Eine Disziplin und ihre Verleger: Disziplinenkultur und Publikationswesen der Mathematik in Deutschland, 1871-1949 [1. Aufl.] 9783839415177

Am Beispiel der Mathematik werden in diesem Buch die Wechselwirkungen zwischen wissenschaftlichem Verlagswesen und der E

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Inhalt
1 Einleitung: Die Geschichte des mathematischen Publizierens zwischen den Disziplinen
2 Die Disziplin und ihre Publikationsorte von der Reichsgründung bis in die 1890er Jahre
2.1 Zeitschriften und die Kontrolle wissenschaftlicher Kommunikation
2.2 Die Verlagsbranche
2.2.1 Der Verlag Friedr. Vieweg & Sohn ( Braunschweig ) – Publikationsort ohne Schulenbindung
2.2.2 Der Verlag der Berliner – Georg Reimer Verlag ( Berlin )
2.2.3 Der zweite Verlag der Berliner – Mayer & Müller ( Berlin )
2.2.4 Der Verlag der Göttinger – B. G. Teubner ( Leipzig )
2.2.5 Der Julius Springer Verlag ( Berlin )
2.3 Verlag und Mathematik
2.4 Die Lage der Mathematik in Deutschland in den 1890er Jahren
3 Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900
3.1 Reden über Mathematik
3.1.1 Mathematik im Kontext von Kultur und Bildung
3.1.2 Reden mit dem Ziel der inneruniversitären Integration
3.2 Gesammelte Werke
3.3 Lehrbücher
3.3.1 Französische Vorbilder und ihre Übersetzungen zwischen Akzeptanz und Ablehnung
3.3.2 Die Funktion von Lehrbüchern für die Disziplin
3.4 Die Teubner-Projekte »Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften« und die »Kultur der Gegenwart«
3.5 Publikationsformen zur Positionsbestimmung
4 Verlage von den 1890er Jahren bis 1919
4.1 Marktbeherrschend bis zum Ersten Weltkrieg – B. G. Teubner in Leipzig
4.2 Wettbewerb um Autoren – Veit & Comp. in Leipzig
4.3 Erfolg mit neuer Publikationsform – Die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung
4.4 Ablösung und Neuordnung – der Übergang von B. G. Teubner zu Julius Springer in Berlin
5 Topographie der Autoren
6 Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg – Finanzierungsprobleme und neue Unternehmungen / Unternehmen
6.1 Die Vereinigung mathematischer Programme – Reimer, Göschen und Veit unter dem Dach Walter de Gruyters
6.2 Führend im mathematischen Markt: Springer in Berlin
6.3 Die Förderpolitik der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im mathematischen Publikationswesen
6.4 Die Situation im mathematischen Zeitschriftenwesen
6.4.1 Kontroversen über Finanzierungsfragen
6.4.2 Die Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität
6.4.3 Springers Kritik an der Förderpolitik der Notgemeinschaft
6.5 Neue Konkurrenz – die Akademische Verlagsgesellschaft in Leipzig
6.6 Konkurrierende Buchreihen
6.6.1 Die »Grundlehren« des Springer Verlags
6.6.2 »Göschens Lehrbücherei«
6.6.3 Die »Sammlung Hilb« der Akademischen Verlagsgesellschaft
6.6.4 Die »Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete« im Springer Verlag
7 Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten
7.1 Erste Schritte zum mathematischen Verlagsberater
7.2 Der institutionalisierte, bezahlte Berater
7.3 Die Tätigkeit des Beraters – Wissen kommunizierbar machen
8 Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen
8.1 Die »Weltgeltung« der deutschen wissenschaftlichen Literatur
8.1.1 Buch- und Zeitschriftenexport
8.1.2 Buchexport im »Dritten Reich«: das Buchexportausgleichsverfahren
8.1.3 Unberechtigte Übersetzungen und Nachdrucke deutscher mathematischer Titel in den USA während des Zweiten Weltkriegs und danach
8.2 Politische Auswirkungen auf das mathematische Publi kationswesen in der Zeit des Nationalsozialismus
8.2.1 Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern
8.2.2 Mathematisches Publizieren im Spiegel der Fachpolitik
8.3 Mathematisches Publizieren im Zweiten Weltkrieg
8.3.1 Kriegswichtige Literatur
8.3.2 Lehrbuchaktionen 1943 und 1944
9 Zwischen Neuorganisation und alten Eliten – das mathematische Publikationswesen in der Nachkriegszeit 1945–1949
9.1 Mathematische »Altverlage« – Akademische Verlagsgesellschaft, Springer, de Gruyter
9.2 Chance für neue Verlage auf dem mathematischen Markt: Lehrbücher
9.2.1 Die »Studia mathematica« bei Vandenhoeck & Ruprecht
9.2.2 Die »Bücher der Mathematik und Naturwissenschaften« der Wolfenbütteler Verlagsanstalt
9.3 Produktionsvolumen
9.4 Wiederbelebung der mathematischen Zeitschriften und Neugründungen
9.4.1 Die Gründung des »Archivs der Mathematik« als fachpolitischer Schachzug
9.4.2 Die Wiederbegründung der »Mathematisch-physikalischen Semesterberichte«
9.5 Der Akademie Verlag und die Zeitschriftenfrage
9.6 Aspekte der Neupositionierungen
10 Fazit
11 Literaturverzeichnis
11.1 Archive
11.1.1 Verlagsarchive
11.1.2 Akademie-Archive
11.1.3 Universitätsarchive
11.1.4 Weitere Archive
11.2 Gedruckte Quellen
11.3 Verlagskataloge und Bibliographien
11.4 Reden
11.5 Forschungsliteratur
Dank
Personenregister
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Eine Disziplin und ihre Verleger: Disziplinenkultur und Publikationswesen der Mathematik in Deutschland, 1871-1949 [1. Aufl.]
 9783839415177

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Volker R. Remmert, Ute Schneider Eine Disziplin und ihre Verleger

Mainzer Historische Kulturwissenschaften | Band 4

Editorial In der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften werden Forschungserträge veröffentlicht, welche Methoden und Theorien der Kulturwissenschaften in Verbindung mit empirischer Forschung entwickeln. Zentraler Ansatz ist eine historische Perspektive der Kulturwissenschaften, wobei sowohl Epochen als auch Regionen weit differieren und mitunter übergreifend behandelt werden können. Die Reihe führt unter anderem altertumskundliche, kunst- und bildwissenschaftliche, philosophische, literaturwissenschaftliche und historische Forschungsansätze zusammen und ist für Beiträge zur Geschichte des Wissens, der politischen Kultur, der Geschichte von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswelten sowie anderen historisch-kulturwissenschaftlich orientierten Forschungsfeldern offen. Ziel der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften ist es, sich zu einer Plattform für wegweisende Arbeiten und aktuelle Diskussionen auf dem Gebiet der Historischen Kulturwissenschaften zu entwickeln. Die Reihe wird herausgegeben vom Koordinationsausschuss des Forschungsschwerpunktes Historische Kulturwissenschaften (HKW) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Volker R. Remmert (PD Dr. phil.) lehrt Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit und die Geschichte der Mathematik im 19. und 20. Jahrhundert. Ute Schneider (Prof. Dr. phil.) lehrt Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Buchhandels- und Verlagsgeschichte vom 18. bis ins 20. Jahrhundert sowie das Buch in der Wissenskultur.

Volker R. Remmert, Ute Schneider

Eine Disziplin und ihre Verleger Disziplinenkultur und Publikationswesen der Mathematik in Deutschland, 1871-1949

Diese Studie wurde mit Unterstützung der DFG gedruckt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus Lektorat: Volker R. Remmert, Ute Schneider Satz: Martin Larius, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1517-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Unseren Vätern

Inhalt

1 Einleitung: Die Geschichte des mathematischen Publizierens zwischen den Disziplinen ................... 9 2 Die Disziplin und ihre Publikationsorte von der Reichsgründung bis in die 1890er Jahre .................... 15 2.1 Zeitschriften und die Kontrolle wissenschaftlicher Kommunikation ......................................................................... 2.2 Die Verlagsbranche .................................................................. 2.2.1 Der Verlag Friedr. Vieweg & Sohn ( Braunschweig ) – Publikationsort ohne Schulenbindung ..................................... 2.2.2 Der Verlag der Berliner – Georg Reimer Verlag ( Berlin ) .......... 2.2.3 Der zweite Verlag der Berliner – Mayer & Müller ( Berlin ) ........... 2.2.4 Der Verlag der Göttinger – B. G. Teubner ( Leipzig ) .................. 2.2.5 Der Julius Springer Verlag ( Berlin ) ......................................... 2.3 Verlag und Mathematik ............................................................. 2.4 Die Lage der Mathematik in Deutschland in den 1890er Jahren ...

16 21 24 28 33 35 38 43 45

3 Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900 ... 55 3.1 Reden über Mathematik ............................................................ 3.1.1 Mathematik im Kontext von Kultur und Bildung ........................ 3.1.2 Reden mit dem Ziel der inneruniversitären Integration .............. 3.2 Gesammelte Werke .................................................................. 3.3 Lehrbücher ............................................................................... 3.3.1 Französische Vorbilder und ihre Übersetzungen zwischen Akzeptanz und Ablehnung ...................................................... 3.3.2 Die Funktion von Lehrbüchern für die Disziplin ........................ 3.4 Die Teubner-Projekte »Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften« und die »Kultur der Gegenwart« ..................... 3.5 Publikationsformen zur Positionsbestimmung .............................

58 58 66 69 79 79 86 97 99

4 Verlage von den 1890er Jahren bis 1919 .................... 101 4.1 Marktbeherrschend bis zum Ersten Weltkrieg – B. G. Teubner in Leipzig ............................................................................... 4.2 Wettbewerb um Autoren – Veit & Comp. in Leipzig .................... 4.3 Erfolg mit neuer Publikationsform – Die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung ..................................................................... 4.4 Ablösung und Neuordnung – der Übergang von B. G. Teubner zu Julius Springer in Berlin ..........................................................

103 113 117 121

5 Topographie der Autoren ............................................... 131 6 Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg – Finanzierungsprobleme und neue Unternehmungen / Unternehmen ................ 141 6.1 Die Vereinigung mathematischer Programme – Reimer, Göschen und Veit unter dem Dach Walter de Gruyters ............. 6.2 Führend im mathematischen Markt: Springer in Berlin .............. 6.3 Die Förderpolitik der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im mathematischen Publikationswesen ............... 6.4 Die Situation im mathematischen Zeitschriftenwesen ............... 6.4.1 Kontroversen über Finanzierungsfragen ................................ 6.4.2 Die Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität .................................................. 6.4.3 Springers Kritik an der Förderpolitik der Notgemeinschaft .................................................................. 6.5 Neue Konkurrenz – die Akademische Verlagsgesellschaft in Leipzig ............................................................................... 6.6 Konkurrierende Buchreihen ..................................................... 6.6.1 Die »Grundlehren« des Springer Verlags .............................. 6.6.2 »Göschens Lehrbücherei« .................................................... 6.6.3 Die »Sammlung Hilb« der Akademischen Verlagsgesellschaft .. 6.6.4 Die »Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete« im Springer Verlag ...............................................................

144 146 150 152 155 159 163 167 168 169 173 175 177

7 Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten ........................ 179 7.1 Erste Schritte zum mathematischen Verlagsberater .................. 181 7.2 Der institutionalisierte, bezahlte Berater .................................. 185 7.3 Die Tätigkeit des Beraters – Wissen kommunizierbar machen ... 187

8 Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen ........................................................................... 203 8.1 Die »Weltgeltung« der deutschen wissenschaftlichen Literatur .. 8.1.1 Buch- und Zeitschriftenexport ............................................... 8.1.2 Buchexport im »Dritten Reich«: das Buchexportausgleichsverfahren ..................................... 8.1.3 Unberechtigte Übersetzungen und Nachdrucke deutscher mathematischer Titel in den USA während des Zweiten Weltkriegs und danach ............................................ 8.2 Politische Auswirkungen auf das mathematische Publi kationswesen in der Zeit des Nationalsozialismus ............ 8.2.1 Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern ................ 8.2.2 Mathematisches Publizieren im Spiegel der Fachpolitik ..................................................................... 8.3 Mathematisches Publizieren im Zweiten Weltkrieg ................... 8.3.1 Kriegswichtige Literatur ........................................................ 8.3.2 Lehrbuchaktionen 1943 und 1944 .........................................

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214 220 222 242 252 252 258

9 Zwischen Neuorganisation und alten Eliten – das mathematische Publikationswesen in der Nachkriegszeit 1945–1949 .............................................. 265 9.1 Mathematische »Altverlage« – Akademische Verlagsgesellschaft, Springer, de Gruyter ................................. 9.2 Chance für neue Verlage auf dem mathematischen Markt: Lehrbücher .............................................................................. 9.2.1 Die »Studia mathematica« bei Vandenhoeck & Ruprecht .......... 9.2.2 Die »Bücher der Mathematik und Naturwissenschaften« der Wolfenbütteler Verlagsanstalt ......................................... 9.3 Produktionsvolumen ............................................................... 9.4 Wiederbelebung der mathematischen Zeitschriften und Neugründungen ...................................................................... 9.4.1 Die Gründung des »Archivs der Mathematik« als fachpolitischer Schachzug .............................................. 9.4.2 Die Wiederbegründung der »Mathematisch-physikalischen Semesterberichte« ............................................................... 9.5 Der Akademie Verlag und die Zeitschriftenfrage ....................... 9.6 Aspekte der Neupositionierungen ............................................

268 274 274 281 287 289 290 293 296 301

10 Fazit ..................................................................................... 303

11 Literaturverzeichnis ........................................................ 309 11.1 Archive ................................................................................. 11.1.1 Verlagsarchive ................................................................... 11.1.2 Akademie-Archive .............................................................. 11.1.3 Universitätsarchive ............................................................ 11.1.4 Weitere Archive ................................................................. 11.2 Gedruckte Quellen ................................................................ 11.3 Verlagskataloge und Bibliographien ....................................... 11.4 Reden .................................................................................. 11.5 Forschungsliteratur ...............................................................

309 309 309 310 310 310 315 315 317

Dank .......................................................................................... 333 Personenregister ................................................................... 335

1

Einleitung: Die Geschichte des mathematischen Publizierens zwischen den Disziplinen

Wollte man die Geschichte des wissenschaftlichen Publizierens untersuchen, warum sollte man sich gerade der Mathematik zuwenden, einer Disziplin, gegen die man sich in Deutschland in Medien und Gesellschaft leichthin bekennt, deren Nutzen zwar allerorten anerkannt und geschätzt wird, der aber gleichwohl etwas Fremdes und Einschüchterndes anzuhaften scheint? Ist die Mathematik nicht zudem eine kleine Disziplin, gemessen an der Medizin, und eine unaufregende Disziplin im Vergleich zur Physik, die die großen Fragen des 19. und 20. Jahrhunderts verhandelt hat? Wie man sich auch zu solchen Fragen stellen mag, es bleibt der Befund, daß die Mathematik eine Bedeutung hat, die weit über die Grenzen der Disziplin hinausreicht. Wir finden die Mathematik jenseits der Mathematik in zahlreichen Disziplinen nicht nur der Natur- und Technikwissenschaften, sondern auch der Geistes- und Sozialwissenschaften. Diese zweifache Rolle als eigenständige wissenschaftliche Disziplin und als Nebenfach bzw. disziplinübergreifende Ressource empfiehlt die Mathematik in besonderem Maße für eine Studie zur Geschichte des wissenschaftlichen Publizierens. Diese Doppelrolle ist die entscheidende Grundlage ihrer breiten institutionellen Verankerung im akademischen System. Sie bedeutet zudem, daß die Mathematik zwei Buchmärkte hat, den der Mathematik als forschender und lehrender wissenschaftlicher Disziplin – vergleichbar zu anderen Disziplinen – und den der Benutzer der disziplinübergreifenden Ressource Mathematik. An dieser Stelle wird die von der Soziologin Bettina Heintz beschriebene »Binnenorientierung« der Mathematik als Disziplin, die mit »klaren Grenzen gegen außen« einhergehe, aufgebrochen,

9

Eine Disziplin und ihre Verleger

indem mathematisches Wissen für andere Disziplinen dargestellt wird und werden muß.1 Obschon Studien zur Entstehung und Entwicklung wissenschaftlicher Disziplinen durchweg der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen oder von bereits aufbereiteten Formen des Wissens – etwa in Lehr- oder Handbüchern – eine zentrale Rolle für die Disziplinbildung beimessen,2 ist das wissenschaftliche Publikationswesen als entscheidende Vermittlungsinstanz bislang weder von der Buchwissenschaft noch von der Wissenschaftsgeschichte systematisch untersucht worden. Dies gilt in bezug sowohl auf einzelne Disziplinen als auch auf bestimmte geographische oder sprachliche Räume. So betritt die vorliegende Studie weitgehend Neuland, indem sie die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen einer Disziplin, der Mathematik, und den wissenschaftlichen Verlagen in Deutschland für den Zeitraum 1871–1949 untersucht. Zwei einfach formulierbare Leitfragen verknüpfen die Interessen der Buchwissenschaft und der Wissenschaftsgeschichte am mathematischen Feld: ( 1 ) Warum Mathematik verlegen? D. h. warum engagieren Verleger sich im mathematischen Markt? ( 2 ) Welche Rolle spielt das mathematische Publikationswesen für die Disziplinentwicklung, d. h. die Differenzierung und Spezialisierung, die Konsolidierung und Expansion sowie den Wandel der Mathematik als wissenschaftliche Disziplin? Ein reibungslos funktionierendes wissenschaftliches Publikationswesen als internes Kommunikationssystem und damit als grundlegende Struktur einer wissenschaftlichen Disziplin gilt in der modernen westlichen Welt als eine Selbstverständlichkeit: als lautloser Dienstleister der jeweiligen Disziplin. Der historische Rückblick in die Mathematik zeigt allerdings, daß ein funktionierendes Publikationswesen keineswegs zu allen Zeiten als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, sondern durchaus kritische Momente auftreten können. Ein solcher Moment ergab sich in der Mitte des Ersten Weltkriegs, als der Teubner Verlag sich aus dem mathematischen Markt, in dem er bis dahin eine zentrale Position innehatte, zurückzuziehen begann und damit nach Einschätzung zeitgenössischer Mathematiker die Mathematik in Deutschland in eine heikle Lage brachte. Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage nach den Voraussetzungen und den Rahmenbedingungen für ein reibungslos funktionierendes Publikationswesen. Für das mathematische Publikationswesen lassen sich einige kritische Perioden benennen wie zum Beispiel die durch die sog. »antimathematische 1 2

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Heintz, Innenwelt der Mathematik, S. 193 f. Z. B. Stichweh, Entstehung des modernen Systems; Whitley, Intellectual and Social Organization.

Einleitung

Bewegung« in den 1890er Jahren hervorgerufene Krise ( Kapitel 2.4 ), der erwähnte Rückzug des Teubner Verlags aus dem mathematischen Markt ( Kapitel 4.4 ), die wirtschaftliche Krise nach dem Ersten Weltkrieg ( Kapitel 6, 8.1.1 ), die politischen Auswirkungen in der Zeit des Nationalsozialismus ( Kapitel 8.2 ) oder die Jahre zwischen 1945 und 1949 ( Kapitel 9 ). Doch die historische Analyse der Voraussetzungen für ein funktionierendes wissenschaftliches Publikationswesen erfaßt nur einen, wenn auch zentralen Teil des komplexen Geflechtes zwischen Disziplin und Verlagswesen. Über die offensichtliche Bedeutung als internes Kommunikationssystem der Mathematik hinaus kommen dem mathematischen Publikationswesen verschiedene wichtige Funktionen in der und für die Disziplin zu, insbesondere in bezug auf den Zugang zu Ressourcen, so zum Beispiel im Hinblick auf die Kontrolle und den Einfluß in der Disziplin ( Kapitel 2 und 7 ), den Bereich fachpolitischer Interessen in der Mathematik und über ihre Grenzen hinweg ( Kapitel 8.2.2 und 9 ) sowie das weite Feld der Positionsbestimmung der Mathematik in Kultur und Gesellschaft ( Kapitel 2.4 und 3 ). Disziplinenkultur und Publikationswesen sind auf das Engste miteinander verwoben: Veränderungen in einem Bereich berühren, so zeigt sich, stets auch den anderen. Die Studie ist chronologisch aufgebaut. Allerdings wird die chronologische Abfolge durch die Kapitel 3, 5 und 7 unterbrochen, die systematische bzw. übergreifende Aspekte ins Auge fassen. Dabei steht in Kapitel 3 die Thematik im Vordergrund, welche Publikationsformen der Mathematik in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einer Situation, die von vielen Mathematikern als Krise verstanden wurde, zu deren Bewältigung, zur Selbstvergewißerung der Disziplin und zur Ressourcenbehauptung zu Gebote standen. Mathematisches Publizieren – als Mittel der innermathematischen Kommunikation, zur Vermittlung der disziplinübergreifenden Ressource Mathematik und als zugleich an Mathematiker, Kulturwelt und Gesellschaft gerichtetes Medium – tritt hier als ein essentieller Bestandteil der Disziplinentwicklung auf. Um die Autoren der mathematischen Publikationslandschaft und ihre Wirkungsorte geht es in Kapitel 5, das die fünf in bezug auf die Menge mathematischer Publikationen produktivsten Hochschulorte behandelt. Als in der bisherigen buchwissenschaftlichen und wissenschaftshistorischen Forschung ignoriertes Bindeglied zwischen Autor und Verleger wird in Kapitel 7 der wissenschaftliche Verlagsberater charakterisiert. Der mathematische Verlagsberater gewinnt gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung und etabliert sich nach dem Ersten Weltkrieg als für die Mathematik zentrale Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten. Ihm kommt seither eine Schlüsselrolle in dem

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Eine Disziplin und ihre Verleger

komplexen Prozeß zu, mathematisches Wissen geeignet kommunizierbar und damit auch verkaufbar zu machen. Den chronologischen Auftakt bildet Kapitel 2, in dem die Mathematik und ihre Publikationsorte von der Reichsgründung bis in die 1890er Jahre skizziert werden. Besonderes Augenmerk liegt hier neben der Einführung der beteiligten Gruppen und Verlage vor allem auf der institutionellen Expansion der Mathematik an Universitäten und Technischen Hochschulen zwischen 1871 und den 1890er Jahren und damit der Charakterisierung des mathematischen Feldes als einem vielversprechenden Markt für interessierte Verleger. Auf Verlage und ihren Wettbewerb konzentriert wird die Geschichte in Kapitel 4 fortgeführt. Die in der Mathematik marktbeherrschende Position des Teubner Verlags bis zum Ersten Weltkrieg, das Auftreten von Konkurrenten im mathematischen Markt und schließlich der Einstieg des Springer Verlags in die Mathematik noch während des Krieges sind hier die zentralen Themen. In Kapitel 6 liegt der Schwerpunkt zunächst auf den Krisenerscheinungen des wissenschaftlichen Publikationswesens nach dem Ersten Weltkrieg und auf den verschiedenen Strategien der Mathematiker, der Verleger und staatlicher Institutionen Wege aus der Krise zu finden. Die baldige Marktführerschaft Springers, von dessen risikobereitem Engagement für die Mathematik zunächst vor allem die Göttinger mathematische Produktion profitierte, bedeutete eine Umwälzung im mathematischen Publikationswesen, an der allerdings auch andere Verlage wie die Akademische Verlagsgesellschaft und de Gruyter teilhatten. Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen am wissenschaftlichen Publikationswesen allgemein und konkret auch an der Mathematik werden in Kapitel 8 diskutiert. Es nimmt am Beispiel der Diskussion über die »Weltgeltung« der deutschen wissenschaftlichen Literatur den Faden der Krise des wissenschaftlichen Publikationswesens aus Kapitel 6 wieder auf. Dabei erweist sich, daß in den 1920er Jahren dem Export des wissenschaftlichen Buches nicht allein eine hohe kulturpolitische Bedeutung beigemessen wurde, sondern daß sich damit zugleich handfeste ökonomische Interessen verbanden, die auch im »Dritten Reich« noch eine wichtige Rolle spielten und zur staatlichen Subventionierung des Exportes wissenschaftlicher Bücher führten. Die politischen Auswirkungen auf das mathematische Publikationswesen in der Zeit des Nationalsozialismus betrafen vor allem den Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern und die neuen Möglichkeiten der Fachpolitik im Bereich des mathematischen Publizierens, die im Zweiten Weltkrieg einen Höhepunkt erreichten, als es darum ging, geeignete mathematische Fachliteratur für die Kriegsforschung und Lehrbuchliteratur für den Hochschulunterricht zur Verfügung zu stellen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs litten die Mathematiker in Deutschland sowohl unter 12

Einleitung

fehlenden Publikationsmöglichkeiten für aktuelle Forschungsergebnisse, weil die mathematischen Zeitschriften nicht mehr erscheinen konnten, als auch an einem extremen Mangel an Lehrbüchern für den Unterricht. Das abschließende Kapitel 9 unternimmt eine erste Bestandsaufnahme des mathematischen Publikationswesens in den Jahren 1945 bis 1949 zwischen Neuorganisation und dem Einfluß der alten Eliten. Daß mit den Jahren 1871 und 1949 zwei politische Daten den Untersuchungszeitraum begrenzen, liegt in der Geschichte des Verlagswesens begründet. Einerseits wurde nach der Reichsgründung 1871 der Expansionsprozeß in der Verlagsbranche durch wissenschaftspolitische Maßnahmen und gezielte staatliche Förderung der Hochschulen sowie der außeruniversitären Forschungseinrichtungen indirekt gestützt. Zu der jährlich expandierenden Titelproduktion trat ein rasanter Strukturwandel im Verlagswesen, der durch die stärkere Spezialisierung der Verlage und ihre zunehmende Rolle in der wissenschaftlichen Kommunikation gekennzeichnet war. Andererseits war nicht etwa das Jahr 1945 die »Stunde null« der deutschen Verlagsgeschichte. Vielmehr bestimmten die Prinzipien der Lizenzerteilung durch die Besatzungsmächte bis 1949 die verlegerische Arbeit in Deutschland, die durch finanzielle, organisatorische und juristische Probleme sowie Materialmangel gekennzeichnet war. Der gesamtdeutsche Absatzmarkt zerbrach erst 1949 mit der Gründung zweier deutscher Staaten endgültig. Innerhalb dieses Untersuchungszeitraums folgt die Periodisierung bewusst nicht den politischen Rahmendaten, etwa des Ersten Weltkriegs oder des »Dritten Reichs«, denn trotz dieser tiefgreifenden Entwicklungen hingen die einschneidenden Momente im Bereich des mathematischen Publizierens von anderen Faktoren ab, die sich zum Beispiel aus der antimathematischen Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, dem Ausstieg Teubners aus dem mathematischen Verlag ab 1916 oder den staatlichen Einflussnahmen seit den 1920er Jahren ergaben. Die Arbeit an diesem Buch wurde von der DFG in den Jahren 2005–2008 gefördert. Das sei an dieser Stelle mit großem Dank erwähnt, weil es nicht allein die zahlreichen erforderlichen Archivreisen ermöglichte, sondern vor allem die Mitarbeit von Maria Reményi sicherte, deren Unterstützung für das Projekt unschätzbar war. Die Ergebnisse in den Kapiteln 3.3.2, 5 und 6.6 beruhen auf ihren Vorarbeiten und Textentwürfen.

13

2

Die Disziplin und ihre Publikationsorte von der Reichsgründung bis in die 1890er Jahre

Zur Zeit der Reichsgründung war die Zahl der Mathematiker an den deutschen Universitäten überschaubar. Im Jahr 1873 lehrten dort 23 Ordinarien, 17 Extraordinarien und 14 Lehrbeauftragte, Privatdozenten und Honorarprofessoren.1 Hinzu kamen die Professoren an den polytechnischen Schulen wie Braunschweig, Dresden oder Karlsruhe, die erst später den Status Technischer Hochschulen erhielten, und auch in den weiterführenden Schulen gab es einige anerkannte Mathematiker wie etwa Hermann Schubert am Hamburger Johannaeum. Mochte die Gruppe der forschenden Mathematiker auch klein sein, einig war man sich nicht, denn zwischen den beiden wichtigsten Zentren der Mathematik in Berlin und in Göttingen bestand eine tiefreichende und langanhaltende Rivalität.2 In Berlin hatten Ernst Eduard Kummer, Karl Weierstraß und Leopold Kronecker aufbauend auf den Leistungen ihrer illustren Vorgänger Peter Gustav Lejeune-Dirichlet, Jakob Steiner und Carl Gustav Jacobi ab den 1850er Jahren ein international angesehenes Zentrum der mathematischen Forschung und Lehre geschaffen, das mit dem von August Leopold Crelle 1826 gegründeten und von Carl Wilhelm Borchardt nach dessen Tode weitergeführten Journal für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal ) über ein eigenes Publikationsorgan verfügte.3

1 2 3

Diese Zahlen für 1873 bei Ferber, Entwicklung des Lehrkörpers, S. 198 und 216. Dazu vgl. Rowe, Episodes, S. 60–69. Zur Mathematik in Berlin vgl. Biermann, Mathematik und ihre Dozenten; Rowe, Mathematics in Berlin, S. 9–26. Zur Gründung von Crelles Journal siehe Eccarius, August Leopold Crelle, S. 5–25. 15

Eine Disziplin und ihre Verleger

Göttingen konnte zwar auch eine Reihe herausragender Mathematiker von internationalem Rang vorweisen, die in der Nachfolge von Carl Friedrich Gauß lehrten. Aber Dirichlet, der gesundheitlich frühzeitig angeschlagene Bernhard Riemann und Alfred Clebsch waren früh aus dem Leben gerissen und die Mathematik in Göttingen damit um ihre Beständigkeit gebracht worden. Erst dem 1886 auf den zweiten Göttinger Lehrstuhl berufenen Felix Klein gelang es, vor allem durch die 1895 erfolgte Berufung David Hilberts, der Mathematik eine Strahlkraft zu verleihen, die Göttingen schließlich zum Mekka von Mathematikern aus aller Welt machte. Klein war ein Schüler von Clebsch, der seinerseits aus der Königsberger mathematischen Schule hervorgegangen war. An den vielseitigen Clebsch hatten sich um 1870 die Hoffnungen vieler Mathematiker geknüpft, die außerhalb der Berliner Schule gleichsam an der mathematischen Peripherie standen. Als Sprachrohr dieser wachsenden Gruppe, zu der insbesondere Vertreter der Königsberger Schule Jacobis und seine eigenen Schüler zählten, gründete Clebsch 1868 gemeinsam mit seinem Leipziger Kollegen Carl Neumann die Mathematischen Annalen. Als Clebsch 1872 im Alter von 39 Jahren verstarb, war die Lücke nicht leicht zu füllen, und die Bewegung gegen Berlin verlor zunächst an Fahrt, bis Klein ihr neuen Schwung verlieh.4 In Berlin nannte man ihn in den 1890er Jahren einen »Faiseur« und beklagte sogar »sein verderbliches Vorgehen auf wiss[ enschaftlichem ] Gebiete«.5 So schmerzte es die Berliner sehr, daß Klein in das Organisationskomitee des ersten internationalen Mathematikerkongresses in Zürich 1897 aufgenommen wurde. Hermann Minkowski bemerkte dazu in einem Brief an seinen Freund David Hilbert vom November 1896 weitgehend zutreffend, diese Wahl werde »natürlich zur Folge haben [ … ], dass aus Berlin Niemand kommen wird.«6 Die hier nur knapp skizzierten Rivalitäten unter den deutschen Mathematikern schlugen sich unmittelbar im Publikationswesen nieder.

2.1

Zeitschriften und die Kontrolle wissenschaftlicher Kommunikation

Die mathematische Zeitschriftenlandschaft bestand um 1871 aus nur wenigen Organen: Im Leipziger Verlag B. G. Teubner erschienen ( 1 ) das 1841 gegrün4 5 6 16

Details bei Rowe, Episodes, S. 60–69. Zit. n. Biermann, Mathematik und ihre Dozenten, S. 306. Zit. n. Frei / Stammbach, Mathematiker an Zürcher Hochschulen, S. 2.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

dete Archiv der Mathematik und Physik, das die Bedürfnisse der Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten berücksichtigte ( bis 1920 ), ( 2 ) die 1856 von Oskar Schlömilch gegründete Zeitschrift für Mathematik und Physik als Organ für die angewandte Mathematik ( bis 1917 ), ( 3 ) die Mathematischen Annalen der Gruppe um Clebsch als Forum der reinen Mathematik und ( 4 ) die Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht ( gegründet 1869 ). Hinzu kam als Seniorin unter den Zeitschriften das hochangesehene Journal für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal ), dessen erster Band bei Duncker & Humblot in Berlin erschien, das aber seit 1827 im Berliner Verlag Reimer beheimatet war. Die Gründung der Mathematischen Annalen 1868 war nicht allein als Schachzug gegen Crelles Journal als Hort der Berliner Diskursgewalt gerichtet. Vielmehr standen den fortschreitenden Entwicklungen in der Mathematik in den 1860er Jahren kaum adäquate Publikationsorte zur Verfügung, die schnell und aktuell reagieren konnten. Carl Neumann schrieb 1868 dieses Problem aufgreifend an Albin Ackermann, den Verleger des Verlagshauses B. G. Teubner: Es giebt gegenwärtig in Deutschland eigentlich nur zwei Math. Journale, nämlich das Crelle = Borchardt’sche in Berlin [ = Crelles Journal ] und das in ihrem Verlag existierende Schlömilch’sche [ = Zeitschrift für Mathematik und Physik ]. [ … ] Diese Journale nun entsprechen nicht mehr den vorhandenen Bedürfnissen. Im Interesse der Wissenschaft ist es, falls man nicht etwa ein neues Journal begründen will, unumgänglich notwendig, daß jene schon vorhandenen Journale ( oder wenigstens eines derselben), einer geeigneten Reform unterworfen werden.7

Als Hauptproblem der beiden genannten Zeitschriften sah Neumann vor allem »die mangelhafte, langsame und schleppende Art, in welcher die den genannten beiden Journalen übersandten Articel zur Publikation gelangen«. Dies führe dazu, daß »manche schätzbare Arbeit [ … ] von ihrem Verfasser zurückgehalten oder nur in unvollständigem Abriß publiziert« werde.8 Neben der Publikationsgeschwindigkeit sprach Neumann noch einen weiteren für die Kommunikation innerhalb der Mathematik wesentlichen Aspekt an, nämlich die kritische Beurteilung von Originalarbeiten durch kompetente Herausgeber.

7 8

Faksimile des Briefes in Schulze, B. G. Teubner 1811–1911, zwischen S. 300 und 301, Unterstreichungen im Original. Ebd. 17

Eine Disziplin und ihre Verleger

Der Verlag ergriff nun die Initiative und ging über die Neumannschen Reformforderungen hinaus, indem er sich zur Gründung einer neuen Zeitschrift entschloß, den Mathematischen Annalen, die den Mathematikern signalisierten, daß Teubner als ernstzunehmender, innovationsfreudiger, dem wissenschaftlichen Fortschritt dienender mathematischer Fachverlag verstanden werden wollte, der finanzielle Investitionen und Risiken nicht scheute. Die Annalen standen fortan als Sprachrohr der Clebsch-Schule in unmittelbarer Konkurrenz zu Crelles Journal und später auch zu den Acta mathematica.9 Bezeichnenderweise boten die bedeutenden Vertreter der Berliner Mathematiker wie zum Beispiel Leopold Kronecker, Hermann Amandus Schwarz und Lazarus Fuchs den Mathematischen Annalen nie Beiträge an.10 Als Felix Klein 1881 gegenüber einem französischen Gaststudenten, Georges Brunel, darüber klagte, daß in Frankreich die Mathematischen Annalen vermutlich nicht einmal bekannt wären, ergänzte Brunel in einem brieflichen Bericht an Henri Poincaré bissig, daß man sogar in Berlin die Existenz der Annalen als problematisch betrachtete.11 Rückblickend würdigte Klein 1911 die Mathematischen Annalen als »Entdeckungszeitschrift des Teubnerschen Verlages«.12 Die Acta mathematica waren in gewisser Weise ein Berliner Gewächs. Gegründet wurden sie 1882 von dem schwedischen Mathematiker Gösta MittagLeffler, einem Schüler von Weierstraß, der zeit seines Lebens ein Propagator der Weierstraß-Schule blieb. Sie erschienen im seit 1872 bestehenden Berliner Verlag Mayer & Müller, in dem ebenfalls vorwiegend Berliner Mathematiker veröffentlichten ( siehe 2.2.3 ). Vom Grundsatz her verstanden sich die Acta als internationale Zeitschrift, die insbesondere den skandinavischen Mathematikern eine Publikationsplattform bieten sollte, die sie bislang nicht hatten. Die Gründer beklagten, daß weder Crelles Journal noch das französische Journal de mathé9

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Vgl. Rowe / Tobies, Felix Klein – Adolph Mayer, S. 28 f; zur Konkurrenz zwischen Crelles Journal und den Mathematischen Annalen Hashagen, Walther van Dyck, S. 378. Vgl. hierzu: Rowe / Tobies, Einleitung, bes. S. 28–33 und 37–46. Georges Brunel an Henri Poincaré, im Juni 1881: »[ … ] il [ = Klein ] s’est plaint de ce que les »jeunes Français« ne savaient pas ce qui s’était publié en Allemagne; il a dit que l’on ne savait pas en France probablement que les Mathematische Annalen existaient ( à cela je n’aurais pu répondre qu’une chose, c’est que, à Berlin même, on considère ce Journal comme d’existence toute problématique ), que l’on n’y lisait pas le Journal de Crelle ( où avez vous lu les traveaux de Fuchs? ) etc. etc.« Zit. n. La correspondance d’Henri Poincaré, S. 91. Felix Klein in Festrede, S. 27.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

matiques pures et appliquées und das junge American Journal of Mathematics hinreichend international wären. Die Acta entwickelten sich tatsächlich schnell zu einem internationalen Publikationsort. Mittag-Leffler hatte die Gründung zunächst vor Weierstraß und Kronecker geheim gehalten, da er fürchtete, daß sie als Herausgeber von Crelles Journal seine neue Zeitschrift als Konkurrenz empfinden würden. Weierstraß aber scheint die neue Zeitschrift positiv gesehen zu haben, denn 1885 äußerte er in einem Brief an Mittag-Leffler die Hoffnung, »daß die Acta auch fernerhin mit ebenso glänzendem Erfolge, wie bis jetzt, ein internationales Organ für die Fortentwicklung unserer Wissenschaft, der am meisten kosmopolitischen von allen, bleiben mögen.«13 In seiner Bestandsaufnahme des Publikationswesens im Zusammenhang mit seinen Reformbemühungen gelangte Klein rückblickend zu der naheliegenden Auffassung, daß die Acta mathematica vor allem zur Stabilisierung des Weierstraßschen Einflusses und seiner Macht gedient hätten.14 Dennoch hatte Klein eine radikale Trennung zweier Autorenkreise – der Annalen auf der einen Seite und die der Acta sowie des Journals auf der anderen Seite – zu vermeiden gewußt. So schrieb er im Januar 1888 an Adolf Hurwitz: Dass Sie ab und zu in Mittag-Leffler [ = Acta mathematica ] publiciren, scheint mir unter allgemeinen Gesichtspuncten sogar wünschenswerth: wir setzen uns, wenn wir uns auf die Annalen beschränken, gar so leicht auf den Isolirschemel ( ich würde selbst in Mittag-Leffler und Kronecker [ = Crelles Journal ] gedruckt haben, wenn ich nicht an beiden Stellen zurückgewiesen worden wäre ). Aber Ihre Hauptarbeiten möchte ich in der Tat gerne für die Annalen haben bez. behalten.15

Die Berliner Mathematiker waren über Jahre darum bemüht, jegliche nationale Konkurrenz für Crelles Journal abzuwehren. Nach dem Tode Borchardts, der Crelles Journal weitergeführt und die immer wieder auftretenden finanziellen Engpässe aus eigener Tasche geschlossen hatte, erläuterte Weierstraß in einem Brief an Georg Ernst Reimer, den Verleger von Crelles Journal, seine Sicht der Dinge: Dieser unerwartete Todesfall macht es nöthig, daß über die Fortführung der beiden von Herrn Borchardt bisher geleisteten literarischen Unternehmungen, 13 14 15

Dazu siehe Barrow-Green, Gösta Mittag-Leffler, bes. S. 140–146, Zit. S. 146. Klein, Vorlesungen, S. 293. Zit. n. Rowe / Tobies, Einleitung, S. 35. 19

Eine Disziplin und ihre Verleger das mathematische Journal und die Herausgabe der Jacobi’schen Werke alsbald Bestimmungen getroffen werden. Dies gilt ganz besonders in betreff des Journals; denn es könnte leicht sein, daß bei nicht ganz ungestörtem Fortgang derselben aus ähnlichen Motiven wie die, welche vor Jahren die Gründung der mathematischen Annalen veranlaßten, von gewissen Persönlichkeiten die Gründung eines neuen Unternehmens der Art geplant und unver[ züglich ? ] ausgeführt würde, was ich im Interesse der Schriftenüberzahl beklagen würde. [ … ] Ich bin auch gerne bereit, in der selben Weise, wie es bisher Borchardt gethan, mich dem Journal, dessen Fortbestand in seiner gegenwärtigen Gestalt ich mit aller Ernsthaftigkeit wünsche, nach Kräften zu widmen. [ … ] Es wäre mir anbei sehr lieb, wenn Sie die Güte haben würden, mir recht bald mitzutheilen, wie Sie über die Angelegenheit denken. [ … ] Für den Augenblick kommt es hauptsächlich darauf an, daß nicht von Unberufenen die Gelegenheit benutzt werde, eine Concurrenz-Unternehmung ins Leben zu rufen, die eine schon sehr eingerissene Vielschreiberei begünstigen und der Wissenschaft nicht zum Vortheil gereichen würde.16

Offenbar war Weierstraß die erstarkende Konkurrenz, vor allem in Göttingen, die den Machtverlust der Berliner in der Disziplin einleitete, ein Dorn im Auge. In der offenen Konkurrenzsituation der Zeitschriften untereinander spiegeln sich unterschiedliche Machtzentren und Kommunikationssysteme innerhalb der Mathematik wider, die es einzelnen Mathematikern, die die Kontrolle über die Zeitschriften ausübten, erleichterten, fachliche wie aber auch persönliche Interessen durchzusetzen.17 Gewiß bestand in der expandierenden Disziplin ein sachliches Bedürfnis nach Vermehrung und Beschleunigung der Publikationsmöglichkeiten in Zeitschriften. Daß sich im mathematischen Zeitschriftenwesen die fachpolitische Konkurrenz zwischen Berlin und Göttingen so unmittelbar niederschlug, weist aber zugleich auf die enge Bindung lokaler Zentren an spezifische Verlage hin. In der Tat war die weitere Entwicklung des mathematischen Publikationswesens in Deutschland stark von der Rivalität zwischen Berlin und Göttingen und dem Streben dieser Zentren nach Kontrolle der Publikationsmöglichkeiten beeinflußt, weshalb hier zunächst ein Blick auf die Verlagsbranche erforderlich ist.

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VA de Gruyter, Dep. 41, R1, Weierstrass, Karl. Unterstreichung im Original. Zum Publikationswesen als Kontrollinstrument siehe Whitley, Intellectual and Social Organization, S. 25–26.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

2.2

Die Verlagsbranche

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte in der deutschen Verlagsbranche der Prozeß der Konzentration von Verlagsprogrammen auf inhaltliche Schwerpunkte ein. Die expandierende Buchproduktion und die Neugründung einer Vielzahl von Verlagsunternehmen brachte für den einzelnen Verlag einen enormen Konkurrenzdruck mit sich, der im wissenschaftlichen Bereich zu einer disziplinenorientierten Spezialisierung und einer stärkeren Profilierung führte. Dieser verlagsstrategische Prozeß verlief parallel zur Aus- und Binnendifferenzierung von Disziplinen, der Entstehung neuer Forschungsfelder und Forschungsfragen. Die Zeitgenossen haben den Wandel im mathematischen Publikationswesen deutlich wahrgenommen. Der Leipziger Mathematiker Wilhelm Lorey etwa beobachtete 1916 »eine ganz außerordentliche Vermehrung der Literatur [ … ], sowohl nach der rein wissenschaftlichen Seite durch Schriften, die nur für den Forscher bestimmt sind, wie durch Lehrbücher über die verschiedensten Teile der Universitätsmathematik.«18 Diese zutreffende Einschätzung des mathematischen Buchmarktes ergänzte er mit der Feststellung, daß »für die Entwicklung unserer deutschen mathematischen Literatur in erster Linie die großen Ve r l a g s b u c h h a n d l u n g e n maßgebend gewesen sind«.19 Lorey wies den Verlagen damit eine aktive Einflußnahme bei der Herausbildung spezifischer Publikationsformen wie hochkomplexer Forschungsmonographien und Lehrbücher für den universitären Unterricht zu. Tatsächlich erlebte die Verlagsbranche nach der Reichsgründung 1871 einen raschen Expansionsprozeß, der indirekt durch wissenschaftspolitische Maßnahmen und gezielte staatliche Förderung der Hochschulen sowie der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gestützt wurde. Über die jährlich expandierende Titelproduktion hinaus erlebte das Verlagswesen einen rasanten Strukturwandel, der in der kontinuierlichen Spezialisierung der Verlage seinen Niederschlag fand: aus den alten Universalverlagen, die wissenschaftliche wie auch belletristische Werke und Sachliteratur im Programm hatten, und aus den Fakultätenverlagen, die vielfältige wissenschaftliche Disziplinen bedienten, wurden hochspezialisierte Unternehmen. Dieser Spezialisierungsprozeß hatte bereits etwas früher im 19. Jahrhundert eingesetzt, kam aber erst nach der Reichsgründung zum Tragen. Er bot eine Möglichkeit, um sich – angesichts der wachsenden Konkurrenz auf dem Buchmarkt – von anderen Verlagen zu differenzieren.

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Lorey, Studium, S. 301. Ebd., S. 303. Hervorhebung im Original. 21

Eine Disziplin und ihre Verleger

Auch an der Mathematik ist die Steigerung des Produktionsvolumens auf dem Buchmarkt abzulesen. Von 1871 bis 1890 lag die jährliche Titelproduktion im Bereich der Mathematik und Astronomie20 zwischen ca. 150 und ca. 250 Titeln, mit fast jährlich steigender Tendenz.21 Damit umfaßte die Mathematik im Vergleich zu anderen Disziplinen ein relativ kleines Marktsegment, denn die jährliche Titelproduktion etwa in der Medizin ( zusammen mit der Tiermedizin ) lag im gleichen Zeitraum zwischen ca. 460 und ca. 1350 Titeln, während die Pädagogik Titelzahlen sogar zwischen ca. 1400 und ca. 2700 aufweisen konnte. Das Marktsegment Mathematik mag für die Verlage klein gewesen sein, für die Mathematiker aber wurde es immer weniger überschaubar. Daher war in Deutschland bereits 1869 das international erste dauerhafte Referateorgan für die Mathematik, das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, gegründet worden. Ähnliche Gründungen erfolgten 1870 in Frankreich ( Bulletin des sciences mathématiques et astronomiques ) und 1893 in den Niederlanden ( Revue semestrielle des publications mathématiques ).22 Daß die Gründer des Jahrbuchs, Carl Ohrtmann und Felix Müller, Gymnasiallehrer waren, zeugt von der noch engen Verflechtung zwischen Universitäts- und Schullandschaft, für die auch die Biographien zum Beispiel von Karl Weierstraß, der zwölf Jahre lang Gymnasiallehrer gewesen war, bevor er nach Berlin ging, und Georg Frobenius, der drei Jahre an der Berliner Sophienrealschule unterrichtet hatte, standen. Der Kreis derer, die an mathematischen Publikationen interessiert waren, ging damit über die Mathematiker an den Universitäten deutlich hinaus. Ob die Mathematik damit schon ein ökonomisch lukrativer Geschäftszweig war, und die Verlage daher in den Markt strebten, oder ob Verleger die Mathematik in erster Linie als prestigeträchtiges Gebiet einschätzten, wird uns noch beschäftigen ( siehe 4.3 und 6.6.1 ). Dabei muß auch die Frage beantwortet werden, ob Verleger den Absatzmarkt durch geschickte Publikationspolitik und durchgreifende Werbemaßnahmen erweitern konnten, zum Beispiel im Hinblick auf anwendungsorientierte Wissenschaften wie das Ingenieurwesen. In diesem Falle käme dem Verlagswesen zumindest eine Unterstützungsfunktion im Prozeß der Disziplinenstabilisierung zu, der an den Universitäten des ausgehenden 19. Jahrhunderts vonstatten ging. Gerade angesichts der in der Disziplin zu be20

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In den einschlägigen deutschen Bibliographien werden Mathematik und Astronomie bis 1890 zusammen ausgewiesen, ab 1890 wird die Mathematik mit den Naturwissenschaften zusammengefaßt. Zu den Zahlen vgl. Kastner, Statistik, S. 318–319. Zum Jahrbuch siehe Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 13–20.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

obachtenden Hinwendung zur reinen Mathematik, die durch strikte Formalisierung und Beweisstrenge gekennzeichnet ist, war es notwendig, die Bedeutung der Mathematik für die benachbarten, anwendungsbezogenen Disziplinen zu propagieren, denn andernfalls war ein Legitimitätsproblem der Mathematik im Wissenschaftssystem zu befürchten. Bemühungen, den Nutzen der Mathematik für andere Disziplinen zu verdeutlichen, sind als wesentliche disziplinstabilisierende Maßnahme zu verstehen, und zwar sowohl im außeruniversitären als auch im universitären Bereich.23 Die Etablierung einer Disziplin als potentielles oder sogar obligatorisches Nebenfach im universitären Fächerkanon schlägt sich auch auf dem Buchmarkt nieder, und zwar vor allem in Form von Lehrbüchern, die die jeweils spezifischen Bedürfnisse der Hauptdisziplin befriedigen müssen. Im Sektor der Lehrbuchproduktion bestand im Falle der Mathematik bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch enormer Handlungsbedarf, sowohl von Seiten der Disziplin als auch von Seiten der Verlage ( dazu siehe 2.4 und 3.3 ). Der dennoch relativ kleine mathematische Markt wurde bis in die 1890er Jahre im wesentlichen von folgenden Buchhandelsfirmen besetzt:24 Georg Reimer Verlag ( Berlin ), der 1886 Kommissionsverlag der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin wurde und in dieser Eigenschaft mathematische Projekte an sich binden konnte,25 Mayer & Müller ( Berlin ), der wie Reimer in engem Kontakt mit der Akademie stand und später, ab 1894, die gesammelten Werke des Akademiemitglieds Karl Weierstraß herausgab, dann Friedr. Vieweg Verlag ( Braunschweig ), B. G. Teubner ( Leipzig ) sowie Wilhelm Engelmann ( Leipzig ), der allerdings in erster Linie innerhalb der Reihe Ostwald’s Klassiker der exakten Wissenschaften mathematische Werke im Programm führte und auch die Schriften der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Leopoldina in Halle verlegte, aber weder eine mathematische Zeitschrift hatte noch ein eigenständiges mathematisches Programm pflegte.26 Grundsätzlich war in 23 24 25

26

Stichweh, Wissenschaftliche Disziplinen, S. 248. Zu weiteren Verlagen vgl. Schneider, Konkurrenten auf dem mathematischen Markt. Zum Beispiel erschienen bei Reimer die mit Unterstützung der Akademie herausgebrachten gesammelten Werke der Mathematiker J. Steiner, C. G. J. Jacobi, C. W. Borchardts und P. G. Lejeune-Dirichlets ( siehe dazu Kap. 3.2 ). Wilhelm Lorey empfahl Ostwald’s Klassiker als Reihe, die »gerade durch ihr kleines, handliches Format und ihren wohlfeilen Preis« ganz besonders geeignet sei, »zum Studium der Originalarbeiten anzuregen«. Lorey, Studium, S. 239–240. Zu Engelmanns Niedergang vgl. Jäger, Wilhelm Engelmann in Leipzig, S. 203–204. 23

Eine Disziplin und ihre Verleger

den 1860er Jahren die Konkurrenz im mathematischen Feld noch recht klein. Der Verlag Julius Springer ( Berlin ), die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung ( Stuttgart / Leipzig ) und der Verlag Veit & Comp. ( Leipzig ) waren zu dieser Zeit erst mit wenigen Titeln auf dem Markt vertreten. Im folgenden werden die Profile von fünf Verlagen skizziert, die für die Mathematik im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bedeutende Rollen spielten: der Verlag Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig, als neutraler Publikationsort ohne eigene Zeitschrift ( 2.2.1 ); der Georg Reimer Verlag ( Berlin ) ( 2.2.2 ) und der Verlag Mayer & Müller ( Berlin ) ( 2.2.3 ), beide mit eigenen mathematischen Zeitschriften und einer engen Bindung an die Berliner Mathematiker; der Verlag B. G. Teubner ( Leipzig ), auf den gegen Ende des Jahrhunderts die Göttinger Mathematiker wesentlichen Einfluß hatten, ebenfalls mit einer eigenen Zeitschrift ( 2.2.4 ); und schließlich, als Neuling, der Verlag Julius Springer ( Berlin ), der beharrlich versuchte, in den mathematischen Markt zu kommen, aber erst im Ersten Weltkrieg Erfolg damit hatte ( 2.2.5 ). Den Verlagen Georg Reimer, Mayer & Müller sowie B. G. Teubner kommt aufgrund ihrer Zeitschriftenproduktion für die wissenschaftliche Kommunikation gegen Ende des 19. Jahrhunderts besondere Bedeutung zu.

2.2.1

Der Verlag Friedr. Vieweg & Sohn ( Braunschweig ) – Publikationsort ohne Schulenbindung

Der schon 1786 in Berlin gegründete, 1799 nach Braunschweig übergesiedelte Verlag Friedr. Vieweg & Sohn entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhundert unter den Verlegern Eduard und Heinrich Vieweg vom Universalverlag zum spezifisch naturwissenschaftlichen Fachverlag. Auf dem Gebiet der Mathematik publizierte Vieweg ab den 1860er Jahren in erster Linie Lehrbücher und Logarithmentafeln sowie Schulbücher für den Mathematikunterricht. Zu seinen Autoren zählten schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts renommierte Mathematiker wie der Göttinger Gauß-Nachfolger Peter Gustav LejeuneDirichlet, dann auch Bernhard Riemann, ebenfalls Professor in Göttingen, des weiteren Oskar Schlömilch ( Professor in Dresden ), Richard Dedekind ( Professor in Braunschweig ), Heinrich Weber ( Professor in Göttingen, dann in Straßburg ) und Eduard Study ( Professor in Bonn und Greifswald ), gegen Ende des Jahrhunderts auch Robert Fricke ( Professor in Braunschweig ). Mathematiker aus dem wirkungsmächtigen Zentrum Berlin publizierten hingegen nicht bei Vieweg, sondern vielmehr die lokal bzw. regional lehrenden Professoren in Göttingen und Braunschweig.

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Die Disziplin und ihre Publikationsorte

Spezialisiert hatte sich der Verlag gegen Ende des 19. Jahrhunderts allerdings vorwiegend auf die Physik und die Chemie mit Autoren wie Carl Fresenius und Justus von Liebig, der den Verleger in der thematischen Ausrichtung des chemischen Programmteils inhaltlich beriet. Die Mathematik nahm im gesamten Verlagsprogramm quantitativ eine eher untergeordnete Stellung ein, war aber mit einigen auflagenstarken und für die Disziplin wichtigen Titeln vertreten, wie zum Beispiel Partielle Differentialgleichungen und deren Anwendung auf physikalische Fragen ( 1869 ) von Bernhard Riemann sowie das Compendium der höheren Analysis ( 1853 ) und die Logarithmentafeln von Oskar Schlömilch, die bis 1908 21 Auflagen erlebten und in über 60 Auflagen bis in die 1970er Jahre immer wieder neu bearbeitet wurden. Eng an den Verlag gebunden war auch seit 1872 der Braunschweiger Richard Dedekind, dessen bei Vieweg erschienene Bücher Stetigkeit und irrationale Zahlen ( 1872 ) und Was sind und was sollen die Zahlen ( 1888 ) zu Klassikern wurden. Dedekind hatte bereits 1863 Dirichlets Vorlesungen über Zahlentheorie bei Vieweg herausgegeben, nachdem er sie mit Zusätzen versehen hatte, und damit »eines der vorzüglichsten deutschen mathematischen Lehrbücher geschaffen, das durch Jahrzehnte hindurch seine Wirkung ausgeübt hat«.27 In den 1880er Jahren war der Verlag anscheinend bemüht, ein umfangreicheres Lehrbuchprogramm aufzubauen, weshalb von Zeit zu Zeit Verlagsautoren um die Prüfung von Manuskripten und ausländischer Lehrbuchliteratur gebeten wurden. Einen Verlagsberater, der ähnlich wie Justus von Liebig in der Chemie kontinuierlich Hinweise auf Desiderate und die konkreten Bedürfnisse der Disziplin gab, hatte der Verlag in der Mathematik nicht. Jedoch wurden von Zeit zu Zeit die »Hausautoren« wie Richard Dedekind um ihre Meinung zu eingereichten Manuskripten befragt ( siehe 7.1 ). Mit dem Tod Heinrich Viewegs im Jahr 1890, der in dritter Generation den Verlag geleitet hatte, übernahmen seine Witwe und sein Schwiegersohn den Verlag. Ab diesem Zeitpunkt »stützte [ man ] sich im wesentlichen auf die vorhandene Substanz«28 und hat kaum neue größere Projekte begonnen. Die Quellen lassen allerdings darauf schließen, daß der Verlag in den 1890er Jahren durchaus noch plante, sein mathematisches Programm zu erweitern, besonders im Bereich der häufig noch fehlenden Lehrbücher. So wurde das 1895 erstmals aufgelegte Lehrbuch der Algebra von Heinrich Weber ( Band 2 erschien 1896 ) schnell

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Carathéodory, Mathematik, S. 69. Wendorff, Der Verlag Friedr. Vieweg & Sohn, S. 33. 25

Eine Disziplin und ihre Verleger

zum Standardwerk der Algebra.29 Weber hatte schon 1889 Kontakt zur Viewegschen Verlagshandlung aufgenommen, nachdem ihn Richard Dedekind darauf aufmerksam gemacht hatte, daß Vieweg an einer Inverlagnahme von Webers Vorlesungen über Elliptische Funktionen und algebraische Zahlen interessiert sei.30 1891 erschienen diese Vorlesungen, eine zweite Auflage folgte 1908 als dritter Band des bis dahin zweibändigen Lehrbuchs der Algebra. Weber betonte im Vorwort der Erstauflage seines Lehrbuchs, daß die rasante Entwicklung der Algebra, »die immer mehr zur Herrschaft gelangende Gruppentheorie [ … ] und das Eingreifen der Zahlentheorie« ein solches Lehrbuch wünschenswert machten. Tatsächlich scheint die Nachfrage gut gewesen zu sein, denn Minkowski wußte Ende 1896 an Hilbert zu berichten, Weber sei »von seinem Verleger aufgefordert, bereits die zweite Auflage der Algebra vorzubereiten, gewiß ein großer Erfolg und ein Zeichen, daß das Buch einem Bedürfniß entsprach.«31 Robert Fricke befand 1895 in einer Rezension, mit Webers Lehrbuch der Algebra sei »vor allem erreicht, dass der in der modernen Mathematik eine so grosse Rolle spielende Gruppenbegriff nach seiner in der Algebra zur Geltung kommenden Seite eine umfassende Darstellung« erhalten habe. »Ganz selbstverständlich«, so Fricke weiter, sei, »dass eine aus Herrn Webers Feder fliessende Darstellung sowohl nach Seiten der abstrakten und allgemeinen Ideenbildung wie auch in den Anwendungen auf Arithmetik, Algebra und Geometrie den höchsten, eben jetzt erreichten Standpunkt der Entwicklung repräsentiert.«32 Ein weiterer wichtiger Autor des Verlags war Adolf Kneser, dessen 1900 erschienenes Lehrbuch der Variationsrechnung wegweisend für die moderne Variationsrechnung und ihre Etablierung als Subdisziplin der modernen

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So bezeichnet von Heinrich Behnke, in: Der Strukturwandel der Mathematik, S. 36; vgl. dazu Corry, Modern Algebra and the Rise of Mathematical Structures, S. 33–43. Vgl. den Brief Webers an Vieweg, 17. Oktober 1889, VA Vieweg, V1W: 52. Die Honorarfrage betreffend weist er darauf hin, was seine »mathematischen Freunde« ihm über Teubners Bedingungen berichtet haben, der 60 Mark pro Bogen zahle ( 40 gleich und 20 nach einem Absatz von 500 Exemplaren ) und 16 Freiexemplare gewähre. Das ist anscheinend akzeptiert worden: vgl. Weber an Vieweg, 17. Januar 1900, ob denn nun 500 Exemplare verkauft seien, und Weber an Vieweg, 16. Januar 1904, mit Dank für die zweite Rate von 640 M. Honorar. Hermann Minkowski an David Hilbert, 30. Dezember 1896. In: Rüdenberg / Zassenhaus, Minkowski, Briefe an David Hilbert, S. 91. Robert Fricke, in: Zeitschrift für Mathematik und Physik 43 ( 1898 ), S. 26–27.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

Mathematik war.33 Im März 1898 erkundigte sich der Verlag auf Rat Dedekinds bei Kneser, ob er eine Überarbeitung von Joseph Diengers 1867 bei Vieweg erschienenem Grundriss der Variationsrechnung unternehmen wolle. Kneser bekundete umgehend sein Interesse, allerdings nicht an einer Revision, sondern an einer eigenen Darstellung, worauf Vieweg gern einging.34 Auf der Grundlage der Weierstraß’schen Vorlesungen in Berlin und der von Hilbert um 1900 erzielten Ergebnisse legte Kneser schließlich ein Buch vor, von dem Constantin

Mathematik im Verlag Friedr. Vieweg & Sohn

Richard Dedekind, Stetigkeit und irrationale Zahlen, 1872 ( 7. Aufl. 1965 und weitere Nachdrucke ) Richard Dedekind, Was sind und was sollen die Zahlen, 1888 ( 10. Aufl. 1967 und unveränderte Nachdrucke ) Peter Gustav Lejeune-Dirichlet, Vorlesungen über Zahlentheorie, hg. von Richard Dedekind, 1863 ( 4. Aufl. 1894, Nachdruck 1912 ) Robert Fricke, Hauptsätze der Differential- und Integralrechnung als Leitfaden zum Gebrauch bei Vorlesungen zusammengestellt, 1897 ( 10. Aufl. 1930 ) Adolf Kneser, Lehrbuch der Variationsrechnung, 1900 ( 2. Aufl. 1925 ) Bernhard Riemann: Partielle Differentialgleichungen und deren Anwendung auf physikalische Fragen, 1869 ( 3. Aufl. 1882, Nachdruck 1932 ) Oskar Schlömilch, Compendium der höheren Analysis, 1853 ( 6. Aufl. 1923 ) Oskar Schlömilch, Fünfstellige logarithmische und trigonometrische Tafeln, 1872 ( 63. Aufl. 1978 ) Heinrich Weber, Lehrbuch der Algebra, 1895 ( 3. Aufl. 1928, Kleine Ausgabe 1912 )

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Dazu siehe Bemelmans / Hildebrandt / Wahl, Partielle Differentialgleichungen und Variationsrechnung, S. 151 f; Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 81 f. Vieweg an Kneser, 9. und 26. März 1898 ( SUBG, Nachlaß Adolf Kneser, A 41 Vieweg ). 27

Eine Disziplin und ihre Verleger

Carathéodory in seiner Rezension der zweiten umgearbeiteten Auflage von 1925 im Rückblick schwärmte, »daß fast alle Forscher, die seit 1900 über Variationsrechnung gearbeitet haben, mehr oder weniger durch Kneser beeinflußt worden sind, da auch die Lehrbücher, die seitdem erschienen sind, alle auf diese erste Darstellung der modernen Variationsrechnung angewiesen waren«.35 Insgesamt war Viewegs mathematisches Programm klein aber von hervorragendem Niveau, denn es enthielt gutgehende Lehrbücher und Standardwerke, darunter einige spätere Klassiker der mathematischen Weltliteratur ( Dedekind, Dirichlet, Kneser, Riemann, Weber ). Aus dieser Perspektive hätte der Verlag um 1900 zweifellos die Substanz gehabt, eine größere Rolle auf dem mathematischen Markt zu spielen. Allerdings hatte er keine mathematische Zeitschrift im Programm, was der Ausweitung von Autorenkontakten und ihrer Erhaltung wohl hinderlich war. Die Göttinger Mathematiker jedenfalls begannen bereits vor Heinrich Viewegs Tod vermehrt bei Teubner zu publizieren, der seit 1868 die Mathematischen Annalen verlegte.

2.2.2

Der Verlag der Berliner – Georg Reimer Verlag ( Berlin )

Bei Reimer war es ähnlich wie bei Engelmann und Vieweg zu einem Generationenwechsel gekommen, der sich eher ungünstig auswirkte. 1885 hatte Ernst Reimer den Verlag übernommen, der damit in eine Phase »kontinuierlichen Abstiegs«36 geriet, denn es gelang Ernst Reimer nicht, an die erfolgreiche Autorenpflege seines Vaters Georg Ernst Reimer und seines Großvaters Georg Andreas Reimer anzuknüpfen, so daß der Verlag in der Folge zunehmend finanzielle Schwierigkeiten hatte.37 Bei Reimer erschienen schon seit 1827 das traditionsreiche Journal für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal ) und seit 1869 auch das Referateorgan Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik. Unter Vertrag waren außerdem ab 1881 die Gesammelten Werke Jakob Steiners und die Werke Carl Gustav Jacobis, ab 1888 die Carl Wilhelm Borchardts und ab 1889 Dirichlets Werke, die alle von der Preußischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben und finanziert wurden ( siehe 3.2 ). 1886 wurde Reimer schließlich Kommissionsverlag der Akademie. Die enge Bindung an die Akademie diente dem hochangesehenen Verlag vor allem zur Stabilisierung seiner wissenschaftlichen Reputation, war darüber hinaus aber auch ökonomisch 35 36 37 28

Zit. n. dem Nachdruck in: Carathéodory, Gesammelte mathematische Schriften, S. 337 f. Müller, Wissenschaft und Markt, S. 23. Zur Geschichte des Hauses Reimer vgl. Reimer, Passion & Kalkül.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

fruchtbar, da die vielfältigen Akademiepublikationen eine Auslastung der Reimerschen Druckerei garantierten.38 Weitere gesammelte Werke von Mathematikern als die genannten erschienen unter Ernst Reimer nicht mehr, dennoch war die Mathematik mit Crelles Journal und dem Jahrbuch prominent im Verlagsprogramm vertreten. Dabei waren es zwar nicht ausschließlich, aber doch vorwiegend Berliner Mathematiker, die ihre Werke in diesem traditionsreichen und renommierten Wissenschaftsverlag herausbrachten. Der Verlag profitierte noch bis in die 1920er Jahre von der Akademieanbindung, aber das mathematische Verlagssegment wurde nicht weiter ausgebaut – ganz ähnlich wie bei Vieweg. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Der Berliner Mathematiker Kurt Hensel schrieb im März 1892 an Ernst Reimer, die Akademie der Wissenschaften habe ihn beauftragt, die Werke Leopold Kroneckers herauszugeben: »eine Arbeit,« – so Hensel – »welche wohl 9–10 Jahre in Anspruch nehmen dürfte«.39 Reimer war doppelt prädestiniert, die Werke Kroneckers in Verlag zu nehmen, einerseits war er Kommissionsverlag der Akademie und andererseits hatte er genügend Erfahrung mit der Herausgabe von Gesamtausgaben. Hensel erwartete nun ein Angebot von Reimer und teilte ihm zugleich die Konditionen von Springer und Teubner mit, an die er sich »auf Wunsch einiger Mitglieder der Akademie« ebenfalls gewandt hatte. Reimer notierte am Rand des Briefes, er habe am 2. April folgendes geantwortet: »mit den Springerschen Verlagsbedingungen kann ich nicht konkurriren, ich verzichte deshalb auf den Verlag der Kroneckerschen Werke«. Sie erschienen schließlich ab 1895 in fünf Bänden bei Teubner. Weshalb die Akademie-Entscheidung für Teubner ausfiel, läßt sich aus den Quellen nicht rekonstruieren. Bei Teubner waren bis dahin nur Riemanns Werke im Jahr 1876 und seit 1894 auch Hermann Grassmanns Werke auf Veranlassung der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig publiziert worden. 1895 begann allerdings neben den Kroneckerschen Werken auch die Drucklegung der Gesammelten wissenschaftlichen Abhandlungen Julius Plückers in zwei Bänden. Entweder versprach Teubners im Vergleich mit anderen Verlagen schon recht ausgereiftes mathematisches Programmprofil beim interessierten Publikum erhöhte Aufmerksamkeit auch für die Kronecker-Werke oder Teubners Publikationsbedingungen waren günstiger als die Springers und Mayer & Müllers. Vielleicht vertraute man auch der Teubnerschen Druckerei mehr als der anderer. Die Kroneckerschen Werke 38

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Vgl. zur Akademieanbindung und den daraus resultierenden Vorteilen, aber auch den Problemen für den Verlag am Beispiel der Kant-Ausgabe Müller, Wissenschaft und Markt, S. 145–173. Hensel an Reimer, 20. März 1892, VA de Gruyter, Dep. 42, R1, Hensel, Kurt. 29

Eine Disziplin und ihre Verleger

wurden später in ihrer Ausstattung als vorbildlich angesehen, denn beim Vertragsabschluß für die Werke von Franz Neumann wurde explizit festgelegt, daß Format und Ausstattung wie im Falle Kronecker ausfallen sollten.40 Die Leistungen einer Druckerei beim schnellen und sorgfältigen mathematischen Satz konnten durchaus ausschlaggebend für eine Auftragsvergabe sein, wie das nächste Beispiel zeigt.

Deutsche Mathematiker-Vereinigung ( DMV )

Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung wurde 1890 auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Bremen als Standesvertretung der forschenden Mathematiker gegründet.41 In den Statuten wurden 1891 die Ziele der DMV wie folgt umrissen: »Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung stellt sich die Aufgabe, in gemeinsamer Arbeit die Wissenschaft nach allen Richtungen zu fördern und auszubauen, ihre verschiedenen Teile und zerstreuten Organe in lebensvolle Verbindung und Wechselwirkung zu setzen, ihre Stellung im geistigen Leben der Nation nach Gebühr zu heben, ihren Vertretern und Jüngern Gelegenheit zu ungezwungenem kollegialischem Verkehr und zum Austausch von Ideen, Erfahrungen und Wünschen zu bieten«.42 Ab 1891 fanden eigene Jahrestagungen statt, die das zentrale Forum zum persönlichen wissenschaftlichen Austausch wurden. Für ihre Mitglieder gibt die DMV seit 1892 den Jahresbericht der DMV heraus, der sowohl Forschungsberichte und Rezensionen als auch Mitteilungen über die Mitglieder und die Mathematik an den Hochschulen enthält. Die Mitgliederzahl stieg von 160 im Jahre 1891 auf mehr als 750 am Vorabend des Ersten Weltkriegs.

40 41

42

30

VA Teubner, Vertragsbuch »Abgeschlossene Verträge 1896–1902«, S. 106. Neumanns Gesammelte Werke erschienen 1906–1928 in drei Bänden. Dazu siehe Gericke, Aus der Chronik der Deutschen Mathematiker-Vereinigung; Hashagen, Georg Cantor und die Gründung der Deutsche MathematikerVereinigung; Kneser / Schappacher, Fachverband – Institut – Staat; Tobies / Volkert, Mathematik auf den Versammlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Zit. nach Gericke, Aus der Chronik der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, S. 6.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

Am 2. März 1894 teilte Ernst Reimer dem Berliner Mathematiker Lazarus Fuchs mit, er könne nicht länger zögern, ihm »die unerfreuliche Mitteilung zu machen, daß der zu Kroneckers Zeiten schon eingesetzte Rückgang im Absatz des Journals f. Mathematik [ = Crelles Journal ] jetzt [ so ] geworden ist, daß ich [ bei ] den beiden letzten Bänden schon zu Verlusten von 300 Mark und darüber gekommen bin.«43 Tatsächlich war Crelles Journal schon vorher kein gewinnbringendes Unternehmen gewesen, in den 1890er Jahren aber hatte es als Organ der Berliner Schule um Weierstraß, Kronecker und Kummer mit dem Aufstieg der Mathematischen Annalen seine alleinige Dominanz in der Disziplin längst eingebüßt. Hinzu kam, daß es bei der Drucklegung des seit 1892 bei Reimer erscheinenden Jahresberichts der Deutschen Mathematiker-Vereinigung schon 1896 zu Verzögerungen kam, was seitens der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ( DMV) mit großem Ärger registriert wurde. Ernst Reimer hatte im November 1896 an August Gutzmer, den Herausgeber des Jahresberichts, geschrieben, die Verzögerung erkläre sich dadurch, daß die Druckerei durch Crelles Journal, das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik sowie den zweiten und letzten Band von Dirichlets Werken, die, so Reimer, »ich nicht liegen lassen kann, so stark in Anspruch genommen [ ist ], daß eine Mehrleistung für den Jahresbericht nicht möglich ist.«44 Die Druckerei Reimers war an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen und an einen Ausbau war nicht zu denken, schon deshalb nicht, weil die Berliner Drukker- und Setzerlöhne bis zu 20 Prozent höher lagen als in anderen Städten.45 Drei Tage später antwortete Alexander von Brill, damals Vorsitzender der DMV, Ernst Reimer: Der Red. Ausschuss kann durchaus nur mit Erfolg arbeiten, wenn ihm eine ungewöhnlich leistungsfähige Druckerei zur Seite steht. Die Erfahrungen der letzten Jahre sprechen aber nicht zum Vorteil des damaligen Geschäftsbetriebes und zeigen mehr und mehr, dass der jetzige Zustand kein haltbarer ist. Wenn immer wieder neue Verzögerungen in Satz und Druck entstehen, wenn immer wieder neue Klagen über grosse Correcturen erhoben werden, wenn, wie in letzter Zeit, sogar nur alle vier Wochen ein Bogen gedruckt wird, wenn für die nächste Zukunft nicht mehr als 1 Bogen per Woche in Aussicht gestellt werden kann, wobei nach früheren Erfahrungen auch diese Zusage nicht wörtlich zu nehmen ist, so muss der Vorstand hierin ein bedenk43 44 45

Reimer an Fuchs, 2. März 1894, VA de Gruyter, Dep. 42, R1, Fuchs, Lazarus. Reimer an Gutzmer, 26. November 1896, UAF, E4 / 3. Vgl. hierzu Müller, Wissenschaft und Markt, S. 26, Anm. 51. 31

Eine Disziplin und ihre Verleger liches Nachlassen des Interesses für sein Verlagsunternehmen erblicken, und sich veranlasst sehen, falls nicht alsbald und dauernd ein durchgreifender Wandel eintritt, die Wahrung seiner Interessen für die Folge anderswo zu suchen.46

Das Problem der Drucklegung führte schließlich zu einem Verlagswechsel, denn Gutzmer berichtete Brill im Dezember, Reimer erkläre ausdrücklich, dass er nicht genug Schriftmaterial habe, um zwei Jahresberichte gleichzeitig drucken zu können, damit hat er selbst eingestanden, dass seine Officin am Ende ihrer Leistungsfähigkeit ist. Ferner ist es geradezu haarsträubend, dass er bei den Correcturen des einen Bogens sogar über 100 Arbeitsstunden aufführt! So viel ich weiss, kann ein guter Setzer in einer Woche ( also in etwa 50 Arbeitsstunden ) einen Bogen neu setzen!47

Auch Felix Klein war daran gelegen, einen Verlagswechsel herbeizuführen, und zwar einen Wechsel zu Teubner, wie er August Gutzmer am 19. Dezember 1896 wissen ließ: »Ich würde nunmehr befürworten, dass Sie und Wangerin jetzt schon ( während der Weihnachtsferien ) mit Teubner Fühlung nehmen, damit wir nach Neujahr, wenn ich den Vorsitz [ der DMV] übernehmen soll, bereits einigen festen Boden unter den Füssen haben«.48 Es war allerdings Reimer, der in diesen Auseinandersetzungen den Vertrag mit der DMV kündigte. Minkowski kommentierte dies Hilbert gegenüber mit den Worten, er habe von Heinrich Weber gehört, »daß Brill ganz unmotivirt Reimer grobgeworden ist und dieser deshalb der Vereinigung den Vertrag gekündigt hat.«49 Die DMV jedenfalls übergab die Drucklegung des Jahresberichts dann an Teubner, der über eine gut ausgestattete und reibungslos arbeitende Druckerei verfügte. Damit war nach dem Zuschlag für Kroneckers Werke ein weiterer Schritt vollzogen, der Teubner zum bedeutendsten Verlag für mathematische Publikationen vor dem Ersten Weltkrieg werden ließ, wobei Teubner von den finanziellen und organisatorischen Problemen Reimers profitieren konnte. Mit dem Aufstieg der Göttinger Mathematik war auch die Blütezeit des mathematischen Programmsegments im Georg Reimer Verlag vorbei. Er wurde 46 47 48 49

32

Brill an Reimer, 29. November 1896, UAF, E4 / 10. Gutzmer an Brill, 6. Dezember 1896, UAF, E4 / 3. Klein an Gutzmer, 19. Dezember 1896, UAF, E4 / 3. Minkowski an Hilbert, 30. Dezember 1896. In: Minkowski, Briefe an David Hilbert, S. 91.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

1897 von Walter de Gruyter aufgekauft, der den Verlag nach dem Ersten Weltkrieg mit der Göschen’schen Verlagshandlung, dem Verlag Veit & Comp., dem auf Rechtswissenschaft spezialisierten Verlag Guttentag und dem philologisch orientierten Trübner Verlag unter einem Dach zusammenführte. Gesammelte Werke und Zeitschriften bei Reimer

Gesammelte Werke im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jacob Steiner: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Karl Weierstraß, 2 Bände, 1881–1882 Carl Gustav Jacobi: Gesammelte Werke. Herausgegeben von C. W. Borchardt und Karl Weierstraß, 7 Bände und ein Supplementband, 1881–1891 Carl Wilhelm Borchardt: Gesammelte Werke. Herausgegeben von G. Hettner, einbändig, 1888 Peter Gustav Lejeune-Dirichlet: Werke. Herausgegeben von Leopold Kronecker und Lazarus Fuchs, 2 Bände, 1889–1897 Zeitschriften Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, 1892–1897 bei Reimer Journal für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal ), 1826 bei Duncker und Humblot, ab 1827 bei Reimer Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, Referateorgan, 1869 gegründet von Carl Ohrtmann und Felix Müller, erstmals erschienen 1870, 1928 von der Preußischen Akademie der Wissenschaften übernommen, letzter Band 1944 erschienen

2.2.3

Der zweite Verlag der Berliner – Mayer & Müller ( Berlin )

Der andere Berliner Verlag, in dem ebenfalls vorwiegend Berliner Mathematiker veröffentlichten, war der 1872 als Sortiments- und Antiquariatsbuchhandlung gegründete Verlag Mayer & Müller, der im Buchhändleradreßbuch von 1880 auf sein reiches Lager wissenschaftlicher Zeitschriften aufmerksam machte und in

33

Eine Disziplin und ihre Verleger

den nächsten Jahren besonders für Inserate in den Acta mathematica warb.50 Die Acta Mathematica erschienen dort seit ihrer Gründung 1882 ( siehe 2.1 ), wurden aber nach dem Ersten Weltkrieg an Springer verkauft. Mayer & Müller verlegte seit 1884 auch die Bibliotheca Mathematica von Gustav Eneström, die 1899 an Teubner überging und dort in der dritten Folge erschien. Dies ist bereits ein Indiz für die gegen Ende des Jahrhunderts schwindende Bedeutung Mayer & Müllers und den stetigen Aufstieg Teubners. Mit zwei mathematischen Zeitschriften im Programm und den Arbeiten der Berliner Mathematiker hätte sich der Verlag stärker positionieren können, zumal er auch das Alleinvertriebsrecht in Deutschland für das American Journal of Mathematics innehatte.51 Bei Mayer & Müller erschienen darüber hinaus mathematische Klassiker in Faksimile-Drucken wie zum Beispiel zwei Arbeiten Bernard Bolzanos, gesammelte Werke und Laufbahnschriften, auch Porträts von Mathematikern. Die Schüler des Triumvirats, Weierstraß, Kummer und Kronecker publizierten hier, wie schon Frobenius im Jahr 1870, ihre Dissertationen, zum Beispiel 1880 Carl Runge und Ferdinand Rudio, 1884 Kurt Hensel und 1885 Paul Stäckel, 1888 gefolgt vom Fuchs-Schüler Ludwig Schlesinger. Nach 1900 spielte der Verlag kaum noch eine Rolle auf dem mathematischen Markt. Für die zwischenzeitliche Blüte im mathematischen Verlagssegment bei Mayer & Müller dürften ihre engen Kontakte zur Berliner Schule um Weierstraß ausschlaggebend gewesen sein.52 Möglicherweise fehlte dem Verlag nach Weierstraß’ Tod im Jahre 1897 ein wichtiger Vermittler, denn es ist auffallend, daß die Autoren vorwiegend aus dem Umkreis von Weierstraß stammten. Quellen, die eine direkte Vermittlerrolle oder verlagsberatende Funktion Weierstraß’ belegen könnten, gibt es allerdings nicht. Ein wichtiges Standbein der Mathematik bei Mayer & Müller waren Werkausgaben der Berliner Mathematiker ( siehe 3.2 ). Ab 1900 tauchen daneben nur noch sporadisch mathematische Publikationen im Programm auf, die 1895 begonnene Drucklegung der Gesammelten Werke von Karl Weierstraß wurde 50 51

52

34

Schulz, Allgemeines Adressbuch des deutschen Buchhandels 1880. Zum Verlagsprogramm von Mayer & Müller vgl. Verzeichnis des Verlags Mayer & Müller auf dem Gebiete der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Technik. Berlin: Mayer & Müller 1902, sowie Verlagskatalog sämtlicher lieferbarer Werke. Leipzig: Mayer & Müller GmbH, Winter’sche Verlagshandlung GmbH 1920 ( zu dieser Zeit war der Verlag bereits von der Akademischen Verlagsgesellschaft aufgekauft worden ). Dazu siehe Siegmund-Schultze, Das an der Berliner Universität um 1892 »herrschende mathematische System«.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

zwar weitergeführt, und 1904–1909 erschienen dort auch die Gesammelten Werke von Lazarus Fuchs sowie von 1902–1909 die Gesammelten mathematischen Werke von Ernst Schering. Mayer & Müller wurde 1916 von der 1906 gegründeten Akademischen Verlagsgesellschaft in Leipzig übernommen, die dann mit Ostwald’s Klassikern und der Weierstraß-Ausgabe nach dem Ersten Weltkrieg recht schnell in den mathematischen Markt einsteigen konnte und ab 1927 eine Lehrbuchreihe, die »Sammlung Hilb« ( Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern, bis 1944 ), publizierte ( siehe 6.6.3 ).

