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German Pages 354 Year 2019
Zeʼev Strauss Die Aufhellung des Judentums im Platonismus
Quellen und Studien zur Philosophie
Herausgegeben von Jens Halfwassen, Dominik Perler und Michael Quante
Band 137
Zeʼev Strauss
Die Aufhellung des Judentums im Platonismus Zu den jüdisch-platonischen Quellen des Deutschen Idealismus, dargestellt anhand von Hegels Auseinandersetzung mit Philon von Alexandria
Gedruckt mit Unterstützung der Graduiertenakademie der Universität Heidelberg und mit Mitteln der Exzellenzinitiative.
ISBN 978-3-11-062187-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062463-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-062194-5 ISSN 0344-8142 Library of Congress Control Number: 2018960723 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Für meine Großväter, Jacob und Wilhelm
Vorwort Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um meine überarbeitete Dissertationsschrift im Fach Philosophie, die ich im Sommersemester 2017 bei der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg einreichte. Die Schrift trug im Original den Titel „Aufhellung des Judentums durch schönere Blü ten der tieferen menschlichen Natur im Platonismus“. Untersuchungen zu Hegels Rezeption der jü disch-platonischen Religionsphilosophie des Philon von Alexandria. Ohne die zuverlässige Unterstützung einer Vielzahl von Menschen wäre es nicht möglich gewesen, mein großes akademisches Projekt innerhalb von drei Jahren zu vollenden und dieses Buch in seiner gegenwärtigen Form zu präsentieren. An allererster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Jens Halfwassen bedanken, ohne dessen Betreuung und besondere geistige Förderung dieses Werk nicht hätte entstehen können. Durch sein Vertrauen in mich gewann auch ich immer wieder neues Vertrauen in meine Fähigkeiten und mein Projekt. Er bot mir immer die Gelegenheit, Auszüge aus meiner Arbeit entweder in seinem Kolloquium oder in persönlichen Treffen mit ihm zu besprechen, wo ich unter seiner Anleitung vage Ideen zu klaren Gedanken weiterspinnen konnte. Durch seinen Einfluss lernte ich die Schönheit der antiken Metaphysik zu erkennen und wertzuschätzen. In besonderer Erinnerung behalte ich bis heute einen Rat, den er mir 2016 in Heiligkreuztal gab, als ich mit ihm darüber sprach, wie das Schreiben der Dissertation auf mir lastete: Man solle sich einfach trauen, die eigenen Thesen kompromisslos zu vertreten. Diesen Rat versuchte ich seither beim Verfassen meiner Dissertation in die Tat umzusetzen. Ebenfalls möchte ich mich bei Prof. Dr. Daniel Krochmalnik bedanken, der sich bereit erklärte, das Zweitgutachten zu übernehmen und der durch sein großes Engagement und seine breitgefächerten Kenntnisse einen wertvollen Beitrag zu meinem Forschungsprojekt leistete. Dank auch an Prof. Dr. Peter König für seinen Vorsitz bei meiner Disputation. Besonderer Dank gilt auch Wolfgang Beckenbach, der mir mit seiner Gelassenheit und Sachlichkeit und großem Durchhaltevermögen beim Korrekturlesen der Arbeit enorm half und mir jeden Tag zur Seite stand. Ich bin auch Hai Linh Ngo zu Dank verpflichtet, der das Lektorat der Doktorarbeit übernahm und dessen unermüdliche Begeisterungsfähigkeit, intellektuelle Kreativität und Kooperationsbereitschaft mich immer wieder auf neue Ideen brachten. Dank ebenso an meinen Freund Tobias Larenz, der mir mit seinem feinen Sprachgefühl bei zahlreichen Umformulierungen half. Dank an Dr. Nora Gottbrath für das Korrigieren der gesamten Dissertationsschrift. Bei Dr. Hannes Giese bedanke ich mich für seine gründliche Überprüfung des ersten Buchmanuskripts. Auch Dr. Roberto https://doi.org/10.1515/9783110624632-001
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Vorwort
Vinco, Dr. Tobias Dangel und Dr. Gheorghe Paşcalău, die sich immer bereit erklärten, mir bei jeglichen Schwierigkeiten bezüglich der Arbeit zu helfen, sollen hier Erwähnung finden. Viel bedeutet mir auch die Unterstützung weiterer Freunde und Kollegen aus Hamburg und Heidelberg, die Teile des Werkes lasen und mir durch ihre Rückmeldungen weiterhalfen: Dr. Patrick Koch, Dr. Lilian Türk, Lena Bindrim, Magdalena Vinco und Samuel Vingron. Prof. Dr. Giuseppe Veltri gebührt mein Dank dafür, dass er mir in Hamburg die Zeit einräumte, die zur Überarbeitung des Buches notwendig war. Mein besonderer Dank gilt auch den Mitarbeitern des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES) für das entgegengebrachte Vertrauen und die finanzielle Förderung durch das Stipendium, die dieses Werk überhaupt möglich machte. Meinem von ELES vermittelten Vertrauensdozenten Prof. Dr. Frederek Musall möchte ich für die unterstützenden beratenden Gespräche während des Promotionsverfahrens danken. Dem Institut für Jüdische Philosophie und Religion der Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Giuseppe Veltri danke ich für die freundliche Unterstützung bei der Übernahme der Druckkosten. Es ist schwer, mit Worten den Dank auszudrücken, den ich meinen Eltern, Joseph und Efrat, schulde, die meinen unkonventionellen Lebensweg bedingungslos unterstützten. Schließlich bin ich den ohne Frage größten Dank Frauke schuldig, die während des ganzen langwierigen Prozesses an meiner Seite stand und mir stets Rückhalt verlieh. Hamburg, im August 2018
Inhalt Abkürzungsverzeichnis Einleitung . . .
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Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung 9 Überblick über Hegels Bezugnahmen auf Philon 11 13 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts Philons Religionsphilosophie als Wendepunkt der jüdischchristlichen Tradition 43 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur 49 Philosophiegeschichte Hegels Begriffsverständnis der Philosophiegeschichte 52 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung 56 Philon als Wendepunkt bei der Herausbildung des spekulativen Bewusstseins im Judentum 68 Philons platonisierende Schrifterklärungsmethode – „Platon in 70 Moses finden“ Hinein- und Herausinterpretieren im Licht der Geistesarbeit 76 84 Eklektischer versus systematischer Denker An der Grenze zwischen Vorstellungsform und Begriffsform 86 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie 87 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie 117 149 Philons Gottesvorstellung als unbegrenzte Seinsfülle Philons Schöpfungstheologie 156 Philons Wirkungsgeschichte: Vom Neuplatonismus über Kabbala und Gnosis bis hin zur jüdischen und christlichen 164 Philosophie
X
Inhalt
..
Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums 187 187 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus Ein „Tieferes“ im Schriftwort offenlegen: Philons allegorische Bibelauslegung im Spiegel des christlichen Schriftverständnisses 188 Philo Judaeus als Trinitätsdenker? Philons Philosophie als Vorform 192 der Trinität 217 Motive der philonischen Logostheologie in Hegels Denken Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums 237 Das Problem der Quellenidentifikation in Hegels Auffassung des 237 Judentums Philonische Denkstrukturen in Hegels frühem Judentumsverständnis 244 254 Philon als Quelle der Religion der Erhabenheit
Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
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296
Literaturverzeichnis 321 321 Primärliteratur .A Philon: Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare 321 .B Hegel: Textausgaben Sekundärliteratur 322 .A Philon 322 325 .B Hegel .C Literatur der Antike 328 328 .D Literatur der Neuzeit Personenregister Sachregister
333 336
321
Abkürzungsverzeichnis 1 Philon von Alexandria Die Zitierung sowohl der Einzelwerke als auch der Werkausgaben Philons von Alexandria folgt den festgelegten Abkürzungsregeln von The Studia Philonica Annual: Studies in Hellenistic Judaism:
1.A Einzelwerke Abr. Aet. Agr. Anim. Cher. Conf. Congr. Contempl. Decal. Deo Det. Deus Ebr. Flacc. Fug. Gig. Her. Hypoth. Ios. Leg. 1 – 3 Legat. Migr. Mos. 1 – 2 Mut. Opif. Plant. Post. Praem. Prob. Prov. 1 – 2 QE 1 – 2 QG 1 – 4 Sacr.
De Abrahamo De aeternitate mundi De agricultura De animalibus De Cherubim De confusione linguarum De congressu eruditionis gratia De vita contemplativa De Decalogo De Deo Quod deterius potiori insidiari soleat Quod Deus sit immutabilis De ebrietate In Flaccum De fuga et invention De gigantibus Quis rerum divinarum heres sit Hypothetica De Iosepho Legum allegoriae I, II, III Legatio ad Gaium De migratione Abrahami De vita Moysis I, II De mutatione nominum De opificio mundi De plantatione De posteritate Caini De praemiis et poenis, De exsecrationibus Quod omnis probus liber sit De Providentia I, II Quaestiones et solutiones in Exodum I, II Quaestiones et solutiones in Genesim I, II, III, IV De sacrificiis Abelis et Caini
https://doi.org/10.1515/9783110624632-002
XII
Abkürzungsverzeichnis
Sobr. Somn. 1 – 2 Spec. 1 – 4 Virt.
De sobrietate De somniis I, II De specialibus legibus I, II, III, IV De virtutibus
1.B Werkausgaben PACS Philo of Alexandria Commentary Series. 4 Bde. Hrsg. v. G. E. Sterlin, D. T. Runia u. a. Leiden, Boston, Köln: Brill. 2001 – 2013. PCH Die Werke Philos von Alexandria in deutscher Übersetzung. 7 Bde. Hrsg. v. L. Cohn, I. Heinemann, M. Adler, W. Theiler. Breslau, Berlin: De Gruyter. Nachdruck 1964. PCW Philonis Alexandrini opera quae supersunt. 6 Bde. Hrsg. v. L. Cohn, P. Wendland, S. Reiter. Berlin: De Gruyter. Nachdruck 1962. PIO Philonis Iudaei opera omnia (gr. u. lat.). 5 Bde. Hrsg. v. A. F. Pfeiffer, T. Mangey. Erlangen: Libraria Heyderiana. 1785 – 1792. PLCL Philo in Ten Volumes (and Two Supplementary Volumes). 12 Bde. Hrsg. v. F. H. Colson, G. H. Whitaker, J. W. Earp, R. Marcus. London: Harvard University Press. Nachdruck 1970. PW Philo of Alexandria Writings. 6 Bde. Hrsg. v. D. Daniel-Nataf, Y. Amir, M. R. Niehoff, C. Schur, Y. Cohen-Yashar. Jerusalem: Bialik Institute, Israel Academy of Sciences and Humanities. 1986 – 2015. THG Philonis Judaei omnia quae extant opera. Hrsg. v. A. Turnebus, D. Hoeschelius, S. Gelenius. Frankfurt: Jeremias Schrey und Heinrich Johann Meyer. 1691.
2 G. W. F. Hegel GW
Gesammelte Werke. 21 Bde. Hrsg. im Auftrag der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hamburg: Meiner. 1968 ff. SWB Sämtliche Werke. Briefe von und an Hegel. 5 Bde. Hrsg. v. J. Hoffmeister. 2. Aufl. Hamburg: Meiner. 1969. TWA Werke in zwanzig Bänden mit Registerband. Theoriewerkausgabe. Hrsg. v. E. Moldenhauer, K. M. Michel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 1970 ff. Vorl. Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. 17 Bde. Hrsg. v. P. Garniron, W. Jaeschke u. a. Hamburg: Meiner. 1983 – 2007. Notizen „Hegels Notizen zum absoluten Geist“. Eingel. u. hrsg. v. H. Schneider. In: Hegel-Studien 9 (1974), S. 9 – 38.
5 Weitere
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3 F. W. J. Schelling AA
Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. W. G. Jacobs, J. Jantzen, W. Schieche. Stuttgart: Frommann-Holzboog. 1967 ff. SB Briefe und Dokumente. 2 Bde. Hrsg. v. H. Fuhrmans. Bonn: H. Bouvier. 1962/1973. SW Sämmtliche Werke. 10 Bde. Hrsg. v. K. F. A. Schelling. Stuttgart, Augsburg: J. G. Cotta’scher Verlag. 1856 – 1861. UPO Urfassung der Philosophie der Offenbarung. Hrsg. v. W. E. Ehrhardt. Hamburg: Meiner. 1992.
4 M. Mendelssohn JubA Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. v. I. Elbogen, J. Guttmann, E. Mittwoch, A. Altmann, E. J. Engel, D. Krochmalnik u. a. Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. 1972 ff.
5 Weitere Die Titel prominenter Werke der Antike sowie der Neuzeit werden den geläufigen Abbreviationen gemäß zitiert. Die von mir vorgenommenen Hervorhebungen, Übersetzungen und Anmerkungen bei Zitaten dieser Werke werden entsprechend mit der Anmerkung „Hervorh./Übers./Anm. d. Verf.“ gekennzeichnet. Wenn jedoch die Hervorhebung vom Ursprungstext stammt, dann wird darauf infolgedessen mit der Bezeichnung „Hervorh. i. Orig.“ hingewiesen.
Einleitung Kaum ein jüdischer Religionsphilosoph hat die Geistesgeschichte so nachhaltig geprägt wie der jüdisch-hellenistische Schriftexeget der Zeitenwende Philon von Alexandria (ca. 20 v. u. Z. bis ca. 50 n. u. Z.) mit seinen platonischen PentateuchAllegoresen. Diese Wirkmächtigkeit rührt allerdings nicht, wie zu erwarten wäre, von einer Schlüsselstellung in der rabbinischen Tradition her, die Philon so gut wie nicht rezipiert hat,¹ sondern vielmehr von einer so gewichtigen wie bewussten Aufnahme seines Gedankengutes durch die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte. Auf den besonderen Charakter der frühchristlichen Rezeptionsgeschichte von Philons jüdischem Platonismus weist Runia in seinem diesbezüglichen Artikel im Reallexikon für Antike und Christentum hin: „Ph[ilon] kann als Kirchenvater honoris causa gelten […]. Kein anderer jüd[ischer] Autor, nicht einmal Josephus, wurde in einem vergleichbaren Maße in der patrist[ischen] Tradition rezipiert.“² Gleichwohl ist Philons Einfluss keineswegs ausschließlich auf das patristische Christentum der ersten Jahrhunderte begrenzt, sondern prägte als unmittelbare Folge der frühchristlichen Philonrezeption später auch bedeutende christliche Denker der Moderne. Der neben Immanuel Kant vielleicht wirkmächtigste deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) kann als Paradebeispiel hierfür gelten. In seiner synoptischen Analyse der Philosophiegeschichte leistet er eine systematische Philondeutung. Zudem greift er in seiner Religionsphilosophie im Kontext der ausschlaggebenden Leitgedanken des Christentums auf Philon zurück und gibt damit dessen spekulativem Denken eine entscheidende Position in seiner Auffassung der gesamten Geistesgeschichte. Kern der vorliegenden Untersuchung ist daher die systematische Analyse von Hegels geistiger Begegnung mit Philons Religionsphilosophie, um einen entscheidenden Aspekt der jüdischen wie auch der spätplatonischen Quellen der spekulativen Entwürfe des Deutschen Idealismus offenzulegen. Welche historisch-systematische Bedeutung die philonische Denkweise für Hegels spekulatives System des absoluten Idealismus hat, ist die grundsätzliche Frage dieser Studie. Hieraus lässt sich folgender Fragenkomplex ableiten: (1) Wann und in welchem intellektuellen Umfeld hat sich Hegel erstmalig Philonkenntnisse angeeignet? (2) Wie bewertet und interpretiert er Philons Denken – vor allem dessen
Zu Philons möglicher Wirkung auf antike Midraschim in Genesis Rabba und zugleich zum grundsätzlichen „Totschweigen“ der Rabbinen in Hinblick auf dessen spekulative Schriftexegese siehe: Runia 1993, S. 14– 16. Runia 2015, S. 626. https://doi.org/10.1515/9783110624632-003
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Einleitung
Gottes- und Logoslehre, Methode der allegorischen Schriftauslegung sowie Schöpfungstheologie – aus umfassender philosophiegeschichtlicher Sicht? (3) Vor dem Hintergrund seiner Philondeutung in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen stellt sich weiterhin die Frage, ob er in seinem stark an Christentum und griechischer Metaphysik orientierten System ebenfalls Philons metaphysische Kerngedanken und theologische Motive verwendet. Und daraus folgend insbesondere: (4) Welche neuen Elemente lassen sich am Beispiel von Philons vielseitigem Gedankengut, worin Judentum, Platonismus und Christentum als drei zentrale Welterklärungsmodelle einfließen, in Hegels Religionsphilosophie aufspüren? Insbesondere in Zusammenhang mit Hegels später Aufwertung des Judentums als Religion des erhabenen Einen und mit seinem Bild des Christentums als der absoluten Religion erscheint diese Frage besonders bedeutsam. In den bisherigen Philon- und Hegel-Studien wurde Hegels Philonrezeption lediglich am Rande berücksichtigt und nur rudimentär aufgearbeitet. Die communis opinio hierüber, möglicherweise Resultat von Wolfsons Feststellung in seiner Philon-Monographie,³ besagt stark vereinfachend, Hegel sehe Philon in seinen philosophiegeschichtlichen und religionsphilosophischen Vorlesungen lediglich als Vorläufer für die revolutionären Weltbilder des Neuplatonismus und des Christentums. Erst im Laufe der letzten zwanzig Jahre konnten drei neuere Untersuchungen, die sich erstmals ausführlich mit dieser komplexen Thematik befassten, der vorherrschenden Lehrmeinung etwas entgegensetzen. Besonders herauszustellen sind hier: (1) der aufschlussreiche Artikel von Cyril O’Regan „Hegel’s Retrieval of Philo: Constitution of a Christian Heretic“, der in The Studia Philonica Annual. Studies in Hellenistic Judaism 2008 erschien und in dem er Hegels systematische und explizite Philondarstellung in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen thematisiert;⁴ (2) das zweite Kapitel von Dirk Westerkamps 2009 veröffentlichter Schrift Die philonische Unterscheidung. Aufklärung, Orientalismus und Konstruktion der Philosophie, in dem er hauptsächlich anhand von Hegels philosophiegeschichtlichem Philonverständnis dessen „prinzipientheoretische Konstruktion der jüdischen Philosophie“ (Kabbala, Maimonides, Spinoza) aufdeckt; (3) das erste Kapitel von Jens Halfwassens 1999 verfasster Habilitationsschrift Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung zur „Bedeutung des Neuplatonismus für Hegels Denkentwicklung“. Im Abschnitt „Spuren mittel- und neuplatonischer Metaphysik in Hegels Frankfurter Schriften“ geht Halfwassen von einer entscheidenden Wirkung des philonischen
Wolfson 1962, Bd. 2, S. 440 – 441. OʼRegan 2008, S. 101– 127.
Einleitung
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Mittplatonismus auf Hegels frühes Bild der negativen Theologie und der johanneischen Logoslehre aus.⁵ Philon habe, worauf er mehrfach hinweist, parallel großen Einfluss auf dessen späteres systematisches Denken gehabt.⁶ Im Folgenden zu den obengenannten Vorarbeiten von Halfwassen, OʼRegan und Westerkamp, die im Gegensatz zu Wolfson überzeugende Argumente für eine Aufwertung der Rolle Philons in Hegels Philosophie vorbringen: Ad 1) In seinem Aufsatz – der einzige, der, soweit ersichtlich, sich ausschließlich auf dieses Thema konzentriert – rückt O’Regan Hegels im Prinzip christliche Aneignung Philons ins Licht. Ihm zufolge beabsichtige Hegel durch einen „Philo Christianus“ als genuinen Trinitätsdenker die „heterodoxe“ Umgestaltung der Glaubenssätze der christlichen Religionslehre: My central and integrating question is […]: In what way or ways does Hegel repeat early Christian appropriations of Philo with respect to the view of God, God’s relation to the world and human beings? And more specifically, availing of Philo not so much as a means to validate orthodox Christianity, but to deconstruct and reconstruct it, especially as it is represented by the Trinity. (OʼRegan 2008, S. 103)⁷
Zudem verdeutlicht er hinsichtlich Hegels philosophiegeschichtlicher Philonauslegung dessen stark christianisierende Tendenz bei der Darstellung philonischer Denkfiguren. Zugleich macht er auf folgende Kernaspekte von Hegels programmatischer Philondarstellung aufmerksam: (a) Er liefert eine solide Rekonstruktion der Quellen, aus denen Hegel seine Philonkenntnisse schöpfte – etwa Buhle und Brucker, aber auch Neander. In Anbetracht von Hegels Philondeutung sowie dessen Erwähnung der zwei deutschen Philon-Ausgaben von 1691 (TurnebusHoeschelius-Gelenius) und von 1785 – 1792 (Mangey-Pfeiffer) kommt er zu dem Ergebnis, dass es nicht eindeutig sei, ob Hegel sich überhaupt auf aus erster Hand erworbene Philonkenntnisse gestützt habe.⁸ (b) Er analysiert Hegels Interpretation der philonischen Gottes- und Logoslehre, wobei Hegel erstere einer scharfen Kritik unterziehe,⁹ die zweite hingegen positiv einschätze.¹⁰ (c) OʼRegan identifiziert trinitarische Denkformen, die Hegel größtenteils in seiner Deutung der Re-
Halfwassen 1999, S. 35 – 37, 41, 59 – 61, 69 – 71, 76, 98. Halfwassen 1999, S. 131, 134, 162– 166, 223, 274, 293 – 296, 316 – 317. Vgl. dazu auch: OʼRegan 2008, S. 108, 115. Diese Auslegung ist nur ein Bestandteil von OʼRegans aufschlussreichem Hegelbild, das er in seinem Werk The Heterodox Hegel systematisch darlegt. Dort greift er ebenfalls auf Philon zurück: OʼRegan 1994, S. 20, 130, 134. OʼRegan 2008, S. 104, 114– 115. OʼRegan 2008, S. 105 – 106. OʼRegan 2008, S. 107 ff.
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Einleitung
ligion der Erhabenheit aufgreift, mit Philons Philosophie. Hieraus zieht er den Schluss, dass Philon auf Hegels aufwertendes Bild des Judentums eingewirkt habe.¹¹ (d) Er wertet Philons Bedeutung für Hegel vor dem Hintergrund dessen ganzheitlichen Ansatzes bei der Auslegung anderer Strömungen und wichtiger Denker der Philosophiegeschichte auf.¹² OʼRegan gelingt es letztlich, einen eindrucksvollen Themenkomplex in einem einzigen Artikel pointiert darzustellen. Dennoch verdienen bestimmte Punkte, die er nur beiläufig erwähnt, mehr Aufmerksamkeit, als zumeist und verständlicherweise im begrenzten Format eines wissenschaftlichen Artikels realisiert werden kann.¹³ Er scheint ferner die christlichen Elemente von Hegels Philondeutung insoweit überzubetonen,¹⁴ als er der Funktion von Philons jüdischem Glauben bei Hegels Auseinandersetzung mit dessen apophatischer Theologie sowie akosmistischer Gottesauffassung – Denkstrukturen, die auch in Hegels Wahrnehmung der jüdischen Gotteslehre vorkommen – zu wenig Gewicht beimisst. Ad 2) Im Unterschied und ergänzend dazu exponiert Westerkamp in seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung, in der Hegels Rezeption des philonischen Gedankengutes eine zentrale Stellung einnimmt, Philons Bedeutung als jüdischen Religionsphilosophen, als Philo Judaeus, für Hegels Geschichtskonstrukt der philosophia judaeorum. ¹⁵ Auch Westerkamp geht auf Hauptmomente von Hegels philosophiegeschichtlicher Philondarstellung ein und kommt zu dem Schluss, dem jüdischen Mittelplatoniker „schreib[e] […] Hegel implizit die Entdeckung jener philonischen Unterscheidung von Identität und Differenz im Absoluten zu, die seine Geschichtskonstruktion benötigt, um ihr zweites Prinzip erklären und damit die eigene triadische und trinitarische Struktur rechtfertigen zu können [Hervorh. i. Orig.]“.¹⁶ Er spricht in Zusammenhang mit Hegels Ausführungen zu Philon vier bedeutende Aspekte an: (a) die Wichtigkeit von Philons jüdischer, anthropomorpher Logostheologie als prinzipientheoretischer Ergänzung zu dessen negativer Theologie, wodurch sie durch diese „philonische Unterscheidung“ dialektisch überwunden werde.¹⁷ (b) Weiterhin ist die Übereinstimmung zwischen Hegels Beschreibung theologischer Kerngedanken in der philonischen und der
OʼRegan 2008, S. 113, 115 – 116. OʼRegan 2008, S. 117, 124– 126. Dieses Problem ist OʼRegan durchaus bewusst: „While ideally I would like to address all these questions fully and answer in detail, page constraints compel me to sketch and to prioritize.“ (OʼRegan 2008, S. 103) Siehe beispielsweise: OʼRegan 2008, S. 103, 122 und 124. Westerkamp 2008, S. 92– 93. Westerkamp 2008, S. 93. Westerkamp 2008, S. 116 – 117, 119 und 121– 124.
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gesamten jüdischen Philosophie zu nennen.¹⁸ (c) Hegels wertschätzendes Verständnis von Philons allegorischer Methode der Bibelexegese ist ein weiterer wesentlicher Punkt.¹⁹ (d) Erwähnenswert sind schließlich die kontextualisierten Parallelen zwischen den von Hegel verwendeten Philondarstellungen anderer Philosophiegeschichtsschreiber, also Buhle, Brucker, Tiedemann, Tennemann und Neander, und seiner eigenen Philonauffassung.²⁰ Trotz der Schlüsselstellung der hegelschen Philondeutung in Westerkamps gesamter Untersuchung liegt deren Hauptaugenmerk letztlich vielmehr auf der „historischen Begriffsbildung“ für die Konstrukte der jüdischen Philosophie und des Orientalismus in der deutschen früh- bis spätaufklärerischen Tradition der Philosophiegeschichtsschreibung (1655 – 1865), wobei der Logosgedanke besondere Berücksichtigung findet.²¹ Vor diesem methodologischen Hintergrund strebt Westerkamp verständlicherweise nicht etwa eine erschöpfende Behandlung aller Aspekte von Hegels Interpretation der philonischen Religionsphilosophie an. Vielmehr beschränkt er sich auf diejenigen, die unmittelbar mit seinem weitergehenden, historiographischen Untersuchungsgegenstand zusammenhängen. Gleichwohl kann er aus dieser unkonventionellen und ergiebigen Sichtweise fundiert nachweisen, dass Wolfson mit der „unterinterpretierten“ These, Hegel marginalisiere Philon in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen stark, grundsätzlich irre und eher das Gegenteil naheliege: Philon sei für Hegels Bild der Philosophiegeschichte geradezu unentbehrlich.²² Ad 3) Anders als OʼRegan und Westerkamp sieht Halfwassen in seiner aufschlussreichen Studie über Hegels gesamte Rezeption des spätantiken Platonismus Philons theoretische Anziehungskraft für Hegel vor allem im spekulativen platonischen Charakter dessen facettenreicher Religionsphilosophie begründet. Er weist diesbezüglich auf die folgenden Punkte hin: (a) Hegel habe bereits in seiner fünfjährigen Tübinger Studienzeit (1788 – 1793) Kenntnisse von Philons mittelplatonischer Gottes- und Logoslehre erworben,²³ die (b) seine eigene konstitutive Frankfurter Denkentwicklung maßgebend geprägt hätten – sowohl hinsichtlich seiner Auffassung der negativen Theologie als auch hinsichtlich seiner Logosspekulation im Aufsatz Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798 – 1800).²⁴ (c) Von Philons früher formativer Wirkung auf Hegels Trinitätsspekula-
Westerkamp 2008, S. 107– 111, 116 – 117, 125 – 130, 133 – 137, 143 Westerkamp 2008, S. 123 – 124, 130. Westerkamp 2008, S. 98 – 103, 128 – 129. Westerkamp 2008, S. 11. Westerkamp 2008, S. 92– 93. Halfwassen 1999, S. 35 – 36. Halfwassen 1999, S. 59 – 62, 66 – 76.
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Einleitung
tionen ausgehend deutet Halfwassen zudem an, auch Hegels vollentwickelte Auffassung der neuplatonischen wie der christlichen Dreieinigkeitsstruktur des Geistes in den philosophiegeschichtlichen und religionsphilosophischen Vorlesungen erscheine u. a. von Philons Gedankengebäude beeinflusst.²⁵ Halfwassen zufolge ordne Hegel das philonische System als Vorgestalt der Trinitätslehre ein;²⁶ ihre adäquate metaphysische Formulierung jedoch habe er erst in Proklos’ spekulativer Einheitsmetaphysik gefunden. (d) Der Autor unterstreicht die große Bedeutung von Philons transzendentem Gottesbegriff als dem Seienden für Hegels systematisches Denken, indem er dessen metaphysische Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie aufgreift. In diesem Zusammenhang geht er darauf ein, dass Hegel auch Plotins Begriff des Absoluten, wenn auch irrtümlich, mit Philons transzendentem Gott als dem reinen Seienden ideengeschichtlich gleichsetze.²⁷ Halfwassens rezeptionsgeschichtliche Untersuchung zu Hegels Philonbild ist deshalb so wichtig, weil er nicht nur Philons Relevanz für Hegels Wahrnehmung der Geistesgeschichte verdeutlicht, sondern auch und besonders dessen Einfluss auf bedeutende Aspekte der hegelschen Systembildung sowie dessen vollentfaltete Philosophie aufzeigt. Allerdings legt er den Schwerpunkt seiner Untersuchung letztlich deshalb mit Plotin und Proklos auf die Hauptvertreter der neuplatonischen Philosophie – denen Hegel ausdrücklich mehr Wertschätzung als Philon entgegenbringt – da ihre neuplatonischen Systeme für ihn den Kulminationspunkt der gesamten antiken Metaphysik ausmachen. Laut Halfwassen seien sie „für Hegel“ neben Platon und Aristoteles geradezu „die größten und wirkungsmächtigsten Philosophen der Geschichte und zugleich diejenigen, auf die er sich für sein eigenes Denken in positiver Aufnahme am stärksten bezieht“.²⁸ Ziel dieser Arbeit auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes ist es, die erkenntnisreichen Perspektiven der drei vorliegenden Vorstudien zum Thema von Hegels Philonrezeption und -bild – (ad 1) OʼRegan: als Philo Christianus, (ad 2) Westerkamp: als Philo Judaeus und (ad 3) Halfwassen: als Philo Platonicus – systematisch zu vereinheitlichen. Dabei können bislang erheblich vernachlässigte, aber dennoch zentrale Züge des vielgestaltigen metaphysischen Dialogs
Halfwassen 1999, S. 72– 74: Fn. 166. Halfwassen 1999, S. 131– 132: Fn. 145, 134: Fn. 151. Halfwassen 1999, S. 293 – 296. Halfwassen weist auch auf die systematische Affinität zwischen Hegel und Philon hinsichtlich der metaphysischen Denkbestimmung des reinen Seienden-Ersten hin: „Diese Gleichsetzung des absolut Ersten mit dem reinen Sein bei Philon steht Hegels eigener Konzeption des reinen Anfangs systematisch näher als die Platonische und Plotinische Konzeption der Seinstranszendenz des Absoluten […].“ (Halfwassen 1999, S. 296) Halfwassen 1999, S. 13.
Einleitung
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Hegels – ohne Frage einer der einflussreichsten deutschen Denker überhaupt – mit dem Denken Philons, des wohl wirkmächtigsten jüdischen Religionsphilosophen, geklärt werden. Auf diese Weise kann man der Komplexität von Hegels Philonbild gerecht werden. Indem die vorliegende Untersuchung die entscheidenden Zusammenhänge, in denen Hegel Philons Religionsphilosophie aufgreift, aufzeigen und analysieren wird, wird eine der Position Wolfsohns geradezu diametral entgegengesetzte These plausibel: Philon nimmt eine maßgebliche Stellung in Hegels Denken ein, insbesondere hinsichtlich dessen Wahrnehmung des Judentums, des Christentums und des Neuplatonismus als drei ausschlaggebender Momente der Geistesgeschichte. Dabei nimmt meine Studie die von den drei erwähnten Vorarbeiten eingebrachte These auf, sucht diese aber erstmalig auf systematische und erschöpfende Weise zu untermauern. Das Ausmaß der unmittelbaren Einwirkung eines jüdischen Religionsphilosophen auf Hegels System kann so nachgewiesen und deutlich herausgearbeitet werden. Meine methodische Vorgehensweise besteht aus drei thematischen Schritten: 1) Das erste Kapitel widmet sich der Frage, weshalb Hegels Verhältnis zu Philons Religionsphilosophie erneut durchdacht werden muss. Dieser Teil der Arbeit enthält einen Überblick über Hegels Philon-Verweise in seinen verschiedenen Schriften, eine Untersuchung der Rolle Philons als intellektuellem Diskursgegenstand unter den protestantischen Theologen im Tübinger Stift während Hegels Studienzeit und schließlich eine Auslegung von Hegels erster Frankfurter Bezugnahme auf Philons jüdischen Platonismus in seiner „Neufassung des Anfangs“ (1800) D[er] Positivität der christlichen Religion.²⁹ 2) Im darauffolgenden Kapitel liegt das Gewicht der Untersuchung auf den Leitmotiven von Hegels expliziter und systematischer Philondeutung in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen unter Berücksichtigung ähnlicher Denkstrukturen in seiner eigenen Philosophie. Das Kapitel konzentriert sich auf sechs zentrale Themenkreise: (a) Eine Rekonstruktion der philosophiegeschichtlichen Quellen, die Hegel bei seiner Philondarstellung verwendet; (b) Hegels Bewertung von Philons Methode der allegorischen Bibelauslegung; (c) seine Auseinandersetzung mit dessen negativ-theologischem Gottesverständnis; (d) seine durchaus anerkennende Bewertung von Philons Logosbegriff als trinitarischem Geistprinzip; (e) seine Evaluierung von dessen spekulativer Lehre von der doppelten Weltschöpfung; (f) eine ausführliche Darstellung von Hegels Sicht auf Philons weitreichende philosophiegeschichtliche Wirkung.
TWA Bd. 1, S. 227.
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Einleitung
3) Auf der Grundlage der Analyse von Hegels philosophiegeschichtlichem Philonbild schließt die Untersuchung im dritten Kapitel damit, charakteristische Denkfiguren von Philons Lehrgebäude in Hegels Religionsphilosophie aufzuspüren. Zweierlei soll dabei nachgewiesen werden: (a) Philon ist für Hegels Verständnis des Christentums viel bedeutsamer, als man anhand der bislang vorliegenden Untersuchungen hätte vermuten können, insbesondere für dessen Auffassung der christlichen Logostheologie, der Trinitätslehre und der Methode der allegorischen Schrifterklärung. (b) Hegels Aufwertung des Judentums in den religionsphilosophischen Vorlesungen hängt weitgehend mit seinem Philonverständnis zusammen.
1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung Die Frage nach Stellung und Wirkung der Religionsphilosophie Philons in Hegels Denken ist keineswegs neu: Bereits 1844, dreizehn Jahre nach Hegels Tod, nimmt Staudenmaier, Professor für katholische Theologie, in seiner polemischen Schrift Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems diese Neubewertung aus systematisch-theologischer Sicht vor, indem er primär unter Bezugnahme auf Philons System die Frage aufwirft: „Welches Recht aber haben wir, kann gefragt werden, diese [im Kern philonischen] Systeme in Verbindung mit dem Hegelschen zu bringen?“¹ Das Recht darauf gründe sich größtenteils auf ihre gedankliche Präfiguration des christlichen Dreieinigkeitsdogmas als der „Lehre über den Proceß der Idee“, die Hegel in ihren Philosophien freizulegen meint, so der Theologe.² In Staudenmaiers detaillierter Darstellung dieser verschiedenen „Trinitätssysteme“ kommt dem „Philonismus“ deshalb eine Schlüsselstellung zu, weil er mit dessen pantheistisch-akosmistischer Religionslehre nicht nur „den meisten pantheistischen Systemen vorausgegangen“ sei, sondern „auch dem Hegelschen“ (!).³ In ihrer Wirkmächtigkeit führe, so argumentiert Staudenmaier, Philons Art der trinitarischen Weltanschauung darüber hinaus zur Entstehung der sabellianischen „Lehre von der göttlichen Monas und von den drei Prosopen: Vater, Sohn und Geist“ als erster Vorgestalt einer personhaft konzipierten Dreieinigkeitsvorstellung.⁴ Auf Hegels positive Einschätzung vom philonischen „Trinitätsdenken“ Bezug nehmend gilt Staudenmaier Philons Denken als der Anknüpfungspunkt, an dem er die inhärente, wenngleich nicht häretische Inkonsequenz in Hegels pantheistisch-unpersönlicher Umgestaltung der christlichen Dreifaltigkeitslehre festzumachen sucht. Mit einer ausführlichen Erläuterung von Philons religionsphilo-
Staudenmaier 1844, S. 63 (Anm. d. Verf./Hervorh. i. Orig.). Neben dem philonischen System beruft er sich auch auf verschiedene Strömungen und Denker aus späterer Zeit, die er wiederum auf Philons vermeintlich pantheistisches Weltbild zurückführt („Die Eigenthümlichkeit der Philonischen Lehre, insbesondere seine pantheistische Anschauung von Gott, dem Logos, der Welt und dem Menschen, so wie seine Vorstellung von Freiheit, Nothwendigkeit, Sünde u. s. w. u. s. w. hat den entschiedensten Einfluß auf spätere Systeme gewonnen.“). Hierzu siehe zudem: Staudenmaier 1844, S. 73: „Zu denjenigen Systemen, welche sich unter dem Einflusse des Philonismus entwickelt haben, gehören auf Seite der Juden die Kabbalah, auf Seite der Griechen, insbesondere der Alexandriner, aber der Neuplatonismus [Hervorh. i. Orig.].“ Staudenmaier 1844, S. 63 – 68. Staudenmaier 1844, S. 70. Staudenmaier 1844, S. 70 (Hervorh. i. Orig.). https://doi.org/10.1515/9783110624632-004
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
sophischem Gedankengut als Vermittler für das frühe Christentum zwischen orientalischen und platonischen Denkformen betont er den akosmistischen Charakter seiner Gottes- sowie Logoskonzeption als „Einheitsbestimmungen“.⁵ Offenkundig greift Staudenmaier dabei Hegels eigene Schwerpunktlegung in dessen Philondarstellung auf, in der dieser ebenfalls auf die akosmistische Tendenz in Philons Gottesauffassung als Seinsfülle durch die All-Einheitsformulierung εἷς καὶ τὸ πᾶν in Leg. 1.44 eingeht. Eine ähnliche Antwort auf diese erstmals 1844 von Staudenmaier gestellte Frage nach dem Zusammenhang zwischen Hegel und Philon liefert auch OʼRegan in seinem oben erwähnten Artikel. Was Philons Philosophie vor dem Hintergrund von Hegels System von anderen zentralen Philosophien deutlich unterscheide, rühre von seiner gedanklichen Nähe zur christlichen Religionslehre her, vor allem zu ihrem spekulativen Trinitätsgedanken, so OʼRegans Schlussfolgerung. Durch Philon als vorchristlichen „Trinitätsdenker“ könne Hegel seine heterodoxe Umgestaltung des Dreieinigkeitsdogmas weiter untermauern: „[…] in Hegel’s hands Philo is used not so much as an aid to the construction of adequate Christian thought – for example, the notion of Trinity and the God-world relation – but to assist in their radical reconstruction or revision.“⁶ Eine andere Sichtweise auf Philons Bedeutung für Hegels Philosophie eröffnet Westerkamp mit seinem innovativen Werk von 2009. Dort weist er nach, dass Philons Religionsphilosophie in Hegels Geschichte der Philosophie als wichtiges historisches Konstrukt gilt, wodurch die orientalische, „prinzipientheoretische Konstruktion“ der philosophia hebraeorum – im Unterschied zur vereinheitlichenden und abgrenzenden Tendenz der frühaufklärerischen Tradition der Philosophiegeschichtsschreibung – in einer „kontextualisiert[en] und fragmentiert[en]“ Form aufgefasst werde: „Sein [sc. Hegels] Ansatz kennt keine kontinuierliche Entwicklung jüdischer Philosophie, sondern nur individuelle ‚jüdische‘ Philosophen auf verschiedenen Stufen einer vernünftigen Universalgeschichte des Geistes.“⁷
Staudenmaier 1844, S. 58 – 62. OʼRegan 2008, S. 108. Westerkamp 2009, S. 143.
1.1 Überblick über Hegels Bezugnahmen auf Philon
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1.1 Überblick über Hegels Bezugnahmen auf Philon Da sich Hegel in verschiedenen Zusammenhängen auf Philon bezieht, ist eine schematische Zusammenfassung dieser Bezugnahmen in seinen Werken für eine Orientierung und Neubewertung hilfreich. i) In der Neufassung des Anfangs (1800) zur Positivitätsschrift markiert Philons jüdischer Platonismus den Höhepunkt der gesamten jüdischen Religionsgeschichte.⁸ ii) Im Zusatzteil zur enzyklopädischen Begriffsbestimmung der Natur (§ 247) verdeutlicht Hegel das Verhältnis Gottes zu seinem Moment des Andersseins in Form der Allgemeinheit im Rekurs auf Philons Logosprinzip: „Einmal bleibt das Unterschiedene aufbehalten in der ewigen Einheit der Idee; das ist der λόγος, der ewige Sohn Gottes, wie es Philon faßte.“⁹ iii) In den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte legt Hegel die christliche Welt unter Berücksichtigung der Hauptmotive von Philons Philosophie aus, indem er sowohl auf dessen konkreten Geistbegriff wie auch auf dessen allegorische Pentateuchexegese als entscheidende Vorformen der christlichen Religionslehre rekurriert.¹⁰ iv) Im Rahmen verschiedener „Weltschöpfungsdarstellungen“ geht Hegel in den religionsphilosophischen Vorlesungen auf Philons ersterschaffende Weisheitshypostase (Logos) ein, die dem göttlichen Einen entsprungen sei.¹¹ v) Im zweiten Teil dieser Vorlesungen zieht Hegel zudem das philonische Lehrgebäude als Paradebeispiel eines orientalischen Trinitätssystems heran (τὸ ὄν – λόγος – σοφία) und bringt es daraufhin mit der Trinitätsvorstellung der Gnostiker in Verbindung, die später in die christliche Dogmatik eingedrungen sei.¹² vi) Unter impliziter Berufung auf Philon („platonischen Juden“) und seine Denkstruktur des λόγος ἐνδιάθετος stellt Hegel in seiner Geschichte der Philosophie die jüdische Gottesvorstellung ausführlich als ein übersinnliches Geistprinzip dar, kraft dessen eine innergöttliche Gedankenwelt ins Dasein gesetzt werde.¹³
TWA Bd. 1, S. 227. TWA Bd. 9, S. 24 TWA Bd. 12, S. 399, 400. TWA Bd. 16, S. 345. TWA Bd. 17, S. 237– 239. TWA Bd. 19, S. 415 – 416.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
vii) Im ersten Teil seines Abschnittes zum Neuplatonismus in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen legt Hegel seine vollständige Philondeutung dar.¹⁴ viii) Sich auf seine systematische Philondarstellung stützend identifiziert Hegel in seiner Analyse der Geistesgeschichte Kerngedanken der philonischen Denkweise in anderen Strömungen. Die Rede ist von der Kabbala,¹⁵ der Gnosis,¹⁶ dem Christentum¹⁷ dem Neuplatonismus¹⁸ und von der jüdischmittelalterlichen Philosophie¹⁹. ix) In den 1819 sowie 1820/21 gehaltenen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie erörtert Hegel gewichtige Aspekte der philonischen Religionsphilosophie und weist in Zusammenhang mit Philon auf überraschende Gedanken hin, die ansonsten in seinen Werken nicht vorkommen: (a) Er geht auf die in Abr. 119 – 132 beschriebene Trinitätsvorstellung von Gott ein; (b) er verknüpft Philons und Isaac Newtons Raumauffassung;²⁰ (c) er stellt eine Verbindung zwischen Philons und Aristoteles’ allegorischem Ansatz her;²¹ (d) er vergleicht Philons anthropomorphen Logosbegriff mit der Logosvorstellung des Johannesprologs.²² x) In einem Manuskript der religionsphilosophischen Vorlesungen greift Hegel Motive von Philons „Trinitätsdenkens“ vor dem Hintergrund von dessen Logostheologie auf, die eng mit Vorstellungen der christlichen Gedankenwelt verwandt sind.²³ xi) In der allgemeinen Bestimmung der neuplatonischen Philosophie bezieht sich Hegel in ihrer neugewonnenen Leitprämisse, der zufolge der Mensch „das Verhältnis […] zu dem Wahren, zu Gott“ aufbauen könne, ebenfalls auf Philon, wenn er dort am Rande bruchstückhaft bemerkt: „die Idee bei Philo des Wahren selbst“.²⁴ Dabei scheint Hegel darauf hindeuten zu wollen, Philon vertrete ebenfalls den innovativen Standpunkt, dass eine auf dem Geist beruhende Gottesbeziehung für den Einzelmenschen möglich sei.
TWA Bd. 19, S. 418 – 425. TWA Bd. 19, S. 425 – 426. TWA Bd. 19, S. 428, 430, 525. TWA Bd. 19, S. 495, 505 – 506. TWA Bd. 19, S. 445 – 446. TWA Bd. 19, S. 524. GW Bd. 30,1, S. 379,5 – 6. GW Bd. 30,1, S. 379,14– 17. GW Bd. 30,1, S. 379,9 – 13. Vorl. Bd. 5, S. 22. Vorl. Bd. 8, S. 164: Zeile 675.
1.2 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts
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xii) Hinsichtlich der trinitarischen Natur des christlichen Gottesbildes greift Hegel auf Philons Gottes- und Logosbegriff in ihrem dialektischen Verhältnis zueinander zurück.²⁵ An späterer Stelle beruft er sich erneut auf Philon, wenn er die Wirkung der platonischen Denktradition auf die christliche Dreieinigkeitsform thematisiert.²⁶ Allerdings dürfen nicht allein Quantität und Ausmaß von Hegels Philon-Bezügen als entscheidender Nachweis für Philons Stellenwert für sein Denken gelten, sondern auch und erst recht die thematischen Zusammenhänge, in denen Hegel auf ihn zu sprechen kommt: Neben (1) der Entwicklungsgeschichte der jüdischen Religionslehre handeln diese Bezugnahmen primär von der jüdisch-platonischen Vorgestalt der Leitgedanken, welche die spekulativen Kerninhalte des Christentums als der Revolution der Weltgeschichte nachhaltig prägten, und zwar (2) von der allegorischen Bibelexegese, vom Geistprinzip und von der Dreieinigkeitslehre. (3) Die Relevanz von Philons Religionsphilosophie für Hegel resultiert zudem aus ihrer systematischen Ortsbestimmung in seiner Geschichte der Philosophie, in der sie ihrer expliziten Deutung wegen als Hauptverkünderin des Neuplatonismus fungiere, dem Höhepunkt der gesamten antiken Metaphysik. (4) Auch für Hegels enzyklopädische Systemschrift ist Philon bedeutsam, denn er beruft sich hier in der Definition seines eigenen spekulativen Naturbegriffes auf dessen Logosprinzip.²⁷
1.2 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts Die Annahme, dass Hegel sich bereits während seiner Tübinger Studienzeit Kenntnisse über Philon aneignete, ist keineswegs irrig. Im ersten Kapitel seiner Habilitationsschrift geht Halfwassen unter Berücksichtigung von Hegels implizitem Frankfurter Philon-Bezug davon aus,²⁸ er habe seine Philonkenntnisse bereits während seines fünfjährigen Theologiestudiums im Tübinger Stift erworben. Hierauf deute seine Philondarstellung in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen ebenfalls hin, denn dort „erweist sich Hegel als exzellenter Philon-Ken-
Vorl. Bd. 5, S. 129 – 130. Vorl. Bd. 5, S. 212. TWA Bd. 9, S. 24: § 247 Zusatz. TWA Bd. 1, S. 227: „[…] die Aufhellung des Judentums durch schönere Blüten der tieferen menschlichen Natur im Platonismus […].“
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
ner“.²⁹ Um diese Vermutung über Hegels Denkentwicklung weiter zu untermauern, greift Halfwassen auf „Themen der Dissertationen und Specimina“ der Stiftler zurück, von denen „[w]ir […] [wissen], daß die Beschäftigung mit Philon zu Hegels Studienzeiten im Tübinger Stift offenbar durchaus üblich war“.³⁰ Von verschiedenen Specimina und Magisterdissertationen von 1785 bis 1795³¹ erwähnt Halfwassen die 1788 vorgelegte Specimina zu Philons De opificio mundi des Stiftlers Magnus Friedrich Zeller „In librum Philonis de mundi opificio annotationes“ neben zwei anderen Titeln – „Super Philosophia Mosis de Deo“ von Gotthold Friedrich Christian Moerz (1788) sowie „De Philosophia Mosaica“ von Karl Heinrich Gros (1785) –, in denen mit großer Wahrscheinlichkeit häufig auf Philon hingewiesen werde.³² Auch Hegels Rückgriffe auf Eusebius’ Praeparatio evangelica (9.17) und auf Josephus Flavius’ Jüdische Altertümer (1.4), zwei Denker der Antike, die sich ihrerseits mehrfach auf Philon berufen, legen die Vermutung nahe, dass Hegel sich schon früh Philonkenntnisse erwarb.³³ Schellings Philon-Verweise während seiner Studienzeit (1790 – 1795) sind vor diesem Hintergrund allerdings am bedeutendsten, stand doch Hegel als Stiftler mit ihm in engstem Kontakt. Darüber hinaus hat sein Denken die größte Affinität zu Hegels Genius. Halfwassen nennt zwei Bezugnahmen auf Philon von „Hegels damalige[m] Zimmergenosse[n] und enge[m] Freund Schelling […] in seiner 1792 – also noch während der gemeinsamen Studienzeit – entstandenen Magisterdissertation De malorum origine […]“.³⁴ In dieser nämlich stützt sich Schelling auf Philons De vita Moysis I 23 – 24, die ihm als Erkenntnisquelle für die den Kulturraum übergreifende Bildung des Moses während dessen Jugendjahre in Ägypten dient. Schelling zitiert des Weiteren einen Auszug aus Clemens von Alexandria Stromata 1.153.2, in dem dieser Mos. 1.23 im expliziten Rückgriff auf Philon verbatim wiedergibt (ᾗ φησι Φίλων ἐν τῷ Μωυσέως βίῳ).³⁵ Mit der Berufung auf Philons Mos. 1.23 legt Schelling seine These dar, Moses vertrete in Gen 3 einen kohärenten philosophischen Standpunkt. Im Folgenden geht er der Frage nach,
Halfwassen 1999, S. 35 – 36 („Gemeint ist mit Sicherheit Philon von Alexandria, den Hegel seit seiner Studienzeit im Tübinger Stift kannte.“). Dazu: K. Düsing 1983, S. 139 („wobei er vielleicht an Philo denkt“). Halfwassen 1999, S. 35. Deren Aufzählung geht auf Jacobs Werk Zwischen Revolution und Orthodoxie? zurück (1989, S. 263 ff.). Halfwassen 1999, S. 35: Fn. 28. Halfwassen 1999, S. 36 – 38, 40 – 41. Zu Eusebius’ Philonrezeption siehe zusammenfassend: Runia 1993, S. 212– 234 (11. Kap.). Halfwassen 1999, S. 35. AA Bd. 1.1, S. 68, 73, 155, 160.
1.2 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts
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„wie die ungebildeten Nomaden zu solchen Philosophemen gekommen seien“.³⁶ Die Antwort glaubt Schelling in der Wirkung der von außen kommenden, über verschiedene Kulturräume hinweg wirksamen, geheimen Weisheit der ägyptischen Priesterschaft auf Moses während seiner ägyptischen Erziehungsphase gefunden zu haben. Diese Priesterkaste sei „aufgrund der Natur ihres Landes zum Philosophieren eingeladen“ worden. Eben zu diesem Punkt bezieht sich Schelling auf den Abschnitt aus Mos. 1.23, von ihm als „die alte Überlieferung der Juden selbst“ eingeordnet: Dort berichte Philon, die ägyptischen Gelehrten hätten Moses „die in Symbole gekleidete Philosophie [τὴν διὰ συμβόλων φιλοσοφίαν], die sie in den sogenannten heiligen Schriftzeichen (Hieroglyphen) vortragen, und die in der Verehrung von Tieren sich zeigt“, beigebracht.³⁷ Moses sei es dadurch, dass er „zu den Mysterien der ägyptischen Priester Zugang hatte“, möglich gewesen, eine systematische Genesis-Metaphysik auf die vorstellungsgemäße Ausdruckweise des Hebräischen allegorisch zu übertragen, so Schellings Schlussfolgerung.³⁸ Diese Philon-Bezüge Schellings sind aber eher im Sinne eines pars pro toto einzuschätzen, wenn auch die weiteren vielfältigen Referenzen in der neuedierten, historisch-kritischen Schellingausgabe der „Frühen theologischen Arbeiten“ der Tübinger Studienzeit berücksichtigt werden. Dazu gehören zunächst Schellings Entwürfe von 1793 bis 1794, „Geschichte des Gnosticismus“, mit denen er „sich zum Ziel [setzt], ‚den alten Gnosticismus‘ philosophisch wie historisch systematisch abzuleiten“,³⁹ da sie eine intensive Beschäftigung mit Philons Religionsphilosophie erkennen lassen. Dieser neue Band (AA Bd. 2.5) zu Schellings Nachlass ist deswegen aufschlussreich, weil sich im Entwurf zur GnostizismusGeschichte wichtige Philon-Verweise sowie bedeutsame Bezugnahmen finden. Aus diesen geht augenscheinlich hervor, dass Philons markante Religionsphilosophie Vorbildcharakter für Schellings Gnosisforschung hat. Vor diesem Hintergrund wäre eine genauere Analyse der Philon-Bezüge in Schellings Studienheften und seiner diesbezüglich gebrauchten theologiegeschichtlichen Quellen von großem Vorteil, um sein während seiner Tübinger Zeit geformtes Philonbild akkurater nachzuzeichnen: i) In Hinblick auf „[d]as craßere Sÿstem der Juden, das die IntellektualWelt selbst mit Geschöpfen der sinnlichen Welt bevölkert“ geht Schelling auf den
AA Bd. 1.1, S. 72. PCH Bd. 1, S. 227. AA Bd. 1.1, S. 115 – 116. Siehe zudem: AA Bd. 1.1, S. 110 (Fn. D ‒ E). AA Bd. 1.1, S. 199 (Editorischer Bericht).
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
Charakter der jüdisch-alexandrinischen Gedanken ein,⁴⁰ wenn er ihn als die „Mischung der Begriffe“ kennzeichnet. „Mischung“ wird sogleich erläutert, indem er den Eklektizismus als Merkmal dieser jüdischen Denkströmung bezeichnet. Als Beispiel hierfür führt er Philons Denken mit der Fragestellung „Philo an eclecticus?“ an. Er beruft sich dabei auf Mosheims Untersuchung zu den ideengeschichtlichen Entwicklungen der christlichen Religionslehre.⁴¹ Dort nämlich stellt Mosheim ähnlich wie etliche Kirchenväter, etwa Clemens von Alexandria und Origines, fest, dass Philo Judaeus als ein eklektischer Philosoph („eclecticus philosophus“) einzuordnen sei, da zu seinen Haupteinflüssen neben dem Platonismus u. a. auch der Pythagoreismus und Stoizismus gehörten. In eindeutiger Anlehnung an Mosheims Bezugnahme auf die „Praefatio editoris“ von Thomas Mangey,⁴² dem Herausgeber der 1742 vorgelegten Philonausgabe,⁴³ weist auch Schelling auf den eklektischen Charakter von Philons System hin: „ut statuis Thom. Mangey Praef. 8 [Hervorh. i. Orig.]“.⁴⁴ ii) Schelling bedient sich in seiner Darstellung der jüdischen Religionsphilosophie auch der 1786 publizierten Abhandlung von Kleuker.⁴⁵ Schellings Identifikation der jüdischen Philosophie mit den ägyptischen, „chaldäische[n] und persische[n] Begriffe[n]“ scheint diesem Aufsatz zu entstammen.⁴⁶ Ägypten und insbesondere Alexandria nennt Kleuker als die Orte, an denen die kabbalistischen Kerngedanken erst ihre vollentfaltete systematische Gestalt angenommen hätten.⁴⁷ Entscheidend in diesem spezifischen Zusammenhang ist Kleukers Verweis auf Philon als einen bedeutenden kabbalistischen Religionsphilosophen, „in dessen Schriften gewisse Hauptlehren der Kabbalisten ohne alle Zweideutigkeit vorgetragen sind“.⁴⁸ Auch Schellings Verständnis von Alexandria als kultur-
AA Bd. 2.5, S. 94,7– 8. Vgl. zu Opif. 16: „[…] die [sc. die der gedachten Welt entsprechend nachgebildete Sinnenwelt] ebensoviele sinnlich wahrnehmbare Arten enthalten sollte, wie in jener gedachte vorhanden waren.“ (PCH Bd. 1, S. 32) Mosheim 1753, S. 25 – 26. PIO Bd. 1, S. XXIV: „Unde de secta Philonis cogitanti subit animum suspicio, in Eclecticorum partibus substitisse, qui ex quauis secta quod sibi placuerat arripuerant.“ Mosheim 1753, S. 26: „V. C. Thomam Mangeium. Quare Praef. p. VIII diserte Philonem ad Eclecticos referre, non dubitat [Hervorh. i. Orig.].“ AA Bd. 2.5, S. 94,23 – 26. Kleuker 1786: Ueber die Natur und den Ursprung der Emanationslehre bei den Kabbalisten. AA Bd. 2.5, S. 94,15 – 18: „Kleuker Em.1. S. 57. ff.“. Kleuker 1786, S. 59: „Chaldäer, Perser und Aegyptier waren diese Völker, in deren Ländern der Kabbalismus seine erste Form annehmen, und sich nachmals in Syrien, Palästina, und besonders in Alexandria völlig ausbilden konnte [Hervorh. i. Orig.].“ Kleuker 1786, S. 70 – 72. Kleuker 1786, S. 73. Vgl. dazu: Kleuker 1786, S. 73: Fn. 38.
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raumübergreifender Begegnungsstätte platonischer und orientalischer Gedanken, die dank der allegorischen Exegese der „jüdischen Mythologien“ verschmelzen konnten, ist auf Kleukers Aufsatz zurückzuführen.⁴⁹ iii) Schelling verweist unter Abschnitt (ββ) auch auf § IX des zweiten Teils von Wolfs Bibliothecae hebraeae. ⁵⁰ Zuvor und im thematischen Kontext der Kabbala greift Wolf Philons in Mos. 1.23 eingeführte Mosesdarstellung auf, die von der Überlieferung der ägyptischen διὰ συμβόλων φιλοσοφία an Moses während dessen Jugendjahren in Ägypten berichtet.⁵¹ iv) In (ββ) bezieht sich Schelling auf Corrodis Kritische Geschichte des Chiliasmus, in der die kabbalistische Tradition („deren Ursprung wir in die Zeiten vor Christen setzten können“) dargestellt wird. Im selben Abschnitt („Von der Philosophie der Juden“) macht Corrodi deutlich, dass er die Verbindung der drei ersten Sephiroth mit dem christlichen Trinitätsgedanken für grundsätzlich unvertretbar halte.⁵² Somit kommt er zu dem näherliegenden Schluss, dass Philons „vielleicht älteres System mit der platonischen Trinität weit mehr Aehnlichkeit hat“ als die Sephiroth-Theologie.⁵³ Zum Nachweis zitiert er darauffolgend zwei Passagen aus dem „offenbar aus dem platonischen entstanden[en]“ „Trinitätsdenken“ des „Platonisierende[n] Jude[n]“ Philon, dessen System die Dreieinigkeitsvorstellung eigen sei: die in Abr. 119 – 122 geschilderte Offenbarung der τριττὴ φαντασία in Abrahams Geistseele, die aus dem ὄντως ὄν, „der Vater aller Dinge […] in der Mitte“, sowie aus den aus ihm entspringenden schaffenden und regierenden Hauptkräften in Gestalt von Sonnenstrahlen bestehe.⁵⁴ Ergänzend zu dieser philonischen Trinitätsvorstellung gibt Corrodi ein Exzerpt aus Cher. 27 wieder, in dem der Logos als das Dritte dessen, was „beide [sc. Potenzen] vereiniget“ (τρίτον δὲ συναγωγὸν ἀμφοῖν μέσον εἶναι λόγον, λόγῳ γὰρ καὶ ἄρχοντα καὶ ἀγαθὸν εἶναι τὸν θεόν), eingestuft werde. Zusammenfassend stellt Corrodi klar, Philons δυνάμεις sowie λόγος haben ihren Ursprung in Platons „Trinitätssystem“.⁵⁵
AA Bd. 2.5, S. 96: „ββ) das abentheuerliche Sÿstem, das durch Anwendung alexandrinischer (in Alexandrien erhaltner) Begriffe aus der Platonischen und gesammten orientalischen Philosophie auf die jüdische kraße Mÿthologie entstand – Kabbala Kleuker über die Emanationslehre der Kabbala.“ AA Bd. 2.5, S. 96,9. Wolf 1727, S. 1203: „ita v. c. […] quae de Mose, disciplinis Aegyptiorum innutrito, praeter Scripturam V. T. quippe in qua nihil hujusmodi legitur, refert, eadem habet etiam Philo de vita Mosis p. 468.“ (in: „Liber VII. De Cabbala Judaeorum. Caput I. De Abbalae nomine & origine“) Corrodi 1781, S. 42. Corrodi 1781, S. 42. Corrodi übersetzt an dieser Stelle einen Auszug aus Abr. 121 ins Deutsche. Corrodi 1781, S. 43.
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v) Offenbar will Schelling sich auf Philons Religionsphilosophie stützen, die er für eklektisch hält und die als Modell dieses kabbalistischen Lehrgebäudes für die Vereinigung alexandrinischen und jüdischen Gedankengutes dient: „β) feineres speculatives nicht mÿthologisches System der Juden, das jene alexandrinische Begriffe – beinahe unvermischt mit jüdischen Ideen – durch allegorische Erklärungsart ins A. T. übertrug – Philo – apocrÿphische Bücher – Stahl in Eichorns Bibl. Bd. V.“⁵⁶ Hier bezieht er sich auf Philons allegorische Schriftexegese, mittels derer jener die nichtjüdischen metaphysischen Denkstrukturen Platons und der Alexandriner in den alttestamentlichen Text hineingelesen hätte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang Schellings Referenz auf Stahls Auslegung des philonischen Denkens „Versuch eines systematischen Entwurfs des Lehrbegriffs Philo’s von Alexandrien“. Dieser Autor war im 18. und 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum für seine umfangreiche und auf Deutsch verfasste Philondarstellung bekannt.⁵⁷ Es ist daher naheliegend anzunehmen, dass Schelling diesen Aufsatz zu Philons gesamtem System bereits während seiner Tübinger Studienzeit gelesen hat. Seine Bekanntschaft mit dieser Abhandlung könnte zudem implizieren, dass sie unter den Tübinger Stiftlern und Dozenten geläufig gewesen sei. vi) Am wichtigsten in diesem Entwurf zur Geschichte des Gnostizismus ist jedoch Schellings explizite Bezugnahme auf die philonische Trinität mit einer entsprechenden Erwähnung von drei verschiedenen Stellungnahmen hierzu, die er folgendermaßen klassifiziert: „tres potiss. sententiae sunt de trinitate Philoniana 1) eum reuera trinit. docuisse vid. Bull defens. Fidei Nicaenae S.I. C. I. & 16. 2) eum unum Deum ejusque diuersas virtutes docuisse – Souverain Platonisme devoilé C. X. Basnage Hist. des. Juifs L. IV. c. V. §. IX. 3) eum tres diuinas naturas, sed inaequales statuisse vid. Joh. Clerici Comm. In Jo. I. et Epp. crit. Ep. VIII [Hervorh. i. Orig.]“:⁵⁸ Ad 1) Schelling zufolge gehe Bull, der Theologe und Bischof von St. Davids, im ersten Kapitel „De Filii τῇ προϋπάρχει“ des erstens Teiles seiner apologetischen Schrift Defensio fidei Nicaenae von der Denkform der christlichen Trinität in Philons Philosophie aus. Bull sucht in einer Darstellung der jüdischen Nachweise, die für die Vorexistenz des Sohnes Gottes sprechen, die Wesensgleichheit von Philons Gottes- und Logosbegriff zu belegen.⁵⁹ Um diesen Standpunkt zu untermauern, greift er auf die in Agr. 51 dargelegte Allegorese von Ex 23,20 im griechischen Originalwortlaut zurück, in der Philon unter dem gottgesandten Schutzengel den
AA Bd. 2.5, S. 96,10 – 13. Stahl 1793, S. 767– 890. AA Bd. 2.5, S. 96,14– 19. Bull 1685, S. 23 – 25.
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Logos verstehe.⁶⁰ Darauf aufbauend möchte Bull den Sonderstatus des Logos als Lenker der gesamten Menschheit sowie der Naturgesetzmäßigkeit zuspitzen.⁶¹ Im Folgenden nimmt er mit ausführlichen Originalzitaten auf Philons Somn. 1.86 und 1.191– 194 Bezug, in denen die Erscheinungen Gottes in Genesis und Exodus für nichts anderes als Offenbarungen des Logos erklärt werden.⁶² Hierdurch scheine Philon in Übereinstimmung mit den christlichen Kirchenvätern mitteilen zu wollen, Gott und Logos seien wesensverwandt. Zwar ist in diesem Abschnitt zur philonischen Logoshypostase nicht explizit vom christlichen Trinitätsdogma die Rede. In der darauffolgenden Passage jedoch hält Bull bezüglich der Stellen, in denen Philon anscheinend den Logos gegenüber Gott als untergeordnet darstellt, fest, dass diese fehlerhafte Vorstellung nachvollziehbar sei, wenn man beachte, dass während der Zeitenwende das Geheimnis der heiligen Trinität noch nicht zutage getreten sei.⁶³ Gleichwohl bringt Bull Philons jüdischer Philosophie hohe Wertschätzung entgegen, insofern als Philo Judaeus „in diesem dunklen Zeitalter der Unwissenheit“ über Gottes wahre Natur zumindest die Gott-Logos-Wesensverwandtschaft postuliert habe.⁶⁴ Zudem scheint Bull – die vergöttlichenden Beschreibungen des Logos in Leg. 3.175, Opif. 24, 31 sowie Conf. 147 aufgreifend – andeuten zu wollen, Philons im Kern nicht-hierarchisches Verständnis des Gott-Logos-Verhältnisses sei als eine vorausdeutende Formulierung der christlichen Dreieinigkeitsidee einzuschätzen. Ad 2) In Bezug auf Philons Fassung der Dreieinigkeit, die eine Vorstellung von einem einzigen Gott neben der Vielzahl an den aus seinem Wesen hervorgehenden Kräften enthalte, weist Schelling sowohl auf Souverain als auch auf Basnage hin. Souverains trinitätskritische Schrift Le Platonisme dévoilé war seinerzeit eine der bekanntesten Quellen zur weithin akzeptierten dogmengeschichtlichen Hypothese, dass die Kirchenväter das Trinitätsdogma nicht der autoritativen Textgrundlage der christlichen Bibel, sondern eigentlich den Philosophien Platons und in dessen Folge Philons entnommen hätten.⁶⁵ Schelling beruft sich auch in
Bull 1685, S. 23 – 24. Bull 1685, S. 23 – 24. Bull 1685, S. 24– 25. Bull 1685, S. 25: „illud aetati, qua nondum Judaeis plene patefactum fuerit SS. Trinitatis mysterium, facile condonandum.“ Bull 1685, S. 25: „Imo mirandum potius hominem in tantis tenebris tam clare vidisse.“ In den Entwürfen nimmt Schelling nochmals Bezug auf dieses Werk in seiner von Löffler erläuterten und ins Deutsch übersetzten Aufgabe (Versuch über den Platonismus) bei der Thematik der Berührungspunkte zwischen den Kirchenvätern und der Gnosis auf (AA Bd. 2.5, S. 99,27: „Souverain über den Platon. D. Kirchenväter von Löfler“). Darauf macht bereits Franz in seiner
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einem auf den 29.4.1796 datierten Brief an seine Eltern – worauf Holz aufmerksam gemacht hat –⁶⁶ auf Löffler als „den Übersetzer und Commentator von Souverains Platonismus der Kirchenväter“.⁶⁷ In dieser polemischen Schrift „Untersuchung über den Philo [Philon éxaminé]“ widmet Souverain Philons Denken einen eigenen Abschnitt, in dem er unter Berücksichtigung der in Abr. 119 – 132 beschriebenen τριττὴ φαντασία zu dem Schluss kommt, Philon formuliere dort nicht eine Vorgestalt der christlichen Trinität, sondern stelle sich vielmehr „drey göttliche Verhältniße, oder Gott mit seinen zwey Kräften“ vor.⁶⁸ Denn bei seiner auf Gen 18 beruhenden Dreieinigkeitsvorstellung sei letztlich nicht die Rede von „drey Hypostasen oder drey verschiedene[n] Personen“, sondern ausschließlich von einer einzigen Person.⁶⁹ Resümierend ergebe sich daraus, dass „Platos und Philos Autorität, wenn sie als Schriftsteller angeführt werden, die von drei Verschiedenheiten in Gott sprechen, den Vertheidigern der Dreieinigkeit nichts [hilft]“.⁷⁰ Ergänzend dazu wendet sich Schelling dem protestantischen Theologiehistoriker Basnage zu, der sich in seiner Untersuchung zur Geschichte des Judentums⁷¹ ähnlich äußert. Schelling verweist auf den 9. Abschnitt des 5. Kapitels von dessen „Théologie mystique, enseignée par Philon“, in dem der theologiegeschichtlichen Fragestellung „Si les Juifs du tems de Jésus-Christ croioient la Trinité?“ nachgegangen wird.⁷² Analog zu Souverain thematisiert auch Basnage das Verhältnis zwischen Gott und seinen mannigfachen Mächten in Philons Sacr. 59 – 60 sowie Abr. 119 – 122. Daraus schlussfolgert er, dass Philon – ungeachtet der göttlichen τριττὰ φαντασίαι – von Gottes Überlegenheit seinen zwei ἀνωτάτω δυνάμεις gegenüber, der ἀρχή/ἐξουσία und ἀγαθότης/εὐεργεσία eindeutig ausgehe (Sacr. 60: θεόν, ὃς ὑπερκέκυφε τὰς δυνάμεις ἑαυτοῦ καὶ χωρὶς αὐτῶν
eindringlichen Untersuchung zu Schellings frühen Platon-Studien (Schellings Tübinger PlatonStudien) aufmerksam. Holz 1977, S. 24– 25. Dazu siehe auch: Franz 1996, S. 29 (insbes. Fn. 76); AA Bd. 1.1, S. 203 – 204: Fn. 61. SB Bd. 2, S. 97. Souverain 1792, S. 101. Souverain 1792, S. 100. Souverain 1792, S. 100. Histoire des Juifs, depuis Jesus-Christ jusqu’à présent. Pour servir de continuation à l’histoire de Joseph (1716). Philon steht im Mittelpunkt des gesamten Kapitels: Neben dem 9. Abschnitt ist er auch das Zentralthema vom 5. („Témoignage de Philon“), 11. („Témoignage de Philon“) und 13. („Philon, Copiste de Platon“) Abschnitt dieses Kapitels.
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ὁρώμενος καὶ ἐν αὐταῖς ἐμφαινόμενος). Dies widerspreche der antihierarchischen Auffassung der christlichen Trinität offenkundig.⁷³ Ad 3) Philons subordiniertes Verständnis der Dreieinigkeit drückt laut Schelling insbesondere der Schweizer Theologe Jean Leclerc in seinem 1695 vorgelegten Kommentar zum Johannesprolog aus, in dem er sich deutlich an dessen Logosbegriff ausrichtet. In dieser Analyse des Johannesevangeliums hat Philon seiner tiefgründigen Logostheologie wegen eine tragende Stellung, wovon seine systematische Gegenüberstellung des philonischen und des johanneischen Logosgedankens in den „11-seitigen Anmerkungen Johann Clericus“ zeugt.⁷⁴ Dort befasst er sich mit der Frage, ob Johannes im Vorfeld zur Verschriftlichung des Evangeliums Philon gelesen haben könnte. Trotz der unverkennbaren Parallelen zwischen beiden Logoskonzepten sieht er schließlich den wesentlichen Unterschied darin, dass Philon in Spec. 1.81 und Cher. 127 den θεοῦ λόγος lediglich als Gottes schöpfungsvermittelndes ὄργανον, Johannes hingegen als Gott selbst versteht.⁷⁵ Auch in Hinblick auf Philons Trinitätsgedanken in der einleitenden Anmerkung folgert Leclerc unter Beachtung von Abr. 119 – 132, jener lege diesen hierarchisierend aus, denn er führe Gottes zwei Leitkräfte auf seine strikte Einfachheit zurück.⁷⁶ Dass Schelling Philon in Verbindung mit der christlichen Trinitätslehre bringt, ist nicht verwunderlich, wenn man sich zusätzlich seine wiederholte Berufung auf Cudworths Untersuchung The True Intellectual System of the Universe. Wherein all the Reason and Philosophy of Atheism Is Confuted and Its Impossibility Demonstrated vor Augen führt. Cudworth vertritt nämlich die These, dass Philon neben Pythagoras, Platon und den Neuplatonikern in seiner „mosaischen Kabbala der Trinität“ („Mosaic cabala of the Trinity“) auch ein trinitarisches Drei-Hypostasen-System von πρῶτος θεός (welttranszendenter Gottvater), δεύτερος θεός (θεῖος λόγος als Gottes πρωτόγονος und ὁ ἐκ τῶν ἰδεῶν κόσμος) sowie τρίτος θεός (πρώτη ψυχή) voraussetze.⁷⁷
Basnage 1716, S. 103: „ainsi, ce seroint uni Imperfection de la Foi que de connoitre les deux Persones de la Trinité, & a d’aller au Pere par le Fils & par le Saint Esprit; & à propotion que l’Ame s’initie dans les Mysteres de la Foi, elle néglige ces deux Puissances, & n’adore que celui qui est [Hervorh. i. Orig.].“ AA Bd. 2.5, S. 96,18 – 19. Leclerc 1695 („XVIII. priora commata capitis primi Evangelii S. Joannis paraphrasi et animadversionibus illustrata à Joannes Clerico; Ubi demonstratur, contra Alogos, Evangelium hoc esse Foetum Joannis Apostoli, et evertitur sententia Fausti Socini, de sensu primorum ejus Evangeloo commatum“), S. 18 – 21. Leclerc 1695, S. 29. Leclerc 1695, S. 18 – 19. Cudworth 1678, S. 36. Abschnitt „The Trinity of the Pagans Derived from a Divine Cabala“: S. 728 – 731, 796.
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vii) Schelling fährt fort, Philons Logosbegriff unter Hinweis auf Ebr. 30 – 31 im Originalwortlaut zu verdeutlichen,⁷⁸ indem er die ἐπιστήμη – unter der Philon die in Spr 8,22 personifizierte ָחְכָמה/σοφία versteht – mit dessen Logoshypostase gleichsetzt: „Quid λογῳ suo sibi voluerit Philo patet loco libri de temulentia, vbi Deum dicit congressum esse cum επιστημη.“⁷⁹ Philon bedient sich an dieser Stelle biologischer Verwandtschaftsmetaphorik, um den Vorgang der Weltentstehung zu erklären: Gott als δημιουργός des Weltganzen ist in gleichem Maße der πατήρ des Gewordenen. Die μήτηρ des Gewordenen ist entsprechend die ἐπιστήμη, welche die Sinnenwelt in unmittelbarer Folge ihres intelligiblen Zeugungsaktes mit Gott als ihren einzig geliebten Sohn gebar.⁸⁰ Diese Schilderung verknüpft Schelling mit den Genealogien der „ernsthafteren“ Gnostiker, die ihn genau so wenig verwundern wie die obige Philon-Stelle: „Jam neque alios Philonis tropos mirabimur, neque etiam seriorum Gnosticorum γεναλογιας.“⁸¹ viii) Im nächsten Paragraphen findet sich notabene eine Bemerkung zu Philons Gotteslehre: „NB. Ipse adeo Philo innuere videtur, illam unius Dei diuisionem nonnisi hominum infirmitati dandam essen, quae haud possit diuinum nomen velut absolute – unum intueri.“⁸² Im vorliegenden Zitat scheint Schelling den Grundsatz von Philons Namenstheologie andeuten zu wollen, der auf Grundlage von Ex 3,14 LXX (᾿εγώ εἰμι ὁ ὤν) den Gottesnamen mit Platons metaphysischer Kategorie des Seienden (τὸ ὄν) gleichsetzt. Schelling spricht nämlich in diesem Zusammenhang von Menschen, die zum Begreifen des Namen Gottes in seiner absoluten Einheit nicht imstande seien, sondern die streng einheitliche Natur des einen Gottes teilen müssen.⁸³ Der von Schelling zitierte Auszug aus Ebr. 30: τὸν γοῦν τόδε τὸ πᾶν ἐργασάμενον δημιουργὸν ὁμοῦ καὶ πατέρα εἶναι τοῦ γεγονότος εὐθὺς ἐν δίκῃ φήσομεν, μητέρα δὲ τὴν τοῦ πεποιηκότος ἐπιστήμην, ᾗ συνὼν ὁ θεὸς οὐχ ὡς ἄνθρωπος ἔσπειρε γένεσιν. ἡ δὲ παραδεξαμένη τὰ τοῦ θεοῦ σπέρματα τελεσφόροις ὠδῖσι τὸν μόνον καὶ ἀγαπητὸν αἰσθητὸν υἱὸν | ἀπεκύησε, τόνδε τὸν κόσμον. AA Bd. 2.5, S. 96,20 – 21. Siehe dazu den Anfang von Souverains Ausführungen zu Philon: „Es ist offenbar, daß er in Absicht des Logos Gottes den Ideen des Plato genau folgt. Um sich hiervor zu überzeugen, darf man nur sein Buch de temulentia lesen [Hervorh. i. Orig.].“ (Souverain 1792, S. 91) Schelling hätte in diesem Zusammenhang auch von Löffler beeinflusst sein können, der im Anschluss an Souverain glaubte, die Logos-Weisheit-Gleichsetzung aus dieser Philon-Stelle herauslesen zu können (Souverain 1792, S. 400). Zur Erläuterung dieser Passage siehe: Runia 1986, S. 422. Vgl. Fug. 109. AA Bd. 2.5, S. 97,5. AA Bd. 2.5, S. 96,28 – 30. Anzumerken ist, dass Cürsgen in seiner Untersuchung Letztbegrü ndung und Geschichte Schellings Philosophie der Mythologie und Offenbarung von der Wirkung philonischen Gedankengutes auf Schellings systematisches Denken, auf dessen „fundamentale Unterscheidung von
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ix) Im Abschnitt (γ), den er den jüdischen Sekten widmet, nimmt Schelling Bezug auf die jüdisch-alexandrinischen Therapeuten, die Philon in De vita contemplativa idealisierend schildert: „Über Philos Therapeuten – Verschiedenheit von den Eßenern [Hervorh. i. Orig.]“.⁸⁴ Mit der „Verschiedenheit“ der beiden jüdischen Sekten deutet Schelling anscheinend die von Philon in Contempl. 1 vorgenommene Unterscheidung zwischen den Therapeuten und Essenern an. Diese bestehe darin, dass die ersteren „sich dem betrachtenden Leben widmen [περὶ τῶν θεωρίαν ἀσπασαμένων ἀκολουθίᾳ]“, die letzteren hingegen „dem tätigen Leben [τὸν πρακτικὸν … βίον] nacheiferten“.⁸⁵ Schelling scheint die Therapeuten neben den Essenern mit einem spekulativen Gedankengebäude (Intellektualsystem) zu identifizieren, in dem das Augenmerk nicht mehr ausschließlich auf „theoretische[…] Spekulationen“ bei einer Exegese des Alten Testaments gelegt worden sei, sondern zugleich auf den „praktischen Teil“ („– Therapeuten – Eßener, strengere, gelindere – Jesus!“). Zur Therapeutensekte führt er drei verschiedene Aufsätze und Stellen an, in denen Philon als Informationsquelle für die jüdischen Sekten im Mittelpunkt steht: (a) Cottas Versuch einer ausführlichen Kirchen-Historie des Neuen Testaments, § 96, 162 ff. Cotta verdeutlicht an der Stelle Eusebius’ Irrtum über dessen Vermutung, dass die Therapeuten Christen gewesen seien; (b) Montfaucons und Bouhiers Lettres pour et contre sur la fameuse question, Se led Solitaires, appellez Thérapeutes, dont a parlé Philon le Juif, étoient Chrétiens, Paris 1712; (c) die Dissertationsschrift von Lange De Therapeutis in Aegypto, e Philone Iudaeo demonstans, Therapeutas non fuisse Iudaeos, multo minus Christianos, sed philosophos barbaricos iudaizantes, Halle 1721.⁸⁶ x) Im Abschnitt (δ) „Empirisches System“ nimmt Schelling mit der Anmerkung „Atheos queritur“ Bezug auf Leg. 3.29 – 31 in der von Mangey veröffentlichten Ausgabe,⁸⁷ in dem Philon auf den atheistischen Standpunkt im Gegensatz zum religiösen Weltbild eingeht. Genauer: Philon unterscheidet dort zwischen zwei Geisteshaltungen, von denen die eine alles auf Gott (τοῦ τε τῶν ὅλων νοῦ, ὅς ἐστι θεός) als Urgrund und Geist des Ganzen zurückführe (theozentrisch), die
Daß und Was“, ausgeht: „Trotz einer Vielzahl von Unterschieden bleibt die Affinität zwischen Philon und Schelling in einigen grundlegenden Punkten unü bersehbar: zuvörderst die ontologische und epistemologische Differenz von Daß und Was, von Existenz und Essenz, von quod sit und quid sit.“ (2017, S. 256 – 258: Fn. 588) AA Bd. 2.5, S. 97,5. PCH Bd. 7, S. 48. Es liegt nahe, dass Schelling die Titel der Dissertationsschrift von Lange und „Lettres“ zuerst in Fn. 73 – 74 von Cottas Kirchen-Historie (S. 162– 165) fand und sich notierte, ohne diese theologiegeschichtlichen Quellen aus erster Hand zu kennen. AA Bd. 2.5, S. 97,20: „Allegor. legis L. III. p. 93 Opp. ed. Mang. T. I“.
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andere die Existenz Gottes ablehne und mithin ihren eigenen, partikulären Menschengeist (τὸν ἀνθρώπινον νοῦν) als αἴτιον von allem voraussetze (anthropozentrisch). xi) Auf § IX (S. 86 – 92) von H. E. G. Paulus’ Untersuchung zu den Quellen des Johannesevangeliums Bezug nehmend stellt Schelling die Frage, ob Philons πρῶτος θεός und δεύτερος θεός (Logos) mit dem gnostischen Gotteskonzept des Kerinthos – eine zu Schellings Zeit als Quelle der johanneischen Logostheologie angenommene Lehre –⁸⁸ vergleichbar sei: „Cerinthus statuit Deum Principum. An conferend[us] est Philoni, qui de θεῳ τῳ πρωτῳ et de θεῳ τῳ δευτερῳ loquitur?“⁸⁹ Paulus greift in diesem Abschnitt auf zentrale Stellen aus Philons Werken zurück, in denen Gott und Logos hierarchisierend als zwei Leitprinzipien dargelegt werden – wie etwa auf Leg. 3.207, das Philon-Fragment aus Eusebius’ Praeparatio evangelica 12.13, Leg. 2.86, Somn. 1.230 sowie Cher. 125 und 127 – um diese Verbindung zu begründen. Diese Gegenüberstellung zwischen Philon und Kerinthos zieht Schelling allerdings in Zweifel; er konstatiert am Ende: „Nonne Cerinthi sensus prorsus differt a sensu Philonis.“⁹⁰ Auch Schellings von 1790 bis 1793 datierende Kommentare zum Neuen Testament weisen zweifelsfrei Philonkenntnisse im theologiegeschichtlichen Bereich auf. Die Nachschrift aus seinem Studienheft „Über das Evangelium Johannis“ (1790/91), die er in Schnurrers Vorlesung zum Johannesevangelium notiert hat,⁹¹ offenbart kennzeichnende Referenzen zu Philons Philosophie. Diese Aufzeichnung fand die Beachtung von Arnold und Danz, den Herausgebern des vorliegenden Bandes der historisch-kritischen Schellingausgabe, wie sie am Ende ihres „Editorischen Berichtes“ hinsichtlich Philons Logoslehre eigens erwähnen.⁹² i) In Zusammenhang mit dem speziellen Interpretationsansatz, dem zufolge das Johannesevangelium als Gegenreaktion auf den Gnostiker Kerinthos angesehen werden solle,⁹³ spricht Schelling von Philons „Stillschweigen“ über die Gnosis. Mit der Anmerkung „Sehr viel Zweifel enthält“ führt Schelling in diesem Kontext Tittmanns Werk Tractatus de vestigiis gnosticorum in Novo Testamento an, in dem Philon insgesamt eine zentrale Stellung einnimmt. In dieser theologiegeschichtlichen Untersuchung sucht Tittmann zu belegen, dass im gesamten
Vgl. UPO, S. 462– 465, 472. AA Bd. 2.5, S. 98,24– 26. Zu H. E. G. Paulus in Hinblick auf Hegel und Schelling siehe: Henrich 2010c, S. 53 – 54. AA Bd. 2.5, S. 97,25 – 26. Auch Hegel besuchte Schnurrers Vorlesungen, worauf Dilthey hinweist: 1990a, S. 12. Vgl. dazu auch: Pöggeler 1974, S. 533. AA Bd. 2.3, S. 22– 23. AA Bd. 2.3, S. 27,3.
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Neuen Testament keinerlei Elemente der gnostischen Philosophie (gnostica philosophia) vorhanden seien. Mit dem Rückbezug auf Philons „Stillschweigen“ scheint sich Schelling auf Tittmanns Feststellung zu stützen, in Philons Religionsphilosophie sei nirgends die Rede vom Gnostizismus.⁹⁴ Tittmann nämlich thematisiert ebenfalls Philons Schweigen über die Gnosis.⁹⁵ ii) Soweit es den johanneischen Logosbegriff angeht, vertreten laut Schelling „andere“ den Standpunkt, Johannes habe diesen Terminus von Philons jüdischem Platonismus übernommen: III. andere: der Ausdruck sei aus dem Philo entlehnt. Er spricht häufig von einem λογος den er wahrscheinlich aus Platos Schriften entlehnt hat. Er meint aber nichts anders darunter: als die über alles erhabne Vorstellung Gottes von der Welt vnd der Ordnung vnd Symmetrie in derselben. Diesen λογος personificirt Philo, vnd nennt ihn Gottes ewigen Sohn, Allein ist’s wahrscheinlich dass Johannes Philo’s Schriften gele|sen hat, vnd er braucht’s ja in einem ganz andern Sinn. (AA Bd. 2.3, S. 29,3 – 9)
Drei Aspekte von Philons Logoslehre spricht Schelling damit an: (a) Platon sei die Primärquelle der philonischen Logoslehre; (b) in Anspielung auf Philons Gleichsetzung des λόγος θεοῦ mit dem κόσμος νοητός in Opif. 24 (οὐδὲν ἂν ἕτερον εἴποι τὸν νοητὸν κόσμον εἶναι ἢ θεοῦ λόγον ἤδη κοσμοποιοῦντος) bestimmt Schelling den Logosbegriff als Gottes intelligiblen Entwurf vom völlig ordnungsgemäßen Ideenkosmos; (c) Philon nehme mit der theologisch-biologischen Metaphorik der Gottessohnschaft eine Personifizierung des Logos vor. Wie Arnold und Danz im „Editorischen Bericht“ treffend erläutern,⁹⁶ bedient sich Schelling dieser Formulierung über Philons Logos aus Schnurrers Vorlesung zum Johannesevangelium auch später in seiner 26. Vorlesung über die Offenbarungsphilosophie.⁹⁷ Dort artikuliert er allerdings Zweifel an dieser Hypothese:⁹⁸ Dieser Zweifel klingt auch im obigen Passus nach, hält Schelling es doch für nahelie-
Tittmann 1773, S. 36. Tittmann 1773, S. 39. AA Bd. 2.3, S. 22– 23: „In seiner späten Interpretation des Prologs des ‚Johannes-Evangeliums‘ in den Vorlesungen über ‚Philosophie der Offenbarung‘ kommt Schelling auf die Frage zu sprechen, ob der vierte Evangelist den Logos-Begriff von Philo von Alexandrien übernommen habe. […] Mit denselben Worten diskutierte Schnurrer in Schelling Nachschrift der Vorlesung über das ‚Johannes-Evangelium‘ die These, daß Johannes den Begriff des Logos von Philo übernommen habe.“ UPO, S. 461: „Nun findet sich in der Tat, daß Philo von einem λογος spricht, der bei ihm nicht das Wort, sondern den Vorentwurf, die Urentwicklung der Welt, man könnte sagen, die Urvernunft bedeutet. Diesen λογος personifiziert er und nennt ihn auch im leicht begreiflichen Sinne Gottes ewigen Sohn.“ UPO, S. 461: „höchst zweifelhaft“.
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gend, dass Johannes Philon zwar gelesen, aber dessen Logos-Terminus wesentlich umgestaltet habe. Gleichwohl ist dieser Textabschnitt aussagekräftig, denn er erhärtet den Verdacht, dass die Prämisse von der Wirkung der philonischen Logostheologie auf das neutestamentliche Logoskonzept zu Hegels Studienzeiten im Tübinger Stift geläufig war. Infolgedessen muss es viele Stiftler, so auch Hegel, zur intensiven Auseinandersetzung mit Philons jüdischem Gedankengut bewogen haben. iii) Im darauffolgenden Philon-Verweis nimmt Schelling hinsichtlich der griechischen Pluralform von Blut αἱμάτων in Joh 1,13 Bezug auf Wettsteins „Beispiele“ für dessen griechische Singularform,⁹⁹ nämlich zwei Exempel aus Philons De specialibus legibus I (§§ 111 und 317) anführt.¹⁰⁰ Noch beachtlicher in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass Wettstein sich bei seiner Kommentierung des Johannesevangeliums im Novum Testamentum (1752, Bd. 1, S. 831– 966) auf zahlreiche Philon-Passagen im Originalwortlaut (74!) beruft.¹⁰¹ Dies verdeutlicht, dass Schelling und auch die anderen Stiftler, die sich solcher Kommentare bedienten, seinerzeit das Johannesevangelium und insbesondere den Johannesprolog unter häufiger Berücksichtigung von philonischen Leitmotiven interpretierten, um den ursprünglichen Sinn dieses Evangeliums ausmachen zu können. Allein in Hinblick auf Joh 1,1 kann man beispielsweise in Wettsteins Johanneskommentar 13 verschiedene Philon-Zitate finden. iv) Bei der Verwendung der Ausdrucksweise ἐκ πορνείας in Joh 8,41 beruft sich Schelling auf einen Auszug aus Philons Migr. 69,¹⁰² der besagt, „[e]in Abgötter ist ein Hurensohn [πολύθεος δὲ ὁ ἐκ πόρνης]“.¹⁰³ Wettstein 1752, S. 838. AA Bd. 2.3, S. 33,14. Wettstein 1752, S. 833 – 836 (Joh 1,1: Migr. 173, Somn. 1.148, QE 62 (PLCL Bd. 12, S. 203), Somn. 1.228 – 230 und 1.239, Fug. 100 – 101, Somn. 1.241, Opif. 24– 25, Agr. 51, Her. 201– 206 und 230 – 231, Mos. 1.32, Fug. 72) 836 (Joh 1,3: Spec. 1.81, Cher. 125 – 127, Leg. 1.40 und 1.96), 837 (Joh 1,4: Ios. 145 – 146), 838 (Joh 1,13: Spec. 1.111 und 1.317), 840 (Joh 1,16: Post. 145), 843 (Joh 1,29: Legat. 157 und 316, Spec. 1.168 – 169), 852, 854 (Joh 3,19: Spec. 1.54), 854– 855 (Joh 3,26: Legat. 103, Spec. 1.320 – 321), 856 (Joh 3,31: Opif. und 136, Leg. 1.31), 859 – 860 (Joh 4,10: Leg. 3.12– 13), 863 (Joh 4,24: Det. 20 – 21 und Deus 8), 865 (Joh 4,37: Mos. 1.281), 871 (Joh 5,13: Leg. 1.5), 871– 872 (Joh 5,17: Leg. 1.18 und Cher. 87), 872 (Legat. 118), 873 (Joh 5,18: Conf. 63), 876 (Joh 6,9: Spec. 2.175, 1.271 und 2.146), 877, 880 (Joh 6,32: Opif. 158, Sacr. 86, Fug. 136, Leg. 3.169, Det. 118, Congr. 173 – 174 und Fug. 138), 887 (Joh 7,23: Spec. 1.3 – 4), 892 (Joh 7,51: Spec. 3.52), (Joh 8,9: Ios. 48, Spec. 3.54, 4.6 und 4.40), 897 (Joh 8,29: Spec. 1.318; Joh 8,32: Prob. 1), 898 (Joh 8,33: Prob. 20), 899 (Joh 8,41: Conf. 144 und Migr. 69), 913 (Joh 10,35: Det. 161), 919 (Joh 11,19: Contempl. 15), 923 (Joh 12,20: Legat. 296 – 297), 934 (Joh 14.16: Mos. 2.134, Flacc. 13 und 22), 935 (Joh 14,27: Mos. 1.304), 944 (Joh 17,3: Fug. 78), 957 (Joh 19,34: Spec. 4.202; Joh 19,39: Conf. 184), 960 (Joh 20,25: Mos. 1.159), 961 (Joh 21,15: Det. 25), 966 (Joh 21,25: Ebr. 32 und Post. 144). AA Bd. 2.3, S. 78,11– 12: „So Philo de migr. Abr. p. 442 [Hervorh. i. Orig.].“
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v) In Bezug auf den Terminus παράκλητος in Joh 16,7 verweist er auf den in Opif. 23 beschriebenen unbedürftigen Charakter von Gottes gnadenvollem Schöpfungsakt, aus dem eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Natur entspringe.¹⁰⁴ Philons Religionsphilosophie ist auch für Schellings Verständnis der Paulusbriefe von hoher Relevanz, wie seine 1792 bis 1793 verfassten Kommentare zum Römer- sowie Galaterbrief bezeugen: i) In Zusammenhang mit Paulus’ religiöser Status-Bestimmung von Heiden in ihrem Verhältnis zu Juden angesichts seiner geistigen Gesetzesauffassung und δικαιοσύνη vor Gott in Röm 2,15 und 2,21 greift Schelling auf den vierten Band von Koppes Novum Testamentum Graece zum Römerbrief „complectens epistolam Pauli ad Romanos“ zurück.¹⁰⁵ Hier nimmt Koppe Bezug auf Philons Auffassung der vom göttlichen νόμος geprägten Menschenseele in Prob. 46 sowie Det. 23 und 58. Dass Schelling sich häufig des vierten Bandes von Koppes Novum Testamentum mit systematischer Erläuterung der Verse des Römerbriefes durch Anmerkungen bedient, gibt Aufschluss über seine Philonkenntnisse, denn Philon gilt dort als ein zentraler Bezugspunkt, auf den sich Koppe oftmals und zumeist ausführlich im Originalwortlaut beruft (77-mal!).¹⁰⁶ Auch aus diesem Kommentar
AA Bd. 2.3, S. 78,11– 12. AA Bd. 2.3, S. 108,11– 12: „Philo […] sagt: Gott habe die Welt erschaffen ουδενι παρακλητῳ.“ AA Bd. 2.4, S. 43,30. Koppe 1783, S. 53 f. Koppe 1783, S. XII–XIII: Fn. * (Legat. 155 – 156), 13 – 14 (Röm 1,14: Mos. 2.27), 16 (Röm 1,16 – 17: Abr. 268), 20 (Röm 1,20: Leg. 3.97), 23 – 24 (Röm 1,21: Somn. 2.62 und Legat. 139), 26 (Röm 1,25 – 26: Mos. 167 und Opif. 7), 32 (Röm 1,30: Flacc. 20), 32– 33 (Röm 1,31: Virt. 131), 37 (Röm 2,4– 5: Leg. 3.106), 43 – 44 (Röm 2,14: Abr. 276), 44– 45 (Röm 2,15: Prob. 46 und Det. 23), 56 (Röm 2,29: Migr. 92), 61 (Röm 3,5: Migr. 41), 73 – 75 (Röm 3,25: Mos. 2.96, Fug. 100 und Opif. 45), 76 – 77 (Röm 3,27: Sacr. 56), 78 (Röm 3,29: Virt. 35 und Spec. 1.52), 81, 82– 83 (Röm 4,3: Migr. 43 – 44 und Abr. 268), 86 (Röm 4,11: Spec. 1.8 – 9), 93 (Röm 4,17: Ios. 125), 99 (Röm 5,3: Mos. 1.146), 100 (Röm 5,5: Her. 31), 114 (Röm 5,20: Ebr. 157), 119 (Röm 6,5: Virt. 103), 123 (Röm 6,12: Leg. 4.188), 126 – 127 (Röm 6,16: Prob. 20 und Mos. 1.299), 131 (Röm 6,21: Leg. 3.212, Ios. 122 und Virt. 182), 132 (Röm 6,22: Somn. 2.100), 141 (Röm 7,10: Det. 49), 148 (Röm 7,19: Her. 270), 149 (Röm 7,22: Congr. 97), 155, 158 (Röm 8,7– 8: Opif. 74), 160 (Röm 8,10: Fug. 58), 163 (Röm 8,14: Conf. 145), 168 – 169 (Röm 8,19: Praem. 88 und Cher. 88), 169 (Röm 8,20: Cher. 88), 169, 179 (Röm 8,29 – 30: Agr. 51 und Conf. 146), 193 – 194 (Röm 9,4: Conf. 56 und Mos. 2.25), 201– 202 (Röm 9,7: Leg. 3.88 und Virt. 207), 214 (Röm 9,22: Prob. 6 aus Eusebius’ Pr. Ev. 8.14, 387), 215 (Röm 9,23: Leg. 1.34), 224– 225 (Röm 10,2: Legat. 117 und 210), 225 (Röm 10,3: Praem. 12– 13), 226 – 227 (Röm 10,5 – 11: Prob. 68), 234 (Röm 10,18: Mos. 2.2), 235 – 236 (Röm 10,20: Legat. 77), 248– 249 (Röm 11,16: Spec. 4.180), 257– 258, (Röm 11,28: Spec. 4.181 und Praem. 166), 263 (Röm 12,36: Spec. 1.201 und Prob. 75), 268 (Röm 12,6: Virt. 95), 273 (Röm 12,11: Mos. 2.280 und Prob. 24), 279 (Röm 12,21: PLCL Bd. 12, S. 228: Fr. 193), 282– 283 (Röm 13,4: Spec. 4.77 und Mos. 1.154), 283 (Röm 13,5: Her. 226), 286, 289 (Röm 13,13: Agr. 37), 291 (Röm 14: Mos. 2.41, Prob. 70 (aus Eusebius’ Pr. Ev. 8.14, 399) und Contempl. 37), 324 (Röm 15,28: Mos. 1.30).
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
zum Römerbrief wird demgemäß evident, wie Tübinger Stiftler zu Hegels Studienzeiten bei ihrer herkömmlichen Beschäftigung mit den Grundtexten der christlichen Religion gleichzeitig Vertrautheit mit Philons Denken gewinnen mussten. ii) In Bezug auf den paulinischen Glaubensbegriff in Röm 10,8 weist Schelling am Rande auf eine von Koppe angeführte „merkwürdige Stelle Philo’s“ in Prob. 68 hin, an der von der inneren Verwurzelung der Tugenden in der menschlichen Seele die Rede ist.¹⁰⁷ iii) Schelling meint das Kernprinzip von Paulus’ geistiger Schriftexegese ausdrücklich bei Philons Methode der allegorischen Bibelauslegung ausmachen zu können: Hier finden wir das Princip der Paulinischen Exegese des A.T. Diesem zufolge scheint Paulus wirklich nicht überall nur Accommodation des A.T. auf’s Neue gebraucht zu haben.Vielmehr hielt er höchstwahrscheinlich die zu seiner Zeit so sehr gewöhnliche allegorische Art, das A.T. zu interpretiren, für eine sehr gültige Erklärungsart. Er nahm wahrscheinlich an, daß der Sinn der Schrift gedoppelt seie, buchstäbliche und geistig (s. Philo) und daß der letztere neben dem ersten wirklich vom Schriftsteller oder vom πνευματι θεου intendirt worden seie. Der erstere war zunächst | für die Zeitgenoßen des Schriftstellers bestimmt, der letztere für die Nachwelt, die, belehrt durch Erfahrung und Geschichte, jenen geheimen Sinn nun erst auffinden und sich daran erbauen konnte. Diß ist wenigstens ungefähr Philos Gedanke. (AA Bd. 2.4, S. 108,1– 11)
Aus dem vorliegenden Zitat wird deutlich, dass Schelling Paulus’ Schriftauffassung (2Kor 3,6: τὸ γὰρ γράμμα ἀποκτέννει, τὸ δὲ πνεῦμα ζῳοποιεῖ) in der Philons angelegt sieht, die neben dem Literalsinn (τὸ ῥητόν/κατὰ ῥῆμα) von einer philosophischen Sinnebene (τὸ πρὸς διάνοιαν/κατὰ διάνοιαν) ausgehe, die Moses in der jüdischen Textgrundlage allegorisch verschlüsselt habe.¹⁰⁸ iv) Über die Ausdrucksweise ἱερουργοῦντα τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ in Röm 15,16 schreibt Schelling „So auch Philo“. Damit will er anscheinend andeuten, dass Philon ebenso das Verb ἱερουργέω gebrauche, das die tempeldienstliche Tätigkeit meint. v) Zur Erläuterung der Bedeutung der in Röm 3,25 eingeführten Formulierung ἱλαστήριον διὰ [τῆς] πίστεως ἐν τῷ αὐτοῦ αἵματι bezieht sich Schelling, vermutlich in Anlehnung an Koppes Novum Testamentum Bd. IV, 80,¹⁰⁹ auf Mos. 2.96 und
AA Bd. 2.4, S. 94,10 – 11. Zur prägnanten Zusammenfassung des von Philon postulierten Doppelsinnes der jüdischen Heiligen Schrift siehe: Runia 1993, S. 38 – 39; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 115 ff. Siehe dazu: AA Bd. 2.4, S. 357.
1.2 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts
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will anscheinend folglich Philons allegorischen Interpretationsansatz auf das paulinische Sinnbild der Gottesgnade durch den Tod Jesu übertragen: Der Sinn wäre also dieser: Wir können Xstum, insofern er gestorben ist, als ein Opfer betrachten, das uns der Güte Gottes versichert – (συμβολον τοις ιλεω του θεου wie Philo sagt) oder: Wir können Xstum, insofern er gestorben ist, als Sÿmbol der göttlichen Gnade ansehen […]. (AA Bd. 2.4, S. 117,23 – 28)
Dieser Philon-Passage zufolge vermag der tempeldienstliche Gegenstand des ἱλαστήριον „allegorisch gedeutet ein Sinnbild der Gnade Gottes […] zu sein [σύμβολον φυσικώτερον μὲν τῆς ἵλεω τοῦ θεοῦ δυνάμεως]“.¹¹⁰ vi) In Zusammenhang mit Paulus’ Anspielung auf Gen 21,10 in Gal 4,30 – „Im Urtext sind diß eigentlich Worte Sarah an Abraham [Hervorh. i. Orig.]“¹¹¹ – kommt Schelling auf „[ä]hnliche Beispiele von Allegorien in Philo“ zu sprechen, die im Band 4.5 von Eichhorns allgemeine[r] Bibliothek der biblischen Literatur von 1793 angeführt worden seien. Hierbei scheint Schelling Bezug auf Stahls Versuch eines systematischen Entwurfs des Lehrbegriffs Philo’s von Alexandrien zu nehmen: Dieser nämlich weist darauf hin, Philons θεῖος λόγος sei in Cher. 3, Somn. 1.195 – 196 und 1.239 – 240 vor Abraham, Sarah und Hagar in Engelsgestalt erschienen.¹¹² vii) In seinem kurzen Abschnitt über den paulinischen πίστις-Begriff „ΙΙΙ. De sensu vocis πιστις“ verweist Schelling auf eine „sehr merkwürdig[e] […] Stelle bei Philon, die Koppe bei Rom. I, 14 anführt“.¹¹³ Mit diesem Philon-Zitat aus Mos. 2.27 will Koppe Paulus’ Unterscheidung zwischen Griechen und Barbaren (Ἕλλησίν τε καὶ βαρβάροις, σοφοῖς τε καὶ ἀνοήτοις ὀφειλέτης εἰμί) in Röm 1,14 verdeutlichen.¹¹⁴ Um die These, Philon habe zu Hegels Studienzeit im Tübinger Stift zum Allgemeinwissen eines Theologiestudenten gehört, noch tiefer fundieren zu können, wird im Folgenden das Verhältnis der am Ende des 18. Jahrhunderts dort tätigen Theologieprofessoren zur philonischen Religionsphilosophie näher untersucht. Philons Relevanz als Lehrgegenstand im Stift lässt sich anhand der Tübinger Dozenten (1) Flatt, (2) Storr und (3) Rößler besonders deutlich nachweisen: 1) Beispielhaft für einen versierten Philonkenner ist Flatt, für dessen Vorlesungen sowie Abhandlungen Philons Denken ein zentraler Anhaltspunkt ist. In einem Kapitel seiner 1785 vorgelegten Schrift Vermischte Versuche, „Etwas über
PCH Bd. 1, S. 320. AA Bd. 2.4, S. 282,23. Stahl 1793, § 40: S. 833 – 834. AA Bd. 2.4, S. 298,14– 15. Koppe 1783, S. 12.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
die Beziehung der Lehre Jesu von seiner Person auf die Denkart der Palästinensischen Juden“, wird dies besonders evident, denn dort widmet er einen eigenen Abschnitt Philons jüdischer Logoslehre.¹¹⁵ Er geht der Fragestellung nach: „Leitet nicht vielleicht Philo […] auf den Schluß hin, daß sich die Juden ihren Meßias ungefähr so, wie Johannes seinen Logos, gedacht haben? [Hervorh. i. Orig.]“¹¹⁶ Er versucht hier vor diesem Hintergrund den Sinn von Philons Logosbegriff zu erschließen: „Es ist würklich unleugbar, daß Philo mehr als einmahl von einem λογος spricht, und daß er diesen als πρωτογονος Θεου υιος, als δημιουργος u.s.w. beschreibt.“¹¹⁷ Dabei arbeitet Flatt zwei seiner Ansicht nach scheinbar widersprüchliche Aspekte von Philons θεῖος λόγος heraus: einerseits unter Berücksichtigung von Opif. 24, Leg. 1.81, Cher. 36 und 127 den Logos als „ein für sich bestehendes Wesen“, dem als εἰκὼν θεοῦ eine erschaffungsvermittelnde (Opif. 24, Leg. 1.81 und Cher. 127) und ordnungsstiftende (Cher. 36) Funktion zukomme, andererseits unter Berufung auf Agr. 51, Somn. 1.229 – 230 und Her. 205 den Logos als „ein personificirtes Abstraktum – eine personificirte Eigenschaft oder Würkung Gottes“, die Philon sich u. a. als πρωτόγονος υἱός (Agr. 51), πρεσβύτατος ἀρχάγγελος und πρεσβευτής (Her. 205) vergegenständliche.¹¹⁸ Letztlich vermeidet er allerdings ein eindeutiges Urteil, denn er „wage es nicht, über die Vereinigung dieser scheinbaren Widersprüche in dem System eines Mannes zu entscheiden, in dessen Kopf so manche eigene Ideen – in dessen Kopf Jüdische und Griechische Philosophie zusammen wohnten“.¹¹⁹ Gleichwohl scheint er der Auffassung zu sein, diese Widersprüchlichkeit von Philons Logoslehre sei unter Beachtung von Her. 230 – 231 als scheinbar zu bewerten, denn dort sehe Philon auf der Basis einer Auslegung von Gen 1,27 beide Aspekte des Logos in Übereinstimmung: Unter dem Logos als strikt unteilbarem νοῦς sei sowohl das εἰκὼν θεοῦ außergöttlich als „eine Art von äußerlichem Abdruck des zur Gottheit selbst gehörenden λογος“ wie auch der übermenschliche ἀρχέτυπος innergöttlich als das „in der Gottheit selbst existirende[…] Urbild[…]“ zu verstehen.¹²⁰ In Hinblick auf seine Kernfrage hegt Flatt schließlich Zweifel daran, dass Philons Logoslehre überhaupt der damaligen „Denkart der palästinischen Juden“ entsprochen habe,¹²¹ denn diese könne auch nur seine „Privatmeinung“ gewesen
Flatt 1785, S. 240, 247– 252, 264, 267. Flatt 1785, S. 247 (Hervorh. i. Orig.). Flatt 1785, S. 247. Flatt 1785, S. 247– 250. Flatt 1785, S. 250. Flatt 1785, S. 251. Flatt 1785, S. 251: „so läßt sich wenigstens von Philo’s Meinung nicht auf die Idee aller […] Palästinensischen Juden schließen [Hervorh. i. Orig.].“
1.2 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts
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sein.¹²² Schließlich hält Flatt an einem wesentlichen Unterschied zwischen christlichem und jüdischem Messiasglauben fest, hebt dabei aber gleichermaßen die besondere Nähe zwischen Philons weltschöpferischem und ordnungsschaffendem Logoskonzept als δεύτερος θεός (QG 2.62) und der neutestamentlichen Logosvorstellung hervor: „Und wie leicht wäre nicht für die Beantwortung dieser Frage gewesen, wenn sie sich den Meßias nicht blos als Mensch, sondern zugleich als Genossen der Weltschöpfung und der ganzen Regierung Gottes – wenn sie sich ihn auch nur, wie Philo seinen λογος, seinen δευτερος Θεος, gedacht hätten [Hervorh. i. Orig.].“¹²³ Ein ähnlicher Interpretationsansatz findet sich auch in Flatts 1788 verfasstem Aufsatz zur christlichen Lehre von der Göttlichkeit Jesu in ihrem symbolhaften Sinne „Commentatio, in qua symbolica ecclesiae nostrae de deitate Christi sententia probatur et vindicatur“, in der er ebenfalls auf die Affinität zwischen philonischem und neutestamentlichem Logosbegriff aufmerksam macht. Grundsätzlich will er den ursprünglichen gedanklichen Sinn der johanneischen Logosvorstellung im Rückbezug auf Philons materialreiche Logostheologie ausfindig machen. Auf Philons Logoskonzept geht Flatt größtenteils im fünften Paragraphen „a. Reale discrimen patris et filii“ dieser Abhandlung ein, um an dessen Beispiel die Differenz zwischen Gottvater und -sohn im Johannesprolog festzumachen. Auch hier greift der Autor auf den philonischen θεῖος λόγος als göttliche Vernunft zurück¹²⁴ und zählt dabei die vielfältigen Vorstellungen des Logos auf; im Einzelnen zu nennen wären etwa πρωτόγονος, ἄγγελος πρεσβύτατος, ἀρχάγγελος, ὁ ἑρμηνεὺς τοῦ θεοῦ sowie εἰκὼν θεοῦ.¹²⁵ Im Rahmen der Fleischwerdung der in Joh 1,14 geschilderten Logos-Entität zitiert Flatt ebenfalls die Textstellen im griechischen Originalwortlaut Opif. 134, Somn. 1.34 und Det. 83, in denen Philon, von Gen 2,7 ausgehend, die Göttlichkeit der menschlichen Natur als wesensverwandtes Abbild des θεῖος λόγος unterstreiche.¹²⁶ Auch in seiner Erläuterung der schöpferischen Vermittlerkraft der in Joh 1,3 und 1,10 beschriebenen Logosvorstellung in §§ 6 – 9 rekurriert Flatt in Zusammenhang mit Hebr 1,10 und Kol 1,16 auf Spec. 1.6 sowie auf Gig. 60. Mit dieser Bezugnahme auf Philon
Flatt 1785, S. 251– 252. Flatt 1785, S. 267. Siehe hierzu auch: Flatt 1785, S. 250, Fn. *: „[…] wo Philo sagt, daß Gen. XXXI, 13. unter dem ο Θεος (mit dem Artikel) der höchste Gott und unter Θεος (ohne Artikel) der πρεσβυτατος Θεου λογος verstanden werde [Hervorh. i. Orig.].“ Flatt 1788, S. 157: „intellectum Divinum ( חכמהProv. VIII.), vel universe uim Divinam [Hervorh. i. Orig]“ Flatt 1788, S. 166 – 167. Flatt 1788, S. 162– 163: Fn. 31– 32.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
glaubt Flatt beispielsweise die Formulierung ἐν τοῖς οὐρανοῖς καὶ ἐπὶ τῆς γῆς τὰ ὁρατὰ καὶ τὰ ἀόρατα aus Kol 1,16 verdeutlichen zu können.¹²⁷ Flatts Auseinandersetzung mit philonischem Gedankengut beschränkt sich jedoch keineswegs ausschließlich auf eine Exegese des Johannesprologs. In seinen umfangreichen Vorlesungen zu den Paulusbriefen im Stift greift er z. B. nicht weniger als 83-mal auf Philon als entscheidende Informationsquelle zurück, wodurch er den Corpus Paulinum sowohl philologisch als auch theologiegeschichtlich kontextualisiert und beleuchtet: – In den Vorlesungen über die Briefe Pauli an die Galater und Epheser wird auf Philon 38-mal verwiesen.¹²⁸ – In den Vorlesungen über die Briefe Pauli an den Timotheus und Titus bezieht sich Flatt auf Philon 21-mal.¹²⁹ – In den Vorlesungen über die Briefe Pauli an die Philipper, Kolosser, Thessalonicher und an Philemon kommt Flatt auf Philon 14-mal zu sprechen.¹³⁰
Flatt 1788, S. 183 – 184: Fn. 82. Flatt 1828, S. 14 (Gal 1,14: ζηλωτὴς), 17– 18 (Gal 1,18: ἱστορέω), 87 (Gal 3,5: ὁ ἐπιχορηγῶν), 90 (Gal 3,8: προευαγγελίζομαι), 97 (Gal 3,10: Congr. 125), 110 (Gal 3,15: κατὰ ἄνθρωπον), 115 (Gal 3,17: Conf. 193), 122 (Gal 3,19: δι’ ἀγγέλων), 123 (Gal 3,19: Mos. 2.166), 146 – 147 (Gal 4,2: προθεσμίας), 168 (Gal 4,19: ὠδίνω), 171 ff. (Gal 4,24: Cher. 25), 181 (Gal 4,27: ῥῆξον), 185 (in Bezug auf eine allegorische Deutung von Gal 4,31), 187 (Gal 5,1: Τῇ ἐλευθερίᾳ), 225 (Gal 6,9: ἐκλυόμενοι), 250 (Gal 3,16: Her. 8 und Somn. 1.3), 295 (Eph 1,3: εὐλογήσας), 304 (Eph 1,4: πρὸ καταβολῆς κόσμου), 312 (Eph 1,8: Mos. 1), 329 (Eph 1,11: Leg. 2.51– 52), 330 (Eph 1,11: Leg. 4.180), 370 (Eph 1,23: Mos. 2.238: ὁ πάντα διὰ πάντων πεπληρωκὼς), 386 (Eph 2,3: φύσει), 391 (Eph 2,7: Leg. 1.34), 394 (Eph 2,10: οἷς προητοίμασεν), 442 (Eph 3,17: Opif. 41), 453 (Eph 4,2: ἀνέχεσθαι τινος), 463 (Eph 4,9: τῆς γῆς), 479 (Eph 4,14: Spec. 1.44), 481 (Eph 4,15: Spec. 3.68), 488 – 489 (Eph 4,19: ἀπηλγηκότες), 490 (Eph 4,19: Praem. 121), 502 (Eph 4,31: πικρία), 553 (Eph 6,11: Migr. 158), 572 (Eph 6,19: Legat.). Flatt 1831, S. 61 (1Tim 2,10: Contempl. 3), 64 (1Tim 2,13: πλάσσω), 73 (1Tim. 3,2: ἀνεπίλημπτος), 147 (1Tim 5,6: ζῶσα τέθνηκεν), 162 (1Tim 5,11: παραιτέομαι), 187 (1Tim 6,4: ὑπόνοιαι πονηραί), 189 (1Tim 6,5 in Bezug auf Philons Darstellung der Essener als altruistische Menschen), 192 (1Tim 6,7– 8: οὐδὲν εἰσηνέγκαμεν und σκεπάσματα), 194 (1Tim 6,10: περιπείρω), 215 (1Tim 6,20: παρακαταθήκη/παραθήκη), 267 (2Tim 2,22: νεωτερικὰς ἐπιθυμίας), 278 (2Tim 3,4: Agr. 88), 292 (2Tim 3,16: Legat. 210 mit der Bemerkung „Die Juden hatten damals (wie Philo) strengere Begriffe von Inspiration“), 296 (2Tim 3,17: ὁ τοῦ θεοῦ ἄνθρωπος), 340 (1Tim 4,2, 6,5, 2Tim 3,5 in Bezug auf Philons Essenerbeschreibung), 358 – 359 (Tit 1,10: οἱ ἐκ τῆς περιτομῆς unter Berücksichtigung von Philons Legat.), 360 – 361 (Tit 1,12: Mos. 1.178 und Ios. 210), 606, 627 (Rekurs auf Philon hinsichtlich Paulus’ Beschreibung der jüdischen Geisteshaltung: „Von Philo könne man auch keinen Gegenbeweis hernehmen; denn dieser sey ein alexandrinischer Jude, und kein eifriger Pharisäer gewesen.“). Flatt 1829, S. 76 (Phil 3,12: Leg. 3.74), 171 (Kol 1,16 in Bezug auf τὰ πάντα ἐν τοῖς οὐρανοῖς schlussfolgert Flatt: „Die Stellen aus Philo beweisen nichts“), 241– 242, Fn. * (Kol 3,5 in Hinblick auf die Plural-Imperativform von νεκρόω unter Berücksichtigung von Philons dreifacher Einteilung der menschlichen Seelentypen in Gig. 60 – 67), 258 (Kol 3,22 bezüglich der Affinität zwischen
1.2 Philo Judaeus im Curriculum des Tübinger Stifts
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In den Vorlesungen über die beyden Briefe Pauli an die Corinthier thematisiert Flatt Philon siebenmal.¹³¹ In den Vorlesungen über den Brief Pauli an die Römer greift Flatt dreimal auf Philon zurück.¹³²
2) Flatts Lehrer, der Tübinger Theologieprofessor Storr, erweist sich ebenfalls als gründlicher Kenner philonischen Gedankengutes, von dem oftmals in seinen Vorlesungen und Aufsätzen die Rede ist.¹³³ Bezeichnend dafür dürfte seine wirkmächtige Programmschrift De sensu historico sein, in der es hauptsächlich um die Widerlegung der Akkommodationsthese geht, welche die grundsätzliche Vereinbarkeit des Neuen Testaments mit den rabbinischen Ansichten während der apostolischen Zeit postuliert. Storr rückt Philons Methode der allegorischen Schrifterklärung in den Mittelpunkt des 14. und 20. Abschnittes. An erster Stelle rekurriert er auf Philon als einen jüdischen Platoniker, dessen Begriffe teilweise auch im Neuen Testament vorliegen. Dabei hält er fest, dass dessen Gedanken nicht ohne Vorbehalt mit der communis opinio der Juden seinerzeit gleichzusetzen seien, sondern in gleichem Maße der platonischen Philosophie entstammen könnten.¹³⁴ Am Beispiel von Philons markanter Angelologie – der zufolge: „quod ex Philonis sententia animae, daemones & angeli non differunt inter se nisi uno nominem, sed aër plenus est animarum, quoas philosophi daemonas appellant,
der paulinischen Verhaltensregel des Gehorsams und Philons Essener- sowie Therapeutendarstellung in Prob. und Contempl.), 286 ff. (drei Philon-Verweise hinsichtlich Philons Beschreibung der Essener und Therapeuten), 294 (in Bezug auf Philons Eklektizismus und Engelauffassung), 296 – 297 (auch hier in Bezug auf Philons Bild der Essener und Therapeuten), 340 (1. Thess 4,4: σκεῦος), 353 (1. Thess 4,15: ἡμεῖς οἱ ζῶντες), 454 (Phlm 10: ὃν ἐγέννησα). Flatt 1827, Bd. 1, S. 53 (1Kor 2,13: συγκρίνω), 1.181 (1Kor 9,1– 2: ἔργον), 1.244 (1Kor 11,13: Ἐν ὑμῖν αὐτοῖς), Bd. 2, S. 23 (2Kor 2,6: ἐπιτιμία), 2.144 (2Kor 10,4 in Bezug auf die Ausdrucksweise καθαίρεσιν ὀχυρωμάτων), 2.170 (2Kor 11,20 in Bezug auf ἐπαίρεται), 2.172 (2Kor 11,23: ἐν θανάτοις πολλάκις). Flatt 1825, S. 79 (Röm 3,25: ἱλαστήριος), 96 (Röm 4,5: ἀσεβῆ), 264 (Röm 8,26: τὸ πνεῦμα συναντιλαμβάνεται). Es sei hierbei daran erinnert, dass auch Hegel einige Mitschriften von Storr in seiner Bibliothek besaß: Schneider 2010, S. 75: Nr. 31– 32: „39 lateinische Abhandl. von Profess. der Univers. Tübingen aus den Jahren 1770 – 90. exeget. Abhandl. v. Ch. F. Schnurrer: ad Psalm LXXVIII, da Ps. CVII. ad Obadiam, ad quaedam loca Jobi &c. – Desgl. v. G. Ch. Storr, ad epist. ad Phillip, ad Coloss. de Marcione, de cathil. Episstt. &c. philos. Abhandlung v. Ploucquet, mathem. von Peleiderer, Dissert. von F. W. G. Schelling, de malorum origine, Gelegenheitsreden“. Zu Storr in Zusammenhang mit Hegels und Schellings Tübinger Jahren siehe weiterführend: Dilthey 1990a, S. 9 – 11 sowie Henrich 2010c, S. 54– 61. Storr 1778, S. 34: „Neque enim Philo solum ex Platonis aliorumque philosophia haud pauca haufit, quae a vulgari Judaeorum sententia abhorrebant [Hervorh. i. Orig.].“
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Moses angelos vocat“ –,¹³⁵ basierend auf Gig. 6 – 9, 16 – 17, Somn. 134– 136, Plant. 14, Sacr. 5 und Mut. 30, sucht Storr diesen Standpunkt nachzuweisen. Dabei nämlich kann er darauf hinweisen, dass die Pharisäer beispielsweise im offenkundigen Unterschied zu Philon von Folgendem ausgingen: Die Engel existierten unabhängig von Menschenseelen. Für ihn ergibt sich daraus, dass Philon nichts anderes vertrete als seine Privatmeinung. Davon abgesehen sei Philon der Auffassung, Engel könnten konzeptionsgemäß nicht böse sein (Gig. 16 und Conf. 176 – 177), womit er gegen die seinerzeit vertretene jüdische Lehrmeinung explizit verstoße (Gig. 16).¹³⁶ Im 20. Abschnitt dieser theologischen Untersuchung zur schriftexegetischen Methodologie nimmt Storr sich vor, „alle Ansätze zu einer allegorisierenden Bibeldeutung […] als hermeneutisch unzulässig abzuweisen“.¹³⁷ Diese supranaturalistische Tendenz von Storrs Programmschrift verdeutlicht Franz in seiner Schrift Tübinger Platonismus pointiert: Wenn die Verfasser der Evangelien also von Jesus berichteten, er sei über das Wasser gegangen, dann ist dieses „Wunder“ weder wegzuallegorisieren noch durch einen auf Seiten der Evangelisten angenommenen bewussten Akt der Akkomodation an die Erwartungshaltung der Zeitgenossen wegzuerklären. (Franz 2012, S. 23)
An ebendiesem Punkt sucht Storr unter Berufung auf Philons allegorische Schriftauslegungsmethode zu untermauern, dass auch eine Akkommodation des Neuen Testaments mit Philons allegorisierendem Interpretationsansatz gänzlich inadäquat sei.¹³⁸ Diese Unzulässigkeit sei einerseits darin begründet, dass die allegorische Methode keinen affirmativen Ausdruck in der neutestamentlichen Textgrundlage habe, andererseits darin, dass es keinerlei Belege für eine übergreifende Prävalenz der allegorischen Bibelexegese unter den Juden der Zeitenwende gegeben habe, wie auch Philons Conf. 190 sowie Spec. 2.147 erkennen ließen. Dort stelle Philon selbst fest, die Methode der Allegorie sei neu und werde von vielen Juden in ihrer Anwendung auf die jüdischen Heiligen Schriften als illegitim eingestuft.¹³⁹ Vor diesem argumentativen Hintergrund nimmt Storr an,
Storr 1778, S. 34. Storr 1778, S. 35 – 36. Franz 2012, S. 23. Storr 1778, S. 53 – 54. Storr 1778, S. 53 – 54. S. 53: „Et Philo etiam haud obscure docet, sua aetate novam ipsique cum paucis forte aequalibus communem fuisse allegoricam sacrarum literarum interpretationem, ad quam haud dubie non ab aliis antiquioribus Judaeis [Hervorh. i. Orig.].“ In Anmerkung Nr. 166 hält er es jedoch unter Vorbehalt von Contempl. 28 – 29, 78 sowie Prob. 82 für möglich, dass
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Philon bediene sich der Allegorie primär als Folge seiner eigenen Beschäftigung mit platonischem Gedankengut.¹⁴⁰ Dadurch kann er schließlich implizieren, dass der Gebrauch dieser schriftexegetischen Methode während der apostolischen Zeit äußerst selten gewesen sei und darum auch im Neuen Testament grundsätzlich nicht vorkomme.¹⁴¹ Auch Josephus sei kaum als Indiz für die weitgehende Verbreitung der allegorischen Methode vorzubringen, da er ebenso wie etliche Juden und Christen erst während der nachapostolischen Zeit von Philons Bibelhermeneutik (philonis hermeneutica) beeinflusst gewesen sein könne.¹⁴² Selbst die allgemeine Bekanntheit der allegorischen Technik unter den Juden im apostolischen Zeitalter angenommen, impliziere nicht, dass die frühen Christen von ihr überzeugt gewesen sein müssten.¹⁴³ Storr fährt daraufhin unter Bezugnahme auf Opif. 157 und Migr. 89 fort, sich mit Prämissen von Philons „unwissenschaftlichem Interpretationsverfahren“ der Allegorik auseinanderzusetzen.¹⁴⁴ Ungeachtet Storrs grundsätzlicher Absicht, die jüdischen Elemente von den christlichen Grundtexten zu trennen, machen seine Erläuterungen zu den Paulusbriefen zugleich ersichtlich, dass er doch von einer besonderen Nähe Philons zum Neuen Testament ausgeht: – In seinem Kommentar zum paulinischen Hebräerbrief greift er beispielsweise 32-mal auf Philon zurück.¹⁴⁵
bereits die Therapeuten- sowie Essenersekte die allegorische schriftexegetische Methode angewendet haben. Storr 1778, S. 53. Storr 1778, S. 53: „Christi certe aetate, cui tamen hujus generis argumenta ad hominem etiam tribui solent, praefertim in Palaestina, methodus ista certo non viguit, nec valde credibile videtur, eam brevi tempore ita communi usu apud Judaeos receptam suisse, ut apostolis caussa fuerit, quomobrem eadem ipsi quoque uterentur [Hervorh. i. Orig.].“ Storr 1778, S. 53 – 54. Storr 1778, S. 54. Storr 1778, S. 54– 55. Auch im 25. und 26. Abschnitt rekurriert er in Zusammenhang mit der Affinität von Paulus zu Philon auf Conf. 165 und Mos. 1 (Storr 1778, S. 63 – 64: Fn. 190, 192). Storr 1809, S. 56 (Einleitung § 8: LVI), 86 (Einleitung § 12: LXXXVI) (in Bezug auf den Terminus ἑβραίων mit dem Hinweis, dass damit eine Religionsbezeichnung gemeint sein könne), 5 – 6, Fn. (h) (Hebr 1,3: Her. 112– 113), 12, Fn. (q) (Hebr 1,6: Leg. 3.31), 20 – 21, Fn. (q) (Hebr 2,2: Decal. 10 – 14, 44), 94, Fn. (u) (Hebr 6,1: τὴν τελειότητα), 95, Fn. (x) (Hebr 6,1: Conf. 36), 120, Fn. (k) (Hebr 7,11: Virt. 81), 136, Fn. (o) (Hebr 8,2: Mos. 2.71), 143 – 144, Fn. (f) (Hebr 8,5: Opif. 157), 154, Fn. (n) (Hebr 9,3: Spec. 2.194: ἁγίων ἁγιωτέραν), 155, Fn. (o) (Hebr 9,4: Leg. 1.72), 165, Fn. (o) (Hebr 9,11: Mos. 2.88), 198, Fn. (r) (Hebr 10,3: ἀλλ’), 200, Fn. (x) (Hebr 10,5: εἰσερχόμενος εἰς τὸν κόσμον), 206, Fn. (a) (Hebr 10,7 in Bezug auf ἐν κεφαλίδι βιβλίου γέγραπται in der Verdeutlichung seiner Leitthese hinsichtlich Philons Allegoresen im Rückgriff auf Contempl. 8, 28 – 29, Conf. 190 und Spec. 2.146 – 147: „Allein ich muß gestehen, daß ich die allegorische Erklärung der Schrift, die sich Philo
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Auch in anderen Kommentaren Storrs zu den Paulusbriefen dient Philon als bedeutende Erkenntnisquelle, insbesondere bei der Exegese der Briefe an die Kolosser, Korinther und Philipper:¹⁴⁶ – In seiner Erläuterung des Kolosserbriefes „Interpretatio partis prioris epistolae ad Colossenes“ sowie „Interpretatio partis alterius epistolae ad Colossenes et epistolae ad Philemonem“ erwähnt er Philon 13-mal.¹⁴⁷
und schon vor ihm die Therapeuten […] erlaubten, ganz und gar nicht als Beweis für die nemlich Gewohnheit anderer Juden im Zeitalter Christi und der Apostel ansehen kann, weil die Therapeuten nicht einmal mit den Juden in Aegypten Umgang hatten […] und von dem, auch ägyptischen, Philo auf andere Juden ausser Aegypten, und überhaupt auf Juden, die weder Plato noch andere Philosophen gelesen hatten, um so gewisser kein Schluß gilt, da Philo selbst seine Art zu allegorisieren von der alten Allegorie, welche, z. B. bei der Osterfeier, den wirklichen Zweck, der Solennität aufsuchte, deutlich genug unterscheidet […] und jene als etwas ungewöhnliches, von andern bestrittenes, vertheidigt […]. Hierzu kommt noch, daß in allen jüdischen Anführungen der Schrift, wovon im N. T. historische Nachrichten vorkommen […] keine Spur des Allegorisirens anzutreffen ist“), 211, Fn. (i) (Hebr 10,11: Spec. 1.96 – 97), 227, Fn. (b) (Hebr 10,29: Leg. 3.106 (δίκης ἀξιοῦσθαι), den er folgendermaßen übersetzt: „gestraft werden, wenn er schreibt, „nicht nur sonst, sondern auch da halte Gott das Uebel zurük, wo jemand sich verfehlt habe, wo es also auch recht verhältnismässig (αξιον) wäre, daß er mit Strafe belegt würde“), 232, Fn. (s) (Hebr 10,33), 246, Fn. (k) (Hebr 11,4: λαλεῖ), 250, Fn. (z) (Hebr 11,8: καὶ ἐξῆλθεν μὴ ἐπιστάμενος ποῦ ἔρχεται), 250, Fn. (b) (Hebr 11,9 in Bezug auf ἐν σκηναῖς κατοικήσας und das Fremdsein (ὡς ἀλλοτρίαν) Abrahams), 256 Fn. (d) (Hebr 11,16: οὐκ ἐπαισχύνεται αὐτοὺς), 282, Fn (k) (Hebr 12,1: ὄγκος), 307, Fn. (u) (Hebr 12,23 in Bezug auf ἀπογεγραμμένων ἐν οὐρανοῖς als „Himmelsbürger“ im Verweis auf einen Passus aus Philons Somn. 1.39 mit einem Zitat auch in der Übersetzung: „die in dem grösseren Vaterlande das Bürgerrecht haben, die Weltbürger“), 321, Fn. (y) (Hebr 12,27: Abr. 18: ἡ γὰρ μετάθεσις τροπὴν ἐμφαίνει καὶ μεταβολήν; in der 1691 Frankfurter Philonausgabe irrtümlicherweise als Conf. S. 352 angegeben), 324– 325, Fn. (g) (Hebr 12,28: Mos. 1.161), 329, Fn. (x) (Hebr 13,5 in Bezug auf die göttliche Verheißung), 358, Fn. (i) (Hebr 13,22: ἀνέχεσθε), 2. Teil Ueber den eigentlichen Zwek des Todes Jesu: S. 516, Fn (**) (in Bezug auf die Einswerdung der Glaubensgemeinde mittels der Taufzeremonie mit Jesus (σύμφυτος) im Rückgriff auf Virt. 103), 546 (Fn. **) (in Bezug auf Storrs These, dass die neutestamentliche Lehre von der „Vorstellung vom Tode Christi als einem Opfer für die Sünden der Welt“ nicht „blosse Vorstellungsart für schwache Judenchristen sey“, sondern eine genuine Botschaft der Evangelien sowie von Paulus, die sich nicht ausschließlich an „schwache, in jüdischer Theologie aufgewachsene Christen“ richte: „Daß in den damaligen Zeiten die Auslegungsmethode des gelehrten Philo, unter den Juden, für welche Paulus schrieb, nichts weniger als gangbar gewesen sey, ist oben (Ebr. 10, 7a) bemerkt [Hervorh. i. Orig.].“). In diesem Zusammenhang berufe ich mich auf Storrs Aufsatzsammlung: Opuscula academica ad interpretationem librorum sacrorum pertinentia (1797). Storr 1797 [1786], S. 149 – 150, Fn 72. (Kol 2,8 in Bezug auf die irreführende φιλοσοφία im Rekurs auf Philons in Prob. 75 – 76 gezeichnetes Idealbild der Essener als asketische Philosophen, das sowohl Josephus als auch Eusebius beeinflusst habe), 150, Fn. 73 (Kol 2,8 in Bezug auf die paulinische Abwertung der weltlichen στοιχεῖα der Philosophie unter Hinweis auf Philons Therapeuten- und Essenerdarstellung mit einem Exzerpt aus Contempl. 13), 162, Fn. 93 (Kol 2,16:
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In seinem Aufsatz zum paulinischen Korintherbrief „Notitiae historicae, epistolarum Paulli ad Corinthios interpretationi servientes“ beruft sich Storr dreimal auf Philon.¹⁴⁸ In seiner Deutung des Philipperbriefes „Interpretatio epistolae Pauli ad Philippenses“ wendet sich Storr philonischem Gedankengut dreimal zu.¹⁴⁹
Philons jüdische Philosophie nimmt des Weiteren eine signifikante Stellung in Storrs Verständnis der christlichen Dogmenlehre ein. Deutlich wird dies zunächst in seinem Werk Lehrbuch der christlichen Dogmatik. Dort sucht er zu zeigen, dass „die Hauptlehren des Christenthums unmittelbar und allein […] der heiligen Schrift selbst“ entsprängen,¹⁵⁰ und er nimmt dabei 18-mal Bezug auf Philon als einen dogmengeschichtlichen Referenzpunkt.¹⁵¹ Contempl. 34 ff.), 164, Fn. 99 (Kol 2,18: Somn. 1.141– 142: „[…] sic ipsi per consuetudinem cum angelis, quos etiam Philo […] putat esse daemonas philosophorum, quibus ministris, divina mandata & beneficia nobiscum communicentur, ut igitur angelorum ope res futuras, maxime potentas in quiete, cognoscerent“), 165, Fn. 100 (Kol 2,18: Somn. 1.141– 142), 168, Fn. 106 (Kol 2,22 in Bezug auf Philons Bild der Essener), 169, Fn. 111 (Kol 2,23: Prob. 88), 179, Fn. 4 (Kol 3,5: Prob. 71 f.), 203, Fn. 65 (Kol 4,1: Prob. 79 und Leg. 4.165), 211, Fn. 74 (Kol 4,6: Leg. 1.289 – 291). Storr 1797 [1788], S. 281, Fn. 65 (1Kor 11,5 und 11,13: Spec 3.56), 347, Fn. 172, 348, Fn. 173 (1 Kor 5,1: Spec. 3.20). Storr 1796 [1783], S. 342– 342, Fn. (k) (Phil 3,10: συμμορφιζόμενος τῷ θανάτῳ αὐτοῦ), 344, Fn. (p) (Phil 3,12: Leg. 3.74), 350, Fn. (o) (Phil 3,20: πολίτευμα). Storr 1803, S. V–VI (Vorrede). Storr 1803, S. 121 (Legat. 216 und 315), 169 (unter Bezugnahme auf den Aufsatz „Observationes ad Novum Testamentum e Philone Alexandrino“ (Leipzig 1777), in dem Loesner den Johannesprolog anhand von Philons Logoslehre auslegt), 172 (in Bezug auf den Sinn des Terminus παράκλητος unter Beachtung von Opif. 23 (οὐδενὶ δὲ παρακλήτῳ), 205 (im Rahmen der „Hauptgründe gegen die Accommodation Jesu und der Apostel“ mit der Anmerkung, Philons Kerngedanken seien nicht „unter den Juden in Palästina gangbar“ gewesen), 213 (in Bezug auf Philons Schriftbezeichnung als ἱερὰ γράμματα), 214 (hinsichtlich der paulinischen Schriftauffassung in 2. Tim 3,16, γραφὴ θεόπνευστος, als „Schriften, die durch den Geist Gottes (ἐν πνεύματί θεοῦ) geschrieben sind“ unter Hinweis auf Philons in Legat. 210 verwendete Schriftbezeichnung als θεόχρηστα γὰρ λόγια τοὺς νόμους = „göttliche Orakelsprüche“), 214 (3. Tim 3,13 – 14, Joh 8,31 und Gal 3,10: μένε), 223 – 224 (im zweiten Teil des ersten Bandes „B. Auctorität des Alten Testaments“ mit Verweis, neben Josephus, auf Philon als religionsgeschichtlichen Beleg, der dafür spreche, „[d]as Alte Testament enthielt zur Zeit Jesu und seiner Apostel die nemlichen Schriften, die es jetzt enthält […]“. Daraus schlussfolgert Storr, „[d]ie heil. Schrift ist Norm unserer Urtheile […] Bestätigung der Göttlichkeit der heil. Schrift durch eigene innere Erfahrung“), 225 (Joh 10,34– 35: γραφή: „Philo, ein Zeugniß davon ablegen konnten, was für Schriften man damals unter die heiligen Bücher der Juden gerechnet habe“), 226, Anm. 5 (in Rekurs auf Joh. G. Eichhorns Einleitung in das Alte Testament I, der „bemerkt, daß Philo alle 5 Bücher Mosis in sehr erhabenen Ausdrücken citire“), 227 (Mt 12,3 – 4: Ebr. 143: „Philo citirt das erste Buch Samuels [1. Sam 1,11] unter dem bei griechischen Juden gewöhnlichen Rahmen des ersten Buchs der Könige, mit der
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Storr thematisiert zudem Motive von Philons jüdischem Platonismus auch in zentralen Aufsätzen zum Neuen Testament:¹⁵² – In seiner Abhandlung „De vario sensu vocis πληρωμα in N. T.“, in der er den Sinn des Terminus πλήρωμα zu explizieren sucht, nimmt er dreimal Bezug auf Philon.¹⁵³
Formel: ὡς ὁ ἱερὸς λόγος φησίν“), 228 – 229 (in Hinblick auf die Übereinstimmung des Alten Testaments mit dem philonischen Schriftverständnis), 231 (hinsichtlich der Einteilung der hebräischen ἱερώτατα γράμματα unter Hinweis auf eine Stelle aus Contempl. 25, in der Philon diese (1) in die mosaischen νομοί, (2) in die λόγια θεσπισθέντα διὰ προφητῶν und (3) in die ὕμνους καὶ τὰ ἄλλα οἷς ἐπιστήμη καὶ εὐσέβεια συναύξονται καὶ τελειοῦνται einordne), 232 (im Kontext einer Wiedergabe von Eichhorns Stellungnahme zum Bibelkanon der alexandrinischen Judenschaft, der mit dem palästinischen Kanon übereinstimme: „b) Jesus Sirach und Philo umschreiben ihre alten heiligen Bücher der Hauptsache nach eben so, wie Josephus und das N. Test. durch: ‚Gesetz, Propheten und andere Schriften‘ […]. d) Philo kannte die apokryphischen Christen des Alten Testaments (denn er borgt Redensarten aus ihnen); aber er citirt auch nicht Einmal ein Einziges, noch viel weniger allegorisirt er über sie, oder beweist seine Sätze aus ihnen“), 232– 233 (in Hinblick auf das Gegenargument von Joh. Jahn in seiner Abhandlung „Einleitung in die Göttlichen Schriften des Alten Bundes“, dem zufolge „die Apokryphen des A. T. in dem Kanon der Aegyptischen Juden gewesen seyn könnten“: „2) Jesus Sirach und Philo konnten die Apokryphen zur dritten Classe der hagiographen rechnen, ohne eine eigene vierte Classe für sie zu machen. 3) Philo führt auch mehrere Bücher des Alten Test. gar nicht, einige wenigstens nicht mit dem Beisatz der Göttlichkeit an“), 234 (hinsichtlich Philons ähnlicher Einteilung des Alten Testaments wie bei Josephus), 285 (im Rahmen der Idee, laut der „Gott Schöpfer und Regent der Welt [ist]“, unter Hinweis auf Opif. und auf andere Schriften Philons, in denen Gott sowohl als ὁ ποιῶν wie auch als ὁ γεννήσας dargestellt werde), 383 – 384 (in Zusammenhang mit dem johanneischen Logosbegriff im Rahmen der christlichen Dreieinigkeitslehre (§ 42) als ausführlicher Verweis auf Philons Logostheologie, um den Unterschied zwischen dem neutestamentlichen und philonischen Logoskonzept deutlich zu machen: „Die Beweise […] daß schon zur Zeit Christi die Idee von einer, unmittelbar aus der Gottheit vor der Weltschöpfung emanirten Intelligenz, welche in der Person des Messias auf der Erde erscheinen würde, unter den Palästinensischen Juden bekannt gewesen sey, sind sehr problematisch, und zum Theil aus Jüdischen Schriften geschöpft, deren Alter entschieden später oder doch sehr ungewiß ist.“). Vgl. hierzu: Storr, Opuscula academica ad interpretationem librorum sacrorum pertinentia (1796). Storr 1796 [1780], S. 176, Fn. 64 in § 12 (Joh 1,16 in Hinblick auf πλήρωμα im Sinne von Gottes Fülle an Gutheit mit Verweis auf Philons Mos. 2.238 zusätzlich im Originalwortlaut, wo Gott den gesamten Kosmos mit seiner wohltätigen Kraft erfülle. Die Ausdrucksweise ὁ πάντα διὰ πάντων dieser Passage verknüpft er mit Paulus’ in Phil 4,12 eingeführter All-Einheitsformel ἐν παντὶ καὶ ἐν πᾶσιν), 183, Fn. 80 in § 13 (in Bezug auf den Terminus des πλήρωμα in Röm 13,10 (πλήρωμα οὖν νόμου ἡ ἀγάπη) mit Hinweis auf einen Textauszug aus Abr. 268, in dem das Gottvertrauen mit der Erfüllung der χρηστῶν ἐλπίδων gleichgesetzt wird).
