Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus 9783787328482, 9783787309672

Mit dem vorliegenden Band wurde erstmalig eine Sammlung von Beiträgen in die Reihe »Schriften zur Transzendentalphilosop

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German Pages 164 [178] Year 1992

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Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus
 9783787328482, 9783787309672

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DIE RECHTSPHILOSOPHIE DES DEUTSCHEN IDEALISMUS

SCHRIFTEN ZUR T RANSZENDENTALPHILOSOPHIE Herausgegeben von Gerhard Funke, Klaus Hammacher, Reinhard Lauth BAND9

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DIE RECHTSPHILOSOPHIE DES DEUTSCHEN IDEALISMUS

In Verbindung mit dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici herausgegeben von Vittorio Hösle

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN: 978-3-7873-0967-2 ISBN eBook: 978-3-7873-2848-2 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1989. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Vittorio Hösle Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Vittorio Hösle Was darf und was soll der Staat bestrafen? Überlegungen im Anschluß an Fichtes und Hegels Straftheorien

..........................................................

1

Karl-Heinz Nusser Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie

.................

56

..................................................

77

.

Wolfgang Bartuschat Die Glückseligkeit und das Gute in Hegels Rechtsphilosophie

.

Kurt Seelmann Zurechnung als Deutung und Zuschreibung

.............................

101

.................................

117

......................................

146

- Hegels »Recht der Objektivität« Stefan Smid Moral bei Schelling und Hegel Wolfgang Schild Hegels Lehre vom Notrecht

Vorbemerkung der Herausgeber

Mit dem vorliegenden Band wird erstmalig eine Sammlung von Beiträgen in die Reihe Schriften zur Transzendentalphilosophie auf­ genommen, deren thematischer Schwerpunkt nicht auf der sy­ stematischen Erörterung und Fortführung eines transzendental­ philosophischen Ansatzes liegt, sondern auf der kritischen Aus­ einandersetzung mit der idealistischen, insbesondere der hegeli­ schen Rechtsphilosophie, die sich historisch als Antwort auf und Weiterführung der von Kant und Fichte erreichten Positionen ver­ stand . Die Aufnahme des Bandes in diese Reihe trägt damit der Tatsache Rechnung, daß sich gerade auf dem Gebiet der Rechts­ philosophie die Differenz zwischen transzendentalphilosophi­ scher und spekulativer Begründung besonders deutlich und faß­ bar zeigt, und zwar so, daß die Notwendigkeit und Fruchtbarkeit des transzendentalphilosophischen Ansatzes in einem neuen Licht erscheint . Dem Band soll ein weiterer folgen, der Fichtes Rechtsphilosophie in das Zentrum der Erörterung stellt und in dem auf die Resultate dieser Veröffentlichung Bezug genommen wird . Gerhard Funke

Klaus Harnmacher

Reinhard Lauth

Vorwort

Die Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus - also Kants, Fichtes, Schellings und Hegels - ist aus verschiedenen Gründen einer der Höhepunkte in der Geschichte philosophischer Besin­ nung auf das Recht. Die Überzeugung, daß das Recht seine Le­ gitimität nur daraus beziehe, daß es einen bestimmten formal und material ausweisbaren Begriff von Gerechtigkeit verwirkliche, kennzeichnet den ganzen deutschen Idealismus. Sie weist ihn einerseits als Fortsetzung der naturrechtliehen Tradition der Grie­ chen und Römer, des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus, setzt ihn andererseits vom Rechtspositivismus des späten hunderts und frühen

20.

19.

Jahr­

Jahrhunderts ab, dessen verhängnisvolle

Folgen in unserem Jahrhundert gerade in Deutschland nicht auf den Bereich der T heorie begrenzt gewesen sind: Kelsens positi­ vistischer Formalismus und Schmitts ebenso leerer Dezisionis­ mus sind die konsequent zu Ende gedachten komplementären Hälften einer Rechtsphilosophie, die jeden Bezug zum Begriff ei­ ner in der Vernunft gegründeten materialen Gerechtigkeit verlo­ ren hat . Andererseits unterscheidet sich die idealistische Rechtsphilo­ sophie von der vorangegangenen naturrechtliehen Tradition in drei Punkten.

1.

Begründungstheoretisch ist eine bis dahin (und seitdem) kaum

je wieder erreichte Komplexität und Differenziertheit hervorzu­ heben. Die überpositiven Standards von Gerechtigkeit, die allein eine Kritik des faktischen Rechts ermöglichen können, werden nicht aus der Natur (und ebensowenig aus der Autorität eines heteronom gefaßten Gottes) bezogen - daß Soll- Sätze aus Ist-

Vitt ori o Hösle

X

Sätzen nicht folgen, ist dem deutschen Idealismus mindestens ebenso klar wie Hume gewesen . Der naturalistische Fehlschluß wird vielmehr dadurch vermieden, daß als Basis des Rechts die apriorische, reflexive und unhintergehbare Struktur der Subjek­ tivität (bzw. , oft damit nicht befriedigend vermittelt, der Inter­ subjektivität) fungiert .

2.

Dies hat inhaltlich zur Folge, daß das Recht als Verwirklichung

von Freiheit verstanden werden kann . Wenn die Grundlage al­ len Rechts die Struktur von Subjektivität ist, dann ist Recht et­ was, das sich - geltungstheoretisch, nicht genetisch - der autonomen Selbstgesetzgebung der Subjektivität verdankt .

3. Im deutschen Idealismus - d . h .

insbesondere bei Hegel- ge­

lingt die Integration der großen Entdeckung des

18.

Jahrhunderts,

der Kategorie der Geschichtlichkeit, in eine apriorische Rechtsphi­ losophie: Auch wenn das voll entfaltete Vernunftrecht eine hö­ here Stufe darstellt als frühere Formen des Rechts, so ist es doch geschichtlich notwendig durch diese Stufen vermittelt . Zudem wird im Lauf der Entwicklung des deutschen Idealismus immer mehr anerkannt, daß die Anpassung apriorischer Prinzipien an historische Rahmenbedingungen ein Moment der Kontingenz in das Recht einführt- und damit die Notwendigkeit seiner Positi­ vierung . Ausgezeichnet ist die Rechtsphilosophie des deutschen Idea­ lismus ferner durch ihre Konkretheit . Insbesondere Kant, Fichte und Hegel wollen es nicht bei abstrakten Prinzipien belassen, son­ dern die Sphären von Privat-, Straf- und öffentlichem Recht in ihrer Gänze philosophisch ausschöpfen . Die juristischen Kennt­ nisse der genannten Denker sind beeindruckend und in vergleich­ barer Form nur von wenigen späteren Philosophen wieder erreicht worden . Ebendiese Vorzüge der idealistischen Rechtsphilosophie machen freilich auch ihre Schwierigkeit aus. Um die Texte dieser Bewe­ gung adäquat zu verstehen, ist philosophisches und juristisches

Vorw ort

XI

Wissen gleichermaßen erforderlich. In Anbetracht dessen stam­ men die Beiträge vorliegenden Bandes aus der Feder sowohl von Juristen als auch von Philosophen . Die Abhandlungen gehen auf ein im März

1986

in Harnburg abgehaltenes Studienseminar zu­

rück, das vom Istituto Italiano per gli Studi Filosofici zu Neapel sowie den Seminaren für Rechtsphilosophie bzw. für Strafecht und Kriminologie der Universität Harnburg organisiert wurde. Leiter des Seminars waren Michael Köhler und Kurt Seelmann . Zweck des Seminars war, einerseits italienische Stipendiaten in die Rechts­ philosophie des deutschen Idealismus einzuführen. Als günstig erwies sich dabei, daß von Fichte bis Hegel die wichtigsten Den­ ker des eigentlichen deutschen Idealismus in den Vorträgen prä­ sent waren, etwa auch der sonst im rechtsphilosophischen Zu­ sammenhang stark vernachlässigte Schelling. Andererseits war ein interdisziplinärer Austausch zwischen Juristen (insbesondere Strafrechtlern) und Philosophen eine weitere Zielsetzung des Se­ minars. Schwerpunkte lagen dabei auf der Strafrechtsphilosophie des deutschen Idealismus und dem »Moralität«-Kapitel der »Grund­ linien der Philosophie des Rechts« Hegels, in dem viele strafrecht­ lich relevante Kategorien erörtert werden. Bei allen Differenzen im Detail kamen die Teilnehmer der Tagung in der Überzeugung über­ ein, daß die idealistische Rechtsphilosophie nicht bloß ein Gegen­ stand pietätvoller historischer Forschung sein darf, sondern daß sie ein Problemlösungspotential auch bei konkreten rechtsphiloso­ phischen Fragen der Gegenwart bereitstellt, das sich kritisch anzu­ eignen eine unverzichtbare Aufgabe auch und gerade für diejeni­ gen ist, die in Jurisprudenz und Philosophie systematisch arbeiten. Zu erwähnen bleibt noch, daß von den Vorträgen des Studien­ seminars in diesem Band diejenigen von Ernst Amadeus Wolff und von Michael Köhler fehlen; derjenige von Michael Köhler ist un­ ter dem T itel »Strafbegründung im konkreten Rechtsverhältnis. Die Aufhebung der abstrakten Straftheorie am Leitfaden der he­ gelschen Rechtsphilosophie« in der Festschrift für Karl Lackner, hrsg. von W. Küper, Berlin

1987

erschienen. Vittorio Hösle

Vittorio Hösle Was darf und was soll der St aat best rafen? Überlegungen im Anschluß an Ficht es und Hegels St raft heorien*

Die Frage, was der Staat bestrafen darf und was er bestrafen soll, scheint mir aus verschiedenen Gründen von Interesse zu sein . In erster Linie kann sie eine gewisse rechtspolitische Aktualität be­ anspruchen: In den letzten zwanzig Jahren sind in zahlreichen europäischen Ländern Strafrechtsreformen durchgeführt worden, die gelegentlich mit großem emanzipatorischen Pathos bestimmte bisher als Verbrechen oder Vergehen geltende Taten sei es für nicht strafbar, sei es sogar für nicht rechtswidrig erklärt haben1; die Notwendigkeit weiterer Strafrechtsreformen wird in manchen Staaten zudem fürderhin diskutiert . Zu den Handlungen, die zu­ mindest in einigen Längern entkriminalisiert wurden bzw. bei de­ nen der Druck, sie zu entkriminalisieren, recht groß ist, zählt sehr Verschiedenes: Ich nenne nur (Beihilfe und Anstiftung zum) Selbstmord, T ötung auf Verlangen, Gebrauch und auch Verkauf bestimmter Drogen, Abtreibung, Ehebruch, Inzest, Homosexua­ lität, Sodomie, Verbreitung von Pornographie, Gotteslästerung, Beschimpfung religiöser Bekenntnisse. Nun ist es unbestreit­ bar, daß ein Großteil der öffentlichen Diskussion über diese Fra­ gen2 und gar manche dieser Reformen sinnvoll und gut waren.

*Ich möchte Herrn Prof . Dr. K . Seelmann für Gespräche und einen länge­ ren Briefwechsel über die Frage dieses Vortrags danken; trotz - oder gerade wegen - mancher Differenzen bei der Beantwortung dieser Frage habe ich sehr viele Anregungen von ihm erhalten. 1 Gleichzeitig hat zumal auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts eine nicht un­ bedenkliche Ausweitung staatlichen Strafens stattgefunden. 2 In der Bundesrepublik Deutschland hat die Debatte um eine Reform des Strafgesetzbuches vom 15.5.1871 die schon im Kaiserreich und besonders in der Weimarer Republik lebhaft geführt wurde - einen Intensitätshöhepunkt in den 60er Jahren erreicht, als dem Amtlichen Entwurf eines neuen Strafge-

2

Vittorio Hösle

Die Strafe ist ein so massiver Eingriff des Staates in die Freiheit des einzelnen, daß sie in einem Rechtsstaat sehr zu Recht einem hohen Begründungsdruck unterliegt. Der Staat (auch der demo­ kratische) darf auf keinen Fall nach Belieben Straftatbestände kre­ ieren . Schon auf intuitiver Ebene ist klar, daß es eine Sphäre gibt, die seiner Strafgewalt kategorisch entzogen ist und in die nur ein totalitärer Unrechtsstaat eingreifen kann . Darüber hinaus sollte der strafrechtliche Grundsatz »In dubio pro reo« nicht nur für die einzelne richterliche Subsumtion, sondern auch für die Entschei­ dung des Strafgesetzgebers gelten, ob er eine bestimmte Hand­ lung kriminalisieren sollte oder nicht - wenn keine rationalen Gründe für die Bestrafung sprechen, sollte der Staat auf sie ver­ zichten3. Zudem ist es auch bei Handlungen, die vom Staat ge­ rechterweise pönalisiert werden können, keineswegs immer zweck­ mäßig, dies zu tun . Dennoch ist damit nicht gesagt, daß der rasche Entkriminali­ sierungsprozeß der letzten Jahre in seiner Gesamtheit zu begrüßen ist . Denn umgekehrt ist es intuitiv ebenso klar, daß es auch Fälle gibt, in denen ein Rechtsstaat strafen muß. Nach übereinstimmen­ der Auffassung gibt es nicht nur Abwehrrechte des Bürgers ge­ genüber dem Staat (status negativus), sondern auch positive Ansprüche (status positivus), wie etwa auf den Schutz von Leben

setzbuches von 1962 (E 1962) ein Alternativ-Entwurf entgegengesetzt wurde, des­ sen allgemeiner Teil Tübingen 1966, dessen besondere Teile Tübingen 1968 ff. erschienen sind (vorgelegt von J. Baumann u.a.). An Literatur aus dieser Zeit vgl. etwa : J. Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, Bielefeld 1965 ; ders., Weitere Streitschriften zur Strafrechtsreform, Bielefeld 1969; ders. (Hrsg.), Programm für ein neues Strafgesetzbuch. Der Alternativ-Entwurf der Strafrechts­ lehrer, Frankfurt 1968; ders. (Hrsg.), Mißlingt die Strafrechtsreform? Der Bun­ destag zwischen Regierungsentwurf von 1962 und Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer von 1966, Neuwied/Berlin 1969; L. Reinisch (Hrsg . ), Die deut­ sche Strafrechtsreform, München 1967. Nach dem Inkrafttreten der durch die Gesetze zur Reform des Strafrechts veränderten neuen Fassung des StGB am 1.1. 1975 ist die Diskussion abgeflaut. 3 Ich stimme etwa E . Schmidhäuser durchaus darin zu, >>daß wir mit dem staatlichen Strafen so zurückhaltend wie möglich sein sollten« (Vom Sinn der Strafe, Göttingen 2 1971, 5 ) .

Was darf und was soll der Staat bestrafen

3

und Eigentum, und daraus resultiert eine Verpflichtung des Staa­ tes zur Strafe bestimmter Handlungen . 4 Ein Staat, der Blutrache zuläßt und diesbezüglich auf sein Recht zu strafen verzichtet, dürf­ te ebensowenig ein Rechtsstaat sein wie ein Staat, der religiöse Gesinnung verfolgt . Aber wo verläuft die Grenzlinie zwischen dem, was der Staat auf keinen Fall bestrafen darf, und dem, was er zu Recht bestraft, bzw. diejenige zwischen dem, was er zwar bestrafen darf, aber auf dessen Bestrafung er aus Zweckmäßigkeitsgründen verzich­ ten kann, und dem, was er auf jeden Fall bestrafen soll? Diese Frage ist in der einleitend erwähnten Diskussion um die Notwen­ digkeit einzelner Strafrechtsreformen nur selten in wirklich grund­ sätzlicher Form gestellt worden, obgleich sie offenbar allen straf­ rechtspolitischen Einzelfragen zugrunde liegt . Daran mag die heutzutage verbreitete Abneigung gegenüber prinzipiellen Fra­ gen schuld sein; solche - so hört man häufig - vermöchten und bräuchten auch nicht beantwortet zu werden, da die praktische Vernunft sich nur in konkreten Fällen bewähre. Aber gerade der Dissens bezüglich der Notwendigkeit oder auch nur Vertretbar­ keit jener Reformen deutet darauf hin, daß die

Anspruch auf Verwaltungstätigkeit des Staates im individuellen Interesse>Grundlage« und übergehe die »Rechts­ lehre« von 1812, deren Neuerungen gegenüber der »Grundlage« nicht die Fra­ ge betreffen, die in dieser Abhandlung thematisch ist . 10 Vgl . dazu C. K. Hunter, Der Interpersonalitätsbeweis i n Fichtes früher an­ gewandter praktischer Philosophie, Meisenheim 1973. - Auch wenn es eine ungeheure Leistung Fichtes ist - etwa gegenüber Kant, aber letztlich gegen­ über allen Denkern vor ihm -, das Desiderat einer transzendentalphilosophi­ schen Begründung von Intersubjektivität erkannt zu haben, ist m . E . sein Beweis nicht schlüssig. Vgl . Verf. , Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, 2 Bde . , Harnburg 1987, S. 379 f . , Anm. 85. Auch Hege! - so die Hauptthese dieser meiner Arbeit - hat das Problem ei­ ner apriorischen Begründung von Intersubjektivität nicht gelöst.