2.2.4

Der Verlag der Göttinger – B. G. Teubner ( Leipzig )

Reimer sowie Mayer & Müller erscheinen als Verlage, die eine enge Bindung an die sogenannte »Berliner Schule« aufweisen. Die Berliner Universität als Zentrum der Mathematik wurde jedoch Anfang der 1890er Jahre von der Georgia Augusta in Göttingen abgelöst. Der von Felix Klein forcierte Aufbau der Göttinger Mathematik zum Zentrum der »fachpolitischen Macht«53 um 1900 hatte als zentralen Aspekt die Steuerung des Publikationswesens. So überrascht es wenig, daß Klein auch Abstand von den bis dahin für die Mathematik üblichen Publikationsorten nahm und eng mit dem 1811 gegründeten Verlag B. G. Teubner in Leipzig zusammenarbeitete. Bei Teubner setzte in den 1860er Jahren eine schärfere Profilierung des Verlagsprogramms ein, das bis dahin vorwiegend altphilologische Werke, Titel zur Altertumswissenschaft, zur Philosophie und zur Pädagogik umfaßte. Teubner führte zwar schon mathematische Bücher, jedoch in geringem Umfang. 1861 waren es nur 15 mathematische und naturwissenschaftliche Titel – so daß man kaum von »Programm« sprechen kann. Darunter befand sich allerdings die von Oskar Schlömilch herausgegebene Zeitschrift für Mathematik und Physik, die stark anwendungsbezogen ausgerichtet war und deren Zielgruppe in erster Linie die Lehrer höherer Schulanstalten bildeten. Schlömilch war Professor an der Polytechnischen Schule in Dresden ( Hochschulstatus ab 1871 ) und mit Albin Akkermann, dem Schwiegersohn des Verlagsgründers Benedikt Gotthelf Teubner, befreundet. Die persönlichen Beziehungen des Verlegers zum Wissenschaftler waren hier sicher für die Inverlagnahme der Zeitschrift entscheidend. Schlömilchs Hauptwerk, das Compendium der höheren Analysis ( 1853, bis 1881 fünf Auflagen ), war allerdings bei Vieweg erschienen. Forschungsberichte sowie 53

Zur fachpolitischen Macht Göttingens und Felix Kleins vgl. Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, S. 342. 35

Eine Disziplin und ihre Verleger

mathematische Monographien mit komplexen Inhalten fehlten weitgehend im Verlagsprogramm. Daß überhaupt mathematische Titel vertreten waren, ist auf die etablierte und mit speziellem Typenmaterial gut ausgestattete Druckerei Teubners zurückzuführen, die den schwierigen mathematischen Formelsatz unproblematisch bewältigen konnte. Bei der Beurteilung der Marktlage konnte der Teubner Verlag angesichts nur weniger Konkurrenten auf dem mathematischen Sektor zuversichtlich sein. Ein auf die Mathematik hochspezialisierter Verlag existierte noch nicht. Vieweg hatte gerade in den 1860er Jahren begonnen, sein Programm auf die Physik, vor allem aber sehr stark auf die Chemie auszurichten. Der größte Konkurrent war sicherlich der Berliner Georg Reimer Verlag, der Crelles Journal verlegte. Zwei Mathematiker sind beim Aufbau des mathematischen Programms noch vor 1871 besonders zu nennen: Carl Neumann und Alfred Clebsch. Clebsch war in den 1860er Jahren Professor für Mathematik zunächst in Gießen, dann ab 1868 in Göttingen, Carl Neumann in Tübingen, später in Leipzig. Alfred Clebsch hatte 1862 dem Teubner Verlag sein neues Lehrbuch Theorie der Elasticität der festen Körper zur Publikation angeboten und argumentiert, das Buch sei für »rein wissenschaftliche Gelehrte« ebenso von Interesse wie für das »Technische Publikum«, und er habe vernommen, der Verleger sei nicht abgeneigt, »den mathematischen Verlag zu vermehren«54. Über Clebsch kam auch Carl Neumann zum Verlag, und damit war der Anfang eines fruchtbaren Netzwerkes geknüpft. Die Autorennamen sollten zum erfolgsträchtigen symbolischen Kapital des Verlags avancieren. Etwa zeitgleich mit dem Aufstieg Göttingens zum Mittelpunkt der Mathematik in Deutschland hatte im Hause Teubner ein Generationenwechsel stattgefunden, als Alfred Ackermann-Teubner, ein Sohn Albin Ackermanns und Enkel des Verlagsgründers, 1882 in die Geschäftsführung eintrat und für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Programmbereich verantwortlich zeichnete. Seine Cousins, Alfred Giesecke-Teubner und Konrad Giesecke-Teubner, übernahmen den philologisch-pädagogischen Bereich bzw. die technischen Betriebe. Ackermann-Teubner wurde als aktiv gestaltender Verleger zu einem Katalysator mathematischer Publikationen, der die Bedeutung des Göttinger Mathematischen Instituts schnell erkannte. Die ersten Impulse, das mathematische Programm auszubauen, kamen zwar aus der Mathematik selbst. Die Idee wurde aber in einem Verlag umgesetzt und zur Blüte geführt, der als Fakultätenverlag mit starkem altphilologischem Programm besonderes Interesse an einer Diszi-

54 36

Zit. n. Schulze, B. G. Teubner 1811–1911, S. 293.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

plin zeigte, die das humanistisch orientierte Verlagsprofil aufs Vortrefflichste ergänzte.55 Die verlegerische Strategie, eine neue Zeitschrift zum Ausgangspunkt eines neuen Verlagssegments werden zu lassen, ist typisch im Wissenschaftsverlag.56 Der Verlag nutzte die Chance, mit einem zeitgemäßen Periodikum sein Programmprofil zu modifizieren bzw. zu schärfen. Durch die Neugründung der Mathematischen Annalen und die Beteiligung renommierter Wissenschaftler hat Teubner es anderen Firmen zu diesem Zeitpunkt erheblich erschwert, konkurrierende Produkte ebenfalls erfolgreich auf dem Markt zu plazieren. Diese Strategie wird heute vor allem durch die zahlreichen hochspezialisierten Zeitschriften im Wissenschaftsbereich deutlich, die kleine und kleinste Forschungsgebiete abdecken. Diese starke Ausdifferenzierung ist bei Teubner noch kaum festzustellen, aber doch in Ansätzen bereits vorhanden, denn nur ein Jahr später, ab 1870, brachte Teubner eine weitere Zeitschrift heraus: die Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht, die die praxisorientierten Interessen der Lehrer im höheren Schulwesen und damit eine weitere mathematische Zielgruppe bediente. Das seit 1869 beim Konkurrenten Reimer in Berlin publizierte Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik hatte rein referierend-bibliographischen Charakter, so daß eine unmittelbare Konkurrenz zu einer Originalarbeiten aufnehmenden Zeitschrift nicht bestand. Im Gegenteil: die in den Anfangsjahren recht langsame Berichterstattung über mathematische Novitäten im Jahrbuch führte zu erheblicher Kritik von Seiten der Wissenschaftler an dieser Zeitschrift. Diese »Unzufriedenheit rief sogar ein Gegenunternehmen gegen das Jahrbuch ins Leben«:57 das bei Teubner erschienene Repertorium der literarischen Arbeiten auf dem Gebiete der reinen und angewandten Mathematik »Originalberichte der Verfasser«, das von Leo Königsberger und Gustav Zeuner jedoch nur in den Jahren 1877 und 1879 herausgegeben wurde. Die Anzahl der mathematischen Titel bei Teubner stieg von 112 im Jahr 1871 auf 250 im Jahr 1891 und der Verlag betrieb den Ausbau konsequent weiter. Die Mathematik versprach angesichts der übersichtlichen Konkurrenzsituation eine tragfähige Geschäftsgrundlage, zumal sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Disziplin glänzend entwickelte.

55 56 57

Zu diesem Aspekt vgl. Müller, Wissenschaft und Markt, S. 109–123. Vgl. die theoretischen Überlegungen von Jäger, Der wissenschaftliche Verlag, sowie Schneider, Der wissenschaftliche Verlag. Wölffing, Das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, S. 295. Zur Geschichte des Jahrbuchs vgl. Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung. 37

Eine Disziplin und ihre Verleger

Zeitschriften und Reihen bei Teubner

Zeitschriften Archiv der Mathematik und Physik mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten, gegründet 1841 durch J. A. Grunert, erscheint bis 1920 bei Teubner Zeitschrift für Mathematik und Physik. Organ für angewandte Mathematik, gegründet 1856 durch Oscar Schlömilch, erscheint bis 1917 bei Teubner Mathematische Annalen, gegründet 1868 durch Alfred Clebsch und Carl Neumann, erscheint ab 1921 bei Springer Reihen Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik, 1877 bis 1899 erschienen 9 Bände als Supplementsbände zu Teubners Zeitschrift für Mathematik und Physik. Als Fortsetzung erschienen 1900 bis 1913 25 Bände als Supplementsbände zu Teubners Zeitschrift für Mathematik und Physik unter dem Titel Abhandlungen zur Geschichte der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen

2.2.5

Der Julius Springer Verlag ( Berlin )

Julius Springer hatte 1842 in Berlin einen Verlag gegründet, der – wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch üblich – keinen eng begrenzten inhaltlichen Schwerpunkt im Programm aufwies. Springer verlegte neben politischen Broschüren und Jugendschriften auch belletristische Werke sowie forstwirtschaftliche Bücher. Nach seinem Tod 1877 begannen seine Söhne Fritz Springer und Ferdinand Springer d. Ä. den Verlag besonders auf den Gebieten der Ingenieurwissenschaften und der Technik auszubauen und leiteten damit wie andere Verlage auch einen Spezialisierungsprozeß ein. Unter ihnen wurde Springer zum rein wissenschaftlichen Verlag, der seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch als hoch spezialisierter Verlag für Medizin galt. 1907 übernahmen die Enkel des Verlagsgründers, Ferdinand d. J. und Julius d. J., die Verlagsleitung von ihren Vätern.58 Die Profilierungsversuche von Ferdinand d. Ä. und Fritz Springer erstreckten sich alsbald auch auf die Mathematik. Die Affinität Fritz Springers zur Mathe58 38

Zur Verlagsgeschichte des Hauses Springer vgl. Sarkowski, Der Springer Verlag.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

matik ging vermutlich auf sein Studium am Polytechnikum in Karlsruhe zurück. Dort hatte er Maschinenbau studiert und Vorlesungen beim Mitbegründer des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI ), Franz Grashof, gehört. Über Grashof kam später auch der enge Kontakt des Verlags zum VDI zustande, dessen Zeitschrift lange Jahre bei Springer herauskam.59 Franz Grashof war der prominenteste Vertreter des theoretischen Maschinenbaus, der »besonders in der Mathematik die Leitdisziplin für die Entwicklung der Technik zur Wissenschaft sah«.60 Fritz Springers Ambitionen auf mathematischem Verlagsgebiet entsprangen möglicherweise dieser wissenschaftlichen Ausbildung und der Hoffnung, mit der Mathematik als Leitdisziplin zugleich ein prestigeträchtiges Gebiet zu erobern. Abgesehen vom individuellen Interesse Fritz Springers gab es allerdings auch ein strategisches Motiv für die Ausweitung des Programms auf die Mathematik, denn der Absatzmarkt für studentische Lehrbücher zeigte aufgrund der kontinuierlich wachsenden Studentenzahlen positive Prognosen. Da vor allem an den Technischen Hochschulen großer Bedarf an mathematischer Literatur bestand, schien es lohnend, mathematische Lehrbücher nicht nur für die reine Mathematik, sondern auch vor allem für den Bereich der angewandten Mathematik zu produzieren, zumal der deutsche Lehrbuchmarkt noch weit hinter dem französischen zurückstand. Zur Umsetzung dieses Zieles waren geeignete Autoren zu finden, es mußten Kontakte zur Disziplin aufgebaut werden, was sich nicht ganz einfach gestaltete. So konnte zum Beispiel die Übersetzung von Lehrbüchern ein Weg sein, sich im mathematischen Buchmarktsegment zu etablieren ( siehe 3.3.1 ). Arbeiten deutschsprachiger Autoren fanden bis zur Jahrhundertwende nur sporadisch Eingang in Springers Programm. Als Beispiele wären zu nennen: H. Woelfer, Praktische Geometrie, Lehrbuch für den Unterricht an technischen Lehranstalten und zum Selbststudium ( 1887 ); Bruno Borchardt, Einführung in die Wahrscheinlichkeitslehre ( 1889 ) und einige Tafelwerke. Doch auch außerhalb des Lehrbuchmarktes unternahm Springer erste Versuche, so z. B. mit der Veröffentlichung von Karl Weierstraß’ Abhandlungen aus der Functionenlehre ( 1886 ), einer Zusammenstellung von bereits im Journal für die reine und angewandte Mathematik publizierten Arbeiten aus den Jahren 1856 bis 1880, mit der die Verlagsbeziehung zwischen Weierstraß und Springer begann.61 Im ganzen 59 60 61

Zu den weiteren VDI-Verlagsbeziehungen vgl. Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 96–99. König, Künstler und Strichezieher, S. 35. Vgl. hierzu: Ullrich, Wie Karl Weierstraß und Hermann Amandus Schwarz zum Springer-Verlag kamen. 39

Eine Disziplin und ihre Verleger

handelte es sich bei den mathematischen Titeln im Springer Verlag um ein noch sehr schmales, bis 1900 knapp 20 Titel umfassendes und die Fachwelt nicht immer völlig überzeugendes Programmsegment. Eine weitere Möglichkeit der stärkeren Programmausrichtung auf mathematische Werke sah Fritz Springer in der Übernahme Gesammelter Werke bzw. Gesammelter Abhandlungen, einem Publikationsbereich, in dem der Georg Reimer Verlag führend war. Im März 1885 – nur zwei Monate nach dem Tod seines Berliner Verlegerkollegen Reimer – versuchte Fritz Springer die schon bestehende Verbindung zu Weierstraß zu nutzen, um ein mathematisches Projekt in seinen Verlag zu ziehen: Hochzuehrender Herr Professor, aus den Zeitungen ersehe ich, dass die Akademie der Wissenschaften beschlossen hat, die Werke des Mathematikers Borchardt herauszugeben. Ich möchte mich sehr gern um den Verlag derselben bewerben und bitte mir freundlichst mittheilen zu wollen, ob Sie mir zu einer solchen Bewerbung rathen und dieselbe event. empfehlend befürworten können. Natürlich würde ich von einer Bewerbung, falls dieselbe von vorn herein aussichtslos ist, absehen.62

Borchardts Werke erschienen jedoch einbändig 1888 bei Reimer. Springer hatte außerdem schon 1883 Interesse an den Gesammelten Werken von Karl Weierstraß geäußert und ihm 75 Mark Honorar pro Druckbogen angeboten63, aber Weierstraß war von Mayer & Müller ein Honorar von 120 Mark versprochen worden, was Weierstraß der Akademie gegenüber als besonders zuvorkommend interpretierte und gerne annahm.64 Möglicherweise hatte Fritz Springer nach dem Tod Georg Ernst Reimers gehofft, dessen vorzügliche Kontakte zur Akademie der Wissenschaften auf sich übertragen zu können. Dennoch verhielt sich Fritz Springer durchaus vorsichtig und war nicht bereit, größere finanzielle Risiken einzugehen. Bei der geplanten Ausgabe der gesammelten Werke Julius Plückers war auch der Springer Verlag – wie Teubner – wegen der Inverlagnahme angefragt worden. Fritz Springer antwortete 1893 dem Göttinger Physiker Eduard Riecke: 62 63 64

40

Fritz Springer an Karl Weierstraß, 19. März 1885, VA Springer, Abt. A, W 23. Fritz Springer an Karl Weierstraß, 11. Februar 1883, VA Springer, Abt. A, W 23. Vgl. Weierstrass an den ständigen Vertreter der Akademie der Wissenschaften, Geheimrat Professor Dr. Auwers, 21. Juni 1893, Archiv der AdWB, Akten der PAdW, Weierstrass-Ausgabe 1893–1932, Signatur II-VII, 16, Blatt 1–2.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte Nach reiflicher Erwägung aller Verhältnisse bin ich zu der Ansicht gelangt, dass die Inverlagnahme der beabsichtigten Ausgabe der gesammelten Abhandlungen Plückers nur dann ohne zu grosse Opfer möglich erscheint, wenn dem Unternehmen eine bestimmte Subvention in Aussicht gestellt werden kann. Ich möchte mir daher die Frage erlauben, ob seitens der Gesellschaft der Wissenschaften oder des Ministeriums oder sonstwoher eine Subventionierung des Unternehmens zu erwarten ist, und möchte meine endgültige Entscheidung von Ihrer Auskunft abhängig machen. Unter allen Umständen aber haben Sie freundlichen Dank, daß Sie meiner Firma auch bei diesem Projekt gedacht haben.65

Plückers Abhandlungen wurden wie die Kroneckers bei Teubner publiziert. Doch 1886 bot sich dem Verlag eine neue Chance des Einstiegs ins mathematische Feld. Am 2. Juni 1886 wandte sich der Göttinger Mathematiker Hermann Amandus Schwarz auf Anregung von Weierstraß an den Springer Verlag, um dort seine Gesammelten mathematischen Abhandlungen in Verlag zu geben.66 Anlaß für diese Publikation war eigentlich die Aufforderung Kleins, Schwarz möge seine »Abhandlungen, welche in den Monatsberichten der Berliner Akademie veröffentlicht sind«, nochmals abdrucken und hatte »dazu die von ihm [ Klein ] redigierten mathematischen Annalen angeboten«.67 Schwarz hatte sich nicht entschließen können, Klein die Abhandlungen zu überlassen und wollte erst den Rat des Berliner Kollegen einholen. Dessen Rat fiel – nicht überraschend – zuungunsten der Annalen aus, da Weierstraß ihr dezidierter Gegner war. Schwarz formulierte schon im ersten Brief an Springer konkrete Vorstellungen über die typographische Gestaltung und hatte bereits einen Druckkostenvoranschlag bei der Göttinger Universitätsdruckerei Kaestner eingeholt. Die Gesammelten mathematischen Abhandlungen von Schwarz erschienen tatsächlich 1890 bei Springer. Dennoch gelang es dem Verlag schließlich erst im Ersten Weltkrieg, als Teubner sich aus dem mathematischen Geschäft zunehmend zurückzog, in den mathematischen Markt zu expandieren. 65 66

67

20. Dezember 1893, der Brief ist gezeichnet: »Julius Springer«, vermutlich Fritz Springer, SUBG, Nachlaß Felix Klein, Cod. Ms. Klein 3C. Vgl. hierzu Ullrich, Wie Karl Weierstraß und Hermann Amandus Schwarz zum Springer-Verlag kamen, S. 40. Ullrich zitiert einen Brief von Weierstraß an Schwarz vom 15. Mai 1886: »Einen Verleger werden Sie leicht finden, ich bin z. B. überzeugt, daß die Gebrüder Springer in Berlin den Verlag gern übernehmen und auch ein anständiges Honorar zahlen würden.«. Schwarz an Weierstraß, 7. Mai 1886, zit. n. Ullrich, S. 40. 41

Eine Disziplin und ihre Verleger

Übersetzungen mathematisch-physikalischer Bücher aus dem Französischen bei Springer, 1884–1900

Jean B. J. Fourier: Analytische Theorie der Wärme. Deutsch hg. v. Bernhard Weinstein, 1884 Augustin L. Cauchy: Algebraische Analysis. Deutsch hg. v. Carl Itzigsohn, 1885 Leonhard Euler: Einleitung in die Analysis des Unendlichen. Erster Theil. Deutsch hg. v. Hermann Maser, 1885 Elie Mascart und Jules Joubert: Lehrbuch der Elektrizität und des Magnetismus. Deutsch hg. von Leopold Levy, 2 Bände, 1886 / 88 Joseph L. Lagrange: Analytische Mechanik. Deutsch hg. v. Hermann Servus, 1887 Louis Poinsot: Elemente der Statik. Deutsch hg. v. Hermann Servus, 1887 N. Vandermonde: Abhandlungen aus der reinen Mathematik. Deutsch hg. v. Carl Itzigsohn, 1888 Niels Henrik Abel / Evariste Galois: Abhandlungen über die algebraische Auflösung der Gleichungen. Deutsch hg. v. Hermann Maser, 1889 Emile Mathieu: Theorie des Potentials und ihre Anwendungen auf Electrostatik und Magnetismus. Deutsch hg. v. Hermann Maser, 1890 Paul Mansion: Theorie der partiellen Differentialgleichungen erster Ordnung. Vom Verfasser durchges. und verm. deutsche Ausg. Deutsch hg. v. Hermann Maser, 1892 Jules Violle: Lehrbuch der Physik. Deutsch hg. von Ernst Gumlich, Ludwig Holborn und Wilhelm Jaeger, 2 Bände in je zwei Teilbänden, 1892–1897 Henri Poincaré: Elektricität und Optik. Vorlesungen. Deutsch hg. von Ernst Gumlich und Wilhelm Jaeger, 2 Bände, 1891 / 92 Henri Poincaré: Thermodynamik. Vorlesungen. Deutsch hg. von Ernst Gumlich und Wilhelm Jaeger, 1893 Henri Poincaré: Mathematische Theorie des Lichts. Vorlesungen. Red. von J. Blondin. Deutsch hg. von Ernst Gumlich und Wilhelm Jaeger, 1894

42

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

2.3

Verlag und Mathematik

Ohne Zweifel kam nach der Reichsgründung Bewegung in das mathematische Publikationswesen. Wie läßt sich die Interessenlage der Verlage verstehen? Neuere Untersuchungen zum wissenschaftlichen Verlagswesen gehen davon aus, daß sich Verlage mit ihrem Programm und den angebotenen Publikationsformen wie Monographien, Handbüchern, Laufbahnschriften, wie Dissertationen und Habilitationen, und Lehrbüchern an den kognitiven und sozialen Strukturen wissenschaftlicher Disziplinen ausrichten.68 Das heißt, der Verlag reagiert auf Strukturen und Entwicklungen in den jeweiligen Disziplinen und übernimmt eine Dienstleistungsfunktion gegenüber der Wissenschaft, indem er adäquate Publikationsmöglichkeiten und -orte zur Verfügung stellt. Dies ist aber lediglich eine Strategie verlegerischen Handelns, denn der Verlag bzw. der Verleger wird es nicht bei einer reinen Reaktion auf die Bedürfnisse einer Disziplin belassen, wenn er sich erfolgreich auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt positionieren will. Er muß eine aktive Rolle bei der Planung von Publikationen übernehmen und insbesondere als Initiator von Buchreihen oder Zeitschriften auftreten. Aus diesem Blickwinkel gesehen treffen und verbinden sich auf dem Teilbuchmarkt der Mathematik die Interessen der Verleger und der Disziplin. Wenn etwa die Impulse zur mathematischen Lehrbuchproduktion in hohem Maße von Verlagen ausgingen, wie es um 1900 zu beobachten ist, dann leisteten sie damit einen entscheidenden Beitrag im Kodifizierungsprozeß mathematischen Wissens. Die dafür charakteristischen Publikationsformen, wie Lehr- und Handbücher, ordnen dieses zum Teil noch junge Wissen, systematisieren es und weisen ihm seinen Platz im jeweiligen Lehr- und Forschungskontext zu. Diese Publikationsformen werden vom Verleger idealerweise zielgruppengerecht aufbereitet und vermarktet, denn der Wissenschaftsverleger zielt mit seiner Produktion nicht auf ein anonymes Leser- und Käuferpublikum, sondern findet einen klar strukturierten Absatzmarkt vor, wobei die Produzenten, die Autoren, und die Rezipienten in der Regel eine weitgehend homogene Gruppe bilden. Anders verhält es sich, wenn die Zielgruppen außerhalb der Mathematik liegen, etwa im Falle einführender Lehrbücher für Ingenieure, die von Mathematikern verfaßt sind. Hier erfüllt die Mathematik eine Dienstleistungsfunktion für andere Disziplinen, so daß u.U. die Homogenität verloren geht, ein Problem, das in der sogenannten antimathematischen Bewegung um 1900 eine wesentliche Rolle spielte ( siehe 2.4 ).

68

Vgl. hierzu ausführlich Jäger, Buchhandel und Wissenschaft. 43

Eine Disziplin und ihre Verleger

Der Verleger muß in diesem komplexen Netz einerseits danach trachten, sein Prestige zu steigern, so daß Autoren seinen Verlag als attraktiv betrachten, und andererseits als Wirtschaftsunternehmen ökonomische Ziele verfolgen. Das funktioniert natürlich nur in einer Situation, in der sich auch die verlegten Disziplinen dynamisch entwickeln, wie etwa im Falle der Mathematik in Deutschland im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Es kam nicht nur zur Etablierung neuer Forschungsfelder, und damit zu inhaltlichen Veränderungen, sondern die Disziplin wurde auch einem qualitativen Reformprozeß im Hinblick auf die soziale Organisation unterzogen, dem, wie Reinhard Siegmund-Schultze festgestellt hat, »wesentlich eine Hinwendung auf neue Kommunikationsprinzipien zugrunde [ lag ], die partiell durch die Ablösung einer eher autoritären, statischen, lehr- und beweisorientierten Mathematik durch eine eher liberale, dynamisch, kooperativ bearbeitete Mathematik charakterisiert werden kann.«69 Diese Veränderung der Kommunikationsprinzipien wurde durch die institutionelle Expansion der Disziplin im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begünstigt, die dazu führte, daß die Mathematiker über eine wachsende Zahl von Ansprechpartnern verfügten und sogar an ihrem Wirkungsort in der Regel nicht mehr in einer splendid isolation arbeiten mußten ( siehe 2.4 ). In diesem Zusammenhang läßt sich, überspitzt formuliert, von einer Kultur der Mündlichkeit in der Mathematik sprechen, die in der historischen Rückschau angesichts der gleichzeitig stark wachsenden Publikationszahlen häufig in Vergessenheit gerät. Beispielhaft dafür können sowohl die Weierstraß’schen Vorlesungen in Berlin stehen, von ihm ausschließlich als mündliches Produkt verbreitet, als auch die legendären Königsberger Spaziergänge von David Hilbert, Adolf Hurwitz und Hermann Minkowski. In Göttingen standen Klein und später Hilbert im Mittelpunkt der Entwicklung der Mathematik zu einer dynamisch und kooperativ arbeitenden Disziplin.70 Diese Veränderung fand ihren Ausdruck nach dem Ersten Weltkrieg in einer Göttinger Dominanz auf dem mathematischen Buchmarkt, als mit dem Springer Verlag ein entsprechend dynamischer Partner gefunden war ( siehe 6.2 und 6.6.1 ). Im Zusammenhang mit dem Grundinteresse der Verlage, mathematische Publikationen zu verkaufen und dabei nach Möglichkeit Gewinn zu machen, sind an dieser Stelle zunächst einige Bemerkungen zur Lage der Mathematik in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts erforderlich.

69 70 44

Siegmund-Schultze, Das an der Berliner Universität um 1892 »herrschende mathematische System«, S. 243. Dazu siehe Rowe, Making Mathematics, S. 85–129.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

2.4

Die Lage der Mathematik in Deutschland in den 1890er Jahren

Von außen betrachtet stellte sich die Lage der Mathematik im deutschen akademischen System der 1890er Jahre glänzend dar. Ihre Erfolgsgeschichte seit der Reichsgründung brauchte den Vergleich mit den expandierenden Naturwissenschaften nicht zu scheuen. So stieg an den Universitäten und Technischen Hochschulen die Zahl der Ordinarien für das Fach Mathematik von 23 im Jahre 1873 auf 76 im Jahr 1900, d. h. um den Faktor 3,8. Im gleichen Zeitraum wuchs die Zahl aller Lehrenden in der Mathematik ( Ordinarien, Extraordinarien, Honorarprofessoren, Privatdozenten und Lehrbeauftragte ) von 42 auf 133 ( Faktor 3,2 ). In der Physik verdoppelte sich die Anzahl der Ordinariate von 25 im Jahr 1873 auf 50 im Jahr 1900, die Zahl aller Lehrenden stieg von 34 auf 117 ( Faktor 3,4 ). Für die Naturwissenschaften insgesamt ( d. h. inklusive Mathematik ) betrug die Zahl der Ordinariate bzw. aller Lehrenden 154 bzw. 310 im Jahr 1873 und 321 bzw. 803 im Jahr 1900 ( Faktor 2,1 bzw. 2,6 ). Im Vergleich zur Gesamtheit der Naturwissenschaften schnitt die Mathematik demnach hervorragend ab, stellte sie doch 1873 14,9 % der Ordinarien und 1900 mit 23,7 % bereits knapp ein Viertel.71 Die überproportionale Zunahme der Ordinariate in der Mathematik hängt eng mit ihrer doppelten Rolle im universitären Ausbildungssystem zusammen, nämlich einerseits als eigenes Studienfach, dessen Studierende in der Regel den Lehrerberuf anstrebten, und andererseits als grundlegendes Nebenfach in den technik- und naturwissenschaftlichen Studiengängen der jungen Technischen Hochschulen. Diese Zunahme der Stellen schlug sich natürlich auch an den einzelnen Universitäten und Technischen Hochschulen nieder, nicht allein in Göttingen, das durch die geschickte Politik Felix Kleins und die Förderung seitens Friedrich Althoffs im Ministerium in einer besonders günstigen Lage war und zum Widerpart der Mathematik in Berlin wurde, sondern zum Beispiel auch in Erlangen, wo 1888 ein zweites Ordinariat geschaffen wurde, oder in Aachen, das ebenfalls 1888 ein drittes Ordinariat erhielt.72 Die Zunahme der Zahl der an deutschen Hochschulen forschenden und lehrenden Mathematiker bot einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung und Etablierung neuer Subdisziplinen bzw. Spezialgebiete wie, um nur einige Beispiele zu nennen, die Mengenlehre, die Gruppentheorie, die abstrakte Algebra, 71 72

Alle Zahlen nach Ferber, Entwicklung des Lehrkörpers, S. 197 f. und 214 ff. Dazu siehe Scharlau, Mathematische Institute, S. 12 und 93. Zu Göttingen siehe Rowe, Jewish Mathematics, S. 422–449, bes. 432 ff. 45

Eine Disziplin und ihre Verleger

die Funktionentheorie, die Funktionalanalysis oder die Variationsrechnung.73 Zugleich erlangten die deutschen Universitäten auch für junge Mathematiker aus dem Ausland eine große Anziehungskraft.74 Einen eigenen formalen Rahmen hatte die reichhaltige mathematische Kultur in Deutschland im Jahre 1890 mit der Gründung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ( DMV) als Standesorganisation und organisierte Kommunikationsgemeinschaft erhalten. Schon 1892 zählte die DMV mehr als 200 Mitglieder im In- und Ausland, deren Zahl sich bis 1900 mehr als verdoppelte ( siehe 2.2.2, Kasten ). Getragen wurde diese aufstrebende Entwicklung durch ein funktionierendes und differenziertes mathematisches Publikationswesen, in dem, wie bereits gesehen, Zeitschriften, Lehrbücher, Monographien und Werkausgaben dem Bedürfnis nach spezialisierter Kommunikation Rechnung trugen, während das Referateorgan Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik ( gegründet 1869 ) und die Encyclopädie der mathematischen Wissenschaften ( ab 1894 / 95 ) dazu dienen sollten, den Überblick über die disziplinäre Vielfalt zu bewahren oder zumindest die Zugänglichkeit zur heterogenen Welt mathematischer Forschung zu garantieren. Die Mathematik um 1900 sah sich selbst im Zentrum von Verwissenschaftlichungsprozessen. Dafür könnte man die Göttinger Szene um Felix Klein, Carl Runge und Ludwig Prandtl als Kronzeugen bemühen. Aber auch Jakob Lüroth an der mathematischen Peripherie in Freiburg war von einem solchen Bewußtsein getragen, als er 1889 seine Rektoratsrede Über die Geschichte der Infinitesimalrechnung mit den stolzen Worten schloß: Und wenn jetzt um nur Einiges anzuführen, Bauwerke errichtet werden können wie der Eiffelthurm oder die Brücke über den Firth of Forth, wenn wir mit unsern Locomotiven so rasch und sicher fah ren können, wenn wir im Stande sind, Kabel auf den Meeresboden zu legen und durch sie auf Tausende von Kilometern zu telegraphiren, so sind dies Triumphe der Technik, welche zum guten Theil nur durch die Differential- und Integralrechnung möglich geworden sind. Dies zeigt aber, dass die Infinitesimalrechnung nicht nur eine rein theoretische Speculation ist, dass ihre Erfi ndung nicht nur dem Scharfsinn der Mathematiker unzählige neue Probleme liefert, son-

73 74 46

Siehe z. B. Fischer, Ein Jahrhundert Mathematik; Schlote, Von geordneten Mengen zur Uranmaschine, S. 6–10. Dazu siehe z. B. Hunger Parshall / Rowe, Emergence, Kapitel 5.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte dern dass ihr auch ein mächtiger Einfluß auf die Gestaltung des modernen Lebens zugeschrieben werden muss.75

Tatsächlich handelte es sich bei der Formulierung der großen Bedeutung der Mathematik im »Zeitalter der Herrschaft der Naturwissenschaften«, das Werner von Siemens drei Jahre zuvor, 1886, in einem Vortrag vor der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte ausgerufen hatte, nicht nur um eine Platitüde.76 Als charakteristisch für das »Zeitalter der Herrschaft der Naturwissenschaften« kennzeichnete von Siemens mit dem Hinweis auf »das immer tiefer die ganze menschliche Gesellschaft durchdringende Licht der Wissenschaften« Entwicklungen, die in der historischen Literatur zunehmend als Verwissenschaftlichungsprozesse bezeichnet werden.77 Inmitten dieser Entwicklungen sah und fand sich die Mathematik. Aber diese Rolle, die der Mathematik als akademischer Disziplin auf natürliche Weise zuzufallen schien, war durchaus nicht unumstritten. Zwar war bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Überzeugung, daß mathematisches Wissen in den verschiedensten Disziplinen nötig war, weit verbreitet, wenn auch noch zögerlich umgesetzt.78 Alexander von Humboldt traf 1841 die hellsichtige Einschätzung, »mathematische Studien [ seien ] die Seele aller industriellen Fortschritte«.79 In ähnlichem Ton berichtete Werner von Siemens seinem Bruder Wilhelm im Oktober 1845, er habe sich zu »einer Auffrischung der höheren Mathematik [ entschlossen ], ohne die man doch immer im Dunkeln tappt«, und wolle deshalb Vorlesungen bei Jacobi besuchen.80 Weniger nüchtern brachte es ein »poesievoller Festgruß« zum Ausdruck, der im Jahr 1856 zum 25jährigen Jubiläum des Polytechnikums in Hannover vorgetragen wurde. In ihm hieß es u.a.: Mathematik, du hohe, reine Wahrheit! Durchdringst der Technik Feld mit lichter Klarheit, bis tief zum Schacht, den Grubenlicht erhellt.81

75 76 77 78 79 80 81

Lüroth, Infinitesimalrechnung, Zitat S. 51. Siemens, Naturwissenschaftliche Zeitalter, S. 92–96. Siehe z. B. Szöllösi-Janze, Wissensgesellschaft. Dazu siehe die z. B. Bemerkungen bei Lundgreen, Fachschulen, S. 298. von Humboldt an den Geheimen Kabinettsrat Müller, Anfang Dezember 1841, Zit. n. Biermann, Dirichlet, S. 49. Brief vom 9. Oktober 1845. Zit. n. Matschoß, Werner Siemens, S. 12. Zit. n. König, Künstler und Strichezieher, S. 54. 47

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Der Dresdner Mathematiker Oskar Schlömilch, der Gründer der Zeitschrift für Mathematik und Physik, hatte diese Entwicklungen im Auge, als er 1889 seinem Verlag Vieweg schrieb: »Daß Geodäten, Forstleute, Architekten, Ingenieure, Astronomen, Physiker etc. nicht wenig Höhere Mathematik brauchen, ist bekannt u. aus den betreffenden Fachschriften ersichtlich; selbst die Chymiker, die sich früher bei dem Worte Mathematik schreckensbleich bekreuzigten, fangen schon ganz hübsch an, zu differenzieren u. zu integrieren.« Daher, so Schlömilch weiter, wäre es wünschenswert, »wenn Sie mein Compendium der Höheren Analysis recht oft annoncirten«.82 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber erhoben sich gerade an den Technischen Hochschulen viele kritische Stimmen, die offen das Monopol der Hochschulmathematiker in Frage stellten, den mathematischen Unterricht für andere Disziplinen zu übernehmen. Um den Hintergrund dieser Kritik zu verstehen, ist es hilfreich sich an eine Unterscheidung des Soziologen Eliot Freidson zwischen formalem Wissen und Arbeitswissen anzulehnen. Dabei verstehen wir mit Freidson unter formalem Wissen Wissen, das von Spezialisten entwickelt, in höheren Lehranstalten und Universitäten verbreitet und in einer »Disziplin« organisiert, verwendet und weiterentwickelt wird – vielleicht, wie im Falle der Mathematik, auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau –, und unter Arbeitswissen Wissen, das Praktiker ( Naturwissenschaftler, Ingenieure, Administratoren etc. ) andernorts, d. h. außerhalb der Disziplin, ihren Erfordernissen anpassen und einsetzen können.83 Neben mathematischer Forschungsarbeit im engeren Sinne lag eine zentrale Grundlage für die Erfolge der Mathematik im Deutschen Reich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der Transformation formalen mathematischen Wissens bzw. mathematischer Kompetenzen in Arbeitswissen. Wenn dieser Transformationsprozeß im Rückblick auch als Erfolgsgeschichte erscheint, war er doch für die zeitgenössischen Mathematiker angesichts der zunehmenden Etablierung der Strukturmathematik als prägendes Merkmal »moderner« Mathematik mit Schwierigkeiten behaftet. Der Braunschweiger Mathematiker Robert Fricke brachte den Zwiespalt, in dem die Mathematiker steckten, im Vorwort seines 1918 erschienenen Lehrbuchs der Differential- und Integralrechnung auf den Punkt:

82 83

48

Schlömilch an Vieweg, 27. Oktober 1889, VA Vieweg, V 15: 87, 311 S, Nr. 150. Unterstreichung im Original. Freidson, Professional Powers, bes. S. 225–229. Freidson spricht von »formal knowledge« und »working knowledge«.

Die Disziplin und ihre Publikationsorte Die abstrakte und allgemeine Gestalt, in welcher die mathematischen Schlüsse und Sätze auftreten, ist es, die dem Ingenieur unbequem erscheint. [ … ] Aber es ist eben die besondere Kraft und Bedeutung des mathematischen Denkens, den allgemeinen Gedanken vor dem besonderen Beispiele zu betonen und zu entwickeln, und die Mathematik würde ihren Hauptcharakter verlieren, wenn sie sich in die Besprechung von Einzelbeispielen auflösen würde.84

Dem Arbeitwissen, das die »Benutzer« außerhalb der Mathematik verlangten und das der Mathematik in weiten Teilen der Gesellschaft als Begründung ihrer Nützlichkeit diente, fehlten wesentliche Bestandteile, die die Mathematik um die Jahrhundertwende paradigmatisch bestimmten, nämlich die möglichst weitgehende Abstraktion und Allgemeinheit der Aussagen und die Durchführung strenger Beweise. Daher war die Aufgabe, die als Arbeitswissen benötigten mathematischen Methoden adäquat darzustellen, nicht nur didaktisch anspruchsvoll, sondern sie stellte auch immer wieder das Selbstverständnis der Mathematiker in Frage. Die Mathematik ist – auch schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts – unter den akademischen Disziplinen insofern ein Sonderfall, als ihre Methoden, Techniken und Kenntnisse vermutlich in höherem Maße als die anderer Disziplinen in einer Vielzahl von Bereichen als Arbeitswissen gefordert werden: in den Ingenieurwissenschaften ebenso wie in der Physik und der Chemie, oder auch der Architektur. Im allgemeinen sind wir über die historische Rolle der Mathematik als disziplinübergreifende Ressource und Nebenfach nur ungenau unterrichtet, am ehesten noch in bezug auf die Wünsche der Ingenieurwissenschaften und die sogenannte »antimathematische Bewegung« am Ende des 19. Jahrhunderts, die Susann Hensel eingehend beschrieben hat.85 Ein Kernstück der mathematischen Ausbildung in den nicht-mathematischen Disziplinen war die Einführung in die Differential- und Integralrechnung. Allerdings gab es noch in den 1890er Jahren wenige Lehrbücher der Differentialund Integralrechnung, die auf die Bedürfnisse dieser Disziplinen zugeschnitten gewesen wären.86 Daher mußte allgemein auf die Lehrbücher zurückgegriffen werden, die für die Studierenden der Mathematik an den Universitäten konzipiert worden waren. In den Ingenieurwissenschaften verstärkte sich seit den 1870er Jahren im Zuge der Diskussion um die Reform der Ingenieurausbildung 84 85 86

Fricke, Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung, 2 Bände, S. V. Hensel, Auseinandersetzungen. Dazu und zum folgenden s. ebd., bes. 34–42, 54 f. und 86. 49

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mehr und mehr die Kritik am mathematischen Unterricht, der in den Händen von Mathematikern lag. Er wurde als ungeeignet für die Studierenden erachtet, da er zu wenig Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nahm, und es wurden sogar Stimmen laut, die forderten, die Ingenieure sollten die Mathematik in eigener Regie lehren – ohne Zutun der Mathematiker. Bestritten wurde dabei nicht die Bedeutung der Mathematik als disziplinübergreifende Ressource, vielmehr ging es dieser »antimathematischen Bewegung« darum, daß in erster Linie geeignetes mathematisches Arbeitswissen vermittelt werden sollte und weniger formales mathematisches Wissen. Insbesondere wurde die Forderung nach zweckmäßiger Lehrbuchliteratur für die Ausbildung der Ingenieure erhoben. Der Konflikt um die geeignete Ausbildung in den nicht-mathematischen Disziplinen bedeutete zunächst eine Bedrohung des Status der Mathematik als gut ausgestatteter akademischer Disziplin. Doch die Mathematiker haben auf die vehement vorgetragene Kritik reagiert und ihre Position erfolgreich behauptet ( siehe Kapitel 3 ). Das grundsätzliche Problem der Bereitstellung geeigneten mathematischen Wissens für die nicht-mathematischen Disziplinen zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch die Geschichte der Mathematik und des mathematischen Publizierens ( siehe 7.3 ). So beschrieb zum Beispiel der 1913 von der TH Karlsruhe an die Universität Heidelberg berufene Mathematiker Paul Stäckel in seiner 1915 erschienenen Abhandlung über Die mathematische Ausbildung der Architekten, Chemiker und Ingenieure an den deutschen Technischen Hochschulen die »Ausbildung einer besonderen Hochschulmathematik« für die Technischen Hochschulen als Arbeit am Arbeitswissen, als ein ständiges Bemühen um Lehrbarkeit und Kommunizierbarkeit mathematischen Wissens: Ein der Eigenart der Technischen Hochschule entsprechender mathematischer Unterricht, der zugleich eine spezifische Ausgestaltung der Mathematik, eine besondere Hochschulmathematik bedingt, kann nur allmählich aus dem verständnisvollen Zusammenwirken von Mathematikern und Ingenieuren erwachsen. Hierin liegt zugleich, daß dieses nichts Starres und Unveränderliches ist, daß sie vielmehr mit der Entwicklung der Ingenieurwissenschaften fortschreiten, ja sich in steter Änderung befinden muß. Sollte es nicht für einen Mathematiker eine dankbare und befriedigende Aufgabe sein, seinen Unterricht in diesem Sinne auszugestalten und von Jahr zu Jahr zu vervollkommnen?87

87 50

Stäckel, Mathematische Ausbildung, Zitat S. 72 f.

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Daß dieser Aspekt jedoch nicht immer zur Zufriedenheit der Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler ausfiel, bezeugte noch 1929 die Klage des neuen Rektors der TH Karlsruhe, des Chemikers Alfred Stock, der weitere Reformen im mathematischen Hochschulunterricht wünschte: »Man will die Mathematik weniger als l’art pour l’art, denn als technisches Werkzeug behandelt haben.«88 Das Problem der geeigneten mathematischen Werkzeuge stellte sich natürlich nicht allein an den Technischen Hochschulen, sondern ebenso in bezug auf die Naturwissenschaften an den Universitäten. Der physikalische Chemiker und spätere Nobelpreisträger Walther Nernst und der Mathematiker Arthur Schoenflies veröffentlichten 1895 eine Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenschaften. Kurzgefasstes Lehrbuch der Differential- und Integralrechnung mit besonderer Berücksichtigung der Chemie, die eine bereits erwähnte Lücke in der Lehrbuchliteratur füllen sollte. Im Vorwort strichen sie die außerordentliche Bedeutung der Mathematik für die modernen Naturwissenschaften heraus: Allgemein kann man sagen, dass eine naturwissenschaftliche Disziplin die Methoden der höheren Mathematik zur Erweiterung und Vertiefung der durch direkte Beobachtungen gewon nenen Ergebnisse um so häufiger zu Rate zieht, je weitere Fortschritte die theoretische Bearbeitung der unmittelbaren Versuchsresultate macht. Im besonderen beginnt gerade die neuere Entwicklung der theoretischen Chemie sich die Methoden der höheren Mathematik nutzbar zu machen. So bemerkt z. B. Herr H. Jahn in der Vorrede zu dem soeben erschienenen Grundriss der Elektrochemie: ›Auch die Chemiker müssen sich allmählich an den Gedanken gewöhnen, dass ihnen die theoretische Chemie ohne die Beherrschung der Elemente der höheren Analysis ein Buch mit sieben Siegeln bleiben wird. Ein Differential- oder Integralzeichen muss aufhören, für den Chemiker eine unverständliche Hieroglyphe zu sein, … [ sic! ] wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, für die Entwicklung der theoretischen Chemie jedes Verständnis zu verlieren. Denn es ist ja ein fruchtloses Bemühen, in seitenlangen Auseinandersetzungen halb klar machen zu wollen, was eine Gleichung dem Eingeweihten in einer Zeile sagt.‹89

Aus diesen grundsätzlichen Äußerungen von Stäckel, Nernst und Schoenflies spricht nicht nur die nicht von der Hand zu weisende Erkenntnis, daß die 88 89

Stock, Technische Hochschule, S. 14. Nernst / Schoenflies, Einführung, S. Vf. 51

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Mathematik eine disziplinenübergreifende Ressource war.90 Zugleich belegen sie den Umstand, daß diese Diversifizierung der Mathematik – d. h. ihre Rolle als Arbeitswissen, Schlüsseltechnologie und Nebenfach –, der Mathematik und ihren Publikationsformen Märkte außerhalb der eigenen Disziplin eröffneten, deren Erschließung nicht allein ein zentrales Element in den akademischen Legitimierungsstrategien der Mathematiker darstellte, sondern zudem im Interesse der Verlage lag, die die Mathematik als disziplinübergreifende Ressource vermarkten konnten. Ein Blick auf die Studierendenzahlen belegt, daß die Verlage ausgezeichnete Voraussetzungen hatten, um die mathematischen Märkte außerhalb der Mathematik zu kultivieren. Im Wintersemester 1887 / 88 waren knapp 3500 Studierende an deutschen Technischen Hochschulen eingeschrieben. Die Zahlen stiegen bis WS 1898 / 99 auf knapp 11.000, bis WS 1901 / 02 auf knapp 15.000, dann folgte eine kurze Stagnation bzw. eine leicht rückläufige Tendenz bis zum Ersten Weltkrieg. Ab WS 1919 / 20 wuchsen die Zahlen wieder auf knapp 26.000 Studierende im WS 1922 / 23. Die Zahl der Studierenden in der Mathematik und den Naturwissenschaften an den deutschen Universitäten stieg kontinuierlich von 2800 im WS 1887 / 88 auf über 7500 bis zum Jahr 1914.91 Die Zahlen für die Mathematik belegen für Preußen eine Verdopplung von 760 Studierenden im Sommersemester 1900 auf um 1500 in den Jahren 1905–1909.92 Um von dieser doppelten Expansion der Studierendenzahlen an den Universitäten und an den Technischen Hochschulen profitieren zu können, stellte sich für die Verlage offensichtlich die Frage, wie formales mathematisches Wissen in benutzbares und erlernbares Arbeitswissen umgesetzt werden konnte. Erfolgreiche Beispiele dafür sind die Mathematik in der Sammlung Göschen um 1900 sowie die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen mit besonderer Berücksichtigung der Anwendungsgebiete in den 1920er Jahren ( siehe 6.6.1 ). Hier tritt unmittelbar das Problem der Kommunizierbarkeit bzw. des kommunizierbar Machens von Wissen auf, denn entscheidend ist natürlich, wie formales mathematisches Wissen in benutzbares und erlernbares Arbeitswissen umgewandelt werden kann, wie es kommunizierbar wird, und insbesondere wie es schriftlich kommunizierbar wird. Für Arbeitswissen und 90 91 92

52

Dazu siehe in Anlehnung an die Arbeiten Rudolf Stichwehs: Schubert, Zeit als Instrument, S. 248. Zahlen nach Titze, Datenhandbuch, Tab. 7 S. 46 und Tab. 51 S. 140. Zahlen nach Schoenflies, Statistik, S. 43, wo es heißt: »Zu den 1530 Studierenden des letzten Semesters [ = Wintersemester 1908 / 09 ] kommen noch 49 immatrikulierte Damen.«

Die Disziplin und ihre Publikationsorte

formales Wissen sowie alle Wissensformen zwischen diesen Polen stellt sich die gleiche grundsätzliche Frage: welches Wissen wird gebraucht und wie wird es kodifiziert, d. h. insbesondere wie wird es lehrbar, lernbar, verwendbar und nicht zuletzt verkaufbar gemacht? Die Verlage benötigten mit fortschreitender Entwicklung und Diversifizierung der Mathematik zunehmend Entscheidungshelfer, die mathematische Manuskripte beurteilen, eventuell Themen anregen und den Bedarf an mathematischen Publikationen auf dem Buchmarkt einschätzen konnten. Diese Funktion übernahm schließlich der mathematische Verlagsberater ( siehe Kapitel 7 ). Für die an der Mathematik interessierten Verlage stellten sich die Zukunftsaussichten um 1900 demnach überaus günstig dar. Die Mathematik als akademische Disziplin aber rang mit einem Problem, das zu einer großen Verunsicherung unter den Mathematikern in Deutschland führte und die so glänzenden Zukunftsaussichten trübte: der Frage nach der Rolle der Mathematik in der Kultur.

53

3

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Carl Friedrich Gauß sei, so meinten viele Mathematiker am Ende des 19. Jahrhunderts, der letzte ( deutsche ) Mathematiker gewesen, der die gesamte Breite der Mathematik habe überschauen können. Seine Gesammelten Werke ( 1863–1933 ) legten um 1900 als stetig wachsendes Denkmal Zeugnis von einer vergangenen Einheit der mathematischen Wissenschaften ab, die bei Gauß nicht allein die reine Mathematik, sondern ganz selbstverständlich auch die Physik, Astronomie und Geodäsie umfaßte. Man kann die seit 1894 / 95 unter Federführung von Felix Klein publizierte vielbändige Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften als letzten – und letztlich gescheiterten – Versuch interpretieren, eine solche Einheit der mathematischen Wissenschaften unter Einschluß ihrer Anwendungen in Druckform vorzulegen. In der Realität war mit der Expansion der Disziplin eine Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Mathematik verbunden, die zwar institutionell als Erfolgsgeschichte erfahren wurde, aber in der Gefühlswelt der Mathematiker zu einer Verunsicherung führte. War nicht die Welt der Mathematik in zahlreiche Spezialgebiete zerfallen, deren Ergebnisse nur noch für eine Handvoll Experten zu verstehen oder gar von Interesse waren, wie der Berliner Mathematiker Lazarus Fuchs es in seiner Berliner Rektoratsrede im Jahr 1900 beklagte?1 Man schrieb immer weniger für die Gesamtheit der Kollegen, sondern zunehmend nur für die Gruppe der Spezialisten auf einem Gebiet, und die Bedeutung der Ergebnisse für das große Ganze der Mathematik war im Begriff zu verschwinden.2 Diese Entwicklung, die Herbert Mehrtens als Modernisierung der Mathematik um 1900 analysiert hat, stellte die Mathematiker als soziale Gruppe vor 1 2

Fuchs, Über einige Thatsachen, S. 4. Dazu siehe Kline, Mathematical Thought, S. 1023–1039: Mathematics as of 1900, bes. S. 1024. 55

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große Herausforderungen. Die Formierung der Mathematik als akademische Profession bedeutete in der Realität die Organisation von Heterogenität und das Zusammenhalten von weit auseinander liegenden Spezialgebieten unter gleichzeitiger Propagierung der Einheit der Mathematik als Balsam für die zerrissene kollektive Seele der Mathematiker.3 In seinem Pariser Vortrag von 1900 rang auch David Hilbert mit diesem Zwiespalt, als er die Frage stellte, ob angesichts der Ausdehnung der Mathematik ihr »einst bevorsteht, was anderen Wissenschaften längst widerfahren ist, nämlich daß sie in einzelne Teilwissenschaften zerfällt, deren Vertreter kaum noch einander verstehen und deren Zusammenhang immer loser wird«. Wenn Hilbert jedoch mit großem Pathos schließt, daß der »einheitliche Charakter der Mathematik [ … ] im inneren Wesen dieser Wissenschaft begründet« liege, weil die Mathematik »die Grundlage alles exakten naturwissenschaftlichen Erkennens« sei, spricht er zwar den Verstand, aber nicht unbedingt die Seele seiner verunsicherten Kollegen an.4 Diese Kollegen sahen sich vor die komplexe Aufgabe gestellt, die Rolle der Mathematik in der Kultur ihrer Zeit zu definieren und zu gestalten. Dabei kam natürlich dem reflexartigen Hinweis auf die Anwendungen der Mathematik eine wichtige Funktion zu. So hat der Karlsruher Mathematiker Paul Stäckel in seiner Rektoratsrede von 1910 eine wichtige Rolle der DMV darin gesehen, »die einzelnen Teile ihrer Wissenschaft, die auseinander zu fallen drohte, in lebensvolle Verbindung und Wechselwirkung zu setzen, und, getreu dem Wahlspruch der Vereinigung: ›Artem geometriae dicere atque exercere publice interest‹, die Fühlung mit den lange vernachlässigten Anwendungen herzustellen.«5 Hilbert formulierte in seiner Vorlesung Wissen und mathematisches Denken vom Wintersemester 1922 / 23 pointiert und machtbewußt die Bedeutung der Anwendungen der Mathematik: »Unsere ganze gegenwärtige Kultur, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung der Natur beruht, findet ihre Grundlage in der Mathematik.«6 An solchen Aussagen mangelt es nicht, aber mit diesem seit der Antike stets verwendeten Hauptargu3 4 5

6

56

Dazu siehe Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, Kapitel 5: Die Modernisierung der Mathematik um 1900. Zit. n. Alexandrov, Die Hilbertschen Probleme, S. 79 f. Stäckel, Geltung und Wirksamkeit, S. 14. Zum Motto der DMV »Artem geometriae dicere atque exercere publice interest« ( Die Kunst der Geometrie zu lernen und zu üben liegt im öffentlichen Interesse ) vgl. Knobloch, Mathesis perennis, S. 179 f. Hilbert, Wissen und mathematisches Denken, S. 4. Hilbert zitiert hier Voss: Wesen der Mathematik, S. 2.

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ment der Anwendbarkeit und des praktischen Nutzens ließ sich die Bedeutung der Mathematik in der Kultur kaum begründen, denn dieses Argument zielte eher auf ihre Rolle in der Zivilisation. Dabei sind die Begriffe Kultur und Zivilisation in historischer Perspektive nicht klar bestimmt, sondern bezeichnen eher Assoziationsfelder, in denen sich die Zeitgenossen bewegten. Georg Bollenbeck hat in seiner Studie zur Geschichte der Kulturkritik einige der Charakteristika und Assoziationen aufgelistet, die für das Verständnis der Spannung zwischen Zivilisation und Kultur sehr aufschlußreich sind. Nach Bollenbeck ist der Begriff Zivilisation in der Zeit um 1900 negativ besetzt, denn sie sei als seelenlos, mechanisch, nivellierend, nützlich und technisch gesehen worden – als »Reich der Notwendigkeit«. Viel höhere Wertschätzung habe die Kultur als »Reich der Freiheit« genossen, verherrlicht als lebendig und seelenvoll, zweckfrei und geistig. Die Sollseite der modernen Zeit wurde in dieser Sicht schlichtweg der Zivilisation zugeschlagen, während der schwammige Begriff der Kultur eine ausufernde Überhöhung erfuhr.7 So gesehen ist die Mathematik um 1900 eine Wissenschaft zwischen Zivilisation und Kultur, denn ihre Anwendungen fallen ins »Reich der Notwendigkeit« und zugleich bewegt sie sich zweckfrei und geistig im »Reich der Freiheit«. Im Bereich der Zivilisation beanspruchte die Mathematik ihren selbstverständlichen Platz, wie es Klein, Hilbert, Stäckel und zahlreiche andere Mathematiker vor und nach ihnen immer wieder betonten und betonen, wenn auch die antimathematische Bewegung, die in den 1890er Jahren von den Technischen Hochschulen ausging, sogar diese Selbstverständlichkeit in Frage stellte. Die Rolle der Mathematik in der Kultur konnte sich allerdings nicht – und schon gar nicht ausschließlich – auf die Anwendungen beziehen. Es bedurfte anderer Argumente, um ihr einen Platz im Kulturleben zuzuweisen. Aber war diese anspruchsvolle Aufgabe überhaupt zu lösen oder war das Scheitern vorgezeichnet? Klein argumentierte unermüdlich für die Einheit der Kultur, in der die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer eine selbstverständliche Rolle einnehmen sollten, und stemmte sich aus diesem Grunde nachdrücklich gegen die Aufspaltung der philosophischen Fakultät. Allerdings hat er in den 1920er Jahren rückblickend festgestellt, daß das Projekt gescheitert war, »eine einheitliche Kulturstimmung herauszubilden, die das exakt-wissenschaftliche Element als einen eigenartigen und selbstverständlichen Bestandteil mit umfaßt«.8 Um die Jahrhundertwende aber war unter Mathematikern in Deutschland die Hoffnung groß, ihre Wissenschaft könne sowohl Teil einer solchen »einheitlichen 7 8

Bollenbeck, Geschichte der Kulturkritik, S. 204 f. Klein, Vorlesungen, S. 100. 57

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Kulturstimmung« werden als auch ihre eigene Einheit bewahren. Diese beiden Aspekte werden häufig in Reden über die Mathematik angesprochen.

3.1

Reden über Mathematik

Aus der Zeit von den 1890er Jahren bis nach der Jahrhundertwende liegt eine Vielzahl gedruckter Reden vor, die zu unterschiedlichen Anlässen von Mathematikern gehalten und häufig alsbald publiziert wurden. Die Anlässe waren sowohl universitätsinterne Veranstaltungen wie Rektoratsübergaben als auch solche, die über den universitären Rahmen hinausgingen, wie die alljährliche Feier des kaiserlichen Geburtstages. Es handelte sich in den meisten Fällen nicht um mathematische Fachvorträge in engsten Sinn, sondern um allgemeinverständliche Vorträge, die thematisch weiter gefaßt die Mathematik in einen größeren wissenschaftlichen oder kulturellen Kontext stellten. Bereits die gewählten Themen wie zum Beispiel Über Wert und angeblichen Unwert der Mathematik (Alfred Pringsheim ), Mathematik und Bildung ( Carl Runge ) oder Über das Wesen der Mathematik (Aurel Voss ) deuten an, daß die Vorträge unter anderem zur Reflexion über den ideellen Standort der mathematischen Wissenschaft anregen sollten. Daher können sie Auskunft geben über die Selbstdarstellung, Selbstwahrnehmung und Selbstvergewisserung der Mathematiker in einer Zeit, in der sich ihre Disziplin sowohl im universitären Fächerkanon als auch im zeitgenössischen Kulturleben einem deutlichen Legitimationsdruck ausgesetzt sah.

3.1.1

Mathematik im Kontext von Kultur und Bildung

Die Frage nach der Rolle der Mathematik in der modernen Kultur bildete den Mittelpunkt vieler solcher Reden. Hierbei standen zwei Aspekte in engem Zusammenhang. Erstens wirkte das neuhumanistische Wissenschaftsideal vom Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr konsensbildend, so daß sich das »homogene inneruniversitäre Wertmilieu« in Auflösung befand.9 Angesichts der Forderungen nach einer Stärkung der Anwendungen führte die Berufung der reinen Mathematik auf den Geist des Neuhumanismus am Ende des Jahrhunderts zu einem Legitimitätsproblem.10 Die Vertreter der reinen Mathematik sahen sich mit dem Problem konfrontiert, daß sie sich und insbesondere ihre Nützlichkeit 9 10

58

Vgl. hierzu ausführlich Stichweh, Entstehung, S. 193. Dazu Felix Klein: »Das neuhumanistische Ideal der reinen Wissenschaft als Selbstzweck, das die Verachtung aller Nützlichkeit im gemeinen Sinne in sich

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

nicht nur innerhalb der Universität rechtfertigen, sondern auch ihren Status innerhalb der allgemeinen Kultur verteidigen bzw. neu definieren mußten. Zweitens kam hinzu, daß die Rückbindung der Mathematik an neuhumanistischbildungsbürgerliche Werte angesichts der zunehmenden Technikgläubigkeit nicht mehr ausreichend sein konnte. Im Hinblick auf die Erfolge der aufstrebenden Naturwissenschaften und der Medizin wurden diese Werte geradezu hoffnungslos anachronistisch. Der auf den Vorstellungen des Neuhumanismus fußende Bildungsbegriff hatte den Status der reinen Mathematik nie in Frage gestellt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich der Bildungsbegriff jedoch genauso wie der Begriff der Kultur und das bis dahin gesellschaftlich normgebende Bildungsbürgertum verlor seine soziale Leitfunktion zugunsten der naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz. Bildung bezog sich nun nicht mehr auf »einen persönlichen, inneren Wert«, sondern auf die »Summe objektiver Kenntnisse und Verhaltungsweisen«11 und wurde als Akkumulation von Wissensbeständen interpretiert. Die Naturwissenschaften konnten auf ihre Bedeutung innerhalb der Zivilisation verweisen und technische Errungenschaften sowie naturwissenschaftlichen Fortschritt als gesellschaftlich und kulturell wertvoll deuten. Die Geisteswissenschaften, besonders die Germanistik und die Geschichte, konnten auf ihre nationalbildende Funktion und damit auf eine Kernaufgabe im nationalen Kulturspektrum verweisen. Die Mathematik hingegen stand inmitten dieses Spannungsverhältnisses und ließ sich weder der einen noch der anderen Sichtweise zuordnen. Als frühe Positionierungsversuche sind die Auffassungen von Emil Lampe aus dem Jahr 1893 und von Aurel Voss aus dem Jahr 1908 zu werten. Lampes Rede Über die Entwicklung der Mathematik im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Kultur steht am Ende des Jahrhunderts, als sich der Kulturbegriff in einem radikalen Wandel befand.12 Der Diskurs über die Kultur entfaltete sich vor allem in den Geisteswissenschaften, in den Philologien und der Geschichte, und brachte neue dezidiert auf die Kultur bezogene Forschungsperspektiven hervor, wie die von Karl Lamprecht favorisierte Kulturwissenschaft, die von Alfred Weber vertretene Kultursoziologie oder Georg Simmels Arbeiten zur Kulturphilosophie. Den Beitrag der Mathematik zur Kultur und ihre Rolle in der Kultur galt es neu zu bestimmen. Es ist bezeichnend, daß Leo Königsberger, als er 1913 über die

11 12

barg, führte bald zu einer geflissentlichen Abkehr von allen der Praxis zugewandten Bestrebungen«. In: Klein, Vorlesungen, S. 95. Vgl. hierzu Simmel, Philosophie des Geldes, S. 621. Zur Semantik des Kulturbegriffs um 1900 vgl. umfassend z. B. Bollenbeck, Bildung und Kultur, S. 229–239. 59

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Frage reflektiert, ob die Mathematik eine Geistes- oder eine Naturwissenschaft sei, einen kulturwissenschaftlichen Aspekt herausgreift: »[ … ] ein Lexikon für die Werke von Euler oder Gauss würde, kulturwissenschaftlich betrachtet, nicht zurückstehen gegen ein solches der Schriften von Plautus und Terenz«.13 Lampe wie Königsberger ziehen in ihren Vorträgen Gauß als Gewährsmann heran. Lampe deutet Gauß geradezu als nationale Integrationsfigur, »als würdige[ n ] Fürst der Mathematiker neben den Dichterfürsten Schiller und Goethe«,14 und forderte, Mathematikern im Land der Dichter und Denker genauso eine nationalidentitätsstiftende Rolle zuzuweisen wie den Autoren der Weimarer Klassik.15 Dies war Ausdruck des Selbstverständnisses, daß Mathematiker eine kulturrelevante Leistung erbringen, die über die konkreten mathematischen Problemlösungen hinausgeht. Dabei spielt Kultur als Ausdruck nationaler Identität eine besondere Rolle, denn Lampe grenzt die Leistungen von Gauß explizit gegen diejenigen französischer Mathematiker ab und stellt ihn an den Anfang der Blüte der Mathematik in Deutschland. Der nationale Aspekt ist hier leitend und wird verständlich, wenn man in Betracht zieht, daß die Geisteswissenschaften, »indem sie sich dem nationalen Sinndeutungsdienst unterstellen, weiterhin Führungsansprüche gegenüber den Naturwissenschaften geltend machen«.16 Stäckel spricht 1910 in seinem Vortrag über Geltung und Wirksamkeit der Mathematik von der »modernen Kultur«, die – im Gegensatz zu Lampes Bezug auf die Wertvorstellungen und Leitbilder der alten Bildungseliten – für ihn selbstverständlich die zeitgenössischen Entwicklungen in Technik und Organisation umfaßt, d. h. Aspekte, die nach dem vergehenden Kulturverständnis zum Bereich der Zivilisation zählten. Damit gelingt es ihm, den Kulturbegriff zeitgemäß um diejenigen Aspekte zu erweitern, auf die sein Fachgebiet Einfluß nimmt: In Wirklichkeit gibt es nämlich gegenwärtig kaum eine Wissenschaft, die in engeren Beziehungen zum öffentlichen Leben stände, wie die Lehre von Zahl und Raum. Der Richter, der Verwaltungsbeamte und der Parlamentarier, der Offizier, jeder Gebildete sehen sich immer häufiger vor Fragen gestellt, zu deren richtiger Beantwortung ein gewisses Mass mathematischnaturwissenschaftlichen Verständnisses unerlässlich ist.17 13 14 15 16 17 60

Königsberger, Mathematik, S. 13. Lampe, Entwicklung der Mathematik, S. 13. Gauß wurde erst 2007 in die Walhalla aufgenommen und stand dabei in Konkurrenz zu Heinrich Heine. Bollenbeck, Bildung und Kultur, S. 253. Stäckel, Geltung und Wirksamkeit, S. 15.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Daß der Mathematiker eine kulturell wertvolle Aufgabe erfüllt, steht mit dieser Argumentation außer Frage. Mathematische Bildung als Voraussetzung, die beruflichen Anforderungen in der Moderne erfüllen zu können, verweist zwar auch auf die praktische Nützlichkeit der Mathematik, wird von Stäckel aber gleichzeitig kulturell überhöht. Den Abschied vom alten Bildungsbegriff und dem traditionellen Kulturverständnis hält Eugen Jahnke in seinem Vortrag Mathematische Forschung und Technik ( 1910 ) für dringend geboten: Hauptforderung wäre Abkehr von dem System der sogenannten allgemeinen Bildung, Zurückdrängung des humanistischen Bildungsideals aus seiner dominierenden Stellung und Aufrichtung eines modernen Bildungsideals, das sich zur Aufgabe stellt: den Schüler in das Verständnis der modernen Geschichte unseres Volkes, in das Verständnis der Kultur der Gegenwart einzuführen.18

Nur auf Basis eines neuen Kulturverständnisses, das die anwendungsbezogenen Wissenschaften ausdrücklich einschließt, könnten sie ihrer Rolle nachkommen, zur »Hebung und Festigung von Deutschlands Macht und Ansehen« beizutragen.19 Damit verbindet Jahnke jedoch das Loblied der zweckfreien mathematischen Grundlagenforschung.20 Wie schwierig eine Positionsbestimmung war, zeigen diese unterschiedlichen Argumentationsansätze. Alle Redner heben zwar die Zugehörigkeit der Mathematik zur zeitgenössischen Kultur hervor, es wird aber auch deutlich, daß der Wandel des Kulturbegriffs zu Verunsicherung führt. Der Anteil der Mathematik an der zeitgenössischen Kultur durfte sich nicht ausschließlich aus ihrem praktischen Nutzen, aus ihren Dienstleistungen für andere Wissenschaften herleiten lassen, wie der Münchener Alfred Pringsheim 1904 betont: Und es wäre gerade so irrig, ja ich möchte sagen, unaufrichtig, die Existenzberechtigung jeder rein mathematischen Untersuchung aus der entfernten Möglichkeit anderweitiger Anwendung herleiten zu wollen, wie wenn man etwa die Forderung der nötigen Geldmittel für eine Polarexpedition damit motivieren wollte, es erscheine gar nicht ausgeschlossen, dass mit der Zeit noch sehr gewinnbringende Handelsbeziehungen daraus erwachsen könnten.21 18 19 20 21

Jahnke, Mathematische Forschung und Technik, S. 21. Ebd., S. 24. Ebd., S. 9. Pringsheim, Wert der Mathematik, S. 34. 61

Eine Disziplin und ihre Verleger

Die Mathematik wollte sich offenbar nicht als seelenlose Zivilisationstechnik abstempeln lassen, sondern wünschte sich einen Platz in der Kulturwelt. Diesen Gedanken entwickelte auch August Gutzmer, als er 1914 das Rektorat der Universität Halle übernahm. In seiner Rede Zum Jubiläum der Logarithmen sah er ihre Erfindung nicht allein unter dem Nutzaspekt, obwohl sie schon dadurch »eine echte Kulturtat« darstellten, sondern als den Leistungen zugehörig, »die in ihrer Bedeutung für die allgemeine Kultur die Jahrhunderte überdauert haben«.22 Der Göttinger angewandte Mathematiker Carl Runge formulierte 1915 sehr deutlich die Forderung, daß auch der Mathematiker »seinen Wert für die Gesamtheit nachzuweisen« habe; denn wenn »man die Bedeutung der Mathematik klarstellen will, so hat man [ … ] einmal zu zeigen, wie weit elementares mathematisches Denken verbreitet ist, ohne als solches anerkannt zu sein und auf der andern Seite, so weit es nicht elementar ist, seinen Zusammenhang mit der allgemeinen Kultur deutlich zu machen.«23 Runges Kulturbegriff ist soweit ausgedehnt, daß er die arabischen Ziffern und das Rechnen mit ihnen nicht als bloße Zivilisations-, sondern als zwar elementare, aber doch essentielle Kulturtechnik betrachtet, »ohne die der heutige Zustand der menschlichen Kultur nicht denkbar wäre«.24 Aber auch jenseits elementarer mathematischer Wissensbestände wies Runge der Mathematik eine zentrale Bedeutung »für die menschliche Kultur« zu, da sie »ein gedankliches Handwerkszeug bildet, um die Wirklichkeit zu erfassen, zu verstehen und darzustellen«.25 Doch auch dieses Argument zeugt weniger von einer Integration der Mathematik in die Kultur der Zeit als von einer Ausdehnung des Kulturbegriffs in die Bereiche von Naturwissenschaft und Technik. Der Münchener Mathematiker Aurel Voss begann seine 1908 vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehaltene Rede Über das Wesen der Mathematik mit einem Abschnitt über Die Mathematik als Grundlage der gegenwärtigen Kultur, in dem er einen ähnlich ausgedehnten Kulturbegriff zu Grunde legt wie später Runge und feststellt, »daß u n s e r e g a n z e g e g e n w ä r t i g e K u l t u r, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung der Natur beruht, i h r e e i g e n t l i c h e G r u n d l a g e i n d e n m a t h e m a t i s c h e n Wi s s e n s c h a f t e n f i n d e t .«26 Wenige Jahre danach steuerte Voss unter dem 22 23 24 25 26 62

Gutzmer, Jubiläum der Logarithmen, S. 3 f. Runge, Mathematik und Bildung, S. 401. Ebd., S. 403 u. 405. Ebd., S. 410. Voss, Über das Wesen der Mathematik, S. 2. Hervorhebung im Original.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Titel Die Beziehungen der Mathematik zur allgemeinen Kultur eine Abhandlung zu dem bei Teubner erscheinenden groß angelegten Sammelwerk Die Kultur der Gegenwart bei.27 Gleich zu Beginn löst er – der Intention des Sammelwerkes entsprechend – das Spannungsfeld zwischen Zivilisation und Kultur auf, indem er Kultur umfassend definiert: Unter Kultur verstehen wir die Gesamtheit aller Bestrebungen, durch welche der Mensch sich aus dem nur auf die Befriedigung der nötigsten Bedürfnisse des Lebens gerichteten Zustande zu einer höheren Stufe des Daseins erhebt, in der zugleich mit der Ausbildung aller feineren Äußerungen seines sinnlichen und geistigen Wesens auch die Mittel geschaffen werden, den Forderungen derselben gerecht zu werden. Dieser allgemeine Begriff der Kultur umfaßt nicht nur den jeweiligen Zustand der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung, sondern auch das ganze Gebiet der künstlerischen, sozialen, sittlichen und religiösen Formen, in denen das Leben der Menschheit sich ausprägt. Hier, wo es sich darum handelt, die Beziehung einer W i s s e n s c h a f t , wie der M a t h e m a t i k , zu der gegenwärtigen Kultur darzulegen, wird selbstverständlich ganz vorwiegend von der Kultur im ersten Sinne zu handeln sein.28

Aus der Zivilisation wird in seiner Sicht »technische und wissenschaftliche Kultur«. Daß in dieser maximal erweiterten Kulturauffassung der Mathematik ein Ehrenplatz zukam, bedurfte kaum mehr der von Voss entwickelten historischen und philosophischen Begründung. Es gab keine neuen Argumente, aber eine neue Hierarchie. Die kulturelle Bedeutung der Mathematik wurde in der Regel durch den Hinweis auf ihre Geschichte begründet, die auf die Babylonier und die Ägypter zurückreiche und bei den Griechen erste Höhepunkte gefeiert habe. Dieser Ansicht hatte Moritz Cantor in seinen Vorlesungen über Geschichte der Mathematik ein Denkmal gesetzt, in denen er versuchte, eine Vielzahl von Quellen und Meinungen zu einem einheitlichen Bild vom Fortschreiten der Mathematik zu formen und dieses Bild in die Entwicklung der menschlichen Kultur einzupassen.29 In den Reden der um Selbstvergewisserung ringenden deutschen Mathe27 28 29

Zur Kultur der Gegenwart s. Tobies, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik als Bestandteile der Kultur der Gegenwart, S. 29–43. Voss, Beziehungen der Mathematik, S. 1. Hervorhebung im Original. Moritz Cantor: Vorlesungen über Geschichte der Mathematik, 3 Bände, Leipzig und Berlin: B. G. Teubner 1880–1898; ein vierter Band erschien 1908. 63

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matiker wurde die historische Dimension häufig durch den Hinweis ergänzt, daß gerade den Mathematikern in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Führungsrolle in der Entwicklung der Mathematik zukomme.30 Im historischen Gewande versuchte auch der Freiburger Jakob Lüroth in seiner Rektoratsrede von 1889, Über die Geschichte der Infinitesimalrechnung, der Mathematik einen Platz in der modernen Kultur zuzuweisen, denn ihr müsse »ein mächtiger Einfluß auf die Gestaltung des modernen Lebens zugeschrieben werden«.31 Zwei Jahrzehnte später sah Stäckel in seiner Karlsruher Rektoratsrede, die den Bogen von den Babyloniern und den Ägyptern bis in seine Gegenwart spannte, die Erfolgsgeschichte der Mathematik als akademische Disziplin mit gemischten Gefühlen, da sie die Verbindung mit den Nachbarwissenschaften verloren habe: Wenn die Mathematik dadurch nach innen viel gewann, so musste sie doch nach aussen verlieren. Sie stieg herab von ihrem Königsthron und stellte sich in die schwesterliche Reihe der Einzelwissenschaften, welche die Lebensarbeit eines Forschers ausfüllen. Während noch Gauss in einer Person Mathematiker und Physiker, Astronom und Geodät gewesen war, kam jetzt die Zeit, wo die Mathematiker ihren Stolz darein setzten, nichts als ›reine‹ Mathematiker zu sein, und wo sie sich innerhalb ihrer Wissenschaft auf einen kleinen Bereich beschränkten, um darin das Höchste zu leisten. Dabei ging die früher so innige Verbindung mit den Naturwissenschaften verloren, und dies geschah um so leichter, als sich dort nicht nur ähnliche spezialisierende Bestrebungen geltend machten, sondern auch die Ansichten über die Wirksamkeit der Mathematik erhebliche Änderungen erfuhren.32

Stäckel führte Gauß als leuchtendes Vorbild einer Zeit an, in der der Mathematik immerhin noch eine feste Rolle in der »technischen und wissenschaftlichen Kultur« (Voss ) zukam. Doch inzwischen war auch diese Rolle gefährdet, wie es die antimathematische Bewegung auf unangenehme Weise gezeigt hatte, und es mochte Stäckel scheinen, als stehe die Mathematik isoliert zwischen Zivilisation und Kultur. Was aber macht in dieser komplexen, von gefühlten Bedrohungen gekennzeichneten Situation den Mathematiker aus? Auf diese Frage gab Paul du BoisReymond in seiner Tübinger Antrittsrede von 1874, Was will die Mathematik 30 31 32 64

Z. B. in der Rektoratsrede von Staude, Hauptepochen, bes. S. 14 f. Lüroth, Geschichte der Infinitesimalrechnung, hier S. 51. Stäckel, Geltung und Wirksamkeit, S. 10 f.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

und was will der Mathematiker?, eine Antwort, die erst 1910 publiziert wurde. Du Bois-Reymond argumentiert einerseits – und an diesem bis heute obligatorischen Argumentationsmuster liegt ihm nicht viel – vom »Utilitätsstandpunkt« aus, betont aber, daß er »in der Mathematik etwas Höheres als eine Hilfswissenschaft erblicke«. Denn andererseits und wichtiger noch bilde sie »eine eigene Art Philosophie mit positivem Resultate; sie ist aber auch eine Kunst im tiefsten Sinne des Wortes«.33 Natürlich folgte du Bois-Reymond mit der Interpretation der Mathematik als Kunst und Philosophie zugleich einem verbreiteten zeitgenössischen Muster, das auch den Mathematiker als Dichter beinhaltete, wie ihn Kronecker in der eleganten Formulierung »Nos mathematici sumus isti veri poetae sed quod fingimus nos et probare decet« gepriesen hatte.34 Es verlor allerdings kaum an Attraktivität, und insbesondere im Angesicht des kulturellen Bedeutungsverlustes wurde es gern wiederholt. Pringsheim etwa beschwor 1904, daß im »wahren Mathematiker [ … ] allemal ein gutes Stück vom Künstler, vom Architekten, ja vom Poeten« stecke.35 Heinrich Liebmann nahm diesen Faden 1905 in seiner Leipziger Antrittsvorlesung Notwendigkeit und Freiheit in der Mathematik auf, in der er die Mathematik als eine »freie, schöpferische Kunst« und als »eine Kunst des Denkens« bezeichnete, auf die der Satz angewendet werden müsse, »daß der Künstler schaffen und nicht von sich reden soll, daß er nur durch sein Werk für sich werben soll.« Liebmann treibt den selbstbewußten Vergleich mit der Kunst, die eben nicht auf Profit- oder Nützlichkeitserwägungen ziele, noch weiter: Gerade unsere moderne Kunst weist es nach dem Ausspruch einer ihrer anerkannten Meister ( Max Liebermann ) mit Stolz von sich, zum Publikum zu gehen und ihm gefällig zu sein; sie verlangt vielmehr, daß der Laie sich ihrem Sehn und Empfinden anpaßt. Dieser spröde Stolz steht aber gewiß einer Kunst des Denkens eben so gut wie der bildenden Kunst.36

Mit dieser selbstverständlichen Einreihung unter die Künstler und Kulturschaffenden war ein wesentlicher Aspekt der Disziplinenkultur der Mathematik beschrieben. Doch bevor man diese ideale Welt betreten konnte, die die Ma-

33 34 35 36

Bois-Reymond, Was will die Mathematik, S. 198. »Wir Mathematiker sind die wahren Dichter, allerdings müssen wir, was wir ersinnen, noch beweisen.« Pringsheim, Wert der Mathematik, S. 36. Liebmann, Notwendigkeit und Freiheit, S. 230. 65

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thematiker, so Pringsheim, »zur vollkommensten aller Welten auszugestalten suchen«37, mußte man die Mathematik erlernen. Zum Selbstverständnis des Mathematikers gehörte folgerichtig dann auch, die nachfolgende Generation im umfassenden Sinne zu bilden, und nicht nur auszubilden für eine konkrete Berufstätigkeit. Auch dieser Aspekt wurde in den Reden wiederholt angesprochen.38 Mit dem Studium der Mathematik sollte eine Geisteshaltung gefördert werden, die sich nicht auf die Kenntnis erforderlichen Arbeitswissens beschränkt, sondern einem höheren Wissensverständnis verpflichtet war. So forderte Emil Jahnke von den Studierenden, »daß Sie sich nicht damit begnügen, einzelne wissenschaftliche Resultate und Theorien mit ins Revier hinauszunehmen, sondern daß Sie sich mit dem Geiste der Forschung erfüllen, der das einmal ins Auge gefaßte Ziel mit unbeugsamer Energie verfolgt, und der in der Freude über den errungenen Fortschritt den schönsten Lohn für sein Streben erblickt.«39 Die Propagierung von Bildungsidealen, die über die Anhäufung von Wissensbeständen hinausgehen, verweist gleichermaßen auf die tragende Rolle des Nutzens und der Anwendbarkeit der Mathematik wie auf die humanistische Tradition.

