Zwischen Tradition und Wandel: Zum Wortschatz des politischen Diskurses in Spanien seit 1976 9783110933888, 3484523190, 9783484523197

The democratization of Spain after decades of authoritarian rule involved a profound re-organization of the political di

212 104 85MB

German Pages 471 [472] Year 2004

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Theoretischer Teil
2 Der Wortschatz politischer Ideen, Anschauungen, Einstellungen, Haltungen und Mentalitäten
2.1 Zur Einleitung: «Ismen»-Bildungen in der politischen Sprache Spaniens – Charakteristik eines Phänomens in Geschichte und Gegenwart
2.2 Bezeichnungen für politisches Denken und politische Programmatik in Spanien
2.3 Der Wortschatz zur Bezeichnung politischer Anschauungen, Haltungen, Einstellungen und Positionen der Rechten
2.4 Bezeichnungen für rechtsextreme Einstellungen im Bedeutungswandel
2.5 Ideologie und Programmatik der Rechten in der Sprache ihrer Kontrahenten: Politische Lexik zwischen nationaler Tradition und internationalem Diskurs der 80er und 90er Jahre
2.6. Ideologie und Programmatik des politischen Gegners im «Begriffsraster» der Rechten
2.7 Die Miranda des Partido Comunista Español zwischen Kontinuität und «Aggiornamento»
2.8 Zum Identitätswortschatz des PSOE
2.9 Wider den Dogmatismus: (Neue) Bezeichnungen für alte Denkmuster
2.10 Die «neuen Ideologien» – der Kritikwortschatz wider den Pragmatismus der Macht
2.11 Geschichte zweier «mots clés» der 80er und 90er Jahre: «Felipismo» und «hegemonismo»
2.12 Als Fazit – ein Klassifikationsversuch
3 Die sozioökonomische Sprache der Parteien im Wandel
3.1 Soziale und sozioökonomische Bezeichnungskategorien
3.2 Wortschatzbereich: Gesellschaftspolitisches Handeln
3.3 Die Lexik der «Einrichtungen des sozioökonomischen Ausgleichs»
3.4 Gesellschaftlicher Zerfall – der Wortschatz sozialer Krisenhaftigkeit
3.5 Ein Zwischenergebnis: Der Wortschatz der sozioökonomischen «Diagnose» als Teilindikator für Entwicklungstendenzen der zeitgenössischen politischen Lexik
4 Politische Metaphorik in Spanien
5 Schluss
6 Literaturverzeichnis
7 Register
Recommend Papers

Zwischen Tradition und Wandel: Zum Wortschatz des politischen Diskurses in Spanien seit 1976
 9783110933888, 3484523190, 9783484523197

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET V O N GUSTAV GRÖBER HERAUSGEGEBEN V O N GÜNTER HOLTUS

Band 319

MARTIN G. BECKER

Zwischen Tradition und Wandel Zum Wortschatz des politischen Diskurses in Spanien seit 1976

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 2004

Gedruckt mit Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-52319-0

ISSN 0084-5396

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation unter dem Titel Zwischen Tradition und Wandel: Zum Wortschatz des politischen Diskurses in Spanien seit 1976 von der Philosophischen Faktultät der Universität zu Köln angenommen. Die Referenten waren Professor Dr. Artur Greive und Professor Dr. Peter Blumenthal. Tag des Rigorosums war der 07. Juli 2000. Mein Interesse an der politischen Sprache Spaniens wurde erstmals während meines Studienaufenthaltes an der Universität zu Salamanca im Studienjahr 1991/92 geweckt. Daran hatten nicht zuletzt die außerordentlich anregenden Lehrveranstaltungen von Herrn Prof. Dr. Eugenio de Bustos Tovar (Lingüística) sowie von Herrn Prof. Dr. Redero San Roman (Historia Contemporánea) einen entscheidenden Anteil. Später war es dann Herr Professor Dr. Artur Greive, der mich dazu anregte, das sich abzeichnende völlig neue Untersuchungsfeld unter konsequent linguistischem Gesichtspunkt zu explorieren. Ihm sei an dieser Stelle für sein Interesse, seine Ermutigung, seine Förderung, aber auch seine kritischen Anregungen sehr herzlich gedankt. Auch Herrn Professor Dr. Peter Blumenthal möchte ich sehr herzlich für die Übernahme des Koreferats danken sowie für seine wertvollen Hinweise und Anmerkungen zu meiner Arbeit. Gerne denke ich an meine Zeit am Romanischen Seminar in Köln zurück, wo meine Kolleginnen und Kollegen, Anne Schlömer, Mariella Schunck, Danielle Mataré, Jacqueline Oyarce, Achim Stein und Bernhard Heize, stets ein in intellektueller und menschlicher Hinsicht angenehmes Ambiente schufen. Herrn Professor Dr. José Ramón Montero möchte ich dafür danken, dass er mir den reichen Schatz der Bibliothek des Instituto Juan March zugänglich machte, zumal mir so der Zugriff auf unveröffentlichte Quellen möglich wurde. Auch Cesar Colino, Ana Rico, Nacho Molina, Javier Ramos und Martha Peach bin ich für ihre Hilfe und freundschaftliche Aufnahme sehr verbunden. Herrn Professor Dr. Günter Holtus gebührt mein Dank für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Beihefte zur ZrP, Frau Birgitta Zeller und Frau Ulrike Dedner für die gewissenhafte Betreuung des Manuskripts. Der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften gilt mein Dank für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. V

Schließlich möchte ich meiner Schwester Claudia Becker sowie meinen Eltern Marie-Luise und Dietmar Becker für vielfache Hilfestellungen und Ermutigungen herzlich danken. Ihnen möchte ich auch dieses Buch widmen, für alles, was sie für mich getan haben. Stuttgart, im September 2003

VI

Martin Becker

Inhaltsverzeichnis

o Einleitung o.i 0.2 0.3

Forschungsüberblick, Fragestellungen und Untersuchungsperspektive der Studie Z u m Untersuchungskorpus Der historische Kontext der Studie: Ein kurzer Überblick

ι

ι 13 18

...

ι Theoretischer Teil 1.1 1.2 1.3 ι .4 1.5

23

Einleitung Politische Sprache in der Fachsprachenlinguistik und der Funktionalstilistik Politische Sprache und der Diskursbegriff Kognitive Semantik und politische Sprache Rückblick

23 24 34 49 57

2 Der Wortschatz politischer Ideen, Anschauungen, Einstellungen, Haltungen und Mentalitäten

59

2.1

Zur Einleitung: «Ismen»-Bildungen in der politischen Sprache Spaniens - Charakteristik eines Phänomens in Geschichte und Gegenwart

2.2

Bezeichnungen für politisches Denken und politische Programmatik in Spanien Der Wortschatz zur Bezeichnung politischer Anschauungen, Haltungen, Einstellungen und Positionen der Rechten 2.3.1 Einleitung. «Derecha» - «Pathologie» und «sprachliche Therapie» 2.3.2 Versuche einer begrifflichen Profilierung: «Eigenprägungen» zwischen Produktivität und Kontrafaktur

2.3

2.4

59 73 91 91

95

2.3.3 Die Rechte und ihre Identitätsbegriffe zwischen Tradition und Wandel Bezeichnungen für rechtsextreme Einstellungen im Bedeutungswandel

109 127 VII

2-5

Ideologie und Programmatik der Rechten in der Sprache ihrer Kontrahenten: Politische Lexik zwischen nationaler Tradition und internationalem Diskurs der 8oer und 90er Jahre 2.6 Ideologie und Programmatik des politischen Gegners im «Begriffsraster» der Rechten 2.7 Die Miranda des Partido Comunista Español zwischen Kontinuität und «Aggiornamento» 2.8 Zum Identitätswortschatz des PSOE 2.9 Wider den Dogmatismus: (Neue) Bezeichnungen für alte Denkmuster 2.10 Die «neuen Ideologien» - der Kritikwortschatz wider den Pragmatismus der Macht 2.11 Geschichte zweier «mots clés» der 80er und 90er Jahre: «Felipismo» und «hegemonismo» 2.12 Als Fazit - ein Klassifikationsversuch 3 Die sozioökonomische Sprache der Parteien im Wandel 3.1

3.2

3.3 3.4

VIII

Soziale und sozioökonomische Bezeichnungskategorien . . . . 3.1.1 Die franquistische Tradition 3.1.2 Bezeichnungstraditionen im Wandel 3.1.3 Neuere Substitute für «clase» 3.1.4 «Estamento»: Ein Traditionsbegriff in neuem semantischem «Gewände» (und «casta»: Ein Traditionsbegriff ohne Zukunft) 3.1.5 Neue Bezeichnungen für gesellschaftliche Gruppen (Neologismen seit der Transición) 3.1.6 Der «ciudadano» - eine sozioökonomische Kategorie? 3.1.7 Zur Bezeichnung einer Gesellschaftsgruppe mit quantitativem Gewicht: Die Synonyme «parado», «desempleado» und «desocupado» - und ihre Verteilung im politischen Diskurs 3.1.8 Die gesellschaftlichen Unterschichten in der Sprache der politischen Parteien 3.1.9 «Alte» und «Behinderte» im Wortschatz der Parteien . . Wortschatzbereich: Gesellschaftspolitisches Handeln 3.2.1 Neologismen des Integrationswortschatzes 3.2.2 Vertebración, articulación und cohesión und ihre etymologische Serie: Drei zentrale Schlüsselbegriffe des Integrationswortschatzes und ihre «diskurstraditionelle» Verankerung Die Lexik der «Einrichtungen des sozioökonomischen Ausgleichs» Gesellschaftlicher Zerfall - der Wortschatz sozialer Krisenhaftigkeit

147 154 167 175 188 193 209 218 221 221 221 225 239

249 253 258

260 263 269 271 271

280 310 326

3-5

Ein Zwischenergebnis: Der Wortschatz der sozioökonomischen «Diagnose» als Teilindikator für Entwicklungstendenzen der zeitgenössischen politischen Lexik

343

4 Politische Metaphorik in Spanien 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13 4.14

Die Metapher: Merkmale, Ebenen des Vorkommens und Rolle in der Politik Bildfelder um den Sachbereich «Religion und Christentum» . . Der Bildspenderbereich Krieg/militärischer Konflikt Der Staat als Organismus Krankheit und Medizin Der Bildbereich Architektur/Konstruktion/Bau Politische Struktur und Konfiguration als Landkarte Politik als Spiel Politische Entwicklung - ein Itinerar Naturkatastrophen/Naturereignisse/Naturphänomene Maskeraden Geschichte und Gegenwart Einzelne metaphorische Stereotype Bilanz

346 346 352 359 364 374 380 384 385 389 392 394 396 399 408

5 Schluss

411

6 Literaturverzeichnis

423

7 Register 7.1 Wortregister 7.2 Personen- und Sachregister

447 447 457

IX

o

Einleitung

o.i

Forschungsüberblick, Fragestellungen und Untersuchungsperspektive der Studie

Bis in die frühen 6oer Jahre lag die politische Sprache weitgehend außerhalb des Interessensspektrums der Sprachwissenschaft. Eine Ausnahme stellte die Untersuchung Victor Klemperers über die LTI, die Sprache des Nationalsozialismus dar, die - von einem bedrückenden biographischen Hintergrund ausgehend - Zeugnis ablegen wollte von der Verfügungsmacht über das Wort und seine offenbar grenzenlose Manipulationsfähigkeit. 1 Seine Einzelstudien stehen dabei in der philologischen Tradition der Wortexegese, die ihr Augenmerk auf die Verwendung markanter Schlüsseltermini in Geschichte und Gegenwart richtet und dabei insbesondere ihre konnotative und evaluative Seite, bisweilen auch ihre gruppensoziologische Verankerung, beleuchtet. Es war dann Jean Dubois, 2 der sich erstmals mit seiner Untersuchung zum politisch-sozialen Wortschatz und dessen Umstrukturierung im Gefolge der Demokratisierung Frankreichs seit 1871 dem Phänomen unter rein sprachwissenschaftlichem Blickwinkel und mit einer entsprechenden Methodik näherte. 3 Im Rahmen seiner Studie rekurrierte er auf Konzepte und Methoden der Phonologie, um nicht nur über eine angemessene wissenschaftliche Metasprache für die Beschreibung eines besonders interessanten, weil sozialen und politischen Wandel widerspiegelnden Wortschatzbereichs, zu verfügen, sondern um überhaupt das Verhältnis von eigengesetzlicher Sprachstruktur und einwirkender historisch-politischer Wirklichkeit herausstellen zu können. 4 Im Grunde ging es Dubois bei seiner Studie jedoch vor allem um ein übergeordne-

1 2 3

4

Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Leipzig, Reclam, 3 i975Jean Dubois, Le vocabulaire politique et social en France de i86ç à 1872, Paris, 1962. Zwar hatte auch schon G. Matoré eine «méthode en lexicologie» (Georges Matoré, La méthode en Lexicologie, Paris, 1953) formuliert und systematisch auf die Erforschung des gesellschaftlichen und kulturellen Wortschatzes der Zeit Louis-Philippes angewandt, sein Erkenntnisinteresse war jedoch in erster Linie kulturhistorischer (bzw. soziologischer) Natur. Es ging ihm, wie er in seinem Vorwort zur «méthode» schreibt, um eine «explication des faits de société» (5). Der «Lexikologie» sollte dabei die Funktion eines «instrument efficace d'enquête sociologique» (91) zukommen. Zum Eigengewicht innersprachlicher struktureller Beziehungen gegenüber «äußeren» sozialen und historischen Faktoren cf. Dubois 1962, 195.

ι

tes Forschungsinteresse, nämlich den Status der Lexikologie als einer eigenständigen Teildisziplin innerhalb der Sprachwissenschaft zu begründen, 5 so dass sich von Anfang an eine methodisch-thematische Verbindung zwischen dem Untersuchungsgegenstand «politische Sprache» und der Lexikologie als einer jüngeren sprachwissenschaftlichen Teildisziplin abzeichnete. Der inhaltliche Schwerpunkt der sprachwissenschaftlichen Studie lag in erster Linie darin, die Existenz komplexer paradigmatischer und syntagmatischer Bedeutungsbeziehungen zwischen den grundlegenden Einheiten des politischen und sozioökonomischen Wortschatzes nachzuweisen, diese zu typologisieren und für einen ausgewählten Zeitraum zu dokumentieren. In bester strukturalistischer Tradition unterschied Dubois eine paradigmatische Verweisebene auf Oppositions-, Identitäts-, Ersetzungs- und Assoziationsrelationen 6 und eine syntagmatische Ebene lexikalischer Kopräsenz, auf der sich kollokationsartige Verbindungen ausbilden, die sich mitunter zu einem «groupement phraséologique stéréotype» konventionalisieren. Auch dem Phänomen der «Neutralisierung» von Lexembedeutungen im integrativen Gefüge übergeordneter Syntagmen des politischen Sprachgebrauchs spürte der französische Linguist nach. 7 Neben den sich auf diesen beiden Achsen ausbildenden Bedeutungsrelationen untersuchte Dubois aber auch die sozialen, ideologischen und affektiven «Markierungen» der verschiedenen Einheiten des Wortschatzes und unterschied dabei beispielsweise affektiv oder soziolinguistisch markierte Varianten zu einem Basislexem. 8 Schließlich interessierten den Linguisten auch die Schichtungen des politischen Wortschatzes («les couches diachroniques»), 9 etwa ältere Lagen aus der Zeit der politischen Auseinandersetzungen von 1848/49, Wortneuschöpfungen der politischen Umbruchphase nach 1870 sowie der neue sozio-politische Wortschatz der Arbeiterbewegung, der allmählich in die offizielle politische Lexik einsickerte. Im Zusammenhang mit der Neugestaltung des politischen Wortschatzes richtete sich seine Aufmerksamkeit auch auf den Wandel des affektiven Wertes traditioneller Wortschatzeinheiten (den Konnotationswandel) 10 sowie - in

5

Ans Ende seiner Untersuchung - gleichsam als deren wissenschaftstheoretischen Ertrag - stellt Dubois die folgende Definition der neuen, durch ihn in ihren Umrissen abgesteckten Disziplin: «Concluons donc sur une définition: la lexicologie, débarrassée de tout subjectivisme est une partie de la linguistique; le lexique forme un ensemble structuré, dont l'évolution autonome est conditionnée par celle d'une société à qui cette langue sert de moyen de communication et de compréhension. Comme les autres parties de la linguistique, la lexicologie ne peut être confondue ni avec la sociologie du langage ni avec l'esthétique littéraire; elle est une science, ayant son objet propre» (Dubois 1962, 198).

6

Beispiele etwa in: Dubois 1 9 6 2 , 40SS. Cf. etwa «avènement des travailleurs», «du prolétariat», «de la classe ouvrière». Solche «cas marqués» sind etwa «populace» oder «aristo» im Verhältnis zu den unmarkierten Varianten «peuple» und «aristocrate»; cf. hierzu Dubois 1962, 189. Dubois 1962, 102. Dubois 1 9 6 2 , 9 3 S S .

7 8

9 10

2

ganz besonderem Maße - auf die Herkunftsbereiche (wie etwa «Ethik und Moral», 11 «Religion», 12 «traditionelle Agrarwelt» versus «Welt des Handels und der Industrie», 13 «gesellschaftliches Leben» 1 4 ) des neuen, nach-imperialen Wortschatzes der politischen Diskussion bzw. Konfrontation. Ein letzter Abschnitt schließlich betrachtete den Wortschatz in einer formalen Perspektive und stellte die besonders produktiven Formative der zeitgenössischen Lexikogenese vor. Die Rezeptionsgeschichte dieser in methodischer und thematischer Hinsicht gleichermaßen bahnbrechenden Studie entbehrt nun freilich nicht einer gewissen Ironie. Zwar beflügelte das Werk zu Beginn der 70er Jahre die sprach- und gesellschaftswissenschaftliche Theorie- und Methodendiskussion in Frankreich und trug letztlich nicht wenig zur Entstehung neuer Teildisziplinen wie der politischen Lexikometrie oder der Diskursanalyse bei, ja es setzte gar einen durchaus fruchtbaren Austausch zwischen Linguistik und Geschichtswissenschaft in Gang, 1 5 eine Publikationswelle sprachwissenschaftlicher Studien zum Wortschatz historischer Epochen löste es aber keineswegs aus. Das Interesse verlagerte sich im weiteren vielmehr auf computergestützte lexikometrische Verfahren zur Ermittlung von Wortfrequenzen und Ko-okkurrenzen zwischen Lexemen, deren jeweils charakteristische Verteilung eine scheinbar «objektivierte», da quantifizierende Beschreibung der partei- und persönlichkeitsspezifischen Wortschatzgebräuche erlaubte. 16 Dieser Ansatz mochte durch die sogenannte «Diskursanalyse» 17 auch noch theoretisch überformt werden. Letztere bildete vor allem den interpretatorischen Rahmen für Studien zur politischen Berichterstattung nationaler und internationaler Medien sowie präsidialer Kommunikationsstrategien. 18 Neben diesen eher «aktuellen» und themenbezogenen Studien sind aber in jüngerer Zeit auch Studien erschienen, die das grundsätzliche Verhältnis von 11 12 13 14 15

16

17

Dubois 1962, 66-81. Dubois 1962, 85. Dubois 1962, 88. Dubois 1962, 89-93. Cf. Robin 1970 und vor allem Robin 1973 als theoretischer Leitfaden; zur Einordnung: Schöttler 1988, 165s. Besonders die «Groupe de Saint-Cloud» tat sich auf diesem Feld mit Studien wie La parole syndicale. Etude du vocabulaire confédéral des centrales ouvrières françaises 1971-1976, Paris, 1982, besonders hervor. In diesem Zusammenhang müssen ebenfalls die Studien über die Sprache de Gaulles (Cotteret/Moreau 1969), Mitterrands (Labbé 1990), der Präsidentschaftskandidaten Mitterrand und Giscard d'Estaing (Cotteret/Emeri/Gerstlé/Moreau 1991) sowie den Wortschatz der großen Parteien (Gerstlé 1979 und Bonnafous 1979 für den PS, Labbé 1977 für den PCF, Souchard/ Wahnich/Cuminal/Wathier 1997 über den FN mit einer dezidiert diskursanalytischen Akzentuierung) genannt werden. Zur Diskursanalyse cf. ausführlich Kap. 1.3; zu ihrer Genese: Bonnafous/Tournier in: M a i n g u e n e a u 1995, 76SS.

18

Beispielhaft genannt seien die Studien in: Groupe de Saint-Cloud (ed.) 1995 (mit weiteren Literaturhinweisen).

3

(politischer) Sprache und Ideologie sowie die Gattung «politischer Text» aus diskurstheoretischer Sicht beleuchten. 19 Etwa zur gleichen Zeit wie J. Dubois beschäftigte sich auch der Germanist W. Dieckmann erstmals systematisch mit politischer Sprache. 20 Auch seine Untersuchungen orientierten sich - auf strukturalistischem Grunde ruhend - vornehmlich am Einzellexem, räumten aber auch funktionalstilistischen und pragmatischen Aspekten politischer Kommunikation ein erhebliches Gewicht ein. 21 Die von Dieckmann aufgetane Perspektive einer Pragmatik des politischen Sprechens wurde in nachfolgenden Studien konsequent weiterentwickelt und kulminierte in einem gebrauchstheoretisch fundierten Bedeutungsbegriff, der Untersuchungen zum politischen Wortschatz auf eine neue theoretische und methodische Grundlage stellte. In diesen methodischen Rahmen schrieben sich sowohl Beiträge, die Bedeutungsdifferenzen und Verständnisprobleme im Bereich der politischen Lexik theoretisch einordnen und lexikographisch in den Griff bekommen wollten, 22 ein, als auch Untersuchungen, deren Augenmerk sich auf den Wortschatz der Tagespolitik richtete und die zugleich den Anspruch hegten, eine sogenannte «Politische Semantik» als Subdisziplin der Sprachwissenschaft zu begründen. 23 Daneben entstanden einige Studien zum Vokabular bestimmter historischer Epochen, deren Schwerpunkt weniger in der Formulierung und Erprobung eines bestimmten methodischen Instrumentariums lag, sondern die ein in erster Linie sachlich-thematisches Forschungsinteresse besaßen. Z u nennen sind in diesem Zusammenhang Arbeiten zur Sprache des Nationalsozialismus,24 zum Sprachwandel in der D D R im Zeichen von «Wende und Vereinigung» 25 und zum Sprachgebrauch der politischen Gruppierungen in der Frankfurter Paulskirche. 26 Rein pragmatisch orientiert ist auch A . Tillmanns Versuch, auf der Grundlage einer Typologie charakteristischer illokutionärer 19 20

21 22

23

24

25

26

Cf. Reboul 1980, Le Barth 1998. Zunächst in seiner Inauguraldissertation von 1963, die ein Jahr später in überarbeiteter Form als Information oder Überredung. Zum Wortgebrauch der politischen Werbung seit der Französischen Revolution (Dieckmann 1964) erschien. Z u Einzelstudien über die politische Sprache seit den 60er Jahren, cf. die Literaturangaben und Hinweise zur Forschungsgeschichte in: Dieckmann 1969 und 2 1975, 2 1 - 2 5 . Cf. dazu Kap. 1.2 sowie Dieckmann 2 1975, 9 und 22. G. Strauß/G. Zifonun, Die Semantik schwerer Wörter im Deutschen, 2 vol., Tübingen, 1985 und G. Strauß (ed.), Der politische Wortschatz, Tübingen, 1986. Cf. das grundlegende Werk J. Kleins, Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung, Opladen, 1989 sowie die Aufsatzsammlung von H. Diekmannshenke/J. Klein (edd.), Wörter in der Politik. Analysen zur Lexemverwendung in der politischen Kommunikation, Opladen, 1996. U. Maas, Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand. Sprache im Nationalsozialismus. Versuch einer historischen Argumentationsanalyse, Opladen, 1984. A . Burkhardt (ed.), Sprache im Umbruch: politischer Sprachwandel im Zeichen von «Wende» und «Vereinigung», Berlin, 1992. H. Grünert, Sprache und Politik. Untersuchungen zum Sprachgebrauch der «Paulskirche», Berlin/New York, 1974.

4

A k t e der politischen Kommunikation spezifische Textsorten abzuleiten. 27 Wir werden auf seine Arbeit im Zusammenhang mit der Charakterisierung unseres eigenen Textkorpus zurückkommen. In einer Nachbarregion zur Linguistik ist die Begriffsgeschichte angesiedelt, deren primäres Interesse sich auf die Dokumentation des Bedeutungswandels historisch-politischer bzw. historisch-sozialer Termini richtet. Ihr bislang ambitioniertestes Projekt stellt zweifellos das monumentale, von R. Koselleck, O. Brunner und W. Conze herausgegebene Werk Geschichtliche Grundbegriffe28 dar, das systematisch die Bedeutung und Funktion zentraler historischer Schlüsselwörter bzw. Leitbegriffe in Geschichte und Gegenwart erfasst, weil es sie als «Bausteine für ein Forschungsgebiet» begreift, «das die soziale und politische Sprache, speziell ihre Terminologie, zugleich als Faktoren und als Indikatoren geschichtlicher Bewegung betrachtet». 29 Die Verfasser legen zwar in einer kurzen methodischen Skizze im Einleitungsteil die der Linguistik geschuldeten Anleihen dar, lösen sie aber in den konkreten Beiträgen zu den einzelnen Begriffen nicht ein, da die Artikel oftmals rein ideengeschichtlich konzipiert sind.30 Eindeutig sprachwissenschaftlichen Prämissen verpflichtet ist hingegen die wortgeschichtliche Untersuchung des Romanisten Franz-Joseph Meissner, 31 der den Demokratiebegriff im Wandel der Zeiten, von der Antike bis zur Gegenwart, untersucht und dabei die großen Entwicklungslinien seines denotativen und konnotativen Gehalts sowie seiner diastratischen Markierungen freilegt. In der methodologischen Diskussion der begriffsgeschichtlichen Forschungsrichtung wurde alsbald die Anknüpfung an Begriffe und Konzepte einer strukturalistisch geprägten Lexikologie heftig kritisiert. 32 Abhilfe erhoffte man sich durch die Integration diskursanalytischer Überlegungen, 33 die für eine Überwindung bzw. «Dynamisierung» als zu starr empfundener strukturalistischer Basiskonzepte, allen voran die dichotomische Gegenüberstellung von «langue» und «parole» sowie «diachroner» und «synchroner» Perspektive, plädierten, um zu einer synthetisierenden «Globalsicht» von Bedeutungsphänomenen im Bereich der Begriffsgeschichte zu gelangen. Das Manko eines derart weit gesteckten Vorhabens blieb und bleibt jedoch, dass letztlich kein 27 28 29 30 31

32

33

A . Tillmann, Ausgewählte Textsorten politischer Sprache, Göppingen, 1989. R. Koselleck/O. Brunner/W. Conze, Geschichtliche Grundbegriffe, Stuttgart 1 9 7 2 S S . Cf. Kosellecks Vorwort, in: Geschichtliche Grundbegriffe, vol. 1, p. XIV. Dazu auch Schöttler 1988, 174s. F.-J. Meissner, Demokratie. Entstehung und Verbreitung eines internationalen Hochwertwortes mit besonderer Berücksichtigung der Romania, Stuttgart, 1990; zur Methodik, v.a. p. X I V - X X X V I . K. Stierle, Historische Semantik und die Geschichtlichkeit der Bedeutung, in: R. Koselleck (ed.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, Stuttgart, 1978, 160. Cf. Stierle 1978, 175-178; besonders prägnant: H. Günther, Auf der Suche nach einer Theorie der Begriffsgeschichte, in: R. Koselleck (ed.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, Stuttgart 1978, 120.

5

alternatives oder zumindest modifiziertes begriffliches Instrumentarium erarbeitet wurde, das zugleich den Anforderungen der Präzision, der Klarheit und der Handhabbarkeit in der Forschungspraxis genügte. Aus diesem Grunde versuchte J. Busse 34 einen Gesamtentwurf, ein zugleich methodisches, als auch inhaltlich-thematisches Forschungsprogramm, zu entwerfen, 35 das ein gebrauchstheoretisch fundiertes Bedeutungsmodell mit pragmatischen Modellen angelsächsischer Provenienz (Searle/Austin und Grice) sowie der Diskurstheorie M. Foucaults verbinden wollte. Das anspruchsvolle «Forschungsprogramm» Busses blieb indes Theorie - was dem Wert der kritischen Auseinandersetzung mit traditionellen Ansätzen der Begriffshistoriographie nicht den geringsten Abbruch tut - und wurde durch forschungspraktisch orientierte Beiträge gleichsam «auf die Füße gestellt», wobei sich die Kluft zu strukturell-semantischen bzw. lexikologischen Ansätzen relativierte.36 Eine nachhaltige Wirkung erzielte die Studie Dubois von 1962 jedoch in Spanien. Wenngleich sie auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zur Kenntnis genommen wurde, diente und dient sie einer ganzen «Schule» spanischer Lexikologen als methodische Grundlage für eine systematische Erforschung des politischen Wortschatzes des Landes seit 1868, die nun mit ihren vielfältigen Studien gewissermaßen eine eigene Forschungstradition ausbildeten. In diesem Zusammenhang besonders genannt werden müssen die Pionierstudie der Sprachwissenschaftlerin Maria Paz Battaner Arias über den politischen Wortschatz zwischen Revolution (von 1868) und Restauration, 37 Juan F. García Santos' Untersuchung zur politischen Lexik der 2. Republik, 38 J. A . Pérez Bowies Arbeit über den «Wortschatz des Todes im spanischen Bürgerkrieg», 39 die Monographie M. Fernández Lagunillas über die Sprache der Republikaner in der 2. Republik 40 sowie schließlich die Dissertation Javier de Santiago Guervós' über das politische Vokabular der Transición Democrática.41 34 35

36

37

38

39

40

41

J. Busse, Historische Semantik. Analyse eines Programms, Stuttgart, 1987. Cf. Busse 1987, 264-266, der dort ein mögliches, umfassendes Untersuchungsprogramm zu einer begriffsgeschichtlichen Fragestellung skizziert. So in: D. Busse/W. Teubert, Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik, in: D. Busse/F. Hermanns/W. Teubert (edd.), Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte, Opladen, 1994, 10-28; sowie in: D. Busse, Textinterpretation. Sprachtheoretische Grundlagen einer explikativen Semantik, Opladen, 1992, 26s. M. P. Battaner Arias, El vocabulario político-social en España (1868-1873), Madrid, 1977. J. F. García Santos» Léxico y política de la segunda república, Salamanca, 1980. García Santos bezieht sich übrigens ausdrücklich auf J. Dubois, cf. Anm. 1 in: Garcia Santos 1980, 15. J. A. Pérez Bowie, El léxico de la muerte durante la guerra civil española, Salamanca, 1983. M. Fernández Lagunilla, Aportación al estudio semántico del léxico político: el vocabulario de los republicanos, Hamburg, 1985. J. de Santiago Guervós El Léxico Político de la Transición Española, Salamanca, 1992.

6

In diese Filiation kann auch die Untersuchung Michael Scotti-Rossins 42 zur Sprache der Falange und des Salazarismus43 eingereiht werden. Der Autor nutzt jedoch das begriffliche Instrumentarium des Duboisschen Ansatzes 44 nicht nur mit mehr Flexibilität und unter Berücksichtigung auch pragmalinguistischer45 Aspekte, sondern insbesondere zur Sezierung einer als «franquistisch» bzw. «falangistisch» charakterisierten Redetechnik. Er macht diesen also - wenigstens implizit4® - zur methodischen Grundlage einer Diskursanalyse, ohne dabei jedoch den Begriff näher zu bestimmen und inhaltlich auszudeuten. Die hier zitierten Arbeiten leisten zweifellos wertvolle Dienste für die lexikologische Erschließung des Politikwortschatzes in Spanien, zumal sie in der Zusammenschau Wortschatzschichten und -traditionen erkennbar werden lassen. Allerdings dokumentieren sie dabei jeweils nur die lexikalischen Verhältnisse für einen relativ kurzen Zeitausschnitt und vor allem: sie bewegen sich auf dem methodischen Stand der 6oer Jahre, was sich dahingehend auswirkt, dass sie oftmals nur Lexeminventare erstellen und beschreiben oder, überspitzt formuliert, oftmals kaum über den Rahmen einer nach Sachbereichen geordneten und nach Ähnlichkeits- und Oppositionsbeziehungen gegliederten Wortschatzsammlung hinausgehen. Nach diesen grundsätzlichen kritischen Anmerkungen zur Methodik der linguistischen Untersuchungen zur politischen Sprache Spaniens wenden wir uns nun den konkreten Arbeiten und Studien zur Erforschung der politischen Sprache Spaniens seit der «Transición Política» zu. Bezeichnenderweise verdanken wir zwei Politologen, Rafael de Aguila und Ricardo Montoro, die erste umfangreiche Monographie zum «politischen Diskurs» der «Transición»,47 die im Jahre 1984 erschien. Zwar lag ihrer Untersuchung keine sprachwissenschaftliche Methodik zugrunde, zumal ihr Erkenntnisinteresse in erster Linie politikwissenschaftlicher Natur war, dennoch lieferte die gut dokumentierte Studie eine wertvolle Materialgrundlage für sprachwissenschaftliche Arbeiten, die dann auch - mal expliziter, mal weniger explizit - auf die angeführten Belege rekurrierten.48 Den Autoren ging es im wesentlichen darum, die Struk42

43

44

45 46

47 48

M. Scotti-Rosin, Die Sprache der Falange und des Salazarismus, Frankfurt a.M./Bern, 1982. Eine Parallelstudie für den italienischen Faschismus legte Susanne Kolb mit ihrer Untersuchung, Sprachpolitik unter dem italienischen Faschismus: der Wortschatz des Faschismus und seine Darstellung in den Wörterbüchern des Ventennio (1922-1943), München, 1990 vor. Auch Scotti-Rosin nennt J. Dubois explizit als methodisches Vorbild; cf. Scotti-Rosin 1982, 32s. Scotti-Rosin 1982, 14 und 36s. Immerhin erwähnt er einmal, nämlich in der Schlussbetrachtung ausdrücklich den Terminus «discours», cf. Scotti-Rosin 1982, 298. R. del Aguila/R. Montoro, El discurso político de la transición española, Madrid, 1984. Cf. Knapp 1992, 16 mit ausdrücklicher Würdigung des Quellenwertes der Monographie; de Santiago Guervós 1992, 267 mit kurzer, unkommentierter bibliographischer Angabe.