Was darf und was soll der Staat bestrafen

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Sittengesetz gewonnen sei, j a in der scharfen Trennung des Rechtsbegriffs von demjenigen der Moral sieht er eine der wich­ tigsten Neuerungen seines Ansatzes (III 10 f . , 5411) . Zumal drei Unterschiede trennen nach ihm Recht und Moral . Erstens gelte das Rechtsgesetz nur hypothetisch, nicht - wie das Sittengesetz kategorisch (9 f . , 14, 86 ff . , 94) . Es bestehe keine rechtliche Pflicht, in Gemeinschaft zu leben; entscheide man sich jedoch dafür, müs­ se man das Rechtsgesetz anerkennen . Das Rechtsgesetz - und damit kommen wir zu den materialen Unterschieden - erlaube zweitens nur, daß man sein Recht ausübe, während das Sitten­ gesetz eine bestimmte Handlung gebiete (54; vgl . 96) . Dieser Er­ laubnischarakter des Rechts ist nach Fichte erforderlich, um das Phänomen adäquat zu verstehen, daß man zwar häufig ein Recht zu etwas habe, das Sittengesetz aber seine Ausübung verbiete ohne daß j enes Recht darum aufhöre, ein Recht zu sein . Der dritte Differenzpunkt schließlich besteht darin, daß das Recht nur ein äußeres Verhalten betreffe, unter keinen Umständen jedoch die in­ nere Gesinnung, die ausschließlich Gegenstand der Moral sei . »Es ist daher nichtig von einem Rechte auf Denkfreiheit, Gewissens­ freiheit, u . s . f . zu reden . Es giebt zu diesen inneren Handlungen ein Vermögen und über sie Pflichten, aber keine Rechte. « (55 ; vgl . 112) Aus der Fichteschen Entwicklung des Begriffs des Rechts als »eines Verhältnisses zwischen Vernunftwesen« ergibt sich ferner, daß es kein Recht auf Naturobjekte gibt - bzw. nur dann, wenn dies die Beziehung zu einem Dritten tangiert . »Es ist nichtig, von einem Rechte auf die Natur, auf Grund und Boden, auf Thiere, u . s. f . zu reden. Die Vernunft hat über diese nur Gewalt, keines­ weges ein Recht, denn es entsteht in dieser Beziehung die Frage gar nicht nach dem Rechte . . . Nur wenn mit mir zugleich ein an­ derer auf dieselbe Sache bezogen wird, entsteht die Frage vom 11 Ich zitiere Fichte nach der Ausgabe seines Sohnes I. H. Fichte (Werke, 11 Bde . , Berlin 1834 - 1846, Nachdruck Berlin 1971) . Die römische Zahl bezeichnet die Band-, die arabische die Seitenzahl .

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Vittorio Hösle

Rechte auf die Sache, als eine abgekürzte Rede, statt der, wie sie eigentlich heissen sollte, vom Rechte auf den anderen, ihn vom Ge­ brauche dieser Sache abzuschliessen . « (55) Ebensowenig kann es nach Fichte ein Rechtsverhältnis zwischen Vernunftwesen geben, deren Wirkungssphären radikal voneinander getrennt sind - al­ so konkret zwischen Lebenden und Toten . »Man verkennt den Rechtsbegriff ganz, wenn man z . B. von den Rechten Längstver­ storbener auf die Lebendigen redet . « (56) Nach einer Deduktion der Anwendbarkeit des Rechtsbegriffes im zweiten Hauptstück des ersten Teils der »Grundlage des Na­ turrechts«, in der es wesentlich um das Problem der Leiblichkeit geht, behandelt Fichte im dritten Hauptstück die eigentliche Rechtslehre. Diese ist dreigeteilt - in die Lehre vom Urrecht, vom Zwangsrecht und vom Staatsrecht . Die Dreiteilung ergibt sich dar­ aus, daß es nicht genügt, die > Urrechte >aber weit entfernt, dass sie vor einer vernünftigen Gesetzgebung das Vergehen mildern sollte, erschwert sie es; in dem Falle nemlich, dass dies ein gewöhnlicher Zustand des Beklagten sey. « In diesem Falle müsse er >>seine Freiheit verlieren, bis man seiner Besserung si­ cher ist, oder ohne Barmherzigkeit ausgeschlossen werdenGrundlinien>Grundlinien>Enzyklopädie>Die Pflichten gegen andere sind zuerst die Rechtspflichten, wel­ che mit der Gesinnung, das Recht um des Rechts willen zu tun, verknüpft sein müssen. Die übrigen dieser Pflichten gründen sich auf die Gesinnung, die an­ deren nicht nur als abstrakte Person, sondern auch in ihrer Besonderheit sich selbst gleich zu halten, ihr Wohl und Wehe als das seinige zu betrachten und dies durch tätige Hilfe zu beweisen. >Welche Dienste wir anderen Men­ schen zu erweisen haben oder erweisen können, hängt von zufälligen Verhält­ nissen ab, in denen wir mit ihnen stehen, und von den besonderen Umständen, in denen wir uns selbst befinden . Grundlinien>Staatslehre« von 1813, wenn auch von

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Vittorio Hösle

daß ein Angriff gegen ihn als den Garanten j ener Güter mittel­ bar auch ein Angriff gegen die Privatpersonen ist . Nicht strittig kann ferner sein, daß der Staat nicht nur gegen ihn gerichtete Handlungen, sondern auch bestimmte Unterlassungen ihm ge­ genüber (etwa Steuerhinterziehung, Totalverweigerung) bestra­ fen muß - da er ohne seine Bürger nur eine Abstraktion ist, ist er auf ihre Leistungen notwendig angewiesen . Ebenso klar ist, daß der Staat als Garant des Rechts bestimmte Unterlassungen seiner Beamten, schon weil sie zumindest mittelbar Verletzun­ gen der Rechte von Privatpersonen sind, bestrafen muß. Strittig zwischen Fichte und Hegel sind hingegen folgende Fälle : erstens bestimmte Unterlassungen im Verhalten zwischen Privat­ personen, deren Strafbarkeit von Fichte befürwortet, von Hegel negiert wird, und zweitens Delikte gegen Unmündige, gegen die Familie, gegen sich selbst, gegen andere mit ihrem Einverständ­ nis, deren Strafbarkeit umgekehrt von Fichte bestritten, von He­ gel bejaht wird . Hinzuzufügen wären folgende heute kontroverse Fälle, deren Strafbarkeit von Fichte und Hegel sei es nicht erör­ tert, sei es mehr oder weniger explizit negiert wird : Delikte ge­ gen die Umwelt, gegen die Religion, gegen die Sexualmoral und gegen die Menschenwürde. Im folgenden will ich die genannten Fälle34, wenn auch nur sehr knapp, im einzelnen durchgehen . 1 . Um mit den echten Unterlassungsdelikten zu beginnen, so ist zunächst einzuräumen, daß der Auffassung, nur Handlungen, nicht Unterlassungen könnten strafbar sein, ein Kern Wahrheit schon insofern zukommt, als häufig nur Verbote ausreichend be­ stimmt formuliert werden können; Bestimmtheit ist aber aus Gründen der Rechtssicherheit für ein Gesetz - anders als für ein einem moralischen Standpunkt aus, heftig gegen diese Konzeption polemisiert (IV 401 ff. ) . 3 4 Ein großer Teil dieser problematischen Fälle hatte i m E 1962 i m Zweiten Abschnitt >>Straftaten gegen die Sittenordnung« seinen Platz . Vgl . dazu etwa W. Schier, Sittliche Maßstäbe im Entwurf eines Strafgesetzbuches (1962), in : W. Reichert (Hrsg . ) , Sittenstrafrecht im Umbruch, Stuttgart 1968, 10- 38.

Was darf und was soll der Staat bestrafen

33

moralisches Gebot - unentbehrlich . Wann eine Verletzung des Verbotes »Du sollst nicht töten« vorliegt, ist unschwer auszuma­ chen; nicht hingegen, wann eine Verletzung des Gebotes »Du sollst dem anderen Gutes erweisen« stattgefunden hat . Zudem ist evident, daß ein Verbot das Selbstbestimmungsrecht des ein­ zelnen im wesentlich geringerem Maße begrenzt als ein Gebot; es ist daher immer leichter, bei Verboten den staatlichen Zwang zu rechtfertigen als bei Geboten . Es ist ferner Hegel darin recht zu geben, daß moralische Gebote oft nur bei genauer Kenntnis der besonderen Individualität des anderen Sinn geben3s, so daß sie nicht allgemein für das Verhalten beliebiger Rechtspersonen zueinander gelten können. Allerdings gibt es auch Gebote, die sehr wohl bestimmt und allgemein formuliert werden können etwa das Gebot der Hilfeleistung bei Unglücksfällen, wenn die eigene Hilfe erforderlich und zurnutbar ist (vgl . StGB § 323c) . Da­ mit ist freilich nur gesagt, daß der Staat unterlassene Hilfeleistung bestrafen kann, ohne das Bestimmtheitsgebot zu verletzen - aber das ist nur notwendige, nicht hinreichende Bedingung für das Recht des Staates zu strafen. Darüber hinaus aber spricht m. E . folgendes für sein Recht, j a seine Pflicht, dies z u tun : die Ent­ wicklung des modernen Staates vom liberalen Rechts- zum lei­ stenden Sozialstaat, eine Entwicklung, die bezeichnenderweise nicht von Hegel, wohl aber von Fichte antizipiert wurde. Im Sozialstaat hat jeder nicht nur das Recht auf Respektierung und Schutz von Leben und Eigentum durch den Staat; er hat auch ein Recht auf positive Leistungen des Staates, die ihm etwa ein menschenwürdiges Leben ermöglichen . Rechten aber korrelieren notwendig Pflichten . Gemäß den auch von Hegel anerkannten

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Zahlreiche moralische Gebote sind ferner an die eigene Besonderheit ge­ knüpft, über die man am sinnvollsten selber zu entscheiden hat : So bin ich, wenn ich bestimmte Fähigkeiten habe, ggf. moralisch verpflichtet, sie auszu­ bilden, anderen damit zu helfen usf. Derartige Gebote können, da sie nicht für jeden gelten, prinzipiell nicht rechtlicher Natur sein; es wäre ungerecht, etwa Hochbegabten besondere Rechtspflichten aufzulasten, obgleich es durchaus angemessen ist, ihnen besondere moralische Pflichten zu unterstellen .

34

Vittorio Hösle

Pflichten gegenüber dem Staat muß daher jeder Bürger Steuern für soziale Aufgaben des Staates, Sozialabgaben usf. zahlen; in Notsituationen - bei Krieg oder Naturkatastrophen - müssen die Bürger ferner durch Anordnungen, denen sie zu folgen ha­ ben, zum aktiven Schutz der Mitbürger eingesetzt werden kön­ nen. In der Konsequenz dieser Entwicklung liegt nun eine Rechts­ pflicht zur konkreten Hilfeleistung dort, wo sie erforderlich und zurnutbar ist : In j enen wenigen Fällen, in denen der Staat nicht unmittelbar zur Hand ist, fällt die sonst durch das Zahlen von Steuern an den Staat übertragene Pflicht zu positiven Leistun­ gen gegenüber dem Bedürftigen wieder auf den einzelnen zu­ rück . Dieser kann zwar nicht rechtlich verbunden sein, in einem Sozialstaat einem Erwerbslosen etwas zu geben - es ist gerech­ ter und zweckmäßiger, daß dies die Sozialhilfe tut, weil allein auf diese Weise eine gewisse Gleichmäßigkeit der Leistungen gegen­ über denj enigen garantiert ist, die ohne Schuld erwerbslos sind. Wo nur möglich, sind also Rechtspflichten an den Staat zu dele­ gieren. Aber dort, wo rasche Hilfeleistung des einzelnen erfor­ derlich ist, ergibt sich für jeden Anwesenden subsidiär wieder eine unmittelbare Rechtspflicht zu helfen. Man braucht dazu nicht einen eigenen Schutzvertrag zu postulieren - auch bei unech­ ten Unterlassungsdelikten ist der Vertrag ja nur eine Instanz, die die Garantenstellung und damit die Pflicht zum Eingreifen be­ gründet . Gegenüber Eltern und Ehegatten etwa hat man eine Garantenstellung, ohne daß man eigens Verträge darüber abge­ schlossen haben muß. Eine solche Stellung ergibt sich aus der Natur des entsprechenden Verhältnisses, ohne daß ein ausdrück­ licher Konsens darüber erforderlich wäre, und man kann analog auch eine, natürlich schwächere, Rechtspflicht zur Hilfeleistung gegenüber allen Menschen konzipieren . Freilich setzt eine sol­ che Auffassung, um wirklich umfassend begründet werden zu können, eine intersubjektivitätstheoretische Fundierung schon des Rechtsbegriffs voraus, wie sie sich etwa bei Hegel nicht findet36 . 36

So faßt Hege! in der Einleitung zu den >>Grundlinien>Nomoi>daß niemand ein Lebensrecht besitze, der es nicht als ein bewußtes Mitglied der menschlichen Personengemeinschaft selbst geltend machen könne, also weder Kinder noch Geisteskranke. Auch gegen die Tötung von Kindern nach der Geburt sei vom Standpunkt des Menschen­ rechts nichts Grundsätzliches einzuwenden . « (R. Spaemann, Kein Recht auf Le­ ben? (1974}, jetzt in : P. Hoffacker/B. Steinschulte/P. -J. Fietz, Auf Leben und Tod, Bergisch Gladbach 1985, 71-97, 74 f . ) Dagegen sowie gegen die etwas gemäßig­ tere soziologisierende Auffassung, ein Lebensrecht setze eine aktuale Kommu­ nikationsfähigkeit voraus, die ein Embryo noch nicht habe, s. die Ausführungen Spaemanns, dessen Beitrag in jeder Beziehung überzeugend ist. 39 Damit ist nicht gesagt, daß der nasciturus auch im zivilrechtliehen Sinne als Person gelten solle. Immerhin ist er nach BGB § 1923 II ab der Zeugung erbfähig. - Daß für den philosophischen Begriff der Person freilich die indivi­ duelle Potentialität des Reflexionsvollzugs die entscheidende Hinsicht ist, hat Ch . Jermann, Die Familie. Die bürgerliche Gesellschaft (in : Ch . Jermann (Hrsg.), op. cit . , 145 - 182) mit Hegel und gegen Fichte überzeugend herausgearbeitet. Hegel spricht von den Kindern als >>an sich Freie(n)« (§ 175, VII 327) . - Geistig sehr schwer Behinderten und Greisen ab einem gewissen Senilitätsgrad ist wohl auch die Potentialität jenes Reflexionsvollzugs abzusprechen; hier ist an die Men­ schenwürde zu erinnern, an der jeder teilhat, der von Menschen abstammt und menschliches Antlitz trägt . 40 Von der Bestrafung der Frühabtreibung durch Nidationshemmer (die Kon­ trazeptiva zu nennen eine ungeheuerliche Begriffsverwirrung ist) mag - wie in StGB § 219d - aus pragmatischen Gründen abgesehen werden, da das Vorlie­ gen einer Schwangerschaft in diesen Fällen nicht nachgewiesen werden kann; strafbar wäre somit immer nur der Versuch - eine Singularität im sonstigen Recht . Sinnvoll wäre höchstens ein Werbe- und Vertriebsverbot für Nidations­ hemmer. - Daß unter moralischen Gesichtspunkten die Verwendung von Ni­ dationshemmern (anders als diejenige von Kontrazeptiva) verwerflich ist, kann aufgrund der o. a . Argumente nicht ernsthaft bestritten werden. Der Hinweis darauf, >>daß es bis zum Nidationsahschluß noch an individuiertem Leben fehltDas neuere Ver­ ständnis von Generalprävention und seine Tauglichkeit für eine Antwort auf Kriminalität« (in : Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 97 (1985), 786 - 830), 829. Freilich kann ich manchen seiner weiteren Ausführungen nicht folgen, so wenn er etwa eine Bekämpfung des Haschischs zwar nicht über das eigentliche Straf-, aber doch über das Ordnungswidrigkeitenrecht für legitim erklärt. Denn zwar muß der Begründungszwang bei der Bestrafung von Straf­ taten im engeren Sinne größer sein als bei derjenigen von Ordnungswidrigkei­ ten, und es ist an dem Wesensunterschied zwischen beiden festzuhalten, den schon Fichte (III 239 ff. ) und Hegel (R. § 232 ff. , VII 383) herausgearbeitet ha­ ben und der durch das Vorhandensein von abstrakten Gefährdungsdelikten im StGB in Frage gestellt wird, wie Wolff in Anschluß an A. Kaufmann bemängelt (828 f.); aber auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist staatlicher Zwang, der legitimiert werden muß, und es geht nicht an, problematische Straf­ tatbestände, mit deren Rechtfertigung man Schwierigkeiten hat, einfach als Ord­ nungswidrigkeiten zuzulassen. Denn auch hier bleibt die grundsätzliche Frage : Darf der Staat Handlungen, die nur einem selbst schaden, verbieten? Diese Frage wird von Wolff nicht klar beantwortet. Einerseits hält er das Argument, auch etwa Heroin zu nehmen gehöre zur Freiheit der Person, für nicht abwegig, an­ dererseits versucht er, das entsprechende Verbot folgendermaßen zu legitimie­ ren : Der Mensch könne allgemein seine Schwächen einrechnen und habe daher einen Anspruch darauf, in Phasen der Schwäche durch andere nicht in Versu­ chung geführt zu werden (829 f., Anm. 92) . Diese Argumentation ist jedoch we­ nig überzeugend; denn mit ihr ließe sich bestens rechtfertigen, Personen Heroin

zu verkaufen, die in einer nachweisbaren Phase der Stärke erklärt haben, sie hätten sich dafür entschieden, in Phasen der Schwäche allen Versuchungen nachzugehen. - Bei vielen Rauschgiften scheint übrigens nicht so sehr eine Gefährdung der Gesundheit als Abhängigkeit das Übel zu sein, das es zu be­ kämpfen gilt. 6 5 Die Möglichkeit von Rechtspflichten gegen sich wird häufig mit dem Ar­ gument verneint, Recht setze eine Pluralität von Personen voraus. Das ist inso­ fern richtig, als ein Rechtsbruch immer nur von einem anderen bestraft werden kann; nur eine Mehrzahl von Personen kann also das Recht verwirklichen . Aber daraus folgt nicht die Unmöglichkeit von Rechtspflichten gegen sich .