3.1.2

Reden mit dem Ziel der inneruniversitären Integration

»Die Mathematik, so hören wir, wurde im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts zu einer Einzelwissenschaft.«40 Mit dieser Feststellung bezog sich Stäckel auf zwei Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, die um die Jahrhundertwende besonders deutlich zum Tragen kamen: Erstens der Aufstieg der Mathematik zur autonomen Universitätsdisziplin sowie die Ausdifferenzierung auch der anderen, besonders der naturwissenschaftlichen Disziplinen, und zweitens die Neueinrichtung Technischer Hochschulen für technik- und ingenieurwissenschaftliche Studiengänge, denen das Promotionsrecht erteilt wurde. Die Ausdifferenzierung des Fächerkanons an den Universitäten führte sowohl inhaltlich wie auch organisatorisch zu abgrenzbaren Forschungseinrichtungen wie Lehrstühlen und Instituten. In Göttingen beispielsweise wurden Lehrstühle für physikalische Chemie und Elektrochemie, für angewandte Physik und angewandte Mathematik, für Geophysik, für anorganische Chemie und für landwirtschaftliche Bakte-

37 38 39 40 66

Pringsheim, Wert der Mathematik, S. 36. Zum Beispiel bei Stäckel, Geltung und Wirksamkeit, S. 17. Jahnke, Mathematische Forschung, S. 24. Stäckel, Geltung und Wirksamkeit, S. 13.

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riologie gegründet.41 Diese modernen Forschungs- und Lehrgebiete im Bereich der angewandten Wissenschaften provozierten nicht nur in Göttingen die Frage nach ihrer Verortung in der traditionellen philosophischen Fakultät, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts vom humanistischen Bildungsanspruch geprägt war und deren Mitglieder darauf ihr wissenschaftliches und auch kulturelles Selbstverständnis aufbauten. Die Auflösung der Struktur der philosophischen Fakultät stand als Resultat dieses Ausdifferenzierungsprozesses zur Debatte. Die Beantwortung der Frage nach der gegenwärtigen und zukünftigen Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit der Mathematik und der naturwissenschaftlichen Fächer zur philosophischen Fakultät wurde über die disziplinären Grenzen hinaus durchaus kontrovers diskutiert. Hier zeichnete sich das Dilemma der Mathematik besonders gut ab; denn während ihre Bedeutung für die anwendungsbezogenen naturwissenschaftlichen und technischen Fächer außer Zweifel stand, geriet sie in den geisteswissenschaftlichen Fächern unter den Verdacht der Loslösung vom neuhumanistischen Bildungsideal. Während die philosophische Fakultät als der angestammte Ort der Produktion und Lehre theoretischen Wissens begriffen wurde, schienen die neuen anwendungsbezogenen Forschungsbereiche hier keinen Platz zu finden, was von den traditionellen Vertretern des philosophischen Fächerkanons ebenso diskutiert wurde wie von den Vertretern neuer Forschungsrichtungen. Klein nahm diese Kontroverse im Januar 1904 auf und machte sie zum Gegenstand seiner Festrede zum Geburtstag Wilhelms II. Er plädierte dafür, daß »die verschiedenen Teile der Wissenschaft [ … ], indem sie gleichmäßig neben einander aber aufeinander bezogen zur Entwickelung kommen, sich zu einem Ganzen zusammenschließen; – ich könnte [ … ] hierfür das Wort Universalismus vorschlagen.«42 Der rhetorische Hinweis auf den anstrebenswerten Universalismus im neuhumanistischen Sinn und damit die Zurückweisung partikularer – hier: disziplinärer – Interessen basierte einerseits auf dem Ethos der Wissenschaft und hatte andererseits deutliche wissenschaftspolitische, praktische Motive. Die Aufrechterhaltung der »Einheit der Fakultät« sei notwendig, denn eine »unserer vornehmsten Aufgaben ist zweifellos, der theoretischen Forschung über den Interessenbereich bestimmter Berufe hinaus an der Universität eine Heimstätte zu geben. Nur die einheitliche Fakultät wird dieser Aufgabe nach außen hin das erforderliche Schwergewicht verleihen können.«43 Mit der Abgrenzung der Universität »nach außen hin« und der Betonung der besonderen Bildungs41 42 43

Vgl. Klein, Aufgaben und Zukunft, S. 269. Ebd., S. 271. Ebd., S. 274. 67

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aufgaben der Universität wies Klein ihr ein Alleinstellungsmerkmal zu. Es galt zu verhindern, daß ihre ureigenen Aufgaben von anderen Bildungseinrichtungen übernommen und verwirklicht wurden. Ein Bedeutungsverlust der Universität hätte sich auf alle Disziplinen der philosophischen Fakultät auswirken können. Hier ging es also darum, die Pfründe angesichts steigender Konkurrenz unter den verschiedenen Typen von Bildungseinrichtungen zu bewahren, und so leitete Klein in seiner Rede die »Sorge um die Zukunft unserer Institution«44. Die von Klein anvisierte Integration unterschiedlicher Interessenlagen zum disziplinenübergreifenden, gesamtuniversitären Ziel des gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Handelns im Sinne des »Fortschritts des Ganzen«45 führte auf die Ursprünge der an die Ideen des Humanismus angelehnten modernen Wissenschaft zurück, deren allen Einzelwissenschaften übergeordnetes Anliegen der Erkenntnisfortschritt war und ist. Ganz ähnlich wie Klein formulierte auch Leo Königsberger 1913 in seiner Festrede in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften: die Mathematik »liefert als Geistes- u n d Naturwissenschaft den Beweis dafür, daß das scheinbar lose Gefüge all der Einzelwissenschaften an einen festen Faden geknüpft ist, welcher den großen Gedanken von der Einheitlichkeit aller Wissenschaften repräsentiert.«46 In Verengung des Kleinschen Gedankens des Universalismus ging es Königsberger allerdings nicht um die grundsätzliche Einheit der Wissenschaften, sondern – und hier handelt es sich im Hinblick auf die Mathematik auch um eine Erweiterung der Kleinschen Ausführungen – um die besondere Bedeutung der Mathematik als integratives Moment der Geistes- und Naturwissenschaften. Begründet wird diese theoretische Annahme von Königsberger, indem er Disziplinen zunächst nicht vom Untersuchungsobjekt, sondern von ihrer Erkenntnismethode und den Denkformen her definiert. Königsberger verweist auf das heuristische Potential der Mathematik, die »aufgebaut nur auf den Anschauungen von Raum und Zeit, mit der geringsten Zahl von Axiomen, Postulaten und Hypothesen ihre Stelle als oberste und einfachste aller Naturwissenschaften beanspruchen«47 darf, aber der Logik als übergeordneter Instanz untersteht. Betrachtet man dann allerdings die Mathematik auch vom Untersuchungsobjekt her, dann wird die gleichzeitige Zugehörigkeit zu den Geisteswissenschaften deutlich, denn eine Naturwissenschaft, »deren Objekte die Zahlen, absolut geistige, von der physischen Natur völlig losgelöste Individuen sind, ein Erforschungs- und Erkenntnisgebiet rein idealer 44 45 46 47 68

Ebd., S. 275. Ebd., S. 276. Königsberger, Mathematik, S. 13, Hervorhebung im Original. Ebd., S. 9.

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Gestalten dürfen wir in der Tat mit demselben Rechte eine Geisteswissenschaft nennen wie die Ethik und Ästhetik, [ … ].«48 Da die Mathematik so verstanden eine philosophische Wissenschaft sei, argumentiert Königsberger unter Bezugnahme auf Henri Poincaré: »so will die Mathematik als ebenbürtig von den Humanisten geachtet sein; [ … ].«49 Auffallend ist, daß weder Klein noch Königsberger einem vordergründigen Nützlichkeitsgedanken anhängen und Mathematik nicht als Hilfswissenschaft für andere Disziplinen definieren, sondern ihre potentielle Rolle für die anstrebenswerte Einheit der Wissenschaft, als Instrumentarium für disziplinenübergreifende Integrationsprozesse, herausstreichen, um so ihre Position in der noch humanistisch orientierten Universität zu stabilisieren bzw. aufzuwerten. Die in den Reden skizzierten Interessen – Selbstbehauptung in der Kultur und in der Universität – spielen auch für das Verständnis von Publikationsformen wie »Gesammelte Werke« und Lehrbücher eine wichtige Rolle.

3.2

Gesammelte Werke

Als spezifische Publikationsform haben ausgewählte und gesammelte Werke ( Opera omnia ) von Mathematikern und Naturwissenschaftlern, die in den Fachbibliotheken so ehrfurchtgebietend auf den Regalen thronen, bisher kaum Aufmerksamkeit von Seiten der Wissenschaftsgeschichte oder der Buchwissenschaft erhalten. Unter den wenigen Arbeiten dazu stechen die des Historikers Michael Cahn durch ihre analytische Schärfe und ihr Reflexionsniveau hervor.50 Cahn argumentiert eindringlich und mit guten Argumenten dafür, Werkausgaben nicht, wie es häufig geschieht, naiv als bloßen Speicher ansonsten vielleicht schwer zugänglicher Texte zu verstehen, sondern ihren historischen Entstehungskontext und ihre komplexe Rolle in der Geschichte wissenschaftlicher Disziplinen wahr- und ernstzunehmen, insbesondere ihr Potential zur Produktion kultureller Autorität. Wird einem Autor durch die Herausgabe seiner gesammelten Werke ein Denkmal gesetzt – oder tut er es wie Karl Weierstraß und Hermann Amandus Schwarz in den 1890er Jahren selbst –, so geschieht dies nicht allein, um seine 48 49 50

Ebd., S. 12. Ebd., S. 13. Cahn, Wissenschaft im Medium der Typographie; ders.: Opera omnia, S. 81–94; nützlich, aber an Cahn nicht heranreichend, ist: Speiser / Radelet-de Grave, Publishing Complete Works; siehe auch Chatterji, On the Publication of Collected or Selected Works. 69

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Texte leichter zugänglich zu machen. Vielmehr profitieren alle, die sich an dem Unternehmen beteiligen: ( 1 ) der Verleger, auch wenn er sich vielleicht eher einen Zuwachs an Prestige als Gewinn erhofft, ( 2 ) die herausgebende Institution oder Gruppe, in deren kultur- oder wissenschaftspolitischen Strategien das Projekt möglicherweise eine Rolle spielt, ( 3 ) der oder die Herausgeber, sei es zur Mehrung des eigenen Ansehens in der Disziplin oder als fachpolitischer Schachzug, und auch ( 4 ) der Autor, der, wenn auch oft erst posthum, mit dem Monument der Werkausgabe seinen festen Platz im Pantheon der Disziplin erhält.51 Im Lichte solcher Beobachtungen stellt sich auch die Frage nach der Rolle, die gesammelte Werke von Mathematikern im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts für die Mathematik spielten. Im Februar 1877 schlug der Berliner Zahlentheoretiker Ernst Eduard Kummer dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten vor, die Werke Jacobis, Dirichlets und Steiners herauszugeben, die »schwer zugänglich und größtenteils vergriffen sind«. Die Herausgabe sollte Borchardt übernehmen, ein Schüler Jacobis, der seit 1856 Crelles Journal herausgab. Kummer bat für das Vorhaben, das unter dem Dach der Preußischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt werden sollte, um eine Subvention von 2000 Mark, die im März 1877 gewährt wurde.52 Der von Kummer vorgetragene Plan des aktuellen Berliner mathematischen Dreigestirns Kronecker, Kummer und Weierstraß, die mathematischen Arbeiten ihres Vorgängertrios Jacobi, Dirichlet und Steiner in gesammelten Werken zugänglich zu machen, nahm sehr schnell Gestalt an: schon 1881 / 82 erschienen die Werke Steiners ( 2 Bände ) und 1881–1891 die Jacobis ( 7 Bände und ein Supplementband ), während Dirichlets Werke erst 1889–1897 ( 2 Bände ) publiziert wurden. Die Berliner standen mit solchen Bestrebungen nicht allein. Die Göttinger Akademie der Wissenschaften hatte 1863 begonnen, die Werke von Gauß herauszugeben, von denen bis 1880 immerhin sechs Bände erschienen waren. Auch war 1876 unabhängig von der Akademie eine einbändige Ausgabe von Riemanns Werken erschienen, die Heinrich Weber mit Unterstützung von Dedekind besorgt hatte. In Frankreich erschienen seit 1867 die Œuvres von Joseph Louis Lagrange unter den Auspizien des Bildungsministers. Die Pariser Akademie begann 1878 mit der Edition der Œuvres complètes von Pierre Simon Laplace, und 1882 erschien der erste Band der Œuvres complètes von Augustin-Louis 51 52

70

Dazu siehe Cahn, Wissenschaft im Medium der Typographie, bes. S. 186 f. Kummer an Staatsminister Falk, 15. Februar 1877, Archiv der BBAdW: II-VII, 95: Wissenschaftliche Unternehmungen der phys.-math. Klasse, 1877–1898: Inhalt: Dr. Borchardt zur Herausgabe der Werke Jacobi’s, Dirichlet’s, Steiner’s.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Cauchy. Es scheint, als habe man sich links und rechts des Rheins mit der Errichtung mathematischer Monumente übertreffen wollen. Tatsächlich sind im gleichen Jahr 1877, als Kummer die gesammelten Werke Dirichlets, Jacobis und Steiners auf den Weg brachte, in der Pariser Akademie die Entscheidungen für die Herausgabe der Œuvres von Cauchy und Lagrange gefallen.53 Während im ersten Bande von Cauchys Œuvres dokumentiert wird, daß es bei denselben sowohl um ein würdiges Denkmal für Cauchy ging ( »un hommage qui témoignerait mieux que tout monument funèbre des son respect pour sa mémoire« ) als auch um die nationale Ehre ( »la gloire du pays« ), tritt die Ausgabe der Gauß-Werke äußerlich deutlich nüchterner auf. Von der unterschwelligen mathematischen Rivalität zwischen den beiden Nationen, die sich an Cauchy und Gauß festmachen ließ, zeugt aber noch Kleins sehr viel spätere Einschätzung in seinen Vorlesungen über die Entwicklung der Mathematik im 19. Jahrhundert. Seine äußerst kritische Sicht auf Cauchy gipfelte in einer Gauß verehrenden Bemerkung: Cauchys sämtliche Publikationen werden als »gesammelte Werke« herausgegeben. Die Ausgabe dient freilich wenig zur Erleichterung des Eindringens in diesen Schriftenurwald; ohne Sichtung bringt sie Wichtiges und Nebensächliches chronologisch geordnet mit der rein äußerlichen Einteilung: sér. I. Veröffentlichungen in den Akademieschriften, sér. II. Andere Veröffentlichungen. Ein wissenschaftlich wertvoller Nachlaß, wie im Falle Gauß, scheint sich bei Cauchy nicht vorgefunden zu haben.54

Neben der nationalen Rivalität, die sich in der Mathematik auch im Wettlauf um Werkausgaben niederschlug, klingt hier die Frage an, was eigentlich gesammelte Werke enthalten sollten. Kummers Begründung, es gehe darum, in den Werkausgaben Material abzudrucken, das »schwer zugänglich und größtenteils vergriffen« sei, war berechtigt, lieferte aber nur einen Teil der Antwort. Schnell wurde aus den Werkausgaben mehr als eine bloße Sammlung bereits abgedruckter Texte, denn zum einen fanden, wie etwa bei Jacobi, Kronecker, August Ferdinand Möbius und Riemann, unveröffentlichte Schriften aus den Nachlässen Berücksichtigung und zum anderen wurden, wie bei Jacobi, Kronecker und Riemann, geeignete Vorlesungsnachschriften im Rahmen von Werkausgaben 53

54

Siehe Avertissement, in: Augustin-Louis Cauchy: Œuvres complètes, Band I, Paris: Gauthier-Villars 1882, S. VI; Avertissement, in: Pierre Simon Laplace: Œuvres complètes, Band I, Paris: Gauthier-Villars 1878, S. III. Klein, Vorlesungen, S. 73. 71

Eine Disziplin und ihre Verleger

publiziert. Autoren wie Weierstraß oder Schwarz, deren gesammelte Werke oder Abhandlungen noch zu ihren Lebzeiten veröffentlicht oder geplant wurden, hatten zudem die Gelegenheit, den Werken bislang unveröffentlichte Manuskripte beizugeben (Weierstraß ) oder ihre bereits veröffentlichten Arbeiten zu revidieren bzw. neu zu bearbeiten ( Schwarz ). Es ging also nicht allein um die Zugänglichkeit bereits veröffentlichter Schriften, sondern vielmehr darum, das Denken ausgewählter Mathematiker in seiner ganzen Breite und Fruchtbarkeit und zugleich »in organischem Zusammenhang« zu präsentieren, wie es einer der Bearbeiter des Möbius-Nachlasses formulierte.55 Die von Klein genannte Gauß-Ausgabe stand dafür als Paradebeispiel. Innerhalb der Mathematik verband sich mit den Werkausgaben nicht allein die praktische Erwägung, möglichst viel Wissen verfügbar zu machen, wenn dieser Aspekt auch in den Paratexten der Werkausgaben und in den Rezensionen immer wieder herausgestrichen wurde. Darüber hinaus dienten Werkausgaben auch nicht nur der Kanon- und Traditionsbildung und als unverzichtbare Klassiker für das Studium der Mathematik56 , sondern sie waren potentielle Instrumente der Kontrolle über die Vergangenheit und Zukunft innerhalb der Mathematik oder einer spezifischen Subdisziplin. Die 1877 initiierte Berliner Werke-Trias Dirichlet-Jacobi-Steiner etwa, der bereits ab den 1890er Jahren die Werke von Kronecker, Schwarz und Weierstraß folgten, läßt sich nicht nur als selbstbewußter Ausdruck der überragenden Bedeutung der Berliner Mathematik in Deutschland und der Welt deuten, sondern zugleich als Gruppenmonument für den Primat der reinen Mathematik, der in Berlin verfochten wurde.57 Klein in Göttingen hingegen stand ein anderes Bild der Mathematik vor Augen, in dem die Anwendungen eine wesentliche Rolle spielten. So nimmt es nicht wunder, daß er, bevor er um die Jahrhundertwende in Göttingen der ruhenden Gauß-Ausgabe neues Leben einhauchte ( Bände 7–9 von 1900–1906, Band 10 / 1 folgte 1917 ),58 im Januar 1894 gemeinsam mit dem Physiker Eduard Riecke der Göttinger Akademie vorschlug, die Herausgabe der Gesammelten wissenschaftlichen Abhandlungen seines Bonner Lehrers zu veranlassen, des Mathematikers und Physikers Julius Plücker, der ab 1864 korrespondierendes

55 56 57 58 72

Referat über Band I der Möbius-Werke im Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik 17.0016.02. Über das »Studium der mathematischen Klassiker« äußert sich Lorey, Studium, S. 239. Dazu siehe Rowe, Felix Klein, S. 89. Dazu siehe die Bemerkungen bei Folkerts / Scriba / Wussing, Germany, S. 127 f.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Mitglied der Akademie gewesen war.59 Die Plückerschen Abhandlungen erschienen alsbald in einem mathematischen ( 1895 ) und einem physikalischen ( 1896 ) Band. Plücker, dessen mathematische Arbeiten in den Bereich der analytischen Geometrie ( Liniengeometrie ) fielen und der in der Physik zu den Wegbereitern der Spektralanalyse zählte, und vor allem natürlich Gauß waren ausgezeichnete Repräsentanten der Kleinschen Vision einer Mathematik, die die Anwendungen nicht ausgrenzte. Auch die von Klein angeregte Ausgabe der mathematischen und physikalischen Werke Hermann Grassmanns, die Friedrich Engel unter den Auspizien der Sächsischen Akademie von 1894 bis 1911 in drei zweiteiligen Bänden herausgab, fügt sich in dieses Bild.60 Finanziert wurden die Werkausgaben in der Regel von den wissenschaftlichen Akademien, deren Ansehen solch prestigeträchtige und repräsentative Unternehmen zweifellos mehrten.61 Klein und Riecke wiesen explizit darauf hin, es scheine »im eigenen Interesse der Gesellschaft zu liegen, ihren Namen mit einem Unternehmen zu verbinden, welches überall, wo es Interesse für unsere Wissenschaften gibt, günstig aufgenommen werden dürfte«.62 Wenig später formulierte Minkowski in einem Brief an seinen Freund Hilbert die Kehrseite dieser Beobachtung, daß es nämlich auf eine Akademie zurückfalle, wenn sich Dritte ihrer verdienten Mitglieder annähmen. Minkowski hielt es für eine Pflicht, die Werke Ferdinand Eisensteins herauszugeben, der kurz vor seinem Tode in die Berliner Akademie aufgenommen worden war. Für die Berliner Akademie, so Minkowski, »wäre es eine ewige und wohlverdiente Schande, wenn Jemand sonst dieses Unternehmen angriffe«.63 Diese Kritik nahm achtzig Jahre später, nachdem der amerikanische Verlag Chelsea Eisensteins Mathematische Werke in zwei Bänden veröffentlicht hatte, André Weil auf, indem er in seiner lesenswerten Rezension mit Blick auf die Berliner Akademie bissig bemerkte: »Still 59

60 61 62

63

Klein und Riecke an die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 10. Januar 1894, Archiv der AdWG: Scient. 114: Verhandlungen wegen Herausgabe der Gesammelten Schriften Julius Plückers, 1894–96. Zur Anregung Kleins in der Sächsischen Akademie im Oktober 1892 siehe Engel, Vorbemerkungen, S. VIf. Dazu siehe die Bemerkungen bei Cahn, Wissenschaft im Medium der Typographie, besonders S. 186; Grau, Berliner Akademie der Wissenschaften, S. 297. Klein und Riecke an die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 10. Januar 1894, Archiv der AdWG: Scient. 114: Verhandlungen wegen Herausgabe der Gesammelten Schriften Julius Plückers, 1894–96. Minkowski an Hilbert, 4. Dezember 1895, zit. n. Rüdenberg / Zassenhaus, Hermann Minkowski, S. 72. 73

Eine Disziplin und ihre Verleger

less will it occur to them [ = die Akademie ] to provide for the publication of his [ = Eisensteins ] works, while voting ample funds for those of Jacobi, Dirichlet, Steiner, and later for Weierstrass and Kronecker.«64 Die Werkausgaben – und die großen Editionsvorhaben – haben nicht allein für die Disziplin Denkmal-Charakter, sondern auch für die Akademien: je größer das Pantheon, desto größer der Ruhm der Akademie. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß die Preußische Akademie der Wissenschaften 1874, drei Jahre vor Kummers Vorstoß, mit den Aristoteles-Kommentaren, den Preußischen Staatsschriften des 18. Jahrhunderts, der politischen Korrespondenz Friedrichs des Großen und der Prosopographia Imperii Romani saeculi I-III bereits vier große Editionsprojekte auf den Weg gebracht hatte.65 Gesammelte Werke fügten sich, im nationalen Kontext betrachtet, nahtlos in die diversen Bestrebungen ein, kulturelle Hegemonieansprüche zu untermauern. Angesichts der Vielschichtigkeit der Motive, die hinter Werkausgaben stehen können, und insbesondere ihrer Rolle in den kulturellen Grabenkämpfen innerhalb der Disziplin und über sie hinaus, ist Vorsicht bei der verbreiteten Einschätzung geboten, allein »große« Gelehrte bekämen Werkausgaben. Auch der umgekehrte Prozeß, daß die gesammelten Werke erst die Bedeutung konstituieren sollten, läßt sich vermuten. Kleins Bemühungen um die Werke von Plücker und Grassmann etwa hatten nicht allein die Geehrten im Sinne, sondern waren, wie gesehen, zugleich durch die fachpolitische Komponente motiviert, Fachvertretern ein Denkmal zu setzen, deren Gesichtskreis über den Bereich der reinen Mathematik hinaus reichte. Diesen Aspekt der Konstruktion kultureller Autorität hat Michael Cahn in der Beobachtung auf den Punkt gebracht: »Collected editions are never far from the center of the cultural battles of their time.«66 Cahn hat zudem bemerkt, daß gesammelte Werke als soziale Distinktionsmethode innerhalb einer Disziplin dienen können, insbesondere weil sie den gemeinen Gelehrten von den Heroen der Wissenschaft trennten, die dann den Titel eines Klassikers erhalten.67 Tatsächlich kommt ihnen in der mathematischen Kultur in Deutschland in den 1890er Jahren eine solche Rolle zu, weniger in bezug auf Einzelpersonen als vielmehr im Rahmen der Spannungen zwischen den beiden Zentren Berlin und Göttingen. 64

65 66 67 74

Rezension von Weil ( Bulletin of the American Mathematical Society 82 ( 1976 ), Heft 5, S. 658–663, Zit. S. 659 ). Für diesen Hinweis danken wir Reinhold Remmert. Dazu siehe Kocka, Die Königlich Preußische Akademie, S. 127. Cahn, Opera omnia, S. 89. Ebd., S. 85 f.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Von Verlagsseite betrachtet erlebte die Publikationsform »Gesammelte Werke« in den 1880er und 1890er Jahren einen ersten Höhepunkt. Damit ergänzten sie in gewisser Weise den zu dieser Zeit noch nicht sehr differenzierten deutschen Lehrbuchmarkt. Auch wenn diese meist mehrbändigen Werke für ein studentisches Publikum kaum erschwinglich waren, wurden sie doch in Bibliotheken zugänglich gemacht. Fast alle Werk-Ausgaben bis ca. 1910 ( Gauß, Steiner, Jacobi, Möbius, Borchardt, Dirichlet, Grassmann, Weierstraß, Plücker, Kronecker, Hesse, Fuchs, Schering, Minkowski ) erschienen im Auftrag bzw. auf Veranlassung von Wissenschaftlichen Akademien. Eine Ausnahme bilden Schwarz’ Abhandlungen bei Springer, die von Schwarz 1886 selbst angeregt und von Springer finanziert wurden,68 sowie Riemanns Gesammelte mathematische Werke, die 1876 bei Teubner von Dedekind und Weber herausgegeben und privat finanziert wurden.69 Bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts dominierten drei Verlage den Markt für mathematische Gesamtausgaben: der Georg Reimer Verlag in den 1880er Jahren, der Verlag Mayer & Müller zwischen den 1890er und 1910er Jahren sowie B. G. Teubner ab den 1890er Jahren. Neben ihrer Funktion für die disziplinäre Gemeinschaft waren gesammelte Werke für die Profilbildung eines Verlags wichtig, gerade im ausgehenden 19. Jahrhundert, als sich wissenschaftliche Verlage auf einzelne oder wenige disziplinäre Segmente zu konzentrieren begannen. Etwa zur gleichen Zeit, als sich Reimer aus der Drucklegung gesammelter Werke und Abhandlungen zurückzog, wurden diese Publikationsformen von Teubner und auch vom Verlag Mayer & Müller verstärkt ins Programm aufgenommen. Bei Mayer & Müller ging 1894 der erste Band der Gesammelten Werke von Weierstraß in Druck. Um es vorwegzunehmen: die Werke waren kein buchhändlerischer Erfolg, aber der Verlag begann ausgesprochen optimistisch und ging gegenüber der Akademie die Verpflichtung ein, sämtliche Bände auf seine Kosten drucken zu lassen und zur Sicherstellung des Drucks eine Summe von 12.000 Mark in deutschen Staatspapieren zu hinterlegen.70 Man hatte sich von Verlagsseite erhofft, trotz hoher und längerfristiger Kapitalbindung ein ökonomisch lukratives Geschäft zu machen, in das man hoch investierte. Der klingende Name Weierstraß versprach Renommee und guten Absatz, so daß man 68 69 70

Vgl. dazu die Korrespondenz zwischen Schwarz und dem Springer Verlag ( VA Springer, Abt. B, S 277 ). Vgl. dazu das Vorwort in Band 1. Brief vom 7. Juli 1893, Archiv der BBAdW, Akten der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1812–1945, Weierstrass-Ausgabe 1893–1932, Signatur II-VII, 16, Blatt 3. 75

Eine Disziplin und ihre Verleger

zusagte, »an Herrn Prof. Dr. Weierstraß als Honorar für je 8 Druckseiten ( einen Bogen ) der ersten Auflage 120 M. zu zahlen, [ … ]. Für etwaige spätere Auflagen bleibt die Festsetzung des Honorars besonderer Vereinbarung überlassen. [ … ] An honorarpflichtigen Exemplaren jeden Bandes sollen für diese erste Auflage 1200 Expl. gedruckt werden.«71 Man glaubte anscheinend an weitere Auflagen, was nicht für eine realistische Markteinschätzung spricht. Die Honorarleistungen Mayer & Müllers lagen weit über denen Springers, der mit dem in Aussicht gestellten Bogenhonorar von 75 Mark für die Kronecker Werke gar nicht so großzügig war. Im Erscheinungsverlauf der Werke wurde jedoch klar, daß sich die Herren Mayer und Müller verkalkuliert hatten; im April 1911 beklagten sie gegenüber der Akademie der Wissenschaften, daß nach inzwischen 18 Jahren erst vier Bände vorlägen. Sie befürchteten, »daß mit jeder längeren Verzögerung das wissenschaftliche Interesse selbst für die Werke eines Weierstraß abnimmt. Auf die Schädigung unserer Firma durch die Verzögerung möchten wir nicht weiter hinweisen«.72 Die Beschwerde des Verlags fruchtete wenig, denn 1916, also weitere fünf Jahre später, mußte der Verlag erneut mahnen, man habe »bei der Uebernahme der Verpflichtung nicht annehmen [ können ], dass das Werk nach 23 Jahren noch nicht abgeschlossen sein würde und wir auf so lange Zeit das Kapital festlegen müssten«.73 Im Oktober 1916 wurde dem Antrag der Verlagshandlung entsprochen, die Kaution zurückzuzahlen. Gesammelte Werke waren, wie das Beispiel belegt, aus buchhändlerischer Perspektive in der Regel ein finanzielles Verlustgeschäft oder zumindest kein profitables Unternehmen, sondern konnten in erster Linie zur Profilbildung des Verlags beitragen. Als Fritz Springer sich in den 1880er Jahren erstmals bemühte, in den mathematischen Markt zu kommen, wandte er sich zwar mit einer Bewerbung um Borchardts Werke an Weierstraß.74 Doch die Erfahrung mit den 71

72

73

74 76

Vgl. Verlagsvertrag vom 10. Juli 1893, Archiv der BBAdW, Akten der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1812–1945, Weierstrass-Ausgabe 1893–1932, Signatur II-VII, 16, Blatt 4. Mayer & Müller an die Akademie, 27. April 1911, Archiv der BBAdW, Akten der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1812–1945, Weierstrass-Ausgabe 1893–1932, Signatur II-VII, 16, Blatt 59. Auch die Gesammelten Werke von Carl Friedrich Gauß, die bei Teubner erschienen, waren kein buchhändlerischer Erfolg, vgl. dazu Remmert / Schneider, Ich bin wirklich glücklich zu preisen, S. 202. Mayer & Müller an die Akademie, 10. August 1916, Archiv der BBAdW, Akten der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1812–1945, Weierstrass-Ausgabe 1893–1932, Signatur II-VII, 16, Blatt 91. Fritz Springer an Weierstraß, 19. März 1885, VA Springer, Abt. A, W 23.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Gesammelten mathematischen Abhandlungen von Schwarz ( 2 Bände ) und den in den 1920er Jahren bei Springer erschienenen, stark subventionierten Gesammelten mathematischen Abhandlungen Felix Kleins ( 3 Bände ) führten später zu einer wesentlich kritischeren Einschätzung des geschäftlichen Aspektes gesammelter Werke, daß nämlich »die Herausgabe gesammelter Abhandlungen ein defizitäres Unternehmen« sei.75 Dabei scheint Springer in den 1890er Jahren durchaus vorsichtig kalkuliert zu haben, denn Klein und Riecke berichteten 1894 in ihrem Antrag auf die Herausgabe der Plückerschen Werke, daß man dabei an den Teubner Verlag denke, denn er habe sich »zur Uebernahme des Verlags unter sehr coulanten Bedingungen bereit erklärt ( nachdem sich die Firma Springer sehr viel weniger entgegenkommend gezeigt hatte ).«76 Konrad Giesecke-Teubner hat 1919 bezogen auf die Gauß-Ausgabe geäußert, daß »einzelne Bände der Gauss’schen Werke [ … ] nach jetzigem Vorrat und dem Absatz der letzten Jahre noch mehrere Jahrhunderte ohne Aussicht auf Verwendung lagern«. Daher sei zu überlegen, »ob die über den Durchschnitt des Vorrates der anderen Bände hinaus lagernde Anzahl makuliert werden könnte.«77 Zur gleichen Zeit schrieb Ferdinand Springer an seinen Berater Courant, er sei »sehr gern bereit, die gesammelten Abhandlungen von Hurwitz herauszugeben, wenn die Familie das Risiko trägt«.78 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die Publikationsform »Gesammelte Werke« sowohl Ausdruck der Konkurrenz zu Frankreich und des Selbstbewußtseins angesichts der Leistungen deutscher Mathematiker als auch Mittel der Positionsbestimmung und -behauptung der Mathematik in der Kultur und Instrument ihrer Selbstvergewisserung in der Hierarchie der Disziplinen. In dieser strategischen Bedeutung für die Disziplin standen sie allerdings nicht als einzige Publikationsform, sondern auch den Lehrbüchern kam in diesem Kontext eine wichtige Funktion zu.

75 76

77 78

So Courant an Neder, 11. Oktober 1927, im Hinblick auf eine Cantor-Ausgabe, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 7: Cantor, Georg ( Ausgabe ). Klein und Riecke an die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 10. Januar 1894, AdWG: Scient. 114: Verhandlungen wegen Herausgabe der Gesammelten Schriften Julius Plückers, 1894–96. Giesecke an Klein, 4. April 1919, UAG, Nachlaß Engel, NE 120235A. Springer an Courant, 23. Dezember 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. 77

Eine Disziplin und ihre Verleger

Gesammelte Werke chronologisch bis zum Ersten Weltkrieg Autor

Jahre / Bände

Institution

Verlag

Gauß

1863–1929, 12 Bände, Band 11 in zwei Teilen

Göttinger Akademie

Teubner, ab 1923 Springer

Steiner

1881–1882, 2 Bände

Preußische Akademie

Reimer

Jacobi

1881–1891, 7 Bände und ein Supplementband

Preußische Akademie

Reimer

Möbius

1885–1887, 4 Bände

Sächsische Akademie

Hirzel

Borchardt

1888, 1 Band

Preußische Akademie

Reimer

Dirichlet

1889–1897, 2 Bände

Preußische Akademie

Reimer

Schwarz

1890, 2 Bände

privat

Springer

Grassmann

1894–1911, 3 Bände in jeweils zwei Teilen

Sächsische Akademie

Teubner

Weierstraß

1894–1927, 7 Bände

Preußische Akademie

Mayer & Müller

Plücker

1895–1896, 2 Bände

Göttinger Akademie

Teubner

Kronecker

1895–1931, 5 Bände, Band 3 in zwei Teilen

Preußische Akademie

Teubner

Hesse

1897, 1 Band

Bayerische Akademie

Verlag der Akademie in Kommission des G. Frank’schen Verlags

Schering

1902–1909, 2 Bände

privat

Mayer & Müller

Fuchs

1904–1909, 3 Bände

privat

Mayer & Müller

Neumann

1906–1928, 3 Bände

privat

Teubner

Minkowski

1911, 2 Bände

privat

Teubner

78

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

3.3

Lehrbücher

Für die Positionsbestimmung der Mathematik im Fächerkanon waren bis um 1900 »Gesammelte Werke« gut geeignet. Allerdings kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch eine weitere für dieses Ziel taugliche Publikationsform hinzu. Angesichts steigender Studierendenzahlen und des Rechtfertigungsdrucks der Mathematik wurde auch der Mangel an deutschen Originallehrbüchern in zweierlei Hinsicht besonders augenfällig. Einerseits war es eine Erfordernis der universitären Praxis, den Studenten Lehrbücher an die Hand zu geben, und andererseits konnte diese Publikationsform auch für die Selbstdarstellung der Disziplin genutzt werden; daher sei an dieser Stelle ein Blick auf den Lehrbuchmarkt geworfen.

3.3.1

Französische Vorbilder und ihre Übersetzungen zwischen Akzeptanz und Ablehnung

Nicht nur im Falle der »Gesammelten Werke« oder »Gesammelten Abhandlungen« nahm Frankreich eine gewisse Vorreiterrolle ein. Ähnliche Entwicklungen findet man auch bei den mathematischen Lehrbüchern.79 Obwohl mit Gauß, Jacobi und Dirichlet in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führende Mathematiker in Deutschland lehrten, hat »keiner dieser drei Mathematiker [ … ] ein Lehrbuch verfaßt, das den in Frankreich üblichen im entferntesten vergleichbar gewesen wäre«.80 Als Grund für die deutsche Abneigung, Lehrbücher zu verfassen, nennt der Mathematikhistoriker Ivo Schneider die dem Neuhumanismus und Neukantianismus verpflichtete Forschungstätigkeit der Gymnasial- und Hochschullehrer, die von der Aufgabe, Lehrbücher schreiben zu müssen, dadurch entbunden wurden. Die im Vergleich zur Situation in Deutschland »hervorragende Stellung der französischen Lehrbuchliteratur« führte Wilhelm Lorey 1916 einerseits auf die »durch Tradition und Erfahrung unterstützte Kunst der Franzosen in faßlicher und eleganter Darstellung« zurück, andererseits aber auf die »geringe Lehrfreiheit« in Frankreich, die, so Lorey, in ihrer thematischen Beschränkung zur »jährlichen Wiederholung und vielfältigen Durcharbeitung der einzelnen Vorlesungen« führe.81 Im Gegensatz zu Frankreich herrschte in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert der Publikationstyp der Forschungsmonographie oder des Forschungsaufsatzes 79 80 81

Zum Lehrbuch auf dem Markt vgl. Schubring, Mathematisches Publizieren. Schneider, Christian Heinrich Schnuse, S. A208. Lorey, Studium, S. 309. Zur Situation in Frankreich vgl. Grattan-Guiness, The End of Dominance, S. 17–44. 79

Eine Disziplin und ihre Verleger

vor. Das liegt, mit den Worten Stichwehs, darin begründet, daß während es »für Frankreich charakteristisch scheint, daß die forcierte Grundlagenorientierung teilweise aus Zusammenhängen intensivierter Lehre hervorgeht [ … ], wir es in Deutschland mit einer Entstehung reiner Mathematik im Zusammenhang der Institutionalisierung wissenschaftlicher Forschung zu tun« haben.82 So griff man mittels Übersetzungen zunächst auf in Frankreich bereits existierende Lehrbücher und Kompendien zurück, wo vor allem die Lehrbuchproduktion des Pariser Verlags Gauthier-Villars als Vorbild für deutsche Verlage dienen konnte.83 Tatsächlich zirkulierten auf dem deutschen Lehrbuchmarkt weniger nationale Eigenproduktionen als vielmehr Übersetzungen, zumeist aus dem Französischen. Crelle beispielsweise hatte in der ersten Jahrhunderthälfte Übersetzungen angefertigt.84 Der Markt für Übersetzungen war zu dieser Zeit heftig umkämpft, denn durch das fehlende internationale Urheberrecht konnten deutsche Übersetzungen ohne Rücksprache mit dem Autor oder Originalverleger angefertigt werden, so daß unter Umständen mehr als ein Übersetzer mit demselben Titel beschäftigt war. Die Verlage mußten also mit plötzlicher Konkurrenz auf demselben Markt rechnen.85 Einer der umtriebigsten Übersetzer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Christian Heinrich Schnuse,86 der bis Mitte des Jahrhunderts allein 21 Titel aus dem Französischen übersetzt hatte, darunter z. B. Jean Baptiste Fourier, Analyse des équations ( 1831, deutsch 1846 ), Antoine Augustin Cournot, Des chances et des probabilités ( 1843, deutsch 1849 ), Augustin-Louis Cauchy, Calcul différentiel ( 1829, deutsch 1836 ). Schnuse übersetzte sowohl Titel zur reinen als auch zur angewandten Mathematik aus dem Französischen und trat selbst mit Übersetzungsangeboten an die Verlage heran.87 Bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sahen deutsche Mathematiker Übersetzungen aus unterschiedlichen Gründen mehr und mehr als Problem an. Die Lehrbuchprogramme – soweit davon überhaupt die Rede sein kann – der deutschen Verlage speisten sich aber trotz der anhaltenden Diskussion bis ins letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vorwiegend aus übersetzter Literatur. Hermann Maser, der als Übersetzer ausländischer mathematischer Literatur für verschiedene Verlage arbeitete und wie Schnuse selbst an Verlage herantrat, hatte Vieweg das 1889 erstmals aufgelegte Lehrbuch der Differential-Gleichungen 82 83 84 85 86 87 80

Stichweh, Entstehung, S. 196. Dazu siehe Paul, The Role and Reception of the Monograph, S. 133 f. Grattan-Guiness, The End of Dominance, S. 22. Vgl. diesen Aspekt bei Schneider, Christian Heinrich Schnuse, S. A218. Zu Schnuse vgl. Schneider, Christian Heinrich Schnuse und ders.: Bibliographie. Dazu siehe Schneider, Christian Heinrich Schnuse.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

von Andrew R. Forsyth zur Publikation in deutscher Sprache empfohlen.88 Als Dedekind 1886 von Vieweg um Rat gefragt wurde, befürwortete er den Plan und schrieb an den Verlag, daß das englische Werk über Differentialgleichungen von A. R. Forsyth mir zwar bis jetzt noch nicht bekannt geworden ist, daß dasselbe aber, nach der von Herrn Maser mitgetheilten Übersicht, wegen seines reichen Inhaltes vermuthlich sehr brauchbar und lehrreich sein wird. Ohne Zweifel ist es vollständiger und entspricht es dem jetzigen Stande der Wissenschaft besser, als das in Ihrem Verlag ( etwa im Jahre 1864 ) erschienene Werk von Strauch,89 welches von vorn herein eine andere Absicht verfolgt, und, wenn ich nicht irre, auch unvollendet geblieben ist. Ein anderes, eigentliches Lehrbuch der Theorie der Differentialgleichungen giebt es, soviel ich weiß, in Deutschland noch nicht, und so glaube ich, daß eine Übersetzung des englischen Werkes bei uns einen recht guten Erfolg haben wird, weil die darin behandelte Theorie sowohl für die reine Analysis, als auch für die Geometrie, Mechanik, Physik von großer Bedeutung ist. Was Herrn Maser betrifft, so hat sich derselbe durch eine im Verlage von B. G. Teubner erschienene Übersetzung von Legendres Théorie des Nombres bekannt gemacht, welche, soweit ich sie zufällig geprüft habe, recht sorgfältig ausgeführt ist, und dieser günstige Eindruck wird für mich durch sein beiliegendes Schreiben bestätigt. Ich glaube daher zur Annahme seines Anerbietens zurathen zu dürfen.90

Dedekind verwies auf die Brauchbarkeit des Buches auch in den der Mathematik angrenzenden Bereichen wie Physik und Mechanik, was sicherlich verkaufsfördernd war, zumal 1886 der Lehrbuchmarkt noch recht übersichtlich war.

88

89

90

Zur Person Hermann Masers und seinem beruflichen Werdegang vgl. Reich, Übersetzer, S. 33–45. Maser hatte einige Semester Mathematik in Leipzig, dann in Berlin u.a. bei Weierstraß, studiert, sein Studium jedoch nicht abgeschlossen und verdiente seinen Lebensunterhalt als Redaktionsmitglied der Springer-Zeitschriften Fortschritte der Elektrotechnik und Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure sowie als Übersetzer. Georg Wilhelm Strauch, Praktische Anwendungen für die Integration der totalen und partialen Differentialgleichungen. 1. Band. 1865, ein weiterer Band ist nie erschienen. Dedekind an Vieweg, 19. November 1886, VA Vieweg, V1 D: 17, 311 D, Nr. 13. Unterstreichung im Original. 81

Eine Disziplin und ihre Verleger

Viewegs naturwissenschaftliches Programm bot die besten Rahmenbedingungen für anwendungsbezogene mathematische Literatur, so daß es konsequent war, Forsyths Buch als Übersetzung in Verlag zu nehmen. Im November 1893 erhielt Dedekind vom Verlag ein weiteres Buch von Forsyth zur Beurteilung. Es handelte sich um dessen Theory of functions, das er für »ein gut geordnetes und im ganzen sorgfältig ausgearbeitetes Werk« hielt, »das wohl jeder Mathematiker gern besitzen möchte«. Dedekind warnte aber, »daß der vermuthlich hoch zu stellende Preis der Übersetzung eine Verbreitung in größeren Kreisen, insbesondere unter den Studierenden verhindern, und daß der Absatz deshalb wahrscheinlich langsam von Statten gehen wird«.91 Der Verlag verzichtete schließlich auf die Drucklegung. Im gleichen Jahr erschien allerdings, ebenfalls von Hermann Maser übersetzt, bei Teubner Forsyths Theorie der Differentialgleichungen. Vieweg wurden auch in den folgenden Jahren immer wieder Übersetzungen ausländischer Lehrbücher angeboten, besonders aus dem Französischen und hier vor allem die Lehrbücher aus dem Pariser Verlag Gauthier-Villars. Die französischen Lehrbücher wurden unter deutschen Mathematikern gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend kritisch bewertet. 1890 schrieb Oskar Schlömilch über den Cours d’Analyse von Camille Jordan an Vieweg: Der beiliegend zurückfolgende Cours d’Analyse v. Jordan ist ein sorgfältig gearbeitetes Werk, das wieder einmal alle Vorzüge u. Fehler der mathematischen Lehrbücher zeigt, die aus französischen Federn stammen. Zu den ersteren gehören: klare Darstellung u. deutliche Figuren, zu den anderen: gänzlicher Mangel an litterarischen Nachweisen u. völlige Unbekanntschaft mit den Leistungen nicht-französischer Mathematiker mit alleiniger Annahme derer, die entweder lateinisch oder französisch geschrieben haben. Im Ganzen halte ich das Werk für nicht bedeutend genug, um seine Übersetzung anzurathen, andererseits will ich Ihnen vom Verlage einer solchen nicht geradewegs abrathen, falls Sie mit Übersetzungen erfahrungsmäßig gute Geschäfte gemacht haben; nur möchte ich daran erinnern, daß Sie mit Jordan sich selber ( u. A. Forsyth ) Conkurrenz schaffen.92

Der Verlag verzichtete nach dem Votum Schlömilchs auf eine Übersetzung. Gegen Ende des Jahrhunderts setzte dann folgerichtig unter Mathematikern eine

91 92 82

Dedekind an Vieweg, 12. November 1893, VA Vieweg, V1 D: 17, 311 D, Nr. 23. Schlömilch an Vieweg, 2. März 1890, VA Vieweg, V 15: 87, 311 S, Nr. 151.

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

Diskussion darüber ein, wie ein gutes Lehrbuch in Struktur und Ausführung angelegt sein sollte ( siehe dazu unten ). Ab Mitte der 1880er Jahre übersetzte Hermann Maser auch für Springer aus dem Lateinischen, dem Englischen und dem Französischen. Neben ihm stützte Springer sich auch auf den Weierstraß-Schüler Carl Itzigsohn. Als erste Übersetzungen erschienen Eulers Einleitung in die Analysis des Unendlichen ( 1885 ), aus dem Lateinischen übersetzt von Maser, und Cauchys Algebraische Analysis ( 1885 ), aus dem Französischen übersetzt von Itzigsohn, so daß damit »zwei repräsentative Werke zur Analysis, die zwei ganz unterschiedliche Richtungen repräsentierten«93, vorlagen. Sowohl im Verlagskatalog als auch im Klappentext zu Cauchys Algebraischer Analysis gab Springer seine Absicht bekannt, »solche mathematischen Werke, welche auf die Entwicklung der reinen Mathematik einen wesentlichen Einfluss geübt haben, allen Denen, welche die Wissenschaft an der Quelle zu schöpfen wünschen, in leichterer Weise, als dies bisher der Fall gewesen ist, zugänglich zu machen.« In »leichterer Weise« meinte schlicht: in deutscher Sprache, allerdings sollte »der Geist der Originale mit allen Eigentümlichkeiten der zeitweisen Anschauungen möglichst gewahrt bleiben: es sollen h i s t o r i s c h e , nicht kritische A u s g a b e n geboten werden«. Des Weiteren argumentierte der Verlag: »Die ältere Litteratur ist teils vergriffen, teils existirt sie nur in sehr teuren Ausgaben.« Daher war man bestrebt, »billige Ausgaben, die es Jedem gestatten, derartige Werke stets bei der Hand zu haben«, herauszubringen. Auch Fritz Springer holte sich wie Vieweg Rat für sein Übersetzungsprogramm. Ende Dezember 1887 bat er Schwarz in Berlin um Rat, ob er eine deutsche Übersetzung von Augustus de Morgans Differential and Integral Calculus ( 1842 ) unternehmen solle.94 Schwarz kannte das Buch nicht, besorgte es sich jedoch und kam zu der Einschätzung, das Werk sei »kein Originalwerk, sondern ein Sammelwerk auf breiter Grundlage, bestimmt für Anfänger in der höheren Analysis, welche nicht die Gelegenheit haben, akademischen Unterricht zu genießen, es soll die Anfänger dahin führen, die Originalabhandlungen der mathematischen Schriftsteller studiren zu können.«95 Schwarz hielt das Werk im 93

94 95

Reich, Übersetzer, S. 35. Itzigsohn schreibt im Vorwort zu Cauchy: »Während bei Euler der Begriff der Funktion sich mit dem Begriff des arithmetischen Ausdruckes deckt, versucht Cauchy den Funktionenbegriff auf den der Stetigkeit zu stützen.« VA Springer, Abt. S 277. Schwarz an Springer, 8. Januar 1888, VA Springer, Abt. S 277. 83

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Ganzen für veraltet und zählte andere Lehrbücher auf, die seiner Meinung nach besser geeignet seien. Er empfahl neben Oskar Schlömilchs Compendium der höheren Analysis (Vieweg ) Titel französischer Autoren, von denen er meinte: »Die genannten Werke scheinen mir sämmtlich besser zu sein«. Er riet also ab, weil eine bloße Übersetzung wegen der veralteten Anlage nicht möglich sei. Falls Springer dennoch einen Druck erwäge, dann sei eine Bearbeitung dringend erforderlich, aber: Wer im Stand ist, eine solche Bearbeitung vorzunehmen, wird viel lieber selbst ein Lehrbuch über den Gegenstand schreiben. [ … ] die Mehrzahl der Figuren müßte neu gezeichnet werden. Die Herstellungskosten würden einen hohen Preis bedingen und die Zahl der Personen, welche voraussichtlich eine solche Übersetzung kaufen würden, würde wahrscheinlich nur eine kleine sein. Weder für die Universitätsstudenten noch für die Polytechniker würde eine solche Übersetzung rückhaltlos zur Anschaffung empfohlen werden können.

Springer dachte hier wiederum in erster Linie an Übersetzungen, was zeigt, daß er zwar den Mangel an brauchbaren Lehrbüchern sah, aber seine Kontakte nicht ausreichten, um einen Autor zur Abfassung eines neuen Lehrbuchs zu verpflichten. Die Übersetzungen aus dem Hause Springer wurden von Fachvertretern eher kritisch beurteilt. Auf die oben zitierten Argumente der Verlagshandlung eingehend schrieb Georg Valentin 1885 in der Deutschen Litteraturzeitung über Eulers Einleitung in die Analysis des Unendlichen: Dem Ref. ist der Gedanke gewiss sympathisch, die klassischen mathematischen Schriften der studierenden Jugend leichter zugänglich zu machen, denn eine mehr denn zehnjährige Erfahrung an der königl. Bibliothek hat ihm gezeigt, ein wie geringer Teil der Studierenden die wirklich guten mathematischen Werke liest; das Gros begnügt sich mit Büchern, welche man Examenstrichter nennen könnte. Allein Ref. glaubt nicht, dass durch die vorliegende Uebersetzung Wandel geschaffen wird. [ … ] Wenn man aber den Wunsch hegt, dass jemand die Wissenschaft an der Quelle schöpfen soll, so soll man nach des Ref. Meinung ihm das Original und nicht die Uebersetzung bieten, zumal das Eulersche Latein nicht die geringste Schwierigkeit bietet. Es müsste denn sein, dass man die auf Realgymnasien oder lateinlosen Realschulen vorgebildeten Studierenden glaubt besonders berücksichtigen zu müssen. Aber einfach mit einer neuen Originalausgabe wäre noch 84

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900 nichts gewonnen gewesen; den wahren Wert würde dieselbe erst erhalten haben, wenn sie mit Noten versehen worden wäre. Wissenschaftlich kritische Anmerkungen hätten sicher »die Quelle« nicht getrübt, im Gegenteil, dieselbe würde durch den Filter der Kritik nur um so heller und reiner geflossen sein.96

Die »Wissenschaft an der Quelle schöpfen« als Ideal wissenschaftlichen Handelns war angesichts der mehr und mehr geforderten Anwendungsbezogenheit der Mathematik eigentlich ein anachronistischer Gedanke, denn hierbei ging es doch um die praxisnahe Verwendung der Lehrbücher. Auch die Tatsache, daß es sich nicht um eine kritische Ausgabe, sondern eine reine Übersetzung zu einem »pädagogischen Zwecke« handelte, überzeugte den Rezensenten nicht. Insbesondere vermißte er Anmerkungen, »welche auf die Fehler, die Lücken des Originals und auf den Mangel strenger Entwicklungen, wie sie der Stand der heutigen Mathematik verlangt, aufmerksam gemacht hätten. Ref. hält das Fehlen solcher Anmerkungen für einen großen Mangel, denn der Anfänger und sogar mancher Fortgeschrittenere ist nur zu geneigt, alles, was durch den Namen Euler gedeckt ist, für bare Münze zu nehmen.«97 In anderen Rezensionen wurden die beiden von Valentin schon angesprochenen Aspekte, nämlich die grundsätzliche Frage der Notwendigkeit von Übersetzungen und die Form der rein historischen, nicht kritischen Ausgabe, ebenfalls als diskussionswürdig erachtet. In der Rezension über die Abhandlungen über die algebraische Auflösung von Gleichungen von Niels Abel und Evariste Galois wurde von August Gutzmer ähnlich argumentiert: die Werke von Niels Abel seien leicht zugänglich und auch erschwinglich, so daß eine Übersetzung grundsätzlich entbehrlich sei.98 Emil Lampe kritisiert die 1887 bei Springer erschienene Übersetzung von Lagranges Analytischer Mechanik aus ähnlichen Gründen wie Valentin, weil ein kritischer Fußnotenapparat fehlte und der Übersetzer allerlei mathematische Fehler in den Text hineingebaut habe.99 Die Kritik an den Springerschen Übersetzungen war keinesfalls nur negativ, aber die Bücher wurden nicht vorbehaltlos als Lehrbücher akzeptiert, was den Einstieg ins mathematische Feld für den Verlag schwierig machte.

96 97 98 99

Georg Valentin, in: Deutsche Litteraturzeitung 6 ( 1885 ), S. 241. Ebd., S. 239. Vgl. August Gutzmer, in: Naturwissenschaftliche Wochenschrift 5 ( 1890 ), S. 9–10. Emil Lampe, in: Deutsche Litteraturzeitung 9 ( 1888 ), S. 362–363. 85

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3.3.2

Die Funktion von Lehrbüchern für die Disziplin

Klein hatte 1880 in seiner Leipziger Antrittsvorlesung den »Mangel b r a u c h b a r e r L e h r b ü c h e r « in Deutschland festgestellt und betont: Es giebt dafür kein schlagenderes Beispiel als das folgende. Die Analysis des Unendlichen hat in den letzten 25 Jahren eine wesentliche Umgestaltung erfahren. Wir haben zunächst die Verschärfung der Grundbegriffe des Differentierens und Integrierens. Wir haben sodann die Theorie komplexer Variabler mit ihrer ganz neuen Einsicht in das Wesen des Funktionsbegriffs. Wir haben endlich eine wesentlich vollständigere Kenntnis der algebraischen Differentiale und Differentialgleichungen. A b e r w o i s t d a s für den allgemeinen Gebrauch bestimmte Lehrbuch der Differential- und Integ ral-Rech nung, das von alle dem R e c h e n s c h a f t g ä b e ? Unsere besseren Bücher sind immer noch diejenigen, welche auf C a u c h y s Cours d’analyse zurückgehen, und der ist jetzt nahe 60 Jahre erschienen.100

Kleins Antrittsvorlesung von 1880 wurde erst 1895 in der Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht abgedruckt. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es tatsächlich noch immer keine Lehrbuchreihe für den mathematischen Hochschulunterricht auf dem deutschen Buchmarkt. Noch 1910 beklagte der Braunschweiger Mathematiker Emil Timerding im Vorwort zu seinem Überblick über die Mathematik in den physikalischen Lehrbüchern den allgemeinen Rückstand in der deutschen Lehrbuchkultur und verwies nun nicht mehr auf das französische, sondern auf das englische Vorbild: Der Irrtum ist indes nur zu verbreitet, daß das allein Verdienstvolle die wissenschaftliche Forschung, die Darstellung und Verbreitung der Resultate aber etwas Untergeordnetes und Nebensächliches ist. Und doch gehört hierzu gewiß ebensoviel Begabung und durchdringendes Verständnis. In der Tat sind die Folgen dieser unbegründeten Verachtung des Lehrbuchs nur zu deutlich erkennbar: unsere Lehrbuchliteratur steht lange nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, und wenn wir uns nicht mit Übersetzungen aus dem Englischen hülfen ( denn die Engländer sehen es nicht als eine Entwürdigung an, etwas einem Lehrbuch Ähnliches geschrie100 Klein, Über die Beziehungen ( Reprint: Leipziger mathematische Antrittsvorlesungen ), S. 42–43; Hervorhebungen im Original. 86

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900 ben zu haben ), so wäre es noch schlimmer. Könnten wir dieses Vorurteil brechen oder wenigstens mildern, es wäre für die studierende Jugend sicher zu wünschen. Wir lebten nicht in einer Gelehrtenrepublik, sondern in einer Gemeinschaft, in der sich alle Interessen so eng wie möglich durchdringen sollten.101

Die fehlenden deutschen Lehrbücher stellten in verschiedener Hinsicht ein Problem dar, dem dringend abzuhelfen war: einerseits benötigten Studierende der Mathematik und der benachbarten Fächer ganz praktisch adäquate Arbeitsmittel und zweitens war die Lehrbuchfrage auch für die gesamtdisziplinäre Entwicklung nicht unwesentlich, denn folgt man der Argumentation von Rudolf Stichweh, ist dem Lehrbuch als sozialem Konstrukt zumindest eine konstituierende Funktion für eine wissenschaftliche Disziplin zuzuschreiben.102 Gerade in der Zeit um 1900, als die Disziplin einerseits einem gewissen Rechtfertigungsdruck im universitären Fächerkanon ausgesetzt war und andererseits einem Ausdifferenzierungsprozeß unterlag, konnten Lehrbücher die Entwicklung der Disziplin aufzeigen, gesichertes Wissen präsentieren, und die Disziplin konnte auf ihren praktischen Nutzen für Studierende verschiedener Fächer hin überprüft werden. In diesem Sinne ist Bernadette Bensaude-Vincent zuzustimmen, wenn sie feststellt, Lehrbücher »present only established and incontrovertible knowledge, the stable results of past revolutions. [ … ] As training tools and rituals of introduction in a community, they are powerful precisely because they stabilize the discipline in denying scientific changes.«103 Lehrbücher wurden zum »Spiegel der Disziplin« ( siehe 6.6.1 ).104 Mit Blick auf die wichtige Rolle der Verlage in diesem Prozeß ist Wilhelm Loreys Hinweis von 1916 auf deren »maßgebendes« Engagement in der Lehrbuchproduktion bemerkenswert ( siehe 2.2 ).105 Bis etwa 1880 bestand in der Disziplin wenig Interesse an einer pädagogisch intendierten Literatur; jede wissenschaftliche Abhandlung galt als für Studenten zumutbar. Dies änderte sich gegen Ende des Jahrhunderts auch unter dem Einfluß der antimathematischen Bewegung und der Verlage radikal.106 Lehrbücher 101 102 103 104

Timerding, Die Mathematik in den physikalischen Lehrbüchern, S. iv. Vgl. Stichweh, Differenzierung der Wissenschaft, S. 17. Bensaude-Vincent, Textbooks, S. 669. So beschrieben von Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 104. 105 Lorey, Studium, S. 303. 106 Vgl. zum mathematischen Lehrbuch um 1900 und seinen Funktionen ebd. 87

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sollten pädagogisch aufbereitet werden unter Wahrung der erforderlichen Strenge und Faßlichkeit. Ludwig Bieberbach hat im Vorwort zu seinem 1934 erschienenen Lehrbuch der Funktionentheorie versucht, die Eigenschaften zu definieren, die ein Lehrbuch idealerweise haben sollte. Die von ihm vorgetragene Forderung nach Vollständigkeit, Faßlichkeit und Einheitlichkeit als wesentliche Merkmale eines Lehrbuchs hatte sich ab 1900 allmählich herausgebildet: Es soll, so meine ich, eine vollständige, faßliche und einheitliche Darstellung eines Wissensgebietes geben. Diese drei Eigenschaften »vollständig, faßlich, einheitlich« bedürfen aber noch der näheren Bestimmung. Vollständig soll ja auch ein Handbuch sein. Aber in anderem Sinne. Das Handbuch soll über jede Einzelheit Auskunft geben. Das Lehrbuch will den Leser instandsetzen, jede ihm außerhalb des Buches selbst begegnende Einzelheit in ihrer Bedeutung für das Ganze zu würdigen. Es soll ihn daher vollständig über die w e s e n t l i c h e n Z ü g e der Theorie aufklären und sie ihn verstehen lehren. In diesem Sinne soll es nach Ergebnissen und Methoden vollständig sein. Dabei soll es faßlich sein, also möglichst wenig Vorkenntnisse voraussetzen. Darunter verstehe ich sowohl spezifische Kenntnisse an Sätzen und Methoden als auch allgemeine Geisteseinstellung oder Übung im mathematischwissenschaftlichen Denken. Ich sehe die Aufgabe eines Lehrbuches darin, auch in dieser allgemeinen Weise über den speziellen Stoff hinaus den Leser zu bilden. Wissenschaftlich denken lernt man erst durch Beschäftigung mit der Wissenschaft. Endlich war Einheitlichkeit der Darstellung verlangt. Widerspricht diese Forderung aber nicht gerade in der Funktionentheorie der Vollständigkeit? Wer einmal von dem alten Schlachtruf: Hier Riemann, hier Weierstraß und gar hier Cauchy gehört hat, wird da seine Zweifel haben. Aber in der Wissenschaft hat man in dem Ausgleich der Gegensätze einen Fortschritt zu erblicken. Und mitten in einer solchen Periode des Fortschrittes stehen wir eben.107

Konkrete Umsetzung erfuhren die Forderungen nach brauchbaren Lehrbüchern von den Verlagen vor allem in Buchreihen, die im folgenden skizziert werden. Die disziplinäre Ausdifferenzierung in zahlreiche Subdisziplinen fand ihre Integrationsform in der Reihe. Die wünschenswerte Präsentation der Gesamtheit der Mathematik nach innen und nach außen konnten einzelne Werke kaum leisten, so daß neben der Encyclopädie der mathematischen Wissenschaften 107 Bieberbach, Vorwort. In: ders.: Lehrbuch der Funktionentheorie, S. 1*. 88

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die sich rasant entwickelnden Buchreihen seit dem ausgehenden 19. Jahrhunderts hier Maßgebliches leisteten, auch als Antwort auf die antimathematische Bewegung. Überblick über ( Lehrbuch -)Reihen bis zum Zweiten Weltkrieg

Sammlung Göschen, ab 1887, ab 1895 auch mathematische Titel, Verlagshandlung Göschen Sammlung Schubert, ab 1899, Verlagshandlung Göschen B. G. Teubners Sammlung von Lehrbüchern auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen, ab 1900, Verlag B. G. Teubner Aus Natur und Geisteswelt, ab 1898, ab 1906 auch mathematische Titel, Verlag B.G. Teubner Mathematische Bibliothek, ab 1911, ab 1917 fortgeführt in Mathematisch-Physikalische Bibliothek, Verlag B. G. Teubner Mathematisch-Physikalische Schriften für Ingenieure und Studierende, ab 1908, ab 1913 fortgeführt in Sammlung mathematisch-physikalischer Lehrbücher, Verlag B. G. Teubner Teubners technische Leitfäden, ab 1915, ab 1922 fortgeführt in Teubners mathematische Leitfäden, Verlag B. G. Teubner Mathematische Bibliothek, ab 1911, ab 1918 fortgeführt in Mathematisch-Physikalische Bibliothek, Verlag B. G. Teubner Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen, ab 1921, Julius Springer Verlag Göschens Lehrbücherei, ab 1921, Verlag Walter de Gruyter Hamburger mathematische Einzelschriften, ab 1923, Verlag B. G. Teubner Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern ( Sammlung Hilb ), ab 1927, Akademische Verlagsgesellschaft Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete, ab 1932, Julius Springer Verlag

Sammlung Göschen 1887 rief der Inhaber der Göschen’schen Verlagsbuchhandlung, Ernst Waiblinger, die allgemeinwissenschaftliche Sammlung Göschen ins Leben. Neben der auf Allgemeinverständlichkeit angelegten Grundkonzeption wurde ausdrücklich Wert auf die Einhaltung zeitgemäßer wissenschaftlicher Standards gelegt. Dies zeigte sich auch in den seit 1895 publizierten mathematischen Bändchen, 89

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die auf Grund der konzisen Darstellung ( klare Umfangsbeschränkung ) und des niedrigen Preises insbesondere bei den Studenten der Technischen Hochschulen auf positive Aufnahme trafen.108 In einer ersten Phase bis um 1910 wurden überwiegend elementare Themen der mathematischen Grundausbildung wie Arithmetik, Niedere und Höhere Analysis, Trigonometrie, Analytische, Darstellende und Projektive Geometrie bearbeitet. Dem Gegenstand entsprechend waren die Autoren dieser Titel häufig Lehrer, wie etwa Friedrich Junker, der eine zweibändige Höhere Analysis ( Band I, Differentialrechnung 1898 und Band II, Integralrechnung 1898 ) verfaßte. Als ökonomisch außerordentlich erfolgreich erwies sich der den Lehrstoff ergänzende Band Formelsammlung und Repetitorium der Mathematik von Otto Bürklen mit mehreren Auflagen und zahlreichen Neudrucken bis 1939 ( siehe 4.3 ). Mit der 1913 publizierten, zweibändigen Funktionentheorie von Konrad Knopp, die bis 1949 sieben Auflagen erlebte, erhöhte sich das Niveau der Reihe punktuell. Im Bereich der Anwendungen waren die wichtigen Werke des Schülers von Carl Runge, Friedrich Willers, zu verzeichnen ( Graphische Integration 1920, Numerische Integration 1923, Mathematische Instrumente 1926 ), während in der reinen Mathematik Erich Kamkes Mengenlehre ( 1928 ), Helmut Hasses Höhere Algebra ( Band I 1926, Band II 1927 ) und später Wolfgang Krulls Elementare Algebra vom höheren Standpunkt ( 1939 ) als qualitativ hochwertige Bände hervorzuheben sind. Langfristig konnte sich die Mathematik in der Sammlung Göschen, die seit 1923 von dem Jenaer Mathematiker Robert Haussner als Berater betreut wurde, als anerkannter Publikationsort einführender Lehrbücher109 für Studenten der Technischen Hochschulen und der Universitäten etablieren. Sammlung Schubert Erst ab 1899 erschien im Verlag Göschen eine ausschließlich mathematische Titel umfassende Reihe, die die in der Sammlung Göschen erscheinenden mathematischen Titel ergänzte, wobei manche Titel sowohl in der neuen Sammlung Schubert als auch in der Sammlung Göschen mehrfach verwertet wurden. Die von dem Hamburger Lehrer und Mathematiker Hermann Schubert herausgegebene, erste rein mathematische Reihe präsentierte sich im Zeitraum von 1899

108 Dazu siehe Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 89. 109 Vgl. etwa die Rezension von Oppenheim, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 33 ( 1923 ), S. 26–27. 90

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bis 1921 mit etwa 60 Bänden, von denen nur einige wenige nach 1911, dem Todesjahr des Herausgebers erschienen.110 Herausgeber und Verlag stellten sich die Aufgabe, eine Sammlung »ausführlicher Lehrbücher«111 anzubieten, und sich damit gegenüber den knappen Bändchen der Sammlung Göschen abzugrenzen. Die Darstellungsweise sollte dem Anspruch genügen, wissenschaftliche Strenge mit Verständlichkeit zu verbinden. Beworben wurde die Reihe unter anderem mit dem Profil, besonders die Belange der Praktiker zu berücksichtigen.112 Zwar wurden die entsprechenden Gebiete, wie sie auch in der bei Teubner im gleichen Zeitraum entstehenden Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen aufzufinden waren, alle bearbeitet ( diese waren Mechanik, Astronomie, Geodäsie, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Versicherungsmathematik und physikalische Disziplinen wie Thermodynamik, Optik und die Theorie der Elektrizität und des Magnetismus ). In der Umsetzung erfüllten sie jedoch vornehmlich die Bedürfnisse der Studenten der Mathematik.113 Der enzyklopädische Charakter der Reihe zeigte sich auch in der Auswahl der Themen, indem alle relevanten Bereiche der universitären Ausbildung behandelt wurden. Dazu gehörte den Auffassungen der Zeit entsprechend die Integration der Elementarmathematik zur Überbrückung der Kluft zwischen Schule und Universität,114 wie sie sich in der Sammlung Schubert etwa durch die entsprechenden Titel Elementare Arithmetik und Algebra oder Niedere Analysis zeigte. In der Planung sollten die Bände bezogen auf den Schwierigkeitsgrad zeitlich aufeinander folgen, was in der Realisierung infolge naheliegender Unwägbarkeiten nicht immer gelang. Die thematische und strukturelle Anlage der Sammlung wies eine deutliche Verwandtschaft zur Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen auf und war gewissermaßen ihr Pendant auf der Ebene des Lehrbuchs ( zahlreiche Autoren der Encyklopädie waren auch an der Sammlung Schubert beteiligt ). Dies war neben der intensiven Betreuung durch 110 Zur Sammlung Schubert vgl. Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 86–89. 111 Vgl. Informationstext zur Reihe aus Hermann Schubert: Arithmetik und Algebra ( 2. Auflage, Leipzig 1909 ). 112 Vgl. die Werbeanzeige in Hermann Schubert: Niedere Analysis. 2. Teil, Leipzig: Göschen 1903 ( Sammlung Schubert. 45 ). 113 Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 88. 114 Vgl. Lorey, Studium, S. 263–276. 91

