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German Pages 284 Year 2015
Falk Schützenmeister Zwischen Problemorientierung und Disziplin
2008-10-10 09-07-21 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 020f191524670600|(S.
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Falk Schützenmeister (Dr. phil.) ist Gastwissenschaftler an der University of California Berkeley. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftssoziologie, Organisationssoziologie und Methoden der empirischen Sozialforschung.
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) T00_02 seite 2 - 1008.p 191524670616
Falk Schützenmeister
Zwischen Problemorientierung und Disziplin Ein koevolutionäres Modell der Wissenschaftsentwicklung
2008-10-10 09-07-22 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 020f191524670600|(S.
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Die vorliegende Arbeit wurde 2008 von der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhalt
1 Einleitung
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2 Probleme der Wissenschaftssoziologie 2.1 2.2 2.3 2.4
Der Wandel der Wissenschaft 13 Zwei Paradigmen der Wissenschaftssoziologie Disziplinen und Interdisziplinarität 32 Zusammenfassung 56
3 Das Wissenschaftssystem 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
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Systemtheoretische Reformulierung Wissenschaftliches Wissen 66 Reduktion und Rekombination 69 Theorien und Methoden 72 Wissenschaftliche Disziplinen 75
4 Forschung und Organisation
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Forschung als organisierte Tätigkeit 81 Forschung als strukturelle Kopplung 86 Probleme und Projekte 89 Forschungsorganisationen 94 Zusammenfassung: Die Organisation von Interdisziplinarität 98
5 Ozonforschung und atmosphärische Chemie 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7
103
Einleitung 103 Die Ursprünge der atmosphärischen Chemie 122 Aeronomie 138 Anthropogene Schädigung der Ozonschicht 155 FCKW als Zerstörer der Ozonschicht 170 Das Ozonloch 194 Atmosphärische Chemie nach der Ozonkontroverse 232
6 Schluss
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Abkürzungsverzeichnis Literatur
265
263
1 Einleitung
In den Diskursen über die Wissenschaft wird viel von Inter- oder gar Transdisziplinarität gesprochen, der Begriff der wissenschaftlichen Disziplin bleibt dabei relativ unscharf. Das betrifft nicht nur die wissenschaftssoziologische Theorie, auch unter Wissenschaftlern ist zuweilen umstritten, ob sie sich in einem interdisziplinären Forschungsfeld bewegen oder ob die Herausbildung einer neuen Disziplin schon begonnen hat. Auf der subjektiven Ebene mag dies eine Frage der persönlichen Identität oder Präferenz sein; oft wird das Bekenntnis zu Interdisziplinarität oder zu einer Disziplin auch strategisch eingesetzt, je nachdem, ob Innovationsfreudigkeit oder wissenschaftliche Gründlichkeit und Autorität signalisiert werden sollen. Betrachtet man z.B. Äußerungen von Klimaforschern über ihr Feld, findet man solche, die eine neue Disziplin entstehen sehen, neben solchen, die sich einer der traditionellen Disziplinen zurechnen und in interdisziplinären Projekten forschen. Die Determinanten dieser Einstellungen sind wenig untersucht worden. Ob derartige Fragen von Bedeutung sind, hängt vom zugrunde liegenden Disziplinenbegriff ab, je nachdem, ob man ihn über die Identität und die Mitgliedschaft einzelner Wissenschaftler fasst oder die Strukturen der wissenschaftlichen Kommunikation in den Blick nimmt. Dieses Buch beschäftigt sich einmal mehr mit den sozialen Strukturen und dem Wandel der Wissenschaft. Entgegen Einschätzungen, dass sich die disziplinäre Wissenschaft angesichts der wichtiger werdenden problemorientierten, in den meisten Fällen interdisziplinären Forschung auf dem Rückzug befinde (Nowotny u.a. 2001: 29), soll ge-
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zeigt werden, dass selbst problemorientierte Forschung auf das System wissenschaftlicher Disziplinen angewiesen bleibt und eine Dynamik entfalten kann, in der sich neue disziplinäre Strukturen herausbilden. Hier wird ein Perspektivenwechsel angestrebt. Ausgehend von einem alten Motiv der Wissenschaftskritik, in der die hohe Spezialisierung als ein Symptom der Weltabgewandtheit und der Beschränktheit akademischer Wissenschaft betrachtet wurde, soll geradezu das Gegenteil gezeigt werden, nämlich dass die disziplinäre Struktur der Wissenschaft eine wichtige Voraussetzung für ihre Integration in die Gesellschaft und für die außerwissenschaftliche Anwendung wissenschaftlichen Wissens ist. Disziplinen stellen sicher, dass wissenschaftliches Wissen außerhalb des Wissenschaftssystems beobachtet werden kann. Dadurch dass die Primärstruktur des Wissenschaftssystems in der Allgemeinbildung verankert ist, können auch Nichtwissenschaftler für Problemlösungen relevante Wissensbestände und Experten identifizieren. Mehr noch: Die disziplinäre Struktur der Wissenschaft ist eine Voraussetzung dafür, dass in interdisziplinären Forschungsprojekten relevante Wissensbestände identifiziert und angewandt werden können. Ohne Zweifel ist die Entstehung von Disziplinen Ergebnis innerwissenschaftlichen Ausdifferenzierungsprozesse. In diesen werden aber Beobachtungen der gesellschaftlichen und außergesellschaftlichen Umwelt verarbeitet. Mit dieser Aufgabenstellung wird einigen weitreichenden Hypothesen über den Wandel der Wissenschaft und die Wissensgesellschaft widersprochen. Aber auch in der hier vorgestellten Perspektive kann die Beschreibung des Wandels der Wissenschaft nur dann gelingen, wenn das Verhältnis von Wissensproduktion und Forschung untersucht wird. Dabei wurde oft auf einfache Brückenhypothesen zurückgegriffen, deren extreme Form in der Gleichsetzung von Wissenschaft und Forschung besteht. Hier soll dagegen gezeigt werden, dass das Verhältnis von Wissenschaft und Forschung überaus vielfältig und in seiner jeweiligen Ausformung Gegenstand von Entscheidungen ist, die sehr unterschiedlich ausfallen können. In der modernen Gesellschaft werden solche Entscheidungen meist in Organisationen getroffen, die das komplexe Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft regulieren. Mit einem solchen Modell kann eine große Herausforderung der Wissenschaftssoziologie angenommen werden, weil es der Vielfalt der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion gerecht wird. Diese Fassung, in der disziplinäre Wissenschaft und interdisziplinäre Forschung nicht als Gegensätze betrachtet werden, muss theoretisch begründet werden, bevor in einer Fallstudie gezeigt wird, dass die interdisziplinäre Forschung die Bildung wissenschaftlicher Disziplinen antreiben kann. Als Beispiel dient dabei die Geschichte der atmosphärischen Chemie, deren Entwicklung zwischen 1975 und 1995 von der Erforschung der anthropogenen Zerstörung der Ozonschicht geprägt wurde.
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Die damit verbundenen Forschungsprogramme führten zu einer disziplinären Rekonfiguration. Die atmosphärischen Chemie ist heute eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft (atmospheric science). Ihr Wissen spielt bei der Erforschung sehr verschiedener Umweltprobleme – z.B. auch bei der des globalen Klimawandels – eine wichtige Rolle. Ursprünglich bezeichnet das lateinische Wort disculpi die Schüler bzw. die Jünger, disciplina den Unterricht, das Fach, aber auch die Zucht. Ohne Zweifel hat das Wort »Disziplin« einen negativen Klang, in dem die Disziplinierung im Sinne autoritärer Regeldurchsetzung mitschwingt. Lässt sich der Disziplinenbegriff mit den kreativen Anforderungen wissenschaftlicher Arbeit vereinen? Hinzu kommt eine politische Konnotation: Disziplinäre Wissenschaft zu betreiben heißt offenbar, Erkenntnisse nicht gegen bestehende Verhältnisse einzusetzen. Doch haben sich diese längst verkehrt. In der Forschungspolitik wird zunehmend Interdisziplinarität gefordert. Die an innerwissenschaftlichen Problemen orientierte Grundlagenforschung in Einsamkeit und Freiheit wird seltener, vielleicht wird sie zunehmend subversiv, wenn sie aus einem bloßem Erkenntnisinteresse heraus Wissen hinterfragt, dass längst Grundlage politischen Entscheidens ist. Auf der anderen Seite kommen auch Forschungsgebiete, die sich der Interdisziplinarität verschrieben haben, nicht ohne »Disziplinierung« aus. Auch sie stellen normative Anforderungen und sanktionieren Verstöße mit der Nichtbeachtung von Beiträgen, selbst wenn die Limitationen nicht so eng oder politischer Natur sein mögen. Dies trifft auf die Umweltforschung zu, in der ein Minimalkonsens besteht, der sich z.B. am Leitbild der Nachhaltigkeit ablesen lässt. Die Verpflichtung auf interdisziplinäre Forschung lässt sich selbst zu einer disziplinären Norm erheben (Weingart 1987: 159). Zeichen der Disziplinenbildung finden sich auch dort, wo die disziplinäre Wissenschaft programmatisch kritisiert wird (z.B. in den cultural und gender studies, Bird 2001). Im Rahmen des hier vorgestellten Ansatzes stellt dies keinen Widerspruch dar. Auch die Umweltforschung hat ihre Ansätze gegen die Widerstände bestehender Disziplinen durchsetzen müssen. Die konflikthafte Durchsetzung neuer Theorien ist in der Wissenschaftsgeschichte nicht selten. Das Beispiel der Umweltforschung zeigt aber noch etwas anderes – die integrierenden Momente einer Disziplin müssen nicht theoretischer oder methodischer Natur sein. Auch gesellschaftliche Probleme und Leitbilder, unter denen Theorien verschiedenen Ursprungs neu rekombiniert werden, können Disziplinen integrieren. Die Hauptthese der vorliegenden Arbeit ist, dass die Entgegensetzung von Disziplinarität und Interdisziplinarität, wie sie sich zuweilen in wissenschaftspolitischen Kontroversen findet, inadäquat ist. Es geht nicht um eine Entscheidung für oder gegen bessere Strategien der Forschung, sondern Interdisziplinarität bleibt auf disziplinäres Wissen angewiesen.
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Es gibt nur wenige Projektbeschreibungen, deren interdisziplinäre Ausrichtung nicht mit der Aufzählung der beteiligten Disziplinen belegt würde. Auf der anderen Seite ist die Überschreitung disziplinärer Grenzen eine Voraussetzung für Innovationen. Wissenschaftliche Disziplinen und Interdisziplinarität sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille, der Wissenschaftsdynamik. Sie bilden aber kein Kontinuum, an dessen Enden sich Disziplinarität und Interdisziplinarität als unvereinbare Pole befinden würden. Hier wird die These vertreten, dass sich die wissenschaftliche Dynamik aus der Spannung zwischen der primär disziplinär differenzierten Wissenschaft und der meist interdisziplinären – oder im Rahmen der zu entfaltenden theoretischen Überlegungen exakter: nicht-disziplinären – Forschung ergibt. So sind gleichzeitig Mechanismen der Variation und der Stabilisierung institutionalisiert und auf eine Weise miteinander verbunden, dass einerseits wissenschaftliches Wissen in der Gesellschaft als gesicherte Erkenntnis erscheint und andererseits schnell verworfen werden kann, wenn es die Enttäuschung abgeleiteter Erwartungen gebietet. Das hier entwickelte theoretische Programm beruht auf einer systematischen Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung. Wirkt diese auf den ersten Blick kontraintuitiv, so wird sich zeigen, dass diese Unterscheidung in der Wissenschaftstheorie seit langem angelegt ist – doch kam sie bisher vor allem in der Existenz zweier Paradigmen zum Ausdruck. Konsequent vollzogen wurde sie kaum. Dabei ist die Bindung der Wissenschaft an die Forschung als eine historische Entwicklung identifizierbar. Erst das Zusammentreffen von Gelehrsamkeit mit den Experimentiertechniken der bis dahin oft der Schrift unkundigen Handwerker verhalf der modernen Wissenschaft – als praktisches Räsonieren – zum Durchbruch (science as fact-making Shapin 1996: 89). Die resultierende Dynamik ließ die Wissenschaft zu einem treibenden Moment der Moderne werden. Das sich wandelnde Verhältnis von Wissenschaft und Forschung ist der Schlüssel für die Beschreibung der Wissenschaft in der Gesellschaft, mit dem sich einige Probleme der Wissenschaftsforschung lösen lassen. Die systematische Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung bedeutet aber nicht, dass wieder von einem logischen System des wissenschaftlichen Wissens auf der einen Seite und der Institutionalisierung wissenschaftlicher Arbeit auf der anderen Seite ausgegangen wird. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, sowohl die institutionelle als auch die kognitive Struktur der Wissenschaft als Sozialstrukturen anzunehmen, ohne einen starken Determinismus beider Strukturen zu postulieren. Vielmehr soll das Verhältnis zwischen der kognitiven Sozialstruktur der Wissenschaft und den sozialstrukturellen Voraussetzungen der Forschung zum Gegenstand der Analyse gemacht werden. Damit wird über die Fassung der Sociology of Scientific Knowledge (SSK) hinausge-
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gangen, in der nachgewiesen wurde, dass das wissenschaftliches Wissen durch soziale Prozesse determiniert ist. Die Frage ist also nicht ob, sondern wie die wissenschaftliche Entwicklung durch die Gesellschaft angetrieben wird. Dieses Buch gliedert sich in sechs Kapitel, wobei das erste die Einleitung ist. Im zweiten Kapitel müssen die Probleme der Wissenschaftssoziologie entfaltet werden, zu denen hier ein Lösungsvorschlag angeboten wird. Thematisiert wird dabei das Problem des sozialen Wandels, welcher der Ausgangspunkt jeglicher soziologischen Theorie aber auch das zentrale Motiv der wissenschaftlichen Dynamik ist. In der Wissenschaft findet ein doppelter Wandel statt. Sowohl das wissenschaftliche Wissen als auch die gesellschaftliche Organisation der Forschung unterliegen der fortschreitenden Veränderung. Inwieweit diese beiden Tendenzen des Wandels miteinander zusammenhängen oder aufeinander bezogen werden können, war Gegenstand heftiger Kontroversen. Dahinter verbergen sich konzeptionelle Probleme, die es aufzudecken gilt. Diese werden entlang der Begriffe Wandel, wissenschaftliche Gemeinschaft (scientific community) und wissenschaftliche Disziplin entfaltet. Im dritten Kapitel wird eine Rekonstruktion der begrifflichen Unterscheidungen, die die referierten Kontroversen prägten, innerhalb der Luhmann’schen Systemtheorie unternommen. Diese ermöglicht mit der Hypothese der komplementären Ausdifferenzierung von Organisationsund Kommunikationssystemen Widersprüche aufzulösen, die sich aus der Frage nach der Integration der Wissenschaft in die moderne Gesellschaft ergaben. Trotz dieser systemtheoretischen Grundlegung versucht das Buch vor allem Probleme der Wissenschaftssoziologie zu lösen. Der Beitrag zur Systemtheorie beschränkt sich auf einen Vorschlag zu einem Beschreibungsproblem, der auch für Nichtsystemtheoretiker anschlussfähig bleibt. Ausgehend von dem Forschungsprogramm der ethnomethodologischen Laborstudien, das seit dem Ende der 1970er Jahre vor allem das Forschungshandeln in den Blick nahm, wird im vierten Kapitel die organisierte Forschung als eine Form struktureller Kopplung des Wissenschaftssystems mit seiner gesellschaftlichen und außergesellschaftlichen Umwelt beschrieben. Dabei wird eine Definition von Forschung als Organisation von Bewährungschancen für wissenschaftliches Wissen vorgeschlagen. Daran anschließend werden die Möglichkeiten interdisziplinärer Forschung ausgelotet und untersucht, welche Effekte diese im Wissenschaftssystem haben kann. Im fünften wird die Brauchbarkeit der skizzierten Überlegungen an einem Fallbeispiel vorgeführt. Es wird dargestellt, wie die moderne atmosphärische Chemie als eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft durch die Erforschung der Ozonschicht und ihrer möglichen Schädigung durch Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) geprägt wurde.
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Dabei wird die Koevolution von Strukturen im politischen und im Wissenschaftssystem untersucht. Im sechsten, abschließenden Kapitel werden die theoretischen Überlegungen der Arbeit im Lichte der Fallstudie zusammengefasst. Es wird von dem Argument ausgegangen, dass gesellschaftliche Probleme als Probleme der Ausdifferenzierung beschrieben werden können, deren Lösung in der Entstehung neuer Strukturen in verschiedenen Funktionssystemen besteht, die eine dauerhafte, gewissermaßen »geräuschlose« Problembearbeitung ermöglichen. *** An dieser Stelle sei den Wissenschaftlern gedankt, die meine Fragen beantwortet haben. Die verwendeten Interviews wurden im Rahmen des Projektes »Problemorientierte Forschung und wissenschaftliche Dynamik: Das Beispiel der Klimaforschung« durchgeführt, welches an der Technischen Universität Dresden angesiedelt war und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wurde. Die Informationen aus Interviews mit folgenden Vertretern der atmosphärischen Chemie und der Atmosphärenwissenschaft fanden Eingang in die Arbeit: Cort Anastasio (UC1 Davis), Donald Blake (UC Irvine), Kristie Boering (UC Berkeley), John Chiang (UC Berkeley), Patrick Chuang (UC Santa Cruz), Ronald Cohen (UC Berkeley), Randall Friedl (NASA JPL, Pasadena), Christina Galitsky (LBNL2 , Berkeley), Michael Ghil (UCLA3 , Los Angeles), Rob Harley (UC Berkeley), Michael Hoffmann (Caltech, Pasadena), Harold Johnston (UC Berkeley), Daniela Jacob (MPI Hamburg), Roberto Mechoso (UCLA, Los Angeles), Robert Rhew (UC Berkeley), Sherwood Rowland (UC Irvine), Eric Saltzmann (UC Irvine), Margaret Torn (LBNL), Brian Weare (UC Davis) und Anthony Wexler (UC Davis). Nicht alle Interviews werden wörtlich zitiert. Ihr großer Wert liegt in den gewonnenen Hintergrundinformationen und in der Überprüfung der von mir entworfenen Darstellung. Zudem möchte ich allen danken, die diese Arbeit begleitet haben und mich in schwierigen Phasen zum Weitermachen ermutigten. An erster Stelle sei Jost Halfmann genannt, der dieses Projekt als mein Doktorvater betreute. Besonderer Dank gilt meinen Eltern und meiner Frau Cynthia Powell, die ich auf einer Studienreise nach Berkeley kennen und lieben lernte.
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University of California Lawrence Berkeley National Laboratory University of California, Los Angeles
2 Probleme der Wissenschaftssoziologie
2.1 Der Wandel der Wissenschaft Die Wissenschaftssoziologie war stets mit dem Wandel ihres Gegenstandes konfrontiert. Derek de Solla Price (1963) hat in seinem berühmten Essay Little Science, Big Science herausgestellt, dass sich die Zahl der Wissenschaftler seit der Herausbildung der modernen Wissenschaft aller fünfzehn Jahre verdoppelte. Das Berufsbild der Wissenschaftler änderte sich grundlegend, die in der Industrie oder der staatlichen Großforschung angestellten Wissenschaftler bestimmten zunehmend das Bild. Dass das einst exponentielle Wachstum inzwischen an seine Grenzen stößt, scheint den sozialstrukturellen Wandel der Wissenschaft noch zu beschleunigen (Ziman 1994: 9ff.). Die Forschung fast aller Spezialgebiete muss sich zunehmend in Märkten knapper Mittel und geringer öffentlicher Aufmerksamkeit behaupten und legitimieren. War bis in die 1970er Jahre Wachstum (growth) als quantitativer Fortschrittsindikator das zentrale Thema der Wissenschaftsforschung (Polanyi 1967; Crane 1972; Laudan 1977), kamen später Risiko, Unsicherheit und Nichtwissen hinzu (Bechmann und Stehr 2000; Wehling 2004). Inzwischen gewinnen Begriffe wie Markt und Öffentlichkeit an Bedeutung. Das Wissen wird dabei als eine Ware innerhalb einer knowledge economy beschrieben, in der auch die Universitäten zunehmend als wirtschaftliche Akteure agieren (s. u.a. Etzkowitz und Leydesdorff 1997; zur Kritik Balzer 2003). Die Entstehung der Wissenschaftssoziologie ist selbst ein Indikator für den rasanten Wandel der Wissenschaft, der Fragen und Probleme
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aufwarf, die eine reflexive Thematisierung der Wissensproduktion mit Bezug auf die Gesellschaft erforderten. Der daraus resultierende enge Zusammenhang zwischen der Thematisierung der Wissenschaft in der Gesellschaft und den Diskussionen in der Wissenschaftssoziologie lässt sich anhand dreier Beispiele belegen. 1.) Spätestens 1935 wurden die zentralen Fragen der Wissenschaftssoziologie manifest. So kritisierte Edmund Husserl in seinem Buch Die Krisis der europäischen Wissenschaft und die transzendentale Phänomenologie, dass die moderne Wissenschaft die Lebenswelt der Menschen aufgrund der enormen Spezialisierung nicht mehr erfassen könne und daher spezifische Menschheitsfragen – dazu zählen auch Fragen nach dem Sinn des Lebens – systematisch aus der Wissenschaft verbannt würden (Husserl 1982, zuerst 1935: 4). Während Husserl in der Abschneidung des Psychischen und in der durch die Aufsplittung der Wissenschaft erzeugten Weltspaltung eine Krise sah und eine transzendentale Phänomenologie als neue – alternative – Form der Wissenschaft empfahl, bekämpfte Karl R. Popper in seiner Logik der Forschung den Psychologismus, den er als Zeichen einer verbreiteten Krise der Rationalität empfand. Mit seiner Methodologie schlug Popper – in der Tradition des logischen Empirismus – ein logisches Abgrenzungskriterium vor, welches es erlauben sollte, wissenschaftliche von nichtwissenschaftlichen Aussagen klar zu unterscheiden (Popper 1994: 6, 9-21). Die Beschreibung der gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür, dass die in einer formalen Logik begründete und normativ gestützte Rationalität der Maßstab für das Handeln von Wissenschaftlern sein kann, muss als das ursprüngliche Problem einer Wissenschaftssoziologie begriffen werden, die in Robert K. Mertons Science, Technology, and Society in Seventeenth Century England (Merton 1938) ihr Gründungsdokument sieht – und nicht etwa in den marxistischen Arbeiten von Hessen (1974, zuerst 1931) oder Bernal (1973, zuerst 1936). Diese Autoren plädierten für eine gesellschaftliche Organisation und die Zweckorientierung der Wissenschaft (zu den marxistischen Wurzeln der Wissenschaftssoziologie s. Bunge 1991: 525ff.). Auch Ludwik Flecks Buch Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, in dem er am Beispiel der Erforschung der Syphilis die Bindung wissenschaftlicher Begriffe an Denkkollektive demonstriert und das Erkennen selbst als einen sozialen Prozess beschreibt, blieb lange unbeachtet (Fleck 1980, zuerst 1935). 2.) Der Durchbruch soziologischer Ansätze in der Wissenschaftsforschung erfolgte erst später mit der »Vergesellschaftung« der Wissensproduktion (Halfmann 1980), die ohne weiteres auch als Verwissenschaftlichung der Gesellschaft (Weingart 2001: 18) beschrieben werden kann. Der Terminus »Vergesellschaftung« muss aber mit Vorsicht genossen werden, da er implizit unterstellt, dass es Wissenschaft außerhalb der Gesellschaft geben könne. Er spiegelt aber wider, dass in der Gesellschaft
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ein Bewusstsein dafür entstand, dass der wachsende Ressourcenbedarf der Wissenschaft Steuerungschancen bot. Es wurde nun großzügig, vor allem aber strategisch in die Forschung investiert (z.B. in die Rüstungsforschung, die Raumfahrt oder auch die Kernenergie). Nicht nur in den USA entstanden Großforschungslabore als riesige, zwischen den Universitäten und dem Militär sowie zunehmend auch in der Industrie angesiedelte Hybridorganisationen, in denen sehr heterogene Ziele verfolgt wurden (Dennis 1994). Zwischen 1950 und 1990 wurden in 146 Ländern Forschungs- und Technologieministerien mit dem Ziel gegründet, die wissenschaftlich-technische Entwicklung zu steuern (Jang 2000). Die Vertreter des wissenschaftlich-administrativen Establishments und die Präsidenten wichtiger Universitäten beeinflussten die wissenschaftssoziologische Diskussion mit impliziten oder auch expliziten Theorien über die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft. Beispiele dafür sind die wissenschaftspolitischen Empfehlungen von Vannevar Bush (1980, zuerst 1945) ebenso wie die wissenschaftshistorischen Ideen des Harvard-Präsidenten James B. Conant (1944, 1947), die vor allem auch Kuhn beeinflussten (Kuhn 1967: viii). Clark Kerr (1995) charakterisierte die moderne Universität als multiversity, unter deren Dach neben der Wissenschaft eine Vielzahl sozialer Gruppen und gesellschaftlicher Aktivitäten vereint sind. Alvin Weinberg, langjähriger Direktor des Oak Ridge National Laboratory, entwickelte seine Visionen in der Hoffnung, dass die Atomenergie die wichtigsten Probleme der Menschheit lösen könne (Weinberg 1968). 3.) Das Fortschrittsmodell der Wissenschaft geriet Anfang der 1970er Jahre in die Kritik, da die hochgesteckten Erwartungen an die Steuerbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen enttäuscht wurden. Schwerwiegende Nebenfolgen einst gefeierter Technologien machten sich als ökologische Probleme bemerkbar. Experten zeigten sich in den Medien immer häufiger ratlos oder widersprachen sich gegenseitig. Ihre professionelle Autorität wurde immer öfter von sozialen Bewegungen und der kritischen Öffentlichkeit in Frage gestellt. Gegenexperten zeigten, dass man auf der Basis desselben wissenschaftlichen Wissens zu anderen Schlüssen kommen kann, wenn man alternative Wertvorstellungen zugrunde legt. Mit der Husserl’schen Wissenschaftskritik hat diese Phase den Ruf nach einer alternativen Wissenschaft gemein (van den Daele 1987). Normal accidents technischer Systeme (Perrow 1984) zeigten die dem wissenschaftlichen Wissen innewohnende Unsicherheit und die nicht mehr kontrollierbare Komplexität der nachindustriellen Gesellschaft auf (Bell 1976). Nun wurden die Risiken der Anwendung wissenschaftlichen Wissens und die Entstehung einer Risikogesellschaft diskutiert (Beck 1986). Die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft war aber schon so weit fortgeschritten, dass die Wissenschaft als Ganzes nicht mehr ab-
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gelehnt werden konnte. Vielmehr entstanden neue wissenschaftliche Spezialgebiete, wie die Ökologie oder die umweltorientierte Atmosphärenwissenschaft. Gleichzeitig nahm die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens für die Wirtschaft im Zeitalter neuer Informationstechnologien weiter zu. In den Diskursen über die Wissenschaft wurde nun paradoxerweise gleichzeitig über die Demokratisierung der Wissenschaft und die Privatisierung des wissenschaftlichen Wissens durch zunehmende Patentierung diskutiert. Auch die Forschungspolitik wandelte sich. War sie einst auf einige wenige Technologien wie die Atomenergie ausgerichtet, verfolgte sie nun abstraktere Ziele wie die Erhöhung des Wirtschaftswachstums oder den Schutz der Umwelt. Die politischen Erwartungen an die Wissenschaft sind nun wieder relativ indifferent. Man fördert interdisziplinäre Forschung, weil man von ihr Innovationen erwartet (Röbbecke u.a. 2004: 15). In den Science Policy Studies werden seit über zwanzig Jahren weitreichende Thesen über den Wandel des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft formuliert. Neue Begriffe wie trans-science (Weinberg 1992), mandated science (Salter 1988), postnormal science (Funtowicz und Ravetz 1993), Mode-2 (Gibbons u.a. 1994; Nowotny u.a. 2001) oder auch die Beschreibung des Verhältnisses von Universität, Staat und Industrie als eine triple helix koevolvierender Bereiche (Etzkowitz und Leydesdorff 1997) markieren die nicht enden wollenden Suchbewegungen eines Faches zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaftspolitik. Es wird eine sich herausbildende Wissensgesellschaft oder auch Mode2-society (Nowotny u.a. 2001) postuliert, in der die Forschung zu dem die gesellschaftliche Reproduktion dominierenden Handlungstyp avanciere (Maasen 1999; Stehr 1994, 2000; Willke 2002). Im Zentrum der Mode-2-These steht ein Entdifferenzierungsargument: Es wird behauptet, dass sich die Grenzen des Wissenschaftssystems aufgrund der wachsenden Bedeutung des Wissens in allen Teilen der Gesellschaft unscharf werden, oder es wird mit einem emanzipatorischem Impetus zur aktiven Überschreitung und Beseitigung dieser Grenzen aufgerufen (breaching the frontiers, Nowotny u.a. 2001: 21ff.). Mit der den Texten zu Mode-2 eigenen Ununterscheidbarkeit von Analyse und (wissenschafts-) politischem Programm wird behauptet, dass die vormals weitgehend segregierte Wissensproduktion vollständig in der Gesellschaft aufgehen könne. Das Mode-2-Argument basiert auf fünf Tendenzen des institutionellen Wandels. 1.) Als seine zentrale Ursache wird die gesellschaftliche Kontextualisierung der Wissensproduktion benannt. Auch grundlegendes Wissen werde zunehmend in komplexen Anwendungszusammenhängen erzeugt (knowledge produced in the context of application). Die Bildungsexpansion führe dazu, dass a) in immer mehr Berufen wissenschaftliches Wissen angewandt und Forschung als Problemlösungsstra-
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tegie eingesetzt werde, und b), dass immer mehr Menschen in der Lage seien, sich wissenschaftliches Wissen anzueignen und dieses zu beurteilen. So fordern von Wissensfolgen betroffene Laien nicht nur bei technischen Großprojekten, sondern auch bei der Wissensproduktion selbst immer häufiger ein Mitspracherecht (Nowotny u.a. 2001: 143). Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die AIDS-Forschung, deren methodische und ethische Standards von advocacy groups, die sich für die Patientenrechte einsetzten, kritisiert und insofern erfolgreich verändert wurden, dass die Verabreichung lebenserhaltener Medikamente über die methodische Reinheit von klinischen Tests gestellt wurde (Epstein 1996: 201ff.). 2.) Gleichzeitig wird ein Bedeutungsverlust der wissenschaftlichen Disziplinen behauptet, die als ein Charakteristikum universitärer Wissenschaftsorganisation (Mode-1) beschrieben werden. Die zunehmende Komplexität von Anwendungsproblemen führe dazu, dass die Wissensproduktion vor allem in temporären, transgressiven und transdisziplinären Expertenclustern erfolge (transdisciplinarity). Auch Julie Thompson Klein geht von einer zunehmenden gegenseitigen Durchdringung (permeation) disziplinärer Grenzen aus. Die Einrichtung von interdisciplinary studies an den Universitäten – Klein nennt Felder wie urban, area, women oder auch cultural studies – werden dabei als akademische Anpassungsleistungen beschrieben (Klein 1996: 29ff., 87ff.). 3.) Das Mode-2-Argument geht einen Schritt weiter, wenn es die Ablösung der Universitäten als dominante Forschungsorganisation behauptet. An ihre Stelle träten neue, sehr heterogene Formen der Organisation der Wissensproduktion (heterogeinity and diversity of organizations)1 , die vor allem an wissenschaftsexternen Problemen orientiert seien. Der Bedeutungsverlust der wissenschaftlichen Disziplinen und das Aufkommen neuer, heterogener Formen der Forschungsorganisation hängen innerhalb des Mode-2-Arguments unmittelbar zusammen, weil davon ausgegangen wird, dass die disziplinäre Struktur der Wissenschaft unlösbar an ihre universitäre Organisation gebunden sei. Offen bleibt dabei, wie transdisziplinäre Expertencluster entstehen und wie in diesen relevantes Wissen identifiziert wird, wenn die Orientierungsfunktionen wissenschaftlicher Disziplinen entfallen. Im Gegensatz zu der Mode-2-These geht das triple helix-Modell von Etzkowitz und Leydesdorff (1997) nicht von einer Entdifferenzierung der 1 Der Zeitpunkt dieses Wandels bleibt dabei unklar. In den USA dominierten die Universitäten bereits in den sechziger Jahren den Forschungssektor nicht mehr (Berelson 1960: 83; Storer 1966: 15; Sklair 1973: 30). Interessanterweise hat sich der Anteil der Universitätswissenschaft in den USA seit 1987 nur wenig verändert. Laut Angaben der National Science Foundation (NSF) betrug der Anteil der Wissenschaftler, die an Universitäten angestellt waren, 1987 14,6%, im Jahr 1999 waren es 14,8%. Kleine Verschiebungen gab es im Bereich der staatlichen Großforschung (von 6 auf 3,8%) und der Industrieforschung (von 78,4 auf 81,5%). Fast bedeutungslos sind nach wie vor non-profit organizations. Hier arbeiten konstant ca. 1% der Wissenschaftler. Daten siehe http://sestat.nsf.org, letzter Zugriff am 9.8.2007.
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Wissenschaft aus. Der Wandel nationaler Innovationssysteme wird vielmehr als die Ablösung des lange vorherrschenden linearen Innovationsmodell interpretiert, in dem die Ergebnisse der Universitätsforschung in der Wirtschaft oder in der Politik »bloß« angewandt wurden. An seine Stelle trete nun eine triple helix vielfältiger Beziehungen zwischen den Universitäten, der Industrie und den Regierungen. Innovation wird dabei als ein koevolutionärer Prozess beschrieben. Variationen können in allen drei der beteiligten Systeme auftreten und erfordern Anpassungsleistungen in den jeweils anderen (Etzkowitz und Leydesdorff 1997: 4). Die Entstehung neuer organisatorischer Arrangements kann dabei als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass das Verhältnis (social contract) zwischen den Universitäten und der breiteren Gesellschaft komplexer geworden ist. An die Stelle einer pauschalen Finanzierung der Universitäten durch den Staat tritt nun die situative Aushandlung von Erwartungen und Leistungen (Etzkowitz und Leydesdorff 1997: 1). 4.) Eine weitere Dimension des Wandels bei Nowotny u.a. ist die Externalisierung der Qualitätskontrolle von Forschung. Anwender und Betroffene bewerteten zunehmend selbst das Wissen und nähmen die Wissensproduzenten für mögliche Folgen in Haftung. Die klassischen peer review-Verfahren verlören dabei an Bedeutung (externalization of quality control). 5.) Weil die Folgen der Wissensverwendung nun schon im Forschungsprozess antizipiert werden müssen, werde die Wissensproduktion zunehmend reflexiv (social accountability and reflexivity). Wissen unter Mode-2-Bedingungen muss nicht nur zuverlässig (reliable), sondern vor allem sozial robust, d.h. verantwortbar sein (Nowotny u.a. 2001: 167). Funtowicz und Ravetz (1993) haben mit ihrer These über die post-normal science die Inadäquatheit traditioneller, auf gesicherter Expertise beruhender Problemlösungsstrategien im Fall ökologischer Probleme herausgestellt, für die das Zusammentreffen sich widersprechender Expertisen mit einem hohen Entscheidungsdruck typisch ist. Politische Entscheidungen müssen dabei häufig vor der Schließung wissenschaftlicher Kontroversen getroffen werden. Mit Entscheidungen auf Grundlage unsicheren Wissens wird mit der Gesellschaft experimentiert, sie wird selbst zum Labor (Krohn und Weyer 1990). Auch die Implementierung neuer Technologien kann die Form von Realexperimenten (Groß u.a. 2005) annehmen. Zumindest in demokratischen Gesellschaften erfordern diese eine Einbeziehung der Öffentlichkeit in die entsprechenden Zulassungsverfahren. Die Beurteilung des Wissens finde damit zunehmend in extended peer communities statt, denen nicht nur technisch qualifizierte Forscher, sondern auch Laien angehören, die über die gesellschaftliche Akzeptabilität der mit der Anwendung bzw. Nichtanwendung von Wissen verbundenen Risiken zu entscheiden (Funtowicz und Ravetz 1993: 744; Jasanoff 1985).
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(1) zunehmende Kontextualisierung der Wissensproduktion
(2) Transdisziplinarität der Forschung
(3) Organisatorische Diversität und Heterogenität
(4) Externalisierung der Qualitätskontrolle
(5) soziale Verantwortlichkeit und Reflexität
→ Fokus der Arbeit
Tabelle 1: Struktur des Mode-2-Arguments von Gibbons u.a. (1994) und Nowotny u.a. (2001). Der Fokus der vorliegenden Arbeit ist auf den Themenkomplex gerichtet, der durch die zweite Zeile markiert ist.
Auch diesem Teil des Entdifferenzierungsarguments kann einige Skepsis entgegengebracht werden. In den in der Literatur diskutierten Fallbeispielen externer Bewertung wissenschaftlichen Wissens stehen meist Konflikte um die Beurteilung möglicher Wissensfolgen, um ethische Fragen, um politische Entscheidungen oder um den Marktwert von Innovationen – kurz: die Übersetzungsprozesse, die die Anwendung von Wissen voraussetzt– im Mittelpunkt. Wolfgang van den Daele hat in einer Analyse partizipativer Verfahren der Technikfolgenabschätzung gezeigt, dass diese meist darin bestehen, einen Konsens darüber zu erreichen, was als objektives Wissen betrachtet werden kann und worin die konfligierenden Wertannahmen bestehen (van den Daele 1996). Tabelle 1 fasst die von Nowotny u.a. beschriebenen Tendenzen des Wandels noch einmal zusammen. Die gesellschaftliche Kontextualisierung der Wissensproduktion (1) steht im Zentrum des Mode2-Arguments; sie ist gleichermaßen Ursache und sich in feed backProzessen selbstverstärkende Folge des Wandels. In diesem Buch wird vor allem der Zusammenhang zwischen der disziplinären Struktur der Wissenschaft und der zunehmend interdisziplinären Organisation der Forschung (repräsentiert durch 2 und 3) zum Ausgangspunkt genommen, um dann die resultierenden Konsequenzen für das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu diskutieren. Im Gegensatz zu den oben skizzierten Entdifferenzierungsthesen wird dabei von einer fortschreitenden Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme ausgegangen. Eine Entdifferenzierung einzelner Sozialsysteme kann nicht ausgeschlossen werden, auch wenn die Auflösung ganzer Funktionssysteme noch nicht beobachtet wurde. Einzelne wissenschaftliche Disziplinen und Subdisziplinen können sich durchaus auflösen (z.B. Fisher 1974). Dadurch entstehen Chancen für neue Tendenzen der Differenzierung und der Systemanpassung (Stichweh 1988: 48). So wird möglicher-
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weise auch das System der klassischen Disziplinen nach und nach durch ein System neuer Disziplinen abgelöst, das ganz maßgeblich von außerwissenschaftlichen Problemen geprägt ist. Hier wird von drei Grundannahmen ausgegangen, die von den referierten Ansätzen abweichen: 1.) Innerhalb der Mode-2-These wird die Wissenschaft – wie es auch für andere Ansätze, die sich mit dem Wandel der Wissenschaft befassen, typisch ist – anhand von Professionen beobachtet. Die Tatsachen, dass auch andere Berufsgruppen an der Wissensproduktion teilhaben, dass Wissenschaftler Beiträge zu Disziplinen publizieren, in denen sie nicht ausgebildet sind, und dass auch Wissenschaftler in anderen gesellschaftlichen Rollen auftreten, wird als Entgrenzung der Wissenschaft bzw. der Disziplinen gewertet. Hier wird dagegen davon ausgegangen, dass das Wissenschaftssystem nicht als die Menge aller Wissenschaftler beschrieben werden kann. Es muss vielmehr durch seine spezifischen Formen der Geltungsprüfung gesellschaftlich verteilten Wissens charakterisiert werden. Folglich kann das Verhältnis von Individuen zur Wissenschaft nicht als Mitgliedschaft (in Professionen oder scientific communities) gefasst werden. Vielmehr soll die Wissenschaft als ein Kommunikationssystem beschrieben werden, zu dem die Wissenschaftler, aber zunehmend auch Laien Beiträge leisten. Dass ausgebildete Wissenschaftler größere Chancen, haben Beiträge zur wissenschaftlichen Kommunikation zu liefern, bleibt dabei unbestritten. 2.) Die Aussage, dass die Wissensproduktion mehr und mehr in die Gesellschaft integriert werde, kann aus der Sicht der Gesellschaftstheorie nicht aufrecht erhalten werden. Vielmehr war die Wissenschaft zu jedem historischen Zeitpunkt vollständig in die Gesellschaft integriert. Mit der Gründung der Royal Academy war die Wissenschaft aus der Politik und der Religion, nicht aber aus der Gesellschaft verbannt (Shapin 1996: 123). Historisch zu untersuchen wären dann die spezifischen Formen der gesellschaftlichen Integration der Wissenschaft, ein Programm, wie es vor allem von Ben-David (1984) verfolgt wurde. Die Arbeit folgt dem Mode2-Argument in einem wichtigen Punkt. Sie geht von der wachsenden Rolle von Forschungs- und anderen Organisationen bei der Integration der Wissenschaft in die Gesellschaft aus. Im Rahmen der theoretischen Überlegungen dieser Arbeit soll diese Integration über die Theoriefigur der strukturellen Kopplung beschrieben werden. 3.) In der Theorien der Wissensgesellschaft wurde häufig behauptet, dass es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Wissen und anderen Formen des Wissens gibt (Stehr 2000: 101). Wissen wird dabei als eine frei fließenden Ressource behandelt, die zunehmend die Wirtschaftskreisläufe durchdringe (Willke 1998). In dieser Arbeit wird aber davon ausgegangen, dass wissenschaftliches Wissen spezifisches – theoretisch und methodisch kontrolliertes – Wissen ist. Damit wird ebenso wenig eine Hierarchie der Wissensformen behaup-
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tet wie die Existenz einer einheitlichen wissenschaftlichen Methode. Unzweifelhaft spielen in jeder Gesellschaft auch andere Wissensformen eine wichtige Rolle. Wissenschaftliches Wissen repräsentiert nur einen kleinen Teil des gesellschaftlich verteilten Wissens. Es ist durch spezifische, institutionalisierte – historisch und disziplinär variable – Verfahren der Geltungsprüfung gekennzeichnet.
2.2 Zwei Paradigmen der Wissenschaftssoziologie Die Verwirrung um die Identifizierbarkeit von Wissenschaft und wissenschaftlichem Wissen resultiert aus der Halbierung des Wissenschaftsbegriffes in der Wissenschaftssoziologie, wie sie in der Existenz zweier Paradigmen zum Ausdruck kommt (Collins 1983; Schimank 1995a). Einmal bezeichnet »Wissenschaft« eine Institution und einmal – kognitiv – ein Netz aufeinander verweisender Aussagen oder Überzeugungen. Im Ergebnis erscheint die Wissenschaft, nachdem ihre ethische Sonderrolle dementiert wurde, als eine Institution wie jede andere auch. Betrachtet man das wissenschaftliche Wissen unabhängig von der Institution Wissenschaft, hat es nichts Außergewöhnliches an sich. Nur wenn man beide Dimensionen zusammen denkt, kann man der Spezifik des wissenschaftlichen Wissens und der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft auf die Spur kommen (Balzer 2003: 88). H. Collins (1983: 271) zeigt anhand des Social Science Citation Index, dass zwischen 1971 und 1981 die Vertreter des institutionalistischen Paradigmas die Arbeiten der wissenssoziologischen Schule fast vollständig ignorierten. Diese reagierten wiederum vor allem kritisch auf den institutionalistischen Ansatz (Mulkay 1969; Bloor 1991: zuerst 1976). Die Beschreibung der Institutionalisierung der Wissenschaft ist mit einer soziologischen Epistemologie aber nicht unvereinbar (Fuller 1988: 263-275; Luhmann 1990: 323f.; Weingart 2001: 70; Collins und Evans 2002). Auch wenn diese Perspektive lange Zeit nur selten eingenommen wurde, kommt das institutionelle Paradigma nicht ohne epistemologische Grundannahmen aus, so wie umgekehrt innerhalb des wissenssoziologischen Paradigmas die Frage nach den institutionellen Bedingungen der Wissensproduktion beantwortet werden muss (Fuchs 1993b; Whitley 1984: 5f.). Beide Paradigmen unterscheiden sich aber in ihren Erklärungszielen und in der Folge auch in ihren epistemologischen Grundannahmen. Die Vertreter des institutionalistischen Paradigmas untersuchen die institutionellen und organisatorischen Bedingungen – kurz: die gesellschaftliche Einbettung – wissenschaftlicher Rationalität. Die Vertreter des wissenssoziologischen Paradigmas versuchen dagegen, die der Philosophie entstammende Frage nach der Erzeugung und der Geltung wissenschaft-
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lichen Wissens mit einer genuin soziologischen Epistemologie zu beantworten, in der der Wandel und die Produktion des Wissens als Resultat von Handlungen beschrieben werden (Mulkay 1992, zuerst 1979). Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, aufgrund derer beide Paradigmen der Soziologie zugerechnet werden müssen. Erstens wird hier wie dort sozialer Wandel – einmal der Wandel institutioneller Strukturen und einmal der Wandel des Wissens (Barnes 1990: 68) – thematisiert. Zweitens laufen beide auf Theorien sozialer Differenzierung hinaus, die im Begriff der scientific community ihren Ausdruck finden. Dieser entspringt ursprünglich dem Ideal einer republic of science (Polanyi 2000: zuerst 1962), meint aber in beiden Paradigmen etwas anderes: Einmal bezieht er sich auf Normengemeinschaften, deren Solidarität der Verpflichtung auf ein ethisches Ideal entspringt (so z.B. Barber 1952; Merton 1968; Hagstrom 1965; Storer 1966). Das andere Mal meint er kognitive Gemeinschaften, deren Mitglieder gemeinsame Überzeugungen (beliefs) teilen (Fleck 1980; Kuhn 1973, zuerst 1969). Aus der Gemeinschaftsbegrifflichkeit und ihren fehlenden Anschlüssen an die Gesellschaftstheorie ergeben sich aber auch die hier diskutierten Probleme der Wissenschaftssoziologie (zur Kritik des Begriffs der scientific community s. BenDavid 1974: 133; Whitley 1984: 4f.). Die Herausbildung der Wissenschaftssoziologie ist ein Ergebnis der Dynamisierung der Wissenschaftstheorie. Wissenschaft wurde dabei nicht mehr durch einen wahren Wissensbestand charakterisiert, sondern kam als strukturbildender Prozess in den Blick (Bühl 1974: 49). Weil auch wissenschaftliche Aussagensysteme einem historischen Wandel unterliegen, ergab sich die methodologische Frage nach Kriterien für die Annahme oder die Zurückweisung wissenschaftlicher Sätze und Theorien. Das im Umfeld des Wiener Kreises entwickelte Programm des logischen Empirismus setzte dabei auf eine in der formalen Logik verankerten einheitlichen Wissenschaftssprache (Carnap 1928; Neurath 1933). Das Scheitern dieses Programmes wird in der Auseinandersetzung Poppers mit dem Induktionsproblem deutlich (Popper 1994: 3f.). Da es unmöglich ist, aus einer endlichen Anzahl von Beobachtungen allgemeingültige Gesetzesaussagen abzuleiten, können wissenschaftliche Sätze nicht verifiziert, sondern nur – beim Vorliegen ihnen widersprechender Basissätze – falsifiziert werden. Das Kriterium für Wissenschaftlichkeit (Abgrenzungskriterium) kann also nicht in der Wahrheit von Sätzen, sondern nur in ihrer spezifischen Form liegen. Sätze sind dann empirische Sätze, wenn sie durch anerkannte Basissätze widerlegt werden können (Popper 1994, 55). An die Stelle wahrer Sätze treten nun bewährte Sätze. Bewährung heißt, dass Ereignisse, die eine Theorie verbietet, bisher nicht eingetreten sind. Die wissenschaftliche Rationalität gebietet es, Theorien wiederholten Testsituationen auszusetzen. (Popper 1994: 73). Das logisch nicht lösbare Induktionsproblem wird bei Popper somit
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durch normative Imperative bezüglich der wissenschaftlichen Rationalität in Schach gehalten. Das Problem der empirischen Basis löst Popper dagegen konventionalistisch. Wissenschaftliche Sätze können dann durch Beobachtungssätze falsifiziert werden, wenn deren Gehalt außer Frage steht (Popper 1994: 71f., s. auch Lakatos 1974: 65). Mit den Begriffen der Norm und der Konvention sind aber genuin soziologische Themen angesprochen (Halfmann 1980: 41ff.). Der logische Empirismus und der kritische Rationalismus bereiteten der Wissenschaftssoziologie aus zwei Gründen das Feld: Erstens gibt der logische Empirismus mit seiner Beschränkung auf den context of justification die nicht-logische Seite der Erzeugung des wissenschaftlichen Wissens (context of discovery) für soziologische Erklärungen frei (Reichenbach 1938: 4). Hinzu kommt der normative Gehalt des Abgrenzungskriteriums, der die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen für die Aufrechterhaltung der hohen Rationalitätserwartungen in der Wissenschaft (und damit in der gesamten Gesellschaft) aufwirft. Der zweite Grund für die Soziologisierung der Wissenschaftstheorie ergab sich aus der schrittweisen Dekonstruktion des logischen Abgrenzungskriteriums durch die Vertreter der New Philosophy of Science: a) Mit dem Nachweis, dass jegliche Beobachtung bereits auf konzeptionellen Vorentscheidungen und damit auf theoretischen Annahmen beruht (theory-ladeness, Hanson 1969: 149), kann die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Sätzen und empirischen Basissätzen nicht durchgehalten werden. Die Falsifikation von Sätzen würde die Möglichkeit verifizierter Beobachtungstheorien voraussetzen. Da nach Popper Theorien (und damit auch Beobachtungstheorien) nur falsifiziert, nicht aber verifiziert werden können, gerät der Falsifikationismus in einen Widerspruch. Wissenschaftliche Theorien sind aufgrund der Unmöglichkeit verifizierter Basissätze logisch unwiderlegbar (Lakatos 1978: 129ff.). b) Hinzu kommt die Unterdeterminiertheit von Theorien durch Erfahrungen (Quine 1979). Zu einem endlichen Set von Daten können unendlich viele Theorien aufgestellt werden, ohne mit den Daten selbst in Konflikt zu geraten. Quine beschreibt die Gesamtheit des wissenschaftlichen Wissens als ein Netz von aufeinander verweisenden Aussagen, welches nur an den Rändern mit der Realität in Berührung kommt (s. auch Hesse 1974). Ein Konflikt mit Erfahrungen an der Peripherie erfordert die Neuverteilung von Wahrheitswerten, doch gibt es eine große Zahl von Aussagen, die neu bewertet werden können, um das Netz wieder in ein widerspruchsfreies Gleichgewicht zu bringen (Quine 1979: 47). Welche Wahrheitswerte dabei geändert werden, ist eine Frage des wissenschaftlichen Urteils, nicht der formalen Logik (Pickering 1984: 5f.). Ähnliches gilt für die Experimente selbst. Welche Beobachtungen als Messfehler und welche als relevante Daten interpretiert werden, ist nur durch Beobachtungstheorien oder implizite Konventionen zu entscheiden (Collins
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1985: 54ff., 79ff.), und damit durch Urteile, die sich weder aus der unmittelbaren Wahrnehmung noch aus einer formalen Logik ergeben. c) Mit der Erkenntnis, dass Beobachtungen auf konzeptionellen Vorentscheidungen beruhen, und der Möglichkeit, die selben Daten innerhalb verschiedener Theorien zu interpretieren, kann wissenschaftlicher Wandel nicht mehr im Rahmen einer allumfassenden, historisch rekonstruierbaren Rationalität erklärt werden (wie es Lakatos noch anstrebte), sondern muss auf den Wandel von Überzeugungen in Denkkollektiven (Fleck 1980) bzw. scientific communities und auf außerwissenschaftliche Motive zurückgeführt werden. Die Wissenschaftsgeschichte erscheint somit als institutioneller und kognitiver Ausdifferenzierungsprozess. Inwieweit die beiden resultierenden Sozialstrukturen als deckungsgleich (oder divergierend) betrachtet werden müssen und inwieweit die wissenschaftliche Dynamik durch wissenschaftsinterne oder -externe Faktoren beeinflusst wird (oder werden kann), entwickelte sich zu den zentralen Fragestellungen des wissenssoziologischen Paradigmas.
2.2.1 Das institutionalistische Paradigma Mit der Explikation der Normen des wissenschaftlichen Ethos versuchte Robert K. Merton die Bedingungen für die Aufrechterhaltung der wissenschaftlichen Rationalität in der Gesellschaft zu formulieren. Zur Erreichung des mit der Wissenschaft institutionalisierten Ziels, als gültig zertifiziertes Wissen zu produzieren, bedürfe es neben den methodologischen Imperativen der einzelnen Disziplinen auch Normen, die nicht nur binden, weil sie technisch effizient sind, sondern weil sie von den Wissenschaftlern für gut und richtig gehalten werden (Merton 1968, zuerst 1957: 606f.). Merton nennt vier solche Normen: 1.) Die Norm des Universalismus (universalism) verlangt, dass die Kriterien für die Bewertung von Behauptungen (knowledge claims) nicht aus den Eigenschaften der Person eines Wissenschaftlers, seiner Nationalität, seiner Religion oder seiner sozialen Herkunft abgeleitet werden (Merton 1968: 609f.). 2.) Mit der Kommunalitätsnorm (communism) werden die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit als Eigentum der Gemeinschaft betrachtet. Das wissenschaftliche Wissen sei mit dem kapitalistischen Konzept des geistigen Eigentums unvereinbar (Merton 1968: 612). Urheberschaft sei »nur« für die Reputationszuweisung von Bedeutung. Dieses »nur« steht hier in Anführungszeichen, weil gerade die Mechanismen der Reputationsverteilung als Ursache für die soziale Struktur der Wissenschaft angesehen wurden. 3.) Die Norm der Uneigennützigkeit (disinterestedness) bezieht sich auf die Motive der Arbeit. In der Wissenschaft wird die Leidenschaft für das Neue, Neugier oder die altruistische Orientierung am Nutzen für die Menschheit positiv sanktioniert, nicht
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aber Forschung zur Verfolgung partikularer Interessen (Merton 1968: 612ff.). 4.) Die Norm des organisierten Skeptizismus (organized sceptizism) fordert, dass wissenschaftliche Gewissheiten – auch gegen institutionelle Widerstände – immer wieder hinterfragt und neuen Bewährungssituationen ausgesetzt werden sollen. Später sind weitere Normen wie die emotionale Neutralität (emotional neutrality, Barber 1952: 87), Objektivität (Storer 1966: 81), das Ziel neues Wissen zu produzieren (commitment to novelty, Whitley 1984: 25; s. auch Polanyi 2000, zuerst 1962) oder auch die Norm der Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Urteils (Hagstrom 1965: 105) formuliert worden. Die Autonomie der Wissenschaft, die als die wichtigste Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Rationalität und damit der wissenschaftlichen Produktivität angesehen wurde, bedarf in der Merton’schen Fassung eines besonderen gesellschaftlichen Schutzes, der vor allem in demokratischen Gesellschaften gewährleistet sei, in denen die Normen des wissenschaftlichen Ethos auch außerhalb der Wissenschaft eine hohe Wertschätzung genießen (Merton 1968: 591). Neben der Freiheit von den Zumutungen eines (autoritären) Staates war mit der Autonomie der Wissenschaft vor allem auch die Abwesenheit von organisatorischen Zwängen (Merton 1968: 602) oder der Verzicht auf eine Indienstnahme der Wissenschaft für partikulare Ziele gemeint (Polanyi 2000: 9). Aus dem Merton’schen Ansatz ergaben sich die zwei Hauptthemen der institutionalistischen Wissenschaftssoziologie: Es stand a) die Frage nach der Normendurchsetzung und der Kontroll- und Anreizstrukturen der wissenschaftlichen Arbeit im Raum. Die universitäre Sozialisation allein vermochte die starke Verpflichtung auf die Normen des wissenschaftlichen Ethos nicht zu erklären (Hagstrom 1965: 9). Die – empirische – Herausforderung bestand b) darin, dass die Forschung zunehmend in den formalen Organisationen der Groß- und Industrieforschung angesiedelt war (Barnes 1971). zu a) Was bewegt Wissenschaftler, die Normen des wissenschaftlichen Ethos zur Maxime ihres Handelns zu erheben? Eine Antwort suchte Warren O. Hagstrom in seiner Studie The Scientific Community (Hagstrom 1965). Im Zentrum seines austauschtheoretischen Ansatzes steht – wie bei anderen institutionalistischen Autoren auch – das Streben der Wissenschaftler nach Anerkennung (recognition) bzw. Reputation, einem knappen Gut, das innerhalb der scientific community im Austausch für Beiträge zugeteilt wird. Hagstrom betrachtet die Beiträge der Wissenschaftler als Geschenke an die scientific community. Giftgiving muss dabei als eine besondere Form des Gabentauschs betrachtet werden. Mit der Annahme von Geschenken durch die Gemeinschaft wird der Status des Gebenden markiert und diesem besondere Anerkennung und daraus abgeleitete Rechte – wie der privilegierte Zugang zu Informationen über die neuesten Arbeiten der Kollegen – zugestanden
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(Hagstrom 1965: 13). Hagstrom unterscheidet zwei Kanäle der Anerkennung. Die elementare Anerkennung durch die Kollegen bindet ein Individuum an die jeweilige scientific community. Daher sind bei Hagstrom Spezialgebiete, nicht Disziplinen, die primären Orte der sozialer Kontrolle (Hagstrom 1965: 163). Die institutionalisierte Anerkennung ist dagegen an die formalisierten Kommunikationswege einer Disziplin (z.B. peer reviewed Aufsätze) gebunden und zahlt sich in Positionen in der Wissenschaftsorganisation – z.B. in Fachorganisationen – aus (Hagstrom 1965: 23). Die soziale Kontrolle in der Wissenschaft ist auch von anderen Autoren mit ökonomischen Marktmodellen beschrieben worden. So fasst Storer die Austauschbeziehungen – in einem weniger altruistischen Modell – als eine Form des Gütertausches (commodity statt gift/reward, Storer 1966: 32). Demnach befinden sich die Wissenschaftler im Wettbewerb um Reputation, die durch die scientific community verteilt wird, sie tragen aber gleichzeitig auch zu einem gemeinsamen Gut – dem wissenschaftlichen Wissen – bei. Daher kommt es immer wieder zu heftigen Prioritätenstreitigkeiten darüber, wem das Verdienst einer Entdeckung tatsächlich zukommt (Merton 1957). Später wurden diese Modelle insofern verfeinert, als neben der Anerkennung bzw. Reputation auch die materiellen und kulturellen Ressourcen, die Wissenschaftlern zur Verfügung stehen, in die Austauchbilanz einbezogen wurden (z.B. Whitley 1984: 25). Bruno Latour und Steven Woolgar beschreiben in ihrem Modell des circle of credibility in Anlehnung an Bourdieus Theorie des wissenschaftlichen Feldes (Bourdieu 1975), dass für Wissenschaftler die Anerkennung durch die Kollegen einen Kreditrahmen darstellt, der sich in Forschungsressourcen umsetzen lässt. Wissenschaftler investieren dieses Kapital (z.B. wenn sie Förderanträge stellen), um mehr Anerkennung und Kredit zu erlangen (Latour und Woolgar 1986: 187ff.). Diese austauschtheoretischen Modelle laufen auf eine Theorie der wissenschaftlichen Spezialisierung hinaus, weil die informell organisierte Kontrolle der wissenschaftlichen Arbeit auf die Beurteilung durch Fachkollegen (peers) angewiesen bleibt. Scientific communities basieren in dieser Perspektive auf wechselseitigen Beiträgen und der Gegenseitigkeit der Kontrolle, die nur unter Kollegen eng verwandter Gebiete ausgeübt werden kann (Polanyi 2000: zuerst 1962, 68). Wissenschaftliche Gemeinschaften sind hochspezialisierte Reputationsmärkte, die dem Ideal punktförmiger Märkte, deren Teilnehmer über vollständige Informationen verfügen, recht nahe kommen. Daraus ergibt sich aber auch die Begrenzung ihrer Größe. Eine Folge ist, dass Wachstum zwangsläufig Spezialisierungsprozesse in Gang setzt. Folgt man der institutionalistischen Perspektive, bilden sich neue Spezialgebiete durch bestimmte Strategien, Vorteile im Wettbewerb um
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Reputation zu erlangen. In einem etablierten Spezialgebiet kann aufgrund seiner Größe relativ viel Reputation gewonnen werden. Doch sind angesichts der großen Konkurrenz die zu lösenden Probleme oft knapp. Dadurch, dass viele Wissenschaftler am selben Thema arbeiten, steigt die Gefahr von Mehrfachentdeckungen. In seltener bearbeiteten Gebieten kann dagegen gewöhnlich weniger Reputation erworben werden. Aber auch das Risiko, dass andere Wissenschaftler wichtigen Entdeckungen zuvorkommen, ist geringer. Investitionen in abgelegene Forschungsgebiete zahlen sich vor allem dann aus, wenn dadurch Probleme des Mainstreams auf neue Weisen gelöst werden können. Nach Hagstrom konkurrieren auch die Spezialgebiete innerhalb einer Disziplin um Anerkennung, indem sie Beiträge produzieren, die den gemeinsamen Zielen dieser Disziplin dienen. Disziplinen werden so als Gemeinschaften von Spezialgebieten konzipiert. Die Folge ist eine Hierarchie von mehr oder weniger geschätzten Spezialgebieten innerhalb einer Disziplin. Weicht ein Spezialgebiet von den disziplinären Zielen ab, muss damit gerechnet werden, dass die Anerkennung, die sich letztlich auch in der Zuweisung von Ressourcen niederschlägt, abnimmt. Oft verdankt sich das Überleben »devianter« Spezialgebiete dann der Förderung durch andere Disziplinen oder gar wissenschaftsexterner grant giving agencies. Wird ein »rebellisches« Spezialgebiets, z.B. durch die Forschungspolitik oder die Industrie, gefördert, kann es u.U. zur Herausbildung neuer Disziplinen und damit zur fortschreitenden Segmentierung der Wissenschaft kommen (Hagstrom 1965: 167ff.). Auch bei der Formulierung des Disziplinenbegriffs, wie er hier vorgeschlagen wird, muss berücksichtigt werden, dass sich die Herausbildung wissenschaftlicher Disziplinen in einem starken Maße außerwissenschaftlichen Faktoren – oder: Institutionalisierungschancen – verdankt. zu b) Die soziale Kontrolle und die Normendurchsetzung in der Wissenschaft erfolgte in der Fassung des institutionalistischen Paradigmas innerhalb autonomer – d.h. von den Zumutungen formaler Organisation freier scientific communities. Daher wurde die Forschung in Großforschungslaboren und in der Industrie als zunehmende Bedrohung der wissenschaftlichen Autonomie empfunden. Es wurde ein Normenkonflikt zwischen dem wissenschaftlichen Ethos und den Anforderungen an die Mitarbeiter in hierarchisch strukturierten Arbeitsorganisationen vermutet (role strain, Marcson 1961; La Porte 1965). Für Hagstrom war es geradezu ein Albtraum, dass sich innerhalb der Spezialgebiete eine zunehmende Rollendifferenzierung (z.B. in Techniker und Manager) abzeichnete. Das Prinzip der informalen Organisation »in its purest form«, wie es die Grundlagenforschung kennzeichnete, schien in Gefahr (Hagstrom 1965: 153).
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2.2.2 Das wissenssoziologische Paradigma Innerhalb des wissenssoziologischen Paradigmas wurde angenommen, dass die Kohäsion von scientific communities nicht allein aus einem verpflichtenden Ethos resultiert, sondern sich aus den gemeinsamen Überzeugungen ihrer Mitglieder ergibt. Damit wird eine enge Kopplung des wissenschaftlichen Wissens an die sozialen Strukturen der Wissenschaft unterstellt (zur Übersicht s. Pinch 1997, zuerst 1982). Zum Ausdruck kommt diese enge Kopplung in Kuhns Begriff der Paradigmengemeinschaft. Mit dem Studium eines Paradigmas erwerben Studenten nicht nur abstraktes Wissen. Sie werden vielmehr innerhalb einer scientific community sozialisiert und in die spezifische Weltsicht ihrer Mitglieder eingeübt (Kuhn 1967: 11, 110). Paradigmen beinhalten nicht nur Theorien und Methoden, sondern sie bieten erfolgreiche Musterlösungen für wichtige Probleme einer Disziplin. Der Nachvollzug von Praktiken und die Einübung spezifischer Problemlösungsstrategien ist daher ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Die Bindung einer scientific community an ein neues Paradigma wird dann wahrscheinlich, wenn sich aus der Reformulierung eines Gebietes interessante Forschungsprobleme ableiten lassen und das Paradigma Regeln für ihre Lösung verspricht. In normalwissenschaftlichen Phasen sei die wissenschaftliche Arbeit vor allem Rätsellösen (puzzle-solving). Es gilt die durch das Paradigma vorgegebene Regeln auf den Gegenstandsbereich einer Disziplin anzuwenden (Kuhn 1967: 37). Die Erklärung wissenschaftlichen Wandels wirft in dieser Fassung Probleme auf. Paradigmen werden bei Kuhn als geschlossene, inkommensurable Weltbilder eingeführt, die die Forschungslinien und die Wahrnehmung der Wissenschaftler in normalwissenschaftlichen Phasen bestimmen (Kuhn 1967: 103). Das Problem der Unmöglichkeit einer Einheitswissenschaft wird dabei immer noch mit einer – wenn auch lokalen Logik – gelöst. Nur vor dem Hintergrund einer solchen ist Inkommensurabilität denkbar. Paradigmengemeinschaften sind bei Kuhn normalerweise geschlossen für externe Ideen. Erst wenn innerhalb des Paradigmas eine Krise wahrgenommen wird, in der immer häufiger Anomalien, d.h. innerhalb des Paradigmas nicht lösbare Probleme, auftauchen, verliert ein Paradigma an Kohäsionskraft. Das Problem des Wandels versucht Kuhn mit seiner Theorie wissenschaftlicher Revolutionen zu lösen, nach der die Wahl eines neuen Paradigmas durch Gründe bestimmt ist, die sich nicht aus dem bestehenden Paradigma ergeben können. Er beschreibt einen Paradigmenwechsel als gestalt switch, im Zuge dessen sich die Wahrnehmung der Wissenschaftler so ändert, dass die sich aus dem vorhergehenden Paradigma ergebenden Anomalien keine mehr sind. Für die Wissenschaftler sieht die Welt nach dem Wechsel der theoretischen Ansätze, der Methoden
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und der Ziele eines Spezialgebiets anders aus (Kuhn 1967: 85). Schaut man genauer hin, wird deutlich, dass Kuhn eigentlich mit zwei Theorien der wissenschaftlichen Entwicklung arbeitet: einer soziologischen für normalwissenschaftliche Phasen und einer wahrnehmungspsychologischen für revolutionäre Umbrüche. In der Soziologie des wissenschaftlichen Wissens (Sociology of Scientific Knowledge, SSK) wurde dagegen auch der theoretische Wandel auf soziale Ursachen zurückgeführt. Die Erzeugung wissenschaftlichen Wissen wurde zunehmend im Kontext komplexer Netzwerke untersucht, die soziale Institutionen, Praktiken und Artefakte – wie wissenschaftliche Geräte – gleichermaßen einschlossen (Collins 1985: 17). Besonders David Bloor forderte mit dem strong programme dazu auf, die Erkenntnisse der Wissenssoziologie auch auf die »härtesten« Gebiete der Wissenschaft – wie z.B. die Mathematik oder die Physik – anzuwenden (Bloor 1991: 107ff.). Es galt die Asymmetrie zu überwinden, dass soziale Einflüsse auf die wissenschaftliche Entwicklung traditionell nur im Fall von Ideologien, Irrtümern und vermeintlicher Irrationalität untersucht wurden. Die Entstehung wissenschaftlicher Überzeugungen sollte also – unabhängig davon ob sie später als wahr oder falsch betrachtet wurden – mit der gleichen Art von Gründen erklärt werden (Bloor 1991: 7). Zwei Probleme blieben auch in dieser Fassung erhalten: a) das Internalismus-Externalismus-Problem, das mit der zirkulären Grundannahme einer kognitiv konstituierten scientific community nicht aufgelöst werden kann. Daher läuft b) die Annahme einer engen Kopplung des Wissens an scientific communities auf Phasenmodelle hinaus, weil untersucht werden muss, unter welchen Bedingungen sich diese enge Kopplung herausbildet bzw. wieder auflöst (Collins 1985: 3). Damit kommt die Eröffnung und die Schließung von Kontroversen in den Blick, die geradezu als Statuspassagen wissenschaftlicher Entwicklung beschrieben werden können. Deutlich wird dies mit der Rede von der theoretischen »Reife« wissenschaftlicher Spezialgebiete (Böhme u.a. 1978: 71). zu a) Die Internalismus-Externalismus-Debatte wurzelt sowohl in der Merton’schen als auch in der Kuhn’schen Fassung der wissenschaftlichen Autonomie. Externe Einflüsse auf die Wissenschaftsentwicklung wurden in beiden Fällen als eine Art Störung aufgefasst, die den Lauf der normalen Wissenschaft, wenn auch unter bestimmten Umständen produktiv, unterbrechen. Für soziologische Erklärungen scheint gerade dieser Zirkelbruch interessant. In diesem Zusammenhang ist das Interessenmodell der wissenschaftlichen Entwicklung einzuordnen. In verschiedenen Fallstudien wurde gezeigt, dass die Wahl zwischen zwei oder mehreren Theoriealternativen auf nichtwissenschaftliche Interessen von Wissenschaftlern zurückgeführt werden kann (s. z.B. MacKenzie 1981). Doch ist das Interessenmodell nicht unproblematisch, weil nur indirekt – über beobachtbare Handlungen – auf solche Interessen geschlossen
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werden kann. Im Gegensatz zur marxistischen Fassung des Klasseninteresses geht es nicht darum, die Interessenabhängigkeit wissenschaftlichen Wissens zu kritisieren, sondern es wird nachgewiesen, dass die Produktion wissenschaftlichen Wissens notwendigerweise interessegeleitet ist (Barnes 1977: 10ff. und 18). Dennoch erscheint die Erklärung des theoretischen Wandels durch Interessen oft als eine nachträgliche ad hoc-Erklärung, die seltsam unsoziologisch bleibt, weil sie die Sozialstrukturen der Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Einbindung nur partiell in den Blick bekommt. Selbstverständlich sind Interessen sozial konditioniert, unbeachtet bleibt dabei aber, dass die Zuschreibung von Interessen auf Akteure problematisch bleibt. Woolgar wies darauf hin, dass Wissenschaftler ständig ihre Interessen abwägen und überprüfen. Zudem haben sie die Interessen ihrer Kollegen fortwährend im Blick und beurteilen diese fortlaufend (Woolgar 1981: 371). Sie verfügen über so etwas wie interest maps im Sinne reduktionistischer Simplifikationen, die ihnen als Orientierungshilfen in der komplexen sozialen Welt der Wissenschaft dienen (Callon und Law 1982: 617). Diese Version richtet sich gegen den sozialen »Naturalismus«, d.h. gegen die Annahme, dass Interessen etwas seien, was in der sozialen Welt vorhanden sei und ohne Weiteres beobachtet werden könne. Doch sind Interessen selbst kognitive Konstrukte, die ständigen Transformationen unterliegen. So versuchen Wissenschaftler die Interessen ihrer Kollegen zu beeinflussen, um Wahrheitsansprüche durchzusetzen oder Kooperationen zu initiieren. Mit der Bildung von Allianzen und Gegenallianzen verändern sie die soziale Welt ebenso wie das in diese eingebettete Wissen (Callon und Law 1982: 618f.). Eine Theorie der wissenschaftlichen Arbeit – später soll sie Forschung genannt werden – muss also in Betracht ziehen, dass diese von wissenschaftlichen ebenso wie von nichtwissenschaftlichen Faktoren bestimmt ist. zu b) Wissenschaftliche Tatsachen werden in der wissenssoziologischen Perspektive durch die Bildung kohärenter Gruppen etabliert, in denen Fakten als gegeben angesehen und nicht mehr hinterfragt werden. Bei der Beschreibung des wissenschaftlichen Wandels ergibt sich dann die Frage, wie derartige scientific communities entstehen und unter welchen Bedingungen diese sich für weitere Innovationen öffnen. Die Lösung des Problems ist seit Kuhns Structures ähnlich: Sie besteht darin, die wissenschaftliche Entwicklung als Abfolge von Phasen, in denen ein Konsens über die Grundlagen herrscht, und Phasen, die durch Kontroversen geprägt sind, zu beschreiben. Die Übergangsprozesse zwischen diesen Phasen – z.B. die Schließung wissenschaftlicher Kontroversen – wurden damit zu einem wichtigen Gegensatnd der Wissenschaftssoziologie. Schließungsprozesse sind durch Entscheidungen gekennzeichnet, die wissenschaftliche Kontroversen beenden. Nach der Schließung werden
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vormals strittige Theorien als gesichertes Wissen behandelt. Betrachtet man scientific communities als Träger wissenschaftlichen Wissens, geht damit gleichzeitig auch eine soziale Schließung einher. H. Collins zeigte, dass wissenschaftliche Kontroversen meist von kleinen coresets von Wissenschaftlern geführt werden, die zwar am selben Thema forschen, aber aufgrund kontroverser Standpunkte relativ selten miteinander kommunizieren. Mit der Beendigung von Kontroversen werden die Bindungen zwischen den Kontrahenten stärker, es bilden sich neue Gemeinschaften heraus. Die Positionen, die sich in der Kontroverse durchsetzten, werden in die Lehrbücher aufgenommen, während die alternativen Ansätze nicht tradiert werden. Die Verlierer der Kontroverse müssen die Sicht der Gewinner übernehmen (Collins 2000: 824f.) oder sie finden sich außerhalb der Gemeinschaft wieder. Aufgrund der Theorieabhängigkeit von Beobachtungen und der interpretativen Flexibilität von Experimentaldaten können wissenschaftliche Kontroversen nicht durch Kreuzexperimente gelöst werden, solange keine Einigung über die Bedeutung des Ausgangs dieser Experimente besteht. Was die eine Seite vor dem Hintergrund ihrer Annahmen als Messung interpretiert, kann vor dem Hintergrund konkurrierender Theorieentwürfe als Messfehler erscheinen. Der wesentliche Unterschied zum Popper’schen Falsifikationismus besteht aber darin, dass wissenschaftliche Kontroversen durch soziale Differenzierungsprozesse und nicht durch eine zwingende Logik gelöst werden. Mitunter überleben zurückgewiesene Ansätze (rejected science) die Schließung im Schatten des Mainstream (Collins 2000). Dennoch laufen beide Paradigmen auf eine Sondersoziologie hinaus. Diese findet vor allem in dem Begriff der scientific community – einmal als Normengemeinschaft und einmal als kognitive Gemeinschaft gedacht – ihren Ausdruck. Diese Gemeinschaftsbegrifflichkeit lässt sich innerhalb moderner Gesellschaftstheorien nur schwer rekonstruieren. Ferdinand Tönnies hat einst den Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft herausgearbeitet und die ideellen und mechanischen Formen der modernen Vergesellschaftung den organisch gewachsenen Gemeinschaften gegenübergestellt, die durch den persönlichen Kontakt ihrer Mitglieder gekennzeichnet sind (Tönnies 1935). Allein in Anbetracht der Größe der modernen Wissenschaft und einzelner Disziplinen müssen diese mit den Begriffen der Gesellschaftstheorie beschrieben werden. Weil die Wissenschaft lange Zeit mit einer Gemeinschaftsbegrifflichkeit beschrieben wurde, erschien sie als ein Bereich, der von den Entwicklungen der zunehmend arbeitsteiligen, hochspezialisierten und bürokratisierten Industriegesellschaften ausgenommen schien. Mehr noch, fast alle Ansätze, die einen grundlegenden Wandel der Wissenschaft postulieren, halten seltsamerweise an »Gemeinschaft« als Zentralbegriff fest, wenn sie von epistemic communities (Haas 1992),
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hybrid communities oder auch von extended peer communities (Funtowicz und Ravetz 1993) sprechen. Es gibt nur wenige Versuche, diese Bindung an den Begriff der scientific community – gedacht als kognitive Gemeinschaft – zu überwinden. Ein Beispiel ist das kontextualistische Modell der Wissenschaft. Wissen ist in diesem Ansatz nicht an Gemeinschaften gebunden, sondern muss innerhalb verschiedener sozialer Kontexte betrachtet werden. Dadurch wird es möglich, auch die sozial-interaktiven, praktischexperimentellen oder semantisch-kognitiven Dimensionen der Wissensproduktion in den Blick zu nehmen (Bonß u.a. 1994: 447f.). Die klassische Fassung, nach der die Herauslösung von Wissen aus dem context of discovery als Ent- oder Dekontextualisierung gedacht wurde, wird dadurch überwunden, dass auch wissenschaftliches Wissen als kontextualisiertes Wissen beschrieben wird. Disziplinen sind demnach Kontexte, an die das wissenschaftliche Wissen gebunden bleibt. Die Transformation von Forschungsergebnissen in wissenschaftliches Wissen wird als Um- oder Rekontextualisierung gefasst. An dieses Modell wird in der Argumentation der Arbeit insofern angeschlossen, als dass Wissen als Struktur sozialer Systeme eingeführt wird. In der Folge muss das Wissen im Wissenschaftssystem von dem Wissen in Forschungsorganisationen unterschieden werden. Während wissenschaftliches Wissen spezifische Prozesse der kommunikativen Geltungsprüfung durchläuft, verfügen Forschungsorganisationen auch über lokales Wissen darüber, wie sie effektiv zu Ergebnissen kommen können oder welche Forschungsthemen gesellschaftliche Unterstützung versprechen. Indem die beiden Paradigmen der Wissenschaftssoziologie an dem Begriff der scientific community festhielten, verloren sie auch den Begriff der wissenschaftlichen Disziplin aus den Augen. Die Kritik an der extremen Segmentierung wissenschaftlicher Disziplinen hat Spezialgebiete, nicht die großen Disziplinen im Blick. Dabei wird häufig übersehen, dass auch interdisziplinäre Felder als Spezialgebiete in dem oben diskutierten Sinne verstanden werden müssen (Weingart 1987: 163). Im folgenden Unterkapitel gilt es herauszuarbeiten, dass wissenschaftlichen Disziplinen eine große Bedeutung bei der Integration der Wissenschaft in die Gesellschaft zukommt.
2.3 Disziplinen und Interdisziplinarität In diesem Buch wird das Verhältnis von Disziplinarität und Interdisziplinarität durch drei Thesen charakterisiert, die vor dem Hintergrund eines Teils der neueren wissenschaftssoziologischen Literatur konträr erscheinen: Die erste These lautet, dass die Wissenschaft nach wie vor primär disziplinär strukturiert ist. Mit der zweiten These wird behauptet, dass
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Interdisziplinarität in der »Natur« jeglicher Forschung liegt. Genauer formuliert: Forschung ist an sich nicht disziplinär, auch dann nicht, wenn sie die zu lösenden Probleme aus einzelnen Disziplinen bezieht. Die Unterscheidung Mode-1 versus Mode-2 beschreibt in dieser Perspektive keine historische Entwicklung, sondern verschiedene, aber gleichzeitig auftretende Sachverhalte: disziplinäre Wissenschaft und interdisziplinäre (bzw. nicht-disziplinäre) Forschung. Die Wechselwirkung zwischen spezialisierter, d.h. disziplinärer Wissenschaft und der Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung – so die dritte These – konstituiert die Spannung, die essential tension (Kuhn 1967: 79), die die wissenschaftliche Dynamik antreibt (ähnlich auch Weingart 1997a: 528). Auch wenn sowohl die institutionalistische als auch die wissenssoziologisch orientierte Wissenschaftssoziologie auf eine Theorie der Spezialisierung hinauslaufen, gibt es keine konsensuelle Definition des Disziplinenbegriffs, die hier referiert werden könnte (so auch Lemaine u.a. 1976: ix-x; Guntau und Laitko 1987: 19; Weingart 1997: 525; Käbisch 2001). Daher fällt eine Überprüfung (oder Widerlegung) der These über das Ende der disziplinären Wissenschaft schwer. Diese Situation ist umso verwunderlicher, da die Derivate des Disziplinenbegriffs wie Interoder Transdisziplinarität zu den wichtigsten Themen der Wissenschaftstheorie und der Wissenschaftspolitik gehören und gerade diese Debatten nicht ohne eine – wenn auch häufig negative – Referenz auf den Disziplinenbegriff auszukommen scheinen. Uneinigkeit besteht schon darin, welche Differenzierungsformen der Wissenschaft überhaupt als Disziplinen betrachtet werden können. Im Alltagsverständnis sind Mathematik, Physik oder Soziologie ohne Zweifel wissenschaftliche Disziplinen. Mit dem Begriff der scientific community lassen sich diese Strukturen aber nicht beschreiben. Schon 1966 trugen allein in den USA ungefähr 6.000 Wissenschaftler zum größten Spezialgebiet der Physik, der Festkörperphysik, bei (Mulkay 1977: 109). In der Wissenschaftssoziologie standen daher mehr und mehr kleinere Spezialgebiete oder research communities (Mulkay 1977) im Mittelpunkt. Die These dieser Arbeit, dass die Atmosphärenwissenschaft inzwischen als eine wissenschaftliche Disziplin beschrieben werden kann, meint aber nicht nur ein kleines Spezialgebiet. Die Zahl der Atmosphärenwissenschaftler übersteigt zehntausend und selbst auf der subdisziplinären Ebene versagt die Gemeinschaftsbegrifflichkeit. So lassen sich innerhalb der atmosphärischen Chemie sehr verschiedene communities finden, die sich mit so speziellen Phänomenen wie der Wolkenbildung, der städtischen Luftverschmutzung oder auch dem Ozon in der Stratosphäre befassen. Andere unterscheiden sich durch ihre methodischen Ansätze. Die Spezialisierung und die fortschreitende Differenzierung der Wissenschaft verdanken sich der Notwendigkeit, die wissenschaftliche
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Kommunikation thematisch (Stichweh 1988: 64) – bzw. programmatisch – zu beschränken. Diese Notwendigkeit ergibt sich innerhalb des institutionalistischen Paradigmas aus der begrenzten Reichweite informeller Kontrolle. Innerhalb des kognitivistischen Paradigmas resultiert sie aus den begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten einzelner Wissenschaftler oder – angesichts der wachsenden Bedeutung kollektiver Forschung – von Projektgruppen und der Norm, den aktuellen Wissensstand eines Spezialgebiets innerhalb der Forschungsarbeit zu berücksichtigen (Weingart 2001: 99). Auch wenn diese Kapazitäten durch den beschleunigten Zugang zu Informationen – z.B. durch Datenbanken und newsgroups im Internet – oder neue Formen der Forschungskooperation erhöht werden können, bleibt das Problem prinzipiell bestehen. Daher ist mit dem Wachstum der Wissenschaft eine fortschreitende, sich selbst tragende Spezialisierung verbunden (Ben-David und Collins 1966: 453; Weingart 2001: 99ff.). Jedoch finden solche Ausdifferenzierungsprozesse längst unterhalb der Ebene der großen Disziplinen oder Subdisziplinen statt, in denen sich fortlaufend neue Subsubdisziplinen und Spezialgebiete herausbilden. Krohn und Küppers gehen daher davon aus, dass Disziplinen keine Realsysteme der wissenschaftlichen Kommunikation mehr sind (Krohn und Küppers 1989: 26). Auch Chubin hält Disziplinen nur für eine sekundäre Struktur, die sich daraus ergibt, dass das Wissen in einer systematisierten Form gelehrt werden muss. Nur auf der Ebene der Spezialgebiete könne man beobachten, wie kognitive Differenzierung zur Bildung kohärenter Gruppen führe (Chubin 1976: 449f.). In dem von Lemaine u.a. (1976) herausgegebenen Band Perspectives on the Emergence of Scientific Disciplines befassen sich alle Beiträge mit Subdisziplinen oder Subsubdisziplinen. Auch Stichweh (1984) beschreibt die Entstehung der Physik zu einem Zeitpunkt, als sie noch als ein Spezialgebiet mit einer identifizierbaren scientific community beschrieben werden konnte. Susan Cozzens (1985: 128) vermutet in diesem »general shift of attention within the social studies of science from disciplines to specialities as a unit of organization« die Ursache dafür, dass die Wissenschaftssoziologie zunehmend Schwierigkeiten hatte, ihr Ziel, die kognitive und die soziale Struktur der Wissenschaft aufeinander zu beziehen, zu erreichen. Mit der Konzentration auf Spezialisierungsprozesse verlor die Wissenschaftssoziologie die Frage nach der Integration arbeitsteilig ausdifferenzierter Sozialsysteme – in diesem Fall des Wissenschaftssystems – aus den Augen. Zur Überbrückung der Kluft zwischen den auf personaler Kommunikation basierenden scientific communities und dem, was man gewöhnlich als wissenschaftliche Disziplinen bezeichnet, sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. So unterscheidet Stephan Cole zwischen den Forschungsfronten (research fronts) und dem kognitiven Kern einer Dis-
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ziplin (core). Die Forschungsfronten bleiben dabei durch Evaluationsprozesse im Rahmen des peer review mit dem core set einer Disziplin verbunden. Nur durch den Bezug auf das von allen Wissenschaftlern geteilte Wissen einer Disziplin ist es möglich, dass Forschungsergebnisse durch Fachkollegen beurteilt werden können, die selbst nicht in die Projekte eingebunden sind (Cole 1992, 1994). Ähnlich argumentiert Eduard Mirskij, der zwischen der Forschung als aktive, meist interdisziplinäre Tätigkeit und dem Archiv des disziplinären Wissens unterscheidet. Verbunden sind diese durch mehrstufige, durch verschiedene Publikationsformen gekennzeichnete Transformationsprozesse. Am Anfang eines solchen Prozesses stehen die research letters dynamischer Forschungsgebiete. Die nächste Stufe sind peer reviewed Zeitschriftenaufsätze, die später in Übersichtsartikeln zusammengefasst werden. Auf diese Weise findet das Wissen schrittweise Eingang in die Lehrbücher einer Disziplin. In umgekehrter Richtung stellt das disziplinäre Archiv einen Wissensstand zur Verfügung, der an den Forschungsfronten keiner weiteren Begründung bedarf (Mirskij 1980: 193ff.). Heinz Heckhausen nennt sieben Kriterien, mit denen wissenschaftliche Disziplinen charakterisiert und unterschieden werden können: 1.) Das material field einer Disziplin bezieht sich dabei auf das Alltagsverständnis des Gegenstandsbereichs. 2.) Die Ebene des subject matter verweist dagegen auf die wissenschaftliche Konzeptualisierung desselben. 3.) Ein weiteres Kriterium für die Identifizierung ist der Grad der theoretischen Integration. Wie weit kann der Gegenstandsbereich einer Disziplin durch ihre Theorien erfasst werden, wie hoch ist die Prognosefähigkeit dieser Theorien? 4.) unterscheiden sich Disziplinen bezüglich der Methoden, mit denen Beobachtungen in Daten transformiert werden. Ein weniger exklusives Merkmal sind dagegen 5.) die analytischen Werkzeuge, wie z.B. die Logik, mathematische Begründungen oder auch Verfahren der Modellbildung. Disziplinen können 6.) aber auch aufgrund ihrer Anwendung in verschiedenen Praxisfeldern unterschieden werden. Bezeichnend hierfür ist das Verhältnis der Pädagogik zur Soziologie oder zur Psychologie, auf deren Theorien sie zurückgreift. Ein letztes Kriterium zur Identifizierung von Disziplinen ist 7.) ihre geschichtliche Kontinuität (Heckhausen 1972: 83ff.). Typisch an dieser Definition ist, dass sie enumerativ ganz verschiedene Dimensionen heranzieht, die in unterschiedlichen Theorien wurzeln, um zu bestimmen, was eine wissenschaftliche Disziplin sei. Auch William Bechtel unterscheidet ähnliche Dimensionen: »(1) the object studied; (2) the cognitive activities involved and (3) the social and institutional organizations« (Bechtel 1986: 8). Die erste – nicht soziologische – Dimension, der Gegenstand einer Disziplin, entspringt der Vorstellung, dass die Gegenstände der Wissenschaft als Entitäten in der Welt vorhanden seien und sich ihre naturge-
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gebene Ordnung in der Struktur des Wissens widerspiegele (Korrespondenzthese). Obwohl diese Epistemologie in der neueren Wissenschaftsphilosophie und -soziologie immer seltener vertreten wird – an ihre Stelle sind kognitive oder methodologische Programme getreten – hält sie sich bei der Begründung interdisziplinärer Projekte hartnäckig (diese Kritik bei Weingart 1997a: 527). So wird die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung in der Ökologie häufig mit den komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen der Natur, wie dem Klima, der Gesellschaft und der Biosphäre, begründet (z.B. bei Brand 1997: 31). Hier soll aber gezeigt werden, dass sich die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung nicht aus der Komplexität der Welt, in der alles mit allem zusammenhängen mag, ergibt, sondern daraus resultiert, dass die soziale Struktur der Wissenschaft ein Ergebnis der Bearbeitung vergangener Problemstellungen ist. Innovative Forschung besteht dann zwangsläufig in der Überschreitung disziplinärer Gewissheiten. Im Folgenden sollen drei verschiedene Konzeptionen wissenschaftlicher Disziplinen untersucht werden: Disziplinen als Professionen (s. 2.3.1, S. 36), Disziplinen als (informale) Organisationen (s. 2.3.2, S. 39) und Disziplinen als Kulturen (s. 2.3.3, S. 42). Ein Ergebnis sei hier vorweggenommen: Allen diesen Ansätzen ist gemein, dass sie die Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen nicht internalistisch erklären können. Disziplinen können nur beschrieben werden, wenn man die Wissenschaft als Wissenschaft der Gesellschaft begreift. Die Anlässe für die Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen können dabei sehr unterschiedlich sein. Die Entstehung vieler Disziplinen geht auf außerwissenschaftliche Problemstellungen zurück (s. 2.3.4, S. 46). Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Disziplinenbegriffen ist notwendig, weil die Antwort auf die in Abschnitt 2.3.5 (s. S. 50) diskutierte Frage nach der Möglichkeit und den institutionellen Bedingungen interdisziplinärer Forschung von dem jeweils zugrunde liegenden Disziplinenbegriff abhängt.
2.3.1 Disziplinen als Professionen Die Merton’sche Wissenschaftssoziologie war – bevor das institutionalistische Paradigma mit aus der Organisationssoziologie entlehnten Begriffen reformuliert wurde – vor allem eine Theorie der wissenschaftlichen Profession (Brante 1988: 122). Professionen sind in der funktionalistischen Schule der amerikanischen Soziologie, wie sie neben Merton besonders von Talcott Parsons geprägt wurde, durch vier wesentliche Merkmale gekennzeichnet: 1.) wird die Orientierung an einem professionellen Ethos über persönliche Karriereinteressen und Profitinteressen gestellt. 2.) stellt die akademische Sozialisation die Internalisierung dieser Werte und die intrinsische Motivation der Professionellen sicher. 3.) können aufgrund der Spezifik des Wissens nur die Professionellen
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– nicht aber Laien – die Leistungen der Mitglieder einer Profession beurteilen (Whitley 1984). Daher sind 4.) die Professionen durch ihre sehr spezifischen Leistungen für die Gesellschaft bestimmt. In dieser ideellen Formulierung stellen Professionen die Rationalität in modernen Gesellschaften sicher, weil sie der hierarchischen Kontrolle – wie sie sich z.B. in der industriellen Arbeit findet – oder dem Profitstreben der freien Wirtschaft entzogen sind. Professionelle Arbeit ist in dieser Perspektive nicht organisierte Arbeit. Ärzte, Rechtsanwälte oder Wissenschaftler sind Autoritäten auf einem beschränkten Gebiet technischer Expertise und werden auch von denen um Rat befragt, die in der gesellschaftlichen Hierarchie über ihnen stehen (Parsons 1939: 459). Die Beschreibung der sozialen Struktur der Wissenschaft mittels des Begriffs der Profession wirft einige Probleme auf: Bilden die Wissenschaftler eine einheitliche Profession? Vor allem bei Merton ist das Ethos der Wissenschaft universalistisch gedacht. Die Differenzierung in einzelne scientific communities ist »nur« eine Folge der beschränkten Reichweite der gegenseitigen informellen sozialen Kontrolle. Oder besteht die Wissenschaft aus mehreren professionellen Kulturen – z.B. den grundlagenorientierten Naturwissenschaften, den Geisteswissenschaften (humanities), den Ingenieurswissenschaften (technologies) und den angewandten Sozialwissenschaften (s. diese Typologie bei Becher 1987: 289)? Sind die wissenschaftlichen Disziplinen jeweils selbständige Professionen (Storer 1966: 16; Toulmin 1978: 171f., Whitley 1984: 119f.)? Bei Kuhn ist das Vorhandensein eines Paradigmas die Voraussetzung für die Professionalisierung eines Spezialgebietes. Die professionelle Kontrolle erstreckt sich dabei nicht nur auf die Einhaltung abstrakter Normen, sondern auch auf die Verpflichtung auf ein Paradigma. (Kuhn 1967: 64). Oder bilden die Disziplinen den wissenschaftlichen Überbau für die professionellen Berufe in der Gesellschaft, wie es u.a. in der Institutionalisierung von professional schools an den amerikanischen Universitäten zum Ausdruck kommt? Medical, law oder business schools bereiten ihre Studenten auf außerakademische Berufe vor (Ben-David 1984: 142). Die Professionellen tragen wissenschaftliches Wissen in die Gesellschaft, während sich die Struktur der Wissenschaft an dem Bedarf professioneller Expertise in der Gesellschaft auszurichten scheint. Joseph Ben-David hat herausgearbeitet, dass sich die Rolle des Wissenschaftlers seit der Entstehung der modernen Wissenschaft im 17. Jahrhundert stark gewandelt hat und dass sich die Institutionalisierung der Wissenschaft in den Universitätssystemen verschiedener Länder unterscheidet (s. auch Gaston 1978). Nach Ben-David kann die Wissenschaft schon 1900 nicht mehr als eine einheitlichen Profession beschrieben werden, sie wurde zunehmend zu einer bürokratisch organisierten Aktivität (Ben-David 1984: 108). Besonders in Deutschland kam mit der Verbeamtung der Professoren zu einer Einbindung von Universitätswis-
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senschaftlern in den Staatsapparat. Allerdings galt es das Problem zu lösen, dass ihnen gleichzeitig die für die kreative Forschung erforderlichen Freiräume eingeräumt werden mussten. Eine Lösung bestand in der Hybridisierung von Rollen. Professoren wurden in der deutschen Universität ursprünglich ausschließlich für die Lehre bezahlt, von der man sich die Ausbildung von Experten für andere Bereiche der Gesellschaft versprach. Diese Alimentierung ermöglichte ihnen die unabhängige Verfolgung von Forschungsinteressen. Die wissenschaftliche Kommunikation (und Qualifikation) verblieb dabei in den zwischenuniversitären, professionellen Netzwerken der Disziplinen (Ben-David 1984: 119). Deutlich wird dies am Beispiel der Rolle von Privatdozenten. Diese waren zwar professionell qualifiziert; sie hatten aber keine Garantie dafür, jemals eine Professorenstelle zu bekommen. Erst später, mit der Herausbildung des universitären Forschungslabors, wurde auch die Wissenschaftlerrolle stärker in die Universitäten eingebunden. Die Folge war die Verfestigung disziplinärer Strukturen, da die Lehrstühle nun von den Professoren an ihre Schüler weitergegeben wurden (Ben-David 1984: 124). Ben-David vertritt die These, dass sich besonders in den USA der Beruf des Wissenschaftlers zu einer selbständigen Profession entwickelt hat, die relativ unabhängig von den Universitäten ist. Mit der Institutionalisierung akademischer Standardkarrieren wurden nicht wie im deutschen System exzeptionelle Leistungen mit einem lebenslangen Lehrstuhl belohnt, sondern die Studenten der graduate schools wurden systematisch auf die Arbeit als Forscher vorbereitet. Damit hängen die Wissenschaftler weniger vom Prestige der Universitäten als von ihrem Stand innerhalb der Profession ab. Daraus resultiert ihre Offenheit für angewandte und außeruniversitäre Forschung. Aufgrund ihrer starken Professionalität waren US-amerikanische Wissenschaftler nicht mehr in dem Maße auf den Schutz der akademischen Freiheit durch die Universitäten angewiesen. Ihre Autonomie ergibt sich vielmehr aus der Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen Forschungsorganisationen bei der Rekrutierung von Spitzenwissenschaftlern und der ausgleichenden Macht ihrer professionellen Organisationen (Ben-David 1984: 158f.). Andrew Abbot fragt nun, warum die Debatten über die Interdisziplinarität das amerikanische Bildungssystem nicht grundsätzlich transformiert haben (Abbot 2001: 134). Eine Antwort besteht darin, dass die interdisziplinäre Forschung stets von spezifischen Anwendungsproblemen ausging, deren Karrieren entweder zu kurz waren, um professionelle Strukturen auszubilden oder deren Bearbeitung über einen längeren Zeitraum zur Entstehung neuer Disziplinen führte. Eine zweite Antwort ergibt sich aus der dualen Institutionalisierung der akademischen Profession. Die Disziplinen bilden die Makrostruktur des akademischen
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Arbeitsmarktes und sie finden sich als Mikrostrukturen in den Instituten und Departments jeder einzelnen Universität wieder. Nicht zuletzt aufgrund der Macht der Professionen können Universitäten in ihren Doktorandenprogrammen kaum von dieser Struktur abweichen, ohne die Berufschancen ihrer Absolventen zu verschlechtern, da letztlich nicht die Universitäten, sondern die anderen Professionellen über ihre Einstellung entscheiden (Abbot 2001: 126). Es lässt sich also nachweisen, dass die Berufsstruktur westlicher Gesellschaften das System wissenschaftlicher Disziplinen stabilisiert. Doch ist die Gleichsetzung von wissenschaftlichen Disziplinen und Professionen prekär. Oft weisen gerade stark professionalisierte Disziplinen wie die Medizin oder auch die Rechtswissenschaften eine eher geringe theoretische Integration auf, weil ihre Entwicklungen mehr von den Bedürfnissen der Profession als von theoretischen Problemen dirigiert werden. Auf der anderen Seite existieren wissenschaftliche Disziplinen, zu denen es außerhalb der Wissenschaft kein Berufsbild gibt. Hinzu kommen einige Disziplinen, die aus der Wissenschaftsentwicklung heraus zur Entstehung von Berufen geführt haben – die Psychotherapie ist dafür ein Beispiel. Das Verhältnis von Professionen und Disziplinen zeigt aber, dass viele Disziplinen außerwissenschaftliche Anschlüsse haben. Sie verdanken sich nicht ausschließlich den Segmentierungstendenzen innerhalb von scientific communities. Noch weniger sind sie an die Universität gebunden, wie es die massenhafte Beschäftigung von Wissenschaftlern in der Großforschung und in der Industrie zeigt. Ben-David hat darauf hingewiesen, dass auch angewandte Forschungsfelder, die typischerweise in Großforschungsinstituten bearbeitet werden, zur Herausbildung von professionellen Gemeinschaften – Ben David nennt sie quasi-disciplines (Ben-David 1984: 143) – führen können.