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In seinem Aufsatz „De vario sensu vocis δικαιος et cognantarum in N. T.“ widmet sich Storr sechsmal Philons Denken.¹⁵⁴ In seinem Artikel „De notione regni coelestis in N. T.“ greift er Philon dreimal auf.¹⁵⁵ In seinem zum Jakobusbrief vorgelegten Kommentar „Interpretatio epistolae Jacobi“ beruft sich Storr elfmal auf Philon.¹⁵⁶ In seiner Abhandlung „De Catholicarum Epistolarum occasione et consilio“ erwähnt Storr Philon viermal. ¹⁵⁷
3) Ein weiterer Theologieprofessor im Tübinger Stift mit dem Forschungsschwerpunkt Kirchen- und Philosophiegeschichte, bei dem sich einige PhilonBezüge finden, ist Rößler. Bekannt ist er vor allem für seine Beschäftigung mit den Kirchenvätern, die in eine deutsche Übersetzung einer zehnbändigen Reihe von patristischen Schriften unter dem Titel Bibliothek der Kirchenväter in Uebersetzung und Auszügen besonders dogmatischen Schriften sammt dem Original der Hauptstellen und nöthigen Anmerkungen mündete.¹⁵⁸
Storr 1796 [1781], S. 188, Fn. 2. (im Kontext des griechischen Terminus δικαιοσύνη als Rekurs auf Philons Genesisallegorese in Leg. 1.63 – 66, wo er die vier Flüsse in Gen 2,10 – 14 als die vier Kardinaltugenden der Menschenseele (φρόνησις, σωφροσύνη, ἀνδρεία und δικαιοσύνη) versteht), 189, Fn. 7 (Kol 4,1: τὸ δίκαιον καὶ τὴν ἰσότητα), 190, Fn. 8 (2Tim. 4,8 – 9: Spec. 4.56), 202, Fn. 42 (Leg. 1.63 – 66), 212, Fn. 67 (Röm 5,7: Cher. 29), 251, Fn. 125 (in Bezug auf den johanneischen δικαίωσις-Terminus als Hinweis auf Philons Somn. 1.212: ἐδικαίωσεν). Storr 1796 [1782], S. 253 – 254, Fn. 1 (in Bezug auf Philons Bild einer göttlichen Himmelsphäre in Leg. 1.13 – 16), 277– 278, Fn. 57 (1Kor 15,28 in Bezug auf die paulinische All-Einheitsformulierung πάντα ἐν πᾶσιν unter Hinweis auf die in Sacr. 67 geschilderte Allgegenwärtigkeit Gottes als unrestringierte Fülle), 280, Fn. 70 (1Kor 15,27– 28). Storr 1797 [1784], S. 11, Fn. 16 (Jak 1,11 hinsichtlich der Metaphorik des Verwelkens in Zusammenhang mit der Vergänglichkeit des menschlichen Reichtums unter Beachtung von Spec. 1.311 (μαραινόμενα), wo Philon sich ähnlicher Metaphorik bedient), 13, Fn. 23 (Jak 1,17 in Bezug auf die Gaben des göttlichen Himmelsreichs), 15, Fn. 27 (Jak 1,18: Spec. 4.180), 21– 22, Fn. 51 (Jak 2,2: Prob. 77– 79), 43, Fn. 119 (Jak 3,15: Gig. 60), 50, Fn. 144 (Jak 4,8 bezüglich der Vorstellung der Gottesnähe mit Verweis auf Migr. 57– 58), 65 – 66, Fn. 200 (Jak 5,12 hinsichtlich der Eid-Aussagen unter Berücksichtigung von Philons Spec. 2.2– 3 in Hinblick auf die schöpferische elterliche Macht ihrer gottähnlichen Fortpflanzungsfunktion wegen), 66, Fn. 201 (Jak 5,12: Spec. 2.4– 5), 66, Fn. 202 (Jak 5,12: Spec. 2.2– 4). Storr 1797 [1789], S. 391– 392, Fn. 74 (im Rahmen der menschlichen Gotterfülltheit in Mos. 1.277, 281 sowie Her. 258), 403, Fn. 11 (in Bezug auf Philons spekulative Beschreibung der lichthaften Einswerdung der Seele Moses in ihrer Aufstiegsbewegung in Mos. 2.288 – 291), 404, Fn. 113 (in Hinblick auf Moses). Franz macht in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Betzendörfer darauf aufmerksam, dass diese kommentierte Übersetzung der kirchenväterlichen Literatur „vielleicht das am meisten benützte Werk der Stiftsbibliothek“ gewesen sei (Franz 1996, S. 123).
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In den Textauszügen dieser Übersetzung der Religionslehren der Kirchenväter wird auf Philon 25-mal hingewiesen.¹⁵⁹
Rößler 1776 – 1786, Bd. 2, S. 231 (in Origines’ Contra Celsum: „Philo oder Aristobulus […] treffen insgemein den Sinn der heil. Schrift ganz geschickt und glücklich“), Bd. 4, S. 38 – 39 (in Eusebius’ Historia ecclesiastica befindet sich eine ausführliche Schilderung der hochgehaltenen Person Philons mit Verweis auf dessen Bericht von der jüdisch-alexandrinischen Gesandtschaft an Gaius in Legat.), 44 (Eusebius stellt ein vorgebliches Treffen zwischen Petrus und Philon in Rom dar), 45, Fn. 49 (auf diese haltlosen Feststellungen des Eusebius über Philon erwidert Rößler mit einer ausführlichen, erkenntnisfundierten Anmerkung, in der er sich auf Philons Contempl. 29 beruft: „Sie [sc. die Therapeuten] waren ohne Zweifel eigentlich Juden. Philon sagt von nichts als vom Gesetz und den Propheten, die sie gelesen hätten. Sie waren also keine Christen, wie sie Eusebius dafür ausgiebt, so wenig als sie Essäer gewesen sind“), 46 – 48 (hier geht Eusebius auf den spezifischen Charakter der Therapeutensekte ein, um nachzuweisen, sie seien als Christen einzuordnen), 46 – 48, Fn. 50 (mit den eigenen Philon-Exzerpten des Eusebius aus Contempl. 21– 29, 34– 35 und 68 sucht Rößler zu belegen, dass dieser mit seiner Hypothese über die christliche Identität der Therapeuten irre), 48, Fn. 51 (bezüglich der Wertschätzung des Eusebius für Philons geistiges Schriftverständnis bemerkt Rößler: „In eben diesem Kapitel ist eine Recension von den gesammten Schriften des Philo, die ich aber jetzt nicht durchlaufen kann“), 152 (in Bezug auf einen Philon-Verweis des Clemens von Alexandria), Bd. 5, S. 217 (im 4. Buch seiner Praeparatio evangelica bezieht sich Eusebius auf Philon als einen der Denker, von denen man über den „Umfang ehedem“ der „fürchterliche[n] Menschenopfer“ lernen könne), 224 (im 7. Buch der Pr. Ev. in Zusammenhang mit Philons Logoshypostase: „Aber nicht allein von der Schöpfung und Vorstellung des einigen wahren Gottes haben sie weit andere Begriffe gehabt […] so haben jene neben dem höchsten Grundwesen eine andere Natur festgesetzt, welche von dem ersten Grundwesen gezeuget seye, vor allen übrigen Dingen existiert habe und der Grund derselbigen seye, welche Natur sie das Wort, die Weisheit oder Kraft Gottes zu nennen pflegen. […] Damit kann man vergleichen was theils Philon teils Aristobul von diesem Wort gesagt haben“), 225 (in Hinblick auf den wahren philosophischen Lehrsatz, dem zufolge „die Materie, die Körper nicht ewig, sondern auch geschaffen seyen“), 226 (hinsichtlich der „Einrichtung der jüdischen Republik durch Moses“), 226 – 227 (in Bezug auf die allegorisierenden, „philosophische[n] Juden, die weiter in der Tugend gekommen waren und auf den Geist des Gesetzes tiefer eindrangen, und daher nicht mehr so an der Schaale hangen durften“ sieht Eusebius Philon als jemanden, der die jüdischen „Lehren von Gott, von dem Ursprung der Welt, von der göttlichen Vorsehung“ überliefert habe), 228 (im 9. Buch der Pr. Ev.), 232– 233 (im 11. Buch der Pr. Ev. in Bezug auf den Logos als das zweite Prinzip des philonischen Gedankengebäudes), Bd. 6, S. 92 (in Bezug auf die bereits von Eusebius vertretene These des Epiphanios, der zufolge die Essener Urchristen gewesen seien), 92, Fn. 48 (in Zusammenhang mit dieser unfundierten kirchenväterlichen These thematisiert Rößler die Rolle von Philon dabei: „Er [sc. Epiphanios] setzte nehmlich mit mehreren Vätern voraus, daß Philo unter diesem Nahmen [sc. Essener] die Christen begriffen und von denselbigen gehandelt habe. Man vergleiche aber die Stelle beim Eusebius […]“), Bd. 7, S. 134– 135 (eine Passage aus den Basilius-Briefen, die von Philons allegorischer Auffassung des Manna handelt), 191– 192 (im 9. Buch der Abhandlung Contra Eunomium des Gregor von Nyssa in Hinblick auf den Vorwurf, „daß er [sc. Eunomius] vom Philo dem Juden – mit dem er freylich ähnliche Gesinnungen hatte, geborgt hat; worunter insonderheit die zween Sätze gehören: ‚Gott ist vor allem was gebohren ist’ und ‚er
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Unter Bezugnahme auf Clemens von Alexandria sowie auf Eusebius von Caesarea geht Rößler in seiner in Tübingen 1784 veröffentlichen Abhandlung „De variis disputandi methodis veteris ecclesiae“ (Bd. 1) auf Philons Wiedergabe der allegorischen Schriftauffassung bei der jüdisch-alexandrinischen Sekte der Therapeuten in Auszügen aus Contempl. 28 – 29 und 78 mit einem ausführlichen Originalzitat ein. Dabei stellt er die Behauptung des Eusebius infrage, indem er entgegnet, die Therapeuten seien keine Urchristen gewesen, sondern eine durch und durch jüdische Sekte (§§ 27– 28, 35).¹⁶⁰ In seiner Schrift Lehrbegriff der christlichen Kirche bezieht er sich in einer allegorischen Genesisdeutung auf Philons allegorische Exegese der Schlange in der Sündenfallgeschichte als Sinnbild der Lust in Opif. 157 (ὄφιν ἡδονῆς εἶναι σύμβολον): „Diejenige, die für den eigentlichen Verstand der Mosaischen Geschichte sind, gründen sich auf die Umstände, mit welchen sie erzählt wird, da z. B. die Namen angegeben sind u. s. w. Die, welche sie ganz oder zum Theil, vor Allegorie halten, haben diese Weisheit vermutlich von den Juden gelernt, wie sich dann Philo erklärt hat: οφιν ειναι ηδονης συμβολον.“¹⁶¹
Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass Rößler – worauf Franz hingewiesen hat –¹⁶² auf Souverains Versuch über den Platonismus der Kirchenväter zurückgreift, denn dort kommt Philons jüdischem Platonismus eine zentrale Rolle für die Entstehungsgeschichte der christlichen Trinitätslehre zu: Im 6. Band der 1781 in Leipzig herausgegebenen Bibliothek der Kirchenväter im Aufsatz „Ueber die Philosophie der älteren christlichen Kirchen“ (im lateinischen Original: „De Originibus Philosophiae Ecclesiasticae“) hält Rößler polemisierend fest, „[e]inige wollen, daß die Kirchenschriftsteller, wenigstens von den neuern Platonikern in Irrthümer verführt worden seyen, da
herrscht über seine eigene Kraft.’“), 191– 192, Fn. 1 (Rößler zitiert den Abschnitt, in dem Gregor diesen Vorwurf gegen Eunomius erhebt), 192, Fn. 3 (Rößler merkt an: „Eben der Eunomius, der vorher vom Philo gelernt hat, wird jetzt als ein Schüler von Platon dargestellt“), Bd. 9, S. 162 (in der Schrift Adversus Jovinianum Libri Duo des Hieronymus wird auf die Enthaltsamkeit der Essenersekte mit Hinweis auf Philon berichtet), 162, Fn. 80 (Rößler stellt an diesem Punkt fest, man finde diese obige Darstellung eigentlich nicht bei Josephus, wie Hieronymus behauptet, sondern bei Philon), Bd. 10, S. 686, Fn. 38 (in „Natramnus vier Bücher wider die Griechen“, wo von Eusebiusʼ Fehldeutung von Philons Essener-Bild die Rede ist). Darauf weist bereits Franz hin: 2012, S. 40 – 41, 64– 66. Franz gelingt es weiterhin, die Verbindung zwischen Schellings Lektüren von Souverains Versuch über den Platonismus während seiner Tübinger Jahre und Rößlers Rekurs auf diesen polemischen Aufsatz erheblich zu plausibilisieren: Franz 2012, S. 70. Rößler 1776, S. 158. Franz 2012, S. 5 – 66.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
andere angesehene Männer diesen Vorwurf von ihnen abzuwenden sich bemühen“.¹⁶³ In der Anmerkung zum „Platonismus-Vorwurf“ gegen die Kirchenväter beruft er sich u. a. auf Souverains Schrift: […] und vornehmlich vom Souverain, einem reformirten Kirchendiener [sc. der „eine gewisse Vergleichung [zwischen Plato und den alten Kirchenlehrern] angestellt“ hat], in dem aufgedeckten Platonismus (Le Platonisme devoilé, ou essai touchant le verbe Platonicien, divisé en deux Parties‚ a Cologne 1700. 8) die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit und dem Sohn Gottes des Platonismus verdächtig gemacht wurde: welchem Clericus in seinem Epistolis criticis et ecclesiasticis in der Hauptsache beitrat) [Hervorh. i. Orig.]. (Rößler 1781, Bd. 6, S. 404– 405: Fn. 1)¹⁶⁴
Die vorliegende repräsentative Zusammenfassung der Philon-Studien im Tübinger Stift wirft zunächst die Frage auf, was davon auf Hegels Theologie-Kenntnisse während seiner Studienzeit übertragbar ist. Dies lässt sich unter Berücksichtigung der obigen Untersuchungsergebnisse folgendermaßen beantworten: Zwar ist eindeutig festzuhalten, dass Hegel sich bereits während seiner Tübinger Zeit Philonkenntnisse aneignete, deren Ausmaß und Fundiertheit müssen aber noch näher bestimmt werden. Philons Denken ist für die Theologiedozenten Storr, Flatt, Rößler und Schnurrer primär aufgrund ihres Anspruches, die Textgrundlage des Christentums wissenschaftlich auszulegen, zu einer theologiegeschichtlichen Hauptbezugsquelle geworden, auf die sie in ihren Vorlesungen und Aufsätzen oftmals und in entscheidenden Zusammenhängen zurückgreifen. Diese Beschäftigung mit philonischem Gedankengut konnte Hegel während seiner konstitutiven Denkentwicklung der Tübinger Jahre gewiss nicht entgangen sein, was den Schluss nahelegt, dass er sich in diesem facettenreichen Curriculum etliche relevante Kenntnisse über Philons Philosophie angeeignet hat. Die Philonkenntnisse Schellings, dem Hegel im Stift sowohl persönlich als auch wissenschaftlich eindeutig am nächsten stand, sind die stärksten Argumente dafür und dürfen daher als entscheidender Einfluss gelten. Sie vermitteln einen recht genauen Eindruck von Hegels Vertrautheit mit Philons Lehrgebäude. Da Hegel zu dieser Zeit mit einem ähnlich breitgefächerten Themenspektrum wie Schelling befasst war – Christentum, Judentum, Platonismus und Gnostizismus –¹⁶⁵ kann man mit einigem Recht annehmen, Hegel habe von Philons Philosophie sowie von den allgemein verbreiteten, zumeist mit Philon verknüpften theologiegeschichtlichen Thesen dieselben Kenntnisse wie Schelling besessen. Dafür spricht Rößler 1781, Bd. 6, S. 403 – 404. Zur lateinischen Originalstelle in seiner Dissertationsschrift siehe: Rößler 1781, S. 4– 5: Fn. 1. Siehe dazu: Franz 2012, S. 203; Düsing 1983, S. 68 ff.; Dilthey 1990a, S. 11 ff.; TWA Bd. 2, S. 536; Henrich, 2010b, S. 19.
1.3 Philons Religionsphilosophie als Wendepunkt der jüdisch-christlichen Tradition
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u. a. Hegels spätere Identifikation von Philons jüdischem Platonismus mit dem christlichen Dreieinigkeitsgedanken in den religions- und philosophiegeschichtlichen Vorlesungen, ein Standpunkt, der unter den Tübinger Theologen seinerzeit allgemein bekannt war und mit dem sich auch Schelling mit vier verschiedenen Quellenangaben (!) in seinen Entwürfen zu den gnostischen Strömungen auseinandersetzte.
1.3 Philons Religionsphilosophie als Wendepunkt der jüdisch-christlichen Tradition Anders als bei Schelling, dessen Handschriften aus seinen Tübinger Studienzeiten mehrere bedeutsame Philon-Bezüge aufweisen, wird Philon in Hegels Frühschriften kein einziges Mal ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl verdient ein rätselhafter Philon-Nachweis aus der 1800 verfassten „Neufassung des Anfangs“ „D[er] Positivität der christlichen Religion“ (1795 – 1796) besondere Aufmerksamkeit. In dieser geht Hegel auf die gedanklichen Hauptentwicklungen des jüdischen Weltbildes während der Zeitenwende ein, die den christlichen Standpunkt erst ermöglicht haben. In diesem Paragraphen zum Zustand der jüdischen Nation während der Zeitenwende widmet sich Hegel der Entstehung der jüdischen Hauptsekten als „Menschen von besserem Stoff, die ihr Selbstgefühl nicht verleugnen“ und die er als notwendige und vielfältige „Reaktionen“ der vernünftigen Naturentwicklung kennzeichnet.¹⁶⁶ Dieser christozentrischen Darstellung der antiken jüdischen Sekten und der nachfolgenden Erscheinungen von Johannes dem Täufer bis hin zu Jesus liegt offenkundig eine hierarchische Einordnung zugrunde: Der Anfang dieses Prozesses wird durch die Sekte der Pharisäer gekennzeichnet, die Hegel ebenso negativ charakterisiert wie die ursprüngliche Religionslehre des Judentums, nämlich als die Religion der Geistesknechtschaft. In der nächsthöheren religiösen Entwicklungsstufe weist Hegel auf den „Sadduzäismus“ hin, in dem „die Verbindung von Freiheit und Politik“ ihren Niederschlag gefunden habe. Mit den Essenern, die Hegel dahingehend positiv einschätzt, dass er ihr asketisches
TWA Bd. 1, S. 226 – 227. Vgl. zu Kleukers Formulierung der Entstehungsgeschichte der jüdischen Sekte in seiner Abhandlung „Ueber die Natur und den Ursprung der Emanationslehre bei den Kabbalisten“, die er ähnlich wie Hegel in Anspielung auf die Metaphorik der notwendigen Naturentwicklung schildert: „Durch verschiedene politische Revolutionen Groß- und KleinAsiens, Syriens und Aegyptens war die Verbreitung Chaldäischer und Persischer Weisheit so sehr befördert worden, daß besonders um die Zeit Christi überall Secten empor kamen, die nach demselben Geiste philosophirten […].“ (1786, S. 57) Vgl. dazu auch: Rößler 1780, Bd. 5, S. 225 – 227.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
Sektenleben als „das brüderliche, von den Leidenschaften und Sorgen ihres Volks freie Eremitenleben“ wahrnimmt, trete dann das dritte „Naturgeschehen“ zutage. Den Höhepunkt der jüdischen Entwicklungsgeschichte expliziert Hegel mit der folgenden prägnanten Formulierung: „[…] die Aufhellung des Judentums durch schönere Blüten der tieferen menschlichen Natur im Platonismus […].“¹⁶⁷ Erst daraufhin ist die Rede von der universalistischen Botschaft der welthistorischen Figuren des Johannes sowie des Jesus, in dessen Person dieser religionsgeschichtliche Vorgang im Judentum seine Vollendung gefunden habe: das Christentum nämlich als absolute Aufhebung der wesentlichen Religionsinhalte des Judentums, indem dieses sowohl den alttestamentlichen Gottesbegriff als auch die innerjüdische Menschenliebe zu allgemeingültigen Prinzipien der gesamten Menschheit erhebe: […] endlich das Erheben und offene Predigen des Johannes an alles Volk – und zuletzt die Erscheinung des Jesus, der das Übel seines Volks an der Wurzel angriff, nämlich an seiner hochmütigen und feindseligen Aussonderung von allen Nationen, es also zum Gott aller Menschen, zu allgemeiner Menschenliebe, zur Entsagung des lieb- und geistlosen Mechanismus ihres Gottesdienstes führen wollte, dessen neue Lehre eben deswegen mehr noch zur Religion der Welt als seines Volkes wurde – ein Beweis, wie tief er die Bedürfnisse seines Zeitalters aufgegriffen hatte und wie die Juden in rettungslose Abwesenheit des Guten und Wut der Geistesknechtschaft versunken waren. (TWA Bd. 1, S. 227)
Weil Hegel allerdings auf den entscheidenden Wendepunkt von dem durch platonisches Gedankengut „aufgehellten“ Judentum zum Christentum nicht explizit mit einem Namen verweist, bleibt es daher prima facie undeutlich, wer hier eigentlich gemeint ist. Es gibt hier drei Möglichkeiten: (1) Die Sekte der Therapeuten, die Hegel zweifelsohne bereits aus der gemeinsamen Tübinger Zeit mit Schelling kannte, würde, verglichen mit den anderen jüdischen Hauptsekten, zu seiner Darstellung gut passen. Hegels Charakteristikum des Platonismus stellt jedoch ein Problem dar, da Philon die Therapeuten in De vita contemplativa nirgends ausdrücklich mit der platonischen Weltanschauung identifiziert,¹⁶⁸ sondern vielmehr als Vertreter der ἰουδαϊκὴ φιλοσοφία wahrnimmt. Diese Möglichkeit ist aber auch nicht auszuschließen, denn zu Hegels Zeit wurden die Therapeuten, auf Philons jüdischem Platonismus fußend, oftmals mit dem platonischen Denken verknüpft.¹⁶⁹
TWA Bd. 1, S. 226. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu schein: Contempl. 57– 59. Diese Identifikation nimmt beispielsweise Souverain im 17. Abschnitt des ersten Teiles seines Werkes Versuch über den Platonismus der Kirchenväter vor: „Die Therapeuten, oder die jüdischen Philosophen zu Alexandrien, behielten diese Auslegungsart um desto lieber bey, weil sie der Methode der Platoniker, unter denen sie lebten, so gemäß war.“ (Souverain 1792, S. 154)
1.3 Philons Religionsphilosophie als Wendepunkt der jüdisch-christlichen Tradition
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2) Ebenso könnte Hegel mit dieser Formulierung auf die Kabbalisten hingewiesen haben, denn im 18.–19. Jahrhundert herrschte die Annahme vor, dass „deren Ursprung […] in die Zeiten vor Christus [gesetzt werden kann]“.¹⁷⁰ Entsprechend wurde die Kabbala zu dieser Zeit häufig mit dem Platonismus in Verbindung gebracht.¹⁷¹ 3) Am plausibelsten jedoch ist, dass Hegel mit dieser Formulierung den Kern von Philons jüdischem Platonismus abbildet.¹⁷² Zwar wird diese Identifikation auch von anderen Forschern anerkannt, allerdings ohne sich dem Sinn dieser erläuterungsbedürftigen Schilderung weiter anzunähern. Selbst wenn Hegel die Therapeuten oder Kabbalisten hiermit vor Augen hätte, wäre dennoch Philon als deren Vorbild zu begreifen. Dreierlei spricht dafür: a) Philons Schaffenszeit passt chronologisch am besten zum von Hegel markierten Wendepunkt vom Judentum zum Christentum, denn er lebte zu den Zeiten Jesu, er ist vor ihm geboren und nach ihm gestorben. Philons umfassende Wirkungsgeschichte auf das antike Christentum war Hegel durch seine Tübinger Zeit bekannt, weshalb es sich anbietet, Philon als das fehlende Bindeglied zwischen jüdischem und christlichem Weltbild einzuordnen. Dass Hegel in dieser „sektengeschichtlichen“ Darstellung vermutlich auf einmal von einer welthistorischen Einzelperson (Philon) spricht, ist deshalb nicht verwunderlich, weil gleich danach von Johannes dem Täufer sowie von Jesus die Rede ist. b) Mit der „Aufhellung des Judentums“ bezieht sich Hegel anscheinend auf Philons schriftinterpretative Denkweise, die primär auf die philosophische Auslegungstätigkeit der jüdischen Bibel ausgerichtet ist; in der Ideengeschichte steht Philons Gedankengebäude geradezu für den Inbegriff einer systematischen philosophischen Bibelauslegung. c) Hegel verdeutlicht, dass Philon das Alte Testament dergestalt platonisiere, dass sich in dessen Erzählstruktur durchgängig das platonische Menschenbild zu erkennen gebe, und charakterisiert diese philosophische Schriftexegese so näher. Angesichts der nach Hegels Ansicht menschenverachtenden Weltanschauung der jüdischen Religionslehre schätzt er die platonische Menschenauffassung insofern als erhebliche Aufwertung des Judentums ein, als er in jenem die „schönere[n] Blüten der tieferen menschlichen Natur“
Corrodi 1781, S. 36. Siehe dazu beispielsweise Souverain 1792, S. 83: „Man kann daher, ohne Furcht sich zu irren, behaupten: daß die Kabbala nichts anders ist, als eine Vermischung von jüdischem Aberglauben und platonischen Spekulationen.“ TWA Bd. 1, S. 227. Zur Identifikation dieser Darstellung mit Philon siehe: Halfwassen 1999, S. 35; Vieweg 2012, S. 199; Düsing 1983, S. 139.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
ausmacht. Mit dieser poetischen Ausdrucksweise weist Hegel auf den göttlichen Menschengeist – Tim. 88b2: νοῦς als τὸ θειότατον τῶν ἐν ἡμῖν – in der trichotomischen Seelenstruktur von Platons Philosophie hin. Am Kulminationspunkt der jüdischen Religionsgeschichte ist also nicht mehr nur von „Menschen von besserem Stoff, die ihr Selbstgefühl nicht verleugnen“, die Rede, sondern vielmehr von platonischen Juden, die sich nunmehr in ihrer Göttlichkeit und Ganzheit begreifen. Indem er die philonische Denkweise als „Aufhellung des Judentums“ anhand der „schönere[n] Blüten der tieferen menschlichen Natur“ bezeichnet, deutet Hegel anscheinend an, Philon führe den biblischen Protagonisten als Sinnbild einer tieferen metaphysischen Wahrheit auf den vernunftbegabten Teil der platonischen Seelenstruktur, den νοῦς, zurück. Da Hegel in seinen Schriften aber den spekulativen Gedanken „der tieferen menschlichen Natur“ als göttlichen Geist durchweg in der alttestamentlichen Sündenfallgeschichte begründet sieht, scheint er sich mit dieser pointierten Darstellung auf Philons Lehre von der doppelten Erschaffung des Menschen zu beziehen. Dieser Lehre zufolge setze Moses, von Gen 1,27 sowie Gen 2,7 ausgehend, zwei Menschentypen voraus: der eine als εἰκὼν τοῦ θεοῦ bzw. als reiner νοῦς himmlisch, der andere als aus Leib und Seele bestehendes Abbild des himmlischen Menschen irdisch. ¹⁷³ Philon widmet in Opif. 135 – 144 der Adamsfigur als dem zuerst gebildeten irdischen Menschen (Opif. 136: ὁ πρῶτος ἄνθρωπος ὁ γηγενής) – unter dem allerdings auch nichts anderes als der göttliche Geist (θεῖος νοῦς) zu verstehen sei –¹⁷⁴ ein extensives Enkomion, das dessen Überlegenheit gegenüber den erst nach ihm geschaffenen Menschen thematisiert.¹⁷⁵ Um den höchsten Stellenwert des ersten erdgeborenen Menschen zu veranschaulichen, gebraucht Philon, ähnlich wie Hegel („durch schönere Blüten“), die Blüten-Metaphorik in markanter Weise: So beschaffen an Leib und Seele scheint mir der erste Mensch gewesen zu sein; alle, die jetzt leben und vor uns gelebt haben, übertraf er bei weitem; denn wir stammen von Menschen ab, ihn aber hat Gott gebildet. Je vorzüglicher der Meister, desto besser ist doch das Werk. Gleichwie das Blühende stets besser ist als das Verblühte, sei es ein Lebewesen oder eine Pflanze oder eine Frucht oder irgend ein andres Ding in der Natur, so war auch offenbar der zuerst gebildete Mensch die höchste Blüte unseres ganzen Geschlechts [μὲν πρῶτος δια-
Leg. 1.31: διττὰ ἀνθρώπων γένη· ὁ μὲν γάρ ἐστιν οὐράνιος ἄνθρωπος, ὁ δὲ γήϊνος. Siehe zur zusammenfassenden Darstellung der Unterschiede beider Menschentypen: Runia 2001, S. 321– 324. Siehe dazu Her. 231: ὥστε τὸν καθ’ ἕκαστον ἡμῶν νοῦν, ὃς δὴ κυρίως καὶ πρὸς ἀλήθειαν ἄνθρωπός ἐστι. Siehe weiterführend dazu: Runia 2001, S. 330 – 346.
1.3 Philons Religionsphilosophie als Wendepunkt der jüdisch-christlichen Tradition
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πλασθεὶς ἄνθρωπος ἀκμὴ τοῦ ἡμετέρου παντὸς ὑπάρξαι γένους], während die späteren nicht mehr zu gleicher Blüte gelangten, da die Nachkommen immer schwächere Formen und Kräfte bekommen. (Opif. 140: PCH Bd. 1, S. 77)¹⁷⁶
Die Manuskripte der Neufassung des Anfangs von D[er] Positivität der christlichen Religion gewähren noch einen tieferen Einblick in Hegels Reflexionen, die zur Formulierung dieser kurzen Passage geführt haben mögen. Seine erste Wortwahl scheint der Terminus „Vermischung“ gewesen zu sein, den er nach Streichung schließlich durch „Aufhellung“ ersetzte. So konnte er das Verhältnis zwischen Judentum und Platonismus in Philons Philosophie noch eindringlicher verdeutlichen.¹⁷⁷ Hegel sah damit offenkundig ein, dass mit „Vermischung“ die asymmetrische Beziehung zwischen der jüdischen Textgrundlage und Platons Philosophie verkannt wird: Philon nämlich beabsichtigt mit seiner Religionsphilosophie keineswegs die Vermischung von jüdischem und platonischem Gedankengut, sondern greift vielmehr auf den Platonismus als exegetisches Instrument zurück, um damit den verborgenen allegorischen Sinn des Pentateuchs freizulegen. Hegel muss also über Philonkenntnisse verfügt haben, um diese kreative Überlegung mit dem Resultat einer treffenden Charakterisierung von Philons Denken leisten zu können. Hegel verwendet zudem in der Parallelstelle zu den jüdischen Sekten im Abschnitt „Zustand der jüdischen Religion – Jesus“ der von 1795 – 1796 datierten Positivitätsschrift – worauf Halfwassen hingewiesen hat –¹⁷⁸ nahezu dieselbe Blüten-Metaphorik in Bezug auf den menschlichen Geist. Allerdings ordnet er deren Bedeutung dort hauptsächlich den Essenern und Johannes dem Täufer zu: „Bekanntschaft mit fremden Nationen lehrte einige die schöneren Blüten des menschlichen Geistes kennen, die Essener versuchten es, eine selbständigere Tugend in sich zu bilden, Johannes trat dem Sittenverderbnis, das wechselseitig Folge und Quelle jener verkehrten Begriffe war, mutig in den Weg.“¹⁷⁹ Zweierlei verdient in Zusammenhang mit diesem Zitat Beachtung: (1) Hegels Betonung der Moralität der Essener, die sich vielmehr auf ihre eigene innerliche
Zu Philons „Anthropos-Spekulationen“ siehe weiterführend: H. Schmidt (1933) sowie Bormann (1955, S. 22– 25). Auf diese Textstellen Philons hätte Hegel auch bei Beschäftigung mit dem Neuen Testament, z. B. mittels Wettsteins Kommentierung von Joh 3,31 stoßen können, dessen kommentierter Ausgabe des Neuen Testaments Schelling sich während seiner Tübinger Studienzeit bediente. Wettstein führt hinsichtlich der Erhabenheit und Überlegenheit des himmlischen Menschen (Jesus) dem irdischen Menschen gegenüber die zwei Schlüsselpassagen im Originalwortlaut aus dem Corpus Philonicum zur Lehre von der doppelten Menschenerschaffung an, und zwar Opif. 136 sowie Leg. 1.31 (Wettstein 1752, Bd. 4, S. 856). GW Bd. 2, S. 364. Halfwassen 1999, S. 35: Fn. 26. TWA Bd. 1, S. 106.
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1 Die Grundlage der Verbindung zwischen Hegel und Philon – eine Neubewertung
Tugendhaftigkeit verließen, könnte darauf hinweisen, dass er hier von Philons Darstellung der Essener in Quod omnis probus liber sit (§§ 75 – 91) sowie in Hypothetica (aus Eusebius’ Ev. Pr. 8) beeinflusst ist, oder zumindest von der auf diesen Abhandlungen basierender Sekundärliteratur. Eines steht außer Frage: Hegel war es bereits zu seiner Frankfurter Zeit dank seines gründlichen theologischen Hintergrundwissens aus dem Tübinger Stift bekannt, dass Philon als eine der bedeutendsten Informationsquellen für die antiken jüdischen Sekten gilt. (2) Interessant ist auch Hegels in der Parallelstelle der Neufassung nicht enthaltene Erwähnung der kulturraumübergreifenden Wirkung von „fremden Nationen“ auf das jüdische Volk zur Zeitenwende, die diesem erst ein höher entwickeltes Menschenbild ermöglicht habe.Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Nationen damit gemeint sein könnten und von welchem höherstehenden Menschenbild hier die Rede ist. In einem Passus über die rabbinische Namenstheologie aus dem ersten Teil seiner Vorlesungen über die Philosophiegeschichte von 1819 verwendet er eine analoge Formulierung: „Dies war der Grund, daß die Juden nicht zur Philosophie kommen konnten; erst durch Bekanntschaft mit dem morgenländischen Geist und den Alexandrinern lernen sie.“¹⁸⁰ Hier geht es ebenfalls wie in der Stelle aus der Positivitätsschrift um eine gedanklich-kulturelle Begegnung der jüdischen Religionslehre (Philon) mit orientalischen und griechisch-metaphysischen Ideen (Platon und Aristoteles), allerdings mit Erwähnung von Alexandria als Begegnungsstätte. Der nahezu gleichen Formulierung bedient sich Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen aus dem Jahr 1819, um Philons vielschichtiger Religionsphilosophie als den kulturraumübergreifenden Zusammenstoß zwischen Orient und Okzident darzustellen: „Seine Ideen im Allgemeinen enthalten die Natur des Geistes und viele Gelehrsamkeit, besonders vertraute Bekanntschaft mit platonischen Ideen, die er aber häufig mit orientalischen Vorstellungen der Phantasie vermischt.“¹⁸¹ Zumindest andeutungsweise stehen damit Philon und Alexandria auch im Hintergrund der „Bekanntschaft mit fremden Nationen“ und deren „schöneren Blüten des menschlichen Geistes“.
Vorl. Bd. 6, S. 133. Mit dieser Passage wird zweifelsfrei Bezug auf Philon genommen. Auf diesen Textabschnitt, wenngleich in anderem Kontext, macht auch Westerkamp aufmerksam: 2009, S. 115. GW Bd. 30,1, S. 179,11– 13.
2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte Der Philosophiegeschichtsschreibung der deutschen Aufklärung war die „jüdische Philosophie“ (philosophia iudaica/iudaeorum) als Konstrukt durchgängig eigen, wie dies Westerkamp in seinem Werk Die philonische Unterscheidung ausführlich nachweist. Diesem gedanklichen Geschichtsbild lag wiederum eine wesentliche Konstituente zugrunde: Die jüdische Religionsphilosophie des Philon von Alexandria.¹ Die Thematisierung von Philons jüdischem Platonismus fand sich zumeist neben einer Darstellung der mannigfachen geistesgeschichtlichen Religionsausprägungen des antiken Judentums, etwa der jüdischen Sekten, des Josephus Flavius sowie der Kabbala. Was Philon von all diesen Momenten „der Philosophie der Juden“ abhebt und worin er eine Vorrangstellung einnimmt, ist die Tatsache, dass ausschließlich sein „im Zeitalter Christi“ entfaltetes Denken mit aller Deutlichkeit beansprucht, die Philosophie des Judentums aus den Heiligen Schriften heraus zu reproduzieren und demgemäß systematisch zu vertreten. Auch Johann Buhle, an dessen philosophiegeschichtlicher Philondarstellung sich Hegel am stärksten orientiert, bewertet Philon nicht als eine Einzelerscheinung in der inhaltsreichen intellektuellen Tradition des Judentums, sondern er sieht gerade in dessen jüdisch-platonischer „Religionsphilosophie“ nichts Geringeres als die volle gedankliche Entfaltung sowohl der „Philosophie der Essener“ als auch und erst recht der „der Therapeuten“.² Anzumerken ist, dass gerade das Geschichtskonzept einer „jüdischen Philosophie“ keinesfalls eine Begriffsprägung der deutschen Philosophiehistoriker der Aufklärung ist.Vielmehr wurzelt dieses in philonischem Gedankengut, oder genauer in Legat. 245, wo Philon bereits im ersten Jahrhundert n. u. Z. in der Seele des römischen Statthalters der syrischen Provinz, Publius Petronius, die „Funken“ der jüdischen Philosophie (ἐναύσματα τῆς Ἰουδαϊκῆς φιλοσοφίας) aufgehen sieht. Diese maßgebliche systematische Stellung von Philons jüdischem Denken in den aufklärerischen Fassungen der Philosophiegeschichte ist Hegel nicht entgangen. Zwar widmet er der jüdischen Philosophie keinen eigenen analytischen Abschnitt in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen, aber er deutet dort Westerkamp 2009, S. 43, 57 ff., 97 ff. Buhle 1799: „Eine genauere Charakteristik verdient noch die Religionsphilosophie des Philo, wie in seinen Werken dargelegt ist, weil sie die Philosophie der Essener, besonders der Therapeuten, am vollständigsten enthält, ob sie sich gleich mehr der Platonischen Philosophie nähert [Hervorh. i. Orig.].“ (S. 118) Vgl. zu Ast 1807, S. 170 sowie 174. https://doi.org/10.1515/9783110624632-005
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
neben Philons Denken auch die kabbalistische und die jüdisch-mittelalterliche Philosophie. Deutlich ist allerdings, dass Hegel all diese aus verschiedenen Epochen stammenden Denksysteme nicht als bloß zueinander in eklektischem Verhältnis stehende Phänomene der jüdischen Geistesgeschichte einschätzt, sondern sie vielmehr, unbeschadet ihrer Unterschiede, in eine kontinuierliche intellektuelle Tradition einzureihen sucht: Diese Tradition macht die jüdische Philosophie in ihrem epochenübergreifenden Wesen aus. Hegel spricht Philon in dieser Hinsicht eine immens wichtige Rolle zu, weil er dessen platonisches Gedankengut als Ursprung der ganzen jüdischen Philosophie markiert. Betrachtet man zudem die Tatsache, dass Hegel sowohl die kabbalistische als auch die jüdisch-mittelalterliche Tradition als gedankliche Wiederholungen dessen bewertet, was Philon schon zuvor konkreter und vernünftiger artikuliert habe, so sticht dies besonders hervor.³ Die große Bedeutung des metaphysisch „erwachten“ Judentums Philons erschöpft sich aus Sicht der hegelschen Philosophiegeschichte jedoch nicht etwa darin, ihn als Wegbereiter und unübertroffenen Hauptvertreter der gesamten jüdischen Philosophie zu sehen: Er kann mit einigem Recht als zentraler Vordenker des Neuplatonismus, des Höhepunktes der gesamten antiken Philosophie,⁴ wie auch der spekulativen Grundsätze des Christentums, der „Revolution“ der Geistesgeschichte schlechthin, gelten. Eben deswegen konnte auch jemand wie Alfred Baeumler im Jahr 1923 – noch bevor er zum zentralen Denker des Nationalsozialismus geworden ist – in Bezug auf die philosophiegeschichtlichen Vorlesungen diese Tatsache nicht unberücksichtigt lassen, wenn er aufmerksam macht auf die „Wärme, mit welcher Hegel Philo […] behandelt“, „[an der] [man] merkt, daß er hier eine tiefe Verwandtschaft mit der eigenen Zeit spürt“.⁵ Um Hegels vielgestaltiges Philonbild nachzeichnen zu können, muss man sich zunächst der „Systemstelle“ von Philons jüdischem Platonismus in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen zuwenden. Schon auf den ersten Blick springt die entscheidende Stellung ins Auge, die Philon in Hegels synoptischer TWA Bd. 19, S. 426, 524. Düsing stellt heraus, dass Hegel der antiken griechischen Metaphysik in seiner Philosophiegeschichte mehr „Hochschätzung“ als „seiner eher kritischen Beurteilung der neuzeitlichen Philosophie“ entgegenbringe: 1983, S. 39, 134 ff. Zu Hegels aufwertendem Neuplatonismusverständnis siehe auch: Halfwassen 1999, S. 463; Dangel 2013, S. 5 – 7. Baeumler 1923, S. 35 (siehe auch: S. 36 – 37). Baeumler sieht Hegels große systematische „Verwandtschaft“ vor allem mit den Neuplatonikern, und insbesondere mit Proklos. Er bestätigt das von Feuerbach entworfene Hegelbild als „der deutsche Proklus“: „Der Form, d. h. der abstrakten historischen Stelle nach ist Hegel in der Tat der deutsche Proklus“ (Baeumler 1923, S. 36). Den Hinweis auf diesen interessanten Textabschnitt fand ich beim von Rawidowicz verfassten Artikel „War Nachman Krochmal Hegelianer?“ (1928, S. 573: Fn. 76).
2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
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Auffassung der Philosophiegeschichte einnimmt, Hegel positioniert diese an einem für ihn zentralen Wendepunkt der Geistesgeschichte: nämlich zu Beginn seiner Ausführungen über den Neuplatonismus als Kulmination der antiken griechischen Metaphysik, den er im gleichen Zug geradezu als wissenschaftliches Fundament für die christliche Dogmenbildung ausweist. Auch die Einteilung von Hegels Neuplatonismus-Kapitel legt Philons große Bedeutung nahe, denn ihm allein ist – neben der „Kabbala und Gnostizismus“ sowie der gesamten „Alexandrinische[n] Philosophie“– ein eigener thematischer, auf einen einzigen Denker bezogener Abschnitt („A. Philon“) gewidmet. Trotz dessen maßgeblicher Rolle als Vorläufer der neuplatonischen Schule macht sich in gleichem Maße Hegels Tendenz bemerkbar, Philons ideengeschichtliche Zentralstellung angesichts seiner noch größtenteils in der jüdischen Gedankenwelt angelegten Philosophie zu schwächen. Zweierlei spricht konkret für diese marginalisierende Absicht: (1) Hegel hält fest, ehe man zu den wahren Vertretern des neuplatonischen Denkens, Plotin und Proklos, fortschreiten könne, sei „noch von Philon, dem Juden, [jedoch im Vorbeigehen] zu sprechen“.⁶ (2) Durch seine deutliche Unterscheidung zwischen Philon und dem Neuplatonismus will Hegel anscheinend Philons jüdische und eigentlich sehr eng mit der christlichen Entwicklungsgeschichte verzahnte Religionsphilosophie von der geistesgeschichtlichen „Revolution“ der christlichen Glaubenslehre und somit von deren spekulativer Trinitätsbestimmung ausschließen. Diese relativierende Wertung von Philons Denken in Hegels Philosophiegeschichte spitzt Wolfson folgendermaßen zu: As for Philo, he says, “we must make cursory mention of” him, before we enter upon our discussion of “the Neo-Platonists,” the latter of which are to be considered as being “closely connected with the revolution which was caused in the world by Christianity” though only as a sort of precursor to its philosophy, for, as he adds, while the Neo-Platonists had some adumbration of “the Idea of Christianity,” they “still had not proved their doctrine that the Trinity is the truth.” (Wolfson 1962, Bd. 2, S. 441)
Allerdings birgt diese Stellungnahme zu Hegels Philonverständnis einen entscheidenden Schwachpunkt, auf den Westerkamp deutlich hinweist: Wolfsons Wahrnehmung „stimm[e] nur bei oberflächlicher Betrachtung“,⁷ denn „[i]In Wirklichkeit“, so betont er demgegenüber, „schreibt ihm [sc. Philon] Hegel implizit die Entdeckung jener philonischen Unterscheidung von Identität und Dif-
TWA Bd. 19, S. 418. Westerkamp 2009, S. 91. Zu den wesentlichen Problemen von Wolfsons Philonverständnis siehe weiterführend: Runia 1990b [1984], S. 112– 133.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
ferenz im Absoluten zu, die seine Geschichtskonstruktion benötigt, um ihr zweites Prinzip erklären und damit die eigene triadische und trinitarische Struktur rechtfertigen zu können [Hervorh. i. Orig.]“.⁸ Vor dem Hintergrund dieser Vorbehalte, wodurch Westerkamp mit einigem Recht Philons hohen Stellenwert für Hegels Rezeption der Philosophiegeschichte exponiert, wird meine Studie auf das Spezifikum des philonischen Denkens in Hegels Geschichtskonstrukt eingehen und die Unterschiede zu anderen metaphysischen Systemen und Strömungen darlegen. Zuvor allerdings ist der Kern von Hegels Auffassung der Philosophiegeschichte zu skizzieren.
2.1 Hegels Begriffsverständnis der Philosophiegeschichte Hegels Konzept der Philosophiegeschichte ist untrennbar mit einer geistmetaphysischen Umgestaltung verbunden. Leitgedanke dieser Neukonzeption ist, dass dem Geist die begründende Funktion eines vernunftgemäßen Organisationsprinzips in der intellektuellen Menschheitsgeschichte zukommt. Einzelsysteme der Philosophie seien infolgedessen nicht mehr als „unordentlicher Haufen von Meinungen“ zu begreifen, sondern vielmehr als notwendige Erscheinungsformen der innerweltlichen Geisttätigkeit.⁹ Somit erhebt Hegel den spekulativen Anspruch, die Vielzahl an philosophischen Systemen von ihrer prozesshaften und konkreten Totalität her gemäß dem einheitsstiftenden Geistprinzip aufzufassen.¹⁰ Unter der Geschichte der Philosophie sei daher im Wesentlichen „ein organisches System, eine Totalität, welche einen Reichtum von Stufen und Momenten in sich enthält“, zu verstehen.¹¹ Vom Konstrukt der Philosophiegeschichte als systematischer Einheit geprägt klassifiziert Hegel die einzelnen Philosophien als wesensnotwendige Begriffsmomente des sich zeitlich zur Totalität selbstentfaltenden Geistes. Dabei liege diesem philosophiegeschichtlichen Totalisierungsvorgang des in logischen Denkbestimmungen fortschreitenden Geistes eine dialektische Struktur zugrunde, in der ein philosophischer Standpunkt, der triadischen Aufhebungsoperation folgend, erstens negiert, dann aufbewahrt und am Ende dessen intrinsischer Wahrheitsgehalt zu einer höherstehenden Wirklichkeitsstufe erhoben werde.¹² Das Resultat dieses dialektischen Aufhebungsverfahrens gehe allerdings in einen neuen Ausgangspunkt über, bei dem sich der Geist – mit dem geschichtlich bedingten Westerkamp 2009, S. 93. TWA Bd. 18, S. 49. Siehe zudem: TWA Bd. 18, S. 15. TWA Bd. 20, S. 461– 462. TWA Bd. 16, S. 46. TWA Bd. 3, S. 94; Bd. 5, S. 114.
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Menschenbewusstsein weitgehend übereinstimmend – bemühe, eine neue, konkretere Vernunftebene durch Widerlegung und Herabsetzung des vorherigen metaphysischen Standpunktes als lediglich ideelles Moment des Absoluten auszubilden. Am Beispiel von Hegels Aufnahme der spekulativen Grundbestimmung des Heraklitismus, nämlich „das Werden“, in seinen absoluten Idealismus lässt sich dieses dialektische Übergangsmodell von einem Philosophiesystem zum nächsthöheren besonders deutlich festmachen: Das Werden ist als die erste konkrete zugleich die erste wahrhafte Gedankenbestimmung. In der Geschichte der Philosophie ist es das System des Heraklit, welches dieser Stufe der logischen Idee entspricht. […] Wir haben hieran zugleich ein Beispiel der wahrhaften Widerlegung eines philosophischen Systems durch ein anderes, welche Widerlegung eben darin besteht, daß das Prinzip der widerlegten Philosophie in seiner Dialektik aufgezeigt und zum ideellen Moment einer höheren konkreten Form der Idee herabgesetzt wird. (TWA Bd. 8, S. 192– 193)¹³
Demnach versteht Hegel unter jedem zentralen philosophischen Einzelsystem einen notwendigen Standpunkt in Form einer besonderen Gedankenbestimmung, durch die der Geist seiner Absolutheit entsprechend systematisch dargestellt werden kann. Als Folge ihres wissenschaftlichen Alleinstellungsmerkmals – im Sinne der Vermittlung von absolut wahrem Wissen – könne, so argumentiert Hegel, allein die Philosophiegeschichte die absolute Idee von ihrer spekulativen Wahrheit her, d. h. in ihrer wesentlichen dialektischen Gesamtentwicklung, begreifen: „Aus dem, was über die formelle Natur der Idee angegeben worden ist, erhellt, daß nur eine Geschichte der Philosophie, als ein solches System der Entwicklung der Idee aufgefaßt, den Namen einer Wissenschaft verdient.“¹⁴ Die spekulative Wertung der Philosophiegeschichte als Wissenschaftsdisziplin macht es anscheinend unabdingbar, die philosophischen Einzelsysteme als notwendige Gedankenbestimmungen der absoluten Idee einzuschätzen. Laut Hegel folgt die philosophische Geschichtsentwicklung der bewusstseinsorientierten Menschenwelt einer vernünftigen und zweckmäßigen Struktur, die, von den richtigen geistmetaphysischen Prämissen her gesehen, ihre teleologische Notwendigkeit ausdrücklich bekräftigen soll: „Nur so, als durch die Vernunft begründete Folge der Erscheinungen, welche selbst das, was die Vernunft ist, zu ihrem Inhalte haben und es enthüllen, zeigt sich diese Geschichte selbst als etwas
Dazu weitgehend: Düsing 1983, S. 50 ff. Zu Hegels Erläuterung von seiner systematischen Aufnahme des Spinozismus siehe: TWA Bd. 6, S. 249. Vgl. dazu auch Düsing 1983, S. 29. TWA Bd. 18, S. 50. Siehe dazu: TWA Bd. 18, S. 30, 34 und 37; Bd. 3, S. 14.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Vernünftiges; sie zeigt, daß sie eine vernünftige Begebenheit [ist] [Anm. d. Verf.].“¹⁵ Die sukzessive Abfolge der vernunftgemäß entfalteten Philosophiesysteme sei zwar zeitbedingt, aber als Gedanken ihrer Zeit seien diese eo ipso in ihrer Notwendigkeit zeitlos, zumal ihr Entstehungsgrund unausweichlich auf ein tieferes geschichtsbezogenes Bedürfnis des Geistes rückführbar sei. Vor diesem Hintergrund ist zugleich besser nachvollziehbar, weswegen Hegel in der Einleitung seiner Philosophiegeschichte das „ideenlose Auge“ dazu auffordert, die einzelnen Systeme der Philosophie nicht mehr als kontingente und isolierte Momente der menschlichen Weltgeschichte, also ausschließlich als Meinungen, wahrzunehmen, sondern vielmehr hinsichtlich ihrer systematischen Ganzheit als wesensnotwendige Selbstentfaltungsmomente der absoluten Idee.¹⁶ Das Vollzugsmoment der philosophiegeschichtlichen Konstitution der absoluten Idee kulminiert in Hegels Systembildung des absoluten Idealismus, in dem alle Wesensmomente der vorherigen Philosophien dialektisch eingebaut seien und demzufolge darin ihren überzeitlichen Sinn erhielten: „Die der Zeit nach letzte Philosophie ist das Resultat aller vorhergehenden Philosophien und muß daher die Prinzipien aller enthalten; sie ist darum, wenn sie anders Philosophie ist, die entfaltetste, reichste und konkreteste.“¹⁷ Diese strukturelle Entfaltung des absoluten Geistes in seiner inneren Zielorientierung zum menschlichen Geschichtsganzen bestimmt Hegel mit dem Argument näher, er entwickle und erkenne sich stufenweise, d. h. entsprechend der logischen Abfolge der dreischrittig aufgebauten Sphäre des Geistes, in der Kunst, der Religion und schließlich der Philosophie als eine Einheit. In dieser findet er seinen höchsten Niederschlag als endgültigen Selbstvollzug im Moment der Philosophiegeschichte –, wodurch er letztlich zum Innewerden seiner selbst gelange.¹⁸ Was dieses konstitutive „Sichwissen“ des absoluten Geistes zusätzlich auszeichnet, ist seine ausschlaggebende Einsicht, dass die mannigfachen Systeme der Philosophie nicht mehr durch eine Art Fremdreferenz von außen zu erfassen seien, sondern dass vielmehr das Gegenteil wahr sei: Er begreife diese nunmehr als hierarchische Reihe seiner „Entäußerungen“, unter der die Geschichte seiner Bewusstseinsinhalte zu verstehen sei, womit sein Wesen sich als Wissen der absoluten Idee in vollentfalteter Gestalt erschöpfe:
TWA Bd. 18, S. 50. Siehe auch: TWA Bd. 12, S. 20. Vgl. hierzu auch: Düsing 1983, S. 31– 32. Vgl. dazu: TWA Bd. 18, S. 23; Bd. 20, S. 461. TWA Bd. 8, S. 58: § 13. Zu diesem philosophiegeschichtlichen Gedanken siehe zudem: TWA Bd. 18, S. 61. Hierzu ebenfalls: Düsing 1983, S. 1. TWA Bd. 10, S. 34: § 384 Zusatz; Bd. 10, S. 378: § 572. Zur Erläuterung von Hegels Auffassung der geistigen Geschichtsentwicklung siehe: Halfwassen 1999, S. 102– 104; Dangel 2013, S. 302.
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Diese letzte Gestalt des Geistes, der Geist, der seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form des Selbsts gibt und dadurch seinen Begriff ebenso realisiert, als er in dieser Realisierung in seinem Begriffe bleibt, ist das absolute Wissen. (TWA Bd. 3, S. 582) Diese Arbeit des Geistes, sich zu erkennen, sich zu finden, diese Tätigkeit ist der Geist, das Leben des Geistes selbst. Sein Resultat ist der Begriff, den er von sich erfaßt: die Geschichte der Philosophie die klare Einsicht, daß der Geist dies gewollt in seiner Geschichte. (TWA Bd. 20, S. 456)¹⁹
Dieser selbstbezügliche Erkenntnisvollzug des sich in der Menschengeschichte selbst explizierenden Geistes mache letztlich seine Vollendungsgestalt als das konkrete Absolute aus.²⁰ Hinsichtlich der Immanenz des absoluten Geistes betont Hegel, dessen Vollendungsform der Selbsterfassung finde ihren Niederschlag nicht außerhalb der menschlichen Sphäre, sondern ausschließlich im Menschenbewusstsein. Als dessen weltimmanente Grundlage sei es dem Geist erst möglich, sein selbstbewusstes Wesen in seiner konkreten Totalität zu vollziehen: „sein Sichwissen [sc. Gottes als Geist] ist ferner sein Selbstbewußtsein im Menschen.“²¹ In Anbetracht von Hegels geschichtlichem Verständnis der Philosophie muss auch berücksichtigt werden, dass er die Weltgeschichte eindeutig philosophisch konzipiert. Vor diesem Hintergrund leuchtet Düsings Behauptung ein, die besagt, „das geschichtliche Verstehen vergangener Philosophie muß […] nicht nur historisch, sondern zugleich wesentlich philosophisch sein [Hervorh. i. Orig.]“.²² Der zu sich kommende Geist sei, so versichert uns Hegel, keinesfalls lediglich als ideales Prinzip zu betrachten, mit dessen Hilfe sich der zugrunde liegende Sinn der Weltgeschichte vollumfänglich erschließen lasse, sondern er manifestiere vielmehr selbst diesen Sinn: Nach dieser abstrakten Bestimmung [sc. des Geistes] kann von der Weltgeschichte gesagt werden, daß sie die Darstellung des Geistes sei, wie er sich das Wissen dessen, was er an sich ist, erarbeitet; und wie der Keim die ganze Natur des Baumes, den Geschmack, die Form der Früchte in sich trägt, so enthalten auch schon die ersten Spuren des Geistes virtualiter die ganze Geschichte. (TWA Bd. 12, S. 31)
Siehe des Weiteren auch: TWA Bd. 3, S. 81; Bd. 10, S. 366 (§ 583); Bd. 20, S. 461. TWA Bd. 10, S. 33: § 385 Zusatz: „Daß der Geist dazu kommt, zu wissen, was er ist, dies macht seine Realisation aus.“ TWA Bd. 10, S. 374: § 564. Siehe dazu ebenfalls: TWA Bd. 17, S. 385, 480. Düsing 1983, S. 24. Zudem siehe auch: Düsing 1983, S. 31.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Somit sei dem Wesen des selbstbewussten Geistes als das absolute Wissen der Zweck der gesamten Philosophiegeschichte eigen.²³ Da die Philosophie in ihrem absoluten Wahrheitsanspruch Hegel zufolge die Leitprinzipien der zentralen philosophiegeschichtlichen Systeme in einem einzigen hierarchisch aufgebauten Gedankengebäude enthalten solle, sei unter diesem Aspekt betrachtet „das Studium der Geschichte der Philosophie [als das] Studium der Philosophie selbst“ wahrzunehmen.²⁴ Letzten Endes sei die Philosophiewissenschaft wie die Philosophiegeschichte ihrer Natur nach darauf angewiesen, denselben metaphysischen Erkenntnisgegenstand zu fassen: „die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe“.²⁵ Hegel spinnt diesen Gedanken mit dem Argument noch weiter, die verschiedenen Philosophien seien „nichts anderes als die ursprünglichen Unterschiede der Idee selbst“.²⁶ Es bestehe also zwischen der absoluten Idee und den zahlreichen Philosophien eine wechselseitige innere Abhängigkeit, „da sie […] nur in ihnen [ist], was sie ist; sie sind ihr also wesentlich, sie machen den Inhalt der Idee aus“.²⁷ In dieser gegenseitigen Sinngebung fungieren die sich in der Geschichte bildenden sowie epochemachenden Systeme der Philosophie als „die Aufeinanderfolge in der logischen Ableitung der Begriffsbestimmungen der Idee“,²⁸ die, wenn als systematische Totalität begriffen, eine wesentliche Ausprägung des philosophischen Geschichtsganzen in ihrer Gesamtentwicklung widerspiegele: „In ihr [sc. in der neuesten Philosophie] muß alles, was zunächst als ein Vergangenes erscheint, aufbewahrt und enthalten, sie muß selbst ein Spiegel der ganzen Geschichte sein.“²⁹
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung Nach einem allgemeinen Einblick in Hegels Begriff der Philosophiegeschichte rückt meine Arbeit im Folgenden Hegels systematische Philondarstellung in den
TWA Bd. 3, S. 591: „Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reichs vollbringen [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 18, S. 49. Vgl. TWA Bd. 18, S. 45. TWA Bd. 18, S. 49. TWA Bd. 18, S. 53. TWA Bd. 18, S. 53. TWA Bd. 18, S. 49. TWA Bd. 18, S. 61. Vgl. dazu: TWA Bd. 12, S. 540. Siehe dazu: Düsing 1983, S. 26.
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung
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Vordergrund. So wird das charakteristische Moment des philonischen Denkens in Hegels systematisierter Geistesgeschichte fassbar. Erforderlich hierfür ist allerdings, die philosophiehistorischen Informationsquellen dieser Philondarstellung zurückzuverfolgen, um sie genauer bewerten zu können. Eine solche Rekonstruktion will OʼRegan in seinem Artikel „Hegel’s Retrieval of Philo: Constitution of a Christian Heretic“ geleistet haben. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Hegels Philonauslegung in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen größtenteils aus zwei sekundären Quellen schöpft, und zwar aus dem großangelegten Abschnitt über jüdische Philosophie („de philosophia judaica“) im zweiten Band von Bruckers Historia critica philosophiae (§ 36) sowie aus dem vierten Teil (§§ 509 – 512) von Buhles Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. ³⁰ Während Brucker den generellen historischen Rahmen für Hegels Philonausführungen bilde,³¹ stifte Buhle ihnen ihre thematischen Hauptinhalte.³² Von dieser Einschätzung geleitet kommt OʼRegan zu dem Schluss, Hegels philosophiehistorische „Präsentation“ von philonischem Gedankengut sei epigonal.³³ Im weiteren Verlauf meiner Arbeit wird sich jedoch beweiskräftig zeigen, dass Hegel nicht nur an (1) Brucker und (2) Buhle anknüpft, sondern tatsächlich auch an (3) Tennemann, (4) Neander sowie (5) Tiedemann. 1) Hegels lediglich grobe Skizzierung der weltgeschichtlichen Figur Philons bestätigt OʼRegans Wertung sowie die der historisch-kritischen Hegelausgabe, der zufolge sich Hegel hierzu auf Brucker stützt: Quo tempore editus sit in lucem, nullibi indi- […] er wurde nämlich zwanzig Jahre vor Chriscauit, ex eo tamen, quod Caio Caligula impe- tus geboren, war aber noch später als dieser am rante iam aetate prouectus fuit, et canos habuit, Leben. […] Unter Caligula, bei dem von Apion
OʼRegan 2008, S. 115: „The entire six pages on Philo, then, in Lectures on the History of Philosophy 2 could be regarded as cobbled together from these two relatively undistinguished sources.“ OʼRegan 2008, S. 114: „Brucker, the German Copleston of the eighteenth century, at the very least seems to provide the frame for Hegel’s discussion.“ OʼRegan 2008, S. 115: „[…] with Brucker essentially supplying the historical und ideological frame for the analysis of Philo, and with Buhle providing a synoptic account of the basic religious and philosophical content of Philo’s works.“ OʼRegan zufolge fungiert Neander für den hegelschen Philon-Abschnitt als eine bedeutende Ergänzung zu beiden Philosophiegeschichtsschreibern: OʼRegan 2008, S. 117 („Still, with regard both to solidifying the association of Philo and Valentinianism and improving his content knowledge of both, the text of Hegel’s period that proved most influential was August Neander’s Genetische Entwicklung der vornehmsten gnostischen [Systeme] (1818). From this text Hegel supplements what he has learned from Brucker and Buhle about Philo, and found most of what he knew about Valentinus and the Valentinian system of Ptolemy [Hervorh. i. Orig./Anm. d. Verf.].“). OʼRegan 2008, S. 115 („Hegel’s unoriginal presentation“).
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
recte concluditur, ante natum Dominum IESUM CHRISTUM natales habuisse. […] Saepius enim a gente sua in maximi momenti negotiis adhibitus, legationem etiam pro ea ad imperatorem Caium Caligulam suscepit, apud quem Alexandrini per Apionem grauiter Iudeos calumniati fuerant. […] Cum secunda vice sub Claudio Romam venisset Philo, locutum fuisse cum apostolo Petro, eiusque amicitia gauisum fuisse […] [Hervorh. i. Orig.]. (Brucker , S. – )
die Juden sehr übel angeschrieben worden, wurde er bei Jahren als Gesandter seines Volkes nach Rom geschickt, um den Römern eine bessere Vorstellung über die Juden beizubringen. Legendenhaft ist es, daß er auch unter dem Kaiser Claudius nach Rom gekommen sei und dort den Apostel Petrus kennengelernt habe. (TWA Bd. , S. )
Allerdings lehnt sich Hegel nicht nur hinsichtlich Philons Biographie an Brucker an, sondern auch bezüglich dessen allegorischer Schrifterklärung des biblischen Schöpfungsberichtes. Auf den ersten Blick scheint sich Hegel im abschließenden Paragraphen seiner Philondeutung über dessen platonische Schöpfungslehre an Philons Ursprungstext, genauer: an Opif. 24– 25, 27, 29 sowie 47, zu orientieren. Betrachtet man jedoch den griechischen Quellentext näher, so fallen folgende Abweichungen auf: (a) Hegel ersetzt Gott durch den Logos. (b) Anstelle von sichtbaren und sinnenfälligen Göttern ist die Rede von übersinnlichen Engeln, unter denen allegorisch die platonische Ideenvielheit zu verstehen sei. (c) Nicht nur das Nomen θεῶν scheint Hegel zu substituieren, sondern auch dessen Attribute. Wesensmerkmal dieser Götter ist es im ursprünglichen Text, in Anspielung auf Platons Tim. 40d4 (θεῶν ὁρατῶν),³⁴ sowohl offenbar (ἐμφανῶν) als auch sinnlich wahrnehmbar (αἰσθητῶν) zu sein. Die Rede ist also offenkundig von den physischen Himmelskörpern.³⁵ Hegel ändert aber die Bedeutung dieser Stelle, indem er diese materiellen Gestirne zu Engeln umgestaltet, die „nicht erscheinen und den Sinnen nicht offenbar werden“. Betrachtet man zunächst, dass in der 1691 veröffentlichten Frankfurter Philonausgabe statt des Adjektivs ἐμφανῶν das Adjektiv ἀφανῶν steht – woraus folgt, dass dieses nicht mit „apparentium“,³⁶ sondern mit „non apparentium“ übersetzt wurde –³⁷ so ergibt sich daraus vordergründig, Hegel fuße in diesem
Vgl. zu Tim. 41a3. Zu diesem platonischen Topos bei Philons Schöpfungslehre siehe weiterführend: Runia 1986, S. 223. Diesen Gedanken spinnt Runia in seinem Kommentar zu De opificio mundi weiter: „Here Philo appears to make a concession to pagan tastes by describing the heavenly bodies as ‚visible gods‘.“ (2001, S. 160) PIO Bd. 1, S. 17 („[…] quoniam deorum apparentium, et sensui patentium […].“). Diese PhilonAufgabe macht auf das falsche Adjektiv ἀφανῶν der Turnebus-Hoeschelius-Gelenius-Ausgabe aufmerksam (PIO Bd. 1, S. 16 – 17: Fn. u). THG, S. 5.
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung
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Punkt auf der Turnebus-Hoeschelius-Gelenius-Ausgabe. Zieht man jedoch Bruckers Behandlung von Philons De opificio mundi in der Historia critica philosophiae näher in Betracht, so stellt sich letztlich zweifelsfrei heraus, dass sich Hegel zwar dieser Passagen aus dem Corpus Philonicum bedient, aber in der Form, in der sie von Brucker in seinem Exzerpt aus der Turnebus-Hoeschelius-Gelenius-Ausgabe vermittelt werden: Adeo vero insanit in hac re Philo, unde in sequentibus probare audeat, mundum hunc intelligibilem nihil aliud esse, quam verbum Dei iam mundum condentis, et hanc Mosis opinionem esse, non suam: hocque verbum in principio ideo coelum generasse, quod purissima constet essentia et destinatum sit domicilium Deorum tam non apparentium, quam sensui patentium. […] Et ne saniori sensu intellexisse videretur, ipse sollicite cauit addens: Conditorem ante omnia fecisse in mundo intelligibili incorporeum coelum, et terram inuisibilem, et aëris ideam et vacui, deinceps aquae incorpoream essentiam, itemque spiritus et lucem incorpoream, et exemplar solis intelligibilem, omniumque stellarum. Hi enim Dii non apparentes sunt, apparentium, solis, et stellarum archetypi […]. Ita enim, rationem redditurus, cur ante condita quarto die coelestia lumina, tertio die terram ornauerit conditor: Haec est caussa, cur terra priori germinarit, et herbam protulerit, coelum vero post sit ornatum, in numerio perfecto quaternario, quem denarii omnium absolutissimi caussam fontemque non falso dicere licet. Quod enim actu est denarius, hoc quaternaris potentia esse videtur. […] Eiusdem scholae Platonicae Alexandrinae, Pythagoreismum cum Platonismo coniungentis vestigia manifesta expressit, ordinem creationis, etdierum, quibus conditae sunt res visibiles omnes, ad numerorum et proportionum rationes Pythagoricas exigens. […] Haec est causa, cur terra prior germinarit, et herbam protulerit, coelum vero post sit ornatum, in numero perfecto quaternario, quem denarii omnium absolutissimi caussam fontemque non falso dicere licet [Hervorh. i. Orig.]. (Brucker , S. – )
„Das Wort Gottes hat im Anfang den Himmel erschaffen, der aus dem reinsten Sein besteht und der Aufenthalt der reinsten Engel ist, die nicht erscheinen und den Sinnen nicht offenbar werden“, nur dem Gedanken; das sind die ἰδέαι. „Der Schöpfer hat vor allem der intelligiblen Welt den unkörperlichen Himmel und die unsinnliche Erde gemacht und die Idee der Luft und des Leeren, hierauf die unkörperliche Essenz (οὐσία) des Wassers und ein unkörperliches Licht und ein unsinnliches Urbild (ἀρχέτυπος) der Sonne und aller Sterne“ […]. Philon sagt, am vierten Tag habe den Himmel eine Zahl geschmückt, Vier, die Tetraktys, die vollkommenste usf. (TWA Bd. , S. ) Dies knüpft er dann an Moses, an die Schöpfungstage; [eine] pythagoräische und platonische Form ist also hier angewendet. (Vorl. Bd. , S. )
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Anhand dieser Gegenüberstellung lässt sich diese Quellenidentifikation auf sieben Gründe zurückführen: (a) Auch in Bruckers Wiedergabe von Opif. 27 sticht die Divergenz vom ursprünglichen Wortlaut ins Auge, wenn er anstelle von Gott vom Wort Gottes („verbum Dei“) als Schöpfer des Himmels spricht. Dieser vom Originalwortlaut merklich abweichenden Formulierung scheint Hegel exakt zu folgen, denn er schreibt, „[d]as Wort Gottes [habe] den Himmel erschaffen“. (b) Brucker gibt einen zentralen Abschnitt aus Opif. 25 wieder, in dem Philons Mosaizität zutage gefördert wird;³⁸ darauf scheint Hegel mit der Behauptung Bezug nehmen zu wollen, Philon sehe seinen spekulativen Schöpfungsgedanken in der Figur Moses begründet.³⁹ (c) Auf Basis der Frankfurter Philonausgabe („Deorum tam non apparentium“) schreibt Brucker anstatt von sichtbaren (θεῶν ἐμφανῶν) ebenfalls von unsichtbaren Göttern. In diesem Zusammenhang schließt sich Hegel an ihn an, wenn er auf nicht erscheinende Engel zu sprechen kommt. (d) Brucker greift auf den Teil von Opif. 24 zurück, wo Philon am Beispiel eines Gleichnisses der Bau-Metaphorik den Begriff des θεῖος λόγος zu verdeutlichen sucht.⁴⁰ Auch hier scheint Brucker Hegel als Grundlage zu dienen, denn dieser, sich auf Bruckers Wiedergabe von Opif. 24 stützend, bestimmt Philons Logoshypostase als „die reine intelligible Welt der Wahrheit selbst“, die „nichts anderes als das Wort Gottes ist“.⁴¹ (e) Weiterhin scheint sich Hegel an Bruckers Wiedergabe der in Opif. 47 pythagoreisch klingenden Gedankenfigur anzuschließen, der zufolge die Zahl Vier mit dem Wesen des Himmels eng verbunden sei. (f) Ein weiteres Indiz ist, dass Philon im Originalwortlaut in Opif. 29 für „Urbild“ nicht das Adjektiv ἀρχέτυπος verwendet, wie Hegel anscheinend annimmt, sondern vielmehr das Substantiv παράδειγμα (νοητὸν ἡλίου παράδειγμα). Daher liegt die Annahme nahe, Hegels irrtümliche Wiedergabe entspringe Bruckers Ausdruckweise „stellarum archetypi“. (g) Hinzu kommt, dass bei Hegels Bezugnahme auf Opif. 27 genau dieselben Teile der originalen Passagen wie bei Brucker weggelassen sind („Est enim revera constentaneum ratoni, primum in generatione illud provenisse, cum sit praestantissimum ex his quae facta sunt, & é] […] domicilium sacratissimum“)⁴². Sehr deutlich wird dabei, wie stark sich Hegel hier an Bruckers lateinischer Wiedergabe von Textabschnitten aus Philons Opif. orientiert, ohne den Quellentext vor Augen zu haben. Somit wird eindeutig klar, dass all diese Zitate aus De opificio mundi, die Hegel in derselben Reihenfolge, Opif. 24, 25, 27, 29
PCH Bd. 1, S. 35: „Das ist Moses’ Meinung, nicht etwa die meinige.“ Vorl. Bd. 8, S. 172: „Dies knüpft er dann an Moses.“ Dazu: Runia 1986, S. 443; Runia 2001, S. 133. Im griechischen Originalwortlaut ist zu lesen: εἰ δέ τις ἐθελήσειε γυμνοτέροις χρήσασθαι τοῖς ὀνόμασιν, οὐδὲν ἂν ἕτερον εἴποι τὸν νοητὸν κόσμον εἶναι ἢ θεοῦ λόγον ἤδη κοσμοποιοῦντος. THG, S. 5.
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung
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sowie 47, wie Brucker wiedergibt, aus dessen Historia critica philosophiae entnommen sind. 2) Die wichtigste philosophiegeschichtliche Quelle für Hegels Darstellung der systematischen Grundmomente von Philons Denken ist Buhles Philondeutung, die wiederum nahezu wortwörtlich auf dem damaligen deutschsprachigen Standardwerk Stahls über Philon aufbaut.⁴³ Vier Punkte belegen Hegels inhaltliche Abhängigkeit von Buhle: (a) Schon am Anfang seiner Interpretation zählt Hegel Titel zentraler Werke Philons auf, die exemplarisch für dessen System sein sollten.⁴⁴ Hierbei scheint er sich an Buhle zu orientieren, der ebenfalls Titel verschiedener bekannter philonischer Abhandlungen anführt.⁴⁵ (b) Entscheidend ist weiterhin Hegels Anlehnung an Buhle in Hinblick auf den Kerngedanken von Philons gesamtem Denken: sein von Platons Metaphysik her konzipierter Gottesbegriff als das überzeitliche, unwandelbare und all-einheitliche Seiende und als ganzheitliches Urlicht, dessen Wesen die menschlichen Geistesaugen zu erschauen anstreben: Diese Betrachtung [sc. der Weltordnung] inzwischen ist nur Vorbereitung zur Gotteserkenntnis. Diese wird eigentlich erst erworben durch eine unmittelbare Belehrung der Gottheit, die dem im Nachdenken versunkenen menschlichen Geist selbst eine Anschauung ihrer Existenz gewährt. Das Anschauen Gottes kann nur geschehen durch das Auge der Seele, die sich, um nicht in diesem Anschauen gehindert zu werden […] von dem Körper losreißen, und über alle materielle Substanzen zu den intellectuellen Gegenständen erheben muß. Zweytens: Die Gottheit selbst kann auch nicht durch das Auge der Seele erkannt werden. Die Seele kann nur wissen, daß Gott ist, nicht
Die Hauptsache ist, Gott zu erkennen. Erstens: Gott kann nur durch das Auge der Seele angeschaut werden, durch die ὅρασις. […] Zu diesem Behufe muß sich die Seele von dem Körper losreißen, das sinnliche Wesen aufgeben und sich zu dem reinen Gegenstande des Gedankens erheben, wo Gott näher ist und angeschaut wird. […] Das Andere aber ist, daß Gott von dem Auge der Seele auch nicht erkannt werden kann; sie kann nur wissen, daß er ist, nicht, was er ist. Sein Wesen ist das Urlicht, – ganz in morgenländischer Weise. […] Gott als solcher ist nichts als dies Sein; er kann daher von der Seele nicht erkannt werden, was er ist, sondern nur, daß er ist, d. h. eben nur als Sein. Oder Gott als dieses
Buhle 1799, S. 134– 135: „In der allgemeinen Charakteristik der Religionsphilosophie des Philo bin ich der vortrefflichen Abhandlung des Hrn. Stahl gefolgt.“ TWA Bd. 19, S. 418 – 419: „Er hat eine ganze Reihe von Werken verfaßt, noch viele sind vorhanden; z. B. Vom Bau der Welt (De opificio mundi); Von den Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis); De victimas offerentibus; Vom Gesetz der Allegorien (Lex allegoriarum); De somniis; Daß Gott unveränderlich sei (Quod Deus sit immutabilis).“ Buhle 1799, S. 134: „Zu diesen kommen noch fünf besondere Abhandlungen: über die Weltschöpfung und den Ursprung des Uebels (de opificio mundi); über Mosis Leben (de vita Mosis I. III und de charitate); über die wahre Freyheit des Tugendhaften (quod omnis probus sit liber und de vita contemplativa; de nobilitate; und de incorruptione mundi […].“ Dieser Passus hat seinen Ursprung in Stahls Philondarstellung: 1793, S. 797.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
was er ist. Aber sein Wesen wird für das Urlicht gehalten. […] Die Gottheit kann daher nur von dem Menschen το Ον genannt werden. […] Die Gottheit ist ihrer Substanz nach in keinem Orte, und kann durch keinen Ort eingeschlossen werden. […] und die Gottheit das Universum umschließt, kann sie der Ort des Universums heißen. In Rücksicht auf sich selbst ist sie ihr eigner Ort und Gegend. Sie erfüllt und begrenzt sich selbst. Die Gottheit lebt im Urbilde der Zeit (αιων), wo nichts vergangen, gegenwärtig, oder künftig ist. […] Den Verstand des Menschen hat die Gottheit ihrem Logos ähnlich, oder zu ihrem eigenen Ebenbilde gemacht [Hervorh. i. Orig.]. (Buhle, , S. – , )⁴⁶
Sein ist nur das abstrakte Wesen; es ist seine Idee. […] „Es ist der Raum des Universums, das er umschließt und erfüllt.“ Gott umschließt dieses All; dieses Wesen „ist sich selbst der Ort und ist von sich selbst erfüllt.“ […] Wie Gott der Raum des Universums ist, so „lebt er in dem Urbilde der Zeit“, in dem αἰών, d. h. in dem reinen Begriffe derselben [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. , S. – )
c) Dementsprechend ist Hegel offenkundig auch bei seiner wertschätzenden Erläuterung der philonischen Logoslehre auf Buhles Philondeutung angewiesen: Sein [sc. Gottes] Ebenbild ist der Logos, glänzender als Feuer. Die Seele des Menschen ist ein Abglanz (απαυγασμα) der Gottheit. […] Die Gottheit hat, wie die Menschen, einen zwiefachen Logos. Der erste ist der göttliche Verstand. Er enthält die Muster (ιδεας) aller Dinge, und alles dessen, was geschehen und ausgeführt werden soll. Der Inbegriff dieser Muster [sc. der Ideen] macht die intelligible Welt, oder die Idealwelt aus. Sie ist also nichts anders, als wie der Verstand der Gottheit, die im Begriffe war zu schaffen. […] Daher wurde dieser Logos das Ebenbild Gottes. Als erstes Produkt der Thätigkeit Gottes ist er der erstgebohrne älteste Sohn desselben, im Gegensatz zur Sinnenwelt, als dem jüngern Producte. […] Der zweyte Logos ist die Rede (λογος προφορικος) […] Gott sprach […] – Gott sandte den Logos in die Welt und wirkte durch diesen […]. Er [sc. der Logos] ist das Weltideal, nach welchem Gott die Materie bildete. Er ist das Werkzeug, wodurch Gott das Welt-Ganze regiert, und in seinem Gange erhält. […] Er ist der Lehrer der Weißheit der tugendhaften Menschen, der wahre Hohepriester […] der Fürsprecher und Vermittler zwischen Gott und Menschen. Er ist der Geist der Gottheit, sofern er den Menschen belehrt. […] Den Ver-
Zweitens: „Das Ebenbild und der Abglanz Gottes ist der λόγος, die denkende Vernunft, der erstgeborene Sohn, der die Welt regiert und in Ordnung hält.“ […] „Dieser λόγος ist der Inbegriff aller Ideen.“ […] Dieser λόγος ist die erste ruhende Gedankenwelt, wenngleich schon unterschieden. Ein anderer λόγος aber ist der hervorbringende, tätige (λόγος προφορικός), als Rede. Das ist Wirksamkeit, das Schaffen der Welt, wie er ihre Erhaltung, ihr bleibender Verstand ist. Dieser Logos ist zugleich für das Selbstbewußtsein der Lehrer der Weisheit. […] Das ist der Hohepriester, der [zwischen] Gott und den Menschen vermittelt, der Geist der Gottheit, der die Menschen belehrt […]. (TWA Bd. , S. , – )
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung
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stand des Menschen hat die Gottheit ihrem Logos ähnlich, oder zu ihrem eigenen Ebenbilde gemacht. […] Inzwischen sendet Gott, um die Menschen zur Tugend zurückzuführen, seinen Geist oder die Weißheit zu ihnen herab, und es komt nur auf sie an, ob sie denselben bey sich aufnehmen wollen [Hervorh. i. Orig.]. (Buhle , S. , – , und )
d) Auch Hegels Schilderung von Philons platonischer Auffassung des Materialprinzips geht offensichtlich auf Buhle zurück, worauf die Theoriewerkausgabe hinweist: Die ungebildete rohe Materie nennt Philo ουκ ον, μη ον, worunter er also nicht das Nichts versteht. Da Gott der Materie erst Bewegung und Form mittheilte, so ist die Welt nicht ewig, sondern erschaffen. (Buhle , S. )
Das Prinzip derselben ist bei Philon, wie bei Platon, das οὐκ ὄν, die Materie, das Negative; wie Gott das Sein, so ihr Wesen das Nichtsein. (TWA Bd. , S. )
3) Ein weiterer Autor der Philosophiegeschichtsschreibung ist Tennemann, dessen Wirkung auf Hegels Philonauslegung in seinem fünften Band der Geschichte der Philosophie weitgehend übersehen wird. Drei Aspekte von Hegels Philondarstellung sind auf diese philosophiehistorische Erkenntnisquelle rückführbar: (a) Dessen Einfluss findet seinen Ausdruck konkret in Hegels allgemeiner Bestimmung von Philons jüdisch-hellenistischem Gedankengut: Seine noch vorhandenen Schriften verrathen einen sehr gebildeten Mann, der mit allen Systemen der griechischen Philosophie bekannt war, und sie alle zu seinem Zwecke, die Religionsschriften seiner Nation als ein vollkommenes System göttlicher Weisheit darzustellen, und sie dadurch gegen die Vorwürfe und den Tadel der Nichtjuden zu vertheidigen, gut zu benutzen verstand. (Tennemann , S. )⁴⁷
Philon war wegen seiner πολυμάθεια berühmt und mit den griechischen Philosophien sehr gut bekannt. […] Durch den Geist der Philosophie sind die Juden genötigt worden, in ihren heiligen Büchern, ebenso die Heiden im Homer und in der Volksreligion, tiefere Bedeutung zu suchen und ihre religiösen Schriften als ein vollkommenes System göttlicher Weisheit darzustellen. (TWA Bd. , S. )
b) Hegel scheint sich weiterhin der Philon-Exzerpte im Originalwortlaut bedient zu haben, die Tennemann in den Fußnoten seiner Interpretation zitiert. Zweierlei spricht dafür: Zum einen exzerpiert und übersetzt Hegel einen Passus von
Zum anthropomorphen Gedanken des weltbegründenden Rede-Logos Gottes siehe zudem: Tennemann 1805, S. 238.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Leg. 1.44 aus dem griechischen Originaltext,⁴⁸ den er höchstwahrscheinlich in Tennemanns Fußnote 128 zu Philons über Zeit und Ort erhabener Gottesvorstellung fand.⁴⁹ Zum anderen übersetzt Hegel einen Textteil aus Sacr. 65 (ὁ γὰρ θεὸς λέγων ἅμα ἐποίει, μηδὲν μεταξὺ ἀμφοῖν τιθείς· εἰ δὲ χρὴ δόγμα κινεῖν ἀληθέστερον, ὁ λόγος ἔργον ἦν αὐτοῦ), in dem Philon für den Standpunkt einer creatio simultanea anhand der dem göttlichen Schöpfungsgeschehen zugrunde liegenden Schaffen-Sprechen-Einheit argumentiert.⁵⁰ Diesen fand er abermals in Tennemanns 130. Fußnote, mittels derer jener Philons Logos näher zu definieren sucht.⁵¹ (c) Hegels Aufzählung unterschiedlicher Vorstellungen, die dem philonischen Logosgedanken zukommen, habe ihren Ursprung ebenfalls in Tennemanns Fassung von Philons Logostheologie: Er nennt diese personificirte Verstandeswelt auch noch den Erzengel, (weil sie die erste aller erschaffenen oder vielmehr aus Gott ausgeflossenen Intelligenzen ist), den himmlischen Menschen, den Aufgang der Sonne. (Tennemann , S. )
Das ist der Mensch als himmlischer Mensch; er kommt auch unter dem Namen σοφία, ָחְכָמה, Adam Kadmon, der Aufgang der Sonne vor […]. (TWA Bd. , S. )
Die besonders augenfällige Entsprechung in der vorliegenden Gegenüberstellung betrifft die Identifikation von Philons Logoshypostase mit dem himmlischen Menschen wie auch mit dem Sonnenaufgang. 4) Es liegt ergänzend dazu nahe, dass Hegel die weiteren Vorstellungen aus dem philonischen Logoskonzept, „σοφία“, „ “ָחְכָמהsowie „Adam Kadmon“, dem einleitenden Kapitel „Elemente der Gnosis im Philo“ von Neanders Gnosis-Studie entnommen hat:⁵² „Der Geist (νους), oder Erstgeborene, die erste Offenbarung des Verborgenen, dann die Vernunft λογος, der Verstand φρονησις, die Weisheit
ἐπεὶ αὐτὸς ἑαυτοῦ τόπος καὶ αὐτὸς ἑαυτοῦ πλήρης καὶ ἱκανὸς αὐτὸς ἑαυτῷ ὁ θεὸς, τὰ μὲν ἀλλὰ ἐπιδεᾶ καὶ ἔρημα καὶ κενὰ ὄντα πληρῶν καὶ περιέχων, αὐτὸς δὲ ὑπ΄ οὐδενὸς ἄλλου περιεχόμενος, ἄτε εἷς καὶ τὸ πᾶν αὐτὸς ὤν. Vorl. Bd. 8, S. 171: „Er ist voll von sich selbst, αὐτὸς ἑαυτοῦ πλήρης (πλήρωμα).“; „‚Gott ist sich selbst genü gsam; alles andere ist dü rftig, leer. Und alles dies erfü llt er dann und hält es zusammen, wird von Nichts umschlossen; er ist eins und alles‘, die absolute Fü lle“ (TWA Bd. 19, S. 423). Tennemanns Fn. 128 befindet sich an folgender Stelle: Tennemann 1805, S. 236. TWA Bd. 19, S. 424: „‚Gott sprechend schuf er sogleich, nichts zwischen beide setzend‘; das Geschaffene bleibt ein Ideelles wie die Rede. ‚Wenn man ein wahrhafteres Dogma angeben will, so ist der Logos das Werk Gottes.‘.“ Tennemann 1805, S. 237: „Er nennt diese personficirte Verstandeswelt auch noch den Erzengel (weil sie die erste aller erschaffenen oder vielmehr aus Gott ausgeflossenen Intelligenzen ist), den himmlischen Menschen, den Aufgang der Sonne.“ OʼRegan 2008, S. 107: Fn. 12.
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung
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σοφια (wie in der Kabbala Binah und Chochmah).“⁵³ Diese Annahme verfestigt sich, wenn man zusätzlich Hegels Ausführungen zum Gnostizismus in Betracht zieht. Dort ist er im Zusammenhang mit dem Moment der göttlichen Offenbarung eindeutig auf Neanders Philonauffassung angewiesen, worauf die Theoriewerkausgabe hindeutet: In einem Fragment, M. T. II. p. . wo Philo die Theophanie Exod. , erklärt, sagt er, man müsse nicht glauben, daß der ὀυσιωδης θεος herabgekommen sey; sondern seine δοξα (Schechinah), d. h. die ihn repräsentirenden Kräfte, hier höher Geister, wie die Herrlichkeit eines Fürsten seine στρατιωτικη δυναμις genannt werde. […] Diese Kräfte als von Ewigkeit her in dem Wesen Gottes verborgen und von demselben ausstrahlend, nennt er δυναμεις ἀγενητους, ἂ περι ἀυτον ὀυσαι λαμπροτατον φως ἀπαστραπτουσιν […]. In sofern das ὀν an und für sich über jede Bezeichnung erhaben ist und nur nach den von demselben ausstrahlenden Kräften bezeichnet werden kann, alle diese aber der λογος in sich schließt, nennt er ihn vorzugsweise ὀνομα του θεου und zugleich πολυωνυμος, als ἀρχαγγελος, weil er nicht bloß eine einzelne göttliche Kraft darstellt; sondern alle in sich faßt, […] die ἀρχη, das erste Glied und das erste Princip in der Kette der Lebensentwicklung, in dem das ὀν an und für sich mit derselben in keine Berührung kommt, wie die Gnostiker sich deutlich ausdrückten, nicht ἀρχη; sondern προαρχη ist, der höchste Gottesbetrachter, das Ideal der höchsten Contemplation. Dasselbe was er von der ὀυρανιος σοφια (ihm mit dem λογος noch identisch v. p. ) als ὀρασις θεου sagt, diese personificirte himmlische Weisheit als Inbegriff der himmlischen Tugenden, welche Gott aus seinem geistigen Licht auf ewig unauslöschlich hervorgehn ließ […]. (Neander , S. – )
Neander 1818, S. 34.
Die Offenbarung, was herabgekommen ist, ist auch Herrlichkeit (δόξα, Schechina) Gottes, σοφία οὐράνιος (sie selbst ist ὅρασις τοῦ θεοῦ), δυνάμεις ἀγένητοι, αἳ περὶ αὐτὸν οὖσαι λαμπρότατον φῶς ἀπαστράπτουσιν, die Ideen, λόγος: oder vorzugsweise der Name Gottes (τὸ ὄνομα τοῦ θεοῦ, πολυώνυμος), dieser Demiurg; das ist Erscheinen Gottes, Bestimmung. (TWA Bd. , S. )
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Das von Hegel angeführte Exzerpt aus dem griechischen Original Deus 78, vermittelt in Neanders Philon-Kapitel, verdient deshalb besondere Beachtung, weil Philon hier das Konzept der ἀγένητοι θεῖαι δυνάμεις in ihrem Verhältnis zur sinnlich wahrnehmbaren Sonne sowie zur Natur Gottes als dem rein intelligiblen Urlicht näher veranschaulicht.⁵⁴ Hinzu kommt, dass Hegels Verweis auf Philons religiöse Darstellung der platonischen Ideen als Engel auch auf Neander zurückzugreifen scheint: In diesem Sinne trägt Philo den Namen δυναμεις auch auf die selbständigen Geister über und die platonischen Ideen mit den hypostasirten göttlichen Kräften verschmelzend […]. (Neander , S. )
Überhaupt ist diese Philosophie weniger Metaphysik des Begriffes oder Denkens selbst, als daß der Geist nur im reinen Denken erscheint, nicht hier in der Weise der Vorstellung ist und die Begriffe, Ideen als selbständige Gestalten vorgestellt sind. (TWA Bd. , S. – )
5) Hegels Bezugnahme auf das ekstatische Erschauen der sich Gott annähernden Seelenerhebung stützt sich allerdings nicht nur auf Buhle, sondern auch ergänzend dazu auf den Geist der spekulativen Philosophie von Tiedemann, worauf die kritisch-historische Hegelausgabe hinweist:⁵⁵ Dahin gehört ferner, daß Philon einer würklichen Erhebung zu Gott, eines eigentlichen Anschauens der Gottheit, noch in diesem Leben, sehr deutlich Erwähnung thut. ) Wer durch schwere Tugendübungen und Reinigungen zu solchem Anschauen Gottes (ὁρασιν Θεου), sich erhoben hat, den belegt er mit dem vorher nicht vorkommenden Namen eines Asceten (ασκητης). […] Von diesem aus dem Morgenlande und Aegypten hier zuerst in die Philosophie gebrachten Ekstasen, redet Philo oft und sehr bestimmt […]. Alle höhere Kenntnisse, behauptet er, werden durch göttliche Einwirkung oder Eingebung uns eingeflößt […]. ) Von sich versichert er, öftere Ergreifung oder Begeisterung von göttlichem Verstande, erfahren zu haben. (Tiedemann , S. – )
Gott kann nur durch das Auge der Seele angeschaut werden, durch die ὅρασις. Dies nennt er Entzückung, Verzückung, Einwirkung Gottes; das finden wir jetzt oft. (TWA Bd. , S. – )
PCH Bd. 4, S. 89 – 90: „[…] und dabei ist doch auch die Sonne nur eins der Werke Gottes, ein Teil des Himmels, eine Ätherverdichtung –, doch jene ungewordenen Kräfte, die um ihn herum das glänzendste Licht ausstrahlen, könntest du ungemischt erkennen?“ Vorl. Bd. 8, S. 423: „[…] Zur Verbindung von Gottesschau und Ekstase bei Philo siehe auch Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie. Bd. 3.133 [Hervorh. i. Orig.].“
2.2 Rekonstruktion der Quellen von Hegels Philondeutung
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Die obige Rekonstruktion ergänzt OʼRegans Untersuchungsergebnisse und ermöglicht es, ein vollständiges Bild der Quellenschriften für Hegels Philonauffassung zu reproduzieren. OʼRegans Beurteilung von Hegels geistesgeschichtlicher Philondarstellung als vor allem epigonal hinsichtlich der Quellen trifft offensichtlich grundsätzlich zu, zumal Hegel kein einziges Mal auf eine originäre Philonausgabe im griechischen Originalwortlaut aufzubauen scheint. Zudem befasst er sich mit Philons Denken anders als mit den „wahrhaften“ Vertretern des Neuplatonismus, Plotin und Proklos, in vergleichsweise begrenztem Maße. In diesem Sinne könnte man Hegels eigenen Vorwurf, den er gegen die „unhistorische“ und „im höchsten Grade unrein[e]“ Vorgehensweise des Philosophiehistorikers Brucker vorbringt, der „nicht rein aus den Quellen geschöpft“ habe, „sondern mit Reflexionen nach der damaligen Mode vermischt“ sei,⁵⁶ durchaus gegen ihn selbst erheben.⁵⁷ Gleichzeitig könnte diese von Hegel favorisierte Herangehensweise zeigen, wie sich die Philosophiegeschichtsschreibung im 18. und 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum oftmals mit komplexen Texten aus der Antike auseinandersetzte. Allerdings erweist sich Hegels Deutung von Philons System dennoch als innovativ, weil sie im gleichen Zug eine tiefgründige und gerade nicht triviale Auseinandersetzung mit dessen spekulativ „erwachtem“ Judentum aufdeckt. Das Innovative an Hegels philosophiehistorischem Philonbild ist aber auch konstruktiv, da er in Philons Denken bahnbrechende metaphysische Inhalte eruiert. Zwar schöpft Hegel seine Auslegung nicht aus einem unmittelbaren Umgang mit dem Corpus Philonicum, aber in den fünf oben genannten Philondarstellungen findet er sowohl eine Vielzahl an Zentralstellen auf Deutsch, Latein und im griechischen Original als auch zahlreiche Grundgedanken des alexandrinischen Philosophen, woraus er am Ende ein breitgefächertes und fundiertes Verständnis von dessen gesamter Ἰουδαϊκὴ φιλοσοφία gewinnen kann. Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten: Die spezifische Zwecksetzung, „einige[…] Momente“ von Philons Denken „[im Vorbeigehen] zu erwähnen“, scheint sich also mehr als zu erfüllen, denn seine Philonkenntnisse und deren systematische Darstellung sind durchaus bemerkenswert.
TWA Bd. 18, S. 134. Da Hegel die zwei deutschen Philonausgaben kannte (TWA Bd. 19, S. 419), legt die Hypothese doch nahe, dass Hegel sich irgendwann mit Philon im Original beschäftigte. Dagegen siehe OʼRegan: „Logically, this does not rule out the possibility that Hegel read Philo in the original. Unfortunately, however, Hegel’s reference to an edition of Philo’s works cannot be counted as evidence on its behalf.“ (2008, S. 114)
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
2.3 Philon als Wendepunkt bei der Herausbildung des spekulativen Bewusstseins im Judentum Auf den revolutionären Aspekt dessen, was Philons Denken in der gesamten jüdischen Geistesgeschichte zu einem Phänomen ohne Vorbild macht, kommt Julius Guttmann in seinem Standardwerk Die Philosophie des Judentums zu sprechen, indem er Philon als „de[n] einzige[n] literarische[n] Repräsentant[en] einer durchgreifenden philosophischen Umbildung des Judentums“ bewertet.⁵⁸ Gerade in Hegels Philondarstellung wird bereits im zweiten Satz eine derartige Behauptung aufgestellt, wodurch er das wesentliche Moment der philonischen Religionsphilosophie vor dem Hintergrund der Gesamtschau der Geistesgeschichte auszudrücken sucht: „Er ist derjenige, in dem wir zuerst diese Wendung des allgemeinen Bewußtseins als philosophisches Bewußtsein aufgehen sehen.“⁵⁹ Hegel zufolge ist Philons Denken ein bahnbrechender Wendepunkt des jüdischen Bewusstseins im Besonderen und in der Geschichte der Philosophie im Allgemeinen. Dieser markiere also den Übergang von einem herkömmlichen religiösen Bewusstsein, das ausschließlich auf den alttestamentlichen Literalsinn angewiesen sei, zu einem weiterentwickelten geistigen Bewusstsein, das nunmehr den tiefsinnigen metaphysischen Gehalt der jüdischen Grundtexte sowie Religiosität in den Vordergrund stelle.⁶⁰ Wenn Hegel argumentiert, bei Philon erkenne man erstmals den maßgebenden „Aufgang“ des religiösen Bewusstseins ins philosophische Bewusstsein, so scheint er mitteilen zu wollen, auch in späteren Epochen der Geschichte seien noch weitere derartige Wendungen vom religiösen zum spekulativen Bewusstsein zu finden. Vorrangige Beispiele solcher epochalen Geschichtsentwicklungen seien das Christentum sowie die Kabbala. Die christliche Bewusstseinswendung bestehe im Kern darin, dass das „Anundfürsichsein der Intellektualwelt, des Geistes“ im Christentum zum „allgemeine[n] Bewußtsein geworden [sei]“.⁶¹ Der spirituelle Wendepunkt der christlichen Religiosität liege also hauptsächlich in
Guttmann 1985, S. 33. TWA Bd. 19, S. 418. Vgl. hierzu die etwa abweichende Parallelstelle in der kritischen Hegelausgabe: „Er war einer der ersten, in denen wir diese Wendung des allgemeinen Bewußtseins als philosophisches Bewußtsein sehen.“ (Vorl. Bd. 8, S. 169) In diesem Passus ist Philon die Exklusivität hinsichtlich der bahnbrechenden Bewusstseinswendung vorenthalten, indem Hegel ihn lediglich als „eine[n] der ersten“ und nicht mehr als „de[n]jenige[n], in dem wir zuerst diese Wendung […] sehen“, einschätzt. Zu Hegels philosophiegeschichtlichem Verständnis vom Konzept des „Volkgeistes“ siehe: Düsing 1983, S. 34– 35. TWA Bd. 19, S. 510.
2.3 Philon als Wendepunkt
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ihrer Abwendung vom jüdischen Bewusstsein „der sich bewußten Verworfenheit“; gerade deswegen stelle das Christentum eine höhere Bewusstseinsstufe dar, in der nunmehr dem Individuum unendlicher Wert zukomme.⁶² Analog dazu verdeutlicht Hegel die bewusstseinsorientierte Wendung der Kabbala mit der Feststellung, die „Juden fangen hier erst an, ihre Gedanken über ihre Wirklichkeit hinauszutragen, eine Geistes- oder wenigstens Geisterwelt sich ihnen aufzuschließen […]“.⁶³ Auch in früheren Epochen der Philosophiegeschichte meint Hegel analoge Bewusstseinswendungen auszumachen: Einen sehr ähnlichen Wortlaut wendet er auf seine Bestimmung der von Sokrates herbeigeführten Wende von gebräuchlicher religiöser Sittlichkeit zu allgemeingültiger Moralität an.⁶⁴ Dementsprechend deutet er Platons Metaphysik als eine geistige Wendung, in der sich „die Erhebung des Bewusstseins“ des Sinnlichen ins Bewusstsein des Übersinnlichen vollziehe.⁶⁵ Solche wesentlichen philosophischen Umbildungen „des allgemeinen Bewusstseins“ seien der Gesamtentwicklung der intellektuellen Menschheitsgeschichte eigen, die ihre endgültige Kulmination in der Selbsterfassung des Geistes finde: „Es sind viele Wendungen nötig, ehe der Geist, zum Bewußtsein seiner kommend, sich befreit.“⁶⁶ Im Licht von Hegels durchaus anerkennender Wertung des geistig „erwachten“ Judentums Philons sieht man sich zunächst mit der Frage konfrontiert, ob der alexandrinische Philosoph in der hegelschen Philosophiegeschichte tatsächlich in einem Atemzug neben solchen entscheidenden Paradigmenwechseln, von Sokrates und Platon über die Kabbala bis hin zum Christentum, genannt werden darf. Hegel schätzt Philon zwar als jüdischen Platoniker ein, der einen gedanklichen Vorgriff auf das kabbalistische sowie christliche Weltbild geleistet habe, aber zugleich ist sein Vorbehalt gegen dessen Denken zu beachten: Die „philonische Wende“ stelle ausschließlich noch unentfaltet, also lediglich in „aufgehender“ Ausprägung dar, was diese „durchgreifende Bewusstseins-Reform“ we-
TWA Bd. 10, S. 301– 302. TWA Bd. 19, S. 427. TWA Bd. 18, S. 468: „[…] wir haben den Sokrates und seine Erscheinung zu begreifen. Im allgemeinen Bewußtsein, im Geiste des Volkes, dem er angehörte, sehen wir die Sittlichkeit in Moralität umschlagen und ihn an der Spitze als Bewußtsein dieser Veränderung stehen.“ TWA Bd. 19, S. 12: „Das Eigentümliche der Platonischen Philosophie ist die Richtung auf die intellektuelle, übersinnliche Welt, die Erhebung des Bewußtseins in das geistige Reich, so daß das Intellektuelle die Gestalt von Übersinnlichem, von Geistigem, was dem Denken angehört, erhält […].“ TWA Bd. 18, S. 54. Dazu auch: TWA Bd. 19, S. 497.
70
2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
sentlich ausmache. Gleichwohl ist hier das platonische Sprichwort aus Nomoi 753e treffend, dass der Anfang mehr als die Hälfte des Ganzen sei.
2.4 Philons platonisierende Schrifterklärungsmethode – „Platon in Moses finden“ Allerdings bleibt weiterhin die Frage offen, worin die von Philon hervorgerufene Bewusstseinswendung in der jüdischen Geistesgeschichte inhaltlich besteht. Da Hegel gleich darauf auf Philons Methode der platonischen Bibelauslegung zu sprechen kommt, will er damit anscheinend verdeutlichen, dieses philosophische „Erwachen“ des jüdischen Bewusstseins rühre von dessen allegorischer Schriftauffassung her. So korrespondiert Philons geistiger Aufbruch vom konventionellen religiösen ins wesentlich höhere spekulative Bewusstsein mit dem in seiner Schriftexegese durchgehend herbeigeführten Übergang vom wörtlichen Sinn (τὸ ῥητόν) zum allegorischen Sinn (τὸ πρὸς διάνοιαν). Dass damit dies gemeint ist, wird eindeutig, wenn Hegel dessen bibelexegetischer Methode die weiterbildende Rolle des „Zum-bestimmten-Bewußtsein-Bringen[s]“ des spekulativen Schriftsinnes zuweist.⁶⁷ Hierbei paraphrasiert er grundsätzlich das, was er schon mit seiner 1800 formulierten Einschätzung von Philons systematischem Gesamtprogramm als in Hinblick auf das platonische Menschenbild „aufgehelltes“ Judentum exponiert. Auf vier Aspekte von Philons Technik der allegorischen Schrifterklärung geht Hegel im weiteren Verlauf seiner Deutung ein: 1) In seinen Bibelallegoresen erweise sich Philon vor allem als Platoniker,⁶⁸ denn er sei durchweg bestrebt, den Platonismus „in den heiligen Schriften der Juden […] aufzuzeigen“.⁶⁹ Vor allem dies scheint der Grund für Hegels Aufwertung von Philons Denken als „spekulativ“ zu sein, denn dieser „erkläre“ systematisch die Inhalte der „mosaischen Urkunde“ gemäß den platonischen Spekulationen. Von diesem „Geist der Philosophie“ geleitet habe Philon mit seinem jüdischen Platonismus, wie auch andere platonische Juden seiner Epoche, beansprucht, „in ihren heiligen Büchern […] tiefere Bedeutung zu suchen“ bzw. „diese Formen tiefer zu fassen“, denn die alttestamentlichen „Erzählungen und Darstellungen“ hätten für sie „die unmittelbare Bedeutung der Wirklichkeit […] verloren“, weswegen „aus eben den Worten ein[…] mystische[r] und allegorische[r] Sinn“ not-
TWA Bd. 19, S. 420. TWA Bd. 19, S. 419: „Ihn zeichnet besonders aus die platonische Philosophie […].“ TWA Bd. 19, S. 419.
2.4 Philons platonisierende Schrifterklärungsmethode – „Platon in Moses finden“
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wendig hervorgerufen werden müsse.⁷⁰ Gleichwohl war es Hegel bewusst, dass neben dem Platonismus als Philons primärer philosophischer Inspirationsquelle auch der Aristotelismus und der Pythagoreismus als gewichtige Einflüsse gelten müssten.⁷¹ Aber gerade in der systematischen Aufnahme dieser drei griechischen metaphysischen Weltbilder, die dem philonischen Gedankengut in einer kohärenten Einheitsform bereits im Vorfeld zugrunde lägen, sieht er im Grunde das spekulative Charakteristikum der gesamten neuplatonischen sowie alexandrinischen Denkweise verankert.⁷² 2) Philons stark auf die Bibelauslegung bezogene Philosophie setze eine Asymmetrie im Verhältnis der wörtlichen Sinnebene zur ergänzenden allegorischen Sinnebene voraus. Hegel erklärt dies grundsätzlich so, dass der biblische Literalsinn bei Philon zumeist dem wahrhaftigen philosophischen Schriftsinn lediglich als dessen Sinnbild diene. Dieses Element ist tatsächlich in Philons Schriftauffassung nachweisbar. Am konkretesten findet dieses asymmetrische Verhältnis, oder mit Hegel gesprochen, der Bedeutungsverlust des alttestamentlichen Wortsinnes, in Allegoresen zu Bibelstellen seinen Niederschlag, in denen
TWA Bd. 19, S. 419 – 420. Tennemann artikuliert sich in Zusammenhang mit Philons allegorischer Schriftexegese ähnlich: „Die Hauptrichtung blieb dabei immer die unmittelbare Beziehung auf das Unendliche: Eingebung, Offenbarung der Gottheit, unmittelbar oder mittelbar; entweder eine feststehende unveränderliche Offenbarung für alle und jede, die an sich vollendet ist, nur durch Auslegung und Enthüllung des in ihr Verborgenen dem menschlichen Geiste noch eine Sphäre von Wirksamkeit in der Ausfindung der Bedeutung des Unbedeutsamen, in den Bildern und Zeichen des Verborgenen, in der Umschaffung des Kleinlichen zu dem Wichtigen verschaffte, oder eine immer sich erneuernde individuelle Offenbarung, die dem Spiel der Phantasie […] [Hervorh. i. Orig.].“ (1805, S. 68 – 169) Siehe dazu vor allem: TWA Bd. 12, S. 399; Vorl. Bd. 8, S. 172. Vgl. zu Buhles, Tiedemanns und Tennemanns Sichtweise auf die dem philonischen Gedankengut zugrunde liegenden philosophischen Quellen: Buhle 1799, S. 135 („Philo hatte nicht nur das Platonische System studirt, sondern auch das das Pythagoreische, Stoische, und Aristotelische.“); Tiedemann 1793, S. 128 – 131 („[…] daß er in Griechischer Philosophie wohl unterrichtet, und mit Pythagorischen, Platonischen, und Aristotelischen, ja auch Stoischen Lehrsätzen sehr vertraut war.“); Tennemann 1805, S. 235 – 236; Brucker 1742, S. 798; Neander 1818, S. 2– 3. Zu Philons philosophischen Haupteinflüssen (auch zu den mittelplatonischen: primär Eudoros von Alexandria) siehe: Krämer 1967, S. 266 – 269, 277– 279, insbes. 281 („Die Geistmetaphysik dieses [platonisch-altakademischen] Systems ist das Vorbild der philonischen Logos-Theologie [Hervorh. i. Orig./Anm. d. Verf.].“); Runia 1990j, S. 15; Runia 1986, S. 49 – 54, 485 ff.; Dillon 1996, S. 114, 119 – 120, 123, 132– 133, 135, 143 ff., 182– 183; Zeller 1903, S. 390; Kaiser 2015, S. 167– 169, 173 – 174, 266 – 267; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 93 ff.; Horovitz 1900, S. 3 ff., 77– 78. TWA Bd. 19, S. 144. Siehe dazu ebenfalls: TWA Bd. 19, S. 19, 22, 28 – 30, 42– 43, 61– 62, 65 – 69, 72– 73, 76 – 77, 84, 89 – 90, 96, 102, 105, 130, 132– 133, 137– 151, 163 – 164, 167– 168, 170 – 172, 181, 198 – 199, 202– 203, 212, 219, 240 – 242, 246 – 247, 404, 410 – 411; Bd. 18, S. 220, 223, 245, 250, 257– 258, 269 – 272.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Gott ausdrücklich anthropomorph gezeichnet wird. Philon bemüht sich nämlich in solchen Fällen durchweg, deren Wortlaut als vollends irrig einzustufen: „Es entwich aber Kain vom Angesichte Gottes und wohnte im Lande Nod gegenüber Eden“ (1 Mos. 4, 16). Könnte man hier noch zweifeln, ob man das von Moses in (aus göttlicher in menschliche Sprache) umgesetzten Büchern Gesagte, in übertragenem Sinn zu verstehen hat, da doch der in den Worten unmittelbar liegende Sinn weit von der Wahrheit abweicht? […] Ein Angesicht ist ja ein Teil eines lebenden Wesens, Gott aber ist ein Ganzes, nicht ein Teil. […] Gott aber braucht nichts, so daß, wenn er den Nutzen aus den Teilen nicht braucht, er überhaupt keine Teile haben dürfte. (PCH Bd. 4, S. 4– 5: Post. 1– 4)⁷³
Einen solchen Standpunkt zu Philons allegorischer Bibelexegese betont auch Amir im Schlusssatz seines Artikels „Rabbinischer Midrasch und philonische Allegorie“; er argumentiert, „[d]ie Allegorie stammt aus einer intellektuellen Entfremdung von der unmittelbar gegebenen Wirklichkeit des Gotteswortes“.⁷⁴ Es ist also nachvollziehbar, weshalb Philon, auf Platons in Rep. 529b2– 3 geschilderte Ideenschau anspielend,⁷⁵ die jüdischen Schriftexegeten bisweilen kritisiert, wenn er polemisch festhält: Diese läsen die ἱεραὶ γραφαί nicht „mehr mit dem Verstande als mit den Augen [διανοίᾳ μᾶλλον ἢ ὀφθαλμοῖς]“:⁷⁶ „Dies und dergleichen sei gesagt gegen die Sophisten, die sich um den wörtlichen Sinn mühen und die allzu bedenklich die Augenbrauen hochgezogen haben; wir aber, die wir den Regeln der allegorischen Deutung [τοῖς ἀλληγορίας νόμοις] folgen, wollen das Angemessene darüber sagen.“⁷⁷ Am deutlichsten spiegelt die in Contempl. 78 geschilderte Schriftauffassung diese asymmetrische Differenz zwischen den beiden Sinnstufen wider. Dort nämlich verknüpft Philon den biblischen Wortsinn mit dem Leib, den allegorischen Schriftsinn entsprechend mit der Seele. Der Bedeutungsverlust einer religiösen Textgrundlage ist aus Hegels Sicht für die alexandrinische Strömung charakteristisch, denn deren Vertreter hätten analog zu Philon „in der griechischen Mythologie“ ebenfalls „Philosopheme erkannt“.⁷⁸ Dieses Merkmal, das Hegel primär mit Philons platonischer Denkweise verbindet, erhebt er geradezu zu einer wesentlichen Ausprägung des gesamten neuplatonischen Weltbildes:
Siehe dazu bei Philon beispielsweise: Conf. 143; Abr. 119; Plant. 113. Dagegen siehe: Christiansen 1969, S. 27 ff., 152 ff. Zu Philons anthropomorphismuskritischer Lesart von Bibelversen siehe beispielsweise auch: Sacr. 94; Deus 70 – 71; Det. 95. Amir 1983k, S. 118. Vgl. dazu: Amir 1983j, S. 19; Kaiser 2015, S. 159. Rep. 529b2– 3: ἡγεῖσθαι ἂν αὐτὸν νοήσει ἀλλ᾽ οὐκ ὄμμασι θεωρεῖν. Spec. 1.214. Siehe zudem: Spec. 1.259. PCH Bd. 6, S. 194: Somn. 1.102. Hierzu siehe auch: Contempl. 28 – 29. TWA Bd. 19, S. 419.
2.4 Philons platonisierende Schrifterklärungsmethode – „Platon in Moses finden“
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Alle Geschichte der Römer, Griechen, Juden, ihre Mythologie und wirkliche Geschichte, selbst die einzelnen Worte und Buchstaben, erhalten eine andere Bedeutung, die ihr Wesen, und einen leeren Buchstaben, der ihre Wirklichkeit ist. […] Das sinnliche Wahre gilt ihnen nichts mehr, sie lügen an einem fort; denn sie sind des Auffassens eines Wirklichen unfähig, weil es für ihren Geist alle Bedeutung verloren. (TWA Bd. 19, S. 407)
Überträgt man diese paulinisch anmutende Darstellung auf Philons geistiges Schriftverständnis, so impliziert dies zunächst eine durch dessen allegorische Exegese erreichte Entmythologisierung der betont geschichtlichen PentateuchElemente. Betreffs der Einzelheiten des israelitischen Ansiedlungsprozesses im Land Kanaan hält es Philon beispielsweise für besser, diese Bibelerzählung nicht historisch, sondern vielmehr vernunftgemäß auszulegen.⁷⁹ Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass Hegel unter Hinweis auf die bei Philon artikulierte Asymmetrie zwischen buchstäblichem und allegorischem Sinn anscheinend das spekulative Schriftverständnis des Neuplatonismus als gedanklichen Vorgriff auf das einschätzt, was erst später in der christlich-paulinischen Weltsicht vollentfaltet zutage tritt, insbesondere in 2Kor 3,6, aber auch bei den griechischen Kirchenvätern und den mittelalterlichen Scholastikern. 3) Hegel äußert allerdings einen Vorbehalt gegen diese bei Philon zwischen beiden Sinnschichten enthaltene Tendenz zur Asymmetrie: Der jüdische Alexandriner verzichte mit seinen geistigen Allegoresen nicht weitgehend auf die äußere Geschichtswahrheit des alttestamentlichen Wortsinnes, sondern betrachte diese vielmehr „als Autorität, Ausgangspunkt“ der inneren Vernunftwahrheit des verborgenen Schriftsinnes.⁸⁰ Für die grundsätzliche Kompatibilität beider Sinnschichten plädiert Philon am konkretesten in Migr. 89 – 90, wenn er gerade das im Wesentlichen ausgeglichene, ineinandergreifende Verhältnis zwischen wortwörtlichem und allegorischem Schriftsinn so veranschaulicht: Der erstere sei einerseits mit dem Menschenleib als conditio sine qua non der höheren allegorischen Bedeutung, der zweite andererseits mit der Menschenseele gleichzusetzen, wodurch er letztlich die uneingeschränkte Gültigkeit des von Gott oktroyierten Gesetzeskorpus aufrechterhalten kann: Es gibt nämlich Leute, die in der Annahme, die verkündeten Gesetze seien nur Symbole von Gedachten, letzterem (dem Gedachten) mit höchstem Eifer nachgehen, erstere leichtsinnig vernachlässigen; diese muß ich wegen ihrer Leichtfertigkeit tadeln. Denn sie hätten Zwei-
Hypoth. 8.6.5: οὐ μὴν ἔγωγε δικαιῶ μᾶλλον καθ’ ἱστορίαν ἢ κατά τινα λογισμὸν περὶ αὐτῶν τὰ εἰκότα ἐπεξελθεῖν. Auf diese bei Philons Bibeldeutungen auffindbare a-historische Tendenz macht insbesondere Runia mehrfach aufmerksam: 1986, S. 80: Fn. 5, 386: Fn. 107; Runia 1990j, S. 7, 12; Runia 1990c [1984], S. 219; Runia 2009, S. 23; Runia 1993, S. 167. TWA Bd. 19, S. 419 – 420.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
faches denken soll: sowohl das Unsichtbare (den Sinn) recht genau zu erforschen, alsdann auch das Offene (den Wortlaut) tadellos zu beachten. Jetzt leben sie aber in Wahrheit so, als wären sie in der Einsamkeit für sich, oder als wären sie körperlose Seelen geworden […]. (PCH Bd. 5, S. 176)⁸¹
4) Auf die Grundvoraussetzung von Philons Mosaizität Bezug nehmend, die dessen spekulativem Schriftverständnis eigen sei, erläutert Hegel das Leitprinzip dieser platonisierenden Bibeldeutung, indem er analog zum achten Fragment Numenios’, „[d]enn was ist Platon anders als ein attisch sprechender Moses? [Τί γὰρ ἐστι Πλάτων ἢ Μωσῆς ἀττικίζων;]“,⁸² behauptet, Philon finde „Platon in Moses“.⁸³ Diese pointierte Aussage lässt sich auch so auffassen, dass der nur buchstäbliche Sinn von Moses als Bibelverfasser, der tiefere allegorische Sinn hingegen von Platon repräsentiert werde. Zwar spricht Hegel damit einen genuinen Aspekt von Philons Denken an, das in entscheidenden Punkten auf der platonischen Metaphysik aufbaut und das Moses die Stellung des Lehrmeisters aller Juden (οἱ Μωϋσέως γνώριμοι)⁸⁴ sowie des Philosophen schlechthin ein Siehe dazu: Christiansen 1969, S. 25 ff. (Christiansen schließt die Möglichkeit aus, unter Philons Auslegungsvorgang solle grundsätzlich ein „Willkürakt“ verstanden werden. Vielmehr sei diesem ihrer Ansicht nach eine logisch-platonische „dihairetische Struktur“ der Beweisform eigen: „These: Die Anwendung des dialektischen Verfahrens der Diairese auf die Auslegung überlieferte Texte bildet die technische Grundlage der allegorischen Auslegungswissenschaft! [Hervorh. i. Orig.]“); Ritter 1903, S. 395 – 396; Amir 1983j, S. 48 – 50; Amir 1983i, S. 73 – 76; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 61 ff. Vgl. Numenius, Fr. 8 (des Places 1973). Es liegt nahe, dass Hegel bei Tennemann auf dieses Fragment stieß, der es zweimal erwähnt und dementsprechend mit einem möglichen philonischen Einfluss in Verbindung bringt (Tennemann 1805, S. 231: Fn. 123, 243 („Diese Vorstellungsart finden wir nun auch bei Numenius, bei welchem eigner Hang zur Schwärmerei und die Bekanntschaft mit den Schriften des Philo zusammenwirkten, ihn für dieselbe zu stimmen. Sein Ausspruch: Plato sey nichts anders als Moses in attischer Sprache, gründet sich wahrscheinlich eher auf die Lectüre der Philonischen, als der Mosaischen Schriften [Hervorh. i. Orig.].“).Vgl. dazu auch: Ast 1807, S. 165 – 166. Siehe zudem: Runia 1993, S. 8. TWA Bd. 19, S. 419. Vgl. dazu auch: „[…] wie denn wirklich Philo behauptete und zu erweisen suchte, Plato habe seine Weißheit vom Moses erborgt“ (Buhle 1799, S. 89); „[…] Philonem etiam more ciuium suorum ut Platonem Mosaicum discipulum et philosophum esse, ostenderet, et sic genti suae Platonicae sapientiae gloriam vindicaret, allegoriarum ope multa detorsisse, sicque aliena lumina Platonicis dogmatibus intulisse, scatere quoque iis vitiis, quae in syncretistis plerumque solent obseruari, ut male cohaerentia inter se consarcinet, et veros sensus corrumpat.“ (Brucker 1742, S. 801).Vgl. dazu Westerkamp, der argumentiert, Hegel identifiziere den von Moses verfassten Wortsinn mit Philons apophatischer Theologie, den allegorischen Sinn hingegen mit dessen Logostheologie: „Philos Logos wäre dann so etwas wie der Kommentar zu dem abstrakten Einen, dem Gott als Vater […] die Logos-Theologie der Kommentar zur negativen Theologie.“ (2009, S. 124) Siehe dazu beispielsweise: Det. 86; Her. 81; Contempl. 63; Spec. 1.345.
2.4 Philons platonisierende Schrifterklärungsmethode – „Platon in Moses finden“
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räumt, „der bis zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen […] ist“.⁸⁵ Hegels Darstellungsweise von Philons hellenistisch umgestaltetem Mosesbild ist jedoch hochgradig vereinfachend, denn der alexandrinische Philosoph setzt Moses und Platon nicht ausdrücklich gleich. In §§ 17– 19 aus De aeternitate mundi stellt er allerdings eine gedankliche Verbindung zwischen Platon und Moses her, wenn er die ideengeschichtliche Vorwegnahme der Kosmologie in Platons Timaios durch Mosesʼ Weltentstehungslehre voraussetzt: „Für den Vater dieser Platonischen Lehre halten einige den Dichter Hesiod […]. Lange Zeit vor ihm aber sagte der jüdische Gesetzgeber Moses in den heiligen Büchern, die Welt sei entstanden und unvergänglich [μακροῖς δὲ χρόνοις πρότερον ὁ τῶν Ἰουδαίων νομοθέτης Μωυσῆς γενητὸν καὶ | ἄφθαρτον ἔφη τὸν κόσμον ἐν ἱεραῖς βίβλοις].“⁸⁶ Schließlich jedoch wollte Philon anscheinend vielmehr postulieren: nicht nur etwa die Abhängigkeit der platonischen Philosophie von der jüdischen Gesetzgebung, sondern darüber hinaus die der gesamten griechischen Weisheit, weswegen jene in jedweder Hinsicht dieser übergeordnet sei.⁸⁷ Am häufigsten macht Philon dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht am Beispiel Platons fest, sondern eher an dem Heraklits. Hinsichtlich des Ursprungs der heraklitischen Lehre der Einheit von Gegensätzen setzt Philon voraus, diese sei „doch eine alte Entdeckung von Moses, daß die Gegensätze aus einem und demselben Ding entstehen und als dessen Teile zu betrachten sind […]“.⁸⁸ Gleiches gilt auch für Heraklits grundlegenden Gedanken aus dem Fragment DK 22 B 62 – „Unsterbliche sterblich, Sterbliche unsterblich, – lebend einander ihren Tod, ihr Leben einander strebend“ –, dessen Ursprung Philon, sich auf ein allegorisches Verständnis von Gen 25,8 stützend, in Moses’ Seelenlehre verwurzelt sieht.⁸⁹ Vor diesem Hintergrund wirft der jüdische Alexandriner Heraklit nicht weniger vor, als Gesetze wie auch Lehrmeinungen wie ein Dieb von Moses übernommen zu haben.⁹⁰
Opif. 8. Siehe auch: Mos. 2.2; Her. 301. Zu Philons spekulativem Mosebild siehe weiterführend: Runia 1990 f [1986], S. 98 – 99, 103; Runia 1990h [1988], S. 53 ff.; Runia 1986, S. 21, 535; Runia 2001, S. 21; Dillon 1996, S. 143; Horovitz 1900, S. 63. PCH Bd. 7, S. 83. Zur ideengeschichtlichen Priorität des Moses gegenüber Platon in Zusammenhang mit Opif. 21 siehe weiterführend: Runia 2001, S. 32. Dazu: Her. 213 – 214; Prob. 57; QG 4.152. Her. 214: PCH Bd. 5, S. 271. QG 4.152. QG 4.152. Siehe dazu auch: QG 3.5. Vgl. dazu Aristobulos, der schon früher von einem sehr ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis ausging: „‚Plato nahm bekanntlich unsere Gesetzgerbung zum Muster und sicherlich kannte er ihre einzelnen Gesetze. […] Deshalb konnte der ebengenannte Philosoph sicherlich vieles entlehnt haben. Er war ja sehr wißbegierig wie Pythagoras, der seiner Lehre viel von der unserigen einverleibte. Ich glaube, daß Pythagoras, Sokrates und Plato,
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Auf die den philonischen Bibelallegoresen zugrunde liegende Annahme, Platon sei gedanklich von Moses abhängig gewesen, nimmt anscheinend auch Schelling in seinem 1794 vorgelegten Timaioskommentar Bezug. Mit Verweis auf Tim. 29e1, in dem mit der Güte begründet wird, weshalb Gott ab initio die Welt ins Dasein setzen wollte, macht Schelling am Rande deutlich, dass auf diesen Gedanken „kein Moses u. kein Jude gekommen ist“ und ihn vorweggenommen habe.⁹¹ Schelling, dessen Tübinger Magisterdissertation und Studienhefte breitgefächerte Philonkenntnisse belegen, hätte mit hoher Wahrscheinlich auch so eine Stelle wie Opif. 21 kennen können, in der sich Philon diesen Lehrsatz aus Tim. 29e1 in impliziertem Bezug auf Platon als einen ursprünglich von Moses vertretenen Glaubenssatz des Judentums aneignet: Eine göttliche Kraft aber ist auch die weltschöpferische, die als Quelle das wahrhafte Gute hat. Denn wenn einer die Ursache erforschen will, warum eigentlich dieses All geschaffen wurde, so scheint er mir das Ziel nicht zu verfehlen, wenn er behauptet – was übrigens auch schon einer der Alten gesagt hat [sc. Platon] –, gütig sei der Vater und Schöpfer; deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht der Materie vorenthalten […]. (PCH Bd. 1, S. 34)⁹²
2.5 Hinein- und Herausinterpretieren im Licht der Geistesarbeit Diese allgemeinen erläuternden Ausführungen zu Philons Schriftauffassung sind Hegel Anlass für die Diskussion, ob dessen Methode der allegorischen Bibelexegese eher als ein Hinein- oder ein Herausinterpretieren einzuordnen ist. Eines ist dabei zu beachten: Allein Philons schriftexegetischem Lehrgebäude widmet
nachdem sie alles erforscht, schließlich dieser Lehre folgten […]. Auch Homer und Hesiod kennen ihn aus unsern Schriften und sagen von ihm, er sei heilig.‘“ (Rießler 1928, S. 181– 184) Dazu zusammenfassend siehe: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 23 – 27, insbes. 141. AA Bd. 2.5, S. 153,17. Zum Attribut der Güte als Gottes Uransporn, den Gesamtkosmos ins Dasein zu rufen, siehe auch: Deus 108; Opif. 21; Cher. 127. Hierzu des Weiteren: Zeller 1903, S. 406; Runia 2001, S. 133 – 134; Horovitz 1900, S. 9 – 10. Es verdient diesbezüglich auch Erwähnung, dass analog zu Philons Identifikation von Platon mit Moses auch Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen die geschichtliche Priorität des Moses vor Platon hinsichtlich einer anthropomorphismuskritischen Weltanschauung postuliert und somit eine gedankliche Parallele zwischen den beiden zieht, was diesen anti-anthropomorphen Standpunkt anbelangt: „Er [sc. Xenophanes] eifert ebenso, wie nachher Platon, und [wie] früher im allgemeinen Moses und die Propheten schon von einer gründlicheren Religion aus getan hatten, über Homer und Hesiod, daß sie den Göttern alles beigelegt haben, was selbst unter den Menschen Schimpf und Schande ist […] [Hervorh. i. Orig.].“ (TWA Bd. 20, S. 497)
2.5 Hinein- und Herausinterpretieren im Licht der Geistesarbeit
77
Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen eine solche tiefgründige Erörterung. Dies weist darauf hin, dass Hegel in Philons platonischer Auslegungsmethode den Keim der folgenden und ebenfalls auf platonischen Schriftallegoresen aufbauenden Spekulationen der christlichen Dogmenlehre sieht.⁹³ Vor diesem Hintergrund wird besser nachvollziehbar, weshalb die allegorische Lesart für Hegels geistesgeschichtliche Überlegungen von besonderem Belang ist: Er erklärt sie zu einem Grundmerkmal der gesamten neuplatonischen Denkweise.⁹⁴ Anhand von Philons allegorischer Bibeldeutung konnte Hegel nämlich viel besser geistesgeschichtlich aufzeigen, inwieweit die allegorische Auffassung der Neuplatoniker – womit sie die bestehenden wortwörtlichen „Formen tiefer […] fassen“ wollten – zum revolutionären Schriftverständnis des Paulus führen konnte. Am Beispiel von diesem schriftinterpretativen Verfahren Philons sucht er den fundamentalen Unterschied zwischen den zwei deutlich voneinander abweichenden Deutungsperspektiven des Hinein- und des Herausinterpretierens festzumachen. Ungeachtet dessen, dass er kurz davor Philons Bibelauslegungen als einen systematischen Prozess des Hineinlesens klassifizierte, scheint er im vorliegenden Absatz mit der Behauptung den gegenteiligen Schluss nahezulegen; dieses sei vielmehr als Herausinterpretieren zu verstehen: „So hat man in das Geschichtliche den tiefen Gedanken hineininterpretiert, wie man sagt, oder herausinterpretiert, und das ist wahrhaftere Vorstellung.“⁹⁵ Einerseits unterstreicht Hegel den vordergründig hineinprojizierenden Charakter von Philons allegorischer Methode, welche die äußere Geschichtswahrheit der Bibelerzählungen dergestalt immanentisiere, dass diese sich nun zur inneren Vernunftwahrheit umgestalte. Diese wiederum schöpfe aus den aposteriorischen Denkinhalten des interpretierenden Geistes: „[…] und doch faßt man den Gedanken, daß die Wahrheit nicht äußerlich gegeben sein könne. So hat man in das Geschichtliche den tiefen Gedanken hineininterpretiert, wie man sagt […].“⁹⁶ Andererseits argumentiert Hegel unter seinen eigenen geistmetaphysischen Prämissen, dass Philons interpretative Methode ein Verfahren des Herausinterpretierens sei. Zu diesem Zweck führt er Philons Verständnis der Urautorschaft der kanonischen jüdischen Texte an, um diese spekulative Sicht der herausinterpretierenden Lesart zu veranschaulichen und mithin zu legitimieren: Beim göttlichen Buch (dessen Urheber der Geist ist) kann man nicht sagen, daß dies nicht darin gewesen sei. Es kommt darauf an, ob diese Geistigkeit tiefer oder oberflächlicher ist;
TWA Bd. 12, S. 400. TWA Bd. 19, S. 406 – 407, 431. TWA Bd. 19, S. 420. TWA Bd. 19, S. 420.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
ein Mann hat das Buch geschrieben, er hatte diese Gedanken nicht, aber im Intensiven des Verhältnisses sind diese Gedanken an sich enthalten. (TWA Bd. 19, S. 420)
Hier scheint Hegel auf die fundamentale Übereinstimmung zwischen der Urverfasserschaft des Geistes und dem geistigen Textsinn hinweisen zu wollen, die der spekulative Standpunkt des Herausinterpretierens zur Grundvoraussetzung habe. Gehe man davon aus, der Geist habe die Heilige Schrift verfasst, so erübrige sich Hegel zufolge die Frage nach deren geistigem Sinn, sondern „es kommt nur darauf an, ob diese Geistigkeit tiefer oder oberflächlicher ist […]“.⁹⁷ Eine ähnliche Andeutung hinsichtlich Philons geistigen Bibelverständnisses findet sich auch in Schellings 79. Vorlesung der Urfassung der Philosophie der Offenbarung, wenn er Philons Bestreben, die Unmittelbarkeit der göttlichen Gesetzesoffenbarung näherzulegen, zum Thema macht: „Es würde dem Stolze der Juden weit mehr geschmeichelt haben, wenn gesagt wäre, das Gesetz sei unmittelbar von Gott. Philon gibt sich viele Mühe, dies zu beweisen.“⁹⁸ Zudem vertritt er schon in seiner Tübinger Kommentierung zum Römerbrief die These, Paulus sei von Philons allegorischer Schriftauffassung ausgegangen, weshalb dieser daran glaube, der verborgene geistige Sinn der Schrift sei „wirklich vom Schriftsteller oder vom πνευματι θεου intendirt worden“.⁹⁹ Entsprechend verdeutlicht beispielsweise Hegels und Schellings Tübinger Dozent Storr Paulus’ in 2Tim 3,16 erkennbares Schriftverständnis im Lehrbuch der christlichen Dogmatik, wenn er die Bedeutung der Formulierung γραφὴ θεόπνευστος als „Schriften, die durch den Geist Gottes (ἐν πνευματι θεου) geschrieben sind“, unter Beachtung von Philons in Legat. 210 eingebrachter Schriftbezeichnung von θεόχρηστα λόγια als „göttliche Orakelsprüche“ erschließen möchte.¹⁰⁰ Angesichts dessen scheint es wesentlich plausibler, Hegels Wiedergabe von Philons geistiger Vorstellung der Schriftüberlieferung durch Moses als Vermittlerinstanz – ohne sich ausdrücklich auf Moses zu berufen, sondern eher auf den göttlichen Geist als Urheber „des göttlichen Buches“ –¹⁰¹ liege die christlich-paulinische Stellungnahme zur Urverfasserschaft des Heiligen Geistes zugrunde. Naheliegend ist jedoch auch, dass Hegel hier mit seinem eigenen Geistbegriff operiert. Eines ist dabei jedoch of-
TWA Bd. 19, S. 420. UPO, S. 665. AA Bd. 2.4, S. 108,1– 11. Storr 1803, S. 214 (Hervorh. i. Orig.). Ebenso könnte dabei Hegel auf das philonische Mosebild als den reinsten Geist schlechthin (Congr. 132: ὁ καθαρώτατος νοῦς; Agr. 80: νῷ τελείῳ; Mut. 208: νοῦς ὁ καθαρώτατος) sowie als Sinnbild des ἱερὸς λόγος anspielen.
2.5 Hinein- und Herausinterpretieren im Licht der Geistesarbeit
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fenkundig: Hegel sieht eine besondere Nähe zwischen dem philonischen und christlichen Schriftverständnis. Zu klären ist, was Hegel mit der Aussage ausdrückt, der zufolge die Urautorschaft „einem Mann“ zukomme, der „diese Gedanken [nicht] hatte“; diese seien vielmehr allein „im Intensiven des Verhältnisses […] enthalten“. Er will hier anscheinend zwei abweichende Aspekte der Urverfasserschaft, möglicherweise aus Philons Sicht, in deren wesentlicher Entsprechung darlegen: einerseits den metaphysischen Aspekt, laut dem der Urheber der Heiligen Schrift der göttliche Geist sei, andererseits den geschichtlichen Aspekt, laut dem ein Mann eine Schrift niedergeschrieben habe. Dieser Punkt wirft zwei Fragen auf: (1) ob Hegel hiermit überhaupt die philonische Schriftauffassung konkret im Blick hat und (2) worauf er mit der Formulierung „im Intensiven des Verhältnisses“ hindeuten möchte. Mit diesen zwei deutlich divergierenden Auffassungen könnte sich Hegel auf Philons Haltung beziehen, Moses sei mit seiner Seele allein durch und zusammen mit Gott, der jenen Geist intellektuell beflügelt habe, imstande gewesen, der göttlichen Gesetze innezuwerden und folglich den Pentateuch zu verfassen.¹⁰² Um den göttlichen Ursprung und den übernatürlichen Entstehungsprozess der Bibel zu betonen, wählt Hegel die etwas obskure Wortwahl „im Intensiven des Verhältnisses“, womit er anscheinend die göttliche Euphorie jenes Autors während seiner intensiven Schreibtätigkeit andeutet.¹⁰³ Auch Philon will die prinzipielle Übereinstimmung zwischen der überweltlichen Quelle der jüdischen Gesetzgebung und der weltlichen Mosaizität unterstreichen, indem er argumentiert: Moses habe die Heilige Schrift ausschließlich im Rahmen einer intelligiblen Gottesbeziehung geschaffen, und zwar aus verschiedenen Formen der göttlichen Offenbarungen heraus sowie aus sich selbst im innerseelischen Zustand der Gotterfülltheit: Die Gottesworte wurden teils von Gott selbst durch Vermittlung des göttlichen Propheten verkündet, teils in Form von Frage und Antwort als Gottes Wille offenbart, teils von Moses selbst im Zustande innerer Begeisterung und Verzückung ausgesprochen [τὰ δ᾿ ἐκ προσώπου Μωϋσέως ἐπιθειάσαντος καὶ ἐξ αὑτοῦ κατασχεθέντος]. (PCH Bd. 1, S. 341: Mos. 2.188)¹⁰⁴
Dazu: Prob. 80. Zu Hegels Wahrnehmung des jüdischen Gesetzgebers und dessen Verhältnis zu Gott siehe: TWA Bd. 1, S. 201; Vorl. Bd. 4a, S. 42 („[…] dort Mensch, z. B. Moses, nur als Organ“); TWA Bd. 17, S. 85 („[…] er [sc. Moses] hat nur die Gesetze Jehovas bekanntgemacht […].“). Grundlegend zu Philons Mosebild siehe ferner: Amir 1983g, S. 77– 106. Weiterführend zu Philons Bibelverständnis siehe insbesondere: Y. Amir 1983g, S. 42– 44, 69 ff.; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 164, 186.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Philon setzt zudem axiomatisch voraus, der menschliche Geist könne mit dem göttlichen nicht zusammenwohnen, denn dieser müsse jenen im außerordentlichen Zustand der ekstatischen Gotterfülltheit gänzlich verlassen.¹⁰⁵ Möglicherweise unter Berücksichtigung dieser Prämisse gibt Hegel zu erkennen, der biblische Schriftsteller im Zustand der göttlichen Inspiration „hatte diese Gedanken nicht“,¹⁰⁶ sondern vielmehr der göttliche Geist, der jene Seele durch und durch erfüllte. Philon allerdings will diese Voraussetzung anscheinend nicht auf den Enthusiasmus des jüdischen Gesetzgebers Moses während der geistigen Schreibtätigkeit übertragen. Vielmehr überspitzt er den einzigartigen philosophischen Genius des Moses und ermöglicht ihm dadurch, vielmehr im bewussten Zustand die göttliche νομοθεσία in Menschensprache zu artikulieren. In Quaestiones et solutiones in Exodum II, 117 spricht Philon sogar von seiner großen Bewunderung dafür, wie Moses als der Theologe schlechthin seine philosophischen Lehrmeinungen in die ἱεραὶ γραφαί hineinallegorisiert habe.¹⁰⁷ Gerade deshalb meint der alexandrinische Platoniker, spekulative Ideen aus der jüdischen Gesetzgebung – die größtenteils in der esoterischen Allegorie-Form geschrieben worden sei –¹⁰⁸ herauslesen zu können, da Moses selbst sich der Regeln der allegorischen Schreibtechnik (Somn. 1.73, 1.102: ἀλληγορίας κανόνες/νόμοι) beim Verfassen der Heiligen Schriften bedient habe. Auf diese Ansicht nimmt Philon bisweilen sogar explizit Bezug, wenn er nachvollzieht, was Moses uns „damit […] durch die Allegorie zeigen [wollte]“.¹⁰⁹ Um weiter zu rechtfertigen, inwieweit Philons biblische Allegoresen als Akt des Herausinterpretierens zu verstehen seien, stellt Hegel daraufhin einen markanten Vergleich zwischen Philons exegetischer Methode und der Arbeit des Geistes an. Die Arbeit des Geistes liege „ganz allein“ darin begründet, „das zum Bewußtsein zu bringen, was darin ist“.¹¹⁰ Somit sei der herausinterpretierende Geist „das Wesentliche“ dessen, was die der Geistesgeschichte zugrunde liegen-
PCH Bd. 5, S. 283: „Sobald nämlich das göttliche Licht aufstrahlt, geht das menschliche unter: sobald jenes untergeht, erhebt sich dieses und geht auf. Das aber ist bei den Propheten gewöhnlich der Fall. Es entfernt sich der Geist in uns bei der Ankunft des göttlichen Geistes und kommt wieder bei dessen Entfernung; denn Sterbliches kann füglich nicht mit Unsterblichen zusammenwohnen.“ (Her. 264– 265) Siehe dazu: Zeller 1903, S. 464. TWA Bd. 19, S. 420. PLCL Bd. 12, S. 168 – 169: „But I wonder at and am struck with admiration by the theologian’s allegorizing of his philosophical beliefs.“ Ios. 28: „denn nahezu alles oder das meiste in der Gesetzgebung (des Moses) ist Allegorie [Σχεδὸν γὰρ τὰ πάντα ἢ τὰ πλεῖστα τῆς νομοθεσίας ἀλλγορεῖται].“ (PCH Bd. 1, S. 164) Somn. 1.15: PCH Bd. 6, S. 176. TWA Bd. 19, S. 420.