7

tur des politischen Diskurses der «Transición» offenzulegen, indem sie ihn nach Makroaspekten (thematischen Feldern) gliederten und die jeweils zugeordneten Schlüsselbegriffe («conceptos y palabras claves») auf parteipolitisch motivierte Bedeutungszuschreibungen, auf ihre pragmalinguistischen Funktionen im «Diskurs der Transición» sowie ihre Beziehungen zu Nachbarbegriffen hin untersuchten. D a s Interesse ihrer Studie konzentrierte sich also insbesondere auf den Gebrauch bzw. die Gebrauchsfunktionen dieser Schlüsselwörter im Rahmen eines Diskurses, der durch spezifische Konstituierungsbedingungen geprägt war, namentlich der Existenz politisch kontrollierter Tabuzonen, die auf die kommunikative Praxis in erheblichem Maße «regulierend» wirkten. 49 Die Autoren behandeln zunächst die Schlüsselbegriffe der Demokratisierungsdebatte («reforma, «ruptura», «inmovilismo»), 50 sodann den Identifikationswortschatz der großen Parteien P C E , P S O E , U C D und AP, den Konsenswortschatz sowie den Konfliktwortschatz, um schließlich zu den großen Syntheseformeln («formulas de síntesis») des Demokratisierungsprozesses vorzustoßen. D e r Wert der Studie liegt für den Sprachwissenschaftler vor allem in ihrem reichhaltigen sprachlichen Belegmaterial aus den Jahren der verfassungspolitischen Diskussion zwischen 1976 und 1978 (dem sogenannten «proceso constituyente») sowie dem Aufweis grundlegender Bedingungen und Motive des politischen Diskurses in der «Transición Democrática». Die erste genuin sprachwissenschaftliche Studie zum politischen Wortschatz in der «Transición Política» stammt aus der Feder des Sprachwissenschaftlers Javier de Santiago Guervós. Der Autor beschränkt sich auf die Inventarisierung und Beschreibung der grundlegenden Wortschatzeinheiten des Demokratisierungsprozesses, die den Verlauf sowie sachlich-thematische Diskussionsschwerpunkte der politischen Debatte widerspiegeln - sein Augenmerk liegt also auf dem Prozessvokabular (oder «Diskussionswortschatz») der «Transición» und weist teilweise auffällige Gemeinsamkeiten bezüglich Struktur und Quellenapparat zu der vorher genannten politikwissenschaftlichen Studie auf. Die parteipolitische Lexik spielt allenfalls eine periphere Rolle, der sozioökonomische Wortschatz bleibt ebenso unberücksichtigt wie markante semantische Erscheinungen (etwa der Euphemismus oder die Metaphorik). Im einzelnen behandelt de Santiago Guervós die grundlegenden Programmbegriffe der «Transición» («reforma»/«ruptura»/«reconciliación»), die Wortschatzbereiche «política» und «democracia» sowie die Lexik der großen verfassungspolitischen Kontroversen («la Constitución», «la Monarquía», «la unidad nacional»). Dieses letzte Kapitel, in dem einmal aus sprachwissenschaftlicher Sicht der problematische territorialpolitische Verfassungswortschatz des Landes untersucht wird, der - semantisch ebenso vage wie spitzfindig - die im Grunde nicht in Einklang zu bringenden Positionen hinsichtlich der staatlichen Organi-

49 50

Del Aguila/Montoro 1984, 257. Del Aguila/Montoro 1984, 44. 8

sation des Landes überspielen sollte, ist zweifellos ein Höhepunkt der methodisch wie ihrer Anlage nach eher weniger prätentiösen Studie. 51 Die zweite größere Untersuchung zur politischen Sprache während der «Transición» verdanken wir dem Heidelberger Romanisten Hans-Martin Knapp. Die Arbeit hegt keine lexikologischen Ambitionen, sondern möchte im Hinblick auf die verschiedenen Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens ein zentrales «parole»-Phänomen der öffentlichen Sprache dieser Jahre dokumentieren - den Euphemismus. Die Studie Knapps geht also im wesentlichen der Frage nach, wie die verschiedenen politischen Akteure auf umstrittene oder tabuisierte Sachverhalte und Erscheinungen referierten. Behandelt werden dabei die thematischen Bereiche «Staatsform und politisches System», «politische Parteien und ihre Etikettierungen», «die territoriale Organisation des Landes», «Militär», «Wirtschaft», «soziale Probleme», schließlich besondere Erscheinungen des politischen Sprechens wie der «Konflikt» bzw. die «Vulgärsprache». Die Monographie basiert auf der systematischen Auswertung eines sehr umfänglichen Textkorpus, das sich vor allem aus den Ausgaben der «wichtigsten und wirkungsvollsten» Zeitschrift der Epoche, 52 Cambio 16, sowie des Sprachrohrs der antidemokratischen Rechten, El Alcázar, zusammensetzt. Die Untersuchung dringt über die Beschreibung und Analyse eines zentralen Phänomens des politischen Sprechens im nachfranquistischen Spanien zu grundlegenden Wortschatzeinheiten vor, deren konnotativer und affektiver Wert sie in der ideologischen Differenzierung bis in die 8oer Jahre ausführlich und teilweise auch auf der Grundlage metasprachlicher Äußerungen dokumentiert. Neben den ausführlich behandelten drei Studien zur Sprache bzw. zum Diskurs der «Transición» wurden in den letzten Jahren einige zumeist kleinere Beiträge zu Teilaspekten der politischen Sprache in Spanien publiziert. So behandelt die Monographie Prensa y Lenguaje político von Félix Rodríguez González ausführlich die grundlegenden semantischen und morphologischen Erscheinungen der politischen Berichterstattung in der spanischen Presse wie den Euphemismus, die Metapher, Siglenbildungen und besondere Wortbildungsverfahren wie die Wortkreuzung. 53 Neologismen und Anglizismen in der politischen Gegenwartssprache untersuchen A . Gooch (1986) 5 4 H. Pottier Navarro (1990),55 M. Alvar, 5 6 J. Gómez de Enterria (1992) 57 und J. Gómez Capuz 51

52 53

54

55

56 57

Cf. die besonders gelungenen Ausführungen zu «nación», «naciones» und «nacionalidad» in: de Santiago Guervós 1992, 202ss. Bischof 1986, 657 zit. nach Knapp 1992, 122. F. Rodríguez González, Prensa y Lenguaje político, Madrid, 1991 mit ausführlicher Bibliographie im Anhang. A . Gooch, El lenguaje político español y el factor anglosajón, Revista de Estudios Políticos, 52, 125-145. H. Pottier Navarro, La prensa y la evolución de la lengua, Lingüística Española Actual ( L E A ) , XII/2 (1990), 243-256. Lenguaje española actual, L E A XIII/i (1991), 5 - 4 6 . J. Gómez de Enterría, Notas sobre neologismos del léxico de la economía, Lingüística Española Actual ( L E A ) , XIV/2 (1992), 207-225.

9

(ΐ99 2 )· 58 Μ. A. Rebollo Torio (1988)59 untersucht exemplarisch politische Werbung anlässlich einer Regionalwahl. Thematisch ebenfalls von Interesse ist ein von Manuel Alvar (1987)60 herausgegebener Sammelband mit Beiträgen von E. Coseriu zu «Sprache und Politik»,61 F. Lázaro Carreter 62 über den Wiederaufstieg des Lexems «liberalismo» in der politischen Sprache der Gegenwart, G. Salvador 63 über die Sprache General Francos, J.-L. Martínez Albertos 64 zu Politikersprache und Pressesprache, J. F. García Santos 65 mit einem Vergleich der politischen Sprache in der 2. Republik und der «Transición» sowie J. Ignacio Veláquez66 zum Gallizismus im spanischen Politikwortschatz. Der Soziologe Amando de Miguel kommentiert in seiner polemischen Arbeit La perversión del lenguaje67 mit puristischer Strenge viele charakteristische Phänomene (oder besser «Unarten») der zeitgenössischen politischen Sprache und ist bisweilen eine wertvolle Fundgrube für Neologismen und ihre soziologischen Entstehungsbedingungen. Die Dissertation J. Gómez de Enterria über «el vocabulario de la economía»68 untersucht Wortschatzelemente, die im Zuge der «Ökonomisierung» der politischen Sprache in den Sprachgebrauch aller Parteien eingedrungen sind und ist deshalb auch in unserem Zusammenhang von großem Interesse. Zu guter Letzt darf auch die Untersuchung Franz Lebsanfts zur Sprachkultur in Spanien 69 nicht unerwähnt bleiben. Zwar geht es dem Romanisten vor allem um eine angemessene Würdigung der sprachpflegerischen Aktivitäten und Initiativen verschiedener gesellschaftlicher bzw. öffentlicher Institutionen, jedoch scheinen in seinen Ausführungen zur Diskussion über den öffentlichen

58

59

60

61 62 63 64

65

66

67 68

69

Anglicismos en las notas sobre la guerra del golfo pérsico. Vision actual del problema e intento de clasificación, L E A XIV/2 (1992), 301-320. M. A . Rebollo Tono, Análisis de publicidad política: Elecciones de IÇ8J en Extremadura, Anuario de Estudios Filológicos XI (Universidad de Extremadura), Cáceres, 1988, 309-323· M. Alvar (ed.), El lenguaje político, Madrid (Fundación Friedrich Ebert/Instituto de Cooperación Iberoamericana), 1987. E. Coseriu, Lenguaje y Política, in: Alvar (ed.) 1987, 9 - 3 3 . F. Lázaro Carreter,Viejo lenguaje ¿nuevas ideas?, in: Alvar (ed.) 1987, 33-49. G. Salvador, La lengua de los discursos del General Franco, in: Alvar (ed.) 1987,49-59. J.-L. Martínez Albertos, El lenguaje de los políticos como vicio de la lengua periodística, in: Alvar (ed.) 1987, 7 1 - 8 9 . J. F. García Santos, El lenguaje político: en la Segunda República y en la Democracia, in: Alvar (ed.) 1987, 89-123. J. Ignacio Velázquez, Galicismos en el lenguaje político español, in: Alvar (ed.) 1987, 123-137. A . de Miguel, La perversión del lenguaje, Madrid, 31994. J. Gómez de Enterría Sánchez, El tratamiento de los préstamos técnicos en español: el vocabulario de la economía, Madrid, 1992. F. Lebsanft, Spanische Sprachkultur. Studien zur Bewertung und Pflege des öffentlichen Sprachgebrauchs im heutigen Spanien, Tübingen, 1997. 10

Sprachgebrauch in Spanien immer wieder auch Charakteristika und Eigentümlichkeiten des politischen Wortschatzes und seiner Genese auf. 70 Wie der Forschungsüberblick zur zeitgenössischen politischen Sprache in Spanien zu erkennen gibt, ist die politische Sprache der «Transición» bisher lediglich in einer lexikologischen Betrachtungsweise sowie im Hinblick auf ein pragmalinguistisches Phänomen, den Euphemismus, untersucht worden. Zusätzlich interessierte sich die Sprachforschung in den letzten Jahren für morphologische Aspekte (Wortbildungsmechanismen) und andere mögliche Erneuerungsquellen des politischen Wortschatzes wie etwa die Wort- und Bedeutungsentlehnung aus anderen Sprachen (den Anglizismus bzw. Gallizismus). Daraus ergibt sich aber auch - ex negativo - ein großer Bereich von Fragestellungen und Aspekten, die bisher praktisch unberücksichtigt geblieben sind: Parteispezifische lexikalische und semantische Variationen wurden ebenso wenig untersucht wie der große und für das Spanische der Gegenwart so charakteristische Wortschatzbereich der öffentlichen, insbesondere der gesellschaftspolitischen Sprache. Ebenfalls wurde das grundlegende Phänomen politischer Metaphorik allenfalls ansatzweise und lediglich mit Blick auf den pressesprachlichen Bereich behandelt. Die diachrone Betrachtungsperspektive, die nach Herkunft und Schichtung des Wortschatzes fragt, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Bereich der politischen Lexik, insbesondere Wort-, Bedeutungs- und Diskurstraditionen freilegt und auch innovative Prozesse systematisch auf ihre Ermöglichungsbedingungen hin untersucht, lag bislang völlig außerhalb des Gesichtsfeldes der Forschung. Schließlich ist auch die methodische Selbstbescheidung zahlreicher Studien zu dem Thema zu beklagen, die nicht nur die Methodenreflexionen der letzten drei Jahrzehnte weitgehend ignorieren, sondern - was noch schwerer wiegt - aus diesem Grunde nicht über die Deskription des vordergründig Faktischen, also des sich dem Betrachter in der Synchronie darbietenden Wortschatzgutes hinausgelangen. Im Rahmen unseres thematischen Schwerpunktes, der Untersuchung der Bedeutungsbeziehungen und der Bedeutungsentwicklungen des politischen Wortschatzes der großen «nationalen» Parteien Spaniens im Zeitraum von 1976 bis 1996 wollen wir nun die folgenden eigenen Akzente setzen: In methodischer Hinsicht halten wir es für unerlässlich, neuere sprachwissenschaftliche Ansätze und Reflexionen zum Untersuchungsgegenstand «politische Sprache» aufzuarbeiten und mit aktuellen Überlegungen zur Beschreibung und Analyse der Bedeutung in synchroner und diachroner Hinsicht zu verbinden, um über ein möglichst feinnerviges Beschreibungsinstrumentarium für die Untersuchung der politischen Sprache Spaniens seit 1976 zu verfügen

70

Ein wenig aus dem Rahmen fällt der vom Institut National de la Langue Française (INaLF) herausgegebene Sammelband et nationalisme en Espagne du franquisme à la démocratie von 1986, der Studien zum Gebrauch nationalpolitischer Schlüsseltermini zusammenstellt. II

(Kapitel ι). Die erarbeitete Methodik wird dann in den drei großen Kapiteln unserer Darstellung an drei zentralen Phänomen der politischen Sprache Spaniens exploriert werden. Uns geht es folglich weniger um eine Inventarisierung partei- oder sachpolitischer Teilwortschätze, sondern um eine an sprachlichen Grundphänomenen orientierte Untersuchung der politischen Lexik seit dem Ende der Franco-Diktatur, wobei wir der statisch-systematischen wie der diachron-dynamischen Perspektive, die wir lediglich als zwei Betrachtungsweisen - gleichsam «modi intellegendi» - miteinander verwobener, aber analytisch trennbarer Zusammenhänge ansehen, eine Gleichrangigkeit zuerkennen wollen. Konkret bedeutet diese postulierte Gleichwertigkeit der Untersuchungsperspektiven, dass wir den politischen Wortschatz der Parteien hinsichtlich seiner Genese, seiner Bedeutungs- und Bezeichnungstraditionen, seines Bedeutungspotentials sowie dessen Entfaltung im politischen Diskurs der Parteien in den Mittelpunkt unserer Untersuchung rücken wollen. In Kapitel 2 werden wir den Wortschatz der politischen Lehren, Haltungen, Einstellungen und Mentalitäten in den Blick nehmen und dabei besonders das Phänomen spanischer «ismo»- Bildungen gebührend würdigen, das, von sporadischen Erwähnungen in morphologischen Abhandlungen einmal abgesehen, bisher praktisch unberücksichtigt blieb. Unsere Untersuchung wird zeigen, dass sich in der Tat sehr profunde Einblicke in die Tradition, Produktivität und Semantik des gelehrten Wortbildungsmusters gewinnen lassen, die eine «stiefmütterliche» Behandlung seiner Inhaltsseite keinesfalls rechtfertigen. Im Zentrum von Kapitel 3 steht die sozioökonomische (bzw. gesellschaftspolitische) Lexik Spaniens in ihrem Wandel. Dabei wird - vor dem Hintergrund eines durch den raschen Wandel des Referenzbereichs (i.e. der «sozialen Wirklichkeit») entstandenen «Bezeichnungsdrucks» - ein besonderes Schlaglicht auf Rekonstituierungsprozesse von Wortschatzbereichen geworfen, was uns die Gelegenheit gibt, Tendenzen der Wortschöpfung in einem Bereich mit besonders hohem Bezeichnungsbedarf (bei gleichzeitiger Polarität der gruppenspezifischen Bezeichnungsintentionen) sowie die Umstrukturierung bestehender Bedeutungsgefüge einmal in der Mikroperspektive mitzuverfolgen. Die Ergebnisse dieses Abschnitts werden uns auch wichtige Anhaltspunkte für die grundsätzliche Charakterisierung des gegenwärtigen politischen Wortschatzes in Spanien liefern. Großabschnitt 4 ist einem weiteren, bisher ebenfalls eher punktuell behandelten Phänomen der politischen Sprache gewidmet, der politischen Metaphorik. Dabei geht es uns aber nicht um ad-hoc-Bildungen, sondern um diskursspezifische oder gar lange Diskurstraditionen aufweisende Bildfeldbereiche der politischen Sprache, die oftmals und bevorzugt auch «Gerinnungsräume» für «Habitualisierungen» auf dem Wege zur lexikalischen «Erstarrung» darstellen. Die politische Metaphorik interessiert uns folglich als Moment von Diskursen und Diskurstraditionen sowie als Generierungsmechanismus lexikalischer Einheiten des zur Rede stehenden Wortschatzbereiches. 12

Aus unserer phänomenzentrierten Vorgehensweise werden im Verlauf der Untersuchung die verschiedensten semantischen und formalen Verfahren, die eine Kommunikationsgemeinschaft ausschöpft, um die vielfältigen Bezeichnungsbedürfnisse einer neuen, von Wandlungen und teilweise Umbrüchen geprägten Epoche zu befriedigen, deutlich hervortreten. Konkret bedeutet dies, dass wir unter Berücksichtigung charakteristischer Diskurstraditionen semantische Um- und Neudeutungsprozesse, verschiedene Formen der Entlehnung sowie markante Wortschöpfungsverfahren, seien sie nun semantischer oder morphologischer Natur, aufspüren und dokumentieren wollen. Im übrigen geht es uns - vor dem Horizont diskurstheoretischer Überlegungen und der Integration einer diachron-dynamischen Perspektive - nicht nur darum, sprachliche Erscheinungen oder Veränderungen zu konstatieren, sondern deren Ursächlichkeit, also gleichsam deren «innere Logik» aufzutun, wobei sich das Konzept der Diskurstradition bzw. die Vorstellung von den «Traditionen des Sprechens» als ein besonders erhellender Deutungshintergrund für die Kontinuität und Diskontinuität sprachlicher Erscheinungen erweisen wird. Ein wenig schimmert hinter dieser Untersuchungsperspektive das - freilich im Rahmen dieser Studie nicht einzulösende - Ideal einer «Archäologie» des sprachlichen Wissens durch. Bevor wir nun mit der Methodenreflexion beginnen, müssen wir in diesem Einleitungskapitel noch auf zwei kleinere Aspekte eingehen, die vor allem der Orientierung des Lesers dienen sollen. Zunächst erscheint es uns notwendig, in gebotener Kürze unser umfassendes Textkorpus vorzustellen und dabei auch die untersuchten Hauptgattungen der politischen Kommunikation mit Blick auf unseren Untersuchungsschwerpunkt zu charakterisieren (Kapitel 0.2). Anschließend soll dem mit der spanischen Gegenwartsgeschichte weniger vertrauten Leser ein kurzer Abriss über markante Aspekte und Ereignisse des uns interessierenden Zeitraums gegeben werden, da diese nicht nur den sachlichen Hintergrund (Kontext) für die sich abzeichnenden Wortschatzentwicklungen abgeben und mithin unerlässlich für das Verständnis des Bedeutungspotentials der sprachlichen Zeichen sind, sondern oftmals - wie wir im weiteren Verlauf noch sehen werden - den äußeren Anlass für Bedeutungsverschiebungen bzw. -Veränderungen darstellen und insbesondere einen großen Einfluss auf die Ausbildung und Verfestigung konnotativer oder auch diskursspezifischer Bedeutungsmomente ausüben (Kapitel 0.3).

0.2

Z u m Untersuchungskorpus

Unser Textkorpus setzt sich im wesentlichen aus zwei Hauptquellengattungen zusammen. Zum einen den Parteitagsdokumenten («Resoluciones», «Ponencias» und «Documentos Congresuales») der drei großen «nationalen» Parteien AP/PP, PSOE und PCE/IU ab 1977 (im Falle des P S O E schon ab 1974, dem Jahr des «Exilkongresses» von Suresnes), zum anderen aus den Wahlprogram13

men seit den ersten freien Wahlen von 1977 bis zur «konservativen Wende» 71 von 1996. Zusätzlich wurden auch die - in die Parteitagsdokumentation integrierten - Grundsatzreden des Parteiestablishments sowie wichtige «Schlüsselbeiträge» (Vorträge, Aufsätze, Essays) der in die programmatische und ideologische Diskussion involvierten Spitzenpolitiker und «Parteivordenker» dann berücksichtigt, wenn aus ihnen lexikologische und semantische Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die nicht oder nicht explizit genug in den beiden Hauptgattungen zum Vorschein kamen. Während eine lückenlose Materialsammlung von politischen Dokumenten des PSOE und des Parteienbündnisses PCE/IU für den Zeitraum zwischen 1977 (1974) und 1996 problemlos zusammengestellt werden konnte, bereitete die Beschaffung von Parteidokumenten der Alianza Popular erhebliche Probleme. Die Partei verfolgt - auch unter ihrem neuen Namen - eine äußerst restriktive, um nicht zu sagen prohibitive Zugangspolitik zu Quellen ihrer Parteigeschichte - eine Einschätzung, die auch von darauf angesprochenen spanischen Politikwissenschaftlern und Zeithistorikern geteilt wird. 72 Die hierfür ausschlaggebenden Gründe dürften sich dem Leser leicht bei der Lektüre der Arbeit erschließen - immerhin hatte die in «Partido Popular» umbenannte Kraft seit 1989 alles daran gesetzt, ihre «Vorgeschichte» möglichst vergessen zu machen und sich als eine neue «freiheitlich-liberale» Kraft zu präsentieren, die eine echte demokratische Alternative zum regierenden PSOE darstellte. Ohne die Unterstützung des Forschungsinstituts Juan March und der besonderen Hilfe von Professor José Ramón Montero sowie zahlreicher Forschungsstipendiaten, denen an dieser Stelle mein besonderer Dank gilt, wäre es jedenfalls kaum möglich gewesen, eine derart umfangreiche und über weite Strecken vollständige Materialsammlung zur Dokumentation der Entwicklung der politischen Sprache der Alianza Popular zusammenzutragen. Welchen Erkenntniswert hinsichtlich unserer Thematik verspricht nun diese Quellenbasis? Alexander Tillmann (1989) verdanken wir einen Typologisierungsversuch politischer Textsorten, der ausschließlich auf der Grundlage pragmatischer Beschreibungskriterien unternommen wird, für unsere Zwecke jedoch vollkommen ausreicht. Das Parteiprogramm, wie es sich in den «Resoluciones (PSOE)», den «Documentos Congresuales» (PCE) und - als Vorstadium - in den «Ponencias» (AP/PP) der Parteitage manifestiert, wird von dem Sprachwissenschaftler als eine «implikativ proklamative 73 politische Textgattung» eingestuft, «dessen Funktion darin besteht, die grundlegenden politischen Positionen zu einem umfassenden inhaltlichen Bereich programmatisch zusammenzufassen», «basierend auf dem weltanschaulichen Fundament

71 72 73

So die Bezeichnung bei Bernecker/Dirscherl 1998, 18. Ähnlich kritisch auch der Quellenkommentar von Aguilar Fernández 1995. «Implikativ proklamatives» Sprechen verkündet im wesentlichen politische Grundsatzpositionen (cf. Tillmann 1989, 79). 14

der jeweiligen Partei». 74 «Es stellt somit», so Tillmanns Einordnung, «die Legitimations-Grundlage für alle übrigen Textsorten politischer Sprache dar». 75 Unter Berücksichtigung der Adressaten stellt der Autor fest, dass Parteiprogramme der parteiinternen Orientierung, also gewissermaßen der «Disziplinierung» der Parteimitglieder dienen, andererseits aber auch als ein wesentliches Instrument der «Imagepflege» anzusehen sind und damit an der Schaffung und Festigung von «Meinungsdispositionen, Einstellungen und Glaubensannahmen» im Bewusstsein der Wähler mitwirken. 76 Stellt man - unterhalb des Globalziels des politischen Sprechens, i.e. der «Machterwerb/Machterhalt», - die Legitimationsleistung des Parteiprogramms als textgattungsspezifische Hauptfunktion heraus, die sich in den «Sprechhandlungsformen» der «Profilierung» und der «Polarisierung» 77 konkretisieren, so lassen sich hierzu Unterfunktionen und jeweils damit korrespondierende, für die Konstituierung der Textgattung kennzeichnende, sprachliche Teilsequenzen zuordnen; dies sind im einzelnen: 78 a) die Selbstcharakterisierung der jeweiligen Partei «vor dem Hintergrund der spezifischen historischen und programmatischen Entwicklung»; 79 b) der Nachweis der Kompetenz - zum einen auf der Ebene des Wissens in Form von «allgemein formulierten Zustandsbeschreibungen», zum anderen auf der Ebene des Wollens, auf der es ein stringentes Set intendierter Handlungen zu formulieren gilt; c) der Aufweis der Kontinuität, durch den Parteimitgliedern und Bürgern verdeutlicht werden soll, dass «die spezifischen inhaltlichen Positionen, die traditionell mit dem Profil der Partei in Verbindung gebracht werden, stetig in der Parteiprogrammatik durchgehalten sind».80 Ähnlich kann auch das Wahlprogramm charakterisiert werden, zumal es zumindest thematisch «als inhaltlicher Bestandteil des Parteiprogramms definiert werden kann». 81 Unter funktionalen Gesichtspunkten sieht A . Tillmann hingegen gewisse Unterschiede, die aus den unterschiedlichen parteispezifischen Ausgangssituationen, der Rolle und dem Status der jeweiligen Partei im aktuellen politischen Gefüge (etwa als «Regierungspartei», «große Oppositionspartei» oder «kleine Oppositionspartei») ableitbar sind. Decken sich Parteiund Wahlprogramm hinsichtlich der sogenannten «Profilierungs»- und «Polarisierungs»-Sequenz einschließlich der ihnen zugeordneten Funktionshierarchie, an deren Spitze der schon erwähnte «Aufweis der eigenen Legitimation» steht,

74 75 76 77 78 79 80 81

Tillmann Ebenda. Ebenda. Tillmann Tillmann Tillmann Tillmann Tillmann

1989, 136.

1989, 1989, 1989, 1989, 1989,

137. 141 ss. 140. 147. 168.

15

weitgehend, so stellen die sogenannte «Polarisierungs-Sequenz» zum Zwecke der Herausstellung unterschiedlicher Wert- und Zielvorstellungen und die «Entlarvungs-Sequenz», 82 durch die der Regierung ihre Legitimation entzogen werden soll, textgattungsspezifische Kommunikationsmuster dar. Für unsere Untersuchungszwecke genügen die Folgerungen, die sich aus Tillmanns Charakterisierung der beiden Textgattungen im Rahmen seiner Typologie ergeben: Das Parteiprogramm steht - ganz im Einklang mit seiner legitimatorischen Funktion - an der Spitze der Hierarchie politischer Textgattungen und ist dabei der Referenzpol oder besser die «Referenzgattung» aller anderen politischen Textgattungen. Es ist damit zugleich Ort sprachlicher Innovation wie deren Kontinuität: Im Rahmen des Kompetenznachweises wird auf neue Sachverhalte referiert, die auf möglichst treffende Weise konzeptualisiert und versprachlicht werden sollen; gleichzeitig aber wirken der Identitäts- und Kontinuitätsnachweis auch in hohem Maße stabilisierend, tragen sie doch in entscheidender Weise zur Konservierung besonders markanter, gleichsam identitätsstiftender, «Schlüsselbegriffe» und ihrer Deutungs- bzw. Verstehenstradition bei. Die von Tillmann als pragmatische Unterfunktionen beschriebenen textgattungsspezifischen Grundmotive - die Selbstcharakterisierung, der Kompetenznachweis, der Aufweis von Kontinuität, die Legitimationsleistung und die Disziplinierungsfunktion - wirken ganz wesentlich als «Filter» im Prozess der Textkonstituierung. Mit anderen Worten, sie stellen die «Konstituierungsbedingungen» für die jeweilige Textgattung dar, die auf den Vorgang der Textproduktion (bzw. auch der Textrezeption) normierend wirken und die Auswahl sprachlicher Elemente und nicht zuletzt auch die semantische Interpretation, steuern. 83 Diese sprachnormierende Funktion der Textgattung zeigt sich schließlich auch darin, dass die politischen Akteure das Parteiprogramm als den idealen Ort für die Festschreibung der Bedeutung(en) solcher lexikalischen Einheiten ansehen, die a) eine zentrale Stellung im Selbstverständnis (und damit auch im Wortschatz) der Partei einnehmen, b) zwischen den Sprechergruppen umstritten und im Bezug auf ihr Signifikat c) mehrdeutig und/ oder d) besonders abstrakt sind. So definiert beispielsweise die konservative Alianza Popular ihren neuen, erstmals auf dem Parteitag von 1984 eingeführten Identitätsbegriff «libertad» in exhaustiver Weise, indem sie die verschiedenen ΒedeutungsVarianten des Lexems genaustens beschreibt und zugleich ihr Verständnis mit der Angabe von Beispielen «absichert»:

82

T i l l m a n n 1989, 176SS.

83

In Tillmann 1 9 8 9 , 1 2 9 wird ein System hierarchischer Selektionsfilter von der intentionalen über die pragmatische zur konkreten Äußerungsebene angedeutet. Die Darstellung bleibt aber sehr allgemein und bedürfte besonders einer Konkretisierung im Bereich der einzelnen Sprachebenen.

16

«En primer lugar, la libertad como ámbito de autonomía del individuo en su vida e integridad física y moral, en su conciencia, en su intimidad, domicilio y comunicaciones, en su propiedad, etc. En segundo término, la libertad como posibilidad de elegir entre opciones diferentes, tanto a la hora de ofrecerlas a la sociedad, como a la de utilizar esta oferta plural. [...]. Es fundamento de la libertad así entendida la libertad económica consagrada en el derecho de la propiedad y a través de la libertad de empresa. [...]. Por último, la libertad como participación democrática. [...].» ( A P 1984, 64).

Das Parteiprogramm ist demnach auch deshalb für die Erforschung des politischen Wortschatzes von besonderem Interesse, weil hier erstmalig sprachliche Innovationen der Parteien vorgestellt und hinsichtlich ihres semantischen Gehalts autoritativ festgeschrieben werden. Die Textgattung «Parteiprogramm» erweist sich folglich in ihrer die Textproduktion normativ steuernden, Bedeutungen fixierenden und das Sprechen der Meinungsgruppe «disziplinierenden» Leistung als ein besonders ausgezeichneter Manifestationsort des ( p a r t e i p o l i tischen Diskurses. Mit Abstrichen gilt das Gesagte auch für das Wahlprogramm, dessen Kommunikationsziele und Sprechhandlungsmuster ganz ähnlich sind. Die Textgattung ist allerdings stärker aktualitätsbezogen, ihr Wirkungsradius geht weit über den «Binnenraum» des Parteiprogramms hinaus, - sie dient vor allem der «Außenkommunikation» - , und ihre pragmatische Hauptfunktion liegt in der Wahlwerbung. Im Hinblick auf das Wahlprogramm stellt sich besonders die interessante Frage, in welchem Maße dort Schlüsselelemente der innerparteilichen Kommunikation in Umlauf gebracht und von den Medien sowie dem politischen Gegner rezipiert werden, ja ob sie schließlich sogar in den öffentlichen Sprachgebrauch des Landes eingehen. Das Wahlprogramm ist deshalb beides: ein besonders ausgeprägter Ort sprachlicher Selektion, dessen Kalkül sich auf den angesprochenen Adressatenkreis und die intendierte Außenwirkung richtet, und gleichzeitig ein Ort, der den Wortbestand und das Bedeutungspotential des öffentlichen Sprachgebrauchs dokumentiert - eben jenen sprachlichen Kenntnisstand, den man für das Funktionieren einer wirkungsvollen Kommunikation zwischen Parteien und interessierter Öffentlichkeit voraussetzen darf. Neben den beiden hier ausführlicher vorgestellten Quellengattungen haben wir Parteitagsreden, einzelne Wahlreden, grundlegende Vorträge von Spitzenpolitikern in exklusivem Kreise (v. a. Reden im Club Siglo XXI), Diskussionsbeiträge in essayistischer Form von Vordenkern und Parteitheoretikern in einschlägigen Publikationsorganen wie Sistema, Leviatán, Claves de Razón Práctica, Nueva Revista, Nuestra Bandera ausgewertet. Wir haben auf diese Textquellen zurückgegriffen, wenn: a) die Inhaltsseite von Wortschatzeinheiten, die in Partei- und Wahlprogrammen als bekannt vorausgesetzt wurden, hinsichtlich ihres denotativen, konnotativen, diasystematischen und «diskursiven» Gehalts kommentiert (teilweise sogar problematisiert) wurde, 17

b) in den entsprechenden Texten grundlegende Lexeme (Lexien) erstmals eingeführt und erläutert wurden, - sie also der Entstehungsort sprachlicher Neuschöpfungen waren, wie etwa das Wortpaar «finalismo»/«finalista», das der damalige Regierungschef Felipe González auf dem 30. Parteitag von 1984 offiziell dem Parteiwortschatz des P S O E hinzufügte. Insbesondere erschienen uns auch zahlreiche einschlägige Textbeispiele der theoretischen Debatte von besonderer Relevanz, da sich in ihnen nicht nur das Bemühen um eine möglichst präzise begriffliche Abgrenzung und metasprachliche Kommentierung des terminologischen Grundbestands der Parteien widerspiegelt, sondern sie vielfach auch erstmals Konzepte der (sozial- oder politik)wissenschaftlichen Diskussion inaugurieren, die später in die politischen «Gebrauchsgattungen» Parteiprogramm oder Wahlprogramm «einsickerten». In diesen Fällen erwies sich der Vergleich zwischen der ursprünglichen terminologischen Bedeutung eines Wortes und der Bedeutungsvariante nach seiner Popularisierung im politischen Sprachgebrauch (nach seiner «Determinologisierung» also) als besonders aufschlussreich. Als weniger geeignet im Rahmen unserer lexikologischen und diskurstheoretischen Perspektive erwiesen sich hingegen Wahlkampfreden, die - sofern überhaupt verfügbar - eher individualstilistische Aspekte beleuchteten oder ein Schlaglicht auf die Problematik der Registerwahl im Zusammenhang mit spezifischen Kommunikationssituationen warfen.

0.3

Der historische Kontext der Studie: Ein kurzer Überblick

Nach dem gescheiterten Versuch einer begrenzten Demokratisierung von «oben», mit der die Regierung Arias Navarro/Fraga Iribarne nach dem Tode General Francos der Opposition, - genauer dem Teil, dessen Legalisierung überhaupt vorgesehen war - , ihr Gesetz des Handelns, also Tempo, Bedingungen und Umfang der politischen Reformen, auferlegen wollte,84 bemühte sich die Nachfolgeregierung unter dem Ministerpräsidenten Adolfo Suárez um eine volle Demokratisierung des Landes im Konsens mit der seit April 1977 wieder vollständig legalisierten Opposition. Die vom Ausgleichs- und Versöhnungswillen der historischen Opponenten getragene «Transición democrática» erreichte ihren Höhepunkt mit der Verabschiedung der Verfassung von 1978, die das rechtliche Fundament für die neue politische und soziale Ordnung des Landes darstellte. Zunächst prägten im wesentlichen vier nationale Parteien das politische Leben des Landes, wenn wir einmal von den durchaus einflussreichen Regio-

84

Die Legalisierung der kommunistischen Partei Spaniens (PCE) wurde von der Regierung Arias Navarro/Fraga Iribarne strikt abgelehnt, cf. ausführlich Redero San Román 1991, 218.