2.3.2 Disziplinäre Organisation(en)? Die Fassung wissenschaftlicher Disziplinen als Professionen warf die Frage auf, wie das professionelle Berufsethos mit der zunehmend organisierten Forschung in der Industrie oder auch in den Großforschungslaboren in Einklang zu bringen sei. Der vermutete Wertekonflikt zwischen professioneller Ethik und hierarchischer Organisationsstruktur motivierte in den 1960er und 1970er Jahren eine Reihe von Studien zur Forschungsarbeit in Industrieorganisationen (Shepard 1956; Kornhauser 1962; Cotgrove und Box 1970; Barnes 1971)2 . Ben-Davids Antwort war, dass der organisierten Forschung eine starke professionelle Organisation der Wissenschaftler – z.B. in Form von Fachorganisationen – entge2
Zu dieser Diskussion s. auch 4.1, S. 81.
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gensteht. Aus der resultierenden, den Einfluss des Managements begrenzenden Balance ergibt sich die – gemessen an anderen Beschäftigungsgruppen – relativ große Autonomie von Wissenschaftlern in der Industrie (Ben-David 1984: 159f.). Andere Autoren haben wissenschaftliche Disziplinen oder auch intellektuelle Felder (Whitley 1984: 7) als Organisationen beschrieben, indem sie versuchten, die Begriffe der Organisationssoziologie auf diese anzuwenden. Dies war aus mehreren Gründen verlockend. In empirischen Studien wurde a) herausgestellt, dass auch die wissenschaftliche Arbeit durch hierarchische Strukturen geprägt ist (Hargens u.a. 1980). Fasste man die Tätigkeit der Wissenschaftler als organisierte Arbeit, bot die Organisationssoziologie b) ein begriffliches Inventar, um das Problem der Anreiz- und Kontrollstrukturen in der Wissenschaft neu zu formulieren. Desweiteren wurde c) das Verhältnis der Wissenschaftler zu einer Disziplin oder einem Spezialgebiet als Mitgliedschaft beschrieben. Dennoch weist der Organisationsbegriff in der Wissenschaftssoziologie eine Schieflage auf; Organisation wird überwiegend unter dem Aspekt der Machtverteilung und Kontrolle, nicht unter dem Blickwinkel der Entscheidungsproduktion betrachtet. Die Organisation der Wissenschaft wurde meist als eine besondere aufgefasst. Bei Richard Whitley sind intellectual fields eben keine Organisationen, in denen die Mitgliedschaft ein Verhältnis bezahlter Arbeit (labour) konstituiert. Vielmehr bestehe der individuelle Vorteil, der durch die Mitgliedschaft erlangt wird, darin, dass Beiträge mit der Zuweisung von Reputation belohnt werden. Intellektuelle Felder werden so als reputational work organizations gefasst (Whitley 1984: 25). Ein weiteres Spezifikum wissenschaftlicher Arbeit ist, dass eine bürokratischen Arbeitsplanung und -kontrolle uneffektiv erscheint. Es lässt sich eben kaum festlegen, was zu tun ist, um neues Wissen zu produzieren (task uncertainty). Whitley spricht daher auch von einem craft system of work administration, in dem die Qualität der Arbeit durch die Kollegen bewertet wird (Whitley 1984: 14). In einer scientific community – gedacht als normativ begründete Gemeinschaft – ergeben sich Hierarchien idealtypischaus der unterschiedlichen Produktivität der Wissenschaftler oder der Originalität ihrer Beiträge. Besonders produktive bzw. vielzitierte Mitglieder akkumulieren mehr Reputation und Anerkennung als ihre weniger produktiven Kollegen. Angesichts der Universalismusnorm dürfte dies keinen Einfluss auf die Beurteilung der Qualität und der Relevanz einzelner Beiträge haben. Doch hat Merton auch gezeigt, dass Beiträge von vielzitierten Wissenschaftlern mit einer hohen Reputation mehr Aufmerksamkeit genießen als die ihrer weniger bekannten Kollegen (zum Matthäus-Effekt s. u.a. Merton 1988). Auch Diane Crane beschreibt scientific communities als hierarchisch strukturierte Netzwerke. In den Spezialgebieten gibt nor-
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malerweise viele Forschungsgruppen und Kollaborationen (groups of collaborators), in denen es einzelne oder wenige führende Persönlichkeiten (central figures) gibt. Vor allem diese wissenschaftlichen Eliten würden Netzwerke aufbauen, die auf engen persönlichen Bindungen beruhen. Vermittelt durch solche »invisible colleges« stünden die einzelnen, weitgehend getrennt arbeitenden Forschungsgruppen in Kontakt miteinander (Crane 1972: 35). Die Gemeinschaften wissenschaftlicher Eliten haben nicht nur einen großen Einfluss auf die Forschung, sondern sie vermitteln auch zwischen der relativen Autonomie der Wissenschaft und der überwiegend instrumentell ausgerichteten Forschungspolitik (Mulkay 1976: 457). Forschungssteuerung beruht in dieser Fassung meritokratischer Selbstorganisation auf Allianzen von Politikern und wissenschaftlichen Eliten (Mulkay 1976: 455). Im Gegensatz dazu kann beobachtet werden, dass sich besonders in Feldern, die durch einen starken Einfluss forschungspolitischer Steuerung geprägt sind, zunehmend die Rolle professioneller Forschungsmanager ausdifferenziert. Deren Einfluss ergibt aus Positionen innerhalb formaler Organisationen, von denen Forschungsgelder oder andere Ressourcen verteilt werden. Auch wenn Forschungsmanager in der Regel eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert und oft auch eine Forschungskarriere hinter sich haben, sind sie nur in wenigen Ausnahmefällen die produktivsten ihres Feldes, weil die Managementaufgaben ihrer Zeit bindet. Sie sind weniger Spezialisten als vielmehr Universalisten, die in der Lage sind, verschiedene hochspezialisierte Forschungsstränge in Beziehung zueinander zu setzen. Die Fassung wissenschaftlicher Disziplinen als – wenn auch informale – Organisationen sieht sich mit zwei großen Problemen konfrontiert. Diese wurden aber oft nicht als theoretische Schwierigkeiten, sondern als ein Beleg für die Sonderstellung der Wissenschaft in der Gesellschaft gewertet. So charakterisierte Hagstrom die Grundlagenforschung durch ihre informale Organisation »in its purest form« (Hagstrom 1965: 4). Es ist aber a) unklar, was eine Mitgliedschaft in einer wissenschaftlichen Disziplin ausmacht, wann sie beginnt und wann sie endet. Die Beschreibung von Wissenschaftlern als Mitglieder in scientific communities oder gar Disziplinen wurde immer dann zum Problem, wenn es in empirischen Studien galt, diese voneinander abzugrenzen (Mulkay 1977). In dieser Arbeit wird das Konzept der Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Disziplinen verworfen und das Verhältnis von Wissenschaftlern – oder genauer Forschern – zu einer Disziplin durch ihre Beiträge zu den jeweils hochspezialisierten Kommunikationsprozessen bestimmt. Die disziplinären Strukturen der Wissenschaft lassen sich b) auch nicht auf die existierenden (formalen) Forschungsorganisationen – wie z.B. Universitäten, Großforschungsinstitute und Industrielabore – projizieren. Außerdem nimmt die Zahl und die Formenvielfalt von Organisa-
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tionen, in denen Forschung durchgeführt zu. Die meisten sind interdisziplinär und ihre Aktivitäten weisen über die Wissenschaft hinaus. Auch Whitley (1984: 48ff.) stößt mit seiner Typologie von Wissenschaftsorganisationen, in der auch Disziplinen als solche behandelt werden, auf das Problem sich mehrfach überlagernder Strukturen. Wissenschaftler sind eben doch meist Angestellte formaler Organisationen und ihre Bezahlung ist eine Voraussetzung dafür, dass sie sich überhaupt am Wettbewerb um Reputation beteiligen können. Whitley löst das Problem, indem er Forschungsorganisationen als ›hybrid‹ organizations oder multipurpose organizations beschreibt (Whitley 1984: 52). Diese Organisationen seien nicht ausschließlich durch die Mechanismen der Reputationszuweisung strukturiert, sondern sie weisen wesentliche Merkmale moderner Arbeitsorganisationen auf. Dass die wissenschaftliche Arbeit seit spätestens den 1950er Jahren zunehmend organisiert wurde, ist eine historisch gut belegte Tatsache. Dennoch können wissenschaftliche Disziplinen zu keinem Zeitpunkt als Organisationen beschrieben werden. Die Prognose Halfmanns, dass sich wissenschaftliche Disziplinen zunehmend zu formalen Organisationen entwickeln würden (Halfmann 1980: 87), ist nicht eingetreten. Damit beruht auch die Behauptung, dass die disziplinäre (und universitäre) Organisation der Wissenschaft durch eine immer größere Anzahl heterogener Forschungsorganisationen abgelöst werde, auf einem kategorialen Fehler, bei dem wissenschaftliche Disziplinen und formale Forschungsorganisationen vermengt werden.
2.3.3 Disziplinäre Kulturen Die Vertreter des wissenssoziologischen Paradigmas beschreiben die Ausdifferenzierung der Wissenschaft als die Institutionalisierung kognitiver Differenzen. Folglich interessieren wissenschaftliche Kontroversen mehr als die vermeintlich normativ begründete Gemeinschaft aller Wissenschaftler. Damit findet ein Perspektivwechsel statt: An die Stelle des universalistischen Wissenschaftsbildes tritt nun ein heterogenes (disunity of science, Galison und Stump 1996).3 Die Wissenschaft wird in der Folge durch Differenzen, kognitive und konzeptionelle Grenzen (boundaries) und kulturelle Vielfalt beschrieben. Wie bereits diskutiert, hatte die ursprüngliche Fassung des auf epistemologische Fragen bezogenen wissenschaftssoziologischen Paradigmas Probleme, die großen Disziplinen zu beschreiben. Kulturalistische Ansätze können als ein Ver3 In der Wissenschaftsphilosophie wurde die disunity of science-These von J.A. Fodor (1974) ausgearbeitet. Sein Hauptargument ist, dass eine Einheitswissenschaft nicht erreicht werden kann, weil sich verschiedene Spezialgebiete in ihren Begrifflichkeiten und in ihren Taxonomien unterscheiden, die nicht durch logische Operationen aufeinander zurückzuführen sind.
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such gelesen werden, das aus der Inkommensurabilitätsthese Kuhns resultierende Problem zu überwinden. Aus der Bestimmung wissenschaftlicher Disziplinen über ihre Gegenstände ergab sich eine geografische Metaphorik: Die Wissenschaft erschien als eine Landschaft von mehr oder weniger klar abgrenzbaren Territorien (zur Kritik s. Gieryn 1999: x). In der Perspektive der institutionalistischen Schule waren – soweit dieses Bild geteilt wurde – scientific communities Segmente einer »Stammesgesellschaft«, die diese Gebiete »bevölkern«. Der Bezugsrahmen des Handelns aller Gemeinschaften ergab sich dabei aus einem generalisierten Normensystem, deren Einhaltung eine Frage des (wissenschaftlichen) »Überlebens« war (s. die Metapher academic tribes bei Becher 1989). Scientific communities unterschieden sich so vor allem durch die Wissensgebiete, in denen sie sich bewegten, weniger durch ihre Überzeugungen. Kuhn nahm dagegen die Weltbilder von wissenschaftlichen Gemeinschaften in den Blick. Da verschiedene Paradigmen inkommensurabel seien (Kuhn 1967: 103), führt in dieser Perspektive die Selbstbindung einer scientific community an ein Paradigma tendenziell zu ihrer Isolation. Die Kommunikation zwischen verschiedenen Paradigmengemeinschaften erscheint schwierig, genau genommen unmöglich. Die kulturalistischen Ansätze fassen dagegen die Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Spezialgebieten nicht als die Institutionalisierung abgeschlossener Weltbilder, sondern als aktive Grenzziehung in einem Kontinuum des Wissens. Die Theorien und Methoden verschiedener Disziplinen sind damit nicht inkommensurabel, sondern sie weisen große Gemeinsamkeiten auf, auch wenn Spezialgebiete ihre Identität aus den Differenzen beziehen mögen. Diese Grenzziehung ist eine genuin soziale und damit kontingente Aktivität (Barnes u.a. 1996: 140, 155). Der Zuschnitt von Disziplinen geht also auf soziale Prozesse und Entscheidungen zurück. Boundaries wurden zum Zentralbegriff einer Wissenschaftsforschung, die vor allem die Herausbildung von Spezialgebieten im Blick hatte: Wissenschaftliche Diskurse entstünden als isolierte Fortsetzungen allgemeiner Diskurse in der Gesellschaft (Böhme 1975: 231). Freilich funktioniert die Territorialmetapher in diesem Zusammenhang nicht. Disziplinenbildung kann nicht darin bestehen, eine endliche Ressource – die Landschaft des Wissens – aufzuteilen. Neue Disziplinen entstehen durch den Aufbau komplexer Theorien und durch die erfolgreiche methodischen Kontrolle des Umweltbezugs. Nimmt man an, dass wissenschaftliche Disziplinen (und Spezialgebiete) spezifische Weltsichten ausbilden, vermitteln und kontrollieren, werden die Wissensgebiete und Gegenstände erst im Zuge der Disziplinengenese geschaffen. Das Territorialprinzip steht dabei auf dem Kopf. Grenzziehung bewirkt nicht die Zerstückelung bestehender Territorien, wie es eine verbreitete Kritik
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der disziplinären Wissenschaft suggerierte, sondern die damit verbundene Komplexitätssteigerung führt zur Herausbildung neuer Gebiete. Zuweilen wird dies in der Rezeption der kulturalistischen Ansätze – besonders auch in der Diskussion über neue Formen der Wissensproduktion (Gibbons u.a. 1994; Nowotny u.a. 2001) – übersehen. Eine Analogie von disziplinären und nationalstaatlichen Grenzen und der damit verbundene Schluss, dass sich beide sozusagen im Zuge der Globalisierung auflösen würden (Nowotny u.a. 2001: 23), führen zu Missverständnissen. Interdisziplinarität kann nicht als die Wiedervereinigung von historisch zufällig getrennten Wissensgebieten begriffen werden. Sie besteht vielmehr im Ausprobieren von Unterscheidungen, die von den bestehenden disziplinären Programmen abweichen. Unvermeidbar ist dabei, dass neue Grenzen geschaffen und neue Spezialisierungsprozesse angestoßen werden. Die Beschreibung von scientific communities als Glaubensgemeinschaften, die ein gemeinsames Weltbild teilen, kann als ein Spezialfall des kulturalistischen Ansatzes gelesen werden. Diese Fassung vergibt aber etliches an Potential, das in dem Kulturbegriff steckt. Mindestens drei der diskutierten Probleme können gelöst werden, wenn man Disziplinen in einem weiteren Sinne als Kulturen beschreibt: Erstens kann der Begriff der scientific community aufgegeben werden. Spezialisierung muss dann als die Ausdifferenzierung von Subkulturen – als Teile einer allgemeinen Kultur – beschrieben werden. Daher sind Kulturen zweitens auch nicht inkommensurabel. Betonte die Wissenschaftsforschung lange kognitive Grenzen und Differenzen, zeichnen sich unterschiedliche Kulturen durch mehr oder weniger große Gemeinsamkeiten aus. Der Kulturbegriff verweist auf einen Beobachtungsmodus, der die Vergleichbarkeit von Unterschieden mitführt (Luhmann 1998: 568ff.). Für die Selbstbeobachtung des Wissenschaftssystems und damit auch für die Frage nach der Möglichkeit von Interdisziplinarität bietet diese Fassung neue Perspektiven. Drittens wird mit dem Kulturbegriff die Bindung an die Fragestellungen der Wissenschaftstheorie aufgegeben, die in einer formalen Logik wurzelten (Toulmin 1978: 9). Kulturelle Unterschiede sind eben keine logisch unüberbrückbaren Differenzen. Sie kommen nicht nur in Theorien und Methoden zum Ausdruck; verschiedene disziplinäre Kulturen können sich – auch wenn es nur geringe theoretischen Differenzen gibt – bezüglich ihrer Problemstellungen, ihrer Praktiken, ihrer gesellschaftlichen Bezüge oder Traditionen unterscheiden. Stephen Toulmin entwickelte seinen evolutionstheoretischen Ansatz des wissenschaftlichen Wandels als Gegenmodell zu Kuhns Theorie wissenschaftlicher Revolutionen. Toulmin (1978: 122) forderte, dass der Wandel und die Stabilität von Ideen auf die gleiche Art von Ursachen zurückgeführt werden müsse. Wissenschaftliche Revolutionen hält er für Illusionen: sie seien nie so total, dass sich die Vertreter verschiedener
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Paradigmen nicht mehr verständigen könnten (Toulmin 1978: 128). Er verweist darauf, dass es zwischen wissenschaftlichen Begriffen keinesfalls nur logische Beziehungen gäbe, sondern, dass diese auch kulturelle Konnotationen hätten, die eine Verständigung über Grenzen hinweg zuließen. So zeichneten sich auch wissenschaftliche Revolutionen durch große Kontinuitäten und weniger durch Diskontinuitäten aus. Der Fehler der revolutionären Beschreibung des wissenschaftlichen Wandels bestehe darin, dass er an der Gleichsetzung von Vernunft und Logik festhalte (Toulmin 1978: 156). Konsequent bestimmt Toulmin Wissenschaft als eine »historische Population« logisch voneinander unabhängiger Begriffe und Methoden, die durch ihre jeweils spezifische Problemgeschichte gekennzeichnet seien (Toulmin 1978: 158). Der von Toulmin verwendete Begriff der intellektuellen Disziplin beschränkt sich nicht nur auf die Wissenschaft, sondern entspringt der Beobachtung, dass in keiner Kultur die geistigen Unternehmungen ein unstrukturiertes Kontinuum bilden. Sie zerfallen vielmehr in mehr oder weniger getrennte und wohlbestimmte »Disziplinen« (Toulmin 1978: 168). Solche intellektuellen Disziplinen sind nicht durch ein kohärentes Paradigma oder gar einen exklusiven Konsens einer scientific community gekennzeichnet, sondern beinhalten konkurrierende, (unter Umständen) widersprüchliche oder auch unverbundene Ideen – Toulmin spricht von Ideenpopulationen. Intellektuelle und damit auch wissenschaftliche Disziplinen entstehen dabei durch die Institutionalisierung und Fortpflanzung von Ideenpopulationen. Den immer wieder neuen Ideen steht damit ein Prozess der kritischen Auslese entgegen (Toulmin 1978: 168). Eine andere wichtige Spielart des kulturalistischen Ansatzes fokussiert weniger auf Ideen, sondern auf die Praktiken der Wissenserzeugung. Auch Karin Knorr-Cetina entwickelt ihren Begriff der epistemic culture bewusst als Gegenentwurf zu dem der scientific community aber auch gegen den der wissenschaftlichen Disziplin. Sie hält Disziplinen für einen nur sekundären Effekt, der sich daraus ergibt, dass Wissen in eine Ordnung gebracht werden müsse. Epistemic cultures seien dagegen durch unterschiedliche Praktiken und Settings bestimmt, die sich empirisch z.B. mit ethnomethodologischen Methoden beobachten lassen (Knorr-Cetina 1999: 2). Mit dem Begriff der epistemic culture versucht Knorr-Cetina am Beispiel der Hochenergiephysik die Frage zu beantworten, wie es möglich ist, dass über hundert Institute innerhalb verschiedener nationalen Wissenschaftssystemen trotz eines relativ geringen formalen Organisationsgrades effektiv kooperieren können (Knorr-Cetina 1999: 159). Timothy Lenoir beschreibt wissenschaftliche Disziplinen als kulturelle Produkte spezifischer gesellschaftlicher Situationen. Mit Verweis auf Foucault definiert er: »Disciplines are dynamic structures for assembling, channelling, and replicating the social and technical practi-
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ces essential for the functioning of the political economy and the system of power relations that actualize it.« (Lenoir 1997: 47). Er versucht dabei vor allem die Institutionalisierung der Wissenschaft im deutschen Kaiserreich mit den geistigen Strömungen jener Zeit in Verbindung zu bringen. Sein Argument ist, dass die Techniken des »praktischen Räsonierens«, d.h. des Begründens wissenschaftlicher Aussagen mit Experimenten, von der Kultur bestimmt sind, in denen die jeweiligen Praktiken – z.B. in Form von Instrumenten – eingebunden sind (Lenoir 1997: 203). Auch wenn mit dem Kulturbegriff dem Eindruck eines Zerfalls der Wissenschaft in immer kleinere Spezialgebiete begegnet werden kann, reicht eine kulturelle Erklärung nicht aus, wenn es die Dynamik interdisziplinärer Projekte zu beschreiben gilt. Innerhalb dieses Ansatzes konnte gezeigt werden, dass die Verständigungsprobleme von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen recht schwierig sein können aber keine unüberwindbaren Hürden darstellen. Wie aber größere Forschungskooperationen strukturiert sind, welche Rolle formale Organisationen, forschungspolitische Entscheidungen und Forschungsmanager spielen, lässt sich dagegen auch mit dieser Fassung nur schwer beschreiben.
2.3.4 Externe Anlässe für die Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen Einst wurde angenommen, dass die Struktur der Wissenschaft eine gegebene Ordnung der externen Welt widerspiegele. Die Wissenschaftssoziologie hat aber gezeigt, dass die Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen darauf zurückzuführen ist. dass die Wissenschaft in die Gesellschaft eingebettet ist. Dabei werden auch ihre Gegenstände in sozialen Ausdifferenzierungsprozessen konstituiert oder – schärfer formuliert – konstruiert. Während ein überzogener Internalismus zu dem Ergebnis führte, dass wissenschaftliche Disziplinen keine große Bedeutung hätten, wurden von anderen Ansätzen sehr verschiedene Faktoren für die Bildung des Systems wissenschaftlicher Disziplinen verantwortlich gemacht. Die vorangegangene Darstellung hat drei dieser Faktorengruppen herausgearbeitet: 1.) die Berufsstruktur der Gesellschaft, die durch die Struktur des Bildungswesens stabilisiert wird, 2.) die Anforderungen an die Organisation und Kontrolle wissenschaftlicher Arbeit und 3.) die Einbindung der Wissenschaft in die Kultur einer Gesellschaft. In diesem Abschnitt soll nun der Fall behandelt werden, dass auch die angewandte Forschung und die wissenschaftliche Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme zur Bildung neuer Disziplinen führen können. Mit den Thesen über neue Formen der Wissensproduktion wurde behauptet, dass externe Faktoren der Wissenschaftsentwicklung in der traditionellen – als Mode-1 bezeichneten – Form der Wissenschaft nur eine geringe Rolle spielten. Daran anschließend wird angenommen, dass
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die gesellschaftliche Inanspruchnahme und die externe Steuerung der wissenschaftlichen Entwicklung zur Auflösung wissenschaftlicher Disziplinen als Prinzip wissenschaftlicher Selbstorganisation führe. Beide Behauptungen können mit Blick auf die Wissenschaftsgeschichte in Zweifel gezogen werden. Das System wissenschaftlicher Disziplinen wird auch auf der Ebene der Gegenstände durch die gesellschaftliche Umwelt der Wissenschaft bestimmt. Besonders die Starnberger Gruppe untersuchte, unter welchen Bedingungen wissenschaftliche Disziplinen für die Übernahme von Themen aus (anderen Teilen) der Gesellschaft – d.h. für eine Finalisierung – offen sind und unter welchen Bedingungen Disziplinen zu einer eher autonomen Entwicklung tendieren (Böhme u.a. 1973, 1978; Böhme 1978). Dabei gingen diese Autoren von einer weitgehenden Selbststeuerung der wissenschaftlichen Entwicklung aus. Man trifft auch hier wieder auf ein Phasenmodell. Die drei Phasen der wissenschaftlichen Entwicklung, die präparadigmatische, die paradigmatische und die postparadigmatische Phase, werden in Anlehnung an Kuhn aufgrund ihrer theoretische Reife unterschieden. Anders als bei Kuhn können Forschungsfelder aber eine längere Zeit in nichtparadigmatischen Phasen verharren. Hinzu kommt eine zweite Dimension, die die Orientierung eines Forschungsfeldes determiniert. Diese besteht darin, ob ein Paradigma – sofern vorhanden – genügend interessante Probleme für die Forschung generiert. Ist dies nicht der Fall tendieren Wissenschaftler dazu, interessante Probleme außerhalb der Wissenschaft zu suchen. Während präparadigmatischer bzw. explorativer Phasen ist die Forschung durch empirische Suchstrategien gekennzeichnet, die – weil kein Paradigma vorhanden ist – extern bezogen werden müssen. Spezialgebiete sind in dieser Phase für eine frühe Finalisierung anfällig, weil solche Strategien auch aus nichtwissenschaftlichen Zielen abgeleitet werden können. Verschreibt sich ein Forschungsgebiet der kurzfristigen Lösung gesellschaftlicher Probleme, kann es zur Behinderung der paradigmatischen Entwicklung kommen. Beispiele für Gebiete, die in problembezogener Interdisziplinarität verharren, seien die Umwelt- (Küppers u.a. 1978) oder auch die Krebsforschung (Hohlfeld 1978). Während der Herausbildung eines Paradigmas, ist eine externe Orientierung der Forschung innerhalb des Starnberger Modells dagegen unwahrscheinlich. Fragestellungen und Probleme, die die Forschung dirigieren, ergeben sich nun aus dem Paradigma selbst. Das Forschungsfeld neigt zur Schließung und zur Autonomie. Erst im Stadium theoretischer Reife, wenn das Paradigma selbst nicht mehr genügend interessante Probleme generiert, werde die Hinwendung zu spezifischen Problemen der Theorieanwendung erneut attraktiv. Die theoretische Arbeit in einer Disziplin konzentriert sich dann auf sogenannte Anwendungsgrundlagentheorien (Böhme u.a. 1972: 303).
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Ein Beispiel hierfür ist die Aerodynamik. Ausgangspunkt ihrer Entstehung war eine weitgehend abgeschlossene Theorie der Strömung in Flüssigkeiten (Fluiden), doch gab es Probleme bei ihrer Anwendung auf die Luft. Eine Strömungstheorie der Gase lag dagegen nicht vor. Die Theorieentwicklung wurde aber ganz maßgeblich durch die Probleme des Flugzeugbaus dirigiert. Nachweisen lässt sich dies anhand der an den einzelnen Baugruppen und Problemen ausgerichteten Spezialtheorien (Tragflügel-, Widerstands- und Turbolenztheorie, Böhme 1978: 96ff.). Die Aerodynamik ist damit gleichzeitig ein Fall der Finalisierung aufgrund der Reife einer Theorie (Strömung in Fluiden) und vorzeitiger Finalisierung (Fehlen einer allgemeinen Strömungstheorie für Gase). Das Modell der Starnberger Gruppe war einflussreich, weil es Fragen nach der Plan- und Steuerbarkeit von Forschung aufwarf und für unterschiedliche Disziplinen – in Abhängigkeit ihrer theoretischen Reife – differenziert beantwortete. Besonders die Formung neuer Disziplinen durch forschungspolitische Programme war dabei von Interesse. Allerdings ergab sich die Schwierigkeit, Anpassungsleistungen der Wissenschaft und Steuerungsimpulse der Politik zu trennen. Oft geht forschungspolitischen Entscheidungen ein Engagement führender Wissenschaftler voraus, die Wissenschaftspolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen (van den Daele u.a. 1979: 17f., Hart und Victor 1993). Die Unterscheidung von internen und externen Problemen und damit auch die von Grundlagen- und problemorientierter Forschung wird damit fraglich. Die Formulierung von Problemstellungen, deren Erforschung durch politische Programme gefördert wird, muss als ein Ergebnis mehrfacher Transformationsprozesse angesehen werden, in denen die Interessen von Wissenschaftlern aber auch die von Politikern einfließen. In dieser Arbeit wird von einem koevolutionären Prozess ausgegangen, der besonders gut in Politikfeldern beobachtet werden kann, in denen Entscheidungen an den Stand des wissenschaftlichen Wissens gekoppelt werden. Zudem hat sich gerade in der Atmosphärenwissenschaft gezeigt, dass die gesellschaftliche Inanspruchnahme eines Forschungsfeldes auch die theoretische Entwicklung beflügeln kann. Die Bildung oder Stabilisierung wissenschaftlicher Disziplinen aufgrund wissenschaftsexterne Probleme scheint keine neue Entwicklung zu sein. Einiges spricht dafür, dass sie sogar die Regel ist. Zumindest lassen sich in der Wissenschaftsgeschichte – neben den Ingenieurwissenschaften – viele Beispiele finden. Etliche Fallstudien haben die Rolle technischer und gesellschaftlicher Probleme bei der Etablierung von Spezialgebieten oder wissenschaftlicher Disziplinen demonstriert. Krohn und Schäfer (1978) zeigten z.B., dass die Institutionalisierung der Agrikulturchemie durch die Antizipation von Ernährungsproblemen aufgrund der rasch wachsenden Bevölkerung begünstigt wurde. Ein anderes Beispiel ist die für die moderne Biologie sehr wichtige Entdeckung
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der Mikroben durch Louis Pasteur. Latour (1988) hat nachgewiesen, dass diese im Kontext der aufkommenden Hygienebewegung in Frankreich stand. Bezüglich der Lösbarkeit sozialer Probleme durch naturwissenschaftliche Forschung herrschte im 19. Jahrhundert ein großer Optimismus vor. Die Entstehung der akademischen Festkörperphysik verdankt sich dagegen der aufkommenden Mikroelektronik und der damit verbundenen extensiven Militär- und Industrieforschung in den 1950er Jahren (Halfmann 1984). Good (2000) bestimmt wissenschaftliche Disziplinen aufgrund des in ihnen vorherrschenden Konsenses bezüglich konzeptueller, methodischer und organisatorischer Fragen, aus dem sich eine disziplinäre Identität ergäbe. Disziplinen stellen frameworks dar, in denen die wissenschaftliche Arbeit – intellektuell aber vor allem praktisch – organisiert werden kann. Sie seien aber keine stabilen Objekte, sondern unterliegen der ständigen Veränderung. Good zeigt am Beispiel der Geophysik, dass Disziplinen durch die Rekombination des Wissens verschiedener Gebiete (z.B. Geodäsie, Meteorologie, Ozeanografie, Seismologie usw.) entstehen können. Eine solche Ausweitung des Bezugsrahmens der Forschung kann auch durch wissenschaftsexterne Anforderungen dirigiert werden. Forschungsfelder sind damit nicht entweder disziplinär oder interdisziplinär; Disziplinarität wird vielmehr als ein graduelles Phänomen betrachtet. Interdisziplinäre Forschung sei zwar durch einen geringeren Grad der Übereinstimmung zwischen den Wissenschaftlern gekennzeichnet, stehe aber nicht im Widerspruch zu den etablierten Disziplinen. Diese Perspektive unterscheidet sich von anderen Vorschlägen, weil sie die Bildung neuer Disziplinen nicht nur als Ausdifferenzierung, sondern gleichzeitig auch als Integration von Spezialgebieten betrachtet. Auch Bensaude-Vincent (2001) beschreibt mit den Materialwissenschaften einen Fall, in dem es durch die Verschmelzung des Wissens etablierter Spezialgebiete zur Herausbildung einer neuen Disziplin kam. Dabei war die Ausarbeitung des Konzept des »Materials« die treibende Kraft der kognitiven Entwicklung. Die Materialforschung spielte für strategische Großforschungsprojekten eine wichtige Rolle und wurde durch das US-Verteidigungsministerium (Department of Defense) massiv unterstützt. Auch wenn dabei in erster Linie interdisziplinäre Projekte gefördert wurden, kam es – trotz einer zögerlichen akademischen Integration – zur Etablierung einer neuen Disziplin. Die Konvergenz verschiedener Ansätze zur Erforschung von Materialien wurde vor allem durch den Einsatz neuer kristallografischer Methoden und der Röntgentechnik befördert. Ein ähnliches Wechselspiel zwischen der Eigendynamik der Wissenschaft und der Förderung eines problemorientierten Forschungsfeldes, aus der Institutionalisierungschancen resultieren, lässt sich in der atmosphärischen Chemie beobachten.
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Good und Bensaude-Vincent stützen ihre Behauptungen, dass die Geophysik und die Materialwissenschaften – trotz anfangs fehlender theoretischer Integration – wissenschaftliche Disziplinen seien, mit der Existenz von Curricula an den Universitäten. Hier wird vermutet, dass Disziplinen auch dann entstehen können, wenn sich außeruniversitäre Institutionalisierungschancen bieten. Auf das Konzept sogenannter quasi-disciplines (Ben-David 1984: 143) wurde bereits verwiesen. Hellström u.a. (2003) begründen die Notwendigkeit einer »postakademischen« Disziplinarität damit, dass externe Kriterien wie die soziale Robustheit oder der praktische Nutzen von Wissens allein die Geltung von knowledge claims nicht begründen können. In diesem Fall wäre die Legitimation gesellschaftlicher Rationalität mit dem Verweis auf wissenschaftliches Wissen nicht mehr möglich. Dabei werden auch von diesen Autoren Disziplinen nicht durch Paradigmen, sondern als Problemmatrizes bestimmt, die an professionelle Gemeinschaften gebunden bleiben (Hellström u.a. 2003: 259). Tondl (1998) schlägt dagegen vor, Disziplinen über ihre thematische Struktur zu bestimmen. Auch diese Fassung schließt gesellschaftliche Problemkomplexe ein. Dennoch sind Disziplinen bei Tondl vor allem Rahmen für wissenschaftliche Aktivitäten, in denen spezifisches Wissen eingebettet ist und in denen der Realitätsbezug mit klar definierten Methoden kontrolliert wird. Auf die Bestimmung von Disziplinen durch einzelne Institutionalisierungsformen – wie z.B. die Universität – wird dabei bewusst verzichtet.
2.3.5 Interdisziplinarität Die Diskussionen über interdisziplinäre Forschung waren durch immer neue Wortschöpfungen gekennzeichnet, die verschiedene Formen der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen markieren sollten. Oft transportierten diese Werturteile, so wenn »echte« Interdisziplinarität von bloßer Pluri- oder Multi-Disziplinarität unterschieden wurde (CERI 1972: 25; Epton u.a. 1983: 4f.). Andere Beispiele sind Chimären-Disziplinarität (Heckhausen 1987), crossdisciplinarity (Jeffrey 2003) oder post-disciplinarity (Shumway 1999: 8). Allein für den Begriff der Transdisziplinarität lassen sich mindestens drei Bedeutungen finden: Einmal bezieht er sich auf Forschungskontexte, in denen zwischen Wissenschaft und Praxis vermittelt wird und auch Laien und verschiedene Interessengruppen (stakeholder) an der Wissensproduktion beteiligt werden (Klein u.a. 2000). Ein anderes Mal verweist Transdisziplinarität auf Gruppen von Wissenschaftlern verschiedener Herkunftsdisziplinen, die im epistemologischen Sinne Gemeinschaften bilden, deren Wissen aber nicht an die Disziplinen zurück gebunden werden kann (Nowotny u.a. 2001). In einer dritten Bedeutung meint Transdisziplinarität wissenschaftliche Konzepte diszipli-
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nären Ursprungs, die auch die Theoriebildung in anderen Disziplinen beeinflussen. Beispiele sind die Evolutionstheorie, die Kybernetik und die Chaostheorie (Luhmann 1990: 459). Diese Arbeit beteiligt sich nicht an der Formulierung neuer Bindestrich-Disziplinaritäten, weil a) die Resonanz der verschiedenen Vorschläge in der Forschungspraxis eher gering ist und weil b) das Verhältnis von wissenschaftlichen Disziplinen und interdisziplinärer Forschung bisher noch nicht theoretisch befriedigend beschrieben wurde. Hier soll weiterhin von Interdisziplinarität die Rede sein, wenn in Forschungsprojekten auf das Wissen mehrerer Disziplinen zurückgegriffen wird. Genau genommen ist Forschung nicht in dem Sinne disziplinär, dass sie in den Disziplinen stattfände. Mit Interdisziplinarität ist gemeint, dass sich Forschung gleichzeitig auf mehrere disziplinäre Referenzen beziehen kann. Dass dies auf ganz unterschiedliche Weisen geschieht und sehr verschiedene Effekte haben kann, ist nicht allein mit einer Typologie zu beschreiben. Aus der Diskussion verschiedener Bestimmungen des Begriffs der wissenschaftlichen Disziplin ergeben sich vier Fragen nach der Möglichkeit und den Hindernissen interdisziplinärer Forschung: Die erste, Frage resultiert aus den methodologischen Schwierigkeiten die Theorien verschiedener Disziplinen zu kombinieren. Angesichts tatsächlich stattfindender interdisziplinären Forschung ist die Antwort auf die Frage, wie eine Verständigung von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen möglich ist, ein Prüfstein für wissenschaftssoziologische Theorien. Zweitens muss gefragt werden, worin die Anlässe bzw. die Motivationen interdisziplinärer Forschung bestehen. Die dritte Frage ist die nach den institutionellen Hindernissen und Bedingungen erfolgreicher Interdisziplinarität. Diese muss vor allem in Hinblick auf Forschungsorganisationen beantwortet werden (Weingart 1997a: 525). Viertens müssen die sehr heterogenen Formen der Interdisziplinarität berücksichtigt werden, die mit Hinblick auf die Verwendung von Wissen in Projekten, aber auch durch ihre jeweiligen Ziele unterschieden werden können. Diese Vielfalt reicht von der impliziten bzw. instrumentellen Anwendung des Wissens anderer Disziplin, z.B. durch die Verwendung von Instrumenten, bis hin zur Übernahme ganzer Theorien durch Analogiebildung. Aus den referierten Fassungen des Disziplinenbegriffs ergeben sich fünf verschiedene Antworten auf die erste, epistemologische Frage nach der Möglichkeit interdisziplinärer Forschung: a) problemlos, b) unmöglich, c) möglich, interdisziplinäre Ansätze sind neue – ebenfalls inkommensurable – Paradigmen oder Theorien, d) schwierig, weil erst eine gemeinsame Sprache zwischen den Vertretern verschiedener Disziplinen gefunden werden muss, e) epistemisch unproblematisch, Widerstände gegen Interdisziplinarität sind politischer Natur, d.h. vor allem eine Machtfrage.
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a) Denkt man die Wissenschaft als Einheitswissenschaft, scheint die interdisziplinäre Zusammenarbeit problemlos möglich zu sein. Die Reformulierung disziplinären Wissens in der Terminologie einer grundlegenderen Wissenschaft – wie z.B. der Chemie durch die Physik – ist dabei ein zuverlässiger Generator interessanter Forschungsprobleme und das eigentliche Ziel der Wissenschaft (kurz und programmatisch, s. Neurath 1938). Die Probleme interdisziplinärer Forschung ergeben sich dabei allein aus institutionellen oder organisatorischen Widerständen. Die programmatische Forderung von Inter- oder Transdisziplinarität, wie man sie bei Nowotny u.a. (2001) findet, kann als eine Spielart dieser einheitswissenschaftlichen Fassung gelesen werden. Man müsste nur die akademischen Scheuklappen ablegen, um die Grenzen zwischen den Wissensgebieten zu überschreiten. b) Mit Kuhns These der Inkommensurabilität von Paradigmen ist Interdisziplinarität dagegen – zumindest in normalwissenschaftlichen Phasen – unmöglich, weil sich Angehörige verschiedener Paradigmengemeinschaften untereinander aufgrund ihrer divergierenden Weltsichten im Grunde nicht verstehen und damit auch nicht zusammenarbeiten können. Die Widerstände gegen die Interdisziplinarität ergeben sich so aus der Epistemologie selbst. Zwar gibt es Interdisziplinarität in der angewandten, problemorientierten Forschung, diese trägt aber nicht zur Verbesserung der paradigmatischen Wissenschaft bei. In der verbreiteten Neigung, Anwendungsorientierung und Interdisziplinarität zusammenzuziehen, schwingt diese Vorstellung immer noch mit (so auch bei Böhme u.a. 1978). c) Ein Versuch, das Problem der Interdisziplinarität unter den Bedingungen der engen Kopplung von scientific communities an Paradigmen in den Griff zu bekommen, ist die Annahme, dass interdisziplinäre Bemühungen neue, mit den Ursprungsdisziplinen inkommensurable theoretische Grundlagen – z.B. interfield theories (Darden und Maull 1977; Bechtel 1984) – erzeugen müssen. In dieser Sicht sind interdisziplinäre Ansätze oft der Ursprung für die Bildung neuer Theorien, da sich die Probleme eben nicht innerhalb der Matrix bestehender Disziplinen behandeln lassen. d) Die kulturalistischen Ansätze der Wissenschaftssoziologie geben keine einheitliche Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit von Interdisziplinarität. Auch wenn Theorien nicht notwendigerweise inkommensurabel sind, ist die Verständigung zwischen den Spezialgebieten schwierig. Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen erfordere daher die Arbeit an einer gemeinsamen Sprache. Dabei werde häufig auf die Alltagssprache oder auch auf Metaphern zurückgegriffen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die über eine bloße instrumentelle Anwendung des Wissens anderer Disziplinen hinausgeht, bedürfe der Konstitution eines gemeinsamen Gegenstandes, z.B.
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durch Aushandlung von story lines oder narratives (Jeffrey 2003). Ein anderer Vorschlag ist die wechselseitige Orientierung an sogenannten boundary objects (Star und Griesemer 1989). Gemeint sind z.B. technische Installationen, wie Teilchenbeschleuniger, die aufgrund ihrer Faktizität als Basis für die Zusammenarbeit dienen können. Interdisziplinarität wird so nicht nur durch die Sprache, sondern durch die Arbeit in einer gemeinsamen Umwelt möglich. e) Andere Autoren, deren Ansätze man ebenfalls den kulturalistischen zuordnen kann, führen die Probleme der interdisziplinären Forschung weniger auf epistemische oder sprachliche Hindernisse, sondern vielmehr auf etablierte Machtstrukturen zurück. Wissenschaftliche Disziplinen werden – meist in Anlehnung an Michel Foucault – als Instrumente gefasst, mit denen das Establishment wissenschaftliche Diskurse zu kontrollieren sucht (s. z.B. Shumway und Messer-Davidow 1991). Auch in der feministischen Literatur wird die Kritik am System wissenschaftlicher Disziplinen häufig auf diese Weise gefasst. So wurden in den Disziplinen lange sowohl geschlechtsspezifische Perspektiven als auch Frauen als Wissensproduzenten systematisch ausgeschlossen. Bei Florence Howe (175: 150) findet man eine der seltenen Gegenentwürfe zum Begriff der wissenschaftlichen Disziplinen, wenn sie soziale Bewegungen als alternative Orte der Geltungsprüfung bestimmt, die durch abweichende Machtstrukturen gekennzeichnet seien. Auch die zweite Frage, die nach den Motiven interdisziplinärer Forschung, kann nur vor dem Hintergrund des zugrundeliegenden Disziplinenbegriffs beantwortet werden. Neben der dominierenden Begründung der Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung mit wissenschaftsexternen Problemen gibt es auch innerhalb des Wissenschaftssystems Anlässe für interdisziplinäre Forschung, wie es gerade die Idee einer Einheitswissenschaft zeigte. Zwar kann eine Einheit der Wissenschaft unmöglich erreicht werden, dennoch lassen sich aus Forschungsprogrammen, die die Synthese mehrere Disziplinen anstreben, immer wieder interessante Forschungsprobleme erzeugen. Einige Autoren führen die Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit auf Persönlichkeitseigenschaften einzelner Wissenschaftler zurück – z.B. auf die Offenheit für das Wissen anderer Disziplinen oder auf ihre Bereitschaft zur Kooperation mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Spezialgebieten. Dabei beginne die Interdisziplinarität in den Köpfen besonders kreativer Wissenschaftler (Parthey 2005: 85). Diese Fassung impliziert aber auch, dass Forschung, die sich auf das Wissen nur einer Disziplin bezieht, auf eine gewisse Beschränktheit verweist. Die Motivation für interdisziplinäre Forschung ergibt sich aber häufig auch aus Anforderungen von Förderprogrammen. Interdisziplinarität wird forschungspolitisch eingefordert, weil man sich von ihr Innovationen verspricht. In diesen Fällen erfolgt die interdisziplinäre Zusam-
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menarbeit nicht aus epistemischen oder problembezogenen Notwendigkeiten, sondern aus »opportunistischen« Gründen (Weingart 1987, 1997b). Besonders die Analyse von Forschungsorganisationen hat gezeigt, dass sich Wissenschaftler nicht nur am offenen Horizont des Wissens, sondern auch an der Machbarkeit von Forschungsprojekten innerhalb einer organisatorischen Umwelt orientieren (zur Bedeutung von doable problems bei der Themenwahl s. Fujimura 1987). So können auch die Anreize für interdisziplinäre Forschung extern gesetzt werden. Selbst die Vorstellung, dass Interdisziplinarität notwendigerweise Kooperation bedeutet ist verkürzt. So war die Phagen-Gruppe um Max Delbrück, die aus der Physik kommend die Mikrobiologie revolutionierte, ein Beispiel, in dem die Ansätze einer Disziplin auf den Gegenstand einer anderen angewandt wurden. Die Motivation der Wissenschaftler war die Suche nach neuen Problemen, weniger der Wunsch mit den Mikrobiologen zu kooperieren (Mullins 1974). Mitunter bietet sich die interdisziplinäre Forschung auch als eine Karrierestrategie an, weil sich so noch unbearbeitete Gebiete identifizieren lassen. Wissenschaftler wenden sich vermehrt anderen Gebieten und der problemorientierten Forschung zu, wenn ein Gebiet stagniert und so Unzufriedenheit und Pessimismus bezüglich der zukünftigen Entwicklung bestehen (Hargens und Kelly-Wilson 1994). Ein anderer Fall wissenschaftsinterner Motivation interdisziplinärer Forschung ergibt sich aus dem Einsatz von Großgeräten, wie er z.B. für die Hochenergiephysik charakteristisch ist (Prüß 1979). Allein aus der Komplexität und der Vielfalt der Fragestellungen, die mit derartigen Geräten untersucht werden können, erwächst die Notwendigkeit interdisziplinärer Kooperation (Knorr-Cetina 1999: 159ff.). Innerhalb des institutionalistischen Paradigmas der Wissenschaftssoziologie erschien die Interdisziplinarität epistemisch unproblematisch. Die Spezialisierung ergab sich in erster Linie aus der Begrenzung der Größe von scientific communities, in denen die soziale Kontrolle der wissenschaftlichen Arbeit auf informellen Reputationsmärkten beruht. In dieser Fassung ist interdisziplinäre Forschung unattraktiv, weil es für diese keine relevanten communities und damit weniger Chancen des Reputationserwerbs gibt. Es sind also vor allem institutionelle Widerstände, die der interdisziplinären Forschung entgegenstehen. Dennoch sind mindestens zwei Motive für interdisziplinäre Forschung denkbar. Eines entsteht gewöhnlich in Disziplinen, in denen alle fundamentalen Probleme gelöst scheinen oder in denen die Konkurrenz innerhalb der scientific community sehr groß ist. Interdisziplinäre Problemstellungen können in diesem Fall neue Forschungsfragen und damit auch Reputation generieren. Die Motivation für die interdisziplinäre Zusammenarbeit muss sich aber nicht notwendigerweise aus dem Reputationskreislauf ergeben. So hat Hagstrom beschrieben, wie Anreize, die sich aus der
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Förderung eines Forschungsgebietes durch die Politik oder die Industrie ergeben, den Kreislauf der innerwissenschaftlichen Reputationszuweisung zeitweilig überlagern können (Hagstrom 1965: 167ff.). Damit ist die dritte Frage, die nach den institutionellen Anreizen oder Hindernissen interdisziplinärer Forschung berührt. Unter den Mitgliedern einer interdisziplinären Forschungsgruppe können die persönlichen Motive für die Kooperation sehr verschieden sein. Hinter der Vorstellung, dass gute Interdisziplinarität (oder Transdisziplinarität) darin bestünde, dass die an einer Kooperation Beteiligten ein gemeinsames Ziel finden oder gar eine kohärente Weltsicht ausbilden, schwingt immer noch die Idee einer – nun interdisziplinären – community mit. Vor dem Hintergrund einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist die Kohärenz von Motivationen aber keine Bedingung für erfolgreiche Kooperation. Moderne Organisationen leisten geradezu das Gegenteil; sie ermöglichen Kooperationen trotz divergierender Interessen. Interessenkonflikte ergeben sich in der Wissenschaft vor allem daraus, dass Wissenschaftler um Reputation konkurrieren. In dieser Perspektive scheint eine Kooperationen mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen, d.h. auch anderer Reputationsmärkte, attraktiv, weil man dann Reputation nicht mit seinen unmittelbaren Konkurrenten teilen muss. Hinzu kommt, dass die Kooperation mit Vertretern anderer Disziplinen einen größeren Mehrwert an Wissen und Expertise bringt als die mit den unmittelbaren Konkurrenten, die in etwa das gleiche Wissen teilen. Mehr noch, in der zu entwickelnden Variante des Disziplinenbegriffs, in dem Individuen nicht mehr als Mitglieder, sondern als zu einem Kommunikationszusammenhang beitragende Forscher gefasst werden, ist Interdisziplinarität nicht unbedingt auf die Kooperation von Wissenschaftlern angewiesen. Es gilt die Verwendung von Wissen mehrerer Disziplinen in verschiedenen Kontexten in den Blick zu nehmen (s. auch Bechtel 1986: 46f.). Wissenschaftler können auf das Wissen anderer Disziplinen zurückgreifen und es zur Bearbeitung ihrer Probleme anwenden, so wie dies in der Gesellschaft ohnehin möglich ist. Dass es dabei zu eigensinnigen – d.h. nicht disziplinär kontrollierten – Verwendungen des Wissens anderer Disziplinen oder gar zur Missinterpretationen kommt, ist nicht ausgeschlossen. Der Versuch, auf die vierte Frage nach den verschiedenen Formen der Interdisziplinarität eine Antwort zu finden, hat die Kreation von Bindestrich-Begriffen wie Trans-, Cross- oder Pluridisziplinarität motiviert. Verschiedene Formen der Interdisziplinarität ergeben sich aber nicht nur aus den Motiven einzelner Wissenschaftler, die vom institutionellen Opportunismus bis hin zu dem Ziel, in Kooperation gemeinsames Wissen zu produzieren, reichen mögen und entsprechend gefördert oder kritisiert werden können. Sie hängen vor allem von den spezifischen Anforderungen ab, die sich aus der Bearbeitung der jeweiligen
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Forschungsprobleme ergeben. Welche Formen der Interdisziplinarität angemessen sind, ist damit weniger eine normative oder epistemische Frage, sondern vielmehr eine pragmatische. Warum sollten sich Wissenschaftler um einen gemeinsamen Begriffsapparat bemühen, wenn das Problem durch einen unproblematischen Austausch von Daten gelöst werden kann? Hier wird nicht von einer automatischen Zuordnung disziplinärer Forschung zu innerwissenschaftlichen Problemen ausgegangen, genauso wenig, wie umgekehrt eine notwendig interdisziplinäre Bearbeitung außerwissenschaftlicher Probleme angenommen wird. Damit müssen zwei neue Motive in die Debatte über die Interdisziplinarität eingeführt werden. Es muss a) die Frage beantwortet werden, wie in der interdisziplinären Forschung unterschiedliche Motive, Ziele und Weltbilder koordiniert werden können. In modernen Gesellschaften wird die Integration aufgrund von Unterschieden durch formale Organisation geleistet. Daher wird auch erfolgreiche Interdisziplinarität zunehmend als ein Problem der Forschungsorganisation und des effektiven Forschungsmanagements behandelt (s. u.a. Epton u.a. 1983; Röbbecke u.a. 2004). Oft ist es die Funktion von Forschungs- oder Programmmanagern, Anreize für interdisziplinäre Projekte zu schaffen. Ferner muss b) das Problem der Interdisziplinarität als eines des Entscheidens über und auf der Basis von Wissen rekonstruiert werden. Dabei ist zu klären, wie in der Forschung auf das Wissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zurückgegriffen werden kann. Es gilt also im nächsten Kapitel die Bedingungen für die Rekombinierbarkeit wissenschaftlichen Wissens zu untersuchen (s. 3, S. 61), um dann das Problem der Interdisziplinarität als eines des Entscheidens über Wissen (in Organisationen) zu reformulieren (s. 4.5, S. 98).
2.4 Zusammenfassung In der Wissenschaftstheorie wurde das im Puritanismus wurzelnde Wissenschaftsmodell (Merton 1938), nach dem man nur fleißig genug forschen müsse, damit sich einem die Natur offenbare, dekonstruiert. Nach Popper ließen sich wissenschaftliche Sätze und Theorien nicht mehr verifizieren. Kuhn behauptete, dass Paradigmen nichts anderes als Glaubenssysteme von scientific communities seien, die zugunsten anderer aufgegeben werden können. Paul Feyerabend stellte dann fest: Anything goes! (Feyerabend 1975: 23). Nachdem die Gleichsetzung von Rationalität und Logik aufgegeben wurde, suchte die Wissenschaftssoziologie die Ursachen für die Selektion von Theorien und Methoden in der Gesellschaft, in historischen Weltbildern oder in den Interessen von Wissenschaftlern und anderer gesellschaftlicher Gruppen. Die
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Ergebnisse der Wissenschaftsforschung mögen schockierend sein. Die moderne Wissenschaft erschüttert haben sie nicht. Weil auch die Wissenschaftssoziologie ein Teil der Wissenschaft ist müssen ihre eigenen Theorien auch auf sie selbst angewandt werden können (Autologiegebot, programmatisch Bloor 1991: 7). Die Wissenschaftssoziologie wird damit zu einem reflexiven Unternehmen. Mehr noch, ihre Entstehung setzte die Reflexivität der modernen Wissenschaft bereits voraus. In vielen wissenschaftlichen Disziplinen wurden die Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts selbst zum Gegenstand von Reflexionen, die zur Herausbildung von Relevanzprogrammen führten. So findet man auch in der Atmosphärenwissenschaft einen nicht-soziologischen Modus wissenschaftlicher Reflexivität. Dieser drückt sich u.a. darin aus, dass durch die Beobachtung der Öffentlichkeit und des politischen Systems die Formen der Wissensproduktion und der Publikation so angepasst werden, dass die Wahrscheinlichkeit steigt auch im politischen System Resonanzen auszulösen. Mit der Herausbildung der Wissenschaftssoziologie wurde die Selbstreflexion der Wissenschaft zu einem empirischen Forschungsprogramm. Die angestrebte Ablösung der Wissenschaftsphilosophie als monopolisierte und autoritative Reflexionsinstanz scheiterte, weil die Wissenschaftssoziologie keine Position außerhalb der Wissenschaft mehr beanspruchen konnte. Sie ist nun ein Spezialgebiet der Soziologie. Aufgrund der so disziplinierten Wissenschaftssoziologie muss man sich um ihre Erkenntnisse in anderen Disziplinen nicht mehr kümmern, um gute Forschung zu betreiben. Gerade diese »Ohnmacht« der Wissenschaftssoziologie ist ein Indikator für die Stärke des Systems wissenschaftlicher Disziplinen. In jeder Disziplin existieren jeweils spezifische Reflexionstheorien, die in dem Sinne praktikabel sind, dass sie vorgeben, wie man zu Forschungsergebnissen kommt, die in der disziplinären Kommunikation berücksichtigt werden müssen. Mit der These eines Mode-2 der Wissensproduktion wird immer noch der Anspruch erhoben, eine verbindliche Beschreibung der Wissenschaft in der Gesellschaft zu liefern. Aus der Erkenntnis heraus, dass dies nicht innerhalb eines disziplinären Programms durchzuhalten ist, muss die Auflösung disziplinärer Grenzen, ja der ganzen Wissenschaft behauptet werden. Folgerichtig werden die Theorien verschiedener Disziplinen eklektizistisch zusammengefügt, die Adressaten der Texte sind nicht nur Sozialwissenschaftler, sondern vor allem Wissenschaftsmanager und Politiker. Der Erfolg der entwickelten Thesen wird an ihrer Resonanz bei politischen Entscheidungsträgern oder in der Wirtschaft gemessen und eben nicht nur an den überwiegend kritischen Reaktionen in der Wissenschaftsforschung. Das Kriterium der Selbstimplikation wird dabei übererfüllt, indem Mode-2 nicht nur beschrieben, sondern vor allem praktiziert wird. Die
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These, dass sich die Wissenschaft als solche fundamental wandele, kann, abgesehen davon, dass sie immer in einem steten Wandel begriffen war und ist, empirisch kaum belegt werden. Es kann lediglich gezeigt werden, dass eine Beschreibung der gesamten Wissenschaft als Mode-1Wissensproduktion nicht mehr adäquat ist. Offen bleibt, ob sie es jemals war. Möglicherweise wurde der Disziplinenbegriff zu lange vor allem am Beispiel der Physik expliziert, was zu einer zu speziellen Fassung führte, die für andere Disziplinen nicht passte. Unzweifelhaft entstehen gerade in den Sozial- und Kulturwissenschaften immer neue interdisziplinäre oder – um den Begriff noch einmal zu verwenden – transdisziplinäre Forschungsfelder, die sich an gesellschaftlichen Problemen oder sozialen Bewegungen orientieren. So scheinen sich Disziplinen wie die Soziologie, die Linguistik, die Philosophie oder die Geografie in neuen Forschungsfeldern wie cultural studies, women studies oder area studies – unter der Selektion abweichender Relevanzen – zu rekonfigurieren. Innerhalb der Naturwissenschaften ist die Ökologie ein Ansatz, der auch die Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Dimensionen zulässt. Die Debatten um den Wandel der Wissenschaft und den Bedeutungsverlust der Disziplinen finden häufig in diesen Disziplinen statt. In den Naturwissenschaften sind sie dagegen selten. Um zu verhindern, dass die sozialwissenschaftliche Beschreibung der Wissenschaft die Distanz zu ihrem Gegenstand verliert und nur noch auf sich selbst trifft, muss neben der Selbstimplikation der Theorien ein weiteres Kriterium eingeführt werden. Dieses besteht darin, dass die Pluralität der praktizierten Wissenschaftsmodelle und ihre Koexistenz in den Theorien der Wissenschaftssoziologie vorkommen müssen. Es gibt sie nach wie vor, die klassische Grundlagenforschung, während in anderen Disziplinen fundamentales Wissen ohne Zweifel durch neuartige Formen der Wissensproduktion erzeugt wird. Das Kriterium, die Pluralität der Wissenschaft beschreiben zu können, kann nicht vor dem Hintergrund einer Entdifferenzierungsthese durchgehalten werden, in der die alte Idee der Einheitswissenschaft nachzuklingen scheint. Die empirische Diversität in der Wissenschaft setzt eine soziale Differenzierung der Wissenschaft und damit die Entkopplung verschiedener Disziplinen voraus. Innovative Wege der Forschung sind vor allem deswegen möglich, weil diese nicht den Umbau der gesamten Wissenschaft erfordern, sondern zu Beginn nur in einem Spezialgebiet oder in einer Subdisziplin akzeptiert sein müssen. In dem kursorischen Gang durch die Entwicklung der Wissenschaftssoziologie wurden drei ihrer zentralen Probleme herausgestellt: 1.) das Problem des Wandels der Wissenschaft, der mit dem Wandel der Theorien über die Wissenschaft interferiert; 2.) das Problem der (Aus-) Differenzierung der Wissenschaft in Abhängigkeit von a) den Anreizstrukturen wissenschaftlicher Arbeit und ihrer sozialen Kontrolle, b) der zuneh-
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menden disziplinären und subdisziplinären Arbeitsteilung und c) der Institutionalisierung kognitiver Differenzen; 3.) das Problem der Integration der Wissenschaft in die Gesellschaft. Daraus ergibt sich ein umfangreiches Forschungsprogramm mit dem Ziel, die Wissenschaft innerhalb der modernen Gesellschaft zu beschreiben. Dies ist kein Plädoyer für eine Rückkehr zu einem institutionalistischen Paradigma, wie sie von einigen Autoren gefordert wurde (Schimank 1995a; Jasanoff 1996; Kitcher 2000). Es gilt vielmehr, die Zusammenhänge zwischen der organisatorischen Struktur der Wissensproduktion und den kognitiven Strukturen der Wissenschaft selbst zum Gegenstand der soziologischen Analyse zu machen, da diese nicht durch das Postulat einfacher Brückenhypothesen in den Griff zu bekommen sind. Die Kopplungen zwischen der organisatorischen Struktur der Wissensproduktion bzw. der Forschung und der kognitiven Struktur der Wissenschaft sind historisch wandelbar. Zudem können sehr unterschiedliche Formen solcher Kopplungen nebeneinander bestehen, wie es gerade die heutige, durch eine hohe organisatorische Heterogenität gekennzeichnete Wissenschaft belegt. Die zunehmende Vielfalt und Anzahl von Forschungsorganisationen kann nicht mit einem Ende der Disziplinen oder gar einer Entdifferenzierung des Wissenschaftssystems gleichgesetzt werden. Zum einen lassen sich wissenschaftliche Disziplinen nicht einmal in den traditionellen Universitäten auf die organisatorische Struktur der Forschung projizieren. Im Gegenteil, in nichtuniversitären Instituten finden sich häufig mehr Wissenschaftler einer Disziplin als an einzelnen Universitäten. Zudem ist die offensichtliche Zunahme von Organisationen (und damit von Sozialsystemen) nicht mit den behaupteten Entdifferenzierungstendenzen vereinbar. An dieser Stelle ist zu vermuten, dass es unbrauchbare begriffliche Unterscheidungen sind, die in die Irre führen – so etwa die Identifikation des Wissenschaftssystems mit der Universität. Mit ihrem Fokus auf Spezialisierungsprozesse nahm die Wissenschaftssoziologie vor allem die Segmentierung der Wissenschaft in den Blick, die Frage nach der Integration der unüberschaubaren Anzahl von Spezialgebieten blieb dagegen unbeantwortet. In der Klage über die Segmentierung der Wissenschaft schwingt bis heute das Husserlsche Motiv einer entfremdeten Wissenschaft mit. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass eine an den Phänomenen (oder Problemen) orientierte Interdisziplinarität die durch die Wissenschaft verursachte Weltspaltung überwinden könne. In dieser Perspektive ist die Integration der Wissenschaft in die Gesellschaft ein Ziel, dass durch transdisziplinäre Forschungsorganisation erreicht werden soll, die sich an externen Problemstellungen orientiert und um die disziplinäre Struktur der Wissenschaft nur wenig kümmert. Die Frage, wie die traditionellen Formen der
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Wissenschaft in die Gesellschaft integriert waren, bleibt unter der Annahme einer von der Gesellschaft segregierten Wissenschaft offen. Der Eindruck einer von anderen Bereichen der Gesellschaft weitgehend segregierten Wissenschaft ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Wissenschaftssoziologie lange als eine Sondersoziologie betrieben wurde. Zum Ausdruck kommt dies im Begriff der scientific community als ihr zentrales Konzept. Zwischen dieser Gemeinschaftsbegrifflichkeit und der modernen Gesellschaftstheorie ergab sich eine Lücke, welche die Beantwortung der Frage nach der Integration der Wissenschaft in die Gesellschaft ungemein schwierig machte. Ein weiterer Ausdruck dafür ist der Verlust des Disziplinenbegriffs. Daher verabschiedet sich die folgende Darstellung von dem Begriff der scientific community und hält sich an das durch seine disziplinäre Innendifferenzierung gekennzeichnete Wissenschaftssystem und an die Organisationssysteme der Forschung. Erst am Ende – im Unterkapitel 5.7 (S. 232) – wird die Frage nach der Bedeutung von communities bei der Produktion wissenschaftlicher Innovationen wieder aufgegriffen.
3 Das Wissenschaftssystem
3.1 Systemtheoretische Reformulierung Das Ziel der beiden folgenden Kapitel ist es, ein Theoriedesiderat zu erarbeiten, das die im 2. Kapitel formulierten Ansprüche an eine soziologische Theorie des wissenschaftlichen Wandels erfüllt und eine Anwendung auf das Fallbeispiel des 5. Kapitels erlaubt. Dabei soll untersucht werden, welche Bedeutung dem Begriff der wissenschaftlichen Disziplin bei der Beschreibung der sich wandelnden Wissenschaft noch zukommen kann. Es wird vermutet, dass auch inter- bzw. transdisziplinäre, anwendungsorientierte Forschung auf die Orientierungsleistungen wissenschaftlicher Disziplinen angewiesen bleibt. Die Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen soll als ein Struktureffekt beschrieben werden, der ein Resultat struktureller Kopplung des Wissenschaftssystems an seine gesellschaftliche und seine außergesellschaftliche Umwelt ist. Mit der Theoriefigur der strukturellen Kopplung wird es möglich, die verschiedenen im vorangegangenen Kapitel diskutierten Umweltbezüge wissenschaftlicher Disziplinen innerhalb eines Theorierahmens zu behandeln. Es soll dabei gezeigt werden, dass der Forschung – neben anderen Formen des Umweltbezugs – eine zentrale Rolle bei der Vermittlung dieser Kopplungen zukommt und dass diese Kopplungen in formalen Forschungsorganisationen auf Dauer gestellt werden können. Man muss die Forschung in den Blick nehmen, um etwas über die Wissenschaft in der Gesellschaft auszusagen.
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Der hier zu entwickelnde Vorschlag zur Beschreibung des dynamischen Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft einerseits und des Zusammenhangs von wissenschaftlichen Disziplinen und Interdisziplinarität andererseits fußt auf der Unterscheidung zwischen dem primär disziplinär differenzierten Funktionssystem Wissenschaft (Stichweh 1984: 99; Luhmann 1990: 449; Stichweh 1994: 21) und der meist interdisziplinären Forschungsorganisation (Luhmann 1990: 672ff.). Dabei wird sich zeigen, dass Forschung nicht innerhalb des Wissenschaftssystems – verstanden als System wissenschaftlicher Kommunikation – stattfindet, sondern dass wissenschaftliche Disziplinen in Forschungskontexten nur als ein Teil der Umwelt präsent sind (s. auch Whitley 1976: 471; Krohn und Küppers 1989: 26). Auf der anderen Seite muss die Forschung als Umwelt des Wissenschaftssystems betrachtet werden. Die Beobachtung, dass die Bewährung von Wissen nicht mehr nur in »klassischen« Forschungsorganisationen wie Universitäten oder unabhängigen Forschungsinstituten stattfindet, sondern ihre organisatorische Einbettung sehr unterschiedliche Formen annimmt, kann daher nicht automatisch mit einer Entdifferenzierung des Wissenschaftssystems gleichgesetzt werden. Der von den im Abschnitt 2.1 referierten Autoren beschriebene Wandel soll hier als eine Veränderung der strukturellen Kopplung des Wissenschaftssystems in der Gesellschaft beschrieben werden, die schon längst nicht mehr nur über die Interaktion von Wissenschaftlern vermittelt werden kann. Die Beschreibung des Wandels von einer eher losen zu einer engeren Kopplung (Weingart 2001: 132, 159ff.) führt etwas in die Irre, weil das Wissenschaftssystem schon immer vollständig in die Gesellschaft integriert ist. In dieser Arbeit wird von einem Komplexitätszuwachs der Kopplungen ausgegangen, der als Verdichtung beschrieben werden kann, weil die Zahl der Ereignisse und Strukturen zunimmt, die Kopplungen vermitteln. Die Kommunikation im Wissenschaftssystem ist eine Fortsetzung der allgemeinen gesellschaftlichen Kommunikation. Sie bedient sich der Sprache, setzt Bewusstseinssysteme voraus und ist auf Interaktion ebenso wie auf Entscheidungen in Organisationen angewiesen. Das Wissenschaftssystem führt aber mit dem generalisierten Kommunikationsmedium Wahrheit eine Unterscheidung ein, die das System selbst konstituiert. Mit der Schließung des Wissenschaftssystems können die Kommunikationen in der Gesellschaft nun unterschieden werden; es gibt solche, die dem Wissenschaftssystem zuzurechnen sind, und solche, die in seiner Umwelt angesiedelt sind. Die Entscheidung, Wissenschaft als ein Kommunikationssystem zu beschreiben, in dem über die Bewährung beziehungsweise Nichtbewährung von Kausalprogrammen kommuniziert wird, erfordert es, die Grenze des Wissenschaftssystems anders zu beschreiben, als es die im vorangegangenen Kapitel referierten entdifferenzierungstheoretischen Ansätze vorschlagen. Diese schlie-
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ßen aus der Tatsache, dass die Gesellschaft als Ort von Realexperimenten mehr und mehr zum Labor wird, oder daraus, dass im Labor »nur« Gesellschaft vollzogen, d.h. gehandelt (Knorr-Cetina 1988) bzw. kommuniziert wird, auf eine Entdifferenzierung des Wissenschaftssystems. Hier wird dagegen davon ausgegangen, dass die Bewährungskontexte von Wissen, gleich ob Labor- oder Realexperimente oder Techniken, nicht dem Wissenschaftssystem (als Kommunikationssystem), sondern seiner (gesellschaftlichen) Umwelt zuzurechnen sind. Der Rückgriff auf Niklas Luhmanns Theorie selbstreferentieller und selbstreproduzierender (autopoietischer) sozialer Systeme (im Folgenden kurz: Systemtheorie)1 bietet sich aus drei Gründen an: Erstens tritt sie mit dem Anspruch einer Gesellschaftstheorie auf, innerhalb derer es möglich ist, die Wissenschaft in der Gesellschaft zu beschreiben. Die Rede von einer von der Gesellschaft segregierten Wissenschaft verliert vor diesem Hintergrund ihren Sinn. Damit können die wissenssoziologischen Sondertheorien aufgegeben und verschiedene Funktionssysteme wie Wissenschaft und Politik und ihre Verkopplung innerhalb eines Theorierahmens beschrieben werden. Zweitens basiert sie auf einer elaborierten wissenssoziologischen Grundlegung, die es erlaubt, von einem soziologischen Begriff des wissenschaftlichen Wissens ausgehend zu argumentieren (s. hierzu Luhmann 1980, 1984, 1995). Drittens ermöglicht es das Konzept der strukturellen Kopplung, wie es die Systemtheorie zur Beschreibung von Intersystembeziehungen vorschlägt, genauer zu untersuchen, wie Problemlagen aus anderen sozialen Systemen in Forschungsfragen übersetzt werden. Damit kann dargestellt werden, wie gesellschaftliche Probleme die wissenschaftliche Entwicklung stimulieren und wie andere Funktionssysteme – wie die Politik – auf wissenschaftliches Wissen zurückgreifen, um ihre jeweils spezifischen Operationsweisen fortzusetzen. Systemtheoretische Arbeiten leiden mitunter daran, dass sie die funktionale Differenzierung der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen, die dazu komplementär verlaufende organisatorische Differenzierung und die zugrunde liegenden Interaktionen aber unterbelichtet bleiben. Doch ist die Entstehung von Organisationen eine Bedingung der Möglichkeit funktionaler Differenzierung, und Organisationen befassen sich mit den Folgeproblemen, die sich aus der Existenz hochspezialisierter Funktionssysteme ergeben (Schimank 1997). Angesichts dieser Bedeutung des Organisationsbegriffes in der Systemtheorie ist es ein Defizit, dass er bisher nur für einige wenige Typen formaler Organisationen (Wirtschaftsunternehmen, Verwaltungen, Nationalstaaten) oder auf einzelne Funktionssysteme (Wirtschaft, Politik) bezogen ausgearbeitet wurde (Luhmann 1964, 2000; Baecker 1999), in einer verallgemeinerten Form 1 Zur systematischen Grundlegung der Luhmann’schen Systemtheorie nach der autopoietischen Wende s. Luhmann (1984).
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aber noch nicht vorliegt (Tacke 2001: 7; Martens 1997: 275ff.). Aber auch für die Wissenschaft gilt, dass ihre vollständige Ausdifferenzierung auf die Entstehung einer organisatorischen Umwelt angewiesen ist, die es in der Wissenschaftssoziologie in den Blick zu nehmen gilt. In den beiden folgenden Kapiteln geht es darum, die These der komplementären Ausdifferenzierung von Funktions- und Organisationssystemen (Luhmann 1990: 337; Luhmann 2000; Lieckweg und Wehrsig 2001) für die Wissenschaftssoziologie fruchtbar zu machen und für die dann folgende Fallstudie zu erschließen. Dem Einwand, dass die Bestimmung des Wissenschaftssystems über das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Wahrheit unterkomplex sei, da es den situativen Momenten von Experimentalkontexten nicht gerecht werde (Knorr Cetina 1992: 410f.), kann begegnet werden, indem man Forschung als das Organisieren von Bewährungskontexten für wissenschaftliches Wissen beschreibt und so der Entscheidungsgeladenheit von Forschung Rechnung trägt. In dieser Perspektive besteht Forschung in der kommunikativen »Herstellung von Kopplungen« zwischen dem Wissenschafts- und dem Gesellschaftssystem sowie mit der außergesellschaftlichen Umwelt. Empirisch beobachtbar sind dabei zum einen Rekombinationen wissenschaftlichen Wissens, über deren Bewährung im Wissenschaftssystem kommuniziert wird, und Entscheidungen, die in Organisationen unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen getroffen werden. Darin, dass sich dieselben Entscheidungen auch nichtwissenschaftlicher Referenzen bedienen, die auf andere Teile der Gesellschaft verweisen, findet die Verkopplung des Wissenschaftssystems mit anderen Funktionssystemen der Gesellschaft ihren Ausdruck. Ziel der Fallstudie ist es, die Koproduktion von wissenschaftlichen Kommunikationen und von Entscheidungen in Forschungsorganisationen am Beispiel der atmosphärischen Chemie und der Erforschung der stratosphärischen Ozonschicht darzustellen. Das analysierte Material erlaubt dabei einen Zugriff auf der Ebene von Publikationen (in einem etwas weiteren Sinne)2 und Organisationen, die als Formen struktureller Kopplung in der Argumentation problematisiert werden müssen. Die Effekte im Wissenschaftssys2 Sowohl für Luhmann als auch für Stichweh sind Publikationen die Letztelemente des Wissenschaftssystems (Stichweh 1994: 64f.). Die moderne Wissenschaft verfügt aber neben Zeitschriftenaufsätzen auch über eine Vielzahl anderer Kommunikationskanäle. Auch wenn Zeitschriften weiterhin eine wichtige Gedächtnisfunktion im System zukommt, sind sie in vielen Disziplinen – z.B. in der Informatik – viel zu langsam, um mit der Entwicklung des Wissens Schritt zu halten. Wahrheitsansprüche werden heute ebenso in newsgroups, Patenten, auf Konferenzen oder in Expertisen erhoben. Deswegen ist eine Erweiterung des Publikationsbegriffs nötig. Wissenschaftliche Publikationen sind Rekombinationen wissenschaftlichen Wissens, die in der wissenschaftlichen Kommunikation einen Wahrheitsanspruch erheben. Dass dies geschieht, bedarf der Markierung. Publikationen haben so eine Signalfunktion, die sich aber zunehmend verschiedener – oft disziplinenspezifischer – Medien bedient.
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tem werden dabei in erster Linie über Veränderungen der disziplinären Struktur (bzw. wie auf diese referiert wird) beobachtet. Damit ist soweit markiert, welche Überlegungen die Selektion der im Folgenden referierten Theoriestücke dirigiert haben, da eine vollständige Rekonstruktion der systemtheoretischen Wissenschaftstheorie nicht geleistet werden kann. Für die nun zu entfaltenden Überlegungen ist es von nur geringer Bedeutung, in welchem Verhältnis das wissenschaftliche Wissen zur Wirklichkeit steht. Eine relativ naive Epistemologie reicht hier aus.3 An dieser Stelle gilt es, festzuhalten, dass Bewusstseinssysteme – wie auch immer – wahrnehmen, und dass diese Wahrnehmungen für die Gesellschaft nur dann relevant werden können, wenn über diese kommuniziert wird. Es geht im Wissenschaftssystem also um die kommunikative Prüfung von in der Gesellschaft immer schon vorhandenem Wissen. Wissenschaftliches Wissen gerät so als aufgezeichneter Bestand, weniger als ereignishafte Erkenntnis in den Blick (Luhmann 1990: 122). Auch die Existenz des Wissenschaftssystems muss an dieser Stelle vorausgesetzt werden, da die Bedingungen seiner Möglichkeit, wie sie sich im 17. Jahrhundert herauskristallisiert haben, nicht im Einzelnen untersucht werden können (s. ausführlicher Luhmann 1990; Stichweh 1984). Die Bedeutung dieses evolutionären Prozesses für die heutige Wissenschaftsentwicklung bleibt dabei unbestritten. Die Entstehung des Wissenschaftssystems muss als anchoring effect (Luhmann 1990: 272) betrachtet werden, der einschränkt, welche Operationen im Wissenschaftssystem möglich und welche ausgeschlossen sind. Der Aufbau der Argumentation ist folgender: In diesem Kapitel gilt es, das Wissenschaftssystem als ein Funktionssystem der modernen Gesellschaft einzuführen und herauszuarbeiten, wie über wissenschaftliches Wissen entschieden werden kann. Dabei werden wissenschaftliche Disziplinen als eine Struktur eingeführt, die das Wissenschaftssystem in der Gesellschaft beobachtbar hält. Im Kapitel 4 wird Forschung als eine spezifische Form struktureller Kopplung des Wissenschaftssystems an seine gesellschaftliche und an seine außergesellschaftliche Umwelt beschrieben und eine darauf aufbauende Definition von Forschung erarbeitet. Anschließend wird die Rolle formaler Organisationen in der Forschung untersucht. In Bezug auf das zu entfaltende Fallbeispiel soll gefragt werden, welche Konsequenzen diese Beschreibung von Wissenschaft in der Gesellschaft hat. Diese Perspektive dient als Folie für 3 Die Systemtheorie ist insofern »realistisch«, dass die Differenz System/Umwelt ein nicht zum System gehörendes Realitätskontinuum voraussetzt, in das diese Unterscheidung durch einen Beobachter eingeführt werden kann. Mit der konstruktivistischen Grundlegung der Theorie werden lediglich die Limitationen des Zugangs zur Wirklichkeit herausgestellt, der nur durch die systemeigenen Operationen gegeben ist. Realität kann so immer nur als Realität eines Sozialsystems beobachtet werden (Luhmann 1984: 244f.;1990: 92f.).
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die im Kapitel 5 folgende Beschreibung der Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie angesichts des Problems der anthropogenen Schädigung der stratosphärischen Ozonschicht. In diesem Kontext werden auch die Chancen der Umwelt- und Forschungspolitik ausgelotet, die wissenschaftliche Entwicklung zu beeinflussen.
3.2 Wissenschaftliches Wissen Wissen wird von Luhmann als »Sediment einer Unzahl von Kommunikationen4 , die kognitive Erwartungen benutzt und markiert hatten und mit ihrem Resultat reaktualisierbar sind« eingeführt (Luhmann 1990: 139). Wissen repräsentiert einen Bestand bewährter Beobachtungen, deren Ergebnisse aktualisiert werden können, ohne dass die Beobachtungen selbst wiederholt werden müssten. Es bildet in sozialen Systemen einen Erwartungshorizont, der in der laufenden Kommunikation ständig überprüft wird und gegebenenfalls korrigiert werden kann. Wissen entsteht in sozialen Systemen, wenn dort wiederholt über Beobachtungen kommuniziert wird und dabei die Ergebnisse der Beobachtungen bestätigt werden. Dabei »benutzt« die Kommunikation die Wahrnehmungen der an die Kommunikation gekoppelten Bewusstseinssysteme, da der Außenkontakt sozialer Systeme nicht auf der Ebene ihrer Operationen (Kommunikationen) vermittelt wird (Luhmann 1990: 225). Wissen ist die Voraussetzung der Schließung sozialer Systeme, Wissen fällt bei der Systembildung an und ist daher in sozialen Systemen immer schon – als Fremdreferenz im System – vorhanden (Luhmann 1990: 122). Dadurch, dass sie beobachten, konstituieren sich soziale Systeme selbst als Beobachter (Autopoiesis) und nutzen die Resultate zum Aufbau eigener Strukturen. Mit Bezug auf Wissen als Systemstruktur werden Rückund Vorgriffe auf vorangegangene bzw. zukünftige Beobachtungen möglich. Die Operationen im System werden auf diese Weise von den Umweltereignissen abgekoppelt; sie müssen (und können) nicht mehr mit diesen synchron verlaufen. In einem geschlossenen Sozialsystem macht sich die Realität nur noch durch die Enttäuschung von Erwartungen bemerkbar, die unter Rückgriff auf systemeigenes Wissen formuliert wurden. Über die Spezifik des wissenschaftlichen Wissens ist damit noch nichts gesagt; was dieses von anderen Wissensformen unterscheidet, kann erst mit der Beschreibung des Funktionssystems Wissenschaft und dessen Beobachtung durch andere soziale Systeme herausgearbeitet werden. Es gilt vorerst festzuhalten, dass jedes soziale System über spezifisches Wissen verfügt, welches – als Systemstruktur – für andere Systeme un4 Zum Kommunikationsbegriff der Luhmann’schen Systemtheorie s. auch Luhmann 1984: 193ff.; Fuchs 1993a: 81ff; Baraldi u.a. 1999: 89ff.
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zugänglich ist. Dies gilt für das Wissenschaftssystem ebenso wie für das Wirtschaftssystem, das Rechtssystem oder das Erziehungssystem, für formale Organisationen wie Universitäten, Unternehmensberatungen und Geheimdienste. Daher muss von klassischen Notationen wie der »Übertragung« des Wissens von einem System in ein anderes oder auch von Vorstellungen der Übersetzung bzw. Rekontextualisierung Abstand genommen werden. Autopoietische Sozialsysteme können Wissen nur durch die eigenen Operationen, durch die Beobachtung der gesellschaftlichen Kommunikation erzeugen. Ein System kann auf das Wissen anderer Systeme nur zurückgreifen, indem es beobachtet, wie in diesem unter Verwendung von Wissen kommuniziert wird, und dann die Resultate dieser Beobachtungen zum Aufbau eigener Systemstrukturen verwenden (Beobachtung 2. Ordnung). Dies ist unmittelbar einleuchtend, wenn man bedenkt, welchen Arbeitsaufwand es erfordert, sich im Rahmen eines Projektes längst »vorhandenes« Wissen »anzueignen«.5 Die Spezifik des wissenschaftlichen Wissens muss als Folge der evolutionären Ausdifferenzierung eines auf die Geltungsprüfung gesellschaftlich verteilten Wissens spezialisierten Funktionssystems beschrieben werden. Die für die differenzierungstheoretische Beschreibung von Wissenschaft zentrale Unterscheidung von wissenschaftlichem Wissen und anderen Wissensformen ergibt sich aus der spezifischen Konditionierung der Kommunikation im Wissenschaftssystem (Luhmann 1990, 70). Es sind somit nicht die Inhalte, die wissenschaftlich oder nichtwissenschaftlich sind; prinzipiell kann jedes Wissen im Wissenschaftssystem thematisiert werden, sofern dieses zur Formulierung von Kausalprogrammen geeignet ist und bei Enttäuschung der formulierten Erwartungen korrigiert werden kann. Die Tatsache, dass auf Enttäuschungen im Wissenschaftssystem mit der Änderung der Codezuweisung reagiert werden muss, ist mit dem Popper’schen Kriterium für die Wissenschaftlichkeit von Sätzen durchaus kompatibel (Popper 1994: 9ff.). Der entscheidende Unterschied besteht aber darin, dass nicht die Logik über die Anschlussfähigkeit entscheidet, sondern die Codierung der Kommunikation im Wissenschaftssystem. Wissenschaftliches Wissen ist daher ein genuin soziales Phänomen. Die Logik als ein formalisierter Selektionsmechanismus muss dabei als das Ergebnis der Systembildung und nicht als seine Voraussetzung begriffen werden. Das Wissenschaftssystem mit seiner Spezialisierung auf die Überprüfung der Geltungsansprüche von Wissen ist durch die Verwendung des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Wahrheit gekennzeichnet. Die Unterscheidung wahr/unwahr bildet die Leitdiffe5 Oder salopper formuliert: Wenn Wissen tatsächlich eine Ware wäre, könnte man auf ein Studium verzichten, wenn man nur genug Geld hätte. Dass Geld – wenn auch nicht ausschließlich – den Zutritt zu Elite-Universitäten verschafft, muss als Kopplung von Bildungssystem und Wirtschaftssystem beschrieben werden.
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renz im System. Aus der binären Codierung der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien ergibt sich in Funktionssystemen die hohe Anschlussfähigkeit weiterer Kommunikationen. Der Anschluss systemfremder Kommunikation ist damit gleichzeitig ausgeschlossen. Dies bedeutet eine enorme Reduktion von Komplexität. Ist Wissen als wahres Wissen codiert, müssen die räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontexte seiner Erzeugung nicht mehr berücksichtigt werden. Es bedarf keiner zusätzlichen Abstützung seiner Geltung durch andere soziale Mechanismen wie z.B. Autorität, Glaube oder Macht. Alle Kommunikationen (und nur diese), die mit dem Wahrheitscode operieren, müssen dem Wissenschaftssystem zugerechnet werden. Es kann nicht im Wirtschaftssystem oder im politischen System, sondern nur in der wissenschaftlichen Kommunikation darüber entschieden werden, was im Wissenschaftssystem als wahr oder unwahr ausgezeichnet wird. In der Gesellschaft wird die Wahrheit von Wissen dagegen normalerweise »unmarkiert« mitkommuniziert. Wissen wird im Alltagsverständnis als wahres Wissen vorausgesetzt, es bedarf keiner weiteren Auszeichnung. Im Wissenschaftssystem wird dagegen über die Wahrheit bzw. Unwahrheit von Wissen kommuniziert. Wissenschaftliches Wissen wird reflexiv auf wissenschaftliches Wissen angewandt und dabei einer fortlaufenden Konsistenzprüfung ausgesetzt. Die Funktion des Wissenschaftssystems besteht somit in der selbstreferentiellen Überprüfung von in der Gesellschaft immer schon vorhandenem Wissen (Luhmann 1990: 134). Diese Konsistenzprüfungsoperationen beruhen auf Beobachtungen zweiter Ordnung: Im Wissenschaftssystem wird beobachtet, wie in der Gesellschaft unter Verwendung von wissenschaftlichem Wissen beobachtet wird. Indem im Wissenschaftssystem die Bewährung oder das Scheitern von Wissensanwendung registriert und die Zuordnung von Codewerten dann gegebenenfalls korrigiert wird, werden neue Erkenntnisse generiert. Die Unterscheidung wissenschaftliches versus nichtwissenschaftliches Wissen verweist dagegen auf das Gesellschaftssystem; im Wissenschaftssystem selbst wird erst einmal unter der Verwendung des Wahrheitsmediums kommuniziert. Das Wissen im Wissenschaftssystem ist das Wissen über die Bewährung oder Nichtbewährung von Sätzen und Theorien. Wissenschaftliches Wissen verdankt sich der Beobachtung (zweiter Ordnung) der wissenschaftlichen Kommunikation in der Gesellschaft. Diese schließt das Wissenschaftssystem ausdrücklich mit ein. Wissenschaftliches Wissen ist Wissen, das im Wissenschaftssystem als wahr ausgezeichnet wurde. Merton sprach einst von zertifiziertem Wissen (Merton 1968: 606). Die Unsicherheit schwebender Codezuweisung oder gar negative Codierungen werden dabei ausgeblendet. Beobachtet das Wissenschaftssystem mit der Unterscheidung wahr/unwahr, wird im Gesellschaftssystem mit der Unterscheidung wissenschaft-
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lich/nichtwissenschaftlich beobachtet. Daher muss wissenschaftliches Wissen als ein Effekt struktureller Kopplung des Wissenschaftssystems mit dem Gesellschaftssystem beschrieben werden. Wissenschaftliches Wissen verweist auf einen Erwartungshorizont des Gesellschaftssystems, welcher auch andere Wissensformen kennt, aber auch das Wissen darüber umfasst, dass sich die Anwendung wissenschaftlichen Wissens in Kontexten, in denen es um Kausalprogramme (Experimente, Techniken) geht, sehr weitgehend bewährt hat. Das hohe Auflöse- und Rekombinationsvermögen des wissenschaftlichen Wissens, das sich aus der Regulierung der Anschlussfähigkeit durch die Codierung im Wissenschaftssystem und der ständigen Konsistenzprüfung in der wissenschaftlichen Kommunikation ergibt, ermöglicht der Gesellschaft einen Zugriff auf »Welt« als ein mediales Substrat (Luhmann 1990, 332). Unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen können neue, noch unbekannte Realitätsausschnitte beschrieben werden oder – wird das »Fehlen« von Wissen festgestellt – die entsprechenden Forschungsprobleme formuliert werden, die bei ihrer Lösung zur Erweiterung des Wissens führen können.
3.3 Reduktion und Rekombination Die Fassung des wissenschaftlichen Wissens als ein Medium hat für die aufgeworfene Fragestellung nach dem Verhältnis von wissenschaftlichen Disziplinen und der interdisziplinären – genauer nichtdisziplinären – Forschung weitreichende Konsequenzen. Es muss analysiert werden, wie in der Gesellschaft auf wissenschaftliches Wissen zurückgegriffen werden kann und welche Konsequenzen seine Anwendung auf die Strukturen der wissenschaftlichen Kommunikation hat. Da im Wissenschaftssystem – unter der Verwendung der Unterscheidung wahr/unwahr – die Kommunikation in der Gesellschaft beobachtet wird, hinterlassen die Themen der gesellschaftlichen Kommunikation auch in den Strukturen des Wissenschaftssystems ihre Spuren. Mit thematischen Verdichtungen – wie z.B. der ökologischen Kommunikation6 – entstehen in der Gesellschaft Bereiche, in denen vermehrt Realitätsbeschreibungen formuliert werden. Damit steigen auch die Gelegenheiten für die Bewährung wissenschaftlichen Wissens, zur Theoriebildung und in einzelnen Fällen auch zur Bildung neuer Disziplinen. Das mediale Substrat »Welt« verweist auf eine Medium/FormDifferenz (Luhmann 1990: 181f.; Luhmann 1997: 195ff.). Ein Medium besteht aus lose gekoppelten Elementen (hier wissenschaftlichen Sätzen bzw. Wissenselementen), die zur Bildung von rigide gekoppelten Formen 6 Zur (beschränkten) Resonanzfähigkeit moderner Gesellschaften bezüglich ökologischer Gefährdungen, s. Luhmann (1986).
