Adams (1985), S. 130. Kötz / H.-B. Schäfer (1992), S. 355; Kötz / H.-B. Schäfer (2003), S. 5. BGH (Urt. v. 13. 07. 1989 – III ZR 122/88), BGHZ 108, 273 (277) – „Wildschutz-
zaun“. 237
In den vorgenommenen ökonomischen Analysen dieser Entscheidung wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es „alljährlich zu 50 –60 Wildunfällen kommt“ (Kötz / H.-B. Schäfer [1992], S. 366; Kötz / H.-B. Schäfer [2003], S. 6 [meine Hervorhebung]; von dieser Prämisse ausgehend auch: H.-B. Schäfer [1992], S. 378; Ott / H.-B. Schäfer [1999], S. 141). Da sich für den (nicht auszuschließenden) Fall, dass die Aussage meint, es haben sich die etwa 50 bis 60 lediglich in dem Gesamtzeitraum von zwei Jahren ereignet, der Wert des erwarteten Schadens halbiert, führt dies zu einer wesentlichen Veränderung des der Kalkulation zugrunde zu legenden Datensatzes. 238 Diese in dem „Wildschutzzaun“-Fall bestehende Ausnahmesituation im Hinblick auf die beigebrachten Daten offen eingestehend: Ott / H.-B. Schäfer (1999), S. 142.
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gerung des Informationsproblems vom Gericht auf die Parteien. Denn im Regelfall ist es diesen genauso wenig wie dem Gericht möglich, Werte wie den der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu ermitteln. Und selbst wenn sie Angaben machen (können), ist deren Verlässlichkeit sehr zweifelhaft, weil beispielsweise bei der Frage der Vorsorgekosten der Schädiger an einer möglichst hohen und der Geschädigte an einer möglichst geringen Summe interessiert ist, um so die Klärung der Verschuldensfrage zu den eigenen Gunsten zu manipulieren. Einziger Ausweg scheint die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch die Parteien oder ausnahmsweise auch durch das Gericht (§ 144 Abs. 1 S. 1 ZPO) zu sein. Insoweit bestehen aber gewichtige Zweifel, ob die aus der effizienten Festlegung des Verschuldensmaßstabs resultierende gesamtgesellschaftliche Kosteneinsparung die infolge eines solchen Gutachtens zusätzlich entstehenden tertiären Kosten übersteigt. Weitere Möglichkeiten, die Lücken oder Ungenauigkeiten der tatsächlichen Grundlage seiner Entscheidung zu beseitigen, hat der Richter nicht. 239 Es bestehen also einige Unwägbarkeiten bei der Ermittlung der erforderlichen Werte, die teilweise zivilprozessualer, insbesondere aber faktischer Natur sind. Als Ausweg wird vorgeschlagen, die Bestimmung der jeweiligen Werte durch eine gerichtliche Schätzung vornehmen zu lassen. Eine Abwägung von Kosten und Nutzen führe auch auf der Grundlage solcher Näherungswerte zu durchaus brauchbaren Ergebnissen. 240 Zwar kommt es dabei definitionsgemäß zu gewissen Ungenauigkeiten. Sofern aber sichergestellt werden könnte, dass diese Abweichungen relativ gering sind, wäre dagegen kaum etwas einzuwenden. Stellt man diese Werte in die Learned-Hand-Formel ein, lässt sich die Kalkulation praktisch durchführen. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob die Richter, die zwar mit einem gesunden Menschenverstand, nicht aber mit den Fähigkeiten „kognitive[r] Supermänner“ 241 ausgestattet sind, ohne verlässliche Anhaltspunkte und Kriterien in der Lage sind, die zu berücksichtigenden Schadenskosten nach Art und Höhe sowie die Höhe der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zumindest annähernd zutreffend zu ermitteln. Gelingt ihnen das nicht, besteht im trügerischen Gefühl der 239 H.-B. Schäfer (1992), S. 389 stellt, um diesen zivilprozessualen Problemen zu begegnen, die rechtspolitische Forderung auf, „... die Gerichte mit der Möglichkeit auszustatten, sich jenseits der Finanzierung durch Parteien Informationen und Expertisen zu kaufen.“ Die Aufgabe der Sachverhaltsermittlung auf diese Weise zumindest teilweise von den Parteien auf das Gericht zu verlagern, macht jedoch eine grundlegende konzeptionelle Veränderung der Zivilprozessordnung erforderlich. Dazu eingehend: Eidenmüller (1995, 2005), S. 431 f.; Taupitz (1996), S. 165. Optimistischer im Hinblick auf die gerichtliche Informationsbeschaffung dagegen: Adams (1985), S. 121; Ott / H.-B. Schäfer (1999), S. 140 ff.; Kötz / H.B. Schäfer (2003), S. 9; H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 183. 240 Kötz (1990a), S. 650; H.-B. Schäfer (1992), S. 381; Kötz (1993), S. 61, 63; Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Vor § 823, Rdnr. 53. 241 Schmidtchen (1991), S. 335. Eger (1991), S. 111 bezeichnet die auf die Gerichte zukommende Aufgabe der Informationsbeschaffung als eine „wahrhaft herkulische Aufgabe“. In diesem Sinne auch Koller (1979), S. 58.
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mathematischen Exaktheit des Vorgehens die „Gefahr der Scheinpräzision“ 242; die Kalkulation degeneriert zu einer „absurden Rechenübung ohne Aussagekraft“ 243. Es würden durch eine derartige Bestimmung des Vorsorgestandards auf Grundlage unzutreffender Basiswerte schlichtweg falsche Verhaltensanreize vermittelt. 244 Sofern die zur Anwendung der Learned-Hand-Formel erforderlichen Informationen nicht präzise vorhanden sind, sollten diese also im Wege gerichtlicher Schätzung ermittelt werden, um anhand der Formel eine Konkretisierung des Verschuldensmaßstabs vorzunehmen. Dabei muss sich der jeweilige Rechtsanwender jedoch immer bewusst sein, dass die von ihm angestellte Berechnung nicht exakt ist, sondern lediglich einen Näherungswert bildet. Dieser darf daher nicht als allein maßgeblich angesehen werden, sondern ist im Einzelfall anhand anderer Überlegungen zur Erforderlichkeit der Sorgfalt zu überprüfen. In Kenntnis dessen kann die Learned-Hand-Formel trotz dieser Ungenauigkeit ein brauchbares und unter Umständen willkommenes Hilfsmittel zur Bestimmung der Verschuldensfrage darstellen. 3. Haftungsfolge Wie in Teil 2 B dargelegt, setzt die Konstruktion einer umfänglichen richtigen Haftung voraus, dass bei dem Schädiger die gesamten externen Effekte seines Verhaltens internalisiert werden, weil er sein Verhalten an den ihm im Haftungsfall drohenden Kosten ausrichtet. Der einzige aus ökonomischer Sicht relevante Grund, die Haftung des Schädigers zu beschränken, besteht darin, mit der Drohung, dass der Schaden nicht (voll) ersetzt werden wird, auch das Verhalten des Geschädigten steuern zu können. Es wurden jedoch drei anders gelagerte Gründe nachgewiesen, aus denen die den Schädiger im Haftungsfall treffende Ersatzpflicht hinter dem bei dem Geschädigten verursachten Schaden zurückbleibt: das Monetarisierungsproblem, das Bestehen quantitativer Haftungsobergrenzen und das Geltendmachungsdefizit. Für diese drei Punkte ist jeweils zu untersuchen, ob sie im deutschen Schmerzensgeldrecht vorkommen und, wenn ja, ob sie de lege lata durch die Gerichte unter rechtlichen Gesichtspunkten beseitigt werden dürfen und unter tatsächlichen Gesichtspunkten beseitigt werden können.
242
Dieser Ausdruck geht zurück auf Horn (1976), S. 331, der freilich nicht spezifisch für die Learned-Hand-Formel, sondern ganz generell auf die Gefahren der Scheinpräzision bestimmter ökonomischer Terminologien hinweisen will. 243 H.-B. Schäfer (1992), S. 385, der jedoch davon ausgeht, dass sich die erforderlichen Werte von Kosten und Nutzen im Regelfall ermitteln lassen. 244 Adams (1985), S. 130 –135; Wolf, in: Soergel (1990), § 276, Rdnr. 90; Larenz / Canaris (1994), S. 417; Eidenmüller (1994), S. 99; Eidenmüller (1995, 2005), S. 430; Taupitz (1996), S. 163, 166; Grundmann, in: Münchener Kommentar (2003), § 276, Rdnr. 8, 62.
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a) Einführung der ex-ante-Methode aa) Ein aus der ex-post-Perspektive heraus zugesprochenes Schmerzensgeld kann den entstandenen Schaden an unersetzbaren Gütern nur mit einem nicht zu rechtfertigenden Aufwand ausgleichen. Der einmal entstandene Schaden dieser Art ist daher nicht nur aus tatsächlicher, sondern auch aus ökonomischer Sicht durch eine Geldzahlung nicht kompensierbar. Unter Effizienzgesichtspunkten ist die Höhe des Schmerzensgeldes deshalb nach dem ex-ante-Ansatz zu bestimmen, der sich an dem vor der Schädigung bestehenden Risiko orientiert. 245 Ausgangspunkt der Bemessung des Schadensersatzes ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung generell die Differenzhypothese, die auf den Ausgleich des konkret infolge der Schädigung entstandenen Schadens abzielt. 246 In Fällen, in denen nach § 253 Abs. 2 BGB für Nichtvermögensschäden eine billige Entschädigung in Geld zugesprochen werden soll, kommen die Gerichte dementsprechend nicht umhin, den Nichtvermögensschaden in Geld zu beziffern. Auch die Rechtsprechung geht jedoch im Grundsatz davon aus, dass ein Nichtvermögensschaden an sich durch Geld nicht ausgeglichen werden kann. So bezeichnete der III. Zivilsenat den Nichtvermögensschaden als eine „Einbuße geldlich nicht meßbarer Art“ 247. Der Große Senat für Zivilsachen sprach kurze Zeit später unter Bezugnahme auf dieses Urteil davon, dass sich die Höhe der erlittenen Beeinträchtigung „nicht streng rechnerisch ermitteln“ 248 lasse. Diese Ansicht ist bis heute in den Schmerzensgeldurteilen der Gerichte vorherrschend. So legte das OLG Hamm im Jahr 2002 der Begründung eines Urteils die Prämisse zugrunde, dass „... immaterieller Schaden im Grunde nicht messbar ist...“ 249. Denn der zum Ausgleich der erlittenen Nichtvermögensschäden zu gewährende Geldbetrag lasse „... sich nicht dadurch ermitteln, daß man sozusagen die Schmerzen mit den Freuden saldiert, durch die der Verletzte die Erinnerung an die Schmerzen tilgen soll.“ 250 Der Ausgleichszweck gebe für die Bemessung der Entschädigung daher nur einen „recht groben Anhalt“ 251. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Schmerzensgeldan245
s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a). Für die ständige Rechtsprechung seien exemplarisch aus jüngerer Zeit angeführt: BGH (Urt. v. 26. 09. 1997 – V ZR 29/96), NJW 1998, 302 (304); BGH (Urt. v. 6. 07. 2000 – IX ZR 198/99), NJW 2001, 673 (674); BGH (Urt. v. 7. 11. 2000 – VI ZR 400/99), NJW 2001, 1274 (1274 f.). 247 BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (227). 248 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (154). Umfassend zu der Argumentation des Großen Zivilsenats: Teil 1 C. I. 2. b). 249 OLG Hamm (Urt. v. 24. 01. 2002 – 6 U 169/01), r+s 2002, 285 (285). 250 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156). Canaris (1999a), S. 102 f. kritisiert dieses Verständnis der Ausgleichsfunktion, die allein auf eine Ummünzung von Leid in Freude abzielt, eingehend als „zu eng“. 251 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156). 246
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spruch gesetzlich normiert ist und dass die Genugtuungsfunktion weitgehend in den Bereich der vorsätzlichen und grob fahrlässigen Schädigung zurückgedrängt worden ist, ist die Rechtsprechung aber gezwungen, den als an sich unmessbar bezeichneten Nichtvermögensschaden im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion in Geld zu beziffern. Im Rahmen des den Gerichten nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO zustehenden Ermessens schätzen sie daher den angemessenen Schmerzensgeldbetrag am Maßstab der Billigkeit. Die gebotene Summe ergebe sich im Rahmen einer Gesamtschau aus der Bewertung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls wie insbesondere Art, Dauer und Intensität der erlittenen Rechtsgutsverletzung. 252 Wie der effizienzorientierte Ansatz beruht also auch die Vorgehensweise der Rechtsprechung im Grundsatz auf dem Dogma der prinzipiellen Unersetzbarkeit von Nichtvermögensschäden. Ebenso sind sich beide darüber einig, dass dennoch eine Bezifferung dieses Schadens in Geld unumgänglich ist, sei es, weil effiziente Verhaltensanreize nur durch eine alle verursachten Schäden umfassende Ersatzpflicht vermittelt werden können, oder sei es, weil das Gesetz einen Anspruch auf Schmerzensgeld vorsieht. Die Rechtsprechung unterlässt es jedoch, daraus die – unter Effizienzgesichtspunkten maßgebliche – Konsequenz zu ziehen, und bemisst den angemessenen Schmerzensgeldbetrag für den unersetzbaren Schaden nicht über den ex-ante-Ansatz, sondern legt ihn infolge einer Gesamtabwägung aller Umstände nach eigenem Ermessen fest. Fragwürdig ist aber, wie eine noch so eingehende Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls dem Richter bei der Festlegung einer in Euro und Cent bezifferten Summe behilflich sein soll. Das einzige Kriterium, an dem sich die Rechtsprechung faktisch orientiert, ist das Gefüge der vorhergehenden Schmerzensgeldentscheidungen, in das der zu entscheidende Fall unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eingepasst wird. 253 Externe Kriterien werden im Rahmen dieses gerichtlichen Bemessungsvorgangs nicht zu Rate gezogen. Im Ergebnis beruht die Bemessung auf unangeleiteter richterlicher Intuition ohne (wirtschafts-)wissenschaftliches Fundament; auch eine Ausrichtung an anderen, ebenso intuitiv gefassten Entscheidungen in vergleichbaren Fällen ändert daran nichts. Mark Geistfeld spricht insoweit daher zutreffenderweise von gerichtlicher „guesstimation“ 254. bb) Dieses Problem, das auf der Rechtsfolgenseite von Ersatzansprüchen auftritt, betrifft das allgemeine Schadensrecht. Das gesamte Schadensrecht, obwohl es von immenser Bedeutung für das gesamte Bürgerliche Recht ist, hat in insgesamt sieben Paragraphen (§§ 249 bis 255 BGB) lediglich eine Regelung dem Grunde nach erfahren, der ausschließlich allgemeine Grundsätze zu entnehmen sind. Dies gilt trotz der Novellierung des § 253 BGB insbesondere für die Nichtvermögens252 BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (157, 160 f.). Eingehend noch einmal: BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (8). 253 So explizit OLG Hamm (Urt. v. 24. 01. 2002 – 6 U 169/01), r+s 2002, 285 (285 f.). 254 Geistfeld (1995), S. 784.
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schäden. Den Rechtsanwender trifft somit die Aufgabe, die abstrakten gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren. Dieser Aufgabenverteilung ist sich der Gesetzgeber durchaus bewusst und hat sie im Rahmen des Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes sogar explizit gebilligt. 255 Ihrer weitreichenden Aufgabe hat sich die Rechtsprechung angenommen; dafür sei exemplarisch auf die Kreation der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes hingewiesen, die sich im Gesetz nicht einmal andeutungsweise ausmachen lässt. Eine absolute Grenze wird dem Rechtsanwender bei dieser Ausgestaltung jedoch durch den Wortlaut der gesetzlichen Norm gezogen. Arthur Meier-Hayoz formulierte in diesem Zusammenhang zutreffend: „Der Wortlaut hat [...] eine doppelte Aufgabe: Er ist Ausgangspunkt für die richterliche Sinnesermittlung und steckt zugleich die Grenzen seiner Auslegungstätigkeit ab.“ 256 Die Auslegung einer Norm oder eines gesetzlichen Begriffs muss sich also immer innerhalb des möglichen Wortsinns bewegen, anderenfalls stellt sie eine Rechtsfortbildung dar. 257 Unter dem möglichen Wortsinn ist dabei alles das zu verstehen, was nach dem allgemeinen oder dem jeweils als maßgeblich zu erachtenden Sprachgebrauch des Gesetzgebers als mit diesem Ausdruck gemeint verstanden werden kann. 258 Die Vorgaben des § 253 Abs. 2 BGB sind in dieser Hinsicht mehr als vage. Als einzigen Anhaltspunkt für die Bemessung des Schmerzensgeldes gibt er vor, dass der Geschädigte eine „billige Entschädigung in Geld“ fordern kann. Dieses Kriterium der Billigkeit setzt der Methode zur Ermittlung der Schmerzensgeldhöhe keine erkennbaren Grenzen. Einerseits kann die ex-post-Methode insofern als billig angesehen werden, als der über sie ermittelte Betrag den Geschädigten auf exakt das Nutzenniveau zurückversetzt, das er vor der Schädigung hinsichtlich seiner unersetzbaren immateriellen Güter inne hatte. Andererseits kann die exante-Methode ein billiges Ergebnis im Hinblick darauf liefern, dass der Geschädigte exakt den Betrag erhält, den er selbst rationalerweise zur Vermeidung des Schadensereignisses aufgewendet hätte. Obwohl die Anspruchshöhe nach beiden Ansätzen zu unterschiedlichen Beträgen führt, sind beide Methoden mit dem Wortsinn von „billig“ vereinbar. Allerdings handelt es sich auch bei dem Anspruch auf Schmerzensgeld um einen „Schadensersatzanspruch“, was § 253 Abs. 2 BGB sogar noch einmal explizit ausspricht: Der Schädiger hat danach dem Geschädigten den Schaden zu ersetzen, der nicht Vermögensschaden ist. Das deutsche Recht versteht unter einem Schaden einen Nachteil, den jemand infolge eines bestimmten Ereignisses an seinen geschützten Gütern erlitten hat. Durch einen Schadensersatzanspruch soll der Geschädigte für den von ihm erlittenen Nachteil einen vollen Ausgleich erhal255 256 257 258
BT-Drucks. 14/7752, S. 11. Meier-Hayoz (1951), S. 42. Larenz (1991), S. 322. Larenz (1991), S. 322.
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ten, indem derjenige Zustand herzustellen ist, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. 259 Diese Grundüberlegung des Schadensrechts ist so zu verstehen, dass es dem Geschädigten durch die Ersatzsumme ermöglicht werden soll, sein individuelles, vor der Schädigung bestehendes Nutzenniveau wieder zu erreichen. Das ist ihm aber nur dadurch möglich, dass ihm ein Schmerzensgeld auf Basis der ex-post-Methode zugesprochen wird. Zwar kann der konkret erlittene Nachteil selbst nicht durch die Zahlung einer Geldsumme ausgeglichen werden, denn der erlittene Nichtvermögensschaden an sich ist unersetzbar. 260 Zumindest aber im Saldo kann der Geschädigte über den ex-post-Ansatz wieder auf sein ursprüngliches Nutzenniveau zurückversetzt werden, indem er einen Geldbetrag erhält, mit dem er sich Freuden solchen Umfangs erkaufen kann, dass sie den aus der Schädigung resultierenden Nutzenverlust wieder ausgleichen. Diese Saldierung der zusätzlichen Freuden mit den erlittenen Schmerzen zielt auf einen mittelbaren Ausgleich des Nachteils ab (rein quantitativer Nutzenausgleich). 261 Im Rahmen eines an der ex-ante-Methode bemessenen Schmerzensgeldes hingegen erhält der Geschädigte gerade nicht den Nachteil in Form des aus der Schädigung tatsächlich resultierenden Nutzenverlustes ersetzt. Er bekommt vielmehr den Betrag, den er selbst im Vorfeld der Schädigung, d. h. bevor er den Nachteil erlitten hat, zur Vermeidung des bestehenden Risikos, dass ein Nachteil eintreten könnte, aufgewendet hätte. Es handelt sich daher bei dem ex-ante-Ansatz streng genommen um einen Fall des „Risikoersatzes“, und nicht um einen Fall des „Schadensersatzes“. 262 Obwohl das allgemeine Schadensrecht dem Rechtsanwender einen weiten Spielraum gewährt, würden mit der Introduktion des dem deutschen Recht bisher fremden ex-ante-Ansatzes in den § 253 Abs. 2 BGB die begrifflichen Grenzen von „Schadensersatz“ überschritten werden. Eine Einführung des ex-ante-Schmerzensgeldes ist de lege lata mithin nicht zulässig. b) Vorgehen gegen Haftungsobergrenzen Der unter Effizienzgesichtspunkten anzustrebenden Vollinternalisierung der Schadenskosten beim Schädiger stehen weiterhin quantitative Haftungsbeschränkungen entgegen. Zum einen resultieren solche rein faktisch daraus, dass der Schädiger teilweise nicht über ein ausreichendes Vermögen verfügt, um den gesamten von ihm verursachten Schaden zu ersetzen. Zum anderen bestehen rechtliche Beschränkungen in Form von gesetzlich festgelegten Haftungsobergrenzen, die die Haftung des Schädigers auf festgelegte Höchstbeträge limitieren. 263 Ent259
Umfassend dazu: Teil 1 B. So auch schon: BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (156). 261 Dass diese Art des Ausgleichs von unersetzbaren Schäden unter ökonomischen Gesichtspunkten ineffizient ist (s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa)), spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. 262 Dazu eingehend oben: Teil 2 B. III. 1. a) bb). 260
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sprechend „einer im deutschen Recht verbreiteten Tradition“ 264 finden sich solche summenmäßigen Haftungsbeschränkungen im Bereich der Gefährdungshaftung. Die Regelungstechnik ist jedoch nicht homogen. So sind die Haftungstatbestände aus dem Haftpflichtgesetz (§§ 9 f. HaftPflG), dem Straßenverkehrsgesetz (§ 12 StVG), dem Luftverkehrsgesetz (§ 37 LuftVerkG), dem Bundesberggesetz (§ 117 BBergG), dem Arzneimittelgesetz (§ 88 ArzMG), dem Umwelthaftungsgesetz (§ 15 UmweltHaftG), dem Produkthaftungsgesetz (§ 10 ProdHaftG) sowie dem Gentechnikgesetz (§ 33 GenTechG) ganz oder zumindest partiell der Höhe nach beschränkt. Der Gefährdungshaftungstatbestand aus dem Atomgesetz ist dagegen ebenso wie der aus § 833 S. 1 BGB summenmäßig unbeschränkt. Gegen beide Arten von Haftungsbeschränkungen gibt es denkbare Gegenmaßnahmen, um den drohenden Anreizverzerrungen entgegen zu wirken. Die faktischen Limitierungen können grundsätzlich durch die Einführung von Zwangsversicherungen behoben werden, die rechtlichen durch die Beseitigung der bestehenden Höchstgrenzen. Die erste Aufgabe ist eine umfassend rechtspolitische Entscheidung von kaum zu unterschätzender Reichweite und Auswirkung, sodass sie zweifellos nicht dem Rechtsanwender zufällt. Auch der zweite Auftrag, die bestehenden gesetzlich normierten Haftungsobergrenzen zu beseitigen, richtet sich nicht an die Gerichte. Denn deren einzige Möglichkeit, dieses ökonomisch angestrebte Ziel zu erreichen, bestünde darin, Schadensersatz auch über die gesetzlich normierten Obergrenzen hinaus zuzusprechen. Ein solches Vorgehen bedeutete aber die Übertretung eindeutiger gesetzgeberischer Vorgaben, an die die Rechtsprechung von Verfassungs wegen gebunden ist. Die Gerichte können also de lege lata keine Maßnahmen treffen, um gegen die aus den bestehenden Haftungsobergrenzen resultierenden Anreizverzerrungen vorzugehen. c) Einführung der Kehrwertberechnung Weiterhin muss der Schädiger tatsächlich nicht für jede Schädigung, die auf Grundlage des materiellen Rechts einen Schadensersatzanspruch begründet, dem Geschädigten auch Schadensersatz leisten (Geltendmachungsdefizit, enforcement error). 265 Um diese statistische Unterkompensation (z. B. 4/5 = 80%) auszugleichen, ist unter dem Gesichtspunkt der Effizienz eine proportionale Erhöhung der tatsächlichen Schadensersatzsumme um das jeweilige punitive multiple erforderlich, d. h. eine Multiplikation des tatsächlichen Schadens mit dem Kehrwert des konkreten Defizitwerts (hier: 5/4 = 125%). 266 Auf diese Weise könnte aus 263
s. o., vgl. Teil 2 B. I. 2. Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 10 ProdHaftG, Rdnr. 1. 265 Zu den Entstehungsgründen für ein solches Geltendmachungsdefizit: Teil 2 B. I. 3. 266 Es sei auch an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass, soweit hier von „punitive damages“ oder einem „punitive multiple“ die Rede ist, mit diesem Begriff allein 264
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der Perspektive des potentiellen Schädigers der bestehende enforcement error statistisch eliminiert und ihm infolge der Internalisierung aller Schadenskosten Anreize zur effizienten Schadensvorsorge vermittelt werden. 267 Die gesetzliche Regelung des Schadensersatzrechts, sei es allgemein in den §§ 249 ff. BGB oder spezialgesetzlich, prägt dagegen einen Schadensbegriff, der sich ausschließlich an der tatsächlichen Einbuße des Geschädigten orientiert. Ihr Leitmotiv ist der Ausgleich der durch die konkrete Schädigung entstandenen Nachteile. Mehr als den Ersatz seines eigenen Schadens kann der Geschädigte jedenfalls nicht verlangen (Dogma vom Gläubigerinteresse). Das Augenmerk des deutschen Schadensrechts liegt nach dem Entstehen der Schadensersatzverbindlichkeit also nicht mehr auf der Person des Schädigers, sondern allein auf der des Geschädigten. Selbst die „GEMA“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet keine Ausnahme von diesem Grundsatz. Danach gewähren zwar die Gerichte, wenn musikalische Urheberrechte beispielsweise durch nicht genehmigte Aufführung oder Vervielfältigung verletzt werden, nicht nur den durch den Rechtsbruch entstandenen Schaden in Höhe der entgangenen Tarifgebühren, sondern einen darüber hinausgehenden hundertprozentigen Zuschlag. Diese Verdopplung wird damit gerechtfertigt, dass die GEMA einen umfangreichen Überwachungsapparat unterhalten müsse, um Urheberrechtsverletzungen zuverlässig aufdecken und verfolgen zu können. Obwohl diese Kontrollkosten unabhängig vom einzelnen Schadensfall anfallen, sei es aufgrund der Besonderheiten im Rahmen der Verwertung von musikalischen Urheberrechten – entgegen der grundsätzlichen Rechtsprechung 268 – aus Billigkeitsgründen geboten, diese Kosten anteilig auf den Schädiger abzuwälzen, um sie nicht der Allgemeinheit der rechtstreuen Lizenznehmer aufzubürden. 269 Die dem Schädiger drohende Ersatzpflicht wird also auf ein Zweifaches des tatsächlich kausal verursachten Schadens in Form der entgangenen Lizenzgebühr erhöht, weil sonst die Gefahr bestehe, dass „... der Urheberrechtsverletzer nicht schlechter [steht] als derjenige, der sich rechtzeitig um die Aufführungserlaubnis bemüht...“ 270. Diese Rechtsprechung bildet nur scheinbar einen positivrechtlichen Anknüpfungspunkt, über dessen Verallgemeinerung solche Situationen beschrieben werden, in denen dem Schädiger eine Ersatzpflicht auferlegt wird, die den von ihm konkret verursachten Schaden übersteigt (überkompensatorischer Schadensersatz). Dazu: Polinsky / Shavell (1998), S. 890 f. und eingehend Teil 2 B. III. 3. 267 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 3. b). 268 Grundlegend: BGH (Urt. v. 6. 11. 1979 – VI ZR 254/77), BGHZ 75, 230 (231 ff.) – „Ladendiebstahl“. 269 BGH (Urt. v. 24. 06. 1955 – I ZR 178/53), BGHZ 17, 376 (383) – „Betriebsfeier“; umfassend bestätigt durch: BGH (Urt. v. 10. 03. 1972 – I ZR 160/70), BGHZ 59, 286 (287 – 293) – „Doppelte Tarifgebühr“. Zu den Bedenken der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit der Dogmatik des geltenden Schadensersatzrechts: Larenz (1987), S. 509 f.; Lange / Schiemann (2003), S. 297; Ebert (2004), S. 546 f. 270 BGH (Urt. v. 10. 03. 1972 – I ZR 160/70), BGHZ 59, 286 (291) – „Doppelte Tarifgebühr“.
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eine unter ökonomischen Gesichtspunkten gebotene Erhöhung des Schadensersatzes im Wege eines punitive multiple in das geltende Recht implementiert werden kann. Denn es geht zwar um eine Multiplikation der an dem tatsächlich kausal verursachten Schaden ausgerichteten Ersatzpflicht mit einem bestimmten Faktor. Ausgangspunkt dieser Erweiterung ist es aber, dem Geschädigten die Geltendmachung nicht kausal durch die Schädigung verursachter, aber im weiteren Sinne mit der Schädigung zusammenhängender Kosten zu ermöglichen. Die „GEMA“Rechtsprechung begründet damit letztlich einen Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der haftungsausfüllenden Kausalität, um so die durch den Geschädigten im Vorfeld einer Schädigung eingegangenen allgemeinen Vorsorgekosten anteilig durch den Schädiger ausgleichen zu lassen. Bezugspunkt bleibt – in Übereinstimmung mit den oben angeführten Grundsätzen des Schadensrechts – aber die Person des Geschädigten, dessen individuell erlittener Nachteil durch den Schädiger kompensiert werden soll. Es geht also auch hier nicht um einen von der konkreten Person des Geschädigten abstrahierten, gleichsam interpersonalen Aufschlag auf die Ersatzpflicht. Ein derartiger Wechsel von der Perspektive des Geschädigten in die des Schädigers ist aber unter dem Aspekt der Effizienz gerade erforderlich: Der hiernach erforderliche proportionale Aufschlag auf die Ersatzpflicht zielt darauf ab, den Erwartungswert der dem Schädiger drohenden Ersatzpflicht an den des von ihm verursachten Schadens anzupassen – unabhängig von der Person des jeweiligen Geschädigten und unabhängig von der Durchsetzung eines spezifischen Anspruchs. Die durch den Schädiger an den Geschädigten gezahlte Ersatzsumme gleicht auf diese Weise nicht nur den von diesem konkret erlittenen Schaden aus, sondern darüber hinaus auch noch Schäden anderer Geschädigter, die ihren von Rechts wegen her an sich bestehenden Ersatzanspruch nicht (vollständig) durchgesetzt haben. Derartige Überlegungen stellt die Rechtsprechung aber im Rahmen ihrer „GEMA“-Entscheidungen nicht an. Der Gedanke, einem Geschädigten eine Überkompensation zuzusprechen, um die Unter- oder Nichtkompensation eines anderen Geschädigten aus Schädigersicht auszugleichen, ist dem deutschen Recht fremd – sowohl auf gesetzlicher als auch auf richterrechtlicher Ebene. Den Gerichten ist folglich de lege lata ein Vorgehen im Wege eines punitive multiple nicht erlaubt. 4. Zwischenergebnis Von den unter Effizienzgesichtspunkten erforderlichen Veränderungen ist allein die Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) anhand der Learned-Hand-Formel rechtlich zulässig. Im Übrigen dürfen die unter wirtschaftswissenschaftlichen Gesichtspunkten gemachten Änderungsvorschläge de lege lata nicht in das geltende Recht eingeführt werden.
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III. Geldentschädigung Für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind die Fragen nach der rechtlichen Zulässigkeit der Integration der ökonomischen Vorgaben in das bestehende Recht weitgehend in demselben Sinne zu beantworten wie im Bereich des Schmerzensgeldes. Die Ausführungen beschränken sich hier daher auf die Abweichungen und Besonderheiten. Es wird dementsprechend zunächst untersucht, ob sich Effizienz als Politik des Geldentschädigungsrechts ausmachen lässt (1.). Danach ist auf Tatbestandsseite die Möglichkeit der Einführung einer Gefährdungshaftung für den Fall der Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu prüfen (2.). Auf der Rechtsfolgenseite schließlich stellt sich die Frage nach der korrekten Monetarisierung der Geldentschädigung (3.). 1. Effizienz als Politik des Geldentschädigungsrechts? Die Frage, ob sich Effizienz als Politik ausmachen lässt, stellt sich für das Recht der Geldentschädigung vor einem anderen Hintergrund als für das des Schmerzensgelds. Denn ein Haftungsanspruch, der dem Geschädigten einen Anspruch auf Schadensersatz für die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährt, ist gesetzlich nicht kodifiziert. Die Gerichte haben somit keine vom Gesetzgeber vorgegebene Vorschrift auszulegen, sondern sie müssen zunächst ihrerseits das Recht richterrechtlich aus- und fortbilden, bevor sie den konkreten Einzelfall entscheiden können. Die Aufgabe, Recht zu setzen, ist nach dem Grundgesetz zwar vorrangig, nicht aber ausschließlich dem Gesetzgeber zugedacht worden. Je weniger detailliert die durch den Gesetzgeber getroffenen gesetzlichen Vorgaben sind, desto größer ist der Spielraum für die richterliche Rechtsgestaltung. 271 Bleibt der Gesetzgeber – wie hier – vollständig untätig, ist es für den Richter zur Erfüllung seiner genuinen Aufgabe, im Einzelfall eine gerechte Entscheidung zu finden, unumgänglich, selbst rechtsschöpferisch tätig zu werden. 272 Zur Ausfüllung des im Rahmen dieser Rechtsfortbildung auszufüllenden gesetzgeberischen Vakuums und der damit verbundenen Zielkonflikte liegt es nach dem Selbstverständnis der ökonomischen Analyse des Rechts nahe, den Richter auf das Effizienzkriterium zu verweisen, um so eine gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Lösung zu erzielen. 273 Bei der Wahl, nach Maßgabe welcher Kriterien er den ihm zur Verfügung stehenden Rechtsfortbildungsspielraum ausfüllen möchte, ist der Richter aber nicht völlig 271 BGH, Anhang B, BGHZ 11, 34 (51). Dazu nur: Langenbucher (1996), S. 26. Eidenmüller (1995, 2005), S. 459 spricht insoweit von einem „dynamische[n] Verhältnis“ zwischen Legislative und Judikative. 272 Söllner (1995), S. 15. 273 So: Ott (1989), S. 25.