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einen in weiten Kreisen der Mathematiker angesehenen Herausgeber wohl der Grund für die weitreichende Akzeptanz der Sammlung Schubert als führende mathematische Lehrbuchsammlung ihrer Zeit. B. G. Teubners Sammlung von Lehrbüchern auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen Die 1899 von Göschen gegründete Sammlung Schubert hatte anscheinend Signalcharakter auf dem mathematischen Buchmarkt, denn Ackermann-Teubner reagierte bald und etablierte ab 1900 eine eigene Reihe, die er unter dem Titel B. G. Teubners Sammlung von Lehrbüchern auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen herausbrachte. Sie war zunächst als eine Mehrfachverwertung der in der Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften behandelten Themen gedacht.115 Im Verlagskatalog von 1908 heißt es explizit, es sei das verlegerische Ziel gewesen, »die umfangreichen sachlichen und historischen Vorarbeiten, welche die Herren an der Encyklopädie für jenes Werk unternommen hatten, aber eben dort nur in gedrängtester Kürze darlegen konnten, literarisch ausgiebiger zu verwerten.«116 In den Mittheilungen der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner wird neben dieser Begründung weiter argumentiert, daß »im Vergleich z. B. mit Frankreich, bei uns in Deutschland die mathematische Litteratur an Lehrbüchern über spezielle Gebiete der mathematischen Forschung nicht allzu reich ist«.117 Teubner versuchte allerdings durch diese Sammlung der Herausforderung der Göschen’schen Verlagsbuchhandlung auf dem Lehrbuchmarkt zu begegnen. Im Zeitraum von 1900 bis 1914 erschienen über 50 der insgesamt 64 Bände umfassenden Lehrbuchsammlung, die 1932 in Folge des abnehmenden Engagements von Teubner auf dem wissenschaftlichen mathematischen Buchmarkt eingestellt wurde. Die Fülle an verfügbaren Autoren, die sich schon als Mitarbeiter an der Encyklopädie profiliert hatten, bescherte dem Verlag vor 1914 in hoher Frequenz eine große Zahl bemerkenswerter Werke. Positive Resonanz fanden unter anderem einige Übersetzungen, wie etwa das Werk von Gino Loria ( Spezielle algebraische und transzendente Kurven; in deutscher Bearbeitung von Fritz Schütte; 1902; 2. Auflage in zwei Bänden 1910 und 1911 ) und das ökonomisch erfolgreiche Lehrbuch der Funktionentheorie von William Osgood ( Band I 1907 mit 5 weiteren Auflagen bis 1928; Band II 1. Lieferung 1924 und 2. Lieferung 1932 ). Mehrere Neuauflagen erreichte die vom Fachpublikum 115 Vgl. dazu Schneider, Mathematik im Verlag B. G. Teubner, S. 137 f. 116 Katalog 1908, S. 56. 117 Mittheilungen der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner 1899, Nr. 5 / 6, S. 166. 92

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mit viel Lob bedachte dreibändige Wahrscheinlichkeitstheorie ( 1903, 1908 und 1910 ) von Emanuel Czuber.118 Trotz der gut aufgenommenen Einzelwerke, wie beispielsweise auch Oskar Perrons Lehre von den Kettenbrüchen ( 1913, 2. Aufl. 1929 ),119 gelang es Teubner nicht, die Reihe, für die kein Fachmann als Herausgeber zeichnete, als »Marke« in Konkurrenz zur Sammlung Schubert zu etablieren. Im Zeitraum 1900–1911 wurden die Bände der Teubnerschen Lehrbuchsammlung im Vergleich zur Sammlung Schubert deutlich seltener rezensiert und weniger als Bestandteil einer Reihe wahrgenommen. Nach 1920 standen in der Rezeption die Reihenprojekte von den Verlagen de Gruyter und Springer im Vordergrund. Obwohl alle Werke als vereinheitlichendes Merkmal ein alphabetisches Register aufzuweisen hatten, waren sie bezogen auf Konzeption und Umfang doch zu unterschiedlich, um überzeugend eine Sammlung zu repräsentieren.120 Aus Natur und Geisteswelt und Mathematische Bibliothek, fortgeführt in Mathematisch-Physikalische Bibliothek Mit einer Verzögerung von mehreren Jahren unternahm Teubner um 1900 den Versuch, auch zur prominenten Sammlung Göschen ein Konkurrenzprojekt auf dem Markt zu positionieren.121 1898 erschienen die ersten Bände der »Sammlung von wissenschaftlich allgemeinverständlichen Darstellungen aus allen Gebieten des Wissens«122 unter dem Titel Aus Natur und Geisteswelt. Im Zeitraum 1906–1930 präsentierte die Reihe auch mehr als zwei Dutzend mathematischer Titel, die jedoch inhaltlich weniger anspruchsvoll angelegt waren als diejenigen der Sammlung Göschen. Entsprechend der Intention Teubners orientierte sich Aus Natur und Geisteswelt eng an der Volkshochschulbewegung, 118 Vgl. etwa die Rezension von Oster ( Archiv der Mathematik und Physik 9 ( 1905 ), S. 51–55 ): »Das vorliegende Buch ist von den interessierten Kreisen mit großer Spannung erwartet worden. Ein deutsches Lehrbuch der Wahrscheinlichkeitsrechnung, geeignet zur Einführung in diese mit dem praktischen Leben so vielfach verknüpften Disziplin und ihre hauptsächlichsten Anwendungen hat stets gefehlt.« 119 Vgl. die Rezension von Hahn zur 2. Auflage ( Monatshefte für Mathematik und Physik 38 ( 1931 ), S. 9 ), in der Perrons Werk als das »einzige umfassende Lehrbuch der Theorie der Kettenbrüche« bezeichnet wird. 120 Zur konzeptionellen Unschärfe der Lehrbuchsammlung vgl. Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 99. 121 Vgl. Schneider, Konkurrenten auf dem mathematischen Markt, Anm. 68. 122 Siehe Mitteilungen der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner 1913, Nr. 5. 93

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während Göschen ein stärker wissenschaftlich ausgerichtetes Profil im Auge hatte. Dies zeigte sich sowohl in der Auswahl der Autoren als auch der Gegenstände. Neben einer überwiegenden Anzahl von Praktikern und Lehrern wie Karl Dröll und Paul Crantz, der insgesamt fünf Bände zur Reihe beitrug, bearbeiteten auch einige profilierte Autoren wie Wilhelm Ahrens, Felix Auerbach und Gerhard Kowalewski ein begrenztes Themenspektrum, das die Kernthemen der Elementarmathematik ( Geometrie und Analysis ), elementare Einführungen in die höhere Mathematik und Gebiete der angewandten Mathematik, wie numerische und graphische Integration und Spieltheorie umfaßte. Wohl nicht zuletzt der kommerzielle Erfolg dieses Unternehmens machte es Teubner leicht, auf Anregung des renommierten Didaktikers Walter Lietzmann und des Lehrers Alexander Witting um 1911 die Mathematische Bibliothek ins Leben zu rufen, die 1917 zur Mathematisch-Physikalischen Bibliothek erweitert wurde und bis 1949 an die hundert Bände umfaßte. Die Reihe bot im Vergleich zu Aus Natur und Geisteswelt eine weitaus vielseitigere Auswahl an Themen, stellte aber vergleichbare Anforderungen an die Vorkenntnisse der Leser. Da nach 1930 die Neuauflagen erfolgreicher Werke in der Mathematisch-Physikalischen Bibliothek erschienen, galt sie für die Mathematik als Fortführung von Aus Natur und Geisteswelt. Beide Reihen wurden nicht nur vom Publikum, das insbesondere potentielle Studenten der Mathematik umfaßte, gut aufgenommen. Auch die Vertreter des Faches fanden ihre Disziplin für diese Zielgruppe angemessen dargestellt, was sich in den zahlreichen positiven Rezensionen in den entsprechenden Fachzeitschriften spiegelte.123 Mathematisch-Physikalische Schriften für Ingenieure und Studierende; seit 1913 unter dem Titel Sammlung mathematisch-physikalischer Lehrbücher Es folgten im gleichen Haus weitere Reihen für spezifische Zielgruppen, so die Mathematisch-physikalischen Schriften für Ingenieure und Studierende, die 1908–1913 herausgegeben wurden. 1908 hob der Teubner-Verlag diese Reihe unter der Ägide des wissenschaftsorganisatorisch vielseitig tätigen Mathematikers Eugen Jahnke aus der Taufe. Es erschienen in loser Folge konzise, etwa auf 100 Seiten beschränkte Einführungen in eng begrenzte, für Ingenieure relevante Teilgebiete der Mathematik. Neben dem Ziel, den Bedürfnissen der Ingenieure Rechnung zu tragen, sich schnell und umfassend über notwendige mathemati123 Ausführlicher vgl. Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 92 f. 94

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sche Hilfsmittel zu orientieren, wurde auf fundierte Grundlagen und mathematische Präzision wert gelegt.124 Bis 1920 erschien eine Reihe wichtiger Werke von renommierten Autoren, die nicht nur als bedeutende Lehrbücher galten, sondern auch auf die Entwicklung der Forschung im Bereich der angewandten Mathematik Einfluß hatten, beispielsweise Carl Runge: Graphische Methoden ( 1. Aufl. 1915 ), Rudolf Mehmke: Leitfaden zum graphischen Rechnen ( 1. Aufl. 1917 ). Nach dem Tode Jahnkes 1921 wurde Erich Trefftz Herausgeber. Während seiner Tätigkeit verlor die Reihe an Profil; es erschienen überwiegend Neuauflagen von vor 1921 publizierten erfolgreichen Werken. In Folge deutlich zurückgehender Absatzzahlen wurde die Reihe nach 1933 nicht fortgeführt. Teubners technische Leitfäden und Teubners mathematische Leitfäden Von 1915 bis1930 bediente Teubner mit den Technischen Leitfäden den Buchmarkt mit einer weiteren, für Anwender konzipierten Reihe, für die kein Herausgeber verantwortlich zeichnete.125 Den Auftakt machte 1915 die Analytische Geometrie eines so erfahrenen und erfolgreichen Autors wie Robert Fricke. Bis 1918 wurden weitere mathematische Kernthemen für Anwender ( Darstellende Geometrie und Differential- und Integralrechnung ) von Autoren wie Marcel Grossmann ( Professor für darstellende Geometrie an der ETH Zürich, Zusammenarbeit mit Albert Einstein ) und Ludwig Bieberbach bearbeitet. Danach überwogen, neben einigen Titeln zur Funktionentheorie, zur höheren und praktischen Mathematik, nichtmathematische Titel zur Baustoffkunde oder zum Stollen- und Tunnelbau, die mäßig aufgenommen wurden. Der Erfolg der mathematischen Bände hingegen veranlaßte den Verlag 1922, diese zu einer neuen Reihe mit dem Titel Teubners mathematische Leitfäden zusammenzufassen und weiter auszubauen. Diese Sammlung von etwa 30 Titeln bis 1959 wurde zu großen Teilen von drei Autoren bestritten: Ludwig Bieberbach, Rudolf Rothe und Horst von Sanden. Dabei sprachen Bieberbachs Bände vor allem die Studenten der Universitäten an, während Rudolf Rothes außerordentlich erfolgreiche Höhere Mathematik für Mathematiker, Physiker und Ingenieure ( Erstauflagen 1925, 1929, 1935; teilweise zweistellige Neuauflagen bis nach 1949, ergänzt durch zahlreiche Bände mit Übungsaufgaben und Formelsammlungen ) auch für die Studierenden der Technischen Hochschulen geeignet war. Von Sandens bis 1964 in neun Auflagen erschienene Darstellende Geometrie ( 1. Auflage 1931 ) erfüllte vornehmlich die Bedürfnisse des angehenden Ingenieurs. 124 Vgl. ebd., S. 94 ff. 125 Vgl. ebd., S. 97 f. 95

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1911 wurde schließlich die Mathematische Bibliothek ( ab 1918 MathematischPhysikalische Bibliothek ) ins Leben gerufen, die von den Lehrern Walther Lietzmann ( Barmen ) und Alexander Witting ( Dresden ) betreut wurde. Walther Lietzmann schreibt in seinen Lebenserinnerungen: Wir gewannen den Seniorchef des Verlages Teubner, Hofrat Ackermann, für den Plan, oder doch für einen Versuch, obwohl er nicht recht an ein Gelingen dachte. Der Erfolg hat uns recht gegeben. Die Zahl der Bändchen, die in den ersten 30 Jahren erschienen sind, nähert sich der Zahl 100, von denen allerdings nicht wenige vergriffen sind. Manche Bändchen haben 5, ja 7 Auflagen erlebt. Insgesamt wird etwa eine halbe Million Exemplare gedruckt sein. Daß es nicht die Mathematiker sind, die sie gekauft haben, ist klar.126

Die Bibliothek war sicher eine Reaktion auf den Markt, ein direktes Konkurrenzunternehmen zur Sammlung Göschen hat Teubner jedoch damit bewußt vermieden, zu groß scheint die Marktmacht der Reihe gewesen zu sein. Die Teubner-Reihen grenzten sich im Hinblick auf die Zielgruppe und die Absatzmärkte von der Sammlung Göschen ab, so erinnert sich Lietzmann: »Wir haben bei den Themen absichtlich lehrbuch- oder leitfadenähnliche Darstellungen der mathematischen Einzelgebiete vermieden, dafür gibt es ja in Gestalt solcher kleinen Bände die Göschen-Sammlung, mit der wir nicht konkurrieren wollten und konnten.«127 Den Verlagen kommt das nicht geringe Verdienst zu, mit der Etablierung mathematischer Reihen als neuer Publikationsform einen Integrationsprozeß für die Disziplin eingeleitet zu haben, der um 1900 seinen Anfang nimmt und erst in den 1920er Jahren zur Vollendung gelangt. Neben den sich um 1900 erst allmählich etablierenden Reihen sind zwei weitere Verlagsprojekte aus dem Hause B. G. Teubner interessant, deren Zielsetzung sich auf die Beförderung der Einheit der Disziplin bzw. der Einheit der Kultur bezog.

126 Lietzmann, Lebenserinnerungen, S. 91. 127 Ebd., S. 91. 96

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

3.4

Die Teubner-Projekte »Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften« und die »Kultur der Gegenwart«

Zwei Sammelwerke sollen hier kurze Erwähnung finden, die die in diesem Kapitel behandelten Versuche zur Positionsbestimmung der Mathematik widerspiegeln, nämlich die Integration mathematischer Subdisziplinen zum Gesamtkomplex mathematischer Forschung und die Bedeutung der Mathematik im Gesamtkomplex der Kultur. Die beiden Großprojekte hatten allerdings unterschiedliche Zielgruppen. Während die Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften ihre Leser und Käufer innerhalb der Disziplin, auch international, finden sollte, war die Kultur der Gegenwart auch für das nichtwissenschaftliche, aber gebildete deutsche Publikum des Kaiserreichs gedacht und war entsprechend populärwissenschaftlich angelegt.128 Mit der Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften unter Einschluß ihrer Anwendungen, die schon wiederholt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden ist und hier nicht ausführlich vorgestellt werden soll, beabsichtigte der Verlag B. G. Teubner, eine Gesamtschau der Mathematik zu publizieren.129 Teubner war mit diesem Projekt auf der Höhe seiner Entwicklung zum mathematischen Verlag angekommen. Das Werk war ursprünglich, 1895, auf sechs Einzelbände und eine Publikationszeit von sieben Jahren geplant. Mit Erscheinen des ersten Heftes des ersten Bandes wurde der Publikationsplan auf sieben Bände geändert. Es erschienen schließlich 24 Bände, und es dauerte 37 Jahre, bis das umfangreiche Projekt fertig gestellt war. Die Encyklopädie war ein Kooperationsprojekt der Akademien in Wien, Göttingen und München, die einen großen Teil der Finanzierung übernahmen. Die Encyklopädie umfaßte wie Periodika alle mathematischen Forschungsbereiche und sollte darüber hinaus »ein Gesamtbild der Stellung geben, die die Mathematik innerhalb der heutigen Kultur einnimmt«, so der einleitende Bericht. Sie war zwar als gedrucktes Monument für die Einheit der mathematischen Wissenschaften unter Einschluß ihrer Anwendungen konzipiert, konnte diesen Anspruch aber angesichts der stetigen Ausdifferenzierung und des rasanten Wachstums der mathematischen 128 Vgl. diesen Aspekt auch bei Tobies, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik als Bestandteile der Kultur der Gegenwart, S. 29–43. 129 Vgl. Hashagen, Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften; Tobies: Mathematik als Bestandteil der Kultur; Tombrink, Bedeutung der Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften; Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, S. 339–341. 97

Eine Disziplin und ihre Verleger

Wissenschaften letztendlich nicht erfüllen. Dennoch zeugen sie als Großprojekt, ähnlich wie die Werkausgaben, vom selbstbewußten Auftritt der Mathematik im Konzert der Disziplinen und von ihrem Anspruch, als Teil der zeitgenössischen Kultur verstanden zu werden. Wie die Encyklopädie zielte ein weiteres mehrbändiges Werk aus dem Hause Teubner auf eine Gesamtdarstellung, diesmal auf die Einheit von Medizin, Natur-, Technik- und Geisteswissenschaften, und verkörperte Teubners Selbstverständnis als kulturintegrative Kraft. Die Kultur der Gegenwart erschien zwischen 1905 und 1925 unter Paul Hinneberg als leitendem Herausgeber.130 Für die Abteilung »Mathematik« war Klein der maßgebende Koordinator, der, tatkräftig unterstützt durch seinen Schüler Walther von Dyck in München, die Fäden in der Hand behielt und die geeigneten Autoren aussuchte, vor allem solche, die ihm schon durch frühere Publikationen verbunden waren. Im Gegensatz zu den anderen Bänden wurde diese dritte Abteilung des Gesamtwerkes in Einzellieferungen publiziert, damit die verschiedenen Autoren auf einander aufbauen konnten.131 Die erste Lieferung zum Band Die Mathematischen Wissenschaften war 1912 Die Mathematik im Altertum und im Mittelalter von Hieronymus Zeuthen aus Kopenhagen. Lieferung zwei erschien 1914 und enthält den im Kontext der Reden schon erwähnten Beitrag des Münchners Aurel Voss Die Beziehungen der Mathematik zur Kultur der Gegenwart sowie Die Verbreitung Mathematischen Wissens und Mathematischer Auffassung von Emil Heinrich Timerding. Lieferung drei erschien ebenfalls noch 1914 und besteht aus Voss’ Abhandlung Über die Mathematische Erkenntnis. Ursprünglich waren noch weitere mathematische Abhandlungen geplant gewesen, so eine über Die Mathematik im 16., 17. und 18. Jahrhundert, die Stäckel hätte übernehmen sollen, und über Die Mathematik der Neuzeit. Dazu kam es allerdings nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr.132 Ganz ähnlich wie in den oben diskutierten Reden werden auch in der Kultur der Gegenwart die Position der Mathematik im Panorama der Disziplinen 130 Vgl. Ziehe, Wissenschaftssystematik als Kulturaufgabe; Stöltzner, Eine Enzyklopädie für das Kaiserreich ( besonders auch zur Person Hinnebergs ); Tobies, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik als Bestandteile der Kultur der Gegenwart, sowie Müller, Wissenschaft und Markt, S. 116 f. 131 Felix Klein: Vorbemerkungen auf der Einbanddecke der ersten Lieferung. 132 Von den insgesamt 20 geplanten Bänden zu Mathematik und Naturwissenschaft konnten lediglich acht erscheinen. Zur Diskrepanz zwischen Plan und Ausführung siehe Tobies, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik als Bestandteile der Kultur der Gegenwart, S. 31. 98

Positionsbestimmungen der Mathematik um 1900

und ihre Geschichte thematisiert. Die Rede von Voss über Die Beziehungen der Mathematik zur Kultur der Gegenwart steht dafür als Beispiel ebenso wie Ausführungen Timerdings über das mathematische Bildungswesen, der in seinem Beitrag explizit die antimathematische Bewegung an Schulen und Hochschulen aufgriff.133 Klein bekannte in den Vorbemerkungen zum Band »Mathematik« innerhalb des Sammelwerkes, daß »es seine ganz besonderen Schwierigkeiten hat, im Rahmen der ›Kultur der Gegenwart‹ die Mathematik in sachgemäßer Weise zur Geltung zu bringen, leuchtet von vornherein ein.«134 Worin diese Probleme konkret bestanden, sagte Klein nicht, allerdings stellt die Vermittlung mathematischer Inhalte und Ideen an mathematische Laien stets eine große Herausforderung dar. Ein möglicher Zugang ist der historische, so auch in der Kultur der Gegenwart. Die Konzeption zeigt, daß neben dem Beitrag von Voss die historische Entwicklung der Mathematik sowie die Anlage des Mathematikunterrichts ( ebenfalls in seiner historischen Entwicklung dargelegt ) als für die Allgemeinheit von Interesse – und das impliziert: als ein geeigneter Zugang zur Mathematik – angesehen wurden: »Eine s y s t e m a t i s c h e D a r s t e l l u n g schien hier von vornherein unmöglich, der Gegenstand soll vielmehr dem allgemeinen Denken dadurch näher gebracht werden, daß die großen Züge der h i s t o r i s c h e n E n t w i c k e l u n g herausgearbeitet werden.«135 Hier wird deutlich, daß Klein die Kultur der Gegenwart im Gegensatz zur Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften als populärwissenschaftliches Werk für eine breite Zielgruppe verstand, in dem die historische und zeitgenössische Position der Mathematik in der Kultur selbstbewußt bestimmt wurde.

3.5

Publikationsformen zur Positionsbestimmung

Alle in diesem Kapitel angesprochenen Publikationsformen waren prinzipiell geeignet, den Status der Mathematik im und für das Wissenschaftssystem abzubilden, den Anspruch der Mathematik, disziplinenintern wie -extern als Einheit wahrgenommen zu werden, zu verkörpern und schließlich die Disziplin zu stabilisieren. Mit den Reden, der spezifischen Publikationsform »Gesammelte Werke«, den Lehrbuchreihen sowie den eben genannten beiden großen Sammelwerken hatten sich die Mathematiker Artikulationsorte der Selbstvergewisserung 133 Timerding, Der mathematische Unterricht, S. A157. 134 Felix Klein: Vorbemerkungen auf der Einbanddecke der ersten Lieferung. 135 Ebd., Hervorhebung im Original. 99

Eine Disziplin und ihre Verleger

geschaffen. Die antimathematische Bewegung mag einer der Auslöser für die Selbstreflexion der Disziplin gewesen sein, die interne disziplinäre Entwicklung sicherlich ein weiterer. Besonders in den Reden wurde immer wieder die Bedeutung der Mathematik jenseits ihrer praktischen Anwendbarkeit betont. Mathematik wurde verstanden als kulturelle Praxis und disziplinenübergreifende wissenschaftliche Methode. Sie leistete somit mehr als die einfache Bereitstellung von Arbeitswissen für Physiker, Chemiker, Ingenieure und andere Techniker. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts wichtigen Publikationsformen wie Werkausgaben und Lehrbuchreihen dienten zur Abgrenzung und Hervorhebung der deutschen Leistungen vom Ausland, und besonders mit den Lehrbuchreihen war es möglich, den hohen Stand der Disziplinenentwicklung zu präsentieren sowie die Ausdifferenzierung von Subdisziplinen widerzuspiegeln. Mit der bis Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden Lücke im deutschen Lehrbuchmarkt hatte gleichsam ein wichtiger Baustein für die Stabilisierung der Disziplin gefehlt. Nach Forschungsaufsätzen in Zeitschriften und komplexen Forschungsmonographien vollzieht sich, so Rudolf Stichweh, in den Lehrbüchern »eine sequentielle Kodifikation des Wissens, wobei die Lehrbücher ganz hinter die Linien wissenschaftlicher Diskussionen zurückgenommen werden und so, nicht mehr parteilich, sondern serviceorientiert, den disziplinären Wissensbestand für die Sozialisation des Nachwuchses aufbereiten«.136 Nach dieser Argumentation kommt den Lehrbüchern eine hohe Bedeutung für die Verbreitung des nun durch die Publikationsform als sicher geltenden Wissens zu. Mit der Aufnahme einzelner Titel in eine Lehrbuchreihe wurde gleichsam der Effekt erzielt, die Einheit der mathematischen Forschung wieder herzustellen. Dies nimmt um die Jahrhundertwende seinen Anfang. Andererseits hatte die zügige Einführung der Lehrbuchreihen ab 1900 einen schlicht praktischen Grund: Sie waren eine folgerichtige Reaktion auf den steigenden Bedarf der Studierenden wie auch der Lehrenden und aus diesem Grund auch für die Verlage ein attraktives Produkt, das sich erfolgreich vermarkten ließ. Lehrbücher dienten der Disziplin multifunktional, denn über die hier genannten Aspekte hinaus waren sie auch der ideale Ort, neue Spezialgebiete wie etwa die Gruppentheorie oder die Variationsrechnung zu etablieren.137 Daher ist das ausgeprägte Engagement der Verlage in diesem Bereich essentiell für die disziplinäre Entwicklung der Mathematik.

136 Stichweh, Entstehung, S. 441. 137 Dazu vgl. Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 81 f. 100

4

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

Für die Verlage stellte die Mathematik in den 1890er Jahren als expandierende Disziplin in zweierlei Hinsicht ein attraktives Tätigkeitsfeld dar: einerseits wuchs die Mathematik als eigenständiges akademisches Fach und andererseits nahm ihre Bedeutung als Nebenfach und disziplinübergreifende Ressource rapide zu. Im mathematischen Publikationswesen schlug sich dies zum Beispiel in den seit Ende des Jahrhunderts neu auf den Markt gebrachten Lehrbuchreihen, der Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften sowie dem anschwellenden Strom der »Gesammelten Werke« nieder. Von dieser aus Sicht der Disziplin und der Verlage günstigen Entwicklung profitierte in erster Linie der B. G. Teubner Verlag in Leipzig. Im Wettbewerb um Autoren gewann er in den 1890er Jahren eine besondere Attraktivität als Publikationsort. An Konkurrenten fehlte es ihm mit den Leipziger Verlagen Veit & Comp. und der Göschen’schen Verlagshandlung nicht, doch erst während des Ersten Weltkriegs zeichnete sich ab, daß der Springer Verlag in Berlin im mathematischen Publikationswesen die Führungsrolle Teubners übernehmen würde. Aus der Perspektive des mathematischen Publizierens waren zwei Entwicklungen innerhalb der Mathematik in Deutschland von besonderer Bedeutung: 1. Im Rahmen der Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Mathematik entstanden zunehmend einführende und überblicksartige Darstellungen zu spezifischen mathematischen Subdisziplinen. Die DMV hat bald nach ihrer Gründung 1890 gezielt begonnen, in ihrer Zeitschrift, dem Jahresbericht der DMV, Überblicksartikel zu veröffentlichen, die oft schon den Charakter von Monographien hatten, zunächst aus dem Gebiet der reinen Mathematik – hier stach Hilberts Zahlbericht von 1897 hervor, der die algebraische Zahlentheorie auf ein neues Fundament stellte –, doch dann auch aus dem Bereich der ange-

101

Eine Disziplin und ihre Verleger

wandten Mathematik.1 So erschien 1898 ein 300seitiger Übersichtsartikel des Wiener Mathematikers Emanuel Czuber zur Wahrscheinlichkeitstheorie, dem 1903 sein Lehrbuch Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Anwendungen auf Fehlerausgleichsrechnung, Statistik und Lebensversicherung folgte (Teubner ).2 Der Trend, neue Gebiete in Buchform zu behandeln, setzte sich zum Beispiel mit Adolf Knesers 1900 bei Vieweg erschienenem Lehrbuch der Variationsrechnung fort, das ebenso wie Felix Hausdorffs Grundzüge der Mengenlehre (Veit & Comp. 1914 ) zu einem Klassiker wurde. Aber auch neue und umfassende Gesamtdarstellungen bereits etablierter Gebiete zu verfassen, stellte eine Herausforderung für Autoren dar, wie sie Heinrich Weber in seinem schnell zum Standardwerk gewordenen Lehrbuch der Algebra mit großem – auch buchhändlerischem – Erfolg bewältigte ( 2 Bände, Vieweg, 1895 / 96 ) ( siehe 5.2 ). 2. Die Machtverhältnisse innerhalb der Mathematik in Deutschland verschoben sich zum Ausgang des 19. Jahrhunderts grundlegend, denn der Aufstieg der Göttinger Mathematik zum modernen mathematischen Zentrum unter Klein und Hilbert ab den 1890er Jahren – bis zum Kahlschlag zu Beginn des »Dritten Reichs« – bedeute zugleich ein Ende der langjährigen Berliner Dominanz. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts übte das Göttinger Mathematische Institut einen sehr starken Einfluß sowohl auf die inhaltliche Ausrichtung der Mathematik in Deutschland aus als auch auf die Kommunikations- und Publikationskultur. Minkowski hat seinen Freund Hilbert im Juli 1900 in einem Brief als »Generaldirektor« bezeichnet, der »die Mathematik für das 20te Jahrhundert in Generalpacht genommen« habe.3 In der Tat war Hilbert mit seinen sich beständig weiterentwickelnden breiten Forschungsinteressen und seinem großen Kreis von Schülern das Zentrum der Göttinger mathematischen Expansion und Dominanz. Hatten Algebra und Invariantentheorie am Beginn seiner Laufbahn gestanden, so stellten der bereits erwähnte Zahlbericht von 1897 und die ebenfalls sehr einflußreichen Grundlagen der Geometrie von 1899 fundamentale Stationen seiner Arbeiten im Bereich der algebraischen Zahlentheorie und der Axiomatik bzw. der mathematischen Logik dar. Nach 1900 wandte er sich unterstützt durch eine Vielzahl von Schülern der Analysis zu mit Themen wie etwa Integralgleichun1 2 3

102

Darüber berichtet z. B. Klein, Mathematik, Physik, Astronomie, S. 261 f. Vgl. die Übersicht bei Gericke, Chronik der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, S. 7 f. Zu Czubers Bericht vgl. Krengel, Wahrscheinlichkeitstheorie, S. 458 f. Minkowski an Hilbert, 28. Juli 1900, in: Rüdenberg / Zassenhaus, Minkowski, Briefe an David Hilbert, Zit. S. 130.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

gen und Variationsrechnung, die sich eng mit seinen Interessen an Fragen der mathematischen Physik verbanden.4 Dem inspirierten und schulbildenden mathematischen »Generaldirektor« Hilbert stand mit Klein ein unermüdlicher »leitender Manager« – treffend so bezeichnet von Herbert Mehrtens5 – zur Seite, dessen größter Ehrgeiz es war, Göttingen zum Nabel der mathematischen Welt zu machen. Neben Hilbert und Klein lehrten ab 1902 Minkowski ( nach dessen Tod 1909 Edmund Landau ) und 1904 Runge ebenfalls in Göttingen. Hinzu kamen ab 1907 der Extraordinarius Felix Bernstein und 1904 als Extraordinarius für technische Physik Ludwig Prandtl, den Klein nach Göttingen holte und dem die spätere Blüte der Aerodynamik in Göttingen zu verdanken ist. Darüber hinaus waren bis zum Ersten Weltkrieg zahlreiche ausgezeichnete Mathematiker als Privatdozenten in Göttingen tätig: u.a. Ernst Zermelo, Otto Blumenthal, Gustav Herglotz, Constantin Carathéodory, Paul Koebe, Hermann Weyl, Richard Courant und Erich Hecke.6 Mit den vier Ordinariaten und der außerordentlich fruchtbaren Atmosphäre hatte Göttingen dem früheren mathematischen Zentrum Berlin den Rang abgelaufen.7 Diese dynamischen Prozesse innerhalb der Disziplin wurden von Verlegern in enger Kooperation mit Mathematikern begleitet und von ihnen dazu genutzt, am expandierenden mathematischen Markt zu partizipieren. Die Mathematiker in Göttingen wußten, wie sich zeigen wird, ihrerseits die Situation sehr geschickt zu nutzen, um den mathematischen Markt mit ihren Produkten gleichsam zu überschwemmen.

4.1

Marktbeherrschend bis zum Ersten Weltkrieg – B. G. Teubner in Leipzig

In den 1890er Jahren konnte der Leipziger Verlag B. G. Teubner sein mathematisches Programmsegment so profilieren und sich unter den Mathematikern so große Reputation verschaffen, daß er 1911 zum 100jährigen Bestehen des Verlags von der DMV als »Heimstätte der Mathematik« bezeichnet wurde und die Jubiläumsfeierlichkeiten mit einer ansehnlichen Reihe von Mathematikern als

4 5 6 7

Rowe, Mathematical Schools, S. 128. Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, S. 108 und 206. Angaben nach Scharlau, Mathematische Institute in Deutschland, S. 125 f. Zur Konkurrenz zwischen Berlin und Göttingen vgl. Rowe, Episodes, S. 60–69. 103

Eine Disziplin und ihre Verleger

Festredner bestritten wurden.8 Teubner war der Verlag der großen Synthese, der sich den »durch die ›Institution‹ Teubner repräsentierten Wunsch nach Einheit aller Wissenschaften [ … ] [ als ] corporate identity«9 auf die Fahnen geschrieben hatte. Teubner wirkte in dieser Hinsicht mit seiner populärwissenschaftlichen, an die Volkshochschulbewegung angelehnte Reihe Aus Natur und Geisteswelt sowie der groß angelegten Gesamtdarstellung Kultur der Gegenwart geradezu als kulturpolitische Instanz, die prädestiniert war, die Einheit der Mathematik durch die Veröffentlichung unterschiedlicher Publikationsformen für jedes mathematische Bedürfnis hervorzuheben. Daraus war im Laufe der Jahre bis um 1900 eine prominente Stellung innerhalb des mathematischen Publikationswesens erwachsen, was dem Verlag durch verschiedene Strategien gelang:10 ( 1 ) durch die Anbindung des Verlags an zwei Zentren der »fachpolitischen Macht«11, einerseits an das Mathematische Institut in Göttingen und andererseits an die DMV. Die enge Verbindung zu Göttingen bestand durch Klein, der eine ausgeprägte Begabung zur Wissenschaftsorganisation hatte, wozu für ihn auch die Steuerung des Publikationswesens gehörte.12 Dazu brauchte Klein einen verläßlichen, auch ehrgeizigen Verleger, der gleichzeitig hohes Ansehen in der scientific community genoß, so daß sich hier eine Interessenüberschneidung zwischen Wissenschaftspolitik und Verlagspolitik ergab, die für beide Seiten gewinnbringend sein sollte. Klein regte neben aktuellen Forschungsberichten auch Publikationen an, die dem Wissenstransfer von der Mathematik in die Physik, die Mechanik und die Ingenieurswissenschaften dienten, und solche für den Hochschul- und Gymnasialunterricht. Der zweite Ort fachpolitischer Macht, in dessen Zentrum der Verleger agierte, war die DMV. Ackermann-Teubner wurde 1894 als Nichtmathematiker Mitglied der DMV und war von 1904 bis 1919 auch deren Schatzmeister. Durch die Einnahme dieser zentralen Rolle erbrachte er dem Verein, der Forscher und Lehrende gleichermaßen versammelte, gewissermaßen eine Dienstleistung. Der Nutzen lag auch hier auf beiden Seiten. Der Verleger signalisierte den Ma8 9 10 11 12 104

Vgl. zu den Feierlichkeiten und den beteiligten Mathematikern Lorey, Die Jahrhundertfeier des Verlages B. G. Teubner. Müller, Wissenschaft und Markt, S. 115. Zu Teubners Stellung in der Mathematik vgl. ausführlich Schneider, Mathematik im Verlag B. G. Teubner. Zur fachpolitischen Macht Göttingens und Felix Kleins vgl. Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, S. 342. Vgl. ebd., S. 342.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

thematikern, daß er von den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht nur ökonomisch profitieren wollte, sondern im Gegenzug seine vertriebstechnischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zur Verfügung stellte. Gleichzeitig erhielt er durch diese Funktion hervorragenden Einblick in die Bedürfnisse der Disziplin, in Publikationsvorhaben, und er konnte seine Stellung zur kontinuierlichen Kontaktpflege nutzen, neue Autoren und Herausgeber verpflichten und die Entwicklung der mathematischen Forschungsgebiete leichter nachvollziehen. ( 2 ) Die Produktpalette bei Teubner umspannte alsbald alle Publikationsformen, die für die Integration der scientific community wichtig waren: Literatur für Forscher und Praktiker, für Lehrende und für Studenten,13 und das höhere Schulwesen. Dazu gehörte die Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften, die das Ziel verfolgte, eine Gesamtschau der Mathematik zu publizieren ( siehe 3.4 ). Dazu gehörte ebenso ab 1900 die erfolgreiche Reihe B. G. Teubners Sammlung von Lehrbüchern auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen und Pascals Repertorium der höheren Mathematik ( 1900–1902 ) für Studenten. In den Jahren 1903 bis 1905 initiierte Teubner mit der Encyklopädie der Elementar-Mathematik ein Nachschlagewerk für Lehrer und Studenten. Zur Produktpalette gehörten selbstverständlich auch die weiteren Lehrbuchreihen ( siehe 3.3 ) und die Zeitschriften. Ackermann-Teubner selbst sprach sich für organisatorische Änderungen im Zeitschriftenbereich aus. Klein hatte im April 1900 an ihn geschrieben: »Ich habe [ … ] den Gedanken meinerseits aufgegriffen, den Sie gelegentlich äußerten, ob man nicht für die [ … ] Zeitschriften neben der Spezialredaktion eine gemeinsame Oberleitung einrichten könnte, in die ich dann ev. bereit wäre einzutreten. Am deutlichsten läßt sich mein Gedanke durch folgenden Titelentwurf zum Ausdruck bringen: B. G. Teubner’s mathematische Zeitschriften unter besonderer Mitwirkung von Felix Klein.«14 Es ist bemerkenswert, daß die redaktionelle Oberleitung der Zeitschriften unter dem Verlagsnamen reüssieren sollte. Der Verlagsname war zu dieser Zeit schon zum Gütesiegel für mathematische Publikationen geworden. Klein erbot sich außerdem, das Netzwerk der ( potentiellen ) Teubner-Autoren weiter zu festigen und enger zu knüpfen, denn er schrieb ebenfalls an Ackermann-Teubner: »Die Bedeutung meiner Teilnahme wäre vielmehr nur die allgemeine, daß ich Verbindungen nach allen Seiten aufrecht erhalte, 13 14

Zur Differenzierung von Publikationsformen nach der sozialen Struktur wissenschaftlicher Disziplinen vgl. Jäger, Buchhandel und Wissenschaft. Zit. n. Tobies, Zu Veränderungen im deutschen mathematischen Zeitschriftenwesen, S. 21. 105

Eine Disziplin und ihre Verleger

insbes. auch nach Seiten der Physiker, Ingenieure, Astronomen etc., welche bisher mit den reinen Mathematikern und daher auch mit Ihrem Verlage im Ganzen nur wenig Beziehungen hatten.«15 Hier flossen wissenschaftspolitische und verlagsökonomische Ziele aufs Produktivste zusammen. Früchte trug Ackermann-Teubners Verbindung zur DMV bereits zwei Jahre nach seinem Eintritt in die Vereinigung, denn ab 1896 übernahm Teubner den Jahresbericht der Deutschen Mathematiker Vereinigung von Reimer. Das durch die Inverlagnahme des Jahresberichts gewonnene symbolische Kapital ließ sich für Teubner wiederum ökonomisch fruchtbar machen. Mit der Übernahme des Jahresberichts setzte auch eine schärfere Konturierung der anderen TeubnerZeitschriften ein, die einer inhaltlichen Reform unterzogen wurden. Seit Gründung der Annalen waren mehr als 30 Jahre vergangen und Teubner konnte sein Zeitschriftenprogramm vielfältig ausbauen. Um 1900 hatte Teubner neben dem Jahresbericht folgende Zeitschriften in Verlag: ( 1 ) die Mathematischen Annalen als führendes wissenschaftliches Periodikum, ( 2 ) die Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht, die neben Originalartikeln auch ein Aufgabenrepertorium beinhaltete und literarische Berichte sowie Nachrichten über das höhere Schulwesen brachte, ( 3 ) die alte Schlömilchsche Zeitschrift für Mathematik und Physik, die nach einer Reform ab 1896 ausschließlich als Organ für angewandte Mathematik fungierte, ( 4 ) die wissenschaftshistorisch angelegte Bibliotheca mathematica. Zeitschrift für Geschichte der Mathematischen Wissenschaften, die 1899 von Mayer & Müller aufgekauft wurde und unter Teubner ebenfalls einer inhaltlichen Neuorientierung unterzogen wurde,16 und ( 5 ) das alte, traditionsreiche Grunertsche Archiv der Mathematik und Physik, das Ackermann-Teubner ebenfalls aufkaufte und reformierte und das sich an die Oberlehrer wie an die Hochschulprofessoren, in gleicher Weise an die Universität wie an die technische Hochschule wendet [ … ]. Auch die studierende Jugend zieht das Archiv in seinen Leserkreis hinein, indem es ihr durch Aufgaben, die dem Stoff des Hochschulunterrichts entnommen sind, Anregung und Gelegenheit gibt, eine Zeitschrift ihrer Wissenschaft mit Interesse zu lesen und in ihr mit eignen Arbeiten an die Öffentlichkeit zu treten. Richtige Lösungen werden umgehend im nächsten Heft abgedruckt.17 15 16 17 106

Ebd., S. 22. Vgl. hierzu die Ausführungen ihres Herausgebers Gustaf Eneström in: Mitteilungen der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner 1900, Nr. 2 / 3, S. 80 / 83. Charakterisierung der Zeitschrift in: Katalog 1908, S. 13.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

Mit diesem Spektrum deckte der Verlag sowohl theoretische als auch anwendungsbezogene Gebiete der zeitgenössischen Mathematik ab, lieferte – bis auf das Referatewesen – eine Übersicht über die neuesten Entwicklungen, sprach alle sozialen Gruppen des Fachs an und kanalisierte die Publikationen, um sie gleichzeitig in ihrer Gesamtheit als sichtbaren Ausdruck vielgestaltiger Forschung und Lehre zu einem Panorama zu integrieren. ( 3 ) Nicht nur das breite Produktspektrum, sondern noch weitere Maßnahmen zeigen die Bemühungen des Verlegers, im mathematischen Feld eine Integrationsfunktion zu übernehmen. Ende Dezember 1899 hatte Klein an AckermannTeubner geschrieben: »Der deutsche mathematische Verlag und überhaupt die deutsche Mathematik stehen in einer Neubildung, dahingehend, daß wir Organisationen einführen müssen, wo bisher einzig der Individualbetrieb galt. Die eigentlich wissenschaftliche Ideenbildung und Arbeit muß allerdings immer Sache des Einzelnen bleiben.«18 Klein betonte somit die Notwendigkeit integrativer Maßnahmen. Hier werden neben der inhaltlichen Binnendifferenzierung der Disziplin Aspekte problematisiert, die für die Stabilisierung der scientific community wesentlich, aber in der modernen Wissenschaftsentwicklung immer schwieriger zu realisieren waren:19 einen kognitiven und einen sozialen Zusammenhalt zu konstituieren und dauerhaft zu stabilisieren. Ackermann-Teubner nahm Kleins Gedanken auf und beließ es auch in diesem Fall nicht bei der Reaktion auf die inhaltliche Entwicklung der Mathematik, sondern er entwickelte die Idee, ein Medium für die wissenschaftssoziale Komponente zur Verfügung zu stellen, quasi zur Institutionalisierung eines äußeren Rahmens, der einen Zusammenhalt prozeßhaft immer wieder reproduzieren sollte. Daher schlug er im Januar 1900 Hilbert als Vorsitzendem der DMV vor, den Jahresbericht umzugestalten. Diese Maßnahme gibt beispielhaft Aufschluß über die Produktpolitik des Verlags. Ackermann fragt, »ob es nicht wohl angebracht sei, eine Zeitschrift für die Mathematischen Wissenschaften zu bringen«,20 deren Inhalt erstens den mathematischen Hochschulunterricht betone, also die Rekrutierung und Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses thematisiert, und 18 19

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Zit. n. Tobies, Zu Veränderungen im deutschen mathematischen Zeitschriftenwesen, S. 19. Hervorhebung im Original. Vgl. Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, S. 329 f: »Daß sich [ … ] ›das Kognitive‹ und ›das Soziale‹ [ … ] im Diskurs der Wissenschaft voneinander trennen, gehört zur Modernisierung.« Zit. n. Tobies, Zu Veränderungen im deutschen mathematischen Zeitschriftenwesen, S. 20. 107

Eine Disziplin und ihre Verleger

in der zweitens »besonders hervorragende einschlägige Reden beim Rektoratswechsel, Antrittsvorlesungen, Vorträge in extenso zum Abdruck« gelangen sollten. »Alles Neue, Interessante und Wissenswerte, was sich in der mathematischen Welt ereignet, müßte in dieser Zeitschrift niedergelegt werden.« Und Ackermann-Teubner betonte: »Die Zeitschrift müßte allen Parteien in der Mathematik offen sein.« Das heißt, er wollte ein Integrationsmedium schaffen, das dezidiert überparteilich war und die Textsorten, die Ackermann hier anführt, dienen der Diskussion über das Selbstverständnis der Disziplin und ihrer Selbstvergewisserung.21 Es ging ihm nicht nur um die Publikation neuester Forschungserkenntnisse, sondern ebenso um die Selbstdarstellung. Die Wissenschaftsvermittlungsfunktion des Verlegers ging über rein mathematische Problemstellungen hinaus. Die neue Zeitschrift sollte – so Ackermann – der DMV unterstellt sein, was für seinen Verlag eine weitere enge Anbindung an die Wissenschaftsorganisation bedeutete, und sie sollte unter dem gleichen Titel wie der Jahresbericht herausgebracht werden, jedoch Bände für sich bildend. Er schrieb: Die neue Zeitschrift, die sich in Format und Ausstattung natürlich den bisherigen Bänden des Jahresberichts anschließen müßte und für die ich wie bei den Jahresberichten ein Gesamthonorar von 30 Mark pro Bogen in die Kasse der Deutschen Mathematiker Vereinigung zahlen würde, würde in zwanglosen Bänden von 40 Bogen in einmal monatlich und möglichst pünktlich erscheinenden Heften erscheinen.22

Das Risiko, eine Zeitschrift mit neuem Titel zu gründen, die neben dem Jahresbericht Bestand haben könnte, wollte der Verleger nicht eingehen, und so schlug er vor: »Diese neue Zeitschrift als ein selbständiges Unternehmen meinerseits herauszugeben, habe ich bei den zahlreichen mathematischen Zeitschriften, die schon bestehen, keine Neigung. Viel gesicherter ist ihr Erfolg, wenn sie sich einer schon bestehenden Zeitschrift eingliedert.« Ab 1902 wurde Ackermann-Teubners Idee realisiert und der Jahresbericht mit Nachrichten aus dem Wissenschaftsbetrieb erschienen monatlich, größere Abhandlungen in Ergänzungsbänden. Der Verleger ging geschickt vor, er nutzte die Standesvertretung der Mathematiker, er nutzte die Bekanntheit des Jahresberichts, mußte also keinen neuen Produktnamen auf dem Markt einführen, und er nutzte die Chance, die mit dieser Neueinteilung des Jahresberichts verbunden war, absatzstrategisch, um 21 22

108

Vgl. hierzu auch Mehrtens, Moderne Sprache Mathematik, S. 339. Zit. n. Tobies, Zu Veränderungen im deutschen mathematischen Zeitschriftenwesen, S. 20.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

ein großes Publikum direkt ansprechen zu können, nämlich die Mitglieder der DMV, zumal Ackermann anbot, diese könnten die Zeitschrift zu drei Viertel des Ladenpreises beziehen, was – so Ackermann – auch die Motivation erhöhe, der DMV beizutreten. 1891 hatte die DMV 160 Mitglieder, 1910 bereits 750. Dies war ein sicherer Absatzmarkt, denn seit 1888 gilt in Deutschland zwar der gebundene Ladenpreis für Bücher, aber Ackermann-Teubners Berliner Verlegerkollege Ferdinand Springer hatte im Zuge dieser Reform des buchhändlerischen Geschäftsverkehrs beim Börsenverein des deutschen Buchhandels erreichen können, daß es Verlegern gestattet war, unter Umgehung des Sortimentsbuchhandels an Mitglieder von Behörden, Instituten und Gesellschaften oder Vereinigungen größere Partien von Büchern zu ermäßigten Preisen zu liefern. Dieser Vorteil besonders für wissenschaftliche Verleger ist als sogenannter »SpringerParagraph« in die Annalen der Buchhandelsgeschichte eingegangen. Auch Ackermann-Teubner nutzte dies für sein Buchprogramm aus. Ein anderes, für einen Verlag der damaligen Zeit ungewöhnliches Integrationsmedium ist der Ackermann-Teubner-Preis, den der Verleger 1912 stiftete. Der Preis war mit 1000 Mark dotiert und wurde alle zwei Jahre an herausragende Mathematiker verliehen. Erstmals wurde Klein damit ausgezeichnet ( 1914 ), der von 1916 bis 1922 auch Preisrichter war.23 Diesen Preis kann man zwar vordergründig als reinen Werbeeffekt für den Verlag interpretieren, aber entscheidender ist, daß mit der Vergabe eines Preises soziale Funktionen verknüpft sind, und zwar sowohl für den Verleihenden, denn »Anerkennung zählt nur, wenn der Anerkennende selbst anerkannt ist«24, als auch für den Preisträger als auch für die Gemeinschaft: »Die Belobigung des einen ist zugleich der Appell an die Wertgemeinschaft aller.«25 Mit dem Preis werden bestimmte wissenschaftliche Normen und Werte symbolhaft manifestiert und der Stifter des Preises wird als Bewahrer und Hüter dieser Normen und Werte angesehen, was wiederum in die Wissenschaftlergemeinschaft zurückwirkt. ( 4 ) Neben der intensiven Kontaktpflege besonders zu den Mathematikern in Göttingen, in der DMV und in anderen, lokalen mathematischen Gesellschaften unternahm Ackermann-Teubner weitere strategische Versuche, seinen Verlag bekannt zu machen und erfolgreich zu positionieren. Er bemühte sich beispielsweise um Anbindung an die internationale Mathematikergemeinschaft auf Kongressen. Bereits am ersten Internationalen Mathematiker-Kongreß 1897 in 23 24 25

Vgl. Tobies, Felix Klein, S. 86 f. Paris, Die Politik des Lobs, S. 91. Ebd., S. 87. 109

Eine Disziplin und ihre Verleger

Zürich nahm er als einziger deutscher Verleger teil26 und veröffentlichte anschließend die Kongreßakten in seinem Verlag. Auch im Jahr 1900 war er auf dem zweiten Internationalen Mathematiker-Kongreß in Paris. In einem Brief an Klein spricht Ackermann-Teubner seine Motivation für die Kongreßreise explizit an: Aus Paris bin ich für meine Person ganz befriedigt zurückgekehrt. Wie Sie wissen, lege ich großen Wert auf neue Bekanntschaften, und dort habe ich viele mir bisher unbekannte Mathematiker kennen gelernt, die mir alle sehr freundlich entgegengekommen sind. Von Organisation des Kongresses war leider wenig zu merken. Am meisten wurde es vermisst, dass vom Komitee kein Lokal gewählt worden war, wo man sich des Abends, etwa zwischen 5 und 7 Uhr, hätte treffen können.27

Ackermann-Teubner verstand es auch, sich auf den Kongressen geschickt ins Gespräch zu bringen, denn er unterstützte 1904 den dritten Internationalen Kongreß in Heidelberg sowohl finanziell28, als auch durch logistische Hilfestellungen.29 Zudem nutzte der Verlag die auf dem Heidelberger Kongreß erstmals veranstaltete »Literaturausstellung«30, um seine Produkte dem internationalen Publikum zu präsentieren. Die DMV hatte zur Organisation dieser Ausstellung eigens eine Kommission gegründet. Teubner und der französische Verlag Gauthier-Villars, dessen Inhaber seit 1900 DMV-Mitglied war und bei dem die französische Ausgabe von Teubners Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften erschien, nahmen im Museumsgebäude am Ludwigsplatz eine komplette »Längsseite des Saales ein«.31 Die andere »Längsseite« teilten sich die Verlage Mayer & Müller, Friedr. Vieweg & Sohn, Göschen, dessen Verleger 26

27 28

29 30 31 110

Vgl. Verhandlungen des ersten internationalen Mathematiker-Kongresses, S. 65. Außer Ackermann-Teubner nahmen lediglich der französische Verleger Albert Gauthier-Villars und der italienische Verleger Ulrico Hoepli teil. Ackermann-Teubner an Klein, 25. August 1900, zit. n. Tombrink, Die Bedeutung der Encyklopädie der Mathematischen Wissenschaften, S. 119. Verhandlungen des dritten internationalen Mathematiker-Kongresses, S. 6: »Ferner ist uns von der Teubnerschen Firma, der stets hilfsbereiten Freundin unserer Wissenschaft, ein Zuschuß von 2000 M. zu Teil geworden.« Ebd., S. 7: »Die Firma B. G. Teubner hat weiter in allen ihren mathematischen Zeitschriften ein kurzes Einladungszirkular unentgeltlich zum Abdruck gebracht.« Vgl. den Bericht über die Ausstellung von M. Disteli in: ebd., S. 717–728. Ebd., S. 719.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

Wilhelm von Crayen DMV-Mitglied und neben Ackermann-Teubner ebenfalls persönlich anwesend war, und Engelmann sowie weitere deutsche Verlage und Sortimentsbuchhandlungen.32 Außerdem stellten viele ausländische Verlage ihr Programm vor. Als buchhändlerisches Werbemittel in seiner Zeit sicher einzigartig ist der anläßlich des vierten Internationalen Mathematiker-Kongresses 1908 in Rom publizierte opulent aufgemachte Teubnersche Spezialkatalog, den der Verleger dem Kongreß widmete. Der Katalog enthielt nicht nur die Bildnisse bedeutender Mathematiker, sondern im Anhang auch ein Gedenktagebuch, das als Nachschlagewerk genutzt werden konnte und den interessierten Leser immer wieder zu Teubners Katalog greifen ließ. Der Katalog fand anscheinend positive Resonanz, denn Ackermann-Teubner schrieb schon Anfang Juli 1908 an den Greifswalder Mathematiker Friedrich Engel: Soeben lese ich No. 28 des ›Literarischen Zentralblattes‹ zu meiner freudigen Ueberraschung Ihre so überaus wohlwollende und freundliche Besprechung meines Römischen Kataloges und bitte ich Sie, für diese Liebenswürdigkeit meinen aufrichtigsten Dank entgegennehmen zu wollen. Hoffentlich ist mir noch manches Jahr vergönnt, Ihre schöne Wissenschaft unterstützen zu können. Ich denke, daß Ihre Besprechung des Kataloges manchen Gelehrten veranlassen wird, sich diesen von mir kommen zu lassen und in je mehr Hände der Katalog kommt, desto besser ist es ja.33

1912 nahm Ackermann-Teubner letztmals am nun in Cambridge stattfindenden Kongreß teil. Auf den erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder veranstalteten internationalen Treffen waren keine Verleger anwesend. Erst 1932 in Zürich wurde Alfred Giesecke-Teubner als Teilnehmer aufgeführt. ( 5 ) Im Gründungsjahr der Mathematischen Annalen ( 1868 ) gab der Verlag erstmals die Werbeschrift Mittheilungen der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner in Leipzig heraus, was ebenfalls als Indiz fortschreitender Profilierung gewertet werden kann. Die Mittheilungen hatten den ansehnlichen Umfang von 80 bis 100 Seiten, erschienen bis 1908 sechsmal jährlich, später dreimal jährlich und wurden unentgeltlich an Interessenten im In- und Ausland verschickt und hatten den Zweck, das Publikum über Neuerscheinungen, geplante und »unter der 32 33

Vgl. Verzeichnis der Aussteller in: ebd., S. 729–731. Ackermann-Teubner an Friedrich Engel, 9. Juli 1908, UAG, Nachlaß Friedrich Engel, NE 120122. 111

Eine Disziplin und ihre Verleger

Presse« befindliche Titel zu informieren. Ab 1870 wurden den angezeigten und in der Regel inhaltlich ausführlich vorgestellten, nach wissenschaftlichen Fachgruppen geordneten Titelanzeigen Ausschnitte aus Rezensionen beigefügt. Außer den fragmentarisch abgedruckten Rezensionen wurden in den Mittheilungen auch alphabetische Titellisten mit Angabe der Zeitschriften, in denen die Bücher besprochen wurden, veröffentlicht. 1914 erschienen die Mittheilungen in einer Auflage von 35.000 Exemplaren.34 Zu den imagebildenden Maßnahmen des Verlags gehörte auch die Einrichtung eines Lesezimmers in der im Jahr 1900 eröffneten Berliner Geschäftsstelle. Dort konnten die »wichtigsten Werke sowie alle Neuerscheinungen ( einschl. der Zeitschriften )«35 täglich kostenlos gelesen werden. 1914 umfaßte die Handbibliothek des Lesezimmers 4100 Bände. Über diese allgemeinen Nachrichten hinaus publizierte Teubner regelmäßig zwei- bis dreimal jährlich ein Verzeichnis des Verlags von B. G. Teubner auf dem Gebiete der Mathematik, der technischen und Naturwissenschaften nebst Grenzgebieten, das mit dem Katalog von 1908 bereits in der 101. Ausgabe vorlag. Dieses disziplinenbezogene Werbeinstrument wurde nach der Einschätzung von Helen Müller von Mitbewerbern auf dem Markt als aggressiver Akt empfunden.36 Alle genannten verlegerischen Strategien lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß es dem Verlag gelungen war, die Mathematik in ihrer ganzen Vielfalt zu repräsentieren. Dazu gehören auch die historischen Wurzeln, die antiken Textausgaben, die Werkausgaben und die Bibliotheca mathematica. Je mehr die Mathematik einer Binnendifferenzierung unterlag, desto mehr übernahm der Verlag die Organisation der Kommunikation und der Zusammenfassung des mathematischen Wissens. Die soziale Leistung des Verlags kann nicht abschließend beurteilt werden, aber wenn davon auszugehen ist, daß »an wissenschaftlichen Disziplinen das kulturelle Moment mit dem Grad ihrer fortschreitenden Differenzierung deutlicher hervortreten würde«37, dann hat Teubner die Disziplinenkultur der Mathematik zu einem Teil mitgestaltet. 34

35 36 37 112

Vgl. die Angabe in: Aus dem Verlage von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1811–1911. Mit Nachtragsverzeichnis der Neuerscheinungen bis 1914, innere Umschlagrückseite. Vgl. die Werbung für den Leseraum in den Mittheilungen 1900, Nr. 3 und 1910, Nr. 1. Müller, Wissenschaft und Markt, S. 117. Stichweh, Wissenschaftliche Disziplinen, S. 249.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

4.2

Wettbewerb um Autoren – Veit & Comp. in Leipzig

Teubner hatte eine Machtposition erreicht, die andere Verlage im Wettbewerb um renommierte Autoren chancenlos ließ. In der schon geschilderten Umbruchphase im mathematischen Verlagswesen ab den 1890er Jahren und mit dem Ausscheiden des Reimer Verlags als mathematischer Publikationsort hatte auch der Verlag Veit & Comp., der 1834 von Moritz Veit in Berlin gegründet und 1859 nach Leipzig verlegt worden war, versucht sein Programm stärker auf mathematische Publikationen auszurichten. Veit galt in der Branche als vornehmer Verlag mit hochwertig ausgestatteten Büchern. Verlagsleiter war seit 1876 Hermann Credner,38 unter dessen Führung Veit zu einem auf Naturwissenschaften und Medizin spezialisierten und hochanerkannten Wissenschaftsverlag avancierte. Zu seinen Autoren zählte z. B. Emil du Bois-Reymond schon seit Beginn der 1870er Jahre. Credner war ähnlich wie Ackermann-Teubner ein aktiver Verleger, der gezielt bekannte Wissenschaftler einlud, um sie als Lehrbuchautoren zu gewinnen, so zum Beispiel Max Planck, der zwar nicht das von Credner gewünschte Lehrbuch lieferte, aber 1897 seine Vorlesungen über Thermodynamik bei Veit in Verlag gab.39 Im mathematischen Programm der Firma Veit & Comp. werden die Ansätze einer weiteren Schwerpunktbildung um 1900 deutlich. Ähnlich wie bei Vieweg ergänzte die Mathematik das naturwissenschaftlich ausgerichtete Programm. Die vom Verlag verpflichteten Autoren gehörten meist Technischen Hochschulen an, was den Rückschluß zuläßt, daß der Verlag vor allem an mathematischen Lehrbüchern für anwendungsbezogene Fächer interessiert war, um das studentische Käuferpublikum zu erreichen. Hier galt es um 1900 zweifellos noch eine Marktlücke zu füllen. Credner hatte ein Gespür für den Bedarf an Lehrbüchern und für aktuelle Strömungen entwickelt und erhoffte sich, mit einem renommierten Autor wie Hilbert die Reputation seines Verlags auch auf dem Gebiet der Mathematik zu erhöhen. Ende Dezember 1896 schrieb der Verlagsleiter an Hilbert, der ein Jahr zuvor an die Georgia Augusta in Göttingen berufen worden war: Hiermit nehme ich mir die Freiheit, mich mit der ganz ergebenen Anfrage an Sie zu wenden, ob Sie wohl geneigt sein würden, für meinen Verlag eine Theorie der Invarianten zu verfassen. Ein Werk von Ihnen darüber in meinem Verlag zu besitzen, würde mir zur großen Ehre gereichen, und ich 38 39

Vgl. zu Credner Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 125–135. Vgl. den Brief Plancks in: ebd., S. 130. 113

Eine Disziplin und ihre Verleger würde deshalb hocherfreut sein, wenn Sie nicht abgeneigt wären, mit mir darüber in Verhandlung zu treten. Es müßte ja nicht gleich sein, ich bin gerne bereit mich in Bezug auf die Zeit ganz Ihren Wünschen zu fügen.40

Credner konnte allerdings Hilbert nicht für Veit gewinnen, Hilbert publizierte in der Folge beim Konkurrenten Teubner, was Credner nicht davon abhielt, einige Jahre später, im Mai 1903, wiederum bei Hilbert anzufragen: Ich trage mich mit der Hoffnung, eines schönen Tages einmal von Ihnen mit der Nachricht freudig überrascht zu werden, daß sich die Verhältnisse für die Herausgabe eines Lehrbuchs der Invariantentheorie günstig gestaltet haben. Ich möchte so gern unseren Verlag durch ein Werk von Ihnen geehrt und ausgezeichnet sehen. Würden Sie sich nicht zu einem Lehrbuch der Differentialgleichungen entschließen können? Als Honorar würde ich in diesem Fall 100 M für den Druckbogen in Oktav zu 16 Seiten vorschlagen. Es würde nur der Äußerung eines ausgesprochenen Wunsches von Ihnen bedürfen, um mich Ihnen wieder einmal vorzustellen.41

Auch dieses schmeichelhafte Angebot führte nicht zum angestrebten Erfolg. Einen erneuten Vorstoß wagte erst während des Ersten Weltkriegs der 1912 als Teilhaber in den Verlag eingetretene Biologe Curt Thesing. Thesing kam von Teubner und hatte dort den mathematischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Teil der Kultur der Gegenwart betreut und als wissenschaftlicher Leiter des Verlags schnell Karriere gemacht.42 Thesing kannte Hilbert wohl aus seiner Zeit bei Teubner persönlich und versuchte ihn nun von dort abzuwerben, denn er schrieb 1917 an Hilbert – zu einer Zeit, als sich bereits abzeichnete, daß sich Teubner nach dem Ausscheiden Ackermann-Teubners aus der Verlagsleitung 1916 mehr und mehr aus dem mathematischen Gebiet zurückziehen werde ( siehe 4.4 ): Bereits bei meinem letzten Besuch bei Ihnen im vorigen Jahre, erlaubte ich mir, Ihnen die Bitte vorzutragen, mir doch für meinen Verlag Ihre neuen Arbeiten auf physikalischem Gebiete zur Herausgabe anzuvertrauen und Sie 40 41 42

114

Credner an Hilbert, 30. Dezember 1896, SUBG, Cod. Ms. D. Hilbert 411. Credner an Hilbert, 9. Mai 1903, SUBG, Cod. Ms. D. Hilbert 411. Thesing war auch als Schriftsteller und Übersetzer tätig, nicht nur auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Zu Thesing vgl. Müller, Wissenschaft und Markt, S. 96– 99, sowie Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 135.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919 waren so liebenswürdig, mir die Hoffnung zu machen, dass Sie dieses, wenn Ihre Forschungen zu einem vorläufigen Abschluß gediehen wären, auch eventuell tun würden. Ich möchte meine Bitte heute nochmals wiederholen, denn wie ich Ihnen damals erzählte, ist es vor allen Dingen mein Bestreben, meinen Verlag auf dem Gebiete der reinen und angewandten Mathematik, überhaupt auf dem Gebiet der exakten Naturwissenschaften immer weiter auszubauen. Sie können versichert sein, dass mein Verlag alles tun würde, um Ihren Wünschen in jeder Hinsicht zu entsprechen und ebenso würde ich es mir angelegen sein lassen, dass Ihr Werk auch in seiner äusseren Gestalt würdig erscheint.43

Hilbert publizierte jedoch nach dem Ersten Weltkrieg bei Springer in der von Courant begründeten Grundlehren-Reihe ( siehe 6.6.1 ). Lorey betonte 1916, der Verlag zeige ein besonderes Interesse für mathematische Lehrbücher, und führte »eine Reihe bekannter moderner Lehrbücher«44 an wie die Funktionentheoretischen Vorlesungen von Heinrich Burkhardt45, die seit 1897 bei Veit herauskamen und etliche Auflagen erlebten, oder die 1914 publizierten Grundzüge der Mengenlehre46 von Felix Hausdorff, der auf Empfehlung des in Prag lehrenden Gerhard Kowalewski als Autor in den Verlag kam. Kowalewski stand in enger Verbindung zu Thesing, der in ihm einen Berater für das mathematische Programm finden wollte. Kowalewski schreibt in seinen Lebenserinnerungen, wenig bescheiden, Thesing habe ihn in Prag aufgesucht, um mit ihm zusammen einen Plan für die weitere Ausgestaltung des Programms auszuarbeiten: »Wir entwarfen in wenigen Stunden so viele Projekte, dass sein großes Notizbuch nicht ausreicht. Unter den damals ins Auge gefaßten Publikationen befand sich z. B. Hausdorffs Mengenlehre. Ich schlug ihm immer gleich den richtigen Autor vor.«47 Kowalewski selbst hatte schon vor Thesings Eintritt in den Verlag 1909 bei Veit die Einführung in die Determinantentheorie publiziert und begann 1910 eine mathematische Reihe, die aber über den ersten Band nicht hinauskam. Unter seiner Herausgeberschaft hatte das Unternehmen die Reihe Forschung und Studium. Eine Sammlung mathematischer Monographien für Studierende begründet, die von Kowalewski selbst eingeleitet wurde. Der erste Titel lautete Das Integral und 43 44 45 46 47

Thesing an Hilbert, 25. November 1917, SUBG, Cod. Ms. D. Hilbert 411. Lorey, Studium, S. 304. Gründungsmitglied der DMV, ab 1897 Professor in Zürich. Weitere Auflagen in Göschens Lehrbücherei. Kowalewski, Bestand und Wandel, S. 252. 115

Eine Disziplin und ihre Verleger

seine geometrischen Anwendungen und sollte laut Vorwort des Verfassers dazu beitragen, die »Kluft zwischen Forschung und Studium zu überbrücken«, da der »Universitätsunterricht [ … ], wenn man von ganz bedeutenden Forschungs- und Arbeitszentren wie z. B. Göttingen absieht«, den Studenten in der Regel nicht in die Lage versetze, die neuesten Forschungserkenntnisse zu verstehen. Die Themen der nächsten Hefte sollten u.a. das Lebesguesche Integral, quadratische Formen mit unendlich vielen Veränderlichen, Integralgleichungen, die Theorie von Fréchet sowie das Uniformierungsproblem umfassen. Dies alles erschien jedoch nicht mehr. Woran das Projekt scheiterte, läßt sich nicht nachvollziehen. Auch Thesing konnte seine weitreichenden Pläne, einen internationalen Autorenstamm von Mathematikern aufzubauen,48 nicht umsetzen. Die Finanzlage

Mathematik im Verlag Veit & Comp.

Heinrich Burkhardt, Funktionentheoretische Vorlesungen, 2 Teile 1897 / 98 ( 5. Aufl. 1921 ) Felix Hausdorff, ( Grundzüge der ) Mengenlehre, 1914 ( 2. Aufl. 1927, mehrere Reprints bis 1978 ) Gerhard Kowalewski, Einführung in die Determinantentheorie, 1909 ( 4. Aufl. 1954 ) Gerhard Kowalewski, Einführung in die Analytische Geometrie, 1910 ( 4. Aufl. 1953 ) Gerhard Kowalewski, Das Integral und seine geometrischen Anwendungen, 1910 Heinrich Liebmann, Lehrbuch der Differentialgleichungen, 1901 Karl Rohn / Erwin Papperitz, Lehrbuch der darstellenden Geometrie, 2 Bde, 1893–1896 ( 3 Bde, 4. Aufl. 1932 ) Georg Scheffers, Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie, 2 Bde, 1901 / 02 ( 3. Aufl. 1922 / 23 ) Georg Scheffers, Lehrbuch der Mathematik für Studierende der Naturwissenschaft und Technik: Einführung in die Differential- und Integralrechnung und in die analytische Geometrie, 1905 ( 15. Aufl. 1962 ) Friedrich Schur, Lehrbuch der analytischen Geometrie, 1898 ( 2. verb. u. verm. Aufl. 1912 )

48 116

Vgl. dazu ebd., S. 253.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

des Hauses war im ganzen sehr angespannt und ab 1919 firmierte Veit unter dem Dach der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger von Walter de Gruyter. Thesing war in der neuen Firmenkonstellation zunächst noch persönlich haftender Gesellschafter, schied aber 1920 wegen massiver Kritik an seiner Geschäftsführung und aus Krankheitsgründen aus dem Verlag aus.

4.3

Erfolg mit neuer Publikationsform: Die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung

Teubner hatte sich zwar eine herausragende Position erobert, jedoch kam in den 1890er Jahren ein Mitbewerber auf den mathematischen Markt, in dessen Programm die Mathematik neu war. Die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung war 1785 von Georg Joachim Göschen gegründet worden und ist vor allem als Verlag Schillers, Goethes, Wielands und der Weimarer Klassik in die buchhandelshistorischen Annalen eingegangen. Zehn Jahre nach dem Tod des Verlagsgründers ging die Verlagsbuchhandlung 1838 in Konkurs, wurde vom anderen berühmten deutschen Klassiker-Verlag Cotta aufgekauft, wurde 1868 und 1889 erneut verkauft, und schließlich ab 1896 von Wilhelm von Crayen geleitet. Ein fruchtbares Geschäftsmodell wurde die noch vom vorhergehenden Verlagsleiter Ernst Waiblinger 1887 gegründete allgemein ausgerichtete Reihe Sammlung Göschen,49 die mit Klopstocks Oden eröffnet wurde und sich als tragfähiges Konzept für einen Neuanfang erwies. In die zunächst als Volksbibliothek konzipierte Reihe50 wurden ab 1895 mathematische Titel aufgenommen, also genau zu der Zeit, als Georg Reimers Bedeutung abnahm ( siehe 2.2.2 ). Der erste mathematische Titel in der Sammlung Göschen war Gottfried Mahlers Ebene Geometrie ( Bd. 41 ), ein Bändchen, das bis 1922 mehrere Auflagen und etliche Neudrucke erlebte. Es folgten rasch weitere mathematische Titel. Die Bändchen der Reihe waren ausgesprochen preisgünstig, sie kosteten 80 Pfennig und hatten den Vorteil, daß die Studierenden im Gegensatz zu einem dicken Lehrbuch, das den Stoff mehrerer Semester in sich vereinte, mit der Sammlung Göschen ihren Stoff semesterweise kaufen konnten. Bis 1900 wurden in der Sammlung Göschen ein Dutzend Titel aus dem Bereich der mathematischen Wissenschaften veröffentlicht, die durchweg Gewinn abwarfen.