18

nalparteien Convergència i Unió (CiU) und PNV (Partido Nacional Vasco) absehen: Die rechtsgerichtete Alianza Popular, die von der Sozialdemokratie bis zum Reformfranquismus reichende U C D (Unión del Centro Democrático), der PSOE (Partido Socialista Obrero Español) und der P C E (Partido Comunista de España), auf die wir nun kurz im einzelnen eingehen wollen. Alianza Popular entstand im Oktober 1976 aus einem Zusammenschluss von sieben, mehr virtuellen als realen Gruppierungen, die von Spitzenpolitikern des Franco-Regimes ( - fast alle hatten Ministerämter bekleidet 85 - ) angeführt wurden. Spöttisch bezeichnete sie die oppositionelle Presse seinerzeit als «los siete magníficos».86 Die franquistische Vergangenheit der Parteimitglieder, vor allem aber ihr Auftreten und ihre Rhetorik brachten der Partei das Image eines «partido pura y simplemente continuista, pura y simplemente franquista»8"7 ein, und die Wähler (selbst ihre eigenen!) situierten sie ideologisch «entre la derecha y la extrema derecha».88 Die parteiinternen Auseinandersetzungen über die neue Verfassung, für die nur die Hälfte der alianzistischen Abgeordneten votierte,89 führte schließlich zum Abbrechen des rechten Flügels der Partei, deren Vertreter, die sogenannten Exponenten des «franquismo histórico», die Partei verließen.90 Wenig erfolgreich war zunächst auch der Versuch, durch eine Öffnung zu Gruppierungen und Persönlichkeiten der gemäßigten Rechten wie José María de Areilza und Alfonso Osorio, die in einer neuen politischen Formation namens «Coalición Democrática» Gestalt gewinnen sollte, ihr franquistisches Image abzustreifen. 91 Die Parteienkoalition stürzte in den zweiten demokratischen Wahlen von 1979 noch unter das ohnehin schon bescheidene Ergebnis von 1977 (nun 6 % gegenüber 8,4 %). Erst der Niedergang der zunehmend handlungsunfähigen, völlig zerstrittenen «Unión del Centro Democrático», die - nachdem sie ihre historische Aufgabe als «politisches Vehikel der Transición»92 erfüllt hatte - an ihrer mangelnden ideologischen Homogenität, ihrer inneren Struktur (erinnert sei an die dominierende Rolle der «barones» der Partei), der Führungskrise des Parteivorsitzenden und Regierungschefs Adolfo Suárez 93 und letztlich ihrem Funktionsverlust zerbrach,94 brachten der Alianza Popular den lang ersehnten politischen Aufstieg. Der nun offiziell vom Dachverband der spanischen Arbeitgeberorganisationen C E O E (Confederación Española de Organizaciones 85

Ausführlich zu Personalien und politischem Werdegang: Gunther/Sani/Shabad 1986,91. De Esteban/López Guerra 1982, 161. 87 Ramírez 1977, 60s. sowie Gunther/Sani/Shabad 1986, 106. 88 Cf. die wahlsoziologischen Erhebungen von 1982 bei Montero, in: Tezanos/Cotarelo/ Blas (edd.) 1989, 508. *9 Gunther/Sani/Shabad 1986, 197. 90 De Esteban/López Guerra 1982, 162. 91 Besonders Montero in: Tezanos/Cotarelo/Blas (edd.) 1989, 501s. 92 Zur Charakterisierung der UCD, cf. Gunther in: Linz/Montero (edd.) 1986, 437 und Huneeus 1985, 25. 93 Hierzu Caciagli 1989, 419s. 94 Gunther 1986, 450, und Huneeus 1985, 314. 86

19

Empresariales) unterstützten Alianza Popular gelang es, sich in den Wahlen von 1982 mit über 25 % der Stimmen als größte Oppositionspartei des Landes zu etablieren. Perspektivenwechsel: Nachdem auf dem Kongress von Suresnes (1974) die junge Generation um Felipe González die Führung der Partei übernommen hatte, präsentierte sich der P S O E auf seinem ersten wieder in Spanien abgehaltenen, immerhin von den staatlichen Behörden geduldeten Parteitag vom Oktober 1976 als eine - zumindest ihrer Diktion nach - marxistische Partei. Abgesehen davon, dass der Marxismus der linken antifranquistischen Opposition praktisch als «badge of identity», wie der Politikwissenschaftler Heywood 95 schreibt, gedient hatte, befürchtete die Partei «italienische» Verhältnisse, konkret: ihre Absorption durch den kommunistischen Rivalen im Kampf um das linke Lager. Der P C E wurde dann in der Tat ein Jahr später (im April 1977) gegen den Widerstand der Militärs und neofranquistischer Kreise legalisiert. 96 Die spanischen Sozialisten machten bis 1982 unter Felipe González eine wahre ideologische Häutung durch, die sich in den folgenden Jahren noch fortsetzen sollte: Nachdem die Führung der Partei unter Felipe González und Alfonso Guerra auf dem 28. Kongress von 1979 zurückgetreten war, da sie sich nicht gegen die marxistische Grundstimmung bei der Mehrheit der Delegierten hatte durchsetzen können, gelang ihr jedoch auf dem Außerordentlichen Parteitag im September des gleichen Jahres nicht nur die triumphale Rückkehr an die Parteispitze, sondern auch die Aufhebung der marxistischen Identität der Partei und ihre Umgestaltung zu einer demokratischen Reformpartei. 97 Der sich seit 1980 abzeichnende Zerfall der Regierungspartei U C D , der zu einem Vakuum in der politischen Mitte und im liberal-konservativen Lager zu führen drohte, und schließlich der Staatsstreichversuch des Militärs von 1981 (der sogenannte «23-F») ließen das Schreckgespenst eines Scheiterns des demokratischen Experiments am Horizont aufleuchten. In diesem Moment wurde die Stabilisierung und Konsolidierung der spanischen Demokratie zum zentralen und allem anderen übergeordneten Ziel der Sozialisten: «Incorporar España a la modernidad, reformar democráticamente la sociedad y el Estado, consolidar y profundizar la democracia y las libertades. El objetivo de los socialistas es, fundamentalmente, un objetivo nacional, que pasa por estabilizar la democracia, frente al acoso de los involucionistas y los terroristas.»98

- auf diese Formel bringt der Politologe A . G. Santesmases die Zielsetzung bzw. die neuen Prioritäten der sozialistischen Führung in jenem historischen 95 96 97

Heywood 1995, 196. Ausführlich zur Legalisierungsproblematik: Gunther/Sani/Shabad 1986, 80s. Santesmases (1985,62ss.) bezeichnet diese zweite ideologische Etappe in der jüngsten Geschichte des P S O E als «réformisme democrático», der den ursprünglichen «reformismo revolucionario» abgelöst habe. Distanzierter und aus der «Außenperspektive» Heywood 1995, 196s.; ausführlich mit Vorgeschichte: de Esteban/López Guerra 1982, 121SS.

98

Santesmases 1985, 70 unter III.: El sentido del cambio: Consolidar la democracia.

20

Moment. Mit einer politischen Botschaft, die zum prägnanten Wahlkampfslogan von 1982 - «Por el cambio» - verdichtet wurde, gelang es der Partei, eine weitverbreitete Stimmung und die allgemeine Hoffnung auf einen grundlegenden politischen Wandel zu artikulieren. Diese Grundkonstellation führte dann auch zu dem spektakulären Wahlsieg von 1982, der dem P S O E einen Stimmenanteil von 47 % einbrachte. Der P C E hingegen drohte im politischen Orkus zu versinken, obwohl er sich von seiner leninistischen Tradition losgesagt hatte» (auf dem IX. Kongress von 1978) und sich wie seine Schwesterparteien in Italien und Frankreich einem «dritten Weg», dem Eurokommunismus, verschrieben hatte." Für sie hatten gerade noch 3,2 % der Wähler (nach 10,7 % im Jahre 1979) votiert. Die neu gewählte Regierung unter Felipe González verband soziale Zielsetzungen mit liberalen und pragmatischen Maßnahmen: So wurde einerseits mit der Ausweitung des staatlichen Sozial- und Gesundheitssystems der Weg in den modernen Wohlfahrtsstaat beschritten, 100 andererseits aber den Erfordernissen der europäischen Integration höchste nationale Priorität eingeräumt: Die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft, der Spanien am 1.1.1986 beitrat, die Behauptung auf dem 1992 in Kraft tretenden Gemeinsamen Markt und die Teilnahme an der im Maastrichter Vertrag vorgesehenen Wirtschaftsund Währungsunion machten eine völlige Umstrukturierung («reconversión») und Modernisierung («modernización») des spanischen Produktionsapparates, eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und eine solide Haushalts- und Finanzpolitik («austeridad») unausweichlich. 101 Diese Maßnahmen lösten einen gewaltigen Wachstumsschub aus und beschleunigten den gesellschaftlichen Wandel noch, - sie forderten aber auch ihren Preis: Die Arbeitslosenrate pendelte sich auf einen Rekordwert ein, der auch noch in den 90er Jahren bei durchschnittlich rund 20% lag. 102 Der politische Pragmatismus der Regierungspartei, der sich nicht nur in der Wirtschaftspolitik, sondern bei dem für die spanische Linke besonders sensiblen Thema des NATO-Beitritts zeigte, für den die Führung anlässlich des Referendums von 1986 (anders als noch im Wahlkampf von 1982) massiv und höchst manipulativ 103 geworben hatte, führte dazu, dass sich zahlreiche Wähler von dem P S O E abwandten und dem P C E , der sich Anfang 1987 in der - im Zusammenhang mit der Anti-NATO-Kampagne entstandenen - «Izquierda Unida» reorganisierte, einen neuen Aufschwung bescherten. 104 Mit einem jungen und charismatischen Parteivorsitzenden (Julio Anguita seit 1988) sowie einem radikal antikapitalistischen

» Gunther/Sani/Shabad 1986, 174s. und 178. Pérez-Alcalá 1998, 227. 101 Ausführlich zur Modernisierungspolitik: Heywood 1995, 222. Das in diesem Zusammenhang immer wieder fallende Schlagwort von der «modernización» sieht der Autor als «virtually a leitmotif of the government» an. 102 Pérez-Alcalá 1998, 249. 103 Heywood 1995, 76. 104 Heywood 1995, 202s. 100

21

Programm mit ökologischen Einsprengsel stabilisierte sich die Partei(enkoalition) nicht nur auf etwas über 1 0 % , sondern sie bewahrte trotz des Zusammenbruchs der «realsozialistischen» Regime in Osteuropa ihre kommunistische bzw. marxistische Identität. 105 Der Alianza Popular gelang es nach 1982 trotz einer stärkeren liberal-konservativen Akzentuierung ihres Programms nicht, die 25 %-Schwelle zu überschreiten. Erst ihre Neugründung und Umbenennung in Partido Popular (auf dem 9. Parteikongress im Januar 1989), die Wahl José María Aznars zum Parteivorsitzenden (Kongress von Sevilla, 1990), der Zerfall der kleinen Zentrumspartei (CDS) des ehemaligen Ministerpräsidenten Adolfo Suárez, die wachsende Kritik an der Herrschaftspraxis der Sozialisten, denen nun pauschal Vetternwirtschaft, Korruption und Machtanmaßung vorgeworfen wurde, 106 und schließlich die einsetzende Rezession führten 1993 zu einem ersten großen Wahlerfolg, der nicht nur die sozialistische Vorherrschaft der 80er Jahre beendete, sondern auch den P S O E um seine absolute Mehrheit brachte. Die anhaltende Wirtschaftskrise, unpopuläre wirtschaftspolitische Maßnahmen, mit denen man ihrer Herr werden und zugleich die in Maastricht vereinbarten Konvergenzkriterien erreichen wollte, insbesondere aber die Häufung von Regierungsskandalen, deren schwerwiegendster die sogenannte G AL-Affäre 1 0 7 war und bei der Bevölkerung die Überzeugung aufkommen ließ, die amtierende Regierung sei zu einer «Selbstreinigung» nicht mehr in der Lage, führten zum Ende der sozialistischen Ära: Nachdem F. González auch seinen Koalitionspartner CiU verloren hatte, waren Neuwahlen unausweichlich geworden, aus denen J. M. Aznar und sein Partido Popular als Sieger hervorgingen. Der Regierungswechsel von 1996 stellte - zumindest im Bewusstsein der spanischen Bevölkerung - einen historischen Einschnitt dar, den Walther L. Bernecker und Klaus Dirscherl zutreffend auf den Punkt bringen: «Die Rückkehr der Konservativen an die Macht war für Spanien insofern von großer psychologischer Bedeutung, als damit unter demokratischen Bedingungen demonstriert werden konnte, nachdem zuvor die Überzeugung weitverbreitet gewesen war, die Rechte sei in Spanien nicht mehrheitsfähig. Die neuerliche Erfahrung eines geordneten Regierungswechsels war für die Spanier ein deutlicher Beleg für das Funktionieren ihrer demokratischen Institutionen.» 108

In gewisser Weise werden auch wir im Verlauf unserer Arbeit diesen Weg zur «Normalität», wenn auch in sprachlicher Hinsicht und unter rein sprachwissenschaftlichem Blickwinkel, nachvollziehen und dokumentieren. 105 106

107

108

Heywood 1995, 203. Cf. Sinova/Tusell 1 9 9 0 , 1 9 7 S S . Aus sozialistischer Sicht aufgearbeitet wurde die Diskussion von Cotarelo 1 9 9 5 , 1 9 3 - 2 4 4 . Bei dieser A f f ä r e ging es um keinen geringeren Vorwurf als den des Staatsterrorismus: Zwischen 1983 und 1987 soll die Anti-Terrorgruppe G A L (Grupos Antiterroristas de Liberación) im Auftrag oder zumindest mit Billigung des staatlichen Polizeiapparats versucht haben, durch Anschläge auf ETA-Mitglieder die baskische Untergrundorganisation zu zerschlagen. Cf. Bernecker/Dirscherl 1998, 16. Bernecker/Dirscherl 1998, 21.

22

ι

Theoretischer Teil

i.i

Einleitung

«Politische Sprache» erweist sich, lässt man einmal die vielfältigen Versuche einer Gegenstandsbestimmung R e v u e passieren, als ein äußerst vielschichtiges, ja polymorphes Phänomen. E. Coseriu vermag im Rahmen des eher «strengen» strukturell-semantischen Deutungsparadigmas allein drei mögliche Lesarten zu erkennen, die jeweils auf einer eigenen Hierarchieebene des Sprachlichen anzusiedeln sind. «Lenguaje político» konkretisiert sich demnach als: a) «léxico político», ein Inventar sachspezifischer lexikalischer Einheiten, die aufgrund ihrer historischen Implikationen als völlig atypische Vertreter des terminologischen und nomenklatorischen Wortschatzes einzustufen sind, 1 b) «uso lingüístico», eine charakteristische Form der Zeichenverwendung im Bereich des politischen Sprechens; dabei wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf die sich um sprachliche Zeichen ausbildende «konnotative Aura», die «sobreentendidos» 2 oder Evokationen, die ihnen von ideologischen Gemeinschaften bzw. politischen Systemen beigelegt werden, abgehoben, c) «procedimientos propios de los discursos políticos», d. h. ein textstilistisches bzw. textlinguistisches Phänomen, das durch spezifische sprachliche Verfahren ausgezeichnet ist. Coserius Begriffsexegese fällt im Rahmen seines strukturell-semantischen Ansatzes «analytisch» aus - der Terminus «politische Sprache» findet seine Aufschlüsselung in drei alternativen bzw. konkurrierenden Deutungen. Dabei werden jedoch wesentliche Fragestellungen und Problemkomplexe des Themenbereichs deutlich, die von unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Richtungen aufgegriffen wurden, um sie theoretisch einzubetten und der wissenschaftlichen Beschreibung zugänglich zu machen. So kristallisiert sich etwa aus Lesart a) die Frage nach dem Verhältnis zwischen «politischer Sprache» und der «Architektur» der Sprache heraus. Hierbei gilt es insbesondere die Beziehungen zu den Fachsprachen sowie zur Gemeinsprache zu klären, - ein

1 2

Coseriu 1987, Iis. Coseriu 1987, 12. 23

Problemkomplex, dem sich vor allem die Fachsprachenlinguistik bzw. die Funktionalstilistik widmete. (Cf. hierzu Abschnitt 1.2). Des weiteren stellt sich die Problematik einer umfassenden und zusammenhängenden Interpretation von «politischem Sprechen», das sich vor dem Hintergrund vorgängiger Sinn- und Deutungshorizonte vollzieht, von soziologischen und historischen Determinanten (den sogenannten «Produktionsbedingungen») geprägt und schließlich durch textuelle bzw. textgattungsspezifische Konstituierungsregeln und deren Traditionen reguliert wird. Die angemessene theoretische Durchdringung und Beschreibung dieser Zusammenhänge ist im wesentlichen die Domäne der Diskursanalyse, der wir uns in Abschnitt 1.3 zuwenden wollen. Schließlich gilt es, einen für die Beschreibung des politischen Wortschatzes angemessenen Bedeutungsbegriff zu formulieren, der - über die informationelle Sparsamkeit des strukturellen Ansatzes hinausgehend - den verschiedenen Bedeutungsaspekten von Wörtern gebührend Rechnung trägt und diese zugleich an eine Theorie sprachlichen bzw. sprachgebundenen Wissens anbindet. Diesem Desiderat kommt in großem Maße eine kognitionslinguistisch beeinflusste Semantik nahe, deren aktuelle Weiterungen und Umakzentuierungen in dem für unsere Zwecke relevanten Rahmen berücksichtigt werden sollen (Kapitel 1.4). Der Zugriff auf die verschiedenen methodischen Ansätze ist, wie das bisher Gesagte zeigt, also eklektisch und orientiert sich jeweils an deren Erklärungsund Beschreibungsleistung. Wir skizzieren deshalb im weiteren die theoretischen und methodischen Überlegungen der genannten sprachwissenschaftlichen Richtungen nur in dem Ausmaße, wie sie für die angemessene Behandlung unseres thematischen Schwerpunktes sowie unserer Untersuchungsperspektive von Interesse sind.

1.2

Politische S p r a c h e in d e r Fachsprachenlinguistik 3 und d e r Funktionalstilistik

Gerade weil die politische Sprache ein derart atypisches Beispiel, quasi ein «marginaler Vertreter» der Fachsprachen ist, traten ihre Eigenarten und Besonderheiten im Ansatz der Fachsprachenlinguistik um so pointierter hervor. Vor dem Hintergrund einer Konzeption, die Sprache als ein in sich vielfach in horizontaler und vertikaler Richtung - gegliedertes System von Subsystemen deutete, wurden vielfältige lexikalische Schichtungen, transsubsystematische Beziehungen und Überschneidungszonen zwischen dem fach- und dem gemeinsprachlichen Bereich deutlich, die - zusammen mit der besonderen pragmatischen und ideologischen Dimension - das besondere Gepräge politischer Sprache ausmachen. 3

Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand vermittelt Kalverkämper 2001.

24

Die Beschäftigung mit politischer Sprache mündete in einen erweiterten Bedeutungsbegriff ein, der nicht nur dem «denotationalen» Kern weitere Komponenten pragmatischer und emotiv-wertender Natur hinzufügte, sondern auch sprechergruppenspezifische Nuancen berücksichtigte und somit der Tatsache Rechnung trug, dass Wortbedeutungen nicht isoliert dastehen, sondern sich in ihren vielfachen Relationen in einem komplexen Bedeutungsnetz konstituieren und dass solche semantischen Bezugsysteme besonders im Bereich des wertenden Wortschatzes unterschiedlich organisiert sein können. Mit dieser Einsicht aber gelangte die Fachsprachenlinguistik an ihre immanenten Grenzen, die erst im Rahmen eines Diskursansatzes bzw. des kognitivistischen Deutungsparadigmas überwunden werden konnten. Wir werden im folgenden kurz die Bestimmung von «politischer Sprache» durch die Fachsprachenlinguistik umreißen und die hierbei gemachten begrifflichen Abgrenzungen kurz skizzieren, sofern sie für unsere analytische Arbeit von Nutzen sind. Die funktionalsprachlich ausgerichtete Linguistik betrachtet die Sprache als ein Diasystem, einen sprachlichen Code, der sich «innerhalb der Sprachgemeinschaft in eine Vielzahl von koexistenten sprachlichen Varietäten und Subvarietäten bzw. heterogenen varietätsspezifischen Teilwortschätzen mit ihren jeweils [...] sprecher(gruppen)- oder sachfunktionsspezifischen Ebenen oder Hierarchien und soziologisch bzw. soziolinguistisch definierten Stratifikationen» aufspaltet. 4 Dabei sind nun nicht nur die unterschiedlichen Fachsprachen als Subsysteme anzusehen, sondern auch die «als ausgezeichnetes Subsystem» besonders ausgewiesene Gemeinsprache, die in Kombination mit einem weiteren spezifischen Subsystem (etwa der Sprache der Poesie, der Fachsprache der Physik etc.) eine Subsprache konstituiert. 5 Wie L. Hoffmann zu Recht betont, bezeichnet der Terminus «Subsprache» 6 dabei im Grunde eine Abstraktion, die darin besteht, dass «einefr] besondere[n] kommunikativ und inhaltlich determinierte[n] Auswahl sprachlicher Mittel aus dem Gesamtbestand der Sprache» 7 Systemcharakter zugewiesen wird. Dieser «Systemcharakter» beruht also im Grunde auf der Hypostasierung eines behaupteten (bzw. ex-post konstruierten) systematischen Zusammenhan-

4 5 6

7

Strauß/Zifonun 1985, 17s. Strauß/Zifonun 1985, 59. Zur theoriegeschichtlichen Einordnung, cf. Hoffmann 1982, 2 sowie 1985, 31 und besonders p. 47: «Die Lehre von den Subsprachen [...] geht von den positiven Traditionen der lexikologisch-terminologischen Richtung, der funktionalsprachlichen Betrachtung, der Wirtschaftslinguistik und der Funktionalstilistik aus, die im Grunde genommen unter Fachsprache eine besondere kommunikativ und inhaltlich determinierte Auswahl sprachlicher Mittel aus dem Gesamtbestand der Sprache verstehen. Für sie steht allerdings weniger die Kommunikationsabsicht bzw. der Zweck der Aussage, sondern vielmehr der Kommunikationsinhalt im Vordergrund. Mit Hilfe dieses Kriteriums lässt sich jeder Text einem bestimmten Sachgebiet oder Kommunikationsbereich und damit auch einer bestimmten Subsprache [Hervorhebung d. Verf.] zuweisen». Hoffmann 1985, 47.

25

ges zwischen einem inhaltlich bestimmten Kommunikationsbereich und einem Inventar sprachlicher Mittel auf den verschiedenen sprachlichen Gliederungsebenen. Auf diese Weise, d.h. unter Zuhilfenahme des semantischen Kriteriums, kann auch ein Subsystem «politische Sprache» bzw. eine politische Subsprache ausgegliedert werden. So steckt etwa W. Dieckmann seinen Untersuchungsgegenstand in folgender Weise ab: «Die Zugehörigkeit eines Wortes zum politischen Wortschatz wird nach semantischen Kriterien entschieden; sie richtet sich danach, ob das Bezeichnete in den Sachbereich der Politik fällt. Auf diese Weise wird der Politik ähnlich wie der Zoologie, der Chemie, dem Militärwesen etc. ein besonderer fachsprachlicher Wortschatz zugewiesen.» 8

Der Germanist schränkt jedoch den Wert dieses Prozederes für den Bereich «politische Sprache» sogleich wieder ein, indem er einen wesentlichen Unterschied zwischen charakteristischen Fachsprachen und seinem Untersuchungsgegenstand herausstellt: «In der Praxis erweist sich dieser Versuch als schwierig, weil die Politik nicht im gleichen Sinne ein Sachgebiet ist, sondern als ein Handeln oder ein Handlungs- und Funktionskomplex begriffen wird.» 9

Politik ist also nicht nur oder nicht einmal primär ein Sachgebiet, sondern ein Handlungsfeld, das durch ein System von Zielen und Zwecken determiniert wird. Im politischen Sprechen realisiert sich nicht in erster Linie die Darstellungsfunktion, sondern die Appellfunktion 10 der Sprache. Auch lässt sich nicht ernsthaft die Homogenität des Fachbereichs «Politik» behaupten. So merkte schon R. Fluck in seiner Standarddarstellung zur Fachsprache an: «Der Fachbereich umfasst so viele Teilgebiete und ist so vielfältig in sich geschichtet, dass von der Existenz einer einheitlichen politischen Fachsprache nicht gesprochen werden kann.» 11

Vielmehr stellt sich die politische Sprache als ein heterogener Komplex unterschiedlicher Subsysteme dar: Ihr Mischcharakter ist zum einen durch «ihre Überschneidung mit mehreren Fachsprachen» charakterisiert, zum anderen durch «ihre breite Überlappung mit der Alltagssprache». 12 Die Bedeutung des zweiten Aspekts wird im Laufe unserer Untersuchung immer wieder deutlich hervortreten: Die politische Sprache besitzt eine entscheidende Mittlerfunktion zwischen Fachsprache und Alltagssprache. Sie erweist sich dabei als 8 9 10

Dieckmann 1975, 47. Dieckmann 1975, 47. Siehe dazu Dieckmann 1975, 138s.: «Die Funktion des öffentlich-politischen Sprechens steht im Dienste des Werbens um die Zustimmung der Bürger oder Teilgruppen der Bürger für politische Ziele, Programme, Maßnahmen etc. Damit ist öffentlichpolitisches Sprechen) ein Sprechen in 49

Insbesondere Peter Koch verdichtete diesen zweiten Aspekt der Diskurstheorie zu dem Begriff der «Diskurstradition» und gab ihm eine deutlich «diachro45 46 47 48 49

Maingueneau Le Bart 1998, Maingueneau Ebenda. Maingueneau

36

1976, 13s. 12. 1976, 16s. 1976, 54. Kursive Passagen im Original.

nische» Ausrichtung. «Diskurstraditionen», so definiert Koch, sind «typische und damit wiederholbare kommunikative Verhaltensweisen» 50 und werden als «Regelkomplexe mit geschichtlichem Charakter» 51 begriffen. Im Gegensatz zu den Sprachregeln, die von einer Sprachgemeinschaft getragen werden, obliegt die Tradierung von Diskursregeln kulturellen Gruppen» (weiter unten werden wir den Terminus «Diskursgemeinschaft» einführen) und zwar «Berufsgruppen, literarischen Strömungen, politischen Bewegungen usw.».52 A l s konkrete Wirkungs- und Manifestationsorte von Diskursregeln führt Koch «Textsorten, Gattungen, Stile, rhetorische Genera, Gesprächsformen, Sprechakte usw. wie der Beipackzettel, das Sonett, der Manierismus, die Prunkrede, die Talkshow, der Lehnseid» 53 an. Im Zusammenhang mit dem Diskurstypus führt Maingueneau auch den Begriff des «intertexte» ein und bezeichnet damit ein intertextuelles Verweissystem bzw. ein transtextuelles Sinn- und Beziehungsgefüge 54 das Texte gleicher Redeuniversa 55 (um einen in diesem Kontext treffenden Terminus Coserius in Erinnerung zu rufen) durchwebt. Diese zentralen Aspekte finden sich auch in Busse/Teuberts «forschungspraktisch» orientierten Diskursansatz wieder, werden freilich dort nun zu Kriterien der Textauswahl umgedeutet: 56 «Unter Diskursen verstehen wir im forschungspraktischen Sinne virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche» (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird. Z u einem Diskurs gehören alle Texte, die - sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex und Konzept befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations- Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen, - den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen, - und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden. Konkrete (d. h. einer diskurssemantischen Untersuchung zugrundeliegende) Textkorpora sind Teilmengen der jeweiligen Diskurse.»

50 51 52 53

54 55

56

Koch 1997, 44. Koch 1997, 59. Koch 1997, 49. Koch 1997, 49; zur deflatorischen Abgrenzung der Erscheinungen, cf. Koch 1997, 5 iss. Cf. Maingueneau 1976, 18 und 55. Coseriu 1975, 284s.: «Unter Redeuniversum verstehen wir das universelle System der Bedeutungen, dem eine Rede (bzw. ein Satz) zugehört und das seinerseits deren Wert und Sinn bestimmt. Die Literatur, die Mythologie, die Wissenschaften, die Mathematik, die Erfahrungswelt als oder des Sprechens bilden solche ». Busse/Teubert 1994, 14.

37

Die hier zu Selektionsmerkmalen funktionalisierten Charakteristika lassen sich auf die - schon von Maingueneau herausgestellten - Grundmomente der Diskurskonstitution zurückführen. Das erste Kriterium hebt auf inhaltlich-semantische Beziehungen (Sinnzusammenhänge) ab, das zweite Kriterium auf mögliche diskursrelevante Konstituierungsbedingungen, die «conditions de production» wie Zeit, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich sowie zusätzlich auf konventionelle Vertextungsformen und -traditionen (Texttypik). Das letzte Kriterium schließlich lenkt die Aufmerksamkeit auf intertextuelle Bezüge und Verweise, den «intertexte». Unter Berücksichtigung dieser diskurskonstituierenden Elemente lässt sich nun das Verhältnis zwischen Sprachsystem («langue») und «discours» in folgender Weise bestimmen: «Cependant, du strict point de vue du discours» (et non de la langue), cette conceptualisation nous permet de dire que le discours n'est pas à considérer comme un objet parfaitement homogène, qu'il est à la fois soumis aux règles de la langue naturelle, et à celles d'un système autre qui lui est spécifique. On ne peut donc pas dire que le discours crée des mots au sens nouveau, une nouvelle langue, ce qui serait évidemment absurde, mais qu'il utilise la langue en fonction de ses visées propres: le discours tisse donc des réseaux originaux à travers les virtualités de la langue.» 57

A n der Diskurskonstituierung wirken also zwei Systeme mit, das Basissystem Sprache (die «langue») sowie ein komplexes Gefüge außersprachlicher Konstituierungsbedingungen bzw. Regulative. Diese steuern den seiegierenden Zugriff auf das Sprachsystem im Sinne eines kohärenten Sprechens, eines Sprechens vor dem Horizont vorgängiger Sinn- bzw. (Be-)deutungsgefüge und traditionen. Aus der Perspektive des Diskurses betrachtet, kann man diesen wie es Maingueneau in dem Zitat tut - als eine Praxis der Instrumentierung von Sprache zur Produktion und Reproduktion von Sinn- und Bedeutungsbeziehungen im Rahmen von Texttraditionen interpretieren. Hebt man hingegen vorrangig auf die diskursrelevanten, vorgängigen oder präsupponierten Sinnbzw. (Be-)deutungsgefüge ab, so mag das letzte Erkenntnisinteresse der Diskursanalyse in folgender idealtypischer Zielsetzung beschlossen liegen: «Unser sprachwissenschaftliches Interesse an Diskursen entspringt der Absicht, die sprachlichen Manifestationen alternativer Sichtweisen und Vorstellungswelten, Gedanken- und Bedeutungsparadigmen, der epistemischen Voraussetzungen und Leitelemente, die das Thema und den Untersuchungsgegenstand bestimmen, ausfindig zu machen, zu dokumentieren und zueinander in Beziehung zu setzen.» 58

Richtet sich das Interesse der Diskursanalyse nun auf semantische Sinngefüge bzw. Bedeutungsparadigmen, so wird verständlich, warum - abgesehen von 57 58

Maingueneau 1976, 50. Busse/Teubert 1994, 18. Ganz ähnlich schon Stierle 1978, 183, der noch stärker auf die diachrone Dimension der Diskursanalyse abhebt: «Bedeutungsgeschichte als Geschichte der vom Diskurs vorausgesetzten und im Diskurs verankerten neuen Bedeutung, die ihrerseits wieder zur vorausgesetzten Bedeutung wird, ist unerlässlich für jede historische Wissenschaft, die sich auf Texte bezieht, da ihre Gegenstände auf historisch sich wandelnden Bedeutungen aufgebaut sind».

38

Aussagen und Aussagenkomplexen - besonders diskursorganisierende und kennzeichnende «Leitvokabeln», die sich zu ganzen Begriffsgefügen bzw. «semantischen Netzen» verknüpfen, im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stehen. 59 Die Diskursanalytiker lehnen dementsprechend ein naives Bedeutungsverständnis ab, demzufolge jedem Wort eine diskursunabhängige, gleichsam abstrakt-autonome Bedeutung, zugeschrieben werden könne. Damit stehen sie im Widerspruch zur idealtypischen Konzeption einer stabilen, Sprecher- und textunabhängigen «langue»-Bedeutung, wie sie vom klassischen Strukturalismus vertreten wurde: «Ceci vise seulement à mettre en cause l'idée, spontanée, selon laquelle il suffit d'ouvrir un dictionnaire pour connaître le sens d'un mot. Il faut tirer les conséquences du fait que la surface d'un discours est l'aboutissement d'une production, le résultat d'une interaction entre un certain nombre de filtres, de contraintes. Les mots ne sont pas innocents et leur présence dans un tel discours ne provient pas d'un choix libre réalisé dans une masse de possibles indifférents.» 60

Es ist nun freilich ein Manko des Diskursansatzes, ihre Kritik am traditionellen Bedeutungsverständnis nicht zu einem zusammenhängenden und anwendungsfähigen Gegenmodell ausgebaut zu haben. Vielmehr wendet sich der Ansatz grundsätzlich gegen eine Dichotomisierung der Sprache in eine «langue» und eine «parole» sowie der Untersuchungsperspektiven in eine synchrone und eine diachrone Dimension. 61 Die Diskurstheorie vertritt folglich - dies die erste Konsequenz - die Auffassung, dass sich die Bedeutung eines Wortes erst im Diskurs selber erschließt, der Diskurs also der «Ort der Ausdifferenzierung der Wörter, damit zugleich auch ihrer wechselseitigen Interpretation» 62 sei. Auf der Ebene sprachlicher Virtualität lässt sich deshalb sinnvollerweise nur von einem Bedeutungskontinuum, das von «einem noch unerschlossener Potentialität für die Semantisierung» 63 umgeben ist, sprechen. «Bedeutung» macht erst da Sinn, wo Potentialität im Kontext eines Diskurssystems» (bzw. einer Diskursform) vereindeutigt wird. 64 In solchen Überlegungen Stierles, die sich auch an anderer Stelle seiner Theorie der «Semiogenese» manifestieren, kündigen sich Vorstellungen an, die später von einer historisch interessierten Prototypentheorie in ein kohärentes Modell gebracht werden (dazu ausführlich weiter unten). Zum anderen - die zweite Konsequenz - liefert die Diskurstheorie einen plausiblen Beschreibungsansatz für den Bedeutungswandel, der die starre Opposition zwischen Statik in der Synchronie und Entwicklung in der Geschichte in einem integrativen Modell sprachlicher Dynamik auflöst.

59 60 61 62 63 64

Busse/Teubert 1994, 23. Maingueneau 1976, 54s. Cf. besonders Stierle 1978, 167. Stierle 1978, 176. Stierle 1978, 179. Stierle 1978, 178.

39

Der Diskurs (bzw. der jeweilige Diskursraum oder die entsprechende Diskurstradition) gibt den notwendigen Bedingungsrahmen, besonders aber den Ort für die Konventionalisierung des Bedeutungswandels ab, denn intentionales Sprachhandeln entfaltet sich erst auf dem Hintergrund vorgängiger, im Diskurs vorausgesetzter und durch ihn tradierter Bedeutungsgefüge (oder Sinnuniversa); 65 es kann neue Bedeutungszuschreibungen - tentativ - in den als gesellschaftliche Instanz fungierenden Diskurs einbringen, die sich im Falle einer positiven Sanktionierung durch die Diskursgemeinschaft konventionalisieren und als neue Bedeutungen (Bedeutungsnuancen) etablieren können. Der Diskurs erscheint damit in dynamischer Perspektive als eine vermittelnde Größe zwischen der «langue» und der «parole» oder in den Worten Stierles: «So entsteht im Bereich der ausdifferenzierten Diskurse der Philosophie, der Wissenschaften, der Jurisprudenz etc. eine Bewegung zwischen langue und parole, die einen eigenen semiotischen Prozess gleichsam als die innere Geschichte einer Diskursgemeinschaft hervorbringt.» 66

Die «parole» wäre danach die Ebene, auf der das sprachschöpferische Sprachhandeln des Individuums anzusiedeln wäre, der «Diskurs» der Ort des «ZurDebatte-Stehens» und der kollektiven Sanktionierung durch die Diskursgemeinschaft - soziologischer Rahmen und Instanz der Tradierung sprachlichen Wissens und seiner kontrollierten Modifizierung, die den Erfolg oder Misserfolg des sprachinnovatorischen Versuchs besiegelt. Im Falle einer günstigen Aufnahme durch die Diskursgemeinschaft stünde nun der Weg einer Diskursüberschreitung sowie einer Ausweitung auf die gesamte Sprachgemeinschaft offen, mithin der Übergang in die «langue». Der Diskurs ist aber nicht nur Manifestations- und Sanktionsort des sprachlichen Wandels, gleichsam eine symptomatische Größe, sondern er motiviert den Bedeutungswandel, erlaubt also Rückschlüsse auf seine Ursachen bzw. seine Funktion. Wieder muss dabei auf die besondere Rolle der diskursorganisierenden Wörter verwiesen werden, die das semantische Gerüst von Bedeutungsuniversa konstituieren. Stierle skizziert diesen Zusammenhang treffend unter dem Stichwort «Differenzierungsdynamik»: «Der Diskurs selbst also ist das Prinzip der Differenzierungsdynamik, an dem die Wörter des Diskurses teilhaben. Bedeutungsveränderung ist deshalb auch nie ohne Hinblick auf den Diskurs wirklich zu erfassen, in dem sie sich vollzieht. Und ebenso kann die Motivation der Bedeutungsänderung sich nur im Zusammenhang mit dem Diskurs erschließen, in dem sie sich als notwendig erweist. [...]. Es sind die tragenden diskursorganisierenden Wörter, bei denen die größte Chance der Bedeutungsveränderung besteht. [...]. Deshalb genügt es nicht, dass Bedeutungsforschung bloße Veränderung feststellt. Sie muss zu den bedeutungsgenerierenden Diskursen vorstoßen, in denen die Bedeutungsinnovation sich vollzieht.» 67

65 66 67

Cf. auch Busse/Teubert 1994, 25. Stierle 1978, 185. Koselleck 1978, 175s.

40

Diese grundsätzlichen Einsichten über die Rolle der Diskurse im Prozess des Sprachwandels konkretisiert A . Blank in einem Stufenmodell des Bedeutungswandels, das er unter Berücksichtigung des Kochschen Konzepts der «Diskurstraditionen» formuliert. Er geht dabei von der Auffassung Kochs aus, man könne «eine realistische Vorstellung vom Prozess des lexikalischen Wandels nur gewinnen [...], wenn man ad-hoc-Innovationen im Diskurs, Habitualisierung in Diskurstradition und Lexikalisierung auf einzelsprachlicher Ebene unterscheidet». 68 Blank geht zunächst von Coserius Theorie der Ebenen des Sprachlichen aus, um in einem zweiten Schritt, den sprachlichen Wandel als einen Prozess der Progression vom Individuell-Besonderen zum Allgemeinen und Abstrakten darzustellen: 69 ι. Die erste - anthropologisch-universelle - Ebene bezieht sich auf die Sprechtätigkeit bzw. das Sprechenkönnen des Menschen als ein ihn wesenhaft auszeichnendes Vermögen. 2. Auf der zweiten Ebene sind die konkreten Einzelsprachen als eigengesetzliche Systeme mit den ihnen inhärenten Kategorisierungsrastern anzusiedeln. Die «Einzelsprachen» stellen sich dabei als ein System von Subsystemen» («Diasystem») dar. 3.