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frei, sondern hat die aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Grenzen zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Richter dabei weder rechtspolitische Erwägungen anstellen noch persönliche rechtliche Wertvorstellungen realisieren. Die ihm zukommende Aufgabe bestehe vielmehr darin, die Grundgedanken der Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiterzuentwickeln und so die bestehenden Lücken des Gesetzes auf Grundlage der „... allgemeinen Rechtsgrundlagen [...], die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind...“ 274, zu schließen. 275 Damit die richterliche Rechtsfortbildung an dem Maßstab der Effizienz ausgerichtet werden kann, ist es demnach erforderlich, dass Effizienz eine solche allgemeine Rechtsgrundlage oder, in der Terminologie Ronald Dworkins, ein Prinzip des Rechts ist. 276 Diese Bedingung ist aber nicht erfüllt. Ökonomische Effizienz ist weder ein globales, für die Gesetzgebung und Rechtsfortbildung in allen Rechtsbereichen relevantes Rechtsprinzip, wie beispielsweise das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip. 277 Noch stellt die Effizienz ein lokales, auf das Zivilrecht oder das Schadensersatzrecht beschränktes Rechtsprinzip dar. Im Rahmen der Untersuchung der schmerzensgeldbegründenden Tatbestände wurde evident, dass diesen nur fragmentarisch Effizienz als gesetzgeberische Politik zugrunde liegt. 278 Effizienz als ein den Haftungstatbeständen übergeordnetes Prinzip, das dem System der Schadensersatzhaftung gleichsam immanent ist, kristallisierte sich dabei nicht heraus. Im Gegenteil wurde vielmehr deutlich, dass es von der jeweiligen Besetzung der Gesetzgebungskommission – und damit letztlich vom Zufall – abhängt, ob Effizienzerwägungen seitens des Gesetzgebers angestellt werden oder nicht. Folglich scheidet eine stringente Ausrichtung der Rechtsfortbildung im Bereich der Haftung für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts am Kriterium der Effizienz aus. Stattdessen hat diese sich ausschließlich an dem für die Haftungstatbestände ausgemachten allgemeinen Prinzip der Kompensation des Geschädigten zu orientieren. 279 Für die weitere Untersuchung folgt daraus, dass sowohl für den Haftungstatbestand (2.) als auch für die Rechtsfolge (3.) geprüft werden muss, ob und inwieweit sich das aktuelle richterrechtlich ausgebildete Recht von den unter ökonomischen Gesichtspunkten gebotenen Regelungen unterscheidet. Soweit eine Diskrepanz 274
BVerfG (Beschl. v. 26. 06. 1991 – 1 BvR 779/85), BVerfGE 84, 212 (226 f.). BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (292); BVerfG (Beschl. v. 3. 04. 1990 – 1 BvR 1186/89), BVerfGE 82, 6 (12). Aus der methodischen Literatur dazu nur: Langenbucher (1996), S. 22 – 28 m.w. N. 276 Eidenmüller (1995, 2005), S. 460. Der Begriff „Prinzip“ (principle) wurde von Dworkin (1977), S. 22 f. in die rechtstheoretische Diskussion eingeführt. 277 Eidenmüller (1995, 2005), S. 464 f. 278 s. o., vgl. Teil 3 A. II. 1. b). 279 s. o., vgl. Teil 3 A. II. 1. b). 275
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besteht, ist dann zu ermitteln, ob eine Veränderung des geltenden Richterrechts im Sinne des Effizienzgedankens auf Grundlage der der Rechtsordnung zugrunde liegenden Prinzipien rechtlich zulässig und tatsächlich möglich ist. 2. Haftungsbegründung Der Schutzgegenstand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist unkörperlich – anders als der der körperlichen Unversehrtheit oder der des Eigentums. Die Nutzung und damit letztlich auch die Verletzung dieses Rechts ist deshalb durch jede beliebige Person von jedem Ort zu jedem Zeitpunkt möglich. Der Rechtsinhaber hat keine Möglichkeit, mit ökonomisch zu rechtfertigendem Aufwand Vorsorge gegen eine ihm drohende Verletzung zu treffen. 280 Da die verhaltenssteuernde Wirkung dementsprechend primär auf den Schädiger ausgerichtet werden muss, ist aus ökonomischer Sicht die Anordnung einer Gefährdungshaftung geboten. 281 Gesetzliche Grundlage des richterrechtlich zuerkannten Schadensersatzanspruchs im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist jedoch das sonstige Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Der Ersatzanspruch wird also im Rahmen einer Verschuldenshaftung zugesprochen. Einen Ersatz des Schadens unter dem Regime der Gefährdungshaftung hat die Rechtsprechung dagegen bislang nicht gewährt, ja nicht einmal angedacht. Zu untersuchen ist daher, ob der unter Effizienzgesichtspunkten gebotene Wechsel von der Verschuldens- zur Gefährdungshaftung im Rahmen des geltenden Rechts zulässig ist. Rechtsmethodisch kann dieser Wechsel allein im Wege einer Analogie zu den bestehenden Gefährdungshaftungstatbeständen vorgenommen werden. Dagegen spricht auch nicht, dass einem solchen Begehren für den Fall des Schmerzensgeldes bereits eine Absage erteilt wurde. 282 Denn die für das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorgefundene Ausgangssituation ist unter zwei Gesichtspunkten eine andere, sodass eine neuerliche Untersuchung erforderlich wird. Erstens ist der haftungsbegründende Tatbestand im Persönlichkeitsrecht ausschließlich richterrechtlich ausgestaltet, sodass prinzipiell ein größerer Spielraum besteht als im Fall des gesetzlich kodifizierten Schmerzensgelds. Und zweitens ist die Gesamtheit der möglichen Verletzungshandlungen nicht derart heterogen ausdifferenziert wie beim Schmerzensgeld. Dort existiert eine Vielzahl spezialgesetzlicher Regelungen, die für spezifische, vom Gesetzgeber ausgewählte Schädigungshandlungen eine Gefährdungshaftung anordnen. Zwar wird auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Literatur durch eine Reihe von Fallgruppen ausgefüllt und präzisiert. 283 Diese Unterteilungen dienen jedoch auf rein formeller 280
s. o., vgl. Teil 2 A. I. 2. s. o., vgl. Teil 2 A. II. 2. 282 s. o., vgl. Teil 3 A. II. 2. a). 283 Vgl. dazu nur die Übersichten bei Hager, in: Staudinger (1999), § 823, Rdnr. C63C246 oder Rixecker, in: Münchener Kommentar (2001), § 12 Anh., Rdnr. 30 –123. 281
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Ebene lediglich der Übersichtlichkeit und Ordnung. Materiellrechtliche Konsequenzen für die Behandlung ergeben sich aus der Einordnung eines Sachverhalts in die eine oder die andere Gruppe nicht. Die Heuristik dieser Unterscheidung wird daran deutlich, dass die Gerichte selbst eine entsprechende Zuordnung allenfalls zufälligerweise vornehmen und Schadensersatz unter bestimmten, unabhängig von der Zuordnung zu einer Fallgruppe festgelegten Voraussetzungen gewähren. Der prinzipiell zulässige Analogieschluss erfordert zunächst eine Lücke, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes. 284 Das Vorliegen einer Unvollständigkeit lässt sich schnell bejahen. Eine Gefährdungshaftung für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist schlichtweg nicht gesetzlich geregelt. Ob diese Unvollständigkeit auch planwidrig ist, ist auf dem Boden des geltenden Rechts zu beantworten. Der Regelungsplan des Gesetzes ist dabei aus diesem selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu erschließen. 285 Für das gesamte allgemeine Persönlichkeitsrecht fehlt es umfassend an einer gesetzlichen Regelung. Daraus kann und darf aber nicht gefolgert werden, es sei der Plan des Gesetzgebers, ein solches Institut überhaupt nicht zuzulassen. Dieser ging vielmehr 2002 im Rahmen des Zweiten Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes davon aus, dass das aus Art. 1, 2 GG abzuleitende Recht infolge dieses verfassungsrechtlichen Schutzauftrages unabhängig von einer einfachgesetzlichen Regelung Geltung besitze. 286 Eine mögliche zukünftige Kodifikation werde daher lediglich der „Klarstellung“ 287 dienen. Sie würde nach seiner Ansicht die geltende, durch die Rechtsprechung zutreffenderweise aus der Verfassung abgeleitete Rechtslage deklaratorisch dokumentieren, nicht aber legitimieren oder gar verändern. Solange ein solcher gesetzgeberischer Akt noch nicht vorliegt, solle die Haftung im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weiterhin auf die richterrechtlich entwickelte Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 1 BGB i.V. m. Art. 1, 2 GG gestützt werden. 288 Die Regelungsabsicht des Gesetzgebers erstreckt sich also sowohl auf eine Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an sich als auch auf das Bestehen einer (Verschuldens-)Haftung im Fall seiner Verletzung. Anhaltspunkte für die Einführung einer Gefährdungshaftung in diesem Bereich finden sich weder in den Äußerungen des Gesetzgebers noch in den höchstrichterlichen Urteilen, in denen die Haftung für Persönlichkeitsverletzungen hergeleitet wurde und auf die der Gesetzgeber explizit Bezug nimmt. Der Gesetzgeber hat sich gleichsam planvoll dafür entschieden, für Persönlichkeits284 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer Analogie zu den Gefährdungshaftungstatbeständen: Teil 3 A. II. 2. a). 285 Larenz (1991), S. 373. 286 BT-Drucks. 14/7752, S. 25. 287 BT-Drucks. 14/7752, S. 25. 288 BT-Drucks. 14/7752, S. 24 f. Kritisch zu dieser „gemischten Gesetzestechnik“ äußern sich der Bundesrat (BT-Drucks. 14/7752, S. 49 f.) sowie Schiemann, in: Staudinger (2005), § 253, Rdnr. 3 mit verfassungsrechtlichen Bedenken.
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rechtsverletzungen keine Gefährdungshaftung vorzusehen. Dieser aus Sicht der Ökonomie ausgemachte Mangel der rechtlichen Regelung im Hinblick auf das Haftungsregime stellt auf der Grundlage des geltenden Rechts und der (gesetzesinternen) gesetzgeberischen Regelungsabsicht somit keine Lücke des Gesetzes dar, sondern lediglich – unter dem gesetzesexternen Aspekt der Effizienz – einen rechtspolitischen Fehler. 289 Die Bildung einer Analogie scheitert deshalb an dieser Voraussetzung der Gesetzeslücke. Der Haftungstatbestand kann im Fall der Verletzung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts also de lege lata nicht der Gefährdungshaftung unterworfen werden und widerspricht somit den Anforderungen an ein effizientes Haftungssystem. Denn selbst wenn im Rahmen der geltenden Verschuldenshaftung das rechtlich geforderte Maß an Vorsorge V ◦ anhand der Learned-Hand-Formel entsprechend dem effizienten Maß an Vorsorge V ∗ bestimmt wird, 290 sind die darüber vermittelten Anreize insoweit suboptimal, als die Residualschäden beim Geschädigten verbleiben. Dadurch bleibt das Aktivitätsniveau des Schädigers ungesteuert und der Schädiger wird seine Aktivität auf ein überoptimales Maß ausweiten, da er, solange er nur die erforderliche Sorgfalt V ◦ beachtet, keine Haftung, d. h. keine Internalisierung der externen Effekte seiner schadenverursachenden Tätigkeit, befürchten muss. Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Fehlsteuerung sind im Bereich des Persönlichkeitsrechts jedoch limitiert, da sich die große Masse der Verletzungen wie beispielsweise der Abdruck von unautorisierten Photographien, das Erfinden von Interviews oder das Äußern von Beleidigungen in aller Regel dem Schuldvorwurf des Vorsatzes oder doch wenigstens der Fahrlässigkeit ausgesetzt sehen dürfte, zumal die Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an die Prüfungspflicht stellt. Nicht schuldhafte Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, bei denen die Fehlsteuerung einzig relevant wird, sind deshalb äußerst selten. Exemplarisch sei aus der Rechtsprechung der Fall angeführt, in dem der Fernsehmoderator Joachim Fuchsberger einen Optiker auf Schadensersatz verklagte, weil dieser mit einer Photographie Fuchsbergers warb. Die Klage scheiterte letztlich am fehlenden Verschulden des Optikers, weil er das Photo von seinem Einkaufverband mit dem ausdrücklichen Hinweis zugesandt bekommen hatte, dass es honorarfrei zu Werbezwecken genutzt werden könne. 291 Obwohl dies eine Fallgestaltung ist, in der über die geltende Verschuldenshaftung dem schädigenden Optiker Anreize zu ineffizientem Verhalten vermittelt werden, dürfen die daraus resultierenden Anreizverzerrungen nicht überschätzt werden. Denn innerhalb der Kette, in der das Photo vom Photographen über den Einkaufsver289 Zur Unterteilung des rechtsmethodischen Oberbegriffs „Mangel“ in „Lücke“ und „rechtspolitischer Fehler“: Canaris (1964, 1983), S. 33 f.; Larenz (1991), S. 374. 290 Zur Frage der Nutzung der Learned-Hand-Formel zur Konkretisierung des Begriffs der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) wird entsprechend auf die Ausführungen zur Schmerzensgeldhaftung verwiesen; dazu: Teil 3 A. II. 2. b). 291 BGH (Urt. v. 14. 04. 1992 – VI ZR 285/91), NJW 1992, 2084 (2084 f.).
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
band bis hin zum Optiker weitergegeben wurde, existiert mindestens eine Person, der im Hinblick auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts Fuchsbergers ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, sodass dem Geschädigten auch unter Geltung einer Verschuldenshaftung ein Ersatzanspruch zusteht. Jedenfalls auf einer dem Optiker vorgelagerten Ebene werden somit Anreize zu effizientem Handeln vermittelt. 3. Haftungsfolge Eine unter ökonomischen Gesichtspunkten optimale Haftungshöhe kann auch hier nur dann erreicht werden, wenn die Wirkungen der drei in Teil 2 B herausgearbeiteten Gründe, die zu einem Zurückbleiben der tatsächlichen hinter der effizienten Schadensersatzpflicht führen, minimiert werden. Da eine Begrenzung der Haftpflicht des Schädigers für den Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weder gesetzlich normiert noch richterrechtlich ausgeprägt ist, existiert somit eine Anreizverzerrung durch eine rechtliche Haftungsobergrenze nicht. Gegen die faktische Haftungsbegrenzung und gegen das Geltendmachungsdefizit (enforcement error) können die Gerichte – wie für das Schmerzensgeld entsprechend nachgewiesen 292 – de lege lata keine Gegenmaßnahmen ergreifen. Einer für das allgemeine Persönlichkeitsrecht spezifischen Klärung bedarf somit allein das Problem der Monetarisierung des entstandenen Schadens. a) Vergleich zwischen der ökonomischen Soll-Lage und der Ist-Lage Unter dem Aspekt, Anreize zu gesamtgesellschaftlich wünschenswertem Verhalten zu vermitteln, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Schädiger den gesamten von ihm verursachten Schaden zu ersetzen hat (vollkommene Kompensation). 293 Ausnahmsweise ist im Fall der vorsätzlichen Schädigung, wenn der aus der Schädigung gezogene Gewinn den Schaden übersteigt, dieser Gewinn beim Schädiger abzuschöpfen. 294 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage der Bestimmung des Schadensersatzes im Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist nicht homogen. Es lassen sich zwei ambivalente Ansätze ausmachen, die sich im Hinblick auf ihre dogmatische Einordnung und das Zumessungsprinzip des Schadensersatzes grundlegend unterscheiden. Zum einen findet sich seit der „Dahlke“-Entscheidung der Gedanke, das Persönlichkeitsrecht begründe ein den Immaterialgüterrechten vergleichbares Ausschließlichkeitsrecht. 295 Wird beispielsweise das Konterfei der 292 293 294 295
s. o., vgl. Teil 3 A. II. 3. b), c). s. o., vgl. Teil 2 B. I. 1., III. 1. s. o., vgl. Teil 2 B. IV. BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353) – „Paul Dahlke“.
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Popsängerin Nena ohne deren Zustimmung auf T-Shirts gedruckt 296 oder der Name Marlene Dietrichs unbefugt zur Werbung für Autos, Kosmetika und Merchandising-Artikel eingesetzt 297, stelle dies einen Eingriff in eine vermögensrechtliche Position dar. Schadensrechtlich entstehe dadurch auf Seiten des Verletzten ein Vermögensschaden, den der Schädiger nach den Grundsätzen der für die Immaterialgüterrechte richterrechtlich entwickelten Methode der dreifachen Schadensberechnung auszugleichen habe. 298 Zum anderen existiert im Anschluss an die „Herrenreiter“-Entscheidung der Ansatz, die Verletzung des Persönlichkeitsrechts, beispielsweise durch den Abdruck eines nicht autorisierten Fotos oder eines erfundenen Interviews, beeinträchtige nicht die vermögensrechtlichen, sondern allein die ideellen Belange der Persönlichkeit. Schadensrechtlich handele es sich demzufolge bei einer solchen Kränkung um einen Nichtvermögensschaden, der entgegen § 253 Abs. 1 BGB zu ersetzen sei. 299 In seiner „Caroline“-Entscheidung bestimmte der Bundesgerichtshof, dass die Höhe des zu ersetzenden Nichtvermögensschadens jedenfalls dann, wenn die Verletzung zur Steigerung des eigenen Gewinns erfolgt, an der Höhe des Schädigergewinns zu orientieren sei, damit von der drohenden Schadensersatzpflicht ein Hemmungseffekt für die Vermarktung fremder Persönlichkeitsrechte ausgehe. 300 Diese beiden Ansätze verhalten sich spiegelbildlich zueinander. Bei Anwendung des einen wird ausschließlich der Vermögensschaden ersetzt, bei Anwendung des anderen ausschließlich der Nichtvermögensschaden. Den ökonomischen Anforderungen der vollständigen Kompensation des gesamten entstandenen Schadens kann dieses dichotome System nur dann gerecht werden, wenn neben der jeweils ersatzfähigen Art des Schadens (z. B. der Vermögensschaden im ersten Ansatz) nie auch ein Schaden der jeweils nichtersatzfähigen Art (hier: ein Nichtvermögensschaden) eintritt. Denn sobald Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden kumulativ auftreten, bleibt immer – unabhängig von der Zuordnung des Falls durch den Bundesgerichtshof zur einen oder zur anderen Fallgruppe – ein Teil des entstandenen Schadens – entweder der Vermögensschaden oder der Nichtvermögensschaden – unersetzt. Die Kompensation ist folglich unvollkommen und damit unter ökonomischen Gesichtspunkten suboptimal.
296 297
BGH (Urt. v. 14. 10. 1986 – VI ZR 10/86), GRUR 1987, 128 (129) – „Nena“. BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (231 f.) – „Marlene Diet-
rich“. 298 Grundlegend: BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353) – „Paul Dahlke“. So auch: BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (231 f.) – „Marlene Dietrich“. Einen Überblick zur dreifachen Schadensberechnung bieten Köhler, in: Baumbach / Hefermehl (2004), § 9, Rdnr. 1.36 –1.45 oder Schiemann, in: Staudinger (2005), § 249, Rdnr. 198 –201. Auf die dreifache Schadensberechnung wird später im Detail eingegangen werden. 299 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (353) – „Herrenreiter“. 300 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
Die Trennung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden liegt im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht so offen auf der Hand wie etwa bei der Körperverletzung. Um eine exakte Analyse des geltenden Rechts durchführen zu können, ist es daher zunächst erforderlich zu klären, wie die entstehenden Schäden rechtlich zu qualifizieren sind. Der Schaden, der dem Geschädigten im Fall einer unbefugten Nutzung seines Persönlichkeitsrechts entsteht, kann aus ökonomischer Sicht einerseits aus der reinen Tatsache der ungenehmigten Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts („Ob“ der Beeinträchtigung, Verwertungsinteresse) resultieren und andererseits aus der Art und Weise der ungenehmigten Beeinträchtigung („Wie“ der Beeinträchtigung, Integritätsinteresse). 301 Diese beiden Schadensposten sind nun daraufhin zu untersuchen, ob sie der Kategorie des Vermögensschadens oder der des Nichtvermögensschadens zuzuordnen sind. Ein Vermögensschaden liegt dann vor, wenn der Schaden in Geld messbar und nicht untrennbar mit der Person des Geschädigten verbunden ist, ein Nichtvermögensschaden gemäß seiner antithetischen Abgrenzung entsprechend dann, wenn kein Vermögensschaden vorliegt. 302 aa) Zunächst soll das Verwertungsinteresse untersucht werden. Die Allokation des Rechts, persönlichkeitsrechtsrelevante Interessen eines Subjekts zu verwerten, wird im Grundsatz über den freien Markt vorgenommen. Ein Verwertungsrecht wird (nur) dann auf einen anderen übertragen werden, wenn der nachfragende potentielle Verwerter das Recht höher bewertet als der anbietende Persönlichkeitsrechtsinhaber. Unter mehreren solchen Nachfragern wird derjenige das Recht erhalten, der den höchsten Betrag bietet. Über dieses freie Spiel der Kräfte lässt sich aus Angebot und Nachfrage ein Preis für das Verwertungsrecht ermitteln. Dessen Höhe hängt vom konkreten Einzelfall ab: Er kann exorbitante Werte erreichen, wie die geschätzten 500.000 DM für die Exklusiv-Rechte an den Fotos von Michael Schumachers kirchlicher Hochzeit, 303 er kann aber unter Umständen auch sehr gering oder sogar null sein, wenn keine Nachfrage besteht, weil beispielsweise der Name eines Unbekannten keiner sinnvollen wirtschaftlichen Nutzung zugänglich ist. Über diesen Markt, der für die Verwertung von Persönlichkeitsrechten besteht, lässt sich folglich der Wert des Verwertungsinteresses in Geld messen. Zwar wird nach dem traditionellen Verständnis das Persönlichkeitsrecht als höchstpersönliches und unveräußerliches Recht definiert. 304 Entgegen diesem Pos301
Zur Unterscheidung dieser beiden Arten von Schäden: Teil 2 B. III. 1. a) aa) (1) und
(2). 302
s. o., vgl. Teil 1 B. So eine Schätzung in: „Die Woche“ v. 18. 08. 1995 (Nr. 34/95), S. 9. 304 Nach der traditionellen Definition Josef Kohlers (1880), S. 74, an der teilweise noch bis heute festgehalten wird, sind Persönlichkeitsrechte „... kraft ihres organischen Zusammenhanges mit der berechtigten Persönlichkeit untrennbar verbunden und einer direkten Veräußerung nicht fähig.“ 303
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tulat der unauflöslichen Bindung des Persönlichkeitsrechts an die Person des Rechtsträgers werden in der Realität Verwertungsrechte an der eigenen Persönlichkeit durchaus auf Dritte übertragen. Es muss also tatsächlich ein gewisser Spielraum bestehen, innerhalb dessen der Rechtsträger die Möglichkeit hat, über sein Recht zu disponieren. Das rechtliche Instrumentarium dafür bildet die Einwilligung, über die er – wie bei fast jedem anderen subjektiven Recht auch 305 – einem Dritten die Erlaubnis erteilen kann, in sein Recht einzugreifen. Dies ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, die für das Recht am eigenen Bild aber explizit in § 22 S. 1 KUG geregelt ist. Horst-Peter Götting begründet diese gesetzgeberische Akzentuierung des Instituts der Einwilligung damit, dass sie – anders als beispielsweise bei der Körperverletzung oder der Freiheitsentziehung – bei Eingriffen in Persönlichkeitsrechte keine Ausnahme, sondern gängige Praxis sei. 306 Und in der Realität wird von dieser Möglichkeit auch in großem Umfang Gebrauch gemacht. Exemplarisch sei nur der der „Nena“-Entscheidung zugrunde liegende global und exklusiv berechtigende „Merchandising-Sponsor-Promotion-Vertrag“ zwischen der Sängerin Nena und einer Verwertungsgesellschaft angeführt, der unter anderem folgende Klausel enthielt: „Nena überträgt hiermit sämtliche für die kommerzielle Nutzung des akustischen und optischen Umfeldes von Nena erforderlichen Rechte auf ... (Kl.) [die vorliegend klagende Verwertungsgesellschaft, der Verf.], insbesondere das Recht am eigenen Bild, das Recht am Namen Nena, das Recht am Logo (Trademark),...“ 307
Die kontinuierlich fortschreitende Kommerzialisierung der Persönlichkeit hat die Persönlichkeitsrechte zu marktgängigen Wirtschaftsgütern werden lassen. Durch den technischen und gesellschaftlichen Wandel und den ständig wachsenden Einfluss der Massenmedien haben Persönlichkeitsrechte insbesondere in Bereichen wie der medialen Berichterstattung, der Werbung oder des Merchandisings einen bedeutenden wirtschaftlichen Wert erlangt. 308 Die Persönlichkeitsrechte werden durch die Nutzung von der Person des Rechtsträgers losgelöst und verselbständigt. Dieser Entwicklung Rechnung tragend, billigt es der Bun305 Eine Ausnahme bildet das Leben. Der verallgemeinerungsfähige Rechtsgedanke, dass niemand eine wirksame Einwilligung in seine Tötung durch einen anderen erteilen kann, ist in § 216 StGB niedergelegt. 306 Götting (1995), S. 39. 307 BGH (Urt. v. 14. 10. 1986 – VI ZR 10/86), GRUR 1987, 128 (128) – „Nena“. 308 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (223) – „Marlene Dietrich“; eingehend: J. Helle (1996), S. 459 – 463. Selbstverständlich ist es der Rechtsordnung durchaus möglich – wie es beispielsweise von Schack (1995), S. 594 f. gefordert wird –, „gesellschaftlichen Fehlentwicklungen entgegenzutreten“. Ein dementsprechendes rechtliches Verbot der kommerziellen Nutzung der Persönlichkeit ist aber aus juristischer Sicht nicht geboten und aus ökonomischer Sicht unsinnig, weil dadurch ein möglicher Kooperationsgewinn, der sich durch eine Markttransaktion erzielen ließe, zerstört würde. Umfassend und mit weiteren Argumenten: BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (224 – 227) – „Marlene Dietrich“.
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desgerichtshof seit der Entscheidung „Marlene Dietrich“ ausdrücklich, dass der Rechtsinhaber vermögenswerte Bestandteile seines Persönlichkeitsrechts wirtschaftlich umfassend verwertet, 309 und er steht auch deren Übertragung auf Dritte prinzipiell wohlwollend gegenüber. 310 Zwar ist der herkömmlichen Sichtweise zuzugeben, dass in der Tat eine Rechtsübertragung des Persönlichkeitsrechts im translativen Sinne auf einen Dritten ausgeschlossen ist. Denn der individuellen Dispositionsfreiheit sind jedenfalls insoweit durch Art. 1, 2 GG verfassungsrechtliche Grenzen gezogen, als der Einzelne für alle Zeit auf sein Selbstbestimmungsrecht verzichten und sich vollständig der Regie eines anderen unterwerfen würde. 311 Dieses Recht ist also durchaus seiner Natur nach unauflöslich mit der Person des Rechtsinhabers verbunden. Dagegen kann der Rechtsinhaber einem Dritten aber (umfassende) Nutzungsrechte einräumen, die von dem Mutterrecht, das bei ihm als genuinem Rechtsträger verbleibt, abgelöst und konstitutiv in die Rechtszuständigkeit eines anderen überführt werden (Rechtsübertragung im konstitutiven Sinne). Diese Tochterrechte bleiben dabei derart an das Mutterrecht gebunden, dass der Betroffene zur Wahrung seiner unverzichtbaren ideellen Interessen gewisse Einwirkungsmöglichkeiten auf die wirtschaftliche Verwertung behält. 312 Merkmale der Persönlichkeit wie beispielsweise eine Abbildung oder die Stimme, an deren wirtschaftlicher Nutzung der Rechtsträger unter Umständen ein erhebliches Interesse haben kann, sind so infolge der Kommerzialisierung der Persönlichkeit zu einem von der Person abtrennbaren, handelbaren Gut geworden, dessen Preis sich aus Angebot und Nachfrage bestimmt. Im Hinblick auf dieses Verwertungsinteresse hat das Persönlichkeitsrecht somit einen vermögensrechtlichen Charakter. 313 Aus einer Verwertung dieses kommerzialisierten Persönlichkeits309
BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (219) – „Marlene Dietrich“. BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (221) – „Marlene Dietrich“: „Eine Reihe von Gesichtspunkten spricht dafür, daß die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts nicht in derselben Weise unauflöslich an die Person ihres Trägers gebunden sind wie der Teil des Persönlichkeitsrechts, der dem Schutz ideeller Interessen dient.“ (mit umfassenden Nachwiesen aus Rechtsprechung und Literatur). Diese Frage war jedoch vorliegend nicht entscheidungsrelevant und wurde daher nicht bindend entschieden. Die Tendenz dieses obiter dictums geht jedoch recht eindeutig in Richtung der Zulässigkeit. 311 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (220) – „Marlene Dietrich“. Dazu explizit auch: A. Staudinger / R. Schmidt (2001), S. 245. 312 Ulmer (1980), S. 359; Schricker (1985), S. 413 (jeweils für das Urheberrecht); Götting (1995), S. 65. In diesem Sinne auch schon andeutungsweise Kohler (1880), S. 74: „Nur indirekt, kraft obligatorischer Gebundenheit, können solche Individualgüter der Benützung eines Dritten anheimgegeben werden.“ 313 Die Herausbildung dieses vermögensrechtlichen Aspekts des Persönlichkeitsrechts ist kein contradictio in adiecto. Denn den disjunktiven Gegenbegriff zum Persönlichkeitsrecht bildet das Immaterialgüterrecht, nicht das Vermögensrecht. Schon Otto v. Gierke (1895), S. 706 ging – als einer der Urväter des Persönlichkeitsrechts – davon aus, dass „[m]anche Persönlichkeitsrechte [...] zugleich Vermögensrechte [sind].“ Dazu: Hubmann (1967), S. 283 f. (für die Firma); Götting (1995), S. 7 f., 10, Fn. 36. 310
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rechts, die nicht durch Erteilung eines Tochterrechts gestattet worden ist, resultiert daher eine Beeinträchtigung des vermögenswerten Verwertungsinteresses des Rechtsträgers. 314 Ihm entsteht ein Vermögensschaden. bb) Das Integritätsinteresse ist betroffen, wenn das Verhalten des Schädigers den Wert- und Achtungsanspruch der Persönlichkeit – und nicht die wirtschaftliche Verwertbarkeit – beeinträchtigt. Dies ist immer dann der Fall, wenn eine Nutzung des Persönlichkeitsrechts zu einer Verletzung führt, die auch hypothetisch nicht durch ein Nutzungsrecht im obigen Sinne hätte erlaubt werden können. Mit anderen Worten: Selbst wenn dem Schädiger im Wege der Einwilligung des Rechtsinhabers ein (denkbar weites) Nutzungsrecht eingeräumt worden wäre, stellte sein Verhalten trotzdem noch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar. Bei dieser Art der Verletzung werden also nicht die übertragbaren und kommerzialisierbaren Bestandteile des Persönlichkeitsrechts betroffen. Es ist vielmehr der trotz einer umfassenden Übertragung beim genuinen Rechtsinhaber verbleibende „Rest“ 315 betroffen – das Mutterrecht. Dieses Mutterrecht, das als unverzichtbarer Kern des Persönlichkeitsrechts die ideellen Interessen des Betroffenen schützt, ist infolge seiner Höchstpersönlichkeit nicht auf einen Dritten übertragbar und verbleibt denknotwendig beim ursprünglichen Rechtsträger. Das traditionelle Leitbild, dass das Persönlichkeitsrecht unauflöslich mit der Person verbunden ist, gilt somit jedenfalls noch für dessen Kern, den „unantastbare[n] persönliche[n] Bereich des einzelnen“ 316. 317 Sofern durch ein Verhalten dieser Teil des Persönlichkeitsrechts beeinträchtigt wird, handelt es sich also um eine Verletzung ideeller Interessen. 318 Dem Geschädigten entsteht dementsprechend ein Nichtvermögensschaden. cc) Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Beeinträchtigungen von Persönlichkeitsrechten sowohl zu Vermögensschäden als auch zu Nichtvermögensschäden führen können. Dies ist im Grundsatz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch seit beinahe einem halben Jahrhundert anerkannt. 319 Dieser 314 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (219) – „Marlene Dietrich“. Im Anschluss daran beispielsweise auch: OLG München (Urt. v. 26. 01. 2001 – 21 U 4612/ 00), VersR 2003, 778 (778). Grundlegend: Schlechtriem (1976), S. 465; Schwerdtner (1977), S. 228 (für das Recht am eigenen Bild); Larenz / Canaris (1994), S. 502. Einen ausführlichen Überblick über den Meinungsstand bietet: Funkel (2001), S. 168 ff. 315 Wagner (2000b), S. 213. 316 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (11) – „Caterina Valente“. 317 BGH (Urt. v. 20. 03. 1968 – I ZR 44/66), BGHZ 50, 133 (137) – „Mephisto“; BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (220) – „Marlene Dietrich“. 318 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (218 f.) – „Marlene Dietrich“. So beispielsweise auch: Götting (1995), S. 69; Wagner (2000c), S. 1309. 319 Grundlegend für die Anerkennung von Vermögensschäden: BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 – „Paul Dahlke“; grundlegend für die Anerkennung von Nichtvermögensschäden: BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 – „Herrenreiter“.