2.5 Hinein- und Herausinterpretieren im Licht der Geistesarbeit
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den Entwicklungen überhaupt möglich mache: „In der ganzen Geschichte, Kunst, Philosophie usf. kommt es darauf an, daß das, was darin ist, auch heraus sei […].“¹¹¹ Diese außerordentliche Gegenüberstellung greift auch Yovel in seinem Werk Dark Riddle mit folgender einsichtiger Betrachtung auf: Philo discovered a profound truth: that philosophy has a subterranean presence in Holy Scripture, even though the authors may not have intended it. Such is the nature of the religious texts, says Hegel, that usually there is a great difference “between that which is present [or contained] therein (darin liegt) and that which is expressed” […]. Though technically the interpretation comes from outside, essentially its origin lies within the text itself. Hegel, as we know, also extracts philosophical concepts from religious images, not only from the Bible but from diverse other expressions of the religious phenomenon; in this respect the Lectures on the Philosophy of Religion may count as a much extended realization of Philo’s […] project [Hervorh. i. Orig.]. (Yovel 1998, S. 88)¹¹²
Yovel verbindet Hegels durchaus anerkennende Einschätzung von Philons bibelexegetischem Gesamtprogramm mit der Leitprämisse von dessen religionsphilosophischem Projekt: Zwischen Religion und Philosophie bestehe, so argumentiert Hegel, eine grundsätzliche Identität, was ihren inhaltlichen Untersuchungsgegenstand anbelangt, nämlich Gott als das wahre Absolute.¹¹³ Der Autor will dabei nachweisen, dass Hegel in Philons Religionsphilosophie, die von einer metaphysischen Explikation der kanonischen Religionsinhalte des Judentums herrühre, dieselbe basale Gleichheit wiedererkenne.¹¹⁴ Zu beachten ist dabei, dass Philon in Hegels gesamten philosophiegeschichtlichen Vorlesungen der einzige Denker ist, dessen System ausdrücklich mit der Arbeit des Geistes gleichgesetzt wird. Es wird demnach deutlich, dass Hegel hiermit das vernünftige Tätigkeitsprinzip des in der Menschengeschichte fortschreitenden Geistes auf Philons Denkweise überträgt. So wird ihr auch der Vorgang des „Zum-Bewusstsein-Bringens“ zugewiesen. Die Arbeit des Geistes als explizierenden Akt des Zum-Bewusstsein-Bringens bestimmt Hegel als das Eruieren von Vernunftwahrheiten – die dem Menschengeist im Vorfeld immanent gewesen seien – aus Kunst, Religion und Philosophie als Produktionen des Geistes in der Form eines kollektiven Bewusstseins, weshalb „man doch nicht sagen kann, es habe nicht darin gelegen, es sei nicht im menschlichen Geist ge-
TWA Bd. 19, S. 420. Siehe weiterhin: TWA Bd. 20, S. 456. Vgl. Pöggeler 1974, S. 548. TWA Bd. 16, S. 28: „Die Philosophie ist also identisch mit der Religion […].“ Siehe auch E. Schmidt 1974, S. 1– 3. Auch hier: Yovel 1976, S. 515 – 516. Zum Verhältnis zwischen Religion und Philosophie im hegelschen System siehe grundlegend: Kimmerle 1977, S. 150 – 171.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
wesen“.¹¹⁵ Ebendieselbe Feststellung trifft er über Philons allegorisches Interpretationsverfahren, mit dem aus dem geschichtlichen Schriftwort eine „wahrhaftere Vorstellung“ der „tiefen Gedanken“ des inneren Geistes der jüdischen Platoniker herausinterpretiert werden könne. Dadurch nämlich war das noch stark an den biblischen Wortsinn gebundene Judentum imstande, seine lediglich deontologische Bewusstseinsstufe maßgeblich weiterzuentwickeln. Mit dieser Identifikation spielt Hegel deutlich auf seine allgemeine geistesgeschichtliche Wertung von Philons Denken als der ursprünglichen „Wendung des allgemeinen Bewußtseins [zum] philosophische[n] Bewußtsein[…]“ an. Hegels geistmetaphysische Rechtfertigung von Philons allegorischem Auslegungsansatz könnte auch als eine kritische Gegenreaktion auf die vorherrschende, „ungeistige“ Darstellungsweise der von ihm für seine Philondeutung herangezogenen Philosophiehistoriker begriffen werden, die diese schlicht als ungültiges Verfahren des platonisierenden Hineinlesens disqualifizieren.¹¹⁶ Gerade vor dem Hintergrund dieser Geringschätzung und Hegels Legitimierung von Philons geistiger Schrifterklärung leuchtet es ein, wie hoch Hegel dessen spekulative Religionsphilosophie schätzt. Hegels deutlich affirmative Beurteilung von Philons Methode der allegorischen Schriftauslegung geht gleichermaßen mit seiner legitimierenden Auffassung der christlichen Dogmenentwicklung einher: Weil aber die Dogmen in die christliche Religion durch die Philosophie hineingekommen sind, darf man nicht behaupten, sie seien dem Christentum fremd und gingen dasselbige nichts an. Wo etwas hergekommen ist, das ist vollkommen gleichgültig; die Frage ist nur: ist es wahr an und für sich? Viele glauben genug getan zu haben, wenn sie sagen, etwas sei neuplatonisch, um es aus dem Christentum zu verweisen. (TWA Bd. 12, S. 400)
Unter explizitem Hinweis auf Philons allegorisierende Bibeldeutung – „[e]benso wie Philon in der Mosaischen Urkunde ein Tieferes angedeutet fand und das Äußerliche der Erzählung idealisierte, taten auch die Christen dasselbe“ – sowie auf das in 2Kor 3,6 beschriebene Schriftverständnis kritisiert Hegel „die exegetischen Gelehrten“ seiner Zeit, sie nähmen „den Verstand für den Geist“, indem sie ausschließlich ihr Augenmerk darauf richteten, „[o]b eine christliche Lehre gerade so in der Bibel steht“.¹¹⁷ Grundsätzlich solle es hingegen darum gehen, ob diese zutiefst spekulativen Lehrmeinungen „wahr an und für sich“ seien. Unverkennbar ist dabei Hegels Absicht, die philosophische Wirkung des Neuplatonis-
TWA Bd. 19, S. 420. Buhle 1799, S. 119; Tennemann 1805, S. 236; Tiedemann 1793, S. 136. TWA Bd. 12, S. 400.
2.5 Hinein- und Herausinterpretieren im Licht der Geistesarbeit
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mus auf die christlichen Glaubenssätze für legitim zu erklären. Und es ist keineswegs schierer Zufall, dass seine Rechtfertigungsbemühung auf Philon rekurriert. Vielmehr dient dies aller Wahrscheinlichkeit nach dem konkreten Zweck, dessen Gedankengut als Paradebeispiel einer auf metaphysischen Spekulationen basierenden Religionslehre heranzuziehen, die ebenso wie die kirchenväterlichen Systeme durch die Rezeption der vordergründig externen Tradition des Platonismus charakterisiert gewesen sei. Hegel stellt sich mithin vehement gegen die der Spekulation eher abgeneigte Methode einer verstandesreligiösen und auf buchstäblichen Sinn beschränkten Bibelexegese, wenn er Philons zu Spekulationen tendierende Schrifterklärungen als deren Gegenmodell favorisiert. Er sieht sich in diesem Punkt mit derselben Frage konfrontiert wie bei seiner Erörterung der Legitimation von Philons Bibelauslegung, nämlich ob die vom Platonismus nachhaltig geprägte Dogmenlehre gültig sei. Zugespitzt: Wurden die christlichen Glaubenssätze in das Neue Testament hinein- oder eher aus diesem herausinterpretiert? Nicht nur die Fragestellung, sondern auch ihre Beantwortung ist dieselbe: Trotz der Tatsache, dass die platonischen Denkstrukturen, wirkungsgeschichtlich betrachtet, offenkundig von außen in die fremdbestimmten Religionsinhalte des Christentums eingedrungen seien, seien diese gleichwohl aufgrund des geistigen Kerns des Christentums kompatibel. Somit bewertet er die Dogmenentwicklung als legitime Vorgehensweise des Herausinterpretierens. Auch Philons rationalistische Umgestaltung des Wunderglaubens, die Hegel ebenfalls zu einem gemeinsamen Topos des gesamten Neuplatonismus erhebt, rollt er in gedrängter Kürze mit der Behauptung auf, „bei Schriftstellern der folgenden Zeiten [sind] Wunder etwas Gewöhnliches“.¹¹⁸ Weil er sich hier allerdings nicht eigens auf den jüdischen Alexandriner beruft und auf diesen neuerreichten Standpunkt nur skizzenhaft eingeht, lässt sich nicht folgern, ob er damit Philons Wunderbegriff konkret anspricht. Gleichwohl ist naheliegend, dass er tatsächlich einen originären, wenngleich in groben Zügen berührten Aspekt von Philons Wunderauffassung darstellt. Mit der Stellungnahme, Wunder seien nunmehr als „etwas Gewöhnliches“ einzuschätzen, gibt Hegel zu verstehen, dass aus Philons Sicht, in welcher der biblische Wortsinn „nicht nach seiner Notwendigkeit“ erforderlich sei, eine Umbildung des Wunderkonzeptes resultiere. Dieses könne nicht mehr als naturwidrig eingestuft werden, sondern gerade konträr dazu als eine mit der Natur übereinstimmende Erscheinungsform. In Mos. 1.212– 213, wo Philon sein näheres allegorisches Verständnis der Wundergeschichten des Manna sowie des aus dem Felsen entspringenden Was-
TWA Bd. 19, S. 420.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
sers aufzeigt, findet sich ein ähnlicher Standpunkt. Dort argumentiert Philon, die wunderbarsten Dinge seien nicht diese biblischen Wundergeschehnisse, sondern realiter die den notwendigen Naturgesetzen gehorchenden Phänomene: „Aber diese in Wahrheit wunderbaren Dinge [sc. die Teile des Weltganzen] werden geringgeschätzt, weil wir daran gewöhnt sind, während wir die ungewöhnlichen, wenngleich sie unbedeutend sind, in unserer Vorliebe für das Neue bewundern und uns von fremdartigen Erscheinungen leicht überwältigen lassen.“¹¹⁹ Er deutet nämlich das Gewöhnliche (συνήθης) in Form der weltlichen Naturgesetzlichkeit dahingehend um, dass er nun dieses als das wahrhaft Wunderbare (ἀλλὰ ταῦτα μὲν πρὸς ἀλήθειαν ὄντα θαυμάσια) bewertet. In Fug. 46 betrachtet er sogar den Gesamtkosmos als eine Wundertätigkeit (τὰ θαύματα) von Gott als dem Allgeist: „[…] und [erkenne] wer es ist, der das Wunderwerk bewegt und unsichtbar in unsichtbarer Weise seine Fäden zieht, sei es nun der Geist in dir oder der Geist des Alls [νοῦς … ὁ τῶν συμπάντων].“¹²⁰ Diesen naturalisierenden Wunderglauben unterstreicht auch Amir in seinem Artikel „Die Zehn Gebote bei Philon von Alexandrien“: Philon verfolge die Absicht, die Gottesstimme der Sinaioffenbarung durch die Begrifflichkeit der stoischen Physik neu zu deuten, um ihren wunderhaften Charakter glaubwürdiger darzulegen: „Die beschriebene Erscheinung soll zwar eine ‚göttliche Stimme‘ sein, die selbstverständlich ihrer Wunderhaftigkeit nicht entkleidet werden kann. Da sie aber dennoch innerhalb der Natur stattfindet, bleibt sie der Grundkategorie alles Naturgeschehens, nämlich der Kausalität, unterworfen.“¹²¹
2.6 Eklektischer versus systematischer Denker Vor die Frage, ob Philon Eklektiker sei oder nicht, sah sich bereits Schelling in seinen Tübinger Entwürfen zur Gnosis gestellt: „Philo an eclecticus?“.¹²² Da Schelling insoweit auf die Theologen Mosheim und Mangey zurückgreift, die der philonischen Philosophie Eklektizismus vorwerfen, und weiterhin von der „Mischung der Begriffe in Alexandrien“ einiger spekulativen jüdischen Religionslehren spricht,¹²³ liegt die Bejahung dieser Frage nahe. Hegel aber scheint hierauf eine grundsätzlich andere Antwort zu haben: Mit seiner Philonauffassung steht er in offenkundigem Gegensatz zu den anderen
Mos. 1.213: PCH Bd. 1, S. 270. PCH Bd. 6, S. 65. Zu diesem Topos siehe ebenso: Mos. 1.212. Amir 1983e, S. 146. Weiterführend dazu siehe ferner: Amir 1983e, S. 145 – 148. AA Bd. 2.5, S. 94,23. AA Bd. 2.5, S. 94,19.
2.6 Eklektischer versus systematischer Denker
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deutschen Philosophiehistorikern, deren Abhandlungen er sich in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen als Erkenntnisquellen bedient. Er will den alexandrinischen Philosophen im Grunde nicht als inkonsequenten, eklektischen jüdischen Mystiker porträtieren, sondern eher als systematischen Philosophen. Auch den Eklektizismusvorwurf der Philosophiehistoriker gegen die gesamte Denkströmung des Alexandrismus, Philon eingeschlossen,¹²⁴ wendet sich Hegel mit Nachdruck. Vielmehr argumentiert er, die Neuplatoniker nähmen eine systematische Vereinigung der platonischen, aristotelischen, pythagoreischen und stoischen Philosophien vor: „Das [sc. eklektisch] ist sie aber nicht. Denn die Vereinigung der älteren Systeme ist eben eine tiefere Erkenntnis der philosophischen Idee, die konkret in sich gewußt wird, so daß die abstrakteren Prinzipien in der tieferen Form der Idee enthalten sind.“¹²⁵ Dreierlei spricht dafür, dass Hegel Philon als Systemdenker bewerte: (1) Hegel bezieht sich auf dessen Denken in verschiedenen Zusammenhängen explizit als ein philosophisches System.¹²⁶ Dieses positive Philonbild legt auch Hegels geistesgeschichtliche Beschreibung des „philonischen Momentes“ als die ursprüngliche „Wendung des allgemeinen Bewußtseins“ zum philosophischen Bewusstsein nahe. (2) Hegel erkennt in Philons Philosophie die „Natur des Geistes“ systematisch artikuliert.¹²⁷ (3) Anscheinend hält er Philon für den Hauptvertreter einer maßgeblichen Geisteshaltung in der jüdischen Religionsgemeinschaft im ersten Jahrhundert n. u. Z. Daher behauptet er von dessen Religionsphilosophie, „[d]as ist der Charakter der Zeit; das Verständige in den Vorstellungen hat nicht mehr ausgehalten“.¹²⁸ Mithin wird Hegels Tendenz erkennbar, Philon anhand seiner spekulativen Definition als einen Philosophen und dabei als Sohn seiner Zeit, der seine Epoche „in Gedanken erfaßt“,¹²⁹ zu zeichnen.
Tiedemann 1793, S. 129 – 130. TWA Bd. 19, S. 433. Dabei widerlegt Hegel nicht nur Brucker (dazu: Franz 2012, S. 45 – 48), sondern auch darüber hinaus Buhle, der die alexandrinische Philosophie ebenfalls als eklektisch einordnet (Buhle 1799, S. 219 – 220, 229, 233, 283 – 284, 288, 293, 300, 426). Zur Erörterung dieser Thematik siehe: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 99 – 100. Siehe dazu im Rahmen von Hegels Platon- sowie gesamter Neuplatonismusdeutung ferner: Halfwassen 1999, S. 160 ff.; Jamme 1980, S. 158 – 160, 164. TWA Bd. 19, S. 527 („der Philonischen Philosophie“); Bd. 17, S. 238 („Es sind dies teils philosophische Systeme für sich, wie das des Philon, der sich in pythagoreische und platonische Philosophie einstudiert hatte […] [Hervorh. i. Orig.].“); Vorl. Bd. 5, S. 22 („wie die Philosophie Philos, eines alexandrinischen Juden […].“). TWA Bd. 19, S. 419. TWA Bd. 19, S. 419. TWA Bd. 7, S. 26. Dazu siehe zudem: TWA Bd. 12, S. 72; Bd. 18, S. 64– 65.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
2.7 An der Grenze zwischen Vorstellungsform und Begriffsform Hegels Bild von Philon als systematischem Philosophen ist deshalb lediglich mit einigem Vorbehalt zu akzeptieren, weil er am Ende seiner Überlegungen folgende Einschränkung macht: Philons Philosophie sei „im Elemente des Denkens […] eben nicht begriffen“, denn sie sei „zugleich noch höchst unrein und [vermengt sich] auf die mannigfaltigste Weise mit Gestalten der Einbildung“.¹³⁰ Hegels Ambivalenz gegenüber Philons Denken entstammt primär dessen Abhängigkeit von der religiösen Vorstellungsform, durch die systematische Konzepte zugleich inadäquat gedacht worden seien: „Überhaupt ist diese Philosophie weniger Metaphysik des Begriffes oder Denkens selbst, als daß der Geist nur im reinen Denken erscheint, nicht hier in der Weise der Vorstellung ist und die Begriffe, Ideen als selbständige Gestalten [sc. Engel] vorgestellt sind.“¹³¹ Am Beispiel der Konzeption der Ideen und des Logos, unter denen Philon sich die Engelschar (Ideenmannigfaltigkeit) sowie entsprechend den ἀρχάγγελος (Logos als Ideenganzheit) vergegenständliche, sucht Hegel dieses Argument festzumachen.¹³² Buhles Philonkritik im Geiste der Aufklärungsphilosophie dürfte hier auf Hegel wirken, denn jener meint, den philosophischen Schwachpunkt von Philons Denkweise zuvorderst in ihrer stark anthropomorphisierenden Tendenz aufzuzeigen, und beruft sich insoweit zusätzlich auf die Vorstellungsgestalt des Logos als ἀρχάγγελος.¹³³ Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Hegel in der Nachschrift zu den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte von 1820/21 gerade diese allegorischen Elemente des philonischen Gedankengutes durchaus positiv einschätzt. Er weist sie dort als vernünftige Überschreitung der herkömmlichen alttestamentlichen Vorstellungform aus: „Dieser λογος theilt sich nun in Ideen und Philo nennt diese Ideen Engel. […] Wenn man nicht blos eine leere Phantasievorstellung unter Engeln verstehen will, so ist jenes allerdings die beste Weise dieselben zu bestimmen.“¹³⁴ Infolgedessen kann er Philons allegorisches Verständnis von der Engelschar als Ideen und nichts Geringeres als Aristoteles’ Identifikation der tradierten θεοί der griechischen Mythen mit den πρῶται οὐσίαι in Met. 1074b9 miteinander vergleichen, die er hier – auf Kants idealistische Bezeichnung der
TWA Bd. 19, S. 419. Zu Hegels Verständnis der religiösen Vorstellungsform siehe grundlegend: E. Schmidt 1974, S. 42– 44. TWA Bd. 19, S. 424– 425. TWA Bd. 19, S. 423; Vorl. Bd. 5, S. 129. Buhle 1799, S. 137– 138. GW Bd. 30,1, S. 379,14– 17.
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
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apriorischen menschlichen Kategorien als „reine Verstandesbegriffe“ anspielend – mit den aristotelischen Kategorien gleichsetzt: „Auch Aristoteles spielt darauf an, daß man die reinen Verstandesbegriffe Götter nennen könne.“¹³⁵
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie Nach seiner eindeutig positiven Wertung von Philons allegorischer Schrifterklärung setzt sich Hegel im nächsten Schritt mit den „Grundvorstellungen“ in dessen System und den damit verbundenen Problemen auseinander. Zunächst greift er nichts Geringeres als die grundlegende „Hauptsache“ auf, auf die es in Philons gesamter Philosophie ankomme: die von der Menschenseele stets angestrebte Gotteserkenntnis. In enger Anlehnung an Buhles Darstellung macht Hegel gerade die zwei einander diametral entgegengesetzten Momente von Philons Auffassung der von den menschlichen Geistesaugen ersehnten Gottesschau begreiflich: das Affirmative und das Negative. Zum affirmativen Moment gehöre, dass das Individuum, vorausgesetzt, es nutze seine Geistesaugen, also die intuitive Denkkraft, Gott anschauen könne: „Gott kann nur durch das Auge der Seele angeschaut werden, durch die ὅρασις.“¹³⁶ Dem menschlichen τῆς ψυχῆς ὄμμα spricht Philon in seinem Denken tatsächlich die erkenntnistheoretische Sonderfunktion für das Erfassen Gottes mehrfach zu, wie dies etwa Post. 167, Abr. 58 sowie Conf. 92 belegen: Das wahrhafte Sein aber ist nicht nur durch Ohren, sondern durch die Geistesaugen aus den kosmischen Kräften und dem zusammenhängenden und ununterbrochenen Verlauf unzähliger Schöpfungswerke wahrzunehmen und zu erkennen möglich. (Post. 167: PCH Bd. 4, S. 48) […] aber das Sehen vermittelst des führenden Teils der Seele überragt alle ihn umgebenden Kräfte; das ist die Einsicht, das Auge des Geistes. […] denn Höheres als Gott gibt es nicht, und wenn einer, das Auge der Seele auf ihn gerichtet, bis zu ihm gelangt ist, so möge er wünschen, dass dieser Zustand dauere und anhalte. (Abr. 58 – 59: PCH Bd. 1, S. 109) Siehe […] auch das klarste, reinste und überaus scharfblickende Seelenauge, dem allein es gegeben ist, Gott zu schauen […]. (Conf. 92: PCH Bd. 5, S. 125)¹³⁷
GW Bd. 30,1, S. 379,15 – 16. TWA Bd. 19, S. 420 – 421. Siehe auch: Prov. 1.9; Mut. 3; QG 4.8. Zu Philons intuitiver Gottesschau siehe weiterführend: Mackie 2009, S. 36 ff.; Runia 1986, S. 435; Runia 1990j, S. 12.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Dieses spekulative Erkenntnisvermögen bei Philon sucht Hegel näher zu verdeutlichen, indem er auf Basis von Buhle und Tiedemann festhält, „[d]ies nennt er Entzückung, Verzückung, Einwirkung Gottes […]. Zu diesem Behufe muß sich die Seele von dem Körper losreißen, das sinnliche Wesen aufgeben und sich zu dem reinen Gegenstande des Gedankens erheben, wo Gott näher ist und angeschaut wird. Wir können dies ein intelligibles Anschauen nennen“.¹³⁸ Drei Elemente von Philons „intelligibler Anschauung“ spricht Hegel dabei an: (1) Der Vollzug dieses Erkenntnisaktes sei als Aufstiegsbewegung der vernunftbegabten Menschenseele vom Sinnenfälligen, also vom eigenen Leib und der physischen Welt, in einen übersinnlichen Erkenntnisgegenstand, in Gottes Gedankenwelt, zu verstehen.¹³⁹ (2) Diese spekulative Erkenntnis rühre von göttlicher Inspiration her. (3) In der Vollendung dieser geistigen Erhebungsbewegung der vom göttlichen Enthusiasmus erfassten Vernunftseele könne die Gottesnähe erlangt werden, „wo Gott […] angeschaut wird“.¹⁴⁰ In der Tat bildet das menschliche Erkenntnisstreben nach Gottes Wesen in Philons Gesamtdenken den wesentlichen Kern. Er glaubt nämlich, nahezu in all seinen Allegoresen den von Sinnlichkeit freien Erkenntnisweg, den der menschliche Geist zum wahren Absoluten als seinem Endzweck zurücklegen müsse,¹⁴¹ aus den biblischen Erzählungen herauslesen zu können. Philons allegorischem Schriftverständnis zufolge dienen die biblischen Schlüsselfiguren als Sinnbilder des vernünftigen Seelenteiles, νοῦς/διάνοια, der den vernunftwidrigen Seelenteil der αἴσθησις stets überwinden wolle, um schließlich Gott zu begreifen. Am deutlichsten veranschaulicht der alexandrinische Philosoph diesen geistigen Weg mit Gen 6,12 in Deus 142– 143: „[…] Es vernichtet alle Fleischeslust den zu Gott führenden vollkommenen Weg des Ewigen und Unvergänglichen. Dieser (Weg), wisse, ist die Weisheit; denn auf ihr, die breit und gangbar ist, dahinwandelnd gelangt der Geist bis zum Ziele; das Ziel des Weges aber ist das Erkennen und die Erkenntnis Gottes.“¹⁴² Ähnlich wie in Plotins Schlusssatz (17, 38) in Enneade V 3 – der die Möglichkeit der Menschenseele, das vollends transzendente Absolute zu „schauen“,
TWA Bd. 19, S. 421. Siehe dazu: Amir 1983j, S. 17– 18; Goodenough 1969, S. 35 – 36, 166 ff. Zum theologischen Topos der Gottesnähe siehe: Amir 1983 h, S. 172– 173; Amir 1983a, S. 206; Runia 1986, S. 345. Leg. 1.36; Virt. 65. PCH Bd. 3, S. 103. Deus 142– 143: κατέφθειρε πᾶσα σὰρξ τὴν τοῦ αἰωνίου καὶ ἀφθάρτου τελείαν ὁδὸν τὴν πρὸς θεὸν ἄγουσαν. ταύτην ἴσθι σοφίαν· διὰ γὰρ ταύτης ὁ νοῦς ποδηγετούμενος εὐθείας καὶ λεωφόρου ὑπαρχούσης ἄχρι τῶν τερμάτων ἀφικνεῖται· τὸ δὲ τέρμα τῆς ὁδοῦ γνῶσίς ἐστι καὶ ἐπιστήμη θεοῦ.
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
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durch „den mystischen Imperativ“ ἄφελε πάντα ausdrückt –¹⁴³ plädiert Philon dafür, dass die menschliche Geistseele (νοῦς) in ihrem Bestreben, zum Gott des Seinsganzen (τὸν τῶν ὄντων θεὸν) zu fliehen,¹⁴⁴ „sich aller Dinge entäussern [muss] [χρὴ … ἀφίεσθαι πάντων ὑπεκστῆναι] [:] körperlicher Bedürfnisse, sinnlicher Organe, sophistischer Reden, wahrscheinlicher Vermutungen, schließlich seiner selbst [τὰ τελεαυταῖα καὶ ἑαυτοῦ]“.¹⁴⁵ Dieses ekstatische Heraustreten des menschlichen Verstandes (διάνοια) aus sich selbst als Akt der Selbstüberwindung der Einzelseele über ihren Solipsismus hinaus charakterisiert Philon als ausschlaggebende Phase ihres intellektuellen Emporsteigens zu Gottes unbegreiflichem Wesen.¹⁴⁶ Durch die ἔκστασις des menschlichen Verstandes, in dem das Verlangen nach der „Erkenntnis des Einen“ (τὴν τοῦ ἑνὸς ἐπίγνωσιν) eingebettet sei,¹⁴⁷ widerfahre der Menschenseele ein fundamentaler Perspektivenwechsel; so gehe sie von einer ichbezogenen zu einer gerade theozentrischen Weltsicht über: „[…] das alles [sc. die Sinneswahrnehmungen] hört aber auf, wenn [die διάνοια] aus ihrer Stadt [der Seele] [τὴν ψυχῆς πόλιν] herausgeht und ihre Handlungen und Gedanken auf Gott zurückführt.“¹⁴⁸ Zum negativen Moment aber gehöre wiederum, so fährt Hegel fort, dass die menschlichen Geistesaugen aufgrund ihrer Erkenntnisbeschränktheit letztlich doch nicht fähig seien, Gottes Wesen zu erfassen, sondern ausschließlich seine Existenz intuitiv feststellen könnten: „Das Andere aber ist, daß Gott von dem Auge der Seele auch nicht erkannt werden kann; sie kann nur wissen, daß er ist, nicht, was er ist.“¹⁴⁹ Um diesen erkenntnispessimistischen Aspekt von Philons Philosophie zuzuspitzen, spielt Hegel nicht weniger als dreimal auf Philons bekannte Wendung seiner negativen Theologie an. Diese besagt, die menschliche Seele könne über Gott „nur wissen, daß er ist, nicht, was er ist“.¹⁵⁰ Allein in Praem. 36 – 48 bedient sich Philon dieser Transzendenzformel als erkenntnispessimistischer Implikation seiner Allegorese zu Gen 32 zweimal, in der er Jakob Geistesaugen bei ihrer Gottesschau zuletzt die Gotteserkenntnis vorenthält, woraus er Gottes Erkenntnistranszendenz für die menschliche Fassungskraft schlussfolgert:
„Der mystische Imperativ“ ist ein von Beierwaltes geprägter Ausdruck für Plotins in V 3, 17,38 verwendete Formulierung: 1991, S. 252. Zur ekstatischen „Schau“ des Absoluten in Plotins Metaphysik des Einen ist grundlegend: Halfwassen 2004, S. 58. Leg. 3.39. Leg. 3.41: PCH Bd. 3, S. 99 (Anm. d. Verf.). Leg. 3.47– 48. Leg. 3.48. Leg. 3.44: PCH Bd. 3, S. 100 (Anm. d. Verf.). TWA Bd. 19, S. 421. TWA Bd. 19, S. 422.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Er hatte also früher das Auge der Seele verschlossen gehalten; nun aber begann er es bei seinen anhaltenden Kämpfen allmählich zu öffnen und den verhüllenden Nebel zu zerteilen und zu entfernen; denn plötzlich strahlt ihm der reinere, unkörperliche Glanz des Aethers entgegen und zeigt ihm die rein geistige Welt, wie sie gelenkt wird. Auch der von reinstem Lichte rings umstrahlte Lenker war schwer zu sehen und schwer zu begreifen, weil das Auge durch die Strahlen geblendet wird, und das Auge hatte, wiewohl es von starker Glut getroffen wurde, dem sonderbaren Verlangen zu schauen widerstanden. Der Vater und Retter sah aber das aufrichtige, sehnsüchtige Verlangen und hatte Erbarmen: er gab Kraft der Treffsicherheit des Auges und entzog ihm nicht seinen Anblick, soweit ihn ein geschaffenes und sterbliches Wesen zu fassen imstande ist, den Anblick, der ihm zeigt, nicht was (die Gottheit) ist, sondern dass sie ist. Denn jenes Wesen, das besser ist als das Gute, ehrwürdiger als die Einheit und reiner als die Eins, kann unmöglich von einem andern geschaut werden, weil es nur von sich allein (vollkommen) begriffen werden darf. […] Zu diesen gehört der Mann, der in chaldäischer Sprache Israel genannt wird, auf Griechisch der Gott Schauende, nicht welcher Art Gott ist – denn das ist, wie gesagt, unmöglich –, sondern dass er ist [οὐχ οἷός ὁ θεός—τοῦτο γὰρ ἀμήχανον, ὡς ἔφην—, ἀλλ᾿ ὅτι ἔστιν] […] [Hervorh. i. Orig.]. (Praem. 37– 44: PCH Bd. 2, S. 393 – 394)¹⁵¹
Zwar erlangt Jakob mit seinen Seelenaugen eine genuine visio Dei; sie offenbart jedoch wegen Gottes absoluter Erhabenheit nur die metaphysische Tatsache seiner Existenz, aber gerade nicht den Kern seiner verborgenen Natur.¹⁵² Damit sucht Philon die Erkenntnisgrenzen der menschlichen Geistseele nachzuzeichnen, die in sich höchstens eine im strengsten Sinne qualitätslose Vorstellung von Gott als dem reinen Seienden aufnehmen könne (τὴν κατὰ τὸ εἶναι φαντασίαν μόνην ἐνεδέξαντο μὴ μορφώσαντες αὐτό),¹⁵³ „[d]enn für den menschlichen Verstand genügt es, bis zu der Erkenntnis vorzudringen, daß der Urgrund des Alls [τὸ τῶν ὅλων αἴτιον] da ist und existiert [ὅτι ἔστι τε καὶ ὑπάρχει]“.¹⁵⁴ Philon macht wiederholt deutlich, dass für das menschliche Fassungsvermögen die Erkenntnis Gottes grundsätzlich unerreichbar sei,¹⁵⁵ was ihn gleichwohl nicht daran hindert, die intellektuelle Erforschung von Gottes absolut
Vgl. hierzu andere Passagen des Corpus Philonicum, in denen eine derartige Wendung artikuliert wird: Conf. 137; Deus 62; Post. 168 – 169; Virt. 215.Vgl. dazu: Runia 1986, S. 436 („The quest for knowledge is intrinsically laudable and should be passionately pursued, but man cannot proceed further than knowing that God exists (εἰ ἔστιν), not what he is (τί ἐστιν) [Hervorh. i. Orig.].“). Zum Topos von Gottes prinzipieller Unerkennbarkeit bei Philon siehe grundlegend: Runia 1990i [1988], S. 75 ff. Deus 55. Post. 168: PCH Bd. 4, S. 48. Dazu beispielsweise: Fug. 165; Migr. 220; Abr. 119 – 121; Opif. 71.
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
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transzendentem Wesen geradezu als Höhepunkt seiner gesamten philosophischen Weltdeutung anzusetzen: Was nun das Wesen Gottes anlangt, so ist es freilich schwer zu fassen und zu begreifen; trotzdem muss man es zu erforschen suchen, soweit es möglich ist. Denn nichts Besseres gibt es, als den wahren Gott zu suchen [ἄμεινον γὰρ οὐδὲν τοῦ ζητεῖν τὸν ἀληθῆ θεὸν], wenn es auch Menschenkraft übersteigt ihn zu finden, da schon der Eifer des Forschens an sich unsagbare Freude und höchstes Vergnügen bereite [Hervorh. i. Orig.]. (Spec. 1.36: PCH Bd. 2, S. 21)¹⁵⁶
Angesichts dessen ist nachvollziehbar, inwiefern Philon gerade das selbstbewusste Nichtwissen über Gott als „das letzte Ziel allen Wissens“ markieren kann, „denn der einzige Wissende ist zugleich der einzige Gott [ἑνὸς ὄντος μόνου σοφοῦ τοῦ καὶ μόνου θεοῦ]“.¹⁵⁷ Bereits Platon hebt in Tim. 28c3 – 5, von dessen kosmologischem Modell Philons System weitgehend anhängig ist, die besondere Erkenntnisschwierigkeit des ποιητὴς καὶ πατήρ hervor: „Den Schöpfer und Vater dieses Alls ausfindig zu machen, ist eine schwierige Aufgabe, und ihn allen darzustellen, wenn man ihn gefunden hat, ist unmöglich.“¹⁵⁸ Im Unterschied allerdings zu Hegels weitgehend unpolemischer Wiedergabe von Philons prinzipieller Bejahung der von den menschlichen Seelenaugen unermüdlich angestrebten Gottesschau enthält seine Darstellung von dessen negativer Theologie eine metaphysische Auseinandersetzung. Vor deren Thematisierung soll in Kürze ein grundlegender Begriff davon gebildet werden, was Philons apophatische Theologie kennzeichnet. Gerade die eben diskutierte philonische Wendung deutet auf die maßgebliche intellektuelle Herausforderung seiner via negativa hin: Gott in „seiner reinen Existenz [τὴν ὕπαρξιν] ohne ein Kennzeichen [ἄνευ χαρακτῆρος] […] ohne ihm Gestalt zu geben [μὴ μορφώσαντες αὐτό]“ und demnach jenseits aller Bestimmtheit zu begreifen.¹⁵⁹ Aber was bedeutet das konkret? Eben darüber gibt uns Philons Philosophie ständig nähere Auskunft. In naheliegender Anspielung auf Platons Analyse des Einen an und für sich (αὐτὸ τὸ ἕν) in der ersten Hypothese des Parmenides
Vgl. dazu: Spec. 1.40, 1.345, 2.165; Fug. 8, 165; Leg. 1.38; Leg. 3.126; Det. 89; Post. 167– 169; Abr. 58; Deus 55, 62, 143; Mut. 7– 10; Virt. 215. Zur Erläuterung dieses in Philons System verwurzelten Gedankens siehe zudem: Zeller 1903, S. 462– 464; Runia 1986, S. 436. Migr. 134: PCH Bd. 5, S. 187. Dazu insbesondere: Kaiser 2015, S. 66; Heinze 1872, S. 206 – 207 sowie Zeller 1903, S. 403 – 404. τὸν μὲν οὖν ποιητὴν καὶ πατέρα τοῦδε τοῦ παντὸς εὑρεῖν τε ἔργον καὶ εὑρόντα εἰς πάντας ἀδύνατον λέγειν. Zu negativ-theologischen Gedankenfiguren in der platonischen Tradition siehe vor allem: Krämer 1967, S. 115, 118 – 119, 236 – 237. Deus 55.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
(137c4– 142a1)¹⁶⁰ behauptet er seiner strikt negativen Auffassung von Gott entsprechend, dass er von seiner absoluten Einheit her nicht aus Teilen (μέρη) bestehen könne,¹⁶¹ denn er sei ja unzusammengesetzt (ἄκρατος), ungemischt (ἀμιγής) und schlechthin unteilbar (ἀμέριστος).¹⁶² Überdies sei er immateriell (ἀσώματος), unsichtbar (ἀόρατος), unveränderlich (ἄτρεπτος), unvergänglich (ἄφθαρτος), unerschaffen (ἀγένητος)¹⁶³ und schlechthin immensurabel,¹⁶⁴ des Weiteren unbedürftig,¹⁶⁵ von allem unabhängig¹⁶⁶ und gestaltlos (ἀνείδεος/ ἄπλαστος/ἀτύπωτος).¹⁶⁷ Er könne zudem nicht umfasst werden (ἀπερίληπτος),¹⁶⁸ was seine Unbegrenztheit impliziere.¹⁶⁹ Weiterhin sei er absolut unvergleichbar (ἀσύγκριτος),¹⁷⁰ niemandem zugehörig¹⁷¹ und allem in jedweder Form unähnlich¹⁷². Er befinde sich sowohl jenseits der Zeit (χρόνος) als auch jenseits des Ortes (χώρα/τόπος)¹⁷³ und transzendiere als Schöpfer und Urgrund von allem¹⁷⁴ ferner die σοφία¹⁷⁵ sowie den λόγος,¹⁷⁶ sowohl den κόσμος νοητός als auch den κόσμος
Zum Verhältnis zwischen den negativ-theologischen Denkstrukturen des Parmenides und Philons Gottesauffassung siehe: Runia 1990i [1988], S. 77, 82 („I agree with Dillon, however, that the presence of such themes [der negativen Theologie] in abroad group of school Platonists (and Neopythagoreans) militates against the thesis [von Wolfson, der zufolge Philon der Wegbereiter der apophatischen Theologie wäre], and that exegesis of the first hypothesis of the Parmenides was a probable stimulus to reflections in Philo’s time or ever earlier [Hervorh. i. Orig./Anm. d. Verf.].“); Runia 2010, S. 175 – 188; Dillon 1996, S. 155 – 158. Zur entscheidenden mittelplatonischen Wirkungsgeschichte, primär des Eudoros von Alexandria, auf Philons negative Theologie siehe insbesondere: Runia 1990i [1988], S. 82– 83; Dillon 1996, S. 128, 155. Hierzu beispielsweise: Her. 236; Post. 4 und 7. Siehe beispielsweise: Deus 56 und 77; Her. 236; Mut. 184; Opif. 8. Siehe dazu z. B. die folgenden Philon-Stellen: Sacr. 101; Gig. 42; Leg. 1.47; Mut. 24, 54 und 87; QE 2.37; Spec. 1.312, 3.178, 3.178; Mut. 28; Somn. 1.249, 2.221; Leg. 2.33; Leg. 3.31; Cher. 19 und 90; QE 2.37. Siehe hierzu z. B. Leg. 3.39. Beispielsweise: Cher. 43 und 86; Deus 7, 56, 57 und 107; Her. 188; Mos. 1.157; Mut. 27– 28; Plant. 35. Dazu beispielsweise: Hypoth. 6.9; Sacr. 2. Congr. 61; Deus 55. Dazu: Conf. 136; Somn. 1.63 – 64, 1.185; Post. 7 und 14. Sacr. 59. Mut. 3. Mut. 28. Z. B.: Deus 55, 61; Gig. 42; Opif. 71; Mut. 7– 8; Post. 14; Somn. 1.73 f., 1.184; Fug. 141. Dazu beispielsweise: Post. 14; Somn. 1.32, 1.117, 1.184; Spec. 1.176; Sacr. 76; Deus 32. Spec. 2.198, 3.178; Migr. 131; Leg. 1.5 – 6; Leg. 3.7; Sacr. 2; Plant. 33 und 48. Eine grundlegende Behandlung davon leistet Montes-Peral 1987, S. 74– 86. QG 1.11. Beispielsweise: Leg. 2.86, 3.96; Somn 1.65, 1.75, 1.117.
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αἰσθητός,¹⁷⁷ das Leben (ζωή)¹⁷⁸ und die Bewegung (κίνησις).¹⁷⁹ Obendrein sei er über jedes Vorbild (ἀρχέτυπον),¹⁸⁰ über die Tugend (ἀρετή), die Erkenntnis (ἐπιστήμη), das Gute an sich (αὐτὸ τὸ ἀγαθόν) und das Schöne an sich (αὐτὸ τὸ καλόν) erhaben¹⁸¹. Schließlich sei er sogar „reiner als die Eins und ursprünglicher als die Einheit“.¹⁸² Aus seinem negativ gefassten Gottesbegriff als ὁ ἄποιος¹⁸³ zieht Philon nahezu den gleichen erkenntnistheoretischen Schluss wie Platon in seiner negativen Henologie: Gott von seinem Wesen her sei namenlos (ἀκατονόμαστος),¹⁸⁴ unsagbar (ἄρρητος),¹⁸⁵ unzeigbar (ἄδεικτος),¹⁸⁶ unvorstellbar,¹⁸⁷ unfassbar (ἀναφής),¹⁸⁸ unbekannt (ἄγνωστος),¹⁸⁹ undenkbar (ἀπερινόητος)¹⁹⁰ und unbegreifbar (ἀκατάληπτος),¹⁹¹ d. h. über jedwedes menschliche Erkenntnisvermögen gänzlich erhaben.¹⁹² An die Grundkategorien von Philons negativer Theologie, „Gestaltlosigkeit, Einheit, Unvergänglichkeit und Unwandelbarkeit“, müsse man sogar glauben; diese machten ja das Maßgebliche des jüdischen Gottesglaubens aus.¹⁹³ Die Reihe der transzendierenden Negationen fördert zuletzt die grundsätzliche Prädikations-Unmöglichkeit in der Rede von Gott zutage, woraus Philon die unfassbare Erhabenheit (ὑπερβολή) der an den Pentateuch gebundenen Gottesvorstellung in all ihrer Radikalität ableitet: „[…] die anderen [sc. unter den Juden] erklären, daß das Ungewordene [τὸ ἀγένητον] keinem Dinge
Abr. 75; Decal. 69; Her. 301; Opif. 7; Leg. 2.3; Leg. 3.7; Plant. 130. Fug. 198. Conf. 139; Deus 31; Fug. 8. Somn. 1.75. Opif. 8; Contempl. 2; Legat. 5; Praem. 40. Contempl. 2 (ἑνὸς εἰλικρινέστερον καὶ μονάδος ἀρχεγονώτερον); Praem. 40 (μονάδος πρεσβύτερον καὶ ἑνὸς εἰλικρινέστερον). Auch die Einheit sei zuletzt sogar, wie Philon aufzeigt, nicht mit Gottes Wesen gleichzusetzen, sondern gelte ausschließlich als dessen Abbild (Leg. 2.3; Spec. 3.180). Dazu erhellend: Wolfson 1962, Bd. 2, S. 94– 101. Leg. 3.36. Leg. 1.36, 1. 51. Zu ἄποιος in Hinblick auf Philons Gottesbegriff siehe zudem: Cher. 67; Congr. 61; Leg. 1.36, 3.206; Spec. 1.47. Zu Gottes Eigenschaftslosigkeit in Philons Philosophie: Wolfson 1962, Bd. 2, S. 101– 110. Somn. 1.67. Somn. 1.67; Mut. 15. Her. 130. Spec. 1.40 (τῆς κατὰ τὸν ὄντως ὄντα θεὸν ἐναργοῦς φαντασίας ἀμοιροῦμεν). Legat. 6. Mut. 10. Mut. 15. Conf. 138; Mut. 15; Somn. 167. Diese Erkenntnistranszendenz des Wesens Gottes hat Philon zufolge allerdings eine Ausnahme: Gott selbst könne sich selbst erkennen (Leg. 3.206). Leg. 1.51: δεῖ γὰρ ἡγεῖσθαι καὶ ἄποιον αὐτὸν καὶ ἕνα καὶ ἄφθαρτον καὶ ἄτρεπτον.
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innerhalb der Schöpfung ähnlich sei, sondern sie in allem überrage [ἀλλὰ τοῖς ὅλοις ὑπερβάλλον], so daß auch der schnellste Geist weit hinter seiner Erfassung zurückbleibe und seine Ohnmacht eingestehe.“¹⁹⁴ All diesen Elementen von Philons apophatischer Theologie und der sich daraus ergebenden absoluten Erhabenheit Gottes ist Hegel bei Buhles Philondarstellung begegnet: Gott ist einfach; aber gleichwohl nicht das, was wir Einheit nennen; er ist selbst über die Einheit (nach unserm Begriffe) erhaben. Gott ist der Urgrund des Wahren, Guten und Schönen, aber über alle unsere Ideen hiervon. Er ist vollkommen, aber höher als die Vollkommenheit selbst. Das Resultat ist: Gott selbst kann nur sich selbst erkennen. (Buhle 1799, S. 135– 136)
Anders als in Philons ursprünglich großangelegter theologia negativa liegt Hegels Hauptaugenmerk in seiner Philonauslegung jedoch vorrangig auf abstrakten Denkbestimmungen wie Seiendes, Urlicht, Einfachheit, Einheit und Erstes.¹⁹⁵ Gleichwohl konnte er die Zielsetzung von Philons negativer Theologie – wenngleich diese, laut Hegel, in einer irrigen Prämisse wurzelt – durchaus begreiflich machen: Gott als reine Einheit zu denken. Neben Gottes abstrakter Seinsbestimmung ist die Rede zugleich von seiner Einfachheit und Einheit,¹⁹⁶ worin Hegel dessen prinzipielle Unerkennbarkeit begründet sieht. Anhand beider negativtheologischer Bestimmungen der Einheit und Einfachheit, die Philon tatsächlich oftmals mit der οὐσία τοῦ ὄντος gleichsetzt, kann er nämlich argumentativ viel besser den monotheistischen Anspruch der jüdischen Religionslehre in Schutz nehmen, indem er Gottes Wesen jedwede Form der Zweiheit abspricht: Schreibt man Gott nur eine einzige Eigenschaft zu, so käme seinem „einzige[n] und sich selbst genügende[n], einfache[n], ungemischte[n] und unvermengte[n] Wesen“ Dualität zu.¹⁹⁷ Dies sei ex hypothesi deshalb völlig ungereimt und demnach zu verneinen, da Gott […] allein und ein Einziges [ὁ θεὸς μόνος ἐστὶ καὶ ἓν], keine Zusammensetzung, sondern ein einheitliches Wesen [φύσις ἁπλῆ] [ist], während jeder von uns und jedes der übrigen entstandenen Wesen eine Vielheit bildet. […] So entspricht also Gott der Einheit und dem
Somn. 1.184. Vgl. zu anderen von Philon eingebrachten Transzendenzaussagen: Somn. 1.117; Leg. 3.203, 205; Her. 231; Sobr. 54; Sacr. 55; Decal. 53. Siehe zudem: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 94– 110. TWA Bd. 19, S. 421, 425. TWA Bd. 19, S. 421– 422: „Solange also die Bestimmung des Einfachen festgehalten wird […] ‚dieses Eine ist Gott als solcher‘ […] von Gott als Einem […].“ Deus 56: PCH Bd. 4, S. 85. Vgl. dazu: Leg. 2.3.
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Alleinsein [κατὰ τὸ ἓν καὶ μονάδα], oder vielmehr das Alleinsein dem einzigen Gott […]. (Leg. 2, 3: PCH Bd. 3, S. 23)¹⁹⁸
Dieses Philons negativer Theologie zugrunde liegende Argumentationsmuster findet seinen deutlichen Niederschlag in seiner allegorischen Exegese der sinngemäßen Übersetzung von Gen 4,16 LXX,¹⁹⁹ woraus der Alexandriner folgenden metaphysischen Lehrsatz ableitet: „Ein Angesicht ist ja ein Teil eines lebenden Wesens, Gott aber ist ein Ganzes, nicht ein Teil. […] Gott aber braucht nichts, so daß, wenn er den Nutzen aus den Teilen nicht braucht, er überhaupt keine Teile haben dürfte.“²⁰⁰ Auch die prinzipientheoretische Identifikation der allem vorausgehenden Einheit (μονάς) mit Gottes Natur als Ausgangspunkt für die Betrachtung des dual strukturierten Weltganzen behandelt Philon ausführlich und kommt in diesem Zusammenhang zusätzlich auf Gott als reines Licht sowie als das absolut Ursprüngliche zu sprechen: Gute Treffer sind also die Menschen, die sich bemühen aus der Schöpfung den ungeschaffenen Schöpfer des Alls zu erkennen, sie handeln ähnlich denen, die aus der Zweiheit die Natur der Einheit erforschen [ἀπὸ δυάδος μονάδος φύσιν ἐρευνῶσι], während man umgekehrt von der Einheit – diese ist ja der Anfang – ausgehen müsste, um die Zweiheit zu betrachten; zur Wahrheit aber gelangen nur die Menschen, die die Vorstellung von Gott durch Gott gewinnen, die Vorstellung vom Licht durch das Licht [ἀλήθειαν δὲ μετίασιν οἱ τὸν θεὸν θεῷ φαντασιωθέντες, φωτὶ φῶς] [Hervorh. i. Orig.]. (Praem. 46: PCH Bd. 2, S. 394)²⁰¹
Kommen wir jedoch auf Hegels Bezugnahmen auf Philons Spruch zurück – das menschliche Seelenauge „kann nur wissen, daß er ist, nicht, was er ist“ –²⁰², so sehen wir uns zunächst mit der Frage konfrontiert, welche argumentative Strategie Hegel bei seiner Auseinandersetzung mit dessen apophatischer Theologie verfolgt. Anlass für Hegels negative Beurteilung könnte Buhles Philondeutung sein, denn dort, wahrscheinlich von Kants harscher Platonkritik ausgehend, hält dieser die Philons Gott zukommenden Erhabenheitsvorstellungen grundsätzlich für sinnentleert: „Bey seinen Begriffen von Gott verliert er sich übrigens oft in transcendenten Unsinn.“²⁰³
Siehe zudem: Deus 11, 77; Praem. 46. Bormann erläutert diesen Gedanken von Philons Gottesbegriff einleuchtend: 1955, S. 9 – 10, 62. Vgl. dazu: Montes-Peral 1987, S. 86 – 98; Goodenough 1969, S. 64. Gen 4,16: ἐξῆλθεν δὲ Καιν ἀπὸ προσώπου τοῦ θεοῦ []ִמ ִלְּפ ֵני ְיה ָוה. Post. 3 – 4: PCH Bd. 4, S. 4– 5. Vgl. dazu auch QG 2.40. Siehe ebenfalls: Spec. 3.180. Siehe dazu: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 48. TWA Bd. 19, S. 421. Buhle 1799, S. 135.
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In Anlehnung an den Grundsatz derartiger aufklärungsphilosophischer Kritik entwickelt Hegel folgendes Gegenargument im zusätzlichen Rekurs auf den christlichen Gottesbegriff als konkreten Geist: Das Licht ist freilich das Einfache; dagegen erkennen heißt: Bestimmtes wissen, als ein Konkretes in sich selbst. Solange also die Bestimmung des Einfachen festgehalten wird, läßt sich dieses Urlicht allerdings nicht erkennen. Indem also Philon sagt, „dieses Eine ist Gott als solcher“, kann man nicht wissen, was Gott ist. Im Christentum ist dagegen das Einfache nur als Moment, und das Ganze ist Gott der Geist. (TWA Bd. 19, S. 421)²⁰⁴
Auf Philons „ganz in morgenländischer Weise“ konzipierte Gottheit²⁰⁵ als reines Urlichtwesen Bezug nehmend folgert Hegel, dessen unbestimmte Natur sei unerkennbar, und zwar weil es überhaupt nichts zu erkennen gebe: „Wenn man das Erste als nur Abstrakt-Allgemeine bestimmt und die Bestimmungen auf das Allgemeine, auf das ὄν, nur nachfolgen läßt, so ist dies freilich unbegreiflich, denn es ist ohne Inhalt […].“²⁰⁶ Zwar bestätigt er im Kern Philons Schluss über die Erkenntnisbegrenztheit des Menschen in seinem ununterbrochenen Verlangen nach Gottesschau, aber der Grund dafür liege nicht etwa, wie Philon mutmaße, in Gottes absoluter Erhabenheit. Vielmehr liege er in der von Philon im Voraus festgelegten Unbestimmtheit dieses abstrakten Erkenntnisgegenstandes, nämlich in Gott „als de[m] jüdische[n] Abstraktum“²⁰⁷ in Form des reinen Seienden: „Es ist ganz richtig, daß Gott als Sein nicht erkannt werden könne; denn das Wesen ist die leere Abstraktion; Erkennen ist Wissen in konkreter Bestimmung; das Erkannte muß konkret in sich selbst sein.Was erkannt werden kann, ist, daß das reine Wesen nur eine leere Abstraktion ist, – so das Nichtige, nicht der wahrhafte Gott.“²⁰⁸ Den wesentlichen Schwachpunkt von Philons metaphysischer Prämisse will Hegel aufzeigen, wenn er als conditio sine qua non für das Erkennen das „Bestimmte[…] wissen, als ein Konkretes in sich selbst“ definiert.²⁰⁹ Dadurch möchte er die offenkundige Ungereimtheit bei Philon, Gott als das Bestimmungslose zu bestimmen, ad absurdum führen. Wissen über irgendein Erkenntnisobjekt setze
Vgl. dazu: Vorl. Bd. 13, S. 167 sowie Bd. 3, S. 75 – 76. Vgl. dazu TWA Bd. 9, S. 249: „[…] die eine ist die, welche wir haben, daß das Licht ein Einfaches sei [Hervorh. i. Orig.].“ Zu Hegels Auseinandersetzung mit dem aus seiner Sicht agnostizistischen Weltbild der Aufklärung siehe: E. Schmidt 1974, S. 8 – 15, insbes. 200 – 203. TWA Bd. 19, S. 421. Vorl. Bd. 5, S. 129. GW Bd. 30,1, S. 378,23. TWA Bd. 19, S. 422. TWA Bd. 19, S. 421.
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per definitionem voraus, dieses sei in seinem konkreten Inhalt bestimmt. Sei die Rede jedoch von einem unbestimmten Erkenntnisgegenstand, der durch eine „leere Bestimmung“ inkonsequenterweise bestimmt sei, so sprenge er den Rahmen dieser epistemologischen Grundvoraussetzung und könne demnach nicht erfasst werden, denn es gebe konkret nichts, keinen Erkenntnisgegenstand, zu begreifen. Ein derartiges Argumentationsmuster überträgt Hegel zudem auf das bei Philon wesentliche Urbild-Abbild-Verhältnis, das sich in dessen hierarchischer Gott-Logos-Beziehung findet: „[…] denn das Bild kann nur darstellen, was die Sache ist; ist also das Bild konkret, so ist auch das Ursprüngliche als konkret zu fassen.“²¹⁰ Mit „Bild“ nimmt Hegel auf Philons Logos Bezug, der auf Grundlage einer allegorischen Lesart von Gen 1,27 mit εἰκὼν θεοῦ gleichgesetzt wird,²¹¹ mit „Urbild“ („das Ursprüngliche“) entsprechend auf dessen Gotteskonzept. Diesen qualitativen Unterschied zwischen Gott und Logos, an dem sich Philon durchgehend festhalte, problematisiert Hegel, indem er von einer prinzipiellen Wesensverwandtschaft zwischen Urbild und Bild ausgeht. Er nutzt eine relativ schlichte Argumentation: Jedwede Bildform müsse in sich definitionsgemäß konkret sein; sei ein Bild konkret, so müsse auch das Urbild gleichermaßen konkret sein.²¹² Dabei scheint er den krassen inneren Widerspruch von Philons Gotteslehre darin zu sehen, dass einerseits dessen Gottesbegriff als eine „leere“ Denkbestimmung, als das reine Seiende, erscheine, andererseits gleichzeitig als konkret aufgefasst werde, da er als Urbild eines in sich bestimmten Bildes, des Logos, fungiere. Diese „philonische Unterscheidung“ solle im Licht dieser Argumente vielmehr aufgehoben werden. Zumindest ansatzweise könne Philons gleichsam „protochristlicher“ Logos als εἰκὼν θεοῦ das anbieten, was das Christentum mit seinem Gottesbegriff als Geist späterhin vollständig geleistet
TWA Bd. 19, S. 421. Siehe insbesondere Opif. 25. Unter dem allgemeinen Bildkonzept versteht Hegel die Darstellung eines Erkenntnisobjektes seinem bestimmten Inhalt entsprechend: „[…] denn das Bild kann nur darstellen, was die Sache ist […].“ (TWA Bd. 19, S. 421) Dieser Bildbegriff entspricht im Kern seiner Definition von Erkenntnis als bestimmtem Wissen. Analog zum Erkennen – in dem konkrete Information über einen Erkenntnisgegenstand vermittelt werde – erwerbe man durch Betrachten eines Bildes Wissen in seiner konkreten Bestimmtheit. Vgl. TWA Bd. 10, S. 233. Dort, genauer: im Zusatz zu § 441 der enzyklopädischen Geistphilosophie, charakterisiert er sein Konzept des subjektiven Geistes in seiner dritten Vollendungsform („C. Psychologie“) im Rekurs auf die ursprünglich in Gen 1,27 befindliche Urbild-Ebenbild-Beziehung. Zu Hegels Deutung des Urbild-Abbild-Verhältnisses vgl. ebenfalls: TWA Bd. 10, S. 23 (§ 381 Zusatz) und Bd. 10, S. 410. Dazu auch: E. Schmidt 1974, S. 151– 154, 164– 166.
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habe: eine metaphysische Lösung für den Philons apophatischer Theologie zugrunde liegenden Mangel herbeizuführen. Tatsächlich dient bei Philon die ebenbildliche Logoshypostase, worauf Hegel hier anspielt, in gewissem Sinne als konkrete Erscheinungsform Gottes.²¹³ Erst durch seinen weltschöpferischen „Bild-Logos“ sei ja Gott überhaupt imstande, unbeschadet seiner absoluten Gestaltlosigkeit, der prima materia Gestalt zu geben: Er nämlich gibt der Seele einen Siegelring […] wodurch er sie belehrt, daß Gott die formlose Substanz des Weltalls geformt, die unausgeprägte geprägt, die gestaltlose gestaltet, die ganze Welt vollendet und versiegelt hat durch ein Bild und eine Idee, nämlich durch seinen eigenen Logos [ἐμόρφωσε καὶ τελειώσας τὸν ὅλον ἐσφράγισε κόσμον εἰκόνι καὶ ἰδέᾳ, τῷ ἑαυτοῦ λόγῳ]. (Somn. 1.45: PCH Bd. 6, S. 232)
Und es ist gerade in diesem Sinne, dass der göttliche Logos als imago Dei, so betont Philon mehrfach, als Gottes erschaffungsvermittelnder Stellvertreter fungiere: „[…] denn das Abbild Gottes ist die göttliche Vernunft, durch die das Weltall geschaffen ist [λόγος δ’ ἐστὶν εἰκὼν θεοῦ, δι’ οὗ σύμπας ὁ κόσμος ἐδημιουργεῖτο].“²¹⁴ Gleichwohl verkennt Hegel indessen den zugrunde liegenden Punkt von Philons apophatischer Theologie. Diese Fehldeutung rührt daher, dass er das urbildliche Modell (αρχέτυπον παράδειγμα) für Philons Gott eben nicht im transzendenten Sinne versteht, wonach Gott über jegliche bildhafte Vorstellung erhaben sei, sondern das Urbild eher für einen herkömmlichen Bildbegriff hält. Im klaren Unterschied dazu will Philon, primär auf das biblische Abbildungsverbot, aber auch auf Gen 1,3 – 4, Gen 28,11 sowie Ps 27,1 LXX gestützt, zweifelsfrei ver-
Vgl. dazu: Mos. 1.66; Mut. 223 (λογισμὸς δὲ βραχὺ μὲν ὄνομα, τελειότατον δὲ καὶ θειότατον ἔργον, τῆς τοῦ παντὸς ψυχῆς ἀπόσπασμα ἤ, ὅπερ ὁσιώτερον εἰπεῖν τοῖς κατὰ Μωυσῆν φιλοσοφοῦσιν, εἰκόνος θείας ἐκμαγεῖον ἐμφερές); Praem. 83. Zu diesem besonderen Aspekt von Philons Logos siehe vor allem: Löhr 2009, S. 354: „Vielmehr ist der philonische L. eine Hypostase eben dieses Gottes, eine Manifestation, die kommunikative, der Schöpfung zugewandte Seite dieses Gottes […].“; Krämer 1967, S. 279 („Von daher erklärt sich die merkwürdige Logos-Lehre Philons am besten, welche den Logos als Inbegriff der Transzendenz und zugleich – unter Ignorierung der Zwei-Welten-Scheide – als Lebensprinzip des Kosmos auffaßt.“); Zeller 1903, S. 426 – 427. Spec. 1.81: PCH Bd. 2, S. 34. Zum Topos der weltschöpferischen Vermittlerfunktion des Logos siehe auch: Deus 57; Migr. 103; Conf. 63; Her. 199; Leg. 1.21; Sacr. 8; QG 1.58; QE 2.81 sowie 2.94; Cher. 125 – 127 (in Zusammenhang mit dieser spezifischen Philon-Stelle ist noch der Artikel von Sterling erwähnenswert, der von Philons Rückgriff auf die „aristotelische Metaphysik der Präpositionen“ ausgeht: 1997, S. 227– 228; diese Annahme geht jedenfalls auf Theiler zurück: 2001, S. 28 – 34: „Die vorneuplatonische Schultradition: Metaphysik der Präpositionen“; vgl. dazu außerdem: Dillon 1996, S. 135– 139: „Some Middle Platonic Scholastic Formulations“; Runia 1986, S. 133, insbes. 171– 174; Runia 2001, S. 139).
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deutlichen, Gott sei aufgrund seiner absoluten Transzendenz keineswegs als Bildform aufzufassen, sondern transzendiere jegliche bildhafte Repräsentation: […] da Gott zunächst Licht ist […] und nicht nur Licht, sondern jenes andren Vorbild, ja noch mehr: älter und höher als jedes Vorbild, weil es die Bedeutung eines Urbildes hat [καὶ οὐ μόνον φῶς, ἀλλὰ καὶ παντὸς ἑτέρου φωτὸς ἀρχέτυπον, μᾶλλον δὲ παντὸς ἀρχετύπου πρεσβύτερον καὶ ἀνώτερον, λόγον ἔχον παραδείγματος ]. Denn das Urbild ist der von ihm ganz erfüllte Logos […]. (Somn. 1.75: PCH Bd. 6, S. 189)²¹⁵
In Philons Allegorese zu Ex 33,13 räumt sogar der jüdische Gesetzgeber unumwunden ein, „dass [seine] Kraft nicht hinreichen würde, um ein deutliches Bild […] [des] Wesens [Gottes] [τὸ τῆς σῆς φαντασίας ἐναργὲς εἶδος] in [sich] aufzunehmen“.²¹⁶ Eine grundlegende Tendenz von Hegels Philonauffassung wird in diesem Zusammenhang besonders ersichtlich: Er sieht sich nämlich nicht allein darauf angewiesen, philosophiegeschichtlich nachzuzeichnen, was Philon selbst über die „Grundvorstellungen“ in seinem System dachte, sondern auch und in ungleich höherem Maße wie man über sie denken soll.²¹⁷ Einem ähnlichen Erklärungsansatz folgt Hegel auch in den Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte des Wintersemesters 1820/21, indem er Philons völlig inhaltlosen Gottesbegriff, sozusagen „das jüdische Abstraktum“, als ein ununterschiedenes Lichtwesen mit folgendem Argument kritisiert: „Im reinen Lichte, im Urlichte sieht man nichts; im reinen Licht sieht man so viel als in der reinen Finsterniß. Reines Licht und Finsterniß sind so einander gleich.“²¹⁸ Dieser Gedankengang hat seinen Ursprung in Hegels geistmetaphysischer Analyse der Seinskategorie in den Vorlesungen zur Seinslogik. In diesen sucht er zu belegen, „[d]as Sein, das unbestimmte Unmittelbare ist in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts“:²¹⁹
Vgl. dazu: Legat. 290 – 291; Somn. 1.75; Somn. 1.232; Leg. 3.101; Spec. 1.45. Zur Erklärung dieser Philon-Stelle siehe: Runia 2001, S. 168. Zur absoluten Transzendenz von Philons Gottesauffassung siehe: Bormann 1955, S. 7; Zeller 1903, S. 400 – 404; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 201– 202; Montes-Peral 1987, S. 43 ff. Spec. 1.45: PCH Bd. 2, S. 23. Am deutlichsten kommt diese Tendenz hier zum Tragen: GW Bd. 30,1, S. 127,20 – 23. Anspielungen auf christliche Topoi, die sich hinter seiner diesbezüglichen Kritik verbergen können, sollen gerade nicht ausgeschlossen werden. Hegel kommt in diesem Zusammenhang immer wieder auf den christlichen Gottesbegriff zu sprechen: Die Erkennbarkeit des Gottvaters wird beispielsweise in Joh 14,6 – 7 durch die Metaphorik der Sichtbarkeit und die Vater-Sohn-Wesensverwandtschaft veranschaulicht (… καὶ ἀπ’ ἄρτι γινώσκετε αὐτὸν καὶ ἑωράκατε αὐτόν). Vgl. zudem Joh 10,30 und Joh 14,10. GW Bd. 30,1, S. 378,28 – 30. TWA Bd. 5, S. 83 (Hervorh. i. Orig.).
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Dieser Unterschied [sc. zwischen Sein und Nichts] ist auch [ein] Unsagbares: Man stellt sich etwa Sein als das reine Licht vor und mein Verhältnis dazu als reines Schauen des Lichtes; das Schauen ist da Tätigkeit, die aber Ruhe ist; und das Nichts als vollkommene Finsternis: Frage ich aber, was sehe ich im reinen Licht? Gar nichts, ebensowenig als in der reinen Finsternis, im reinen Schauen muß ich mich vorstellen als reines Auge und dieses selbst nicht als Räumliches, Körperliches: Da ist vollkommene Unbestimmtheit, [das] Formlose gesetzt, und das ist [die] Finsternis ebensowohl. (Vorl. Bd. 10, S. 100 – 101)²²⁰
Mit dieser Darstellung scheint Hegel implizit einen Einwand gegen das Gotteskonzept einer apophatischen Theologie zu erheben, denn gleich danach verdeutlicht er, der wahre Gott sei im Gegensatz zu diesen „nichtigen Abstraktionen“ als das „Konkreteste“ zu markieren.²²¹ Zunächst liegt die Frage nahe, ob Hegel dieses metaphysische Erklärungsmuster schlicht auf seine Auseinandersetzung mit Philons Gotteslehre überträgt, oder ob Philons Denken zugleich Einfluss darauf hätte haben können. Drei Gründe sprechen für letztere Annahme: (1) Hegel setzt in seiner Philondeutung auch Sein und reines Licht gleich.²²² (2) Entsprechend ist die Rede hier von dem „reinen Auge“ und dem „reinen Anschauen“,²²³ womit man sich Gott als „das reine Licht“ zu vergegenständlichen suche. Dies wiederum kann als Anspielung auf Philons Motiv der von den Sinnen unabhängigen Augen der Seele als ὅρασις verstanden werden,²²⁴ denen die intelligible Gottschau letztlich vorenthalten sei²²⁵. In Conf. 92 spricht Philon sogar vom „klarste[n], reinste[n] […] Seelenauge“ des Menschen, dem „allein es gegeben ist, Gott zu schauen“.²²⁶ (3) Auch in der Wesenslogik, in seiner Analyse der Kategorie der Wirklichkeit, bedient sich Hegel eines solchen Gottesbildes, das in der „orientalischen Vorstellung der Emanation“ angelegt sei und wodurch das Absolute sich als „das sich selbst erleuchtende Licht“ manifestiere.²²⁷ Anscheinend will er
Vgl. dazu: Vorl. Bd. 11, S. 139; TWA Bd. 5, S. 96. Vorl. Bd. 10, S. 102. Es sei daran erinnert, dass Hegel auch in der Phänomenologie des Geistes in der Bestimmung der natürlichen Religion eine auf Ps 104 basierende Gottesvorstellung als ein welterhabenes Lichtwesen darlegt, das er parallel dazu mit dem bestimmungslosen und vielnamigen Seienden gleichsetzt (TWA Bd. 3, S. 505 – 507). TWA Bd. 5, S. 96. TWA Bd. 19, S. 420 – 421. Zur menschlichen Erkenntnisbegrenztheit in Hinblick auf Gott als Erkenntnisgegenstand siehe des Weiteren: Opif. 71; Post. 167– 169; Mos. 1.213; Fug. 141; Mut. 3, 7– 10; Spec. 1.32, 1.35, 1.40, 1.44; Virt. 213 – 215; Somn. 1.66 – 67, 1.184, 1.231, 1.238 – 239; Migr. 40; Leg. 1.38; Post. 13; Legat. 6; Abr. 179; Decal. 81; Deus 77– 79. Dazu: Runia 1986, S. 437; Runia 2001, S. 232– 233; Wolfson 1962, Bd. 2, S. 110 ff.; Goodenough 1969, S. 213 – 214. PCH Bd. 5, S. 125. Vgl. dazu TWA Bd. 3, S. 506 – 507.
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
101
hier Spinozas Substanzmetaphysik näher an die lichtmetaphysische Weltsicht der Kabbala heranrücken.²²⁸ Gerade diese kabbalistische Gottesvorstellung lasse „es aber als möglich erscheinen“, so merkt Halfwassen an, „daß er hier außer an Plotin auch an Philon […] denkt“.²²⁹ Vor diesem Hintergrund könnte beispielsweise ausgerechnet Tiedemanns dritter Band von Geist der spekulativen Philosophie, dessen „geistlose“ Herangehensweise Hegel auf das Schärfste kritisiert,²³⁰ hinter der vorliegenden Passage stehen. Dort sieht Tiedemann vor allem in Philons Denken „die ersten Spuren der feineren Emanation der Lichttheorie, die ersten Anfänge des Plotinischen und Cabbalistischen Systems“ verankert.²³¹ Be-
TWA Bd. 6, S. 198 (Hervorh. i. Orig.). Halfwassen 1999, S. 316 – 317: Fn. 312. Halfwassen geht in erster Linie davon aus, „Hegel bezieh[e] sich an dieser Stelle wohl auf Plotin, dem er die Emanation des Lichtes unter Berufung auf Enn. V 1, 6, 28 ff., wo Plotin die Metapher des ausströmenden Lichtes für den Hervorgang des Seins aus dem überseienden Einen gebraucht, zuschreibt (TWA Bd. 19. 449).“ (Halfwassen 1999, S. 316 – 317) Die genauere Analyse könnte ebenfalls Aufschluss darüber geben, ob Hegels Kritik am apophatisch-theologischen Absoluten der neuplatonischen sowie jüdischen Denktradition, mit dem er sich in der Wesenslogik im „Wirklichkeit“-Abschnitt auseinandersetzt, möglicherweise auch Elemente von Philons negativer Theologie enthält. Zweierlei ist diesbezüglich augenfällig: (1) In Zusammenhang mit der „positiven Auslegung des Absoluten“ ist die Rede von einem endlichen, innergöttlichen und verschwindenden „Ausdruck und Abbild des Absoluten“, was an Philons in sich bestimmten Logos in Gestalt des εἰκὼν θεοῦ und als das Einheitsprinzip aller göttlichen Kräfte gemahnt, die Hegel als Überwindung der vollends abstrakten Negativität von dessen Gottesauffassung umdeutet. (2) Die Einstufung der Bestimmungen des negativen Absoluten als scheinhaft, d. h. lediglich in der Innerlichkeit von diesem erscheinenden (TWA Bd. 6, S. 188 – 190), weist Nähe zu Philons akosmistischer Erklärung für den ontologischen Status der göttlichen Gewalten auf. Diese nämlich solle man sich aus Philons Sicht realiter als Gottes Schatten vorstellen, die im Licht dessen absoluter Transzendenz abermals verschwänden (vgl. Abr. 119 – 132; Spec. 4.231; Somn. 1.206; Plant. 26 – 27; Leg. 3.95 – 96, 3.100; Ebr. 44). Dazu, überwiegend in Zusammenhang mit Plotin und Proklos, siehe weiterführend: Halfwassen 2003, S. 31– 47. TWA Bd. 18, S. 134. Tiedemann 1793, S. XIII. Ebendieselbe Passage zitiert Buhle am Ende seiner Ausführungen zu Philon: 1799, S. 138 – 139. Weiterführend zu Tiedemanns Auffassung: „[…] wie von einer andern Seite unverkennbar ist, daß hier der erste Keim der Cabbalistischen Licht-Emanation zuerst gefunden wird. Bis dahin hatte Plato die Emanation nicht ausgedehnt, mithin ist diese Erweiterung Alexandrinische Erfindung, gebohren aus Hinzumischung morgenländischer Vorstellungen. Einem Juden ward diese Erweiterung fast aufgedrungen, so bald er Platonische Philosophie auf Mosaische Darstellung vom Entstehen der Welt anwandte, und aus beyden ein System zu errichten sich bestrebte.“ (Tiedemann 1793, S. 136) Philon greift beispielsweise in Opif. 31 eine Lichtemanationsvorstellung auf wie die von Hegel in TWA Bd. 6, S. 198, wenn er in Kürze auf den materialisierenden Konkretionsprozess des ἀόρατον καὶ νοητὸν φῶς (Opif. 55: τὴν τοῦ νοητοῦ φωτὸς ἰδέαν) als καθαρὰ αὐγή ins αἰσθητὸν φῶς eingeht: „[…] da jener ungemischte und reine Glanz sich trübt, sobald er anfängt, sich beim Uebergang aus dem Gedachten in das sinnlich
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
denkt man, dass Philon Gott, das ens perfectissimum,²³² ebenfalls durchweg als ein sich selbst erleuchtendes Urlichtwesen veranschaulicht,²³³ dessen unzählige Lichtstrahlen die gesamte Wirklichkeit erleuchten,²³⁴ so erhärtet dies Halfwassens Vermutung merklich. Aus dieser hegelschen Kritik an Philons apophatischer Theologie ergibt sich allerdings, Philon gehe von der „absoluten Erkenntnistranszendenz“ Gottes aus. Gerade gegen dieses allzu vereinfachende Verständnis der philonischen Haltung von Gottes absoluter Unfassbarkeit äußert Halfwassen mit einigem Recht Vorbehalte. Am deutlichsten trete diese irrige Wahrnehmung in Hegels Plotindeutung zutage, in der er fälschlicherweise vermutet, Plotin postuliere wie Philon Gottes absolute Unerkennbarkeit.²³⁵ Hegel nehme, anscheinend kongruent mit seinem eigenen logischen Begriff des reinen Seins,²³⁶ an,²³⁷ Philons vollends bestimmungslose Gottesvorstellung erweise sich als absolut unerkennbar und könne mithin „aufgrund ihrer Bestimmungslosigkeit als solche positiv nicht gedacht werden“, ohne dabei parallel zu exponieren, dass Philons Gott „nur für uns“ in der Folge „der Insuffizienz unseres Erkenntnisvermögens“ unfassbar sei. Er selbst begreife „sich in seiner Wesenheit“ wohl, weswegen „[also] seine Unerkennbarkeit […]
Wahrnehmbare zu verwandeln.“ (PCH Bd. 1, S. 37) Philon veranschaulicht z. B. in Spec. 4.231 den ontologischen Wesensunterschied zwischen Licht und Finsternis mittels einer Deutung der metaphysischen Kategorien von Gleichheit (ἰσότης), die er mit Gottes Natur identifiziert, und von Ungleichheit (ἀνισότης), die er entsprechend implizit mit dem Materialprinzip verknüpft: „Die Gleichheit aber ist Licht ohne Schatten, richtig bezeichnet, eine rein geistige Sonne [ἰσότης δὲ φῶς ἄσκιον, ἥλιος, εἰ δεῖ τἀληθὲς εἰπεῖν, νοητός], wie ja auch umgekehrt die Ungleichheit, die das Mehr und das Weniger enthält, Ursprung und Quell des Dunkels ist [ἀνισότης … σκότους ἀρχή τε καὶ πηγή].“ Siehe dazu: Zeller 1903, S. 414– 416. Beispielsweise: Cher. 86; Fug. 141. Zu Gott als dem schlechthin Vollkommenen ist MontesPeral besonders aufschlussreich: 1987, S. 131 ff. Fug. 136: „Denn es läßt sich nur das eine sagen: ‚Gott wird ersehen‘, dem das All bekannt ist, und der es mit dem hellsten Licht, mit sich selbst, erleuchtet [ᾧ γνώριμα τὰ πάντα, ὃς λαμπροτάτῳ φωτί, ἑαυτῷ, τὰ ὅλα αὐγάζει]. Alles übrige ist unsagbar für die Schöpfung, über die ein große Dunkelheit ausgebreitet ist […].“ (PCH Bd. 6, S. 86); Deus 58: „Auch der Augen bedarf er [sc. Gott] nicht, denen ohne wahrnehmbares Licht keine Erkenntnis zuteil wird; das wahrnehmbare Licht aber ist etwas Gewordenes; Gott aber hat schon vor allem Werden gesehen, indem er sich selbst als Licht gebrauchte [ἑώρα δὲ ὁ θεὸς καὶ πρὸ γενέσεως φωτὶ χρώμενος ἑαυτῷ].“ (PCH Bd. 4, S. 85 – 86); Praem. 45: „Ganz ebenso ist Gott sein eigenes Licht und wird durch sich allein gesehen, ohne dass ein anderer hilft oder helfen kann zur reinen Erkenntnis seines Daseins.“ (PCH Bd. 2, S. 394) Zur weltzugewandten Ausstrahlung der göttlichen Kräfte siehe beispielsweise: Post. 14; Her. 188; Abr. 119; Leg. 1.40; Cher. 97. TWA Bd. 19, S. 446. Halfwassen 1999, S. 296. TWA Bd. 5, S. 82.
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
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keine absolute Erkenntnistranszendenz“ sei.²³⁸ Diesen Fehler sieht Halfwassen primär darin begründet, dass Hegel Philons Gottesbegriff in der Richtung auf den neuplatonischen und altplatonischen Begriff des aufgrund seiner Transzendenz über alle Bestimmungen, also an sich und nicht bloß für uns unerkennbaren Absoluten um[deutet] […] aber mit der Zurückführung der Unerkennbarkeit Gottes auf die als absolut festgehaltene Einfachheit, die allen artikulierten Bestimmungen als das Erste und Ursprünglichste vorausliegt, scharfsichtig die Platonische Grundlage der negativen Theologie Philons [erfaßt] [Hervorh. Orig.]. (Halfwassen 1999, S. 295)
Hegels „platonisierende“ Umbildung von Philons apophatischer Theologie fasst er folgendermaßen zusammen: Hegel interpretiert also die negative Theologie Philons von ihrer systematischen einheitsmetaphysischen Grundlage aus, die Philon der Alten Akademie verdankt und in der er mit dem zeitgenössischen Neuphythagoreismus (Eudoros, Moderatos) sowie in wesentlichen Aspekten auch mit der platonisierenden Hochgnosis (Basileides, Valentinianismus) und mit der christlichen Logos-Theologie (Clemens, Origines) übereinstimmt, als die Lehre von einem absolut Ersten, das aufgrund seiner absoluten Einfachheit allen Bestimmungen vorausliegt und darum an sich selbst bestimmungslos ist, was mit Hegels eigener Konzeption des reinen Anfangs übereinstimmt; dieses absolut Erste ist das reine Eine wie für Platon, Speusipp und Plotin, für Philon aber zugleich das reine Sein, das damit zum absolut Ersten erhoben wird und dem die gleiche Unbestimmbarkeit zugeschrieben wird wie dem reinen Einen. (Halfwassen 1999, S. 296)²³⁹
Verweilen wir indessen noch bei Hegels Kritik an Philons apophatischer Theologie, die er größtenteils wegen deren grundlegender Behauptung übt, „die Seele kann nur wissen, dass Gott ist, nicht was er ist“.²⁴⁰ Angesichts dieser philonischen Äußerung fällt auf, dass Hegel sich auch außerhalb der philosophiegeschichtlichen Vorlesungen in sehr ähnlicher Weise mit ihr auseinandersetzt. Hierdurch will er anscheinend hauptsächlich den von Jacobi inspirierten apriorischen Erkenntnismodus des unmittelbaren Wissens, das er in sein enzyklopädisches System einfügt, genauer bestimmen.²⁴¹ Gerade in diesem Zusammenhang kommt Hegel in der Einleitung der enzyklopädischen Logik auf Philons negativ-theolo-
Halfwassen 1999, S. 294– 296 (Hervorh. i. Orig.). Vgl. dazu auch: Düsing 1983, S. 46 ff. sowie 142 ff. Zur Seinsbestimmung im Rahmen von Hegels Auseinandersetzung mit Philons und Plotins negativer Theologie siehe: Halfwassen 1999, S. 37 ff.; E. Schmidt 1974, S. 82. Zu Hegels Platondeutung in Zusammenhang mit der Seinsbestimmung siehe TWA Bd. 19, S. 66: „[…] daß Platon a) das Absolute gefaßt hat als das Sein des Parmenides.“ TWA Bd. 19, S. 421. Dazu siehe: Buhle 1799, S. 120. TWA Bd. 20, S. 322– 329.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
gischen Kernsatz zu sprechen: „Endlich soll das unmittelbare Wissen von Gott sich nur darauf erstrecken, daß Gott ist, nicht was Gott ist; denn das letztere würde eine Erkenntnis sein und auf vermitteltes Wissen führen [Hervorh. i. Orig.].“²⁴² Bemerkenswert ist diesbezüglich nicht nur, dass Hegel sich an einer zentralen systematischen Stelle dieser philonischen Formulierung über Gottes grundsätzliche Unfassbarkeit bedient, sondern dass er sich gleichermaßen metaphysisch mit ihr auseinandersetzt. Wie also deutet Hegel den hier ausgedrückten Gedanken, wie spinnt er ihn weiter? Nicht wesentlich anders als bei seiner Philondeutung, was die Vermutung nahelegt, er wolle hier den jacobischen Standpunkt mit dem in Philons negativer Theologie wurzelnden Grundgedanken verschmelzen. Mit der intuitiven Wissensform, die Hegel anschließend bei Jacobi als Glauben identifiziert,²⁴³ werde ja postuliert, Gott sei, ohne dabei die Frage nach seiner Substanz zu berühren. Hegel hält dieses Wissen über das Dasein Gottes deswegen für unmittelbar, weil es sich a priori im Menschenbewusstsein als Tatsachenwahrheit offenbare.²⁴⁴ Durch diese unmittelbare Gewissheit werde Gott als dem menschlichen Geist immanenter Erkenntnisgegenstand „auf das unbestimmte Übersinnliche beschränkt“,²⁴⁵ sodass Gott dabei ausschließlich als vollends bestimmungslose Negativität und eben nicht konkret gewusst werde. Mit diesem über den Menschenintellekt hinausgehenden Gotteskonzept wird deutlich, dass Hegels Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Wissensform mit seinem Jacobi-Verständnis einhergeht: Zwar erkläre Jacobi das menschliche Erkenntnisvermögen grundsätzlich für untauglich, was das Erfassen Gottes als des transzendenten Absoluten betrifft,²⁴⁶ aber er halte die menschlichen Geistesaugen, ähnlich wie Philon, für fähig, zweierlei zweifelsfrei festzuhalten, nämlich „Gott und daß er ist“.²⁴⁷
TWA Bd. 8, S. 163. Zu anderen Passagen Hegels, in denen ebenfalls eine Anspielung auf diese Formel enthalten scheint, siehe: TWA Bd. 8, S. 97; Bd. 10, S. 244; Vorl. Bd. 10, S. 79. TWA Bd. 16, S. 49 und 156; Bd. 20, S. 322. Vgl. dazu TWA Bd. 16, S. 156: „Es ist eine sehr allgemeine Ansicht und Versicherung, dass Wissen von Gott sei nur auf unmittelbare Weise; es ist Tatsache unseres Bewußtseins, es ist so […] [Hervorh. i. Orig.].“ Hinsichtlich dieser inneren Gottesoffenbarung im Menschengeist, die als axiomatische Vernunftwahrheit gelte, sind die folgenden Stellen der hegelschen Jacobi-Deutung besonders relevant: TWA Bd. 20, S. 321, 323 und 327. TWA Bd. 8, S. 163 (§ 73). TWA Bd. 20, S. 315: „[…] er erklärte die Erkenntnis ihrem Inhalt nach für unfähig, das Absolute zu erkennen.“ TWA Bd. 20, S. 327. Siehe dazu OʼRegan, der in diesem Zusammenhang auch auf Hegels immanenzmetaphysische Jacobi-Kritik zurückgreift: 2008, S. 106.
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
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Daraufhin kritisiert Hegel implizit die in Philons Wendung geäußerte Haltung der negativen Theologie, indem er sie mit dem neutestamentlichen Topos des Deus absconditus verknüpft. Unter Bezugnahme auf Apg 17,23 bespricht er die theologische Idee der Unerkennbarkeit Gottes, die er in der Inschrift „Dem unbekannten Gott [᾿Aγνώστῳ θεῷ]“ des Altars in Athen verankert sieht. Im Hintergrund von § 73 der Enzyklopädie will Hegel mit Philons Spruch anscheinend den christlichen Gottesbegriff deutlich vom jüdischen abheben: Während sich das Wissen der verstandesmetaphysischen Gotteslehre der jüdischen Religion lediglich auf den theologischen Glaubenssatz von Gottes Dasein begrenze, könnten die Christen noch zusätzlich wissen, was er in seiner Konkretheit sei, nämlich der in sich vermittelnde sowie lebendige Geist.²⁴⁸ Fasse eine Religion Gott als „ein bestimmungsloses Jenseits“ auf,²⁴⁹ so bedeute dies zwangsläufig, sie werde „in ihrem Inhalte auf ihr Minimum reduziert“.²⁵⁰ Schon OʼRegan veranschaulicht diesen Punkt am Beispiel der augenfälligen Affinität von Hegels Kritik an Philons negativ-theologischer Formulierung zur Gottesauffassung des „unbekannten Gottes“ in Apg 17,23 in § 73 der enzyklopädischen Logik: In a very deployment of Acts 17:24 in the Encyclopedia – one that indicates a direction of interpretation for Philo – Hegel rails against what he takes to be the worship of the Unknown God, which must be regarded as the anachronism of anachronisms given his view of the status of Christianity as revealed (geoffenbarte) or revelatory (offenbare) religion [Hervorh. i. Orig.]. (OʼRegan 2008, S. 106)
Diese mit Philons apophatisch-theologischem Weltbild einhergehende Wendung greift Hegel allerdings nicht nur in der enzyklopädischen Logik, sondern auch wiederholt in der Einleitung zu den religionsphilosophischen Vorlesungen auf: Sodann soll die Unmittelbarkeit dieses Wissens dabei stehenbleiben, daß man wisse, daß Gott ist, nicht was er ist; der Inhalt, die Erfüllung in der Vorstellung von Gott ist negiert. Erkennen nennen wir dies, daß von einem Gegenstande nicht nur gewußt wird, daß er ist, sondern auch, was er ist, und daß, was er ist, nicht nur überhaupt so gewußt wird, daß man eine gewisse Kenntnis, Gewißheit hat, was er ist, sondern das Wissen von seinen Bestim-
TWA Bd. 8, S. 163 – 164 (§ 74): „Dem Allgemeinen gibt sie [sc. die unmittelbare Wissensform] die Einseitigkeit einer Abstraktion, so daß Gott zum bestimmungslosen Wesen wird; Geist aber kann Gott nur heißen, insofern er als sich in sich selbst mit sich vermittelnd gewußt wird [Hervorh. i. Orig.].“ Vgl. dazu auch: E. Schmidt 1974, S. 68 – 69, 73. In analoger Weise charakterisiert Hegel ebenfalls den jacobischen Gottesbegriff: „Es bleibt also nur die unbestimmte Vorstellung von Gott, – ein ‚Über mir‘, bestimmungsloses Jenseits [Hervorh. i. Orig.].“ (TWA Bd. 20, S. 327) TWA Bd. 8, S. 163.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
mungen, seinem Inhalt muß ein erfülltes, bewährtes sein, worin die Notwendigkeit des Zusammenhangs dieser Bestimmungen gewußt wird [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 16, S. 51)
Auch hier spielt Hegel mehrfach auf Philons prägnante Leitprämisse der negativen Theologie an und überspitzt die philosophische Stellungnahme der unmittelbaren Wissensform vor diesem Hintergrund polemisch, wenn er deren gesamte Erkenntnisvermittlung infrage stellt: Erkenntnis heiße, „daß von einem Gegenstande nicht nur gewußt wird, daß er ist, sondern auch, was er ist“.²⁵¹ Vorweg verzichte man mit dieser verstandesmetaphysischen Position einer apophatischen Theologie weitgehend darauf, sich spekulativ mit Gottes Natur als in sich bestimmtem Erkenntnisgegenstand zu befassen, so Hegels Schluss.²⁵² Denn aus dieser irreführenden und ausschließlich erfahrungsbezogenen Sicht sei „nur unsere Beziehung auf Gott, unser Verhältnis zu ihm“ von besonderem Belang und gerade nicht das, was sein Wesen ausmache.²⁵³ In seiner Philondeutung fährt Hegel in Anlehnung an Buhle²⁵⁴ allerdings fort, diese Behauptung Philons mit dessen platonischer Deutung des Gottesnamens ὁ ὤν aus Ex 3,14 LXX zu assoziieren. Darin meine Philon, so Hegel, die Einheit von Gottes allumfassendem Wesen mit der völlig abstrakten Vorstellung „des reinen Seins“ offengelegt zu haben: „Philon schränkt den Namen Gottes nur auf das Wesen ein, das reine Sein. Gott als solcher ist nichts als dies Sein; er kann daher von der Seele nicht erkannt werden, was er ist, sondern nur, daß er ist, d. h. eben nur als Sein.“²⁵⁵ Diese platonische Erhabenheitsbezeichnung τὸ ὄν/ὁ ὤν vermittle letztlich keinen neuen Inhalt über die Natur Gottes, denn diese stimme mit dessen einseitiger Wesensbestimmung als dem unbestimmten Sein tautologisch vollends überein.²⁵⁶ Ursprünglich findet man diese metaphysische Argumentation in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes angelegt, in der Hegel die prädikative Aussage der klassischen Theologie, „Gott ist das Sein“, kritisiert und als illegitim disqualifiziert: „Gott ist das Sein, das Prädikat das Sein; es hat substantielle Bedeutung, in der das Subjekt zerfließt. Sein soll hier nicht Prädikat, sondern das TWA Bd. 16, S. 51. TWA Bd. 16, S. 51: „[…] wir können nur unsere Beziehung zu Gott wissen, nicht, was Gott selbst ist; und nur unsere Beziehung zu Gott falle in das, was Religion überhaupt heißt.“ TWA Bd. 16, S. 52 (Hervorh. i. Orig.). Buhle 1799, S. 120: „Die Gottheit kann daher nur von dem Menschen το Ον genannt werden.“ TWA Bd. 19, S. 421– 422. Vgl. Vorl. Bd. 8, S. 170 („Philo schränkt also die Idee Gottes auf das reine Sein ein.“). Zu dieser auf Ex 3,14 LXX aufbauenden Wesensbestimmung von Philons Gottesauffassung siehe weiterführend: Cohen-Yashar 1999 – 2000, S. 185 – 192; Runia 1986, S. 433, insbes. 457– 458; Runia 2001, S. 120; Montes-Peral 1987, S. 48 – 74. GW Bd. 30,1, S. 127,20 – 22: „Sagen, daß Gott nicht erkannt werden könne und daß er das reine Sein sei ist Tautologie, denn beides hat keine Unterschiede, keine Bestimmungen in sich.“
2.8 Hegels Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie
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Wesen sein; dadurch scheint Gott aufzuhören, das zu sein, was er durch die Stellung des Satzes ist, nämlich das feste Subjekt [Hervorh. i. Orig.].“²⁵⁷ Diese prädikative Feststellung hält Hegel deshalb für eine tautologische Identitätsproposition, weil in ihr kein Übergang zur konkreten semantischen „Erfüllung“ von Gottes Wesen stattfinde, sondern die abstrakte Prädikation wiederhole schlichtweg das, was das Subjekt sie vorweg in seiner starren Inhaltsleere heiße.²⁵⁸ Während aber Philon den Ursprung der metaphysischen Grundbestimmung des Seienden – womit er Gott als das wahre Absolute darlegen will – tatsächlich im Bibelwort des jüdischen Gesetzgebers sieht, führt Hegel den von ihm metaphysisch umgedeuteten Gottesnamen, „das ὄν, das reine Sein“, geradezu auf Platons Ideenkonzeption als ὄντως ὄν zurück.²⁵⁹ Diesen dezidiert philosophiegeschichtlichen Ansatz Hegels bekräftigt auch Beierwaltes im Kapitel „Deus est esse – esse est Deus“ seines Werkes Platonismus und Idealismus: Daß er [sc. Philon] beide Formen des Partizips, die masculine und neutrale [sc. τὸ ὄν sowie ὁ ὤν], synonym gebrauchen kann, zeigt zumindest für diesen Zusammenhang, daß nicht „Personalität“ der erste Aspekt seines Gottesbegriffs ist, sondern eher die von Platon her zu verstehende höchste Benennung des Intelligiblen: das wahre oder eigentliche Sein. (Beierwaltes 2004, S. 13 – 14)²⁶⁰
Allerdings thematisiert Philon die Bedeutung von Gottes Seinsbestimmung in Mos. 1.75 explizit: Er sieht nämlich den Verwendungszweck dieser göttlichen Bezeichnung vor allem darin, dass sie „den Unterschied zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden“ einleuchtender markieren solle.²⁶¹ Folgendes darf dabei jedoch nicht unberücksichtigt bleiben: Philon scheint hier unter μὴ ὄν nicht lediglich die Materie zu verstehen, sondern auch all das, was außerhalb von Gottes allein wahrhaft existierender Natur liegt und von ihm ins Dasein gesetzt wurde. Am deutlichsten exponiert er in Det. 160 diese akosmistische Tendenz, wenn er in einer allegorischen Interpretation von Ex 33,7 zu dem Schluss kommt, dass all
TWA Bd. 3, S. 59. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der negativen Theologie hinsichtlich dieser philonischen Wendung siehe auch: Halfwassen 1999, S. 299 – 320; OʼRegan 2008, S. 106; E. Schmidt 1974, S. 28 – 30, insbes. 81– 82. Zur Verdeutlichung dieser Passage in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes siehe: „He dubs it an ‚identity proposition,‘ which defines something by its highly generalized essence. The predicate is so general and essential that in passing from subject to predicate we actually remain within the subject, and feel that no predication has been performed, but that the subject itself was reiterated as predicate.“ (Yovel 2005, S. 184) TWA Bd. 19, S. 421 „[…] (nach Platon)“. Vgl. dazu vor allem: Runia 1990j, S. 11; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 19, 210. PCH Bd. 1, S. 239.
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das, was erst nach Gott als dem einzig wahrhaft existierenden Seienden ins Dasein gerufen werde, realiter nicht seiend, sondern vielmehr als scheinhaft existierend (δόξῃ) sei.²⁶² Gleichzeitig war es Hegel bewusst, dass Gott Philon strenggenommen als namenslos gilt – ungeachtet der sich aus der Namensoffenbarung in Ex 3,14 LXX ergebenden Äquivalenz zwischen dem Seienden und dem göttlichen Wesen. In Philons System sei es prinzipiell ausgeschlossen, Gottes Wesen durch das diskursive Denken auszudrücken: Denn der Geist und seine Sprache erreicht es nicht, zu dem gänzlich unerreichbaren und unfaßbaren Gott emporzusteigen, sondern er bleibt zurück und zerrinnt, ist er unfähig, gebührende Namen zu gebrauchen als Stufenleiter zur Erklärung, wohlgemerkt nicht des Wesens Gottes – denn erhielte auch der gesamte Himmel eine artikulierte Stimme, könnte er doch nicht hierfür treffende und genaue Begriffe hervorbringen […]. (Legat. 6: PCH Bd. 7, S. 176)²⁶³
In seinen philosophiehistorischen Ausführungen zur Gnosis äußert sich Hegel zu Philons Stellungnahme zur Namenlosigkeit sowie Unsagbarkeit Gottes mit Neanders Philonauffassung als Anhaltspunkt ausdrücklich;²⁶⁴ so werde „bei Philon“ Gott „als τὸ ὄν, ὁ ὤν, namenlos (ἀνωνόμαστος), unmittelbar“ gefasst.²⁶⁵ Ebendiesen religionsphilosophischen Standpunkt einer absolut erhabenen Gottesvorstellung mit Anspielung auf Philons Wendung für seine negative Theologie, Gott sei vielnamig und sein Wesen letztlich unaussprechlich, will Hegel anscheinend auf die gesamte orientalische und speziell jüdische Gotteslehre übertragen: „Die Morgenländer sagen: Gott hat eine unendliche Menge von Namen, d. h. von Bestimmungen, man kann nicht erschöpfend aussprechen, was er ist.“²⁶⁶ Fast die gleiche Position ist tatsächlich in der negativ-theologischen Gottesauffassung des jüdischen Alexandriners nachweisbar: Gottes Wesen, trotz seiner von den Kräften herrührenden Vielnamigkeit (τῶν πολυωνύμων τοῦ ὄντος δυνάμεων),²⁶⁷ sei letzt-
Zu dieser akosmistischen Tendenz siehe auch: Leg. 2.86. Diesbezüglich: M. Freudenthal 1891, S. 15. Vgl. dazu: Spec. 1.44; Abr. 40, 51; Mos. 1.75; Mut. 11. Zum im philonischen Gedankengut angelegtem Motiv von Gottes grundsätzlicher Namenslosigkeit siehe auch: Runia 1990i [1988], S. 76 ff.; Cohn 1912, S. 308 – 309. TWA Bd. 19, S. 425 („Unerkannte, Namenlose“). TWA Bd. 19, S. 428. TWA Bd. 16, S. 153. Zu weiteren Stellen, in denen Bezug auf diese orientalische Namenstheologie genommen wird, siehe: TWA Bd. 3, S. 506, 526; Bd. 8, S. 96 – 97; Bd. 16, S. 347; Bd. 17, S. 404 und Vorl. Bd. 10, S. 28; Bd. 11, S. 113. Somn. 2.254. Eine ähnliche Gedankenform findet ihren Niederschlag auch in Philons Umgestaltung der Gottesbezeichnungen θεός und κύριος aus der Septuaginta, unter denen er die
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lich unaussprechlich.²⁶⁸ Gott würden zwar im Pentateuch unzählige Namen beigelegt,²⁶⁹ aber diese würden auf ihn lediglich „in uneigentlicher Bedeutung“ angewendet,²⁷⁰ denn „[d]er Name ist immer ein zweites, das was zu der Grunde liegenden Sache hinzukommt, ähnlich wie der Schatten, der den Körper begleitet“.²⁷¹ Daher ordnet Philon schließlich die πολυωνυμία vielmehr dem erstgeborenen θεῖος λόγος als ἀρχάγγελος zu.²⁷² Darin jedoch erschöpft sich Hegels Auseinandersetzung mit Philons apophatischer Theologie bei Weitem nicht. Einen weiteren metaphysischen Einwand dagegen erhebt er andeutungsweise, wenn er Philons systematischen, auf die anthropomorphismuskritische Lesart von Num 23,19 (οὐχ ὡς ἄνθρωπος ὁ θεός) gründeten Anspruch,²⁷³ Gott in Hinblick auf seine absolute Transzendenz von subjektiven Vorstellungen fernzuhalten,²⁷⁴ eindeutig als metaphysischen Mangel einschätzt. Diese Unzulänglichkeit begründet er damit, dass die philonische Gottesauffassung vor diesem Hintergrund ausschließlich in ihrer objektiven Einseitigkeit begriffen werde und eben nicht als das dialektische Absolute: d. h. nicht „ebensosehr“ in seinem subjektiven „Lebendigsein“.²⁷⁵ Dieser Einwand Hegels verkennt indessen, dass Philons Gott – im Gegensatz zu Platons im strengsten Sinne bestimmungslosem αὐτὸ τὸ ἕν – gerade nicht in der reinen Negativität verharrt, sondern zuweilen durch affirmative und gar anthropomorphe Vorstellungen repräsentiert wird. Hierdurch will Philon den Ge-
zwei obersten Gewalten des Seienden versteht (Mos. 2.99: ἀνωτάτω δύο τοῦ ὄντος δυνάμεις): Aus dem Gottesnamen θεός erschließt Philon dessen wohltätige Schöpferkraft (ποιητικὴ δύναμις) (Abr. 124– 125; Her. 166; Sacr. 59; Spec. 4.187) bzw. Güte (ἀγαθότης) (Cher. 27– 28, 127; Deus 108; Leg. 3.78), mittels derer der Gesamtkosmos aus dem Nichtseienden ins Dasein gerufen worden sei. Aus dem zweiten Gottesnamen κύριος leitet er entsprechend dessen königliche Herrschergewalt (βασιλικὴ δύναμις) ab, mit der er den Kosmos mit Gerechtigkeit (σὺν δίκῃ) ordnungsgemäß regiere (Mos. 2.99; Spec. 1.14: κατὰ δίκην). Zur allgemeinen Erörterung der verschiedenen Gottesbezeichnungen in Philons Philosophie siehe vor allem: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 224 (bes. Fn. 40); Runia 1990j, S. 9; Cohn 1912, S. 317; Bormann 1955, S. 48 – 49; Zeller 1903, S. 417– 418; Goodenough 1969, S. 59 – 67. Vgl. dazu Her. 170: „Das dritte betrifft den Namen des Herrn, [aber nicht denjenigen], der nicht an das Geschöpf gelangte – denn unaussprechlich ist das Seiende – sondern den seinen Kräften beigelegten [ἄρρητον γὰρ τὸ ὄν—ἀλλὰ τοῦ ταῖς δυνάμεσιν ἐπιφημισθέντος]“ [Hervorh. i. Orig.].“ (PCH Bd. 5, S. 261) Decal. 93 – 94. Somn. 1.230. Decal. 82: PCH Bd. 1, S. 389. Dazu insbesondere: Conf. 146. Aufschlussreich ist dazu: Runia 1990i [1988], S. 76 ff. Deus 53 und 62; Decal. 32; QG 1.55. Grundlegend dazu ist Montes-Peral: 1987, S. 37– 38. TWA Bd. 19, S. 422.
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danken untermauern, dass Gott das Maß aller Dinge sei.²⁷⁶ Davon ausgehend kann er Gott weiterhin als das wahre Tätige,²⁷⁷ als die wahre Ursache,²⁷⁸ als den wahren Weisen,²⁷⁹ den wahren Herrscher sowie den wahren Standhaften,²⁸⁰ den wahren Glückseligen,²⁸¹ den wahren Besitzer,²⁸² den wahren Gesetzgeber,²⁸³ den wahrhaft Freien²⁸⁴ sowie wahren Weltbürger²⁸⁵ einstufen.²⁸⁶ Hinzu kommt, dass der alexandrinische Philosoph seinem Gottesbegriff noch eine oftmals durch Lichtemanation veranschaulichte Vielzahl an anthropomorphen Kräften beilegt. Allerdings sieht er in dieser gedanklichen Strategie die Grundvoraussetzung seiner negativen Theologie, die absolute Einheit des νοητὸς θεός als einem betont unpersönlichen Wesen, nicht geopfert. Im Rückbezug auf platonische Lichtmetaphorik will er schließlich illustrieren, dass Gott von seiner außerweltlichen Natur her, ähnlich wie das undifferenzierte Sonnenlicht, völlig einheitlich bleibe, während sich die aus ihm entspringenden Mittelkräfte, analog zu den Lichtstrahlen, zu einer weltimmanenten und ihm gerade nicht zukommenden Vielheit pluralisieren. Aus Philons Sicht sind die weltzugewandten θεῖαι δυνάμεις mit seiner apophatisch-theologischen Auffassung deswegen weitgehend vereinbar, weil „Gott […] die Kräfte in bezug auf sich selbst ungemischt [verwendet], in bezug auf die Schöpfung aber gemischt. Die ungemischten zu erfassen, ist nämlich einem sterblichen Wesen unmöglich“.²⁸⁷ Gerade auf ebendiese von Philon in Deus 78 verwendete lichtmetaphysische Erklärungsweise hinsichtlich Gottes in dessen
Sacr. 59; Congr. 101; QG 4.8. Cher. 77; Geg. 42; Somn. 1.63; Leg. 1.5; Post. 19. Mut. 221. Her. 127; Migr. 40, 134. Leg. 1.30; Somn. 1.250, 2.227; Post. 19, 23 sowie 29; Cher. 87. Sacr. 101. Cher. 65. Fug. 66; Sacr. 131. Her. 186. Cher. 121. Zu Philons affirmativer Theologie siehe: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 39 – 41, 210 – 211. Deus 77: PCH Bd. 4, S. 87. In Deus 81 versichert uns der jüdische Platoniker allerdings, dass die Kräfte dem göttlichen Wesen nicht zukommen, „denn von den reinen und ungemischten und wirklich höchsten Kräften wurde nachgewiesen, daß sie allein in der Umgebung des Seins existieren“ (PCH Bd. 4, S. 90). Vor dem Hintergrund dieser lichtmetaphysischen Erklärungsweise geht hervor, dass Philon sich Gottes Natur keineswegs negativ vorstellt, sondern eher davon ausgeht, seine Negativität rühre vielmehr von der inhärenten Begrenztheit des menschlichen Fassungsvermögens her. Das von Philon gezeichnete Gottesbild als ganzheitliches Urlichtwesen deutet ja wegen seiner Übermächtigkeit gerade das Gegenteil an: Es sei nämlich das absolut Affirmative. Hierzu siehe z. B. auch Conf. 172; Cher. 27; Fug. 101. Siehe dazu: Bormann 1955, S. 47, 52– 53, 103 – 104; Goodenough 1969, S. 30.
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Verhältnis zu den mannigfachen Kräften greift Hegel in seiner Gnosisdarstellung im Originalwortlaut zurück: Die unzähligen Gewalten umhüllen den einzigen Gott wie Sonnenstrahlen, der die Gestalt des blendenden λαμπρότατον φῶς annimmt.²⁸⁸ Um einen weiteren deutlichen Schwachpunkt von Philons negativer Theologie zu belegen, widmet sich Hegel im Weiteren in Bezug auf die spekulative Religionslehre des Christentums Philons auf Gott angewendeter Vaterschaftsmetaphorik. Er argumentiert, mit dieser anthropomorphen Vorstellung von Gott als Vater schließe Philon grundsätzlich aus, ihn als Totalität aufzufassen. Offenkundig liegen Hegels Kritik die christlichen Glaubenswahrheiten zugrunde, denen zufolge der Vatergott anders als in der jüdischen Weltanschauung lediglich als ein Einzelmoment der Trinität einzuschätzen ist: „Es ist nur unrecht, daß Philo jenes erste schon, was wir Gott Vater nennen, als Gott selbst bezeichnet.“²⁸⁹ Die Vaterschaft könne, so verdeutlicht Hegel in diesem Sinne, höchstens ein einseitiges Moment des Absoluten entsprechend seiner anfänglichen Abstraktheit verkörpern: „Jenes [sc. das Moment, das Philons Gott auszeichnet] ist ebenso abstrakt, als wenn wir sagen, ‚Gott der Vater‘, d. h. der noch nicht geschaffen hat, dieser Eine, dieser Bestimmungslose in sich, unaufgeschlossen.“²⁹⁰ Eine derartige
TWA Bd. 19, S. 430. Auf die von Platons Höhlengleichnis beeinflusste Transzendenzbezeichnung der intelligiblen Sonne (νοητὸς ἥλιος) für Philons Gottesbild beruft sich Hegel zwar ausgerechnet in seiner Philondarstellung nicht, sondern auf die Vorstellung des Urlichtwesens, aber er bedient sich der in Philons Denken angelegten Kennzeichnung der geistigen Sonne in zwei gewichtigen Zusammenhängen seiner Religionsphilosophie: einmal in der Einleitung der religionsphilosophischen Vorlesungen, um die noetische Einheitsschau des religiösen „Bewußtseins der absoluten Wahrheit“ zu veranschaulichen (TWA Bd. 16, S. 13), einmal in seiner Darstellung der ägyptischen „Religion des Rätsels“, im abschließenden Paragraphen des ersten Teiles der religionsphilosophischen Vorlesungen, um dem Sinn der Überschrift des Tempels zu Sais nachzuspüren (TWA Bd. 16, S. 442). Bemerkenswert ist diesbezüglich Jan Assmanns Feststellung unter Beachtung von Cudworths stark auf Philons negative Theologie angewiesenem Verständnis dieser Tempelinschrift in The True Intellectual System of the Universe, dass „[g]enau in dieser Form […] im 17. und 18. Jahrhundert die verschleierte Isis als Allegorie der Natur dargestellt [wird]“ (Assmann 1998, S. 126, 308: „Cudworth paraphrasiert hier eindeutig Philo, De fuga et inventione […].“). Im Rahmen seiner Thematisierung der Lehre Philons von der Zwei-Welten-Schöpfung weist Hegel allerdings auf das „unsinnliche […] Urbild (ἀρχέτυπος) der Sonne“ hin (TWA Bd. 19, S. 425). Zur von Philon oftmals für Gott gebrauchten Transzendenzbezeichnung des νοητὸς ἥλιος siehe: Leg. 1.279, 4.192;Virt. 164; Somn. 1.73 – 74, 1.90; Migr. 40; Cher. 97; Ebr. 44; QG 4.1. Dazu siehe zudem: Dillon 1996, S. 149 – 150; Beierwaltes 1977, S. 98 – 99: Fn. 80. GW Bd. 30,1, S. 378,33 – 34. TWA Bd. 19, S. 422. Vgl. dazu auch: „Ewige verschlossene Wesen unerkannte auch – Neuplatoniker – weil das Unterschiedslose – Reine Erkennen ist das Abstracte Seyn ist mangelhafte – Negativität – Macht […][Hervorh. i. Orig.].“ (Notizen, S. 28)
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Kritik kursiert in enger Verzahnung mit der jüdischen Gotteslehre in Hegels Denken. In dieser Hinsicht behauptet er beispielsweise in seiner enzyklopädischen Geistphilosophie, dass „Gott der Vater für sich […] das in sich Verschlossene, Abstrakte [ist], also noch nicht der geistige, noch nicht der wahrhaftige Gott“.²⁹¹ In seiner religionsphilosophischen Analyse des Trinitätsdogmas kommt er auf diesen Aspekt in Zusammenhang mit der einseitigen Gottesvorstellung als „bloß der Vater“ des „spekulationsfreien“ Judentums angesichts des prozesshaften Gottesbegriffes des Christentums zu sprechen: Aber wir müssen wohl wissen, daß Gott dies ganze Tun selbst ist. Gott ist der Anfang, er tut dies, aber er ist ebenso auch nur das Ende, die Totalität: so als Totalität ist Gott der Geist. Gott als bloß der Vater ist noch nicht das Wahre (so ohne den Sohn ist er in der jüdischen Religion gewußt), er ist vielmehr Anfang und Ende […] [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 223)
Ein solch statisches Gottesbild, das seinen treffenden Ausdruck im ausschließlich an den Vatergott gebundenen Judentum finde, könne keinen Begriff von der Totalität bilden, weil es die dynamische Entfaltungsstruktur des Absoluten in ihrer gesamten Reichweite gänzlich unberücksichtigt lasse, geschweige denn umfasse. Dieselbe Kritik übt Hegel am Beispiel von Philons primär in der jüdischen Gedankenwelt angelegter Gottesvorstellung mit seiner Annahme, Philon zufolge umfasse dieses Gotteskonzept lediglich die „mangelhafte“ metaphysische Bestimmung des Einen und Ersten und beanspruche hiermit nichtsdestoweniger, das Absolute gefasst zu haben: „Hier ist denn der Mangel, daß das Erste nicht selbst als ganze Totalität gefaßt wird.“²⁹² Gerade in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes äußert er sich zum Verständnis der Wahrheit als das dynamische Absolute: „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.“²⁹³ Kurzum: Im Gegensatz zu diesem prozesshaften Wahrheitskonzept sei Philons jüdische Auffassung von Gott in seinem ersten Moment als Vater noch nicht das Wahre, da sein starres Wesen sich nicht durch die Selbstentfaltung hin zur Totalität auszeichne, sondern in seiner inhaltlosen Einseitigkeit als das unbestimmte Seiende unverändert zurückgeblieben sei.
TWA Bd. 10, S. 31. Vorl. Bd. 5, S. 129.Vgl. zu TWA Bd. 19, S. 422: „Die Bestimmung des Einen ist das Erste, aber sie ist mangelhaft […].“ TWA Bd. 3, S. 24.
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Hegel legt die philonische Metaphorik der Vaterschaft Gottes ex negativo aus, indem er darunter Gott von seiner unaufgeschlossenen Isolation her, „d. h. der noch nicht geschaffen hat“, versteht.²⁹⁴ Betreffend Philons umfangreichen Gebrauch dieser biologischen und geradezu christlich klingenden Verwandtschaftsterminologie versucht Hegel nachzuweisen, weswegen Philons Vatergott als „das jüdische Abstraktum“ von seinem weltschöpferischen Konkretionsmoment getrennt gedacht werden muss. Dabei greift er offenbar die schöpfungsvermittelnde Sonderrolle auf, die der jüdische Platoniker der ebenbildlichen Logoshypostase als Gottes πρωτόγονος υἱός durchgehend zuweist. Dadurch will Hegel andeuten, dass allein der „Logosbestimmung“ bei Philon die göttliche Schöpferkraft zukomme. Am konkretesten artikuliert Hegel diese Aussage in seinen systematischen Ausführungen zum Christentum als der absoluten Religion, in denen er Philons Schöpfungsgedanken mittels dessen Logostheologie darlegt: „Gott ist Schöpfer, und zwar in der Bestimmung des Logos, als das sich äußernde, aussprechende Wort […] [Hervorh. i. Orig.].“²⁹⁵ Hegels Kritik entzündet sich primär an seiner eigenen religionsphilosophischen Prämisse, die ausgerechnet in Gottes weltschöpferischer Funktion den Kern von dessen widersprüchlichem Wesen begründet sieht: „Gott ist Schöpfer der Welt; es gehört zu seinem Sein, zu seinem Wesen, Schöpfer zu sein – insofern er nicht Schöpfer ist, wird er mangelhalft aufgefaßt.“²⁹⁶ Zusammengefasst: „Wenn Gott nicht in sich selbst Widerspruch wäre, so könnte er der Schöpfer der Welt nicht sein“,²⁹⁷ und „[o]hne Welt ist Gott nicht Gott“.²⁹⁸ Überträgt man diese Argumentation auf seinen Kritikpunkt an Philons ausschließlich durch die väterliche Bestimmung imaginiertem Gottesbegriff, so folgt daraus, ohne Logos als Gottes erstgeborenen Sohn sei Gott bei Philon nicht Gott. Diese hegelschen Argumente sollte man jedoch keinesfalls unwidersprochen lassen, denn Philon verwendet den theologischen Topos der göttlichen Vaterschaft, um gerade den entgegengesetzten Schluss zu veranschaulichen: Gottes kreative Schöpferkraft. Dafür spricht schon seine extensive Berufung, 42-mal (!), auf Platons in Tim. 28c3 eingeführte Formel ποιητὴς καὶ πατήρ.²⁹⁹ Eben als Folge
TWA Bd. 19, S. 422. TWA Bd. 17, S. 239. Vgl. dazu: Löhr 2009, S. 354. Vorl. Bd. 5, S. 200. Vorl. Bd. 11, S. 119. TWA Bd. 16, S. 192. Zu Hegels Verständnis der Schöpferbestimmung siehe weiterführend: E. Schmidt 1974, S. 135– 138. Runia 1986, S. 108 – 111. In De opificio mundi bedient sich Philon dieser kosmologischen Formel nicht nur dreimal, sondern eigentlich viermal (Opif. 7, 10, 21 sowie 77). Siehe dazu wei-
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seiner väterlichen und fürsorglichen Stellung als πατὴρ τῶν ὅλων rufe Philons Schöpfergott den κόσμος νοητός als seinen πρεσβύτερος υἱός und den entsprechenden κόσμος αἰσθητός als seinen νεώτερος υἱός ins Dasein.³⁰⁰ Durch diesen von ihm oftmals verwendeten Topos der Vater-Sohn-Beziehung sucht er auch Gottes Erzeugung des θεῖος λόγος begreiflich zu machen, wobei anscheinend wiederum der Sohn die Schöpferfunktion eines formgebenden Demiurgen übernimmt: „Denn als ältesten Sohn ließ der Vater des Alls diesen ins Dasein treten, den er anderswo den Erstgeborenen nennt und der, soeben geboren, den Wegen des Vaters nachgehend, auf die Urbilder schaute und die Arten formte.“³⁰¹ Damit erschöpfe sich allerdings, worauf Runia aufmerksam macht, das Bedeutungsspektrum der philonischen Vaterschaftsmetaphorik bei Weitem nicht.³⁰² In diesem Sinne instrumentalisiere der jüdische Alexandriner den Gedanken der Vaterschaft auch im zentralen Glaubenspostulat der göttlichen πρόνοια in der von Moses im Schöpfungsbericht vertretenen Philosophie für den Nachweis von Gottes konkretem Verhältnis zu den Menschen als seinen τέκνα.³⁰³ Vor diesem Hintergrund tritt deutlich zutage, dass Hegel mit seiner Bezugnahme auf Philons Motiv der göttlichen Vaterschaft vorrangig nicht ihren eigentlichen Sinn textimmanent aus dessen Philosophie erschließen möchte. Vielmehr will er anscheinend diesen theologischen Topos unter seinen eigenen religionsphilosophischen und eindeutig christozentrischen Voraussetzungen folgerichtig umbilden und somit den grundlegenden Mangel von Philons vorchristlicher Gotteslehre zuspitzen.
terhin: Runia 2001, S. 113 – 114, 119; Theiler 1971, S. 26; Krämer 1967, S. 72; Horovitz 1900, S. 7– 8, 44– 46. Deus 31– 32. Conf. 63: PCH Bd. 5, S. 119. Vgl. dazu: Conf. 146; Agr. 51. Runia 1986, S. 110 – 111: „God as πατήρ on numerous occasions denotes the Hellenic idea of ontological and creative source. No less frequently and no less significantly, it represents the relation between father and son, gracious forbearing parent and willful struggling offspring, in which the Biblical background is clearly resonant (cf. Ps. 102:13, Prov. 3:12 etc.). To stress one aspect to the exclusion of the other is to do violence to the richness of Philo’s thought.“ Dazu des Weiteren: Runia 1986, S. 107– 109. Opif. 171: „Die fünfte Lehre ist, dass Gott der Welt seine Fürsorge angedeihen lässt; denn dass der Schöpfer für sein Werk Sorge trägt, ist nach den Gesetzen und Bestimmungen der Natur notwendig, denen zufolge auch Eltern für ihre Kinder sorgen.“ (PCH Bd. 1, S. 88) Zu dieser Identifikation siehe auch: Opif. 9 – 10; Cher. 43; Contempl. 68. Runia nimmt in demselben Zusammenhang ebenfalls Bezug auf diese Philon-Stelle: „Rather we should observe that in the association of God’s fathership with the doctrine of divine Providence the two strains of thought merge together in a manner which is characteristically Philonic.“ (Runia 1986, S. 109 – 110) Vgl. dazu auch: Niehoff 2018, S. 100.
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In Anbetracht dessen wird nun wesentlich klarer, in welchem Sinne Hegel Philon als einen jüdischen Denker begreift. Wie in seiner Spinoza-Deutung, in der er dessen Substanzmetaphysik der orientalischen Denkweise zuordnet,³⁰⁴ schätzt er das philonische Gedankengut gerade wegen seiner väterlichen Gottesvorstellung ebenfalls als morgenländisch ein.³⁰⁵ Unmittelbar scheint mithin die Implikation verknüpft, Philons und Spinozas einseitiges Gotteskonzept als „bloß der Vater“, das beide als das Absolute einstufen, sei zuletzt auf den metaphysischen Anspruch des jüdischen Glaubens rückführbar. In diesem Sinne wisse Spinoza vor allem „als ein Jude“ „[d]en Dualismus, der im Cartesischen System vorhanden ist“, aufzuheben.³⁰⁶ Am deutlichsten findet diese vorurteilsbehaftete Tendenz ihren Niederschlag in der enzyklopädischen Naturphilosophie in Hegels Auseinandersetzung mit Spinozas „orientalischem Akosmismus“: „Spinoza war seiner Herkunft nach ein Jude, und es ist überhaupt die orientalische Anschauung, nach welcher alles Endliche bloß als ein Vorübergehendes, als ein Verschwindendes erscheint, welche in seiner Philosophie ihren gedankenmäßigen Ausdruck gefunden hat.“³⁰⁷ Auf dieselbe Weise pflegt er auch Philons jüdische Religionszugehörigkeit zu betonen und gleichzeitig dessen spekulatives Denken als bezeichnenden Ausdruck der seinerzeit unter Juden weit verbreiteten Geisteshaltung auszuweisen.³⁰⁸ Diese Identifikation ad hominem von Person mit Religion gab Hegel geradezu die Rechtfertigung dafür, die jüdische Gottesvorstellung weitgehend als ein akosmistisches Lichtwesen darzulegen.³⁰⁹ Unter diesem Aspekt sticht auch Hegels Intention deutlich ins Auge, Philons Gottesbegriff nicht nur dem Platonismus, sondern auch dem abstrakten jüdischen Monotheismus zuzuordnen. Die grundlegende Parallele zwischen Philon und der jüdischen Philosophie liegt also darin begründet, dass Gott bei beiden unter der abstrakten Verstandeskategorie des qualitätslosen Seienden firmiert. Daher bewertet Hegel die Gottheit des Judentums als einen Gott, von dem ausschließlich ein abstrakter Verstandesbegriff gebildet werden könne: „Wenn wir sagen: Gott ist
TWA Bd. 20, S. 157– 158: „Diese tiefe Einheit seiner Philosophie […] ist ein Nachklang des Morgenlandes.“ Vgl. hierzu TWA Bd. 10, S. 45. TWA Bd. 19, S. 421. TWA Bd. 20, S. 157. TWA Bd. 8, S. 295. Spinozas Metaphysik an kabbalistische Lehren anzunähern war auch unter jüdischen Philosophen eigentlich eine geläufige Tendenz der damaligen Zeit, wie dies sowohl bei Maimon (1792, S. 165 – 166) als auch bei Mendelssohn (JubA Bd. 3.2, S. 104) zum Tragen kommt. TWA Bd. 19, S. 418 – 419. TWA Bd. 12, S. 241: „Das Licht aber ist nunmehr Jehova, das reine Eine.“ OʼRegan rekurriert in Zusammenhang mit Hegels philosophiegeschichtlicher Philondeutung ebenfalls auf dessen Kritik am Akosmismus Spinozas, dazu: 2008, S. 125 – 126. Siehe auch: Düsing 1983, S. 162, 166 – 168.
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das höchste Wesen, so ist die Vorstellung von Gott nichts anderes als ein abstraktes Bestimmen der Gottheit, ein Verstandesgott.“³¹⁰ Gehe man von diesem jüdischen „Verstandesgott“ als einer abstrakten Denkbestimmung aus, so zeige sich demnach, „Gott kann nicht erkannt und nicht begriffen werden, weil kein Übergang zu dieser höchsten Idee vom konkreten Erkennen möglich ist“.³¹¹ Zwar qualifiziert Philon Gott als das Allgemeinste schlechthin (τὸ δὲ γενικώτατον ἐστιν ὁ θεός),³¹² aber anders als in Hegels abwertender Einschätzung sieht er ihn keineswegs als einen verstandesmetaphysischen Erkenntnisgegenstand: Vielmehr sieht er darin nichts Geringeres als den spekulativsten Begriff überhaupt, der allein kraft des intuitiven Erkenntnisvermögens der in die großen Mysterien eingeweihten Menschenseele zu erschließen sei: Deshalb heißt es in dem größeren, Gott in den Mund gelegten Gesang: „Sehet, sehet: Ich bin“ (5 Mos. 32,39), da das wahrhafte Sein mehr mit Deutlichkeit erfaßt [τοῦ ὄντως ὄντος ἐναργείᾳ μᾶλλον [ἀντι]καταλαμβανομένου], als mit einem Beweise durch Worte bekannt gemacht wird [ἢ λόγων ἀποδείξει συνισταμένου]. (Post. 167: PCH Bd. 4, S. 48)³¹³
Zusammengefasst belegt somit die kritische Auseinandersetzung mit Philons negativer Theologie, dass Hegel ihn nicht lediglich als jüdischen Schriftexegeten ansieht, sondern in gleichem Maße als genuinen Metaphysiker, mit dessen spekulativem Gedankengebäude man sich auf Augenhöhe zu befassen hat. Nichts weniger als die reinste und ursprünglichste Ausprägung der jüdischen Religionsphilosophie glaubt Hegel in dessen System entdeckt zu haben, halte dieses doch, trotz seiner vom biblischen Literalsinn weit entfernten Allegoresen, weiterhin die grundlegenden Ansprüche des jüdischen Glaubens aufrecht – und will diesem darüber hinaus auch auf dem Wege der Vernunft wieder Geltung verschaffen.
Vorl. Bd. 11, S. 10. Vorl. Bd. 11, S. 43. Leg. 2.86. Den Leitgedanken von Post. 167 kannte Hegel sogar von Neanders Philon-Abschnitt: 1818, S. 16 – 17: „Als Platoniker und Mystiker behauptete nun zwar Philo, daß das ὀν an und für sich kein Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntniß sey, daß sich von demselben kein Verstandesbegriff machen und überhaupt nichts prädiciren lasse […]. Das ὀν, sagt er de Post. Cain. opp. Mang. T. I. 258 wird vielmehr in seiner klaren Selbstoffenbarung erkannt als durch Argumente bewiesen […] [Hervorh. i. Orig.].“ Zum Motiv der Unbeweisbarkeit von Gott als höchstem spekulativem Erkenntnisgegenstand siehe auch Fug. 136. Zur Verdeutlichung dieser Philon-Stelle siehe: Bormann 1955, S. 63 – 64.
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie Dass Hegels tiefgründige Auseinandersetzung mit Philons negativer und eben jüdischer Gottesauffassung bisweilen auf den aus seiner Sicht wahren Gottesbegriff des Christentums zurückgreift, ist gut nachvollziehbar: Damit kann er besser deren vermeintliche Defizite nachweisen und letztlich bekunden „Gott [sei] hier nicht als Geist erkannt“.³¹⁴ In der christlichen Weltsicht nämlich sieht Hegel die vollentfaltete Bewältigung der aus Philons apophatischer Theologie entspringenden Problematik artikuliert, indem diese, im Gegensatz zum einseitigen Vatergott des Judentums, Gott als den dreieinigen Geist, d. h. als das wahre Absolute, darzustellen und zu untermauern wisse: „Im Christentum ist dagegen das Einfache nur als Moment, und das Ganze ist Gott der Geist […]. Im Christlichen wird der Name nicht auf das Wesen eingeschränkt, sondern Gott ist Geist; der Sohn ist selbst Bestimmung in Gott.“³¹⁵ Das Christentum betrachte „den anundfürsichseienden Geist“ in seiner trinitarischen Struktur als sein gerade bewiesenes Hauptprinzip, den es von der neuplatonischen Metaphysik anverwandelt und infolgedessen zum höher entwickelten partikulären Standpunkt erhoben habe: Gott in Menschengestalt, worin „die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur“ sichtbar geworden sei, sei damit erstmals als das konkrete Absolute begriffen worden.³¹⁶ Das überraschende Moment in Hegels Philonauffassung besteht jedoch in einem anderen Punkt: Die metaphysische Lösung für Philons jüdische Gotteslehre findet er nicht nur außerhalb von dessen System, etwa in den christlichen Glaubenswahrheiten, sondern vielmehr innerhalb dessen, nämlich in seiner vorchristlichen, „die Natur des Geistes“ enthaltenden Logostheologie. Eben darin meint Hegel in Anspielung auf Philons Transzendenzaussage genügend spekulativen „Grundstoff“ zu entdecken, um Philons lediglich abstrakten Gottesbegriff in seiner Konkretheit dahingehend inhaltlich zu ergänzen, dass auch bei diesem ähnlich wie später im Christentum Gott als trinitarischer Geist, wenn auch ansatzweise, gewusst werde: Was er ist, ist er nur als Geist, d. h. eben indem der λόγος, sein Sohn, zu seinem wahren Wesen selbst gerechnet wird, nicht jenem Sein der Name Gottes beigelegt wird, sondern nur der Einheit dieser Momente; diese Einheit enthält das, was er ist. […] Und dies Erzeugte ist sein Anderes, was zugleich in ihm ist, ihm angehörig ist, Moment seiner selbst ist, wenn Gott
GW Bd. 30,1, S. 127,20. TWA Bd. 19, S. 421– 422. TWA Bd. 19, S. 493: „[…] und dies ist denn erst das Absolute, der anundfürsichseiende Geist.“
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
konkret gedacht werden soll. Die Bestimmung des Einen ist das Erste, aber sie ist mangelhaft; Gott ist konkret, lebendig, d. h. er unterscheidet sich in sich, bestimmt sich: dies ist, was auch zu Gott gehört und was hier Logos genannt wird. (TWA Bd. 19, S. 422)³¹⁷
Hegel verfolgt dabei die grundlegende Tendenz, den im philonischen System vorausgesetzten Unterschied zwischen Gott und Logos einzuebnen und darin die Grundlage der Trinität als „Bestimmung der Totalität“ aufzudecken. Philons Geisthypostase offenbart laut Hegels Deutung immer das, was Gott in seinem konkreten Wesen sei: „[d]as Ebenbild und der Abglanz Gottes […] die denkende Vernunft, der erstgeborene Sohn, der die Welt regiert und in Ordnung hält […] der Inbegriff aller Ideen“.³¹⁸ Unter Annahme der Wahrheit des christlichen Dreieinigkeitsdogmas greift Hegel ganz bewusst die dem vom Vater „erzeugten“ Logos zugeordnete Gottessohnschaft auf,³¹⁹ um demnach zu argumentieren, dieses konkretere Moment Gottes solle zusammen mit dessen väterlicher Bestimmung mitgedacht werden. Dadurch wiederum könne man dessen sich zur Totalität selbstentfaltendes Wesen ganzheitlich auffassen. Des uneingeschränkten Wahrheitsanspruches Philons hinsichtlich dessen negativ-theologischer Gottesauffassung war sich Hegel bewusst.³²⁰ Noch wichtiger: Er nimmt expressis verbis Bezug auf Philons in Abr. 119 – 132 geäußerte Rückweisung der Triasvorstellung von Gott als τριττὴ φαντασία ἑνὸς ὑποκειμένου zugunsten einer strikt einheitlichen Gottesauffassung als dem allein wahren Seienden:³²¹ Daher stigmatisiert er diesen einheitsmetaphysischen Grundsatz von
Westerkamp nimmt auf diesen Passus Bezug, um Hegels Absicht offenzulegen, Philons negative Theologie im Rückgriff auf Philons Logosbestimmung zu überwinden (2009, S. 120). TWA Bd. 19, S. 421. Vgl. hierzu die Parallelstelle in Vorl. Bd. 8, S. 170: „Ferner, das Ebenbild Gottes, sein Abglanz, ist der Verstand, der λόγος, der πρωτογενής […].“ Philon bedient sich jedoch zumeist des Adjektivs πρωτόγονος. Darauf kommt auch Paz in seiner hebräischen Übersetzung von Plant. zu sprechen, wenn er diesen Punkt unter Bezugnahme auf den Artikel von Martínez (2007, S. 98 – 99) verdeutlicht (PW Bd. 4.2, S. 118: Fn. 59). Dazu aber bereits: PW Bd. 2, S. 306. Hegels Formulierung in Hinblick auf den Logos als das vom Gottvater „Erzeugte“ scheint eine Anspielung auf das berühmte Bekenntnis von Nicäa zu sein: γεννηθέντα, οὐ ποιηθέντα, ὁμοούσιον τῷ Πατρί. Durch diese biologische Verwandtschaftsmetaphorik konnte die Wesensgleichheit (ὁμοούσιος) zwischen Gott und Jesus deutlicher veranschaulicht werden. Eben diese Sicht sucht Hegel hier in Zusammenhang mit Philons System darzulegen. Dazu: GW Bd. 30,1, S. 127,19 – 20 („Gott selbst ist nur das ὄν, das reine Sein. (Insofern könnte man sagen, Gott sei hier nicht als Geist erkannt).“); Vorl. Bd. 5, S. 129. Diese Favorisierung der Einheitsbestimmung veranschaulicht Philon auf Grundlage von Gen 18 am Beispiel einer göttlichen Lichtoffenbarung im Menschengeist, in der Gott wechselweise erscheine, einmal als ein triadisches und einmal als ein einheitliches Lichtphänomen (Abr. 119). Vgl. dazu die Parallelstellen im Corpus Philonicum, in denen der alexandrinische Philosoph Gen 18 ähnlich allegorisch interpretiert: Sacr. 59 – 60; Deo 1– 5; QG 4.2– 8 und 30. Ein Hinweis auf
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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Philons Allegorese zu Gen 18 als Musterbeispiel einer sich bloß „sehr kleinlich“ zeigenden Sinngebung: Dieses Bestreben des Denkens auch äußeren Gestalten höheren Sinn geben zu wollen, zeigt sich oft sehr kleinlich. ZB. Dem Abraham erscheinen erst 3 Engel, dann 1. Dies soll bedeuten, daß 1te Bewußtsein Gott in der Spaltung auffaßt, erst höher in der Einheit [eine andere Lesevariante zu „erst höher“ bietet die Abschrift von Carrière (Ca): „hernach aber Gott“]. (GW Bd. 30,1, S. 127,6 – 10)
Diese betont einheitsmetaphysische Gedankenfolge spitzt gerade Krämer unter Hinweis auf Abr. 125 (τετάσθαι μοναδικῶς πρὸς τὴν ἑνὸς τιμήν) zu: „Die Erkenntnis Gottes wendet sich deshalb, je reiner sie ist, desto mehr von der hyletischen Zweiheit und Vielheit weg zur ‚monadischen‘ Anspannung auf das Eine hin.“³²² Gleichwohl hält Hegel vor allem unter Zuhilfenahme von Philons eben nicht verstandesmetaphysischer Logoslehre hartnäckig an der Leitthese fest, dass dessen systematischem Denken eine dynamische Dreieinigkeitsstruktur zugrunde liege und es sich folglich zuletzt doch gegen die abstrakte Einheitsbestimmung behaupte. Unter Berufung auf die philonische Logoslehre meint er nämlich den Schluss ziehen zu können, „[d]as Wahre was der Geist ist, ist nur im ganzen Verlauf dieser Momente ausgesprochen“.³²³ In scharfem Gegensatz zu seiner durchaus negativen Wertung von Philons apophatischer Theologie zollt Hegel ihm zunächst für seine Logostheologie, welche die Gottesvorstellung des Judentums erstmals konkret fasse, unübersehbare Anerkennung.³²⁴ Im Rückblick auf den Logos und durch eine Überbetonung von dessen systematischer Stellung will Hegel zunächst zeigen, wie die negative Theologie bei Philon in eine affirmative übergeht bzw. überzugehen vermag. Es ist daher folgerichtig, dass Philons Philosophie „die Natur des Geistes“³²⁵ als Selbsterkenntnis in sich berge: Auf diesen entscheidenden Aspekt von dessen durchgreifendem Logosbegriff weist Hegel deutlich zu Beginn seiner Philondarstellung aus dem Wintersemester 1820/21 mit der Feststellung hin: „Es ist jetzt der Geist, der in sich
diesen einheitsmetaphysischen Ansatz findet sich allerdings bereits in Abr. 110 (siehe hierzu auch: QG 3.41). Krämer 1967, S. 274. Zu dieser „monadischen Aufstiegsbewegung“ bei Philon siehe: Dillon 1996, S. 161– 163; Bormann 1955, S. 9, 61– 62, 72; Zeller 1903, S. 463 – 466; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 126 – 127; Goodenough 1967, S. 33 – 40, 146 – 149, 244. GW Bd. 30,1, S. 127,122 – 123. Diesen Aspekt von Hegels Philonbild deutet auch OʼRegan an: 2008, S. 107 („Criticism ceases, however, when Hegel discusses Philo’s account of the Logos.“). TWA Bd. 19, S. 419.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
selbst sich weiß, der in der Welt sein Interesse nicht mehr sucht und Alles nur als Hervorbringung des Denkens anerkennt.“³²⁶ In Anbetracht all dessen deutet Hegel an, Philon zeichne sich als der erste, wenn nicht gar einzige jüdische Philosoph aus, dem geradezu das wesentliche Hinausgehen über die reine Negativität des „alttestamentlichen Verstandesgottes“ zum protochristlichen Gotteskonzept als einem trinitarisch aufgebauten Geist gelungen sei. Allerdings wären damit lediglich zwei Momente Gottes und eben nicht drei herausgearbeitet: Gott in seiner anfänglichen Seinsbestimmung als Vater und in seiner konkreteren Logosbestimmung als Sohn. Das stellt jedoch deswegen kein schwerwiegendes Problem für Hegel dar, weil Philon bekanntlich eine doppelte Unterscheidung in der Logoshypostase zwischen λόγος ἐνδιάθετος und προφορικός voraussetzt.³²⁷ Dieses gewichtige Element weiß sich Hegel für sein innovatives Philonbild als Trinitätsdenker zu eigen zu machen: „Dieser λόγος ist die erste ruhende Gedankenwelt, wenngleich schon unterschieden. Ein anderer λόγος aber ist der hervorbringende, tätige (λόγος προφορικός), als Rede. Das ist Wirksamkeit, das Schaffen der Welt, wie er ihre Erhaltung, ihr bleibender Verstand ist.“³²⁸ Auf diesen zwei Phasen des Logos aufbauend, dem Logos des Denkens als Ideenwelt und entsprechend dem Logos der Rede als schöpferisches Organisationsprinzip der Sinnenwelt, meint Hegel eine zugrunde liegende Trinitätsstruktur in Philons System – die grundsätzlich dem allgemeinen neuplatonischen Trias-Muster von Insichbleiben-Hervorgang-Rückwendung (μονή-πρόοδος-ἐπιστροφή) entspricht –³²⁹ entdeckt zu haben. Diese Dreifaltigkeit des göttlichen Wesens umfasst demgemäß drei zusammenhängende Momente: (1) Gott als das unbestimmte ὄν, dann (2) Gott als der sich selbst in Ideen teilende Verstand, der λόγος ἐνδιάθετος als die übersinnliche Ideenwelt und die damit korrespondierende weltbildende Geisttätigkeit des λόγος τομεύς³³⁰ und schließlich (3) Gott in seiner immanenten und anthropomorphen Vollentfaltung als λόγος προφορικός in Gestalt der schöpferischen und
GW Bd. 30,1, S. 378,3 – 5. Mos. 2.127 (διττὸς γὰρ ὁ λόγος ἔν τε τῷ παντὶ καὶ ἐν ἀνθρώπου φύσει· κατὰ μὲν τὸ πᾶν ὅ τε περὶ τῶν ἀσωμάτων καὶ παραδειγματικῶν ἰδεῶν, ἐξ ὧν ὁ νοητὸς ἐπάγη κόσμος, καὶ ὁ περὶ τῶν ὁρατῶν, ἃ δὴ μιμήματα καὶ ἀπεικονίσματα τῶν ἰδεῶν ἐκείνων ἐστίν, ἐξ ὧν ὁ αἰσθητὸς οὗτος ἀπετελεῖτο); Abr. 83; Det. 39 – 40 und 126; Migr. 71 und 73; Spec. 4.69; Post. 100 und 103; QE 2.27, 2.44 und 110 – 111. TWA Bd. 19, S. 423. Dazu besonders deutlich: Halfwassen 1999, S. 19, 77. TWA Bd. 19, S. 423: „Gott als Tätigkeit angesehen. Dieser Verstand teilt sich nun in Ideen […].“ Her. 140: τὸν τομέα τῶν συμπάντων; Fug. 196: κρίσις τῶν ὅλων.