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(hier von Realitätsbeschreibungen) benutzt werden können (Luhmann 1990: 332). Die lose Kopplung des Mediums ergibt sich daraus, dass die Sätze in der wissenschaftlichen Kommunikation als wahre – d.h. potentiell anschlussfähige – Sätze codiert sind. Sätze können sich aber nur in rigiden Kopplungen, d.h. in konkreten Formen bewähren, die durch die Rekombination der Elemente des Mediums erzeugt werden. Bewährung setzt die Formulierung von Erwartungen unter der Benutzung wissenschaftlichen Wissens voraus, die eintreten oder enttäuscht werden können. Nur in der Enttäuschung von Erwartungen macht sich die Realität in sozialen Systemen bemerkbar. Auf Enttäuschung kann dann normativ, d.h. unter der Beibehaltung der Erwartungen trotz Enttäuschung, oder kognitiv – und dies verweist auf Wissen – mit der Korrektur der Erwartungen reagiert werden (Luhmann 1990: 138). Das wissenschaftliche Wissen als Medium ist beständiger als die Formen, die in ihm kommunikativ gebildet werden. Formen bestehen nur in der Kommunikation und lösen sich sofort wieder auf, sie verbrauchen das Medium aber nicht. Doch kann das Scheitern von Rekombinationen Irritationen im Wissenschaftssystem auslösen und dort als Problem der Codezuweisung thematisiert werden. Die zu lösende Schwierigkeit besteht dabei darin, dass bewährungsfähige Rekombinationen aus einer Vielzahl von Elementen bestehen, Erwartungen aber immer nur als Ganzes an der (sonst unbekannt bleibenden) Realität scheitern können. Welches der Elemente des Mediums korrigiert werden müssen, steht mit dem Scheitern noch nicht fest, die Ursache muss selbst erforscht werden. Vorerst kann nur die Unzulänglichkeit des Mediums – als Anomalie bzw. Inkonsistenz – beobachtet werden. Es kann aber auch entschieden werden, dass falsch rekombiniert wurde, d.h. Limitationen, die das Medium auferlegt, nicht beachtet wurden. Es gibt dann gewissermaßen keinen Anlass zur Umcodierung. Die Komplexität der Umwelt kann erst in den anschließenden Operationen dazu benutzt werden, die Systemkomplexität – im Fall des Wissenschaftssystems das Auflösevermögen des wissenschaftlichen Wissens – zu steigern. Damit ist das Problem der Reduktion und der Lernfähigkeit des Wissenschaftssystems angesprochen. Nur im Wissenschaftssystem kann darüber entschieden werden, woran festgehalten wird und was korrigiert werden muss (zur Lernfähigkeit sozialer Systeme s. Luhmann 1984: 447). Dabei ist das Wissenschaftssystem auf weitere Formenbildung – z.B. durch Forschung, durch Technik oder auch durch Realexperimente in der Gesellschaft – angewiesen. Nur aus einer Vielzahl von Beobachtungen können Systeme Regelmäßigkeiten errechnen (Luhmann 1990: 139). In der klassischen Wissenschaftstheorie ist die Replizierbarkeit von Experimenten der Maßstab für die Bewährung wissenschaftlichen Wissens. Doch hat die bloße Replikation von Experimenten für das Wissenschaftssystem keinen Informationsgehalt. Sie wird daher auch tatsäch-
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lich kaum praktiziert (zur Idee der Replikation s. auch Collins 1985: 2950). Erst wenn Unterschiede oder Zweifel auftreten, wird Replikation, die dann streng genommen keine mehr ist, interessant. Es kommt auf die Differenzen an (Luhmann 1990: 431) und darauf, dass Unterschiede von Regelmäßigkeiten unterschieden werden können. Hinzu kommt, dass Beobachtungen als einzelne Operationen nicht wiederholt werden können, man kann nicht an dieselbe Zeitstelle zurückkehren. Identität kann nur durch die Selektion von Ähnlichkeiten bei gleichzeitigem Weglassen von Unterschieden, d.h. durch Reduktion auf Identisches (Luhmann 1990: 108) errechnet werden. Bei dieser Selektion wird auf systemeigene Programme – im Wissenschaftssystem auf Theorien und Methoden – zurückgegriffen. Das Wissenschaftssystem ist dabei darauf angewiesen, dass Sätze in verschiedene Rekombinationen »eingebaut« werden. Damit ist nicht nur die Variation eines einzelnes Experiments gemeint, sondern die Verwendung des Wissens bei der Beschreibung möglichst verschiedener Realitätsausschnitte. Das Funktionieren von Rekombinationen und damit die Bewährung wissenschaftlichen Wissens findet nicht nur im Labor, sondern in der Gesellschaft statt. So ist z.B. das Funktionieren von Technik eine wichtige Bewährungsinstanz für wissenschaftliches Wissen. Durch Techniken werden die Rekombinationsspielräume des wissenschaftlichen Wissens ausgetestet (Luhmann 1990: 283). Man kann das Herstellen von Bewährungschancen im Labor als einen Spezialfall dieser Fassung verstehen, besonders dann, wenn man die in modernen Laboren vorhandene Hochtechnologie in den Blick nimmt (Halfmann 2002). Ein weit getriebener Reduktionismus ist eine Voraussetzung für das hohe Auflöse- und Rekombinationsvermögen des wissenschaftlichen Wissens. Erst durch Reduktion wird es möglich, Wissen in verschiedenen und vor allem in noch unbekannten Kontexten anzuwenden. Die anthropogene Ozonzerstörung war geradezu ein Paradebeispiel für die Beschreibung des Unbekannten durch Bekanntes. Reduktion kann also nicht – wie es seit Husserl in der Kritik der reduktionistischen Wissenschaft immer wieder geschieht – als Verzerrung, Irrtum oder Ignoranz der Tatsache, dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt, behandelt werden. Reduktion ist deswegen notwendig, weil das Wissenschaftssystem nicht mit der Komplexität der Welt, deren Bestandteil es ist, mithalten kann (Luhmann 1990: 367). Auch wenn die Komplexität im Wissenschaftssystems ständig ansteigt, ist die Komplexität der Welt nicht erreichbar. Die Funktion des Wissenschaftssystems besteht geradezu in ihrer Reduktion. Das prinzipielle Problem des im Verhältnis zur Komplexität der Wirklichkeit unterkomplexen wissenschaftlichen Wissens kann auch durch interdisziplinäre oder gar transdisziplinäre Forschung nicht gelöst werden. Im Wissenschaftssystem werden Reduktionen dazu be-
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Wissenschaft
Forschung
Codierung
wahr/unwahr
Umweltbezug Referenz auf Wissen Evolutionsprozess Limitationen durch
Medium Reduktion Selektion Programme (Theorien, Methoden, Relevanzen)
richtig/falsch wissenschaftlich/unwissenschaftlich finanzierbar/nicht finanzierbar ethisch/unethisch ... Formenbildung Rekombination Variation Gesellschaft (z.B. Wirtschaft, Politik, Recht, Bildungssystem)
Tabelle 2: Zuordnung der verwendeten Begriffe auf die Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung
nutzt, die Eigenkomplexität des Systems zu erhöhen (Luhmann 1990: 133). Mit der Unterscheidung von Reduktion und Rekombination ist die Spannung markiert, die die wissenschaftliche Dynamik antreibt. Tabelle 2 ordnet die eingeführten (und die noch einzuführenden) Unterscheidungen auf die beiden Seiten der Differenz von Wissenschaft und Forschung zu. Während Reduktion im Wissenschaftssystem stattfindet und zum Aufbau von Eigenkomplexität des Systems verwendet werden kann, ist die Formenbildung auf Entscheidungen außerhalb des Wissenschaftssystems angewiesen. Daher gilt es die Forschung genauer in den Blick zu nehmen (s. 4, S. 81). Rekombinationsentscheidungen sind selbst nicht wahr oder unwahr (Luhmann 1990: 222). Sie können von externen Referenzen, z.B. von Förderprogrammen, der Wissenschaftspolitik oder auch von Technologieprogrammen abhängig gemacht werden. Evolutionstheoretisch reformuliert, findet Variation außerhalb, Selektion und damit die Veränderung des medialen Substrats »Welt« innerhalb des Wissenschaftssystems statt. Die Anschlusskommunikation wird innerhalb des Wissenschaftssystems durch interne Programme reguliert, während in der Forschung die gesellschaftlichen Bedingungen der Wissensproduktion thematisiert werden müssen.
3.4 Theorien und Methoden Die Irritation des Wissenschaftssystems durch die Variation von Rekombinationen kann sich nur vor dem Hintergrund strukturierter Erwartungen einstellen (Luhmann 1990: 41). Auf der Ebene des Codes gilt Paul
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Feyerabends anything goes. Dass dann doch nicht alles geht, hat etwas damit zu tun, dass sich die Wirklichkeit im Wissenschaftssystem bemerkbar macht. Die daraus resultierende Komplexität schlägt sich in Limitationen bezüglich der Anschlussfähigkeit des wissenschaftlichen Wissens nieder. Das Wissenschaftssystem ist auf Programmierung angewiesen, die die Zuweisung der Codewerte auf Sätze reguliert (Luhmann 1990: 401). Die Programme des Wissenschaftssystems, die die Codezuweisung limitieren, sind Theorien und Methoden. Hinzu kommen verschiedene Formen der Programmierung (z.B. Relevanz und Reputation), die den Gesellschaftsbezug des Systems regulieren. Theorien beziehen sich auf die Fremdreferenz des Systems, auf das wissenschaftliche Wissen, Methoden dagegen auf die Selbstreferenz. Theorien geben ebenso wie Methoden vor, was richtige und was falsche Rekombinationen sind. Mit der Unterscheidung richtig/falsch wird eine Sekundärcodierung in das System eingeführt, mit der Rekombinationsentscheidungen in der Gesellschaft beobachtet und danach unterschieden werden können, ob sie im Wissenschaftssystem als Probleme der Codezuweisung thematisiert werden müssen oder nicht. Auf diese Weise limitieren Theorien die Anschlussfähigkeit der Elemente des mediales Substrats »Welt«. Die Verwendung des Wahrheitsmediums macht es wahrscheinlicher, dass an wissenschaftliche Kommunikation mit weiteren wissenschaftlichen Kommunikationen angeschlossen wird. Ob – wenn überhaupt – positiv oder negativ angeschlossen wird, ist damit noch nicht bestimmt. Die Programmierung durch Theorien und Methoden limitiert, was im System tatsächlich möglich ist und was nicht. Mit der Verwendung von wissenschaftlichem Wissen in immer neuen Rekombinationen und der Beobachtung der Bewährung oder des Scheiterns prägen sich Theorien und Methoden angesichts der Rigidität der Umwelt in die Systemstrukturen ein (Luhmann 1990: 185). Theorien bestehen aus Begriffen und aus Sätzen über Begriffe. Sie geben an, unter welchen Bedingungen diese miteinander verknüpft werden können. Sie limitieren damit die Reichweite der Konsistenzprüfungsoperationen im Wissenschaftssystem (Luhmann 1990: 413). Es ist nicht unmöglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass theoretisch ungedeckte Rekombinationen Resonanzen im Wissenschaftssystem auslösen. Selbst wenn derartige Rekombinationen – gemessen an den bestehenden Theorien – nicht falsch sind, können sie mitunter nicht als Problem der Codezuweisung beobachtet werden. Das kommt z.B. in der häufigen Nichtbeachtung anwendungsorientierter, interdisziplinärer Forschung im Wissenschaftssystem zum Ausdruck. Werden solche Rekombinationen doch beobachtet, weil sie für die verwendeten Theorien Schwierigkeiten erzeugen oder Anomalien hervorbringen, können derartige theoretisch nicht gedeckte Rekombinationen Irritationen an das Wissenschaftssystem vermitteln. Evolutionstheoretisch ist erfolgrei-
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che Variation unwahrscheinlich und dennoch der Motor für die Komplexitätssteigerung des Systems. Wie in der Forschung Freiheitsgrade ausgenutzt werden, die die Limitationen der Systemprogramme überschreiten, gilt es im nächsten Kapitel auszuloten. Theorien können nicht mit den Überzeugungen bzw. Weltbildern von scientific communities gleichgesetzt werden, wie es im oben kritisierten Begriff der Paradigmengemeinschaft zum Ausdruck kommt, weil die Beobachtung zweiter Ordnung möglich bleibt. Es kann immer festgestellt werden, dass Theorien auf begrifflichen Vorentscheidungen fußen, die kritisierbar sind (Luhmann 1990: 392ff.). Nur weil im Wissenschaftssystem Theorien grundsätzlich zur Disposition stehen, kann das System vor dem Hintergrund von enttäuschten Erwartungen so effektiv lernen. Theorien limitieren die möglichen Kommunikationen im System, außerhalb des Wissenschaftssystems können diese beobachtet und benutzt werden, um Weltbeschreibungen herzustellen. Man kann sie aber auch ignorieren oder andere ausprobieren – zu dem Preis, dass die Chancen des Anschlusses im Wissenschaftssystem möglicherweise dramatisch sinken. Das Wissenschaftssystem kann mit seinen Programmen die Verwendung wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft dirigieren, aber nur so lange, wie in der Gesellschaft mit Referenz auf das Wissenschaftssystem kommuniziert wird. Dies setzt Entscheidungen – z.B. in Forschungsorganisationen – voraus, das auch zu tun. Die Abhängigkeit der Theorien von begrifflichen Vorentscheidungen führt noch einmal zu dem Problem der Inkommensurabilität zurück. Es ist der Systemkomplexität geschuldet, dass nicht alle Theorien zusammenpassen, z.B. dann nicht, wenn sie konkurrierende Unterscheidungen in Form von Begriffen benutzen. Für die Frage nach der Möglichkeit von Interdisziplinarität ist aber interessant, wie sich Ausschnitte des wissenschaftlichen Wissens verbinden lassen, die auf unterschiedliche Realitätsausschnitte verweisen. In diesem Fall sind nicht genügend Limitationen, aber auch keine Verknüpfungsregeln vorhanden. Jedoch können in der Gesellschaft gerade diese Ausschnitte relevant werden – z.B. dann, wenn wissenschaftsexterne Problemformulierungen unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen bearbeitet werden sollen. Solche Rekombinationen sind prinzipiell möglich. Sie können funktionieren oder auch scheitern. Rigiditäten ergeben sich aber nicht wie bei Kuhn aus der Logik, sondern erst vor dem Hintergrund der Umweltkomplexität. Werden diese Rekombinationen im Wissenschaftssystem unter dem Aspekt der Bewährung beobachtet, können sie neue Theorieentwicklungen stimulieren. Im Gegensatz zu Theorien beziehen sich Methoden auf die Selbstreferenz des Wissenschaftssystems. Sie schränken ein, welche Ereignisse Anlass zur Änderung der Codezuweisung geben. Methoden stellen so Prozessstrukturen dar, die das System zur Selbstbeobachtung zwei-
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ter Ordnung zwingen. Diese Beobachtungen ermitteln die Bedingungen, die angenommen werden müssen, um eine Entscheidung zwischen den beiden Codewerten (wahr/unwahr) treffen zu können (Luhmann 1990: 413). Dabei verzeitlichen sie das Problem der Codezuweisung. Nur unter der Benutzung von Zeit und der wiederholten Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen gelingt es, zwischen Regelmäßigkeiten und Differenzen in Beobachtungsergebnissen zu diskriminieren (Luhmann 1998: 417). Daher konditionieren die Methoden des Wissenschaftssystems das Forschungshandeln im Labor genauso wie die Möglichkeiten Forschung zu organisieren. Die beiden Programmtypen Theorien und Methoden stützen sich wechselseitig. Genauso wie Methoden Operationssequenzen vorgeben, in denen sich die Bewährung oder Nichtbewährung von Theorien beobachten lässt, kann entschieden werden, dass eine Methode einer Theorie nicht angemessen ist. Allerdings stellt sich das Problem der Codezuweisung auf eine Weise, die stets die Infragestellung der einen Seite der Unterscheidung Theorie/Methode vor dem Hintergrund der anderen erlaubt. Das Nichteintreten von Erwartungen muss entweder dem Beobachter (wenn er mit aus der Sicht der Methode falschen Unterscheidungen beobachtet hat) oder der Umwelt des Systems (falsche Theorie) zugeschrieben werden (Luhmann 1990: 403).
3.5 Wissenschaftliche Disziplinen Die Unterscheidung Code/Programm verweist auf die Innendifferenzierung von Funktionssystemen, im Wissenschaftssystem auf wissenschaftliche Disziplinen. Als Teilsysteme des Wissenschaftssystems operieren diese unter der Verwendung des Codes wahr/unwahr, es kann innerhalb von Disziplinen nicht für einen anderen Code optiert werden (Luhmann 1990: 446). Disziplinen unterscheiden sich aber bezüglich ihrer Programme, d.h. durch die Wahl von Theorien und Methoden, während Relevanzprogramme die primäre Innendifferenzierung so begrenzen, dass das Wissenschaftssystem in der Gesellschaft beobachtbar bleibt und nicht zu esoterisch wird. Die Primärdifferenzierung des Wissenschaftssystems muss u.a. am Arbeitsmarkt orientiert bzw. im Bildungssystem und in der Allgemeinbildung verankert bleiben (Luhmann 1990: 445). Der Leistungsaustausch zwischen den Funktionssystemen setzt ihre wechselseitige Beobachtbarkeit voraus. So ist es meist nicht schwierig, die Disziplinen zu identifizieren, die das Wissen für die Lösung gesellschaftlicher Probleme bereithalten. Die ökologische Krise entpuppte sich auch in dieser Hinsicht als eine Krise. Innerhalb der Disziplinen bieten Subdisziplinen weitere Orientierung. Sowohl für den wissenschaftlichen als auch für den nichtwissenschaftlichen Beobachter stellt sich
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das System wissenschaftlicher Disziplinen als ein Index dar, der den Zugriff auf wissenschaftliches Wissen ermöglicht. So ist vor allem auch die Organisation interdisziplinärer Projekte auf einen effektiven Zugang zu disziplinären Wissen angewiesen. Damit wird den Autoren widersprochen, die die Disziplinen nicht mehr für wichtig halten und sich auf die Untersuchung kleiner Spezialgebiete konzentrierten, die als scientific communities beschrieben werden können (explizit Chubin 1976). Die Frage nach der Integration des Wissenschaftssystems bleibt dabei unbeantwortet. Beschreibt man die Wissenschaft dagegen als ein Sozialsystem innerhalb der Gesellschaft, wird ersichtlich, dass einer horizontale Ausdifferenzierung in immer kleinere Segmente Grenzen gesetzt sind, die sich aus den Limitationen der Beobachtungskapazitäten in der Gesellschaft ergeben (Luhmann 1990: 449). Weitere Spezialisierung erfolgt vertikal – es entstehen Suboder Subsubdisziplinen. Wissenschaftliche Disziplinen sind – im Gegensatz zu der Annahme von Krohn und Küppers (Krohn und Küppers 1989: 26) – reale Subsysteme des Wissenschaftssystems. Die disziplinäre Differenzierung reguliert die Spannung zwischen dem Gesellschaftsbezug und der sehr weitgehenden Spezialisierung im Wissenschaftssystem. Im Elfenbeinturm brauchte man dagegen keine Rücksicht auf Disziplinen zu nehmen. Solange die Wissenschaft von wirtschaftlich unabhängigen Gentlemen betrieben wurde, gab es noch Universalgelehrte. Gemessen an der Kritik disziplinärer Wissenschaft – in der seit Husserl immer wieder ihre Ferne zu den Problemen der Gesellschaft (oder der Menschen) herausgestellt wird – scheint dieser auf das Gesellschaftssystem bezogene Disziplinenbegriff kontraintuitiv. Dieses Paradox lässt sich aber auflösen, wenn man in Betracht zieht, dass die Kritik disziplinärer Wissenschaft immer auch als Gesellschaftskritik gemeint war. Es wurde bedauert, dass aus den etablierten Strukturen der Wissenschaft keine Anleitungen für gesellschaftliche Veränderungen abzuleiten sind. Die Strukturen der Wissenschaft sind zu stark in den Problemen der Vergangenheit verankert. Die Bearbeitung neuer Problemlagen erfordert es, Wissen auf eine neue – theoretisch und methodisch noch ungedeckte – Weise zu rekombinieren. Die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung ergibt sich so aus der Umstellung von Relevanzen in der Gesellschaft. Relevanzprogramme bieten dann Orientierung, wenn die vorhandenen Theorien und Methoden nicht genügend Limitationalität liefern können, um die Richtung der Forschung zu dirigieren. Relevanzprogramme limitieren thematisch, welche Rekombinationen Chancen auf Anschluss im Wissenschaftssystem haben und welche nicht. Angesichts der hochspezifischen Themen moderner Forschung bedarf es solcher Orientierung, weil die Zahl unerschlossener Realitätsausschnitte tendenziell unendlich ist. Relevanzprogramme entstehen,
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weil sich das Wissenschaftssystem selbst als Wissenschaft in der Gesellschaft beobachten und darüber reflektieren kann, bei welchen Themen Leistungen anderer Funktionssysteme zu erwarten sind und bei welchen nicht. Die ältere Fassung, dass sich Disziplinen spezifischen Gegenständen widmen, steht dazu nicht im Widerspruch (auch wenn sie zu eng ist). Gegenstände sind so etwas wie boundary objects an den Grenzen des Wissensschaftssystems (zum Konzept der boundary objects s. Star und Griesemer 1989). Die wissenschaftliche Kommunikation nimmt Themen der Alltagskommunikation oder auch – im Fall der Wirtschafts- oder Politikwissenschaften – die Reflexionstheorien anderer Funktionssysteme zum Ausgangspunkt, um eigene Operationen anzuschließen. Dass die Innendifferenzierung durch die Einbindung der Wissenschaft in die Gesellschaft begrenzt wird, trifft auch auf Disziplinen zu, deren Entstehung – würde man mit den klassischen Unterscheidungen beobachten – auf innerwissenschaftliche Probleme zurückgeht. Disziplinenbildung wird dann wahrscheinlich, wenn sie nicht nur theoretische, sondern auch außerwissenschaftliche Probleme lösen kann. Rudolf Stichweh zeigt, dass die Unterscheidung zwischen massebehafteten und masselosen »Stoffen« – der Magnetismus und die Elektrizität wurden lange für solche »Imponderablien« gehalten – zur Ausdifferenzierung der modernen Physik führten. Dass diese Unterscheidung – im Gegensatz zu vielen anderen – tatsächlich zur Disziplinenbildung führte, hat etwas damit zu tun, dass die curricula an den Universitäten an dieser theoretischen Entwicklung ausgerichtet wurden (s. hierzu ausführlich Stichweh 1984). Mehr noch, mit dieser Disziplinenbildung wurde die gesellschaftliche Wahrnehmung so konditioniert, dass die Unterscheidung von Physik und Chemie in die Alltagskommunikation übernommen wurde und mittlerweile tief im Erziehungssystem verankert ist. Die mehrfache Programmierung der Wissenschaft bringt es mit sich, dass Disziplinen nicht mit einzelnen Programmen identifiziert werden können. Disziplinen verfügen fast ausnahmslos über ein umfangreiches Repertoire von Methoden und sehr häufig über verschiedene, manchmal konkurrierende Theorien. Paradigmatische Krisen führen eher selten zur Auflösung von Disziplinen.7 Im Gegenteil, solche Krisen scheinen sehr attraktiv, weil die Lösung der Probleme hohe Reputationsgewinne verspricht. In Anlehnung an Toulmins Begriff der Ideenpopulation (Toulmin 1978: 155) müssen Disziplinen als Programmbündel beschrieben werden. Diese Mehrfachprogrammierung erlaubt es, Grenzen trotz Ähnlichkeiten zu ziehen und dann Anschlussfähigkeit über disziplinäre Grenzen hinweg zu produzieren (Luhmann 1990: 428ff.). Disziplinen entstehen, weil Unterscheidungen in bisher Ununterschiedenes eingeführt werden. 7 Studien über das Ende wissenschaftlicher Disziplinen gibt es nur wenige. Das Ende von Spezialgebieten verdankt sich vermutlich aber häufiger der Tatsache, dass es nicht ausreichend interessanten Probleme gibt (z.B. Fisher 1974).
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Daher weisen sie oft Ähnlichkeiten untereinander auf. Doch können nicht alle Fragen gleich relevant sein und nicht alle Theorieprobleme auf einmal gelöst werden. Ausdifferenzierungsprozesse ergeben sich daher nicht unbedingt aufgrund methodischer oder theoretischer Schwierigkeiten, sondern auch aus der Umstellung von Relevanzen. Wissenschaftliche Disziplinen sind als Primärdifferenzierung des Wissenschaftssystems die Voraussetzung dafür, dass sich die Wissenschaft selbst als Wissenschaft in der Gesellschaft beobachten kann. In der wissenschaftlichen Kommunikation werden die jeweils anderen Disziplinen und damit fast die gesamte Wissenschaft als Umwelt betrachtet, d.h. sie sind nicht mehr automatisch anschlussfähig. Es muss nur noch selektiv – auf der Basis systemeigener Unterscheidungen – berücksichtigt werden, was dort geschieht. Mit der Disziplinenbildung entstehen innerwissenschaftliche Grenzen, die als Relevanzfilter fungieren und die Interdependenzen im System unterbrechen (Luhmann 1990: 446). Normalerweise erfolgt die Konsistenzprüfung nur vor dem Hintergrund eines kleinen Ausschnitts des wissenschaftlichen Wissens. Das Wissen anderer Disziplinen wird dagegen – wie woanders in der Gesellschaft auch – als wahr vorausgesetzt und zur Problemlösung instrumentell verwendet. Mit der Unterscheidung zwischen jenem Wissen, dessen Codierung Thema aktueller Kommunikation ist, und solchem, das als gültig angenommen wird, wird die System-Umwelt-Differenz in das Wissenschaftssystem wieder eingeführt (re-entry, zu dieser Theoriefigur s. Luhmann 1990: 375f.) und so für die Bearbeitung durch das System verfügbar gemacht. Die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung – im engeren Sinne – entsteht erst dann, wenn die Erwartung, dass Wissen relativ einfach angewandt werden kann, enttäuscht wird. Ein typischer Modus der Selbstbeobachtung der Wissenschaft sind Kontroversen zwischen Disziplinen, die sich mit denselben oder ähnlich konstituierten Gegenständen, aber unter anderer theoretischer oder methodischer Perspektive befassen. Die konkurrierende Programmierung macht sich dann in der Referenz auf die Umwelt des Wissenschaftssystems bemerkbar. Es kann beobachtet werden, dass verschiedene Theorien oder Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.8 Kontroversen setzen neben den strittigen Punkten aber große Ähnlichkeiten der beteiligten Disziplinen voraus. Es kann aber auch ganz ohne Kontroversen zur Bildung neuer Disziplinen kommen. Ein Beispiel dafür ist die Pädagogik, die durch die Verwissenschaftlichung der Reflexionstheorien 8 Ein gutes Beispiel hierfür ist der sogenannte Troja-Streit im Sommer 2001, bei dem der Historiker Frank Kolb und der Archäologe Manfred Korfmann über die Bedeutung von Ausgrabungen stritten. Im Kern ging es darum, ob die Ergebnisse des historischen Quellenstudiums oder die der naturwissenschaftlichen Methoden der Archäologie größere Aussagekraft besäßen. Korfmann sagte in seinem Schlusswort bei einer Aussprache zwischen den beiden Wissenschaftlern in Tübingen: »Ich glaube, wir leben in zwei Welten« (die tageszeitung vom 18.2.2002, S.6)
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des Erziehungssystem enstanden ist. Aufgrund der Mehrfachprogrammierung des Wissenschaftssystems kann sich die Disziplinenbildung also sehr unterschiedlicher – wissenschaftsinterner und -externer – Impulse bedienen (Luhmann 1990: 447). Eine Ineinssetzung von Theorien, die unlösbar mit bestimmten Methoden verknüpft sind, und Spezialgebieten bzw. wissenschaftlichen Disziplinen ist daher inadäquat. Die meisten existierenden Disziplinen – z.B. die Soziologie, die Medizin oder auch die Atmosphärenwissenschaft – lassen sich mit einem derartigen Disziplinenbegriff nicht beschreiben. Der Fall, dass eine Theorie gewissermaßen als innere Verfassung einer scientific community fungiert, tritt, wenn überhaupt, nur auf der Ebene kleiner Spezialgebiete auf.9 Auch eine Verdopplung der Begrifflichkeit, mit der zwischen theoretisch integrierten Disziplinen und Lehrfächern unterschieden wird, die Wissen gesellschaftlichen Ansprüchen folgend eklektisch lehren (Heckhausen 1987: 129), löst das Problem nicht. Disziplinen können nur in Ausnahmefällen über das Niveau ihrer theoretischen Integration beschrieben werden (Luhmann 1990: 447). Es ist vielmehr die Anwendung des wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft (welche die Wissenschaft einschließt), die das Wissenschaftssystem strukturiert, weil sie thematische Bereiche schafft, in denen die Bewährung des Wissens vermehrt beobachtet werden kann und damit auch die Chancen für Theoriebildung erhöht. Die Diskussion, ob die disziplinäre Struktur der Wissenschaft als eine segmentäre (Luhmann 1990: 451) oder eine funktionale Differenzierung (Stichweh 1984: 22) begriffen werden muss, ist schwer zu entscheiden. Strukturell können Disziplinen durchaus als ähnliche Segmente beschrieben werden. Sie weisen große Ähnlichkeiten bezüglich professioneller Rollen, der Institutionalisierung und der Kommunikation auf. Doch unterscheiden sie sich thematisch und weisen untereinander einen hohen Grad der Interdependenz auf. Theorieumschwünge in einer Disziplin können Folgen für andere Disziplinen haben, wie es gerade die Evolutionstheorie oder die Kybernetik gezeigt haben. Doch können wissenschaftliche Disziplinen nur in selten Fällen füreinander einspringen. Vermutlich lässt sich die Frage aber auch deswegen nicht unterscheiden, weil sich nicht alle empirisch vorkommenden Subsysteme einem der beiden Idealtypen der Differenzierung zuordnen lassen (Luhmann 1998: 847-865). An dieser Stelle soll eine Definition wissenschaftlicher Disziplinen vorgeschlagen werden, die vorläufig ist, da die wissenschaftliche Dynamik bisher nur von einer Seite, dem Wissenschaftssystem aus, beschrieben 9 Dass sich eine derartige Definition wissenschaftlicher Disziplinen so lange gehalten hat, hat wohl damit zu tun, dass man in der wissenschaftssoziologischen Forschung oft nur wenige naturwissenschaftliche Disziplinen – vor allem die Physik – im Blick hatte.
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wurde. Die Definition bleibt noch etwas formal, weil die Umwelt des Wissenschaftssystems, die letztlich die Disziplinenbildung antreibt und in der u.a. Universitäten, Forschung, Technologie und Politik vorkommen, noch nicht beschrieben ist. Wissenschaftliche Disziplinen werden hier als die primären Teilsysteme des Wissenschaftssystems definiert, die sich herausbilden, weil das Wissenschaftssystem seine gesellschaftliche und (immer schon durch Kommunikation vermittelt) seine außergesellschaftliche Umwelt beobachtet und sich für die Gesellschaft (und diese schließt das Wissenschaftssystem ein) selbst beobachtbar halten muss, um den Leistungsaustausch mit anderen Funktionssystemen sicherzustellen. Dies gelingt auf der Ebene von Themen (nicht auf der Ebene des Codes) – entweder durch den Anschluss an in der Gesellschaft bereits vorhandene Themen oder durch die unwahrscheinlichere Etablierung von Themen, die begrifflich im Wissenschaftssystem formuliert wurden, in anderen Bereichen der Gesellschaft (Verwissenschaftlichung). Sie sind damit per definitionem ein Grenzphänomen und aufgrund der fortlaufenden Beobachtung ständig im Wandel begriffen. Disziplinen verfügen jeweils über ein ganzes Bündel von Programmen und Variationen von Programmen, die auf unterschiedliche Horizonte – auf die außergesellschaftliche Umwelt, auf die Gesellschaft und auf das Wissenschaftssystem selbst – verweisen. Sie schließen sich über die Institutionalisierung von Differenzen und nutzen Ähnlichkeiten aus, um die Anschlussfähigkeit im Wissenschaftssystem aufrecht zu erhalten. Die Ausdifferenzierung setzt sich auf disziplinärer Ebene fort, es entstehen Subdisziplinen und Subsubdisziplinen. Das Wissenschaftssystem mit seinen unterschiedlichen Teilsystemen ist nicht hierarchisch in dem Sinne strukturiert, dass es seine Teilsysteme bestimmen könnte. Alle Teilsysteme und auch die Teilsysteme der Teilsysteme können durch Beobachtungen selektiv auf ihre Umwelt (und nicht nur auf das übergeordnete System) zugreifen. Die Zugehörigkeit zu einem Funktionssystem (und zu einer Disziplin) bietet aber Limitationen, es schränkt ein, mit welchen Unterscheidungen beobachtet werden kann. Alle Teilsysteme des Wissenschaftssystems können nur unter der Verwendung des Wahrheitsmediums operieren. Innerhalb der Disziplinen bleibt dann alles andere möglich. Subdisziplinen müssen berücksichtigen, was auf disziplinärer Ebene bereits entschieden wurde. Ihre Programme sind Spezifizierungen disziplinärer Programme. Oder sie lösen – ihre Operationen sind immer auch Operationen innerhalb einer Disziplin (und innerhalb des Wissenschaftssystems) – andere Entscheidungen auf disziplinärer Ebene aus, die zur Änderung der disziplinären Programme führen (zur Ausbildung von Subdisziplinen s. Luhmann 1990: 455f.).
4 Forschung und Organisation
4.1 Forschung als organisierte Tätigkeit Wenn in der Wissenschaftssoziologie von der Organisation der Wissenschaft die Rede war, wurde »Organisation« oft im Singular, im Sinne einer institutionellen Ordnung verwendet. Aber auch einzelne formale Forschungsorganisationen (Plural) – paradigmatisch sind die Universitäten – wurden schon frühzeitig thematisiert. Dabei wurden diese beiden Sachverhalte nicht immer genau unterschieden, z.B. dann nicht, wenn formale Forschungsorganisationen und wissenschaftliche Disziplinen gleichermaßen als Organisationen behandelt wurden (so bei Weingart 1976). John D. Bernal verwendete den Organisationsbegriff schon früh konsequent im Sinne formaler Organisationen. Da er die wissenschaftliche Tätigkeit als Arbeit (nicht als Profession) begriff, stellte sich die Frage nach den konkreten Arbeitsorganisationen, nach deren Effizienz und deren Zwecken. Er beschreibt eine Vielzahl von Organisationstypen in der Wissenschaft. Neben den Universitäten sind dies z.B. wissenschaftliche Gesellschaften, Regierungsorganisationen, private medizinische Forschungsorganisationen, Industrielabore usw. (Bernal 1973, zuerst 1939: 35ff.). Von der Organisation (Singular!) der Wissenschaft spricht er dagegen nicht. Bernal hält den naturwüchsigen Zustand der Wissenschaft für eine Form zu überwindender Anarchie, die es zu überwinden galt (Bernal 1973: 120f.). Wenn er fragt »Need science be organized?«, begründet er seine positive Antwort mit der unzureichenden Effi-
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zienz der Forschung (Bernal 1973: 133.) und forderte ihre Optimierung. Die disziplinäre Struktur der Wissenschaft und die Organisationen der Forschung fallen bei Bernal nicht automatisch zusammen. Dass in den Universitäten meist nur ein oder zwei Lehrstühle eines Gebietes zu finden sind, beklagte Bernal als ein strukturelles Defizit (Bernal 1973: 263f.). Diese Konzeption des Organisationsbegriffes ermöglicht es Bernal, die Verknüpfungen der Wissenschaft mit anderen Teilen der Gesellschaft aufzuzeigen. Er bekommt in den Blick, dass die Forschung finanziert werden muss, dass Wissenschaft in der Wirtschaft, aber auch im Krieg instrumentalisiert werden kann und dass die Wissenschaft für die Gesellschaft nützlich sein kann. Möglicherweise trug die verbreitete Ablehnung der (marxistisch inspirierten) Wissenschaftssoziologie Bernals dazu bei, dass das Organisieren als gesellschaftliche Gestaltung von Wissenschaft lange skeptisch gesehen wurde. Die Beschreibung der Wissenschaft bei Bernal liest sich noch heute so modern, dass sie den Bezugspunkt der Mode-2-These, d.h. die vormalige Dominanz eines an die Merton’sche Wissenschaftskonzeption angelehnten Mode-1 akademischer, von gesellschaftlichen Zumutungen weitgehend befreiter Wissenschaft, in Frage stellt. Spätestens mit dem Aufkommen der modernen Großforschung fand ein tiefgreifender Wandel der Forschungsorganisation statt. Immer mehr Wissenschaftler arbeiteten als Angestellte in formalen Organisationen der Industrie oder in staatlichen Instituten. Die Folge war eine zunehmende Hybridisierung von Rollen.1 Nicht mehr nur die Verbindung von Forschung und Lehre kennzeichnet das Wissenschaftssystem, sondern z.B. auch die Verbindung von Forschung und Entwicklung (R&D). Ein älterer Fall der Rollenhybridisierung und damit einer nichtakademischen Form der Kopplung von Wissenschaft und Gesellschaft besteht in der Rolle der Mediziner, die sowohl forschen als auch ihre Patienten behandeln (Ben-David 1960). Heute ist eine fortschreitende Diversifizierung von Organisationstypen zu beobachten, in denen Forschung stattfindet, woraus sich die Frage nach der Gültigkeit der institutionellen Normen des Wissenschaftssystems ergibt. Es ist zu vermuten, dass in unterschiedlichen organisatorischen Settings unterschiedliche professionelle Normen und damit auch verschiedene Rollenhybride zu finden sind. Auch die »Profession« der Klimaexperten kann als eine Form der Rollenhybridisierung betrachtet werden. Auf der einen Seite engagieren sie sich in der Grundlagenforschung, auf der anderen Seite sind sie tief in die politischen Prozesse zum Schutz des Klimas involviert.
1 Später wird der Begriff der Hybridisierung – wie auch bei Weingart (2001: 159) – durch den Begriff der strukturellen Kopplung ersetzt, weil der Begriff der Hybridisierung oft bloß ein Ausdruck für die Unangemessenheit von Unterscheidungen ist.
F ORSCHUNG UND O RGANISATION
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Formale Organisationen wurden in der institutionalistischen Wissenschaftssoziologie vor allem angesichts der Inanspruchnahme der Wissenschaft in der Industrieforschung diskutiert (occupation of science, s. z.B. Ellis 1972). Anfangs vermuteten viele Autoren einen Widerspruch zwischen der Sozialisation der Wissenschaftler in den der Grundlagenforschung verpflichteten Universitäten und ihrer späteren Beschäftigung in gewinnorientierten Industrieorganisationen (Evan 1962; La Porte 1965). Aber auch auf Seiten des Managements wurden Probleme vermutet, die sich daraus ergäben, dass der Einfluss des Managements auf die Ergebnisse der Forschungsabteilungen nur sehr beschränkt sein könne (Shepard 1956; Marcson 1961); der Erfolg von Forschung bleibt unsicher. Daher wurde ein potentieller Wertekonflikt (value clash, zur Diskussion s. Barnes 1971) zwischen dem professionellen Ethos der Wissenschaft, wie es von Merton formuliert wurde, und der Forschung in industriellen Arbeitsorganisationen, die durch manageral values gekennzeichnet seien, unterstellt. In Umfragestudien konnte dieser Konflikt allerdings nicht nachgewiesen werden. Mitunter wurde festgestellt, dass die Zufriedenheit der Industrieforscher höher als die der Universitätswissenschaftler war (Barnes 1971; Cotgrove und Box 1970). Im Mittelpunkt dieser Diskussionen stand die Frage, ob wissenschaftliches Wissen durch organisierte Arbeit – z.B. im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses – produziert werden könne, oder ob die Kreativität der Wissenschaftler eine weitgehende Freiheit von organisatorischen Zumutungen voraussetze. Tatsächlich fand diese Diskussion relativ spät statt, so weist Ellis schon Anfang der 1970er Jahre darauf hin, dass in den USA nur noch 6,5% der Wissenschaftler in den Universitäten arbeiteten (Ellis 1972: 198). In neueren Diskussionen über den Wandel der Wissenschaft oder die Wissensgesellschaft wird diese Frage anders beantwortet. Aus der empirischen Tatsache ihrer zunehmenden organisatorischen Heterogenität wird auf einen Bedeutungsverlust traditioneller Formen der (unorganisierten) Wissensproduktion und damit auf eine Entgrenzung des autonomen Wissenschaftssystems geschlossen. Im Hintergrund schwingt dabei immer noch die Vorstellung mit, dass sich autonome Wissenschaftsentwicklung und formale Organisation ausschließen. So behauptet die Autorengruppe um Nowotny und Gibbons, dass das traditionelle, institutionell geprägte Bild der Wissenschaft (science) zunehmend durch eine gesellschaftliche Präferenz für Forschung (research) als Tätigkeit abgelöst werde (Nowotny u.a. 2001: 68, ähnlich auch Latour 1998). Diese These ist nur schwer zu überprüfen, weil das Forschungshandeln lange Zeit nicht untersucht wurde. Diese Nichtbeachtung der Forschung hing erstens mit der diskutierten Fokussierung der Wissenschaftssoziologie auf scientific communities zusammen. Diese wurden als Orte der Reputationsverteilung und der Geltungsprüfung wissen-
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schaftlichen Wissens beschrieben, sie sind aber nicht die Kontexte der Wissensgenerierung. Wissen wird tatsächlich an den verschiedensten Orten in der Gesellschaft produziert. Der zweite Grund besteht in der verbreiteten Gleichsetzung von Wissenschaft und Forschung. Lange schien es so, dass mit der Beschreibung der Geltungsprüfung wissenschaftlichen Wissens auch über die Forschung ausreichend gesagt sei – prototypisch dafür ist schon Poppers Logik der Forschung. Die in Unterkapitel 2.1 (S. 16ff.) referierten Autoren der Mode-2-Gesellschaft neigen zu dem umgekehrten Schluss. Sie glauben, dass mit der Beschreibung der gesellschaftlichen Einbindung von Forschung alles über die Produktion und die Geltungsprüfung von Wissen gesagt sei. Die Notwendigkeit, zwischen Wissenschaftssystem und Forschung zu unterscheiden, entspringt der Beobachtung, dass eine erhebliche Differenz zwischen dem Handeln der Wissenschaftler im Labor und dem, wie dieses Vorgehen später z.B. in Publikationen dargestellt und gerechtfertigt wird, besteht. Barber und Fox haben schon Ende der 1950er Jahre darauf hingewiesen, dass wissenschaftliche Publikationen an den logischen Strukturen der Methoden ausgerichtet werden. Sie stellen dar, welche Bedeutung Forschungsresultate für ein bestimmtes wissenschaftliches Spezialgebiet haben. Experimentalergebnisse, die dieser Funktion nicht dienen, werden dabei ausgelassen, gewissermaßen im Nachhinein falsifiziert (retrospective falsification, s. Barber und Fox 1958: 128). Systemtheoretisch reformuliert, geht es bei Publikationen darum, Wahrheitsansprüche (knowledge claims) für das Wissenschaftssystem beobachtbar und anschlussfähig zu machen. Es lässt sich hier unmittelbar beobachten, wie die Programme des Wissenschaftssystems die Forschung konditionieren. Neue Ergebnisse müssen im Lichte bestehender Theorien interpretiert werden, und es muss gezeigt werden, dass diese unter dem Rückgriff auf anerkannte Methoden zustande gekommen sind, um Resonanzen in der wissenschaftlichen Kommunikation zu erzeugen. Für eine Soziologie der Forschung (sociology of scientific discovery) sind daher – so schon Barber und Fox – Publikationen, die an den Normen der scientific community orientiert sind, als Forschungsgegenstand nicht geeignet. Die Entscheidungen, die in der Forschung getroffen werden, sind nicht nur durch die Logik oder das wissenschaftliche Wissen bestimmt, sondern auch durch die heterogenen Umwelten des Wissenschaftssystems. Ein Beleg hierfür ist z.B. die wichtige Rolle von Zufallsentdeckungen in der Wissenschaft (zum Thema serendipity in science s. auch Barber und Fox 1958; Merton und Barber 2004). Ein radikaler Perspektivwechsel vollzog sich mit den ethnomethodologischen Laborstudien (paradigmatisch bei Latour und Woolgar 1986, zuerst 1979: 27f.; Garfinkel u.a. 1981; Knorr-Cetina 1991, zuerst 1984). Die Produktion von Wissen wurde nun als eine Abfolge von empirisch beobachtbaren Handlungen von Wissenschaftlern im Labor – als Praxis
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– beschrieben (Latour 1988; Gooding 1992). So beruht die klassische Studie von Latour und Woolgar (1986) über das Laboratory Life auf einer zweijährigen Beobachtung der Arbeit in einem biomedizinischen Labor. Der Titel ist bewusst doppeldeutig, referiert er doch auf das künstlich im Labor erzeugte Leben ebenso wie auf den Alltag der Wissenschaftler. Das Labor wird als eine Ansammlung von Artefakten, Papieren, Maschinen und Versuchstieren beschrieben, die in ihrem Zusammenspiel der Produktion von Texten, literary inscriptions dienen (Latour und Woolgar 1986: 52). Die Gesellschaft kommt dabei vor allem in den materiell verfestigten Strukturen der Labore, in Artefakten vor (s. auch Knorr-Cetina 1988). Über die Sozialstrukturen, in denen die Forschung stattfindet und die über das Labor und die Wissenschaft hinausweisen, z.B. über formale Organisationen oder wissenschaftliche Spezialgebiete, erfährt man – trotz einiger Hinweise auf die Organisationsförmigkeit des Labors bei Latour und Woolgar – relativ wenig (Fuchs und Turner 1986: 143). KnorrCetina behebt dieses Problem, indem sie verstärkt auf die spezifischen Formen des Managements wissenschaftlicher Arbeit abstellt, das weniger durch formalisierte Routinen und Hierarchien gekennzeichnet sei. So ergäbe sich die organisatorische Rolle der Wissenschaftler in Großforschungsorganisationen (hier dem CERN) z.B. aus der Zuständigkeit für bestimmte technische Geräte und der damit verbundenen Fachkompetenz, weniger aus ihrer formalen Position in einer Hierarchie (management by content, s. Knorr-Cetina 1999: 171ff.). In den ethnomethodologischen Laborstudien werden die Experimentatoren selbst als kausale Ursache für die Entstehung von Erkenntnis beschrieben. So ist auch die Natur im Labor immer schon das Resultat wissenschaftlicher Arbeit (Knorr-Cetina 1991: 21), d.h. ein Resultat der Aneignung durch Entscheidungen. Es geht im Labor darum, Dinge zusammenzubauen und zum Laufen zu bringen. Diese Rekombinationen wissenschaftlichen Wissens und lokaler Artefakte werden dann unter dem Aspekt des Funktionierens beobachtet (Knorr-Cetina 1991: 24). In der Entscheidungsgeladenheit des Forschungshandelns (Gooding 1992; Knorr-Cetina 1991: 25ff.) findet die vorgeschlagene Fassung des Verhältnisses von Wissenschaft und Forschung einen wichtigen Ansatzpunkt, besonders dann, wenn es um die Organisation von Forschung geht. Welche Themen, Geräte und Ausgangsmaterialen »zusammengebaut« werden und welche theoretischen Überlegungen ihre Auswahl bestimmen, ist nur zu einem geringem Maße durch die Programme des Wissenschaftssystems (Theorien, Methoden, Relevanzen) bestimmt. Das Handeln im Labor ist kontingent aber auch durch Entscheidungen gebunden, die in der Vergangenheit innerhalb der Forschungsorganisation getroffen wurden – lange bevor die eigentlichen Experimente beginnen. Latour und Woolgar (1986: 25) lehnen eine Unterscheidung der sozialen und der intellektuellen Aspekte der wissenschaftlichen Entwicklung
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ab und zwar aus einem interessanten Grund: Sie sehen bei den Autoren, die diese beiden Aspekte getrennt behandeln und die Frage nach dem Zusammenhang stellen, das ungelöste Problem der kausalen Beziehung. Führt die Formation sozialer Gruppen zur Entstehung von Spezialgebieten oder gruppieren sich Wissenschaftler um ein gegebenes Problem? Diese Problemsicht verweist auf die in der Wissenschaftssoziologie weit verbreitete Hoffnung, das Verhältnis von kognitiver und sozialer Dynamik der Wissenschaft mit einer oder mit wenigen Brückenhypothesen zu bewältigen, statt herauszustellen, dass dieses Verhältnis selbst entscheidungsgeladen ist und jeweils spezifische Formen annehmen kann. Die Kopplung von Wissenschaft und Gesellschaft ist kontingent. Ein Problem vieler Studien, die das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft im Blick haben, ist, dass sie meist nur ein einzelnes Spezialgebiet untersuchen. So war die Physik lange ein beliebtes Beispiel der Wissenschaftsforschung. Ihre »Härte« wurde als eine Herausforderung für eine soziale Epistemologie angesehen.2 Die Autoren, die eine zunehmende Integration der Wissensproduktion in die Gesellschaft feststellen, fokussieren aber häufig auf Disziplinen wie die cultural oder die feminist studies, die Atmosphären- oder auch die Umweltwissenschaft, also auf solche, deren Entwicklung von Beginn an durch gesellschaftliche Problemdefinitionen bestimmt war. Für die Wissenschaftssoziologie besteht die Herausforderung darin, der Vielfalt der Forschungsformen und damit der Heterogenität der Kopplungen von Wissenschaft und Gesellschaft gerecht zu werden.
4.2 Forschung als strukturelle Kopplung Wurde die Organisation der Forschung lange als ein Problem für die Autonomie der Wissenschaft diskutiert, geriet mit den ethnomethodologischen Laborstudien die Forschung als eine kulturelle Praxis in den Blick. Dabei kann die Forschung per definitionem nicht autonom sein, weil sie immer schon in die Gesellschaft eingebunden ist. Forschung soll nun als wichtigste (oder typischste) Form der Kopplung des Wissenschaftssystems an seine Umwelt beschrieben werden. Damit ist nicht nur der Gegenstandsbezug wissenschaftlicher Disziplinen gemeint. Auch die Kopplung der Wissenschaft an die Wahrnehmung von Bewusstseinssystemen und vor allem an den Leistungsaustausch zwischen den Funktionssystemen wird u.a. durch Forschung vermittelt; sie verknüpft die hochspezialisierte Kommunikation im Wissenschaftssystem mit der allgemeinen Kommunikation in der Gesellschaft. Doch hat die Forschung kein Monopol auf diese Kopplungsfunktion; auch durch Technologie (Halfmann 2002) oder wissenschaftsbasierte Politik kann das Wissenschaftssystem 2
Ähnliches gilt für die Mathematik, z.B. Bloor (1991).
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mit Leistungen und Rigiditäten versorgt werden. Doch muss die Bindung der Wissenschaft an die Forschung, wie sie sich im 17. Jahrhundert herausgebildet hat, als take off für die Ausdifferenzierung der neuzeitlichen Wissenschaft betrachtet werden (Shapin 1996: 107). Im 3. Kapitels wurde beschrieben, wie komplexe Strukturen durch die Umweltbeobachtung des Wissenschaftssystems und die sich daran anschließenden systemeigenen Operationen aufgebaut werden. Dabei fällt Wissen an; der Widerstand der Realität prägt sich in Form spezifischer Programme in das System ein, eine Folge ist die disziplinäre Innendifferenzierung des Wissenschaftssystems. Die Fassung des Wissenschaftssystems als ein Sinnhorizont, dem sich Kommunikationen zuordnen, in denen unter Verwendung des Wahrheitsmediums über die Geltung von Wissen kommuniziert wird, lässt offen, wie Umweltkontakte des Wissenschaftssystems vermittelt werden können. Damit ist die Frage der Intersystembeziehung angesprochen. Eine Folge der Ausdifferenzierung ist, »dass Außenbindungen abgebaut und in spezifische strukturelle Kopplungen transformiert werden« (Luhmann 2002: 18). Forschung soll hier – etwas anders als bei Luhmann, der vor allem die Kommunikation über Forschung im Wissenschaftssystem im Blick hat – als strukturelle Kopplung – oder auch als konditionierte Koproduktion (Fuchs 2002) von Operationen im Wissenschaftssystem und der Gesellschaft – untersucht werden. Dieses Vorhaben kann seinen Ausgang von einer systemtheoretischen Reformulierung der Erkenntnisse der ethnomethodologischen Laborstudien nehmen, in denen festgestellt wurde, dass in der Forschung nicht nur wissenschaftlich kommuniziert wird. Forschung ist vielmehr ein Amalgam aus Alltagskommunikationen, Interaktionen und organisatorischen Entscheidungen, die sich auf verschiedene Systemreferenzen beziehen. Die Codierung des Wissenschaftssystems bindet die Forschung nicht. Zwar erhöht die Beobachtung der Programme des Wissenschaftssystems die Chancen des Anschlusses wissenschaftlicher Kommunikation, man kann aber auch andere Dinge ausprobieren, z.B. als unwahr codiertes Wissen (hypothetisch) als wahres Wissen behandeln oder ungesichertes Wissen als gesichertes annehmen und sehen, was dann passiert. »Wissenschaftlichkeit« wird im Nachhinein, bei der Erstellung von Publikationen, in denen andere Publikationen zitiert werden, hergestellt. Das Labor selbst ist – wie es Knorr-Cetina ausdrückt – ein Ort verdichteter Gesellschaft (Knorr-Cetina 1988). Mit den Mitteln der Systemtheorie kann gerade dort strukturelle Kopplung beobachtet werden. Klassisch wurde das Problem der »Nichtwissenschaftlichkeit« der Forschung mit der Unterscheidung von context of discovery und context of justification gefasst. Innerhalb des wissenssoziologischen Paradigmas, in dem von einer engen Bindung von Wissen und Sozialstruktur ausgegangen wurde, löste man das Problem mit Phasenmodellen. Für prä-
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oder postparadigmatische Phasen kann der Zusammenhalt von scientific communities nicht mit der Bindekraft von Paradigmen erklärt werden; die Gründe für den Fortbestand einer wissenschaftlichen Gemeinschaft und für die Wahl eines neuen Paradigmas müssen von außerhalb bezogen werden. Die Differenz zwischen dem Forschungshandeln und der wissenschaftlichen Kommunikation wird so temporalisiert, das Auftreten von Interessen oder die soziale »Verunreinigung« der Forschung als nur vorübergehend – als Störung – gedacht. In dieser Arbeit wird dagegen angenommen, dass die verschiedenen Phasen oder Modi der wissenschaftlichen Entwicklung nicht alternieren, sondern sich synchron in einem Prozess der Koevolution befinden. Die Beobachtung des Wissenschaftssystems im Rahmen von Forschung verbraucht ebenso Zeit wie die Irritation des Wissenschaftssystems durch Forschungsresultate. Dennoch »verharren« die Operationen im Wissenschaftssystem nicht, bis Forschungsergebnisse vorliegen, und in der Forschung wird nicht gewartet, bis die wissenschaftlichen Disziplinen das für die Bearbeitung von Problemen benötigte Wissen bereithalten. Fehlendes Wissen ist ein produktiver Anlass für neue – möglicherweise interdisziplinäre – Forschung. Immer dann, wenn Forschungsergebnisse die wissenschaftliche Kommunikation irritieren, beginnt ein Prozess, der zu Mikro-Schließungen führen kann, wenn im Wissenschaftssystem Codierungen geändert werden und es Verschiebungen innerhalb des medialen Substrats »Welt« gibt. Die Wissenschaftsdynamik ist nur selten revolutionär, sie vollzieht sich als structural drift (zu dieser Theoriefigur s. Luhmann 1990: 279). Strukturelle Kopplung beruht auf Mehrsystemereignissen, die von einem externen Beobachter als Einheit beobachtet werden können, aber von den beteiligten Systemen als jeweils eigene, d.h. anschlussfähige Operation behandelt werden müssen (Luhmann 1998: 92f.). Mit der Emergenz eines Systems wird eine Grenze in das bis dahin ununterschiedene Realitätskontinuum eingeprägt, die dieses digitalisiert. Die Realität bleibt dabei als ein Kontinuum bestehen. Ein soziales System ist auf diese Weise immer schon in seine Umwelt eingepasst, d.h. mit dieser strukturell verkoppelt. So hat sich auch das Wissenschaftssystem aus der allgemeinen gesellschaftlichen Kommunikation ausdifferenziert. Die Herausbildung der Forschung als Probehandeln, das die Gesellschaft weitgehend von seinen Folgen entlastet, ist eine Bedingung der Möglichkeit dieses Ausdifferenzierungsprozesses. Dennoch sind alle Operationen im Wissenschaftssystem Operationen im Gesellschaftssystem. Auch im Wissenschaftssystem wird Sprache als allgemeines Medium der Gesellschaft benutzt (zur strukturellen Kopplung in der Sprache s. Luhmann 1990: 47f.), aber nur im Wissenschaftssystem wird die Kommunikation durch das Wahrheitsmedium dirigiert. Fachsprachen dienen dabei einer zusätzlichen Markierung der Kommunikation.
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Die Vermittlung von Leistungen anderer Funktionssysteme an das Wissenschaftssystem durch Forschung ist eine Bedingung dafür, dass die Kommunikation im Wissenschaftssystem überhaupt weiterlaufen kann. Forschung kostet Geld, es muss Personal rekrutiert werden, rechtliche Rahmenbedingungen müssen beachtet und teure Geräte und Präparate beschafft werden. Wenn Forschung teuer oder riskant ist, bedarf es zusätzlicher Legitimation. Das Labor repräsentiert insofern die »Gesellschaft«, dass hier ein großer Teil der Leistungen, derer die Wissenschaft bedarf, durch komplexe organisatorische Entscheidungsprämissen wie Infrastrukturen, Geräte, Personal und Organisationsziele bereits vorstrukturiert sind. In der Forschung werden komplexe Rekombinationen wissenschaftlichen (und nichtwissenschaftlichen) Wissens hergestellt, die unter dem Aspekt des Funktionierens oder des Nichtfunktionierens beobachtet werden können. Das Rekombinieren bleibt dabei nicht allein auf den Umgang mit technischen Artefakten oder »natürlichen« Gegenständen im Labor beschränkt. Es bezieht die kommunikative Herstellung der Bedingungen für die Durchführung von Experimenten mit ein. Auch Entscheidungen in Organisationen darüber, Projekte zu bestimmten Fragestellungen durchzuführen oder gar »Realexperimente« in der Gesellschaft anzuregen, müssen als Bestandteil von Forschung begriffen werden. Von Forschung soll hier gesprochen werden, wenn unter Rückgriff auf (wissenschaftliches) Wissen entschieden wird und die Folgen dieser Entscheidungen beobachtet und kommuniziert werden. Kurz: Unter Forschung verstehen wir das (gezielte) Organisieren von Bewährungschancen für wissenschaftliches Wissen. Anhand des Funktionierens oder auch des Nichtfunktionierens von Rekombinationen kann im Wissenschaftssystem Bewährung oder Nichtbewährung beobachtet werden. Damit ist – weil Wissenschaft und Forschung unterschieden sind – keine automatische Übereinstimmung dieser beiden Unterscheidungen gemeint. Auch das Nichtfunktionieren von Experimenten kann im Wissenschaftssystem – dies hängt von dem Erwartungshorizont ab – als Bewährung von Theorien beobachtet werden (oder vice versa).
4.3 Probleme und Projekte Im Wissenschaftssystem wird die Forschung beobachtet und dazu »benutzt«, komplexe Strukturen – d.h. Wissen – aufzubauen. Dabei konditionieren die Programme des Wissenschaftssystems die Anwendung des wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft. Dadurch wird es für das Wissenschaftssystem möglich zu beobachten, ob Erwartungen, die unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen formuliert wurden, eintreten oder nicht. Diese Fassung wirft die Frage auf, warum Forschung
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überhaupt stattfindet. Man kann vorerst bei der klassischen Fassung bleiben, dass Forschung Problemlösen sei (Polanyi 1967; Popper 1969; Laudan, 1977: 11f.; Laudan, 1981).3 Es muss dann aber gefragt werden, wie Probleme in der Gesellschaft aufkommen, wie sie effektiv bearbeitet werden können und welche Konsequenzen ihre Lösung für das Wissenschaftssystem und die Gesellschaft hat. Der Problembegriff verweist in sozialen Systemen – und damit sowohl im Wissenschaftssystem als auch im Gesellschaftssystem – darauf, dass registrierte Irritationen nicht ignoriert werden können, sondern dass diese jeweils systemspezifische Operationsketten in Gang setzen. Dazu muss mit der Unterscheidung Problem/Problemlösung beobachtet werden. Problemlösen bedeutet zunächst, dass das, was als Irritation registriert wurde, in den Erwartungshorizont des Systems integriert wird und so Überraschungen in Erwartungen transformiert werden. Im Wissenschaftssystem stellt sich ein Problem als eine Unentschiedenheit der Codezuweisung dar (Luhmann 1990: 421), die kognitiv, d.h. durch die Änderung der Codierung (und nicht durch das Ignorieren des Problems) gelöst werden soll. Problemlösungen bestehen dann in Zuweisungen einer der beiden Codewerte wahr/unwahr auf Sätze, die mit den Programmen des Wissenschaftssystems konsistent sind oder, um das System wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, die Herausbildung neuer Theorien oder Methoden stimulieren. Die Probleme, die in der Forschung gelöst werden müssen, sind heterogener. Neben solchen, die sich aus der unbestimmten Codierung im Wissenschaftssystem ergeben, gilt es auch die Probleme des Leistungsaustauschs mit anderen Funktionssystemen zu bearbeiten. Forschung erfordert Drittmittelanträge, Wissenschaftler müssen auf den Fortgang ihrer Karriere achten, bestimmte Arten der Forschung sind ethisch nicht möglich usw. Kurz: Forschung erfordert die Thematisierung der gesellschaftlichen Bezüge des Wissenschaftssystems in ihrer ganzen Breite.4 Klassifizierungen von verschiedenen Forschungstypen gehen häufig von der Art der Probleme aus. So bezieht die Grundlagenforschung Probleme aus dem Wissenschaftssystem, indem sie dieses nach Inkonsistenzen oder offenen Codezuweisungen »absucht«. Theorien und Methoden dienen dabei als ergiebige Problementdeckungshilfen (Luhmann 3 Jacobs (2001) kritisiert die Sichtweise, dass alle Wissenschaft Problemlösen sei, die aus Inkonsistenzen des wissenschaftlichen Wissens erwachsen, und führt u.a. die systematische Kartierung von Himmelskörpern, unerwartete Resultate von Experimenten, Zufallsentdeckungen oder Entdeckungen, die durch einfaches »Herumprobieren« zu Stande kommen, als Gegenbeispiele ins Feld. Diese Sicht lässt sich aber gut integrieren, wenn man davon absieht, nur Theorieprobleme und Inkonsistenzen des wissenschaftlichen Wissens als den Ausgangspunkt wissenschaftlicher Forschung zu betrachten. Epstein kommt zu der Einschätzung, dass Debatten in der Wissenschaft (in 4 die hiesige Theoriesprache übersetzt: in der Forschung) immer auch Debatten über die gesellschaftlichen Bezüge der Wissenschaft sind (Epstein 1996: 3).
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1990: 426). In der anwendungsorientierten Forschung werden dagegen spezifische Probleme von Organisationen oder auch anderer Funktionssystemen bearbeitet. Diese Anwendungsprobleme ergeben sich aus der Rekombination des wissenschaftlichen Wissens mit dem lokalen Wissen der Anwendungskontexte; oft gelingt dies, ohne dass starke Irritationen im Wissenschaftssystem auftreten. Die Lösung außerwissenschaftlicher Probleme ist für die Forschung dann attraktiv, wenn sie gleichzeitig Probleme des Leistungsaustauschs lösen kann. Die zunehmende Bedeutung von Drittmittelforschung ist dafür ein Zeichen. Häufig bleibt das dabei anfallende neue Wissen an die organisatorischen Kontexte seiner Erzeugung gebunden oder es wird patentrechtlich geschützt, wodurch es der wissenschaftlichen Kommunikation u.U. nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Dennoch kann man auch in der anwendungsorientierten Forschung darauf hoffen, dass Probleme auftauchen, die für die wissenschaftliche Entwicklung von Bedeutung sind, d.h. Chancen der Bewährung (oder auch der Nichtbewährung) bieten. Gesellschaftliche Probleme unterscheiden sich von den Problemen der Wissensanwendung dadurch, dass sie unspezifisch und diffus in mehreren Funktionssystemen gleichzeitig oder – z.B. im Fall von Protest – außerhalb der Funktionssysteme (s. auch Tabelle 3)5 registriert werden. Diese Irritationen breiten sich entlang bestehender struktureller Kopplungen aus. So wird in der modernen Gesellschaft die erfolgreiche Lösung von Problemen unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen erwartet. Probleme machen sich dann in der Enttäuschung dieser Erwartung – z.B. im Nichtvorhandensein von Wissen – bemerkbar. Im Wissenschaftssystem wird die resultierende Unbestimmtheit als Nichtwissen, in der Gesellschaft als Unsicherheit registriert. Gesellschaftliche Probleme ergeben sich damit nicht nur aus den praktischen Schwierigkeiten der Wissensanwendung, sondern die Realitätsbeschreibung unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen wird selbst problematisch. Eine weitere Folge gesellschaftlicher Probleme ist, dass der Leistungsaustausch zwischen der Wissenschaft und anderen Funktionssystemen prekär wird. Weder die Strategie der Problemlösung noch die zu fördernden Forschungsstränge sind ohne Weiteres zu identifizieren. Die Ausdifferenzierung ist in dem Sinne unvollständig, dass das Problem nicht mit Rückgriff auf die existierenden Programme der einzelnen Funktionssysteme gelöst werden kann. Gesellschaftliche Probleme können daher als Probleme der Ausdifferenzierung beschrieben werden (Luhmann 1998: 803). Ihre Lösung setzt dann neue Ausdifferenzierungsprozesse in Gang. In der Folge kommt es zu strukturellen Änderungen innerhalb der Funktionssysteme. Angesichts des Problems der anthropogenen Zerstörung der Ozonschicht mussten im Wissenschaftssystem Wahrheitswerte 5 Zu der für die Systemtheorie schwierig einzuordnende Form der Protestbewegung s. Luhmann (1996).
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Wahrnehmung von Problemen . . .
im Wissenschaftssystem
in anderen Funktionssystemen
Grundlagenforschung angewandte Forschung problemorientierte Forschung
ja nein ja
nein ja ja
Tabelle 3: Verschiedene Typen der Forschung und ihr Problembezug
neu verteilt werden, im politischen System kam es mit der Entstehung neuer Politikfelder zur Umverteilung von Macht, im Rechtssystem mussten neue Gesetze geschaffen werden, was nicht zuletzt die Zahlungsfähigkeit von Wirtschaftsunternehmen beeinflusste. Von einer Problemlösung kann immer dann gesprochen werden, wenn es durch eine Koevolution verschiedener Funktionssysteme zu neuen Formen struktureller Kopplung kommt, die die Zuweisungen der Codewerte in den einzelnen Systemen konditional miteinander verbinden. Internationale Umweltregime in ihrer ganzen organisatorischen Komplexität können als Ergebnisse solcher Ausdifferenzierungsprozesse verstanden werden. Die Unterscheidung von disziplinärer, interdisziplinärer oder transdisziplinärer Forschung bezieht sich dann auf den nächsten Schritt der Problemformulierung, auf die Strategien der Realitätsbeschreibung. Es wird unterschieden, ob die Probleme mit den Theorien und Methoden einer Disziplin bearbeitet werden können oder ob auf das Wissen mehrerer Disziplinen zurückgegriffen werden muss. Doch bleibt die Unterscheidung von disziplinär und interdisziplinär unscharf, weil Forschung, in der das Wissen nur einer Disziplin rekombiniert wird, ein kaum zu beobachtender Grenzfall ist. So ist die moderne Forschung derart von technischen Geräten und Instrumenten abhängig, dass das Wissen anderer Disziplinen samt ihren Theorien – geradezu unbemerkt – als black boxes6 in die Rekombinationen einfließen. Beispiele hierfür sind die Mathematisierung und später die Computerisierung fast aller Naturwissenschaften, aber auch der Einsatz elektronischer Messinstrumente usw. Normalerweise wird dieser routinemäßige Rückgriff auf das Wissen anderer Disziplinen nicht als Interdisziplinarität betrachtet, weil dieses Wissen schon als – wenn auch sehr spezifische – Technik seinen Weg in die Gesellschaft gefunden hat.7 6 Dieses Motiv bezog sich in der Wissenschaftssoziologie nicht nur auf Techniken im engeren Sinne, sondern auf den gesamten Prozess der Wissensproduktion, eine black box, die es für soziologische Untersuchung zu öffnen galt (zur Übersicht s. Pinch 1992). 7 Auch Laborgeräte sind funktionierende Simplifikationen, und zwar solche wissenschaftlichen Wissens. Zur Fassung von Technik als funktionierende Simplifikation (Halfmann 1996, 2002).
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Innerhalb des Systems wissenschaftlicher Disziplinen setzt sich die Tatsache fort, dass gesellschaftliche Probleme als Probleme der Ausdifferenzierung gefasst werden müssen. Es ist am Anfang oft nicht klar, mit welchem Wissen eine dem Problem angemessene Realitätsbeschreibung möglich ist, und in welchen Disziplinen dieses gefunden werden kann. Wird die beschriebene »alltägliche« Interdisziplinarität kaum als solche registriert, weil ihr Funktionieren das Ergebnis von Ausdifferenzierungsprozessen ist, sind gesellschaftliche Probleme – so wie sie auch von der Wissenschaftskritik wahrgenommen werden – Krisen des Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Problemlösung besteht dann in der Rekonfiguration von Spezialgebieten oder Subdisziplinen und führt in seltenen, aber umso spektakuläreren Fällen auch zur Entstehung neuer wissenschaftlicher Disziplinen. Dass die Bearbeitung der Differenz von Problem und Problemlösung unbeabsichtigte Effekte im Wissenschaftssystem haben kann, wird am Beispiel der Großforschung sichtbar. Die Probleme, die dort zu lösen waren, erzeugten einen enormen Verweisungsüberschuss und damit Anschlussprobleme, die neue Forschungsprogramme stimulierten. Die Beurteilung der Ergebnisse der Großforschung an den ursprünglich strategischen Zielen scheint im Nachhinein geradezu unangemessen. Auch wenn viele ihrer hochfliegenden Visionen niemals erreicht wurden, lässt sich die Bedeutung der Großforschung für die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissen nicht überschätzen. Der Erfolg der Großforschung wird gewissermaßen im Nachhinein an den Maßstäben der autonomen Wissenschaft beurteilt. Auf der anderen Seite beflügelt auch die Grundlagenforschung in vielen Fällen die Technologieentwicklung. Die Hochenergiephysik ist dafür das Beispiel par excellence. So erforderte der Bau großer Teilchenbeschleuniger die Lösung enormer technischer Probleme, die z.B. die Entwicklung von Supercomputern, von Supraleitern und leistungsstarken Magneten stimulierten. Die Unterscheidung Problem/Problemlösung wird in der Forschung zum Anlass genommen Projekte zu initiieren. Mit dem Start von Projekten beginnt Forschung als ein Prozess des Organisierens. Mit der zunehmenden Formalisierung der Projektorganisation, die z.B. das Ausformulieren von Projektanträgen erfordert, werden Problemformulierungen in der Forschung mehr und mehr beobachtbar. Problemformulierungen enthalten eine Beschreibung der Fragestellung entlang des vorhandenen wissenschaftlichen Wissens, eine Vorstellung dessen, worin die Problemlösung bestehen könnte und welche Arbeitsschritte durchgeführt werden müssen, um diese zu erreichen. Eingepasst wird dies gewöhnlich in einen mehr oder weniger genauen Zeitplan (s. auch Luhmann 1990: 536). Forschung, die das Ziel hat Resonanzen im Wissenschaftssystem auszulösen, ist auf die Projektform angewiesen, weil die Wissenschaft Forschung nur aufgrund von Ergebnissen – d.h. eingetretenen oder ent-
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täuschten Erwartungen – beobachten kann. Die Form der Publikation markiert Ergebnisse, die den Anspruch erheben, im Wissenschaftssystem wahrgenommen zu werden. Zunehmend erfolgt die Periodisierung der Forschung auch durch wissenschaftsexterne Anforderungen, z.B. durch die zeitliche und finanzielle Begrenzung von Projekten oder auch durch die für die Ozon- und Klimaforschung typischen AssessmentBerichte, in denen politisch relevantes wissenschaftliches Wissen regelmäßig zusammengefasst wird. Die Projektförmigkeit der Forschung soll hier nicht – wie bei Luhmann – kritisiert werden (Luhmann 1990: 338, 613). Zwar kann man bedauern, dass ein immer größerer Aufwand betrieben werden muss, um Projekte zu explizieren und zu legitimieren. Der Abschluss von Forschung ist aber eine Voraussetzung dafür, dass die Ergebnisse in der wissenschaftlichen Kommunikation beobachtet werden können. Das Wissenschaftssystem muss das Vorher und das Nachher unterscheiden können, um zu entparadoxieren, dass ein hochgradig bewährtes Medium der Weltbeschreibung ständig korrigiert werden muss. Aus der Projektförmigkeit der Forschung ergibt sich ihre Affinität zur Organisation (Luhmann 1990: 338).
4.4 Forschungsorganisationen Luhmann selbst hat zu Forschungsorganisationen – hier gemeint als formale Organisationen – relativ wenig geschrieben (Luhmann u.a. 1992: 122), auch wenn er an verschiedenen Stellen - dann oft in hochschulpolitischen Kontexten - die Eigenarten von Universitäten pointiert umrissen hat (Luhmann 1975, 1987; Luhmann u.a. 1992). Luhmann vermutet, dass sich die meisten Organisationen einzelnen Funktionssystemen zuordnen lassen (Luhmann 1990: 678), weil sich ihre Entstehung jeweils funktionssystemspezifischer Probleme verdankt. Die Verbindung von Forschung und Lehre in der Universität kann aber nicht wie bei Luhmann als Anomalie begriffen werden (Luhmann 1990: 657). Die Hybridisierung von Funktionsreferenzen ist typisch, da es in Organisationen um den Leistungsaustausch an den Grenzen verschiedener Funktionssysteme geht. In diesem Sinne sind die meisten Organisationen boundary organizations. Damit wird eine Verallgemeinerung dieses Konzepts vorgeschlagen, welches ursprünglich nur den Spezialfall von Organisationen meinte, die den expliziten Organisationszweck haben, an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik zu vermitteln (Star und Griesemer 1989; Miller 2001). Organisationen sind eine spezifische Form sozialer Systeme, die sich über Entscheidungen schließen (zu den Problemen einer systemtheoretischen Organisationstheorie s. Luhmann 1964; Baecker 1999; Luhmann 2000; Tacke 2001b). Die Form der Entscheidung stellt sich für
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einen Beobachter als eine auf Personen zurechenbare Wahl8 aus Alternativen dar. Die Kommunikation von Entscheidungen bedient sich dann der Unterscheidung vorher/nachher. Organisationen sind daher ebenfalls autopoietische, selbstreferentiell geschlossene Systeme; Entscheidungen werden an Entscheidungen angeschlossen. Die meisten Organisationen sind in ihrer Zweckprogrammierung an einem oder mehreren Funktionssystemen orientiert – nicht aber auf der Ebene ihrer Operationen. Es gibt politische Organisationen, Wirtschaftsorganisationen, Forschungsorganisationen usw., aber eben auch intersystemische Organisationen wie öffentliche Unternehmen (Bode und Brose 2001) und die meisten Forschungsorganisationen. Auf der anderen Seite ist die Multireferentialität der Operationen eine wichtige Voraussetzung für den Fortbestand formaler Organisationen. Wichtiger als ihre Zweckprogrammierung ist hier die Fähigkeit von Organisationen, Funktionssysteme strukturell miteinander zu verkoppeln und so den Leistungsaustausch zwischen den Funktionssystemen und die Inklusion von Bewusstseinssystemen zu ermöglichen. Die strukturelle Verkopplung des Wissenschaftssystems in der Gesellschaft erfolgt zu einem großen Teil in der organisierten Forschung. Tania Lieckweg unterscheidet drei Weisen des Bezugs von Organisation und struktureller Kopplung: erstens Organisation als Voraussetzung struktureller Kopplung, zweitens Organisation als strukturelle Kopplung und drittens Organisation als Vermittler struktureller Kopplung. Die erste Formulierung verweist auf die grundlegende Bedeutung von Organisationen in der Systemtheorie. Sie befassen sich mit den Folgeproblemen funktioneller Differenzierung und sind so eine Voraussetzung dafür, dass diese überhaupt möglich ist. Nur sie sind in der Lage, Irritationen in Funktionssystemen in anschlussfähige Kommunikation zu übersetzen (Liekweg 2003: 62) und so die gesellschaftliche Kommunikation auf die hochspezialisierten Funktionssysteme zu »fokussieren«. Dies gelingt dadurch, dass sie die komplexen Voraussetzungen funktionaler Differenzierung mit bearbeiten und den Leistungsaustausch mit anderen Funktionssystemen sicherstellen können. Durch Entscheidungen, die die Organisationen in der Zukunft binden, werden die komplexen Voraussetzungen für diesen Leistungsaustausch auf Dauer gestellt. Dirk Baecker spricht in diesem Zusammenhang von »gezielter Kommunikation« (Baecker 1999: 57). Die anderen beiden Unterscheidungen sind dagegen nicht trennscharf, da sich die Rede von Organisation als strukturelle Kopplung auf die Exklusivität der Kopplung bezieht. In dieser Perspektive sind sie 8 Der Eindruck der Wahl ist selbst ein Bestandteil des Beobachtungsschemas Entscheidung. Oft werden Ereignisse in Organisationen erst im Nachhinein in Entscheidungsform gebracht. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass Organisationen an diese weitere Entscheidungen anschließen können (zur »Paradoxie des Entscheidens« s. vor allem Luhmann 2000: 123-152).
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selbstverständlich selten. Auch hier wird das Beispiel der Universität als Sonderfall einer Organisation genannt, deren Zweck die Kopplung von Wissenschaftssystem und Bildungssystem ist (Liekweg 2003: 62). Implizit wird damit unterstellt, dass die Universitäten in der Lage sind, das Problem der strukturellen Kopplung für das gesamte Wissenschaftssystem zu lösen. Doch bleibt die programmatische Verbindung von Forschung und Lehre in der Universität prekär und löst sich mit der Forderung, die Forschung über Drittmittel zu finanzieren, möglicherweise auf. Drittmittelfinanzierte Forschung muss ihren Leistungsbedarf explizit legitimieren; sie ist daher auf die indirekte Legitimation durch die Ausbildung von Studenten nicht mehr angewiesen. Möglicherweise wird sie mit den hohen Lehranforderungen der Massenuniversitäten gar dysfunktional (Schimank 1995b). Streng genommen ist die Kopplung eines Funktionssystems durch einen einzigen Organisationstyp ein Zeichen für die unvollständige Ausdifferenzierung, wie sie sich für das Wissenschaftssystem im Zeitalter der Akademien beobachten ließ. Aber schon mit dem Aufkommen der Forschungsuniversität entstanden auch andere Organisationstypen, die strukturelle Kopplung vermittelten. So blieben die Akademien bestehen, auch wenn sie andere Funktionen, z.B. die der Politikberatung, übernahmen. Andere Formen sind wissenschaftliche Verlage, Fachgesellschaften, Museen und Industrielabore. Spätestens mit der Entstehung der Großforschung ist die Identifizierung von Universität und Wissenschaft eine Illusion, die sich aus einem überkommenen Idealbild der Wissenschaft ergibt. So ist es der Kern der big science-These, dass das Wachstum der Wissenschaft auf neue Organisationsformen angewiesen ist (de Solla Price 1963). Systemtheoretisch gesprochen: Die immer weiterlaufende Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems erzeugt neue Formen struktureller Kopplung. Dabei lassen sich zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen große Unterschiede der Forschungsorganisation beobachten. So gibt es Disziplinen, die nach wie vor hauptsächlich von der Universitätsforschung abhängig sind. Dies gilt vor allem für die Kultur- und Geisteswissenschaften. In anderen Disziplinen spielt die Universitätsforschung dagegen eine geringere Rolle. Es kann vermutet werden, dass die methodischen Programme des Wissenschaftssystems auch die Form der Forschungsorganisation konditionieren. So ist es in der Biotechnologie wahrscheinlicher, dass relevante Forschungsergebnisse in profitorientierten Unternehmen entstehen als in den Geisteswissenschaften. Ein anderes Beispiel dafür, dass die Methoden der Wissenschaft die Organisationsformen der Forschung konditionieren, sind die Experimente, die zur Untersuchung der Ursachen für das antarktischen Ozonloch durchgeführt wurden (s. Unterkaptel 5.6.3). Betrachtet man Universitäten als strukturelle Kopplung, ist es nicht einsichtig, warum Großforschungs- oder Industrieforschungsorganisa-
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tionen nicht ebenfalls als strukturelle Kopplung begriffen werden können – leisten sie doch Ähnliches für das Wissenschaftssystem. Sie verkoppeln dieses strukturell mit anderen Funktionssystemen und stellen so spezifische Formen des Leistungsaustauschs auf Dauer. Viele empirische Studien über die Organisation der Forschung in den Universitäten, in der modernen Großforschung, aber auch in der Industrieforschung haben große Ähnlichkeiten und eine zunehmende Konvergenz organisatorischer Strukturen gezeigt. Die Forschung an den Universitäten wird in vielen Bereichen, wie z.B. der Pharmaforschung kommerzieller und auf den Wissenschaftlern lastet der Druck, verwertbare Ergebnisse zu produzieren. Dagegen braucht die Forschung in der Industrie einen gewissen Grad an Freiheit. Aufgrund der Offenheit ihrer Ergebnisse erfordert sie flache Hierarchien und das Management kann nicht über ihre Ergebnisse entscheiden. Zudem lassen sich Spitzenwissenschaftler nur dann einstellen, wenn die mit der wissenschaftlichen Profession verbundenen Freiheiten – z.B. Publikationschancen und die Arbeit an eigenen Themen – eingeräumt werden (s. verschiedene Fallstudien, z.B. Mirowski und Van Horn 2005; Furukawa und Goto 2005). In der systemtheoretischen Organisationsforschung standen bisher vor allem Unternehmen und Verwaltungsorganisationen im Mittelpunkt. Dabei lag das Hauptaugenmerk auf Entscheidungsprämissen in Form von programmierten Hierarchien, von Kommunikationswegen und Stellen (Luhmann 1964, 2000). Doch erscheint eine derartige Bestimmung formaler Organisationen als eine Engführung, wenn man betrachtet, welche Rolle ihnen an anderer Stelle als Voraussetzung struktureller Kopplung eingeräumt wird. Das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft ist in der Systemtheorie immer noch nicht vollständig ausgearbeitet (eine ähnliche Einschätzung s. Tacke 2001a: 7), ein Problem, welches auch hier nicht gelöst werden kann. Doch sollen Organisationen über ihre Kopplungsfunktion beschrieben werden, die immer auch eine Entkopplungsfunktion in dem Sinne ist, dass sie als Interdependenzunterbrecher zwischen den Funktionssystemen wirken. Die operative Schließung von Funktionssystemen aufgrund abstrakt codierter Kommunikationsmedien erfordert die komplementäre Herausbildung formaler Organisationen, die in der Lage sind Personen zu inkludieren, den Leistungsaustauschs zwischen den Funktionssystemen zu vermitteln und die damit verbundenen Übersetzungsleistungen zu erstellen (Lieckweg und Wehrsig 2001). In der Wissenschaftsgeschichte lässt sich dieser Prozess gut beobachten. Die Autonomie der Wissenschaft wird zuerst mit der Gründung der Royal Academy politisch zugesichert. Mit diesem take off der Ausdifferenzierung sind das noch sehr rudimentäre Wissenschaftssystem und seine Organisation quasi in eins gesetzt. In dem Maße, in dem die moderne, empirische Wissenschaft an den Universitäten institutionalisiert wird, verbreitert sich ihre organisa-
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torische Basis. Es gibt jetzt viele Universitäten. Die dazu parallel verlaufende Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen zeigt an, dass damit die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems eine neue Stufe erreicht. Aber nicht die Disziplinen wurden organisiert, es kam nicht zur Gründung von Physik- oder Mathematikhochschulen. Mit der Einrichtung von Fakultäten und Departments versuchte jede einzelne Universität, die Einheit des Wissenschaftssystems organisationsintern zu repräsentieren, aber auch innerhalb der Organisation anschlussfähig zu halten. Dadurch, dass immer neue Organisationstypen das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft regulieren, ist es nicht mehr nötig, das gesamte Wissenschaftssystem in einer einzigen Forschungsorganisation zu repräsentieren, wie es einst die Idee der Universität war. Es reichen jetzt Ausschnitte. Dennoch referieren auch die Abteilungen nichtuniversitärer Forschungsorganisationen häufig auf die disziplinären Strukturen des Wissenschaftssystems. Die Ausdifferenzierung von wissenschaftlichen Disziplinen und Forschungsorganisationen verläuft so orthogonal zueinander. Angestellte verschiedener Forschungsorganisationen liefern Beiträge zur wissenschaftlichen Kommunikation und in den meisten Forschungsorganisationen sind mehrere Disziplinen vertreten. Auf diese Weise werden auch interdisziplinäre Forschungsprojekte möglich. Dabei wird Interdisziplinarität nicht mehr an der Einheit der Wissenschaft orientiert, sondern vor allem an wissenschaftsexternen Spezialproblemen. Zum Ausdruck kommt dies in der für große Forschungsorganisationen typischen Matrixstruktur: In disziplinären Departments, die vor allem für die Einstellung qualifizierten Personals zuständig sind, wird der Anschluss an die professionelle Struktur der Gesellschaft sicher gestellt. Die Forschung findet dagegen überwiegend in problemorientierten, interdisziplinären Projektgruppen statt (Sutton 1984).
4.5 Zusammenfassung: Die Organisation von Interdisziplinarität In der vorgeschlagenen Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung werden die Anlässe für die Rekombination wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft verortet. Die Grundlagenforschung ist dabei ein Spezialfall, in dem sich die Forschung vor allem am Wissenschaftssystem (als einem Teilsystem der Gesellschaft) orientiert. Daher muss das Bild, dass die anwendungs- oder die problemorientierte Forschung durch ihre Außenorientierung, die Grundlagenforschung aber durch ihre Innenorientierung gekennzeichnet sei, korrigiert werden. Damit wird die Beobachtung von Krohn und Küppers geteilt, dass wissenschaftliche Disziplinen – wie der Rest der Gesellschaft auch – in der Umwelt von Forschung verortet werden müssen (Krohn und Küppers 1989: 26). Da aber
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autopoietische Systeme Eigenkomplexität als Ergebnis von Umweltbeobachtungen aufbauen, die zum Anlass für Strukturänderungen genommen werden, kann die Geringschätzung wissenschaftlicher Disziplinen, wie man sie bei Krohn und Küppers findet, nicht geteilt werden. Es muss erforscht werden, in welcher Beziehung die fortlaufenden Entscheidungen, die in Forschungsorganisationen produziert werden, zu dem System wissenschaftlicher Disziplinen stehen. Weil die Forschung nicht im Wissenschaftssystem stattfindet, kann in der Forschung entschieden werden, auf das Wissen verschiedener Disziplinen oder auch auf nichtwissenschaftliches Wissen zurückzugreifen, um Realitätsbeschreibungen zu formulieren. Dabei stellen sich die Probleme, die sich aus der durch die Komplexität des Wissenschaftssystems limitierten Rekombinationsfähigkeit des Wissens ergeben und die traditionell als Probleme der Logik diskutiert wurden, nicht am Anfang, sondern erst dann, wenn die Ergebnisse im Wissenschaftssystem als Problem der Codezuweisung behandelt werden. Im Wissenschaftssystem wird dann geprüft, ob richtig, d.h. unter der Berücksichtigung der Theorien und Methoden einer Disziplin, rekombiniert wurde oder nicht. Innerhalb von Forschungsprojekten sind die Freiheitsgrade von Rekombinationsentscheidungen dagegen sehr groß. »Falsche«, d.h. durch das Wissenschaftssystem nicht gedeckte Rekombinationen bleiben möglich. Weil das Wissenschaftssystem sehr effektiv ist, bewährtes Wissen zu systematisieren, erhöht sich dabei die Wahrscheinlichkeit für Enttäuschungen. Zudem reduzieren sich die Chancen Irritationen im Wissenschaftssystem auszulösen. Dennoch ist gerade die Variation von Methoden und Programmen in der Forschung eine Voraussetzung für die Evolution des wissenschaftlichen Wissens. Demonstriert werden kann dies anhand der interdisziplinären Forschung. Erinnert sei, dass innerhalb des theoretischen Vorschlags dieser Arbeit jegliche Forschung mehr oder weniger interdisziplinär oder genauer – weil durch die Programme des Wissenschaftssystems nicht gebunden – nicht disziplinär ist. Daher muss nicht die interdisziplinäre, sondern die disziplinäre Wissenschaft als ein Spezialfall behandelt werden. Die in der Literatur diskutierten Probleme von Interdisziplinarität ergeben sich entweder theoretisch aus den jeweils zugrunde liegenden, oft nicht explizierten Disziplinenbegriffen (s. 2.3.5, S. 50) oder praktisch aus den Beschränkungen institutioneller Settings, wie z.B. von Reputationsmärkten. In der vorgeschlagenen Fassung besteht das Problem der Interdisziplinarität aber in den verfestigten Strukturen der existierenden Forschungsorganisationen, die das prekäre Verhältnis von Neuheit und Anschlussfähigkeit ausbalancieren müssen. Die viel beklagten Schwierigkeiten interdisziplinärer Forschung sind dann ein Zeichen dafür, dass Forschung und Wissenschaft in der modernen Gesellschaft sehr eng miteinander verkoppelt, aber eben nicht dasselbe sind. Kurz: Probleme der
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Interdisziplinarität sind Kopplungsprobleme, die in der Projektorganisation gelöst werden müssen, wenn die Forschung die wissenschaftliche Kommunikation erfolgreich irritieren soll. In der Tat wird das Problem der Interdisziplinarität in der neueren Literatur weniger als ein Problem der Verständigung von scientific communities, sondern zunehmend als eines der Forschungsorganisation behandelt, das es durch geschicktes Management zu lösen gilt (Epton u.a. 1983; Röbbecke u.a. 2004). So ist es auch eine zentrale Behauptung von Nowotny u.a. (2001), dass transdisziplinäre Forschung in neuen, heterogenen Organisationsformen (d.h. letztlich überall in der Gesellschaft) stattfinden kann (s. besonders S. 29). Im Gegenzug wird die Kritik der disziplinären Wissenschaft oft als Kritik an der universitären Organisation vorgetragen (Birnbaum 1981: 1279). Weniger durchgesetzt hat sich bisher die Perspektive, dass Interdisziplinarität nicht nur auf der Basis geteilter Weltbilder, sondern vor allem auf der Integration von Unterschieden beruht. Es ist eine fundamentale Leistung formaler Organisationen, dass sie Kooperation trotz divergierender Weltsichten, Überzeugungen und gar Zielen ihrer Mitglieder möglich machen. Wie überall in der Gesellschaft bedarf es in der organisierten interdisziplinären Wissenschaft eben nicht nur des Aufbaus von communities, sondern vor allem auch der Organisation von Schnittstellen und des sich wechselseitig konditionierenden Leistungsaustauschs zwischen den Funktionssystemen. Die epistemischen Schwierigkeiten, die sich mitunter aus den Ergebnissen interdisziplinärer Forschung ergeben, deuten auf durch das vorhandene wissenschaftliche Wissen nicht abgedeckte Realitätsausschnitte. Sie machen sich, wurde das vorhandene Wissen »richtig« rekombiniert, als Irritationen im Wissenschaftssystem bemerkbar. Oft generieren sie neue, interessante Forschungsprobleme. Die Zahl der potentiell möglichen, aber nicht aktualisierten Rekombinationen vorhandenen Wissens ist faktisch unendlich. Um die Anschlussfähigkeit im Wissenschaftssystem zu sichern, bedarf es zusätzlicher Entscheidungskriterien, welches Wissen aktuell rekombiniert werden soll und welches nicht, ansonsten könnte Forschung nur noch als ein unbestimmtes Rauschen beobachtet werden. Wiederholte Rekombination und gezielte Variation dieser Rekombinationen als Voraussetzung für die Sedimentation von Wissen wären höchst unwahrscheinlich. Die Forschung ist auf durch das Wissenschaftssystem vorgegebene Kalküle angewiesen, die eine Wiederholung von Beobachtungen wahrscheinlich machen. Neben den Theorien und Methoden liefern Relevanzen die entsprechenden Limitationen. Sie sichern, dass es hinreichend Forschungsprojekte gibt, die sich mit der Rekombination des in Frage stehenden Wissens befassen. Die problemorientierte Forschung bietet dafür erhöhte Chancen, weil sowohl mit Leistungen anderer Funktionssysteme als auch mit einer hinreichenden Zahl von Projekten zu rechnen ist.
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Dass die Lösung gesellschaftlicher Probleme auf interdisziplinäre Forschung angewiesen ist, braucht nicht mehr betont zu werden, doch hat die hier entwickelte Fassung des Verhältnisses von Wissenschaft und Forschung noch eine weitere Konsequenz: Auch für das Wissenschaftssystem gilt, dass Systeme Probleme brauchen, um ihre Autopoiesis fortzusetzen. Daher kann man sagen, dass die problemorientierte Forschung das Wachstum der Wissenschaft beschleunigt, weil sie nun mit einem Überfluss an Problemen und manchmal auch mit den notwendigen Leistungen, die zur Problemlösung aufgebracht werden müssen, versorgt wird. Auf der Ebene der disziplinären Struktur des Wissenschaftssystems ist daher wachsende Ausdifferenzierung, d.h. die Bildung neuer Disziplinen zu erwarten. In der folgenden Fallstudie wird gezeigt, wie die Organisation problemorientierter Forschung im Fall der anthropogenen Schädigung der Ozonschicht dazu führte, dass sich die disziplinären Strukturen der Wissenschaft wandelten und es zur Herausbildung der atmosphärischen Chemie als einer Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft kam.