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Rechtsprechung liegt allerdings die – dort bislang unausgesprochen gebliebene – Prämisse zugrunde, dass der Ausgleichsanspruch des Geschädigten entweder über einen Ersatz des Vermögensschadens (bzw. das Bereicherungsrecht) nur das vermögenswerte Verwertungsinteresse der Persönlichkeit oder alternativ über einen Ersatz des Nichtvermögensschadens nur das ideelle Integritätsinteresse der Persönlichkeit erfasst. So wertete der Bundesgerichtshof die Veröffentlichung eines erschlichenen Fotos zu Werbezwecken einerseits im Fall „Paul Dahlke“ als Eingriff in ein fremdes, vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht und somit als Vermögensschaden, 320 andererseits im „Herrenreiter“-Fall als derart demütigend und bloßstellend, dass er im Ergebnis eine ideelle Beeinträchtigung und folglich einen Nichtvermögensschaden annahm. 321 Aus seiner Sicht konsequenterweise lehnte der Bundesgerichtshof im ersten Fall den Ersatz eines eventuell entstandenen Nichtvermögensschadens genauso ab wie im zweiten Fall den eines Vermögensschadens. (1) Unter dem Blickwinkel der ökonomischen Analyse des Rechts ist eine Veränderung der bestehenden Rechtsprechung (nur) dann erforderlich, wenn es über die gegebenen Möglichkeiten nicht gelingt, das Ziel der vollkommenen Kompensation des Geschädigten zu verwirklichen. Das ist der Fall, wenn Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden infolge ein und derselben Verletzung kumulativ – und entgegen der Rechtsprechung nicht lediglich alternativ – auftreten. Ob dies der Fall ist, soll exemplarisch am Fall „Caterina Valente“ 322 geklärt werden. Ein Hersteller von Haftcreme für Zahnprothesen (Kukident) veröffentlichte eine Werbeanzeige, in der eine nicht genannte Sängerin ein angebliches Erlebnis schilderte und die Produkte von Kukident pries. Der Werbetext begann mit den Worten: „Wenn ich auch nicht so berühmt wurde wie meine große Kollegin Caterina Valente, so war doch die Bühne meine Welt. Ich sage, war, denn eines Abends geschah etwas Furchtbares: Ich stand auf der Bühne eines bekannten süddeutschen Hauses und sang gerade mein Erfolgslied. [...] Dabei löst sich plötzlich die Oberplatte meines künstlichen Gebisses vom Gaumen, und nur ein blitzschneller Griff bewahrte sie vor dem Herausfallen. [...] Mein Auftritt war eine schreckliche Blamage, die meine Karriere und Existenz zerstörte.“ 323
Kukident hatte von Caterina Valente, einer zu dieser Zeit bekannten Künstlerin, keine Erlaubnis eingeholt, ihren Namen im Rahmen dieser Werbekampagne verwenden zu dürfen. Der Bundesgerichtshof bejahte dementsprechend mit Recht eine schuldhafte Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts, 324 sodass Valente einen 320 321 322 323 324
BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353) – „Paul Dahlke“. BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (352 f.) – „Herrenreiter“. BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59), BGHZ 30, 7 – „Caterina Valente“. BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59), BGHZ 30, 7 (8) – „Caterina Valente“. BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59), BGHZ 30, 7 (13 f.) – „Caterina Valente“.
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Anspruch auf Schadensersatz hatte. Ein Schaden entstand ihr zum einen daraus, dass ihr die Vergütung, die üblicherweise bezahlt wird, wenn und damit eine bekannte Person ihren Namen für eine Werbung zur Verfügung stellt, vorenthalten wurde. Dieser Posten betrifft die Frage der kommerziellen Nutzung der Persönlichkeit und begründet somit einen Vermögensschaden. Zum anderen entstand ihr auch daraus ein Schaden, dass infolge der Werbekampagne ein großer Teil der Leser sie unwillkürlich mit dem beworbenen Produkt in Verbindung bringen werde. 325 Im Hinblick auf die Art des Produktes sei diese Vorstellung für Valente nicht gerade schmeichelhaft und es liege auf der Hand, dass ihr Ansehen darunter leiden könne. 326 Auf diese Weise wurde durch die Werbung also zugleich die Integrität ihrer Persönlichkeit verletzt; es entstand ihr mithin auch ein Nichtvermögensschaden. Aus der Verletzung des Persönlichkeitsrechts Caterina Valentes resultierte also sowohl ein Vermögens- als auch ein Nichtvermögensschaden. 327 (2) Allein daraus folgt jedoch noch nicht zwingend die Notwendigkeit, die bestehende Rechtsprechung zu verändern. Aus Sicht der ökonomischen Anreizsteuerung ist die rechtsdogmatische Frage bedeutungslos, ob ein Schaden als Vermögens- oder als Nichtvermögensschaden klassifiziert wird. Relevant ist allein das Faktum, ob der Schädiger zu gesamtgesellschaftlich wünschenswertem Verhalten induziert wird, indem er den gesamten von ihm verursachten Schaden zu ersetzen hat. Auch wenn von Rechts wegen entweder nur der Vermögensschaden oder nur der Nichtvermögensschaden ersetzt wird, vermittelt dies dennoch die angestrebten Anreize, wenn die dem Schädiger drohende Ersatzpflicht den aus ökonomischer Sicht gebotenen Anforderungen gerecht wird. 328 Daher erzielt auch der Weg der Rechtsprechung über den Ersatz (allein) des Nichtvermögensschadens dann den ökonomisch gewünschten Effekt, wenn dort die Höhe der Geldentschädigung, von der – wie ja in der „Caroline“-Entscheidung proklamiert – ein „echter Hemmungseffekt“ 329 ausgehen soll, tatsächlich so hoch bemessen wird, dass sie den gesamten entstandenen Schaden umfasst, also auch den Vermögensschaden. Rechtswissenschaftliche Bedenken dagegen, dass die gerichtlich zugesprochene Geldentschädigung – wie im Schrifttum kritisiert wird – eine „Fortsetzung des Vermögensschadensrechts mit anderen Mitteln“ 330 sei, ein „willkommener Hel325 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59), BGHZ 30, 7 (13) – „Caterina Valente“ (Feststellung des OLG Karlsruhe in der Berufungsinstanz, die der Bundesgerichtshof für rechtlich unangreifbar hielt). 326 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59), BGHZ 30, 7 (13) – „Caterina Valente“. 327 Andeutungsweise sah dies in seiner Entscheidung „Caterina Valente“ auch der Bundesgerichtshof ([Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/59], BGHZ 30, 7) so: Leitsatz 4 (S. 7) und Erwägungen auf den S. 16 –18. Diese Sichtweise konnte sich jedoch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht durchsetzen. 328 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1., IV. 329 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. 330 Schwerdtner, in: Münchener Kommentar, 3. Auflage (1993), § 12, Rdnr. 291.
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fer in der Not“ 331, der durch „[s]achfremde Erwägungen“ in die Höhe getrieben werde 332, sind aus ökonomischer Sicht ohne Belang. Ein Indiz für eine einheitliche Abwicklung des Schadens entweder über das Institut des Vermögens- oder über das des Nichtvermögensschadens scheint sich aus der „Herrenreiter“-Entscheidung zu ergeben: Das Berufungsgericht hatte dem Kläger in der Tradition des „Dahlke“-Urteils zum Ersatz des erlittenen Vermögensschadens einen Betrag von 10.000 DM zugesprochen, den es als angemessene Vergütung für die Nutzung des Bildes ansah. Der Bundesgerichtshof, der zwar den erlittenen Schaden des als „Herrenreiter“ abgebildeten Geschädigten abweichend als Nichtvermögensschaden einordnete, meinte trotzdem, dass die vom Berufungsgericht im Hinblick auf die Schadenshöhe angestellten Überlegungen zutreffend seien, und setzte deshalb die Geldentschädigung für den erlittenen Nichtvermögensschaden auf ebenfalls 10.000 DM fest. 333 Für die Bewertung der Höhe des ersatzfähigen Schadens scheint also die Einordnung als Vermögensoder Nichtvermögensschaden nicht von entscheidender Bedeutung zu sein. Ob die zugesprochenen 10.000 DM jedoch auch tatsächlich den gesamten erlittenen Schaden ersetzen, kann nicht abschließend geklärt werden. Eine kritische Überprüfung des in dieser Hinsicht vermeintlich bahnbrechenden „Caroline“-Urteils offenbart jedoch, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung hinter den Anforderungen der ökonomischen Analyse klar zurückbleibt. Obwohl von der Höhe der Geldentschädigung ein „Hemmungseffekt“ 334 ausgehen sollte und somit eine Orientierung an den ökonomischen Geboten zu erfolgen scheint, wird dennoch die unter dem Effizienzaspekt in diesem Fall konkret gebotene Gewinnabschöpfung gerade nicht vorgenommen. Stattdessen sei, so der VI. Zivilsenat, die Absicht des Schädigers, durch die Rechtsverletzung Gewinne zu erzielen, lediglich als ein Bemessungsfaktor unter mehreren in die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung einzubeziehen. 335 Das OLG Hamburg, an das der Rechtsstreit zur Festsetzung der genauen Schadensersatzhöhe zurückverwiesen worden war, verstand dies als eine Absage an eine vollständige Gewinnabschöpfung und hielt es daher für „... nicht angezeigt, für die Bemessung des Anspruchs auf Geldentschädigung den konkreten Verletzergewinn zu bestimmen...“ 336. Denn deren Angemessenheit sei nicht von der Höhe des erzielten Gewinns abhängig. 331 Gounalakis (1998), S. 10. Eingehend zu der Frage des Schmerzensgelds als „Helfer in Beweisnöten beim Vermögensschaden“: Steffen (1996a), S. 723 ff. und Steffen (1997), S. 10. 332 Ullmann (1999), S. 213. 333 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (358) – „Herrenreiter“. 334 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. 335 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. 336 OLG Hamburg (Urt. v. 25. 07. 1996 – 3 U 60/93), NJW 1996, 2870 (2872) – „Caroline I“ (Hervorhebung im Original).
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Ausgangspunkt der Überlegung bleibe die Beeinträchtigung der Persönlichkeit. Dass die Persönlichkeitsrechtsverletzung in Gewinnerzielungsabsicht durch vorsätzlichen Rechtsbruch erfolgt ist, sei lediglich „mitzuberücksichtigen“ 337. Die Entschädigung wurde letztlich auf 180.000 DM festgesetzt, obwohl die Klägerin den Gewinn, den der Beklagte durch die Verletzung zusätzlich erzielt habe, auf mindestens 739.000 DM bezifferte und als Mindestbetrag eine Geldentschädigung von 400.000 DM beantragt hatte. 338 Der an dem Verletzergewinn orientierte Betrag der Rechtsprechung blieb somit deutlich hinter dem tatsächlichen Verletzergewinn zurück. Die ökonomisch gebotene Schadensersatzhöhe wurde mithin bei weitem verfehlt. Ähnlich wie beim Schmerzensgeld legen die Gerichte also auch bei der Geldentschädigung ohne feste Bewertungsgrundlage einen Betrag fest, den sie aufgrund der Umstände als angemessen erachten, anstatt die Höhe des Ersatzanspruchs auf Basis der aus ökonomischer Sicht relevanten Vorgaben exakt zu kalkulieren. Demensprechend müssen sie sich auch hier den Vorwurf der „Gefühlsjurisprudenz“ 339 gefallen lassen. Weder der Ansatz des Bundesgerichtshofs über den Ersatz des Vermögensschadens noch der über den Ersatz des Nichtvermögensschadens erfasst also die dem Geschädigten zugefügte Verletzung in vollem Umfang. Die dem Geschädigten richterrechtlich zur Verfügung gestellten Möglichkeiten, Ersatz seines Schadens zu erlangen, werden somit den ökonomischen Anforderungen nicht gerecht. Ausschlaggebend für das Zurückbleiben der gerichtlich zugesprochenen Schadensersatzsummen hinter den ökonomisch gebotenen Beträgen ist dabei nicht, dass die Gerichte zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden differenzieren – dies ist zwingend durch die geltende Schadensrechtsdogmatik vorgegeben –, sondern dass nur alternativ der Ersatz des Vermögensschadens oder des Nichtvermögensschadens zugesprochen wird und nicht kumulativ Ersatz des Vermögensschadens und des Nichtvermögensschadens.
337 OLG Hamburg (Urt. v. 25. 07. 1996 – 3 U 60/93), NJW 1996, 2870 (2872) – „Caroline I“. 338 OLG Hamburg (Urt. v. 25. 07. 1996 – 3 U 60/93), NJW 1996, 2870 (2874) – „Caroline I“. Die beantragten 400.000 DM sind der Marktpreis, den die Klägerin als angemessenen für die insgesamt vier Titelgeschichten ansah (Kontrollberechnung). Der Verletzergewinn soll sich bei Anwendung verschiedener Berechnungsmethoden auf Beträge zwischen 739.000 DM und 4.129.000 DM belaufen haben. Diese von der Klägerin vorgetragenen Zahlen wurden von dem beklagten Burda-Verlag nicht bestritten (S. 2871). Zu den verschiedenen angewandten Methoden zur Berechnung des erzielten Gewinns: Prinz (1996), S. 955 f., der die Klägerin Caroline von Monaco in dem Fall „Caroline I“ anwaltlich vertrat. Die neuerliche Revision gegen dieses Urteil des OLG Hamburg wurde vom Bundesgerichtshof nicht angenommen. 339 Larenz / Canaris (1994), S. 494.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
b) Rechtliche Zulässigkeit der Anpassung an die ökonomischen Vorgaben Die anzustrebende Kumulation des Ersatzes von Vermögens- und Nichtvermögensschäden ist durch das allgemeine Schadensrecht des BGB weder ausgeschlossen noch stellt sie im deutschen Recht einen Sonderfall dar. Bei Schädigungen anderer Art ist sie sogar der Normalfall. So sprechen die Gerichte beispielsweise im Fall der Körperverletzung, die jedenfalls im weiteren Sinne auch als eine Verletzung der Persönlichkeit bezeichnet werden kann, ohne zu zögern sowohl den entstandenen Vermögensschaden (z. B. Heilungskosten oder Verdienstausfall) als auch den erlittenen Nichtvermögensschaden in Form eines Schmerzensgeldes zu. (Noch) Größere Parallelen weist der Fall der Urheberrechtsverletzung auf. Seiner Rechtsnatur nach ist das subjektive Urheberrecht hinsichtlich seiner vermögensrechtlichen Seite, die das Interesse an der wirtschaftlichen Verwertung des Werkes erfasst, Immaterialgüterrecht, hinsichtlich seiner ideellen Seite, die die persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse des Urhebers schützt, Persönlichkeitsrecht. 340 Werden durch eine Verletzung eines Urheberrechts beide Facetten beeinträchtigt, entsteht gemäß § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG ein Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens und daneben gemäß § 97 Abs. 2 UrhG ein Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens. 341 Für das Urheberrecht hat es der Gesetzgeber also ausdrücklich festgeschrieben, dass ihm ein materieller und einen immaterieller Gehalt zukommt, denen das Schadensersatzrecht gesondert und gleichberechtigt nebeneinander Rechnung zu tragen hat. Zwar fehlt es für das allgemeine Persönlichkeitsrecht an einer gesetzlichen Regelung. Das angestrebte Nebeneinander von Vermögens- und Nichtvermögensschadensersatz im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung erscheint in Anbetracht der eng verwandten urheberrechtlichen Regelung aber nicht lediglich als eine zur Erreichung der ökonomischen Anforderungen rechtlich zulässige Maßnahme, sondern als ein im Interesse der dogmatischen Folgerichtigkeit und Einheitlichkeit der rechtlichen Regelung geradezu gebotener Schritt. 342,343 Ob dem potentiellen Schädiger über die Schadensersatzpflicht ein Anreiz zu gesamtgesellschaftlich 340
Umfassend: Ulmer (1980), S. 114 – 118. Der urheberrechtliche Streit, ob ein Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens nach § 97 Abs. 2 UrhG auch im Fall der Verletzung des Verwertungsrechts besteht (so z. B. Ulmer [1980], S. 557; Schack [2005], Rdnr. 694) oder ob dieser nur bei Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts verlangt werden kann (so z. B. Nordemann, in: F. Fromm / Nordemann [1998], § 97, Rdnr. 45; Wild, in: Schricker [1999], § 97, Rdnr. 76; jedenfalls für postmortale Verletzungen auch: OLG Hamburg [Urt. v. 14. 04. 1994 – 3 U 236/93], NJWRR 1995, 562 [563] – „Aristide Maillol“), ist für die urheberrechtliche Parallele, die hier aufzuzeigen beabsichtigt ist, irrelevant (dazu: Wagner [2000b], S. 223, Fn. 113). 342 Wagner (2000b), S. 223; Wagner (2000c), S. 1309; Ullmann (2000), S. 1052 f. Etwas zurückhaltender noch: Ullmann (1999), S. 213, der eine Kumulation aber immerhin schon für „denkbar“ hielt. 341
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wünschenswertem Verhalten vermittelt werden kann, ist deshalb davon abhängig, ob es den Gerichten gelingt, die beiden entstehenden Schadensposten im Rahmen der Ersatzpflicht entsprechend den unter Effizienzaspekten ermittelten Grundsätzen zu beziffern. aa) Monetarisierung des Vermögensschadens 344 Für den Posten des Vermögensschadens setzt dies voraus, dass grundsätzlich der Marktwert der Lizenz ersetzt wird; ausnahmsweise muss, wenn bei einer vorsätzlichen Schädigung der Gewinn des Schädigers den Schaden des Geschädigten übersteigt, der Gewinn des Verletzers abgeschöpft werden. 345 (1) Nach den allgemeinen schadensrechtlichen Normen der §§ 249 ff. BGB ist primär der Zustand wiederherzustellen, der ohne die Rechtsverletzung bestehen würde (Primat der Naturalrestitution). Da das unkörperliche Persönlichkeitsrecht durch eine unbefugte Nutzung keine Substanzbeeinträchtigung erleidet und die Verletzung an sich regelmäßig durch den Abdruck einer Gegendarstellung nicht oder zumindest nicht vollständig ungeschehen gemacht werden kann, kann der Geschädigte jenseits der Schadensbeseitigung nach § 249 BGB über § 251 BGB 343 Für die dogmatische Konstruktion dieser Zweispurigkeit werden im Urheberrecht zwei verschiedene Ansätze diskutiert. Zum einen wird eine strenge Trennung (Dualismus) zwischen wirtschaftlichem Verwertungsrecht und ideellem Persönlichkeitsrecht eingefordert (so z. B. Heitmann [1963], S. 76 –82; Fikentscher [1983], S. 112; Schack [1995], S. 597). Neben dem auf den Privatbereich ausgerichteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht müsse daher ein von diesem unabhängiges, eigenständiges wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht ausgeprägt werden. Diese Konstruktion orientiert sich an der Dichotomie des USamerikanischen Rechts zwischen right of privacy und right of publicity (dazu: Wagner [2000b], S. 218 – 220; umfassend: Götting [1995], S. 168 ff.). Zum anderen wird vertreten, dass das kommerzielle Verwertungsinteresse ein von dem ideellen Integritätsinteresse nicht abtrennbarer Aspekt und somit ein integraler Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei (so z. B. Götting [1995], S. 138). Diese monistische Konstruktion ist eng an die des Urheberrechts angelehnt (dort allgemeine Ansicht, vgl. nur: Schricker, in: Schricker [1999], Einleitung, Rdnr. 21). In diesem Sinne ist auch die „Marlene Dietrich“Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu verstehen: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht [...] dien[t] dem Schutz nicht nur ideeller, sondern auch kommerzieller Interessen der Persönlichkeit.“ (BGH [Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97], BGHZ 143, 214 [214, Leitsatz a] – „Marlene Dietrich“). 344 Obwohl die Arbeit allein die verhaltenssteuernde Wirkung beim Ersatz von Nichtvermögensschäden behandelt, ist es hier erforderlich, auch die Monetarisierung des entstehenden Vermögensschadens zu behandeln. Das hat seinen Grund darin, dass die Gerichte bislang den gesamten aus einer Persönlichkeitsrechtsverletzung entstehenden Schaden – also sowohl den Vermögens- als auch den Nichtvermögensschaden – umfassend unter einem dieser beiden Aspekte zu ersetzen versuchen. Um die zur Verhaltenssteuerung optimale Lösung aufzuzeigen, ist es daher notwendig, die Methode zur Bezifferung beider Schadensposten aufzuzeigen – nicht zuletzt auch, damit die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede evident werden. 345 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa), c), IV.
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eine Entschädigung in Geld verlangen. 346 Diese wird prinzipiell über die Differenzmethode beziffert und umfasst neben jeder nachteiligen Veränderung des Vermögens (damnum emergens) nach § 252 BGB auch den entgangenen Gewinn (lucrum cessans). 347 Auf letzteren wird sich die Frage nach dem Differenzschaden im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung regelmäßig konzentrieren, da eine tatsächliche Minderung des Vermögens nur selten eintreten wird. Um den entgangenen Gewinn ersetzt zu bekommen, muss der Geschädigte allerdings gemäß § 252 S. 2 BGB nachweisen, dass er selbst ohne die Schädigung aller Wahrscheinlichkeit nach einen bestimmten Gewinn erzielt hätte. Obwohl § 252 S. 2 BGB gegenüber den gewöhnlichen Anforderungen schon eine Beweiserleichterung enthält, 348 wird der Geschädigte dennoch nur selten darlegen können, dass ihm durch die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts ein eigener Gewinn entgangen ist, der ihm ansonsten zugeflossen wäre. Denn zusätzlich zu den schon üblicherweise bestehenden Schwierigkeiten wird dieser Nachweis noch durch persönlichkeitsrechtliche Besonderheiten erschwert: Infolge der engen Verknüpfung der Nutzung von Persönlichkeitsrechten mit seiner eigenen Person fehlt es dem Geschädigten häufig schon an der Bereitschaft, sein Persönlichkeitsrecht zu demjenigen Zweck, zu dem es durch den Schädiger genutzt wurde, freiwillig zu vermarkten. So lehnte es Caterina Valente ausdrücklich ab, ihren Namen für eine Werbung für die Zahnhaftcreme „Kukident“ in der Form, wie sie durch den Schädiger betrieben worden war, zur Verfügung zu stellen. 349 In Bezug auf diese konkrete Nutzung hätte sie ihren Namen also nicht vermarktet und dementsprechend ist ihr dadurch auch kein Gewinn entgangen. Außerdem besteht, da das Persönlichkeitsrecht unkörperlich und daher potentiell ubiquitär vorhanden ist, die Möglichkeit eines mehrfachen, nichtrivalisierenden Gebrauchs. Dem Geschädigten wird daher durch eine unberechtigte Fremdnutzung die eigene Nutzung – anders als bei einem körperlichen Gegenstand wie zum Beispiel einem Kraftfahrzeug – gar nicht oder 346
Exemplarisch sei auf die Entscheidung des OLG München (Urt. v. 18. 01. 2002 – 21 U 3164/01), NJW-RR 2002, 1045 (1047) – „Katholischer Drecksack“ verwiesen. Dort erhielt die Bevölkerung eines Wahlkreises wenige Tage vor der Bundestagswahl 1998 ein Flugblatt, in dem dem CSU-Spitzenkandidaten vermeintliche Verfehlungen vorgeworfen wurden. Der Spitzenkandidat entwarf daraufhin ein richtig stellendes Gegenflugblatt (dessen Kosten er über § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersetzt verlangen konnte). Das OLG München führte dazu aus, dass dieses Gegenflugblatt die Beeinträchtigung der Persönlichkeit des betroffenen Politikers durch die objektiv unwahren Vorwürfe nicht hinreichend beseitigen konnte. Daher komme prinzipiell ein darüber hinausgehender Anspruch auf Geldersatz nach § 251 BGB in Betracht. 347 s. o., vgl. Teil 1 B. 348 Die ganz überwiegende Ansicht versteht den § 252 S. 2 BGB in diesem Sinne (sog. Beweiserleichterungstheorie); ständige Rechtsprechung seit: BGH (Urt. v. 19.06.1951 – I ZR 118/50), BGHZ 2, 310 (314). Eine abweichende Ansicht versteht die Vorschrift als materiellrechtliche Beschränkung des Schadensersatzes (sog. materiellrechtliche Theorie). Umfassend zu dieser Streitfrage: Schiemann, in: Staudinger (2005), § 252, Rdnr. 3 f. m.w. N. 349 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (17) – „Caterina Valente“.
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allenfalls für einen sehr eng umrissenen Bereich verwehrt. Obwohl der Name Caterina Valentes ohne ihr Einverständnis zur Werbung für „Kukident“ benutzt worden war, konnte sie diesen trotzdem zeitgleich noch nutzen, ihn sogar noch zu anderen Werbezwecken vermarkten. Sofern der Geschädigte nicht tatsächlich gerade eine derartige Nutzungsmöglichkeit in hinreichend bestimmter Weise in Aussicht hat, scheidet auch die Geltendmachung eines entgangenen Gewinns über § 252 BGB aus. Der Ersatz des Vermögensschadens nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts ist somit nicht nur im Hinblick auf die Erreichung des außergesetzlichen ökonomischen Ziels unbefriedigend, sondern auch im Hinblick auf die dem Gesetz als Zweck zugrunde liegende Kompensation des Geschädigten, der trotz der Verletzung seines vermögenswerten Rechts zur Verwertung seiner Persönlichkeit regelmäßig ohne Ersatzanspruch auskommen muss. Darüber hinaus können unverkörperte Rechte, zu deren Schutz der Inhaber zumutbarer Weise keine Vorkehrungen gegen Rechtsverletzungen treffen kann, deutlich leichter verletzt werden als verkörperte Rechte wie das Sacheigentum. 350 Um diesem Missstand abzuhelfen, hat der Bundesgerichtshof im „Paul Dahlke“-Urteil die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zum Urheberrecht 351 als gewohnheitsrechtlich anerkannt und auf den Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung übertragen. Unter Berufung auf die als solche bezeichnete „Billigkeitserwägung“, dass der Verletzer durch den Eingriff in immaterielle Rechte nicht besser gestellt werden soll, als er bei einer ordnungsgemäß nachgesuchten und erteilten Erlaubnis gestanden hätte – was der rechtsökonomischen Prämisse des „tort must not pay“ entspricht – führte der Bundesgerichtshof so für das Persönlichkeitsrecht zwei weitere Arten zur Berechnung des Vermögensschadens ein: die Berechnung nach der Lizenzanalogie sowie die nach dem Verletzergewinn. 352 Im Fall der Lizenzanalogie wird fingiert, dass zwischen Schädiger und Geschädigtem ein Lizenzvertrag der üblichen Art zu an350 BGH (Urt. v. 12. 01. 1966 – Ib ZR 5/64), BGHZ 44, 372 (375) – „Meßmer-Tee II“; so auch schon: Steindorff (1960), S. 457. Umfassend zur leichten Verletzbarkeit von Persönlichkeitsrechten: Teil 2 A. I. 2. b) aa). 351 Das Reichsgericht führte die dreifache Schadensberechnung, die schon auf die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts zurückgeht, für die Verletzung eines Urheberrechts im Fall „Ariston“ ein; RG (Urt. v. 8. 06. 1895 – I 13/95), RGZ 35, 63 (66 ff.). Diese Rechtsprechung weitete es noch auf andere immaterielle Rechte aus und führte sie auch nach Inkrafttreten des BGB fort; RG (Urt. v. 3. 02. 1909 – I 99/08), RGZ 70, 249 (250 f.). 352 BGH (Urt. v. 8. 05. 1956 – I ZR 62/54), BGHZ 20, 345 (353) – „Paul Dahlke“. Die Übertragung der dreifachen Schadensberechnung erfolgte in dieser Entscheidung explizit nur für das dort betroffene besondere Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild. Für andere Persönlichkeitsrechte greifen die angestellten Überlegungen aber entsprechend, sofern ihr vermögensrechtlicher Zuweisungsgehalt betroffen ist. Den vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung bildet die Entscheidung „Der blaue Engel“, BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 226/97), NJW 2000, 2201 (2202) mit der sich daran anschließenden Entscheidung des OLG München (Urt. v. 17. 01. 2003 – 21 U 2664/01), NJW-
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gemessenen Bedingungen abgeschlossen worden sei. Der Schädiger muss danach den Betrag ersetzen, den er üblicherweise als Lizenzgebühr für die Nutzung des immateriellen Rechts hätte bezahlen müssen und den er durch seinen rechtswidrigen Eingriff in die fremde Sphäre erspart hat. Es handelt sich dabei letztendlich um nichts anderes als eine nachträgliche Lizenzzahlung des Schädigers, was für den Geschädigten den großen Vorteil mit sich bringt, dass er keinerlei Kausalitätsnachweise hinsichtlich seines eigenen Schadens erbringen muss. Im Fall der Gewinnherausgabe beziffert sich die Höhe des Ersatzanspruchs auf den (Rein-) Gewinn des Schädigers, soweit er kausal gerade auf der Verletzung des fremden Rechts beruht. 353 Ob der Geschädigte selbst diesen Gewinn hätte erzielen könne, ist irrelevant. Denn diese Berechnungsmethode zielt nicht auf den Ersatz des konkret entstandenen Schadens ab, sondern in anderer Weise auf einen billigen Ausgleich des Vermögensnachteils des Geschädigten. 354 Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei den beiden zusätzlich gebahnten Wegen der Schadensberechnung nicht um gesonderte Ansprüche mit eigenen Rechtsgrundlagen, sondern lediglich um ergänzende „Berechnungsweisen“ des allgemeinen Schadensersatzanspruchs, unter denen der Geschädigte grundsätzlich die freie Wahl hat, die er aber folglich auch nicht häufen darf (Verquickungsverbot). 355 (2) So sehr diese in ständiger Rechtsprechung praktizierte dreifache Schadensberechnung auch „dogmatisch ‚schmerzen‘ mag“ 356, 357 die Folgen ihrer Anwendung sind durchaus attraktiv. Denn damit verfügt die Rechtsprechung im Rahmen des RR 2003, 767 (768) – „Der blaue Engel“, in der der Klägerin ein Betrag von 70.000 Euro zugesprochen wurde. 353 Zu der anteiligen Herausgabe des Gewinns: BGH (Urt. v. 24. 02. 1961 – I ZR 83/59), BGHZ 34, 320 (323) – „Vitasulfal“; BGH (Urt. v. 17. 06. 1992 – I ZR 107/90), BGHZ 119, 20 (29 f.) – „Tchibo / Rolex II“. Zur Abzugsfähigkeit der Selbstkosten des Schädigers neuerdings: BGH (Urt. v. 2. 11. 2000 – I ZR 246/98), BGHZ 145, 366 (372 ff.) – „Gemeinkostenanteil“; grundlegend dazu (insbesondere unter ökonomischen Gesichtspunkten): Lehmann (1988), S. 1683 ff. 354 BGH (Urt. v. 2. 11. 2000 – I ZR 246/98), BGHZ 145, 366 (371) m.w. N. – „Gemeinkostenanteil“. 355 Stellvertretend mit umfassenden Nachweisen: BGH (Urt. v. 2. 02. 1995 – I ZR 16/93), NJW 1995, 1420 (1422) – „Objektive Schadensberechnung“. 356 Westermann (1998), S. 146. 357 Zur grundsätzlichen Kritik an der dreifachen Schadensberechnung (jeweils m.w. N.): Medicus, in: Staudinger (1983), § 249, Rdnr. 178 –180; Larenz (1987), S. 515 f.; Canaris (1999a), S. 87 ff.; Wild, in: Schricker (1999), § 97, Rdnr. 74, 86; Beuthien, in: Soergel (1999), § 687, Rdnr. 16 f.; Köndgen (2000), S. 670; Schiemann, in: Staudinger (2005), § 249, Rdnr. 201 und § 252, Rdnr. 59. Sack (1985), S. 389 spricht davon, dass die Grundsätze des Schadensersatzrechts verlassen werden, wenn zur Feststellung des entgangenen Gewinns die notwendige Kausalität zwischen Schutzrechtsverletzung und Verlust der angemessenen Lizenzgebühr pauschal unterstellt werde.