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Vittorio Hösle

etwa gibt erstens ein schlechtes Beispiel und nimmt zweitens in einem Sozialstaat durchaus zu Recht - nach der Zerstörung seiner Gesundheit öffentliche Leistungen in Anspruch . Begren­

zung des Rechts, mit sich zu machen, was man wolle, und Sozialstaats­ prinzip sind nur die zwei Seiten derselben Medaille. - Aber nicht nur belastet ein gesundheitliches Wrack Gesellschaft und Staat; es kann auch nicht den ihnen geschuldeten positiven Leistungen nachkommen. Zu Recht werden daher zumindest jene Selbstschä­ digungen bestraft, die in der ausdrücklichen Absicht geschehen, sich Pflichten gegenüber dem Staat zu entziehen - ich denke et­ wa an Wehrpflichtentziehung durch Selbstverstümmelung (vgl . StGB § 109) . Aus dem Gesagten ergibt sich, daß auch der Selbstmord Un­ recht ist (außer in bestimmten, seltenen Ausnahmefällen, etwa bei unheilbarer, schmerzlicher Krankheit, wo ihn vielleicht so­ gar der Respekt vor der Menschenwürde motivieren kann) . Zwar ist auf die Bestrafung des Selbstmordversuchs immer zu verzich­ ten - aber nicht weil hier kein Unrecht vorläge, sondern weil bei einer solchen Verzweiflungstat mit Schuldausschließungsgrün­ den zu rechnen ist . Das Beharren darauf, daß Selbstmord Un­ recht, wenn auch nicht strafbares Unrecht ist, ist nicht nur aus theoretischen Gründen wichtig. Wenn man das m.E. logisch zwin­ gende Akzessorietätsprinzip akzeptiert, dann ist allein auf diese Weise die Strafbarkeit der Beihilfe und der Anstiftung zum Selbst­ mord zu rechtfertigen, die ich mit Nachdruck vertreten möchte66 . 8. Beihilfe und Anstiftung zum Selbstmord leiten über zum Pro-

66 Vgl . dazu den hervorragenden Aufsatz von E . Schmidhäuser, Selbstmord und Beteiligung am Selbstmord in strafrechtlicher Sicht, in : Festschrift für H . Welzel, hrsg. von G. Stratenwerth, A. Kaufmann u . a . , Berlin/New York 1974, 801 -822 . Natürlich wäre es rechtstechnisch denkbar, nur Beihilfe und An­ stiftung zum Selbstmord als Straftatbestand anzuführen, ohne den Selbstmord als solchen zu kriminalisieren (wie das etwa in Ö sterreich der Fall ist); rechts­ philosophisch ist aber klar, daß Beihilfe und Anstiftung zu einer Handlung, zu der der Täter ein Recht hat, unter keinen Umständen bestraft werden dürfen. -

Was darf und was soll der Staat bestrafen

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blem der Schädigung eines anderen mit dessen Einwilligung, das durch das eben Gesagte im Grunde schon gelöst ist . Wenn es un­ rechtlich ist, sich selbst zu töten, dann ist es a fortiori nicht zu erlauben, jemand anderen mit dessen Einwilligung zu töten (vor­ behaltlich denkbarer Rechtfertigungsgründe in äußersten Ausnah­ men), zu verstümmeln, seine Gesundheit sinnlos zu gefährden . Ebensowenig darf ich einen, der sich mir ohne äußeren Zwang sklavisch ergeben hat, seiner geistigen oder körperlichen Freiheit berauben . Sekten, die ihre Mitglieder - durchaus mit deren Zu­ stimmung - einer geistigen Gehirnwäsche unterziehen, können daher verboten werden . Ebensowenig wie entsprechende Hand­ lungen eines Kindes oder Schwachsinnigen, brauchen die Hand­ lungen desjenigen, der seine Rechtsfähigkeit aufgibt, anerkannt zu werden; es gibt keinen legitimen Willen, sein verantwortliches Wollen aufzugeben und an andere zu delegieren67 . Während bei demjenigen, der dies tut, allerdings Schuldausschließungsgrün­ de anzunehmen sind, entfallen derartige Gründe in der Regel bei demj enigen, der die geistige Sklaverei anderer bewußt ausnützt, um daraus Profit zu ziehen. Die nun abgeschlossene Analyse der bezüglich der Frage, ob der Staat sie bestrafen dürfe oder nicht, umstrittensten Fälle hat bei der Mehrzahl ergeben, daß ein derartiges Recht des Staates be­ steht . Allerdings nur ein Recht - es ist nicht meine Ansicht, daß der Staat in diesen Fällen immer strafen sollte . Bei Schädigung und Gefährdung der eigenen Gesundheit etwa sind versiche­ rungsrechtliche Druckmittel sicher effizienter als strafrechtliche; und allgemein sollten repressive Maßnahmen durch präventive

67 Auf staatsphilosophischer Ebene lautet der entsprechende Grundsatz, daß die legitimste Staatsform - die Demokratie - kein Recht hat, sich auf formal­ demokratische Weise für ihre Selbstaufhebung zu entscheiden . - Nach der hier vertretenen Auffassung sind Vertrag bzw. Konsens abkünftige Kategorien ge­ genüber Person bzw. Staatsform; diese begründen die Geltung von jenen und kön­

nen durch sie keineswegs sei es begründet, sei es aufgegeben werden.

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ergänzt und auf die Dauer soweit nur möglich durch sie ersetzt werden68 . Dennoch meine ich, daß unter den genannten Fällen einige sind, bei denen eine Pflicht des Staates zur Strafe besteht . Das sind j ene, bei denen durch ein entsprechendes Verbot Men­ schenleben gerettet werden können - das höchste und grund­ legendste Rechtsgut, dessen Schutz absolute Pflicht des Staates ist, zumal sein Verlust irreversibel ist . Konkret zähle ich dazu be­ stimmte Fälle unterlassener Hilfeleistung sowie die unterlassene Anzeige geplanter schwerer Verbrechen, Abtreibung, Umwelt­ schutzdelikte, die das Überleben der Menschheit gefährden, Tö­ tung auf Verlangen, Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord, Verkauf lebensgefährlicher Drogen. Ferner würde ich eine Pflicht zur Strafe bei den schwersten der Delikte gegen die Menschen­ würde erwägen, weil diese Delikte das, was die Grundlage allen Rechts ist, in Frage stellen - die Tatsache, daß der Mensch, bei allen seinen Schwächen, ein Geistwesen ist, das unter keinen Um­ ständen auf etwas Animalisches zu reduzieren ist . Diese Überzeugung ist Fichte und Hegel gemeinsam . Nur He­ gels Konzeption der Unaufgebbarkeit fundamentalster Rechte auch durch deren Träger liefert aber eine philosophische Grundlage, um dem Staat das Recht zuzusprechen, auch j ene Delikte zu be­ strafen, die zwar nicht unmittelbar gegen den Willen konkreter Einzelpersonen gerichtet sind, deren Straflosigkeit jedoch die 68 Allerdings ist auch zu bedenken, daß in einer pluralistischen Gesellschaft, in der kaum mehr eine Instanz übriggeblieben ist, die die Verbindlichkeit be­ stimmter Werte lehrt, die staatliche Wertsetzung im Strafrecht immer größere Bedeutung gewinnt und eine immer notwendigere soziale Funktion ausübt . (So zu Recht W. Naucke, Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung, Karlsruhe 1975, 45 : >>Der Besondere Teil [sc. des StGB] übernimmt die Grenzsetzungs­ funktion, die bis dahin Herkommen, feststehende Verhaltensweisen zwischen den sozialen Gruppen, Wirtschaftsusancen, berufsständische Gewohnheiten, Respekt oder Angst hatten [ . . . ] Der Besondere Teil wird [ . . . ] zum wichtigen Fak­ tor im moralisch-politischen Haushalt dieses Staate s . >Rechtsphilosophieunbewußte, trieb­ haft instinktive oder gewohnheitsmäßig >>erstarrte« Handeln (so L. Siep, Was heißt >>Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit>subjektiver Straflosigkeit« und nicht von Recht im >>obj ektiven« Sinne; vgl . Kant, Metaphysik der Sitten, An­ hang zur Einleitung in die Rechtslehre, II. Das Notrecht, in : Weisehedei (Hrsg.), Kant, Werke, Bd IV, S. 343. 18 Hege!, Enzyklopädie von 1830, a . a .O., § 138.

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Das Gute und das Gewissen Indem das Wohl nicht nur auf die Verallgemeinerung des Sub­ jekts zurückgeführt wird, sondern als objektiv-seinsollendes Wohl gedacht wird, ergibt sich der Begriff der Idee des Guten (§ 129) . In dieser Idee sollen Wohl und Recht nicht auseinandertreten. Sie ist der neue Zweck des moralischen Willens, der ein Recht darauf hat, nur dasj enige als gültig anzuerkennen, was er als gut eingesehen hat (§ 132) . Damit ist die dritte Stufe der moralischen Zurechnungsfähigkeit erreicht . Auf der ersten Stufe, beim Vor­ satz, geht die Handlungsintention unmittelbar in die Obj ektivi­ tät über (§ 118) . Auf der zweiten Stufe, bei der Absicht, liegt eine subj ektive Vermittlung der Intention mit dem allgemeinen Zu­ sammenhang des Geschehens vor. Auf der dritten Stufe wird auf einen obj ektiven Begriff des Guten zurückgegriffen, der die Ver­ mittlung von Handlungsintention und Handlungsfolgen enthal­ ten und der Grund der Zurechnung sein soll . Hegel grenzt auf dieser Stufe der Entwicklung den Begriff eines Guten, das auf der Substantialität des Willens beruht, durch vorgegebene Inhalte sittlich-religiöser Art dargestellt wird und im Denken erfaßt wer­ den kann, von j enem Begriff des Guten, mit dem wir es in die­ sem Abschnitt weiter zu tun haben und der auf dem formal­ subjektiven Streben des Willens beruht, ab. Das erstere Gute ist das sittlich Gute, während das zweite lediglich vom Willen ge­ setzt ist (§ 133) . Das Gute als etwas abstrakt Allgemeines ist leer. Es läßt sich in die Forderung übersetzen, daß die Pflicht um der Pflicht willen getan werden soll (§ 133) . Diese Leerheit der Form­ bestimmung liegt nach Hegels Auffassung beim Kategorischen Imperativ Kants vor. Moralische Pflichten wie >>Recht zu tun«, für sein eigenes Wohl und das Wohl in allgemeiner Bestimmung, das Wohl Anderer zu sorgen (§ 134), müssen schon als bestimmte Pflichten erkannt und anerkannt worden sein . Bei Kant liegen in den Maximen bereits bestimmte Pflichten vor, so daß der Han­ delnde die Allgemeinheit eines besonderen Gehaltes bereits vor­ aussetzt, wenn er diesen mit dem Kriterium des Kategorischen

Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie

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Imperativs prüft . Die Pflicht als solche ist nur eine »inhaltslose Identität«, eine Bestimmung des Bestimmungslosen . Die Hegei­ sche Kritik der Kantischen Position leugnet nicht die Denkbar­ keit des Kategorischen Imperativs, aber sie erklärt, daß dessen Allgemeinheit ein leerer Formalismus ist . Im Bereich der Maxi­ men ist j eweils schon festgelegt, was getan werden muß. Die Ver­ allgemeinerung ist eine äußere Reflexion, die auch unterbleiben kann . Hegel erklärt sehr plastisch : »Daß kein Eigenthum statt fin­ det, enthält für sich ebenso wenig einen Widerspruch, als daß dieses oder j enes einzelne Volk, Familie nicht existiere, oder daß überhaupt keine Menschen leben. Wenn es sonst für sich feststeht und vorausgesetzt ist, daß Eigenthum und Menschenleben seyn und respectirt werden sollen, dann ist es ein Widerspruch, ei­ nen Diebstahl oder Mord zu begehen; ein Widerspruch kann sich nur mit Etwas ergeben, das ist, mit einem Inhalt, der als festes Princip zum Voraus, zu Grunde liegt« (§ 135) . Wenn in der zeit­ genössischen Diskussion der Kategorische Imperativ als »Krite­ rium des Sittlichen«19 bezeichnet wurde, so ergibt sich von Hegel her gesehen immer noch die Schwierigkeit, daß die Verallgemei­ nerbarkeit des Kriteriums erst dann vorgenommen werden kann, wenn eine Maximenstruktur zur Prüfung vorgefunden wird . Wo­ her aber kommt die Allgemeinheit der Struktur? Wenn z . B. ein Versprechen gegeben wurde, dann liegt im Bruch des Verspre­ chens ein struktureller Selbstwiderspruch, und dieser dient als Kriterium dafür, daß die Handlung unsittlich ist . Das Verspre­ chen bezweckt Glaubwürdigkeit, damit Geldborgen möglich ist, während der Bruch des Versprechens Glaubwürdigkeit zerstört . Freilich kann das einzelne Versprechen nur Glaubwürdigkeit be­ zwecken, wenn bereits eine sittliche Praxis, die die Menschen ver­ bindet, in Anspruch genommen werden kann, sowie umgekehrt ein einzelner Bruch eines Versprechens die sittliche Praxis der Menschen auch nicht gefährdet. In den moralischen Maximen kann 19

in:

Vgl . 0. Höffe, Kants Kategorischer Imperativ als Kriterium des Sittlichen, Höffe, Ethik und Politik, Frankfurt a. M. 1979, S. 84- 1 19.

0.

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sich somit nur dasj enige zeigen, was im sittlichen Umgang der Menschen als eingeübte und geprüfte Praxis vorliegt2D . Die Lö­ sung Hegels weist voraus auf den Begriff der Sittlichkeit, in dem das Gute nicht mehr als Komplement des konstruktiven Wollens des Subj ekts gedacht wird, sondern in dem es als ein logisch Er­ stes in den Sitten, Gewohnheiten und Gebräuchen der Menschen erkannt werden muß. Das »logisch Erste« der Sittlichkeit ist je­ doch nicht identisch mit dem Gegebenen bzw. Faktischen, son­ dern zu seiner Erkenntnis bedarf es des Denkens, das Wirklichkeit erfaßt . Auf diese letzte Stufe gehe ich später ein . Zunächst ist der Abschnitt »Das Gute und das Gewissen« vollständig zu explizie­ ren. Das Gute bloß nach seiner subj ektiven Seite gefaßt, ist das Gewissen . Dieses ergibt sich für Hegel aus der »in sich reflek­ tierten Allgemeinheit der Subj ectivität, die absolute Gewißheit ihrer selbst in sich ist« (§ 136) . Hegel folgt damit dem Kantschen Begriff vom Gewissen . Gewissen, so erklärt Kant in der Einlei­ tung zur Metaphysik der Sitten, ist »die dem Menschen in jedem Fall eines Gesetzes seine Pflicht zum Lossprechen oder Verurtei­ len vorhaltende praktische Vernunft«21 . Praktische Vernunft be­ zieht sich also im Gewissen nicht auf ein Objekt, nämlich auf eine zu beurteilende Handlungsmaxime, sondern »bloß aufs Sub­ j ekt«22, das diese Maxime beurteilt . Das Gewissen ist jenes mit­ laufende Bewußtsein des eigenen Handelns, das der Mensch »ursprünglich in sich« hat23 . Unter diesem Gesichtspunkt gibt es weder ein wahres noch ein irrendes Gewissen, sondern nur ein »Bewußtsein, das für sich selbst Pflicht ist « . Gegen diese Auffas­ sung bemerkt Hegel : »Üb aber das Gewissen eines bestimmten In­ dividuums, dieser Idee des Gewissens gemäß ist, ob, das, was es für gut hält oder ausgiebt, auch wirklich gut ist, dieß erkennt sich allein aus dem Inhalt dieses Gutseynsollenden« (§ 137) . Nach 20 Vgl . dazu R. Bubner, Geschichtsprozesse und Handlungsnormen, Frankfurt/M. 1984, S. 223- 264. 21 Kant, Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe, Bd VI, S. 400. 22 ebenda 2 3 Kant, Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe, Bd VI, S. 400 f.

Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie

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Hegels Auffassung gibt es ein wahres und ein irrendes Gewis­ sen, weshalb der Staat das Gewissen »in seiner eigentümlichen Form«, d. i. als subjektives Wissen nicht anerkennen kann (§ 137) . Hegel unterscheidet vom formellen Gewissen, das irren kann, das sittliche und religiöse Gewissen. Letzteres »gehört überhaupt nicht in diesen Kreis« (§ 137) . Das sittliche Gewissen ist für die Sphäre der Sittlichkeit konstitutiv; es weiß und will, was »in Wahrheit Recht und Pflicht ist« (§ 137) . Das formelle Gewissen dagegen kann zum bösen Gewissen und zur Heuchelei pervertiert werden . He­ gel erkennt, daß das Gewissen, das ein Individuum hat, sowohl von äußeren Faktoren seines Bildungsprozesses als auch von sei­ ner inneren Qualität abhängt . Bereits Aristoteles hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen - und Hegel bezieht sich in anderem Zusammenhang darauf -, daß es eine zufällige und eine verschuldete Unwissenheit gebe : »Jeder Schlechte erkennt nicht, was zu thun und was zu lassen ist, und eben dieser Man­ gel ist es, was die Menschen ungerecht und überhaupt böse macht24 . Wenn ich den Hegeischen Versuch, Kriterien für das wahre Gewissen zu fordern, gerade auch in Zeiten aktueller öko­ logischer Probleme für richtig halte, so folgt daraus jedoch nicht, daß sein Staatsbegriff unproblematisch ist . Dies wäre ein Thema für sich25 . Die Überleitung der Moralität in die Sittlichkeit hat vielen Heget­ Interpreten Rätsel aufgegeben, insbesondere aber j enen, die von einer starren Entsprechung von Logik und Rechtsphilosophie aus­ gehen . Hegels Lösung beruht auf einer Verbindung der Sollen­ sanalyse im Abschnitt > Dasein < der Wissenschaft der Logik mit dem Übergang von der Teleologie zur Idee in der Begriffslogik . Im § 141 der Rechtsphilosophie erklärt er, daß das Gute und das Gewissen als bestimmungslose Totalitäten begriffen werden kön-

24

Aristoteles, Nikomachische Ethik 1110 b 28-32. Vgl . dazu B. Bitsch, Sollensbegriff und Moralitätskritik bei Hegel (Bonn 1977) : >>Der von Hegel beschriebene Staat ist vielmehr als die Idee des Staates auch der Begriff seiner Differenz zu jedem einzelnen bestehenden Staat>Idee der FreyheitRechtsphilosophie«, a . a .O. , Bd II, s . 549.

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einem flachen Optimismus, sondern aus der Dynamik, die aus der Kritik der Moralität folgt . Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß Hegel sich nicht mit dem faktischen Preußen akkommodiert, sondern auf den preußischen Reformkurs gesetzt hat32. Ich fasse zusammen: 1. Die Moralität ist konstitutiv für die Rechtsphilosophie He­ gels, weil nur durch die setzende Reflexivität des Subj ekts der neuzeitliche, an der Triebstruktur des Menschen orientierte Na­ turbegriff bei Hobbes überwunden werden kann . Dies geschieht jedoch nicht durch die Erarbeitung spezifisch innerer Gesetze des moralisch Handelnden, sondern durch die Rechtfertigung der be­ sonderen Interessen der Vertragspartner. Der Abschnitt »Morali­ tät« enthält somit keine Moralphilosophie . Erst die Vermittlung von Intention und Folgen, d . h . durch den Selbstbezug oder das Innerlichwerden des Willens kann das Wesen rechtlicher Verpflich­ tung, das Wesen des Vertrags adäquat gedacht werden . So kann Hegel in der Geschichte der Philosophie von der praktischen Phi­ losophie Kants sagen: »Das Selbstbewußtsein ist Standpunkt der Absolutheit, aufgeschlossen in seiner Brust ist dem Menschen ein Unendliches. Das ist das Befriedigende an der kantischen Phi­ losophie, es ist wenigstens ans Gemüth gelegt; ich anerkenne nur, was seiner Bestimmung gemäß ist«33 . 2. Die Kantische Differenz von Legalität und Moralität wird von Hegel spekulativ begriffen. Sie wird nicht, wie J. Ritter gemeint hat34, genau in derselben Weise beibehalten . Dadurch, daß He­ gel die Moralität in die Sittlichkeit als den tieferen Ausdruck der Freiheit überführt, wird die Kantische Differenz von Legalität und

32

Vgl . K.-H. Nusser, Hegels sittlicher Staat und das Problem der Akkom­ modation, in: F. Rapp und H .-W. Schütt (Hrsg.), Philosophie und Wissenschaft in Preußen, Berlin 1982, S. 95 - 115. 33 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, ed. Glockner, Bd 19, S. 589. 34 J. Ritter, Moralität und Sittlichkeit, in : Metaphysik und Politik, Frank­ furt/M. 1969, S. 282, 284.

Die Moralität in Hegels Rechtsphilosophie

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Moralität durch die Hegeische Unterscheidung von Legalität, Mo­ ralität und Sittlichkeit überholt . Dies hat zur Folge, daß das ab­ strakte Recht als das An-sich-seyn des Rechts eine Abstraktion ist, die zwar notwendig ist, aber die Differenz von faktischem Staat und Sittlichem wird von der Sittlichkeit (Geschichtsphilosophie) beurteilt . 3. Indem Eigentums- und Vertragsrecht von vornherein sittli­ che Implikationen haben, entfällt die vertragstheoretische Kon­ struktion des Übergangs vom status naturalis in den status civilis, die bei Kant und Fichte noch eine wichtige Rolle gespielt haben. Es gibt nach Hegels Auffassung kein zwingendes Argument ei­ nes rationalen Egoismus, so daß - wie Kant meinte - das Pro­ blem der Staatserrichtung »Selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar« sein müßte35; denn auch bei der Anerkennung der Motivationskraft eines egoistischen Kalküls für die Vertragschließenden kann nicht garantiert werden, daß jeder seine rationale Einstellung beibehält . Der ethische Ansatz des Menschen als eines Vernunftwesens ist auch hier impliziert . Nur deshalb kann der Gebrauch des Verstandes zur Pflicht ge­ macht werden . Vor aller Einigung durch einen fiktiven Vertrag muß bereits die Gemeinsamkeit der Menschen als ethisches Ver­ nunftwesen vorausgesetzt werden . Hegel behauptet in diesem Sinn in den §§ 1 und 2 der Rechtsphilosophie, daß die philoso­ phische Rechtswissenschaft den Begriff des Rechts, den sie zum Gegenstande habe, bereits voraussetze (und zwar als Ergebnis der Erörterung des subj ektiven Geistes) . 4. Indem Hegel die Willkürfreiheit mit der Sittlichkeit in eine innere spekulative Verbindung bringt, verlangt er - ähnlich wie Platon und Aristoteles bei der Bestimmung des Gerechten - daß sich die Rechtswissenschaft ihren Begriff von der Rechtsphiloso­ phie vorgeben läßt . 5. Der Üb ergang von der Moralität in die Sittlichkeit vollzieht 35 Kant, Zum ewigen Frieden, in : Weisehedei (Hrsg.), Werke, Bd VI, 224; Akademie Ausgabe Bd VIII, 366.

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Hegel nicht allein mit inner-moralischen Gründen, sondern mit der Idee. Genauer gesagt, die Überwindung des Sollens, wie sie im Abschnitt »Dasein« der Wissenschaft der Logik vorgelegt wird, verbindet Hegel mit dem Übergang von der Teleologie zur Idee in der Begriffslogik Daß Hegel die Sittlichkeit in ihrer Relevanz für das Recht und den Staat als »Idee der Freiheit« noch einmal vernünftig begreifen will, ist angesichts der Positivierung des Rechts und der Verwissenschaftlichung der Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert ein fremd anmutender Gedanke .

Wolfgang Bartuschat D ie G lü ckseligkeit und das G ut e in Hegels R ech t sph ilosoph ie

I

Im Abschnitt »Moralität« thematisiert, sind die Bestimmungen der Glückseligkeit und des Guten solche der Subjektivität . Ich erör­ tere ihr Verhältnis zueinander auf diesem Boden. Ihn nennt Hegel einen »höheren« (vgl . § 106), weil er der Idee der Freiheit ange­ messener ist als der zuvor entwickelte, den Hegel als den des ab­ strakten Rechts bezeichnet hat . Ist j ener Boden der der Person, so ist erst der moralische Standpunkt der des Subj ekts . Ich cha­ rakterisiere einleitend die spezifische Differenz zwischen beiden, um verdeutlichen zu können, inwieweit die Begriffe der Glück­ seligkeit und des Guten den höheren Standpunkt des Subjekts kennzeichnen . Person und Subjekt sind Bestimmungen der Freiheit, die als »Boden des Rechts« (§ 4) Grundlage der Rechtsphilosophie im Ganzen ist . Person und Subjekt unterscheiden sich durch die un­ terschiedliche Weise der Selbstbeziehung, in Hegels Terminolo­ gie : die Person ist an sich unendlich, das Subj ekt für sich unend­ lich (vgl . § 105)1 . Der Unterschied in der Weise der Selbstbezie­ hung ist ein Unterschied des Selbstbezuges in seinem Bezug zum Anderen, nämlich der vorgegebenen Welt, welcher Bezug un­ trennbares Moment des Selbstbezuges ist . Die Ausgestaltung die­ ses Bezuges führt zu unterschiedlichen Formen der Selbstbezie1

Ich zitiere Hegels >>Grundlinien der Philosophie des Rechts« nach der Werkausgabe des Suhrkamp-Verlages, Bd. 7, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt 1970, unter Angabe des Paragraphen, die von K. H . Ilting herausgegebenen Vorlesungsnachschriften ( 4 Bde., Stuttgart 1974-74) unter Angabe der Band- und Seitenzahlen.

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hung, die den Unterschied zwischen abstraktem Recht und Mo­ ralität ausmachen. Es ist der Begriff der Freiheit, der durch das Zusammen von Selbstbezug und Bezug auf Anderes gekennzeich­ net ist : die Freiheit als ein Geistiges ist sie selbst gegen die vorge­ gebene Natur und zugleich nicht ein Zweites neben ihr. Sie sucht diese von sich aus zu bestimmen und darin sich zu verwirkli­ chen . Handelt es sich um eine vorgegebene Natur, in der sich der freie Wille verwirklicht, dann hat der Wille seinen Ort in ei­ nem endlichen, durch natürliche Vorgaben bestimmten Subjekt, in dem er als ein unendlicher ist, sofern das Subj ekt sich als ein geistiges Wesen weiß. Solange das Subjekt sich dabei nur abstrakt we iß, so die These Hegels, ist es bloß Person und noch nicht recht eigentlich Subjekt . Auch die Person, die im Unterschied zum Subj ekt nur an sich unendlich ist, ist dies aufgrund eines Selbstbezuges, einer Refle­ xion . Denn die Person, von Hegel als vollkommen abstrakt be­ stimmt, ist ein endliches begrenztes Wesen von spezifischer Besonderheit, das Person ist, sofern es sich in seiner Endlichkeit als unendlich und das heißt als allgemein und frei weiß. »In der Persönlichkeit liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Sei­ ten (in innerlicher Willkür, Trieb und Begierde, sowie nach un­ mittelbarem äußerlichen Dasein) bestimmte und endliche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in der Endlichkeit mich so als das Unendliche, Allgemeine und Freie weiß« (§ 35) . Kraft dieses Selbstbezuges, in dem die Rechtsfähigkeit des Men­ schen begründet ist, weiß sich der Mensch als ein Allgemeines, in dem individuelle Partikularitäten, die einen Rechtsanspruch begründen könnten, negiert sind und in dem sich der Mensch von der Zufälligkeit des Befolgens innerer Antriebe und des Ein­ genommenseins durch äußere Eindrücke der vorgefundenen Welt, in der er lebt, befreit hat . Er weiß sich als reinen Selbstbezug. Unendlich ist dieser Selbstbezug aber nur, wenn er nicht nur ein Subj ektives ist, dem ein Anderes gegenübersteht, von dem sich die Person in der abstrahierenden Reflexion auf sich zurückzieht . Zwar ist die Person durch ein solches Gegenüber charakterisiert :

Die Glückseligkeit und das Gute in Hegels Rechtsphilosophie

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»Die beschließende und unmittelbare Einzelheit der Person ver­ hält sich zu einer vorgefundenen Natur, welcher hiermit die Per­ sönlichkeit des Willens als ein Subjektives gegenübersteht« (§ 39) . Doch gilt: Der Persönlichkeit »als in sich unendlich und allgemein, ist die Beschränkung, nur subjektiv zu sein, widersprechend und nichtig. Sie ist das Tätige, sie aufzuheben und sich Realität zu ge­ ben oder, was dasselbe ist, j enes Dasein als das ihrige zu setzen« (ebd . ) . Zur Unendlichkeit der Person gehört deshalb der Bezug auf An­ deres, nämlich das Überwinden eines bloß subj ektiven Stand­ punkts und das heißt eine Form der Tätigkeit gegenüber dem, was dem Subjekt vorgegeben ist, in der das Subj ekt dieses sich aneignet . Person und Eigentum sind demnach untrennbar mit­ einander verbunden, aber nur abstrakt . Das Personsein enthält nur den unabdingbaren Bezug auf Eigentum überhaupt, nicht aber auf bestimmtes Eigentum . »Der Besitz bloß als solcher [ . . . ] , [ . . . ] diese besondere Seite ist i n dieser Sphäre der abstrakten Per­ sönlichkeit noch nicht identisch mit der Freiheit gesetzt . Was und wieviel Ich besitze, ist daher eine rechtliche Zufälligkeit« (§ 49) . Die Besonderheit des bestimmten Besitzes ist nicht nur nicht mit der Freiheit identisch gesetzt, sondern kann es auch nicht sein, weil der Besitz, freiheitlich angeeignet zum Eigentum geworden, eine Sache ist, die dem Subjekt äußerlich ist und in der deshalb der freie Wille, der konstitutiv auch für die Person ist, sein Da­ sein nicht angemessen haben kann . Die fortschreitende Entwick­ lung von der Besitznahme über den Gebrauch und die Entäuße­ rung bis hin zum Vertrag zeigt eine zunehmende Distanzierung der Person in ihrer Freiheit von der angeeigneten Sache, die als ein der Freiheit Fremdes als frei verfügbar und darin äußerlich bleibend angesehen wird . Die Person wird in den Gegenständen nicht sich selbst Gegenstand; ihre Unendlichkeit, die sich in den Sachen als einem angeeigneten Äußeren artikuliert, ist nicht für das Subjekt, nicht wahrhaft dessen Unendlichkeit . Auf dem moralischen Standpunkt hingegen bestimmt sich das Subj ekt als Subjekt, indem es die Unendlichkeit seiner Freiheit

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von ihren Äußerungen in der Sphäre des äußeren Daseins her begreift . Die Äußerungen erhalten j etzt einen ausdrücklichen Bezug auf das Subj ekt . Sie werden als das verstanden, in dem sich das Subj ekt erst konstituiert . Die Äußerlichkeit wird als Da­ sein der Freiheit daraufhin verstanden, inwiefern sie Bedeutung für die Existenz des Subj ekts hat . Dem liegt das Bewußtsein zu­ grunde, daß die Freiheit überhaupt nur dort, in konkret existie­ renden Subjekten, wirklich werden kann. Unter dieser Perspektive konstituiert sich das Subjekt in seinen Äußerungen, die aus Frei­ heit geschehen, als ein besonderes. »Im Rechte nur Dasein der Persönlichkeit . Hier Dasein der Besonderheit« (Not . zu § 113) . Der freie Wille realisiert sich in den Äußerungen nur insoweit, als das Subj ekt, das ein besonderes ist, sich in ihnen realisiert . Die subj ektiven Äußerungen erhalten den Charakter, Handlun­ gen zu sein, die sich nicht nur ereignen, sondern dem Subj ekt zurechenbar sind und die nur soweit als seine Äußerungen an­ zusehen sind, als sie ihm zurechenbar sind . Nun hat auf diesem Standpunkt, der ein Fortschritt gegenüber dem abstrakten Recht ist, die Freiheit zwar das ihr angemessene Dasein im Dasein des Subj ekts gefunden, doch bleibt das Sub­ j ekt in seiner Endlichkeit, in der es sich als frei weiß, durch ein der Freiheit Äußeres bestimmt, die Äußerlichkeit der gegebenen Welt, in der das Subjekt handelt . Aus Freiheit geschehend ist das Handeln zugleich durch Umstände bestimmt, die freiheitlich nicht durchdrungen werden können . Das Subj ekt ist so in eine Span­ nung gestellt, die das gesamte Moralitätskapitel durchzieht, näm­ lich nach zwei Seiten in einem Verhältnis zu stehen, das durch das Moment des Sollens oder der Forderung beschreibbar ist (§ 108) und zwar, so heißt es im Ganssehen Zusatz zu § 108, »ist dieses Andere, zu dem der subj ektive Wille steht, ein Doppel­ tes : einmal das Substantielle des Begriffs, und dann das äußer­ lich Daseiende«. Und in der Heidelberger Enzyklopädie heißt es im § 417: »Der moralische Standpunkt ist [ . . ] das Verhältnis, wo­ rin die persönliche Subj ektivität sich absolut selbständig setzt, und daher die Momente des Willens zu selbständigen Extremen .