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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ordnungsstiftenden Wirksamkeit, der sich über eine selbstbewusste Rückwendung in das ursprüngliche Moment der Einheit vollziehe.³³¹ Zu klären bleibt die Frage nach Hegels Motivation, einem jüdischen Denker wie Philon eine solche Vorrangstellung einzuräumen, dass er ausgerechnet dessen Philosophie als gedanklichen Vorgriff auf das spekulative Trinitätsdogma als ausschlaggebenden Lehrsatz für das Christentum als absolute Religion erachtet. Hierfür gibt es allem Anschein nach vorrangig zwei entscheidende Gründe: 1) Die historische Hypothese war zu Hegels Zeiten schon sehr weit verbreitet, und auch die Studienhefte Schellings sprechen eindeutig dafür, dass Philons jüdischer Platonismus eine zentrale Inspirationsquelle der Trinitätslehre war. 2) Mit diesem Ausgangspunkt konnte Hegel gerade durch den berühmtesten jüdischen Religionsphilosophen einen starken geistesgeschichtlichen Beleg für die Gültigkeit des ultimativen christlichen Wahrheitsanspruches erbringen. Am Beispiel von Philons ansatzweise artikuliertem Trinitätsdenken kann er argumentieren, die spekulative Bestimmung der Dreieinigkeit sei angesichts der verhältnismäßig rückständigen Gottesauffassung des Judentums vom Geist selbst unmittelbar gewollt. Anhand dessen konnte er weiterhin den gesamten Neuplatonismus, in den er Philon als dessen Vordenker einreiht, als metaphysische Vorbereitung auf die spekulativen Inhalte des Christentums als der welthistorischen „Revolution“ schlechthin darlegen. Zunächst ist auf Hegels Verständnis des dritten und entscheidenden Moments von Philons „Trinitätsdenken“ einzugehen, in dem Gott in seiner „selbstbewußten Rückkehr in sich selbst“ seine höchste Ausprägung gewinne und „konkret gedacht“ werde. Im Konzept des λόγος προφορικός – das Philon nicht sonderlich systematisch verwendet – sieht Hegel gerade die Kulmination von dessen gesamtem Denken begründet. Der weltzugewandte Rede-Logos drücke also Gottes Vollendungsform aus, mit der er seiner selbst innewerde und sich somit vollständig realisiere: „Das ist der Hohepriester, der [zwischen] Gott und den Menschen vermittelt, der Geist der Gottheit, der die Menschen belehrt, eben die selbstbewußte Rückkehr Gottes in sich selbst, in jene erste Einheit, in das Urlicht.“³³² Diese dialektische Rückwendung des Logos als „die selbstbewußte Rückkehr Gottes in sich selbst“ sei genau das, was den Geist hinsichtlich seines wesentlichen Moments als das „Zurückgekehrtsein“ ins anfängliche Moment des bestimmungslosen Einen definiere. Dadurch sei die Widersprüchlichkeit beider Siehe dazu: OʼRegan 2008, S. 124. Zu Philons doppeltem Logoskonzept siehe zudem: Löhr 2009, S. 350 – 351 (δ). Zur stoischen Denkstruktur des doppelten Logos siehe: Heinze 1872, S. 140 ff., 232 ff.; Runia 1990h [1988], S. 64; Cohn 1912, S. 322; H. Schmidt 1933, S. 60 ff.; Bormann 1955, S. 11– 13, 79 – 80; Zeller 1903, S. 423 – 424; Goodenough 1969, S. 100 – 104. TWA Bd. 19, S. 424.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
vorherigen Momente, des Ersten und dessen Andersseins, aufgehoben und in eine konkrete Einheit umgewandelt.³³³ Das Konstitutive am „Zurückgekehrtsein“ des Geistes bringt das selbstbewusste Subjekt in seiner Absolutheit hervor, womit Hegel ausdrücken will: Unter Gott werde nunmehr „das absolute Wesen als Selbstbewußtsein“ verstanden, ein Standpunkt, der ihm zufolge dem gesamten neuplatonischen Weltbild eigen ist.³³⁴ Die Konkretheit des weltimmanenten λόγος προφορικός rührt aus Hegels Sicht anscheinend nicht nur von dessen schöpferischer Geisttätigkeit her, sondern auch und erst recht von seiner Sonderrolle als „Seelenführer“, der zwischen Gott und den selbstbewussten Menschenseelen vermittelt: „Dieser Logos ist zugleich fü r das Selbstbewußtsein der Lehrer der Weisheit.“³³⁵ Die zwischen dem Logos und den Menschen entstandene Beziehung veranschaulicht Hegel durch das anthropomorphe Lehrer-Schüler-Verhältnis, wobei der seelenführende Logos in Menschengestalt, als Lehrer und Hohepriester, erscheint. Diese Motive, die Hegel nahezu verbatim Buhles Philondarstellung entnimmt, haben ihren Ursprung in Philons allegorischer Deutung von Gen 2,10 in Somn. 2.242. Dort erklärt der alexandrinische Philosoph den paradiesischen Fluss für ein Sinnbild des Logos, den Garten Eden entsprechend für ein Sinnbild der göttlichen Weisheit.³³⁶
TWA Bd. 19, S. 409: „Darin ist dann drittens die Gleichheit des Anderen und des ewigen Wesens, der Geist, das Zurückgekehrtsein des Anderen in das Erste, und des Anderen nicht nur nach jedem Punkte, woran das ewige Wesen erschienen, sondern das Andere als Allgemeines.“ TWA Bd. 19, S. 407– 408. Zur Parallelstelle in Hegels philosophiegeschichtlichem Abschnitt über die alexandrinische Philosophie siehe: TWA Bd. 19, S. 432. Siehe dazu auch: Halfwassen 1999, S. 104. Einer derartigen Denkfigur bedient sich Hegel mehrfach, um zu zeigen, wie das denkende Subjekt Gottes wirksame Weisheit in der zweckmäßigen Natur erkennt und darauf von großer Bewunderung erfasst wird: TWA Bd. 8, S. 362; Bd. 9, S. 14, 28, 494; Bd. 12, S. 28; Bd. 16, S. 21; Bd. 17, S. 35, 248 – 249, 506; Bd. 20, S. 488. TWA Bd. 19, S. 424. Zur Zusammenfassung der „seelsorgerischen Funktion“ des „Logos als Seelenführer“ (η) siehe: Löhr 2009, S. 353 – 354. Vgl. dazu: Hay 1973, S. 6; M. Freudenthal 1891, S. 12; Bormann 1955, S. 91– 92. „Er nennt aber die Weisheit des Seienden Eden […]. Es [sc. das Ergötzen] kommt aber von der Weisheit wie aus einer Quelle der göttliche Logos einem Flusse gleich herab, auf daß er befeuchte und tränkte die olympischen und himmlischen Keime und Gewächse tugendliebender Seelen wie einen Garten.“ (PCH Bd. 6, S. 269) Philon benutzt diesen Topos des Logos als Verkünder der göttlichen Weisheit mehrmals in seinen Allegoresen. Dazu: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 260 ff. Zur Identifikation des Manna mit dem Logos bzw. mit der Weisheit siehe zudem: Fug. 137; Mut. 249. Zur gleichmäßigen Verteilung durch den Logos siehe auch: Her. 143 – 145, 191; QE 2.81. Ungeachtet der hier dargelegten σοφία-λόγος-Differenzierung scheint Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen gleichwohl davon auszugehen, Logos und Weisheit seien bei Philon bedeutungsgleich: „[…] er [sc. der Logos] kommt auch unter dem Namen σοφία“ (TWA Bd. 19, S. 423), „Die Offenbarung, was herabgekommen ist […] σοφία οὐράνιος […] λόγος […]“ (TWA Bd. 19, S. 430).
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
123
Philon versteht jedoch im Unterschied zu Hegel die göttliche Weisheit, die jener hier mit theoretischen Naturkenntnissen gleichsetzt,³³⁷ als praktische Kenntnis der göttlichen Kardinaltugendlehre, die der Logos den „tugendliebenden“ Menschenseelen vermittelt, um sie und infolgedessen das ganze Menschengeschlecht moralisch zu vervollkommnen. Diese Abweichung von Philons ursprünglichem Gedanken spiegelt sich in Hegels entscheidender Änderung der Formulierung Buhles wider; so ersetzt er „tugendhafte Menschen“ durch „Selbstbewußtsein“. Mithilfe dieser kleinen Modifikation war es ihm möglich, den λόγος προφορικός als Höhepunkt von Philons gesamtem System zu kennzeichnen, wo Gott zum Bewusstsein seiner selbst gelange.³³⁸ Diese Änderung verrät Hegels Programmatik, einen zentralen Topos seiner eigenen Geistmetaphysik in Philons Religionsphilosophie hineinzulesen, nämlich, dass sich Gott als Geist erst im menschlichen Selbstbewusstsein verwirklichen könne.³³⁹ Dass Hegel mit dem Begriff „Selbstbewußtsein“ auf die Natur des Menschen hinweist, wird ersichtlich, wenn er daraufhin zwischen den selbstbewussten Menschen und den bewusstlosen Naturphänomenen unterscheidet: „Die natürlichen Dinge nämlich werden nur in ihren Gesetzen gehalten; die selbstbewußten Wesen wissen eben auch von diesen Gesetzen, und das ist die Weisheit.“³⁴⁰ Vermöge der Fähigkeit des Menschen zur Bewusstwerdung sei allein er dazu in der Lage, die Naturgesetze, denen auch er unterworfen ist, zu begreifen. Diesen Erkenntnisgewinn über die Naturgesetze, mit denen der Logos die Welt als „ihr bleibender Verstand“ präge,³⁴¹ identifiziert Hegel mit dem Erkennen der göttlichen Weisheit. Somit scheint er auf die Funktion des Logos als Stifter der im
TWA Bd. 19, S. 424. Auch in seinen Ausführungen zur neuplatonischen Schule gebraucht Hegel die Begriffe „Mensch“ und „Selbstbewusstsein“ in austauschbarer Weise: „Sie [sc. die neue Religion, die alle anderen Religionen umfasst] ist diese, daß das Selbstbewußtsein – ein wirklicher Mensch – das absolute Wesen ist.Was das absolute Wesen ist, wird ihm jetzt geoffenbart: es ist ein Mensch […].“ (TWA Bd. 19, S. 407) Weiterführend dazu siehe Halfwassen: „Der Geist wird daher erst im Selbstbewußtsein des Menschen wirklich. Somit ist auch der absolute Geist kein bloß jenseitiger Gott, sondern das sich im wirklichen menschlichen Geist auf sich selbst beziehende und in dessen Wissen sich selbst erkennende Absolute, der menschliche Geist aber erfaßt in seiner Selbsterkenntnis die absolute Idee als sein eigenes, anwesendes, ihm nicht externes Wesen, das ihn gleichwohl zugleich übersteigt.“ (1999, S. 103 – 104) TWA Bd. 19, S. 424. Eine ähnliche Differenzierung macht Hegel darüber hinaus in den religionsphilosophischen Vorlesungen, in denen er die Welt des endlichen Geistes von der Naturwelt abheben möchte: TWA Bd. 17, S. 248. TWA Bd. 19, S. 423.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Gesamtkosmos herrschenden Naturgesetze anzuspielen. Die besondere Stellung des Logos als ein allgemeingültiges Weltprinzip legt Philon in Plant. 8 – 9 besonders ausführlich dar: […] kein Stoff [ist] stark genug […] um die Last dieses Kosmos tragen zu können, daß aber der unvergängliche Logos des ewigen Gottes die felsenfeste und riesenstarke Stütze des Alls bildet. Indem sich dieser von der Mitte (der Welt) bis zu den Enden und von den äußersten Spitzen bis zur Mitte zurück dehnt, vollzieht er den Siegerlauf der Natur und schließt und schnürt alle Teile zusammen; denn zum unzerreißbaren Bande des Alls machte ihn der Vater und Erzeuger. (PCH Bd. 4, S. 154)³⁴²
In Agr. 52 hält er weiterhin an einer allegorischen Erklärung zu Ps 23,1 fest, Gott ernenne seinen erstgeborenen Sohn (πρωτογόνος υἱός), den ὀρθὸς λόγος, zu seinem Stellvertreter auf der Welt, dem die zentrale Rolle eines gesetzesstiftenden Erhalters des sichtbaren Gesamtkosmos zukomme. Diesen umgestalteten stoischen Begriff des ὀρθὸς λόγος setzt Philon in Mos. 1.48 anscheinend sogar mit der Gesetzlichkeit der Natur und der Ethik gleich, wenn er den praxisorientierten Zweck des Moses, „nach der rechten Stimme der Natur [zu leben], die allein Anfang und Quelle der Tugenden ist [τὸν ὀρθὸν τῆς φύσεως λόγον, ὃς μόνος ἐστὶν ἀρετῶν ἀρχή τε καὶ πηγή]“, bestimmt.³⁴³ Die „sinnliche“ Naturerkenntnis jedoch als Gipfel des philonischen Gesamtdenkens zu charakterisieren – weil das Menschenbewusstsein in dem darin Erkannten Gott begreife und parallel darin Gott zur Selbsterfassung gelange – ist eine von Hegel beabsichtigte Fehldarstellung. Aufgrund der vollkommenen Ordnung, die der Logos dem sinnlich wahrnehmbaren Kosmos beständig stifte, misst Philon der Naturerkenntnis einen hohen Stellenwert bei: Er stuft die Natur als
Vgl. dazu auch die folgenden Philon-Stellen: Fug. 101 und 112; Opif. 51; Her. 188; Plant. 9 – 11; Cher. 36; QE 2.89, 2.118 und 2.120. Zur Zusammenfassung von dieser ordnungsstiftenden LogosFunktion siehe überdies: Löhr 2009, S. 353 (ζ). Zum Vergleich mit dem heraklitischen Logosprinzip als innerweltlichem Weltgesetz siehe: Heinze 1872, S. 6 ff., 235 ff., 243 ff., 270 ff.; Hay 1973, S. 3; O’Brien 2007, S. 66 – 67; Dillon 1996, S. 154– 155; Bormann 1955, S. 54, insbes. 82– 91; Zeller 1903, S. 419; Runia 1986, S. 163 – 164, 180, 238 – 241, 448 – 451; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 332 ff.; Goodenough 1969, S. 54– 62, 66. PCH Bd. 1, S. 233. Cohn merkt zu diesem Passus an, Philon bediene sich in Ios. 31 dieser ursprünglich stoischen Denkform des λόγος φύσεως ebenfalls als universales Moralgesetz, mit dem er zwischen den Lebensprinzipien des Staatsmannes und des Weisen unterscheide (PCH Bd. 1, S. 233: Fn. 2): „[…] denn die Gesetze in den Einzelstaaten sind Zusätze zu der rechten Vernunft der Natur [προσθήκη δέ ἐστι πολιτικὸς ἀνὴρ τοῦ βιοῦντος κατὰ φύσιν]; und so ist auch der Staatsmann ein Zusatz zu dem (Weisen), der nach (dem Gesetz) der Natur lebt.“ (PCH Bd. 1, S. 165) Zu Philons Konzept des λόγος φύσεως siehe: Heinze 1872, S. 102 ff.; Horovitz 1900, S. 92– 95.
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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legitime Wissensquelle ein, aus der man auf dem Weg zur Gottesschau wichtige Einsichten über die Wirklichkeit erschließen könne.³⁴⁴ Allerdings äußert er einen starken Vorbehalt dagegen, denn der durch die Natur vermittelte Weg zur Gottesschau sei letztlich lediglich eine niedrigere Erkenntnisstufe im Vergleich zum unmittelbaren Weg dazu.³⁴⁵ Auch die von Hegel hier beschriebene Vorstellung von Gottes durch das menschliche Bewusstsein vermittelter Selbsterkenntnis erscheint vom Standpunkt der metaphysischen Prämissen Philons völlig ungereimt. Übereinstimmend mit Aristoteles’ in Met. 1072b19 – 20 vertretenem Grundsatz, dem zufolge Gott in Form des reinen Denkens als das schlechthin Beste nur sich selbst zum Erkenntnisgegenstand haben könne, setzt Philon voraus, dass allein Gott, ohne jegliche von außen kommende Erkenntnisvermittlung, sich zu erfassen imstande sei.³⁴⁶ Auf Sacr. 65 im Originalwortlaut Bezug nehmend sucht Hegel den näheren metaphysischen Sinn des λόγος προφορικός in seiner wirksamen Funktion als „das Schaffen der Welt“ zu verdeutlichen:
In diesem Sinne kommt Philon in Zusammenhang mit der in Ex 33,13 enthaltenen Aufforderung des israelitischen Gesetzgebers Gott gegenüber zu der Auffassung, Moses leite aus der Sinnenwelt als Gottes Werk dessen notwendige Existenz ab: Spec. 1.41. In Anbetracht der analogen symmetrischen Strukturiertheit der Ideen- und Sinnenwelt (Opif. 16) erklärt Philon weiterhin in Somn. 1.186 – 188 die Erkenntnis der sinnenfälligen Welt sogar für eine Wissensvoraussetzung der Ideenschau. Zur Erläuterung dieser Passage siehe: Krämer 1967, S. 107, 272, 274; Bormann 1955, S. 54– 55; Runia 2001, S. 138. Auf der Übereinstimmung zwischen den Naturgesetzen und dem von Moses verfassten Gesetzessystem aufbauend (Opif. 3; Mos. 2.52; Leg. 1.155; Abr. 61; Decal. 132) konzipiert Philon auch die israelitischen Erzväter sowie die prominenten Bibelfiguren als tugendhafte Vernunftseelen, die aus der naturhaften Sphäre die göttliche Gesetzgebung ableiten könnten (Abr. 6; Agr. 66; Contempl. 2; Mos. 2.14, 2.48 – 52). Zur grundsätzlichen Kongruenz zwischen den mosaischen und weltimmanenten Gesetzen siehe: Rogers 2012, S. 85 – 105; Amir 1983j, S. 15, 39; Kaiser 2015, S. 149 – 150, 160 – 161; Runia 2001, S. 21– 22; Goodenough 1967, S. 50 ff. In Bezug auf den epistemologischen Status der Naturkenntnisse bei Philon siehe: Runia 1986, S. 127 („Philo too is on occasion keen to point out that scientific enquiries can make no claim to absolute truth.“). Hierzu: Leg. 3.99 – 100; Praem. 46. Diese philonische These kannte Hegel aus Buhles Philondarstellung: Buhle 1799, S. 136 („Gott selbst kann nur sich selbst erkennen.“). In seiner weltgeschichtlichen Schilderung der Ägypter kennzeichnet Hegel die zwei Wege zur Erkenntnis des unfassbaren Gottes („Gottesbegegnung“) ähnlich wie Philon, nämlich die eine als mittelbare und die andere als unmittelbare: „– Es ist auf zwei Wegen, daß dem Menschen das sogenannte Unbegreifliche begegnet, in der lebendigen Natur und im Geiste. Aber nur in der Natur ist es in Wahrheit, daß der Mensch das Unbegreifliche anzutreffen hat; denn der Geist ist eben dies, sich selbst offenbar zu sein, der Geist versteht und begreift den Geist.“ (TWA Bd. 12, S. 261; vgl. TWA Bd. 6, S. 404) Diese Schilderung entstammt wahrscheinlich Tennemanns Plotin- und Proklosdarstellung: 1807, S. 55, 314– 315. Siehe vor allem: Praem. 45.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Die Rede ist immer als Erscheinen Gottes angesehen worden, die Rede ist nicht körperlich; als Klang ist sie zeitlich und gleich verschwunden, das Dasein ist so immateriell. „Gott sprechend schuf er sogleich, nichts zwischen beide setzend“; das Geschaffene bleibt ein Ideelles wie die Rede. „Wenn man ein wahrhafteres Dogma angeben will, so ist der Logos das Werk Gottes.“ (TWA Bd. 19, S. 423 – 424)³⁴⁷
Erwähnung verdient, dass Hegel in dieser Hinsicht auch von Tennemanns Ausführungen zu „de[m] nach Außen wirkende[n] Logos“ beeinflusst scheint, in denen er auch Sacr. 65 im griechischen Original fand.³⁴⁸ Den λόγος προφορικός, der in der erhabenen und „anthropomorphische[n] Vorstellung der Schöpfung durch das Reden Gottes“ des Schöpfungsberichtes wurzele, charakterisiert Tennemann als „einen schöpfenden Logos“.³⁴⁹ Philon wiederum spitzt vor allem in Sacr. 65 Jähheit und Simultaneität von Gottes geistigem Schöpfungsakt zu: „Denn sprechend schuf Gott zugleich, ohne etwas zwischen beides (Sprechen und Schaffen) zu setzen, oder, wenn man eine richtigere Ansicht aufstellen darf, das Wort war zugleich sein Werk [ὁ γὰρ θεὸς λέγων ἅμα ἐποίει, μηδὲν μεταξὺ ἀμφοῖν τιθείς· εἰ δὲ χρὴ δόγμα κινεῖν ἀληθέστερον, ὁ λόγος ἔργον ἦν αὐτοῦ].“³⁵⁰ Damit spielt der jüdische Platoniker offenkundig auf das in Gen 1,3 – 29 gezeichnete Bild von Gottes verschiedenen Schöpfungswerken an, die alle kraft seiner Sprechfähigkeit ins Dasein gerufen wurden. Da die Sprechtätigkeit äußerst schnell erfolge,³⁵¹ kommt Philon zu dem Schluss, Gottes Schöpfung sei nicht auf die Sphäre der Zeit ausgedehnt,³⁵² sondern auf einmal umgesetzt worden (ἅμα ἐποίει).³⁵³ Er vertritt dabei die These, Sprechen in Hinblick auf Gott bedeute nichts anderes als Erschaffen. Diesen Gedanken legt er beispielweise in Decal. 47 sogar als einen feststehenden Glaubenssatz dar: „[…] die Stimme Gottes aber ist in Wahrheit zu sehen; warum? weil es nicht Worte sind, was Gott redet, sondern Taten [ὅτι ὅσα ἂν λέγῃ ὁ θεός, οὐ ῥήματα ἐστιν ἀλλ’ ἔργα], die das Auge besser unterscheidet als das Ohr.“³⁵⁴ Davon scheint auch Hegel auszugehen, denn in seiner Übersetzung von
Zu Hegels Verständnis von Philons λόγος προφορικός siehe auch: OʼRegan 2008, S. 107– 110. Tennemann 1805, S. 237: Fn. 130. Tennemann 1805, S. 238. PCH Bd. 3, S. 241. Sacr. 65: „Auch bei dem sterblichen Geschlecht gibt es nichts Schnelleres als die Rede; denn es strömt der Schwall der Name und Worte vorüber und überholt die auf sie gerichtete Wahrnehmung.“ (PCH Bd. 3, S. 241) Sacr. 65. Zu Philons Leitgedanken der überzeitlichen Simultaneität des göttlichen Schöpfungsaktes siehe: Opif. 13, 26 – 28, 35; QE 1.1. Zur Erläuterung: Runia 2001, S. 125 – 126. PCH Bd. 1, S. 381. Zu diesem Glaubenssatz siehe auch: Somn. 1.182; Migr. 47– 50. Diesbezüglich: Amir 1983e, S. 143 ff.; Runia 2001, S. 126; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 235 – 236.
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
127
Sacr. 65 – „[w]enn man ein wahrhafteres Dogma angeben will, so ist der Logos das Werk Gottes“ – überträgt er sowohl δόγμα als auch λόγος unverändert als „Dogma“ und „Logos“ ins Deutsche.³⁵⁵ Der große Platonismus-Forscher Krämer liefert den Beleg dafür, dass man ähnlich wie Hegel den „Aufriß des Systems“ Philons, wenngleich nur vordergründig, als ein aus „drei Seinsstufen“ bestehendes Weltbild einzuordnen vermag: ein gemäß der apophatischen Theologie konzipiertes Urwesen, λόγος ἐνδιάθετος und dann λόγος προφορικός.³⁵⁶ Allerdings kehrt Hegel diese von oben nach unten gestellten „Seinsstufen“ dergestalt ontologisch um, dass gerade das letzte, durch den λόγος προφορικός artikulierte Moment von Philons System statt des ersten dessen Höhepunkt markiert, worin Gottes volle Entfaltung ihren konkreten Ausdruck findet. Und selbst wenn Philons Gedankengebäude als dreistufig nachweisbar wäre, birgt es allem Anschein nach dennoch keinen deutlichen Hinweis auf eine derartige „Rückwendung eines sinnlichen Bewußtseins“ in die göttliche Ur-Einheit.³⁵⁷ Philons prinzipientheoretische Philosophie stelle jedoch zweifellos, mit Krämer gesprochen, „stets eine Bewegung aus der Vielheit in die Einheit“ dar, worunter der „Aufstieg zu Gott“ zu verstehen sei;³⁵⁸ es bleibt allerdings weiterhin äußerst fraglich, ob ein solcher Aufstieg von der Sphäre des Sinnenfälligen zu Gottes einheitlichem Wesen überhaupt erreichbar ist. Eine Andeutung dessen ist bestenfalls in Philons Allegorese zu Dtn 33 – 34 aufzuspüren, in der er aus dem Tod des Moses einen Vorgang der unio mystica herauszulesen scheint: Bei diesem werde ja die vollends reine Geistseele Moses in ihrer Aufstiegsbewegung ständig lichthafter und einheitlicher, also göttlicher: Einige Zeit später, als er den Gang von hinnen in den Himmel antreten und nach dem Scheiden aus dem sterblichen Leben zur Unsterblichkeit gelangen sollte, berufen vom Vater, der ihn aus der Zweiheit von Leib und Seele in ein Einheitswesen umschaffen und ihn ganz und gar in einen sonnigen Geist umgestalten wollte [εἰς μονάδος ἀνεστοιχείου φύσιν ὅλον δι΄
TWA Bd. 19, S. 424. Vgl. dazu Tennemann 1805, S. 237– 238. Krämer 1967, S. 276. Von der Annahme hinsichtlich der „doppelten Existenz des Logos“ – „eines in Gott immanenten und eines hervorgehenden Logos“ – gehen allerdings sowohl Heinze (1872, S. 233 ff.) als auch Zeller (1903, S. 423 – 424) aus. Dagegen vertritt Wolfson die These, der Logos bestehe vielmehr aus drei Existenz-Phasen: 1962, Bd. 1, S. 239 – 240, 274– 275, 287– 288, 291, 331. Zur Auseinandersetzung mit diesem Standpunkt Wolfsohns siehe: Bormann 1955, S. 66, 76 – 77. Vgl. dazu TWA Bd. 19, S. 512. Krämer 1967, S. 273 (Hervorh. i. Orig.); siehe ferner: Krämer 1967, S. 274.Vgl. dazu auch: Zeller 1903, S. 465 – 466.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
ὅλων μεθαρομοζόμενος εἰς νοῦν ἥλιοειδέστατον], da wurde er ebenso von göttlichem Geiste ergriffen […]. (Mos. 2.288: PCH Bd. 1, S. 364)³⁵⁹
Wenngleich man in dieser lichtwerdenden ἕνωσις des göttlichen νοῦς von Moses eine sich vollziehende Wendung in Gott als ὁ τῶν ὅλων νοῦς verankert sieht, überträgt ihn Philon nicht auf den Logosbegriff, geschweige denn eigens auf den λόγος προφορικός. Er macht sich auch nicht die Mühe, auf die metaphysischen Folgerungen eines so markanten Geschehens näher einzugehen.³⁶⁰ Vielmehr legt Philon wiederholt den entgegengesetzten Schluss nahe: Der Logos, trotz seines Alleinstellungsmerkmals als Gottes ebenbildlicher Vermittlerinstanz, sei immer noch als Geschöpf einzustufen, weshalb er auch Gott als seinem Schöpfer in jedweder Hinsicht untergeordnet sei. Darum sei der Logos nicht in erster Linie durch eine „Rückkehr“ in den göttlichen Urgrund ausgezeichnet, sondern gerade durch die hypostatische Trennung von Gottes absolut einheitlichem Wesen, das in sich konzeptionsgemäß kein zweites Wesen aufnehmen könne.³⁶¹ Philons Logostheologie erweist sich für Hegel allerdings nicht nur in seiner systematischen philosophiegeschichtlichen Auslegung von dessen System als besonders bedeutsam,³⁶² sondern auch in weiteren relevanten Abschnitten seines Denkens. Dies belegen verschiedene Beispiele: 1) Es ist also ersichtlich geworden, dass der aus Hegels Philondeutung gewonnene Leitansatz gänzlich darauf abzielt, das Logosprinzip als etwas zu fixieren, was den negativen Vatergott als „nur das abstrakte Wesen“ dialektisch ergänzt und ihn infolgedessen zum konkreten Geist erhebt. Um diese von Hegel vermutete Wesensverwandtschaft zwischen Gott und Logos bei Philon festzu Eine ähnliche Schilderung der Einswerdung der Seele Moses mit Gott taucht ebenfalls zweimal im Corpus Philonicum auf: QG 4.193 und QE 2.39. Die Göttlichkeit der Figur des Moses will Philon auch mit dessen glänzendem Angesicht nach seiner in Ex 33,29 – 35 beschriebenen Gottesbegegnung betonen: Mos. 1.27, 2.70. Zur menschlichen Lichtwerdung in Zusammenhang mit der Gotteserkenntnis siehe: QG 4.193. Diesen Gedanken in Bezug auf den israelitischen Gesetzgeber spitzt Runia folgendermaßen zu: „The fact, therefore, that Moses is given the same title as God is certainly a great honor, but it does not imply a kind of deification in which Moses come to share in the same nature as God [Hervorh. i. Orig.].“ (Runia 1990h [1988], S. 60; zur lichtwerdenden ἕνωσις siehe auch: Runia 1990h [1988], S. 62, 69 – 70: „[…] to the extent that the νοῦς achieves a monadic unity that enables it to transcend the world of physical reality altogether.“) Siehe überdies zur vergöttlichenden Tendenz bei Philon in Hinblick auf dessen Mosesbild weiterführend: Litwa 2014, S. 20 – 22; Aftermann 2013, S. 185 – 193. Vgl. dazu: Goodenough 1969, S. 209 ff. Siehe beispielsweise: Her. 205. Zu erwähnen ist, dass Löhr in seinem großangelegten RAC-Artikel zum Logoskonzept festhält, Philon könne sogar als „Begründer“ der gesamten Logostheologie „angesehen werden“ (2009, S. 345).
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
129
machen, greift er die für den Logos oftmals benutzte Metapher der Gottessohnschaft auf: Gott habe demnach den Logos als sein „Insichselbstbestimmen, Lebendigsein“ entsprechend erzeugt, weswegen dieser jenem auch gehöre und womit beide vielmehr als geeint zu verstehen seien.³⁶³ Dieselbe Tendenz, den von Philon festgehaltenen Unterschied zwischen Gott und Logos einzuebnen, verfolgt Hegel weitgehend und deutlich auch auf dem Höhepunkt der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Vor dem Hintergrund der wesentlichen welthistorischen Religionsausprägungen des sich in der römischen Kaiserzeit rasch ausbreitenden Christentums sucht Hegel durch Philons Logosbegriff die Entstehungsgeschichte der spekulativen Geistbestimmung zu illustrieren. Das christliche Geistkonzept habe seinen Ursprungsort in Alexandria als Begegnungsstätte „zwischen dem Orient und dem Okzident“.³⁶⁴ Dort habe eine die Kulturräume übergreifende, einmalige „wissenschaftliche Begegnung“ zwischen den zwei widersprechenden Leitprinzipien der Antike erstmals ihren Niederschlag gefunden, nämlich des „orientalisch[n] Eine[n] der unsichtbare und unsinnliche Gott des israelitischen Volkes“ in Form der Vorstellung der unermesslichen Unendlichkeit sowie der „logische[n] Reinheit“ mit der okzidentalen Bestimmung des Geistes in Form der intelligiblen Welt,³⁶⁵ die in der Vereinigung von platonischem und aristotelischem Gedankengut wurzele.³⁶⁶ Gerade Philons Denken behandelt Hegel als Inbegriff dieser in Alexandria herausgebildeten Systeme; in seinen Ausführungen zu den „Alexandrinern“ von 1820/21 steht der Philondeutung sogar eine derartige Darstellung von Alexandria als
Diesen Aspekt von Hegels immanenter Umgestaltung der philonischen Religionsphilosophie deutet auch Halfwassen an: „Dieses Lebendigsein Gottes setzt also für Hegel immer schon die Einheit von unbestimmtem Sein und Logos voraus, während das reine Sein als das Eine als solches unerkennbar bleibt, und zwar aufgrund seiner Bestimmungslosigkeit an sich und nicht nur für uns.“ (Halfwassen 1999, S. 295: Fn. 245) Zwar benutzt Philon das Motiv der Zugehörigkeit des Logos zu Gott, aber zumeist nicht, wie Hegel andeutet, um die prinzipielle Ebenbürtigkeit der beiden herauszuheben, sondern um im Gegenteil Gottes Überlegenheit seinem Logos (λόγος θεοῦ) als weltbildendem ὄργανον gegenüber zu veranschaulichen: Cher. 127; Leg. 3.96; Det. 54; Migr. 52; Spec. 1.81; Her. 130 und 140. Zum asymmetrischen Gott-Logos-Verhältnis siehe ebenso: Somn. 1.65; Migr. 122; Fug. 95; Her. 119 und 127; Leg. 2.86; Leg. 3.207; QG 2.62; QE 2.68. Auf diesen Aspekt geht Amir ein: Amir 1983 f, S. 193 – 194. Vgl. dazu: Buhle 1799, S. 191– 192. TWA Bd. 12, S. 399 und Vorl. Bd. 12, S. 426. Vgl. dazu TWA Bd. 20, S. 455: „[…] erst Aristoteles sagt, der νοῦς ist das Denken des Denkens. Das Resultat ist der Gedanke, der bei sich ist und darin zugleich das Universum umfaßt, es in intelligente Welt verwandelt.“ Dazu ist Krämer, der auf die „Verschmelzung von platonischer Ideenlehre und aristotelischer Nus-Theologie“ als wichtiges Kennzeichen der mittelplatonischen Metaphysik hinweist, immer noch grundlegend: Krämer 1967, S. 111 und 114. Ergänzend hierzu siehe zudem: Jamme 1980, S. 161; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 230.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
kulturraumübergreifendem Mittelpunkt der Antike voran.³⁶⁷ Aus Hegels Sicht ist Alexandria historisch gesehen für die Entwicklung des Judentums deshalb entscheidend, weil dort die Juden – man denke an Philon, aber auch an die Therapeuten – erstmals „Bekanntschaft“ mit der Philosophie gemacht hätten.³⁶⁸ Dieses Zusammentreffen der Prinzipien, so fährt Hegel fort, entspringe dem okzidentalischen Bedürfnis „nach einer tieferen, rein innerlichen Allgemeinheit, nach einem Unendlichen, das zugleich die Bestimmtheit in sich hätte“.³⁶⁹ Für das im damaligen Zeitalter artikulierte Grundproblem der sich aus dieser unermesslichen Gottesauffassung ergebenden Unbestimmtheit, mit der die orientalische Weltanschauung fälschlicherweise einen Absolutheitsanspruch erhoben habe, läge die gedankliche Lösung in der dialektischen Vereinigung beider metaphysischen Leitprinzipien; deren adäquater Ausdruck sei das Geistkonzept gewesen: „und die Lösung war jetzt – der Geist.“³⁷⁰ Mit Philons Logos gibt Hegel auf die Frage nach dem bahnbrechenden Geistbegriff gleich darauf nähere Auskunft. Diesen zieht er geradezu als Modell dieser ursprünglichen prinzipientheoretischen Lösung heran, durch den die im alten Israel imaginierte Gottheit erstmals von ihrer konkreten Natur her als Geist begriffen werden könne: „Es ist besonders merkwürdig, dort gelehrte Juden, wie Philon, abstrakte Formen des Konkreten, die sie von Platon und Aristoteles erhalten haben, mit ihrer Vorstellung des Unendlichen verbinden und Gott nach dem konkreteren Begriffe des Geistes, mit der Bestimmung des Λόγος, erkennen zu sehen.“³⁷¹ Analog zu seiner philosophiehistorischen Philonauffassung sieht Hegel auch in diesem Passus die notwendige dialektische Ergänzung zu Gottes vollends bestimmungsloser Unermesslichkeit in Philons „Logosbestimmung“ als dessen „konkreterem“ Gegenprinzip fundiert. Aus dieser Begegnung werde aber der jüdische „Gott in seiner Unendlichkeit“ nicht nur einfach durch Philons Logos als den „konkreteren Begriffe des Geistes“ erkannt, sondern auch und erst recht mit diesem „vereint“ in seiner dialektischen Totalität.³⁷² Infolgedessen war nicht
GW Bd. 30,1, S. 377,35 – 378,2: „Vor dieser Philosophie hat sich unmittelbar aufgethan in Alexandrien, diesem Mittelpunkt der Berührung des Orients und Occidents, die substentielle Anschauung des Orients und die Form des Occidents. Es ist unter den Juden zuerst Philo zu bemerken […].“ Vgl. mit TWA Bd. 19, S. 410, 431. Vorl. Bd. 6, S. 133. TWA Bd. 12, S. 399. TWA Bd. 12, S. 399. TWA Bd. 12, S. 399. Vorl. Bd. 12, S. 426: „Gott in seiner Unendlichkeit […] mit dem Logos vereint erkennen.“ Anzumerken ist, dass auch hier, ähnlich wie in seiner geistesgeschichtlichen Philondarstellung, ein kritischer Unterton gegen die orientalische Gottesvorstellung des Judentums deutlich wird: Ungeachtet der systematischen Vereinigung beider Prinzipien sticht deren asymmetrisches Ver-
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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weniger als die zentrale vorausdeutende Gestalt Gottes als dem dreieinigen Geist, worin Gott und Logos geeint seien, herauszuarbeiten. Im nächsten Schritt weist Hegel lediglich im Allgemeinen auf die „genuinen“ Neuplatoniker hin, denen zufolge „die Dreieinigkeit das Wahre“ sei.³⁷³ Sie seien, was angesichts der Wirkung philonischen Gedankengutes naheliegt, auch auf derartige spekulative Gedanken gekommen und hätten sie weitergesponnen, woraus der „Grundinhalt der christlichen Religion“ herausgebildet worden sei.³⁷⁴ Die vollentwickelte Form dieses dreifaltigen Gottesbegriffes als konkreter Geist sei erst bei Johannes und Paulus erreicht,³⁷⁵ was die enge Verzahnung von philonischer und christlicher Logostheologie impliziert. Bringt man die hieraus gewonnenen Einsichten mit Hegels systematischer Deutung des jüdischen Alexandriners in Verbindung, so sticht zunächst folgendes Element seiner Philonauffassung ins Auge: In gewissem Sinne hält er dessen Denken zwar für inkonsequent hinsichtlich seiner Gott-Logos-Unterscheidung, denn sie werde in Wahrheit im Logos aufgehoben, womit eher die Gott-LogosIdentität als die wesentliche binitarische Basis der Trinitätsbestimmung plausibel gemacht wird. Genau in diesem entscheidenden Denkfehler jedoch meint er Philons bahnbrechenden ideengeschichtlichen Beitrag aufgedeckt zu haben, denn bei ihm werde Gott ja „vereint“ mit dem Logos, „dem konkreteren Begriffe des Geistes“, und nicht getrennt von ihm gedacht und mithin als Geist seiner trinitarischen „Totalitätsbestimmung“ gemäß gewusst.³⁷⁶ Mit einem Satz: Gottes Trinitätsbestimmung, die dem Logosprinzip in all seinen wesentlichen Manifestationen eigen sei, behaupte sich innerhalb von Philons metaphysischem Gebäude letztlich gegen dessen Einheitsbestimmung. 2) Die besondere Relevanz von Philons „konkreterem Geistbegriff“ als Bestimmung der Sohnschaft beschränkt sich allerdings nicht auf geistesgeschichtliche Elemente von Hegels Denken; vielmehr kommt ihm auch eine gewichtige Rolle in einem zentralen Abschnitt der enzyklopädischen Naturphilosophie zu.
hältnis hervor, denn die orientalische Vorstellung leide ja unter dem metaphysischen Mangel der grundsätzlichen Inhaltlosigkeit, der allein durch die höher entwickelte Logosbestimmung des Okzidents behoben werden könne. TWA Bd. 19, S. 495. TWA Bd. 12, S. 399. Eine kurios wirkende Andeutung über Philons Schlüsselstellung in der christlichen Dogmenbildung aus Hegels Sicht macht auch Kühler in Bezug auf diesen Paragraphen in seiner Schrift Sinn, Bedeutung und Auslegung der Heiligen Schrift in Hegels Philosophie: Kühler 1934, S. 33. TWA Bd. 12, S. 400 – 401. Zu Philon als gleichsam protochristlichem Trinitätsdenker im Licht seiner Logoshypostase (127: „logocentric trinitarianism“) aus Hegels Sichtweise siehe primär: OʼRegan 2008, S. 107, 122 – 125.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Auch dort, genauer, im Zusatzteil zum 247. Absatz, wird Hegels Tendenz ersichtlich, Gott und Logos bei Philon in ihrem Geeint-Sein darzulegen.³⁷⁷ Unter Rekurs auf Philons Logos will er seine eigene systematische Auffassung der Natur als „die göttliche Idee“ in ihrem selbstunterscheidenden Moment des Andersseins konkretisieren. Der Verweis auf den philonischen Logos findet seinen spezifischen Platz in einer Darstellung der dreifachen möglichen Bezugsformen Gottes als Geist zu seinem Modus des Andersseins. Der Kern der differentia specifica von Philons jüdischem Logosbegriff angesichts der alternativen Positionen des Christentums und Hegels Naturphilosophie sei seine starke geistige Abhängigkeit von der gerade inadäquaten Form der Allgemeinheit: „Einmal bleibt das Unterschiedene aufbehalten in der ewigen Einheit der Idee; das ist der λόγος, der ewige Sohn Gottes, wie es Philon faßte.“³⁷⁸ Einerseits stellt Hegel das „Unterschiedene“ mit Philons Geisthypostase als „dem ewigen Sohn Gottes“ auf eine Stufe, andererseits scheint er „die ewige Einheit“ mit dessen jüdischer Gottesvorstellung von ihrer väterlichen, vorweltlichen Bestimmung aus zu identifizieren.³⁷⁹ Dabei argumentiert er implizit kritisch gegen Philon, ihm sei es letztlich doch nicht gelungen, seinen in sich bestimmten Logos von Gottes strikt einheitlicher Natur zu unterscheiden, denn in dessen System bleibe der Logos als innergöttliches Ereignis weiterhin unkonkret: Weder entfalte sich Philons Gotteskonzept in seiner „Unbedürftigkeit“, „Unteilbarkeit“ und „unendliche[n] Güte“ noch „dirimiere“ es sich wegen seiner Logosbestimmung, die Gott seine „ganze Fülle erteilt und mitgibt“, sondern es „bleibt sich also in seinem Bestimmen gleich“.³⁸⁰ Eine derartige Tendenz ist beispielsweise in Philons Deus 31 tatsächlich nachweisbar, denn dort „würdigte“ Gott den Logos als dessen πρεσβύτερος υἱός in Gestalt des Ideenkosmos – im Unterschied zum physischen Kosmos als dessen νεώτερος υἱός – „des Erstgeburtsrechts und beschloß, daß er bei ihm bleibe
Halfwassen führt den vorliegenden Textabschnitt als Beispiel für die vor allem plotinischen Emanationsvorstellungen als „[d]ie innere Dynamik der Selbstunterscheidung des schöpferischen Ursprungs als des absoluten Allgemeinen“ an, deren sich Hegel in seinen Schriften zuweilen bedient (1999, S. 134: Fn. 151). TWA Bd. 9, S. 24: § 247 Zusatz. Anzumerken ist, dass Hegel eine ähnliche Verwandtschaftsterminologie auch in seiner Plotindeutung gebraucht: „Der Vater zeugt den ewigen Sohn, dies ist für die Vorstellung genügend; aber für den Begriff ist diese Form der Unmittelbarkeit der Bewegung, der Bestimmung nicht hinreichend.“ (TWA Bd. 19, S. 450) Siehe auch Notizen, S. 28: „[…] in der ewigen Sphäre in s[ein]em Unterschiede in s[ei]ner Einheit bleibt – Platonische Dreyheit – in Abstraction.“ TWA Bd. 9, S. 24. Dieses negative Gottesbild gemahnt an Philons Darstellung von Gott als einem gänzlich unbedürftigen und unendlich gütigen Wesen in Opif. 21– 24.
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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[πρεσβείων ἀξιώσας παρ᾿ ἑαυτῷ καταμένειν διενοήθη]“.³⁸¹ Eine rudimentäre Bezugnahme auf diese Stelle in zusätzlicher Verknüpfung mit dem λόγος ἐνδιάθετος ist uns in Buhles Ausführungen zu Philon begegnet, mit denen Hegel besonders vertraut war: „Daher wurde dieser Logos das Ebenbild Gottes. Als erstes Product der Thätigkeit Gottes ist er der erstgebohrne älteste Sohn desselben, im Gegensatze zur Sinnenwelt, als dem jüngern Producte [Hervorh. i. Orig.].“³⁸² Aus Hegels Hinweis auf Philons λόγος ἐνδιάθετος geht hervor, dass dieser infolge seiner übersinnlichen Allgemeinheit de facto nicht aus dem ersten Moment der göttlichen Negativität herauszutreten vermöge, sondern in dieser verbleibe. Mithin wird hieran Hegels Vorhaben deutlich, eine Einebnung der von Philon vorausgesetzten grundsätzlichen Unterschiedlichkeit zwischen Gott und Logos nahezulegen. Die philonische Logos-Personifizierung als Gottes erstgeborener Sohn greift Hegel hier keinesfalls unbeabsichtigt auf. Unter Berufung auf den Gedanken der Gottessohnschaft, den Philon auf sein jüdisches Logoskonzept ausdehnt, kann Hegel seinen eigenen systematischen Naturbegriff als Wesensbestimmung des auf dem Geist basierenden Unterschiedenen (Besonderes) ideengeschichtlich besser verdeutlichen, sodass dieser vom philonischen (Allgemeines) sowie christlichen (Einzelnes) Geistprinzip merklich abgehoben werden kann.³⁸³ Aufbauend auf Philons Logosvorstellung als dem göttlichen Sohn und κόσμος νοητός fährt er fort, sein eigenes Naturkonzept im Kontrast zum menschgewordenen Geistbegriff in Gestalt des christlichen Gott-Sohnes zu definieren: „In Christus ist der Widerspruch gesetzt und aufgehoben, als Leben, Leiden und Auferstehen; die Natur ist der Sohn Gottes, aber nicht als der Sohn, sondern als das Verharren im Anderssein.“³⁸⁴ Im Unterschied zu Jesus als Gottes Sohn – der in seiner dialektischen Vollentfaltung die Trennung von Gott überwunden habe – bestimmt Hegel die Natursphäre in ihrem gerade unaufhebbaren Wesen ebenfalls als Gottes Sohn, jedoch derart, dass diese zunächst das maßgebliche Moment des Andersseins der absoluten Idee manifestieren solle.³⁸⁵ Dieser Passus ist deswegen mit einer klaren
PCH Bd. 4, S. 79. Zur Hegels Auffassung der Natursphäre als Gottes Sohn siehe primär: E. Schmidt 1974, S. 140 – 142. Buhle 1799, S. 122. Hierzu TWA Bd. 9, S. 24: „Das Unterschiedene kann unter dreierlei Formen gefaßt werden: das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne. Einmal bleibt das Unterschiedene aufbehalten in der ewigen Einheit der Idee; das ist der λόγος, der ewige Sohn Gottes, wie es Philon faßte. Zu diesem Extrem ist das andere die Einzelheit, die Form des endlichen Geistes.“ TWA Bd. 9, S. 24: § 247 Zusatz. Vgl.Vorl. Bd. 11, S. 34 („Das Wesen der Materie an sich ist daher Gott selbst, und dieses Wesen ist dann ewig als ein absolutes Moment der göttlichen Natur.“).
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Gegenüberstellung des philonischen und des neutestamentlichen Logos verbunden, weil Hegel Philons allgemeinem Geist „den endlichen Geist“ der christlichen Glaubenslehre seiner Form nach als „Einzelheit“ entgegensetzt: „Zu diesem Extrem ist das andere die Einzelheit, die Form des endlichen Geistes. […] Indem der einzelne Mensch zugleich in Einheit mit dem göttlichen Wesen gefaßt wird, so ist er der Gegenstand der christlichen Religion […].“³⁸⁶ In Anbetracht dessen stellt sich Philons Logoshypostase als überholte jüdische Alternative zum christlichen Geistbegriff heraus. Demnach folgt Hegels Positionierung seines eigenen Naturkonzeptes als dritte „Zwischenform“ des besonderen Geistes: „Die dritte Form, die uns hier angeht, die Idee in der Besonderheit, ist die Natur, die zwischen beiden Extremen liegt.“³⁸⁷ Anhand der oben analysierten Darstellung der drei unterschiedlichen Geistbegriffe wird deutlich, dass sich in ihnen Hegels systematische Auffassung von der triadischen Entfaltungsstruktur der absoluten Idee widerspiegelt (LOGIK, Idee an und für sich; NATUR, Idee in ihrem Anderssein; GEIST, Idee, die aus dem Anderen ihrer selbst in sich zurückkehrt). Der allgemeine Geist als Philons Logoskonzept fällt insoweit in die Logiksphäre zurück, da er sich als die Gottesvernunft noch nicht empirisch äußere, sondern als Ideenkosmos in seiner immateriellen Abstraktion verbleibe.³⁸⁸ Folglich ist das individuelle Geistprinzip der christlichen Religionslehre, unter dem Hegel den Einzelmenschen in seiner konkreten Einheit mit Gott versteht, in die Geistsphäre einzuordnen.³⁸⁹ Den „sich entfremdeten“ Geist von seiner sinnlichen Form her fasst Hegel als das genuine Moment der besonderen Andersheit auf, das mit der mittleren Natursphäre gleichzusetzen sei.³⁹⁰ Daraus wird zweifelsfrei ersichtlich, dass er die Wichtigkeit von Philons Logoslehre nicht nur in deren historischem Zusammenhang begründet sieht, sondern in gleichem Maße auch in dem, was sie uns über rein metaphysische Einsichten, wie etwa im Rahmen der Naturphilosophie, vermitteln kann. 3) Es ist wenig verwunderlich, dass Hegel auf den philonischen Begriff des noch abstrakt konzipierten λόγος ἐνδιάθετος Bezug nimmt. Anhand dessen konnte er schließlich besonders gut Defizite der noch größtenteils an die jüdische Weltsicht gebundenen Logostheologie ausweisen und dieses vordergründig
TWA Bd. 9, S. 24: § 247 Zusatz. Vgl. insbesondere zu TWA Bd. 12, S. 392. TWA Bd. 9, S. 24: § 247 Zusatz. Ergänzend zu dieser Interpretationsrichtung siehe zudem: Halfwassen 1999, S. 296 – 297. TWA Bd. 9, S. 24, § 247 Zusatz. Vgl. TWA Bd. 10, S. 374 (§ 567) und 376 (§ 569). TWA Bd. 9, S. 25, § 247 Zusatz: „Die Natur ist der sich entfremdete Geist, der darin nur ausgelassen ist, ein bacchantischer Gott, der sich selbst nicht zügelt und faßt; in der Natur verbirgt sich die Einheit des Begriffs [Hervorh. i. Orig.].“
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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konkret erscheinende Geistprinzip im Grunde schlicht als „jüdische Abstraktion“ abtun. Einen ähnlichen Einwand erhebt Hegel einem derartigen jüdisch-platonischen Geistkonzept gegenüber im philosophiegeschichtlichen Abschnitt über die Schlüsselmerkmale des Neuplatonismus: Die Idee des Geistes erschien, wie gesagt, den Christen zuerst in dieser bloßen Form der Vorstellung, Gott; und dieser ist das einfache Wesen der Juden außerhalb des Selbstbewußtseins (er denkt, aber nicht das Denken), jenseits der Wirklichkeit, das Anderssein der sinnlich angeschauten Welt, das Moment der Einheit der Welt und des Wesens. Entgegen steht jenem ebenso ein einzelner Mensch und der Geist […]. Die Idee im reinen Gedanken, daß Gott nicht dies tut, Subjekt ist, sondern Gott ist diese Bewegung, so daß alles dies nicht geschehe als ein zufälliger Entschluß und Ratschluß Gottes, dem es einmal eingefallen sei, so zu handeln, sondern diese Bewegung als sein Wesen, als seine ewige Notwendigkeit an ihm selbst, d. h. sein Notwendiges, das nicht in die Bedingungen des Geschehens fällt, nicht äußerlich dies tut, sondern diese erscheinenden Momente an ihm selbst ist,– so finden wir bei philosophischen oder, bestimmter, platonischen Juden sie ausgesprochen. (TWA Bd. 19, S. 409 – 410)³⁹¹
Im Gegensatz zum zuvor behandelten Abschnitt aus Hegels Naturphilosophie ist die Rede hier allerdings nicht explizit von Philons Logos, sondern von der jüdischen Konzeption von Gott als Geist im Allgemeinen. Gleichwohl sprechen drei zentrale Gründe eindeutig dafür, dass Philons λόγος ἐνδιάθετος als Gottes Gedankenwelt den Hintergrund des oben zitierten Passus bildet: a) Diese metaphysische Stellungnahme des Judentums spricht Hegel nicht nur generell „philosophischen Juden“ zu, sondern speziell „platonischen Juden“. Dies macht zweifelsfrei kenntlich, dass er vorrangig Philon im Blick hat, aber nicht nur ihn, weil er die Pluralform verwendet und von einer Vielzahl an jüdischen Platonikern spricht. Höchstwahrscheinlich bezieht sich Hegel dabei auf die jüdisch-alexandrinische Sekte der Therapeuten und schätzt folglich Philon als deren Hauptvertreter ein. Demnach würde sich Hegel an den von ihm verwendeten aufklärerischen Philondarstellungen orientieren, die den alexandrinischen Religionsphilosophen als repräsentativen Ausdruck der jüdischen Philosophie betrachten. b) Hegel gibt deutlich zu erkennen, diese noch abstrakt gefasste Idee des Geistes nehme die Gestalt der sich „jenseits der Wirklichkeit“ befindlichen Ide-
Vgl. die ähnliche Formulierung in Souverains Versuch über den Platonismus der Kirchenväter: „Denn wenn die platonischen Juden, die nicht das geringste vom Christenthum wußten, sich über dieses Geheimniß wie die Christen ausgedrückt haben; und wenn diese Ausdrücke blos der Vermischung der platonischen Philosophie mit ihren eigenen Träumen zuzuschreiben sind; was folgt daraus anders, als daß auch die Christen dieses Geheimniß aus der Schule des Platon mitgebracht, oder es aus jüdischen Träumen geschöpft haben.“ (Souverain 1792, S. 165 – 166)
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enwelt, „das Anderssein der sinnlich angeschauten Welt“ (κόσμος αἰσθητός), an, die noch in der unentfalteten Einheit mit Gottes absolut erhabenem Wesen verblieben sei. Demgemäß ordnet er diesem übersinnlichen, denkenden Geistprinzip die göttliche Schöpferkraft zu, und zwar in der Form, dass die immateriellen Dinge nicht außerhalb seines Wesens in einer von ihm unterscheidbaren Wahrnehmungswelt erschaffen werden.Vielmehr kommen sie innerhalb dieses Wesens als „[an ihm selbst] erscheinende[…] Momente“ vor. c) Die dynamische Gesetzlichkeit („Bewegung“) in diesem nur allgemein gedachten Geistbegriff als Einheit „der Welt und des Wesens“, wie Hegel mehrmals betont, sei vollends notwendig. Er nimmt anscheinend das Element des mit Ideen gefüllten λόγος ἐνδιάθετος aus Buhles Beschreibung auf. Dieser weist auf den „ersten Logos“ als den „göttlichen Verstand“ hin, auf dem in Opif. 18 – 20 geschilderten Architekten aufbauend, der die νοητὴ πόλις in seiner demiurgischen Geistseele „enthält“ als „die Muster (ιδεας) aller Dinge, und alles dessen, was geschehen und ausgeführt werden soll [Hervorh. i. Orig.]“.³⁹² 4) Allerdings ist diese kritische Thematisierung des philonischen Logosbegriffes, die ihn vor allem mit seiner vorausgehenden und abstrakten Ausprägung als λόγος ἐνδιάθετος identifiziert, nur eine Seite der Medaille. Hegel bewertet Philons Logos in dessen weiterer Entwicklungsstufe nämlich zugleich durchaus anerkennend als λόγος προφορικός, worin sich Gottes anthropomorphe und vollendete Wesensbestimmung als „der Mensch in Gott“ verkörpert.³⁹³ Eben in Gottes anthropomorpher Logosgestalt als πρῶτος sowie οὐράνιος ἄνθρωπος meint Hegel in den philosophiehistorischen Vorlesungen implizit den erheblichen metaphysischen Fortschritt von Philons Geisthypostase gegenüber den anderen neuplatonischen Geistbegriffen von Plotin und Proklos festzustellen: Philons Denksystem sei also, in grundsätzlicher Vereinbarkeit mit der christlichen Glaubenslehre und der von ihr herangezogenen Verwandtschaftsterminologie, so zu
Buhle 1799, S. 122. Diese Darstellungen entnimmt Buhle nahezu wortwörtlich Stahls großangelegter Philondeutung, 1793, S. 812– 813. Zu diesem spekulativen Schöpfungsgedanken siehe: Löhr 2009, S. 347– 348 (β); Runia 1990k [1989], S. 407– 412; Runia 2001, S. 148 – 149; Theiler 1971, S. 30 – 32.Vgl. Opif. 24. Dass Hegel hier auf Gott als ein denkendes Bewegungsprinzip zu sprechen kommt, ist wenig verwunderlich, wenn man Spec. 3.189 berücksichtigt. Dort nämlich führt der jüdische Platoniker den Schöpfungsakt auf die vernunftgemäßen Bewegungen der διάνοια θεοῦ zurück: „Nachdem dieser [sc. der Menschenverstand] nun vermittelst des Gesichtssinnes erblickt hatte […] blieb er nicht ausschliesslich bei dem Wahrgenommenen stehen, sondern schritt […] zu der richtigen Schlussfolgerung, dass diese Dinge nicht von selbst durch vernunftlose Bewegungen entstanden sind, sondern durch den Gedanken Gottes, den wir Vater und Schöpfer nennen müssen.“ (PCH Bd. 2, S. 241) Vorl. Bd. 8, S. 171: „Urmensch, der himmlische Mensch, der Mensch in Gott […].“; TWA Bd. 17, S. 239: „der ursprüngliche, ganz reine Mensch […].“
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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verstehen, dass der Logos in seiner personifizierten Gestalt als Sohn selbst „Bestimmung in Gott“ sei.³⁹⁴ Den Logos in seiner anthropomorphen Hauptrepräsentation als Urmensch eruiert Philon mittels einer allegorischen Interpretation der Formulierung κατ᾽ εἰκόνα θεοῦ zum ersterschaffenen Menschen in Gen 1,27 LXX. Gemäß dieser Genesisallegorese sei der Logos „nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen“ worden – und eben nicht stofflich gebildet – als die Idee vom prototypischen Menschen,³⁹⁵ ohne bestimmte Beschaffenheit, d. h. „ein Gattungsbegriff oder ein Siegel, nur gedacht, unkörperlich, weder männlich noch weiblich, von Natur unvergänglich“.³⁹⁶ Einer Auseinandersetzung mit den anthropomorphen Bestimmungen des Logos in Philons Denken ist Hegel in Buhles Philosophiegeschichte mehrfach begegnet, in der diese personifizierende Tendenz weitgehend für vernunftwidrig erklärt wird: Ein höchst sonderbarer und abentheuerlicher Sprung der vernünftelnden Phantasie war es beym Philo, daß das Bild von der Idealwelt, als einem Sohne der Gottheit, ihn verleitete, so wie andere, die, wie er, philosophisch schwärmten, oder schwärmend philosophirten, die Idealwelt als einen Menschen zu metaphorisiren, als den Idealmenschen, Urmenschen, ουρανιος ανθρωπος […]. Die Cabbalisten haben in der Folge die Idee vom himlischen Menschen sehr weit ausgesponnen. Da die Sinnenwelt eine Nachbildung der Idealwelt ist, so mache Philon auch sie wiederum zu einem Menschen […]. (Buhle 1799, S. 137)³⁹⁷
Bei Hegel verhält sich dies jedoch gänzlich anders. Er legt den diametral entgegengesetzten Schluss nahe, indem er die anthropomorphe Logosgestalt als einen wesentlichen metaphysischen Vorzug bewertet: Dabei werde ja die Göttlichkeit des Einzelmenschen in seiner zugrunde liegenden Totalitätsstruktur besonders deutlich. Als Konsequenz seiner personifiziert gefassten Logoshypostase sprengt
Dazu TWA Bd. 19, S. 422. Leg. 1.31. Opif. 134: PCH Bd. 1, S. 75. Zum Unbestimmtheitsmerkmal des erst erschaffenen Idealmenschen siehe ebenfalls Leg. 2.13. Zu Philons spekulativer Lehre von der doppelten Erschaffung des Menschen siehe: Leg. 1.31– 42, 1.53 – 55, 1.88; Leg. 2.4, 2.13; Sacr. 8; Plant. 46; QG 1.4. Zur Erläuterung dieser Ideen siehe vor allem: Runia 2001, S. 320 ff. Hierzu siehe ebenfalls: Heinze 1872, S. 256 ff.; H. Schmidt 1933, S. 25; Runia 1986, S. 334– 340. Zur Thematik von Philons Logos-Personifizierung siehe des Weiteren: Heinze 1872, S. 291 ff.; O’Brien 2015, S. 67– 75; Runia 1990j, S. 10; H. Schmidt 1933, S. 4, 8; M. Freudenthal 1891, S. 29 – 30; Bormann 1955, S. 24– 26; Zeller 1903, S. 426 – 427. Vgl. zu Tennemann 1805, S. 238: „Dieß ist aber überhaupt der Charakter der schwärmerischen Philosophie, daß sie den Producten ihres denkenden und bildenden Geistes sogleich objektive Realität beileget, ohne über die objective Möglichkeit derselben zu reflectiren. Die Einbildungskraft die sogleich bereit, den Begriffen ein Substrat unterzulegen.“
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Philon also den von Hegel festgelegten Rahmen der jüdischen Religionslehre, deren „Einseitigkeit“, mit Julius Guttmann gesprochen, „[darin liege], daß [sie] […] Gott und Mensch, unendlichen und endlichen Geist streng auseinanderhält“.³⁹⁸ Am deutlichsten wird diese Anerkennung für den philonischen Logos als Urmenschen in Zusammenhang mit Hegels ideengeschichtlichem Vergleich zwischen neuplatonischem und christlichem Standpunkt. In Bezug auf einen so entscheidenden Wendepunkt seiner Geistesgeschichte wäre vordergründig vielmehr zu erwarten, dass er dafür primär Elemente von Plotins und Proklos’ Geisthypostasen heranzöge. Der diesbezügliche Abschnitt findet sich in der Einleitung zur mittelalterlichen Epoche, und zwar in Hinblick auf den gemeinsamen Anspruch der neuplatonischen und christlichen Weltsicht („das erste Interesse“), den selbstbewussten Menschen betreffs seiner Einheit mit Gott als das wahre Absolute zu begreifen: Um das, was das Prinzip des Christentums ist, als Wahrheit zu erkennen, muß die Wahrheit der Idee des Geistes als konkreter Geist erkannt sein. […] was sich in Gott wissen soll, ist insbesondere der Mensch.Wir haben so gesehen, daß der Mensch die Bestimmung Gottes als erstgeborener Sohn, Adam Kadmon, der erste Mensch, enthält; diese Einheit können wir bestimmen als die Einheit an sich, – als die konkrete Idee, aber diese so an sich nur. (TWA Bd. 19, S. 495)
Daraus wird ersichtlich, inwiefern sich diese Reihe „philonischer“ Personifizierungen („erstgeborener Sohn, Adam Kadmon, der erste Mensch“), deren Ursprung Hegel, auch die Vorstellung des Adam Kadmon, zuvorderst in Philons Logostheologie angelegt sieht,³⁹⁹ gegen die rein metaphysischen und eben nicht-personifizierenden Geistprinzipien der „wahren“ Vertreter des Neuplatonismus behaupten konnten: Philons Denken scheint aus Hegels Sicht gerade wegen der anthropomorph betonten Logosbestimmung dem christlichen Geistbegriff als individuelle Person gedanklich weitaus näher zu sein. Unerwartet steht somit Philon genau wegen seiner Abhängigkeit von der religiösen Vorstellung des jüdischen Glaubens dem christlichen Geistbegriff von dessen konkreter Einzelheit her näher als die Hauptvertreter der neuplatonischen Schule, Plotin und Proklos.⁴⁰⁰
Guttmann 1985, S. 320. Zu Hegels Identifizierung des kabbalistischen Konzeptes des Adam Kadmon mit Philons Logos siehe zudem: OʼRegan 2008, S. 108. Diesen Punkt tangiert auch Westerkamp, indem er auf die Nähe von Hegels philosophiegeschichtlicher Sicht des christlichen Geistbegriffes zu Philons weltimmanentem Rede-Logos hinweist (2009, S. 121).
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In diesem Zusammenhang greift Hegel erneut auf Philons Logos-Personifizierungen zurück, um die kirchenväterliche Gottesauffassung als konkreten Geist zu bestimmen: „Da [sc. im Reich der Vorstellung] ist die Bestimmung gegeben, sein Sitz ist zur Rechten Gottes, d. h. jetzt ist Gott gewußt worden als dieser Konkrete, er der Eine und dann sein Sohn, Logos, Sophia usf. […].“⁴⁰¹ Paradoxerweise sucht er im gleichen Zug diesen „revolutionären“ Gottesbegriff des antiken Christentums von Philons mit der intelligiblen Welt gleichgesetzter Logosvorstellung abzuheben: Damit ist also die Vorstellung, daß das abstrakte Göttliche in ihm [sc. im besonderen Moment] selbst aufbricht und aufgebrochen ist, erst eingetreten; und so ist dies Andere in Gott der Sohn, ein Moment im Göttlichen; aber nicht in Weise einer intelligiblen Welt – oder, wie wir es wohl in der Vorstellung haben, eines Himmelreichs mit vielen Engeln […]. (TWA Bd. 19, S. 505 – 506)
Letztlich vertritt Hegel die These, die Kirchenväter rezipierten die philonischen Personifizierungen des besonderen Geistes, wie etwa „der Sohn, Logos, Sophia usf.“,⁴⁰² und erhöben sie zu einem wesentlich höheren Standpunkt, indem sie diese auf „die Einzelheit eines menschlichen Individuums“ übertragen hätten.⁴⁰³ Man sieht sich daher mit dem Problem konfrontiert, dass Philons Logosvorstellung als οὐράνιος ἄνθρωπος in seiner von Hegel allem Anschein nach vorausgesetzten Nähe zu dem menschgewordenen Gottesbegriff des Christentums weitgehend ungenannt bleibt. In diesem Punkt berufe ich mich auf einen beispiellosen Textabschnitt aus Hegels Philondeutung aus einer Nachschrift der Vorlesungen der Philosophiegeschichte vom Wintersemester 1820/21, denn dort wird diese bisher bloß angedeutete hegelsche Tendenz zweifelsfrei erkennbar: „Die gesetzten Unterschiede gehören, wie Philo sich ausdrückt, dem λογος an; dieser ist […] der Urmensch, der sinnliche Mensch. Im Evangelium Johannis heißt | es so: Im Anfang war der λογος und der λογος war bei Gott. Im Christenthum wird Gott vorgestellt, wie er Mensch geworden ist.“⁴⁰⁴ Er stellt hier ausdrücklich den in Menschengestalt vergegenwärtigten Logos Philons dem fleischgewordenen Logos des Johannesprologs gegenüber. Auch an dieser Stelle will Hegel argumentieren: Der christliche Logosbegriff behaupte sich deshalb gegen den philonischen, weil ersterer sich vollentfaltet zu einem individuellen Menschen kon-
TWA Bd. 19, S. 505. Hegel spricht an dieser Stelle deshalb lediglich von den Neuplatonikern, weil er deren gedankliche Nähe – und eben nicht Philons, dessen Logosbegriff er hier eigentlich primär vor Augen hat – zum christlichen Weltbild betonen will. TWA Bd. 19, S. 506. GW Bd. 30,1, S. 379,9 – 13.
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kretisiere („Christus […] [war] ein wirklicher Mensch“),⁴⁰⁵ während letzterer in Form des Urmenschen lediglich ein allgemeines gedankliches Konstrukt bleibe. Hegel bewertet Philons anthropomorphe Logosbestimmung letztlich deshalb als zu allgemein, weil der jüdische Alexandriner sie, in merklichem Gegensatz zum Logos des Johannesprologs, lediglich als Gottes „allgemeinste Bestimmung“ (τὸ γενικώτατον τῶν ὄντων) einstuft.⁴⁰⁶ Gleichzeitig wird hierbei aber ersichtlich, dass Hegel eine unmittelbare Affinität der philonischen und der christlichen Logoslehre vermutet, die sich auf Philons personifizierten Logos gründet. Auf diesen Aspekt deutet Westerkamp mit der Feststellung hin, „Philo macht“ in Zusammenhang mit Hegels Auffassung der Philosophiegeschichte „diese implizite Subjektivierung des Gottesbegriffs aber erst philosophisch explizit“, weshalb „das Prinzip der zweiten, christlichen Epoche systematisch und geschichtlich mit der philonischen Unterscheidung zusammenhängt“.⁴⁰⁷ Hegel nimmt ferner in seiner Religionsphilosophie Bezug auf die anthropomorphen Vorstellungen von Philons Logos in Form der „Idee des Menschen“ als hoch entwickelte Begriffe, wo der Mensch „in seiner allgemeinen Wesenheit“ vorstellungsgemäß erstmals erkannt werde, um das verhältnismäßig unentwickelte Menschenbild der Naturreligion zu verdeutlichen: „Das ist nicht die Idee des Menschen, der Adam Kadmon, der Urmensch, der Sohn Gottes – das sind weiter gebildete, nur durch und für den Gedanken vorhandene Vorstellungen –, also nicht die Vorstellung des Menschen in seiner allgemeinen Wesenheit, sondern dieser natürliche Mensch […].“⁴⁰⁸ Hegels Interesse an Philons spekulativem Konzept des Idealmenschen spiegelt sich also nicht nur äußerlich in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen wider, sondern geht auch engstens mit seiner grundlegenden philosophischen
Zur Weiterführung dieser hegelschen Stellungnahme siehe: TWA Bd. 19, S. 506. TWA Bd. 17, S. 239: „Dieses Zweite, das Anderssein, Bestimmen, überhaupt die Tätigkeit, sich zu bestimmen, ist die allgemeinste Bestimmung als λόγος, die vernünftig bestimmende Tätigkeit, auch das Wort [Hervorh. i. Orig.].“ Die Bezeichnung von Philons Logos als „allgemeinster Bestimmung“ entstammt Neanders Philon-Kapitel (1818, S. 13) und geht auf Philons eigene Feststellung in Leg. 2.86 sowie 3.175 über das Manna in Dtn 8,3 als Sinnbild des Logos zurück.Wolfson fasst diesen Gedanken zusammen: „In these three passages [sc. Leg. 1.23, 2.86 sowie 3.175], then, God is the ‚most generic‘ absolutely; the Logos is the ‚most generic of created things‘; and the idea is simply ‚generic‘.“ (Wolfson, 1962, Bd. 1, S. 251– 252) Siehe zudem: Dillon 1996, S. 180; Bormann 1955, S. 104– 105. Vgl. Westerkamp 2009, S. 122 (Hervorh. i. Orig.). Vgl. dazu überdies: Westerkamp 2009, S. 125: „Der metaphorisch-mystische Adam Kadmon bleibt ebenso idealisch und fleischlos wie der philonische Logos, so dass Hegel glaubt behaupten zu können, dass im Adam Kadmon sich ‚die abendländische Wirklichkeit durch den orientalischen Idealismus zu einer Gedankenwelt verflüchtigt‘.“ Siehe dazu: Halfwassen 1999, S. 144, 162– 163. TWA Bd. 16, S. 275.
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Absicht einher, das Subjekt von dessen Totalitätscharakter her metaphysisch zu begreifen.⁴⁰⁹ Eine derartige metaphysische Neigung, den Menschen „in seiner Ganzheit“ zu konzipieren, scheint tatsächlich in Philons spekulativer Auffassung der gottähnlichsten Logoshypostase als δεύτερος θεός (QG 2.62) belegbar, welche die Gestalt der noetischen Idee des Menschen annehme. Er fasst die dem θεῖος λόγος zugeschriebene Menschenbestimmung keineswegs als akzidentiell auf, sondern als nichts anderes als den Inbegriff des Menschen, d. h. als das eigentliche Charakteristikum des wahren Menschen (ὁ πρὸς ἀλήθειαν ἄνθρωπος) in seiner Vernunftseele.⁴¹⁰ So vermag Philon zugleich die anthropozentrische Tendenz des Schöpfungsberichtes, die Idee vom Geschöpf des Menschen als neser habriah (Krone der Schöpfung), metaphysisch umzugestalten und demnach zu bewahren.⁴¹¹ Diesen Gedanken entwickelt Philon dahingehend weiter, dass er den Logos als die Idee des ebenbildlichen Menschen nicht als einzelnes Geschöpf unter vielen im Kosmos einstuft, sondern ihn geradezu mit dem intelligiblen Gesamtkosmos gleichsetzt.⁴¹² Dementsprechend sieht er auch im dualistisch gegliederten πρῶτος ἄνθρωπος ὁ γηγενής als εἰκὼν εἰκόνος θεοῦ,⁴¹³ den er allegorisch aus Gen 2,7 LXX erschließt,⁴¹⁴ eine Totalitätsstruktur verankert, wenn er ihn als einen Mikrokosmos einschätzt,⁴¹⁵ wie Schmidt pointiert: „Der Mensch spielt dabei insofern eine besondere Rolle, als er selbst nicht nur ein Teil des Ganzen ist, sondern von allen Bestandteile[n] in sich schließt und so mit vollem Rechte ein Mi-
Eine derartige theoretische Tendenz ist bereits in seiner Frankfurter Schrift Der Geist des Christentums und sein Schicksal nachweisbar. Dort deutet Hegel das jüdische Bewusstsein der Lebenszerrissenheit – welches das gläubige Individuum im Licht seines überweltlichen Herrschergottes als nichtig einstufe – als überwunden durch das geistig weiterentwickelte Menschenbild der christlichen Religionslehre in seinem Geeint-Sein mit Gott: „Ein Mann [sc. Jesus], der den Menschen in seiner Ganzheit wieder herstellen wollte, konnte einen solchen Weg unmöglich einschlagen, der der Zerrissenheit des Menschen nur einen hartsinnigen Dünkel zugesellt.“ (TWA Bd. 1, S. 324) Dazu: Gig. 33; Somn. 1.215. Zum ebenbildlichen Logos in Gestalt des wahrhaften Menschen siehe vor allem: H. Schmidt 1933, S. 3 ff. Zu Philons anthropozentrischem Ansatz seiner allegorischen Genesisdeutung siehe vor allem: Runia 1986, S. 274; Runia 2001, S. 23; O’Brien 2015, S. 67. Opif. 25. Dazu vor allem: Runia 2001, S. 150. Her. 230 – 231. Dazu: Opif. 69 und insbesondere 82; Leg. 1.171, 3.83, 3.207; Praem. 163; Her. 230 – 231, 234; Leg. 1.22; Plant. 18 und 20; QG 1.4, 2.62. Aufschlussreich dazu ist insbesondere Runia: 1990h [1988], 67 sowie 2001, S. 222 ff. Opif. 82, 146.
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krokosmos genannt wird.“⁴¹⁶ Auf seiner göttlichen Geisteskapazität aufbauend sei der dualistisch gebildete Urmensch, so betont Philon wiederholt, geistesverwandt mit Gott.⁴¹⁷ Philons Aufwertung des jüdischen Menschenbildes weiß Hegel systematisch aufzugreifen. In diesem Sinne verbindet er in seiner Philondarstellung die Idee des Menschen mit der weltbegründenden Tätigkeit des Logos: „[…] erst dies ist tätig, das ὄν noch nicht. […] der Mensch in Gott, Gott als Tätigkeit angesehen.“⁴¹⁸ Damit will er anscheinend vermitteln, in Philons spekulativer Schöpfungslehre gelte der Mensch als eine Gottes Wesen zukommende Bestimmung (Logos) nunmehr nicht lediglich als isolierter Bestandteil des Sechstagewerks, sondern nehme selbst aktiv als Geschöpf an Gottes subjektiver Funktion der Weltbildung teil.⁴¹⁹ Hieraus wird besser nachvollziehbar, weshalb Hegel den Höhepunkt von Philons Gedankengebäude gerade in der anthropomorphisierten Vermittlerrolle des weltimmanenten λόγος προφορικός als Hohepriester sieht.⁴²⁰
H. Schmidt 1933, S. 102. Vgl. dazu: H. Schmidt 1933, S. 11 ff.; Heinze 1872, S. 256 – 257; Zeller 1903, S. 445 – 446; Runia 1986, S. 211– 213, 447; Runia 2001, S. 254; Goodenough 1967, S. 110, 135. Zu Philons Mikrokosmosgedanken in Hinblick auf den Menschen siehe zudem: Mos. 2.127, 2.135; Her. 155; Opif. 82; Plant. 28. Zum Motiv der Gleichstellung des gerechten Mannes mit dem Weltganzen siehe: Sacr. 8; Decal. 37. Opif. 74, 82 sowie 146; Spec. 4.14; Praem. 163; Her. 235 – 236; Leg. 1.40; Det. 83 – 86. Diesen Topos von Philons Anthropologie erläutern: H. Schmidt 1933, S. 14– 15, insbes. 20 – 21; Zeller 1903, S. 442– 444; Runia 1986, S. 324– 325, insbes. 332– 334, 340 – 342; Runia 2001, S. 356; Montes-Peral 1987, S. 37– 38. TWA Bd. 19, S. 423. Hier scheint Hegel „die geistige Tätigkeit“ des Logos mit der reinen ἐνέργεια des selbstbezüglichen Nous des Aristoteles zu assoziieren (vgl. TWA Bd. 10, S. 395). Berührungspunkte zwischen Philons und Aristoteles’ Gedankengebäuden meint schon Tiedemann auszumachen (Tiedemann 1793, S. 130), woran sich Buhle anlehnt, bei dem es wiederum heißt: „Eben so braucht er [sc. Philon] die Aristotelischen Begriffe der δυναμις, der ενεργεια, der εντελεχεια. In der Lehre der Schöpfung der Welt nimt er mit dem Aristoteles an, daß die oberste Ursache der Welt weder selbst bewegt, noch bewegt wird.“ (Buhle 1799, S. 136) Zu Philons Rezeption aristotelischen Gedankengutes siehe in erster Linie: Runia 1986, S. 104– 105, 434; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 109 – 111, 261 ff.; Bos 1998, S. 66 – 86. Zu Hegels Aristotelesdeutung siehe grundlegend: Dangel 2013, S. 243 – 308. Opif. 139. TWA Bd. 19, S. 424. Zur symbolhaften Personifizierung der Logoshypostase als dem Hohenpriester ihrem immanenten Aspekt entsprechend siehe: Westerkamp 2009, S. 95 („Hier findet ein erster, zunächst verwirrender Personalisierungsschritt statt, denn Philo bezeichnet den Logos als ‚Hohepriester‘, was symbolisieren soll, dass der unkörperliche Logos der intelligiblen Welt zugleich als immanenter Logos auch der physikalischen Welt begriffen werden muss“); Wolfson 1962, Bd. 1, S. 259 („But again the solution of the difficulty is to be found in the fact that, in this passage, wisdom, as is quite evident from the context, refers to the antemundane wisdom,
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5) Angesichts der Wertschätzung Hegels für Philons anthropomorphen λόγος προφορικός überrascht es nicht, dass er auf dieses Konzept in der Einleitung zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen von 1820 anspielt. Seine klare Andeutung auf den „hervorbringenden Logos als Rede“ Philons, dessen Denken Hegel gerade an der Grenze zwischen der religiösen Vorstellung und der philosophischen Begriffsform verortet, taucht in seiner Begriffsbestimmung der Philosophie auf, um das philosophische Bewusstsein – dessen Ziel die vernünftige Explikation des absoluten Inhaltes der Religion ist – genauer zu definieren: „Die ewige Vernunft als Logos, als sich kundgebend, als sich aussprechend und offenbarend, offenbart sich im Gemüt und in der Vorstellung, und nur ebendadurch dem Gemüt und der Vorstellung, dem empfindenden und unbefangen den Inhalt reflektierenden Bewußtsein.“⁴²¹ Die an diesem Zitat ersichtliche Vorstellung einer Logoshypostase, die sich als Gottes ewige Vernunft in den Menschenseelen „aussprechend“ offenbart, entspricht in allgemeinen Zügen der Funktion, die Hegel Philons λόγος προφορικός zuordnet, nämlich zwischen Gott und Mensch zu vermitteln.⁴²² Diese Gottesoffenbarung im menschlichen Geist gleicht Philons Auffassung des rein intelligiblen Gottesverhältnisses. Der Alexandriner geht in ähnlicher Weise konstant davon aus, die Gottesbeziehung vollziehe sich immanent in der menschlichen Geistseele.⁴²³ Philons Denkstruktur der göttlichen Offenbarung in Wortgestalt als immanente Begebenheit, die in der gotterfüllten Menschenseele erscheine, hebt Amir besonders deutlich hervor: „Die Wurzel der Differenz zwischen Philon und den Rabbinern liegt zweifellos darin, daß für Philon Gottes Wort nicht zum Menschen, sondern im Menschen geschieht, daß Gottes Wort den Menschen erfüllt und dadurch auch in Aktion setzt [Hervorh. i. Orig.].“⁴²⁴ Dass Hegel diesen Logos als Gottes aussprechende Vernunft mit dem Offenbarungsgedanken assoziiert, gemahnt deshalb unmittelbar an Mos. 2.129, weil Philon dort desgleichen den „mitteilenden“ Logos und die Offenbarung (δήλωσις) miteinander identifiziert: „Aber auch den beiden in jedem von uns wohnenden Gedankenformen, der sich mitteilenden und der innerlichen, hat er zwei ihnen eigene Vorzüge zugewiesen, der sich mitteilenden die Offenbarung, der im Geiste
whereas the Logos, symbolized here by the high priest, refers to the immanent Logos.“; hierzu auch: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 260). Dagegen siehe: Bormann 1955, S. 99 – 101. TWA Bd. 20, S. 496. TWA Bd. 19, S. 424. Zum Topos der in der Denkseele erscheinenden Gottesoffenbarung siehe: Amir 1983j, S. 41– 42, 71, 89 sowie 110. Amir 1983j, S. 41– 42.
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lebenden die Wahrheit [τῷ μὲν προφορικῷ δήλωσιν, τῷ δὲ κατὰ διάνοιαν ἀλήθειαν].“⁴²⁵ Wesentlich näherliegend ist allerdings, dass Hegel sich in diesem Punkt an Neanders Philon-Kapitel orientiert, das eine sehr ähnliche Darstellung von Philons offenbarender Logosvorstellung enthält: „[…] (ὁ ων, το ον) der Jehovah und seine Offenbarung oder der Inbegriff aller in dem Wesen Gottes verborgenen Kräfte (δυναμεις του ὀντος ὁ λογος του ὀντος), wobei Philo immer vor Augen hat den Gegensatz zwischen einem ἐιναι, in sich selbst seyn, und λεγεσθαι, ausgesprochen, geoffenbart werden.“⁴²⁶ Beachtung verdient, dass Hegel Gottes unmittelbare Gegenwärtigkeit in der Menschenvernunft geradezu zu einem grundlegenden Merkmal der neuplatonischen Weltsicht erhebt: „Die Neuplatoniker aber machen die Rückkehr, diese Einheit des Selbstbewußtseins und des absoluten Wesens; ihnen ist Gott in der Vernunft unmittelbar gegenwärtig, – das vernünftige Erkennen ist selbst der göttliche Geist und sein Inhalt das Wesen Gottes.“⁴²⁷ Vor diesem Hintergrund wird eine fragmentarische Randbemerkung Hegels über Philons Idee der Gottesbeziehung – „die Idee bei Philo des Wahren selbst, der Pflichten […]“ –⁴²⁸ in Bezug auf den neugewonnenen Standpunkt des Neuplatonismus, dem zufolge der Mensch nunmehr „das Verhältnis […] zu dem Wahren, zu Gott“ aufbauen könne,⁴²⁹ verständlicher. Wie wir bereits gesehen haben, betont Hegel in seinen Ausführungen zu Philon im Wintersemester 1820/21 die besonders starke Konkretion von dessen Logos als einen sich selbst erkennenden Geistbegriff, der „Alles nur als Hervorbringung des Denkens anerkennt“ und mittels dessen der Mensch erst mit Gott in Kontakt treten könne. Dies entspricht Hegels Charakterisierung der besonderen Geistbestimmung der Neuplatoniker, in der diese, konträr zum nur allgemein imaginierten Logoskonzept der Stoiker, aus ihrer selbstbezüglichen Denktätigkeit heraustrete, um den endlichen
PCH Bd. 1, S. 328. Siehe dazu: Heinze 1872, S. 232. Neander 1818, S. 8. Zu Neanders Beschreibung des Logos als Gottes Offenbarung siehe des Weiteren: Neander 1818, S. 13, 14– 15, 16, insbes. 23 – 24 („die Hülle gewisser Anschauungsformen unter denen die Gottheit den Seelen des Menschen das was sie wolle mittheile.“).Vgl. vor allem zu TWA Bd. 20, S. 496: „Die weitere, abstraktere Reflexion fängt diese Gestaltung und Weise des Daseins an, als eine Hülle zu betrachten, unter der die Wahrheit verborgen und verstreckt sei, und sucht dem inwendigen Inhalt diese Hülle abzustreifen und die Wahrheit nackt, rein, wie [sie] an und für sich sei, herauszuheben [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 19, S. 132. Vorl. Bd. 8, S. 164: Fn. 675. Vorl. Bd. 8, S. 164.
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Kosmos ins Dasein zu rufen und infolgedessen eine auf Pflichten gründende deontologische Beziehung zu den Menschen zu etablieren.⁴³⁰ 6) Ein weiterer Verweis auf den schöpferischen λόγος προφορικός Philons ist in Hegels Deutung der indischen „Religion der Phantasie“ enthalten, wo er den gemeinsamen Nenner verschiedenartiger „Weltschöpfungsdarstellungen“ als eine weltkonstituierende Denkkraft in ihrem Selbstbezug („Verhalten des Denkens zu sich selbst […] Erzeugen seiner selbst“) thematisiert:⁴³¹ „Es kommt auch vor, daß diese reine Tätigkeit das Wort genannt wird, wie Gott im Neuen Testament. Bei den späteren Juden, Philo, ist die σοφία das Ersterschaffene, das aus dem Einen hervorgeht [Hervorh. i. Orig.].“⁴³² Zwar ist hier nur bei der indischen und christlichen Schöpfungslehre konkret von einer erschaffenden Wortvorstellung die Rede, aber es liegt dennoch nahe, dass Hegel an dieser Stelle Philons θεία σοφία in Gestalt des λόγος προφορικός im Sinn hat, weil er ganz spezifisch ein weltbegründendes Geistprinzip in Wortgestalt thematisiert. Auch die Charakterisierung der indischen Wortvorstellung als „ein äußerlich physikalisch Daseiendes, das aber nicht bleibt, sondern das nur ideell ist, unmittelbar in seiner Äußerlichkeit verschwunden ist“,⁴³³ suggeriert dies, denn Hegel wendet fast die gleiche Beschreibung auf Philons „hervorbringenden Logos“ als Rede an.⁴³⁴ In beiden Fällen handelt es sich nämlich um in Redegestalt selbstentfaltete Geisthypostasen, die Hegel als „ideelle“ Phänomene einschätzt,
TWA Bd. 19, S. 411– 412: „Wenn das Selbstbewußtsein aus sich, aus seiner Unendlichkeit, seinem Sich-selbst-Denken heraustritt zum Bestimmten, zu besonderen Dingen, Pflichten, Verhältnissen, oder wenn der Gedanke, der diese allgemeine Substanz, diesen νοῦς denkt, von da zum Besonderen übergeht, den Himmel, die Gestirne, den Menschen usf. denkt, so fällt er von dem Allgemeinen unmittelbar ins Besondere oder unmittelbar ins Endliche; denn es sind endliche Gestalten.“ TWA Bd. 16, S. 345: „Die einfache Macht, als das Tätige, hat die Welt erschaffen; dieses Schaffen ist wesentlich ein Verhalten des Denkens zu sich selbst, eine sich auf sich beziehende Tätigkeit, keine endliche Tätigkeit [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 16, S. 345. Beachtenswert in diesem Kontext ist vorrangig, dass Hegel der jüdischen Schöpfungslehre den Gedanken des Hervorgehens aus Gott grundsätzlich abspricht, da bei ihr allein vom „Geschaffenwerden“ die Rede sein könne: „Das Schaffen Gottes ist sehr unterschieden vom Hervorgehen oder davon, daß die Welt hervorging aus Gott. […] Diese schlechte Kategorie des Hervorgehens verschwindet jetzt, denn das Gute, die absolute Macht, ist Subjekt.“ (TWA Bd. 17, S. 55 – 56) TWA Bd. 16, S. 345. TWA Bd. 16, S. 423. Es bestehen jedoch zwei Unterschiede zwischen beiden Beschreibungen: Das indische Wortkonzept stellt Hegel als „äußerlich physikalisch Daseiendes“, Philons λόγος προφορικός hingegen als „immateriell“ dar. Des Weiteren nimmt Philons Rede-Logos, von der indischen Wortvorstellung divergierend, die Form einer Gottesoffenbarung an („als Erscheinen Gottes“), denn dieser solle, so Hegel, Gottes Sprechen anthropomorph manifestieren.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
die während des Schöpfungsaktes augenblicklich auftreten und gleich wieder verschwinden. 7) Es sei daran erinnert, dass Hegel in der enzyklopädischen Naturphilosophie Philons λόγος ἐνδιάθετος als allgemeine und mit der Ideenwelt gleichgesetzte Vernunft Gottes der Sphäre der Logik zugeordnet sieht. Gerade in einer Schlüsselstelle der Wissenschaft der Logik, in der Hegel seinen eigenen systematischen Begriff der Logik im Rückgriff auf das antike Konzept des Logos näher bestimmt, scheint er überwiegend Philons allgemeinen Logos in seiner Ausprägung als „die erste ruhende Gedankenwelt“ vor Augen zu haben. Dort hält er bekanntermaßen fest, „am wenigsten ist es der Logos, was außerhalb der logischen Wissenschaft gelassen werden soll“;⁴³⁵ daraus gibt er ex negativo zu erkennen, die Logik könne unmöglich getrennt von einer dynamischen Logoshypostase als Gottes Vernunft gedacht sein („der Logos, die Vernunft dessen, was ist“).⁴³⁶ Darum wird oftmals, soweit es sich um Hegels spekulativen Logikbegriff handelt, allgemein angenommen, dieser Begriff sei grundsätzlich im Sinne der antiken Logoslehre nachvollziehbar.⁴³⁷ Diesen Standpunkt untermauert Krämer besonders folgerichtig und umfangreich: Auch Hegel hatte guten Grund und dachte zugleich eminent griechisch, wenn er in der „Logik“ – mit bewußter Anknüpfung an den griechischen Logosbegriff – die dialektische Entfaltung Gottes als Selbstbewegung der Begriffe ohne Subjekt darstellte. (Krämer 1967, S. 412) Die Gesamtbewegung des Hegelschen Weltprozesses ist zunächst emanatistisch, sowohl in der Entwicklung der Kategorien der Logik wie in der Selbstentäußerung und Selbstentfremdung, dem „Abfall“ der Idee ins Anderssein der raum-zeitlichen Natur. Sie ist ferner wesentlich Bewußtseinsgeschehen, insofern Sinn und Ziel des Prozesses – im Dreischritt von
TWA Bd. 5, S. 30. TWA Bd. 5, S. 30. Siehe hierzu: TWA Bd. 20, S. 455. Dort, zu Beginn des „nunmehrigen Standpunkt[es] der Philosophie“ als des Endresultates der Tradition der gesamten Philosophiegeschichte („E. Resultat“), stellt Hegel die Sphäre der Natur als Abbild der göttlichen Vernunft (der Logik) folgendermaßen dar: „Was als wirkliche Natur ist, ist Bild der göttlichen Vernunft; die Formen der selbstbewußten Vernunft sind auch Formen der Natur.“ Diese Bestimmung der Logik als göttliche Vernunft gemahnt an Philons Logos als Gottes Vernunft, welche die Gestalt des εἰκὼν θεοῦ annimmt, das wiederum dem jüdischen Alexandriner zufolge als εἰκών des physischen Kosmos fungiert (Opif. 25: „also auch die ganze Gattung, diese ganze sinnlich wahrnehmbare Welt, da sie ja grösser ist als das menschliche Abbild, eine Nachahmung des göttlichen Bildes, […] die Vernunft Gottes […].“). Vgl. TWA Bd. 10, S. 18: § 381 Zusatz. Siehe insbesondere: Marx 1981, S. 17– 19. Hierzu außerdem: E. Schmidt 1974, S. 29 – 52, 63 – 64 sowie 130.
2.9 Philons Logoslehre als Überwindung der negativen Theologie
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Logos [„angeregt“ größtenteils „von […] dem Logos des Johannes-Prologs“], Natur und Geist ebenso wie im einzelnen – die vollständige Selbsterfassung des göttlichen Logos im absoluten Wissen ist [Hervorh. i. Orig./Anm. d. Verf.]. (Krämer 1967, S. 435)⁴³⁸
Allerdings stellt sich angesichts dessen weiterhin die Frage, an welchem Logosbegriff sich Hegel hier genau orientiert. Krämer äußert die Vermutung, die vorweltliche Logosvorstellung des Johannesprologs sei der zentrale Ansporn für diese von Hegel hergestellte Verbindung. Doch die darauffolgende nähere Bestimmung der mit dem Logoskonzept identifizierten Logik als „d[e]s System[s] der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens“, dessen „Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“, offenbart eher seine primäre Herleitung aus Philons Logostheologie, ohne allerdings einen unterschwelligen Einfluss des christlichen Logos gänzlich zurückzuweisen.⁴³⁹ Dafür spricht nicht nur Hegels Gleichsetzung von Logik und Logos, sondern auch die von Logik und Gottes abstrakter Vernunft als Gedankenwelt, die dessen Wesenheit auf lediglich immaterielle und noch unvollendete Weise ausdrücke. Dies impliziert eine zusätzliche Andeutung auf die Lehre von der doppelten Weltschöpfung – eine übersinnliche Welt, die einer sinnlichen Welt logisch vorgeordnet sei, und die damit korrespondierenden zweifachen λόγοι –, die Hegel größtenteils eng mit dem philonischen Gedankengebäude verknüpft sieht.⁴⁴⁰ Eben darin besteht die Leitthese von Philons Allegorese zum Schöpfungsbericht: „[D]ie in der göttlichen Vernunft aufgebaute unkörperliche Welt“,⁴⁴¹ der urbildliche κόσμος νοητός als intelligibles Muster, gehe der nur gemäß diesem Muster nachgebildeten Erschaffung einer sinnlich erfahrbaren Welt (κόσμος αἰσθητός) voraus.⁴⁴² Zwar thematisiert Hegel an diesem Punkt nicht eigens den Logosbegriff, Dazu auch: Krämer 1967, S. 436 ff. Nicht nur für Hegels Logik scheint Krämer den Ursprung im Logosprinzip, das der platonischen Alten Akademie entstamme, zu lokalisieren, sondern auch und erst recht für dessen Geistbegriff (Krämer 1967, S. 435 – 436). Vgl. Krämer 1967, S. 436. TWA Bd. 19, S. 425. PCH Bd. 1, S. 38: Opif. 36. Vgl. zu Opif. 15 – 16. TWA Bd. 5, S. 44 (Hervorh. i. Orig.). Siehe dazu auch: Halfwassen 1999, S. 121– 122. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Hegel im nächsten Paragraphen von den „Platonischen Ideen, die sich in einer transzendenten Welt“, „in dem Denken Gottes“ finden, spricht (TWA Bd. 5, S. 44; vgl. Notizen, S. 33); ein Standpunkt, der größtenteils mit Philons mittelplatonischer Umgestaltung der platonischen Ideenkonzeption identifiziert wird und weite Verbreitung fand. Vgl. hierzu: E. Schmidt 1974, S. 38. Für eine aufschlussreiche Erklärung dieser mittelplatonischen-philonischen Gedankenfigur siehe: Krämer 1967, S. 22, 117, insbes. 279 – 280; Halfwassen 2004, S. 66; Runia 1986, S. 53; Runia 2001, S. 151– 152; Runia 1993, S. 11; Bormann 1955, S. 69 – 70; Zeller 1903, S. 411; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 205 – 206, 239 – 240. Zur Prävalenz dieser
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
aber die Motive, mit denen er die Logik dem Sinne nach definiert, wurzeln vorrangig in seinem Verständnis von Philons λόγος ἐνδιάθετος.⁴⁴³ Obige Ausführungen belegen Hegels außerordentliche Anerkennung für Philons Logostheologie. Sein durchweg wohlwollendes Verständnis der philonischen Logoslehre sieht diese keinesfalls darin erschöpft, den gemäß der negativen Theologie gedachten Gottesbegriff des Judentums erstmals und wesentlich zu überholen. Deren elementarer Belang für Hegel erweist sich deutlich insbesondere hinsichtlich der zentralen Begriffe seines systematischen Gesamtdenkens, wie etwa der Logik, der Natur und des Geistes. Gerade wegen seiner hochentwickelten Logostheologie und den damit einhergehenden Spekulationen ist nicht immer deutlich, ob Hegel Philons Denken in dieser spezifischen Hinsicht als Vorgriff auf die aufkeimende geistesgeschichtliche „Revolution“ des Christentums als im Kern jüdisch einschätzte. Seine bisweilen geäußerte ambivalente Haltung gegenüber der Logoslehre des jüdischen Religionsphilosophen scheint nämlich genau daraus zu entspringen; teils stimmt er dieser eindeutig als einem konkreten Gottesbegriff zu, teils betrachtet er sie eher kritisch als eine immer noch allzu abstrakte Gottesvorstellung.
Platondeutung im Tü binger Stift siehe: Franz 2012, S. 39, 61– 62. Siehe dazu auch Schellings Timaioskommentar: AA Bd. 2,5, S. 156, 157, 160 – 161, insbes. 167– 168. Auch in seiner Darstellung des neuerreichten Standpunktes des Christentums dem Judentum gegenüber – in dem das „Selbstgefühl der Nichtigkeit“ herrsche – greift Hegel anscheinend auf Philons Schöpfungsgedanken der Zwei-Welten-Lehre zurück, um das christliche Schlüsselmerkmal „der selbstbewußten Rückkehr Gottes in sich selbst“ als Vollzug der Trinität zu veranschaulichen: „Es ist eine zweite Weltschöpfung, die nach der ersten entstanden ist; die zweite Weltschöpfung ist die, wo der Geist sich erst als Ich = Ich, als Selbstbewußtsein verstanden hat. Diese zweite Weltschöpfung ist zuerst ebenso unmittelbar im Selbstbewußtsein in der Form einer sinnlichen Welt, in der Form eines sinnlichen Bewußtseins.“ (TWA Bd. 19, S. 510) Auf ähnliche Weise scheint uns im Abschnitt „[v]om Begriff im allgemeinen“ der subjektiven Logik eine weitere Anspielung auf den weiterentfalteten Logos als „Schöpferin der Natur“ zu begegnen (TWA Bd. 6, S. 265), um seine spekulative Auffassung der Logik zu spezifizieren, wenn er diese als die Darstellung der „Selbstbewegung der absoluten Idee nur als das ursprüngliche Wort […] das eine Äußerung ist, aber eine solche, die als Äußeres unmittelbar wieder verschwunden ist, indem sie ist“, kennzeichnet (TWA Bd. 6, S. 550; Hervorh. i. Orig.). Hegel könnte mit dem „ursprünglichen Wort“ den christlichen Logosbegriff hinsichtlich seiner vorweltlichen Koexistenz neben Gott im Sinn haben. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass hier gleichermaßen Philons λόγος προφορικός im Hintergrund steht, denn Hegel erläutert diesen nahezu identisch, indem er dessen „Wort-Logos“ als die übersinnliche, verschwindende Gottesrede bestimmt, mittels derer die materielle Welt augenblicklich ins Dasein gerufen worden sei: „Die Rede ist immer als Erscheinen Gottes angesehen worden, die Rede ist nicht körperlich; als Klang ist sie zeitlich und gleich verschwunden, das Dasein ist so immateriell.“ (TWA Bd. 19, S. 423 – 424) Vgl. dazu: TWA Bd. 16, S. 345 und GW Bd. 30,1, S. 379,28 – 31.
2.10 Philons Gottesvorstellung als unbegrenzte Seinsfülle
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2.10 Philons Gottesvorstellung als unbegrenzte Seinsfülle Am deutlichsten wird Hegels Ambivalenz gegenüber Philon in seiner Auseinandersetzung mit dessen systematischem Anspruch, Gott als die All-Einheit darzulegen: „Das Erste, das Wesen selbst ist also das Urlicht: ‚Es ist der Raum des Universums, das er umschließt und erfüllt.‘“⁴⁴⁴ Diesen bei Philon oftmals aufgegriffenen Gedanken, wodurch Gott sich, unbeschadet seiner absoluten Transzendenz, als allgegenwärtig erweist,⁴⁴⁵ deutet Hegel in Anlehnung an Buhle und Tennemann primär unter genauer Beachtung von Leg. 1.44 (ἐπεὶ αὐτὸς ἑαυτοῦ τόπος καὶ αὐτὸς ἑαυτοῦ πλήρης καὶ ἱκανὸς αὐτὸς ἑαυτῷ ὁ θεός, τὰ μὲν ἄλλα ἐπιδεᾶ καὶ ἔρημα καὶ κενὰ ὄντα πληρῶν καὶ περιέχων, αὐτὸς δὲ ὑπ᾿ οὐδενὸς ἄλλου περιεχόμενος, ἅτε εἷς καὶ τὸ πᾶν αὐτὸς ὤν). Hegels Umgang mit diesem spezifischen Passus verrät eindeutig, dass er ihn aus dem griechischen Originalwortlaut selbst übersetzt und teilweise aus Tennemann folgendermaßen exzerpiert: „[…] dieses Wesen ‚ist sich selbst der Ort und ist von sich selbst erfüllt.‘“;⁴⁴⁶ „Er ist voll von sich selbst, αὐτὸς ἑαυτοῦ πλήρης (πλήρωμα). Alles andere ist dürftig, leer. Dieses Leere, Negative erfüllt er und umschließt er. Er ist selbst Eins und Alles.“⁴⁴⁷ Unter Berücksichtigung dieser Darstellung in Leg. 1.44 weist Hegel noch auf sechs weitere Aspekte von Philons Gottesbegriff hin: (1) Gott sei selbstgenügsam. (2) Gott werde von keinem umschlossen, umschließe aber mit seinem erhabenen Wesen den Gesamtkosmos. (3) Als solches diene er auch als Grundlage für den Zusammenhalt des vernunftgemäß geordneten Weltganzen. (4) Gott erfülle als Folge seiner absoluten Wesensfülle das All vollständig. (5) Ihm sei ein selbstbezüglicher Charakter eigen, weshalb er sowohl als Ort seiner selbst fungiere als auch ausschließlich von seinem eigenen Wesen erfüllt werden könne. (6) Von seinem Selbstbezug her stehe Gott für das πλήρωμα, für die vollentfaltete Seinserfüllung, wie Hegel seiner Wiedergabe des griechischen Quellentextes in Klammern hinzufügt. Allerdings ist die noch offene Frage zu behandeln, worin sich Hegels diesbezüglich ambivalente Stellungnahme überhaupt widerspiegelt. Die Antwort darauf ist recht einfach: Einerseits sieht er die an dieser Stelle geschilderte Gottheit als unrestringierte Seinsfülle in ihrer wesentlichen Vereinbarkeit mit Philons negativer Theologie. Andererseits sieht er in dieser all-einheitlichen Gottesdarstellung genau das, was über den unentwickelten und allein durch die TWA Bd. 19, S. 422. Dazu: Deus 57; Somn. 1.63 – 64, 1.183, 2.221; Her. 187– 188; Leg. 3.4; Sacr. 67– 68; Det. 90 und 153; Post. 14; Sobr. 63. Siehe dazu: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 247– 248. TWA Bd. 19, S. 423. Vorl. Bd. 8, S. 171.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
via negationis erschließbaren Gottesbegriff des Judentums hinausgeht, nämlich eine der Logosbestimmung zugrunde liegende Trinitätsstruktur. Daher ginge man mit der Sichtweise nicht fehl, dass Hegel mit dieser doppelten Betrachtungsweise von Leg. 1.44 – eine akosmistische neben einer trinitarischen – eben das widerfährt, was laut Philon die von Abrahams Denkseele erlangte Gottesschau in Gen 18 auszeichnet, „bald die Erscheinung eines Einzigen bald die von dreien“.⁴⁴⁸ Gänzlich anders stellt sich jedoch bei Hegels ambivalenter Lesart von Philons Leg. 1.44 die Bestimmung der konkreten Dreieinigkeit im Vergleich zu der abstrakten All-Einheit als die wesentlich höhere Gotteserkenntnis dar. Dass Hegel Leg. 1.44 mit Philons vollends abstrakter Gottesauffassung in Verbindung bringen will, wird angesichts ihrer Gleichsetzung mit einem akosmistischen Weltbild deutlich: „Das All ist, wie bei Parmenides, das Abstraktum, es ist nur die Substanz […]“;⁴⁴⁹ „die Substanz, die alles erfüllt und umschließt“.⁴⁵⁰ Hegels eindeutige Anspielung auf Spinozas substanzmetaphysischen Akosmismus gibt hier zu verstehen, dass er eigentlich schon in Philons Gedankengebäude den antiken Ursprung und Inbegriff des aus seiner Sicht jüdischen Akosmismus entdeckt haben will.⁴⁵¹ Intensive Anregung für diese von Hegel hergestellte Verbindung war anscheinend Philons hier eingebrachte All-Einheitsformulierung εἷς καὶ τὸ πᾶν („er ist eins und alles“),⁴⁵² denn deren Ähnlichkeit mit dem Motto, das mit dem spinozanischen Pantheismus assoziiert wird (ἓν καὶ πᾶν) – das Jacobi Lessing in den Mund legt –⁴⁵³ ist unübersehbar. Analog zu seiner eigenen Spinozakritik scheint Hegel das fundamentale Problem von Gott als „die absolute
Abr. 122: PCH Bd. 1, S. 122. TWA Bd. 19, S. 423. Vorl. Bd. 8, S. 171. Explizit verknüpft Hegel zwar die absolute Seinsfülle von Philons Gott mit der parmenideischen Seinslehre (TWA Bd. 18, S. 288: „das Sein ist, aber das Nichts ist gar nicht“), um dessen akosmistischen Charakter zu unterstreichen – worauf Staudenmaier in Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems aufmerksam macht – aber hinsichtlich der pantheistischen Anschauung der Weltlosigkeit scheint er schließlich nicht deutlich zwischen der eleatischen und der spinozanischen Metaphysik zu unterscheiden (TWA Bd. 10, S. 387). TWA Bd. 19, S. 423; vgl. Vorl. Bd. 8, S. 171: „Er [sc. Gott] ist selbst Eins und Alles.“ Zur vollständigen Formulierung: „Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. Εν και Παν! Ich weiß nichts anders.“ (Jacobi 1785, S. 12) Siehe dazu des Weiteren: Vieweg 2012, S. 202 ff. sowie Pöggeler 1974, S. 530 – 531. Vgl. TWA Bd. 17, S. 492– 494. Es verdient Anmerkung, dass auch Hegels deutsche Übersetzung beider All-Einheitsformeln nahezu identisch ist: „Gott [ist] das Eine und alles [Hervorh. i. Orig.].“ (TWA Bd. 17, S. 492)
2.10 Philons Gottesvorstellung als unbegrenzte Seinsfülle
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Fülle“ ebenfalls darin zu sehen, dass „bei ihm […] zu viel Gott“ sei.⁴⁵⁴ Um nun die akosmistischen Elemente von Philons Gotteslehre besonders zu betonen, verweist Hegel nicht nur auf Gottes lückenlose Erfüllung der räumlichen Sphäre des Universums, sondern darüber hinaus auf seine gesamtheitliche Erfüllung der zeitlichen Sphäre, in deren abstraktem Begriff er lebe: „Wie Gott der Raum des Universums ist, so ‚lebt er in dem Urbilde der Zeit‘, in dem αἰών, d. h. in dem reinen Begriffe derselben.“⁴⁵⁵ Den in Philons Leg. 1.44 enthaltenen Standpunkt des Akosmismus – laut dem „nur Gott ist“, während „alle Weltlichkeit […] keine Wahrheit [hat]“ –⁴⁵⁶ bekräftigt Hegel zunächst von Seiten der gänzlich wesenslosen Welt weiter; diese sei, in krassem Kontrast zu Gott als „die absolute Fülle“, durch Bedürftigkeit und Leere ausgezeichnet. Letztlich führt diese Gleichsetzung von Gott und Welt erneut zu Hegels zentralem Kritikpunkt an Philons apophatischer Theologie: Auch „bei seiner Erfü llung“ bleibe deswegen das auf dem Materialprinzip aufgebaute All weiterhin völlig negativ, weil Philon sich Gott als dessen von außen kommendes, inhaltserfülltes Wesen durch die „leere Bestimmung“ der totalen Negativität vorstelle. In einem Satz: Man ersetze damit eine reine Negativität lediglich durch eine andere. Trotz der tatsächlich nachweisbaren philonischen Tendenz zum Akosmismus, wonach sogar Gottes höchste Vermittlerinstanzen, Logos und Kräfte, auf dessen nichtexistente Schatten reduzierbar seien,⁴⁵⁷ scheint Philon doch nicht postulieren zu wollen, dass die gesamte Welt angesichts Gottes Totalität überhaupt keinen ontologischen Wert innehabe. Vielmehr will er den Schluss nahelegen, dass Gott infolge seiner formgebenden Schöpferkraft als derjenige gelte, der mittels seines eigenen weltbegründenden Logos-ὄργανον die völlig unbestimmte πρώτη ὕλη zu einer in sich bestimmten Welt umgebildet und dieser demgemäß realen ontologischen Wert verliehen habe.⁴⁵⁸
Mit dieser Aussage setzt sich Hegel mit dem gegen Spinoza erhobenen Atheismus-Vorwurf auseinander: „Das Gegenteil von alledem ist wahr, was die behaupten, die ihm Atheismus Schuld geben; bei ihm ist zu viel Gott.“ (TWA Bd. 20, S. 163) TWA Bd. 19, S. 423. Zur Verknüpfung der Zeitkonzeption mit der Idee der Erfüllung siehe zudem: TWA Bd. 19, S. 244. TWA Bd. 20, S. 177.Vgl. dazu auch: TWA Bd. 20, S. 163, 190, 195; Bd. 8, S. 133 – 134, 296; Bd. 10, S. 387. Dazu: Leg. 2.86; Leg. 3.100 – 101. Zu Gottes Trennung von seinen Gewalten siehe: Heinze 1872, S. 244– 245. Siehe insbesondere: Somn. 2.45; Opif. 9. Zum Logos als Gottes weltbildendem Hauptinstrument: Löhr 2009, S. 351– 352 („Bezeichnend ist auch, dass der L. als Schöpfungsinstrument eine Funktion übernimmt, die in der jüd. Tradition der Weisheit zukam […].“); Heinze 1872, S. 230; Dillon 1996, S. 160 – 161; Kaiser 2015, S. 175; Runia 1986, S. 392.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Auch Hegels Andeutung, dass Philons System unvermeidlich dazu führe, Gott und Welt einander wegen ihrer durch und durch abstrakten Denkbestimmungen, das Sein und das Nichtsein, gleichzustellen,⁴⁵⁹ würde der alexandrinische Philosoph vehement ablehnen, zumal er die materielle Welt nicht mit der Kategorie des Nichtseienden identifiziert. In Abr. 69 disqualifiziert er beispielsweise die pantheistische Prämisse, laut der „die Welt selbst Gott sei“ und somit „sünderhafterweise das Geschaffene dem Schöpfer [gleichgestellt]“ werde;⁴⁶⁰ er geht folglich in Abr. 70 konträr dazu vielmehr von Gottes absoluter Überlegenheit über den Gesamtkosmos aus. Entsprechend nachdrücklich betont Philon stets das asymmetrische Verhältnis und die unaufhebbare Wesensunterscheidung zwischen Gott und Materie, die miteinander konzeptionsgemäß nicht in Berührung kommen können:⁴⁶¹ Es sei ja Gott selbst gewesen, der in seiner welterschaffenden Macht das μὴ ὄν hervorgebracht habe.⁴⁶² Gerade unter diesem asymmetrischen Aspekt betrachtet Philon Gott und Materie als zwei entgegengesetzte Prinzipien: den einen – den aktiven, absolut transzendenten Urgrund (τὸ μὲν … δραστήριον αἴτιον) als ὁ τῶν ὅλων νοῦς und den anderen – den völlig passiven, aufnahmefähigen Gegenstand (τὸ δὲ παθητόν) als den Urstoff, den Gott in seiner vernünftigen Wirksamkeit „bewegt und gestaltet und beseelt“.⁴⁶³ Auf der anderen Seite rückt Hegel Philon unter Beachtung von Leg. 1.44 näher an den dreifaltigen Gottesbegriff des Christentums heran. Er sieht nämlich in der dort beschriebenen selbstbezüglichen Tätigkeit der Erfüllung Gottes („von sich selbst erfüllt“), durch die Philon dessen All-Einheit hervorhebt, im gleichen Zug ein dialektisches Muster der Dreieinigkeit artikuliert. Aus diesem Grund wirft Hegel die Frage auf, „[w]arum er [sc. Gott] nötig [habe], sich mit sich zu erfüllen?“,⁴⁶⁴ worauf er antwortet: „Eben das Subjektive, Abstrakte, bedarf auch eines Objekts. Die Fülle ist das Konkrete; man hat Erfüllendes, Erfülltes und das Dritte aus beiden.“⁴⁶⁵ Dazu ist zweierlei anzumerken:
Dazu: Vorl. Bd. 8, S. 171; TWA Bd. 19, S. 424. PCH Bd. 1, S. 111. Vgl. Congr. 49. Spec. 1.329. Her. 36. Opif. 8 – 9. Auf diesen platonisch-altakademischen prinzipientheoretischen Aspekt des philonischen Systemgebäudes weist treffend Krämer hin: 1967, S. 273 ff.; Dillon 1996, S. 158; Guttmann 1985, S. 33; Zeller 1903, S. 401, 405, 434– 435; Amir 1983 g, S. 191; Runia 1986, S. 104, 143 – 144, insbes. 284; Runia 2001, S. 110, 115 – 116; Horovitz 1900, S. 97– 98. TWA Bd. 19, S. 423. TWA Bd. 19, S. 423.
2.10 Philons Gottesvorstellung als unbegrenzte Seinsfülle
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1) Mit dieser trinitarischen Struktur, die Hegel im selbstbezüglichen Charakter von Philons Gottesauffassung als „der absoluten Fülle“ aufzudecken glaubt, spielt er auf seine eigene metaphysische Aussage aus der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes an, mit der er anscheinend die spinozanische Substanzmetaphysik kritisieren will: „Es kommt nach meiner Einsicht […] alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken [Hervorh. i. Orig.].“⁴⁶⁶ Ebendiesen gedanklichen Schritt weiß Philon zu vollziehen, indem er Gott, in deutlichem Kontrast zu Spinoza, nicht nur ausschließlich mit einer akosmistischen Substanz gleichsetzt, sondern zusätzlich beansprucht, Gott als Objekt-Subjekt-Einheit dialektisch zu begreifen. In Anbetracht dessen, was Philons Gotteskonzept aus Hegels Sicht fortschrittlicher als das Spinozas macht, ist OʼRegans Betrachtung offensichtlich: „[…] I will note that not only is Hegel much more appreciative of Philo than Spinoza, but uses something like a Philonic lens to expose Spinoza’s deficiencies, which in the end Hegel thinks are specifically Jewish.“⁴⁶⁷ 2) Hegel assoziiert mit dem philonischen Topos der göttlichen Selbsterfüllung einen prozesshaften Charakter. Hieran fällt auf, dass er die triadische Selbstentfaltung des neuplatonischen Geistbegriffes als νοῦς, νοητόν und νοῦς-νοητόνEinheit – worin er die besondere Nähe des neuplatonischen zum christlichen Weltbild verankert sieht –⁴⁶⁸ in Philons selbstbezüglicher Gottesvorstellung als „Erfüllendes, Erfülltes und das Dritte aus beiden“ wiederzufinden meint.⁴⁶⁹ Unter dem ersten Moment des Erfüllenden versteht Hegel den noch unentfalteten Gottvater als das unendliche Subjektive, der einer objektiven Substanzialität in Form einer innergöttlichen Welt „bedarf“, die das darauffolgende Moment des
TWA Bd. 3, S. 22– 23. OʼRegan 2008, S. 103. Vgl. dazu ebenfalls OʼRegan 2008, S. 125: „It is worth noting that in Lectures on the History of Philosophy, Philo is treated with considerably more admiration than Spinoza, who decisively influences German Idealism, especially in its view of the God-world relation and the reality of a privileged form of knowing beyond discursive knowledge […]. Even more worthy of remarking, however, is that, for Hegel, Spinoza’s weaknesses seem to be Philo’s strengths [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 19, S. 413, 474, 495, 508, 510. Zu Hegels Darstellung des neuplatonischen Geistbegriffes siehe: TWA Bd. 19, S. 410 – 411, 413. Hegel zufolge geht die Denkform der Dreieinigkeit auf Platon zurück und umfasst die drei systematischen Leitmomente des ἕν, des θάτερον und der Einheit beider Momente, des Einen und des Verschiedenen (Vorl. Bd. 5, S. 212). In seiner Neuplatonismusdeutung führt er jedoch die alexandrinische Dreieinigkeitsform vielmehr auf die Trias-Struktur des von Aristoteles in Met. 1074b34 dargestellten νοῦς (καὶ ἔστιν ἡ νόησις νοήσεως νόησις) zurück (TWA Bd. 19, S. 413), wodurch Platons „einfache Idee des Geistes“ zu einer konkreteren Form gelange (TWA Bd. 19, S. 410).
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Erfüllten ausmache und woraus am Ende eine konkrete Einheit des Erfüllenden und des Erfüllten als die dialektische Vereinigung zwischen Gott und Welt hervorgehe. Da diese drei Momente im Grunde den wesentlichen Manifestationen des neuplatonischen Geistprinzips entsprechen sollen, ist deutlich, dass Hegel die sich triadisch äußernde Selbstbezüglichkeit von Philons Gott vor allem in dessen Logos hinsichtlich seiner Konkretionsdynamik begründet sieht. Einen starken Hinweis darauf gibt er mit der Behauptung, dass „[d]ie Fülle […] das Konkrete“ sei und ergänzend dazu, „das Konkrete“ sei wiederum „der Logos“.⁴⁷⁰ Dass Hegel die in Leg. 1.44 zutage getretenen spekulativen Elemente wertschätzt, belegt auch sein diesbezüglicher Rekurs auf Isaac Newton in den philosophiehistorischen Vorlesungen von 1820/21. Er deutet damit die auffällige Ähnlichkeit zwischen Newtons absoluter Raumauffassung als sensorium Dei – die damals eine brisante theologische Auseinandersetzung auslöste –⁴⁷¹ und Philons Raumkonzept an: „Newton hat späterhin gesagt, der Raum ist Gottes Organ.“⁴⁷² Das mit diesem Raumverständnis einhergehende Vorhaben Newtons – dessen „metaphysizierenden Empirismus“ Hegel als „die vorzüglichste Weise der Betrachtung […] überhaupt“, sogar vorzüglicher als die von Spinozas, einstufte –,⁴⁷³ besteht darin, Gottes Allgegenwärtigkeit zu untermauern, um somit dessen unmittelbarer Wirkung auf die Schwerkraft metaphysisch gerecht zu werden.⁴⁷⁴ Unter Berücksichtigung von Newtons Optik-Schrift⁴⁷⁵ fasst Wüthrich dessen Ge-
TWA Bd. 19, S. 423. Eine ähnliche Schilderung einer triadischen Konkretionsdynamik findet sich auch in Hegels Deutung der plotinischen Noushypostase in ihrer dialektischen, emanierenden Kreisbewegung, wodurch diese vom absoluten Einen mit konkretem Inhalt erfüllt wird (TWA Bd. 19, S. 449 – 450). Wüthrich 2015, S. 241 ff. GW Bd. 30,1, S. 379,5 – 6. Diese von Newton vertretene Raumvorstellung thematisiert Hegel selbst in seiner enzyklopädischen Naturphilosophie in § 261, in dem er seinen eigenen systematischen Ortsbegriff als „de[n] gesetzte[n] Widerspruch, welcher der Raum und die Zeit, jedes an ihm selbst, ist“, näher zu bestimmen sucht (TWA Bd. 9, S. 59: § 261 Zusatz: „Wie die Zeit die einfache formelle Naturseele, nach Newton der Raum das Sensorium Gottes ist, so ist die Bewegung der Begriff der wahren Seele der Welt; wir sind gewohnt, sie als Prädikat, Zustand anzusehen; aber sie ist in der Tat das Selbst, das Subjekt als Subjekt, das Bleiben eben des Verschwindens.“). TWA Bd. 20, S. 223: „Das ist ein Schritt weiter als Spinoza […].“ Hier stütze ich mich auf G. Freudenthals Erklärung in Atom and Individual in the Age of Newton („The Concept of Science: 2. Newton’s Concept of Gravity; Space as the Sensorium Dei“): „[…] Newton’s characterization of space as God’s organ of perception [is] […] due to the difficulty of explaining how gravity works [Anm. d. Verf.].“ (G. Freudenthal 1986, S. 47) Wüthrich 2015, S. 239: „[…] allgegenwärtiges Wesen existiert, das im unendlichen Raum, als wäre es sein Sensorium, die Dinge innerlich ansieht […] und sie als Ganze erfasst durch ihre unmittelbare Präsenz in ihm.“
2.10 Philons Gottesvorstellung als unbegrenzte Seinsfülle
155
danken vom sensorium Dei schlüssig zusammen: „[…] Der Raum ist das Medium der Allgegenwart Gottes und in und mit ihr konstituiert sich allererst der Raum [Hervorh. i. Orig.].“⁴⁷⁶ Hegels Vergleich zwischen Philons und Newtons Raumauffassung rührt daher, dass beide auf die Vorstellung von Gottes räumlicher Omnipräsenz und Selbstbezüglichkeit hin angelegt sind. Auch Philons spezifisch jüdisch-theologische Formulierung des Gedankens von Gottes unbeschränkter Seinsfülle findet ihren Platz in Hegels Denken. In „Betrachtungsweisen der Natur“, in Absatz 246 der Einleitung zur enzyklopädischen Naturphilosophie, scheint er auf Philons theologische Darstellung der durch Tempelmetaphorik veranschaulichten Allgegenwärtigkeit Gottes angewiesen. Er geht von zwei „Gestaltungen“ Gottes aus, „als Natur und als Geist“, beide als „Tempel desselben“ dienend, „die er erfüllt und in denen er gegenwärtig ist“.⁴⁷⁷ Nahezu derselben Tempelmetaphorik bedient sich Philon in Somn. 1.215, um Gottes allgegenwärtiges Wesen zu illustrieren: Zwei Tempel Gottes gibt es nämlich offenbar: der eine ist diese unsere Welt, in der es auch einen Hohenpriester gibt, seinen erstgeborenen göttlichen Logos, der andere ist die vernünftige Seele [δύο γάρ, ὡς ἔοικεν, ἱερὰ θεοῦ, ἓν μὲν ὅδε ὁ κόσμος, ἐν ᾧ καὶ ἀρχιερεὺς ὁ πρωτόγονος αὐτοῦ θεῖος λόγος, ἕτερον δὲ λογικὴ ψυχή], deren Priester der wahre Mensch, dessen sinnlich wahrnehmbares Abbild jener Priester ist […]. (PCH Bd. 6, S. 216)⁴⁷⁸
Wüthrich 2015, S. 239. Diese Gegenüberstellung mag ideengeschichtlich weniger unorthodox erscheinen, wenn die Andeutung von Wüthrich noch zusätzlich in Betracht gezogen wird, der zufolge Newton nachhaltig von „deutliche[n] Einflüsse[n] der Raumaufassung Heinrich Mores“ geprägt worden sei. Dieser sei wiederum von „jüdisch-kabbalistische[n]“ Denktraditionen beeinflusst gewesen, „in denen der hebräisch Begriff ‚maqom‘ (Ort, Raum) als Gottes Name interpretiert wurde“ (Wüthrich 2015, S. 239). Gerade Philon kann diesem jüdischen Interpretationsansatz zugeordnet werden, denn er versteht beispielsweise in Somn. 1.63 – 64, im Rahmen einer allegorischen Exegese von Gen 28,11, unter τόπος Gott selbst von seiner selbstbezogenen Ganzheitlichkeit her: „Der dritten Bedeutung entsprechend aber wird Gott selbst ‚Ort‘ genannt, weil er das All umfaßt, aber von gar nichts umfaßt wird, und weil er selbst die Zuflucht aller ist, und weil er selber der Raum seiner selbst ist, der sich selbst aufgenommen hat und sich allein in sich selbst bewegt. […] Gott aber, der von nichts umfaßt wird, ist notwendig selbst sein eigener Ort.“ (PCH Bd. 6, S. 186) TWA Bd. 9, S. 23. Erwähnung verdient, dass Hegel danach auf den wahren Gottesbegriff als einen prozesshaften Geist zu sprechen kommt und die Welt als Gottes Sohn bezeichnet (TWA Bd. 9, S. 23: „Gott als ein Abstraktum ist nicht der wahrhafte Gott, sondern nur als der lebendige Prozeß, sein Anderes, die Welt zu setzen, welches, in göttlicher Form gefaßt, sein Sohn ist; und erst in der Einheit mit seinem Anderen, im Geist, ist Gott Subjekt.“). Siehe zudem: Vinco 2016, S. 233 – 251. Zur Tempelsymbolik in Hinblick auf den Menschen bzw. auf den Gesamtkosmos siehe: Leg. 1.66; Somn. 1.149, 1.185; Cher. 101; Plant. 50 und 120; QE 2.51 und 2.85. Dazu auch: Runia 1986, S. 321; Kaiser 2015, S. 282– 283.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass Hegel den jüdischen Platonismus Philons gerade wegen dessen inhärenter Widersprüchlichkeit zu würdigen weiß. Hegel sieht das Denken des jüdischen Platonikers zwar vordergründig als akosmistisch, bei näherer Betrachtung legt er jedoch dessen eigentlichen Kerngehalt frei: die Idee der Dreieinigkeit. Demnach findet sich in Philons Gedankengut, wie Hegel suggeriert, geradezu die ursprüngliche Artikulation der jüdischen Religionsphilosophie, und zwar dergestalt, dass sie schon auf das Wesentliche vorgreift – das, worauf der arbeitende Geist in Wahrheit abzielt: auf den wahren Gottesbegriff des Christentums.
2.11 Philons Schöpfungstheologie Wie wir bereits festhalten konnten, erweisen sich die mit dem doppelten Logosbegriff einhergehende Schöpfungsspekulation Philons für Hegels Denken als von maßgeblicher Bedeutung. Hegel betrachtet diese nicht getrennt von der allgemeinen jüdischen Schöpfungslehre, sondern vielmehr als ihren genuinen Ausdruck.⁴⁷⁹ Es ist demnach wenig überraschend, dass er sich im folgenden Schritt seiner Philondeutung diesem Gegenstand widmet. Er behandelt dabei zwei Themen in dessen Schöpfungslehre, in denen er spekulativem Sinn nachspürt: (1) Der ontologische Status der sinnenfälligen Welt und (2) die Lehre von der doppelten Weltschöpfung. Ad 1) Hinsichtlich dieser Thematik fällt auf, dass Hegel in Anknüpfung an Buhle Philons Konzept der auf dem privativen Materialprinzip aufgebauten Welt mit der platonischen Kategorie des οὐκ ὄν identifiziert: „Dieser Idealwelt gegenüber steht die sinnliche, seiende Welt. Das Prinzip derselben ist bei Philon, wie bei Platon, das οὐκ ὄν, die Materie, das Negative [Hervorh. i. Orig.].“⁴⁸⁰ Allerdings betont er Philons Unterscheidung zwischen Materie und Welt, zwischen Prinzip und dessen Prinzipiat, nicht ausreichend. Stattdessen scheint er den Schluss nahezulegen, dass der κόσμος αἰσθητός vielmehr mit dessen schlechthin negativem Materialprinzip grundsätzlich gleichzusetzen sei: „Philo geht dann auch zur sinnlichen Welt über; da ist das abstrakte Prinzip das Nichtseiende das οὐκ ὄν. Wie in Gott das Sein, das ὄν, das Erste, die οὐσία, ist, so ist die Ousia der Welt das οὐκ ὄν, das Negative.“⁴⁸¹ Die materielle Welt, die von Gott als dem absoluten Geist aus dem vollends privativen und im Grunde nichtseienden Materialprinzip (Opif.
TWA Bd. 19, S. 409 – 410. TWA Bd. 19, S. 424. Vorl. Bd. 8, S. 171.
2.11 Philons Schöpfungstheologie
157
22) herausgebildet worden sei,⁴⁸² stuft gerade Philon als „das vollendetste Werk“ (Opif. 9: τὸ τελειότατον ἔργον)⁴⁸³ sowie Gottes jüngeren Sohn (Deus 31: ὁ νεώτερος υἱὸς) ein. Die Asymmetrie zwischen der prima materia und dem sinnlich wahrnehmbaren Kosmos scheint Hegel letztlich wohl richtig gefasst zu haben, wie seine im Jahr 1819 gehaltenen Vorlesungen zu erkennen geben: „Es ist also unter diesem Nichtssein nicht das Nichts verstanden, aus dem etwa Gott Etwas, die Welt geschaffen habe, sondern Wesen und Grundlage der positiven realen Welt ist das Nichts.“⁴⁸⁴ Obzwar die hyletische οὐσία das ontologische Fundament des κόσμος αἰσθητός ausmacht, bestimmt Philon den wahrnehmbaren Kosmos als eine in sich vernünftig geordnete Ganzheit größtenteils nicht durch den völlig bestimmungslosen Urstoff, sondern gerade umgekehrt: durch dessen idealbildlichen Abdruck (ἀρχέτυπος σφραγίς) des gedachten Kosmos.⁴⁸⁵
Den privativen Charakter der Materie unterstreicht Philon besonders, indem er eine detaillierte Aufzählung unterschiedlicher Adjektive mit alpha privativum liefert, die der Materie im Wesentlichen zukämen: „Denn von selbst war sie ungeordnet [ἄτακτος], eigenschaftslos [ἄποιος], leblos [ἄψυχος], ungleich [ἀνόμοιος], voll Verschiedenartigkeit [ἑτεροιότητος], Disharmonie [ἀναρμοστίας] und Missklang [ἀσυμφωνίας] […].“ (PCH Bd. 1, S. 34) In Anbetracht dessen wird ersichtlich, weshalb Philon ὕλη im privativen Sinne überwiegend als das Nichtseiende, als unbeweglich, ungestaltet und unbeseelt usw. einordnet (Deus 172). Siehe beispielsweise auch: Opif. 9; Somn. 2.45; Her. 160. Diesen Punkt macht Runia in seinem Kommentar zu De opificio mundi besonders begreiflich: „without soul and unmoved. Two adjectives with an alpha-privative indicating lack […] [Hervorh. i. Orig.].“ (Runia 2001, S. 117) Zu Philons Materialprinzip siehe zudem: Runia 2001, S. 141– 143; O’Brien 2015, S. 76. Philon betont die außergewöhnliche Rezeptivitätsfähigkeit der Materie („[…] die Fähigkeit besitzt alles zu werden [δυναμένῃ δὲ πάντα γίνεσθαι]“), um somit zugleich die schöpferische Kreativität und die Allmacht Gottes zu akzentuieren (Opif. 46: πάντα γὰρ θεῷ δυνατά; vgl. zudem: Spec. 4.127;Virt. 26; Somn. 1.87). Das Konzept der Materie in ihrer Unbegrenztheit (ἄπειρος) wird in Philons Philosophie jedoch in einem eindeutig negativen Licht dargestellt, denn er verbindet es mit Wertlosigkeit, Sinnlichkeit, Bosheit, Sinnestäuschung und mit der völlig irrführenden materialistischen Weltdeutung. In De providentia 2,82 stuft er die Materie außerdem als die Ursache des Bösen ein, um Gottes Theodizee zu rechtfertigen. Siehe auch Fug. 9 sowie Somn. 1.45. Dazu insbesondere: Runia 1986, S. 139 – 140 („Prov. 2.82 (here matter is designated the cause of evil)“). Conf. 96; Det. 125; Deus 106; Opif. 14; Mos. 2.267; Plant. 4, 6 und 131; Leg. 1.35 und 1.48; Her. 199; Abr. 2. Das Vollkommenheitsmerkmal der Sinnenwelt rühre hauptsächlich von ihrer durch Gottes Ideenkosmos gestifteten, makellos vernunftgemäßen Ordnung her. Den philonischen Zahlenspekulationen zufolge ist die Zahl Sechs – die als biblisches Sinnbild des göttlichen Hexaemeron dient – dem Wesen des Gesamtkosmos eigen und deutet folglich auf die Herrschaft einer vollkommenen Ordnung im κόσμος αἰσθητός hin: Opif. 13 – 14. Zu diesem Topos der philonischen Schöpfungslehre siehe weiterführend: Runia 1986, S. 113 ff., 458; Runia 2001, S. 117; Horovitz 1900, S. 53. GW Bd. 30,1, S. 127,31– 33. Opif. 25; Fug. 12; Migr. 103; Mut. 135; Ebr. 133.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Dass Hegel dazu tendiert, den sinnlichen Gesamtkosmos auf dessen Materialprinzip als Nichtsein zurückzuführen, ändert nichts an seiner eindeutig wohlwollenden Beurteilung von Philons platonischer Auffassung der Sinnenwelt: „[…] das Nichtsein, das Entgegengesetzte des Seins, ist selbst ein Positives, so gut als das Sein. […] Philon hatte die richtige Einsicht, daß das Entgegengesetzte des Seins ebenso positiv ist als das Sein.“⁴⁸⁶ Den Ursprung dieser philonischen Gleichstellung zwischen Sein und Nichtsein sieht er in Platons Philosophie angelegt. Einen solchen Gedanken verdeutlicht Hegel erst am Beispiel der platonischen Lehre von den μέγιστα γένη, die im Dialog Sophistes detailliert ausgeführt wird (254d4 ff.) und in der das ideendialektische Verhältnis zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden konkretisiert wird.⁴⁸⁷ Im Sophistes argumentiert Platon dafür, dass dem Nichtseienden (τὸ μὴ ὄν) ontologischer Wert zukomme, da – vorausgesetzt, die Idee der Andersheit (ἑτερότης) sei allgemeingültig – jedes seiende Phänomen aufgrund seiner Teilnahme an der Verschiedenheit parallel am Nichtseienden notwendigerweise teilhaben müsse.⁴⁸⁸ Bei Philon selbst lässt sich allerdings diese spekulative Denkstruktur der platonischen Ideendialektik nicht wiederfinden. Hegel scheint dies wohl bewusst zu sein, denn er merkt immerhin an, dass „[sich bei Philon] der Begriff dieses Gegensatzes, und der Übergang des Seins in Nichtsein [nicht findet]“.⁴⁸⁹ Mit seinen Emanationsvorstellungen unterstreicht Philon vielmehr den entgegengesetzten ontologischen Übergangsaspekt der weltschöpferischen Potenz Gottes (κοσμοποιητική) vom Nichtseienden ins Dasein. In diesem Sinne stellt er beispielsweise insofern einen Vergleich zwischen Gott und Eltern an, als letztere hinsichtlich ihres biologischen Fortpflanzungsvermögens Gott in seiner Schöpferkraft (δύναμις ποιητική) ähneln.⁴⁹⁰
Vgl. Westerkamps aufschlussreiche Lesart dieser Passage, in der er das Prinzip „der philonischen Unterscheidung“ als die „in Philos Denken präfigurierte Negation im Absoluten“ identifiziert (Westerkamp 2009, S. 119; Hervorh. i. Orig.). Siehe entsprechend auch: OʼRegan 2008, S. 108 – 109. Einen derartigen Standpunkt vertritt Hegel auch in der enzyklopädischen Wesenslogik, in der er auf das antike metaphysische Materialprinzip näher eingeht: TWA Bd. 8, S. 259: § 128, Zusatz. TWA Bd. 19, S. 70. Soph. 258d5 – e2: „Denn nachdem wir gezeigt, daß die Verschiedenheit [θατέρου] ist, und daß sie verteilt ist unter alles Seiende gegeneinander, so haben wir von dem jedem Seienden entgegengesetzten Teile derselben zu sagen gewagt, daß eben er in Wahrheit das Nichtseiende sei.“ TWA Bd. 19, S. 424. Spec. 2.2: PCH Bd. 2, S. 108: „[…] denn sie [sc. die Eltern] sind ein treues Abbild der göttlichen Gewalt], da sie die Nichtseienden ins Dasein gerufen haben [ἀπεικονίσματα γὰρ οὗτοί γε καὶ μιμήματα θείας δυνάμεώς εἰσι, τοὺς μὴ ὄντας εἰς τὸ εἶναι παραγαγόντες].“ Zu dieser Bestimmung
2.11 Philons Schöpfungstheologie
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In Aet. 5 weist Philon selbst unter Berufung auf Empedokles die Möglichkeit entschieden von der Hand, dass das Seiende in das absolute Nichtseiende übergehen könne.⁴⁹¹ Angesichts dessen scheint das prinzipientheoretische Bild aus Opif. 8 – 9 den Hintergrund dieser Aussage zu bilden, wo, mit Krämer gesprochen, „der Aufriß [von Philons] System[…] […] einen ursprünglichen Dualismus von θεὸς und ὕλη [zeigt]“, von dem Seienden und Nichtseienden, „die dem ἓν und der δυὰς gleichgestellt werden“.⁴⁹² Dort scheint Philon die absolut privative und teilbare πρώτη ὕλη zu einem für sich stehenden Prinzip der reinen Negativität, dem Gott als das absolut Affirmative gegenübersteht, zu erheben.⁴⁹³ Insofern kann Hegel auch festhalten, dass der jüdische Platoniker nicht für eine Schöpfung ex nihilo plädiert, und zwar weil er von einer materia prima als vorexistentes Substrat des logisch strukturierten Weltganzen ausgeht: also „[n]icht das Nichts“, wenn wir sagen, daß Gott die Welt aus Nicht erschaffen habe“.⁴⁹⁴ Genau darin sieht Hegel den besonderen Vorzug von Philons platonischer Ontologie verankert: Diese weiß nämlich das Nichtseiende als eine eigene Denkbestimmung metaphysisch zu behandeln, welche die Kategorie des reinen Seienden ergänzt: „Es [sc. das Materialprinzip als Nichtsein] existiert, insofern das Gleichnis des an sich Wahren hineingelegt wird. […] Wem dies ungereimt scheint, der braucht nur daran erinnert zu werden, daß eigentlich, wenn wir das Sein setzen, das Nichts des Seins das Denken ist, etwas sehr Positives.“⁴⁹⁵ Gegen diese hegelsche Deutung ist erheblicher Vorbehalt zu äußern. Philon nämlich ist zuletzt sehr weit von der metaphysischen Behauptung entfernt, das Nichtseiende sei genauso affirmativ wie Gott als das reine Seiende zu bewerten. der Eltern siehe: Spec. 2.225; Her. 172; Decal. 51, 107 sowie 120. Weiterführend dazu siehe: Runia (1986, S. 251– 253) sowie Montes-Peral (1987, S. 41– 42). PCH Bd. 7, S. 79 – 80: „‚Vergehen‘ heißt einerseits die Veränderung zum Schlechteren hin, anderseits die völlige Beseitigung aus dem Sein, und von dieser müssen wir sogar sagen, daß es sie nicht gibt. Wie nämlich aus Nichtseiendem nichts wird, so geht auch nichts so zugrunde, daß es ins Nichtseiende übergeht. ‚Denn aus dem durchaus nicht Seienden kann nichts entstehen, und daß Seiendes völlig vergeht, ist unvollziebar und unerhört‘.“ Krämer 1967, S. 273 (Hervorh. i. Orig.). Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Philon, worauf Runia hinweist, keine explizite Gleichsetzung von dem Nichtseienden mit der präexistierenden Materie macht (Runia 1986, S. 147: „Philo does not explicitly equate non-being and matter.“). Auf diese prinzipientheoretische Gott-Materie-Relation kommt Hegel in seiner Philonausführungen von 1820/21 selbst implizit zu sprechen, wenn er das Materialprinzip als das kennzeichnet, „was dem Geist das Andere ist“ und als „ü berhaupt Nichtsein aufgefaßt“ werde (GW Bd. 30,1, S. 379,27– 28). Diese Denkstruktur ist ihm sowohl bei Buhle (1799, S. 119 – 120, 125) als auch bei Tennemann (1805, S. 235 – 236) begegnet. TWA Bd. 19, S. 424. Dazu ist Runia grundlegend: 1986, S. 143 – 148. TWA Bd. 19, S. 424.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Eben das diametral Entgegensetzte wird doch in Philons Philosophie behauptet: Diese Ansicht beurteilt er als eine völlig häretische und ungereimte Geistesrichtung, die den schwerwiegenden Fehler begehe, „den qualität-, form- und gestaltlosen Stoff zur Gottheit [zu] machen“, was impliziert, dass dabei Gott als „die bewegende Ursache nicht“ erkannt werde.⁴⁹⁶ Hegels damit zusammenhängende Absicht scheint jedoch vielmehr darin zu liegen, seinen eigenen systematischen Ausgangspunkt der Seinslogik, laut der die vollends abstrakten Gedankenbestimmungen des Seins und Nichts prinzipiell ununterscheidbar seien,⁴⁹⁷ in Philons Philosophie hineinzulesen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Anmerkung, dass Hegel fast die gleiche spekulative Stellungnahme auch in der jüdischen Schöpfungslehre zu entdecken meint.⁴⁹⁸ Ad 2) Den weiteren spekulativen Schöpfungsgedanken Philons, den Hegel als zentralen Standpunkt der gesamten christlichen Religionsphilosophie einschätzt und am Schluss seiner Philondeutung darlegt, ist dessen Lehre von der Erschaffung zweier Welten. Schon am Anfang seiner Philondarstellung weist Hegel auf dessen platonische Schrifterklärung zur biblischen Schöpfungsgeschichte als Paradebeispiel für dessen exegetische Denkweise hin.⁴⁹⁹ Er thematisiert allerdings erst am Ende seiner systematischen Ausführungen zu dem jüdischen Alexandriner die Leitthese von dessen Allegorese zum Weltschöpfungsbericht mit einer sinngemäßen Wiedergabe von Opif. 25 – 27 und 29, bei der er sich eng an Brucker anlehnt. Diese besagt, der erste Schöpfungstag in Gen 1,1– 5 umfasse eigentlich einen aus Ideen bestehenden Gesamtkosmos (Opif. 20: ὁ ἐκ τῶν ἰδεῶν κόσμος), die restlichen fünf Schöpfungstage in Gen 1,6 – 31 dementsprechend den sinnenfälligen Kosmos, der sich aus der intelligiblen Struktur ersterer herausbildet: „Das Wort Gottes hat im Anfang den Himmel erschaffen, der aus dem reinsten Sein besteht und der Aufenthalt der reinsten Engel ist, die nicht erscheinen und den Sinnen nicht offenbar werden“, nur dem Gedanken; das sind die ἰδέαι. „Der Schöpfer hat vor allem der intelligiblen Welt den unkörperlichen Himmel und die unsinnliche Erde gemacht und die Idee der Luft und des Leeren, hierauf die unkörperliche Essenz (οὐσία) des Wassers und ein unkörperliches Licht und ein unsinnliches Urbild (ἀρχέτυπος) der Sonne und aller Sterne“,
Fug. 8 – 9: PCH Bd. 6, S. 56 (diese Geistesrichtung symbolisiert für Philon die Gestalt von Laban). Runia 1986, S. 105 – 106. Vgl. zu Spec. 2.180, wo Philon Gott und Materie als gegensätzlich auffasst: Einerseits repräsentiere Gott aufgrund seiner Unteilbarkeit das Prinzip der Einheit, die Materie aufgrund ihrer Teilbarkeit indes das Prinzip der Zweiheit (vgl. zudem: Mos. 1.75). TWA Bd. 5, S. 82– 83 („Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe [Hervorh. i. Orig.].“). TWA Bd. 17, S. 54– 55. TWA Bd. 19, S. 419: „z. B. von der Schöpfungsgeschichte“.