49 50

Zur allgemeinen Bedeutung der Reihe im Verlagsprogramm und im Vergleich mit ihren Konkurrenzreihen vgl. Müller, Wissenschaft und Markt, S. 190–201. Vgl. Andreas Terwey, in: Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 95. 117

Eine Disziplin und ihre Verleger

Lorey hielt das Erscheinen »solcher Sammelwerke« für einen »charakteristische[ n ] Zug der neueren Zeit. Zweifellos ist das buchhändlerische Interesse hier die Haupttriebskraft, da erfahrungsgemäß Sammelwerke von Büchereien, welche die ersten Bände bezogen haben, in den meisten Fällen auch weiter gehalten wird.«51 Tatsächlich bestanden um 1910 / 12 bereits 770 rein fachwissenschaftliche Reihen auf dem deutschen Buchmarkt.52 Ähnlich wie bei Fachzeitschriften ist die Funktion von Reihen erstens in der deutlicheren inhaltlichen Profilbildung der Verlage zu suchen, zweitens erleichtern Reihen den Wiedererkennungseffekt im Sortimentsbuchhandel und haben den Vorteil, daß der Verlag die Reihe als ganze statt eines singulären Titels bewerben kann. So ist die Buchreihe »das stärkste Mittel verlegerischer Propaganda«53 und »kommt nicht nur für sich selbst, sondern für den gesamten Verlagskomplex absatzhebend in Betracht«. Verpflichtet der Verlag außerdem einen Reihenherausgeber, hat dies den weiteren Vorteil, daß dieser in der Regel die Betreuung der Autoren und die inhaltliche Organisation der Reihe übernimmt. Die Sammlung Göschen wurde ab 1898 wissenschaftlich von Paul Hartmann, Ordinarius für Kunstgeschichte an der TH Darmstadt, begleitet, der sich zunächst als Redakteur, spätestens ab 1903 bis 1944 als wissenschaftlicher Berater engagierte.54 Die Mathematik wurde ab 1923 von einem eigenen Berater, dem Mathematik-Professor Robert Haussner aus Jena, betreut. Die geschickte Aufbereitung von Lehrstoff durch kompetente Autoren in einer preiswerten kleinen Reihe für Studierende ( und Schüler ) war erfolgversprechend. Voraussetzung für anhaltenden Erfolg war neben dem erschwinglichen Preis die wissenschaftliche Aktualität der Bändchen. Relativ schnell aufeinanderfolgend wurden immer wieder überarbeitete Neuauflagen einzelner Titel veranstaltet. Eine rein mathematisch ausgerichtete ( Lehr -)Buchreihe existierte bis Ende der 1890er Jahre noch nicht. Die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung war allerdings nicht der erste Verlag, der in eine allgemein ausgerichtete Reihe mathe-

51 52

53 54

118

Lorey, Studium, S. 304 f. Zahlen nach Decke, Die Bücherreihe. Insgesamt zählt Decke für 1912 in seiner Auswertung des Hinrichschen Katalogs 1773 Reihen mit 70.978 Bänden, die Sammlung Göschen reiht Decke allerdings unter die sieben großen allgemeinen populärwissenschaftlichen Reihen ein. Allein zwischen 1910 und 1912 wurden danach 158 Reihen neu gegründet. Decke, Die Bücherreihe, S. 16. Zu Hartmann vgl. Ottilie Stoedtner-Rady: Broschüre zum Andenken an Professor Dr. Paul Hartmann, VA de Gruyter, Dep. 42, 207.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

matische Titel integrierte, denn der Verlag J. J. Weber55 aus Leipzig hatte bereits in seiner 1858 begründeten populärwissenschaftlichen Reihe Webers illustrirte Katechismen spätestens ab 1862 mathematische Titel aufgenommen, die von Stäckel am Beispiel von Franz Bendts Grundzüge der Differential- und Integralrechnung ( 1. Aufl. 1896, 9. Aufl. 1929 ) als »pseudomathematisch«56 abqualifiziert wurden. Diesen schweren Vorwurf machten Fachvertreter der Sammlung Göschen nicht. Im Gegenteil, Lorey zollte der Verlagshandlung erhebliche Anerkennung, da sie »angesehene Fachleute als Mitarbeiter«57 verpflichten konnte und so für gleichbleibende inhaltliche Qualität sorgte. Pro Jahr und Titel konnten von den Reihenbändchen durchschnittlich 1000 bis 2500 Exemplare abgesetzt werden, von Otto Bürklens Formelsammlung und Repetitorium der Mathematik, die 1898 herauskam, wurden bis zum Ersten Weltkrieg in manchen Jahren sogar über 7000 Exemplare abgesetzt. Der Verlag verdiente an der Mathematik ganz ordentlich, denn mit allen Bändchen wurde Gewinn erwirtschaftet. Einige beispielhafte Absatzzahlen bis zum Ersten Weltkrieg können dies verdeutlichen:58 • Schubert, Hermann: Arithmetik und Algebra. Leipzig: Göschen 1896. Bis 1913 wurden knapp 53.000 Exemplare abgesetzt, der Gewinn lag bis 1911 bei mehr als 14.000 Mark; • Noch deutlicher stellte sich der Erfolg für folgenden Titel ein: Bürklen, Otto Th.: Formelsammlung und Repetitorium der Mathematik. Enthaltend die wichtigsten Formeln und Lehrsätze der Arithmetik, Algebra, algebraischen Analysis, ebenen Geometrie, Stereometrie, ebenen und sphärischen Trigonometrie, mathematischen Geometrie, analytischen Geometrie der Ebene und des Raumes, der Differential- und Integralrechnung. Leipzig: Göschen 1898. Bis 1913 wurden ca. 116.700 Exemplare verkauft, der Gewinn bis 1911 lag bei knapp 27.000 Mark;

55

56 57 58

J. J. Weber profilierte sich in erster Linie im populärwissenschaftlichen Buchsegment und publizierte ab 1833 das ebenfalls populärwissenschaftlich ausgerichtete Pfennig-Magazin nach englischem Vorbild. Zu Weber vgl. Wolfgang Weber: Johann Jakob Weber: Der Begründer der illustrierten Presse in Deutschland. Leipzig 2003. Stäckel, Lehrbücher, S. 160. Lorey, Studium, S. 304. Die folgenden Zahlen stammen aus: VA de Gruyter, Absatz-, Gewinn- und Verlust-Statistik der Sammlung Göschen 1896–1915, S. 314 und 315. 119

Eine Disziplin und ihre Verleger

• Sporer, Benedikt: Niedere Analysis. Leipzig: Göschen 1896. Verkaufte Exemplare bis 1913: ca. 20.000, Gewinn bis 1911: ca. 3500 Mark; • Becker, Hugo: Geometrisches Zeichnen. Leipzig: Göschen 1896. Verkaufte Exemplare bis 1913: ca. 35.000, Gewinn bis 1911: ca. 8000 Mark; • Simon, Max: Analytische Geometrie der Ebene. Leipzig: Göschen 1897. Verkaufte Exemplare bis 1913: ca. 32.600, Gewinn bis 1911: 6400 Mark. Der deutlich sichtbare pekuniäre Erfolg der mathematischen Titel in der Sammlung Göschen mag ausschlaggebend gewesen sein, ab 1899 erstmals eine rein mathematische Reihe, die nach ihrem Herausgeber, dem Hamburger Mathematiker Hermann Schubert, benannte Sammlung Schubert auf dem Buchmarkt zu etablieren ( siehe 3.3.2 ). Schubert war Gründungsmitglied der DMV und verfügte über weitreichende Kontakte in der Disziplin, so daß er als Reihenherausgeber besonders prädestiniert war. Die Sammlung Schubert mündete 1921 in Göschens Lehrbücherei, eine ebenfalls rein mathematische Reihe. Mit einem Verkaufspreis zwischen 2,50 und 5 Mark lag die Sammlung Schubert im Preisniveau deutlich über der Sammlung Göschen. Die Sammlung Schubert wuchs bis zu Schuberts Tod auf mehr als sechzig, zum Teil mehrfach aufgelegte Bände an und darf damit wohl als die umfangreichste Reihe mathematischer Bücher in jener Zeit gelten. In ihrer Bedeutung für die Mathematik, so urteilte der Mathematiker Heinrich Behnke 1976 rückblickend, »war diese Sammlung um die Jahrhundertwende etwa vergleichbar mit der gelben Sammlung unserer Tage«59 ( d. h. den seit 1921 im Springer Verlag erscheinenden Grundlehren der mathematischen Wissenschaften, siehe 6.6.1 ). Auch hier fehlt das aussagekräftige Quellenmaterial, doch es liegt nahe, in Schubert einen zentralen Berater des Hauses Göschen zu vermuten. Seine Tätigkeit kann als Beispiel dafür stehen, daß ein Verlag als Neuling auf mathematischem Gebiet erfolgreich sein konnte, wenn es gelang ein Programm zu verwirklichen, das den Bedürfnissen der Mathematik selbst wie auch derjenigen Disziplinen entsprach, die sie als Nebenfach oder disziplinübergreifende Ressource in Anspruch nahmen. 1912 trat Walter de Gruyter als Teilhaber in die G. J. Göschen’sche Verlagshandlung ein, und 1919 wurde sie zusammen mit dem Georg Reimer Verlag und Veit & Comp. ganz unter dem Dach des als »Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co.« firmierenden Unternehmens vereint. Der Gesamtkonzern hatte nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Journal für die reine und angewandte Mathematik, dem Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, 59 120

Behnke, Die goldenen ersten Jahre des Mathematischen Instituts, S. 225.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

der Sammlung Schubert und ihrer Nachfolgereihe, Göschens Lehrbücherei, sowie einer beachtlichen Zahl mathematischer Einzelwerke ein bemerkenswertes Profil und einen nicht geringen Anteil an der Titelproduktion auf dem mathematischen Markt. Mathematik im Verlag G. J. Göschen

Reihen Sammlung Göschen, ab 1895 mathematische Titel Sammlung Schubert, ab 1899, ab 1921 fortgeführt als Göschens Lehrbücherei Zeitschriften Journal für die reine und angewandte Mathematik, 1827 ff. Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, 1869–1944

4.4

Ablösung und Neuordnung – der Übergang von B. G. Teubner zu Julius Springer in Berlin

Nach dem Ersten Weltkrieg konnte B. G. Teubner seine herausragende Bedeutung als international anerkannter Mathematikverlag nicht mehr aufrecht erhalten. Diese Positionsveränderung im wissenschaftlichen Feld hatte mehrere Gründe. Erstens war der Verlag durch Krieg und Inflation, möglicherweise auch durch die Finanzierung wenig gewinnbringender Verlagsprojekte finanziell geschwächt. So war Teubner nach dem Ersten Weltkrieg lange Zeit bestrebt, mit anderen Verlagen zu fusionieren.60 Zweitens ist das Ausscheiden AckermannTeubners aus der Geschäftsführung im Jahr 1916 ein entscheidender Einschnitt gewesen. Nach dem Wechsel in der Geschäftsführung war insbesondere Konrad Giesecke-Teubner kaum bereit, mathematischen Publikationen großen Raum im Verlagsprogramm zu überlassen. Giesecke-Teubner wollte den Verlag stärker als Schulbuchverlag profilieren, schien doch dieser Programmzweig in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stabiler und damit lukrativer zu sein als das Verlegen 60

Einige Dokumente im fragmentarisch noch bestehenden Verlagsarchiv, das in der Deutschen Nationalbibliothek / Deutschen Bücherei in Leipzig verwahrt wird, belegen die Fusionsbestrebungen z. B. mit dem Schulbuchverlag Quelle & Meyer ab 1919, später auch mit der Deutschen Verlagsanstalt und anderen Verlagen. 121

Eine Disziplin und ihre Verleger

mathematischer und technischer Werke. Tatsächlich war die stetige Förderung der Mathematik durch Ackermann-Teubner verlagsintern bereits vor dem Krieg nicht ohne Widerspruch geblieben, denn August Gutzmer wußte im Oktober 1916 zu berichten, Ackermann-Teubner habe seit Jahren »mit seinen Vettern und Sozien eigentlich nur noch durch den Rechtsanwalt verkehren« können. So dürften die Mathematiker nicht »verhehlen, dass der Verlag sich mehr und mehr von der Mathematik abwenden wird; seit längerer Zeit ist nach dieser Seite schon abgebaut worden.«61 Schon 1914 wurde die Bibliotheca mathematica eingestellt, 1917 hörte die Zeitschrift für Mathematik und Physik auf zu erscheinen. 1920 stellte der Verlag auch die Publikation des Archivs der Mathematik und Physik ein. Diese Entwicklung beobachtete der Berliner Springer Verlag mit seinen mathematischen Beratern sehr genau ( siehe 7.3 ). Springer hatte seit den 1880er Jahren kontinuierliche, aber weitgehend erfolglose Anstrengungen unternommen, Mathematiker als Autoren an sein Haus zu binden. 1906 übernahm die dritte Verlegergeneration die Geschäfte. Auch Fritz Springers Neffe, Ferdinand Springer d. J., hatte nun die Absicht, ein mathematisches Profil in das technische und naturwissenschaftliche Programm zu integrieren. Der nötige Kontakt zur Disziplin sollte nun durch die Inverlagnahme der Festschrift für den Berliner Mathematiker Hermann Amandus Schwarz im Jahr 1913 aufgebaut werden, denn Springer schrieb im Februar 1913 an Landau in Göttingen, er sei grundsätzlich gerne bereit, die Festschrift in Verlag zu nehmen, »weil ich überhaupt den Wunsch hätte, meinen mathematischen Verlag, dessen Anfänge ja vorhanden sind, etwas weiter auszudehnen. Was nun die Bedingungen der Übernahme angeht, so wäre ich bereit, bis zu einem gewissen Umfange alles auf mein eigenes Risiko zu übernehmen.«62 Ferdinand Springer hat im Gegensatz zu seinem Onkel, der Plückers Werke 1893 als risikoreiches Unternehmen finanziell abgesichert wissen wollte, anscheinend das ökonomische Risiko weniger gescheut, was wohl nicht nur in ihren unterschiedlichen Verlegerpersönlichkeiten begründet lag, sondern auch darin, daß der Springer Verlag zwanzig Jahre später ein »stürmisches Wachstum«63 erlebt hatte und verlagsintern durch geschickte Mischkalkulation potentielle finanzielle Verluste besser verkraften konnte. In der gleichen Weise äußert sich Springer im August 1913 gegenüber dem eben nach Göttingen berufenen Carathéodory. Er beabsichtige, »mit der ganzen Fest61 62 63 122

Gutzmer an Krazer, 15. Oktober 1916, UAF, E4 / 17. Springer an Landau, 24. Februar 1913, VA Springer, Abt. B, C 10 ( Korrespondenz Carathéodory ). Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 161.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

schrift vor allem zu den hervorragenden mathematischen Autoren angenehme Beziehungen zu gewinnen, und so bin ich selbstverständlich gerne bereit, auch in der Frage der Sonderdrucke dem Üblichen zu entsprechen.«64 Auf dem Gebiet der Medizin war Springer 1906 über eine Festschrift erfolgreich in den Markt eingestiegen.65 Diese Strategie fruchtete in der Mathematik nicht. Die bereits etablierte Konkurrenz war zu groß. Erst während und unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs konnte Springer die prekäre Lage im wissenschaftlichen Verlagswesen für seine Zwecke nutzen. In der Weimarer Republik wurde der Verlag durch die Initiative von Ferdinand Springer zu dem zum wohl bedeutendsten ( internationalen ) Verlagsunternehmen für Mathematik. Als Antrieb für den über Jahrzehnte konstant verfolgten Plan, die Mathematik neben Medizin und Technik, insbesondere Elektrotechnik, zum weiteren Programmschwerpunkt aufzubauen, obwohl sie vordergründig zum Beispiel im Vergleich mit der Medizin ein niedrigpreisiges und nur einen kleinen Absatzmarkt umfassendes Segment war, mag für die nächste Verlegergeneration auch folgende verlegerische Strategie entscheidend gewesen sein: Im auf Technik und Ingenieurwissenschaften konzentrierten Verlagsprogramm war zunächst die ( angewandte ) Mathematik eine willkommene Ergänzung, die den schon erschlossenen und durch neue Berufssparten zukünftig sicher weiter expandierenden Absatzmarkt der Techniker und Ingenieure auch mit den erforderlichen mathematischen Büchern versorgen konnte. Hierdurch ließ sich also die Kundenbindung relativ einfach intensivieren. Ferdinand Springer d. J. ging nun zielstrebig vor und gewann die tatkräftige Unterstützung des jungen, bei Siemens tätigen Privatdozenten der Mathematik Leon Lichtenstein. Dieser initiierte eine neue Fachzeitschrift, die Mathematische Zeitschrift, brachte sie ab 1917 bei Springer heraus und beriet den Verleger auch bei der inhaltlichen Planung eines neu aufzubauenden mathematischen Programmbereichs ( siehe Kap. 7 ).66 Mit der Gründung der Mathematischen Zeitschrift mitten im Krieg wurde nun ein neues Organ geschaffen, das den Mathematikern dringend benötigte Publikationsmöglichkeiten zur Verfü64 65

66

Springer an Carathéodory, 16. August 1913, VA Springer, Abt. B, C 10. Vgl. den Brief Julius Springers d. J. an Ferdinand Springer d. J., 1. Juli 1949, über die Frage, ob man die Gesammelten Werke Ludwig Prandtls publizieren wolle: »Gewiß hast Du Dich 1906 mit den gesammelten Abhandlungen von Weigert bei den Medizinern vorzüglich eingeführt. Die Zeiten waren aber andere und unser Verlag stand erst am Beginn seiner Entwicklung in der Medizin und der Naturwissenschaften. [ … ] Ich rate also ab.« VA Springer, Abt. B, P 151. Dazu siehe Remmert / Schneider, Ich bin wirklich glücklich zu preisen. 123

Eine Disziplin und ihre Verleger

gung stellte, zumal die zu dieser Zeit bedeutendste mathematische Zeitschrift in Deutschland, die 1868 gegründeten, bei Teubner erscheinenden Mathematischen Annalen, während des Kriegs nicht mehr regelmäßig herauskam.67 Ein deutliches Signal für den Positionsverlust Teubners im mathematischen Feld war in der Folge der Übergang der Mathematischen Annalen von Teubner an den Springer Verlag 1919 / 20. Daß der Kommunikationsprozeß in einer Disziplin, gerade in wirtschaftlich brisanten Zeiten, in nicht geringem Maß vom Engagement des Verlegers abhängt, wird hier besonders gut deutlich. Unmittelbar nach Kriegsende wurde vom Herausgebergremium ( Klein, Hilbert, von Dyck und Blumenthal ) die regelmäßige Fortführung dieser so wichtigen Zeitschrift und zudem eine Umfangsvermehrung beim Teubner Verlag dringend eingefordert, zumal schon 1916 / 17 das Gerücht kolportiert wurde, Teubner wolle sich aus dem mathematischen Buchmarktsegment zurückziehen, was zunächst durch die neue Geschäftsleitung vehement bestritten wurde.68 Tatsächlich bestätigten sich die Gerüchte alsbald. Der Rückzug Teubners bedeutete in der wirtschaftlich kritischen Lage des Verlagswesens für die Disziplin einen »empfindlichen Schlag«69, denn einen anderen Verleger zur Übernahme risikoreicher Verlagsprojekte zu bewegen, hätte zumindest erhebliche Verzögerungen in der Publikationspraxis nach sich gezogen. Die Verbindung zu Richard Courant, der Springer seit 1918 beriet, und damit ins Göttinger Zentrum der Mathematik war für Springer besonders fruchtbringend, und er nutzte die Chancen, die sich aus der zögerlichen Haltung Teubners ergaben. Courant hatte Springer 1919 auf die Probleme im Hause Teubner im Vertrauen aufmerksam gemacht: Soweit ich unterrichtet bin, hat die Annalenredaktion an Teubner eine Art von, allerdings nicht befristetem, Ultimatum gestellt, wonach Teubner sich verpflichten sollte, die Annalen wieder mit einer festgesetzten Mindestzahl von Heften u.s.w. herauszugeben, widrigenfalls man sich einen anderen Verlag suchen würde. Teubner hat sich Bedenkzeit erbeten. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, meines Wissens ist auch noch keine Antwort von Teubner da. Ich glaube nicht, dass er so dumm sein wird, die Annalen aus der Hand zu geben. Sollte dies trotzdem geschehen, so wird es natürlich für 67 68 69 124

Bei Teubner erschien Band 77 im Jahr 1916, Band 78 und 79 erschienen 1918, Band 80 1921. Bereits 1920 erschien der 81. Band bei Springer. Vgl. das Schreiben des Verlags an Friedrich Engel, 5. September 1917, UAG, Nachlaß Engel, NE 120228. Gutzmer an Krazer, 15. Oktober 1916, UAF, E4 / 17.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919 Sie eine wichtige Frage sein, ob sie in die Krise aktiv eingreifen wollen oder nicht. Im ersteren Falle werde ich Ihnen hier gern behilflich sein, soweit dies angeht.70

Springer griff sofort ein und konnte sich dabei der Unterstützung der Göttinger Mathematiker gewiß sein. Durch Courants fruchtbare Vermittlerrolle hatte er Zugriff auf das ungeheure Göttinger Publikationspotential und konnte dadurch seinen lang gehegten Plan, die Mathematik in sein Verlagsprogramm einzubinden, endlich umsetzen. Die Auseinandersetzungen zwischen Teubner und den Herausgebern der Annalen dokumentieren einerseits die Abhängigkeit der Wissenschaft vom Verleger, andererseits aber auch die des Verlags von der Wissenschaft. GieseckeTeubner hatte gegenüber den Herausgebern der Annalen argumentiert, daß »wir in früheren Jahren immer wieder uns bereit gefunden, die Erträgnisse der philologischen Verlagsabteilung dem mathematischen Verlage zukommen zu lassen, ohne die sein Fortbestehen schon längst nicht mehr möglich gewesen wäre.«71 Die Behauptung, nur der gute Absatz der philologischen Werke habe die kontinuierliche Pflege des mathematischen Programmteils durch Quersubventionierung möglich gemacht, ist wegen fehlenden Quellenmaterials nicht zu überprüfen, aber daß die renommierten Annalen bereits vor dem Krieg keinen größeren Gewinn abwarfen, wird durch ein Schreiben Ackermann-Teubners an Hilbert aus dem Jahr 1910 bestätigt. Im Hinblick auf die Autorenhonorare erklärte Ackermann-Teubner: Wie ich Ihnen schon in Königsberg mitteilte, balancieren die Annalen gerade, d. h. der eine Band bringt einen geringen Ueberschuss, der andere wieder Verluste. Ich dachte, mit dieser Auskunft sei diese Angelegenheit erledigt. Zufolge Ihres Schreibens macht es mir aber doch den Eindruck, dass Ihnen andere Hilfsmittel als die Verlagsbuchhandlung nicht zur Verfügung stehen und so muss ich mich wohl oder übel mit Ihrem Wunsche einverstanden erklären, im Hinblick darauf, dass die ›mathematischen Annalen‹ zu meinen vornehmsten Verlagsunternehmungen gehören. In einem anderen Falle würde ich sonst gewiss nicht so entgegenkommen.72

70 71 72

Courant an Springer, 18. Oktober 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Giesecke-Teubner an Klein, 4. April 1919, UAG, Nachlaß Engel, NE 120235A. Ackermann-Teubner an Hilbert, 29. November 1910, SUBG, Cod. Ms. D. Hilbert 403, Nr. 23. 125

Eine Disziplin und ihre Verleger

Ackermann-Teubner war im Gegensatz zu seinem Nachfolger allerdings noch bereit, gewisse finanzielle Opfer zu bringen, zumal die Annalen zu seinen prestigeträchtigsten Verlagsprojekten gehörten und es daher für den Verlag wichtig war, solche Publikationen auch ohne finanziellen Gewinn weiterzuführen. Durch die damit verbundene Reputation konnte der Verlag Autoren gewinnen, die beispielsweise auch als Lehrbuchautoren zur Verfügung standen und so ökonomisch lukrativere Bücher schrieben. Dieses Ansehen spiegelt sich in den Worten Walter Lietzmanns wider, der in seinen Erinnerungen schrieb, Ackermann-Teubner sei »einer der königlichen Kaufleute [ gewesen ], die nicht immer zuerst nach dem Verdienst fragten, die auch einmal aus Liebe zur Sache da einsprangen, wo ein Gewinn nicht zu erwarten war.«73 Die Mischkalkulation Ackermann-Teubners kam für Giesecke-Teubner nicht mehr in Frage. Er wandte der Mathematik den Rücken zu und fiel damit für neue mathematische Verlagsprojekte aus, womit unmittelbar der Positionsverlust des Verlags im mathematischen Feld einherging. Altverleger Ackermann-Teubner stand die kommende Entwicklung ganz deutlich vor Augen: »Ich glaube fast, dass der Verlust dieses Ansehens dem Verlag viel teurer zu stehen kommt. Der Verlust der Annalen ist ein überaus beklagenswerter, der Firma Springer ist ein Geschenk des Himmels in den Schoss gefallen, sie ist über Nacht in der Tat zu einer Weltfirma geworden.«74 Daß Springer später zu einer Weltfirma wurde, ist nicht allein auf die Übernahme der Annalen zurückzuführen, aber die andauernden Kontroversen zwischen Wissenschaftlern und Teubner waren doch zündend, denn Springer konnte schon im November 1919 an Courant berichten: Zur Zeit weiss ich mich vor dem Ansturm an mathematischen Angeboten kaum zu retten, – kaum ein Tag vergeht ohne Angebot. Meist handelt es sich um Unternehmungen, die entweder bereits früher in mehreren Auflagen bei Teubner erschienen oder von diesem wenigstens vertraglich übernommen waren. Zum Teil sind es auch sicher wertvolle, aber ganz schwere wissenschaftliche Monographien mit kleinem Abnehmerkreis. Es ist sehr schwer, hier eine Stellung einzunehmen, die bei aller Rücksicht auf die ideelle Seite doch auch den materiellen Gesichtspunkt nicht ausser acht lässt.75 73 74 75

126

Lietzmann, Aus meinen Lebenserinnerungen, S. 93. Ackermann-Teubner an Engel, 30. Januar 1920, UAG, Nachlaß Engel, NE 120245. Springer an Courant, 18. November 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

Bei der kollektiven Enttäuschung der Mathematiker über den Teubner Verlag werden die an den Verleger Springer gerichteten Erwartungen besonders gut deutlich, und zwar Erwartungen, die über seine reine Dienstleistungsfunktion weit hinausgehen. Ackermann-Teubner war als Schatzmeister ein geachtetes Mitglied der DMV, was ihm nicht nur Kontakte, sondern auch Geschäftsvorteile einbrachte, und ein von den Mathematikern anerkannter Verleger gewesen. Sein Nachfolger Konrad Giesecke-Teubner »erfreut sich aber gar keiner Sympathien in dem Kreise unserer Fachgenossen, weil man in ihm den neuen Geist der Firma erblickt, der sich von der alten Vornehmheit abwendet und in erster Linie das geschäftliche Interesse im Auge hat«.76 Der Hinweis auf die »alte Vornehmheit« in positiv konnotierter Abgrenzung zum »neuen Geist« der Verleger ist vor dem Hintergrund der deutschen verlegerischen Tradition zu verstehen. Das tradierte Standesethos des bürgerlichen Verlegers verlangte, im Verlag nicht nur eine Firma, ein Geschäft, sondern vor allem eine Bildungsinstitution zu sehen, und diese Vorstellung vom idealen Verleger wurde auch und gerade in Wissenschaftskreisen des 19. Jahrhunderts aufgenommen. Der Verleger gehörte zwar dem Unternehmertum an, teilte in seiner Wertorientierung jedoch meist bildungsbürgerliche Vorstellungen. Wie Helen Müller am Beispiel des Berliner Verlegers und Springer-Konkurrenten Walter de Gruyter überzeugend belegen konnte, war die Vorstellung, daß ein Wissenschaftsverleger den Wert seiner Produktion »lediglich an Marktchance und Kapitalrechnung«77 maß, völlig ausgeschlossen. Die für beide Seiten erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Autor und Verleger gründete auf ähnlichen oder gemeinsamen Überzeugungen von der ( gesellschaftlichen ) Bedeutung ihres Handelns, dies konnte bis hin zur politischen Einstellung reichen.78 Diese gemeinsame Basis, die Ackermann-Teubner mit seinen Autoren verband, wurde von seinem Nachfolger Giesecke-Teubner nicht gepflegt, und so waren die Autoren nicht bereit, das notwendige Vertrauen auf ihn zu übertragen. Springer hingegen nahm durchaus Rücksicht auf die »ideelle Seite« – aus verlegerischer Taktik oder aus derselben Überzeugung wie sein Onkel, mit der Mathematik eine wissenschaftliche Leitdisziplin in sein Haus zu holen. Er verkörperte damit den Mathematikern gegenüber den adäquaten neuen Ansprech76 77 78

Gutzmer, Adressat unbekannt, 13. Dezember 1919, UAF, E4 / 21. Vgl. zu diesem Aspekt ausführlich Müller, Wissenschaft und Markt, besonders S. 61. Vgl. Müller / Hübinger, Politische, konfessionelle und weltanschauliche Verlage im Kaiserreich. 127

Eine Disziplin und ihre Verleger

partner, der zudem der jungen Mathematikergeneration gleichaltrig war. Auch wenn Ferdinand Springer nicht mehr der alten bürgerlichen Verlegergeneration angehörte, die sich nach ihrem Standesethos primär eine Bildungsfunktion im geistigen Leben Deutschlands mit entsprechenden Wertvermittlungsambitionen auf ihre Fahnen geschrieben hatte, so war er doch in einem liberal-bürgerlichen Familienunternehmen79 mit entsprechender Werteorientierung sozialisiert worden und entwickelte daraus anscheinend ein Gespür auch für die irrationalen Aspekte der Autor-Verleger-Beziehung. Mathematik bei Springer kurz nach Kriegsende

Mathematische Annalen, 1919 übernommen von B. G. Teubner Mathematische Zeitschrift, Neugründung 1917 Gesammelte Werke von Karl Friedrich Gauß, 1921 übernommen von B. G. Teubner Gesammelte Abhandlungen Felix Kleins, 1921–1923 Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen, seit 1921

Einerseits befanden sich die Autoren zwar in der Notlage, ihre Manuskripte zum Druck bringen zu wollen, denn die Eröffnung neuer, innerdisziplinärer Arbeitsfelder und damit die weitere Binnendifferenzierung der Mathematik als akademischer Disziplin mußte sich in adäquaten Lehrbüchern und anderen Publikationen niederschlagen. Andererseits mußte Springer erst das Vertrauen der Autoren dauerhaft gewinnen, um zukünftig auch unter dem »materiellen Gesichtspunkt« erfolgreich zu wirtschaften. Zur »ideellen Seite« der Springerschen Verlagsstrategie zählte auch die Publikation von Kleins Gesammelten Abhandlungen, die Springer 1919 von dessen Neffen, dem Braunschweiger Mathematiker Robert Fricke, mit dem Hinweis angeboten wurden, die »Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Mathematik und Physik« habe zugesagt, einen großzügigen Druckkostenzuschuß für die Abhandlungen zur Verfügung zu stellen. Zunächst war Springer trotz der in Aussicht gestellten Gelder außerordentlich skeptisch.80 Allerdings beriet er sich mit seinem Berater Lichtenstein und nahm schließlich das Angebot an, und zwar auf sein »alleiniges Risiko«, denn 79 80

128

Zum Verleger als Bürger vgl. Jäger, Die Verlegerpersönlichkeit. Springer an Fricke, 17. November 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), K 121, I.

Verlage von den 1890er Jahren bis 1919

die mit den Abhandlungen für seinen Verlag verbundene Reputation schien ihm hoch: »Wenn ich als Verleger das Risiko alleine auf mich nehme, so nehme ich auch die Ehre hierfür nach außen hin in Anspruch und teile sie mit niemandem, der auf sie keinen berechtigten Anspruch erwerben kann.«81 In der Entwicklung des mathematischen Publizierens in Deutschland von den 1890er Jahren bis 1919 stellt der Erste Weltkrieg trotz aller Probleme, die er für das Verlagswesen mit sich brachte, nicht den entscheidenden Einschnitt dar, sondern die Entscheidung des Teubner Verlags, sich aus dem mathematischen Feld zurückzuziehen. Die erhaltenen Quellen geben zwar keinen Aufschluß darüber, ob das mathematische Programm bei Teubner in der Tat so defizitär war, wie Konrad Giesecke-Teubner es darstellte. Allerdings teilte Springers Göttinger Berater Richard Courant diese Einschätzung, denn bei Teubner seien viele Dinge erschienen, »die kein Geschäft bedeuten konnten«.82 Alfred AckermannTeubner hatte zwar versucht, seine eigene Begeisterung für die Mathematik mit Hilfe von fachlichen Beratern umzusetzen, aber anscheinend fehlte in seinem Verlagsbereich eine Struktur, die zugleich die wirtschaftliche Seite abgewogen hätte. Mit Ferdinand Springer stand ein ebenfalls an der Mathematik sehr interessierter Verleger bereit, die Lücke zu füllen, ohne aber die wirtschaftlichen Aspekte aus dem Auge zu verlieren. Die Mathematiker, die um Teubners Krise wußten, wie etwa Klein, Hilbert und Gutzmer, beobachteten die Situation sehr genau und zögerten nicht zu handeln, als sich die Gelegenheit ergab, in großem Stile mit Springer zusammenzuarbeiten. Davon profitierte vor allem der Göttinger mathematische Großbetrieb, der in Springer einen Verleger fand, der in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit verlegerische Risiken nicht scheute und der Göttinger Mathematik, z. B. durch die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften, eine Stimme gab, die sie in dieser durchschlagenden und dominierenden Form bei Teubner nicht gehabt hatte. Teubner war die »Heimstätte der deutschen Mathematik« gewesen, Springer hingegen hatte zunächst eine sehr starke Bindung an Göttingen, wenngleich durch Lichtenstein und die Gründung der Mathematischen Zeitschrift auch Berliner Mathematiker dem Verlag verbunden waren ( siehe 7.2 ).

81 82

Springer an Fricke, 3. Februar 1920, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), K 121, I. Courant an Springer, 24. Juni 1921, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. 129

5

Topographie der Autoren

Die Dominanz und Bedeutung der mathematischen Zentren Berlin und später Göttingen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch an anderen Universitäten und Technischen Hochschulen eine rege Publikationstätigkeit herrschte, die in einer quantitativen Auswertung zumindest kurz gewürdigt werden soll, auch im Hinblick auf eine potentielle Bindung an bestimmte Verlage. Um einen Überblick über weitere publizistisch besonders aktive Zentren zu erhalten, wurde auf Basis der mathematischen Buchproduktion eine Topographie der Autoren erstellt. Für die Gewinnung der Daten wurden die Gesamtverlagskataloge der Verlage B. G. Teubner1, Julius Springer2 , Walter de Gruyter 3, Akademische Verlagsgesellschaft4 und Friedr. Vieweg & Sohn5 ausgewertet. Da die Verlagskataloge nicht immer die gesamte Verlagsproduktion vollständig verzeichneten – wie durch Stichproben deutlich wurde: so fehlt z. B. im genannten de Gruyter-Katalog ein Klassiker wie Hausdorffs Mengenlehre –, wurden für den gesamten Berichtszeitraum auch das Deutsche Bücherverzeichnis6 sowie Hinrichs Halbjahreskataloge7 herangezogen, also Bibliographien, die den Anspruch erheben, das 1 2 3 4 5 6 7

B. G. Teubners Verlag auf dem Gebiete der Mathematik, Naturwissenschaften und Technik nebst Grenzwissenschaften. Der Springer-Verlag. Katalog seiner Veröffentlichungen 1842–1945. Verlagskatalog 1749–1949. Walter de Gruyter & Co. 50 Jahre Literaturschaffen 1906–1956. Akademische Verlagsgesellschaft Leipzig. Friedr. Vieweg & Sohn. Verlagskatalog 1786–1986. Deutsches Bücherverzeichnis. Eine Zusammenstellung der im deutschen Buchhandel erschienenen Bücher, Zeitschriften und Landkarten. Hinrichs’ Halbjahrskatalog der im deutschen Buchhandel erschienenen Bücher, Zeitschriften, Landkarten usw. 131

Eine Disziplin und ihre Verleger Wirkungsort

Anzahl der Autoren

Berlin, Universität und TH

71

Göttingen

41

Leipzig

21

Dresden TH

20

München, Universität und TH

20

Heidelberg

16

Königsberg

15

Frankfurt a.M.

12

Münster

12

Darmstadt TH

12

Gießen

12

Hamburg

11

Karlsruhe TH

11

Tübingen

10

Straßburg

10

Halle-Wittenberg

10

Bonn

9

Breslau, Universität und TH

9

Hannover TH

9

Stuttgart

9

Marburg

8

Jena Kiel

8 7

Erlangen

7

Aachen TH

6

Clausthal

6

Rostock

6

Würzburg

5

Braunschweig TH

4

Freiberg

3

Greifswald

3

Freiburg

3

Köln

2

Danzig

1

Braunsberg

1

132

Topographie der Autoren

gesamte nationale deutsche Schrifttum annähernd vollständig zu erfassen. Die aus diesen allgemeinen Bibliographien erhobenen Daten wurden zur Ergänzung der Verlagskataloge genutzt, aber auch sie erfassen das nationale Schrifttum nicht lückenlos. Eine exakte Statistik des Gesamtproduktionsvolumens mathematischer Publikationen und ihrer Autoren ist daher hier nicht möglich. Die in der Tabelle wiedergegebenen Daten geben die geographische Verteilung der Autoren, bezogen auf Universitätsstädte, quantitativ absteigend wieder. Verzeichnet ist der jeweilige Wirkungsort der Autoren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Titels. Erfaßt wurden die zwischen 1871 und 1949 erschienenen Publikationen. Nicht berücksichtigt sind Autoren, die im Ausland ihren Wirkungsort hatten und in deutscher Sprache publizierten. Berlin führt mit etwa 70 Autoren die Liste an, weil es mit der Universität und der Technischen Hochschule zwei Hochschulen gab. Zudem haben zahlreiche Berliner Lehrer in der Teubnerschen Mathematisch-Physikalischen Bibliothek und in der Reihe Aus Natur und Geisteswelt veröffentlicht. Etwa ein Drittel der Autoren gehörte der 1879 gegründeten TH Berlin an, die als führende technische Bildungsinstitution Deutschlands galt. Aus der Zusammenlegung von Bau- und Gewerbeakademie entstanden und 1916 durch die Eingliederung der Bergakademie erweitert, war sie, bezogen auf die Studentenzahlen, die größte Technische Hochschule in Deutschland. Die Mathematik hatte ihren Platz in der Abteilung Allgemeine Wissenschaften, dem fünften Bereich der TH neben Architektur, Bauingenieurwesen, Maschineningenieurwesen sowie Chemie und Hüttenkunde.8 Die Einrichtung von Studiengängen für Gymnasiallehrer, insbesondere der Mathematik, erfolgte 1921. Die Mehrzahl der literarisch produktiven Autoren an der TH gehörte zur Gruppe der Professoren. Manche der Privatdozenten der TH entwickelten sich erst nach ihrer Berliner Zeit zu erfolgreichen Autoren. Die Verlagsbindung der Autoren der TH Berlin spiegelt die allgemeine Entwicklung der mathematischen Verlagslandschaft wider: bis 1914 zeigt sich eine klare Dominanz von Teubner, die spätestens ab 1920 gebrochen wird durch den aufstrebenden Springer Verlag und die sich zumindest zeitweise etablierenden Reihenprojekte von de Gruyter ( Göschens Lehrbücherei ) und der Akademischen Verlagsgesellschaft ( Sammlung Hilb ). Im Vergleich zur TH haben sich die Ordinarien an der Universität in der Lehrbuchproduktion deutlich weniger engagiert. Eine Ausnahme bildete 8

Zur Geschichte der Mathematik an der Technischen Hochschule Berlin vgl. Scharlau, Mathematische Institute, S. 16–24; siehe auch Knobloch, Mathematics at the Berlin Technische Hochschule. 133

Eine Disziplin und ihre Verleger

Ludwig Bieberbach, der als einer der produktivsten ( Lehrbuch- )Autoren des betrachteten Zeitraums überhaupt galt.9 Neben Bieberbach konzentrierte sich das publizistische Engagement der Ordinarien der Berliner Universität überwiegend auf die Herausgabe gesammelter Werke, seien es die eigenen ( z. B. Schwarz ) oder die anderer ( etwa Weierstraß als Herausgeber der Werke von Jacobi und Steiner; Fuchs als Herausgeber der Werke von Dirichlet, und der eigenen Werke gemeinsam mit L. Schlesinger ). Eine umfangreiche Quelle für postume Publikationen der »großen« Berliner Weierstraß und Kronecker waren ihre Vorlesungen, die im Rahmen der Werkausgaben als Einzelbände publiziert wurden. Jenseits der Universität und der Technischen Hochschule ist als Autor insbesondere der aus der großen Menge der publizistisch tätigen Berliner Lehrer hervorstechende Felix Müller zu nennen, der sich nicht nur durch das gemeinsam mit Carl Ohrtmann herausgegebene Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, sondern auch durch den Führer durch die mathematische Literatur (Teubner 1909 ) einen Namen gemacht hat. Die quantitative Führungsposition Berlins resultiert zu einem großen Teil aus zahlreichen, nach der Jahrhundertwende entstandenen Publikationen überwiegend elementaren Niveaus aus der Feder außerakademisch tätiger Lehrer und der ebenfalls vorrangig nach der Jahrhundertwende einsetzenden Lehrbuchproduktion der TH Berlin. Die Blütezeit der Berliner Mathematik bis 1890 zeigte sich nahezu ausschließlich in der Veröffentlichung gesammelter Werke. Die Ordinarien des Zeitraums von etwa 1890–1920, wie Frobenius, Schottky und Schwarz, traten als Buchautoren kaum in Erscheinung. Der von Biermann beschriebene »Aufschwung« an der Universität Berlin nach 1921 manifestierte sich publizistisch lediglich in den Aktivitäten Bieberbachs.10 In Göttingen konzentrierte sich die Buchproduktion im Gegensatz zu Berlin an der Universität. Einer der wenigen Gymnasiallehrer aus Göttingen, die maßgeblich als Herausgeber und als Autor in Erscheinung traten, war Walter Lietzmann ( Herausgeber und Autor der Mathematisch-Physikalischen Bibliothek, Teubner ), der sich nach seiner Promotion 1903 bei Hilbert und Zwischenstationen als Lehrer in Barmen und Jena, von 1919 bis zu seinem Tode 1959 in Göttingen als Lehrer und auch als Honorarprofessor an der Universität betätigte. Eine Göttinger Besonderheit, die sich verstärkt nach 1920 – unter dem maßgeblichen Einfluß von Courants Publikationspolitik in der Grundlehren-Reihe – deutlich zeigte, ist, daß ein Großteil ( annähernd 50 Prozent ) der Göttinger 9 10 134

Zu Bieberbach siehe Mehrtens, Ludwig Bieberbach; zur Berufung von Bieberbach siehe Biermann, Mathematik und ihre Dozenten, S. 192–200. Siehe Biermann, Mathematik und ihre Dozenten, S. 195.

Topographie der Autoren

Buchautoren nicht zur Gruppe der Professoren gehörte. Natürlich trugen zu dieser beeindruckenden Anzahl in erster Linie die Mitarbeiter von Hilbert, Klein und Courant in den entsprechenden Projekten bei, insbesondere im Rahmen der Grundlehren-Reihe ( z. B. Ackermann, Cohn-Vossen, Schimmack, Sommerfeld ). Doch findet man auch eine Anzahl eigenständiger Werke von Privatdozenten und Assistenten. Die bemerkenswerte Zahl der in Göttingen entstandenen anspruchsvollen Lehrbücher und Monographien zeigt, daß die integrative Kraft derartiger Publikationen für die Entwicklung der Disziplin erkannt wurde: die Bedeutung Göttingens für die Konsolidierung mathematischen Wissens nach 1890 beruhte unter anderem auf der Einsicht, daß gesammelte Werke alleine, wie sie in Berlin in erster Linie produziert wurden, nicht ausreichten, um mathematische Forschung durch Einbeziehung eines ausgezeichnet ausgebildeten Nachwuchses zügig und effektiv voran zu treiben ( siehe 3.2 ). Leipzig nimmt mit 25 aktiven Autoren hinter Berlin und Göttingen gemeinsam mit Dresden und München den dritten Platz ein.11 Aus der Autorenperspektive beschrieb Gerhard Kowalewski, der von 1899 bis 1901 Privatdozent in Leipzig war, die besondere Situation mit den Worten: »In Leipzig, der Buchhändlerstadt, hat man es als Dozent nicht schwer, Beziehungen zu Verlegern zu gewinnen.«12 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war Carl Neumann ( in Leipzig 1868– 1911 ) der wichtigste Leipziger Buchautor, denn er bereicherte über viele Jahre das Programm des Teubner Verlags mit einer Reihe wichtiger Lehrbücher und Monographien. Daneben war der seit 1886 als Nachfolger Kleins in Leipzig lehrende Lie ein produktiver Autor, der zwischen 1888 bis 1896 mit einem halben Dutzend Bänden zum Verlagsprogramm von Teubner beigetragen hat. Dem allgemeinen Trend und dem Einfluß Neumanns entsprechend war Leipzig bis zum Ersten Weltkrieg fest in der Hand Teubners. Das Ende dieser Ära markierten Lies Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Geometrie, Otto Hölder ( in Leipzig 1899–1928 ) und van der Waerden ( in Leipzig 1931–1945 ), die beide substantiell zur Etablierung des Springer Verlages als führendem MathematikVerlag beitrugen. Der Wechsel von Teubner zu Springer zeigte sich hier unter anderem darin, daß Hölders Programmschrift Die Arithmetik in strenger Be-

11

12

Zur Entwicklung der Mathematik an der Universität Leipzig siehe Schlote, Wechselbeziehungen; für den Zeitraum bis 1945 siehe ders., Von geordneten Mengen zur Uranmaschine. Kowalewski, Bestand und Wandel, S. 123. 135

Eine Disziplin und ihre Verleger

gründung in erster Auflage 1924 noch bei Teubner, aber in zweiter Auflage 1929 bei Springer erschien. Die Interessen Springers waren hervorragend durch seinen Berater Leon Lichtenstein vertreten, der 1922 eine Professur in Leipzig antrat ( siehe 7.2 ). Van der Waerden veröffentlichte bei Springer 1932 die Gruppentheoretischen Methoden der Quantenmechanik, ein ausgezeichnetes Beispiel für die Kodifizierung moderner mathematischer Methoden als Arbeitswissen. Das Werk entsprang der für Leipzig traditionell engen Zusammenarbeit mit den Vertretern der Theoretischen Physik, in diesem Falle mit Werner Heisenberg und Friedrich Hund.13 Eberhard Hopf , Lichtensteins Nachfolger, präsentierte mit seiner Ergodentheorie, die 1937 in den Ergebnissen der Mathematik und ihrer Grenzgebiete erschien, ein mathematisches Standardwerk. Im Vergleich zu Göttingen hielt sich die Anzahl der im mathematischen Buchmarkt aktiven außerordentlichen Professoren und Privatdozenten in Leipzig in Grenzen. Heinrich Liebmann etwa veröffentlichte als außerordentlicher Professor 1909 in der Sammlung Schubert eine erfolgreiche Nichteuklidische Geometrie, John Harry Schmidt publizierte als Privatdozent 1929 bei de Gruyter seine wichtige Aerodynamik des Fluges. Eine Einführung in die mathematische Tragflächentheorie. Auch gab es vergleichsweise wenig Buchautoren aus den Reihen der jenseits akademischer Institutionen tätigen Lehrer ( 3 ). An dieser Stelle ist vor allem Wilhelm Lorey zu erwähnen, der ab 1912 als Oberstudiendirektor an der Handelsanstalt Leipzig und von 1920 bis 1932 auch als Dozent für Versicherungswissenschaft an der Universität Leipzig beschäftigt war. Lorey galt als enger und engagierter Mitarbeiter Kleins bei der Meraner Reformbewegung und verfaßte in diesem Kontext mehrere Abhandlungen zur Geschichte des mathematischen Unterrichts. Als herausragende bildungsgeschichtliche Quelle erschien 1916 bei Teubner Das Studium der Mathematik an den deutschen Universitäten seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Zwar war die Universität Leipzig ein Zentrum der mathematischen Physik, aber es existierte im Untersuchungszeitraum kein Lehrstuhl für angewandte Mathematik. Die Ausbildung der Ingenieure in Sachsen erfolgte in Dresden. Während die Leipziger Publikationstradition keinen einheitlichen Charakter aufwies, sondern von den Aktivitäten produktiver Einzelpersonen wie Neumann und Lie geprägt war, die im wesentlichen ihre Forschungsergebnisse in unterschiedlichen Darstellungsformen aufarbeiteten, fällt an der TH Dresden die hohe Anzahl von Autoren ins Auge, die federführend in der Lehrbuchproduktion 13

136

Eingehend dazu siehe Schneider, Die physikalischen Arbeiten des jungen B. L. van der Waerden.

Topographie der Autoren

aktiv waren.14 Zu nennen sind vor allem Schlömilch, der von 1849 bis 1874 in Dresden tätig war, und Kowalewski, der von 1920 bis 1939 an der TH Dresden lehrte. Zwischen Schlömilch und Kowalewski, der im Zeitraum von 1920 bis 1940 einer der produktivsten und wichtigsten deutschen Lehrbuchautoren war, trug ein Großteil der hauptamtlichen Professoren für Mathematik mit wichtigen Lehrbüchern zur Ausbildung von Studierenden der Mathematik, Technik und der Naturwissenschaften bei. Zu den Mathematikprofessoren der TH Dresden, die ( überwiegend im Lehrbuchbereich ) publizistisch aktiv waren zählten: ( 1 ) die Lehrer der alten Polytechnischen Schule; ( 2 ) die Inhaber des Lehrstuhls für Mathematik und Analytische Mechanik an der TH; ( 3 ) die Professoren für Analytische Geometrie ( ab 1888 für Mathematik ); ( 4 ) die Professoren für Darstellende Geometrie und ( 5 ) die Inhaber der Lehrstühle für Angewandte Mathematik. Jenseits der akademischen Institution traten in Dresden nur wenige Lehrer als Autoren in Erscheinung, wie etwa Alexander Witting, der als Herausgeber und Autor zahlreicher eigener Beiträge maßgeblich am Erfolg der TeubnerReihe Mathematisch-Physikalische Bibliothek beteiligt war. Schlömilch hatte in Dresden eine Lehrbuchtradition begründet, die in Mehrheit von den Ordinarien und in geringerer Zahl von den außerordentlichen Professoren über den gesamten Untersuchungszeitraum fortgeführt wurde. Unterstützt wurde diese Entwicklung dadurch, daß Dresden schon seit den 1860er Jahren Lehrer ausbildete. Auch an der TH München war das Lehrerstudium seit 1877 etabliert; dies schlug sich jedoch nicht unmittelbar in der Produktion von Lehrbüchern nieder wie an der TH Dresden. Tatsächlich war es die Universität München, die seit der Jahrhundertwende mit einer großen Zahl erfolgreicher und wichtiger Lehrbücher aus der Feder einer Reihe publizistisch aktiver Ordinarien beeindruckte.15 Die große Mehrheit der Ordinarien der Münchner Universität war mit Erfolg publizistisch tätig, während unter dem übrigen wissenschaftlichen Personal nur einige wenige Buchautoren zu finden sind. Zu diesen gehörte etwa der Lindemann-Schüler Friedrich Böhm, der von Beginn an das 1920 geschaffene Extraordinariat für Versicherungsmathematik ( bis 1955 ) innehatte. Die Anzahl der Autoren an der TH München ist nur geringfügig kleiner als an der Universität München. Dennoch läßt sich sowohl quantitativ als auch qualitativ eine 14

15

Zur Geschichte der Technischen Hochschule Dresden siehe etwa Geschichte der Technischen Universität Dresden 1828–1988 und Voss, … eine Hochschule auch für die Mathematik. Ausführliche Informationen zur Geschichte der Universität München fi ndet man in Toepell, Mathematiker und Mathematik an der Universität München. 137

Eine Disziplin und ihre Verleger

deutlich geringer ausgeprägte Buchproduktion feststellen. Zum einen lag die Verweilzeit der Ordinarien an der TH München im Durchschnitt deutlich unter derjenigen an der Universität, was die Anzahl der potentiellen Autoren im Vergleich zur Universität nahezu verdoppelte. Gleichzeitig waren verhältnismäßig wenige der Lehrstuhlinhaber in ihrer Münchner Zeit publizistisch aktiv, auch wenn sie an anderen Orten ihres beruflichen Werdeganges erfolgreich als Buchautoren in Erscheinung traten. Angesichts der Tatsache, daß die TH München schon seit ihrer Gründung professionelle Lehrerausbildung betrieb und mit den entsprechenden Veranstaltungen in deutlicher Konkurrenz zur Universität stand, ist der Mangel an aus Lehrveranstaltungen entstandenen Büchern erstaunlich. Eine »Publikationskultur« wie in Dresden hat sich nicht etabliert. Ein Grund hierfür mag sein, daß von Dyck, der von 1884–1933 an der TH tätig und damit in einem überwiegenden Teil des Untersuchungszeitraums prägend für die Institution war, seine publizistischen Aktivitäten in erster Linie auf die Betreuung der Encyklopädie konzentrierte und selbst weder als Lehrbuchautor noch als Herausgeber bei Buchreihen maßgeblich in Erscheinung trat. Die Mehrzahl der Publikationen an der Universität München ist nach 1900 entstanden, so daß sich keine eindeutige Vormachtstellung von Teubner beobachten läßt, denn Göschen bzw. de Gruyter waren mindestens in gleichem Maße vertreten. Ein vergleichbares Bild zeigt sich an der TH: Teubner und Göschen bzw. de Gruyter teilten sich den Markt und der Springer-Verlag trat praktisch nicht in Erscheinung. Die Übersicht enthält 19 Universitätsstädte, die weniger als 10 Autoren aufweisen. Unter den 16 Orten mit einer zweistelligen Zahl von Autoren dominieren Heidelberg und Königsberg ( 16 bzw. 15 ). Die Technischen Hochschulen stellen ungefähr 25 Prozent der Autoren, was dem Zahlenverhältnis von Technischen Hochschulen und Universitäten entspricht. So wurde mit Ausnahme Dresdens an den Technischen Hochschulen im Durchschnitt nicht mehr publiziert als an den Universitäten. Für Karlsruhe und Hamburg ist charakteristisch, daß die publizistischen Aktivitäten zu einem maßgeblichen Teil außerhalb der TH bzw. der Universität angesiedelt waren. Eine bemerkenswerte Publikationsaktivität zeigte die nur mit zwei Ordinariaten ausgestattete Straßburger Universität. Besonders erwähnenswert ist hier vor allem Heinrich Weber, dessen umfangreiches Œuvre zu einem großen Teil in Straßburg entstand, aber auch Max Simon, der einige erfolgreiche Lehrbücher unter anderem in der Sammlung Schubert veröffentlichte. Eine so eindeutige und enge Bindung an Verlage wie es für die Berliner Mathematiker bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts festzustellen und wie es auch für die Göttinger Mathematiker zwischen den beiden Weltkriegen typisch 138

Topographie der Autoren

war, ist für die anderen Universitäten und Hochschulen in dieser Form nicht nachzuweisen. Abgesehen von den beiden Zentren Berlin und Göttingen, aus denen wirkungsmächtige Publikationen verschiedener Autoren hervorgingen, kristallisiert sich als allgemeine Tendenz heraus, daß einzelne Forscher- und Lehrerpersönlichkeiten wichtiger und prägender waren als kollektive Publikationstraditionen, auch wenn gewisse Schwerpunkte in der Lehrbuchproduktion an den Technischen Hochschulen wie beispielsweise in Dresden deutlich werden.

139

6

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg – Finanzierungsprobleme und neue Unternehmungen / Unternehmen

Der seit der Reichsgründung 1871 durch schnell voranschreitende Forschungsund Publikationstätigkeit aufblühende wissenschaftliche Buchmarkt mit kontinuierlich steigenden Produktionszahlen im Buch- und Zeitschriftenbereich1 erlebte nach dem Ersten Weltkrieg einen rapiden Einbruch, von dem sich zahlreiche Traditionsfirmen im Verlags- und Sortimentsbuchhandel kaum oder nur schwer erholten.2 Die Ursachen dafür waren vielfältig: Erstens wirkten sich die gegen die deutsche Wissenschaft gerichteten internationalen Sanktionen der Siegermächte, die zur Isolierung deutscher Wissenschaftler führte, auch auf die Verlage aus, denn besonders auf die Naturwissenschaften und die Medizin spezialisierte Verlage bedienten nicht nur den inländischen Absatzmarkt, sondern exportierten einen nicht geringen Teil ihrer Produktion ins europäische Ausland und in die USA. Der Ausschluß deutscher Wissenschaftler und wissenschaftlicher Gesellschaften aus Institutionen, Arbeitsgemeinschaften und Verbänden ließ internationale Kontakte nur unter schwierigen Umständen zu. Der Boykott der deutschen Wissenschaft ging wesentlich vom sog. Internationalen Forschungsrat ( Conseil international de recherches ) aus, der 1919 gegründeten Nachfolgeorganisation der Internationalen Assoziation der Akademien, die bis zum Weltkrieg als eine Art internationales Koordinierungsorgan der 1 2

Vgl. die Statistiken bei Kastner, Statistik. Vgl. die Ausführungen zur Mathematik in: Remmert / Schneider, Wissenschaftliches Publizieren; zum wissenschaftlichen Verlag ausführlich Schneider, Der wissenschaftliche Verlag. 141

Eine Disziplin und ihre Verleger

Wissenschaftsbeziehungen gedient hatte.3 Darüber hinaus trat der Effekt ein, daß der Kriegsschuldparagraph des Versailler Vertrags einen Keil zwischen die deutschen Wissenschaftler und ihre Kollegen in den ehemaligen Feindstaaten trieb.4 Denn unabhängig von den möglichen Intentionen der Siegermächte nahmen viele Wissenschaftler außerhalb Deutschlands diesen Paragraphen sehr ernst und forderten sichtbare Zeichen der Reue und Sühne von ihren deutschen Kollegen. Im Laufe der 1920er Jahre normalisierte sich die Situation zwar, aber deutsche Mathematiker konnten erst 1928 wieder am Internationalen Mathematiker-Kongreß in Bologna teilnehmen.5 Zweitens verschärfte die Inflation die ohnehin komplizierte Situation weiter. Eine angemessene staatliche Finanzierung von Forschung und Lehre war kaum zu leisten. Die Geldentwertung wirkte sich auch auf das Stiftungsvermögen von Akademien, wissenschaftlichen Gesellschaften und Forschungsinstituten aus, die ihre Unterstützungsfunktionen nicht mehr aufrechterhalten konnten. Betroffen waren außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ebenso wie die Hochschulen und die wissenschaftlichen Bibliotheken, die zunächst mit Abbestellungen wissenschaftlicher Zeitschriften reagierten.6 Der Kaufkraftschwund im studentischen Publikum schlug sich vor allem auf dem Lehrbuchmarkt nieder. Trotz steigender Studierendenzahlen unmittelbar nach dem Krieg,7 die eine positive Stimulierung des Lehrbuchmarktes erwarten ließen, erfüllten sich die Hoffnungen der Verleger nicht. Im besonderen Fall der Mathematik kam drittens folgendes Spezialproblem hinzu: der schwierige mathematische Formelsatz, für den nur wenige deutsche Druckereien das erforderliche Typenmaterial besaßen, war besonders teuer und trieb so die Herstellungskosten nochmals in die Höhe. In der Denkschrift über Die Not der deutschen Wissenschaft des Reichsministeriums des Innern für das Haushaltsjahr 1920 wurde festgestellt: Für einen Band mathematischen Druckes z. B. verlangt heute ein Verleger 100 000 M Zuschuß, so daß der Forscher außer seiner Arbeit [ … ] noch gewaltige Kosten aufzubringen hätte, wenn er die Ergebnisse seiner Forschung 3 4 5 6 7 142

Dazu am Beispiel der Physik: Metzler, Internationale Wissenschaft und nationale Kultur. Schröder-Gudehus, Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit, S. 112 f. Vgl. Tobies, Zur Unterstützung mathematischer Forschungen, S. 82. Vgl. Behrends, Die Auswirkungen des Boykotts, S. 58. Vgl. Jarausch, Deutsche Studenten 1800–1970.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg allgemein zugänglich machen wollte. Zeitschriften mathematischer Art bedürfen einer jährlichen Unterstützung etwa in derselben Höhe. [ … ] In anderen Wissenschaften sind die erforderlichen Druckzuschüsse zwar nicht ganz so hoch, steigen aber auch ins Unerschwingliche, besonders wenn etwa Zeichnungen und Abbildungen oder fremdsprachliche Typen den Gang der Untersuchungen erläutern müssen.8

Auch die Papierpreise waren nach dem Ersten Weltkrieg bis auf das 85 fache des Vorkriegsniveaus angestiegen, was sich sofort in Preiserhöhungen für Periodika niederschlug.9 Ebenso wie die Materialkosten stiegen die Lohntarife für Drukker und Setzer, gleichzeitig mangelte es aber an qualifizierten Arbeitskräften. Eine Teillösung des Kapazitäts- und Personalproblems sollte die untertarifliche Beschäftigung von Setzern und Druckern für die Herstellung von Werken und Zeitschriften sein, die von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gefördert wurden.10 Den Einsatz von unerfahrenen Setzern lehnten wiederum die wissenschaftlichen Verleger ab, denn ein nicht exakt ausgeführter Satz führte zwangsläufig zu hohen Korrekturkosten und zur kaum vermeidbaren Verärgerung auf Seiten der Autoren.11 Auch bei Teubner, der seine Zeitschriften und Bücher in der für mathematischen Satz hervorragend ausgestatteten hauseigenen Druckerei herstellte, wurden die internen Kosten durch Lohnerhöhungen so hoch, daß er den Druck des Jahresberichts der DMV ohne Druckkostenzuschuß nicht fortsetzen konnte. Der Hallenser Mathematiker August Gutzmer stellte im Februar 1919 hellsichtig fest, dies sei »bei Teubner nicht etwa allein so, sondern bei allen Verlegern und Druckern. Die Zustände drängen auf eine völlige Beseitigung des wissenschaftlichen Verlages hin; Deutschland, das Land der stärksten Bücherproduktion, kommt in der Kultur gewaltig zurück.«12 Gutzmer sprach hier bereits zwei Probleme im wissenschaftlichen Publikationswesen an, die in den folgenden Jahren zu zentralen Themen wurden: ( 1 ) die ökonomische Krise des wissenschaftlichen Verlags mit erheblichen Konsequenzen für die Wissenschaftler und ( 2 ) der kulturelle Bedeutungsverlust des wissenschaftlichen Buches mit Konsequenzen 8 9 10 11 12

Zit. n. Zierold, Forschungsförderung in drei Epochen, S. 568. Zur Entwicklung der Papierpreise bis 1922 vgl. die Angaben bei KnappenbergerJans, Verlagspolitik und Wissenschaft. Bericht der Notgemeinschaft 1922, S. 22 / 23. Vgl. Zweiter Bericht der Notgemeinschaft, S. 17. August Gutzmer, Adressat ungenannt, vermutlich sein Kollege Adolf Krazer, 6. Februar 1919, UAF, E4 / 20. 143

Eine Disziplin und ihre Verleger

für den Export deutscher Forschungsliteratur und damit deutscher Forschungsergebnisse ins Ausland ( siehe 8.1 ). Für die wissenschaftlichen Autoren wurde es zunehmend schwieriger, einen Verlag zu finden, dessen Finanzlage die Übernahme von hoch spezialisierten Manuskripten erlaubte. Die im Vergleich mit der Vorkriegszeit geringere Umschlagsgeschwindigkeit auf dem Gesamtmarkt führte zu einer stärkeren Kapitalbindung im Verlagswesen, so daß »die Neigung der Verleger zu langsam absetzbaren oder sogar buchhändlerisch aussichtslos erscheinenden Werken, selbst beim besten Willen und bei allem Interesse für die Wissenschaft, nicht sehr groß sein kann.«13 Die spürbare Zurückhaltung der Verleger im Produktionsprozeß hatte zwangsläufig Auswirkungen auf die wissenschaftliche Kommunikation und damit auch auf den kollektiven Erkenntnisfortschritt.

6.1

Die Vereinigung mathematischer Programme – Reimer, Göschen und Veit unter dem Dach Walter de Gruyters

Der Verlag Walter de Gruyter, der zunächst ab 1919 unter dem Namen »Vereinigung wissenschaftlicher Verleger« firmierte und erst ab 1923 unter dem Namen de Gruyters, hatte mit dem Aufkauf des Georg Reimer Verlags 1897 und der Göschen’schen Verlagshandlung 1912 schon zwei Verlage mit mathematischen Publikationen erworben. 1919 kam der Leipziger Verlag Veit & Comp. hinzu. Die Sammlung Schubert und die mathematischen Titel der Sammlung Göschen konnten zu diesem Zeitpunkt bereits ihre feste Position auf dem Markt behaupten. Die Zusammenführung von insgesamt fünf Verlagen ( darunter auch der Straßburger Verlag Trübner sowie der rechtswissenschaftliche Berliner Verlag Guttentag ) unter einem Firmendach machte eine grundsätzliche Reorganisation des Gesamtunternehmens erforderlich. Wesentliche Argumente für die Fusion der Verlage zu einem Konzern waren die Kapitalbündelung, verwaltungstechnische und organisatorische Zusammenlegung, gemeinsame Werbemaßnahmen und gemeinsamer Vertrieb, um »wirtschaftlich widerstandsfähig« und »für die Wissenschaft fruchtbar« sein zu können.14 Als Handelsform wurde eine Kommanditgesellschaft gewählt. Persönlich haftende Gesellschafter waren neben Walter de Gruyter Wilhelm von Crayen ( Göschen ), Otto von Halem und Curt Thesing 13 14 144

Sechster Bericht der Notgemeinschaft, S. 16. Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 200.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

( beide Veit & Comp. ) sowie Oscar Schuchardt ( Guttentag ). Nach dem plötzlichen Tod Walter de Gruyters 1923 prägten in erster Linie der Pädagoge Artur Buchenau, der langjährige literarische Berater des Verlags,15 der promovierte Jurist Alexander Elster, der Prokurist bei Guttentag war, und der promovierte Sprachwissenschaftler Gerhard Lüdtke, der Straßburger Leiter von Trübner, das Programm.16 Die Programmgebiete der fünf Mitgliedsfirmen blieben bis 1929 weitgehend unangetastet: Göschen verlegte vorwiegend mathematische und technische Titel, Guttentag weiterhin juristische und staatswissenschaftliche Literatur, Reimer sowie Trübner geisteswissenschaftliche Titel, Kunst, Theologie und Sprachwissenschaften und Veit medizinische und naturwissenschaftliche Literatur. Ab 1929 wurden mit neuen Zukäufen die Teilhaberverlage strenger nach Disziplinen ausdifferenziert, manche Verlagsprojekte wechselten innerhalb des Hauses die Abteilungen. Einzig die Sammlung Göschen brachte disziplinenübergreifende Titel heraus. Während die inhaltliche Programmplanung den Verlagsabteilungen oblag, wurden Buchhaltung, Vertrieb und Werbung sowie die Verwaltung der Immobilien, der Personalangelegenheiten und finanzielle Angelegenheiten in einer zentralen Abteilung für alle fünf Verlage organisiert. Mit ökonomischen Problemen hatten während der Inflation alle Verlage zu kämpfen. Die prekäre Situation nach 1918 führte in den folgenden Jahren zu Konzentrationsbewegungen und zu einer ungeheuren Dynamik in der Branche, was sich an der Aufkaufpolitik großer Verlage wie Julius Springer, Walter de Gruyter und der nun in den Markt drängenden Akademischen Verlagsgesellschaft in Leipzig deutlich ablesen läßt. Diese drei Verlagshäuser stiegen nun massiv ins mathematische Segment ein. Sie hatten vergleichbare Strukturen, agierten in ihrer Aufkaufpolitik ähnlich und expandierten auf dem Markt der 1920er Jahre. De Gruyter war mit seinen Imprintverlagen Reimer und Göschen schon im mathematischen Feld aktiv, ebenso die Akademische Verlagsgesellschaft mit ihren Ankäufen Wilhelm Engelmann Verlag und Mayer & Müller. Allein Springer war in dieser Hinsicht ein Newcomer.

15 16

Zu Buchenau vgl. Müller, Der literarische Beirat Artur Buchenau. Vgl. Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 242. 145

Eine Disziplin und ihre Verleger

6.2

Führend im mathematischen Markt: Springer in Berlin

Schon vor Kriegsende 1917 / 18 hatte Springer den medizinischen Verlag J. F. Bergmann in Wiesbaden übernommen, 1920 folgte der Aufkauf des Berliner Verlags August Hirschwald mit Sortimentsbuchhandlung und Antiquariat. Hinzu kamen Dutzende Zeitschriftenankäufe aus anderen Verlagen. Hirschwalds Buchtitel und Zeitschriften wurden in das Springer-Programm integriert, die Hirschwaldsche Sortimentsbuchhandlung und das angeschlossene Antiquariat wurden in Berlin unter dem Namen Hirschwald weitergeführt, als neue Vertriebsform wurde die Buchhandlung allerdings zur Versandbuchhandlung erweitert. Ab 1923 wurde der Versand von Werbemitteln über die Hirschwaldsche Buchhandlung abgewickelt: Rundschreiben, Prospekte, Kataloge und Preislisten und ein speziell für Bibliotheken herausgebrachtes Anzeigenblatt wurden in der Werbeabteilung des Verlags erstellt. Das Antiquariat florierte insbesondere im Vertrieb von älteren wissenschaftlichen Zeitschriften; 1929 wurden 800.000 Bände älterer Zeitschriftenjahrgänge auf Lager gehalten.17 Für den effizienten Aufbau der Versandbuchhandlung konnten die Anschriften der Autoren des Springer Verlags sowie die der Mitglieder von wissenschaftlichen Vereinigungen genutzt werden, so daß Ende der zwanziger Jahre die Kundenkartei schon 243.000 Adressen von deutschen, britischen, US-amerikanischen, aber auch sowjetischen Wissenschaftlern umfaßte, die mit Prospekten und Fachgebietskatalogen beworben wurden.18 Der Export ins Ausland war eine der wichtigsten Aufgaben der Buchhandlung. Daß es dem Springer Verlag gelungen ist, Teubner nach dem Ersten Weltkrieg als führenden mathematischen Verlag abzulösen, liegt nicht allein darin begründet, daß Alfred Ackermann-Teubner sich ab 1916 aus dem Geschäft zurückgezogen hatte und sein Nachfolger Konrad Giesecke-Teubner das mathematische Verlagssegment als unwirtschaftlich betrachtete und aufgeben wollte. Springer konnte die entstehende Lücke nur füllen, weil er neben Leon Lichtenstein, der die Berliner Mathematik kannte, mit Richard Courant einen weiteren produktiven Mathematiker als Berater gewinnen konnte. Courant stand für die junge Generation der Göttinger Mathematiker, genoß die Unterstützung von Klein und Hilbert und verfügte über eine weitere, unter Gelehrten nicht alltägliche Gabe: die Fähigkeit wirtschaftlich zu denken ( zur Tätigkeit des Verlagsberaters siehe Kap. 7 ). 17 18 146

Vgl. Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 248. Vgl. Sarkowski, ebd., S. 246.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Courant, der sich für Springer schnell als Idealtyp des Verlagsberaters entpuppen sollte, hatte sich im September 1917, während Lichtenstein und Springer die Mathematische Zeitschrift gründeten, mit der Bitte an den Physiker Arnold Berliner gewandt, ihm ein Gespräch mit Ferdinand Springer zu vermitteln.19 Berliner gab bei Springer seit 1913 die Zeitschrift Die Naturwissenschaften heraus, verfügte über ein eigenes Büro im Verlagsgebäude und zählte zu Springers internen Beratern im Bereich der Naturwissenschaften, vor allem in der Physik und der Mathematik.20 Bereits Ende September kam es zu einem Treffen zwischen Courant und Springer, über das sich Courant, der zu der Zeit Militärdienst im Harz leistete, sehr positiv geäußert hat.21 Springer nahm Courants Plan, eine ehrgeizige neue Lehrbuchreihe zu gründen, die späteren Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen mit besonderer Berücksichtigung der Anwendungsgebiete, begeistert auf. Während des Krieges war die Verwirklichung mit allerlei Verzögerungen verbunden, aber dennoch konnte Courant im Juni 1918 Springer darüber informieren, daß der Physiker Max Born als Mitherausgeber der Reihe gewonnen war.22 Wenige Tage später berichtete Courant von seiner Reise nach Göttingen. Dort hatte er insbesondere mit Hilbert über den Plan der neuen Reihe gesprochen, den er als Autor der Reihe gewinnen konnte und der dem Projekt volle Rückendeckung gab: Das Ergebnis ist, dass er sich bereit erklärt hat, mit mir zusam men gewöhnliche Differentialgleichungen, Partielle Differentialgleichungen und Variationsrechnung für die Sammlung zu übernehmen; da wir darin auch die Integralgleichungen mit hineinarbeiten wollen, so wird hieraus ein zusammenhängender Lehrgang der Analysis mit Ausschluss der eigentlichen Differential- und Integralrechnung werden; es wird sich, soweit ich jetzt übersehe, um etwa 3 Bände der Sammlung dabei handeln. [ … ] In jedem Falle ist die Gewinnung von Hilbert ein Riesenfortschritt.«23

In der Tat war die Protektion durch Hilbert wesentlich für den Erfolg der neuen Reihe. Ähnlich positiv war das Gespräch mit Courants Schwiegervater Carl Runge verlaufen, der sich nicht nur bereit erklärt hatte, »seine berühmten 19 20 21 22 23

Reid, Courant in Göttingen and New York, S. 69. Vgl. Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 316. Vgl. Reid, Courant in Göttingen and New York, S. 69. Courant an Springer, 23. Juni 1918, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Courant an Springer, 2. Juli 1918, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. 147

Eine Disziplin und ihre Verleger

Vorlesungen über graphische und numerische Methoden, praktische Mathematik usw. in der Sammlung herauszugeben, vorausgesetzt, dass es mir gelingt, den geeigneten Mann für die Ausarbeitung usw. zu finden« ( dafür hatte er Runges Neffen Erich Trefftz im Auge ), sondern sich zugleich zur Mitherausgabe der Reihe bereit erklärte. Schließlich wurde schon kurz nach Kriegsende, am 28. November 1918, zwischen Springer einerseits und Courant, Runge, Blaschke und Born andererseits der Verlagsvertrag über die Herausgabe der Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen mit besonderer Berücksichtigung der Anwendungsgebiete geschlossen.24 Die Grundlehren erschienen ab 1921 und sind als gelbe Reihe oder auch als »gelbe Gefahr« bekannt geworden.25 Es ist wichtig festzuhalten, daß Springers Expansionsbemühungen nicht nur durch einen einzigen Berater möglich wurden: vielmehr deckten Lichtenstein und Courant die beiden mathematischen Zentren Berlin und Göttingen ab. Während Lichtenstein und Springer eher »zufällig« zusammenkamen – Springer suchte allerdings einen Berater –, ist der Kontakt Courants zu Springer sorgfältig vorbereitet worden. Courant blieb bis zu seiner Emigration 1933 der Hauptberater Springers. Danach stützte Springer sich auf den Jenenser Mathematiker Friedrich Karl Schmidt ( siehe 7.3 ). Die Bemühungen Springers um die Mathematik, die mit der Übernahme der Annalen, der unter schwierigen Umständen begonnenen Publikation von Kleins Gesammelten Abhandlungen und der Herausgabe der durch Courant gegründeten Grundlehren-Reihe erste Erfolge brachten, trugen bald weitere Früchte, denn 1923 fragte Born bei Springer an, ob er die bis dahin bei Teubner erscheinende, noch nicht abgeschlossene Gauß-Ausgabe der Göttinger Akademie der Wissenschaften ebenfalls übernehmen wolle.26 Die zukünftige Akademie-Anbindung mit potentiell weiteren Publikationsaufträgen war für den Verleger sicherlich ein attraktives Argument bei der Übernahme, denn der Absatz der Ausgabe verlief eher schleppend. Der bis dahin zuständige Teubner-Verleger Konrad Giesecke-Teubner hatte die »ideelle Seite« völlig außer acht gelassen und an Klein geschrieben, daß die bereits vorliegenden Bände der Gauß-Ausgabe makuliert werden sollten.27 Die Entrüstung der Mathematiker über dieses verlegerische 24 25 26 27 148

VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Als »gelbe Gefahr« bezeichnet sie z. B. Giesecke-Teubner in einem Brief an Trefftz, 8. März 1930, TUAD, Nachlaß Trefftz, Nr. 49. Dazu siehe Holl, Produktion und Distribution wissenschaftlicher Literatur, S. 118 f. Giesecke-Teubner an Klein, 4. April 1919, UAG, Nachlaß Engel, NE 120235A.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Ansinnen führte geradewegs zur Konkurrenz, zu Springer, der sich nicht nur zur Weiterführung der Ausgabe bereit erklärte, sondern darüber hinaus auch prüfen wollte, ob er der Kaestner’schen Druckerei in Göttingen, die die Drucklegung ausführte, finanzielle Unterstützung zum Kauf von fehlendem Typenmaterial für den mathematischen Satz gewähren könne.28 Ebenso bereitwillig ließ sich Springer auf die Honorarzahlungen für die an der Ausgabe beteiligten Mathematiker ein. Born hatte argumentiert, die wirtschaftliche Situation der Autoren mache es erforderlich, daß sie einen »beträchtlichen pekuniären Gewinn von ihrer Arbeit haben, weil [ … ] sonst von ihnen nicht erwartet werden [ kann ], daß sie die Arbeit an Gauß’ Werken vor anderen Arbeiten vorziehen.«29 Springer akzeptierte in relativ kurzer Zeit alle Wünsche und Vorgaben der Akademie. Durch die engen Kontakte zu Göttinger Mathematikern erschloß er sich, das finanzielle Risiko nicht scheuend, den Zugang zum mathematischen Feld. Den engen Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Kommunikation in Druckform und dem Gedeihen einer Disziplin betonten die Göttinger Mathematiker Hilbert, Landau, Courant und Herglotz im Jahre 1930 ausdrücklich in ihrem Glückwunschschreiben an Ferdinand Springer zur Göttinger Ehrendoktorwürde: Hätten Sie nicht nach dem Kriege in Ihrer grosszügigen und weit ausblickenden Art sich in die Bresche gestellt, so wäre der mathematischen Literatur in Deutschland durch das Versagen anderer Verleger ein tödlicher Schlag versetzt worden, der auch auf die Wissenschaft als solche unheilvolle Auswirkungen hätte haben müssen.30

Als Begründung, weshalb die Firma Springer im Gegensatz zu vielen anderen Verlagen gleich nach dem Krieg stark expandieren konnte, führte der Konkurrent Konrad Giesecke-Teubner die unbewiesene Behauptung an, daß »sie eben doch während des Krieges infolge des starken Absatzes der technischen Literatur ausserordentliche Erträgnisse gehabt hat«31 und daher sei »die Einwendung, was die Firma Springer könne, müssten wir doch auch können, [ … ]

28 29 30 31

Vgl. Springer an Born, 5. Juli 1923, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), G 20. Born an Springer, 15. Juli 1923, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), G 20. Hilbert, Courant, Landau und Herglotz an Springer, 30. Januar 1930, VA Springer, FS 31.2. Giesecke-Teubner an Blumenthal, 15. September 1920, Durchschlag des Briefes, SUBG, Cod. Ms. D. Hilbert 403, Beilage 2 / 1. 149

Eine Disziplin und ihre Verleger

vollständig unhaltbar«.32 Unabhängig von den Gründen für die Springerschen Expansionsmöglichkeiten, ob aufgrund von Kreditaufnahmen33 oder Profiten aus der technikwissenschaftlichen Buchproduktion während des Krieges, hat der Buchwissenschaftler Thorsten Grieser errechnet, daß Springer im Vergleich mit der gesamtdeutschen Buchproduktion überdurchschnittlich viele Titel auf den Markt brachte.34 Selbst nach der Währungsreform im November 1923, als der deutsche Buchmarkt erneut einbrach, konnte Springer seine Gesamttitelproduktion noch leicht steigern und sein jährliches Produktionsvolumen bis zur Weltwirtschaftskrise bis auf 500 Publikationen erhöhen.

6.3

Die Förderpolitik der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im mathematischen Publikationswesen

1920 wurde unter staatlicher Bezuschussung von 20 Millionen Mark die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründet mit dem Ziel, durch finanzielle Unterstützung »die der deutschen wissenschaftlichen Forschung durch die gegenwärtige wirtschaftliche Notlage erwachsene Gefahr völligen Zusammenbruchs abzuwenden«.35 Vertreten waren die deutschen Akademien der Wissenschaften, die Universitäten und Technischen Hochschulen, die KaiserWilhelm-Gesellschaft, der Verband technisch-wissenschaftlicher Vereine und die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte. Die Notgemeinschaft vergab Forschungsstipendien, unterstützte wissenschaftliche Einzelforschung sowie Forschergruppen, förderte Bibliotheksetats und vergab Druckkostenzuschüsse zu wissenschaftlichen Publikationen. Die deutschen Mathematiker waren in der Notgemeinschaft gut repräsentiert, weil der Münchner Mathematiker Walther von Dyck, ein Schüler Kleins, erster Stellvertreter des Präsidenten, des Staatsministers Friedrich Schmidt-Ott, war.36 Allerdings führte die unbeständige Lage im mathematischen Verlagswesen – es mußte sich erst noch erweisen, ob Springer nach Teubners Rückzug 32 33 34 35

36 150

Giesecke-Teubner an Engel, 16. Januar 1920, UAG, Nachlaß Engel, NE 120244. Dies vermutet vorsichtig Grieser, Buchhandel und Verlag in der Inflation, S. 161. Vgl. die Tabelle, Abb. 14, bei Grieser, ebd., S. 161. §1 der Satzung, vgl. Nipperdey / Schmugge, 50 Jahre Forschungsförderung in Deutschland, S. 108. Zur Notgemeinschaft vgl. Marsch, Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft; siehe auch Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 528–547. Zu Dyck siehe Hashagen, Walther von Dyck.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Der Etat der Notgemeinschaft mit Förderanteil des Verlagswesens 37 Jahr

Verlagswesen

Gesamtmittel

%

1922/23

14 913 853,40

858 543 440,29

1,74

1923/24

Keine Angabe

Keine Angabe

38

1924/25

1 031 372

ca. 3 000 000

ca. 34,38

1925/26

1 239 394

ca. 8 000 000

ca. 15,5

1926/27

1 219 040,77

5 098 977,74

23,91

1927/28

2 567 681,06

8 394 717,75

30,59

1928/29

1 116 201,64

8 718 329,70

12,8

1929/30

997 635,93

7 243 739,67

13,77

1930/31

1 164 386,72

7 622 246,64

15,28

1931/32

936 258,21

5 193 972,34

18,03

diese Lücke dauerhaft würde schließen können und wollen – zu vielen ungeklärten Fragen, etwa was die Weiterführung bestehender oder die Gründung neuer Zeitschriften betraf. Die Förderpolitik in bezug auf mathematisches Publizieren läßt sich aufgrund der ungünstigen Quellenlage nur schwer rekonstruieren, da in den Akten der Notgemeinschaft für den Fachausschuß Mathematik, der zugleich für Astronomie und Geodäsie zuständig war, nur wenige aussagekräftige Dokumente überliefert sind. Es handelt sich dabei vor allem um den Etatvorschlag des Fachausschusses für das Jahr 1921 / 22, den der Berliner Mathematiker Issai Schur in Vertretung des erkrankten Vorsitzenden Klein im Mai 1921 vorlegte.39 Bei der Unterstützung von Publikationen waren dabei zunächst lediglich Zeitschriften und Fortsetzungswerke in Betracht gezogen worden. Monographien wurden nicht genannt, allerdings war vielen Autoren auch noch nicht bekannt, daß eine Fördermöglichkeit durch die Notgemeinschaft bestand. Für die Mathematik schlug der Ausschuß vor, mit der Encyklopädie der mathematischen 37 38

39

Die Zahlen beruhen auf den Angaben in den gedruckten Jahresberichten der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Im Dritten Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft für den Zeitraum April 1923 bis März 1924 wird der Etat nicht aufgeschlüsselt unter Hinweis darauf, daß eine »übersichtliche Rechnungslegung […] unter den Verhältnissen des letzten Geschäftsjahres unmöglich« sei (S. 5). Etat des Fachausschusses V für das Jahr 1921 / 22, 14. Mai 1921, BAK, R 73 / 140. 151

Eine Disziplin und ihre Verleger

Wissenschaften und der Gauß-Ausgabe zwei Langzeitprojekte mit je 100.000 Mark zu fördern. Zudem wurden für die Weiterführung des Referateorgans Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, des, wie in einer Vorbesprechung betont worden war, »neutralen, die Mathematik mit ihren Anwendungen umfassenden Referierorgans«40, dringend 20.500 Mark gewünscht. Das zentrale Problem aber war das Überleben der mathematischen Zeitschriften.