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abstößt - dem allgemeinen vernünftigen Willen, und einer äu­ ßerlichen selbständigen Welt . Die Subj ektivität ist deren Mitte, und ist ebenso unmittelbar identisch mit ihnen, als sie, weil sie selbständig sind, sich mit ihnen und sie miteinander in nur rela­ tive Beziehung setzt« . Das ist eine Spannung, die auch für das abstrakte Recht kon­ stitutiv ist . Versuche, sie auszugleichen, bestimmen den internen Fortgang des 1. Teils der Rechtsphilosophie und führen vom Be­ griff des Eigentums über den des Vertrags zu dem des Unrechts2 • Auch der Person, die wesentlich frei ist, liegt ein Begriff von Frei­ heit zu Grunde, der in der äußeren Welt nicht die ihm angemes­ sene Gegenständlichkeit findet . Doch hat die Spannung in der Moralität eine andere Gestalt - hier ist sie für das Subj ekt sel­ ber, das sich aus dieser Spannung heraus versteht . Es weiß, daß sich der freie Wille nur im endlichen Subjekt verwirklichen kann und daß es deshalb die es bedingende Zufälligkeit der äußeren Welt sich gemäß machen muß. Die Unbedingtheit in sich reali­ siert es nur, wenn es zugleich das äußerliche Dasein durch sich bestimmt . Das Subjekt hat »in Einem den Zweck zu realisieren, und die äußerliche Welt diesem Zweck gemäß zu machen«, so folgert die Heidelberger Enzyklopädie aus der beschriebenen Spannung (§ 418) und gewinnt als konstitutives Moment der Mo­ ralität den Begriff des Handelns, der unter dieser einen Aufgabe steht . Die Aufgabe kann der moralischen Subjektivität nicht gelingen. Das Dasein des endlichen Subjekts, als Wirklichkeit der Freiheit bestimmt, ist noch nicht die Wrrklichkeit des an und für sich freien Willens, die erst in der Sittlichkeit erreicht ist . Nimmt die Mora­ lität so eine Zwischenstellung zwischen dem abstrakten Recht und der Sittlichkeit ein, die eine Stelle auf der Linie der sich fortschrei­ tend verwirklichenden Freiheit ist, so zeigt sich doch, daß sie sel-

2 Vgl . vom Verf. , Zum Status des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilo­ sophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung (Bd. 41), 1987, S. 19-42 .

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ber in ihrer internen Gliederung nicht durch eine Linearität des Fortschritts gekennzeichnet ist . Zwar verweist die Moralität auf die Sittlichkeit, doch kommt ihr nicht nur eine hinführende Be­ deutung zu, die in der substanziellen Sittlichkeit zurückgelassen ist . Denn in dem Moralitätskapitel wird ein Moment entwickelt, das zwar in der Sittlichkeit seine volle Bestimmung erfährt, aber gerade unabhängig von ihr entfaltet werden muß. Aus der Perspektive des Staates betrachtet, formuliert das He­ gel so : »Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subj ektivität sich zum selb­ ständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzu­ führen und so in ihm selbst diese zu erhalten« (§ 260, Hervor­ hebung von mir) . Die Pflicht des Individuums gegen das Substan­ tielle, die Allgemeinheit des Staates, muß zugleich als ein Recht des Individuums aufgefaßt werden, d . h . als »die Seite seiner Besonderheit« (§ 261 A), in der allein die Pflicht zu ihrer konkre­ ten Bestimmung gelangt . »Die abstrakte Seite der Pflicht bleibt dabei stehen, das besondere Interesse als ein unwesentliches, selbst unwürdiges Moment zu übersehen und zu verbannen. Die konkrete Betrachtung, die Idee, zeigt das Moment der Besonder­ heit ebenso wesentlich und damit seine Befriedigung als schlecht­ hin notwendig; das Individuum muß in seiner Pflichterfüllung auf irgendeine Weise zugleich sein eigenes Interesse, seine Be­ friedigung oder Rechnung finden, und ihm (muß) aus seinem Verhältnis im Staat ein Recht erwachsen, wodurch die allgemei­ ne Sache seine eigene besondere Sache wird . Das besondere Inter­ esse soll wahrhaft nicht beiseite gesetzt oder gar unterdrückt, sondern mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung gesetzt wer­ den, wodurch es selbst und das Allgemeine erhalten wird« (ebd . , letzte Hervorhebung von mir) . Nun enthält Hegels Kritik am staatsphilosophischen Kontrak­ tualismus, der den Ausgang von den in Partikularitäten verfan­ genen Individuen nimmt, unter anderem dies, daß das Allge­ meine des Staates nicht Sicherungsinstanz der Interessen der ein-

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zeinen, die dann letzter Zweck wären, sein kann . Gegen die Zu­ fälligkeit solcher nicht schon vom Allgemeinen her bestimmten Interessen muß Hegel, will er das Besondere in das Allgemeine des Staates als eine seiner substantiellen Bestimmungen integrie­ ren, eine Theorie entwickeln, derzufolge das besondere Interes­ se, das das Subj ekt an sich nimmt, dem Subjekt wesentlich ist . Sonst wäre die individuelle Besonderheit bestenfalls ein Spiel­ raum des Privaten, den der Staat großzügig duldet, aber nicht ein Element, das, mit dem Allgemeinen vermittelt, die innere Stär­ ke des Staates ausmacht . Diese Theorie gibt Hegel in seiner Be­ stimmung des Wohls innerhalb des Moralitätskapitels . Das, was die Schwäche des Wohls ausmacht, eine inhaltliche Besonderheit darzustellen, die in einer von der Subjektivität nicht zu bewälti­ genden Spannung zur Substanzialität des Willens und der Äu­ ßerlichkeit der vorgefundenen Welt verharrt, macht zugleich deren Stärke aus, nämlich die Subjektivität inhaltlich zu bestimmen und darin zu einer Vielfalt von in sich unterschiedenen Subj ekten zu gelangen, ohne die dem sittlichen Gebilde, dem Staat, »die in­ nere Stärke« (§ 261 A) fehlte . Meine vorläufige und zu begründende These ist, daß das Mo­ ralitätskapitel in der Theorie der Glückseligkeit, unter dem Titel des Wohls gefaßt, seinen Höhepunkt erreicht, auf den über die Vorsatz-Erörterungen hingeführt wird und von dem die Erörte­ rungen über das subjektiv verstandene Gute wieder abführen, die darin anzeigen, daß das Problem des Wohls nicht in ihm, dem so verstandenen Guten, sondern allein im Sittlichen, in dem das wahrhaft Gute erst seinen Ort hat, eine Lösung erfahren kann .

II

Im Begriff des Wohls gipfelt die Entwicklung, in der sich das Sub­ j ekt als ein freies in der Abhebung von der Person konstituiert, indem es in seinen Äußerungen sich weiß. Der Bezug auf die äu­ ßere Welt, Merkmal des Begriffs des Eigentums und der sich daran

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anschließenden Bestimmungen des abstrakten Rechts wird nicht umwillen der Innerlichkeit eines durch Vorsatz, Absicht und Ge­ wissen gekennzeichneten Willens preisgegeben, er wird vielmehr aus der Perspektive des sich als frei wissenden Subj ekts vertieft . Die Äußerlichkeit erhält die Bedeutung, dem Subjekt wesentlich zu sein und darin kein ihm entgegengesetztes Äußeres zu sein . Zwar steht das Subj ekt, nicht anders als die Person im abstrak­ ten Recht, in der »Entgegensetzung der Subj ektivität und Objek­ tivität« (§ 109), nämlich in der Relation zu einer vorfindliehen Welt, in der es sich äußert, doch ist der Zweck des subj ektiven Wil­ lens, der Inhalt dessen, was das Subj ekt will, nicht irgendetwas der äußeren Welt, sondern die eigene Identität in den Äußerun­ gen . Die Identität ist der Zweck, den das Subjekt sich setzt (ebd . ) . »Der Inhalt ist für mich als der meinige s o bestimmt, daß e r in seiner Identität nicht nur als mein innerer Zweck, sondern auch, insofern er die äußerliche Obj ektivität erhalten hat, meine Sub­ j ektivität für mich enthalte« (§ 110) . Die Identität in der Entge­ gensetzung wird so realisiert, daß das Subjekt das Äußere nur als dasjenige will, das die eigene Subjektivität für es enthält . Darin ist die behauptete Identität von Subj ektivität und Obj ektivität in der Entgegensetzung in Wahrheit die unbedingte Priorisierung der Subjektivität gegenüber der Objektivität, die nur insofern von Bedeutung ist, als das Subj ekt sich in ihr setzt und ihr darin Be­ deutung für sich selbst verleiht . Dies, daß die Äußerlichkeit meine Subjektivität für mich enthält, ist gleichbedeutend damit, daß ich meine Subjektivität in ihr erhalte. § 112, der die Erhaltung der Sub­ j ektivität in der Ausführung ihrer Zwecke einführt, verweist für diese Wendung auf § 110, der vom Enthaltensein der Subj ekti­ vität in der Äußerlichkeit spricht . Die schon dem abstrakten Recht zugrundeliegende Priorität des Subjekts gegenüber dem Äuße­ ren kommt nun so zur Geltung, daß das Subj ekt ein Recht hat, sich zu erhalten. Ist dies ein Recht, so kann es seine Legitimation allein aus dem Begriff des freien Willens erhalten, nämlich als dessen Dasein . Das Recht auf Selbsterhaltung ist mit ihm so verbunden, daß die

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Freiheit sich nur in den Individuen verwirklichen kann, sie also ohne deren Existenz unwirklich bliebe. Nun gehört zur Existenz eine Vielfalt von Bestimmungen des natürlichen Lebens, die der Freiheit vorgegeben sind und die in ihrer Zufälligkeit die Vielfalt voneinander unterschiedener Individuen ausmachen. Selbster­ haltung des Individuums meint, sich in diesen Bestimmungen zu erhalten . Sie als ein Recht und damit als Dasein der Freiheit bestimmt, ist nicht eine Beschreibung dessen, worauf das Indi­ viduum schon natürlicherweise aus ist . Freiheitlich bestimmt, ist sie eine Brechung des Natürlichen. »Hier daher Neigungen, Trie­ be, Inhalt - aber nicht bloß auf natürliche, rohe Weise - seinen Trieben den Lauf lassen, von der Begierde, Neigung als solcher bestimmt sein - [ . . . ] - sondern daß ich (mich) verhalte als in mich reflektiertes« (Not . zu § 123) . In der »Hemmung des Trie­ bes, der Natürlichkeit« weiß das Subj ekt »von ihnen als unterge­ ordneten« (ebd . ) . Diese Unterordnung in der Brechung der Unmittelbarkeit ist nicht Absehen von den Neigungen, sondern deren Integration, aber nicht in ein unabhängig von ihnen schon bestimmtes Subj ekt, das ganz abstrakt wäre, sondern in ein sol­ ches, das sich im Hinblick auf die Neigungen weiß und darin als ein konkretes. Die Brechung der Triebe ist deren Integration in ein Ganzes, als dessen organisierendes Prinzip das Subj ekt sich weiß. »Diese Triebe nicht unmittelbar, sondern auf ein Ganzes, zunächst ihr Ganzes bezogen - reflektierendes Denken, Wohl, Glückseligkeit« (ebd . ) . Glückseligkeit ist der Titel eines Bezuges des Subj ekts auf das Äußere, in dem das Subj ekt sich von dem Äußeren nicht getrennt weiß, dieses vielmehr als das ansieht, in dem es sich als ein konkretes gewinnt . Eingeführt wird der Begriff des Wohls im Fortschritt von dem Vorsatz zu der Absicht . Das ist ein Fortschritt in der Bestimmung der konkreten Subjektivität . Beim Vorsatz bleibt das Subj ekt, das sich nur das zurechnet, was im Vorsatz lag (§ 117), einem äuße­ ren Gesetz der von der Intention losgelösten und darin ihr frem­ den Handlungsfolgen unterlegen, das sich dem Wissen, das auf den Vorsatz beschränkt ist, entzieht . Die Objektivität, auf die der

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als Vorsatz bestimmte Wille bezogen ist, bleibt ihm ein Äußeres. Er hat »für sein Handeln einen vorausgesetzten äußerlichen Ge­ genstand mit mannigfaltigen Umständen« (§ 115), den er han­ delnd verändert und dem er darin »das abstrakte Prädikat des Meinigen« (ebd . ) verleiht . So ist zwar »das Obj ektive [ . . . ] das Mei­ nige« (Not . zu § 115), doch Obj ektivität ist in »zweierlei« Bedeu­ tung : »a) das Vorausgesetzte, das er verändern will - b) das Veränderte selbst, das Hervorgebrachte« (ebd . ) . Das Hervorge­ brachte, dem Subj ekt nur hinsichtlich seines Vorsatzes zugerech­ net, wird zu einem einzelnen in einem Zusammenhang der äußeren Welt, die ihrerseits Einfluß auf die Folgen der Handlung hat, denengegenüber sich der Handelnde auf »das Recht des Wis­ sens« (§ 117) beruft, von dem ein Teil der Handlungsfolgen un­ berührt bleibt . Dieses Recht, eingeschränkt auf den Vorsatz, ist das Recht auf ein eingeschränktes Wissen . Ein besseres Wissen, nämlich von den zu erwartenden Folgen einer Handlung, ist jedoch nicht durch eine Verbesserung des Wis­ sens um die Zusammenhänge der äußeren Welt, in der die Hand­ lungen geschehen, zu erlangen (ein solches Wissen muß defizient bleiben), sondern durch ein Wissen um die allgemeine Natur von Handlung (§ 119) . In ihm wird abgesehen von den Einzelheiten des äußerlichen Daseins einer Handlung, und Folgen werden nur insoweit betrachtet, als sie zur Natur der Handlung gehören. Diese absehende Betrachtung löst die Problematik, in der die als Vor­ satz gefaßte Subj ektivität verstrickt ist, durch eine Verlagerung des Problems, die zugleich dessen Vertiefung ist, indem sie von der äußeren Welt und deren Vielfalt singulärer Fälle auf das die­ sen übergeordnete Subj ekt hinführt . Wenn es auch zur Natur der Handlung gehört, in einer äußeren Welt und deren Umständen zu geschehen, und ihr Produkt deshalb immer ein einzelnes ist, das im Kontext mit anderem einzelnen steht, so ist die Handlung in dieser ihrer Bestimmung doch zugleich ein Allgemeines. Dar­ in ist sie nicht von den Umständen her zu fassen, sondern allein vom Träger der Handlung her, dem Subj ekt, in dessen Verfas­ sung, freier Wille zu sein, allererst liegt, daß das Subj ekt, auch