2.11 Philons Schöpfungstheologie
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und die sinnliche Welt ist das Gegenbild davon. […] Philon sagt, am vierten Tag habe den Himmel eine Zahl geschmückt, Vier, die Tetraktys, die vollkommenste usf. (TWA Bd. 19, S. 425)
Bei dem zitierten Abschnitt sind sechs Aspekte besonders zu betonen: a) Auf Bruckers sinngemäßer Wiedergabe von Philons Opif. 26 aufbauend betont Hegel die schöpfungsvermittelnde Rolle des λόγος θεοῦ („verbum Dei“), durch den Gott den materiellen Kosmos erst habe ins Dasein setzen können, worauf die kritische Hegelausgabe hinweist.⁵⁰⁰ b) Unter dem von Gott erschaffenen Himmel in Opif. 27 versteht Hegel nicht den materiellen, sondern den noetischen Himmel,⁵⁰¹ den er weiterhin nicht als einen einzelnen gedanklichen Schöpfungsgegenstand unter vielen auffasst, sondern als die intelligible Vollentfaltung in Form der im Logos angelegten Ideenwelt. Diese Deutung von Opif. 27 in Zusammenhang mit der Immaterialität des gedachten Himmels bestätigt grundsätzlich auch Runias Lesart: „Philo might give the impression here that he is talking about the visible and corporeal heaven, but this is not the case, as he makes quite clear in § 29. Of course the idea of heaven exhibits all the essential features that characterize the physical heaven, but cannot itself be composed of any kind of material.“⁵⁰² Allerdings interpretiert Hegel auch Philons platonische Bezeichnung des physischen Himmels, die „hochheilige[n] Wohnung der sichtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Götter“, als das intelligible Weltganze.⁵⁰³ c) Besonders augenfällig ist Hegels Ersetzung der Götter als platonisches Sinnbild der Himmelskörper durch Engel („Aufenthalt der reinsten Engel“). Der Grund für diese Modifikation an sich scheint in seiner Absicht zu liegen, die Ungereimtheit zwischen dem monotheistischen Anspruch von Philons jüdischem Denken und der platonisch-polytheistischen Vorstellung der Him Vorl. Bd. 8, S. 432 („[…] – Statt von Gott spricht Hegel hier – gemäß dem Kontext des Zitats – vom Wort Gottes [Hervorh. i. Orig.].“). Der Grund hierfür scheint darin zu liegen, dass Hegel unter „purissima Essentia“, im Originalwortlaut τοῦ καθαρωτάτου τῆς οὐσίας, nicht das stoische Materialprinzip versteht, sondern vielmehr die immaterielle Seinsart von Platons fortwährend existierender Ideenmannigfaltigkeit („aus dem reinsten Sein“). Unter Beachtung von Opif. 29 hält er vermutlich fest, dass die Konzeption von essentia (οὐσία) in gleicher Weise im immateriellen Sinne nachvollziehbar ist („[…] hierauf die unkörperliche Essenz (οὐσία) des Wassers [deinceps aquae incorpoream essentiam] […].“). Runia 2001, S. 159. Im Gegensatz dazu identifiziert Cohn in seiner Übersetzung dieser Passage den Himmel mit dem körperlichen Himmel (PCH Bd. 1, S. 36: Fn. 1– 2). Vgl. dazu übereinstimmend PW Bd. 2, S. 20: Fn. 44– 45. Vorl. Bd. 8, S. 172: „Diese himmlische Welt […].“ Zur Erläuterung dieser Philon-Stelle siehe: Runia 2001, S. 160.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
melskörper, die jener als tiefgläubiger Jude wohl hätte zurückweisen müssen, zu vermeiden. Auf diese Diskrepanz geht auch Brucker polemisch ein, denn Philon spreche, so Brucker, dem jüdischen Gesetzgeber (Moses) den platonisch-polytheistischen Gedanken zu, der Gott des Judentums sei mit der Gottheit der Gestirne und Ideen gleichzusetzen.⁵⁰⁴ Gleichwohl ist man mit der Überlegung konfrontiert, warum Hegel sich hier ausgerechnet der Engelvorstellung bedient. Grundlage für diese Textänderung ist möglicherweise eine Anspielung auf Ps 33,6, in dem es ebenfalls um die Schöpfung des Himmels und dessen göttlicher Heerscharen (Zebaot) durch Gottes Wort geht. d) Mit dem Ausdruck „vor allem“ als Übersetzung von „ante omnia“ (im griechischen Originalwortlaut: πρῶτον) deutet Hegel Philons kosmologischen Aspekt der Überzeitlichkeit und inhärenten Ordnung von Gottes vernunftgemäßem Schöpfungsvorgang an, den jener aus der Formulierung ἐν ἀρχῇ in Gen 1,1 allegorisch zu begründen beansprucht. Laut seiner allegorischen Lesart des Weltschöpfungsberichtes stellt ἐν ἀρχῇ keine Zeitbestimmung dar, sondern vielmehr die Zahlenbestimmung einer Aufeinanderfolge des Früheren und des Späteren (Opif. 28: τάξις δ’ ἀκολουθία καὶ εἱρμός … προηγουμένων τινῶν καὶ ἑπομένων), weshalb Philon dieser Formulierung auch die logische Bedeutung „zuerst“ (τῷ πρῶτον) zuordnet.⁵⁰⁵ Entsprechend drücke die potentielle Zeitangabe ἡμέρα μία ihrem allegorischen Inhalt nach die einheitliche Natur des noetischen Gesamtkosmos aus.⁵⁰⁶ e) Hegel bezieht sich auch auf sieben Urideen in Zusammenhang mit Philons biblischer Auffassung des Ideenkosmos, die jener wiederum von den am ersten Schöpfungstag erwähnten Urphänomenen aus Gen 1,1– 5 ausgehend mit Himmel (οὐρανός), Erde (γῆ), Finsternis (σκότος), Abgrund (ἄβυσσος), Gottes Lufthauch (πνεῦμα θεοῦ), Wasser (ὕδωρ) und Licht (φῶς) gleich-
Brucker 1742, S. 803: „Quibus verbis merito horremus, hominem Iudaeum siderum et idearum deitatem cum Platonicis affirmare Mosique tribuere maluisse, quam inepta praeiudicia su dimittere.“ Vgl. PIO Bd. 1, S. 16 (Fn. u): „Haud conueniebat homini Iudaeo plures Deos inuisibiles agnoscere, sed Platonicis solenne fuit fidera pro Deis visibilibus habere.“ Opif. 27. Zum kosmologischen Gedanken der Überzeitlichkeit der göttlichen Weltschöpfung siehe zudem: Leg. 1.2. Siehe dazu: Zeller 1903, S. 437– 438; Runia 1986, S. 101– 103, 140 ff.; Runia 2001, S. 156 – 158, 216 – 218; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 215 – 216. Opif. 15: „[…] [Der erste Tag], den er […] nicht den ersten nennt, sondern treffend als einen Tag bezeichnet, da er das Wesen der Einheit in ihm erblickte und ihm deshalb diese Bezeichnung beilegte [τὴν μονάδος φύσιν καὶ πρόσρησιν ἐνιδών τε καὶ ἐπιφημίσας αὐτῇ] [Hervorh. i. Orig./ Anm. d. Verf.].“ (PCH Bd. 1, S. 31– 32) Siehe dazu auch: Opif. 35. Zur Erläuterung dieser Passage siehe Runia (2001, S. 128 – 129, 136, 171) sowie Horovitz (1900, S. 67– 70).
2.11 Philons Schöpfungstheologie
f)
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setzt.⁵⁰⁷ Wegen Hegels Abhängigkeit von Bruckers sinngemäßer lateinischer Widergabe von Opif. 29,⁵⁰⁸ weicht seine Aufzählung letzten Endes leicht von Philons siebenfacher Teilung der intelligiblen Welt ab. Die Idee des göttlichen Lufthauches (πνεῦμα) fällt in Hegels Aufzählung nämlich gänzlich weg, und er scheint entsprechend irrtümlich davon auszugehen, Philon widme den Himmelskörpern eine eigene Idee, die getrennt von der des Lichtes konzipiert sei.⁵⁰⁹ Vom ersten Schöpfungstag abgesehen erwähnt Hegel jedoch lediglich nur den dritten und vierten Werktag aus Gen 1,9 – 19, während er die drei übrigen Tage des Hexaemerons gänzlich außer Acht lässt. Allein auf Philons zahlenmystisches Verständnis des vierten Schöpfungstages in Opif. 47, an dem die Himmelkörper ins Dasein gerufen werden, geht Hegel näher ein.⁵¹⁰ Er weist nämlich auf das pythagoreische Motiv der vollkommenen Vierzahl (Tetraktys) hin, nach der die Ordnung des Himmels und seiner Gestirne gebildet sei.⁵¹¹
Opif. 29: „Zuerst also erschuf der Schöpfer einen unkörperlichen Himmel und eine unsichtbare Erde und die Idee der Luft und die des leeren Raumes; von den beiden letzteren nannte er die eine ‚Finsternis‘, da der Luftraum seiner Natur nach dunkel ist, die andere ‚Abgrund‘, denn der leere Raum ist sehr tief und weit ausgehend. Dann schuf er die unkörperliche Substanz des Wassers und die des Lufthauches und zu allen (diesen Dingen) als siebentes die Idee des Lichtes, das gleichfalls unkörperlich war, das gedachte Musterbild der Sonne und aller lichtspendenden Gestirne, die am Himmel entstehen sollten.“ (PCH Bd. 1, S. 37) Vgl. hierzu auch Opif. 129 – 130 sowie Spec. 1.329. Zu den grundlegenden intelligiblen Schöpfungswerken des Ideenkosmos siehe: Runia 1986, S. 155 – 157; Runia 1990k [1989], S. 398 – 399; Runia 2001, S. 163 ff. Brucker 1742, S. 803: „Conditorem ante omnia fecisse in mundo intelligibili incorporeum coelum, et terram inuisibilem, et aëris ideam et vacui, deinceps aquae incorpoream essentiam, itemque spiritus et lucem incorpoream, et exemplar solis intelligibile, omniumque stellarum [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 19, S. 425: „[…] und ein unsinnliches Urbild (ἀρχέτυπος) der Sonne und aller Sterne […].“ Zur Erläuterung von Opif. 47 ist besonders aufschlussreich: Runia 2001, S. 191– 192. GW Bd. 30,1, S. 378,14– 16: „So legt er einen Hauptwerth darauf, daß am 4ten Tage Sonne und Mond geschaffen sei, um der pÿthagoräischen τετρακτυς willen.“ Dieses zahlenmystische Element von Philons Schöpfungslehre unter Hinweis auf denselben Textabschnitt macht ebenfalls Brucker deutlich (1742, S. 803).
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
2.12 Philons Wirkungsgeschichte: Vom Neuplatonismus über Kabbala und Gnosis bis hin zur jüdischen und christlichen Philosophie Im Abschnitt „Nachfolger des Proklos“ gibt Hegel zu erkennen, Proklos’ Belang gehe zuletzt unmittelbar mit dessen geschichtlichem Einfluss einher: Proklos ist die Spitze der neuplatonischen Philosophie; dieses Philosophieren zieht sich nun weit hinein in späte Zeiten, selbst durch das ganze Mittelalter. […] Die älteren, reineren, mystischen Scholastiker haben dasselbe, was wir bei Proklos sahen; und bis auf die späteren Zeiten auch in der katholischen Kirche, wenn mystisch tief von Gott gesprochen wird, so sind dies neuplatonische Vorstellungen. (TWA Bd. 19, S. 486 – 487)⁵¹²
Entsprechend dieser Schlüsselstellung lässt sich die Bedeutung von Philons geschichtlich wirkmächtigem Gedankengut gut herausstellen. Hegel geht nämlich, ähnlich wie bei Proklos, bezüglich der systematischen Hauptmomente von Philons Philosophie davon aus, dass deren philosophiegeschichtliche Wirkung auf andere zentrale Strömungen und Denker feststellbar sei: Die Rede ist größtenteils von neuplatonischen, kabbalistischen und gnostischen Strömungen und vom jüdisch-mittelalterlichen Gesamtdenken (Maimonides). Nicht nur davon jedoch, sondern auch von den drei Grundelementen der christlichen Religionslehre, nämlich von der kirchenväterlichen wie von der scholastischen Tradition, also vom allegorischen Schriftverständnis, der Logoslehre und der Trinität. Selbst hinsichtlich Newtons metaphysischer Raumauffassung als sensorium Dei scheint Hegel implizieren zu wollen, sie könne ihren ideengeschichtlichen Ursprung in Philons Raumkonzept haben,⁵¹³ dem zufolge Gott seiner selbstbezüglichen und allgegenwärtigen Natur entsprechend mit dem „sich für sich selbst“ erfüllenden „Raum des Universums“ gleichzusetzen sei. Am eindeutigsten und nachhaltigsten kommt die Wirkung der philonischen Philosophie allerdings in Hegels Ausführungen zu Kabbala und Gnosis zum Ausdruck, denn beide Denkschulen seien, wie er ausdrücklich verdeutlicht, im Kern letztlich auf „Vorstellungen, die auch Philon hatte“, angewiesen, wenn nicht gar rückführbar.⁵¹⁴ Wenn Hegel sich auf Neanders Prämisse in dessen damals wegweisender Untersuchung zum Gnostizismus stützt – wonach das Grundmuster der zweifachen Wesensmomente von Philons System, Gott in seiner Verborgenheit und entsprechend in seiner Offenbarung, von den Gnostikern anver-
Vgl. dazu TWA Bd. 19, S. 517. GW Bd. 30,1, S. 379,5 – 6. TWA Bd. 19, S. 425.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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wandelt werde –⁵¹⁵ nimmt er an, allen kabbalistischen und gnostischen Lehrgebäuden läge ebendiese systematische Dreieinigkeitsstruktur von Philons jüdischem Platonismus zugrunde. Demnach seien sie auch grundsätzlich als dessen „unphilosophische Repetitionen“ einzustufen: Das Erste ist das Seiende, Abstrakte, Unerkannte, Namenlose. Das Zweite ist Enthüllung, das Konkrete; es geht nach der Emanation fort. […] und diese Rückkehr wird als das Dritte angenommen, dieses Dritte kommt dem λόγος zu. So war bei Philon die Weisheit, der Lehrer, Hohepriester das, was das Dritte zum Ersten zurückführt; so in der ὅρασις Gottes. (TWA Bd. 19. S. 425)
Insbesondere in seinen Ausführungen zur Kabbala macht Hegel deutlich, ihre metaphysischen Leitmotive wurzelten in Philons Religionsphilosophie („an Philon angehen“), „aber auf sehr trübe Weise zum Teil, und mehr für die Phantasie vorgestellt“.⁵¹⁶ An dieser Stelle bedient sich Hegel unerwartet ausgerechnet Philons Denkens, dessen rein metaphysischen Charakter er kurz zuvor angezweifelt hat,⁵¹⁷ um eine schärfere Trennlinie zwischen den rationalen und irrationalen Konzepten zu ziehen: „Das Bessere darin bewegt sich in ähnlichen Vorstellungen wie bei Philon. In diesen Büchern sind gewisse recht interessante Grundbestimmungen, von denen man aber zu trüben Phantastereien fortgegangen ist.“⁵¹⁸ Diesem Zitat zufolge repräsentiere Philon also die metaphysischen Begriffe, die noch nicht „zu trüben Phantastereien fortgegangen“, sondern im Kern noch nachdrücklicher von der Vernunftform geprägt seien. Anscheinend ergibt sich für Hegel daraus ein Begründungsproblem, inwieweit die Kabbala überhaupt eine geistige Fortentwicklung von Philons Gedankengebäude darstellt. Besonders deutlich wird diese Schwierigkeit im Licht seiner darauffolgenden Feststellung, „[f]rüher findet sich bei den Juden nichts von den Vorstellungen Gottes als eines Lichtwesens […]“.⁵¹⁹ Diese Behauptung ist deshalb schwer nachvollziehbar, weil Hegel bereits kurz davor Philons jüdisches Gottesbild von einem ungemischten Lichtwesen aufgegriffen hat.⁵²⁰ Auch in seinem Gnosis-Abschnitt beruft er sich auf ein Zitat im Originalwortlaut aus Deus 78 auf Philons lichthafte Gottesvorstellung als λαμπρότατον φῶς, woraus eine Vielzahl an unvergänglichen Kräften in Gestalt von Sonnenstrahlen emaniere und das
Neander 1818, S. 8 – 11. TWA Bd. 19, S. 426.Vgl. ebenfalls TWA Bd. 19, S. 512– 513. Darauf weist auch Westerkamp hin: 2009, S. 128. TWA Bd. 19, S. 419, 424– 425. TWA Bd. 19, S. 426. TWA Bd. 19, S. 427. TWA Bd. 19, S. 421.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Urlichtwesen umhülle.⁵²¹ Eine solch „orientalische“ Emanationsvorstellung artikuliert Hegel ebenso in seiner enzyklopädischen Naturphilosophie (§ 249) – als Verdeutlichung dessen, was die mannigfachen Vorgänge in der Natur als ein „System von Stufen“ ausmacht. Dies hat augenfällige Affinität zu Tennemanns Schilderung der philonischen Gottheit als einem Urlichtwesen, aus dem lichthafte „Fulgurationen“ als Geschöpfe hervorgingen: Der Gang der Emanation ist dem Morgenlande eigen; sie ist eine Stufenfolge der Verschlechterung, die vom Vollkommenen, von der absoluten Totalität, von Gott anfängt: er habe erschaffen, und Fulgurationen, Blitze, Abbilder von ihm seien hervorgetreten, so daß das erste Abbild ihm am ähnlichsten sei. Diese erste Produktion habe wieder tätig gezeugt, aber Unvollkommeneres, und so fort herunter, so daß jedes Erzeugte immer wieder erzeugend gewesen sei, bis zum Negativen, zur Materie, zur Spitze des Bösen. Die Emanation endet so mit dem Mangel aller Form. (TWA Bd. , S. : § Zusatz; Hervorh. d. Verf.)
Freilich ist Licht so etwas Feines, daß es um so eher die Phantasie verführet, es als etwas Immaterielles und das Substrat der unendlichen Intelligenz zu betrachten; und die Schnelligkeit, mit welcher es sich verbreitet, und die Objecte dem Auge sichtbar macht, kann leicht die Täuschung veranlassen, darin die Wirkungsart des Unendlichen zu ahnden, und seine Geschöpfe als Fulgurationen des Urlichtes sich vorzustellen. (Tennemann , S. ; Hervorh. d. Verf.)
Hegel geht weiterhin davon aus, „[d]ie Juden fangen hier erst an“, in direkter Folge der gedanklichen Wirkung der kabbalistischen Vorstellungen auf ihre Glaubensgemeinschaft „ihre Gedanken über ihre Wirklichkeit hinauszutragen, eine Geistes- oder wenigstens Geisterwelt sich aufzuschließen“.⁵²² Die spirituelle Lage der Judenschaft vor der Konfrontation mit der kabbalistischen Weltsicht sei zutiefst aussichtslos gewesen, da sie zu dieser Zeit bloß „in den Schmutz und den Eigendünkel ihres Daseins und der Erhaltung ihres Volkes und ihrer Geschlechter versenkt waren“.⁵²³ Auch diese Aussage erscheint auf den ersten Blick problematisch, wenn man berücksichtigt, dass Philon in den gedanklichen Entwicklungen des Frühjudentums sowohl den Begriff einer intelligiblen Welt als auch den eines aufwertenden Menschenbildes bereits vorwegnimmt. Die nähere Betrachtung von Hegels geistesgeschichtlicher Wesensbestimmung des philonischen Denkens als erstmaliger „Wendung des allgemeinen Bewußtseins“ zum „philosophische[n] Bewußtsein“ entschärft diesen Widerspruch jedoch größtenteils. Bei Philon ist die Rede nicht von einer bereits vollzogenen gedanklichen Wende im Judentum, sondern ausschließlich von deren ausschlaggebender Auf-
TWA Bd. 19, S. 430. TWA Bd. 19, S. 427. TWA Bd. 19, S. 427.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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gangsphase, die erst in der kabbalistischen Denktradition ihre Vollendung gefunden habe. Eine außergewöhnliche Nähe zwischen philonischem und kabbalistischem Gedankengut glaubt Hegel vor allem in der anthropomorphen Geistbestimmung des Urmenschen zu entdecken. Da er den hebräisch-kabbalistischen Terminus Adam Kadmon schon zuvor und erstmals in seiner Philondarstellung erwähnt,⁵²⁴ scheint unklar, ob Hegel überhaupt zwischen diesem und dem philonischen οὐράνιος ἄνθρωπος – vor dem Hintergrund ihrer augenfälligen Parallelen – unterscheidet.⁵²⁵ Allerdings hält er in seinen Ausführungen zur Kabbala aus dem Jahr 1819 allem Anschein nach doch noch an der ideengeschichtlichen Differenz zwischen beiden Konzepten fest: „Was Philon den λογος nannte, das ist was in dieser Kabbala der Adam Kadmos heißt [Hervorh. i. Orig.].“⁵²⁶ Bereits Schellings Entwürfe zur gnostischen Entwicklungsgeschichte aus seinen Tübinger Studienjahren haben eindeutig gezeigt, dass ihm Philons Religionsphilosophie als entscheidende Vorformulierung der Gnosis und als Antizipation ihrer Grundvorstellungen galt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Hegels Gnosisbild nicht wesentlich von dem Schellings, denn Hegel nimmt ebenfalls an, dass Philon in gewissem Umfang die gnostischen Hauptgedanken vorweggenommen hat. In seiner Gnosisdeutung sind Leitmotive von Philons Denksystem besonders manifest,⁵²⁷ die er größtenteils dem einleitenden Philon-Kapitel „Elemente der Gnosis in Philo“ (S. 1– 27) von Neanders theologiegeschichtlicher Abhandlung Genetische Entwicklung der vornehmsten gnostischen Systeme entnimmt.⁵²⁸ Bereits Baur, ein Tübinger Stiftler, der sich im 19. Jahrhundert intensiv mit der Verbindung zwischen der gnostischen Strömung und der christlichen Dogmenbildung befasste, ist Philons Schlüsselstellung in Neanders Untersuchung aufgefallen: „In der genetischen Entwiklung der vornehmsten gnostischen Systeme hat Neander das größte Gewicht auf Philo gelegt, und ihn der Reihe der Gnostiker als denjenigen vorangestellt, welcher, um die Elemente der Gnosis in der alexandrinischen Religionsphilosophie aufzusuchen, dazu den meisten Stoff
TWA Bd. 19, S. 423. Vgl. dazu Westerkamps Analyse von Hegels Kabbala-Deutung bezüglich des personifizierten Konzeptes des Adam Kadmon und dessen Verbindung zu Hegels Verständnis von Philons anthropomorpher Logosbestimmung: Westerkamp 2009, S. 125. GW Bd. 30,1, S. 380,14– 15. Darauf macht auch OʼRegan aufmerksam: 2008, S. 112. Zu Hegels Gnosisdeutung in Zusammenhang mit dessen Philon- und Christentumsbild siehe weiterführend: OʼRegan 2008, S. 112, 117 sowie Halfwassen 1999, S. 162– 163. Darauf deuten sowohl Halfwassen (1999, S. 163: Fn. 15, 166: Fn. 28) als auch Westerkamp (2009, S. 128 – 129) hin.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
gebe.“⁵²⁹ Diesen eindeutig „philonisierenden“ Ansatz übernimmt Hegel und baut ihn in seinen eigenen philosophiegeschichtlichen Gnostizismus-Abschnitt ein. Ganz wie Neander geht er davon aus, die Gnostiker unterschieden, stark an Philons prinzipientheoretischem System orientiert, „zwischen einem verborgenen, in sich verschlossenen, unbegreiflichen, über jede Bezeichnung und Abbildung erhabenen Wesen der Gottheit und dessen Offenbarung, als dem ersten Uebergangspunkt zur Schöpfung, dem Grund aller Lebensentwicklung“:⁵³⁰ „Das Urwesen trägt alle Vollkommenheit in sich verschlossen, aber nur als potentia; der Geist (νοῦς), der Erstgeborene ist erst die Offenbarung des Verborgenen. […] Die Grundbestimmung ist dieselbe; Abgrund und Enthüllung ist die Hauptsache.“⁵³¹ Dieses „in sich verschlossene Urwesen“, dessen Vollkommenheit von seinen unzähligen Kräften herrühre, hat in Neanders Basilides-Deutung seinen Ursprung.⁵³² Das Zitat jedoch scheint wiederum vorrangig auf Neanders Darstellung der Beziehung des streng einheitlichen Gottes zu seinen mannigfachen Gewalten zurückzugehen und basiert hierbei auf Abr. 119 – 132, aber auch auf Fug. 95 – 96 sowie Deus 77– 78 und 108 – 110: „Unter diesen göttlichen Kräften denkt sich Philo theils die verschiedenen Relationen, in denen der unbegreifliche Gott der endlichen Vernunft erscheint als schaffend, herrschend, belohnend, strafend […] theils die einzelnen Vollkommenheiten, in welche sich das ὀν als verschlossener Inbegriff aller Vollkommenheit entfaltet.“⁵³³ Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass Hegel die Bestimmung der Verschlossenheit ebenfalls auf die jüdische wie auf die philonische Gottesauffassung anwendet.⁵³⁴ Auch bei der Darstellung der negativen Gotteslehre der Gnostiker Valentin und Basilides entnimmt Hegel schlicht die Reihe von Gottes Grundbestimmungen in Baur 1835, S. 12. Neander 1818, S. 8. TWA Bd. 19, S. 428 – 430. Neander 1818, S. 33: „Dieses Urwesen trägt alle Vollkommenheit in sich verschlossen. Bevor aus den in demselben verborgenen Lebenskeimen besonderes Daseyn sich bilden konnte, mußten die einzelnen Attribute der überschwenglichen göttlichen Vollkommenheit sich entfalten, deren jedes für sich die ewige Gottheit darstellt und offenbart.“ (vgl. dazu: Neander 1818, S. 34– 35) Darauf wurde bereits bei Hegel verwiesen: Vorl. Bd. 8, S. 437 (173,934– 938). Neander 1818, S. 10. Vgl. dazu: Neander 1818, S. 8 („[…] (ὁ ὠν, το ὀν) der Jehovah und seine Offenbarung oder der Inbegriff aller in dem Wesen Gottes verborgenen Kräfte (δυναμεις του ὀντος ὁ λογος του ὀντος) […].“). Vgl. Neander 1818, S. 19 – 20. TWA Bd. 10, S. 31;Vorl. Bd. 5, S. 22 und 129.Vgl. dazu auch Notizen, S. 26, 28 – 29 (§§ 465 – 469): „Alles heraus aus dem verschlossenen Gotte […]. Indem die Macht als absolute Negativität vorgestellt ist, so ist zuerst das Wesen, d. h. das mit sich Identische in seiner Ruhe, ewigen Stille und Verschlossenheit. […] Ewige verschlossene Wesen unerkannte auch – Neuplatoniker – weil das Unterschiedslose – Reine Erkennen ist daß Abstracte Seyn ist mangelhafte – Negativität – Macht […] in den absoluten Schmerz der Negativität [Hervorh. i. Orig.].“
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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Philons apophatischer Theologie, wie etwa „[d]as Erste […] das Seiende, Abstrakte, Unerkannte, Namenlose“, Neanders Ausführungen zu Philons Gedankengebäude. So stellt er beispielsweise ausdrücklich eine in Neanders Basilides-Abschnitt wurzelnde Verbindung zwischen der basilidianischen und der philonischen Gottesvorstellung her,⁵³⁵ indem er zu Basilides mit namentlicher Erwähnung Philons anmerkt, „[b]ei ihm ist auch das Erste der unsagbare Gott (θεὸς ἄρρητος) […] er ist als τὸ ὄν, ὁ ὤν namenlos (ἀνωνόμαστος), unmittelbar, auch bei Philon“.⁵³⁶ Dies ist wenig überraschend, wenn man Neanders Andeutung berücksichtigt, der zufolge auch der gnostische Topos von Gottes Namenslosigkeit in Philons Denken wurzelt: „Als ὠν ist Gott der ἀνωνομαστος oder ἀκατονομαστος, über jede Bezeichnung erhaben, er wird nur bezeichnet in seinen Kräften, diese sind daher eben so viele Namen des an und für sich Unnennbaren cf. q. rev. div. haer. p. 504. de nom mutat. 1046 [Hervorh. i. Orig.].“⁵³⁷ Hegel charakterisiert ferner, größtenteils auf Neanders Philondarstellung gestützt,⁵³⁸ auch das zweite Leitprinzip der Gnosis. Unter diesem sei nichts anderes als eine konkrete Geistbestimmung in Gestalt einer Offenbarung der verborgenen Natur der eigenschaftslosen Gottheit zu verstehen. Dieses Moment von Gottes voller Entfaltung beschreibt Hegel in offensichtlicher Bezugnahme auf eine Reihe philonischer Motive hinsichtlich Gottes Mittelwesen (Logos/Weisheit/Kräfte/Ideen): Die Offenbarung, was herabgekommen ist, ist auch Herrlichkeit (δόξα, Schechinah) Gottes, σοφία οὐράνιος (sie selbst ist ὅρασις τοῦ θεοῦ), δυνάμεις ἀγένητοι, αἳ περὶ αὐτὸν οὖσαι λαμπρότατον φῶς ἀπαστράπτουσι, die Ideen, λόγος: oder vorzugsweise der Name Gottes (τὸ ὄνομα τοῦ θεοῦ πολυώνυμος), dieser Demiurg; das ist Erscheinen Gottes, Bestimmung. (TWA Bd. 19, S. 430)
Unter Berücksichtigung von Hegels philosophiegeschichtlicher Philonauffassung ist der vorliegenden Passage zum gnostischen Geistprinzip fünferlei zu entnehmen: 1) Hegel setzt die biblische Vorstellung der δόξα τοῦ θεοῦ mit den ἀγένητοι δυνάμεις als dem offenbarenden Hauptmoment der gnostischen Philosophie
Neander 1818, S. 33: „An das Judenthum sich anschließende Gnostiker. I. Basilides und seine Schule […]. An die Spitze des Lichtreichs stellte Basilides das über jede Bezeichnung erhabene Urwesen, den deus innominatus oder innominabili. Philo’s ὀν das Aen soph der Kabbala, den θεος, ἀῥῥητος, ἀνωνομαστος, ἀκατονομαστος [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 19, S. 428. Auf diesen Aspekt macht die kritische Hegelausgabe im Rückgriff auf Neander ausführlich aufmerksam: „Daß auch bei Basilides das Erste der unsagbare Gott sei, spielt auf diesen Gedanken bei Philo und in der Kabbalah an.“ (Vorl. Bd. 8, S. 436) Neander 1818, S. 10. Neander 1818, S. 9 – 13.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
gleich. Dies ist eine Identifikation, die wiederum auf einen Passus aus Philons Spec. 1.45 zurückgeht, in dem er Moses in Zusammenhang mit seiner Aufforderung in Ex 33,18 LXX (δεῖξόν μοι τὴν σεαυτοῦ δόξαν) die Worte in den Mund legt, „unter deiner Herrlichkeit verstehe ich aber die dienstbaren Kräfte zu deiner Seite, die zu begreifen mir bisher noch nicht gelang, nach deren Erkenntnis ich aber grosse Sehnsucht empfinde“.⁵³⁹ Diese Identifizierung nimmt Neander allerdings unter Berufung auf ein Fragment Philons (§ 45) zu Ex 24,16a LXX (καὶ κατέβη ἡ δόξα τοῦ θεοῦ ἐπὶ τὸ ὄρος τὸ Σινα) vor.⁵⁴⁰ In diesem wolle der alexandrinische Philosoph die folgenschwere Problematik der Implikation der Ortsbewegung und der damit verbundenen Wandelbarkeit im Wesen Gottes (τὸν οὐσιώδη θεόν) schriftexegetisch aufheben, indem er den Sinn der δόξα τοῦ θεοῦ mit den vermittelnden Instanzen der θεῖαι δυνάμεις gleichsetzt: „In einem Fragment, M. T. II. p. 679. wo Philo die Theophanie Exod. 24,13 erklärt, sagt er, man müsse nicht glauben, daß der ὀυσιωδης θεος herabgekommen sey; sondern seine δοξα (Schechinah), d. h. die ihn repräsentirenden Kräfte, hier höhere Geister, wie die Herrlichkeit eines Fürsten seine στρατιωτικη δυναμις genannt werde [Hervorh. i. Orig.].“⁵⁴¹ Diese ursprünglich von Philon postulierte Gleichsetzung übernimmt Hegel eigentlich bereits elf Jahre vor Neander, und zwar in seiner Behandlung des auf Ps 104 basierenden Lichtwesens der Naturreligion in der Phänomenologie des Geistes, indem er Gottes Kräfte als die „Boten seiner Macht, Anschauungen seiner Herrlichkeit“ bestimmt.⁵⁴² 2) Auch die Bezeichnungen der gnostischen Geistbestimmung als „himmlische Weisheit“ und „Schauen Gottes“ („σοφία οὐράνιος […] sie selbst ist ὅρασις τοῦ θεοῦ“),⁵⁴³ die Philons Leg. 1.43 und Conf. 61 entstammen,⁵⁴⁴ übernimmt Hegel
PCH Bd. 2, S. 23. Vgl. Philon 1886, S. 60. Vgl. QE 2.45 (PLCL Bd. 12, S. 250 – 251: griechisches Fragment). Siehe dazu auch: Wolfson 1962, Bd. 2, S. 142– 143. Neander 1818, S. 9 – 10. TWA Bd. 3, S. 506. Ähnliche Vorstellungen greift auch Neander auf, wenn er in seiner Thematisierung dieses Fragments konstatiert, diese göttlichen Kräfte seien wie die kriegerische Macht eines Königs (στρατιωτικὴ δύναμις) und wie Engel („höhere Geister“) aufzufassen. Es sei dabei daran erinnert, dass Hegel in seiner Philon- sowie Gnosisdeutung die platonischen Ideen mit Engeln gleichsetzt: „Die Ideen, Sephiroth, Engel, heißen hier Aeonen […].“ (Vorl. Bd. 8, S. 174) Vgl. dazu: TWA Bd. 6, S. 188 ff. sowie Notizen, S. 34. TWA Bd. 19, S. 430. PCH Bd. 3, S. 30: „Die erhabene, himmlische Weisheit hat die Schrift vielfältig bezeichnet, um ihre Vielnamigkeit darzutun; sie hat sie Anfang, Urbild und Schauen Gottes genannt.“; PCH Bd. 5, S. 118: „[…] nicht (einen Garten) irdischer Pflanzen, sondern himmlischer Tugenden, die der Pflanzer aus dem bei ihm befindlichen unkörperlichen Lichte, für ewig unauslöschlich, hervorkommen ließ.“
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
171
aus Neanders Philon-Kapitel, in dem es heißt: „Dasselbe was er von der ὀυρανιος σοφια (ihm mit dem λογος noch identisch v. p. 52) als ὁρασις θεου sagt, diese personificirte himmlische Weisheit als Inbegriff der himmlischen Tugenden, welche Gott seinem geistigen Licht auf ewig unauslöschlich hervorgehn ließ […] [Hervorh. i. Orig.].“⁵⁴⁵ Vor dem Hintergrund von Hegels Informationsquelle kann man mithin die Motive nachzeichnen, die er im Rekurs auf Neander, wenngleich lediglich ansatzweise, zur Geltung bringen wollte: (a) Philons Logos als εἰκὼν τοῦ ὄντος sowie „der allgemeine Gottesoffenbarer“ sei mit der göttlichen Weisheit grundsätzlich gleichzusetzen. Die Weisheit ziele als ὅρασις θεοῦ darauf ab, (b) Gott zu begreifen. (c) Philon vergegenständliche sich die Logoshypostase dahingehend anthropomorph, dass er darunter den Inbegriff aller himmlischen Tugenden verstehe. (d) Gottes Verhältnis zu den individualisierten Tugenden der himmlischen Weisheit fasse Philon als intelligible Lichtstrahlen auf, die ununterbrochen aus dem göttlichen noetischen Urlichtwesen emanierten. 3) Am wichtigsten im Zusammenhang mit dieser Aufzählung der verschiedenen metaphysischen Vorstellungen des gnostischen Offenbarungsprinzips ist Hegels Exzerpt („[…] δυνάμεις ἀγένητοι, αἳ περὶ αὐτὸν οὖσαι λαμπρότατον φῶς ἀπστράπτουσι […]“) einer aufschlussreichen Stelle aus Philons Deus 78 (τὰς δὲ ἀγενήτους ἄρα δυνάμεις ἐκείνας, αἳ περὶ αὐτὸν οὖσαι λαμπρότατον φῶς ἀπαστράπτουσιν). Dies hat er, ohne jenen zu erwähnen, eindeutig Neanders einleitendem Kapitel über Philon entnommen: Diese Kräfte als von Ewigkeit her in dem Wesen Gottes verborgen und von demselben ausstrahlend, nennt er δυναμεις ἀγενητους, αἳ περι ἀυτον ουσαι λαμπροτατον φως ἀπαστραπτουσιν […] diese göttlichen Kräfte, ihrem Wesen nach auch unbegreiflich, offenbaren in der Schöpfung ein Bild ihrer Wirksamkeit, indem sie Gestalt und Bildung dem Unorganischen mitteilen. (Neander 1818, S. 11)⁵⁴⁶
Unter Bezugnahme auf Deus 78 sucht Neander den weltabgewandten und -zugewandten Charakter der θεῖαι δυνάμεις herauszustellen: Einerseits seien sie in Gottes strikt einheitlichem Wesen verborgen und unfassbar, andererseits in ihrer weltbegründenden, gestaltgebenden Wirksamkeit in den Schöpfungswerken offenbar und demnach fassbar.⁵⁴⁷
Neander 1818, S. 13. Die Philon-Stelle lautet im Quellentext folgendermaßen: … τὰς δὲ ἀγενήτους ἄρα δυνάμεις ἐκείνας, αἳ περὶ αὐτὸν οὖσαι λαμπρότατον φῶς ἀπαστράπτουσιν (PCH Bd. 4, S. 90: „[…] doch jene ungewordenen Kräfte, die um ihn herum das glänzendste Licht ausstrahlen […].“). Dabei greift Neander allerdings anscheinend gleichzeitig auf einen Abschnitt aus Philons Deus 77 zurück, in dem genau diese doppelte Sichtweise der göttlichen Gewalten verdeutlicht
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Zu Hegels kurzem Philon-Exzerpt und dessen Kontext ist grundlegend zweierlei anzumerken: (a) Diese durch Lichtmetaphorik veranschaulichte Emanationsvorstellung spiegelt das dem philonischen Gesamtdenken zugrunde liegende Verhältnis zwischen dem Prinzip der Einheit und dem der Vielheit wider: Während Gott als reines Urlicht der absoluten Einheit entspricht, sind seine unvergänglichen Kräfte als die dem Urlichtwesen entspringenden und es umgebenden Lichtstrahlen mit dem weltbezogenen Prinzip der Vielheit gleichzusetzen. (b) Indem Hegel auf Neanders Verknüpfung von Philons Konzept der weltschöpferischen Kräfte mit den platonischen Ideen aufbaut,⁵⁴⁸ scheint er auch davon auszugehen, dass die philonische Auffassung der ἀγένητοι δυνάμεις aus Deus 78 der platonischen Ideenkonzeption entspricht.⁵⁴⁹ 4) Auch die weltbildende Rolle der gnostischen Konzeption der Mittelwesen als „Erscheinen Gottes“ will Hegel an dieser Stelle konkretisieren, indem er sie nicht nur mit Philons Logos als Inbegriff aller formstiftenden Kräfte bzw. Ideen und als Gottes welterschaffendes Hauptinstrument identifiziert,⁵⁵⁰ sondern auch und erst recht mit Philons kosmologischem Gedanken des Demiurgen, auf den der jüdische Platoniker in seinen Schöpfungsspekulationen oftmals Bezug nimmt. Diese häufige philonische Denkstruktur übernimmt Hegel ebenfalls aus Neanders Philondarstellung, in der sie als eine unter den jüdischen Gnostikern geläufige Vorstellung des weltbildenden Logos eingeschätzt wird: „Die aus dem Judenthum herrührenden Gnostiker dachten sich zuerst unter dem Demiurgos gar nichts anders, als einen solchen den höchsten Gott repräsentirenden Engel, einen Erzieher und Zuchtmeister der Welt.“⁵⁵¹ Naheliegend ist zugleich, dass Hegel sich dessen bewusst war, dass Philons jüdischer Platonismus sich diesen im Timaios angelegten Schöpfungsgedanken des δημιουργός, der den gesamten Kosmos kraft einer mimetischen, anschauenden Bildungstätigkeit nach einem unveränderlichen Muster gestaltet (28a6 – b1) vorrangig in De opificio mundi zu eigen macht. Philon will mit dieser spekulativen Gedankenfigur die weltformende Wirksamkeit des Logos erläutern, der ein noetisches Weltmodell als παράδειγμα im Gedächtwird: „[…] denn Gott verwendet die Kräfte in bezug auf sich selbst ungemischt, in bezug auf die Schöpfung aber gemischt.“ (PCH Bd. 4, S. 89) In Deus 81 macht Philon klar, dass die Kräfte dem göttlichen Wesen nicht zukommen, „denn von den reinen und ungemischten und wirklich höchsten Kräften wurde nachgewiesen, daß sie allein in der Umgebung des Seins existieren“ (PCH Bd. 4, S. 90) Hierzu siehe z. B. außerdem Conf. 172; Cher. 27; Fug. 101. Siehe dazu: Bormann 1955, S. 47, 52– 53, 103 – 104; Goodenough 1969, S. 30. Neander 1818, S. 11: „Diese von den göttlichen Kräften ausgeprägten, organisirenden Formen sind ihm die platonischen Ideen.“ Vgl. dazu Heinze 1872, S. 246– 247. Siehe dazu: Neander 1818, S. 12. Neander 1818, S. 19.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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nisvermögen seiner eigenen Geistseele erblickt und infolgedessen die Sinnenwelt produzieren kann.⁵⁵² 5) Ergänzend zum philonischen Motiv der prinzipiellen Namenlosigkeit Gottes (ἀνωνόμαστος) kommt Hegel diesbezüglich auch auf dessen Vielnamigkeit (πολυώνυμος) bei dem jüdischen Religionsphilosophen zu sprechen, die Gottes Logos als Ganzheit aller seiner göttlichen Kräfte sowie Manifestation des Gottesnamens zukomme:⁵⁵³ „[…] oder vorzugsweise der Name Gottes (τὸ ὄνομα θεοῦ, πολυώνυμος)“.⁵⁵⁴ Diesen Aspekt von Philons Logostheologie legt Neander ausführlich dar.⁵⁵⁵ Ihm zufolge manifestieren die mannigfachen Kräfte Gottes vielfältige Namen, der Logos als deren einheitliche Gesamtstruktur hingegen das ὄνομα θεοῦ schlechthin und Gottes πολυωνυμία. Von der charakteristischen Vielnamigkeit der jüdischen Gottheit als eines abstrakten Lichtwesens geht Hegel schon zuvor und ganz unabhängig von Ne-
Theiler macht ebenfalls auf Philons umfangreichen Gebrauch der platonischen „Demiurgosvorstellung“ aufmerksam und betont dabei in erster Linie das geistmetaphysische Merkmal der nachahmenden Tätigkeit des weltbildenden Logos: „Hervorgehoben sei die Vorstellung, daß der Demiurg eines Paradeigma bedarf; es ist ein Gedankenbild im θεῖος λόγος.“ (Theiler 1957, S. 705) Allerdings macht Runia in seinem Artikel „God the Creator as Demiurge in Philo of Alexandria“ deutlich, dass dem platonischen Konzept des Demiurgen nicht nur in De opificio mundi, in §§ 9, 36, 138 – 139 sowie 171, besonderer Belang zukommt, sondern auch im gesamten Corpus Philonicum: „In this work [sc. Opif.] he indicates very clearly and quite systematically how he understands the demiurgic role of God in the act of creation. […] But the notion of God as a demiurgic creator pervades Philo’s writings.“ (Runia 2012, S. 44) Dazu weiterführend: O’Brien 2015, S. 36 – 80 (in Kap. 3: „Logos into Demiurge: The Logos and the Logos-cutter“), insbesondere 60 – 62; O’Brien 2007, S. 61; Runia 2001, S. 103, 137– 138, 203 – 204; Runia 2012, S. 41– 59, 47 („Only at the third stage of executing the design does Philo use the original term dêmiourgos [Hervorh. i. Orig.].“); Runia 1986, S. 103 ff., 164– 168, 253 – 255; Heinze 1872, S. 65 – 66, 181– 183, 216 ff.; Cohn 1912, S. 325 – 326; Dillon 1996, S. 158 – 159; Theiler 1971, S. 28 – 31; Halfwassen 2000, S. 42 ff.; Horovitz 1900, S. 8, 17– 19, 31– 32, 41 ff. Conf. 146: „Wenn aber jemand noch nicht würdig ist, Sohn Gottes zu heißen, so bestrebe er sich, sich zuzuordnen dem Logos, seinem Erstgeborenen, dem Ältesten unter den Engeln, da er Erzengel und vielnamig ist. Er heißt nämlich: Anfang, Namen und Wort Gottes, der ebenbildliche Mensch und der Schauende, Israel.“ (PCH Bd. 5, S. 138) TWA Bd. 19, S. 430. Neander 1818, S. 10: „Als ὠν ist Gott der ἀνωνομαστος oder ἀκατονομαστος, über jede Bezeichnung erhaben, er wird nur bezeichnet in seinen Kräften, diese sind daher eben so viele Namen des an und für sich Unnennbaren […].“; Neander 1818, S. 12– 13: „In sofern das ὀν an und für sich über jede Bezeichnung erhaben ist und nur nach den von demselben ausstrahlenden Kräften bezeichnet werden kann; alle diese aber der λογος in sich schließt, nennt er ihn vorzugsweise ὀνομα του θεου und zugleich πολυωνυμος, als ἀρχἀγγελος, weil er nicht bloß eine einzelne göttliche Kraft darstellt; sondern alle in sich faßt, leg. all. p. 99. cf. p. 341 […] [Hervorh. i. Orig.].“
174
2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
ander in einer metaphysischen Psalmendeutung in der Phänomenologie des Geistes (1807) aus.⁵⁵⁶ Es sei hierbei allerdings daran erinnert, dass Hegel Gottes Kräfte bzw. Eigenschaften durchweg in Zusammenhang mit seinem Verständnis der jüdischen sowie orientalischen Weltsicht mit dessen zahlreichen Namen identifiziert.⁵⁵⁷ Diesen Standpunkt einer vielnamigen, unfassbaren Gottesvorstellung legt er zudem in den religionsphilosophischen Vorlesungen über die christliche Trinitätsbestimmung dar, um diese von der orientalischen Weltsicht abzuheben, und greift dabei sogar auf den griechischen Terminus πολυώνυμος zurück: „Indem die Morgenländer das Gefühl haben, daß dies nicht die wahrhafte Weise sei, die Natur Gottes auszusprechen, so sagen sie, er sei πολυώνυμος, lasse sich nicht erschöpfen durch Prädikate, – denn Namen sind in diesem Sinn dasselbe wie Prädikate.“⁵⁵⁸ Wie bereits ausgeführt, scheint sich die Wirkung des philonischen Denkens bis in die mittelalterliche Philosophie zu erstrecken. Hegel meint dessen Einfluss vor allem in der jüdischen Einheitsmetaphysik des Maimonides auszumachen. Deren Vorbildcharakter für die gesamte jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters ist derart ausgeprägt, dass Hegel sich überhaupt keinem anderen jüdischen Philosophen widmet, geschweige denn einen namentlich erwähnt.⁵⁵⁹ Zweimal beruft er sich in seiner äußerst gedrängten Maimonidesdeutung auf Philon, um näher auf die Konstituenten von Maimonides’ schriftexegetischer Denkweise einzugehen: „Wie bei den Kirchenvätern und Philon ist das Geschichtliche dabei zugrunde gelegt; und dies ist metaphysisch behandelt. […] dagegen finden wir bei Moses Maimonides sehr strenge abstrakte Metaphysik, die sich nach Art Philons mit den mosaischen Büchern und deren Explikation verknüpfte.“⁵⁶⁰ Hegel weist darauf hin,
TWA Bd. 3, S. 506: „Ihre Bestimmungen [sc. der Natur] sind nur Attribute, die nicht zur Selbständigkeit gedeihen, sondern nur Namen des vielnamigen Einen bleiben.“; Bd. 3, S. 527: „Der lautere Trieb aber ist das vielnamige Lichtwesen des Aufgangs und sein taumelndes Leben, das, von seinem abstrakten Sein ebenso abgelassen […].“ Beispielsweise: TWA Bd. 8, S. 96: § 28 Zusatz; Bd. 16, S. 345. TWA Bd. 17, S. 224. TWA Bd. 19, S. 523: „An die Araber schließen sich die jüdischen Philosophen an, unter denen der schon oben genannte Moses Maimonides ausgezeichnet ist [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 19, S. 524. Darauf weist auch Westerkamp hin: 2009, S. 130 – 131 und 133. Auf ähnliche Weise wie Hegel zwischen Philon und den Kabbalisten unterscheidet, sucht er auch, mit entsprechenden Änderungen, die Metaphysik des Einen bei Maimonides von den „unphilosophischen“ Vorstellungen der mittelalterlichen Kabbalisten abzuheben: „In ihrer Philosophie dringt einesteils das Kabbalistische in Astrologie, Geomantie usf. durch; dagegen finden wir bei Moses Maimonides sehr strenge abstrakte Metaphysik, die sich nach Art Philon mit den mosaischen Büchern und deren Explikation verknüpfte.“ (TWA Bd. 19, S. 524) Um genau diesen vernünftigen Aspekt seiner jüdischen Religionsphilosophie zu betonen, fasst er am Ende seiner
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
175
dass die auffallende Ähnlichkeit zwischen beiden jüdischen Religionsphilosophen primär von ihrer Methode der allegorischen Schrifterklärungen herrührt, wenngleich er das maimonidische Denken in merklichem Gegensatz zu Philons spekulativem System letztlich abwertend als „sehr strenge abstrakte Metaphysik“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund der methodologischen Parallele ist weiterhin zu beachten, dass Hegel nahezu dieselbe Äußerung wie in seinen philosophiegeschichtlichen Ausführungen zu Philons allegorischem Interpretationsansatz auch hinsichtlich Maimonides’ metaphysischer Bibeldeutung macht: Die Geschichte des jüdischen Volks legt er […] das Geschichtliche dabei zugrunde gelegt; zugrunde, kommentiert sie. (TWA Bd. , und dies ist metaphysisch behandelt. (TWA S. ) Bd. , S. )
Zwei wichtige Bezugnahmen auf Philons allegorische Methode der Schriftexegese sprechen dafür, dass Hegel den Kern von Maimonides’ Gesamtsystem ideengeschichtlich in Philons Denkweise begründet sieht. Dass Hegel in diesem Zusammenhang neben Philon zudem auf die allegorischen Schriftauslegungen der Kirchenväter zurückgreift, könnte implizieren, dass auch die Kirchenväter in dieser Hinsicht in gedanklichem Abhängigkeitsverhältnis zum philonischen Gedankengut stünden.⁵⁶¹ Hegel scheint des Weiteren davon auszugehen, dass Philons geistige Lesart der jüdischen Bibel das schriftinterpretative Denken der christlichen Scholastik theologiegeschichtlich beeinflusst hat, was zweifach belegt ist: 1) In seinem philosophiegeschichtlichen Abschnitt über die „Scholastische Philosophie“ erklärt Hegel beiläufig die „Philonische[…] Philosophie“ wie auch die alexandrinische zum historischen Ursprung der geistigen Methodik der Bibeldeutung der christlichen Gnosis.⁵⁶² Diese wiederum bildet die Grundlage für das sowohl geschichtlich wie auch vernünftig höher entwi-
Maimonidesdeutung einen charakteristischen Themenkomplex aus Führer der Unschlüssigen so zusammen: „Wir finden in ihnen [sc. in seinen Schriften] Beweise der Einheit Gottes, daß die Welt erschaffen und die Materie nicht ewig ist, von Gottes Eigenschaften. Das Gott Eins ist, ist behandelt […] daß das Viele nicht das Wahre ist, sondern das sich selbst hervorbringende und aufhebende Eine.“ (TWA Bd. 19, S. 524) Dieses Werk fand sich in lateinischer Übersetzung in Hegels Bibliothek (Schneider 2010, S. 74: Nr. 12): „Mos. Maimonides, ( מורה נבוכיםMoreh Nevochim), ed. J. Buxtorf. Basil, 629“). Zu Hegels Maimonidesdeutung siehe ebenso: Yovel 1998, S. 83 – 97. Es besteht kaum Zweifel daran, dass Hegel von dieser Annahme im Allgemeinen ausgeht: TWA Bd. 12, S. 400. TWA Bd. 19, S. 527: „Die von ihnen hineingebrachten Gedanken sind mehr oder weniger Gedanken der alexandrinischen oder auch der Philonischen Philosophie.“
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2)
2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
ckelte doppelte Schriftverständnis der Scholastiker. Auch in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen des Sommersemesters 1819 hält Hegel fest, „andere christliche Philosophien“, von den christlichen Gnostikern abgesehen, „bringen in ihren sonderbaren Gestalten Manches“ von Philons Vermischung platonischer Ideen und orientalischer Vorstellungen „hervor“, womit er sich offenkundig auf Philons Einfluss auf die kirchenväterliche Tradition bezieht.⁵⁶³ In einer Nachschrift der philosophiegeschichtlichen Vorlesungen von 1820/21 führt er den allegorischen Interpretationsansatz der christlichen Scholastiker auf die philonische Bibeldeutungsmethode zurück, wenn er zu dem Schluss kommt, „[e]ben so suchten später die Scholastiker die Übereinstimmung des für sich Vernünftigen mit der heiligen Schrift zu zeigen“.⁵⁶⁴
Auch in Hinblick auf den frühchristlichen Geistbegriff will Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen anscheinend andeuten, dass dieser wegen seiner anthropomorphen Repräsentationen nachhaltig von Philons Logos geprägt sei, wie sich bereits gezeigt hat. Dies wird vor allem in Zusammenhang mit Hegels Darstellung der Hauptentwicklungen der kirchenväterlichen Religionslehre offenkundig, denn dort beruft er sich auf Philons Logosbegriff und dessen Vorstellungen, die ihrerseits von der Gnosis übernommen worden seien: Da ist die Bestimmung gegeben […] d. h. jetzt ist Gott gewußt worden als dieser Konkrete, er der Eine und dann sein Sohn, Logos, Sophia usf. […] Das allgemeine Verhältnis der ersten christlichen Kirche zur Philosophie ist hiermit angegeben. Einerseits ist die philosophische Idee in diese Religion versetzt worden; andererseits ist dies Moment in der Idee – nach welcher dieselbe sich in sich bestimmt, besondert –, der Logos, Sohn Gottes usf., die Einzelheit eines menschlichen Individuums, daran geknüpft. Es ist so diese Besonderung – die Weisheit, Tätigkeit, Vernunft, die noch in der Allgemeinheit bleibt – herausgespitzt worden zur sinnlichen Einzelheit, Gegenwärtigkeit des einzelnen Individuums. (TWA Bd. 19, S. 505– 506)
Die Kirchenväter hätten Philons metaphysischen Logos als ein „noch in der Allgemeinheit“ verbleibendes Geistprinzip in den Mittelpunkt der christlichen Dogmenlehre aufgenommen, weiterentwickelt und konkretisiert, indem sie das noch abstrakte Logoskonzept zum individuellen Geistprinzip umgestaltet und so zum nächsthöheren geistesgeschichtlichen Standpunkt erhoben hätten.⁵⁶⁵ Diese entscheidende Differenzierung zwischen dem philonischen Geistprinzip, als prototypischer und übersinnlicher Urmensch, und dem des Johannesprologs, als
GW Bd. 30,1, S. 127,13 – 15. GW Bd. 30,1, S. 378,9 – 11. TWA Bd. 19, S. 507.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
177
fleischgewordener Logos, nimmt Hegel auch explizit in seiner Philonauslegung von 1820/21 vor.⁵⁶⁶ Hegel glaubt ebenfalls, in der bahnbrechenden Denktradition des Neuplatonismus, dem Philon grundsätzlich auch zugeordnet wird und der als Kulmination der gesamten antiken Metaphysik gilt, „philonische Elemente“ auszumachen. Er geht davon aus, dass zwei aus seiner Sicht gewichtige Aspekte von Plotins Metaphysik des Einen ihren ideengeschichtlichen Ursprung in Philons apophatischer Theologie hätten, nämlich (1) die negative Seinsbestimmung des absoluten Einen und demzufolge (2) dessen grundsätzliche Unfassbarkeit. Hegel verkennt bei Plotins radikaler Einheitsmetaphysik die Hyperousia des jedweder Eigenschaft entzogenen Einen (τὸ ἕν), wenn er dieses unter die metaphysische Kategorie des reinen Seins einordnet: „a) Nämlich das Erste, Absolute, die Grundlage ist auch hier, wie bei Philon, das reine Sein, das Unveränderliche, das Grund und Ursache alles erscheinenden Seins ist, dessen Möglichkeit nicht von seiner Wirklichkeit getrennt ist, sondern die absolute Wirklichkeit an ihm selbst ist [Hervorh. i. Orig.].“⁵⁶⁷ Allerdings geht er davon aus, genau deswegen eine Verbindung zwischen Plotins schlechthin Einen und Philons bestimmungsloser Gottesauffassung als dem wahrhaft Seienden herstellen zu können. Auf diese signifikante hegelsche Fehldeutung weist Halfwassen ausführlich mit der Behauptung hin, „Hegel […] vergleicht das Absolute Plotins mit dem höchsten Prinzip Philons“, das allerdings „nicht überseiend oder ‚jenseits des Seins‘ wie das absolute Eine bei Platon und Plotin, sondern er [sc. Gott] ist das reine Sein oder das Seiende selbst (τὸ ὄν, ὁ ὤν)“, worunter Philon grundsätzlich „das reine Sein im Sinne des Platonischen Seinsbegriffs als das Unveränderliche und Ewige“ verstehe.⁵⁶⁸ In diesem Zusammenhang kommt Halfwassen in Hinblick auf Hegels System zu dem Schluss, [d]iese Gleichsetzung des absolut Ersten mit dem reinen Sein bei Philon steht Hegels eigener Konzeption des reinen Anfangs systematisch näher als die Platonische und Plotinische Konzeption der Seinstranszendenz des Absoluten; sie unterscheidet sich freilich von Hegels Begriff des Anfangs als unbestimmter Unmittelbarkeit grundlegend darin, daß das Erste für
GW Bd. 1, 30,1, S. 379,9 – 13. TWA Bd. 19, S. 445. Vgl. dazu Buhle 1799, S. 313 – 314. Gleichwohl verdeutlicht Hegel dementsprechend, die verstandesmetaphysische Seinsbestimmung werde auf das absolute Eine lediglich in uneigentlichem Sinne angewendet: „[…] die Bestimmung des Einen ist die Hauptsache. Alle Prädikate überhaupt, z. B. Sein, Substanz, passen nicht auf es; denn sie drücken irgendeine Bestimmtheit aus.“ (TWA Bd. 19, S. 446) Halfwassen 1999, S. 293 – 294. Siehe ebenfalls: Halfwassen 1999, S. 274.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
Philon nicht das inhaltlich ärmste, sondern als die absolute Fülle das Reichste schlechthin ist [Hervorh. i. Orig.]. (Halfwassen 1999, S. 296)⁵⁶⁹
Dennoch verdeutlicht er letztlich, „Hegel ist aber trotz seines Vergleichs von Plotin mit Philon weit davon entfernt, das Eine Plotins auf Philon zurückzuführen“.⁵⁷⁰ Entsprechend verkennt Hegel auch das markante Moment der unio mystica in Plotins Philosophie, wodurch die menschliche Geistseele in Einheit mit dem überseienden Absoluten verschmelze und dieses demnach seiner wahrhaften Natur gemäß „erfasse“. Aus der von ihm postulierten Unbestimmtheit von Plotins Arché-Prinzip als dem reinen Sein schlussfolgert Hegel weiterhin unter Bezugnahme auf Philons negative Theologie, Plotin stufe genau wie Philon das wahre Absolute als schlechthin unfassbar ein: „Vom absoluten Sein sagte nun Plotin, daß es unerkennbar ist, wie auch Philon sagte, – das Insichbleibende.“⁵⁷¹ In Halfwassens Worten: Hegel, der die Unerkennbarkeit Gottes bei Philon und dessen negative Theologie in die Tradition Platons stellt und sie im Vorgriff auf Plotin deutet, interpretiert indessen die Unerkennbarkeit Gottes bei Philon als Unerkennbarkeit an sich, und zwar unter Berufung auf die absolute Einfachheit Gottes, die an sich selbst – also nicht nur für uns – jede positive Bestimmtheit und eben damit jede Erkennbarkeit von ihm ausschließt [Hervorh. i. Orig.]. (Halfwassen 1999, S. 295)
Ungeachtet Hegels gewichtiger Berufung auf Philons Gotteslehre in Zusammenhang mit Plotins negativer Henologie fällt es insgesamt schwer, den systematischen Platz Philons in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen richtig einzuschätzen. Diese Einordnungsproblematik entspringt größtenteils Hegels Tendenz, Philons jüdischen Platonismus letztlich vom geradezu bahnbrechenden geistesgeschichtlichen Moment des Neuplatonismus zu entfernen, dem dieser gedanklich eindeutig am nächsten steht, und somit vom Christentum abzugrenzen.Vor diesem Hintergrund nimmt Philons Philosophie anscheinend eher eine Vorläuferrolle zu den wahren Neuplatonikern („die eigentlichen Alexandriner“)⁵⁷² ein, und Philon selbst lediglich die Stellung eines Vordenkers der neuplatonischen Schule. Mithin
Vgl. hierzu auch: Halfwassen 1999, S. 297 („[…] wir haben schon gesehen, daß Hegel auch das absolute Gute Platons […] in Übereinstimmung mit den Platondeutungen Philons und des Numenios und vom Anfang seiner eigenen Logik her als das reine Sein selbst, aber zugleich als das Eine interpretiert [Hervorh. i. Orig.].“). Halfwassen 1999, S. 297. Siehe hierzu auch: Halfwassen 1999, S. 267. TWA Bd. 19, S. 447. Zur Hegels Darstellung der Erkenntnismöglichkeit des absoluten Einen in Plotins Metaphysik siehe: TWA Bd. 19, S. 442. GW Bd. 30,1, S. 378,2– 3.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
179
strahlt diese Schwierigkeit der Einordnung Philons allem Anschein nach zugleich auf die freigelegten „philonischen Momente“ der Kabbala und der Gnosis aus, die ebenfalls in Hegels Abschnitt über die neuplatonische Schule enthalten sind. Um dennoch am wesentlichen ideengeschichtlichen Unterschied zwischen Philons noch nicht rein philosophischem Gedankengebäude sowie den daraus resultierenden, stark auf die religiöse Vorstellung angewiesenen Systemen der Kabbalisten und Gnostiker und den beträchtlich höher entwickelten metaphysischen Denksystemen der Neuplatoniker als entscheidender Vorstufe zum Christentum festhalten zu können, ersinnt Hegel das zusätzliche Geschichtskonstrukt der „alexandrinischen Philosophie“. Dadurch vermag er nämlich sowohl Plotin als auch Proklos wie ein in der Neuplatonismusdeutung angelegtes eigenständiges Phänomen aufzufassen, das den metaphysischen Kern des neuplatonischen und des gesamten antiken Denkens zu seiner vollen Geltung gebracht hat. Ginge man jedoch der Frage genauer nach, inwiefern die philosophischen Leitmotive der neuplatonisch-alexandrinischen Weltsicht in Hegels Philosophiegeschichte im Wesentlichen mit Philons Denken übereinstimmen, so ließe sich herausarbeiten, ob Hegel unter Philon, unbeschadet seiner abwertenden Absicht, diesen von den erheblich höherstehenden Hauptvertretern des Neuplatonismus abzugrenzen, tatsächlich doch noch einen neuplatonischen Denker versteht. Insgesamt ist die neuplatonisch-alexandrinische Denkweise auf sechs Grundmerkmale rückführbar: 1) Übersinnliche Ideenwelt als das inhaltliche Bestimmtsein des Geistes „Diese Innerlichkeit des Geistes bei sich selbst hat sich in sich eine Idealwelt aufgebaut, den Grund und Boden der Intellektualwelt gelegt, eines Reichs Gottes, – Herabkommen zur Wirklichkeit, Einheit mit ihr; und das ist der Standpunkt der alexandrinischen Philosophie [Hervorh. i. Orig.].“⁵⁷³ Diesen neuplatonischen Topos sieht Hegel auch in Philons λόγος ἐνδιάθετος angelegt, denn dieses Geistprinzip „teilt sich […] in Ideen“ und sei mit der „erste[n] ruhende[n]“ Gedankenwelt Gottes gleichzusetzen.⁵⁷⁴ Diese Denkfigur scheint er selbst bei seiner allgemeinen Darstellung des neuplatonischen Gedankengutes aufzugreifen, wenn er von der Schöpfungsvorstellung „bei philosophischen oder, bestimmter, platonischen Juden“ spricht.⁵⁷⁵
TWA Bd. 19, S. 403. TWA Bd. 19, S. 423, 425. TWA Bd. 19, S. 409 – 410.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
2) Alexandria als kulturübergreifende Hauptbegegnungsstätte von Orient und Okzident ⁵⁷⁶ Aus Hegels philosophiegeschichtlicher Sicht ist dieses interkulturelle Aufeinandertreffen in Philons Denken besonders manifest, wofür vier Passagen sprechen: (a) Hegel führt für diese „wissenschaftliche Begegnung“ in Alexandria im theologiegeschichtlichen Rahmen des Entstehungsprozesses des christlichen Geistprinzips in den ersten Jahrhunderten n. u. Z. beispielhaft Philons Logosbestimmung an, wodurch die jüdische Gottheit erstmals ihrer konkreten Natur nach begriffen werde.⁵⁷⁷ (b) Am Rande einer Bezugnahme auf „die Philosophie Philos“ in Zusammenhang mit gedanklichen Vorgestalten der christlichen Dreieinigkeit heißt es, „Mittel zwischen Orient und Okzident / Der orientalische Idealismus verflüchtigt die okzidentalischen Wirklichkeiten zu einer Gedankenwelt“.⁵⁷⁸ (c) In den Nachschriften zu den Kollegien aus 1820/21 im Abschnitt über die „Alexandriner“ kommt Hegel gleich nach seiner Auszeichnung von Alexandria als „Mittelpunkt der Berührung des Orients und Occidents“ auf Philon zu sprechen, bei dem „[e]s […] jetzt der Geist [ist], der in sich selbst sich weiß, der in der Welt sein Interesse nicht mehr sucht und Alles nur als Hervorbringung des Denkens anerkennt“.⁵⁷⁹ (d) Auch in der Nachschrift zu den Vorlesungen des Sommersemesters 1819 legt Hegel Philons Gedanken so dar, dass diese in sich „besonders vertraute Bekanntschaft mit platonischen Ideen“ bärgen, „die er aber häufig mit orientalischen Vorstellungen der Phantasie vermischt“.⁵⁸⁰ 3) Die philosophischen Inspirationsquellen des Platonismus, Aristotelismus und Pythagoreismus Hegels Neuplatonismusverständnis zufolge ist Platon als der nachhaltigste Einfluss auf die neuplatonische Schule auszuweisen; als fast ebenso wirkmächtig gelten auch Aristoteles und Pythagoras.⁵⁸¹ In gleich hohem Maße machen dieselben philosophischen Einflüsse aus Hegels Sicht speziell auch die theoretische Grundlage von Philons primär platonischem Denksystem aus,⁵⁸² das sich jedoch zugleich pythagoreischer sowie aristotelischer Denkstrukturen bediene.⁵⁸³
TWA Bd. 19, S. 410, 431 TWA Bd. 12, S. 399. Vorl. Bd. 5, S. 22: Anm. zur Zeile 598. GW Bd. 30,1, S. 378,3 – 5. GW Bd. 30,1, S. 127,11– 13. TWA Bd. 19, S. 237, 404, 413, 431– 435. TWA Bd. 19, S. 419. TWA Bd. 12, S. 399; Bd. 17, S. 144; Vorl. Bd. 8, S. 172; GW Bd. 30,1, S. 378,6 – 7 sowie 15 – 16: „Philon hat sich vornämlich mit platonischen und aristotelischen Ideen bekannt gemacht. […] So
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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4) Der allegorische Sinn der religiösen Grundlagentexte der einzelnen Völker ⁵⁸⁴ Hinsichtlich des schriftinterpretativen Merkmals der allegorischen Exegese, das eine vorbereitende Stellung für Paulus’ erst später zutage getretene Leitprinzipien der geistigen Bibelhermeneutik zu haben scheint, ist zu betonen, dass außer Philon in den gesamten philosophiegeschichtlichen Vorlesungen kein anderer Denker erwähnt wird, bei dem Hegel die allegorische Schrifterklärungsmethode so ausführlich thematisiert und geistmetaphysisch so tiefgründig zu legitimieren beansprucht. In seiner Philondarstellung weist er darauf hin, dass unter dem jüdischen Alexandriner im Kern nichts anderes als ein platonischer Schriftexeget zu verstehen sei, denn dessen ganze Religionsphilosophie sei auf diese allegorische Bibeldeutungsmethode angewiesen.⁵⁸⁵ Selbst bei seiner Charakterisierung von Philons allegorischer Schriftauslegung geht er davon aus, „dasselbe Streben, […] in der griechischen Mythologien Philosopheme“ freizulegen, sei auch unter den Neuplatonikern bzw. Alexandrinern zu finden.⁵⁸⁶ 5) Die trinitarische Auffassung von Gott als konkretem Geist Im Neuplatonismus wird Hegel zufolge also Gott erstmals hinsichtlich seiner Totalitätsbestimmung als selbstbewusster Geist begriffen.⁵⁸⁷ Hegel konzipiert den neuplatonischen Gottesbegriff deshalb als dreieinig, weil diesem als einem konkreten Geistprinzip die dreistufige Struktur einer dialektischen Selbstentfaltung eigen sei.⁵⁸⁸ Dieses dialektische Selbstbewusstseins-Modell – eine Rückwendung in die ursprüngliche Einheit einbeziehend, wodurch Gott sein dreifaltig strukturiertes Wesen vervollständige – glaubt Hegel gleichermaßen auch bei Philon zu finden. 6) Die konkrete Gottesbeziehung des menschlichen Geistes, der sich in seinem Selbstbewusstsein als Teil des Absoluten weiß Insofern Hegel unter der neuplatonischen Gottesauffassung als Geist grundsätzlich das selbstbewusste „Zurückgekehrtsein des Anderen in das Erste“ versteht,
legt er einen Hauptwerth darauf, dass am 4ten Tage […] um der pÿthagoräischen τετρακτυς willen.“ TWA Bd. 19, S. 407; Bd. 19, S. 431 („[…] vorzüglich aber den Vorstellungen der Religionen eine tiefere Bedeutung untergelegt und ein allgemeiner allegorischer Sinn gegeben wurde.“). Die Anspielung auf 2Kor 3,6 ist hier kaum zu verkennen. Vgl. ebenso TWA Bd. 19, S. 28. TWA Bd. 19, S. 419: „Ihn zeichnet besonders aus […] daß er bemüht war, in den heiligen Schriften der Juden die Philosophie aufzuzeigen, dieselben spekulativ zu erklären.“ TWA Bd. 19, S. 419; Vorl. Bd. 8, S. 169 („[…] so wie die Neuplatoniker […].“). TWA Bd. 19, S. 407, 432. Siehe auch: TWA Bd. 19, S. 404, 409 – 411. TWA Bd. 19, S. 409.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
kann der Mensch in der unmittelbaren Folge seines eigenen Bewusstseinsvermögens ein reales Verhältnis zu Gott aufbauen, in dem nunmehr „das absolute Wesen nichts Fremdes für das Selbstbewußtsein ist“.⁵⁸⁹ Gottes Vollzugsmoment der „selbstbewußten Rückkehr“ scheint weiterhin zu implizieren, dass der selbstbewusste Menschengeist in Einheit mit Gottes selbstbewusstem Geist auftreten könne, wodurch sich letztlich „das Selbstbewußtsein in seinem Denken als das Absolute“ wisse.⁵⁹⁰ Auch diesen neuplatonischen Standpunkt sieht Hegel in Philons jüdischem Platonismus vertreten, indem er dessen völlig bestimmungslose Gottesvorstellung durch dessen anthropomorph gefasste Logosbestimmung ersetzt, denn mit Gott als Logos vermögen die Menschen ihrem Selbstbewusstsein gemäß in der Sinnenwelt konkret in Gottesbeziehung zu treten.⁵⁹¹ Entsprechend geben noch zwei weitere Textstellen zu erkennen, dass Hegel diesen neuplatonischen Leitgedanken auch mit Philons Denken identifiziert: (a) Im Rahmen seiner 1820 neuverfassten Begriffsbestimmung der Disziplin der Philosophie bedient sich Hegel anscheinend mit dem weltzugewandten Logos als Rede und damit göttlicher Offenbarung in der Menschenseele Philons Denkform.⁵⁹² (b) Im philosophiegeschichtlichen Abschnitt über die alexandrinische Strömung greift Hegel im Zusammenhang mit dem konkreten Gottesverhältnis des Menschen („das Verhältnis […] zu dem Wahren, zu Gott“), das er als den innovativen Standpunkt der neuplatonischen Philosophie bewertet, womit sie „den absoluten Anspruch“ erhoben hätte, explizit auf Philon zurück.⁵⁹³ Hegel will anscheinend gleichwohl die genuinen Vertreter der neuplatonischen Philosophie, Plotin und Proklos, von Philons jüdischem Gebäude merklich trennen und höher einordnen, indem er den „Alexandrinern“ einen äußerst spekulativen Begriff zuspricht: „Die Alexandriner sind konkrete Totalität an sich; sie haben die Natur des Geistes aufgefaßt.“⁵⁹⁴ Könnte man aber nicht etwa den Vorbehalt äußern, dass auch in Hegels Darstellung von Philons „Trinitätsdenken“ Gott als das konkrete Absolute aufgefasst wird? Eben nicht, und zwar weil Philon nicht auf den bahnbrechenden Gedanken der „Dreiheit von Dreiheiten“ als die „ganz konkrete[…] Bestimmung als Dreieinigkeit“ kam, in der sich auch jedes
TWA Bd. 19, S. 404– 405. TWA Bd. 19, S. 404. TWA Bd. 19, S. 424. Hegel weist gleichwohl in der philosophiegeschichtlichen Neuplatonismusdeutung darauf hin, dass Gott in der jüdischen Religionslehre nicht in seinem Selbstbewusstsein konzipiert werde (TWA Bd. 19, S. 409 – 410). Vgl. dazu: TWA Bd. 19, S. 432. TWA Bd. 20, S. 496. Vorl. Bd. 8, S. 164: „die Idee bei Philo des Wahren selbst, der Pflichten“. Vgl. dazu auch TWA Bd. 19, S. 411– 412. TWA Bd. 19, S. 488. Grundlegend dazu ist: Halfwassen 1999, S. 108 ff.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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Einzelmoment dieser Dreiheit stets zu einer Trias-Struktur entwickele: „Jedes ist aber ein Dreieiniges in sich, so daß die abstrakten Momente dieser Trias selbst auch gefaßt sind als Totalität.“⁵⁹⁵ Trotz dieses von Hegel herausgearbeiteten Unterscheidungsmerkmals ergibt sich zusammenfassend aus obiger Gegenüberstellung und der daraus resultierenden Übereinstimmung zwischen Hegels Philon- und Neuplatonismusverständnis nicht nur, dass er den Unterschied zwischen den neuplatonischen und den alexandrinischen Konstrukten der Philosophiegeschichte nicht genügend ausdifferenziert. Es zeigt sich nämlich auch weiterhin, dass der Keim der neuplatonischen Weltanschauung – ungeachtet Hegels marginalisierender Tendenz bezüglich der philonischen Philosophie – in Philons Denken angelegt ist und dass sie dort schon ansatzweise ihre metaphysische Ausprägung gefunden hat. Nach Hegels umfassendem Gesamtbild der antiken Philosophie liegt es durchaus fern, Philons Gedankengebäude ausschließlich als unphilosophische Vorformulierung des Neuplatonismus zu begreifen. Vielmehr hat sich gezeigt, dass der jüdische Platoniker selbst mit seiner einzigartigen Philosophie einen nicht zu unterschätzenden Bestandteil zu Hegels Neuplatonismusverständnis beisteuert. In Anbetracht der wenig klaren Lokalisierung Philons wird schließlich ersichtlich, dass sie für Hegels schematische Auffassung der Geistesgeschichte ein folgenschweres Problem darstellt. Dies rührt daher, dass Philon im Licht seiner neuplatonisch sowie protochristlich klingenden Ideen unter dem Deckmantel einer systematischen ἰουδαϊκὴ φιλοσοφία, die schon „im Allgemeinen die Natur des Geistes“ enthalte,⁵⁹⁶ Hegels durchgehend vertretene Wesensunterscheidung zwischen der jüdischen und der erheblich höher entwickelten christlichen Religionslehre deutlich untergräbt. Auf die kreative Lösung dieser geistesgeschichtlichen Einordnungsproblematik kommt er anscheinend erst nach seiner eingehenden Proklos-Lektüre aus dem Jahr 1821.⁵⁹⁷ Dass diese intensive Beschäftigung mit Proklos’ Metaphysik ein kaum zu überschätzendes intellektuelles Ereignis in Hegels Leben darstellt, macht sein am Ende Mai 1821 verfasster Brief an Creuzer deutlich, einen Philologen und Herausgeber einiger proklischer Schriften: […] diese Abhandlung des Proclus [sc. Theologia Platonica] ist mir von dem, was mir von den Neuplatonikern zu Gesichte gekommen, das liebste und werteste – Platonische Dialektik –
TWA Bd. 19, S. 488. GW Bd. 30,1, S. 127,11. Damit will ich keinesfalls die Feststellung nahelegen, dass Hegel sich davor nicht mit Proklos’ Philosophie befasst hätte.Vielmehr scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Seine Vertrautheit mit Proklos kann vermutlich sogar auf seine Tübinger Studienjahre zurückgeführt werden, wie Franz nachweist: Franz 2012, S. 213 – 214.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
und zugleich die in ihm jetzt höhre als Platon beginnende Systematisierung, Organisation der Idee in ihr selbst, – ist der ungeheure Schritt in der Philosophie, der vornehmlich Proclus’ Verdienst ist, aus dem die Folgenden geschöpft. (SWB Bd. 2, S. 266)
Diese Lektüre bringt also eine beträchtlich aufgewertete philosophiehistorische Gesamtstellung des Neuplatonismus mit sich. Hegel glaubt in Proklos’ spekulativem „Trinitätsdenken“ nicht nur irgendwelchen „ungeheure[n] Schritt in der Philosophie“ unter anderen aufgedeckt zu haben, sondern dieses, so plant er Creuzer im Vorfeld mitzuteilen, halte er in den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ für würdig, nichts Geringeres als den „wahre[n] Wendepunkt, de[n] Uebertritt der alten Zeit in die neue, der alten Philosophie in das Christentum“ zu markieren.⁵⁹⁸ Für diese neugewonnene Einsicht in seiner Auffassung des „wahren Wendepunktes“ der gesamten Philosophiegeschichte bedankt sich Hegel bei Creuzer, da dieser mit seiner Übersetzung von Proklos’ Platonische[r] Theologie „einem großen Bedürfnis abgeholfen“⁵⁹⁹ habe. Dieses „Bedürfnis“ lässt sich allerdings außer in seinem affirmativen Sinn, nämlich in Plotin und erst recht in Proklos die metaphysische Vorstufe zum spekulativen Fundament des revolutionären Christentums ausgemacht zu haben, auch ex negativo nachvollziehen: Die philosophiegeschichtlichen Hauptmomente auszugrenzen, die wiederum am ausschlaggebenden welthistorischen Moment der christlichen Religion nicht partizipieren sollen. Diese abgrenzende Tendenz scheint sich in Hegels philosophiegeschichtlichem Bild von Philons jüdischem Platonismus am klarsten widerzuspiegeln, der de facto in Zusammenhang mit dessen entscheidenden Ideen – allegorisches Schriftverständnis, Logostheologie sowie Trinitätslehre – der christlichen Philosophie gedanklich sehr nahesteht, zuweilen sogar merklich näher als Plotin und Proklos. Um den Unterschied zwischen Philons jüdischem Denken, das den religionsphilosophischen Vorlesungen zufolge Leitgedanken der christlichen Glaubenslehre antizipiert habe, und dem Christentum als revolutionärstem weltgeschichtlichem Ereignis pointiert darzustellen, geht Hegel folgendermaßen vor: Erstens sucht er die unvernünftigen Elemente von Philons Religionsphilosophie gegenüber den rein metaphysisch gefassten Gedankengebäuden des Plotin und des Proklos besonders herauszustellen. Dementsprechend vermag er ihn dadurch in seiner Bedeutung abzuschwächen, dass er keine unmittelbare Verbindung zwischen ihm und den spekulativen Grundideen der neuplatonischen Schule herstellt, sondern ihn eher mit den größtenteils „vorstellungsgemäß“ begriffenen
SWB Bd. 2, S. 266. Zu Hegels durchaus wohlwollendem Proklosverständnis siehe: Halfwassen 1999, S. 386 ff.; Düsing 1983, S. 151 ff.; Jamme 1980, S. 162– 163, 168. SWB Bd. 2, S. 266.
2.12 Philons Wirkungsgeschichte
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Gebäuden der Kabbala und der Gnosis in Verbindung bringt. Er akzentuiert abschließend nachdrücklich die einmalige philosophische Originalität sowie den besonderen Sinn für folgerichtige Spekulationen bei Plotin und Proklos, indem er beide als „die Spitze“ der gesamten Denktradition der antiken Metaphysik auffasst. Diese beiden dienten der Geistesgeschichte nicht nur als fehlendes Bindeglied, das den Übergang zur christlichen Dogmenbildung erst möglich gemacht habe, sondern als „reinere Ausgeburt“ des Neuplatonismus hingen sie selbst „mit dieser Revolution, die sich in der Welt gemacht hat, auf das engste zusammen […]“.⁶⁰⁰ Dabei gelingt es Hegel aus dem philosophiegeschichtlichen Gesamtkontext, unbeschadet der ungleich größeren Nähe des philonischen Gedankengutes zu den wesentlichen Ausprägungen des Christentums – von der auch er selbst ausgegangen ist –, die spekulative Aussage von Philons Philosophie weitgehend zu relativieren und ihm damit die Stellung als prominentestem Vordenker des Christentums grundsätzlich zu entziehen. Die bisherigen Überlegungen legen den Schluss nahe, dass Philons Denken im Vorfeld von Hegels 1821 stattfindenden Proklos-Lektüren eine maßgeblichere Rolle in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen spielte, da Hegel noch nicht die scharfe Trennlinie zwischen Philon und den wahren Vertretern der neuplatonischen Strömung ziehen konnte. Darauf weisen beispielsweise sowohl die aus dem Sommersemester 1819 als auch die aus dem Wintersemester 1820/21 stammenden Vorlesungen zur Philosophiegeschichte hin: In ihnen widmet er Philon nahezu dasselbe Ausmaß an Erörterung, nämlich eine bis drei Seiten, wie Plotin und Proklos und will deren gedanklichen Unterschied auch nicht auf die gleiche Weise unterstreichen. Dreierlei ist in Zusammenhang mit Hegels dort in den Vorlesungen vor Mai 1821 dargelegtem Philonbild ferner zu berücksichtigen: 1) Er scheint Philons religiöse Vorstellung der Engelschar, worunter dieser nichts anderes als die platonischen Ideen allegorisch verstehe, insofern verblüffend wohlwollend einzuschätzen, als er ausgerechnet sie, die eigentlich hauptsächlich das noch unphilosophische Element der philonischen Denkweise belegen sollten, mit niemand Geringerem als Aristoteles in Verbindung bringt, der „[i]n der Tat […] an spekulativer Tiefe […] den Platon [übertrifft], indem er die gründlichste Spekulation, Idealismus gekannt hat und in dieser steht bei der weitesten empirischen Ausbreitung“.⁶⁰¹ 2) Allein dort findet sich eine explizite Verknüpfung Philons mit einer Schlüsselfigur der aus Hegels Sicht modernen Metaphysik, nämlich mit Isaac New-
TWA Bd. 19, S. 403 – 404. TWA Bd. 19, S. 133.
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2 Hegels Philondeutung in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte
ton, der mit seinem „metaphysizierenden Empirismus“ sogar „ein[en] Schritt weiter als Spinoza“ vorangegangen sei.⁶⁰² Dieser Vergleich beruht auf der von Hegel angenommenen Affinität zwischen Newtons metaphysischer Raumvorstellung als sensorium Dei und Philons Gotteskonzept als Ort bzw. Raum seiner selbst, den er vollständig erfülle. Dadurch wiederum verträten beide mit ihrer Raumauffassung Gottes selbstbezüglichen sowie allgegenwärtigen Charakter.⁶⁰³ Diese ungewöhnliche Identifikation bezeugt die unmittelbare Relevanz von Philons Spekulationen für Hegel. 3) Ähnlich wie Schelling in seinen Vorlesungen zur Offenbarungsphilosophie nimmt Hegel eine ausdrückliche sowie präzedenzlose und in den Philondeutungen der späteren Vorlesungen nicht mehr auftauchende Gegenüberstellung zwischen dem philonischen Logosbegriff und dem des Johannesprologs vor, womit er auf die frappierende Ähnlichkeit zwischen Philons Logostheologie und den zentralsten neutestamentlichen Spekulationen, nämlich die Logosspekulation im Johannesprolog, aufmerksam machen will. Vor dem Hintergrund der früheren philosophiegeschichtlichen Vorlesungen von 1819 und 1820/21 sticht eine ungelöste Spannung zwischen jüdisch-philonischer und alexandrinisch-protochristlicher Weltsicht sogar noch eindringlicher hervor, deren Brisanz in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie bestehen bleibt.
TWA Bd. 20, S. 223. GW Bd. 30,1, S. 379,5 – 6.
3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums Hegel verknüpft Philons System nicht nur mit platonischem Gedankengut, sondern auch mit dem des Christentums und des Judentums. Zur Zeit Hegels nämlich galt Philon bei der Untersuchung beider monotheistischen Religionen als aufschlussreicher Ausgangspunkt für den Nachweis ihrer jeweiligen theologischen Denkstrukturen. Obschon Hegel Philons jüdischen Platonismus ausdrücklich mit drei zentralen Ideen des Christentums – mit der platonischen Bibelexegese, dem Trinitätsdogma und dem Geistbegriff – in Verbindung bringt, bezieht er sich auf Philons Denken lediglich zweimal im Rahmen der jüdischen Religion: einmal in seiner 1800 neugefassten Positivitätsschrift, und zwar in Zusammenhang mit den innerjüdischen Entwicklungen zur Zeitenwende,¹ und einmal in den philosophiegeschichtlichen Ausführungen zum Neuplatonismus, in denen er die einigen „platonischen Juden“ zukommende Gotteslehre im Licht des philonischen Konzeptes des λόγος ἐνδιάθετος aufgreift.² Diese hegelsche Identifikation scheint größtenteils auf Philons negative Theologie zurückzugehen, in der laut Hegel Gott als das bestimmungslose Seiende verstandesmetaphysisch begriffen werde. Des Weiteren macht das Philonbild Hegels aus obiger Analyse der philosophiegeschichtlichen Vorlesungen ersichtlich, dass er Philons Lehrgebäude als den Ursprung der gesamten jüdischen Philosophie – wie etwa der Kabbala, der jüdischen Gnosis und des Mittelalters – zu werten scheint. Darum liegt die Vermutung nahe, Hegels vollentwickeltes Bild der jüdischen Religionsphilosophie hänge mit seinem Philonbild zusammen. Da Hegel Philon zugleich als einen entscheidenden „protochristlichen“ Trinitätsdenker versteht, ist genauer zu erforschen, ob sich Momente von Philons spekulativem Denken primär seinem Philonverständnis nach in Hegels unkonventioneller Wahrnehmung des Christentums wiederfinden.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus Im Folgenden ist zunächst Hegels Auffassung der Dogmenbildung des Christentums unter Berücksichtigung von Philons entscheidender Wirkung aufzugreifen. Die christliche Methode der platonischen Schriftauslegung, das Trinitätsdogma
TWA Bd. 1, S. 227. TWA Bd. 19, S. 409 – 410. https://doi.org/10.1515/9783110624632-006
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
und der christliche Geistbegriff sind vor diesem Hintergrund besonders relevant. Hinsichtlich aller drei Themata – die aus Hegels Sicht „das revolutionäre weltgeschichtliche Moment“ des Christentums ausmachen – war zu Hegels Zeiten die Lehrmeinung weit verbreitet, Philons Religionsphilosophie habe auf deren Ausarbeitung nachhaltigen Einfluss gehabt.
3.1.1 Ein „Tieferes“ im Schriftwort offenlegen: Philons allegorische Bibelauslegung im Spiegel des christlichen Schriftverständnisses Hegel setzt in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte Philons Methode der platonischen Bibeldeutung mit der Entstehungsweise der spekulativen Dogmenlehre des Christentums in eindeutige Analogie: Ebenso wie Philon in der Mosaischen Urkunde ein Tieferes angedeutet fand und das Äußerliche der Erzählung idealisierte, taten auch die Christen dasselbe, einerseits in polemischer Rücksicht, andererseits noch mehr um der Sache selbst willen. Weil aber die Dogmen in die christliche Religion durch die Philosophie hineingekommen sind, darf man nicht behaupten, sie seien dem Christentum fremd und gingen dasselbige nichts an. Wo etwas herabgekommen ist, das ist vollkommen gleichgültig; die Frage ist nur: ist es wahr an und für sich? Viele glauben genug zu tun haben, wenn sie sagen, etwas sei neuplatonisch, um es aus dem Christentum zu verweisen. (TWA Bd. 12, S. 400)³
In der vorliegenden Textstelle geht Hegel vom seinerzeit gültigen Konsens aus, mehrere christliche Dogmen hätten im Kern kein Fundament im Neuen Testament, sondern seien erst durch die Wirkung des spätantiken Platonismus in die dogmengeschichtlichen Entwicklungen des Christentums eingedrungen. Gleichwohl erklärt er diese spekulativen Glaubenssätze keineswegs für ungültig, sondern widmet sich vielmehr der Frage, ob sie philosophisch betrachtet überhaupt „an und für sich wahr“ seien. Er will demnach anscheinend keine wesentliche Unterscheidung zwischen den Heiligen Schriften der christlichen Religion und ihrer anschließenden metaphysischen Dogmenbildung vornehmen, da beides in dasselbe „revolutionäre“ und übergreifende Moment des Christentums eingebettet und deshalb als ein einheitlich welthistorisches Phänomen zu begreifen
Vgl. dazu TWA Bd. 16, S. 46: „Die Dreieinigkeit sei von der alexandrinischen Schule, von den Neuplatonikern in die christliche Lehre hereingekommen, sagen diese mit jener. Wenn aber auch zugegeben werden muß, daß die Kirchenväter die griechische Philosophie studiert haben, so ist es zunächst doch gleichgültig, woher jene Lehre gekommen sei; die Frage ist allein die, ob sie an und für sich wahr ist; aber das wird nicht untersucht, und doch ist jene Lehre die Grundbestimmung der christlichen Religion [Hervorh. i. Orig.].“
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
189
sei. Diesen Rechtfertigungsversuch illustriert Hegel überraschenderweise in erster Linie im Rückbezug auf den „idealisierenden“ bibelexegetischen Ansatz von Philons jüdischer Religionsphilosophie, mit dem sich das konkrete Schriftwort zugleich als Sinnbild einer höheren metaphysischen Wahrheit auslegen lasse. Allerdings scheint er sich dieser Bezugnahme auf Philon nicht nur als allgemeines Beispiel für die allegorische Auslegungsmethode zu bedienen, sondern auch und erst recht, um konkret auf das Abhängigkeitsverhältnis der Kirchenväter in den ersten Jahrhunderten zu philonischem Gedankengut hinzuweisen. Vor diesem Hintergrund ist auch besser nachvollziehbar, weshalb er hinsichtlich der allegorischen Schriftauslegung zwischen Philon und den Kirchenvätern nicht ein Verhältnis der Ähnlichkeit, sondern eher eine Wesensidentität feststellt („Ebenso wie Philon […] taten auch die Christen dasselbe […]“). Signifikant ist in Hinblick auf das oben genannte Zitat noch zweierlei: (1) Hegel sieht für die Motivation der Christen, ihre kanonischen Texte allegorisch umzugestalten, primär zwei Gründe, nämlich einerseits in ihrem apologetischen Impuls („polemische[…] Rücksicht“) und andererseits in ihrem spekulativen Interesse, die christlichen Schriften gemäß ihrem absoluten Wahrheitsgehalt metaphysisch zu explizieren. (2) Dieser metaphysische Anspruch der Kirchenväter manifestiere sich, wie Hegel deutlich macht, konkret in ihrer platonischen Bibeldeutung, wodurch die metaphysische Dogmenlehre erst ihren systematischen Niederschlag finden könne.⁴ Daraufhin geht Hegel auf die allegorische Schriftauffassung des Christentums näher ein, wenn er am Beispiel des fleischgewordenen Logosbegriffes die Kompatibilität der zwei Sinnstufen im Neuen Testament festzumachen sucht, nämlich des äußerlich Geschichtlichen, dem λόγος in individueller Menschengestalt als Jesus, mit dem innerlich Vernünftigen, dem λόγος in seinem unpersönlichen Aspekt: Schon bei Johannes […] sehen wir den Anfang einer tieferen Auffassung: der tiefste Gedanke ist mit der Gestalt Christi, mit dem Geschichtlichen und Äußerlichen vereinigt, und das ist eben das Große der christlichen Religion, daß sie bei aller dieser Tiefe leicht vom Bewußtsein in äußerlicher Hinsicht aufzufassen ist und zugleich zum tieferen Eindringen auffordert. (TWA Bd. 12, S. 401)⁵
TWA Bd. 12, S. 400. Dazu weiterführend und grundlegend: E. Schmidt 1974, S. 170 – 174. Zum Gedanken der Kompatibilität beider Sinnschichten im Kontext der christlichen Religion siehe zudem: TWA Bd. 1, S. 61; Bd. 16, S. 142– 143; Bd. 17, S. 195.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
In diesem Zusammenhang nimmt Hegel Bezug auf 2Kor 3,6 („der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig“), in dem Paulus sein geistiges Schriftverständnis prägnant zur Geltung bringt.⁶ Mit dieser Stellungnahme setzt Hegel implizit den philonischen Auslegungsansatz mit dem paulinischen gleich, wovon auch Schelling in seinen Studienheften ausgegangen ist.⁷ Hegels durchaus anerkennende Wertung von Philons schriftexegetischem Denken wird somit besonders deutlich, denn er stuft diese als legitimes Verfahren des Herausinterpretierens ein: „Ebenso“ wie die Christen platonisiere Philon den wörtlichen Schriftsinn, ohne dabei auf diesen zu verzichten. Wenngleich der Literalsinn bei Philon zumeist lediglich eine äußerliche Geschichtstatsache darstelle, sei er als Anhaltspunkt verstanden konstitutiv für den höherstehenden geistigen Sinn.⁸ Diesem paulinisch-philonischen Kernprinzip der Bibelexegese seien auch die Kirchenväter gefolgt, indem sie in ihrem besonderen Erläuterungsverfahren („klarmachen“) nicht ausschließlich den geistlosen Wortlaut der Heiligen Schrift, sondern des Weiteren auch und vorrangig ihre eigenen geistigen Bedürfnisse in den Mittelpunkt gerückt hätten, um so den tieferen spekulativen Sinn daraus erschließen zu können: Erklären ohne eigenen Geist, als ob der Sinn ganz nur gegebener wäre, ist unmöglich. Erklären heißt klarmachen, und es soll mir klar werden; dies kann nichts, als was schon in mir ist. Es soll entsprechen meiner subjektiven Entscheidung, den Bedürfnissen meines Wissens, meines Erkennens, meines Herzens usf.; so nur ist es für mich, man findet, was man sucht. Und eben indem ich es mir klarmache, mache ich es mir, d. h. ich mache meine Vorstellung, meinen Gedanken darin geltend; sonst ist es ein Totes, Äußeres, das gar nicht für mich vorhanden ist [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 19, S. 504)
Mit einem solchen vergeistigenden Interpretationsansatz hat Philons allegorische Bibeldeutung laut Hegel bereits eindeutige Berührungspunkte, wenn er diese als ein der „Arbeit des Geistes“ gemäßes Herauslesen bewertet, das Philon höhere Wahrheiten in den jüdischen Grundtexten aufdecken ließ. In diesem Zusammenhang ist auch Hegels ähnlicher Vergleich zwischen Philons Pentateuch-Allegoresen und der Schriftauslegung der christlichen Scholastiker bemerkenswert, denn diese „suchten später [ebenso] die Übereinstimmung des für sich Vernünftigen mit der heiligen Schrift zu zeigen“.⁹
TWA Bd. 12, S. 400. AA Bd. 2.4, S. 108,5 – 8. TWA Bd. 19, S. 420: „äußerliche Geschichte hatte man als Autorität, Ausgangspunkt der Wahrheit vor sich.“ GW Bd. 30,1, S. 378,9 – 10.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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Schon in seiner Jesusdarstellung aus der Berner Zeit in „Fragmente über Volksreligion und Christentum“ bringt Hegel dieses doppelschichtige Schriftverständnis der christlichen Religion zum Ausdruck. Dort will er angesichts ihrer auffallenden Nähe – die bereits Origenes in Contra Celsum mehrmals aufgegriffen hat –¹⁰ den wesentlichen Unterschied zwischen Jesus und Sokrates aufzeigen. Dieser liege darin, dass Sokrates ausschließlich ein Mensch, Jesus in seiner Göttlichkeit aber ein idealisches Sinnbild der Tugend sei: Die Geschichte Jesu stellt uns nicht bloß einen Menschen dar, der sich in der Einsamkeit vorher selbst gebildet hatte und dann seine Zeit allein auf Besserung der Menschen verwandte, der diesem Zweck endlich selbst sein Leben aufopferte. […] Was fehlt uns hier zu einem Vorbild der Tugend? War nicht Sokrates ein Mensch mit nicht mehr Kräften als wir […] der Zusatz des Göttlichen qualifiziert den tugendhaften Menschen Jesus zu einem Ideale der Tugend, – ohne das Göttliche seiner Person hätten wir nur den Menschen, hier aber ein wahres übermenschliches Ideal, das der menschlichen Seele, soweit sie sich davon entfernt denken muß, doch nicht fremd ist. (TWA Bd. 1, S. 82– 83)¹¹
Nahezu dieselbe Idee begegnet uns auch in einem Abschnitt aus Somn. 1.58, in dem Philon den grundsätzlichen Unterschied zwischen Abrahams Vater Terach und Sokrates verdeutlicht: Einen Mann von solcher Gesinnung nennen die Hebräer Tharah, die Griechen Sokrates; denn auch von ihm sagen sie, er sei alt geworden über der sorgfältigsten Erforschung der Bedeutung des Spruches: „Erkenne dich selbst“, und er habe über nichts philosophiert außer über die Fragen, die ihn selbst angingen. Doch das war nur ein Mensch, Tharah aber ist die Lehre von der Selbsterkenntnis an sich, die vor uns steht wie ein Baum in voller Blüte, auf daß es die Tugendliebenden leicht hätten, die Frucht der Sittenlehre zu brechen und sich an heilsamer und erquickendster Nahrung zu sättigen. (Somn. 1.58: PCH Bd. 6, S. 185)
Folgende Parallelen zwischen Hegel und Philon sind hier besonders auffällig: (1) Sokrates wird mit einer biblischen Gestalt Jesus/Terach verglichen. (2) Beiden Gegenüberstellungen liegt die allegorische Sichtweise zugrunde, der zufolge biblische Figuren zugleich besondere Tugenden versinnbildlichen. (3) An beiden Stellen wird die Überlegenheit der biblischen über die welthistorische Figur mit
Dazu siehe vor allem: Contra Celsum 2.17; 2.41. Zum Doppelsinn der im Neuen Testament dargestellten Jesusfigur siehe auch: TWA Bd. 17, S. 278 – 279 und 286. Siehe dazu: Dilthey 1990a, S. 25 („Beständig war Hegel der Vergleich zwischen Sokrates und Jesus gegenwärtig, und so stellt er auch den Schülern des Sokrates die Jünger Jesu gegenüber“); E. Schmidt 1974, S. 170. Zu einem ähnlichen Vergleich zwischen Jesus und Sokrates siehe auch Rousseau: „Ja, wenn Sokrates Leben und Tod eines Weisen würdig sind, so erkennen wir bei Christo das Leben und den Tod eines Gottes.“ (2015, S. 336)
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
ihrem zusätzlichen symbolhaften Sinn begründet. Daher kann angenommen werden, dass Philon mit seinen materialreichen Schriftallegoresen mit ihrer nachhaltigen Wirkung auf das antike Christentum in seiner entscheidenden Entwicklungsphase Hegels allegorisches Verständnis des Neuen und Alten Testaments mitgestaltet hat.
3.1.2 Philo Judaeus als Trinitätsdenker? Philons Philosophie als Vorform der Trinität Schon Schellings Entwurf zur Gnosis aus seiner Tübinger Studienzeit thematisiert den bedeutenden theologiegeschichtlichen Diskurs über Philons möglichen Einfluss auf das christliche Trinitätsdogma. In Zusammenhang mit der „Philonischen Trinität“ („de trinitate Philoniana“) führt Schelling vier verschiedene Texte an, die ihm drei unterschiedliche Betrachtungsweisen dieser Frage darlegen: (1) Bulls Defensio fidei Nicaenae (Kap. 1: § 16), (2) Souverains Versuch über den Platonismus der Kirchenväter (Kap. 10), (3) Basnages Histoire des Juifs (Kap. 5: § 9) und (4) Leclercs Prima commata capitis primi evangelii S. Johannis Paraphrasi Prima commata capitis primi evangelii S. Johannis Paraphrasi et animadversionibus illustrata. Angesichts dessen wird deutlich, dass Hegels Prämisse und die damit verbundenen Thesen, Philon vertrete grundsätzlich ein vorchristliches Trinitätsdenken, im 18. bis zum 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum vorherrschend waren. Am wirkmächtigsten war allerdings die 1700 erschienene dogmengeschichtliche Schrift von Souverain Le Platonisme dévoilé. Ou essai touchant le verbe Platonicien, die 1782 von Löffler ins Deutsche unter dem neuen, „sehr viel milderen Titel“¹² Versuch über den Platonismus der Kirchenväter oder Untersuchung über den Einfluß der platonischen Dreyeinigkeitslehre in den ersten Jahrhunderten übersetzt und kommentiert wurde. Schelling nimmt im „Gnostizismus-Entwurf“ zweimal und in dem an seine Eltern gerichteten Brief vom 29.4.1796 einmal Bezug darauf.¹³ Dass diese Schrift unter den deutschsprachigen protestantischen Theologen weithin bekannt und außerordentlich einflussreich war, macht Franz primär am Beispiel Schellings fest: „Der junge Schelling hat dieses Buch, das erst
Diesen Unterschied zwischen beiden Titeln bemerkt Franz: „Bezeichnenderweise trug die deutsche Übersetzung einen sehr viel milderen Titel, der aus der provozierenden Rede von ‚Enthüllungen‘ verschwunden war […].“ (2012, S. 181) Zur Erläuterung der Grundthesen dieses Werkes siehe des Weiteren: Franz 1996, S. 37 ff. und Holz 1977, S. 41– 43. Vgl. Halfwassen 1999, S. 73 – 74: Fn. 166.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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zu seiner Zeit, im Jahr 1782 in erster, 1792 in zweiter Auflage ins Deutsche übersetzt worden war, gelesen und in seinen (noch weitgehend unpublizierten) Studienheften mehrfach zitiert.“¹⁴ Dessen Wirkung wird beispielsweise auch in Bruckers Ausführungen zu Philon greifbar, wenn er im thematischen Rahmen der Trinitätsvorstellung aus Abr. 119 – 132 auf dessen Philon-Kapitel (10. Abschnitt), „Untersuchung über den Philo“, zurückgreift.¹⁵ Auch in Zusammenhang mit den „[n] euere[n] Werke[n] und Hülfsmittel[n]“ zur „Geschichte der alexandrinisch eklektischen Philosophie“ erwähnt Buhle diese trinitätskritische Schrift in einer ausführlichen Beschreibung.¹⁶ Die Hauptprämisse von Souverains provokantem Werk besagt, dass die christliche Trinitätslehre nicht von den biblischen Grundtexten herrühre, sondern vielmehr vom platonischen Gedankengut. Souverains theologisiertem Platonverständnis zufolge vertrete der Platonismus ein prinzipientheoretisches Dreigöttersystem: Unter dem ersten Gott verstehe Platon den unsichtbaren Schöpfer und Vater (ποιητὴς καὶ πατήρ) von allem. Den zweiten Gott setze er mit dem doppelten Logoskonzept (λόγος ἐνδιάθετος und προφορικός) gleich. Den dritten Gott fasse er als die Weltseele auf.¹⁷ Von dieser trinitarischen Struktur abgesehen glaubt Souverain überdies in Platons erstem Gott eine weitere Triasform freizulegen. Diese bestehe aus den drei Hauptattributen Güte, Weisheit und Macht, die Gottes unendliche Vollkommenheit manifestieren würden.¹⁸ Souverain deutet diesbezüglich an, Platons erstem Gotteskonzept komme die ursprüngliche Existenzphase des doppelten Logosbegriffes (Philons) als λόγος ἐνδιάθετος zu, woraus erst die Entfaltung von dessen dreifachen Grundbestimmungen sowie weltbegründendem Rede-Logos möglich werde.¹⁹ Daraus wird zugleich ersichtlich, Franz 2012, S. 180 ff. Brucker 1742, S. 806 (Fn. g). Buhle 1799, S. 181. Souverain 1792, S. 85: „Der erste ist der höchste Gott, dem die beyden übrigen Ehrerbietung und Gehorsam schuldig sind, weil er ihr Vater und ihr Schöpfer ist. Der zweyte ist der sichtbare Gott, der Diener des Unsichtbaren und der Schöpfer der Welt. Der dritte heißt die Welt, oder die Seele, die die Welt belebt.“ Souverain 1792, S. 50, 56, 60 – 63, 83 – 85 und 199. Dazu weiterführend: Franz 1996, S. 38 ff. Souverain 1792, S. 85 („So dachte er sich ein doppeltes Wort (logos), eines, welches von aller Ewigkeit her in Gott gewesen ist. Durch dieses faßt Gott von Ewigkeit her alle Vollkommenheiten in seinen Schoos zusammen; indem er alles mit Weisheit, Macht und Güte thut. Denn weil er [sc. Gott] unendlich vollkommen ist, so hat er in diesem innern Logos alle Ideen und die Formen der geschaffenen Dinge. Der zweyte Logos ist der äußere und hervorgebrachte Logos. Und dieser ist nach dem Plato nichts anders, als jene Substanz, die Gott aus seinem Schoos herausstieß und zeugte, um daraus das Weltall zu bilden [Hervorh. i. Orig.].“). Siehe dazu auch: Souverain 1792, S. 90. Diesen theologischen Interpretationsansatz scheint Souverain überwiegend auf Clemens von Alexandria zurückzuführen: Souverain 1792, S. 61– 62.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
dass laut Souverain Platons zweiter Gott in Form des doppelten Logos zwischen der überweltlichen Gottheit und deren schöpferischer Tätigkeit vermittele: Einerseits partizipiere der noch unentfaltete Logos als Inbegriff der Ideenganzheit am transzendenten Wesen des obersten Gottes, andererseits werde dieser Logos in seiner konkreten Entfaltung als λόγος προφορικός mit der gestaltgebenden Kraft identifiziert. Im Anschluss an seine Deutung der „platonischen Trinitätstheologie“ fährt Souverain im nächsten Abschnitt mit der Darstellung von Philons System fort. Er versteht ihn als folgerichtigen Platoniker, denn jener folge mit seiner Logoslehre „[genau] den Ideen des Plato“.²⁰ Auch in Philons jüdischem Platonismus glaubt er im Kern ein trinitarisches Grundmuster zu erkennen. Genau wie Platon zuvor setze Philon nämlich in QG 2.62 neben seiner überweltlichen Gottheit eine zweite Gottheit voraus, die er mit seinem Logoskonzept als dem Ideenkosmos gleichsetze (πρὸς τὸν δεύτερον θεόν).²¹ Allerdings problematisiert Souverain den göttlichen Aspekt von Philons Logoshypostase wiederum wegen dessen streng jüdischmonotheistischen Ansatzes: „Es ist ungereimt zu glauben, daß ein Jude einen zweyten unerschaffenen Gott angenommen habe. Gerade als wenn es mehrere unerschaffene geben könnte [Hervorh. i. Orig.].“²² Den Ursprung dieser Inkonsequenz sieht Souverain größtenteils in Philons allegorisierender Denkweise, die rein metaphysische Denkformen noch zusätzlich in ihrem symbolhaften Sinne vergegenständlichen könne.²³ In Hinblick auf Philons dritten Gott will Souverain anscheinend implizieren, dass Philon unter diesem zwar das sichtbare Weltganze verstehe, ihn aber selbst im allegorischen Sinne nicht so bezeichnen könne, um die Gefahr einer Vielgötterei sowie einer Gott-Welt-Gleichsetzung unbedingt zu vermeiden: „Den dritten Gott nahm er nicht an aus Furcht gegen seine Religion zu verstoßen, die die erschaffene Welt nicht für einen Gott gelten lassen konnte, weil die Platoniker sie (ποιημα,) ein Geschöpf nennten.“²⁴ Im Gegensatz zu Platons „Trinitätsphilosophie“ konzipiere Philon selbst, darauf weist Souverain nachdrücklich hin, seinen ersten Gottesbegriff nicht ge-
Souverain 1792, S. 91. In diesem Zusammenhang nimmt er Bezug auf das Unterkapitel „The Trinity of the Pagans derived from a Divine Cabala“ in Cudworths Schrift The True Intellectual System of the Universe (Souverain 1792, S. 92). Souverain 1792, S. 92. Souverain 1792, S. 93: „Cudworth hat es übersehen, daß Philo, der als Platoniker spricht, über die idealische Welt allegorisirt; diese nennt er den zweyten Gott, weil er sie als einen Ausfluß aus dem göttlichen Verstand ansieht […].“ Souverain 1792, S. 93. Vgl. dazu Aet. 20, wo die sinnlich wahrnehmbare Welt als ὁρατὸς θεός bezeichnet wird.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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mäß dem Gedanken der Dreieinigkeit, sondern vielmehr gemäß dem Gedanken der Einheit. Diese Beurteilung weist der Autor nach, indem er, aufbauend auf der triadischen Gottesvorstellung (τριττὴ φαντασία) in Abr. 121– 122 als (1) τὸ ὄν, (2) δύναμις ποιητική und (3) δύναμις βασιλική, aufzeigt, dass Philon diese letztendlich mit einer Rechtfertigung vehement ablehnt: Gott sei nämlich ausschließlich als eine unzusammengesetzte Einheit aufzufassen: „Das Geheimniß von dreyen ist also, nach dem Philo, nur für niedrigere Seele, die noch nicht im Stand sind, Gott in seiner Einheit, unabhängig von der Schöpfung, zu faßen, sondern ihn in den Werken der Schöpfung und der Fürsehung aufsuchen.“²⁵ Mithin kann Souverain zu dem Ergebnis kommen, dass „Philos Autorität“ bezüglich des Trinitätsdogmas, dem zufolge von „drey Verschiedenheiten in Gott“ ausgegangen werde, „den Vertheidigern der Dreyeinigkeit nichts [hilft]“.²⁶ Was sich höchstens in Bezug auf seinen πρῶτος θεός in dessen Weltzugewandtheit festhalten lässt, sei, dass Philon „drey göttliche Verhältniße, oder Gott mit seinen zwey Kräften annimmt“.²⁷ Aus Souverains Sicht unterscheidet sich Philon jedoch anscheinend von Platon nicht so stark, da sich die Haupteigenschaften von dessen ursprünglicher Gottheit auch erst in ihrem Weltbezug zu äußern scheinen: „Da nun diese drey Eigenschaften, Güte, Weißheit, Macht, die ganze Idee von Gott, die wir aus der Schöpfung von ihm haben, erschöpfen […].“²⁸ Souverain behauptet ebenfalls in seinem Philon-Abschnitt, in möglicher Anspielung auf Cher. 27, Philons Logos verkörpere in seiner Vermittlerrolle diese „platonischen Gottesattribute“: „[…] oder den zweyten Gott, dem er verschiedene Namen geben konnte, nach den verschiedenen Beziehungen, in denen er sich Gott, entweder in Rücksicht auf seine Weisheit, oder auf seine Macht u. s. w. dachte“.²⁹ Auch in seiner sinngemäßen Wiedergabe von Philons Abr. 121– 122 ist nicht nur von zwei göttlichen Kräften, von der Schöpfer- und Herrscherkraft, die Rede, sondern tatsächlich von dreien, denn Souverain fügt zum Ursprungstext die Wesensbestimmung der göttlichen Weisheit hinzu.³⁰ Die besondere Bedeutung von Philons Religionsphilosophie für dieses Werk findet ihren treffenden Niederschlag in Löfflers Frage in der Vorrede: „[…] wie ist es möglich, daß sie [sc. die Kirchenväter im Alten Testament] darin die Dreyeinigkeitslehre, den Logos und die idealische Welt des Plato, und so vieles andere
Souverain 1792, S. 96 – 97. Siehe dazu auch: Souverain 1792, S. 35. Souverain 1792, S. 100. Souverain 1792, S. 101. Souverain 1792, S. 49. Souverain 1792, S. 94. Souverain 1792, S. 96: „Es ist Gott, begleitet von seinen zwey Kräften, davon eine diejenige ist, welche die Welt schuf, und die andere die Weisheit, welche die Welt regiert [Hervorh. i. Orig.].“
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sehen konnten, wovon wir heutiges Tages auch nicht die entfernteste Spur erblicken?“³¹ Sich auf Souverains Prämissen stützend gibt Löffler zu erkennen, der Grund hierfür liege überwiegend in Philons allegorischem Interpretationsansatz.³² Die exakt gleiche Sichtweise legt auch Souverain mit seiner Annahme dar, der Ursprung der allegorischen Schriftexegese der Kirchenväter sei auf Philon und die jüdischen Alexandriner zurückführbar.³³ Nicht nur den entscheidenden Einfluss der philonischen Bibelallegoresen auf die Kirchenväter setzt Souverain und ihm folgend Löffler voraus, sondern beide weisen an zahlreichen Stellen dieser trinitätskritischen Schrift auf die besondere gedankliche Nähe des neutestamentlichen Logosbegriffes zum philonischen hin.³⁴ Kommt man wieder auf Hegel zurück, so lässt sich zunächst festhalten, dass er in der enzyklopädischen Naturphilosophie ebenfalls Souverains theologiegeschichtlichen Standpunkt ausdrücklich vertritt: Die kirchenväterliche Trinitätsbestimmung sei in der platonischen Philosophie angelegt: […]Die Kirchenväter haben bei Platon die Dreieinigkeit gefunden; sie wollten sie in Gedanken fassen, beweisen, aus dem Gedanken erzeugen. Das Wahre hat bei Platon also dieselbe Bestimmung als die Dreieinigkeit. Wir müssen uns aber bei Platon nicht an die Vorstellung halten, daß Gott vorgefunden, genommen hat, sondern wir müssen uns an den Begriff halten. Dieser Gott, von dem Platon spricht, ist nicht Gedanke, sondern Vorstellung[…]. (TWA Bd. 19, S. 95)³⁵
Auf ähnliche Weise wie in Souverains Versuch über den Platonismus verbindet auch Hegel Philons Auslegungsmethode und Logosbegriff mit frühchristlichem
Souverain 1792, S. XIV. Souverain 1792, S. XIII–XIV: „Ich antworte: durch Hülfe des geistigen, mystischen Sinnes, durch Hülfe der allegorischen Auslegungsmethode, die überall verborgene und erhabene Deutungen sieht, die die Kunst lehrt, hinter allen Zeichen und Worten alles […] was man dahinter zu finden wünscht und dahinter sucht. […] Unter den Juden hatte insonderheit Philo ein merkwürdiges Beyspiel davon gegeben. Denn vermittelst dieser Methode hatte er die ganze platonische Philosophie, mit allen Spitzfündigkeiten der Metaphysik, in dem A.T. zu finden gewußt; durch ihre Hülfe hatte er selbst den Heyden Achtung für die Religionsbücher seines Volks einzuflössen gesucht [Hervorh. i. Orig.].“ Souverain 1792, S. 228: „Philo hat sich hierin [sc. in den allegorischen Schriftdeutungen] vor andern hervorgethan. Die Christen richteten sich nach dieser Methode der Juden, vorzüglich der Alexandrinischen, die diese Gewohnheit von den Therapeuten gelernt hatten. […] Philo ahmt diese [sc. die Essener in ihrer Technik der Allegorie] nach, und die Christen den Philo [Hervorh. i. Orig.].“ Souverain 1792, S. 7– 8 (Fn. *), 95 (Fn. *), 96, 205 (Fn. *), 367, 398 – 400, 407– 408 (Fn. *), 480 – 481 (Fn **). Vgl. TWA Bd. 16, S. 46.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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Gedankengut. Er macht somit mehrfach auf die übergreifenden Kenntnisse der Kirchenväter von neuplatonischen Denkstrukturen aufmerksam; dadurch seien sie überhaupt erst in der Lage gewesen, höher entwickelte Ideen (Dogmen) aus der christlichen Textgrundlage systematisch herauszulesen: […] nur ist hier über die Beziehung der Kirchenväter auf die Philosophie der Standpunkt anzugeben. Wir wissen, daß die Kirchenväter sehr philosophisch gebildete Männer waren und daß sie die Philosophie, besonders die neuplatonische, in die Kirche eingeführt haben. Sie haben das christliche Prinzip der philosophischen Idee gemäß gemacht und die philosophische Idee in dasselbe hineingebildet; sie haben dadurch einen christlichen Lehrbegriff ausgebildet, womit sie über die erste Weise der Erscheinung des Christentums in der Welt hinausgegangen sind. (TWA Bd. 19, S. 501– 503)³⁶
Die Bestimmung der Dreieinigkeit als die „Grundform“ des Geistprinzips erklärt Hegel zum spekulativsten „Lehrbegriff“ der gesamten christlichen Philosophie, wodurch Gott erstmals in seiner wirksamen Konkretheit begriffen werde: Gott ist ihr [sc. der denkenden Menschenvernunft] daher nicht das Leere, sondern Geist, und diese Bestimmung des Geistes bleibt ihr nicht nur ein Wort oder eine oberflächliche Bestimmung, sondern die Natur des Geistes entwickelt sich für sich, indem sie Gott wesentlich als den Dreieinigen erkennt. […] Ohne diese Bestimmung der Dreieinigkeit wäre Gott nicht Geist und Geist ein leeres Wort. (Vorl. Bd. 3, S. 43)³⁷
Die Schlüsselstellung der christlichen Trinitätslehre in Hegels Denken lässt sich unter Zuhilfenahme eines an den Theologen Tholuck gerichteten Briefes vom 3.7. 1826 besonders deutlich aufzeigen. In diesem Schreiben unterzieht er die seines Erachtens spekulationsfreie Vorgehensweise von dessen 1826 in Berlin erschienener Untersuchung Die speculative Trinitätslehre des späteren Orients hinsichtlich der orientalischen Quellen des christlichen Trinitätsdogmas polemischer Kritik: […] man erkennt, wie Sie ausführen, den Einfluß griechischer, jüdischer und neuplatonischer Philosophie […]. Verdient die hohe christliche Erkenntnis von Gott als dem Dreieinigen nicht eine ganz andere Ehrfurcht, als sie nur so einem äußerlich historischen Gange zuzuschreiben? In ihrer ganzen Schrift habe ich keine Spur eines eigenen Sinns für diese Lehre fühlen und finden können. Ich bin ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Luthertum befestigt. Ich lasse mich nicht über solche Grundlehre mit äußerlich historischer Erklärungsweise abspeisen. Es ist ein höherer Geist darin, als nur solcher menschlichen Tradition. Mir ist es ein Gräuel, dergleichen auf eine Weise erklärt zu sehen, wie etwa die
Vgl. TWA Bd. 12, S. 398, 414– 415; Bd. 16, S. 29, 46; Bd. 18, S. 84, 112– 113. Zum Dreieinigkeitsgedanken als der Wesensbestimmung des Geistes siehe vor allem: TWA Bd. 9, S. 30; Bd. 10, S. 62; Bd. 12, S. 386; Bd. 16, S. 38, 342; Bd. 19, S. 413; Bd. 20, S. 166.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Abstammung und Verbreitung des Seidenbaues, der Kirschen, der Peeken u.s.f. erklärt wird. (SWB Bd. 2, S. 28 – 29)³⁸
Hegels Kritik entzündet sich vorrangig an der Mangelhaftigkeit von Tholucks „trockener“ ideengeschichtlicher Methode: Diese erschöpfe sich darin, den zentralen christlichen Glaubenssatz der heiligen Dreieinigkeit allein auf orientalische Systeme „wissenschaftlich“ zurückzuführen, ohne dabei dessen spekulativen Kern genügend zu berücksichtigen.³⁹ Naheliegend ist ferner, dass Hegel mit dem „Einfluß […] jüdischer und neuplatonischer Philosophie“ auf die christliche Trinitätsbestimmung zu verstehen geben wollte, Tholuck nehme Bezug auf die „Philonische[…] Triadik“ in De Abrahamo 119 – 132, wenn er sie, möglicherweise basierend auf der dezidiert philonisierenden Gnosisdarstellung seines Lehrers Neander, als Musterbeispiel für die dreistufige Grundstruktur orientalischer Emanationssysteme anführe: „Sie [sc. diese triadische Emanationsvorstellung] herrscht in der Philonischen Trias (de Abrah. p. 367. Frankf. ὁ ὠν, ἡ βασιλικη κ ἡ ποιητικη δυναμις – δορυφορουμενος ὁ μεσος ὑφ’ ἑκατερας τῶν δυναμεων), und findet sich auch in der Ansicht einiger Väter übergetragen auf den Sohn und den Geist.“⁴⁰ (1) Unter dem ersten Moment dieser orientalischen Gottesvorstellung versteht Tholuck ihre namenslose, unaussprechliche Natur;⁴¹ (2) ihr zweites Moment fasst er hingegen als eine innergöttliche „Sonderung“, aus der sich der κόσμος νοητός („Wesenwelt“) herauskristallisiere; (3) infolgedessen konkretisiere sich im darauffolgenden Moment Gottes intelligible „Selbstsonderung“ dahingehend weiter, dass diese wiederum die neue Gestalt vielfältiger Mittelkräfte annehme, die nun in der sinnenfälligen Welt in Erscheinung träten.⁴² Dieses dreifaltige Emanationsbild, das im orientalischen Weltbild im Allgemeinen und in Philons Trinitätsvorstellung im Besonderen „herrsche“, identifiziert Tholuck „auch in der Ansicht einiger [Kirchen] Väter“, die wie Philon die Auffassung von einem doppelten Logos verträten und diese in der Weise trinitarisch umdeuteten, dass sie diese „auf den Sohn und den Geist“ der Heiligen Dreifaltigkeit anwendeten. Allerdings greifen nicht nur Tholuck und Souverain Philons Abr. 119 – 132 auf, um dessen „trinitarische Gottheit“ zur Geltung zu bringen, sondern auch Brucker
Siehe dazu: E. Schmidt 1974, S. 3 ff. Siehe dazu: Tholuck 1826, S. V–VΙΙI. Tholuck 1826, S. 27. Tholuck 1826, S. 26: „[…] weil er nämlich an und für sich der θεος ἀκατονομαστος oder wie Philo ihn nennt ἀῤῥτος ist […].“ Tholuck 1826, S. 27: „[…] dagegen die dritte eben diese zu besonderen Wesen gewordenen göttlichen Kräfte würklich in die äußere Existenz treten läßt, und daselbst sie erhält und trägt.“
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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und Neander, mit deren Philondarstellungen Hegel durchaus vertraut war.⁴³ Neander geht auf diese triadische Gottesoffenbarung ein, die er unter Verweis auf Abr. 119 (τριττὴν φαντασίαν ἑνὸς ὑποκειμένου) als „eine verschiedene Auffassung und Erscheinung des Einen Unwandelbaren nach verschiedenen Standpunkten, eine τριττη φαντασια του ἑνος ὑποκειμενου“ kennzeichnet.⁴⁴ Auf Abr. 122 Bezug nehmend will Neander letztendlich nachweisen, die Triasvorstellung von Gott stelle lediglich eine niedrigere Vorstellung von dessen in Wahrheit völlig einheitlichem Wesen dar. Unter Berücksichtigung derselben Stelle untermauert Brucker diesen Aspekt von Philons negativ-theologischer Gotteslehre ebenfalls und geht vor diesem Hintergrund davon aus, die christliche Trinitätslehre stehe nicht in Übereinstimmung mit Philons in Abr. 119 – 132 beschriebener Gottesauffassung als τριττὴ φαντασία geschweige denn in einem ideengeschichtlichen Abhängigkeitsverhältnis zu diesem.⁴⁵ Obgleich Neander und Brucker mit ihrer Lesart von Abr. 119 – 132 grundsätzlich zugestimmt werden kann, sollte eines nicht übersehen werden: Philon stellt nirgends ausdrücklich fest, dass die täuschende Vorstellung von Gott als τὸ ὄντως ὄν zusammen mit seinen zwei obersten Kräften völlig falsch sei, sondern eher, dass diese Vorstellung der vernunftbegabten Seele lediglich eine niedrigere Gotteserkenntnis vermittle. Sowohl in QG 4.30 (hinsichtlich Abrahams Gottesschau basierend auf Gen 18) als auch in QE 2.100 (bezüglich der „drei Ellen“ des Altars in Ex 27,1) schätzt Philon die Triasbestimmung sogar metaphysisch als durchaus positiv ein. Er geht davon aus, die Triadik habe im eindeutigen Gegensatz zu der im Kern inexistenten Dyas – d. h. Gottes zwei Leitkräfte ohne ihn oder das Materialprinzip – den Vorzug einer absolut lückenlosen Totalität (μεστήν διηνεκῆ καὶ πληρεστάτην οὐσίαν).⁴⁶ Mehr noch: Auch in Abr. 51 lehnt Philon den dreifach strukturierten Gottesnamen θεὸς Αβρααμ καὶ θεὸς Ισαακ καὶ θεὸς Ιακωβ aus Ex 3,15, der aus der höherstehenden Triadik der durch die Stammväter personifizierten Tugenden bestehe, nicht gänzlich ab, sondern stuft ihn vielmehr, im Kontrast zu seinem absoluten Namen, als seinen
Brucker 1742, S. 807– 808; Neander 1818, S. 19 – 20. Neander 1818, S. 19 – 20. Brucker 1742, S. 807: „[…] ex quo concludit frustra eos esse, qui Philonianam triadem cum Christiana conspirare asserunt.“ Zur Fortführung des philonischen Fragmentes siehe PLCL Bd. 12, S. 215: Τῷ μὲν ᾿Aβραὰμ φαίνονται τρεῖς, καὶ μεσημβρίας· τῷ δὲ Λὼτ δύο, καὶ ἐσπέρας. Φυσικώτατα διάφορον εἰσηγεῖται ὁ νόμος τελείου καὶ προκόπτοντος· ὁ μὲν οὖν τέλειος τριάδα φαντασιοῦται ἐν ἀσκίῳ φωτὶ καὶ μεσημβρινῷ, μεστὴν διηνεκῆ καὶ πληρεστάτην οὐσίαν· ὁ δὲ δυάδα, διαίρεσιν καὶ τομὴν καὶ κενὸν ἔχουσαν ἐν ἑσπερινῷ σκότει (QG 4.30: griechisches Fragment).Vgl. PLCL Bd. 12, S. 147: „But as for the deeper meaning, the triad is a three-tiered, dense and full number, having no emptiness but filling up whatever is drawn apart in the dyad.“ (QE 2.100)
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
relativen Namen ein, womit er „gleichwohl dem Menschengeschlecht eine passende Bezeichnung [schenkte]“.⁴⁷ Gerade weil sich Hegel intensiv mit diesen unterschiedlichen Philondarstellungen befasste, war ihm bewusst, dass Philon in Abr. 119 – 132 einen trinitarischen Gottesbegriff zugunsten eines strikt einheitlichen ausdrücklich ablehnt. Angesichts dessen unterstellt er ihm einerseits, ein ungeistiges und lediglich rudimentäres Gotteskonzept zu vertreten.⁴⁸ Andererseits argumentiert er letztendlich – die damals allgemein verbreitete Lehrmeinung über Philon und die Trinität sowie dessen fortgeschrittene Lehre vom doppelten Logos aufgreifend – doch dafür, dass dessen vorchristliche Gottesauffassung als trinitarisch, nämlich als τὸ ὄν/ὁ ὤν, λόγος ἐνδιάθετος und schließlich als λόγος προφορικός, wahrzunehmen sei: „Das Wahre was der Geist ist, ist nur im ganzen Verlauf dieser Momente ausgesprochen.“⁴⁹ Hegels Motivation für diese Darstellungsweise scheint daher zu rühren, dass er damit Philons jüdische Philosophie insgesamt geistesgeschichtlich lediglich als ein zum bahnbrechenden Christentum und insbesondere zum spekulativen Trinitätsdogma hinführendes und rechtfertigendes Zwischenstadium einstufen wollte. Eine von Hegel expressis verbis vorgenommene Auseinandersetzung mit Philons Gottesbegriff als absoluter Einheit aus Abr. 119 – 132 kommt lediglich ein einziges Mal vor, und zwar in seinen Vorlesungen zur Philosophiegeschichte von 1819. Damit ist zugleich Hegels negativ werturteilender Hinweis auf die „[sich] oft sehr kleinlich [zeigenden]“ Inhalte von Philons metaphysischen Pentateuch-Allegoresen verbunden: Bei ihm sehen wir 1, daß er an die Geschichte der Juden sich anknüpft, aber ihr die Bedeutung unmittelbaren Geschehens nicht mehr, sondern einen mystischen, allegorischen Sinn giebt. Dieses Bestreben des Denkens auch äußeren Gestalten höheren Sinn geben zu wollen, zeigt sich oft sehr kleinlich. ZB. Dem Abraham erscheinen erst 3 Engel, dann 1. Dies soll bedeuten, daß 1te Bewußtsein Gott in der Spaltung auffaßt, erst höher in der Einheit [eine andere Lesevariante zu „erst höher“ bietet die Abschrift von Carrière (Ca): „hernach aber Gott“]. (GW Bd. 30,1, S. 127,4– 10)
Hinsichtlich dieser prägnanten Bemerkung, die lediglich vordergründig wie eine Randbemerkung erscheint, sind vier Aspekte zu beachten: (1) Hegel greift die zweifachen Gottesoffenbarungen von Abrahams in die großen Mysterien einge PCH Bd. 1, S. 107. TWA Bd. 19, S. 422; Bd. 17, S. 238: „Hier ist denn der Mangel, daß das Erste nicht selbst als Totalität gefaßt wird [Hervorh. i. Orig.].“; GW Bd. 30,1, S. 127,20: „Insofern könnte man sagen, Gott [ausschließlich als das reine Seiende] sei hier nicht als Geist erkannt.“ GW Bd. 30,1, S. 127,22– 23.
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weihter Seele („Bewußtsein“) auf, der wechselweise einer triadischen Gotteserscheinung – τριττὴ φαντασία aus dem Seienden, der gütigen Schöpferkraft, der gerechten Herrscherkraft – und danach einer einheitlichen Gotteserscheinung innegeworden sei. (2) Unter Berücksichtigung von Abr. 122 weist Hegel zudem auf den eindeutig hierarchisch-ontologischen Charakter beider Gotteserscheinungen in Abrahams Bewusstsein hin: Nur in der zweiten Erkenntnis von Gott als einer absoluten „Einheit“ sowie als „dem reinen Sein“, also jenseits jedweder „Spaltung“ und aller „Unterschiede [und] […] Bestimmungen in sich“, werde dessen wahre Natur erfasst.⁵⁰ (3) Dass Hegel diesen aus Gen 18 allegorisch erschlossenen Gottesbegriff in Form einer Einheit als „sehr kleinlich“ abqualifiziert, ist offenkundig eine Anspielung und Gegenreaktion auf Philons höhere durch Mysterienterminologie ausgedrückte Einschätzung der Einheits- gegenüber der Dreiheitsbestimmung Gottes in Abr. 122. Diese ergibt sich aus dessen Identifikation der Einheitsbestimmung mit den μεγάλα μυστήρια und entsprechend der Dreieinigkeitsbestimmung allein mit den βραχύτερα μυστήρια. Denselben Punkt will Philon in Abr. 124– 125 mit der hierarchisierenden Behauptung nachdrücklich damit bekräftigen, dass „[d]ie höchste Stufe […] die mittlere (Vorstellung) von dem wirklich Seienden [habe], die zweite […] sich die rechts stehende ‚wohltuende’ (Kraft) vor[stelle] […] die dritte die auf der andern Seite stehende ‚herrschende’“, und ergänzend dass „[d]ie höchste Charakterstufe [ἄριστα τῶν ἠθῶν][…] dem für sich selbst ohne irgend jemand Seienden [diene] und […] sich durch nichts anderes davon abziehen [lasse], weil ihr Streben einzig und allein auf die Verehrung des Einzigen gerichtet [sei]“.⁵¹ (4) Hegel hat hier Neanders Untersuchung zur Gnosis (Genetische Entwicklung der vornehmsten gnostischen Systeme) als Anhaltspunkt. Am eindeutigsten spricht dafür die sehr ähnliche Formulierung über den wechselnden Charakter der in Abr. 122 beschriebenen Gottesoffenbarungen. Neander drückt diesen Gedanken so aus: „Woher kommt es, daß da vorher drei Engel genannt worden, nachher nur Einer […]?“⁵² Nahezu wortgetreu schreibt Hegel: „Dem Abraham erscheinen erst 3 Engel, dann 1.“ Hegel beabsichtigt zunächst, in seiner Religionsphilosophie mittels Analyse der christlichen Vorstellung des Gottvaters „in seiner ewigen Idee an und für sich“ den spekulativen Kern des Dreieinigkeitsdogmas zu durchdringen. Dem Trinitätsgedanken geht er nicht so sehr aus religionsgeschichtlicher, sondern primär aus metaphysischer Sicht nach und versteht unter diesem die dialektische Entfaltungsstruktur von Gottes Wesensbestimmung als Geist. Im Gegensatz zu Phi-
GW Bd. 30,1, S. 127,21– 22. PCH Bd. 1, S. 123. Neander 1818, S. 19.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
lons streng einheitsmetaphysischem Ansatz⁵³ bewertet Hegel den Begriff der Dreieinigkeit umgekehrt als den Leitgedanken der gesamten christlichen Dogmenlehre und zugleich als den spekulativsten Begriff schlechthin, der dem Verstandesmenschen nur als das unbegreiflichste μυστήριον erscheinen könne: „Diese spekulative Idee ist dem Sinnlichen entgegengesetzt, auch dem Verstande, sie ist daher ein Geheimnis für die sinnliche Betrachtungsweise und auch für den Verstand. Für beide ist sie ein μυστήριον, d. h. in Absicht auf das, was das Vernünftige darin ist [Hervorh. i. Orig.].“⁵⁴ Die spekulationsfreie Verstandesreligion könne in der Folge ihrer negativtheologischen Grundhaltung, teilweise wie Philon, nur Gottes Existenz voraussetzen, ohne sich dessen bestimmtem Wesen weiter anzunähern; das Christentum hingegen bedeute größtenteils aufgrund seiner Dreieinigkeitslehre nichts anderes als „die Enthüllung dessen, was der Geist an und für sich ist“ und sei daher auch als eine spekulative Vernunftreligion einzuordnen.⁵⁵ Den wesentlichen Sinn des christlichen Trinitätsgedankens als „die Tätigkeit des reinen Wissens“ des Geistes stellt Hegel folgendermaßen dar: (1) als „das ewig an und für sich Seiende“ in Form Gottvaters; (2) als den ewig erzeugten Sohn in Form der Erschaffung der Natur und des endlichen Geistes; (3) als Gottes „versöhnende“ Erfüllung in seinem selbstentfremdeten Moment, nämlich im „gesetzten Anderen schlechthin bei sich selbst“ zu sein. Dem christlichen Prinzip der Liebe komme in diesem Zusammenhang insofern eine Schlüsselfunktion zu, als Hegel es als einheitsstiftende Macht versteht, die den immerwährenden dialektischen Grundvorgang zwischen Vater und wesensverwandtem Sohn vermittelt. Aus diesem wiederum resultiere am Ende eine konkrete Totalität. Hegel stellt in Anbetracht der dynamischen Hauptphasen der Trinitätsstruktur deren zugrunde liegende Einheit heraus: „Gott ist Geist; keine Dunkelheit, keine Färbung oder Mischung tritt in dies reine Licht [Hervorh. i. Orig.]“;⁵⁶ „[…] alle drei [sc. Momente] sind der Geist. Im dritten, sagen wir, ist Gott der Geist; aber dieser ist auch voraussetzend: das Dritte ist auch das Erste.“⁵⁷ In seiner religionsphilosophischen Analyse des christlichen Dreifaltigkeitsdogmas nimmt Hegel viermal Bezug auf Philon als dessen zentralen jüdischen Vordenker.⁵⁸ In seinen 1827 gehaltenen Vorlesungen in Zusammenhang mit der
Abr. 119 – 132; Sacr. 59 – 60; QG 4.2– 8, 4.30; Deo 1– 5. TWA Bd. 17, S. 227– 230. TWA Bd. 17, S. 222. TWA Bd. 17, S. 223. TWA Bd. 17, S. 234. Zu Hegels christianisierender Wahrnehmung des Philon als Trinitätsdenker siehe in erster Linie: OʼRegan 2008, S. 110 – 111.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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„vollendeten Religion“ – in der er die philosophischen Quellen der christlichen Trinität aufzuspüren sucht – beruft er sich auf Philon neben Pythagoras und Platon als einen prominenten Vordenker der Dreieinigkeit: Es ist auch bekannt, daß die Dreieinigkeit bei den Pythagoräern und Plato eine wesentliche Rolle gehabt hat, aber die Bestimmungen sind ganz in dieser bloßen Abstraktion geblieben, teils in der Abstraktion der Einsen: 1, 2, 3, teils, und zwar bei Plato, etwas konkreter die Natur des Einen, ferner die des Anderen, das in sich Verschiedene, θάτερον, und das Dritte, das die Einheit von beiden ist. […] Am verwunderungswürdigsten ist es bei Philo, der sich in pythagoräische und platonische Philosophie hineinstudiert hat, bei den alexandrinischen Juden und in Syrien. (Vorl. Bd. 3, S. 212)
Hegel geht in diesem Passus davon aus, dem metaphysischen Dreieinigkeitsgedanken liege ein zweckgerichteter philosophiegeschichtlicher Entwicklungsvorgang zugrunde: Am Anfang hätten sich die Pythagoreer diesen spekulativen Gedanken in seiner abstraktesten Form als Zahlenbestimmungen von der Eins-, Zwei- und Dreizahl vorgestellt. Im nächsthöheren Schritt habe Platon die Dreieinigkeit nicht durch Zahlenkategorien, sondern durch die „etwas konkreter[en]“ rein metaphysischen Gedankenbestimmungen von Einheit, Andersheit und der Identität beider Momente aufgefasst.⁵⁹ Ungeachtet Platons konkreterer Vorstellung der Dreieinigkeit bewertet Hegel sie letztendlich wie bei den Pythagoreern als grundsätzlich zu abstrakt. Allerdings sieht er „darin wenigstens das Ringen des Geistes nach der Wahrheit“, was „Anerkennung [verdiene]“.⁶⁰ Allein Philons „protochristliche“ Konzeption der Dreieinigkeit scheint Hegel hier überwiegend positiv einzuschätzen, da er dessen vorausweisende Auffassung der Trinität in diesem Zusammenhang als die „[a]m verwunderungswürdigste[…]“ charakterisiert. Nicht ohne Grund unterstreicht Hegel Philons Vertrautheit mit pythagoreischem wie platonischem Gedankengut. Dadurch nämlich kann er Philons Dreieinigkeit als höher entwickelt darlegen, denn diese vereinige in sich die beiden vorausgehenden Triasformen, wodurch sie sich zu einem konkreteren und systematischeren Standpunkt erhebe.⁶¹ Hegel will damit auch zu erkennen geben, Philon bediene sich mit seiner gleichsam protochristlichen Religionsphilosophie nicht mehr ausschließlich der abstrakten Zahlen- und Denkbestimmungen seiner Vorgänger, sondern primär der anthropomorphen und christlich anmutenden Bestimmungen von Vater, Sohn und Geist. Gleichwohl ist Philon der vorliegenden Passage zufolge letztlich doch lediglich bei der vorstellungsgemäßen Vorgestalt
Vgl. dazu: Vorl. Bd. 5, S. 19. Vorl. Bd. 5, S. 212: Fn. zur Zeile 989. Vgl. darüber hinaus auch E. Schmidt: 1974, S. 132– 134.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
der Dreifaltigkeit verharrt, denn erst die Kirchenväter konzipierten diese gedanklich als einen vernünftigen Begriff.⁶² Für diesen Passus ist jedoch insgesamt festzuhalten, dass Hegel hier nicht, anders als in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen,⁶³ auf die Kirchenväter zurückgreift, um den grundlegenden Mangel der platonischen Dreieinigkeitsvorstellung aufzuzeigen, sondern vielmehr auf Philons „Trinitätsdenken“. Im weiteren Verlauf geht Hegel unter Beachtung von Neanders Philonbild auf die Kerninhalte der „philonischen Trinität“ ein, ohne sie allerdings mit Philon namentlich in Verbindung zu bringen. Die Rede sei hier undifferenziert nur von „eine[r] ganz unzählbare[n] Menge von Formen […] in denen der Inhalt der Dreieinigkeit verschieden und in verschiedenen Religionen zum Vorschein kam“, und die „aber eigentlich“ bereits „zur Kirchengeschichte“ zu zählen seien.⁶⁴ Folgende Elemente vom philonisch-gnostischen Bild der Dreieinigkeit stellt Hegel heraus: Zuerst der Vater, das Eins, das ὄν, ist das Abstrakte. […] das Unsagbare, Unbegreifliche ausgesprochen wird, das über alle Begriffe ist. […] Das Zweite, das Anderssein, das Bestimmen, überhaupt die Tätigkeit, sich zu bestimmen, ist nach der allgemeinsten Bezeichnung λόγος, die vernünftig bestimmende Tätigkeit, auch das Wort. […] ebenso in die Innerlichkeit aufgenommen, zu seinem Ursprung zurückgegangen ist. Dann wird das zweite Moment auch als σοφία, Weisheit, bestimmt, der ursprüngliche, ganz reine Mensch […]. (Vorl. Bd. 5, S. 213)
Dreierlei muss in diesem Zusammenhang besonders berücksichtigt werden: (1) Die drei wesentlichen Momente, die diese zentrale Präfiguration der christlichen Trinitätslehre ausmachen und worunter Gott als dreieinig vorgestellt werde, seien erstens Gott in seiner unfassbaren Bestimmungslosigkeit als τὸ ὄν, zweitens der λόγος als dessen allgemeinste Bestimmung und drittens die anthropomorph konzipierte σοφία in Gestalt „de[s] ursprüngliche[n], ganz reine[n] Mensch[en]“, die zum göttlichen Urgrund zurückkehre. (2) „Das Wesentliche“ dieses trinitarischen Gottesbegriffes sei ihre Verankerung in der Gott-Logos-Wesenseinheit, die später als Basis der Vater-Sohn-Wesensverwandtschaft der christlichen Trinitätslehre dienen wird. (3) Hegel deutet mit dieser Darstellung kritisch an, dieser vorchristlichen Form der Dreifaltigkeit mit ihren zwei „konkreteren Unterscheidungsmomenten“ sei es letztlich nicht gelungen, zwischen diesen und dem ab-
TWA Bd. 19, S. 95, 495, 510. TWA Bd. 19, S. 95. Vorl. Bd. 5, S. 213.