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aus einer Persönlichkeitsrechtsverletzung resultierenden deliktischen Ersatzanspruchs über das erforderliche Instrumentarium, um den unter Effizienzaspekten an sie gestellten Anforderungen bei der Monetarisierung des Schadens gerecht zu werden. (a) Über die fiktive Lizenzgebühr, deren Höhe sich danach bemisst, was verständige Vertragspartner bei vertraglicher Einräumung einer Lizenz vereinbart hätten, wird der objektiv sachliche Wert der Rechtsbenutzung als Schadensersatz zugesprochen. Auf diese Weise kann die Höhe des Schadensersatzanspruchs an dem Marktwert des genutzten Verwertungsrechts ausgerichtet werden und entspricht insoweit den ökonomischen Anforderungen. Dass der Marktwert für das Verwertungsrecht an Bildern von prominenten Personen höher ist als bei nicht prominenten, begründet sich aus der Natur der Preisbildung aus Angebot und Nachfrage. Während sich im Extremfall von Exklusivrechten an den Hochzeitsfotos Michael Schumachers oder an einem (vermeintlichen) Interview mit Caroline von Monaco 358 das Angebot auf lediglich ein einziges Gut beschränkt, dem eine ungleich größere Nachfrage gegenübersteht, verhält es sich im Fall der Verwertung von Persönlichkeitsrechten nichtprominenter Personen wie beispielsweise in den Entscheidungen „Herrenreiter“ 359 oder „tv total“ 360 umgekehrt. Einer relativ geringen Nachfrage durch potentielle Verwerter steht ein unbestimmbar großes Angebot aus der anonymen Masse der Unbekannten gegenüber. Mag die Bekanntheit somit die Höhe des demnach zuzusprechenden Vermögensschadens auch beeinflussen, konstitutiv für sein Vorhandensein ist sie jedenfalls nicht. 361 Denn dass es etwa im „Herrenreiter“-Fall zu einer Verwertung des Bildnisses gekommen ist, offenbart ja gerade, dass der schädigende Nutzer diesem Bild einen gewissen wirtschaftlichen Wert beimisst. Auch den Persönlichkeitsrechten unbekannter Personen kommt also durchaus ein Marktwert zu. Die Zuerkennung einer angemessenen Lizenzgebühr darf daher nicht auf prominente Personen beschränkt werden, zumal eine Grenzziehung – gerade im „YouTube“-Zeitalter – zwangsläufig zu einem gewissen Grad willkürlich sein müsste. Der Ersatz des jeweiligen hypothetischen Marktwerts des Verwertungsrechts ist somit aus Gründen der effizienten Anreizsteuerung grundsätzlich geboten. Diese Berechnungsweise hält der Bundesgerichtshof jedoch in Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung dann für ausgeschlossen, wenn der Geschädigte ausdrücklich erklärt, er wäre unter keinen Umständen bereit gewesen, sein Persönlichkeitsrecht für eine entsprechende Nutzung zur Verfügung zu stellen, oder wenn die Verletzung des Persönlichkeitsrechts ideelle Interessen des Geschädigten so stark beeinträchtigt, dass die Lizenzierung ihn in eine unwürdige Lage bringen 358 359 360 361
BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 – „Caroline I“. BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 – „Herrenreiter“. OLG Hamm (Urt. v. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 – „tv total“. Eingehend: Götting (1995), S. 54 – 57; Hoppe (2001), S. 93.
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würde. Denn durch die Zuerkennung der Lizenzgebühr müsse ihm unterstellt werden, er sei gegen Zahlung der üblichen Vergütung sehr wohl zur Erteilung einer Lizenz bereit gewesen, was er als erneute Kränkung empfinden müsse. 362 Positiv formuliert: Die Berechnung nach der üblichen Lizenzgebühr sei auf solche Fälle beschränkt, in denen der Geschädigte gegen Zahlung einer Gebühr in die Nutzung seines Persönlichkeitsrechts eingewilligt hätte. Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass die konkrete unbefugte Nutzung des vermögenswerten Verwertungsrechts an einer fremden Persönlichkeit ein nicht rückgängig zu machendes Faktum darstellt. Damit der dadurch entstandene (Vermögens-)Schaden ersetzt werden kann, ist es erforderlich, dass er beziffert wird. Zu diesem Zweck stellt die angemessene Lizenzgebühr – und diesen Punkt betont gerade auch die Rechtsprechung immer wieder 363 – eine (wertneutrale) Methode zur Berechnung des durch die Persönlichkeitsrechtsverletzung entstandenen Schadens dar. Dies beruht auf dem Gedanken, dass sich der Schädiger, der sich auf dem Zwangswege eigenmächtig eine Lizenz verschafft hat, an dem von ihm geschaffenen Zustand festhalten lassen muss. Es erscheint daher nur billig, wenn der Schädiger so behandelt wird, als sei ein Vertrag zu den üblichen Bedingungen zustande gekommen. Dafür wird ein Lizenzvertrag der im Verkehr üblichen Art fingiert; dem Geschädigten wird abstrakt eine objektive, sachlich angemessene Lizenzgebühr zugesprochen. Das Begehren des Geschädigten nach Schadensersatz in Höhe der angemessenen Lizenzgebühr ist also nicht als Genehmigung der konkret erfolgten Nutzung zu verstehen und führt auch nicht zum Abschluss eines tatsächlichen Lizenzvertrags mit dem Schädiger. 364 Der Geschädigte wird, um seinen Schaden nach dieser Methode zu berechnen, also keineswegs genötigt, seine Persönlichkeit gegen seinen Willen kommerzialisieren zu lassen und die vorgenommene Nutzung nachträglich gutzuheißen. Auf eine tatsächliche subjektive Lizenzbereitschaft des spezifischen Geschädigten für den Fall hypothetischer Vertragsverhandlungen kommt es also überhaupt nicht an; ausschlaggebend ist allein die abstrakte Möglichkeit der Vermarktung. 365 Den Anspruch auf die übliche Lizenzgebühr von der individuellen Bereitschaft zur Lizenzierung abhängig zu machen, heißt daher, den Charakter 362 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (353) – „Herrenreiter“. Sich daran anschließend: BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (17) – „Caterina Valente“ und BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (366) – „Ginsengwurzel“. 363 Grundlegend in diesem Sinne schon: RG (Urt. v. 8. 06. 1895 – I 13/95), RGZ 35, 63 (66 ff.) – „Ariston“; aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur: BGH (Urt. v. 12. 01. 1966 – Ib ZR 5/64), BGHZ 44, 372 (374) – „Meßmer-Tee II“. 364 So für das Urheberrecht: BGH (Urt. v. 5. 07. 2001 – I ZR 311/98), BGHZ 148, 221 (232). Eingehend: Ehmann, in: Erman (2004), Anh § 12, Rdnr. 374. 365 Grundlegend schon: Bötticher (1960), S. 403 f. und Schwerdtner (1977), S. 228. Im Einzelnen: Pietzko (1988), S. 220; Götting (1995), S. 55; Zeuner, in: Soergel (1998), § 823, Rdnr. 283; Wagner (2000b), S. 213; Hoppe (2001), S. 63; A. Staudinger / R. Schmidt (2001), S. 243.
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dieser Berechnungsmethode zu verkennen. Auch vom Ergebnis her betrachtet, erscheint die vom Bundesgerichtshof gemachte Einschränkung widersinnig. Sie liefe darauf hinaus, dass gerade solche Schädiger, die fremde Persönlichkeitsrechte auf besonders schwere oder unmoralische Weise verletzen, bevorzugt würden. Denn in Fällen, in denen der Schädiger entweder das Persönlichkeitsrecht von Personen verletzt, die bekanntermaßen die Nutzung ihres Verwertungsrechts ablehnen, oder in denen Persönlichkeitsrechte besonders tiefgreifend verletzt werden, ist davon auszugehen, dass die Bereitschaft des Geschädigten, einem solchen Eingriff in seine Sphäre freiwillig zuzustimmen, regelmäßig nicht vorhanden ist. Demnach müsste hier dann eine Pflicht zum Ersatz der angemessenen Lizenzgebühr ausscheiden. 366 Inkonsequenterweise erkennt die Rechtsprechung für das Urheberrecht und für die gewerblichen Schutzrechte explizit an, dass dort eine Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie nicht voraussetzt, dass bei rechtmäßigem Verhalten des Schädigers ein Lizenzvertrag wirklich zustande gekommen wäre. Erforderlich ist insoweit einzig, dass eine Nutzungsüberlassung des Rechts gegen Zahlung einer Lizenzgebühr rechtlich überhaupt zulässig und im Rechtsverkehr üblich ist. 367 Nach allem erscheint es geboten, diese Methode der Schadensberechnung auch im Persönlichkeitsrecht von der Frage der subjektiven Lizenzierungsbereitschaft des Geschädigten zu entkoppeln. Als Anhaltspunkt dafür, dass mittlerweile selbst die Rechtsprechung in diese Richtung tendiert, kann die Entscheidung „Marlene Dietrich“ herangezogen werden. Der Bundesgerichtshof führte dort aus: „Die Klägerin kann den ihr entstandenen Schaden entweder konkret oder nach der Lizenzanalogie berechnen oder den Verletzergewinn herausverlangen.“ 368 Es wurde der klagenden Tochter und Alleinerbin Marlene Dietrichs also die Möglichkeit zugebilligt, ihren Schaden nach der Höhe der üblichen Lizenzgebühr zu bestimmen, ohne dass die Frage der Lizenzbereitschaft Marlene Dietrichs in diesem Zusammenhang auch nur angesprochen wurde. 369 Das Schweigen der Entscheidung zur Frage der Lizenzierungsbereitschaft lässt sich so deuten, dass die Schadensberechnung im Persönlichkeitsrecht umfassend an die des Immaterialgüterrechts angepasst werden und es dementsprechend auf den Willen des Geschädigten nicht 366 Diese Konsequenz ziehen auch: Pietzko (1988), S. 220; Götting (1995), S. 56; Wagner (2000c), S. 1309 f.; A. Staudinger / R. Schmidt (2001), S. 243. 367 Grundlegend für gewerbliche Schutzrechte: BGH (Urt. v. 12. 01. 1966 – Ib ZR 5/64), BGHZ 44, 372 (379) – „Meßmer-Tee II“. 368 BGH (Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97), BGHZ 143, 214 (232) – „Marlene Dietrich“ (Zitat weggelassen). 369 Zwar bezieht sich der Senat sehr wohl an einer Stelle auf das (mutmaßliche) Interesse Marlene Dietrichs: „Im Streitfall, in dem es um den Ausgleich für eine unbefugte Nutzung geht, steht es außer Frage, daß die von der Klägerin ergriffenen Maßnahmen im Interesse ihrer verstorbenen Mutter liegen.“ (BGH [Urt. v. 1. 12. 1999 – I ZR 49/97], BGHZ 143, 214 [226] – „Marlene Dietrich“). Diese Feststellung bezieht sich jedoch nur allgemein auf die „Maßnahme“, gegen den Schädiger gerichtlich vorzugehen, und steht somit in keinerlei Zusammenhang mit der Frage der Schadensberechnung.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
mehr länger ankommen soll. Ob das Urteil jedoch tatsächlich eine solche Kehrtwende darstellt, wird sich mit endgültiger Sicherheit erst nach konkretisierenden Folgeentscheidungen sagen lassen. (b) Die dritte Berechnungsmethode, über die der Geschädigte die Herausgabe des Gewinns verlangen kann, wird den ökonomischen Anforderungen im Hinblick darauf gerecht, dass im Fall der vorsätzlichen Schädigung, wenn der Gewinn des Schädigers den beim Geschädigten verursachten Schaden übersteigt, eine Gewinnabschöpfung geboten ist. 370 Allerdings handelt es sich bei der Herausgabe des Verletzergewinns um eine richterrechtlich entwickelte Berechnungsmethode des allgemeinen Schadensersatzes. Demzufolge kann die Gewinnherausgabe bei jeder schuldhaften Verletzung verlangt werden, also sowohl bei fahrlässigem als auch bei vorsätzlichem Verhalten. 371 Die rechtlich tatsächlich durchgeführte Gewinnabschöpfung geht also über den ökonomisch erforderlichen Anwendungsbereich hinaus. Insoweit, als der Schädiger auch im Fall fahrlässiger Schädigung seinen Gewinn abgeben muss, ist dies unter dem Aspekt der Vermittlung von Anreizen zu effizientem Vorsorgeverhalten nicht nur nicht erforderlich, sondern sogar schädlich. Denn es kommt so zu einer Überabschreckung des potentiellen Schädigers, sodass er im Hinblick auf die ihm drohende Sanktion Handlungen nur unter Anwendung eines überoptimalen Vorsorgemaßstabs oder gar nicht ausführen wird. Da die Fahrlässigkeitshaftung aber Aktivitäten betrifft, die den gesamtgesellschaftlichen Nutzen steigern, dürfen keine Anreize zu Vorsorgemaßnahmen vermittelt werden, die den Wert einer hypothetisch vom Geschädigten erteilten Lizenz übersteigen. 372 Die gebotene Limitierung des Gewinnherausgabeanspruchs auf Fälle vorsätzlicher Schädigung lässt sich im Hinblick auf die Wertung des § 687 Abs. 2 S. 1 BGB begründen. Dagegen spricht zwar auf den ersten Blick, dass die richterrechtliche Einführung einer Vorsatzschranke auf der subjektiven Tatbestandsseite im allgemeinen Schadensersatzrecht einen Fremdkörper bildet. 373 Dieser Einwand ist grundsätzlich zutreffend. Allerdings erscheint in diesem konkreten Fall eine differenzierte Betrachtungsweise geboten. Denn zum einen soll hier ja nicht der gesamte Ersatzanspruch, sondern lediglich eine von mehreren zur Verfügung ste370
s. o., vgl. Teil 2 B. IV. Eingehend dazu: RG (Urt. v. 3. 02. 1909 – I 99/08); RGZ 70, 249 (252); BGH (Urt. v. 24. 02. 1961 – I ZR 83/59), BGHZ 34, 320 (321 f.) – „Vitasulfal“; BGH (Urt. v. 12. 01. 1966 – Ib ZR 5/64), BGHZ 44, 372 (374) – „Meßmer-Tee II“ und BGH (Urt. v. 2. 11. 2000 – I ZR 246/98), BGHZ 145, 366 (372) – „Gemeinkostenanteil“. 372 s. o., vgl. Teil 2 A. IV. 1. 373 Canaris (1999a), S. 93, der dieses Argument gegen eine Beschränkung des Gewinnherausgabeanspruchs auf Fälle vorsätzlicher Schädigung allerdings unter der Prämisse vorbringt, dass es sich – wie in der Entscheidung BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 – „Caroline I“ – um einen Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens handelt. 371
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henden Berechnungsmethoden auf den Fall der vorsätzlichen Schadenszufügung beschränkt werden. Und zum anderen stellt die Beachtung dieser Wertung letztlich nur eine Rückanpassung an das generell vom Gesetz vorgegebene Prinzip dar. Denn der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns bei fahrlässiger Verletzung wurde durch das Reichsgericht in der „Ariston“-Entscheidung von 1895 noch auf Grundlage des gemeinen Rechts entwickelt. 374 Auch nach Inkrafttreten des BGB hat die Rechtsprechung dann trotz des evidenten Konflikts mit der Wertung des § 687 Abs. 2 BGB an ihren älteren Präjudizien festgehalten. So begründete das Reichsgericht 1909 die Gewinnabschöpfung im Fall fahrlässiger Verletzung eines Patentrechts damit, dass es sich dabei „... nicht [...] um die direkte Anwendung dieser anderen Normen [§§ 687 Abs. 2 S. 1, 681, 667 BGB, der Verf.] auf den Tatbestand der Patentverletzung gehandelt hat, als um eine durch die Analogie mit der sog. unechten Geschäftsführung begründete Ausbildung des patentrechtlichen Begriffs der ‚Entschädigung‘.“ 375 Die Begründung dieser Rechtsprechung wurde in der Folgezeit dahingehend verstärkt und fortentwickelt, dass es ein aus den Besonderheiten der Immaterialgüterrechte folgendes Gebot sei, diese aus dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag entlehnte Methode zur Berechnung des Schadens anhand des Verletzergewinns auch im Fall einer lediglich fahrlässigen Verletzung anzuwenden. 376 Diese Besonderheiten, die ein besonderes Schutzbedürfnis des Verletzten begründen, resultieren daraus, dass wegen ihrer immateriellen Natur der Rechtsinhaber keine wirksamen Vorkehrungen gegen zukünftige Verletzungen treffen, Rechtsverletzungen häufig nur schwer feststellen und einen eigenen Schaden oft nicht beweisen kann. 377 Im Gegensatz zu den gewerblichen Schutzrechten und dem Urheberrecht sind die Persönlichkeitsrechte jedoch weniger deutlich vertypt. 378 So ist zwar weitgehend unstreitig, dass unter dem Namen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein umfassender zivilrechtlicher Schutz der Persönlichkeit, wie er vom Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches noch abgelehnt wurde, zum „... festen Bestandteil unserer Privatrechtsordnung geworden ist...“ 379. Seine Grundlagen, Voraussetzungen, Grenzen und Rechtsfolgen sind – in Ermangelung einer ge374
RG (Urt. v. 8. 06. 1895 – I 13/95), RGZ 35, 63 (65 ff.) – „Ariston“. RG (Urt. v. 3. 02. 1909 – I 99/08), RGZ 70, 249 (252). 376 RG (Urt. v. 15. 11. 1937 – I 102/37), RGZ 156, 321 (325 f.); BGH (Urt. v. 24. 02. 1961 – I ZR 83/59), BGHZ 34, 320 (321 –324) – „Vitasulfal“; BGH (Urt. v. 12. 01. 1966 – Ib ZR 5/64), BGHZ 44, 372 (374) – „Meßmer-Tee II“. 377 BGH (Urt. v. 8. 10. 1971 – I ZR 12/70), BGHZ 57, 116 (118) – „Wandsteckdose II“; BGH (Urt. v. 16. 02. 1973 – I ZR 74/71), BGHZ 60, 206 (209) – „Miss Petite“; BGH (Urt. v. 2. 11. 2000 – I ZR 246/98), BGHZ 145, 366 (372) – „Gemeinkostenanteil“. Eingehend zur Frage der (nur unilateralen) Vermeidung eines Schadenseintritts: Teil 2 A. I. 2. b) aa). 378 Wagner (2000a), S. 719. 379 BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (281) – „Soraya“. 375
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setzlichen Regelung – indes noch immer aus den Zufälligkeiten richterlicher Einzelfallentscheidungen zu ermitteln. So fehlt es zum einen an einer belastbaren und trennscharfen Definition der spezifischen Tatbestände, die sich hinter generalklauselartigen Oberbegriffen wie „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ verbergen. 380 Dies zieht unmittelbar den nächsten Quell der Unbestimmtheit nach sich: Die Rechtswidrigkeit der Verletzung eines solchen „Rahmenrechts“ ergibt sich erst aus einer Abwägung der Interessen des Geschädigten an seiner immateriellen Integrität mit den Interessen des Schädigers, die dieser im Zusammenhang mit der Schädigung wahrgenommen hat. 381 Das Ergebnis dieses Vergleichs des vom Schädiger verfolgten Zwecks mit den von ihm verletzten Gütern hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab und ist damit kaum vorhersehbar. Zum anderen existiert auch kein öffentliches Papier wie das Patent- (§ 30 Abs. 1 PatG) oder das Markenregister (§ 4 Nr. 1 MarkenG), aus dem sich zuverlässig Inhalt und Schutzumfang der bestehenden Rechte ermitteln ließe. Bei den gesetzlich geregelten Immaterialgüterrechten geht aus Sicht des potentiellen Schädigers die Möglichkeit der leichten Verletzlichkeit also einher mit der Möglichkeit der leichten Vermeidbarkeit der Schädigung, indem er vor seiner möglicherweise schädigenden Handlung die exakten Grenzen der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens ausloten kann. Im Bereich der Persönlichkeitsrechte, die ebenso leicht durch Dritte verletzt werden können, besteht diese Handhabe dagegen nicht. Selbst wenn jemand den vagen Verdacht hegt oder zumindest hegen muss, dass sein Verhalten Persönlichkeitsrechte anderer verletzen könnte, hat er regelmäßig keine Möglichkeit, sich mit zumutbarem Aufwand zuverlässig darüber zu informieren, ob sein Verhalten tatsächlich rechtswidrig ist oder nicht. Die Besonderheiten, die den Bundesgerichtshof für die gewerblichen Schutzrechte und das Urheberrecht dazu veranlasst haben, die Pflicht zur Gewinnherausgabe auch auf Fälle fahrlässiger Schädigung auszudehnen, treten im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung also nicht mit der dort ausgemachten Deutlichkeit auf. Es erscheint daher nicht nur möglich, sondern gar geboten, die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung für diesen Bereich zu beschränken. Die Maßnahme kann im Fall der Verletzung des Persönlichkeitsrechts deshalb nur im Fall einer vorsätzlichen Schädigung erfolgen. 382 380 Einen Überblick über die Unterkategorisierungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bietet etwa Hager (1995), S. 566 ff. 381 Statt vieler: Rixecker, in: Münchener Kommentar (2001), § 12 Anh., Rdnr. 139. Kritisch zur Frage der Güterabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeit: Larenz / Canaris (1994), S. 518 – 520. 382 Hager, in: Staudinger (1999), § 823, Rdnr. C290; Wagner (2000a), S. 719; Wagner (2000b), S. 225 f.; Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 823, Rdnr. 174 a.E. Diese Wertung, dass eine am Verletzergewinn orientierte Bemessung der Schadensersatzsumme nur im Fall der vorsätzlichen, mit dem Ziel der Gewinnerzielung zugefügten Schädigung vorzunehmen ist, findet sich auch – allerdings unter den Vorzeichen des Nichtvermögensschadens – in der Entscheidung BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – 56/94), BGHZ 128, 1 (1, Leitsatz b; 16) – „Caroline I“. Im Ergebnis ebenso für eine Beschränkung
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Dadurch wird das Maß der drohenden Sanktionen nicht nur an die ökonomischen Anforderungen, sondern zugleich auch an die grundsätzlichen Wertungen der gesetzlichen Regelung angepasst. (3) Im Ergebnis kann der Geschädigte somit im Fall einer fahrlässigen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts den konkret entstandenen (Vermögens-)Schaden oder wahlweise eine fiktive Lizenzgebühr ersetzt verlangen. Im Fall einer vorsätzlichen Verletzung steht ihm zusätzlich der Anspruch auf Abschöpfung des Verletzergewinns zu. Auf diese Weise erhält er über die Lizenzgebühr – gleichsam als Mindestschaden – jedenfalls den (hypothetischen) Marktwert seines durch den Schädiger rechtswidriger Weise genutzten Verwertungsrechts. Sobald der Gewinn des Schädigers im Fall der vorsätzlichen Verletzung diesen Marktwert übersteigt, wird der Geschädigte alternativ seinen Schaden anhand des Gewinns berechnen, um so den höchstmöglichen Schadensersatzbetrag für sich zu realisieren. Damit entspricht der Ersatz des entstehenden Vermögensschadens im Rahmen des Schadensersatzanspruchs den ökonomischen Anforderungen. bb) Monetarisierung des Nichtvermögensschadens Infolge der durch die allgemeine Schadensrechtsdogmatik vorgegebenen Aufgliederung des bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung entstehenden Schadens in Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden verändert sich der Anwendungsbereich des Nichtvermögensschadens grundlegend. Der Schaden, der durch die Verletzung des Verwertungsinteresses entstanden ist, muss nicht mehr indirekt über die Geldentschädigung zugesprochen werden, d. h. die Höhe der Geldentschädigung muss nicht mehr länger an dem Betrag einer angemessenen Lizenzgebühr oder dem des Verletzergewinns orientiert werden. 383 Denn das Verwertungsinteresse wird nunmehr unmittelbar als Vermögensschaden ersetzt. Der Anwendungsbereich des Nichtvermögensschadens beschränkt sich dementsprechend auf die Verletzung des ideellen Integritätsinteresses. Auf diese Weise wird die „Grauzone“ 384 zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden beseitigt und der Nichtvermögensschaden auf seinen genuinen Anwendungsbereich, den Ausgleich ideeller Beeinträchtigungen, zurückgeführt. des Gewinnherausgabeanspruchs auf Fälle der vorsätzlichen Schädigung, wenn auch im dogmatischen Rahmen eines Bereicherungsanspruchs nach §§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2, 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 285 BGB: Canaris (1999a), S. 91 ff. In diesem Sinne auch: Funkel (2001), S. 189. 383 Für dieses Dilemma sei exemplarisch auf zwei in dieser Hinsicht besonders frappierende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs verwiesen: BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (353) – „Herrenreiter“ und BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – VI ZR 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. Canaris (1997), S. 60 äußert in Bezug auf die Entscheidung „Caroline I“ – zu Recht – den Verdacht der Zweckentfremdung der Geldentschädigung. 384 Ehmann, in: Erman (2004), Anh § 12, Rdnr. 372.
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Die Frage, ob das Integritätsinteresse verletzt und somit eine Geldentschädigung zuzusprechen ist, ist völlig unabhängig davon zu beantworten, ob das vermögenswerte Verwertungsinteresse betroffen ist. Der Entscheidung „Caroline I“ lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Zeitschrift „Die Bunte“ unter dem Titel „Caroline spricht das erste Mal von Traurigkeit, Haß auf die Welt, Glückssuche“ ein vermeintliches Exklusiv-Interview mit der monegassischen Prinzessin abgedruckt hatte, in dem sich diese über die ihr unerträglich gewordenen Belästigungen durch die Presse beklagte. 385 Fraglos ist der Geschädigten ein Vermögensschaden daraus entstanden, dass sie vom Burda-Verlag kein Entgelt für die Nutzung ihres Persönlichkeitsrechts erhalten hat. Neben diesem Verwertungsinteresse ist aber ihr Integritätsinteresse nicht oder allenfalls geringfügig betroffen. Denn der Inhalt des erfundenen Interviews ist in keiner Weise ehrenrührig und entsprach aller Wahrscheinlichkeit nach sogar der Wahrheit, da Caroline in dieser Zeit tatsächlich keine Interviews gab, um den medialen Druck auf sich selbst und auf ihre Kinder zu verringern. Das seelische Leid und die Einbuße an Lebensqualität, die der Geschädigten durch den Artikel zugefügt wurden, dürften sich daher in engen Grenzen gehalten haben. 386 Im Fall „Caterina Valente“ dagegen entstand der Geschädigten durch die Nutzung ihres Namens neben dem Vermögensschaden (entgangene Lizenzgebühr) zusätzlich auch ein Nichtvermögensschaden. Durch die Werbeannonce des Schädigers für Kukident wurde nämlich – ob intendiert oder nicht, ist irrelevant – eine Verbindung hergestellt zwischen dessen Produkten für Zahnprothesen und der Person der Geschädigten. Für den Bundesgerichtshof lag es deshalb „auf der Hand“ 387, dass unter einer derartigen Verbindung „... das Ansehen der Klägerin leiden kann, wenn in der Öffentlichkeit solche Vorstellungen über sie aufkommen.“ 388 Und in Schädigungen solcher Art wie im Fall „tv total“, in dem eine bis dato völlig unbekannte sechzehnjährige Schülerin in einer Fernsehsendung auf unverschuldete und unsachliche Art diffamiert wurde, 389 liegt schließlich sogar der Schwerpunkt der Entschädigung auf dem Nichtvermö385
Die Bunte, Nr. 13/92, S. 17: „Überall, wo ich hinkomme, lauern schon die Fotografen auf mich. Kann sich denn wirklich niemand vorstellen, daß dieser ganze Rummel einem Menschen zuviel werden kann? Mir ist es zuviel geworden, die Grenze des Erträglichen ist längst überschritten. Jetzt habe ich mir gesagt, damit muß endlich Schluß sein, ein für allemal. Ich möchte nicht öffentlich über mich sprechen. Das habe ich nie getan. Ich gebe keine Interviews, und ich will nicht, daß ich dauernd fotografiert werde. Daß ich hier was sage, ist eine Ausnahme. Die einzige. Damit die Welt Bescheid weiß.“ 386 Canaris (1997), S. 60: „... [S]o sehr leidet diese junge Frau ja gar nicht.“ In diesem Sinne beispielsweise auch: Hager (1995), S. 572; Westermann (1998), S. 139; Ullmann (2000), S. 1050; Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), § 823, Rdnr. 175. 387 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (13) – „Caterina Valente“. 388 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (13) – „Caterina Valente“. 389 OLG Hamm (Urt. v. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 (919) – „tv total“: Die am 14. 04. 1985 geborene Geschädigte gewann im Herbst 2001 einen lokalen Schönheitswettbewerb, woraufhin sie am 9. 12. 2001 in Köln an einer Ausscheidungswahl zur „Miss Allemagne“ teilnahm. In der Fernsehsendung „RTL-Explosiv“ am 10. 12. 2001
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gensschaden. Denn der hypothetische Marktpreis für die kommerzielle Nutzung der Persönlichkeit der Geschädigten ist in Anbetracht ihrer Unbekanntheit sehr gering und auch ein konkreter Gewinn des Schädigers daraus, dass er den Beitrag über die Geschädigte gesendet hat, dürfte, wenn er sich denn überhaupt nachweisen lässt, unbeträchtlich sein. Die Kommentare Stefan Raabs wurde die Geschädigte aber derart in die Nähe pornographischer Aktivitäten gerückt, dass sie schwerwiegend in ihrer personalen Integrität betroffen wurde. Sobald eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu einer Beeinträchtigung ideeller Belange des Geschädigten führt, hat er Anspruch auf Ersatz dieses Nichtvermögensschadens in Form einer angemessenen Geldentschädigung. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz sollte dieser Nichtvermögensschaden zwar im Wege der ex-ante-Methode ersetzt werden. Weil dieser Ansatz jedoch mit geltendem Recht unvereinbar ist, 390 muss es de lege lata bei der traditionellen expost-Methode bleiben. Die Gerichte, die über die Höhe der Geldentschädigung zu befinden haben, stehen dabei wiederum vor dem grundsätzlichen Problem, das Unersetzbare ersetzen zu müssen. 391 Denn sie müssen der Verletzung ideeller Belange der Persönlichkeit ein Geldäquivalent zuordnen und so den Wert an verlorener Lebensfreude in Euro und Cent ermitteln, der aus der verlorenen Ehre und / oder der offenbarten Intimsphäre resultiert. Dazu bleibt ihnen letztlich nichts anderes übrig, als aus ihrem richterlichen Ermessen heraus eine Summe zu bestimmen, die sie in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls für „geboten und angemessen“ 392 erachten. Aus der Konturenlosigkeit der immateriellen Schäden resultiert dabei allerdings nahezu zwangsläufig eine gewisse Orientierungs- und Hilflosigkeit des Richters bei der Bemessung einer solchen Geldentschädigung, bei der sich häufig auch der Vorwurf der Willkür nicht gänzlich von der Hand weisen lässt. 393 Dieses Problem ist jedoch dem gesamten Ersatzrecht für Nichtvermögensschäden wurde ein Bericht über die Teilnehmerinnen ausgestraht. Die Geschädigte gab ein Kurzinterview mit folgendem Inhalt: „Mein Name ist Lola Loch und ich bin sechzehn Jahre alt.“ In der Ausstrahlung der Sendung „tv total“ vom 11. 12. 2001 wurde dieses Interview eingespielt. Der Moderator Stefan Raab kommentierte dies mit den Worten: „Ja, die Lola Loch, meine Damen und Herren. Man muss doch heute nicht Lola Loch heißen. So was kann man doch notariell ändern lassen, z. B. Lotti Lola Loch oder vielleicht war Lola Loch doch ihr Künstlername und die heißt wirklich Petra Pussy. Toller Name, auch wenn man ins Pornogeschäft einsteigen will. Der neue Film mit Lola Loch, hallöchen.“ Zwischendurch wurde Gelächter sowie ein Standbild der Geschädigten eingeblendet. Auch in den Sendungen vom 12. 12. 2001 sowie vom 8. 05. 2002 nahm Stefan Raab auf die Geschädigte Bezug, insbesondere im Mai 2002 erneut im Zusammenhang mit dem pornographischen Gewerbe. 390 s. o., vgl. Teil 3 A. II. 3. a) bb). 391 S.o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa) (2). 392 OLG Hamm (Urt. v. 4. 02. 2004 – 3 U 168/03), NJW-RR 2004, 919 (922) – „tv total“. 393 Nixdorf (1996), S. 89 f.; Steffen (1997), S. 10.