Die Diskurse sind die individuellen Aktualisierungen des Sprachsystems, 70 also Erscheinungen auf der Ebene der «parole». Auf dieser Ebene ist die Bedeutung eines Wortes seine konkrete Kontextbedeutung - Resultante aus der Kommunikationssituation, dem Kontext im eigentlichen Sinne (i. e. den Sprechakt «umrahmenden» situativen Äußerungsbedingungen) und dem vorangehenden und nachfolgenden «Mittext» - sowie sein Verweis auf einen konkreten, in der Kommunikationssituation gegebenen (oder sprachlich konstituierten) Referenten.

4. Schließlich die Diskurstradition, die Blank in Anlehnung an Koch als eigenen Bereich aussondert und den er als Ebene der «konventionalisierte(n), kultur-, aber nicht einzelsprachspezifischen Text- und Diskursproduktionsregeln, denen bestimmte Versprachlichungen eigen sind (z. B. die Metaphorik der Liebeslyrik oder auch die Argumentationsregeln des universitären Streitgesprächs oder des Gebrauchtwagenkaufs)» 71 definiert. In dem Merkmal der Historizität sowie ihrem grundsätzlich konventionellen Charakter ähneln Einzelsprache und Diskurstradition einander, sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres soziologischen Bezugsradius. Denn während die Einzelsprache nur die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft umfasst, iiber68 69 70

71

Koch 1997, 59; cf. auch Koch 1994, 203-209. Blank 1997, 117; cf. Coseriu 1981, 41SS. Blank lehnt sich hier an die Diskursdefinition Coserius an, die nichts mit derjenigen gemein hat, die im Rahmen der Diskurstheorie formuliert wurde. «Diskurs» bezeichnet hier die individuelle Äußerung auf der «parole»-Ebene. Blank 1997, 117s.

41

und unterschreitet die Diskurstradition diese, je nachdem, ob ihre Bezugsgemeinschaft ein ganzer Kulturkreis oder bloß eine kulturelle Gruppe ist. So lassen sich hinsichtlich ihres «Skopus» das Gebet oder der Roman als übereinzelsprachliche Diskurstypen und - beispielsweise - Beschimpfungsrituale zwischen schwarzen und weißen Jugendlichen in den U S A als untereinzelsprachlicher Diskurstyp gegenüberstellen. 72 Blanks «Simulationsversuch» des sprachlichen Wandels geht nun davon aus, dass sich Bedeutungswandel auf mehreren Ebenen mit unterschiedlichem «sprechergruppenspezifischen» Bezugsradius abspielt. Sprachliche Innovation, die etwa auf einem Wandel der «Kenntnis der Sachen» beruhen kann, nimmt ihren Ausgang grundsätzlich in der «parole», also der konkreten Äußerung eines Sprechers, der eine neue ad-hoc-Bedeutung in die Rede einführt und diese der gemeinschaftlichen Sanktionierung unterwirft. Die Innovation kann abgelehnt werden - der wohl üblichste Fall - und bleibt damit ein einmaliger, missglückter Versuch, eventuell noch ein idiolektales Merkmal. Sie kann aber - im Sinne einer Usualisierung bzw. Konventionalisierung - eine Ebene weiter aufrücken, indem sie in eine bestimmte Diskurstradition als neue «Diskursregel» eingeht und damit die «Diskursnorm» dieser Diskurstradition modifiziert. Blank nennt diese Phase des Wandlungsprozesses auch die «Usualisierung der Innovation als Diskursregel». 73 A l s Rezipienten, Träger und Stabilisatoren dieses Wandels müssen auf der Ebene der Diskurstraditionen konsequenterweise spezifische Sprechergruppen angesehen werden. Schließlich kann die Innovation als neue Regel die Norm einer bestimmten Varietät der jeweiligen historischen Einzelsprache verändern. Dies ist nun der Prozess der «Lexikalisierung». Interessant scheint uns in diesem Zusammenhang, dass die «Lexikalisierung» - stellt man sie sich als ein «Überspringen» («spili over») diskursiver Normen in die Einzelsprache vor -vernünftigerweise als ein Vorgang nachvollziehbar ist, der zunächst Subsysteme der Einzelsprache affiziert und dann gegebenenfalls auf andere Systeme bzw. auf die Gemeinsprache übergreifen kann. Im Zusammenhang mit dem «Durchlaufen» der verschiedenen Ebenen des Sprachlichen (mit dem Diskurs als Ausgangs- und dem Sprachsystem als möglichem Endpunkt) bzw. dem unterschiedlichen Wirkungs- und Ausbreitungsradius der Innovation in Bezug auf die Sprechergruppen lässt sich sinnvollerweise auch der Terminus der «Habitualisierungsgrade» einer sprachlichen Innovation einführen. 74 Als Illustrationsbeispiel für seinen Beschreibungsansatz des Bedeutungswandels führt A . Blank die Wortgeschichte des dem politischen Wortschatz Italiens entstammende «tangente» vor: Der ursprünglich aus der Mathematik

72 73 74

Cf. Anm. 28 in: Blank 1997, 118. Blank 1997, 119. Geprägt wurde dieser Terminus von H. Lausberg ( i 9 6 0 § § 5 5 8 , 5 7 7 ) , cf. Blank 1 2 0 sowie Koch 1 9 9 4 , 2 0 3 S S . , der ihn auch in sein Metaphernmodell integriert.

42

1997,

stammende (wirtschafts-)fachsprachliche Begriff, der den Anteil (bzw. die «Quote») an einem Unternehmensgewinn bezeichnete, wurde Ende der 70er Jahre um eine neue, die aktuellen politischen Verhältnisse karikierende Bedeutung bereichert: «Tangente» wurde zum «Bestechungsgeld», mit dem man sich Vorteile etwa bei der Auftragsbeschaffung erkaufte. Alsbald kam jedoch noch eine weitere Bedeutungsfacette hinzu. «La tangente» wurde zum Synonym für die Praxis der «illegalen Parteifinanzierung». Kann man auf der Ebene des «discours» zunächst annehmen, dass irgendwann in den 70er Jahren ein korrupter Mailänder Bürokrat oder Politiker das Lexem in beschönigender Absicht zur Ersetzung des bis dahin üblichen - aber in seiner euphemistischen Wirkung verblassten - «bustarella» verwendet hatte, so wird wohl auf der nächsten Stufe das Wort «tangente» als Diskursregel in einen speziellen Diskurstyp «Bestechungsverhandlung» eingegangen und hier usualisiert worden sein (so Blanks Rekonstruktionsversuch). Mit der Thematisierung der Korruptionsproblematik in Verwaltung, Politik und Gesellschaft, habe der Begriff den Bereich der Diskurstraditionen verlassen (oder besser: habe ihn überschritten) und sei dann in die allgemeine öffentliche Sprache übergegangen und damit lexikalisiert worden. 75 Eine diaphasische oder diastratische Markierung, die dem Lexem wohl einmal angehaftet hatte, wurde endgültig abgestreift, - heute ist das Lexem ein unmarkiertes Element des politischen bzw. journalistischen (d. h. öffentlichen) Wortschatzes. Anhand dieses Beispiels deuten sich auch Anwendungs- und Deutungsmöglichkeiten des Konzepts der «Diskurstradition» für die Untersuchung der Entwicklung bzw. des Wandels des politischen Wortschatzes an. So lässt sich eine parteipolitische Wortneuprägung, die etwa von einem maßgeblichen Politiker in Umlauf gesetzt wurde («parole»-Ebene), von dem Moment an als Element einer parteispezifischen Diskurstradition interpretieren, wo sie sich zu einer gruppenverbindlichen, stabilen, zusammen mit anderen diskurstypischen Erscheinungen das parteipolitische Sprechen charakterisierenden Lexembedeutung verfestigt hat. Je nach politischer Entwicklung kann ein solches in der Diskurstradition angesiedeltes Element für alle parteipolitischen Diskurstraditionen relevant werden (also für den Diskurstyp «politischer Text» als solchen), um dann - in einer nächsten Stufe - auf die Systemebene vorzurücken, auf der es in einer bestimmten Varietät (hier dem politischen Wortschatz) lexikalisiert wird. Es kann dann eventuell auf weitere Subsysteme (etwa den mediensprachlichen Wortschatz, den Meinungswortschatz etc.) übergreifen, um gegebenenfalls in die Gemeinsprache vorzudringen. Der parteipolitische «Diskurs» (als eine bestimmte Form gruppenspezifischen Sprechens) lässt sich in der hier skizzierten Sichtweise als eine Diskurstradition (bzw. einen Diskurstyp) 76 inter75 76

Blank 1997, 128s. A. Blank verwendet teilweise auch den Terminus Diskurstyp als Synonym für Diskurstradition. Die Gebrauchsfälle lassen aber eine leichte Bedeutungsnuance erkennen, denn der Begriff Diskurstyp wird eher für die Sprachgemeinschaft unterschreitende Diskurstraditionen verwendet (cf. etwa Blank 1997, 118).

43

pretieren, da er sich durch die Merkmale der Historizität und der Konventionalität auszeichnet. Parteipolitisches Sprechen ist insofern historisch bedingt und konventioneller Natur, als die Regeln, wie über politische Sachverhalte zu prädizieren ist bzw. in welcher Weise sprachliche Äußerungen (und damit auch lexikalische Einheiten) zu verstehen sind, gruppenspezifisch ausgehandelt und für die Sprechergruppe verbindlich festgelegt werden. Gleichzeitig bewegen sich solche Festlegungen im Rahmen und vor dem Hintergrund einer bestimmten historischen Tradition des Denkens, Handelns und vor allem des Sprechens einer Partei, die von ideologiegeschichtlichen, parteigeschichtlichen und allgemeinhistorischen Einflüssen und Erfahrungen geprägt sind. Die Grundsatz-, Partei- und Wahlprogramme als Orte der gruppenspezifischen Festschreibung kollektiver Identitäten, die sich aus Geschichts- und Gesellschaftsdeutungen sowie umfassenden Ziel- und Orientierungshorizonten speisen, können in dieser Hinsicht als ideale Konkretisierungs- und Manifestationsorte parteipolitischer Diskurstraditionen gedeutet werden. 77 Mit diesen Überlegungen wären auch die Hauptquellengattungen unserer Untersuchung hinsichtlich ihres Stellenwertes und ihres systematischen Ortes im Rahmen des Koch/Blankschen Ansatzes eingeordnet. Anhand dieses Modells lassen sich zugleich auch besonders markante Phänomene der Wortschatzentwicklung im Bereich der politischen Sprache, so vor allem die Lexikalisierung von Metaphern oder die Terminologisierung und Determinologisierung von lexikalischen Einheiten, sehr gut veranschaulichen und rekonstruieren. Im Untersuchungsteil der Darstellung werden die entsprechenden Prozesse nachgezeichnet und dabei die Angemessenheit des Modells am Beispiel belegt werden. Nachdem die Diskurstheorie und die sie konstituierenden bzw. mit ihr verwandten Begriffe bestimmt und auf ihren heuristischen Wert hin abgesteckt wurden, sollen nun abschließend die charakteristischen Merkmale des politischen Diskurses als der hier in Rede stehenden Diskursgattung kurz zusammengestellt und damit der Bogen zu den Ausführungen Le Barts zu Beginn des Kapitels geschlagen werden. Der Diskurstheoretiker unterscheidet bei seinem Versuch, die Konstituierungsbedingungen des politischen Diskurses vollständig zu beschreiben, zwei grundsätzliche Kategorien diskurssteuernder Generierungsprinzipien, die er als «contraintes» bzw. «instances» bezeichnet. Dies sind zum einen die «Produktionsbedingungen» unterschiedlichen Allgemeinheitsgrades, die «déterminants micro-» und «macrosociaux» (I), zum anderen die invarianten Bedeutungsstrukturen bzw. Grundmotive (Topoi) 78 des sich im Diskurs entfaltenden Bedeutungsuniversums (II). Formale, den Diskurstypus

77 78

C i dazu auch die Ausführungen zu unserem Textkorpus in der Einleitung. Le Bart spricht in diesem Zusammenhang von «les lois d'un genre» bzw. in Anlehnung an Roland Barthes (1957) von einer «trame narrative fondamentale». Cf. Le Bart 1998, 68s.

44

bzw. die Textgattung kennzeichnende Merkmale, arbeitet Le Bart jedoch bedauerlicherweise nicht heraus. (I) Die «déterminants micro-» und «macrosociaux»: Die umfassendsten, ihrem Wesen nach allgemeinsten «Produktionsbedingungen» des politischen Diskurses sind die makrosoziologischen Determinanten (I a), die zugleich den gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsrahmen und die medialen Kommunikationsbedingungen umfassen. Im einzelnen sind dies: ι. Die politischen und sozialen Systembezüge («les systèmes politiques», «les systèmes sociaux»), also jene grundlegenden Faktoren, die die Diskurstheoretiker der 70er Jahre (Maingueneau, Pêcheux) auf Begriffe wie «conditions socio-historiques» oder «formation idéologique» gebracht hatten, die jetzt jedoch ihren ideologischen Status einbüßen und zu allgemeinen sozialwissenschaftlichen Bezugsgrößen umformuliert werden. 2. Die «modes de communication», d.h. die durch die Kommunikationsmedien auferlegten Regeln bzw. Konventionen, aber auch charakteristische Kommunikationsformen/-gattungen. 79 Der wohl wichtigste Ort des politischen Diskurses ist in der heutigen «Kommunikationslandschaft» wohl das Fernsehen mit seinen eigenen Genres (wie etwa der «talk-show» oder dem Rededuell) und Kommunikationsregeln, die sich etwa im «discours attrapetout» oder der verkürzten, sich assoziativ entfaltenden Argumentation niederschlagen.»80 Als konkretere - die einzelnen Sprecher und ihren sozialen Status betreffende - diskursregulierende Größen («déterminants microsociaux») macht Le Bart die folgenden Faktoren (I b) fest: ι. «L'origine et la trajectoire sociales (du personnel politique)», d.h. die besonderen Sozialisationsbedingungen und das soziale Profil der politischen Akteure, die aufgrund ihrer Gruppenmerkmale nicht umsonst von der «vox populi» gerne als «politische Kaste» bezeichnet werden. 2. «Les clivages politiques»: die Aufspaltung in verschiedene politische Lager, also die insbesondere ideologiebedingte parteispezifische Differenzierung des politischen Diskurses und nach Le Bart wohl wichtigste Variable für die Spezifik politischer Diskurse. 81 Die interne Struktur der jeweiligen Parteien sowie die Homogenität und die Starre ihrer ideologischen Bezugssysteme bestimmen die Auswahlmöglichkeiten des einzelnen Sprechers bei der Konstituierung des (partei-)politischen Diskurses. 79

80 81

Zur Charakterisierung der einzelnen für die Massenkommunikation bestimmten Medien cf. Martínez Arnaldos 2001. Bedingungen und Merkmale der Massenkommunikation sowie ihre Auswirkungen auf die Auswahl sprachlicher Verfahren («Versprachlichungsstrategien») arbeitet insbesondere Lebsanft 2001 heraus. Le Bart 1998, 19SS. Le Bart 1998, 31.

45

Im Zusammenhang mit den «clivages politiques» hat auch die von O. Reboul entwickelte Theorie der Ideologie 82 bzw. des ideologischen Sprechens ihren Platz: Ideologien, so der Diskurstheoretiker, segmentieren das Sprachsystem in mehrere «sous-codes»83 und manifestieren (bzw. «organisieren sich») in zusammenhängenden, mehr oder weniger kohärenten Diskursen. Die Ideologie zeichnet sich durch fünf grundlegende, als Definiens fungierende Kriterien aus: Sie ist parteilich (i) («elle appartient à une communauté limitée, elle est partiale dans ses affirmations et polémique à l'égard des autres»), sie ist - um mit Berrendonner 84 zu sprechen - eine «on-vérité» (2) («Elle est une pensée anonyme, un discours sans auteur: ce que tout le monde croit sans que personne le pense»), sie verschleiert ihren wahren Charakter (3) («On peut donc retenir de Marx que l'idéologie est une pensée qui se prétend autonome alors qu'elle dépend à son insu de facteurs antérieurs, extérieurs à la pensée»), sie täuscht Rationalität vor (4) («Et pourtant, toute idéologie se prétend ellemême rationelle») und schließlich steht sie im Dienste der Macht (5) («Une pensée au service du pouvoir»). Das Hauptmovens der Ideologie liegt aber nach Rebouls Auffassung in ihrem Täuschungscharakter begründet. Symptomatisch zeigt sich dies an einem «falschen Spiel» der sprachlichen Funktionen: scheinbar dominante Evidenzfunktionen der Kommunikation verschleiern die eigentlich wirksamen Latenzfunktionen.85 3. Die Rollen, der Status sowie die Funktionen der Sprecher im Bereich der Politik: So besteht grundsätzlich ein Gegensatz zwischen Regierungs- und Oppositionsfunktion, zwischen Nähe und Distanz zur Macht (örtlicher Bürgermeister - Staatspräsident), daneben wirken auch unterschiedliche politische Funktionen (die Rolle als Abgeordneter, Regierungschef, «moderierender» Staatspräsident) in sprachlicher Hinsicht regulativ. 4. Die konkrete politische Situation («la conjoncture politique»): Einflussfaktoren wären hierbei etwa der durch turnusmäßige Wahlen abgesteckte äußere Zeitrahmen sowie die im Prozess des «agenda-building»86 auf die politische Tagesordnung gesetzten Diskussionsinhalte.

82

83

84 85

86

Zum Ideologiebegriff und insbesondere dem Konzept der «formation idéologique», cf. Pècheux 1971, 102s. und Schöttler 1989, 96SS. Zusammenfassend Reboul 1980, 40: «Toutefois, l'individu n'est pas libre d'utiliser sa langue pour dire ce qu'il veut dire et comme il le veut dire; il est conditionné à préférer tel terme, telle tournure, telle signification, et à en éliminer d'autres. [...]; il vient de ce que j'ai nommé le sous-code idéologique. Une même langue peut comporter plusieurs sous-codes: catholique, marxiste, etc., et ces mêmes sous-codes peuvent se retrouver dans des langues différentes». Berrendonner 1 9 8 1 , 4 0 S S . Cf. die Zitate in: Reboul 1980, 23s.; zur Interpretation ideologischen Sprechens als ein Überlagerungsphänomen von «Evidenz»- und «Latenzfunktion», cf. die zusammenfassende Übersicht in: Reboul 1980, 210. Le Bart 1998, 42.

46

(II) Als die das semantische Universum des Diskurstyps determinierenden Grundmotive bzw. diskursspezifische Topoi nennt Le Bart: ι. Die Schaffung einer einfach strukturierten, möglichst kohärenten Vorstellung (bzw. Sicht) von der sozialen «Wirklichkeit» («la mise en transparence du social»): a) «Le travail de classification»: Der politische Diskurs klassifiziert Personen, Dinge, Institutionen, Ereignisse, soziale Bewegungen, Diskurse; er schafft einfache, oftmals auf kontradiktorischen Oppositionen beruhende Taxonomien (Ordnung/Unordnung, öffentlich/privat etc.), die meist in einem bipolaren, nur nach «gut» und «böse» aufgeteilten Wertungsfeld stehen. 87 Damit trägt der Diskurs maßgeblich zur Schaffung der sozialen Wirklichkeit bei, indem er sie sprachlich konstruiert. 88 b) «Le travail d'explication»: Der politische Diskurs erklärt die sozialen Phänomene (bzw. die soziale Wirklichkeit) zum einen dadurch, dass er an den «common sense» appellierend - komplexe Zusammenhänge der Realität auf das Handeln von Personen (metonymische Übertragung) und das Wirken naturhafter oder naturgleicher Kräfte (Naturmetaphern) zurückführt. Zum anderen macht er Anleihen bei den Diskursen der Gesellschaftswissenschaften, um sich Respektabilität zu verschaffen. 89 2. Die Legitimierung der Rollen der politischen Akteure und ihres politischen Handelns sowie der den Rahmen vorzeichnenden Institutionen und Strukturen. 3. Die Vermittlung der Überzeugung, dass die soziale «Wirklichkeit» regierbar ist, die politisch Handelnden die Macht haben, diese «Wirklichkeit» nach ihren Vorstellungen und Zielen zu gestalten, mitunter politische Macht real ist («discours de puissance» und «discours de maîtrise du social»). 90 4. Die Schaffung von Identitäten: die im Diskurs geleistete Differenzierung in eine Eigengruppe («nous») und eine oder mehrere «Fremdgruppen» («ils»), die im Hinblick auf die anvisierten Hörer als Mitglieder tatsächlicher oder potentieller (und eben auch diskursiv konstituierbarer) Gruppen vorgenommen wird. Die Klassifikation und Wertung der sozialen Wirklichkeit durch zumeist binär und bipolar strukturierte Taxonomien und die damit einhergehende Ausbildung von Identitäten, die Fiktion einer unbegrenzten Gestaltungsmacht der politischen Akteure und schließlich die hieraus erwachsende Legitimation für politisches Handeln können als ein grundlegender Sinnzusammenhang betrachtet werden, als Sinnhorizont der politischen Einzeldiskurse und der in ihnen stattfindenden aktuellen Sinnkonstituierung - und zwar im Fokus konkreter Umstände und taktisch-strategischer Zielsetzungen. 87 88 89

Le Le Le Le

Bart Bart Bart Bart

1998, 72. 1998, 117. 1998, 7 3 S S . 1998, 84s. 47

Ein Ergebnis der Untersuchung der politischen Sprache und ihrer Verwendung im politischen Diskurs Spaniens muss denn auch in der Freilegung und Bestimmung diskursprägender Charakteristika, insbesondere wiederkehrender sprachlicher Motive und Topoi bestehen. Über die allgemeinen und die besonderen «Produktionsbedingungen» des politischen Diskurses informiert der historische Abriss bzw. die Erläuterungen zu den einzelnen «diskursorganisierenden» Schlüsselbegriffen. Z u berücksichtigen sind als «Produktionsbedingungen» auch Aspekte des öffentlichen Sprachbewusstseins wie sie in umfassender Weise von Franz Lebsanft 91 untersucht worden sind. Entscheidend ist im Rahmen der Untersuchung aber eben auch die Integration der diskurstraditionellen Perspektive, also die Frage nach dem Einfluss von Diskurstraditionen auf die gegenwärtige Ausgestaltung politischen Sprechens und dabei insbesondere auf das «Funktionieren» des politischen Kernwortschatzes, seine Struktur und sein Bedeutungspotential. Unser Augenmerk richtet sich folglich ebenso auf toposartige Wortkombinationen, formelhafte Versatzstücke, kohärente sprachliche Konzeptualisierungsweisen (insbesondere im Bereich der Metaphorik) wie auf Schlüsselbegriffe im Rahmen ihrer Wort- und Texttraditionen. Wir haben in diesem Kapitel das Phänomen «politische Sprache» in den Kontext der Diskursanalyse eingeordnet und die Vorstellungen und Deutungsansätze der Diskurstheorie auf ihren Erklärungswert hin untersucht. Dabei erwies sich die Fähigkeit des diskurstheoretischen Ansatzes, die politische Sprache in ein zusammenhängendes Deutungsmodell zu bringen als ebenso schlüssig wie die Interpretation von Bedeutungsvarianzen als diskursabhängig. Auch ließ sich auf sehr glückliche Weise die synchrone und diachrone Perspektive in ein ebenso integratives wie dynamisches Erklärungsmodell fassen. Freilich gelang es der Diskurstheorie nicht, ihre radikale Infragestellung des strukturalistischen Bedeutungsansatzes in eine zusammenhängende neue Bedeutungstheorie einmünden zu lassen, geschweige denn ein anwendbares Beschreibungsmodell von Wortbedeutung und Bedeutungsbeziehungen zu formulieren. Im besten Falle anempfiehlt die Diskurstheorie hier Anleihen bei der Terminologie der «klassischen» Lexikologie. In der mangelnden Operationalisierbarkeit ihres Bedeutungsverständnisses für die praktische semantische Analyse liegt sicherlich eines ihrer Hauptdefizite beschlossen. 92

f 92

Cf. Lebsanft 1997. Maingueneau stellt im wesentlichen die von Dubois entwickelte lexikologische Terminologie vor und bereichert sie um das Kriterium «geschaffener» versus «im Sprachsystem angelegter» Bedeutungsrelation. Cf. Dubois 1962, i88ss. sowie Maingueneau 1976, 56SS.; weitere mögliche Ergänzungen in der Übersicht bei Blumenthal 1983, 21.

48

ι.4

K o g n i t i v e S e m a n t i k u n d politische S p r a c h e

Die Diskursanalyse war im Rahmen ihrer «hermeneutisch-verstehenden» Analyse von Bedeutungszusammenhängen auf eine Vielzahl «kognitiver» Aspekte gestoßen, die sie zwar in ihren Deutungsansatz integrieren, nicht aber zu einem neuen Bedeutungsmodell synthetisieren konnte. Le Bart hatte die Klassifikationsleistung des politischen Diskurses sowie seinen konstitutiven Charakter bei der Wirklichkeitskonstruktion hervorgehoben. 93 Busse/Teubert verwiesen auf die Gedanken- und Bedeutungsparadigmen als den «présupposés» von Diskursen. 94 Besonders weit näherten sich Stierles Antizipationen einem kognitionssemantischen Denken an. Die Bedeutung auf der «langue»-Ebene wurde von ihm als ein Kontinuum mit einem radialen «Hof» entfaltbarer Bedeutungspotentialität gedeutet; die Wortbedeutung im Rahmen des Diskurses sogar als Resultante eines Kategorisierungsprozesses aufgefasst. Das Wort im Rahmen des Diskurses erscheint bei Stierle als «Regel, die eine Erfahrung einer Klasse von Erfahrungen zuweist», als Reservoir von «Sortierungsbedingungen», schließlich als «sprachlich-kategoriale Hinsicht». 95 Der Philologe betont außerdem die «Ordnungspotenz der Wörter und Begriffe» als ein historisches Faktum, dem im Rahmen einer hermeneutischen Theorie Rechnung getragen werden müsse.96 Diese Gedanken werden uns in D. Geeraerts diachronischer Prototypensemantik 97 - freilich in einer eigenen Diktion - wieder begegnen. Welches sind nun aber die neuen Impulse der kognitiven Semantik, die auch im Rahmen unserer Untersuchung von Interesse sind? Wenigstens drei grundlegende Aspekte der kognitiven Semantik müssen im Zusammenhang mit den Fragestellungen und Untersuchungsperspektiven unserer Studie genannt werden: ι. Die Rehabilitierung der Wortsemantik und ihre Konkretisierung in einem neuen, sehr viel komplexeren Bedeutungsmodell. 2. Ein «enzyklopädisches» Bedeutungsverständnis, das Wortbedeutung als «ins Profil» und «in Perspektive» gebrachte Ausschnitte von Wissensnetzwerken interpretiert. 3. Die Prototypentheorie (in ihrer synchronen und diachronen Ausrichtung), die sich als eine Theorie der sprachlichen Kategorisierung und der Prinzipien der internen Organisation sprachlicher Kategorien versteht. Zunächst zum ersten Aspekt: Gegen den «Bedeutungsskeptizismus» des auf Wittgenstein zurückgehenden gebrauchstheoretischen Ansatzes, 98 demzufolge 93 94 95 96 97 98

Cf. Anmerkung 189 Cf. Anmerkung 161 Cf. die Ausführungen in: Stierle 1978, 172 und 174. Stierle 1978, 184. Dazu weiter unten besonders Geeraerts 1997. Ausführlich zu Wittgenstein, cf. Busse 1987, 115SS.; zusammenfassend zum gebrauchstheoretischen Ansatz: Fernández González 4 i984, 40 und Ulimann 1973, 82.

49

«Bedeutungen» weder reale noch homogene Entitäten sind," konnte die kognitive Semantik plausible Argumente 100 dafür anführen, dass «Wortbedeutungen» als kognitive Größen durchaus reale, auf psychologischer Evidenz beruhende Erscheinungen darstellen, sie nämlich im mentalen Lexikon gespeicherte, an sprachliche Formen gebundene geistige Einheiten sind, die - wie eng auch immer 101 - mit den Bausteinen unseres Wissens (den Konzepten) zusammenhängen. Auf der Grundlage der epistemologischen Voraussetzungen des kognitionssemantischen Bedeutungsparadigmas entwickelte A . Blank ein umfassendes, die verschiedenen Bedeutungsaspekte berücksichtigendes Beschreibungsmodell der Wortbedeutung. «Bedeutung» versteht A . Blank als die «linguistische Abstraktion aus der psycholinguistischen Annahme der unterschiedlichen Wissensrepräsentationen». 102 «Unter verstehe ich also», so Blank weiter, «eine aus dem Wissen abgeleitete Metaebene der semantischen Beschreibung für das jedem Sprachbenutzer in mehr oder weniger starkem Umfang mögliche 7i 9 9 5 , 70SS. u . 1 2 4 S S .

Die verschiedenen Positionen zur Frage nach dem Verhältnis von Konzepten und Bedeutungen (Identität oder Verschiedenartigkeit) schlagen sich in der Konzeption einer Ein-, Zwei- oder Drei-Stufensemantik nieder. (Cf. dazu Schwarz 1 9 9 2 , 98SS. sowie Schwarz ^1995, 52). Blank 1997, 92. Blank 1997, 93. Schwarz 2 i995, 13.

50

dichten, das im weiteren die Grundlage für eine differenzierte semantische Analyse bildet. 105 Auf diese Weise entsteht ein Doppelmodell, das die Ebenen des Wissens und die korrespondierenden Ebenen der Bedeutung miteinander verzahnt. Die Korrespondenzen zwischen den Ebenen des Wissens und den aus der linguistischen Abstraktion gewonnenen Ebenen der Bedeutung stellen sich wie folgt dar: 106

(Abbildung aus: Blank 1997, 95)

Dem einzelsprachlich-sememischen Wissen (I) entspricht das Semem (1). D e m einzelsprachlich-lexikalischen Wissen (II) sind die externe Wortvorstellung (2a), die interne Wortvorstellung (2b) und die syntagmatischen Relationen (2c) zugeordnet. Dem außersprachlichem Wissen (III) die Konnotationen (3a) und das Weltwissen (3b). Den Kern des Modells bildet die Ebene (I), das die Summe der als einzelsprachlich geprägten semantischen Merkmale umfasst und damit die der strukturellen Semantik eigene Vorstellung von der Wirklichkeitsstrukturierenden Hinsicht der Einzelsprache in das Modell integriert. Die Ebene (II) umfasst den Bereich des einzelsprachlich-lexikalischen sens, d. h. alle Informationen, die sich

Wis-

a) auf die Stellung des Wortes innerhalb des sprachlichen Gesamtsystems, also seine diasystematische Markierung («externe Wortvorstellung»), b) auf seine lexikologischen Beziehungen zu morphologisch oder semantisch verwandten Wörtern («interne Wortvorstellung») und 105 106

Cf. Blank 1997, 94. Ebenda.

51

c) Kombinationsmöglichkeiten auf der syntagmatischen Ebene («syntagmatische Relationen»), beziehen.»"* 7 A l s dritten großen Bereich (III) des semantischen Wissens gliedert Blank das «außersprachliche» Wissen aus, das in die Konnotationen und das Weltwissen zerfällt. Bei dem Weltwissen handelt es sich um das sogenannte enzyklopädische Wissen, d.h. die Kenntnis der «Sache», die ein Wort bezeichnet. Diese Kenntnis charakterisiert Blank näher als übereinzelsprachlich, kulturabhängig, von «bestimmten historisch-kulturellen Kontexten, oder •(Texttraditionen) geprägt». 108 Die Konnotationen, ein in der linguistischen Literatur bisweilen inflationär 1 0 9 gebrauchter «passe-par-tout»-Begriff wird von Blank im Anschluss an Blumenthal 1 1 0 auf einen klar umrissenen Kernbereich zurückgeführt, gleichsam konzeptuell «domestiziert», und bezeichnet nur noch diejenigen gefühlsmäßigen, auf Wirklichkeitserfahrungen beruhenden «Assoziationen zu einem bestimmten Gegenstand oder Sachverhalt», die kollektiver Natur sind, also gesellschaftlichen bzw. kulturellen Charakter besitzen. 1 1 1 Blanks Modell der Wortbedeutung verbindet auf glückliche Weise zwei grundlegende A s p e k t e wortgebundenen Wissens miteinander. Auf der einen Seite «sprachsystematisches» Wissen und auf der anderen Seite sprachinduziertes «Hintergrundwissen». Was jedoch in dem Modell fehlt, ist die Einlösung eines von verschiedener Seite geäußerten Desiderats, nämlich die Integration pragmatischer Aspekte in die Bedeutungsbeschreibung. 1 1 2 Blank trägt zwar mit der «internen Wortvorstellung» (diasystematische Markierung) und dem Weltwissen Aspekten Rechnung, die in pragmatischer Hinsicht von Belang sein können, doch das pragmatische Moment, eine Regel also, die das usuelle wann und w o des Wortgebrauchs - die situative Konstellation, die Handlungsfunktion, den Gruppenund Interessensbezug - formuliert, fehlt als eigener Gesichtspunkt in dem Modell. Hier wäre mitunter die Einführung einer Kontextregel, wie sie etwa von Armin Burkhardt im Rahmen seines Beschreibungsansatzes vorgeschlagen w u r d e , " 3 sinnvoll, die der Tatsache Rechnung trägt, dass die Sprecher sehr 107 108 109 110

111 112

113

Hierunter fallen auch die Kollokationen, cf. dazu Hausmann 1 9 8 4 , 398SS. Blank 1997, 73. So der Hinweis bei Blumenthal 1983, 95. Blumenthal 1983, 103 interpretiert jedoch die Konnotation als Erscheinung der «parole», wohingegen sie für Blank ein Teilaspekt der «langue»-Bedeutung des Wortes ist. Zum ursprünglich weit gefassten Konnotationsbegriff, cf. Erdmann 1925, 112. Cf. Schmitt, in: Hoinkes/Dietrich 1997, 117 und 120s., der in seinem Beitrag betont, dass die systematische Erfassung und umfassende Beschreibung rekurrenter Einschränkungen des Zeichengebrauchs zu den Aufgaben des Semantikers gehört. Unter anderem sei der gruppen- und interessensorientierte Gebrauch von Lexemen bei der systematischen Beschreibung ihrer Bedeutung mit zu verzeichnen. Wir präferieren also Blanks Ansatz für unsere Untersuchung, da dieser elaborierter

52

wohl eine Vorstellung davon besitzen, in welchen kommunikativen Kontexten ein Wort üblicherweise verwendet wird. 114 Blanks Interpretation der Bedeutung als einer abstrahierenden, spezifisch linguistischen «Hinsicht» auf mental repräsentiertes Wissen stellt einen eher indirekten Zusammenhang zwischen der Bedeutung als linguistischer Erscheinung und dem Wissen als grundlegender Bezugsgröße der Kognition her, der Übergang von dem einen zum anderen Phänomen vollzieht sich über einen abstrahierenden Perspektivenwechsel. Einen direkten Zusammenhang postuliert dagegen die Kognitionssemantik, die Bedeutungen als «geistige Einheiten, die an sprachliche Ausdrücke geknüpft sind und Informationen über die Welt abspeichern» 115 definiert und die Sprache als ein «repository of world knowledge, a structured collection of meaningful categories that help us deal with new experiences and store information about old ones» 116 auffasst. Im Paradigma der Kognitionssemantik wird damit mindestens die starre Grenze zwischen enzyklopädischer und semantischer Information (so bei Geeraerts) 1 1 7 verwischt, sofern sie nicht völlig zugunsten eines rein enzyklopädischen Bedeutungsverständnisses aufgelöst wird (wie in Langackers Interpretation). 118 Damit kommen wir zum zweiten Aspekt. Für Langacker und andere Kognitionslinguisten wie Fillmore sind sprachliches Wissen und enzyklopädisches Wissen nicht qualitativ Verschiedenes. Im Gegenteil, es ist unser enzyklopädisches Wissen, das sprachlich kodiert wird. Und umgekehrt setzt das Verständnis sprachlicher Einheiten ein umgebendes Netz enzyklopädischer Rahmenoder Hintergrundinformation (sogenannte «frames») voraus." 9 So tritt die Bedeutung von «Vater» und «Sohn» erst vor dem Hintergrund von Wissenskontexten wie «Verwandtschaft» bzw. «Elternschaft» sowie den damit verbundenen sozialen Funktionen und Institutionen (wie etwa der Ehe) deutlich hervor. Langacker präzisiert diese Grundüberlegungen Filimores anhand einiger zusätzlicher terminologischer Unterscheidungen. Er bezeichnet den für das Verständnis einer lexikalischen Einheit (in seiner Terminologie: eines Prädikats) notwendigen Wissenshintergrund als «konzeptuelle Basis». Sie besteht

114

115 116 117 118 119

und zudem kognitionssemantisch akzentuiert ist. Cf. demgegenüber den Ansatz Burkhardts (1991). Ähnlich die Argumentation Burkhardts (1991,7ss.) für die Integration einer pragmatischen Komponente in ein geeignetes Modell der Bedeutungsbeschreibung: «[...] weil ich mich auf den Standpunkt stelle, dass Bedeutung das ist, was ein Sprecher weiß, wenn er gelernt hat, ein Wort richtig zu verwenden, dass sie seine Kenntnisse über das Wort selbst, über seine Funktion oder das durch es Bezeichnete und über Kontextbedingungen umfasst, darum rechne ich die Gebrauchsrege/n zur Bedeutung». [Hervorhebungen im Originaltext]. Schwarz/Chur 1993, 15. Geeraerts 1997, 8. Geeraerts 1997, 19. Langacker 1 9 8 7 , 1 5 5 S S . ; Chambreuil 1 9 9 8 , 3 8 7 . Zur Abgrenzung Filimores gegenüber der traditionellen Vorstellung von einer «sprachlichen Zwischenwelt», siehe Fillmore 1985, 229s.