5 Ozonforschung und atmosphärische Chemie
5.1 Einleitung Die wissenschaftliche Bearbeitung und die politische Lösung des Problems der anthropogenen Schädigung der Ozonschicht gelten als eine Erfolgsgeschichte. Dieser Erfolg kommt in der Etablierung eines Umweltregimes zum Ausdruck, das darauf beruht, dass das wissenschaftliche Wissen, wie es in den WMO/UNEP Scientific Assessments of Ozone Depletion in regelmäßigen Abständen zusammengefasst wird, von allen Vertragsparteien als die autoritative Basis für weitere Verhandlungen über die Reduktion und später über das Verbot ozonzerstörender Substanzen anerkannt wurde (Haas 1992; Breitmeier 1996; Grundmann 1999). Besonders die Vienna Convention for the Protection of the Ozone Layer (1985) und das 1987 verabschiedete und seitdem mehrfach verschärfte Montreal Protocol on Substances that Deplete the Ozone Layer gelten als Prototypen internationaler, auf wissenschaftlichem Wissen basierender Abkommen zum Schutz der Umwelt. Auch bei der Ausgestaltung des internationalen Klimaregimes standen sie Pate (zum Vergleich der beiden Regime s. Downie 1995; Gehring 1996; Breitmeier 1996). Nicht zuletzt das bekanntere Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), welches sich mit der Einschätzung des globalen Klimawandels befasst, hatte das Scientific Assessment Panel of Ozone Depletion zum Vorbild, auch wenn sich seine Legitimationsgrundlage unterscheidet und die Verfahren der Konsensfindung und des peer reviews
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mehrfach verändert und verbessert wurden (zur Geschichte des IPCC, s. Agrawala 1998; Siebenhüner 2002). Das Ziel der Fallstudie ist es zu zeigen, wie problemorientierte Forschungsprogramme, die die Möglichkeit einer anthropogenen Ozonzerstörung und später die Ursachen für das Ozonloch zum Gegenstand hatten (im Folgenden kurz: Ozonforschung), zu einer Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie führten. Heute ist diese eine wichtige Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft (atmospheric science). Komplementär zur Entstehung des Regimes zum Schutz der Ozonschicht vollzog sich also eine Ausdifferenzierung der subdisziplinären Struktur des Wissenschaftssystems. Eine ähnliche Interpretation findet sich im Editorial der ersten Ausgabe der seit 1983 erscheinenden Fachzeitschrift Journal of Atmospheric Chemistry: »It is only recently however, roughly coinciding with Junge’s book on Air Chemistry and Radioactivity, that atmospheric chemistry has matured to become a subdiscipline of the atmospheric sciences. About 20 years ago, the hitherto separate fields of precipitation and aerosol chemistry, of air composition, chemical kinetics, photochemistry, stratospheric ozone and aeronomy became more and more related. Ever since these and other subareas converged and crossfertilized, the field of atmospheric chemistry has experienced an enormous expansion in scope and ideas. This expansion accelerated in the early seventies. It was triggered by the recognition that the stratospheric ozone layer could be impaired by oxides of nitrogen emitted by supersonic aircraft, and was further stimulated by the discovery that chlorine atoms and chlorine monoxide liberated by a photochemical breakdown of chlorofluorocarbons could produce the same effect. Today, it is the increasing acidification of precipitation and lakes, with the resulting damage of large areas of forest in certain regions, which helps atmospheric chemistry in the public limelight.« (Journal of Atmospheric Chemistry 1 (1983), i-ii)1
Hier ist deshalb von einer Rekonfiguration – und nicht von der Entstehung – der atmosphärischen Chemie die Rede, weil es bereits vor dem Auftauchen des Problems der anthropogenen Ozonzerstörung Wissenschaftler gab, die sich mit der Chemie der Luft befassten. Diese arbeiteten in sehr verschiedenen, meist problemorientierten Forschungskontexten, von denen einige in diesem Kapitel behandelt werden müssen, um die Ausgangssituation des zu beschreibenden Wandels zu skizzieren. Angesichts des im Kapitel 3 eingeführten Begriffs der wissenschaftlichen 1 Ähnliche Einschätzungen finden sich auch anderswo: »The past 25 years have witnessed a spectacular growth in the knowledge and understanding of the photochemical behavior of chemical substances in the atmosphere, partly in response to a need for solving complex environmental problems, but largely as a result of fundamental research directed toward an improved understanding of the physical and chemical principles that govern the distribution and transformation of atmospheric trace constituents. This development has led to the emergence of Atmospheric Chemistry as a new branch of science.« (Zellner 1999: v)
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Disziplin ist es wichtig, die Integration der atmosphärischen Chemie in die Atmosphärenwissenschaft darzustellen, weil nicht jede Subdisziplin oder jedes Spezialgebiet als selbstgenügsame, in sich geschlossene Disziplin aufgefasst werden kann. Damit sollen Probleme der internalistisch geprägten Wissenschaftssoziologie überwunden werden, in der »Disziplin« und »Spezialgebiet« oft als Synonyme behandelt werden. Die Atmosphärenwissenschaft kann dagegen durchaus als eine Disziplin betrachtet werden. Diese deutsche Übersetzung von atmospheric science mag etwas ungewohnt klingen, im englischsprachigen Raum ist der Begriff aber etabliert. Die Entscheidung für seine Verwendung erfolgte aus der Überzeugung heraus, dass »Klimatologie«, ursprünglich eine statistische Hilfswissenschaft der Meteorologie, für das Gemeinte zu eng und Earth System Science (noch) zu weit gefasst ist. Beide Begriffe markieren aber einen Vektor der disziplinären Entwicklung, auf dem sich die heutige, gut abgrenzbare Atmosphärenwissenschaft verorten lässt. Da das System wissenschaftlicher Disziplinen – entgegen den impliziten Annahmen seiner Kritik – in einem ständigen Wandel begriffen ist, kann seine Beschreibung nur als eine Momentaufnahme gelingen. Ein Aufgehen der Atmosphärenwissenschaft in einer breiter gefassten Earth System Science ist ebenso denkbar wie andere Entwicklungen. Das Wissenschaftsmagazin Science und das biografische Kompendium American Men & Women of Science führen die atmospheric science als eigenständige Disziplinen auf und stellen sie damit mit der Physik und der Chemie auf eine Stufe. Anders Nature, dort wird die Atmosphärenwissenschaft unter die Earth Sciences gezählt. Daraus ergibt sich die Frage, warum die atmosphärische Chemie als eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft und nicht als eine der Chemie betrachtet werden muss. Eine kurze – vorläufige – Antwort lautet, weil sie weniger zum grundlegenden Verständnis chemischer Prozesse als zu dem der globalen Atmosphäre beitrug.2 In der reduktionistischen Laborchemie hatte man nur ein begrenztes Wissen über die Randbedingungen der chemischen Reaktionen in der Atmosphäre. Zudem fehlten ihr die extrem feinen analytischen Methoden, um die geringen Konzentrationen von Spurengasen außerhalb des Labors nachweisen zu können. Die ersten FCKW-Messungen in der Atmosphäre, die James Lovelock durchführte, wurden von den meisten Chemikern angezweifelt, weil sie den Nachweis solch geringer Konzentrationen schlicht für unmöglich hielten (Dotto und Schiff 1978: 8). Die Entwicklung neuer Messverfahren und die Feldforschung – in situ oder auch durch Fernerkundung – prägten die Identität der atmosphärischen Chemie genauso wie ihre Orientierung an verschiedenen Umweltproblemen. Wegen der theoretischen und methodischen Probleme, die sich aus der Anwendung 2 Interview 6: »Interrelations are more important than the understanding of several processes in detail.«
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chemischen Wissens auf die Atmosphäre ergaben, entstand in problemorientierten Kontexten ein neuer Strang der Grundlagenforschung. Am Anfang waren viele Wissenschaftler in der Ozonforschung keine ausgebildeten Chemiker und bis in die Mitte der 1990er Jahre wurde die atmosphärische Chemie von vielen Chemikern nur gering geschätzt.3 Dagegen entstand im Zuge der Ozonforschung keine »atmosphärische Medizin«, obwohl das Wissen über die karzinogene Wirkung starker UVExpositionen ein wesentlicher Bestandteil der Risikohypothese über die Folgen eines anthropogen verursachten Ozonabbaus war.4 Im Gegensatz zur Chemie konnte in der Medizin das Problem unter Rückgriff auf das seit den 1920er Jahren vorhandene Wissen über den Zusammenhang von starker UV-Exposition und Hautkrebs bearbeitet werden. Für die Medizin stellte sich die anthropogene Ozonreduktion hauptsächlich als ein Anwendungsproblem dar, welches kaum interessante Fragen für die Grundlagenforschung bot. Die eingeführte Differenz von disziplinärer Wissenschaft und interdisziplinärer oder – weil Disziplinen nur im Wissenschaftssystem Subsysteme sind – nichtdisziplinärer Forschung soll auch begrifflich markiert werden. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der atmosphärischen Chemie als einer Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft neben anderen. Dabei sollen die Forschungsprogramme, die sich mit der anthropogenen Zerstörung der Ozonschicht befassten, als ein Stimulus aufgefasst werden, der strukturelle Veränderungen im Wissenschaftssystem auslöste. Selbstverständlich lassen sich diese Forschungsprogramme nicht als disziplinäre beschreiben. Sie waren im Gegenteil – wie heute auch die Klimaforschung – durch und durch interdisziplinär. Die Untersuchung der anthropogenen Ozonzerstörung war aber nicht der einzige Forschungsstrang, der die atmosphärischen Chemie nachhaltig prägte. Andere wichtige Probleme waren der saure Regen, die Luftverschmutzung oder die möglichen Folgen eines Atomkriegs (nuclear winter, z.B. Turco und Sagan 1990). Anhand der Ozonforschung kann 3 Interview 14: »So Sherry Rowland tells a story, that between 1975 and 1985, so pre-ozone-hole, that he was not invited one time to one chemistry department to talk about his research. He was invited to talk about his kinetics, because he was a kineticist. And he used a nuclear reactor downstairs to do radiochemistry. So he was invited many times to chemistry departments to talk about his radiochemistry, but he wasn’t invited to one chemistry department to talk about atmospheric chemistry. It was always more interdisciplinary departments. I know as a student, I felt a little bit like I was less because I was atmospheric instead of fundamental chemistry. But the walls are slowly coming down. Eleven years ago when Sherry Rowland was announced he won the Nobel price, one of my colleagues here said that he was happy to get it, but he should not have gotten it for chemistry. So the barriers are still a little bit up.« 4 Angesichts anderer ökologischer Probleme entstand aber eine Umweltmedizin als ein Spezialgebiet der Medizin, weil die Komplexität der gesundheitsschädigenden Einflüsse im Fall der Umweltverschmutzung sehr hoch und die Isolation von einzelnen Ursachen – wie sie in der traditionellen Medizin angestrebt wird – kaum möglich ist.
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aber besonders gut gezeigt werden, dass die Erklärung eines Umweltproblems die Überschreitung von disziplinären Grenzen erforderte. Nicht zuletzt während der Kontroverse über die Ursachen des saisonal und regional auftretenden Ozonlochs entstand eine neue disziplinäre Konfiguration. In den Modellen der globalen Atmosphäre sind die physikalischen und die chemischen Prozesse nur selektiv miteinander gekoppelt, weil ihr komplexes Verhältnis nicht auf eine einheitswissenschaftliche Basis gestellt werden kann. Daher bildete sich eine subdisziplinäre Struktur heraus, deren Integration die Grundlagenprobleme der Atmosphärenwissenschaft bestimmte. Ein Ziel ist es zu zeigen, dass die Entstehung der sozialen und kognitiven Strukturen in der Atmosphärenwissenschaft als ein Prozess der Ausdifferenzierung beschrieben werden muss. Die Theorien über den Zusammenhang zwischen den dynamischen und den chemischen Prozessen in der Atmosphäre konnten nicht mehr in die Herkunftsdisziplinen integriert werden. So sind nicht einzelne Theorien für die Atmosphärenwissenschaft spezifisch, sondern die Verkopplung von Theorien unterschiedlichen Ursprungs.
5.1.1 Die atmosphärische Chemie als Subdisziplin Dass die atmosphärische Chemie als eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft beschrieben werden kann, lässt sich auch anhand institutioneller Indikatoren für die Existenz wissenschaftlicher Disziplinen belegen. Solche Indikatoren sind Spuren, die ein abgeschlossener Wissensbestand, akzeptierte Methoden und Praktiken – also das, was Kuhn Paradigma nannte – in den organisatorischen Strukturen der Forschung und der Lehre hinterlässt (z.B. Kuhn 1967: 19f.). Eine Disziplin kann nur dann bestehen, wenn ihr spezifisches Wissen an die jeweils nächste Generation weitergegeben (so auch Toulmin 1978: 189) und die wissenschaftliche Kommunikation so fortlaufend reproduziert wird. Daher werden erstens die Vergabe von Studienabschlüssen oder von Doktortiteln als Indikatoren für die Existenz von Disziplinen herangezogen. Zudem haben auch nicht-universitäre Forschungsorganisationen einen Anteil an der Institutionalisierung wissenschaftlicher Disziplinen. Selbst wenn solche Organisationen keine formalen Abschlüsse vergeben mögen, werden auch dort Mitglieder in disziplinäre Theorien und Praktiken eingeübt (Barnes 1971; Cotgrove und Box 1970: 91ff.). Ein weiterer Indikator, der mit der Weitergabe des Wissens einer Disziplin zusammenhängt, ist, zweitens, die Existenz von Lehrangeboten und Lehrbüchern. Manche Autoren glauben, dass sich die disziplinäre Struktur der Wissenschaft vor allem der Notwendigkeit verdankt, Wissen in eine lehrbare Form zu bringen (z.B. CERI 1972: 133). Drittens werden die Existenz von Fachzeitschriften sowie viertens die Herausbildung professioneller
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Forschergruppen bzw. Lehrstühle
N
%
Atmosphärische Chemie (explizit) Atmosphärische Chemie (indirekt) Atmosphärenwissenschaft ohne atmosphärische Chemie keine atmosphärische Chemie und keine Atmosphärenwissenschaft
24 5 4 15
50 10 8 32
Summe
48
100
Departments, in denen die atmosphärische Chemie angesiedelt ist Atmosphärenwissenschaft, Meteorologie, Earth Science Chemie Environmental Science, Env. Engineering Geografie, Geophysik Sonstiges Summe Anteil der Universitäten mit atmosphärischer Chemie an der Gesamtheit der Universitäten öffentlich privat gesamt
N
%
13 4 4 3 3
48 15 15 11 11
27
100
N
%
19 10 29
86 38 60
Tabelle 4: Die Institutionalisierung der atmosphärischen Chemie an den führenden 51 US-amerikanischen Universitäten. Quelle: Eigene Internetrecherche auf der Basis des U.S. News UniversityRankings 2007. Siehe http://www.usnews.com/usnews/edu/college/rankings, Letzter Zugriff 28.7.2008.
Fachorganisationen bzw. die Durchführung regelmäßiger Konferenzen als Indikatoren für eine disziplinäre Entwicklung herangezogen. Zu erstens: Tabelle 4 zeigt die Institutionalisierung der atmosphärischen Chemie in den 51 führenden Universitäten der USA. Von diesen verfügen derzeit 29 über mindestens eine Professur bzw. eine Forschergruppe, die sich mit der atmosphärischen Chemie befasst. Davon sind 13 in einem Department angesiedelt, welches die Atmosphärenwissenschaft, die Meteorologie oder die Earth Science im Namen führt. Nur vier der Forschergruppen arbeiten dagegen in einem Chemiedepartment und vier weitere in Departments für Umweltwissenschaften. Die atmosphärische Chemie ist an den öffentlichen Universitäten der USA etwas stärker vertreten als an den privaten. Dies geht vermutlich auf die Spezifik der staatlichen Forschungspolitik und der anfänglichen Nähe der Atmosphärenwissenschaft zur strategischen Großforschung zurück (Fleagle 2001). Einige wenige Universitäten verfügen über ein ganzes Department für atmosphärische Chemie. Beispiele sind die University of North Carolina in den USA und die University of Toronto in Kanada. In Deutschland wurde bereits 1968 eine Abteilung für atmosphärische Chemie am Max-Planck-Institut für Chemie eingerichtet, deren Leitung Christian Junge übernahm. In diesem Institut wurden vor allem radiochemische Prozesse in den höheren Schichten der Atmosphäre
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Zitation
Titel
Junge (1963) McEwan und Phillips (1975) Heicklen (1976) Holland (1978) Brasseur und Solomon (1984) Wayne (1985) Finlayson-Pitts und Pitts (1986) Seinfeld (1986) Warneck (1988) Goody (1995) Seinfeld und Pandis (1998) Brasseur u.a. (1999)
Air Chemistry and Radioactivity. Chemistry of Atmosphere. Atmospheric Chemistry. The Chemistry of the Atmosphere and Oceans. Aeronomy of the Middle Atmosphere. Chemistry of Atmospheres. Atmospheric Chemistry. Atmospheric Chemistry and Physics of Air Pollution. Chemistry of the Natural Atmosphere. Principles of Atmospheric Physics and Chemistry. Atmospheric Chemistry and Physics. Atmospheric Chemistry and Global Change.
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Tabelle 5: Lehrbücher und Gesamtdarstellungen der atmosphärischen Chemie (Auswahl), Quelle: Eigene Recherchen
und industrielle Luftverschmutzungen untersucht. Seit 1970 finanzierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Sonderforschungsbereich (SFB) für atmosphärische Spurenstoffe. An diesem waren neben Junge und dem MPI mehrere Meteorologen verschiedener Universitäten beteiligt (Warneck 2003). Trotz dieser frühen Forschungsprogramme gibt es in Deutschland aber nur wenige Lehrstühle und noch weniger Institute für atmosphörische Chemie an den Universitäten. An der Universität Bayreuth existiert eine Forschungsstelle für atmosphärische Chemie und an der Technischen Universität Berlin besteht eine lange Tradition der Stratosphärenforschung (Labitzke 1999). In den anderen deutschen Universitäten befinden sich Lehrstühle, die sich mit der atmosphärischen Chemie befassen, in verschiedenen Instituten und Fakultäten, meist in der Meteorologie, in der Chemie oder in der Umweltforschung. Ein Grund dürfte sein, dass sich deutsche Universitäten nur langsam disziplinären Verschiebungen anpassen können. Zum einen gibt es keine assistent oder associate professors, die eine Pionierrolle bei der Institutionalisierung neuer Disziplinen oder Subdisziplinen spielen könnten. Zum anderen wird über die Organisation von Universitäten auf der Ebene von Landesministerien entschieden. Möglicherweise wird die institutionelle Interdisziplinarität so geradezu künstlich aufrechterhalten. Dennoch steht Deutschland als Herkunftsland von Autoren, die zur atmosphärischen Chemie beitragen, wenn auch weit hinter den USA, an zweiter Stelle.5 In Deutschland fand die Institutionalisierung der Umweltforschung – und das gilt auch für die atmosphärische Chemie – überwiegend in Großforschungsorganisationen statt. Beispiele sind die Forschungszentren in Karlsruhe und Jülich.
5
eigene Recherche auf der Basis des Science Citation Index (SCI)
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Zu zweitens: Die Frage, ob die atmosphärische Chemie als ein Paradigma behandelt werden kann, muss hier nicht entschieden werden, weil der Paradigma-Begriff für die eingeführte Definition wissenschaftlicher Disziplinen nicht benötigt wird. Betrachtet man aber Lehrbücher als einen Indikator für die Existenz einer (Sub-) Disziplin, deutet auch dieser auf die Existenz einer solchen hin. Seit 1963 erschienen viele Lehrbücher der atmosphärischen Chemie, die im Zeitverlauf deren Rekonfiguration angesichts verschiedener Umweltprobleme widerspiegeln (s. Tabelle 5). Bis auf drei Ausnahmen sind die Bücher in dem Zeitraum erschienen, in dem die atmosphärische Chemie durch die Ozonforschung geprägt war. Diese Phase beginnt 1971 mit der Kontroverse über die möglichen Folgen des Überschallluftverkehrs (Super Sonic Transportation, SST) und der Entdeckung der ozonzerstörenden Wirkung von FCKW und endet symbolisch 1995 mit der Verleihung des Nobelpreises an Paul Crutzen, Mario Molina und Sherwood Rowland für ihre Arbeiten auf dem Gebiet der Ozonschicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Probleme einer Erklärung der anthropogenen Schädigung der Ozonschicht gelöst; das Thema verlor an Attraktivität. Damit verbunden war auch ein Rückgang der Förderung, woraufhin sich die meisten Atmosphärenchemiker anderen Themen zuwandten. Die drei Bücher, die nicht in diesem Zeitraum erschienen sind, haben daher einen abweichenden Fokus. Christian Junge (1963) behandelt in seinem Lehrbuch die Radio- und Aerosolchemie, während die Büchern von Seinfeld und Pandis (1998) und Brasseur u.a. (1999) die atmosphärische Chemie (und Physik) im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel zum Thema haben. Zu drittens: Auch mit Blick auf die Gründung wissenschaftlicher Zeitschriften lassen sich Spuren einer zunehmenden Ausdifferenzierung finden. Tabelle 6 enthält eine Auswahl der für die Atmosphärenwissenschaft und die atmosphärische Chemie relevanten internationalen Fachzeitschriften (außer Science and Nature). Die Verschiebungen im System wissenschaftlicher Disziplinen spiegeln sich in der Gründung neuer Zeitschriften, aber auch in der Umbenennung oder der Aufspaltung bestehender Titel wider. Dabei lassen sich verschiedene Phasen der disziplinären Anpassung beobachten, die mit den Ereignissen und Entwicklungen der Fallstudie zeitlich zusammenfallen. Ohne vorschnell Kausalität zu behaupten, weisen diese Koinzidenzen doch auf einen koevolutionären Prozess gesellschaftlicher Problembearbeitung und subdisziplinärer Ausdifferenzierung hin. Die frühe Phase war dadurch gekennzeichnet, dass die klassische Meteorologie, in der das Bestreben dominierte, Wissen für die Techniken der exakten Wettervorhersage zu gewinnen, langsam durch ein geophysikalisch orientiertes Paradigma der Atmosphärenwissenschaft abgelöst wurde, wie es sich in der Folge des International Geophysical Ye-
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Titel Journal of Geophysical Research →JGR - Oceans and Atmosphere →JGR - Atmospheres →JGR - Global Biogeochemical Cycles Journal of Meteorology →Journal of Atmospheric Sciences Tellus →Tellus - Dynamic Met. and Oceanography →Tellus - Chemical and Physical Met. Journal of Atmospheric and Terrestrial Physics →J. of Atm. and Solar-Terrestrial Physics International Journal of Air Pollution →Air and Water Pollution Journal of Applied Meteorology →Journal of Climate and Applied Meteorology Atmospheric Environment →Atm. Env. A - General Topics →Atm. Env. B - Urban Atmosphere Water, Air and Soil Pollution Journal of Geophysical Research Letters Journal of Atmospheres and Oceans Climate Change Journal of Atmospheric Chemistry Biogeochemistry Atmospheric Research Climate Dynamics Journal of Climate Atmospheric Chemistry & Physics Physics and Chemistry of the Earth
Fortsetzung
A A N A A N N N A A
seit Jahr 1896 1978 1984 1987 1944 1962 1949 1983 1983 1950 1997 1958 1961 1962 1983 1967 1990 1990 1971 1974 1976 1977 1983 1984 1986 1986 1988 2001 2002
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Herausgeber Verlag
AGU AMS Swedish Geoph.Soc Elsevier Pergamon AMS Pergamon Pergamon Springer AGU Elsevier Springer Dordrecht Springer Elsevier Springer AMS EGU Elsevier
A . . . Aufspaltung in mehrere thematisch begrenzte Journals N . . . Fortsetzung unter neuem Namen
Tabelle 6: Wichtige wissenschaftliche Journale für die Atmosphärenwissenschaft und die atmosphärische Chemie (Auswahl)
ar (IGY) herausbildete. Die Integration der atmosphärischen Chemie wurde dabei früh als ein wichtiges Ziel formuliert. Ein Ausdruck für diese Reformbewegung ist z.B. die Umbenennung des von der American Meteorological Society (AMS) herausgegebenen Journal of Meteorology in Journal of Atmospheric Sciences im Jahre 1962. Hinzu kommt, dass atmosphärenwissenschaftliche Beiträge vermehrt in geophysikalischen Fachzeitschriften erschienen, z.B. in dem von der American Geophysical Union (AGU) herausgegebenen Journal of Geophysical Research (JGR). Später entstanden mehrere neue, auf die Atmosphärenwissenschaft spezialisierte Zeitschriften, in denen Umweltthemen eine wachsende Bedeutung erhielten. Wichtige Beispiel dafür sind Journale wie Climate Change oder auch Journal of Atmospheres and Oceans. Das JGR erschien seit 1978 in spezialisierten Bänden, einer davon war der Ozeanografie und der Atmosphärenwissenschaft gewidmet. Aus dem JGR – Oceans and Atmosphere, entstanden 1984 zwei Titel: JGR – Atmosphere und JGR – Oceans. Die dritte Welle spiegelt die Ausdifferenzierung der atmosphärischen Chemie, aber auch ihre fortschreitende Integra-
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tion in die Atmosphärenwissenschaft wieder. Seit Mitte der 1980er Jahre erschien die schon immer stark geophysikalisch orientierte Zeitschrift Tellus (zuerst 1945) in zwei Bänden: Tellus – Dynamical Meteorology and Oceanography und Tellus – Chemical and Physical Meteorology. Spezialisierte Zeitschriften für atmosphärische Chemie erschienen schon in den späten 1950er Jahren. Diese widmeten sich hauptsächlich den regionalen, durch die Industrie verursachten Luftverschmutzungen (z.B. International Journal of Air Pollution oder auch Atmospheric Environment). Das seit 1983 erscheinende Journal of Atmospheric Chemistry markiert einen Wandel der atmosphärischen Chemie: Es wird nun zunehmend von einer globalen Atmosphäre ausgegangen, deren Eigenschaften ganz maßgeblich auch von ihrer chemischen Zusammensetzung bestimmt sind. Die Bedeutung des sich herausbildenden integrativen und interdisziplinären Ansatzes der modernen Atmosphärenwissenschaft wird auch an Zeitschriften deutlich, die die Verbindungen von Atmosphäre, Geosphäre und Biosphäre im Blick haben. Beispiele hierfür sind Biogeochemistry oder auch Physics & Chemistry of the Earth. Inzwischen hat der integrative Ansatz der Atmosphärenwissenschaft einen großen Einfluss auf die gesamten Geowissenschaft, weil mit ihm der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Komponenten des Erdsystems sowohl energetisch als auch stofflich beschrieben werden kann. Diese Bedeutung der Atmosphärenwissenschaft spiegelt sich sich im Science Citation Index wider. Die 25 Wissenschaftler, die innerhalb der Geowissenschaften zwischen 1991 und 2001 am häufigsten zitiert wurden, verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Disziplinen oder Subdisziplinen: zehn Atmosphärenwissenschaftler, sechs Atmosphärenchemiker, je ein Wissenschaftler der atmosphärischen Physik, der Klimatologie, der Biometeorologie und der Biogeochemie und nur fünf »nichtatmosphärische« Disziplinen.6 Zu viertens: Der letzte institutionelle Indikator für die Existenz einer wissenschaftlichen (Sub-) Disziplin sind Fachorganisationen, die regelmäßig Konferenzen durchführen. In der atmosphärischen Chemie gibt es unzählige Konferenzen, Symposien und Workshops zu disziplinären oder interdisziplinären Themen. Diese finden z.B. im Rahmen des International Global Atmospheric Chemistry-Programms (IGAC), das von der International Association of Meteorology and Atmospheric Sciences (IAMAS) koordiniert wird, statt. In der Atmosphärenwissenschaft spielen Fachorganisationen nicht nur eine wichtige Rolle für die professionelle Kommunikation, sondern auch bei der Koordination internationaler Forschungsaktivitäten. In ihnen werden weitreichende Entscheidungen über langfristige Forschungsprogramme getroffen. Solche Programme 6 Quelle: www.sciencewatch.com/nov-dec2001/sw_nov-dec2001_page2.htm, letzter Zugriff am 14.9.2008.
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sind das Global Atmospheric Research Program (GARP) oder auch das International Global Atmospheric Chemistry-Programm (IGAC), welches ein Teilprojekt des International Geosphere-Biosphere Program (IGBP) ist.
5.1.2 Die Rolle der Wissenschaft innerhalb des Regimes zum Schutz der Ozonschicht In der sozialwissenschaftlichen Literatur liegt der Fokus meist auf der Herausbildung des internationalen Ozonregimes, welches die weltweite Produktion und die Konsumption von FCKW und anderen ozonzerstörenden Substanzen reguliert, d.h. heute weitgehend verbietet. Dennoch wird in einigen Arbeiten auch die wissenschaftliche Entwicklung diskutiert – Beispiele sind Dotto und Schiff (1978) sowie Roan (1989). Diese Arbeiten gehen von einem naturalistischen Wissenschaftsverständnis aus. In dieser Perspektive folgt aus der Entdeckung der ozonzerstörenden Wirkung von FCKW die Notwendigkeit, regulierend einzugreifen. Die Rationalität politischer Entscheidungen wird dabei post festum auf Basis des inzwischen gesicherten wissenschaftlichen Wissens bewertet. Die gesellschaftlichen Kontexte der Forschung kommen nur im Fall des Irrtums – z.B. als interessegeleitete Forschung der Industrie – in den Blick. Die sogenannten Ozonmythen sind ein Ausdruck dieser Perspektive. Darunter verstehen einige Autoren in der Folge von Dotto und Schiff Hypothesen, die im Widerspruch zu den inzwischen etablierten Theorien standen, mit denen die Regulierungsgegner aber in der politischen Auseinandersetzung auch dann noch argumentierten, als sie im Wissenschaftssystem bereits als »unwahr« ausgezeichnet waren (Dotto und Schiff 1978: 208). Vernachlässigt man die Offenheit und die Unsicherheit, durch die die Ozonforschung lange gekennzeichnet war, werden die Wissenschaftler – die solche Hypothesen formulierten – im Nachhinein diskreditiert. Dabei wird übersehen, dass die Ursprünge der meisten Ozonmythen in begutachteten Publikationen liegen, die den Fortgang der wissenschaftlichen Kommunikation beeinflussten. Viele von ihnen haben das Wissen über die Ozonschicht verbessert oder die Verbesserung anderer Theorien stimuliert, weil sie ihre Schwachstellen systematisch herausgestellt haben. Auch die Anhänger der Hypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW-Emissionen – wie sie 1974 von Mario Molina und Sherwood Rowland formuliert wurde – irrten sich. Viele Details ihrer Theorien mussten im Lauf der Zeit verworfen oder verbessert werden. So demonstriert Christie, dass die ursprüngliche Fassung der Hypothese – legt man die Kriterien des logischen Falsifikationismus zugrunde – als widerlegt gelten müssen. Dies trifft zu, obwohl die Grundidee, dass anthropogene FCKW-Emissionen die stratosphärische Ozonschicht zerstören,
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Reduktion der Ozonschicht (%)
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Abbildung 1: Veränderungen der Voraussagen über einen Ozonabbau zwischen 1974 und 1985. Quellen: Benedick 1991: 13; nach NRC 1984 und WMO u.a. 1986.
weiterhin »wahr« ist und sich aus dieser ein wichtiges Umweltproblem ergibt (Christie 2001: 31). Illustrieren lässt sich diese Feststellung anhand der Entwicklung der quantitativen Prognosen über das Ausmaß des Ozonabbaus, deren Schwankungen in Abbildung 1 dargestellt sind. Dabei wurden nur die Berechnungen der US-amerikanischen National Academy of Science berücksichtigt, nicht aber die vielen konkurrierenden Prognosen anderer Autoren oder Assessment-Verfahren. In ihrer quantifizierten Version (Rowland 1975) sagte die ursprüngliche MolinaRowland-Hypothese einen Ozonverlust von bis zu 13% voraus. Bis zur Entdeckung des Ozonlochs (1985) sanken die Prognosen über den zu erwartenden Ozonabbau vor allem aufgrund der Verfeinerung bzw. Korrektur der Theorie und nicht etwa durch die bereits 1978 in den USA durchgesetzte Regulierung der FCKW-Produktion. Im Jahr 1983 lagen die Prognosen über einen möglichen Ozonverlust bei »nur noch« 3%.7 Dieser Wert wird auch heute noch für den Ozonabbau in mittleren Breiten genannt (WMO und UNEP 2006: xxviii), obwohl die chemischen und die klimadynamischen Prozesse in den jüngeren Fassungen der Theorie komplizierter sind. Überspitzt könnte man sagen, dass die populäre Version der FCKW-Ozon-Hypothese, wie sie heute in der Öffentlichkeit zirkuliert, selbst ein – wenn auch umweltpolitisch korrekter – Ozonmythos ist. Mit der Entdeckung des Ozonlochs stiegen die Prognosen wieder 7 Die Ursache für den Rückgang der Prognosen liegt darin begründet, dass Molina einen Prozess fand, in dem sich die Chlorradikale mit NO2 -Molekülen zu ClONO2 verbinden und so ein Teil der Chlorradikale dem Prozess des Ozonabbaus entzogen wird (für den Prozess der Entstehung der Reservoirgase s. Brasseur u.a. 1999: 246ff.). Mit der Entdeckung dieses Mechanismus wurde zumindest die Aussage von Molina und Rowland, dass mit ihrer Theorie keine wichtigen Prozesse der Chlorchemie übersehen wurden (Rowland 1975), widerlegt.
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an und erreichten 1985 den Wert der durchschnittlichen Ozonkonzentration, von dem auch heute noch ausgegangen wird (knapp 10% unter dem weltweiten Durchschnitt von 1970). Auch wenn dieser Wert relativ nah bei der ursprünglichen Prognose liegt, geht die Reduktion auf komplexere Prozesse in der Antarktis zurück. Einige Arbeiten zur Ozonforschung befassen sich explizit mit wissenschaftssoziologischen Fragestellungen (Beispiele sind Christie 2001; Böschen 2000; Farell 2005). Das Problem besteht dabei darin, dass das von Bloor geforderte Symmetriegebot, nachdem sowohl die erfolgreiche Konstitution von Fakten als auch Irrtümer kausal auf die gleiche Art von Gründen zurückgeführt werden soll (Bloor 1991: 7), schwer durchzuhalten ist. Die Überlieferung begünstigt zweifellos eine geradlinige Geschichtsschreibung. Doch fußten auch die überwiegend politikwissenschaftlichen Arbeiten auf impliziten Annahmen über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Auch wenn die große Rolle, die Wissenschaftler bei der Etablierung des Ozonregimes gespielt haben (Benedick 1991: 5), unumstritten ist, darüber, worin sie genau bestand, herrscht keine Einigkeit. Die verschiedenen Positionen lassen sich in einem Kontinuum zwischen zwei Extrempositionen verorten. Auch wenn diese von keinem der Autoren vollständig bezogen wurden, helfen sie doch, die Debatte zu strukturieren. Die erste Position geht davon aus, dass das wissenschaftliche Wissen die Rationalität politischen Entscheidens determiniert. In dieser Version musste die Rationalität der Wissenschaft gegen die Partikularinteressen der Industrie zur Geltung gebracht werden. Die zweite Extremposition spricht der Wissenschaft eine überwiegend legitimatorische Funktion zu. Vor allem neuere Arbeiten tendieren in diese Richtung (Litfin 1994; Parson 2003), wenn sie die begrenzten Kapazitäten der Politik herausstellen, wissenschaftliches Wissen zu verarbeiten und zur Grundlage kollektiv bindender Entscheidungen zu machen. In dieser Perspektive muss die Autorität der Wissenschaft in politischen Entscheidungsprozessen – z.B. durch die Ausgestaltung von AssessmentVerfahren – erst hergestellt werden. Hält man an dem technokratischen Modell der wissenschaftlichen Politikberatung fest, muss eine Krise der Wissenschaft konstatiert werden, weil eine Linearität von Wissensproduktion und Entscheidungsfindung nicht (mehr) beobachtet werden kann. Manchmal erscheint die zweite Position dann als eine ironische (oder eine zynische?) Variante der ersten, weil sie unterstellt, dass in der Politik nur behauptet wird, rational auf der Basis wissenschaftlichen Wissens zu entscheiden. Die Spannung, die sich aus den beiden Fassungen ergibt, zeigt aber, dass das Verhältnis von Wissenschaft und Politik als eines der Ausdifferenzierung beschrieben werden muss. Es muss gezeigt werden, wie Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten durch die Organisation dieses Verhältnisses aneinander gesteigert werden können. Oder anders: Wie politische Entscheidungen
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auf wissenschaftliches Wissen bezogen werden und wie in der Forschung auf Wissenschaftspolitik reagiert wird, muss selbst (und immer wieder neu) entschieden werden. Manche Autoren, die die Rolle der Wissenschaft im Zuge der Regimebildung untersucht haben, versuchten, jeweils Theorien über eines der beiden in Frage stehenden Funktionssysteme auf das andere zu übertragen. Oft wurden Wissenschaftler als politische Akteure in den Blick genommen (so auch bei Dotto und Schiff 1978; Roan 1989). Betrachtet man Wissenschaftler als kreative Individuen, ergibt sich daraus eine Asymmetrie: Auf der einen Seite stehen einzelne Wissenschaftler und auf der anderen große Organisationen wie Nationalstaaten, Regierungen, Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder gar die UN. Peter Haas (1992) beschreitet mit seinem epistemic community-Ansatz den umgekehrten Weg. Er geht davon aus, dass sich hybride Gemeinschaften von ökologisch orientierten Wissenschaftlern und politischen Akteuren bilden, die dann erfolgreich sind, wenn sie auf der Basis geteilter Werte gemeinsame Überzeugungen über die wissenschaftlichen Zusammenhänge und die Wirksamkeit politischer Maßnahmen entwickeln können (Haas 1992: 187f.). Damit wird das Konzept der scientific community auf das politische System übertragen. Lassen sich zu Beginn der Diskussion über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW tatsächlich Netzwerke von Wissenschaftlern und Politikern beobachten, die, da sie sehr stark interaktionsbasiert waren, auch als communities beschrieben werden können, scheiterten diese informellen Netzwerke aber bei der Durchsetzung von regulativen Maßnahmen. Communities müssen als Orte der Latenz beschrieben werden, in denen wissenschaftliche Probleme wahrgenommen und politische Themen etabliert werden können. Sie sind aber nicht ausdifferenziert genug, um die komplexen Beobachtungsprobleme, die sich aus der Kopplung von Wissenschaft und Politik ergeben, in den Griff zu bekommen (s. 5.5, S. 170).8 Daher ist dem epistemic community-Ansatz von verschiedenen Autoren widersprochen worden. Rainer Grundmann geht davon aus, dass erst die Schließung wissenschaftlicher Kontroversen die Durchsetzung eines Totalverbots von FCKW und eine weitreichende Einschränkung der Produktion von anderen ozonzerstörender Substanzen ermöglichte. Regulierungen basieren nicht nur auf der Bildung von communities von Wissenschaftlern und Politikern, sondern setzen eine in der Wissenschaft dominierende Erklärung voraus. Diese Bedingung ist für die erfolgreiche Etablierung von Umweltregimen aber noch nicht hinreichend. Es existieren andere – außerhalb der Wissenschaft zu suchende, z.B. wirtschaftliche – Gründe für die Ablehnung oder Befürwortung von Regulierungen umweltschädigender Substanzen. Grundmann versucht der Tatsache gerecht zu werden, dass die Gründe verschiedener Akteure sehr 8
Zur Diskussion der Rolle von communities s. auch 5.7.2, S. 235
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heterogen sein können. Dass die anfangs breite Koalition gegen eine internationale Regulierung von FCKW später in eine Zustimmung transformiert werden konnte, lässt sich durch die Verschiebungen der Interessenbalance in hochkomplexen Politiknetzwerken erklären. Solche Verschiebungen können durch die Verbesserung des wissenschaftlichen Wissens, aber auch durch die Umverteilung von Macht im politischen System ausgelöst werden. In der Ozonkontroverse kam es durch die überraschende Entdeckung des Ozonlochs – so Grundmann – zu solchen Verschiebungen. Viele Mitglieder des bereits in der ersten Ozonkontroverse etablierten Politiknetzwerkes übernahmen nun die Ansicht, dass eine Regulierung der FCKW-Produktion nach dem Vorsorgeprinzip (precautionary principle) erforderlich sei. Hinzu kommt, dass DuPont und andere FCKW-Hersteller und -Anwender zunehmend auf FCKW verzichten konnten, weil sie längst über technische Alternativen verfügten (Grundmann 1999: 315ff.). Karin Litfin (1994) beschreibt das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in einem Diskursmodell. Sie geht nicht davon aus, dass die Schließung wissenschaftlicher Kontroversen die treibende Kraft bei den Verhandlungen zum Montrealer Protokoll war. Sie macht auf die erheblichen Unsicherheiten, die nach dem plötzlichen »Auftauchen« des Ozonlochs bestanden, aufmerksam. Diese ließen große Interpretationsspielräume für die an den Verhandlungen Beteiligten. Das Ozonloch zeigte für die einen, dass die Theorien über die anthropogene Ozonzerstörung unzulänglich waren, für die anderen aber, dass eine Regulierung dringend nötig sei. Litfin führt den Erfolg der Verhandlungen auf den spezifischen Kontext der ozone discourses zurück, der dadurch gekennzeichnet war, dass knowledge brokers das Wissen selektiv und unter Ausnutzung dieser interpretativen Flexibilität in den Dienst der verschiedenen Positionen stellten (employment of knowledge, Litfin 1994: 78ff.). Diese knowledge broker waren meist keine Wissenschaftler, die aktiv Forschung betrieben, noch entschieden sie selbst über die politischen Regulierungen. Sie waren vielmehr Angestellte der großen US-amerikanischen agencies (z.B. der NASA oder EPA), oft wissenschaftlich ausgebildet, die das vorhandene Wissen für die Verhandlungen aufbereiteten oder die Verhandlungsprozesse infrastrukturell organisierten (»orchestrierten«). Edward Parson widerspricht der Ansicht, dass Wissenschaftler als Akteure im politischen Prozess oder einzelne wissenschaftliche Arbeiten entscheidend für den Erfolg der Verhandlungen zum Montrealer Protokoll waren (Parson 2003: 249ff.). Er führt eine Unterscheidung zwischen scientific claims, er meint damit Originalarbeiten und Aufsätze, und den auf einem breiten Konsens der Wissenschaftler beruhenden Assessments ein. Die ersteren spielten in den agenda-setting-Prozessen der Politik eine zentrale Rolle. Dabei wurden scientific claims von Politikern (oder von Wissenschaftlern, die als politische Akteure agierten)
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selektiv zur Stärkung ihrer jeweiligen Position eingesetzt. Bei der Etablierung von Themen auf der politischen Agenda kann also tatsächlich die Herausbildung von epistemic communities beobachtet werden. Bei der Aushandlung des Regimes zum Schutz der Ozonschicht war es dagegen wichtiger, dass ein Modus für einen autorativen AssessmentProzess gefunden werden konnte, der von allen beteiligten Verhandlungsparteien anerkannt wurde. Diese grundlegende Einigung, die u.a. auch die Rolle des wissenschaftlichen Wissens in den Verhandlungen festlegte und den Einfluss von politischen Interessengruppen auf die Assessment-Prozesse begrenzte, wurde in der Vienna Convention festgeschrieben, die als eine Rahmenkonvention noch keine regulativen Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht enthielt. Sie erhob aber die von der WMO/UNEP gesponserten und von der NASA koordinierten Scientific Assessment of Ozone Depletion zur wissenschaftlichen Basis des Ozonregimes. Diese Assessments präsentierten den Teil des wissenschaftlichen Wissens, über den im Wissenschaftssystem ein weitgehender Konsens bestand. Nur durch die Explikation des Konsenses über die Geltung von Wissen auf der einen, aber auch der Unsicherheiten auf der anderen Seite war es möglich, dass das Montrealer Protokoll zu einem Zeitpunkt verabschiedet werden konnte, zu dem sich die wissenschaftliche Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs auf ihrem Höhepunkt befand (Parson 2003: 249). Alle drei Arbeiten (Grundmann, Litfin, Parson) zeigen, dass die maßgebliche Beteiligung von Wissenschaftlern und Forschungsmanagern an den politischen Entscheidungsprozessen nicht als eine Entdifferenzierung des Wissenschafts- oder des politischen Systems interpretiert werden kann. Die Regimebildung besteht in der Organisation der Grenze zwischen Wissenschaft und Politik, die eine Beobachtung beider Systeme in der Gesellschaft erlaubt. Mit der Gründung von – wie sie in einer anderen theoretischen Tradition genannt werden – boundary organizations (Star und Griesemer 1989; Miller 2001), wurden Entscheidungsprämissen institutionalisiert, die politische Entscheidungen an Ereignisse im Wissenschaftssystem koppelten, andere aber gleichzeitig entkoppelten. So wurde das Sediment des konsensuell gesicherten Wissens im Wissenschaftssystem zur Grundlage politischer Verhandlungen, während mögliche Irritationen des politischen Prozesses durch die Unsicherheit neuen wissenschaftlichen Wissens und den Entwicklungen an den Forschungsfronten abgeschirmt wurden. Damit ist die Übersicht bei der Frage nach den Einflüssen der Umweltpolitik auf das Wissenschaftssystem angelangt. Stefan Böschen hat die Rekombination der Wissensbestände, die in die von Molina und Rowland formulierte Hypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW einflossen, in ihrem gesellschaftlichen und historischen Kontext untersucht. Dabei vertritt er die These, dass das Wissen, auf das in
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der Risikokonstitution zurückgegriffen wurde, im Wesentlichen in den 1930er Jahren schon bekannt war, es aber keine (externen) Anlässe (bzw. institutionellen Barrieren) gab, dieses auf eine Weise zu rekombinieren, die ein Umweltproblem sichtbar machte (Böschen 2000: 79f.). Der Anlass war erst in den 1970er Jahren mit der Zunahme des Umweltbewusstseins in den westlichen Industriegesellschaften gegeben. Auch Böschen teilt die Ansicht, dass erst die Umstellung von Relevanzen in der Gesellschaft, die sich über vielfältige Kopplungen in allen Funktionssystemen ausbreitete, die Wahrnehmung ökologischer Probleme im Wissenschaftssystem ermöglichte. Doch scheint Böschens Perspektive insofern überzogen, dass nicht nur die Anlässe der Rekombination der einzelnen Wissensbestände fehlten, sondern auch die theoretischen Konzepte, unter denen diese Rekombination möglich gewesen wäre. Gezeigt werden kann dies u.a. an der Unsicherheit, die lange über die Geschwindigkeit einzelner, den Ozongehalt der Atmosphäre bestimmender Reaktionen herrschte. Ohne die genaue Kenntnis der Reaktionsraten könnte man aufgrund der gleichen Wissensbestände auch eine durch FCKWEmissionen verursachte Zunahme des Ozons (in den niederen Schichten der Atmosphäre) vermuten.
5.1.3 Die Struktur der Argumentation Dieser kurze Überblick soll zum Anlass genommen werden, die Kontrastpunkte der Studie zu markieren: Der erste besteht im Fokus auf die atmosphärische Chemie als einer Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft. Die Rekonfiguration des Systems wissenschaftlicher Disziplinen, die durch das Problem der anthropogenen Schädigung der Ozonschicht angetrieben wurde, soll als ein zur Herausbildung des internationalen Ozonregimes komplementärer Prozess beschrieben werden. Um diesen Wandel zu beschreiben, müssen zweitens die disziplinären Ursprünge, aber auch die Konsolidierung der atmosphärischen Chemie nach der Ozonkontroverse skizziert werden. Daraus kann die Studie zusätzliche Varianz beziehen, weil sich a) die Wissenschaftsorganisation in der Meteorologie und später in der Atmosphärenwissenschaft früh wandelte. Die internationale Kooperation blieb nicht – wie in vielen Disziplinen – auf die Ebene der wissenschaftlichen Kommunikationen in professionellen Fachorganisationen beschränkt, sondern schloss schon sehr zeitig die Organisation kooperativer Forschungsprojekte und den Datenaustausch ein. Zudem lassen sich b) mehrere programmatische Versuche finden, ein neues wissenschaftliches Spezialgebiet oder gar eine Disziplin zu begründen (z.B. Luftchemie, Aeronomie, Earth System Science). Drittens wird die Bedeutung von Forschungs- und AssessmentOrganisationen bei der strukturellen Kopplungen von Wissenschaft und Politik (und anderen Teilen der Gesellschaft) untersucht. Auch wenn der
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Kapitel
Zeitraum
Themen
5.1 Einleitung 5.2 Ursprüng d. atm. Chemie 5.3 Aeronomie 5.4 Anthropogene Ozonzerstörung 5.5 FCKW als Zerstörer von Ozon 5.6 Ozonloch 5.7 Atm. Chemie heute
18.Jh.-1960 18.Jh.-1958 1958-1974 1974-1985 1985-1995 1995-heute
institutionelle Indikatoren f. Disziplinen gesellschaftl. Probleme u. Disziplinen org. Forschung als Erkenntnismittel Forschungs- und Umweltpolitik politische Kontroverse wissenschaftliche Kontroverse Integration
Tabelle 7: Historische Struktur der Arbeit und die in den Unterkapiteln behandelten Themen
Text zwangsläufig linear ist, ist die Gliederung zweidimensional strukturiert. Die erste Ebene ist durch die historische Abfolge der Ereignisse vorgeben, von der sich auch diese Arbeit nicht lösen kann. Die Darstellung beansprucht aber keineswegs eine historiografische Vollständigkeit, vielmehr dient sie der zweiten Ebene. Auf dieser werden in den einzelnen Unterkapitel die Fragen behandelt, die in den vorangegangenen Kapiteln aufgeworfen wurden (s. Tabelle 7). Die Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie wird in sechs Unterkapiteln behandelt, wobei die ersten drei eine historische Darstellung beinhalten und die nächsten drei, in denen die beiden großen Ozonkontroversen im Mittelpunkt stehen, einen überwiegend analytischen Zugriff haben. Die Darstellung der Vorgeschichte der Ozonzerstörung (1848-1958) erfordert zwei Unterkapitel, weil sie in verschiedenen Disziplinen stattfand. Das erste dieser Unterkapitel befasst sich mit den Spezialgebieten, in denen schon früh Luftverschmutzungen untersucht wurden. Dabei wird nachgewiesen, dass problemorientierte Forschungsprogramme die Herausbildung von wissenschaftlichen Spezialgebieten stimulieren können, z.B. dann, wenn diese durch umweltpolitisch motivierte Forschungsprogramme gefördert werden (s. 5.2, S. 122). Die Erforschung des Ozons in der Stratosphäre hatte mit diesen Programmen aber kaum Berührungspunkte. In dem Kapitel über die frühe Ozonforschung wird gezeigt, wie das Thema Ozon – einst ein Modethema der Chemie – in verschiedenen disziplinären Kontexten behandelt wird. Außerdem wurde bereits in dieser Phase deutlich, dass die Beobachtung globaler Gegenstände wie der Stratosphäre neue Formen der Forschungsorganisation erforderte. Mehr noch, Organisationen entwickelten sich zu einem wichtigen Erkenntnismittel, welches durch disziplinäre Programme konditioniert wird (s. 5.3, S. 138). Das nächste Unterkapitel beschreibt einen Abschnitt der Ozonforschung, den man als Latenzphase charakterisieren kann, weil in ihr die organisatorischen Voraussetzungen der modernen Atmosphärenwissen-
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schaft entstanden. Die Atmosphärenwissenschaft hat ihre Wurzeln in forschungspolitischen Programmen und die Forschungspolitik hat bis heute einen großen Einfluss auf die Entwicklung dieser Disziplin. Etwas später bildete sich in den westlichen Industriestaaten zunehmend ein Umweltbewusstsein heraus, das die damals schon bekannte Tatsache, dass der Mensch das Klima verändern kann, in einem neuen Licht erscheinen ließ (1958-1974). In der Wissenschaft vollzogen sich gleichzeitig die theoretischen Entwicklungen, die später die Formulierung der Hypothese über eine anthropogene Schädigung der Ozonschicht, wie sie zuerst im Zusammenhang mit den Folgen des Überschallluftverkehrs (Super Sonic Transportation, SST) diskutiert wurde, erlaubten (s. 5.4, S. 155). Die anschließenden beiden Unterkapitel befassen sich mit den zwei großen Ozonkontroversen: In der ersten (1974-1985) wurde vor allem im politischen System darüber gestritten, ob die Hypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW die Regulierung der FCKW-Produktion erfordere (s. 5.5, S. 170). Diese Diskussion ist dadurch gekennzeichnet, dass sich einzelne Wissenschaftler in politischen Arenen engagierten und die Grenze zwischen Wissenschaft und Politik nicht immer klar zu beobachten war. Die zweite große Kontroverse (1985-1995) fand dagegen unter den Bedingungen der Ausdifferenzierung der politischen und der wissenschaftlichen Problemkontexte statt. Die Unsicherheit über die Ursachen des antarktischen Ozonlochs führte zwar zu einer wissenschaftlichen Kontroverse, deren Schließung die Integration chemischer und klimadynamischer Theorien erforderte. Doch ließen sich die Positionen in der Kontroverse nicht auf die Positionen im politischen System abbilden. Das Montrealer Protokoll wurde auf der Basis des Vorsorgeprinzips verabschiedet, welches als ein Indikator für die Ausdifferenzierung interpretiert werden kann, insofern politische Ereignisse (Entscheidungen) von Ereignissen im Wissenschaftssystem (endgültiger Beweis) abgekoppelt werden (s. 5.6, S. 194). Das abschließende Unterkapitel nimmt noch einmal die moderne atmosphärische Chemie in den Blick. Am Beispiel der Erforschung des globalen Klimawandels und der Erdsystemmodellierung wird ihre Integration in die moderne Atmosphärenwissenschaft beschrieben. Dabei wird die Frage gestellt, welche Bedeutungen die vielen sich überlagernden scientific communities haben, die Beiträge zur atmosphärischen Chemie publizieren, und wie diese innerhalb einer Subdisziplin integriert sind (s. 5.7, S. 232).
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5.2 Die Ursprünge der atmosphärischen Chemie 5.2.1 Vorgeschichte Der Ursprung wissenschaftlicher Disziplinen wird häufig weit in die Vergangenheit, mitunter bis in die Antike zurückverlegt. Aus dieser Perspektive könnte man behaupten, dass auch die Meteorologie, ja gar die atmosphärische Chemie ihren Ursprung in antiken Weltbildern hatten, in denen die Luft neben Wasser, Erde und Feuer zu den vier Hauptelementen gezählt wurde. Besonders Aristoteles’ Meteorologica zeigt, dass man in der Antike schon einiges über die Atmosphäre wusste (Frisinger 1971). Der in den vorangegangenen Kapiteln entwickelte soziologische Disziplinenbegriff beruht aber nicht allein darauf, dass sich Wissenschaftler unterschiedlicher Kulturen und Zeitalter ähnlichen oder scheinbar ähnlichen Gegenständen zuwandten. Die Abgrenzung wissenschaftlicher Gegenstände ist nur in Bezug auf spezifische Problemstellungen zu verstehen, als deren Produkte sie gesehen werden müssen. Daher verlangt ein soziologischer Disziplinenbegriff eine Kontinuität von Theorien, Methoden und Relevanzen, kurz von Programmbündeln, sowie einen Prozess der Ausdifferenzierung sozialer Strukturen. Aus dieser Überlegung ergibt sich die Frage, ab wann von einer (sub-) disziplinären Dynamik der atmosphärischen Chemie gesprochen werden kann. Diese Frage soll – bevor sich dieses Kapitel seinem Hauptgegenstand, der Ozonforschung, zuwendet – mit einem kurzen Überblick über andere wichtige Probleme, deren wissenschaftliche und umweltpolitische Bearbeitung zur Entstehung der modernen atmosphärischen Chemie beigetragen haben, beantwortet werden. Die Anwendung der Theorien und Methoden der Chemie auf die natürliche Luft bzw. die Atmosphäre begann Ende des 18. Jahrhunderts. Wichtige Meilensteine waren die Entdeckung des Kohlendioxids durch Joseph Black (1750), die erfolgreiche Isolation von Stickstoff durch Daniel Rutherford (1772) und die voneinander unabhängige Entdeckung des Sauerstoffs durch Carl Scheele (1773) und Joseph Priestley (1774). Dass die fundamentalen Gesetze der Chemie – vor allem der Massenerhaltungssatz – auch für die Luft gelten, war ein wichtiger Prüfstein für ihre Theorien. Henry Cavendish gelang es 1781, die Hauptbestandteile der Luft mit 79,16% Stickstoff und 20,84% Sauerstoff zu quantifizieren. Im Jahre 1894 identifizierten Lord Rayleigh und William Ramsey das Edelgas Argon als einen Bestandteil der natürlichen Luft (Crutzen und Ramanathan 2000: 299). Als dritthäufigstes Gas hat es einen Anteil von nur knapp 1% am Volumen der Atmosphäre. Damit wurde das Konzept der Spurengase etabliert, die trotz ihrer geringen Konzentration die Eigenschaften der Atmosphäre maßgeblich bestimmen. Dass die häufigsten Spurengase (neben den Edelgasen sind dies Kohlendioxid, Ozon, Stick-
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oxide und Wasserdampf) unter den natürlichen Bedingungen, wie sie in der unteren Atmosphäre herrschen, kaum miteinander reagieren, führte zu dem lange vorherrschenden Bild einer chemisch nahezu inaktiven Atmosphäre. Etwas später – in der Mitte des 19. Jahrhunderts – entstand die Meteorologie als ein angewandtes Spezialgebiet der Physik. Sie ging aus drei Traditionen hervor: aus der empirischen der Klimatologie, in der Wetterdaten gesammelt, kartiert und statistisch analysiert wurden, aus der dynamischen Meteorologie, deren Ziel die Anwendung der Newtonschen Physik auf die Bewegung der Luft war, und aus der Praxis der Wettervorhersage. Die Vereinigung der drei Linien erfolgte unter dem Ziel der numerischen Beschreibung der Atmosphäre und einer Mathematisierung der Wettervorhersage. Ihre Anfänge lagen in der grafischen Lösung der die Wetterdynamik beschreibenden Differentialgleichungen mittels Wetterkarten. Erst elektronische Computer, die in den 1940er Jahren in Gebrauch kamen, ermöglichten auch die numerische Lösung von Differentialgleichungen durch Annäherungsverfahren. Die auf fluiddynamischen Grundgleichungen basierenden zweidimensionalen Wettermodelle, die in John von Neumanns Meteorologie-Projekt Verwendung fanden, können als die Urahnen der modernen Klimamodellierung angesehen werden (zur Geschichte der Meteorologie s. Nebeker 1995). Durch die Vereinfachungen, die aufgrund der begrenzten Rechenkapazitäten älterer Computergenerationen nötig waren, war eine Integration der energetischen und der stofflichen Dynamik der Atmosphäre in einem Modell lange nicht möglich. Nicht zuletzt deswegen hatten die Klimadynamik und die atmosphärische Chemie bis zur Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs nur relativ wenige Berührungspunkte. Die Fragestellungen, die zur Herausbildung der atmosphärischen Chemie führten, entstammten weder der klassischen Chemie noch der Meteorologie. Sie ergaben sich aus gesellschaftlichen Problemen des Arbeitsschutzes, der Hygiene, der Kriegsführung und der Luftverschmutzung. Erst in den 1970er Jahren, als Umweltprobleme zunehmend in das öffentliche Bewusstsein rückten, fügten sich verschiedene interdisziplinären Forschungsstränge zu einem Gesamtbild (Warneck 2003: 1). Heute ist die Beobachtung, dass die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre ihre physikalischen Eigenschaften und Dynamik bestimmt, die Grundlage der Theorien über den globalen Klimawandel. In der atmosphärischen Chemie werden aber auch Fragestellungen untersucht, die sich aus der theoretischen bzw. innerwissenschaftlichen, Entwicklung ergaben. Eine davon ist die nach der Entstehung der Erdatmosphäre durch geo- und biochemische Prozesse. Andere Forschungsthemen sind die Beschaffenheit der Gashüllen anderer Planeten9 oder 9
Eine Übersicht über diesen Forschungsstrang s. Mendillo u.a. (2002).
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auch die Rolle von Aerosolen bei der Entstehung von Niederschlägen. Diese Forschungsfelder waren aber – gemessen an den später durch Umweltprobleme bestimmten Themen – relativ klein und können nicht als treibende Kraft der (sub-) disziplinären Dynamik angenommen werden.
5.2.2 Problemorientierte Forschungsfelder In diesem Unterkapitel werden vier problemorientierte Forschungsfelder beschrieben, in denen – noch lange vor den Kontroversen über eine mögliche anthropogene Schädigung der Ozonschicht – wichtige Grundlagen für die moderne atmosphärische Chemie geschaffen wurden. Indem die disziplinären Kontexte des Wissens, das zur Bearbeitung verschiedener gesellschaftlicher Probleme herangezogen wurde, dargestellt werden, wird die Ausgangssituation des Wandels im Wissenschaftssystem umrissen. a) Luftchemie Schon sehr früh verursachte die Verbrennung von Holz und Kohle in dicht besiedelten Gebieten enorme Luftverschmutzungen, die nicht zu übersehen waren und die sichtbare Folgen für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen hatten. In England führte die Verbrennung minderwertiger, über Tage gewonnener Kohle zu so starken Rauchbelastungen, dass schon im 13. Jahrhundert versucht wurde, lokale Regulierungen durchzusetzen. Als ein wichtiger Meilenstein bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung gilt der britische Alkali Act von 1863, ein Gesetz, das den Ausstoß von Säuredämpfen aus Chemiefabriken begrenzte (zur Geschichte der Luftverschmutzung s. Dewey 2000: 19). Auch wenn diesen frühen Regulierungen nur wenig Erfolg beschieden war – die englischen Industriestädte litten noch lange unter verschmutzter Luft – markiert der Alkali Act den Beginn der wissenschaftsbasierten Regulierung von Emissionen in Großbritannien. In diesem Kontext entstand das von Robert Angus Smith verfasste Buch Air and Rain. The Beginnings of a Chemical Climatology (Smith 1872), welches das zeitgenössische Wissen über Luftverschmutzungen (impurities) zusammenfasste und erweiterte. Dieses Werk wird auch heute noch in den Lehrbüchern der atmosphärischen Chemie zitiert, weil mit ihm der Begriff des sauren Regens (acid rain) geprägt und eine erste Theorie für dieses Phänomen vorgeschlagen wurde (Kowalok 1993: 14). Mit diesem Buch könnte eine Geschichte der modernen atmosphärischen Chemie begonnen werden, zumal Smith mit seinem Titel den Anspruch formulierte, ein neues wissenschaftliches Spezialgebiet zu begründen.
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Smith war als ein unabhängiger, nicht an einer Universität beschäftigter Chemiker Mitglied der Royal Mines Commission, die für die Kontrolle der Arbeitsbedingungen in den britischen Kohlebergwerken zuständig war. Deren Qualität hing vor allem von einer ausreichenden Belüftung der Schächte ab. Zwar war die gesundheitsschädigende Wirkung schmutziger Luft bekannt, Smith gelang es aber dadurch, dass er die analytischen Methoden der Chemie anwandte und verbesserte, nachzuweisen, dass Luftverschmutzungen messbar sind, eine Ansicht, die sich nur langsam durchsetzte (Smith 1872: 3). Vom Inkrafttreten des Alkali Acts bis zum Ende seines Lebens übte Smith das Amt eines der fünf Inspektoren aus, denen die Kontrolle über die Einhaltung des Gesetzes oblag (Smith 1872: viii). Smiths Forschungsfragen ergaben sich aus den Gesundheitsproblemen, mit denen die frühkapitalistische Industriestadt Manchester belastet war. Im Vorwort schreibt er: »Chemistry has not hitherto done enough in sanitary enquiries, and ought to be able to relieve medical men of much of their heavy responsibility, although no subject relating to health can entirely taken out of their hands.« (Smith 1872: vii). Die Probleme, die Smith bearbeitete, waren also wissenschaftsexterne, die seiner Ansicht nach die Etablierung eines Spezialgebietes rechtfertigten. Interessant ist seine Relationierung der Chemical Climatology zur Medizin. Die zitierten »disziplinenpolitischen« Bemerkungen Smiths können als eine frühe Form des boundary work gelesen werden, da sie einen Bezug zu Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung (public health) herstellten, die medizinische Seite des Problems aber den Ärzten überließ. Eine wichtige Voraussetzung für die Messbarkeit von Luftverschmutzungen war die Verbesserung der analytischen Methoden. Zwar konnten Chemiker seit dem Ende des 18. Jahrhunderts das Verhältnis von Sauerstoff und Stickstoff in der natürlichen Luft relativ exakt bestimmen. Neu an Smiths Ansatz war aber, dass er dieses Verhältnis in Abhängigkeit von verschiedenen Randbedingungen untersuchte, die vor allem durch menschliche Aktivitäten determiniert waren (Stadtluft, Landluft, Luft in verschiedenen Innenräumen, z.B. in Krankenhäusern und Bergwerken), was eine höhere Messgenauigkeit erforderte. Weitere wichtige Themen Smiths waren die Aerosol-Belastungen (Rauch und Staub) der Luft oder die pH-Werte des Regens in belasteten und unbelasteten Gebieten. Er entwickelte in seinem Labor eine luftdichte Kammer, in der er den Luftverbrauch von Menschen, von Tieren, von Bergwerkslampen und verschiedenen Verbrennungsprozessen exakt bestimmen konnte. Das zu dieser Zeit bei anderen Chemikern sehr beliebte Thema des Ozons in der natürlichen Luft behandelte Smith dagegen explizit nicht, weil es nicht in den von ihm bearbeiteten Themenkreis der Luftverschmutzung fiel (Smith 1872: 4).
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Das Luftverschmutzungsparadigma, wie dieser Ansatz in Abgrenzung zur modernen atmosphärischen Chemie genannt werden soll, charakterisierte die Erforschung von Emissionen und ihre gelegentliche Regulierung durch die Politik bis zum Ende der 1950er Jahre. Dies belegt ein Review-Artikel, der von Christian E. Junge unter dem Titel Atmospheric Chemistry veröffentlicht wurde (Junge 1958). Dieser beschäftigt sich vor allem mit den aktiven Spurensubstanzen in der Troposphäre, der Größe und dem Transport von verschiedenen Aerosolpartikeln, der Zusammensetzung der natürlichen Atmosphäre und der Chemie des Regens. Dass Emissionen oder gar Aerosole bis in die Stratosphäre vordringen konnten, wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht erwogen. Das stratosphärische Ozon spielte auch bei Junge nur eine untergeordnete Rolle. Durchgesetzt hatte sich aber inzwischen die Erkenntnis, dass industrielle Emissionen sehr weite Wege in der Atmosphäre zurücklegen können. Damit gewannen die Transportprozesse und die physikalischdynamischen Prozesse in der Atmosphäre an Bedeutung. Einen anderen Akzent setzte Bert Bolin in seiner Review (Bolin 1959), in der neben der anthropogenen Luftverschmutzung auch die Rolle natürlicher Aerosole untersucht. Deren Quelle sind Vulkanausbrüche und Meeressalze, die in die Atmosphäre gelangen. Diese Forschungsprogramme standen im Zusammenhang mit einem neuen Ansatz der Meteorologie, mit dem versucht wurde, die globale Atmosphäre als einen Gegenstand der Geophysik zu erforschen. In diesen Kontexten wurde der Begriff atmospheric chemistry gebräuchlich. Die deutsche Entsprechung Chemie der Atmosphäre wurde 1948 von Hans Cauer als Titel einer Review verwendet – auch diese fokussierte vor allem auf Verschmutzungen der Luft und auf Aerosole (Cauer 1948; Warneck 2003). Im Science Citation Index (SCI) lässt sich der Term »atmospheric chemistry« das erste Mal 1955 nachweisen. Es handelt sich dabei um einen Konferenzbericht der Second Informal Conference on Atmospheric Chemistry in Stockholm (Eriksson 1955). b) Chemische Kriegsführung Auch Forschungsprogramme, die im Zusammenhang mit der chemischen Kriegsführung standen, können als eine Anwendung des Luftverschmutzungsparadigmas gelten, weil es in Gaskriegen darum ging, die Luft derart zu verschmutzen, dass die Gegner nicht mehr kampf- oder lebensfähig waren. Besonders Fritz Haber, der für sein Verfahren der Ammoniak-Synthese einen Nobelpreis erhielt, hat sich auf diesem Forschungsfeld hervorgetan, aber auch in anderen Ländern wurde Giftgas für den Kriegseinsatz entwickelt (z.B. in den USA, s. Whittemore 1975). Die ersten Chlorgaseinsätze durch die deutsche Reichswehr in Ypern gehören zu den traumatischsten Ereignissen des Ersten Weltkrieges. Vom
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strategischen Standpunkt aus waren diese Giftgasangriffe aber höchst ineffektiv, weil schon eine kleine Änderung der Wetterbedingung dazu führen konnte, dass auch die eigenen Soldaten in eine Gaswolke gerieten. Diese Probleme machen auf makabre Weise ein wichtiges Problem der atmosphärischen Chemie deutlich: die Übertragung von Laborergebnissen in eine komplexe Umwelt, in der es keine Gefäßwände gibt. Auch wenn es im Zweiten Weltkrieg – aufgrund dieser und anderer Schwierigkeiten – nur vereinzelt zum Einsatz von Giftgas auf dem Schlachtfeld kam, wurden große Forschungsanstrengungen unternommen, um Soldaten und die Zivilbevölkerung vor Giftgasangriffen zu schützen, aber auch um neue chemische Waffen zu entwickeln. Aufgrund der großen Reichweite strategischer Bomber und neuentwickelter Raketen konnten Giftgaseinsätze gegen die Bevölkerung nicht ausgeschlossen werden. In den USA wurde diese Forschung in den 1940er Jahren unter der Ägide des National Defense Research Council (NRDC) und des Chemical Warfare Service (CWS) vor allem in Kalifornien, z.B. am California Institute for Technology (Caltech) in Pasadena, an der University of California in Los Angeles und Berkeley durchgeführt. Die Westküste der USA schien prädisponiert für einen japanischen Giftgasangriff und man hielt das Los-Angeles-Becken für ein mögliches, besonders verwundbares Ziel. Gründe dafür waren sowohl die hohe Bevölkerungsdichte als auch häufig auftretenden Inversionswetterlagen, die ein schnelles Aufsteigen der Giftgase in die Atmosphäre durch die Umkehrung des Temperaturprofils verhindert hätten (Johnston 1992, 2004). Am California Institute of Technology (Caltech) wurde in Laborexperimenten getestet, wie lange Aktivkohlefilter, die in Gasmasken und bei der Bunkerventilation zum Einsatz kamen, verschiedenen giftigen Substanzen standhalten konnten, bevor die reaktiven Substanzen der Filter aufgebraucht waren und somit ihre Wirkung verloren. Die Herausforderung bestand darin, analytische und quantitative Nachweismethoden zu entwickeln, die den Durchbruch der Gase durch die Filter erfassen konnten (Johnston 2004: 30ff.). Später wurden die Verfahren – vor allem der Messung von Gaskonzentrationen – so weiterentwickelt, dass sie auch unter Feldbedingungen im Freien angewandt und mit mikrometeorologischen Daten in Beziehung gesetzt werden konnten (Johnston 2004: 80f.). Bevor diese neuen Techniken der in-situ-Messung entwickelt wurden, führte man derartige Giftwaffenexperimente, bei denen es darum ging, Giftgase und Gasmasken so aufeinander abzustimmen, dass die eigenen Truppen unbeschadet blieben, während die feindlichen Soldaten möglichst großen Schaden davon tragen sollten, mit angepflockten Ziegen durch (Johnston 2004: 190f.). Bei umfangreichen Feldexperimenten in Florida und Panama wurde die Ausbreitung von Chlorid-Gas in Regenwäldern und anderen Umgebungen untersucht, die auf den ostasiatischen Kriegsschauplatz verwiesen.
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Für die atmosphärische Chemie war diese Forschung von Bedeutung, weil es dabei komplizierte Messverfahren für Gase in der (bodennahen) Atmosphäre zu entwickeln galt. Solche in-situ Messungen waren der Analyse von Luftproben im Labor überlegen, weil sie unmittelbar mit den anfallenden meteorologischen Daten wie der Temperatur, dem Luftdruck oder der Windgeschwindigkeit in Beziehung gesetzt werden konnten. Auch wenn dies noch immer innerhalb des Luftverschmutzungsparadigmas geschah, war das »Reaktionsgefäß« Atmosphäre nun durch hochkomplexe Transportprozesse und den Wandel seiner physikalischen Eigenschaften gekennzeichnet. c) Fotochemischer Smog Das Scheitern des Luftverschmutzungsparadigmas wurde angesichts des fotochemischen Smogs10 offensichtlich. Erstmals wahrgenommen wurde dieser mysteriöse Smog Anfang der 1940er Jahre im Los-AngelesBecken. Die dabei auftretende starke Luftverschmutzung war überraschend, weil in Südkalifornien aufgrund des warmen Wetters und der geringen Industrialisierung nur wenig Kohle verbrannt wurde. Die Verbrennungsrückstände von Kohle waren die Ursache für die Luftverschmutzungen in den Industriestädten an der Ostküste der USA und in Europa. Eine besonders schwere Smog-Situation trat 1941 kurz nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg auf. Aufgrund der starken Augenreizungen glaubten viele Bewohner Los Angeles’, Opfer eines japanischen Giftgasangriffs geworden zu sein (Doyle 2000: 17). Auch eine neue Gummifabrik geriet als mögliche Quelle unter Verdacht. Als diese für wenige Wochen außer Betrieb genommen wurde, um neue Filteranlagen einzubauen, verbesserte sich die Smog-Situation aber kaum (Dewey 2000: 40). Aufgrund der starken Belastungen wurde von der lokalen Politik schon früh versucht regulierend einzugreifen. Bereits 1943 wurde das Los Angeles County Smoke and Fumes Committee ins Leben gerufen, welches aus drei Wissenschaftlern bestand, aber nur eine beratende Funktion innehatte. Im November 1944 kam es dann zur Gründung des Bureau of Air Pollution Control, das mit seinem erweiterten Mandat Maßnahmen zur Reduktion von industriellen Emissionen beschließen und durchsetzen konnte, wenn die Schädlichkeit von Emissionen wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte (Haagen-Smit 1970: 888). Beide Gremien gingen immer noch von dem Luftverschmutzungsparadigma aus und waren auf der Suche nach einem einzelnen oder wenigen größeren Verursachern dieser Emissionen. Eine von der Erdölindustrie finanzierte und am Stanford Research Institute (SRI) durchgeführte Studie identifizierte Schwefeldioxid als eine mögliche Ursache für den Smog. Diese Studie 10 Smog ist ein Kunstwort, das aus den englischen Begriffen smoke (Rauch) und fog (Nebel) gebildet wurde.
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begründete auch den Verdacht gegen die Gummifabrik, in der Schwefel zur Vulkanisierung von Reifen und anderen Produkten verwendet wurde. Aufgrund der Theorie des sauren Regens, bei dem in Regenwasser gelöste Emissionen zum Niederschlag von Schwefelsäure führen, wurden Schwefelverbindungen auch für die Ursache der neuen Form der Luftverschmutzung gehalten. Trotz der Regulierung der SchwefeldioxidEmissionen durch das Bureau of Air Pollution Control blieb das SmogProblem aber bestehen. Ab 1946 wurden vom Los Angeles County Air Pollution Control District, welches vom Bundesstaat Kalifornien eingerichtet worden war, neue Forschungsprogramme zur Untersuchung der Ursachen des L.A. smog aufgelegt. Die Anomalie, die das Luftverschmutzungsparadigma in Frage stellte, bestand in dem beobachteten Missverhältnis zwischen der relativ geringen Menge emittierter giftiger Gase als Ursache und den starken Wirkungen für die menschliche Gesundheit und die Pflanzenwelt. Ein weiterer Effekt war, dass der Smog offensichtlich Kunststoffe, z.B. Gummi, zerstörte.11 Zwar konnte ein Zusammenhang zwischen den Emissionen, dem stark zunehmenden Autoverkehr und dem Smog-Phänomen relativ schnell statistisch etabliert werden. So traten nach dem Ende von Sportveranstaltungen z.T. lebensbedrohliche SmogKonzentrationen auf, wenn die Besucher alle auf einmal die Motoren ihrer Autos starteten (Doyle 2000: 18). Eine Erklärung für dieses Phänomen fand man aber vorerst nicht. Von der Auto- und Ölindustrie wurde der Zusammenhang von Smog und Autoverkehr bestritten und es wurden Forschungsprogramme finanziert, die die Schwefelthese stützen sollten (Johnston 1992: 12). Der Biochemiker Arie J. Haagen-Smit vom California Institue of Technology (Caltech) untersuchte das Problem der zerstörten Pflanzen, über das die Farmer in der Umgebung von Los Angeles zunehmend klagten. Er brachte die dort auftretenden geheimnisvollen Pflanzenerkrankungen mit der neuartigen Form der Luftverschmutzung in Verbindung. 1950 veröffentliche er eine Theorie über die fotochemischen Ursachen des Smogs und den durch die Reaktionsprodukte verursachten katalytischen Aufbau giftigen Ozons. In Laborexperimenten setzte Haagen-Smit eine Mischung aus ungesättigten und daher hochreaktiven Kohlenwasserstoffen (volatile organic compounds, VOC), Stickoxiden (NOx ) und Luft ultravioletter Strahlung aus, die das Sonnenlicht simulierte, wobei sich das Gas in der Testkammer tatsächlich eintrübte (Doyle 2000: 19). Haagen-Smit fand heraus, dass der sichtbare Smog aus Aerosolen besteht, die durch die Oxidation ungesättigter Kohlenwasserstoffe entstehen. Diese VOCs sind z.B. ein Bestandteil unvollständig verbrannten Benzins, dessen Konzentration in der Luft mit der Zunahme des Auto11 Das stark oxidierende Ozon entzog dem Material die Weichmacher (vor allem Schwefelverbindungen).
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Radikalerzeugung
Radikalabbau
(1) O3 + hv −−−→ O2 + O( 1D)
(4) HO + NO2 + M −−−→ HNO3 + M
(2) O( 1D) + M −−−→ O + M
(3) O( 1D) + H2 O −−−→ 2 HO Ozonproduktion
Ozonabbau
(5) HO + CO −−−→ CO2 + H
(11) HO + CO −−−→ CO2 + H
(6) H + O2 + M −−−→ HOO + M
(12) H + O2 + M −−−→ HOO + M
(7) HOO + NO −−−→ HO + NO2 (rds)
(13) HOO + O3 −−−→ HO + 2 O2 (rds)
(8) NO2 + hv −−−→ NO + O
(14) net: CO + O3 −−−→ CO2 + O2
(9) O + O2 + M −−−→ O3 + M (10) net: CO + 2 O2 −−−→ CO2 + O3
Tabelle 8: Grundlegende Prozesse bei der Entstehung des L.A. smog am Beispiel von CO als VOC (Zusammenfassung nach Johnston 1992: 13)
verkehrs stieg, und der Dämpfe, die aus den Ölraffinerien im Stadtgebiet von Los Angeles entwichen. Zudem katalysieren diese Substanzen den fotochemischen Aufbau von Ozon in den unteren Schichten der Atmosphäre. Ozon ist eine giftige Substanz und die Ursache für die beobachtete Zerstörung von Pflanzen und Gummi, aber auch für die Augenreizungen, über die viele Menschen klagten. In Tabelle 8 sind die grundlegenden Reaktionsgleichungen vor allem deswegen aufgeführt, um ihre Ähnlichkeit mit der später von Crutzen (1970) entwickelten Theorie des Ozongleichgewichts in der Stratosphäre aufzuzeigen (s. S. 165). Das Prinzip der Entstehung des bodennahen (aber unsichtbaren) Ozons in SmogSituationen kann vereinfacht wie folgt beschrieben werden: • In mehreren Initialreaktionen spaltet das ultraviolette Licht der Sonne das in geringen Mengen in der natürlichen Atmosphäre vorhandene Ozon auf. Dabei entstehen Sauerstoff- und Hydroxylradikale (Reaktionen 1-3). • Diese Radikale haben eine stark oxidierende Wirkung. So wandeln sie das Kohlenmonoxid aus den Abgasen in Kohlendioxid um (Reaktion 5). Durch die Oxidation von ungesättigten Kohlenwasserstoffen (VOCs) unter der Anwesenheit von Stickstoffverbindungen entstehen auch komplexere Kohlenwasserstoffe (z.B. Peroxiacetylnitrat und Aldehyde), die die Eintrübung der Luft verursachen und z.T. hochgiftig sind. • Ein Nebenprodukt dieser durch verschiedene Radikale ausgelösten Oxidationsprozesse (Reaktionen 6-10) ist Ozon. Dadurch, dass dieses Ozon nun den Initialreaktionen (Reaktionen 1-3) vermehrt zur Verfügung steht, verstärkt sich der Gesamteffekt in einer positiven Rückkopplungsschleife.
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• Gebremst wird dieser Mechanismus dadurch, dass das ebenfalls entstehende Stickstoffdioxid (NO2 ) einen Teil der Radikale bindet und zudem einen Ozonabbau katalysiert (Reaktionen 11-14). (Dass NO2 -Moleküle in der Lage sind einen Ozonabbau zu katalysieren, hatte später für die Erklärung der ozonreduzierenden Prozesse in der natürlichen Stratosphäre eine wichtige Bedeutung.) • Die tatsächliche Ozonkonzentration stellt sich als ein Gleichgewicht zwischen den ozonauf- und den ozonabbauenden Prozessen ein. Dieses Gleichgewicht hängt von der Konzentration der VOCs (Reaktion 5) und der Intensität der Sonnenstrahlung ab (h v , Reaktionen 2 und 8). Die Abkürzung rds steht dabei für rate determining step. • Eine höhere Strahlungsintensität der Sonne hat auch zur Folge, dass ein Teil des NO2 aufgespalten wird (Reaktion 8). Damit steht dieses nicht mehr für die Reduktion der Radikale (Reaktion 4) zur Verfügung. In der Folge steigt die Ozonkonzentration weiter an.
Die Schließung der Kontroverse über den L.A. Smog und die Etablierung der fotochemischen Theorie erfolgte 1955 auf einem Treffen der American Chemical Society (ACS) und einer Konferenz über Chemical Reactions in the Urban Atmosphere im Februar 1956 (Haagen-Smit 1970). Später wurde die Theorie weiter verfeinert und auch für andere Substanzen ausgearbeitet, die ebenfalls in der Lage sind, den Aufbau von bodennahem Ozon zu katalysieren (zur Übersicht s. Johnston 1992: 10ff.). Die Signifikanz dieser Entwicklung für die atmosphärische Chemie bestand darin, dass in der Debatte über die Ursachen des fotochemischem Smogs das Wissen darüber etabliert wurde, dass die Bestandteile der natürlichen Atmosphäre selbst mit den anthropogenen Emissionen reagieren konnten. Die Vorläuferprodukte des Smogs NOx und VOCs wirken als Katalysatoren für Prozesse, die aus den Bestandteilen der natürlichen Luft giftige Stoffe – u.a. auch Ozon – entstehen lassen. Mit der Theorie über die Ursachen des L.A. Smogs erlangte das Konzept des dynamischen Gleichgewichts zwischen fotolytischen und katalytischen Prozessen eine wichtige Bedeutung in der atmosphärischen Chemie. Haagen-Smit focht einen lebenslangen Kampf mit der Autoindustrie, um bessere Emissions-Standards durchzusetzen, und prägte in verschiedenen Management-Positionen bis hin zum US President’s Task Force Advisor on Air Pollution und später im National Air Quality Advisory Committee die frühe amerikanische Umwelt- und die damit verbundene Forschungspolitik (Bonner 1989: 200). Dieses Komitee beriet seit der Verabschiedung des Clean Air Act Amendment 1977 die für die Regulierung von Luftverschmutzungen zuständige US Environmental Protection Agency (EPA).
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d) Radiochemie Der fotochemisch Smog ist ein Phänomen der unteren Schichten der Atmosphäre. Die höhere Atmosphäre wurde dagegen zwischen 1940 und 1960 zum Gegenstand radiochemischer Forschungsprogramme, die sich mit den Reaktionen radioaktiver Isotope befassten. Zwei Entwicklungen machten die Chemie der Atmosphäre für dieses Forschungsfeld besonders interessant. Die erste war die Entdeckung des radioaktiven Kohlenstoff-14-Isotops ( 14C), welches später bei der Erforschung des globalen Kohlenstoffkreislaufes und in der Biogeochemie eine große Bedeutung erlangen sollte. Zweitens war die Untersuchung der Auswirkungen oberirdischer Atomwaffentests, bei denen radioaktive Substanzen bis in die Stratosphäre gelangten, eine treibende Kraft für die radiochemische Erforschung der höheren Atmosphäre. In der Radiochemie war bekannt, dass kosmische Strahlungen beim Eintreffen in die höhern Schichten der Atmosphäre (Ionosphäre) Neutronen freisetzen, die das häufigste Isotop des Stickstoffs 14N in eine radioaktive Form des Kohlenstoffs 14C umwandeln können.12 Aufgrund der hohen UV-Strahlung bewegen sich diese Isotope als freie Atome, bevor sie sich auf ihrem Weg in tiefere Schichten der Atmosphäre mit Sauerstoff zu 14CO2 verbinden. Entdeckt wurde dieser Prozess von den Chemikern Martin Kamen und Sam Ruben in Berkeley. Er ist die Quelle jeglichen Kohlenstoffs in der Biosphäre. Das 14C-Isotop zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5.600 Jahren, wobei das auf der Erde häufigste, nichtradioaktive Kohlenstoffisotop 12C und das etwas seltenere 13C entstehen. Auf der Basis dieses Wissens entwickelte Williard Libby eine Methode der Kohlenstoffdatierung. Da nur lebende Organismen Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen können, kann aus dem Anteil von Kohlenstoff-14 in organischen Materialien bzw. der noch vorhandenen Radioaktivität darauf geschlossen werden, wie viel Zeit seit dem Absterben des dazugehörigen Organismus verstrichen ist (Libby 1961). Diese Entdeckung revolutionierte u.a. die Archäologie, weil nun ein zuverlässiges Verfahren für die Datierung organischen Materials, z.B. von Holz, Leder oder Wolle, zur Verfügung stand. Aber auch für die Klimaforschung spielte das Kohlenstoff-14-Isotop eine zunehmend wichtige Rolle. Aus dem Verhältnis von Kohlenstoff-14 und den anderen nicht radioaktiven Kohlenstoffisotopen kann geschlossen werden, wie viel des Kohlendioxids in der Atmosphäre fossilen Brennstoffen entstammt. Weil fossile Kohlenstoffquellen schon sehr lange den atmosphärischen Prozessen entzogen waren, enthalten sie keine Kohlenstoff-14-Isotope mehr. Daher führt die Zunahme von Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe zu einem relativen Rückgang des Anteils von Kohlendioxidmolekülen, die ein 14C-Atom enthalten (Mégie 1989: 50f.). 12 n + 14N −−−→ 14C + 1N, n steht für ein freies Neutron der kosmischen Teilchenstrahlung, welches die Reaktion auslöst.
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Eine andere wichtige Forschungsfrage der Radiochemie stand im Zusammenhang mit den in den 1950er Jahren durchgeführten oberirdischen Atomwaffentests. Genauere Kenntnisse der Transportwege und des Niederschlags (fall-out) radioaktiver Substanzen, z.B. Strontium90 ( 90St), waren deswegen von Bedeutung, weil damals große Mengen dieser Spaltprodukte in die Atmosphäre gelangten. Ein Ziel der Forschung war es, die möglichen Folgen solcher Tests für die Bevölkerung abzuschätzen, ein anderes Schlüsse auf die atomaren Aktivitäten der jeweils anderen Seite zu ziehen. Bei der Zündung von Bomben des Hiroshima-Typs gelangten die Spaltprodukte »nur« bis in die Troposphäre, wo sie nach relativ kurzer Zeit und regional einigermaßen begrenzt durch den Regen ausgewaschen wurden. Im Gegensatz dazu schleuderte die über hundertfach stärkere Sprengkraft von Wasserstoffbomben radioaktives Spaltmaterial bis in die Stratosphäre. Weil es in der Stratosphäre faktisch kein Wasser gibt, dauern die fall out-Prozesse wesentlich länger, d.h. mehrere Jahre oder Jahrzehnte. Durch die gute Durchmischung der Stratosphäre wurden die radioaktiven Spaltprodukte um die ganze Welt transportiert. So konnten sowjetische Atombombenversuche nicht nur durch Seismografen, sondern auch durch stratosphärische in situ-Messungen über dem Territorium der USA registriert werden (Libby 1959). Oberirdische Atomtests sind die größten Experimente, die bisher mit der Atmosphäre unternommen wurden. Riesige flugzeugbasierte Messnetze wurden installiert, um Veränderungen in der Stratosphäre zu registrieren. So flossen im Rahmen der Atomwaffenprogramme große Geldsummen in die radiochemische Forschung. In den USA wurde sie vor allem von der Atomic Energy Commission (AEC) gefördert. Das US-amerikanische Militär installierte 1957 das High Altitude Sampling Program, in dem unter Einsatz von sechs Lockheed U-2Spionageflugzeugen Partikel in der Stratosphäre gesammelt wurden, um den Gehalt radioaktiver Stoffe zu bestimmen (Feeley 1960: 645). Später bildeten U-2-Flugzeuge und die modifizierte Forschungsversion ER-2 das Rückgrat der NASA-Flotte zur Erforschung der Stratosphäre. So hatten die organisatorisch-technischen Strukturen, derer sich die frühe Ozonforschung – vor allem im Rahmen des Climate Impact Assessment Programs (CIAP) – bediente, ihren Ursprung in der radiochemischen Forschung. Sherwood Rowland, der 1974 zusammen mit Mario Molina die Hypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW aufstellte, war ein Mitarbeiter Libbys. Die Rolle der Radiochemie spiegelte sich sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der institutionellen Entwicklung der atmosphärischen Chemie wieder. Eines der ersten umfangreichen Lehrbücher war Christian Junges Air Chemistry and Radioactivity. Etwas später wurde Junge Leiter der 1968 neu eingerichteten Abteilung für die Chemie der Atmosphäre und physikalische Chemie der Isotope am Max-
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Planck-Institute für Chemie in Mainz, welches von seinem Nachfolger Paul Crutzen zu einem wichtigen Zentrum der modernen atmosphärischen Chemie entwickelt wurde.
5.2.3 Gesellschaftliche Problembezüge und wissenschaftliche Dynamik Wie kaum eine andere naturwissenschaftliche Disziplin stand die Chemie schon früh in gesellschaftlichen Anwendungsbezügen. Sie bildete die Basis für die chemische Industrie, die an der Wende zum 20. Jahrhundert rasch wuchs. Die Anwendungen, die auch in staatlich finanzierten Projekten – Vorläufern der modernen Großforschung – gefördert wurden, reichten von der Schädlingsbekämpfung, der Düngemittelentwicklung, der Arzneimittelherstellung bis hin zur chemischen Kriegsführung.13 Bereits nach dem Ersten Weltkrieg war die American Chemical Society (ACS) die größte disziplinäre Fachorganisation der Welt (Servos 1985: 132). Mit der Luftverschmutzung und den Folgen von Giftgasangriffen wurden von einer kleinen Gruppe von Chemikern auch die für den Menschen und die Umwelt schädlichen Auswirkungen vieler Substanzen wahrgenommen. Angesichts der verbreiteten Nutzung ihrer Forschungsergebnisse in der Gesellschaft ist es nicht verwunderlich, dass die negativen Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zuerst im Kontext der Chemie wahrgenommen wurden. Solange die Erforschung der unverschmutzten Luft als ein Testfall für die Theorien der Chemie behandelt wurde, konnte neues Wissen auch innerhalb dieser integriert werden. Die Luftchemie ging aber weniger aus wissenschaftlichen, sondern vielmehr aus gesellschaftlichen Problemlagen hervor. Diese entstanden in sehr verschiedenen Kontexten und wurden meist als Probleme der Hygiene von lokalen, später auch von nationalen Behörden bearbeitet. Anfangs wurde dabei oft nicht einmal auf wissenschaftliches Wissen zurückgegriffen. Die schlechte Luft in den Industriestädten des 19. Jahrhunderts war sicht- und fühlbar, die rauchenden Schlote der Fabriken waren als Verursacher schnell zu identifizieren. Schwieriger war es aber, gegen den vom Fortschritt geprägten Zeitgeist Regulierungen durchzusetzen. Die Verwissenschaftlichung des Problems bot daher einen zeitgemäßen Ausweg. Robert Smith war einer der ersten, die das Wissen der Chemie anwandten, um die Schädlichkeit von industriellen Emissionen mit wissenschaftlichen Methoden zu belegen. Bald zeigte sich, dass dieses Programm neue Arten der Forschung erforderte. Dennoch gerieten die Luftchemie bzw. die atmosphärische Chemie nur selten in theoretische oder methodische Kontroversen mit dem Mainstream der Chemie. Der Unterschied bestand auf der 13 Zu der frühen unter anderem vom Militär geforderten und von Fritz Haber geleiteten chemischen Großforschung s. Szöllosi-Janze und Trischler (1990).
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a) Verortung
Luftverschmutzung Chemische Kriegsführung L.A. Smog Radioaktiver Niederschlag Zerstörung der Ozonschicht b) Substanzgruppen Luftverschmutzung Chemische Kriegsführung L.A. Smog Radioaktiver Niederschlag Zerstörung der Ozonschicht c) theoretische Konzepte
Luftverschmutzung Chemische Kriegsführung L.A. Smog Radioaktiver Niederschlag Zerstörung der Ozonschicht
lokal
global
x x x
Troposphäre
Stratosphäre
x x x x x
x x NOx
Toxizität direkt indirekt x x x x x
ClOx
VOCs
SOx
x x
x x x
x x
dynamisches Gleichgewicht
Transport
Aerosole x
x
x
x
x
x x x x x
Ozon O/O2
HOx
x
x
x
x
x
x
Fotolyse
Katalyse
x
x x x
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x
x x x
d) Organisationen der Problemformulierung
Politik
führende Organisationen
Forschung
Luftverschmutzung Chemische Kriegsführung L.A. Smog Radioaktiver Niederschlag Zerstörung der Ozonschicht
lokale US Army L.A. County Rüstungsforschung Umweltschutz
lokal CWS Bur. Air Poll. Contr. AEC CIAP, NASA
diverse Caltech Caltech UCLA diverse
Tabelle 9: Problembezüge der Atmosphärischen Chemie
Ebene der Relevanzprogramme. Die Anwendung chemischen Wissens in der Industrie folgte meist dem reduktionistischen Ansatz der Laborchemie. Die Anlagen wurden installiert, um reine Substanzen herzustellen und zu vermarkten. In der atmosphärischen Chemie mussten dagegen enorm komplexe Systeme aus einer Vielzahl von relativ einfachen – und daher für den reduktionistischen Ansatz uninteressanten – Reaktionen beschrieben werden. Die in diesem Unterkapitel skizzierten Forschungsprogramme sind in der Tabelle 9 unter dem Aspekt der Rekombination des wissenschaftlichen Wissens und der Organisation der Problembearbeitung im politischen und im Wissenschaftssystem zusammengefasst. In der Teiltabelle (a) zeigt sich, wie sich der Fokus der Problemwahrnehmung der frühen Luftchemie von dem der Ozonforschung unterschied. Innerhalb des Luftverschmutzungsparadigmas wurden lokale Emissionen in der Troposphäre (anfangs nur bodennah) mit einer direkten Toxizität für den Menschen oder auch für die Pflanzenwelt untersucht. Die Atmosphäre erschien dabei als ein Reaktionsgefäß, als Speicher oder als Trans-
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portmedium für Verunreinigungen. Mit Ausnahme des hochreaktiven Sauerstoffs galten die nur 14 bekannten Gase der natürlichen Atmosphäre weitgehend als inert, d.h. es wurde angenommen, dass zwischen diesen keine chemischen Reaktionen ablaufen.14 Dieses Bild kam erst mit der Entdeckung des fotochemischen Smogs ins Wanken. Die Untersuchung der anthropogenen Ozonreduktion brachte es endgültig zu Fall. Die Schädigung der Ozonschicht stellte sich als ein globales Problem dar, welches sich aus der chemischen Dynamik der natürlichen Stratosphäre ergab, wenn der Prozess des Ozonabbaus durch zusätzliche Katalysatoren, z.B. Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) beschleunigt wird. Das Risiko für den Menschen entsteht nicht aus der direkten Toxizität der emittierten Substanzen, sondern ist eine Folge der Erhöhung der Strahlungsintensität des ultravioletten Lichtes auf der Erdoberfläche, weil die Filterwirkung der Ozonschicht mit ihrer Ausdünnung geringer wird. Auch auf der Ebene dessen, was man gewöhnlich als die Gegenstände wissenschaftlicher Disziplinen bezeichnet, gab es anfangs nur wenige Berührungspunkte zwischen den hier behandelten Forschungsfeldern und der damaligen Ozonforschung. Die Erforschung der stratosphärischen Ozonschicht fand vor einem anderen disziplinären Hintergrund satt, der im nächsten Unterkapitel beschrieben wird (s. 5.3, S. 138). Erst durch die bei oberirdischen Atombombentests freigesetzten radioaktiven Substanzen wurde deutlich, dass menschliche Aktivitäten auch die Stratosphäre verschmutzen konnten. In der Radiochemie wurde im Grunde das Luftverschmutzungsparadigma auf die Stratosphäre angewandt, auch wenn dort fotolytische Prozesse aufgrund der hohen Strahlungsintensität schon immer beachtet werden mussten. Dabei entstanden technische und organisatorische Voraussetzungen für die Messung von Gasen und Aerosolen in der Stratosphäre (in situ), wie sie später bei der Erforschung der Ozonschicht eine wichtige Rolle spielen sollten. In der Teiltabelle (b) sind die Stoffgruppen aufgelistet, die in den einzelnen Problemkontexten von Bedeutung waren. Dabei bezeichnen die chemischen Symbole im Kopf der Tabelle nicht nur einzelne Substanzen, sondern die chemischen Familien, die mit den Elementen Sauerstoff, Stickstoff, Chlor, den flüchtigen Kohlenwasserstoffen (volatile organic compounds, VOC) oder auch dem Schwefel verbunden sind.15 Auch hier ist eine zunehmende Konvergenz der Forschungsfelder zu beobachten. Diese ergibt sich daraus, dass die natürlichen Bestandteile der Atmosphäre vor allem bei der Erklärung des fotochemischen Smogs und der 14 »In summary, the atmosphere in 1950 was viewed as inert chemically, and for good reason—most of the chemicals known to be present near the surface were essentially inert. Accordingly, the atmosphere near the surface was viewed as a fluid that moved moisture, heat, and momentum and that transported pollutants away from cities, factories, and fires.« (Cicerone 1999: 19) Einige Lehrbücher der atmosphärischen Chemie sind nach diesen chemi15 schen Familien gegliedert. Siehe z.B. Brasseur u.a. (1999).