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in Geld inhärent und keine Besonderheit der hier für das Persönlichkeitsrecht vorgenommenen Unterteilung. 394 Durch diese Zuordnung von Schadensposten zu den vom Recht vorgegebenen Begriffen des Vermögens- und des Nichtvermögensschadens gelingt es, den immateriellen Schaden – und damit auch die mit seinem Ersatz unabwendbar verbundene Unsicherheit – auf den ihm rechtsdogmatisch zukommenden Bereich zurückzuführen. Auf diese Weise lassen sich zugleich zwei Bedenken gegen die „Caroline“Rechtsprechung aus der Welt schaffen, die auf Grundlage des alleinigen Ersatzes des Nichtvermögensschadens „nicht von der Hand zu weisen“ 395 sind. Erstens kann eine angemessene Relation zwischen der Höhe der Nichtvermögensschäden, die einerseits im Fall einer Körperverletzung und andererseits im Fall einer Persönlichkeitsrechtsverletzung zu ersetzen sind, (wieder-)hergestellt werden. Denn seit der „Caroline“-Entscheidung sind im Schrifttum immer wieder Stimmen laut geworden, die ein vermeintliches Missverhältnis zwischen Schmerzensgeld und Geldentschädigung anprangern, weil sie darin einen Wertungswiderspruch sehen. Eine Gegenüberstellung der Schwere der Verletzungen und dem dafür zugesprochenen Nichtvermögensschaden lässt die Unstimmigkeiten sichtbar werden und die Empörung darüber durchaus nachvollziehbar erscheinen. Exemplarich sei nur auf die ironische Zufälligkeit verwiesen, dass in der Entscheidungsübersicht des Hefts 43 der Neuen Juristischen Wochenschrift des Jahres 1996 unmittelbar auf die Entscheidung des OLG Hamburg, in der Caroline für die erfundenen Interviews eine Geldentschädigung von insgesamt 180.000 DM zugesprochen wurde, 396 eine Entscheidung des AG Radolfzell folgt, in der ein fünfzehnjähriges Mädchens, das Opfer einer sexuellen Nötigung geworden war, 397 ein Schmerzensgeld von 5.000 DM erhielt. 398 In Anbetracht dessen stellte Thomas Henne die – in dieser Pointiertund Absolutheit nicht uneingeschränkt zu teilende – These auf, „Gedruckt gelogen 394
s. o., vgl. Teil 3 A. II. 3. a) bb). v. Gerlach (2002), S. 918. 396 OLG Hamburg (Urt. v. 25. 07. 1996 – 3 U 60/93), NJW 1996, 2870 – „Caroline I“. 397 AG Radolfzell (Urt. v. 25. 04. 1996 – 2 C 84/96), NJW 1996, 2874. Nach den gerichtlichen Feststellungen war die geschädigte Schülerin auf ihrem Schulweg von einem ihr vom Sehen bekannten Lkw-Fahrer mitgenommen worden. Nachdem sie zugestiegen war, wollte der Schädiger mit dem Mädchen Geschlechtsverkehr ausüben. Als sie sich weigerte, zwang der körperlich weit überlegene Schädiger die verängstigte Geschädigte dazu, ihn mit ihrer Hand sexuell zu befriedigen, und fasste ihr dabei an die Brust. Das Mädchen durchlitt während des sexuellen Missbrauchs Todesängste und litt auch noch fast ein Jahr nach der Tat unter Angstzuständen, Panikattacken und Schlafstörungen, weshalb sie sich in psychotherapeutischer Behandlung befand. 398 Dass es sich dabei nicht um einen gezielt herausgepickten Einzelfall handelt, belegen zahlreiche Gegenüberstellungen dieser Art. Solche finden sich beispielsweise bei: Gounalakis (1998), S. 16 (mit einem Vergleich, welche körperliche Schwerstschädigung für ein Schmerzensgeld in Höhe von etwa 180.000 DM erforderlich ist); Wagner (2000c), S. 1306; Hoppe (2001), S. 50 oder auch Henne (2002), S. 336. 395
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ist teurer als tatsächlich getan“ 399. Nicht ganz unbegründet ist aber jedenfalls der Eindruck, dass „[d]er kleinere Eingriff [...] die bei weitem größere Sanktion zur Folge ... “ 400 hat. 401 Daher wird der Vorwurf erhoben, die Rechtsprechung betreibe im Persönlichkeitsrecht eine „Ehrvergoldung“ 402 und eröffne so der „ohnehin schon ‚superreichen Schickeria‘ [...] eine zusätzliche Einkommensquelle“ 403. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang allerdings schon früh darauf hingewiesen, dass er seine Rechtsprechung nicht darauf ausrichten wird, „... daß die Rechtsfolgen bei Verletzung von Körper, Gesundheit und Freiheit einerseits und der ideellen Persönlichkeitssphäre andererseits genau die gleichen sein müssen, oder daß sie sich zum mindesten weitgehend zu entsprechen haben...“ 404, und so gleichsam ein Vergleichsverbot aufgestellt. Konsequenterweise differenziert der Bundesgerichtshof daher auch terminologisch zwischen „Schmerzensgeld“ einerseits, soweit § 253 Abs. 2 BGB einschlägig ist, und „Geldentschädigung“ andererseits, soweit es um eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts geht. Diese Geldentschädigung – so stellt Erich Steffen, ein ehemaliges Mitglied des VI. Zivilsenats klar – sei zu einem eigenen „... Rechtsinstitut neben dem Schmerzensgeld geworden mit eigenständigen Voraussetzungen und eigenständigen Bemessungskategorien.“ 405 Die teilweise Verwendung des Begriffs „Schmerzensgeld“ durch den Bundesgerichtshof stelle im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechtsverletzungen einen „lapsus linguae“ dar. 406 Diese differenzierende Betrachtungsweise der Zivilgerichte, die aus der prinzipiellen Unvergleichbarkeit der beiden Fallkonstellationen hergeleitet wird – so ist in diesem Kontext in der Literatur gar von einem Vergleich von „Äpfeln mit Birnen“ 407 die Rede –, 408 erhielt 2000 den Segen des Bundesverfassungsgerichts: Da zwischen Gesundheitsschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen sachlich begründete Unterschiede bestehen, sei eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf Art. 3 399
Henne (2002), S. 337. Däubler (1999), S. 1612. 401 In diesem Sinne auch: Seitz (1996), S. 2849; Westermann (1998), S. 147 f.; Canaris (1999a), S. 101, 106 f. Henne (2002), S. 338 spricht sogar von einer „Absurdität dieser Ergebnisse“. 402 Ridder (1973), S. 453. 403 Ehmann (1995), Bl. 866 (Hervorhebung des Originals weggelassen), der sich diese Aussage allerdings nicht gänzlich zu eigen macht, die bestehende Diskrepanz jedoch immerhin als „nicht ganz unbedenklich“ bezeichnet (Ehmann [1997], S. 203). In diesem Sinne auch schon Knieper (1974), S. 139 im Hinblick auf die Entscheidungen „Herrenreiter“ und „Soraya“: „Parteinahme für Privilegierte“. Schwerdtner (1978), S. 291, (1997), S. 43 äußert den „Verdacht der Klassenjustiz“, den er jedoch im Ergebnis als nicht erhärtet ansieht. 404 BGH (Urt. v. 19. 09. 1961 – VI ZR 259/60), BGHZ 35, 363 (368) – „Ginsengwurzel“. 405 Steffen (1996a), S. 727. 406 Steffen (1996a), S. 727. 407 Hohloch (1981), S. 466; Huber (2003), S. 145. 400
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Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich. 409 Somit wurde die Schieflage zwar höchstrichterlich für unangreifbar erklärt, an der Faktizität ihres Bestehens vermag aber auch ein Urteil des Verfassungsgerichts nichts zu ändern. Durch die hier aufgezeigte Möglichkeit, den entstandenen Schaden am Verwertungsinteresse rechtsdogmatisch korrekt als Vermögensschaden zu ersetzen, wird der Betrag der angemessenen Geldentschädigung im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung deutlich geringer als bisher ausfallen. So würden die bestehenden Spannungen zwischen Schmerzensgeld und Geldentschädigung beseitigt und es könnte eine allgemein zu billigende Relation zwischen ihnen hergestellt werden. Zweitens kann auf diese Weise der Verdacht ausgeräumt werden, die vom Bundesgerichtshof im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung zugesprochene Geldentschädigung trage Züge des Strafschadensersatzes in sich oder sei eine dem zumindest ähnliche Sanktion pönalen Charakters. 410 Dieser Verdacht beruht darauf, dass sich im „Caroline“-Urteil des VI. Zivilsenats eine der Doktrin der punitive damages, die durch Auferlegung einer Ersatzpflicht über den tatsächlich entstandenen Schaden hinaus die Abschreckung und die Bestrafung des Täters bewirken sollen, 411 durchaus ähnliche Argumentation ausmachen lässt: „Ohne eine für die Beklagte fühlbare Geldentschädigung wäre die Klägerin einer solchen rücksichtslosen Zwangskommerzialisierung ihrer Persönlichkeit weitgehend schutzlos ausgeliefert. [...] Von der Höhe der Geldentschädigung muß deshalb ein echter Hemmungseffekt auch für solche eine Vermarktung der Persönlichkeit ausgehen.“ 412
Die Aufgabe, den erforderlichen Rechtsgüterschutz zu gewährleisten, fällt nach dieser Rechtsprechung allein der Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden anheim, da der VI. Zivilsenat in dieser Konstellation den Ersatz des Vermögensschadens ablehnt und für Fälle der Zwangskommerzialisierung fremder Persönlichkeitsrechte eine strafrechtliche Schutzlücke besteht. 413 Dementsprechend hielt der VI. Zivilsenat im Fall „Caroline“ die Ansicht des Berufungsgerichts, das die 408 Diese Ansicht der Rechtsprechung findet im Schrifttum teilweise Zustimmung. Vgl. nur: Hohloch (1981), S. 465 –467; Steffen (1996b), S. 367; Steffen (1997), S. 12; P. Müller (2001), S. 83; Ebert (2005), S. 129, Fn. 14. 409 BVerfG (Beschl. v. 8. 03. 2000 – 1 BvR 1127/96), NJW 2000, 2187 (2187). 410 So beispielsweise: Gounalakis (1998), S. 14; Stürner (1999), S. 1212 ff.; Hoppe (2001), S. 123 ff., 191; C. Schäfer (2002), S. 423; Ebert (2004), S. 514 ff. 411 Exemplarisch sei auf die Ausführungen von Lord Patrick Devlin in dem vom House of Lords entschiedenen Fall Rookes v. Barnard [1964] A.C. 1129 (1221) = [1964] 1 Lloyd’s Rep. 28 (62) verwiesen: „Exemplary damages [= punitive damages, der Verf.] are essentially different from ordinary damages. The object of damages in the usual sense of the term is to compensate. The object of exemplary damages is to punish and deter. It may well be thought that this confuses the civil and criminal functions of the law.“ 412 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. 413 Auch der am 6. August 2004 in Kraft getretene § 201a StGB verspricht hier keine umfassende Abhilfe (Gesetz vom 30. 07. 2004, BGBl. I, S. 2012). Zwar stellt er es unter Strafe, ein Bild herzustellen, zu gebrauchen und einem Dritten zugänglich zu machen, sofern
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Höhe des Ersatzanspruchs allein auf den Ausgleich des Schadens ausrichtete und den Gedanken der Prävention außer acht ließ, für „zu eng“ 414. Er bekannte sich deshalb im Rahmen der Geldentschädigung explizit zur eigenständigen Funktion der „Prävention“ 415. Die Geldentschädigung hat demnach nicht lediglich die Aufgabe zu erfüllen, den entstandenen Nichtvermögensschaden zu ersetzen, sondern sie wird zusätzlich noch damit überfrachtet, auch zu dem verursachten, aber nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats nicht ersatzfähigen Vermögensschaden ein „Gegenstück“ 416 zu bilden. Es kommt auf diesem Wege zu einer Überkompensation des entstandenen Nichtvermögensschadens. Der traditionelle Ansatz des Zivilrechts scheint dadurch ins Gegenteil verkehrt, denn der Geldersatzanspruch scheint nicht mehr „dem Verletzten zuliebe“ festgesetzt zu werden, sondern (zumindest auch) dem „Verletzer zuleide“. 417 Der Umstand, dass dieser Präventionsgedanke insbesondere in Fällen der vorsätzlichen und rücksichtslosen Vermarktung der Person eingreifen und mit seiner Hilfe der Betrag des Ersatzanspruchs über den Betrag des entstandenen Nichtvermögensschaden angehoben werden kann, sowie die Aussage Erich Steffens als einem der Väter der „Caroline“-Entscheidung, „[d]as Schmerzensgeld soll ihn [den Verleger, der Verf.] ruhig schmerzen“ 418, verleihen dieser Form der Geldentschädigung einen „strafenden Beigeschmack“ 419. So konzedierte das Bundesverfassungsgericht schon in seiner „Soraya“-Entscheidung, der Geldentschädigung nach einer Persönlichkeitsrechtsverletzung seien „‚pönale Elemente‘ nicht ganz fremd“ 420. Durch die hier vorgeschlagene strikte Trennung zwischen Nichtvermögensschaden und Vermögensschaden wird die Ausgangsforderung wieder klar in den Vordergrund gestellt: Es geht sowohl unter ökonomischem als auch unter juristischem Blickwinkel einzig und allein darum, den entstandenen Schaden zu monetarisieren und zu ersetzen. Eine Kompensation, die über den entstandenen Schaden hinausgeht, wird weder angepeilt noch verwirklicht. Das Ziel der vollkommenen Kompensation wird dadurch realisiert, dass die entstandenen Schäden dadurch der höchstpersönliche Lebensbereich des Abgebildeten verletzt wird. Allerdings ist Voraussetzung, dass sich die abgelichtete Person in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet. Dazu eingehend unter dem Aspekt der Wechselwirkungen mit den zivilrechtlichen Haftungsansprüchen: Hoppe (2004), S. 990 – 995. 414 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – 56/94), BGHZ 128, 1 (15) – „Caroline I“. 415 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – 56/94), BGHZ 128, 1 (15) – „Caroline I“. 416 BGH (Urt. v. 15. 11. 1994 – 56/94), BGHZ 128, 1 (16) – „Caroline I“. 417 Diese Formulierung geht zurück auf Krüger-Nieland (1965), C 39: „Im Gegensatz zur Strafe wird das Schmerzensgeld [...] nicht dem Verletzer zuleide, sondern dem Verletzten zuliebe festgelegt.“ 418 Steffen (1996b), S. 367. 419 Hoppe (2001), S. 191. 420 BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (293) – „Soraya“.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
eindeutig den ihnen rechtsdogmatisch zukommenden Kategorien zugeordnet und entsprechend ersetzt werden, wobei insbesondere im Bereich des Vermögensschadens in Einzelfällen durchaus auch weitaus höhere Beträge als 180.000 DM vorstellbar sind. 421 Anders als bei der Geldentschädigung seit der „Caroline“Entscheidung, die trotz ihres Charakters als Nichtvermögensschaden indirekt den vermögenswerten Verletzergewinn widerspiegeln soll und die durch einen nicht nachvollziehbaren Akt richterlicher Schätzung festgesetzt wird, wird hier deutlich, dass einzig und allein der entstandene (Nichtvermögens-)Schaden ersetzt wird. Der Verdacht, dass dem Geschädigten ein Strafschadensersatz, der definitionsgemäß über den tatsächlich entstandenen Schaden hinausgeht, zuerkannt wird, wird dadurch aus der Welt geschafft. Oder, in den Worten Rolf Stürners, umgekehrt formuliert: „Je weniger unser Rechtssystem sich der Pflege verfeinerter Rechtsbehelfe widmet, um so eher wird sich der Gedanke des Strafschadens ausweiten.“ 422 cc) Zwischenergebnis Die auf der wirtschaftswissenschaftlichen Ebene ausgemachte Dichotomie zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der Verletzung des Persönlichkeitsrechts spiegelt sich in der rechtswissenschaftlichen Zweiteilung in Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden wider. Diese Sichtweise vermag es, auf einfache und rechtsdogmatisch einwandfreie Art und Weise die Vorgaben des VI. Zivilsenats, der in der „Caroline“-Entscheidung die Schaffung eines echten Hemmungseffekts durch das Haftungsrecht proklamiert hat, und des I. Zivilsenats, der in der Sache „Marlene Dietrich“ die Zweispurigkeit des Schadensersatzes im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung explizit ausgesprochen hat, miteinander zu vereinbaren. Im Fall der Verletzung des kommerziellen Verwertungsinteresses kann die Höhe des Schadensersatzanspruchs über die gegenüber den Immaterialgüterrechten leicht modifizierte Methode der dreifachen Schadensberechnung entsprechend den ökonomischen Anforderungen bemessen werden. So wird grundsätzlich über die hypothetische Lizenzgebühr der Marktwert ersetzt und ausnahmsweise, wenn der aus einer vorsätzlichen Verletzung erzielte Gewinn des Schädigers den Schaden des Geschädigten übersteigt, der Verletzergewinn an den Geschädigten ausgekehrt. 421 So sprach das LG München I (Urt. v. 22. 02. 2006 – 21 O 17367/03), AfP 2006, 382 Boris Becker im Rechtsstreit gegen die Frankfurter Allgemeine Zeitung für die unerlaubte Verwendung eines Bildes Beckers einen Anspruch auf Ersatz seines Vermögensschadens von 1.200.000 Euro zu. Dieser Betrag ist an dem Werbewert und dem hypothetischen Honorar Beckers orientiert. Die FAZ hatte im Herbst 2001 für ihre damals geplante Sonntagszeitung eine Werbeanzeige veröffentlicht, die im Fernsehen, in den Printmedien sowie auf Plakaten erschien. In der Werbung wurde eine sog. Nullnummer abgebildet, auf der unter der Schlagzeile „Der strauchelnde Liebling“ Boris Becker abgebildet war. 422 Stürner (1999), S. 1214. Auch der Wunsch Canaris’ (1999a), S. 108, „... einen Dammbruch für die Zulassung einer so dubiosen Figur wie der punitive damages...“ zu verhindern, kann so erfüllt werden.
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Im Fall der Verletzung des ideellen Integritätsinteresses hingegen ist de lege lata ein Ersatz nach der unter Effizienzgesichtspunkten gebotenen ex-ante-Methode mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Es ist daher weiterhin ein Ersatz im Wege der richterlichen Schätzung auf Grundlage des ex-post-Ansatzes erforderlich. Allerdings wird dieser Bereich – was sowohl aus ökonomischer als auch aus rechtsdogmatischer Sicht geboten ist – auf seinen genuinen Anwendungsbereich zurückgefahren und die aus der insoweit schwierigen Schadensmonetarisierung möglicherweise resultierende Anreizverzerrung wird auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert. c) Tatsächliche Möglichkeit der Anpassung an die ökonomischen Vorgaben Auch auf der faktischen Ebene stehen trotz einiger Bedenken einer Umsetzung dieser Veränderungen keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen. So macht zwar Gerda Müller, Mitglied des VI. Zivilsenats, geltend, eine Parallelisierung von Vermögens- und Nichtvermögensschaden und eine damit verbundene Änderung der Rechtsprechung sei deshalb nicht durchführbar, weil jedenfalls in der ersten Entscheidung mit dieser Stoßrichtung der Kläger überrascht und dadurch unzulässig benachteiligt werde. Denn er werde in Übereinstimmung mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausschließlich den Ersatz seines Nichtvermögensschadens beantragen. Da es sich bei den verschiedenen Schadensarten um unterschiedliche Streitgegenstände handelt, 423 dürfe das Gericht dann dem Kläger einen Vermögensschadensersatz nicht zusprechen. 424 Dem ist prinzipiell zuzustimmen, denn eine gerichtliche Umdeutung des Klägerantrags auf Ersatz des Nichtvermögensschadens in einen Antrag auf Ersatz des Vermögensschadens dürfte zivilprozessual nicht zulässig sein. (Dazu ist allerdings anzumerken, dass der I. Zivilsenat eine solche Veränderung des Antrags im „Herrenreiter“-Urteil, in dem der Kläger in Anlehnung an die Entscheidung „Paul Dahlke“ einen Vermögensschaden geltend gemacht hatte, der Senat aber allein einen Nichtvermögensschaden anerkennen wollte, in umgekehrter Richtung vorgenommen hat. 425) Trotzdem steht dem Bundesgerichtshof die Möglichkeit offen, seine Rechtsprechung zu ändern, ohne die Interessen des ersten davon betroffenen Klägers zu beeinträchtigen. Der Geschädigte, der auf Basis der ständigen Rechtsprechung allein seinen Nichtvermögensschaden einklagt, erhielte, wenn der Bundesgerichtshof den Schaden in Vermögens- und Nichtvermögensschaden ausdifferenzieren würde, als Nicht423 BGH (Urt. v. 18. 03. 1959 – IV ZR 182/58), BGHZ 30, 7 (18) – „Caterina Valente“; BGH (Urt. v. 27. 05. 1993 – III ZR 59/92), NJW 1993, 2173 (2173) (die hierfür entscheidenden Erwägungen zu I. sind nicht abgedruckt in: BGHZ 122, 363). Dazu auch: Vollkommer, in: Zöller (2005), Einleitung, Rdnr. 73. 424 G. Müller (2000), S. 804. 425 BGH (Urt. v. 14. 02. 1958 – I ZR 151/56), BGHZ 26, 349 (352 f.) – „Herrenreiter“.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
vermögensschaden eine erheblich geringere Summe als bisher zugesprochen. Zu dessen genauer Bezifferung würde der Bundesgerichtshof die Sache an das zuständige Berufungsgericht zurückverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO), wodurch dem Kläger die untere Instanz wieder eröffnet würde. 426 In dem Berufungsverfahren könnte er dann im Wege einer gemäß § 263 ZPO analog zulässigen nachträglichen Anspruchshäufung einen neuen Streitgegenstand einführen. 427 Der Kläger könnte daher neben dem Anspruch auf Ersatz seines Nichtvermögensschadens auch den Anspruch auf Ersatz seines Vermögensschadens verfolgen. Sollte diese Anspruchshäufung im Einzelfall unzulässig sein, bleibt dem Geschädigten immer noch der Weg, für den eigenständigen Streitgegenstand Vermögensschaden eine neue Klage in der ersten Instanz anzustrengen. Die Interessen desjenigen Klägers, dessen Klage zur Veränderung der Rechtsprechung benutzt wird, werden somit gewahrt. Spätere Kläger werden dann, wenn sich diese neue Rechtsprechung erst etabliert hat, von vornherein Ersatz sowohl ihres materiellen als auch ihres immateriellen Schadens beantragen. Eine Benachteiligung der Geschädigten durch die Veränderung der Rechtsprechung findet daher im Ergebnis nicht statt. 428 Auch die bei der Schadensbezifferung auftretenden Unwägbarkeiten können verringert werden. Im Rahmen des materiellen Schadens muss das Gericht entweder die hypothetische Lizenzgebühr oder den aus der Verletzung erzielten Gewinn bestimmen. Nach dem Beibringungsgrundsatz des Zivilprozesses ist es zwar prinzipiell Aufgabe der Parteien, also insbesondere des Geschädigten, diese Zahlen vorzutragen und gegebenenfalls auch zu beweisen, wobei das Gericht gemäß § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO auf einen entsprechenden Parteivortrag immerhin hinwirken kann. Für den Geschädigten ist es aber regelmäßig schwer, den genauen Schattenpreis für die hypothetische Lizenz oder den exakten Gewinn des Schädigers zu bestimmen. 429 Das Gericht kann hier nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO die Höhe des Schadens dann, wenn sie unter den Parteien streitig ist, im Wege einer Schätzung ermitteln. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Richter auf diese Weise einen zutreffenden Betrag für Lizenz oder Gewinn bestimmen können. Dem Gericht steht dann gemäß § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO die Möglichkeit 426
RG (Beschl. v. 27. 09. 1938 – VII B 10/38), RGZ 158, 195 (196). BGH (Urt. v. 10. 01. 1985 – III ZR 93/83), NJW 1985, 1841 (1842). Dazu: Greger, in: Zöller (2005), § 263, Rdnr. 2, 11b; Lüke, in: Münchener Kommentar-ZPO (2000), § 263, Rdnr. 21. 428 So auch: Wagner (2000c), S. 1310. 429 Dem Geschädigten wird zum Zwecke der Gewinnermittlung zwar ein Rechnungslegungs- und Informationsanspruch gegen den Schädiger zugestanden; so schon: BGH (Urt. v. 12. 02. 1952 – I ZR 115/51), BGHZ 5, 116 (123 f.). Allerdings wies Prinz (1996), S. 956 f. nach, dass der Gewinn auf mehrere Arten berechnet werden kann, die zu Ergebnissen führen, die teilweise um ein Vielfaches voneinander abweichen; vgl. dazu auch die Vorträge der von Prinz vertretenen Klägerin bei der Bemessung des Schadens in der Entscheidung des OLG Hamburg (Urt. v. 25. 07. 1996 – 3 U 60/93), NJW 1996, 2870 (2870 f.) – „Caroline I“. 427
A. Anpassung des geltenden Rechts
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offen, von Amts wegen einen Sachverständigen mit der Ermittlung der Schadenshöhe zu beauftragen. Von diesem sollte man regelmäßig erwarten dürfen, dass er über die erforderlichen Kenntnisse und Mittel verfügt, um die Höhe der Lizenz bzw. des Gewinns und somit des Vermögensschadens korrekt zu beziffern. Die Höhe des immateriellen Schadens hingegen lässt sich über den anzuwendenden ex-post-Ansatz nicht exakt bestimmen. Dessen Festsetzung beruht daher gemäß § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO allein auf der freien Überzeugung des Gerichts. Externe Leitlinien für die Bestimmung existieren nicht, da sich nicht abschließend klären lässt, welche Geldsumme ein Äquivalent zum Verlust der Ehre oder der Privatsphäre darstellt. Die einzige Möglichkeit, eine stimmige Relation innerhalb der zugesprochenen Ersatzsummen hinzubekommen, besteht in der Orientierung an bisher fallrechtlich zugesprochenen Beträgen. 430 Dieser Maßstab ist jedoch ein rein interner und krankt dementsprechend daran, dass der erkennende Richter den Ersatzbetrag letztlich nur an Beträgen anderer Richter ausrichtet, die sich zeitlich früher in einer vergleichbaren Situation befunden haben. Diese Richtschnur kann daher lediglich für eine stimmige Relation der Beträge untereinander sorgen. Für ihre abstrakte Richtigkeit hingegen stellt dies keinen beachtlichen Gradmesser dar. Es ist und bleibt bei einer mehr oder weniger überschlägig festgelegten Höhe der Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden. Diese Unsicherheit ist auf Grundlage der ex-post-Methode als ein nicht auszumerzendes Übel hinzunehmen; sie wird aber aufgrund der Rückführung des Nichtvermögensschadens in seinen eigentlichen Anwendungsbereich auf das unumgängliche Mindestmaß reduziert. 4. Zwischenergebnis Die Vorgaben, die unter Effizienzgesichtspunkten an die Schadensmonetarisierung gestellt werden, können somit nur bedingt erfüllt werden. Die rechtsdogmatisch vorgegebene und im sonstigen Recht auch verwirklichte Dichotomie des Schadens in Vermögens- und Nichtvermögensschaden kann auch im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung umgesetzt werden. Nur auf diese Weise lassen sich die einzelnen Schadensposten klar voneinander abgrenzen und unabhängig voneinander beziffern. Der durch die Persönlichkeitsrechtsverletzung entstandene Vermögensschaden lässt sich mit Hilfe der aus dem Immaterialgüterrecht bekannten Methode der dreifachen Schadensberechnung entsprechend der ökonomischen Vorgaben bemessen, wobei hier die Einschränkung gilt, dass die Herausgabe des Verletzergewinns nur im Fall der vorsätzlichen Schädigung verlangt werden kann. Die Monetarisierung des Nichtvermögensschadens kann, da eine Verwendung der ex-ante-Methode rechtlich unzulässig ist, nur im Wege der richterlichen Schätzung erfolgen, sodass in diesem Bereich zwangsläufig eine gewisse Ungenauigkeit bestehen bleibt. 430
Für eine Ausrichtung an früheren Entscheidungen beispielsweise: Rixecker, in: Münchener Kommentar (2001), § 12 Anh., Rdnr. 218.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
IV. Zwischenergebnis Als Ergebnis lässt sich zu der Frage, ob und inwieweit sich das geltende deutsche Haftungsrecht im Bereich des Schmerzensgeldes und der Geldentschädigung an die Erfordernisse ökonomischer Effizienz anpassen lässt, Folgendes festhalten. Das Effizienzkriterium, nach dessen Maßgabe die ökonomische Analyse ihre Vorschläge zur Veränderung des Rechts entwickelt, ist ein rechtspolitisches Petitum. Die Umsetzung seiner Empfehlungen erfordert teilweise ganz grundsätzliche Veränderungen des geltenden Rechts. Soweit diese Aufgabe in die Hände der Rechtsprechung gelegt wird, ist zu beachten, dass sie nach dem deutschen Rechtsverständnis die bestehenden positivrechtlichen Hürden nicht zu überwinden vermag. In den Worten Karl Larenz‘: „... [D]ie Grenze richterlicher Rechtsfortbildung [liegt] dort, wo die geforderte Entscheidung nicht mehr allein mit rechtlichen Erwägungen begründet werden kann, sondern eine an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierte politische Entscheidung verlangt.“ 431 Allein dort, wo die legislative Gewalt vage oder untätig geblieben ist, kommt der judikativen Gewalt ein gewisser Spielraum zu, den sie im Einzelfall innerhalb der dargelegten Grenzen anhand ökonomischer Wertungen konkretisieren darf. Im Einzelnen vermag die Rechtsprechung im Bereich des Schmerzensgeldes allein die ökonomische Vorgabe zu erfüllen, die Fahrlässigkeit am Maßstab der Learned-Hand-Formel zu bestimmen. Die weiteren gebotenen Veränderungen, eine Gefährdungshaftung für gefährliche Tätigkeiten zu implementieren, den entstandenen Nichtvermögensschaden nach der ex-ante-Methode zu monetarisieren, die bestehenden gesetzlichen Haftungshöchstgrenzen aufzuheben und ein punitive multiple als Ausgleich für das faktische Geltendmachungsdefizit einzuführen, dürfen angesichts entgegenstehender gesetzlicher Regelungen de lege lata nicht umgesetzt werden. Für die Geldentschädigung im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen diese Barrieren entsprechend. Die angestrebte Einführung einer Gefährdungshaftung an Stelle der bisherigen Verschuldenshaftung scheitert ebenso wie die begehrte Bezifferung des Nichtvermögensschadens über den ex-ante-Ansatz. Nicht unterschätzt werden sollte jedoch, dass die ökonomische Analyse ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, mit dessen Hilfe – zumindest theoretisch – trennscharf zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden differenziert werden kann. Diese der konkreten Schadensersatzhöhe vorgelagerte Frage war für das Persönlichkeitsrecht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jahrzehntelang unklar geblieben und wurde erst durch die Entscheidung „Marlene Dietrich“ sowohl aus Sicht der Rechtsdogmatik als auch aus der der Effizienz grob in die richtigen Bahnen gelenkt. De lege lata ist alles in allem eine Umsetzung der am Effizienzkriterium erarbeiteten Vorschläge nur in Ausnahmefällen möglich. Erwartungen, auf Grundlage der ökonomischen Analyse des Rechts eine 431
Larenz (1991), S. 427 f.
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
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umfassende und innovative Anpassung des bestehenden Rechts am Maßstab der Effizienz vornehmen zu können, müssen jedenfalls insoweit, als sie Gegenstand dieser Untersuchung sind, enttäuscht werden.
B. Anpassung des zukünftigen Rechts an die Vorgaben des Effizienzkriteriums „... [F]or governments may be so formed, or laws so framed, as will necessarily produce virtue, and make good ministers even of bad men.“ 432 Henry St. John, 1 st Viscount Bolingbroke
Nunmehr ist zu prüfen, ob ökonomische Effizienzerwägungen de lege ferenda zur Theorie der Gesetzgebung gemacht und ob sie in diesem Rahmen uneingeschränkt umgesetzt werden können. Im Bereich der Rechtssetzung geht es – anders als bei der Rechtsanwendung – nicht um die Inhaltsbestimmung bestehenden Rechts im Wege der Auslegung, sondern um die Kreation neuen Rechts. Bei diesem rechtspolitischen, am Kriterium der Zweckmäßigkeit auszurichtenden Gestaltungsakt hat der Rechtssetzer prinzipiell einen weitaus größeren Gestaltungsspielraum als der Rechtsanwender bei der von ihm vorzunehmenden Interpretation. Rechtssetzung ist nicht zuletzt aus Gründen der Kompetenz und der Legitimation im demokratischen Staat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. 433 Dieser ist prinzipiell frei darin, welchen Gegenstand er auf welche Weise regelt; alle sozial relevanten Sachverhalte sind daher im Grundsatz einer gesetzgeberischen Regelung zugänglich. Seine Souveränität unterliegt allein verfassungsrechtlichen Grenzen, da er als pouvoir constitué gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung des pouvoir constituant gebunden ist. Diese Restriktion der Befugnisse bewirkt in formeller Hinsicht, dass die Kompetenzen des (Bundes-)Gesetzgebers auf bestimmte Bereiche beschränkt werden, dass ein detailliert geregeltes Verfahren einzuhalten ist und dass die vorgeschriebene Form gewahrt werden muss. In materieller Hinsicht hat der Gesetzgeber – wie es Art. 1 Abs. 3 GG auch noch einmal ausdrücklich hervorhebt – die Grundrechte (sowie die diesen ähnlichen Rechte) zu beachten. Da dem Bund für das bürgerliche Recht eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zukommt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) und die Einhaltung von Verfahren und Form vom Einzelfall abhängt, liegt der Schwerpunkt der hier zu untersuchenden Limitierung der gesetzgeberischen Befugnisse auf den Grundrechten. 432
Bolingbroke (1730), S. 72. So auch speziell für die ökonomische Analyse des Rechts: R. Kohl (1993), S. 45 f.; Eidenmüller (1995, 2005), S. 414 ff.; Taupitz (1996), S. 165 f. 433
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
Aus Sicht der Wohlfahrtstheorie stellen sich diese dem Einzelnen verbürgten Grundrechte als liberale Rechte dar. Amartya Sen beschreibt deren Wirkungsweise folgendermaßen: Wenn eine Person ein liberales Recht innehat und in dessen Anwendungsbereich den Zustand x dem Zustand y vorzieht, dann sollte dieser Zustand x auch sozial vorgezogen werden, und zwar unabhängig von eventuell abweichenden Präferenzen anderer Mitglieder der Gesellschaft. 434 Die liberalen Rechte werden auf diese Weise der Einstellung in eine am Maßstab der Effizienz durchzuführende Kosten-Nutzen-Analyse entzogen. Das Effizienzkriterium stellt somit weder das oberste noch gar das einzige rechtspolitische Ziel dar und kann daher jedenfalls insoweit keine absolute Geltung für sich beanspruchen, als seiner Anwendung durch die Grundrechte Grenzen gezogen werden. Denn während die Verfassung den Gesetzgeber ausdrücklich an die Grundrechte bindet, verpflichtet sie ihn mit keinem Wort zur Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Effizienz. 435 Dementsprechend hat der Gesetzgeber den grundrechtlich geschützten Kernbestand an persönlichen Rechten selbst dann zu achten, wenn deren Wahrnehmung den sozialen Reichtum mindert. Zum Schutz der Grundrechte kann es also durchaus geboten sein, Effizienzverluste in Kauf zu nehmen. 436 Im Ergebnis muss der Gesetzgeber daher das Ziel, über Rechtsnormen Anreize zu effizientem Verhalten zu vermitteln, in das grundrechtliche Gefüge einpassen, das ihm von Verfassungs wegen unveränderlich vorgegeben wird. Grundrechtsdogmatisch gewendet bedeutet das: Wird durch ein effizienzorientiertes Gesetz in einen grundrechtlich geschützten Bereich eingegriffen, ist eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Beeinträchtigung erforderlich. Diese setzt insbesondere voraus, dass eine Beschränkung des Grundrechts – sei es in Form eines Gesetzesvorbehalts, sei es infolge kollidierenden Verfassungsrechts – überhaupt zulässig ist („Schranke“) und dass das eingreifende Gesetz im konkret zu betrachtenden Fall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt („Schranken-Schranke“). Nachdem nun allgemein geklärt worden ist, über welchen Spielraum der Gesetzgeber bei der Realisierung des Effizienzgedankens verfügt und insbesondere wodurch seiner Gestaltungsfreiheit Grenzen gesetzt werden, ist auf dieser Grundlage zu klären, ob eine Anpassung des zu setzenden Rechts im Bereich der Haftungsbegründung (I.) und der Haftungsfolge (II.) erfolgen darf und kann. Die Untersuchung erfolgt jeweils in drei Schritten: Zunächst wird die Aufgabe, die 434
Sen (1970), S. 87 f. Zu der Frage der (fehlenden) verfassungsrechtlichen Verankerung des ökonomischen Effizienzziels: Eidenmüller (1995, 2005), S. 443 – 445. 436 Die auf das Effizienzkriterium ausgerichtete ökonomische Analyse des Rechts verliert auch in diesen Konstellationen ihren Anwendungsbereich nicht. Sie kann hier vielmehr nutzbringend dazu eingesetzt werden, dem Gesetzgeber die Augen dafür zu öffnen, welche (Mehr-)Kosten sein ineffizienter Weg verursacht. Er kann dann sehenden Auges entscheiden, ob er das von ihm verfolgte außerökonomische Ziel in Anbetracht dieser (aus ökonomischer Sicht vermeidbaren) Kosten trotzdem realisieren möchte. Dazu: Posner (1979), S. 109 f. 435
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
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die Verwirklichung von Effizienz an den Gesetzgeber stellt, dargelegt und unter diesem Blickwinkel ein Vorschlag einer zu setzenden Norm formuliert. Danach wird geprüft, ob der Gesetzgeber diese Empfehlung innerhalb des ihm von der Verfassung zur Verfügung gestellten Spielraums realisieren darf. Schließlich wird beleuchtet, ob eine etwaige Reformierung der jeweiligen Normen im Sinne des Effizienzkriteriums in der täglichen Rechtsanwendungspraxis praktikabel und im Einzelfall sinnvoll anwendbar ist.