53

ihrerseits aus einer Reihe sogenannter «kognitiver Domänen», d.h. einem offenen Netz der für die Charakterisierung des Prädikats erforderlichen (bzw. vorausgesetzten) Kenntnisbereiche und der dazugehörigen Konzepte. Nicht alle mit einem Prädikat assoziierten Bereiche sind dabei gleichermaßen bedeutsam für seine Charakterisierung: Sie unterscheiden sich vielmehr im Grade ihrer «Zentralität», also ihrer Relevanz für die Aktivierung und «Profilierung» von Wortwissen in konkreten Sprechkontexten. Die Zentralität von Informationen einer Domäne hängt davon ab, wie charakteristisch sie für das Prädikat, wie konventionell sie für die Sprachgemeinschaft und wie inhärent (= intrinsisch) sie dem Prädikat ist. 120 Dementsprechend wird der für die Charakterisierung eines Prädikats zentrale Kenntnisbereich als «primäre Domäne» bezeichnet. 121 Mit dem Konzept der «Zentralität» führt auch dieser Ansatz ein Kriterium für die Gewichtung und Diskriminierung von Information ein. Information erlangt dann linguistische Relevanz, kann nur dann als «Teil der Bedeutung einer lexikalischen Einheit» betrachtet werden, wenn sie von dem Gros der Sprechergemeinschaft geteilt wird. 122 Interpretiert man die Beziehungen zwischen lexikalischer Einheit und dem mit ihr verbundenen Wissensnetzwerk nun aus letzterer Perspektive, so erscheint das Prädikat als Profil («profile»), das sich gegen das umgebende Netzwerk abhebt. Zugleich bringt es einen Wissensausschnitt in eine bestimmte Perspektive. So beleuchten beispielsweise die Verben «kommen» und «gehen» die Informationen eines Wissensausschnittes (hier etwa «zielgerichtete Fortbewegung») in unterschiedlicher Weise, d.h. sie «perspektivieren» die Zusammenhänge von verschiedenen Blickpunkten (sogenannten «vantage points») aus. 123 Wird eine lexikalische Einheit nun in der konkreten Rede verwendet, so sorgen der sprachliche Kotext, der außersprachliche Kontext (situative Faktoren) und die gemeinsamen enzyklopädischen Kenntnisse der Kommunikationsteilnehmer für die Aktivierung ganz spezifischer Informationsbereiche, die als «aktivierte Domäne» bezeichnet werden. 124 Spätestens hier zeichnen sich der deskriptive Nutzen und die Explikationsfähigkeit kognitiver Überlegungen für die Untersuchung des politischen Wortschatzes ab. Der Ansatz enthebt den Sprachforscher der - zumindest für den politischen Wortschatz - oftmals schier unlösbaren Aufgabe, sogenanntes «sprachliches Wissen» von - möglichst aus der Beschreibung auszuschließendem «außersprachlichem» oder «enzyklopädischem» Wissen zu trennen. Im Verlaufe unserer Untersuchung wird vielmehr deutlich werden, dass es nicht nur Chambreuil 1998, 387s. Langacker 1987, 165. 122 Cf. Langacker 1987, 159: «A specification achieves linguistic significance, and can be regarded as part of the meaning of a lexical item, only to the extent that it is shared by a community of speakers». 123 Fillmore 1985, 238. 124 Chambreuil 1998, 390. 120 121

54

unmöglich ist, zwischen diesen Bereichen klare Grenzen zu ziehen, sondern dass ein umfangreiches enzyklopädisches Hintergrundwissen nicht nur für das Verständnis der untersuchten lexikalischen Einheiten unerlässlich ist (in denotativer und erst recht in konnotativer Hinsicht), sondern auch den notwendigen und oftmals motivierenden Horizont für Bedeutungsveränderungen abgibt. Des weiteren lässt sich der umfassend interpretationsfähige, aber eher abstrakt gebliebene Diskursansatz auf eine neue, empirisch besser fassbare Deutungsgrundlage stellen. Diskurse - verstanden im umfassenden Sinne - sind nun dadurch gekennzeichnet, dass sie Wissensnetze in einer spezifischen Weise konfigurieren und in einer charakteristischen Weise aktivieren. Die hierbei in Anschlag gebrachten Wissensdomänen sind nicht nur inhaltlich-semantischer («propositionaler») Natur, sondern sie betreffen auch pragmatisches Wissen über situative bzw. kontextuelle Zusammenhänge, also über das, was die Diskursanalyse mit dem Terminus «conditions de production» umschrieben hat. Des weiteren gehört auch metatextuelles Wissen zu den diskursrelevanten A k tivierungsdomänen, Kenntnisse also über die formale und inhaltliche Gestaltung relevanter Vertextungs- bzw. Diskurstypen sowie über deren Traditionen. Gerade in diskurstheoretischer Hinsicht besitzt die Frage nach der Perspektivierung eine wesentliche Rolle. Die Auswahl sprachlicher Informationseinheiten stellt sich als eine charakteristische Zugriffsweise auf geschaffene Informationsnetze dar. Lexikalische Differenzen in unterschiedlichen Diskursen (oder Diskurstypen) können als konkurrierende Formen des Zugriffs gedeutet werden. Sie «profilieren» unterschiedliche Aspekte (Informationen) einer Domäne und/oder «perspektivieren» sie in einer je eigenen Weise. Der Bedeutungsbegriff des kognitionssemantischen Ansatzes umfasst schließlich auch nicht Beliebiges und prinzipiell Unendliches. A l s für die Bedeutung relevant angesehen werden nur jene Informationen, die von den Mitgliedern der Sprach- (oder Diskurs)gemeinschaft als zentral bewertet werden. Solche zentralen Informationen machen - wie sich im Untersuchungsteil zeigen soll - die Sprecher oftmals auch explizit. Mit den Gedanken zur «perspektivischen Natur» 125 von Bedeutung gelangen wir schließlich zum dritten Punkt unserer Ausführungen: Der Prototypenansatz ist in unserem Zusammenhang nur in seiner Neufassung in der sogenannten erweiterten Version, d. h. - in der Lesart G. Kleibers - als ein Motivationsmodell der Polysemie und ein Sammelbegriff für prototypische Effekte, nicht jedoch als eine Theorie der internen Kategorienorganisation, von Interesse. Auch Geeraerts diachroner Prototypenansatz neigt tendenziell eher der neueren Ausrichtung zu, obwohl bei ihm - anders als in Kleibers dichotomischer Außenperspektive - beide Lesarten harmonisch nebeneinander stehen. Für unsere Untersuchung des politischen Wortschatzes und seiner Entwicklung lässt sich insbesondere der gewichtende Bedeutungsbegriff (so die inten125

So Geeraerts 1997, 8.

55

sionale Lesart) bzw. die Vorstellung von nach Typizitätsgraden abgestuften Anwendungsfällen (extensionale Deutung) analytisch nutzbar machen. 126 Grundlegend ist hierbei ein radiales Bedeutungskonzept, das die Bedeutung eines Wortes als ein Kontinuum mit einem Kernbereich (= Bedeutungszentrum oder Prototyp) und einem - durch das Similaritätsprinzip organisierten Randbereich (= Bedeutungsnuancen) auffasst. Dieser Bedeutungsstruktur entspricht eine Semstruktur, bei der die den Zentralbereich konstituierenden Bedeutungsmerkmale typischer (prominenter) und - diachron betrachtet - stabiler sind als diejenigen, die den Randbereich ausdifferenzieren. 127 Schließlich lassen sich prominentere und weniger prominente Anwendungsfälle 128 - die zentraleren und marginaleren Instantiierungen von prototypisch organisierten lexikalischen Kategorien unterscheiden. So ist die Anwendung eines Wortes auf eine Sachverhaltsklasse üblicher (typischer) als auf eine andere. Dies kann sich sprachlich in den Kollokationseigenschaften eines Wortes - prototypisch gedeutet auf die mehr oder weniger üblichen Kombinationsmuster auf der syntagmatischen Ebene - manifestieren. Diese Sichtweise deckt sich mit einigen in der revidierten Version der Prototypentheorie zusammengestellten prototypischen Effekten. So nennt Fillmore in seiner Klassifikation verschiedener Arten von Prototypen unter anderem auch den Fall des prototypischen Verwendungskontextes von Lexemen, etwa des englischen «decedent» in erbrechtlichen Zusammenhängen. 129 Lakoff/Johnson' 3 ° machen ihrerseits auch sogenannte «ICMs» («idealized cognitive models») für Prototypikalitätseffekte verantwortlich. Es handelt sich hierbei um präsupponiertes, als idealtypisches Rahmenmodell organisiertes Hintergrundwissen, vor dem sich reale Anwendungsfälle nach dem Grade ihrer Typizität abstufen können. 131 Ähnlich wie ICMs funktionieren auch soziale Stereotypen. Das soziale Stereotyp repräsentiert die beste Unterkategorie im Verhältnis zu konkurrierenden, aber eben nachrangigen Alternativen. So ist die «house-wife-mother» ein

126

Geeraerts Darstellung liegt im wesentlichen eine semasiologische Perspektive zugrunde (cf. Geeraerts 1997, 17). Ein onomasiologisches Vorgehen, das zur Bezeichnung eines Konzepts in Frage kommende, konkurrierende Bezeichnungskategorien nach dem Grade ihrer Prominenz klassifiziert, wäre natürlich ebenso denkbar. Vereinzelt entscheidet sich Geeraerts auch für diese Deutungsrichtung (1997, 44).

127

Geeraerts 1997, 60s. Geeraerts (1997, 169 u. 171) spricht von «kind of usage», «range of application» (extensionale Deutung) sowie von «more or less prominent » (intensionale Lesart). Fillmore 1982, 34 mit Interpretation in: Kleiber 1990, 167. Lakoff/Johnson 1987, 68. So präsupponiert das Konzept «Junggeselle» («bachelor») ein idealisiertes Modell der gesellschaftlichen Institution «Ehe» und führt zu einer Typizitätsskala für Anwendungsfälle wie «unverheirateter Mann in fortgeschrittenem Alter», «Witwer», «Homosexueller», «Papst». C£ Lakoff/Johnson 1987, 70s.

128

129 130 131

56

besserer Vertreter der Kategorie «mother» als die «working-mother», so zumindest in der Deutung Lakoffs und Johnsons. 132 Im Rahmen unserer Untersuchung wird der Grundgedanke der Prototypizität zweifach zur Geltung kommen. Zum einen, wenn es um die Gewichtung semantischer Merkmale von Lexemen geht, d.h. wenn prominentere (typischere) Merkmale gegenüber eher peripheren Merkmalen herausgestellt werden. Es muss nach dem bisher Gesagten nicht mehr näher ausgeführt werden, dass solche Gewichtungen diskursspezifisch variieren können. Z u m anderen kann es bisweilen sinnvoll sein, prototypische Verwendungsweisen bzw. -fälle («Instantiierungen») von Lexemen näher zu beleuchten. Von Interesse sind, wie sich im Untersuchungsteil noch zeigen wird, auch der Wandel und eventuell der Verlust solcher Effekte im Verlauf der Wortschatzentwicklung.

1.5

Rückblick

Wir haben in diesem Kapitel Überlegungen zur politischen Sprache und ihrer Beschreibung aus fachsprachenlinguistischer, diskurstheoretischer und kognitionssemantischer Sicht dargestellt und auf ihren deskriptiven und explikativen Wert hin untersucht. Dabei wurden wesentliche Besonderheiten bzw. Charakteristika des politischen Diskurses diskutiert und in heuristischer Hinsicht aussagekräftige Beschreibungsterminologie vorgestellt. Im Zusammenhang mit dem fachsprachlichen Ansatz ging es darum, die politische Sprache als ein Phänomen «sui generis» gegenüber den Fachsprachen und der Gemeinsprache zu situieren. Besonders funktionale bzw. pragmalinguistische terminologische Unterscheidungen waren hierbei von Interesse. Der Diskursansatz erlaubte eine zusammenhängende bzw. «integrale» Interpretation des Phänomens «politische Sprache» und ließ das Gewicht verschiedener sprachregulierender bzw. kontrollierender Determinanten, Mechanismen und Traditionen für politisches Sprechen deutlich werden. Die Relevanz des Diskursbegriffs als Deutungshorizont wird sich im Verlauf unserer Untersuchung immer dort erweisen, wo es um das Bedeutungsverständnis lexikalischer Einheiten, um lexikalische Traditionen und um die Motivierung von lexikalischem Wandel geht. Kognitionssemantische Überlegungen operationalisieren die im Diskursansatz eher abstrakt gebliebenen Bedeutungsaspekte und machen sie der analytischen Beschreibung zugänglich. So ist es besonders den Ebenenmodellen A . Blanks und A . Burkhardts zu verdanken, über eine Theorie des Wissens, den kompakten und zugleich diffusen Bedeutungskomplex in idealtypische Bedeutungsaspekte bzw. -komponenten aufgelöst zu haben. Ergänzt wurden diese eher noch an traditionellen Vorstellungen orientierten Ansätze durch neuere Überlegungen der kognitiven Semantik im engeren Sinne. Der Bedeu132

Lakoff/Johnson

1 9 8 7 , 79SS.

57

tungsbegriff wurde - ganz im Sinne unseres Untersuchungsgegenstandes «enzyklopädischer» und «perspektivischer» akzentuiert, die sprachlichen Bezugssysteme lexikalischer Einheiten als mental organisierte Wissens- bzw. Informationsnetze verstanden. Die Prototypensemantik brachte schließlich die Aspekte «semantische Unscharfe» und «Typizität» in ein zusammenhängendes theoretisches Modell: Die Bedeutung eines Lexems lässt sich nun als Kontinuum mit Zentral- und Randbereichen interpretieren und Bedeutungsmerkmale können ebenso wie Verwendungsweisen bzw. -fälle nach ihrer Prominenz gewichtet werden. Mit diesen Vorüberlegungen und den daraus resultierenden begrifflichen Unterscheidungen lässt sich nun im weiteren eine «feinnervige» semantische Beschreibung des politischen Wortschatzes Spaniens in synchroner und diachroner Hinsicht in Angriff nehmen.



2

Der Wortschatz politischer Ideen, Anschauungen, Einstellungen, Haltungen und Mentalitäten

2.1

Zur Einleitung: «Ismen»-Bildungen in der politischen Sprache Spaniens - Charakteristik eines Phänomens in Geschichte und Gegenwart

Schon ein Blick in die Indizes einschlägiger Studien zum politischen Wortschatz1 lässt das quantitative Gewicht der «-ismo»-Bildungen im Spanischen deutlich werden. Aber besonders in qualitativer Hinsicht, nämlich in ihrer Eigenschaft als Schlüsselbegriffe, die politische Diskurse organisieren und authentifizieren, kommt ihnen eine zentrale Rolle in dem von uns behandelten Redeuniversum zu.2 Sie besitzen darüber hinaus, wie noch im weiteren darzutun sein wird, strukturelle Besonderheiten, die ein Verfahren, das ihnen distinkte (bzw. «randscharfe») Bedeutungen zuschreiben möchte, von vorneherein untauglich machen und vielmehr eine Behandlung im Rahmen der Diskurstheorie bzw. einer Theorie diskursiver Traditionen nahe legen. Diese Besonderheiten struktureller Art der spanischen «Ismos» lassen sich zugleich in zweierlei Hinsicht festmachen: ι. Synchron-strukturell betreffen sie das Verhältnis von Inhalts- und Ausdrucksseite der Konstituenten des Wortbildungstyps auf «-ismo», konkret die Problematik der Durchsichtigkeit (Motiviertheit) entsprechender Bildungen.3 «Ismen», so kann man zunächst thesenartig vorwegnehmen, sind oftmals opak, höchstens teilmotiviert, ja sie sind - wie sich am konkreten Beispiel zeigen wird - als semantisch «ungesättigt» anzusehen.4 Anders als etwa bei Suffixbildungen wie «duración» («Acción y efecto de durar») oder «vendedor» («Que vende»)5 genügt die morphologische Information der Konstituenten von «organicismo» (—• «orgánico» + «ismo» = «doctrina»?, «actitud»?, «fenómeno»?, «marca culta»? etc.) oder «testimo1 2

3 4

5

Cf. etwa García Santos 1980 und de Santiago Guervós 1992. Zur Bedeutung von «Ismen»-Bildungen, speziell der Untergruppe der «Deonomastika» in der politischen Sprache der Romania insgesamt, cf. Schweickard 1992, 22ss. und 255s.

Zum Konzept der «Durchsichtigkeit» siehe Gauger 1971, 14s. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt B. Laca hinsichtlich desubstantivischer und deadjektivischer «ista»-Bildungen (1986, 486SS. und 494).

Zahlreiche Beispiele in: Dietrich/Geckeier ^1993, 93SS.

59

nialismo» (—>· «testimonial» + «ismo» = «doctrina»?, «actitud»?, «fenómeno»?, «marca culta»? etc.) keineswegs, um die Gesamtbedeutung des Derivats zu erschließen. 2. In der historischen Perspektive lässt sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts6 eine starke Funktionszunahme des Suffixes feststellen, die mit einer Erweiterung und Differenzierung seiner diasystematischen Markierungsleistung einhergeht und sich phänotypisch als Bedeutungserweiterung und zugleich -trivialisierung manifestiert. Kurzum: das ehemals gelehrte, als fachsprachliches Element markierte Suffix ist heute ein weit verbreitetes Phänomen der Presse- und Mediensprache7 und bezeichnet ganz geläufige, bisweilen sogar banale Alltagserscheinungen. Der Verlust des bis dato automatisch - qua morphologischer Markierung verliehenen Terminologiestatus von «Ismen»-Bildungen musste auch zu einer Veränderung der Signifikatenqualität neuer Wortbildungen führen: Diese besaßen nun in der Regel nicht mehr eine randscharfe, wissenschaftlich exakte terminologische Bedeutung. Vielmehr wurde das strukturelle Problem der mangelnden «Durchsichtigkeit» von «Ismen»-Bildungen zu einem UnschärfeProblem ihrer Bedeutungen, das die Derivate «interpretationsbedürftig» machte und ihr genaues Verständnis von der Kenntnis bestimmter Diskurstraditionen abhängig werden ließ. Betrachten wir zunächst diesen zweiten, bislang nur thesenartig formulierten, diachronischen Aspekt etwas ausführlicher und kommentieren kurz seine Behandlung in der sprachwissenschaftlichen Literatur: In linguistischen Abhandlungen wird das Derivationsmorphem «-ismo» in erster Linie unter morphologischen Gesichtspunkten kommentiert. Es werden dabei zumeist mögliche Bildungen auf «-ismo» zusammengestellt und mehr oder weniger glücklich mit einer deutschen Entsprechung versehen.8 Rainer 9 bemüht sich darüber hinaus um eine Klassifikation der verschiedenen Bedeutungsnuancen von «-ismo»-Bildungen. Er stellt folgende Bedeutungszonen um die Kernbedeutung «Einstellung» (neben der separaten Bedeutung «Krankheit» wie etwa bei «reumatismo») heraus: politische Einstellungen (etwa «revanchismo») und als semantische Extension «Bewegung»/«Anhängerschaft» («conservadurismo»: «conjunto de los conservadores»), des weiteren Regierungsformen («presidencialismo»), Wirtschaftsphilosophien (z.B. «monetarismo»), philosophische/religiöse Anschauungen («tomismo»), wissenschaftliche Anschauungen («darvinismo»), Kunstrichtungen («romanticismo»), aber auch «weniger systemhaft durchdachte charakterliche Dispositionen» (wie «hu6

7 8 9

M. Lang ( 1 9 9 0 , 1 3 5 ) bezeichnet die rasche Zunahme von «Ismen» als ein «twentiethcentury phenomenon». Weiter schreibt er: «The usual semantic environment of -ismo formations is that of political and cultural movements». Cf. auch Hoppe 1970, 43. Cf. etwa Nord 2 1 9 8 6 , 1 5 0 S S . R a i n e r 1 9 9 3 , 560SS.

60

morismo», «practicismo»), soziale Organisationsformen und gesellschaftliche Phänomene 10 («nomadismo», «favoritismo»), sprachwissenschaftliche Fachausdrücke («loísmo»), literarische bzw. musikalische Gattungen («autobiografismo»), stilistische Bezeichnungen («barroquismo»), schließlich einige Kandidaten im Übergangsbereich zwischen Bezeichnungen für Einstellungen und Nomina qualitatis («autoritarismo», «dogmatismo») sowie echte Nomina qualitatis aus dem Wissenschaftsbereich (wie «bilingüismo», «automatismo»). 11 Die Zusammenstellung vermittelt trotz ihres Bemühens um eine semantische «Feindifferenzierung» doch wieder den Eindruck, die Denotationsleistung des Suffixes «-ismo» umfasse im wesentlichen mehr oder weniger entwickelte gedankliche Systeme oder Haltungen, denen ein gewisses Maß an Folgerichtigkeit, Stringenz oder Strukturiertheit (cf. «autoritarismo», aber auch «humorismo») eignet. 12 Hingegen belegen die von Christiane Nord aufgeführten Beispiele 13 zum «-ismo» im heutigen modernen Spanisch wie «camaleonismo» («Wandlungsfähigkeit»), «mediocrismo» («Mittelmäßigkeit»), «pasotismo» («Aussteigertum») oder «repentismo» («Spontaneität»), dass sich der Bezeichnungsradius des Suffixes mittlerweile derart ausgeweitet hat, dass es scheinbar fast jeder durch das Grundwort genannten Eigenschaft bzw. Entität Phänomenstatus verleihen kann. 14 Durch die Beifügung von «-ismo» wird also der Verweischarakter eines im Grundwort ausgedrückten Zustandes, einer Eigenschaft oder einer Situation auf dahinterstehendes Regelhaft-Komplexes, einen systematischen Gesamtzusammenhang, herausgestellt. Die Verbreitung von «-ismo»-Bildungen 15 scheint einem zeitgenössischen Bedürfnis nach analytisch-rationaler Durchdringung der politischen und gesellschaftlichen Realität zu entsprechen. Sie gründet auf einer Wahrnehmungsdisposition, die Dauerhaftes und Wiederkehrendes, Zusammenhängendes und Regelhaftes systematisch erfassen und mit Phänomenstatus belegen möchte. Die daraus resultierenden phänomenalen Kategorien «sortieren» bzw. bündeln die Vielzahl diffuser gesellschaftlicher Erscheinungen und reduzieren sie auf wenige markante Erfahrungs- und Ereignisklassen - eben die verschiedenen «-ismos». 10

11 12 13 14

15

Rainer 1993, 562 ordnet auch die sportlichen Betätigungen («alpinismo», «ciclismo» etc.) als Untergruppe den gesellschaftlichen Phänomenen zu. Rainer 1993, 560SS. Ähnlich auch Laca 1986, 265. Beispiele aus Nord 2 i986, 154SS. Beispielhaft auch die Charakterisierung eines bestimmten Verhaltens als «espontaneismo» in: P S O E 1979b, 17: «Una tarea tan decisiva debe realizarse de un modo maduro sin improvisaciones ni espontaneísmo». Weitere im Textkorpus nachweisbare Neologismen auf «-ismo», die wir im folgenden nicht weiter kommentieren werden, sind: «espontaneísmo» ( P S O E 1979b, 17), «teoricismo» («Theorielastigkeit», IU 1989, 43), «termalismo social» (etwa: «soziales Kuren», P S O E 1993, 52), «una disciplina consignista» (etwa: «eine auf Weisungen von oben beruhende Disziplin», P S O E 1979b, 19), «compañerismo» («genossenschaftliches Verhalten», P S O E 1979a, Varios 3), «personalismo» («Herausstellen von Persönlichkeiten», P S O E 1979a, Varios 4).

61

Die Tendenz zur Verbegrifflichung der vielfältigen Erscheinungen des öffentlichen Lebens scheint charakteristisch zu sein für eine Analyse- und Rationalitäts«kultur» wie sie für moderne - ihrem Wesen nach eher technokratische - Demokratien kennzeichnend ist. Dennoch nimmt sich das fast explosionsartige Umsichgreifen von «-ismos» als eine vor allem für das Spanische typische Erscheinung aus, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Demokratisierung des Landes steht und aus der Notwendigkeit heraus erwachsen sein dürfte, innerhalb kürzester Zeit einen dem schier unbegrenzten Bezeichnungsbedürfnis adäquaten politischen und gesellschaftlichen Wortschatz entwickeln zu müssen, der es gestattete, auch die scheinbar trivialste Erscheinung der gesellschaftlichen Realität zu thematisieren. Gleichzeitig kann diese Tendenz aber auch als das Bestreben der meinungsbildenden Multiplikatoren des öffentlichen Lebens gedeutet werden, eine pseudowissenschaftliche Begriffssprache auszubilden, die neben dem Erfordernis der Prägnanz (die nicht selten durch eine schlagwortartige Reduktion komplexer Sachverhalte erkauft wurde) auch dem Wunsch nach sozialer Differenzierung und Distinktion dieser Gruppe Rechnung trägt. Es handelt sich also um einen charakteristischen Speziai- oder Sonderwortschatz einer gesellschaftlichen «Kaste», die sich in besonderer Weise prädestiniert fühlt, verbindlich über Öffentliches - die Belange und Befindlichkeiten der politischen Gemeinschaft - zu sprechen. 16 Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass die Erweiterung des Referenzpotentials von «-ismo» mit einer zunehmenden Trivialisierung 17 oder gar dem Verblassen seiner Bedeutung einhergehen konnte: Heute den «continuismo» zu seinem politischen Ziel zu erklären, bedeutet nichts anderes, als für die «continuidad» zu plädieren - synchron betrachtet sind die beiden Lexeme 1 8 Synonyme, das Suffix «-ismo» fügt keinerlei (denotative) Information hinzu. Diese Banalisierungstendenz muss dazu führen, dass die «Durchsichtigkeit» entsprechender «-ismo»-Bildungen noch weiter getrübt wird, da die Sprecher

16

17

18

Besonders sarkastisch zu den «Subphänomenen» «politiqués» und «socialisteño»: D e Miguel 2 i994, 197SS. Eine interessante Parallelentwicklung kann H. J. Wolfs Studie über das personenbezeichnende Suffix «-ista» in den romanischen Sprachen nachweisen. Hatte das Morphem jahrhundertelang ausschließlich die Ausübenden einer elitären Beschäftigung im künstlerischen oder akademischen Bereich bezeichnet (etwa: «jurista», «alquimista» oder «latinista» (Wolf 1972, 317), so «demokratisierte» sich das Bezeichnungspotential seit der Jahrhundertwende: Seither wurden mit dem Wortbildungselement die Bezeichnungen für die vielfältigen neuen Berufsgruppen in Handwerk und Industrie, etwa «fumista» (Ofensetzer), «gasista» (Gasarbeiter), «electricista» (Elektriker), «recepcionista» (Empfangsdame), geprägt. Daneben referiert es nun auch auf die Praktizierenden von Sportarten («tenista»), ja sogar auf die Anhänger von Sportvereinen («valencianista»: Anhänger des CF Valencia). Cf. Wolf 1 9 7 2 , 3 4 0 S S . und 3 5 8 S S . Beispiel aus de Santiago Guervós 1992, 36; ausführlich zur Diskursbedeutung von «continuismo», cf. Kap. 2.4.

62

die genaue Bedeutung des Derivationsmorphems nicht a priori, d.h. ohne Kenntnis der konkreten lexikalischen Einheit, mit der es eine Wortverbindung eingeht, voraussagen können. Wie die angeführten Beispiele zeigen, besitzt «-ismo» einen Informationsgehalt, der zwischen «null» (wie in «continuismo» für «continuidad», «-ismo» ist hier höchstens eine politiksprachliche Markierung) und «eins» (etwa bei «tomismo» als «doctrina y escuela filosofico-teològica de Sto. Tomás de Aquino» - hier ist «-ismo» eindeutig ein terminologischer «Marker», der auf ein komplexes Theoriegebäude bzw. Denksystem der abendländischen Philosophie verweist - ) angesiedelt sein kann. Soweit zur gegenwärtigen semantischen Spannweite des Suffixes «ismo» im Spanischen. Leider harrt der Prozess der «Ismen»-Expansion und vor allem eine Klärung seiner Ursachen noch der genaueren wissenschaftlichen Untersuchung. Nach wie vor stellt sich die Frage, warum ausgerechnet im Spanischen ein seiner Herkunft nach gelehrtes Derivationsmorphem griechisch-lateinischen Ursprungs, das zunächst ausschließlich zur Bezeichnung von (politischen, religiösen, philosophischen, wirtschaftlichen etc.) Lehren bzw. Lehrsystemen, Geisteshaltungen und Denkschulen 19 diente, zunehmend auch ganz allgemeine Haltungen und Einstellungen charakterisieren konnte und heute sogar zur Bildung von «Nomina qualitatis» - etwa von Eigenschaftsattributen wie «dinamismo»20 («su dinamismo»: seine dynamische Art) - beiträgt. Immerhin lassen die lexikologischen Studien zur politischen Sprache in Spanien einige interessante Entwicklungstendenzen erkennen, die hier kurz angedeutet werden sollen: Wortschöpfungen auf «-ismo/-ista» sind im Bereich der politischen Sprache auch in der bewegten politischen Epoche zwischen 1868 (Sturz Isabellas II. durch Militärrevolte und Revolution) und 1873 (Ausrufung der Republik) eher selten, 21 noch José Alemany Bolufer merkt in sei-

19

M 21

Cf. -ISMO im D R A E 1992: «Del gr. -ismos, a través del lat. -ismus. 1. suf. de sustantivos que suelen significar doctrinas, sistemas, escuelas o movimientos [...]». Beispiel in: Rainer 1993, 564. Cf. Battaner Arias 1977, 225-227; die Autorin belegt die Existenz von Bezeichnungen für a) die grundlegenden, miteinander im Widerstreit liegenden politischen Ideologien des 19. Jahrhunderts: «absolutismo»/«servilismo»/«realismo»/«oscurantismo»/«tradicionalismo»/«carlismo» versus «burguesismo»/«progresismo»/«democratismo»/ «socialismo»/«comunismo»; b) die drei bedeutenden wirtschaftspolitischen Lehren der Zeit («colectivismo»/«capitalismo»/«proteccionismo») sowie die sozioökonomischen Phänomene des «pauperismo» und «proletarismo»; c) die philosophisch-politische Lehre des «krausismo»; d) die grundlegenden Haltungen («Mentalitäten»): «dogmatismo», «doctrinarismo», «fanatismo», «mesianismo», «individualismo» und «militarismo»; e) territorialpolitische Positionen wie «federalismo» und «españolismo»; f) ausländische Phänomene wie der französische «mac-mahonismo». Wie die Aufzählung zeigt, sind fast alle politischen «Ismos» in Spanien vor der Jahrhundertwende europäische Kultismen der Zeit.

63

nem 1920 erschienenen Tratado de la formación de palabras en la lengua castellana zu dem Derivationsmorphem «-ismo» an: «Júntase en castellano a nombres, y forma substantivos que denotan doctrina, secta, sistema; como animismo, ateísmo, obstruccionismo, terrorismo; maquiavelismo, mesmerismo y platonismo [...]. Algunos derivan de adjetivos, como alpinismo, de alpino, y entre éstos los hay que denotan calidad, así: albinismo = calidad de albino; acromatismo = calidad de acromático [...].»"

Immerhin wurden in der Restaurationszeit und insbesondere in der Ä r a Alfons XIII» (1902-1931) erstmals eine Reihe von politiksprachlichen «-ismos» geschaffen, mit denen sich die ebenso vielfältigen wie kontroversen Haltungen, Einstellungen, Ideologien, Lehren und Parteinahmen in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg thematisieren ließen. Leider liegt bislang noch keine Untersuchung über den reichen Wortschatz dieser Epoche vor, der ein Spiegelbild des an Umfang und innerer Differenziertheit gewinnenden Meinungspluralismus in Spanien ist. Einen recht guten Eindruck hiervon vermittelt aber immerhin die betont sprachbewusste 23 Darstellung Carlos Seco Serranos und José María Jover Zamoras in der «Historia de España», 24 die auf die Schlüsselbegriffe der Epoche explizit Bezug nimmt und sie auch typographisch als solche kenntlich macht. Im Rahmen unserer skizzenartigen Übersicht kann es nicht darum gehen, die vielfältigen «-ismos» dieser Epoche zusammenzustellen und zu erläutern - dies muss an anderer Stelle geschehen. Es lassen sich aber fünf große Begriffsfelder erkennen, in denen politiksprachliche Ismen-Bildungen dieser Zeit proliferierten: ι. Der Bereich der politischen Strategien sowie der grundsätzlichen Handlungsorientierungen und Haltungen zum Politischen. Hierzu zählen etwa die folgenden Wortschatzeinheiten: «transaccionismo» (3),25 «eclecticismo» (3), «fusionismo» (73), «doctrinarismo» (24), «pactismo» (104), «turnismo»

22 23

24

25

Alemany Bolufer 1920, 90. Cf. die Einleitung von Jover Zamora zur Historia de España, vol. X X X V I I I , p. X X I XXII, in der es programmatisch heißt: «En fin, creo que los historiadores, [...], debemos prestar rigurosa atención, no sólo a la precisión del arsenal conceptual utilizado, sino también - [...] - al significado que, en la situación analizada, correspondió a cada una de las palabras que forman o formaron parte del vocabulario de la ciencia colindante. El significado de las palabras que integran un vocabulario social o político cambia con los tiempos, con las distintas situaciones históricas; y el historiador es responsable de la fidelidad de esta especie de traducción interna>, dentro de la propia lengua y al hilo de su proceso histórico, indispensable en la transmisión de su discurso». Jover Zamora, José María/Seco Serrano, Carlos, La España de Alfonso XIII. El Estado y la Política (1902-1931), vol. 1.: De los comienzos del reinado a los problemas de la Posguerra (1902-1922) in: Historia de España. Ramón Menéndez Pidal, ed. von José María Jover Zamora, Madrid, 1995. Wir führen - soweit nicht anders vermerkt - je einen Beleg aus Jover Zamora/Seco Serrano 1995 mit Seitenzahl an.

64

2.

3.

4.

5.

(3i), «colaboracionismo»/«colaboracionista» (138), «abstencionismo» (339), «civilismo» (75); Bezeichnungen für politische Einstellungen, Richtungen und Parteiungen. Diese lassen sich untergliedern in: a) philosophisch-politische Epochenströmungen wie «regeneracionismo» (25), «costismo» (10), «socialismo» (104), «liberalismo»,26 «tradicionalismo»,27 «providencialismo»,28 «legalismo»/«naturalismo» (120); b) parteipolitische und ideologische Richtungen der Zeit: z.B. «moderantismo» (4), «progresismo» (4), «integrismo» (18), «posibilismo» (86), «republicanismo» (12, 67), «radicalismo» (87, 131), «socialismo» (104, 109), «vaticanismo» (45), «anticlericalismo» (147); c) nach Führungspersönlichkeiten benannte parteipolitische Richtungen: «canovismo» [—»• Cánovas del Castillo] (3, 102), «silvelismo» [—> Silvela] (30), «datismo» [—»• Dato] ( 1 1 3 , 552), «maurismo» [—»• Maura] (87, 108), «lerrouxismo» [—>• Lerroux] (52, 108); Der Bereich der Wirtschaftsdoktrinen bzw. wirtschaftspolitischen Positionen: «proteccionismo» (78), «obrerismo» (9), «intervencionismo» (19, 57), «societarismo» (51), «librecambismo» (73), «capitalismo» (426); Das Sachfeld «nationale Organisation» und «Territorialverfassung»: «federalismo» (4), «cantonalismo» (4), «catalanismo» (17), «regionalismo» (52), «particularismo»,29 «separatismo» (478), «nacionalismo» (119), «patriotismo» (388), «españolismo» (24), «centralismo» (120); Internationale Orientierung(en): «europeismo» (308), «neutralismo» (355), «africanismo» (490).