6.4

Die Situation im mathematischen Zeitschriftenwesen

Zumindest das Fortbestehen des bei de Gruyter erscheinenden Journals für die reine und die angewandte Mathematik ( Crelles Journal ), des bei Teubner erscheinenden Jahresberichts der DMV sowie der Sitzungsberichte der Berliner Mathematischen Gesellschaft war ohne finanzielle Unterstützung nicht gesichert. Die Schwierigkeit lag auch hier darin, daß die Abonnentenzahl kriegsbedingt zurückgegangen war, durch die steigenden Abonnementspreise weiter zurückging und aus dem Teufelskreis stetiger Preiserhöhung und abbestellender Bezieher kein Entkommen in Sicht war. Von Seiten der Mathematik wünschte man sich eine grundsätzliche Lösung des Problems unter Einbeziehung der DMV. Das Protokoll der ersten Tagung des zuständigen Fachausschusses vom Januar 1921 hielt dazu fest, die DMV habe bereits »eine wesentliche Erhöhung des Mitgliederbeitrages und eine Neuorganisation des von der Vereinigung herausgegebenen Jahresberichts« beschlossen. Aber, so hieß es weiter, auch das Weiterbestehen der anderen deutschen mathematischen Zeitschriften und die Verbilligung der Preise, insbesondere für ausländische mathematische Literatur, bedarf weitgehender Fürsorge. Es wird daran gedacht, diesen ganzen Fragekomplex durch Zwischentreten der Deutschen Mathematikervereinigung zu ordnen. Die Vereinigung könnte als Grossbezieher der deutschen mathematischen Literatur auftreten und denjenigen ihrer Mitglieder, welche subskribieren wollen, einen billigen Bezug der von ihnen gewünschten Bücher oder Zeitschriften sichern, indem sie mit den Verlegern günstige Abmachungen trifft, ev. auch ausländische Werke im Austausch erwirbt, und dabei seitens der Notgemeinschaft durch einen Jahresbeitrag, der mindestens 100 000 M. betragen müsste, unterstützt wird. Dieser 40

152

Protokoll der ersten Tagung des Fachausschusses V am 7. und 8. Februar 1921 in Göttingen SUBG, Klein IV Notgemeinschaft [ Reichsverband ], Nr. 41–60.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg Betrag müsste auf sämtliche Anschaffungen nach einem gleichen Prozentsatz verteilt werden, so dass das kaufende Publikum in der Hand hat, welche Veröffentlichungen es vor anderen bevorzugen will.41

Dieser Vorschlag wurde vom Fachausschuß im Mai 1921 an das Präsidium der Notgemeinschaft weitergereicht. Die Verbilligung der mathematischen Zeitschriften für die Mitglieder der DMV erschien dem Ausschuß als dringend notwendig und der geforderte Betrag als angemessen. Gerade die beiden größten Zeitschriften ( Mathem. Annalen und Mathem. Zeitschrift ), die keine direkte Unterstützung verlangt haben, und das ebenso wichtige [ … ] Jahrbuch, das seine Forderungen so sehr beschränkt hat, konnten sich bis jetzt nur durch eine exorbitant hohe Steigerung des Abonnementspreises halten. Der Gefahr, dass hierdurch die Verbreitung der Zeitschriften zurückgeht und ihr Fortbestand in Frage gestellt wird, muss unbedingt begegnet werden. Der verlangte Kredit erscheint als gerechtfertigt.42

Klein begleitete diese ungewöhnliche Initiative mit einem vermutlich an den Präsidenten Schmidt-Ott gerichteten Schreiben, das allerdings erkennen läßt, daß sich zumindest Klein eine gewisse Neuordnung des Zeitschriftenwesens, die er um 1900 schon einmal unter dem Dach des Teubner-Verlags versucht hatte, von der Initiative versprach: Es scheint mir dies der einzige Weg, um die Zahl der Zeitschriften, die zu gross ist, vielleicht zu reduzieren: das Publikum wird selbst entscheiden, welche Zeitschriften es bevorzugen will. Jeder andere Weg führt dazu, schwache Zeitschriften zu stützen.43

Schmidt-Ott allerdings lehnte den Vorschlag als »sehr zweifelhaft« ab mit der Begründung, daß zunächst einmal das Weitererscheinen der Zeitschriften überhaupt sichergestellt werden müsse, bevor an eine Verbilligung der Preise gedacht werden könne. Zudem wollte er nicht die Kontrolle der Notgemeinschaft über die Einzelförderung aus der Hand geben, daher bevorzugte er eine Unter41 42 43

Protokoll der ersten Tagung des Fachausschusses V am 7. und 8. Februar 1921 in Göttingen SUBG, Klein IV Notgemeinschaft [ Reichsverband ], Nr. 41–60. Etat des Fachausschusses V für das Jahr 1921 / 22, 14. Mai 1921 BAK, R 73 / 140. Auszug aus einem Schreiben ohne Adressat, vermutlich an Schmidt-Ott, von Klein, 28. Mai 1921, BAK, R 73 / 140. 153

Eine Disziplin und ihre Verleger

stützung auf direktem Wege und nicht »auf dem für die Notgemeinschaft ganz unkontrollierbaren Wege von Zuschüssen an die Bezieher«.44 Klein versuchte zwar noch einmal, auf das »traurige Kapitel der Mathematischen Zeitschriften« zurückzukommen, in dem überhaupt nur Springer ein Lichtblick sei, denn »Teubner, der seit Dezennien unser Hauptverleger geworden ist, hat allen Mut verloren, fünf Zeitschriften weiter zu führen«. Auch bei Springer, der »vorläufig mit grossen Verlusten gearbeitet« habe, dürfe man »darauf gespannt sein, wie lange er das Tempo seines Vorgehens einhalten wird. Kundige wollen schon jetzt eine unverkennbare Verlangsamung wahrnehmen.«45 Erfolg hatten Kleins Einwände allerdings nicht, denn die Notgemeinschaft blieb bei dem Prinzip der Einzelförderung. Schmidt-Ott ließ Klein im März 1922 wissen, der Hauptausschuß sei zu der Überzeugung gekommen, »dass eine Bewilligung für die Mathematiker-Vereinigung zur Verbilligung der Zeitschriften Konsequenzen hätte, denen die Notgemeinschaft nicht gewachsen wäre«.46 Man hatte sich auch außerhalb der Mathematik für den vorgeschlagenen Modus, die Mittel zentral über eine wissenschaftliche Gesellschaft zu verteilen, nicht erwärmen können, wie aus einem Schreiben des Schriftführers der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ( DPG ) an Klein hervorgeht. Zwar begrüße der Vorstand der DPG die »Tendenz der Anträge von Herrn Geh. Klein« und wünsche »seit langem Einfluss auf die Verleger zu gewinnen«, halte dabei aber den Fachausschuß der Notgemeinschaft für das geeignete Forum.47 Schmidt-Otts erster Stellvertreter von Dyck sah als wichtigste Hindernisse bei der Durchsetzung des Vorschlags der DMV die »Hartnäckigkeit« des Präsidenten, aber ebenso »die nicht unberechtigte Animosität gegen Springer, welcher der einzige Verleger ist, von allen, mit denen die Kommission verhandelt, welcher sich nicht in seine Bücher schauen lassen will!«48 Diese Episode mag zunächst banal erscheinen, zeigt aber in aller Deutlichkeit, daß es zumindest drei Interessengruppen gab, die zwar das gleiche Ziel verfolgten – die Aufrechterhaltung der wissenschaftlichen Publikationskultur in Deutschland – aber sehr unterschiedlicher Meinung über den einzuschlagenden Weg waren: die Fachwissenschaftler, die Verleger und die Notgemeinschaft.

44 45 46 47 48 154

Schmidt-Ott an Klein, 3. Juni 1921, BAK, R 73 / 140. Auszug aus einem Schreiben ohne Adressat, vermutlich an Schmidt-Ott, von Klein, 5. Juni 1921, BAK, R 73 / 140. Schmidt-Ott an Klein, 20. März 1922, SUBG, Klein IV A, Nr. 296. Schriftführer Rüchardt an Klein, 21. März 1922, SUBG, Klein IV A, Nr. 298. Dyck an Klein, 24. März 1922, SUBG, Klein IV A, Nr. 299.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

6.4.1

Kontroversen über Finanzierungsfragen

Die Auswirkungen der finanziellen Unterstützung von Publikationen durch die Notgemeinschaft wurde von den Verlagen durchaus kontrovers beurteilt. Von besonderem Interesse ist die Position, die der Springer Verlag in der Zeitschriftenfrage einnahm. Dabei ist wesentlich, daß der für die Sparte Mathematik verantwortliche Ferdinand Springer durch seinen mathematischen Hauptberater Courant eingehend über alle Initiativen der DMV und des Verlagsausschusses der Notgemeinschaft unterrichtet wurde. Im Januar 1921 plante der Schatzmeister der DMV, der Karlsruher Mathematiker Adolf Krazer, sich mit einem Rundschreiben an die DMV-Mitglieder zu wenden, in dem die Lage im Zeitschriftenbereich zusammengefaßt und um Vorschläge zur Behebung der Misere gebeten wurde.49 Den Entwurf des Schreibens sandte er auch an de Gruyter und Springer. Er enthielt schon den Vorschlag, die DMV solle bei der Notgemeinschaft den Antrag auf Mittel stellen, um ihren Mitgliedern den Bezug von Zeitschriften zu ermäßigten Preisen zu ermöglichen. Konkret führte er aus, Springer und de Gruyter sollten »den Mitgliedern der Vereinigung bei Bestellung der Zeitschriften durch diese 20 % Nachlass [ … ] gewähren; es ist beabsichtigt, weitere 30 % aus den Mitteln der Vereinigung zu bezahlen in der Erwartung, dadurch den Zeitschriften eine erhebliche Anzahl neuer Abonnenten zuzuführen.« Krazer forderte darüber hinaus die Möglichkeit, daß Bibliotheken mehrere Exemplare einer Zeitschrift zum reduzierten Preis beziehen können sollten, um diese gegen ausländische Zeitschriften zu tauschen. Der Bezug ausländischer Zeitschriften war für die meisten Seminare und Universitätsbibliotheken ein kaum zu bewältigendes Problem. Allein die Berliner Staatsbibliothek konnte 1920 statt der vor dem Krieg bezogenen 2300 ausländischen Zeitschriften nur noch 150 halten, insgesamt wurden an deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken überhaupt nur noch 300 ausländische wissenschaftliche Zeitschriften gehalten.50 Damit war eine kontinuierliche Partizipation an ausländischer Forschung kaum noch möglich. Die Antworten aus den beiden Verlagen fielen unterschiedlich aus. Für de Gruyter bezog Wilhelm von Crayen mit Blick auf Crelles Journal und das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik ausführlich Stellung, nicht ohne gegen Springers Preispolitik zu sticheln, weil doch »dessen jetzige Preise für seine beiden Zeitschriften [ Mathematische Annalen und Mathematische Zeitschrift ] geradezu prohibitiv wirken müssen.«51 Crayen wandte sich mit nachvollziehba49 50 51

Rundschreiben Krazers, 22. Januar 1921, UAF, E4 / 22. Vgl. die Angaben bei Wildhagen, Die Not der deutschen Wissenschaft, S. 18. Crayen an Krazer, 3. Februar 1921, UAF, E4 / 22. 155

Eine Disziplin und ihre Verleger

ren Argumenten entschieden gegen den Tausch deutscher gegen ausländische Zeitschriften: Ein derartiger Modus würde uns Verlegern mehr oder weniger schnell den ganzen Absatz nach dem Ausland abgraben, auf die dabei erzielten höheren Preise können wir aber unmöglich verzichten, denn gerade die zwischen dem Inlands- und Auslandspreise bestehende Differenz ermöglicht es uns, das betreffende Buch oder die Zeitschrift zu einem einigermassen noch erschwinglichen Preise an die Inlandskäufer abzugeben! Fällt diese Einnahme weg, so erhöht sich ganz automatisch der Inlandspreis und damit ist den deutschen Käufern, vor allen Dingen auch den Bibliotheken, doch absolut nicht gedient! Ich weiss nicht, wie die Firmen Springer, Teubner usw. darüber denken, für uns aber möchte ich schon heute die Erklärung abgeben, dass wir auf den Valuta-Aufschlag für Lieferungen nach dem Ausland, gleichwie in welcher Form diese erfolgen, nicht verzichten können, denn wir würden damit das wesentlichste Fundament für unsere Zeitschriften vernichten.52

Springer, der wie Crayen eine Kopie seiner Antwort Klein zukommen ließ, begann seinen Brief an Krazer mit grundsätzlichen Erörterungen über seinen mathematischen Verlag: Ich möchte ganz allgemein vorausschicken, dass die mathematischen Zeitschriften, wie überhaupt die mathematischen Verlagswerke im allgemeinen, nicht als Unternehmungen aufgefasst werden können, die der Verleger aus materiellen Gründen betreibt. Es empfiehlt sich für die Autoren, diese Tatsache zu beachten, denn wenn der Verleger, trotzdem er sich uneigennützig in den Dienst der Wissenschaft gestellt hat, doch immer wieder auf die Meinung stösst, dass für ihn nur materielle Gesichtspunkte massgebend wären, so muss das auf die Dauer dahin führen, dass der Verleger der ja nun einmal offenbar doch nicht zu bekämpfenden Ansicht entsprechend handelt. Wie ich in Göttingen kürzlich hörte, ist von verschiedenen Herren sogar die Ansicht geäussert worden, dass meine Firma dahin strebe, ein Monopol auf dem Gebiete der Mathematik zu schaffen und nach Erlangung dieses Monopols die Autoren bezw. die Abnehmer der mathematischen Literatur auszubeuten. Ich möchte dazu bemerken, dass einmal im Verlage eine Monopolstellung überhaupt nicht möglich ist und dass insbesondere jeder Missbrauch eines Monopols zum Verlust der erworbenen Vormachtstellung führen würde. So52 156

Ebd.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg dann ist es aber doch klar, dass ein Verleger, der auf wirtschaftliche Ausbeutung ausgeht, sich nicht gerade die Mathematik als Gebiet seiner Tätigkeit aussuchen wird. Ich muss mich über diese Dinge aber einmal offen aussprechen, um danach mit etwas erleichtertem Herzen zu meiner Tätigkeit zurückkehren zu können.53

Rückblickend läßt sich feststellen, daß die Mathematik im Hause Springer vermutlich seit Mitte der 1920er Jahre durchaus profitabel war. In der Frage des Tausches mit dem Ausland zeigte Springer sich formal offen, stellte aber ähnlich wie Crayen fest, daß »das valutastarke Ausland einen Aufschlag von 100 % bei den Zeitschriften zu zahlen hat und dass die Einnahmen aus diesem Aufschlag den Inlandspreisen zugute kommen, nicht etwa vom Verleger als Gewinn betrachtet werden. Tritt infolge des Tauschverkehrs eine wesentliche Verringerung der Zahl der mit Aufschlag gelieferten Exemplare ein, so muss die Folge eine entsprechende Steigerung des Inlandspreises sein«. Wenn der Schriftführer der DMV, Ludwig Bieberbach, diese Einschätzung Springers auch zunächst als entgegenkommend empfand,54 so wurde dieser Aspekt des Planes später nicht weiter verfolgt. Wohl aber versuchte die DMV, allerdings ebenfalls ohne Erfolg, Mittel der Notgemeinschaft für ihr Subventionsprogramm zu erhalten. In diesem Zusammenhang ist Springers Haltung zur Notgemeinschaft von Interesse. Zwar hat er 1927 im Rückblick die Abschaffung des Verlagsausschusses gefordert und 1949 sogar seine grundsätzliche Ablehnung von Subventionen erklärt.55 Allerdings berichtet Crayen in einem weiteren Brief an Krazer, es scheine »allerdings ein Irrtum vorzuliegen«, wenn angenommen werde, daß »Springer für seine Zeitschriften keinerlei Unterstützung seitens der Notgemeinschaft haben wollte«. Vielmehr habe ihm ein »Vertreter der Firma Springer« im Gespräch mitgeteilt, Springer wolle nicht direkt als Petent auftreten und als Verlag einen Zuschuss haben, jede indirekte Förderung seiner Zeitschriften aber wäre ihm ausserordentlich erwünscht, sei es dergestalt, dass eine grössere Anzahl von Exemplaren seitens der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, die die Mittel dazu von der Notgemeinschaft bekommen müsste, abgenommen würde, womit sich eine Verminderung des Preises erzielen liesse, sei es in irgend einer anderen Form. 53 54 55

Springer an Krazer, 9. Februar 1921, zur Kenntnis an Klein, SUBG, Klein IV Notgemeinschaft [ Reichsverband ], Nr. 81–100. Bieberbach an Krazer, 10. Februar 1921, UAF, E4 / 22. Vgl. Remmert / Schneider, Wissenschaftliches Publizieren, S. 189. 157

Eine Disziplin und ihre Verleger

Einzelförderung in der Mathematik im Förderzeitraum 1921 / 1922 ( bis 31. März 1922 )56

2.000,– Sitzungsberichte der Berliner Mathematischen Gesellschaft ( B. G. Teubner Verlag ) 35.000,– Jahresbericht der DMV ( B. G. Teubner Verlag ) 48.000,– Heffter, Lothar: Lehrbuch der analytischen Geometrie ( B. G. Teubner Verlag ) 60.000,– Bachmann, Paul: Arithmetik der quadratischen Formen ( B. G. Teubner Verlag ) 30.000,– Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften ( B. G. Teubner Verlag ) 37.500,– Gauß-Werke ( Göttinger Akademie der Wissenschaften, B. G. Teubner Verlag, ab 1923 Springer ) 20.000,– Neugebauer, Otto: Tafeln zur Astronomischen Chronologie ( in dieser Form nie erschienen; Neugebauer publizierte später beim Springer Verlag ) 20.500,– Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik (Verlag Walter de Gruyter ) 20.000,– Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität ( Universität Hamburg ) 50.000,– Klein, Felix: Gesammelte Abhandlungen ( Universität Göttingen, Springer Verlag ) Wie an dieser Aufstellung deutlich wird, profitierten von der Finanzierung durch die Notgemeinschaft vor allem Projekte aus dem Haus Teubner. Die Zuschüsse erhielten allerdings die bearbeitenden Stellen, nicht die Verlage, so daß es sich hier um eine indirekte Förderung handelt. Ebenso verhielt es sich mit der Herausgabe der Gesammelten Abhandlungen Felix Kleins: auch hier wurde die Unterstützung zur Finanzierung der Herausgeber verwendet, nicht für den Druck.

56 158

Angaben nach dem Bericht der Notgemeinschaft 1922, S. 68.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Crayen erwähnte schließlich auch noch den problematischen Punkt, daß zum gegebenen Zeitpunkt noch völlig unklar sei, »wie die Notgemeinschaft eingreifen soll«.57 Tatsächlich führte diese Unklarheit gerade in der Zeitschriftenfrage bald zu einer Verstimmung zwischen Klein, Courant und Springer auf der einen und der Notgemeinschaft auf der anderen Seite, als es um die Förderung einer neu gegründeten mathematischen Zeitschrift ging, den Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität.

6.4.2

Die Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität

Das Mathematische Seminar der 1919 gegründeten Universität Hamburg zählte nach dem Krieg sogleich zu den hervorragenden Adressen in der Mathematik. Die Ordinarien Wilhelm Blaschke und Erich Hecke waren mathematisch äußerst produktiv. Zudem erwiesen sie sich gemeinsam mit dem Extraordinarius Johann Radon als sehr einfallsreich in Bezug auf die praktischen Probleme, die der Aufbau des Seminars mit sich brachte. In diesem Zusammenhang ist die Gründung der Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität zu verstehen, deren erstes Heft 1921 im Selbstverlag des Mathematischen Seminars erschien und die noch heute bestehen. Unter den schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen wurden die Abhandlungen nicht gegründet, um ein eigenes Publikationsforum zu haben, denn Hecke verfügte über gute Verbindungen zu den Mathematischen Annalen und Blaschke gehörte dem wissenschaftlichen Beirat der Mathematischen Zeitschrift an. Vielmehr verband sich mit der Gründung die Hoffnung auf einen Zeitschriftentausch mit dem Ausland, um eine ausgezeichnete Ausstattung der Seminarbibliothek zu gewährleisten. Die treibende organisatorische Kraft hinter den Abhandlungen war Blaschke und schon der erste Band bestach dadurch, dass neben Hecke und Blaschke hochkarätige Mathematiker darin publizierten. Nicht nur die renommierten britischen Mathematiker Godfrey H. Hardy und John E. Littlewood hatten in Zeiten des Boykotts der Wissenschaft in Deutschland einen Aufsatz beigesteuert, sondern Hecke hatte auch seinen Lehrer Hilbert gewinnen können, der dem Unternehmen durch seinen Artikel über Neubegründung der Mathematik seine Rückendeckung gab.58 Der Mathematiker Heinrich Behnke, ein Schüler Heckes, 57 58

Crayen an Krazer, 5. Februar 1921, UAF, E4 / 22. Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität 1 ( 1922 ). 159

Eine Disziplin und ihre Verleger

erinnerte sich später, daß es allerlei Schwierigkeiten gab, einen geeigneten Drucker zu finden – vom zweiten Band habe es etwa zehn Korrekturen gegeben. Besonders aber betonte Behnke die Leistung Blaschkes, »in dieser Zeit der allgemeinen Entwertung und Armut die zum Druck notwendigen Gelder zu beschaffen«. Behnke war es »völlig unverständlich, wie Blaschke in dieser Zeit größter Geldknappheit diese Finanzierung gelungen ist«.59 Tatsächlich erfolgte die Anschubfinanzierung aus Mitteln der Notgemeinschaft, die – vermutlich am Fachausschuß für Mathematik vorbei – die Abhandlungen im Haushaltsjahr 1921 / 22 mit 20.000 und 1922 / 23 mit einem Betrag in unbekannter Höhe unterstützte.60 Diese Förderung wurde sowohl im Springer Verlag als auch bei Klein, dem Vorsitzenden des Fachausschusses für Mathematik, mit Verwunderung, ja Verärgerung aufgenommen. Im März 1922 war die Angelegenheit Thema eingehender Diskussionen zwischen Courant, Springer, Klein, von Dyck und Schmidt-Ott. Courant und Springer zeigten sich entrüstet, daß die Notgemeinschaft in Zeiten knapper Gelder die Neugründung einer Zeitschrift finanziell unterstützte, die den bereits bestehenden Zeitschriften staatlich subventioniert Konkurrenz machen werde. Courant wandte sich deswegen im März 1922 in enger Abstimmung mit Klein und Springer mit einer Protestnote an die Notgemeinschaft, die durch ein Schreiben von Klein begleitet wurde. Präsident Schmidt-Ott antwortete Klein, indem er zunächst das Füllhorn der Notgemeinschaft für die Herausgabe von Kleins Gesammelten Abhandlungen öffnete. Die Bewilligung von 50.000 Mark zu diesem Zwecke ging einher mit der Stellungnahme zu der Förderung der Hamburger Abhandlungen.61 Über »die Prinzipien, nach welchen die Höhe der Unterstützungsbeiträge für Publikationen in jedem Einzelfalle vom Verlagsausschuß der Notgemeinschaft festgesetzt« werden, habe ihm Courant nach seiner Besprechung mit den zuständigen Herren sicherlich schon berichtet. Klein werde einsehen, daß »die Notgemeinschaft bei Unterstützung von Publikationen nicht gut anders handeln« könne. Insbesondere brauche er nicht zu befürchten, daß »andere wichtige Interessen der Mathematiker etwa deshalb unberücksichtigt bleiben« könnten. Zu den Hamburger Abhandlungen teilte er mit, ihre Unterstützung sei wesentlich mit der Absicht ins Auge gefasst worden, dadurch den Tauschverkehr des Hamburger Seminars zu fördern. Bei Uebermittlung der Bewilli59 60 61 160

Behnke, Die goldenen ersten Jahre des Mathematischen Seminars, S. 237 f. Dazu siehe Bericht der Notgemeinschaft 1922, S. 68; Zweiter Bericht der Notgemeinschaft 1923, S. 34. Schmidt-Ott an Klein, 20. März 1922, SUBG, Klein IV A, Nr. 296.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg gung werde ich nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass die Bewilligung unter der Voraussetzung erfolgt, dass die eingetauschten Exemplare ausländischer Literatur der Gesamtheit der deutschen Mathematiker zugänglich sein müssen.62

Courant war über die Ablehnung seines Einspruches bei der Notgemeinschaft sehr verärgert, sah er doch erhebliche Gefahren für die deutsche Zeitschriftenlandschaft. In einem Brief an Springer schilderte er die Situation Ende März 1922 mit deutlichen Worten: Über die Notgemeinschaft habe ich mich sehr geärgert; sie hat unseren sehr energischen Brief wegen der Hamburger Zeitschrift freundlich, aber sachlich eigentlich ablehnend beantwortet, indem sie erklärt, dass es sich nur um Unterstützung des Austausches handele; wir haben dann strikte verlangt, dass den Inlandszeitschriften keine Konkurrenz gemacht werden dürfe, indem im Inland die Zeitschrift umsonst abgegeben wird. Die Gefahr ist, dass andere Stellen das Hamburger Beispiel nachmachen; ich traue in dieser Hinsicht gerade solchen Hochschulen nicht, wo mehrere produktive Leute zusammen sitzen; blinder partikularistischer Egoismus ist ja ein berühmtes deutsches Zersetzungselement; vielleicht liegt auch hierin der tiefere Grund für die laue Haltung der Notgemeinschaft. Jedenfalls muss man rechtzeitig überlegen, wie man gegen solche Möglichkeiten das Interesse der Wissenschaft sichern kann.63

Dem schweren Vorwurf, die Hamburger Wissenschaftler verfolgten partikulare Interessen und verstießen damit gegen die Normen wissenschaftlichen Handelns, muß man entgegen halten, daß Springer als Verleger und Courant als Wissenschaftler und Springers Gehaltsempfänger auch nicht uneigennützig dachten, wenn sie das konkurrierende Hamburger Unternehmen verurteilten und sanktioniert wissen wollten. Die staatliche Verteilung von Forschungsgeldern und Druckkostenzuschüssen basierte in nicht geringem Maß auf dem Erfolg konkurrierender Wissenschaftler. Obschon Courant und Springer sich in ihrer Ablehnung der staatlichen Förderung der Hamburger Abhandlungen auch die Unterstützung von Dycks sicherten,64 wurde die neue Zeitschrift auch 1922 / 23 noch von der Notgemeinschaft gefördert. Als der Herausgeber Blaschke im 62 63 64

Schmidt-Ott an Klein, 20. März 1922, SUBG, Klein IV A, Nr. 296. Courant an Springer, 28. März 1922, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Courant an Springer, 5. April 1922, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. 161

Eine Disziplin und ihre Verleger

April 1924 Springer antrug, die Hamburger Abhandlungen in Verlag zu nehmen, bekräftigte Springer in einem Brief an Courant, er halte »das Erscheinen der Hamburger Zeitschrift für eine bedauerliche Zersplitterung der Literatur«. Zudem sehe es »doch so aus, als wäre die Zeitschrift im Eingehen, und ich habe keine rechte Lust, ihr Leben zu verlängern«.65 Blaschke bedauerte zwar Springers diplomatische Ablehnung – Blaschke zählte zu den Autoren und Herausgebern seines Verlags, und Courant hatte Springer daher zu einer gemäßigten Reaktion geraten –, »die sich vom wirtschaftlichen Standpunkt rechtfertigen« lasse, fand aber schon für 1924 in Teubner einen neuen Verlag.66 Im Sommer 1931 fragte Blaschke erneut an, ob Springer bereit wäre, den Kommissionsverlag der Abhandlungen und der Einzelschriften des Hamburger Seminars zu übernehmen. Inzwischen genoß das Hamburger Mathematische Seminar mit seiner Zeitschrift bereits einen so guten Ruf, daß Springer ihm nach Rücksprache mit Courant wenige Tage später schrieb, er stehe »sehr gern zur Übernahme des Kommissionsverlages der Veröffentlichungen des Hamburger Instituts zur Verfügung«. Ohnehin, so Springer, habe er »den Wunsch, meine Beziehungen zu Ihnen und Ihrem Kreise zu festigen.«67 Allerdings blieben die Hamburger Abhandlungen bei Teubner, und es ist unklar, woran das Projekt gescheitert ist. Das Beispiel der Hamburger Abhandlungen belegt nicht nur den Einfallsreichtum, mit dem der Literaturknappheit in Zeiten geringer Bibliotheksetats begegnet wurde, sondern wirft ein Schlaglicht auf die Auseinandersetzungen um die richtige Förderpraxis der noch jungen Notgemeinschaft im Verlagswesen. Die Situation wurde noch dadurch erschwert, daß offenbar verschiedene Instanzen über die Förderung von Publikationen entscheiden konnten. Die Förderung von Kleins Gesammelten Abhandlungen etwa wurde nicht aus den Mitteln des Fachausschusses Mathematik gezahlt, sondern aus einem Sonderfonds des Präsidiums. Ebenso unübersichtlich war die Situation bei der Förderung der Hamburger Abhandlungen. Schmidt-Ott stellte im Spätsommer 1922 in einem Rundschreiben fest, daß die finanzielle Lage zur Konzentration der Mittel zwinge und ging speziell auf die Lage der Zeitschriften ein. Bei der Bewilligung von Mitteln seien strengste Maßstäbe anzulegen und insbesondere könnten »mehrere nebeneinander laufende Zeitschriften auf gleichen oder verwandten Gebie65 66 67

162

Springer an Courant, 29. April 1924, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Blaschke an Springer, 10. Mai 1924, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), B 168 I; Unterstreichung im Original. Blaschke an Springer, 14. Juli 1931; Springer an Blaschke, 18. Juli 1931, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), B 168 I

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

ten nicht erhalten werden, wenn eine genügt. Parallelunternehmungen müssen überall zurücktreten, so wünschenswert sie für den wissenschaftlichen Wettbewerb sind.« Dies betraf nun auch ausdrücklich die Hamburger Abhandlungen, denn »unter den vom Verlagsausschuss in seiner letzten Sitzung behandelten Anträgen, die die Befürwortung der Fachausschüsse gefunden hatten, befinden sich Arbeiten über Kölnische Bibliotheksgeschichte, [ … ], Pilze aus Bayern, Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Hamburgischen Universität, [ … ], Unternehmungen von deren Beanstandung für dieses Mal abgesehen worden ist, und deren Wert ich keineswegs verkenne, deren Unterstützung aber angesichts unserer Vermögenslage kaum vertretbar erscheint«.68

6.4.3

Springers Kritik an der Förderpolitik der Notgemeinschaft

Springer stand den Aktivitäten der Notgemeinschaft ausgesprochen skeptisch gegenüber, denn er befürchtete eine staatlich subventionierte Wettbewerbsverzerrung in der Branche und, wie am Beispiel der Hamburger Abhandlungen deutlich geworden ist, erwartete er nach Teubners Rückzug neue Konkurrenz. Einige seiner Verlagswerke, wie die Gauß-Ausgabe und Kleins Gesammelte Abhandlungen, wurden zwar von der Notgemeinschaft unterstützt, das Geld floß aber nicht direkt in den Verlag, sondern im Falle der Gauß-Ausgabe an die Akademie und im Falle der Werke Kleins an die Göttinger Mitarbeiter und Hilfskräfte, die mit der Edition seiner Abhandlungen beschäftigt waren. Mitte der 1920er Jahre war der Springer Verlag nach Gründung der Grundlehren der mathematischen Wissenschaften und als Verlag der beiden führenden mathematischen Zeitschriften zu einem attraktiven Publikationsort avanciert. Die Verbindungen zu Göttinger Mathematikerkreisen waren stabil. Das verlegerische Ziel mußte die Bewahrung der nun eingenommenen Spitzenposition bleiben. Springer verfaßte 1927 ein zwölfseitiges Memorandum über den Verlagsausschuß der Notgemeinschaft, in dem er betonte, daß »der wissenschaftliche Verlag nach den Gesetzen der Wirtschaft« geführt werden müsse.69 Er hob hervor: »Den Vorteil von diesem freien Wettbewerb hat die Wissenschaft und haben die Abnehmer. Das jetzige System unterstützt Verknöcherung, Mangel an Wagemut und sichert Monopole, die es bei dem wissenschaftlichen Verlag nicht 68 69

Rundschreiben von Schmidt-Ott, 1. September 1922, BAK, R73 / 156: Verlagsausschuß 1921–1942 Ferdinand Springer über den Verlagsausschuß der Notgemeinschaft, zwölfseitiges Memorandum vom 5. August 1927, VA Springer, SA 1.20. 163

Eine Disziplin und ihre Verleger

geben soll, ohne Rücksicht auf die Tüchtigkeit des Monopolinhabers.« Springer nahm Bezug auf den 5. Bericht der Notgemeinschaft von 1926, in dem behauptet wurde, der Absatz der mathematischen Zeitschriften sei erfreulich gewesen, was Springer zurückwies. Aus dem Hause Springer liegen keine Angaben über den Absatz der Zeitschriften vor, allerdings zeigen die überlieferten Kalkulationen für Crelles Journal ( de Gruyter ), daß in den Jahren 1924 und 1925 die Dekkungsauflage annähernd oder vollständig durch die Zahl der Abonnenten beim Absatz erreicht wurde. Crelles Journal erschien in einer Auflage von jeweils 500 Exemplaren. 1924 bestanden 332 Abonnements ( Deckungsauflage: 338 Ex. ), 1925 existierten 340 Abonnements ( Deckungsauflage: 340 Ex. ).70 Über die Anzahl der evtl. über die Abonnements abgesetzten Exemplare hinaus geben die Quellen keine Auskunft. In den darauf folgenden Jahren bis 1932 blieb die Zahl der Abonnenten deutlich unter der Deckungsauflage, dennoch wurde die Gesamtauflage ab 1928 auf 525 Exemplare erhöht. Als explizites Beispiel für verlegerisches Engagement ohne Aussicht auf ein kostendeckendes Geschäft führte Springer den Übergang der Mathematischen Annalen in seinen Verlag an: In der Mathematik lag die Sache folgendermaßen: Die führende Zeitschrift waren die ›Annalen der Mathematik‹, die bei Teubner erschienen. Als die Inflation alle Berechnungen über den Haufen warf, zögerte Teubner von Heft zu Heft mehr mit der Herausgabe, so dass sich unhaltbare publizistische Zustände herausstellten. Darauf gründete eine Reihe jüngerer Mathematiker in meinem Verlag die ›Mathematische Zeitschrift‹. Ihr strömte von vorn herein ein reiches und ausgezeichnetes Material zu, und sie hatte einen vollen moralischen Erfolg, förderte auch die Interessen des Verlages in erheblicher Weise, indem sich um sie eine große Reihe von erfolgreichen mathematischen Buchpublikationen anschlossen. An eine Kostendeckung ist allerdings bis auf den heutigen Tag nicht zu denken. Die Zeitschrift erfordert vielmehr auch heute noch nicht unerhebliche Zuschüsse. Nun ergab sich aber aus der Lage noch eine weitere, besonders interessante Entwicklung: Die Herausgeber der ›Mathematischen Annalen‹ stellten, als sie die rasche Entwicklung der ›Mathematischen Zeitschrift‹ beobachteten, die Firma Teubner vor die Entscheidung, entweder die Herausgabe ohne schädliche Beschränkung des Umfanges und innerhalb angemessener Zeit zuzusagen oder auf die Zeitschrift zu verzichten. Die Firma Teubner tat das letztere, und die ›Mathematischen Annalen‹ gingen ebenfalls in meinen Verlag über. Die beiden Zeitschriften 70 164

Vgl. Kalkulationen Abt. Göschen, 1922–1939, VA de Gruyter, Dep. 42, 593.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg gedeihen jetzt in einer Weise, die die Herausgeber und die publizierenden Autoren wie auch die Abnehmer durchaus befriedigt. [ … ] Man kann nicht jedem Buch eine Erklärung beigeben, dass sein Preis sich durch erhaltene oder nicht erhaltene Unterstützung der Notgemeinschaft erklärt. Insbesondere im Ausland verursacht die hierdurch hervorgerufene Ungleichheit der Preise ein Mißtrauen gegen die Preispolitik der deutschen Verleger überhaupt.71

Von der Notgemeinschaft wurde Springers Kritik 1928 sofort zurückgewiesen. Es sei keineswegs so, daß sie die »Verlagsverhältnisse vergifte«, es bestehe »aber die wunderliche Vorstellung, als wenn in Berlin ein großer Topf wäre, aus dem unentwegt, namentlich von den Verlegern, geschöpft werden könne«.72 Die auch von Wissenschaftlerseite geübte Kritik an den Vergabemodalitäten führte allerdings dazu, daß die Anzahl der geförderten Titel nach 1927 rückläufig war. Im Falle der Mathematik beispielsweise war die für die Werke von Lothar Heffter und Paul Bachmann ( siehe Förderungsübersicht oben ) bewilligte Summe von Klein und Bieberbach als zu hoch eingeschätzt worden, und es wurde bemängelt, daß die Vergabe auf nur einem einzigen Fachgutachten basierte.73 Zu verstehen sind Springers Monita vor dem Hintergrund der in den 1920er Jahren zunehmenden Kritik an den Preisen seiner Verlagsprodukte im Inland, besonders aber auch im Ausland. Selbst Courant hatte schon 1925 geschrieben: »jedesmal wenn ich den Preis von Gauss’ Werken sehe, erschrecke ich etwas.«74 Den Verzicht auf Subventionen kompensierte Springer mit der entsprechenden Gestaltung seiner Ladenpreise. Er hatte schon 1920 die Ladenpreise gegenüber dem Vorkriegsjahr 1913 um 468 Prozent erhöht, im Vergleich dazu waren die Preiserhöhungen bei de Gruyter ( 188 Prozent ) und Teubner ( 286 Prozent ) geradezu moderat.75 Mit einem Durchschnittsladenpreis von 44,64 Mark stand Springer 1920 an der Spitze aller deutschen wissenschaftlichen Verlage ( de Gruyter: 13,06 Mark, Teubner: 11,75 Mark )76, wobei in Betracht zu ziehen ist, daß bei 71 72 73 74 75 76

Ferdinand Springer über den Verlagsausschuß der Notgemeinschaft, zwölfseitiges Memorandum vom 5. August 1927, VA Springer, SA 1.20. So der damalige Vorsitzende des Verlagausschusses Ernst Heymann, in: Deutsche Forschung, S. 23 und 24. Bieberbach an Krazer, 22. Mai 1922, UAF, E4 / 70. Courant an die Hirschwaldsche Buchhandlung, 10. August 1925, weitergeleitet an Springer am 14. August 1925, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), G 20. Vgl. die Gegenüberstellung bei Grieser, Buchhandel und Verlag in der Inflation, Tabelle 9, S. 174. Ebd. 165

Eine Disziplin und ihre Verleger

den Springerschen Durchschnittsladenpreisen auch hochpreisige, aufwendig ausgestattete medizinische Werke zu Buche schlugen. Besonders seine Zeitschriftenpreise wurden als viel zu hoch angesehen. Am 23. Juli 1928 veröffentlichte die schwedische Zeitung Svenska Dagbladet einen Bericht, in dem insbesondere die Bücher und Zeitschriften aus dem Hause Springer als »maßlos teuer« gebrandmarkt wurden: Sicherlich sind nicht nur deutsche Bücher teuer, aber einige der größten Verleger, darunter vor allem Julius Springer in Berlin, haben zweifellos in dieser Hinsicht einen Rekord geschlagen. Der außerordentlich produktive Springersche Verlag überschwemmt die wissenschaftliche Welt auf allen Forschungsgebieten. Der Inhalt ist oft von hoher Klasse, die Ausstattung von noch höherer, aber am allerhöchsten in der Reihe steht der Preis, der nicht selten phantastisch erscheint.77

Die Vielzahl der auf dem deutschen Markt konkurrierenden wissenschaftlichen Zeitschriften wurde von den Wissenschaftlern jedoch meist als Vorteil empfunden, auch wenn es schon seit der Jahrhundertwende in der Mathematik Versuche gegeben hatte, das Zeitschriftenwesen zu reformieren.78 Die Bindung von Zeitschriften an ( konkurrierende ) akademische Schulen stand diesen Bemühungen oft entgegen wie auch die Gründung neuer Periodika für hochspezialisierte, kleine Forschungszweige dem Verleger den Vorteil brachte, Nischen zu besetzen und so auf längere Zeit Konkurrenten fernzuhalten. Zu einer Einigung in der Zeitschriftenfrage zwischen Verlegern, Wissenschaftlern und Bibliothekaren kam es erst im August 1933 ( Preisnachlaß von 20 Prozent für Bibliotheken ), auf internationaler Ebene im Oktober 1933 auf der Jahrestagung der American Library Association in Chicago, zu der der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Ferdinand Springer und den Verleger des Verlags Chemie, Hermann Degener, als deutsche Vertreter entsandt hatte.79

77 78 79 166

Vgl. die deutsche Übersetzung des Artikels bei Springer, Die Preise der deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften und das Ausland, S. 25. Dazu siehe Tobies, Zu Veränderungen im deutschen mathematischen Zeitschriftenwesen; Hashagen, Walther von Dyck. Vgl. Leyh, Zeitschriftenreform und das Abkommen von Chicago.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

6.5

Neue Konkurrenz – die Akademische Verlagsgesellschaft in Leipzig

Neben de Gruyter und Springer versuchte ab Mitte der 1920er Jahre ein weiterer Verlag im mathematischen Feld zu reüssieren. Bereits im April 1906 hatte der Inhaber der gut eingeführten, international agierenden und weltweit bekannten wissenschaftlichen Antiquariatsbuchhandlung Gustav Fock in Leipzig, Leo Jolowicz, die Akademische Verlagsgesellschaft gegründet.80 Schon vor der eigentlichen Verlagsgründung waren über das Antiquariat Fock Autorenverträge für wissenschaftliche Publikationen geschlossen worden. Die Akademische Verlagsgesellschaft stieg nach dem Ersten Weltkrieg zu einem der bedeutendsten deutschen Wissenschaftsverlage auf mit internationalem, prominentem Autorenstamm,81 was auch Resultat des fruchtbaren Zusammenwirkens von Verlag und florierendem Antiquariat gewesen sein dürfte. Hinzu kam, daß der Chemie-Nobelpreisträger von 1909, Wilhelm Ostwald, das Unternehmen bei der Profilierung des chemischen Programmsegments inhaltlich unterstützte. Das Antiquariat Fock verfügte über eine umfangreiche internationale Kundenkartei, zu der auch Bibliotheken gehörten, und kaufte außerdem regelmäßig Gelehrtenbibliotheken auf, darunter die der Mathematiker Oskar Schlömilch, Carl Neumann, Johannes Thomae und Elwin Christoffel. Bereits zehn Jahre nach Gründung ( 1879 ) des Unternehmens »Buchhandlung und Antiquariat Fock« unterhielt es Filialen in San Francisco und New York, später auch in Tokio. Die Akademische Verlagsgesellschaft genoß hohes internationales Ansehen und machte Anfang der 1930er Jahre 70 Prozent ihres Umsatzes im Ausland und nur 30 Prozent im Inland.82 Sie konzentrierte ihr Programm im wesentlichen auf Physik, Chemie, Biologie ( vor allem Zoologie ), Medizin und Mathematik. Mitten im Krieg, 1916, wurde die angesehene Berliner Buchhandlung Mayer & Müller aufgekauft, die neben ihrem wissenschaftlichen Verlagsprogramm auch den Alleinvertrieb von mehr als einem Dutzend US-amerikanischer geistes- und naturwissenschaftlicher Zeitschriften in Deutschland innehatte.83 80 81

82 83

Vgl. Lorz, Die Familie Leo Jolowicz, S. 91–95; zum Verlagsprogramm: 50 Jahre Literaturschaffen 1906–1956. Darunter die Nobelpreisträger Wilhelm Ost wald, J. H. van’t Hoff, Sir William Ramsay, Hendrik Anton Lorentz und Svante Arrhenius; schon im Jahr der Verlagsgründung erschienen von letzterem die Theorien der Chemie. Vgl. Lorz, Die Familie Leo Jolowicz, S. 102. Vgl. Verzeichnis des Verlags Mayer & Müller in Berlin auf dem Gebiete der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Technik, S. 14–15. 167

Eine Disziplin und ihre Verleger

Jolowicz kaufte zur Erweiterung seines Programms des Weiteren besonders aus dem niedergehenden Leipziger Verlag Wilhelm Engelmann verschiedene wissenschaftliche Zeitschriften auf, und ab 1919 erschien die vormals bei Engelmann verlegte Reihe Ostwalds’ Klassiker der exakten Wissenschaften ( 1889–1955, 245 Bände ) in der Akademischen Verlagsgesellschaft. 1923 erwarb Jolowicz auch die C. F. Winter’sche Verlagshandlung in Leipzig.84 Bereits 1910 wurde mit dem Lehrbuch Die Grundlehren der höheren Mathematik. Zum Gebrauch bei Anwendungen und Wiederholungen zusammengestellt des Dresdner Mathematikprofessors Georg Helm der erste mathematische Titel ins Programm aufgenommen ( vier Auflagen bis 1921 ), der auf die Bedürfnisse der Techniker zielte, wenn auch im Verlagsprospekt betont wurde, daß »die Darstellung doch überall so tief gegründet [ ist ], daß das methodische Interesse des Mathematikers nicht zu kurz kommt«.85 Es dauerte in der Folge allerdings einige Jahre, bis man wieder einen mathematischen Titel ins Programm aufnahm. 1923 erschienen Erich Heckes Vorlesungen über die Theorie der algebraischen Zahlen. Kurz danach, spätestens ab 1924 begann der Verlag weitere Verträge mit Autoren für ein neues größeres Projekt zu schließen ( siehe 6.6.3 ).86

6.6

Konkurrierende Buchreihen

Der Teubner Verlag führte nach dem Ersten Weltkrieg in seinem nun nicht mehr führenden mathematischen Programm allerdings die Reihen Teubners technische Leitfäden sowie die Sammlung mathematisch-physikalischer Lehrbücher weiter. Diese Buchreihen reichten in ihrer Bedeutung für die Disziplin und den universitären Lehrbetrieb jedoch längst nicht an die nach dem Ersten Weltkrieg neu aufgekommenen Reihen konkurrierender Unternehmen heran. Dennoch erschienen bei Teubner einige Titel, die in Fachorganen überaus positiv rezensiert wurden.87 84 85 86 87

168

Vgl. dazu Verlagskatalog sämtlicher lieferbarer Werke. Mayer & Müller GmbH. Winter’sche Verlagshandlung GmbH, Leipzig. Leipzig [ um 1920 ]. Verlagsprospekt, 1911, S. 11. Vgl. die vorhandenen Verträge im VA Akademische Verlagsgesellschaft, Geest & Portig KG Leipzig. So konnte Ludwig Bieberbach 1921 in der Zeitschrift für angewandte Mathematik und Mechanik auf Lehrbücher der praktischen Analysis aus dem Hause Teubner hinweisen, die die »graphische Methode« aufgenommen hatten, vgl. ZAMM 1 ( 1921 ), Heft 1, S. 61–67.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

6.6.1

Die »Grundlehren« des Springer Verlags

Die im Springer Verlag ab 1921 publizierte Reihe Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen mit besonderer Berücksichtigung der Anwendungsgebiete, die bis heute eine international bekannte Marke bei Springer darstellt, ging auf die Initiative Richard Courants zurück, kam also aus der Wissenschaft selbst, wurde aber von Springer sofort begrüßt, denn nach Gründung der Mathematischen Zeitschrift 1917 mußte er einschlägige Titel folgen lassen, um als mathematischer Fachverlag von den Wissenschaftlern wahrgenommen zu werden. Dies war mit Hilfe einer gut durchdachten, qualitativ überzeugenden Reihe, die auch in ihrer äußeren Gestaltung einen Wiedererkennungseffekt auf dem Markt hervorrufen konnte, am leichtesten zu erreichen. Die Herausgabe einer neuen ( Lehrbuch- )Reihe lag auch ganz im Interesse der Disziplin, denn »schon vor dem Kriege macht sich empfindlicher Mangel an deutschen mathematischen Lehrbüchern fühlbar, welche weniger den Charakter von Monographien tragen, sondern den pädagogischen Zweck voranstellen«.88 Spätestens ab 1918 entwickelte Courant einen inhaltlichen Plan, der sich an den Bedürfnissen der universitären Lehre ausrichtete und moderne Strömungen der Göttinger Mathematik aufnahm. Neben der zielgruppengerechten Aufbereitung mathematischer Stoffe für Studierende sollte die Reihe auch für Wissenschaftler gedacht sein, die keine Mathematiker waren, aber mathematische Kenntnisse anwenden mußten, wie Physiker, Chemiker und Ingenieure. Courant und seine Mitherausgeber, Blaschke, Runge und Born, hatten durchaus solche Titel vor Augen, die »Aussicht auf buchhändlerischen Erfolg« versprachen, denn dies war »das wichtigste, für den Augenblick«. Das anhaltend angespannte Verhältnis der Mathematikergemeinschaft zum Teubner Verlag machte auch die Autorenakquisition »unter den augenblicklichen Verhältnissen leicht«.89 Die Reihe lief gut an und entwickelte schnell Markencharakter. Eine Übersicht der ersten neun Titel, die bis Ende 1923 herauskamen, zeigt, daß die jeweilige Deckungsauflage selbst in der Inflationszeit meist nach kurzer Zeit erreicht wurde. Der gute Absatz der Bände machte relativ schnell eine zweite oder dritte

88 89

Courant, Entwurf eines Rundschreibens, Beilage zum Brief an Springer vom 30. Januar 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Courant an Springer, 20. Januar 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. 169

Eine Disziplin und ihre Verleger

Auflage erforderlich und damit stellte die »Gelbe Reihe« kein defizitäres Geschäft dar:90

Band

Autor

Titel

Auflagenhöhe

Kosten- erdekschiekung nen

Deckung erreicht nach:

1

Blaschke

Differentialgeometrie I

1500

770

1921

1 Jahr

Differentialgeometrie I, 2. Aufl.

2000

896

1924

2 Jahren

Differentialgeometrie I, 3. Aufl.

2000

1353

1929

4 Jahren

Unendliche Reihen

1200

750 ( ab 1.7.22: 935 )

1921

1 Jahr

Unendliche Reihen, 2. Aufl.

1750

990

1924

2 Jahren

Unendliche Reihen, 3. Aufl.

1500

1151

1931

mehr als 5 Jahren

Funktionentheorie

1500

1209

1922

1 Jahr

Funktionentheorie, 2. Aufl.

1800

1382

1925

2 Jahren

Funktionentheorie, 3. Aufl.

2000

1290

1929

2 Jahren

Mathematische Hilfsmittel des Physikers

2000

1044

1922

2 Jahren

Mathematische Hilfsmittel des Physikers, 2. Aufl.

2000

1523

1925

6 Jahren

Mathematische Hilfsmittel des Physikers, 3. Aufl.

2000

1182

1936

k.A.

2

3

4

90

170

Knopp

Hurwitz / Courant

Madelung

Absatzstatistiken – auch weiterer Bände – befinden sich in der Korrespondenz von Courant mit Springer, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg 5

6

Speiser

Bieberbach

Gruppentheorie

1200

611

1923

1 Jahr

Gruppentheorie, 2. Aufl.

1500

1068

1927

5 Jahren

Gruppentheorie, 3. Aufl.

1500

838

1937

1 Jahr

Differentialgleichungen

2000

1105

1923

1 Jahr

Differentialgleichungen, 2. Aufl.

2000

1527

1926

3 Jahren

Differentialgleichungen, 3. Aufl.

2500

1887

1930

mehr als 5 Jahren

7

Blaschke

Differentialgeometrie II

3000

710

1923

1 Jahr

8

Kerékjártó

Topologie ( I )

1500

728

1923

1 Jahr

9

Fraenkel

Mengenlehre 2. Aufl.

1500

768

1923

1 Jahr

Mengenlehre, 3. Aufl.

1500

1116

1928

4 Jahren

Die Reihe nahm im Gefüge vergleichbarer Verlagsprodukte der Zeit ( z. B. Göschens Lehrbücherei ) in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung ein. Ziel war es nicht, zu wohlbekannten abgeschlossenen Teilgebieten der Mathematik den schon vorhandenen Darstellungen eine weitere hinzuzufügen, sondern im Gegensatz dazu echte Lücken zu füllen und neue Ergebnisse erstmals in Form von Lehrbüchern zu präsentieren. Die mit Blaschkes kommerziell außerordentlich erfolgreichen Vorlesungen über Differentialgeometrie und geometrische Grundlagen von Einsteins Relativitätstheorie ( Band 1, vier Auflagen bis 1945 ) eröffnete Reihe überflügelte nach verhältnismäßig kurzer Zeit sowohl quantitativ als auch qualitativ die Konkurrenzprodukte von de Gruyter und der Akademischen Verlagsgesellschaft. Bis 1943 erschienen 52 Bände ( die Reihe wurde nach 1949 erfolgreich fortgeführt ), die, getragen von den intensiven Beziehungen Courants zum Göttinger mathematischen Zentrum, sowohl die jüngere Forschung ( z. B. Andreas Speiser: Die Theorie der Gruppen [ Band 5, 1923 ], Ludwig Bieberbach: Theorie der Differentialgleichungen [ Band 6, 1923 ] ), als auch die identitätsstiftenden Traditionen der Mathematik repräsentierte ( z. B. Moritz Pasch: Vorlesungen über neuere Geometrie [ 1926, 1. Aufl. 1882 bei Teubner ] ).

171

Eine Disziplin und ihre Verleger

Explizit als Lehrbuchreihe konzipiert, erfüllte sie die Aufgabe, Studenten schnell an die Fragen moderner Forschung heranzuführen, gleichzeitig erfahrene Mathematiker über ihr Spezialgebiet hinaus zu informieren und Anwendern die Orientierung über für sie relevante Bereiche zu ermöglichen. Das Reihenkonzept war, nicht nur bezogen auf die einzelnen Werke, stringent. Die Auswahl der Themen war so gestaltet, daß sich manche der Bände gegenseitig ergänzten. Nicht zuletzt die Verpflichtung erstklassiger Autoren, denen es stellenweise gelang, ein sowohl aus der Sicht der Disziplin elitäres, aber dabei möglichst umfangreiches Publikum zu erreichen, verschaffte der Sammlung ein hohes Maß an Akzeptanz bei lernenden, lehrenden und forschenden Mathematikern. Der dadurch bedingte ökonomische Erfolg verbunden mit dem Zuwachs an Ansehen verhalf Springer dazu, sich Zug um Zug als führender mathematischer Verlag zu etablieren. Für forschende und angehende Mathematiker bot die Reihe ein hohes Maß an Identifikationsmöglichkeiten. Sie repräsentierte sowohl den neuesten Stand der Entwicklungen als auch die für die Mathematik der Zeit paradigmatische Strenge und Klarheit, welche im Idealfall verbunden war mit einer verständlichen Darstellung. Die Verbindung von »Strenge« und »Faßlichkeit« galt als eines der erstrebenswertesten Ziele in der Diskussion um adäquate Lehrbuchliteratur nach 1900.91 Ein wichtiges Anliegen der Zeit war die angemessene Berücksichtigung der mathematischen Anwendungen wie es stets der Überzeugung Kleins entsprochen hatte. Dieses wurde in den Grundlehren nicht nur im Reihentitel, sondern auch in der Auswahl der Werke, von denen etwa 30 % den Anwendungen zugerechnet werden können, umgesetzt. Die Grundlehren standen somit für das Selbstverständnis der Mathematik als lebendige, gleichzeitig axiomatisch strenge Wissenschaft mit hoher naturwissenschaftlich-technischer Relevanz. Darüber hinaus bestand ihre Leistung als Reihe auch darin, daß sie in hohem Maß zur Integration der Disziplin beitrug. Die Mehrheit der Einzelbände waren Produkte am Puls der Zeit, so daß ihr Verkaufserfolg rückblickend verständlich ist.92 Das Beispiel der Grundlehren zeigt deutlich, daß die Einschätzung, »Lehrbücher« – sofern sie sich überhaupt klar definieren lassen – seien grundsätzlich konservativ, wie sie häufig mit Bezug auf den Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn vertreten wird, nicht differenziert genug ist, um der Komplexität der 91 92

172

Dazu siehe die Bemerkungen bei Hensel, Die Auseinandersetzungen um die mathematische Ausbildung, bes. S. 34–42: zur Lehrbuchsituation; vgl. Kapitel 3.3.2. Dazu siehe Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 101–104.

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Thematik gerecht zu werden.93 Wenn die aus der Göttinger Schule hervorgegangen Grundlehren-Bände mit Blick auf die Situation in Göttingen auch einen bewahrenden Charakter gehabt haben mögen, wie ihn Kleins »autographierte Vorlesungshefte« vor dem Ersten Weltkrieg hatten,94 so bedeutete dies nicht, daß sie nicht außerhalb Göttingens als moderne und bahnbrechende Lehrbücher, wie z. B. die Moderne Algebra, wahrgenommen werden konnten.

6.6.2

»Göschens Lehrbücherei«

Als Nachfolgeprojekt der Sammlung Schubert präsentierte de Gruyter 1921 eine Sammlung »ausgesprochener Lehrbücher«, die eine klare Darstellung mit wissenschaftlicher Strenge verbinden und ein möglichst breites Zielpublikum ansprechen sollte. Der ins Auge gefaßte Leserkreis reichte von den Studierenden der Universitäten und Technischen Hochschulen über die große Gruppe der im Beruf stehenden Lehrer bis zu entsprechend vorgebildeten Lesern, denen die Bände zum Selbststudium dienen sollten. In einem Rundschreiben an die »Herren Mitarbeiter« legte der Verlag seine Ziele und seine Vorstellungen über das potentielle Käuferpublikum dar:95 Was wir mit unserem neuen Unternehmen »Göschens Lehrbücherei« bezwecken, ist eine Sammlung von ausgesprochenen L e h r b ü c h e r n aus den Gebieten der M a t h e m a t i k , der e x a k t e n N a t u r w i s s e n s c h a f t e n und d e r Te c h n i k , die wissenschaftliche Gründlichkeit, leichte Verständlichkeit und klaren Aufbau in sich vereinen und ganz besonders für Studierende der Universitäten und Technischen Hochschulen, eventuell auch für das Selbststudium gleichartig vorgebildeter Leser geeignet sind.

Der studentische Absatzmarkt sollte relativ vollständig abgeschöpft werden, und zwar durch gezielte Preispolitik, an der sich die Autoren auch beim Umfang der Bände orientieren mußten:

93 94

95

Vgl. Bensaude-Vincent, Textbooks; grundlegend für die Mathematik ist Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens; vgl. Kapitel 3.3.2. Eine Übersicht dieser Vorlesungen, die in der Mehrzahl bei Teubner erschienen, in Felix Klein: Gesammelte mathematische Abhandlungen, Band III, Berlin 1923, S. 29 f. des Anhangs. Undatiertes Rundschreiben, wohl 1914, VA de Gruyter. Hervorhebungen im Original. 173

Eine Disziplin und ihre Verleger Jeder Band soll einen Umfang von nicht unter 10 und tunlichst nicht über 20 Druckbogen haben ( im allgemeinen etwa 15–16 Bogen ) und ungefähr den Inhalt einer einsemestrigen Vorlesung umfassen. Auf diese Weise sollen nicht zu teure Lehrbücher entstehen, deren allmähliche Anschaffung dem Käufer leichter fällt, als die eines kostspieligen umfangreichen Werkes auf einmal. Zu grosse Ausführlichkeit, Eingehen auf minder wichtige Dinge und ganz besonders jede Polemik wären zu vermeiden, vielmehr ist der Leser nur mit dem Kern der Sache und absolut feststehenden Dingen vertraut zu machen.

Es ging also nicht um die Darlegung von Forschungsdiskussionen, sondern um die Verbreitung bereits kodifizierten Wissens, um elementare Inhalte des Studiums. Obwohl kein Herausgeber die Reihe betreute, gelang es de Gruyter mit Göschens Lehrbücherei zwischen 1921 und 1938 mit 26 Bänden eine bezogen auf Inhalte und Autoren qualitativ hochwertige und erfolgreiche Reihe zu positionieren. Die Basis bildeten Neuauflagen mehrerer Werke der Sammlung Schubert, wie beispielsweise die Grundlehren der neueren Zahlentheorie von Paul Bachmann ( 1. Aufl. 1907 in der Sammlung Schubert, 2. Auflage 1921 in Göschens Lehrbücherei )96 oder Carl Runges Praxis der Gleichungen ( 1. Aufl. 1900 bei Sammlung Schubert, 2. Aufl. 1921 in Göschens Lehrbücherei ). Neben dem Zurückgreifen auf Bewährtes profilierte sich die Sammlung auch durch einige bemerkenswerte Neuerscheinungen. Das als erster Band der Reihe publizierte Werk von Oskar Perron über Irrationalzahlen ( 1. Aufl. 1921, bis 1960 drei weitere Auflagen ) galt als eines der modernen Lehrbücher, welches dem Leser zwar wenige Vorkenntnisse, doch ein scharfes Denkvermögen abverlangte. Es war somit sowohl für Kenner als auch für Studenten geeignet, und erfüllte die wichtige Aufgabe, letztere an Probleme der Forschung heranzuführen und mit dem für die Disziplin nach der Jahrhundertwende wichtigen Prinzip des axiomatischen und strukturierten Aufbaus von Theorien vertraut zu machen.97

96

97

174

Vgl. die Rezension zur 3. Aufl. von Nikolaus Hofreiter, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 38 ( 1931 ), S. 40 : »Das Buch stellt nach wie vor eines der besten einführenden Lehrbücher der Zahlentheorie dar und kann allen, die in dieses Gebiet der Mathematik eindringen wollen, nur wärmstens empfohlen werden.« Vgl. Reményi, Lehrbücher im Kontext mathematischen Publizierens, S. 100; siehe auch die Rezension von Tonio Rella, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 32 ( 1922 ), S. 20–21 .

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Seit 1919 gehörte auch der Verlag Veit & Comp. zu de Gruyter, was ihm mit Hausdorffs Mengenlehre ( 1927 ), einer völlig neu bearbeiteten und gekürzten Fassung der 1914 bei Veit erschienenen Grundzüge der Mengenlehre, ein weiteres wertvolles Lehrbuch für sein Verlagsprogramm sicherte. Als in dem Maße identitätsstiftender Publikationsort für die Mathematiker, wie die GrundlehrenReihe bei Springer, konnte sich Göschens Lehrbücherei dennoch nicht durchsetzen.

6.6.3

Die »Sammlung Hilb« der Akademischen Verlagsgesellschaft

Die Akademische Verlagsgesellschaft in Leipzig brachte als schnell expandierendes Unternehmen ab 1927 eine mathematische Reihe heraus, die unter dem Titel Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern bis 1944 bestand ( 1944 erfolgte noch eine Umbenennung in Mathematik und ihre Anwendungen in Physik und Technik ). Als Herausgeber fungierte in den ersten beiden Jahren der Würzburger Mathematiker Emil Hilb.98 In der Rezeption wurde sie rasch mit ihrem Gründungsherausgeber identifiziert, der in der kurzen Zeitspanne seiner Tätigkeit von 1927 bis 1929 zahlreiche Werke auf den Weg brachte. Manche der von ihm initiierten Titel, wie etwa die Theorie der endlichen und unendlichen Graphen von Dénes König ( 1936 ), erschienen lange nach seinem Tod 1929. Das Buch von König repräsentierte die Art des fortgeschrittenen Lehrbuches, wie sie programmatisch in den Grundlehren von Springer realisiert wurde: es war das erste Lehrbuch zu einem aktuellen Thema, hier der Graphentheorie, und setzte nicht allzu viel an Theorie, aber »Schulung im mathematischen Denken« voraus.99 Es gelang jedoch der Sammlung Hilb genauso wenig wie Göschens Lehrbücherei dieses Konzept durchgängig umzusetzen. Dies war nicht die Folge eines Mangels an Kontinuität in Folge mehrfach wechselnder Herausgeber: auf Hilb folgte 1930 Emil Artin, der im Zeitraum 1932–1936 von dem aktiven Lehrbuchautor Gerhard Kowalewski unterstützt wurde. Erich Kamke in Tübingen übernahm die Herausgeberschaft 1936; ihm schloß sich 1944 Adolf Kratzer an. Auch schon unter der Ägide von Hilb, zu dessen Lebzeiten sieben der bis 1949 publizierten 21 Titel erschienen, wurde der unscharfe Reihentitel insofern Programm, als daß die Bände bezogen auf das Niveau wenig einheitlich waren und die Auswahl der Themen kein 98 99

Zu Hilb siehe Vollrath, Emil Hilb. König, Theorie der endlichen und unendlichen Graphen ( Sammlung Hilb, Band 16 ), hier Vorwort S. VII. 175

Eine Disziplin und ihre Verleger

systematisches Vorgehen aufwies. Während der erste Band mit dem Titel Neuere Methoden und Ergebnisse in der Hydrodynamik ( 1927 ) des in Göttingen ausgebildeten, schwedischen Professors für Mechanik und mathematische Physik Carl Wilhelm Oseen eine Sammlung aktueller Forschungsergebnisse präsentierte, lassen sich die folgenden Bände als Lehrbücher von recht unterschiedlichem Profil mit entsprechend differierenden Zielgruppen einordnen. Max Lagallys mit mehreren Neuauflagen erfolgreiche Vorlesungen zur Vektorrechnung ( 1. Auflage 1928 ) war praxisorientiert und richtete sich vorrangig an Studierende der Technischen Hochschulen. Die Bände zur Darstellenden Geometrie von Erich Salkowski, Grundzüge der darstellenden Geometrie, mehrere Auflagen im Zeitraum 1926–1945, und Gerhard Hessenberg, Vorlesungen über darstellende Geometrie, hg. von E. Salkowski, 1929, galten als »sehr elementar«100, eben so wie die Zeichnerische Geometrie ( 1928 ) von Emil Timerding. Dies galt nicht für die explizit für Studierende konzipierte zweibändige Einführung in die Algebra ( 1929 ) von Otto Haupt, wo »systematisch der moderne Standpunkt«101 eingenommen wurde, indem man Algebra im wesentlichen als die Theorie der Körper, Ringe, Integritätsbereiche und Gruppen darstellte. Dabei galt Haupts Algebra im Vergleich zu Helmut Hasses in der Sammlung Göschen 1926 und 1927 erschienenen Höheren Algebra als »leicht fasslich und zum Selbststudium«102 geeignet. Sie wurde 1930 allerdings durch van der Waerdens in den Grundlehren erschienene Moderne Algebra abgelöst. Von Springer war die neue Reihe sofort als Konkurrenzunternehmen zu den Grundlehren gesehen worden, denn als Schmidt im Oktober 1936 Springer mitteilte, daß Kamke die Reihe übernehmen werde, antwortete Springer: »Auf alle Fälle werden wir die Augen offen halten müssen.«103 Aber nicht zuletzt auf Grund ihres Mangels an Homogenität gelang es der Sammlung Hilb nicht wie den Springerschen Grundlehren, sich als Sprachrohr der mathematischen Elite zu etablieren. Dennoch präsentierte sie auch nach dem Tode Hilbs einige wichtige und erfolgreiche Einzeltitel wie z. B. Reidemeisters Topologie der Polyeder und kombinatorische Topologie der Komplexe ( 1938, 2. Aufl. 1953 ) und die

100 Rezension von Erwin Kruppa, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 36 ( 1929 ), S. 41–43 . 101 Rezension von Tonio Rella, in: Monatshefte für Mathematik und Physik 36 ( 1929 ), S. 37 . 102 Ebd. 103 Springer an Schmidt, 30. Oktober 1936, VA Springer, H 179; Schmidt an Springer, 29. Oktober 1936, VA Springer, H 179. 176

Das mathematische Publikationswesen nach dem Ersten Weltkrieg

Bücher von Kamke über Differentialgleichungen, die zur kriegswichtigen Literatur zählten ( siehe 8.3.1 ).

6.6.4

Die »Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete« im Springer Verlag

Nach der zügigen Etablierung der Grundlehren-Reihe begann der Springer Verlag 1932 mit dem Reihen-Projekt Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete, das bis heute fortgeführt wird. Auch die erfolgreiche Einführung dieser weiteren, langfristig viel versprechenden Sammlung auf dem Markt gelang dem Verlag schnell. Für die Herausgabe war die Schriftleitung des kurz zuvor gegründeten Referateorgans Zentralblatt für Mathematik verantwortlich. Die angestrebten Berichte im Rahmen der Reihe trugen der Einsicht Rechnung, daß der Gedanke einer Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften »noch nicht das ist, was alle Wünsche befriedigt«. Daher sollten die Ergebnisse »so elastisch wie möglich der Entwicklung der Wissenschaft« folgen und in »Problemstellung, Literatur und hauptsächliche Entwicklungsrichtung spezieller moderner Gebiete einführen«.104 Es handelte sich also nicht um eine Lehrbuchreihe für Studenten, sondern um Forschungsmonographien für den Wissenschaftler. Ziel war es, in absehbarer Zeit »Berichte über fast alle modernen Gebiete wenigstens der reinen Mathematik« vorzulegen. Im Vorwort der Schriftleitung wurde aber zugleich deutlich gemacht, daß es sich im Gegensatz zur Encyklopädie um ein preisgünstiges, d. h. für den Verlag potentiell profitables Unternehmen handelte, denn das Prinzip gebe »jedem Forscher Gelegenheit [ … ] sich die Berichte zu beschaffen, die sein Arbeitsgebiet direkt betreffen, ohne ihn zu zwingen, sich gleichzeitig mit einem dem Einzelnen praktisch unerschwinglichen Apparat eines umfangreichen Handbuches der Gesamtwissenschaft zu belasten«. Im Zeitraum 1932 bis 1942 erschienen 5 Bände à 5 Berichte; allerdings wurde bei der Zusammenfassung zu Bänden keine sachliche Gruppierung vorgenommen. Zu den bis 1942 publizierten Titeln gehörten neben der Knotentheorie von Kurt Reidemeister ( 1932 ) so wichtige Werke wie Harald Bohrs Fastperiodische Funktionen ( 1932 ), Andrej Kolmogoroffs Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitstheorie ( 1933 ), Heinrich Behnkes und Peter Thullens Theorie der Funktionen mehrerer komplexer Veränderlichen ( 1934 ), Max Deurings

104 Dies und das folgende zit. n. Vorwort der Schriftleitung des Zentralblatts, in: Reidemeister, Knotentheorie ( Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete, Band 1 ), S. III-IV. 177

Eine Disziplin und ihre Verleger

Algebren ( 1935 ), Wolfgang Krulls Idealtheorie ( 1937 ) und Eberhard Hopfs Ergodentheorie ( 1937 ). Die drei Verlage Springer, de Gruyter und Akademische Verlagsgesellschaft waren trotz der ökonomisch zunächst äußerst angespannten Situation nach dem Ersten Weltkrieg im Verlauf der 1920er Jahre mit ihren mathematischen Programmen auf dem Markt erfolgreich und in der Disziplin anerkannt. Teubner publizierte ebenfalls noch mathematische Titel, erreichte aber nicht mehr die Spitzenposition, die er im Kaiserreich innehatte. Insgesamt läßt sich anhand der Neugründungen von Zeitschriften und neuen Reihen eine gewisse Dynamisierung des mathematischen Buchmarktsegmentes beobachten. Mit dem Aufkommen neuer Publikationsmöglichkeiten für Autoren mußten die Verlage ihre Attraktivität immer wieder beweisen und wachten – wie am Beispiel der Zuschußverteilung durch die Notgemeinschaft gesehen – kritisch über ihre Konkurrenten. Dennoch stellte sich in der wirtschaftlich stabilen Phase der Weimarer Republik die Situation für die Verlage nicht ungünstig dar, da die deutsche mathematische Buch- und Zeitschriftenproduktion auch oder sogar vorwiegend ihre Abnehmer im europäischen und außereuropäischen Ausland fand. Erst die Ende der 1920er Jahre einsetzende neue ökonomische Krise führte zu neuen Absatzproblemen auch noch in den 1930er Jahren. Verstärkt wurden diese Probleme durch die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik, den Rückgang der Studierendenzahlen und die »Arisierung« der Verlage ( siehe Kapitel 8 ).

178

7

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

Die Profilierung der mathematischen Programmsegmente ab den 1860er Jahren wirft die Frage nach den inhaltlichen und ökonomischen Auswahlkriterien der Verleger bei der Publikationsentscheidung auf. Wie bereits gesehen, konnten nicht alle Verlage, die Mathematik im Programm führten, dauerhaft und vorteilhaft auf dem mathematischen Markt agieren. Nur Teubner, de Gruyter ( mit der Göschen’schen Verlagshandlung ) und Springer waren Firmen, die sich längerfristig behaupten konnten, zeitweise auch Vieweg mit renommierten Autoren und einigen einträglichen Titeln. Für die drei erstgenannten Verlage waren die dort publizierten Fachzeitschriften und Buchreihen unzweifelhaft ein Wettbewerbsvorteil. Ein überlebensfähiges Programm entsteht allerdings in keinem Verlag aus dem Zufall unaufgefordert eingereichter Manuskripte, sondern ist das Ergebnis bewußter inhaltlicher Planung vor dem Hintergrund der Marktbeobachtung und einer realistischen Bedarfseinschätzung. Bei der Programmplanung konnte der in der Regel mathematisch ungeschulte Verleger oder einer seiner verlagsinternen Mitarbeiter zwar anhand von Studierendenzahlen grundsätzliche Überlegungen beispielsweise zur quantitativen Entwicklung des Absatzmarktes von Lehrbüchern anstellen, er konnte auch Anregungen zu deren Publikation geben, aber zur Beurteilung von wissenschaftlichen Inhalten war er kaum in der Lage. Daher war es für den Verleger sinnvoll, sich bei der Auswahl am Urteil von Fachvertretern zu orientieren, und zwar sowohl im Hinblick auf Übersetzungen ausländischer Literatur für den deutschen Markt ( siehe 3.3.1 ) als auch im Hinblick auf deutsche Originalarbeiten, die dem Verleger angeboten wurden. Die Formulierung von normativen Leitkriterien für die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität eines Manuskriptes oblag der Wissenschaftsseite, nicht dem Verlag. Die ( angeforderten ) Begutachtungen konnten unterschiedliche 179

Eine Disziplin und ihre Verleger

Perspektiven einnehmen: sie konnten sich einerseits auf wissenschaftliche Kriterien wie Originalität, Innovation, Erkenntnisfortschritt oder methodische Vorgehensweise, sie konnten sich aber auch auf die Darstellungsart beziehen, denn für den buchhändlerischen Erfolg eines Titels war es wichtig, daß die wissenschaftlichen Inhalte zielgruppenorientiert aufbereitet wurden. Lehrbücher für die Studierenden der Mathematik mußten eine andere Struktur aufweisen als mathematische Lehrbücher für angehende Ingenieure. Der schon dargelegte Lehrbuchmangel auf dem deutschen Markt war für die Verleger zunächst günstig, sie konnten hier – neben der Zeitschriftenproduktion – mit entsprechenden Publikationen ihr Programm gestalten. Geeignete Lehrbücher auf den Markt zu bringen, war aber nur ein Weg, den Verlag zu profilieren. Ebenso wichtig war es, Forschungsmonographien oder praxisorientierte Handbücher für Anwendungen bereit zu stellen. Parallel zum gezielten Programmaufbau bei Teubner, Vieweg, de Gruyter und Springer vollzog sich ab Ende des 19. Jahrhunderts in der Mathematik eine fortschreitende Binnendifferenzierung mit neuen Forschungsgebieten, die von den Verlegern in ihr Programm integriert werden mußten, und dazu war mehr noch als auf dem Lehrbuchsektor wissenschaftlicher Weitblick erforderlich, denn die Publikationen mußten an diesen Prozeß angepaßt werden, wie Constantin Carathéodory 1930 auf die Entwicklung der Mathematik seit den 1880er Jahren rückblickend feststellte: Schon rein äußerlich genommen ist das Gewand, in welches heute mathematische Arbeiten sich kleiden, von dem, das sie noch vor zwei Generationen hatten, grundverschieden, und diese Änderung ist nicht von einer modischen Wandlung des Geschmackes bedingt worden, sondern sie hat viel tiefere Ursachen. Das Aufkommen einiger grundlegender Theorien und Formulierungen hat sie hervorgerufen, die vor fünfzig Jahren entweder noch gar nicht existierten oder die sich noch nicht ausgewirkt hatten [ … ].1

Carathéodory führt als Beispiele für diese Entwicklung u.a. die Mengenlehre, die Topologie, die Gruppentheorie, die Theorie der algebraischen Zahlkörper, das Problem der Verteilung der Primzahlen sowie die Variationsrechnung an. Auf neuere, zukunftsträchtige Forschungsansätze, die zunächst meist in Zeitschriften abgehandelt wurden, mußte ein Verlag mit seiner Produktionspolitik reagieren, auch um als Publikationsort für die Wissenschaftler attraktiv zu bleiben. Es konnte darüber hinaus zum Beispiel von Vorteil sein, schneller als 1 180

Carathéodory, Mathematik, S. 63.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

konkurrierende Verlage moderne Strömungen in Lehrbücher zu integrieren, daher möglichst rasch neue Auflagen oder völlig neu konzipierte Publikationen auf den Markt zu bringen. Diese Forschungsfortschritte zu überblicken und zum richtigen Zeitpunkt das Programm zu erweitern oder zu modifizieren, stellte für den Verleger ein Problem dar. Auffallend ist, daß die mathematisch bedeutendsten und ökonomisch erfolgreichsten Fachverlage sich in ihrer Planung von Fachvertretern beraten ließen.