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anthropogenen Ozonzerstörung mit einbezogen werden mussten. Das Problem des radioaktiven Niederschlags spielt hier eine geringere Rolle. Das Wissen der Chemie lässt sich auch nach verschiedenen theoretischen Konzepten einteilen (Teiltabelle c). Die moderne atmosphärische Chemie unterscheidet sich von der älteren Luftchemie durch die zentrale Bedeutung der Fotolyse, der Katalyse und durch das Konzept dynamischer Gleichgewichte, die von einer Vielzahl chemischer Prozesse bestimmt sind. Die Konzentrationen der einzelnen Spurengase, aber auch die der Aerosole in der Atmosphäre ergeben sich dabei als die Bilanz aller Quellen und Senken. Dieses Konzept wurde Ende der 1950er Jahre von Christian Junge als Grundprinzip der atmosphärischen Chemie formuliert (Warneck 2003). Für die Beschreibung der Transportprozesse chemischer Substanzen in der Luft benutzte man innerhalb des Luftverschmutzungsparadigmas nur relativ einfache Parameter, z.B. Luftdruck und Windrichtung. Als das überregionalen Ausmaß von Luftverschmutzungen deutlich wurde, mussten immer mehr meteorologische und klimadynamische Daten berücksichtigt werden. Es reichte nicht mehr aus, die Meteorologie nur als eine Hilfswissenschaft anzusehen. Der fotochemische Smog zeigte, dass die Wetterbedingungen einen großen Einfluss auf die chemischen Prozesse in der Atmosphäre haben. Interessanterweise wurde die Bedeutung von Transportprozessen und anderen klimadynamischen Effekten in der Ozonforschung lange unterschätzt. Erst die Erklärung des saisonal und regional entstehenden antarktischen Ozonlochs machte die Notwendigkeit einer Integration chemischer und dynamischer Prozesse deutlich. Ähnliches gilt für die Aerosole. Konzentrierte sich die frühe atmosphärische Chemie vor allem auf Staubpartikel und Rauch, widmete sich die Ozonforschung bis in die 1980er Jahre fast ausschließlich der Gasphase der Atmosphäre. Das Ozonloch konnte aber nur durch Gasreaktionen erklärt werden, die auf der Oberfläche von Aerosolen auftraten (sogenannte heterogene Reaktionen in polaren Stratosphärenwolken). In der vierten Teiltabelle (d) sind die politischen und die organisatorischen Einbettungen der jeweiligen Problemformulierungen angedeutet. Die aufgeführten politischen Programme und die organisatorischen Strukturen stellen nur einzelne Beispiele für frühe Initiativen der Problemlösung dar. Heute sind Hunderte sehr heterogene Organisationen mit diesen Problemen befasst. Eine erschöpfende Aufzählung ist kaum mehr möglich. Die Tabelle zeigt aber, dass in dem behandelten Zeitraum im politischen System keine Konvergenz der Problembearbeitung zu beobachten ist. Die Umweltpolitik entwickelte sich erst später zu einem einheitlichen Politikfeld. Die Forschung zu den einzelnen Themen konzentrierte sich aber räumlich auf Kalifornien (Caltech, UCLA, Berkeley). Damit waren dort in der atmosphärischen Chemie so viele Wissenschaftler beschäftigt, dass es bald auch Studenten gab, die sich in dieser
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Disziplin spezialisierten.16 Waren die Anlässe für die Erforschung chemischer Prozesse in der Atmosphäre meist gesellschaftliche Probleme, ergab sich die Konvergenz der Forschungsfelder, die zur Entstehung der atmosphärischen Chemie führte, vorrangig aus der Ähnlichkeit theoretischer und methodischer Probleme.
5.3 Aeronomie Dieses Unterkapitel beschreibt die Forschungsprogramme, in denen das Wissen über die Eigenschaften der natürlichen Stratosphäre, die ganz wesentlich durch Ozon bestimmt sind, etabliert wurde. Diese hatten nur wenige Berührungspunkte mit der Luftchemie oder der frühen atmosphärischen Chemie. Dafür lassen sich drei Gründe anführen: Erstens wurde eine Verschmutzung der höheren Schichten der Atmosphäre durch menschliche Aktivitäten lange nicht in Betracht gezogen und sie fand bis zur Erfindung der Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) durch Thomas Midgley (1928) und dem Beginn ihrer industriellen Produktion in den 1930er Jahren faktisch nicht statt. Die Verschmutzung der städtischen Luft und die spezifischen Eigenschaften der höheren Atmosphäre hatten weder in der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung noch in den wissenschaftlichen Theorien etwas miteinander zu tun. Das änderte sich erst, als Flugzeuge und Raketen immer höher flogen und durch Atombombentests radioaktive Substanzen in die Stratosphäre gelangten. Auf die Gefahr für die Ozonschicht, die sich aus den FCKW-Emissionen ergab, wurde erst 1974 auf der Basis einer wissenschaftlichen Hypothese geschlossen. Diese verdankte sich der Rekombination bestehender Theorien angesichts neuer Relevanzen, die sich aus dem zunehmenden Umweltbewusstsein in der Gesellschaft ergaben. Zweitens blieb die Erforschung der Stratosphäre – im Gegensatz zur Luftchemie – lange ein Thema der meteorologischen Grundlagenforschung. Das Interesse an der Stratosphäre ging mit der Widerlegung der These, dass die Dynamik der Ozonschicht einen Einfluss auf das Wetter haben könnte, zurück, bevor sie etwas später angesichts oberirdischer Atomwaffentests für die radiochemische Forschung interessant wurde. Ein dritter Grund ist darin zu suchen, dass die Erforschung des fotochemischen Smogs vor allem in den USA große Fortschritte machte. Ein geografischer Schwerpunkte befand sich in Kalifornien, vor allem in und um Los Angeles (Caltech, University of California Los Angeles, UCLA). Die frühe Erforschung der Stratosphäre und des ihre Eigenschaften bestimmenden Ozons fand aber an europäischen Universitäten und Instituten statt – die Zentren waren bis in die 1950er Jahre Paris, Oxford und 16 Prominente Beispiele sind Sherry Rowland, Mario Molina, Robert Watson und Susan Solomon.
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Physik
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Chemie natürliche Dynamik
anthropogene Verschmutzung
Stratosphäre
Aeronomie
Radiochemie
Troposphäre
Meteorologie
Luftchemie
Abbildung 2: Disziplinäre Matrix um ca. 1950
der Schweizer Kurort Arosa. Solange das Wissen keinen »angestammten Ort« im Wissenschaftssystem hatte und die Forschung nur zu einem geringen Grade organisiert war, waren die persönlichen Kontakte in den Problemgemeinschaften wichtig; geografische Nähe war dabei ein Vorteil. Zudem ist die Geschichte der modernen atmosphärischen Chemie die der Integration zweier Wissenschaftskulturen. In den USA spielte die durch verschiedene Regierungsprogramme geförderte und durch föderale Behörden (agencies) koordinierte problem- bzw. anwendungsorientierte Großforschung eine zunehmende Rolle. Diese erwies sich später durch ihre Verkopplungen in vielen Bereichen der Gesellschaft für Umweltprobleme besonders resonanzfähig (s. 5.4.1, S. 157). In Europa dominierte die universitäre Grundlagenforschung auch die Meteorologie noch lange Zeit. In Abbildung 2 ist die disziplinäre Ausgangssituation um 1950 entlang der beiden Unterscheidungen natürliche Dynamik versus anthropogene Verschmutzung der Atmosphäre und Stratosphäre versus Troposphäre skizziert. Dabei wird deutlich, wie gering die Berührungspunkte zwischen den Gebieten der Luftchemie und der Aeronomie noch waren. Erst mit der Erkenntnis, dass das Ozon in der Stratosphäre ähnlichen dynamischen Gesetzen wie der fotochemische Smog unterliegt, zeichnete sich eine Konvergenz ab. Die Vorstellung, dass physikalisch-dynamische Prozesse der Atmosphäre natürlich seien, Chemie aber im Wesentlichen nur als anthropogene Verschmutzung eine Rolle spiele, hielt sich dagegen hartnäckiger. Noch der Ausgangspunkt der Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs (nach 1985) lässt sich entlang dieser Unterscheidung beschreiben (s. 5.6, S. 194). Der Begriff Aeronomie geht auf einen Vorschlag Sydney Chapmans zurück, der 1946 anregte, das umständliche Wort meteorology abzu-
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schaffen, weil es als eine Ableitung von »Meteor« in in die Irre führe.17 Chapman schlug vor, die Wissenschaft von der Atmosphäre innerhalb einer Systematik von astronomy, aeronomy und geonomy zu integrieren (Chapman 1946).18 Diese Idee stand in einem engen Zusammenhang mit Chapmans Arbeiten zur höheren Atmosphäre, die die Theorie des dynamischen Gleichgewichts von ozonaufbauenden und ozonabbauenden Prozessen etablierte. Chapmans Vorschlag stieß bei seinen britischen Meteorologie-Kollegen aber nur auf wenig Gegenliebe. Auch wenn der Vorschlag einer Integration der Geowissenschaften die Leistungsfähigkeit der damaligen Theorien und Methoden bei weitem überschritt, eröffnete er ein riesiges Problemfeld für internationale Forschungsprojekte, deren Fragestellungen die Herausbildung der modernen Atmosphärenwissenschaft stimulierten. Im Rahmen des International Geophysical Year (IGY) 1957/58, an dessen Organisation Chapman maßgeblich beteiligt war, wurde das Potential dieser Idee deutlich (s. 5.3.2, S. 151). In dem bis dahin größten Kooperationsprojekt der Wissenschaftsgeschichte wurden geophysikalische und Klimadaten in Parallelmessungen erfasst und der Forschung zur Verfügung gestellt. In den USA fielen diese Entwicklungen auf einen fruchtbareren Boden als in Europa. Weil die Meteorologie dort bis nach dem Zweiten Weltkrieg kaum akademisch institutionalisiert war, gab es mehr Raum für die Entstehung einer neuen Disziplin.19 Im Folgenden soll die wissenschaftliche und die forschungsorganisatorische Entwicklung von der Entdeckung des Ozons bis zum International Geophysical Year (IGY) nachgezeichnet werden. Der Fokus liegt dabei auf dem Nachweis, dass die Erforschung der Stratosphäre schon früh auf organisierte, internationale Kooperationen angewiesen war. Besonders die Ozonforscher der 1930er bis 1950er Jahre waren weniger Genies in Einsamkeit und Freiheit als vielmehr frühe Forschungsmanager, die es verstanden, weltumspannende Kooperationen zu organisieren oder bestehende Netzwerke der Wetterbeobachtung zu nutzen, um einen globalen Gegenstand – die Ozonschicht – zu untersuchen.
17 Nur am Rande sei erwähnt, dass der deutsche-russische Wissenschaftler Wladimir Köppen schon 1906 den Namen Aerologie für die Wissenschaft von der höheren Atmosphäre vorschlug (Sonnemann 1992: 22). 18 Heute bezeichnet der Begriff Aeronomie ein Spezialgebiet, dass sich mit den höchsten Schichten der Atmosphäre (Ionosphäre, Exosphäre) oder mit der Atmosphäre anderer Planeten befasst. Sie umfasst damit Prozesse, die durch die kosmische Strahlung angetrieben sind und überwiegend auf atomarer oder subatomarer Ebene stattfinden (exemplarisch Mendillo u.a. 2002). In den USA bestand seit 1870 ein nationaler Wetterdienst. Dieser sammelte 19 vor allem Wetterdaten, die auf Militärstützpunkten erhoben wurden, und stellte sie der Geschäftswelt zur Verfügung. An den Universitäten wurden erst in den 1920er Jahren meteorologische Studiengänge eingerichtet.
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5.3.1 Wissenschaftliche Entwicklung a) Die Entdeckung und die chemische Zusammensetzung des Ozons Die Entdeckung des Ozons (O3 ) stand im Zusammenhang mit elektrochemischen Experimenten, die sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreuten. Bereits 1785 berichtete der niederländische Physiker Martinus van Marum von einem typischen Geruch, der bei elektrischen Entladungen in der Luft entstünde (da Silva u.a. 2003: 881). Im Jahre 1839 vermutete der Baseler Chemiker Christian Friedrich Schönbein, dass dieser Geruch auf eine bisher unentdeckte Substanz (zeitgenössisch: Körper, s. Mégie 1989: 9) zurückzuführen sei, die bei der elektrischen Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff mittels einer Volta’schen Säule entsteht (Lemmerich 1990: 18f.). Schönbein verlieh dieser Substanz den Namen Ozon, den er von dem griechischen Wort für »riechen« ozein ableitete (Rubin 2001: 47). Die Zusammensetzung des Ozons stellte eine Herausforderung für die chemische Analyse dar, weil mit den verfügbaren elektrolytischen Verfahren der Ozondarstellung Konzentrationen von 5% kaum überschritten werden konnten. Auguste de la Rive vermutete 1845, dass Ozon eine besondere Form des Sauerstoffs sei, weil es sich auch durch elektrische Entladungen in trockenem Sauerstoff herstellen ließ. Er widersprach damit Schönbeins Theorie, dass es sich bei Ozon um eine Verbindung aus Stickstoff und Sauerstoff oder eine Form des Wasserstoffperoxids handele (Burns 1997: 179). Bestätigt wurde die Sauerstoffhypothese 1856 durch Thomas Andrews und Peter G. Tait. Die genaue Molekülstruktur blieb aber vorerst ein Rätsel. Thomas S. Hunt vermutete, dass ein Ozonmolekül aus jeweils drei Sauerstoffatomen bestehen müsse; andere Wissenschaftler schlossen sich dieser These an oder mutmaßten, dass Ozon atomarer Sauerstoff sei (Burns 1997). Die Bestätigung der O3 -These gelang 1864 dem Schweizer Chemiker Jacques-Louis Soret (zur Identifizierung der chemischen Formel des Ozons s. Rubin 2001: 45ff.). Da der typische Ozongeruch auch bei Gewittern auftrat, wurde früh vermutet, dass Ozon, erzeugt durch die elektrischen Ladungen der Blitze, auch ein Bestandteil der natürlichen Luft sei. Schönbein selbst entwickelte die ersten Verfahren zum Nachweis von Ozon in der Luft. Dazu benutzte er Kaliumjodid-Stärke-Papier, welches sich bei der Anwesenheit von Ozon bläulich verfärbte (Lemmerich 1990: 25). G. Osann stellte 1853 eine Methode vor, mit der man auf der Basis des KaliumjodidVerfahrens – wenn auch relativ grob – auf die Konzentration des (bodennahen) Ozons schließen konnte (Osann 1853). Ein verfeinertes Verfahren benutzte der französische Wissenschaftler André Houzeau, der 1857 erste Zeitreihenmessungen des Ozons begann (Mégie 1989: 10). Diese frühen Messungen waren aufgrund der mangelnden Genauigkeit und der Schwierigkeiten der Standardisierung, die das verwendete
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Kaliumjodid-Verfahren mit sich brachte, problematisch (Farell 2005: 61). Die erste längere systematische Zeitreihenbeobachtung der bodennahen Ozonwerte führte Albert-Levy 1876 bis 1910 an einem Observatorium am Stadtrand von Paris durch. Die Genauigkeit dieser Messungen war schon verhältnismäßig hoch, wie Vergleichsmessungen mit einem nachgebauten Instrument 1987 zeigten (Graedel und Crutzen 1996: 120). Ozon entwickelte sich in der Chemie schnell zu einem Modethema. So lagen bereits 1879 550 Artikel und 14 Bücher über Ozon und die zeitweilig kursierende Theorie über das Antizon vor (Farell 2005: 60). Zudem war es für die Chemie schon damals typisch, dass neue Erkenntnisse die Suche nach technischen oder medizinischen Anwendungen beflügelten. Deshalb interessierten sich auch Ingenieure und Mediziner für die geheimnisvolle Substanz. Eine frühe technische Anwendung von Ozon war die Reinigung von Trinkwasser. Aufgrund seiner stark oxidierenden Wirkung vermag Ozon schädliche Stoffen zu binden (zu oxidieren). Viele Ärzte glaubten, dass das Ozon der Luft – besonders in den Wäldern und im Gebirge wurden hohe Konzentrationen vermutet – gesund sei, weil es im Körper vagabundierende freie Radikale binden könne. Mit dieser Begründung wurden Spaziergänge in den Wäldern oder Kuraufenthalte in den Bergen empfohlen. Später bestätigte sich diese Theorie allerdings nicht. Ozon ist für die Menschen ziemlich toxisch. Doch ging der vermeintlich typische Geruch besonders frischer Luft in den Wäldern nicht auf das Ozon zurück (Rubin 2002). Wissenschaftsorganisatorisch vollzog sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Wandel, der durch den Bedeutungsverlust der Akademien zugunsten der Universitäten und durch die Ablösung der persönlichen Korrespondenz einzelner Wissenschaftlern durch das System wissenschaftlicher Zeitschriften gekennzeichnet war. Betrachtet man die Biografie Schönbeins, so ist er ein typisches Beispiel für eine Generation von Wissenschaftlern, die sich noch beider Systeme bediente. Die Entdeckung des Ozons zeigte Schönbein bei der Münchner Akademie an. Eine persönliche Korrespondenz mit Michael Faraday und eine Vorlesung On Schönbeins Ozone, die Faraday am 13. Juni 1851 in London hielt, etablierten das Thema im sich mehr und mehr ausdifferenzierenden Wissenschaftssystem. Schönbein schrieb aber auch Aufsätze für wissenschaftliche Fachzeitschriften, die ursprünglich aus den Mitteilungsblättern der Akademien hervorgingen. Ihre Reichweite war jedoch noch begrenzt, was auch daran zu sehen ist, dass Schönbein nahezu identische Artikel über das Ozon in verschiedenen Sprachen in Italien, Frankreich, Deutschland und England veröffentlichte (Rubin 2001). b) Ozon in der Stratosphäre Auch wenn Ende des 19. Jahrhunderts an verschiedenen Orten, meist unabhängig voneinander, der Ozongehalt der Luft gemessen wurde, kam
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das atmosphärische Ozon als ein etablierter Gegenstand meteorologischer Forschung erst später – mit der Entdeckung der Stratosphäre – in den Blick. Dazu bedurfte es Beobachtungsmethoden, die von neuen Formen der wissenschaftlichen Kooperation und später zunehmend von Organisationen abhingen. Ein Pionier der Erkundung der höheren Atmosphäre war Léon Teisserence de Bort, der um die Jahrhundertwende die Techniken der Fernerkundung mit unbemannten Wetterballons verbesserte. De Bort war Leiter des französischen Wetterdienstes, bevor er im Ruhestand ein eigenes, auf Wetterballons spezialisiertes Observatorium aufbaute. 1901 führte er Messungen durch, die zeigten, dass die Temperatur in einer Höhe von 10 Kilometern wieder abrupt ansteigt und bis 14 Kilometer – die maximale Höhe, die seine Ballons erreichten – relativ konstant 27° Celsius beträgt. Dies widersprach der Annahme, dass die Temperatur mit zunehmender Höhe stetig abnimmt. Doch begründeten diese singulären Daten noch nicht die Theorie der geschichteten Atmosphäre. Erst durch parallele Messungen an mehreren Orten der Erde konnte festgestellt werden, dass es sich bei dieser Anomalie um ein universelles Phänomen handelte. De Bort kooperierte mit dem amerikanischen Meteorologen A. Lawrence Rotch, dem Leiter des an der Boston University neu eingerichteten Blue Hill Observatoriums, der de Borts Messungen in der Nähe von Boston replizierte. Später (1905) bestätigten de Bort und Rotch die Universalität der Entdeckung auf einer gemeinsamen, von der British Meteorological Society finanzierten Expedition an Bord der Dampfjacht Ontario. Auf dieser wurden Messungen an verschiedenen Orten im mittleren Atlantik vorgenommen. Auch das Königlich-Preußische Aeronautische Observatorium in Lindenberg bei Berlin unternahm stratosphärische Temperaturmessungen in Deutschland und auf einer Expedition in Afrika. Diese bestätigten ebenfalls die Ergebnisse von de Bort (Watt 1910: 45). Anfangs bezeichnete de Bort das Phänomen der weltweit konstanten Temperaturen in der höheren Atmosphäre als isothermal layer, bevor er 1908 vorschlug, die Schichten der Atmosphäre mit den Begriffen Troposphäre und Stratosphäre zu bezeichnen (Cagin and Dray 1993: 131; Farman 2001: 78). Mit den neuen Methoden der Fernerkundung – vor allem mit dem Einsatz von Ballons – und der Erkenntnis, dass die Atmosphäre in größeren Höhen überraschend andere Eigenschaften als in Bodennähe aufwies, wurde die Meteorologie zu einer dreidimensionalen Wissenschaft. Ein wichtiger Beitrag zur Etablierung des Wissens über die Stratosphäre war die Entdeckung der optischen Eigenschaften des Ozons. Marie-Alfred Cornú stellte 1879 bei Messungen des Solarspektrums fest, dass ultraviolettes Sonnenlicht mit einer Wellenlänge von ungefähr 300 nm in der Atmosphäre absorbiert wird. Nur kurze Zeit später (1880) fand Walter N. Hartley in Laborexperimenten heraus, dass Ozon kurzwelliges
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Licht im Wellenbereich von 200 bis 300 nm absorbiert, und brachte die Reduktion spezifischer Spektralbereiche des Sonnenlichts in der Atmosphäre mit dem Ozon in Verbindung. Im Bereich von 206 bis 244 nm fand er eine weitere Absorptionsbande (die später Hartley-Bande genannt wurde, s. Johnston 1992; Mégie 1989: 11). Weitere Absorptionsbanden wurden 1880 von J. Chappuis (Chappuis-Bande 408-853 nm) und 1890 von Sir William Huggins (Huggins-Bande 278-363 nm, Solomon 1999: 275) entdeckt. Aus ihren Absorptionseigenschaften ergibt sich die Bedeutung der Ozonschicht für das Erdsystem und vor allem für das irdische Leben. Das Ozon in der Stratosphäre absorbiert die lebensfeindlichen Bereiche der UV-Strahlung des Sonnenlichts. Würde diese in ihrer vollen Identität den Erdboden erreichen, wäre jedes Leben auf dem Festland unmöglich. Die Gefahr, die von einer Reduktion der Ozonschicht ausgeht, resultiert aus dem daraus folgenden Anstieg der UV-Exposition. Neben einem starken Anstieg von Hautkrebsfällen würde sich die gesamte Biosphäre stark verändern, weil z.B. viele Pflanzen nicht überleben könnten. c) Ozonforschung in Frankreich, Großbritannien und der Schweiz Die ersten Versuche, das atmosphärische Ozon unter der Ausnutzung seiner optischen Eigenschaften zu messen, wurden von Charles Fabry und Henri Buisson im Jahr 1920 in Marseille unternommen. Dazu entwickelten die beiden Wissenschaftler ein spezielles Spektrofotometer. Mit diesem Gerät wurde das Spektrum des Sonnenlichts durch Prismen aufgespalten und auf fotografischen Platten festgehalten. Aus der Intensitätsminderung einzelner Spektralbereiche (Bänder), von denen bekannt war, dass sie durch Ozon absorbiert werden, konnte auf die Dicke der Ozonschicht geschlossen werden (Mégie 1989: 15). In einer Reihe von Laborexperimenten fanden Fabri und Buisson heraus, dass eine Schicht von drei Millimetern reinen Ozons die gleichen Absorptionseigenschaften wie das vertikal in der Atmosphäre verteilte Ozon hat. Damit wurde das erste Mal ein numerischer Wert für den Ozongehalt der Atmosphäre angegeben. Ein anderes wegweisendes Experiment führten Lord Raleigh und F.W.P. Götz durch. Sie benutzen das von Fabry und Buisson entwickelte Messverfahren, um das Spektrum einer Quecksilberdampflampe bodennah und aus großer Entfernung zu analysieren. Sie beobachteten dabei nur eine geringe Reduktion der Spektralbänder, die durch das Ozon absorbiert werden. Da die bodennahe Luft offensichtlich nur wenig Ozon enthielt, musste das Maximum der Ozonkonzentration also in größeren Höhen zu finden sein (Dobson 1968: 387). Fabry and Buisson schätzten die Höhe des Ozonmaximums später auf 50 km oder höher (Mégie 1989: 15). Mit der Beschreibung des Ozongehalts der Atmosphäre durch das Äquivalent einer
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dünnen Schicht reinen Ozons unter Normaldruck und der ungleichmäßigen vertikalen Verteilung des Ozons in der Atmosphäre bürgerte sich der Begriff der Ozonschicht ein, auch wenn es sich nicht wirklich um eine dünne Schicht handelt. Fabry und Buisson brachten später auch die spezifischen thermischen Eigenschaften der Stratosphäre mit dem Ozon in Verbindung. Durch die Absorption der UV-Strahlung der Sonne durch das Ozon heizt sich die Stratosphäre auf, es herrscht weltweit eine fast konstante Temperatur von 27° Celsius. Eine Ausnahme sind die Polarregionen, wo im arktischen Winter aufgrund des Fehlens der Sonneneinstrahlung auch die Temperatur der Stratosphäre auf extrem niedrige Werte absinkt. In den 1920er Jahren entwickelten sich Oxford und Arosa durch die enge Kooperation von Gordon M.B. Dobson und F.W.P. Götz zu den Zentren der Ozonforschung. An beiden Orten wurde die Erforschung des atmosphärischen Ozons durch Hypothesen stimuliert, die später widerlegt wurden, aber mit praktischen Problemen verbunden waren. In Arosa, einem Kurort in der Schweiz, der nach dem drastischen Rückgang von Tuberkulose-Erkrankungen durch medizinische Fortschritte in einer Krise steckte, war man auf der Suche nach neuen heilenden Qualitäten. Diese erhoffte man sich unter anderem auch von dem vermeintlich hohen Ozongehalt der Gebirgsluft. So wurde Götz von der Kurverwaltung eingestellt, um systematische Messungen der Ozonwerte zu organisieren, die von der Kurverwaltung finanziert wurden (Lemmerich 1990: 85). Der Anlass für die regelmäßigen Ozonmessungen an der Oxford University war die Hypothese Frederick Lindemanns, dem Leiter des Clarendon Laboratory, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Variabilität der Ozonschicht und verschiedenen Wetterereignissen gäbe. Tatsächlich besteht ein Zusammenhang zwischen der Verteilung von Hoch- und Tiefdruckgebieten und der gemessenen Dicke der Ozonschicht. Doch stellte sich dieser später als eine Scheinkorrelation heraus, die darauf zurückzuführen ist, dass sowohl das Wetter als auch der Ozongehalt von der wechselnden Intensität der Sonneneinstrahlung abhängen. Lindemann regte aufgrund seiner Hypothese eine Routinisierung der Ozonmessung innerhalb des Netzwerkes der Wetterstationen an (Dobson 1968). Dobson, der diese Aufgabe als ein Schüler Lindemanns übernahm, benutzte anfangs eines der von Fabry and Buisson entwickelten Spektrofotometer. Dieses erwies sich aber für eine routinierte Ozonmessung, wie sie eine alltägliche meteorologische Anwendung erforderte, als zu umständlich. Dobson entwickelte daraufhin ein verfeinertes Instrument, welches sich dasselbe Grundprinzip zu Nutze machte. Der Unterschied bestand aber darin, dass die für die Bestimmung des Ozongehalts unerheblichen Spektralbereiche ausgefiltert wurden, bevor das Spektrum auf fotografischen Platte aufgezeichnet wurde. Zu diesem Zweck entwickelte
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Dobson spezielle Filter, die er aus mit Brom und Chlor gefüllten Quarzröhren herstellte. Die Verbesserung der Geräte ermöglichte eine relativ einfache Bedienung, womit Messungen der Ozonschicht auch von dem Personal der Wetterstationen durchgeführt werden konnte. Der Erfolg der Dobson-Spektrofotometer, die schon bald quasi den Standard der stationären, grundbasierten Ozonmessung bildeten und es z.T. auch heute noch sind20 , ist darin zu suchen, dass Dobson ihren Einsatz organisierte. Anfangs arbeitete Dobson vor allem mit F.W.P. Götz zusammen. Die Station Arosa, an der Götz arbeitete, verfügte durch den frühen Einsatz eines Fabry-Spektrofotometers über die längste Messreihe der Dicke der Ozonschicht. Eine Zeit lang wurde das FabryBuisson-Instrument parallel zu dem neuen Dobson-Instrument eingesetzt, wodurch eine Kalibrierung der beiden Messreihen möglich wurde. Bald bezog Dobson aber auch andere europäische Wetterstationen in sein Programm ein. Diese schickten die in den Dobson-Instrumenten belichteten Fotoplatten per Post nach Oxford, wo sie von Dobson und seinen Mitarbeitern unter konstanten Laborbedingungen entwickelt und anschließend ausgewertet wurden. Im Gegenzug für diesen Service erhielten die beteiligten Stationen die Daten aller anderen Stationen zugesandt. Dieses Verfahren kann in einem übertragenen Sinne als eine Form der Fernerkundung betrachtet werden, welche sich des im Rahmen der International Meteorological Organization (IMO) organisierten Netzwerkes bediente. Dobson gab strenge Vorschriften für das Messverfahren vor, die eingehalten werden mussten, damit zuverlässige Ozondaten erzeugt werden konnten. Die bis heute zur Messung der gesamten Dicke der Ozonschicht (total integrated column) verwendete Maßeinheit wurde später nach Dobson benannt (Dobson oder Dobson unit, DU). Dabei entsprechen 300 Dobson dem Äquivalent der drei Millimeter dicken Schicht reinen Ozons unter Normaldruck. Der organisatorische Aufwand für die Einrichtung und den Betrieb des Netzwerkes bestand nicht nur in der Verteilung der Spektrofotometer und dem Sammeln der Daten. Eine weitere Voraussetzung für die zuverlässige Datenproduktion war die regelmäßige Kalibrierung der Instrumente. Dazu wurden die Geräte in bestimmten Abständen nach Oxford zurückgebracht und mit dem Prototyp D1 abgeglichen. Seit Anfang der 1960er Jahre organisierte die WMO die Kalibrierung der Instrumente. Dazu werden Workshops an wechselnden Orten organisiert, auf denen sich die Teams aus aller Welt mit ihren DobsonInstrumenten treffen, um diese unter exakt gleichen Bedingungen neu zu kalibrieren (Brönnimann u.a. 2003b: 2820). Dobson und seine Mitarbeiter etablierten das Wissen über die tageszeitliche, saisonale und geografische Variabilität der Ozonschicht in 20 Auch die Satellitenmessungen werden immer noch anhand stationärer Dobson-Instrumente kalibriert.
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einer Artikelserie (Dobson und Harrison 1926; Dobson u.a. 1927, 1929; Dobson und With 1930). Die Erkenntnisse über die geografische Variabilität beruhten dabei vorerst auf den Daten von insgesamt sieben Dobson-Spektrofotometern. Sechs davon wurden in Europa und eins in Chile aufgestellt und täglich fotografische Platten belichtet. Später wurden die Instrumente umverteilt, um die Dicke der Ozonschicht in anderen Teilen der Welt zu untersuchen. Zwischen August 1928 und November 1929 wurden in Indien, Ägypten, den USA und Neuseeland Messungen der Ozonschicht vorgenommen und damit die grundlegenden Erkenntnisse über die globale Distribution des stratosphärischen Ozons gewonnen (Brönnimann u.a. 2003a: 2803). Die Forschergruppe von Dobson stellte fest, dass die Ozonschicht in höheren Breiten, nahe der Pole, durchschnittlich dicker ist als am Äquator. Unter der Annahme, dass Ozon durch die UV-Strahlung der Sonne gebildet wird, die am Äquator höher ist als an den Polen, vermutete Dobson 1930, dass das Ozon durch eine weltweite Zirkulation der Atmosphäre polwärts transportiert werden müsse. Angetrieben werden könne eine derartige Zirkulation dadurch, dass kalte Luftmassen an den Polen nach unten und warme Luft am Äquator nach oben steigen. Belegt und ausformuliert wurde die Theorie der Brewer-Dobson-Zirkulation 1949 von A.W. Brewer, der anhand der Verteilung von Wasserdampf und Helium eine weltweite Zirkulation der Atmosphäre nachweisen konnte. Der dynamische Effekt der Brewer-Dobson-Zirkulation auf die Ozonschicht wurde von Dobson und seinen Mitarbeitern aber überschätzt. Zwar konnte gezeigt werden, dass das Ozonmaximum am Äquator tatsächlich in einer größeren Höhe zu finden ist als an den Polen, doch war der Effekt geringer als erwartet (Brewer 1949: 361). Dass die klimadynamischen Effekte auf die Ozonschicht tatsächlich gering waren, führte zu einer Verschiebung des Interesses. In den nächsten zwanzig Jahren lag der Fokus vor allem auf den chemischen Prozessen in der Stratosphäre. Die Brewer-Dobson-Zirkulation kam erst mit den katalytischen Theorien des dynamischen Ozonabbaus wieder ins Gespräch, als es die Frage zu klären galt, wie die Substanzen (vor allem FCKW und Bromverbindungen), die den Ozonabbau katalysieren, überhaupt in die Stratosphäre gelangen können (vor allem in der Theorie Crutzens spielt sie eine zentrale Rolle, s. S. 165f.). Durch die Brewer-Dobson-Zirkulation, ein Zyklus dauert ungefähr fünf Jahre, kommt es zu einer Durchmischung der Troposphäre, die 90% der Masse der Atmosphäre ausmacht, und der Stratosphäre (Solomon 1999: 279). Nach der Untersuchung der tageszeitlichen, saisonalen und geografischen Verteilung des Ozons bestand die Herausforderung darin, die vertikale Distribution des Ozons zu messen und zu erklären. Dieses Thema bestimmte die Ozonforschung bis in die 1970er Jahre. Immer dann, wenn die Theorie so verbessert wurde, dass sie die gemessenen Verteilungen
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gut erklären konnten, führten genauere Messungen der Ozonprofile oder auch der Intensität der eintreffenden Sonnenstrahlung (radiative forcing), die die chemischen Prozesse antreibt, zu neuen Anomalien. Über die Höhe der Ozonschicht herrschte lange große Unsicherheit. Verschiedene Schätzungen vermuteten das Ozonmaximum zwischen 10 und 100 Kilometern. Das Problem bestand darin, dass die verfügbaren Ballons nur die untere Grenze der Stratosphäre erreichen konnten. F.W.P. Götz gelang es, unter der Verwendung zweier Dobson-Spektrofotometer genauere Ozonprofile auf optischem Wege zu erstellen. In der von ihm entwickelten Umkehr-Methode werden bei Sonnaufgang oder bei Sonnenuntergang die Spektren des Streulichts mit den Spektren des direkten Lichts verglichen. Aus den beobachteten Differenzen kann durch relativ komplizierte Berechnungen auf das Ozonprofil geschlossen werden. Das Maximum der Ozonkonzentration wurde von Götz in einer Höhe von 22 km gemessen (Johnston 1992: 2). d) Die Theorie des dynamischen Ozongleichgewichts Sydney Chapman schlug 1929 eine quantifizierte Theorie des dynamischen Gleichgewichts ozonaufbauender und ozonabbauender Reaktionen in der Stratosphäre vor. Beide Prozesse werden dabei von der UV-Strahlung der Sonne angetrieben. Chapmans Theorie stimmte mit den vertikalen Ozonprofilen, wie sie von Götz mit der Umkehrmethode gemessen wurden, gut überein. Mehr noch, die von Dobson und seinen Kollegen beschriebenen regionalen und saisonalen Unterschiede in der Ozonverteilung konnten durch die Theorie vollständig erklärt werden. Auch die Ergebnisse nächtlicher Ozonmessungen, die Chalonge und Götz unter der Ausnutzung des Mondlichtes durchführten und bei denen sie feststellten, dass die Dicke der Ozonschicht auch nachts nahezu konstant blieb, ließen sich mit dieser Theorie vereinbaren. Bei der Abwesenheit von Sonnenlicht kommen sowohl die ozonabbauenden als auch die ozonaufbauenden Prozesse nahezu zum Stillstand, so dass die Ozonmenge in der Atmosphäre konstant bleibt (Mégie 1989: 16). Die von Chapman entdeckten ozonaufbauenden Prozesse sind auch in den heute gültigen Theorien des Ozongleichgewichts akzeptiert. Komplizierter sieht es dagegen auf der Seite der ozonabbauenden Prozesse aus, hier erwies sich das Chapmansche Modell später als unzureichend: • Chapman ging von einer Beobachtung des kanadischen Physikers John Cunningham McLennans aus, der durch spektroskopische Messungen nachweisen konnte, dass in der höheren Atmosphäre atomarer Sauerstoff (O) vorhanden ist. Dieser entsteht durch die Fotodissoziation von molekularem Sauerstoff (O2 ) unter der Einwirkung von UV-B-Strahlung (hv mit 242 nm, s. Tabelle 10, Reaktion 1).
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Formation
Zerstörung
(1) O2 + hv −−−→ 2 O (rds) (2) O + O2 + M −−−→ O3 + M (zweimal)
(4) O3 + hv −−−→ O2 + O (5) O3 + O −−−→ 2 O2 (rds)
(3) Summe: 3 O2 −−−→ 2 O3
(6) Summe: 2 O3 −−−→ 3 O2
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Tabelle 10: Chapmans Theorie des dynamischen Gleichgewichts des Ozons in der Stratosphäre (Zusammenfassung nach Johnston 1992: 3)
• Diese freien Sauerstoffatome kollidieren mit den »normalen« Sauerstoffmolekülen (O2 ). Zur Bildung von Ozon (O3 ) kommt es dabei dann, wenn ein drittes Gasmolekül (M) vorhanden ist, welches die frei werdende Reaktionsenergie aufnehmen kann, der Energieerhaltungssatz also erfüllt ist (three body reaction, Reaktion 2). • Aufgrund der Höhe des von Götz gemessenen Ozonmaximums schloss Chapman aus, dass die kosmische Teilchenstrahlung (auch diese kann Moleküle aufspalten) einen Effekt auf die Ozonschicht haben könne. Die fotolytischen Prozesse, die das Ozongleichgewicht bestimmen, werden allein durch das UV-Licht der Sonne angetrieben. • Chapman vermutete, dass die Ozonmoleküle durch die Einwirkung der UV-Strahlung der Sonne in ein Sauerstoffmolekül und ein Sauerstoffradikal zerlegt werden (Reaktion 4). Trifft ein nun wieder freies Sauerstoffatom auf ein anderes Ozonmolekül, kann es dieses ebenfalls aufspalten. Es entstehen zwei gewöhnliche Sauerstoffmoleküle. • Diese vier Prozesse befinden sich nach Chapman in einem ständigen Gleichgewicht. Ein Sauerstoffmolekül, welches in dem Prozess nach Formel 1 frei wird, kann auch sofort Ozon zerlegen, wie es in der Formel 5 dargestellt ist. Entscheidend für den Ozongehalt in der Atmosphäre sind die beiden Prozesse (Reaktionen 1 und 5), von denen die Formations- (k 1 ) und die Zerlegungsrate (k 2 ) des Ozons abhängt (rds = rate determining step). Von dem Verhältnis dieser beiden Geschwindigkeiten zueinander hängt es ab, auf welchem Niveau sich das Ozongleichgewicht einpegelt. • Chapman waren alle Konstanten bekannt, die er benötigte, um die Reaktionsraten zu berechnen, außer der Intensität der solaren UV-Strahlung oberhalb der Atmosphäre. Mit dem geschätzten Wert, den Chapman zugrunde legte, stimmten die Berechnung und die Ozonprofile aus Arosa gut überein (s. Chapman 1930; Johnston 1992: 3). Doch war dieser Wert, wie sich später herausstellte, zu hoch. Zwar finden auch die von Chapman beschriebenen Abbauprozesse statt, doch sind sie zu langsam. Sie können nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Ozonabbaus erklären.
Mit der Chapmanschen Theorie wurden wichtige Grundlagen für die atmosphärische Chemie gelegt. So stellte sie das Bild einer scheinbar
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inreaktiven Atmosphäre in Frage. Später wurde dieses durch Theorien abgelöst, nach denen Hunderte sich wechselseitig beeinflussende Reaktionen, die sich in einem Gleichgewicht befinden, für die spezifische chemische Zusammensetzung der Atmosphäre verantwortlich sind. Eine weitere wichtige Erkenntnis Chapmans ist, dass die UV-Strahlung der Sonne diese Prozesse antreibt. Die Erwärmung der Stratosphäre ergibt sich aus der Umsetzung der UV-Strahlung in die Reaktionsenergie des chemischen Gleichgewichts. e) Latenz (bis ca. 1957) In den vorangegangenen Abschnitten wurde gezeigt, welche Wissensbestände in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammengefügt wurden, um die Eigenschaften der Stratosphäre und ihre chemische Dynamik zu erklären. Um den Anlässen für die Rekombinationsentscheidungen auf die Spur zu kommen, die in den 1970er Jahren zur Entdeckung eines akuten Umweltproblems führen sollten, kann aber auch gefragt werden, welche Wissensbestände, die in die spätere Risikohypothese einflossen, zu diesem Zeitpunkt schon bekannt waren, aber noch nicht zusammengefügt wurden. Diese Perspektive nimmt vor allem Böschen (2000) ein, der davon ausgeht, dass die Risikohypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW schon in den 1930er Jahren hätte formuliert werden können, weil das zugrundeliegende wissenschaftliche Wissen im Wesentlichen vorhanden war. So stellte der deutsche Chemiker F. Weigert bereits 1907 in Laborexperimenten fest, dass die Anwesenheit von Chlor die fotochemische Dissoziation von Ozon beschleunigt; 1925 wurde die den Ozonobbau beschleunigende katalytische Wirkung auch für Brom nachgewiesen (Farman 2001: 83). Aber noch waren keine Quellen für Chlor (oder Brom) in der Stratosphäre bekannt. Freon – so der DuPont-Markenname für die erst später so bezeichneten Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW) – wurde 1928 von dem Amerikaner Thomas Midgley erfunden. Dieser bevorzugte es, die Ungefährlichkeit von Freon werbewirksam und vor großem Publikum an seinem eigenen Körper vorzuführen. Mit seiner Ungiftigkeit und Nichtbrennbarkeit war Freon den damals verwendeten Kühlmitteln (z.B. Ammoniak) vorzuziehen (Andersen u.a. 2002: 4). DuPont nahm 1930 die kommerzielle Produktion von Freon auf. Möglicherweise wussten einige Chemiker schon in den 1930er Jahren, dass Freon durch ultraviolettes Licht aufgespalten werden konnte (Böschen 2000: 62f.), mit der Stratosphäre hatten die Chlorchemie und die FCKW zu dieser Zeit aber dennoch nichts zu tun. Ironischerweise wies der britische Arzt George M. Findlay die karzinogene Wirkung intensiver UV-Strahlung fast gleichzeitig mit der Erfindung von Freon nach (Albert und Ostheimer 2003: 1098f.). Zwar war bekannt, dass die Ozonschicht intensive UV-Strahlung von der Erde abhält.
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Eine Gefahr wurde daraus aber nicht abgeleitet, weil zu dieser Zeit niemand eine Beeinflussung der Ozonschicht durch den Menschen in Betracht zog. Auch wenn dieses Wissen in den 1930er bereits vorhanden war und im Groben auf die Gebiete verwies, die später in der interdisziplinären Erforschung der anthropogenen Ozonreduktion zusammenfanden, müssen die Prozesse der Wissensrekombination sowie ihre gesellschaftlichen Anlässe in den Blick genommen werden. In den nächsten Kapiteln wird sich zeigen, wie komplex und voraussetzungsreich dies tatsächlich war. Die Rekonfiguration und das enorme Wachstum der atmosphärischen Chemie hatten vor allem damit zu tun, dass es theoretischer und methodischer Programme bedurfte, die die Rekombination des vorhandenen Wissens konditionierten. Selbst zum Zeitpunkt der Formulierung der Molina-Rowland-Hypothese über den durch FCKW verursachten Ozonabbau waren die zugrunde liegenden Rekombinationen noch prekär, wie es sich an den schwankenden Prognosen der USamerikanischen National Academy of Science (NAS) ablesen lässt (s. Grafik 1, S. 114).
5.3.2 Internationale Wissenschaftsorganisation Unter der Leitung von Fabry, Dobson und Chapman wurden die ersten beiden Konferenzen über das stratosphärische Ozon durchgeführt. Sie fanden 1929 in Paris und 1936 in Oxford statt. Auf der ersten Réunion de l’ozone et de l’absorption atmosphérique präsentierten 21 Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Arbeit (Fabry 1929). Auf dieser Konferenz wurden die optischen Eigenschaften des Ozons und verschiedene daraus abgeleitete Methoden der Ozonfernmessung in der Atmosphäre diskutiert. Die Dobson-Spektrofotometer waren noch nicht als Standard etabliert, verschiedene andere Vorschläge der Ozonmessung wurden vorgeführt. Erst im Rahmen des IGY einigten sich die Wissenschaftler weltweit auf den Einsatz von Dobson-Instrumenten, bestimmte Wellenlängen und standardisierte Prozeduren für die Ozonmessung (Watson 1982: 313). Dobson präsentierte die Ergebnisse der Ozonmessreihen, die unter der Benutzung seiner Instrumente an den sechs Stationen in Europa erhoben wurden. Chapman referierte erstmalig seine Theorie des dynamischen Ozongleichgewichts als eine Erklärung für die von Götz gemessene vertikale Distribution des Ozons in der Atmosphäre (Atkinson u.a. 1989: 1605). Im Jahr 1933 wurde ein Committee on Ozone im Rahmen der International Association for Meteorology gegründet. An der zweiten Ozonkonferenz nahmen immerhin schon 60 Teilnehmer aus 16 Ländern teil, darunter Meteorologen, Physiker, Mathematiker, Astronomen, Chemiker und Biochemiker. Im Mittelpunkt der Verhandlungen standen auch auf dieser Konferenz die Techniken und Probleme der Ozonmessung. Dobson demonstrierte die neueste Generation von Dobson-
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Spektrofotometern, die nun mit elektrischen Fotozellen ausgestattet waren, was das aufwendige Verschicken und das Entwickeln der Fotoplatten überflüssig machte. Die Dicke der Ozonschicht (vertical integrated column) konnte nun direkt von einem Zeigerinstrument abgelesen werden. Am Ende der Konferenz wurde ein Programm für die zukünftige Ozonforschung formuliert und – immer noch unter der Annahme eines engen Zusammenhangs der Ozonschicht mit dem Wetter – die routinierte Messung der Ozonwerte im Messnetzwerk der International Meteorological Organization (IMO), der Vorläuferorganisation der WMO, gefordert (Meetham 1936). Durch den Zweiten Weltkrieg wurde der rasche Ausbau des DobsonNetzwerkes verzögert. Auch wenn 1944 eine provisorische Ozonkonferenz in Tharandt bei Dresden stattfand, an der naturgemäß vor allem deutsche Wissenschaftler, aber auch F.W.P. Götz aus der Schweiz teilnahmen, machte das Feld während des Krieges kaum Fortschritte. Erst nach dem Krieg wurde die International Ozone Commission (IO3 C) 1948 in Oslo als die zweite Fachkommission in die International Association of Meteorology and Atmospheric Sciences (IAMAS) integriert. Die erste Kommission, die bereits 1924 gegründet wurde, befasste sich mit dem Einfluss der Sonnenstrahlung auf die Atmosphäre. Daran wird deutlich, dass innerhalb der IAMAS als einer Unterorganisation der International Union of Geodesy and Geophysics (IUGG) schon recht früh eine geophysikalische Sicht auf die Atmosphäre eingenommen und zunehmend auch die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen gefördert wurde. Dobson wurde zum ersten Präsident der sechsköpfigen IO3 C gewählt und stand ihr bis 1960 vor. Die IO3 C, die heute aus 30 in der Ozonforschung verdienstvollen Mitgliedern besteht, koordiniert die weltweiten Forschungsprogramme und veranstaltet aller vier Jahren eine große internationale Konferenz über die Ozonschicht und die Stratosphäre. In großem Stil wurde der geophysikalische Blick auf die Atmosphäre im Rahmen des International Geophysical Year (IGY) eingenommen. Dieses internationale Großunternehmen wurde 1950 von Lloyd Berkner vorgeschlagen und ab 1953 intensiv vorbereitet.21 Das Organisationskomitee (CSAGI22 ) bestand aus Repräsentanten des International Council of Scientific Unions (ICSU), Sydney Chapman wurde als sein Präsident berufen. Mit M. Nicolet, der schon 1950 die Möglichkeit ins Spiel brachte, 21 In einem Beitrag für das Journal of Scientific & Industrial Research (JSIR) wurde das meteorologische Programm des IGY wie folgt beschrieben: »Although meteorology is mostly concerned with the lower few kilometers of the atmosphere, scientists have found in recent years subjects of considerable interest in its higher regions. During the IGY, the atmosphere will be studied from the ground to the exosphere by conventional and modern methods and subjects of study will be meteorology, aurora and airglow and ionosphere.«(Mitra 1991, zuerst 1957: 197) Comité Spécial Année Géophysique Intérnationale 22
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dass das Ozongleichgewicht durch katalytische Prozesse bestimmt sein könnte, (s. 5.4.2, S. 161), war ein zweiter in der Ozonforschung führender Wissenschaftler an der Leitung des IGY beteiligt. Die Messkampagnen der bis dahin größten Kooperation in der Wissenschaftsgeschichte fanden in den Jahren 1957 und 1958 statt. Diese fielen innerhalb des elfjährigen Sonnenzyklus in eine Phase maximaler Sonnenflecken-Aktivität. Da die Sonnenstrahlung der wichtigste Antrieb geophysikalischer Prozesse ist, waren so Quasiexperimente – besonders auch im Bereich der Meteorologie und der Telekommunikation – möglich (Kaplan 1954). Für die Ozonforschung war dieses Setting deswegen von Bedeutung, weil eine erhöhte Sonnenaktivität Veränderungen der gemessenen Dicke der Ozonschicht erwarten ließ. Auch wenn das IGY mit den Internationalen Polarjahren Vorläufer hatte, wurde der Ansatz synchroner geophysikalischer Messungen nun auf die gesamte Erde und den erdnahen Weltraum ausgeweitet (Sullivan 1961). Das IGY hatte aber noch ein weiteres Ziel. Mit der Stärkung der internationalen Zusammenarbeit sollte der zunehmenden Inanspruchnahme der Geophysik durch das Militär entgegengewirkt werden. Während des sich verschärfenden Kalten Krieges bot sich eine Gelegenheit der Kooperation von amerikanischen und sowjetischen Wissenschaftlern. Es wurde eine vernetzte und offene Form der Großforschung propagiert, wie es in den vielen für die breite Öffentlichkeit bestimmte Veröffentlichungen zum Ausdruck kommt (Korsmo 2004: 163). Dieses Anliegen, das nicht nur ein forschungspolitisches war, brachte dem IGY eine breite Unterstützung der UNESCO und der WMO ein. Die Folge war, dass sich Bewährungschancen für geophysikalische und meteorologische Theorien in einem sehr großen Ausmaß boten. Die Erde wurde das erste Mal als Ganzes zu einem Forschungsgegenstand. Allein innerhalb des meteorologischen Programms wurden über 1.600 Stationen in die simultanen Messreihen einbezogen (Martin 1958: 21). Insgesamt wird geschätzt, dass an den Messungen und Experimenten des IGY etwa 60.000 Wissenschaftler aus 66 Ländern und aus fast allen geophysikalischen Disziplinen direkt oder indirekt beteiligt waren (Doel 2003: 647). Wie bis heute in ähnlichen internationalen Forschungsprogrammen23 üblich, verfügte das IGY über kein Forschungsbudget. Die Funktion internationaler Kooperationsprogramme besteht vor allem im Informationsaustausch und der Koordination der vielfältigen (meist national finanzierten) Forschungsanstrengungen. Innerhalb des IGY lässt sich noch keine allgemeine Theorie des Erdsystems erkennen, nach der das in den verschiedenen Disziplinen bereits vorhandene Wissen und die Messinfrastrukturen systematisch rekombiniert worden wäre. In den USA war die National Academy of 23 Beispiele hierfür sind das International Geosphere Biosphere Programme (IGBP) und das World Climate Research Programme (WCRP).
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Science (NAS) bei der Programmgestaltung federführend. »The first prinicple in programme building was the selection of subjects that require international cooperation for their proper study.« (Martin 1958: 20). Durch diese offene Formulierung konnten einflussreiche Wissenschaftler verschiedene Initiativen innerhalb des IGY verfolgen. So erreichte auch das Dobson-Messnetzwerk während des IGY seine maximale Ausdehnung von ca. 200 Stationen (Krueger 1989: 1556). An vielen Stationen wurde zusätzlich die vertikale Ozonverteilung mit Raketen und Ballons erfasst, woraus sich die entscheidenden Impulse für die Weiterentwicklung der Theorie des dynamischen Ozongleichgewichtes ergaben. Innerhalb des meteorologischen Programms des IGY wurde der Grundstein für die moderne Atmosphärenwissenschaft gelegt. Erstens entstanden wichtige Infrastrukturen. So wurden z.B. die Dobsonstationen eingerichtet, an denen am Anfang der 1980er Jahre das antarktische Ozonloch entdeckt wurde. Auch die Messungen der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentration am Mauna Loa-Observatorium auf Hawaii wurde im Rahmen des IGY begonnen. Später gelang es Charles Keeling mit diesen Daten, den – durch menschliche Aktivitäten verursachten – Anstieg von Kohlendioxid (CO2 ) in der Atmosphäre nachzuweisen (Keeling 1970: 11). Innerhalb des IGY wurde auch der Einsatz von Satelliten für die Wetter- und Klimabeobachtung diskutiert und die ersten Experimente begonnen. Zweitens begann in der Meteorologie die konzeptionelle Neuformulierung, mit der Chapman noch wenige Jahre zuvor scheiterte: »The meteorological programme of the CSAGI stresses the need for systematic exploration, on a world-wide scale, of troposphere and stratosphere up to the maximum bursting level of sounding balloons.« (WMO 1957: 5). Die Entstehung organisierter Forschung oder die Notwendigkeit interdisziplinärer Forschung wird meist mit Anwendungs- oder gesellschaftlichen Problemen in Verbindung gebracht. Das IGY ist ein Gegenbeispiel, weil es Voraussetzungen für eine organisierte Kooperation in der interdisziplinären Grundlagenforschung bot. Die Atmosphärenwissenschaft erwies sich später nicht zuletzt deswegen für globale Umweltprobleme besonders resonanzfähig, weil sich schon früh Strukturen herausbildeten, die eine globale Beobachtung der Atmosphäre erlaubten. Doch war das IGY nicht nur ein Ergebnis innerwissenschaftlicher Problemformulierungen. Im Gegenteil, es war auch stark durch forschungspolitische Motive geprägt. Angesichts der militärischen Großforschung, die die Geophysik zunehmend bestimmte, sollte die internationale Kooperation gestärkt und beworben werden. Der Ozonforschung brachte das IGY vor allem Chancen, bis dahin unverbundenes Wissen in weltumspannenden Experimenten zu rekombinieren.
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5.4 Anthropogene Schädigung der Ozonschicht Die Zeit zwischen dem Abschluss des IGY (1958) und 1971, als die Möglichkeit einer anthropogenen Zerstörung der Ozonschicht eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangte, war für die Erforschung des stratosphärischen Ozons und die Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie keineswegs unwichtig. In dieser »Latenzphase« entstanden die Voraussetzungen für die Wahrnehmung eines Umweltproblems. Bereits im Fiskaljahr 1962 flossen in den USA 8,6 Millionen Dollar in die aeronomische Forschung (NAS/NRC 1962: 20). Bis 1970 verfünffachte sich dieser Betrag (NAS 1971: 71). Die Hälfte davon wurde für militärische Forschungsprojekte ausgegeben, die sich mit den Folgen oberirdischer Atomtests und den Problemen des interkontinentalen Raketenflugs befassten. Im Wissenschaftssystem war die Stratosphäre trotz dieser großen Forschungsprogramme immer noch ein »Niemandsland« zwischen der Aeronomie und der Meteorologie; scherzhaft wurde sie als »Ignorosphäre« bezeichnet (Crutzen 1996: 1883). Das lag auch an der Geheimhaltung militärischer Forschungsergebnisse, die die wissenschaftliche Kommunikation nur indirekt oder mit Verzögerung beeinflussen konnten.24 Mit dem Verbot oberirdischer Atomtests 1963 ging die militärische Förderung etwas zurück. Die Stratosphäre war nun vor allem im Zusammenhang mit den Luftfahrt- und Weltraumprogrammen der NASA von Interesse (Dotto und Schiff 1978: 207). Anfang der 1970er Jahre wuchs in den westlichen Industrienationen das Umweltbewusstsein. Viel gelesene Bücher wie Rachel Carsons Silent Spring, das auf die Umweltfolgen des DDT-Einsatzes in der Landwirtschaft aufmerksam machte (Carson 1962), oder auch der am MIT erstellte Bericht an den Club of Rome über die Grenzen des Wachstums (Meadows 1972) symbolisieren diese Entwicklung. Nichtregierungsorganisationen, wie der Natural Resources Defense Council (NDRC), trugen dazu bei, dass mit dem Umweltschutz ein neues Politikfeld etabliert wurde, in dem Probleme, die bisher unabhängig voneinander behandelt und noch öfter ignoriert wurden, in einem neuen Interpretationsschema aufeinander bezogen werden konnten. In den USA und etwas später in Europa trugen Veranstaltungen wie der Earth Day das Umweltthema in die Öffentlichkeit und damit auch auf die Agenda der Regierungspolitik. Mit der Ausweitung des 1963 verabschiedeten Clean Air Act wurde 1970 die Environmental Protection Agency (EPA) als Umweltministerium der USA installiert, welches vor allem für die Regulierung von Luftverschmutzungen zuständig war. Innerhalb der UN (und auch 24 Sherwood Rowland, der sich zu diesem Zeitpunkt schon länger mit der höheren Atmosphäre befasste, hat diese Situation in einem Interview einmal so beschrieben: »The lesson was, if you get too close to something of military significance, you may not be able to get published.« Rowland in Hargittai (2000), S. 455
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innerhalb des KSZE-Prozesses) wurde die Umweltpolitik als ein neues Feld internationaler Zusammenarbeit entdeckt, in dem es möglich schien, Blockierungen des Kalten Kriegs zu überwinden. Auf der Conference on the Human Environment in Stockholm wurde 1972 das United Nations Environmental Program (UNEP) gegründet und die ersten Regulierungen von Emissionen beschlossen, die als Ursache für den sauren Regen identifiziert wurden (Kowalok 1993: 15f.). Die Resonanzen, die Umweltprobleme in der Öffentlichkeit auslösten, boten im politischen System neue Chancen der Profilierung und des Machtgewinns. Verstärkend wirkten die beiden Ölkrisen von 1973 und 1979. Auch wenn diese nur wenig mit einer tatsächlicher Rohstoffknappheit zu tun hatten – ihre Ursache war die Begrenzung der Fördermengen durch die OPEC – brachten sie doch die Endlichkeit natürlicher Ressourcen zu Bewusstsein. Die meisten Warnungen vor den katastrophalen Folgen von Umweltverschmutzungen – so auch die Carsons und Meadows – beruhten auf wissenschaftlichem Wissen. Die Atmosphärenwissenschaft war aber damals keine Disziplin, in der Umweltschutz eine große Rolle spielte. In den 1960er Jahren wurde die Erforschung des Klimas von dem Optimismus getragen, dass eine gezielte Manipulation des Wetters für die Landwirtschaft nützlich sein oder auch als Waffe eingesetzt werden könne (Kwa 2001). Selbst im Vietnamkrieg wurde der Einsatz von weather modification erwogen, bevor sich die American Meteorological Society (AMS) 1972 für ein Verbot von Wettermanipulationen für Kriegszwecke einsetzte (Fleagle 1994: 90).25 Die weather modification-Debatte zeigte, dass man in der Atmosphärenwissenschaft bereits wusste, dass die Menschen das Klima oder zumindest das Wetter beeinflussen können. Die nun veränderte Bewertung dieser Tatsache war eine unmittelbare Folge des Wandels der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung, die sich 1971 auch in einem Report des NAS Committee on Atmospheric Sciences niederschlug: »The growth of scientific capability has made possible increased useful application of the atmospheric sciences at the time that certain environmental problems are approaching critical levels. Enlarged opportunities exist for extending our understanding of the atmosphere and for applying this understanding more effectively than ever before to human needs. We look forward to a decade of scientific challenge in which atmospheric scientists will assume increasing responsibilities in the developing arena of environmental management.« (NAS 1971: 15)
Dieser Wandel vollzog sich überraschend schnell. Da der mögliche Widerstand der Umweltbewegung als ein Risiko für Großprojekte galt, wurde die präventive Abschätzung von Umweltfolgen zunehmend zu 25 Bei der US Air Force wird die Modifikation des Wetters auch heute noch als eine wichtige Strategie zukünftiger Kriegsführung angesehen, wobei es dabei vor allem um die Manipulation des Schlachtfeldes zu Ungunsten des Gegners geht (s. http://csat.au.af.mil/2025/volume3/vol3ch15.pdf, letzter Zugriff 1.9.2008).
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einem integralen Bestandteil von Innovationsprogrammen. Für die Entwicklung der Ozonforschung spielten dabei die Programme zur Einführung des Überschallluftverkehrs (Super Sonic Transportation, SST) und das Space Shuttle-Programm der NASA eine wichtige Rolle. Innerhalb beider Programme wurden große Geldsummen ausgegeben, um die Effekte dieser Technologien auf die Stratosphäre abzuschätzen. Bevor die damit verbundene Rekombination von Wissen am Beispiel des Climate Impact Assessment Programs (CIAP) dargestellt wird, gilt es die organisatorische und die wissenschaftliche Ausgangssituation in den Blick zu nehmen. Warum erwies sich gerade die Atmosphärenwissenschaft im Vergleich zu anderen Disziplinen – trotz ihrer anfänglichen Ferne zu umweltpolitischen Fragestellungen – besonders resonanzfähig für solche Probleme?
5.4.1 Die Organisation der Atmosphärenwissenschaft in den USA Die formative Phase der modernen Atmosphärenwissenschaft zwischen 1957 und 1974 (Hart und Victor 1993) fiel mit einer weitreichenden Reorganisation der US-amerikanischen Wissenschaftslandschaft zusammen, die durch die Bedeutungszunahme von Big Science auch für zivile Forschungsthemen gekennzeichnet war (de Solla Price 1963). Dies traf besonders auch für die Erforschung der höheren Atmosphäre zu. Das Interesse der 1958 gegründeten National Aeronautic and Space Agency (NASA) an der Stratosphäre ergab sich aus ihren spezifischen Missionen, die in der Entwicklung innovativer Flugzeugkonzepte und der Durchführung des US-amerikanischen Raumfahrtprogramms bestanden. Der sich vollziehende Wandel eröffnete neue Möglichkeiten (windows of opportunities) für zivile Großforschungsprogramme, wenn diese Berührungspunkte zu wichtigen Themen auf der politischen Agenda hatten und Anknüpfungspunkte an Forschungsthemen und Infrastrukturen der bis dahin überwiegend militärischen Großforschung fanden. Eine neue Generation von Wissenschaftsmanagern formulierte nun die Ziele der nationalen Forschungspolitik (z.B. Vannevar Bush, Lloyd Berkner, s. Needell 1992; Hart und Victor 1993). Die Wahrnehmung der Risiken, die sich aus der anthropogenen Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre ergaben, hing von drei Entwicklungen ab: erstens von der Zunahme des Umweltbewusstseins in der Bevölkerung und der Entdeckung des Umweltschutzes als ein ergiebiges Politikfeld (s. vorangegangener Abschnitt), zweitens von der Institutionalisierung eines organisatorischen Netzwerkes, welches es ermöglichte, einen so komplexen Gegenstand wie das globale Klima zu beobachten (dieser Abschnitt). Drittens erforderten sie einen konzeptionellen Rahmen, in dem die Atmosphäre als ein einheitlicher,
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wenn auch komplexer Gegenstand erfasst werden konnte, dessen Untersuchung in den Bereich vieler wissenschaftlicher Disziplinen fiel. Das organisatorische Netzwerk der Atmosphärenwissenschaft entwickelte sich in den USA aus einigen wenigen Instituten, die sowohl an den Universitäten als auch in Großforschungsorganisationen eingerichtet wurden. Prominente Beispiele sind das Aeronomy Laboratory in Boulder, Colorado oder auch das Geophysical Dynamics Fluid Laboratory (GFDL) an der Princeton University, das bereits Ende der 1940er Jahre aus Forschungen zum Einsatz von Computern in der Meteorologie hervorgegangen war. Das erste Atmospheric Sciences Program der National Science Foundation (NSF) wurde 1958 aufgelegt. Es folgte in seinen Grundzügen dem Ansatz des IGY, in dem es in der Meteorologie vernachlässigte Themen einbezog und neue Forschungsfelder erschloss. Beispiele dafür sind die Transferprozesse zwischen den Ozeanen, der Erdoberfläche und der Atmosphäre, die Anwendung der Fluiddynamik auf Gase, Studien der oberen Atmosphäre und die atmosphärische Chemie (Science 128/3317, 1958, 191f.). Wissenschaftler aus den USA übernahmen eine führende Rolle in der Atmosphärenforschung, weil es dort eine große Offenheit für die Erforschung der globalen Atmosphäre innerhalb des geophysikalischen Paradigmas gab. Der Widerstand, der dem Chapmanschen Vorschlag zur Rekonfiguration der Meteorologie in Europa entgegengebracht wurde, bestand kaum. Der erste universitäre Studiengang für Meteorologie in den USA wurde 1928 von dem schwedischen Wissenschaftler CarlGustav Rossby am MIT in Boston eingerichtet. Bis 1940 existierten nur fünf Departments.26 Die Curricula waren dabei vor allem an den Bedürfnissen der Air Force ausgerichtet. Die Studentenzahlen stiegen während des Zweiten Weltkriegs an, weil Spezialisten für den militärischen Wetterdienst gebraucht wurden (Fleagle 2001: 1f.). Im Jahre 1956 setzte die National Academy of Science (NAS) ein Committee on Meteorology ein, das von Lloyd Berkner, der gleichzeitig als Vize-Präsident IGY fungierte, geleitet wurde. Die Liste der Mitglieder liest sich wie ein Who is Who? des amerikanischen WissenschaftsEstablishments. Neben den Meteorologen Berkner und Carl Rossby waren u.a. der spätere NASA-Chef Hugh L. Dryden, Edward Teller und John von Neumann prominente Mitglieder. Das Komitee diagnostizierte eine Krise der Meteorologie, die durch den Rückgang der Studentenzahlen und durch die Dominanz militärischer Grundlagenforschung (besonders auch im Bereich der Aeronomie) gekennzeichnet war (Fleagle 2001: 2). Das NAS-Komitee gab einen Bericht in Auftrag, in dem die
26 New York University, Chicago University, University of California Los Angeles, California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena, MIT
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Herausforderungen für die Erforschung der Atmosphäre formuliert wurden (ICAS 1961).27 Das Komitee änderte seinen Namen programmatisch in Committee for Atmospheric Sciences. Fast gleichzeitig (1958) tauchte diese Bezeichnung des Feldes auch im Science Citation Index (SCI) das erste Mal auf. Das Komitee formulierte drei Empfehlungen, die vor allem die Universitätsforschung stärken sollten: erstens die Erhöhung der den Universitäten zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für die Erforschung der Atmosphäre auf 150% und die Verstetigung dieser Förderung. Zweitens wurde die American Meteorological Society (AMS) aufgefordert, durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit das Interesse für die Meteorologie in der Bevölkerung zu wecken, nicht zuletzt um zukünftige Studenten zu interessieren, und drittens wurde die Einrichtung eines nationalen Instituts zur Erforschung der Atmosphäre vorgeschlagen (Roberts 1965: 1093). Aufgrund dieser Empfehlungen und der durch die National Science Foundation (NSF) in Aussicht gestellten Mittel trafen sich 1959 150 Wissenschaftler aus 13 Universitäten und berieten über die Kooperation in der Atmosphärenwissenschaft. Als Ergebnis wurde 1960 die University Cooperation on Atmospheric Research (UCAR) – mit anfangs 14 Mitgliedsuniversitäten – gegründet. Der Zweck dieser Organisation war es, Infrastrukturen für die Universitätsforschung, darunter Ballonstationen, Forschungsflugzeuge und etwas später Großrechner zur Verfügung zu stellen und zu verwalten. Damit sollte sicher gestellt werden, dass die Wissenschaftler an den Universitäten mit der vom Militär dominierten Großforschung Schritt halten konnten. Ein weiteres Ziel der Kooperation war die Abstimmung der Curricula an den Universitäten, wodurch die neue Konzeption der Atmosphärenwissenschaft auch in der Lehre Einzug hielt. Schon bald änderten einige der Mitgliedsuniversitäten den Namen ihrer Meteorologiedepartments in Department of Atmospheric Sciences. Die Mitgliedschaft in der UCAR wurde für alle amerikanische Universitäten geöffnet, an denen es ein Master- oder PhD-Programm in der Meteorologie oder in der Atmospheric Science gab. Heute hat das UCAR 81 Mitglieds- bzw. assoziierte Universitäten, davon zwei in Kanada und eine in Japan. Das von dem Komitee empfohlene Institut, das National Center of Atmospheric Research (NCAR) mit Sitz in Boulder (Colorado), nahm 1960 die Arbeit auf. Es wurde hauptsächlich durch den NSF gefördert; die Ver27 In einer kurzen Notiz in Science (Vol. 128, S. 192) liest sich das Ziel des Programms wie folgt: »The new program will deal with meteorology including not only the more conventional type of meteorological research, but also energy transfer processes between earth, sea, and air; turbulent flows of gaseous fluids; heat-exchange processes; upper atmosphere studies; atmospheric chemistry; and general circulation problems of the atmosphere and the oceans. Attention will also be given to the field of cloud physics, especially the physics of precipitation, where much basic research must be pursued before the possibility of controlling or modifying weather can be evaluated.«
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waltung oblag der UCAR. Diese Balance von Universitäts- und Großforschung trug dazu bei, dass sich in der Atmosphärenwissenschaft eine relativ offenen Form der Großforschung entwickeln konnte. Diese wurde mit der Zuwendung zu Umweltthemen und später mit der Internationalisierung des Feldes weiter gestärkt. Wie euphorisch das Konzept der Atmosphärenwissenschaft in den USA aufgenommen wurde, zeigt sich auch darin, dass die American Meteorological Society (AMS) 1962 den Titel der Zeitschrift Journal of Meteorology in Journal of Atmospheric Sciences änderte. Seit 1959 koordinierte das nun sogenannte Interdepartmental Committee for Atmospheric Sciences (ICAS) alle zivilen und einen Teil der militärischen Forschungsaktivitäten innerhalb der föderalen Organisationen der USA (inkl. NSF) und veröffentlichte jährlich Berichte über die Entwicklung der Forschungsprogramme und der Organisationsstrukturen der Atmosphärenforschung. Das zur Verfügung stehende föderale Budget stieg innerhalb des National Atmospheric Science Program, das alle Aktivitäten der verschiedenen US agencies28 vereinte, auch wenn die Ziele und die Geldgeber der Forschungsprogramme sehr heterogen waren, von 36 Millionen Dollar im fiscal year (FY) 1959 (ICAS 1960: Table 1) auf 257 Millionen im FY 1974 (ICAS 1975a: 2). Auch wenn die militärische Förderung der Atmosphärenwissenschaft in diesem Zeitraum absolut weiter zunahm, ging ihr relativer Anteil von 36 auf 17% signifikant zurück. Mit der Gründung der National Atmospheric and Oceanographic Administration (NOAA) durch die Zusammenführung verschiedener Behörden wie des National Weather Service (NWS), des Coast and Geodetic Survey und der seit 1965 zwischen diesen Behörden angesiedelten Environmental Sciences Service Administration (ESSA) erfolgte 1970 eine weitere Bündelung von Kapazitäten zur Erforschung der Atmosphäre und der Ozeane. Diese zweite Welle der Reorganisation ist durch die sich ausdifferenzierende Umweltpolitik geprägt. Es mussten Behörden gefunden werden, die die millionenschweren Forschungsprogramme effektiv verwalten und die Umweltgesetzgebung kontrollieren und durchsetzen konnten. Diesen Behörden (oder englisch: agencies) kam eine große Bedeutung bei der Koordinierung der Umweltforschung in den USA zu. Zeitweise standen die NASA, die NOAA und die EPA in Konkurrenz um die führende Rolle in der atmosphärenwissenschaftlichen Forschung, bevor sich zwischen ihnen eine Arbeitsteilung herausbildete. Die NASA war bis in die 1990er Jahre vor allem für die oberen Schichten der Atmosphäre zu28 U.a. Department of Agriculture, NOAA, Office of Technology, US Militär, EPA, Department of Interior, Department of Transportation (DOT), NASA, NSF, Energy Research and Development Administration (ERDA), Federal Aviation Agency (FAA) sowie die entsprechenden Vorläuferorganisationen.
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ständig. Als lead agency vergab sie den Großteil der in den USA für die Ozonforschung aufgebrachten Forschungsgelder und organisierte zunehmend auch die internationalen Assessment-Prozesse (s. auch Abschnitt 5.5.3, S. 186). Die NOAA nahm etwas später eine ähnliche Rolle bei der Erforschung des Klimawandels ein. Die EPA behielt ihre Zuständigkeit für die Kontrolle und Regulierung von Luftverschmutzungen (air pollution) aus der Industrie und dem Verkehr in der unteren Atmosphäre. Diese Arbeitsteilung betrifft vor allem die Ebenen des Managements großer Feldkampagnen und die Organisation der Politikberatung und später der Assessment-Prozesse. Auf der Ebene der Grundlagenforschung bestanden dagegen große thematische Überschneidungen und eine zunehmende Kooperation zwischen den Forschungsinstituten. Trotz der in den 1970er und 1980er Jahre bestehenden Dominanz nationaler – vor allem US-amerikanischer – Forschungsprogramme gab es auch auf der Ebene der internationalen Organisationen Bestrebungen, die innerhalb des IGY entstandenen Kooperationen fortzusetzen. So wurde auf dem Third World Meteorological Congress beschlossen, das im Zuge des IGY eingerichtete Dobsonnetzwerk zur Ozonmessung weiterzubetreiben und die Experimente zur Messung der horizontalen Verteilung des Ozons durch Raketen und Ballons fortzusetzen (Biswas 1977: 75). Die Verantwortlichkeit für die regelmäßig notwendige Kalibrierung der Dobsoninstrumente ging ebenso an die WMO über wie die Fortsetzung der Datenspeicherung und die Organisation des Datenaustauschs. So wurde 1960 das WMO World Ozone Data Centre in Toronto eingerichtet. Heute ist dieses Bestandteil des Global Atmosphere Watch Programme (GAW). Fortgesetzt wurde auch der offene Datenaustausch zwischen den Teilnehmern der WMO Programme. Im Rahmen des ICSU/IUGG wurden neue, wenn auch im Umfang kleinere, aber dafür langfristige internationale Forschungsprogramme aufgelegt. Ein Beispiel hierfür ist das Global Atmospheric Research Programme (GARP, ICSU/IUGG 1967).
5.4.2 Katalytische Theorien des Ozonabbaus In der Ozonforschung ist die Zeit zwischen 1950 und 1970 durch drei wesentliche Entwicklungen gekennzeichnet: Die erste besteht in der Verbesserung der Messmethoden. Neben neuen Verfahren zur Bestimmung der vertikalen Ozonverteilung durch Ballons und Raketen wurden bereits Anfang der 1960er Jahre die ersten Versuche unternommen, die Dicke der Ozonschicht (total integrated column) mithilfe von Satelliten zu messen (Krueger u.a. 1980: 191). Die zweite Entwicklung resultierte aus diesen Messungen der vertikalen Ozonverteilung. Je genauer diese wurden, desto mehr gerieten sie in Widerspruch zu den Vorhersagen der Chapman’schen Theorie. Weil sich die chemischen Prozesse
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in der Stratosphäre als viel komplizierter herausstellten, wurden sie zunehmend auch für Chemiker interessant. Die Aeronomiker wandten sich dagegen – vor allem als Ergebnis der durch das Militär bestimmten Forschungspolitik – den höheren Schichten der Atmosphäre (Ionosphäre) zu. Drittens wurde durch die »Einwanderung« von Chemikern in das Forschungsgebiet das Wissen über die Dynamik der Stratosphäre mit neuen Konzepten aus der Laborchemie rekombiniert. In den 1950er Jahren erreichten die Sonden, die das Ozon direkt vor Ort (in situ) messen konnten, immer höhere Schichten der Atmosphäre. Während meteorologische Ballons in Höhen von 30 bis 32 km aufsteigen konnten (Regener 1951), drangen Forschungsraketen in Höhen von 70 km vor. Im Rahmen des IGY wurden im Krieg erbeutete V2-Raketen zur Messung des Ozons und anderer Bestandteile der Atmosphäre eingesetzt (Johnston 1992: 2), später wurden meteorologische Raketen, z.B. vom Typ Aerobee, serienmäßig produziert. Konnten bei der Ballonmessung noch die althergebrachten Methoden der Ozonmessung mit Kaliumjodid angewandt werden – die Daten wurden erst nach der Rückkehr der Messsonden analysiert (Brewer und Milford 1960, Farell 2005: 68) – stellten die raketenbasierten Messungen eine Herausforderung für die Techniken der analytischen Chemie dar.29 Das Problem der Datenerfassung und der Funkübertragung von Messergebnissen konnte mit Sensoren auf der Basis von ChemoluminiszenzReaktionen gelöst werden. So nutze Victor Regener Luminol, eine feste Substanz, die blau leuchtet, wenn sie mit stark oxidierenden Substanzen in Berührung kommt, um Ozon zu messen. Dabei wurde die Umgebungsluft in das Innere der Rakete gesaugt und über das Luminol geleitet. Weil Ozon eine viel stärkere oxidierende Wirkung als Sauerstoffmoleküle (O2 ) hat, konnte die Stärke der Reaktion mit Fotozellen erfasst und in elektrische Signale umgewandelt werden (Regener 1960). Schienen die gemessenen Ozonprofile die Chapmansche Theorie des Ozongleichgewichts anfangs zu bestätigen (Johnson u.a. 1952), brachte die Erkundung der oberen Atmosphäre durch Raketen und die Messung der Intensität der ultravioletten Strahlung der Sonne oberhalb der Atmosphäre eine Überraschung. Die Intensität der Strahlung war von Chapman um eine ganze Größenordnung unterschätzt worden, weil er keine Möglichkeit der direkten Messung hatte. Legt man den tatsächlichen Wert zugrunde, sagte seine Theorie die doppelte Ozonmenge voraus, als tatsächlich gemessen wurde. Es musste also zusätzliche Prozesse des Ozonabbaus in der Stratosphäre geben (»something else«, Johnston 1992: 3). Die Suche nach einer Erklärung für die tatsächliche Ozonkonzentration bestimmte die Ozonforschung in den 1960er Jahren. Der irische Physiker David Bates und der belgische Astrophysiker Marcel Nicolet vermuteten, dass Hydroxylradikale (HOx ) einen zusätzlichen 29
Zu der Vielfalt der Ozon-Messverfahren s. Sonnemann (1992), 81ff.
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Radikalerzeugung
Kettenreaktion
(1) O3 + hv −−−→ O2 + O( 1 D) (2) O( 1 D) + H2 O −−−→ 2 HO
(4) O3 + HO −−−→ O2 + HOO(k1 ) (5) O3 + HOO −−−→ 2 O2 + HO(k2 )
Summe: (3) O3 + hv + H2 O −−−→ O2 + 2 HO
Summe: (6) 2O3 −−−→ 3 O2
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Tabelle 11: Norrish und McGraths Theorie des katalytischen Ozonabbaus durch Wasserdampf (1970, Zusammenfassung nach Johnston 1992: 3)
Ozonabbau katalysieren könnten (Bates und Nicolet 1950). Explizit ausgearbeitet wurde die Möglichkeit eines katalytischen Ozonabbaus in der natürlichen Stratosphäre von Norrish und McGrath (1958). Das Spezifische an katalytischen Reaktionen ist, dass ihre Geschwindigkeit durch die Anwesenheit einer Substanz, die als Katalysator wirkt, erhöht wird. Dabei verbraucht sich der Katalysator während der Reaktion nicht oder genauer: Er wird innerhalb eines aus mehreren Reaktionen bestehenden katalytischen Systems in der gleichen Menge erzeugt, wie er verbraucht wird. Die von Norrish und Grath vorgeschlagenen ozonreduzierenden Prozesse lassen sich wie folgt zusammenfassen (s. Tabelle 11): • Durch die ultraviolette Strahlung der Sonne (t ext i t h v ) werden – wie auch in der Chapmanschen Theorie – in einer Initialreaktion Ozonmoleküle (O3 ) in besonders reaktionsfreudige, hoch angeregte Sauerstoffatome (O) aufgespalten (Reaktion 1). • Diese reagieren dann aber – anders als bei Chapman – mit Wasser, wobei Hydroxylradikale (OH) entstehen (Reaktion 2). • Bereits die beiden genannten Reaktionen (1 und 2) sind für einen kleinen Teil des Ozonabbaus zuständig, effektiver ist aber der Prozess, der durch die Hydroxylradikale HO und HOO katalysiert wird (Reaktionen 4 bis 6). • Durch ihr hohes Oxidationspotential vermögen diese Radikale, die Bindung zwischen den Sauerstoffatomen in den Ozonmolekülen (O3 ) aufzubrechen, wobei »normale« Sauerstoffmoleküle (O2 ) und ein neues Hydroxylradikal entstehen. • Dadurch, dass die Hydroxylradikale nach jeder Aufspaltung eines Ozonmoleküls wieder zur Verfügung stehen, können sie weitere Ozonmoleküle aufspalten. Die Effektivität des Zyklus hängt von dem Verhältnis der Reaktionsraten k1 und k2 ab.
Weil die Reaktionsraten (hier k1 und k2 ) Anfang der 1960er Jahre noch nicht bekannt waren, unternahm B.G. Hunt 1964 unter der Annahme,
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dass die Hydroxylradikale tatsächlich die entscheidenden Katalysatoren für die Ozonreduktion seien, die ersten eindimensionalen (1-D) Computersimulationen mit dem Ziel, die gemessene vertikale Ozonverteilung zu reproduzieren. Dabei veränderte er die beiden Reaktionsraten so lange experimentell, bis sich die bekannte vertikale Verteilung des Ozons annähernd abbildete (Hunt 1966a,b). Die letztendlich benutzten Werte der Reaktionsraten waren aber eine ganze Größenordnung zu hoch, wie sich in späteren gaskinetischen Labormessungen herausstellte (Johnston 1992: 4). Der von Norrish und McGrath vorgeschlagene Mechanismus mit Hydroxylradikalen als Katalysatoren konnte die vertikale Ozonverteilung also ebenfalls nicht erklären (Crutzen 1970). Ein weiteres Problem der Theorie war, dass die Stratosphäre sehr trocken ist und damit kaum Wasser für die Ozonreduktion zur Verfügung steht. Mit der Theorie des katalytischen Ozonabbaus erlangte neben der Fotochemie die Gaskinetik – als ein Teilgebiet der physikalischen Chemie – eine wichtige Bedeutung für die atmosphärische Chemie (Brasseur u.a. 1999: 115). Für die Erforschung der Verbindung von fotolytischen und gaskinetischen Prozessen erhielt Ronald Norrish 1967 einen Nobelpreis für Chemie. Norrish war jedoch kein Atmosphärenchemiker. Das stratosphärische Ozongleichgewicht war für ihn ein Anwendungsfall einer Theorie, die vor allem auf Laborexperimenten beruhte. Die einzelnen Reaktionen, die im Zusammenhang mit dem stratosphärischen Ozongleichgewicht diskutiert wurden, waren in der Chemie gut erforscht. Die Kontroversen in der Ozonforschung drehten sich darum, ob sie auch in der Stratosphäre eine Rolle spielen oder nicht, welche Katalysatoren für den Ozonabbau verantwortlich sein könnten und wie diese in die Stratosphäre gelangten. In der atmosphärischen Chemie fehlte es an Programmen, die diese hochkomplexen Rekombinationen von vorhandenem, aber in vielen Kontexten verstreutem Wissen limitieren konnten. Nur wenn die Geschwindigkeit jeder einzelnen Reaktion bekannt ist, kann die chemische Zusammensetzung der Stratosphäre modelliert werden. Um diese Tatsache zu beschreiben, wurde die Analogie eines löchrigen Eimers (leaky bucket) verwendet. Um zu wissen, wie viel Wasser ein solcher enthält, muss man die zufließende und die abfließende Menge möglichst exakt kennen. Nur durch eine genaue Quantifizierung aller Prozesse kann man vorhersagen, ob das Ozon in der Stratosphäre tatsächlich zu- oder abnimmt. Wären die ozonabbauenden Prozesse schneller, ergäbe sich eine geringere Ozonmenge in der Stratosphäre, wären sie langsamer, eine entsprechend höhere. Das Problem der Reaktionsgeschwindigkeiten brachte die Atmosphärenchemiker immer wieder zurück ins Labor, wo die Reaktionskonstanten experimentell bestimmt werden konnten (Thrush 1978). Mit dem Nachweis von Stickoxiden (NO und NO2 ) in der Stratosphäre (Bates und Hayes 1967) kam die Vermutung auf, dass diese – wie
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(1) O3 + NO −−−→ O2 + NO2 (2) O + NO2 −−−→ O2 + NO
(4) O3 + NO −−−→ O2 + NO2 (5) NO2 + hv −−−→ NO + O (6) O + O2 + M −−−→ O3 + M
Summe: (3) O3 + O −−−→ 2 O2
Summe: ausgeglichen (Nullzyklus)
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Tabelle 12: Der katalytische Kreislauf des Ozons mit NOx als Katalysator nach Crutzen (Zusammenfassung nach Johnston 1992: 4).
auch im Fall des fotochemischen Smogs – eine entscheidende Rolle für das Gleichgewicht des stratosphärischen Ozons spielen könnten (s. z.B. den Review-Artikel von Schiff 1969). Ihre tatsächliche Bedeutung wurde von Paul Crutzen in einem Aufsatz herausgestellt, in dem er 1970 eine neue Theorie des Ozongleichgewichts vorstellte. In dieser sind Stickoxide (NOx ) die wichtigsten, wenn auch nicht die einzigen Katalysatoren, die für die natürlichen Ozonabbauprozesse in der Stratosphäre verantwortlich sind. Der durch Stickoxide katalysierte Prozess des Ozonabbaus ist dem von Norrish und McGrath strukturell sehr ähnlich (Reaktionen 1 bis 3). Hinzu kommt aber ein sogenannter Nullzyklus, in dem der Ozonabbau durch einen zusätzlichen durch NOx katalysierten Ozonaufbau (ähnlich wie bei der Entstehung des fotochemischen Smogs) kompensiert wird (Reaktionen 4 bis 6, s. Tabelle 12). Die Arbeit Crutzens markierte einen erheblichen Komplexitätszuwachs der Theorie über die chemischen Vorgänge in der natürlichen Stratosphäre, noch bevor die These einer möglichen anthropogenen Zerstörung der Ozonschicht aufgestellt wurde. Es zeigte sich nun endgültig, dass die einfache Beschreibung der Atmosphäre durch die Grundbestandteile molekularer Sauerstoff (O2 ) und Stickstoff (N2 ) plus einem schwankenden Anteil von Wasser und einiger weniger inerter Spurengase nicht haltbar war. Spurengase bestimmen ganz wesentlich die Zusammensetzung und die Dynamik der Atmosphäre. Die Ergebnisse von Crutzens Arbeit reichten aber noch weiter. Er stellte den Zusammenhang zwischen dem stratosphärischen Ozongleichgewicht und verschiedenen Prozessen in der Troposphäre und in der Biosphäre heraus. So identifizierte Crutzen Mikroorganismen und damit die Biosphäre als Hauptquelle für die Stickoxide (NO2 ) in der Atmosphäre. Stickoxide sind in den unteren Schichten der Atmosphäre weitgehend inert und haben dort eine relativ lange Verweildauer. Ein Teil von ihnen gelangt durch die Brewer-Dobson-Zirkulation in die Stratosphäre und wird dort durch die intensive ultraviolette Strahlung der Sonne aufgespalten. Dabei entstehen NO-Radikale, die den Ozonabbau katalysieren. Crutzen zeigte auch, dass das Ozongleichgewicht nicht durch einen einzel-
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nen Prozess erklärt werden kann. Die 70% der Ozonreduktion, die nicht durch den Chapman-Mechanismus erklärt werden können, gehen auf mehrere Prozesse zurück, wobei der durch das Stickoxid katalysierte Prozess den höchsten Anteil am Ozonabbau hat. Ursprünglich wählte Crutzen das Thema des stratosphärischen Ozons für seine Doktorarbeit, weil er reine Grundlagenforschung betreiben wollte (Crutzen 1996: 1880). Das meteorologische Institut der Universität Stockholm, wo er damals arbeitete, war durch Gustav Rossby und Bert Bolin geprägt, die eine geophysikalische Perspektive auf die gesamte Atmosphäre propagierten und damit einen entscheidenden Beitrag zur Etablierung des neuen Paradigmas der Atmosphärenwissenschaft leisteten. Die Rekombination von Wissen aus der Aeronomie, der Meteorologie und der Biologie, wie sie sich in der Arbeit von Crutzen findet, war eine konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Die Motivation, das Wissen verschiedener Disziplinen zu rekombinieren, entsprang dabei Problemstellungen, die man als innerwissenschaftlich, ja sogar disziplinär beschreiben könnte.