Noch einmal eine deutliche Zunahme von «-ismo»-Bildungen sowie eine Verschiebung des Bezeichnungsspektrums kann als der sprachliche Ertrag des knapp sechsjährigen demokratischen «Experiments» von 1931 bis 1936 angesehen werden. Zwar rührten grundlegende lexikalische Einheiten noch aus der vorangegangenen, monarchischen Epoche her, es kamen jedoch neue «Ismen»Bildungen hinzu, die Spiegelbild eines sich weiter differenzierenden, aber auch polarisierenden Meinungs- und Problemspektrums waren. Im Gegensatz zum politischen Wortschatz der alfonsinischen Ära schwoll die Zahl der Ideologiebezeichnungen nun rasch an - allein 46 der von García Santos verzeichneten 145 «-ismos» (i.e. ca. 3 1 . 7 % ) bezeichnen politische Ideologien im engeren Sinne - und deckte eine Spannweite von Positionen ab, wie sie komplexer und zugleich gegensätzlicher nicht hätten sein können. Als Beispiele lassen sich etwa anführen: «sovietismo» (250), 30 «leninismo» (256), «estatismo» (284), 26

27 28 29 30

Seco Serrano, Carlos, Las ideologías políticas in: Historia de España, Ramón Menéndez Pidal, vol. X X X I X . La Edad de Plata de la Cultura Española (1898-1936), ed. von José María Jover Zamora, Madrid, 1996, p. 346. Seco Serrano 1996, 346. Ebenda. Seco Serrano 1996, 349. Belege jeweils auf den angegebenen Seiten in: García Santos 1980.

65

«anarquismo» (229), «cedismo» (115), «accidentalismo» (634), «sociofascismo» (267), «anarcofascismo» (293), «nazismo» (251) etc. Neben den aufkommenden neuen Ideologien spielten aber insbesondere auch die verschiedenen Konfliktfelder der 2. Republik eine entscheidende Rolle für die Lexikogenese. Allen voran diversifizierte und vor allem radikalisierte sich der Wortschatz der Positionen zur «nationalen Problematik», was sich seinerzeit in 33 lexikalischen Einheiten zu diesem Bereich (mit einem Anteil von 22.8 % aller «ismen»-Bildungen) niederschlug. Beispiele: «secesionismo» (470), «bizcaitarrismo» (487), «balcanismo» (509), «integralismo» (501), «asimilismo» (482). Auch die Auseinandersetzungen um die sozioökonomische Ordnung des Landes sowie die Rolle der katholischen Kirche erwiesen sich wenigstens in lexikalischer Hinsicht als produktiv. In diese beiden Kategorien fallen Termini wie «colectivismo» (287), «corporativismo» (301), «nacionalsindicalismo» (291), «clericalismo» (319), «vaticanismo» (115), «jacobinismo» (335) und «jesuitismo» (635). Eine deutliche Tendenzwende kündigte sich bei den persönlichkeitsbasierten «Ismen» an, die noch in der Restaurationsepoche der Bezeichnung der wichtigsten politischen Parteiungen und realpolitischen Positionen dienten (so etwa «maurismo», «gamacismo», «romanonismo», «silvelismo», «canalejismo», «garciprietismo»). 31 Die Anzahl solcher «Ismen»-Bildungen nahm nicht nur (in absoluten und erst recht relativen Werten (8/145 = 5-5 %) ) deutlich ab, sondern solche «-ismos» wurden vom politischen Gegner zumeist ad hoc geprägt und fungierten dann als Schimpfwörter im Rahmen der politischen Polemik^ 2 Weitere «Ismen»-Bildungen bezogen sich auf allgemeine politische Mentalitäten wie etwa «doctrinarismo», «fanatismo» 33 und «malminorismo» 34 (15/ 145 = 10.3 %), oder sie kreisten um gesellschaftspolitische Erscheinungen wie den «caciquismo» oder den «enchufismo». 35 Der Übergang von der Monarchie zur 2. Republik geht also sprachlich mit einer deutlichen Schwerpunktverlagerung der «Ismen»-Bildungen einher: von den strategisch-realpolitisch orientierten und persönlichkeitszentrierten Parteibezeichnungen verläuft die Entwicklung in Richtung einer «Explosion» von polaren, stark differenzierenden Ideologiebezeichnungen, in denen sich die ganze Konfliktivität der Epoche widerspiegelt. Mit der Transición Política kamen nun weitere neue Bezeichnungsklassen zu den bisherigen hinzu und veränderten den Charakter des Suffixes erneut: Wie die von Ch. Nord verzeichneten Neologismen auf «-ismo» zeigen, entstanden nach 1975 zahlreiche Lexeme, die im wesentlichen gesellschaftliche Erscheinungen - etwa «el pasotismo» («Aussteigertum»), «el consumismo» 31 32 33 34 35

Belege in: García Santos 1980, 120 und Jover Zamora/Seco Serrano 1995, 30; 86; 105. Cf. García Santos 1980, 120s. García Santos 1980, 336. García Santos 1980, 636. García Santos 1980, 319 und 54.

66

(«Konsummentalität»), «el inmediatismo» («Gegenwartsbezogenheit»), «el marginalismo» 36 («Protestbewegung von Randgruppen»), «el chabolismo» 37 («die Existenz von Barackensiedlungen») etc. - «auf den Begriff» brachten. Dieser «analytisch-rationale» Typ der «Ismen»-Bildungen gewinnt also im Rahmen einer sachlicheren «Kultur» der sozialen und politischen Analyse und Interpretation von Phänomenen des öffentlichen Lebens nach dem Ende der Franco-Diktatur stark an Bedeutung. Stand in der 2. Republik die ideologische Positionierung im Angesicht weltanschaulicher, sozioökonomischer und territorialpolitischer Antagonismen im Vordergrund und bildete den vorherrschenden Referenzbereich von «ismen»-Neuprägungen, 38 so kam nach 1975 dank Verfassungskonsens 39 und der Nachrangigkeit weltanschaulicher Debatten, aber auch einem massiven Eindringen der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften in die Politik (cf. dazu Kapitel 3), der sozio-politischen Analyse ein deutlicher Vorrang zu. Dementsprechend verlagerte sich das Gewicht von Wortneuschöpfungen vom ideologischen «Ismo» der Konfrontation zum analytischen «Ismo» einer (nicht selten vulgarisierten) Sozial- und Gesellschaftsphänomenologie. Hinzu kamen schließlich im Laufe der 80er und 90er Jahre weitere neologistische «Ismen»-Bildungen, die neuere politische und soziale Erscheinungen sprachlich verdichteten und im Rahmen unserer inhaltlichen «Ismen»-iypologie ebenfalls dem «analytisch-rationalen» Typ zugeschlagen werden können. Im einzelnen fallen hierunter politische Phänomene wie der «transfuguismo político» 40 («politisches Überläufertum» = «Parteiwechsel»), der «presidencialismo»4I («Vorherrschaft des Chefs der Exekutiven», es denotiert also nicht mehr nur ein politisches System), der «aparatismo»42 («Vorherrschaft politischer Apparate»), der «armamentismo»43 («Rüstungspolitik»), der «abstencio-

Nord 2 1 9 8 6 , 1 5 0 S S . 37 Nord 2 i986, 187 und IU 1989, 51. 38 García Santos 1980, 658 und 1987, 122 stellt die interessante These auf, dass «a la Guerra Civil la precedió una guerra verbal». 39 García Santos 1980, ι ο ί weist anhand zahlreicher Belege nach, dass sich das Lexem «democracia» nach 1 9 7 5 / 7 6 - im Gegensatz zur Tradition der 2 . Republik - zu einem Hochwertwort praktisch aller maßgeblichen politischen Gruppierungen entwickelt hat. 36

40

*[·•·] P a r a erradicar definitivamente los casos de transfuguismo político» ( P S O E 1994,

41

«[...] la oscura y inexplicada propuesta de Administración única> del PP, que concentra la gestión en la Comunidad Autónoma, no descentraliza, mantiene los caducos resortes administrativos actuales y agranda la filosofía de corte presidencialista [...].» (IU 1 9 9 3 , 9 6 ) . «[...] las experiencias democráticas [...] que han ido degenerando en prácticas de cupulación, aparatismo y peso sobredimensionado de los cargos públicos.» (IU 1995,

140).

42

58). 43

«[El P C E ] se opone al uso de la fuerza como instrumento para solucionar los conflictos internacionales, al armamentismo y a la pervivencia de cualesquiera bloques militares [...].» (IU 1995, 51).

67

nismo»44 («Wahlenthaltung», «Politikverdrossenheit»), der «politiquerismo» («die Unkultur politischer Spielchen») 45 sowie das neue Arbeits- und Produktionsmodell des «toyotismo»,46 das den «industrialismo fordista»41 der Vergangenheit ersetzt. Wie sich aus unserem kurzen Abriss der Phasen der «Ismen»-Bildungen herauslesen lässt, führte das sich in den letzten hundert Jahren wandelnde und vor allem erweiternde Bezeichnungspotential des Suffixes dazu, dass es im heutigen Spanisch ein vielfältiges Bedeutungsspektrum abdeckt, das von «Lehr- und Denksystemen der Theorie-Ebene» über «Haltungen und Einstellungen», «Parteinahmen und Positionen», «gesellschaftlichen Phänomenen», «Eigenschaften und Zuständen» bis zum bloßen Wert einer «politik- und mediensprachlichen Markierung» reicht. A l s Konsequenz dieser Bedeutungsbreite bzw. - Vielfalt stellt sich das Problem der Disambiguierung der jeweils angemessenen Bedeutung des Suffixes. Welcher nicht eingeweihte Sprecher soll schon erahnen, ob etwa mit «involucionismo» eine wissenschaftliche Theorie, eine Ideologie, eine Haltung, ein Zustand oder ein gesellschaftliches Phänomen gemeint ist? Erschwert wird das Verständnis solcher «Ismen»-Bildungen jedoch auch noch dadurch, dass die Basis selber oftmals nicht besonders aussagekräftig ist. Was sagt «tercermundismo» an und für sich schon aus, - außer, dass es um eine Haltung/einen Zustand oder eventuell eine Lehre geht, die mit der Dritten Welt zu tun hat? Auch von «historicismo» kann man nur aussagen, dass die Lexie etwas über die «historia» aussagt - was allerdings genau, das kann aus der Derivationsbildung nicht abgeleitet werden. Diese bleibt zumindest teilweise opak, - ja es entsteht eine «semantische Lücke», die sich zwischen der «motivierten» Lesart der Bedeutung - also der semantischen Addition der Teilbedeutungen der Ableitungsbildung - und ihrer tatsächlichen Bedeutung auftut. «Ismen»-Bildungen können also ohne Weltwissen («enzyklopädisches Wissen») nicht verstanden werden, da ihre morphologisch-innersprachliche In44

45

46

47

«Asimismo, ya que una parte de la actitud abstencionista actual significa la anulación de importantes energías de la izquierda [...].» (IU 1995, 36). De Santiago Guervós 1992, 50 führt «politiquería» und «politiquismo» («oportunismo y falta de moral política») als Neologismen der Transición an. «Politiquerismo» ist in unserem Korpus erstmals belegt in: IU 1987, 21: «[...] los que hacen política para conservar privilegios, los rasgos de jerarquización, la hipocresía, el politiquerismo.» «De ahí los intentos de a lo Ramiti o los intentos de introducir el Toyotismo en la empresa Seat.» (PCE 1991, 13). Der «klassische» Produktionsprozess am Fließband wird beim sogenannten «toyotismo» (der Firmenname steht hier metonymisch für die Fertigungsweise) durch die Montage der Einzelteile in Teamarbeit ersetzt. «La reestructuración y la innovación tecnológica ha determinado la transición desde el industrialismo fordista a la nueva empresa-red multinacional, disminuyendo la centralidad del obrero-masa [...].» [IU 1991, 13]. Zum «fordismo» (Fordismus) als klassisches Modell von Massenproduktion (im Zeichen des Fließbandes) und Massenkonsum, et W. Fach, Fordismus-Postfordismus und Politik, in: Nohlen/Schultze 1995,1 ι ο ί 14.

68

formation hierfür nicht ausreicht. Diese Ausgangsbedingungen führen dazu, dass - wie unsere mündlichen Befragungen ergaben - selbst kompetente Sprecher oftmals nicht in der Lage waren, bestimmte «Ismen» angemessen zu erklären und teilweise sogar eingestehen mussten, die Bedeutung entsprechender Termini nicht so genau zu kennen (so etwa bei «historicismo», «testimoniaIismo» oder «probabilismo»). Das Verständnisproblem wird jedoch noch dadurch verschärft, dass die meisten «-ismos», wie wir sahen, gar keine exakt definierten fachsprachlichen Termini sind, sondern der öffentlichen Gebrauchssprache angehören. Es wacht also keine exklusive und relativ homogene Gemeinschaft autorisierter Sprecher (etwa einer Fachdisziplin) über die «richtige» Verwendung bzw. Bedeutung der Lexeme, sondern diese stehen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Meinungsgruppen offen, unterliegen also einem Deutungspluralismus. Der Verlust der fachsprachlichen Markierung des Suffixes birgt die Gefahr der Vagheit und/oder semantischen Beliebigkeit von «Ismen»-Bildungen in sich: Diese Lexien weisen nicht nur eine große semantische «Schwankungsbreite» auf, sind also bisweilen gruppenspezifisch variant, sondern unterliegen aufgrund ihrer hohen semantischen «Instabilität» leicht dem sprachlichen Wandel. Manche «ismo»-basierte Bildungen schließlich sind nicht nur gruppenspezifisch variant, sondern besitzen eine übereinzelsprachliche, also «internationale» fachsprachliche Bedeutung und zugleich eine spezifisch politiksprachliche Sonderbedeutung im Rahmen des spanischen Sprachsystems oder auch eines bestimmten Gruppendiskurses. So ist «proteccionismo» ein internationaler wirtschaftspolitischer Terminus, zugleich gehörte er - zumindest Ende der 70er Jahre - zum Ökologiewortschatz einzelner Parteien und denotiert eine «Politik konkreter Umweltschutzmaßnahmen» wie beispielsweise in: «Este proteccionismo debe interpretarse en un contexto de una auténtica política ecologista de explotación racional y equilibrada».48 Dem Phänomen der politiksprachlichen Sonderbedeutung werden wir in diesem Großabschnitt mehrfach begegnen (cf. etwa unsere Ausführungen zu «humanismo», «constructivismo», «historicismo», «populismo» u. a.). Gleichzeitig lässt sich aber auch anschaulich verfolgen, wie sich in den sprachlichen Teilgemeinschaften («Diskursgemeinschaften») im Rahmen einer kontinuierlich durchgehaltenen «Gebrauchspraxis» eine je «usuelle» Bedeutung (bzw. ein bestimmtes Bedeutungsverständnis) herausbildet oder sich die Einzelgruppe(n) transzendierend - möglicherweise eine einzige Konsensbedeutung im «politischen Diskursraum» einpendelt. In diesem Kontext ist nun wieder der im Methodenkapitel ausführlich diskutierte Diskursbegriff von entscheidender Bedeutung: Der Diskurs, als der Rahmen konventionalisierten Sprechens und Verstehens, sichert das Verständnis der «Ismen» in der Synchro-

48

PSOE 1979a, 49 (Sectorial).

69

nie, im diachronen Längsschnitt betrachtet ist er Ermöglichungsraum «geordneten» sprachlichen Wandels. So gilt es also in den folgenden Kapiteln, die um die «-ismos» ausgebildeten semantischen Beziehungen im Rahmen der jeweiligen Referenzdiskurse freizulegen, zugleich aber auch das Wirken impliziter oder präsupponierter Diskurstraditionen aufzudecken. Die Parteien bemühen sich aber auch ihrerseits wenigstens teilweise um eine nähere semantische Bestimmung der zentralen Schlüsselbegriffe. Es wird deshalb ebenfalls zu untersuchen sein, wie die politischen Gruppierungen das Verständnis der «-ismos» in den jeweiligen Verwendungsfällen sicherzustellen versuchen. Zentral für die Betrachtung des politischen Wortschatzes im Bereich der «Ismen»-Bildungen bleibt schließlich die Frage nach dem Verhältnis der Termini zur bestehenden Diskurstradition. Theoretisch denkbar wären dabei die folgenden Möglichkeiten: Die Sprecher reaktivieren traditionell in der politischen Sprache Spaniens verankerte Wortschatzeinheiten und lassen die Herkunftsdiskurse, in denen diese ursprünglich «funktionierten», wieder aufleben. Die Diskurstradition würde also einfach weitergeführt («Kontinuität»). Denkbar wäre aber auch, dass die Signifikanten zwar beibehalten, die Signifikaten jedoch im Rahmen eines gewandelten Partei- bzw. Parteiendiskurses, aber auch vor dem Hintergrund von Veränderungen im «Referenzbereich» in konnotativer, denotativer und pragmatischer Hinsicht neu «justiert» werden. Der semantische Wandel kann dabei deutliche Qualitätsunterschiede aufwei-

-

-

«Evolutionär» - die Bedeutung wird angepasst, weiterentwickelt, gegebenenfalls neu interpretiert. «Revolutionär» - in Abkehr von der bisherigen Diskurstradition wird das Signifikat völlig umgedeutet und dabei jegliche Beziehung zum ursprünglichen Herkunftsdiskurs gelöst. Schließlich können sprachlichen Zeichen - etwa weil sie abgewertet wurden oder einfach nicht mehr den veränderten Realitäten entsprechen untergehen, eventuell jedoch ihr Signifikat oder Teile ihres Signifikats in Wortneuprägungen «weiterleben».

Nun ist es allerdings nicht nur «Angelegenheit» einer Partei für ihren eigenen Sprachgebrauch Begriffe in Kontexten zu prägen oder wiederzubeleben. Vielmehr stellt sich auch die Frage nach der Akzeptanz von Wiederaufnahmen, Reformulierungen und Neuprägungen sprachlicher Zeichen sowie der entsprechenden Diskurse durch die übrigen Akteure der Diskursgemeinschaft. Diese können nun ihrerseits durch reaktive und adaptive Strategien zur Um- und Neustrukturierung von «Bedeutungskontinua» beitragen. Berücksichtigen wir nun zusätzlich den - im i. Kapitel ausführlich dargestellten - Zusammenhang zwischen Diskurstraditionen und politischen Ideologien, so können wir zusam70

menfassend von einer ideologisch-diskursiven Achse sprechen, die den politischen Wortschatz in zweifacher Hinsicht strukturiert: ι. Einmal bilden sich im Rahmen eines (teils traditierten, teils sich neu konfigurierenden) parteipolitischen Diskurses bestimmte paradigmatische (Synonymie-, Oppositions-, Kontiguitäts-, Assoziations-)beziehungen bzw. syntagmatische Bedeutungsrelationen (syntaktische Wortbildungen, Kollokationen, Syntagmen, Ko-okkurrenzen) aus. 2. Zum anderen wirkt jedoch das Begriffssystem des oder der politischen Antagonisten gleichsam als Folie - oder besser - als Negativpol, an dem sich begriffliche Kontraststrukturen herauskristallisieren. Auf der ideologischen-diskursiven Achse lassen sich also zwei wesentliche Strukturierungsmechanismen feststellen, eine Binnenstrukturierung im Rahmen eines - möglichst kohärenten - parteipolitischen Diskurses und eine Makrostrukturierung, die sich aus dem Zusammenwirken polarer parteipolitischer Positionen, Ideologien und Diskurse ergibt und die sich in einer Gesamtkonfiguration des politischen Wortschatzes niederschlägt. Für das Verständnis von politischen Begriffen entscheidend sind dabei die Diskurstraditionen als die jeweils das Verständnis leitenden «Orientierungsmatrizen». Dort, wo solche Traditionen wegfallen (etwa aufgrund eines politischen Umbruchs), muss der erläuternde Kotext in besonderer Weise für das Verständnis der Termini Sorge tragen und an der Entstehung einer neuen Verstehens- und Deutungstradition mitwirken. Wo jedoch Diskurstraditionen implizit vorausgesetzt werden, ohne sie aber offen zu legen und dort, wo eine neue Verstehenstradition begründet wird, ohne diese durch klärenden Kotext abzusichern, sind der sprachlichen Manipulation in der Politik Tür und Tor geöffnet. Schließlich ist noch auf einen letzten Gesichtspunkt, der schon im Zusammenhang mit der Entwicklung des Bezeichnungspotentials des Suffixes «-ismo» angedeutet wurde, einzugehen: auf die Tendenz nämlich, dass «echte» fachsprachliche «Ismen», die der politischen Theorie bzw. der politikwissenschaftlichen Fachsprache entstammen, in der politischen (Gebrauchs-)Sprache der Parteien ihren terminologischen Status verlieren, semantisch (oftmals konnotativ, aber durchaus auch denotativ) umgewidmet und für den Gebrauch in der politischen Diskussion bzw. Verbalkonfrontation refunktionalisiert werden, mit der Folge, dass sie oftmals zu quasi-rhetorischen Versatzstücken mit fast alltagssprachlicher Bedeutung herabsinken. Ein typisches Beispiel ist etwa der Terminus «fascismo», zu dem mittlerweile auch ein vulgäres Schimpfwort, «facha»,49 existiert. Wir haben es also mit einer zweiphasigen Entwicklung von Begriffsübernahmen zu tun: Eine scheinbare «Verfachsprachlichung» der politischen Spra-

49

Knapp 1992, 216. 71

che durch die Übernahme politikwissenschaftlicher Termini, 50 die bei der Formulierung politischer Programme und ihrer argumentativen Rechtfertigung eine bedeutende Rolle spielen und einen Prozess der Determinologisierung, bei dem die ehemals fachsprachlichen Lexeme allmählich in den politischen Gebrauchswortschatz bzw. den Wortschatz der öffentlichen Kommunikation eingehen, was zu einem A b b a u der Komplexität ihrer Signifikaten, zu ihrer emotionalen Aufladung, dem Erwerb neuer Markierungen sowie einer Integration in neue Bedeutungsstrukturen führt. Mit dem Verlust ihres fachsprachlichen Charakters büßt die betreffende Lexie ihren internationalen Charakter ein, - ihr signifié wird quasi «vereinzelsprachlicht». Diesen - hier nur «in abstracto» angedeuteten - Vorgang werden wir im Verlaufe unserer Untersuchung an zahlreichen Termini aufzeigen, unter anderem an dem Lexem «totalitarismo», das im Diskurs der politischen Rechten seine fachsprachliche Bedeutung verlor, um zu einer fast synonymen Entsprechung für «marxismo» und «doctrina no cristiana» mit stigmatisierender Funktion zu werden. Überblicken wir das bisher Ausgeführte noch einmal, so können wir zusammenfassend drei grundlegende Aspekte ausmachen, die für die Betrachtung des Wortschatzes «politischer Lehren, Haltungen und Einstellungen» relevant sind und ihm sein charakteristisches Gepräge verleihen: ι. Die Rolle der Diskurstraditionen für das Bedeutungsverständnis der Wortschatzeinheiten dieses «Sinnbezirks», die Tatsache also, dass diese Wörter «möglicherweise ganze Texte mit sich herumtragen» (Schlieben-Lange) 51 oder anders ausgedrückt: sie von der Aura schon existenter Sinnhorizonte (den Herkunfts- und Folgediskursen) umgeben sein können, die als «Mitbedeutetes» oder «Vorausgesetztes» in der aktuellen Rede wirken und zur Spezifizierung des an sich abstrakten, teilweise auch weit gefächerten Bedeutungspotentials beitragen. «Belastende» Traditionen rufen dabei - wie wir sehen werden - (semantische und formale) sprachliche Reaktionen hervor, die über kurz oder lang zu einem «Abtragen» solcher wortgebundenen Traditionsbestände führen (können). 2. Die ideologische Achse durchwirkt zwar auch einzelne Diskurstraditionen, stellt jedoch ein Spezifikum des politischen Wortschatzes dar, da sie einen wesentlichen Beitrag zur parteipolitischen Binnen- und gesamtpolitischen Makrostrukturierung des Wortschatzes leistet und sich in den politischen Diskursen der einzelnen Parteien sowie dem Gesamtdiskurs einer Epoche und eines politischen Systems niederschlägt. Der Diskurs fungiert dabei als Ort der semantischen Ausdifferenzierung und der Usualisierung (innovativer) sprachlicher Einheiten.

50

51

Als Beispiele lassen sich politik- und geschichtswissenschaftliche Fachbegriffe wie «autoritarismo», «totalitarismo» und «humanismo» nennen, auf die wir in den nächsten Kapiteln eingehen werden. Schlieben-Lange 1983, 21.

72

3· Schließlich spielt die Dynamik von Terminologisierung und Determinologisierung für den zu untersuchenden Wortschatzbereich eine wesentliche Rolle. So macht die Übernahme fachsprachlicher Termini wesentlich den Charakter der politischen Sprache aus. Sie relativiert diese Fachsprachlichkeit aber sogleich wieder, wenn sie diese Termini im Zuge eines häufigen und in erster Linie meinungssprachlichen Gebrauchs dem ebenso charakteristischen Determinologisierungsprozess unterwirft. Dieser Vorgang führt in seiner letzten Konsequenz zu einer strukturellen Integration der oftmals importierten Wortschatzeinheiten in das einzelsprachliche System, zu einem Verlust ihrer Markierung als fachsprachlicher Internationalismus und zu einem Übergang in den (gehobenen) alltagssprachlichen Gebrauch. Zumeist geht dabei die konnotative Aufladung des betreffenden Terminus mit einer Reduktion oder gar «Elementarisierung» seines denotativen Gehalts einher. Bevor wir nun zu den verschiedenen «Ismen»-Bildungen im Diskurs der Parteien übergehen, wollen wir zunächst einen Blick darauf werfen, mit welchen lexikalischen Einheiten die Parteien überhaupt ihr politisches Denken bzw. programmatisches Angebot bezeichnen.

2.2

Bezeichnungen für politisches Denken und politische Programmatik in Spanien

Juan F. Garcia Santos leitet sein Kapitel über «el elemento doctrinal» im politischen Vokabular der 2. Republik (1930-1939) sogleich mit einer zusammenfassenden Übersicht über Einheiten dieses Wortschatzbereichs ein: «Con el humano, el otro elemento integrante de un partido es el doctrinal. Detrás de toda formación política hay una ideología que nutre el credo y el ideario políticos del grupo. Este credo, que está al servicio de un ideal o de una causa se concreta en un programa [...].» (García Santos 1980, 103). 52

Diese offensichtlich in den 30er Jahren durchaus üblichen Bezeichnungsweisen für das Denken und die Programmatik der Parteien werden in der jungen spanischen Demokratie nach 1975 teilweise wieder aufgenommen. Dabei wandelten sich nicht selten die Signifikate, interessanterweise jedoch erst in den Jahren nach der erfolgreich abgeschlossenen Demokratisierung des Landes. Wir werden dieser - der «Transición» so überaus geläufigen - Tendenz eines Aufgreifens traditioneller Bezeichnungsmuster der 2. Republik, die für die wieder erstandene spanische Demokratie auch in sprachlicher Hinsicht zunächst einen wichtigen Anknüpfungspunkt bildete, noch mehrfach wiederbegegnen. Sie wird jedoch von einem - insbesondere seit dem sozialistischen Machtantritt einsetzenden - gegenläufigen Trend der Aufhebung und Ablö52

Die Hervorhebungen stammen vom Autor.

73

sung entsprechender Bezeichnungen überlagert, der in letzter Konsequenz zu ihrer gänzlichen Tilgung aus dem Sprachgebrauch führt. In erster Linie lassen sich solche Rückgriffe auf sprachliche Traditionsbestände bei der rechtskonservativen A P (Alianza Popular) feststellen, durch die nicht nur einzelne Schlüsselbegriffe der Sprache der Rechten in der 2. Republik reaktiviert werden, sondern insbesondere auch solche des franquistischen Diskurses. Hierauf wird im Verlauf der Studie immer wieder zurückzukommen sein. So bezeichnete die Partei ihren eigenen politischen Ideenkanon bis 1984 (dem Zeitpunkt ihrer ersten Liberalisierung) als doctrina53 und feierte gar die Programmgebung des Parteigründers und ehemaligen Franco-Ministers Manuel Iribarne Fraga 54 als dessen obra doctrinal.55 Franco selber hatte die franquistische Ideologie (als Staats-5® und zugleich Parteiideologie 57 ) stets als doctrina bezeichnet, die auf «principios» (die ideologischen und zugleich staatsrechtlichen Grundpositionen des Regimes wurden als «principios del movimiento» bezeichnet und als solche im «Ley de 17 de mayo de 1958» festgeschrieben) 58 und «ideales» gründeten: «Pero no sólo las realizaciones materiales son las que justifican y caracterizan esta etapa, sino el haberse asentado, manteniendo y desarrollando una doctrina, unos ideales y unos principios de valor permanente, [...].» (Franco 1975, vol. 2, Τ 1097, 683)

Auf solche «ideales» 59 und «principios»60 berief sich auch die AP, griff dabei also im Rahmen ihres programmatischen Sprechens einen dann in eigener Weise konkretisierten und aktualisierten Bezeichnungstopos des franquistischen Diskurses auf. Insbesondere die Verwendung des Lexems «doctrina» zur Bezeichnung des politischen Denkens einer Gruppierung scheint zunächst ein sprachlicher «Habitus» der Francozeit zu sein, denn Juan F. García Santos führt es in seiner um Vollständigkeit bemühten Studie zur politischen Sprache der 2. Republik nicht an. Aber auch die Chronologie der Einträge im Diccionario de la Real Academia weisen in eine ähnliche Richtung. Während seit 1984

53

54

55 56

57

58

59 60

«Nuestras posiciones de principio han de ser claras, y a mi juicio las siguientes. [Es folgt die Aufzählung solcher Grundprinzipien: humanismo cristiano, línea conservadora y reformista, aceptación de la legitimidad liberal y democrática, justicia social]. Esa es nuestra doctrina». ( A P 1980, 32s.). Manuel Fraga Iribarne (* 1922) war 1962-1969 Minister für Information und Tourismus. Er gilt als Urheber des Pressegesetzes von 1966. «La obra doctrinal de su fundador y presidente Manuel Fraga» ( A P 1984, 60). Cf. Franco 1975, vol. 2, Τ η\2, ύηο (Rede vom 17.6.1968): «Han pasado treinta años y nuestra doctrina está tan lozana y viva como el primer día». Franco 1975, vol. 2, Τ 726, 478 (Rede vom 9.3.1963): «La doctrina del Movimiento va, en su concepción comunitaria del pueblo, a buscarle [gemeint ist: , Anm. d. Verf.] en las células vivas de sus realidades más indiscutibles». Principios del Movimiento Nacional: Ley de 17 de mayo de 1958, in: Franco 1975, vol. i, 347. Cf. Fraga, «Salutación a los miembros del V Congreso Nacional», in: A P 1982, 3. A P 1980, 15.

74

neben den ursprünglichen Bedeutungen «Enseñanza que se da para instrucción de alguno» ( i ) und «Ciencia o sabiduría» (2) auch die politisch-weltanschauliche Bedeutungsnuance («Conjunto de ideas u opiniones religiosas, filosóficas, políticas, etc., sustentadas por una persona o grupo. Doctrina cristiana, tomista, socialista» [3]) verzeichnet wurde, fehlt diese noch in der Ausgabe von 1970. Dort lesen wir unter (3): «Opinión de uno o varios autores en cualquier materia» - eine Bedeutungszuschreibung, die schon nicht mehr in der Ausgabe des Wörterbuches von 1992 figuriert. Schließlich hat diese nicht ganz unproblematische Sprachtradition des Wortes «doctrina» auch Rückwirkungen auf den politischen Wortschatz der Gegenwart. Es fällt auf, dass die verschiedenen politischen Gruppierungen das Lexem heute nicht mehr zur Bezeichnung ihres eigenen politischen Ansatzes verwenden. Die Sozialisten (PSOE) tilgten den Begriff schon auf ihrem Außerordentlichen Parteitag von 1979, denn er figurierte immerhin in den Parteitagsbeschlüssen von 1976 und 1979 61 - ob aus mangelndem Sprachbewusstsein oder als bewusste Imitation eines bis dahin gängigen Sprachusus, das muss freilich offen bleiben. Im Wortschatz des kommunistischen P C E war und ist er jedenfalls inexistent. Die rechtskonservative A P verwendet ihn - wie schon angedeutet - zur Bezeichnung des eigenen Denkens bis 1984, ein Jahr später 62 jedoch nur noch, um die Lehre des politischen Hauptgegners («la doctrina socialista») zu bezeichnen. In dieser - negativ konnotierten - Verwendungsweise findet er sich seit den 90er Jahren besonders im politischen Wortschatz der Sozialisten. In ihren programmatischen Einlassungen von 1994 klassifizieren sie den stigmatisierten Neokonservatismus als «doctrina neoconservadora» und zugleich als «ideología neoconservadora», 63 was auf eine «synonymische Annäherung» der beiden lexikalischen Einheiten hindeutet. «Doctrina» ist heute offenbar ebenso wie «ideología» ein negativ konnotierter Begriff, dem Merkmale wie «Geschlossenheit», «Starre» und «Rigidität» anhaften. Die Signifikatenbestimmung im D R A E , der «doctrina» als «conjunto de ideas u opiniones» umschreibt, gibt diesen letztgenannten Aspekt jedenfalls nicht hinreichend wieder. Neben der in pluralistischen Gesellschaften zu beobachtenden zunehmenden Ablehnung von geschlossenen Denksystemen scheint aber auch die Verankerung in einem diskreditierten Herkunftsdiskurs eine Rolle gespielt zu haben - diesen Schluss legt zumindest die höchst unterschiedliche Verwendungstradition durch die verschiedenen politischen Parteien Spaniens nahe: Während sich in den ersten Jahren der Demokratisierung ein klares Links-Rechtsmuster herausschälte, distanzierte sich in der Ä r a Gonzalez auch die Alianza Popular im Gefolge einer Modernisierung und Liberalisierung ihres inhaltlichen Angebotes von diesem Programmverständnis. 61

62 63

Cf. P S O E 1976, 3 und 1979a, 4 Pol: «La finalidad liberadora y desalienante del socialismo [...] hace que para el P S O E , sea principio esencial de su doctrina la lucha por la conquista del poder político como palanca para la construcción del socialismo [...].». Cf. A P 1985, 198. Beide Syntagmen in: P S O E 1994, 38.

75

Da, wie der Eintrag (3) der Ausgabe des D R A E von 1992 andeutet, die Bedeutungen von «doctrina» und «ideología» zu konvergieren scheinen, muss auch die Bedeutungs- und Gebrauchsgeschichte des konkurrierenden Lexems in den Blick gerückt werden. Das Wort «ideología» war aus dem offiziellen Sprachgebrauch des FrancoRegimes verbannt worden. Das eigene politische Ideengebäude wurde von der franquistischen Propaganda als «principios», «ideales», «ideario» oder «doctrina» angepriesen, das Bezugssystem des Hauptfeindes, der «Marxismus», als «el materialismo»®4 (mit dem Verb «materializar» wie in «Todo se moviliza para extirpar la fe de las consciencias [sic!], materializar a los hombres y arrebatarles su libertad»®5 und dem Adjektiv «materialista», wie in «revolución/ amenaza materialista» 66 ) bzw. als ein diffuses Gefüge nicht weiter spezifizierter, ihrem Grunde nach «wesensgleicher» Lehren («las filosofías de la materia»,67 «las falsas filosofías»68) gebrandmarkt. Auch hierbei zeigt sich wie bei der «Politisierung» des Wortes «doctrina» der stark weltanschauliche - im Selbstverständnis des Regimes «philosophische» - Charakter politischer Standortbestimmungen, der sich dementsprechend auch in der politischen Sprache niederschlug. Diese Tendenz sollte sich, wie unsere Analyse aufzeigen wird, auch über die historische Zäsur von 1975/6 hinaus bis in die Gegenwart fortschreiben. Die Verbannung von «ideología» aus der politischen Sprache der Francozeit (allenfalls das Adjektiv wurde verwendet, um ein düsteres Bild von den zerstörerischen «pugnas ideológicas» bzw. dem «caos ideológico»69 der modernen Welt zu zeichnen; die eigene Welt ruhte ja - ganz im Einklang mit der christlichen Tradition - auf einer «doctrina») manifestiert sich auch darin, dass in dem D R A E von 1970 das Lexem nicht in seiner politischen Bedeutung verzeichnet wurde, sondern lediglich auf seine geistesgeschichtlichen Wurzeln und damit seinen Charakter als Fachterminus der Ideen- bzw. Philosophiegeschichte verwiesen wird ( D R A E 1970: «Ideología - Rama de las ciencias filosóficas que trata del origen y la clasificación de las ideas. Doctrina filosófica,

64

65 66 67

68 69

Belegbeispiele in: Franco 1975, vol. 2, Τ 1183, 839s. (15.10.1945): «[...] la violencia del materialismo lleva inexorablemente hacia la más bárbara de las tiranías»; vol. 1, Τ 95, loss. (8.7.1964): «El peligro del materialismo exterior: el ateísmo, el comunismo y la relajación de las costumbres». Franco 1975, vol. 1, Τ 83, 92s. Franco 1975, vol. 2, Τ 1408, 850 und Franco 1975, vol. 2, Τ 1416, 854. Franco 1975, vol. 2, Τ 768, 505: «[...] el ideal político que corresponde al sentido tradicional de la personalidad en que nos ha educado la religion cristiana, frente a otras religiones de la naturaleza y a otras filosofías de la materia, para las que el político aparece como el orden ciego de las leyes que rigen la materia y que tienen hoy precisamente en el materialismo histórico y dialéctico del mundo soviético, su forma más terriblemente atea [...].» Franco 1975, vol. 2, Τ 1410, 851. Franco 1975, vol. 2, Τ 1410, 851.