I. Haftungsbegründung Um über das Haftungsrecht den beteiligten Personen Anreize zu effizientem Handeln zu vermitteln, sind im Rahmen des Haftungstatbestands zwei Änderungen geboten. Zum einen muss der Anwendungsbereich der Gefährdungshaftung auf gefährliche Tätigkeiten aller Art ausgedehnt werden (1.), zum anderen muss im Rahmen der Verschuldenshaftung die Frage der Fahrlässigkeit am Maßstab der Learned-Hand-Formel geklärt werden (2.). 1. Anordnung der Gefährdungshaftung für gefährliche Tätigkeiten a) Eine Gefährdungshaftung sollte immer dann gelten, wenn die Steuerung des Aktivitätsniveaus des Schädigers unter Effizienzgesichtspunkten sinnvoller ist als die Steuerung des Aktivitätsniveaus des Geschädigten. Uneingeschränkt ist dies für Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geboten, da hier die Schadensvorsorge nur unilateral durch den Schädiger möglich ist. 437 Die richterrechtlich über § 823 Abs. 1 BGB entwickelte Verschuldenshaftung muss also durch eine Gefährdungshaftung ersetzt werden. Im Fall der Verletzung des Körpers und der Gesundheit, in dem die Schadensvorsorge grundsätzlich bilateral erfolgen kann, ist eine Gefährdungshaftung immer dann geboten, wenn die Tätigkeit des Schädigers, obwohl sie mit dem gebotenen Maß an Vorsorge V ∗ ausgeführt wird, trotzdem noch eine überdurchschnittlich hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts mit sich bringt. 438 Die für die Körperverletzung nur fragmentarisch angeordneten gefährdungshaftungsrechtlichen Sondertatbestände müssen also pauschal auf alle derart gelagerten Fälle ausgedehnt werden. aa) Beide ökonomisch gebotenen Veränderungen können durch die Einführung eines generellen Gefährdungshaftungstatbestands herbeigeführt werden, der an das Vorliegen einer besonderen Gefahr anknüpft. 439 Eine solche beispielsweise
437 438
s. o., vgl. Teil 2 A. II. 2. s. o., vgl. Teil 2 A. III. 2. c.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
als § 835 BGB n.F. oder an Stelle der bisherigen Tierhalterhaftung als § 833 BGB n.F. einzuführende Norm könnte lauten: „(1) Wer (widerrechtlich 440) eine besondere Gefahr schafft oder in der Gewalt hat, ist zum Ersatz des Schadens an fremden Personen oder Sachen verpflichtet, der durch die Verwirklichung der Gefahr entsteht. (2) Eine Gefahr ist dann eine besondere, wenn entweder sie selbst unausweichlich, ungewöhnlich, schwer beherrschbar oder sonst derart groß ist oder der aus ihr zu erwartende Schaden so ungewöhnlich hoch oder häufig ist, dass die Gefahr im Verkehr nur bei Schadloshaltung zulässig erscheint.“ 441
Diese Regelung knüpft das Eingreifen einer Gefährdungshaftung – korrespondierend mit dem geltenden Recht 442 – an das Vorliegen einer besonderen Gefahr, geht aber über die aktuelle Rechtslage hinaus, indem sie diesem Gedanken unmittelbar und umfassend haftungsbegründende Wirkung zuerkennt. Auf diese Weise bleiben all diejenigen Fälle im alleinigen Anwendungsbereich der Verschuldenshaftung, in denen die Gefahr nicht das Prädikat „besonders“ verdient. Diesem Kriterium der besonderen Gefahr unterfallen zum einen alle bilateralen Schädigungsfälle, die schon bisher dem Regime der Gefährdungshaftung unterworfen sind, sowie die damit vergleichbaren Fälle, 443 da hier die Gefahr im Sinne der Definition des Absatzes 2 derart groß ist, „... dass die Gefahr im Verkehr nur bei Schadloshaltung zulässig erscheint.“ Zum anderen sind auch unilaterale Schädigungsfälle, also insbesondere auch die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, erfasst, da hier die Gefahr der Schädigung für den potentiellen Geschädigten „unausweichlich“ im Sinne des zweiten Absatzes ist.
439 Dass dadurch bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht lediglich die ökonomisch erforderliche Gefährdungshaftung, sondern darüber hinaus kumulativ eine Verschuldenshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB eingreift, bringt keine Verzerrung der vermittelten Anreize mit sich und ist deshalb unter Effizienzgesichtspunkten unerheblich. Denn die Verschuldenshaftung unterscheidet sich von der Gefährdungshaftung in ihrer Wirkung allein dadurch, dass sie eine Steuerung des Aktivitätsniveaus des Geschädigten anstatt desjenigen des Schädigers bewirkt. Diese Steuerungswirkung läuft in diesem unilateralen Schädigungsfall zwar leer, richtet aber keinen Schaden im Sinne einer Veränderung der dem Schädiger vermittelten Anreize an. 440 Zur (umstrittenen) Frage, ob die Gefährdungshaftung die Rechtswidrigkeit der Verletzung voraussetzt, sei nur verwiesen auf: Larenz / Canaris (1994), S. 610 und Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Vor § 823, Rdnr. 18 –20 (jeweils m.w. N.). In den folgenden Vorschlägen wird auf dieses Merkmal der Rechtswidrigkeit aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. 441 Die Formulierung dieses Gesetzesvorschlags entspricht § 1 Abs. 1, 2 des Entwurfs von: Deutsch (1996), Rdnr. 713. Ähnlich weit, aber auf die Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit sowie Eigentum beschränkt: Will (1980), S. 328. 442 s. o., vgl. Teil 3 A. II. 2. a) cc) (1). 443 Zu den bisher bestehenden Unstimmigkeiten und Wertungswidersprüchen: Teil 3 A. II. 2. a).
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
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bb) Alternativ existieren Überlegungen, den zu schaffenden allgemeinen Tatbestand der Gefährdungshaftung inhaltlich enger zu fassen. Diese Einschränkung ergebe sich aus den geltenden speziellen Gefährdungshaftungstatbeständen und gehe dahin, der Gefährdungshaftung allein gegenständlich verkörperte Gefahrenquellen zu unterwerfen und somit gefährliche menschliche Tätigkeiten von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen. 444 Eine solche Regelung würde dementsprechend lauten: „Der Inhaber einer Anlage oder sonstigen Sache, mit deren Besitz, Gebrauch oder Betrieb eine besondere Gefahr verbunden ist, hat, wenn sich diese Gefahr verwirklicht und dadurch ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ 445
Für die von dieser Norm erfassten gefährlichen Anlagen ändert sich gegenüber dem weitergehenden Vorschlag nichts. Da das aus ihrem Betrieb resultierende Haftungsrisiko von dem verallgemeinerten Tatbestand der Gefährdungshaftung abgedeckt wird, kommt es insoweit zum angestrebten Eingreifen der Gefährdungshaftung, was unter dem Aspekt der Effizienz wünschenswert ist. Durch die Einschränkung werden aber nicht gegenständlich verkörperte Gefahren systematisch von der Gefährdungshaftung ausgeschlossen. Auch nicht vergegenständlichte, menschliche Gefahren können jedoch durchaus eine „besondere Gefährlichkeit“ 446 erreichen. So hat beispielsweise im Rahmen der Persönlichkeitsrechte ein potentiell Geschädigter wegen deren ubiquitärer Verfügbarkeit keine ihm zumutbare Möglichkeit, eine ihm drohende Schädigung abzuwenden. Auf eine Weise, die mit den aus technischen Gefahrenquellen wie etwa Flugzeugen resultierenden Risiken durchaus vergleichbar ist, besteht auch hier ein „soziale[r] Zwang zur Gefahrenhinnahme“ 447, den Hein Kötz als konstituierend für die Gefährdungshaftung ansieht. Deshalb ist – trotz einer fehlenden Verkörperung der Gefahrenquelle – die von der Gefährdungshaftung bewirkte Steuerung des Aktivitätsniveaus des Schädigers dringend geboten. Derartige Fälle können (und sollen 448) aber von diesem Vorschlag nicht erfasst werden. 449
444
Kötz (1981), S. 1797 f. Vergleichbare Entwürfe wurden erstellt von Kötz (1970), S. 41 und von Weitnauer (1971), S. 158. 446 Zu den Schwierigkeiten, die aus dem nicht trennscharf abgrenzbaren Begriff der „besonderen Gefahr“ resultieren: Teil 3 A. II. 2. a) cc) (2). 447 Kötz (1981), S. 1798. 448 Dazu: Kötz (1981), S. 1798. 449 Weiterhin scheidet eine Anwendung auf drohende Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch deshalb aus, weil die Gruppe der geschützten Rechtsgüter ausdrücklich auf Leben, Körper und Gesundheit sowie Eigentum beschränkt ist. Eine Ergänzung des geschützten Kreises um das Persönlichkeitsrecht oder entsprechend zu § 823 Abs. 1 BGB um ein „sonstiges Recht“ würde insoweit eine Abhilfemöglichkeit darstellen. 445
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
Diese Nicht- und damit aus ökonomischer Sicht Fehlsteuerung lässt sich dadurch beheben, dass für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein eigenständiger Gefährdungshaftungstatbestand normiert wird. Eine solche Norm könnte lauten: „Wer das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines anderen verletzt, ist diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“
Dies bringt allerdings den Nachteil mit sich, dass der seit langem schwelende Streit um die Frage der (Nicht-)Kodifikation eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts berührt und zwangsläufig im Sinne einer Kodifikation entschieden werden müsste. 450 Es werden dem Gesetzgeber mithin zwei Änderungsvorschläge unterbreitet, die von unterschiedlichem Umfang sind. Die umfassende Umsetzung der ökonomischen Vorgaben gelingt dabei nur der ersten Empfehlung, die das Eingreifen der Gefährdungshaftung allein vom Bestehen einer besonderen Gefahr abhängig macht. Der zweite Vorschlag deckt zwar, jedenfalls wenn die das allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffende Sonderregelung getroffen wird, die typischen und unter Effizienzgesichtspunkten dringlichsten Fälle ab. Hier besteht allerdings die Möglichkeit, dass im Einzelfall durch menschliches Verhalten eine Gefahr geschaffen wird, die die Voraussetzungen einer „besonderen Gefahr“ im Sinne des ersten Vorschlags erfüllt, die aber aufgrund der Einschränkung keiner Gefährdungshaftung unterliegt. b) Am Beispiel der grundlegenderen Empfehlung soll geklärt werden, ob die anvisierte Anpassung des Rechts de lege ferenda innerhalb des dem Gesetzgeber von der Verfassung zugestandenen Spielraums bleibt. 451 Da durch die intendierte Regelung keine speziellen Grundrechte, insbesondere nicht Art. 14 GG, betroffen sind, ist allein das Auffanggrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig, dessen Schutzbereich sich umfassend auf den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit erstreckt. Da auch der Zivilgesetzgeber gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar grundrechtsgebunden ist, stellt die Erweiterung haftungsbegründender Normen zugunsten Dritter durchaus einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG dar. 452 Dieser lässt sich aber über die als einfachen Gesetzesvorbehalt interpre450 Zuletzt hat sich der Gesetzgeber mit dieser Frage im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften befasst. Dort wurde der Vorschlag des Bundesrates, in § 847 eine Regelung des Ersatzes des Nichtvermögensschadens im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzuführen (BR-Drucks. 2001/742/ 1/01, S. 15 f. = BT-Drucks. 14/7752, S. 49 f.), vom Bundestag abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass, wenn schon eine Kodifikation des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorgenommen werde, keine fragmentarische, sondern eine schlüssige und umfassende Regelung erarbeitet werden solle, für die im Rahmen des konkreten Gesetzgebungsverfahrens kein Raum sei (BT-Drucks. 14/7752, S. 55). 451 Ist diese Lösung verfassungsrechtlich zulässig, gilt dies erst recht für den zweiten, weniger umfassenden Vorschlag.
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
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tierte Schranke der „verfassungsmäßige[n] Ordnung“ rechtfertigen, solange die angestrebte Neuregelung verhältnismäßig ist. Der legitime Zweck des Vorschlags zur Einführung einer Gefährdungshaftung besteht darin, das Aktivitätsniveau potentieller Schädiger durch die Androhung einer zivilrechtlichen Haftpflicht auf das effiziente Maß zu begrenzen und somit letztlich die Rechtsgüter potentiell Geschädigter zu schützen. Die Anordnung einer an die „besondere Gefahr“ anknüpfende Gefährdungshaftung ist durchaus geeignet, diese Steuerungswirkung zu entfalten, und es existiert im Rahmen des Zivilrechts auch kein milderes Mittel dieser Wirksamkeit (Erforderlichkeit). Schließlich ist der Vorschlag auch angemessen. Zwar resultiert aus der Einführung einer umfassenden Gefährdungshaftung ein monetärer Umverteilungseffekt, da für den potentiellen Schädiger die Höhe der zu erwartenden Schadensersatzkosten aus einer „besonders gefährlichen“ Verhaltensweise ansteigen wird. Dieser Effekt ist aber zum einen ein diffus streuender, weil sich die zusätzliche Belastung durch die Gefährdungshaftung zufällig auf alle betroffenen Personen verteilt, sofern sie gleichermaßen als Geschädigte und als Schädiger in Betracht kommen. Zum anderen dürfte die Höhe dieser Mehrbelastung relativ marginal sein, da durch die Gefährdungshaftung eine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage nur in denjenigen Fällen eintritt, in denen bislang eine Haftung mangels Verschulden ausscheidet. Dies gilt umso mehr, als die Rechtsprechung dadurch, dass sie einen objektiven Sorgfaltsmaßstab anlegt, dass sie teilweise Umkehrungen der Beweislast für die Frage des Verschuldens etabliert hat und dass sie immer weitergehende Anforderungen im Rahmen der Verkehrspflichten stellt, die Verschuldenshaftung einer Gefährdungshaftung schon angenähert hat. 453 Im Ergebnis sind die aus der Einführung einer Gefährdungshaftung entstehenden Zusatzbelastungen für den einzelnen Schädiger also recht gering, während zugleich aber das Aktivitätsniveau aller potentiellen Schädiger reguliert und somit ein Schutz grundrechtlich gewährleisteter Elementarwerte wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Privatsphäre oder Eigentum bewirkt wird. Eine solche Regelung würde die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit daher nicht verletzen, sodass ihre Einführung im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verfassungsrechtlich zulässig wäre. c) Eine universell geltende Gefährdungshaftung würde keine zusätzlichen Schwierigkeiten tatsächlicher Art in die rechtliche Praxis einführen. Denn der signifikante Unterschied der Gefährdungshaftung gegenüber der Verschuldenshaf452
Di Fabio, in: Maunz / Dürig (2005), Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 54. Der Grund dafür dürfte in der von Medicus (2005), Rdnr. 581 angeführten „Mentalitätsänderung“ liegen: „Sie hat die Grenze zwischen Unglück und Unrecht in dem Sinn verschoben, daß Schäden immer seltener als Unglück hingenommen werden. Vielmehr erscheint ein Schaden regelmäßig als ausgleichbedürftig, und ein Mittel dazu ist die Annahme eines ersatzpflichtigen Unrechts.“ (Hervorhebungen weggelassen). Kötz (1970), S. 8 (m.w. N.) spricht im Hinblick auf diese Entwicklung von „Versorgungsmanie“ und „Vermassung“. 453
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
tung besteht allein darin, dass erstere einen Ersatzanspruch unabhängig von der Frage des Verschuldens des Schädigers gewährt. Daher würde ihre Introduktion im Verhältnis zur bisherigen allgemeinen Verschuldenshaftung die (gerichtliche und außergerichtliche) Geltendmachung insofern erleichtern, als die Verschuldensfrage ungeklärt bleiben kann. d) Dem Gesetzgeber steht es folglich im Rahmen seines verfassungsrechtlichen Spielraums frei, de lege ferenda eine unter Effizienzgesichtspunkten wünschenswerte, möglichst umfassend am Merkmal der besonderen Gefahr ausgerichtete Gefährdungshaftung einzuführen. 2. Learned-Hand-Formel zur Bestimmung der Fahrlässigkeit a) Eine effiziente Klärung der Verschuldensfrage erfordert die Bestimmung der Fahrlässigkeit am Maßstab der Learned-Hand-Formel. Dass die Umsetzung dieser ökonomischen Forderung auch schon de lege lata durch die Gerichte im Rahmen der notwendigen Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „im Verkehr erforderliche[n] Sorgfalt“ gemäß § 276 Abs. 2 BGB rechtlich zulässig ist, 454 hindert den Gesetzgeber nicht daran, diese Formel als maßgeblich für die nähere Bestimmung der Erforderlichkeit gesetzlich zu normieren. Denkbar wäre als möglicher § 276 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. etwa folgende Norm: „Als erforderlich sind im Fall deliktischer Schädigungen diejenigen Sorgfaltsmaßnahmen anzusehen, deren Grenzkosten geringer sind als ihr Grenznutzen.“ 455
Dieser ergänzende Satz des Gesetzgebers würde die algebraisch formulierte Learned-Hand-Formel in die Sprache des Gesetzes transformieren und für alle Rechtsanwender verbindlich festlegen, dass die Frage nach der Fahrlässigkeit aufgrund einer stringenten Kosten-Nutzen-Analyse zu beantworten ist. b) Durch eine Veränderung des für die Verschuldenshaftung ausschlaggebenden Sorgfaltsmaßstabs kann es im Einzelfall dazu kommen, dass die Verschuldensfrage auf Grundlage der Learned-Hand-Formel anders entschieden wird als nach bisherigem Recht. Die dabei auftretenden Umverteilungseffekte stellen – entsprechend den Ausführungen zur Gefährdungshaftung – zwar durchaus eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG dar; sie sind aber in Anbetracht ihrer geringen Höhe wiederum nicht unverhältnismäßig. Der einzufügende § 276 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. würde daher zur „verfassungsmäßigen Ordnung“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG gehören, die der allgemeinen Handlungsfreiheit Schranken setzt.
454 455
s. o., vgl. Teil 3 A. II. 2. b) bb). Einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet auch Eidenmüller (1995, 2005), S. 435.
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
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c) Allerdings kann auch durch eine gesetzgeberische Anordnung den faktischen Problemen, die bei der Ermittlung der im Rahmen der Formel benötigten konkreten Zahlenwerte bestehen, nicht abgeholfen werden. 456 d) Die Einführung einer Norm, die der Learned-Hand-Formel Gesetzeskraft verleiht, ist also rechtlich durchaus zulässig. Allerdings muss sich der Gesetzgeber dabei bewusst sein, dass die im konkreten Fall durch den Rechtsanwender einzusetzenden Werte häufig nur im Wege der Schätzung ermittelt werden können. Deshalb wird es nicht immer zu mathematisch exakten Ergebnissen kommen, wie sie von der Umsetzung der Formel auf den ersten Blick erwartet werden können.
II. Haftungsfolge Auch auf der Rechtsfolgenseite gebietet die effizienzorientierte Analyse eine Reihe von Veränderungen des geltenden Rechts, die darauf zu untersuchen sind, ob der Gesetzgeber sie de lege ferenda umsetzen darf. So ist aus ökonomischer Sicht eine Umstellung der Monetarisierungsmethode für Nichtvermögensschäden auf den ex-ante-Ansatz (1.), die Streichung der bestehenden gesetzlich normierten Haftungsobergrenzen (2.), die Einführung einer Kehrwertberechnung zum proportionalen Ausgleich des enforcement errors (3.) sowie die Implementierung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs im Fall der vorsätzlichen Verletzung von Persönlichkeitsrechten (4.) geboten. 457 1. Bestimmung von Nichtvermögensschäden nach der ex-ante-Methode a) Aus ökonomischer Sicht sind die aus einer Verletzung resultierenden Nichtvermögensschäden in dem Sinne als unersetzbar anzusehen, dass ein Ausgleich des infolge der Schädigung beim Geschädigten tatsächlich entstandenen Nutzen456
s. o., vgl. Teil 3 A. II. 2. b) cc). Ökonomisch geboten ist auch die Ersatzfähigkeit des entstehenden Nichtvermögensschadens im Fall einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine derartige gesetzliche Regelung fehlt zwar. Allerdings durchbricht die ständige Rechtsprechung die an sich bestehende Sperre des § 253 Abs. 1 BGB unter Berufung auf die Wertung der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Da nach geltendem Recht der Nichtvermögensschaden ersetzt wird, ist es aus ökonomischer Sicht nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber tätig wird und dieses Richterrecht gesetzlich normiert. Dass eine solche Regelung rechtspolitisch wünschenswert und sinnvoll wäre, steht auf einem anderen Blatt. Entsprechende Änderungsvorschläge finden sich bei Hohloch (1981), S. 440 f., 474 (als § 253 Abs. 3 BGB) und in der BR-Drucks. 2001/742/1/02, S. 15 f. = BT-Drucks. 14/7752, S. 49 f. (als § 847 BGB). Ein Überblick über die bisherigen (im Ergebnis erfolglos gebliebenen) Gesetzgebungsvorschläge findet sich bei Baston-Vogt (1997), S. 166 – 174. 457
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
verlustes nur mit einem unter Effizienzgesichtspunkten nicht zu rechtfertigenden Aufwand möglich ist. Daher gebietet die ökonomische Analyse einen Perspektivwechsel: Die Ersatzsumme für den erlittenen Nichtvermögensschaden soll nicht im Hinblick darauf bemessen werden, welcher Schaden tatsächlich durch die Schädigung verursacht wurde (ex-post-Methode), sondern darauf, welche hypothetische Summe ein potentieller Geschädigter im Vorfeld der Schädigung zu zahlen bereit gewesen wäre, um das Risiko zu vermeiden, das sich in der Schädigung realisiert hat (ex-ante-Methode). Um diese Veränderung umzusetzen, könnte der Gesetzgeber als § 253 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. folgende Norm erlassen: „Die billige Entschädigung in Geld ist danach zu bemessen, welche Summe der Geschädigte im Vorfeld der Schädigung bereit gewesen wäre, zur Vermeidung des ihm im Einzelfall drohenden Schadenseintrittsrisikos zu zahlen.“
Eine solche konkretisierende Norm stellte allerdings in zweifacher Hinsicht eine Abkehr von den bisherigen Grundgedanken des Schadensersatzrechts dar. Zum einen ist dem geltenden Recht eine Schadensberechnung nach der ex-anteMethode fremd. Denn traditionell stellt der (eingetretene) Schaden die Grundlage dar, auf der der Schadensersatz beziffert wird. Den Begriff des Schadens definiert das Gesetz zwar nicht selbst, es setzt ihn aber in den §§ 249 ff. BGB als Maßstab voraus, an dem die Höhe der Ersatzpflicht auszurichten ist. Der Geschädigte soll durch den ihm zugesprochenen Schadensersatz in einen hypothetisch schadensfreien Zustand (zurück-)versetzt werden. Das geltende Schadensrecht basiert also auf dem ex-post-Prinzip. Zum anderen überlässt der Gesetzgeber die Aufgabe, welche Faktoren und Grundsätze bei der Bemessung der Höhe der Ersatzpflicht im Einzelnen zu berücksichtigen sind, bewusst Rechtsprechung und Lehre. Exemplarisch sei die 130%-Grenze bei der Reparatur beschädigter Kraftfahrzeuge (sog. Integritätszuschlag) genannt, die im Rahmen der abstrakten gesetzlichen Regelung des § 249 BGB richterrechtlich entwickelt wurde. Eine derart detaillierte gesetzgeberische Anordnung zur näheren Bestimmung der Schadensersatzpflicht, wie sie hier für die Bezifferung des Nichtvermögensschadens vorgeschlagen wird, existiert bislang nicht. b) Die angestrebte Veränderung der rechtlichen Struktur steht dem Gesetzgeber jedoch durchaus frei, sofern er sich dabei innerhalb der ihm verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen hält. Im Verhältnis Staat versus Bürger betrifft die Veränderung, die durch eine Neuregelung des Schadensersatzes in diesem Sinne eintritt, im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG und im Bereich der körperlichen Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Die Schutzgüter des Grundgesetzes bedürfen nicht nur des Schutzes gegenüber Eingriffen des Staates. Auch Private können diese Güter beeinträchtigen – und die von ihnen ausgehenden Gefahren können im Einzelfall durchaus größer sein als die durch den rechtstaatlich verfassten Staat. Jenseits der klassischen Abwehrfunktion leitet das Bundesverfassungsgericht deshalb aus den Grundrechten die Pflicht des Staates ab, den Einzelnen gegen Eingriffe privater Dritter in die
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ihm grundrechtlich gewährleisteten Güter zu schützen (sog. Schutzfunktion der Grundrechte). 458 Mit dieser objektivrechtlichen Schutzpflicht korrespondiert ein subjektiver Schutzanspruch: Verletzt der Staat seine Schutzpflicht, so verletzt er grundsätzlich zugleich auch das betreffende Grundrecht des Einzelnen. 459 Allerdings kommt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten eine weitgehende Einschätzungsprärogative zu. Der mit der Schutzpflicht verbundene grundrechtliche Anspruch ist nur darauf gerichtet, dass der Gesetzgeber innerhalb seines Ermessensspielraums zum Schutz des Grundrechts tätig wird. Eine Grundrechtsverletzung liegt deshalb nur dann vor, wenn der Gesetzgeber Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen völlig ungeeignet oder unzulänglich sind, um das Schutzziel zu erreichen. 460 Mithin wird die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen durch dieses Untermaßverbot gezogen: Wird der gebotene Schutz unterlassen, liegt ein Eingriff in das betroffene Grundrecht vor. 461 Zweifelsfrei liegt ein Verstoß gegen die dem Staat obliegende Schutzpflicht – im Kern sogar deren Negation – vor, wenn die auf der vorgeschlagenen gesetzlichen Grundlage zu treffende Entscheidung über die Allokation des Rechts allein darauf beruht, welcher der Beteiligten das Recht monetär höher bewertet. Das ist dann der Fall, wenn dem potentiellen Schädiger das Recht zugewiesen werden würde, sobald er bereit wäre, einen höheren Betrag als Schadensersatz für die Verletzung des Rechts zu zahlen als der potentielle Geschädigte im Vorfeld für die Abwehr der Verletzung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit würden dadurch letztlich so behandelt, als seien sie gewöhnliche marktgängige (Verbrauchs-)Güter, die dem freien Spiel der Kräfte aus Angebot und Nachfrage unterworfen sind. Deren Allokation allein auf Grundlage monetärer Bewertung führte zu einer Verabsolutierung des Effizienzgedankens, ohne anderweitige Wertmaßstäbe anzuerkennen und ohne den entstehenden Konflikt im Wege der Abwägung zu lösen. 462 Eine derartige Bewertung wird im Rahmen der ex-ante-Methode jedoch nicht vorgenommen: Denn der Zivilrechtsgesetzgeber knüpft an die Verletzung des Persönlichkeitsrechts wie auch an die der körperlichen Unversehrtheit eine Haftpflicht des Schädigers unabhängig davon, ob der Schädiger das Recht höher bewertet als der Geschädigte oder nicht. Er statuiert 458 Grundlegend: BVerfG (Urt. v. 25. 02. 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74), BVerfGE 39, 1 (41 f.) – „Fristenlösung“. Explizit zur Schutzpflicht für das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit: BVerfG (Beschl. v. 14. 01. 1981 – 1 BvR 612/72), BVerfGE 56, 54 (63, 78). 459 BVerfG (Beschl. v. 29. 10. 1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83), BVerfGE 77, 170 (214) – „C-Waffen“. 460 BVerfG (Beschl. v. 29. 10. 1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83), BVerfGE 77, 170 (214 f.) – „C-Waffen“. 461 Isensee (2000), S. 191. 462 Eidenmüller (1995, 2005), S. 482 f.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
also ein umfassendes Verletzungsverbot, das von der Frage der Effizienz der Verletzung vollkommen losgelöst ist. Das bloße rechtliche Verbot einer Verletzung allein ist jedoch nicht hinreichend, um die grundrechtlichen Schutzpflichten zu erfüllen. Es ist darüber hinaus notwendig, dass das Eingriffsverbot auch tatsächlich in ausreichendem Maße durchgesetzt wird (sekundäre Schutzpflicht). 463 Genau diese Frage der Rechtsdurchsetzung ist durch den Vorschlag betroffen, die Berechnung der aus der Verletzung resultierenden Schadensersatzpflicht auf die ex-ante-Methode umzustellen. Teilweise wird geltend gemacht, dass allein der ex-post-Ansatz mit dem Wert der verfassungsrechtlichen Prinzipien der Art. 1, 2 GG vereinbar sei. Diese Bedenken gegen die ex-ante-Methode entspringen aus deren Vorbedingung, die körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Geld quantifizieren zu müssen. Diese immateriellen Werte seien, so die Kritiker, aber einer Bezifferung in Geld entzogen, weil sie – insbesondere in Anbetracht der Wertigkeit der Art. 1 und 2 GG – über jeden Preis erhaben seien. 464 Dabei wird jedoch übersehen, dass auch das Grundgesetz den Schutz dieser Rechtsgüter nicht verabsolutiert, sondern gemäß Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 GG durchaus die Möglichkeit der Beschränkung auf Grund eines verhältnismäßigen Gesetzes vorsieht. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine Güterabwägung vorzunehmen. Diese ist im Grunde nichts anderes als ein ökonomischer tradeoff. 465 Nicht das „Ob“ der wirtschaftswissenschaftlich vorgenommenen Quantifizierung kann also den Ansatzpunkt der Kritik bilden, sondern allein das „Wie“. Es ist der geäußerten Kritik unumwunden zuzugeben, dass es das Menschenbild des Grundgesetzes gebietet, den Maßstab, an dem die Güterabwägung vorgenommen wird, über die ökonomische Effizienz hinaus um andere Wertungen zu ergänzen. 466 Demnach ist Versuchen, die den Wert eines individuellen Lebens anhand des volkswirtschaftlich relevanten Humankapitals und somit letztlich anhand der Arbeitskraft ermitteln wollen, eine klare Absage zu erteilen. Die hier vorgeschlagene ex-ante-Bestimmung beruht jedoch auf Werten, die der Einzelne selbst zur Abwehr eines bestimmten Risikos zu zahlen bereit ist (willingness to pay). 467 Dabei handelt es sich nicht um eine externe, allein an volkswirtschaftli463 Umfassend dazu: Murswiek (1985), S. 111 ff., auf den die Unterscheidung der Schutzpflichten in primäre Schutzpflichten (Verbot) und sekundäre Schutzpflichten (Durchsetzung des Verbots) zurückgeht. 464 Larenz / Canaris (1994), S. 417. In diesem Sinne auch Blaschczok (1993), S. 255 ff.; Heinrichs, in: Palandt (2006), § 276, Rdnr. 19. Kritisch ferner Taupitz (1996), S. 164. 465 Eger / Nagel / Weise (1991), S. 32. 466 Eger / Nagel / Weise (1991), S. 32 f.; Eidenmüller (1995, 2005), S. 455; Taupitz (1996), S. 126. 467 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. b) bb). Insofern ist auch die von Blaschczok (1993), S. 255 – 258 geäußerte Kritik an Werten, die auf der individuellen willingness to accept (WTA) basieren, hier weder unmittelbar noch mittelbar beachtlich, weil die dort aufgezeigten Kritikpunkte spezifische Schwächen des WTA-Ansatzes betreffen.