7.1

Erste Schritte zum mathematischen Verlagsberater

Bereits in der Profilierungsphase des mathematischen Verlags hat der brillante Mathematiker Alfred Clebsch, dessen Theorie der Elasticität der festen Körper 1862 bei Teubner erschienen war, dem Verlag gelegentlich Publikationsvorschläge unterbreitet und Ratschläge erteilt.2 Mit Clebsch hatte der Verlag einen engagierten Autor gewonnen, der in der Folge bestrebt war »jedes etwa einschlagende Werk meiner Bekannten Ihrem ausgezeichneten Verlag zuzuwenden.«3 Clebsch kam aus der von Carl Gustav Jacobi begründeten sogenannten Königsberger Schule, und so hatte er unter anderem versucht, dem Verlag Jacobis Vorlesungen über Dynamik zu verschaffen, die allerdings 1866 bei Teubners Konkurrenten Reimer in Berlin erschienen. Oskar Schlömilch, der dem Hause Teubner ebenfalls sehr verbunden war, bemerkte dazu, daß »die Firma durch den Verlag dieses Werkes sofort die erste der Welt für die Mathematik geworden« wäre, »wie sie es für die Philologie schon war«.4 Fruchtbarer erwies sich Clebschs Empfehlung seines Königsberger Studienfreundes, Carl Neumann, dessen Vorlesungen über Riemann’s Theorie der Abelschen Integrale Teubner 1865 herausbrachte. Wenn auch Clebsch als mathematischer Berater des Teubner Verlags durch seinen frühen Tod im Jahr 1872 nicht die volle Wirkung entfaltet haben mag, so war doch die Gründung der Mathematischen Annalen durch ihn und Neumann im Jahre 1868 ein Meilenstein für den mathematischen Verlag im Hause Teubner – ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg der Übergang der Mathematischen Annalen an den Springer Verlag von fundamentaler Bedeutung war. Die Gründung der Mathematischen Annalen stellte einen strategischen Schritt dar, um sich Zugang zum mathematischen Markt zu verschaffen, in dem 2 3 4

Dazu und zum folgenden siehe Schulze, B. G. Teubner 1811–1911, S. 292–297. Zitiert in: ebd., S. 293. Ebd., S. 293. 181

Eine Disziplin und ihre Verleger

die Dominanz der Berliner Mathematiker noch ungebrochen war. Dafür stand, wie gesehen, die zentrale Rolle, die der Verlag Reimer bis um 1890 unter den Verlagen spielte, die Mathematik verlegten oder zu verlegen wünschten ( siehe 2.2.2 ). Bei Reimer erschienen im Auftrag der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften die gesammelten Werke Steiners, Jacobis, Borchardts und Lejeune-Dirichlets, während Teubner zunächst »nur« mit der einbändigen Schriftenausgabe Bernhard Riemanns aus dem Jahr 1876 glänzen konnte, die noch durch die Vermittlung von Clebsch an den Verlag gegangen war.5 Ohne die Initiative seiner Autoren hätte Teubner nicht den Olymp mathematischen Publizierens in Deutschland erklimmen können. Dieses Beispiel belegt zwar die wichtige Rolle sachkundigen Rates im mathematischen Verlag, aber in den 1870er und 1880er Jahren finden sich noch keine fest in einem Verlagskonzept verankerten mathematischen Berater. Soweit die Quellenlage eine Einschätzung erlaubt, holten die Verleger den fachlichen Rat nur bei unmittelbarem Bedarf von den jeweils auf einem Fachgebiet kompetenten Gelehrten ein, etwa zur Beurteilung eingesandter Manuskripte. Eine Unterstützung durch »institutionalisierte« Berater etwa in der Programmprofilierung oder in der Ausschöpfung des mathematischen Marktes ist höchstens zu ahnen. Eine naheliegende Lösung des Problems, Verlagen mathematischen Sachverstand zu verschaffen, war zunächst einmal der Kontakt zu den Mathematikern am Ort oder den Autoren des Verlages. So setzte man bei Vieweg in Braunschweig in den 1880er und 1890er Jahren auf Richard Dedekind ( seit 1862 in Braunschweig ), der sich die beratende Funktion offenbar mit Robert Fricke ( seit 1894 in Braunschweig ) und Heinrich Weber in Göttingen und später in Straßburg teilte.6 Weber, der wie Dedekind zu den Autoren des Verlags zählte, hat Vieweg des öfteren Ratschläge erteilt, aber dabei wiederholt betont, »dass ich in der Frage durchaus incompetent bin, ob sich irgend ein Werk zu einer buchhändlerischen Speculation eignet, und dass also meine Urtheile sich immer nur auf den wissenschaftlichen Werth des Inhalts beziehen.«7 Mit der Frage nach den Absatzmöglichkeiten war allerdings ein entscheidender Punkt angesprochen, denn nicht jedes wissenschaftlich hochstehende oder verdienstvolle Werk konnte ein verlegerischer Erfolg werden. Die Funktion Dedekinds, Webers und Frickes konzentrierte sich lediglich auf die Empfehlung zur Annah5 6 7 182

Vgl. ebd., S. 305. Dies belegen die Korrespondenzen mit Dedekind, Fricke und Weber im VA Vieweg. Vgl. zur empfehlenden Tätigkeit Dedekinds Kapitel 3.3.1. Weber an Vieweg, 21. Juli 1901, VA Vieweg, V1W: 52.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

me oder Ablehnung eines Manuskriptes im Hinblick auf das wissenschaftliche Werturteil. Eine programmplanerische und zukunftsweisende Rolle hatten sie für Vieweg nicht. Auch im Leipziger Teubner Verlag hat sich der für die Mathematik verantwortliche und begeisterte Alfred Ackermann-Teubner zunächst an Autoren am Verlagsort gewandt. Der in den 1890er Jahren in Leipzig lehrende Friedrich Engel schien für eine beratende Funktion bei Publikationsentscheidungen geeignet. Engel gab zwischen 1894 und 1911 Hermann Grassmanns gesammelte mathematische und physikalische Werke bei Teubner heraus und veröffentlichte 1895 zusammen mit Paul Stäckel Die Theorie der Parallellinien. Der Kontakt zwischen Engel und dem Verlag bestand über Jahrzehnte, denn noch in den 1920er Jahren war Engel Herausgeber der Werke von Sophus Lie. Als Ackermann-Teubner sich im August 1906 bei Engel, der mittlerweile in Greifswald lehrte, für die eben von der dortigen Philosophischen Fakultät auf dessen Initiative erhaltene Ehrendoktorwürde bedankte, erinnerte er sich gern an »die schöne Zeit [ … ], als Sie noch in Leipzig waren, und ich Sie häufig bei B. G. Teubner begrüßen durfte, um Sie nach allem Möglichen und Unmöglichen in mathematicis auszufragen. Auf diese Weise ist ja auch manches schöne Werk des Teubnerschen Verlages zufolge Ihrer freundlichen Anregung zustande gekommen.«8 Auch noch nach Engels Weggang aus Leipzig blieb seine beratende Funktion bestehen. Über eine Honorierung seiner Bemühungen geben die Quellen keine Auskunft. Möglicherweise handelte es sich um einen reinen Freundschaftsdienst für den Verleger. Engel wurde von Ackermann-Teubner häufig um seine Meinung gebeten, der ihm mindestens bis 1912 Manuskripte zur Beurteilung geschickt und sich Engels Empfehlung über Annahme oder Nichtannahme von Publikationsangeboten angeschlossen hat.9 Dabei erwartete der Verleger auch eine Einschätzung des »Bedürfnisses« nach bestimmten Publikationsformen, also eine Beurteilung des Marktwertes.10 Neben der Bewertung von Manuskripten nach ihrem wissenschaftlichen Wert und nach ihrem Marktwert, war die Suche nach kompetenten Autoren oder Übersetzern eine der dringlichen Fragen. Diese Aufgabe konnte – wie es später im Hause Springer üblich wurde – auch dem Verlagsberater übertragen werden.

8 9 10

Ackermann-Teubner an Engel, 7. August 1906, UAG, Nachlaß Engel, NE 120103. Ackermann-Teubner an Engel, 10. Mai 1909, UAG, Nachlaß Engel, NE 120132. Ackermann-Teubner an Engel, 5. Februar 1912, UAG, Nachlaß Engel, NE 120150. Dies ist der letzte vorhandene Brief Ackermanns mit der Bitte um eine Beurteilung. 183

Eine Disziplin und ihre Verleger

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sowohl bei Engel, als auch später bei Arnold Sommerfeld und Walther von Dyck angesprochen wurde, ist die Geheimhaltung der Namen der Berater und ihrer Empfehlungen, und so setzte Ackermann-Teubner seiner Bitte an Engel hinzu: »Daß ich Ihre Mitteilungen vollständig vertraulich behandele, brauche ich nicht besonders hervorzuheben.«11 Ackermann-Teubner war sich sehr wohl der Notwendigkeit bewußt, mathematische Expertise dauerhaft in den Verlag einzubinden. Daher versuchte der Verleger Ende der 1890er Jahre auf Vorschlag Kleins für seinen Verlag auch Arnold Sommerfeld für »Anwendungen der mathematischen Wissenschaften« und Walther von Dyck für »reine Mathematik« als ständige Berater zu gewinnen. Sommerfeld war wie Engel Autor des Verlags und hatte seit 1897 gemeinsam mit Klein die mehrteilige Schrift Über die Theorie des Kreisels bei Teubner veröffentlicht. Außerdem arbeiteten Sommerfeld und Dyck an der Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit und schienen so prädestiniert, auch weitere konzeptionelle Aufgaben zu übernehmen. Ackermann-Teubner hatte anscheinend vor, Sommerfeld und Dyck die Betreuung der 1900 ins Leben gerufenen Reihe B. G. Teubners Sammlung von Lehrbüchern auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen, die aus Encyklopädie-Beiträgen entstehen sollte, zu übertragen.12 Sommerfelds und Dycks Arbeit sollte remuneriert werden, wenn Ackermann-Teubner sich auch noch nicht über den Modus im Klaren war. Er behielt sich dabei ausdrücklich vor, Sommerfelds Vorschläge »mit anderen Gelehrten nat.[ ürlich ] auf vertrauliche Weise besprechen zu dürfen, was lediglich deshalb stattfinden muß, um auch andere Meinungen zu hören«.13 Sommerfeld war nicht abgeneigt, hat aber Klein gegenüber unterstrichen, daß dabei seine Anonymität gewahrt bleiben und seine »Stellung u. Thätigkeit dabei vollständig geheim bleiben« müßten.14 Allerdings hielt Dyck, wie er Sommerfeld Ende 1898 unumwunden mitteilte, den Vorschlag »einer Honorirung der einzelnen Bogen der von uns veranlaßten Werke«, für den falschen Weg. »Ich faße«, so Dyck weiter, »die ganze Aufgabe, die wir uns hier gestalten müßen, allgemeiner auf – der Rat 11 12

13 14 184

Ackermann-Teubner an Engel, 5. Februar 1912, UAG, Nachlaß Engel, NE 120150. Vgl. die Angaben auf: www.lrz-muenchen.de / ~Sommerfeld / KurzFass / 00604. html und www.lrz-muenchen.de / ~Sommerfeld / KurzFass / 00624.html [ eingesehen am 5.3.2010 ]. Dazu siehe Ackermann-Teubner an Sommerfeld, 21. November 1898, in: Eckert / Märker, Arnold Sommerfeld: Wissenschaftlicher Briefwechsel, S. 94 f. Sommerfeld an Klein, 16. November 1898, in: ebd., S. 95 f.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

betr. eines speziellen Buches und dessen Verwirklichung durch einen von uns vorgeschlagenen Autor ist dabei ein zu spezielles Moment. Unsere Tätigkeit ist zuvörderst eine allgemein orientirende, dann aber eine negative abratende, ebenso wie eine positive zuratende.« Dyck erklärte sich »fürs erste« mit der Honorierung je Bogen einverstanden, aber »für später [ … ] würde mir eine generelle Honorierung richtiger erscheinen.« Ihn reizte die Aufgabe vor allem, weil sie die Möglichkeit eröffnete, »in planmäßiger Weise auf eine Ergänzung der in unserer Lehrliteratur vorhandenen Lücken hinarbeiten zu können«.15 Dycks knappe grundsätzliche Bemerkungen zur Beratertätigkeit verdeutlichen, daß ihm die Tragweite der Aufgabe vollständig bewußt war, nämlich zu entscheiden, welches Wissen in welcher Form kommuniziert werden sollte. Die Rolle des Beraters ging nun, d. h. um 1900, weit über die der Begutachtung oder Empfehlung einzelner Werke hinaus. Vielmehr sollte er das gesamte Gebiet der Mathematik im Auge haben, und zwar mit Blick auf die Interessen und Bedürfnisse sowohl der Disziplin als auch des Verlages. Da das Archiv des Teubner Verlags im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, ist eine genaue Analyse der tatsächlichen Beratertätigkeit Dycks und Sommerfelds nicht möglich, ebenso wie die Bedeutung von Clebsch und Engel nur aus Indizien erschlossen werden kann.

7.2

Der institutionalisierte, bezahlte Berater

Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war der mathematische Markt bei den Verlagen ein begehrtes Segment, sei es zur Komplettierung des Verlagsprogramms, um kulturelles Kapital zu erwerben oder einen profitablen Publikationsbereich abzudecken.16 Teubner hatte zwar noch die Marktführerschaft inne, aber die Göschen’sche Verlagshandlung hatte sich ein lukratives Marktsegment gesichert, und Springer versuchte beharrlich, ebenfalls auf dem Markt für mathematische Publikationen in Erscheinung zu treten. Eine Schlüsselrolle für die Neuordnung des Marktes nach dem weitreichenden Rückzuge Teubners, der sich ab 1916 ankündigte, und unter den ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach dem verlorenen Krieg spielten die Göttinger Mathematiker. Klein hielt nach wie vor zahlreiche organisatorische und informelle Fäden in der Hand, und Hilbert war bereit, seine eigene und seiner Schüler mathematische Produktivität in die Waagschale zu werfen. Profitiert hat davon der 15 16

Dyck an Sommerfeld, 29. Dezember 1898, in: ebd., S. 102–104. Dazu siehe Schneider, Konkurrenten auf dem mathematischen Markt. 185

Eine Disziplin und ihre Verleger

Julius Springer-Verlag in Berlin, der mit Richard Courant einen Berater gewinnen konnte, der als »Abgesandter« der Göttinger Mathematik die Rückendekkung Kleins und Hilberts hatte. Dem Haus Springer war es zwar gelungen, 1890 die Gesammelten mathematische Abhandlungen von Hermann Amandus Schwarz in zwei Bänden zu publizieren, doch hatte sich daran kein hochkarätiges mathematisches Programm angeschlossen. Daß Springer mit seinen Bemühungen weitgehend erfolglos blieb, lag möglicherweise am fehlenden kompetenten Berater. Fritz Springer hatte – ganz ähnlich wie Vieweg im Falle Dedekinds und Webers – von Zeit zu Zeit Manuskripte und Übersetzungsvorschläge an Schwarz geschickt und vielleicht gehofft, er könne den Mathematiker enger an den Verlag binden, und auch Schwarz hat seinerseits auf potentielle Publikationsprojekte aufmerksam gemacht, doch es blieb bei sporadischen Hinweisen und Empfehlungen und kam zu keiner kontinuierlichen Zusammenarbeit. Auf diese Vorgeschichte bezog sich Ferdinand Springer, als er im Juni 1914 an den bei Siemens tätigen Berliner Privatdozenten Leon Lichtenstein schrieb, es sei sein »lebhafter Wunsch, allmählich etwas mehr in die Mathematik hineinzukommen, und ich würde es dankbar begrüßen, wenn Sie mich hierin etwas unterstützen könnten«. Konkret wünschte Springer, Lichtenstein möge ihn »gelegentlich auf zeitgemäße Themata und dafür geeignete Fachleute hinweisen«.17 Lichtenstein entwarf prompt ein ausführliches und ambitioniertes Publikationsprogramm und zeigte im Hinblick auf die von ihm genannten potentiellen Autoren ein gutes Gespür. Er dachte zum Beispiel an Bücher über unendliche Reihen ( M. Riesz, Hardy, Littlewood ), Potentialtheorie ( Koebe, Courant ), konforme Abbildungen ( Koebe, Carathéodory, Courant ), automorphe Funktionen ( Koebe, Courant ), partielle Differentialgleichungen der mathematischen Physik ( Lichtenstein ), Gruppen linearer Substitutionen ( Schur, Bieberbach ) und Analysis situs ( Brouwer, Dehn, Weyl ).18 Springer nahm die Vorschläge Lichtensteins sogleich interessiert auf, aber der Kriegsausbruch vereitelte vorerst ein zielgerichtetes gemeinsames Vorgehen. Unter Federführung Lichtensteins wurde allerdings noch 1917 bei Springer die Mathematische Zeitschrift in bewußter Konkurrenz zu Teubners traditionsreichen Mathematischen Annalen gegründet, die inzwischen nur noch stockend erschienen. Mit dieser Zeitschriftengründung signalisierte der Springer Verlag 17 18

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Springer an Lichtenstein, 15. Juni 1914, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), M 69. Lichtenstein an Springer, 28. Juni 1914, VA Springer, Abt. B (1912–1936 ), M 69. Dazu siehe auch Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 230.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

sein ernsthaftes Interesse an der Mathematik und konnte leichter Autorenkontakte auf- und ausbauen. Lichtenstein hatte als Mitherausgeber die Berliner Mathematiker Erhard Schmidt, Issai Schur und Konrad Knopp gewinnen können, so daß Springer nun in der Berliner Mathematik gut repräsentiert war. Die Investition in eine neue, von der Fachwelt noch nicht anerkannte Zeitschrift war zunächst ein hohes verlegerisches Risiko, zumal in Kriegszeiten, aber diese Strategie erwies sich als richtiger Schritt bei der Profilierung eines neuen Programmschwerpunktes, der mit Unterstützung Lichtensteins verwirklicht werden sollte. Im Mai 1918 bestätigte Springer Lichtenstein schriftlich »unsere bei Ihrem letzten Besuch mündlich getroffene Vereinbarung, dass Ihnen für Ihre beratende Tätigkeit im Interesse meiner Firma ein jährlicher Betrag von M. 1500.-, zahlbar in Halbjahresraten, zur Verfügung gestellt werden soll, und zwar beginnend vom 1. Oktober 1918.«19 Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist der Typus des bezahlten mathematischen Verlagsberaters etabliert.

7.3

Die Tätigkeit des Beraters – Wissen kommunizierbar machen

Dem Berater kommt im mathematischen Verlag eine wichtige Funktion als Entscheidungshelfer zu, der mathematische Manuskripte beurteilen, eventuell Themen anregen und den Bedarf an mathematischen Publikationen auf dem Buchmarkt einschätzen kann. Doch über diese minimalen Aufgabengebiete hinaus, die der Verlag auch mit wechselnden Gutachtern abdecken könnte ( und dies auch tatsächlich tut ), sahen sich Courant und seine Kollegen in ähnlichen Funktionen stets von Neuem vor die Frage gestellt, welches Wissen in welcher Form publiziert werden sollte – und ob darüber hinaus bei einer Publikation Aussicht auf Gewinn bestand. Diesen letztgenannten Aspekt hatte Courant stets im Auge, z. B. als er 1921 in einem Brief an Springer sein Rollenverständnis in Abgrenzung vom Teubnerschen Gebaren beschrieb: »Teubner hat, als es ihm gut ging, ziemlich kritiklos alles genommen, was ihm angeboten wurde, nicht nur Sachen, die kein Geschäft bedeuten konnten, sondern auch solche, die obendrein wenig Wert für die Wissenschaft besitzen. Ich glaube, Sie recht zu verstehen, wenn ich bei Ihren

19

Springer an Lichtenstein, 20. Mai 1918, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), M 69. 1500 Mark entsprachen ungefähr 4 Monatsgehältern eines gelernten Arbeiters. 187

Eine Disziplin und ihre Verleger

Anfragen annehme, dass diese beiden Gesichtspunkte Sie interessieren.«20 Inwieweit Courants Einschätzung der Teubnerschen Gepflogenheiten der Realität entsprach, ist kaum zu verifizieren, denn ganz ohne wissenschaftliche Fachberatung stellte Ackermann-Teubner sein Programm keineswegs zusammen. Allerdings hatte Courant seine Aufgabe bei Springer schnell und richtig erkannt: Buchprojekte nicht nur nach mathematischer Qualität, sondern zugleich nach ihrer Rentabilität für den Verlag zu beurteilen. Diese Fähigkeit machte ihn für Springer zu einem unverzichtbaren Berater. Dabei ging es nicht allein um die mathematische Zuverlässigkeit eines Textes und das allgemeine Interesse für das jeweilige Thema, sondern darüber hinaus um die Einschätzung, ob das Wissen in der vorgeschlagenen Form rezipierbar war und damit Käufer finden würde. Courant hat sich zu solchen Fragen immer wieder geäußert. So schrieb er im Herbst 1918 an Hilbert über die geplante Grundlehren-Reihe: Die Tendenz dieser Bücher soll sein, den wesentlichen Gedankeninhalt der mathematischen Gebiete einem Kreise zu vermitteln, der möglichst über die eigentlichen reinen Mathematiker hinausgreift und insbesondere die Physiker umfaßt, dem mathematischen Leser sollen die mathematischen Theorien gleichzeitig mit dem Bewußtsein vermittelt werden, wie eng die Mathematik innerlich mit ihren Anwendungen verwachsen ist, der Physiker soll den mathematischen Stoff in einer Form vorfinden, die ihm die Erfassung der wesentlichen mathematischen Gedanken und Methoden erleichtert, ihm mühsame Umwege usw. erspart. Die ganze Tendenz stimmt so sehr mit dem überein, was das Geheimnis Ihres Lehrererfolges ausmacht oder wenigstens wesentlich mit dazugehört.21

Damit sind zwei wesentliche Aspekte der Rentabilität angesprochen: zum einen sollen die Bücher nicht nur für den vergleichsweise kleinen Absatzmarkt der Mathematiker, sondern für eine darüber hinaus reichende Gruppe interessant sein; und zum anderen muß, um dieses Ziel zu erreichen, das Wissen auf eine geeignete Weise kommuniziert werden, ohne »mühsame Umwege«, d. h. mitunter auch ohne den Mathematiker-Anspruch auf vollständig präsentierte Theoriegebäude als Arbeitswissen für andere Disziplinen, und dementsprechend sollten sie auch pädagogisch strukturiert sein. Dahinter steht das Dauerproblem der »buchhändlerischen Chancen der mathematischen Literatur, welche nicht ele-

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Courant an Springer, 24. Juni 1921, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Courant an Hilbert, 12. Oktober 1918, SUBG, Cod. Ms. D. Hilbert 61A.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

mentare Lehrbuchliteratur ist«, das Courant auch im Sommer 1935 in den USA noch umtrieb.22 Courant stellte 1919 ein Programm für die Grundlehren-Reihe zusammen, von dem er annahm, daß es »für den Augenblick Aussicht auf buchhändlerischen Erfolg verspricht«.23 Hervorragenden Einblick in die Rolle und Bedeutung Courants für den Springer Verlag, der ja erst in den mathematischen Markt stärker einsteigen wollte, liefert das Themen- und Autorenverzeichnis aus dem Jahr 1919, das Ferdinand Springer von Courant erhielt. Es wird hier ausführlich wiedergegeben, denn es skizziert die umfangreichen Bemühungen des Beraters. Courant schlug nicht nur Themen und potentielle Autoren vor, sondern schätzte gleichzeitig den Bedarf ab und gab Hinweise zur Auflagenhöhe:24 1.

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Hensel, Analytische Geometrie. Ist erst nach Abschluss des Vertrages für die Sammlung gewonnen. Aufgaben und Beispiele wird Hensel möglichst zahlreich bringen. Auflage usw. durch Vertrag festgelegt. Knopp, Unendliche Reihen. Voraussichtlicher Eingang des Manuskriptes im Sommersemester 1919. Baldiger Druck anzuraten, da sicher Bedarf vorliegt. Aufgaben und Beispiele werden den einzelnen Kapiteln zugefügt. Auflagenhöhe im Vertrage 1200, nach Eingang des Manuskriptes wahrscheinlich auf 1800 –2000 zu erhöhen. Polya, Wahrscheinlichkeitsrechnung. Voraussichtlicher Eingang des Manuskriptes im Sommer. Buch wird alles enthalten, was für heutigen Physiker usw. wichtig ist, grosser Leserkreis wahrscheinlich. Auflage 1800 im ersten Vertrage vorzusehen, gegebenenfalls nach Eingang des Manuskriptes erhöhen. Hilbert – Courant, Differentialgleichungen. 2 Bände. Erster Band kann voraussichtlich im Herbst abgeliefert werden, zweiter Band nächsten Sommer. Gross[ e ] Verbreitung wahrscheinlich. Auflage 2000 anzuraten. Blaschke, Krumme Linien und Flächen. Dieses Gebiet hat jetzt durch die Relativitätstheorie eine ganz neue Bedeutung für einen weiteren Kreis bekommen; es giebt zur Zeit kein für einen weiteren Kreis zugängliches Buch, das dieser Bedeutung gerecht wird. Zeitpunkt des Einganges des Manuskriptes von Blaschke noch nicht gegeben. Auflagenhöhe zunächst auf 1500 festzusetzen.

Courant an Springer, 19. Juli 1935, VA Springer, Abt. B (1912–1936), C 67 V. Courant an Springer, 20. Januar 1919, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Courants Entwurf des geplanten Rundschreibens für die Autoren mit dem Themenverzeichnis für den Verleger, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936), C 67 I. 189

Eine Disziplin und ihre Verleger 6.

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Reihenentwicklungen der mathematischen Physik. Sehr wichtiges Thema. Als Autor zunächst Polya vorgesehen, der an sich bereit ist. Falls durch Belastung Polya Zeitpunkt des Erscheinens zu lange verzögert werden könnte, käme auch Hellinger als Autor in Frage. Auflagenhöhe 1500, wenn Manuskript befriedigt, 2000. Aufgabensammlung zur Analysis. Polya. Ebenfalls wichtig. Über Zeitpunkt möglicher Ablieferung wird nach Eingang einer Nachricht von Polya berichtet, desgl. zu 6. Runge – Trefftz. Angewandte Mathematik. Soll nötigenfalls auch in zwei Bänden erscheinen. Über Ablieferung des Manuskriptes kann erst zu Beginn des Sommersemesters etwas bestimmt werden, da Trefftz, der augenblicklich noch in Aachen ist, sich vorher nicht gern auf einen Termin festlegen will. Auflage könnte unbedenklich 2000 genommen werden. Erscheinen wird erst nächstes Jahr möglich sein. Funktionentheorie. Als Autor käme vielleicht Hellinger in betracht, der jetzt aus dem Felde zurück ist. Es giebt kein Lehrbuch der Funktionentheorie, welches den Grundsätzen der Sammlung entspricht. Variationsrechnung. Hilbert – Courant. Käme nach den Differentialgleichungen als Fortsetzung dazu in Frage. Auflage 1500. Algebra. Toeplitz. Auflage zunächst 1200. Ablieferung des Manuskriptes wahrscheinlich innerhalb von 3 / 4 Jahren möglich. Mechanik. Scheint mir nicht so dringend, da es ziemlich viele Bücher darüber giebt. Buchhändlerischer Erfolg nur bei ganz hervorragendem Autor wahrscheinlich. Karman soll sofort nach seiner Rückkehr aus Ungarn gefragt werden. Vektoranalysis. Runges Buch bei Hirzel wird zwei Bände stark sein und durchaus aussichtsvolle Konkurrenz in unserer Sammlung gestatten. Hessenberg hat abgelehnt. Nächster Kandidat Hamel. Demnächst Nachricht über dessen Antwort. [ … ] Zahlentheorie. Aussicht auf buchhändlerischen Erfolg verspricht nur Werk von Hecke oder ähnlichem Autor. Hecke kann sich noch nicht recht entschließen. Differential- und Integral-Rechnung. Kann noch etwas zurück stehen, bis wirklich neuartige in unserem Sinne gehaltene Behandlung des Themas gesichert ist. Wahrscheinlich wird Bohr-Mollerup in betracht kommen; Korrespondenz darüber seit langem im Gange. Nichteuklidische Geometrie. Weyl oder Mohrmann. Verhandlungen noch nicht eingeleitet.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

Ein solcher dezidiert ausgearbeiteter Plan war für den Springer Verlag ein großer Gewinn, denn Courant hatte ( 1 ) die jeweiligen Zielgruppen für die anvisierten Titel direkt vor Augen und damit ( 2 ) genügende Marktkenntnis, um den Absatz einzuschätzen, auch im Hinblick auf Konkurrenzunternehmen anderer Verlage. Er lieferte ( 3 ) dem Verlag eine exakte Vorstellung über den wissenschaftlichen Wert, den die Bücher haben mußten, nämlich neue, aktuelle Erkenntnisse wie zum Beispiel die Relativitätstheorie aufgreifen oder »neuartige Behandlung« eines bekannten Themas, und schlug ( 4 ) für Bücher mit großer Konkurrenz auf dem Buchmarkt in erster Linie Autoren mit hoher wissenschaftlicher Reputation vor, die dem Verlag zum Ansehen und dem jeweiligen Buch zur Durchsetzung verhelfen sollten. Springer wurde durch Courant auch insofern entlastet, als er einen Berater verpflichten konnte, der zugleich die Autoren betreute. Bis dahin hatte sich Springer selbst um Autorenkontakte und Autorenpflege bemühen müssen. Diese Aufgabe übernahm nun im wesentlichen Courant, der nicht nur in Göttingen über beste Verbindungen verfügte. Courant skizzierte in seinem Rundschreiben an die potentiellen Autoren das Ziel der Reihe in ähnlicher Weise, wie er sich im Herbst 1918 Hilbert gegenüber geäußert hatte: mathematisches Wissen sollte in der Grundlehren-Reihe so aufbereitet werden, daß sie sich »nicht nur an die Studierenden der Mathematik, sondern ebenso an die Physiker, die wissenschaftlich gerichteten Ingenieure, die Chemiker, kurz an alle, welche sich mathematische Gedanken und Methoden als Selbstzweck oder als Hilfsmittel aneignen wollen«, richtete.25 Eine wichtige Vorgabe für die Autoren war, daß der Stoff »unter Wahrung mathematischer Strenge, jedoch unter Verzicht auf pedantisches Streben nach bloss formaler grösstmöglicher Allgemeinheit um jeden Preis« gestaltet werden solle. Dem Mathematiker sollten »die Hauptideen seiner Wissenschaft zugleich mit dem Bewusstsein von den mannigfachen Beziehungen und Wechselwirkungen vermittelt werden« und dem »Physiker usw. der Stoff in einer Weise dargeboten werden, welche dem Lernenden wirklich erleichtert, ohne unnötige mühsame Umwege sich das anzueignen, was er braucht«. Die Wissensvermittlung in Lehrbüchern solcher Art erleichterte Springer den Einstieg in den mathematischen Markt. Springer erkannte schnell, welche Bedeutung Courant für einen erfolgreichen Aufbau des Verlagsprogramms beizumessen war. Im Oktober 1921 wurde Courant nach Lichtenstein als bezahlter Berater im Springer Verlag verpflichtet. Springer sicherte sich so einen kompetenten Ansprechpartner: 25

Courants Entwurf des Rundschreibens für die Autoren, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. 191

Eine Disziplin und ihre Verleger Sie wachsen sich immer mehr zu meinem Hauptberater in mathematischen und physikalischen Dingen aus. Der Umfang, in welchem ich Sie in Anspruch zu nehmen mir erlaube, wird immer grösser, und so kann ich es nicht mehr verantworten, ohne wesentliche Gegenleistung so viel von Ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen. Ich möchte Ihnen daher den Vorschlag machen, dass ich Ihnen für die Tatsache, dass Sie mir jederzeit zur Verfügung stehen und dass Sie auch von sich aus mich auf in Ihrem Bereiche bestehende literarische Pläne aufmerksam machen, mir auch sonst Anregungen geben, Ihnen einen festen jährlichen Unkostenersatz zur Verfügung stelle. Ich schlage vor, ihn zunächst auf M. 1500.- für das Quartal zu bemessen, und zwar vom 1. Oktober 1921 an gerechnet. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir durch Annahme meines Vorschlags es ermöglichen würden, mich ohne Gewissensbisse jederzeit um Rat an Sie zu wenden.26

Über zwei Jahre hatte Courant sich also ohne finanzielle Entlohnung für Springer zur Verfügung gestellt, was die Frage aufwirft, ob und falls ja welchen eigenen Vorteil er sich in den ersten Jahren versprochen hat. Courant nahm Springers Angebot an und argumentierte uneigennützig im Dienste der Wissenschaft: Was Ihr freundliches Anerbieten vom 21. d. M. anbetrifft, so nehme ich es mit Dank nach einigen Überlegungen an; ich hatte zunächst Bedenken, zumal ich weiss, mit welchen materiellen Opfern vorläufig Ihr Verlag die Pflege unserer Wissenschaft ermöglicht; ich betrachte es bisher als einfach im Interesse unserer Wissenschaft liegend, wenn ich Ihnen gelegentlich behilflich zu sein versuchte, ohne dafür eine besondere Gegenleistung zu fordern. Aber an dieser inneren Stellungnahme braucht die Annahme Ihres Vorschlages nichts zu ändern, und so habe ich mein anfängliches Bedenken zurückgestellt. Ich würde nur darum bitten, unsere Abmachung als durchaus vertraulich zu behandeln, da sonst leicht die Gefahr einer Missdeutung von seiten Aussenstehender entstehen könnte.27

Vertraulichkeit wurde ihm vom Verleger zugesichert, wobei sich die Geheimhaltung lediglich auf die Bezahlung beziehen konnte, denn Courant verhandelte mit 26 27 192

Springer an Courant, 20. Oktober 1921, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Courant an Springer, 21. Oktober 1921, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

Autoren und die Grundlehren-Reihe war bald auch als »Sammlung Courant« bekannt. Die Zusammenarbeit zwischen Verlag und Berater erwies sich als besonders fruchtbar, denn Courant unternahm gelegentlich über das übliche Maß hinausgehende Anstrengungen, um angeregte Projekte zum Abschluß zu bringen. So schickte er z. B. seinen Assistenten Alwin Walther mit einem RockefellerStipendium nach Kopenhagen, um Niels Nörlund bei der Ausarbeitung seines Grundlehren-Bandes Vorlesungen über Differenzenrechnung zu unterstützen, der 1924 als Band 13 der Reihe erschien.28 Mit dem in Hamburg lehrenden Emil Artin war vereinbart, daß er seine Vorlesungen über Algebra für die Publikation in den Grundlehren bearbeiten sollte. Artin aber ging das Projekt ohne Begeisterung an, so daß Courant schließlich auf einen unorthodoxen Weg verfiel, wie er Springer im Mai 1926 berichtete: Über unsere Sammlung [ = die Grundlehren ] kann ich Ihnen erfreulicherweise berichten, dass die Algebra von Artin nunmehr endlich wirklich in Gang kommt. Ich habe einen jungen, ganz hervorragenden Mathematiker, der vom Winter ab als Assistent zu mir kommen wird und sich habilitieren soll, in Hamburg angestellt, um die Vorlesung von Artin über Algebra, die er jetzt hält, nachzuschreiben und auszuarbeiten. Dieser Mann, Dr. van der Waerden, ist eben gestern hergekommen und hat mir berichtet, dass zunächst alles gut funk tioniert.29

Ein Jahr später war der Optimismus zwar wieder etwas gedämpft, denn Artin machte, so Courant an Springer, »erneut Schwierigkeiten wegen seiner Algebra«. Er wollte »durchaus zurücktreten und van der Waerden das Feld allein überlassen.«30 Der von Courant eingeschlagene Weg war aber dennoch erfolgreich: die Moderne Algebra I, die Bartel Leendert van der Waerden schließlich festhielt, erschien 1930, hatte nach zwei Jahren mit mehr als 1200 verkauften Exemplaren die Kostendeckung erreicht, verhalf der modernen Mathematik

28 29

30

Nachzulesen in Nörlunds Vorwort und bei Kowalewski, Bestand und Wandel, S. 280. Courant an Springer, 18. Mai 1926, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 III. Vgl. die abweichende Schilderung bei Waerden, On the Sources of My Book Moderne Algebra, S. 38. Courant an Springer, 15. August 1927, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 III. 193

Eine Disziplin und ihre Verleger

zum Durchbruch und wurde schnell zum Klassiker, der zahlreiche Neuauflagen erlebte.31 Nun waren sowohl diese Art der Kooperation zwischen dem Berater Courant, dem ins Auge gefaßten Autor Artin und dem endgültigen Verfasser van der Waerden als auch die schriftstellerische Begabung van der Waerdens außergewöhnlich – seine 1932 in den Grundlehren erschienenen Gruppentheoretischen Methoden in der Quantenmechanik sind eine besonders gelungene Präsentation mathematischen Arbeitswissens, die sich binnen zweier Jahre mehr als 1000mal verkaufte.32 Auch andere Verlage sahen die Notwendigkeit, mathematische Berater für ihren Programmaufbau zu gewinnen. De Gruyter konnte nach dem Ersten Weltkrieg, als der Verlag Göschens Lehrbücherei etablieren wollte, den Jenenser Mathematiker Robert Haussner an sein Haus binden, der spätestens ab 1923 für seine Beratertätigkeit bezahlt wurde. Der erste Band von Göschens Lehrbücherei, der Nachfolge-Reihe der Sammlung Schubert, erschien 1921 ( siehe 6.6.2 ). Der Plan zu dieser Reihe ging auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück, und es waren bereits Verhandlungen mit Autoren aufgenommen worden. Unmittelbar nach dem Krieg wurde die Idee für eine preisgünstige mathematische Lehrbuchreihe erneut aufgegriffen: Die durch den Krieg hervorgerufene Verteuerung der Herstellung beeinflusst unseren Plan natürlich wesentlich. Es war beabsichtigt, für alle Bände durchweg recht niedrige Preise anzusetzen, um auch in dieser Beziehung nicht nur erfolgreich in den Wettbewerb eintreten zu können, sondern um auch die Konkurrenzverleger mit ihren hohen Preisen von vornherein zu schlagen. Jetzt liegen die Verhältnisse anders, besonders bei den speziellen Themen, von denen nur eine kleine Auflage hergestellt werden kann. Nach Rücksprache mit Herrn Geheimrat Haussner in Jena, unserem Berater in der Mathematik, wollen wir so vorgehen, dass wir z u n ä c h s t die Rosinen aus dem Kuchen picken, d. h. diejenigen Bände auswählen, von denen eine verhältnismässig grössere Auflage gedruckt werden kann, die also dementsprechend auch zu einem verhältnismässig niedrigen Preise ausgegeben werden können. Die spezielleren Themen sind noch zurückzustellen bis die Herstellungspreise wieder gesunken sind. [ … ] 31 32

194

Zum Einfuß des Buches siehe Corry, Modern Algebra, S. 43–54; zum Kontext siehe auch Soifer, Mathematical Coloring Book, S. 377–383. Dazu siehe Schneider, Die physikalischen Arbeiten des jungen B. L. van der Waerden.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten Die »Lehrbücherei« wird damit von vornherein jene Ausdehnung erfahren, an die Göschen erst für spätere Zeit gedacht hatte und die VwV [ = Vereinigung wissenschaftlicher Verleger ] erhält damit hoffentlich die beherrschende Lehrbüchersammlung, wie sie es in der Sammlung Göschen schon in bezug auf billige Leitfäden und Einführungen gewesen ist.33

Der Verlag konzipierte zusammen mit seinem Berater Haussner einen detaillierten Plan zum Aufbau der neuen Lehrbuchreihe, die ja die »beherrschende Lehrbuchsammlung« werden sollte. Die Sammlung sollte alle Gebiete der Mathematik und ihrer Anwendungen einbeziehen: 1. Gruppe: Reine Mathematik, 2. Gruppe: Angewandte Mathematik, 3. Gruppe: Exakte Naturwissenschaften und naturwissenschaftliche Grundlagen der Technik, 4. Gruppe: Maschinentechnik, 5. Gruppe: Elektrotechnik, 6. Gruppe: Hochbau, 7. Gruppe: Tiefbau und als 8. Gruppe: Technologie. Mit dieser Konzeption waren sämtliche in Frage kommenden Lehrgebiete und Fachdisziplinen berücksichtigt. Die einzelnen Gruppen wurden weiter in unterschiedliche Teilgebiete differenziert. Das Schema zeigt, daß die Reihe gründlich durchdacht wurde, wie es das Beispiel der reinen Mathematik belegt, das aus diesem Grunde hier ausführlich zitiert wird: 1.

2.

33

Abteilung: Allgemeines Formelsammlung – Logarithmentafel ( fünfstellige Tafeln, natürliche Logarithmen, Logarithmen trigonometrischer Funktionen usw. ) – Funktionentafeln – Geschichte der Mathematik Abteilung: Analysis Grundlagen der Arithmetik – Mengenlehre – Determinanten – Zahlentheorie: a ) Kongruenzen 1. und 2. Grades, Quadratische Formen, b ) Höhere Zahlentheorie ( Theorie der algebraischen Zahlen ), c ) Analytische Geometrie – Irrationalzahlen ( Transzendenz von e und ʌ einschliesslich ) – Vektoranalysis für Mathematiker ( mit Anwendung auf Geometrie, Mechanik und mathematische Physik ) – Algebra: a ) Elementare Algebra, Gleichungen 1. bis 4. Grades, Unauflösbarkeit der Gleichungen höheren Grades, Auflösung numerischer Gleichungen, b ) Gruppentheorie, Abel’sche Gleichungen usw. – Formen- und Invariantentheorie ( mit geometrischen Anwendungen ) – Gruppen- und Substitutionentheorie – Algebraische Analysis ( oder elementare Funktionentheorie: Theorie und Praxis der Reihen und Produkte, reelle und komplexe Grössen ) –

Vgl. die verlagsinternen Notizen zu Göschens Lehrbücherei, VA de Gruyter, Hervorhebung im Original. 195

Eine Disziplin und ihre Verleger

3.

Differential- und Integralrechnung – Bestimmte Integrale und Fouriersche Reihen – Differenzen- und Interpolationsrechnung – Gewöhnliche Differentialgleichungen – Partielle Differentialgleichungen – Integralgleichungen – Integrierbare Differentialgleichungen – Approximative Integrationsmethoden – Variationsrechnung – Allgemeine Analytische Funktionentheorie – Algebraische Funktionen und ihre Integrale – Thetafunktionen – Elliptische Funktionen – Hyperelliptische und Abel’sche Funktionen – Automorphe Funktionen –Potential- ( Kreis- ), Kugel- und Zylinderfunktionen ( Mathematische Potentialtheorie ) – Bessel’sche und spezielle Funktionen ähnlicher Art Abteilung: Geometrie Grundlagen der Geometrie – Analysis situs – Moderne Planimetrie ( Neuere Dreiecks- und Kreisgeometrie, auch von der analytischen Seite aus ) – Geometrische Konstruktionen – Geometrische Verwandtschaften ( rein geometrisch ) – Trigonometrie – Moderne Stereometrie ( Polyeder, Raumeinteilung, Topologie ) – Synthetische Geometrie – Nichteuklidische Geometrie – Analytische Geometrie der Ebene ( einschliesslich der Kegelschnitte ) – Ebene algebraische Kurven ( insbesondere 3. und 4. Grades ) – Spezielle ebene ( algebraische und transzendente ) Kurven – Analytische Geometrie des Raumes – Flächen zweiten Grades – Algebraische Flächen höherer Ordnung ( insbesondere 3. und 4. Ordnung und Kegelflächen ) – Algebraische Raumkurven und abwickelbare Flächen – Liniengeometrie – Geometrische Transformationen ( analytisch ) – Differentialgeometrie der ebenen und Raumkurven ( letztere ohne Rücksicht auf die Flächen ) – Differentialgeometrie der krummen Flächen und Strahlensysteme – Spezielle krumme Flächen ( Minimal- und W-Flächen usw. ) – Abwickelung und Abbildung zweier krummer Flächen auf einander ( allgemein ) – Konforme und flächentreue Abbildungen der Kugel – ( Kartenprojektionslehre für Mathematiker ).

Einen solch detaillierten Plan konnte ein Verlag ohne fachwissenschaftliche Beratung nicht aufstellen. Ebenso differenziert wurden entsprechende Themenvorschläge für die angewandte Mathematik formuliert. Grundsätzlich galt es für Berater und Verlag, das Verhältnis zwischen der Mathematik und ihren Benutzern jenseits der Disziplingrenzen stets neu auszuloten. In diesem Zusammenhang hat Erich Trefftz, der an der TU Dresden angewandte Mathematik und Mechanik lehrte und seit 1925 den Teubner Verlag bei der Herausgabe der Reihe Teubners Mathematische Leitfäden ( zuvor Teubners Technische Leitfäden ) beriet, eine interessante Feststellung gemacht. Als 196

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

der Verlag ihm 1932 mitteilte, der Bücherabsatz sei »ja in einer erschreckenden Weise zurückgegangen,«34 denn die Mathematischen Leitfäden seien recht gut abgesetzt worden, die Technischen Leitfäden hingegen nicht, vermutete Trefftz als Ursache: Dazu kommt aber die etwas verschiedene Einstellung der Studierenden in den mathematischen und technischen Disziplinen. Die Ingenieurstudenten lernen überhaupt viel weniger aus Büchern als die Mathematiker und Naturwissenschaftler. Und wenn ein Student der Ingenieurwissenschaften einmal ein Buch zur Hand nimmt, so will er darin vor allen Dingen möglichst viele für die Konstruktion und Berechnung unmittelbar verwendbare Daten: Erfahrungswerte, Angaben über ausgeführte Konstruktionen und dergleichen finden. Das gilt nicht nur für die Studenten. Man kann wohl ziemlich allgemein sagen, daß der Ingenieur ein Buch in die Hand nimmt, um daraus etwas zu entnehmen und damit zu arbeiten, während der Mathematiker ein Buch nimmt, um etwas zu lernen und den Stoff zu verstehen.35

Folgt man der Überlegung von Trefftz in bezug auf den mathematischen Markt außerhalb der Disziplin Mathematik, so waren die Chancen eher gering, mathematisches Arbeitswissen gewinnbringend zu verkaufen. Das lag in seinen Augen nicht allein an der mangelnden Leseneigung der Ingenieure, sondern gleichermaßen am zu hohen Anspruch vieler Mathematiker. Im Januar 1935 dankte Trefftz seinem Darmstädter Kollegen Alwin Walther für die Übersendung eines Aufsatzes über Besselsche Funktionen für Ingenieure, den er gründlich gelesen hatte.36 Trefftz war der Meinung, daß ein Aufsatz grundsätzlich nicht geeignet sei, um »den Ingenieuren die Scheu vor solchen mathematischen Dingen zu nehmen, die normalerweise schon durch ihren Namen eine abschreckende Wirkung ausüben.« Er begründete diese Auffassung eingehend: Denn eine Darstellung – etwa der Besselschen Funktionen kann nur dann den gewünschten Erfolg haben, 1. ) wenn die Verwendbarkeit der Funktionen für die Probleme der Ingenieurwissenschaften an relativ zahlreichen Beispielen deutlich gemacht wird. 2. ) wenn hervortritt, worin die vielseitige 34 35 36

Vermutlich Giesecke-Teubner an Trefftz, 5. Januar 1932, TUAD, Nachlaß Trefftz, Nr. 9. Trefftz an Teubner Verlag ( vermutlich Giesecke-Teubner ), 2. April 1932, TUAD, Nachlaß Trefftz, Nr. 9. Walther, Besselsche Funktionen. 197

Eine Disziplin und ihre Verleger Kraft bestimmter mathematischer Hilfsmittel begründet ist ( also wenn die tiefer liegenden mathematischen Eigenschaften aufgezeigt werden ) und 3. ) wenn gesagt wird, wo der Ingenieur in einem solchen Falle die Funktionswerte findet, und wie die Tafeln zu benutzen sind. Diese drei Ziele im Rahmen eines kurzen Aufsatzes zu erreichen, wird kaum möglich sein. Über die Schwierigkeiten in dieser Beziehung sind Sie vermutlich besser unterrichtet als ich. Es fragt sich nun, wie man das Ziel am besten erreicht. Lehrbücher sind erfahrungsgemäß von geringem Erfolg, weil sie meist auf die eigentlichen mathematischen Entwicklungen zuviel Gewicht legen und für den praktischen Fall zu wenig Hilfe bieten. Ich könnte mir aber den ken, daß eine Sammlung von Beispielen von großem Nutzen sein könnte. Die mathematischen Deduktionen könnten dabei zurücktreten, es müßte nur soviel gesagt werden, wie not wendig gebraucht wird und ich würde es auch für zulässig halten, gewisse Dinge ohne Beweis einfach mitzuteilen. Wesentlich wäre die Anleitung zur Benutzung der Tafeln. Man müsste gewissermaßen nicht ein mathematisches Lehrbuch, sondern ein mathematisches Lesebuch schreiben. Das wäre etwas neuartiges, wobei man schon das Stirnrunzeln der mathematischen Hohenpriester in Kauf nehmen müßte. – Ich glaube, das würde nützlich sein, wenn auch der Kreis, an den man sich wenden kann, nur ziemlich klein ist. Er geht wohl kaum über die Ingenieure hinaus, die in Laboratorien und Forschungsanstalten arbeiten.37

Trefftz schilderte sehr genau die Probleme, die das kommunizierbar Machen mathematischen Wissens ( hier als Arbeitswissen für Ingenieure ) mit sich bringt. Dabei war er sich, wohl auch aus seiner Erfahrung als Berater von Teubner, dessen bewußt, daß, selbst wenn bei der Kodifizierung mathematischen Arbeitswissens das Dilemma der Polarität mathematischer Ansprüche und außermathematischer Bedürfnisse gelöst werden konnte, der buchhändlerische Erfolg noch immer nicht garantiert war. Die Analyse von Trefftz und die Aktivitäten Courants sprechen deutlich gegen die Vorstellung, der Wissenschaftsverlag handele mit fertigen Produkten. Courants Rolle für den Springer Verlag legt sogar die Schlußfolgerung nahe, daß ein Verlagsberater bzw. eine durch ihn repräsentierte Gruppe spezifische Strömungen innerhalb der Disziplin nicht nur aufnehmen, sondern verstärken und damit 37

198

Trefftz an Walther, 23. Januar 1935, TUAD, Nachlaß Trefftz, Nr. 16. Unterstreichungen im Original.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

eigene Akzente setzen kann bzw., umgekehrt, andere Strömungen stören kann. Die Entstehungsgeschichte der von van der Waerden verfaßten Modernen Algebra ist ein interessantes Beispiel, denn mit ihr war eine abstrakte Ausrichtung der Algebra verbunden, die Courant selbst später mit einem leicht kritischen Unterton betrachtete, als er 1935 aus den USA an Springer schrieb, das »Erscheinen eines weiteren Algebra-Buches bei uns, welches im Gegensatz zu dem abstrakten v. d. Waerden’schen die mehr konkreten Seiten behandeln soll, ist bestimmt ein sachliches Bedürfnis.«38 Tatsächlich stand van der Waerdens Moderne Algebra in klarem stilistischen Gegensatz zu den beiden kurz zuvor erschienenen GöschenBändchen Höhere Algebra ( 1926 / 27 ) von Helmut Hasse, in denen ein handfesterer Zugang zur Algebra präsentiert wurde, oder zur Einführung in die Algebra von Otto Haupt (Akademische Verlagsgesellschaft 1929 ). Obgleich Hasse den auf den Ideen von Emmy Noether und Emil Artin basierenden und von van der Waerden festgeschriebenen Zugang zur Algebra sehr wohl kannte, hatte er doch ein Buch geschrieben, das eher der klassischen Tradition, in seinen Worten der »Lehre von der Auflösung von Gleichungen«, verbunden war.39 Courant steht für das Phänomen, daß – überspitzt formuliert – der Berater bzw. die durch ihn repräsentierte Gruppe sich den Verlag aussucht und ihn in den Dienst eines Publikationsprogramms stellt. Davon haben im Falle der Zusammenarbeit mit Springer sowohl der Verlag als auch die Mathematik in Deutschland profitiert. Ähnlich gelagert, aber schlecht dokumentiert scheint die Rolle von Clebsch bei Teubner für eine an der Königsberger Schule orientierte, gegen Berlin gerichtete Gruppe von Mathematikern gewesen zu sein. Ohne diese Gruppe von »Oppositionellen« hätte Teubner möglicherweise nicht zum mathematischen Höhenflug ansetzen können. In beiden Fällen folgte auf die Phase der Expansion die Erkenntnis, daß der mathematische Verlag sich dauerhaft mathematischen Sachverstand sichern mußte. Die Bedeutung eines kompetenten Beraters aus der Wissenschaft wird auch durch die Tatsache untermauert, daß sich Verlage nach dem Ausscheiden eines Beraters umgehend um Ersatz bemühten. Als Courant 1933 zunächst nach England emigrierte, konnte er die Beratertätigkeit bei Springer nicht in der gewohnten Weise aufrechterhalten ( siehe 8.2.1 ). Zwar blieb er dem Verlag zunächst noch als Reihenherausgeber verbunden, beriet auch aus der Ferne und lotete in den 1930er Jahren die Chancen des Buchexports in die USA auf dem Lehrbuchsektor aus, aber angesichts der veränderten Lage, empfahl er Ferdinand 38 39

Courant an Springer, 19. Juli 1935, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 V. Zit. n. Hasse, Höhere Algebra, I, 5. Vgl. zu diesem Kontext Corry, Modern Algebra, S. 43 f. und 57–60. 199

Eine Disziplin und ihre Verleger

Springer schon im April 1934, er solle den Jenenser Mathematiker Friedrich Karl Schmidt als neuen Berater heranziehen.40 Im Juli betonte Courant erneut, er glaube, »dass sich aus dieser Bekanntschaft [ mit Schmidt ] für Sie [ Springer ] eine wirklich wertvolle Verbindung entwickeln kann«.41 Tatsächlich übernahm Schmidt die Rolle bald und erwies sich in den politisch schwierigen Zeiten als sensibler Berater und treuer Verbündeter des Verlags. Schmidt vertrat Courant zunächst, doch schließlich zog ihn der Verleger »zur Beratung bei den meisten mathematischen Unternehmungen« des Verlags heran.42 Schmidt beriet den Springer Verlag auch während des Krieges ( siehe 8.2 und 8.3 ), als der Verlag unter der Leitung von Tönjes Lange stand, und wurde für seine Beratertätigkeit bezahlt, wie aus einem Brief Langes an Schmidt vom Februar 1945 hervorgeht, in dem er auch ein »Beraterhonorar für 1944 in Höhe von RM 4800« erwähnte.43 Schmidt blieb dem Verlag nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden, als der Aufbau eines neuen Verlagsprogramms in Angriff genommen wurde.44 Der Fachberater im mathematischen Verlag ist spätestens nach dem Ersten Weltkrieg, wenn nicht schon ab den späten 1890er Jahren, weit mehr als der Ratgeber für einzelne Projekte – dafür bedurfte es nicht unbedingt einer konstanten Instanz –, sondern durch die Federführung bei der Planung einzelner Reihen oder sogar der Mitgestaltung des gesamten mathematischen Programms fest im Verlag verankert. Als Mittler zwischen den beiden Feldern der Produktion und der Distribution mathematischen Wissens kommt ihm eine zentrale Rolle zu. Der daraus hervorgehende Nutzen lag nicht einseitig auf Verlegerseite, sondern auch die Wissenschaft profitierte von einer ausgereiften Programmpolitik. Die Funktionen des Beraters konzentrieren sich auf folgende Aspekte: ( 1 ) die inhaltliche Planung des mathematischen Programms, ( 2 ) die Herstellung von Kontakten zu potentiellen Autoren, ( 3 ) die inhaltliche Beurteilung von Manuskripten, ( 4 ) die Einschätzung der Marktlage und der Absatzmöglichkeiten sowie ( 5 ) die Beobachtung neuer mathematischer Forschungsgebiete, aus denen sich ( lukrative ) Publikationsmöglichkeiten ergeben konnten und damit auch ( 6 ) die aktive Einwerbung oder Anregung von Manuskripten. 40 41 42 43 44 200

Courant an Springer, 28. April 1934, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 V. Courant an Springer, 24. Juli 1934, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 V. Schmidt an Springer, 9. November 1938, VA Springer, Abt. C: Berliner Korrespondenzarchiv, Ordner C 931. Lange an Schmidt, 16. Februar 1945, VA Springer, Abt. C: Berliner Korrespondenzarchiv, Ordner C 931. Vgl. auch Remmert, Mathematical Publishing in the Third Reich, S. 28 f.

Der Verlagsberater – Institution zwischen geistigen und ökonomischen Werten

Übersicht – nachweisbare Berater im mathematischen Verlag Alfred Clebsch (1833–1872)

Teubner, 1860er Jahre

Hermann Amandus Schwarz (1843–1921)

Springer, 1880er–1890er Jahre

Richard Dedekind (1831–1916)

Vieweg, 1880er–1890er Jahre

Heinrich Weber (1842–1913)

Vieweg, 1890er–1900er Jahre

Friedrich Engel (1861–1941)

Teubner, 1890er–1910er Jahre

Arnold Sommerfeld (1868–1951)

Teubner, ca. 1900

Walther von Dyck (1856–1934)

Teubner, ca. 1900

Robert Haussner (1863–1948)

Göschen, 1910er–1930er Jahre

Leon Lichtenstein (1878–1933)

Springer, 1914–1920er Jahre

Richard Courant (1888–1972)

Springer, 1917–1930er Jahre

Erich Trefftz (1888–1937)

Teubner, 1925–1937

Friedrich Karl Schmidt (1901–1977)

Springer, 1934–1960er Jahre

201

8

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

Auch wenn man zunächst vielleicht vermuten könnte, daß politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen im Bereich des mathematischen Publizierens keine Rolle spielen, zeigt eine genaue Untersuchung das Gegenteil. Zunächst einmal gibt es bereits in der Weimarer Zeit ein ausgeprägtes Interesse des Staates am Buch- und Zeitschriftenexport, das während des »Dritten Reichs« wieder aufgenommen wird ( 8.1 ). Darüber hinaus lassen sich im Hinblick auf den Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern politische Auswirkungen auf das mathematische Publikationswesen während des »Dritten Reiches« ebenso beobachten ( 8.2.1 ) wie ein starkes, durch die politischen Rahmenbedingungen motiviertes und gefördertes, fachpolitisches Engagement im mathematischen Publikationswesen ( 8.2.2 ). Im Zweiten Weltkrieg erfährt dieses Engagement eine Zuspitzung, als es darum geht, kriegswichtige mathematische Literatur und geeignete Lehrbuchliteratur zur Verfügung zu stellen ( 8.3 ).

8.1

Die »Weltgeltung« der deutschen wissenschaftlichen Literatur

Der Münchner Verleger Friedrich Oldenbourg nannte 1931 seine Abhandlung über das wissenschaftliche Verlagswesen Zur Weltgeltung des deutschen wissenschaftlichen Schrifttums und sein Verlegerkollege Bruno Hauff, Verlagsleiter des medizinischen Thieme Verlags, publizierte im selben Jahr einen Aufsatz mit dem Titel Die Aufgaben des wissenschaftlichen Verlages für die Weltgeltung des deutschen wissenschaftlichen Buches. Daß zwei Verleger von der weltweiten Bedeutung ihrer Produktion überzeugt sind, verwundert nicht. Es war aber tatsächlich so, daß die deutsche wissenschaftliche Buchproduktion, besonders 203

Eine Disziplin und ihre Verleger

medizinische, pharmazeutische und naturwissenschaftlich-technische Titel sowohl in hohem Maß ins Ausland exportiert als auch die Übersetzungsrechte ins europäische Ausland und nach Übersee verkauft wurden. Oldenbourg beobachtete dazu, daß die Inflation das deutsche wissenschaftliche Schrifttum für das Ausland attraktiv werden ließ, da der Preis »geradezu lächerlich genannt werden konnte. Für uns Deutsche hatte das die erfreuliche Folge, daß der Auslandsmarkt für deutsches Schrifttum rascher wieder geöffnet werden konnte, als das dem geistigen Zustand der Welt entsprach«.1

8.1.1

Buch- und Zeitschriftenexport

Bei der Verlagsförderung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft während der Weimarer Republik stand in erster Linie die Notwendigkeit im Vordergrund, das auf labilem ökonomischen Fundament stehende wissenschaftliche Publikationswesen in Deutschland in den Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg funktionsfähig zu erhalten ( siehe 6.3 ). Doch auch im Bereich des Buchexports traten staatliche Interessen hervor, denn die Bedeutung der deutschen wissenschaftlichen Literatur gegenüber der internationalen Konkurrenz zu bewahren, war nicht nur ein zentrales Anliegen der Verlagsbranche, die aus ökonomischen Gründen auf den internationalen Markt angewiesen war, und der wissenschaftlichen Seite, deren weltweite Konkurrenzfähigkeit und internationales Prestige in Gefahr schienen, sondern ebenso eine kulturpolitische Herausforderung. Neben den grundsätzlichen Finanzierungsproblemen in den einzelnen Disziplinen und im Bereich des Zeitschriftenimports, denen die Notgemeinschaft zu begegnen versuchte, bestand nach dem Ersten Weltkrieg das zusätzliche Problem des fast völlig zum Erliegen gekommenen Buchexports.2 Von 1913 bis 1924 ging der Export auf dem gesamten deutschen Buchmarkt um 60 Prozent zurück, wobei es sich dabei in erster Linie um wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften handelte.3 Daß die Schwierigkeiten, die für die Verleger hinsichtlich der Fortführung der wissenschaftlichen Zeitschriften entstanden, auch an maßgebender Stelle frühzeitig gesehen wurden, geht aus nachfolgender Äußerung des Unterstaats1 2 3

204

Oldenbourg, Zur Weltgeltung des deutschen wissenschaftlichen Schrifttums, S. 5. Zum Buchexport und Auslandsbuchhandel vgl. Grieser, Buchhandel und Verlag in der Inflation. Vgl. die Angaben z. B. in Schmitt-Ott, Denkschrift über den Rückgang in der Verbreitung, S. 4.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

sekretärs Karl-Heinrich Becker während der Verhandlungen des Staatshaushalts-Ausschusses hervor: Die Achtung vor der deutschen Wissenschaft rührt nicht von den grossen Instituten und Museen her, sondern von der tiefgrabenden und emsigen Gelehrtenarbeit, die durch die deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften in der ganzen Welt verbreitet werden. Die hierfür aufgewendeten Jahr- [ sic! ] oder Hunderttausende bedeuten für das deutsche Ansehen viel mehr als die Millionen, die für Auslandspropaganda von Seiten des Reiches ausgegeben werden. Deshalb ist die Frage der wissenschaftlichen Zeitschriften eine der brennendsten Fragen unserer ganzen Kulturpolitik überhaupt. Die Verleger können selbst die grossen wissenschaftlichen Organe nicht mehr aufrecht erhalten. Auf diesem Gebiete droht die Gefahr, dass alles durch Konkurrenzgründungen des Auslandes tot gemacht wird. Deshalb muss hier etwas Grosszügiges und zwar bald geschehen.4

Der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Adolf von Harnack, formulierte im Februar 1920 im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften eine Eingabe an die Nationalversammlung in Weimar, in der zwar das Problem der wissenschaftlichen Zeitschriften nicht speziell genannt wurde, deren Grundton aber die pessimistische Stimmung in den Wissenschaften sehr gut traf. Zu den vitalen Notwendigkeiten des Staates gehört auch die Erhaltung derjenigen großen Aktivposten, die er noch besitzt. Unter diesen Aktivposten kommt der deutschen Wissenschaft eine hervorragende Stelle zu. Sie ist die wichtigste Voraussetzung nicht nur für die Erhaltung der Bildung im Lande sowie für die Technik und Industrie Deutschlands, sondern auch für sein Ansehen und seine Weltstellung, von der wiederum Geltung und Kredite abhängen. Diese Tatsachen sind so bekannt, dass sie einer näheren Darlegung nicht bedürfen. Vor dem Kriege gründete sich das Ansehen Deutschlands auf seine Militärmacht, seine Industrie ( und Handel ) und seine Wissenschaft; in der letzteren hatte es in einigen Hauptzweigen die Führung und stand nirgendwo an zweiter Stelle; unermeßlich ist der geistige und auch der materielle Einfluß, den es durch die Wissenschaft ausgeübt hat. Nun aber ist die Militärmacht vernichtet, und Industrie und Handel sind aufs äußerste

4

Zit. n. Giesecke-Teubner an Engel, 16. Januar 1920, UAG, NE 120244. 205

Eine Disziplin und ihre Verleger geschwächt; die Wissenschaft aber, trotz des Verlustes von Tausenden ihrer Träger, steht noch immer aufrecht, doch droht auch ihr der Untergang.5

Harnack gab der durchaus verbreiteten Auffassung Ausdruck, daß die Wissenschaft in Deutschland zu den wenigen Gebieten zählte, auf denen man noch ungeschlagen sei. Natürlich gehörte dieser rhetorische Kunstgriff zu den Standardargumenten, wenn es darum ging, der notleidenden Wissenschaft in Deutschland neue Ressourcen zu eröffnen oder doch zumindest die alten nach Möglichkeit zu erhalten. In einer im Oktober 1920 erschienenen ausführlichen Bestandsaufnahme der Not der deutschen Wissenschaft von Eduard Wildhagen, der von 1920–1923 als Hauptgeschäftsführer der eben gegründeten Notgemeinschaft für die deutsche Wissenschaft tätig war, wurden die Gravamina Harnacks im Detail erläutert. Dabei ging Wildhagen ausdrücklich auf die »neue Not« im wissenschaftlichen Publikationswesen ein. Vor dem Krieg habe Deutschland in diesem Bereich eine international führende Stelle eingenommen und zu dem hohen Ansehen habe sich der Profit durch den Export wissenschaftlicher Publikationen gesellt. Nun aber müßten »wichtige wissenschaftliche Zeitschriften von Weltruf auf dem Gebiete der Medizin, Mathematik, Volkswirtschaft u.a., auf welche die ganze Welt wartet, und die die Träger neuer freundschaftlicher Beziehungen zu werden berufen wären, ihr Erscheinen einstellen«.6 Hier kam der Wissenschaft und dem wissenschaftlichen Publikationswesen in Deutschland eine zweifache politische Funktion zu, nämlich einerseits das wissenschaftliche Ansehen Deutschlands in der Welt zu erneuern und anderseits außenpolitischen Bestrebungen zu dienen. Tatsächlich kam angesichts des Boykotts der deutschen Wissenschaft ihrer Reintegration in das internationale Beziehungsgeflecht nicht nur eine hohe Bedeutung für den Fortgang der Wissenschaft im Deutschen Reich zu ( obwohl über das Ausmaß der tatsächlichen Boykottfolgen insbesondere im Vergleich zu den materiellen Engpässen kaum konkrete Daten in der historischen Literatur zu finden sind7 ), sondern die Reintegration spielte auch eine wichtige Rolle in der offiziellen Außenpolitik. So hatte man im Auswärtigen Amt in den frühen 1920er Jahren großes Interesse daran, den Boykott schnellstmöglich zu beenden und sich als verläßlicher, aufrichtiger Partner zu profilieren. Nach Einschätzung eines ranghohen Diplomaten vom April 1921 würden, solange »die Boykottie5 6 7

206

Zit. n. Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 33. Wildhagen, Die Not der deutschen Wissenschaft, S. 7. Dazu Schröder-Gudehus, Internationale Wissenschaftsbeziehungen, S. 861 f. vgl. Reinbothe, Deutsch als internationale Wissenschaftssprache.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

rung besteht, [ … ] gerade die geistig führenden Schichten derjenigen Mächte, die am Weltkriege hauptsächlich beteiligt waren, aus der Kriegspsychose niemals herauskommen, der Krieg wird auf geistigem Gebiet fortgesetzt, und es fehlt daher jede Resonanz für eine Versöhnungspolitik«.8 In diesem größeren politischen Kontext kam dem Buchexport auch von staatlicher Seite erhöhte Aufmerksamkeit zu, denn er berührte nicht nur die Interessen der einzelnen Verlage und der wissenschaftlichen Disziplinen – insbesondere in der Mathematik und in den Naturwissenschaften –, sondern war darüber hinaus ein bedeutender außen- und kulturpolitischer Faktor. Wildhagen eröffnete in dem bereits zitierten Artikel mit der Frage »Welche Folgen hat das für das Reich?« eine langanhaltende Diskussion, an der sich Verleger, Wissenschaftler und Politiker beteiligten, und die sich auch auf die Frage des Buchexports erstreckte.9 So betonte im Inflationsjahr 1923 der kulturpolitische Sprecher der Zentrumspartei und Münsteraner Professor, Prälat Georg Schreiber, in seiner Streitschrift Die Not der deutschen Wissenschaft und der geistigen Arbeiter, daß »die Produktion wissenschaftlicher Bücher [ … ] einen Teil des deutschen geistigen Exports« darstelle. Aus diesem Grunde sei, so Schreiber, »der Niedergang der wissenschaftlichen Bücherherstellung gleichbedeutend mit dem Niedergang deutschen Ansehens, auch mit der Minderung von Möglichkeiten, moralische Eroberungen – richtiger gesprochen Rückeroberungen – im Auslande zu machen«.10 Die staatlichen Interessen am privatwirtschaftlich organisierten und finanzierten Buchexport und der damit ideell verbundenen »Weltgeltung des deutschen wissenschaftlichen Buches« sind auch im Zusammenhang mit dem gleichzeitig enorm ansteigenden Buchexport aus Frankreich zu verstehen. Auf einer im Dezember 1923 vom Auswärtigen Amt einberufenen Besprechung, an der Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Verlagsbuchhandel teilnahmen, wurde festgestellt, daß im gleichen Maß, wie der deutsche Export rückläufig war, der französische mit staatlicher Unterstützung florierte. 1924 meldete der Jahresbericht des Maison du Livre Français, daß sich der Umsatz im französischen Buchexport gegenüber 1923 verdoppelt habe. Diese Entwicklung wurde von deutscher Seite als kulturpolitische Bedrohung empfunden.11 Die Subventionen 8

9 10 11

So der Staatssekretär im Auswär tigen Amt im April 1921 in einem Brief an den Gesandten in Stockholm, zit. n. Schröder-Gudehus, Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit, S. 216 f. Vgl. die Angaben bei Wildhagen, Die Not der deutschen Wissenschaft, S. 2. Schreiber, Die Not der deutschen Wissenschaft und der geistigen Arbeiter, S. 35. Vgl. dazu Schmitt-Ott, Denkschrift über den Rückgang in der Verbreitung, S. 4. 207

Eine Disziplin und ihre Verleger

des französischen Staates erstreckten sich auch auf die wissenschaftlichen Zeitschriften, in denen das Auswärtige Amt »ein wichtiges Mittel der deutschen Kulturpolitik« sah. In der Krisensitzung im Dezember 1923 wurde »die Gefahr« betont, »die der deutschen kulturellen und politischen Weltgeltung durch den automatischen Ersatz eingegangener deutscher Zeitschriften durch französische drohe«.12 Einen anderen, für die Wissenschaft in Deutschland nicht weniger wichtigen Aspekt betonte von Harnack, nämlich die Bedeutung des Zeitschriftenaustausches mit dem Ausland, der bei einem Zeitschriftensterben zum Erliegen käme ( siehe 6.4.2 ).13 Die Besprechung blieb trotz hochgesteckter Erwartungen ohne greifbare Ergebnisse, so daß Schmidt-Ott Ende 1924 die Initiative seitens der Notgemeinschaft ergriff. In den Gesprächen der Notgemeinschaft mit Vertretern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und Verlagsbuchhändlern u.a. mit de Gruyter-Verleger von Crayen am 29. November 1924 wurde beschlossen, das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsinnenministerium sowie das Auswärtige Amt zu durchgreifenden Maßnahmen aufzufordern, da die Weltgeltung der deutschen Wissenschaft bedroht sei. Als Beispiel für eine fatale Entwicklung wurde neben Schweden und Ungarn auch Italien genannt, wo »Bibliotheken die deutsche Literatur abbestellten, wenn sie gleichwertige französische umsonst oder zu niedrigeren Preisen erhalten können. Frankreich habe jährlich 63 Millionen Frcs für Propagandazwecke zur Verfügung«.14 Auch die finanzielle Förderung von Gründungen französischer Buchhandlungen im Ausland ( Schweiz, Schweden, Niederlande, Norwegen und Dänemark ) durch den französischen Staat wurde als Bedrohung gewertet. Als Lösung des Export-Problems besonders auf dem Gebiet der Zeitschriften wurden von der Notgemeinschaft und dem Börsenverein Leitsätze verabschiedet, deren Kern aus der Forderung nach Einrichtung eines staatlichen Zeitschriftenfonds aus Reichsmitteln bestand. Dieser sollte wissenschaftliche Zeitschriften, »die für die Verbreitung im Auslande von Bedeutung sind«, zur Herabsetzung des Verkaufspreises unterstützen. Etwa 400 deutsche Zeitschriften seien betroffen. Man verständigte sich darauf, dass dieser Antrag streng vertraulich an das Wirtschaftsministerium weitergeleitet werden sollte, »auch in die Presse dürfe 12 13 14

208

Zit. n. der Abschrift des Protokolls der Sitzung vom 11. Dezember 1923, VA de Gruyter, Dep. 42, 86, S. 1 f. Ebd., S. 3 f. Vgl. zum Folgenden Karl Siegismund: Niederschrift über Verhandlungen mit Vertretern des Vorstandes des Börsenvereins und des Verlags-Buchhandels am 29. November 1924, Abschrift in: VA de Gruyter, Dep. 42, 86.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

die Sache erst später kommen, denn das Ausland dürfte nicht darauf aufmerksam gemacht werden«. Im März 1925 reagierte das Reichswirtschaftsministerium mit einem vertraulichen Schreiben an das Innenministerium, in dem betont wurde, das von der Notgemeinschaft und dem Börsenverein angestrebte Ziel verdiene grundsätzlich jede Förderung »welche die Finanzlage des Reiches irgend zulässt«.15 Konkrete Vereinbarungen wurden allerdings nicht getroffen. Den wissenschaftlichen Verlegern kamen solche Entwicklungen sehr entgegen. Wilhelm von Crayen hatte der DMV gegenüber in seiner Verteidigung des Valuta-Aufschlags beim Export schon geäußert, daß der Gewinn aus dem Export von Büchern und Zeitschriften auch den Inlandspreisen zugute komme und für den Verlag von hoher ökonomischer Bedeutung sei. Als Beleg läßt sich Crelles Journal heranziehen: von den ersten beiden Heften des 153. Bandes dieser Zeitschrift setzte de Gruyter 1923 insgesamt 236 Exemplare im Inland ab und erzielte einen Erlös von 3.469.200.000 Mark, im Ausland hingegen wurden zwar nur 126 Exemplare verkauft, der Erlös betrug allerdings 4.630.500.000 Mark ( 57 % des Gesamterlöses bei 35 % der verkauften Exemplare ).16 Auch die Kalkulation für das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik sah 1922 für die 71 Auslandsabonnenten einen Aufschlag von 500 % gegenüber dem Inlandspreis vor, so daß die Kalkulation statt von 158 Inlands- und 71 Auslandsexemplaren von insgesamt 548 Exemplaren zum Inlandspreis ausging ( siehe 6.4.1 ).17 Offensichtlich war der Exportmarkt nicht nur im Bereich der wissenschaftlichen Zeitschriften unverzichtbar, sondern in manchen Fällen auch notwendig, um wissenschaftliche Bücher fürs Inland produzieren zu können. Das sah man trotz einer durchaus risikofreudigen Publikationspolitik auch im Hause Springer so. Nachdem der Göttinger Privatdozent Alexander Ostrowski angeregt hatte, er könne eine deutsche Übersetzung von G. H. Hardys erfolgreichem A Course of Pure Mathematics ( Cambridge 1908, 4. Auflage 1925 ) anfertigen, legte Courant ihm im April 1924 dar, Springer sei der Ansicht, »dass seit einiger Zeit die geschäftlichen Aussichten von Übersetzungen aus dem Englischen sich sehr verschlechtert haben, da die deutschen Preise kaum noch mit den englischen konkurrenzfähig sind. Andererseits muss man mit der sinkenden Kaufkraft im Innern rechnen. Daher will Springer jetzt im Prinzip nur noch solche Übersetzungen veranstalten, welche entschiedene und vorteilhafte Modifikationen oder 15 16 17

Vgl. das vertrauliche Schreiben des Reichswirtschaftsministers an das Reichsministerium des Innern vom 24. März 1925, Abschrift in: VA de Gruyter, Dep. 42, 86. Vgl. Kalkulationen Abt. Göschen, 1922–1939, VA de Gruyter, Dep. 42, 593. Vgl. die Kalkulation zum Jahrbuch vom 30. Januar 1922, VA de Gruyter, Dep. 42, 86: DFG-Abrechnungen 1920–1942. 209

Eine Disziplin und ihre Verleger

Ergänzungen des Originals enthalten, sodass dadurch die Aussichten der deutschen Ausgabe auch auf dem Auslandsmarkte wieder wachsen.«18 Während der Phase der wirtschaftlichen Erholung, den »Goldenen Zwanziger Jahren« zwischen 1924 und 1929, erlebte der wissenschaftliche Buchmarkt eine Beruhigung. Das Exportproblem ruhte jedoch lediglich und wurde zu Beginn des »Dritten Reichs« als kulturpolitisches Problem wieder aktuell.