76

cuyo principal representante fue Destutt de Tracy (1754-1836), centrada en el estudio del origen de las ideas.») Erst in der Auflage von 1984 finden wir den folgenden, wenig präzisen, Eintrag unter (2): «Ideología - Conjunto de ideas fundamentales que caracteriza el pensamiento de una persona, colectividad o época, de un movimiento cultural, religioso o político, etc. Ideología tomista, tridentina, liberal.» ( D R A E 1984 = 1992)

Abgesehen von dem - durch determinierendes Adjektiv explizit gemachten zusätzlichen Bedeutungsmoment «fundamental», koinzidiert (wie zudem die Beispiele «ideología tridentina, liberal» etc. zeigen) diese Inhaltsbestimmung mit der von «doctrina». Um nun jedoch sowohl die denotative wie die konnotative Seite des Begriffs im heutigen politischen Wortschatz klar herausarbeiten zu können, muss kurz auf die Geschichte seiner Gebrauchstradition eingegangen werden, vor deren Hintergrund die semantischen bzw. semantisch-pragmatischen Entwicklungen nach 1976 in Spanien gedeutet werden können. Bezeichnete das Wort «ideología» zunächst - wie ja auch der D R A E von 1970 in seiner «etymologisierenden» Bedeutungsbeschreibung herausgestellt hatte - eine von Destutt de Tracy begründete und seiner Schule der «ideologues» fortgeführte Wissenschaftsdisziplin, die sich die Entwicklung von Methoden für eine exakte Ideenanalyse zum Ziel gesetzt hatte, so brachte Napoléon Bonapartes abschätziges Urteil über die «doctrinaires abstraits, nébuleux, idéalistes, et dangereux (pour le pouvoir) à cause de leur méconnaissance des problèmes concrets» 70 den Terminus schon frühzeitig in Verruf. 71 Der Ideologiebegriff der marxistischen Gesellschaftsanalyse wirkt dagegen bis heute nach und damit auch die ihm anhaftende Ambivalenz: So bezeichnet er einerseits das aus der Überbau-Basis-Problematik erwachsende «falsche Bewusstsein», den «gesellschaftlich notwendigen Schein» 72 der bürgerlichen Gesellschaft. In dieser Bedeutung wird er zu einem Schlüsselkonzept der Entlarvung falscher gesellschaftlicher Vorstellungen, kurz: der modernen «Ideologiekritik». Andererseits besaß der Begriff jedoch im «innermarxistischen» Sprachgebrauch auch den Wert eines Mirandums, so als positiver Pol in Lenins schroffer Gegenüberstellung von «bürgerlicher» und «sozialistischer» Ideologie. Während dieses Begriffsverständnis im Machtbereich der Sowjetunion bis zu ihrem Untergang verbindlich blieb, aktualisierten die Denker der Frankfurter Schule das negative Bedeutungspotential des Begriffs im Rahmen ihrer kritischen Bestandsaufnahme der «spätkapitalistischen» Gesellschaft. 73

70 71

So Reboul 1980, 17. Ausführlich neben Reboul 1980, i6ss. auch Euchner, Ideologie in: Nohlen/Schultze 1995,

72 73

192SS.

Euchner in: Nohlen/Schultze 1995, 193; ausführlich Reboul 1980, i8ss. Ebenda.

77

0. Reboul hat in seinem definitorischen Versuch die grundlegenden Bedeutungsmerkmale des Ideologiebegriffs als «differentia specifica» zu dem «genus proximum» «la pensée» herausgearbeitet: Die «idéologie» ist eine Form der «pensée», die sich durch die definitorischen Merkmale [, fruto de la ruptura y del cambio, propugnando con mayor o menor radicalismo o prudencia, según los casos, pero siempre de acuerdo con un modelo preconcebido y trascendentemente justificado, incluso cuando de una trascendencia materialista se trate.» ( A P 1984, 60) 3) «Los de toda clase, incluidos los socialistas, dependen de un modelo previo y en consecuencia están alienados.» ( A P 1984, 61) b)

«historicismo»/«historicista»: 4) «La sociedad que propugnamos ha de ser una sociedad abierta tanto a un pasado del que somos orgullosos heredores como a un futuro del que hemos de ser responsables constructores. Ni de aquél puede ni debe hacerse tabla rasa porque nos posibilita y enriquece ni éste ha de considerarse ya predestinado. Por ello nos sentimos historicistas, porque recibimos los legados de la historia, los hacemos nuestros y pretendemos continuarla.» ( A P 1984, 60) 5) «La segunda opción, la historicista, considera la sociedad desde un punto de vista histórico cuyo paradigma es no tanto la construcción arquitectónica como el desarrollo biológico, propio de las especies vegetales, en los cuales la profundidad de la raíz, el libre desarrollo de los tallos y la expansión espontánea y aparentemente anárquica de las ramas a través del tiempo es garantía de armonía y solidez.» ( A P 1984, 60s.) 6) «[...] Esta orientación puede denominarse pragmatismo historicista porque tiende a conseguir lo que es posible en cada momento, fomentando y conduciendo las tendencias espontáneas de la sociedad hacia metas siempre cambiantes, pero insertas en un mismo proyecto de evolución orgánica.» ( A P 1984, 60) 7) «Son reformistas (los partidos de derecha, centro-derecha y centro en Europa Occidental) y opuestos por ello tanto al inmovilismo como a la revolución, actitudes ambas inspiradas, como se decía en la Ponencia del V I Congreso, en la vieja idea y autoritaria que pretende modelar caprichosamente la realidad social con arreglo a modelos preconcebidos, en lugar de impulsar, desde un pragmatismo historicista la evolución espontánea hacia metas siempre cambiantes, pero insertas en un proceso de evolución orgánica.» (PP 1989a, lis.)

D i e «Begriffsschöpfer» stellen die Durchsichtigkeit des Wortbildungstyps heraus u n d n u t z e n g e s c h i c k t d e n S p i e l r a u m , d e r sich z w i s c h e n t r a n s p a r e n t e m B e deutungskern und ausdeutbaren Bedeutungsrändern auftut. In den Beispielen 1) und 4) w i r d die O f f e n s i c h t l i c h k e i t d e r B e g r i f f s b e d e u t u n g e n d e u t l i c h g e m a c h t , « c o n s t r u c t i v i s m o » b e z e i c h n e t «natürlich» e i n e H a l t u n g d e s

«querer 103

construir» und «historicismo» eine bestimmte Position zur «historia». Die Lexeme werden aber dann um diesen Kernbereich herum - ganz im Einklang mit den Intentionen der Parteistrategen - ausgedeutet und - wie die konkreten Beispiele zeigen - als euphemistische Substitute für negativ konnotierte Konzepte der Franco-Epoche verwendet und bezeichnen zugleich eine politische Handlungsstrategie der Gegenwart, die das in der Vergangenheit Geschaffene bewahrt und fortsetzt (—»· reformismo, conservadurismo). Die politischen Gegner links von der AP belegten eine solche Haltung mit dem Stigmawort «neofranquista», einen Terminus, den wir weiter unten kommentieren wollen. «Historicismo» kann aber auch - wie Beispiel 5) und 6) zeigen - als gesellschaftspolitischer Begriff verwendet werden, und er referiert dann auf eine aus dem sozio-politischen Diskurs der Franco-Zeit tradierte - organizistische Gesellschaftsideologie, die soziale Entwicklungen in Analogie zu «organischen» Entwicklungsprozessen deutet und den Status quo als ebenso notwendiges wie harmonisches Stadium einer natürlichen bzw. gesunden Entwicklung rechtfertigt. In den Textbeispielen (5) und (6) machen die Schlüsselpassagen «el desarrollo biológico, propio de las especies vegetales [como paradigma]» sowie «tendencias espontáneas [...] insertas en un mismo proceso de evolución orgánica» die Anknüpfung an den organizistischen Diskurs der Franco-Zeit177 deutlich. Der sehr allgemeine Bedeutungskern des Lexems («historicismo» als «actitud positiva con respecto a la historia») ermöglicht es also den Partei-Ideologen, zwei zentrale «neofranquistische» Positionen auf «bildungssprachliche» Weise wiederzubeleben, - eine grundsätzlich affirmative Haltung zur franquistischen Vergangenheit und ein organizistisches Gesellschaftsverständnis, das man auch in der Demokratie weiterführte. Die scheinbare «Durchsichtigkeit» des Wortbildungstyps kaschiert zunächst den eigentlichen Bedeutungsinhalt nach außen, die autoritative Auslegung durch die Chefideologen macht ihn im Innenverhältnis der Partei zu einem aussagekräftigen und hochgradig ideologischen Lexem, aus dessen euphemistischen Charakter man zugleich für eine «politisch korrekte» Kommunikation in der neuen Demokratie Nutzen ziehen konnte. Widerpart des «historicismo» ist der «constructivismo» als eine gesellschaftspolitische Position, die - so die Einlassungen in Beispiel 2) und 3) auf der Grundlage eines vorgefertigten gesellschaftlichen Idealentwurfs («de acuerdo con un modelo preconcebido y trascendentemente justificado» [2]) 177

Cf. dazu Kapitel 3.1.1; als typischer Beleg aus der Franco-Ära mag dienen: «A la democracia inorgánica que ellos practican, España opone la orgánica y representativa que es la representación a través de los organismos naturales en que el hombre se encuadra.» (Franco am 1 . 1 0 . 1 9 6 1 , in: Franco 1975, vol. 2, Τ 696, 462); ausführlich zum Organizismus als Kernelement der franquistischen Ideologie cf. die Ausführungen eines der «Chefideologen» und Apologeten des Regimes Gonzalo Fernández de la Mora 1 9 9 2 , 3 1 7 S S . 104

durch aktives staatliches Handeln eine bestimmte soziale Realität schaffen («konstruieren») will. Die «Spontaneität» der gesellschaftlichen Entwicklung wird hier durch aktiv-steuernde politische Eingriffe beseitigt. Das Lexem «constructivismo» ist ein Oberbegriff für alle möglichen soziopolitischen Lehren und Positionen, die für eine modellgeleitete Gesellschaftspolitik plädieren. Die Partei schreibt die «socialistas» in den Bezeichnungsradius von «constructivista» mit ein, jedoch als «auch»-Mitglieder, nicht als «vor allem»-Mitglieder - auf Prototypizitätsurteile wird also verzichtet. Der «constructivismo» bzw. «posiciones constructivistas» werden in eine semantische Nähe zum «autoritarismo» gerückt und dadurch mit einem eigentlich auf die Diktatur gemünzten Stigmawort in Verbindung gebracht (dazu weiter unten). Aktive Gesellschaftspolitik ist folglich «constructivista» und als solche «autoritaria», - so die Begriffslogik der Partei. Die beiden Begriffe werden nicht in die 90er Jahre «hinübergerettet» auch sie geraten im Zuge der ideologischen Erneuerung der Partei außer Gebrauch. Immerhin rekurriert die Partei in ihrer Standortbestimmung von 1989 noch einmal auf sie - das Adjektiv «constructivista» wird freilich in Anführungszeichen zitiert, den Begriff «historicista» relativiert man, indem man ihn in die Tradition europäischen liberal-konservativen Denkens einschreibt; der Partido Popular wird nun qua «historicismo» zum Mitglied einer europäischen «comunidad ideológica». 178 Der Begriff «historicismo» war aber nicht nur als ein neofranquistische Positionen verbrämender Pseudokultismus unhaltbar geworden, er musste auch dem Vordringen eines tatsächlich gelehrten «historicismo» weichen, das in dem D R A E von 1984 erstmals lexikalisiert und wie folgt definiert wird: «Tendencia intelectual a reducir la realidad humana a su historicidad o condición histórica.» «Historicismo» - so wie er im D R A E definiert wird - ist - ganz anders als die Konkurrenzprägung der A P - eher negativ konnotiert und beschreibt eine Haltung, die Erscheinungen der menschlichen Wirklichkeit in reduktionistischer Manier alleine auf das Historische zurückführt (der «historicismo» als ein «reduccionismo»). Ungeklärt bleiben muss allerdings die Frage, ob dieser sozusagen authentische - «historicismo»-Begriff ein echter bildungssprachlicher Neologismus ist oder ob er als die vergröberte und popularisierte Variante eines «systemphilosophischen» Fachterminus oder gar eines geschichtsphilosophischen Methodenbegriffes anzusehen ist. Als Ergebnis unserer Betrachtungen können wir festhalten, dass die Partei wie schon im Falle von «humanismo cristiano» aus dem internationalen Kultismenreservoir schöpft, um sozusagen «hinter der Fassade» eines prestigereichen Signifikanten ihrem Wesen nach traditionelle Inhalte zu «transportieren», die

178

PP 1989a, ri. 105

aufgrund eines gewandelten politischen Meinungsklimas kaum mehr direkt angesprochen werden konnten. Neben der formalen Anleihe bei dem Signifikantenbestand der internationalen Bildungssprache stand den Begriffsschöpfern der Partei ein zweites innersprachlich-strukturelles - Verfahren zu Gebote: Die Kernbedeutungen der beiden «Ismen»-Bildungen ließen sich leicht im Zuge einer remotivierenden Lesart (etwa «constructivismo»: «doctrina referente a la construcción de algo») bestimmen, die Bedeutungsränder (etwa «tipo de construcción», «actores implicados», «dominio de referencia» etc.) ließen sich hingegen durch gruppenspezifische Ausdeutung, also «diskursspezifisch», festschreiben. Nachdem die Partei sich jedoch von den implizierten Inhalten endgültig verabschiedet hatte, gleichzeitig aber die Bedeutung der echten Kultismen breiteren Bevölkerungskreisen - wohl nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Popularisierung in breiteren Bevölkerungskreisen, wovon auch die Aufnahme von «historicismo» in den D R A E von 1984 zeugt - geläufiger wurde, verschwanden die terminologischen Prägungen aus dem Wortschatz der Rechtspartei. Eine Zwischenstellung zwischen der bisher untersuchten Kategorie von politischen Begriffen, Neuprägungen nach dem Derivationstyp auf «-ismo/-ista» und der im nächsten Unterabschnitt zu behandelnden Gruppe von Begriffen, die schon in einer bestimmten politischen Tradition stehen und teilweise reaktiviert, teilweise umgedeutet werden, nimmt der Begriff «populismo» ein. Der Begriff scheint schon in der 2. Republik zum politischen Wortschatz gehört zu haben, spielte aber wohl eine unbedeutende Rolle. García Santos erwähnt ihn lediglich ein einziges Mal und führt zudem keinen Textbeleg an. Nach seiner Darstellung scheint «populismo» ein Synonym für «cedismo» und das noch negativer konnotierte «vaticanismo» gewesen zu sein. 179 «Cedismo» spielte auf die Politik der C E D A (Confederación Española de Derechas Autónomas), der traditionalistischen katholischen Rechten, an, die mit den Begriffen «agrarismo»l8c ( D R A E 1992: «1. Conjunto de intereses referentes a la explotación agraria. 2. Corriente política que los defiende»), «fascismo» und dem Adjektiv «reaccionario»181 assoziiert wurde. «Populismo», das im politischen Wortschatz der 2. Republik höchstens eine marginale Stellung einnahm, wurde - wenn man die assoziierten Begriffe und ihre Konnotationen berücksichtigt - offenbar ausschließlich von der politischen Linken und in der Funktion eines (nachrangigen) Stigmabegriffes verwendet. Dass das Lexem in Spanien keinerlei Tradition besitzt, zeigen auch die Ausführungen der Enciclopedia Universal Ilustrada' 82 aus den 20er Jahren, die zu 179 180

181 182

García Santos 1980, 115. Die «agrarios» galten ihren Gegnern als «defensores de los intereses de los latifundistas y terratenientes.» Politisch sah man sie als «monárquicos disfrazados o monárquicos embozados» an; García Santos 1980, 607. García Santos 1980, 609. Enciclopedia Universal Ilustrada, vol. 46, 454.

106

dem Adjektiv «populista» (für das Substantiv «populismo» fehlt gar jeglicher lexikographischer Nachweis aus jener Zeit) anmerkt: «Populista. (Del angloamericano populist.) m. Relativo o perteneciente al partido populista. Este partido político se fundó en Cincinnati en 1892 [sic!].»

Nach Ch. Nord 1 8 3 und J. de Santiago Guervós 1 8 4 sind das Substantiv und das entsprechende Adjektiv Neologismen der Transición Política. Der von Ch. Nord zitierte Textbeleg, der auf die «volksfreundliche Politik» des baskisch-nationalistischen P N V referiert, macht deutlich, dass der Begriff keine Exklusivprägung der Alianza Popular, sondern eine allgemeine Wortschöpfung dieser politischen Etappe darstellt. 185 Möglicherweise hat auch das französische «populisme» Pate gestanden, das sich in einer ähnlichen Bedeutung als «importance donnée aux couches populaires de la société (en art, en politique, etc.)» mit Verweis auf «ouvriérisme» und «prolétarisme» schon seit 1929 belegen lässt. 186 Die Alianza Popular machte die Lexeme «populismo»!«populista» - wie sie selber angibt seit 1979 187 - zu ihrem Identitätsbegriff und deutete den Begriff in ihrem Sinne aus. Wieder konnte sie den semantischen Randbereich um den «durchsichtigen» Bedeutungskern («populismo»: etwa «actitud favorable al pueblo») herum diskursiv ausgestalten und damit das Lexem zu einem mehr oder weniger exklusiven Hochwertbegriff der Partei ausbauen. So ist im Diskurs der A P «populismo»/«populista» eben nicht einfach nur eine «volksfreundliche Politik», sondern weitaus mehr, wie die folgenden Beispiele zeigen: 1) «Nosotros tenemos que aspirar a recoger, de nuevo, a esa gran fuerza, que está ahí; en un verdadero populismo, como el que sugiere nuestro mismo nombre, el de Alianza Popular. Ni podemos renunciar a él, ni actuar de modo incongruente con esa idea: en la que quepa todo el pueblo, toda la sociedad rea/;l8S que no se estrecha de modo que un aldeano, o un trabajador, o un estudiante, no se pueden encontrar representados. Sólo si hacemos ésto, de buena fe, y lo hacemos bien, podremos, llegar a ser un gran partido mayoritario, como España necesita.» ( A P 1980, 28s.) 2) «Por su parte, el Congreso de 1979, definió al Partido Popular como (fuerza conservadora, reformista, democrática y populistas Este último aspecto, el del populismo, fue quizá el más acentuado dentro de la Ponencia dándole un carácter y un significado totalizador y conectándolo también con la idea, que aparece por primera vez en la estrategia y filosofía del Partido, de la PCE 370 PCE 371 PCE 372 PCE 367

170

I99I>

23.

1983, 36. 1991, 27. 1995, 52. 1991, 27. 1991, 7. 1991, 16.

fixoid «eco-» kombiniert wird und das resultierende Wort auf eine neue, postindustrielle Identität der Partei verweist, so in: ¿Por qué una coniente ecosocialista en IU? 3 7 3

Ende der 70er Jahre dokumentierte der P C E seine ideologische Weiterentwicklung durch die Anfügung des euphemistisch gebrauchten Präfixoids «euro-», das jedoch in den 90er Jahren, nach dem Ende des «socialismo real», nicht mehr wirklichkeitsadäquat war. Aus diesem Grunde wurde es nun von dem modernen «Hochwert»-morphem «eco-» abgelöst, das seine Funktion übernahm. Mit dem Präfixoid «eco-» und auf der Grundlage des Adjektivs «ecològico» wurden seit den ausgehenden 80er Jahren eine Reihe neuer Programm- und Identitätsbegriffe der «neuen Linken» geprägt wie z. B. «ecodesarrollo»,374 «ecocompatible»37S «Ecoindustria»,376 «ecologizar la política», 377 318 «reconversión ecológica», «ecologización (del funcionamiento de las administraciones públicas)». 379 Im Einklang mit den neuen Prioritäten verband man den Traditionsbegriff «comunismo» mit dem Prestigemorphem der ideologischen Avantgarde. Auf die sprachliche Synthese der ausgehenden 70er Jahre («democracia» und «comunismo»), folgte in den Neunzigern die von «ecologismo» und «comunismo»: «Trabajamos por fundir el ecologismo y el comunismo en un que rechace tanto el despilfarro contaminador [...] como el supuesto papel salvador del Estado.» ( P C E 1995, 53)

Kehren wir aber zum Begriff «socialismo» zurück. Seine erwähnte Erhebung zum zentralen Leitbegriff des P C E bürdete der Partei jedoch eine schwere Hypothek auf. Die negative Aura des «socialismo real» übertrug sich automatisch auch auf den nicht genauer determinierten «socialismo»-Begriff, zumal die Sprachbenutzer aufgrund ihres Weltwissens gerade auch den Partido Comunista am ehesten mit diesem Phänomen in Verbindung brachten. Der P C E distanziert sich nicht nur von der Bezeichnung «socialismo real», sondern er weist dem bezeichneten Phänomen (den politischen Systemen Osteuropas nach 1945) eigene Begriffe zu: «Pero la confrontation histórica entre Capitalismo y Estatalismo se ha saldado esencialmente con la victoria del primero.» ( P C E 1995, 30)

Wir hatten bereits im Zusammenhang mit dem Diskurs der A P auf die A b grenzung des Neologismus «estatalismo» von «estatismo» hingewiesen. «Estatismo» (in der Bedeutung «Vormachtstellung des Staates») gehört verSetien in: P C E 1992, 8. IU 1986, 15 und IU 1993, 52. 3 7 5 IU 1993, 43. 376 IU 1996, 42. 377 IU 1986, 14. 378 IU 1993, 49. 3™ IU 1996, 94. 373

374

171

ständlicherweise nicht zum Lexeminventar des P C E , erstaunlich ist aber die späte «Entdeckung» von «estatalismo» durch den P C E und seine Funktionalisierung im Diskurs der Partei: «estatalismo» wird als drittes Glied in die Opposition von «capitalismo» und «socialismo» integriert und hat die Funktion, als Antonym den «socialismo»-Begriff zu entlasten und gegen jegliche Identifikationsversuche mit den politischen Erscheinungen in Osteuropa zu immunisieren. Hier, im Diskurs der Partei, wird «estatalismo» zu einem echten Systembegriff, der neben dem «capitalismo» ein weiteres Realsystem bezeichnen soll, das in keiner Weise mit dem Idealbegriff «socialismo» identifiziert bzw. «verwechselt» werden darf. Besonders deutlich treten diese semantischen Abgrenzungsversuche in der folgenden politischen Stellungnahme des P C E von 1995 hervor, in der wieder einmal - und gleichsam als «linguistisches Reserveargument» - die «eigentliche» Bedeutung der Lexeme durch eine (re-)motivierende Lektüre «freigelegt» werden soll: «De hecho, su característica común [de los regímenes estatalistas, Anm. d. Verf.] ha sido el protagonismo casi absoluto del Estado en la regulación de la vida económica, sobre la base de la propiedad estatal» (que no es social) de los medios de producción. Por ello, es más adecuado denominar dichos regímenes sociales no como de socialismo real> sino como Estatalistas.» ( P C E 1995, 30)

Darüber hinaus entdeckt der P C E nun plötzlich auch den - von der politischen Linken bisher geschmähten - Totalitarismusbegriff (ausführlich cf. Kap. 2.7) und appliziert ihn auf die Herrschaftsverhältnisse jenseits des Eisernen Vorhanges: «¿Es acaso el derrumbamiento del totalitarismo soviético, [...], fruto de una causalidad histórica de nuestro siglo?» 380 Statt von «totalitarismo soviético» spricht der Partei-Ideologe I. Balaguer - personalisierend - auch von «totalitarismo estalinista».381 Und ein wenig beschönigend 382 (der Totalitarismus-Begriff impliziert staatlichen Terror und Verfolgung, das im folgenden Beleg angeführte Kriterium der «Ideologielastigkeit» verdeckt dieses zentrale Moment des Totalitarismus) definiert er den Terminus «totalitarismo» als: «La esencia del totalitarismo de una especie u otra consiste, pues, en la sustitución de todos los fundamentos jurídico-legales por postulados simplemente ideológicos.» (Balaguer 1991, 8)

Im Zusammenhang mit «socialismo» und «comunismo» wird auch der Begriff «socialización» aufgewertet und neu gedeutet: «socialización» ist nicht mehr auf den Staat als Agens bezogen, vielmehr ist der Staat das Objekt des Sozialisierungshandelns: «Socialización del Estado, para devolver a la sociedad organizada el control sobre la gestión de los asuntos públicos.» ( P C E 1995, 47)

380 381 382

Balaguer 1991, 8. «El fracaso del socialismo real>, del totalitarismo estalinista, [...].» (ebenda). Cf. Totalitarismus in: Nohlen/ Schultze 1995, 671.

172

Diese Remotivierung von «socializar» («socializar» mit ihrem Verweis auf «sociedad») findet sich auffälligerweise bei allen Parteien (Ende der 70er Jahre bei der A P (siehe oben), beim P S O E wie beim Partido Comunista in den 90er Jahren, dazu weiter unten) und spiegelt die feste Überzeugung der Sprecher wider, die «durchsichtige» Reinterpretation lege den wahren Bedeutungskern offen, die Remotivation stelle mitunter eine geeignete «semantische Therapie» gegen die - ihrer Auffassung nach - erfolgte Korruption sprachlicher Zeichen Der P C E stellt seinerseits nun eine begriffliche Verknüpfung zwischen «socialización», «comunismo» und «comunitario» (letzterer ein überhaupt nicht in marxistischer Tradition stehender Begriff, der vielmehr auf - von Liberalismus-Skepsis geprägtes - kommunitaristisches Denken verweist) 383 her und kommentiert diese auch metasprachlich: «Y no hacemos un juego de palabras al decir que dicho desarrollo comunitario es el objetivo y la tarea de los comunistas.» ( P C E 1995, 43)

Auch bei dem Lexem «comunismo» macht sich der Wunsch der Sprecher bemerkbar, das völlig korrumpierte Signifikat des Wortes durch einen Remotivationsversuch, die Rückführung auf seine «eigentliche», ja «wahre» Bedeutung zu «authentifizieren». Der Versuch, die ursprünglichen Bedeutungsmomente wie «comun(idad)» und «comunitario» wieder durchscheinen zu lassen sowie die semantische Anbindung an «socialización», bedeuten letztlich das Zurückgehen zu einer vor-marxistischen (bzw. nicht-marxistischen) Bedeutungstradition, wie sie - im Gegensatz zu den neueren Auflagen - das Akademiewörterbuch in den Jahren des Franquismus festgeschrieben hatte. Dort (etwa im D R A E von 1956 und 1970) wird «comunismo» unter völliger Ausblendung der marxistischen Tradition erläutert als: «Comunismo (1956 = 1970): Sistema por el cual se quiere abolir el derecho de propiedad privada y establecer la comunidad de bienes.»384 Die systematische Inkorporierung von «socialismo» einerseits und die Reformulierung von «comunismo» andererseits, modifizieren auch das semantische Verhältnis dieser Schlüsselbegriffe zu «marxismo»: «Marxismo» ist in den 90er Jahren kein Synonym (oder Oberbegriff) mehr für «socialismo» oder «comunismo» (wie etwa noch in den 80er Jahren), sondern bezeichnet nur noch eine bestimmte ideologische Tradition und deren verschiedene Unterströmungen. Betrachten wir die Zitate:

383

384

Cf. Kallscheuer, Kommunitarismus in: Nohlen/Schultze 1995, 257: «Kommunitarismus (Kommunitarismus, amerikanisches Lehnwort von communitarianism), ist eine neuere Bezeichnung für Gemeinsinn-Orientierung oder Gemeinschaftssinn, sei es als diagnostische Kategorie soziologischer Analyse, sei es als normatives Ziel politischer Theorie.» García Santos 1980, 242 führt auch ein Beispiel für diese nicht- bzw. vor-marxistische Bedeutungsvariante des Lexems an, i.e. «comunismo» als «abolición de la propiedad privada y su sustitución por una comunidad de bienes».

173

«Cabe reconstruir y desarrollar algunos conceptos de la tradición marxista que la realidad ha demostrado que eran erróneos.» ( P C E 1991, 25) «Estas concepciones occidentalistas del marxismo no han servido ni sirven para entender procesos históricos y para enfocar adecuadamente prácticas sociales transformadoras en una visión global.» (PCE 1991, 26) «Instrumento leal y crítico [= el partido] que se inspira en el pensamiento marxista en cuanto producto del desarrollo social de las ideas, que a través de cientos de años han expresado la centralidad del ser humano y su entorno como sujeto de todo avance hacia una sociedad globalmente desarrollada.» ( P C E 1991, 44)

Wie die Beispiele zeigen, wird der «marxismo» selber zu einem Produkt der historischen Entwicklung («marxismo en cuanto producto del desarrollo social»), d. h. der «marxismo»-Begriff wird historisch (—» Verweis auf die «tradición marxista»), soziologisch (—*• «producto del desarrollo social de las ideas») und kulturell (—»· «concepciones occidentalistas») «relativiert», also gleichsam deterministisch «gebrochen». Da die marxistische Tradition über den «comunismo» hinausgeht, ist eine reine Gleichsetzung von «marxismo» und «comunismo» nicht (mehr) möglich. Deshalb prägte die Partei das Syntagma «marxismo revolucionario», durch das sie sich innerhalb der weiten «marxismo»-Tradition situiert und zugleich die Zielsetzung ihres künftigen politischen Handelns festlegt. Dabei wendet sie sich von dem «bisherigen» (sozusagen «real existierenden») Marxismus definitiv ab, den sie durch das neologistische Adjektiv «occidentalista» zu einer Strömung des westlich-abendländischen Denkens (—* «occidental») historisiert.385 Ein ähnliches Vorgehen zeigt sich auch hinsichtlich der Bestimmung des von der Partei repräsentierten Wählerspektrums. Gemäß ihrer Tradition, dem «marxismo revolucionario», vertritt die Partei die «izquierda transformadora» und nicht - wie sie es noch 1987 formulierte - die «izquierda moderada o posibilista»,386 die vor allem im P S O E ihre politische Heimat besaß. «El P C E se basa en el marxismo revolucionario.» ( P C E 1987, 25 und P C E 1995, 81) «El análisis de este período, en un momento de cierta recuperación de la izquierda transformadora.» ( P C E 1987, 3)

Ein neuer, auf das europäische Parteienspektrum hin ausgerichteter Begriff ist das Kompositum «rojiverde», das zumeist in das Syntagma «el polo rojiverde» integriert ist und eine Synthese aus «alter» und «neuer» Linken bezeichnen soll, die in Spanien im Selbstverständnis der Partei eben von der «Izquierda Unida» verkörpert wird. Den «polo rojiverde» konstituieren «corrientes clásicas del pensamiento obrero (comunistas, socialistas, etc.) y los pensamientos emergentes del pacifismo, ecologismo, juventud, feminismo o creyentes comprometidos.» 387 Die Farbbezeichnungen symbolisieren die beiden Hauptströ385

386 387

«Occidentalista» erstmals belegt in: P C E 1991, 26: «Estas concepciones occidentalistas del marxismo no han servido ni sirven para entender procesos históricos.» Z u «posibilista», siehe weiter unten. P C E 1995, 50.

174

mungen dieser diffusen Bündniskonstellation, «rojo» den «obrerismo», die klassische Arbeiterbewegung und «verde» die neuen Strömungen, die sich um den «ecologismo» als den gemeinsamen Leitgedanken gruppieren.

2.8

Zum

Identitätswortschatz des

PSOE

Bis zur Abwahl der sozialistischen Regierung González im Jahre 1996 war das Lexem «socialismo» der zentrale - geradezu wie ein Magnet wirkende Schlüsselbegriff der politischen Sprache des Landes, mit dem sich jede Partei ganz gleich welcher Couleur - auseinander zusetzen hatte, sei es, dass sie sich in schärfster Weise von ihm abgrenzte wie der konservative Partido Popular, oder dass sie ihn zu einer A r t Identitätssymbol erhob, wie die regierenden Sozialisten und die - wie wir gezeigt haben - «neokommunistische» Parteienkoalition Izquierda Unida. Es kann im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung natürlich nicht darum gehen, einen in historischer und politikwissenschaftlicher Hinsicht grundlegenden Begriff unseres Kulturraums in seiner Entwicklung und seinen Bedeutungsfacetten nachzuzeichnen, wohl aber ist es zumindest auch aus linguistischer Sicht durchaus legitim danach zu fragen, wie denn überhaupt ein in semantischer Hinsicht derart umfassender Begriff im politischen Sprachverkehr verwendet wird bzw. auf welche Strategien die Parteien zu seiner semantischen Spezifizierung und konnotativen Aufladung zurückgreifen. Interessant sind diese Fragestellungen aber gerade auch in diachroner Hinsicht, zumal sich einerseits das begriffliche «Umfeld» von «socialismo» in den Diskursen der Parteien wandelte, andererseits aber auch das Weltwissen (Stichwörter sind hier etwa die Diskreditierung des «socialismo real», die marktwirtschaftliche Modernisierungspolitik des P S O E nach 1982, die wachsende Staatsskepsis), - beides Anlass genug für sprachpsychologische Reaktionen und damit einhergehende Adaptationen seitens der Sprecher. Wenn man sich die bewegte Geschichte des P S O E von 1974, dem Kongress der Partei im französischen Exil (Suresnes), bis 1996, dem Jahr der Abwahl der skandalgebeutelten Regierung González, vor Augen hält, so verwundert es nicht, dass die Definitionsversuche von «socialismo» verschiedene Etappen durchliefen, die jeweils von markanten Zäsuren gekennzeichnet waren. Bis zum Congreso Extraordinario vom Herbst 1979, auf dem sich die Partei - wie schon erwähnt - des «marxismo»-Begriffes entledigt hatte, wird der Terminus «socialismo» im Rahmen der marxistischen Geschichts- und Gesellschaftstheorie bestimmt, d.h. vor allem in der schroffen dichotomischen Opposition zu «capitalismo», seinem terminologischen Gegenspieler. Diese dichotomische Sichtweise gesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge zeigt sich in weiteren binären Oppositionen, etwa im - noch später abzuhandelnden Bereich der gesellschaftspolitischen Lexik («clase trabajadora»/«clase burguesa», «proletariado»/«burguesia» bzw. «grupos dominantes»/«grupos dominados»), vor 175

allem aber auch im Bereich der Terminologie zur Bezeichnung politischer Systeme. So relativiert die Bildung des Syntagmas «democracia socialista» (durch Hinzufügung des determinierenden Adjektivs «socialista») den Demokratiebegriff und suggeriert die Existenz eines Gegenmodells von Demokratie, etwa der «democracia burguesa» oder «democracia liberal». In den Parteiprogrammen des P S O E von 1976 und 1979 finden wir die folgenden definitorischen Einlassungen: 388 «El P S O E , se define como socialista, porque su programa y su acción van encaminados a la superación del modo de producción capitalista, mediante la toma del poder político y económico y la socialización de los medios de producción, distribución y cambio por la clase trabajadora. Entendemos el socialismo como un fin y como el proceso que conduce a dicho fin, y nuestro ideario nos lleva a rechazar cualquier camino de acomodación al capitalismo o su simple reforma.» ( P S O E 1976, 2 und P S O E 1979a, 4)

Der P S O E möchte jedoch nicht nur durch begriffliche Kontrastierung die semantische Essenz des Mirandums festschreiben, sondern bemüht sich auch um eine konzeptuelle Feindifferenzierung, indem er mögliche konkurrierende Deutungen (bzw. bestimmte Untermodelle), etwa solche realsozialistischer Prägung, von vorneherein ausschließt: «Declaramos que la sociedad socialista que preconizamos, tendrá que ser autogestionaria. Las nacionalizaciones y planificación no suponen necesariamente el socialismo. Queremos construir un modelo de sociedad que nos sea propio, en el que socialismo y libertad sean conceptos coadyuvantes y no contradictorios; en el que todos los hombres sean dueños de su trabajo y su conciencia; en el que el poder de decisión y los beneficios sociales pertenezcan, solidariamente a la comunidad y no a minorías dominantes, cualquiera que sea su signo. Para evitar la degeneración burocrática se exige levantar una democracia socialista, democracia en los partidos y sindicatos, en todos los órganos de poder y de decisión que han de ser elegibles y revocables. Se exige la más amplia libertad de creación y crítica. En resumidas cuentas, el control y la autogestión de los trabajadores en todos los terrenos.» (PSOE 1976,2; P S O E 1979b, 4)

Bei «socialismo» geht es um eine «sociedad socialista autogestionaria»,389 um eine «sociedad socialista [...] en la que todo el poder se halla socializado; el poder económico, el poder político y el poder social», 390 nicht um «nacionalizaciones» und «planificación», die keine «zentralen» (und erst recht keine «notwendigen») Merkmale des Sozialismusbegriffes sind. Anders als der D R A E , dessen Ausführungen eine mögliche Bedeutungsgleichheit oder zumindest -ähnlichkeit von «socializar» («1. Transferir al Estado [Variante a], u otro órgano colectivo [Variante b], las propiedades, industrias, etc., particulares») und «nacionalizar» (3. «Hacer que pasen a depender del gobierno de la nación, propiedades industriales o servicios explotados por los particulares») andeuten, behauptet der sozialistische Diskurs eine Op-

Die Hervorhebungen von Schlüsselbegriffen stammen vom Verfasser. s 8 " P S O E 1979a, 6. 39° P S O E 1979b, 2.