5.4.3 Der Ozonzabbau als potentielles Umweltproblem Das Umweltproblem einer möglichen Schädigung der Ozonschicht ergab sich als eine Konsequenz der katalytischen Theorie des Ozongleichgewichts. Da sich die Katalysatoren in den Reaktionen, die sie ermöglichen oder beschleunigen, nicht verbrauchen, können schon geringe Spuren dieser Substanzen große Effekte auf die Ozonschicht haben. Dieses Prinzip kleiner Ursachen und großer Wirkungen hat das Problem der Ozonzerstörung mit dem fotochemischen Smog gemein. Die Verwandtschaft der durch NOx und HOx -Radikale katalysierten Prozesse, wie sie von Haagen-Smit, Norrish and McGrath und Crutzen beschrieben wurden, ist groß (Thrush 1978; Johnston 1992: 10). Dass sie einmal zu einer Zunahme des Ozons in der Troposphäre und das andere Mal zu einem Abbau des stratosphärischen Ozons führen, liegt daran, dass das Verhältnis der Geschwindigkeiten der einzelnen Reaktionen in der Troposphäre ein anderes ist als in der Stratosphäre und dass jeweils andere Reaktionen die Radikalproduktion und -termination beeinflussen (s. 5.2.2, S. 128). Die Hypothese, dass HOx - und NOx -Radikale den Ozonabbau in der Stratosphäre katalysieren, führte zu dem Verdacht, dass die Abgase von Raketen und hochfliegenden Flugzeugen einen zusätzlichen Abbau von Ozon bewirken könnten. Bei der Verbrennung von Flugbenzin, das aus Kohlenwasserstoffen besteht, entstehen hauptsächlich Kohlendioxid und Wasser, welches als Kondensstreifen am Himmel sichtbar wird. Hinzu kommen Stickoxide (NOx ). Das erste Mal wurde die Hypothese einer möglichen Gefährdung der Ozonschicht durch Wasserdampf 1963 von
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dem Meteorologen Jerry Pressmann (Johnston 1992: 14) und 1964 von John Hampson formuliert (Roan 1989: 14). Diese Hypothese gewann angesichts der Pläne zur Einführung des zivilen Überschallluftverkehrs (Super Sonic Transportation, SST) an Bedeutung, weil die schnellen Flugzeuge in der Stratosphäre verkehren sollten, wo der Luftwiderstand erheblich geringer ist. Neben einem möglichen Ozonabbau durch SST vermuteten andere Wissenschaftler, dass der emittierte Wasserdampf auch zu einer Verstärkung des Treibhauseffektes und damit zu einer Erwärmung des Klimas führen könnte (Drake und Purvis 2001: 508). Diese beiden möglichen Risiken der SST-Technologie fanden Eingang in die vom MIT gesponserte Study of Critical Environmental Problems (SCEP 1970), welche verschiedene potentielle Umweltprobleme wissenschaftlich untersuchte und deren Ergebnisse auf eine große Resonanz in der Öffentlichkeit und im politischen System stießen. Unter der Verwendung der Annahmen von Norrish und McGrath sowie der Huntschen Computersimulationen unternahm Halstead Harrison den Versuch einer ersten Quantifizierung des möglichen Ozonverlusts durch in der Stratosphäre verkehrende Überschallflugzeuge. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass der emittierte Wasserdampf den Ozongehalt der Atmosphäre um 3,8% reduzieren könnte (Harrison 1970). In die breite Öffentlichkeit gelangte das Thema einer möglichen anthropogenen Ozonzerstörung 1971. Ein wichtiges Ereignis, das die erste Ozonkontroverse auslöste, war eine Konferenz, die vom Department of Commerce Technical Advisory Board (CTAB) for Super Sonic Transportation Environmental Effects mit dem Ziel abgehalten wurde, die wissenschaftlichen Argumente zu einer möglichen Gefährdung der Ozonschicht durch SST zusammenzutragen (Johnston 1992: 13). Diese Konferenz fand am 18. und 19. März 1971 am NCAR in Boulder, Colorado statt. Das Thema SST und die möglichen Folgen wurden zu diesem Zeitpunkt bereits in der Öffentlichkeit diskutiert, weil eine Entscheidung des US-Kongresses über ein mögliches Ende des SST-Programms unmittelbar bevorstand. Entscheidend für die heftigen Resonanzen, die die Ergebnisse der Konferenz auslösten, waren zwei Beiträge: Der erste wurde von John McDonalds präsentiert, der die Ozonzerstörung durch Wasserdampf mit einem erhöhten Hautkrebsrisiko in Verbindung brachte, das sich daraus ergibt, dass ein größerer Anteil der UV-Strahlung die Erdoberfläche erreicht. Für die USA ging er von jährlich 5.000-10.000 zusätzlichen Hautkrebsfällen angesichts einer SST-Flotte von 500 Flugzeugen und einer Ozonreduktion von 3% aus (Clark u.a. 2001: 47). Bei einer Reduktion von fast 4%, wie sie von Harrison berechnet wurde, ging McDonalds gar von 30.000 neuen Hautkrebsfällen pro Jahr aus. Die zweite alarmierende Präsentation gab der Chemiker Harold Johnston von der University of California in Berkeley. Auf der Basis der Daten anderer Konferenzteilneh-
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mer, unter denen sich Flugzeugingenieure und Meteorologen befanden, errechnete er eine mögliche Ozonreduktion von bis zu 10%. Dabei bezog er nicht nur das Wasser, sondern – in Kenntnis von Crutzens Arbeiten über das natürliche Ozongleichgewicht – auch die von den Flugzeugen zu erwartenden NOx -Emissionen in seine Kalkulation ein. Johnstons Erfahrungen mit komplexen gaskinetischen Berechnungen stammten aus den Forschungsprogrammen zum fotochemischen Smog, die am Stanford Research Institute (SRI) durchgeführt wurden, ursprünglich um die Thesen von Haagen-Smit zu widerlegen. Später lieferte er selbst wichtige Beiträge zur Quantifizierung der chemischen Prozesse, die zum Aufbau des Smogs führten (Johnston 1992: 10). Dass seine Prognosen über eine mögliche Schädigung der Ozonschicht durch den Luftverkehr zu hoch waren, führte er später auf die nicht gesicherten Reaktionsraten zurück. In der US-amerikanischen Öffentlichkeit standen die SST-Pläne vor allem wegen der zu erwarteten Lärmbelastungen beim Durchbrechen der Schallmauer (sonic boom) in der Kritik. Aufgrund des sich formierenden Widerstandes, vor allem aber wegen der Hypothesen, dass Flugzeugabgase das Klima verändern könnten, beauftragte der US-Kongress das Department of Transportation (DOT) mit der Untersuchung der möglichen Umweltfolgen einer größeren Flotte ziviler Überschallflugzeuge (CIAP 1975: iii). Daraufhin wurde das Climatic Impact Assessment Program (CIAP) ins Leben gerufen. Dieses umfangreiche Assessment der möglichen Klimafolgen des Überschallluftverkehrs wurde durchgeführt, obwohl der US-Kongress die Unterstützung des SST-Programms – aus verschiedenen Gründen – bereits gestoppt hatte (Rosenbloom 1981: 416ff.). Das Design des CIAP unterschied sich von denen herkömmlicher Expertengremien dadurch, dass nicht eine einzelne Organisation oder einige wenige Experten damit beauftragt wurden, die Einschätzung des Problems vorzunehmen. Das Ziel bestand darin, das relevante wissenschaftliche Wissen unter Einbeziehung möglichst vieler Wissenschaftler zu erfassen und den zukünftigen Forschungsbedarf zu identifizieren. Dieser Ansatz machte das CIAP zu einem Vorläufer der modernen Environmental Assessment-Verfahren, wie sie z.B. vom WMO/UNEP Assessments Panel of Ozone Depletion oder später im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel durch das Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC, s. Agrawala 1998) durchgeführt wurden. Zu dem etwa 6.000seitigen Abschlussbericht des CIAP trugen über 1.000 Wissenschaftler aus 16 Ländern bei. Im Gegensatz zu den heutigen Assessment-Panels im Bereich der Ozon- und Klimaforschung, die selbst keine Forschung durchführen, sondern ausschließlich auf in Fachzeitschriften publizierte (und peer reviewed) Aufsätze zurückgreifen, wurden im Rahmen des CIAP Forschungsprojekte in der Höhe von insgesamt 23 Millionen Dollar geför-
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dert (Mormino u.a. 1975: 23). Es wurden ungefähr 50 Forschungsaufträge an die Luftfahrtindustrie, Großforschungsorganisationen und Universitäten vergeben. Innerhalb des CIAP zeichnet sich aber die Ausdifferenzierung der Funktionen, Projektträgerschaft und Assessment, schon ab. Die sechs Abschlussmonografien beschränkten sich nicht auf die Ergebnisse der CIAP-Projekte, sondern es wurde versucht, den gesamten relevanten Wissensstand inklusive der nicht-amerikanischen Forschung zu berücksichtigen. Die Berichte stellten so state of the art-Beschreibungen des Klimasystems, vor allem aber auch der chemischen Prozesse in der Atmosphäre, dar.30 Die Ausschreibung der Forschungsprojekte des CIAP erfolgte im Juni 1970 durch die Environmental Sciences Service Administration (ESSA, einer Vorgängerorganisation der NOAA) mit Unterstützung des damaligen Direktors des SST-Programms W. Magruder. Im Januar 1971 wurde das Programm auf dem Treffen der American Meteorological Society (AMS) vorgestellt und im August 1971 genehmigte der US-Kongress den Haushalt. Das CIAP bestand aus fünf Subprogrammen, die die Rekombination des Wissens und die interdisziplinäre Arbeitsteilung widerspiegelten: Innerhalb des Engine Exhaust Emissions Subprogram wurden vor allem Experimente auf Triebwerksprüfständen gefördert, um die Menge und die chemische Zusammensetzung der Abgase verschiedener Turbinentypen zu bestimmen. Diese Forschungskontrakte wurden in erster Linie an die Luftfahrtindustrie (vor allem Boeing und Lockheed) und an das NASA Jet Propulsion Laboratory vergeben. Das Atmospheric Modelling Programm förderte Projekte zur Entwicklung ein- und zweidimensionaler chemischer Modelle. Aber auch die Entwicklung dreidimensionaler dynamischer Klimamodelle General Circulation Models (GCM) wurde gefördert (z.B. am MIT und an der University of California, Los Angeles, UCLA), um einen möglichen Klimawandel durch den emittierten Wasserdampf abschätzen zu können (auch wenn die Modelle noch lange nicht die nötige Komplexität aufwiesen). Das Atmospheric Monitoring und Experiments Program (AM&E) erhielt den größten Anteil der Forschungsgelder (ca. 10,5 Millionen Dollar, Mormino u.a. 1975: 23f.). Ziel dieses Programms war es umfangreiche Messkampagnen durchzuführen. Dabei wurden Flugzeuge der US Air Force (WB57-F, NC-135) und der NASA (U-2, C-141, CV-990) eingesetzt. Auch eine französische Concorde 30 Auch in Frankreich und Großbritannien wurde versucht, die Umweltfolgen von SST abzuschätzen. Die verantwortlichen Komitees (COVOS, COMESA) waren aber deutlich kleiner und ihre Berichte waren herkömmliche Expertisen, die im Gegensatz zum CIAP zu dem Ergebnis kamen, dass die klimatischen Effekte von SST zu vernachlässigen seien (Drake und Purvis 2001). Heute wird angenommen, dass die SST-Flugzeuge die Ozonschicht tatsächlich nicht schädigen, die emittierten NOx würden wahrscheinlich zu einem Ansteigen des Ozongehalts führen. Über den negativen klimatischen Effekt von SST-Flugzeugen, der sich aus dem gegenüber gewöhnlichen Verkehrsflugzeugen viel höheren Treibstoffverbrauch ergibt, besteht dagegen unter den Klimaforschern ein weitgehender Konsens (IPCC 1999).
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diente zeitweilig als Plattform für Messgeräte, die Daten über die Stratosphäre sammelten. Hinzu kamen Ballonmessungen in vielen Teilen der Welt, unter anderem auch in der Arktis und der Antarktis. Ein erheblicher Teil des Geldes floss in die Entwicklung analytischer Techniken, die es erlaubten, die chemische Zusammensetzung der Stratosphäre und Verschiebungen des Gleichgewichts genau zu bestimmen. Das Atmospheric Chemical Dynamics Programm beschäftigte sich mit den Grundlagen der atmosphärischen Chemie. In diesem Teil des Programms wurden vor allem Universitätswissenschaftler gefördert, die in Laborexperimenten gaskinetische Reaktionskonstanten ermittelten. Ein wichtiges Ergebnis war ein Katalog von über hundert Reaktionsraten. Noch lange bildete dieser die Grundlage für die Berechnung des dynamischen Gleichgewichts in der Stratosphäre. Innerhalb des Analysis, Integration and Assessment Program wurden die Ergebnisse zusammengefasst, die Forschungsarbeiten ausgewertet, die nicht im Rahmen des CIAP entstanden, und der Review-Prozess für die Ergebnisse organisiert. Mit der Möglichkeit, dass menschliche Aktivitäten – besonders die geplante Flotte ziviler Überschallflugzeuge (SST) – zu einer massiven Gefährdung der Ozonschicht führen könnten, kam es, verstärkt durch die Forschungsprogramme des CIAP, zu einem rasanten Wachstum des Feldes der atmosphärischen Chemie, und zwar schon, bevor Molina und Rowland ihre berühmte These über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW aufstellten. Harold Schiff schreibt in Brasseur u.a. (1999: 115): »These concerns resulted in a mass immigration of scientists into stratosphere, including chemists, physicists, engineers, meteorologists, and computer modellers. . . . «
5.5 FCKW als Zerstörer der Ozonschicht 5.5.1 Die Molina-Rowland-Hypothese Mit der Hypothese, dass die in der Industrie und in den Haushalten weit verbreiteten Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW)31 eine Gefahr für die Ozonschicht darstellen könnten, wurde das Problem einer möglichen 31 Vorerst wurden nur FCKW – FCKW-11 (CCl3 F) und FCKW-12 (CCl2 F2 ) – als Gefahr für die Ozonschicht diskutiert. Das Montrealer Protokoll und seine amendments reguliert heute knapp 100 Substanzen (ursprünglich nur 8) auch anderer Stofffamilien (u.a. auch Halone, HFCKW und Methylbromide). Ihnen gemein ist, dass ihre Zersetzung durch die UV-Strahlung der Sonne Chlor- oder Bromradikale freisetzt. Einige der Substanzen (Halone-1211, -1301, -2402) haben ein höheres Ozonzerstörungspotential (ozone depletion potential, ODP) als FCKW. Die Bedrohung der Ozonschicht durch einzelne Substanzen ergibt sich als Produkt ihres ODP und der freigesetzten Menge. Die Einheit ODP ist eine Vergleichseinheit, die das Ozonzerstörungspotential einer Substanz in Beziehung zu der von FCKW-11 setzt, welche mit 1,0 festgesetzt ist. So haben FCKW-12 ein etwas geringeres ODP von 0,82, Halon1301 hat ein ODP von 10.
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Schädigung der Ozonschicht durch menschliche Aktivitäten rekontextualisiert. Das potentielle Risiko, welches von einer noch nicht eingeführten Technik – dem zivilen Überschallluftverkehr (SST) – ausging, wandelte sich zu einem akuten Umweltproblem, da FCKW und andere ozonzerstörende Substanzen bis in die 1990er Jahre als Kühlmittel in den meisten Kühlschränken und Klimaanlagen verwendet wurden. Ein noch gravierenderes Problem stellte die weite Verbreitung von FCKW als Treibmittel in Spraydosen und ihre Verwendung beim Aufschäumen von Kunststoffen in der Industrie dar (z.B. von Styrofoam und anderen Polystyrolen). Bei diesen Anwendungen gelangten die FCKW nach nur einmaligem Gebrauch in die Atmosphäre, wo sie aufgrund ihrer hohen chemischen Stabilität fünfzig bis hundert Jahre (einige Substanzen auch noch deutlich länger) verbleiben, bevor sie in die Stratosphäre gelangen. Dort werden sie durch die UV-Strahlung der Sonne aufgespalten, wobei Chlorradikale entstehen, die einen Ozonabbau katalysieren. Dem britischen Chemiker James Lovelock gelang es nachzuweisen, dass FCKW überall in der Atmosphäre, auch über dem Atlantischen Ozean, d.h. weit entfernt von ihren Quellen in den Industrieländern, zu finden sind (Lovelock u.a. 1973). Die von Lovelock gemessene Konzentration von FCKW-11 betrug nur 60 Moleküle auf 1012 Luftmoleküle (parts per trillion, ppt). Lovelock brachte seine Messungen, die – nach einigen Verzögerungen – in Nature veröffentlicht wurden, noch nicht mit einer möglichen Gefährdung der Ozonschicht in Verbindung. John W. Swinnerton, der sich am Naval Research Laboratory in Washington, DC mit dem Austausch von Spurengasen und Aerosolen zwischen dem Meer und der Atmosphäre beschäftigte, verwendete Lovelocks Messmethode, um 1972 umfangreiche FCKW-Messungen zwischen Los Angeles und der Antarktis, später auch am Nordpolarkreis, durchzuführen. Dabei stellte er fest, dass sich tatsächlich große Mengen von FCKW in der Atmosphäre angesammelt hatten (Cagin und Dray 1993: 8). Seine Hochrechnungen ergaben, dass die Menge der FCKW in der Atmosphäre nahezu perfekt mit der seit 1930 produzierten Menge übereinstimmten (Lovelock 1974; Chesick 1975). Der Verdacht, dass halogenierte Kohlenwasserstoffe eine ernsthafte Umweltgefährdung darstellen könnten, kam auf, noch bevor diese als eine Gefährdung des stratosphärischen Ozons betrachtet wurden (Dotto und Schiff 1978: 9; Roan 1989: 34f.).32 Die chemischen Industrie ergriff recht früh die Initiative und richtete 1973 unter der Führung von DuPont das Chemical Manufactures Association’s Fluorcarbon Program Panel (FPP) zur Identifizierung möglicher durch FCKW verursachter Umweltgefährdungen ein. Das Budget reichte dabei mit 20 Millionen Dollar fast an das des CIAP heran. Das FPP sponserte vor allem Forschungsprojekte, die sich auf die Reaktivität 32 Der Wissenschaftler Charles Kolb von Aerodyne Research Inc. sah in den FCKW »a large potential for mischief« (Dotto und Schiff 1978: 9).
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von FCKW in der unteren Atmosphäre konzentrierten (Parson 2003: 23). Auch Lovelocks FCKW-Messungen wurden innerhalb dieses Programms finanziert. Die meisten Forschungskontrakte vergab das FPP an universitäre Forschungsgruppen, wodurch zusätzliches Geld in die chemische Erforschung der Atmosphäre floss (Block und Soulen 1982). Allerdings bestanden nur wenige Berührungspunkte zu den CIAP-Projekten, die die Stratosphäre im Visier hatten. Weil die FPP-Projekte an dem Luftverschmutzungsparadigma (bodennah, regional, Atmosphäre inaktives Reaktionsgefäß) orientiert waren, bestätigten die Ergebnisse die vermeintliche Ungefährlichkeit von FCKW. Eine zweite wichtige Voraussetzung für die Formulierung der Hypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW war die Erkenntnis, dass auch Chlorradikale als mögliche Katalysatoren für den Ozonabbau in der Stratosphäre in Frage kamen. Diskutiert wurde diese Möglichkeit auf einer Konferenz der International Association of Geomagnetism and Aeronomy (IAGA), die 1972 in Kyoto stattfand (Clark u.a. 2001: 47), vorerst, ohne FCKW als eine Quelle für Chlorradikale in Betracht zu ziehen. Richard Stolarski und Ralph Cicerone, die bei der NASA mit der Untersuchung möglicher Umweltfolgen des Space Shuttle befasst waren, vermuteten, dass die chlorhaltigen Abgase der Feststoffbooster des Shuttle die stratosphärische Ozonschicht schädigen könnten. Neben dem Space Shuttle zogen sie auch große Vulkanausbrüche und natürliche Aerosole als Chlorquellen in Betracht (Stolarski und Cicerone 1974).33 Der Verdacht, dass Chlorverbindungen (später kommen Bromverbindungen hinzu) als Katalysatoren für den Ozonabbau in der Stratosphäre wirken könnten, ergab sich aus den etablierten Theorien des dynamischen Gleichgewichts des stratosphärischen Ozons, besonders aus der Formulierung der Ozon-NOx -Chemie durch Paul Crutzen (s. 5.4.2, S. 161). Die durch HOx und NOx katalysierten Ozonabbauprozesse sind strukturell nahezu identisch mit den auf Chlorradikalen (ClO) basierenden Prozessen. Auf diesen Zusammenhang haben die HarvardWissenschaftler Steven C. Wofsy und Michael B. Elroy in einem als Review angelegten Beitrag verwiesen, der ebenfalls auf der Konferenz in Kyoto präsentiert wurde (Wofsy und McElroy 1974). Die Beiträge der Konferenz erschienen 1974 in einem Sonderheft des Canadian Journal of Chemistry, das den Stand des Wissens über das stratosphärische Ozon zusammenfasste und die potentielle Bedeutung von Chlorverbindungen für die stratosphärische Chlorchemie etablierte (s. Abbildung 3). Dennoch war die Anwesenheit von Chlorradikalen in der Stratosphäre noch nicht belegt (Rowland 1975). Für das natürliche Ozongleichgewicht 33 Möglicherweise gab es Widerstände innerhalb der NASA gegen die Veröffentlichung dieser Ergebnisse (Lambright 2005: 5), doch wurden die Raketenabgase – entgegen anderer Darstellungen (z.B. Roan 1989: 17) – schon auf der Konferenz in Kyoto als eine mögliche Quelle für Chloremissionen diskutiert (Kowalok 1993).
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Johnston 1971 Hunt 1966a,b
Stolarski/Cicerone 1974 Lovelock et al. 1973
McNorrish/Grath 1960 Crutzen 1970, 1971
Molina/Rowland 1974
Bates/Hayes 1967
Johnson et. al 1952 Wofsy/McElroy 1974 Junge 1963 Chapman 1930
Abbildung 3: Schließung 1974 und Bezüge (Zitation) der MRH zu den in der Arbeit diskutierten Beiträgen. Quelle: Eigene Analyse der Originalaufsätze
spielen Chlorverbindungen – sieht man von einzelnen, starken Vulkanausbrüchen ab – keine nennenswerte Rolle. Zwar gibt es auch in der Natur Chlorquellen; besonders Meeressalze gelangen in großen Mengen als Aerosole in die Atmosphäre. Einer der sogenannten Ozonmythen ist, dass die in den FCKW enthaltenen Chlormengen im Vergleich zu den natürlichen Quellen geradezu vernachlässigbar seien. Dabei wird aber übersehen, dass die natürlichen Chlorverbindungen im Gegensatz zu den sehr stabilen FCKW leicht wasserlöslich sind und durch Niederschläge vollständig aus der Atmosphäre ausgewaschen werden, bevor sie durch die mehrere Monate oder gar Jahre dauernden Transportprozesse in die Stratosphäre gelangen könnten. Damit stand die Frage im Raum, ob es anthropogene Quellen für Chlorradikale in der Stratosphäre gibt, welche die durch Chlorradikale katalysierten Prozesse relevant machten. Mario Molina und Sherwood Rowland von der University of California in Irvine stellten die FCKW als eine nichtnatürliche Quelle von Chlorradikalen in der oberen Atmosphäre heraus. Rowland benutzte im Rahmen seiner radiochemischen Forschungen FCKW, in denen modifizierte Isotope eingebaut waren, schon länger als tracer in der Stratosphäre. Daher wusste er auch, dass diese durch harte ultraviolette Strahlung aufgespalten werden, wobei Chlorradikale entstehen (fotochemische Dissoziation). Von den FCKW-Messungen Lovelocks erfuhr Rowland 1972 auf einer von der Atomic Energy Commission (AEC)34 veranstalteten Konfe-
34
Die AEC ist die Vorläuferbehörde des U.S. Department of Energy (DOE).
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Abbildung 4: Strukturelle Parallelen der Theorie Crutzens über das natürliche Ozongleichgewicht (Crutzen 1970), den katalytischen Ozonabbaus durch Chlorradikale (Stolarski und Cicerone 1974; Wofsy und McElroy 1974) und FCKW als mögliche Quelle von Chlorradikalen (Molina und Rowland 1974). Als Beispiel ist hier das FCKW-12 (CF2 Cl2 ) angeführt. Quelle: Johnston 1992: 5
renz in Fort Lauderdale (Florida), die Chemiker und Meteorologen vereinte (Rowland in Hargittai 2000: 456).35 Rowland beschloss aufgrund der von Lovelock und Swinnerton durchgeführten Messungen die Frage zu untersuchen, was mit den FCKW in der Atmosphäre im Laufe der Zeit geschieht. Dies ist eine geradezu typische Fragestellung der Radiochemie, die gewöhnlich nach der Verweildauer radioaktiver Isotope z.B. auch in der Atmosphäre fragt, angewandt auf eine nicht-radioaktive Substanz. Zudem war Rowland auf der Suche nach wissenschaftlichen Themen, die nicht der militärischen Geheimhaltung unterlagen und so den Erwerb von Reputation ermöglichten. Zu diesem Zeitpunkt trat Mario Molina, der in Berkeley im Bereich der Fotochemie promovierte, der Forschungsgruppe Rowlands bei und wählte das FCKW-Problem als sein Forschungsgebiet – noch ohne die möglichen Implikationen für die Umwelt zu kennen (Roan 1989: 3f.). Der von Molina und Rowland in Nature veröffentlichte Aufsatz (Molina und Rowland 1974) widerspricht in seinem Titel Stratospheric Sink for Chlorofluoromethanes36 Chlorine Atom-Catalyzed Destruction of Ozone der von Lovelock vertretenen Ansicht, dass es in der Atmosphäre 35 auch eigenes Interview mit Rowland am 16.3.2006 36 Der Name chlorofluormethanes oder Freon war der damals übliche Name für FCKW. Erst später wurde der Name Chlorofluorocarbons (CFC), deutsch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) – vermutlich nach einer Intervention von DuPont – verwendet.
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keine Senken für FCKW gäbe (Molina und Rowland 1974). Die Argumentation umfasst sechs zentrale Elemente (hier nach Rowland 1975): • In der unteren Atmosphäre sind CCl3 F (FCKW-11) und CCl2 F2 (FCKW-12) inert und sammeln sich mit zunehmender Produktion und Konsumption an. • Nach einer relativ langen Verweildauer in der Troposphäre werden die FCKW in die Stratosphäre transportiert und in einer Höhe von 15 bis 40 km durch ultraviolettes Sonnenlicht aufgespalten. • Bei der Aufspaltung durch ultraviolettes Licht mit einer Wellenlänge von 190 bis 215 mm werden Chlor-Atome (Cl) freigesetzt. • Die wichtigen Reaktionen für Chlorverbindungen in der Stratosphäre sind OH
O3
CH4 , H2
O, NO
−−−−−−−−−− −−−−−−−−− gegeben durch: HCl − − Cl − ClO • Gasförmiges HCl ist das dominierende chlorhaltige Zersetzungsprodukt, welches in allen Höhen vorkommt. Mit steigender Höhe nimmt die Konzentration von HCl zu. • Keine quantitativ bedeutenden Chlorreaktionen wurden übersehen (Rowland 1975; Christie 2001: 31).
Rowland (1975) vermutete, dass die durch die FCKW verursachte Reduktion der Ozonschicht zwischen 7% und 13% betragen könnte, wobei er im Wesentlichen die CIAP-Ergebnisse und die dort ermittelten Reaktionsraten als Grundlage seiner Berechnungen verwendete. Auf der Basis der Molina-Rowland-Hypothese kalkulierte Crutzen (1974) einen möglichen Ozonverlust von 6,5% bis 7% durch die FCKW, der erst nach 50 bis 100 Jahren eintreten würde und so zukünftige Generationen bedrohte. Die Reaktionsketten, die zu diesem Chlorabbau führen, sind im rechten Teil der Abbildung 4 (S. 174) zusammengefasst. Erste BallonMessungen von FCKW in der Stratosphäre wurden durch das Aeronomy Laboratory der NOAA in Boulder (Schmeltekopf u.a. 1975) und mit Forschungsflugzeugen (U-2) durch das Ames Research Center der NASA vorgenommen (Vedder u.a. 1978). Bei diesen Messungen bestätigten sich die aus der quantifizierten Molina-Rowland-Hypothese abgeleiteten Vorhersagen über die vertikale Verteilung der FCKW. Eine tatsächliche Ozonreduktion wurde aber nicht gemessen. Dies entsprach den aus der Theorie abgeleiteten Erwartungen, weil FCKW lange in der Troposphäre verbleiben, bevor sie in die Stratosphäre transportiert werden (Crutzen 1974). Die vorhergesagte Ozonabnahme wurde erst in der Zukunft erwartet. Die hohe Komplexität, die die chemischen Theorien der Stratosphäre bereits vor der Formulierung der Molina-Rowland-Hypthese hatte, wird in den Abschlussberichten des CIAP deutlich. Allein der erste Band The
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Natural Stratosphere of 1974, CIAP Monograph 1, umfasste ca. 1.400 Seiten.37 Der Bericht listet 144 chemische Reaktionen auf, die bei der Modellierung der Stratosphäre und des Ozongleichgewichtes berücksichtigt werden müssen (CIAP 1975: 5-36ff.). Auch wenn die Hypothese über die ozonreduzierende Wirkung von FCKW nicht im Rahmen des CIAP formuliert wurde, fiel sie doch auf den Boden einer Schließung der Debatte über die natürliche Dynamik der Stratosphäre. Eine erste Katalogisierung der relevanten Reaktionsraten im CIAP-Bericht ermöglichte eine schnelle Berechnung der Effekte zusätzlicher Prozesse (Crutzen 1971). Ein Problem der Ozonforschung bestand darin, dass aus uneinheitlichen Reaktionsraten unterschiedliche Prognosen über den Ozonabbau resultierten. Etwas später wurden die Reaktionsraten durch das National Bureau of Standards (NBS) katalogisiert und evaluiert. In wissenschaftlichen Beiträgen mussten nun die geprüften Raten verwendet werden. Bestanden Zweifel an diesen Werten, mussten diese in einem systematischen Verfahren reevaluiert und gegebenenfalls geändert werden (Thrush 1978). Damit wurde sicher gestellt, dass alle Wissenschaftler mit den selben Raten arbeiteten. Die Molina-Rowland-Hypothese löste vor allem politische Kontroversen aus (s. 5.5.2, S. 177). In der Wissenschaft stellte ihre Überprüfung dagegen ein normalwissenschaftliches Problem dar. Es gab einen Konsens über die grundlegenden chemischen Prozesse, die das Ozongleichgewicht in der Stratosphäre beeinflussten. Ob eine Ozonzu- oder eine Ozonabnahme zu erwarten war, hing von der exakten Quantifizierung der einzelnen Reaktionen ab. Ein kontroverser Punkt war, ob die BrewerDobson-Zirkulation in der Lage war, die schweren FCKW in die Stratosphäre zu transportieren. Mit Böhme u.a. (1978) könnte man sagen, dass es darum ging, die Anwendungsgrundlagentheorien zu erarbeiten, die die Rekombination von gesichertem Wissen erlaubten, so dass Vorhersagen über eine Ozonabnahme möglich wurden. Das damals etablierte Bild der Ozonschicht kam erst mit der Entdeckung des Ozonlochs ins Wanken. Es stellte sich heraus, dass nicht nur die Chemie der Gasphase, sondern auch die Klimadynamik und heterogene Reaktionen auf Aerosoloberflächen berücksichtigt werden mussten, um das Phänomen des regional und saisonal auftretenden Ozonlochs zu erklären.
37 Insgesamt bringen es die sechs CIAP-Bände auf über 6.000 Seiten, wobei auch die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen von Flugzeugtriebwerken (Propulsion effluents in the stratosphere, CIAP Monograph 2) enthalten sind. Diese Daten lagen wiederum dem Band über die Stratosphere perturbed by propulsion effluents (CIAP Monograph 3) zugrunde. Hinzu kamen Berichte über die Natural and radiatively perturbed Troposphäre (CIAP Monograph 4) und über die Economical and social measures of biological and climatic change (CIAP Monograph 5) sowie ein Synthesebericht, der die Ergebnisse zusammenfasst.
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5.5.2 Resonanzen im politischen System Auch wenn die politische Auseinandersetzung um die Regulierung von FCKW zwischen 1974 und 1978 in den USA sehr heftig geführt wurde, scheint die Metapher ozone war (Dotto und Schiff 1978) übertrieben. Bereits 1978 traten die ersten Einschränkungen »nicht essentieller« Anwendungen (non-essential uses) von FCKW (vor allem in Spraydosen) in Kraft. Das Einlenken der Industrie war dabei ein entscheidender Faktor. Verglichen mit anderen Kontroversen – z.B. über den Klimawandel – kam es also relativ schnell zu einer ersten Regulierung (Fleagle 2001: 76). Nachdem die Hypothesen über eine mögliche Reduktion der Ozonschicht und über den resultierenden Anstieg von Hautkrebsfällen die Öffentlichkeit erreicht hatten, betraten Wissenschaftler die politische Arena. Besonders im Rahmen des CIAP – so schien es zumindest – hatten sie einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen, auch wenn die Ergebnisse des CIAP kaum zur Einstellung des SST-Programms beigetragen haben. Wenn Umweltprobleme bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben sollten, waren es die öffentlichen Widerstände gegen den Überschallknall und die Ergebnisse des MIT/SCEP-Berichts. Letztlich waren es aber ökonomische Gründe, die zu einer Einstellung des Programms führten (Rosenbloom 1981; Drake und Purvis 2001). Die Ergebnisse des CIAP trugen aber vermutlich dazu bei, dass das Programm 1972 nicht wieder aufgenommen wurde (Johnston 1992: 21). Nach der Einstellung des SST-Programms arbeitete das CIAP von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Doch zeigten die öffentlichen Reaktionen auf eine Pressekonferenz, auf der im Januar 1975 die Ergebnisse vorgestellt wurden, dass der technokratische Ansatz wissenschaftlicher Expertise nicht aufrecht erhalten werden konnte. War die Zusammenarbeit von über 1.000 Wissenschaftlern zur Beurteilung eines Umweltproblems ein Meilenstein auf dem Weg zu modernen AssessmentVerfahren, wurde das Problem offensichtlich, die resultierenden komplexen Ergebnisse zu kommunizieren. So schloss die Presse aus einem Statement über den zu vernachlässigenden klimatischen Effekt der existierenden Überschallflugzeuge (neben Militärflugzeugen ein Dutzend Concorde und wenige sowjetische TU-144), dass von SST generell keine Gefahr ausgehe. Die Executive Summary nahm – dem politischen Mandat des CIAP folgend – vor allem die klimatischen Effekte in den Blick. Die für das Wissenschaftssystem wichtigeren Ergebnisse lagen aber auf den Gebieten der Stratosphäre und der Ozonschicht. Dabei wurde in den Tiefen des Berichts keine Entwarnung gegeben. Innerhalb der Executive Summary wurde die potentielle Gefahr für die Ozonschicht aber nur in einer Empfehlung formuliert, die NOx -Emissionen von Strahltriebwerken zu senken. Dass angesichts der Anfang der 1970er Jahre entworfenen Katastrophenszenarien nun scheinbar Entwarnung gegeben wurde,
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brachte der Wissenschaft in der Öffentlichkeit und in der Politik Glaubwürdigkeitsprobleme ein (Dotto und Schiff 1978: 69). Auch wenn im politischen System Entscheidungen zunehmen von wissenschaftlichem Wissen abhängig gemacht wurden, zeigte sich nun deren begrenzte Resonanzfähigkeit für die Komplexität wissenschaftlicher Theorien. Die Rolle, die einzelne Wissenschaftler in der frühen Ozonkontroverse spielten, ist als Beleg für eine Entgrenzung von Wissenschaft und Politik angesehen worden (z.B. Funtowicz und Ravetz 1993; Haas 1992). Doch zeigt die Geschichte der Kontroversen über die anthropogenen Schädigung der Ozonschicht das Gegenteil. Die Heftigkeit der ersten Ozonkontroverse ergab sich daraus, dass die Eigenlogiken des politischen und des Wissenschaftssystems nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Viele Wissenschaftler waren überrascht, dass ihre auf wissenschaftlichen Resultaten gegründeten Argumente nicht sofort politische Entscheidungen nach sich zogen, sondern – oft begleitet von persönlichen Angriffen – auch von Nichtwissenschaftlern zurückgewiesen wurden. Die spätere Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs verlief anders, weil die Grenze zwischen Wissenschaft und Politik organisatorisch so gefasst war, dass sie für beide Seiten beobachtbar blieb (s. 5.6, S. 194). Die Herausbildung wechselseitiger und steter Resonanzfähigkeit von Wissenschaft und Politik muss als ein koevolutionärer Prozess aufgefasst werden, in dem aus Kommunikationsproblemen gelernt wurde. Von einer Entgrenzung von Wissenschaft und Politik kann auch deshalb nicht die Rede sein, weil die wissenschaftsbasierte Umweltpolitik darauf angewiesen ist, dass es ein Wissenschaftssystem gibt, auf das sie sich fremdreferenziell beziehen kann. Zwar hat die soziologische Erkenntnistheorie gezeigt, dass auch wissenschaftliches Wissen ein Ergebnis sozialer Prozesse ist, im politischen System meint wissenschaftliches Wissen aber Wissen, das nicht im politischen Prozess erzeugt wurde. Es wird der Umwelt zugerechnet. Selbstverständlich kann – gerade das soll ja gezeigt werden – durch Forschungspolitik die Wissensproduktion stimuliert werden. Bei einer Entgrenzung entfiele aber die legitimatorische Leistung wissenschaftlichen Wissens, Forschung wäre dann für die Politik nicht mehr interessant. Die Molina-Rowland-Hypothese wurde nicht im Mainstream der atmosphärischen Chemie formuliert, wo man sich damals überwiegend der Troposphäre und ihrer Verschmutzung widmete. Das Wissen über das natürliche Ozongleichgewicht wurde 1974 von einer kleinen community von Wissenschaftlern aus verschiedenen disziplinären Kontexten geteilt. In der politischen Kontroverse zeigte sich relativ schnell, dass eine kleine, auf persönlichen Kontakten beruhende community Schwierigkeiten hat, glaubhaft für »die Wissenschaft« zu sprechen. Die Forderung nach mehr Forschung und die damit verbundene großzügige Förderung führten zu einer rasch steigenden Zahl von Ozonforschern.
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An dieser Stelle sei daran erinnert, dass innerhalb des hier gewählten theoretischen Ansatzes Individuen nicht Mitglieder des politischen oder des Wissenschaftssystems sind. Den Funktionssystemen zugerechnet werden nur Kommunikationen, ganz unabhängig davon, ob sich die Individuen darüber bewusst sind, dass sie gerade zur politischen oder zur wissenschaftlichen Kommunikation (oder zu beidem) beitragen oder nicht. Ob Kommunikationen durch einen Beobachter dem Wissenschaftssystem (oder dem politischen System) zugerechnet werden können, entscheidet sich ausschließlich dadurch, wie in der Gesellschaft an diese angeschlossen wird. In den ökologischen Diskursen der 1970er Jahre wurden wissenschaftliche Hypothesen mitunter sehr schnell zu politisch relevanten Aussagen, wenn sie von sozialen Bewegungen oder anderen Akteuren der Umweltpolitik thematisiert und in der Folge politische Kommunikationen angeschlossen wurde. Einzelne Hypothesen erzeugten besonders dann Resonanzen, wenn sie mit Katastrophen- oder doomsday-Semantiken verbunden wurden. Doch erwies sich dies mittelfristig als kontraproduktiv, weil sich solche Szenarien in der Regel mit der steigenden Komplexität des Wissens relativierten. In der Debatte über eine mögliche Schädigung der Ozonschicht lernten Wissenschaftler, durch die (teilnehmende) Beobachtung der Kommunikation im politischen System zunehmend deren Erfolgsbedingungen zu antizipieren. Das Problem der Reduktion der Ozonschicht durch FCKW hatte anfangs weder einen angestammten Platz in den wissenschaftlichen Disziplinen noch gab es ein entsprechendes Politikfeld. Das Thema wurde von einer kleinen »Hybridgemeinschaft« von Wissenschaftlern und Politikern getragen. Diese scheinbare Entgrenzung ist selbst ein Zeichen für die ökologischen Krise, die ihren Ausdruck in der Differenz zwischen der hohen Komplexität der Umwelt und der Unterkomplexität der Problembearbeitungskapazitäten findet. Zwar besteht grundsätzlich ein Komplexitätsgefälle zwischen System und Umwelt, doch wird es im Fall ökologischer Probleme, die stets Anpassungsprobleme sind, prekär. Lösungen für Umweltprobleme bestehen darin, dass mit der fortschreitende Ausdifferenzierung die Komplexität der Funktionssysteme steigt, so dass sie riskante Umweltphänomene in ihre Fremdreferenz integrieren können. In dem hier vorgestellten Fallbeispiel kam es im Wissenschaftssystem zu einer Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie, während sich im politischen System ein Regime zur Reduzierung der FCKW-Produktion herausbildete. Gekoppelt und aufeinander bezogen sind diese neuen systemspezifischen Strukturen der Umweltverarbeitung durch Organisationen, die mittels Entscheidungsprämissen Ereignisse in dem einen System an Ereignisse in dem jeweils anderen koppeln. Eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit erlangte die MolinaRowland-Hypothese im September 1974 auf einer Pressekonferenz, die
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auf der Jahrestagung der American Chemical Society (ACS) in Atlantic City stattfand.38 Bereits auf dieser forderten Molina und Rowland ein Verbot von FCKW (Andersen u.a. 2002: 10). Die alarmierende Wirkung dieser Pressekonferenz schlug sich in den US-amerikanischen Medien mit Schlagzeilen wie Hissing Toward Doom, Death to Ozone oder Aerosol Spray Cans May Hold Doomsday Threat nieder (Roan 1989: 29). Zu diesem Zeitpunkt kursierten unterschiedliche Abschätzungen des Ozonzerstörungspotentials der bereits in der Atmosphäre akkumulierten FCKW. Cicerone und Stolarski gingen in einem Science-Artikel (Cicerone u.a. 1974) von einem Ozonverlust von 10% innerhalb von 20 Jahren und von 40% bis zum Jahr 2014 aus, Lovelock äußerte sich dagegen im New Scientist eher zurückhaltend, er hielt die geforderten politischen Maßnahmen für verfrüht.39 Umweltgruppen riefen zum Boykott von Spraydosen auf und forderten ein schnelles Verbot von FCKW (Roan 1989: 31). Im November 1974 griff das Natural Resources Defense Council (NRDC) das Thema auf. Diese Organisation, die ihr Umweltengagement mit wissenschaftlicher und juristischer Expertise verbindet, wurde bekannt, weil sie die EPA erfolgreich mit einer Klage zwang, die Grenzwerte für den Bleigehalt von Benzin um 60% abzusenken. Auch im Fall der Ozonzerstörung schlug das NRDC den Rechtsweg ein, indem es eine Petition bei der föderalen Consumer Product Safety Commission (CPSC) einreichte (Roan 1989: 32). Die Behörde war damit in Zugzwang, auch wenn sie nur für einen kleinen Teil der Produkte zuständig war, die in Spraydosen verkauft wurden. Obwohl die Petition im Juli 1975 zurückgewiesen wurde (Roan 1989: 51), blieb das NRDC bezüglich der FCKW-Regulierung in den USA die einflussreichste Nichtregierungsorganisation (NGO), die auch dann dafür sorgte, dass das Thema auf der politischen Agenda blieb, wenn sein Nachrichtenwert zurückging. Die FCKW-produzierende Industrie reagierte zuerst mit Public Relation-Kampagnen auf die Molina-Rowland-Hypothese. In diesen wurde die noch ungelenke Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaftler ausgenutzt und mit den Mitteln der Werbung vermeintliche wissenschaftliche Kontroversen inszeniert. Unterzeichnet waren die großen Anzeigen in Zeitungen und Magazinen von einem sogenannten Council on Atmospheric Sciences (COAS), dessen Name leicht mit dem staatlichen Interdepartmental Committee on Atmospheric Sciences (ICAS) zu verwechseln war. Geleitet wurde das COAS von PR-Experten, denen es mitunter auch gelang Wissenschaftler zu engagieren. Diese waren aber selten unmittelbar in die wissenschaftliche Kontroverse über die anthropogene Ozonzerstö38 Chemical & Engineering News, 23.9.1974, S. 6 Lovelock: »The Americans tend to get in a wonderful state of panic over 39 things like this. [. . . ] I respect Professor Rowland as a chemist, but I wish he wouldn’t act like a missionary. [. . . ] I think we need a bit of British caution on this.« (zitiert nach Dotto und Schiff 1978: 24)
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rung involviert (Dotto und Schiff 1978: 155ff.). Die Gegner einer Regulierung argumentierten, dass man wegen einer einzelnen ungeprüften Hypothese nicht die Existenz einer ganzen Industrie aufs Spiel setzen könne. In solchen PR-Kampagnen wurden häufig Beiträge von Wissenschaftlern instrumentalisiert, die an der Molina-Rowland-Hypothese zweifelten, wobei die in der Wissenschaft normale, ja erwünschte Skepsis als Widerlegung präsentiert wurde. Neben dieser aggressiven Kommunikationsstrategie, die sich bis in die Kongress-Komitees fortsetzte, begann DuPont aber schon früh mit der Suche nach Stoffen, die FCKW in der Zukunft ersetzen konnten. Das Flurocarbon Project Panel (FPP) der CMA förderte wissenschaftliche Forschungsprojekte über die Ozonschicht und FCKW. Auch wenn das Programm durch die Interessen der Industrie geprägt war, hatte es keinen Einfluss auf die Ergebnisse der geförderten Forschung. Die meisten Resultate wurden in wissenschaftlichen Journalen publiziert, wo sie der peer review unterlagen. Der Unterschied zu den staatlichen Projekten bestand aber im Fokus, der auf der Untersuchung natürlicher Prozesse lag, die den Effekt von FCKW auf die Ozonschicht potentiell relativieren konnten (z.B. Meersalze und Vulkanausbrüche). Auch wenn das Wissen innerhalb der FPP-Projekte in Bezug auf abweichende Relevanzen rekombiniert wurde, boten sie Bewährungschancen für wissenschaftliches Wissen und führten zu einem besseren Verständnis der (natürlichen) Prozesse in der Atmosphäre. Oft erhielten die selben Forschungsorganisationen Zuwendungen, die auch durch staatliche Programme gefördert wurden. Dies trifft für die Universitäten ebenso zu wie für die NASA (zur Übersicht s. Block und Soulen 1982; Biswas 1977: 179ff.). Im Dezember 1974 wurde die Ozonreduktion durch FCKW das erste Mal auf der politische Bühne in Washington diskutiert. Eine erste Anhörung des Kongresses fand vor dem Subcommittee on Public Health and the Environment statt. Mehrere Abgeordnete hatten eine Gesetzesinitiative eingebracht, durch die der Clean Air Act auf den Schutz der Ozonschicht ausgeweitet werden sollte. Rowland setzte sich während der Anhörung für eine schnelle Regulierung der FCKW unter dem Vorsorgeprinzip (precautionary principle) ein. Andere Wissenschaftler argumentierten konservativer und forderten mehr Forschung. Die beteiligten Wissenschaftler waren sich aber darin einig, dass eine Bestätigung der FCKW-Ozon-Hypothese eine Regulierung der FCKW-Produktion erforderte. Die Industrievertreter argumentierten dagegen mit den wirtschaftlichen Schäden, die ein Verbot von FCKW zur Folge haben würde. Das erste einer langen Serie von hearings endete mit der Empfehlung, die Forschungskapazitäten im Rahmen der National Academy of Sciences (NAS) auszubauen. Außerdem sollte die EPA berechtigt werden, die FCKW dann zu verbieten, wenn die Molina-Rowland-Hypothese bestätigt werden konnte (Dotto und Schiff, 1978, 176ff.; Roan 1989, 37f.).
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Anfang 1975 gründete die US-Regierung das Committee on the Inadvertent Modification of the Stratosphere (IMOS) als eine task force, die den Präsidenten über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht beraten sollte. Auf der ersten Zusammenkunft des Gremiums wurden die Probleme der Grenzziehung von Wissenschaft und Politik deutlich. Wissenschaftler stritten vor Politkern über die Details ihrer Theorien. Für den Beobachter war es schwer zu entscheiden, ob Meinungen zum pro cetere politischer Regulierungen, zu kontroversen wissenschaftlichen Fragen oder verschiedene Philosophien über die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft diskutiert wurden. Besonders McElroy von der Harvard University verwies auf die inhärente Unsicherheit wissenschaftlicher Theorien. Er tat dies keineswegs aus antiregulatorischen Motiven. Er präsentierte vielmehr Zweifel als Kernbestandteil der wissenschaftlichen Methode (Roan 1989: 40). Der Konflikt, der sich daraufhin zwischen Rowland und McElroy entwickelte, war kein wissenschaftlicher – beide waren Anhänger der Molina-Rowland-Hypothese – sondern er verdeutlichte das Dilemma, das angesichts der verschiedenen Eigenlogiken von Wissenschaft und Politik entsteht, wenn aus Theorien politische Handlungsanweisungen abgeleitet werden sollen. Mit dem Ende des CIAP hatte die Erforschung und das Assessment einer möglichen Schädigung der Ozonschicht keinen Ort mehr im Dickicht US-amerikanischer Behörden (agencies). Von unterschiedlichen Akteuren wurden verschiedene Programme aufgelegt, um das Problem zu untersuchen und die Geltung der Molina-Rowland-Hypothese zu belegen (oder auch zu widerlegen). Auch das IMOS tendierte dazu, eine Regulierung von FCKW zu empfehlen, und legte 1978 als einen möglichen Termin für eine Novellierung des Clean Air Acts fest. Dabei wurde die Regulierung von den Ergebnissen einer Studie der NAS abhängig gemacht (Roan 1989: 41) und damit eine offizielle Autorität benannt. Aufgabe der NAS-Studie war es, die vorhandenen Messungen und Simulationen kritisch zu überprüfen und künftigen Forschungsbedarf zu identifizieren (Andersen u.a. 2002: 11). Im April 1975 nahm das NAS Panel on Atmospheric Chemistry die Arbeit auf. Es bestand aus zwölf Personen in zwei task forces. Eine beschäftigte sich mit der Auswertung des vorhandenen wissenschaftlichen Wissens, die zweite untersuchte die möglichen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Implikationen einer Regulierung bzw. der Nichtregulierung. Der zweibändige Abschlussbericht lag 1976 vor (NAS 1976a,b). Der erste – naturwissenschaftliche – Band empfahl eine Regulierung von FCKW, der zweite – in dem auch die ökonomischen Konsequenzen diskutiert wurden – lehnte sie ab: ». . . two different NAS committees produced two different reports; the red one said ›yes‹, the blue one said ›no‹. . . « (Molina und Rowland 2001: 18f.).
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Aufgrund dieser uneindeutigen Ergebnisse wurden die NASAssessments sowohl von den Anhängern als auch den Gegnern einer FCKW-Regulierung kritisiert. Das Panel hatte Glaubwürdigkeitsprobleme, weil ihm nur zwölf – von der NAS berufene – Wissenschaftler angehörten (Roan 1989: 43). Die meisten stammten dabei nicht aus dem Kontext des CIAP. So war Harold Johnston der Meinung, dass mit den CIAP-Ergebnissen genügend Belege für die Gültigkeit der Molina-Rowland-Hypothese erbracht worden seien, die man nur per Analogieschluss anwenden müsse (Roan 1989, 64; Dotto und Schiff 1978, 229). Seine Einschätzung, dass kaum Atmosphärenchemiker im NAS-Panel vertreten waren, traf aber nicht zu. Andere kritisierten die vorrangige Rolle der NAS als ein Instrument wissenschaftlicher Politikberatung. Ihr Ruf als unparteiischer Court of Science wurde wiederholt in Frage gestellt (Roan 1989: 42f.).40 Das Problem des NAS-Panels bestand darin, dass es nicht überzeugend für die Wissenschaft sprechen konnte. In den USA waren nicht weniger als acht föderale agencies mit dem Ozonproblem befasst, weil sie für die Regulierung verschiedener Produktgruppen – Lebensmittel, Medikamente, Haushaltchemikalien usw. – verantwortlich waren. Daraus ergab sich ein Problem der Zuständigkeit. Eine solche Konkurrenz zwischen den Behörden war aber nicht neu. So bestand die Aufgabe des Interdepartmental Committee on Atmospheric Sciences (ICAS) in der Koordination föderaler Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Atmosphärenwissenschaft (s. 5.4.1, 157). Bereits 1975 wurden durch die US-Regierung über 14 Millionen Dollar für die Erforschung der Stratosphäre ausgegeben. Ein erster Bericht über die mögliche Ozonzerstörung durch FCKW wurde vom ICAS im Mai 1975 veröffentlicht. Dieser bestätigte im Wesentlichen die Hypothese von Molina und Rowland. Aber auch das ICAS empfahl ein intensives Forschungsprogramm zur Bestätigung der Theorie (ICAS 1975b). Die wichtigste Empfehlung des ICAS bestand aber darin, die NASA als lead agency einzusetzen, die die föderalen Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der oberen Atmosphäre koordinieren sollte (s. 5.5.3, S. 186ff.). Die Front der Industrie gegen eine Regulierung begann zu bröckeln, als die ersten Hersteller von FCKW-freien Spraydosen versuchten, nicht in die Kontroverse über die Gefahren von Spraydosen – wie sie in der Öffentlichkeit geführt wurde – hineingezogen zu werden. So begannen sie mit der Kennzeichnung von FCKW-freien Spraydosen. In der Folge stiegen immer mehr Kosmetikhersteller auf FCKW-freie Spraydosen um. Im Juni 1975 gab der fünftgrößte Sprayproduzent in den USA, Johnson Wax bekannt, keine FCKW mehr einzusetzen (Clark u.a. 2001: 47). Hinzu kam, dass viele Produkte in anderer Form (z.B. in Form von roll ons, Tuben oder sticks) billiger hergestellt werden konnten (Dotto und Schiff 1978: 168). Dass sie vor der Ozon-Kontroverse dennoch in Spraydosen 40
S. auch New Scientist, 2.10.1975, S.7.
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verkauft wurden, war vor allem auf ihr praktisches Image zurückzuführen. Als sie in Verruf kamen, war der Verzicht für die Konsumenten keine große Entbehrung. Bereits 1975 ging die FCKW-Produktion um 15% zurück, auch wenn dafür andere Faktoren verantwortlich gemacht werden (Dotto und Schiff 1978: 171).41 Auch auf der politischen Ebene kam Bewegung in die Debatte. Ende 1975 gab es im US-Kongress 16 verschiedene Initiativen zur Regulierung von FCKW. Zudem wurden in 11 US-Bundesstaaten regulatorische Maßnahmen verhandelt. Als erster Bundesstaat verabschiedete Oregon 1975 ein Gesetz, das den Verkauf von FCKW-haltigen Spraydosen verbot. Im Zuge dieser Bemühungen wurden sowohl auf föderaler als auch auf bundesstaatlicher Ebene eine Vielzahl von hearings abgehalten. Besonders die nach dem leitenden Senator benannten Bumpers’ hearings hatten einen großen Einfluss, weil es zunehmend gelang, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und politische Interessen auseinander zuhalten. Das Ergebnis waren drei 500-seitige Bände, die die Aussagen vor dem Komitee zusammenfassten und eine viel größer Zahl Wissenschaftler einbezogen, als an den NAS-Reporten beteiligt waren (Roan 1989: 45). Unter den FCKW-Herstellern gab es dagegen weiterhin große Anstrengungen, die FCKW-Ozon-Hypothese in Frage zu stellen. Aufgrund der Entscheidung vieler Konsumenten, auf FCKW-Produkte zu verzichten, änderte sich aber der Ton der PR-Kampagnen. Eine Anzeige eines Ventilherstellers für Spraydosen wird immer wieder als Beispiel für diesen Wandel zitiert: »Don’t give up on fluorocarbon aerosols YET! [. . . ] We believe in what U.S. law holds clearly and we cherish dearly: you are innocent until proven guilty.« Diese Anzeige deutet darauf hin, dass die Möglichkeit einer Ozonzerstörung durch FCKW auch in der Industrie nicht mehr gänzlich ausgeschlossen wurde. Langsam entstand in der Wirtschaft eine Bereitschaft, FCKW-Regulierung und ein Verbot ihrer Verwendung in Spraydosen hinzunehmen, wenn die Gültigkeit der MolinaRowland-Hypothese bewiesen werden könne. Doch sah man diesen Beweis noch nicht als erbracht. Das Verhandlungssystem, in dem Entscheidungen im politischen System zunehmend an wissenschaftliche Erkenntnisse gekoppelt wurden, nahm Gestalt an. Dadurch, dass die Industrievertreter die Unsicherheiten der MolinaRowland-Hypothese herausstellten, wurde implizit auch formuliert, was als Beweis – als smoking gun – gelten konnte, der den »Täter« FCKW überführen würde. Dabei waren drei Punkte zentral: Erstens musste bewiesen werden, dass die FCKW die Stratosphäre erreichen konnten. Gegner der Molina-Rowland-Hypothese argumentierten, dass diese im Vergleich mit der Luft zu schwer seien, um in große Höhen transportiert zu 41 Als Gründe wurden u.a. eine Änderung der Haarmode, die Haarsprays weitgehend überflüssig machte, und die allgemeine Rezession genannt (Dotto und Schiff 1978: 171).
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werden. Andere behaupteten, dass die FCKW gegenüber den natürlichen Chlorquellen (Meersalz und Vulkanausbrüche) nicht ins Gewicht fallen würden. Zweitens musste gezeigt werden, dass die FCKW-Moleküle durch die ultraviolette Strahlung aufgespalten werden, und damit drittens freie Chloratome in der Stratosphäre vorhanden sind, die den Ozonabbau katalysieren konnten (Dotto und Schiff 1978: 225). Damit wurden die Entscheidungsprämissen eingeführt, die eine Regulierung von spezifischen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig machten. Der erste Beleg konnte leicht erbracht werden. Im Juli 1975 wiesen Forscher der NOAA und NCAR mit Ballonmessungen und mit hochfliegenden Flugzeugen (U-2) nach, dass die FCKW tatsächlich die Stratosphäre erreichten und es keine signifikanten Senken für FCKW in der Troposphäre gab. Ihre vertikale Verteilung stimmte gut mit den Computersimulationen überein (Schmeltekopf u.a. 1975). Der Nachweis der Entstehung von freien Chloratomen bei der Aufspaltung von FCKW durch das ultraviolette Sonnenlicht wurde von Wissenschaftlern des National Bureau of Standards (NBS) in Laborexperimenten erbracht (Roan 1989: 69). Für den Nachweis eines durch Chlorradikale katalysierten Ozonabbaus in der Stratosphäre mussten die Katalysatoren und die Reaktionsprodukte gemessen werden. Vor allem Chloroxid (ClO) galt als das smoking gun, nach dem man suchte. Diese Substanz entsteht, wenn freien Chloratome (Cl) ein Sauerstoff-Atom (O) aus den Ozonmolekülen (O3 ) herauslösen. Der Nachweis von ClO in der Stratosphäre gelang Ende 1976 einem Forschungsteam von der University of Michigan unter der Leitung von Jim Anderson. Ihre ersten Messungen zeigten Werte, die Wissenschaftler und Politiker kurzzeitig in Aufregung versetzten, weil sie auf einen Ozonabbau katastrophalen Ausmaßes hindeuteten. Diese Werte stellten sich aber als Messfehler heraus, deren Aufklärung erneut Zweifel an der Gültigkeit der Molina-Rowland-Hypothese auslösten (Roan 1989: 94). Bevor der Nachweis von Chlorradikalen in der Stratosphäre gelang, geriet die Molina-Rowland-Hypothese 1976 noch aus einem anderen Grund ins Wanken. Bei dem systematischen Versuch, den möglichen Einfluss anderer Prozesse auf die Ozonschicht auszuschließen, stieß Molina selbst auf die Rolle von Chlornitrat (ClONO2 ) in der Stratosphäre. Es stellte sich heraus, dass die Chlorradikale (ClO) und die natürlich vorhandenen Stickstoffradikale (NO2 ) miteinander reagierten, d.h. ein Teil der Substanzen, die den Ozonabbau katalysieren, dem Prozess entzogen wird. Damit musste die mögliche Ozonzerstörung von 16%, von der Rowland ursprünglich ausging, auf 7% nach unten korrigiert werden (Roan 1989: 73ff.). Dadurch geriet der politische Prozess der Ozonregulierung zeitweilig ins Stocken. Später stellte sich heraus, dass das regionale und saisonale Auftreten des Ozonlochs mit Prozessen in der Antarktis zusam-
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menhängt, die diese Reservoirgase schneller wieder aufspalten als in den mittleren Breiten. Auch für den NAS-Report ergab sich aus diesen Schwierigkeiten eine Verzögerung. Im Ergebnis kam der NAS Report zu der wenig hilfreichen Einschätzung, dass eine Ozonabnahme von 2% bis 20% möglich sei, der wahrscheinlichste Wert aber bei 7% läge. Auch wenn dieses Ergebnis die Vertreter beider Seiten nicht befriedigte, folgte die Food and Drug Administration (FDA) der Empfehlung der IMOS, regulative Maßnahmen zu ergreifen, wenn der NAS-Report Beweise für die Gültigkeit der MolinaRowland-Hypothese erbrächte, und schlug eine Einstellung nichtessentieller Anwendungen von FCKW vor. Sie optierte dabei für das Vorsorgeprinzip (precautionary principle), das politische Entscheidungen aufgrund eines Risikoverdachts nahe legt. Die EPA, die FDA und die Consumer Product Safety Commission (CPSC) erarbeiteten daraufhin einen Zeitplan, der das Verbot von nicht-essentiellen FCKW-Anwendungen für Ende 1978 vorsah. Diese Regulierung betraf ungefähr 25% der FCKWWeltproduktion (Roan 1989: 88).
5.5.3 Die NASA als lead agency Mit der Forderung des US-Kongresses nach einer langfristigen Untersuchung der Schädigung der Ozonschicht durch FCKW bot sich der NASA die Chance, ein umfangreiches Programm zur Erforschung der oberen Atmosphäre einzurichten. Im Jahr 1975 wurde die NASA offiziell mit der Koordination der föderalen Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet beauftragt. Allein im Haushaltsjahr 1976 betrug das durch den Kongress bewilligte Budget 7,5 Millionen Dollar. Die NASA nahm die Arbeit als Hauptprojektträger zu einem Zeitpunkt auf, in dem die Auseinandersetzungen um die Implikationen der Molina-Rowland-Hypothese ihren Höhepunkt erreichten (Lambright 2005: 7ff.). Mit der Bündelung der Fördermittel und der Assessment-Zuständigkeit in einer lead agency konnten viele Probleme gelöst werden, die die erste Kontroverse über die Regulierung von FCKW kennzeichneten. Wie es im nächsten Kapitel zu zeigen gilt, entstanden aber auch neue Probleme. In der für das politische System der USA typischen Konkurrenz verschiedener agencies mit sich überschneidenden Zuständigkeiten setzte sich die NASA vor allem gegen die NOAA durch. Aber auch eine Führerschaft der NSF, des ICAS oder eine Erweiterung der Zuständigkeit des Department of Transportation, unter dessen Leitung das CIAP organisiert wurde, standen zur Diskussion. Die NASA verfügte aber über die Infrastrukturen, die ein globales Monitoring der Stratosphäre erlaubten. Dieser Vorteil wurde mit der Bedeutungszunahme von Satelliten bei der Ozonmessung gestärkt. Neben den Satelliten bildeten die Forschungs-
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flugzeuge der NASA das Rückgrat für in situ-Messungen in der Stratosphäre (Lambright 2005: 3). Innerhalb der NASA wurde das Upper Atmospheric Research Office (UARO) zur Programmkoordination der nicht-satellitenbasierten Stratosphärenforschung eingesetzt. Damit wurden die verschiedenen Forschungsgebiete und Beobachtungskapazitäten der über das ganze Land verstreuten und mit unterschiedlichen Missionen befassten NASACenter gebündelt. Die relevanten Programme, die mit der Kernmissionder NASA in der Luft- und Raumfahrt zusammenhingen, beschäftigten sich mit den klimatischen Folgen von Flugzeug- und Space Shuttle-Abgasen. Mit der Zuwendung zur Umweltforschung lag die NASA in einem allgemeinen Trend einer Diversifizierung der in Großforschungsorganisationen bearbeiteten Themen. Als lead agency führte die NASA nicht nur in house-Projekte durch, sondern sie war auch für die Vergabe der staatlichen Mittel zur Erforschung der Stratosphäre an andere Organisationen und an die Universitäten zuständig. Das Clean Air Act Amendment von 1977 regelte dabei die Zuständigkeiten der einzelnen US-agencies entlang der noch getrennten Forschungsgebiete obere Atmosphäre, Luftverschmutzung und Klima. Die EPA war für die Erforschung und das Monitoring der Luftverschmutzung zuständig. Die NOAA, zu der der National Weather Service (NWS) gehörte und die über große ozeanografische Forschungskapazitäten verfügte, übernahm etwas später die Führung in der Klimaforschung (Block 1982: 139). Die Berührungspunkte waren anfangs relativ gering. Doch nahm die Kooperation in dem Maße zu, in dem das Klima als ein komplexer, globaler Gegenstand begriffen wurde. Mit ihrer Rolle als lead agency kam der NASA – unabhängig von einer expliziten Anforderungen durch den Kongress – die gesetzlich verankerte Aufgabe zu, regelmäßig Assessments über den Zustand der Ozonschicht zu erstellen. Der erste NASA-Report erschien 1979 unter dem Titel The Stratosphere Present and Future (NASA 1979). In der NASA als lead agency waren damit drei Funktionen vereint: erstens die Erforschung und das Monitoring der Ozonschicht, zweitens die Vergabe von Forschungsaufträgen, die dieser Mission und dem Verständnis der chemischen Prozesse in der Stratosphäre dienten, und drittens die Zusammenfassung des Wissens inklusive der Aufbereitung der Ergebnisse für politische Entscheidungsträger. Das Verhältnis von Forschung und Assessment war bei der NASA ein anderes als im CIAP. Es ging nicht um die Beantwortung einer einzelnen politisch relevanten Frage, sondern um die Verstetigung und die Koordination der Forschung. Damit wurde die Zusammenfassung des Wissensstandes von den thematischen Konjunkturen im politischen System entkoppelt. Sowohl für das politische als auch für das Wissenschaftssystem stellte diese organisierte Form der Kopplung – die gleichzeitig auch eine Ent-
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kopplung war – eine Reduktion von Komplexität dar. Für die Politik wurde die Ozonforschung adressierbar. Es konnten Fragen formuliert und Budgets ausgeschrieben werden, die bei der NASA unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen und die verfügbaren Kapazitäten in Forschungsprogramme übersetzt wurden. Die geplanten Forschungsmissionen wurden dann in sogenannten White Papers veröffentlicht. Sowohl NASA-Mitarbeiter als auch Wissenschaftler aus anderen Forschungsorganisationen konnten ihre Forschungsanträge an diesen Ausschreibungen ausrichten, wenn sie an den Projektgeldern interessiert waren. Zudem ermöglichte die regelmäßige Erstellung von AssessmentBerichten eine Beobachtung der wissenschaftlichen Entwicklung im politischen System. Dennoch war die Monopolisierung der Forschungskoordination und der Assessment-Aktivitäten nicht unproblematisch. Die Assessment-Reporte erschienen immer noch als NASA-Reporte, die nur in begrenztem Maße beanspruchen konnten, das gesamte Wissen der atmosphärischen Chemie zu repräsentieren. Zudem wurden immer noch Assessments von anderen agencies erstellt, die hin und wieder zu abweichenden Einschätzungen kamen. Trotz dieser Einschränkungen erlangte die NASA Upper Atmosphere Research Office (UARO) einen großen Einfluss auf die Entwicklung der atmosphärischen Chemie. In den achtziger Jahren verwaltete es ca. 70% der öffentlichen Mittel, die in den USA für die Ozonforschung ausgegeben wurden. Das waren ca. 20 bis 30 Millionen US-Dollar pro Fiskaljahr (Lambright 2005: 10). Hinzu kamen die enormen Aufwendungen für Wettersatelliten, die auch für das Ozonmonitoring immer wichtiger wurden. Im Jahr 1978 wurde der Satellit NIMBUS-7 gestartet, der mit einem Total Ozone Mapping Spectrometer (TOMS) und einem Solar Backscatter UV-meter (SBUV) ausgerüstet war. Diese Messtechniken beruhten darauf, dass die Spektren des von der Erde reflektierten Lichtes erfasst und in einer Spektralanalyse ausgewertet wurden, um auf die Dicke der Ozonschicht (total ozone column) zu schließen. Das Verfahren ähnelte also durchaus dem der Dobsoninstrumente. Die Interpretation der Werte erforderte einen ständigen Abgleich mit den bodenbasierten Messstationen, weil die kosmischen Strahlungen und Teilchen eine starke Instrumentendrift verursachten. Neben der Dicke der Ozonschicht wurden von NIMBUS-7 auch Wasser, CO, NO, CH4 und N2 O in der Stratosphäre erfasst. Der Satellit lieferte bis 1993 Messwerte für die Dicke der Ozonschicht, bevor die Instrumente endgültig ausfielen, und NIMBUS-7 durch eine neue Generation erheblich komplexerer Erdbeobachtungssatelliten abgelöst wurde (zur Geschichte der Ozonbeobachtung durch Satelliten, s. Miller 1989). Unter der Leitung des Atmosphärenchemikers Robert Watson als acting program scientist bildete sich die Form des Managements heraus, die die Ozonforschung bis zum Beginn der 1990er Jahre und darüber
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hinaus prägten. Dabei lassen sich zwei Tendenzen beobachten: Erstens erlangte die NASA einen recht großen Einfluss auf die Entwicklung der atmosphärischen Chemie. Zweitens kam es zu einer schrittweisen Öffnung der Forschungsprogramme und der Assessment-Verfahren auch für Wissenschaftler, die nicht bei der NASA arbeiteten, und später zunehmend auch für Wissenschaftler aus dem Ausland. Besonders während der antiregulatorischen Politik, durch die die Reagan-Administration gekennzeichnet war, fand das UARO mit der NOAA und UNEP Verbündete. Darüber hinaus bot die Erforschung der oberen Atmosphäre interessante Anwendungsgebiete für eine neue Generation von Forschungssatelliten, für die Erdoberfläche noch zu komplex war (Lambright 2005: 10). Um die Autorität der NASA-Assessment-Reporte zu steigern, wurde zum einen Expertise strategisch verknappt, tendenziell ihre Monopolisierung angestrebt (für das IPCC s. Weingart 2001: 164). Zum anderen konnte dieses Ziel nur durch die Öffnung der NASA-Assessments für die Mitarbeit anderer Organisationen erreicht werden, die eigene Assessment-Aktivitäten überflüssig machten. Das NASA-Assessment entwickelte sich so schrittweise zu einer organisatorischen Plattform, auf der eine enorme Zahl von Wissenschaftlern in die Einschätzung der Ozonreduktion einbezogen und koordiniert werden konnte. Bereits 1981 wurden die NOAA und die Federal Avation Agency (FAA) sowie das WMO Global Ozone Research and Monitoring Project in den AssessmentProzess eingebunden. Der Report The Stratosphere 1981: Theory and Measurements (WMO u.a. 1981) kann damit als einer der Urahnen des modernen internationalen Klima-Assessments gelten.42 Außerdem organisierte die NASA zusammen mit dem United Nations Environmental Program (UNEP) eine Vielzahl von Workshops (Lambright 2005: 12).
5.5.4 Internationalisierung Die Internationalisierung der Ozonkontroverse vollzog sich – anders als man es aufgrund der Vorstellung von der Universalität der Wissenschaft annehmen könnte – zuerst im politischen System, während die 42 Im Vorwort heißt es »For a little over a decade, there has been considerable public and scientific interest in the question whether man can inadvertently modify the stratosphere and in particular the ozone layer allowing biologically harmful ultraviolet radiation to reach the ground. Specific reports on the impact of emissions by the supersonic transport in the stratosphere and the release of chlorofluormethanes in the troposphere have been published by individual nations, the Commission for the European Communities, the Organization for Economic Cooperation and Development, the United Nations Environment Program, and the World Meteorological Organization. In December 1980, officials from the Meteorological Organization and three United States government agencies, the National Aeronautics and Space Administration, the Federal Aviation Administration, and the National Oceanic and Atmospheric Administration agreed to sponsor jointly a scientific workshop to summarize the present state-of-knowledge of the stratosphere and to assess the totality of man’s impact.« (WMO u.a. 1981: iii)
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Forschungsfinanzierung noch lange eine Angelegenheit von Nationalstaaten blieb (und immer noch ist). Einige wenige Länder, in denen selbst keine oder nur wenig FCKW produziert wurden43 , folgten den USA und verboten den Einsatz von FCKW in nichtessentiellen Anwendungen ebenfalls schon 1978, ohne dass sie (mit Ausnahme von Schweden) über eine ausgeprägte Ozonforschung verfügt hätten. Für das sich herauskristallisierende internationale Ozonregime war eine Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen und der politischen Kontroversen eine Vorbedingung, weil in der politischen Arena Verhandlungen zwischen gleichberechtigten Partnern, d.h. Staaten angestrebt wurden, in der Forschung aber die US-agencies – vor allem die NASA, die NOAA und NCAR – dominierten. Um als eine autoritative Basis anerkannt zu werden, musste das Wissen als wissenschaftliches Wissen und nicht als Wissen US-amerikanischer Universitäten und Regierungsorganisationen behandelt werden. Auch in diesem Prozess spielte die Öffnung der NASA-Assessments eine wichtige Rolle, in die auch die UNEP, die WMO und das deutsche Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) als Sponsoren einbezogen wurden. Das Thema der Ozonzerstörung wurde von US-amerikanischen Wissenschaftlern und Politikern in internationale Organisationen – wie die WMO und die UNEP – hineingetragen. In der Europäischen Gemeinschaft (EG) blieb die Ozonforschung vorerst unterentwickelt. Die Stärke der europäischen Universitäten lag in der Grundlagenforschung, für diese bot das stratosphärische Ozon aber kaum interessante Fragestellungen. Die höhere Resonanzfähigkeit des US-amerikanischen Wissenschaft für Umweltprobleme ergab sich aus der Existenz eines Netzwerkes von Organisationen, die in der Lage waren, politische Programme in Anlässe für Forschung zu übersetzen. Innerhalb der EG verfügte kein Land über ähnliche Forschungsorganisationen, es gab keine europäische NASA oder NOAA. Dies gilt umso mehr, wenn man die Spielräume betrachtet, über die Wissenschaftler in diesen Organisationen verfügten, Forschungsprogramme zu verfolgen, die von den ursprünglichen Missionen abwichen. Die Rolle, die die NASA mehr und mehr in der Geophysik und der Umweltforschung spielte, ist dafür geradezu exemplarisch. Auch die Initiative für das 1968 im Rahmen der ICSU und der WMO gegründete Global Atmospheric Research Program (GARP) ging von den USA aus. Vergleichbare big science-Strukturen der Atmosphärenwissenschaft bildeten sich in der EU erst Anfang der 1990er Jahren heraus, als die Bedeutung der Klimaforschung offensichtlich und deren Förderung eine Verpflichtung war, die sich aus dem Beitritt zum Montrealer Protokoll und später aus der Framework Convention on Climate Change (FCCC) ergab. 43
Kanada, Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland
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Noch während der Verhandlungen zum Montrealer Protokoll wurde die Ozonforschung in Europa nur zögerlich gefördert. Weder Lovelock, der als erster FCKW in der Atmosphäre nachweisen und quantifizieren konnte, noch Farman, der später mit einem Team des British Antarctic Survey das antarktische Ozonloch entdeckte (s. 5.6.1, S. 194), erhielten Forschungsmittel von der EG. Auch von den europäischen Regierungen wurde kaum mehr Geld ausgegeben als für andere esoterische Fragen der Grundlagenforschung. In den beiden Fällen sprang die Chemical Manufacturers Association (CMA), ein Zusammenschluss der USamerikanischen Chemieindustrie, ein. Deren Interesse an einem internationalen Ozonregime ergab sich – nachdem eine Regulierung in den USA nicht mehr vermieden werden konnte – daraus, zu verhindern, dass die europäischen FCKW-Hersteller Wettbewerbsvorteile in den noch unregulierten Märkten erlangten. Noch 1988 – das Montrealer Protokoll war schon in Kraft – entschied die Europäische Kommission, die Stratosphärenforschung nicht in ihr neues Umweltforschungsprogramm aufzunehmen (Benedick 1991: 29f.). Dennoch nahmen auch europäische Wissenschaftler an der Ozonkontroverse teil. Der prominenteste Vertreter ist wohl Paul Crutzen. Trotz der geringen Förderung bildeten sich kleine Zentren der Ozonforschung in Deutschland (MPI Mainz), aber auch in Skandinavien. Viele europäische Ozonforscher arbeiteten aber – zumindest für eine gewisse Zeit – in den USA. Diskutiert man die Rolle verschiedener Organisationen während der Internationalisierung der Ozonkontroverse, zeigt sich der Vorteil, Organisationen über Entscheidungen zu beschreiben. Charakterisiert man die beteiligten Organisationen über ihre Mitglieder, stößt man auf mehrere Probleme: Erstens gibt es sehr große Überschneidungen der Mitgliedschaften in den verschiedenen Assessment-Panels, Forschungsprogrammen, advisory boards und Fachorganisationen. An den Konferenztischen der NASA, der NOAA, der WMO, der UNEP oder auch bei den Anhörungen im US-amerikanischen Kongress trafen sich immer wieder die selben Wissenschaftler. Zweitens ist besonders die Mitgliedschaft in Forschungsorganisationen oder wissenschaftlichen Fachorganisationen recht lose, das gilt umso mehr für Assessment-Organisationen. Das Involvement in einen Assessment-Prozess kann von der Autorenschaft bis hin zu einem Review eines einzelnen Kapitels oder eines Aspekts eines einzelnen Kapitels reichen. Hinzu kommt drittens, dass in Organisationen wie der UN, deren Mitglieder formal Nationalstaaten sind, Entscheidungen getroffen werden, die sich nicht auf Nationalstaaten zuschreiben lassen. Daher müssen Organisationen als konkrete Ausformungen von Kopplungen zwischen Funktionssystemen (hier zwischen Wissenschaft und Politik) verstanden werden, die sich jeweils spezifischer Probleme verdanken, welche als Probleme der Ausdifferenzierung behandelt werden müssen.
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Bereits 1976 startete die WMO das Global Ozone and Monitoring Project, welches das Ziel hatte, die weltweiten Ozonmessungen aufeinander abzustimmen und die Satellitenbeobachtung (die vor allem von der NASA durchgeführt wurde) mit einbezog. Die erste internationale Konferenz über die Wirkung von FCKW auf die Ozonschicht wurde 1977 von der UNEP in Washington abgehalten. Als Ergebnis wurde der World Plan of Action on the Ozone Layer verabschiedet und das Coordinating Committee on the Ozone Layer (CCOL) gegründet. Die Aufgabe dieses Komitees bestand nicht in der Diskussion oder der Empfehlung möglicher Regulierungen, sondern in der Einschätzung des wissenschaftlichen Wissens und der möglichen Folgen von Regulierungsmaßnahmen für die Wirtschaft. Innerhalb des Komitees übernahmen verschiedene UN-Unterorganisationen die Zusammenfassung des wissenschaftlichen Wissens. Mit den atmosphärenwissenschaftlichen Aspekten des Problems beschäftigte sich die WMO, die Einschätzung der Folgen einer reduzierten Ozonschicht für die Menschen und die Biosphäre im Allgemeinen oblag der WMO, der UNEP, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Welternährungsorganisation (FAO). Die Abschätzung der ökonomischen Folgen wurde von der OECD und der International Civil Aviation Organisation (ICAO) koordiniert (Andersen u.a. 2002: 46). Die Mitglieder des CCOL waren 13 Industriestaaten, drei Entwicklungsländer, fünf UN-Unterorganisationen, sowie weitere internationale Organisation, wie die EG, die OECD, die Chemical Manufactures Association (CMA) und das International Council of Scientific Unions (ICSU). Auf dem ersten Treffen des CCOL wurde vor allem die Koordination, die Standardisierung und die Kalibrierung des internationalen Ozonmessnetzwerkes und – relativ unspezifisch – mehr Studien in allen Bereichen gefordert, die etwas mit dem Problem einer potentiellen Ozonzerstörung zu tun haben. Einbezogen werden sollten die chemischen Prozesse in der Atmosphäre, die Entwicklung von multidimensionalen Modellen, die genauere Erfassung von Hautkrebsfällen, die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Intensität der ultravioletten Strahlung und der Ozonschicht, die biologischen Effekte einer reduzierten Ozonschicht sowie der Einfluss einer veränderten Ozonschicht auf das globale Klima (Andersen u.a. 2002: 48f.). Das Problem des CCOL-Ansatzes, das Ausmaß und die Folgen der anthropogenen Ozonzerstörung zu bewerten, bestand darin, dass in diesem Gremium eine Vielzahl von Interessengruppen vertreten waren, darunter Regierungen, die eine Regulierung ablehnten (zeitweilig war dies die Mehrheit). Außerdem hatte selbst die FCKW-Industrie einen großen Einfluss auf dieses Gremium, in das sie ihre Vertreter entsenden konnte. Hinderlich war zudem die aufwendige Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen UNO-Organisationen. Daher gelang es den CCOL-Assessments kaum, den formulierten Anspruch durchzusetzen,
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das wissenschaftliche Wissen über den Zustand der Ozonschicht und die Folgen der in der Atmosphäre akkumulierten FCKW unparteiisch und glaubwürdig zusammenzufassen. In den internationalen Verhandlungen wurde zunehmend auf die NASA-Assessments zurückgegriffen. Der erste internationale Assessment-Report, der auf dem NASA-Verfahren beruhte, erschien 198644 (Benedick 1991: 14f.). Mit dem Beginn der Verhandlungen zu einer UN Framework Convention for the Protection of the Ozone Layer stellte die CCOL ihre Arbeit ein. Der Vorteil des NASAAnsatzes lag darin, dass die Erstellung des Assessments ausschließlich von Wissenschaftlern durchgeführt wurde. Erst in der Phase des Reviews und bei der Erstellung der executive summaries konnten Vertreter der verschiedenen Interessengruppen ihre Kommentare zu den Texten hinzufügen. Später (vor allem im IPCC) wurde deren Einfluss auch in den Review-Prozessen zunehmend zurückgedrängt. Die Situation, in der die Verhandlungen zum Montreal Protocol on Substances That Deplete The Ozone Layer begannen, ist im politischen System durch einen hohen Grad an Internationalisierung gekennzeichnet, während die Forschung weiterhin stark von US-amerikanischen Wissenschaftlern dominiert war. Dass dies während der Verhandlungen nicht als problematisch angesehen wurde, kann als ein zusätzlicher Indikator für die Ausdifferenzierung von Wissenschaft und Politik gesehen werden. Das durch die UNO organisierte CCOL-Assessment scheiterte gegenüber dem von der NASA dominierten Verfahren, weil die Trennung von wissenschaftlichem Wissen und politischer Einflussnahme nicht gesichert war. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Ausdifferenzierung von Wissenschaft und Politik im Fall der Gefährdung der Ozonschicht durch FCKW durch drei Phasen charakterisiert werden kann: Erstens stellte sich das Problem als eine Krise der Differenz von Wissenschaft und Politik dar. Gelöst werden konnte diese, zweitens, im Fall des politischen Systems der USA durch eine weitgehende Monopolisierung der Kopplung von Wissenschaft und Politik innerhalb der NASA. Drittens erforderte die Herstellung der Autorität und Glaubwürdigkeit (credibility) der Wissenschaft eine Kopplung, die durch eine große Zahl von Organisationen vermittelt wird. Damit erschien das Wissen nicht mehr nur als das Wissen einer einzigen Organisation, sondern es konnte als Wissen des Wissenschaftssystems beobachtet werden. Vor allem im Zuge der Internationalisierung der Politik zum Schutz der Ozonschicht verbreiterte sich die organisatorische Basis der Verkopplung von Wissenschaft und Politik.
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WMO/UNEP 1986
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5.6 Das Ozonloch 5.6.1 Die Entdeckung einer Anomalie Die Kontroverse über die anthropogene Zerstörung der Ozonschicht fußte bis in die Mitte der 1980er Jahre ausschließlich auf einer komplexen Theorie der chemischen Vorgänge in der Stratosphäre und auf Abschätzungen der bis dahin produzierten FCKW-Mengen (Brown und Lyon 1992: 60ff.). Die ersten Regulierungen beruhten – wie auch der Beginn der internationalen Verhandlungen – auf solchen Projektionen und nicht auf der Beobachtung einer tatsächlichen Ozonabnahme. Nach ihrem Inkrafttreten gingen die Vorhersagen über eine mögliche Ozonabnahme durch die Verbesserung der Theorien – nicht aber durch die Regulierungen – zurück. Die NAS-Prognosen über eine mögliche Ozonreduktion erreichten 1983 einen Tiefststand von 3% (s. Abbildung 1, S. 114). Diese Entwicklung hatte zwei Effekte. Die Glaubwürdigkeit der umweltorientierten Wissenschaft ging in der Öffentlichkeit kurzzeitig – bis zur Entdeckung des Ozonlochs – zurück. Der frühe Alarmismus stellte sich als kontraproduktiv heraus. Viele hielten die Regulierungen von 1978 für übereilt (Zehr 1994: 608f.). Daher gerieten in den USA auch die Verhandlungen über die zweite Stufe der Regulierung, die aufgrund der Politik der Reagan-Administration ohnehin nicht sehr intensiv vorangetrieben wurden, ins Stocken (Roan 1989: 104ff.). Die Prognosen basierten auf Computermodellen, die es erlaubten, das Ozongleichgewicht unter der Berücksichtigung von über hundert Reaktionen, des Antriebs der fotochemischen Prozesse durch das Sonnenlicht und der spezifischen Reaktionsraten zu simulieren. Gewöhnlich wurden diese Berechnungen für eine geografische Breite von 30° N vorgenommen. Einige Modelle berücksichtigen das volle Spektrum geografischer Breiten und die mit diesen verbundenen Temperatur- und Klimaparameter. Aber auch diese 2-D-Modelle konnten die drastische Ozonabnahme, die seit 1981 zu Beginn des Frühlings in der Antarktis (Anfang Oktober) beobachtet wurde, nicht vorhersagen (Kerr 1988: 1489). Eine numerische Simulation des Ozonlochs, wie das Phänomen der saisonalen Ausdünnung der Ozonschicht bald genannt wurde, gelang erst Anfang der 1990er Jahre mit gekoppelten General Circulation Models (GCM), die die chemischen Prozesse in der Atmosphäre und die Dynamik der atmosphärischen Zirkulation integrieren konnten (Shindell u.a. 1997). Anfang der 1980er Jahre setzte nicht nur der Stand der Computertechnik der Simulation enge Grenzen, sondern klimadynamische Modelle hatten nur wenig mit den chemischen Modellen der Stratosphäre zu tun. Daher wurde die Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs durch umfangreiche Expeditionen und Messkampagnen entschieden (Grundmann 1999: 152ff.).
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Die erste Messung einer Ozonabnahme gelang dem NASAWissenschaftler Donald Heath. Dieser stellte 1981 bei der Analyse der Satellitendaten von NIMBUS-7 fest, dass die durchschnittliche Dicke der Ozonschicht seit 1970 um bis zu 4% gesunken war. Auch wenn er diese Ergebnisse auf Konferenzen und Anhörungen des US-amerikanischen Kongresses präsentierte, zweifelten die meisten Wissenschaftler an diesen Messungen. Bis 1986 erschienen sie nicht in der peer reviewed Fachliteratur (Kerr 1988: 1490). Der Abwärtstrend wurde auf eine sukzessive – durch kosmische Teilchenstrahlung verursachte – Degradation der Optiken der Messgeräte (TOMS, SBUV) zurückgeführt. Diese Instrumentendrift erforderte einen ständigen Abgleich der Satellitendaten mit Dobson-Spektrofotometern. Weil aber an den Dobsonstationen keine Ozonabnahme festgestellt wurde, traute man den niedrigeren Satellitendaten nicht. Erst 1988 – nach der Entdeckung des Ozonlochs – wurde durch das Ozone Trend Panels (OTP) eine aufwendige statistische Reanalyse der Dobson-Daten vorgenommen. In dieser Studie, die von der NASA in Zusammenarbeit mit der NOAA, der WMO und der UNEP organisiert wurde und an der über hundert Wissenschaftler teilnahmen, konnten die Messungen Heaths bestätigt werden (WMO und NASA 1988). Der Report des OTP ging von einer signifikanten Ozonabnahme von 1,7% bis 3% zwischen 1978 und 1986 aus (Kerr 1988). Die extrem niedrigen Ozonwerte, die zu Beginn des Frühjahres (September und Oktober) in der Antarktis auftreten, wurden das erste Mal im Oktober 1981 von Wissenschaftlern des British Antarctic Survey (BAS) an der Station Halley Bay und 1982 durch ein japanisches Team an der Station Syowa registriert. Die Ozonabnahme von jeweils ca. 20% überraschte nicht nur die Polarforscher, für die die Ozonmessung eine routinemäßige Tagesaufgabe war, sondern die gesamte Ozonforschung. Das Team unter der Leitung von Joe Farman reagierte zuerst mit dem Austausch und der Neukalibrierung ihres Dobson-Instruments (Farman u.a. 1985: 207). Die Höhe der Abweichung lag schließlich jenseits der für möglich gehaltenen Werte. Der Vergleich mit dem ReferenzSpektrofotometer in Oxford zeigte aber, dass das Gerät zuverlässig arbeitete. Eine Reanalyse der über 30 Jahre umfassenden Aufzeichnungen der Station Halley-Bay ergab, dass der Trend der starken Ozonabnahme erst seit den 1970er Jahren auftrat (Solomon 1987). Diese Ergebnisse erschienen 1985 in Nature (Farman u.a. 1985). Bereits ein Jahr früher publizierte das japanische Team von Shigeru Chubachi extreme Ozonwerte (Chubachi 1984). Diese Publikation fand in der Fachwelt deutlich weniger Resonanz. Sie präsentierte lediglich eine einjährige, wenn auch anomale Messreihe und zog keine weiteren Schlüsse. Die Entdeckung des Ozonlochs wird daher Farman und seinen Kollegen zugeschrieben (z.B. Johnston 1992; Solomon 1999), obwohl auch Chubachi beanspruchte, das Ozonloch »entdeckt« zu haben (Chri-
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stie 2001: 49). Der Aufsatz von Farman et al. erlangte eine hohe Aufmerksamkeit, weil er die niedrigen Ozonwerte mit dem Ozonzerstörungspotential der FCKW in Verbindung brachte. Auch wenn die eingeführte ad hoc-Erweiterung der chemischen Theorie das Ozonloch nicht erklären konnte, zeigte diese Publikation, dass eine Verbesserung der Theorie erforderlich war (Christie 2001: 54). Dadurch, dass das Farman-Team die drastische Ozonabnahme in der Antarktis mit der Molina-RowlandHypothese in Verbindung brachte (rekombinierte), erzeugte sein Beitrag – im Gegensatz zu dem von Chubachi et al. – nicht nur unter den Klimadynamikern, sondern auch in der atmosphärischen Chemie Resonanzen. Verstärkt wurde seine alarmierende Wirkung durch die extrem niedrigen Ozonwerte, die im Oktober 1985 in der Antarktis gemessen wurden. Erstmals lagen sie unter 50% der Durchschnittswerte (Kerr 1986). Zu der Frage, warum das Ozonloch nicht von den NASAWissenschaftlern entdeckt wurde, die seit 1978 die Ozonschicht mit dem auf dem Wettersatelliten NIMBUS-7 montierten Total Ozone Mapping Spectrometer (TOMS) beobachteten, sind verschiedene Antworten diskutiert worden. Diese reichen von der technischen Unterdrückung anomaler Messwerte durch Softwarefilter bis hin zur vermuteten Ignoranz gegenüber Daten, die nicht zu den etablierten Theorien passten (Benedick 1991: 19; Roan 1989: 132). Rich McPeters, der damalige Leiter des Satellitenteams, behauptete, dass auch bei der NASA ein Aufsatz über die niedrigen Ozonwerte in Arbeit war, der Farman-Aufsatz dieser Veröffentlichung aber zuvor kam (s. auch Lambright 2005: 15). Berücksichtigt man, dass das Prinzip der Satellitenmessung einen Abgleich mit den Werten der Dobson-Stationen erforderte, scheint auch die Erklärung plausibel, dass die Messungen an der einzigen antarktischen Referenzstation von NIMBUS-7 fehlerhaft waren. In den Daten der Amundson-Scott-Forschungsstation finden sich keine Hinweise für eine Ozonreduktion. Möglicherweise lag sie auch zu weit nördlich, um das Ozonloch zu erfassen (Christie 2001: 44). Eine plausiblere Erklärung scheint, dass die Datenmenge, die von der NASA erfasst wurde, mit dem vorhandenen Personal nicht bearbeitet werden konnte. Innerhalb des Satellitenprogramms fielen täglich die Resultate von 140.000 Einzelmessungen an. Diese Datensätze wurden auf Magnetbändern gespeichert und eingelagert, bis sich Wissenschaftler irgendwann dafür interessierten (Christie 2004). Angesichts der etablierten Theorie der Ozonschicht gab es keinen Grund, die Aufmerksamkeit ausgerechnet auf die Antarktis zu richten. Warum das Ozonloch letztlich »übersehen« wurde, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Hier scheint interessanter, dass diese Nichtentdeckung hohe Wellen schlug und die Autorität der NASA als lead agency in Frage stellte. Aus der Sicht des politischen Systems ließe sich urteilen, dass die NASA ihrem Auftrag des Monitorings der Ozonschicht nicht gerecht geworden sei. Doch wurde
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Abbildung 5: Darstellung des Ozonlochs auf der Basis der NASA-Reanalyse der NIMBUS-7-TOMS-Daten, Quelle: Stolarski u.a. (1986).
die Kritik vor allem im Wissenschaftssystem – als methodische Kritik – formuliert. Ironischerweise wurde diese an dasselbe Satellitenteam gerichtet, dessen Messungen noch kurz zuvor nicht anerkannt wurden. Aus der Kritik an der NASA wird die Differenz zwischen dem wissenschaftlichen Wissen und dem Wissen in formalen Organisationen sichtbar. Eine Korrektur von Daten, die auf zuschreibbaren Entscheidungen beruht, scheint im Wissenschaftssystem als illegitim, besonders dann, wenn eine einzige Organisation die Beobachtung eines Gegenstands nahezu vollständig kontrolliert. Während die Frage, warum ein Wissenschaftler eine Entdeckung nicht machte, sinnlos erscheint, wurde das »Übersehen« des Ozonlochs durch die NASA als Organisationsversagen interpretiert. Doch waren die Klimaunabhängigkeit der Ozonverteilung und die weltweite Durchmischung der Stratosphäre Grundannahmen der damaligen Theorien über die Ozonschicht. Die Autorität der Wissenschaft konnte relativ schnell wieder hergestellt werden (Zehr 1994: 610f.). Auch in diesem Sinne war die Zuschreibung dieses »Fehlers« auf die NASA funktional. Die Zirkularität, die sich aus der wechselseitigen Abhängigkeit von Satelliten- und Dobsondaten ergab, ist aus den beiden beschriebenen Episoden gut zu erkennen. Nach dem »Übersehen« des Ozonlochs wurde diese Zirkularität dadurch unterbrochen, dass die Datenanalyse und die Reinterpretation auch außerhalb der NASA mög-
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lich wurde. Dabei spielte das Global Ozone Research and Monitoring Project eine zunehmend wichtige Rolle. Die WMO World-Data-Centres wurden erweitert und die Satellitendaten standen nun schneller der internationalen Ozonforschung zur Verfügung (Ruttenberg und Rishbet 1994). Später, seit dem Beginn der 1990er Jahre, verlor die NASA ihr Monopol bei der Satellitenmessung, weil nun auch europäische und russische Satelliten in der Lage waren diese Daten zu erheben. Nach einer Reanalyse der Rohdaten von NIMBUS-7 bestätigte die NASA im August 1985 die geringen Ozonwerte über der Antarktis (Stolarski u.a. 1986). Die von Farman und der NASA verwendeten Visualisierungen, die die niedrigen Ozonwerte in der Antarktis mit dunklen Farben wiedergaben (s. Abbildung 5), führten zur Etablierung des Begriffs des Ozonlochs. In die Öffentlichkeit gelangte er zusammen mit den geradezu ikonografischen Visualisierungen durch einen Artikel der New York Times vom 7.11.1985 (Grundmann 1999: 175). Als Ozonloch werden heute Ozonwerte bezeichnet, die 50% des normalen Niveaus unterschreiten.
5.6.2 Die Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs Die verschiedenen Versuche, das Phänomen der drastischen Ozonabnahme während des antarktischen Frühlings zu erklären, löste eine wissenschaftliche Kontroverse aus, die sich von der überwiegend auf der politischen Bühne stattfindenden Debatte über die Konsequenzen der Molina-Rowland-Hypothese stark unterschied, weil sie unter den Bedingungen einer zunehmenden Ausdifferenzierung von Umweltforschung und Umweltpolitik stattfand. Während sich im Wissenschaftssystem die atmosphärische Chemie als eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft etablierte, bildete sich im politischen System ein internationales Politikfeld zur Regulierung der ozonzerstörenden Substanzen heraus. Die eindimensionale Version der Molina-Rowland-Hypothese war zu Beginn der Kontroverse gut gesichertes Wissen, an dem auch die Klimadynamiker und die Meteorologen kaum zweifelten. Noch heute wird von einer weltweiten 3,5-%igen Reduktion der Ozonschicht in den mittleren Breiten ausgegangen (WMO und UNEP 2006: xxviii). Dies entspricht in etwa den NAS-Prognosen von 1983 (s. Abbildung 1, S. 114). Auch wenn die dramatischen Ausmaße der Ozonreduktion im antarktischen Frühjahr – die Werte fallen dann auf weniger als ein Drittel der »normalen« 300 DU – diesen Befund in den Schatten stellen mögen, ergibt sich das Risiko einer bedrohliche Zunahme von Hautkrebsfällen und der Schädigung der Biosphäre, ausgelöst durch eine erhöhte UV-Exposition, vor allem aus der Ozonreduktion über besiedelten Gebieten. Im Mittelpunkt der Kontroverse stand daher nicht die Gültigkeit der Molina-RowlandHypothese, auch wenn diese später modifiziert werden musste, sondern
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die Frage, ob auch das saisonal in der Antarktis auftretende Ozonloch auf die Emissionen von FCKW und anderen ozonzerstörenden Substanzen zurückgeführt werden musste. Anders stellte sich die Situation in der politischen Diskussion dar. Dort wurden von verschiedenen Interessengruppen immer noch Argumente gegen die Molina-Rowland-Hypothese hervorgebracht, die im Wissenschaftssystem längst als »unwahr« ausgesondert waren. Auf die wissenschaftliche Entwicklung hatten derartige ozone backlashs (Taubes 1993) aber kaum noch einen Einfluss.45 Auch darin zeigt sich die zunehmende Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen und der politischen Ozonkontroverse. Hinzu kommt, dass sich die Theorien, mit der die Ursachen des Ozonlochs erklärt wurden, für die politische Diskussion als zu komplex erwiesen. In der Öffentlichkeit wurde das Problem auf die Kernaussage der Molina-Rowand-Hypothese – FCKW zerstören Ozon – reduziert. Die komplexen Erweiterungen der Theorie, die Bedeutung des antarktischen Wirbels (antarctic vortex), die Rolle von Reservoirgasen und polaren Stratosphärenwolken (polar stratospheric clouds, PSC) sowie die enorme Erweiterung der Liste ozonzerstörender Substanzen, wurden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Im Wissenschaftssystem gab es drei prominente Vorschläge zur Erklärung der Ursachen für das Ozonloch (zur Übersicht s. Tabelle 13): Die odd nitrogen-Hypothese ging von einer Verstärkung der natürlichen Ozonabbauprozesse durch den 11-jährigen Sonnenzyklus aus. Die klimadynamische Erklärung führte das Ozonloch auf die extremen Wetterbedingungen am Anfang des antarktischen Frühlings, d.h. ebenfalls auf natürliche Prozesse zurück. Die Atmosphärenchemiker gingen dagegen davon aus, dass auch das Ozonloch durch Chlor- und Bromradikale in der Stratosphäre verursacht wird. Als deren Hauptquelle identifizierten sie halogenierte Kohlenstoffe (z.B. FCKW) (Parson 2003: 148). Diese drei Hypothesen waren jeweils an verschiedene (sub-) disziplinäre Kontexte gebunden. Alle drei können als Rekombinationen gut gesicherten Wissens beschrieben werden, die sich in vielen Bereichen auch überschnitten. Unsicher waren aber die Bedingungen, unter denen das vorhandene Wissen rekombiniert werden konnte. Die odd nitrogen-Hypothese (Spalte 1 in Tabelle 13) des Astrophysikers Linwood Callis besagte, dass die verstärkte Sonnenaktivität innerhalb des 11-jährigen Sonnenzyklus die Ursache für die niedrigen Ozonwerte 45 Das prominenteste Beispiel der sogenannten backlash-Literatur ist vielleicht das vor allem auf der odd-nitrogen-Hypothese und natürlichen Chlorquellen referierende Buch von Maduro und Schauerhammer (1992). Auch wenn es viele Leser fand, wurde es im Wissenschaftssystem komplett ignoriert. Hinzu kommt, dass dieses Buch ganz offensichtlich im Zusammenhang mit der politischen Sekte von Lyndon LaRoche steht. Deutlich wird dies sowohl durch den Verlag, in dem das Buch erschienen ist (21th Century ), als auch durch die im letzten Kapitel vorgestellten Großprojekte kontinentalen Ausmaßes, die angeblich anstelle der Ozonforschung hätten finanziert werden können.