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strakten Urgrund im Wesentlichen gedanklich zu trennen, denn sie seien in Wahrheit aus diesem nicht herausgetreten. In einem Manuskript der religionsphilosophischen Vorlesungen greift Hegel im Zusammenhang mit der vollendeten Religion eine sehr ähnliche „gnostische“ Form der Dreieinigkeit auf, diesmal jedoch hauptsächlich unter Bezugnahme auf Philon: In den Zeiten um Christi Leben und mehrere Jahrhunderte nach Christi Geburt sehen wir philosophische Vorstellungen entstehen, denen die Vorstellung eines solchen Verhältnisses zu Grunde liegt. Es sind dies teils philosophische Systeme für sich – wie die Philosophie Philos, eines alexandrinischen Juden [am Rande: Mittel zwischen Orient und Okzident / Der orientalische Idealismus verflüchtigt die okzidentalischen Wirklichkeiten zu einer Gedankenwelt] –, teils dann der weiteren Alexandriner […]. So z. B. bei Philo ist das ὄν, das Erste, der unbegreifliche, der verschlossene, unnennbare ἀμέθεκτος Gott – ebenso bei einem Teile der Neuplatoniker: das Zweite ist dann der Logos, vornehmlich der νοῦς, der sich offenbarende, heraus | tretende Gott, die ὅρασις θεοῦ, die σοφία, λόγος, dann das Urbild der Menschen, der Mensch, der Abdruck des himmlischen und ewigen Offenbarens der verborgenen Gottheit – φρόνησις, Chochmah (Neander S. 15) [Hervorh. i. Orig.]. (Vorl. Bd. 5, S. 22)⁶⁵
Auf Neanders umfassenden Philonausführungen fußend glaubt Hegel hier das philonische System auf nahezu dieselben drei Bestimmungen zurückführen zu können, die dessen Gotteskonzept zugrunde lägen und die mit den drei Hauptmomenten seiner philosophiegeschichtlichen Philondarstellung übereinstimmen: τὸ ὄν, λόγος/νοῦς/σοφία und dann οὐράνιος ἄνθρωπος/θεῖον εἰκών. Zwei Aspekte dieser Passage sind augenfällig: (1) Hegel setzt Neanders Hauptthese über die Gnosis voraus, Philons Religionsphilosophie berge zwei grundlegende Momente in sich, nämlich den verborgenen Gott (Deus absconditus) und folglich dessen sich offenbarendes Logos-Bild (Deus revelatus). Neanders christlich motiviertem Philonverständnis zufolge komme Philons Logoskonzept in seinen anthropomorphen Repräsentationen deshalb eine entscheidende Stellung zu, weil er als der οὐράνιος ἄνθρωπος auf konkrete Weise das offenbare, was Gott vorweg allein in seiner verborgenen Natur gewesen sei: Der Mensch ist also das Bild und der Abdruck eines himmlischen und ewigen Offenbarers der verborgenen Gottheit, das Menschliche soll vergöttlicht werden, Offenbarung göttlichen
Westerkamp verweist ebenso auf diesen Textabschnitt, um auf „die philonische Unterscheidung“ aus Hegels philosophiegeschichtlicher Sicht als einen entscheidenden „Einschnitt in der jüdischen Geistesgeschichte“ sowie auf „einen generellen Ruck im Denken der frühen Spätantike“ hinzuweisen und diese an dessen Beispiel zu präzisieren (2009, S. 116). Halfwassen stellt gleichermaßen klar: „Hegel beruft sich dafür außer auf Proklos […] des öfteren auf Philon, bei dem sich eine Vorform dieser Trias findet [Hervorh. i. Orig.].“ (1999, S. 131: Fn. 145)
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Lebens in menschlicher Form, wie das Leben des verborgenen Gottes dem Menschen nur nahe gebracht werden konnte in menschlicher Form […]. Der λογος wurde daher angesehen als das Urbild der Menschheit, der Mittelpunkt aller Offenbarung des göttlichen Lebens, das weiter entwickelt und individualisirt erscheint in der Menschheit, der λογος also der Urmensch, himmlische Mensch, ὀ ἀδιαφορων θειας ἐικονος […]. (Neander 1818, S. 15)
Im Verweis auf Conf. 62 – wo Philon die in Sach 6,12 geschilderte Gestalt des Zemach als Sinnbild des ebenbildlichen Idealmenschen auffasst – deutet Neander Philons Logoslehre dergestalt nach der fleischgewordenen Logosvorstellung des Johannesprologs um, dass er einen „weiterentwickelten“ Individuationsmodus der in der Menschenwelt auftretenden Logoshypostase als die „Gottesoffenbarerin“ postuliert. Darauf aufbauend schätzt Hegel Philons οὐράνιος ἄνθρωπος als Verwirklichung von Gottes Natur sowie Weiterentwicklung von dessen Logosprinzip ein. Damit kehrt Hegel gerade die in Philons System hierarchisch dargelegten Seins-Stufen von τὸ ὄν-λόγος ἐνδιάθετος-λόγος προφορικός ontologisch um. (2) Am Rande seines Philon-Verweises in Zusammenhang mit der Entstehung der Trinitätslehre geht Hegel auf Alexandria als Begegnungsstätte „zwischen Orient und Okzident“ ein und fügt noch hinzu, „[d]er orientalische Idealismus verflüchtigt die okzidentalischen Wirklichkeiten zu einer Gedankenwelt“.⁶⁶ Dadurch will er die philonische Philosophie – in der die „wissenschaftliche Begegnung“ zwischen orientalischem und okzidentalischem Gedankengut ihren treffendsten Niederschlag gefunden habe – in der Form kritisieren, dass sie „die okzidentalischen Wirklichkeiten“ nicht konkret genug auffasse, sondern sie sich lediglich idealisierend als eine von der sinnlichen Realität entfernte „Gedankenwelt“ vorstelle. Den vierten Hinweis auf Philons dreieinige Gottesauffassung nimmt Hegel in seinen Vorlesungen zur Religionsphilosophie von 1824 im Abschnitt „konkretere Vorstellung“ vor, der Vorformen des christlichen Trinitätsdogmas thematisiert: Ich habe bemerkt, daß Spuren, Andeutungen von der Idee Gottes, welche wesentlich die Dreieinigkeit ist, vornehmlich kurz vor und nach der Zeit des Hervortretens der christlichen Religion hervorgegangen sind […]. Es sind die gnostischen Vorstellungen, die aus dem Bedürfnis herkommen, Gott zu erkennen. Philo, ein platonischer Jude, bestimmt Gott als das ὄν, als das Seiende; das heißt denn der verschlossene Gott, der unerkennbare, sich nicht teilhaftig, machende, der unbegreifliche. Wenn man das Erste als das nur Abstrakt-Allgemeine bestimmt und die Bestimmungen auf das Allgemeine, auf das ὄν nur nachfolgen läßt, so ist dies freilich unbegreiflich, denn es ist ohne Inhalt […]. Die zweite Bestimmung ist der Logos, Νοῦς, das sich Offenbarende; dies ist das Bewegende, den Unterschied setzende, das Moment des Bestimmens überhaupt. […] Dies ist das Zweite; da ist wahrhafte Unterschei-
Vorl. Bd. 5, S. 22.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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dung, die die Qualität beider betrifft, aber dies ist | nur ein und dieselbe Substanz, und der Unterschied ist daher dennoch nur oberflächlich, selbst als Person bestimmt. (Vorl. Bd. 5, S. 129 – 130)
Drei Aspekte der zitierten Passage sind bemerkenswert: (1) Auf Neanders GnosisMonographie Bezug nehmend scheint Hegel Philons Lehrgebäude der gnostischen Strömung zuzuordnen, deren vorstellungsgemäße trinitarische „Andeutungen von der Idee Gottes“ dem grundlegenden Impuls, „Gott zu erkennen“, entstammten. (2) An dieser Stelle ist jedoch offenbar nicht von drei Bestimmungen die Rede, sondern ausschließlich von zwei: einer verborgenen und einer offenbarenden. Hegel will damit womöglich vermitteln, im zweiten anthropomorphen Offenbarungsmoment – der Sohn Gottes, die Sophia, die Weisheit, das Urbild der Menschheit, der ursprüngliche Mensch – finde noch eine weitere „wahrhafte Unterscheidung“ statt, welche „die Qualität beider [Momente] betrifft“. Er will damit möglicherweise auch Folgendes andeuten: Weil Philon jedoch nur eine „gnostische Andeutung“ von Gottes trinitarischem Wesen vertrete, müsse er dieses noch nicht als eine aus drei Momenten bestehende Dreieinigkeitsvorstellung vollständig zur Geltung bringen, sondern könne auch allein von der dem Trinitätsdogma zugrunde liegenden Wesensgleichheit zwischen Gott und Logos ausgehen. (3) Diese von Hegel festgestellte Wesensverwandtschaft zwischen dem reinen Seienden als Vater und dem in sich bestimmten Logos als dessen erstgeborenem Sohn fasst Hegel einerseits als akosmistisch („aber dies ist | nur ein und dieselbe Substanz“) und andererseits als personifizierend auf. Allem Anschein nach will Hegel am Ende dieser Darstellung behaupten, diese all-einheitliche Substanz sei letztlich, infolge der stark anthropomorphisierten Logosbestimmung, als Personsein zu begreifen. Diese gewichtigen Verweise auf das „philonische Trinitätsdenken“ in der Wesensbestimmung der christlichen Religionslehre werfen demnach die Frage auf, ob Hegel sich dieser „philonischen Denkform“ auch in weiteren Zusammenhängen seines spekulativen Denkens bedient. In den Vorlesungen zur Wesenslogik, in denen Hegel das Konzept des Wesens als „Dreischein in sich“ verdeutlicht, legt er unter Hinweis auf den jüdischen Standpunkt ein ähnliches Schema der Dreieinigkeit dar.⁶⁷ Er thematisiert den Unterschied zwischen der christlichen Gottesauffassung und der jüdischen: Das Absolute ist das Wesen, d. h. das Absolute, wie es in der jüdischen Religion dargestellt wird; es ist der Dreischein in der Beziehung, wie er in der christlichen Religion dargestellt
Vorl. Bd. 11, S. 112– 113 (§ 66).
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
wird. […] Auch in der jüdischen Religion werden Gott Eigenschaften beigelegt, diese aber, z. B. Gerechtigkeit, Güte, etc. […] Es [sc. das Wesen] ist das Eine in sich selbst. Seine Unterschiede sind ein bloßes Scheinen. (Vorl. Bd. 11, S. 113)⁶⁸
Während das göttliche Wesen in der jüdischen Religion nur abstrakt als „die Totalität des Ganzen“ vorgestellt werde, betrachte es das Christentum als einen konkreten Dreischein in Gottes innerlichem Selbstbezug. Zwar fasse das Judentum, so Hegel, Gottes Wesen im Kern ebenso als einen Dreischein der göttlichen Attribute auf, aber diese „Erscheinungen“ träten nicht innerhalb seiner völlig unbestimmten Innerlichkeit auf, sondern vielmehr außerhalb seines Wesens, in seiner einseitigen und akzidentiellen Beziehung zur Außenwelt („nur in Beziehung [auf] etwas Äußeres gesetzt“).⁶⁹ Dass Hegel sich überhaupt auf positive Weise auf das antitrinitarische jüdische Weltbild in Zusammenhang mit dem Dreifaltigkeitsdogma bezieht, ist bereits an sich geradezu außerordentlich. Denn nur indem er den Dreischein letztendlich außerhalb von Gottes strikt einheitlichem Wesen ansiedelt, kann er diese unkonventionelle, wenn nicht gar kühne Identifikation vornehmen. Das Gottesbild Philons aus Abr. 119 – 132 in Form einer τριττὴ φαντασία als eine jüdische Quelle mit einer solchen Verbindung für vereinbar zu halten, liegt nahe, da Philon dort nahezu auf dasselbe irreführende DreischeinBild von Gottes zugrunde liegendem einheitlichem Wesen eingeht. Wenngleich bei Hegels Wahrnehmung des Judentums zumeist von den göttlichen Eigenschaften der Güte und der Gerechtigkeit die Rede ist, drückt bei Philon oftmals die Schöpferkraft (ποιητικὴ δύναμις) auch Gottes Güte aus, und ergänzend dazu, die Herrscherkraft (βασιλικὴ δύναμις) seine Gerechtigkeit. Darüber hinaus stimmt auch Philons Gedankengang mit Hegels Auffassung aus obigem Passus überein: Ausschließlich in seiner äußerlichen Weltzugewandtheit sei Gott ein Dreischein, denn dadurch verfüge er über seine zwei höchsten Kräfte; in seinem weltabgewandten Wesen sei Gott demgegenüber absolut einheitlich. Diese Lehrmeinung über die zweifachen Mächte sieht der jüdische Alexandriner weiterhin in den zentralen Gottesbezeichnungen der Septuaginta, nämlich θεός und κύριος, begründet. Analog dazu hält Hegel in seiner Religionsphilosophie ebenfalls fest, „die Hebräer“ würden die göttlichen Attribute der Gerechtigkeit und Güte mit den Gottesnamen gleichsetzen.⁷⁰ Er will dabei offenbar den jüdischen Gottesbegriff als eine im strengeren Sinne nichttrinitari-
Vgl. zu Hegels in der Wesenslogik vorgenommenen Auseinandersetzung mit dem Absoluten der apophatischen Theologie: TWA Bd. 6, S. 188 ff. Weiterführend dazu in Zusammenhang mit Hegels Neuplatonismusdeutung zuvorderst: Halfwassen 2003, S. 37 ff. Vorl. Bd. 11, S. 113. TWA Bd. 16, S. 347– 348.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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sche Einheit porträtieren, als inhaltleeres Jenseits, dessen Eigenschaften nichts anderes als Namen seien, als seinem völlig abstrakten Wesen nicht zukommende Bestimmungen, „die nicht besondere Gestaltungen werden“.⁷¹ Auch in seiner Charakterisierung der orientalischen Weltanschauung in der Einleitung zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen von 1819 nimmt Hegel Bezug auf eine verstandesmetaphysische Triasvorstellung vom jüdischen Schöpfergott als „[e]iner, gütig, gerecht“, die unverkennbare Nähe zu Philons Abr. 119 – 132 aufweist: Wir müssen von diesen religiösen Vorstellungen diejenigen absondern, welche zwar erhabene Vorstellungen sind, aber die Bestimmungen als Eigenschaften Gottes ausdrücken. So in der jüdischen Religion sind Bestimmungen einem Subjecte zugeschrieben; das Substrat ist Eins, ist das feste Subject, und dieses hat Eigenschaften, das sind Besonderheiten, besondere Bestimmungen, aber jede als für sich, dem Subjecte nur anhängend; mit seinen Eigenschaften bleibt das Subject nicht für sich; der Verstand isolirt das Subject und macht die Eigenschaften äußerlich. | So ist jenes abstract, gehört nicht der speculativen Sphäre an. […] So sind hier nach der Weise des Verstandes Eigenschaften [sc. Gott als „Einer, gütig, gerecht“], nach Außen gehende Bestimmungen. (GW Bd. 30,1, S. 24,35 – 25,12)⁷²
Folgende wesentliche Parallelen zwischen dem zitierten Abschnitt und Philons in Abr. 119 – 132 eingeführter Allegorese zu Gen 18 liegen auf der Hand: 1) Die Einzigartigkeit sowie Einheit der jüdischen Gottesvorstellung stellt Hegel auf markante Weise an dieser Stelle als „das Substrat ist Eins“ dar, eine Formulierung, die zweifelsohne ihren Ursprung in Philons Bezeichnung für Gott in Form des ὄντως ὄν als ἓν ὑποκείμενον aus entweder Abr. 119 oder 131 hat, die der göttlichen τριττὴ φαντασία zugrunde liege („eine dreifache Vorstellung eines einzigen Gegenstandes“)⁷³. Aller Wahrscheinlichkeit nach brachte der Philon-Abschnitt in Neanders erst 1818 publizierter Schrift über die gnostischen Systeme Hegel auf diesen Gedanken: Dort erläutert Neander Philons einheitsmetaphysischen Erklärungsansatz in Abr. 119 im Rückbezug auf diese spezifische Formulierung über Gott als eine Triasvorstellung eines einzigen Substrates im Originalwortlaut: „[…] es ist eine verschiedene Auffassung und Erscheinung des Einen Unwandelbaren nach verschiedenen Standpunkten, eine τριττη φαντασια του ἑνος ὑποκειμενου, das ον und die beiden von demselben ausgehenden, dasselbe repräsentirenden Kräfte.“⁷⁴
TWA Bd. 16, S. 347. Vgl. Vorl. Bd. 6, S. 132– 133. PCH Bd. 1, S. 121. Neander 1818, S. 19.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
2)
Auch das ontologische Argument, das Hegel hier in Zusammenhang mit der jüdischen Gotteslehre vorbringt, ist mit dem Lichtemanationsbild in Abr. 119 – 132 nahezu identisch: Ausschließlich Gott als das subjektive Eine-Substrat existiere, seine Eigenschaften hingegen seien ihm unwesentlich („äußerlich“), denn sie erscheinen lediglich in seinem pluralisierten Weltbezug. Auch in dieser philonischen Genesisallegorese seien Gottes Kräfte nichts anderes als dessen sinnestäuschende Schatten, die allein in Gottes unwesentlichem schöpferischem und ordnungsstiftendem Verhältnis zur Welt manifest seien. 3) Hegels Einschätzung dieser nicht der Vernunft, sondern dem Verstand entstammenden einheitsmetaphysischen Betrachtungsweise als spekulationsfrei scheint eine den Sachverhalt auf den Kopf stellende Anspielung auf Philons – aus Hegels Sicht völlig falsche – Bewertung der ausschließenden göttlichen Einheit als der höherstehenden Vernunftwahrheit zu enthalten. Auf diesen spekulativen Lehrsatz könne laut Philon lediglich die in die großen Mysterien eingeweihte Geistseele (τὰς μεγάλας τελεσθεῖσα) kommen, während für die spekulationsfreie Menschenseele, die nur in die kleinen Mysterien eingeweiht sei (ἐν ταῖς βραχυτέραις ὀργιάζηται),⁷⁵ Gottes absolute Einheit unerreichbar bleibe. Auch diesen Aspekt bringt Neander in seiner Philondarstellung deutlich zur Geltung, indem er einen Auszug aus Abr. 122 sinngemäß ins Deutsche übersetzt: „Drei erscheinen der Seele, wenn sie erst in die kleinen Mysterien eingeweiht, der Weihung in die großen Mysterien noch nicht theilhaft, das ον nicht unmittelbar wie es in sich selbst ist, erkennen kann, sondern nur durch seine Wirkungen entweder als schaffend oder als herrschend.“⁷⁶ Dass Hegel daher in seiner Auffassung der jüdischen Gotteslehre anscheinend von Philons „spekulationsfreiem“ bzw. nichttrinitarischem Gotteskonzept beeinflusst ist, ist wesentlich näherliegend, wenn man zudem seine Bezugnahme auf Abr. 119 – 132 in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte aus demselben Jahr 1819 berücksichtigt. Philons einheitsmetaphysischen Ansatz unterzieht er dort scharfer Kritik, indem er ihn als „sehr kleinlich“ abqualifiziert.⁷⁷
Abr. 122. Neander 1818, S. 19 – 20. GW Bd. 30,1, S. 127,8. Ein ähnliches vordergründig triadisches Gotteskonzept findet sich auch im zweiten Teil von Saadia Gaons „Buch der Glaubensartikel und Dogmen“ (Emunot we-Dëot): „Nach diesen Beweisen ü ber die Einheit fand ich auf dem Wege der Spekulation sehr leicht das, was darauf hinweist, daß dieser Eine lebendig, allmächtig und allweise ist […]. Diese drei Eigenschaften läßt unsere Vernunft dem Schöpfer ohne langes Nachdenken zusammen und sogleich zukommen; denn indem er die Schöpfung ausgeführt, war er entschieden ja bereits lebendig, allweise und allmächtig […] und der Verstand kann zu einer dieser drei Eigenschaften von
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Eine andere „philonische“ Dreischein-Vorstellung der göttlichen Prädikate Weisheit, Güte und Gerechtigkeit findet sich, worauf OʼRegan hinweist, in Hegels spekulativer Deutung des Judentums als der Religion der Erhabenheit. Anhand dieser trinitarischen Denkstruktur sucht er den asymmetrischen Weltbezug des alttestamentlichen Gottesbildes in seiner äußerlichen Bestimmtheit zu begründen: „Diese Bestimmtheit als Äußeres, Unmittelbares, als Bestimmtheit Gottes selbst ist seine absolute Macht, die Weisheit ist, deren nähere Momente die Güte und Gerechtigkeit sind [Hervorh. i. Orig.].“⁷⁸ OʼRegan macht diesbezüglich darauf aufmerksam, dass sich Philon einer ähnlichen Trias der göttlichen Potenzen in verschiedenen Bibelallegoresen bedient: „Here Hegel seems not only to lexically recall Philo’s triad, but also Philo’s view that goodness and justice are not other than wisdom but distinct aspects of it. Hegel’s account of this revamped form of Judaism matches up with accounts in Philo of goodness and justice (sovereignty) being powers.“⁷⁹ Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang Philons in Cher. 27 konzipiertes Verhältnis zwischen dem Logos und Gottes zwei höchsten Kräften genauer – wo er den allegorischen Sinn der paradiesischen Cherubim aus Gen 3,24 herausarbeitet – so ist diese Affinität kaum zu verkennen: Es wurde mir gesagt, dass bei dem einig einzigen und wirklich seienden Gott zwei oberste und erste Kräfte sind, die Güte und die Allmacht [ἀγαθότητα καὶ ἐξουσίαν]; mit der Güte habe Gott das All geschaffen, mit der Allmacht beherrsche er das Geschaffene; ein Drittes aber, das beide zusammenführt und zwischen ihnen vermittelt, sei die Vernunft, denn durch die
der andern nicht gelangen, sondern zu allen zusammen zu gleicher Zeit, weil er sich nicht vorstellen kann, daß ein nicht allmächtiges und nicht lebendiges Wesen sie ü berhaupt ausfü hren, d. h. das nicht weiß, wie die Tätigkeit ausfallen, vollkommen und vollendet ausfü hren könnte. Aber nur in unserer Vernunftanschauung begreifen wir diese drei Eigenschaften mit einem Male, unmöglich ist es uns aber in unserer sprachlichen Darstellung, da wir in der Sprache kein Wort finden, das alle diese drei in sich vereinigt; wir sind daher genötigt, drei Bezeichnungen in der sinnlichen Sprache fü r das zu gebrauchen, was unsere Vernunftanschauung mit einem Male begreift und erblickt. Mancher könnte vielleicht glauben, daß Gott, indem wir ihm diese drei Eigenschaften zuschreiben, verschiedenartige Eigenschaften zukommen; aber so ist es in der That nicht, da diese Zukommnisse nur ausdrü cken, daß der Schöpfer sei, und wenn wir diese Erkenntniß durch drei Worte ausdrü cken, so geschieht solches, wie gesagt, nur deshalb, weil wir kein Wort finden, das alle drei in sich vereinigt; wir sind daher genöthigt, drei Bezeichnungen in der sinnlichen Sprache für das zu gebrauchen, was unsere Vernunftanschauung mit einem Male begreift und erblickt.“ (Saadia Gaon, 1845, S. 145 – 146; in der hebräischen Ausgabe: 1859, S. 53 – 56) Weiterführend dazu: Westerkamp 2009, S. 59. TWA Bd. 17, S. 58. OʼRegan 2008, S. 113. In der Fußnote (Nr. 28) zu dieser Feststellung erwähnt er Opif., Cher. und Abr. als Abhandlungen, in denen Philon diesen theologischen Gedanken zum Thema macht.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Vernunft sei Gott sowohl Herrscher als gütiger (Vater) [τρίτον δὲ συναγωγὸν ἀμφοῖν μέσον εἶναι λόγον, λόγῳ γὰρ καὶ ἄρχοντα καὶ ἀγαθὸν εἶναι τὸν θεόν]. (PCH Bd. 3, S. 179)⁸⁰
Auch hier berge konzeptionsgemäß der schöpfungsvermittelnde, ordnungsschaffende θεῖος λόγος als Inbegriff aller göttlichen Kräfte die zwei obersten göttlichen Potenzen in sich. Philon scheint zudem auch in Fug. 101– 103 – wo er die drei Zufluchtsorte ihrem verborgenen allegorischen Sinn entsprechend hierarchisch aufzählt – den Standpunkt zu vertreten, der Logos als umfassender Einheitsgrund bilde die intelligible Grundlage für die θεῖαι δυνάμεις der Güte und Gerechtigkeit: […] die schöpferische und die königliche durch die beiden daraufgesetzten geflügelten Cherubim; die über diesen stehende göttliche Vernunft dagegen fügte sich nicht in eine sichtbare Gestalt, da sie keinem der sinnlich wahrnehmbaren Dinge gleich, vielmehr ja ihrerseits ein Abbild Gottes darstellt und ein für allemal das älteste unter den geistigen Dingen ist, das in nächster Nähe des Einzigen, das wahrhaft ist, ohne einen trennenden Zwischenraum seine Stelle hat. […] Demnach ist die Vernunft Lenkerin der Kräfte, im Wagen fährt der Redende, der der Lenkerin die zur richtigen Lenkung des Alls erforderlichen Anweisungen gibt. […] Des Herrschers Vernunft, seine schöpferische und seine königliche Kraft; denn an diesen hat der Himmel und die ganze Welt teil [ὁ τοῦ ἡγεμόνος λόγος καὶ ἡ ποιητικὴ καὶ βασιλικὴ δύναμις αὐτοῦ· τούτων γὰρ ὅ τε οὐρανὸς καὶ σύμπας ὁ κόσμος ἐπικοινωνεῖ]. (PCH Bd. 6, S. 79)
Es war schon in dogmengeschichtlichen Aufsätzen zu Hegels Zeiten durchaus geläufig, die christliche Trinitätslehre ideengeschichtlich mit Philons Triadik der göttlichen Kräfte zu identifizieren, was beispielsweise Schlegels Werk Erneuerte Erwägung der Lehre von der göttlichen Dreyeinigkeit deutlich belegt. Dort kommt er in einem Philon-Abschnitt „Ob Logos aus dem Philo zu erklären sey? Anführung verschiedener Stellen aus seinen Schriften“ hinsichtlich der Dogmenentwicklung der Heiligen Dreifaltigkeit auf Fug. 101– 103 zu sprechen, um die zugrunde liegende Dreieinigkeitsstruktur von Philons Logoskonzept aufzuzeigen: „Wegen der schaffenden königlichen Macht sind zween geflügelte Cherubim zur Bundeslade gesetzt. Der göttliche λογος ist über alles und kommt in einer sichtbaren Vor-
Vgl. dazu auch QE 2.68: „Then (comes) the Logos of the Existent One, the truly seminal substance of existing things. And from the divine Logos, as from a spring, there divide and break forth two powers. One is the creative (power) […]. And (the other is) the royal (power) […].“ (PLCL Bd. 12, S. 116) Dazu weiterführend: Mackie 2009, S. 30 – 31; Heinze 1872, S. 241 („Ausfliessen der Kräfte aus dem Logos“), 260; Dillon 1996, S. 161– 162; Guttmann 1985, S. 34, 38; Bormann 1955, S. 59 – 60; Zeller 1903, S. 417; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 236 – 237.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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stellung […] er ist das Bild Gottes […]. Der λογος des Herrn ist seine schaffende und königliche Macht.“⁸¹ Ungeachtet der recht vordergründigen Unterschiede zwischen Philons und der von Hegel verstandenen jüdischen Triasform stechen hier die Parallelen viel eindringlicher hervor. Hegels Religionsphilosophie zufolge drückt Gottes Weisheit im Judentum seine absolute Macht aus,⁸² die sich wiederum in seinem wesenslosen Weltzusammenhang in seine zwei Haupteigenschaften aufteile, die schöpferische Güte und entsprechend die ordnungsstiftende Gerechtigkeit.⁸³ Auch Philons Kräfte-Trias aus Cher. 27 zufolge sind der jüdischen Gottesauffassung sowohl die Allmacht als auch die Güte zuzusprechen, die wiederum beide gemeinsam auf ihren noetischen Einheitsgrund, auf „ein Drittes“ zurückzuführen seien (τρίτον … συναγωγὸν), nämlich auf den göttlichen Logos. Philons transzendentem Gotteskonzept können lediglich in Hinblick auf den weltzugewandten Logos als dessen Vermittlerinstanz vielfältige Attribute beigemessen werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass beiden „jüdischen“ Triaden dasselbe dialektische Erklärungsmuster zugrunde liegt: Gott seinem weltfernen Alleinsein entsprechend sei zwar eigenschaftslos und unzusammengesetzt, in seinem Weltbezug aber pluralisiere er sich zu einer Vielzahl an wirksamen Mächten, die letztlich in seiner einheitsverleihenden Geistbestimmung angelegt seien. Auch Rosenkranz’ Bericht über das Fragment vom göttlichen Dreieck aus Hegels Jenaer Zeit (1804) ist diesbezüglich von hoher Relevanz. In diesem Dokument nämlich, in dem Hegel das christliche Dreieinigkeitsdogma als die dreistufige Selbstentfaltung des „Totalitätsbegriffes“ des Geistes spekulativ auszulegen und zu rechtfertigen sucht, bedient er sich anscheinend philonischer Denkfiguren.⁸⁴ Auf diesen Aspekt macht schon Vieweg in seinem Artikel über Hegels Plotinrezeption implizit aufmerksam: Diese kurze Andeutung [sc. in der Neufassung der Positivitätsschrift bezüglich Philons] erhält ihr Gewicht […] in Bezug auf Hegels Fragment vom göttlichen Dreieck, worin die Versuche zu einer eigenen Fassung der Dreieinigkeitsidee offenbar werden. In den Berliner Vorlesungen gilt diese Denkfigur [sc. der Dreifaltigkeit] als die Grundidee der neuplatonischen Philosophie [Anm. d. Verf.]. (Vieweg 2012, S. 199 – 200)
Schlegel 1791, Bd. 2, S. 87. TWA Bd. 17, S. 52. TWA Bd. 17, S. 58. Auf diesen Punkt macht OʼRegan treffend aufmerksam: 2008, S. 113. Vgl. dazu TWA Bd. 13, S. 481. An dieser Stelle stütze ich mich auf die von Rosenkranz angebotene Erklärung für dieses Fragment: TWA Bd. 2, S. 536. Entsprechend dazu: Franz 2012, S. 227.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Vier Aspekte dieses Fragmentes weisen deutliche Gemeinsamkeiten zu philonischen Topoi auf: 1) Hegels Auffassung des insichbleibenden Gottvaters als eines Lichtwesens, das sich selbst anschaut und erkennt,⁸⁵ zeigt Parallelen zu Philons negativtheologischem Gottesbegriff als Vater. Denn ihn konzipiert Philon ebenfalls als Urlichtwesen, das sich selbst allein kraft seines eigenen Lichtes betrachtet: „Ganz ebenso ist Gott sein eigenes Licht und wird durch sich allein gesehen, ohne dass ein anderer hilft oder helfen kann zur reinen Erkenntnis seines Daseins.“⁸⁶ 2) Auch die Selbstaussage des Gottvaters im Reich des Sohnes, in seinem Anderssein, „[i]ch bin Gott“, wodurch er „sich [i]m Sohn […] als Gott [erkennt]“ und folglich seiner selbst erstmalig innewerde, wodurch er „auf[hört], ein Negatives zu sein“,⁸⁷ gemahnt unmittelbar an Philons platonisches Verständnis von Gottes in Ex 3,14 LXX namensoffenbarender Selbstvorstellung „ich bin der Seiende [ἐγώ εἰμι ὁ ὤν]“. Diese Exodusstelle deutet Philon in Gleichsetzung mit der platonischen Seinsbestimmung dahingehend metaphysisch um, dass Gott dem jüdischen Gesetzgeber somit deutlich mache, dessen „Wesen ist […] zu sein, nicht […] nambar zu sein“.⁸⁸ 3) Hegels Geistprinzip – dessen Ursprung Rosenkranz primär in Hegels gnostischen Lektüren verankert sieht –⁸⁹ zeigt ebenfalls unverkennbar eine Affinität zu Philons Logos. Hegel konzipiert den „allumfassenden Geist“ als den „ewigen Mittler“ zwischen Vater und Sohn, woraus schlussendlich die VaterSohn-Wesenseinheit resultiere.⁹⁰ Auch der philonischen Logoshypostase kommt
TWA Bd. 2, S. 537– 538: „In diesem ersten [sc. Dreieck] […] ist nur die Gottheit mit sich selbst in Wechselanschauung und Erkennen. Es ist ihre Idee, in der das reine Licht der Einheit die Mitte ist und deren Seite ebenso das reine Herausstrahlen und das reine Zurückbeugen der Strahlen in sich selbst.“ Zum orientalischen Bild des Absoluten als eines sich selbst erleuchtenden Lichtes siehe vor allem TWA Bd. 6, S. 198: „Auf gleiche Weise ist in der orientalischen Vorstellung der Emanation das Absolute das sich selbst erleuchtende Licht.“ Praem. 45: PCH Bd. 2, S. 394. Zur durch Lichtmetaphorik veranschaulichten intelligiblen Selbstschau des νοητὸς θεός siehe auch: Cher. 97. TWA Bd. 2, S. 536 – 537. Mut. 11: PCH Bd. 6, S. 110.Vgl. auch Somn. 1.232; Det. 160; Abr. 121. Dazu siehe weiterhin: Runia 1990i [1988], S. 77; Bormann 1955, S. 16. TWA Bd. 2, S. 536. TWA Bd. 2, S. 537: „Dieser Geist ist hier der ewige Mittler zwischen dem zum Vater zurückgekehrten Sohne, der jetzt ganz nur eins, und dem Sein des Sohnes in sich selbst oder der Herrlichkeit des Universums. Die Einfachheit des allumfassenden Geistes ist jetzt in die Mitte getreten, und es ist jetzt kein Unterscheiden mehr […].“ Vgl. zur Charakterisierung des von Hegel in diesem Dokument beschriebenen Geistbegriffes von Rosenkranz: „Der Geist erst ist die Einheit, ohne welche der Unterschied von Vater und Sohn sinnlos wäre oder, hätte er einen Sinn, zum Dualismus führen müßte. Hegel hat sich daher, um die Gegenseitigkeit der Vermittlung der Per-
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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auf ähnliche Weise bekanntermaßen die besondere Vermittlerrolle zu, zwischen dem überragenden Gott als Vater und der Welt wie dem Menschengeschlecht eine Brücke zu schlagen: Dem Erzengel aber, dem allerersten Logos, gab der Vater, der das Weltall geschaffen hat, ein auserlesenes Geschenk, daß er, auf der Grenzscheide stehend, das Geschöpf von dem Schöpfer absondere [ἵνα μεθόριος στὰς τὸ γενόμενον διακρίνῃ τοῦ πεποιηκότος]. Er ist einerseits der Fürsprecher des stets hilfsbedürftigen Sterblichen bei dem Unvergänglichen, andererseits der Abgesandte des Herrschers an den Untertan. […] „Und ich [sc. der Logos] stand zwischen Gott und euch“ (5. Mos. 5, 5), weder als ein Unerschaffener wie Gott noch wie ihr geschaffen, sondern in der Mitte zwischen den zwei Extremen, beiden als Unterpfand dienend […]. (Her. 205 – 206: PCH Bd. 5, S. 269)
4) Das Reich des Sohnes setzt Hegel hier mit dem Universum in seiner prachtvollen Ganzheit und gewaltigen Mannigfaltigkeit gleich.⁹¹ Diese Identifikation, die Hegel hier erstmalig verwendet, nimmt er in seinem systematischen Denken später oftmals vor. Dieser theologische Topos stimmt mit Philons mehrfach gebrauchter Charakterisierung des Kosmos als Gottes Sohn überein, wie dies am deutlichsten in Deus 31 zur Geltung gebracht wird: „Dieser Kosmos jedoch ist der jüngere Sohn Gottes, da er sinnlich wahrnehmbar ist [ὁ μὲν γὰρ κόσμος οὗτος νεώτερος υἱὸς θεοῦ, ἅτε αἰσθητὸς ὤν].“⁹² An dieser Passage wird letztlich ersichtlich, dass Hegel seinem Geistbegriff in diesem göttlichen Dreieck nahezu dieselbe Vermittlerfunktion zuschreibt wie Philon seiner Logoshypostase, nämlich die Kluft zwischen dem bestimmungslosen Gott als Vater und der Sinnenwelt als dessen Sohn zu überbrücken. In seinem Artikel „Hegel’s Retrieval of Philo: Constitution of a Christian Heretic“ hebt OʼRegan Hegels starken Rekurs auf Philon in Zusammenhang mit der Trinitätslehre hervor. Dem Autor zufolge nimmt Hegel deshalb auf Philons vorchristliche Religionsphilosophie Bezug, weil er so das konventionelle Trinitätsdogma des Christentums spekulativ umgestalten und infolgedessen philoso-
sonen darzustellen, in den seltsamsten Ausdrücken umhergeworfen [Hervorh. i. Orig.].“ (TWA Bd. 2, S. 536) TWA Bd. 2, S. 537: „[…] dem Sein des Sohnes in sich selbst oder der Herrlichkeit des Universums.“ Zur theologischen Identifikation der Gottessohnschaft mit der Natursphäre bzw. mit der Welt siehe: TWA Bd. 10, S. 410; Bd. 12, S. 392; Bd. 17, S. 216; Bd. 18, S. 326; Bd. 19, S. 91; Vorl. Bd. 8, S. 40; Notizen, S. 28. Siehe dazu weiterführend: E. Schmidt 1974, S. 140 – 142. PCH Bd. 4, S. 78 – 79. Zu diesem philonischen Topos siehe auch: Mos. 2.134; Spec. 1.96. Vgl. auch Opif. 16. Siehe zudem Horovitz: 1900, S. 87.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
phisch rehabilitieren könnte.⁹³ Dass Hegel sich kein einziges Mal den zentralen christlichen Trinitätsdenkern namentlich zuwende – üblicherweise ist ausschließlich von den Kirchenvätern im Allgemeinen die Rede –, sondern ausgerechnet auf einen judeo-zentrischen Religionsphilosophen zu sprechen kommt, um dem ursprünglichen metaphysischen Kern des Dreieinigkeitsbegriffes nachzugehen, bezeuge seine besondere Hochschätzung des jüdischen Platonismus Philons.⁹⁴ OʼRegan geht ferner davon aus, dass Philons System von Hegel nicht nur in Hinblick auf den christlichen Dreieinigkeitsgedanken vordergründig dogmengeschichtlich aufgegriffen worden sei, sondern dass es sich auch maßgeblich auf die eigene spekulative Religionsphilosophie auszuwirken scheine.⁹⁵ In der unmittelbaren Folge dieser Identifikation schätze Hegel, so OʼRegan, Philon tatsächlich und erst recht nicht als einen jüdischen Denker ein, sondern zuvorderst als einen gleichsam protochristlichen Trinitätsdenker, der den im Grundsatz nichtjüdischen Standpunkt einer am Logosbegriff orientierten Dreieinigkeits-Philosophie („logocentric trinitarianism“) vertrete: The linkage made between Philon and Valentinianism gives the clue as to the radical shift enacted in Hegel’s casting of Philo as a trinitarian thinker. As a trinitarian thinker, Philo is, for Hegel, as well as for Jerome and Eusebius, a Christian thinker. Although Philo’s Judaism is officially acknowledged, whether he is inscribed straight up […] or inscribed indirectly in that Philo is thought to anticipate (and participate in) Christianity, Philo’s Jewishness is essentially erased […]. (OʼRegan 2008, S. 125)
Zusammenfassend ist festzuhalten: Wenngleich Philon die Triasform in Bezug auf seinen eigenen Gottesbegriff nicht nur nicht vertritt, sondern mehrfach geradezu ausdrücklich zurückweist, sieht Hegel in jenem eine ideale religionsphilosophische Übergangsfigur, mit der sich der von ihm postulierte Bewusstseinswandel von der jüdischen zur erheblich spekulativeren christlichen Denkweise vollzogen habe. Hegel instrumentalisiert die besondere Zwischenstellung von Philons jü-
OʼRegan 2008, S. 103: „And more specifically in what way does Hegel actually reverse the pattern of appropriation, availing of Philo not so much as a means to validate orthodox Christianity, but to deconstruct and reconstruct it, especially as it is represented by the Trinity.“ OʼRegan 2008, S. 111: „Nor is Philo claimed as an orthodox trinitarian thinker, as with Jerome. Genuine and orthodox are not coextensive in Hegel’s reflections on the Trinity. (i) In all of Hegel’s reflections on the Trinity there is not a single reference to Athanasius, Gregory of Nazianzen, Augustine, or Aquinas.“ Es sei hierbei daran erinnert, dass Hegel zwar die Kirchenväter in Zusammenhang mit der Trinität erwähnt, aber zumeist nicht bei ihren einzelnen Namen, sondern im Sinne einer monolithischen Denktradition. OʼRegan 2008, S. 101.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
217
dischem Platonismus, der die Gottes Wesen zugrunde liegende Trinitätsstruktur bereits im ersten Jahrhundert n. u. Z. rudimentär vorweggenommen habe, anscheinend dafür, die christozentrische Tendenz des in der Philosophiegeschichte entfalteten Geistes zu beleuchten: nämlich den christlichen Dreieinigkeitsgedanken in seiner begrifflichen Vernunftform zutage zu fördern, schrittweise zu verfolgen, und damit letztlich auch unerwartet an Philons Beispiel die Überlegenheit des Christentums dem Judentum gegenüber nachzuweisen. Demnach erhebt Hegel den Anspruch, mit dem jüdisch-alexandrinischen Platoniker gerade das nachweisen zu können, was Souverain in Bezug auf ihn zu widerlegen versuchte: dass „Philos Autorität“ bezüglich des Trinitätsdogmas „den Vertheidigern der Dreyeinigkeit“ doch helfen könnte.⁹⁶ Für Hegel untermauert Philon nämlich den Wahrheitsanspruch der christlichen Spekulationen maßgeblich. Die nachphilonische jüdische Philosophie sei hinsichtlich der Auffassung Gottes als Dreieinigen hinter die wenigstens in Ansätzen erkennbare Einsicht des jüdischen Alexandriners zurückgefallen und repräsentiere daher, historisch gesehen, ausschließlich ein belangloses Gedankengebäude, dessen Relevanz mit dem Erscheinen des Christentums bereits im ersten Jahrhundert n. u. Z. hinfällig wurde. Daraus ergibt sich folgendes Paradoxon: Ausgerechnet im spekulativen Dreieinigkeitsgedanken, den Philon angesichts der Prämissen seiner negativen Theologie ausdrücklich ablehnt, erkennt Hegel dessen größten wissenschaftlichen Beitrag zur Geistesgeschichte. Indem er Philons jüdische Religionsphilosophie als entscheidende „protochristliche“ Vorgestalt sowie Vorbereiterin der christlichen Trinitätslehre einstuft und ihr dadurch zugleich eine Schlüsselstellung in der eigenen Philosophie zuweist, verleiht Hegel Philons Denken als Ganzes eine kaum zu überschätzende Bedeutung.
3.1.3 Motive der philonischen Logostheologie in Hegels Denken Hegel bringt philonisches und christliches Gedankengut nicht nur hinsichtlich des Dreieinigkeitsgedankens als der Wesensbestimmung des Geistes miteinander in Verbindung, sondern auch in Hinblick auf das bahnbrechende Geistprinzip selbst. Insgesamt geht er in vier verschiedenen Zusammenhängen seines Denkens von einer gedanklichen Nähe der philonischen Logostheologie zum neutestamentlichen Geistkonzept (πνεῦμα/λόγος) aus: (1) In den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte bei der Entstehungsgeschichte der christlichen Reli-
Hiermit spiele ich auf die Schlussfolgerung an, die Souverain über Philon zieht: Souverain 1792, S. 100.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
gionslehre während der römischen Kaiserperiode,⁹⁷ (2) in der enzyklopädischen Naturphilosophie im Kontext von Hegels systematischem Naturbegriff,⁹⁸ (3) in den religionsphilosophischen Vorlesungen in Zusammenhang mit der geistigen Weltschöpfungsvorstellung der indischen Religion der Phantasie⁹⁹ und (4) in der Häring-Nachschrift zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen von 1820/21 in seinen systematischen Ausführungen zum philonischen Denksystem.¹⁰⁰ Hegel nimmt anscheinend primär eine Affinität der johanneischen Logosvorstellung zum philonischen Logosbegriff an, denn er widmet sich Philon in drei der insgesamt fünf Textabschnitte über den neutestamentlichen Logos.¹⁰¹ Philon ist somit der einzige Denker der Geistesgeschichte, den Hegel in seinen philosophiegeschichtlichen wie religionsphilosophischen Vorlesungen mit dem johanneischen Logoskonzept verbindet. Diese Gegenüberstellung wird in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte von 1820/21 besonders deutlich. Hier nämlich deutet er in seiner Philondarstellung allem Anschein nach an, dass die „protochristliche“ Vorläuferschaft zum johanneischen Logosbegriff der philonischen Logostheologie zuzuordnen sei, denn in dieser nehme erstmals die Logoshypostase häufig die anthropomorphe Gestalt des göttlichen „Urmenschen“ an: „Die gesetzten Unterschiede gehören, wie Philo sich ausdrückt, dem λογος an; dieser ist […] der Urmensch, der sinnliche Mensch. Im Evangelium Johannis heißt | es so: Im Anfang war der λογος und der λογος war bei Gott. Im Christenthum wird Gott vorgestellt, wie er Mensch geworden ist.“¹⁰² Diese Gegenüberstellung, in der Hegel von der wesentlich höher entwickelten Form der partikulären bzw. fleischgewordenen Geistbestimmung der christlichen Theologie im Vergleich zu Philons besonderem bzw. anthropomorphem (also noch zu allgemeinem) Geistbegriff als οὐράνιος ἄνθρωπος ausgeht, ist geradezu erkenntnisreich. Denn dabei begegnet uns erstmalig explizit Hegels in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen zuweilen vorgenommene Differenzierung zwischen dem philonischen und dem christlichen Geistprinzip. Die Identifikation der Logosvorstellung aus dem Johannesprolog mit Philons jüdischer Logoslehre war im Tübinger Stift zu Hegels Studienzeit auch unter seinen Theologiedozenten Storr, Flatt und Schnurrer weit verbreitet. Am überzeugendsten spricht dafür Schelling, der bereits während seines Theologiestudiums – zusätzlich zu seinen zwei aufschlussreichen Rückgriffen auf Philons
TWA Bd. 12, S. 399 – 401. TWA Bd. 9, S. 24– 25: § 247 Zusatz. TWA Bd. 16, S. 345. GW Bd. 30,1, S. 379,11– 13. TWA Bd. 12, S. 399 – 401; Bd. 16, S. 345; GW Bd. 30,1, S. 379,11– 13. GW Bd. 30,1, S. 379,9 – 13.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
219
Logos im Gnosticismus-Entwurf –¹⁰³ im Rahmen von Schnurrers Tübinger Vorlesung zum Johannesevangelium davon ausgegangen ist. Dort formuliert er mit Anspielung auf Opif. 24 starke Zweifel an der These, der johanneische Logos könne zwar auch im Sinne der philonischen Logostheologie verstanden werden, weiche aber semantisch doch grundsätzlich von diesem ab.¹⁰⁴ Genau diese kritische Stellungnahme findet ihren Niederschlag in nahezu identischer Formulierung in der 26. und 27. Vorlesung von Schellings Urfassung der Philosophie der Offenbarung. ¹⁰⁵ Ähnlich wie in seinen Studienheften stellt Schelling letzten Endes auch hier, ungeachtet der auffälligen Berührungspunkte zwischen philonischem und johanneischem Logosbegriff, die Hypothese infrage, der zufolge im Johannesprolog der Terminus λόγος mehrheitlich im Sinne der philonischen Logoslehre verwendet wird.¹⁰⁶ Eben unter Berücksichtigung von Schellings Verneinung eines Abhängigkeitsverhältnisses des Johannes zu Philon ist es daher durchaus naheliegend, dass diese wirkungsgeschichtliche Annahme damals zum allgemeinen theologischen Gedankengut gehörte. Krämer stellt in seiner großangelegten Untersuchung Der Ursprung der Geistmetaphysik – in der er die Wirkung der altakademischen Tradition auf Denkstrukturen der Logosphilosophien, „wie sie bei Philon, im Johannesprolog und der frühen Patristik“ zur Geltung kommen, eindrucksvoll zu belegen sucht – die Behauptung auf, „[d]ie Lehre Philons ist das älteste und wichtigste Dokument der Logos-Theologie“.¹⁰⁷ Unter diesem Gesichtspunkt ist leicht nachvollziehbar,
AA Bd. 2.5, S. 96,20 – 21, 98,24– 26. AA Bd. 2.3, S. 29,3 – 9. UPO, S. 461: „Nun findet sich in der Tat, daß Philo von einem λογος spricht, der bei ihm nicht das Wort, sondern den Vorentwurf, die Urentwicklung der Welt, man könnte sagen, die Urvernunft bedeutet. Diesen λογος personifiziert er und nennt ihn auch im leicht begreiflichen Sinne Gottes ewigen Sohn.“; UPO, S. 467: „[…] denn dieses Wort könnte doch zu Johannes Zeiten und vor Johannes noch von jüdischen Auslegern persönlich verstanden worden sein [sc. als Gottes erstgeborenen Sohn], und ist auch wirklich so verstanden worden, namentlich von Philo, der unter λόγος freilich auch die intelligibile Welt, aber in einigen Stellen auch die demiurgische Potenz versteht, und es ist offenbar, daß Philo seinen Ausdruck ὁ λόγος τοῦ θεοῦ nur bereits in bezug auf eine solche Auslegung des Alten Testaments gewählt und angenommen habe.“ Dazu: Franz 2012, S. 178 ff. UPO, S. 461– 462: „Es ist unerweislich, daß der Ausdruck ὁ λόγος in der alexandrinischen Philosophie vorkommt – wir finden ihn nur bei Philo. Allein wie konnte Johannes voraussetzen, daß seine Leser mit dem Philo so genau bekannt seien? So gelesen, so ausgebreitet waren die Schriften Philos gewiß nicht, daß Johannes diesen Ausdruck als bekannt voraussetzen konnte.“; UPO, S. 467: „Nachdem er [sc. Johannes] eine eigene Hypostase annahm, durch die alles geschaffen ist, so gab er dieser Hypostase den Namen ὁ λόγος. Und so könnte aus dem Alten Testament abgeleitet, nicht aber aus Philo, dieses Wort an Johannes selbst gekommen sein […].“ Krämer 1967, S. 281 (dazu auch: S. 232 und 350).
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
weshalb protestantische Theologen zu Hegels Zeiten so häufig versuchen, dem ursprünglichen Sinn der johanneischen Logosvorstellung im Rückblick auf Philons metaphysisch konzipierten Logosbegriff nachzugehen. Festmachen lässt sich dieser weit verbreitete, dezidiert wissenschaftliche Ansatz am Beispiel von Ballenstedts Aufsatz über das Verhältnis von Johannes und Philon, der sich mehrheitlich diesem Thema widmet. Ballenstedt verfolgt dort den theologiegeschichtlichen Pfad, „den auch schon längst Souverain betreten [hat], nämlich die fremdartigen Wörter [sc. des Johannesprologs] nebst ihrer Bedeutung in gleichzeitigen philosophischen Werken aufzusuchen [Hervorh. i. Orig.]“.¹⁰⁸ De facto will er damit die philosophische Bedeutung der johanneischen Logosvorstellung durch „einige verlorene oder nicht beachtete Züge im Philo“ erschließen.¹⁰⁹ Nicht ohne Grund sah auch Hegel, wie dies die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte am deutlichsten evident machen, den geistesgeschichtlichen Ursprung der christlichen Geistbestimmung in Philons „konkreterem“ Logosbegriff verankert. Hegels eigenes theoretisches Interesse am johanneischen Logoskonzept lässt sich bereits in seiner frühen Berner Zeit (1793 – 1796) feststellen. Seine 1795 verfasste Abhandlung Das Leben Jesu belegt diese Tatsache eindeutig, denn in den ersten Zeilen exzerpiert er eine sinngemäße Neuübersetzung des Johannesprologs: „Von Anbeginn war die Weisheit; sie thronte bei Gott und war Gott selbst. Schon von Anbeginn war die Weisheit bei Gott; sie schuf alles, und nichts von allem, was ist, wurde ohne sie.“¹¹⁰ Diese Wiedergabe rührt – worauf die kritische Hegelausgabe hinweist und dies detailliert untermauert – vom Neue[n] theologische[n] Journal vom Dezember 1793 her, worin u. a. Schulz’ 1793 in Halle erschienene Schrift „Anmerkungen, Erinnerungen und Zweifel über Joh. David Michaelis Anmerkung des N. T.“ rezensiert wird.¹¹¹ Hinsichtlich dieser Wiedergabe aus einer Rezension ist hauptsächlich die Gleichsetzung der Logosvorstellung aus dem Johannesprolog mit Gottes Weisheit zu beachten, weil Hegel diese Identifikation durchgehend primär in Philons Logoshypostase begründet sieht.¹¹² Ballenstedt 1802, S. 3. Ballenstedt 1802, S. 4. Hegel 1906, S. 1. Vgl. dazu: Dilthey 1990a, S. 19 ff.; Pöggeler 1974, S. 533 – 534; Pöggeler 1977, S. 13; Düsing 1977, S. 32. GW Bd. 2, S. 212. Siehe: Hänlein u. Ammon 1793, S. 461– 469. Dazu vor allem: TWA Bd. 19, S. 424– 425, 505 – 506; Bd. 17, S. 234– 235, 239. Am deutlichsten kommt der Topos von der Logos-Weisheit-Gleichsetzung in Philons Philosophie unter Berücksichtigung des johanneischen Logosgedankens in Hegels religionsphilosophischer Analyse der verschiedenen „Weltschöpfungsdarstellungen“ zum Ausdruck, denn dort kennzeichnet er Philons Logos als „die σοφία das Ersterschaffene“, den neutestamentlichen Logosgedanken hingegen als Wort (TWA Bd. 16, S. 345). Zur Gleichsetzung zwischen λόγος und σοφία in Philons System
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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Ein zentraler Teil dieser Rezension behandelt Schulz’ Kritik an Michaelis’ Verständnis des neutestamentlichen Logos-Terminus, den Michaelis auf Basis der Lutherbibel mit „Wort“ übersetzt.¹¹³ Im Anschluss an diese Kritik vergleicht Schulz die neutestamentliche Logos-Entität und die in Spr 8,22 skizzierte Weisheitsvorstellung, die ursprünglich auf ein altorientalisches Weltbild zurückgehe, und betont demgegenüber den Primat sowie die Erhabenheit des christlichen Logos.¹¹⁴ Darauf aufbauend scheint die Rezension den christlichen Logosbegriff mit der alttestamentlichen Weisheits-Entität zu identifizieren, wobei sie auch namentlich auf einen dogmengeschichtlichen Aufsatz Löfflers, „Kurze Darstellung der Entstehungsart der Dreyeinigkeitslehre von Jesu“, in der zweiten Auflage seiner Souverain-Übersetzung Bezug nimmt.¹¹⁵ Im sechsten Teil dieses trinitätskritischen Aufsatzes wirft Löffler nach einer Zusammenfassung der Hauptprädikate der johanneischen Logosvorstellung die häufig gestellte Frage wieder auf, „was Johannes unter dem Logos, der in Jesu, der Jesus selbst war, gedacht habe?“.¹¹⁶ Die Antwort: entweder eine personifizierte Weisheitshypostase im alttestamentlichen Sinne „oder eine Substanz, eine individuelle, vor sich bestehende, Person [Hervorh. i. Orig.]“.¹¹⁷ Um die Bedeutung dieser personifizierten Weisheit als einer göttlichen Wesensbestimmung besser nachvollziehbar zu machen, greift er folglich auf Beispiele verschiedener Verse aus der jüdischen Weisheitsliteratur zurück (Spr 8,22, Weis 9,4 und 9, Sir 24,9 und 43,31).¹¹⁸ Allerdings erweise sich, so Löfflers Andeutung, Philons Logoslehre als die ergiebigste und am besten geeignete vorchristliche Informationsquelle für die Sinnerschließeung der Logoskonzeption als göttliche Weisheit im Johannesevangelium: „Philo ist hiervon ein eben so zuverlässiger, als durch die Menge der Stellen ausreichender Zeuge […]. Was Philo an einem Orte von der Weisheit sagt,
siehe: Löhr 2009, S. 348; Heinze 1872, S. 252 ff.; Bormann 1955, S. 95 – 99; Zeller 1903, S. 420. Dagegen: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 253 ff. Schulz 1793, S. 293: „B. I. ich zweifle, ob M. wohlgethan hat, daß er den Kunstausdruck λογος teutsch übersetzt, und noch mehr, daß er ihn gerade durch Wort übersetzt [Hervorh. i. Orig.].“ Schulz 1793, S. 293 – 294 „[…] Vor dem Anfange aller Dinge, ehe noch etwas außer dem höchsten Gott existierte, war noch weiter nichts ihm ähnliches da, als die Weisheit ()ָחְכָמה. Erst lange nach ihr, wo mittlerweile schon die Welt geschaffen war, entstand der λογος aus ihm. […] Johannes setzt nun, ihrer Meinung entgegen, den λογος weit höher hin auf: Im Anfang der Dinge war er schon, der Logos: war schon, als erst die Weisheit entstand, war – und nun steigt er noch höher […] [Hervorh. i. Orig.].“ Hänlein u. Ammon 1793, S. 463 – 464: „Die Weisheit, λογος, wird nach Sprüchw. 8,22. personificirt: s. Löfflers Abhandlung zum Platonismus der Kirchenväter.“ Souverain 1792, S. 394. Souverain 1792, S. 395 (Hervorh. i. Orig.). Souverain 1792, S. 396 – 398.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
legt er in einem andern dem Logos bey, oder erklärt selbst, daß er unter dem Logos die Weisheit Gottes verstehe [Hervorh. i. Orig.].“¹¹⁹ Löffler will daher die oftmals in Philons Gedankengebäude enthaltene Logos-Weisheit-Identität mit unterschiedlichen Stellen aus dem Corpus Philonicum aufspüren. Hierfür greift er beispielsweise Leg. 3.96 und 3.99 auf, in denen Philon auf den Sinn der Logoshypostase als Gottes nachrangiger Schatten und formgebendes Werkzeug näher eingeht, kraft dessen Gott mit formvollendeter Kunst (τέχνης παντελοῦς) den Gesamtkosmos ins Dasein gerufen habe.¹²⁰ Daraufhin wendet er sich – in Anknüpfung an Cudworths’ The True Intellectual System of the Universe (S. 836 – 837) – Ebr. 30 – 31 zu, weil Philon dort unter der Weisheit, auf Spr 8,22 Bezug nehmend, Gottes ἐπιστήμη sowie Mutter des sinnenfälligen Weltganzen versteht. Da Philons Konzept der σοφία die weltschöpferische Vermittlerrolle zukomme – ein Alleinstellungsmerkmal, das zumeist dem Logos zugesprochen wird –, geht Löffler auch unter Berücksichtigung dieser Passage von der konstanten Logos-Weisheit-Gleichsetzung Philons aus.¹²¹ Die letzten Belegstellen entnimmt Löffler den §§ 51– 52 aus De fuga et inventione, in denen Philon aus einer metaphysischen Exegese von Gen 28,2 schlussfolgert, das Prinzip der Weisheit, „das auf Gott folgt“ und „an zweiter Stelle steht“, sei das älteste Geschaffene (τῶν ἄλλων ἁπάντων πρεσβύτατον). Löffler nimmt vor diesem Hintergrund gleichfalls Bezug auf Fug. 101, weil Philon dort den Logos ebenfalls als das Älteste charakterisiere (νοητῶν ἅπαξ ἁπάντων ὁ πρεσβύτατος) und man deshalb wieder für die These der Logos-Weisheit-Identität in Philons Religionsphilosophie argumentieren könne.¹²² Zur Untermauerung seiner obigen These greift Löffler nicht nur auf Cudworth zurück, sondern auch auf Mosheim, der aus „seine[r] genaue[n] und mühsame[n] Untersuchung über den Philo mit der Erklärung“ schließe: „der Logos Gottes ist nichts anders, als die Weisheit und Vernunft Gottes, die Philo in das Gewand einer Person kleidete [Hervorh. i. Orig.].“¹²³ Mit dem Rückbezug auf Mosheim und
Souverain 1792, S. 399. Souverain 1792, S. 400: „Hier erklärt Philo selbst, daß der Logos, der Schatten Gottes, die Kunst, die Weisheit sey, durch welche Gott die Welt gemacht habe?“ Souverain 1792, S. 400: „In einer andern Stelle […] sagt er [sc. Philon]: Gott habe die Welt aus dem Beyschlafe mit der Weisheit erzeugt; er sey der Vater, sie die Mutter der Welt.“ Souverain 1792, S. 401: „Da nun alles, was nach Gott ist, wäre es auch das Aelteste (er meynt damit den Logos,) den er sonst das Aelteste unter allen unsinnlichen Dingen nennt [sc. in Fug. 101]), doch nur den zweyten Rang nach Gott hat; so wird es, (das Aelteste, der Logos) in Vergleichung mit dem, der das Ganze gemacht hat, mit einem weiblichen Namen bezeichnet [Hervorh. i. Orig.].“ Souverain 1792, S. 402– 403.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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Cudworth will Löffler anscheinend gleichermaßen die anthropomorphen Elemente von Philons metaphysischer Umgestaltung der biblischen Weisheit herausheben, um so letztlich den Schluss über die Nähe des philonischen Logosbegriffes zum johanneischen eindringlicher nahezulegen.¹²⁴ Der Autor sucht darauffolgend diese „jüdisch-theologische“ Auslegungsrichtung in Hinblick auf das christliche Logoskonzept als „personifizierte Weisheit“ dadurch weiter zu rechtfertigen, dass er in Anspielung auf den Logos des Johannesprologs die diversen Charakteristika der jüdischen Weisheitshypostase zusammenfasst: „Sie [sc. die jüdischen Denker] personificiren die Weisheit – sie nennen sie Logos, sie denken sie ewig bei Gott; – sie lassen sie vor der Welt von ihm erzeugt werden, und setzen sie auf seinen Thron – durch die erschaft er die Geschöpfe – durch sie erleuchtet er die Menschen – […].“¹²⁵ Auf diesem Ergebnis Löfflers bauen auch Hänlein und Ammon ihren Übersetzungsversuch des Johannesprologs in der Rezension des Neue[n] theologische[n] Journal auf: Es sei uns erlaubt, unsere Theorie durch die Erläuterung der sechs ersten Verse des ersten Kapitels Johannis zu rechtfertigen. ‚Von Urbeginn war die Weißheit: sie thronte bei und war Gott selbst. […] Schon von Urbeginn war die Weißheit bei Gott: sie schuf Alles; und Nichts, von Allem, was ist, wurde ohne sie. […] Diese Weißheit ist eins mit der belebenden Gotteskraft, welche schon frühe die Menschen erleuchtete. (Hänlein u. Ammon 1793, S. 463 – 464)
Die beiden Autoren deuten in Verbindung mit einer möglichen Wirkung der altorientalischen Systeme auf den christlichen Logosbegriff weiter Philons Einfluss darauf an, wenn sie „Ideen, welche zu der Zeit Jesu aus der Emanationsphilosophie des Morgenlandes in die allegorische Erklärung des A. T. übergegangen waren“, thematisieren.¹²⁶ All diese Belege machen abschließend deutlich, dass auch Hegels in Das Leben Jesu sinngemäße Wiedergabe von Joh 1,1– 3 von dieser größtenteils philonisierenden Lesart des Johannesprologs herrührt: „Von Urbeginn war die Weisheit; sie thronte bei Gott, und war Gott selbst – Schon von Urbeginn war die Weisheit bei Gott; sie schuf alles; und Nichts von Allem was ist, wurde ohne sie.“¹²⁷ Doch ausgerechnet in seiner Frankfurter Frühschrift Der Geist des Christentums und sein Schicksal, in der Hegel sich am tiefgründigsten mit dem spekulativen Sinn
Souverain 1792, S. 402– 403 (Fn. *: „His, tamentsi, luculenta sint, si qui nondum cedere velint, atque nomina, quae verbo suo Philo imponit, legati, regis, angeli, pontificis maximi, filii primogeniti […] [Hervorh. i. Orig.].“). Souverain 1792, S. 406. Hänlein u. Ammon 1793, S. 463. GW Bd. 2, S. 212.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
des Johannesprologs auseinandersetzt, lässt er Philon unerwähnt. Gleichwohl scheint er sich hier, wie Halfwassen thematisiert,¹²⁸ einer außergewöhnlichen Denkform von Philons Schöpfungslehre zu bedienen:¹²⁹ Philons Konzept des weltbildenden λόγος τομεύς, mittels dessen Gott die Urmaterie akribisch in Gegensatzpaare zerschneide. Bei der hier von Hegel eingebrachten Wiedergabe von Joh 1,1 sowie 1,4 fällt auf, dass er im Unterschied zur Lutherbibel vermeidet, den Ausdruck λόγος als „Wort“ ins Deutsche zu übertragen. Dabei gibt er zu erkennen, λόγος sei ein feststehender griechischer Terminus, dessen Kern man sich ausschließlich spekulativ annähern könne: „[…] Im Anfang war der Logos, der Logos war bei Gott, und Gott war der Logos; in ihm war Leben [Hervorh. i. Orig.].“¹³⁰ Hegel betrachtet die Aussagen über das Gott-Logos-Verhältnis im Johannesprolog als tautologische Prädikationen der menschlichen Reflexionssprache,¹³¹ „denn die Prädikate sind nicht Begriffe, Allgemeines, wie der Ausdruck einer Reflexion in Urteilen notwendig enthält; sondern die Prädikate sind selbst wieder Seiendes, Lebendiges“.¹³² Daher müsse man Hegel zufolge, so behauptet Halfwassen mit Recht, den spekulativen Kern dieser für die christliche Glaubenslehre entscheidenden Sätze in den Vordergrund rücken. So könne der Fehleindruck vermieden werden, es handle sich hier um nichts anderes als verstandesmetaphysische Prädikate des Subjekts (Logos), die getrennt von dessen Wesen gedacht werden könnten: „Allerdings gehören für Hegel auch thetische Urteile der Reflexion an, da auch sie das Prädikat vom Subjekt trennen, und sind ebenfalls ‚nicht geschickt, das Geistige mit Geist auszudrücken‘, nämlich in seiner ungetrennten Einheit [Hervorh. i. Orig.].“¹³³ Bei dieser Logosspekulation unterscheidet Hegel zwei grundlegende Momente im johanneischen Logosbegriff: einerseits der Logos in seiner ursprünglichen Einheit mit Gott als eine allgemeine und objektive Vernunft, andererseits der Logos in seinem subjektiven Getrenntsein von Gott als ein Individuum. ¹³⁴ Diese Doppelperspektive der menschlichen Reflexionssprache hinsichtlich des christlichen Logos konkretisiert Hegel weiter, indem er den Unterschied zwischen beiden lediglich vordergründig getrennten Momenten metaphysisch zu bestim-
Halfwassen 1999, S. 67– 78. Vgl. O’Brien 2007, S. 70 („The Logos-Cutter is a distinctively Philonic concept […].“). TWA Bd. 1, S. 373. TWA Bd. 1, S. 373: „das Geistige mit Geist auszudrücken“. TWA Bd. 1, S. 373. Halfwassen 1999, S. 68. TWA Bd. 1, S. 373: „Von zwei Extremen, den Eingang des Johannes aufzufassen, ist die objektivste Art, den Logos als ein Wirkliches, ein Individuum, die subjektivste Art, ihn als Vernunft zu nehmen; dort als ein Besonderes, hier als die Allgemeinheit.“
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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men sucht: „Gott und Logos werden unterschieden, weil das Seiende in zweierlei Rücksicht betrachtet werden muß […] einmal als das Einige, in dem keine Teilung, Entgegensetzung ist, und zugleich mit der Möglichkeit der Trennung, der unendlichen Teilung des Einigen […].“¹³⁵ Auf den metaphysischen Kern dieses zweifachen Standpunktes geht Halfwassen näher ein: Hegel interpretiert dies [sc. die zwei verschiedenen Phasen des johanneischen Logos] als die in der trennenden Sprache der Reflexion mögliche Formulierung der unendlichen Einheit des reinen Seins, die dieses trennt, indem sie es in Unendliches und Endliches auseinanderlegt, nämlich einmal in das in sich einfache ursprüngliche Eine, das außer aller Trennung und Entgegensetzung der Reflexion ist, und zum anderen in das reflektierte Eine, das bereits die Möglichkeit der Trennung und Teilung des Einen in sich enthält, woraus dann das Endliche als verwirklichte Teilung hervorgeht. (Halfwassen 1999, S. 68)
Festhalten lässt sich vor diesem Hintergrund an drei verschiedenen Existenzebenen hinsichtlich der Logosvorstellung im Johannesprolog: (1) der Logos in seiner mit Gott koexistenten, vorweltlichen Erhabenheit (Joh 1,1– 2), (2) in seiner weltschaffenden, lebens- und lichtspendenden Vermittlerfunktion (Joh 3 – 5) und schließlich (3) in seiner weltimmanenten, fleischgewordenen Menschengestalt (Joh 9 – 14). Im Johannesevangelium wird allerdings der Charakter der weltschöpferischen Macht des Logos nicht näher spezifiziert, sondern in Joh 1,3 ist lediglich die axiomatische Behauptung zu lesen, „[a]lle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist [πάντα δι’ αὐτοῦ ἐγένετο, καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν. ὃ γέγονεν]“. Genau diesen weltsetzenden Vorgang der Logos-Entität will Hegel gedanklich ergänzen, indem er ihn spekulativ zur „unendliche[n] Teilung“ eines gestaltgebenden Geistprinzips erklärt.¹³⁶ Die Wirklichkeit des Weltganzen stufe Hegel entsprechend, so verdeutlicht Halfwassen, als eine „Emanation, Teil der unendlichen Teilung“ ein, „ohne daß die göttliche Einheit dabei sich selbst in das getrennte Viele der Welt teilt, wie das bei einem Emanationspantheismus der Fall wäre [Hervorh. i. Orig.]“.¹³⁷ Diese erschaffende Wirksamkeit einer lebensspendenden Logoshypostase konkretisiert
TWA Bd. 1, S. 374. Auf rudimentäre Weise drückt Hegel diese doppelte Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des Johannesevangeliums auch bereits im Grundkonzept zum Geist des Christentums aus: „Joh. 5, 26 f.: jener [sc. der Vater] das Einige, Ungeteilte – Schöne –, dies [sc. der Sohn] das Modifizierte – υἱὸς ἄνθρωπος, herausgegangen aus der Einigkeit.“ (TWA Bd. 1, S. 307) TWA Bd. 1, S. 374: „Die Mannigfaltigkeit, die Unendlichkeit des Wirklichen ist die unendliche Teilung, als wirklich, alles ist durch den Logos […].“ Halfwassen 1999, S. 69. Dazu siehe auch: Franz 2012, S. 164; Dilthey 1990a, S. 103, 144 ff.; Düsing 1983, S. 37 ff.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Hegel dahingehend metaphysisch näher, dass er sie als eine unaufhörliche Teilungstätigkeit deutet. Diese Tätigkeit nimmt wiederum die Form einer diairetischen Trennung in Gegensatzpaare an, die so die Vielfältigkeit der Natur erst zustande bringe: „[…] das Einzelne, Beschränkte als Entgegengesetztes, Totes ist zugleich ein Zweig des unendlichen Lebensbaumes; jeder Teil, außer dem das Ganze ist, ist zugleich ein Ganzes, ein Leben […]. Diese Endlichen haben Entgegensetzungen; für das Licht gibt es Finsternis.“¹³⁸ Hegel weist hier auf die dichotomische Zweiheitsstruktur der aus dieser Trennung hervorgehenden Naturvielheit hin, die dem Logos als Lebensganzheit ihres Einheitsgrundes entspringe und deren Gegensätzlichkeit letztendlich in diesem aufgehoben werde. Hegel sucht dabei den Widerspruch zwischen diesem christlichen Weltbild vom Geist des Ganzen als der harmonischen Lebenseinheit und dem geistlosen „jüdischen Prinzip“ der Lebenszerrissenheit scharf zuzuspitzen, indem er die unüberbrückbare Trennung der jüdischen „Idee von Gott“ von der Welt als die „Entgegensetzung des Gedankens gegen die Wirklichkeit, des Vernünftigen gegen das Sinnliche“ behauptet.¹³⁹ Mithin weise die Reflexionssprache Nähe zur verstandesmetaphysischen „Judensprache“ auf, in der das Verhältnis der Welt sowie des Menschen zu Gott strikt ausgeschlossen bleibe und allein als „ein toter Zusammenhang“ vorgestellt werden könne.¹⁴⁰ Zwischen dem Göttlichen und Menschlichen bestehe also im „jüdischen“ Bewusstsein eine ontologisch „unübersteigbare Kluft“: Am Haufen der Juden mußte sein Versuch [sc. von Jesus] scheitern, ihnen das Bewußtsein von etwas Göttlichem zu geben; denn der Glaube an etwas Göttliches, an etwas Großes kann nicht im Kote wohnen. Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuß, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele, das All des Lebens nicht in einem dürrenden Blatte […]. (TWA Bd. 1, S. 381)¹⁴¹
In Philons Quis rerum divinarum heres sit, in der er Gottes Bündnisschließung mit Abraham (brit bejn ha-wtarim) aus Gen 15 allegorisch auslegt, gibt er seinem Logosbegriff eine sehr ähnliche weltbildende Funktion.¹⁴² Ausgerechnet in Abrahams gottesdienstlicher Opferdarbringung erkennt er metaphysischen Sinn.
TWA Bd. 1, S. 374. TWA Bd. 1, S. 375. Siehe dazu: Rotenstreich 1953, S. 33 – 36. Vgl. auch TWA Bd. 1, S. 380 („Sie retten auf diese Art wohl den Verstand, aber wenn sie bei dieser absoluten Verschiedenheit der Wesen stehenbleiben, so erheben sie den Verstand, die absolute Trennung, das Töten, zum Höchsten des Geistes. Auf diese Art nahmen die Juden Jesum auf.“), 385 („Wie dem Verstande das Göttliche und das Einssein mit Gott das Unbegreiflichste ist, so ist es dem edlen Gemüte die Entfernung von Gott […].“). Diese metaphysische Exegese kommt auch in QG 3.5 – 23 vor.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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Die fünf Tierarten seien, so nimmt er in Her. 125 – 126 an, als philosophische Symboliken einzuordnen: Das Kalb (δάμαλις) versinnbildliche die Seele (ψυχή), der Widder (κριός) die makellos rhetorisch begabte Vernunft (λόγον ἀγωνιστὴν καὶ τέλειον), die Ziege (αἴξ) die „losstürmende Sinneskraft“ (τὴν ᾄττουσαν αἴσθησιν); schließlich symbolisiere die gemeine Taube (περιστερά) die menschliche Weisheit (ἡ ἀνθρωπίνη σοφία), die Turteltaube (τρυγών) hingegen die göttliche Weisheit (ἡ θεία σοφία). Ergänzend dazu fasst er auch den schneidenden Zergliederungsakt der drei Opfertiere – die er überraschenderweise nicht Abraham zuweist, sondern Gott –¹⁴³ allegorisch auf, indem er ihn mit der vom göttlichen Logos-ὄργανον initiierten Wirksamkeit der Weltbildung gleichsetzt. Damit teile Gott „alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge bis zu den Atomen“¹⁴⁴ akribisch und unaufhörlich: Hierauf sagt er zum Schluß: „teilte sie mitten durch“, ohne das „Wer“ hinzuzusetzen, damit man an den unzeigbaren Gott denke, der nacheinander sämtliche scheinbar harmonisch zusammengesetzten und vereinten Wesenheiten der Körper und Sachen mit dem Teiler aller Dinge, mit seinem Logos, zerlegt, der, zur schärfsten Schärfe gewetzt, niemals zu zerteilen aufhört [τῷ τομεῖ τῶν συμπάντων ἑαυτοῦ λόγῳ, ὃς εἰς τὴν ὀξυτάτην ἀκονηθεὶς ἀκμὴν διαιρῶν οὐδέποτε λήγει]. (Her. 130: PCH Bd. 5, S. 253)¹⁴⁵
Philon sieht das weltbegründende Vermögen des „unsichtbare[n], schaffende[n], gestaltende[n]“ Logos als Teiler von allem primär darin verankert,¹⁴⁶ „die formund eigenschaftslose Substanz des Weltganzen“ dem Gleichheitsprinzip gemäß in Gegensatzpaare zu trennen.¹⁴⁷ In Krämers Worten zusammengefasst: Philon vertritt dort [sc. in Her.] im Rahmen einer Genesis-Allegorese eine Weltschöpfung durch dichotomische Diairesis, die das göttliche Denken – der Logos – bis zu den ἄτομα und ἀμερῆ hin ständig vollzieht […]. Der göttliche λόγος und nach der Analogie […] auch der menschliche νοῦς, die beide selbst monadenhaft unteilbar sind […] zerlegen fortwährend –
Zur Erläuterung dieses ungewöhnlichen Interpretationsansatzes siehe: PCH Bd. 5, S. 253 (Fn. 1). Her. 131: PCH Bd. 5, S. 253. Dadurch wird ersichtlich, dass der Anwendungsbereich des teilenden Logosprinzips keineswegs ausschließlich auf die immateriellen Opfer der Seele, Sprachfähigkeit und Sinnlichkeit, begrenzt (Her. 132), sondern des Weiteren auf den materiellen Gesamtkosmos auszudehnen ist. Vgl. auch Her. 235 (hinsichtlich des Menschenverstandes: εἰς ἀπειράκις ἄπειρα διαιρεῖ μέρη καὶ τέμνων οὐδέποτε λήγει). Dazu weiterführend: O’Brien 2007, S. 60 – 72; O’Brien 2015, S. 43 – 56 (in Kap. 3: „Logos into Demiurge: The Logos and the Logos-cutter“). Zum ideengeschichtlichen Kontext dieser Logoskonzeption siehe: Hay 1973, S. 6 – 22; Runia 1986, S. 13, 214, 357 sowie 392– 393; Runia 2001, S. 134; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 314. Her. 140: τὸν τομέα τῶν συμπάντων; Fug. 196: κρίσις τῶν ὅλων. Her. 140: PCH Bd. 5, S. 255.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
schöpferisch oder nachvollziehend – die Wirklichkeit in ihre letzten Glieder. (Krämer 1967, S. 269 – 270)¹⁴⁸
Diese vom Logos umgesetzte „dichotomische Dihairesis“ der Weltkonstitution unterliegt dabei einem konkretionsdynamischen Muster: Das Entzweiungsverfahren führe zuerst zur allgemeinsten Trennung zwischen dem Schweren (βαρύς) und dem Leichten (κοῦφον).¹⁴⁹ Im nächsten Konkretionsschritt entzweie der Messer-Logos sowohl das Schwere als auch das Leichte in zwei weitere Elemente, und zwar bei dem einen in Wasser und Erde und bei dem anderen in Luft und Feuer.¹⁵⁰ Dieser Weltbildungsvorgang konkretisiere sich weiterhin, indem der λόγος τομεύς die Form einer dihairetischen Grundunterteilung in der Naturwelt zwischen den Beseelten (τὰ … ἔμψυχα) und den Unbeseelten (τὰ … ἄψυχα) annehme.¹⁵¹ Die Unbeseelten seien einerseits in völlig leblose Wesen zergliedert worden, „die in demselben Zustand verharren und deren Band der […]bloße Zusammenhalt ist[…]“, andererseits in pflanzliche Wesen, die „[sich] durch Wachstum […] bewege[n] und die die vorstellungslose Naturkraft beleb[en]“.¹⁵² Analog dazu unterteile der den Gesamtkosmos durchwaltende Teiler-Logos die Abteilung der Beseelten weiterhin in vernunftbegabte Wesen einerseits und vernunftlose Wesen andererseits.¹⁵³ Aus dieser ununterbrochenen Teilungstätigkeit des Logos in Hinblick auf den völlig unbestimmten Urstoff resultiere am Ende ein in Gegensatzpaare symmetrisch geordnetes Weltganzes. Philon macht gleichwohl deutlich, dass diese gegensätzliche Seinsstruktur der wahrnehmbaren Welt letzten Endes doch auf ihren Einheitsgrund, den einheitlich gegliederten Logosbegriff, zurückgehe, „[d]enn alles […] wird durch den göttlichen Geist [λόγῳ … θείῳ] zusammengehalten“.¹⁵⁴ Philon zeigt einen ähnlichen Gedankengang, wenn er
Siehe weiterhin: O’Brien 2007, S. 62– 63; Löhr 2009, S. 351– 352 (ε); Heinze 1872, S. 226 ff.; Runia 2001, S. 170. Her. 134. Siehe zudem: Her. 208. Her. 134. Her. 137. Her. 137: PCH Bd. 5, S. 254– 255. Her. 138. Zur Verdeutlichung von Philons verschiedenartigen Teilungen siehe: O’Brien 2007, S. 68. Her. 188: PCH Bd. 5, S. 266. Diesen Topos identifiziert Philon zwar mit Heraklits spekulativer Lehre von der Einheit der Gegensätze, glaubt aber ihren tatsächlichen Ursprung wiederum in der mosaischen Kosmologie finden zu können: Her. 213 – 214. Siehe dazu: O’Brien 2007, S. 67. Philons Abhängigkeitsverhältnis zum heraklitischen Denken in Hinblick auf den Logosgedanken als ein innerweltliches Einheitsprinzip wird beispielsweise bei Betrachtung von Heraklits 45. Fragment ersichtlich: „Der Gott ist Tag-Nacht, Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Sättigung-Hunger (alle Gegensätze, das ist die Bedeutung) [ὁ θεὸς ἡμέρη εὐφρόνη, χειμὼν θέρος, πόλεμος εἰρήνη, κόρος
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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eine allegorische Begründung dafür sucht, warum Gott in Gen 15,10 ausgerechnet die zwei Taubenarten nicht zerschnitten habe. Der Grund hierfür liege im verborgenen metaphysischen Sinne der zwei Opfer-Vögel, unter denen der menschliche und entsprechend der göttliche νοῦς zu verstehen sei; und da ein Geist axiomatisch nichts anderes als ein reines Einheitsprinzip bedeute, gelte er konzeptionsgemäß als schlechthin unteilbar, teile im gleichen Zug aber alles.¹⁵⁵ Auf die auffälligen Parallelen zwischen Hegel und Philon hinsichtlich ihrer weltbildenden Geistprinzipien, die beide ihren Ursprung in bibelexegetischen Logosspekulationen haben, weist Halfwassen hin, der Hegels Gebrauch mehrerer mittelplatonischer Denkstrukturen während seiner Frankfurter Entwicklungszeit belegt. Diese Entsprechungen rühren vorrangig vom Charakter der schöpfungsvermittelnden Macht beider Geistkonzepte her, das Weltganze kraft einer immerwährenden, dihairetischen Trennungstätigkeit zu erschaffen, wodurch, so Halfwassen, „die ungeteilte Fülle der göttlichen Einheit in die geteilte Vielheit der getrennten und dadurch endlichen Weltinhalte entfaltet und so Welt als Inbegriff des Getrennten und Entgegengesetzten überhaupt erst hervorgebracht wird“.¹⁵⁶ Halfwassen sieht weiterhin das Verhältnis zwischen Gott und Logos bei Philon, vor allem in Her., in Hegels „Unterscheidung zwischen ‚dem Einigen, in dem keine Teilung, Entgegensetzung ist,‘ und der ‚Möglichkeit der Trennung, der unendlichen Teilung‘“¹⁵⁷ widergespiegelt, denn auch „bei [der philonischen] Dihairesis des Einen ins Viele […] bleibt ‚das Göttliche unvermischt, rein und vollkommen ungeteilt (τὸ γὰρ θεῖον ἀμιγές, ἄκρατον, ἀμερέστατον ὑπάρχον)‘, während der Logos‚ ‚so geschärft wie möglich ist und nicht aufhört zu teilen (διαιρῶν οὐδέποτε λήγει)‘ […] [Hervorh. i. Orig.]“.¹⁵⁸
λιμός (τἀναντία ἅπαντα· οὗτος ὁ νοῦς)] […] [Hervorh. i. Orig.].“ (DK 22 B 67: Mansfeld u. Primavesi 2012, S. 263) Die ersten drei Gegensatzpaare dieses heraklitischen Fragments tauchen sogar in Philons ausführlicher Aufzählung verschiedenartiger Gegensatzpaare seines Rückbezuges auf Heraklits Lehre der Einheit der Gegensätze auf (Her. 208 – 212): „[…] die Nacht [ist] dem Tage [entgegengesetzt] [καὶ νὺξ ἡμέρᾳ] […] Winter dem Sommer [θέρει χειμών] […] Krieg und Frieden [πόλεμος εἰρήνη].“ (PCH Bd. 5, S. 270) Siehe: O’Brien 2007, S. 67; Heinze 1872, S. 14– 16, insbes. 228 – 229. Her. 214– 219, 232– 236; QG 3.15. Halfwassen 1999, S. 69 – 71. Halfwassen 1999, S. 70. Halfwassen 1999, S. 70 (Anm. d. Verf.). Dieser einheitsmetaphysischen Sichtweise hinsichtlich Gottes und dessen Mittelinstanzen bedient sich Philon abermals durch Metaphorik der Lichtemanation: Einerseits sei Gott von seiner wahren strikt unzusammengesetzten Natur her als eine absolute Einheit zu begreifen, andererseits erscheint er in seinem Weltbezug ausschließlich dem Menschenverstand als eine sinnestäuschende Vielzahl an unsichtbaren Kräften (Deus 77; Abr. 115 – 119). Zum von Philons Logostheologie nachhaltig geprägten Logoskonzept des Eusebius
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Eine weitere wesentliche Übereinstimmung zwischen beiden weltbildenden λόγοι sieht Halfwassen in ihrer einheitsstiftenden und „belebenden“ Kraft durch „die geteilte Weltmannigfaltigkeit zusammenfügende und mit der ursprünglichen göttlichen Einheit verbindende Wirksamkeit“ begründet.¹⁵⁹ Er deutet darauf hin, dass Philons Logosbegriff als ein Einheitsprinzip sowie göttlicher Geist diene, als Kitt und Band von allem (κόλλα καὶ δεσμὸς τῶν ὅλων), wodurch die gesamte Sinnenwelt sowohl harmonisch zusammengehalten als auch mit dessen Wesen erfüllt werde.¹⁶⁰ Ähnlich konzipiert Hegel in dieser Frühschrift auch seinen einheitsverleihenden Liebesbegriff, unter dem er den göttlichen Geist versteht:¹⁶¹ „[…] Liebe, ein lebendiges Band […] in der alle Entgegensetzungen […] aufgehoben sind“.¹⁶² Diese Zusammenführung des endlichen, entgegengesetzten Beschränkten mit dem „Geist des Ganzen“ veranschaulicht er mit einem Teil-GanzesVerhältnis aus der Pflanzenwelt: „[…]; das Einzelne, Beschränkte, als Entgegengesetztes, Totes ist zugleich ein Zweig des unendlichen Lebensbaumes; jeder Teil, außer dem das Ganze ist, ist zugleich ein Ganzes, ein Leben.“¹⁶³ In seiner Genesisallegorese stellt auch Philon die außerordentliche Vermittlerrolle des weltgestaltenden Teiler-Logos zwischen Gott als Geist von allem und den Menschen als Geist als „Teilchen der Allseele“ (Mut. 223) heraus und bedient sich wie Hegel der Metaphorik des Todes und des Lebens: Ich bewundere auch den heiligen Logos, der eifrig, atemlos, angestrengt herbei eilte, um in der Mitte zwischen den Toten und Lebenden zu stehen […]. „Und ich [sc. der Logos] stand zwischen Gott und euch“ (5 Mos. 5, 5), weder als ein Unerschaffener wie Gott noch wie ihr geschaffen, sondern in der Mitte zwischen den zwei Extremen […]. (Her. 201, 206: PCH Bd. 5, S. 268 – 269)
Ein weiterer kongruenter Aspekt betreffe Halfwassen zufolge die wesensähnliche, auf dem unteilbaren Geist aufbauende Logos-Mensch-Beziehung: „Es entspricht darum durchaus der Lehre Philons, wenn Hegel den Menschen in die ungeteilte Einheit des göttlichen Lebens einbezogen sein läßt, weil in beiden dasselbe Leben ist, ‚nur Modifikationen desselben Lebens, nicht Entgegensetzung des Wesens‘ [Hervorh. i. Orig.].“¹⁶⁴ Hegel argumentiert also, im Lebensreich („im Lebendigen“)
von Cäsarea, mit dessen Schriften sich Hegel während seiner Frankfurter Zeit befasste, siehe: Ricken 1967, S. 348 – 351. Halfwassen 1999, S. 70 – 71. Vgl. auch GW Bd. 2, S. 343 („Der Geist ist belebendes Gese[t]z“). Her. 188. TWA Bd. 1, S. 405: „Diese Liebe ist ein göttlicher Geist“. TWA Bd. 1, S. 394. Siehe dazu auch: Henrich 2010, S. 16 – 17. TWA Bd. 1, S. 374. Halfwassen 1999, S. 71.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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sei ein Teil des Ganzen zugleich das Ganze.¹⁶⁵ Einen ähnlichen Standpunkt vertrete bereits Philon in Her. 230 – 232, so Halfwassen, wo er dafür plädiert, zwischen dem Logos, „de[m] einen [sc. Geist] über uns waltenden – das Urbild [ἀρχέτυπον]“, und dem mikrokosmischen Menschen, „de[m] andern [Geist] in uns – das Abbild [μίμημα τὸν καθ’ ἡμᾶς]“, herrsche eine auf dem Geistprinzip basierende Wesensverwandtschaft: „Moses nennt den über uns waltenden ‚das Ebenbild Gottes,‘ [ὑπὲρ ἡμᾶς εἰκόνα θεοῦ] den in uns befindlichen ‚Abglanz jenes Ebenbildes‘ [τὸν δὲ καθ’ ἡμᾶς τῆς εἰκόνος ἐκμαγεῖον].“¹⁶⁶ Auf diesen spekulativen Topos eines durch Teilungstätigkeit welterschaffenden Geistbegriffes nimmt Hegel in weiteren Zusammenhängen seines Denkens Bezug: 1) In den Notizen zum absoluten Geist greift er in §§ 467– 468, in denen er auf das allgemeine sowie das besondere Moment des titelgebenden absoluten Geistes näher eingeht, auf eine ähnliche Konzeption zurück. Dort bedeutet der allgemeine Geist nichts anderes als „das Vorausgesetzte, als substantielle Macht in der Reflexionsbestimmung der Causalität, Schöpfer Himmels und der Erde“, der in der unmittelbaren Folge seines ewigen Wesens „sich selbst nur als seinen Sohn erzeugt [Hervorh. i. Orig.]“.¹⁶⁷ In seiner Konzeption des allgemeinen Geistes rekurriert Hegel an dieser Stelle augenscheinlich auf die neuplatonische Auffassung des Absoluten: „– Ewige verschlossene Wesen unerkannte auch – Neuplatoniker – weil das Unterschiedslose – Reine Erkennen ist daß es das Abstracte Seyn ist mangelhafte – Neg[a]t[i]v[it]ät – Macht [Hervorh. i. Orig.].“¹⁶⁸ In seiner konkreteren Selbstentfaltung manifestiere sich der absolute Geist als „Bewegung [,] die wirkliche Erschaffung, oder das Zerfallen des ewigen Moments der Vermittlung, des einigen Sohnes, in den selbstständigen Gegensatz, nemlich einerseits des Himmels und der Erde“.¹⁶⁹ In Anspielung auf das erste Schöpfungswerk und eben nicht an den Johannesprolog anschließend sucht Hegel die Konstituenten des besonderen Geistes genauer zu definieren, indem er ihn mittels der Metaphorik der Gottessohnschaft mit der Natur gleichsetzt. Neben Hegels philonischer Charakterisierung der Sinnenwelt als Gottes einzigem Sohn ist in den Notizen zum absoluten Geist vor allem seine Vorstellung von der Weltschöpfung zu beachten. Diese stellt er, ebenso wie in seiner Frankfurter Deutung des Johannesprologs, als die dihairetische Konkretionsbewegung des absoluten Geistes in seiner fortdauernden weltkonstituierenden Vermittlerfunk
TWA Bd. 1, S. 376. Her. 230 – 231: PCH Bd. 5, S. 275. Notizen, S. 28. Zur enzyklopädischen Parallelstelle siehe: TWA Bd. 10, S. 375 (§ 567). Notizen, S. 28. Notizen, S. 28. Zur enzyklopädischen Parallelstelle siehe: TWA Bd. 10, S. 375 (§ 568).
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
tion dar, aus der zuerst der „selbstständige“ Hauptgegensatz zwischen Himmel und Erde hervorgehe. Die überraschende Nähe dieses besonderen Geistkonzeptes zu Philons Logos ist unverkennbar, denn Philons Logosbegriff als göttlicher Geist gilt als Gottes erstgeborener Sohn sowie als unaufhörlich weltformender Hauptvermittler, kraft dessen Gott den gesamten Urstoff dichotomisch gestaltet.¹⁷⁰ Zwar beruft sich Philon sowohl in Her. als auch in Opif. kein einziges Mal eigens ausdrücklich auf Himmel und Erde als ein Gegensatzpaar, worauf Runia verwiesen hat,¹⁷¹ aber ihre Gegensätzlichkeit liegt nicht nur in Her. (§§ 135 – 136, 226, 238 – 239) nahe, sondern auch und besonders in Philons gesamter Schöpfungslehre, die er unter Berufung auf Gen 1,1 οὐρανός mit dem göttlichen νοῦς allegorisch identifiziert, γῆ entsprechend mit αἴσθησις.¹⁷² 2) In seiner spekulativen Deutung der alttestamentlichen Schöpfungsvorstellung in den religionsphilosophischen Vorlesungen glaubt Hegel in Gottes wesentlicher Geistbestimmung in Gestalt einer erschaffungsvermittelnden Weisheitshypostase eine ähnliche weltbildende Trennungsfunktion ausmachen zu können: „Erste Bestimmung. In dem göttlichen Urteil ‚Gott ist die Weisheit‘ ist enthalten sein
Hegel wendet sich in diesem Zusammenhang auch dem ethischen Leitgegensatz zwischen dem Bösen und dem Guten zu: „[…] andererseits des Geistes als mit ihr [sc. mit der Natur] im Verhältniß stehend, somit des endlichen Geistes, welcher als das Extrem der in sich seyenden Negativität sich zum Bösen verselbstständigt […] [Hervorh. i. Orig.].“ (Notizen, S. 28 – 29) Es ist bemerkenswert, dass man diesen auf Werturteilen aufbauenden Gegensatz auch in seiner 1831 entstandenen Deutung der jüdischen Weltschöpfungslehre im Rückgriff auf den entzweienden Geist als Einheitsgrund wiederfindet: „In der jüdischen Religion tritt nun das Böse als Entzweiung in die Einheit des Geistes selbst herein, freilich nicht als absoluten Geistes, denn dieser ist in diesem absoluten Urteil, in der Welt, bei sich. Der Geist aber als endlicher ist der Ort des Guten und Bösen und ihr Kampf.“ (Vorl. Bd. 2, S. 626) Runia 2001, S. 284 „(10a) §112. the heaven. The first five examples are taken from the heavens, starting with the largest case, the vast circles of the sky. We should note, however, that Philo makes no attempt to make a sharp separation between heaven and earth. Instead he emphasizes the manner in which the heavenly hebdomads affect life on earth [Hervorh. i. Orig.].“ Zur Verdeutlichung dieses grundlegenden Gegensatzes in Philons System siehe weiterführend: Runia 2001, S. 161. Diese Gegensätzlichkeit der dichotomisierenden Weltbildung des λόγος τομεύς scheint vom Verb διαχωρίζω, im hebräischen Urtext: „mawdil“, herzurühren, das „unterscheiden“ bedeutet. Dieses Verb im septuagintischen Weltschöpfungsbericht wird zumeist mit der häufig wiederkehrenden Präpositionsformel ἀνὰ μέσον, im hebräischen Urtext: entweder „bejn“ oder „be-toch“, ergänzt, die „zwischen“ oder „innerhalb“ bedeutet. Diese Präpositionsformel könnte möglicherweise noch als ein textlicher Anhaltspunkt für Philons spekulative Bibeldeutung der entzweienden Bildungstätigkeit gelten, denn das Adjektiv μέσος bedeutet „mittlere“, weswegen er die Konstruktion ἀνὰ μέσον mit dem hierzu ergänzenden Verb διαχωρίζω als „in der Mitte [zwischen A u. B] unterscheidend bzw. teilend“ hätte herauslesen können (siehe dazu: Liddell u. Scott 1955, S. 500 („e. ἀνὰ μέσον midway between [Hervorh. i. Orig.]“). Leg. 1.1, 1.21; QG 2.18; Cher. 111; Agr. 65.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
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Sichbestimmen, sein Urteilen, näher damit sein Erschaffen. Der Geist ist schlechthin sich in sich vermittelnd das Tätige; diese Tätigkeit ist ein von sich Unterscheiden, Ur-Teilen (ursprüngliche Teilung) [Hervorh. i. Orig.].“¹⁷³ Der göttliche Schöpfungsakt, der Gottes geistiger Weisheitsmacht zukommt, findet seinen metaphysischen Niederschlag im weltimmanenten Tätigkeitsprinzip, dessen grundlegende Funktion die unaufhörliche Teilung der Urmaterie sei, was grundsätzlich „die ewige Güte Gottes“ bedeute.¹⁷⁴ Auch hier im Kontext der jüdischen Schöpfungslehre gemahnt Hegels Verständnis der alttestamentlichen Geistbestimmung – als die vermittelnde, personifizierte Weisheit – vor dem Hintergrund ihrer unaufhörlichen, erschaffenden Zergliederungsfunktion an Philons Konzept des λόγος τομεύς. Hegel argumentiert an dieser Stelle zusätzlich, die jüdische Religionsphilosophie setze Gottes schöpferische Trennungstätigkeit mit dessen ewiger Güte gleich, wovon Philon auf ähnliche Weise ausgeht. Jener behauptet beispielsweise in Opif. 21– 23, Gottes Attribut der Güte versinnbildliche dessen weltschöpferische Leitkraft, der die Weltmannigfaltigkeit in Form der göttlichen Gaben entstamme.¹⁷⁵ Allerdings ist es vor dem oben angestellten Vergleich bedeutsam, diese Parallelen zwischen Philon und Hegel nicht zu weit zu ziehen bzw. sie mindestens letztlich unter einigem Vorbehalt zu betrachten. Ungeachtet der kaum zu bezweifelnden Affinität zwischen Philon und Hegel in diesem Zusammenhang nämlich fehlt die von Philon durchgängig bediente Zerschneidungsmetaphorik hinsichtlich der Weltgestaltung des Logos in Hegels Schilderung des durch Entzweiung weltbildenden Geistkonzeptes gänzlich. Daraus resultiert jedoch keineswegs zwangsläufig, dass Hegels Darstellungen eines weltformenden Geistesbegriffes – man denke vor allem an seine Frankfurter Logosspekulation – nicht teilweise auf Topoi von Philons Logoslehre rückführbar seien. Vor diesem Hintergrund erscheint die Hypothese näherliegend, Hegel sei ausschließlich über sekundäre theologiegeschichtliche Informationsquellen indirekt von solchen philonischen Gedanken beeinflusst gewesen ohne sich mit Philons Ursprungstext Quis rerum divinarum heres sit intensiv befasst zu haben. Abgesehen von seinem explizitem Hinweis auf die welterschaffende Fähigkeit von Philons anthropomorph konzipierter Logoshypostase im Rahmen der zentralen Vorformen der christlichen Trinitätslehre zieht Hegel weitere Topoi von dessen jüdischer Logostheologie auch in der christlichen Schöpfungslehre in seinen religionsphilosophischen Vorlesungen in Betracht. Der wesentliche Kern der christlichen Offenbarungsreligion rühre Hegel zufolge daher, dass in ihr Gott
TWA Bd. 17, S. 54. TWA Bd. 17, S. 58. Dazu: Deus 57.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
„nicht mehr ein Jenseits, ein Unbekanntes“ wie in der jüdischen Glaubenslehre sei, sondern sich selbst in der Welt als der sich wissende Geist offenbare.¹⁷⁶ Dieses „Sichmanifestieren“ sei, wie Hegel wiederholt konstatiert, der Natur des Geistes zuzuschreiben, wie er mit dem vordergründig tautologisch erscheinenden Argument belegt: „Ein Geist, der nicht offenbar ist, ist nicht Geist.“¹⁷⁷ Die von der christlichen Religion vertretene Selbstoffenbarung des konkreten Geistes verknüpft Hegel wiederum eng mit dessen wesentlicher Schöpferbestimmung. In der spekulativen Fassung des christlichen Weltschöpfungsaktes sei die Rede keineswegs von einem „einmal geschehenen“ Ereignis, sondern vielmehr von einer ewigen ordnungsschaffenden Wirksamkeit, die letztlich auf Gott als konkreten Geist rückführbar sei.¹⁷⁸ Der christliche Gott in seiner Wesensbestimmung als Geist sei zwar Weltschöpfer, aber nicht im akzidentellen, sondern vielmehr im essenziellen Sinne. Zwei Entsprechungen stechen zwischen der philonischen und der christlichen Schöpfungslehre besonders hervor: (1) Die Welterschaffung als Gottes „Moment der Selbstunterscheidung“ fasse die christliche Religionsphilosophie nicht durch die herkömmlichen verstandesmetaphysischen Zeitbestimmungen des „Vor und Nach“ auf, sondern vielmehr als eine unendliche Organisationstätigkeit, die allein im „verschwindenden Moment“ plötzlich, wie „das Leuchten des Blitzes“ und „das Tönen eines Wortes“, in Erscheinung trete.¹⁷⁹ Hierbei konstatiert Hegel, dass „Gott selbst“ mit diesem „Jetzt und Fürsichsein d[em] verschwindende[n] Moment der Erscheinung“ gleichzusetzen sei.¹⁸⁰ In seiner Kosmologie unterstreicht Philon auf ähnliche Weise die überzeitliche Simultaneität (creatio simultanea) und inhärente Strukturiertheit der von Gott geschaffenen Weltinhalte: „Darunter [sc. unter der wortwörtlichen in Gen 1,1 eingegebenen Zeitbestimmung ‚ἐν ἀρχῇ‘] versteht er nicht, wie manche glauben, den Anfang hinsichtlich der Zeit […]. Denn wenn auch der Schöpfer alles zugleich erschuf, so war doch nichtsdestoweniger Ordnung in der schönen Schöpfung; denn nichts ist schön bei Unordnung.“¹⁸¹ Hegel geht auf diesen Kernaspekt der philonischen Schöpfungstheologie dreimal ein: einmal unter Berücksichtigung des Passus Sacr. 67, den er aus dem Originalwortlaut übersetzt und auslegt, einmal in Zusam-
TWA Bd. 17, S. 187. TWA Bd. 17, S. 193. TWA Bd. 17, S. 193. TWA Bd. 17, S. 246. TWA Bd. 19, S. 246. Opif. 26 – 28. Zu Philons metaphysischem Schöpfungsgedanken siehe vor allem: Runia 1986, S. 102; O’Brien 2015, S. 62– 63.
3.1 Hegels christliches Philonbild als Philo Christianus
235
menhang mit Philons weltimmanentem Logoskonzept als Rede,¹⁸² wahrscheinlich auf Sacr. 65 – 66 aufbauend, und einmal andeutungsweise in seiner religionsphilosophischen Darstellung der indischen Kosmologie.¹⁸³ Zu berücksichtigen ist zudem, dass Philon in Anlehnung an Platons Tim. 37d1– 38b5 nahezu denselben Standpunkt von Gottes ewigem Jetztsein vertritt, wenn er sich Gottes Ewigkeit als das stets rein gegenwärtige Leben vorstellt: Dieser jüngere, sinnlich wahrnehmbare Sohn [sc. die stoffliche Welt] bewirkte nun dadurch, daß er in Bewegung versetzt wurde, das Aufleuchten und den Aufgang des Wesens der Zeit, so daß es vor Gott nichts Zukünftiges gibt, vor ihm, der auch über die Schranken der Zeit erhaben ist; denn auch sein Leben ist nicht eine Zeit, sondern Ewigkeit, das Urbild und Muster der Zeit [ἀλλὰ τὸ ἀρχέτυπον τοῦ χρόνου καὶ παράδειγμα αἰὼν ὁ βίος ἐστὶν αὐτοῦ]. In der Ewigkeit gibt es nichts Vergangenes und Zukünftiges, sondern nur Gegenwärtiges [ἐν αἰῶνι δὲ οὔτε παρελήλυθεν οὐδὲν οὔτε μέλλει, ἀλλὰ μόνον ὑφέστηκεν]. (Deus 32: PCH Bd. 4, S. 79)
(2) Entsprechend bestehe laut Hegel der ewige Schöpfungsakt des christlichen Gottes letztendlich auch wesentlich darin, dass „der ewige Schöpfer […] ewiges Sichoffenbaren, dieser Aktus […] in seiner ewigen Bewegung“¹⁸⁴ wahrgenommen werde. Auf diesen spekulativen Schöpfungsgedanken einer creatio continua/aeterna geht er dergestalt näher ein, dass Gottes weltbegründender Tätigkeit als Geist scheinbar „zwei ewige actus“ zugrunde lägen, die lediglich auf die verstandesmetaphysische Vorstellung des spekulationsfreien Menschen rückführbar seien. Denn tatsächlich sei „Gottes Tätigkeit […] überhaupt schlechthin nur eine und dieselbe, nicht eine Mannigfaltigkeit von unterschiedenen Tätigkeiten, nicht ein Jetzt und Nachher, ein Außereinander“: Das Verhältnis dieser zweiten Sphäre [des Sohnes als der sinnenfälligen Welt] zur ersten [Sphäre des Vaters als der intelligiblen Welt] ist hiermit so bestimmt, daß es dieselbe Idee an sich ist, aber in dieser anderen Bestimmung [sc. der ἑτερότης]; der absolute Akt jenes ersten Urteils ist an sich derselbe als dieser zweite; nur die Vorstellung hält beide auseinander als zwei ganz verschiedene Boden und actus [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 245)
Dieser für Hegel nur vordergründig doppelt erscheinende welterschaffende Geistbegriff gemahnt unmittelbar an seine Auffassung von der weltkonstituie-
GW Bd. 30,1, S. 379,29 – 31: „Die intelligible Welt ist der λογος. Dies ist ein schöner Ausdruck, Vernunft, Verhältniß, Rede. Bei Moses heißt es so: Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht. Das Sprechen ist die einfachste Aeußerung des Geistigen, sinnlich und zugleich ein verschwindendes Sinnliches.“ TWA Bd. 16, S. 345. TWA Bd. 17, S. 193.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
renden Funktion der doppelten Geistbestimmung bei Philon als λόγος ἐνδιάθετος und προφορικός: der erste „teile sich“ in der Folge seiner reinen schöpferischen ἐνέργεια „in Ideen“, woraus Gottes „erste ruhende Gedankenwelt“ hervorgehe; unter dem zweiten versteht Hegel dementsprechend „Wirksamkeit, das Schaffen“ der sinnlich wahrnehmbaren Welt, die gleichzeitig als „ihre Erhaltung, ihr bleibender Verstand“ diene.¹⁸⁵ Dem philonischen Logos als Gottes geistiger Schöpferbestimmung – „Gott ist Schöpfer, und zwar in der Bestimmung des Logos, als das sich äußernde, aussprechende Wort“¹⁸⁶ – spricht Hegel selbst in seiner religionsphilosophischen Behandlung der christlichen Dreieinigkeitslehre eine ewige weltbegründete Tätigkeit zu: „Damit ist es [sc. der Wort-Logos] bestimmt worden als Urbild des Menschen […]. Das ist nicht ein Zufälliges, sondern ewige Tätigkeit, nicht zu einer Zeit bloß; in Gott ist nur eine Geburt, die Tätigkeit als ewige Tätigkeit, eine Bestimmung, die zum Allgemeinen wesentlich selbst gehört [Hervorh. i. Orig.].“¹⁸⁷ Bei Philon kommt in erster Linie dem absolut transzendenten Gotteskonzept als τῶν ὅλων νοῦς/αἴτιον die immerwährende Schöpfungskraft zu: Nachdem (Gott) also zuerst am siebenten Tage die Erschaffung der sterblichen Wesen abgeschlossen hatte, beginnt er mit der Bildung anderer, göttlicherer Wesen; denn Gott hört niemals auf zu schaffen; wie vielmehr das Brennen zum Wesen des Feuers und das Abkühlen zu dem des Schnees gehört, so das Schaffen zum Wesen der Gottheit, um so gewisser, da sie ja für alle anderen den Quell der Tätigkeit bildet. (Leg. 1.5: PCH Bd. 3, S. 17– 18)¹⁸⁸
Die grundlegende Programmatik von Hegels Verständnis der jüdischen Logoslehre Philons legt nahe, er sehe darin einen entscheidenden philosophiegeschichtlichen Beleg dafür, dass die jüdische Religion auch in ihrer höchsten geistigen Vollendung als jüdischer Platonismus durchweg lediglich ein untergeordneter Vorläufer des „revolutionären“ Christentums als endgültiger Kulmination der gesamten Religionsgeschichte sei. Die Einsicht nämlich, dass ausgerechnet ein jüdischer Religionsphilosoph „protochristliche“ Topoi der christlichen Lehrsätze in seinem spekulativen Gedankengebäude vertritt, ist für Hegel nur akzeptabel, weil sich in Philons jüdischer Philosophie der Geist vorweg schon ausschlaggebend zu den spekulativen Leitgedanken des Christentums gewendet habe: zur anthropomorphen Logosgestalt als göttlichem Urmenschen.
TWA Bd. 19, S. 423. TWA Bd. 17, S. 239. TWA Bd. 17, S. 239. Zu Hegels spekulativem Verständnis der christlichen Schöpfungslehre siehe: E. Schmidt 1974, S. 135 – 138. Zum Topos von Gottes unaufhörlicher Schöpfungstätigkeit siehe auch: Leg. 1.6; Cher. 87 sowie 90.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
237
Die bisherigen Ausführungen haben die maßgebliche Wichtigkeit Philons für das stark auf der abendländischen Geistesgeschichte aufbauende Denken Hegels verdeutlicht, insbesondere vor dem Hintergrund seiner unkonventionellen metaphysischen Interpretation des Christentums. Wie Schelling und seine Tübinger Theologieprofessoren sieht auch Hegel Philons große Bedeutung in dessen entscheidendem Einfluss auf die christlichen Glaubensartikel. Philon gilt ihm als der Keim dessen, was dem welthistorischen Wahrheitsgeschehen des Christentums in all seinen wesentlichen Religionsausprägungen vorausgegangen war. Daher ist die Behauptung keinesfalls abwegig, dass aus Hegels Sicht Philons spekulativ „erwachtes“ Judentum – das den ungeheuren metaphysischen Schritt gewagt habe, sich Gott in seiner anthropomorphen Konkretheit als dreieiniges Logos-Bild zu vergegenständlichen – eine zentrale religionsphilosophische Wende zur christlich-theologischen Gedankenwelt herbeiführt: Die jüdische Religion deute wesentlich auf die fundamentalen Glaubenswahrheiten des in sich alle vorherigen religionsgeschichtlichen Momente aufhebenden Christentums als der absoluten Religion hin.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums 3.2.1 Das Problem der Quellenidentifikation in Hegels Auffassung des Judentums Hegels Auseinandersetzung mit den religionsphilosophischen Inhalten des Judentums zieht sich wie ein roter Faden nahezu durch sein gesamtes Denken. Für diese intensive Beschäftigung spricht Rosenkranz’ Hegelbiographie Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben: Namentlich ist es ein anziehendes Schauspiel, seinen Kampf mit der Geschichte des jüdischen Volks zu beobachten. Seine Ansicht derselben ist sehr ungleich gewesen; sie hat ihn im heftigsten Abstoßen dennoch stets an sich gefesselt und als ein finsteres Räthsel ihn Lebenslang gequält. Er hat sie daher auch überall ganz verschieden behandelt: bald, wie in der Phänomenologie, ignorirt er sie beinah; bald, wie in der Rechtsphilosophie, rückt er sie dicht an den Germanischen Geist heran; bald, wie in der Religionsphilosophie, coordinirt er sie als die unmittelbare Form der geistigen Individualität der Griechischen und Römischen; endlich aber, in der Philosophie der Geschichte, integrirt er sie dem Persischen Reiche. Nach jeder dieser Seiten hin hat Hegel in der Geschichte der Juden eine Berechtigung, allein erst die Zusammenfassung aller derselben zu einer Einheit würde ihn selbst befriedigt haben. Solche Harmonie selbst herzustellen hat der Tod ihm versagt. (Rosenkranz 1844, S. 172)¹⁸⁹
Vgl. dazu: Pöggeler 1974, S. 525 – 526.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Rosenkranz unterstellt Hegel hier, bei der Behandlung der jüdischen Religionslehre oder genauer: seiner geistesgeschichtlichen Ortsbestimmung unsystematisch vorgegangen zu sein. Auf dieser Basis kommt auch Yovel in seinem großangelegten Werk Dark Riddle: Hegel, Nietzsche, and the Jews zu dem Schluss, Hegel sei es letztendlich doch nicht gelungen, eine zu Ende gedachte Stellungnahme über den systematischen Platz der jüdischen Religion zu artikulieren.¹⁹⁰ Allerdings bleibt nicht allein Hegels endgültiger Standpunkt über das Judentum „ein finsteres Räthsel“, sondern auch die für sein Bild der jüdischen Philosophie herangezogenen Hauptquellen. Erst diese ermöglichen es ihm, das Judentum als einheitliche Glaubenslehre zu deuten. Hegel habe sich in seiner philosophischen Exegese des Alten Testaments primär auf seine aus erster Hand angeeigneten Kenntnisse der jüdischen Denker Josephus Flavius, Spinoza und Mendelssohn gestützt, so Yovels Begründung.¹⁹¹ Er weist zwar auch auf Hegels lediglich aus zweiter Hand erworbene Kenntnisse über Philon, Kabbala und Maimonides hin. Er macht dabei aber zugleich auf deren recht geringen Einfluss aufmerksam, woraus er schlussfolgert: What did Hegel know of Judaism? Not much is the answer. As a Protestant he drew mostly on the Old Testament, supplemented by Flavius Josephus. He was unfamiliar with Talmudic and rabbinical sources, and his knowledge of Hebrew was rudimentary. Of Jewish philosophers he knew well only Mendelssohn and Spinoza; of the other sources he mentions – Philo, Maimonides, and the Cabbalah – he seemed to have learned from secondary sources. This adds up to a fragmentary, flawed, and limited knowledge of historical Judaism. (Yovel 1998, S. 85)
Yovels Standpunkt birgt in sich ein nicht zu vernachlässigendes Problem: Außer Philon und Maimonides leistete niemand von den angeführten Denkern eine systematische metaphysische Schriftauslegung der jüdischen Bibel: In seinem Theologisch-politische[n] Traktat bezweckte Spinoza hauptsächlich, diesem spekulativen schriftexegetischen Ansatz diametral entgegengesetzt, „den Glauben von der Philosophie zu trennen [fidem a philosophia separare]“, weshalb er die Grundvorstellung einer jüdischen Religionsphilosophie als ungereimt entschie-
Yovel 1998, S. 98: „Hegel died before his position could take a final form, so we might say that the end of the story is that it has no end. We thereby take leave of Hegel’s system. He did not solve the aporia of Jewish existence, and certainly not that of its place in modernity.“ Yovel 1998, S. 22, 43 – 45, 85. Siehe hierzu auch die folgenden Artikel in Hegels Bibliothek: Schneider 2010, S. 80 – 81: Nr. 165 – 168 („Phädon“, „Fragmente“, „Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes“ und „Jerusalem oder über religiöse Macht u. Judentum“), 182 („Über die Unkörperlichkeit der Seele“), 149 („Spinozas Leben“), 163 („Spinosae doctrina“), 210 („Über die Philosophie Spinoza und Kartersius“), 243 – 244 („Spinozae, Bened., Opera“).
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
239
den zurückweisen musste.¹⁹² Im deutlichen Gegensatz zur Philosophie, die allein den Anspruch auf die absolute Wahrheit erheben dürfe, verlange das Judentum als Offenbarungsreligion praxisorientiert ausschließlich nicht zu hinterfragenden Gehorsam und Frömmigkeit.¹⁹³ Infolgedessen widmet er das gesamte 13. Kapitel unter Beiziehung etlicher Verse der Hebräischen Bibel dem Nachweis, dass „die Schrift nur ganz Einfaches lehrt und nichts anderes bezweckt als den Gehorsam und daß sie auch über die göttliche Natur nichts anderes lehrt, als was die Menschen in einer bestimmten Lebensweise nachahmen können“. Auch Mendelssohn vertritt in seinem bekannten Werk Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum die ähnliche These, der jüdischen Religion liege anders als dem Christentum keineswegs ein spekulatives Dogmensystem aus ewigen „Religionswahrheiten“ zugrunde, sondern sie sei vielmehr als deontologische Lebensprinzipien aus göttlicher Quelle zu verstehen: Die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung. Gesetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom Willen Gottes, wie sie sich zu verhalten haben, um zur zeitlichen und ewigen Glükseligkeit zu gelangen; dergleichen Sätze und Vorschriften sind ihnen durch Mosen auf eine wunderbare und übernatürliche Weise geoffenbart worden; aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeinen Vernunftsätze [Hervorh. i. Orig.]. (JubA Bd. 8, S. 157)
Wie Yovel aufzeigt, greift Hegel in seinem Frankfurter Aufsatz Der Geist des Christentums und sein Schicksal diesen mendelssohnschen Kerngedanken wieder auf,¹⁹⁴ um daran seine eigene Kritik am Judentum als geistloser Religion der Knechtschaft festzumachen: […] Mendelssohn rechnet es seinem Glauben zum hohen Verdienst, daß in ihm keine ewigen Wahrheiten geboten seien. Daß ein Gott ist, steht an der Spitze der Staatsgesetze, und wenn man ein in dieser Form Gebotenes eine Wahrheit nennen könnte, so ließe sich freilich sagen:
Spinoza 1994, S. 213 („Das habe ich mit in diesem Kapitel vorgenommen, um damit zugleich den Glauben von der Philosophie zu trennen, welches der Hauptzweck des gesamten Werkes ist [quod quidem in hoc Capite facere constitui, simulque fidem a Philosophia separare, quod totius operis praecipuum intentum fuit]“). Diesen Trennungsversuch widmet er dem ganzen 15. Kapitel dieser Schrift: „Es wird gezeigt, daß weder die Theologie der Vernunft noch die Vernunft der Theologie dienstbar ist, und aus welchem Grunde wir von der Autorität der Heiligen Schriften überzeugt sind.“ Spinoza 1994, S. 220: „Das Ziel der Philosophie ist nur die Wahrheit, das Ziel des Glaubens aber […] nur der Gehorsam und die Frömmigkeit.“ Siehe Yovel 1998, S. 22, 43 – 45 und 85.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
welche tiefere Wahrheit gibt es für Knechte als die, daß sie einen Herrn haben. (TWA Bd. 1, S. 288)¹⁹⁵
Auf ähnliche Weise gebraucht Hegel auch Spinozas im Traktat geübte Religionskritik für sein damaliges zwiespältiges Verhältnis zum Judentum, dem zufolge das Subjekt der jüdischen Glaubenslehre nach „keine Freiheit für sich selbst“ habe. Sogar Spinoza selbst, so argumentiert Hegel, „sieht das Gesetzbuch Mosis so an, als habe Gott es den Juden zur Strafe, zur Zuchtrute gegeben“.¹⁹⁶ Obzwar Hegel sich an diesem spezifischen Punkt hinsichtlich der jüdischen „Geistesknechtschaft“ Spinoza und Mendelssohn anschließt, konnte er gleichwohl nicht deren Systemen, gerade wegen ihrer antidogmatischen Leitprämisse über den unphilosophischen Charakter der jüdischen Textgrundlage, eine einheitliche metaphysische Deutung des Judentums entnehmen. Ebenso wenig eignet sich der apologetische jüdische Geschichtsschreiber Josephus Flavius – dessen Werkes Jüdische Altertümer, genauer: Ant. Iud. 1.4. Vom babylonischen Turm und der Sprachverwirrung, Hegel sich in Geist des Christentums und sein Schicksal im Kontext der anmaßenden alttestamentlichen Nimrodfigur bedient –¹⁹⁷ zur systematischen Auslegung der jüdischen Grundtexte. Zusammengefasst ergibt sich daraus ex negativo, dass ausschließlich die wirkmächtigen jüdischen Religionsphilosophen Philon und Maimonides in die-
Eine kritische Bezugnahme auf Mendelssohns Grundthese in Jerusalem findet man auch in der Giesheim-Nachschrift von 1824: „Als Mendelssohn von Jerusalem zum Uebertritt zur christlichen Religion aufgefordet wurde, erwiderte er, seine Religion gebiete ihm nicht den Glauben an ewige Wahrheiten, sondern nur gewisse Gesetze, Handlungsweisen, Ceremonialgesetze, er sehe dieß als einen Vorzug der jüdischen Religion an, daß ewige Wahrheiten in ihr nicht geboten würden, die Vernunft sei dazu weit reicher, das Andere sei von Gott festgetzt worden. Diese ewigen Wahrheiten seien die Gesetze der Natur, Wahrheiten der Mathematik usf. Wir müssen freilich zugeben, daß sie ewig sind, aber sie sind von sehr beschränkten Inhalt, sind kein Inhalt des ewigen Geistes an und für sich, die Religion muß aber nichts Anderes als Religion enthalten und enthält als solche nur ewige Wahrheiten des Geistes, dieß ist ihre Bestimmung, jenes Andere betrifft dann äusserliche Weisen des Gottesdienstes und insofern diese Gebote Gottes moralische Handlungen betreffen, so ist wieder das Geistige, die Gesinnung die Hauptsache, dieß Befehlen ist aber in seiner höchsten Spitze, höchste Härte und kann irreligiös werden, was geglaubt werden soll, muß einen religiösen geistigen Inhalt haben […].“ (GW Bd. 29,1, S. 198,24– 9). Vgl. auch Rotenstreich 1953, S. 36 ff.; Pöggeler 1974, S. 527– 530. TWA Bd. 12, S. 234. TWA Bd. 1, S. 275 – 276. Hegel bezieht sich in einem Berner Manuskript zur „Geschichte Israels“ auf den vierten Abschnitt des vierten Kapitels von Josephus’ Jüdische Altertümer („Jos. JüdGesch. 4tes Buch 4tes Kapt.“), um zu zeigen, dass „jeder einzelne Jude […] noch dem unendlichen Objekte [diente], aber dieses diente nur dem Ganzen, oder den Machthabern des Ganzen, den Hohenpriestern, nicht mehr dem einzelnen“ (GW Bd. 2, S. 39).
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
241
sem Zusammenhang als systematische Schriftexegeten anzusehen sind: Anders als Spinoza und Mendelssohn hatten sich beide grundsätzlich vorgenommen, aus den kanonischen Schriften des Judentums ein philosophisches Gedankengebäude in Form einer spekulativen Dogmenlehre abzuleiten. Am deutlichsten wird diese dogmatisierende Tendenz bei Maimonides in seiner Aufstellung der dreizehn fundamentalen Glaubensartikel des Judentums in der Einleitung seines Mischnakommentars (in „Perek Chelek“) manifest.¹⁹⁸ Bei Philon findet dieser Ansatz in §§ 170 – 172 von De opificio mundi seinen konkretesten Niederschlag. Dort legt er die fünf grundlegenden Glaubenslehren des mosaischen Schöpfungsberichtes dar: (1) Gott existiert, (2) er ist einzig, (3) die Welt ist von ihm erschaffen worden; infolge von Gottes Einzigkeit (4) ist auch die Welt einzig und (5) in ihr herrscht die göttliche Vorsehung (πρόνοια). An dieser Stelle allerdings ist Hegels abwertende Einschätzung von Maimonides’ „sehr strenge[r] abstrakte[r] Metaphysik“ zu beachten. Er nimmt auf ihn namentlich, von seiner lapidar gefassten Maimonidesdeutung abgesehen, kein einziges Mal Bezug.¹⁹⁹ Gleichwohl gilt Yovels Hauptaugenmerk der aus seiner Sicht frappierenden Ähnlichkeit zwischen Hegels religionsphilosophischem Bild des Judentums als der Religion der Erhabenheit und Maimonides’ apophatischer Theologie: „As for Judaism, Hegel and the greatest Jewish rabbi shared its basic phenomenological description but differed on its evaluation.“²⁰⁰ Hinsichtlich der Quellenidentifikation zu Hegels Judentumsverständnis kommt Yovel zu dem Schluss, als Protestant bediene er sich bei der Interpretation der jüdischen Philosophie nahezu ausschließlich des Alten Testaments, ohne die materialreiche Literatur der jüdischen Bibelexegese zu berücksichtigen. Yovel richtet jedoch zu wenig Augenmerk darauf, wie das Alte Testament von den meisten protestantischen Theologen im deutschsprachigen Raum zu Hegels Zeiten vermittelt und demnach ausgelegt
Vgl. dazu: JubA Bd. 8, S. 167– 168. TWA Bd. 19, S. 524. Vgl. dazu Hegels Darstellung von der jüdischen Namenstheologie in der Einleitung zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen aus dem Jahr 1819, die unverkennbare Affinität zum maimonidischen Standpunkt in Führer der Unschlüssigen (übers. u. komm. v. A. Weiss, Hamburg 1972) aufweist (1. Teil, Kap. 61: „Alle Gottesnamen, die sich in den heiligen Schriften vorfinden, sind von Wirkungen hergeleitet, und dies ist etwas, worin kein Geheimnis liegt. Eine Außnahme bildet nur der Νame ]…[ יהוהwelcher der Gott ausschließlich zukommende Name ist, und deshalb Schem hamm’phorasch genannt wird, und dies bedeutet, daß dieser Name das Wesen Gottes in einer klaren, jede Gemeinschaft mit irgendeinem anderen Wesen ausschließenden Weise bezeichnet“), worauf bereits die kritische Hegelausgabe hinweist (Vorl. Bd. 6, S. 432 f.): „Die jüdischen abstracten Lehrer sagen: Gott komme nur der Name Jehova zu, (und zwar sprechen die Juden diesen Namen nicht aus, sondern sprechen ihn Schem ham bo rasch, d. i. der Ausgelegte Name, das Tetragrammaton).“ (GW Bd. 30,1, S. 25,12– 14) Yovel 1998, S. 86.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
wurde. Die Untersuchungsergebnisse des ersten Kapitels dieser Arbeit zeigen eindeutig, dass Philon bei Weitem die wichtigste Quelle für die Exegese der jüdischen Glaubenslehre war. Vor dem Hintergrund der zu Hegels Studienzeiten intensiven Auseinandersetzung mit philonischem Gedankengut im Stift konnte mit hoher Gewissheit nachgewiesen werden, dass er sich während seiner Tübinger Jahre zentrale Philonkenntnisse hat aneignen müssen. Die dreibändige Einleitung in das Alte Testament von 1780 bis 1783 des protestantischen Theologen Eichhorn, die zu Hegels Zeiten als Standardwerk galt und deren zweite Auflage aus dem Jahr 1790 zu dessen Bibliothek gehörte,²⁰¹ gibt einen repräsentativen Einblick in den damaligen deutsch-protestantischen Interpretationsansatz für die Hebräische Bibel. Bei dieser bibelkritischen Untersuchung wird sehr schnell ersichtlich, dass Eichhorn sich kaum der rabbinischen Überlieferung zugewandt hatte. Im zweiten Band widmet er der gesamten rabbinischen Tradition lediglich einen einzigen Abschnitt, „Talmud und Rabbinen“ (VII: §§ 339 – 341), im dritten Kapitel „Kritische Hülfsmittel“.²⁰² Diese vernachlässigende Berücksichtigung der rabbinischen Tradition rechtfertigt Eichhorn mit dem dezidiert wissenschaftlichen Anspruch, die jüdischen Grundtexte historischkritisch auszulegen, und zusätzlich mit seiner abwertenden Einschätzung der rabbinischen Bibeldeutung als unwissenschaftlich.²⁰³ Vor diesem Hintergrund ist erklärlich, weshalb er sich beispielsweise Maimonides insgesamt nur zwölfmal zuwendet, Raschi entsprechend insgesamt nur 13-mal.²⁰⁴ Während er bei seiner wissenschaftlichen Behandlung der Hebräischen Bibel die zentralen jüdischen Schriftexegeten weitgehend unbeachtet lässt, greift er auf Philon dagegen 81-mal (!) und auf Josephus entsprechend 67-mal als fundierte historische Informationsquellen der Antike zurück. Philons zentrale Stellung für protestantische Theologen des 18. und bis ins 19. Jahrhundert bezüglich ihrer christlichen Wahrnehmung des Alten Testaments ist dem wichtigen deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Samuel Hirsch (1815 – 1889) nicht entgangen. Hirsch wirft Hegels religionsphilosophischem Bild des Judentums als der Religion der Erhabenheit in seinem Hauptwerk Die Religionsphilosophie der Juden geradezu vor, dessen gesamte „Kenntniß des Judenthums
Schneider 2010, S. 16: Nr. 341– 343. Eichhorn 1803, S. 14– 17. Eichhorn 1803, S. 15: „Nicht auf ihre Urtheile bauen wir unsre Vorstellungen von der jetzigen Beschaffenheit des Hebräischen Textes, sondern auf das, was Erfahrung und kritische Untersuchung desselben uns gelehrt hat.“ Eichhorn, 1803, Bd. 1, S. 90, 218 – 219, 281; Bd. 2, S. 13 – 14, 18 – 21, 28, 56, 104, 119, 166, 168, 172, 175, 183, 185 – 186; Bd. 3, S. 240.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
243
nur aus Philo, nicht aber aus der h. Schrift geschöpft zu haben“.²⁰⁵ Mit dieser polemischen Unterstellung will Hirsch einen entschiedenen Beleg für Hegels falsche Einordnung der jüdischen Religionsphilosophie erbringen. Entsprechend deutlich formuliert er starke Zweifel am jüdischen Charakter von Philons Denken – er geht davon aus, dieses rühre primär von den heidnischen Erhabenheitsvorstellungen der ägyptischen Religion her: „Wir meinen die sogenannte jüdische-alexandrinische Religionsphilosophie, die uns am ausführlichsten in den Schriften des Philo erhalten ist. Die Prinzipien dieser Philosophie sind ganz ägyptisch. Gott ist zu hoch, als daß der Mensch wissen oder erfassen könnte, was er ist. Gott ist Namenslose, Unerkannte […] [Hervorh. i. Orig.].“²⁰⁶ Hirschs Hegelkritik an der aus seiner Sicht abwertenden Einstufung des Judentums findet ihren vollständigen Niederschlag im vierten Kapitel „Die intensive Religiosität, oder die Offenbarung Gott in Jisrael“, in dem er sich den religionsphilosophischen Leitgedanken des Alten Testaments zuwendet: Von dem Vorwurf Hegels gegen das Judenthum, daß hier Gott ein Jenseits sei, ist gerade das Gegentheil wahr. Nur in dem Christenthum der Kirche ist Gott so ein Jenseits. Hegel scheint seine ganze Philosophie des Judenthums aus Philo geschöpft zu haben. Dieser von ägyptischen Heidenthum angesteckt, weiß allerdings nur von so einem jenseitigen Gott, ganz anders aber die h. Schrift [Hervorh. i. Orig.]. (Hirsch 1842, S. 545: Fn. *)²⁰⁷
Im zitierten Passus konkretisiert Hirsch seinen Vorwurf, „Hegel schein[e] seine ganze Philosophie des Judenthums aus Philo geschöpft zu haben“, dahingehend, dass er spezifisch auf dessen Verständnis der „jüdischen“ Gottesvorstellung als „ein Jenseits“ zu sprechen kommt. Diese habe ihren Ursprung allerdings mitnichten im alttestamentlichen Gedankengut, sondern realiter in Philons zutiefst „von ägyptischen Heidenthum angeschreckt[er]“ Gotteslehre. Diesen Gedankengang spinnt Hirsch mit folgender Behauptung weiter: In den jüdischen Heiligen Schriften sei „gerade das Gegentheil wahr“, denn „[n]ur in dem Christenthum der Kirche ist Gott so ein Jenseits“.²⁰⁸ Die von Hirsch vordergründig willkürlich ver Hirsch 1842, S. 273. Hirsch 1842, S. 271– 272. Darauf aufmerksam gemacht hat Westerkamp in seinem Unterkapitel „Das geschichtsphilosophische Argument: Nachman Krochmal“: „Andererseits schöpfen, so Hirschs Verdacht, die christlichen Hegelianer ihr Bild des Judentums vor allem aus Philos Schriften, wodurch eine erheblich Unwucht in die historische Konstruktion des jüdischen Denkens kommt, weil sie um die Lehren eines Denkers aufgebaut wird, der, aufs Ganze seiner Tradition gesehen, deren äußeren Überlieferungsrand markiert.“ (Westerkamp 2009, S. 160) Hirsch 1842, S. 545: „Gegen die kirchliche Weltansicht, wo Gott ein Jenseits ist und bleibt; wo der Mensch nicht unmittelbar mit Gott in Gemeinschaft treten kann, sondern entweder die sichtbare Kirche, oder die heilige Schrift oder endlich einen sonstigen Mittler zwischen sich und
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
tretene These, Hegel entnehme die grundlegenden Topoi seiner religionsphilosophischen Judentumsdeutung größtenteils Philons Denken, verdient deshalb eine nähere Analyse, weil die hier herausgearbeitete Schlüsselrolle des alexandrinischen Philosophen für Hegels geistesgeschichtliche Wahrnehmung der jüdischen Philosophie ebendies deutlich naheliegt.
3.2.2 Philonische Denkstrukturen in Hegels frühem Judentumsverständnis Obzwar sich Hirsch mit seiner Feststellung auf Hegels religionsphilosophische Auffassung des Judentums bezieht, geht letzterer bereits in seiner Frankfurter Abhandlung der Geist des Christentums und sein Schicksal in einer metaphysischen Auseinandersetzung mit dem jüdischen Weltbild von einer ähnlichen jenseitigen Gottesvorstellung aus. Dort führt er das Leitprinzip des Judentums auf eine bewusstseinsorientierte Betrachtungsweise zurück, die konkret die Form einer zutiefst menschenverachtenden Grundhaltung der Lebenszerrissenheit annehme. Den Ursprung dieser jüdisch-theologischen Weltanschauung der prinzipiellen Nichtigkeit des Menschen sieht Hegel in der völlig verdrehten Gotteslehre des Judentums, die Gott ausschließlich in seiner unfassbaren Verborgenheit als ein unnahbares Fremdwesen konzipiere.²⁰⁹ In der unmittelbaren Folge dieser irreführenden abstrakten Gottesvorstellung, die ihrer Weltferne wegen grundsätzlich jegliches Verhältnis zu den gläubigen Menschen ausschließe, sei das jüdische Individuum mit einer doppelten Entfremdung konfrontiert: einerseits von Gott, andererseits von der konkreten Außenwelt. Der Einzelmensch könne deshalb auch keine unmittelbare Beziehung zu der im Prinzip nicht existenten Sinnenwelt aufbauen, weil diese im krassen Gegensatz zum absolut erhabenen Schöpfer- und Herrschergott als einem „fremdartige[n] Wesen“ stehe. Daraus entwickele das Individuum zwangsläufig geradezu ein Gefühl der „Verachtung gegen die ganze Welt“²¹⁰: „Die ganze schlechthin entgegengesetzte Welt, wenn sie nicht ein Nichts
Gott hinzustellen nöthig hat, muß das unmittelbare und ewig sich gleich bleibende Wirken Gottes in der Natur sowohl, als im Menschengeist hervorgehoben werden [Hervorh. i. Orig.].“ Um Hegels Verständnis des Judentums als die Religion des erhabenen Einen endgültig ad absurdum zu führen, gestaltet er in deutlicher Anspielung auf dessen christliches Gottesbild als dreieinigen, weltimmanenten Geist den jüdischen Gottesbegriff prinzipiell so um, dass darunter nun die dialektische, konkrete Einheit der im Weltganzen und Menschengeist herrschenden Gesetzlichkeit „mit dem nach ihm Gewirkten“, „de[n] Dreieinige[n]“, zu verstehen sei (Hirsch 1842, S. 545). Zur Hegels Kritik der jüdischen Gotteslehre in seinen Frankfurter Abhandlungen siehe: Dilthey 1990a, S. 67 ff.; Yovel 1976, S. 529 – 532. TWA Bd. 1, S. 279.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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sein sollte, war von dem ihr fremden Gott getragen, an dem nichts in der Natur Anteil haben sollte, sondern von dem alles beherrscht wurde.“²¹¹ In der von außen oktroyierten mosaischen Gesetzgebung als „Inbegriff aller Wahrheit und aller Beziehungen“²¹² spiegele sich am konkretesten das despotische Verhältnis von Gott als Alleinherrscher über das auserwählte Volk als seine blinden Knechte wider: Daß ein Gott ist, steht an der Spitze der Staatsgesetze, und wenn man ein in dieser Form Gebotenes eine Wahrheit nennen könnte, so ließe sich freilich sagen: welche tiefere Wahrheit gibt es für Knechte als die, daß sie einen Herrn haben. […] deswegen kommt das Dasein Gottes nicht als eine Wahrheit vor, sondern als ein Befehl. (TWA Bd. 1, S. 288)
Der gesamte Weltbezug der jüdischen Religionsgemeinde werde allein von diesem Gesetzessystem aus fremder Quelle vermittelt. Das daraus resultierende „jüdische“ Bewusstsein, von diesem fremdartigen Wesen zutiefst abhängig, kennzeichnet Hegel daher als das Bewusstsein der Entzweiung.²¹³ Insgesamt fällt es schwer, in Zusammenhang mit Hegels frühem Bild des Judentums festzustellen, ob er dafür bewusst philonische Topoi verwendet. Auf drei übereinstimmende Aspekte sei ansatzweise hingewiesen: 1) Hegels geistiges Verständnis des israelitischen Stammvaters Abraham als eine Seele gemahnt unmittelbar an Philons allegorische Auffassung von den Erzvätern als Seelen. Das jüdische Bewusstsein der Trennung macht Hegel primär am Beispiel der biblischen Abraham-Figur fest. Seiner Genesisdeutung zufolge sei Abraham, „de[r] wahre[…] Stammvater der Juden“, ein „Geist der Einheit“ bzw. eine Seele, „die alle Schicksale seiner Nachkommenschaft regierte“.²¹⁴ Auch in Philons Bibelexegese gelten die biblischen Stammväter Abraham, Isaak und Jakob, zusätzlich zu ihrer historischen Existenz, in höherem Maße auch als im Schriftwort verborgene Sinnbilder für durchaus tugendhafte Seelen in ihrer intellektuellen Aufstiegsbewegung zur Gottesschau: „Dies scheint nun zwar so gesagt zu sein, als ob es sich nur um fromme Männer handelte; es liegt aber darin eine Bedeutung von tieferer und viel besserer Natur als die Dinge in der Sinnenwelt haben. Die heilige Schrift scheint nämlich Charaktere der Seele vorzu-
TWA Bd. 1, S. 279. TWA Bd. 1, S. 283. Zu Hegels frühem theologischem Bild des Judentums siehe weiterführend: Yovel 1998, S. 21– 45. TWA Bd. 1, S. 274.Vgl. auch Vorl. Bd. 1, S. 64 („[…] wenn sie in der Seele des Gesetzgebers zur Ursache die Absicht gehabt hätte, die Ungleichheit des Reichthums zu verhindern […].“).
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
führen und zwar lauter gute […].“²¹⁵ Die drei Ahnväter seien hinsichtlich ihrer höheren symbolhaften Wahrheit nichts anderes als die beseelten wie vernünftigen Gesetze (ἔμψυχοι καὶ λογικοὶ νόμοι), die in Harmonie mit den vollkommenen und unwandelbaren Naturgesetzen stünden.²¹⁶ Wegen dieser allegorischen Voraussetzungen kommt Philon zu dem Schluss, die komplexen Patriarchengeschichten seien insgesamt schematisch auf zwei Triaden-Abfolgen von stufenweise aufgebauten Kardinaltugenden rückführbar: Die erste Dreiheit der Urväter Enos, Enoch und Noah sei in der moralischen Leitfähigkeit ihrer Seelen begründet: Enos versinnbildliche die Hoffnung (Abr. 7– 8: ἐλπίς), Enoch die Reue (Abr. 17: μετάνοια) und Noah entsprechend die Ruhe/Gerechtigkeit (Abr. 27: ἀνάπαυσις ἢ δίκαιος). Die zweite, nächsthöhere Trias sei aus den Seelentypen (τρόποι ψυχῆς) der klassischen Erzväter gebildet:²¹⁷ Abraham symbolisiere die „durch Belehrung erworbene[…] Tugend“ (διδασκαλία), Isaak die „natürliche[…] (angeborene[…])“ Tugend (φύσις) und Jakob die „durch Uebung erworbene[…] (Tugend)“ (ἄσκησις).²¹⁸ Trotz dieser seelischen Sondermerkmale geht Philon letztlich davon aus, dass die Erzväter keinerlei moralisches Defizit aufweisen und an allen drei Tugenden teilhätten: „Allerdings ist nicht zu verkennen, dass jeder von ihnen [sc. von den Erzvätern] sich alle drei Fähigkeiten zu eigen machte, allein jeder wurde nach der genannt, die er in hervorragendem Masse besass […].“²¹⁹ Vor allem anhand des Beispiels von Abrahams Wanderschaft unterstreicht Philon diesen spekulativen Punkt durch den Zusatz, dieser „wanderte mehr mit der Seele als mit dem Körper [τῇ ψυχῇ πρὸ τοῦ σώματος τὴν ἀποικίαν ἐστέλλετο]“.²²⁰ Der auf Gen 12,1– 6 aufbauende, noetische Migrationsvorgang zum Land Kanaan – im allegorischen Sinne: zur Gotteserkenntnis – macht den allegorischen Grundinhalt von De migratione Abrahami aus, worin Philon ihn stufenweise allegorisch als die dreifa-
Abr. 52: PCH Bd. 1, S. 107. Diesen allegorischen Standpunkt legt Philon in §§ 1– 6 der Genesisallegorese De Abrahamo – in denen er sich der vernunftbetonten Sinngebung für die von Moses festgelegte thematische Reihenfolge in Genesis widmet – besonders deutlich dar, denn dort erklärt er die narrative Beschreibung der Lebensgeschichten der israelitischen Patriarchen für das Idealbild der ungeschriebenen Verfassung (ἄγραφος νομοθεσία). Siehe auch Abr. 217 und Mos. 2.4. Abr. 5 – 6. Siehe dazu auch: Mos. 1.258 und 1.162; Decal. 1. Siehe dazu in Hinblick auf das philonische Konzept des ἄγραφος νόμος auch: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 191; Goodenough 1969, S. 87 ff., 197. Abr. 48; Praem. 24. Abr. 52: PCH Bd. 1, S. 107. Zur Parallelstelle der zwei stammväterlichen Triaden siehe ebenso: Praem. 7– 51. Zu diesem allegorischen Auslegungsansatz siehe: Dillon 1996, S. 152– 153; Amir 1983j, S. 15 – 16; Amir 1983b, S. 122 – 124; Goodenough 1969, S. 128 ff. (insbes. 135– 136). Abr. 53: PCH Bd. 1, S. 108. Abr. 66: PCH Bd. 1, S. 111. Vgl. dazu überdies auch: Migr. 1– 2; Her. 69 – 74; Abr. 88.