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schon im Vorsatz, gegenüber der äußeren Natur ein Recht zur Geltung bringt . Hegels Notizen zu § 119 machen diese Wendung von den Äu­ ßerungen zum Subj ekt ganz deutlich : »Absicht - Bestimmung der Handlung - aus dem Selbstbewußtsein, aus der Reflexion in sich, aus meinem Wissen von (?) mir«, und : »Handlung Tun des denkenden Menschen - also eine Allgemeinheit in ihr - dies das Wesentliche« . In der reflektierenden Rückwendung auf sich als dem Prinzip der Handlung, das das Allgemeine ist, kommt es nicht darauf an, eine »äußerliche Sache zu der meinigen zu machen« (Not . zu § 119/ 120), wie das beim abstrakten Recht im Erwerb eines Eigentums der Fall ist, wie es aber auch noch, struk­ turanalog, beim Vorsatz der Fall ist, der eine äußere Handlungs­ folge vom subjektiven Wissen her bestimmt; worauf es ankommt, ist, die Handlung »als Inhalt meiner Subjektivität geltend (zu) ma­ chen« (ebd . ) . Die Handlung, zum Inhalt des Subj ekts gemacht, ist nicht Mittel, um etwas Anderes, eine Sache, zu erreichen . Auf das Subj ekt bezogen, ist sie »ein Tun [ . . . ] als aus mir bestimmt« (Not . zu § 119) . Ihre Bestimmtheit, die sie als jeweils einzelne hat, insofern sie ein einzelnes, eingreifend in die äußere Welt, her­ vorbringt, hat sie nicht von der Welt her, sondern aus dem sich wissenden Subj ekt . Sie ist eine Folge der Endlichkeit des Sub­ j ekts, die auf dem moralischen Standpunkt vom Subjekt aus­ drücklich gemacht wird . In der Absicht weiß das Subjekt, daß die Freiheit als das Allgemeine im Endlichen sich bestimmen muß. Von daher erhält die Handlung den Charakter, »eine im Wis­ sen positiv gegründete Nötigung, Bestimmung zu dieser oder je­ ner Äußerung« (ebd . ) zu sein . Ihre Positivität besteht darin, daß in ihr sich das Subj ekt zu einem besonderen bestimmt . Als In­ halt des Subjekts ist sie ein Zweck, den sich dieses selber gibt, nicht weil ihm etwas äußerlich vorgegeben ist, sondern allein weil es ein freies Wesen ist . Das Sichbestimmen des Subj ekts zu ei­ nem besonderen liegt in der »Natur des Willens«, und deshalb ist das Subjekt in diesem Akt, durch den es sich als besonderes von dem Allgemeinen unterscheidet, »selbst bestimmt durch das

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Allgemeine« (ebd . ) . In der Absicht, in der von der Einzelheit der Handlung in der Welt abgesehen und auf die Allgemeinheit im Subjekt hingesehen wird, wird zugleich die Besonderheit als ein »wesentliches Moment« (ebd . ) erkannt, nämlich des Allgemeinen, das das Subj ekt ist . Das Subj ekt als Prinzip des Handeins beson­ dert sich im Handeln, und die konkrete Subj ektivität ist eine ver­ nünftige Subjektivität . Der äußeren Sache, auf die das Handeln bezogen ist, ist ihr Charakter, ein dem Subj ekt Äußeres zu blei­ ben (im abstrakten Recht) oder ein nur partial Zurechenbares zu sein (im Vorsatz), genommen . Die Absicht, gegenüber dem Vorsatz als Abstraktion bestimmt, enthält gerade die konkretere Bestimmung von Subjektivität. »Hier treten wir auf das Bestimmtere des moralischen Bodens« (Not . zu § 119) . Denn in der Absicht, in der das Subj ekt um sich weiß, weiß es sich in seinen Handlungen und damit als konkretes. In­ teressiert an seinen Handlungen, in denen es ist und die sein Zweck sind, in dem es sich erhält, nimmt es an einem Besonde­ ren Interesse, weil es selber ein besonderes ist . »Der Inhalt mei­ ner Absicht, als Inhalt betrachtet ist zunächst ein besonderer, und die Absicht so nach ihrer Besonderheit aufgefaßt enthaltend meine Besonderheit ist das, was zu meinem Wohl oder zum Wohl über­ haupt gehört. Auf diesem Standpunkt also haben wir Absicht und Wohl« (Vorl . III, 352) . Das Subjekt, das in der Absicht von der Einzelheit dessen, was es in der obj ektiven Welt vorsätzlich be­ wirkt, auf sich sich zurückzieht und darin die intendierte Hand­ lung als aus sich heraus bestimmt weiß, ist ein besonderes, denn nur ein solches muß sich gegen die Welt eigens gewinnen . In der Absicht wird diese Besonderheit gerechtfertigt . »Das Subjekt hat als in sich reflektiertes, somit gegen die objektive Besonderheit Besonderes, in seinem Zwecke seinen eigenen besonderen Inhalt, der die bestimmende Seele der Handlung ist . Daß dies Moment der Besonderheit des Handelnden in der Handlung enthalten und ausgeführt ist, macht die subjektive Freiheit in ihrer konkreteren Bestimmung aus, das Recht der Subjektivität, in der Handlung seine Befriedigung zu finden« (§ 121) .

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Auf dem Boden der besonderen Subjektivität kann nun der In­ halt, den die Handlungen ausmachen, will man über die Formal­ bestimmung, überhaupt tätig zu sein, hinausgehen, nur aus der Besonderheit gewonnen werden : »Weiter bestimmten Inhalt aber hat die noch abstrakte und formelle Freiheit der Subj ektivität nur in ihrem natürlichen subj ektiven Dasein, Bedürfnissen, Neigun­ gen, Leidenschaften, Meinungen, Einfällen usw. Die Befriedigung dieses Inhalts ist das Wohl oder die Glückseligkeit in ihren be­ sonderen Bestimmungen und im allgemeinen, die Zwecke der Endlichkeit überhaupt« (§ 123) . Die Allgemeinheit des Willens, die gegen die obj ektive Besonderheit des in Weltzusammenhän­ ge eingelassenen Handeins gekehrt wird als das Prinzip, das aus sich heraus zu Besonderungen sich bestimmt, ist dieses Prinzip doch nur, sofern sie sich in einem besonderen Subj ekt von ganz zufälligen Bestimmungen natürlicher Art manifestiert . Konkrete Subj ektivität und besondere Zwecke sind nicht zu trennen. In diesen besonderen Zwecken, die relativ auf natürliche Vorfind­ lichkeiten im Subjekt sind, bleibt das Subjekt in Abhängigkeit von der Zufälligkeit einer vorgegebenen Welt, in der es existiert und unter deren mannigfachen Einfluß sich das natürliche subj ekti­ ve Dasein herausgebildet hat . Doch ist das gerade der Fortschritt von dem Vorsatz zu der Absicht, daß die Subj ektivität, Prinzip der Moralität, in ihrem Selbstbezug, der zugleich einen Bezug zur Äußerlichkeit der Welt impliziert, nicht als ein Rückgang in die Innerlichkeit eines bloß subj ektiven Vorsatzes gefaßt wird, dem als Beweggrund der Handlung die Obj ektivität der Tat nicht zu­ rechenbar ist . »Ich habe meine Absicht nicht für mich behalten, sondern sie auch objektiv gesetzt« (Not . zu § 124) . Indem das Sub­ jekt weiß, daß es seine wesentlichen Bestimmungen in den Hand­ lungen hat, diese also sein eigener Zweck sind, versteht es sich im Selbstbezug wesentlich als ein sichäußerndes Subj ekt, d . h . als ein welthaftes Subjekt. Es weiß, daß die Äußerungen zum Sub­ jekt gehören und zwar sie als ganze, die ihre einheitliche Bestim­ mung darin haben, dem Subj ekt dienlich zu sein . Sofern das Subjekt in seinen Handlungen sein Dasein hat und zugleich durch

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diese sein Dasein sichert, das Dasein des Subj ekts aber der Bo­ den ist, auf dem sich die Freiheit realisiert, ist die Glückseligkeit des Subj ekts, die darin besteht, sich in den Handlungen zu be­ friedigen, ein »Recht des Subj ekts« (§ 121) . Insofern es ein Recht ist, ist es unaufgehbar. »Der eigentümli­ che Boden der Freiheit ist der besondere Wille selbst . Indem die­ ser wesentliches Moment ist, so hat er als solcher ein Recht . Der natürliche Wille tritt hier ein, aber nicht als unmittelbar natürli­ cher Wille, sondern als solcher, der Zweck ist, der vom reflektie­ renden Bewußtsein gewußt und gewollt wird und somit in das Element des Allgemeinen eintritt . So, als gedachte allgemeine Be­ sonderheit, ist er das Wohl überhaupt, nicht als einzelne, beson­ dere Neigung. [ . . ] Das Recht liegt unmittelbar in der Besonderheit und ist für sich nicht als etwas Schlechtes anzusehen. Es kommt erst darauf an, ob es dem Allgemeinen angemessen ist oder nicht«3 . D. h . : die Besonderheit ist vorgängig und unabhängig von dem Allgemeinen zu entfalten; sie ist darin nicht nur nicht ein zu verwerfendes, sondern darüberhinaus ein unerläßliches Ele­ ment, in dem die Freiheit das ihr eigentümliche Dasein hat . Die Frage nach der Angemessenheit ist erst im Anschluß daran zu stellen, nämlich von einem schon entwickelten Rechtsanspruch aus, von dem zu fragen ist, unter welchen Bedingungen das in Anspruch Genommene in Wahrheit steht . Es ist die Frage danach, unter welchen Bedingungen das Privatwohl, das ein Recht des Subj ekts ist, auch über das Selbstverständnis dessen, der seinem Wohl nachgeht, hinaus als Recht bestehen kann . Gewiß ist es ein Recht nur kraft eines Allgemeinen im Subjekt, der Freiheit . Und die Glückseligkeit hat ihren Ort nicht im Befol­ gen natürlicher Triebe, sondern in deren vernünftiger Gestaltung durch das Allgemeine . In Hothos Nachschrift, in der es heißt : »Die Befriedigung des Bedürfnisses erhält also Beziehung auf ein Allgemeines«, findet sich in diesem Zusammenhang die Formu­ lierung, daß die Glückseligkeit das Allgemeine ist: »Einen beson3

Hege!, Philosophie des Rechts, hrsg. von D. Henrich, Frankfurt 1983, S. 96.

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deren Inhalt also beziehe ich auf das Allgemeine, das hier die Glückseligkeit ist« (Vorl . III, 387) . Doch ist der Inhalt, den sich das Subj ekt gibt und durch den es über die leere Subj ektivität der formellen Persönlichkeit hinaus zur konkreten Subj ektivität gelangt, sich ergebend aus den vorgefundenen natürlichen Be­ stimmungen, als Inhalt dieses Allgemeinen noch nicht wahrhaft allgemein . Das Subjekt ist in der Befriedigung seiner Absicht von dem an und für sich seienden Allgemeinen des Willens noch ver­ schieden, das Hegel als das Gute bestimmt, in dem die beson­ deren Zwecke zu einem allgemeinen Zweck erhoben sind . Unbe­ schadet dessen gilt jedoch : »Diese Verschiedenheit[ . . . ]macht aber nicht an und für sich einen Gegensatz aus, so daß wenn ich mich befriedige, dies der Forderung des vernünftigen Willens zuwider wäre, ebensowenig ist wenn ich das Gute tue, dies meiner Be­ friedigung notwendig entgegen . Die Unterschiedenheit schließt also nicht eine Unverträglichkeit beider Seiten ein (Vorl . III, 388) .

III Der Fortgang des Moralitätskapitels, der Fortgang von der Glück­ seligkeit zu dem Guten, und damit komme ich zur Erörterung des zweiten Begriffs meines Themas, führt aber zu einer solchen Unverträglichkeit . Er entwickelt einen von der Sache her verfehl­ ten Standpunkt . Hegel bestimmt das Gute, das als ein Allgemei­ nes gegen die besonderen Zwecke des Wohls gekehrt wird, »als die Notwendigkeit, wirklich zu sein durch den besonderen Wil­ len und zugleich als die Substanz desselben« (§ 130) . Er bestimmt es also durch das Zugleichsein zweier Momente, die ihm Wirk­ lichkeit verleihen, den besonderen Willen und dessen Substan­ zialität . Das sind zwei voneinander verschiedene Momente, beide unerläßlich und nicht aufeinander zurückführbar. Deshalb kann die Substanzialität des wahrhaft Guten nicht aus den besonde­ ren Willen resultieren, wie es die Idee des Kontraktualismus will; sie kann aber auch kein Bestehen unabhängig von den besonde-

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ren Willen haben . Daraus ergibt sich als Konsequenz : 1 . die sich ausbildende Besonderheit muß als ein positives Element ent­ wickelt werden; 2. deren Substanzialität kann im Feld der Beson­ derheit, d . h . auf dem Boden der Subjektivität qua Moralität, nicht gewonnen werden. Meine These ist : das erste zeigt der Abschnitt über die Absicht und das Wohl, das zweite der Abschnitt über das Gute und das Gewissen. Der erste Abschnitt ist deshalb po­ sitiv, der zweite Abschnitt negativ. Er zeigt keine fortschreitende Entwicklung, sondern einen Verfall an . Darin unterscheidet sich das Moralitätskapitel von den beiden anderen der Rechtsphilo­ sophie . Die Schwäche des Wohls, dergegenüber Hegel auf das Gute als eine fortgeschrittene Bestimmung verweist, ist sein Charakter zu­ fälliger Partikularität . Das Allgemeine in ihm ist ein Allgemeines zufälliger Bestimmungen . Der Standpunkt des Wohls ist zwar in sich reflektiert; das Subj ekt weiß sich als freies Wesen, das sich nicht unmittelbar äußert, sondern die Äußerungen eigens auf sich bezieht . Deshalb ist die Subj ektivität in der die Unmittelbarkeit durchbrechenden Reflexion nicht bloß »als diese meine einzel­ ne« (§ 1 12) . In den Äußerungen, in denen das Subjekt sich er­ hält, ist es über die eigene Privatheit schon hinaus; in ihnen sind ihm auch andere Subj ekte in deren Wollen gegenständlich . So verbindet das Subj ekt mit dem Interesse am eigenen Wohl das am »Wohl auch anderer« (§ 125) . Doch kann es, orientiert an der eigenen Besonderheit, deren Besonderheit nicht befördern . Die positive Beziehung auf andere Subj ekte bleibt unbestimmt, im Hinblick auf das Wohl aller ist sie von »ganz leerer Bestimmung« (ebd . )4. Die vernünftige Gestaltung des Glücks bleibt jedem selbst überlassen. Die für sich seiende Allgemeinheit des freien Willens, in der sich das Subj ekt mit anderen Subj ekten verbunden weiß, vereinzelt sich im Begriff des Wohls zu einer Allgemeinheit ein­ zelner Bestimmungen, die, vernünftig integriert, das Glück des 4

Vgl . L . Siep, Was heißt: >>Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit>in der in der Folge erst vorkommenden sitt­ lichen Gesinnung enthalten ist« (§ 137A), hat mit dem in der Moralität themati­ sierten nichts gemein .

Kurt Seelmann Z urech nung al s D eut ung und Z usch reibung ­ Hegel s »Rech t der O bj ekt iv ität«

I Daß die Zurechnung einer Handlung zu einem Menschen mehr ist als eine Aussage über eine Wahrnehmung von Fakten, wurde in der mindestens bis auf Aristoteles zurückreichenden Geschichte der Zurechnungslehren nie ernsthaft bestritten. Aber erst im 20. Jahrhundert rückte eben dieser Aspekt der mit einer Zurechnung verbundenen Geschehensdeutung von Seiten derer, die zurech­ nen, in den Mittelpunkt des Interesses. Zurechnungslehren von Aristoteles über Thomas von Aquin und die Spätscholastik bis auf Pufendorf und Christian Wolff waren in ihrem Zentrum Hand­ lungstheorien, Aussagen über die Handlung dessen, dem etwas zugerechnet wird . In ihnen wurde insbesondere nach dem Wil­ len als causa libera der Handlung und Bedingung ihrer Zurech­ nung gefragtl . Wenn man sich im 20. Jahrhundert nicht selten in eine Metaposition dazu begab, sich mehr für den Akt des Zu­ rechnens - der Deutlichkeit halber als Zusch reibung gekennzeich­ net - interessierte, so waren die philosophischen Gründe dafür vielfältig. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei nur erinnert an die neukantianische Vorstellung von der Norm als Deutungs­ schema, an die phänomenologische Reduktion der Gegenstän­ de auf ihren Sinn, an die sprachanalytischen Askriptions- und Dispositionslehren und nicht zuletzt an die Entdeckung des gro-

1 Vgl . nur Verf , Gaetano Filangieri und die Proportionalität von Straftat und Strafe - Imputation und Prävention in der Strafrechtsphilosophie der Aufklä­ rung, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Bd. CJ7 (1985), 241 ff. (253 ff. ) .