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Ursache subdisziplinäre
(1) odd nitrogen
(2) Dynamik
(3) FCKW
Astrophysik
Klimadynamik
atmosphärische Chemie
Zuordnung Attribution Publikationen (Beispiele) Rekombination
natürlich
natürlich
anthropogen
Callis & Natarajan (1986)
Mahlmann & Fels (1986) Tung u.a. (1986)
Farman u.a. (1985) Solomon u.a. (1986)
erhöhte UV-Strahlung
arktischer Wirbel
FCKW
↓
↓
↓
zusätzliches NO2
Temperaturinversion im Frühjahr
Chlorradikale
↓
↓
↓
Crutzen (1970)
Abbruch des Wirbels
MRH
↓
↓
↓
Ozonreduktion
Ozonredistribution
Ozonreduktion
Beleg für Theorie
negative Korrelation NO2 und O3
keine Chlorverbindungen, Ozonloch vor 1970
negative Korrelation ClO und O3
Probleme
positive Korrelation NO2 und O3
Ozonloch ließ sich nicht vor 1970 nachweisen, Abwärtsbewegung der Luft »im« Ozonloch
Reduktion lokal und saisonal, Transport
Tabelle 13: Die drei wichtigsten Theorien in der Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs
sei. Callis ging davon aus, dass die entsprechend stärkere UV-Strahlung zur Bildung von zusätzlichen freien Stickstoffatomen in den oberen Schichten der Atmosphäre (Ionosphäre) führe. Diese elektrisch geladenen freien Atome würden durch das Magnetfeld der Erde zu den Polen transportiert, wo sie in die Stratosphäre herabsinken und mit Sauerstoff zu Stickoxid (NO2 ) reagieren würden. Das entstehende Stickoxid katalysiere dann – entsprechend der Theorie von Crutzen (1970) – den zusätzlichen Ozonabbau (Callis und Natarajan 1986; Christie 2001: 56). Diese Hypothese beruht darauf, dass in Phasen erhöhter Sonnenaktivität tatsächlich eine Zunahme von NO2 in den mittleren Breiten beobachtet werden kann, während die Ozonkonzentration gleichzeitig abnimmt. Sie berücksichtigt aber weder die Messdaten aus der Antarktis noch die dortigen extremen klimatischen Verhältnisse. Heute ist der Einfluss der Sonnenaktivität auf die Dicke der Ozonschicht unumstritten. Seine genaue Quantifizierung ist eine Voraussetzung dafür, die natürliche von der anthropogen verursachten Variabilität der Ozonschicht zu unterschieden (WMO und UNEP 2002: xxi). Das Ozonloch erklären konnte diese Theorie aber nicht.
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Eine heftige Kontroverse entfaltete sich zwischen den Anhängern der klimadynamischen (Spalte 2 in Tabelle 13) und der chemischen Theorie (Spalte 3). Beide Standpunkte wurden in einem 1986 erschienen Sonderheft der Geophyiscal Research Letters diskutiert, wobei unter den 45 Beiträgen solche überwogen, die eine klimadynamische Erklärung unterstützten. Diese ging davon aus, dass das Auftreten des Ozonlochs auf die extremen Witterungsbedingungen zurückzuführen sei, wie sie am Anfang des antarktischen Frühlings herrschen. Zu anderen Jahreszeiten sorgt die Brewer-Dobson-Zirkulation für eine gute Durchmischung der Luftmassen der Troposphäre und der Stratosphäre. Dabei steigt die Luft am Äquator aufgrund ihrer Erwärmung nach oben, während die kalte Luft an den Polen nach unten sinkt. Durch diese Abwärtsbewegung der Luftmassen entsteht – ähnlich wie beim Ablassen von Wasser – ein Wirbel (antarctic vortex). Während der Polarnacht sinken die Temperaturen innerhalb des antarktischen Wirbels auf extrem niedrige Werte. Wenn zu Beginn des antarktischen Frühlings die Sonnenstrahlung zuerst die oberen Schichten der Atmosphäre erwärmt, kommt es zu einer Temperaturinversion. Die höheren Luftschichten sind nun wärmer, die Luft sinkt nicht mehr nach unten und der antarktische Wirbel bricht ab. Die Klimadynamiker vermuteten, dass dadurch die ozonarme Luft aus der Troposphäre nach oben steigen und das stratosphärische Ozon verdränen kann. Die klimadynamische Hypothese geht damit weniger von einer Ozonreduktion als von einer Ozonredistribution aus, bei der das vorhandene Ozon nach Norden ströme (Mahlmann und Fels 1986; Tung u.a. 1986). Andere Autoren vermuteten, dass wellenförmige Prozesse in der Atmosphäre (atmospheric waves), z.B. ausgelöst durch Gravitationswellen, die Ursache für die vermutete Umverteilung des Ozons sein könnten (z.B. Chandra und McPeters 1986). Neben den vollständig dynamischen Erklärungen der Ozonreduktion im antarktischen Frühjahr wurden auch Theorien formuliert, in denen die Randbedingungen der chemischen Reaktionen, die das natürliche Gleichgewicht des Ozons bestimmen, durch das extreme Klima der Antarktis beeinflusst werden. Solche Theorien der Kopplung von chemischen und dynamischen Prozessen setzten sich später durch, weil nur diese das regionale und das saisonale Auftreten des Ozonlochs erklären konnten. Die dynamische Theorie hatte Schwierigkeiten zu erklären, warum das Ozonloch erst in den späten 1970er Jahren auftrat. Diese Veränderung konnte durch die Annahme einer anthropogenen Ursache plausibel erklärt werden. Dass das Ozonloch noch nicht in den 1940er Jahren entstand, in denen die Anwendung von FCKW rasant zugenommen hatte, erklärten die Atmosphärenchemiker damit, dass die FCKW eine sehr lange Verweildauer in der Atmosphäre hätten, bevor sie in die Stratosphäre gelangten.
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Die Frage, ob das Ozonloch ein natürliches Phänomen sei oder nicht, war ein wichtiger Bestandteil der Kontroverse. Doch handelte es sich bei den extrem niedrigen Ozonwerten, von denen Dobson bereits 1958 in einer Publikation berichtete, um singuläre Daten, die zu allen anderen Messungen des IGY im Widerspruch standen. Sie traten zudem an einer Station auf, an der kein Dobsoninstrument, sondern eine andere Methode der Ozonmessung angewandt wurde (Christie 2001: 47). Dennoch stand die Frage im Raum, ob es 1958 bereits ein Ozonloch gab (zu dieser Debatte, s. Newman 1994). Dabei zeigte sich, dass die Dicke der Ozonschicht im antarktischen Frühjahr stets ihr Minimum erreichte. Extrem niedrige Werte unter 200 Dobson, d.h. weniger als zwei Drittel des »normalen« Wertes von 300 Dobson, wurden aber erst in den 1970er Jahren gemessen. Zur Erklärung des Ozonlochs mussten also die natürlichen Schwankungen von der durch die Menschen verursachte Reduktion unterschieden werden. Später wurden Beobachtungen über sehr niedrige NO2 -Konzentrationen in der Antarktis, die von J.F. Noxon 1978 und 1979 veröffentlicht worden waren (das sogenannte Noxon cliff ), als erstes Anzeichen für die Existenz eines Ozonlochs gewertet (Solomon 1999: 285). Doch auch die chemische Erklärung des Ozonlochs war problematisch, weil die Molina-Rowland-Hypothese weder Aussagen über die geografische Verteilung der Ozonabnahme noch über ihr saisonales Auftreten erlaubte. Sie beruhte – wie auch die odd nitrogen-These – auf der Übertragung von bekannten Zusammenhängen aus mittleren Breiten in die Antarktis plus ad hoc-Erklärungen für das regionale und saisonale Auftreten des Ozonlochs. Reduziert man die chemische Theorie auf die Aussage, dass FCKW die Ursache für das Ozonloch sind, so wurde sie in der Kontroverse bestätigt. Die ursprünglich angenommenen chemischen Mechanismen der Ozonzerstörung waren aber nicht komplex genug. Verschiedene Theorieelemente mussten in die Rekombination eingefügt werden: Erstens kommt es durch den Abbruch des antarktischen Wirbels zu extremen klimatischen Bedingungen. Zweitens führen diese zur Entstehung polarer Stratosphärenwolken, welche sich aus Eispartikeln gefrorener Salpetersäure und Wasser zusammensetzen. Drittens finden auf der Oberfläche dieser Partikel heterogene Reaktionen statt. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass Gase mit den festen oder flüssigen Substanzen der Aerosole reagieren. Dabei werden viertens die Reservoirgase, in denen unter »normalen« Bedingungen ein Teil der ClO und NO Radikale gebunden sind, aufgespalten. Die Radikale stehen so viel schneller wieder zur Verfügung und der Ozonabbau wird beschleunigt.46 Erst am Anfang der 1990er Jahren konnten die komplexen Wech46 Grob zusammenfassen lässt sich der Mechanismus für das regionale und saisonale Auftreten des Ozonlochs wie folgt: Ein Teil der Radikale, die den Ozonabbau katalysieren (ClO, NOx ), bilden unter den »normalen« Bedingungen in der
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Physik
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Chemie energetische Prozesse
stoffliche Prozesse
Atmosphärenwissenschaft
atmosphärische Dynamik
atmosphärische Chemie
Abbildung 6: Die Ausdifferenzierung der Atmosphärenwissenschaft. Subdisziplinäre Matrix der Atmosphärenwissenschaft um 1985.
selwirkungen zwischen den chemischen und den klimadynamischen Prozessen in der Atmosphäre erklärt und vor allem modelliert werden. Betrachtet man den Ausgangspunkt der Kontroverse bezüglich der wissenschaftlichen Disziplinen, kann ein neues Raster entworfen werden (s. Tabelle 6). Die in den 1950er Jahren programmatisch formulierte Einheit der Atmosphärenwissenschaft schlug sich nun in den Theorien, den Methoden und den Relevanzen des Wissenschaftssystems nieder. Es bildeten sich neue Programmbündel heraus, die nicht mehr in die Chemie oder die Physik integriert werden konnten, auch wenn sie nicht mit deren Programmen in Widerspruch gerieten. Die Differenzen zwischen Physik und Chemie markierten nun keine trennende Grenze mehr, vielmehr generierten sie die Grundlagenprobleme, die fortan die Forschungsfronten bestimmten. Weil das einheitswissenschaftliche Problem der Integration von Chemie und Physik nicht zu lösen ist, erfordert die Integration chemischen und physikalischen Wissens, wie sie zur Beschreibung der Atmosphäre notwendig wurde, eine Abgrenzung von den ursprünglichen Disziplinen. Ohne diese Unterbrechung der Interdependenzen mit den Herkunftsdisziplinen wären die Grundlagenprobleme ins Unermessliche ausgeufert, bevor eine Bearbeitung der außerwissenschaftlichen Probleme überhaupt möglich gewesen wäre. Die disziplinäre Identität der Atmosphärenwissenschaft resultiert aus Theorien Stratosphäre das Reservoirgas ClONO2 . Damit ist ein Teil dieser Moleküle den ozonabbauenden Prozessen entzogen. Aufgrund der Entdeckung dieser Reservoirgase mussten in der ersten Hälfte der 1980er Jahren die prognostizierten Werte einer möglichen Ozonreduktion so weit nach unten korrigiert werden, dass 1983 die NASPrognosen unter 3% sanken. In der Antarktis sind die Bedingungen zu Beginn des Frühlings aber anders. Aufgrund der extremen Kälte bilden sich polare Stratosphärenwolken. Diese bestehen aus winzigen Eiskristallen, die Wasser und Salpetersäure enthalten. Auf der Oberfläche dieser Partikel finden heterogene Reaktionen statt, die eine schnellere Aufspaltung der Reservoirgase bewirken. Damit stehen die freigesetzten Radikale dem Ozonabbau schneller wieder zur Verfügung.
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selektiver Kopplungen, wie sie sich heute vor allem in den Klimamodellen manifestieren. Die Lösung der Probleme der anthropogenen Zerstörung des Ozonlochs und des durch die Emission zusätzlicher Treibhausgase verursachten Klimawandels erforderten es, die natürlichen Vorgänge und die anthropogen verursachten Veränderungen des Klimas innerhalb einer einheitlichen Theorie der globalen Atmosphäre zu erklären. Die natürliche Dynamik der Atmosphäre ist maßgeblich durch ihre chemische Zusammensetzung bestimmt. So führt die ansteigende Kohlendioxidkonzentration zu den z.T. extremen Folgen des Klimawandels. Auf der anderen Seite hängt die saisonale und regionale Variabilität der Ozonschicht von den physikalischen Randbedingungen ab, die die Geschwindigkeiten der chemischer Reaktionen beeinflussen. Hinzu kommen die komplexen Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre und anderen geophysikalischen Systemen (z.B. den Ozeanen und der Biosphäre). Die Kontroverse über die Ursachen des Ozonloches beschleunigte die Integration der atmosphärischen Chemie und der Atmosphärendynamik, weil sich a) eine rein dynamische Erklärung des Ozonlochs nicht bewährte und weil b) die vor allem auf chemischen Prozessen basierenden 1D und 2-D Modelle der Ozonabnahme die klimadynamischen Prozesse nicht berücksichtigten konnten. Solche Modelle gingen von einer global nahezu gleichmäßigen Ozonabnahme aus, da eine gute Durchmischung der Stratosphäre angenommen wurde. Ein weiterer Grund war, dass zur Erklärung des Ozonlochs Konzepte aus anderen Teilen der atmosphärischen Chemie benötigt wurden. Besonders heterogene Reaktionen zwischen der Gasphase und den festen Bestandteilen der Atmosphäre (Aerosole) auf der Oberfläche der polaren Stratosphärenwolken wurden zunehmend wichtig.
5.6.3 Organisation als Methode Im Wissenschaftssystem verlief die Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs entlang subdisziplinärer Grenzen. Zwar befürworteten die Wissenschaftler, die in den FCKW die Ursache für das antarktische Ozonloch sahen, eine Beschleunigung der Verhandlungen zur weltweiten Begrenzung der FCKW-Produktion, doch waren die Anhänger einer klimadynamischen Erklärung keinesfalls Gegner einer Regulierung; nur wenige bezweifelten die Gültigkeit der Molina-Rowland-Hypothese für mittleren geografischen Breiten. Die Kontroverse verlief auch nicht zwischen verschiedenen Forschungsorganisationen. So waren Mark Schoeberl und Richard Stolarski vom NASA Goddard Space Center prominente Anhänger der dynamischen Theorie, während Linwood Callis vom NASA Langley Research Center die odd nitrogen-Hypothese entwickelte und vertrat. Das Upper Atmospheric Research Office (UARO) unter der Lei-
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tung von Robert T. Watson, der – als Student Johnstons – selbst ein Atmosphärenchemiker war, favorisierte eine chemische Erklärung.Diese wurde auch von den meisten Wissenschaftlern des NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena für wahrscheinlich gehalten. Bei der NOAA vertraten die Wissenschaftler des Aeronomy Laboratory in Boulder die chemische Theorie (u.a. Susan Solomon, auch sie war eine Schülerin Johnstons), während die Klimamodellierer des NOAA Geophysical Fluid Dynamics Laboratory (GFDL) in Princeton versuchten, die Entstehung des Ozonlochs mit klimadynamischen Modellen zu simulieren.47 Aus der Tatsache, dass nicht Forschungsorganisationen Opponenten in der wissenschaftlichen Kontroverse waren, sondern in einzelnen (meist disziplinär zuordenbaren) Abteilungen unterschiedliche Positionen vertreten wurden, könnte geschlossen werden, dass formale Organisationen für die wissenschaftliche Dynamik eine untergeordnete Rolle spielen. Ihre Bedeutung liegt aber in der Durchführung kooperativer Forschungsprojekte und Messkampagnen. Anhand der Expeditionen, mit denen die Ursachen des Ozonlochs untersucht wurden, kann gezeigt werden, dass die moderne Forschung nicht nur auf Technik, sondern auch auf Organisation zurückgreift, um wissenschaftliches Wissen zu rekombinieren und so der Bewährung auszusetzen. Dabei führt die Formulierung Organisation als Methode ein wenig in die Irre, weil Methoden im Wissenschaftssystem, Forschungsorganisationen jedoch in seiner Umwelt verortet wurden. Es geht in diesem Abschnitt aber um Intersystembeziehungen. Das Wissenschaftssystem konditioniert durch systemeigene Operationen seine Umwelt. Auf diese Weise kann das Wissenschaftssystem Forschungsorganisation dazu »benutzen«, seine gesellschaftliche und außergesellschaftliche Umwelt zu beobachten. Bestimmte Formen der Forschungsorganisation sind erfolgreicher als andere, wenn es darum geht, die wissenschaftliche Kommunikation durch Forschung zu irritieren. Dadurch, dass der Einfluss verschiedener Formen der Forschungsorganisation auf den Erfolg wissenschaftlicher Kommunikation beobachtet werden kann, werden effektive Organisationsformen kopiert und so zum Bestandteil methodischer Programme. Dass sich wissenschaftliche Disziplinen um spezifische Techniken der Datenerhebung und des Experimentierens bilden können, wurde schon öfter gezeigt. Beispiele dafür sind die DNA-Sequenzierung oder Teilchenbeschleuniger in der Physik (Knorr-Cetina 1999) oder auch die Röntgenkristallografie in den Materialwissenschaften (Bensaude-Vincent 2001). Zwischen den Techniken und den Gegenständen dieser Disziplinen besteht dabei oft ein unauflösbares Konstitutionsverhältnis. Ähnliches gilt – nicht nur 47 Die organisatorische Affiliation der Opponenten in der Ozonkontroverse wurde den Beiträgen des Sonderheftes der Geophysical Research Letters Band 13, Heft 12 entnommen.
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in der modernen Atmosphärenwissenschaft und vielleicht zunehmend – auch für Forschungsorganisationen. Das in den organisierten Messkampagnen – wie sie die moderne atmosphärische Chemie prägen – zu lösende Problem bestand darin, zwischen einer großer Zahl kooperierender Wissenschaftler und den individuellen Fragestellungen der Forschungsgruppen zu vermitteln. Die erste National Antarctic Ozone Expedition (NOZE) der USA fand 1986 statt, nachdem im März auf einer Konferenz in Boulder festgestellt wurde, dass sich keine der Theorien über die niedrigen Ozonwerte in der Antarktis mit den vorhandenen Daten widerlegen oder bestätigen ließ. Für die Organisation der Expedition blieben bis zum erneuten Auftreten des Ozonlochs im Oktober nur knappe fünf Monate Zeit. Unter der Führung des NASA UARO wurde in Zusammenarbeit mit der NSF, die die amerikanischen Antarktisstationen betrieb, eine erste boden- und ballonbasierte Antarktisexpedition vorbereitet (Roan 1989: 159). Die kurze Zeit erlaubte keine offene Ausschreibung des Projektes. In aller Eile wurde innerhalb des UARO entschieden, welche Forschungsgruppen und Experimente an der NOZE teilnehmen sollten. Das NASA UARO-Management verfolgte das Ziel, die chemische Theorie zu belegen (und die anderen Theorien zu widerlegen). Es wurden Wissenschaftler beauftragt, die über die entsprechenden Messgeräte und Experimentaltechniken verfügten. Die Auswahl war dabei redundant, dem Design der Expedition lag die klassische Idee der Replikation zugrunde, nach der die Wiederholbarkeit von Experimenten Glaubwürdigkeit generiert. Alle vier Gruppen, die an der Expedition teilnahmen, führten ähnliche Experimente durch, auch wenn sie unterschiedliche Techniken der Messung einsetzten (Christie 2001: 59). Anhänger der odd nitrogen- und der dynamischen Erklärung waren nicht eingeladen. Geleitet wurde die 18-köpfige Expedition von der Atmosphärenchemikerin Susan Solomon (Roan 1989: 160ff.; Renerie 1986). Die NOZE basierte trotz ihres hohen logistischen Aufwandes mehr oder weniger auf little science-Methoden, die untereinander nur sehr lose miteinander verkoppelt waren. Während der NOZE wurden zwischen dem 25. August und dem 6. November 1986 an der US-amerikanischen Antarktis-Station McMurdo bodenbasierte Fernmessungen (remote sounding) verschiedener Substanzen in der Atmosphäre und mehrere Ballonaufstiege durchgeführt. Das NASA Team des Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena unter der Leitung von B. Farmer nutzte ein Atmospheric Trace Molecule Spectrometer, um unter der Ausnutzung der infraroten Sonnenstrahlung auf die Anwesenheit verschiedener Gas-Moleküle zu schließen. So wurden die Konzentrationen von Ozon, Stickoxiden (NOx ), Salpetersäure (HNO3 ), Chlornitraten, Methan (CH4 ) und FCKW gemessen, über deren Anwesenheit die einzelnen Theorien unterschiedliche Vorhersagen erlaubten (s. Tabelle 13, S. 200). Weil das nicht exakt kreisförmige Ozonloch
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mit dem antarktischen Vortex in östlicher Richtung rotiert, waren sowohl Messungen innerhalb als auch außerhalb des Ozonlochs möglich (Renerie 1986; Roan 1989, 171). Der Forschergruppe von Farmer gelang es, verschiedene Chlorverbindungen (besonders ClO, HCl und ClONO2 ) innerhalb des Ozonlochs nachzuweisen, die entweder als Katalysator für einen Ozonabbau wirken mussten oder eine Vorläufersubstanz derartiger Radikale darstellten (Pyle und Farman 1987). Die Gruppe der State University of New York in Stony Brooks nutzte ein Mikrowellenspektrofotometer zur Messung von Ozon, ClO, NOx und Blausäure (HCN). Dabei stellten sie fest, dass innerhalb des Ozonlochs die Konzentration von Stickoxiden (NOx ) extrem niedrig war, was gegen die odd nitrogen-Theorie sprach. Auch dass die Ozonreduktion im unteren Teil der Stratosphäre auftrat, stand im Konflikt zu dieser Theorie. Weil sie davon ausging, dass die zusätzlichen Stickoxide durch kosmische Strahlung gebildet wurden, wäre eine Ozonreduktion in den höheren Schichten der Atmosphäre zu erwarten gewesen (Renerie 1986; de Zafra u.a. 1987). Außerdem wurde innerhalb des antarktischen Wirbels eine Abwärtsbewegung von Aerosolen festgestellt. Das widersprach der dynamischen Theorie, die den Ozonverlust auf die Verdrängung durch aufsteigende Luftmassen zurückführte. Auch dieser Gruppe gelang der Nachweis von Chlorradikalen (ClO) »innerhalb« des Ozonlochs. Die Wissenschaftler des NOAA Aeronomy Laboratory aus Boulder führten unter der Leitung von Susan Solomon spektrofotometrische Messungen von Ozon, Stickoxiden (NO2 ) und von Chlordioxid (ClO2 ) durch. Dabei fanden sie innerhalb des Ozonlochs die geringste NO2 Konzentration, die je in der Atmosphäre gemessen wurde. Auch dieser Befund widerlegte die odd nitrogen-Theorie. Gleichzeitig wurde eine erhöhte Konzentration von ClO2 beobachtet. Die negative Korrelation von ClO2 und NO2 wurde auf der Abschlusspressekonferenz der Expedition als Beleg für die chemische Theorie präsentiert (Renerie 1986). Die vierte Forschergruppe vom Department of Physics and Astronomy der Universität Wyoming führte in situ-Messungen mit Ballons durch und erstellte vertikale Ozonprofile, erfasste aber auch Eis- und Staubpartikel (Aerosole). Anders als es die geltende Theorie des Ozonabbaus erwarten ließ, die nur auf Reaktionen in der Gasphase der Atmosphäre beruhte, schwankte die Ozonkonzentration innerhalb nur weniger hundert Meter Höhe erheblich. Die Ozonminima traten in dünnen Schichten auf, innerhalb derer das Ozon nahezu komplett verschwunden war. Damit bestätigte sich, dass die polaren Stratosphärenwolken (polar stratospheric clouds, PSC) eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Ozonlochs spielen mussten. Anfangs wurde vermutet, dass das in diesen Wolken verdampfende Wasser den Ozonabbau beschleunige. Erst später verstand man die komplizierten heterogenen Reaktionen, die auf der Oberfläche der aus Wasser und gefrorener Salpetersäure bestehenden Eispar-
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tikel stattfinden und in denen die Reservoirgase (z.B. ClONO2 ), die unter normalen Bedingungen einen erheblichen Teil der ozonabbauenden Radikale binden, aufgespalten werden (Renerie 1986; Hofmann u.a. 1987). Die Rolle der PSC lieferte eine Erklärung für das saisonale und lokale Auftreten des Ozonlochs. Auf der Abschlusskonferenz der NOZE, die über eine Satellitenverbindung aus der Antarktis übertragen wurde, erklärte Susan Solomon, dass die von der Expedition erhobenen Daten für eine chemische Erklärung des Ozonlochs sprächen. Die odd nitrogen-Theorie wurde aufgrund der NOZE-Ergebnisse auch relativ schnell verworfen. Nicht dagegen die dynamische, die bedeutend elaborierter war als die noch rudimentäre chemische Theorie (Renerie 1986: 355). Ein Sonderheft der Geophysical Research Letters (Vol. 12, Heft 13), welches editiert wurde, als sich die NOZE – ohne die Dynamiker – noch in der Antarktis befand, belegt dies. Die meisten Dynamiker erkannten die Ergebnisse der NOZE nicht sofort an. Sie warfen der Expedition vor, dass sie mit einem Vorurteil in die Antarktis aufgebrochen sei und dieses auch bestätigte (Roan 1989: 175). Ein wichtigerer Grund für die Vorbehalte der Dynamiker bestand darin, dass die Ergebnisse der Expedition am Anfang der sich nun entfaltenden Kontroverse nur als einzelne Pressemitteilungen und kurze mission statements vorlagen. Erst 1987 bzw. 1988 erschienen die Ergebnisse der NOZE in Form wissenschaftlicher Publikationen (Roan 1989: 179). Die Kontroverse zwischen den Klimadynamikern und den Atmosphärenchemikern hatte einen großen Einfluss auf die Planung einer zweiten, viel umfangreicheren Ozonexpedition, die 1987 stattfand. In ihrem Mittelpunkt standen flugzeugbasierte in situ-Messungen über der Antarktis. Das Hauptziel der Expedition war es, den Zusammenhang zwischen der Konzentration von ClO-Radikalen und den niedrigen Ozonwerten vor Ort direkt in der Stratosphäre (in situ) zu belegen. Die chemische Theorie ließ – in Anwesenheit polarer Stratosphärenwolken – eine negative Korrelation erwarten. Parallel zu dem flugzeugbasierten Airborne Antarctic Ozone Experiment (AAOE) wurde eine zweite bodenund ballonbasierte Expedition an der Station McMurdo durchgeführt (NOZE II). Das Budget der AAOE betrug ca. 10 Millionen US-Dollar. An ihrer Finanzierung beteiligte sich auch die chemische Industrie, vertreten durch das Chemical Manufacturers Panel (Roan 1989: 181). Im Zentrum der Expedition standen Flüge mit einem ER-2Forschungsflugzeug, das Höhen bis 22 km erreichen und somit direkte Messungen der Ozonschicht vornehmen konnte (Tuck u.a. 1989). Der ER-2-Einsatz konzentrierte sich auf den Nachweis ozonreduzierender Radikalen in der Stratosphäre, auf die Erfassung der Ozonkonzentration und die Analyse polarer Stratosphärenwolken. Zusätzlich kam eine DC-8 zum Einsatz, die mit ihrer größeren Reichweite (aber geringeren Flughöhe) eine Vielzahl von Experimenten an Bord hatte, mit denen
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eine Überprüfung der dynamischen Theorie möglich gewesen wäre. Über 150 Wissenschaftler nahmen an der Expedition teil, deren Flüge von der chilenischen Kleinstadt Puntas Arenas gestartet wurden. Die Teilnehmer wurden hauptsächlich durch das Projektmanagement der NASA und die NOAA rekrutiert. Auf der AAOE überwogen die Spezialisten der Fern- und in situMessung. Es waren nur zwei Universitätsforschungsgruppen beteiligt, weil sie spezifische technische Geräte zur Verfügung stellen konnten. Die Gruppe von Jimmy Andersen (Harvard University) verfügte über große Erfahrung bei der Messung von ClO-Radikalen. Das Team der Denver University konnte dagegen besonders kleine Aerosol-Partikel erfassen und analysieren, was für die Untersuchung der polaren Stratosphärenwolken von Bedeutung war. Ohne Zweifel war die AAOE ein big scienceUnternehmen. In der Atmosphärenwissenschaft bildete sich eine Arbeitsteilung heraus, bei der das Monitoring und die großen Messkampagnen den US-amerikanischen agencies und dem NCAR oblagen (später kamen europäische und russische Organisationen hinzu), während die Grundlagenforschung auch an den Universitäten angesiedelt ist.48 Die organisatorische Herausforderung der AAOE bestand in der engen Kopplung der Experimente, die eine hohe wechselseitige Abhängigkeit der Forschergruppen erzeugte. Erhoben bei der NOZE alle Gruppen vollständig die Daten, die sie für die Untersuchung ihrer jeweiligen Forschungsfragen benötigten, steuerten bei der AAOE verschiedene Primärforscher Instrumente für einzelne Parameter bei und übernahmen sonst die Messwerte anderer Gruppen, der Wetterdienste oder auch der NASA. Während der Expedition wurden die Flugrouten aufgrund von Prognosen des Britischen Wetterdienstes und von Satellitenbildern festgelegt, die von der NASA nahezu in Echtzeit produziert wurden. Der organisatorische Aufwand des Datenaustauschs war dabei sehr hoch (Tuck u.a. 1989). Am Ende der Expedition standen die Daten aber auch den Wissenschaftlern zur Verfügung, die selbst nicht an der AAOE beteiligt waren. Die Datenerhebung wurde im Grunde für die gesamte Ozonforschung organisiert und durchgeführt. Viele wichtige Publikationen entstanden im Nachhinein durch eine Sekundäranalyse. Das wichtigste Ergebnis der AAOE war der Nachweis der negativen Korrelation von ClO und Ozon bei der Anwesenheit polarer Stratosphärenwolken. Die grafische Darstellung der Ergebnisse (s. Abbildung 7) war 48 Interview 13: »What I found is that university groups are better at taking a lab experiment and putting it in a plane. Whereas if you’re going to make an instrument that’s autonomous, that can run by itself, that has no operator, or run under more severe conditions, like lower pressures or colder temperatures, you usually need a little bit more sophisticated engineering support. And university departments are not usually configured to have a scientist working tightly with a good engineering group to put together a low-bust instrument. So in the early days of AAOE they were using the ER-2 [. . . ], the instruments on the ER-2 had to be autonomous and very robust. And probably universities were not really geared up with that.«
Z WISCHEN P ROBLEMORIENTIERUNG UND D ISZIPLIN a
1.20
0 65
67
LATITUDE (°S)
69
CHLORINE MONOXIDE (ppbv)
1.2
0.24
OZONE (ppmv)
CHLORINE MONOXIDE (ppbv)
2.4
0.48
0 63
b
2.75
3.6
0.72
2.25 0.96
1.75
0.72
1.25
0.48
0.75
0.24
0 64
OZONE (ppmv)
210
0.25 66
68
70
LATITUDE (°S)
Abbildung 7: Korrelation von ClO und O3 in Abhängigkeit der geografischen Breite (a) ohne und (b) in Anwesenheit von polaren Stratosphärenwolken, Quelle: Proffitt u.a. (1990)
so eindrucksvoll, dass sie selbst die Wissenschaftler überraschte, die von Anfang an davon überzeugt waren, dass auch das Phänomen des Ozonlochs auf anthropogene FCKW-Emissionen zurückgeführt werden müsse (Proffitt u.a. 1990; Rycroft 1990). Die Wirkung dieser Grafik reichte weit über die wissenschaftliche Debatte hinaus. Auch in den politischen Verhandlungen war sie ein Symbol für den endgültigen Beweis, dass die FCKW die Ursache des antarktischen Ozonlochs seien. Die Regulierungsbefürworter plädierten zunehmend für ein totales Verbot von FCKW und anderer halogenierter Kohlenwasserstoffe. Können die NOZE und die AAOE als Kreuzexperimente betrachtet werden, in denen über die Geltung konkurrierender Theorien entschieden wurde? Diese Frage versucht Christie – in der Tradition der Wissenschaftsphilosophie – anhand der logischen Strukturen der Theorien und der zu ihrer Überprüfung durchgeführten Experimente zu beantworten. Ohne Zweifel spielten die beiden Expeditionen eine wichtige Rolle bei der Etablierung des Wissens über die Ursachen des Ozonlochs (Christie 2001: 104f.). So konnte schon kurz nach dem Abschluss der NOZE die odd nitrogen-Theorie zurückgewiesen werden. Die eindrucksvollen Ergebnisse der AAOE zeigten, dass sich in Anwesenheit von polaren Stratosphärenwolken eine negative Korrelation zwischen der »Dicke« der Ozonschicht und der Konzentration von Chlorradikalen einstellte. Dies sprach eindeutig für eine chemische Erklärung und für FCKW als Quelle dieser Radikale. Doch wurde in beiden Expeditionen nicht zwischen Theorien entschieden, die bereits eine vollständige Erklärung für das Phänomen der antarktischen Ozonreduktion liefern konnten.49 Hät49 Interview 16: »And there was this big conference organized by NASA and the University of Washington [. . . ] a conference of principal investigators of NASA-
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te bereits 1986 eine ausgearbeitete Theorie über die Ursachen des Ozonlochs vorgelegen, hätten die Ergebnisse der NOZE genügt, um diese zu bestätigen oder zu widerlegen. Der enorme Aufwand, mit Spezialflugzeugen vor Ort zu untersuchen, ob die schädlichen Substanzen tatsächlich innerhalb des Ozonlochs zu finden sind, hätte sich erübrigt. Entscheidend ist hier aber, dass die Resultate der AAOE – verglichen mit der NOZE – stärkere Resonanzen im Wissenschaftssystem hervorriefen. Sie erschienen als Probleme der Codezuweisungen und erforderten eine Restrukturierung des Wissens.50 Die AAOE war organisatorisch und technisch aufwendiger, theoretisch war sie aber weniger voraussetzungsreich. Große Messkampagnen wie die AAOE beschränken sich gewöhnlich nicht auf einzelne Probleme. Selbst wenn die anthropogene Schädigung der Ozonschicht den Ablauf der AAOE bestimmte, fielen entlang der Flugrouten auch Daten an, die für andere Forschungsfragen interessant waren. Angesichts der stark geförderten Ozonforschung passten viele Wissenschaftler ihre Forschungsinteressen ein wenig (oder auch stärker) an, um an den Feldkampagnen teilnehmen oder mit den anfallenden Daten arbeiten zu können (Christie 2001: 106). Wissenschaftler sind in der Wahl ihrer Themen relativ frei, doch orientieren sie sich auch an vorhandenen Infrastrukturen und Großprojekten, auf deren Zustandekommen sie oft nur einen geringen Einfluss haben. Universitätswissenschaftler arbeiten häufig auch mit big science leftovers (Interviews 6) wie den Daten der AAOE. Sie wählen opportunistisch do-able problems (Fujimura 1987), für die der Leistungsaustausch mit anderen Teilsystemen der Gesellschaft oder auch Disziplinen aus unterschiedlichen Gründen bereits gesichert ist.51 Ein resultierender Effekt ist, dass Messkampagnen, die zu Themen stattfinden, die innerhalb der atmosphärischen Chemie als besonders wichtig gelten oder auch außerwissenschaftliche Probleme untersuchen, einen großen Einfluss auf die wissenschaftliche projects. And there was a tremendous opportunity to see in the same big room people who were saying the ozone hole was due to chemistry, people who were saying that the ozone hole was due to changes in the climate, without chemistry change, and people who were saying that it was due to solar activity. [. . . ] The theory that it was only climatic changes was disproved, the solar activity theory was disproved, and chemistry was the winner. But at the time the chemists couldn’t really explain the processes with the chemical reactions.« Interview 4: »The results of the AAOE were probably more important for the 50 political discussion because of the ER-2 produced iconographic pictures connecting ozone loss and ClO, it was a beautiful experiment. [. . . ] Usually meteorologists don’t think so much about chemistry, it’s more about clouds, winds and temperatures, they underestimate the chemical effects. In this sense it was a crucial experiment.« 51 Ein anderes Beispiel für die Ausnutzung bestehender Infrastrukturen sind Messungen der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre mit regulären Linienflügen im Rahmen des MOZAIC-Projekts (Measurements of OZone and water vapour by in-service AIrbus airCraft) oder auch des neueren IAGOS-Projects (Integration of routine Aircraft measurements into a Global Observing System) der EU. Siehe mozaic.aero.obs-mip.fr, letzter Zugriff am 7.9.2008.
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Entwicklung haben. Sie erzeugen für bestimmte Rekombinationen von Wissen häufiger Bewährungschancen als für andere. Im Fall der atmosphärischen Chemie ist der Ablauf kooperativer Großexperimente und die freie Verfügbarkeit der Daten ein Bestandteil methodischer Programme. Forschungsprojekte, die nicht mit diesen Programmen konform gehen, haben eine geringere Chance, die wissenschaftlichen Kommunikation zu beeinflussen. In den meisten Förderprogrammen ist die Veröffentlichung der Daten nach dem Abschluss der Projekte obligatorisch.52 Da es einem einzelnen Forschungsteam nicht möglich wäre, globale Klimadaten oder solche über die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre zu erheben, beruht der Austausch der Daten auf einer Art Geschenkökonomie. Daten werden in der Erwartung veröffentlicht, selbst die Daten anderer Forschungsgruppen zu erhalten. Hinzu kommen frei verfügbare Daten der Wetterdienste. Allerdings lässt sich diese Geschenkökonomie – anders als z.B. bei Hagstrom (1965) – nicht mehr als eine gemeinschaftliche beschreiben. Es sind große Organisationen wie die World Data Center der WMO, die die Daten speichern und zur Verfügung stellen. Es bedarf nur weniger Anstrengungen, um im Internet z.B. die Daten der AAOE zu bestellen oder einfach herunterzuladen.53 Dass diese Praxis eine disziplinenspezifische ist, die sich nicht zuletzt aus dem Gegenstand ergibt, zeigt ein Vergleich mit der Mikrobiologie, in der Modellorganismen häufig patentiert, industriell produziert und teuer an die Labore verkauft werden. Auf dem Weg zur Entwicklung eines relativ offenen und dennoch stark formalisierten Verfahrens großer Feldkampagnen in der atmosphärischen Chemie können die Arctic Airborne Stratospheric Expeditions (AASE I und II, 1989, 1991) als Zwischenschritte betrachtet werden. Ziel dieser Expeditionen war es festzustellen, ob es auch in der Arktis ein ähnliches Phänomen wie das Ozonloch gäbe (zum Vergleich s. Tabelle 14). Die erste AASE (1989) hatte ein fast identisches Design wie die AAOE. Es wurden auch in der Arktis eine Ozonabnahme und hohe ClOWerte gemessen, jedoch war die Reduktion nicht so drastisch wie in der Antarktis. An der zweiten AASE nahmen dann auch Wissenschaftler aus anderen Ländern teil, besonders das gastgebende Norwegen war stark vertreten. Im Winter 1991 – nachdem auf der AASE II eine extrem hohe ClO-Konzentration gemessen wurde – schlug die NASA Alarm und prognostizierte das Auftauchen eines Ozonlochs über der Arktis, welches die nördlichen Länder einschließlich die USA unmittelbar gefährden würde 52 Interview 4: In NASA and NOAA funded projects data must be publicly available by a prefixed date and stored in the World Data Centers (WDC) or at other archives. They are mostly available in the Internet. It is a little bit different with the NSF, they have no clear regulations, but researchers are supposed to make their data public as well.« Die Daten der AAOE sind z.B. unter http://cloud1.arc.nasa.gov/aaoe erhält53 lich (Letzter Zugriff 1.9.2008).
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NOZE (1986)
AAOE (1987) AASE I und II (1989, 1991)
offene Großforschung z.B. POLARCAT 2007
USA
USA, Großbritannien
international u.a. USA, Norwegen, Finnland Frankreich, EU
Disziplinen
atm. Chemie
atm. Chemie Klimadynamik ...
atm.Chemie Klimadynamik
Forschungsmodus
little science
big science
open big science
Beteiligung von Universitäten
hoch
niedrig
mittel
Kopplung der Experimente
lose
eng
eng
Redundanz in der Auswahl
hoch
niedrig
niedrig
Auswahl der Experimente
NASA
NASA, NOAA
Ausschreibung, peer review
eine Theorie
konkurrierende Theorien
verschiedene Theorien
beteiligte Staaten
Bewährungschance für
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Tabelle 14: Vergleich zwischen den Ozon- bzw. Stratosphärenexpeditionen NOZE I (1986), AAOE (1987), AASE (1989, 1991) und neueren Messkampagnen in der atmosphärischen Chemie
(Lambright 2005: 32f.). Dass dieses aufgrund der abweichenden Randbedingungen – in der Arktis wird es nicht so extrem kalt, es bilden sich weniger polare Stratosphärenwolken – dann doch nicht auftrat, stellte die Rolle der NASA als lead agency wiederholt in Frage. In den 1990er Jahren begann sich die organisatorische Basis der Ozonforschung zu verbreitern und die führende Rolle der NASA ging zurück. Zudem wurden seit 1989 auch die europäischen Kapazitäten zur Erforschung der Stratosphäre ausgebaut (European Commission 1997: 3). Die European Ozone Research Coordinating Unit begann mit der Durchführung europäischer Messkampagnen oder kooperierte mit USamerikanischen Organisationen. Gleichzeitig wurde das Budget für die Ozonforschung bei der NASA reduziert. Der NASA wurde in diesem Zusammenhang vorgeworfen, dass sie den falschen Alarm ausgelöst hätte, um Mittelkürzungen zu verhindern (Lambright 2005: 31f.). Zwar startete die NASA 1991 einen neuen Upper Atmospheric Research Satellite (UARS), dennoch wurden die Ozonforschungsprogramme in die Mission to Planet Earth und das Earth Observation System (EOS) eingegliedert und das UARO aufgelöst. Der inzwischen etablierte und weitgehend formalisierte Ablauf großer Messkampagnen in der atmosphärischen Chemie – wie er sich auch bei
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der Organisation chemischer und klimatischer Experimente im Rahmen des International Polar Year (IPY) 2007 beobachten lässt,54 ist in etwa folgender:55 Die Initiative geht von den führenden Wissenschaftlern, von Wissenschaftsmanagern der großen agencies oder von internationalen Wissenschaftsorganisationen aus. Diese berufen Workshops ein, auf denen die Probleme eines Forschungsfeldes diskutiert werden und entschieden wird, für welche Themen die verfügbaren Forschungsplattformen eingesetzt werden sollen. Ein Planungskomitee arbeitet dann einen detaillierten Vorschlag für eine Messkampagne aus. In solchen Entwürfen, die im Jargon US-amerikanischer Regierungsorganisationen White Papers genannt werden, sind die Ziele formuliert und die benötigten experimentellen Plattformen oder auch Computerkapazitäten bestimmt. Diese Entwürfe werden von den Förderorganisationen begutachtet und die beantragten Budgets genehmigt. Nach der Genehmigung des Haushalts erfolgt eine offene Ausschreibung (Call for Proposals), auf die sich verschiedene Forschungsgruppen aus Universitäten, aber auch aus den Großforschungsorganisationen bewerben können. Solche Anträge enthalten dann detaillierte Vorschläge, welches Instrument auf welchem Flugzeug mitfliegen soll und welche spezifischen Aufgaben es innerhalb der Gesamtmission erfüllen kann. Oft werden die Vorschläge dann auf einer Folge von Planning Workshops diskutiert. Gewöhnlich erfolgt die Bewertung der einzelnen Vorschläge durch wissenschaftliche peer review. Bei der Entscheidung muss zwischen der Bedeutung der vorgeschlagenen Experimente für das Gesamtprojekt und der wissenschaftlichen Qualität der Anträge abgewogen werden.56 Die Konditionierung der Forschungsorganisation durch die methodischen Programme des Wissenschaftssystems wurde anhand der großen Feldkampagnen in der Ozonforschung vorgeführt. Für die Klimadynamik könnte man Ähnliches für die numerische Modellierung des globalen Klimas zeigen. Dennoch ist ein solcher Fokus selektiv. Die Entwicklung der atmosphärischen Chemie wurde auch von anderen Forschungsfeldern bestimmt. Hinzu kommt die Pluralität methodischer Vorgehensweisen. Die Laborforschung oder von den Großexperimenten unabhängige Strategien der Datengewinnung sind ebenfalls wichtig. Auch die atmosphärische Chemie muss als ein Bündel theoretischer und methodischer Programme beschrieben werden, wobei sich die Frage nach ihrer disziplinären Integration anschließt (s. 5.7.3, S. 239).
54 z.B. POLARCAT – Polar Study using Aircraft, Remote Sensing, Surface Measurements and Models, of Climate, Chemistry, Aerosols, and Transport., s. www.polarcat.no, letzter Zugriff am 8.9.2008. Die Darstellung folgt im Wesentlichen Interviews, die mit Atmosphärenche55 mikern durchgeführt wurden. Vor allem Interviews 4 und 13. 56 Interview 4: »Sometimes the best experiments don’t fit together. It is like a soccer team of the best players and no goal keeper among them.«
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5.6.4 Die Ausdifferenzierung des internationalen Ozonregimes Die in dieser Arbeit behauptete Ausdifferenzierung der atmosphärischen Chemie auf der einen und des internationalen Ozonregimes auf der anderen Seite läßt sich dadurch belegen, dass die wissenschaftliche Kontroverse über das Ozonloch entlang subdisziplinärer Grenzen und nicht entlang der Konfliktlinien in den internationalen Verhandlungen verlief. Auch ließen sich umgekehrt die politischen Standpunkte nicht auf die Strukturen des Wissenschaftssystems projizieren. Die Verhandlungspartner waren Nationalstaaten, deren Positionen für oder gegen ein internationales Ozonregime auch durch außerwissenschaftliche Referenzen bestimmt waren. Ähnliches gilt für die Herausbildung der Verhandlungspositionen innerhalb der beteiligten Länder. Dass Wissenschaftler ebenso wie Industrievertreter als Mitglieder der Regierungsdelegationen beteiligt waren, kann nicht als ein Zeichen für eine Entdifferenzierung gewertet werden. Es muss aber die Frage nach den komplexen Kopplungsmechanismen zwischen den Funktionssystemen und ihrer Einbettung in verschiedene Organisationen gestellt werden. Ohne Zweifel war die Akzeptanz der Molina-Rowland-Hypothese eine Bedingung für den Beginn von Verhandlungen. Im Gegensatz zur ersten Ozonkontroverse bestanden die Differenzen zwischen den Verhandlungspartnern aber nicht mehr darin, dass sie auf »anderes« wissenschaftliches Wissen zurückgegriffen hätten.57 Die Verhandlungspositionen ergaben sich vielmehr aus der Abwägung verschiedener, oft sehr diffuser Interessen (Grundmann 1999: 295) und der dem wissenschaftlichen Wissen innewohnenden interpretativen Flexibilität (Litfin 1994: 78ff.). Auf der Ebene der Themen gab es dagegen eine Annäherung umweltpolitischer Programme und wissenschaftlicher Diskurse, weil Differenzierungsprobleme in der Gesellschaft thematisch beobachtet werden und nur so verhandelbar sind. Die thematische Synchronisation mehrerer Funktionssysteme führt zu »verdichteten« Kopplungen, während derer sich Ereignisse, an die in verschiedenen Funktionssystemen Operationen angeschlossen werden, häufen. Eine solche Situation kennzeichnete die Verhandlungen über das internationale Ozonregime. Dass thematische Grenzziehungen in der Politik auch für das Wissenschaftssystem Folgen haben können, lässt sich am Beispiel der getrennten (aber fast zeitgleichen) Aushandlung des Ozonregimes und der Klimaschutzrahmenkonvention (Framework Convention on Climate Change, FCCC, 57 Selbstverständlich versuchten auch die Vertreter antiregulatorischer Positionen, ihren Standpunkt mit wissenschaftlichem Wissen zu untermauern. Doch gelang dies immer seltener, seit im politischen System die Atmosphärenwissenschaft, besonders die atmosphärische Chemie, als die »zuständige« Disziplin angesehen wurde. Das vorhandene Wissen konnte anders interpretiert, doch nur selten und dann nur in Details widerlegt werden. Eine andere Strategie war es zu bezweifeln, dass die Effekte einer Ozonreduktion dramatisch seien (Benedick 1991: 55f.).
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1988) zeigen. Aufgrund der Komplexität der Probleme war eine Trennung der beiden Politikfelder sinnvoll, obwohl viele formale Elemente der Klimarahmenkonvention ihren Ursprung im Ozonregime haben (Downie 1995). Die aus der Abgrenzung der beiden Themen resultierenden Forschungspolitiken führten aber dazu, dass die Erforschung der Zusammenhänge zwischen der Klimadynamik und der Chemie der Atmosphäre lange nur geringe Priorität hatte. Die Erklärung des Ozonlochs – wie auch anderer Umweltprobleme – erforderte aber eine theoretische Integration der Subdisziplinen innerhalb der Atmosphärenwissenschaft. Das Resultat dieser wissenschaftlichen Entwicklung war ein komplexeres Modell der Atmosphäre. Dieses hatte mittelfristig auch Effekte auf den thematischen Zuschnitt von Problemfeldern im politischen System. Seit der Wende zum 21. Jahrhundert wird der Klimawandel als ein Problem mit steigender Komplexität behandelt. So stellte sich heraus, dass die durch das Montrealer Protokoll regulierten Substanzen nicht nur ein hohes Ozonzerstörungspotential (ozone depletion potential, ODP), sondern auch ein Klimaerwärmungspotential (global warming potential, GWP) haben.58 Doch weist die Komplexität der gesellschaftlichen Probleme inzwischen über die Atmosphärenwissenschaft hinaus. Themen wie die Landnutzung, die Abholzung von Regenwäldern oder auch die ökologischen Effekte der Armut werden im Rahmen des Klimaregimes verhandelt. Welche Folgen dies für die disziplinäre Entwicklung der Wissenschaft haben wird, bleibt abzuwarten. Möglicherweise bildet sich eine Earth System-Wissenschaft heraus, die über ausreichend komplexe Programmbündel verfügt.59 Weil es hier nicht gelingen kann, die Ausdifferenzierung des internationalen Ozonregimes im Detail zu rekonstruieren, sei auf die gut recherchierten politikwissenschaftlichen oder historischen Arbeiten zur Genese der Vienna Convention for the Protection of the Ozone Layer und des Montreal Protocol on Substances that Deplete the Ozone Layer verwiesen, denen die Darstellung weitgehend folgt (Benedick 1991; Litfin 1994; Breitmeier 1996; Grundmann 1999; Andersen u.a. 2002). Besonders die Evolution der einzelnen Positionen in den verschiedenen Ländern und die Rolle der öffentlichen Meinung oder auch die von Nichtregierungsor58 Als ein Meilenstein kann ein Sonderbericht angesehen werden, der in einer Zusammenarbeit des IPCC und des Technology and Economics Panel (TEAP), einem Assessment-Panel, welches durch das Ozonregime legitimiert ist, entstand. In diesem wurden die Wechselwirkungen zwischen den Problemen der Ozonzerstörung und der globalen Erwärmung explizit untersucht (IPCC/TEAP 2005). Einen Vorschlag für eine Earth System Analysis, die auch soziale Prozes59 se einbeziehen kann, haben Schellnhuber und Wenzel (1999) vorgelegt. Dennoch ist die Herausbildung einer Earth System Science keine zwangsläufige Entwicklung. Es ist auch denkbar, dass die Wissenschaft den überschießenden Komplexitätsanforderungen nicht folgen kann und sich die derzeit verdichtete Kopplung wieder lockert. Im politischen System kann auch auf andere Referenzen – z.B. auf Ethik oder Moral – zurückgegriffen werden, um Entscheidungen zu fällen.
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ganisationen (NGOs) kann nicht entfaltet werden. Es soll aber plausibel gemacht werden, dass die Herausbildung des Ozonregimes nicht als ein Prozess der Entdifferenzierung beschrieben werden kann. Wechselseitige Ausdifferenzierung bedeutet aber nicht, dass sich die Struktureffekte im Wissenschaftssystem und im politischen System kausal und Punkt zu Punkt aufeinander zurechnen ließen. Wie die atmosphärische Chemie durch viele Anlässe und heterogene Ereignisse innerhalb und außerhalb der Wissenschaft geprägt wurde, entstand das Ozonregime nicht allein aufgrund des Fortschritts wissenschaftlichen Wissens. Doch verdichtete das Problem der anthropogenen Ozonzerstörung die Kopplungen von Wissenschaft und Politik in einem historisch kurzen Zeitraum in Bezug auf ein einzelnes Thema, so dass in beiden Funktionssystemen Struktureffekte – die Ausdifferenzierung einer wissenschaftlichen Subdisziplin und die Entstehung eines Umweltregimes – wenn vielleicht nicht ursächlich ausgelöst, aber doch wechselseitig verstärkt wurden. a) Regimebildung In den Verhandlungen zu einem weltweiten Ozonregime lassen sich zwischen 1977 und 1987, als das Montrealer Protokoll verabschiedet wurde, drei Hauptkonfliktlinien erkennen. Die erste verlief zwischen den Staaten, die bereits 1978 Beschränkungen der FCKW-Produktion und -Anwendung implementiert hatten, und den Gegnern einer internationalen Regulierung. Der sogenannten Toronto Group, bestehend aus den USA, Kanada, Schweden, Norwegen, Finnland und der Schweiz, standen die damalige Europäische Gemeinschaft, die Sowjetunion und Japan gegenüber, die eine bindende Regulierung der FCKW-Produktion ablehnten oder nur zu geringen Einschränkungen wie einer Deckelung der bestehenden Produktionsmengen bereit waren (Morrisette 1989). Die zweite Konfliktlinie ergab sich daraus, dass die Staaten mit einem großen Anteil an der Welt-FCKW-Produktion60 zusätzliche Einschränkungen ablehnten. Innerhalb der EG führten Frankreich, Italien und Großbritannien den Widerstand gegen eine bindende FCKW-Reduktion an (Benedick 1991: 24). Außerhalb der EG bremsten Japan und die Sowjetunion. In der Bundesrepublik war die Hoechst AG der größte Produzent von FCKW, doch nahm ihr Einfluss auf die deutsche Verhandlungsposition in dem Maße ab, in dem die Schädigung der Ozonschicht in der deutschen Öffentlichkeit als ein dringendes Umweltproblem wahrgenommen wurde (Grundmann 1999: 270f.).
60 Zu Beginn der Verhandlungen hatten die Staaten der EG zusammen einen Anteil von 43% bis 45% an der Welt-FCKW-Produktion. Der Anteil der USA belief sich auf ca. 30%, während Japan und die Sowjetunion jeweils einen (geschätzten) Anteil von 9-12% hatten (Benedick 1991: 26).
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Aufgrund der in den USA bereits bestehenden Beschränkungen bezog die amerikanische Chemieindustrie eine andere Position als die europäische. Während sie weitere Einschränkungen der heimischen FCKWProduktion (z.B. das Inkrafttreten der zweiten Stufe des Clean Air Act Amendments) zu verhindern suchte, drängte besonders DuPont auf die Durchsetzung internationaler Regulierungen. Eine Beschränkung der europäischen FCKW-Produktion sollte die Wettbewerbsnachteile kompensieren, die den US-amerikanischen Firmen erwuchsen (Benedick 1991: 32f.). Zudem erhofften sich die amerikanischen Firmen von einem internationalen Ozonregime wirtschaftliche Vorteile, weil sie bei der Entwicklung von Ersatzstoffen – z.B. von teilhalogenisierten Kohlenwasserstoffen – weit fortgeschritten waren (Roan 1989: 240ff.). Der Einsatz von Ersatzstoffen war aber noch ein Problem der höheren Preise.61 Im politischen System wurde der Konflikt daher lange mit Referenzen auf das Wirtschaftssystem ausgetragen (Grundmann 1999: 236ff.). Eine dritte Konfliktlinie ergab sich aus den Unsicherheiten des wissenschaftlichen Wissens und der daraus resultierenden interpretativen Flexibilität (Litfin 1994: 78ff.). Den Vertretern des Vorsorgeprinzips (vor allem der USA) standen diejenigen Länder gegenüber, die Regulierungen wegen des unzureichenden Wissens für verfrüht hielten (vor allem die Staaten der EG, Benedick 1991: 23f.). Litfin (1994) hat gezeigt, dass die an den Verhandlungen beteiligten Vertreter der US-agencies (EPA, NASA und NOAA) dagegen das Wissen sehr gezielt in den Dienst der amerikanischen Verhandlungsposition stellten. So präsentierten sie wiederholt neue Forschungsergebnisse (z.B. Resultate der AAOE) in kritischen Phasen des Prozesses. Strittig war aber weniger das wissenschaftliche Wissen selbst als vielmehr dessen Bedeutung für politische Entscheidungen. Bei der Lösung dieses Konflikts war die Ausgestaltung eines autoritativen Assessment-Verfahrens ein wichtiger Schritt. Damit wurde die Bedeutung des Wissens und der zu berücksichtigende Wissensstand selbst zum Gegenstand der Verhandlungen. Aufgrund ihrer Positionen innerhalb des Konflikts beschränkten sich die ersten FCKW-Regulierungen in der EG auf symbolische Maßnahmen. Eine Übernahme des US-amerikanischen Verbotes nichtessentieller FCKW-Anwendungen, wie sie bereits 1979 der Deutsche Bundestag vorschlug, wurde von der Europäische Kommission (EC) abgelehnt. Die EC formulierte 1981 lediglich das Ziel einer 30%-igen Reduktion, bezogen auf das Produktionsniveau von 1976 (Clark u.a. 2001: 48). Diese sollte durch eine Selbstverpflichtung der Industrie erreicht werden, mit deren Einhaltung sie staatliches Eingreifen hätte verhindern können. Das fest61 Die meisten der damals entwickelten Ersatzstoffe gehören heute zu den durch die amendments des Montrealer Protokolls regulierten Substanzen, weil auch teilhalogenisierte Kohlenwasserstoffe Chlor- oder Bromatome enthalten, die die Ozonschicht schädigen.
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gesetzte Reduktionsziel entsprach dabei dem ohnehin schon stattfindenden Rückgang der FCKW-Produktion. Diese zaghaften Maßnahmen waren vor allem eine Reaktion auf wirtschaftlichen Druck. Die USA drohten mit einem Embargo für Produkte, die FCKW enthielten bzw. die unter der Verwendung von FCKW hergestellt wurden (Benedick 1991: 25). In der öffentlichen Meinung der europäischen Länder spielte das Thema der Schädigung der Ozonschicht dagegen zu diesem Zeitpunkt kaum eine Rolle (Benedick 1991: 24). Es existierte auch nur eine rudimentäre europäische Ozonforschung und es gab kein ausdifferenziertes Politikfeld, welches durch eine stabile Akteurskonstellation von Regierungsund Nichtregierungsorganisationen gekennzeichnet gewesen wäre. Der Kanal der Problemwahrnehmung verlief zuerst über Kopplungen des Wirtschaftssystems mit der Politik. Zu Beginn der Verhandlungen über ein internationales Ozonregime war die Ausdifferenzierung des Problemkontextes – wie sie hier behauptet wird – also noch nicht abgeschlossen. So versuchten japanischen Wissenschaftler das Ozonloch durch natürliche Prozesse zu erklären, während die japanische Regierung eine Regulierung der FCKWProduktion ablehnte. Ob diese Parallele in den Positionen ein Ergebnis von Politikberatung oder ein Effekt der Forschungspolitik war, kann hier nicht entschieden werden. In Japan gab es trotz einer starken meteorologischen Forschungstradition lange keine nennenswerte Ozonforschung (Schreurs 2001: 195f.). Die japanischen Wissenschaftler, die sich nun an der Debatte beteiligten, waren also überwiegend Klimadynamiker.62 Anders in Europa: Hier gab es trotz der Ablehnung von FCKWRegulierungen Wissenschaftler, die eine chemische Erklärung des Ozonlochs vertraten. So wurde das Ozonloch nicht nur von einem britischen Forschungsteam um Farman entdeckt, sondern auch mit der Hypothese über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW in Verbindung gebracht. In Deutschland war das MPI für Chemie in Mainz ein wichtiges Zentrum der atmosphärischen Chemie, das sich nun zunehmend auch dem stratosphärischen Ozon widmete. Dennoch arbeiteten viele europäische Ozonforscher in den USA, weil das Feld in Europa chronisch unterfinanziert war (Benedick 1991: 29f.). Diese Situation änderte sich erst Anfang der 1990er Jahre, als die Förderung der Ozonforschung zu einer Verpflichtung wurde, die den Industrieländern aus dem Beitritt zum Montrealer Protokoll erwuchs. Die Prinzipen, Normen, Regeln und Verfahren (Breitmeier 1996: 89ff.), die Entscheidungen im politischen System selektiv an Ereignisse im Wissenschaftssystem koppeln, müssen als Ergebnis und nicht als Ursache der Regimebildung angesehen werden. Weil die zunehmend organisierten Kopplungsmechanismen andere Formen der Kopplung aus62 Dies wird auch in dem Sonderheft der Geophysical Research Letters, Heft 13 deutlich.
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schlossen, führte das Ozonregime zu Interdependenzunterbrechungen, die sich vor allem angesichts der gleichzeitig stattfindenden wissenschaftlichen Kontroverse über die Ursachen des Ozonlochs bewährten. Zwar führte die Entdeckung des Ozonlochs zu einer Beschleunigung der Verhandlungen (Morrisette 1989: 803), doch wurde offiziell nur der Stand des Wissens berücksichtigt, der vor der Entdeckung des Ozonlochs in der Wissenschaft als gesichert galt. Dabei wurde das WMO/NASAAssessment von 1986 zugrunde gelegt (WMO und NASA 1986).63 Eine wichtige Form der Entkopplung war das Vorsorgeprinzip (precautionary principle Benedick 1991: 4), welches Regulierungen nicht von einem endgültigen wissenschaftlichen Beweis, sondern von der bloßen Möglichkeit eines großen Schadens der Nichtregulierung abhängig machte. Erst während der Aushandlung der London Revisions des Montrealer Protokolls (1990) stand das Wissen über die Ursachen des antarktischen Ozonlochs – nun in einem WMO-Assessment-Report reformuliert (WMO u.a. 1989) – als eine Ressource in den Verhandlungen zur Verfügung. Der Beginn der Verhandlungen über eine internationale Regulierung von FCKW kann in dem von der UNEP 1977 in Washington, DC verabschiedeten World Plan of Action on the Ozone Layer gesehen werden (Andersen u.a. 2002: 12, 45; Benedick 1991: 40). Zudem wurden auf einer UNEP-Konferenz in Montevideo 1981 drei Umweltprobleme – darunter das der anthropogenen Schädigung der Ozonschicht – ausgewählt, um einen allgemeinen Rahmen (framework) zu entwickeln, der die Umsetzung einer internationalen Umweltgesetzgebung ermöglichen würde, wie sie 1972 bei der Gründung der UNEP als Ziel festgelegt worden war (Andersen u.a. 2002: 52). Damit ergriff die UNEP die Initiative zur Ausgestaltung eines internationalen Ozonregimes (Smith und Vodden 1989: 414). Aufgrund der Vorbildfunktion des Ozonregimes hatte die UNEP ein großes Interesse daran, das Thema auch dann noch auf der internationalen Agenda zu halten, als selbst die US-Regierung weitergehende FCKW-Regulierungen zu bremsen suchte (Benedick 1991: 42). Die Faktoren einer erfolgreichen Regimebildung sind also sehr vielfältig, die wissenschaftliche Entwicklung war oft nicht der entscheidende. Trotz der Rolle der UNEP, wo das Problem mit höchster Priorität behandelt wurde, resultierte aus der beschriebenen Ausgangssituation ein 63 ». . . Significantly, however, Antarctica was never discussed at the negotiations, which were based solely on global models. Even two months after Montreal, the U.S. Environmental Protection Agency had to conclude that ›the Antarctic ozone hole cannot yet serve as a guide for policy decisions.‹ . . . « (Benedick 1991: 20). Etwas anders Grundmann: Er beschreibt, wie die Befürworter einer Regulierung, besonders auch Robert Watson von der NASA, während der Verhandlungen noch nicht veröffentlichte Ergebnisse der Ozonexpeditionen benutzten, um Verhandlungspartner von der Dringlichkeit einer Regulierung unter dem Vorsorgeprinzip zu überzeugen (Grundmann 1999: 280). In diesem Fall wurde Forschungswissen benutzt, welches z.T. im Wissenschaftssystem noch nicht endgültig als wahr oder unwahr codiert war, um politische Entscheidungen herbeizuführen.
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monatelanger Stillstand. Erst durch die Verabschiedung einer Rahmenkonvention konnte Bewegung in die Verhandlungen gebracht werden. Der Vorschlag, den regulatorischen Rahmen des Ozonregimes unabhängig von konkreten Reduktionszielen zu verhandeln, wurde auf einer Konferenz in Wien relativ kurzfristig von der Delegation der USA eingebracht (Benedick 1991: 45f.). Bei der Aushandlung der Wiener Konvention (UNEP 1985) spielte der aktuelle Stand des wissenschaftlichen Wissens nur eine untergeordnete Rolle. Die Parteien einigten sich aber auf eine Kooperation bei der Beobachtung (observation) der Ozonschicht und der Spurensubstanzen, die diese verändern konnten. Zudem wurde eine enge Zusammenarbeit bei der Erforschung der Ozonschicht und ein umfassender Daten- und Informationsaustausch beschlossen (Article 2.2a). Damit wurden die internationalen Forschungsstrukturen gestärkt, die sich schon in den 1970er Jahren im Rahmen der WMO und der ICSU herausgebildet hatten. Dies gilt auch für Beobachtungsnetzwerke, die Datensammlung an den Wetterstationen und die World Data Center (Article 3.2 und 3.3). Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, angemessene gesetzliche und administrative Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheit der Menschen und die Umwelt vor den negativen Folgen einer anthropogenen Veränderung der Ozonschicht zu schützen (Article 2.1), wenn wissenschaftliche und technische Einschätzungen über verfügbare Alternativen diese nahe legen (Article 2.4). Mit dieser Formulierung wurden die Schutzmaßnahmen des Ozonregimes selektiv an Ereignisse im Wissenschaftssystem und, sofern die Substitution der FCKW vor allem ein Kostenproblem war, an Ereignisse im Wirtschaftssystem – die technische Verfügbarkeit von Alternativen – gekoppelt. Welche Forschungsgegenstände für diese Einschätzungen – in der Wiener Konvention wird der Begriff consideration und noch nicht assessment verwendet – relevant sind, wurde im Article 3.1 festgelegt: (a) die physikalischen und chemischen Prozesse, die die Dicke der Ozonschicht beeinflussen, (b) die Effekte einer modifizierten Ozonschicht und der daraus resultierenden Intensität der UV-Strahlung auf die Gesundheit der Menschen und die Biosphäre, (c) resultierende klimatische Effekte; (d) Effekte erhöhter UV-Strahlung auf natürliche und synthetische Materialen, (e) die Substanzen, Praktiken, Prozesse und Aktivitäten, die zu einer Veränderung der Ozonschicht führen können, und ihre kumulativen Effekte, (f) alternative Substanzen und Technologien und (g) sozio-ökonomische Fragen, die aus all diesen Punkten resultieren. Die Wiener Konvention gab nur wenig über die konkrete Ausgestaltung einer verbindlichen Einschätzungen des Problems vor. Die AssessmentProzesse in ihrer heutigen Form müssen als ein Ergebnis eines evolutionären Prozesses gesehen werden, in dem es immer wieder Glaubwürdigkeitsprobleme und Versuche der Beeinflussung von Interessengrup-
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pen, aber auch Anpassungen des Verfahrens gab, die diese zurückdrängen konnten. Mit der Conference of the Parties wurde das wichtigste Gremium des internationalen Ozonregimes ins Leben gerufen, welches über künftige ergänzende Protokolle und Novellierungen (Amendments) entscheiden konnte. Mitglieder waren die das Protokoll unterzeichnenden Staaten. Die Wiener Konvention verpflichtete die Conference of Parties, aller vier Jahre den Stand des wissenschaftlichen Wissens und die Verfügbarkeit technologischer Alternativen zu überprüfen und die Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht entsprechend anzupassen. Für die erste Runde ließ sie den Verhandlungsparteien aber nur anderthalb Jahre Zeit. Als Grundlage dieser Prüfung kristallisierten sich die Scientific Assessments of Ozone Depletion heraus, wie sie von WMO und NASA unter Beteiligung anderer Organisationen erstellt wurden. Es wurde – nach dem Scheitern des CCOL-Ansatzes – also kein völlig neuer Assessment-Prozess entwickelt. Mit der Wiener Konvention wurde die UNEP offiziell zur globalen lead agency des Ozonregimes. Das Mandat des Ozone Secretariats bestand aber vor allem in der Organisation des politischen Prozesses. Die Organisation und Koordination der internationalen Forschungszusammenarbeit oblag auch weiterhin der WMO. Als 1986 die Verhandlungen zum Montrealer Protokoll begannen, hatten nur die Staaten der Toronto Group und die Sowjetunion das Wiener Abkommen ratifiziert (Benedick 1991: 68). Die Positionen der Verhandlungspartner waren fast unverändert, die Toronto Group, erweitert um Neuseeland, befürwortete strenge Regulierungen. Die Länder der EG, die Sowjetunion und Japan lehnten sie ab. Zwischenzeitlich bildete sich aber eine dritte Gruppe heraus, die mit Argentinien, Brasilien, Ägypten, Kenia und Venezuela die Position der Entwicklungsländer einbrachte, der aber auch Österreich und Australien angehörten (Benedick 1991: 69). Die wechselseitige Blockade der USA und der EG lockerte sich erst, als Deutschland aus dem antiregulatorischen Konsens der europäischen Länder ausscherte und für einen Kompromiss eintrat. Die Bundesrepublik befand sich dabei in einem Zielkonflikt zwischen einer weitreichenden Regulierung der FCKW-Produktion, wie sie inzwischen innenpolitisch gefordert wurde, und der anstehenden engeren europäischen Integration (Grundmann 1999: 270f.). Weil sich Deutschland aber nicht als Verbündeter der USA aus dem europäischen Block herauslösen ließ, konnten die deutschen Verhandlungsführer zunehmend die EG-Position beeinflussen. Hinzu kam, dass es auch in den anderen europäischen Staaten angesichts des wachsenden Umweltbewusstseins in der Bevölkerung innenpolitische Verschiebungen gab. Ohne Zweifel beschleunigte die überraschende Entdeckung des Ozonlochs den Verhandlungsprozess. Viele Kontroversen über die Details eines Regimes zum Schutz der Ozonschicht wurden relativiert. Mei-
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nungsverschiedenheiten bestanden vor allem darüber, welche Substanzen einbezogen werden mussten, ob die FCKW-Konsumption oder -Produktion reguliert werden sollte, welches Ausgangsjahr den Reduktionszielen zugrunde gelegt und welche Fristen für den Auslauf der Produktion gesetzt werden sollten (Benedick 1991: 77). Die Vertreter der USamerikanischen Delegation forderten eine Reduktion der FCKW von 90% bis 95% (Roan 1989: 196). Die Europäische Kommission wollte nur eine Regulierung von 20% zugestehen. Das Montrealer Protokoll kann in seiner ursprünglichen Form noch nicht als ein Umweltabkommen begriffen werden, das auf dem Stand des wissenschaftlichem Wissen beruhte. Für die These zunehmender Ausdifferenzierung spricht, dass es wichtiger war, überhaupt ein Abkommen zu verabschieden, als wissenschaftlich begründete Reduktionsziele festzulegen. Der Kompromiss bestand in einer 50-%igen Reduktion der FCKW-Produktion. Reguliert wurden dabei vorerst nur acht Substanzen, neben den verbreitetsten FCKW einige Halone, die z.B. als Löschmittel zum Einsatz kamen.64 Das Reduktionsziel lag dabei lediglich nah bei dem arithmetische Mittel der Ausgangspositionen. Die Akkumulation von FCKW in der Atmosphäre wäre unter dieser Fassung des Montrealer Protokolls – wenn auch etwas verlangsamt – weitergegangen (Parson 1993: 60; Grundmann 1999: 278). Hinzu kam, dass für die ersten fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Protokolls nur die von der EG ursprünglich vorgeschlagene 20-%ige Reduktion verbindlich festgelegt wurde. Die restlichen 30% waren immer noch Gegenstand zukünftiger Verhandlungen, die erst 1992 stattfinden sollten (Benedick 1991: 87). Ein wichtiger Faktor für die Herausbildung des Kompromisses war, und auch hier lässt sich eine Tendenz der fortschreitenden Ausdifferenzierung beobachten, dass die Industrievertreter in den Verhandlungen immer weiter marginalisiert wurden – aus vielen Delegationen schieden sie ganz aus (Grundmann 1999: 274). Auch in der EG und in Deutschland wurde das Problem des Schutzes der Ozonschicht immer weniger als ein industriepolitisches gesehen. Die Umweltpolitik bildete sich auch in Europa immer mehr als ein eigenständiges Politikfeld heraus. b) Assessment-Reports Während der Verhandlungen zum Montrealer Protokoll bildete der WMO/NASA-Assessment-Report von 1986 (WMO und NASA 1986) die wissenschaftlichen Grundlage zur Einschätzung des Problems durch die Conference of the Parties. Der große Vorzug des WMO/NASA-Verfahrens bestand darin, dass es nicht wie der CCOL-Assessment-Prozess durch die Verhandlungsparteien bzw. Interessengruppen selbst ins Leben ge64 Diese waren: FCKW-11 (CFCl3 ), FCKW-12 (CF2 Cl2 ), FCKW-113 (C2 F3 Cl3 ), FCKW-114 (C2 F4 Cl2 ), FCKW-115 (C2 F5 Cl) und die Halone 1211 (CF2 BrCl), 1301 (CF3 Br) und 2402 (C2 F4 Br2 ) (UNEP 1987: Annex A).
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rufen und beeinflusst wurde. Es wurzelte in dem Bestreben von Forschungsmanagern, den wissenschaftlichen Konsens und die offenen Fragen zum Problem der Ozonzerstörung zu unterscheiden. Dabei wurde angestrebt, dass unabhängige Experten – idealerweise die führenden Wissenschaftler aus aller Welt – den state of the art in den Atmosphärenwissenschaften – und anderen Disziplinen – zusammenfassten (Parson 2006: 231). Es ist zu vermuten, dass die Betonung der Unabhängigkeit und Wissenschaftlichkeit des Verfahren gestärkt wurde, als das Bestreben des NASA UARO, ein internationales Ozonregime durchzusetzen, mit der Politik der Reagan-Administration kollidierte. Über die Zusammensetzung der Assessment-Panel wurde auf eigens einberufenen Konferenzen entschieden, die wissenschaftlichen Charakter hatten. Dort wurde über den Fokus der Berichte und die lead authors der einzelnen Kapitel entschieden. Die Assessment-Texte durchliefen einen Prozess der peer review, der sich von denen wissenschaftlicher Zeitschriften durch die viel größere Zahl der Gutachter unterschied. Besonders auf der Ebene der Review gelang es anfangs Regierungs- und Industrievertretern, Einfluss auf die Aussagen der Berichte zu nehmen. Zunehmend wurden aber solche Eingriffe in den Prozess als illegitim betrachtet.65 Die Autorität der UNEP/WMO-Assessments wurde dadurch gestärkt, dass andere Assessment-Verfahren, z.B. das der NAS und des CCOL, eingestellt wurden. Dass mit dem WMO/NASA-Assessment-Verfahren ein im Idealfall unparteiisches und streng wissenschaftliches Verfahren gefunden werden konnte, war ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Ozonregimes. Aufgrund der Verknappung der Expertise (Weingart 2001: 164) standen in den Verhandlungen nun keine wissenschaftlich fundierten Gegenexpertisen mehr zur Verfügung. So konnte ein Dilemma wissenschaftlicher Politikberatung überwunden werden, durch das die 1970er Jahre gekennzeichnet waren. Dieses bestand darin, dass in den USA viele agencies, presidential task forces und Kongresskomitees über konkurrierende Expertengremien verfügten, die nicht selten zu widersprüchlichen Ergebnissen kamen. Die Folge war, dass diese Gremien oft nicht genügend Glaubwürdigkeit erlangen konnten, um politische Entscheidungen zu legitimieren (s. hierzu Jasanoff 1990). Mit 65 Will man die Evolution der Assessment-Verfahren in den verschiedenen internationalen Umweltregimen verstehen, muss man einen Blick auf das IPCC werfen, das über das vermutlich am feinsten ausdifferenzierte Verfahren verfügt. Im IPCC ist die Auswahl der Reviewer durch Regierungen oder Industrievertreter inzwischen der öffentlichen Selbstrekrutierung im Internet gewichen. Jeder, der eine wissenschaftliche Affiliation hat, kann daran teilnehmen. Es ist lediglich eine Online-Registrierung nötig. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, dass innerhalb des IPCC die Regierungsvertreter über die Summary of Policy Makers (SPM) Zeile für Zeile abstimmen, während der wissenschaftliche Bericht durch den politischen Prozess unberührt bleibt. Dadurch wird nicht nur eine einheitliche wissenschaftliche Basis erstellt, sondern auch ein politischer Konsens über deren Interpretation erreicht.
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den WMO/NASA- und später WMO/UNEP-Assessments bildete sich ein verbindlicher Modus selektiver Kopplung heraus, nach welchem das wissenschaftliche Wissen im politischen System zur Grundlage von Entscheidungen gemacht werden konnte. Das Montrealer Protokoll forderte von den unterzeichnenden Parteien die Einrichtung eines Assessment-Prozesses, in dem die Wirksamkeit der festgeschriebenen Maßnahmen abgeschätzt werden sollte.66 Die Initiative zur Ausgestaltung der internationalen Ozon-Assessment-Verfahren ging von der UNEP und von deren Vorsitzenden Mustafa Tolba aus. In informellen Gesprächen mit den Delegationen und in einer Serie von Workshops in Den Haag, die Ende 1988 stattfanden, gelang es ein Verfahren zu entwickeln, in dem der Einfluss der Vertragsstaaten und auch von anderen Interessengruppen – z.B. der Industrie – minimiert werden konnte. Der Umfang des in den Assessments berücksichtigten Wissens ging weit über das ursprüngliche Mandat hinaus, die Wirksamkeit der Regulierungen abzuschätzen (Parson 2006: 231). Die Reports enthielten eine umfassende Zusammenfassung des relevanten Wissens. Der große Erfolg der Assessments über die Ursachen und Folgen der Ozonzerstörung lässt sich daran ablesen, dass die meisten globalen Umweltregime heute auf ähnliche Assessment-Verfahren zurückgreifen. Das Ozonregime war dabei ein wichtiger Schritt in einem evolutionären Prozess, in dem die Schwierigkeiten der Verkopplung von wissenschaftlichen Wissen und politischen Entscheidens immer wieder deutlich wurden (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung 2001: 63ff.). Den Forderungen des Montrealer Protokolls folgend wurden vier Assessment-Panels ins Leben gerufen. Das Ozone Secretariat der UNEP bestimmte die Vorsitzenden (chairs), die den Assessment-Prozess unabhängig von den politischen Verhandlungen organisierten (Parson 2006: 231). Das Wissen der Atmosphärenwissenschaft und besonders das der atmosphärischen Chemie, welches für das Problem der Ozonzerstörung relevant war, wurde von dem Scientific Assessment Panel (SAP) zusammengefasst. Faktisch wurde mit diesem Panel das NASA/WMOVerfahren mit geringen Veränderungen fortgeführt und die resultierenden Berichte erschienen auch weiterhin als Publikationen des Global Ozone Research and Monitoring Project. Die Leitung übernahmen Robert Watson (NASA) und Daniel Albritton (NOAA), die bei der NASA und der NOAA einen großen Anteil an der Entwicklung der Assessment66 »Article 6. Assessment and Review of Control Measures: Beginning in 1990, and at least every four years thereafter, the Parties shall assess the control measures provided for in Article 2 on the basis of available scientific, environmental, technical and economic information. At least one year before each assessment, the Parties shall convene appropriate panels of experts qualified in the fields mentioned and determine the composition and terms of reference of any such panels. Within one year of being convened, the panels will report their conclusions, through the secretariat, to the Parties.« (UNEP 1987)
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Verfahren hatten und diese auch leiteten. Auch die lead authors der NASA-Assessments setzten ihre Arbeit fort, neue aus den Vertragsstaaten kamen hinzu. Der erste Bericht, der offiziell durch das Montrealer Protokoll legitimiert war, lag 1991 vor. Der Bericht von 1989, der noch als NASA/WMO-Assessment (WMO u.a. 1989) veröffentlicht wurde, weil das Montrealer Protokoll noch nicht in Kraft war, diente den anderen Panels 1990 als Ausgangspunkt ihrer Einschätzung der möglichen Folgen der Ozonreduktion und der zu ergreifenden Maßnahmen. Das Environmental Effects Assessment Panel (EEAP) befasste sich mit den potentiellen Auswirkungen der durch die Ozonreduktion erhöhten UV-Strahlung auf die Gesundheit der Menschen und auf die Biosphäre. Dieses Panel setzte – nun unter dem Mandat des Montrealer Protokolls – eine Reihe von Assessments fort, die bis dahin in einer Kooperation der EPA, welche für die Durchsetzung des Clean Air Acts in den USA zuständig war, mit der UNEP durchgeführt wurden. Das dritte Panel beschäftigte sich mit den technologischen Alternativen zu den ozonzerstörenden Substanzen, das vierte mit den wirtschaftlichen Folgen einer möglichen Regulierung. Nach der ersten Assessment-Runde 1990 wurden die beiden letztgenannten Panel zum Technology and Economics Assessment Panel (TEAP) zusammengefasst. Das Mandat aller (nun drei) Panel bestand darin, vor den Treffen der Conference of the Parties die Wissensbasis für die Neuverhandlung der Reduktionsziele zu liefern. In den 20 Jahren seit Inkrafttreten des Montrealer Protokolls, gab es 1990, 1992, 1995, 1999, 2002 und 2006 Assessment-Runden (Parson 2006: 232), die jeweils der Verabschiedung der Amendments, in denen die Reduktionsziele mehrfach erhöht wurden, vorausgingen. Die Themen der einzelnen Panels fallen in den Bereich verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Das Scientific Assessment Panel konzentriert sich fast ausschließlich auf den Wissensstand in der Atmosphärenwissenschaft, das Effekt-Panel fasst u.a. medizinisches und biologisches Wissen zusammen, ist aber insgesamt interdisziplinärer ausgerichtet. Im TEAP fließen dann ingenieurstechnische und wirtschaftswissenschaftliche Expertise zusammen. Tendenziell lässt sich behaupten, dass in der genannten Reihenfolge die Unsicherheit der Expertise zu, die Unabhängigkeit vom politischen System und den Interessengruppen aber etwas abnimmt. Die Interdependenzunterbrechung zwischen den Panels kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Daten, die zwischen den Panels ausgetauscht werden, relativ überschaubar sind. Das Scientific Assessment Panel gibt den anderen Panels vor, welche Auswirkungen aufgrund welcher Emissionsmengen zu erwarten sind und wie sich die Intensität der UV-Strahlung erhöhen wird. Aufgrund der Ergebnisse der ersten Arbeitsgruppe, die in verschiedenen Szenarien dargestellt werden, unternehmen die anderen Panels ihre spezifischen Analysen.
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Die Berichte des Scientific Assessment Panel sind für die wissenschaftliche Kommunikation anschlussfähig, sie werden auch in wissenschaftlichen Publikationen zitiert.67 Mitunter werden sie gar als Lehrbücher benutzt (Interview 6). Die Reports des Scientific Assessment Panels haben über 100 Autoren und contributers, die Teile oder ganze Kapitel schreiben. Ein weiterer Grund für den hohen wissenschaftlichen Standard der Assessments ist, dass der Zeitaufwand ihrer Erstellung für viele Wissenschaftler nicht gerechtfertigt wäre, wenn sie nicht gleichzeitig Beiträge zur wissenschaftlichen Kommunikation liefern könnten.68 Es ist aber gerade das Ziel des Verfahrens, den gesamten Wissensstand an den Forschungsfronten zusammenzufassen. Diese Zusammenfassungen – und die Formulierung offener Fragen – haben einen großen Einfluss auf die Forschungsplanung innerhalb der nächsten Assessment-Periode, weil sich Forschungsmanager sowie die Forschungsförderung an den Assessment-Berichten orientieren (Interview 13).69 So dienen sie letztlich auch der Selbstbeobachtung der Wissenschaft. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Assessment-Reports und anderen Formen der wissenschaftlichen Publikation liegt darin, dass in den Assessments ein Konsens dargestellt wird, der von allen Wissenschaftlern getragen werden kann, die Beiträge zu den relevanten Disziplinen liefern (genauer, die sich an dem Review-Prozessen beteiligen). Da es aber in einem Feld stets offene Fragen und kleinere oder größere Kontroversen gibt, muss auch – und das ist für das Wissenschaftssystem ungewöhnlich – ein Konsens über offene Fragen und Unsicherheiten gefunden werden. Damit führen die Assessment-Reports eine Unterscheidung zwischen gesichertem und ungesichertem Wissen ein, die das wissenschaftliche Wissen a) außerhalb des Wissenschaftssystems besser beobachtbar macht und b) dem politischen System die Deutung über die Bedeutung unsicheren Wissens tendenziell entzieht.
67 Ein Problem besteht dabei darin, dass mit der Zitation von AssessmentReports die Reputationskreisläufe unterbrochen werden. Statt der Originalarbeiten erscheinen nun nur noch anonymisierte Kürzel wie »WMO und NASA (1986)« in den Referenzen. Deshalb scheint sich in der Atmosphärenwissenschaft eine Etiquette durchzusetzen, in der die Zitation von Originalarbeiten zu bevorzugen ist und Assessment-Reports nur noch für konsensuelle Fakten, wie z.B. Projektionen über einen zukünftigen Klimawandel, zitiert werden (Interview 2, 4, 15). 68 Einige Wissenschaftler beklagen, dass die Assessments einen großen Teil der Ressourcen, z.B. Rechenzeiten von Großrechnern, in der Atmosphärenwissenschaft binden und nur noch wenig Forschung außerhalb der Agenda der AssessmentProzesse möglich ist (Interview 9). 69 Auch Interview 14: »I think it has been terrific, really good, the assessment process. It didn’t have to be that way but it just has been that way. I think it forces scientists as they focus on certain problems and to achieve a kind of consensus about what we need to answer for the next one. And so I think it is great, really good. I am really impressed with that process. Both, through the IPCC and the ozone assessment panel. They have been helpful for me. Really helpful just to focus and to see the openings, see what we are doing.»
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Die Behauptung, dass die Regimebildung selbst nicht kausal auf den Stand des wissenschaftlichen Wissens zurückgeführt werden kann, sondern dass die konditionale Bindung politischen Entscheidens an Ereignisse im Wissenschaftssystem die Regimebildung als Ausdifferenzierung und selektive Wiederverkopplung schon voraussetzt, kann besonders gut an der Rolle der Assessment-Panel bei der Entstehung der London Revisions nachgewiesen werden. Erst in diesen Verhandlungen wurde das wissenschaftliche Wissen in vollem Umfang in Betracht gezogen, was zu einem Totalverbot von FCKW und einer Verlängerung der Liste der regulierten Substanzen führte. Mit dem Assessment-Bericht von 1989 (WMO u.a. 1989) stand das Wissen über die Ursachen des Ozonlochs zur Verfügung, und das Ozone Trend Panel (WMO und NASA 1988) hatte nachgewiesen, dass auch in den mittleren Breiten eine Ozonreduktion messbar war. Besonders wichtig war aber der Bericht des TEAP. In diesem Panel, das die technischen Alternativen und die ökonomischen Folgen abschätzte, wurde darauf geachtet, dass keine Vertreter einzelner FCKW-Hersteller Mitglieder waren. Es wurden Vertreter anderer Industrien, der Industrieverbände, von Regierungsorganisationen, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen ausgewählt, die Verfügbarkeit und Anwendungsmöglichkeiten technischer Alternativen zu den FCKW einzuschätzen (Parson 2006: 231). Das Ergebnis dieses Assessments war dabei überraschend, weil die Autoren zu dem Schluss kamen, dass ein Totalausstieg aus der Produktion und Verwendung der acht durch das Montrealer Protokoll bereits regulierten Substanzen schon 2000 möglich wäre. c) Vergleich der beiden Ozonkontroversen Mit der Abbildung 8 soll der Unterschied zwischen den beiden großen Ozonkontroversen noch einmal verdeutlicht werden. Die erste drehte sich um die Frage, ob sich aus der Molina-Rowland-Hypothese ein Umweltrisiko ergäbe, das politischer Regulierungen bedürfe. In der zweiten diskutierte man im Wissenschaftssystem, ob auch das antarktische Ozonloch auf FCKW-Emissionen zurückzuführen sei. Gleichzeitig fand im politischen System eine Debatte darüber statt, ob eine Regulierung nach dem Vorsorgeprinzip angesichts der Unsicherheit des wissenschaftlichen Wissens angebracht sei, oder ob eine solche ein zu großes Risiko für die Wirtschaft darstellen würde. Diese Debatte kann als ein Interessenkonflikt konstruiert werden, der zwischen einzelnen Nationalstaaten bzw. der EG und den USA stattfand. In einigen der beteiligten Länder war weder die Ozonforschung noch die Umweltpolitik sehr weit ausdifferenziert, was dazu führte, dass das Thema der anthropogenen Ozonzerstörung von diesen lange als ein industriepolitisches Problem behandelt wurde.