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
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chen Kriterien orientierte Wertermittlung. Da der Einzelne selbst einen Betrag zu beziffern hat, den er zur Risikovermeidung zu zahlen bereit ist, fließen in ihn Faktoren jeglicher Art ein, die dem Einzelnen für die Wertschätzung des eigenen Lebens als relevant erscheinen. Bildlich gesprochen werden hier – anders als bei der Bewertung des Humankapitals – nicht lediglich die 40 Stunden der wöchentlichen Arbeitsleistung, in denen ein Individuum das Bruttosozialprodukt mehrt, in die Bewertung aufgenommen, sondern auch die übrigen 128 Stunden der Woche, die es zur freien Verfügung hat. Dabei finden materielle wie auch immaterielle Belange in gleicher Weise Eingang in die Bewertung. Der hier verwendete ex-anteAnsatz berücksichtigt also durchaus die individuelle Wertschätzung des eigenen Lebens sowie der körperlichen Unversehrtheit und lässt somit verfassungsrechtlich geschützte Rechte nicht „... im Strudel einer hemmungslosen Kosten / NutzenAbwägung [untergehen]...“ 468. Auch der Einwand, dass eine Bestimmung dieser Rechtsgüter in Geld gegen das vom Grundgesetz gezeichnete Bild verstoße, greift nicht durch. Wenn die Gerichte davon ausgehen, dass die immaterielle Einbuße im Rahmen des Schmerzensgeldes „... im Grunde nicht messbar ist...“ 469, stimmt dies mit dem ex-anteAnsatz überein. Dieser gründet ja gerade auf der Prämisse, dass die tatsächlich eingetretene Schädigung der körperlichen Unversehrtheit (ex post) durch eine Geldsumme nicht adäquat ersetzt werden kann. 470 Deshalb setzt diese Methode im Vorfeld der Schädigung an und stützt sich auf Werte, die der Einzelne selbst zur Vermeidung eines bestimmten Risikos der Schädigung zu zahlen bereit ist. Der unterbreitete Vorwurf gebührt daher eher der traditionellen ex-post-Methode. Ein letzter Einwand könnte sich aus der Höhe der über den ex-ante-Ansatz ermittelten Beträge ergeben. Diese liegen deutlich unter denen auf Basis des ex-post-Ansatzes zu gewährenden Beträgen. 471 Daraus könnte man schließen, dass im Rahmen der ex-ante-Bestimmung der verfassungsrechtlich gebotenen Wertschätzung der Rechtsgüter nicht genügt wird. Die bestehende Differenz zwischen den beiden Ansätzen beruht allerdings nicht darauf, dass mit dem exante-Ansatz zu geringe Beträge ermittelt werden, sondern vielmehr darauf, dass auf Basis der ex-post-Methode infolge der Unersetzbarkeit des Schadens deutlich zu hohe Beträge ermittelt werden. 472 Und selbst diese relativ geringen, über den ex-ante-Ansatz ermittelten Beträge liegen noch immer über den aktuellen 468
Wagner, in: Münchener Kommentar (2004), Vor § 823, Rdnr. 55. OLG Hamm (Urt. v. 24. 01. 2002 – 6 U 169/01), r+s 2002, 285 (285). Grundlegend: BGH (Urt. v. 29. 09. 1952 – III ZR 340/51), BGHZ 7, 223 (227); BGH (Beschl. v. 6. 07. 1955 – GSZ 1/55), BGHZ 18, 149 (154). 470 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa). 471 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa). 472 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. a) aa) (2). 469
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
Schmerzensgeldbeträgen, die die Gerichte auf der Grundlage billiger Schätzungen ausurteilen, obwohl auch diese in den letzten Jahren schon deutlich angestiegen sind. Der Vorwurf einer verfassungswidrigen Unterbewertung trifft also auf diesen Ansatz weniger zu als auf die bisherige Praxis, in der der hohe grundgesetzlich statuierte Wert von Art. 1 und 2 GG immer wieder betont wird 473 und gegen die dieser Vorwurf nicht mit dieser Nachdrücklichkeit erhoben wird. Die vorgeschlagene Norm berücksichtigt damit die von der Verfassung geschaffene „objektive Wertordnung“ 474, die zu verwirklichen und zu schützen der Gesetzgeber verpflichtet ist. Die Einführung des vorgeschlagenen § 253 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. ist dem Gesetzgeber daher von Verfassungs wegen nicht verwehrt. c) Der dritte Schritt widmet sich der Frage der tatsächlichen Umsetzbarkeit des ex-ante-Ansatzes in der gerichtlichen Praxis. Faktische Schwierigkeiten sind für beide Stufen der Bewertung des Risikos nach dem ex-ante-Ansatz leicht vorhersehbar. Erstens können und sollen die hier zugrunde gelegten Studien, die den Wert des Lebens in Abhängigkeit von der willingness to pay zu ermitteln versuchen, nicht darüber hinweg täuschen, dass eine repräsentative und wenigstens annähernd präzise Ermittlung auf deren Grundlage nicht möglich ist. Es handelt sich um Studien, die jeweils einen nur streng limitierten Ausschnitt des täglichen Lebens behandeln (z. B. das Verbraucherverhalten beim Kauf von Rauchmeldern) und regelmäßig nur auf einer relativ geringen Anzahl von Testpersonen basieren. Die Unzulänglichkeiten werden schon an den starken Schwankungen der Ergebnisse evident. 475 Da sich die Gerichte demnach nicht verlässlich auf vorhandene Studien stützen können, stehen sie vor der Aufgabe, die entsprechenden Werte selbst zu ermitteln. Wegen der erforderlichen Repräsentativität treten die Schwierigkeiten, die schon bei der Anwendung der Learned-Hand-Formel zur Beantwortung der Verschuldensfrage offenbar wurden, hier in noch konzentrierterer Form auf. 476 Die Richter verfügen im Rahmen eines Rechtsstreits weder über ausreichende eigene kognitive Fähigkeiten, um selbst einen repräsentativen Wert des Lebens zu ermitteln, noch über entsprechende zivilprozessuale Möglichkeiten, um derartige Untersuchungen durch einen verständigen Dritten durchführen zu lassen. Noch weniger als bei der Frage des Verschuldens ist es den Parteien möglich, derartige Untersuchungen in den Prozess einzuführen, weil die erforderlichen Zahlen nicht aus ihrem persönlichen Umfeld stammen. Ein repräsentativer Wert kann nur durch 473
BGH (Urt. v. 13. 10. 1992 – VI ZR 201/91), BGHZ 120, 1 (5); OLG Hamm (Urt. v. 16. 01. 2002 – 3 U 156/00), NJW-RR 2002, 1604 (1604). 474 BVerfG (Urt. v. 25. 02. 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74), BVerfGE 39, 1 (41) – „Fristenlösung“. 475 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. b) bb). 476 Dieses Phänomen vermag nicht zu überraschen, da die Berechnung des ex-anteSchmerzensgeldes auf einer modifizierten Learned-Hand-Formel beruht, die nach der Variablen L (liability) aufgelöst ist; dazu: Teil 2 B. III. 1. a) bb).
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eine bundesweit angelegte empirische Erhebung von Daten ermittelt werden. Dies ist nach Art und Umfang eine Aufgabe, die über die Kapazität und Kompetenz der erkennenden Gerichte hinausgeht und sich an den übergeordneten Gesetzgeber richtet. Dieser könnte bei einer hoheitlichen oder privaten Organisation (z. B. dem Statistischen Bundesamt) eine umfassende Untersuchung in Auftrag geben, die auf der dargelegten theoretischen Grundlage der individuellen Zahlungsbereitschaft zur Vermeidung eines bestimmten Risikos den Wert des Lebens für Deutschland ermittelt. Diesen Wert, der über die jährliche Inflationsrate der Geldentwertung angepasst werden müsste, könnten die Gerichte dann ihrer Entscheidung zugrunde legen. Als Ausweg aus diesem Datenermittlungsproblem der Gerichte wird vorgeschlagen, sie die erforderlichen Werte schätzen zu lassen. 477 Dagegen spricht prima facie, dass dies letztlich kein Unterschied zur bisherigen unzulänglichen Praxis ist, nach der die Gerichte das angemessene Schmerzensgeld nach den jeweiligen Umständen bemessen. Dem ist allerdings entgegen zu halten, dass dieser Ansatz auf der grundlegend anderen Basis des ex-ante-Methode beruht und sich insofern durchaus von dem bisherigen Vorgehen unterscheidet. Aus ökonomischer Sicht würde dieses Vorgehen daher einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung darstellen. Gegen Schätzungen ist jedoch ganz generell das ihnen inhärente Problem der Ungenauigkeit anzuführen, das – wie bei der Verschuldensfrage ausgeführt – zu systematischen Abweichungen zu führen droht. 478 Und dass eine solche Schätzung „hinreichend genau“ 479 sein könnte, erscheint in diesem Zusammenhang noch weitaus unrealistischer als bei der Verschuldensfrage. Es ist kaum vorstellbar, dass es dem erkennenden Richter gelingt, den Wert auch nur annähernd zutreffend zu taxieren, den der durchschnittliche Bundesbürger einem Risiko für sein Leben zumisst. Eine Schätzung ist mithin kein Ausweg aus diesem datentechnischen Dilemma. Zweitens stellt sich ein vergleichbares Problem bei der Transformation dieses Wertes, der für das Risiko eines Verlustes des Rechtsguts Leben ermittelt wurde, auf spezifische Körperverletzungen. Die hier vorgestellte „Umrechnungsformel“ 480 muss sich den Vorwurf der fehlenden Repräsentativität noch viel stärker gefallen lassen als die Studien zur Ermittlung des Werts des Lebens. Bestimmten Verletzungen wie beispielsweise Koma, Querschnittslähmung oder Knochenbruch muss ein bestimmter Prozentsatz des Lebenswerts zugeordnet werden. Das mag im Einzelfall ein konkreter Wert sein wie 100% im Fall des Komas oder im Fall einer irreversiblen Lähmung mit dauerhafter Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten. 481 Im Regelfall wird es aber ein Wert im niedrigen Prozentbereich sein (etwa 477 478 479 480
H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 377. s. o., vgl. Teil 3 A. II. 2. b) cc). H.-B. Schäfer / Ott (2005), S. 377. s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. b) cc).
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bei einem unproblematischen Bruch des Unterarms). Dafür ist eine grundlegende Kategorisierung vorzunehmen, die allen erdenklichen Verletzungen zumindest einen dem Grunde nach bestimmbaren Bereich zuordnet (hier z. B. 3 bis 8% des Wertes für das Leben 482). Damit diese Umrechnung vom Wert des Lebens auf den Wert der spezifischen Körperverletzung den Betroffenen effiziente Anreize zur Schadensvermeidung setzt, ist es erforderlich, dass die der jeweiligen Körperverletzung zugeordneten Werte zutreffend anhand einer repräsentativen Studie ermittelt werden. Die Gerichte können dies wiederum nicht leisten und stehen somit erneut vor einem für sie unüberwindlichen Problem. Lediglich die Einordnung der konkreten Verletzung in die auf diese Weise vorgegebenen Spielräume (hier: 3 bis 8%) kann – und muss nicht zuletzt auch, um den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ausreichend Rechnung tragen zu können – den Gerichten überlassen werden, da keine Studie derart detaillierte Vorgaben machen kann, dass alle denkbaren Verletzungen mit allen denkbaren Besonderheiten des Einzelfalls im Vorhinein kategorisiert werden könnten. Dass die Richter eine solche Untergruppierung von Einzelfällen innerhalb vorgegebener Kategorien vorzunehmen in der Lage sind, haben sie bereits im Rahmen der bisherigen Schmerzensgeldbemessungspraxis unter Beweis gestellt. 483 d) Die Umsetzung des ex-ante-Ansatzes in geltendes Recht ist zwar zulässig. Zur konkreten Anwendbarkeit dieses ex-ante-Ansatzes fehlt es den Gerichten aber an den dazu erforderlichen Daten aus repräsentativen Untersuchungen, deren Durchführung sie aber nicht selbst anordnen können. Die Gerichte befinden sich somit in einem Teufelskreis, aus dem sie ohne fremde – d. h. in letzter Konsequenz: gesetzgeberische – Hilfe nicht ausbrechen können. Infolge seiner faktischen Unwägbarkeiten ist dieser Ansatz daher – mit den Worten Gerda Müllers gesprochen – „... interessant, für die richterliche Praxis jedoch kaum geeignet...“ 484. 2. Streichung der Haftungsobergrenzen bei der Gefährdungshaftung a) Die im Bereich der Gefährdungshaftung teilweise normierten Haftungsobergrenzen sollten, da sie eine (partielle) Anreizverzerrung bewirken, ersatzlos gestrichen werden. 485,486 Die bisher geltende Regelung ist insoweit „uneinheitlich 481
s. o., vgl. Teil 2 B. III. 1. b) cc). Dies ist ein rein fiktiver Wert, der aus Gründen der Veranschaulichung gewählt wurde. Es soll damit nicht gesagt werden, dass 3 bis 8% des Werts des Lebens ein angemessener Schmerzensgeldbetrag für einen Bruch des Unterarms ist. 483 Vgl. dazu die Nachweise in den Schmerzensgeldtabellen von Jaeger / Luckey (2003) oder von Hacks / Ring / Böhm (2005). 484 G. Müller (1993), S. 911. 485 s. o., vgl. Teil 2 B. III. 2. 482
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und ohne innere Folgerichtigkeit“ 487, als solche Obergrenzen, wie sie beispielsweise in § 12 StVG oder § 9 HaftPflG angeordnet sind, nicht für alle Gefährdungshaftungstatbestände bestehen. So ist beispielsweise die Haftung des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB oder die nach §§ 25 f. AtomG unbeschränkt. Auch hat sich der Gesetzgeber selbst dahingehend geäußert, dass die Haftungshöchstgrenzen kein wesensbegründendes Merkmal der Gefährdungshaftung sind, sondern – als Besonderheit des deutschen Rechts – historisch begründet. 488 b) Betroffen ist allein das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Der aus der Streichung der Obergrenzen und aus der dementsprechenden Geltung einer summenmäßig unbeschränkten Gefährdungshaftung resultierende Umverteilungseffekt überschreitet die Grenzen der Verhältnismäßigkeit jedoch nicht, weil er lediglich in denjenigen Ausnahmekonstellationen auftritt, in denen die bisherigen Haftungshöchstbeträge überschritten wurden und die unbeschränkte Verschuldenshaftung wegen fehlenden Verschuldens nicht eingreift. 489 c) Der Gesetzgeber führt als Begründung dafür, dass er Haftungsobergrenzen im Bereich der Gefährdungshaftung (teilweise) normiert bzw. aufrecht erhält, an, dass erstens die quantitative Beschränkung eine Art Gegenleistung für die gegenüber der Verschuldenshaftung verschärfte Haftungsform sei und dass zweitens im Interesse des potentiell haftenden Schädigers an der Versicherbarkeit sein Haftungsrisiko bezifferbar sein müsse. 490 Würde durch die Aufhebung der summenmäßigen Beschränkung tatsächlich die Versicherbarkeit möglicher Haftung entfallen, wäre dies ein gravierender Nachteil, da der typischerweise risikoaverse Schädiger auf eine Versicherung des ihn treffenden Risikos angewiesen ist. Es ist in dieser Hinsicht auch unbestreitbar richtig, dass die Versicherung von zukünftigen Schadensrisiken für beide Parteien des Versicherungsvertrags eine möglichst exakte Berechnung des Schadenserwartungswerts voraussetzt. Die daraus teilweise gezogene Folgerung, dass der Abschluss einer Versicherung ohne einen die drohende (Gefährdungs-)Haftung begrenzenden Höchstbetrag nicht möglich sei, 491 ist hingegen falsch. Den Gegenbeweis hat die Praxis überzeugend 486 Die Frage, ob der Gesetzgeber die faktischen Haftungsbegrenzungen durch Einführung einer umfassenden Pflichtversicherung für Schäden nach dem Vorbild des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (PflVersG) beseitigen kann und darf, bleibt hier unbehandelt. Dies ist eine derart grundlegende rechtspolitische Entscheidung, dass deren Erörterung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, zumal dieser Punkt für den hier behandelten Untersuchungsgegenstand nicht unmittelbar von Bedeutung ist. 487 Larenz / Canaris (1994), S. 604. 488 BT-Drucks. 8/108, S. 6; BT-Drucks. 11/5622, S. 34. Zur historischen Entwicklung der Haftungsobergrenzen: Kötz (1970), S. 36 f. 489 Es wird insoweit entsprechend auf die Ausführungen in Teil 3 B. I. 1. b) verwiesen. 490 BT-Drucks. 11/2447, S. 12; BT-Drucks. 11/7881, S. 35; BT-Drucks. 14/7752, S. 17. 491 So: Rinck (1959), S. 24; Hannak (1960), S. 66. In diesem Sinne auch: Larenz (1963), S. 599.
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geführt, indem die Versicherungsunternehmen sehr wohl Policen für den größten anzunehmenden Unfall oder gar mit summenmäßig unbeschränktem Versicherungsschutz zu wirtschaftlich durchaus tragbaren Konditionen anbieten. Diese Folgerung macht auch unter dem Gesichtspunkt, der auch durch den Gesetzgeber ausdrücklich hervorgehoben worden ist, keinen Sinn, dass die Haftungshöchstsumme das zu versichernde Risiko ohnehin nicht umfassend beschränken kann, weil neben der (teilweise beschränkten) Gefährdungshaftung die (stets unbeschränkte) Verschuldenshaftung existiert. 492 d) Der Gesetzgeber darf und sollte also die bestehenden Haftungsobergrenzen der Gefährdungshaftungstatbestände streichen. Anderenfalls würde er den mit der Ausdehnung der Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden im Rahmen der Gefährdungshaftung bezweckten Vorteil, die Abwicklung von Haftpflichtfällen von der Frage des Verschuldens zu entkoppeln und so zu beschleunigen, durch die Haftungsobergrenzen (teilweise) wieder zunichte machen. Denn sobald der Höchstbetrag im Rahmen einer Gefährdungshaftung überschritten wird, muss der Geschädigte bislang doch über die Verschuldenshaftung vorgehen. 3. Proportionaler Ausgleich von Defiziten als (unzulässiger) Strafschadensersatz a) Das Effizienzkriterium gebietet, dass der Erwartungswert des vom Schädiger zu zahlenden Schadensersatzes exakt dem Erwartungswert des vom Geschädigten erlittenen Schadens entspricht. Sobald nicht alle materiellrechtlich bestehenden Schadensersatzansprüche in voller Höhe auch tatsächlich durchgesetzt werden, entsteht ein anreizverzerrendes Geltendmachungsdefizit (enforcement error). Die daraus resultierende Verminderung der aus Schädigersicht durchschnittlich zu erwartenden Schadensersatzpflicht ist daher unter ökonomischen Gesichtspunkten durch ein sog. punitive multiple derart auszugleichen, dass der im konkreten Fall tatsächlich entstandene Schaden mit dem Kehrwert des Geltendmachungsdefizits multipliziert wird. 493 Um diese Forderung der Ökonomie zu erfüllen, könnte der Gesetzgeber beispielsweise als § 253a BGB n.F. folgende Norm einfügen: „Die Höhe des zu ersetzenden Schadens ist umgekehrt proportional zu dem bestehenden Geltendmachungsdefizit zu erhöhen. Das Geltendmachungssdefizit ist der Wahrscheinlichkeitswert, zu dem ein Schädiger für den von ihm verursachten Schaden auch tatsächlich Schadensersatz zu leisten hat.“
Eine solche Anordnung, dass die Höhe des vom Schädiger zu zahlenden Schadensersatzes über den durch sein Verhalten verursachten Schaden hinausgeht, 492 BT-Drucks. 11/5622, S. 34; BT-Drucks. 14/7752, S. 17. Dieser Gedanke findet sich auch schon in: BT-Drucks. 8/108, S. 7. 493 s. o., vgl. Teil 2 B. I. 3. c).
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ist dem deutschen Recht bislang unbekannt. Er beinhaltet insbesondere einen grundsätzlichen Perspektivwechsel des Schadensrechts: Dessen Blick richtet sich entsprechend den geltenden §§ 249 ff. BGB bislang ausschließlich auf den Geschädigten und zielt auf den Ersatz des von ihm erlittenen Schadens ab. Der hier auf Grundlage der ökonomischen Analyse des Rechts vorgeschlagene § 253a BGB n.F. hingegen ist auf die Person des Schädigers ausgerichtet, indem er auf eine Anhebung des Erwartungswerts der ihm drohenden Schadensersatzpflicht auf das ökonomisch gebotene Maß abzielt. b) Allerdings steht dem Gesetzgeber der Weg auch für innovative Veränderungen des geltenden Rechts durchaus offen, sofern er sich im Rahmen des ihm verfassungsrechtlich vorgegebenen Spielraums hält. aa) Ein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung (ne bis in idem, Art. 103 Abs. 3 GG) liegt darin nicht. Dieses grundrechtsgleiche Recht schützt nämlich nur vor einer mehrfachen Bestrafung „auf Grund der allgemeinen Strafgesetze“. Darunter fällt nicht jede Art der Bestrafung, sondern nur das Kern- und Nebenstrafrecht. 494 Unabhängig davon, ob man der vorgeschlagenen Berechnungsweise des Schadensersatzes, die dazu führt, dass der Schadensersatz über den im konkreten Fall verursachten Schaden hinausgeht, nun einen strafenden Charakter zusprechen möchte oder nicht, handelt es sich jedenfalls nicht um eine (echte) Kriminalstrafe, sondern um eine privatrechtliche Sanktion. 495 Der der vorgeschlagenen Regelung zugrunde liegende Gedanke stellt somit keine Strafe im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG dar. 496 bb) Ebenso wenig verstößt der Vorschlag gegen den Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG). Zwar ist der Einwand nicht von der Hand zu weisen, dass die Höhe des punitive multiple im Vorfeld der Schädigung nicht bestimmbar ist, da sie von der konkreten Durchsetzungsquote abhängt, die im Einzelfall unbekannt ist und vom erkennenden Gericht erst ermittelt werden muss. Der Schutzbereich von Art. 103 Abs. 2 GG erfasst jedoch allein Fälle der „Strafbarkeit“. Dieser – im Verhältnis zu Abs. 3 weiter gefasste – Terminus meint jede missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes Handeln, 497 also neben dem Kriminalstrafrecht beispielsweise auch das Ordnungswidrigkeitenrecht 498 sowie 494
BVerfG (Beschl. v. 29. 10. 1969 – 2 BvR 545/68), BVerfGE 27, 180 (185). BGH (Urt. v. 4. 06. 1992 – IX ZR 149/91), BGHZ 118, 312 (336) – „Strafschadensersatz“. Zuletzt für das allgemeine Persönlichkeitsrecht: BGH (Urt. v. 5. 10. 2004 – VI ZR 255/ 03), BGHZ 160, 298 (302 f.) – „Alexandra. 496 BGH (Urt. v. 4. 06. 1992 – IX ZR 149/91), BGHZ 118, 312 (345) – „Strafschadensersatz“ lässt diese Frage bewusst offen. Wie hier: Brockmeier (1999), S. 121; Herrmann (2000), S. 270; P. Müller (2000), S. 20 f.; Dreier (2002), S. 508 ff.; Ebert (2004), S. 529. Anderer Ansicht: Zekoll (1987), S. 152; Merkt (1995), S. 157, 180; Funkel (2001), S. 164 – 166. Kritisch: Hoppe (2001), S. 123 f., 134 f. 497 BVerfG (Beschl. v. 11. 06. 1969 – 2 BvR 518/66), BVerfGE 26, 186 (203 f.). 498 BVerfG (Beschl. v. 4. 02. 1975 – 2 BvL 5/74), BVerfGE 38, 348 (371). 495
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das Berufs-, Disziplinar- und Standesrecht 499. Zivilrechtliche (Schadensersatz-) Ansprüche – selbst wenn sie pönale Elemente enthalten sollten – bestehen jedoch außerhalb jedes hoheitlichen Subordinationsverhältnisses ausschließlich zwischen Privatpersonen. Sie stellen somit auch keine Strafen im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG dar. 500 cc) Da im Ergebnis kein Schutzbereich eines spezielleren Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts betroffen ist, ist auch hier wieder der Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG heranzuziehen. Der angedachte gesetzgeberische Akt stellt einen Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit dar, der nur dann gerechtfertigt ist, wenn er verhältnismäßig ist. Die Regelung ist aus Gründen der Prävention in Gestalt eines effizienten Rechtsgüterschutzes geboten und ist somit zur Erfüllung eines legitimen Zwecks geeignet. Die aus dem Geltendmachungsdefizit resultierenden Anreizverzerrungen zu beseitigen, ist zwar partiell auch auf der Tatbestandsseite durch Maßnahmen wie zum Beispiel Beweiserleichterungen möglich, die in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen im Einzelfall durchaus wirkungsvoll eingreifen können. Eine umfassende Beseitigung dieses Effekts gelingt jedoch allein über die Kehrwertberechnung. 501 Letztlich stellt sich daher nur noch die Frage der Angemessenheit der Regelung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Grundaufgabe des Schadensrechts, die darin besteht, einen vernünftigen Kompromiss zwischen den gegenläufigen Interessen des Geschädigten und des Schädigers vorzunehmen. Das schutzwürdige Interesse des Geschädigten gebietet es, ihm mindestens seinen entstandenen Schaden zu ersetzen. Umgekehrt verbietet es die Handlungsfreiheit des Schädigers dem Gesetzgeber, den Schädiger willkürlich mit sachlich nicht begründbaren Ersatzpflichten zu belasten. 502 Diese beiden Extreme bilden mithin die Unter- und die Obergrenze des gesetzgeberischen Spielraums. Die Untergrenze wird nicht tangiert. Denn der hier unterbreitete Vorschlag bezweckt, die Schadensersatzsumme auf einen Betrag anzuheben, der systematisch über dem des konkret verursachten Schadens liegt. Es geht dementsprechend allein darum, ob durch die vorgeschlagene Änderung die Obergrenze überschritten wird. Anders als bei den aus dem (anglo-)amerikanischen Recht bekannten punitive damages wird dem Schädiger hier allerdings nicht über den zur Scha499
BVerfG (Beschl. v. 21. 06. 1977 – 2 BvL 2/76), BVerfGE 45, 346 (351). BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (293) – „Soraya“; BVerfG (Beschl. v. 23. 04. 1991 – 1 BvR 1443/87), BVerfGE 84, 82 (89). Der BGH (Urt. v. 4. 06. 1992 – IX ZR 149/91), BGHZ 118, 312 (345) – „Strafschadensersatz“ lässt auch diese Frage offen. Wie hier: Brockmeier (1999), S. 122 f.; Herrmann (2000), S. 271; P. Müller (2000), S. 22; Dreier (2002), S. 508 ff.; Ebert (2004), S. 529. Anderer Ansicht: Zekoll (1987), S. 152 f.; Merkt (1995), S. 155, 180; Canaris (1999a), S. 107. 501 s. o., vgl. Teil 2 B. I. 3. c) aa). 502 Canaris (1987), S. 995. 500
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denskompensation erforderlichen Betrag hinaus pauschal eine zusätzliche Zahlungspflicht auferlegt, die ein disparates Konglomerat von Aufgaben erfüllen soll und deren Höhe im Ermessen des erkennenden Gerichts – und damit regelmäßig einer Jury – steht. 503, 504 Eine Parallele dazu lässt sich nur insoweit ausmachen, als auch hier der Schädiger mit einer Summe belastet wird, die über den tatsächlich verursachten Schaden hinausgeht. Anders als bei den traditionellen punitive damages erfolgt aber die Bemessung dieser Überkompensation des Schadens nicht willkürlich nach unvorhersehbaren Kriterien, sondern aufgrund feststehender, mathematisch gefasster Leitlinien, durch deren Anwendung im Einzelfall der statistische Erwartungswert der Schadensersatzsumme dem des Schadens angepasst wird. Dem Schädiger wird also aus Gründen der Prävention im Einzelfall eine überkompensatorische Schadensersatzpflicht auferlegt, um ihn im statistischen Mittel für exakt den Schaden zahlen zu lassen, den er tatsächlich verursacht hat, und um auf diese Weise das Geltendmachungsdefizit zu beseitigen. Die neue Regelung nimmt dem Schädiger damit statistisch nur solches Geld, das er materiellrechtlich ohnehin als Schadensersatz an den Geschädigten G1 hätte leisten müssen, das ihm aber aufgrund des faktisch bestehenden Geltendmachungsdefizits – und somit unberechtigterweise – verblieben ist. Dieses Geld erhält der Geschädigte G2, dem es gelingt, seinen materiellrechtlich bestehenden Anspruch erfolgreich durchzusetzen. Es wird also nicht nur der auf die konkrete Schädigung des G2, sondern auch der auf die gegenüber einem Dritten (hier: G1) begangene Schädigung entfallende Betrag an den erfolgreichen Kläger G2 ausgekehrt. In diesem Umfang erscheint die dem Schädiger auferlegte Zahlungspflicht als ein unverdienter Vorteil des G2, der nicht ihm, sondern G1 gebührt (windfall profit). Daraus hypothetisch resultierende Gefahren sind jedoch tatsächlich nicht in der Lage, diese Regelung grundlegenden Bedenken auszusetzen. So könnte die Aussicht auf die überkompensatorischen Schadensersatzsummen einzelne Personen zum einen dazu anreizen, den Eintritt eines Schadensfalls zu provozieren (moral hazard). Diesem Reiz lässt sich aber durch eine Berücksichtigung im Rahmen von § 254 BGB sowie über den Einwand des Rechtsmissbrauchs wirksam entgegenwirken. Zum anderen besteht im geschäftlichen Bereich unter Umständen die Gefahr, dass sich der erfolgreich klagende G2 gegenüber dem erfolglosen G1 einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil verschafft, wenn er den eigentlich dem G1 als Schadensersatz zustehenden Betrag erhält. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es der Geschädigte G1 prinzipiell selbst in der Hand hat, seinen Schaden 503
Zur Funktion von punitive damages: Prosser / Keeton (1984), S. 9: „... [Punitive] damages are given to the plaintiff over and above the full compensation for his injuries, for the purpose of punishing the defendant, of teaching him not to do it again, and of deterring others from following his example.“ Aus der deutschsprachigen Literatur grundlegend, wenn auch teilweise überholt: Grossfeld (1961), S. 49 –72; ein aktueller Überblick findet sich beispielsweise bei: Brockmeier (1999), S. 3 – 26. 504 Diese Form des Schadensersatzes qualifiziert der BGH (Urt. v. 4. 06. 1992 – IX ZR 149/91), BGHZ 118, 312 (343 f.) – „Strafschadensersatz“ als „unverhältnismäßig“.
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Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
einzuklagen. Gelingt ihm dies aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse nicht, ist es aus seiner Sicht regelmäßig irrelevant, ob der an ihn nicht zu zahlende Schadensersatz beim Schädiger verbleibt oder einem anderen Geschädigten zugesprochen wird. Aus einer globaleren Perspektive heraus sprechen aber sowohl Gerechtigkeitsüberlegungen als auch zwingende aus der effizienzbasierten Anreizsteuerung resultierende Gründe dafür, das durch die Nichthaftung gegenüber G1 eingesparte Geld jedenfalls nicht beim Schädiger zu belassen. Und die einzige Möglichkeit, es ihm im Wege eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs wegzunehmen, besteht darin, es einem anderen, erfolgreich klagenden Geschädigten (G2) zuzusprechen. Die vorgeschlagene Regelung befasst sich also ausschließlich mit der Frage der Verteilung desjenigen Geldes, das der Schädiger aufgrund materiellrechtlich bestehender Ansprüche ohnehin an eine von ihm geschädigte Person hätte zahlen müssen, das er infolge des Geltendmachungsdefizits aber tatsächlich nicht gezahlt hat. Aus diesem Grund greift sie nicht unverhältnismäßig in die dem Schädiger über Art. 2 Abs. 1 GG zugesicherte Handlungsfreiheit ein. c) So einleuchtend die Kehrwertberechnung in der Theorie sein mag, so schwierig gestaltet sich ihre praktische Umsetzung. Damit dem Schädiger tatsächlich Anreize zu effizientem Vorsorgeverhalten vermittelt werden, ist es notwendig, dass das erkennende Gericht im Einzelfall das punitive multiple – und damit letztlich das konkret bestehende Geltendmachungsdefizit – möglichst exakt bestimmt. Voraussetzung dafür ist, dass für die konkrete Schädigung bestimmt wird, wie viele der materiellrechtlich bestehenden Ansprüche seitens der geschädigten Anspruchsinhaber auch tatsächlich erfolgreich durchgesetzt werden. Diese Daten stehen dem Gericht nicht zur Verfügung und es ist nicht ersichtlich, wie es diese zuverlässig ermitteln soll. Woher sollen die Gerichte wissen, wie häufig materiellrechtlich bestehende Schadensersatzansprüche nicht geltend gemacht oder von den Gerichten – aus welchen Gründen auch immer – zu Unrecht abgewiesen werden? Es besteht hier also ein Problem, das wiederum der Situation bei der Einführung der Learned-Hand-Formel ähnelt: 505 Die in der Theorie unbestreitbar bestehende Exaktheit der Methode wird dadurch geschmälert, dass die in die Formel einzustellenden tatsächlichen Werte allenfalls durch richterliche Schätzung ermittelt werden können. Es besteht daher die Gefahr, dass durch Einsetzen eines nicht bestimmten „Strafmultiplikators“ potentiellen Schädigern falsche Verhaltensanreize vermittelt werden. 506 d) Der Gesetzgeber darf also im Rahmen des ihm verfassungsrechtlich zukommenden Gestaltungsspielraums die vorgeschlagene Regelung durchaus einführen. An ihrer praktischen Umsetzbarkeit und dem ihr damit zukommenden tatsächlichen Nutzen lassen sich jedoch letzte Zweifel nicht ausräumen.