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ßen Entscheidungsspielraums beim praktisch tätigen Juristen u . a . durch Hermeneutik und Rechtssoziologie unseres Jahrhun­ derts2. Die Folgen bis hin in die Strafrechtsdogmatik und Krimi­ nologie der Gegenwart sind bekannt : Eine Normativierung oder Funktionalisierung gesetzlicher und rechtswissenschaftlicher Ter­ mini, eine an der Funktion der Zurechnung zur Eindämmung von Folgekonflikten orientierte Straftheorie, sowie unterschiedliche Reaktionsansätze (oder »labeling-Lehren«), für welche die Vor­ stellung von der sozialen Kontrolle als Antwort auf Devianz naiv, wenn nicht gar die Einschätzung der Devianz als Resultat sozia­ ler Kontrolle evident erscheint . Was hat Hegel mit solchen Zuschreibungslehren zu tun? Ver­ gegenwärtigen wir uns zunächst, worum es ihm nicht geht . Es geht Hegel nicht um die Frage, nach welchen Selektionskriterien kriminelle Handlungen den Instanzen sozialer Kontrolle als mög­ licher Gegenstand von Zuschreibung überhaupt bekannt werden oder im Dunkelfeld verbleiben - das zentrale Problem der sog. gemäßigten Reaktionsansätze. Es geht ihm auch nicht darum, jene Steuerungsmechanismen zu klären, nach denen im Einzelfall bei bekannten Handlungen Motive zugeschrieben werden - also die Frage von Harts Askriptionsthese3 oder Ryles Dispositionslehre4, die Frage, die vom sog. radikalen Reaktionsansatz dahingehend negativ beantwortet wird, daß das Gesetz diese Zuschreibung gar nicht hinreichend regle5 . Und es geht Hegel schließlich nur am

2

Zu einigen dieser Strömungen und ihrer Bedeutung für die kriminologi­ sche Zuschreibungslehre vgl . die Nachweise bei Kuhlen, Die Objektivität von Rechtsnormen, Frankfurt a . M . u . a . 1978. 3 Hart, The Ascription of Responsibilities and Rights, in : Proceedings of the Aristotelian Society XLIX (1948/49), 145 ff. . 4 Ryle, Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1972 (Original : The Concept of Mind, Oxford 1949), S. 153 ff. 5 Weshalb für diese Variante des Reaktionsansatzes das Dunkelfeldproblem gar nicht existieren kann, zeigt Keckeisen, Die gesellschaftliche Definition ab­ weichender Verhaltens - Perspektiven und Grenzen des labeling approach, München 1974, S. 27.

Zurechnung als Deutung und Zuschreibung

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Rande um die Kriterien, nach denen bei einem einmal festgelegten Motiv sich entscheidet, an welcher Stelle des Kontinuums zwischen »frei« und »unfrei« dieses Motiv im Einzelfall eingeordnet wird ­ ein Problem, wie es sich insbesondere für die systemtheoretisch orientierte Strafrechtstheorie stellt, die danach fragt, unter welchen Akzeptanz-Voraussetzungen ein Verhalten am Täter vorbei - d . h . ohne Rekurs auf seinen freien Willen - erklärt werden kann6. Es geht Hegel, dies ist meine noch zu belegende These, vielmehr in erster Linie um die Frage, in welchem Umfang es für die Zurech­ nung auf diese frei/unfrei-Differenzierung generell überhaupt an­ kommt und welches Regel-Ausnahmeverhältnis - wieder gene­ rell - gegebenenfalls vorausgesetzt werden muß. Unter dem Aspekt der Zuschreibung ist daran von Bedeutung, welcher Status den von Hegel verwendeten Fiktionen zukommt und welche Kri­ tik an solchen Fiktionen nach Hegels eigenem Anspruch naheliegt. In einem ersten Teil will ich den Gang der hegelschen Zurech­ nungslehre in ihrer Entwicklung aus der Moralität, aus dem Recht des Willens und dem Recht der Objektivität, zur Sittlichkeit kurz darstellen und hierbei besonderes Gewicht auf den Zuschreibungs­ aspekt legen. In einem zweiten Teil soll Hegel dann sein Recht geschehen : Die Zurechnungslehre im Sittlichkeits-Teil seiner Rechtsphilosophie wird sich, gemessen an Hegels eigenen Prä­ missen, als ergänzungsbedürftig erweisen .

II Hegels Zurechnungslehre, soweit sie im Moralitätsteil der Grund­ linien enthalten ist, fordert, wie allgemein bekannt, auf allen Stufen der sich entfaltenden Handlungs- und Willenslehre das sub­ jektive Für-sich-Sein des Willens als Bedingung der Zurechnung?. 6

Vgl . dazu Jakobs, Strafrecht, Allg. Teil, Berlin/New York 1983, S. 8, 384 ff. 7 Ausführlich dazu Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit - Eine strafrechtlich­ rechtsphilosophische Untersuchung, Heidelberg 1982, S. 199 ff.

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Nur die bekannten einzelnen Umstände der Handlung werden zum Vorsatz (§ 117), nur die gewußte allgemeine Bedeutungs- und d . h . Verletzungsqualität wird zur Absicht (§ 119) zugerechnet und auch die Kenntnis des Unrechts muß vorliegen (§ 132) 8 . Umso mehr Schwierigkeiten bereiten die schon in den Morali­ tätsteil eingelagerten gegenläufigen Aussagen. Bereits beim Vor­ satz erfolgt die Zurechnung auch der notwendigen Folgen (§ 118 A), und dem Recht der Absicht, nur die gewußte allgemeine Qua­ lität der Handlung zugerechnet zu bekommen, wird das »Recht der Obj ektivität« gegenübergestellt, daß diese Allgemeinbedeu­ tung sich als gewußt und gewollt beim denkenden Subj ekt be­ haupte. Und schließlich wird in § 132 A das »Recht des Vernünfti­ gen als des Objektiven an das Subj ekt« dem Recht des subj ekti­ ven Willens auf Orientierung an der eigenen Bewertung der Hand­ lung gegenübergestellt . Systematisch verständlich ist diese Gegenüberstellung vom Ende des Moralitätsteils her : Wenn das Gewissen als der Endpunkt der subj ektiv-innerlichen Definitionsmacht auf dem Sprung ins Bö­ se ist, dessen Eigenheit darin liegt, das eigene Besondere über das Allgemeine zum Prinzip zu machen (§ 139), so kann es für die Zurechnung letztlich auf den subjektiv-zufälligen Willen nicht allein ankommen . Freilich auch nicht allein auf eine für das Sub­ jekt heteronom bestimmte Anforderung der Obj ektivität, weil sonst die am Recht der Subjektivität festhaltende kritische Potenz des Moralitätsteils wieder völlig verschwinden würde, anstatt nur in ihrer Einseitigkeit bloßgelegt zu werden9 . Die Zurechnungslehren vor Hegel lösten freilich das Spannungs­ verhältnis zwischen dem (in der Formulierung Hegels) Recht des Willens und dem Recht der Obj ektivität nicht selten zugunsten des Letzteren. So, wenn der Verletzungserfolg einer Handlung zugerechnet wird, weil man von ihm hätte wissen müssen - in 8 Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820 werden hier zi­ tiert nach der Edition Ilting, Bd 2, Stuttgart-Bad Cannstadt 1974. 9 Dazu Köhler (s.o. Fn 7), S. 256.

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manchen gemeinrechtlichen Lehren vom dolus indirectus und von der culpa . Meist allerdings wird die Entscheidung für das Recht der Obj ektivität mit einer Verbeugung rein formeller Art vor dem Recht des Willens verbunden: In der dolus-indirectur-Lehre, wenn bei typischen Handlungsfolgen von einem darauf gerichteten Wil­ len i.w. S. gesprochen wird, oder in Schlüssen von der Tat auf den Willen nach der Lehre vom dolus ex re und schließlich in Willens­ unterstellungen nach der Lehre von der praesumtio doli 1° . Daß Hegel auf der Stufe der Sittlichkeit das Recht der Obj ekti­ vität i . S . des Moralitätsteils gleichfalls für allein ausschlaggebend hält, scheint nun zunächst § 132 anzudeuten. Dort spricht He­ gel, im Vorgriff auf die gerichtliche Zurechnung, im Anschluß an das Recht der Obj ektivität davon, daß gleicherweise »im Staate, als der Objektivität des Vernunftbegriffs«, die gerichtliche Zurech­ nung nicht bei der subj ektiven Einsicht stehenbleiben dürfe. Er macht jedoch hier schon deutlich, daß er nach einer Vermittlung zwischen den beiden Rechten des Moralitätsteils sucht : Wer in der Wirklichkeit handle, habe das Recht der Objektivität anerkannt, die Forderung nach deutlichen Vorstellungen als Grundlage der Zurechnung spreche dem Täter die moralische Subjektivität ab. In diesem Sinn, also als der Versuch einer Vermittlung zwischen Recht des Willens und Recht der Obj ektivität, wird man in der Tradition der Hegetinterpretation die Zurechnungslehre in der Sitt­ lichkeit auch wohl verstehen dürfen. Zugerechnet kann werden, weil man den Täter an seiner eigenen Vernünftigkeit mißt . Sub­ j ektiver Wille und zugleich Obj ektivität, das ist für Hegel die Ver­ nunftallgemeinheit des Individuums. Kantisch gesprochen wäre dies seine Autonomie, seine moralische Selbstgesetzgebung i . S . d e s kategorischen Imperativs . Schon wegen Hegels Kritik am Formalismus des kategorischen Imperativs (vgl . § 135) und we­ gen der positiven Grundlegung der Sittlichkeit, über die noch zu sprechen sein wird, muß man freilich annehmen, daß der Ausführlich zu diesen Formen Hruschka, Über die Schwierigkeiten mit dem Beweis des Vorsatzes, FS Kleinknecht, München 1985, S. 191 ff. 10

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Autonomiebegriff bei Hegel sehr stark durch die Teilhabe an einer institutionell gedachten sittlichen Substanz geprägt ist . Hier braucht nicht die Frage geklärt zu werden, ob es aus He­ gels Sicht für die Zurechnung bereits ausreicht, daß diese Vernunft-Allgemeinheit durch ein Vor-Urteil unterstellt wirdll, al­ so als Vorschuß zuerkannt wird, oder ob eigentlicher Gegenstand der Zurechnung ein Selbstkorrumpierungsprozeß12 ist, als des­ sen Folge man das Abweichen von der Vernunft-Allgemeinheit in einer Tat zu begreifen hätte . Beide Interpretationen setzen als Grund der Zurechnung einen Selbstwiderspruch des Täters vor­ aus. Nun hat der Gedanke eines Selbstwiderspruchs als Zurech­ nungsgrund auch seine Geschichte vor Hegel - in den strafrechtlichen Ausprägungen der Gesellschaftsvertragslehren. Neu ist bei Hegel, und darin jedenfalls schließt er sich Kant an, der nun auch explizit von einem unterstellten besonderen Willen abstrahierende Maßstab. Freilich ist diese Teilhabe an der sittli­ chen Substanz - darin gleicht sie der kantischen Autonomie nicht theoretisch feststellbar, nicht einmal, wie die transzenden­ tale oder kosmologische Freiheit i . S . der dritten kantischen An­ tionomie, auch nur einem Beweisversuch zugänglich . Deshalb ist dieser Grund der Zurechnung eine Unterstellung, nicht ein wahr­ zunehmendes Faktum . Das Recht des besonderen Willens hat ge­ genüber dieser unterstellten Teilhabe an der sittlichen Substanz in der sittlichen Zurechnung keine eigenständige Bedeutung mehr. Ob dieser besondere Wille feststellbar, j a überhaupt als »innere Tatsache« vorhanden ist - das insbesondere in der analytischen Philosophie unseres Jahrhunderts verhandelte Problem13 - ist deshalb hier nicht relevant . 11

Schild, Der strafrechtliche Begriff der Zurechnung in der Rechtsphiloso­ phie Hegels, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung Bd. 35 (1981), 445 ff. (466); ders . , Der Strafrichter in der Hauptverhandlung, Heidelberg/Hamburg 1983, S. 39 ff. 12 Kö hler (s.o.Fn . 7), S. 257 und passim . 1 3 Vgl . Ryle (s .o. Fn . 4); Blum/Mc Hugh, Die gesellschaftliche Zuschreibung von Motiven, in : Lüderssen/Sack (Hrsg. ) , Seminar: Abweichendes Verhalten Il, Frankfurt a . M . 1975, S. 171 ff.

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Nun könnte diese primär ja zugunsten des jeweiligen Inter­ aktionspartners vorgenommene Unterstellung der Vernunftallge­ meinheit, wie Hegel sie in der kantischen Tradition vornimmt, kein tauglicher Gegenstand negativer Kritik sein, wenn sie sich als axiologisch unabdingbar erweisen ließe. Daran bestehen aber in einem für die Zurechnungslehre bedeutsamen Umfang Zwei­ fel . Zwar läßt sich die Vernunftallgemeinheit in ihrem Status als Prinzip guten Handelns14 schwerlich widerlegen: als Prozeß des schließenden Prüfens von Handlungsprämissen auf ihre wider­ spruchsfreie Verallgemeinerbarkeit . Daß es deshalb aber auch mo­ ralisch notwendig sei, jedem grundsätzlich (mit eng umgrenzten Ausnahmen) diese Vernunftallgemeinheit zu seinen Ungunsten für die Vergangenheit zu unterstellen, erscheint mir damit noch nicht hinreichend begründetlS . Das »Recht der Objektivität« holt hier in neuer Gestalt Hegel wieder ein . Indessen ist diese auf eine konkrete, in der Vergangenheit lie­ gende Tat bezogene Fiktion der Vernunftallgemeinheit gar nicht die einzige Fiktion, deren sich Hegel für die Zurechnungslehre auf der Stufe der Sittlichkeit bedient . Ihr steht eine von Eduard Gans z .T. in den Zusatz zu § 218 aufgenommene Argumentation aus der Nachschrift Hotho gegenüber : »Durch die Festigkeit also der Gesellschaft selbst erhält das Ver­ brechen die Stellung eines bloß Subjectiven, das nicht so aus dem besonnenen Willen, als aus natürlichen Antrieben, aus eigen­ thümlichen Momenten entsprungen scheint. [ . . . ] Wird ein Verbre­ chen begangen, so wird es dem besonnenen Willen nicht zuge­ sprochen, sondern der Leidenschaft, der natürlichen Seite des Willens. Dadurch wird dem Verbrechen der Charekter genom­ men, in welchem es seine Zurechnung erhält«16 .

14

Köhler, Der Begriff der Strafe, Heidelberg 1986, S. 20 ff. 15 Vgl . dazu Karg/, Kritik des Schuldbegriffs - Eine rechtssoziologische Stu­ die zum Strafrecht, Frankfurt/New York 1982, bes. S. 236 ff . ; Zielcke, Die halbe Sache der Moral, in : Merkur 1986, 203 ff. 16 Edition Ilting (s.o.Fn . 8), Bd. 3, S. 663.

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Hier geht nun Hegel - auch dies in der Form einer Unterstel­ lung - für den Zustand der gefestigten Gesellschaft geradezu vom Gegenteil des vorhin Referierten aus . Zurechnung i . S . des Mo­ ralitätsteils scheint auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft ge­ nerell problematisch zu sein, da dem Täter angesichts der in der Gesellschaft objektivierten Vernunftallgemeinheit diese Vernunft­ allgemeinheit als Grundlage der Zurechnung gar nicht mehr zu­ gesprochen wird17 . Man wird diese Wendung durchaus auch im hegelschen Sinn kritisch lesen müssen : Es ist Kennzeichen des Defizits der bürgerlichen Gesellschaft, daß sie sich einer solchen Unterstellung bedienen muß. »Das System der Bedürfnisse ist die Sphäre des Particulären, und dies bedarf für sich, um zu existi­ ren des Rechts [ . . . ] « 18 heißt es bei Hotho. Das Recht interessiert hier als zweckmäßiges Recht, heteronom-präventive Zurechnung hat da ihren Ort . Mit der kriminalpolitisch motivierten Fiktion trifft sich Hegels Zurechnungslehre auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft methodisch mit der funktionalistischen Strafrechtsdogmatik un­ serer Tage ebenso wie mit ähnlich argumentierenden Strafrechts­ philosophien des 18. Jahrhunderts19 : Funktionalistische Straf­ rechtsdogmatik sucht insbesondere die subjektive Tatseite betref­ fende Rechtsbegriffe allein aus ihren Funktionen im Strafrechts­ system heraus, von der kriminalpolitischen Notwendigkeit der Rechtsfolgen her, zu interpretieren . Begriffe wie Vorsatz, Fahrläs­ sigkeit oder Schuld werden abgekoppelt von psychischen Gege­ benheiten, und zwar unabhängig davon, ob man deren Fest­ stellung für möglich hält . Hegels bürgerliche Gesellschaft argu­ mentiert insofern funktionalistisch, als Hegel auf dieser Ebene in geradezu systemtheoretischer Weise den Akt der Zurechnung 17

Zu dem in der bürgerlichen Gesellschaft mit jedem Verbrechen oder Ver­ gehen verbundenen Verdacht des Wahnsinns oder jedenfalls der Anomalie vgl . Foucault, Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a . M . 1977, S. 28 ff. (Original : Surveiller et punir. La naissance de la prison, 1975). 1 8 Edition Ilting (s.o. Fn . 8), § 209, S. 642 . 1 9 Vgl . s.o.Fn. 6 bzw. Fn . 1 .