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Die Kontroverse über die MRH 1974-1978
Wissenschaftler Anhänger der MRH
Wissenschaftler Skeptiker der MRH Kontroverse
Politiker
gegen Regulierung
Kopplung: epistemische Gemeinschaften
Die Kontroverse über das Ozonloch 1985-1988 Wissenschaftssystem chemische Erklärung
Organisationen
für Regulierung
Kontroverse
dynamische Erklärung
WMO/UNEP Assessment
Kontroverse
Organisationen
gegen Regulierung
politisches System
Kopplung: formale Organisationen
Abbildung 8: Schematischer Vergleich der beiden FCKW-Ozon-Kontroversen
In der ersten Kontroverse – die vor allem in den USA stattfand – entstand relativ schnell eine Problemgemeinschaft, die die anthropogenen Ozonzerstörung auf die politische Agenda brachte. Einige wenige besorgte Wissenschaftler suchten unter den Politikern Verbündete, um ihrer Forderung nach der schnellen Regulierung von FCKW Nachdruck zu verleihen. In dieser Phase lassen sich tatsächlich epistemic communities im Sinne von Peter Haas (1992) beobachten. Diesen gelang es, angesichts des zunehmenden Umweltbewusststeins und der medialen Aufmerksamkeit, die den z.T. dramatischen Szenarien entgegengebracht wurde, eine mögliche anthropogene Ozonzerstörung durch FCKW zu thematisieren. Ausgangspunkt der Kontroverse waren aber nicht Probleme, die ihren Ursprung im Wissenschaftssystem hatten, wie es, beginnt man die Darstellung mit der Molina-Rowland-Hypothese, zuweilen erscheinen mag (z.B. Morrisette 1989; Roan 1989; Andersen u.a. 2002). In der wissenschaftlichen Kommunikation bestand ein weitgehender Konsens
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über die natürlichen Prozesse in der Stratosphäre, wie sie vor allem auch innerhalb der vom CIAP finanzierten Forschungsprogramme sehr gründlich untersucht worden waren. Das Problem der anthropogenen Ozonzerstörung wurde in der Gesellschaft aufgrund der Rekombination von wissenschaftlichem Wissen wahrgenommen, die sich bereits auf das in den 1970er Jahren gewachsene Umweltbewusstsein bezog (dieses Argument s. Böschen 2000). Der Nachweis, dass die FCKW der Ozonschicht tatsächlich gefährlich werden konnten, war ein Problem der sehr diffizilen Quantifizierung von Hunderten im Einzelnen gut erforschten Vorgängen. Ob die inzwischen in der Stratosphäre nachgewiesenen FCKW tatsächlich zu einer Ozonreduktion führen konnten, stellte sich als ein normalwissenschaftliches Problem dar. Die schwankenden NAS-Prognosen (s. Abbildung 1, S. 114) sind ein Ausdruck für die dennoch hohe Komplexität des Problems. Erst im Zuge der sich anschließenden politischen Kontroverse traten auch Wissenschaftler auf, die die Molina-Rowland-Hypothese zu widerlegen suchten. Oft waren dies Wissenschaftler, die im Kontext des von der Chemieindustrie finanzieren FPP kurz zuvor die Unbedenklichkeit von FCKW – allerdings für die unteren Schichten der Atmosphäre – nachgewiesen hatten. Ihre Aussagen beruhten auf Analogieschlüssen, die das Wissen über die unteren Schichten der Atmosphäre auf die Stratosphäre übertrugen. So bildete sich auch unter den Gegnern einer Regulierung eine (von der Industrie angeführte) epistemic community heraus. Deren Wissensgrundlage beruhte aber nicht auf einer Schließung im Wissenschaftssystem, sondern auf Zweifeln an der Molina-Rowland-Hypothese, die aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen an deren vermeintlichen oder tatsächlichen Schwachpunkten ansetzten. Angesichts dieser Herausforderungen wurde die Molina-Rowland-Hypothese von den Atmopshärenchemikern immer wieder verbessert. Allerdings kam es in der ersten Ozonkontroverse nicht zur Formulierung einer alternativen Theorie. Das Problem der anthropogenen Ozonzerstörung konnte nicht durch die Herausbildung von epistemischen Gemeinschaften gelöst werden, auch wenn diese als Orte der Problemwahrnehmung und von agenda setting-Prozessen beschrieben werden können (Parson 2003: 249). Ihr Entstehung war Ausdruck des Problems, dessen Lösung strukturelle Veränderungen in den Funktionssystemen erforderte, die als systeminterne Komplexitätszuwächse und damit als fortschreitende Ausdifferenzierung beschrieben werden müssen. Nach der erfolgreichen Thematisierung wurde das Problem an verschiedene bestehende Organisationen adressiert. Eine Vielzahl Assessments wurde von unterschiedlichen Organisationen mit wechselnder Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft erstellt. Ebenfalls sehr unterschiedliche Gremien – beginnend bei wissenschaftlichen Fachgesellschaften bis hin zu den hearings
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im US-Kongress oder in den state assemblies der US Bundesländer – verhandelten die anthropogene Ozonzerstörung. Diese Suchbewegungen können als Variationsprozesse gesehen werden, in denen letztlich – und nichts anderes bedeutet erfolgreiche Regulierung – ein organisatorisches Arrangement gefunden werden konnte, in dem die Differenz von Wissenschaft und Politik beobachtbar war und durch Entscheidungen bearbeitet werden konnte. Mit dem Clean Air Act Amendment von 1977 wurden spezifische Kopplungen von Wissenschaft und Politik eingerichtet. So erhielt die EPA die Zuständigkeit für die Formulierung und Durchsetzung regulatorischer Maßnahmen. Sie war auch für die Einschätzung der gesundheitlichen und biologischen Folgen der Ozonzerstörung zuständig, auf denen ihre Regulierungsempfehlungen basierten. Die NASA wurde dagegen als lead agency zur Erforschung der oberen Atmosphäre eingesetzt. Die Verhandlungen zum Montrealer Protokoll fanden dagegen schon vor einem Hintergrund der zunehmenden Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen Kontroverse und der politischen Debatten statt. Die Theorien, die in der wissenschaftlichen Diskussion vertreten wurden, ließen sich nicht auf einzelne politische Positionen zurechnen. Die wissenschaftliche Kontroverse wies eine (sub-) disziplinäre Struktur auf, während sich die Debatte im politischen System aus einer Gemengelage diffuser Interessen ergab, in der wirtschaftspolitische Positionen eine herausgehobene Rolle spielten. Die thematischen Kopplungen von Wissenschaft und Politik kommen in der Herausbildung eines organisatorischen Netzwerks zum Ausdruck, in dem Entscheidungen selektiv an den Stand des wissenschaftlichen Wissens gekoppelt waren – oder wie im Fall des Vorsorgeprinzips – auch von diesen isoliert wurden. Es entstanden formale Organisationen, durch deren Entscheidungsprämissen das Verhältnis von Wissenschaft und Politik nicht jedes Mal neu verhandelt werden musste. Die Rationalität gewährende Trennung von Wissenschaft und Politik ist damit ein Ergebnis der Regimebildung. Durch die Produktion von Entscheidungen wurden spezifische Verknüpfungen der Wissenschaft mit der Politik hergestellt. Wobei die entstandenen Assessment-Prozesse eine herausragende Rolle spielen, mit ihnen konnte das in den 1970er Jahren virulente Problem des Expertendilemmas – durch Ausdifferenzierung – gelöst werden. Innerhalb der Gesellschaft findet sich aber auch eine unübersehbare Anzahl anderer Formen von Kopplungen, z.B. Lobby-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen usw. Diese gilt es zu untersuchen, weil die einfachen Brückenhypothesen, wie sie einst benutzt wurden, um das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu beschreiben, nicht mehr zutreffend sind. Damit Organisationen unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen entscheiden können, muss das Wissenschaftssystem beobachtbar bleiben. Sichergestellt wird dies über seine disziplinäre Struktur. In der ers-
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ten Ozonkontroverse war es noch möglich, Einwände in sehr verschiedenen disziplinären Kontexten zu formulieren. Im politischen System fehlten die Relevanzfilter, um zu entscheiden, welche Teile der wissenschaftlichen Kommunikation für die Regulierung von Bedeutung sind und welche nicht. Die Kopplung von wissenschaftlicher Entwicklung und daraus folgenden Entscheidungen musste erst hergestellt werden. Anders in der Debatte über die Ursachen des Ozonlochs. Als diese begann, war die moderne Atmosphärenwissenschaft weitgehend etabliert. Sie war für die chemisch-physikalische Seite des Problems »zuständig«, nicht aber die Chemiker, die in der Industrie arbeiteten. Doch gab es noch wenige Berührungspunkte zwischen den einzelnen Subdisziplinen der Atmosphärenwissenschaft. Die Integration der atmosphärischen Chemie in die Klimamodelle war eine Voraussetzung für die Erklärung des Ozonlochs. Mit der Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie entstand ein disziplinärer Kontext, von dessen Beobachtung politische Entscheidungen über die Regulierung von FCKW und anderen ozonzerstörenden Substanzen abhängig gemacht werden konnten. Dieser Prozess kann nicht als ein kausaler beschrieben werden. Vielmehr war er koevolutionär. Die Entstehung der modernen atmosphärischen Chemie war keine zwangsläufige Entwicklung und sie hatte eine Vielzahl von Anlässen. Dass die gesellschaftliche Lösung als ein Prozess der Ausdifferenzierung beschrieben werden kann, kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass das Ozonregime inzwischen nahezu »geräuschlos« funktioniert. Das Problem der Ozonzerstörung erfährt keine besonders große mediale Aufmerksamkeit mehr. Das Problem gilt als gesellschaftlich gelöst, obwohl immer noch fast jedes Jahr ein neuer Rekord der Größe des Ozonlochs vermeldet wird. Obwohl die Konzentration der Halone und FCKW in der Stratosphäre immer noch steigt, ist dies kein Grund zur Beunruhigung mehr. Sowohl unter den Wissenschaftlern als auch unter den Politikern besteht eine verbreitete Erwartung, dass die Ozonschicht 2050 wieder vollständig hergestellt sein wird.
5.7 Die atmosphärische Chemie nach der Ozonkontroverse 5.7.1 Zusammenfassende Vorüberlegungen In der Literatur finden sich im Wesentlichen zwei Mechanismen der Entstehung wissenschaftlicher Disziplinen: Der erste ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Paradigma bei der Lösung offener Forschungsfragen so erfolgreich ist, dass es zu einem Wachstum der scientific community kommt. Doch auch wenn die Entstehung eines Spezialgebietes
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auf innerwissenschaftliche Gründe zurückgeführt wird, kann nur dann eine neue Disziplin entstehen, wenn es außerhalb der Wissenschaft genügend Anlässe und Mittel für eine Institutionalisierung gibt, d.h. die Einrichtung von Instituten, Studiengängen und anderer Infrastrukturen – z.B. Zeitschriften – möglich wird (Kuhn 1967; Mullins 1974). Die Vermittlung gesellschaftlicher Leistungen erfolgte lange überwiegend durch Universitäten, in denen das Wissenschaftssystem mit dem Bildungssystem verkoppelt wurde. Inzwischen erweist sich die Gleichsetzung von universitärer Organisation und disziplinärer Struktur als zu eng. Der Wandel der Wissenschaft kommt in der wachsenden Heterogenität von Forschungsorganisationen zum Ausdruck. Diese können als funktionale Äquivalente zu Universitäten betrachtet werden, weil sie ebenfalls das Wissenschaftssystem mit anderen Funktionssystemen verkoppeln. Wissenschaftsexterne Gründe für die Institutionalisierung wissenschaftlicher Spezialgebiete sind z.B. Anforderungen, das Wissen in eine lehrbare Form zu bringen (Chubin 1976), die Berufsstruktur der Gesellschaft (Abbot 2001) oder die Notwendigkeit der Motivation und Kontrolle professioneller Arbeit (Ben-David 1974; Whitley 1984). Innerhalb des systemtheoretischen Ansatzes wird die Einschätzung, dass das Wissenschaftssystem innerhalb seiner Eigenlogik operiert, geteilt. Durch eigensinnige Operationen beobachtet es die gesellschaftliche ebenso wie die außergesellschaftliche Umwelt und nutzt die Resultate zum Aufbau systeminterner Komplexität. Die resultierenden Strukturen können von einem externen Beobachter auf der Ebene der disziplinären Differenzierung – oder genauer: anhand von Referenzen auf diese z.B. in der Forschung, aber auch anderswo in der Gesellschaft – gesehen werden. Der zweite Mechanismus ist die Entstehung neuer Disziplinen aufgrund wissenschaftsexterner Problemstellungen (Bensaude-Vincent 2001; Good 2000), bei deren Lösung das Wissen verschiedener Disziplinen neu rekombiniert werden muss, um gesellschaftlich relevante Realitätssausschnitte abzubilden (problembezogene Integration). Dabei sind Problemgemeinschaften die nuclei der Disziplinenbildung. Einige Autoren vermeiden für solche kognitiv hybriden Gebilde das Wort »Disziplin«. Heckhausen (1987: 129) verwendet das Wort Fach. Die Unterscheidung zwischen theoretisch bzw. paradigmatisch integrierten Disziplinen und hybriden Fächern scheint aber nicht besonders fruchtbar. Erstens sind Paradigmen auch bei Kuhn eher heterogene Gebilde und nicht konsistente Theorien (Kuhn 1973, zuerst 1969: 187ff.). Zweitens benötigen auch theoretisch hybride Spezialgebiete limitierende Theorien, die angeben, wie das Wissen rekombiniert werden kann und wie nicht. Drittens enthalten die Programmbündel der meisten Disziplinen auch Wissen, dessen Geltungsprüfung in anderen Disziplinen erfolgte. So ist die Chemie nicht ohne mathematisches und physikalisches Wissen denkbar. In diesem Sinne sind alle wissenschaftlichen Disziplinen –
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einige mehr, andere weniger – Hybride. Sie müssen als Bündel verschiedener theoretischer und methodischer Programme sowie von Relevanzprogrammen verstanden werden. Anhand institutioneller Indikatoren wurde gezeigt, dass die atmosphärische Chemie eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft ist. Ihre Entstehung lässt sich aber nicht durch einen der beiden idealtypische Prozesse beschreiben. Die atmosphärische Chemie hat ihren Ursprung nicht in einem einzelnen, sondern in einer Vielzahl von relativ unverbundenen, stark geförderten interdisziplinären Forschungsfeldern. Beispiele sind der saure Regen, die anthropogene Ozonzerstörung oder auch der globale Klimawandel. Während diese Probleme im politischen System unabhängig voneinander wahrgenommen und bearbeitet wurden, zeichnete sich im Wissenschaftssystem eine Konvergenz ab, in der die komplexen Zusammenhänge zwischen den Phänomenen deutlich wurden. Die Atmosphäre erschien zunehmend als ein einheitlicher Gegenstand, der durch physikalische und chemische Prozesse beschrieben werden musste.70 Die resultierende Ausdifferenzierung führte aber nicht dazu, dass die Probleme, die einst aufgrund des fehlenden disziplinären Wissen interdisziplinär bearbeitet werden mussten, nun unter Rückgriff auf das Wissen dieser Subdisziplin vollständig gelöst werden könnten. Im Gegenteil, in der atmosphärischen Chemie ist die Präferenz für interdisziplinäre Forschung ein wichtiger Bestandteil methodischer Programme.71 Die Erforschung der anthropogenen Schädigung der Ozonschicht und anderer Umweltprobleme löste Veränderungen des Systems wissenschaftlicher Disziplinen aus, die vorrangig auf problemorientierte und interdisziplinäre Forschungsprogramme zurückzuführen sind. Die moderne atmosphärische Chemie entstand durch eine Nachfrage nach Wissen, das in der klassischen Chemie vermutet wurde, dort aber nicht vorhanden war. In der Folge bildete sich ein neuer Strang der Grundlagenforschung heraus, in dem bald spezifische Theorien über den Zusammenhang von Klimadynamik und Chemie entstanden, die nicht in die klassische Chemie integriert werden konnten oder dort nur auf ein geringes Interesse stießen. Außerdem entstanden neue Methoden, die für die atmopshärische Chemie spezifisch waren. 70 »But perhaps the most fruitful, mind stretching awareness that has been gained by researchers during the recent decade is the simple point: It is one atmosphere. Namely, as implied above, we have tended in the past to compartmentalize our atmospheric phenomena/environmental issues, viz. smog, acid rain, ozone layer depletion, and greenhouse warming. Different ›camps‹ of researchers tackled each phenomenon, and indeed, different decision makers dealt with each issue under different international agreements, all largely taking independent and sometimes different approaches.« (Albritton 1999: 552, Hervorhebung im Original) 71 Interview 4: »Atmospheric chemistry and atmospheric sciences are interdisciplinary fields as are most scientific specialities.«
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5.7.2 Die Heterogenität wissenschaftlicher Gemeinschaften Trotz der Kritik an dem Begriff der scientific community bleibt die Frage, welche Rolle wissenschaftlichen Gemeinschaften – gedacht als informale, auf persönlichen Kontakten beruhende Netzwerke – in der wissenschaftlichen Kommunikation spielen. Dabei bietet sich die Gelegenheit, die Vielzahl und die Vielfalt der communities in der atmosphärischen Chemie anzudeuten, bevor die Frage nach ihrer Integration – darin wird die Funktion wissenschaftlicher Disziplinen gesehen – untersucht wird. Nachdem gezeigt wurde, dass Disziplinen nicht als eine Gemeinschaften beschrieben werden können, muss auch die Vorstellung ausgeräumt werden, dass sie als Summe distinkter, klar voneinander getrennter Gemeinschaften beschrieben werden können. Die sich vielfach überlagernden und gegenseitig durchdringenden scientific communities gelten als Orte der Kreativität, an denen Erkenntnisse und Innovationen produziert werden (Gläser 2006: 365f.). Will man etwas über die Wissensproduktion erfahren, muss man auch die wissenschaftlichen Gemeinschaften untersuchen, die sich an den Forschungsfronten bilden. Es wird aber bestritten, dass scientific communities als primäre oder gar alleinige Sozialstrukturen des Wissenschaftssystems bzw. der Forschungsorganisation beschrieben werden können. Weder Disziplinen noch Forschungsorganisationen lassen sich als Gemeinschaften beschreiben. In dieser Hinsicht kann man von der modernen Organisationssoziologie lernen, in der die Rolle von informalen Netzwerken in Innovationsprozessen untersucht wird, ohne die Bedeutung von formalen Strukturen oder von Märkten zu unterschätzen. Anders in der Wissenschaftsforschung: Hier wurde die Heterogenität zunehmend hybrider communities als Indikator für eine fortschreitende Entdifferenzierung gewertet. Informale Gemeinschaften – und das gilt nicht nur für das Wissenschaftssystem – kompensieren Verfestigungen in den ausdifferenzierten Sozialstrukturen, die als Resultate vergangener Problemlösungen begriffen werden können. Aktuelle Probleme zeichnen sich per definitionem dadurch aus, dass sie nicht innerhalb bestehender Systemstrukturen bearbeitet werden können. Gemeinschaften bilden sich außerhalb solcher Strukturen und sind daher besonders gut geeignet, Differenzierungsprobleme einzelner Funktionssysteme (oder der gesamten Gesellschaft) wahrzunehmen.72 Hart und Victor (1993) haben gezeigt, wie sich in den 1950er Jahren in den USA für eine kleine Gemeinschaft wissenschaftlicher Eliten Chancen ergaben, die föderale Forschungspolitik zu beeinflussen und der wahrgenommenen Krise der Meteorologie zu begegnen 72 Luhmann sieht daher auch eine Funktion sozialer Bewegungen darin, Probleme ausdifferenzierter Gesellschaften zu identifizieren und für verschiedene Funktionssysteme wahrnehmbar zu machen (Luhmann 1998: 847ff.).
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(s. auch 5.4.1, 157). Gelöst wurde das Problem aber durch die Gründung von Komitees und Organisationen, die diesen Ansatz propagierten, obwohl er theoretisch noch nicht vollständig ausformuliert war, und entsprechende Forschung förderten. Die community-Phase war also relativ kurz. Dass sich die Idee einer Atmosphärenwissenschaft durchsetzte, verdankt sich einem (durchaus seltenen) Fall erfolgreicher Selektion im Wissenschaftssystem, bei der wissenschaftliches Wissen umgruppiert wurde, weil sich der Ansatz als überaus produktiv erwies. So müssen nun auch die Theorien und Methoden der atmosphärischen Chemie berücksichtigt werden, wenn die Atmosphäre oder das gesamte Erdsystem wissenschaftlich beschrieben werden sollen. Die Wissenschaftler, die Beiträge zur atmosphärischen Chemie liefern, gehören dabei sehr heterogenen und sich wechselseitig überlappenden communities oder – moderner – Netzwerken73 – an. Gemeinschaften können sich um spezifische Forschungsgegenstände oder um einzelne Programme des Wissenschaftssystems bilden. Da die Atmosphärenwissenschaft inzwischen einen hohen Grad theoretischer Integration aufweist, finden sich kaum noch communities, die – wie während der Kontroverse über das Ozonloch – fundamentale theoretische Kontroversen führen würden. Doch gibt es eine Vielzahl verschiedener communities, die sich durch ihre methodischen Präferenzen oder durch divergierende Relevanzprogramme unterscheiden. Das Verhältnis der einzelnen communities kann in wissenschaftlichen Kontroversen konflikthaft sein, doch scheint das empirisch selten der Fall. Häufiger lässt sich eine Situation professioneller Arbeitsteilung beobachten, die nicht nur auf personaler Interaktion, sondern zunehmend auf effektiver und formalisierter Organisation beruht (s. Abschnitt 5.7.3, S. 249). In der atmosphärischen Chemie spiegeln die verschiedenen Gemeinschaften z.T. immer noch Unterscheidungen wider, die einst disziplinäre Grenzen markierten. So gibt es die Gemeinschaft der Stratosphären- und die der Troposphärenforscher. Ein sehr vitales Forschungsgebiet sind die Prozesse der Wolken- und der Niederschlagsbildung, weil von der Lösung bestehender Probleme die Verbesserung der Klimamodelle abhängt. Die dabei entstandene community überschneidet sich mit der Gemeinschaft der Aerosolforscher, weil Aerosole als Kondensationskerne für Wasserdampf eine wichtige Rolle bei der Wolkenbildung spielen. 73 Mit dem Netzwerkbegriff bekommt man besser in den Blick, dass diese informalen, durch persönliche Kontakte geprägten Kommunikationskontexte sozial strukturiert sind. Manche Wissenschaftler kommunizieren häufiger, andere weniger miteinander. Die Grenzen zwischen den Netzwerken sind fließend und werden durch einzelne oder mehrere Schlüsselpersonen vermittelt (in der Wissenschaftssoziologie klassisch Crane 1972). Die netzwerktheoretische Reformulierung des Begriffs der scientific community – verstanden als kognitiv konstituierte Gemeinschaft – wurde besonders in der Actor-Network -Theorie vorgenommen. In dieser Fassung werden Fakten durch strategische Allianzen von Akteuren (und Dingen) und den Aufbau von Netzwerken konstituiert. Zur Übersicht s. Law und Hassard (1999).
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Andere Wissenschaftler der Aerosolgemeinschaft untersuchen Luftverschmutzungen durch Emissionen der Industrie oder des Verkehrs. Die Ozonforschung wurde dagegen lange – bis zur Entdeckung des Ozonlochs – von Gaskinetikern dominiert. Diese Gemeinschaft wandte sich später den Spurengasen der mittleren Atmosphäre zu (Crutzen 1996: 1884). Mit der Bedeutungszunahme der atmosphärischen Chemie in der Klimaforschung bildeten sich neue communities – z.B. die der Biogeochemiker – heraus. Auch auf der Ebene der Methoden finden sich verschiedene Gemeinschaften. In der Atmosphärenwisenschaft werden häufig die Modellierer und die Experimentatoren unterschieden (Grundmann 1999: 95).74 Die Überlappung zwischen diesen beiden Gruppen ist relativ gering, auch wenn sie sehr stark voneinander abhängen. Es besteht aber eine Tendenz subdisziplinärer Arbeitsteilung. Die Atmosphärenchemiker sind häufig Spezialisten der Feld- und in situ-Messung, während die numerische Modellierung im Mittelpunkt der klimadynamischen Forschung steht. Es ist aber eine Annäherung zu beobachten: Zum einen bedarf es ausgefeilter Computeralgorithmen, um die Lücken, die in den Messnetzwerken (z.B. über den Ozeanen) bestehen, durch Interpolation zu schließen, zum anderen wird versucht, die Klimamodelle durch die Integration von Messdaten (Datenassimilation) zu verbessern (Mégie 1999: 420). Innerhalb der Gruppen können wiederum verschiedene Gemeinschaften unterschieden werden. So gibt es unter den Modellierern Puristen, deren Ziel die Simulation auf der Basis weniger grundlegender Prinzipien ist, andere versuchen, die Klimamodelle durch Parametrisierung mit Messdaten zu verbessern. Neben den Modellentwicklern findet man Anwender, die die Modelle benutzen, um Fragen über den Trend und die Folgen des Klimawandels experimentell zu untersuchen. Dabei behandeln sie die Klimamodelle mehr oder weniger als gültige Realitätsbeschreibungen. Eine weitere Dimension, verschiedene Gemeinschaften zu unterscheiden, ist der räumliche Fokus von Simulationen. So hat sich eine Gemeinschaft herausgebildet, die mit modifizierten Modellen die regionalen Auswirkungen des Klimawandels abzuschätzen sucht. Auf der anderen Seite können die Laborchemiker und die Feldexperimentatoren unterschieden werden. Laborchemiker untersuchen in Experimenten einzelne Prozesse, die für die Beschreibung dynamischer Gleichgewichte entscheidend sind. Dieses sind zum einen gaskineti74 Interview 2: »In the beginning of the 90s simulation was a little bit more strongly acknowledged, since the end of the 90s measurements have become more and more important, maybe there is too much money in the field this time, but the camps are distinct, they have different communication styles.« oder auch Interview 6: »Only few people understand how to mediate between the two viewpoints [of modellers and experimentators]. Modellers think data sampling is easy, [they] can’t appreciate that, they don’t know what’s behind the data. Experimentators often think simulation data are not real data«
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sche Reaktionsraten, zum anderen Flussraten (flux rates), von denen die Geschwindigkeit des Stoffaustauschs zwischen verschiedenen Komponenten des Erdsystems abhängt (Brasseur u.a. 1999: 161ff.).75 Bei der Erforschung der Luftverschmutzung werden dagegen Luftproben mit den hochfeinen Methoden der analytischen Laborchemie untersucht. Aber auch einzelne Förderprogramme und die WMO/UNEPAssessment-Prozesse sind Kristallisationspunkte für die Bildung von Gemeinschaften. Kleine Gruppen führender Wissenschaftler haben einen großen Einfluss auf die Richtung der Forschung, wenn sie an der Planung internationaler Forschungsprogramme wie dem International Global Atmospheric Chemistry Program (IGAC) oder dem International Geosphere Biosphere Program (IGBP) teilnehmen. Andere communities haben sich um nationale Förderschwerpunkte wie das Deutsche Klimaforschungsprogramm (DEKLIM) gebildet. Im Zuge der mehrstufigen Assessment-Verfahren werden eine Vielzahl von Konferenzen durchgeführt, auf denen sich Wissenschaftler ganz unterschiedlicher thematischer und methodischer communities treffen. Die air pollution community – die Studien zur Luftverschmutzung durchführt, auf deren Basis das EPA seine Empfehlungen für zukünftige Regulierungen ableitet – ist ein Beispiel für eine Gemeinschaft, die sich um politische Programme gebildet hat (Interviews 3 und 4).76 Betrachtet man die heterogenen, sich oftmals überlappenden Gemeinschaften in der atmosphärischen Chemie, zeigt sich, dass das Bild kohärenter Paradigmengemeinschaften, in denen alle Wissenschaftler das gleiche Set aufeinander verweisender Theorien und Methoden teilen, nicht durchgehalten werden. Vielmehr gehören die meisten Wissenschaftler mehreren Gemeinschaften an, wobei sich nahezu alle möglichen Kombinationen finden lassen. Aus dieser Mehrfachzugehörigkeit ergeben sich für den einzelnen Wissenschaftler Chancen der Profilierung. Wenn wissenschaftliche Disziplinen nicht über kohärente Gemeinschaften beschrieben werden können, muss die Frage nach der arbeitsteiligen Integration der Wissenschaft aufgrund programmatischer Differenzen gestellt werden.
75 Ein typisches Experiment (Interview 11): »For my dissertation, I [. . . ] the heater is over a meadow, warmed it up [. . . ] you know, added an extra infrared radiation to the soil surface and looked at the effect of warming and [air] composition.« Interview 18: »So again some of the people that I know well here, they make 76 measurements of dust, of aerosols around hundreds of places around the country. Most of that is for air pollution interest in terms of legislation or in terms of health effects, other things which are more or less politically driven or driven by something other than standard physical science.«
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5.7.3 Modi der Integration Um die Integration der atmosphärischen Chemie in die Atmosphärenwissenschaft zu demonstrieren, sollen drei Dimensionen beschrieben werden: a) soll gezeigt werden, dass sich zwischen verschiedenen problemorientierten Forschungsfeldern eine Konvergenz abzeichnet, die eine komplexere Problembeschreibungen ermöglicht; b) erfordern solche Problembeschreibungen standardisierte und formalisierte Verfahren der Wissensrekombination. Nicht alle Verbindungen zwischen den einzelnen Komponenten können fortlaufend problematisiert werden. Dass die atmosphärische Chemie als eine Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft beschrieben werden muss, kann besonders anhand der Integration ihres Wissens in die Klimamodelle verdeutlicht werden. Dort sind die klimadynamischen und die chemischen Prozesse – je nach Fragestellung – nur selektiv miteinander verkoppelt. c) soll die Rolle von mehr oder weniger formalen Organisationen für die Integration der atmosphärischen Chemie skizziert werden. a) Konvergenz der Probleme: Ozonreduktion und globaler Wandel Die stratosphärische Ozonschicht ist heute ein nahezu normalwissenschaftliches Forschungsfeld, die grundlegenden Zusammenhänge sind bekannt und es werden kaum Überraschungen erwartet. Während die IPCC-Assessments über den globalen Klimawandel weltweit mediale Aufmerksamkeit erlangen, werden die Scientific Assessments of Ozone Depletion – der letzte Bericht erschien 2006 – nur noch selten in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Im Ergebnis stellen sie die Wirksamkeit des Ozonregimes fest und es wird davon ausgegangen, dass die Ozonschicht bis 2050 vollständig wiederhergestellt sein wird (z.B. WMO und UNEP 2006: xxxi). Das Wissen der atmosphärischen Chemie – wie es u.a. in den Ozonkontroversen entstand – ist aber auch für die Erforschung des globalen Klimawandels von entscheidender Bedeutung.77
77 Diese subdisziplinäre Integration der atmosphärischen Chemie in die Atmosphärenwissenschaft oder gar weiterführend in die Earth System Science wird in dem Lehrbuch Atmospheric Chemistry and Global Change (Brasseur u.a. 1999) deutlich. In der Einleitung heißt es: »Although concerns about regional air quality remain important, especially in industrialized regions where the level of pollution has not been sufficiently reduced in spite of legislative measures, atmospheric chemists are now devoting a large amount of effort to the study of the global environment. They regard the global atmosphere as a complex chemical and dynamical system interacting both internally within the troposphere and stratosphere and externally with the oceans, land, and living organisms. Atmospheric chemistry has therefore become a central discipline of global change research. Because vital human activities such as energy and food production are directly involved, the subjects of atmospheric composition, air quality, biogeochemical cycles, and climate change constitute not only challenging scientific questions, but also policy problems of global significance.« (Brasseur u.a. 1999: x)
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Die Hypothese über eine mögliche Klimaerwärmung durch einen von den Menschen verursachten Anstieg des Kohlendioxidgehalts ist älter als die über die ozonzerstörende Wirkung von FCKW. Schon Arrhenius (1896) ging davon aus, dass eine Verdopplung des CO2 -Gehalts in der Atmosphäre zu einer Erwärmung von ca. 2 bis 4 Kelvin führen würde. Dennoch unterschätzte man lange die Bedeutung der atmosphärischen Chemie für die Beschreibung des globalen Klimawandels. Das erste Mal wurde eine erhöhte CO2 -Konzentration in den 1950er Jahren von den Ozeanografen Roger Revelle und Hans Suess vom Scripps Institution of Oceanography in San Diego erbracht. Sie stellten fest, dass bei der Datierung jüngeren Materials mit der Kohlenstoff-14-Methode ein systematischer Fehler auftrat. Das Alter verschiedener organischer Stoffe wurde überschätzt. Die Ursache war, dass sich das Verhältnis der Konzentrationen von Kohlenstoff-14 und Kohlenstoff-12 in der Atmosphäre verschoben hatte. Da die Produktionsrate von Kohlenstoff-14 in der Ionosphäre konstant geblieben war, musste der Anteil des stabileren aus fossilen Brennstoffen stammenden Kohlenstoff-12 im Zeitalter der Industrialisierung angestiegen sein. In der Folge nahmen die lebenden Organismen weniger Kohlenstoff-14-Atome auf als noch vor der industriellen Revolution (Revelle und Suess 1957). Der Anstieg des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre widerlegte die verbreitete Vermutung, dass die Ozeane als Hauptreservoir von CO2 im Erdsystem auch die zusätzlichen anthropogenen Emissionen binden könnten. Bestätigt wurde die steigenden Kohlendioxidkonzentrationen in der Atmosphäre 1970 durch die Auswertung einer Messreihe, die schon während des IGY am Mauna Loa Observatorium auf Hawaii begonnen worden war (Keeling 1970). Trotz der programmatisch formulierten Einheit der Atmosphärenwissenschaft und der Tatsache, dass die Theorien über den Klimawandel von einer veränderten chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre ausgehen, bestanden lange nur wenige Berührungspunkte zwischen der atmosphärischen Chemie und der Klimadynamik. Doch ändern sich mit der chemischen Zusammensetzung auch die Absorptionseigenschaften der Atmosphäre. Während die kurzwellige Sonnenstrahlung ungehindert durch die Atmosphäre gelangen kann und die Erdoberfläche erwärmt, wird die von der Erde zurückgestrahlte langwellige Wärmestrahlung durch das Kohlendioxid absorbiert. Die Energie, die dadurch in der Atmosphäre zurückgehalten wird, führt zur Erwärmung, dem Treibhauseffekt. Mit steigenden CO2 -Konzentrationen kommt es zu einer zusätzlichen Erwärmung.78 In den anfangs noch einfachen dyna78 Die Energiebilanz wird relativ zum Jahr 1750, welches ungefähr dem Beginn der industriellen Revolution entspricht, angegeben. Das IPCC geht von von einem zusätzlichen, anthropogen verursachten Strahlungsantrieb (radiative forcing) von 1,6 Watt pro Quadratmeter aus (W m −2 ) (Forster u.a. 2007: 136), welcher eine durchschnittliche Temperaturerhöhung zwischen 1,5 und 4,5°Kelvin zur Folge haben könnte.
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mischen Klimamodellen konnten die komplexen Rückkopplungsprozesse zwischen der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre, den Klimaänderungen und den temperaturabhängigen chemischen Gleichgewichten genauso wenig berücksichtigt werden wie die Beeinflussung der Quellen und Senken für Treibhausgase in der Biosphäre und der Geosphäre. In den meisten Modellen wird der Kohlendioxidgehalt noch heute als eine Konstante angegeben (Roeckner u.a. 2003). Klimaszenarien werden dann mit erhöhten Kohlendioxidkonstanten, aber sonst unveränderten Modellen berechnet. Erst im nächsten Assessment-Report (AR5) des IPCC, der voraussichtlich 2012 erscheinen wird, wird eine Integration des Kohlenstoffkreislaufs und seiner komplexen Rückkopplungsprozesse mit anderen Komponenten des Erdsystems angestrebt (Meehl und Hibbard 2007). Die Wechselwirkungen zwischen der anthropogenen Ozonzerstörung und dem globalen Klimawandels wurden in einem IPCC/TEAP Special report: Safeguarding the Ozone Layer and the Global Climate System (IPCC/TEAP 2005) systematisch analysiert und zusammengefasst. In der für politische Entscheidungsträger erstellten Zusammenfassung (executive summary) werden mehrere relevante Wechselwirkungen zwischen den beiden Problemfeldern ausgeführt (Auswahl): • Sowohl die anthropogene Reduktion der Ozonschicht als auch die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre haben zu einer Abkühlung der Stratosphäre geführt (ca. 2° Kelvin seit 1979). Da die Absorption von UV-Strahlung durch die vorhandenen Ozonmoleküle die Aufheizung der Stratosphäre bewirkt, hat eine Ozonreduktion eine Abkühlung der höheren Schichten der Atmosphäre zur Folge. Treibhausgase – vor allem Kohlendioxid und Methan – reduzieren dagegen die Rückstrahlung der von der Erde reflektierten Energie. Diese Enegie wird nun nicht mehr von der Ozonschicht sondern schon in der Troposphäre absorbiert. • Eine Folge des Klimawandels ist, dass der antarktische Wirbel, der die dynamischen Bedingungen für die Entstehung des Ozonlochs schafft, länger anhält. Der Abbruch des Wirbels erfolgt nun zwei bis drei Wochen später als noch in den 1970er Jahren. • Die Veränderungen der stratosphärischen Temperaturen bewirken je nach Region eine Abnahme bzw. eine Zunahme der Ozonreduktion. In den mittleren Breiten wird eine geringere Ozonabnahme erwartet, weil die dort stattfindenden Reaktionen aufgrund der Temperaturabnahme in der Stratosphäre langsamer ablaufen. In der Antarktis wird eine stärkere Abnahme erwartet, weil die Bildung der polaren Stratosphärenwolken von niedrigen Temperaturen abhängen. • Eine große Unsicherheit besteht darüber, welche Effekte der Klimawandel auf die Ozonschicht in der Arktis hat. Einige Studien vermuten eine Verstärkung, andere eine Abschwächung der Ozonreduktion.
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• Viele ozonzerstörende Substanzen (ODS) sind auch Treibhausgase mit einem hohen Erwärmungspotential (global warming potential, GWP). Die durch das Montrealer Protokoll und seine Erweiterungen regulierten Substanzen hatten zwischen 1970 und 2000 einen Anteil von etwa 23% an der durch Menschen verursachten Erhöhung der Strahlungsbilanz in der Atmosphäre. • Die Umsetzung des Montrealer Protokolls hat, insofern es die ozonzerstörenden Substanzen reguliert, die auch Treibhausgase sind, einen direkten Effekt auf den Klimawandel. Es wird eine Reduktion des Treibhauseffektes erwartet. (IPCC/TEAP 2005: 85f.)
Die Bedeutung der atmosphärischen Chemie für die Erforschung des Klimawandels beschränkt sich aber nicht allein auf diese Interaktionen. Zwei weitere wichtige Forschungsgebiete bestimmen derzeit ihre Dynamik: einmal die Aerosole, die schon ein älteres Thema der Luftchemie waren, jedoch in der Ozonkontroverse lange vernachlässigt wurden, zum anderen die Wechselwirkungen zwischen den geologischen, biologischen und atmosphärischen Prozessen im Erdsystem. Die festen und flüssigen Aerosole in der Luft bestimmen die Eigenschaften der Atmosphäre. Ohne sie gäbe es weder Regen noch Nebel und es wäre unerträglich heiß. Da sich keine Wolken bilden würden, wäre die Luft sehr feucht (Turco 1999: 155). Diese Erkenntnisse über die Rolle der Aerosole verdeutlichen den Wandel von einer Chemie in der Atmosphäre (s. z.B. Junge 1958; Bolin 1959) zu einer Theorie, in der die Atmosphäre ebenso durch chemische wie klimadynamische Prozesse beschrieben werden muss. Aber auch die von der Industrie und dem Verkehr emittierten Aerosole79 beeinflussen das Klima direkt und indirekt. Ihr direkter Einfluss ergibt sich aus der Absorption des Sonnenlichts durch die Aerosole. Der indirekte resultiert aus der Bildung zusätzlicher Wolken, die die Sonneneinstrahlung reduzieren. In der Summe kühlen die vom Menschen emittierten Aerosole das Klima ab. Eine Reduktion der Luftverschmutzung führt so ironischerweise zu einer zusätzlichen Klimaerwärmung (Forster u.a. 2007: 153). Will man eine komplette Energiebilanz erstellen, müssen auch die natürlichen Aerosolquellen wie Vulkanausbrüche oder auch die Meersalze berücksichtigt werden, die in die Atmosphäre gelangen (Forster u.a. 2007: 172, 193f.).80 Eine Gelegenheit, die komplexen Zusammenhänge zwischen der Zusammensetzung der 79 Z.B. Sulfate, feste organische Substanzen, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen, Ruß und Aerosole, die bei der Verbrennung von Biomasse entstehen, und Mineralstaub. Die Literaturangaben Bindoff u.a. (2007); Denman u.a. (2007); Forster u.a. 80 (2007) und Randall u.a. (2007) verweisen auf Teile des IPCC-Reports von 2007. Weil die Reports zunehmend als wissenschaftliche Publikationen zitiert werden, wird seit dem AR4 empfohlen, die einzelnen Kapitel unter den Namen der Autoren zu zitieren. Die Einführung dieser Praxis passt gut in das Bild von der zunehmenden Ausdifferenzierung von Wissenschaft und Politik im Fall des Klimaregimes.
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Atmosphäre, den Effekten von Aerosolen auf das Klimasystem und dem Einfluss geochemischer Prozesse quasiexperimentell abzuschätzen, ergab sich 1991 bei dem heftigen Ausbruch des Vulkans Mt. Pinatubo auf den Philippinnen. Dabei gelangten Chlorpartikel in die Stratosphäre, die eine vorrübergehende Verstärkung der Ozonreduktion zur Folge hatte (u.a. Stolarski u.a. 2003). Die emittierten Aerosole führten dagegen zu einer leichten, aber signifikanten Abkühlung des Klimas (de Forster und Collins 2004; Denman u.a. 2007: 525). Mit der Biogeochemie bildet sich eine neue Subdisziplin heraus, die nicht mehr in eine »reine« Atmosphärenwissenschaft integriert werden kann. Möglicherweise ist sie der Keim einer Rekonfiguration der gesamten Geowissenschaften zu einer Earth System Science. In einer solchen spielt die Atmosphäre eine besonders wichtige Rolle, weil sie den größten Teil des Energie- und des Stoffaustauschs im Erdsystem vermittelt. Die Ozeane sind dagegen der größte Speicher sowohl von Stoffen als auch von Energie. In der Biogeochemie stehen die Kopplungsprozesse zwischen den verschiedenen Komponenten des Erdsystems im Mittelpunkt. Bisher wurden zwei dieser Kopplungen kurz erwähnt: Erstens ist die radiochemische Umwandlung von Stickstoff in Kohlenstoff-14 in der Ionosphäre die Quelle jeglichen Kohlenstoffs im Erdsystem. Zweitens hängt das natürliche Ozongleichgewicht von Stickoxiden ab, welches von den Pflanzen produziert wird (Crutzen 1970). Auch der Sauerstoff in der Erdatmosphäre ist ein Produkt der Fotosynthese. Das angesichts der globalen Erwärmung wichtigste Thema der Biogeochemie ist der Kohlenstoffkreislauf. Das durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen freigesetzte Kohlendioxid hat den größten Anteil an dem zusätzlichen Treibhauseffekt. Zwischen der Biosphäre, den Ozeanen und dem Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre besteht eine Vielzahl von positiven und negativen feed back-Prozessen. Weil durch die Fotosynthese Kohlendioxid gebunden wird, haben z.B. die Veränderungen der Vegetation einen unmittelbaren Effekt auf das Klima. Die Frage ist, ob es aufgrund des Klimawandels zu einer Zunahme oder zu einer Abnahme der Biomasse kommt. Nähme sie zu, würde der Treibhauseffekt abgeschwächt, nähme sie dagegen aufgrund von Versteppung, Verwüstung oder Buschbränden ab, wäre mit einer zusätzlichen Erwärmung zu rechnen (Denman u.a. 2007: 501f.). Zunehmend werden aber auch andere Gase in die Bilanz des Klimawandels einbezogen. Das vor allem in der Viehproduktion freigesetzte Methan, welches ein viel stärkeres Treibhauspotential als Kohlendioxid hat, ist dafür nur ein Beispiel. b) Erdsystemmodellierung Die Beschreibung oder gar die Modellierung des Erdsystems erfordert interdisziplinäre Forschung. Diese kann angesichts eines so komple-
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xen Gegenstandes wie der Atmosphäre nicht allein auf der Basis von Gemeinschaften organisiert werden, weil die Komplexität der zu berücksichtigenden Prozesse und die Flut der Daten ihre Informationsbearbeitungskapazitäten überfordern würde. Ohne Zweifel werden viele Forschungsfragen in kooperativer Interdisziplinarität bearbeitet, besonders dann, wenn die Beschreibung der Kopplung verschiedener Prozesse problematisch ist. Dennoch können die Probleme und die Vorteile von Interdisziplinarität nicht hinreichend verstanden werden, wenn die Diskussion auf Fragen der Zusammenarbeit oder auf solche der Interaktion und Verständigung von Wissenschaftlern beschränkt bleibt. Eine Asymmetrie der Debatte besteht darin, dass Interdisziplinarität immer dann diskutiert wird, wenn ihr gewöhnlich reibungsloses Funktionieren ins Stocken gerät. Solche Probleme ergeben sich tatsächlich aus den Unzulänglichkeiten einer ausdifferenzierten Wissenschaft. Diese können entweder aus einer Überkonditionierung der Forschung durch konkurrierende, weil miteinander unvereinbare Programme (Inkommensurabilität) oder aus einer Unterkonditionierung, d.h. aus fehlenden Limitationen (z.B. fehlenden interfield theories) resultieren. Auch im Falle der Interdisziplinarität gilt also, dass Probleme als Differenzierungsprobleme rekonstruiert werden müssen. In der atmosphärische Chemie waren es oft die Ergebnisse interdisziplinärer Forschungsprojekte, die Resonanzen in der wissenschaftlichen Kommunikation auslösten. Um die atmosphärische Chemie als eine Subdisziplin zu beschreiben, deren Programme auch interdisziplinäre Forschung konditionieren können, muss die Frage nach den Bedingungen für »normale«, d.h. durch Programme im Wissenschaftssystem gedeckte Interdisziplinarität gestellt werden. Erinnert sei daran, dass Forschung nicht disziplinär in dem Sinne ist, dass sie in den Disziplinen, verstanden als Kommunikationssysteme, stattfände. Forschung wird durch disziplinäre Programme nur so lange konditioniert, wie in Projekten entschieden wird, sich an der disziplinären Struktur des Wissenschaftssystems zu orientieren. Der »normale« Rückgriff auf das Wissen anderer Disziplinen findet in der Forschung regelmäßig statt. Streng disziplinäre Forschung ist damit der Spezialfall, nicht die interdisziplinäre. Warum sollte die Anwendung des Wissens anderer Disziplinen in der Forschung außergewöhnlich problematisch sein, wo doch nahezu in der gesamten Gesellschaft wissenschaftliches Wissen, wenn auch oft eigensinnig und instrumentell angewandt wird? Die Probleme der Interdisziplinarität müssen aus der Perspektive der Rekombination von Wissen und nicht als Konflikte zwischen Wissenschaftlern mit verschiedenen Weltsichten rekonstruiert werden. Die Anlässe für solche Rekombinationen und die Techniken, die dafür zur Verfügung stehen, sind vielfältig. Dass Wissenschaftler verschiedener Disziplinen miteinander kooperieren und ein gemeinsames Forschungspro-
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Physical Climate Systems Climate Change
Atmospheric Physics/Dynamics Sun
Straospheric Chemistry/ Dynamics
Terrestrial Energy/Moisture
Global Moisture
Marine Biogeochemistry
Soil
Terrestrial Ecosystems
Human Activities
External Forcing
Ocean Dynamics
CO2
Land Use
Volcanoes CO2 Tropospheric Chemistry Pollutants Biogeochemical Cycle
Abbildung 9: Prozesse des globalen Wandels. Quelle: UNEP, NASA, and World Bank 1998, nach Clark u.a. 2001: 24
jekt initiieren, ist nur eine Möglichkeit, wenn vielleicht auch die am besten erforschte. Fasst man das Problem der Interdisziplinarität dagegen als ein forschungsorganisatorisches, kann man der Tatsache gerecht werden, dass Interdisziplinarität in der modernen Wissenschaft mehr und mehr über einen formalen Datenaustausch, vorgefertigte Geräte oder Softwaremodule und definierte Schnittstellen verläuft. Oft machen neue Formen der Kommunikation – Internetportale, frei verfügbare Datensätze oder Klimamodelle – die persönliche Kommunikation zwischen Forschungsgruppen überflüssig. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang häufig von Produkten81 , auf die sie zurückgreifen, um die eigenen Forschungsfragen zu verfolgen. Die Atmosphärenwissenschaft ist dafür ein Beispiel. Es wird von einem Erdsystem ausgegangen, das aus verschiedenen Komponenten besteht, welche durch Stoff- und Energieflüsse miteinander verbunden sind (s. Abbildung 9). Diese Modularisierung weist eine unübersehbare Parallelität zur subdisziplinären Struktur der Wissenschaft auf. Besonders zentral ist dabei die Unterscheidung zwischen den dynamischen (physical climate system) und den chemischen Prozessen (biogeochemical cycles) im Erdsystem. Mit der Klimamodellierung steht der Atmosphärenwissenschaft und zunehmend auch anderen Geowissenschaften 81 Interview 15: »The weather stuff, that is behind the scenes. There is this huge operational infrastructure that takes the satellite data, merge it somehow into a product [. . . ] I do not know anything about it. It just appears and ends up in the database. The NASA satellites, research satellites those have a science team. The science team produces some products like [. . . ] some of them are high level products that are very easy to use for people like me, some are lower level products, individual satellite tracks.«
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ein leistungsfähiges Instrument zur Verfügung, mit dem das Wissen der atmosphärischen Chemie und der Klimadynamik, aber auch anderer Disziplinen effektiv rekombiniert werden kann. Die Module der Klimamodelle, die die einzelnen Komponenten des Erdsystems repräsentieren, können an die fluiddynamischen Grundmodelle angekoppelt werden, ohne dass man die Funktionsweise jedes einzelnen Moduls oder das Wissen, welches sie repräsentieren, im Detail kennen müsste. Diese Programme sind Techniken, verstanden als funktionierende Simplifikationen (Halfmann 2002: 229), die wie viele Geräte im Labor als black boxes in die Rekombinationen eingebaut werden. Im Kern bestehen die Klimamodelle aus einem dynamischen Flussmodell der Atmosphäre, in welchem die Energieflüsse und die Luftzirkulation zwischen den Gitterboxen – in die die Atmosphäre aufgeteilt wird – mit Hilfe hydrodynamischer Kontinuitätsgleichungen repräsentiert werden. So erlaubt das ECHAM-5 des MPI für Meteorologie in Hamburg Auflösungen von 5,6 bis zu 1,1 Grad geografischer Breite bzw. Länge. Dabei wird die Atmosphäre in 19 bis 39 horizontale Schichten aufgeteilt. Daraus ergeben sich zwischen 38.912 und 1.996.800 Boxen, die in jedem Schritt neu berechnet werden müssen (Roeckner u.a. 2003: 15f.). Die Wahl der Auflösung hängt von dem zu lösenden Problem und den verfügbaren Rechenkapazitäten ab. Die Kernmodelle sind immer noch rein dynamische Beschreibungen der Atmosphäre (in Abbildung 9 repräsentiert durch das Kästchen Atmospheric Physics/Dynamics), an deren Kanten entweder Programme, die andere Teile des Erdsystems simulieren, oder auch Datensätze aus Feldmessungen durch Koppler genannte Softwaremodule angeschlossen werden. Besonders wichtig sind dabei die Oberflächendaten der Landmassen, die Strahlungsdaten der Sonne und die dynamische Simulation der Ozeane. Wenn ein Ozeanmodell und ein Atmosphärenmodell verkoppelt werden, spricht man von einem Coupled General Circulation Model (CGCM). In der Klimamodellierung lassen sich verschiedene Philosophien der Modularisierung und der Kopplung beobachten. Es gibt solche Modelle, die innerhalb einer Organisation weiterentwickelt werden und daher mehr oder weniger aus einem »Guss« sind. Ihre Module repräsentieren die Arbeit verschiedener Abteilungen. Die Kooperation der Wissenschaftler verschiedener Disziplinen orientiert sich dabei oft an dem Ideal persönlicher Kooperation (Gramelsberger 2004: 29). Allerdings stößt dieser Ansatz zunehmend an seine Grenzen, die angesichts eines gerade stattfindenden Generationswechsels unter den Modellprogrammierern deutlich werden. Modelle, die von einigen wenigen Wissenschaftlern ein Leben lang betreut worden sind, müssen nun von Wissenschaftlern und Informatikern übernommen werden. Ältere Autodidakten werden zunehmend von Informatikern abgelöst, die eingestellt werden, um die Probleme des Hochleistungsrechnens zu bearbeiten. Dies bringt ohne
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Zweifel auch Konflikte zwischen der Pionierkultur der frühen Klimamodellierung und der Kultur des modernen professionellen Softwaremanagements mit sich. Entscheidend ist hier aber, dass durch diesen Schritt zunehmender Professionalisierung auch Änderungen in der Organisation der Klimamodellierung notwendig werden. Über typische Institutsmodelle verfügen das MPI für Meteorologie Hamburg und das Hadley Centre des britischen Meteorological Office. Auch wenn diese Modelle zu den besten der Welt gehören, sind sie mit den Problemen eines bisher informalen Managements konfrontiert. Am MPI wird von vielen Mitarbeitern der Standpunkt vertreten, dass es gefährlich sein könnte, wenn Klimamodelle frei zugänglich seien, weil ihre Ergebnisse stark von ihrer Anfangsinitialisierung abhängen und aus falschen Modellläufen resultierende Prognosen einen negativen Einfluss auf die internationale Klimapolitik haben könnten (Interview 21). Die Befürchtung, dass ein einzelner Modellmissbrauch die politische Debatte beeinflussen könnte, scheint aber überzogen, wenn man bedenkt, dass die IPCC-Berichte, in denen die kontrollierten Läufe der wichtigsten Modelle miteinander verglichen werden, die autoritative Wissensbasis der politischen Verhandlungen darstellen. Auf der anderen Seite entwickelt sich, und hier haben Wissenschaftler in den USA eine Vorreiterrolle, eine Open Source-Kultur der Klimamodellierung, in der durch die Definition von frameworks und Schnittstellen eine hohe Kompatibilität und Austauschbarkeit verschiedener Modellteile erreicht werden soll. In diesem Fall ist es möglich, dass einzelne Forschungsgruppen außerhalb der Großforschungsorganisationen z.B. ein neues, besseres Wolkenmodell entwickeln. An diesen Entwicklungen könnte man die Transformation von informalen communities in formalere Forschungsstrukturen und in einem weiteren Schritt in Programme des Wissenschaftssystems im Detail untersuchen. Der persönliche Kontakt zwischen den Modellierern ist nicht unbedingt notwendig, solange innerhalb der vordefinierten Protokolle und mit den zur Verfügung stehenden Daten experimentiert wird. Die Definition solcher Protokolle erfolgt gewöhnlich auf Zusammenkünften führender Wissenschaftler. Solche Modell-frameworks stellen Entscheidungsprämissen dar, die eine Integration einer enormen Wissens- und Datenmenge erlauben. Sie können als Programme des Wissenschaftssystems verstanden werden, die die möglichen Rekombinationen wissenschaftlichen Wissens, aber auch die effektive Organisation der Arbeit limitieren.82 Vielleicht können gerade sie als der 82 Es gibt derzeit verschiedene, z.T. konkurrierende Bemühungen solche Schnittstellen zu definieren. Beispiele dafür sind das NCAR Community Climate Simulation Model (CCSM) oder der NOAA GFDL Flexible Framework System oder auch der Earth System Modeling Framework (ESMF) der NASA. Die Quellcodes dieser Programme und ihre Koppler können im Internet heruntergeladen und eingesehen werden. Modellläufe bedürfen aber immer noch des Zugangs zu den mo-
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Kern einer Erdsystemwissenschaft angesehen werden. Die Untersuchung dieser Frage birgt Stoff für eine umfassende Studie über moderne Techniken der Rekombination (und Reduktion) von Wissen. Hier kann aber nur die Frage nach der Integration des Wissens der atmosphärischen Chemie in die Klimamodelle gestellt werden. Die Klimasimulation ist noch weit davon entfernt, über ein allgemeines Modell der Atmosphäre bzw. des Erdsystems zu verfügen, das für alle Forschungsfragen angemessen wäre. Vielmehr werden die Modelle in Abhängigkeit der Forschungsfragen modifiziert oder neu entwickelt, um den ohnehin schon enormen Rechenaufwand zu begrenzen. Die Auflösung und die Module werden entsprechend der verfügbaren Rechenkapazität gewählt. So kann man z.B. in Modellen, die nur wenige Monate simulieren, auf chemische Rückkopplungsprozesse mit der Biosphäre verzichten (Chipperfield 2006). In vielen Fällen erscheint der Einsatz extrem komplexer Modelle auch nicht wünschenswert, weil sich aus der Interaktion zu vieler Komponenten eine Potenzierung der Fehler und somit unkontrollierbare Effekte ergeben können. Neben dem geografischen Fokus (global, regional) und den modellierten Zeiträumen (Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende), lassen sich klimadynamische Modelle (General Circulation Models, GCM) und chemische Transportmodelle (Global Chemical Transport Models, CTM, s. Brasseur u.a. 1999: 446) unterscheiden. Chemischen Transportmodelle berücksichtigen nicht nur die dynamischen Prozesse wie Wind und Temperatur, sondern beziehen auch den Transport der Spurensubstanzen in der Atmosphäre mit ein. Die CTM lassen sich in zwei Typen einteilen. Der erste basiert auf modifizierten GCM, die während der Modellläufe neben den chemischen Prozessen auch die Wind- und Wetterdaten berechnen. Aufgrund der Tatsache, dass in diesen Modellen bis zu 1.000 Reaktionen für jede Zelle berücksichtigt werden müssen (Interview 13), werden sie mit einer geringeren Auflösung gerechnet. Ein zweiter Typ, die sogenannten off line-Modelle, beruhen darauf, dass die Klimadaten entweder aus realen Messungen oder aus vorher abgespeicherten GCM-Läufen übernommen werden. Ein Nachteil ist, dass so keine Rückkopplungen zwischen der Chemie und der Dynamik modelliert werden können. Off line-Modelle haben aber auch Vorteile. Sie können auf relativ kleinen Rechnern eingesetzt werden und – wenn sie Daten aus Feldexperimenten benutzen – liefern zumindest für kurze Zeiträume Ergebnisse, die mit den Feldbeobachtungen unmittelbar verglichen werden können (Chipperfield 2006). In der Modellierung werden die subdisziplinären Grenzen in der Atmosphärendernsten und leistungsfähigsten Großrechnern, die heute existieren. Doch können ältere Varianten der Modelle durchaus schon auf modernen PCs eingesetzt werden. Damit ergibt sich z.B. für Universitätswissenschaftler die Möglichkeit, (z.B. explorative) Experimente unabhängig von den großen Rechenzentren durchzuführen (Interview 5).
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wissenschaft dadurch deutlich, dass zwar immer mehr chemische Prozesse in die CGCM eingebaut werden, chemische Prozesse aber als externe Module angekoppelt werden (Roeckner u.a. 2003: 78).83 Einen prominenten Versuch, die Kopplung verschiedener Modellkomponenten oder Messdaten zu vereinfachen und zu standardisieren, stellt der Earth System Modelling Framework (ESFM) dar, wie er von der NASA und NCAR entwickelt wurde, und als Open Source Program im Internet heruntergeladen werden kann. Sein Ziel ist es, verschiedene Module, die von einzelnen Modellgruppen entwickelt werden, miteinander zu verkoppeln und wechselseitig zur Verfügung zu stellen.84 Letztlich soll das von der NASA und der NSF finanzierte Projekt in eine Earth System Modelling Environment (ESME) weiterentwickelt werden, in die auch Feldmessungen und Datenarchive integriert werden können. Erst in der nächsten Generation von Klimamodellen, die tatsächlich als Erdsystemmodelle bezeichnet werden können, werden die das Klima beeinflussenden chemischen Prozesse voll integriert sein. Solche Erdsystemmodelle unterscheiden sich von den heutigen gekoppelten GCM oder den Atmospheric Ocean General Circulation Models (AOCGM), in denen die dynamischen Prozesse der Atmosphäre und der Ozeane bereits mit den selben Gleichungen berechnet werden, dadurch, dass auch der Kohlenstoffkreislauf dynamisch simuliert wird. Dabei müssen der Stoffaustausch zwischen den verschiedenen Komponenten des Erdsystems und die sich daraus ergebenden feed back-Prozesse berücksichtigt werden. Aber nicht nur der Kohlenstoffkreislauf, sondern auch andere Spurengase, die Aerosole sowie die Effekte der Luftverschmutzung sollen mit einbezogen werden. Damit können dann eine Vielzahl dynamischer Rückkopplungsprozesse untersucht werden (Meehl und Hibbard 2007: 7). c) Organisation Die Infrastrukturen der Atmosphärenwissenschaft sind so stark organisiert und formalisiert, dass man – auch wenn das ein empirisch seltener Fall sein mag – komplexe Phänomene wie die El Niño Southern Oscillation (ENSO) untersuchen kann, ohne das Büro zu verlassen (Inter83 »Interactive atmospheric chemistry components are not generally included in the models used in this report [IPCC 2007, Anm. F.S.]. However, CCSM3 [Community Climate Simulation Modell des NCAR] includes the modification of greenhouse gas concentrations by chemical processes and conversion of sulphur dioxide and dimethyl sulphide to sulphur aerosols.« (Randall u.a. 2007: 607) »The ESMF collaboration is a national effort to produce shareable soft84 ware for climate, weather, and related applications. ESMF increases the interoperability, reuse, ease of use, and performance portability of models by framing them in a structured, scientist-friendly computational environment. It includes software tools for building applications from multiple science components, for data decomposition and communication on parallel computers, and for common modeling functions such as time management and message logging.« (ESMF 2005: 4)
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view 5). Die gesamte Disziplin ist auf den Austausch von sehr verschiedenen Daten angewiesen, die meist innerhalb großer Forschungsorganisationen und -kooperationen oder auch in den Messnetzwerken der Wetterdienste produziert werden. Weil der Erfolg der Atmosphärenwissenschaft auf einer offenen Form der Großforschung beruht, ist der Ausbau, der Erhalt und die Sicherung des allgemeinen Zugangs zu diesen Infrastrukturen eine wichtige forschungspolitische Forderung (BASC 1996: 2ff.). Anders wäre eine Beobachtung der globalen Atmosphäre kaum möglich. Die Daten von mehreren hundert Messstationen und einer unüberschaubaren Zahl von Feldexperimenten und Simulationsstudien sind über die Weltdatenzentren der WMO (World Data Centers, WDC) verfügbar. Man muss die Meteorologen und die Teilnehmer der Feldkampagnen nicht persönlich kennen oder treffen, wenn man ihre Daten verwenden möchte.85 Aber auch die Wissenschaftler, die in die Datenerhebung involviert sind, bleiben auf diese Netzwerke angewiesen, weil sie immer nur einen kleinen Teil des Puzzles bearbeiten können. Die meisten Wissenschaftler greifen zumindest teilweise auf Daten aus Organisationen zurück, in denen sie nicht Mitglied sind. Oft nehmen sie auch an Messkampagnen teil, die von anderen Organisationen durchgeführt werden. Die organisatorischen Netzwerke sind für die Forschungsarbeit eine Umwelt, auf die wie auf technische Instrumente zur Beobachtung der Atmosphäre zurückgegriffen werden kann. Sie sind in dem Sinne ubiquitär, dass der Aufwand, der zu ihrem Bestand und zu ihrem geradezu »geräuschlosen« Funktionieren betrieben wird, von den Wissenschaftlern oft gar nicht wahrgenommen wird. Doch wird das organisatorische Netzwerk durch die methodischen Programme der Atmosphärenwissenschaft konditioniert. Weil sich in der wissenschaftlichen Kommunikation entscheidet, ob Daten oder Messkampagnen Anlass zur Änderung der Zuweisung des Wahrheitscodes auf Wissen geben, liefern solche Programme Kriterien dafür, welche Organisationsformen der Datenproduktion akzeptiert werden und welche nicht. Dabei werden einzelne Organisationen durch die Programme des Wissenschaftssystems bevorzugt. Beispiele dafür sind die World Data Center (WDC), aber auch andere Organisationen, die Daten zur Verfügung stellen oder Feldkampagnen durchführen. Besonders die prägende Rolle der NASA wurde in der Studie dargestellt. 85 Interview 5: »The data production community is separated, we use meteorological data. [. . . ] We trust in the work of this community, also in their interpolation methods for lacking data.« Interview 11: »NASA provides satellite data, NASA, USGS provides the, sort of land surface data [. . . ] and there are the meteorological networks set up by states and the are called Mesonet. So we use Oklahoma Mesonet and Kansas Mesonet data. [. . . ] We use climate data from NCAR which is the National Center of Atmospheric Research.«
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Jede dieser Organisationen muss als spezifische Lösung einzelner (oder mehrerer) Kopplungsprobleme betrachtet werden. Ihnen gemein ist, dass sie sich in ihrer Entscheidungsproduktion in der einen oder anderen Weise auf das Wissen und die Programme der atmosphärischen Chemie beziehen. Auf diese Weise stabilisieren sie in ihrer wechselseitigen Beobachtung die disziplinären Strukturen. Das Verhältnis von Forschungsorganisationen und wissenschaftlichen Disziplinen lässt sich auch – um eine Theoriefigur der neoinstitutionalistischen Organisationslehre aufzugreifen – als institutioneller Isomorphismus rekonstruieren (DiMaggio und Powell 1983). Die Organisationen in einem Feld (hier einer Subdisziplin) tendieren gewöhnlich zu großen strukturellen Ähnlichkeiten, weil erfolgreiche Lösungen anderer Organisationen kopiert werden. Die Ähnlichkeiten in den Department-Strukturen der Universitäten sind dafür nur ein Beispiel. Die Gleichsetzung von disziplinärer Wissenschaft und universitärer Organisation beruht auf dieser Beobachtung. Hier wird aber davon ausgegangen, dass es auch in anderen Organisationen Departments, Institute oder auch Abteilungen ähnlichen (disziplinären) Zuschnitts gibt, die die Primärstruktur des Wissenschaftssystems reproduzieren. Im Wissenschaftssystem kristallisiert sich auf diese Weise ein Horizont heraus, an dem Entscheidungen über die Rekombination von Wissen ausgerichtet werden. Disziplinen sind so eine Voraussetzung, aber auch ein Resultat der Tatsache, dass in verschiedenen Organisationen und großen Teilen der Gesellschaft unter Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen entschieden wird. Ohne Zweifel gibt es aber auch Variationen im Zuschnitt von Abteilungen, so wenn interdisziplinäre Institute für die Earth System Science eingerichtet werden. Mit der Übernahme solcher Variationen durch andere Organisationen werden Verschiebungen in der disziplinären Struktur der Wissenschaft wahrscheinlicher. Die Geschichte der modernen Atmosphärenwissenschaft zeigt dies. In der Wissenschaftsforschung wurden Organisationen bisher vor allem unter dem Aspekt der Kontrolle und der Motivation wissenschaftlicher Arbeit untersucht. Klassische Organisationsformen wie Universitäten, in denen Forscher eine mehr oder weniger große Freiheit bei der Wahl ihrer Forschungsprobleme genießen, lösen Probleme der Integration von Wissenschaftlern in den Arbeitsmarkt. Hier wurden Organisationen vor allem als Kopplungen zwischen dem Wissenschaftssystem und der Politik thematisiert (zusammenfassend Tabelle 15, S. 262). So erlauben Assessment-Panels die Legitimation politischer Entscheidungen mit Verweis auf wissenschaftliches Wissen. Sie lösen ein Beobachtungsproblem, und zwar so erfolgreich, dass auch in der Selbstbeobachtung der Wissenschaft auf die Assessment-Reports zurückgegriffen wird. Sie werden auch in der Forschung gelesen und zitiert. Mehr noch, sie bestimmen aufgrund ihres regelmäßigen Erscheinens zunehmend die
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Produktionszyklen in der Atmosphärenwissenschaft. Forschungsmanager greifen auf Assessment-Reports zurück, wenn sie über die Ausrichtung zukünftiger Programme und Forschungsschwerpunkte entscheiden. Unter den Atmosphärenwissenschaftlern ist das bekannt. Damit erlauben die Assessments-Prozesse auch eine Beobachtung des politischen Systems in der Forschung. Es lässt sich absehen, in welchen Feldern in der Zukunft verstärkte Forschungsförderung zu erwarten ist.86 Aber auch Förderorganisationen wie die DFG oder die NSF lösen Probleme des Leistungsaustauschs mit anderen Funktionssystemen angesichts der hochspezialisierten wissenschaftlichen Kommunikation. Sie sichern Ressourcen für die Forschung. Zudem bedient sich die wissenschaftliche Kommunikation organisierter Kanäle und Medien. Beispiele sind Verlage und Fachzeitschriften, zunehmend auch newsgroups im Internet. Die WMO und die NASA stellen – neben anderen Anbietern – Messnetzwerke und Satelliten – bereit, die eine Voraussetzung für die Beobachtung der Erde als ein komplexes System sind. Sie beschränken aber auch, was derzeit innerhalb der Disziplin möglich ist. Es zeigt sich, dass das Verhältnis von Wissenschaftlern zu Organisationen nicht nur durch ihre Mitgliedschaft charakterisiert werden kann – auch wenn ihre Integration in den Arbeitsmarkt nach wie vor gesichert werden muss. Sie nehmen aber zunehmend eine Klientenrolle ein und haben vor allem indirekt – über disziplinäre Programme – einen Einfluss auf Entscheidungen in diesen Organisationen. Bei der weltweiten Koordination der Atmosphärenwissenschaft spielen internationale Forschungsprogramme des International Council of Science (ICSU) eine wichtige Rolle. Ermöglichen internationale Fachorganisationen gewöhnlich vor allem die wissenschaftliche Kommunikation z.B. auf Konferenzen, sind sie in der Atmosphärenwissenschaft auch wichtige Plattformen globaler Kooperationen, die die Abstimmung von Forschungsprogrammen erlauben. Für die atmosphärische Che86 Interview 13: »The assessments have really provided sort of the state of the science. And they are read very carefully [. . . ] I mean the community spends a lot of time working on them. But once they are done and assembled, then the managers take a look at those and try to decide [. . . ] where the answer is; how should I direct my program. So within NASA there is a very interested audience focussed on the research agenda. Those reports are absolutely critical to designing the next five years. That’s the way they have been treated. And I don’t think that they’re treated that way at the NSF. More general: This is an important area and we call for and we’ll get proposals, but NASA has always been the leader in doing the research of the type that would address [those issues].« Interview 15: »I think it [the assessment process] forces scientists as they focus on certain problems to achieve a kind of consensus about what we need to answer for the next one.« Interview 11: »Yeah, they make the science move along in certain jumps, and then there is sort of this punctuation to knowledge and to new work, people really work hard, but then they just kind of stop, because they have to publish something for that deadline and then they kind of avoid it for awhile because they’re tired. And then they pick it up and get it moved, so I think it’s actually also creating some kind of rhythm.«
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mie sind dabei vor allem das World Climate Research Program (WCRP) und das International Geosphere-Biosphere Program (IGBP) von Bedeutung. Zusammen mit zwei weiteren Forschungsprogrammen des ICSU, dem Weltforschungsprogramm für Biodiversität (DIVERSITAS) und dem International Human Dimensions Program on Global Environmental Change (IHDP) bilden sie die Earth System Science Partnership (ESSP). Dabei verfügen die Programme selbst nur über sehr kleine Budgets. Der jährliche Haushalt des IGBP beträgt nur 1,5 Millionen US-Dollar. Eine Kopplung des Wissenschaftssystems an das Wirtschaftssystem können diese chronisch unterfinanzierten Organisationen somit nicht leisten. Das bleibt – wie schon während des IGY – Gegenstand nationalstaatlicher Forschungspolitiken. Der Erfolg der ICSU-Programme besteht aber darin, dass sie die Autorität besitzen, Schnittstellen zu definieren, kooperative Plattformen für Feldexperimente einzurichten und die Forschungsziele abzustimmen. Dennoch gibt es auch auch Organisationen, deren Aufgabe im Transfer von Forschungsmitteln aus den Industriestaaten in die Entwicklungsländer besteht. Ihre Einrichtung war eine Verpflichtung, die sich aus den internationalen Abkommen zum Schutz der Ozonschicht und der Klimarahmenkonvention ergab. Damit führen politische Entscheidungen zur Ausbildung ähnlicher Strukturen der Forschungsorganisation wie in den Industrieländern. Auf der einen Seite führt auch dies zur Stabilisierung disziplinärer Strukturen, auf der anderen entwickelt sich die Atmosphärenwissenschaft zu einem wahrhaft globalen Feld, welches auch Wissenschaftler aus der Dritten Welt umfasst. Langfristig steigert das die Autorität des Wissens im politischen Prozess. Das Wissen der Atmosphärenwissenschaft ist nicht mehr das Wissen von Wissenschaftlern aus westlichen Industriestaaten.
6 Schluss
Entdifferenzierung ist seit einiger Zeit ein bestimmendes Thema in den Sozialwissenschaften – gemeint ist dies ganz im Sinne der thematischen Analyse der Wissenschaft, wie sie von Gerald Holton vorgeschlagen wurde. Unter Themata versteht Holton begriffliche Ideen, die selbst nicht Bestandteil von Theorien und Methoden sind, sondern als in ihrer Zeit kulturell verankerte Selektionspräferenzen dienen. Themata verleihen der wissenschaftlichen Arbeit dort Sinn, wo durch die Logik allein nicht über die Geltung von Theorien oder die Angemessenheit von Methoden entschieden werden kann (Holton 1981, zuerst 1973: 18ff.). So wird viel über die Entdifferenzierung von Familien, Unternehmen, Nationalstaaten oder von ganzen gesellschaftlichen Teilsystemen gesprochen und geschrieben. Viele Autoren in der Wissenschaftssoziologie und auch die Theoretiker der Wissensgesellschaft folgen diesem Trend. In postmodernen Theorien wird die gesellschaftliche Differenzierung – verstanden als Praktik der Reinigung und Separierung von sozialen Zusammenhängen – oft als das Hauptübel der Moderne angesehen (so Latour 1998b). Mitunter gilt sie als die Ursache für die gewaltsamen Konflikte des 20. Jahrhunderts, die entlang nationalstaatlicher Grenzen, Ethnien oder Klassen verliefen. In der Perspektive funktionaler Differenzierung erscheinen dieselben Konflikte als Indikatoren unvollständiger Ausdifferenzierung, weil es durch ideologische Semantiken und den Einsatz von Gewalt möglich war, den reibungslosen Fortgang der Operationen in den hochspeziali-
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sierten Funktionssystemen zu stören.1 Ein Beispiel hierfür ist das Verbot der modernen Genetik in der Sowjetunion in den 1930er Jahren, ein anderes das Berufsverbot und die Ermordung jüdischer Wissenschaftler im nationalsozialistischen Deutschland. Das unvorstellbare Ausmaß der dabei aufgebrachten Gewalt kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass die Unterbrechung der funktionalen Differenzierung eines wachsenden Aufwands an destruktiver Energie bedurfte. Ganz anders im Fall ökologischer Probleme. Bei diesen geht es nicht darum sozialsystemische Kommunikationen zu stören. Problemlösung besteht vielmehr im Aufbau von Strukturen innerhalb der verschiedenen Funktionssysteme, die mit der steigenden Komplexität der Umwelt noch »mithalten« können. Diese Erhöhung von Problemverarbeitungskapazitäten ermöglicht Anpassung und damit den Fortbestand von Gesellschaft (Luhmann 1986: 68). In der vorliegenden Arbeit wurde demonstriert, dass manche Begriffe der Wissenschaftssoziologie – die selbst als ein Kind reflexiver Modernisierung beschrieben werden muss – vielen Entwicklungen in der Gesellschaft nicht mehr gerecht werden. Offen bleibt, ob sie jemals angemessen waren, weil ihre Probleme genau dann auftraten, als versucht wurde, die wissenschaftliche Entwicklung unter Rückgriff auf soziologische, aber auch andere Theorien über die Wissenschaft zu steuern. Dabei wurden Enttäuschungen provoziert, die den Steuerungsoptimismus der 1970er Jahre nachhaltig dämpften. In dieser Arbeit wurde anhand der Mode-2-These von Nowotny u.a. (2001) ein fundamentales Problem der Beschreibung von Wandel durch die Soziologie herausgestellt. Dieses besteht darin, dass der gesellschaftliche Wandel und der Wandel der Gesellschaftstheorie interferieren. Kann von einer Entdifferenzierung ausgegangen werden, nur weil überkommene Begriffe nicht mehr zwischen den Phänomenen diskriminieren können, die einst unterschieden waren? Eine Diagnose der Arbeit war, dass die meisten Entdifferenzierungstheorien tatsächlich an einer überkommenen Begrifflichkeit festhalten. Zum Ausdruck kommt dies u.a. im Konzept der scientific community, das zur Beschreibung existierender wissenschaftlicher Disziplinen wie der Atmosphärenwissenschaft oder selbst ihrer Subdisziplinen wie der atmosphärischen Chemie längst nicht mehr angemessen ist. Diese Tatsache ist mit einer Bindestrichkosmetik und der Vorliebe für die Präfixe post-, hybrid- oder auch trans- kaum zu verdecken. Dagegen halten sich Begriffe, die manche Autoren gern abschaffen würden, hartnäckig: Der Begriff der wissenschaftlichen Disziplin ist dafür ein Beispiel. Zudem schleicht sich die alte Korrespondenzthese, dass die Strukturen des Wissens im Sinne einer Projektion die Struktur der Welt abbilden, manchmal durch die Hintertür wieder ein, so, wenn die Notwendigkeit interdiszipli1
Zur Gewalt als Differenzierungsproblem s. Luhmann (1998), 96f.
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närer Forschung mit der Komplexität der Welt – und nicht mit der Problemgeschichte vorhandenen Wissens, d.h. mit der Spezifik des Wissenschaftssystems – begründet wird. Viele Entdifferenzierungstheorien führen ein weiteres Problem der Moderne mit sich, nämlich, dass Ausdifferenzierung als die Entstehung von Gruppen, die sich aus Individuen bestimmter Merkmale zusammensetzen, begriffen wird. In dieser Perspektive scheint eine Demokratisierung tatsächlich nur durch Entdifferenzierung möglich; in dem Sinne, dass keine Gruppe mehr von der Partizipation ausgeschlossen wird. Anders in der hier gewählten systemtheoretischen Fassung, in der die Funktionssysteme nicht über die Mitgliedschaft von Individuen, z.B. Wissenschaftlern oder Politikern, sondern über autopoietische Kommunikationszusammenhänge bestimmt werden, die tendenziell die Inklusion aller Individuen ermöglichen. Die Exklusion einzelner kann dann tatsächlich als ein Demokratiedefizit (oder unvollständige Ausdifferenzierung) beobachtet werden. Es muss zugestimmt werden, dass nicht mehr nur Wissenschaftler Beiträge zur Kommunikation im Wissenschaftssystem liefern. Leugnen lässt sich aber nicht, dass es in der Gesellschaft spezialisierte Diskurse gibt, in denen die Geltung von Wissen verhandelt wird. Anders ließe sich nicht feststellen, dass an diesen auch Laien und die Anwender des Wissens teilnehmen. Unbestritten bleibt, dass dies auf einen fundamentalen institutionellen, vor allem aber auch auf einen organisatorischen Wandel hindeutet. Die Inklusion in die wissenschaftliche Kommunikation setzt schon seit längerem nicht mehr unbedingt eine Mitgliedschaft in einer Universität voraus. Der Eindruck unscharf werdender Grenzen des Wissenschaftssystems (blurring oder fuzzy boundaries, Nowotny u.a. 2001: 29) und der zunehmenden Integration der Wissensproduktion in die Gesellschaft ergeben sich vor dem Hintergrund eines überzogenen Internalismus, der in der Wissenschaftssoziologie lange praktiziert wurde. Dieser kam nicht zuletzt dadurch zustande, dass das Problem, die Entstehung wissenschaftlichen Wissens kausal auf soziale Ursachen zurückzuführen, mit einer aus der Epistemologie abgeleiteten Sondersoziologie bearbeitet wurde. Deutlich wird dies mit dem zirkulär bestimmten Konzept der scientific community. Dieser Begriff, definiert als Gemeinschaft, deren Zusammenhalt auf den geteilten Überzeugungen ihrer Mitglieder (Paradigmen) fußt, ist an die moderne Gesellschaftstheorie kaum anzuschließen. Externe gesellschaftliche Faktoren der Wissenschaftsentwicklung kamen in dieser Fassung als Störung der Eigenlogik des Systems dann ins Spiel, wenn die normalwissenschaftliche Entwicklung in einer Krise zu stecken schien. In diesen Fällen bedurfte es externer Kriterien, um zwischen verschiedenen Paradigmenvorschlägen zu wählen (Kuhn 1967: 68ff.). Die wissenschaftliche Dynamik wurde so durch Phasenmodelle beschrieben, mit der Folge der Verdopplung der Theorie. Der Zusammenhalt von
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scientific communities wurde internalistisch, die Theoriewahl aber externalistisch erklärt. Ohne Zweifel konnten in der Wissenschaftssoziologie wichtige Erkenntnisse über die Realität der Wissenschaft bzw. der Wissensproduktion gewonnen werden. Doch glaubten die Anhänger der zwei dominierenden Paradigmen lange, dass sie über ein- und denselben Gegenstand, über die Wissenschaft sprachen, obwohl ihre empirischen Ergebnisse inkommensurabel schienen. Die sich anschließenden Kontroversen drehten sich dann meist um epistemologische Fragen. Das Thema der gesellschaftlichen Integration der Wissenschaft geriet aber zuweilen aus dem Blick. Die Wissenschaftssoziologie trat auf der Stelle, weil sie dringende Fragen nach der effektiven Organisation der Wissensproduktion nicht mehr beantwortet konnte. Mittlerweile scheint sich die Wissenschaftsforschung neu zu orientieren. Die Diskussionen um die Wissensgesellschaft sind dafür nur ein Indikator. Vor allem in Europa beteiligt sich die Wissenschaftsforschung auch an den Debatten über die Reform der höheren Bildung und der Spitzenforschung. Aber auch diese pragmatische Wendung läßt die aufgeworfenen Fragen ungeklärt. In der vorliegenden Arbeit wurde das zugrunde liegende Problem in der routinemäßigen Gleichsetzung von Wissenschaft und Forschung identifiziert. Dabei ist die Erkenntnis einer Differenz von Wissenschaft und Forschung nicht neu. Sie fand bereits in der Unterscheidung von context of discovery und context of justification ihren Ausdruck, auch wenn diese ursprünglich eingeführt wurde, um die Grenze zwischen der Logik und der Reichweite soziologischer Theorie zu markieren. Doch besteht der große Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaftssoziologie darin, dass nun auch die Geltungsprüfung wissenschaftlichen Wissens als ein sozialer Prozess beschrieben wird. Möglicherweise fällt die hier vorgeschlagene Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung etwas hinter diese Erkenntnisse zurück. Sie hat aber den Anspruch, auch für die Selbstbeschreibung von Naturwissenschaftlern und Wissenschaftsmanagern anschlussfähig zu sein, die sehr wohl zwischen ihrem pragmatischen Handeln im Labor und der wissenschaftlichen Kommunikation unterscheiden können. Das Programm dieser Arbeit war, die Brauchbarkeit der Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung für die Lösung zweier wichtiger Probleme vorzuführen. Diese sind erstens die Beschreibung der Wissenschaft als ein integraler Bestandteil der modernen Gesellschaft und zweitens das Verhältnis einer immer noch disziplinär differenzierten Wissenschaft zur interdisziplinären Forschung, in der die gesellschaftliche Integration des Wissenschaftssystems vermittelt wird. Mit diesen zwei Dimensionen ist die Spannung markiert, die die wissenschaftliche Dynamik antreibt. Die Wissenschaft wurde dabei im Sinne der Luhmann’schen Systemtheorie als ein Kommunikationssystem eingeführt,
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das durch die Verwendung des hochabstrakten Wahrheitsmediums bestimmt ist. Die Kommunikation im Wissenschaftssystem ist vor allem durch Publikationen zu beobachten, die an vorhergehende Publikationen anschließen und die weitere Publikationen anregen.2 Forschung mit ihren heterogenen Funktionsreferenzen findet dagegen nicht innerhalb des Wissenschaftssystems statt. Sie kann – wie es besonders innerhalb der ethnomethodologischen Laborstudien nachgewiesen wurde – nicht allein durch die wissenschaftliche Kommunikation beschrieben werden. Sie ist vielmehr durch eine Vielzahl gesellschaftlicher Voraussetzungen und Bezüge bestimmt, die es aufgrund ihrer hohen Komplezität zu organisieren gilt. Mit der vorgeschlagenen Unterscheidung von Wissenschaft und Forschung kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die gesellschaftliche Differenzierung nicht eindimensional ist. Im Gegenteil, die Herausbildung hochspezialisierter Funktionssysteme ist darauf angewiesen, dass eine komplementäre bzw. orthogonal dazu verlaufende Ausdifferenzierung formaler Organisationen stattfindet, die die hochkomplexen Probleme des Leistungsaustauschs und der Inklusion von Individuen lösen können. Sie lösen sie dadurch, dass sie fortwährend Entscheidungen produzieren, die sich auf die verschiedenen Systemreferenzen beziehen und diese so konditional miteinander verkoppeln. Die Beobachtung von Nowotny u.a. (2001), dass Forschung in zunehmend heterogenen Formen der Forschungsorganisation und in den verschiedensten Kontexten stattfinde, deutet daher nicht auf Entdifferenzierung, sondern auf die behauptete Rolle formaler Organisationen in einer funktional differenzierten Gesellschaft hin. So kann das sich aus der Mode-2-These ergebende Paradox vermieden werden, dass die zahlenmäßige Zunahme von Organisationssystemen als ein Indikator für die Entdifferenzierung angenommen wird. Vielmehr verweist sie auf eine fortschreitende Ausdifferenzierung, die komplexere Mechanismen struktureller Kopplung erfordert (ein ähnliches Argument s. Weingart 2001: 132, 159ff.). Forschung wurde hier als eine Form (neben anderen) der strukturellen Kopplung des Wissenschaftssystems an seine gesellschaftliche und seine außergesellschaftliche Umwelt eingeführt. Das Wissenschaftssystem kann diese Kopplungen durch seine Programme (Theorien, Methoden und Relevanzen) konditionieren, indem es Beiträge selegiert (oder nicht selegiert). Die wissenschaftliche Kommunikation muss in der Forschung beobachtet werden, wenn dort das Ziel besteht Beiträge zu produzieren, die wahrgenommen werden sollen. Erst die Bindung der Wissenschaft an die Forschung ermöglichte die Ausdifferenzierung des hochspezia2 Streng genommen sind auch Publikationen eine spezifische Form struktureller Kopplung, was daran zu erkennen ist, dass sie auf Verlage und Herausgeberkollektive angewiesen sind.
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lisierten modernen Wissenschaftssystems. Durch die Forschung wird das Wissenschaftssystem trotz seiner weitgetriebenen Abstraktion in die Gesellschaft integriert. Der Vorteil dieser Fassung liegt auf der Hand. Das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft muss nicht mehr durch eine oder wenige einfache Brückenhypothesen bestimmt werden. Es kann die ganze empirische Vielfalt dieser Kopplungen beschrieben werden, wenn man davon ausgeht, dass sie durch Entscheidungen immer wieder neu hergestellt werden müssen. Solche Entscheidungen orientieren sich nicht nur an der Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens, sondern vor allem an der gesellschaftlichen Umwelt und den Bedingungen des Leistungsaustauschs mit anderen Funktionssystemen. Die durch Forschung vermittelten Umweltkontakte werden im Wissenschaftssystem benutzt, um – der Eigenlogik des Systems folgend – systemeigene Komplexität aufzubauen. Als freilich grober Indikator für den Wandel der Strukturen des Wissenschaftssystems wurden in dieser Arbeit Verschiebungen der disziplinären Primärstruktur herangezogen. Disziplinen entstehen aufgrund der Verarbeitung gesellschaftlicher Anforderungen an das Wissenschaftssystem. Sie sind damit ein Resultat der Beobachtung der gesellschaftlichen und der außergesellschaftlichen Umwelt durch das Wissenschaftssystem, die als Relevanzen bzw. Gegenstände thematisiert werden. Damit widerspricht der eingeführte Disziplinenbegriff dem Bild der Weltfremdheit disziplinärer Wissenschaft, wie es in der Kritik disziplinärer Wissenschaft gewöhnlich entworfen wird. In der Forschung ist Interdisziplinarität möglich, weil sie nicht innerhalb des primär disziplinär strukturierten Wissenschaftssystems stattfindet. In der Forschung kann entschieden werden, Probleme mit dem Rückgriff auf das Wissen mehrerer Disziplinen (oder auch auf nichtwissenschaftliches Wissen) zu lösen. Die Programme des Wissenschaftssystems müssen nur insofern beachtet werden, dass die Chancen der Irritation der wissenschaftlichen Kommunikation davon abhängen, inwieweit die Rekombinationen für das Wissenschaftssystem beobachtbar und anschlussfähig bleiben. Nur eine hohe Übereinstimmung von Wissensrekombinationen mit den Programmen des Wissenschaftssystem kann die wissenschaftliche Kommunikation im Fall von Enttäuschungen zur Änderung von Codezuweisungen »zwingen«. Expliziert wurden diese Überlegungen am Beispiel der Ozonforschung und der durch diese ausgelösten Veränderungen im System der wissenschaftlichen Disziplinen. Es kam zur Herausbildung der modernen atmosphärischen Chemie als einer Subdisziplin der Atmosphärenwissenschaft. Streng genommen stehen Probleme am Anfang jeglicher Forschung. Doch unter problemorientierter Forschung im engeren Sinne wird solche verstanden, die sich gesellschaftlicher, genauer außerwissenschaftlicher Probleme verdankt. Gesellschaftliche Probleme wurden von denen einzelner Organisationen oder Funktions-
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systeme dadurch unterschieden, dass sie in mehreren Funktionssystemen gleichzeitig als – wenn auch jeweilig systemspezifische – Probleme registriert werden. Sie sind insofern Probleme der Ausdifferenzierung, dass sie nicht innerhalb bestehender Strukturen bearbeitet werden können. Solche Probleme breiten sie sich über die bestehenden strukturellen Kopplungen in der Gesellschaft aus, weil sie die Erwartungen der reibungslosen Koordination verschiedener Funktionssysteme enttäuschen. Damit sind Probleme Anlässe für weitere Differenzierungen. Die Ausdifferenzierung ist also nicht mit der Schließung von Sozialsystemen abgeschlossen, sondern der Grenzerhalt setzt den Fortgang dieses Prozesses voraus. Käme er zum Erliegen, z.B. dann, wenn zu einer Disziplin keine Beiträge mehr produziert würden, käme es zur Entdifferenzierung. Probleme, die in mehreren Systemen registriert werden, setzen einen Prozess der Koevolution in Gang. In dem hier präsentierten Fallbeispiel führte das Problem der anthropogenen Ozonzerstörung zur Rekonfiguration der atmosphärischen Chemie auf der einen und zur Entstehung des internationalen Ozonregimes auf der anderen Seite. Entgegen der am Anfang präsentierten Thesen über einen fundamentalen Wandel der Wissenschaft ließ sich eine disziplinäre Entwicklung der Atmosphärenwissenschaft und der atmosphärischen Chemie nachweisen. Der Eindruck der Entdifferenzierung ist in dieser Fassung Ausdruck gesellschaftlicher Probleme, nicht aber deren Lösung. Die Zunahme und die Heterogenität von Organisationen sind ein Zeichen für die Zunahme von Kopplungsproblemen, die es angesichts fortschreitender Ausdifferenzierung zu lösen gilt. In Tabelle 15 ist noch einmal zusammenfassend dargestellt, wie einzelne, sich im Zeitverlauf wandelnde Ziele im politischen System durch organisatorische Netzwerke mit den Ausdifferenzierungsprozessen im Wissenschaftssystem verkoppelt wurden. Dabei sind nur einige wenige, typische Organisationen aufgeführt. Inzwischen sind die Organisationen in der Klimapolitik, die jeweils spezifische Kopplungsprobleme bearbeiten, längst unüberschaubar geworden. Ihre Unüberschaubarkeit kann aber nicht automatisch als Zeichen einer Entdifferenzierung gewertet werden. In dieser Arbeit wurde die durch ein gesellschaftliches Problem vermittelte Koevolution einer wissenschaftlichen Subdisziplin und eines Politikfeldes recht grob über einen langen Zeitraum dargestellt, im Fall der beiden Ozonkontroversen etwas genauer. Dennoch beruht die Plausibilität in vielen Teilen auf der Synchronizität von Ereignissen und auf der Zuschreibung von Struktureffekten. Die Feinmechanik der strukturellen Kopplung und der wechselseitige Austausch von Leistungen und Problemen macht eine genauere Studie über Forschungsorganisationen und Forschungsmanagement wünschenswert. Nur durch die Schließung der Lücke, die zwischen dem ethnomethodologischen Ansatz und der hier gewählten gesellschaftshistorischen Perspektive besteht, erscheint
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Periode
Wissenschaftssystem
dominierene Organisationsformen
Ziele im politischen System
Paris, Oxford, Arosa (ca. 1925 bis 1950)
- Meteorologie
- Universitäten - informelle Kooperation
- unspezifisch
Grundlagenforschung (1950 bis 1970)
- Meteorologie - Chemie
- Universitätskooperation - Militärforschung - IGY - WMO
- Wettervorhersage - Raumfahrt - neue Waffensysteme - wissenschaftliche Kooperation trotz des Kalten Kriegs
Ozonzerstörung durch SST (1970 bis 1974)
- Meteorologie - Aeronomie - Chemie
- CIAP - NASA
- SST-Programm - Space Shuttle - Umweltschutz
Ozonzerstörung durch FCKW (1974 bis 1985)
- atmosphärische Chemie
- NAS - FPP - NASA
- Schutz der Ozonschicht
Ozonloch (1985 bis 1995)
- atmosphäriche Chemie - Atmosphärendynamik
- NASA - NOAA - WMO - UNEP
- weltweites Verbot von FCKW
Atmosphärische Chemie und Klimawandel (1995 bis heute)
- Atmosphärenwissenschaft - Biogeochemie
- unüberschaubar - UNEP - WMO - IGBP
- weltweite Maßnahmen zur Beschränkung des globalen Wandels bzw. zur Anpassung
Tabelle 15: Organisierte Kopplungen zwischen verschiedenen politischen Programmen und der wissenschaftlichen Entwicklung in der Ozonforschung
eine Überwindung der Probleme möglich, die am Anfang aufgeworfen wurden. Daher entwirft die Arbeit an vielen Stellen eher ein Forschungsprogramm, als dass sie schon eine endgültige Lösung parat hätte. Dennoch hat sie die Brauchbarkeit eines solchen Ansatzes demonstriert. Ein weiteres Ergebnis ist, dass Forschungsorganisationen besser verstanden werden können, wenn man sowohl das System wissenschaftlicher Disziplinen als auch die gesellschaftliche Umwelt als Referenzen von Entscheidungen begreift. Disziplinen sind dabei keineswegs nur eine Randerscheinung, die Organisation von Inter- und Transdisziplinarität wird auch in Zukunft auf den disziplinären Horizont der Wissenschaft verweisen.
Abkürzungsverzeichnis
ACS AEC AGU AMU BAS BASC BMBF CCOL CIAP CMA CWS DOD DOE DOT DU EC EG EPA ESSA FAA FAO FCCC FCKW FPP GARP GAW GFDL GWP IO3 C IAGA IAMAS ICAO ICAS
American Chemical Society Atomic Energy Commission, USA American Geophysical Union American Meteorological Society British Antarctic Survey Board on Atmospheric Science and Climate (NAS) Bundesministerium für Bildung und Forschung UN Coordinating Committee on the Ozone Layer Climatic Impact Assessment Program Chemical Manufactures Association Chemical Warfare Service, USA Department of Defense, USA Department of Energy, USA Department of Transportation, USA Dobson Unit, Dobson European Commission, Europäische Kommission Europäische Gemeinschaft Environmental Protection Agency, USA Environmental Sciences Service Administration, USA Federal Aviation Agency, USA UN Food and Agriculture Organization UN Framework Convention on Climate Change Fluorchlorkohlenwasserstoff CMA Fluorcarbon Program Panel Global Atmospheric Research Program Global Atmosphere Watch (Program) (NOAA) Geophysical Dynamics Fluid Laboratory, Princeton Global Warming Potential International Ozone Commission International Association of Geomagnetism and Aeronomy International Association of Meteorology and Atmospheric Sciences International Civil Aviation Organisation Interdepartmental Committee for Atmospheric Sciences
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ICSU IGAC IGY IPCC IUGG JPL LBNL MIT MPI NAS NASA NCAR NGO NOAA NOZE NRC NSF NWS ODP OECD OTP ppbv ppmv PSC SBUV SCEP SCI SRI SST TEAP TOMS UARO UC UCAR UCLA UN UNEP VOC WDC WHO WMO
International Council of Scientific Unions International Global Atmospheric Chemistry (Program) International Geophyiscal Year Intergovernmental Panel on Climate Change International Union of Geodesy and Geophysics (NASA) Jet Propulsion Laboratory Lawrence Berkeley National Laboratory Massachusetts Institute of Technology Max-Planck-Institut National Academy of Science, USA National Aeronautics and Space Administration, USA National Center for Atmospheric Research, USA nongovernmental organization, Nichtregierungsorganisation National Oceanographic and Atmospheric Administration, USA National Ozone Expedition National Research Council, USA National Science Foundation, USA National Weather Service, USA Ozone Depletion Potential Organisation for Economic Co-operation and Development Ozone Trend Panel parts per billion by volume parts per million by volume polar stratospheric cloud, polare Stratosphärenwolke Solar Backscatter Ultraviolet (Instrument) Study of Critical Environmental Problems Science Citation Index Stanford Research Institute Super Sonic Transportation Technology and Economics Panel Total Ozone Mapping Spektrofotometer (NASA) Upper Atmosphere Research Office University of California University Cooperation for Atmospheric Research University of California Los Angeles United Nations United Nations Environmental Program volatile organic compound (leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe) (WMO) World Data Center World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation World Meteorological Organization
Literatur
In diesem Literaturverzeichnis erscheint der Vorname des Autors – ausgeschrieben oder abgekürzt – wie in der Originalquelle. In naturwissenschaftlichen Aufsätzen wird häufig auf die Nennung des gesamten Vornamens verzichtet.
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