505 506
s. o., vgl. Teil 3 A. II. 2. b) cc). Dazu: Shavell (1987), S. 148; Sunstein / Kahneman / Schkade (1998), S. 2083.
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
383
4. (Fakultative) Gewinnabschöpfung bei vorsätzlicher Schädigung Die Abschöpfung des Schädigergewinns ist zwar, wie oben nachgewiesen wurde, 507 dem Bereich des Vermögensschadens – und nicht des im Rahmen dieser Arbeit behandelten Nichtvermögensschadens – zuzurechnen. Da dieser Punkt jedoch sowohl von grundlegendem Interesse als auch bisher im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Rechtsprechung nicht eindeutig dem Vermögensschaden zugewiesen worden ist, soll diese Frage trotzdem mitbehandelt werden. a) Im Fall der vorsätzlichen Schädigung muss dem Schädiger, um ihm die anderenfalls bestehenden Anreize zu schädigendem und damit marktumgehendem Verhalten zu nehmen, der aus der Schädigung erzielte Gewinn abgenommen werden, sofern sein Gewinn den beim Geschädigten verursachten Schaden übersteigt. Diese ökonomische Forderung lässt sich rechtlich dadurch umsetzen, dass dem Geschädigten die Möglichkeit eingeräumt wird, an Stelle des Ersatzes seines Schadens Herausgabe des Schädigergewinns zu verlangen. Eine solche beispielsweise als § 252a BGB n.F. einzuführende Norm könnte lauten: „Fällt dem Ersatzpflichtigen Vorsatz zur Last, kann der Gläubiger an Stelle des Schadensersatzes die Herausgabe des Gewinns verlangen, den der Ersatzpflichtige durch die Verletzung erzielt hat.“ 508
Von diesem Wahlrecht zwischen dem Grundsatz „Ersatz des eigenen Schadens“ und der Ausnahme „Abschöpfung des fremden Gewinns“ wird der Geschädigte (nur) dann Gebrauch machen, wenn der abzuschöpfende Gewinn seinen Schaden übersteigt. Dass man darin ein Abgehen von dem traditionellen Grundsatz des Schadensrechts, die Höhe der Ersatzpflicht unabhängig von dem Grad des Verschuldens des Schädigers zu bestimmen, sehen könnte, sollte im Ergebnis kein maßgebliches Argument darstellen. Zwar statuiert das BGB eine solche Differenzierung nach dem Verschuldensgrad in der Tat nicht innerhalb des deliktischen Schadensersatzrechts, durchaus aber im Rahmen der Gesamtheit der gesetzlichen Ansprüche. So lässt sich die allgemeine Wertung ausmachen, dass die Herausgabe des Erlangten gemäß §§ 812 ff. BGB unabhängig von einem etwaigen Verschulden verlangt werden kann, der Ersatz des entstandenen Schadens gemäß §§ 823 ff. BGB für jeden Grad des Verschuldens und die Herausgabe des Gewinns nach § 687 Abs. 2 BGB ausschließlich im Fall des Vorsatzes. Dieser gesetzlichen Wertung wird der Gewinnabschöpfungsanspruch gerecht. b) Zu prüfen ist, ob die vorgeschlagene Regelung Grundrechte verletzt. Ein Verstoß gegen die Pressefreiheit liegt nicht vor. Zwar schützt Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 507
s. o., vgl. Teil 3 A. III. 3. a) aa). Dieser Vorschlag entspricht im Grundsatz dem § 97 Abs. 1 S. 2 UrhG, der um das Vorsatzerfordernis ergänzt und an die Diktion des bürgerlichrechtlichen Schadensrechts angepasst wurde. 508
384
Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
GG grundsätzlich die die einzelne Meinungsäußerung übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung. 509 Dabei ist der Begriff der Presse weit und formal auszulegen, sodass – unabhängig von einer Bewertung als „seriös“ – auch als wenig wertvoll einzustufende Druckerzeugnisse wie Skandal- und Sensationsblätter geschützt werden. 510 Eine Grenze des verfassungsrechtlichen Schutzes der Presse ist allerdings dort erreicht, wo durch sie bewusst unwahre Nachrichten verbreitet werden. 511 Da die unter Effizienzgesichtspunkten zu empfehlende Regelung ausschließlich Fälle der vorsätzlichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasst, betrifft sie also schon nicht den Schutzbereich der Pressefreiheit. Aus eben diesem Grund ist auch die Meinungsäußerungsfreiheit nicht berührt. Da die Pressefreiheit keinen Spezialfall der Meinungsfreiheit darstellt, ist diese insoweit anwendbar, als es um die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung an sich geht. 512 Dabei werden durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG Meinungen im weitesten Sinne unabhängig davon geschützt, ob sie als wertvoll oder wertlos, als richtig oder falsch, als rational oder emotional eingestuft werden. 513 Außerhalb des Schutzbereichs liegen aber jedenfalls „bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen“ 514. Die von dem vorgeschlagenen § 252a BGB n.F. erfassten Fälle vorsätzlicher Persönlichkeitsrechtsverletzungen unterfallen also schon tatbestandlich nicht der Meinungsäußerungsfreiheit. Es bleibt daher wiederum nur das Auffanggrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die vorgesehene Regelung stellt zwar einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar; dieser ist aber gerechtfertigt. Denn der zum Zweck des Rechtsgüterschutzes geeignete Gewinnabschöpfungsanspruch stellt die einzige Möglichkeit dar, dem potentiellen Schädiger Anreize zu vermitteln, die ansonsten für ihn individuell nutzenmaximierende Verletzung zu unterlassen. Dieser Anspruch lässt das angestammte Vermögen des Schädigers unberührt und schöpft allein den infolge der vorsätzlichen Verletzung erzielten Zuwachs ab: Der Schädiger wird so gestellt, als habe er die Verletzung nie begangen. Damit geht die Regelung gerade so weit, wie sie es unter ökonomischen Gesichtspunkten muss. Ob diese Gewinnabschöpfung nun im Wege des deliktischen Schadensersatzes, über das Bereicherungsrecht oder 509 510
BVerfG (Beschl. v. 9. 10. 1991 – 1 BvR 1555/88), BVerfGE 85, 1 (12). BVerfG (Beschl. v. 14. 02. 1973 – 1 BvR 112/65), BVerfGE 34, 269 (283) – „Sora-
ya“. 511
Jarass / Pieroth (2004), Art. 5, Rdnr. 26; Herzog, in: Maunz / Dürig (2005), Art. 5 Abs. 1, Rdnr. 146. 512 BVerfG (Beschl. v. 9. 10. 1991 – 1 BvR 1555/88), BVerfGE 85, 1 (12); BVerfG (Beschl. v. 8. 10. 1996 – 1 BvR 1183/90), BVerfGE 95, 28 (34). 513 BVerfG (Beschl. v. 23. 03. 1971 – 1 BvL 25/61 und 3/62), BVerfGE 30, 336 (347); BVerfG (Beschl. v. 22. 06. 1982 – 1 BvR 1376/79), BVerfGE 61, 1 (7). 514 BVerfG (Beschl. v. 10. 11. 1998 – 1 BvR 1531/96), BVerfGE 99, 185 (197). So auch schon: BVerfG (Beschl. v. 22. 06. 1982 – 1 BvR 1376/79), BVerfGE 61, 1 (8).
B. Anpassung des zukünftigen Rechts
385
über das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag vorgenommen wird, ändert einerseits zwar nichts an den vermittelten Anreizen, andererseits aber auch nichts an Art und Umfang der Eingriffsintensität. Es handelt sich dabei ausschließlich um eine zivilrechtsdogmatische und somit nicht um eine verfassungsrechtliche Frage. Trotz gleicher Wirksamkeit stellen also auch die beiden Alternativen kein milderes Mittel dar. Es bleibt daher nur noch eine Überprüfung der Zweck-Mittel-Relation. Die anzuordnende Gewinnabschöpfung führt dazu, dass eine volkswirtschaftlich nicht wünschenswerte vorsätzliche Verletzung fremder Rechte und Rechtsgüter auch für den potentiellen Schädiger betriebswirtschaftlich ineffizient wird. Seine Handlungsfreiheit wird dadurch lediglich insoweit beschränkt, als er monetär induziert wird, vorsätzliche Rechtsverletzungen zu unterlassen. Ein derartiges Verhalten ist nicht schutzwürdig, während potentielle Geschädigte des Schutzes vor willkürlichen Verletzungen durchaus bedürfen. Die aus der Gewinnabschöpfung resultierende Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Schädigers ist folglich verhältnismäßig. 515 c) Abgesehen von den Schwierigkeiten des Geschädigten, im Einzelfall den Vorsatz des Schädigers zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen, dürfte das Hauptproblem des Klägers sowie des erkennenden Gerichts bei der praktischen Anwendung dieses Anspruchs darin liegen, den Gewinn des Schädigers zu beziffern. Allerdings haben die Obergerichte in ständiger Rechtsprechung auf Grundlage des § 242 BGB einen Auskunftsanspruch desjenigen entwickelt, der sich in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen befindet, sofern dem Verpflichteten die Erteilung der Auskunft zugemutet werden kann. 516 Dieser Anspruch, dem inzwischen gewohnheitsrechtliche Geltung zugestanden wird, 517 stellt sicher, dass der Kläger über die zur Konkretisierung seines Ersatzanspruchs erforderlichen Daten verfügt. Auf Grundlage dieser Informationen dürfte es dem Gericht im Regelfall möglich sein, den durch die Verletzungshandlung erzielten Gewinn festzustellen. Im Zweifel bleibt ihm noch die Möglichkeit, den Betrag nach § 287 ZPO zu schätzen. d) Die Einführung einer Gewinnabschöpfung im Fall der vorsätzlichen Verletzung ist also nicht nur ökonomisch wünschenswert, sondern auch verfassungsrechtlich zulässig und praktisch umsetzbar.
515
In diesem Sinne – allerdings beschränkt auf die Frage der Verhältnismäßigkeit eines Gewinnabschöpfungsanspruchs im Fall der vorsätzlichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – auch Heldrich (1998), S. 326 und Canaris (1999a), S. 97 f. 516 Vgl. nur RG (Urt. v. 4. 05. 1923 – II 310/22), RGZ 108, 1 (7); BGH (Urt. v. 17. 05. 1994 – X ZR 82/92), NJW 1995, 386 (387). Zusammenfassend: Heinrichs, in: Palandt (2006), §§ 259 –261, Rdnr. 8 ff. Anders: Gounalakis (1998), S. 19, der im Rahmen der Gewinnabschöpfung von „unlösbare[n] Beweisproblemen“ spricht, ohne allerdings auf etwaige Auskunftsansprüche einzugehen. 517 Köhler (1992), S. 1480.
386
Teil 3: Vereinbarkeit der Anforderungen der ökonomischen Effizienz
C. Ergebnis des dritten Teils Als Ergebnis ist für den dritten Teil somit festzuhalten, dass der Gesetzgeber innerhalb des ihm von der Verfassung zugestandenen Spielraums de lege ferenda (B.) – anders als die Gerichte de lege lata (A.) – alle unter Effizienzgesichtspunkten erforderlichen Veränderungen des haftungsbegründenden und des haftungsausfüllenden Schadensersatzrechts vornehmen darf. Eine umfassende Implementierung der ökonomischen Vorgaben in das deutsche Recht kann also allein durch den Gesetzgeber erfolgen. Der Nachteil, der bei der Umsetzung durch den Gesetzgeber darin gesehen werden kann, dass die Umsetzung durch ihn eine lange Zeit in Anspruch nehmen würde, entpuppt sich als ein nur scheinbarer. Denn auch bei einer gerichtlichen Umsetzung ist ein schnellerer Vollzug nicht zwingend gewährleistet, da eine Veränderung der Rechtsprechung voraussetzt, dass ein entsprechender Fall vor den Bundesgerichtshof gelangt und sich die Richter des zuständigen Senats auch tatsächlich dazu berufen fühlen, die ökonomischen Vorgaben umzusetzen. Außerdem vermag allein der Gesetzgeber die bei einer systematischen Umsetzung der wirtschaftswissenschaftlichen Vorgaben erforderlich werdende Koordinierungsleistung zu erbringen. 518 Denn die Verwirklichung des Effizienzgedankens darf sinnvollerweise nicht bruchstückhaft erfolgen, sondern erfordert angesichts der Verzahnung der Rechtsordnung überlegtes und geordnetes Vorgehen, das nur einer dem Gesetz übergeordneten Instanz zugetraut werden kann.
518
Eidenmüller (1995, 2005), S. 433.
Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen „By way of preparation, I asked a former teacher of mine at the Harvard Law School what he, as a noneconomist, would find most interesting in a discussion of the economic approach to law. He answered, ‚Its limitations.‘“ 1 Richard A. Posner
Im Folgenden sollen noch einmal kurz die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst werden (A.), bevor auf dieser Grundlage ein abschließendes Resümee zur praktischen Relevanz der ökonomischen Analyse des Rechts für den vorliegend untersuchten Gegenstand gezogen wird (B.). A. I. Nach einleitenden und grundsätzlichen Ausführungen in Teil 1 lag der erste Schwerpunkt der Arbeit im zweiten Teil auf der ökonomischen Analyse des Rechts betreffend den Ersatz von Nichtvermögensschäden infolge von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit (Schmerzensgeld) und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Geldentschädigung). Darin wurde erarbeitet, wie das Schadensersatzrecht ausgestaltet sein muss, um den möglichen Beteiligten eines Schädigungsfalls, d. h. dem potentiellen Schädiger und auch dem potentiellen Geschädigten, Anreize zu aus gesamtgesellschaftlicher Sicht wünschenswertem Verhalten zu vermitteln (Soll-Analyse). 1. Die effiziente Verhaltenssteuerung gebietet auf der haftungsbegründenden Seite (Teil 2 A.) für die Geldentschädigung die Anordnung einer Gefährdungshaftung, da sie die in diesem Fall der unilateralen Schadensverursachung relevanten Größen des Vorsorge- und Aktivitätsniveaus des Schädigers zu steuern vermag. Im bilateralen Verursachungsfall des Schmerzensgeldes müssen zusätzlich auch das Vorsorge- und das Aktivitätsniveau des Geschädigten gesteuert werden. Über die zivilrechtliche Haftung kann neben dem Vorsorgeniveau beider Beteiligter aber wegen des Charakteristikums der Anreizsteuerung im Wege der Kosteninternalisierung definitionsgemäß nur das Aktivitätsniveau eines Beteiligten gesteuert werden, entweder über die Gefährdungshaftung das des Schädigers oder über die Verschuldenshaftung das des Geschädigten. Im Regelfall ist die Steuerung der Aktivität des Schädigers kosteneffektiver, weshalb eine Gefährdungshaftung mit Mitverschuldenseinwand die relativ beste Lösung darstellt. Für eine umfassende
1
Posner (1975), S. 772.
388
Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen
und optimale Verhaltenssteuerung ist aber neben der zivilrechtlichen Haftung noch ein „zweiter Stein“ 2 erforderlich. 2. Auf der haftungsausfüllenden Seite (Teil 2 B.) muss das Schadensrecht sicherstellen, dass die Höhe der den Schädiger treffenden Ersatzpflicht exakt der Höhe des beim Geschädigten verursachten Schadens entspricht (perfect compensation). Es ist daher geboten, gegen die ausgemachten Gründe, aus denen die Höhe der Ersatzpflicht von der Höhe des verursachten Schadens abweichen kann und die eine Verzerrung der dem Schädiger vermittelten Anreize bewirken, geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. So ist das Monetarisierungsproblem im Bereich der ökonomisch als unersetzbar anzusehenden (Nichtvermögens-)Schäden dadurch zu lösen, dass die Höhe der Ersatzsumme für diesen Schaden über die ex-ante-Methode bestimmt wird. Außerdem sind die bestehenden Haftungsbegrenzungen zu beseitigen und ein eventuell bestehendes Geltendmachungsdefizit ist durch eine umgekehrt proportionale Kehrwertberechnung auszugleichen. In der Sonderkonstellation der vorsätzlichen Schädigung ist es geboten, einen Gewinnherausgabeanspruch für solche Fälle einzuführen, in denen der Gewinn des Schädigers den Schaden des Geschädigten übersteigt. II. Der zweite Schwerpunkt lag in Teil 3 auf der Frage, ob, wie und von wem diese Postulate der ökonomischen Analyse in geltendes Recht transformiert werden müssen, dürfen und sollten. 1. Ein Vergleich der Soll-Analyse mit dem Ist-Zustand des bestehenden Rechts macht deutlich, dass unter dem Gesichtspunkt der Effizienz Reformbedarf besteht, da weder die Tatbestands- noch die Rechtsfolgenseite des deliktischen Haftungsrechts den ökonomischen Anforderungen gerecht wird. Zum einen ist eine Ausdehnung und Verallgemeinerung der Gefährdungshaftung erforderlich. Außerdem ist die Frage des Verschuldens systematisch am Maßstab der Learned-Hand-Formel zu bestimmen, was bislang allenfalls zufällig in Einzelfällen geschieht. Zum anderen bemisst das bestehende Recht die Ersatzhöhe bei Nichtvermögensschäden umfassend über die ex-post-Methode, normiert gesetzliche Haftungsobergrenzen und eine Kehrwertberechnung ist ihm fremd. Auch die Möglichkeit einer Abschöpfung des Schädigergewinns im Rahmen des Schadensersatzes wird lediglich auf richterrechtlicher Grundlage für Fälle der Verletzung von Urheber- und Gewerblichen Schutzrechten realisiert. 2. Soweit diese Aufgabe innerhalb des geltenden Rechts den Gerichten zugedacht wird (gesetzesimmanente Lösung), werden die Grenzen der Umsetzungsmöglichkeiten schnell sichtbar (Teil 3 A.). Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist der dem Richter zukommende Gestaltungsspielraum, um diese rechtspolitischen 2 In Anlehnung an Cooter / Ulen (2004), S. 333: „To hit two policy targets, two controls are usually required, just as two stones are usually needed to hit two birds.“ Dazu eingehend: Teil 2 A. III. 3. c).
Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen
389
Regelungen umzusetzen, auf den Bereich der Gesetzesauslegung begrenzt, da er nach dem deutschen Verständnis von Gewaltenteilung zwingend an die ihm durch die Legislative vorgegebenen Wertungen gebunden ist. Im Ergebnis darf die Rechtsprechung von sich aus – abgesehen von der Pflicht zur Gewinnherausgabe im Fall der vorsätzlichen Schädigung, die jedoch den Fall des Vermögensschadens betrifft – einzig die Frage des Verschuldens entsprechend der ökonomischen Anforderungen am Maßstab der Learned-Hand-Formel bestimmen. Dabei ist zu beachten, dass sich im Einzelfall bei der Ermittlung der für die Androhung der Learned-Hand-Formel erforderlichen Werte im Rahmen des zivilprozessualen Beibringungsgrundsatzes praktische Schwierigkeiten ergeben können. 3. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Aufgabe, die ökonomischen Vorgaben in geltendes Recht transformieren, in die Hände des Gesetzgebers zu legen (gesetzesemanente Lösung, Teil 3 B.). Dessen Spielraum, rechtspolitische Überlegungen de lege ferenda in das Recht einzuführen, ist allein durch die Verfassung begrenzt und somit ungleich größer als der des Rechtsanwenders. Dementsprechend bestehen bei einer Umsetzung der für die Frage des Ersatzes von Nichtvermögensschäden erarbeiteten ökonomischen Postulate in zu schaffendes Gesetzesrecht durch den Gesetzgeber keine rechtlichen, teilweise aber tatsächliche Hindernisse. B. Aus diesen Ergebnissen resultieren folgende Konsequenzen für den Nutzen der ökonomischen Analyse des Rechts für die Rechtswissenschaft: I. Für Entscheidungen auf hohem Abstraktionsniveau ist die ökonomische Analyse des Rechts ein äußerst hilfreiches Instrument. Denn die ökonomische Theorie ermöglicht eine mathematisch exakte Analyse derjenigen Verhaltensanreize, die die verschiedenen, in Betracht zu ziehenden Regelungsalternativen dem betroffenen Individuum vermitteln, und stellt mit dem Kriterium der Effizienz einen aussagekräftigen Vergleichmaßstab zur Verfügung. Auf dieser Grundlage lassen sich fundamentale rechtspolitische Fragestellungen eindeutig beanworten, ob beispielsweise in einem bestimmten Schädigungsfall eine Gefährdungshaftung oder eine Verschuldenshaftung angeordnet oder ob die Gefährdungshaftung durch gesetzliche Haftungsobergrenzen beschränkt werden soll. Schwierigkeiten entstehen aber, sobald diese abstrakte Ebene verlassen wird und es um die Anwendung einer Norm auf einen konkreten Einzelfall geht. Beispielsweise ist es dem Gesetzgeber für die Frage des Verschuldens unmöglich, für jeden denkbaren Fall genau festzulegen, wann ein Verhalten der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt noch genügt und wann nicht mehr, ohne eine Kasuistik unerträglichen Umfangs zu kreieren. Seine Aufgabe beschränkt sich deshalb darauf, eine generalklauselartige Regelung zu schaffen, auf deren Grundlage der Rechtsanwender im konkreten Einzelfall die Verschuldensfrage beurteilt. Selbst wenn der Gesetzgeber – etwa durch Einführung des hier angedachten § 276 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. 3 – unmissverständlich vorgibt, 3
s. o., vgl. Teil 3 B. I. 2. a).
390
Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen
dass diese Beurteilung auf Grundlage ökonomischer Erwägungen zu erfolgen hat, ist dem Rechtsanwender dessen Anwendung aus tatsächlichen Gründen nicht immer möglich. Denn die für die konkret vorzunehmende Berechnung erforderlichen exakten Werte stehen ihm nur in seltenen Ausnahmefällen zur Verfügung und müssen daher regelmäßig geschätzt werden. Wenn Jochen Taupitz davon spricht, dass die „... ökonomische Analyse des Rechts [...] keine wohlfeile und unmittelbar umsetzbare Theorie für den grauen Alltag der Gerichte [ist], sondern eher Urmaterial für leuchtende Erkenntnisse der Wissenschaft...“ 4, ist ihm daher für den ersten Teil seiner Aussage uneingeschränkt zuzustimmen. Entgegen seiner Annahme, dass der Wert der ökonomischen Analyse lediglich darin bestehe, dem Wissenschaftler in seinem vermeintlichen universitären Elfenbeinturm ein neues Beschäftigungsfeld zu eröffnen, kommt dieser jedoch durchaus praktische Relevanz zu – und zwar auf der Ebene abstrakter, rechtspolitischer Entscheidungen des Gesetzgebers. Es erscheint daher angemessen, angesichts der überwiegenden Verwendbarkeit der ökonomischen Analyse für zu setzendes Recht von ihr als einer „Gesetzgebungstheorie“ 5 zu sprechen. Peter Behrens formuliert diese Limitierung so, „... daß die Rechtswissenschaft insoweit für die interdisziplinäre Arbeit geöffnet werden kann, als sie sich nicht mit Entscheidungen aufgrund von Rechtsnormen befaßt, sondern mit Entscheidungen über Rechtsnormen.“ 6 II. Und auch soweit die Realisierung einzelner Anforderungen, die sich aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ergeben, rechtlich nicht zulässig oder tatsächlich nicht möglich ist, darf der Nutzen der ökonomischen Analyse nicht unterschätzt werden. Zum einen ermöglicht sie, da auf ihrer Grundlage regelmäßig sehr konkrete Vorgaben gemacht werden können, den Vergleich der tatsächlich bestehenden Rechtslage mit der unter dem Gesichtspunkt der Effizienz gebotenen. So lässt sich beispielsweise die gebotene Monetarisierung von Nichtvermögensschäden über die ex-ante-Methode tatsächlich wohl nur schwer für die gerichtliche Praxis nutzbar machen. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Rechtsprechung dadurch, dass sie in Fällen schwerster Gesundheitsschädigungen mittlerweile Schmerzensgelder von bis zu 500.000 Euro zuspricht, zwar den wirtschaftswissenschafltichen Anforderungen (noch) nicht gerecht wird, aber immerhin eine Entwicklung begonnen zu haben scheint, die in die aus ökonomischer Sicht richtige Richtung geht. Jedenfalls ist auf Basis der über die ökonomische Analyse ermittelten Erkenntnisse für die Rechtsprechung eine Lanze zu brechen, denn die gerichtliche Zumessung des Schmerzensgeldes ist nicht mehr länger „... als eines der traurigsten Kapitel im 4
Taupitz (1996), S. 166. Eidenmüller (1995, 2005), S. 395, 414, 442. 6 Behrens (1988), S. 216. In diesem Sinne auch Engel (2003), S. 408: „Je stärker wir eine rechtspolitische Rolle einnehmen, desto mehr können uns die Modelle der Sozialwissenschaften helfen.“ 5
Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen
391
Buch der deutschen Zivilrechtssprechung anzusehen...“ 7, wie es Otto Teplitzky noch 1966 formuliert hat. Zum anderen gelingt es der ökonomischen Analyse im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – gleichsam bei Gelegenheit der Analyse –, sowohl Kriterien aufzustellen, mit deren Hilfe der Vermögensschaden vom Nichtvermögensschaden trennscharf abgegrenzt werden kann, als auch den Nachweis zu führen, dass beide Schadensarten kumulativ nebeneinander ersetzt werden müssen. Auf diese Weise bietet die ökonomische Analyse einen Lösungsansatz für einen seit Jahrzehnten in der Rechtswissenschaft und der höchstrichterlichen Rechtsprechung schwelenden Streit und kann so endlich Licht in das dogmatische Dunkel des durch richterrechtliche Rechtsfortbildung entstandenen Ersatzrechts im Fall der Persönlichkeitsrechtsverletzung bringen.
7
Teplitzky (1966), S. 388.
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Sachwortverzeichnis Abschreckung 254 f. acquisitive tort 182 ff. adverse selection 131 f. Aktivitätsniveau 97, 104 ff., 145 ff., 166 ff. „Alexandra von Hannover“ (BGHZ 160, 298) 85, 90 f., 379 Analogie zur Gefährdungshaftung 296 ff. Anreizverzerrung 126 f., 129 ff., 140 ff., 199 ff. Ausgleichsfunktion 59 ff., 67 ff., 87 f., 276 f. Auslegung 264 ff. Besitzeffekt (endowment effect) 242 f. besondere Gefahr 304 ff. „Caroline von Monaco“ (BGHZ 128, 1) 15 f., 83, 89 f., 183, 188, 329, 335 ff., 343, 348 ff., 354 ff. „Caterina Valente“ (BGHZ 30, 7) 78, 214, 333 ff., 340 ff., 350, 357 Coase-Theorem 107 ff.
Gefährdungshaftung 107, 136 f., 148 f., 156 ff., 169 f., 188 f., 201 ff., 206 ff., 293 ff., 363 ff. Geldentschädigung 73 ff., 133 ff., 246 f., 323 ff. Geltendmachungsdefizit 196 ff., 248 ff., 320 ff., 378 ff. „GEMA“ (BGHZ 59, 286) 321 f. Generalklausel 258 ff. Genugtuungsfunktion 61 ff., 69 f., 87 f., 276 f. Gesamtanalogie 303 ff. Gewinnabschöpfung 346 ff., 383 ff. „Ginseng-Wurzel“ (BGHZ 35, 363) 78 ff., 86, 88, 89, 344, 353 Gläubigerinteresse 321 Gleichung 1 98 Gleichung 2 100 Gleichung 3 180 Grenzkosten / -nutzen 19, 98 ff., 136, 214 ff., 227 ff., 241
Eigennützigkeit 28 ff., ersetzbares Gut 192 ff. Erwartungswert 97 ff., 120, 136, 152 ex-ante-Methode 227 ff., 316 ff., 369 ff. ex-post-Methode 214 ff., 230 externe Kosten 34 f., 106 ff., 111, 120, 129 f., 144, 282 f.
haftungsausschließendes Mitverschulden 157 f., 161 haftungsminderndes Mitverschulden 158 f., 161 f. Haftungsobergrenzen 195 f., 247 f., 319 f., 376 ff. Haftungssysteme 107, 143 ff., 150 f., 164 ff., 171 ff., 190 f. Haftungsversagung 107, 135, 148, 156, 188 „Herrenreiter“ (BGHZ 26, 349) 75 ff., 89, 329, 334 ff., 343, 349, 357 homo oeconomicus 19 ff., 26 f., 95, 179, 191, 223 f., 241
Fahrlässigkeit 306 ff.
Integritätsinteresse 330, 333
Diskontierung des Schadens 200 ff. Doppelfunktion 61 ff., 71 ff., 87 f. dreifache Schadensberechnung 329, 341 ff. dualistischer Schadensbegriff 44 f.
Sachwortverzeichnis
421
Internalisierung 34 f., 101 ff., 106 ff., 120, 144, 227, 254, 276 f., 282 f., 286 ff.
Risikoaversion 122 ff. Risikoneutralität 122 ff.
judgment proof 126 ff., 195 f., 247 f.
Schadenseintritt (ökonomisch) 96 ff., 119 ff. Schadensvermeidungskosten 180 Schmerzensgeld 58 ff., 75 ff., 152 ff., 230 ff., 270 ff., 316 ff. „Seereisefall“ (BGH, NJW 1956, 1234) 51 ff. Shavells Theorem 172 singularia non sunt extendenda 298 „Soraya“ (BVerfGE 34, 269) 80 f., 262, 347, 355, 380, 384 sozial wertloser Nutzen 185 f. soziale Kosten 101, 106 ff., 120, 144, 146, 170, 180 Spieltheorie 152 f. Steuerungsfunktion (ökonomisch) 94 f. subjektive Kosten des tödlichen Risikos 231 ff.
Kausalität 197 f., 248 Kehrwertberechnung 249 ff., 320 ff. Learned-Hand-Formel 139 f., 175, 227 ff., 306 ff., 368 f. Lizenzanalogie 343 ff. „Marlene Dietrich“ (BGHZ 143, 214) 82, 329, 331 f., 333, 345 f., 360 Mitverschulden 157 ff., 161 ff., 169 f. Monetarisierungsproblem 192 ff., 212 ff., 328 ff., 339 ff., 349 ff., 358 f. moral hazard 130 ff., 381 Nash-Equilibrium 152 f. natürlicher Schadensbegriff 40 ff. „Nena“ (BGH, GRUR 1987, 128) 329, 331 nichtpekuniäre Schäden 194 Nichtvermögensschaden 37 ff., 330 ff. normativer Schadensbegriff 42 ff. Normverständnis 31 ff., 95 Nutzeninterdependenz 30, 184 f. offene Wertbegriffe 259 ff. partielle Abweichung 206 ff. passion tort 184 ff. „Paul Dahlke“ (BGHZ 20, 345) 74 f., 328 f., 334 ff., 341, 357 pauschale Abweichung 200 ff. pekuniäre Schäden 194 Politik des Gesetzes 263 f., 271 ff., 323 f. Prävention (ökonomisch) 93 ff. Präventionsfunktion 88 ff., 276 f., 280 ff. punitive damages 250, 320 ff., 378 ff. Rationalität 21 ff., Rechtsanwendungsverständnis 258 ff. residualer Kostenträger 171, 327
tertiäre Kosten 93, 117 ff., 275, 314 „tv total“ (OLG Hamm, NJW-RR 2004, 919) 85, 90, 113, 343, 350 überkompensatorischer Schadensersatz 250 f., 320 ff. unersetzbares Gut 192 ff., 213 ff. utility from action (UFA) 179, 254 utility from injury (UFI) 179, 252, 254 verfeinerter Sühnegedanke 64 ff. Vermögensschaden 37 ff., 40 ff., 45 ff., 330 ff., 339 ff. Verschuldenshaftung 107, 137 ff., 149 f., 160 ff., 170, 189 f., 203 ff., 209 ff., 293 ff. Versicherung 124 ff., 129 ff., 214 ff. versunkene Kosten 25, 94 Verwertungsinteresse 330 ff. vollständige Kompensation 136, 191 ff., 199 ff., 212 ff., 254 ff., 328 ff. Vorsatz (Sonderfall) 174 ff., 251 ff. Vorsorge 97 ff., 101 ff., 106 ff., 111 ff., 180
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Sachwortverzeichnis
„Wert des Lebens“ 231 ff. „Wildschutzzaun“ (BGHZ 108, 273) 309, 312 f. willingness to accept (WTA) 236 f., 241 ff., 372 f.
willingness to pay (WTP) 236 f., 241 ff., 372 ff. Zweispurigkeit 82, 298 f., 328 ff., 338 ff.