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insgesamt ausdrücklich abhängig macht von ihrer praktischen Notwendigkeit in Bezug auf Dritte. Wo das Verbrechen, wie nach Hegels Auffassung in der gefestigten bürgerlichen Gesellschaft, nicht mehr als Exempel wirke, könne man sich Zurechnung mit der damit verbundenen Unterstellung von individueller Teilha­ be an der Vernunftallgemeinheit sparen, j a, ganz im Gegenteil, den Verbrecher trifft eine andere Unterstellung, die des bloß na­ türlichen Antriebs. Das Verbrechen wird gedeutet als Naturereig­ nis . Die Argumentation unserer Tage in unreflektiert normativ argumentierenden Sozialwissenschaften, die sich ganz abseits von Autonomie-Überlegungen mit der Frage beschäftigt, welches Maß an »Wissenschaftlicher« Erklärung von Devianz die Gesellschaft verkraften könne20 und in welchem Umfang sie um der Vermei­ dung unkontrollierter Reaktionen Willen zurechnen müsse, be­ wegt sich auf derselben Ebene wie Hegels Zurechnungslehre auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft . Hegels Zurechnungslehre auf der Stufe der Sittlichkeit enthält also zwei unterschiedliche Ansätze . Aus dem Defizit der Zurech­ nungslehre im Moralitätsteil läßt sich auf eine am selbstwider­ sprüchlichen Verfehlen der Vernunftallgemeinheit orientierte Zurechnungslehre schließen. Dem steht eine an natürlichen Trie­ ben orientierte Zurechnungslehre in der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber. Was unterscheidet nun diese beiden Zurechnungsleh­ ren von denen im Moralitätsteil? Das Gegenüber von Recht des Willens und Recht der Objektivität in der Moralität wird zu ei­ nem Gegenüber zweier unterschiedlicher, der Subj ektivität un­ terstellter Objektivitäten im Sittlichkeitsteil : Der Unterstellung von Vernunftallgemeinheit und der Unterstellung von bloßer Natür­ lichkeit . Die beiden Relata stehen damit nicht mehr in einer gleich­ gültigen Beziehung, aber doch noch in einem unvermittelten reflexionslogischen Verhältnis. Die reflexionslogischen Kategorien werden also zwar weiter differenziert, aber doch als solche in die Zurechnungslehre auf der Stufe der Sittlichkeit fortgeschrieben . 20

Luhmann, Rechtssoziologie, Bd 1, Reinbek 1972, S. 58.

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Damit komme ich auch schon zur Kritik und, wie ich hoffe, zu einer dem hegelschen Systemanspruch adäquaten Rekonstruk­ tion einer Zurechnungslehre auf der Stufe der Sittlichkeit .

III Hegels in die Pole der Vernunftallgemeinheit und der naturhaf­ tigkeit auseinandergelegter Zurechnungsbegriff hat Kritik erfah­ ren wegen der Härte dieser Dichotomie . Wir sind heute etwa im Strafrecht gewohnt, bei der Zurechnung auch nicht-rechtferti­ gende Konfliktsituationen zu berücksichtigen, wir halten in ge­ wissen Grenzen auch Affekte und Trunkenheit dem Täter zu­ gute. All dies sind Gesichtspunkte, die Hegel in der Moralität, und auch, wie der Vorgriff in § 132 A zeigt, jedenfalls in der bür­ gerlichen Gesellschaft für irrelevant erklärt. Nur Kindern und ma­ nifest Verrückten wird nicht zugerechnet . Daß dagegen all das, was im Sinne Hegels mit der »Stärke sinnlicher Triebfedern« zu tun hat, von ihm in die » Sphäre der Gnade« verwiesen wird, ist damit erklärt worden, daß Hegel, seinem Ansatz zuwider, in der Sittlichkeit die Rechtsordnung zu einseitig auf die bürgerliche Ge­ sellschaft und nicht auch auf den Staat bezieht, der insofern nur die Sphäre monarchischer Gnade ist . Das Individuum der bür­ gerlichen Gesellschaft bleibt das Rechtssubj ekt des abstrakten Rechts, und die Rechtspflege, gleichfalls in der bürgerlichen Ge­ sellschaft lokalisiert, bezieht sich allein darauf. Vor Gericht also wird der Mensch für Hegel nicht zu jenem im sozialen Rechts­ staat geborgenem konkreten sozialen Wesen, das Anspruch auf Verständnis und Hilfe hat21 . Dieser Befund wird in seiner Trag­ weite aber nicht ausgeschöpft, wenn man bei Zugrundelegung von Hegels Zurechnungs-Polarität in der bürgerlichen Gesellschaft lediglich den Raum zwischen den Polen zum Kontinuum formu-

21 Sch ild, Der strafrechtliche Begriff . . . (s.o.Fn . 11), S. 467.

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liert und zudem den genauen Ort des Systemfehlers bei Hegel nicht aufspürt . Der entscheidende Mangel von Hegels Zurechnungslehre dürfte darin liegen, daß die Vermittlung der beiden Zurechnungsprin­ zipien der Moralität - Recht des Willens und Recht der Objekti­ vität - schon im Übergang zur Sittlichkeit einseitig erfolgt . Anstatt, wie es angesichts der unterschiedlichen Defizienz von abstraktem Recht und Moralität naheläge, die isolierten Indivi­ duen und die sie umfassende Allgemeinheit in der Sittlichkeit zu vermitteln, delegiert Hegel das individuelle Selbstbewußtsein an die logisch tieferstehende Kategorie der Substanz, deutlich etwa ab § 145. Das Verhältnis der Personen zueinander wird umgedeutet in ein Verhältnis der Substanz zu diesen Personen, die Personen werden ausdrücklich Akzidenzien22 . Das Selbstwiderspruchsar­ gument, wie Hegel es versteht - als Widerspruch zur eigenen Teilhabe an der sittlichen Substanz - ist Ausdruck dieser einsei­ tigen Akzentuierung, die auch im Hotho-Text zu § 218 nicht be­ grifflich überwunden wird - ganz im Gegenteil : Nur weil Hegel einseitig von der dem Individuum gegenüberstehenden sittlichen Substanz ausgeht, kann er in § 218 den ihr gegenüber praktisch irrelevanten verbrecherischen Willen fiktiv auf bloße Natürlich­ keit reduzieren. Diese wie die entgegenstehende Fiktivität sind der Preis für die Einseitigkeit . Aber wie ist diese Einseitigkeit mit Hegels Hilfe zu überwin­ den? Hegel selbst greift die Zurechnungsproblematik nach der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr ausdrücklich auf. Wir müs­ sen uns deshalb auf die Grundstruktur seiner Rechtsphilosophie besinnen. Die drei Teile der Rechtsphilosophie sind den drei Tei­ len der Logik zugeordnet, der Seins-, Wesens- und Begriffslogik, freilich insgesamt begriffslogisch abgewandelt, d . h . das abstrakte 22 Dazu kritisch Theunissen, Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Phi­ losophie des Rechts, in : Henrich/Horstmann (Hrsg. ), Hegels Philosophie des Rechts - Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, 1982, 317 ff. (328); Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Inter­ subjektivität, Harnburg 1987, Bd. 2, S. 474.

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Recht ist die Sphäre der Allgemeinheit, die Moralität die Sphäre der Besonderheit und die Sittlichkeit entspricht der Einzelheit23, hat, wie wir schon sahen, in der bürgerlichen Gesellschaft frei­ lich ihrerseits wieder einen deutlichen Bezug auf die Reflexions­ logik . Die Sittlichkeit kommt insgesamt dadurch zustande, daß besonderer Wille und Allgemeinheit vermittelt werden . In der Ausführung des Konzepts geht Hegel dann aber stellenweise al­ lein von der sittlichen Substanz aus . Offensichtlich glaubt He­ gel, wie die Nachschrift Hotho zu § 156 verdeutlicht, nur mit Hilfe eines Substantialismus der Gefahr des Atomismus entgehen zu können: »Beim Sittlichen sind immer diese zwei Gesichtspunk­ te möglich, ob man von der Substantialität ausgeht, oder atomi­ stisch verfährt, und von der Einzelheit als solcher als Grundlage ausgeht«24. Eine Vermittlung, die sich dieser Dichotomie entzieht, müßte von der Intersubjektivität ausgehen. Daß dieser Aspekt in der Sittlichkeit weitgehend fehlt, ist besonders erstaunlich ange­ sichts der defizienten Formen von Intersubj ektivität in abstrak­ tem Recht und Moralität sowie in der bürgerlichen Gesellschaft : Der Vertrag enthält nur eine negative Beziehung der Willen auf­ einander. In ihm geht es, wie Hegel in § 1 13 A sagt, allein dar­ um, das Eigentum (verstanden in dem weiten hegelschen Sinn) dem Werte nach zu behalten und dem anderen das Seinige zu belassen . Der andere Wille hat in dieser Beziehung nur Mittel­ charakter - woraus sich, wie Hegel selbst schon in der bürgerli­ chen Gesellschaft sieht, Kritik ableiten läßt an einer Gesellschaft, in der diese Beziehung zur realen Grundlage der Vergesellschaf­ tung wird . In der Moralität konstatiert Hegel in § 1 12 zwar eine »positive« Beziehung der Willen aufeinander, auch hier aber noch in einer defizienten Form : Im Bemühen um das Wohl des ande­ ren wird nämlich (§§ 125, 126) dessen Bestes heteronom bestimmt,

23

Ausführlich dazu Ottmann, Hegeische Logik und Rechtsphilosophie Unzulängliche Bemerkungen zu einem ungelösten Problem, in: Henrich/Horst­ mann (s.o. Fn . 22), 382 ff. ; Theunissen (s.o. Fn . 22), S. 330. 2 4 Edition Ilting (s.o. Fn . 8) Bd. 3, S. 503.

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die Ethik des Almosens. Und selbst diese defiziente Form des po­ sitiven Bezugs geht in der Verfallsgeschichte des moralischen Be­ wußtseins zugrunde, cl_ . h . zu ihrem Grunde, zum Bewußtsein, wie § 135 sagt, das sich »innerhalb seiner auf sich nur bezieht«25 . Und die bürgerliche Gesellschaft, der auch die »Rechtspflege« (§§ 209 ff. ) angehört, vereint die beiden Defizite von abstraktem Recht und Moralität, indem sich das Wohl des andern nur als Folge da­ von ergibt, daß man sich gegenseitig zum Mittel macht und die Allgemeinheit lediglich im Maß die Besonderheit limitiert (vgl . § 182 und § 182 A) . Eine Intersubj ektivität, die diese Mängel hin­ ter sich läßt ohne umgekehrt in den zu Beginn der Sittlichkeit propagierten Vorrang der Allgemeinheit zu verfallen, müßte nun im Staat eben als Vermittlung des besonderen Willens mit der All­ gemeinheit zum Thema werden, i . S. einer sich wissenden, aus Freiheit sich institutionell bindenden Intersubj ektivität26 . Die hier interessierende Frage, der ich mich abschließend zu­ wenden will, ist : Wie könnte sich auf der Basis einer systemim­ manent korrigierten Sittlichkeit jene Vermittlung des Besonderen mit dem Allgemeinen über die Intersubjektivität auf den Zurech­ nungsbegriff der Sittlichkeit auswirken? Intersubjektivität bedeutet ja zunächst einmal, daß der Mensch nicht nur Subj ekt, sondern als Subj ekt Gesellschaftswesen ist . Das heißt in der Rechtsphilo­ sophie positiv, daß der andere nicht nur Schranke der Freiheit, sondern im gemeinsamen Handeln in Institutionen Bedingung von deren Verwirklichung ist27 . Es heißt aber auch negativ, daß die Zurechnung eines Handlungserfolgs zu einem einzelnen Wil­ len von der immer schon gegebenen Beteiligung anderer Willen abstrahiert . So wie im sittlichen Willen alle auch vorausgehen­ den Willensakte, und nicht nur wie in der Moralität der aktuelle Wille des Handelnden, für die Zurechnung Berücksichtigung fin25

Dazu Theunissen (s.o.Fn. 22), S. 354. Hösle (s .o. Fn . 22, S. 476) . 27 Nach Auffassung von Theunissen (s.o.Fn. 22), S. 319, taucht dieser Frei­ heitsbegriff als >>Gegenbild>Zur 1

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Stefan Smid

Eine Reihe von Autoren haben darauf aufmerksam gemacht, welche sachlichen Differenzen bereits in der Phase ihres gemein­ samen Auftretens zwischen Hegel und Schelling bestanden . Ge­ rade dies aber verspricht Einblicke in die systematischen Unter­ schiede der Konzeptionen von praktischer Philosophie Hegels und Schellings . Mehr Interesse hat freilich ein anderer Streit gefun­ den : Die Ausarbeitung der hegelschen Rechtsphilosophie erfolgte bekanntlich in der KritikS der Philosophie Fichtes 6, der gegenüber der einzige rechtsphilosophische Ansatz, den Schelling überhaupt mit der »Neuen Deduction des Naturrechts« ? (ND) mehr entwor­ fen als ausgearbeitet hat, eher ein Schattendasein führtB . Dies hat damit zu tun, daß die ND - obwohl in ihrem ersten Teil noch vor den fichteschen »Grundlagen des Naturrechts«9 erschienenlD - doch weiterhin als (zudem wenig originelle) Para­ phrase der fichteschen Wissenschaftslehre im Schlepptau der Geschichte der neueren Philosophietragli scritti . . . di questo periodo, quello di meno facile interpretazione>Schellings Rechts­ lehre als Theorie der empirischen Freiheit, letztlich Spaltprodukt seiner ontologischen Bedingungen>analytisch>Lebensanarchistisch konsequente« (H. Zeltner - s.o. Fn . 1 -, S. 174) Ausdruck einer >>Staatsfeindlichkeit« des jungen Schelling, vgl . A . Hal­ lerbach (s.o. Fn . 8), S. 115. Unklar M. Osten (s.o. Fn . 8), S. 72/73. 87 Hegel, Grundlinien, Vorrede, Werke (s.o.Fn . 3), Bd. VII, S. 24 mit der ge­ schichtsphilosophischen Konsequenz; § 352 . 86

Moral bei Schelling und Hege!

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stanznahme des Individuums vom Recht ist nichts anderes als das, was Schelling - mit Kant und dem rationalistischen Natur­ recht - als »Moral«, Selbstbehauptung des Individuums bezeich­ net . Wenn wir über Moral und Sittlichkeit bei Hegel reden, müssen wir also danach fragen, wie dieses Problem der Distanz­ nahme von Hegel aufgearbeitet wurde . Seit Jena verweist diese Frage auf - die Ästhetik 88 . Die ND selbst ermöglicht keinen (abschließenden) Aufschluß über Schellings Art der Darstellung. Sie hat nicht zuletzt deshalb einen »aphoristischen« Charakter, weil sie dieser Frage der Di­ stanznahme des Individuums von dem quasikausal wirkenden Recht selbst nur in Gestalt des - dunklen - Hinweises auf eine »neue Wissenschaft« begegnet . Viel später 89 hat Schelling dann etwas artikuliert, das von W. Schönfeld 90 zutreffend als »Rechts­ theologie« bezeichnet wurde : Die Frage der Distanznahme des Individuums gegenüber dem Recht ist immer auch die nach sei­ nem Verhältnis zur Allmacht eines Gottes91 .

Darauf hat mich J. Braun hingewiesen . In der Ä sthetik wird das Handeln freier Subjekte thematisiert; Hege!, Vorlesungen über die Ästhetik, Werke (s.o. Fn . 3 ) , Bd. 13, S. 202 ff. , b e s . 233 ff. Vgl . Ch . Taylor, Hege!, S. 607 z u m Verhältnis von im Staat wirklich gewordener Sittlichkeit zur Kunst . 89 Beginnend mit der >>Freiheitsschrift>Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesun­ gen - Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte Band 1Wannenmann>G .W. F. Hege!, Die Philosophie des RechtsHomeyer>Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie des RechtsHenrich>Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818- 1831, Dritter BandEnzyklopädie