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chen Erkenntnisstadien der vernunftbegabten Seele auslegt: Während Chaldäa für das gottlose pantheistische Weltbild stehe, das ausschließlich von der Einbildungskraft herrühre,²²¹ symbolisiere Harran Sinneswahrnehmung und Selbsterkenntnis der Menschenseele;²²² erst die Ankunft im Land Kanaan versinnbildliche die göttliche Weisheit und Gotteserkenntnis, wodurch die Einzelseele ihren solipsistischen Zustand der Selbsterkenntnis zu überwinden vermag.²²³ Auch die konstituierende Geschichte der Opferung Isaaks legt Philon analog aus, indem er unter der Abraham-Gestalt die Geistseele versteht, die das symbolhafte Opfer der selbstgelehrten Tugend/Weisheit für Gott darbringt.²²⁴ Allerdings ist diese Ähnlichkeit mit einigem Vorbehalt zu betrachten, denn diese allegorische Sichtweise dürfte beispielsweise gleichermaßen von der geistigen Darstellungsweise der Erzväter in Klopstocks Heldenepos Der Messias beeinflusst sein. Dort schildert er die Väter der israelitischen Nation ebenfalls durchgängig als Seelen.²²⁵ Auf ebendiesen allegorischen Aspekt von Klopstocks Werk geht Hegel in den ästhetischen Vorlesungen mit der kritischen Bemerkung ein, die Erzväter seien historische Figuren und nicht etwa als immaterielle Seelenwesen wahrzunehmen: „Ebenso sind die Erzväter nur historische Personen. Mars, Apollo: der Krieg, das Wissen, dies sind bleibende, wesentliche Mächte. Im Klopstock sind also bloße Erdichtungen, die ernsthaft genommen sind, obgleich sie keinen ernsten Gehalt haben.“²²⁶ Auch in Bezug auf Hegels Bild von Abraham als Beispiel eines realitätsfernen Fremdlings²²⁷ ließe sich folgern, Hegel stütze sich in dieser Hinsicht auf Philons in Her. 267 dargelegte Auffassung des Abraham als Fremdling in der gesamten sinnenfälligen Sphäre: „Zuerst daß Gott dem Freunde der Tugend nicht gestattet in dem Körper wie im Heimatlande zu wohnen, sondern daß er von ihm verlangt,
Migr. 176 – 186. Migr. 187– 197; Somn. 1.41 ff.; Abr. 72. Migr. 198 – 225. Migr. 140: PCH Bd. 5, S. 189: „Denn dann wird er den geliebten Sohn opfern, nicht einen Menschen – denn der Weise ist kein Kindesmörder –, sondern die männliche Frucht einer tugendhaften Seele, die als Frucht in ihr aufblühte […].“ Siehe dazu: Deus 4; Fug. 166 – 167. Klopstock 1751– 1773, Bd. 1, S. 50, 53; Bd. 2, S. 109, 117, 210, 253; Bd. 3, S. 11. Vorl. Bd. 2, S. 295. Vgl. TWA Bd. 15, S. 372. TWA Bd. 1, S. 287: „Er war ein Fremdling auf Erden, wie gegen [den] Boden, so auch gegen die Menschen, unter denen er immer ein Fremder war und blieb; von ihnen [aber] nicht so entfernt und unabhängig, daß er gar nichts von ihnen zu wissen gebraucht, gar nichts mit ihnen zu tun gehabt hätte […].“ Vgl. TWA Bd. 1, S. 279
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
darin wie ein Fremdling im fremdlichen Lande zu weilen [πρῶτον μέν, ὅτι τῷ φιλαρέτῳ κατοικεῖν οὐ δίδωσιν ὁ θεὸς ὡς ἐν οἰκείᾳ γῇ τῷ σώματι, ἀλλὰ παροικεῖν ὡς ἐν ἀλλοδαπῇ μόνον ἐπιτρέπει χώρᾳ] [Hervorh. i. Orig.].“²²⁸ Letztendlich liegt es jedoch wesentlich näher, dass Hegel mit diesem Topos auf Hebr 11,9 anspielt. In diesem hält Paulus über Abraham fest, „[d]urch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande als in einem fremden [Πίστει παρῴκησεν εἰς γῆν τῆς ἐπαγγελίας ὡς ἀλλοτρίαν]“.²²⁹ 2) Hegels Behandlung der jüdischen Gotteslehre in den Frühschriften zeigt ebenfalls eine Affinität zu Philons jüdisch-mittelplatonischem Gotteskonzept als das Absolute, worauf Halfwassen aufmerksam macht. In seinem Werk zu Hegels Neuplatonismus-Rezeption argumentiert er, „[a]lle Bestimmungen, durch die Hegel in Frankfurt das Absolute denkt: reines Leben, reines Sein, Geist, das ursprüngliche Eine und in sich Einfache, das zugleich das unzerteilte Ganze des Seins ist, entsprechen fundamental dem Gottesbegriff des mittleren Platonismus“.²³⁰ Insbesondere erwähnt er – neben Numenios und Plutarch – namentlich Philon und greift alsdann dessen jedwedem Prädikat entzogenen Gottesbegriff näher auf: „Zu dem Gottesbegriff der Mittelplatoniker gehört weiter eine negative Theologie, die am deutlichsten und konsequentesten von Philon artikuliert wird […] [Hervorh. i. Orig.].“²³¹ Die jüdische Gottesvorstellung charakterisiert Hegel vorrangig als ein Fremdwesen, zu dem das gläubige Individuum aufgrund ihrer unnahbaren Überweltlichkeit keinerlei affirmative Beziehung herstellen könne, sondern ausschließlich ein negatives Herrschaft-Knechtschaft-Verhältnis: „Die Wurzel des Judentums ist das Objektive, d. h. der Dienst, die Knechtschaft eines Fremden.“²³² Zunächst stellt sich jedoch die Frage, wie Hegel dieses alttestamentliche Fremdwesen in seinen theologischen Frühschriften, insbesondere in Geist des Christentums und sein Schicksal, frei von seinen negativen Werturteilen rein metaphysisch konzipiert. Mit der dem jüdischen Gott zukommenden Wesensbestimmung des Fremdseins gibt Hegel zu erkennen, dass darunter grundsätzlich Gottes Unfassbarkeit zu verstehen sei.²³³ Seiner Darstellung des jüdischen Gottesbegriffes scheint die Denkstruktur der negativen Theologie zugrunde zu liegen:
Zum Motiv des Fremdseins von Abrahams Seele vom physischen Kosmos und eigenen Leib siehe zudem: Her. 82; Her. 277; Conf. 78 – 79; Agr. 65; Cher. 121. In Hinblick auf das Fremdsein des Moses siehe: Virt. 76; Conf. 81– 82. Siehe weiterführend: Weiß 1991, S. 584 (bes. Fn. 9). Halfwassen 1999, S. 56. Halfwassen 1999, S. 61– 62. Siehe im Allgemeinen: Halfwassen 1999, S. 59 – 60. TWA Bd. 1, S. 298. TWA Bd. 1, S. 430: „[…] Äußerung eines unsichtbaren und an sich unerkennbaren Lebens.“
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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Im Judentum werde, so deutet Hegel an, Gott als eine reine Einheit vorgestellt,²³⁴ die „jenseits [aller] Bestimmtheiten“ liege,²³⁵ woraus zu folgern sei, diese sei auch unsichtbar,²³⁶ gestaltlos,²³⁷ unwandelbar,²³⁸ unendlich,²³⁹ unnennbar²⁴⁰ und von allem unabhängig.²⁴¹ Diese negativ-theologische Gottesvorstellung vom ganzheitlichen, gleichbleibenden Einheitsgrund vertrete der jüdische Gesetzgeber, der ebenfalls wie Abraham „jene unendliche Einheit wieder fest ins Auge gefast hatte“.²⁴² Hegel stellt sogar Moses’ geistige „Erhebung“ zu Gott als eine reine erhabene Einheit dar, die dieser daraufhin als Alleinherrscher für das israelitische Volk politisch umgestaltet habe: „Die Einheit, zu der sich ein Moses, ein Abraham erhoben hatte, war es nicht für die Zeitgenossen Mosis, und dieser gab sie ihnen als einen Herrscher, und die Gesetze die er ihnen auflegte, waren ein Joch.“²⁴³ Analog dazu sieht Hegel auch den Grund für Abrahams Fremdheit und Weltverachtung zuvorderst in seinem Glaubensideal an den abstrakten „Judengott“ als erhabenen Einheitsgrund und inkommensurables Seinsganzes angelegt, denn gemessen mit Gottes Totalität erscheine alles außerhalb seiner Natur unwesentlich und demnach nichtig: Dies Hinausblicken über das Gegenwärtige, diese Reflexion auf ein Ganzes des Daseyns zu welchem Ganzen auch die Nachkommenschaft gehörte charakterisirt das Leben Abrahams […]. im Glauben an das Ganze, jedes einzele aufopfert, sich davon losreist […] sein einziger Sohn, als etwas heterogenes als die reine Einheit stöhrend als ihr ungetreu in Liebe zu demselben […]. Ein höheres, grösseres Objekt sehen wir nirgend in seinem Leben, der feste Glauben an diese Einheit unter allem Wechsel der Mannichfaltigkeit der Begebenheiten war | sein Glauben an die Gottheit. (GW Bd. 2, S. 30)²⁴⁴
Abraham scheint für Hegel also als derjenige zu gelten, der erstmalig vom metaphysischen Leitgedanken eines geistlosen Einheitsgrundes in Form der Seinstotalität ausgegangen ist. Dadurch ist eine einschneidende Unterscheidung zwischen der sinnenfälligen Weltvielfältigkeit und dem strikt einheitlichen Gott
TWA Bd. 1, S. 278, 280, 286, 295, 404; GW Bd. 2, S. 38 – 39. TWA Bd. 1, S. 430, 371. TWA Bd. 1, S. 283, 284, 299, 303, 423, 430. TWA Bd. 1, S. 404, 423. GW Bd. 2, S. 30. TWA Bd. 1, S. 280, 283, 292, 308, 370, 371, 413, 431. GW Bd. 2, S. 20: „– der Unsichtbarkeit des jüdischen Gottes, Unnennbarkeit […].“ TWA Bd. 1, S. 245. GW Bd. 2, S. 39. Vgl. TWA Bd. 1, S. 286. GW Bd. 2, S. 39. Siehe dazu auch: GW Bd. 2, S. 31.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
zwingend geboten gewesen.²⁴⁵ Am eindeutigsten stellt Hegel den Sinn der negativen, bestimmungslosen Gottesauffassung der jüdischen Religion heraus, wenn er die geistige Einheit der christlichen Religion als Leben von der geist- und lebenslosen Einheit des Judentums andeutungsweise abhebt: Dies Einfache [sc. des Christentums] ist nicht ein negatives Einfaches, eine Einheit der Abstraktion (denn in der Einheit der Abstraktion ist entweder nur ein Bestimmtes gesetzt und von allen übrigen Bestimmtheiten abstrahiert, [oder] ihre reine Einheit ist nur die gesetzte Forderung der Abstraktion von allem Bestimmten; das negative Unbestimmte […]). (TWA Bd. 1, S. 371)
Von ebendiesen Bestimmungen einer negativen Theologie macht Philon oftmals Gebrauch: Grundlegend ist für ihn in diesem Zusammenhang die Einheit Gottes,²⁴⁶ aus deren Negationen der Unsichtbarkeit (ἀόρατος),²⁴⁷ Gestaltlosigkeit (ἀνείδεος, ἄπλαστος, ἀτύπωτος), Unwandelbarkeit (ἄτρεπτος), Ewigkeit (ἄφθαρτος, ἀγένητος),²⁴⁸ Unnennbarkeit (ἄρρητος, ἀκατονόμαστος) und Unerkennbarkeit (ἀναφής, ἄγνωστος, ἀκατάληπτος, ἀπερινόητος) resultieren. Ähnlich wie Hegel schreibt auch Philon vorrangig den biblischen Leitfiguren Moses und Abraham den Glauben an Gott als einen negativ-theologisch konzipierten Absoluten zu. In Philons allegorischer Interpretation von Ex 33,13 – 20 steht beispielsweise Moses als völlig reiner, in die großen Mysterien eingeweihter νοῦς²⁴⁹ für den Inbegriff einer Geistesrichtung, die stets eine unmittelbare Schau
GW Bd. 2, S. 31: „Wie kam Abraham zu der Idee dieses Ganzen, dieser Einheit? Warum behielt er sich nicht selbst vor, seine Einheit zu retten? […] Den Boden, auf dem Abraham herumwanderte war eine unermesliche Ebene, der Himmel über ihm ein unendliches Gewölbe, sein Aufnehmen derselben, seine Reaktion gegen dieselbe muste ebenfalls groß und unendlich seyn […] und ihm [sc. dem sinnlichen Weltganzen] seine Gottheit entgegen setzen [musste], die nun eine Vorsehung ist.“ Siehe hierzu beispielsweise: Praem. 46; Spec. 3.180; Leg. 1.51. Hegel scheint eine Verbindung zwischen dem jüdischen Abbildungsverbot und Gottes Unsichtbarkeit herzustellen (GW Bd. 2, S. 20: „der Unsichtbarkeit des jüdischen Gottes […] Verbot ihn zu bilden“), eine Identifikation, die auch Philon in Legat. 290 in Hinblick auf den ἀόρατος θεός im Brief von Agrippa an Gaius gegen die Aufstellung einer Jupiterstatue im Jerusalemer Tempel vornimmt: „Gaius, mein Herr, dieses Heiligtum hat von Anfang an keiner Figur, von Menschenhand geschaffen, Einlaß gegeben, weil es der Sitz des wahren Gottes ist [τοῦ ἀληθοῦς εἶναι θεοῦ]. Denn der Maler und Bildhauer Werke sind Nachahmungen der sinnlich wahrnehmbaren Götter [ἔργα μιμήματα τῶν αἰσθητῶν θεῶν]. Den Unsichtbaren aber [τὸν δὲ ἀόρατον] zu malen oder zu formen, hielten unsere Vorfahren für gottlos.“ (PCH Bd. 7, S. 247) Siehe dazu: Mos. 2.65; Virt. 65, 204, 214; Her. 206. Vgl. dazu weitgehend Wolfson (1962, Bd. 1, S. 174) sowie Montes-Peral (1987, S. 115 – 121). Leg. 3.100 (τὰ μεγάλα μυστήρια).
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von Gott in seiner unzusammengesetzten Einheit anstrebe.²⁵⁰ In Virt. 215 stellt Philon z. B. dar, wie Abraham den theozentrischen Leitzweck verfolgt, „mit unverdrossenem Eifer an die Erforschung des Einen [zu gehen] [ἐπὶ τὴν τοῦ ἑνὸς ἀοκνοτάτῃ σπουδῇ ζήτησιν ᾔει]“.²⁵¹ Laut Philon sei Abraham weiterhin auf „den festen und unerschütterlichen Glauben an Gott“ als die „eine oberste Ursache“ gekommen, die als Einheitsprinzip „über die Welt und alles in ihr fürsorglich waltet“.²⁵² Ähnlich wie Hegel misst beispielsweise auch Philon in Mut. 54, von Gen 18,27 ausgehend, der Abraham-Figur durchweg die metaphysische Stellungnahme über die Menschennichtigkeit (ἀνθρωπίνη οὐδένεια) bei, die der israelitische Erzvater in der wesentlichen Unterscheidung zwischen dem wahrhaft existierenden Seienden als dem schlechthin Unwandelbaren (ἄτρεπτος, ἀμετάβλητος) und dem der Änderung (μεταβολή) unterliegenden Menschengeschlecht begründet sehe.²⁵³ Am Beispiel von Abrahams idealistischer Geisteshaltung, die Gott und dessen Willen kompromisslos in den Mittelpunkt seiner welthaften Existenz stellt, plädiert Philon, der diesen Aspekt in ähnlichem Kontext wie Hegel aufgreift, für seine eigene theozentrische Weltsicht in all ihrer Radikalität: Bin ich [sc. Abraham] nicht ein aus dem Vaterland Ausgewanderter? Nicht von der Verwandtschaft entfremdet? Nennen nicht alle die Ausgestoßenen und Verbannten hilflos und ehrlos? Allein du, Gebieter, bist mein Vaterland, meine Verwandtschaft, mein väterlicher Herd, meine Ehre und Freiheit, mein großer gepriesener und unentreißbarer Reichtum. (Her. 26 – 27: PCH Bd. 5, S. 229)²⁵⁴
Leg. 2.1– 3; Leg. 3.100 – 102; QG 4.8. PCH Bd. 2, S. 374. Auch in Abr. 119 – 132 geht Philon auf ebendieses Erkenntnisstreben von Abrahams in die göttlichen Geheimnisse eingeweihter Denkseele (Abr. 122) näher ein. Dort gelingt es dem israelitischen Stammvater, die einheitliche Natur Gottes ohne Hilfsmittel zu erschauen und somit zu dem metaphysischen Schluss zu kommen, außer dessen unzusammengesetzter Einheit existiere im Grundsatz nichts. Zum Einheitsmerkmal von Philons Gottesauffassung siehe weiterführend: Runia 1986, S. 435 – 436. Virt. 216: PCH Bd. 2, S. 374. Siehe dazu auch: Ebr. 94. PCH Bd. 6, S. 119: „Sollte er [sc. Abraham] nicht auf die göttlichen Versprechungen hin sich selbst erkennen und die Nichtigkeit des sterblichen Geschlechtes und hinfallen vor dem Stehenden zur Bezeugung der Meinung, die er über sich und Gott hatte, daß der eine am selben Orte stehend den absoluten Stand wahrt, nicht mittels der Beine – denn er ist nicht menschengestaltig –, sondern den Stand, der das Unwandelbare und Änderungslose andeutet, der andere aber, niemals am selben Platze fest gegründet, immer neuen Wandlungen unterliegt.“ Vgl. Her. 29 – 30 sowie Sacr. 55. Dazu: Runia 1990j, S. 11– 12; Runia 1990i [1988], S. 81; M. Freudenthal 1891, S. 10. Diese theozentrische Werteordnung sucht Philon des Weiteren auch ex negativo an Abrahams Gegenspieler Onan nachzuweisen, denn dieser symbolisiere den für sich selbst Erzeugenden, Abraham hingegen eine Denkseele, die im Gegensatz dazu ihre „Zeugung“ der Tugend (Isaak) für das wahrhaft Seiende geopfert habe: „Die also sind alle zu meiden, die nur für sich selbst zeugen, d. h. alle, die nur dem eigenen Nutzen nachjagen und die andern verachten, als ob
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Auch an diesem Punkt ist die anscheinend mögliche Verbindung zwischen Hegel und Philon letzten Endes mit einigem Vorbehalt anzunehmen. Mit dem unfassbaren Fremdwesen des Judentums nämlich kann Hegel gleichermaßen negativ auf Mendelssohns „geistige Vorstellung des unermesslich großen Erhabenen“ anspielen, die er mit den Psalmen und einem „allerhöchsten Wesen“ eng zu verzahnen sucht.²⁵⁵ Dieser Gesichtspunkt böte sich unter Berücksichtigung dessen umso mehr an, da Hegel am Ende seines Abschnittes „Der Geist des Judentums“ beispielsweise das traurige „Schicksal des jüdischen Volkes“ mit dem Macbeths vergleicht. Die Inspiration hierfür entstammt anscheinend Mendelssohns ästhetischem Aufsatz „Ueber das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften“: Dort ist bisweilen die Rede von Shakespeares tragischer Gestalt des Macbeth und den Schicksalen weiterer shakespearescher Figuren.²⁵⁶ Mendelssohn zieht in diesem Text sogar eine Parallele zwischen dem Drama Macbeth und der biblischen Erzählung von Joseph und seinen Brüdern.²⁵⁷ Entsprechend könnte ebenfalls die Einheit und Unerkennbarkeit, die Hegel der jüdischen Gottesvorstellung zuspricht, aus dem 15. Kapitel der Lebensgeschichte Maimons stammen.²⁵⁸ Dort sucht er das Judentum im Gegensatz zu den polytheistischen Religionen so zu definieren, dass diesem „die Einheit eines unbegreiflichen Gottes zum Grunde liegt“.²⁵⁹ 3) Insgesamt gemahnt Hegels biographische Schilderung des Lebens des israelitischen Stammvaters Abrahams – als dessen Charakteristikum er das „Hinausblikken über das Gegenwärtige, diese Reflexion auf ein Ganzes des Daseyns“ versteht – an die von Philon bei den Lebensbeschreibungen zentraler PentateuchFiguren verwendete Literaturform. Deutlich findet dies seinen Niederschlag in Philons De vita Moysis, denn dort geht es ihm ja in ähnlicher Weise darum, „[d]as Leben des Moses […] zu schildern, den einige den Gesetzgeber der Juden, andere den Dolmetsch heiliger Gesetze nennen, eines Mannes, der in jeder Beziehung der
sie nur für sich selbst da wären und nicht für so viele andere, für Vater, Mutter, Weib, Kinder, Vaterland und das Menschengeschlecht, Erkenntnisse, Tugenden, den Vater und Lenker des Alls.“ (Deus 19: PCH Bd. 5, S. 76) JubA Bd. 4, S. 20 – 62. Mendelssohn 1843, S. 321– 323, 328 – 330, 346. Auf diesen aufschlussreichen Punkt hat mich die italienische Hegelforscherin, Pisano, aufmerksam gemacht. Mendelssohn 1843, S. 323 – 324. Der Titel des 15. Kapitels lautet: „Kurze Darstellung der jüdischen Religion von ihrem Ursprung bis auf die neuesten Zeiten“. Hegel war von Maimons in „Lebensgeschichte“ gezeichnetem Spinoza-Bild stark beeinflusst. Dieses Werk besaß er in seiner Bibliothek: Schneider 2010, S. 104: Nr. 709 („Maimon’s Lebensgeschichte. 2 Bde. Berlin [1]792.“).Weiterführend dazu: Melamed 2004, S. 78 – 79, 92– 93. Maimon 1792, S. 157.
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grösste und vollkommenste Mensch war“.²⁶⁰ Am konkretesten lässt sich diese Affinität an einer Gegenüberstellung festmachen: Moses war zwar von Geburt ein Hebräer [Χαλδαῖος], wurde aber in Aegypten gebohren und erzogen, indem seine Vorfahren, bey einer langwierigen Hungersnoth, welche Babylon und die benachbarten Länder drückte, ihren Unterhalt zu suchen, sich mit Weib und Kind dahin, als in ein ebenes, tief gelegenes und an allem, was die menschliche Natur braucht, hauptsächlich an Getreide, sehr fruchtbares Land, gewandt hatten [Hervorh. d. Verf.]. (Mos. .: Philon , S. )
Abraham, in Chaldäa geboren, hatte schon in der Jugend mit seinem Vater ein Vaterland verlassen; nun riß er sich auch in den Ebenen Mesopotamiens vollends von seiner Familie los, um ein ganz selbständiger, unabhängiger Mann, selbst Oberhaupt zu sein, ohne beleidigt oder verstoßen zu sein, ohne den Schmerz, der nach einem Unrecht oder einer Grausamkeit das bleibende Bedürfnis der Liebe kundtut, die, zwar verletzt, aber nicht verloren, ein neues Vaterland aufsucht, um dort zu blühen und ihrer selbst froh zu werden [Hervorh. d. Verf.]. (TWA Bd. , S. )
Zu beachten bleibt hierbei jedoch, dass Hegel, von einer einzigen wichtigen Andeutung aus dem Jahr 1800 abgesehen, Philon in seiner Frankfurter Schaffenszeit weitgehend ungenannt lässt, wenngleich der alexandrinische Philosoph bisweilen im Hintergrund zu wirken scheint. Dieses „Verschweigen“ Philons rührt keinesfalls daher, dass Hegel mit dessen Gedankengut nicht vertraut gewesen wäre, sondern eher daher, dass er während seiner zu dieser Zeit hartnäckigen philosophischen Auseinandersetzung mit dem Judentum von anderen jüdischen Philosophen in ungleich stärkerem Maße geprägt scheint. Am deutlichsten zeigt sich dies am Beispiel der Wirkung von Mendelssohns Jerusalem auf Hegels frühes Judentumsbild. Die Annahme ist nicht abwegig, dass Hegel seine Leitthese über die jüdische Religionslehre aus Mendelssohns praxisorientiertem Judentumsverständnis schöpft und sich für seine apologetischen Zielsetzungen zu eigen macht.²⁶¹ Der Grund für dieses vermeintliche „Totschweigen“ scheint unerwarteterweise vielmehr in Hegels Hochschätzung von Philons „aufgehelltem“ Judentum zu liegen, da dieser schon zur vorchristlichen Zeitenwende das platonische Menschenbild als göttlichen Geist im Pentateuch systematisch erkannte. Philons jüdischer Platonismus nämlich widerspräche nämlich Hegels durchaus negativem Bild des Judentums in den Frühschriften. Angesichts dessen wird Hegels Tendenz nachvollziehbar, Philon schon dem bevorstehenden welthistorischen Moment des Christentums zuzuordnen.
Mos. 1.1: PCH Bd. 1, S. 221– 222. Siehe zu Hegels Abhängigkeitsverhältnis zu Mendelssohn weiterführend: Pisano 2016, S. 489 – 495.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
3.2.3 Philon als Quelle der Religion der Erhabenheit Hirschs Vorwurf gegen Hegels „nichtjüdisches“ Verständnis des Judentums, dem Philons „ägyptische“ Gotteslehre als Vorbild diene, richtet sich allerdings nicht gegen Hegels Frühschriften, sondern gegen das in den religionsphilosophischen Vorlesungen gezeichnete Judentumsbild. Bereits OʼRegan spitzt dieses von Hirsch postulierte Abhängigkeitsverhältnis zu Philon erheblich zu: Hegels späte Aufwertung des Judentums als der geistigen Religion der Erhabenheit – welche die gedankliche Kluft zwischen dem jüdischen und christlichen Gedankengut teilweise überbrücke – hänge mit Philons relativ hoher Stellung in Hegels Philosophiegeschichte und Religionsphilosophie zusammen: It is in Lectures on the Philosophy of Religion also that one finds an important evocation of Philo that reflects not so much Hegel’s concern to enlist Philo in a trinitarian rehabilitation of modern theology (which involves a correction of classical trinitarianism), but his interest in modifying his erstwhile highly negative construal of Judaism. This is especially to the fore in the 1827 Lectures, which mark something of a high-point of Hegel’s evaluation of Judaism (LPR 2 E 669 – 87; G 561– 79). In his revision of estimate, the gap lessens between Judaism and authentic Christianity [Hervorh. i. Orig.]. (OʼRegan 2008, S. 112)²⁶²
O’Regan deutet an, Hegel bediene sich in seiner vollentfalteten Interpretation des Judentums philonischer Topoi, um seine ursprüngliche, durchaus abqualifizierende Analyse der jüdischen Religionslehre als „die des Geistes“ fundamental umgestalten zu können, wenngleich wiederum „nur in ihrer Grundlage, nur auf ihrem eigentümlichen Boden, dem des Gedankens, gesetzt“.²⁶³ Aus diesem Grund ist genauer zu untersuchen, welche Motive in Hegels systematischer Analyse der jüdischen Religionsphilosophie auf Philons Gedankengebäude rückführbar sind. Während wir einige philonische Denkstrukturen in Hegels aus den 1790er Jahren stammender Auffassung des Judentums als der Religion der „Geistesknechtschaft“ ausmachen konnten – ohne es allerdings mit ausreichender Gewissheit belegen zu können –, lässt sich sein vollentwickeltes Gesamtbild der jüdischen Religionsphilosophie als philonisch bestimmen, wie im Folgenden zu zeigen ist. Damit wird unumwunden für die These argumentiert: Hegels aufwertende Wahrnehmung des Judentums als die Religion der Erhabenheit geht in erster Linie mit seinem im Kern wohlwollenden Philonverständnis einher. Ange Zu Hegels aufwertendem Judentumsverständnis als der Religion der Erhabenheit: Rotenstreich 1953, S. 49 ff.; Pöggeler 1974, S. 525, insbes. 544 („For the Jews (as also for other peoples of the Orient) God is the One. But he is no longer nature (e. g. no longer light, as with the ancient Persians), but rather Spirit“); Yovel 1998, S. 60 – 80. TWA Bd. 17, S. 51.
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sichts der Tatsache, dass Hegel bei seiner spekulativen Auslegung der jü dischen Philosophie Philon weitgehend ungenannt lässt, drängt sich eine Frage auf: Woraus resultiert diese Einschätzung der engen Verschränkung von Hegels Philonauffassung mit seinem späten Judentumsbild als der Religion der Erhabenheit? Die Antwort darauf lässt sich auf sieben Grundgedanken seiner Fassung der jüdischen Religionsphilosophie zurückführen, die mit typischen Denkstrukturen Philons übereinstimmen. Deren Grundlinien können folgendermaßen skizziert werden: (1) Die jüdische Gotteslehre als ein negativ-theologisch konzipierter Akosmismus, (2) die jüdische Gottesvorstellung als Geist vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Weisheitsbestimmung, (3) die Gottesattribute der jüdischen Religionsphilosophie, (4) das nur in Gedanken fassbare Gottesverhältnis, (5) die zwei Gottheiten des Judentums und seine platonische Schöpfungslehre, (6) der allegorische Sinn der Paradiesgeschichte sowie (7) das Bild des jüdischen Gesetzgebers. 1) Die jüdische Gotteslehre als ein negativ-theologisch konzipierter Akosmismus Auch in den religionsphilosophischen Vorlesungen versteht Hegel unter dem jüdischen Gottesbegriff zwar ein welttranszendentes Wesen, nicht mehr jedoch lediglich ein geistloses Fremdwesen, sondern ein entrücktes geistiges Absolutes, das er allerdings der unendlichen Subjektivität zuordnet.²⁶⁴ Vorab ist eine grundlegende Frage zu klären: die nach der Bedeutung des von Hegel verwendeten Erhabenheitsbegriffes. Auf dieses „orientalische“ Konzept der Erhabenheit, welches das jüdische Gotteskonzept hier charakterisiert, geht er gleich zu Beginn seiner Darstellung des Judentums als „die Weisheit von allem“ näher ein, wodurch „alles […] gesetzt [wird], aber“ in gleichem Maße „für ihn nur ein Äußerliches, Akzidentelles“ verbleibe, also als nicht existent.²⁶⁵ Die Natur des Geistes, die ihren Niederschlag in der Gott lediglich vordergründig zukommenden Weisheitsbestimmung findet, setze voraus, dass Gottes Wesen aus „konkreten, wahrhaften“ Inhalten in Form von „wirklichen Bestimmungen“ bestehe, welche die weltzugewandte Tätigkeit des Geistes („die Weise des Geistes“) artikuliere. Hegel greift deswegen kritisch auf die Trias der Prädikate des göttlichen Einen – Weisheit, Gü te und Gerechtigkeit – zurück, da diese Potenzen zwar Gottes vermittelnde Geisttätigkeit ausdrückten, sich aber letzten Endes nicht als „ihre eigene“, sondern, im Licht ihrer ontologischen Unselbständigkeit gegenüber Gott, vielmehr als eine abstrakte Tätigkeit des „negativen Verhältnisses“ erwiesen: als an sich unwirksame Instrumente, derer sich Gott in seinem unwesentlichen Weltbezug be-
TWA Bd. 17, S. 51. TWA Bd. 17, S. 46.
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diene.²⁶⁶ Gerade dies ist der rote Faden seiner spekulativen Auffassung der jüdischen Religionsphilosophie. Infolge seiner Ausschließlichkeit erhebe Gott einen ontologischen Absolutheitsanspruch: Die Subjektivität, die in sich Macht ist, ist unsinnlich; das Natürliche, Unmittelbare ist darin negiert […]. Diese für sich seiende Macht ist wesentlich Einer. […] da [sc. im Wesen des für sich seienden Einen] ist kein Vieles, kein Eins und das Andere. So ist der Eine schlechthin ausschließend, nicht einen Anderen neben ihm habend, nichts neben sich duldend, was Selbständigkeit hätte [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 46)²⁶⁷
Hegel spitzt diesen metaphysischen Kerngedanken dergestalt zu, dass sogar Gottes weltzugewandte Bestimmtheit als Weisheit, die sich wiederum in die weltschöpferische Güte und folglich in die ordnungsschaffende Gerechtigkeit entfalte, letztendlich ausschließlich auf einen unwesentlichen Aspekt („Äußeres“) der Innerlichkeit der alttestamentlichen Gottheit rückführbar sei. Mit einem Satz: Allem, was außerhalb Gottes unsinnlicher, einheitlicher Natur liege, komme kein wahrhaftes „Sein“ zu: Diese Bestimmtheit als Äußeres, Unmittelbares, als Bestimmtheit Gottes selbst ist seine absolute Macht, die Weisheit ist, deren nähere Momente die Güte und Gerechtigkeit sind. Die Güte ist, daß die Welt ist. Das Sein kommt ihr nicht zu; das Sein ist hier herabgesetzt zu einem Moment und ist nur ein Gesetztsein, Erschaffensein. Dieses Ur-Teilen ist die ewige Güte Gottes: das Unterschiedene hat kein Recht zu sein, es ist außer dem Einen, ein Mannigfaltiges und dadurch ein Beschränktes, Endliches, dessen Bestimmung ist, nicht zu sein; daß es aber ist, das ist die Güte Gottes; als Gesetztes vergeht es aber auch, ist nur Erscheinung. Das Sein, das wahrhaft Wirkliche ist nur Gott; das Sein außereinander, außer Gott, das hat keine Ansprüche [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 58) […] die innerste Natur des Subjekts ist noch unabhängig gesetzt von den Eigenschaften. […] Güte und Gerechtigkeit sind aber, obwohl sie den Unterschied enthalten, nicht als bleibende Bestimmung der Macht gefaßt, sondern die Macht ist selbst das Unbestimmte, d. h. gegen diese Unterschiede selbst mächtig: ihre Güte setzt sich in Gerechtigkeit über und umgekehrt.
Dazu systematisch siehe: E. Schmidt 1974, S. 139. Vgl. dazu: TWA Bd. 12, S. 241– 242 („Dieses große Prinzip ist aber in seiner weiteren Bestimmtheit das ausschließende Eine. Diese Religion muß notwendig das Moment der Ausschließung gewinnen, welches wesentlich darin besteht, daß nur das eine Volk den Einen erkennt und von ihm anerkannt wird.“). Hegels Gebrauch des Ausdruckes „Selbständigkeit“ legt nahe, dass er in diesem Punkt auf Salomon Maimons Spinoza-Darstellung angewiesen ist. Dort heißt es: „Diese einzige Substanz ist, nach ihm, nicht nur das einzige mögliche selbstständige (von einer äußern Ursache unabhängige) sondern auch das einzige für sich bestehende Wesen, dessen Arten (modos) (diese Attribute auf eine besondere Art eingeschränkt) alle, sogenannte, Wesen außer ihm sind [Hervorh. i. Orig.].“ (Maimon 1792, S. 153) Zur akosmistischen Tendenz der hegelschen Deutung der jüdischen Religion der Erhabenheit siehe weiterführend: Westerkamp 2009, S. 108– 111.
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Jede für sich gesetzt schlösse die andere aus; aber die Macht ist eben dieses, daß sie die Bestimmtheit nur aufhebt [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 60)²⁶⁸
Diese entschieden verallgemeinernde Behauptung über das metaphysische Gesamtbild der jüdischen Philosophie ist keinesfalls nur ein Sondermerkmal seiner religionsphilosophischen Deutung des Judentums. Diese findet ihren Ausdruck zudem sowohl in der Phänomenologie des Geistes als auch in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: Gott als Urlichtwesen schließe aufgrund seiner absoluten Erhabenheit ontologisch all seine Kräfte aus. Diese seien ja im Grunde „nur Attribute, die nicht zur Selbstständigkeit gedeihen […] nur Namen des vielnamigen Einen […] nur eigenen Willens entbehrende Boten seiner Macht, […] seine[…] verschwindenden Gestalten“, mit denen sich Gott wie „mit einem selbstlosen Schmucke [ankleidet]“. ²⁶⁹ Nahezu all seinen späten Auslegungen des Judentums als einer orientalischen Erhabenheitsreligion ist derselbe argumentative Ansatz eigen: Gottes Entrücktheit sei im akosmistischen Sinne nachzuvollziehen, denn sie negiere die Existenz der Natur: „Die Natur ist sich selbst äußerlich, sie ist das Gesetzte, sie ist erschaffen, und diese Vorstellung, daß Gott Herr und Schöpfer der Natur sei, bringt die Stellung Gottes als des Erhabenen herbei, indem die ganze Natur Gottes Schmuck und gleichsam zu seinem Dienste verwendet ist.“²⁷⁰ Mithin werde in diesem „jüdischen“ Erhabenheits-Bewusstsein das Getrenntsein des entrückten, unbedürftigen Unendlichen vom weltlichen und stark abhängigen Endlichen überspitzt, woraus letztendlich auch die ontologische Negation der sinnenfälligen Natur resultiere; diese nämlich sei lediglich Spur von Gottes überweltlichem Dasein in Form eines abstrakten, ordnungsstiftenden Geistprinzips.²⁷¹ Zunächst ist jedoch die Frage zu stellen, an welchem jüdischen Philosophen – wenn überhaupt – sich Hegel in Zusammenhang mit dem akosmistischen Weltbild der Religion der Erhabenheit orientiert. Philon, Spinoza und Mendelssohn erscheinen besonders naheliegend. Vgl. zu TWA Bd. 17, S. 65: „Dies ist die Erhabenheit, daß die Natur so ganz negiert, unterworfen vorübergehend vorgestellt wird.“ TWA Bd. 3, S. 506. Vgl. dazu TWA Bd. 13, S. 416 – 417. Zu Hegels Lesart der Psalmen in Zusammenhang mit seinem Verständnis des Judentums siehe: Pöggeler 1974, S. 545 – 546. TWA Bd. 12, S. 242. TWA Bd. 17, S. 47: „Da wird das Natürliche beherrscht von dieser freien Subjektivität [sc. vom göttlichen Geist], in der das Andere nur Ideelles ist, kein wahrhaftes Bestehen gegen die freie Subjektivität hat. Der Geist ist sich erhebend, erhoben über die Natürlichkeit, Endlichkeit […] seine Verklärung [sc. der Natur] besteht darin, daß es Zeichen ist des Geistigen, wobei in dieser Verklärung des physisch oder geistig Natürlichen das Natürliche selbst als Endliches gegenübersteht, als andere Seite zu jener Wesentlichkeit, jenem Substantiellen, dem Gott.“
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a) Den Akosmismus-Gedanken in Bezug auf den jüdischen Gott, den er am stärksten mit Spinozas immanentem und eben nicht entrücktem Gottesbegriff identifiziert, will Hegel eigentlich von dessen Substanzmetaphysik abheben. ²⁷² Gleichwohl ist auch nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass Salomon Maimons innovative Umdeutung von Spinozas „eher […] akosmische[m] System“,²⁷³ die Hegel sich in seiner eigenen Spinozakritik anverwandelt und infolgedessen andeutungsweise mit der gesamten jüdischen Weltsicht in Verbindung bringt,²⁷⁴ als allgemeiner Impuls für Hegels akosmistische Auslegung der jüdischen Erhabenheitsreligion gilt. b) Ob man von einem unmittelbaren Einfluss Mendelssohns auf Hegel ausgehen kann, ist schwieriger festzustellen. Die Wirkung von dessen bedeutender ästhetischer Abhandlung „Ueber das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften“ auf Hegels ästhetische Vorlesungen, insbesondere auf seinen Abschnitt über die jüdische „Kunst der Erhabenheit“ (!), ist zur Genüge belegt.²⁷⁵ Im dritten Teil seiner Einleitung zu den ästhetischen Vorlesungen, „Begriff des Kunstschönen“, übt er sogar harsche Kritik an Mendelssohns bloß an die Empfindung gebundener Bestimmung der ästhetischen Betrachtung.²⁷⁶ Was allerdings eindeutig für die Wirkung Mendelssohns auf Hegels Bild vom Judentum spricht, ist sein Verweis auf einen kurzen Textabschnitt aus dem antiken poetologischen Aufsatz „Über das Erhabene“ des Ps-Longinos, in dem dieser auf die jüdische Vorstellung der Schöpfung zu sprechen kommt: „‚Gott sprach: es werde Licht! Und es ward Licht’, führt schon Longin als ein allerdings schlagendes Beispiel der Erhabenheit an.“²⁷⁷ Longinos’ Text „Über das Erhabene“ TWA Bd. 17, S. 51: „Gott ist jetzt vielmehr gewußt als Einer, nicht als Eines wie im Pantheismus.“; sowie 59: „Güte und Gerechtigkeit sind nicht Momente der Substanz; in der Substanz sind diese Bestimmungen als seiend, ebenso unmittelbar als nicht seiend, – als werdend. Hier ist das Eine nicht als Substanz, sondern als der Eine, als Subjekt […] [Hervorh. i. Orig.].“ Maimon 1792, S. 154. TWA Bd. 8, S. 295 (Zusatz zu § 151). Siehe dazu weiterführend: Pisano 2016, S. 482 ff. TWA Bd. 13, S. 53 – 54: „Doch führte solche Untersuchung nicht weit, denn die Empfindung ist die unbestimmte dumpfe Region des Geistes; was empfunden wird, bleibt eingehüllt in der Form abstraktester einzelner Subjektivität, und deshalb sind auch die Unterschiede der Empfindung ganz abstrakte, keine Unterschiede der Sache selbst. […] Bei der Empfindung jedoch ist gerade diese inhaltslose Subjektivität nicht nur erhalten, sondern die Hauptsache, und darum fühlen sich die Menschen so gern.“ Wie Pisano treffend argumentiert, scheint Mendelssohns Lesart der Psalmen und des Buchs Hiob im Hintergrund von Hegels Aussagen zu stehen, wenn dieser beispielsweise zuweilen von der Erhabenheit „in der jüdischen Anschauung und deren heiligen Poesie“ spricht (TWA Bd. 13, S. 483) (Pisano 2016, S. 482 ff.). TWA Bd. 13, S. 361, 480, 483 – 485. Vgl. zur Parallelstelle in seiner Darstellung der jüdischen Erhabenheitsreligion: TWA Bd. 17, S. 65.
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durchzieht zudem wie ein roter Faden Mendelssohns „Betrachtungen über das Erhabene und das Naive in den schönen Wissenschaften“, und Mendelssohn bezieht sich sogar zweimal auf denselben Passus aus der Abhandlung „Vom Erhabenen“.²⁷⁸ Es lässt sich ferner ein akosmistischer Gedanke in Mendelssohns ästhetischem Aufsatz finden, wenn er in Hinblick auf „die vollkommene Vorstellung des wahren Erhabenen“ argumentiert: Diese beschäftig[e] […] die Kräfte unserer Seele dergestalt, daß alle Nebenbegriffe, die irgend mit demselben verknüpft sind, verschwinden müssen. […] Hieraus erhellt, daß sich kein übermäßiger Schmuck im Ausdrucke mit dem Erhabenen von der ersten Gattung verträgt. Die Erweiterung durch Nebenbegriffe ist unnatürlich, indem sie alle gleichsam in den dunkelsten Schatten zurückweisen müssen. (JubA Bd. 1, S. 196)
Allerdings fehlt es nicht nur an dogmatischem religionsphilosophischen „Grundstoff“, auf dessen Basis Hegel diese aufwertende metaphysische Deutung des Judentums hätte entwickeln können, sondern auch und erst recht an einer ausdrücklichen Berufung auf eine solche akosmistische und bei Mendelssohn nachweisbare Tendenz. Es sei daran erinnert, dass Mendelssohn ein solches Konzept einer dogmatischen „jüdischen Religionsphilosophie“ vehement ablehnte.²⁷⁹ „Nach den Begriffen des wahren Judentums“ hätten die Israeliten von Gott „keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten, keine allgemeine Vernunftsätze“ vermittelt bekommen, sondern allein eine praxisbezogene „göttliche Gesetzgebung“.²⁸⁰ Im gleichen Zug soll die Rolle Mendelssohns in Hegels religionsphilosophischem Verständnis des Judentums nicht gänzlich übergangen werden. Diese scheint darin begründet, dass er im Allgemeinen mit seinem innovativen Interpretationsansatz und Erhabenheitsbegriff von der Poesie der Psalmen Hegel zu dessen Auffassung der Religion der Erhabenheit inspiriert hat. c) Ganz anders verhält es sich allerdings bei Philon. Ebendiese akosmistische Neigung akzentuiert Hegel schließlich unter Berücksichtigung der All-EinheitsFormel εἷς καὶ τὸ πᾶν aus Leg. 1.44 deutlich durch die Feststellung, Philon betrachte
Diese Passage findet sich an folgender Stelle: Longinos 1738, S. 75. Die zwei Bezugnahmen kommen hier vor: JubA Bd. 1, S. 197, 211. Vgl. dazu Maimon 1792, S. 188. Darauf geht auch Pisano ein: 2016, S. 482, 487. Hierbei sei daran erinnert, dass Hegel in den 1824 gehaltenen religionsphilosophischen Vorlesungen in Zusammenhang mit der jüdischen Erhabenheitsreligion ebenfalls auf diese Schrift von Pseudo-Longinos (Dionysius) zurückgreift (siehe: Schneider 2010, S. 93, Nr. 419): Vorl. Bd. 4a, S. 332. Hierzu siehe weiterführend: Fritz 2011, S. 396 ff., 530 ff. Weiterführend dazu siehe: Guttmann 1985, S. 304. JubA Bd. 8, S. 157.
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„wie bei Parmenides“ Gott als die uneingeschränkte Seinsfülle.²⁸¹ Zu beachten ist zudem, dass Hegel auch auf Philons Tempelmetaphorik in Somn. 1.215, durch die dieser Gottes absolute Allgegenwärtigkeit und Seinserfüllung veranschaulicht, in seiner Einleitung zur enzyklopädischen Naturphilosophie anzuspielen scheint.²⁸² Hinzu kommt, dass Hegel sich in seinen 1819 gehaltenen Vorlesungen zur Philosophiegeschichte in seiner Philondeutung mit kritischer Absicht ausdrücklich auf Abr. 119 – 132 beruft. Aus dieser bekannten Stelle lässt sich leicht Philons akosmistische Geneigtheit herauslesen, die sich auf eine zentrale Pentateuch-Passage (Gen 18) stützt. Dort vertritt der alexandrinische Philosoph die These: Ausschließlich Gott als das wahre Seiende, repräsentiert durch die „Vorstellung von dem Einen“ (Abr. 122: ἑνὸς … φαντασίαν), habe Daseinsanspruch, seine zwei höchsten Kräfte, die gütige Schöpfer- und königliche Herrscherkraft hingegen, die eine Triasvorstellung erzeugten, seien nur als „Schatten“ wahrzunehmen, d. h. nur scheinhaft existent. Am Beispiel von Abr. 119 – 132 sucht nämlich Hegel, wie oben dargelegt, festzumachen, dass Philons Denken der Spekulation oftmals eher abgeneigt sei, denn dieser lehne dort Gottes Dreieinigkeits- zugunsten der Einheitsbestimmung ausdrücklich ab: „Dieses Bestreben des Denkens auch äußeren Gestalten höheren Sinn geben zu wollen, zeigt sich oft sehr kleinlich. ZB. Dem Abraham erscheinen erst 3 Engel, dann 1. Dies soll bedeuten, daß 1te Bewußtsein Gott in der Spaltung auffaßt, erst höher in der Einheit [(Ca): ‚hernach aber Gott‘].“²⁸³ Gerade in dieser metaphysischen Denkstruktur scheint die Leitidee zu liegen, die Hegels religionsphilosophische Fassung der akosmistischen Erhabenheitsreligion ausmacht: Im jüdischen Akosmismus sei Gott auch allein „das wahrhaft Wirkliche“, dem ausschließlich wesentliches Sein zukomme, während sogar seine „konkretesten“ Bestimmungen Weisheit, Güte und Gerechtigkeit, kraft derer er die Welt ins Dasein setzt und ordnet, am Ende demgegenüber als nicht existent zu betrachten seien. Allerdings ist Folgendes nicht zu ignorieren: Es fehlt die ausdrückliche Identifikation von Philons Abr. 119 – 132 mit der akosmistischen Grundhaltung der jüdischen Religion der Erhabenheit. Betrachtet man aber die Tatsache, dass Hegel, wie oben nachgewiesen, in seiner Einleitung zu den Vorlesungen über die Philosophiegeschichte aus dem Jahr 1819 ebendieses von Philon in Abr. 119 – 132 gezeichnete Gottesbild in seiner wesentlichen Verflechtung mit der akosmistischen Stellungnahme des Judentums wiedergibt, so liegt es nahe, dass Hegel sich am entscheidenden inhaltlichen Punkt seiner Charakterisierung der Erhabenheits-
TWA Bd. 19, S. 423. TWA Bd. 9, S. 23 (§ 246). GW Bd. 30,1, S. 127,6 – 10.
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religion in Wahrheit an Philons jüdischem Platonismus orientiert. Wegen seiner Wichtigkeit für die Zielsetzung dieser Arbeit wird dieses Schlüsselzitat in Gänze wiedergegeben: Wir müssen von diesen religiösen Vorstellungen diejenigen absondern, welche zwar erhabene Vorstellungen sind, aber die Bestimmungen als Eigenschaften Gottes ausdrücken. So in der jüdischen Religion sind Bestimmungen einem Subjecte zugeschrieben; das Substrat ist Eins, ist das feste Subject, und dieses hat Eigenschaften, das sind Besonderheiten, besondere Bestimmungen, aber jede als für sich, dem Subjecte nur anhängend; mit seinen Eigenschaften bleibt das Subject nicht für sich; der Verstand isolirt das Subject und macht die Eigenschaften äußerlich. | So ist jenes abstract, gehört nicht der speculativen Sphäre an. […] So sind hier nach der Weise des Verstandes Eigenschaften [sc. Gott als „Einer, gütig, gerecht“], nach Außen gehende Bestimmungen. (GW Bd. 30,1, S. 24,35 – 25,12)²⁸⁴
Hegels eigenartige Formulierung „das Substrat ist Eins“, die den Einheitscharakter der vordergründig trinitarischen Gottesvorstellung als „[e]iner, gü tig und gerecht“ darstellt, lässt kaum Zweifel daran bestehen, dass er damit den philonischen Originalwortlaut ἑνὸς ὑποκειμένου, also einziges Substrat der τριττὴ φαντασία, in Abr. 119 (oder Abr. 131), ins Deutsche übersetzt. Analog zu der aus demselben Jahr stammenden Abwertung von Philons Abr. 119 – 132 ist Hegel auch hier bestrebt, das Judentum als orientalische Erhabenheitsreligion undifferenziert als spekulationsfrei zu charakterisieren („gehört nicht der spekulativen Sphäre an“): Der jüdische Menschenverstand könne also die metaphysischen Vorzüge der göttlichen Bestimmungen insofern nicht nachvollziehen, als er sie abwertend für inexistent erklären müsse, wenn er sie auf Gottes bestimmungslose Einheit zurückführe. Hier ist die frappierende Nähe zu Philons Darstellung kaum zu übersehen, mit der dieser in Abr. 119 – 132 Abrahams Vernunftseele schildert, der es gelungen sei, Gott von seiner absoluten Einheit her zu begreifen, weil sie seine zwei Haupteigenschaften auf sein völlig einfaches Wesen reduzieren und mithin als nichtig einstufen konnte. Nicht ohne Grund ist bei Hegel in diesem Zusammenhang die Rede vom Verstand, denn er will dabei kritisch andeuten, dass die jüdische Philosophie im Kern deswegen der spekulativen Denkart nicht sonderlich zugetan sei, weil sie aus den göttlichen Bestimmungen nicht Gottes wahre Natur der konkreten Dreieinigkeit herausarbeitet und erkannt habe. Desselben Kritikpunktes bedient sich Hegel oftmals auch in seiner vollentfalteten religionsphilosophischen Interpretation der jüdischen Erhabenheitsreligion. In Hinblick auf Gottes Prädikate als seine akzidentielle „Beziehung auf die Welt“ behauptet Hegel polemisch, diese seien der jüdischen und antitrinitarischen Glaubenslehre zufolge „schlechte Un Vgl. Vorl. Bd. 6, S. 132– 133.
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terschiede, die sogleich zusammenfallen als Produkt eines Verstandes, der sie nicht kennt, nicht weiß, was er hat an diesen Unterschieden“.²⁸⁵ Dass dieses Zitat subtile kritische Untertöne gegen die antitrinitarische Weltsicht des noch dem einheitlichen Gottesbegriff verhafteten Judentums birgt, wird bei Betrachtung des Folgenden eindeutig: Hegel verwendet bei der christlichen Trinitätsbestimmung in seiner Religionsphilosophie beinahe dieselben Worte, wenn er die dem Christentum vorausgehenden „Völker und Einzelnen“ („jene Älteren“), die gedanklich unentfaltet die Dreieinigkeitsbestimmung artikulierten, – man denkt dabei fast unausweichlich an den bedeutendsten „Älteren“, Philon –²⁸⁶ kritisiert, weil sie „selbst nicht gewußt haben, was sie daran haben, nicht erkannt haben, daß sie das absolute Bewußtsein der Wahrheit enthalte“.²⁸⁷ Die „Älteren“ – an deren Beispiel etliche Theologiehistoriker die welthistorische Zentralstellung des Christentums abwegig mit dem trockenen geschichtlichen Argument relativieren wollen („verkleinern wollen“), „daß diese ihre Bestimmung schon älter sei und sie dieselbe da oder dort hergenommen habe“ – qualifizierten die spekulative metaphysische Bestimmung der Dreieinigkeit, so fährt Hegel fort, als „nur so unter anderen Bestimmungen und als Anderes“ ab.²⁸⁸ Umso wichtiger ist der fast identische und durchaus kritische Argumentationsgang, den er in den religionsphilosophischen Vorlesungen gegen den nichttrinitarischen Gottesbegriff des Judentums im Licht der dreifaltigen Vorstellung von Brahma als einem Subjekt („Einer unter drei Personen“) verwendet: Der jüdische Gott hingegen ist der Eine ausschließend, der keine anderen Götter neben ihm hat; hierdurch ist es, daß er nicht nur als das Ansich-, sondern auch als das Fürsichseiende, schlechthin Verzehrende bestimmt ist, als ein Subjekt mit zwar noch abstrakter, unentwickelt gesetzter, jedoch wahrhafter Unendlichkeit in sich. Seine Güte und seine Gerechtigkeit bleiben insofern auch nur Eigenschaften oder, wie die Hebräer sich mehr ausdrücken, Namen desselben, die nicht besondere Gestaltungen werden, – obgleich sie auch noch nicht zu dem Inhalt werden, wodurch die christliche Einheit Gottes allein die geistige ist. Der jüdische Gott kann deswegen die Bestimmung einer subjektiven Existenz im Selbstbewußtsein nicht erhalten, weil er vielmehr an ihm selbst Subjekt ist, für die Subjektivität daher nicht eines Anderen bedarf, in welchem er erst diese Bestimmung erhielte, aber damit, weil sie in einem Anderen wäre, auch nur eine subjektive Existenz hätte [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 16, S. 347– 348)
TWA Bd. 17, S. 58. In diesem Zusammenhang ist leicht nachvollziehbar, weswegen er danach auf Philons Denken als die zentrale Vorgestalt des Dreieinigkeitsdogmas zu sprechen kommt (TWA Bd. 17, S. 237– 238). TWA Bd. 17, S. 236 – 237 (Hervorh. i. Orig.). TWA Bd. 17, S. 236 – 237 (Hervorh. i. Orig.).
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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Hegel unterstellt also der metaphysischen Spekulationen abgeneigten Gotteslehre des Judentums, Gottes Wesen in seiner dialektischen Dreieinigkeitsform nicht folgerichtig begriffen zu haben, wenn sie Gott ausschließlich mit dem unentwickelten „Einen“ gleichsetze. Dessen Haupteigenschaften der Güte und Gerechtigkeit seien somit ontologisch ausgeschlossen und Gott folglich als akosmistisch konzipiert. Die obigen Ausführungen machen ersichtlich, dass nicht nur Hegels Aufwertung der jüdischen Glaubenslehre als geistige Religion eng mit seinem Philonverständnis verknüpft ist, sondern in höherem Maße auch seine abwertende Einschätzung ihrer einheitsmetaphysischen Grundtendenz. Hegel bedient sich ausgerechnet des aus seiner Sicht spekulationsfreien Elementes aus Abr. 119 – 132, worin Philon sich durch die eindeutige Zurückweisung der spekulativen Dreieinigkeitsbestimmung in Bezug auf Gottes Wesen als „sehr kleinlich“ erwiesen habe, um den „jüdischen“ Standpunkt undifferenziert als akosmistisch darzulegen. Dabei ist entscheidend, dass dieses negativ-theologische Prinzip nicht ein Motiv unter vielen ist, sondern nichts Geringeres als der Kern des metaphysischen Weltbilds von Hegels Fassung der jüdischen Religionsphilosophie. Vorrangig an Philons negativ-theologischem Gottesbegriff als absoluter Einheit festhaltend, der zur Vermeidung von Vielheit konzeptionsgemäß jedwedes Attribut strikt ausschließen müsse, kann Hegel auch seine Auffassung des jüdischen Erhabenheitsgedankens metaphysisch weiterspinnen, dem zufolge alle außerhalb von Gottes unzusammengesetzter Innerlichkeit liegende Bestimmtheit zu negieren sei. Es bleibt somit zu klären, welcher Platz in diesem Zusammenhang Philons negativ-theologischer Gotteslehre vor dem Hintergrund der Einflussnahme Spinozas und mehr noch Mendelssohns einzuräumen ist. Vor allem der Form nach scheint Spinoza, oder genauer: Maimons und Mendelssohns kritische Aufarbeitung von dessen pantheistischer Substanzmetaphysik²⁸⁹ Hegels akosmistische Auffassung des Judentums beeinflusst zu haben. Ohnehin war der polemische
Hegel scheint in dieser Hinsicht tatsächlich nicht nur von Maimons Lebensgeschichte beeinflusst, sondern auch im gleichen Maße von Mendelssohns Morgenstunden, wo er sich im 13. Abschnitt „Spinozismus. – Pantheismus. – Alles ist Eins und Eins ist Alles. – Widerlegung.“ (JubA Bd. 3.2, S. 104– 113) mit Spinozas akosmistischer Lehre von der All-Einheit (S. 217: „Alles ist Eins“) systematisch auseinandersetzt: „Der Spinozist hingegen behauptet: Es gebe nur eine Einzige unendliche Substanz; denn eine Substanz müsse für sich bestehen, keines andern Wesens zu seinem Daseyn bedürfen und also unabhängig seyn.“ (JubA Bd. 3.2, S. 105) Hegel nimmt sogar in seinen Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes expressis verbis anerkennenden Bezug auf Mendelssohns harsche und zugleich ausführliche Spinozakritik in den Morgenstunden: TWA Bd. 17, S. 530 – 531.
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Versuch, den spinozanischen Akosmismus mit der jüdischen Glaubenslehre in Verbindung zu bringen, keineswegs präzedenzlos, worauf Mendelssohn in seiner in Morgenstunden artikulierten Spinozakritik mit dem affirmativen Rückgriff auf Wachters 1699 in Amsterdam verfasstes Werk Spinozismus im Jüdenthumb. Oder die von dem heutigen Jüdenthumb und dessen Geheimen Kabbala Vergötterte Welt hinweist.²⁹⁰ Allerdings ist in Hegels Fassung der jüdischen Religionsphilosophie nicht von einer unpersönlichen, immanenten Substanz die Rede, sondern von einer unendlichen Subjektivität, die über mehrfache weltbezogene Mächte verfügt. Wenn man es recht betrachtet, scheint Mendelssohn mit seinem aus poetologischer Sicht gezeichneten Bild der Hebräischen Bibel für Hegels Wahrnehmung der jüdisch-orientalischen Erhabenheit von größerer Bedeutung zu sein. Dies wird deutlich, wenn man seine Rezension zu Lowths De sacra poesi Hebraeorum berücksichtigt.²⁹¹ Ähnlich wie in seiner Abhandlung „Ueber das Erhabene und Naive in den schönen Wissenschaften“, aber dort in ungleich stärkerem Maße, führt Mendelssohn seinen Lesern in dieser positiven Rezension stets vor Augen, wie das Bibelhebräische, am deutlichsten am Beispiel der Psalmen und des Buches Hiob, den Erhabenheitsgedanken oftmals betont: „Wir müssen hier abermals abbrechen, und einige Exempel einer ungemeinen Erhabenheit übergehen, die unser Verf. aus den Büchern Moses, aus den Psalmen und aus dem Hiob anführt.“²⁹² Ebendiese Schwerpunktlegung auf die Psalmen und auf das Buch Hiob unter dem Gesichtspunkt des Erhabenheits-Topos findet man bei Hegels Deutung der jüdischen Philosophie.²⁹³ Insbesondere der von Mendelssohn in der 16. Lektion erläuterte Erhabenheits-Typus des Bibelhebräischen hat anscheinend auf Hegels Darstellung der jüdischen Erhabenheitsreligion eingewirkt. Diese Erhabenheit, so führt Mendelssohn diesen Gedanken weiter, „entspring[e] entweder aus einer innern Hoheit der Seele […] oder aus dem heftigen Triebe eines von starken Leidenschaften bewegten Gemüthes“.²⁹⁴ In diesem thematischen Ab-
JubA Bd. 3.2, S. 104. Auch Maimon meint in seiner Lebensgeschichte das spinozanische System auf kabbalistisches Gedankengut zurückführen zu können: Maimon 1792, S. 165 – 166. Auf diesen aufschlussreichen Aspekt machte mich Libera Pisano aufmerksam: Siehe weiterführend dazu: Pisano 2016, S. 482 ff. Prägend könnte in diesem Zusammenhang auch die von Herder verfasste Schrift Vom Geist der ebräischen Poesie, die ebenfalls von Lowths Untersuchung zum poetischen Charakter des Bibelhebräischen beeinflusst war. Er bezieht sich auch oftmals auf den Erhabenheitsbegriff, auch mit Verweis auf Ps-Longinos, und beansprucht dabei, die jüdische Religion zu charakterisieren (Herder 1782– 1783, S. 50 – 51). Siehe dazu weiterführend: Schorch 2003, S. 67– 92. JubA Bd. 4, S. 40. TWA Bd. 17, S. 65, 69 – 70, 79, 83, 250. JubA Bd. 4, S. 39.
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schnitt kommt er sogar sowohl auf Ps-Longinos’ Rückbezug auf den Erhabenheitscharakter der in Genesis geschilderten Lichtschöpfung als auch auf verschiedene Gottesattribute zu sprechen, die ihren angemessenen Ausdruck vor allem in der bibelhebräischen Sprache fänden²⁹⁵ – „Die Macht Gottes, seine Gerechtigkeit, die Unendlichkeit seiner Gnade, und die unermeßliche Weisheit seiner Rathschlüsse […]“.²⁹⁶ Diese Elemente finden wiederum ihren Ausdruck mit entsprechenden Änderungen in Hegels Thematisierung der Erhabenheitsreligion.²⁹⁷ Allerdings ist das Ausmaß der mendelssohnschen Wirkung auf Hegels philosophische Auffassung der jüdischen Religion deutlich begrenzt, denn Mendelssohn zufolge sei „das echte Judentum“ vielmehr eine „geoffenbarte Gesetzgebung“,²⁹⁸ in der keinerlei Vernunftsätze überliefert worden seien. Diese Grundthese, die Mendelssohn systematisch in seinem Hauptwerk zur Bestimmung der jüdischen Religion Jerusalem vertritt, zeigt, dass Hegel von dessen Bild des Judentums in seiner Religionsphilosophie lediglich in begrenztem Maße Gebrauch machen konnte. Mendelssohns vor allem ästhetische Lesart der Hebräischen Bibel scheint vielmehr den Anhaltspunkt und Rahmen der hegelschen Interpretation des Judentums als Religion des erhabenen Einen auszumachen. Dort aber, wo Mendelssohn bei Hegels metaphysischer Judentumsauslegung nichts weiter beizutragen vermag, ergänzt Philon den Kerngedanken der jüdischen Philosophie inhaltlich. In seinen Philonausführungen, die Hegels Philonverständnis nachhaltig prägten, betont Buhle in besonders hohem Maße und auf durchaus kritische Weise die Erhabenheit von dessen jüdischer Gottheit: Bey seinen Begriffen von Gott verliert er sich übrigens oft in transcendenten Unsinn. Gott ist einfach; aber gleich wohl nicht das, was wir Einheit nennen; er ist selbst über die Einheit (nach unserem Begriffe) erhaben. Gott ist der Urgrund des Wahren, Guten und Schönen, aber über alle unsere Ideen hiervon. Er ist vollkommen, aber höher als die Vollkommenheit selbst. (Buhle 1799, S. 135– 136)
Die jüdische Gottesvorstellung sei zwar, so Hegel, in ihrer Entrücktheit akosmistisch zu verstehen; viel relevanter ist aber die daraus entspringende Kernfrage: Wie denn? Die konkrete Antwort darauf scheint er Philons dogmatischem Ver-
JubA Bd. 4, S. 39 – 40. Vgl. dazu Pisano 2016, S. 482– 483. Pisano nimmt auch Bezug auf dieses Mendelssohn-Zitat in Zusammenhang mit Hegels Bild des Judentums. Auch Hegels Schilderung des „Schmerz[es] aus den innersten Tiefen der Seele“ in den Psalmen (TWA Bd. 17, S. 78 – 79) scheint von Mendelssohns hierfür mehrfach angeführten Beispielen herzurühren (JubA Bd. 4, S. 40 – 43). JubA Bd. 8, S. 164.
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ständnis des Judentums als eine Art Philosophia perennis entnommen zu haben.²⁹⁹ 2) Die jüdische Gottesvorstellung als Geist vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Weisheitsbestimmung In der jüdischen Religion der Erhabenheit weist Hegel der Weisheit eine maßgebliche Rolle neben der absolut negativen Gottheit zu, nämlich dergestalt, dass jene als Gottes Wesensbestimmung und geistige Vermittlerinstanz fungiere: „Dieser Eine ist die Weisheit von allem; alles ist durch ihn gesetzt, aber für ihn nur ein Äußerliches, Akzidentelles. Dies ist die Erhabenheit des Einen, dieser Macht und weisen Macht.“³⁰⁰ Wegen ihrer konkreteren Natur im Vergleich zum völlig abstrakten Gott als einer Geistbestimmung kann hier erstmals in Zusammenhang mit dem Judentum überhaupt die Rede von einer geistigen Religion sein. Die Weisheit als „die geistige subjektive Einheit“ weise ferner auf Gottes affirmativen Totalitätscharakter hin, denn diese umfasse all seine „geistigen und sittlichen Mächte“.³⁰¹ Es sei gerade diese „geistige subjektive Einheit“, die „für uns [erst] den Namen Gottes [verdiene]“.³⁰² Allerdings könne, so fährt Hegel fort, von der Geistbestimmung lediglich mit dem Vorbehalt die Rede sein, das alttestamentliche Gottesbild gelte allein „fü r die Vorstellung als Geist, aber es ist noch nicht selbst wahrhaft Geist“.³⁰³ Bereits die erste durch das alttestamentliche Geistprinzip formulierte Bestimmung der jüdischen Gottesvorstellung als „die Weisheit von allem“ gemahnt an Philons bisweilen auf Gott angewendete Formel als der Geist von allem (ὁ τῶν ὅλων νοῦς): Der Nus des Alls aber hat das All geschaffen, der Schöpfer ist aber gewiß besser als seine Schöpfung [ὁ δὲ τῶν ὅλων νοῦς τὸ πᾶν γεγέννηκε, τὸ πεποιηκὸς δὲ τοῦ γενομένου κρεῖττον] […]. (Migr. 193: PCH Bd. 5, S. 204) Moses aber, der bis zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen und durch göttliche Offenbarungen über die meisten und wichtigsten Dinge der Natur belehrt worden ist, erkannte sehr wohl, dass in den existierenden Dingen das eine die wirkende Ursache, das
Weiterführend zu Philons philosophischem Programm als Philosophia perennis: Veltri 2009, S. 83ff. TWA Bd. 17, S. 45. TWA Bd. 17, S. 50. TWA Bd. 17, S. 50. TWA Bd. 17, S. 53.
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andere ein Leidendes sein muss, und dass jenes Wirkende der Geist des Weltganzen ist [καὶ ὅτι τὸ μὲν δραστήριον ὁ τῶν ὅλων νοῦς ἐστιν] […]. (Opif. 8: PCH Bd. 1, S. 29)³⁰⁴
Insgesamt jedoch will Hegel hier anscheinend viel mehr mit der jüdischen Weisheitsbestimmung erreichen, als durch sie Gott allein im Allgemeinen zu definieren. Um auf die besonderen Merkmale der jüdischen Weisheitsbestimmung näher einzugehen, nimmt er offenbar Bezug auf Aspekte von Philons Logoslehre. Diese Hypothese deutet Westerkamp an, wenn er behauptet, Hegel vermöge im Rekurs auf Philons Logosbegriff geradezu „das Eine auf das Andere auf dem Boden der ‚Religion der Erhabenheit‘ selbst zu vermitteln“.³⁰⁵ Für diese Sichtweise sprechen zwei grundlegende Analogien zwischen Philons Logos und Hegels Konzipierung der jüdischen Weisheit: a) Der Weisheit als Gottes selbst bestimmendes sowie „in sich reflektiertes“ Moment komme die Schöpferfunktion zu, mit der Gott als Geist „was […] tut und wirklich“ sei: In dem göttlichen Urteil „Gott ist die Weisheit“ ist enthalten sein Sichbestimmen, sein Urteilen, näher damit sein Erschaffen. Der Geist ist schlechthin sich in sich vermittelnd, das Tätige; diese Tätigkeit ist ein von sich Unterscheiden, Ur-Teilen (ursprüngliche Teilung). Die Welt ist das vom Geist Gesetzte, sie ist gemacht aus ihrem Nichts [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 54)³⁰⁶
Gottes absoluter Weisheit spricht Hegel also nicht nur die schöpfungsvermittelnde Potenz im Allgemeinen zu, sondern geht auf diese geistige Tätigkeit weiter ein, die er als eine „in sich vermittelnd[e]“ Ur-Teilung versteht. Dies erinnert stark an Philons Konzept von Gottes weltbildendem ὄργανον des λόγος τομεύς als der θεία σοφία aus Her. 133 – 166. Dort beschreibt er, wie Gott mittels des schneidenden Logos die intelligible und sinnlich wahrnehmbare Welt dichotomisch trenne. Diesen besonderen weltbegründenden Aspekt der philonischen Logoshypostase deutet Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen an, wenn er festhält, dieser göttliche Verstand in seiner weltschöpferischen und „in sich vermittelnde[n]“ Kraft „teil[e] sich nun in Ideen“.³⁰⁷ b) Die alttestamentliche Weisheit konzipiert Hegel als die absolute Macht, die als ein Einheitsprinzip („geistige Einheit“) alle sittlichen und wirklichkeitsge-
Zu dieser geistmetaphysischen Formel in Hinblick auf Gott siehe des Weiteren auch: Fug. 46 (νοῦς … ὁ τῶν συμπάντων); Leg. 1.18 (ὁ δὲ τοῦ παντὸς [νοῦς]); Leg. 3.29 (τοῦ τε τῶν ὅλων νοῦ, ὅς ἐστι θεός); Migr. 4 und 192 sowie Post. 41. Siehe weiterführend: Runia 2001, S. 116. Westerkamp 2009, S. 11. Vgl. dazu auch TWA Bd. 17, S. 50 – 51. TWA Bd. 19, S. 423.
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staltenden Mächte Gottes umfasse,³⁰⁸ eine zentrale Funktion, die auch Philon seinem Logos als Inbegriff aller göttlichen Kräfte zuweist.³⁰⁹ In Opif. 20 siedelt Philon beispielsweise die Ideenmannigfaltigkeit gänzlich im Logos an, die Ideen aber will er augenscheinlich mit Gottes wirksamen Kräften gleichsetzen.³¹⁰ Dies macht letztlich seine Absicht ersichtlich, die ἰδέα τῶν ἰδεῶν, den Logos, mit der noetischen Totalitätsstruktur aller θεῖαι δυνάμεις gleichzusetzen: „Der Begriff „Ort“ ist [dreifach] zu verstehen: […] [auf die zweite Art] als der göttliche Logos, den Gott selbst ganz und gar mit unkörperlichen Kräften ausgefüllt hat [κατὰ δεύτερον δὲ τρόπον ὁ θεῖος λόγος, ὃν ἐκπεπλήρωκεν ὅλον δι᾿ ὅλων ἀσωμάτοις δυνάμεσιν αὐτὸς ὁ θεός] […].“³¹¹ Dieses Argument lässt sich mit einem weiteren wichtigen Punkt zuspitzen: Hegel hält hinsichtlich Gottes Weisheitsbestimmung als sein weltzugewandtes „Äußeres“ sowie als intelligibler Einheitsgrund aller göttlichen Mächte fest, die „nähere[n] Momente“ der göttlichen Weisheit seien „die Güte und Gerechtigkeit“.³¹² Diese aus drei göttlichen Kräften konstruierte Vorstellung – worauf OʼRegan aufmerksam macht –³¹³, sei Philons Religionsphilosophie durchaus eigen. Die starke Affinität zu Philons aus ähnlichen Mächten bestehendem Trias-Muster lässt sich am deutlichsten am Beispiel von Cher. 27 festmachen. Dort postuliert Philon, Gottes „zwei oberste und erste Kräfte“, die weltschaffende ἀγαθότης und die ordnungsstiftende ἐξουσία des ὄντως ὄν, seien auf „ein Drittes“, „das beide zusammenführt und zwischen ihnen ver-
TWA Bd. 17, S. 50. Es liegt nahe, dass Hegel diese Bezeichnung der Kräfte des Seienden als „sittlich“ Buhles Ausführungen zu Philon entnommen hat, denn dort werden Gottes „unzählige relative Kräfte und Eigenschaften“ als die „moralischen“ bezeichnet (Buhle 1799, S. 121). Zum asymmetrischen Einheit-Vielheit-Verhältnis zwischen dem Logos und den göttlichen Kräften siehe auch: Fug. 101; Opif. 20. Siehe hierzu ebenfalls: Heinze 1872, S. 248 – 249 („Der Logos ist die höhere Einheit für die Kräfte, und wir haben schon vorher gesehen, dass ihn Gott mit den Kräften angefüllt hat“); Cohn 1912, S. 325; Dillon 1996, S. 164– 165; Zeller 1903, S. 418; Runia 1986, S. 447; Runia 2001, S. 133; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 184, 233, 237– 238. Spec. 1.329. Siehe dazu beispielsweise den Abschnitt aus Spec. 1.329, in dem Ideen und Kräften ausdrücklich gleichgestellt werden: „Aus ihr schuf ja Gott erst alles, nicht durch persönliche Berührung – denn es hätte sich für ihn, den Glücklichen und Seligen, nicht geziemt die unbegrenzte wirre Materie zu berühren –, vielmehr bediente er sich seiner unkörperlichen Kräfte, die richtig als Ideen bezeichnet werden, damit jede Art die ihr zukommende Gestalt erhalte.“ (PCH Bd. 2, S. 102) Dazu: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 218 ff.; Cohn 1912, S. 318; Bormann 1955, S. 37, 78 – 79; Zeller 1903, S. 411– 412; Horovitz 1900, S. 91, 94, 106 ff., Goodenough 1969, S. 203. Somn. 1.62: PCH Bd. 6, S. 186. Hier stütze ich mich auch teilweise auf den von Runia verfassten Kommentar zum De opificio mundi, der ebenso Bezug auf diesen Philon-Abschnitt nimmt, um den Logos als Einheitsprinzip von Gottes Kräften darzustellen: Runia 2001, S. 143. Dazu vor allem: E. Schmidt 1974, S. 139. OʼRegan 2008, S. 113.
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mittelt“, auf den θεῖος λόγος, zurückzuführen, „denn durch die Vernunft sei Gott sowohl Herrscher als gütiger (Vater)“.³¹⁴ Zu ergänzen ist: Für den Einfluss der philonischen Logostheologie auf Hegels Konzeption der jüdischen Geistbestimmung spricht die deutliche Tendenz, die ontologische Unterscheidung zwischen Gott und seiner weltabgewandten Weisheitshypostase einzuebnen, wiewohl letztendlich ausschließlich Gott wahrhafte Existenz zukomme. Ebendiese Grundneigung findet ihren Niederschlag durchweg auch in seinen Ausführungen zu Philon in Zusammenhang mit dessen Gott-LogosUnterscheidung, wenn er diese ebenfalls aufzuheben sucht und stattdessen für die Gott-Logos-Wesensverwandtschaft plädiert. Hegel scheint einfach den philonischen Logos und dessen metaphysische Funktionen durch die biblische Weisheitsentität ersetzen zu wollen, um Philons Geisthypostase unter dem Deckmantel der Weisheitsliteratur lediglich eine alttestamentliche „Färbung“ zu verleihen. Ohnedies war es zu Hegels Zeiten primär unter Bezugnahme auf Ebr. 31 durchaus geläufig, eine Nähe der personifizierten Weisheitsvorstellung der Weisheitsbücher zu Philons Logosbegriff anzunehmen, insbesondere auf der Grundlage von Spr 8,22 ff. Selbst in den religionsphilosophischen Vorlesungen kommt Hegel auf Philons Logos als die „σοφία, das Ersterschaffene, das aus dem Einen hervorgeht“, mehrmals zu sprechen.³¹⁵ 3) Die Gottesattribute der jüdischen Religionsphilosophie Außer der zentralen Weisheitsbestimmung zählt Hegel noch weitere metaphysische Bestimmungen zum jüdischen Gotteskonzept, die mit Philons Gottesauffassung assoziiert werden können. Hegel macht diesbezüglich wiederholt deut-
PCH Bd. 3, S. 179.Wichtig ist anzumerken, dass § 27 aus De Cherubim zu Hegels Zeiten eine oft erwähnte Stelle im Zusammenhang mit möglichen jüdischen Vorgestalten des Trinitätsdogmas war. Darauf deuten sowohl Corrodis Kritische Geschichte des Chiliasmus (43: „‚Der dritte, welche beyde [sc. Potenzen] vereiniget, ist der Logus.‘“) als auch Gfrörers Kritische Geschichte des Urchristenthums (1831, S. 121: „Philo hebt die Allmacht oft hervor, besonders in Verbindung mit der Weisheit, als der schöpferischen […].“) hin. Nicht auszuschließen ist zugleich die Möglichkeit, dass Hegel sich in diesem Punkt auf Mendelssohns Darstellung eines Gedichts aus dem Buch Hiob stützt, denn dort ist ebenfalls die Rede von einer ähnlichen Triadik der göttlichen Attribute: „Der Endzweck hingegen dieses Gedichts scheint zu seyn, die Menschen auf die Betrachtung zu führen, wie schwach, wie eingeschränkt und wie verkehrt ihr ganzes Wissen sei, und wie sie sich in allem der göttlichen Macht, Gerechtigkeit und Weisheit unterwerfen müßten.“ (JubA Bd. 4, S. 56) Vgl. dazu außerdem JubA Bd. 4, S. 39. Bei Mendelssohn findet man auch eine derartige Denkstruktur: Guttmann 1985, S. 305 („Sie alle müssen wir Gott in ihrer höchsten Vollkommenheit zuschreiben und gelangen so zu einem Begriff des allerhöchsten Wesens, der die höchste Vernunft, Weisheit, Gerechtigkeit, Gütigkeit und Barmherzigkeit in sich vereint.“). TWA Bd. 16, S. 345; Bd. 17, S. 239.
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lich, dass im Judentum unter „Gottes Eigenschaften“ nichts anderes als dessen „Beziehung auf die Welt“ zu verstehen sei.³¹⁶ Dann verknüpft er diesen Aspekt mit einer negativ-theologischen Grundhaltung, Gottes unsinnliches Wesen sei vor diesem Hintergrund als unfassbar zu qualifizieren: „Das sind, was man Eigenschaften, Beziehungen Gottes auf die Welt heißt, und es ist ein schlechter Ausdruck, wenn man sagt, daß wir nur von dieser Beziehung Gottes auf die Welt, nicht von ihm selbst wissen.“³¹⁷ Eine sehr ähnliche Meinung wird in Philons Denken mehrmals akzentuiert: In Deus 77 kommt er beispielsweise zu dem Schluss, „Gott verwende[…] die Kräfte in bezug auf sich ungemischt, in bezug auf die Schöpfung aber gemischt. Die ungemischten zu erfassen, ist nämlich einem sterblichen Wesen unmöglich“.³¹⁸ a) Hegels Gleichsetzung von Gottes Wesen mit der abstrakten Seinsbestimmung, „[d]as Sein, das wahrhafte Wirkliche ist nur Gott“, gemahnt unmittelbar an die Philons Philosophie wie ein roter Faden durchziehende Identifikation von Gott mit dem wahrhaften Seienden. Diese nimmt Philon bekanntermaßen auf Basis einer platonischen Exegese von Gottes namensoffenbarender Selbstvorstellung in Ex 3,14 LXX nahezu in all seinen Bibelallegoresen vor, u. a. durch die Gleichsetzung von Gott mit dem ὁ ὄντως ὤν/ὁ πρὸς ἀλήθειαν ὤν/τὸ ὄντως ὄν/τὸ πρὸς ἀλήθειαν ὄν/μόνος γὰρ πρὸς ἀλήθειαν ὤν.³¹⁹ b) Bei genauer Betrachtung ähnelt auch Hegels Auffassung von Gottes Güte Philons θεία δύναμις der ἀγαθότης in viererlei Hinsicht: (i) In seiner Kosmologie fasst Philon die Güte ebenfalls wie Hegel – „die Welt [ist] entstanden aus der absoluten Fülle der Macht des Guten“³²⁰ – durchgehend als Gottes weltschöpferische Macht auf (Opif. 21: δύναμις … κοσμοποιητικὴ), die er oftmals als dessen oberste Potenz einstuft.³²¹ (ii) Hegel führt Gottes ursprünglichen Ansporn, die Welt ins Dasein zu rufen, auf dessen „Macht des Guten“ zurück: „Die Güte ist, daß die Welt ist. […]; daß es [sc. das Unterschiedene] aber ist, das ist die Güte Gottes [Hervorh. i. Orig.].“³²² Auch Philon sieht, von Platons Tim. 29e1 ausgehend,³²³ Gottes Urmotivation zur Schöpfung der Welt in seiner Gewalt der Güte verankert:
TWA Bd. 17, S. 57– 58. TWA Bd. 17, S. 58. Siehe zur Übersinnlichkeit der jüdischen Gottesauffassung: TWA Bd. 12, S. 242 und 398 – 399. PCH Bd. 4, S. 89. Vgl. zu TWA Bd. 17, S. 55: „Nur er ist das Sein, das Positive.“ In Bezug auf diese Bezeichnungen Philons für Gott stütze ich mich auf: Montes-Peral 1987, S. 40 ff. TWA Bd. 17, S. 54. Vgl. TWA Bd. 17, S. 58 – 59. Siehe beispielsweise dazu: Her. 166; Abr. 122; Sacr. 59; Spec. 4.187. TWA Bd. 17, S. 58. Vgl. TWA Bd. 17, S. 54.
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Denn wenn einer die Ursache [τὴν αἰτίαν] erforschen will, warum eigentlich dieses All geschaffen wurde, so scheint er mir das Ziel nicht zu verfehlen, wenn er behauptet – was übrigens auch schon einer der Alten gesagt hat [sc. Platon] –, gütig sei der Vater und Schöpfer [ἀγαθὸν εἶναι τὸν πατέρα καὶ ποιητήν]; deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht der Materie vorenthalten, die aus sich selbst nichts Edles hat, aber die Fähigkeit besitzt alles zu werden. (Opif. 21: PCH Bd. 1, S. 33 – 34)³²⁴
iii) Hegel gibt zu verstehen, die gewaltige Vielfalt der Welt entspringe „der absoluten Fülle der Macht des Guten“ als der geistigen Tätigkeit des „Ur-Teilens“: „Dieses Auseinandergehen, dessen Totalität die Welt ist, dieses Sein ist die Güte.“³²⁵ Philons Schöpfungslehre zufolge haben auf ähnliche Weise die „reichen und verschwenderischen Gaben der Natur“ ebenso ihren Ursprung in Gottes unerschöpflicher Güte und Gnade.³²⁶ (iv) Hegel unterstreicht, dass die jüdische Philosophie Gott ausschließlich mit der absoluten Güte gleichsetze, weshalb er dem Bösen vollends entgegensetzt sei.³²⁷ Philon wiederum setzt ebenfalls axiomatisch voraus, Gott als das wahrhaftige Gute könne ausschließlich als Urheber des Guten (Deus 87: αἴτησις ἀγαθῶν) gelten.³²⁸ c) Entsprechend komme Hegels Andeutung zufolge der göttlichen Gerechtigkeit, in der sich die Abhängigkeit der Welt von der unendlichen Subjektivität
Tim. 29e1: „[…] aus welchem Grund der Schöpfer das Werden und dieses All in Gang gesetzt hat. Er war gut [ἀγαθὸς ἦν] und in einem Guten erwächst niemals in irgendeiner Hinsicht Missgunst [φθόνος].“ Vgl. Deus 108. Zur göttlichen Güte als Begründung der Schöpfung siehe weitgehend: Runia 1986, S. 132 ff.; Horovitz 1900, S. 82– 83. TWA Bd. 17, S. 58 – 59. Opif. 21– 23. TWA Bd. 17, S. 74. Vgl. zu Det. 122, Mut. 155, Prob. 84 sowie QG 1.68. Auf diesem theologischen Grundsatz fußend sucht Philon beispielsweise auch die Problematik der Pluralform (ποιήσωμεν) aufzuheben, die mit Gott in Singularform (ὁ θεός) im Kontext der Erschaffung der zwiespältigen Menschennatur (Gen 1,26) verbunden ist. Er geht davon aus, die Mehrzahlform weise eigentlich auf Gottes vielfältige δυνάμεις hin: „Deshalb heisst es nur bei der Schöpfung des Menschen, dass Gott sprach: ‚lasst uns machen‘, was die Hinzuziehung anderer als Mitarbeiter andeutet, damit bei den tadellosen Entschlüssen und Taten des richtig handelnden Menschen Gott, der Lenker aller Dinge, als Urheber gelte, andere Wesen dagegen, die seine Untergegebenen sind, bei den entgegengesetzten; denn nicht durfte der Vater Urheber des Bösen für seine Kinder sein [ἔδει γὰρ ἀναίτιον εἶναι κακοῦ τὸν πατέρα τοῖς ἐκγόνοις] […].“ (Opif. 75: PCH Bd. 1, S. 53) In seiner Philondarstellung kommt Buhle auf den philonischen Gottesbegriff als „d[as] einzige[…] höchste[…] Gute“ zu sprechen (Buhle 1799, S. 122). Dazu weiterführend: Bormann 1955, S. 10, 49 – 51, 62; Runia 1986, S. 139; Runia 2001, S. 236 ff. Zu Gott als dem wahren Guten siehe weiterführend: MontesPeral 1987, S. 98 – 114. Vgl. dazu Mendelssohn: JubA Bd. 3.2, S. 60, 99. Guttmann erläutert diesen Aspekt: 1985, S. 306.
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(Gott) am deutlichsten manifestiere, die weltimmanente Sonderfunktion zu, der gesamten Welt eine naturgesetzliche und moralische Ordnung zu stiften: […] darin [in der göttlichen Gerechtigkeit] wird den endlichen Dingen ihr Recht angetan. […] die Welt soll sein, ebenso soll sie sich umwandeln, vergehen. Da ist die Gerechtigkeit als Bestimmung des Subjekts in seinem Sichunterscheiden von diesen seinen Bestimmungen, dieser seiner Welt. Schaffen, Erhalten und Vergehen fallen in der Vorstellung zeitlich auseinander, aber im Begriff sind sie wesentlich nur Momente eines Prozesses, nämlich des Prozesses der Macht [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 59.)
Dieses göttliche Attribut der Gerechtigkeit erinnert an die königliche Gewalt (βασιλικὴ δύναμις) bei Philon, mittels derer Gott über die Welt durch vernunftgemäße, unwandelbare Ordnung herrsche. Diese Herrscher-Potenz identifiziert Philon wiederum auch mit Gottes immerwährend ordnungsschaffender Gerechtigkeit.³²⁹ Auf die auffälligen Parallelen zwischen Hegel und Philon hinsichtlich ihrer Darstellung der einander ergänzenden Leitkräfte der jüdischen Gottesauffassung weist OʼRegan treffend hin: The correspondence [sc. zwischen Philons Denken und dem hegelschen Bild der jüdischen Philosophie] cuts deeper again when Hegel connects the power of goodness explicitly with creation, and the power of justice with the power of ordering. As is well known, in Philo goodness is identified as a creative power (poitike dynamis) and the power of judgment or regent power (basilike dynamis) with division and arrangement (Urteil, diachrisis). (OʼRegan 2008, S. 113)
d) In seiner religionsphilosophischen Analyse der indischen „Religion der Phantasie“ geht Hegel davon aus, Gottes ordnungsgebende Gewalt der Gerechtigkeit und seine weltkonstituierende Kraft der Güte würden „die Hebräer“ als „Namen desselben“ beurteilen.³³⁰ Eine ähnliche Vorstellung ist auch in den aggadischen Midraschim von GenRabba angelegt, wo von Middat ha-Din (Maß der Gerechtigkeit) und Middat ha-Rachamim (Maß der Barmherzigkeit) die Rede ist. In GenRabba 12,15 geht es hauptsächlich um die Begründung, warum die verflochtene Verwendung beider Gottesattribute der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit als unabdingbare Voraussetzung der Weltschöpfung sowie -harmonie gelte.³³¹ Ergänzend dazu identifiziert Rab Samuel bar Nachman in GenRabba 33,3 Gottes Barmherzigkeit
Mos. 2.99: σὺν δίκῃ; Spec. 1.14: κατὰ δίκην; Deus 79: δικαιοσύνην. TWA Bd. 16, S. 347. ומה. צונן הם מקריסין, אמר המלך אם אני נותן לתוכן חמין הם מתבקעין, למלך שהיו לו כוסות ריקים. ה’ אלהים הוי, אם בורא אני את העולם במדת הרחמים: כך אמר הקדוש ברוך הוא.עשה המלך? ערב חמין בצונן ונתן בהם ועמדו והלואי, הרי אני בורא אותו במדת הדין ובמדת הרחמים, במדת הדין היאך העולם יכול לעמוד?! אלא.חטייה סגיאין .יעמוד
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einerseits mit dem Tetragrammaton (JHWH), die Gerechtigkeit andererseits mit dem Gottesnamen Elohim.³³² Gleichwohl liegt es wesentlich näher, dass Hegel sich auch in diesem Punkt an Philons erheblich weiter verbreitetem Gedankengut orientiere, das von einer sehr ähnlichen Prämisse ausgeht. Philon identifiziert einerseits die königliche Herrschergewalt (δύναμις βασιλική) bzw. die ordnungsschaffende Gerechtigkeit (Deus 79: δικαιοσύνη)³³³ mit dem septuagintischen Gottesnamen κύριος und andererseits die schöpferische Potenz (δύναμις ποιητική) mit dem Gottesnamen θεός.³³⁴ e) Hegel bewertet Gottes Einzigkeitsmerkmal als den Leitgedanken der monotheistischen Glaubenslehre des Judentums: „Sie [sc. die Vorstellung] ist auch formell, aber unendlich wichtig, und es ist nicht zu verwundern, daß das jüdische Volk sich dies so hoch angerechnet hat; denn daß Gott Einer ist, ist die Wurzel der Subjektivität, der intellektuellen Welt, der Weg zur Wahrheit.“³³⁵ Aus Philons Sicht ist Gottes Einzigkeit ebenfalls tragend für die gesamte ἰουδαϊκὴ φιλοσοφία, weshalb er sie auch zum zweiten Glaubensartikel der mosaischen Kosmologie und damit nach Gottes Dasein erklärt: „Die zweite, dass Gott einzig ist, wegen der Vertreter der Vielgötterei, die so schamlos sind, die schlechteste der schlechten Staatsverfassungen, die Massenherrschaft, von der Erde in den Himmel zu verpflanzen.“³³⁶ Dass Hegel in Gottes Einzigkeitsbestimmung nichts Geringeres als „die Wurzel der Subjektivität, der intellektuellen Welt, Weg zur Wahrheit“ begründet sieht, könnte zugleich eine Anspielung auf Philons Opif. 35 sein, denn dort weise, so argumentiert Philon, die ἡμέρα μία aus Gen 1,5 nicht auf eine
בכל מקום שנאמר ה’ מדת.א"ר שמואל בר נחמני אוי להם לרשעים שהם הופכים מדת רחמים למדת הדין .[…] רחמים ]…[ אשריהם הצדיקים שהן הופכים מדת הדין למדת רחמים בכל מקום שנאמר אלהים הוא מדת הדין Siehe hierzu auch: Wolfson 1962, Bd. 1, S. 136; Cohn 1912, S. 317; Amir 1983h, S. 171– 172. An diesem Punkt orientiert sich die Studie größtenteils an Bormann: 1955, S. 49 ff. („Bei Philon ist θεός the Name der göttlichen Gutheit, in κύριος erkennt er die göttliche Gerechtigkeit. Die Gutheit Gottes erschöpft sich nicht darin, die Materie zu gestalten, sondern sie betätigt sich nach der Weltbildung weiter zum Segen der Geschöpfe.“) Vgl. dazu Spec. 1.14. Abr. 121: „Es ist aber […] der Vater des Weltalls der mittlere, der in den heiligen Schriften mit seinem eigentlichen Namen ‚der Seiende‘ genannt wird, auf beiden Seiten aber sind die höchsten und nächsten Kräfte des Seienden, die schöpferische und die regierende; die schöpferische heisst ‚Gott‘, denn mit dieser hat er das All (ins Dasein) gesetzt und eingerichtet, die regierende ‚Herr‘, denn es ist billig, dass der Schöpfer über das Geschöpf herrscht und regiert“ (PCH Bd. 1, S. 121– 122). Vgl. zu TWA Bd. 17, S. 92– 93: „Gott war als die substantielle Macht für den Gedanken bestimmt und als der Schöpfer; aber als dieser ist er zunächst nur der Herr seiner Geschöpfe. Die Macht ist so die Ursache, die sich teilt, das aber, worin sie sich teilt, nur beherrscht [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 17, S. 53. Opif. 171: PCH Bd. 1, S. 88.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Zeitbestimmung hin, sondern eher auf die „Einzigkeit der gedachten Welt, die die Natur der Einheit hat“.³³⁷ f) Sehr eng verwoben mit dem Einzigkeitsmerkmal der jüdischen Gottheit ist laut Hegel ihre zugrunde liegende „Einheitsbestimmung“: „Es ist die Einheit Gottes, daß das Bewusstsein von Gott als Einem ist.“ ³³⁸ Zweierlei sucht Hegel hier durch die Bestimmung der Einheit nachzuweisen: Erstens sei Gottes innerliches Wesen im Kern negativ, nämlich als „ein gestalt- und bildloses Wesen“ zu begreifen;³³⁹ demnach argumentiert er mit Hinweis auf „[d]iese Einheit Gottes“, denn „in dieser“ göttlichen Einheit sei „alle Äußerlichkeit, damit die Sinnlichkeit, sinnliche Gestaltung, Bild aufgehoben“. Hieraus kann er zweitens unmittelbar schlussfolgern, Gott sei „hier gestaltlos: nicht nach äußerlicher sinnlicher Gestalt[,] bildlos“, sondern auch, aufgrund seiner vorausgesetzten Abstraktheit ausschließlich „für den Gedanken“ vorhanden.³⁴⁰ Ergänzend zur Einheitsbestimmung, um den „absoluten Negativitätscharakter“ der aus seiner Sicht einseitigen Gottesvorstellung des Judentums darlegen zu können, spricht ihm Hegel noch eine ganze Reihe von „negativen“ Bestimmungen zu, und zwar (i) die Selbstidentität, (ii) die Unaufgeschlossenheit, (iii) die Ruhe und (iv) die Einsamkeit/das Alleinsein:³⁴¹ „Indem die Macht als absolute Negativität vorgestellt ist, so ist zuerst das Wesen, d. h. das mit sich Identische in seiner Ruhe, ewigen Stille und Verschlossenheit. Aber eben diese Einsamkeit in sich selbst ist nur ein Moment der Macht, nicht das Ganze [Hervorh. i. Orig.].“³⁴² Außer Gottes Existenz zählt auch Philon die Einheit in ihrer engen Verschränkung mit der Einzigkeit zu dessen zentralen Bestimmungen überhaupt. Die Anfangsparagraphen (§§ 1– 3) in Legum allegoriae II spitzen ihre Schlüsselstellung für den jüdischen Gottesbegriff deutlich zu:
PCH Bd. 1, S. 38. Vgl. dazu Guttmanns Beschreibung von Philons Gottesbegriff als „Grundprinzip einer übersinnlichen Wirklichkeit, die der sinnlichen Welt übergeordnet ist“ (1985, S. 35). TWA Bd. 17, S. 53: „Diese Bestimmung des Einen ist diese formelle Einheitsbestimmung.“ TWA Bd. 17, S. 51. Vgl. TWA Bd. 16, S. 86 („Der jüdische Gott ist die Einzigkeit, die selbst noch abstrakte Einheit bleibt, noch nicht in sich konkret ist. Dieser Gott ist zwar Gott im Geist, aber noch nicht als Geist, – ein Unsinnliches, Abstraktum des Gedankens, welches noch nicht die Erfüllung in sich hat, die es zum Geist macht [Hervorh. i. Orig.]“); Bd. 17, S. 53, 56. Indem Hegel hier davon ausgeht, die Einheitsbestimmung manifestiere Gottes „gestalt- und bildloses Wesen“, kann er argumentieren, die jüdische Philosophie vertrete einen negativ-theologischen Standpunkt, nach dem Gott in seiner reinen Einheit nicht als „das in sich selbst ewig sich Entwickelnde“ gelten könne und mithin letzten Endes eine „abstrakte Allgemeinheit“ bleibe (TWA Bd. 17, S. 71). TWA Bd. 17, S. 53. TWA Bd. 17, S. 51– 52. TWA Bd. 17, S. 54. TWA Bd. 17, S. 55.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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Weil es schön ist, meint er [sc. Moses], dass nur der Eine allein sei; der Eine aber, der für sich selbst eine Einheit bildet, ist Gott, und nichts ist Gott ähnlich […]. Gott ist allein und ein Einziges, keine Zusammensetzung, sondern ein einheitliches Wesen, während jeder von uns und jedes der übrigen entstandenen Wesen eine Vielheit bildet. […] Gott aber ist keine Zusammensetzung und besteht nicht aus mehreren Teilen, sondern ist unvermischt mit anderem. […] So entspricht also Gott der Einheit und dem Alleinsein, oder vielmehr das Alleinsein dem einzigen Gott […]. (PCH Bd. 3, S. 53 – 54)
Damit ist auch die höchste Zielsetzung des großangelegten Programmes des philonischen Denkens eingebettet: Gott, ohne Hilfsmittel, in seiner absoluten Einheit anzuschauen. Zieht man weiterhin in Erwägung, dass Hegel selbst auf dieses philonische Erkenntnisziel der vernunftbegabten Menschenseele, „dieses Eine […] Gott als solcher […] jene erste Einheit“ zu erfassen, eingeht,³⁴³ und dass er sich zugleich mit der Grundvoraussetzung von dessen negativer Theologie, Gott ausschließlich als die „Bestimmung des Einfachen“ vorauszusetzen, tiefgründig auseinandersetzt, so wird eine mögliche Abhängigkeit von Philon in dieser Hinsicht wesentlich plausibler. Auch die übrigen vier Eigenschaften, mit denen Hegel die Negativität der jüdischen Gottesauffassung darlegen will, legen dies nahe, denn sie lassen sich entweder auf Philons Gotteslehre oder auf deren Deutung durch Hegel zurückführen. (i) So hält beispielsweise Philon in Aet. 43 fest, die Selbstidentität komme Gott aufgrund seiner Unwandelbarkeit zu.³⁴⁴ (ii) In Post. 29 setzt er axiomatisch voraus, dass „Gottes Eigenschaft Ruhe und Stillstand ist [διὰ τί; ὅτι θεοῦ μὲν ἴδιον ἠρεμία καὶ στάσις], die der Schöpfung aber Veränderlichkeit und jede Bewegung“.³⁴⁵ (iii) Auch in Hinblick auf Gottes Alleinsein/Einsamkeit (τὸ μόνον) plädiert er unter allegorischem Hinweis auf Gen 2,18 dafür, Gottes „Alleinsein […] lässt sich auch so auffassen, dass weder vor der Weltentstehung etwas neben Gott war, noch, seit die Welt geworden ist“.³⁴⁶ (iv) Die negative Eigenschaft der Verschlossenheit/Unaufgeschlossenheit misst zwar Philon seinem eigenen Gotteskonzept nicht bei, ganz im Gegenteil, aber Hegel unterstellt diese in seiner Philosophiegeschichte Philons väterlicher Gottesvorstellung. Damit meint er den
TWA Bd. 19, S. 420 – 421, 424. PCH Bd. 7, S. 90: „Gott nämlich ist sich völlig gleich [ἴσος γὰρ αὐτὸς ἑαυτῷ καὶ ὅμοιος ὁ θεός]; weder erschlafft er, so daß er schlechter würde, noch strengt er sich an, so daß er besser würde.“ Bezüglich des göttlichen Gleichheitsprinzips (ἰσότης) siehe zudem weiterführend: Goodenough 1969, S. 64 ff. PCH Bd. 4, S. 29. Leg. 2.2: PCH Bd. 3, S. 53. Vgl. zur Stelle auch Opif. 151, wo Philon das Alleinsein des erst gebildeten Menschen in einem Symmetrieverhältnis mit Gottes Alleinsein darstellt, sowie Her. 127.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
negativen Charakter Gottes als der „Eine, […] Bestimmungslose in sich“ herauszuheben.³⁴⁷ Das negative Wesen der jüdischen Gottheit will Hegel auch unter Verwendung von neuplatonisch anmutender Lichtmetaphorik veranschaulichen, indem er diese in seinen Auslegungen des Judentums mit einem reinen Urlichtwesen gleichsetzt. Wiewohl Hegel in seiner Religionsphilosophie zu betonen pflegt, das jüdische Gottesbild als „das reine Eine“ manifestiere sich eigentlich in dessen geistiger Weisheitspotenz und eben nicht im sinnenfälligen Phänomen des Lichtes wie in der persischen Naturreligion,³⁴⁸ schildert er an relevanten Stellen seiner anderen Werke das jüdische Absolute doch als ein ungemischtes Lichtwesen: „[…] wir sahen es [sc. das abstrakte Geistige] bei den Persern zum Gegenstand desselben werden, jedoch in sinnlicher Anschauung, als das Licht. Das Licht aber ist nunmehr Jehova, das reine Eine.“³⁴⁹ Am ausführlichsten widmet sich Hegel dem im ersten Teil der Naturreligion in der Phänomenologie des Geistes. Dort beschreibt er das in den Psalmen durch Lichtmetaphern gezeichnete Gottesbild, primär in Anspielung auf Ps 104,³⁵⁰ als ein reines, überweltliches Lichtwesen, das dem Weltganzen kraft seiner zahlreichen Mittelmächte als „Anschauungen seiner Herrlichkeit“ Form stifte und dieses demnach ordnet.³⁵¹ In der Religion der Erhabenheit stellt Hegel den Gott des Judentums zwar nicht ausdrücklich als ein Lichtwesen dar, aber er scheint sich weiterhin auf diese Vorstellungen zu stützen, wenn er beispielsweise die aus Gott emanierende Welt – möglicherweise unter Berufung auf Ps 104,28 – 30 sowie 147,9 – als „Lichtwelt“ kennzeichnet.³⁵² Bedenkt man in diesem Zusammenhang, dass Hegel in seinen TWA Bd. 19, S. 422. TWA Bd. 17, S. 49. TWA Bd. 12, S. 241. Vgl. dazu: Westerkamp 2009, S. 116. Ps 104,2 (LU): „Licht ist dein Kleid, das du anhast; du breitest aus den Himmel wie einen Teppich […].“ TWA Bd. 3, S. 506: „Sie ist vermöge dieser Bestimmung [sc. die Gestalt der Gestaltlosigkeit] das reine, alles enthaltende und erfüllende Lichtwesen des Aufgangs, das sich in seiner formlosen Substantialität erhält. […] Der Unterschied, den es sich gibt, wuchert zwar in der Substanz des Daseins fort und gestaltet sich zu den Formen der Natur; aber die wesentliche Einfachheit seines Denkens [sc. des göttlichen Lichtwesens] schweift bestandlos und unverständig in ihnen [sc. in seinen unsichtbaren Kräften] umher, erweitert ihre Grenzen [sc. der Natur] zum Maßlosen und löst ihre zur Pracht gesteigerte Schönheit in ihrer Erhabenheit auf.“ Vgl. dazu TWA Bd. 13, S. 483 – 484. Zur Andeutung, Mendelssohn habe auf Hegels in der Phänomenologie des Geistes artikulierte Bild des Judentums mitgewirkt, siehe: Pisano 2016, S. 478. TWA Bd. 17, S. 65. Hegel ist in diesem Punkt zugleich deswegen von Mendelssohns poetologischem Verständnis der Hebräischen Bibel beeinflusst, weil dieser auch ebendiese Psalmversen mit Hinweis auf Ps-Longinos’ Thematisierung der Erhabenheit Gottes in Gen 1,3 aufgreift: JubA Bd. 4, S. 39.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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geschichtlichen Ausführungen zu Philon unter dessen Gotteskonzept vor allem ein orientalisches Urlichtwesen versteht, aus dem „der Inbegriff aller Ideen“ als intelligibler Gesamtkosmos, der Logos als dessen „Abglanz“ (ἀπαύγασμα), hervorgegangen sei,³⁵³ so erscheint es durchaus naheliegend, dass Philons durch platonische Lichtterminologie illustriertes Gottesbild Anhaltspunkt für diesen Aspekt von Hegels Erhabenheitsreligion ist.³⁵⁴ 4) Das nur in Gedanken fassbare Gottesverhältnis Hegel verdeutlicht, möglicherweise auch in Anspielung auf Ps 104,24,³⁵⁵ der gesamte Erschaffungszweck erschöpfe sich darin, dass die Menschen der in der Natur manifesten Weisheit Gottes innewerden: Die Zweckbestimmung ist hier als die wesentliche, daß Gott weise ist, zunächst weise in der Natur überhaupt. Die Natur ist sein Geschöpf, und er gibt darin seine Macht zu erkennen, aber nicht nur seine Macht, sondern auch seine Weisheit. […] Er manifestiert sich in der Natur, aber seine wesentliche Erscheinung ist, im Bewußtsein zu erscheinen […] [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 65)
Zweierlei gemahnt hier an Philons Gottesbeziehung: i) Philon bedient sich des Topos der göttlichen Weisheit innerhalb der Welt, den Hegel mit dem letzten Schöpfungszweck, im menschlichen „Bewußtsein zu erscheinen“, in Verbindung bringt: „Seine Weisheit bekundet er aber nicht allein durch die Schöpfung der Welt, sondern auch durch den Umstand, daß das Erkennen alles Geschaffenen bei ihm selbst am sichersten gegründet ist [τὴν δὲ σοφίαν αὐτοῦ διασυνίστησιν οὐ μόνον ἐκ τοῦ τὸν κόσμον δεδημιουργηκέναι, ἀλλὰ καὶ ἐκ τοῦ τὴν ἐπιστήμην τῶν γεγονότων ἱδρυκέναι βεβαιότατα].“³⁵⁶ In Deus 143 setzt Philon die in der Natur manifeste θεία σοφία mit dem Weg zur Gotteser-
GW Bd. 30,1, S. 127,18 – 19. Philon stellt sowohl Gott als auch die erst nach ihm ins Dasein gesetzte intelligible Sphäre – seinen Logos, die Hauptpotenzen und die Tugenden – oftmals als Lichterscheinungen in Gestalt von noetischen Lichtstrahlen (ἀκτῖνες νοητά) dar, die seinem Übermaß an Licht als ἥλιος νοητός entspringen. Siehe beispielsweise: Opif. 146; Leg. 4.123; Her. 307– 309; Plant. 40 sowie 50; Cher. 97. Zu diesem philonischen Motiv der Lichtemanations-Metaphorik: Heinze 1872, S. 289. Philon macht an verschiedenen Stellen seiner Religionsphilosophie durch Lichtmetaphysik deutlich, dass Gott in Gestalt eines reinen Lichtwesens als Zweck seiner selbst fungiere, indem er vermöge seines selbstbezüglichen Charakters sich selbst erschaue: „Gott aber hat schon vor allem Werden gesehen, indem er sich selbst als Licht gebrauchte [ἑώρα δὲ ὁ θεὸς καὶ πρὸ γενέσεως φωτὶ χρώμενος ἑαυτῷ].“ (Deus 58: PCH Bd. 4, S. 85 – 86; vgl. Cher. 97 sowie Migr. 40) „HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ Migr. 41: PCH Bd. 5, S. 164.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
kenntnis (ὁδὸς ἐπιστήμης θεοῦ) gleich, die er wiederum als Endzweck der Menschenseele ausweist: „Dieser Weg, wisse, ist die Weisheit; denn auf ihr, die breit und gangbar ist, dahinwandelnd gelangt der Geist bist zum Ziele; das Ziel des Weges aber ist das Erkennen und die Erkenntnis Gottes [τὸ δὲ τέρμα τῆς ὁδοῦ γνῶσίς ἐστι καὶ ἐπιστήμη θεοῦ].“³⁵⁷ Selbst in seiner systematischen Philondeutung stuft Hegel das „Wissen“ von Gottes Weisheit in Form der weltimmanenten Gesetzmäßigkeit als die von den Menschen gewonnene Gotteserkenntnis ein.³⁵⁸ ii) Auch das Motiv der rein geistigen Gottesbeziehung zu den Menschen („nur für den Gedanken“),³⁵⁹ das Hegel uns in diesem Zusammenhang wiederholt vor Augen führt, um die Abstraktheit des jüdischen Gottes als unendliche Subjektivität nachzuweisen, zeigt unmittelbare Affinität zu Philons Verständnis von Gottes Verhältnis zu den menschlichen Seelen, das auf ähnliche Weise ausschließlich über einen erkenntnistheoretischen Weg erfolgen könne. Philon spinnt diesen Gedanken von Gottes noetischer Kommunikation mit den Menschenseelen häufig unter Gebrauch von lichtmetaphysischer Terminologie weiter: Da sie [sc. die Therapeutinnen] mit ihr [sc. mit Gottes Weisheit] zusammen zu leben begehrten, kümmerten sie sich nicht um die Freuden des Körpers, weil sie nicht nach sterblicher, sondern nach unsterblicher Nachkommenschaft verlangten, welche allein die gottgeliebte Seele aus sich selbst hervorbringen kann, da der Vater intelligible Strahlen als Samen in sie eingehen ließ, durch welche sie die Lehrsätze der Weisheit betrachten kann [σπείραντος εἰς αὐτὴν ἀκτῖνας νοητὰς τοῦ πατρός, αἷς δυνήσεται θεωρεῖν τὰ σοφίας δόγματα]. (Contempl. 68: PCH Bd. 7, S. 65)³⁶⁰
Den konkretesten Niederschlag findet diese Denkfigur in Philons Allegorese zu Gen 18 über den Besuch der drei Engelsboten bei Abraham im Hain Mamre,³⁶¹ aus dem er eine intelligible Gottesoffenbarung in Abrahams Vernunftseele herausliest. Dieses tragende Element des philonischen Denkens, die innerseelische Gottesoffenbarung, deutet Hegel zu Beginn seiner aus dem Jahr 1819 stammenden Philondarstellung selbst an, indem er die zweifachen Gotteserscheinungen in Abrahams Bewusstsein aus Abr. 119 – 132 thematisiert: „das 1te Bewußtsein [fasst]
PCH Bd. 4, S. 103. Siehe dazu auch: Deus 160. Weiterführend: E. Schmidt 1974, S. 138 – 139. TWA Bd. 19, S. 424: „die selbstbewußten Wesen [sc. die Menschen] wissen aber auch von diesen Gesetzen, und das ist die Weisheit.“ TWA Bd. 17, S. 46, 47, 50, 51– 52, 74, 80, 81, 83, 92. Zur Veranschaulichung des Verhältnisses von Gott zu den Menschen durch platonische Lichtmetaphorik siehe ferner: Virt. 164; Somn. 1.114 und 1.116; Migr. 34– 35; Ebr. 44; QG 2.40; QG 4.1 und 4.4; QE 2.51. Siehe dazu: Zeller 1903, S. 415; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 50 – 51; Montes-Peral 1987, S. 38 – 39. Abr. 119 – 132; Sacr. 59 – 60; QG 4.2– 8, 4.30.
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Gott in der Spaltung auf[…]“, das zweite, weiterentwickelte Bewusstsein begreift „hernach aber Gott“ „erst höher in der Einheit“.³⁶² Sogar die sinaitische Offenbarung schätzt Philon allegorisch als eine innermenschliche Theophanie ein, bei der die Gottesstimme in die individuellen Denkseelen des israelitischen Volkes eingedrungen sei: „indem sie [sc. Gottes neugeschaffene Stimme] in der Seele eines jeden einen andern und weit kräftigeren Schall hervorrief“.³⁶³ Im Unterschied zu Hegel jedoch – der diesen Aspekt der „jüdischen“ Religionsphilosophie letztlich abwertend betrachtet, denn Gott werde dadurch ausschließlich von seiner abstrakten „unsinnliche[n] Substantialität“ her erfahren –³⁶⁴ sieht Philon Gottes übernatürliche Fähigkeit gerade darin begründet, dass er sich, unbeschadet seiner absoluten Transzendenz, im vernunftbegabten Seelenteil des Menschen immanent offenbaren könne. Folgendes steht dem entgegen: Naheliegend wäre gleichermaßen die Annahme, Hegel spiele damit auf den mendelssohnschen Erhabenheits-Typus des Althebräischen „das Erhabene in den Gedanken“ an, das „entweder aus einer innern Hoheit der Seele, und glücklichen Kühnheit, Begriffe zusammenzusetzen, oder aus dem heftigsten Triebe eines von starken Leidenschaften bewegten Gemüthes [entspringe]“.³⁶⁵ 5) Die zwei Gottheiten des Judentums im Spiegel seiner platonisch anmutenden Schöpfungslehre Die besondere Nähe von Hegels Darstellung der erschaffungsvermittelnden Weisheitshypostase des Judentums, die über geistige Teilungstätigkeit das Weltganze aus dem ununterschiedenen Materialprinzip bilde, zu Philons λόγος τομεύς als causa instrumentalis der Welterschaffung konnte bereits festgestellt werden. Weitere vier Aspekte, die sich Philons platonischer Schöpfungsspekulation annähern, verdienen in Zusammenhang mit Hegels religionsphilosophischer Fassung der jüdischen Schöpfungstheologie Aufmerksamkeit: a) Hegel geht in Übereinstimmung mit seiner Interpretation des Judentums als Religion der Erhabenheit, vor allem unter Berücksichtigung von Gen 1,3, Ps 33,6 – 9 und von Ps 104,28 – 30 sowie Ps 148,5, auf die Transzendenz des göttlichen Schöpfungsaktes näher ein:
GW Bd. 30,1, S. 127,8 – 10. Decal. 35: PCH Bd. 1, S. 378. TWA Bd. 16, S. 347. JubA Bd. 4, S. 39 – 40.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Diese Erhabenheit ist besonders der Charakter Gottes in Beziehung auf die natürlichen Dinge. Die Schriften des Alten Testaments werden deshalb gerühmt. „Gott sprach: es werde Licht, und es ward Licht.“ Es ist dies eine der erhabensten Stellen. Das Wort ist das Müheloseste; dieser Hauch ist hier zugleich das Licht, die Lichtwelt, die unendliche Ausgießung des Lichts; so wird das Licht herabgesetzt zu einem Worte, zu etwas so Vorübergehendem. (TWA Bd. 17, S. 65)³⁶⁶
Eines ist hierbei zur Genüge deutlich geworden: Mendelssohns Rückgriff auf PsLonginos’ Deutung von Gen 1,3 und sein so gewonnener Begriff des Erhabenen steht hier im Hintergrund.³⁶⁷ Allerdings spinnt Hegel den Gedanken hinter dieser Vorstellung der biblischen Lichtschöpfung weiter, wenn er den göttlichen Schöpfungsakt als „Lichtwelt“ bezeichnet. Ebendiese gedankliche Weiterentwicklung legt Hegels Abhängigkeit von Philon nahe. Dafür sprechen die folgenden Punkte: (i) Einen nahezu identischen Interpretationsansatz unter Hinweis auf Gen 1,3 sowie auf Ps 26,1 (Ps 27,1 LXX) verfolgt auch Philon in Somn. 1.75. Dort sucht er Gottes Transzendenz als Lichtwesen in Anbetracht seiner schöpferischen Sprechfähigkeit nachzuweisen, speziell hinsichtlich der Erschaffung des noetischen Lichts als Sinnbild des von Gott mit der Ideenganzheit erfüllten Logos: Das ist nun leicht auch auf andere Weise durch eine Überlegung einzusehen, da Gott zunächst Licht ist – „Denn der Herr ist mein Licht und mein Heil“ (Ps. 27, 1) wird in den Psalmen gesungen – und nicht nur Licht, sondern jedes anderen Vorbild, ja noch mehr: älter und höher als jedes Vorbild [ἀλλὰ καὶ παντὸς ἑτέρου φωτὸς ἀρχέτυπον, μᾶλλον δὲ παντὸς ἀρχετύπου πρεσβύτερον καὶ ἀνώτερον], weil es die Bedeutung eines Urbildes hat, denn das Urbild ist der von ihm ganz erfüllte Logos – „Es sprach“, heißt es nämlich, „Gott: es werde Licht“ […] –, er selbst aber ist keinem Geschöpfe ähnlich [τὸ μὲν γὰρ παράδειγμα ὁ πληρέστατος ἦν αὐτοῦ λόγος, φῶς—„εἶπε“ γάρ φησιν „ὁ θεός· γενέσθω φῶς,“—αὐτὸς δὲ οὐδενὶ τῶν γεγονότων ὅμοιος]. (PCH Bd. 6, S. 188 – 189)³⁶⁸
Zur Erläuterung des Konzepts „Wort“ in der jüdischen Tradition im Licht von Philons Logoslehre siehe: Bormann 1955, S. 80 ff. Zur absoluten Transzendenz der philonischen Gottesauffassung siehe auch: Leg. 1.263. JubA Bd. 1, S. 197, 211; Bd. 4, S. 39. Vgl. dazu die sich auf Psalmen beziehende Beschreibung des philonischen Logosbegriffes von Buhle, mit dessen Philondeutung Hegel gründlich vertraut war: „Gott sprach oder befahl. – Gott sandte den Logos in die Welt und wirkte durch diesen – Gott sandte eine seiner Eigenschaften ab, um seinen Willen auszurichten [Hervorh. i. Orig.].“ (Buhle 1799, S. 123) Weiterführend und aufschlussreich dazu ist Runia 2001, S. 168: „Here a distinction is made between God and his Logos, and the intelligible light created on day one is equated with the Logos (though light is not called intelligible in this text, it may be assumed). The difficulty of our present passage is that the intelligible light is called ‚image‘ (εἰκών) of the divine Logos. This is not easy to rhyme with the identification of the intelligible cosmos and the Logos as affirmed and proven in §§ 24– 25. It might be argued that light is but one part of the intelligible cosmos.“ Vgl. auch Opif. 31.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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Zwei übereinstimmende Elemente zwischen beiden biblischen Schöpfungsvorstellungen stechen hervor: Zum einen interpretieren Hegel und Philon gleichermaßen das am ersten Tag ins Dasein gerufene Licht in Gen 1,3 grundsätzlich als Schöpfung eines übersinnlichen Weltganzen. In Anspielung sowohl auf den lichtmetaphysischen Gedanken als auch auf die Ebenbildlichkeit des ursprünglichen Idealmenschen aus Gen 1,27 folgert Philon, das am ersten Tag erschaffene Licht sei mit Gottes Logos als Ideenkosmos allegorisch gleichzusetzen. Entsprechend legt auch Hegel das Licht durch Emanationsmetaphorik als abstrakte Lichtwelt aus. Zum anderen belegen beide im Rückbezug auf die über den göttlichen Sprechakt erfolgte Lichtschöpfung in Gen 1,3 Gottes Alleinstellungsmerkmal der Erhabenheit, das aus der ontologischen Schöpfer-Geschöpf-Asymmetrie resultiert. Bedeutend für diese Gegenüberstellung ist, dass Hegel fast denselben Passus über die jüdische Schöpfungslehre in seiner Philonauslegung aus Vorlesungen zur Philosophiegeschichte von 1820/21 selbst anführt, um die weltbegründende Wirksamkeit von Philons konkretem Rede-Logos (λόγος προφορικός) zu betonen: „Die intelligible Welt ist der λογος. Dies ist ein schöner Ausdruck, Vernunft, Verhältniß, Rede. Bei Moses heißt es so: Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht. Das Sprechen ist die einfachste Aeußerung des Geistigen, sinnlich und zugleich ein verschwindendes Sinnlich. – Das Wort Gottes hat […] erschaffen […].“³⁶⁹ Dieser Hintergrund legt nahe, dass Hegel auf Basis von Philons Sacr. 65, wo die göttliche Transzendenz mit der Jähheit seiner außerordentlichen Schöpfergewalt mittels des Sprechvermögens veranschaulicht wird,³⁷⁰ Gottes Erhabenheit im Judentum herausstellen will: Die Rede ist immer als Erscheinen Gottes angesehen worden, die Rede ist nicht körperlich; als Klang ist sie zeitlich und gleich verschwunden, das Dasein ist so immateriell. „Gott sprechend schuf er sogleich, nichts zwischen beide setzend“; das Geschaffene bleibt ein Ideelles wie die Rede. „Wenn man ein wahrhafteres Dogma angeben will, so ist der Logos das Werk Gottes.“ (TWA Bd. 19, S. 423 – 424)
An diesem Punkt scheint Hegels Lesart von Tennemanns Philon-Abschnitt beeinflusst zu sein. Dieser sieht wiederum den Keim von Philons „nach Außen wirkende[m]“ und „schöpfende[m] Logos“ in der „anthropomorphische[n] Vorstellung der Schöpfung durch das Reden Gottes“ aus Gen 1, in der „doch zugleich GW Bd. 30,1, S. 379,28 – 33. Vgl. zudem Mendelssohn: 1843, S. 310 („Wenn die Grenzen dieser Ausdehnung immer weiter hinausgesetzt werden, so können sie endlich für die Sinne ganz verschwinden […].“), 315. ὁ γὰρ θεὸς λέγων ἅμα ἐποίει, μηδὲν μεταξὺ ἀμφοῖν τιθείς· εἰ δὲ χρὴ δόγμα κινεῖν ἀληθέστερον, ὁ λόγος ἔργον ἦν αὐτοῦ. Vgl. Somn. 1.184.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
etwas Erhabenes liegt“.³⁷¹ Dass Hegel hier gleichzeitig Philons Konzept des RedeLogos im Sinn hat, bezeugt zudem seine Darstellung der jüdischen Schöpfungslehre im Abschnitt „Die Kunst der Erhabenheit“ in seinen Vorlesungen zur Ästhetik, in der er Gottes intelligiblen Schöpfungsakt als „geistige Macht und Tätigkeit“ als immaterielle, ätherische Wort-Äußerung erklärt.³⁷² b) Ferner geht Hegel davon aus, der Vorgang von Gottes ihm äußerlich gegenüberstehender „Produktion“ der Welt sei im Judentum ewig: Gott ist das Erste; seine Schöpfung ist ewige Schöpfung, worin er nicht das Resultat, sondern das Anfangende ist. […] Die Produktion also, worin er Subjekt ist, ist anschauende, unendliche Tätigkeit. […] sie ist ein inneres Tun, innere Tätigkeit, die nicht ist gegen ein Vorhandenes; es ist Lebendigkeit, ewiges Erzeugen der Natur, und diese ist überhaupt ein Gesetztes, ein Geschaffenes [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 56 – 57)
Im Zusammenhang mit Philons vorausdeutender Form der Trinität kommt Hegel in den religionsphilosophischen Vorlesungen auf das Charakteristikum der ewigen Schöpfung des Logos als Gottes personifiziertem Schaffensprinzip zu sprechen: „Das ist nicht ein Zufälliges, sondern ewige Tätigkeit, nicht zu einer Zeit bloß; in Gott ist nur eine Geburt, die Tätigkeit als ewige Tätigkeit, eine Bestimmung, die zum Allgemeinen wesentlich selbst gehört.“³⁷³ Auf diesen ewigen Schöpfungsvorgang im Zusammenhang mit Philons Logosbegriff als Gottes Schöpfervermittler – „Gott ist Schöpfer, und zwar in der Bestimmung des Logos, als das sich äußernde, aussprechende Wort“ –³⁷⁴ geht Hegel noch in zwei weiteren
Tennemann 1805, S. 238 (Hervorh. d. Verf.). TWA Bd. 13, S. 481: „Der Herr, die eine Substanz, geht zwar zur Äußerung fort, aber die Art der Hervorbringung ist die reinste, selbst körperlose, ätherische Äußerung: das Wort, die Äußerung des Gedankens als der idealen Macht, mit deren Befehl des Daseins nun auch das Daseiende wirklich in stummem Gehorsam unmittelbar gesetzt ist.“ Zu einer Interpretation dieser eben zitierten Passage mit Verweis auf Ps-Longinos’ Wirkung auf Hegel siehe: Fritz 2011, S. 539 – 540.Vgl. zu Buhles Schilderung der personifizierten Vorstellung des von Gott artikulierten Sprechens bei Philons Denken: „Gott redete zu dem himlischen Menschen, (der auch als der erste Diener der Gottheit, als der Erzengel (αρχαγγελος) charakterisirt wird) und zu dem jüngern Urmenschen (der Sinnenwelt), heißt nichts anders, als: Gott wirkte kraft seines Verstandes und Willens auf die erschaffenen Wesen. Wegen der figürlichen Sprache und mystischen Denkart muß man beym Philo nicht immer eine genaue Bestimtheit der Begriffe erwarten […].“ (Buhle 1799, S. 137– 138) TWA Bd. 17, S. 239. Vgl. dazu TWA Bd. 17, S. 234– 235: „[…] so ist es das Allgemeine, und jene Tätigkeit, Erzeugen, Schaffen, ist schon ein vom abstrakt Allgemeinen verschiedenes Prinzip, das als zweites Prinzip so erscheint und erscheinen kann als das Manifestierende, sich Äußernde (Logos, Sophia), wie das erste als Abgrund [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 17, S. 239.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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Zusammenhängen seiner Schriften ein.³⁷⁵ Für die Stellungnahme einer creatio aeterna/continua spricht sich Philon tatsächlich mehrmals aus. In diesem Sinne komme Gottes weltbildendem ὄργανον in Form des λόγος τομεύς aus Her. unaufhörliche Zergliederungs-Tätigkeit zu: § 130: διαιρῶν οὐδέποτε; § 235: διαιρεῖ μέρη καὶ τέμνων οὐδέποτε.³⁷⁶ Diese unendlich schöpferische Wirksamkeit eines Geistprinzips verbindet Philon allerdings erst recht mit Gott als einem immerwährenden aktiven αἴτιον, das dem vollends passiven Materialprinzip andauernd entgegenstehe und aus dem er die Strukturiertheit des vollkommenen Weltganzen ununterbrochen herausarbeite.³⁷⁷ Auf dieses prinzipientheoretisch konzipierte Gott-Materie-Verhältnis nimmt Hegel in seiner Philondarstellung von 1820/21 selbst Bezug, wenn er das Materialprinzip als das bestimmt, „was dem Geist das Andere ist“ und was als „überhaupt Nichtsein aufgefaßt“ werde.³⁷⁸ Diesen metaphysischen Schöpfungsgedanken aber drückt Philon vor allem in Leg. 1.5 sowie in Cher. 87 prägnant aus, in denen er auf Gottes bloß vordergründiges Ausruhen am siebten Tag in Gen 2,2 hinweist.³⁷⁹
TWA Bd. 16, S. 345: „[…] keine endliche Tätigkeit.“; Bd. 19, S. 409 – 410: „[…] Gott ist diese Bewegung, so daß alles dies nicht geschehe als ein zufälliger Entschluß und Ratschluß Gottes, dem es einmal eingefallen sei, so zu handeln, sondern diese Bewegung als sein Wesen, als seine ewige Notwendigkeit an ihm selbst.“ Hierzu ebenfalls: Runia 1986, S. 24 (In Hinblick auf den Standpunkt von D. Winston: „It is thus highly important to realize that Philo does not believe in a temporal creation, but rather in a creatio aeterna. The cosmos is eternally being produced by the processes of God’s thought.“), 125 („Nevertheless I consider that, allowing for the obscurities of the transmission, § 7 may be read as presenting a creatio continua consistent with Philo’s usual thought. God eternally thinks the κόσμος νοητός (situated in the Logos) and in his creative act simultaneously (ἅμα πάντα, Opif. 13, 28) creates the sense-perceptible cosmos out of a pre-existent disorderly matter, thereby initiating time. God’s never-ceasing creative and providential activity is shown by his maintenance of the cosmos though the agency of the Logos and symbolized by his ‚rest‘ on the seventh day [Hervorh. i. Orig.].“); O’Brien 2015, S. 50, 62; O’Brien 2007, S. 63 – 64. Opif. 8 – 9. GW Bd. 30,1, S. 379,27– 28. Vgl. GW Bd. 30,1, S. 379,34– 36: „Die Darstellung der Idee ist so zum Theil durch die sinnliche Erscheinung gebunden […] so kann der Geist dieses Sinnliche ergreifen.“ Siehe dazu: Buhle 1799, S. 119 – 120 („Erstlich: Gott ist die Weltseele, die der leblosen Materie die Form mittheilte, und dadurch das Welt-Ganze hervorbrachte.“), 125. Leg. 1.5: „Gott hört niemals auf zu schaffen [παύεται γὰρ οὐδέποτε ποιῶν ὁ θεός], wie vielmehr das Brennen zum Wesen des Feuers und das Abkühlen zu dem des Schnees gehört, so das Schaffen zum Wesen der Gottheit [οὕτως καὶ θεοῦ τὸ ποιεῖν], um so gewisser, da sie ja für alle anderen Wesen den Quell der Tätigkeit bildet“ (PCH Bd. 3, S. 18); Cher. 87: „Unter ‚Ausruhen‘ versteht er aber nicht Untätigkeit, da doch der Urgrund aller Dinge seinem Wesen nach immer tätig ist und niemals aufhört das Beste zu wirken, sondern die mühelose Tätigkeit ohne Beschwerde und in vollster Leichtigkeit [ἐπειδὴ φύσει δραστήριον τὸ τῶν ὅλων αἴτιον παῦλαν οὐδέποτε ἴσχον τοῦ ποιεῖν τὰ κάλλιστα, ἀλλὰ τὴν ἄνευ κακοπαθείας μετὰ πολλῆς εὐμαρείας ἀπο-
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
c) Allerdings bleibt die Frage offen, was genau Hegel meint, wenn er Gottes weltschaffenden Akt als anschauende Tätigkeit charakterisiert. Mit seiner Beschreibung spielt er auf eine Produktions-Metaphorik an, die unmittelbar an den weltgestaltenden Demiurgen aus Platons Timaios gemahnt, denn dieser „gestaltet“ den Kosmos „mit Blick auf das stets mit sich selbst Identische […] indem er sich eines Derartigen als Muster bedient“ (28a6 – 7). Man kann an dieser Stelle natürlich die Frage stellen, was das mit der jüdischen Schöpfungstheologie zu tun hat. Eigentlich ist die hegelsche Betrachtungsweise nicht sonderlich abwegig, wenn man beispielsweise den eingangs GenRabba aufgerollten Midrasch in Betracht zieht. Dort ist ja ebenfalls von Gottes Weltbildung die Rede, die über eine geistige Anschauung erfolge, eine Anschauung der Tora als Mustermodell für das gesamte Sechstagewerk (GenRabba 1,1: „ ובורא את העולם,)“כך היה הקב"ה מביט בתורה. Es ist jedoch wenig plausibel, dass Hegel in diesem Punkt auf diesen Midrasch zurückgreift. Viel näherliegend ist die Hypothese, er baue hier auf Philons mittelplatonischer Kosmologie auf. In Anlehnung an das Konzept eines Demiurgen charakterisiert auch Philon die durch den ebenbildlichen Logos als Gottes πρωτόγονος υἱός erfolgte Weltproduktion mit dem platonischen Topos der mimetischen Schau: „Denn als ältesten Sohn ließ der Vater des Alls diesen ins Dasein treten, den er anderswo den Erstgeborenen nennt und der, soeben geboren, den Wegen des Vaters nachgehend, auf die Urbilder schaute und die Arten formte [πρὸς παραδείγματα ἀρχέτυπα ἐκείνου βλέπων ἐμόρφου τὰ εἴδη].“³⁸⁰ Auf diesen ursprünglich in Platons Timaios angelegten Schöpfungsgedanken hätte Hegel beispielsweise durch Buhles Philonausführungen kommen können, in denen dieser sich sowohl Philons präpositionsmetaphysischem Erklärungsmuster für die jüdische Kosmologie aus Cher. 125 – 127 als auch dem überzeitlichen Aspekt der göttlichen Schöpfungstätigkeit in Opif. 13, 26 – 27, 35 widmet: Achtens: Der Logos als erstgebohrne Sohn Gottes ist das Werkzeug desselben bey der Weltschöpfung. Er ist das Weltideal, nach welchem Gott die Materie bildete. Er ist das Werkzeug, wodurch Gott das Welt-Ganze regiert, und in seinem Gange erhält. […] Jede Schöpfung erfordert ein bildendes Wesen (τὸ ὑφ′ οὗ); eine Materie (τὸ ἐξ οὗ); etwas, wodurch gebildet wird (τὸ δι′ οὗ); das dritte der Logos […]. Die sechs Schöpfungstage des Moses bezeichnet nur die Ordnung, in welcher die Welt gebildet wurde; denn vor der Schöpfung ist keine Zeit denkbar. (Buhle 1799, S. 124– 125)
νωτάτην ἐνέργειαν].“ (PCH Bd. 3, S. 194) Zu Gottes immerwährender Welterschaffung siehe auch: Leg. 1.18; Prov. 1.6. Zur Identifikation der Lehre von einer creatio aeterna mit Philons jüdischer Weltschöpfungslehre unter Bezugnahme auf Leg. 1.5 siehe: Runia 1986, S. 104– 105, 113, 140 ff., 256 – 257 sowie Runia 2001, S. 134; Wolfson 1962, Bd. 1, S. 215 – 216. Conf. 63: PCH Bd. 5, S. 119.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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In Zusammenhang mit der jüdischen Schöpfungslehre konstatiert Hegel unerwarteterweise nicht nur, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen habe, sondern darüber hinaus auch das Weltganze: Was das Verhältnis dieser Schöpfung zu dem Einen, Guten anlangt, so ist das Hervorbringen der absoluten Subjektivität nicht ein wildes Entlassen, sondern sie ist in dem Hervorgebrachten bei sich selbst, die Schöpfung ist ein Ebenbild des Schöpfers. Dabei ist die Welt als äußerliche zu dem herabgesetzt, was wir prosaische Dinge nennen […]. (Vorl. Bd. 4a, S. 626)³⁸¹
Diesen Standpunkt vertritt bekanntlich, mutatis mutandis, auch Philon innerhalb seiner in Opif. eingebrachten Schöpfungsspekulationen (§ 25), wenn er unter Beachtung von Gen 1,27 sowie vom zwischen Kosmos und Mensch bestehenden Mikro-Makro-Verhältnis „auch die ganze Gattung, diese ganze sinnliche wahrnehmbare Welt“ als „eine Nachahmung des göttlichen Bildes“ (μίμημα θείας εἰκόνος, d. h. εἰκών vom εἰκὼν θεοῦ) ausweist.³⁸² Ergänzend und umso wichtiger für Hegels Bestimmung des Weltganzen als Gottes Ebenbild ist eine weitere Textstelle in Zusammenhang mit seiner Produktions-Metaphorik, die eine unverkennbare Affinität zu Philons Logoslehre (sowie zu Tim. 30b6 – c1) aufweist: „In der Religion der Parsen haben wir den Dualismus gehabt; diesen Gegensatz haben wir auch in der jüdischen Religion, aber er fällt nicht in Gott, sondern in den anderen Geist: Gott ist Geist, und sein Produkt, die Welt, ist auch Geist; hierein fällt dieses, an ihm selbst das Andere seines Wesens zu sein.“³⁸³ In dem zitierten Passus fällt Hegels andeutungsweiser Vorwurf gegen die monotheistische Glaubenslehre des Judentums auf, eigentlich eine dualistische Grundhaltung (!) von zwei göttlichen Geistprinzipien zu vertreten, nämlich von Gott und seiner Weltproduktion. Dieser unorthodoxe Ansatz ist in Schellings Mythologie der Offenbarung zu finden³⁸⁴ und ebenso in der heutigen JudaistikForschung im deutschsprachigen Raum³⁸⁵. Damit spielt Hegel freilich auf Philons
Vgl. dazu TWA Bd. 17, S. 74 („In der ganzen Schöpfung ist vor allem der Mensch erhaben; er ist das Wissende, Erkennende, Denkende; er ist so in einem ganz andern Sinne das Ebenbild Gottes, als dies von der Welt gilt [Hervorh. i. Orig.].“); Vorl. Bd. 3, S. 337. PCH Bd. 1, S. 35. TWA Bd. 17, S. 74 (Hervorh. i. Orig.). In der Philosophie der Mythologie macht Schelling auf die dualistische Tendenz des lediglich „relativen Monotheismus“ der jüdischen Theologie aufmerksam, wenn er davon ausgeht, JHWH und Elohim repräsentierten zwei verschiedene Gottheiten (SW Bd. 2, S. 47– 48,95 ff., 165 – 166, 303 – 304). Dazu: Schäfer 2017. Um die binitarische Tradition der jüdischen Glaubenslehre in der Antike zu belegen, greift Schäfer in einem eigenen Abschnitt auf Philons neben Gott vorausgesetzte Logoshypostase zurück („Der Logos bei Philo von Alexandria“: S. 69 – 71).
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
Logos als δεύτερος θεός (QG 2.62) an. Bei näherer Betrachtung nimmt er damit offenbar sogar auf Philons Begriff des λόγος ἐνδιάθετος als die gedachte Welt (κόσμος νοητός) Bezug. Dieser Passus legt obendrein die Annahme nahe, dass Hegel sich hier nicht nur Buhles Philondarstellung,³⁸⁶ sondern auch Souverains Versuch über den Platonismus bedient.³⁸⁷ Auf Philons Konzept des λόγος ἐνδιάθετος in seinem engen Zusammenhang mit der jüdischen Schöpfungslehre beruft sich Hegel auch in seiner Einleitung zur neuplatonischen Strömung. Dort geht er davon aus, die „jüdischen Platoniker“ – damit sind zweifelsfrei Philon und die Therapeuten gemeint – verträten den Gottesbegriff als „die Idee des Geistes“ von ihrer ansatzweise gefassten Vorstellungsform her als ein einfaches Denkbewegungs-Prinzip, das mit dem inneren Gedanken-Logos in Form des κόσμος νοητός gleichzusetzen ist.³⁸⁸ Die „schöpferischen Momente“ dieses allgemeinen Geistesbegriffes, der die Gestalt der intelligiblen Welt annehme, kommen nicht außerhalb von Gottes Wesen vor, denn Gott „[tut dies] nicht äußerlich“, „sondern diese erscheinenden Momente [seien] an ihm selbst“.³⁸⁹ d) Ein weiterer gewichtiger Aspekt von Hegels spekulativem Verständnis der jüdischen Schöpfungslehre ist das dialektische Spannungsverhältnis zwischen Gott als Geist und dem nichtigen Materialprinzip, das der Schöpfungsdynamik zugrunde liege: Die Welt ist das vom Geist Gesetzte, sie ist gemacht aus ihrem Nichts […]. In ihrem Nichts ist also die Welt entstanden aus der absoluten Fülle der Macht des Guten; sie ist aus dem Nichts ihrer selbst geschaffen, welches (ihr Anderes) Gott ist. […] Gott schafft absolut aus Nichts.