388

176

Positionsbeziehung: «.Nacionalizar» ist ein Vorgang, dessen Nutznießer der Staat (die Regierung) ist, «socializar» hingegen ein Prozess, durch den die Gesellschaft in eine Teilhaberrolle gelangt. 391 Diese begriffliche Kontrastierung ist ein konstantes Motiv im Diskurs des PSOE, das - wie wir sahen - ebenso konstant von dem Partido Popular in Frage gestellt wird. Noch zu Beginn der 90er Jahre legt einer der Chefideologen der Partei, E. Múgica, größten Wert auf die Abgrenzung zwischen «socializar», «estatalizar» und «burocratizar» und remotiviert dabei die Bedeutung von «socialismo»: «No puede olvidarse que el [...] socialismo es precipitado directo de la idea de sociedad, y no de la idea de Estado. Socializar, por tanto, no es estatalizar, y proyectar392 en el marco de la teoría socialista no es burocratizar la producción ni el mercado, sino intentar realizar sus objetivos sociales [...].» (Múgica 1990, 14)

«Socialismo» und «socializar» werden hier auf die «sociedad», den Begünstigten des politischen Systems bzw. Handelns, zurückgeführt - bei dieser A r t der Begriffsdeutung wird suggeriert, dass die anderen - üblicherweise synonym verwendeten - Bezeichnungsalternativen «estatalizar» und «burocratizar» auf je eigene nutznießende Institutionen zurückverweisen. Bei der «autogestión», einem Neologismus französischer Provenienz der 70er Jahre, dessen Ableitungen «autogestionar» und «autogestionario» immer noch nicht im D R A E verzeichnet sind, neuerdings aber in Alvar 1994 erfasst werden, stehen die «Arbeiter» (bzw. Arbeitnehmer) im Zentrum der programmatischen Aufmerksamkeit, denen im Rahmen dieses «sistema de organización de una empresa» die aktive Teilhabe an «todas las decisiones sobre su desarrollo, economía, funcionamiento, etc.» (autogestion [1. s. Econ.] im D R A E 1992) zusteht. Auch hierbei sind nicht der Staat und seine Bürokratie wie auch die Warnung der Partei vor einer «degeneración burocrática» unterstreicht - die zentralen Momente des Konzepts, sondern die Beteiligung und die (Selbst-)Tätigkeit der Gesellschaft bzw. der Arbeitnehmerschaft («trabajadores»). Zugleich steht «autogestión» in Opposition zu dem alternativen Organisationsmodell der «cogestion»,393 - ein Terminus, den wir in anderem Zusammenhang ausführlicher charakterisieren werden. Der «linke» PSOE-Kritiker und Politikwissenschaftler Santesmases greift in seinem Rückblick auf die ideologische Entwicklung der Partei «autogestion» als deflatorisches Moment des «socialismo»-Begriffs der ersten Phase des 391

392

393

Ähnlich auch «socializar» bzw. «socialización» im Zusammenhang mit Bürgergruppen und -initiativen («asociacionismo vecinal», «movimientos de defensa de los derechos civiles»), deren Wirken in der Gesellschaft als konkrete Manifestationen der angestrebten «socialización del poder» beschrieben wird ( P S O E 1984, 63). Hier meidet Múgica den ebenfalls negativ konnotierten Begriff «planificar» und ersetzt ihn durch das unmarkierte «proyectar». Cf. Gómez de Enterria Sánchez 1992,237: « A U T O G E S T I O N establece una oposición con respecto a C O G E S T I O N porque aquí son los trabajadores los que eligen a la dirección, frente a C O G E S T I O N , donde los trabajadores colaboran con la dirección.»

177

P S O E heraus und kontrastiert das Konzept mit dem antonymisch gebrauchten «estatismo»: «El intento era construir una vía inédita al socialismo, tan alejada de la socialdemocracia como del socialismo real. La autogestión auspiciaba un modelo que intentaba superar tanto el estatismo de la socialdemocracia (burocrático y parlamentario) como el estatismo leninista (vanguardista y sustitucionalista).» (Santesmases 1985, 64)

«Socialismo» steht in dieser ersten Phase also in Opposition zu «socialdemocracia» und «socialismo real». Das entscheidende distinktive Merkmal ist der für die Systemalternativen charakteristische «estatismo», dem als Prinzip die «autogestión» entgegengesetzt wird. Ein weiteres fällt bei den Bestimmungsversuchen des Lexems «socialismo» auf. Seine Bedeutung wird auch durch seine Inbezugsetzung zu einem zentralen Begriff der politischen Philosophie bzw. Ethik, der «libertad», abgegrenzt. Während die «igualdad» als quasi konzeptimmanenter Wert vorausgesetzt wird und deshalb nicht näher behandelt zu werden braucht, muss die Charakterisierung seines Verhältnisses zum konkurrierenden Wertbegriff «libertad» expliziter ausfallen. Wird - wie die Zitate zeigen - in den Parteiprogrammen die gegenseitige Bedingtheit von gesellschaftspolitischem Begriff und Wertbegriff behauptet («no puede existir libertad sin socialismo, ni socialismo sin libertad»), so verkürzt das Motto des 27. Parteitages der P S O E «socialismo es libertad» gar dieses Bedingungsverhältnis zu einer pseudosynonymischen Entsprechung. A n keiner Stelle wird jedoch der «libertad»-Begriff näher präzisiert oder gar definitorisch umgrenzt, - offensichtlich wird eine entsprechende Vorstellung über den Begriffsinhalt bei den Adressaten vorausgesetzt, zumal wenn diese Verfemte des Franco-Regimes waren und zumindest die Abwesenheit von Freiheit aus eigener Anschauung kannten. Für diese erste Etappe lassen sich also drei grundlegende definitorische Zugangsweisen zum Sozialismusbegriff festhalten: ι. Die scharfe begriffliche Gegenüberstellung von Konzept (und seinen Teilaspekten) und Antikonzept durch Wiederaufnahme binär strukturierter Terminologiepaare der marxistischen Diktion («socialismo» vs. «capitalismo», «sociedad socialista» vs. «sociedad capitalista», «clase trabajadora/ proletariado» vs. «clase burguesa/burguesía», auch «sociedad sin clases», 394 das unweigerlich «sociedad de clases» evoziert) [Oppositionen auf der konzeptuellen Ebene], 2. Die Abgrenzung des eigenen «socialismo»-Verständnisses gegenüber alternativen (oder «falsch verstandenen») Begriffsbestimmungen, indem «Subkonzepte» wie «autogestión» und «socializar» als «zentrale» Merkmale bestimmt und Negativmerkmalen wie «nacionalización», «planificación», «burocratizar» entgegengestellt werden. Das eigene Untermodell wird gewissermaßen zum eigentlichen «socialismo»-Modell erhoben (Prototypika3^4 psOE 1976, 3. 178

litätseffekt via metonymischer Identifikation (Lakoff)) und damit gegenüber den «schlechteren» Vertretern abgehoben. 3. Als drittes deflatorisches Prozedere wird die Relationierung des «socialismo»-Konzepts mit den grundlegenden politischen Wertbegriffen (wie «libertad» und «igualdad») gewählt. Während die «igualdad» als konzeptrelevantes Merkmal präsupponiert wird, muss dem möglicherweise in Opposition (oder wenigstens in Spannung) hierzu stehenden «libertad»-Begriff auf der Diskursebene der Status eines Merkmals zugesprochen werden, das «eben doch» zentral ist. Mit dem «außerordentlichen» Kongress von 197g zeigen sich neue, teilweise deutlich anders akzentuierte Bestimmungsversuche der Inhaltsseite von «socialismo». Als das herausragendste Merkmal muss die Tatsache betrachtet werden, dass «socialismo» seither im Verhältnis zu «democracia» bestimmt wird, wobei dieser Begriff als umfassender Allgemeinbegriff verwendet wird, der nicht weiter - etwa durch die determinierende Hinzufügung eines Adjektivs differenziert werden kann. Wird anfänglich socialismo noch dem «sistema capitalista» (d.h. im Verständnis der Partei der «dictadura social») gegenübergestellt,395 so wird in den 80er Jahren zunächst das rasch zum Kernwortschatz der Partei gehörende, leitmotivartig, ja gebetsmühlenhaft wieder und wieder angeführte Syntagma «la profundización de la democracia» als Synonym für socialismo festgeschrieben: «La profundización de la democracia. Los socialistas queremos que la democracia se extiende más allá del ámbito de las instituciones políticas, porque el socialismo no es sino la profundización de la democracia, mediante su extensión a todos los ámbitos de la vida colectiva; desde la escuela hasta la empresa.» ( P S O E 1988, 20)

Dimensionsmetaphern wie «profundizar!-ación», «ampliar!-ación», «extender/ extensión» oder auch «ensanchar!-amiento»2'*' sind charakteristisch für den sozialistischen Diskurs, der - nun um den Demokratiebegriff zentriert - darum bemüht ist, Sozialismus als besondere bzw. besonders intensive Form von Demokratie zu bestimmen. «Para el P S O E , no sólo el socialismo es sinónimo de democracia y libertad, sino que además la estrategia para alcanzar el socialismo consiste en la profundización y la ampliación de la democracia.» ( P S O E 1979b, 7)

In ihrem Parteiprogramm von 1990 erklären die Sozialisten «socialismo» gar zum Synonym für «democracia» und spezifizieren unter dem Motto «socialismo es democracia» 397 weiter: «Los socialistas somos ante todo demócratas. [...]. El camino para resolver los problemas de dominación es extender la democracia representativa a todas las esferas de «El socialismo es también precisamente esto: este proceso histórico de enfrentamiento contra la dictadura social de los capitalistas.» ( P S O E 1979b, 8). 396 Cf. etwa: «De ahí que el horizonte estratégico del P S O E se instale en la voluntad de ensanchar y enriquecer la democracia política [...].» ( P S O E 1984,11). 3 9 ' P S O E 1990, 39. 395

179

la vida donde existen desigualdades de poder [...]. La extensión de la democracia representativa es la respuesta satisfactoria al capitalismo en un sentido transformador.» ( P S O E 1990, 39s.)

Wie das Zitat ebenfalls zeigt, ersetzt die Partei den bisher verwendeten recht offenen Globalbegriff «democracia» durch den Terminus «democracia representativa». Sie verweist mit diesem syntagmatischen Kompositum auf den in der Verfassung von 1978 vorgegebenen Demokratietyp 398 einer parlamentarischen Demokratie als der politischen Ideal- und Zielgröße. Es fällt auch auf, dass der P S O E seit 1988 die komplexe Lexie «socialismo democrático» verwendet, um durch das determinierende Adjektiv von vorneherein bestimmte «negative» Sozialismusvarianten (vor allem den in Osteuropa praktizierten «socialismo real») auszuschließen. Der «reine» «socialismo»-Begriff war offenbar mittlerweile schon viel zu sehr diskreditiert. Gleichzeitig wird der Sozialismusbegriff auch entideologisiert: Der «socialismo» ist keine Ideologie, auch kein Prozess oder gar paradiesischer Endzustand (cf. Zitat 1), sondern ein Projekt, dessen Zielhorizont als «un proyecto de búsqueda de emancipación social, de combinación de la libertad individual con la seguridad y la solidaridad colectivas» 399 beschrieben wird. Das letzte Zitat macht zudem deutlich, dass der «libertad»-Begriff nun genauer bestimmt wird. Zum einen als verfassungsrechtlich zugesicherter Entfaltungsspielraum des Einzelnen (Art. 17), zum anderen als Summe konkreter einzelner und kollektiver Rechte («libertades colectivas e individuales»),400 wobei die explizite Herausstellung der «libertades colectivas» nach 1982 seltener ist und mehr auf die «libertades del individuo»40' abgehoben wird. Die Definitionsvariante des Sozialismusbegriffes, die ihn primär innerhalb der Domäne politischer Werte bestimmt, nimmt ebenfalls neue Formen an. Sie bedient sich der dreigliedrigen, am französischen Revolutionsmotto orientierten Formel: «socialismo es libertad, igualdad y solidaridad», wobei die Ersetzung von «fraternidad» durch «solidaridad» seit den 70er Jahren üblich war und sich aus der Stigmatisierung des ersetzten Lexems in der Franco-Zeit erklärt. 402 Ausgedeutet und in ein genaues Verhältnis gebracht werden die drei Grundwerte in der folgenden, wiederum charakteristischen Bestimmung des Sozialismusbegriffes: «El socialismo es un proyecto político de emancipación que aspira a que las personas sean libres y iguales y puedan alcanzar el máximo grado de autonomía personal para realizar sus propios proyectos de vida, dentro de una sociedad solidaria. [...]. La conquista de la libertad para todos nos ha llevado a trabajar por la igualdad. [...]. Por tanto, los ideales de libertad, igualdad y solidaridad, como valores inseparables e

Cf. etwa Art. 1.3 und Art. 66.2 bzw. 66.3 der Verfassung von 1978. 399 P S O E 1990, 25. 400 P S O E 1981, 5. 401 P S O E 1988, 17. 402 Cf. Scotti-Rosin 1982, 131s.. 398

180

interdependientes, con el preciso significado que les ha conferido la historia y las conquistas del movimiento obrero, son los valores básicos del socialismo.» ( P S O E 1990, 37s.)

Auch hier wird «socialismo» als ein Projekt definiert, und zwar eines, das seiner Natur nach der «emancipación» ( D R A E 92 —> «emancipar: 2. prnl. fig. Liberarse de cualquier clase de subordinación o dependencia») dient und letztlich die Herstellung von «libertad» und «igualdad» anstrebt, wobei ein untrennbares Wechselverhältnis zwischen dem Wertpaar postuliert wird («valores inseparables e interdependientes»). Mit dem Verweis auf anonyme Mächte («la historia») und das «Weltwissen» («las conquistas del movimiento obrero») der Parteimitglieder entzieht sich aber die Partei der Zuweisung eines präziseren Bedeutungsinhaltes. Der Sozialismusbegriff wird auch noch in den 90er Jahre ex negativo definiert, indem er als «proyecto» dem «modelo neoconservador que pretende perpetuar las desigualdades en nombre de la vuelta al mercado sin trabas, propio del capitalismo salvaje»4°3 entgegengesetzt wird. Der ursprüngliche, quasi kontradiktorische Gegensatz zwischen «socialismo» und «capitalismo» wird nun dahingehend abgeschwächt, dass der Antipode (der «capitalismo salvaje») in ein Syntagma (mit einem Adjektiv in spezifizierender Funktion) gekleidet wird, zum anderen der politische Gegner nicht mehr auf einen konkreten soziologischen Nenner («la burguesía», «la clase burguesa») gebracht wird, sondern zu einem theoretischen Ansatz, einem Modell, abstrahiert wird. Interessant ist auch ein weiteres: Wurde der Schlüsselbegriff «socializar» in der Vergangenheit gegenüber «estatalizar» (bzw. «estatismo») und «burocratizar» abgegrenzt, indem man diesen remotivierte - sich sozusagen auf seine «eigentliche» Bedeutung besann - , so geht der Versuch einer politisch-ideologischen Neubestimmung des Begriffs hierüber hinaus: D e n Partei-Ideologen geht es nun vor allem darum, die Polysemie von «socializar» aufzuheben, d. h. die (wirtschafts-)politische Bedeutung (socializar 1 «tr. Transferir al Estado, u otro órgano colectivo, las propiedades, industrias, etc., particulares») zu «entschärfen» und das ursprünglich wirtschaftspolitische Konzept auf eine allgemeine gesellschafts- und entwicklungspsychologische Ebene (socializar 2 «Promover las condiciones sociales que, independientemente de las relaciones con el Estado, favorezcan en los seres humanos el desarrollo integral de su persona») zurückzuführen, mithin das zweite Signifikat - um eine gesellschaftspolitische Facette bereichert - zu generalisieren und es zur «zentralen» Lesart des Terminus auszudeuten: «Como es conocido, la literatura científica habla de para aludir al proceso de integración personal de valores y patrones generalmente estimados. Para los socialistas de la hora contemporánea, hoy socializar no puede significar otra cosa que la profundización de la autoconciencia social: socializar el control de la realidad colectiva, dinámica, y pluralista, socializar, en fin, la participación y la consiguiente extensión de la dignidad compartida de la responsabilidad.» (E. Mugica 1990, 13) P S O E 1990, 25. 181

Dieser doppelte Vorgang, zum einen die Remotivation, zum anderen die Neugewichtung der Lesarten des Lexems scheint im Falle von «socializar», wie wir schon bei der A P und P C E gezeigt haben, einem allgemeinen Bedürfnis der Parteien zu entsprechen. Eine neue Wendung nimmt der Sozialismusbegriff auf dem Parteitag des P S O E von 1994, wo dieser erstmals mit den Wertbegriffen «la autonomía y la libertad personales» in Verbindung gebracht und damit in die Nähe des «liberalismo político» gerückt wird. In den Parteitagsbeschlüssen heißt es: «El socialismo es una apuesta por la autonomía y la libertad personales, y en este sentido somos heredores de los principios y valores del liberalismo político. Pero los socialistas partimos de la convicción de que las oportunidades individuales de autonomía y libertad dependen de la forma en que la sociedad se ordena. Para que todas la personas tengan igual posibilidad de ser libres y autónomas se requiere un orden basado en la solidaridad, y por tanto en un sentimiento compartido de responsabilidad, y los socialistas, a diferencia de los neoliberales no creemos que el mercado puede crear de forma espontánea ese orden.» ( P S O E 1994, 33)

Die eigentlich urliberalen Werte «autonomía» und «libertad» werden hier als Schlüsselkonzepte bzw. Zielbegriffe des Sozialismusbegriffs angerufen; der Wert der «solidaridad» hat hingegen eher Ordnungscharakter. Das Entflechten des Neologismus «neoliberal» als Gegenbegriff zu «socialista» macht deutlich, dass nicht (mehr) «socialismo» und «liberalismo» in einem schroffen Gegensatz zueinander stehen - sie sind in ein nachbarschaftliches, Überschneidungen nicht ausschließendes Verhältnis getreten - , sondern «socialismo» und «capitalismo salvaje», das mit dem Begriff «neoliberalismo/neoliberal», wie wir oben sahen, in enger assoziativer Verbindung steht. Diese verschiedenen Aspekte bzw. definitorischen Momente des Sozialismusbegriffes in den 90er Jahren fasst die Sozialismusdefinition des Theoretikers der Partei E. Múgica noch einmal zusammen und abstrahiert sie zu den drei möglichen Teilbedeutungen des komplexen Begriffsinhalts. Der «socialismo»-Begriff wird hier aber theoretisch reflektiert und erwächst nicht - wie in den Parteiprogrammen - aus der politischen Auseinandersetzung und dem Bedürfnis nach einer kollektiven, parteipolitischen Identitätsgebung. «Al hablar de socialismo en un sentido genérico, nos hallaríamos, primero, ante una corriente de pensamiento político en torno al decurso histórico de la lucha de los hombres por su emancipación; nos hallaríamos también ante una corriente crítica acerca de las deficiencias conceptuales y funcionales del liberalismo económico y de su paradigmática traducción empírica: el capitalismo o capitalismo de la primera hora; y nos hallaríamos, en fin, ante una tradición moral, ante una componente ética en la conducción consciente del propio comportamiento político y social.» (Múgica 1990, 7)

Múgica verweist in seiner Bestimmung des «socialismo»-Begriffes auf insgesamt drei Bedeutungsdimensionen (oder Domänen): a) «socialismo» als politische Denktradition, die um den Wert- und Zielbegriff «emancipación» gravitiert, b) «socialismo» als kritische Gegenbewegung zum «liberalismo económico», schließlich c) «socialismo» als politische und soziale Ethik. 182

Überblickt man die Entwicklung des «socialismo»-Begriffs von 1979 bis 1996, so lassen sich zwei Grundtendenzen erkennen - für die 80er Jahre der Versuch, «socialismo» in den Kategorien von «democracia» und «libertad» zu definieren, in den 90er Jahren dann wieder eher das Bestreben, den Begriff historisch zu dimensionieren, ihn in zwei grundlegende geschichtliche Traditionen der Neuzeit einzurücken - das große «proyecto político de emancipación» der Arbeiterbewegung404 und den erstmals 1789 proklamierten Wertekanon der «libertad, igualdad y solidaridad». Die mit dem Lexem «socialismo» assoziierten Wertbegriffe verschieben sich in Richtung auf die «autonomía y libertad personales» und bewirken zusammen mit einer Priorisierung des Demokratiebegriffs eine Annäherung an den «liberalismo político». Schroff bleibt dagegen die Opposition zum «capitalismo salvaje», sodass besonders das sozioökonomische Bedeutungsmoment (im Zitat Múgicas der zweite Bedeutungsaspekt) dem «socialismo»-Begriff auch in der Gegenwart konzeptuelle Schärfe und damit ein klares Profil verleiht. Die herausgearbeitete Entwicklung der Bedeutungsbeziehungen von «socialismo» fasst die folgende Übersicht noch einmal kurz zusammen: 1976-1979: a) Ökonomische Bedeutungsdimension: «socialismo» : «capitalismo» «socialismo» [+«autogestión»] : «socialismo real»/«socialdemocracia» [+«estatismo»] = «socialización» «sociedad»): «nacionalización»/ «estatificación» (—* «Estado»); b) Politische Dimension: «democracia socialista»: «democracia burguesa»/ «formal»; c) Ethische Dimension: «socialismo» = «libertad»; 1979 bis Anfang der 90er Jahre: a) Politische Dimension: «socialismo» = «profundización»/«ampliación de la democracia» seit 1988: «socialismo» = «socialismo democrático»; b) Ethische Dimension: «Libertad» (= «libertades colectivas/del individuo»), «igualdad», «solidaridad». Seit den 90er Jahren: a) Politische Dimension: «proyecto socialista» = «proyecto histórico de emancipación» «socialismo» : «modelo neoconservador»; b) Ökonomische Dimension: «proyecto socialista» : «capitalismo salvaje»/ «liberalismo económico»/«neoliberalismo»; c) Ethische Dimension: «autonomía y libertad personales» = «herencia de principios y valores del liberalismo político». Es drängt sich allerdings auch ein weiteres Fazit auf: Besonders augenfällig ist die Tatsache, dass der PSOE aller ideologischen Weiterentwicklungen, Anpas404

Cf. auch García Santos 1980, 216: «obrerismo» und «emancipación».

183

sungsversuchen und Neubesinnungen zum Trotz das Lexem «socialismo» als seinen zentralen offiziellen Identifikationsbegriff beibehalten hat und ihn ausschließlich zur Charakterisierung seines politischen Denkens und Handelns verwendet. Ein wenig maliziös könnte man deshalb auch behaupten, dass «socialismo» zuallererst die politische und ideologische Position und Programmatik des «Partido Socialista Obrero Español» ist, der seine eigene Lesart zu der «eigentlichen» oder «zentralen» erklärt. In der internen Diskussionen, vor allem aber von Seiten der linken Opposition wurde dagegen schon recht früh der «socialismo»-Begriff durch - nach Auffassung der Sprecher - der Sache nach geeignetere bzw. «wahrheitsgetreuere» Lexeme ersetzt. Schon im Vorfeld der Diskussionen um die Tilgung des Adjektivs «marxista» aus den Parteistatuten verkündeten führende Politiker des gemäßigten Flügels um Felipe González «No hay diferencia fundamental entre socialismo y socialdemocracia»4"5 und F. González identifizierte sein politisches Denken durchaus mit dieser Richtung: «No tengo inconveniente en ser llamado socialdemócrata.»4o6 Auch die innerparteilichen Gegner etikettierten schon anlässlich des Congreso Extraordinario von 1979 die von der reformistisch orientieren Parteiführung angestrebte ideologische Neuausrichtung als «socialdemócrata».407 Gerade auch in den Standortbestimmungen der Parteitheoretiker stellte der Begriff «socialdemocracia» einen permanenten Referenzpol dar, dessen Inhalt man auch möglichst präzise bestimmen wollte. J. M. Maravall, einer der Chefideologen der Partei und Sozialwissenschaftler, definierte den Begriff in folgender, sehr konziser Weise: «Creo que puede así definirse la socialdemocracia como la combinación del liberalismo político y el igualitarismo social.» (Maravall 1994, 3)

In seinen weiteren Ausführungen weist Maravall den abstrakten politischen Lehren bzw. Grundvorstellungen («liberalismo político», «igualitarismo») eine Reihe konkreterer Erscheinungen zu, die dem Terminus «socialdemocracia» als Teilkonzepte - zugeordnet werden können: «La socialdemocracia pasó así a consistir en una particular mezcla de política y mercado: en una combinación de pluralismo político, economía mixta, políticas keynesianas y Estado de Bienestar - éste último como principal mecanismo de distribución de la renta.» (Maravall 1994, 8)

In ihren Parteitagsresolutionen von 1994 kündigen die Sozialisten unter dem Sozialismusbegriff die Inaugurierung eines «nuevo modelo socialdemócrata»4o8 405 406 407

408

E. Mugica in: La Calle, N°8,16.-22.05.1978, zit. nach: de Santiago Guervós 1996,14. E González in: ebenda, zit. nach de Santiago Guervós 1996, 15. «Así, el hasta ahora primer secretario, Felipe González, afirmó que no es un problema de moderación, sino de seriedad y rigor, mientras los representantes del ala radical insisten en que el otro sector intenta llevar al P S O E hacia la socialdemocracia y restringir la democracia interna.» {El País, 23.05.1979, 13). P S O E 1994, 43.

184

an und belegen damit, dass der Identitätsbegriff «socialismo» derart allumfassend ist, dass er mühelos auch konkrete Entwürfe wie «modelos socialdemócratas» mit einschließt. Einen Höhepunkt erreicht die - offenbar für den politischen Diskurs des P S O E heute charakteristische - Identifikation von «socialismo» und «socialdemocracia» in dem Abschlussbericht des PSOE-Parteitags von 1994, den der damalige Parteivorsitzende Felipe González vortrug: Unter der Überschrift «El momento actual de la socialdemocracia» erinnert er die Parteimitglieder daran: «El socialismo democrático que nosotros representamos ha tenido históricamente tres puntos de identificación: la defensa de la democracia [...], la búsqueda del pleno empleo y la creación del Estado del Bienestar [...].»

Und wie selbstverständlich fährt er fort: «Estos objetivos muestran que la acción de la socialdemocracia se guía por la búsqueda de la libertad, el avance de la justicia social y el ejercicio de la solidaridad» (PSOE 1994, 228s.)

Rechts von der «socialdemocracia» etablierte sich seit Ende der 80er Jahre innerhalb der Partei eine politische Strömung, die die Handschrift des Wirtschaftsministers C. Solchaga trug und die dieser als «socialdemocracia liberal» bezeichnete: «Solchaga entiende por socialdemocracia liberal la defensa de un modelo de Estado del bienestar básico donde el Estado además de ocuparse del orden público, de la administración de justicia y del servicio exterior, garantiza una educación general, una cobertura sanitaria y un sistema de previsiones (pensiones y desempleo). A partir de aquí el Estado se debe abstener de cualquier intervencionismo económico [...] creando empresas o produciendo bienes que el mismo mercado podría producir.» (Santesmases 1993, 319)

Kritiker und Gegner dieser politischen Ausrichtung bezeichneten letztere nach ihrem sichtbarsten Symbol als «solchaguismo» und polemisierten dementsprechend gegen die «duras lecciones del «solchaguismo». 409 Neben den ausführlich untersuchten «semantischen» Adaptionen» des Sozialismusbegriffes rekurrierte der P S O E auch auf zwei das Schlüsselwort flankierende bzw. ergänzende Termini, «gradualismo» und «finalismo» (mit «finalista» bzw. «finalistico»). Diese Komplementärbegriffe besaßen eine apologetische Funktion, als nach dem sozialistischen Wahlsieg von 1982 deutlich wurde, dass nicht eine «superación del capitalismo», sondern Strukturwandel (im Politik-Jargon der Regierung: «reconversión industrial») und die Modernisierung des Produktionsapparats auf der politischen Agenda standen. Der Terminus «gradualismo» ist keine Wortschöpfung der Sozialisten, vielmehr ist er ursprünglich im Bereich von Paläontologie und Evolutionstheorie beheimatet und bezeichnet im Gegensatz zum antonymen «catastrofismo» «[una] teoria de un cambio debido a una evolución gradual.» 410 Er ist auch im 409IU 410

1996, 9. So (leicht abgewandelt) Alvar 1994, der ein paläontologisches Belegbeispiel anführt.

185

Französischen etwa zur gleichen Zeit erstmals belegt und ging hier in den sozio-politischen Sprachgebrauch als «attitude réformatrice, modérée, procédant par paliers et non brusquement» 411 ein. De Santiago Guervós 4 1 2 führt einen frühen Beleg für den politischen Gebrauch des Lexems im Spanischen an, das sich hier zunächst im Rahmen der Autonomiedebatte von 1979 etablierte. «Gradualismo» bezeichnet in diesem Kontext ein schrittweises Prozedere bei der Übertragung der verfassungsmäßig verankerten Kompetenzen auf die neugebildeten «autonomías». 4 ' 3 Im Diskurs der Sozialisten nach 1982 erhält jedoch der Begriff einen ganz neuen Stellenwert: Angesichts von Modernisierungs- und Europadiskurs auf dem Parteitag von 1984, der rhetorischen Utopismus der Oppositionszeit durch ein klares Bekenntnis zu Effizienz und Machbarkeit ablöste, bezeichnet er nun eine Strategie politischen Handelns zur Erreichung der sozialistischen Fernziele, wie die folgenden Beispiele zeigen: «Por eso nos pronunciamos en favor de una táctica gradualista [...]» (PSOE 1984, 21) «[...] con el fin de lograr tres grandes objetivos: a) Impulsar un mayor grado de desarrollo economico [...] b) Reformar el sector público [...] c) Alcanzar una sociedad más igualitaria y justa [...]. Lograr estos tres grandes objetivos exige el establecimiento de un ritmo, fijar un gradualismo y desarrollar una serie de actuaciones [...]» ( P S O E 1984, 20)

«Gradualismo» steht hier also für einen evolutionären Weg zum Sozialismus und damit im Gegensatz zum «marxismo revolucionario» des PCE. Die Serie «finalismo»/«finalista»/«finalistico» scheint hingegen eine regierungsamtliche «Wortschöpfung» zu sein. Auch hier - wie schon im Falle der politischen Identifikationsbegriffe der A P - wird unbeschadet der Existenz eines entsprechenden philosophischen Fachterminus (cf. den D R A E 1992 unter «finalista», (Eintrag 1.: «1. com. Partidario de la doctrina de las causas finales») ein Begriff zur Charakterisierung einer politischen Position geschaffen, die sich mit der (pseudo-)wissenschaftlichen Aura des Suffixes «-ismo» schmücken kann. In seiner Grundsatzrede auf dem 30. Parteitag (Madrid, 13.-16.12.1984) hatte der Parteivorsitzende und Regierungschef erläutert: «[...] que para los socialistas la política económica no es finalista sino instrumental. Que para nosotros sanear la economía, hacer una reconversión industrial, modernizar nuestro aparato productivo no es un fin en sí mismo. Equilibrar nuestra balanza de pagos no es un fin en sí mismo, es un instrumento para conseguir objetivos, objetivos que sí son finalistas. [...]. Por tanto, tiene que quedar bien claro [...] que toda política económica es una política instrumental y esa política instrumental se definirá en función de los objetivos que se persigan en materia de educación o en materia de sanidad, 411

412 413

Gradualismo, belegt seit 1980; mit sozio-politischem und evolutionsbiologischem Verwendungsbeispiel in: Le Grand Robert, vol. 4, 999s. D e Santiago Guervós 1992, 67. Belegt bei Nord 2 i986, 152 und als «Politik der kleinen Schritte» paraphrasiert.

186

o en materia de atención a los pensionistas [...].» (Intervención del secretario general Felipe G o n z á l e z in: P S O E 1984, 13s.)

González hebt hier das Adjektiv «finalista» aus der Taufe und setzt es in Opposition zu «instrumental», wobei er inhaltlich versucht, politisches Handeln nach einer Mittel-Ziel-Hierarchie zu differenzieren, denen konkrete politische Sachfelder zugeordnet werden können. Markiert «gradualista» den Modus des politischen Handelns, so gibt das Antonymenpaar «instrumentallfinalista», das mit konkreten Politikfeldern korreliert wird (vereinfacht gesprochen: «instrumental» mit der Wirtschafts- und «finalista» mit der Sozialpolitik), den Stellenwert innerhalb der «Dogmatik» des «socialismo» an, dessen uneingeschränkte Geltungskraft sie - allem realpolitischen Pragmatismus zum Trotz - bezeugen sollen. Die Begriffsformulierung des Parteivorsitzenden ging in die Parteitagsresolutionen von 1988 quasi als offizieller Legitimationsbegriff der parteipolitischen Praxis - ein und wurde auch von der politikwissenschaftlichen Literatur rezipiert. Dabei deuten die typographischen Mittel («Anführungszeichen») den Zitatcharakter bzw. auch die diskursspezifische Sonderbedeutung des Wortes an. «Así, a la política económica se configura c o m o una política instrumental, que debe facilitar los medios para realizar políticas finalistas*. Si es cierto que el desarrollo debe conjugar economía y ecología, también lo es que debe compatibilizar crecimiento y solidaridad [...].» ( P S O E 1988, 26) «Felipe G o n z á l e z declaró con frecuencia que aunque consideraba que el funcionamiento de la economía tenía sólo carácter instrumental para las (las referidas a la educación, la sanidad, la cultura, el trabajo, la vivienda, etc.), la era la precondición para la .» (Maravall 1991, 55S·)

In dem folgenden Beispiel wird statt «finalista» die gleichbedeutende Variante «finalistico» gebraucht, wohl um in kritisch-karikierender Absicht den Begriff durch eine diaphasische Überzeichnung (d. h. die Markierung durch das besonders gelehrte «-istico») als höchstgradig artifiziell, ja als verbale Finte bzw. «Wortbluff» («engañifa» im Zitat) der amtlichen sozialistischen Propaganda zu entlarven: «Comentando este último congreso del P S O E , decía acertadamente Rafael Sánchez Ferlosio: 349. 357 - und Bedeutung 53 Wortbildung 9, 59 Wortschatz - der 2. Republik Siehe Politische Sprache der 2. Republik - der Biologie 274, 307, 327 - der Geologie 239, 307, 329, 330, 331, -

105, 114, 128, 136, 139, 140, 142, 200, 202, 205, 249, 291

99, 102,

-

der Medizin

283, 326, 331, 337, 364,

376, 377 der Ökonomie 10, 69, 90, 200, 203, 205, 258, 277, 308, 312, 324, 328, 335, 338, 415 der Philosophie 76, 78, 82, 89, 96, 99, 105, 151, 186, 188, 189, 191, 192, 290, 291, 309, 413 der Physik 327, 330, 332 der Politik in Frankreich 1 der politischen Wissenschaften 27,71, 72. 133, 135. 151. 319. 420 der Rechtswissenschaft 189,311,312, 315, 335. 337 der Soziologie 227, 250, 329,330,333, 364, 368, 369, 420 der spanischen Verfassung 8, 116, 180, 269, 270, 325, 326 der Transición Democrática 6,8 Siehe auch Politische Sprache der Transición Democrática