Buhle 1799, S. 122: „Der erste ist der göttliche Verstand. Er enthält die Muster (ιδεας) aller Dinge, und alles dessen, was geschehen und ausgeführt werden soll. Der Inbegriff dieser Muster macht die intelligible Welt, oder die Idealwelt aus. Sie ist also nichts anders, als wie der Verstand der Gottheit, die im Begriffe war zu schaffen. […] Er mußte also die Idealwelt, das Muster jener (den Logos), so vollkommen, wie möglich d. i. sich selbst, als dem einzigen höchsten Gute, gleich machen. Daher wurde dieser Logos das Ebenbild Gottes. Als erstes Product der Thätigkeit Gottes ist er der erstgebohrne älteste Sohn desselben, im Gegensatz zur Sinnenwelt, als dem jüngern Producte [Hervorh. i. Orig.].“ Souverain 1792, S. 92– 93: „‚Es ist merkwürdig, sagt Cudworth, (Syst. intell. p. 549.) daß Philo, so ein großer Feind er auch vom Polytheismus war, dennoch kein Bedenken trägt, den göttlichen Logos, nach Art der Platoniker, einen zweyten Gott (δευτερον θεον) zu nennen; ohne zu glauben, daß er hierdurch gegen seine Religion und gegen das erste göttliche Gebot verstoße.‘ […] Wer sieht nicht, daß dieser innere Logos diese idealische Stadt, oder dieser idealische Welt, nichts anders ist als der Verstand des Künstler, und folglich der Künstler selbst? Hieraus ergiebt sich der Grund, warum es dem Philo, der den zweyten Gott der Platoniker anerkannte, nicht gefiel, weiter zu platonisiren [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 19, S. 409 – 410. TWA Bd. 19, S. 410.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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Nur er ist das Sein, das Positive. Aber er ist zugleich das Setzen seiner Macht. Die Notwendigkeit, daß Gott Setzen seiner Macht sei, ist die Geburtsstätte alles Erschaffenen. Diese Notwendigkeit ist das Material, woraus Gott schafft; dieses ist Gott selbst. Er schafft daher aus nichts Materiellem; denn er ist das Selbst und nicht das Unmittelbare, Materielle. Er ist nicht Einer gegen ein anderes schon Vorhandenes, sondern das Andere ist er selbst als die Bestimmtheit, die aber, weil er nur Einer ist, außer ihm fällt als seine negative Bewegung. […] Die Macht ist zugleich negative Beziehung auf sich selbst, Vermittlung in sich, und indem sie sich negativ auf sich bezieht, so ist dies Aufheben der abstrakten Identität das Setzen des Unterschiedes, der Bestimmung, d. h. die Erschaffung der Welt [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. 17, S. 54– 55)
Ein entscheidender Anhaltspunkt für dieses Zitat ist allem Anschein nach Philons Opif. 8 – 9, wo dieser die von Moses vertretene Schöpfungslehre prinzipientheoretisch wiedergibt. Darauf wiederum bezieht sich Hegel in seinen Philonausführungen, wenn er darauf zu sprechen kommt, wie „[d]ie Materie, was dem Geiste das Andere ist […] überhaupt als das Nichtsein aufgefaßt [wird]“.³⁹⁰ Dies entspricht dem, was Hegel hier mit der dialektischen Relation zwischen Gott als dem Sein und der Denkbestimmung des Nichts („die Unterschiedslosigkeit“) zur Geltung bringen will. Dass er darin allerdings keine einander ausschließenden Fundamentalgegensätze sieht, sondern vielmehr ein dialektisches Identitätsverhältnis zwischen dem Sein (Gott) und dem Nichtsein (Materialprinzip) – woraus die Welt des Werdens hervorgeht – ist vor dem Hintergrund seiner speziellen Philonauffassung auch nicht verwunderlich. In seiner systematischen Philondeutung postuliert er ja ebendiese Gleichheit: „Das Prinzip derselben ist bei Philon, wie bei Platon, das οὐκ ὄν, die Materie, das Negative; wie Gott das Sein, so ihr Wesen das Nichtsein.“³⁹¹ Dasselbe zwischen dem Sein (Gott) und dem Nichts (Materialprinzip) bestehende Gleichheitsverhältnis sei, so nimmt Hegel an, der jüdischen Philosophie eigen.³⁹² Maßgeblich dafür wirkt sein Argumentationsmuster in der Seinslogik hinsichtlich der ontologischen Gedankenbestimmungen des Seins und des Nichts, aus deren Dialektik die Bewegung des Werdens, „Einheit des Seins und Nichts“, aufkeime.³⁹³
GW Bd. 30,1, S. 379,27– 28. Zu Gottes schöpferischem Alleinstellungsmerkmal, nichtexistierende Dinge ins Dasein zu rufen, siehe z. B. die folgenden Stellen bei Philon: QG 2.13; Deus 119; Opif. 81; Spec. 2.2; Virt. 130 und 225; Her. 36; Mos. 2.100; Somn. 1.76. Zur Erörterung siehe: Bormann 1955, S. 42– 44; Runia 1986, S. 287– 291; Runia 2001, S. 152– 153, 253; Cohn 1962: PCH Bd. 1, S. 29 – 30: Fn. 2. TWA Bd. 19, S. 424. TWA Bd. 17, S. 74: „In der Welt ist Gott bei sich; sie ist gut, denn das Nichts ihrer selbst, aus dem die Welt geschaffen worden, ist das Absolute selbst […].“ TWA Bd. 5, S. 83: „Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe. Was die Wahrheit ist, ist weder das Sein noch das Nichts, sondern daß das Sein in Nichts und das Nichts in Sein – nicht
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e) Im Unterschied zum herkömmlichen biblischen Schöpfungsbild – nach dem Gottes Werke mit einer Reihe von Befehlen ins Dasein gerufen werden –, ist hier die Rede von einer Welterschaffung, die sich entgegen der Erwartung aus Gottes negativer, selbstbezüglicher Wirksamkeit, durch seine Weisheitsmacht vermittelt, herauskristallisiert. Diese jüdische Erschaffungsvorstellung sucht Hegel von der wesentlich höherstehenden Schöpfungslehre des Christentums abzutrennen, bei der hingegen „das Schaffen Gottes in sich selbst […] in seiner Innerlichkeit“ stattfinde.³⁹⁴ Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Hegel zweimal Philons als selbstbezüglich charakterisierte „Weltschöpfungsdarstellung“ thematisiert, nämlich u. a. in seiner religionsphilosophischen Behandlung der Kosmologie der indischen Phantasie-Religion. In diesem Rahmen greift er auf Philons weltbegründende σοφία-Bestimmung zurück, die er dort als „einfache Macht, als das Tätige […] Schaffen […] ein Verhalten des Denkens zu sich selbst, eine sich auf sich beziehende Tätigkeit, keine endliche Tätigkeit“ einordnet.³⁹⁵ Ein weiterer Rekurs findet sich in seiner von einer Übersetzung begleiteten Interpretation von Leg. 1.44, wo Philon Gott als den Ort seiner selbst, der sich infolgedessen mit sich erfülle, darstellt.³⁹⁶ 6) Der allegorische Sinn der Paradiesgeschichte Auch Hegels spekulatives Genesisverständnis der Paradieserzählung entspricht ihrer platonisierenden Auslegung durch Philon in wesentlichen Punkten.³⁹⁷ In der Einleitung zu den 1819 gehaltenen Vorlesungen zur Philosophiegeschichte über das „Verhältniß der Geschichte der Philosophie zu der übrigen äußeren Geschichte; namentlich zur Geschichte der Kunst und der Religionen“ legt er in Zusammenhang mit der im Neuplatonismus geläufigen allegorischen Auslegungsmethode die biblische Paradieserzählung als Paradebeispiel einer Allegorese dar: „So der berühmte Mythus von dem Sündenfall hat eine sehr hohe phi-
übergeht, sondern übergegangen ist. […] Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des einen in dem anderen: das Werden; eine Bewegung, worin beide unterschieden sind, aber durch einen Unterschied, der sich ebenso unmittelbar aufgelöst hat [Hervorh. i. Orig.].“ TWA Bd. 17, S. 54. TWA Bd. 16, S. 345. TWA Bd. 19, S. 422– 423. Entsprechend ist für Hegel der Raum hier das Moment des Negativen schlechthin, weshalb diese göttliche Selbstvermittlung zwischen der unrestringierten Seinsfülle und dem wesenslosen Raum letztlich ebenfalls negativ sei. TWA Bd. 19, S. 423: „Das All ist, wie bei Parmenides, das Abstraktum […] es bleibt leer bei seiner Erfüllung.“ Bemerkenswert ist, dass Hegel Philons Allegorese zur Sündenfallgeschichte wenigstens von Buhles Philondarstellung hätte kennen müssen, in der diese verhältnismäßig ausführlich beschrieben wird (Buhle 1799, S. 128 – 131).
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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losophische Bedeutung […].“³⁹⁸ Hegels Exegese der Sündenfallgeschichte im religionsphilosophischen Judentum-Kapitel besagt zugespitzt, philosophisch behandle diese biblische Erzählung die Menschennatur als solche: „Die fünf Bücher Mosis fangen von der Weltschöpfung an; gleich nachher finden wir darin den Sündenfall: er betrifft die Natur des Menschen als Menschen.“³⁹⁹ Diesen „höchst spekulativen“ Sinn der biblischen Sündenfallgeschichte greift Hegel nicht nur in seiner Religionsphilosophie auf, sondern des Weiteren auch in jedem der drei Hauptteile seiner Enzyklopädie.⁴⁰⁰ Drei Entsprechungen zwischen den beiden allegorischen Auslegungen sind besonders auffällig: (a) Sowohl Philon als auch Hegel glauben in dieser Erzählstruktur hinter dem Wortsinn der Adam-Gestalt einen universalistischen platonischen Sinn auszumachen: nämlich die göttliche Natur des Menschen als Geist/ νοῦς in seiner wesentlichen Entfaltung sowie im Streben nach dem wahrhaften Absoluten, denn, vorausgesetzt Gott sei selbst nichts anderes als Geist, so ist der erste Mensch demnach in gleichem Maße auch als Geist einzuordnen:⁴⁰¹
GW Bd. 30,1, S. 23,18 – 19.Vgl. TWA Bd. 17, S. 75 („Diese bekannte Darstellung, wie das Böse in die Welt gekommen, ist in die Form eines Mythus, einer Parabel gleichsam eingekleidet. Wenn nun das Spekulative, das Wahrhafte so in sinnlicher Gestaltung, in der Weise vom Geschehensein dargestellt wird, so kann es nicht fehlen, daß unpassende Züge darin vorkommen. So geschieht es auch bei Platon, wenn er bildlich von den Ideen spricht, daß ein unangemessenes Verhältnis zum Vorschein kommt.“). TWA Bd. 17, S. 72. Im dritten Zusatzteil zu § 24 der enzyklopädischen Logik, in dem er in Hinblick auf den „mosaischen Mythus vom Sündenfall“ unter Hinweis auf Gen 3,22 schlussfolgert, der Mensch sei in Form seiner dialektischen Geistnatur mit Gott wesensverwandt: schuldlose Einheit – sündhafte Entzweiung – geistige Konkretion der gottmenschlichen Einheit, im Zusatz zu § 246 der Naturphilosophie, indem er unter Bezugnahme auf Gen 2,23 („Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“) zu illustrieren sucht, dass Adam als „der Geist sein eigenes Wesen, d. i. den Begriff in der Natur [sc. Männin/Eva], sein Gegenbild in ihr finde“ (TWA Bd. 9, S. 23) und in der enzyklopädischen Geistphilosophie im Zusatzteil zur Bestimmung der Psychologie (§ 440), wenn er von nahezu derselben geistmetaphysischen Auslegung dieser Genesisstelle Gebrauch macht (TWA Bd. 10, S. 230). Vgl. TWA Bd. 17, S. 95. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass Schelling die Sündenfallgeschichte „als das Heraustreten aus dem absoluten Zustand“ platonisch deutet, worauf Franz hinweist und für diesen schriftexegetischen Anspruch Schellings daraufhin eine neuplatonische Erklärung liefert: Franz 2012, S. 144 ff. (siehe auch: Franz 2012, S. 163). Vgl. auch dazu Philons allegorische Genesisauslegung, in der er für die absolute Vertreibung von Adam als νοῦς plädiert: „[…] dass Gott auch Adam, den Geist, der die unheilbare Krankheit der Unvernunft sich zugezogen hat, für alle Zeit aus der Stätte der Tugenden hinausgetrieben und ihm nicht gestattet hat, wieder zurückzukehren?“ (Cher. 10: PCH Bd. 3, S. 174). Gleichwohl ist die These vertretbar, dass die biblischen Stammeltern Adam und Eva in ihrem archaischen Charakter nicht primär geschichtlich konzipiert scheinen, sondern eher als ein überzeitliches Sinnbild der ur-
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
[…] er [sc. der Sündenfall] betrifft die Natur des Menschen als Menschen. Dieser allgemeine Inhalt der Erschaffung der Welt und dann jener Fall des Menschen, der der Mensch der Gattung nach ist […]. (TWA Bd. , S. ) Es ist Adam oder der Mensch überhaupt, der in dieser Geschichte erscheint; es betrifft, was hier erzählt wird, die Natur des Menschen selbst […]. Das ist die ewige Geschichte und die Natur des Menschen […]. (TWA Bd. , S. )
Diese Aehnlichkeit darf man aber nicht in der Eigentümlichkeit des Körpers vermuten; denn weder hat Gott menschliche Gestalt noch ist der menschliche Körper gottähnlich. Jene Ebenbildlichkeit bezieht sich nur auf den Führer der Seele, den Geist […]. (Opif. : PCH Bd. , S. ) […] dagegen war der nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene eine Idee oder ein Gattungsbegriff oder ein Siegel, nur gedacht, unkörperlich, weder männlich noch weiblich von Natur unvergänglich. (Opif. : PCH Bd. , S. )
b) Philon und Hegel betonen die besondere Gottähnlichkeit des ebenbildlichen Menschen im Unterschied zu den anderen Schöpfungswerken. Während Hegel allerdings vorrangig Bezug auf Gen 1,26 – 27 nimmt, macht Philon die Göttlichkeit vor allem am Beispiel von Gen 2,7 fest, wo es ihm zufolge um die Erschaffung des dualistisch gebildeten Urmenschen geht: In der ganzen Schöpfung ist vor allem der Mensch erhaben; er ist das Wissende, Erkennende, Denkende; er ist so in einem ganz andern Sinne das Ebenbild Gottes, als dies von der Welt gilt […] [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. , S. ) Die Schlange sagt, Adam werde Gott gleich werden, und Gott bestätigt, daß es wirklich so sei, daß diese Erkenntnis die Gottähnlichkeit ausmache [Hervorh. i. Orig.]. (TWA Bd. , S. – )
Dass er aber auch hinsichtlich der Seele vorzüglich war, ist ebenso klar; denn zu ihrer Bildung benützte Gott als Vorbild nicht eins von den in der Schöpfung vorhandenen Dingen, sondern […] einzig und allein seine eigene Vernunft [μόνῳ δ’ ὡς εἶπον τῷ ἑαυτοῦ λόγῳ]; deren Abbildung und Nachahmung, sagt er also, sei der Mensch geworden, da ihm in das Antlitz gehaucht wurde […] alle, die jetzt leben und vor uns gelebt haben, übertraf er bei weitem; denn wir stammen von Menschen ab, ihn aber hat Gott gebildet. (Opif. : PCH Bd. , S. )⁴⁰²
c) Auch das in Gen 2,23 geschilderte Verhältnis zwischen Adam und Eva legen beide sehr ähnlich aus: Philon versteht diesen Bibelvers grundsätzlich so, dass Adam von seinem selbstbewussten Moment her der νοῦς sei, denn ihm werde jäh inne, dass die Sinnlichkeit (αἴσθησις) in ihrer symbolhaften Form als Eva als sein seelisches Anderssein ihm selbst zukomme (Leg. 2.41: „Kraft meiner Kräfte [δύναμις ἐκ τῶν ἐμῶν δυνάμεων]“); deshalb sei diese ihm nicht mehr fremd, sprünglichen Menschen schlechthin, wie ihre allgemeinen Eigennamen in Gen 3,20 – „Mensch“ bzw. „Menschengeschlecht“ und „die Mutter alles Lebendigen [ – “]ֵאם ָּכל ָחיkonkret andeuten. Siehe dazu des Weiteren: Virt. 203; Opif. 74. Hierzu: H. Schmidt 1933, S. 52– 53; Runia 2001, S. 330 ff.
3.2 Philo Judaeus in Hegels Deutung des Judentums
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sondern verwandt: „da erstaunt er [sc. der Geist] und ruft aus, dass sie jetzt nicht mehr ihm fremd, sondern eng verwandt sei [θαυμάζει τε καὶ ἀναφθέγγεται φάσκων ὅτι οὐκ ἔστιν ἀλλοτρία αὑτοῦ, ἀλλὰ σφόδρα οἰκεία]“).⁴⁰³ Hegel liest aus dieser Bibelstelle den spekulativen Sinn heraus, wonach Adam einerseits mit dem Geist, Eva entsprechend mit der Natur gleichgesetzt werde. Auch hier kommt der Menschengeist (Adam) auf die Selbstgewissheit, dass „sein eigenes Wesen, d. i. den Begriff in der Natur“ (Männin/Eva] sein Gegenbild in ihr finde“.⁴⁰⁴ Anzumerken ist, dass die Kirchenväter Philons platonische Allegorese der Paradieserzählung rezipiert haben. Ambrosius von Mailand übernahm sie,⁴⁰⁵ indem er in seiner allegorischen Lesart von Gen 2,23 einerseits Adam mit dem νοῦς/mens, Eva hingegen mit αἴσθησις/sensus identifiziert.⁴⁰⁶ Obgleich Hegel wohl bewusst war, dass Philon vor ihm auf diesen spekulativen Sinn der Paradieserzählung, in der er das höher entwickelte Menschenbild des Platonismus begründet sah, gekommen ist,⁴⁰⁷ trennt er diesen Gedanken mit einer Behauptung vom jüdischen Gedankengut: Der allegorische Ansatz, der in der Adam-Gestalt den Menschen „der Gattung nach“ erkenne, habe letztendlich „keinen Einfluss auf das gehabt, was in der Folge die jüdische Religion ist“.⁴⁰⁸ Vielmehr habe die „Ausbildung“ dieser revolutionären metaphysischen Idee der Paradiesgeschichte, der zufolge der Menschengeist mit Gottes Geist wesensverwandt sei, „erst im Christentum […] zu ihrer wahren Bedeutung gelangen“ können, denn erst hierbei komme dem Einzelmenschen unendlicher Wert zu.⁴⁰⁹ 7) Das Bild des jüdischen Gesetzgebers Hegels Mosesdarstellung in den religionsphilosophischen Vorlesungen hat große Ähnlichkeit mit Philons Mosesbild. Um den besonderen Charakter der mosaischen Gesetzgebung zu verdeutlichen, unterscheidet Hegel zwischen dem jüdischen Gesetzgeber und den klassisch-griechischen Gesetzgebern: „Moses wird Gesetzgeber der Juden genannt, aber er ist den Juden nicht gewesen, was den Griechen, Solon und Lykurg (diese gaben als Menschen ihre Gesetze); er hat nur
Leg. 2.40: PCH Bd. 3, S. 65. TWA Bd. 9, S. 23: § 246 Zusatz. Runia 1993, S. 309, 352; Runia 2015, S. 623. Ambrosius 1836, S. 117 (11,50 – 51): „Propterea nullus inventus est menti nostrae similis adjutor, nisi sensus, hoc est αἴσθησις. Similem sibi solam νοῦς noster potuit invenire.“ TWA Bd. 1, S. 227 („schönere Blüten der tieferen menschlichen Natur im Platonismus […]“). TWA Bd. 17, S. 72. Mit dieser Formulierung könnte Hegel zugleich andeuten, Philons platonisches Genesisverständnis sei von den Rabbinen so gut wie nicht rezipiert worden. TWA Bd. 17, S. 78. Darauf weisen sowohl Pöggeler (1974, S. 545) als auch E. Schmidt (1974, S. 160) hin.
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3 Philons Bedeutung für Hegels Verständnis des Christentums und Judentums
die Gesetze Jehovas bekanntgemacht; Jehova selbst hat sie, nach der Erzählung, in den Stein gegraben [Hervorh. i. Orig.].“⁴¹⁰ Anders als die griechischen Gesetzgeber also hätte Moses die göttlichen Vorschriften nicht selbst verfasst, sondern habe ausschließlich Gott als Werkzeug gedient, um dem israelitischen Volk das jüdische Gesetzessystem zu vermitteln. Diese besondere Vermittlerrolle des Moses deutet Hegel auch mit seinem Verständnis des Schöpfungsaktes durch den göttlichen Sprechakt an, wenn er konstatiert, „dort Mensch, z. B. Moses, NUR als Organ [Hervorh. i. Orig.]“.⁴¹¹ Philon nimmt in seinem Denken eine ähnliche Unterscheidung vor, um die Überlegenheit der κατὰ Μωυσέα νομοθεσία den griechischen Gesetzgebern gegenüber nachzuweisen. Die Gesetzgebung Moses’ sei im Unterschied zu den unphilosophischen, anthropogenen Verfassungen von Solon und Lykurg makellos vernünftig, freiheitsfördernd und stehe in einem harmonischen Verhältnis zu den unwandelbaren Naturgesetzen, mit dem ὀρθὸς λόγος: Deshalb mag man sich wundern über die Kurzsichtigkeit derer, die so deutliche Besonderheiten von Sachverhalten nicht erkennen, sondern behaupten, für die größten Staaten, Athen und Sparta, reichten die Gesetze Solons und Lykurgs vollends aus, ihre Freiheit zu gewährleisten, da die Gesetze herrschen und regieren und die Bürger ihnen gehorchen. (Prob. 47: PCH Bd. 7, S. 16)
Gleich zu Beginn von Opif. weist Philon beispielsweise darauf hin, dass der wesentliche Vorteil des jüdischen Gesetzeskodexes aus göttlicher Quelle im Vergleich zu den heidnischen Verfassungen in seinem philosophischen Charakter liege, der auf den vollkommenen Philosophenkönig, Moses, als dessen Verfasser zurückgehe.⁴¹² Ähnlich wie später Hegel stellt schon Philon Gottes Instrumentalisierung von Moses heraus, mittels dessen Gott wie ein Musiker seine Gesetzgebung bekannt gemacht hat.⁴¹³ Schon Mendelssohn veranschaulicht in Jerusalem am Beispiel eines vielstöckigen Gebäudes die Schwierigkeit aus christlicher Sicht, sich mit der jüdischen Religionslehre kritisch vernichtend auseinanderzusetzen:
TWA Bd. 17, S. 84– 85. Dazu: Pöggeler (1974, S. 540, 547) und Yovel (1976, S. 529 – 530). Vorl. Bd. 4a, S. 42. Opif. 2: „Manche Gesetzgeber haben das, was ihnen als recht galt, in ungeschminkter und einfacher Form angeordnet; andere haben ihre Gedanken in ein schwülstiges Gewand gekleidet und die Volksmassen betört, indem sie mit mythischen Gebilden die Wahrheit verhüllten. Moses aber hat beides vermieden, das eine, weil es unbedacht, bequem und unphilosophisch [ἄσκεπτον καὶ ἀταλαίπωρον καὶ ἀφιλόσοφον] ist, das andere, weil es voll Lug und Trug ist; er hat vielmehr seinen Gesetzen einen sehr schönen und erhabenen Anfang gegeben […].“ (PCH Bd. 1, S. 28) QG 4.196; Her. 259.
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Wenn es wahr ist, daß die Ecksteine meines Hauses austreten, und das Gebäude einzustürzen drohet, ist es wohlgethan, wenn ich meine Habseligkeit aus dem untersten Stockwerke in das oberste rette? Bin ich da sicherer? Nun ist das Christentum, wie Sie wissen, auf dem Judentume gebauet, und muß nothwendig, wenn dieses fällt, mit ihm über einen Hauffen stürzen. Sie sagen, meine Schlußfolge untergrabe den Grund des Judentums, und bieten nur die Sicherheit Ihres obersten Stockwerks an; muß ich nicht glauben, daß Sie meiner spotten? (JubA Bd. 8, S. 154)⁴¹⁴
Überträgt man dieses Gleichnis auf unsere Analyse von Hegels Judentumsbild als Religion der Erhabenheit, so lässt sich festhalten: Hegel war sich dieser Problematik seiner Religionsphilosophie wohl bewusst, weshalb er mit seinem beträchtlich aufwertenden Verständnis des Judentums als geistige Religion die jüdisch-theologischen Grundfesten des spekulativ-christlichen Dachgeschosses sichern möchte. Das Dachgeschoss wiederum setzt er dabei mit dem Wesen und Zweck des Gesamtgebäudes gleich. „Damit die Ecksteine“ von Hegels „spekulativem Gedankengebäude“ der christlichen Religion nicht austreten werden, greift er auf niemand Geringeren als auf Philon zurück, dessen jüdischer Platonismus in der jüdischen Geistesgeschichte am engsten mit den christlichen Spekulationen verbunden sei. Allerdings bedient sich Hegel, um den Kern der antitrinitarischen jüdischen Weltsicht aufzuspüren, des aus seiner Sicht „sehr kleinlichen“ Elementes, mit dem Philon seinen negativ-theologischen und nichttrinitarischen Gottesbegriff als die vordergründig existente,Vielheit ausschließende Einheit verknüpft: nämlich die Religion des entrückten Einen zu definieren, der den akosmistischen Absolutheitsanspruch erhebe, der allein wahrhaft Existierende zu sein. Dabei rückt Hegel diese philonische Denkstruktur in den Mittelpunkt – dahingehend, dass gerade sie als Kern der metaphysischen jüdischen Glaubenslehre gilt. Unter Berufung auf den „noch kleinlichen jüdischen Trinitätsdenker“, Philon von Alexandria, konnte also Hegel gleichwohl den ideengeschichtlichen Fundamentalgegensatz zwischen Judentum – Gottes Einheitsbestimmung – und Christentum – Gottes Dreieinigkeitsbestimmung – aufrechterhalten. Angesichts dieser überraschenden Untersuchungsergebnisse kommt man zu dem Schluss, dass ein Großteil von Hegels Bild der jüdischen Religionsphilosophie hinsichtlich ihres rein metaphysischen Wesens als philonisch zu charakterisieren ist. Nicht nur die akosmistische Auffassung von Gott als das allein wahrhafte Seiende, die absolute Einheit und die Weisheit von allem scheint ihren Ursprung in Philons Denken zu haben, sondern auch die durch teilende Wirksamkeit weltbegründende Weisheitsbestimmung an sich und die ihr entsprin-
Zum theologisch-politischen Kontext des mendelssohnschen Gebäude-Gleichnisses siehe weiterführend: Krochmalnik 2004, S. 231– 232.
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genden weltzugewandten Haupteigenschaften der Güte und Gerechtigkeit. Auch andere zentrale Aspekte von Hegels Wahrnehmung der jüdischen Schöpfungslehre wurzeln in seinem Philonverständnis, vor allem was die „weltschöpferischen“ Konzepte des λόγος ἐνδιάθετος sowie προφορικός anbelangt. Wenngleich Hegel sich hier auf eigene Philonkenntnisse aus erster Hand stützen kann, ist es im gleichen Zug offenkundig, dass er sich in Zusammenhang mit der jüdischen Erhabenheitsreligion auf vorhandene Philondarstellungen bezieht. Wegen Philons Bedeutung für die Religion der Erhabenheit drängt sich die Frage auf, warum Hegel ihn ebendort gänzlich ungenannt lässt. Die Antwort erscheint recht einfach: Aus demselben Grund, aus dem er keinen anderen jüdischen Denker in diesem Zusammenhang namentlich erwähnt. Hätte er Philon, oder jeweils Mendelssohn, bisweilen angeführt, so hätte man mit einigem Recht Vorbehalte gegen eine so selektive Vorgehensweise äußern können. Worauf beruht überhaupt die Legitimation, Schlüsselaspekte der jüdischen Weltanschauung durch einen in der jüdischen Tradition kaum rezipierten Denker ins Licht zu rücken? Hegels Hauptaugenmerk lag ohnehin darauf, seine Fassung der jüdischen Religionsphilosophie als ein rein gedankliches Konstrukt des selbstentfalteten Geistes in der Menschheitsgeschichte darzulegen, das nicht an diesen oder jenen jüdischen Philosophen gebunden ist, sondern in ihrer reinsten und wesentlichsten metaphysischen Ausprägung artikuliert wird. Da er die gesamte jüdische Tradition als ein einziges zusammenhängendes Moment der Geistesgeschichte einschätzte, sah er sich keineswegs verpflichtet, sich auf einen bestimmten Denker oder auf eine spezifische Strömung zu stützen, sondern konnte auf all die Quellen zugreifen, die aus seiner Sicht „das echte Judentum“ zur Geltung bringen. Unter diesem geistesgeschichtlichen Vorwand wird es möglich, auf den einflussreichen jüdischen Religionsphilosophen, Philon von Alexandria, wiederholt Bezug zu nehmen. Mit dessen platonisch „aufgehelltem“ Judentum, um auf seinen Frankfurter Philon-Verweis anzuspielen, sucht er nämlich die gesamte jüdische Glaubenslehre „aufzuhellen“. Es sei insoweit auch daran erinnert, dass Hegel in der unmittelbaren Nachfolge der von ihm benutzten Philondarstellungen den jüdischen Alexandriner nicht als isolierten Bestandteil der jüdischen Philosophie ansieht, sondern vielmehr als bezeichnenden Ausdruck derselben. Ob Hegels Auffassung des Judentums als „antisemitisch“ einzustufen sei oder nicht, ist für das Ziel der vorliegenden Untersuchung unbeachtlich. Eines ist sie sicher und zweifelsfrei: Sie ist ein bedeutendes Stück deutscher Geistesgeschichte, mit dem man sich weiterhin wird auseinanderzusetzen müssen. Aus dieser fruchtbaren Auseinandersetzung der bedeutenden aufgeklärten jüdischen Philosophen des 19. Jahrhunderts mit dem hegelschen Bild des Judentums als Religion der Erhabenheit – zu nennen sind hier vorrangig Nachman Krochmal,
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Salomon Formstecher und Samuel Hirsch – entstanden neue wissenschaftlichere Deutungen des Judentums, die – Hegel folgend – das philonische Gedankengut aufarbeiteten.
4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons Die vorliegenden historisch-systematischen Untersuchungen zu Hegels einzigartiger intellektueller Begegnung mit Philons jüdisch-hellenistischem Gedankengut haben sich als besonders erkenntnisreich erwiesen. Philons Bedeutung für Hegel zeigt sich zwar größtenteils in seinem geistmetaphysischen Verständnis der Philosophiegeschichte und Religionsphilosophie, aber nicht nur dort, sondern, darauf aufbauend, auch in den systematischen Konzepten seiner Philosophie.Vor dem Hintergrund der abwertenden Auffassung der damaligen deutschen Philosophiehistoriker, die Philon lediglich als einen inkonsequenten Bibel- und PlatonExegeten einstufen, kann Hegels Rezeption des Philon von Alexandria als eine Wiederentdeckung von dessen jüdischem Denken und dessen zentralen Topoi in der Geschichte der Philosophie angesehen werden. Denn gerade in dem, was Philon für die von Hegel rezipierten aufklärerischen Philosophiegeschichtsschreiber theoretisch uninteressant macht und sogar nebensächlich erscheinen lässt, meint Hegel dessen wertvollsten Beitrag zur Geistesgeschichte ausmachen zu können, nämlich den spekulativen Charakter von dessen jüdischer Religionsphilosophie. (Kap. 1) Mit einer Analyse der Philon-Studien im Tübinger Stift zu Zeiten von Hegels Theologiestudium (1788 – 1793) konnte im ersten Kapitel die Grundthese, die Halfwassen vertritt,¹ durch Quellenforschung weiter aufbereitet und vertieft werden: Hegel hat sich bereits während seiner Tübinger Zeit vor allem bei der intensiven Beschäftigung mit der Exegese des Neuen Testaments breitgefächerte Philonkenntnisse angeeignet. Zwei Hinweise unterstützen diese These eindeutig: Hegels Tübinger Theologieprofessoren Storr, Flatt, Rößler und Schnurrer greifen um des Verständnisses des Christentums willen in ihren theologiegeschichtlichen Untersuchungen oftmals und in entscheidenden Zusammenhängen auf Philon zurück. Dies lässt den Schluss zu, dass sich ihre Studenten ebenfalls mit Philons Denken beschäftigt haben, was die Untersuchungsgegenstände von zeitgenössischen Dissertationen wie Specimina auch eindeutig nahelegen.² Die eindeutigen Belege für diese intellektuelle Auseinandersetzung sind Schellings bedeutende Verweise auf Philon in seiner Magisterdissertation und erst recht in seinen Studienheften, deren gründlicher Aufarbeitung sich der erste Teil meiner Untersuchung widmete. Für diese Schriften Schellings ist Philon ein we-
Halfwassen 1999, S. 35. Halfwassen 1999, S. 35. https://doi.org/10.1515/9783110624632-007
4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
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sentlicher Referenzpunkt. Er bezieht sich in seiner Genesisexegese, der Erforschung der gnostischen Entwicklungsgeschichte und in seinen in den Tübinger Theologie-Vorlesungen notierten Anmerkungen zu den Paulusbriefen sowie zum Johannesevangelium wiederholt auf Philon. Thematisch deckt er dabei, wenn auch unentfaltet, Philons Wirkung auf das Trinitätsdogma, die paulinische Schriftauffassung und die christliche Logoslehre ab. Auch Schelling greift Philons Darstellung der Therapeuten und dessen Gottes- und Logoslehre auf. Vor dem Hintergrund von Hegels großer persönlicher und wissenschaftlicher Nähe zu Schelling im Tübinger Stift konnte ich schlussfolgern, seine damaligen Philonkenntnisse entsprächen weitgehend denen Schellings, wodurch sich ein stichhaltiges Abbild von Hegels Vertrautheit mit Philon während seiner Tübinger Jahre nachzeichnen ließ. Fernerhin stellte sich heraus, dass Philon unter den Tübinger protestantischen Theologen gegen Ende des 18. Jahrhunderts als grundlegender intellektueller Diskursgegenstand galt, den jeder kompetente Stiftler zumindest ansatzweise kennen musste, um überhaupt in einen elementaren theologiegeschichtlichen Dialog treten oder diesen wenigstens nachvollziehen zu können. Die Datierung von Hegels Philonkenntnissen auf die frühen Tübinger Studien ist für die historische Grundlage der vorliegenden Studie besonders wichtig, weil sich, insoweit Halfwassen folgend, postulieren lässt,³ Philons Religionsphilosophie sei für Hegels Denkentwicklung nachhaltig prägend gewesen und könne mithin auch Einfluss auf dessen Systembildung gehabt haben. Das erste Kapitel belegt ferner die These, Philon sei für Hegels frühes Bild der jüdischen und der christlichen Religion und deren Beziehung zueinander bedeutsam gewesen. In seinen Frühschriften, genauer: in der Frankfurter „Neufassung des Anfangs“ der Positivitätsschrift (1800), beruft sich Hegel durchaus anerkennend auf Philons Philosophie als einen platonisierenden „Erhellungsvorgang“ der jüdischen Grundtexte und als den Höhepunkt der gesamten jüdischen Religionsgeschichte, wodurch die Entstehung des Christentums mit Johannes dem Täufer und Jesus überhaupt erst möglich geworden sei.⁴ Diese kreative und wohlwollende Schilderung gibt ebenfalls zu erkennen, dass sich Hegel frühzeitig mit Philons Denken befasste. (Kap. 2) Die Studie greift im zweiten Kapitel Hegels philosophiegeschichtliche Philondeutung auf und artikuliert dabei die These, Philons systematische Stellung sei für Hegels Gesamtbild der Geistesgeschichte und demnach auch für seine
Halfwassen 1999, S. 69, 72. TWA Bd. 1, S. 227: „[…] die Aufhellung des Judentums durch schönere Blüten der tieferen menschlichen Natur im Platonismus […].“
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4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
eigene Philosophie durchaus entscheidender gewesen als man angesichts seiner offenkundigen Tendenz zur geschichtlichen Geringschätzung Philons zunächst erwartet hätte.⁵ Folgende wesentliche Untersuchungsergebnisse sprechen dafür: Hegel stuft Philons Denken als einen ausschlaggebenden philosophischen Perspektivenwechsel im noch an den biblischen Wortsinn gebundenen und den spekulativen Reflexionen eher abgeneigten Judentum ein. Dieser innovative religionsgeschichtliche Wechsel ist aus Hegels Sicht allein mit den revolutionärsten Wendepunkten der Geistesgeschichte vergleichbar. Hegel bringt Philons Methode der allegorischen Schrifterklärung, mit der dieser höher entwickelte Vernunftwahrheiten im geschichtlichen Literalsinn aufzudecken vermag – „Platon in Moses findet“ – große Wertschätzung entgegen, indem er sie unter seinen eigenen geistmetaphysischen Prämissen als einen folgerichtigen Vorgang des Herausinterpretierens legitimiert. Hegels Feststellung, die philonische Bibelexegese sei als herausinterpretierender Akt zu verstehen, könnte sogar deshalb als Rechtfertigungsversuch gelten, weil er diese interpretative Methode erstens mit der weltimmanenten „Arbeit des Geistes“ identifiziert und zweitens selbst dafür argumentiert, konsequente Philosophie „expliziere“ sich ausschließlich, „indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die Religion“.⁶ Ähnlich argumentiert Hegel auch in Bezug auf seine affirmative Auffassung von der von neuplatonischem Gedankengut herrührenden Dogmenbildung des Christentums, deren metaphysische Gültigkeit er grundsätzlich für gegeben hält. In diesem legitimierenden Sinne bewertet er in den Vorlesungen zur Philosophiegeschichte von 1820/21 sogar Philons allegorisches Verständnis der biblischen Engelscharvorstellung unerwartet als im einheitsstiftenden Logos angesiedelte Ideenvielheit auf durchaus anerkennende Weise, obgleich er an diesem Beispiel später eigentlich den „unvernünftigen“ Aspekt der schriftexegetischen Denkweise Philons meint festmachen zu können.⁷ Er versteht hierunter den über die religiöse Vorstellungform hinausgehenden metaphysischen Begriff und bringt sie infolgedessen sogar mit Aristoteles’ Gleichsetzung seiner Stellungnahme über die πρῶται οὐσίαι mit der tradierten griechischen Göttervielheit in Met. 1074b9 in Verbindung.⁸ Wenngleich Hegel ausdrücklich darauf hinweist, der jüdische Platoniker sei nicht im gleichen Maße wie Plotin oder insbesondere Proklos reiner Metaphysiker, da er noch weiterhin zu fest auf die religiösen Vorstellungen des Judentums angewiesen
TWA Bd. 19, S. 417: „Vorher ist jedoch im Vorbeigehen noch von Philon, dem Juden, zu sprechen.“ TWA Bd. 16, S. 28. TWA Bd. 19, S. 424– 425. GW Bd. 30,1, S. 379,15 – 16.
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scheine, fasst er gleichwohl dessen vielgestaltiges Denken nicht als eklektisch auf, sondern eher aufwertend als philosophisch-systematisch. Hegel setzt sich mit Philons negativer Theologie tiefgründig und kritisch auseinander. Seine immanenzmetaphysische Kritik begründet sich darin, dass Philon zwar grundsätzlich folgerichtig den Schluss zieht, Gott als das reine Seiende sei unfassbar, dies liegt für Hegel aber nicht an dessen absoluter Transzendenz. Gottes Unerkennbarkeit sei vielmehr darin verankert, dass Philon ihn im Vorfeld lediglich als eine nichtige Abstraktion konzipiert habe und er deshalb nicht als legitimer Erkenntnisgegenstand ausgewiesen werden könne. Hegel meint in Philons undialektischem Anspruch, Gott schon und ausschließlich in seiner ursprünglichen Wesensbestimmung des reinen Seienden für das wahre Absolute zu erklären, die fundamentale Inkonsequenz von dessen negativer Theologie zu entlarven. In Bezug auf diese Auseinandersetzung zeigte meine Analyse darüber hinaus, dass Hegel zuweilen außerhalb seiner Philosophiegeschichte auf die erkenntnispessimistische Transzendenzformel von Philons theologia negativa zurückgreift: Diese besagt, es sei letztlich nicht zu wissen, „was (die Gottheit) ist, sondern dass sie ist“.⁹ Hegel gibt sie dreimal in seinen systematischen Philonausführungen wieder.¹⁰ Er spielt darauf sowohl in der enzyklopädischen Logik im § 73 als auch in der Einleitung zu den religionsphilosophischen Vorlesungen an,¹¹ um die aufklärerische Verstandesreligion pointiert als spekulationsfrei und inhaltsleer darzulegen. Die metaphysische Lösung für das grundlegende Defizit von Philons negativtheologischem Gottesbegriff sieht Hegel nicht außerhalb von dessen Religionsphilosophie, sondern vielmehr innerhalb, in dessen vorchristlichem Logoskonzept, das „zu seinem wahren Wesen gerechnet wird“.¹² Zu diesem Zweck greift er Philons spekulativen Begriff des doppelten Logos auf und deutet damit an, dieser sei als die notwendige dialektische Ergänzung zu dessen inhaltlosem Gott aufzufassen und komme darum auch Gottes konkretem Wesen zu. Damit gibt Hegel zu verstehen, eigentlich liege Philons platonischem Gotteskonzept eine konkretionsdynamische Dreifaltigkeitsstruktur zugrunde, wodurch dieses als Geist, durch den Logos, grundsätzlich begriffen werde und die folgenden drei Leitmomente umfasse: τὸ ὄν als vollends unbestimmte Einheit, λόγος ἐνδιάθετος als übersinnliche Selbstbestimmung und schließlich λόγος προφορικός als weltzu-
Praem. 39. TWA Bd. 19, S. 421– 422. TWA Bd. 8, S. 163; Bd. 16, S. 51. TWA Bd. 19, S. 422.
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4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
gewandte, „selbstbewusste“ Rückwendung in die Ur-Einheit. Hegel verfolgt daher den Zweck, Philons Gott-Logos-Unterscheidung durch eine immanenzmetaphysische Umgestaltung von dessen Auffassung der Urbild-Bild-Relation einzuebnen. Mithin kann er Philon gleichsam als protochristlichen Trinitätsdenker darstellen, der bereits zur Zeitenwende die Gott-Logos-Wesensgleichheit als spätere Grundlage des Trinitätsdogmas metaphysisch vertreten habe.¹³ Philons Logos als ein okzidentaler Geistbegriff gilt Hegel als das, was dessen Religionsphilosophie ihrer spekulativen Natur wegen von anderen jüdischen Systemen wesentlich abhebt und gleichzeitig dem revolutionären Geistprinzip des Christentums annähert. Durch den Logosbegriff könne Philon Gottes Hauptbestimmung als wirksamem Weltschöpfer, der zugleich in ein konkretes Verhältnis mit den Menschen und deren Welt trete, gerecht werden. Die auf Gen 1,27 beruhende anthropomorphe Repräsentation von Philons ebenbildlichem Logos als wahrem Urmenschen scheint Hegel deshalb als einen maßgeblichen metaphysischen Vorteil den anderen neuplatonischen Geistprinzipien gegenüber einzuschätzen, weil damit die Göttlichkeit und Absolutheit des selbstbewussten Einzelmenschen besonders herausgestellt wird – ein metaphysischer Standpunkt, der später vom Christentum aufgenommen, weiterentwickelt und zum zentralen Grundsatz erhoben worden sei. Hegel bezieht sich sowohl ausdrücklich als auch in Andeutungen in anderen bedeutenden Zusammenhängen seiner Philosophie auf Philons Logoslehre: Hinsichtlich der ideengeschichtlichen Entstehung des christlichen Geistprinzips in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte hebt er vorrangig am Beispiel von Philons „Logosbestimmung“ die „wissenschaftliche“ Begegnung der zwei Leitprinzipien der Antike in Alexandria heraus – des inkommensurablen Gottes mit dem konkreten Logos. Damit nämlich sei erstmalig die jüdisch-orientalische Gottesvorstellung in ihrer Triasform als Geist gedacht worden.¹⁴ In der Bestimmung seines systematischen Naturbegriffes im Zusatz zum § 247 der enzyklopädischen Naturphilosophie wendet sich Hegel der philonischen Logosvorstellung als Gottes ewigem Sohn zu, der aus dessen „ewige[r] Einheit der Idee“ nicht heraustreten kann. Offensichtlich will er sein eigenes Verständnis der durch die symbolhafte Gottessohnschaft begriffenen Selbstunterscheidung Gottes vom philonischen und vom christlichen Geistprinzip trennen und damit präzisieren.¹⁵ In „Begriff der Philosophie“ in seiner Berliner Einleitung zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen spielt Hegel anscheinend in Anlehnung an Neander
Dazu am deutlichsten: TWA Bd. 12, S. 399 und Bd. 17, S., 239. TWA Bd. 12, S. 399. TWA Bd. 9, S. 24.
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auf die philonische Vorstellung des Rede-Logos an, der sich als Gottes ewiger Verstand in der vernunftbegabten Menschenseele offenbare; damit werde der Unterschied zwischen dem religiösen und dem philosophischen Bewusstsein veranschaulicht.¹⁶ Hegel weist in seiner Einleitung zur mittelalterlichen Philosophie auf den neuplatonischen Standpunkt hin, der Mensch „enth[a]lte“ selbst „die Bestimmung Gottes als erstgeborener Sohn, Adam Kadmon, der erste Mensch“,¹⁷ um die gedankliche Nähe der christlichen Religionslehre zur neuplatonischen Philosophie zu konkretisieren. Diese anthropomorphen Darstellungen des Logos sind in Hegels Philosophiegeschichte allerdings erstmals in Philons Logostheologie vorzufinden.¹⁸ Der lediglich impliziten Gegenüberstellung bedient sich Hegel explizit und präzedenzlos bei seiner systematischen Philondeutung in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen aus dem Wintersemester 1820/21, um zwischen Philons personifizierter Logosvorstellung als übersinnlichem Urmenschen und der späteren, höher entwickelten fleischgewordenen Logosbestimmung des Johannesprologs grundsätzlich zu unterscheiden. Ungeachtet der maßgeblichen Stellung Philons in der hegelschen Philosophiegeschichte ließ sich nur schwer feststellen, wie dieses geistesgeschichtliche Moment einzuordnen ist. Ist Philon aus Hegels Sicht als jüdischer Philosoph oder gar als protochristlicher Denker oder etwa als Neuplatoniker zu verstehen? Wahrscheinlich ist all dies zutreffend. Philon ist fü r Hegels Verständnis der Ideengeschichte deswegen faszinierend, weil er fü r ihn die Übergangsfigur schlechthin ist, durch die sich der von ihm vorausgesetzte Bewusstseinswandel von den jü dischen zu den erheblich spekulativeren neuplatonischen und christlichen Gedanken vollzogen hat. In der Folge von Philons religionsgeschichtlicher Zwischenstellung scheint Hegel in dessen spekulativ „erwachtem“ Judentum die allmähliche „Selbstauflösung“ der jüdischen Weltanschauung zu erkennen. Gerade weil in Philons System diese beiden gegensätzlichen Tendenzen gleichzeitig ihren Niederschlag gefunden haben, schätzt Hegel ihn als die ausschlaggebende religionsphilosophische Figur ein, in der sich sein postulierter notwendiger Bewusstseinswandel vom jüdischen zum christlichen Gedankengut vollzieht.¹⁹ Hegels vielschichtiges Philonbild ist allerdings sehr ambivalent. Am Beispiel seiner Lesart von Legum allegoriae I 44, in dem Philon Gott als seinen eigenen, selbst erfüllten Ort und als absolute Fülle des Seienden begreift, lässt sich diese
TWA Bd. 20, S. 497. TWA Bd. 19, S. 495. TWA Bd. 19, S. 423. Einen ähnlichen Punkt deutet auch Westerkamp treffend an: 2009, S. 117 („Philos Denken hängt mit der „Revolution“ des Christentums eng zusammen […] seine Logos-Theologie wird von Hegel in den Kontext der „Zeiten um Christi Leben“ gerückt.“).
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4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
Ambivalenz besonders gut illustrieren: Einerseits sieht Hegel die All-Einheit von Philons mit εἷς καὶ τὸ πᾶν prägnant artikulierter Gottesvorstellung mit dem akosmistischen Weltbild des noch abstrakten Judentums verbunden.²⁰ Andererseits erkennt er im Selbstbezug dieser Gottesauffassung die konkretionsdynamische Trinitätsstruktur des Geistes (Logos), die er vorrangig mit dem neuplatonischen und dem christlichen Ansatz assoziiert. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Hegel in diesem Zusammenhang auf die metaphysische Raumauffassung als sensorium Dei von keinem Geringeren als Newton zurückgreift – der mit seiner empirischen Betrachtungsweise sogar „ein[en] Schritt weiter als Spinoza“ gegangen sei –²¹, denn dieser plädiere durch sein spekulatives Raumkonzept analog zu Philon für Gottes selbstbezüglichen sowie allgegenwärtigen Charakter.²² Die Schwierigkeit, Philon einzuordnen, ist in Hegels Neuplatonismusverständnis sichtbar, denn einerseits grenzt er ihn von den rein spekulativen Neuplatonikern Plotin und Proklos ab, andererseits konzipiert er die neuplatonische Schule offenkundig sowohl durch als auch mit Philons Denken. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen Philon und den Alexandrinern Plotin und Proklos liegt aus Hegels Sicht darin, dass der jüdische Alexandriner anders als jene nicht auf den metaphysischen Gedanken der konkreten Totalität kam, in dem sich auch jedes Einzelmoment dieser Dreiheit zu einer Trias-Struktur entwickelt. Die Komplexität einer Klassifizierung Philons machte letztlich ersichtlich, dass er fü r Hegels systematische Analyse der Philosophiegeschichte deswegen ein folgenschweres Problem darstellt, weil er mit seinen neuplatonischen sowie gleichsam „protochristlichen“ Ideen in Form einer ἰουδαϊκὴ φιλοσοφία Hegels durchgehend postulierte Wesensunterscheidung zwischen jüdischer und christlicher Religionslehre untergräbt. Obwohl Hegel versucht, diese philosophiegeschichtliche Problematik durch eine Trennung des philonischen Gedankengutes vom „revolutionären Moment“ des Christentums aufzuheben, ist die ungelöste Spannung zwischen den jü dischen und alexandrinisch-christlichen Elementen beim philo-
Auf Philons durch Tempelsymbolik illustrierten Topos der göttlichen Seinsfülle und Allgegenwärtigkeit in Somn. 1.215 (PCH Bd. 6, S. 216: „Zwei Tempel Gottes gibt es nämlich offenbar: der eine ist diese unsere Welt, in der es auch einen Hohenpriester gibt, seinen erstgeborenen göttlichen Logos, der andere ist die vernünftige Seele […].“) scheint Hegel in seiner enzyklopädischen Naturphilosophie anzuspielen, wenn er von Gottes „zweierlei Offenbarungen, als Natur und als Geist“ ausgeht, die als „Tempel desselben, die er erfüllt und in denen er gegenwärtig ist“, fungieren (TWA Bd. 9, S. 23: § 246). TWA Bd. 20, S. 223. GW Bd. 30,1, S. 379,5 – 6: „Newton hat späterhin gesagt, der Raum ist das Organ Gottes.“
4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
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nischen Weltbild unverkennbar und bleibt in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie größtenteils unerwidert. Für Hegel ist Philons platonische Schöpfungsspekulation der Kern dessen jüdischer Philosophie. Auf Motive aus dessen platonischer Schöpfungslehre greift er mehrmals in seinen philosophiegeschichtlichen und religionsphilosophischen Vorlesungen zurück. Zwei Aspekte schätzt er besonders an Philons spekulativer Lehre von der doppelten Weltschöpfung: Nicht dem biblischen Schöpfergott in seiner unendlichen Unermesslichkeit komme die weltsetzende Gewalt unmittelbar zu, sondern vielmehr einem vermittelnden Geistprinzip, das sich zunächst als λόγος ἐνδιάθετος „in Ideen [teilt]“ – woraus der übersinnliche, innergöttliche Ideenkosmos entstehe – und das dann als wirksamer λόγος προφορικός die physische Welt auf einmal ins Dasein rufe.²³ Dem materiellen Weltganzen messe Philon affirmativen ontologischen Wert bei, indem er dieses durch eine eigene Denkbestimmung des reinen Nichtseienden begreift, die Gott als dem reinen Seienden entgegengesetzt sei.²⁴ Grundlegende Topoi dieser spekulativen Schöpfungslehre thematisiert Hegel auch an den folgenden Stellen außerhalb seiner systematischen Philondarstellung: (1) In seiner philosophiegeschichtlichen Bestimmung neuplatonischen Denkens geht er auf den Gottesbegriff der „platonischen Juden“ als ein nichtselbstbewusstes Denkbewegungs-Prinzip ein, das eine innergöttliche Welt ins Dasein setze.²⁵ Dass er dabei auf Philons Begriff des λόγος ἐνδιάθετος anspielt, ist naheliegend. (2) In der Einleitung zur mittelalterlichen Philosophie will er augenscheinlich das christliche Weltkonzept von Philons religiöser Vorstellung einer „mit vielen Engeln“ gefüllten, intelligiblen Welt abheben. (3) Bezüglich der bahnbrechenden Trinitätsidee der christlichen Dogmenlehre, welche die Patriarchen über Vermittlung der neuplatonischen „Dreieinigkeitssysteme“ aufnahmen und in Form eines „vernünftigen Gedankens“ fassten, spielt Hegel anscheinend auf Philons Lehre von der Zwei-Welten-Schöpfung an, etwa wenn er „eine zweite Weltschöpfung, die nach der ersten entstanden ist“, thematisiert, in welcher der Geist erstmalig seiner selbst bewusst werde.²⁶ (4) In seiner Analyse der indischen „Religion der Phantasie“ nimmt er im Rahmen unterschiedlicher „Weltschöpfungsdarstellungen“, in denen von einer selbstbezüglichen, schöpferischen Geisttätigkeit die Rede ist, neben dem neutestamentlichen Logosbegriff als Wort auch auf Philons Logoshypostase als die aus dem Einen zuerst hervor-
TWA Bd. 19, S. 423 – 424. TWA Bd. 19, S. 424. TWA Bd. 19, S. 409 – 410. TWA Bd. 19, S. 510.
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4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
gehende σοφία Bezug.²⁷ (5) Hegels religionsphilosophische Beschreibung der christlichen Glaubenslehre greift auf Philons seines Erachtens bestehende GottLogos-Wesensgleichheit und der damit zusammenhängenden creatio aeterna als zentrale Vorformulierung der christlichen Trinität zurück. Auch hier sieht Hegel Gottes Schöpferbestimmung in enger Verflechtung mit Philons Konzept des RedeLogos und weist dabei auf dessen Lehre von der ewigen Weltschöpfung hin.²⁸ Hegel erkennt Philons großangelegte Wirkungsgeschichte noch in anderen zentralen Momenten der Philosophie. Sowohl die Kabbala als auch die Gnosis versteht er als größtenteils „unphilosophische“ Wiederholungen von Philons jüdischem Platonismus.²⁹ In enger Anlehnung an Neanders Gnosis-Monographie gibt er zu erkennen, dass all die gnostischen Systeme ihr erstes und zweites Prinzip Philons Denken entnahmen und sich beides zu eigen machten: Erstens sei deren unsagbares Gotteskonzept, genauer gesagt: das des Basilides, wie „auch bei Philon“, „als τὸ ὄν, ὁ ὤν, namenlos (ἀνωνόμαστος)“.³⁰ Zweitens sei deren „Offenbarungsmoment“ durch Philons Deus 78 im Originalwortlaut und durch weitere Denkstrukturen sowie Vorstellungen verdeutlicht worden, die laut Neander in Philons Auffassung des ebenbildlichen Logos und der Gottesattribute angelegt sind; in diesem Zusammenhang lässt er aber Philon weitgehend unerwähnt. Hegel zeigt Parallelen zwischen Plotins absolut transzendentem Urgrund und Philons negativ-theologischem Gotteskonzept auf, indem er, wiewohl irrtümlich, festhält, „wie bei Philon“ begreife Plotin diesen als „das reine Sein, das Unveränderliche, das Grund und Ursache alles erscheinenden Seins ist“.³¹ Folglich stuft er Plotins „absolutes Sein“ in Form des „Insichbleibenden“, „wie auch Philon sagte“, als unfassbar ein.³² Hegel argumentiert zweimal, die gesamte jüdische mittelalterliche Philosophie, deren adäquate Artikulation er in Maimonides’ Metaphysik des Einen zu finden meint, sei im Kern als Wiederholung des philosophischen-schriftexegetischen Gesamtprogramms Philons einzuordnen.³³ Er verweist in Abschnitten zur neuplatonisch geprägten Dogmenbildung des Christentums auf die subjektiven Repräsentationen von Philons anthropomorpher Logoshypostase – „erstgeborener Sohn, Adam Kadmon, der erste Mensch“ –,³⁴ um „das Grundinteresse“ des Neuplatonismus zu präzisieren: den Menschen als das Absolute in seiner Einheit mit
TWA Bd. 16, S. 345. TWA Bd. 17, S. 239. TWA Bd. 19, S. 425. TWA Bd. 19, S. 428. TWA Bd. 19, S. 445. TWA Bd. 19, S. 446. TWA Bd. 19, S. 524. TWA Bd. 19, S. 495.
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Gott zu erfassen.³⁵ Philons Wirkmächtigkeit aus Hegels Sicht wird vor dem Hintergrund der umfangreichen Wirkung des Proklos als dem „Vorzüglichste[n], Ausgebildetste[n] unter den Neuplatonikern“ und der gesamten antiken Metaphysik nachvollziehbar.³⁶ Denn Hegel kommt im ersten Satz seines Abschnittes „Nachfolger des Proklos“ darauf zu sprechen, dass „[sich] dieses Philosophieren […] nun weit hinein in späte Zeiten, selbst durch das ganze Mittelalter [zieht]“.³⁷ Hierdurch wird gleichermaßen auch Philons beträchtlicher philosophiegeschichtlicher Einfluss ersichtlich, da er in Hegels Philosophiegeschichte nicht nur auf Kabbala, Gnosis und Neuplatonismus wirkte, sondern auch auf die mittelalterliche Philosophie. Mit der Rekonstruktion der philosophiehistorischen Quellen, derer sich Hegel bei seiner systematischen Philondeutung bediente, konnte ich nachweisen, dass er sich nicht auf eine originalsprachige Philonausgabe stützt, wie bereits in OʼRegans Studie belegt, sondern auf fünf verschiedene Philondarstellungen deutscher Philosophiegeschichtsschreiber aus dem 18. und 19. Jahrhundert.³⁸ In diesen im Wesentlichen der deutschen Aufklärung zugehörigen Philonausführungen, die sich auf nahezu achtzig Seiten summieren, findet Hegel neben einer Vielzahl von zentralen Zitaten im griechischen Originalwortlaut, in Deutsch und Latein eine eindrucksvolle Zusammenfassung von Philons systematischen Leitgedanken. In den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen setzt er sich mit drei verschiedenen Stellen aus dem Corpus Philonicum im Originalwortlaut auseinander, Sacr. 65, Leg. 1.44 und Deus 78, die zentral für seine Philonauffassung sind. Trotz dieser beschränkten Materialgrundlage zeichnet Hegel dennoch ein facettenreiches Philonbild aus der innovativen Perspektive der spekulativen Prämissen seines eigenen Systems. Aus dem zweiten Kapitel dieser Untersuchung ergibt sich, dass die systematische Einordnung Philons als hochspekulativem jüdischem und protochristlichem Platoniker für Hegels synoptische Analyse der Philosophiegeschichte ein grundlegendes Problem darstellt. Philons jüdische Religionsphilosophie mit ih-
TWA Bd. 19, S. 495, 505 – 506, 527. TWA Bd. 19, S. 476, 486. TWA Bd. 19, S. 486. Brucker (1742), Historia critica philosophiae: Bd. 2: „De philosophia iudaica“, S. 797– 812; Buhle (1799), Lehrbuch der Geschichte der Philosophie und einer kritischen Literatur derselben: Bd. 4: „Ueber die Philosophie der Juden im Zeitalter Christi“, S. 118 – 139; Tennemann (1805), Geschichte der Philosophie: Bd. 5: „Philosophie unter den Römern: Platoniker“, S. 234– 239; Neander (1818), Genetische Entwicklung der vornehmsten gnostischen Systeme: 1. Abschnitt: „Elemente der Gnosis im Philo“, S. 1– 27; Tiedemann (1793), Geist der spekulativen Philosophie Bd. 3: „Wiederaufleben der Pythagorischen Schule“, S. 126 – 137.
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rem trinitarisch sowie anthropomorph konzipierten Geistprinzip und ihrer platonischen Schriftauslegungen enthält grundsätzlich keinen Hinweis auf den von Hegel vermuteten Wesensunterschied zwischen dem Judentum und dem revolutionären Moment eines erheblich höherstehenden Christentums. Die Lösung meint Hegel erst in Proklos’ systematisch-dialektischer „Dreieinigkeitsmetaphysik“ vorzufinden, die er – wie sein Brief an seinen „geliebte[n], verehrte[n] Freund“ Creuzer vom Mai 1821 offenlegt – als „de[n] ungeheure[n] Schritt in der Philosophie“ einstuft.³⁹ Unmittelbar nach seiner recht späten Lektüre von Proklos’ Theologia Platonica beschließt Hegel, dessen spekulatives System in seinen „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ „nicht fehlen“ zu lassen und es zudem geradezu als „de[n] wahre[n] Wendepunkt, de[n] Uebertritt der alten Zeit in die neue, der alten Philosophie in das Christentum“ zu klassifizieren.⁴⁰ Philons Gedankengut, das in der christlichen Tradition wesentlich umfassender rezipiert wurde als das der Neuplatoniker, sucht Hegel weitestgehend vom neuplatonischen Übergangsmoment zum Christentum abzusondern, indem er es zum einen näher an die „unvernünftigen“ Systeme der Kabbala und Gnosis heranrückt. Zum anderen grenzt er parallel dazu Philon als Vordenker der neuplatonischen Metaphysik von ihren bedeutendsten Vertretern Plotin und Proklos durch die eigens geschaffene Unterkategorie der „alexandrinischen Philosophie“ ab, von der er Philons jüdische Philosophie ausschließt. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass Hegel den Neuplatonismus sowohl mit als auch durch Philon denkt, wie mein Vergleich von Hegels Philonauffassung mit dessen sechs Grundmerkmalen der neuplatonischen und alexandrinischen Denkweise bestätigt: (1) intelligible Welt, (2) Alexandria als Begegnungsstätte, (3) philosophische Haupteinflüsse, (4) allegorische Exegese, (5) Gott als trinitarischer Geist und (6) der Einzelmensch als das Absolute aufgrund seiner Einheit mit Gott als Geist. Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Philons jüdisches Denken im Vorfeld von Hegels Proklos-Lektüre wesentlich maßgeblicher für seine Systematisierung der Philosophiegeschichte, oder genauer: für den Übergang von der antiken griechischen Philosophie zur christlichen Glaubenslehre, ist als in den späteren philosophiegeschichtlichen Vorlesungen. Hierfür sprechen eindeutig Hegels philosophiegeschichtliche Vorlesungen aus dem Sommersemester 1819 sowie aus dem Wintersemester 1820/21 – also vor seiner nachhaltig prägenden Proklos-Lektüre und dem daraus resultierenden, Ende Mai 1821 an Creuzer adressierten Brief –, denn darin hebt ja Hegel die ideengeschichtliche Trennung zwischen Philon als Vordenker der neuplatonischen Strömung und
SWB Bd. 2, S. 266. SWB Bd. 2, S. 266.
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deren Hauptvertretern, Plotin und Proklos, sehr viel weniger hervor als in seinen späteren Fassungen der Philosophiegeschichte. Vielmehr scheint er ihn – unbeschadet der weiterhin bestehenden philosophischen Differenz – als eigentlich ebenbürtig einzuschätzen und Philons spekulatives Denken in einem Atemzug mit Aristoteles, dem Johannesprolog, den Neuplatonikern und schließlich Newton zu erwähnen. (Kap. 3) Aufbauend auf diesem aus Hegels philosophiegeschichtlichen Vorlesungen resultierenden Philonbild schließt meine Forschungsstudie im letzten Kapitel damit, die Wesensmomente von Hegels Philonverständnis in seiner religionsphilosophischen Wahrnehmung von Judentum und Christentum herauszufinden. Die erste Grundthese des dritten Kapitels lautete, Philons geistig „erwachtes“ Judentum und dessen Leitmotive seien in Hegels Verständnis der christlichen Philosophie, eigens hinsichtlich ihrer allegorischen Bibelexegese, ihrer Logos- und Weltschöpfungslehre und des Trinitätsdogmas, wiederzufinden und für diese besonders relevant. Hegels bereits 1800 vorgebrachter Philon-Verweis legt nahe,⁴¹ er halte Philon wegen dessen platonischer Erklärungsmethode der kanonischen jüdischen Schriften für maßgeblich für die welthistorische Entstehung des Christentums. Bezüglich der kirchenväterlichen Allegoresen geht Hegel in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte davon aus, die Kirchenväter seien von Philons schriftexegetischer Methode apologetisch wie inhaltlich beeinflusst, und will dabei die von außen kommende Wirkung der neuplatonischen und philonischen Denkstrukturen auf die christliche Dogmenbildung legitimieren.⁴² Mithin will er anscheinend im gleichen Zug eine Verbindung zwischen Paulus’ hermeneutischem Leitprinzip (2Kor 3,6) und Philons allegorischem Interpretationsansatz andeuten, eine Identifikation, die sich auch in Schellings Studienheften ausdrücklich niederschlägt. Weiterhin habe ich zeigen können, dass Hegel ein allegorisches Verständnis von Jesus hat, wenn er, wie Philon von einem biblischen Doppelsinn ausgehend, argumentiert, im Johannesprolog werde Jesus sowohl in metaphysischer (sinnbildlicher) als auch entsprechend in geschichtlicher (wortwörtlicher) Gestalt konzipiert. In Ausführungen zu Philons allegorischer Methode der Schriftauslegung aus den Jahren 1820/21 vertritt Hegel den Standpunkt, die christliche Scholastik baue mit ihren „vernünftigen“ Bibeldeutungen auf dem bereits von Philon entwickelten Interpretationsmodell auf: „Eben so suchten später die
TWA Bd. 1, S. 227. TWA Bd. 12, S. 400.
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4 Zusammenfassung – Hegel als Interpret Philons
Scholastiker die Übereinstimmung des für sich Vernünftigen mit der heiligen Schrift zu zeigen.“⁴³ Die Feststellung, dass Philons System aus Hegels Sicht die bedeutendste Vorform der christlichen Dreieinigkeitslehre darstellt, ist durchaus stichhaltig. Die vorliegende Studie zeigt, dass Hegel sich dabei an der im 18. und 19. Jahrhundert vorherrschenden Leitprämisse der Theologiegeschichte orientiert, der zufolge Philon als Hauptquelle fü r den Trinitätsgedanken gilt. Vor diesem Hintergrund kommt Hegel in verschiedenen thematischen Zusammenhängen seiner Religionsphilosophie mehrmals auf Philons trinitarische Gedankenformen zu sprechen. Die auch in Schellings Studienheften vertretene rezeptionsgeschichtliche Annahme, die Kirchenväter übernähmen das Trinitätsdogma von der platonischen Metaphysik in ihrer noch unbewiesenen Vorstellung,⁴⁴ macht es durchaus plausibel, dass die Hauptthesen von Souverains trinitätskritischer Abhandlung Versuch über den Platonismus der Kirchenväter Hegel stark beeinflusst haben. In einem äußerst kritischen Brief, den Hegel am 3. Juli 1826 an den deutschen Orientalisten und protestantischen Theologen Tholuck im Zusammenhang mit dessen Werk Die speculative Trinitätslehre des späteren Orients richtet, bezieht er sich auf „den Einfluß […] jüdischer und neuplatonischer Philosophie“ auf den christlichen Dreifaltigkeitsgedanken. Dadurch wird deutlich, dass es sich hierbei um eine Andeutung auf die in Abr. 119 – 122 veranschaulichte „Philonische Trias“ in Gestalt der lichthaften Offenbarung der τριττὴ φαντασία des einzigen Gottes und seiner zwei obersten Potenzen, der Herrscher- und Schöpferkraft, handelt, wie sie Tholuck dort im Rekurs auf das originalsprachige Zitat aufgegriffen und als ideengeschichtlich bedeutsam bewertet hat.⁴⁵ An vier zentralen Stellen seiner Religionsphilosophie geht Hegel auf das Dreieinigkeitsmuster in Philons Lehrgebäude ein, womit dieser bereits zur Zeitenwende die christliche Trinitätslehre gedanklich vorformuliert hat: Diese These vertritt Hegel auf dem Höhepunkt seiner gesamten Religionsphilosophie, nämlich im thematischen Rahmen des Dreieinigkeitsbegriffes der absoluten Offenbarungsreligion in „Gott in seiner ewigen Idee an und für sich: Das Reich des Vaters“.⁴⁶ Im Unterschied zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen wird hier nur Philon als jüdischer Trinitätsdenker der vorchristlichen Antike namentlich benannt, dessen metaphysischem System „die Vorstellung vom Verhältnis der Dreieinigkeit zugrunde liegt“,⁴⁷ und nicht die maßgeblichen Vertreter des Neu
GW Bd. 30,1, S. 378, 9 – 11. TWA Bd. 19, S. 95. Tholuck 1826, S. 27. TWA Bd. 17, S. 234, 237– 239. TWA Bd. 17, S. 237.
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platonismus, Plotin und Proklos, die Hegel an dieser Stelle nur beiläufig erwähnt. In seiner Darstellung der vorchristlichen Dreieinigkeitsvorstellung bedient er sich größtenteils der systematischen Leitmomente bei Philon – mit einigen wenigen Rekursen auf gnostische Motive – wie sie primär Neander fasst. Ihm zufolge enthält Philons „protochristliches Trinitätssystem“ drei dynamische Wesensmomente: erstens Gott als τὸ ὄν, zweitens der λόγος als dessen allgemeinste Wesensbestimmung, die in die göttliche „Innerlichkeit aufgenommen“ worden sei und drittens die σοφία in Gestalt „de[s] ursprüngliche[n], ganz reine[n] Mensch[en]“, die letztlich zum göttlichen Urgrund zurückkehre und somit „im Schoße Gottes bleib[e]“ und keinen wesentlichen Unterschied zum ersten Moment darstelle.⁴⁸ Auf Neanders christlich motivierter Philonauffassung aufbauend schätzt Hegel den philonischen οὐράνιος ἄνθρωπος als Verwirklichung von Gottes Natur und als einen „weiterentwickelten“ Individuationsmodus der Logoshypostase in der Menschenwelt ein, womit er gerade die in Philons System hierarchisch dargelegten Seins-Stufen ontologisch umkehrt. Ähnlich wie in seiner systematischen Philondeutung wird auch hier Hegels Tendenz erkennbar, die Gott-Logos-Unterscheidung Philons aufzuheben, um ihn als Trinitätsdenker zu charakterisieren, der von einer Gott-Logos-Wesensverwandtschaft als Grundlage des christlichen Dreieinigkeitsbegriffes ausgehe. Auf diese Elemente des „philonischen Trinitätsdenkens“ nimmt Hegel ebenso in seiner Charakterisierung des welterschaffenden Momentes Bezug „als das Manifestierende, sich Äußernde (Logos, Sophia)“ der christlichen Trinität.⁴⁹ Hegels Wertschätzung für Philons Dreieinigkeitsgedanken kommt in seinen Vorlesungen zur Religionsphilosophie von 1827 besonders deutlich zum Vorschein, denn dort stuft er im Kontext der vollendeten Religion (Christentum) die metaphysischen Gedankenbestimmungen, mit denen Philon seine Trinitätsform begreift, als höher und konkreter ein als die lediglich abstrakte „Bestimmung Gottes als des Dreieinigen“ bei Pythagoras und Platon. Philons Denkfigur der Dreieinigkeit hält er hier deshalb für besonders bewunderungswürdig, weil sie sowohl die pythagoreische als auch die platonische Triasbestimmung in weiterentwickelter Form enthalte.⁵⁰ In den Manuskripten und Vorlesungen zur vollendeten Religion von 1824 beruft sich Hegel explizit auf Philon als „einen platonischen Juden“ im Rahmen der dem Christentum vorausgehenden Präfiguration des Dreieinigkeitsdogmas, der „aus dem Bedürfnis […], Gott zu er-
TWA Bd. 17, S. 239. TWA Bd. 17, S. 234. Vorl. Bd. 5, S. 212.
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kennen“ heraus auf „Spuren“ und „Andeutung von der Idee Gottes“ als dem Dreieinigem gekommen sei.⁵¹ Aspekte der „philonischen Trinitätsbestimmung“ finden sich mehrmals auch in folgenden Zusammenhängen in der hegelschen Auffassung des christlichen Dreifaltigkeitsdogmas und erst recht in der negativ-theologischen Grundhaltung des Judentums: So z. B. in einem Passus der Vorlesungen zur Wesenslogik, in dem Hegel im kritischen Rückgriff auf die jüdische Gotteslehre den Wesensbegriff als den „Dreischein in sich“ näher zu bestimmen sucht. Der „Dreischein in der Beziehung“ treffe auf die jüdische Philosophie insofern zu, als dort „Gott Eigenschaften [z. B. Gerechtigkeit, Güte, etc.] beigelegt“ würden,⁵² Gottes Wesen dabei aber am Ende ausschließlich „das Eine in sich selbst“ bleibe, „seine Unterschiede […] ein bloßes Scheinen“.⁵³ Die Affinität dieses „jüdischen Dreischein“Bildes Gottes zu Philons triadischer Gottesvorstellung als τριττὴ φαντασία eines einzigen Gegenstandes aus Abr. 119 – 132, der Hegel in Philondarstellungen oftmals begegnet war, ist unverkennbar. Wesentlich entscheidender ist in diesem Zusammenhang ein kurzer Passus in Hegels Philosophiegeschichte aus dem Sommersemester 1819, wo er sich, durchaus abwertend, ausdrücklich auf Philons grundsätzliche Ablehnung einer Trinitätsvorstellung von Gott als dem allein wahrhaft existierenden Seienden-Einen bezieht. Begleitet wird Gott beidseitig von seinen zwei obersten Gewalten, der schöpferischen Güte und der ordnungsschaffenden Herrschaft in Abr. 119 – 132. An diesem Beispiel macht Hegel die „sich oft sehr kleinlich“ zeigenden metaphysischen Inhalte von Philons allegorischen Schrifterklärungen fest: „Dieses Bestreben des Denkens auch äußeren Gestalten höheren Sinn geben zu wollen, zeigt sich oft sehr kleinlich. ZB. Dem Abraham erscheinen erst 3 Engel, dann 1. Dies soll bedeuten, daß 1te Bewußtsein Gott in der Spaltung auffaßt, erst höher in der Einheit.“⁵⁴ In der Einleitung derselben Vorlesungen verknüpft Hegel diese von Philons Abr. 119 – 132 herrührende Denkstruktur mit der apophatisch-theologischen Grundposition der jüdischen Philosophie, wonach Gott in seinem schöpferischen Weltbezug sich zwar als „[e]iner, gütig, gerecht“ in seiner Triasbestimmung manifestiere, die aber von dem der spekulativen Denkweise abgeneigten Menschenverstand abermals ausschließlich auf ein „einziges Substrat“ zurückgeführt werde.⁵⁵ Hegels markante Formulierung „das Substrat ist Eins“, womit er die
Vorl. Bd. 5, S. 22 und 129. Vorl. Bd. 11, S. 113. Vorl. Bd. 11, S. 113. GW Bd. 30,1, S. 127,4– 10. GW Bd. 30,1, S. 25,5 – 6: „das Substrat ist Eins […] der Verstand isolirt das Subject und macht die Eigenschaften äußerlich.“
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Einheit wie Einzigkeit der vordergründig trinitarischen Gottesvorstellung als „[e] iner, gü tig und gerecht“ betont, belegt philologisch, dass er damit auf Basis von Neanders Philondarstellung⁵⁶ Philons Originalwortlaut ἑνὸς ὑποκειμένου, einziges Substrat der τριττὴ φαντασία, in Abr. 119 oder 131 wortwörtlich ins Deutsche überträgt oder mindestens konkret im Sinn hat. Auch in seinem religionsphilosophischen Verständnis des Judentums als Religion der Erhabenheit skizziert Hegel eine ähnliche Dreieinigkeitsvorstellung und erläutert die trinitarische Manifestation der jüdischen Gottesvorstellung in ihrer lediglich „äußerlichen“ weltbezogenen Bestimmtheit als „die Weisheit“ und „deren nähere Momente die Güte und Gerechtigkeit“.⁵⁷ Diese „jüdisch“-theologische Sicht gemahnt unmittelbar an Philons in Cher. 27 dargestellte Beziehung der göttlichen Kräfte von Güte und Allmacht zu ihrem „dritten“ Einheitsgrund, dem göttlichen Logos.⁵⁸ Rosenkranz’ Bericht über das Fragment vom göttlichen Dreieck, in dem Hegel in seiner prägenden Berner Zeit den Begriff der Dreieinigkeit in Anspielung auf gnostische Motive metaphysisch nachzuweisen sucht,⁵⁹ zeigt ebenfalls Ähnlichkeiten zu Ideen von Philons Philosophie: (1) Hegel stellt die Selbsterfassung des einheitlichen Vatergottes durch die Metaphorik der Lichtemanation als ein mittig stehendes und von anderen Lichtquellen umgebenes, ungemischtes Urlichtwesen dar.⁶⁰ Hegels Vatergott enthält überraschende Parallelen zu Philons Gottesbild, wie beispielsweise in Praem. 45 geschildert, wo Gott sich selbst als „sein eigenes Licht begreift“, sowie in Abr. 119 – 132, wo Gott als ein in der Mitte stehendes, von zwei Lichtphänomenen umhülltes, einheitliches Lichtwesen aufgefasst wird. (2) Gottes Namensoffenbarung „[i]ch bin Gott“, wodurch er sich in seinem Selbstbewusstsein nunmehr affirmativ in die Sphäre des Sohnes artikuliert und erkennt,⁶¹ erinnert unmittelbar an Philons metaphysische Exegese von Gottes Namensoffenbarung in Ex 3,14 LXX („Ich bin der Seiende“), auf deren Grundlage Philon demnach Gott mit der platonischen Bezeichnung für die Ideenkonzeption dem wahrhaften Seienden gleichsetzt. (3) Auch Hegels Vorstellung von Gottes ersterschaffenem Sohn zeigt große Nähe zu Philons Logosbegriff, wenn er unter jenem „den ewigen Mittler“ zwischen dem negativen Vatergott und sich selbst in Gestalt des Weltganzen („Herrlichkeit des Universums“) versteht und Philon seine Logoshypostase als Gottes zentrale Vermittlerinstanz konzipiert, die zwischen
Neander 1818, S. 19 – 20. TWA Bd. 17, S. 58. OʼRegan 2008, S. 113. TWA Bd. 2, S. 536. TWA Bd. 2, S. 537– 538. TWA Bd. 2, S. 536 – 537.
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ihm und der Menschenwelt vermittle und darüber hinaus den intelligiblen wie sinnlichen Kosmos als Gottes Söhne bestimmt.⁶² Fast stets, wenn Hegel das christliche Logoskonzept aufgreift, kommt er auf Philons Logosbegriff zu sprechen.⁶³ Seine zwei frühen Auslegungen des Johannesprologs scheinen dementsprechend auf Gedanken der philonischen Logostheologie aufzubauen. (1) Sich auf Philons Gegenüberstellung des λόγος mit der σοφία stützend übersetzt Hegel den Terminus „Logos“ in Joh 1,1 in seinem 1795 verfassten Berner Aufsatz Das Leben Jesu nicht etwa mit „Wort“, sondern vielmehr mit „Weisheit“. (2) In den aus Hegels Frankfurter Zeit überlieferten Logosspekulationen in Der Geist des Christentums und sein Schicksal scheint er die in Joh 1,3 dargestellte Schöpfungstätigkeit des Logos anhand von Philons kosmologischem Konzept des λόγος τομεύς aus Her. 133 – 160 auszulegen, worauf Halfwassen hinweist.⁶⁴ Dieser Topos eines durch Teilungstätigkeit welterschaffenden Geistprinzips findet sich zudem in anderen Zusammenhängen von Hegels Denkens, sowohl in §§ 467– 468 seiner Notizen zum absoluten Geist als auch in seiner Analyse der jüdischen Schöpfungstheologie.⁶⁵ (3) Auch in seiner religionsphilosophischen Behandlung der christlichen Schöpfungslehre ist im Abschnitt „Das Reich des Sohnes“ die Rede von „zwei ewigen actus Gottes“, die einer Erschaffung von zweifachen Welten entsprechen, einer intelligiblen und einer sinnenfälligen.⁶⁶ Daran erinnert Hegels Fassung von Philons doppelter Logoslehre unmittelbar, in der er einerseits Philons λόγος ἐνδιάθετος mit der teilenden Schöpfungstätigkeit der Ideenwelt verknüpft und dessen λόγος προφορικός entsprechend mit der Bildung der Sinnenwelt. Ferner zeigt die Studie, dass Hegel in Philons anthropomorpher Logosgestalt als göttlichem Urmenschen einen wesentlichen metaphysischen Vorzug begründet sieht, durch den dessen jüdische Logoslehre näher an den menschgewordenen Geistbegriff des Christentums als an die anderen rein metaphysischen Geistprinzipien der Neuplatoniker heranrückt. Philon fasse nämlich den Geist ähnlich wie die Christen von seiner konkreten Menschenform her auf, wenn auch letztendlich nicht als ein sinnliches Individuum. Noch überraschender ist die von meiner Untersuchung belegte These, Hegels durchaus aufwertendes Bild des geistigen Judentums als Religion der Erhabenheit gehe vorrangig mit seinem Philonverständnis einher.⁶⁷ Während wir einige phi-
an
TWA Bd. 2, S. 537. Dazu siehe vor allem: Her. 205; Mos. 2.134; Leg. 1.96; Ebr. 30; Deus 31. TWA Bd. 9, S. 24– 25; Bd. 12, S. 399 – 401; Bd. 16, S. 345; GW Bd. 30,1, S. 179,6 – 10. Halfwassen 1999, S. 69 – 71. TWA Bd. 17, S. 58. TWA Bd. 17, S. 245. Vgl. zu OʼRegan 2008, S. 112: „It is in Lectures on the Philosophy of Religion also that one finds important evocation of Philo that reflects not so much Hegel’s concern to enlist Philo in a
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lonische Topoi in Hegels Auffassung des Judentums als Religion der „Geistesknechtschaft“ aus den 1790er Jahren entdecken – vor allem in Bezug auf seine allegorische Abraham-Gestalt und auf seine negative Theologie, ohne sie allerdings beweiskräftig auf Philons Gedankengut zurückführen zu können –, lässt sich sein späteres Gesamtbild der jü dischen Philosophie als philonisch bestimmen. Allerdings drängt sich zunächst angesichts der Tatsache, dass Hegel bei seiner spekulativen Auslegung der jü dischen Metaphysik Philon kein einziges Mal namentlich erwähnt, die Frage auf: Woraus resultiert dieses dezidierte Ergebnis? Die Antwort darauf ist recht schlicht: Die zentrale metaphysische Gedankenfigur, welche die akosmistische Weltsicht der jü dischen Philosophie auszeichnet, scheint größtenteils von Philons Abr. 119 – 131 herzurühren. Im folgenden Abschnitt sind die wesentlichen Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit darzulegen: Hegel bestimmt den jüdischen Gott als den Einen, unter dem wiederum die weltschöpferische „Weisheit von allem“ zu verstehen sei.⁶⁸ Diese markante Bezeichnung ist mit Philons oftmals verwendeter Wendung über Gott als Geist von allem (Opif. 8: ὁ τῶν ὅλων νοῦς) nahezu identisch.⁶⁹ Insgesamt scheint dieses hegelsche Bild der jüdischen Gottesauffassung als Weisheit mit seinem Philonverständnis eng zusammenzuhängen. Hierin spiegelt sich seine schon in anderen Zusammenhängen augenfällige Absicht wider, die von Philon postulierte Wesensdifferenz zwischen dem absolut erhabenen Gott und dessen ebenbildlicher Geisthypostase einzuebnen.⁷⁰ In Hegels Wahrnehmung von der Religion der Erhabenheit scheint das „jüdische“ Attribut der Weisheit als angebliche weltzugewandte Wesensbestimmung und Schöpferkraft Gottes an die „metaphysische Stelle“ von Philons Logos in seinen fundamentalen Ausprägungen zu treten. Analog zu Philons weltformendem λόγος τομεύς als die θεία σοφία aus Her. – der den gesamten Urstoff in Gegensatzpaare zergliedere, um den sinnlich erfahrbaren Kosmos ins Dasein zu setzen –⁷¹, besteht laut Hegels Auffassung der jüdischen Schöpfungslehre die Funktion der göttlichen Weisheit darin, das Weltganze durch das „Ur-Teilen“ zu bilden.⁷² Die Weisheit fungiere zudem, so fährt Hegel fort, als trinitarian rehabilitation of modern theology (which involves a correction of classical trinitarianism), but his interest in modifying his erstwhile highly negative construal of Judaism. This is especially to the fore in the 1827 Lectures, which mark something of a high-point of Hegel’s evaluation of Judaism (LPR 2 E 669 – 87; G 561– 79).“ TWA Bd. 17, S. 46. Hierzu siehe zudem: Migr. 193; Fug. 46; Leg. 1.18 sowie 3.26. Hegel zufolge ergänzt Philons Logos das konkrete Wesen dessen Gottesbegriffes: „Was er ist [sc. Gott], ist er nur als Geist, d. h. eben indem der λόγος, sein Sohn, zu seinem wahren Wesen selbst gerechnet wird.“ (TWA Bd. 19, S. 422) Dazu siehe TWA Bd. 19, S. 423: „Dieser Verstand teilt sich nun in Ideen.“ TWA Bd. 17, S. 54.
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Gottes „absolute Macht“, die noch eine Vielzahl an weiteren göttlichen Eigenschaften in sich berge, und sich in ihre „nähere[n] Momente der Güte und Gerechtigkeit“ entfalte: Die Güte rief die Welt erst ins Dasein, und die Gerechtigkeit stiftete ihr infolgedessen Ordnung. Eine durchaus ähnliche Denkstruktur ist auch dem philonischen Denken eigen, wie OʼRegan treffend argumentiert:⁷³ Gottes zwei Leitgewalten, die weltschöpferische Güte und die ordnungsverleihende Allmacht bzw. Herrscherkraft, gehen „auf ein Drittes“ zurück, nämlich auf Gottes einzigen Logos als ihren intelligiblen Einheitsgrund.⁷⁴ Indem Hegel überhaupt auf Gottes vermittelnde Geistbestimmung in der monotheistischen Religionslehre des Judentums zu sprechen kommt, kann man im Vergleich zu seinen abwertenden Urteilen in den Frühschriften, in denen er das Judentum als die Religion der statutarischen „Geistesknechtschaft“ ausweist, hier von dessen erheblicher Aufwertung ausgehen, deren Ursprung und Legitimation Hegel vorrangig in Philons jüdischer Logostheologie findet. Auch Hegels Verständnis der im Judentum nur abstrakt konzipierten Gottesbeziehung zu den Menschen – als „nur für den Gedanken“ und als lediglich „im Bewußtsein zu erscheinen“ bestimmt, wodurch er „das jüdische Abstraktum“ herauszustellen meint –⁷⁵ weist augenfällige Nähe zu Philons Bild von Gottes rein geistiger Beziehung zu den Menschen auf. Philon zufolge offenbart sich Gott ausschließlich mittels intelligibler Strahlen in den vernunftbegabten Menschenseelen, denn durch diese allein könne er wegen ihrer übersinnlichen Beschaffenheit kommunizieren.⁷⁶ Hegels Auffassung ähnelt seiner eigenen Erklärung von Philons Allegorese zu Gen 18 aus Abr. 119 – 132. Dort geht er ebenfalls davon aus, dass die geistige Gotteserscheinung Abrahams Bewusstsein zugrunde liege („das 1te Bewußtsein“), womit sich Gott letztlich lediglich „in der Einheit“ vollends abstrakt kundtue.⁷⁷ Hegels Auffassung von Gottes zentralem Attribut der Güte hat ebenfalls Parallelen zum philonischen Gedankengut: Hegel argumentiert, ähnlich wie Philon,⁷⁸ dass die jüdische Schöpfungslehre von einer platonisch-kosmologisch klingenden Stellungnahme ausgehe: Gott habe ab initio entschieden, die Welt aufgrund seiner unermesslichen Güte ins Dasein zu rufen.⁷⁹ Die daraus resultie-
OʼRegan 2008, S. 113. Cher. 27. TWA Bd. 17, S. 46 – 47, 50 – 52, 74, 80 – 83, 92. Dazu beispielsweise: Contempl. 68; Decal. 35. GW Bd. 30,1, S. 127,6 – 10. Z. B.: Deus 108; Opif. 21; Cher. 127. TWA Bd. 17, S. 58 – 59.
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rende Weltmannigfaltigkeit entspringe, so gibt Hegel zu erkennen,⁸⁰ aus Gottes „ewiger Güte“ und auch Philon nimmt in Opif. 21– 23 an, die „reichen und verschwenderischen Gaben der Natur“ seien auf Gottes unerschöpfliche Güte und Gnade rückführbar. Des Weiteren betont Hegel, Gott als „nur das absolut Gute“ sei konzeptionsgemäß mit dem ihm widersprechenden Bösen unvereinbar,⁸¹ was wiederum auch Philon äußert: Unter Gott ist ausschließlich der Urheber des Guten zu verstehen (Deus 87: αἴτησις ἀγαθῶν),⁸² weswegen er in seinem uneingeschränkten Übermaß an Güte prinzipiell nichts Schlechtes tun könne.⁸³ Hegels religionsphilosophische Schilderung der jüdischen Gotteslehre entspricht durchaus seinem Bild von Philons Gotteskonzept. Er greift auf etliche weitere Gottesprädikate außer der Weisheit zurück, auf die er entweder in seiner Philonauslegung hinweist oder die dem philonischen Gottesbegriff zukommen, um die Negativität der jüdischen Gottesvorstellung hervorzuheben, wie etwa Einheit, Einzigkeit, Übersinnlichkeit, Gestaltlosigkeit, Unbedingtheit, Selbstidentität, Ruhe, Unaufgeschlossenheit sowie das Alleinsein. Am deutlichsten veranschaulicht Hegel diese orientalische Hoheit der jüdischen Gottesvorstellung an den Beispielen der Lichtwerdung durch Gottes Befehl in Gen 1,3 und der etlichen Psalmworten zugrunde liegenden Schöpfungsvorstellungen (Ps 33,6, 33,9 und 148,5). Ein beinahe identisches Weltschöpfungsbild des „jüdischen Urlichtwesens“ zeichnet Hegel in Anspielung auf Ps 104 im Abschnitt zur „natürlichen Religion“ in der Phänomenologie des Geistes. ⁸⁴ Grundlegend für das Verständnis dieser Passagen der religionsphilosophischen Vorlesungen ist ebenfalls Mendelssohns poetologische Lesart der Hebräischen Bibel,⁸⁵ an der sich Hegel hierbei allem Anschein nach stark orientiert. In diesem Zusammenhang konnte die Studie zudem zeigen, dass auch Philon in Somn. 1.75 in einer allegorischen Exegese von Ps 27,1 LXX Gottes Alleinstellungsmerkmal der Erhabenheit all seinen Geschöpfen gegenüber, insbesondere gegenüber seinem Logos als dem gesamten Ideenkosmos, begründen will. Auf zwei augenfällige Entsprechungen zwischen Hegels und Philons Psalmendeutung konnte hingewiesen werden: Erstens schätzen sowohl Hegel als auch Philon das Lichtphänomen als übersinnliches Weltganzes ein; bei Hegel ist die Rede von einer „Lichtwelt“, bei Philon indes vom
TWA Bd. 17, S. 58 – 59. TWA Bd. 17, S. 74. Dazu: Det. 122; QG 1.68. Opif. 75. TWA Bd. 3, S. 505 – 507. Zwei Abhandlungen Mendelssohns sind in diesem Zusammenhang von besonderem Belang: „Ueber das Erhabene und Naiv in den schönen Wissenschaften“ sowie die Rezension zu Robert Lowths „De sacra poesi Hebraeorum“.
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lichthaften „Urbild“-Logos, der die Form des gesamten Ideenkosmos annehme. Zweitens nehmen beide auf Gottes schöpferischen Sprechakt Bezug, kraft dessen er das Licht ins Dasein ruft, um Gottes Überlegenheit dem Gesamtkosmos und dessen unzähligen Inhalten gegenüber nachzuweisen. Hegel illustriert die Erhabenheit der jüdischen Gottheit auch anhand ihrer Eigenschaften, die ihr realiter im Licht ihrer absoluten Entrücktheit nicht zukommen könnten, sondern auf die sie lediglich in ihrem mittelbaren Weltbezug zugreife.⁸⁶ Ebenso unterstreicht Philon, dass der strikt einheitliche Gott der jüdischen Religion sich seiner Kräfte in seiner gemischten Vielfältigkeit ausschließlich „in bezug auf die Schöpfung“ bediene, diese aber „in bezug auf sich selbst“ in seinem streng ungemischten Wesen blieben, also innerhalb der Vielheit ausschließenden Natur Gottes in Wirklichkeit nicht existent seien.⁸⁷ Hegel baut anscheinend zweimal in entscheidenden Punkten der Religion der Erhabenheit auf Elemente von Philons Gottesbild in Abr. 119 – 132 auf,⁸⁸ um zum metaphysischen Kern der antitrinitarischen Gotteslehre des Judentums vorzudringen. Grundsätzlich legen drei Aspekte dieser „verstandesmetaphysischen“ Gottesvorstellung des Judentums das Abhängigkeitsverhältnis zu Philon nahe: (1) Hegel postuliert die Nichtexistenz der weltzugewandten Hauptpotenzen Gottes, der weltschöpferischen Güte und der ordnungsstiftenden Gerechtigkeit, denn dem jüdischen Akosmismus zufolge sei „[d]as Sein, das wahrhaft Wirkliche […] nur Gott“, während „das Sein außereinander, außer Gott, […] keine Ansprüche [habe]“.⁸⁹ Vollends deckungsgleich zu dieser metaphysischen Gedankenfigur trägt auch Philon in Abr. 119 – 132 das grundlegende Argument vor, dass Gottes oben erläuterte weltbezogene Leitgewalten im Licht seiner ganzheitlichen ontologischen Wesenheit letzten Endes als sinnestäuschende, auf seine absolute Einheit zurückgehende Schatten abzuqualifizieren seien. (2) Die Erscheinung der weltzugewandten Leitkräfte Gottes seien, worauf Hegel polemisierend hindeutet, lediglich als „Produkt“ und „schlechte Unterschiede“ vorgestellt worden, die dem „jüdischen“ und der Spekulationen abgeneigten Menschenverstand entstammten, „der sie nicht kennt, nicht weiß“, welche metaphysischen Vorzüge „er […] an diesen Unterschieden“ hätte haben können.⁹⁰ Hegel vermittelt hiermit eindeutig, daraus hätte Gottes wahre Trinitätsbestimmung zutage gefördert werden können. Hierbei spielt er anscheinend durchaus kritisch auf Philons einheitsmetaphysischen Ansatz von Gen 18 an, wonach unter der τριττὴ φαντασία des wahren
TWA Bd. 17, S. 58. Deus 77. TWA Bd. 17, S. 57– 59 und Bd. 16, S. 347– 348. TWA Bd. 17, S. 58. TWA Bd. 17, S. 58.
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Seienden zusammen mit seinen zwei obersten Gewalten lediglich ein Trugbild der noch nicht in die großen Mysterien eingeweihten Menschenseele zu verstehen und die somit auf das ἓν ὑποκείμενον in Form der unzusammengesetzten Einheit rückführbar sei. (3) Der jüdischen Weltanschauung sei letztlich der Akosmismus eigen, denn sie setze Gottes Wesen mit dem wahren Sein gleich,⁹¹ das alles außerhalb seiner Innerlichkeit als ontologisch nichtseiend disqualifiziere. Ebendiese Haltung sieht Hegel unmittelbar in Philons auf Ex 3,14 LXX gestützter Auffassung von Gott als τὸ ὄντως ὄν und der unbegrenzten Fülle des Seienden angelegt.⁹² Dieses akosmistische Argumentationsmuster der jüdischen Gotteslehre sei gerade das, worauf Gottes negatives Erhabenheitsmerkmal aus dem asymmetrischen ontologischen Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis gegründet sei. Dabei konnte belegt werden, dass Hegels Erhabenheitsgedanke, durch den er die gesamte jüdische Philosophie undifferenziert charakterisiert, nicht nur von mendelssohnschem Gedankengut herrührt, sondern auch und vor allem von philonischem. Hegels Sichtweise enthält darüber hinaus Berührungspunkte zwischen der jüdischen und der philonischen Schöpfungslehre: Die Erschaffung der Welt sei erstens ein selbstbezügliches Ereignis,⁹³ woraus zweitens keine konkrete Sinnenwelt entstehe, sondern vielmehr eine übersinnliche Gedankenwelt.⁹⁴ Drittens wird ein geistiger und wirksamer Schöpfungsvermittler vorausgesetzt (Weisheit/Logos), dem viertens die Aufgabe zukomme, die Welt ewig zu erschaffen.⁹⁵ Fünftens überträgt Hegel eingangs der Seinslogik seine prinzipientheoretische Analyse der fundamentalen Bestimmungen von Sein und Nichts auf den jüdischen sowie philonischen Gottesbegriff als das allein wahrhafte Seiende und entsprechend auf das nichtige Materialprinzip der Welt.⁹⁶ Des Weiteren sind diesbezüglich zwei ergänzende Passagen über Hegels religionsphilosophisches Bild des Judentums von besonderem Belang: (1) Er geht ausdrücklich davon aus, die jüdische Schöpfungslehre vertrete die auf Gen 1,27 aufbauende Gottesebenbildlichkeit nicht nur für den am sechsten Werktag erschaffenen Menschen, sondern auch für das Weltganze,⁹⁷ ein Standpunkt, den bekanntlich Philon bei seiner Kosmologie wiederum durchgehend vertritt, wie
TWA Bd. 17, S. 55 sowie 58. TWA Bd. 19, S. 42. TWA Bd. 17, S. 55. TWA Bd. 17, S. 53, 55 – 57, 65. TWA Bd. 17, S. 56, 239. TWA Bd. 17, S. 55. Vorl. Bd. 3, S. 337; Vorl. Bd. 4a, S. 626; TWA Bd. 17, S. 74.
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etwa in Opif. 25. In der unmittelbaren Folge dieser ebenbildlichen Relation zwischen Gott und Welt produziere er als Geist die Welt ebenfalls als Geist,⁹⁸ weshalb man dem monotheistischen Anspruch der jüdischen Philosophie Dualismus vorwerfen könne. Offenkundig spielt Hegel dabei auf Philons spekulativen Schöpfungsgedanken an, dem zufolge Gottes ersterschaffene, übersinnliche Gedankenwelt mit dessen Geistprinzip in Form des λόγος ἐνδιάθετος sowie δεύτερος θεός gleichzusetzten sei.⁹⁹ Unter impliziter Bezugnahme auf Philons platonische Kosmologie – „bei […] platonischen Juden“ – in ihrer engen Verzahnung mit der jüdischen Schöpfungslehre artikuliert Hegel eine sehr ähnliche Erschaffungsvorstellung, die sich ebenfalls primär an Philons geistmetaphysischem Konzept des λόγος ἐνδιάθετος auszurichten scheint.¹⁰⁰ (2) Entsprechend vollziehe Gott der jüdischen Philosophie zufolge seinen Schöpfungsakt als ewig anschauende „Produktionstätigkeit“,¹⁰¹ was wiederum unmittelbar an Philons platonischen Topos des Demiurgen gemahnt. Philon eignet sich diese Denkstruktur in Bezug auf seinen Logosbegriff insofern an, als der Logos abermals das Weltganze mittels seiner auf einem Gedächtnisvermögen beruhenden mimetischen Anschauungstätigkeit produzieren könne.¹⁰² Auch der Leitgedanke von Hegels metaphysischer Auslegung der Sündenfallgeschichte zeigt große Affinität zu Philons Genesisallegoresen: (1) Bei beiden versinnbildlicht die Adamsgestalt die Idee des Menschen schlechthin. Hegel zufolge ist Adam „der Mensch überhaupt, […] die Natur des Menschen selbst“.¹⁰³ Laut Philons allegorischem Schriftverständnis steht Adam ebenfalls für den ersten dualistisch strukturierten Menschen (πρῶτος ἄνθρωπος ὁ γηγενής) überhaupt, der als „der erdgeborene, der Stammvater unseres ganzen Geschlechts“ gelte.¹⁰⁴ (2) Entsprechend interpretieren beide Adam allegorisch als den Geist auf seinem stets emporsteigenden Weg zum wahren Absoluten, zu Gott. Bei der spekulativen Exegese von Gen 2,23 wird diese Ähnlichkeit unverkennbar: Hegel rekurriert auf diesen Bibelvers in der enzyklopädischen Naturphilosophie, um aufzuzeigen, „daß der Geist sein eigenes Wesen, d. i. den Begriff in der Natur, sein Gegenbild in
TWA Bd. 17, S. 74: „Gott ist Geist, und sein Produkt, die Welt, ist auch Geist; hierein fällt dieses, an ihm selbst das Andere seines Wesens zu sein.“ TWA Bd. 19, S. 423. TWA Bd. 19, S. 409 – 410. TWA Bd. 17, S. 57: „Die Produktion also, worin er Subjekt ist, ist anschauende, unendliche Tätigkeit [Hervorh. i. Orig.].“ Opif. 18; Conf. 63. TWA Bd. 17, S. 76. Opif. 136.
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ihr finde“.¹⁰⁵ Adam symbolisiere den Geist, der in der Natursphäre, im Literalsinn: Eva/Männin, sich selbst gewiss werde, dass die Natur eine materielle Manifestation seines eigenen Wesens sei. In Leg. 2.40 – 41 legt Philon diesen Genesisvers sehr ähnlich aus, indem er Adam mit dem νοῦς als oberstem Seelenteil allegorisch gleichsetzt, der zu dem selbstreflektierten Schluss komme, die αἴσθησις (Eva) sei der niedrige Teil in derselben Seele, „Kraft von [s]einen Kräften“, weshalb „sie [ihm] jetzt nicht mehr […] fremd“ sei, „sondern eng verwandt“.¹⁰⁶ Die oben dargelegten Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass Hegels aufwertendes Gesamtbild des Judentums als eine vorrangig wegen ihrer metaphysischen Grundinhalte ansatzweise geistigen Religion sehr eng mit seinem Philonverständnis einhergeht. Als entscheidend in diesem Zusammenhang hat sich Philons metaphysische Zurückweisung der Triasbestimmung zugunsten der Einheitsbestimmung Gottes in Abr. 119 – 132 erwiesen. Diesen strikt einheitlichen Gottesbegriff Philons qualifiziert Hegel in seiner Philosophiegeschichte allerdings als „sehr kleinlich“ ab. Gerade diese Abwertung mit eindeutigen Anspielungen auf diese Philon-Stelle scheint geradezu die Basis für sein kritisches Verständnis der akosmistischen Grundposition der jüdischen Religionsphilosophie auszumachen: Gott als das wahre Sein greife in seinem Weltbezug auf seine zwei Mächte als „nähere Momente“ der „alttestamentlichen“ Geistbestimmung, der weltbegründenden Güte und der ordnungsstiftenden Gerechtigkeit, zu; diese seien aber beide letztlich nichts anderes als ein nichtexistentes „Produkt“ des spekulationsfreien jüdischen Menschenverstandes. In Wahrheit nämlich erhebe die Gottheit des Judentums den ontologischen Absolutheitsanspruch, das ausschließlich „wahrhaft Wirkliche“ zu sein. Aus den in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Erkenntnissen ist ersichtlich geworden, dass Hegels Aufwertung der jüdischen Philosophie gleichzeitig deswegen mit einer offenbaren Abwertung verbunden sein muss, weil er den wesentlichen Kern der metaphysischen Religionslehre des Judentums mit einer „sich sehr kleinlich“ erweisenden Denkstruktur zu verschränken sucht. Diese ist zwar von einem einflussreichen jüdischen Religionsphilosophen vertreten, aber so gut wie nicht von der jüdischen Denktradition rezipiert worden. Dabei stellt sich die Frage, weswegen Hegel in seiner Darstellung der jüdischen Philosophie in so entscheidenden Zusammenhängen überhaupt auf Philon zurückgreift. Der Grund dafür liegt anscheinend darin, dass er mithilfe von Philons jüdischem Platonismus die ideengeschichtlichen Grundlagen des spekulativen Christentums sichern kann, ohne dabei auf den von ihm durchweg postulierten Wesensunter-
TWA Bd. 9, S. 23: § 246 Zusatz. PCH Bd. 3, S. 65.
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schied zwischen jüdischem und christlichem Weltbild verzichten zu müssen. Hegels systematische Deutung der jüdischen Religionsphilosophie legt letztendlich nahe, dass er sich nicht unmittelbar Philons Abhandlungen bedient hat, sondern vielmehr auf seinem eigenen, größtenteils philonisch geprägten Bild des Judentums aus den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen aufbaut und aus theologiegeschichtlichen Quellen schöpft, die oftmals unter Hinweis auf grundlegende Konzepte von Philons System die gedanklichen Inhalte der jüdischen Religionslehre ableiten. Auf der Grundlage von Hegels nur siebeneinhalb Seiten umfassenden Ausführungen zu Philon in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie deckt die vorliegende Untersuchung ein so komplexes wie signifikantes Moment in seinem spekulativen System auf, das sich auch in anderen Kernstellen seiner Schriften niederschlägt. Weniger die ursprünglichen religiös-theoretischen Erfordernisse von Philons jüdischem Denken stehen dabei im Mittelpunkt von Hegels Deutung, es geht ihm vielmehr darum, die philonische Religionsphilosophie im Rahmen seiner eigenen christozentrischen, geistmetaphysischen Weltsicht zu interpretieren und dabei kreativ in sein „allumgreifendes“ Philosophiesystem einzubauen. Hieraus resultiert eine Überbewertung der systematischen Stellung von Philons „protochristlichem“ Geistprinzip (Logos), und zwar insofern, als er andeutet, dass hierin ein metaphysisch umgestalteter und folglich wesentlich höher entwickelter Begriff von der herkömmlichen alttestamentlichen Gottheit impliziert sei. Damit gelingt es Hegel, die philonische Philosophie als eine jüdische Vorstufe zum bahnbrechenden Christentum und dessen dreieinigem Gotteskonzept als konkretem Geist ideengeschichtlich einzuordnen. Ebendies macht die Faszination von Hegels Philonbild aus: Er sieht Philon von Alexandria letztlich nicht als einen eindimensionalen Denker, sondern als eine unvergleichbare geistesgeschichtliche und im Kern prinzipientheoretische Begegnung, eine Begegnung zwischen dem Orient und dem Okzident, zwischen Judentum und Christentum, zwischen Moses und Platon, zwischen der Bestimmung der Einheit und der Dreieinigkeit, zwischen der alttestamentlichen Gottesvorstellung und dem griechisch-metaphysischen Logosprinzip, zwischen Wortsinn und allegorischem Sinn, zwischen Religion und Philosophie.
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Personenregister Abraham (biblische Figur) 17, 29, 36, 119, 150, 191, 199 – 201, 226 f., 245 – 253, 260 f., 278, 310, 313 f. Adam (biblische Figur) 46, 167, 289 – 291, 318 f. Ambrosius von Mailand 291 Amir, Y. 72, 74, 79, 84, 88, 125 f., 129, 143, 152, 246, 273 Ammon, C. F. 220 f., 223 Aristobulos (jüdisch-hellenistischer Philosoph) 40, 75 Aristoteles 6, 12, 48, 86 f., 125, 129 f., 142, 153, 180, 185, 298, 307 Arnold, C. 24 f. Assmann, J. 111 Ast, G. A. F. 49, 74 Baeumler, A. 50 Ballenstedt, H. C. 220 Basilides 168 f., 304 Basnage, J. 18 – 21, 192 Baur, F. C. 167 f. Beierwaltes, W. 89, 107, 111 Bormann, K. 47, 95, 99, 109 f., 116, 119, 121 f., 124 f., 127, 137, 140, 143, 147, 172, 212, 214, 221, 268, 271, 273, 280, 287 Bos, A. P. 142 Bouhier, J. 23 Brucker, J. J. 3, 5, 57 – 61, 67, 71, 74, 85, 160 – 163, 193, 198 f., 305 Buhle, J. G. 3, 5, 49, 57, 61 – 63, 66, 71, 74, 82, 85 – 88, 94 f., 101, 103, 106, 122 f., 125, 129, 133, 136 f., 142, 149, 156, 159, 177, 193, 265, 268, 271, 280, 282 – 284, 286, 288, 305 Bull, G. 18 f., 192 Christiansen, I. 72, 74 Clemens von Alexandria 14, 16, 40 f., 103, 193 Cohen-Yashar, Y. 106 Cohn, L. 108 f., 121, 124, 161, 173, 268, 273, 287 https://doi.org/10.1515/9783110624632-009
Corrodi, H. 17, 45, 269 Cotta, Joh. F. 23 Creuzer, G. F. 183 f., 306 Cudworth, R. 21, 111, 194, 222 f., 286 Cürsgen, D. 22 Dangel, T. 50, 54, 142 Danz, C. 24 f. Dillon, J. 71, 75, 92, 98, 111, 119, 124, 140, 151 f., 173, 212, 246, 268 Dilthey, W. 24, 33, 42, 191, 220, 225, 244 Düsing, K. 14, 42, 45, 50, 53 – 56, 68, 103, 115, 184, 220, 225 Empedokles 159 Enoch (biblische Figur) 246 Enos (biblische Figur) 246 Eudoros von Alexandria 71, 92, 103 Eusebius von Caesarea 14, 23 f., 27, 36, 40 f., 48, 216, 229 Eva (biblische Figur) 289 – 291, 319 Flatt, J. F. 29 – 33, 42, 218, 296 Formstecher, S. 295 Franz, M. 19 f., 34, 39, 41 f., 85, 148, 183, 192 f., 213, 219, 225, 289 Freudenthal, G. 154 Freudenthal, M. 108, 122, 137, 251 Fritz, M. 259, 282 Gaius Caligula 40, 57 f., 250 Gfrörer, A. F. 269 Goodenough, E. R. 88, 95, 100, 109 f., 119, 121, 124 f., 128, 142, 172, 246, 268, 275 Guttmann, J. 68, 138, 152, 212, 259, 269, 271, 274 Halfwassen, J. 2 f., 5 f., 13 f., 45, 47, 50, 54, 85, 89, 101 – 103, 107, 120, 122 f., 129, 132, 134, 140, 147, 167, 173, 177 f., 182, 184, 192, 205, 208, 224 f., 229 – 231, 248, 296 f., 312 Hänlein, H. C. A. 220 f., 223
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Personenregister
Hay, D. M. 122, 124, 227 Heinze, F. F. M. 91, 121, 124, 127, 137, 142, 144, 151, 172 f., 212, 221, 228 f., 268, 277 Henrich, D. 24, 33, 42, 230 Heraklit 53, 75, 228 f. Herder, J. G. 264 Hesiod 75 f. Hirsch, S. 242 – 244, 254, 295 Holz, H. 20, 192 Homer 63, 76 Horovitz, J. 71, 75 f., 114, 124, 152, 157, 162, 173, 215, 268, 271 Isaak (biblische Figur)
245 – 247, 251
Jacobi, F. H. 103 – 105, 150 Jacobs, W. G. 14 Jakob (biblische Figur) 89 f., 245 f. Jamme, C. 85, 129, 184 Jesus 20, 23, 34, 36, 38, 43 – 45, 47, 118, 133, 141, 189, 191, 221, 226, 297, 307 Johannes der Täufer 43, 45, 47, 297 Johannes (Evangelist) 21, 25 f., 30, 44, 131, 147, 189, 219 – 221, 224 Josephus Flavius 1, 14, 35 – 38, 41, 49, 238, 240, 242 Kaiser, O. 71 f., 91, 125, 151, 155 Kant, I. 1, 86, 95 Kerinthos 24 Kimmerle, H. 81 Kleuker, Joh. F. 16 f., 43 Klopstock, F. G. 247 Koppe, J. B. 27 – 29 Krämer, H. J. 71, 91, 98, 114, 119, 125, 127, 129, 146 f., 152, 159, 219, 227 f. Krochmal, N 50, 243, 294 Krochmalnik, D. 293 Kühler, O. 131 Lange, Joh. J. 23 Leclerc, J. 21, 192 Löffler, J. F. C. 19 f., 22, 192, 195 f., 221 – 223 Löhr, W. 98, 113, 121 f., 124, 128, 136, 151, 221, 228 Lowth, R. 264, 315 Lykurg 291 f.
Mackie, S. D. 87, 212 Maimon, S. 115, 252, 256, 258 f., 263 f. Maimonides 2, 164, 174 f., 238, 240 – 242, 304 Mangey, T. 3, 16, 23, 84 Martínez, F. G. 118 Marx, W. 146 Melamed, Y. Y. 252 Mendelssohn, M. 115, 238 – 241, 252 f., 257 – 259, 263 – 265, 269, 271, 276, 280 f., 292, 294, 315 Montes-Peral, L. A. 92, 95, 99, 102, 106, 109, 142, 159, 250, 270 f., 278 Montfaucon, B. de 23 Moses (biblische Figur) 14 f., 17, 28, 34, 39 f., 46, 59 f., 70, 72, 74 – 76, 78 – 80, 114, 124 f., 127 f., 162, 170, 231, 235, 246, 248 – 250, 252 f., 264, 266, 275, 281, 284, 287, 291 f., 298, 320 Mosheim, Joh. L. von 16, 84, 222 Neander, A. J. W. 3, 5, 57, 64 – 66, 71, 108, 116, 140, 144, 164 f., 167 – 173, 198 f., 201, 204 – 207, 209 f., 300, 304 f., 309, 311 Newton, I. 12, 154 f., 164, 186, 302, 307 Niehoff, M. R. 114 Noah (biblische Figur) 246 Numenios 74, 178, 248 O’Brien, C. S. 124, 137, 141, 157, 173, 224, 227 – 229, 234, 283 OʼRegan, C. 2 – 6, 10, 57, 64, 67, 104 f., 107, 115, 119, 121, 126, 131, 138, 153, 158, 167, 202, 211, 213, 215 f., 254, 268, 272, 305, 311 f., 314 Origines 16, 40, 103 Parmenides 103, 150, 260, 288 Paulus, H. E. G. 24 Paulus (Apostel) 27 – 29, 32, 35 – 38, 73, 77 – 78, 131, 181, 190, 248, 297, 307 Pfeiffer, A. F. 3 Pisano, L. 252 f., 258 f., 264 f., 276 Platon 6, 17 – 22, 25, 41, 46 – 48, 58, 61, 63, 69 f., 72, 74 – 76, 85, 91, 93, 95, 103, 107, 109, 111, 113, 130, 135, 148, 153,
Personenregister
156, 158, 161, 177 f., 180, 184 f., 193 – 196, 203, 235, 270 f., 284, 287, 289, 296, 298, 309, 320 Plotin 6, 51, 67, 88 f., 101 – 103, 125, 132, 136, 138, 154, 177 – 179, 182, 184 f., 213, 298, 302, 304, 306 f., 309 Plutarch 248 Pöggeler, O. 24, 81, 150, 220, 237, 240, 254, 257, 291 f. Proklos 6, 50 f., 67, 101, 125, 136, 138, 164, 179, 182 – 185, 205, 298, 302, 305 – 307, 309 Ps-Longinos (Longin) 258 f., 264 f., 276, 280, 282 Publius Petronius 49 Pythagoras 21, 75, 180, 203, 309 Rawidowicz, S. 50 Ricken, S. J. F. 230 Ritter, B. 74 Rogers, T. A. 125 Rosenkranz, J. K. F. 213 f., 237 f., 311 Rößler, C. F. 29, 39 – 43, 296 Rotenstreich, N. 226, 240, 254 Rousseau, J.-J. 191 Runia, D. T. 1, 14, 22, 28, 46, 51, 58, 60, 71, 73 – 76, 87 f., 90 – 92, 98 – 100, 106 – 109, 113 f., 121, 124 – 126, 128, 136 f., 141 f., 147, 151 f., 155, 157, 159 – 163, 173, 214, 227 f., 232, 234, 251, 267 f., 271, 280, 283 f., 287, 290 f. Saadia Gaon 210 f. Schäfer, P. 285 Schelling, F. W. J. 14 – 29, 33, 41 – 44, 47, 76, 78, 84, 121, 148, 167, 186, 190, 192, 218 f., 237, 285, 289, 296 f., 307 f. Schlegel, D. G. 212 f. Schmidt, E. 81, 86, 96 f., 103, 105, 107, 113, 133, 146 f., 189, 191, 198, 203, 215, 236, 256, 268, 278, 291 Schmidt, H. 47, 121, 137, 141 f., 290 Schneider, H. 33, 175, 238, 242, 252, 259 Schnurrer, Ch. F. 24 f., 33, 42, 218 f., 296 Schulz, J. Chr. F. 220 f. Solon 291 f.
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Souverain, M. 18 – 20, 22, 41 f., 44 f., 135, 192 – 196, 198, 217, 220 – 223, 286, 308 Spinoza, B. de 2, 101, 115, 150 f., 153 f., 186, 238 – 241, 252, 256 – 258, 263, 302 Stahl, E. A. 18, 29, 61, 136 Staudenmaier, F. A. 9 f., 150 Sterling, G. E. 98 Storr, G. C. 29, 33 – 39, 42, 78, 218, 296 Tennemann, W. G. 5, 57, 63 f., 71, 74, 82, 125 – 127, 137, 149, 159, 166, 281 f., 305 Terach (biblische Figur) 191 Theiler, W. 98, 114, 136, 173 Tholuck, F. A. G. 197 f., 308 Tiedemann, D. 5, 57, 66, 71, 82, 85, 88, 101, 142, 305 Tittmann, C. C. 24 f. Valentin 57, 168 Veltri, G. 266 Vieweg, K. 45, 150, 213 Vinco, R. 155 Wachter, J. G. 264 Westerkamp, D. 2 – 6, 10, 48 f., 51 f., 74, 118, 138, 140, 142, 158, 165, 167, 174, 205, 211, 243, 256, 267, 276, 301 Wettstein, J. J. 26, 47 Wolf, J. C. 17 Wolfson, H. A. 2 f., 5, 28, 51, 71, 74, 76, 79, 85, 92 – 95, 99 f., 107, 109 f., 119, 122, 124, 126 f., 129, 140, 142 f., 147, 149, 162, 170, 212, 221, 227, 246, 250, 268, 273, 278, 284 Wüthrich, M. D. 154 f. Xenophanes
76
Yovel, Y. 81, 107, 175, 238 f., 241, 244 f., 254, 292 Zeller, E. 71, 76, 80, 91, 98 f., 102, 109, 119, 121, 124, 127, 137, 142, 147, 152, 162, 212, 221, 268, 278 Zemach (biblische Figur) 206
Sachregister Abendland 140, 237 Absolute, das 4, 6, 22, 52 – 53, 55 – 56, 64, 81, 88 – 89, 100 – 104, 107, 109 – 112, 115, 117, 122 – 123, 133, 138, 144, 147, 150, 153 f., 158, 166, 177 f., 181 f., 207 f., 213 f., 229, 231, 237, 248, 250, 255, 270 f., 276, 286 – 287, 289, 299, 301, 304, 306, 318 absolute Idee 53 f., 56, 123, 133 f., 148 Adam Kadmon 64, 138, 140, 167, 301, 304 Akosmismus 4, 9 f., 101, 107 f., 115, 150 f., 153, 156, 207, 255 – 260, 263 – 265, 293, 302, 313, 316 f., 319 Alexandria 1, 14, 16, 48 f., 129 f., 173, 180, 206, 285, 293 f., 296, 300, 306, 320 Alexandrismus 16 – 18, 23, 32, 38, 40 f., 51, 67, 69, 71 f., 75, 80, 85, 88, 101, 110, 118, 122, 135, 152 f., 167, 170, 175, 179, 182 f., 186, 188, 193, 196, 203, 205, 217, 219, 243 f., 253, 260, 302, 306 Allegorie 1 f., 5, 7 f., 11 – 13, 15, 17 f., 28 f., 32 – 36, 40 f., 45, 47, 58, 61, 70 – 78, 80, 82 f., 86 – 88, 95, 97, 107, 111, 116, 118, 122, 124, 137, 141, 155, 162, 164, 175 f., 181, 184 f., 187 – 192, 194, 196, 200 f., 211 f., 223, 226 f., 229, 232, 238, 242, 245 – 247, 250, 255, 270, 275, 279, 281, 288 f., 291, 298, 306 f., 310, 313, 315, 318 – 320 All-Einheit 10, 38 f., 61, 149 f., 152, 207, 259, 263, 302 Allgegenwärtigkeit 39, 149, 154 f., 164, 186, 260, 302 Allgemeines 11, 68 f., 82, 85, 96, 104 f., 122, 132 – 136, 140, 145 f., 166, 176, 189, 204, 206, 218, 224, 231, 236, 274, 282, 286 Andersheit (ἑτερότης) 134, 158, 203 Anderssein 11, 122, 132 – 136, 140, 146, 204, 214, 290 Angelologie 33 Anthropomorphismus 72, 76, 86, 109, 126, 142, 207, 281 https://doi.org/10.1515/9783110624632-010
Aristotelismus 71, 180 Auge der Seele (τῆς ψυχῆς ὄμμα) 87, 89 f., 91, 95, 100, 104
61, 66,
Besonderes 133 f., 139, 144 f., 168, 176, 198, 209, 218, 224, 231 f., 261 f. Bestimmtheit 70, 91, 94, 96 f., 100 f., 106, 108, 118, 124, 129 f., 132 f., 137, 145, 151, 174, 176 – 179, 202, 204, 206 f., 211, 235 f., 249 – 250, 256 f., 262 f., 273 – 276, 283, 294, 311 Bewegung (κίνησις) 63, 93, 127, 132, 135 f., 154, 231, 235, 275, 283, 287 f. Bewusstsein 53 – 55, 68 – 70, 81 f., 85, 104, 123 – 125, 141, 143, 182, 201, 216, 226, 245, 257, 274, 278 f., 301, 314 – Bewusstsein: Selbstbewusstsein 55, 123, 181 f., 311 – Bewusstsein: Zum-Bewusstsein-Bringen 70, 81 Bild (εἰκών) 30 f., 46, 97 f., 101, 141, 146, 171, 205, 280, 285, – Bild: Ab~ 31, 46, 93, 97 f., 101, 146, 155, 158, 166, 212, 231, 250, 290, 297 – Bild: Eben~ 62 f., 97 f., 113, 118, 128, 133, 137, 141, 173, 206, 231, 281, 284 – 286, 290, 300, 304, 313, 317 f. – Bild: Ur~ 30, 59 f., 62, 97 – 99, 111, 114, 147, 151, 160, 163, 170, 205 – 207, 231, 235 f., 280, 284, 300, 316 – Bild: Vor~ (παράδειγμα, αρχέτυπον) 60, 93, 98 f., 120, 172, 191, 231, 235, 280, 284, 290 Böse 34, 44, 157, 166, 232, 271, 289, 315 Christentum 1 – 13, 16 – 21, 28, 31, 35, 37 f., 40 – 45, 47, 50 f., 68 f., 73, 77 – 79, 82 f., 96 f., 99, 103, 105, 111 – 113, 117 f., 121, 129, 131 – 134, 136, 138 – 141, 145, 147 f., 152 f., 156, 160, 164, 167, 174 – 176, 178 – 180, 183 – 185, 187 – 193, 197 – 208, 212 f., 215 – 218, 220 f., 223 – 226, 233 – 237, 239 f., 242 – 244, 248, 250, 253 f.,
Sachregister
262, 288, 291 – 293, 296 – 298, 300 – 304, 306 – 310, 312, 319 f. creatio aeterna/simultanea/continua 64, 234 f., 283 f., 304 Demiurg (δημιουργός) 22, 65, 114, 136, 169, 172 f., 219, 227, 284, 318 Dialektik 4, 13, 52 – 54, 74, 109, 121, 128, 130, 133, 146, 152 – 154, 181, 183, 201 f., 213, 244, 263, 286 f., 289, 299, 306 διάνοια 28, 70, 72, 88 f., 136, 144 Dogmen 19, 37, 51, 64, 77, 82 f., 126 f., 131, 167, 176, 185, 187 – 189, 192, 197, 202, 210, 212, 216, 221, 239, 241, 281, 298, 303 f., 307 δραστήριον αἴτιον 152, 267, 283 Dualismus 115, 141 f., 159, 214, 285, 290, 318 δύναμις 11, 17, 20 f., 38, 40 f., 65, 76, 90, 99, 101, 108 f., 110 f., 116, 126, 144, 151, 158, 165, 168 f., 170 – 173, 194 f., 198 f., 201, 208 f., 211 f., 213, 219, 222, 229 f., 232, 233, 255, 257, 260, 264, 266 – 268, 269 f., 272 f., 276, 282, 290, 303, 308, 310, 316 f., 319 – δύναμις: βασιλικὴ ~ 109, 195, 198, 201, 208, 212, 233, 236, 260, 269. 272 f., 308, 314 – δύναμις: ποιητικὴ ~ 109. 136, 113, 151, 158, 195, 198, 201, 208, 212, 260, 269 f., 308, 313 f. Eine, das (τὸ ἕν) 11, 89 – 91, 93, 95, 103, 109, 112, 115, 118 f., 129, 145, 150, 153, 174, 177 f., 199, 203, 209, 225, 229, 251, 256, 258, 266 f., 274, 276, 292, 303 f., 310 Einheit 10 f., 22, 52, 54, 64, 71, 75, 90, 92 – 95, 101, 106, 110 f., 115, 117 – 119, 121 f., 127 – 129, 132 – 136, 138, 144, 153 – 155, 160, 162, 168, 171 – 173, 175, 178 f., 181 f., 195, 199 – 203, 208 – 210, 212 – 214, 224 f., 226, 228 – 230, 232, 237 f., 244 f., 249 – 252, 256, 260 – 263, 265 – 268, 274 f., 279, 287, 289, 293, 298 – 300, 304, 306, 310 f., 314 – 317, 319 f.
337
Einzelnes 133 f., 138 f., 141, 176 Emanation 17, 100 f., 110, 120, 127, 145 f., 154, 158, 165 f., 171 f., 198, 210, 214, 223, 225 f., 229, 276 f., 281, 311 Engel 33 f., 58 – 60, 64, 66, 86, 119, 139, 160 – 162, 170, 172 f., 185, 200 f., 215, 260, 278, 282, 298, 303, 310 Erfüllung (πλήρωμα) 38, 105, 107, 149, 151 – 154, 164, 202, 260, 274, 276, 288 Erhabenheit 2, 4, 37, 47, 64 f., 90, 93 f., 95 f., 100, 106, 108, 126, 136, 149, 168 – 170, 173, 196, 209, 211, 221, 225, 235, 241 f., 243 f., 249, 252, 254 – 261, 264 – 267, 276 f., 279 – 282, 290, 292 – 294, 311 – 313, 315 – 317. Erkenntnis (ἐπιστήμη) 55 f., 61, 85, 87 – 91, 93, 96 f., 100, 102 – 104, 106, 116, 119, 123 – 125, 170, 178, 191, 197, 201, 214, 247, 251 f., 275, 278, 290, 299, 319 erstgeborener Sohn (πρωτογόνος υἱός) 62 f., 109, 113 f., 118, 124, 133, 138, 155, 168, 173, 207, 219, 232, 284, 301 f., 304 Ewigkeit 11, 25, 40, 63, 65, 88, 111, 122, 124, 132 f., 135, 143, 147, 168, 170 f., 175, 177, 193, 201 f., 205, 214, 219, 223, 231, 233 – 236, 239 f., 244, 250, 256, 274, 282 f., 290, 300 f., 304, 308, 311 f., 315, 317 f. Fülle
10, 38 f., 64, 132, 149 – 155, 178, 229, 260, 270 f., 286, 288, 301 f., 317
Geist 6 f., 9 – 13, 23 f., 37, 46 – 48, 52 – 56, 61 – 66, 68 f., 71, 73, 77 – 82, 84, 86, 88, 94, 96 f., 104 f., 108, 112, 117 – 123, 125, 127 – 139, 138, 143 – 145, 147 f., 153 – 156, 159, 167 – 170, 176, 179 – 183, 187 f., 190, 197 f., 200 – 203, 213 – 215, 217 f., 220, 224 – 226, 228 – 237, 240, 244 f., 248, 253 – 255, 257 f., 266 f., 269, 274, 278, 283, 285 – 287, 289 – 291, 294, 299 f., 302 f., 306, 312 – 314, 318 – 320 – Geist: absoluter ~ 54 f., 123, 156, 231 f., 312 – Geist: an-und-fü r-sich-seiender ~ 117, 202, 240
338
Sachregister
– Geist: konkreter ~ 11, 96, 128, 130 f., 138 f., 153, 181, 234, 320 – Geist: subjektiver ~ 97 Geistesarbeit 55, 76, 80 f., 156, 190, 298 Gerechtigkeit 109, 142, 201, 208 f., 211 – 213, 246, 255 f., 258, 260 – 263, 265, 268 f., 271 – 273, 294, 310 f., 314, 316, 319 Gesetze 27, 40, 73, 75, 78 – 80, 114, 123 – 125, 239 f., 245 f., 249, 252, 259, 265, 278, 291 f. Gnosis 11 f., 15, 18 f., 22, 24 f., 42 f., 51, 57, 64 f., 84, 103, 108, 111, 164 f., 167 – 172, 175 f., 179, 185, 187, 192, 198, 201, 204 – 207, 209, 214, 219, 297, 304 – 306, 309, 311 Gotterfülltheit 39, 66, 79 f., 88 f. Gottesschau 61, 66, 87 – 91, 96, 119, 125, 128, 150, 197, 199, 201, 245 – 247, 278 Güte 29, 38, 44, 76, 90, 93 – 95, 109, 132, 145 f., 178, 193, 195, 201, 208 f., 211 – 213, 232 f., 246, 256, 258, 260 – 263, 265, 268 – 273, 277, 285 f., 294, 310 f., 314 – 316, 319 Henologie 93, 178 Heraklitismus 53, 75, 124, 229 Herausinterpretieren 76 – 78, 80, 83, 190, 298 Hineininterpretieren 76 f. Ideen 22, 58, 62, 65 f., 72, 86, 107, 118, 120, 125, 129, 136 f., 147, 158, 160 – 162, 169 f., 172, 176, 179, 185, 193 f., 236, 267 f., 277, 280, 289, 298, 303, 311, 313 Immanenz 52, 55, 77, 81, 104, 110, 120, 122, 124 f., 127, 129, 138, 142 f., 225, 228, 233, 235, 244, 258, 264, 272, 278 f., 298 – 300 intelligible Welt (κόσμος νοητός) 25, 59 f., 62, 92, 114, 120, 129, 132 – 134, 136, 139, 141 f., 146 f., 157, 160 – 163, 166, 179, 194, 198, 235, 267, 277, 280 – 281, 286, 303, 306, 312, 315 f. Judentum 1 f., 4 f., 7 – 20, 23, 25 – 28, 30 – 38, 40 – 51, 57 f., 63, 67 – 70,
72 – 85, 93 f., 96, 99, 101, 105, 107 f., 110 – 117, 119 – 121, 126, 130 – 136, 138, 140 – 142, 145 f., 148, 150, 155 f., 159 – 162, 164 – 166, 168, 172 – 175, 178 – 184, 186 f., 189 f., 194, 196 – 198, 200, 202 f., 205, 207 – 211, 213 f., 216 – 219, 221, 223, 226, 232 – 234, 236 – 245, 248 – 250, 252 – 267, 269 – 276, 278 – 282, 284 – 289, 291 – 298, 300 – 320 Kabbala 2, 9, 12, 16 – 18, 21, 45, 49 – 51, 65, 68 f., 101, 115, 138, 155, 164 – 167, 169, 174, 179, 185, 187, 238, 264, 304 – 306 Kosmologie 75, 91, 113, 162, 172, 228, 234 f., 270, 273, 284, 288, 312, 314, 317 f. Leben (ζωή) 23, 55, 65, 72, 74 f., 93, 95, 98, 105, 109, 118, 124 f., 127, 129, 133, 141, 144, 155, 168, 174, 190 f., 205 f., 210 f., 223 – 226, 230, 235, 239, 244, 248 – 250, 252, 282, 290, Lichtwesen 96, 99 f., 102, 110 f., 115, 165 f., 170 – 174, 214, 257, 276 f., 280, 311, 315 λόγος 5, 7, 9 – 13, 17 – 19, 21 f., 25 f., 29 – 31, 38, 40, 60, 62, 64 f., 74, 86, 92, 97 – 99, 101, 109, 113 f., 117 f., 119 – 124, 126 – 148, 150 f., 154 – 156, 161, 165, 167, 169, 171 – 173, 176 f., 180, 182, 186, 189, 193 – 196, 198, 200, 204 – 207, 211 – 230, 232 f., 235 – 237, 267 – 269, 277, 280 – 286, 298 – 304, 309, 311 – 318, 320 – λόγος: ~ ἐνδιάθετος 11, 120, 127, 133 – 136, 146, 148, 179, 187, 193, 200, 206, 236, 286, 294, 299, 303, 312, 318 – λόγος: Logoslehre 2 – 5, 8, 12, 21, 24 – 26, 30 f., 37 f., 62, 64, 74, 113, 117, 119, 128, 131, 134, 138, 140, 146 – 148, 164, 173, 184, 186, 194, 206, 217 – 219, 221, 229, 233, 236, 267, 269, 280, 285, 297, 300 f., 307, 312, 314 – λόγος: ὀρθός ~ 124, 292 – λόγος: ~ προφορικός 62 f., 120 – 123, 125 – 128, 136, 138, 142 f., 145, 148, 193 f., 200, 206, 236, 281 f., 294, 299, 301, 303 f., 312
Sachregister
– λόγος: ~ τομεύς 120, 224, 228, 232 f., 267, 279, 283, 312 f. Materie (ὕλη) 40, 58, 61 – 63, 76, 98, 102, 107, 133, 148, 151 f., 156 – 161, 166, 175, 199, 224, 227 f., 232 f., 268, 271, 273, 279, 283 f., 286 f., 303, 313, 317, 319 Mittelplatonismus 4 f., 71, 92, 129, 147, 229, 248, 284 Moral 47, 69, 123 f., 232, 240, 246, 266 – 268, 272 Mysterien 15, 116, 200, 210, 250 f., 317 Natur 11, 13, 19, 27, 40, 43 f., 46, 53, 55, 76, 83 f., 100, 111, 114 f., 122 – 125, 128, 131 – 135, 140, 146 – 148, 154 f., 166, 170, 174, 196, 202, 215, 218, 226, 229, 231 f., 240, 244 – 246, 254, 256 f., 260, 271 f., 274, 276 f., 280, 282, 289 f., 291 f., 297, 300, 302, 315 f., 318 f. negative Theologie 3 – 7, 74, 87, 89, 91 – 95, 101, 103 – 108, 110 f., 116 – 119, 148 – 150, 178, 187, 199, 202, 214, 217, 248 – 250, 255, 263, 270, 274 f., 293, 299, 304, 310, 313 Negativität 63, 87, 89, 92 f., 101, 104, 109 – 111, 117, 120, 128, 132 f., 149, 151, 156, 159, 166, 168, 177 f., 200, 214, 232, 248, 250, 255, 266, 274 – 276, 287 f., 311, 315, 317 Neuplatonismus 2, 6 f., 9, 12 f., 50 f., 67, 71 – 73, 77, 82 f., 101, 103, 117, 120 – 123, 135 f., 138, 144, 153 f., 164, 177 – 185, 187 f., 197 f., 213, 231, 248, 276, 286, 288 f., 298, 300 – 309 Nichts 63 f., 72, 95 – 97, 99 f., 106 f., 109, 126, 148, 150 – 152, 155 – 160, 220, 223, 225, 244, 249, 251, 261, 267, 281, 283, 286 f., 299, 303, 317 νοητόν 25, 60,101 102, 153 νοῦς 30, 46, 64, 78, 84, 88 f., 128 f., 145, 152 f., 168, 205 f., 227, 229, 232, 236, 250, 266 f., 289 – 291, 313, 319 Offenbarung 17, 19, 22, 25, 64 f., 71, 78 f., 84, 104, 108, 116, 118, 122, 143 – 145, 164, 168 – 171, 182, 199 – 201, 205 – 207,
339
233 f., 239, 243, 266, 278 f., 302, 304, 308, 311 Okzident, okzidental 48, 129 – 131, 180, 205 f., 300, 320 ὄργανον 21, 129, 151, 227, 267, 283 Orientalismus, orientalisch 5, 10 f., 17, 48, 66, 100, 108, 115, 129 – 131, 140, 166, 174, 176, 180, 197 f., 205 f., 209, 214, 221, 223, 255, 257, 261, 264, 277, 300, 315 Ort (τόπος) 16, 62, 64, 92, 149, 155, 186, 221, 232, 251, 268, 288, 301 Pantheismus 9, 150, 152, 225, 247, 258, 263 Philosophiegeschichte 1 – 8, 12 f., 16, 39, 43, 45, 48 – 54, 56 f., 61, 67 – 70, 75 – 77, 80 – 82, 85 f., 99, 103, 107, 115, 121 f., 128, 130 f., 133, 135, 137 – 140, 143, 146, 148, 155, 164, 166 – 169, 175 – 187, 198 – 200, 203 – 205, 209 f., 212, 217 f., 220, 227, 236 – 238, 241, 244, 254, 260, 267, 275, 281, 288, 293 f., 296 – 303, 305 – 308, 310, 319 f. Platonismus 1 f., 5 – 7, 10 f., 13, 16 f., 19 f., 25, 33 – 35, 38, 41 – 50, 58 f., 63, 66, 69 – 72, 74 f., 77, 83, 85, 91, 101, 103, 106 f., 110, 115, 121, 127, 129, 132, 135, 147, 152, 156, 158 – 162, 165, 170, 172 f., 176 – 185, 187 – 189, 192 – 196, 203 f., 206, 214, 216 f., 221, 236, 248, 253, 255, 261, 270, 277 – 279, 284, 286, 289, 291, 293 f., 297, 299, 303 f., 306 – 309, 311, 314, 318 f. Pythagoreismus 16, 71, 85, 163, 180, 203, 309 Raum (χώρα) 12, 62, 100, 146, 149, 151, 154 f., 163 f., 186, 226, 288, 302 Religionsgeschichte 11, 37, 44, 46, 201, 236 f., 297 f., 301 Religionsphilosophie 1 f., 5 – 13, 15 f., 18, 25, 27, 29, 43, 47 – 49, 51, 61, 68, 81 f., 85, 105, 108, 111 – 114, 116, 123, 129, 140, 156, 160, 165, 167, 174, 181, 184, 187 – 189, 195, 201 – 203, 205 f., 208, 213, 215 – 218, 220, 222, 232 – 238, 241 –
340
Sachregister
244, 254 – 257, 259 – 265, 268 f., 272, 276 f., 279, 282, 288 f., 291, 293 f., 296 f., 299 – 301, 303 – 305, 307 – 309, 311 f., 315, 317, 319 f. Schöpfungslehre 2, 58, 114, 126, 141 f., 145, 147, 156 f., 160, 163, 224, 232 – 235, 241, 255, 271, 279, 281 f., 284 – 288, 294, 303, 312 – 314, 317 f. Seele (ψυχή) 17, 27 f., 32, 34, 39, 46, 49, 61 f., 66, 72 f., 74 f., 79 f., 87 – 90, 98, 103, 106, 116, 122 f., 125, 127 f., 136, 141, 143 f., 150, 154 f., 173, 178, 182, 191, 193, 195, 199, 201, 210, 226 f., 230, 238, 245 – 248, 251, 259, 261, 264 f., 275, 278 f., 283, 290, 301 f., 314, 317, 319 Seiende, das (τὸ ὄν) 6, 11, 22, 61 f., 90, 94, 96 f., 100, 106 – 109, 112, 115, 118, 122, 144, 156, 158 f., 165, 168 f., 177, 187, 195, 199 – 202, 204 – 207, 211, 214, 224 f., 251, 256, 260, 268, 270, 273, 293, 299, 301, 303 f., 309 – 311, 317 Seinslogik 99, 160, 287, 317 Selbstbezug 55, 142, 144 f., 149, 152 – 155, 164, 186, 208, 277, 288, 302 f., 317 sinnenfällige Welt (κόσμος αἰσθητός) 16, 22, 62, 88, 93, 114, 120, 123 – 125, 133, 136 f., 146 – 148, 152, 156 – 158, 160 f., 173, 182, 194, 198, 215, 222, 227 f., 230 f., 235 f., 244 f., 247 – 249, 267, 282, 285 – 287, 303, 312 f., 317 Spinozismus 53, 150, 153, 263 f. Substanzmetaphysik 101, 115, 150, 153, 258, 263 Tätigkeit (ἐνέργεια) 52, 55, 62, 81, 100, 110, 120, 122, 126, 140, 142, 144 f., 152, 166, 172 f., 176, 194, 202, 204, 206, 211, 226, 228 f., 231 – 236, 255, 267, 271, 279, 282 – 284, 288, 303, 309, 312, 318 Therapeuten 23, 33, 35 f., 40 f., 44 f., 49, 130, 135, 196, 286, 297 τὸ παθητόν 152 Totalität 52, 111 f., 118, 130 f., 137, 141, 151, 166, 181 – 183, 199 f., 208, 213, 249, 266, 268, 271 Totalität: konkrete ~ 52, 55, 182, 202, 302
Transzendenz 6, 21, 88 f., 91, 93 f., 98 f., 101 – 104, 109, 111, 117, 147, 149, 152, 177, 194, 213, 236, 255, 279 – 281, 299, 304 Trennung 128, 133, 151, 163, 225 f., 228 f., 232 f., 245, 267 Trinität 3 – 13, 17 – 21, 38, 41 – 43, 51 f., 111 f., 117 – 121, 131, 134, 148, 150, 152 – 154, 156, 164 f., 174, 180 – 184, 187 f., 192 – 207, 210 – 213, 215 – 217, 233, 236 f., 244, 246, 255, 260 – 263, 268 f., 282, 293, 297, 300, 302 – 304, 306 – 311, 320 τριττὴ φαντασία 17, 20, 118, 150, 195, 199, 201, 208 f., 260 f., 308, 310 f., 316 Tübinger Stift 7, 13 f., 18, 26, 28 f., 39, 42, 48, 148, 167, 218, 296 f. Tugend 28, 39 f., 47 f., 61 – 63, 65 f., 93, 122 – 125, 170 f., 191, 199, 245 – 247, 251 f., 277, 289 Urgrund 23, 90, 92, 94, 128, 152, 204 f., 265, 283, 304, 309 Urmensch (πρῶτος ἄνθρωπος) 46 f., 64, 136 – 142, 167, 176, 205 f., 218, 236, 281 f., 289 f., 300 f., 304, 309, 312, 318 Ursprung (ἀρχή) 40, 56, 61, 65, 79, 93, 95, 97, 102 f., 121, 124, 132, 136, 148, 162, 181, 195, 204, 207, 224 f., 230, 233 f., 248, 267, 281, 299, 309 Verborgenheit 64 f., 71, 78, 90, 105, 144, 164, 168 f., 171, 196, 205 – 207, 244 f. Verstandesbegriff 87, 115 f. Weisheit (σοφία) 11, 15, 22, 40 f., 43, 62 – 65, 75, 88, 92, 122 f., 145, 151, 165, 169 – 171, 176, 193, 195, 204 f., 207, 211, 213, 220 – 223, 227, 232 f., 247, 255 f., 260, 265 – 269, 277 f., 288, 293, 304, 309, 311 – 313, 315, 317 Wunder 34, 83 f. Zeit (χρόνος) 52, 54, 61 f., 64, 85, 92, 115, 126, 146, 148, 151, 154, 162, 211, 234 – 236, 272, 274, 281 f, 284,