8.1.2

Buchexport im »Dritten Reich«: das Buchexportausgleichsverfahren

»Das Buch und sein Absatz im Auslande ist keine wirtschaftliche Angelegenheit eines bestimmten Interessentenkreises, sondern eine Frage, die das geistige Schicksal unserer Nation in der Welt ganz entscheidend mitbestimmt.«19 So urteilte im Sommer 1935, Franz Thierfelder, der Generalsekretär der Deutschen Akademie in München.20 Für den deutschen wissenschaftlichen Verlag allerdings gelte, daß er sich international eine gewisse Monopolstellung erarbeitet habe, die gepaart mit überhöhten Preisen, besonders bei Zeitschriften, zu einer Absatzkrise im Ausland geführt habe. Dieses tatsächlich bestehende Problem wurde bereits im Oktober 1933 auf internationaler Ebene auf der Jahrestagung der American Library Association in Chicago besprochen, an der auch Ferdinand Springer teilnahm.21 Die Problematik des Buchabsatzes in den USA warf 1935 auch der inzwischen in die USA emigrierte Courant gegenüber Springer auf: Es ist allerdings eine andere Frage, wie sich die buchhändlerischen Chancen der mathematischen Literatur, welche nicht elementare Lehrbuchliteratur ist, in der Zukunft entwickeln werden. Ich mache mir darüber viel Gedanken, auch gerade an Hand der Absatzstatistiken unserer Sammlung [ = Grundlehren ]. In Deutschland scheint der Kreis der individuellen Käufer wissenschaftlicher Bücher sehr stark eingeengt zu sein, und daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Um so wichtiger ist es, dass alles Mögliche unter dem Gesichtspunkte des Absatzes im Ausland geschieht. Hoffentlich 18 19 20

21 210

Courant an Ostrowski, 12. April 1924, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 I. Thierfelder, Die deutsche Buchausfuhr, S. 3. Die Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums ( Deutsche Akademie ) bestand 1925–1945 in München. Sie gilt als Vorläuferin der Goethe-Institute. Vgl. Leyh, Die Zeitschriftenreform und das Abkommen von Chicago.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen ist das neue Abkommen mit den amerikanischen Bibliotheken wirksam. Ich denke aber auch darüber nach, ob nicht für den Absatz an Einzelbezieher hier in Amerika irgend etwas durchgreifendes geschehen könnte. Das Fehlen eines geordneten Buchhandels oder einer anderen vernünftigen Absatzorganisation ist wohl die Hauptschwierigkeit. Die Studenten, selbst an wissenschaftlich hochstehenden und wohlhabenden Universitäten, haben keine Möglichkeit in bequemer Weise deutsche mathematische Bücher zu kaufen, und wenn, dann nur zu relativ hohen Preisen. Wenn eine grössere amerikanische Firma, wie z. B. Mac Graw Hill, irgendwie mit der Firma [ = Springer ] zusammenarbeiten würde, evtl. indem sie in Amerika als Vertreter der Gelben Sammlung oder auch anderer Unternehmungen auftritt, so könnte dies wahrscheinlich eine wesentliche Verbesserung der Situation mit sich bringen. Meinen Sie, dass ich diese Frage einmal etwas näher untersuchen soll?22

Zunächst kam es jedoch nicht zu einer Kooperation Springers mit amerikanischen Firmen. In Japan, England und den skandinavischen Ländern, die nach den USA zu den wichtigsten Abnehmern wissenschaftlicher Literatur aus Deutschland zählten, waren während und nach der Weltwirtschaftskrise die Budgets der Bibliotheken und der Universitäten stark gekürzt worden. Hinzu kamen Abwertungen der jeweiligen Landeswährungen, was dem Buch- und Zeitschriftenimport als weiteres Hindernis entgegenstand. Vor dem internationalen Bibliothekarskongreß in Madrid 1935 wurde das Problem der teuren deutschen wissenschaftlichen Literatur wiederholt thematisiert, und vor allem von Seiten der USA wurde gedroht, deutsche wissenschaftliche Literatur zu boykottieren. In Deutschland waren 1933 im Vergleich mit 1932 die Deviseneinnahmen im Buchmarkt um 17,8 Prozent zurückgegangen.23 Der Buchexport ging insgesamt zwischen 1933 und 1935 um mehr als 27 Prozent zurück.24 Das ökonomische Argument war aber nur von nachrangiger Bedeutung, da ein anderer Aspekt viel stärker gewichtet wurde: Um im Sinne der

22

23 24

Courant an Springer, 19. Juli 1935, VA Springer, Abt. B ( 1912–1936 ), C 67 V; vgl. zu diesem Themenkomplex Siegmund-Schultze, Mathematiker auf der Flucht vor Hitler, S. 147. Vgl. den Geschäftsbericht des Vorstands des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig über das Vereinsjahr 1933, S. 345. Vgl. Knoche, Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 262. 211

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deutschen Kulturpropaganda einen stetig fortschreitenden Rückgang des Buchexports zu verhindern, sollte der Buchexport staatlich gefördert werden.25 Einen institutionellen Rahmen erhielt die Förderung durch die Errichtung der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels am 1. August 1935.26 Hauptaufgabe der Wirtschaftstelle war die Durchführung des Buchexportausgleichsverfahrens, das eine Senkung der Auslandspreise von neuen Büchern, neuen graphischen Lehrmitteln, Zeitschriften und Musikalien um 25 % vorsah. Ausgenommen waren Zeitungen, antiquarische Bücher mit aufgehobenem Ladenpreis sowie Veröffentlichungen aus Firmen, die nicht Mitglied der Reichspressekammer, Reichsschrifttumskammer oder Reichsmusikkammer waren. Das Verfahren wurde von mehreren Ministerien ins Leben gerufen: vom Reichsministerium für Finanzen, vom Reichswirtschaftsministerium und vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, dessen Abteilungen Reichsschrifttumskammer, Reichsmusikkammer und Reichspressekammer maßgeblich beteiligt waren und dem schließlich im April 1938 die Wirtschaftsstelle direkt unterstellt wurde. Beginnend mit dem 9. September 1935 mußten deutsche Buchhändler auf Bestellungen aus dem Ausland einen Rabatt von 25 % gewähren. Zur Finanzierung stellte das Reichsfinanzministerium 10 Millionen Reichsmark für zur Verfügung; bis Kriegsbeginn war der Etat fast völlig ausgeschöpft. Das Ausland sollte allerdings von dieser staatlichen Entscheidung keinerlei Kenntnis erhalten, sondern sie sollte als »rein privatwirtschaftliche Maßnahme der deutschen Verleger erscheinen, mit der eine seit langem im Ausland erhobene Forderung eingelöst wurde«.27 Besonders günstig wirkte sich das Buchexportausgleichsverfahren auf die wissenschaftlichen Verlage aus. Hatte ihr Förderanteil 1938 bei 21 % für Bücher und bei 16,6 % für wissenschaftliche Zeitschriften gelegen, so stieg er 1939 bereits auf 27,4 % und 19,7 %. Insbesondere stiegen die Exporte wissenschaftlicher Literatur nach Japan und in die USA.28 Einen kritischen Punkt für den Export wissenschaftlicher Literatur bedeutete der Kriegsausbruch. Am 30. September 1939, nur wenige Wochen nach dem Angriff auf Polen, wandte sich der Leiter der Fachgruppe Wissenschaftlicher Verlag der Gruppe Buchhandel in der Reichsschrifttumskammer, Arthur

25 26 27 28 212

S. z. B. die Argumentation von Hunke, Buch und Buchhändler im neuen Staat, bes. S. 29–32. Vgl. hierzu die Ausführungen von Hövel, Die Wirtschaftstelle des deutschen Buchhandels, S. B1-B16. Barbian, Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 648 f. Ebd., S. 652 f.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

Georgi29, mit einem »streng vertraulichen« Brief an die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger, um diese über die Frage der Bücherlieferung ins feindliche Ausland einschließlich dessen Kolonien zu informieren: Durch Rückfrage habe ich mich vergewissert, dass es im Interesse der Aufrechterhaltung des Exportes durchaus erwünscht ist, wenn der Verlag und die Exporteure sich zur Belieferung ihrer dortigen Kunden eines zuverlässigen Buchhändlers im neutralen Ausland bedienen. Wohl jeder Verleger wird bereits diesbezügliche Anfragen aus Holland, der Schweiz oder Dänemark erhalten haben. Ich bitte Sie, diesen Anfragen nachzugehen und nach Möglichkeit eine Uebereinkunft zu erzielen. Dabei erscheint es jedoch angebracht, in jedem Fall durch einen entsprechenden Vorbehalt darauf hinzuwirken, dass die Belieferung Ihrer buchhändlerischen und privaten Kunden im feindlichen Ausland einschl. dessen Kolonien über einen zuverlässigen neutralen Buchhändler nur für die Kriegszeit erfolgt, und dass Ihnen demgemäss die Kunden bei Kriegsschluss wieder zurückgegeben werden. Dass dieses ohne weiteres möglich ist und von den Buchhändlern des neutralen Auslandes auch nicht anders erwartet wird, zeigen die bisherigen Verhandlungen.30

Während des Zweiten Weltkriegs spielte das Buchexportausgleichsverfahren kaum noch eine Rolle und wurde am 1. April 1943 eingestellt. Der Historiker Jan-Pieter Barbian gelangt zu der Einschätzung, »daß die Wissenschaftsliteratur aus Deutschland im Laufe der dreißiger Jahre ihre Weltgeltung zurückgewinnen konnte, [ sei ] ein entscheidender kulturpolitischer Erfolg« gewesen. »Denn auf diese Weise konnte dem von deutschen Emigranten im Ausland immer wieder erhobenen Vorwurf der Kulturfeindlichkeit des Nationalsozialismus wirkungsvoll begegnet, der in einigen Ländern praktizierte Boykott gegen deutsche Waren unterlaufen und das Verhältnis der ›geistigen Eliten‹ des befreundeten Auslandes zum ›Dritten Reich‹ positiv beeinflußt werden.«31 Tatsächlich hatte der Exportimperativ innerhalb Deutschlands auch jenseits erfreulicher Einflüsse auf die Verkaufszahlen spürbare Folgen, denn Beeinträchtigungen der Qualität wissenschaftlicher Publikationen und des Umfangs 29

30 31

Sohn des gleichnamigen Berliner Verlegers Arthur Georgi, Inhaber des Paul Parey Verlags, von 1953–1956 Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Brief im VA Springer, Ordner 1.18.3 Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. Barbian, Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 653. 213

Eine Disziplin und ihre Verleger

wissenschaftlicher Zeitschriften sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Darüber hinaus war ein vorsichtiger Umgang mit jüdischen Autoren erforderlich – vorsichtiger zumindest als manchem Freund der neuen Zeit lieb gewesen sein mag –, um nicht durch antisemitisches Getöse die Kollegen im Ausland zu verärgern und negative Auswirkungen auf den Export zu provozieren. Auch Veränderungen im wissenschaftlichen Zeitschriftenwesen wurden daher von staatlichen Stellen kritisch gesehen ( siehe 8.2 ).

8.1.3

Unberechtigte Übersetzungen und Nachdrucke deutscher mathematischer Titel in den USA während des Zweiten Weltkriegs und danach

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs entstand in den USA die Befürchtung, keinen uneingeschränkten Zugang mehr zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Europa zu haben. Bereits 1939 investierten die USA daher 1,5 Millionen Dollar für den Import wissenschaftlicher Bücher und Zeitschriften, hauptsächlich aus Deutschland.32 Das amerikanische Interesse konzentrierte sich vor allem auf naturwissenschaftliche und technische Literatur. Um deutsche Literatur zu beschaffen, wurde zunächst im Oktober 1939 von den amerikanischen Bibliotheken das Joint Committee on Importations gegründet, das vom Außenministerium gefördert wurde und eng mit der Library of Congress zusammenarbeitete. Die Aufgabe des Joint Committees bestand darin, systematisch wissenschaftliche Literatur besonders aus Deutschland, aber auch aus Italien und Spanien zu besorgen. Von jedem erhaltenen Exemplar wurden bis zu 100 Kopien angefertigt, die dann an unterschiedliche Forschungsinstitutionen, Bibliotheken und industrielle Konzerne verteilt wurden.33 Die Finanzierung dieser Aktion übernahmen die Bibliotheken, die nun maßgeblich an der Bereitstellung kriegswichtiger Informationen beteiligt waren. Bis Kriegsbeginn war der Erwerb von Wissenschaftsliteratur aus Deutschland über den mittelatlantischen Seeweg relativ leicht. Nach dem englischen Embargo war der Seeweg verschlossen und nach dem Kriegseintritt der UdSSR auch der Weg über die transsibirische Eisenbahn nach Shanghai, wo aus Deutschland emigrierte Buchhändler für die Distribution deutscher Bücher sorgten. Nach dem Kriegseintritt der USA kam es dort 1942 zur Gründung einer neuen Organisation, die von der Regierung finanziert wurde, dem Interdepartmental Committee for the Acquisitation of Foreign Publications ( IDC ). Das IDC 32 33 214

Vgl. Sarkowski, Amerikanische Nachdrucke, S. B97. Vgl. Nemeyer, Scholarly Reprint Publishing, S. 37.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

arbeitete streng geheim und unterstand dem United States Office of Strategic Services. Aufgabe des IDC war es, ausländische Exemplare deutscher Wissenschaftsliteratur ausfindig zu machen und zunächst für deren Mikroverfilmung zu sorgen. Bis Ende 1943 wurden regelmäßig ca. 250 Zeitschriften mit insgesamt ca. 5,5 Millionen Seiten auf Mikrofilm photographiert.34 Obwohl sich diese Vorgehensweise bewährt hatte, waren die Mikrofilme problematisch in der Handhabung, weil einerseits nicht genügend Lesegeräte in den Bibliotheken zur Verfügung standen und die meisten Wissenschaftler die Filme als höchst unpraktisch empfanden. Man ging zum Nachdruck auf Papier über, was allerdings gegen das Copyright-Gesetz der USA verstieß. Daher wurde am 21. April 1942 das Office of the Alien Property Custodian (APC ) wieder eingesetzt. Der APC war schon während des Ersten Weltkriegs 1917 mit dem Ziel gegründet worden, deutsche Patente und andere Urheberrechte der amerikanischen chemischen Industrie zugänglich und nutzbar zu machen. Der APC war der Justizbehörde untergeordnet und wurde im April 1942 von Präsident Roosevelt wieder ins Leben gerufen, um europäische wissenschaftliche und technische Zeitschriften feindlicher Nationen nachzudrucken. Grundlage war das ebenfalls seit 1917 existierende Gesetz »Trading with the Enemy Act«, das dazu bevollmächtigte, die Urheberrechte von Publikationen aus Feindesland auf die USA zu übertragen. Das vom APC initiierte Nachdruckprogramm umfaßte mehrere Aspekte: die Auswahl der nachzudruckenden Werke, die Beschaffung der Originale sowie die Distribution der Nachdrucke.35 Der APC gab mehr als 700 Titel zum Nachdruck frei, indem er Verlagen und Druckereien Lizenzen erteilte, die von den Lizenznehmern bezahlt werden mußten.36 Mit diesen Geldern sollten nach Kriegsende Schadensansprüche deutscher Verlage bezahlt werden, wozu es jedoch nie kam. Im Herbst 1943 wurde mit dem Nachdruckprogramm begonnen, an dem auch der emigrierte deutsche Verleger Walter Johnson ( Jolowicz ) mit der von ihm gegründeten Academic Press beteiligt war. Er druckte vor allem seine eigenen, in der Akademischen Verlagsanstalt erschienenen Bücher nach. Allerdings druckten auch andere Verlage Titel aus der Akademischen Verlagsanstalt nach ( Beispiele siehe Kasten ). Der Schwerpunkt lag auf chemischen und technischen Werken, weniger auf mathematischen, dennoch wurden auch mathematische Titel nachgedruckt. Lediglich bei den Zeitschriften wurden ausschließlich Kriegsjahrgänge reproduziert. Dazu gehörten Band 119 der Mathematischen Annalen, Band 48 und 49 der Mathematischen Zeitschrift, Band 27 34 35 36

Vgl. Spence Richards, Scientific information in wartime, S. 84. Vgl. Nemeyer, Scholarly Reprint Publishing, S. 41. Vgl. Sarkowski, Amerikanische Nachdrucke, S. B99. 215

Eine Disziplin und ihre Verleger

und 28 des Zentralblatts für Mathematik und ihre Grenzgebiete sowie Band 185 und 186 des Journals für die reine und angewandte Mathematik37 Der Springer Verlag war in allen Disziplinen besonders betroffen.38 Bei Büchern wurden nicht nur während des Krieges publizierte Titel nachgedruckt, sondern auch solche aus der Vorkriegszeit. Der Nachdruck von Büchern erfolgte in kommerziellen Druckereien oder Verlagen. Alle Publikationen erschienen mit dem Hinweis: »Published and distributed in the public interest by authority of the Alien Property Custodian« und unter Angabe der jeweiligen Lizenznummer. Die Preise der nachgedruckten Werke lagen erheblich unter dem Originalpreis, manchmal mehr als 50 Prozent. Die Firma Edwards Brothers Inc. in Ann Arbor, Michigan, wurde zum wichtigsten Produzenten deutscher Nachdrucke. Neben Edwards Brothers und Chelsea Publishing Company waren die New Yorker Firmen Dover Publications, Interscience Publishing und Mary S. Rosenberg, das Unternehmen einer 1939 aus Deutschland emigrierten Buchhändlerin und Antiquarin, am Nachdruck mathematischer Publikationen beteiligt. Bis weit in die 1950er Jahre hinein wurden deutsche Bücher in den USA nachgedruckt, z. B. eine größere Anzahl mathematischer Bücher vom in New York ansässigen Verlag Chelsea. So erschienen bis zum Herbst 1956 aus der von Springer publizierten Reihe Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete 25 Titel.39 Diese Reihe sowie Springers Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen wurden annähernd komplett in den USA nachgedruckt. Die Nachdrucke blieben auch nach dem Krieg ein grundsätzliches Problem als die deutschen Verlage wieder auf den Markt traten und nun mit billigen Nachdrucken ihrer Originalausgaben aus den USA konkurrieren mußten.40 Das amerikanische Nachdruckprogramm hat, wie Reinhard SiegmundSchultze betont hat, zu der paradoxen Situation geführt, daß während Mathematiker in Deutschland zunehmend von internationalen mathematischen Publikationen abgeschnitten wurden, gleichzeitig die deutschen mathematischen Ergebnisse eine große Verbreitung in den USA behielten.41 37 38 39 40 41

216

Vgl. die Auflistung bei Spence Richards, Scientific information in wartime, S. 145. Vgl. die Aufstellung bei Sarkowski, Amerikanische Nachdrucke, S. B100. Vgl. Sarkowski, Amerikanische Nachdrucke, S. B103, Fußnote 11. Vgl. hierzu auch: Kleine, Raub deutscher Verlagsrechte; Albrecht, Raub deutscher Verlagsrechte. Siegmund-Schultze, The Emancipation of Mathematical Research Publishing in the United States from German Dominance ( 1878–1945 ), S. 159.

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Auswahl nachgedruckter Titel Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig

Bochner, Salomon: Vorlesungen über Fouriersche Integrale, 1932 ( Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern 12 ); ND: New York: Chelsea 1948 Hahn, Hans: Reelle Funktionen. Bd. 1: Punktfunktionen, 1932 ( Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern 13 ); ND: New York: Chelsea 1948 Hecke, Erich: Vorlesungen über die Theorie der Algebraischen Zahlen, 1923; ND: New York: Chelsea 1948 Kamke, Erich: Differentialgleichungen, 2 Bde. ( Gewöhnliche Differentialgleichungen; Partielle Differentialgleichungen ) 1943 / 44 ( Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern 18; Bd. 2 geänderter Reihentitel: Mathematik und ihre Anwendungen in Physik und Technik, Reihe A, 18 ); ND: Ann Arbor: Edwards 1945 / 46 Kowalewski, Gerhard: Integrationsmethoden der Lieschen Theorie, 1933 ( Mathematik und ihre Anwendungen in Monographien und Lehrbüchern 15 ); ND: Ann Arbor: Edwards 1944 Landau, Edmund: Grundlagen der Analysis, 1930; 2nd american edition ( mit englischem Vorwort ) New York: Chelsea 1948 Verlag Walter de Gruyter, Berlin

Hausdorff, Felix: Mengenlehre, 3. Aufl., Göschens Lehrbücherei, 1935; ND: New York: Dover 1944 Kowalewski, Gerhard: Einführung in die Determinantentheorie einschließlich der Fredholmschen Determinanten, 3., verbesserte und erweiterte Auflage, 1942; ND: New York Chelsea 1948 Knopp, Konrad: Funktionentheorie, Sammlung Göschen, 1913; The theory of functions, translated by Frederick Bagemihl, New York: Dover 1945 / 47 / 52 Perron, Oskar: Irrationalzahlen, 2. Aufl., Göschens Lehrbücherei Bd 1, 1939; ND: New York: Chelsea 1948

217

Eine Disziplin und ihre Verleger

S. Hirzel, Leipzig

Landau, Edmund: Vorlesungen über Zahlentheorie, 3 Bde, 1927, ND in 1 Bd: New York: Chelsea 1950 / 55 Springer Verlag, Berlin

Bieberbach, Ludwig: Theorie der Differentialgleichungen, 3. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 6, 1930; ND: New York: Dover 1944 Blaschke, Wilhelm: Vorlesungen über Differentialgeometrie I, 3. Aufl., Die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 1, 1930; ND: New York: Dover 1945 Bohr, Harald: Fastperiodische Funktionen, Ergebnisse der Mathematik 1.5, 1932; Almost periodic functions, New York: Chelsea 1947 / 51 Bonnesen, Tommy / Fenchel, Werner: Theorie der konvexen Körper, Ergebnisse der Mathematik 3.1, 1934; ND: New York: Chelsea 1948 Deuring, Max: Algebren, Ergebnisse der Mathematik 4.1, 1935; ND: New York: Chelsea 1948 Doetsch, Gustav: Theorie und Anwendung der Laplace-Transformationen, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 47, 1937; ND: New York: Dover 1943 Ertel, Hans: Methoden und Probleme der dynamischen Meteorologie, Ergebnisse der Mathematik 5.3, 1938; ND: Ann Arbor: Edwards Brothers 1943 Fraenkel, Adolf. Einleitung in die Mengenlehre, 3. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 9, 1928; ND: New York: Dover 1946 Hilbert, David /Ackermann, Walter: Grundzüge der Theoretischen Logik, 2., verb. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 27, 1938; ND: New York: Dover 1946 Hilbert, David / Cohn-Vossen, Stefan: Anschauliche Geometrie, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 37, 1932; ND: New York: Dover 1944 Hilbert, David / Bernays, Paul: Grundlagen der Mathematik, Bd 2, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 50, 1939; ND: Ann Arbor: Edwards Brothers 1944 Hopf, Eberhard: Ergodentheorie, Ergebnisse der Mathematik 5.2, 1937; ND: New York: Chelsea 1948 218

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Hurwitz, Adolf: Vorlesungen über allgemeine Funktionentheorie und elliptische Funktionen, 3. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 3, 1929; ND: New York: Interscience Publ. 1944 Khintchine, Alexander: Asymptotische Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Ergebnisse der Mathematik 2.4, 1933; ND: New York: Chelsea 1948 Klein, Felix: Elementarmathematik vom höheren Standpunkt aus, 3 Bde, 3. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 14–16, 1924 / 28; Elementary Mathematics from an advanced Standpoint, New York: Dover 1939–45 Kolmogoroff, Andrej: Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Ergebnisse der Mathematik 2.3, 1933; ND: New York: Chelsea 1950, 2nd american edition, New York: Chelsea 1956 Krull, Wolfgang: Idealtheorie, Ergebnisse der Mathematik 4.3, 1935, ND: New York: Chelsea 1948 MacDuffee, Cyrus Colton: The Theory of Matrices, Ergebnisse der Mathematik 2.5, 1933; ND: New York: Chelsea 1946, 2nd american edition, New York: Chelsea 1956 Madelung, Erwin: Die mathematischen Hilfsmittel des Physikers, 3. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 4, 1936; ND: New York: Dover 1943 Neumann, Johann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 38, 1932; ND: New York: Dover 1943 Pólya, Georg / Szegö, Gabriel: Aufgaben und Lehrsätze aus der Analysis, 2 Bde, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 19–20, 1925; ND: New York: Dover 1945 Reidemeister, Kurt: Knotentheorie, Ergebnisse der Mathematik 1.1, 1932; ND: New York: Chelsea 1948 Speiser, Andreas: Die Theorie der Gruppen von endlicher Ordnung, 3. Aufl., Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 5, 1937; ND: New York: Dover 1943 / 45 Waerden, Bartel Leendert van der: Gruppen von linearen Transformationen, Ergebnisse der Mathematik 4.2, 1935; ND: New York: Chelsea 1948 Waerden, Bartel Leendert van der: Einführung in die Algebraische Geometrie, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 51, 1939; ND: New York: Dover 1945 Zariski, Oscar: Algebraic Surfaces, Ergebnisse der Mathematik 3.5, 1935; ND: New York: Chelsea 1948 219

Eine Disziplin und ihre Verleger

B. G. Teubner, Leipzig

Bieberbach, Ludwig: Lehrbuch der Funktionentheorie, 2 Bde, 1921; ND: New York: Chelsea 1945 Blaschke, Wilhelm: Vorlesungen über Integralgeometrie, 2 Bde, 1936–37; ND: New York: Chelsea 1949 Carathéodory, Constantin: Vorlesungen über reelle Funktionen, 2. Aufl. 1939; ND: Chelsea 1948 Landau, Edmund: Einführung in die elementare und analytische Theorie der algebraischen Zahlen und der Ideale, 2. Aufl. 1927; ND: New York: Chelsea 1949 Seifert, Herbert /Threlfall, William: Lehrbuch der Topologie, 1934; ND: New York: Chelsea 1947 Seifert, Herbert /Threlfall, William: Variationsrechnung im Grossen, 1928; ND: New York: Chelsea 1951 Zassenhaus, Hans: Lehrbuch der Gruppentheorie, 1937; ND: New York: Chelsea 1949 Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig

Frank, Philipp / Mises, Richard von: Die Differential- und Integralgleichungen der Mechanik und Physik. 2., vermehrte Auflage, 1930; ND: New York: Mary S. Rosenberg 1943 Wigner, Eugene Paul: Gruppentheorie und ihre Anwendung auf die Quantenmechanik, 1931; ND: New York: Dover 1944

8.2

Politische Auswirkungen auf das mathematische Publikationswesen in der Zeit des Nationalsozialismus

Nachdem das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im April 1933 die rechtlichen Voraussetzungen für die Entlassung politisch unliebsamer und jüdischer Beamter geschaffen hatte, wurden bis zum 30. September 1934 insgesamt mehr als 600 Hochschullehrer entlassen, davon 82 aus politischen Gründen, 391 wegen ihrer jüdischen Abstammung und 138 zur, wie es lapidar

220

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

hieß, »Vereinfachung der Verwaltung«.42 Nach den Erhebungen der Historiker Michael Grüttner und Sven Kinas wurden bis April 1936 von den 7228 Lehrenden an den Universitäten und Technischen Hochschulen 1097 entlassen ( ca. 15 % ). Besonders betroffen waren die Universitäten Frankfurt und Berlin mit einer Entlassungsquote von mehr als einem Drittel zwischen 1933 und 1945.43 In der Mathematik lag der Anteil der entlassenen Hochschullehrer erheblich höher: bis 1937 waren, nach der Auflistung von Martin Kneser und Norbert Schappacher, von den 97 Ordinarien 29 entlassen, von den insgesamt 197 Lehrenden waren es 59, d. h. jeweils fast 30 %.44 Während an manchen Hochschulen die Mathematik gar nicht oder kaum von Entlassungen betroffen war, wie etwa in Hannover und Münster, mußten in Heidelberg beide Ordinarien, Heinrich Liebmann und Artur Rosenthal (emigriert 1936 ), 1935 ihre Lehrstühle räumen. Besonders verheerend war Göttingen betroffen, denn die Entlassungen bedeuteten nichts anderes als das Ende der glanzvollen Göttinger Tradition: mit Felix Bernstein, Richard Courant und Edmund Landau, die entlassen wurden, und Hermann Weyl, der 1932 noch einen Ruf an das Institute for Advanced Study in Princeton abgelehnt hatte, aber 1933 angesichts der Entwicklungen emigrierte, verlor das Institut bis Ende 1933 vier seiner fünf Ordinarien. Zudem verloren 1933 die beiden außerplanmäßigen Professoren Paul Bernays und Emmy Noether ihre Stellen; Otto Neugebauer emigrierte 1936.45 Doch nicht allein die Entlassungen und die damit verbundenen Wüstungen lasteten als schwere Hypothek auf der weiteren Entwicklung der Mathematik in Deutschland. Ab 1933 gingen die Studierendenzahlen an den deutschen Hochschulen dramatisch zurück. Vor 1933 lagen sie deutlich über 100.000 ( 1931: 126.187; 1932: 119.326; 1933: 106.675 ), sanken aber in bis zum Kriegsbeginn auf knapp über 50.000 ( 1934: 86.180; 1935: 66.365; 1937: 53.814; 1939: 52.003 ).46 Doch nicht nur die Gesamtzahl schrumpfte, sondern auch der Anteil der Studierenden in Mathematik und Naturwissenschaften: erreichte er 1932 noch 12,3 %, so lag er in den Jahren 1936 bis 1939 nur noch zwischen 7 und 8 %.47 Für die Mathematik waren die Zahlen dramatisch, denn die Studierendenzahlen sanken von 4245 im Sommer 1932 über 1514 im Sommer 1936 auf 306 42 43 44 45 46 47

Diese Zahlen bei Hentschel, Physics and National Socialism, S. lv. Grüttner / Kinas, Die Vertreibung von Wissenschaftlern, S. 126. Kneser / Schappacher, Fachverband – Institut – Staat, S. 21. Zur Situation in Göttingen und Heidelberg siehe ebd., S. 26–33 und S. 44–47. Die Zahlen nach Grüttner, Studenten im Dritten Reich, S. 487. Dort auch eine Interpretation der Zahlen. Ebd., S. 490. 221

Eine Disziplin und ihre Verleger

im Sommer 1939.48 Dieser drastische Rückgang führte nicht nur zu berechtigten Nachwuchssorgen in den Naturwissenschaften und der Mathematik, sondern bedeutete zugleich für die wissenschaftlichen Verlage eine schrumpfende Zielgruppe im Bereich der Naturwissenschaften und der Mathematik. Zu dieser Problematik eines im besten Falle stagnierenden Marktes, für den der Export daher um so wichtiger wurde, trat noch ein ganzes Bündel politischer Faktoren, mit denen sich die mathematischen Verleger, ihre Berater, Herausgeber und Autoren konfrontiert sahen: vor allem der Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern ( 8.2.1 ) und weitere staatliche und fachpolitische Interventionsversuche im mathematischen Publikationswesen ( 8.2.2 und 8.2.3 ).

8.2.1

Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern

Von staatlicher Seite gab es für den Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern im Wissenschaftsbereich zunächst keine Vorgaben. So lag es in den ersten Jahren des »Dritten Reichs« ganz im Ermessen von Herausgebergremien ( Zeitschriften wie Buchreihen ) und Verlagen, wie sie mit ihren jüdischen Kollegen und Autoren umgehen wollten.49 An manchen Stellen nahmen die Dinge einen sehr schnellen Verlauf, etwa beim Jahresbericht der DMV, der eine recht große Verbreitung hatte, weil die DMV 1933 mehr als 1100 Mitglieder im In- und Ausland zählte. Herausgegeben wurde er von Ludwig Bieberbach ( seit 1921 ), Otto Blumenthal ( seit 1924 ) und Helmut Hasse ( seit 1932 ). Im Auftrage seines jüdischen, bereits vom Amte »beurlaubten« Aachener Kollegen Otto Blumenthal ( † 1944 im KZ Theresienstadt ) erkundigte sich Otto Toeplitz ( † 1940 in Jerusalem ) im Mai 1933 bei Bieberbach, ob Blumenthal »durch sein Ausscheiden oder durch sein Verbleiben [ als Mitherausgeber des Jahresberichts ] den Interessen der DMV besser Rechnung« trage.50 Bieberbach ließ keinen Zweifel daran, daß er das Ausscheiden Blumenthals für die bessere Lösung hielt und teilte ihm dies auch persönlich mit.51 Die Nachfolge Blumenthals als Mitherausgeber übernahm der Tübinger Mathematiker Konrad Knopp. Ludwig Bieberbach, dessen Urteil die jüdischen Mathematiker Blumenthal und Toeplitz vertrauensvoll einholten, lehrte seit 1921 in Berlin und war in den 48 49 50 51 222

Die Zahlen nach Kneser / Schappacher, Fachverband – Institut – Staat, S. 18. Dazu siehe die Bemerkungen bei Knoche, Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 268–273. Toeplitz an Bieberbach, 25. Mai 1933, UAF, E4 / 36. Bieberbach an Toeplitz, 14. Juni 1933, UAF, E4 / 36.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

1920er Jahren zu einem einflußreichen und geachteten Mathematiker geworden. Als Schriftführer und Mitherausgeber des Jahresberichts spielte er seit 1921 eine wichtige Rolle in der DMV. Im Jahr 1933 stellte sich Bieberbach in zweierlei Hinsicht an die Seite der Nationalsozialisten. Er bemühte sich vor allem in der Mathematik rege um die Nazifizierung der Wissenschaft und ihrer Organisationsformen, wenn auch mit eingeschränktem Erfolg. Zugleich entwickelte er unter der Überschrift »Deutsche Mathematik« eine Rassenlehre für die Mathematik ( siehe 8.2.2 ).52 Nicht nur im Jahresbericht setzte Bieberbach seine neue antijüdische Überzeugung sogleich um. Es zeigte sich schnell, daß seine rassegeleiteten Vorstellungen von Mathematik auch seiner Mitarbeit als Herausgeber an der internationalen mathematischen Zeitschrift Compositio Mathematica im Weg standen. Die Gründung von Compositio ging auf die Initiative des niederländischen Mathematikers Luitzen Egbertus Jan Brouwer zurück, der seit 1930 eine eigene Zeitschrift plante, die vor allem als Konkurrenz zu den Mathematischen Annalen, deren Herausgeber Hilbert, mit dem er heillos zerstritten war, und dem überwältigenden Göttinger Einfluß in der Mathematik konzipiert war. Einer seiner wichtigsten Partner dabei war Bieberbach, der ihm bei seinem früheren Streit mit Hilbert zur Seite gestanden hatte. Das erste Heft der neuen Zeitschrift Compositio Mathematica erschien 1934.53 Brouwer hatte 1930 zehn Mathematiker in Deutschland eingeladen, dem großen Herausgebergremium der Zeitschrift beizutreten: Reinhold Baer, Ludwig Bieberbach, Gustav Doetsch, Georg Feigl, Heinz Hopf ( der 1930 nach Zürich ging ), Alfred Loewy, Richard von Mises, John von Neumann, Wilhelm Süss and Gabor Szegö. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der schnellen antijüdischen Gesetzgebung emigrierte Reinhold Baer noch 1933, Alfred Loewy wurde in Freiburg entlassen, Richard von Mises ging 1934 nach Istanbul, John von Neumann ging 1933 nach Princeton und auch Gabor Szegö emigrierte in die USA. Damit blieben nun Bieberbach als einer der fünf Hauptherausgeber und Doetsch, Feigl, Loewy und Süss als Mathematiker in Deutschland im Herausgebergremium, als 1934 das erste Heft erschien. Doch im Juni 1934 schrieb Bieberbach an Brouwer und forderte die Entlassung aller jüdischen Mathematiker aus dem Herausgebergremium. Er betonte dabei, 52

53

Zu Bieberbach vgl. Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik; Mehrtens, Ludwig Bieberbach and »Deutsche Mathematik«; Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung im Dritten Reich, bes. S. 423–439. Zu den Details siehe Dalen / Remmert, The birth and youth of »Compositio Mathematica«, bes. S. 1087–1090. 223

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daß er vor 1933 die jüdischen Mitglieder nur toleriert habe, um seine Bereitschaft zu internationaler Kooperation zu beweisen und deutete an, daß er von nationalsozialistischer Seite für seine Zusammenarbeit mit diesen jüdischen Mathematikern in der Compositio kritisiert werde. Tatsächlich ergab sich hier für Bieberbach das Problem, einerseits im Rahmen seiner Propaganda für die »Deutsche Mathematik« die von ihm so genannte jüdische Mathematik abzulehnen, aber andererseits mit ihren Vertretern zusammenzuarbeiten. In der Tat war sein persönliches Dilemma nur ein Spiegel der unzusammenhängenden Wissenschaftspolitik im neu gegründeten Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ( REM ). Auch dort waren keine Strategien vorhanden, wie Antisemitismus und Antiinternationalismus mit der Notwendigkeit zur internationalen Zusammenarbeit vereinbart werden konnten. Bieberbach sah nur zwei Möglichkeiten, diesem Dilemma zu entkommen, und formulierte sie als Ultimatum an Brouwer: entweder müßten die jüdischen Mathematiker das Herausgebergremium verlassen oder er werde zurücktreten. Er verband das ausdrücklich mit der Drohung, daß die Verbreitung von Compositio in Deutschland schwer sein könnte, wenn jüdische Mathematiker auf dem Titelblatt stünden. Brouwer ging nicht auf Bieberbachs Forderungen ein, der sich daraufhin im Januar 1935 aus dem Herausgebergremium zurückzog und darüber hinaus die in Deutschland gebliebenen Herausgeber Doetsch, Feigl und Süss – Loewy verstarb im Januar 1935 – aufforderte, ebenfalls zurückzutreten. Süss und Feigl folgten der Aufforderung, nachdem das REM im April 1935 verfügte hatte, daß die Mitwirkung deutscher Gelehrter in ausländischen wissenschaftlichen Organisationen zwar wünschenswert sei, aber vom Ministerium genehmigt werden müsse. Doetsch hingegen bat im Juli um die Genehmigung, weiter an Compositio mitarbeiten zu dürfen, erhielt aber im September die ablehnende Antwort aus Berlin, die das ganze Dilemma auf den Punkt brachte: »Gegen die Mitarbeit deutscher Fachvertreter an der internationalen Mathematischen Zeitschrift Compositio Mathematica bestehen keine Bedenken. Dagegen ist die Mitwirkung im Redaktionsstab, in dem sich Juden befinden, unerwünscht«.54 Hier hatte die offizielle NS-Politik, unter persönlicher Einflußnahme von Bieberbach und seines Verbündeten Theodor Vahlen im Amt für Wissenschaft des REM, bis in ein Detail hineinregiert und sogar Auswirkungen auf die Zusammensetzung eines Herausgebergremiums einer im Ausland erscheinenden Zeitschrift gehabt. Eine ähnliche Mitteilung erhielt Helmut Hasse im Juli 1934 aus dem REM ( vom zuständigen Vahlen ), nachdem er auf dem Dienstweg um die Erlaubnis ersucht hatte, im Herausgebergremium der neuen zahlentheoreti54 224

Schreiben des REM vom 5. September 1935, Nachlaß Doetsch.

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schen Zeitschrift Acta Arithmetica mitzuwirken.55 Für den Erfolg von Compositio könnte diese Entwicklung positiv gewirkt haben, denn Bieberbachs prominente Stellung als einer der Hauptherausgeber hätte vielen Mathematikern Anlaß zu einer kritischen Distanz geben können. Sein Rücktritt hingegen wurde offen begrüßt. So schrieb Norbert Wiener bereits im Februar 1935 an Dirk Struik: »Now that friend Bieberbach is off the Compositio I am sending some of my stuff there.«56 Zur gleichen Zeit berichtete Courant besorgt aus England an Springer, er habe »mit einigem Erfolge versucht, etwas für die Annalen zu tun. Man muss verhindern, dass die Brouwersche Zeitschrift politische Misstimmungen gegenüber Deutschland gegen die Annalen ausnutzt.«57 Diese Gefahr war, wenn sie sich auch nicht als begründet erwies, durchaus ernst zu nehmen, stand allerdings nicht in Verbindung mit Veränderungen im Herausgebergremium. Zwar hatte Blumenthal, der seit 1920 geschäftsführender Herausgeber der Annalen war, im November 1933 Hilbert in einem sorgenvollen Brief über die Zukunft der Annalen seinen Rücktritt angeboten, falls dieser finde, »daß meine Abstammung oder meine unklare Lage als entlassener Professor oder irgend etwas anderes an mir dem Ansehen oder der Wirksamkeit der Annalen schaden könnte.«58 Hilbert und der Springer Verlag hielten aber bis 1938 an ihm als Mitherausgeber fest. Nach seiner Entlassung in Aachen trugen die Einnahmen aus der Tätigkeit für die Annalen, die Springer ihm über das Jahr 1938 hinaus zahlte, wesentlich zu seinem Budget bei.59 Courant hatte im April 1934 in einer Stellungnahme für Springer deutlich gemacht, daß nicht nur »menschliche Gründe« dafür sprächen, an Blumenthal festzuhalten, sondern er den Eindruck habe, »dass eine offene Ausschaltung Blumenthals allerhand, auch dem Verlag nicht förderliche, Misstimmung hervorrufen könnte«. Hilbert habe seine Solidarität mit Blumenthal erklärt und insgesamt sei die Meinung, daß Blumenthals »gegenwärtiges Bleiben in der Redaktion nach verschiedenen Seiten als ein Plus [ zu ] buchen« sei. Courant riet Springer daher, er solle, falls »nicht zwingende Gründe dagegen sprechen, Blumenthals Stellung formal

55 56 57 58 59

Dazu siehe Sieg mund-Schultze, The Effects of Nazi Rule, S. 339 f. Wiener an Struik, 9. Februar 1935, MIT archives, Nachlaß Norbert Wiener, Box 3, 41. Courant an Springer, Cambridge, 7. Februar 1935, VA Springer, Abt. B (1912– 1936), H 241. Blumenthal an Hilbert, 11. November 1933, zit. nach dem Facsimile in: Bergmann / Epple, Jüdische Mathematiker, S. 157 f. Siehe ebd., S. 155 und 158. 225

Eine Disziplin und ihre Verleger

intakt lassen«.60 Tatsächlich trug das Festhalten an Blumenthal wohl dazu bei, daß die Annalen den Anteil von Autoren, die nicht in Deutschland lebten, von 33 % im Jahr 1932 über 42 % im Jahr 1935 auf schließlich 47 % im Jahr 1938 steigern konnten.61 Es dauerte nicht lange, bis auch Courant sich darüber Gedanken machte, ob seine Tätigkeit für Springer noch tragbar sein könnte. Nachdem er erfahren hatte, daß Arnold Berliner, der Herausgeber der 1913 von Berliner gegründeten und von Springer verlegten Zeitschrift Die Naturwissenschaften auf Druck des REM seine Tätigkeit beenden mußte,62 schrieb er im September 1935 an Springer: Auch in meinem Falle dürfen persönliche Rücksichten nicht im geringsten eine Behinderung für Sie bilden bei Schritten, welche für den Verlag nötig sind. Ich bin Ihnen, Ihrer Familie und ihrer wissenschaftlich-verlegerischen Aufgabe so tief verbunden, dass ich mich nicht berechtigt fühle, Ihnen durch ein Beharren unnötige sachliche und psychologische Schwierigkeiten zu bereiten. Mein Vertrauen zu Ihnen ist von diesen Dingen unabhängig, und es bleibt selbstverständlich mein Wunsch, weiter nach Kräften in jeder Hinsicht mit Ihnen mitzuarbeiten.63

Tatsächlich befand der Springer Verlag sich zu dieser Zeit in einer politisch heiklen Situation, denn nicht nur mußte er sich zwischen 1933 und 1938 aufgrund politischen Drucks von mehr als 50 seiner Zeitschriftenherausgeber und -redakteure trennen, sondern – für den Bestand des Verlages schwererwiegend – verlangte am 20. September die Reichsschrifttumskammer auf Grundlage des Reichsbürger-Gesetzes vom 15. September 1935 das sofortige Ausscheiden von Julius Springer aus dem Verlag.64 Nach einem Besuch seines Beraters F. K. Schmidt machte Ferdinand Springer im Juli 1935 eine Aktennotiz, aus der 60 61

62 63 64 226

Courant an Springer, Cambridge, 28. April 1934, VA Springer, Abt. B (1912– 1936), C 67 V. Diese Zahlen nach Knoche, Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 269. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß unter den »ausländischen« Autoren auch Emigranten waren: für 1935 Richard Brauer und Peter Thullen ( mit zwei Beiträgen ) und für 1938 Stephan Cohn-Vossen ( postum ), Kurt Friedrichs und Bernhard Neumann. Dazu vgl. Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 332 ff. Siehe auch die Mitteilung in Heft 35 vom 30. August 1935 in: Die Naturwissenschaften 23 ( 1935 ), S. 599. Courant an Springer, 10. September 1935, Abschrift, VA Springer, SA 1.23.3. Dazu siehe Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 332 und 344 f.

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hervorgeht, daß die politische Situation auch im Hinblick auf die Auswahl der Autoren kritisch war: Ganz allgemein stimmen v.d. Waerden, Schmidt und ich darin überein, daß für unsere Sammlung nur die besten Autoren gut genug sind. Auf »Mittelware« wollen wir verzichten, ganz besonders aber wird die Mittelware untragbar, wenn es sich um Emigranten handelt. Ich werde hierüber Courant in geeigneter Weise bei nächster Gelegenheit schreiben.65

Offensichtlich hatte auch Courant die Problematik erkannt; darauf läßt sein Rückzugsangebot vom September 1935 schließen. Im seinem Falle war nicht die zentrale Funktion als Verlagsberater problematisch, da sie nach außen nicht sichtbar wurde, sondern seine Stellung als Herausgeber der Grundlehren der mathematischen Wissenschaften. Als Verlagsberater und Mitherausgeber der Grundlehren hat F. K. Schmidt im November 1935 in einem Brief an Springer eine grundsätzliche Problematik mathematischen Publizierens im »Dritten Reich« auf den Punkt gebracht, indem er den Zwiespalt zwischen dem Exportbedürfnis und der Problematik antisemitischer Angriffe in Deutschland ( sowohl gegen jüdische Autoren wie auch bestimmte Zweige der Mathematik, z. B. die moderne Algebra ) skizzierte. Anlaß seiner Ausführungen war das Vorhaben, ein Lehrbuch der Algebra des jüdischen Mathematikers Richard Brauer ( 1933 emigriert ) in die Grundlehren aufzunehmen, dessen Fertigstellung bereits überfällig war. Dieses Vorhaben war seit dem Sommer 1935 zwischen Courant, Schmidt und van der Waerden kontrovers diskutiert worden.66 Schmidt sah, im Gegensatz zu Courant ( siehe 7.3 ), kein »sachliches Bedürfnis« für ein solches Buch, verband diese Einschätzung allerdings mit einigen grundsätzlichen Überlegungen: Bei Beginn des Gedankenaustausches zwischen den Herausgebern der »Gelben Sammlung« über die Ihnen bekannten Fragen bin ich davon ausgegangen, dass man einmal die Situation innerhalb Deutschlands zu berücksichtigen habe, dass es aber auch andererseits wesentlich darauf ankomme, das Vertrauen, das unsere Sammlung im Auslande geniesst, nicht zu erschüttern. [ … ]

65 66

Aktennotiz Springer, 12. Juli 1935, VA Springer, Abt. B (1912–1936), C 67 V. Dazu siehe Siegmund-Schultze, Mathematiker auf der Flucht vor Hitler, S. 264– 269; vgl. Soifer, Mathematical Coloring Book, S. 387–391. 227

Eine Disziplin und ihre Verleger Das zweite Moment [ neben dem fehlenden »sachlichen Bedürfnis« für Brauers Buch ] [ … ] scheint mir in der Tatsache zu liegen, dass der abgeschlossene Vertrag [ … ] bereits vor mehr als einem Jahr abgelaufen ist, und dass sich in der Zwischenzeit die Situation in Deutschland erheblich zu Ungunsten des geplanten Buches verschoben hat. Angesichts der verschärften Ablehnung jüdischer Einflüsse auf allen Gebieten besteht nach meiner Meinung die Gefahr, dass das Erscheinen eines sachlich in keiner Weise berechtigten Buches von einem nichtarischen Verfasser geradezu in tendenziösem Sinne ausgedeutet werden würde. Nach Besprechungen mit zahlreichen Mathematikern habe ich den Eindruck, dass es von den Freunden der Algebra und der »Gelben Sammlung« mit Kopfschütteln aufgenommen werden würde, dass sich aber die Feinde der Algebra und der »Gelben Sammlung« die Gelegenheit zu den heftigsten Angriffen nicht entgehen lassen würden. Ich bin daher zu der Überzeugung gekommen, dass die Durchführung des ursprünglichen Planes mit Brauer geradezu eine Gefahr in sich schlösse.67

Als Ausweg schlug Schmidt vor, Brauer könne statt eines Lehrbuchs der Algebra ein Buch über Invariantentheorie auf Basis der Vorlesungen von Issai Schur verfassen, für das »nach übereinstimmender Anschauung der Kenner des Gebietes ein Bedürfnis« bestehe. Diese Lösung habe auch den Vorteil, daß sie »der veränderten Lage in der ›Gelben Sammlung‹ innerhalb Deutschlands gerecht wird, und gleichzeitig deutlich zu erkennen gibt, dass dem Verlag an einem Fortbestehen der guten Beziehungen zum ausländischen Gelehrten liegt«. Brauer lehnte den Vorschlag ab, weil er wußte, daß Hermann Weyl in Princeton bereits ähnliche Pläne hegte.68 So ist keines der beiden Bücher je erschienen. In einem Brief an Courant betonte Brauer im November 1935, daß er gegenüber Springer »natürlich keine Ressentiments« empfinde, denn er »kenne doch schließlich die heutigen Verhältnisse!«69 Daß Schmidts Sorgen nicht unberechtigt waren, belegt beispielhaft der Artikel des entschieden nationalsozialistischen Göttinger Mathematikers Erhard Tornier, der 1936 im ersten Heft von Bieberbachs neuer Zeitschrift Deutsche Mathematik unter dem Titel Mathematiker oder Jongleur mit Definitionen erschien. Seine Polemik gegen »jüdisch-liberalistische Illusionstechnik« zielte

67 68 69 228

Schmidt an Springer, 21. November 1935, Abschrift, VA Springer, Abt. B (1912– 1936), C 67 V. Dazu siehe Siegmund-Schultze, Mathematiker auf der Flucht vor Hitler, S. 268. Brauer an Courant, 19. November 1935, zit. n. ebd., S. 267.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

unmißverständlich auf abstrakte Strömungen der modernen Mathematik wie etwa die moderne Algebra.70 Trotz der vorsichtigen Herausgeberpolitik Schmidts und Springers wurden die Grundlehren im Sommer 1936 zur Zielscheibe von Angriffen. Bereits im Februar 1936 hatte der Hamburger Mathematiker Wilhelm Blaschke angeregt, das Titelblatt der Grundlehren sollte statt wie bisher Courant als Hauptherausgeber in Zukunft Courant und Schmidt als Hauptherausgeber und van der Waerden und Blaschke als Mitherausgeber nennen.71 Nach dem Internationalen Mathematiker-Kongreß in Oslo äußerte Blaschke gegenüber Springer ernsthafte Bedenken, ob Courant als Herausgeber haltbar wäre und bat Springer, »im Interesse des Verlags und der Mitarbeiter F. K. Schmidt und v. d. Waerden und in meinem eigenen eine Ihnen geeignet erscheinende Änderung der Herausgabe vorzunehmen«.72 Springer bot Blaschke umgehend an, den Vorschlag zusammen mit Schmidt und van der Waerden mündlich zu erörtern,73 und holte gleichzeitig den Rat Schmidts ein, der zu großer Vorsicht riet, um mögliche Angriffe gegen Springer und die Grundlehren zu verhindern, wie sie etwa bei der Jahrestagung der DMV im September auftreten könnten.74 Wenig später konnte Springer Schmidt wieder beruhigen, denn Otto Neugebauer, der ebenfalls in Oslo gewesen war, habe keinen Anlaß zur Besorgnis gesehen.75 Gleichwohl kam es zu einer Änderung auf dem Titelblatt der Grundlehren, das ab 1937 in alphabetischer Ordnung George D. Birkhoff ( Harvard ), Blaschke, Courant, Richard Grammel ( Stuttgart ), Marston Morse ( Institute for Advanced Study ), Schmidt und van der Waerden aufführte. Eine weitere Änderung ergab sich ab 1939 für den 51. Band mit der salomonischen Formulierung »herausgegeben von W. Blaschke, R. Grammel, E. Hopf, F. K. Schmidt, B. L. van der Waerden und für das englische Sprachgebiet von G. D. Birkhoff, R. Courant, M. Morse«. Der 52. Band erschien 1943 ohne Nennung Birkhoffs, Courants und Morses.

70

71 72 73 74 75

Tornier, Mathematiker oder Jongleuer mit Definitionen, S. 9. Zu Tornier siehe Hochkirchen, Wahrscheinlichkeitsrechnung; zum »Jonglieren mit Begriffen [ … ] als zentrale polemische Metapher gegen den vermeintlich undeutschen Geist in der Mathematik« siehe Peckhaus, Stilarten mathematischen Schaffens, S. 45. Blaschke an Springer, 18. Februar 1936, Abschrift, VA Springer, Abt. B (1912– 1936), C 67 V. Blaschke an Springer, 20. Juli 1936, VA Springer, Abt. B (1912–1936), B 168 II. Springer an Blaschke, 21. Juli 1936, ebd. Schmidt an Springer, 24. Juli 1936, VA Springer, SA 1.23.3. Springer an Schmidt, 27. Juli 1936, VA Springer, SA 1.23.3. 229

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Auch Autoren der Grundlehren griffen die Frage der Autor- und Herausgeberschaft der Reihe auf. Der finnische Mathematiker Rolf Nevanlinna zum Beispiel, der 1936 / 37 Lehraufträge in Göttingen wahrnahm und dessen Buch Eindeutige analytische Funktionen 1936 als Band 46 der Grundlehren erschien, zeigte sich Schmidt gegenüber besorgt wegen der Angriffe gegen den Springer Verlag und die Grundlehren, die, so schrieb Schmidt an Springer, »ihm in Göttingen sogleich entgegengetreten sind. Er [ = Nevanlinna ] meinte, es werde wesentlich von Courant selbst abhängen, wie Courants Ausscheiden aus der Schriftleitung auf das Ausland wirke.«76 Schmidt bemühte sich sehr, die Bedenken Nevanlinnas – den Hermann Weyl schon 1934 als »finnischen Nazi« bezeichnet hatte77 – zu zerstreuen, und berichtete Springer im Dezember darüber: Die Angriffe gegen Ihren Verlag gehen von einigen jüngeren Mathematikern aus, die sich für besondere Vorkämpfer des Nationalsozialismus halten. Wortführend scheint Herr Teichmüller zu sein, dessen Namen Sie gewiß schon gehört haben. Er ist ein recht guter Mathematiker, der sich gerade in letzter Zeit wissenschaftlich verheissungsvoll entwickelt hat. Er erklärt, dass Ihre Verlagsarbeit völlig verjudet sei und daher kein aufrichtiger Nationalsozialist mit Ihnen in Verbindung treten könne. Sofern das doch von Nationalsozialisten geschehen ist, bezweifelt er wohl deren Grundsatzfestigkeit. Ich habe Nevanlinna die Sinnlosigkeit der Teichmüllerschen Aufstellungen einmal an Hand der Verordnungen über das wissenschaftliche Verlagswesen nachgewiesen, dann aber auch dadurch, dass ich darauf hinwies, wie wenig Juden in der »Gelben Sammlung« vor 1933 Bücher veröffentlicht haben, wenn man die große Zahl jüdischer mathematischer Ordinarien damit vergleicht.78

Offenbar hat Schmidt Nevanlinna mit diesen Argumenten beruhigen können, denn trotz der Agitation des mathematisch brillanten überzeugten Nationalsozialisten Oswald Teichmüller,79 der mit Tornier zum harten Kern von Bieberbachs »Deutscher Mathematik« gehörte, erschien Nevanlinnas Buch in den Grundlehren. Die skizzierten Entwicklungen zeigen, daß es auch für einen entgegenkommenden Verlag wie Springer nicht leicht war, an jüdischen Herausgebern 76 77 78 79 230

Schmidt an Springer, 16. November 1936, VA Springer, Abt. B (1912–1936), N 53. Diese Äußerung zitiert Lehto, Erhabene Welten, S. 123. Schmidt an Springer, 3. Dezember 1936, VA Springer, SA 1.23.3. Zu Teichmüller siehe Schappacher / Scholz, Oswald Teichmüller.

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festzuhalten.80 Besonders problematisch jedoch waren gezielte Denunziationen wie sie im März 1938 durch den Vorsitzenden der DMV, Wilhelm Süss, im REM vorgetragen wurden. Süss hatte im März 1938 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der DMV im REM den für Mathematik zuständigen Referenten, Dr. Dames, getroffen. Neben einigen ( fach- )politischen Fragen, die die DMV betrafen, insbesondere wie jüdische und emigrierte DMV-Mitglieder in Zukunft behandelt werden sollten, erörterten sie, wie dem Einfluß jüdischer Mathematiker im mathematischen Publikationswesen entgegengewirkt werden könne.81 In einem Rundschreiben an die Vorstandsmitglieder der DMV berichtete Süss, er habe Dames auf die Rolle jüdischer Mathematiker im Zeitschriftenwesen aufmerksam gemacht, indem er »als Privatmann nur erneut auf die Lage bei den Redaktionen der M. Z. [ Mathematische Zeitschrift ] und der M. Annalen [ Mathematische Annalen ] hingewiesen« habe, die beide im Springer Verlag erschienen. Er habe klargestellt, »dass deutsche Zeitschriften sich heute nicht durch Juden repräsentieren lassen dürfen«. Gleichwohl sollte ihnen nach wie vor gestattet sein, in diesen Zeitschriften zu veröffentlichen. Dames habe »zugesagt, auf den Verlag einen Druck dahin auszuüben, dass die Autoren nicht mehr in die Lage versetzt werden, mit jüdischen Redakteuren verhandeln zu müssen«. Zwar beschränkt sich das Rundschreiben auf diese Mitteilungen, aber in seiner Unterredung mit Dames war Süss wohl sehr viel deutlicher gewesen. Als er wenige Tage später an Dames schrieb, kam er noch einmal auf seine Sicht der Probleme in Herausgeberfragen, insbesondere im Springer Verlag, zurück.82 Er beschrieb die redaktionelle Organisation der Grundlehren, als deren Gesamtherausgeber F. K. Schmidt auftrete, während der seit 1934 in den USA lebende Courant für das »angelsächsische Sprachgebiet« verantwortlich sei. Ähnlich problematisch schien Süss die Lage bei den Mathematischen Annalen, deren verantwortlicher Herausgeber Blumenthal jüdisch war und sich, so Süss, bereits »im Auslande ( England ) nach einer ausländischen Mitredaktion« umsehe. In Süss’ Augen aber sollte »im Interesse des deutschen Ansehens [ … ] mit allen Mitteln verhindert werden, dass diese führende Zeitschrift unseres Meisters Felix Klein ganz oder teilweise der Leitung von Ausländern anvertraut wird«.83 Als Beleg dafür, daß eine solche Gefahr in der Tat bestand, wies er auf das 80 81 82 83

Dazu siehe die Bemerkungen bei Sarkowski, Der Springer Verlag, S. 332–335. Rundschreiben von Süss an die Vorstandsmitglieder der DMV, 9. März 1938, UAF, E4 / 46; zum Kontext siehe Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung. Süss an Dames, 15. März 1938, UAF, E 4 / 75. Tatsächlich waren die Mathematischen Annalen 1868 von Alfred Clebsch und Carl Neumann gegründet worden; Klein trat dem Herausgebergremium erst 1873 bei. 231

Eine Disziplin und ihre Verleger

Zentralblatt für Mathematik und ihre Grenzgebiete hin, das von Kopenhagen aus durch den ebenfalls emigrierten Neugebauer redaktionell betreut wurde. Süss fuhr fort: Bei der Mathematischen Zeitschrift desselben Verlages liegen die Dinge wesentlich besser. Für Sie wiederhole ich hier nur meine Bitte, den Verlag zu veranlassen, aus der Redaktion Prof. Issai Schur zu entfernen. Eine Aufforderung des Herausgebers Prof. Knopp an mich zum Eintritt in die Redaktion will ich dazu benutzen, auch meinerseits der Redaktion gegenüber unmittelbar denselben Wunsch zum Ausdruck zu bringen.

Knopp hatte Süss am 1. März, zwei Tage vor dessen Treffen mit Dames, schriftlich eingeladen, dem wissenschaftlichen Beirat der Mathematischen Zeitschrift beizutreten.84 Die Einladung wirft ein ambivalentes Licht auf Süss Bestrebungen, die Herausgebergremien des Springer Verlags zu arisieren. Süss’ enger Freund Hellmuth Kneser in Tübingen hatte 1933 von Vahlen die Auskunft erhalten, daß er einen Eintritt in die Redaktion der Mathematischen Zeitschrift nur in Betracht ziehen sollte, wenn die Redaktion »gleichgeschaltet« würde, d. h. ihr keine jüdischen Mitglieder mehr angehörten.85 Knopp hatte Süss zum Eintritt in den wissenschaftlichen Beirat bereits vor 1938 aufgefordert, aber Süss hatte abgelehnt, da ihm mit Edmund Landau und dem erwähnten Issai Schur, der die Mathematische Zeitschrift 1918 gemeinsam mit Knopp, Leon Lichtenstein und Erhard Schmidt gegründet hatte, zwei jüdische Mathematiker angehörten. Landau aber starb im Februar 1938, so daß Knopp in der veränderten Situation die Einladung an Süss erneuerte. Es liegt im Bereich der Spekulation, ob Süss die Einladung von Knopp bereits erhalten hatte, als er am 3. März bei Dames die »Entfernung« von Schur aus dem wissenschaftlichen Beirat der Mathematischen Zeitschrift forderte. Er erwähnte diese im REM vorgetragene Forderung weder im Rundbrief, noch in seiner Antwort an Knopp, in der er vielmehr andeutete, es 84 85

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Für das folgende siehe die Korrespondenz Süss-Knopp vom März / April 1938, UAF, C 89 / 318. Dazu siehe Mehrtens, Ludwig Bieberbach and »Deutsche Mathematik«, S. 234, Fußnote 12. Otto Neugebauer schrieb am 29. November 1933 an Helmut Hasse, Kneser habe sich »an dem Verbleiben der Namen Schur und Landau auf dem Titelblatt« der Mathematischen Zeitschrift gestört und daher eine Mitarbeit abgelehnt ( SUBG, Nachlaß Hasse, 33:3 ). Auch Hasses Mitarbeit, möglicherweise als Hauptherausgeber wurde um die Jahreswende 1933 / 34 diskutiert, scheiterte aber vor allem an seiner Bindung an Crelles Journal ( ebd. ).

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sei das REM gewesen, von dem die Initiative im Hinblick auf die Mitarbeit jüdischer Mathematiker im mathematischen Publikationswesen ausgegangen sei. Insbesondere, so Süss an Knopp, werde das REM selbst sich um das »Ausscheiden« von Schur bemühen.86 Im Brief an Knopp stellte Süss es als seine Hauptsorge dar, daß er durch eine Mitarbeit in der Mathematischen Zeitschrift als DMV-Vorsitzender seine »Handlungsfreiheit dem Verlag gegenüber verliere«. Knopp versicherte ihm, daß dies nicht der Fall sein würde, und fügte vertraulich hinzu, daß er »im Grunde froh wäre, wenn es endlich zu der vom Ministerium angestrebten Regelung kommen würde«, da auch er »es kaum mehr für angängig [ halte ], daß bei mathematischen Zeitschriften – und allein bei diesen, soviel ich weiß – in der jetzigen Zeit noch Juden offiziell mitwirken«.87 All dies waren keine akademischen Reden, ohne Bezug zur Realität, denn tatsächlich erkundigte sich die Reichsschrifttumskammer im April mit explizitem Bezug auf eine Anfrage aus dem REM beim Springer Verlag, warum in den Schriftleitungen der Mathematischen Annalen und der Mathematischen Zeitschrift noch jüdische Mathematiker mitwirkten.88 Ende April war klar, daß Schur die Redaktion der Mathematischen Zeitschrift würde verlassen müssen, worauf Süss sich zum Eintritt bereit erklärte. So wie Blumenthals Name ab 1939 nicht mehr auf dem Titelblatt der Mathematischen Annalen erscheinen durfte, verschwand auch Schurs Name 1939 vom Titelblatt der Mathematischen Zeitschrift und er emigrierte, wie Blumenthal, im gleichen Jahr.89 Andere Verlage oder Zeitschriften hatten natürlich mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Dabei ging es nicht allein um noch tätige Herausgeber, sondern 86 87 88 89

Süss an Knopp, 11. März 1938, UAF, C 89 / 318. Knopp an Süss, 16. März 1938, UAF, C 89 / 318. Knopp an Süss, 14. April 1938, UAF, C 89 / 318. Ebenfalls im März 1938 war Schur in der Preußischen Akademie der Wissenschaften unter Druck geraten, der von Bieberbach ausging. Als Schur sich Ende März 1938 auf einem die Weierstraß-Ausgabe betreffenden Zirkular der Preußischen Akademie der Wissenschaften eintrug, notierte Ludwig Bieberbach am 29. März auf dem Zirkular: »Ich wundere mich, daß Juden noch den akademischen Kommissionen angehören.« Einen Tag später forderte Theodor Vahlen, der spätere Präsident der Akademie ( ab 1.1.1939 ): »Ich beantrage Änderung«. Am 3. April ergänzte Max Planck, einer der vier beständigen Sekretäre der Akademie, das Zirkular um die Bemerkung: »Ich werde die Angelegenheit erledigen«. Innerhalb einer Woche trat Schur aus allen Kommissionen der Akademie aus. Dazu siehe Sieg mund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 122 f. 233

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unter Umständen auch um die Nennung der Namen früherer Herausgeber oder Zeitschriftengründer. So im Fall der Mathematisch-Physikalischen Semesterberichte zur Pflege des Zusammenhangs von Schule und Universität, deren Herausgeber Heinrich Behnke 1938 vorgeworfen wurde, daß er noch immer den Namen von Otto Toeplitz auf dem Titelblatt führte. Behnke und Toeplitz hatten die Semesterberichte 1931 gemeinsam gegründet. Seit 1935, als er aus seiner Professur in Bonn entlassen wurde, wurde Toeplitz nicht mehr als Herausgeber, sondern nur noch im Untertitel als Mitgründer genannt. Wie im Falle Schurs, Blumenthals und anderer jüdischer Mathematiker war die Nennung seines Namens auf dem Titel einer Veröffentlichung im Jahre 1938 nicht mehr erwünscht, und es fanden sich genügend Kollegen, die darum besorgt waren, daß sie auch tatsächlich unterblieb. Ab dem Sommersemester 1938 konnte der Name Otto Toeplitz nicht mehr auf dem Titelblatt der Semesterberichte erscheinen.90 Der Schriftleiter ( 1935–1939 ) des Jahrbuchs über die Fortschritte der Mathematik, Helmut Grunsky, erhielt im Januar 1938 Neujahrswünsche seines Lehrers Bieberbach, die mit dem mahnenden Wunsch einhergingen, es möge Grunsky »im neuen Jahr vor allem nun endlich beschieden sein, die Juden aus Ihrem Mitarbeiterstab loszuwerden«. Sonst laufe Grunsky, dessen Verhältnis zu Bieberbach schon seit längerer Zeit gespannt war, Gefahr, daß sein »Handeln als mangelnder politischer Instinkt ausgelegt werde«. Bieberbach warf ihm offen vor, seine Politik zu hintertreiben, »weil Sie immer wieder Gründchen finden, einen oder den anderen Juden [ für Referate ] heranzuziehen«, und er mit diesem »Verhalten das wohlverstandene Ansehen der Akademie«, der Herausgeberin des Jahrbuchs, schädige.91 Bieberbachs Sicht der Dinge spiegelte sich unmittelbar im Umgang des Verlags de Gruyter mit jüdischen Mathematikern. Bei de Gruyter, der neben dem Jahrbuch auch das traditionsreiche Journal für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal ) verlegte, wählte man unter dem Einfluß eines Nationalsozialisten, der »uns schon seit langer Zeit bei bestimmten Fragen beratend zur Seite steht«, schon zu Beginn des »Dritten Reichs« einen viel strengeren

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Dazu siehe Behnke, Semesterberichte, S. 112 f.; Schubring, Das Mathematische Seminar der Universität Münster, S. 187. Bieberbach an Grunsky, 11. Januar 1938, Abdruck als Anlage 8 in: Sieg mundSchultze, Mathematische Berichterstattung, S. 217; zum Kontext vgl. ebd., passim.

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Umgang mit jüdischen Herausgebern und Autoren.92 Dabei war man nicht nur um die Außenwirkung bedacht, denn als im Juni 1933 die neue Auflage von Hasses Göschen-Bändchen Höhere Algebra I erschien, teilte man ihm mit, man habe die Dozentenexemplare nach seinem Wunsch verschickt, nicht aber an »Frau Professor Noether, die ja beurlaubt ist und infolgedessen für eine Empfehlung an ihre Hörer nicht mehr in Frage kommt«.93 Angesichts einer solchen Haltung überrascht es kaum, daß der Verlag sich bereits Anfang Mai Gedanken über die Umgestaltung des Herausgebergremiums von Crelles Journal machte, dessen alleiniger Herausgeber von 1903 bis 1928 der jüdische Mathematiker Kurt Hensel gewesen war, der aber seit 1929 durch seinen Schüler und Nachfolger in Marburg ( 1930–1934 ) Helmut Hasse und den ebenfalls jüdischen Mathematiker Ludwig Schlesinger in Gießen unterstützt wurde. Hasse konnte den Verlag im Mai 1933 zunächst überzeugen, daß eine Veränderung im Herausgebergremium nicht nötig sei, aber schon im Juli 1933 drängte der Verlag erneut und wünschte insbesondere die Entlassung Schlesingers.94 Am 12. Juli schrieb der Verlag entsprechend an Hensel, es sei sein Wunsch, daß die Herausgeberschaft in den Händen Hensels und Hasses bleibe. Allerdings hegte man »bei der heutigen politischen Konstellation [ … ] ernste Bedenken, Herrn Professor Schlesinger als Mitherausgeber weiter zu führen«. Ob es möglich wäre, Schlesinger – »ohne dass er persönlich verletzt wird – zu bewegen, von seinem Posten im Interesse des Journals zurückzutreten?« Für Schlesingers Nachfolge schlug man vor, »an seine Stelle einen neuen Mann treten zu lassen, der der jetzigen Richtung genehm ist: wir denken zum Beispiel an Herrn Professor Vahlen«.95 Die Reaktion Hensels ist nicht überliefert, allerdings läßt der Gegenbrief des Verlags vom August vermuten, daß Hensel auf den schlechten Gesundheitszustand Schlesingers, der tatsächlich im Dezember verstarb, verwies und bat, von einer Änderung abzusehen. Für Schlesingers Nachfolge hat Hensel offenbar Otto Haupt in Erlangen vorgeschlagen. Der Verlag war mit dem Vorschlag nicht einverstanden, da er einen angewandten

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Erwähnt in einem Brief von Cram an Hasse, 1. November 1934, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. Grethlein an Hasse, 15. Juni 1933, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. Briefe Grethleins an Hasse, 5. Mai 1933, 18. Mai 1933, 12. Juli 1933, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. Cram und Grethlein an Hensel, 12. Juli 1933, Durchschlag, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. 235

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Mathematiker wünschte, und schlug erneut Vahlen vor.96 Eine deutlichere Hinwendung zur neuen Zeit war kaum vorstellbar, als den Altnazi Vahlen dem jüdischen Mathematiker Ludwig Schlesinger als Mitherausgeber von Crelles Journal folgen zu lassen. Hasse war darüber wenig erbaut und schrieb dem Verlag Ende September 1933 mit deutlichen Worten: Zu Ihrem Vorschlag Professor Vahlen möchte ich bemerken, dass ich persönlich gar nichts gegen seine Person habe. Vahlen ist mir auch bisher gar nicht bekannt. Ich fürchte nur, dass uns bei seiner Zuwahl in die Redaktion in gewissen redaktionellen Fragen die Hände gebunden sein könnten. Ich möchte gewiss nicht eine prosemitische Redaktionspolitik treiben, aber auf der anderen Seite auch nicht den antisemitischen Gesichtspunkt bei der Frage der Annahme mathematischer Arbeiten mitsprechen lassen, oder jedenfalls nicht grundsätzlich in dieser Hinsicht gebunden sein.97

Aus den weiteren Diskussionen wird deutlich, daß der Vorschlag, Vahlen in die Redaktion aufzunehmen, aus dem Verlag selbst gekommen war und zwar auf Rat des bereits erwähnten beratenden Nationalsozialisten, dessen Identität aus der Korrespondenz nicht hervorgeht.98 Es mag zur Abwendung dieser Idee, die dem internationalen Ansehen der Zeitschrift nicht zuträglich gewesen wäre, beigetragen haben, daß im November 1933 diskutiert wurde, ob Hasse nicht nach dem Tode des Gründungsherausgebers Leon Lichtenstein eine führende Rolle bei der Mathematischen Zeitschrift einnehmen könnte. Dem Verlag de Gruyter war klar, daß man damit bei Crelles Journal vor einem Scherbenhaufen gestanden hätte.99 Daher kam man im Januar 1934 Hasse sehr weit entgegen, indem einerseits zugesagt wurde, zur Erleichterung der Redaktionstätigkeit »einen mathematisch geschulten Korrektor einzustellen«, und andererseits betont wurde, es sei »selbstverständlich, dass wir Ihnen nach dem Rücktritt des Herrn Geheimrat

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Cram und Grethlein an Hensel, 9. August 1933, Durchschlag, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. Hasse an Cram, 29. September 1933, zit. nach dem Schreiben von Cram an Hasse, 1. November 1933, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. Grethlein an Hasse, 26. September 1933; Hasse an Cram, 20. Oktober 1934; Cram an Hasse, 1. November 1934, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. Grethlein an Hasse, 21. November 1933, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1; vgl. die Korrespondenz zwischen Hasse und Knopp sowie Hasse und Neugebauer zwischen November 1933 und Januar 1934, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:3.

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Hensel die alleinige Herausgabe des Crelleschen Journals anvertrauen«.100 Zunächst wurden ab 1934 Hensel und Hasse als federführende Herausgeber von Crelles Journal genannt. Im Januar 1936 ergriff der Verlag erneut die Initiative, diesmal um Hensel zum Rücktritt zu bewegen. In einem Brief an Hasse äußerte man die Befürchtung, daß einerseits Bieberbachs neue Zeitschrift Deutsche Mathematik sich zu einer Konkurrenz entwickeln werde ( siehe unten ), und daß andererseits »über kurz oder lang, spätestens im Herbst, auf die Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschriften ein Druck ausgeübt wird, ihre herausgeberische Tätigkeit in Bezug auf die Auswahl der Mitarbeiter so zu treffen, dass sie den Wünschen der massgebenden Persönlichkeiten entsprechen«.101 Im Juni 1936 schließlich ging ein entsprechendes, mit Hasse abgestimmtes Schreiben an Hensel,102 der der Trennung zwar zustimmte, aber Hasse bewegte Zeilen dazu schrieb. Er hoffe, so Hensel, »dass ich die ganze Sache, die mich doch sehr angreift, weil sie mir so nahe geht, möglichst schmerzlos hinter mich bringen kann. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass niemals eine Arbeit von Ihnen, die Sie mit solcher Liebe übernommen und durchgeführt haben, wie ich diese, ein ähnliches Ende nehmen muss [ … ]«.103 Herbert Cram, seinem langjährigen Ansprechpartner bei de Gruyter schrieb Hensel, »die Verbindung mit Ihnen, Ihrem ehrwürdigen Verlage und besonders mit unserer Zeitschrift ist ein so wesentlicher Bestandteil meines geistigen und wissenschaftlichen Lebens geworden, dass mir die jetzt notwendig gewordene Lösung bitter schwer wird; meine Selbstachtung gebietet mir aber, unter diesen Teil meiner Lebensarbeit den Schlussstrich zu ziehen«.104 Nach Hensels »Rücktritt« war Hasse ab 1937 ( bis 1952 ) alleiniger Herausgeber von Crelles Journal.105 Daß eine andere Vorgehensweise seitens des Verlags ( und Hasses ) denkbar gewesen wäre, belegt der Vergleich mit dem Springer Verlag. 100 Cram und Grethlein an Hasse, 22. Januar 1934, VA de Gruyter, Dep. 42, Korrespondenz Hasse. 101 Grethlein an Hasse, 27. Januar 1936, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. 102 Grethlein an Hasse, 29. Mai und 23. Juni 1936, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. 103 Hensel an Hasse, 26. Juni 1936; vgl. die Briefe von Grethlein und Cram an Hensel, ohne Datum, vermutlich 9. Juni 1936; Hensel an Hasse, 11. Juni 1936, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:2. 104 Hensel an Cram, 18. Juni 1936, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:2. 105 Von 1952 bis 1977 gab er die Zeitschrift zusammen mit Hans Rohrbach heraus; danach bis zu seinem Tod 1979 war er Teil eines größeren Herausgebergremiums. Zu den Entwicklungen der 1930er Jahre vgl. die Bemerkungen bei Rohrbach, Helmut Hasse und Crelles Journal, S. 157 f. 237

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Ein Problem, das ab 1938 bei de Gruyter immer stärker diskutiert wurde, war die Publikation und Zitation von Arbeiten jüdischer Mathematiker. Im Oktober 1938 bat Hasse den für die Mathematik zuständigen Mitarbeiter bei de Gruyter, Konrad Grethlein, um Rat, weil er für Crelles Journal zwei Arbeiten des jüdischen Mathematikers Robert Remak ( † 1942 in Auschwitz ) erhalten hatte, deren Publikation ihm vor Jahresfrist noch möglich erschienen war. Nun habe er aber gehört, daß »für Arbeiten von Nichtarieren ab 1.1.39 eine ausdrückliche Kennzeichnung notwendig [ ist ], indem dem Vornamen der Zusatzvorname »Israel« beigefügt wird«. Hasse schrieb, daß es ihm »sehr unsympathisch wäre, eine in dieser Weise gekennzeichnete Arbeit in Crelles Journal erscheinen zu lassen«. Gleichwohl seien die beiden Arbeiten Remaks zweifellos »wissenschaftlich wertvoll« und Crelles Journal habe »in dieser Zeit nicht gerade einen Überfluss an wertvollen Arbeiten« – ein Problem unter dem auch andere mathematische Zeitschriften litten wie etwa die Mathematischen Annalen.106 Hasse befürchtete, daß er bei der Annahme der beiden umfangreichen Arbeiten Gefahr laufe, die Zeitschrift und sich selbst als Herausgeber politisch zu kompromittieren.107 Abschließend wies er auf die Praxis anderer Herausgeber hin: »In Rücksprache mit dem Herausgeber der Mathematischen Annalen habe ich festgestellt, dass man dort in keiner Weise nichtarische Erzeugnisse ausschliesst. Bei der Mathematischen Zeitschrift dagegen ist der Herausgeber Knopp in dieser Beziehung jedenfalls zurückhaltend.«108 Grethlein riet, die beiden Abhandlungen Remaks nicht zu drucken, denn dies würde »zweifellos übel vermerkt werden und könnte zu öffentlichen Angriffen führen, die für Sie und für uns die nachteiligsten Folgen hervorrufen müssten. Auch sonst sollten wir jüdische Autoren nicht mehr zu Wort kommen lassen – zumindest deutsche –, denn es ist ganz richtig, dass man gegenüber der nichtarischen wissenschaftlichen Produktion in der letzten Zeit einen erheblich verschärften Standpunkt eingenommen hat, der sich sicher noch verstärken wird.109 Hasse folgte Grethleins Empfehlung und schrieb Remak entsprechend.110 Die 106 Vgl. Behnke, Rückblick über die Geschichte der Mathematischen Annalen, S. 113 f. Dazu vgl. auch Rohrbach, Helmut Hasse und Crelles Journal, hier S. 160. 107 Hasse war vermutlich um sein politisches Ansehen besorgt, da sein Antrag auf Aufnahme in die NSDAP vom Oktober 1937 wegen einer jüdischen Ururgroßmutter erst im Oktober 1939 endgültig bewilligt wurde. Dazu siehe Segal, Mathematicians under the Nazis, S. 162 f. 108 Hasse an Grethlein, 21. Oktober 1938, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. 109 Grethlein an Hasse, 25. Oktober 1938, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. 110 Hasse an Remak, 26. Oktober 1938, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1. 238

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Herausgeber der Mathematischen Annalen diskutierten noch 1940, ob die Veröffentlichung einer Arbeit, die der jüdische Mathematiker Kurt Lachmann im November 1939 eingereicht hatte, möglich sein könnte. Springer machte im Januar 1940 deutlich, daß eine solche Publikation nicht riskiert werden könne, woraufhin Hecke seinen Rücktritt als Herausgeber ankündigte.111 Ende 1938 waren auch die Autoren gehalten, in Bezug auf das Zitieren jüdischer Mathematiker sehr vorsichtig zu sein. So antwortete der des Antisemitismus unverdächtige Arnold Scholz, der für die Sammlung Göschen ein Bändchen Einführung in die Zahlentheorie ( 1939 ) verfaßt hatte, auf die Bemerkung Grethleins, er habe versäumt, Bachmanns Niedere Zahlentheorie (Teubner, 2 Bde., 1902 / 1910 ) zu erwähnen: Was das Literatur-Verzeichnis betrifft, sagte ich Ihnen schon, daß ich Bachmann absichtlich nicht erwähne. Es kann sich ja heute doch nur um eine Zitatauswahl handeln, da man nur Arier zitiert. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich die Überschrift »Weitere ausgewählte Literatur« wählen und nur die Bücher zitieren, die ich zu Beginn einer Vorlesung mit gutem Gewissen nennen kann, und dazu gehört der weitschweifige und unübersichtliche Bachmann ebensowenig wie der unpädagogische Landau. [ … ] Sie müssen auch bedenken, daß die Zahlentheorie in U.S.A. große Mode ist und dort viel gekauft werden wird. Wollen Sie nun alle arische Literatur erwähnt haben, Landau aber, den ich selbst nie erwähnt hätte, auslassen, so könnte dort vielleicht gegen das Bändchen Propaganda gemacht werden, und das ist weder in Ihrem noch in meinem Interesse. Treffe ich aber eine Auswahl der empfehlenswerten Bücher, so kann niemand etwas dagegen sagen.112

Dieser Zwiespalt beschäftigte Autoren und Verlage immer wieder. Auch der Nachdruck von Klassikern war davon betroffen. Als man bei de Gruyter im Herbst 1939 über einen Nachdruck von Hausdorffs Mengenlehre nachdachte, riet Bieberbach umgehend davon ab. Allerdings sah Grethlein die Gefahr, daß der von Bieberbach favorisierte Autor für ein neues Buch über Mengenlehre, Oskar Perron in München, sich »keinen Zwang auferlegen und Juden nach Herzenslust zitieren« werde, wie der Verlag es bereits bei der Neuauflage von

111 Ausführlich dazu: Segal, Mathematicians under the Nazis, S. 234–244. 112 Scholz an Grethlein, 13. Dezember 1938, VA de Gruyter, Dep. 42, 273, Mappe 1131: Scholz: Zahlentheorie. Unterstreichung im Original. Dort auch Grethlein an Scholz, 7. Dezember 1938. 239

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Perrons Irrationalzahlen ( 1921, 1939 ) erlebt hatte.113 Als Hasse Ende 1939 um eine Stellungnahme in der Frage bat, in welcher Form jüdische Autoren zitiert werden durften, antworte Grethlein mit einem Auszug aus einem Brief Vahlens: Auf Ihre Anfrage schreibe ich [ = Vahlen ] Ihnen meine Ansicht, die auch für die »Deutsche Mathematik« maßgebend ist. Wir zitieren selbstverständlich auch nichtarische Autoren, wo dies aus Gründen wissenschaftlicher Korrektheit notwendig ist. Wer darüber hinausgeht, macht sich prosemitischer Propaganda schuldig. Bei Schwierigkeiten mit Verlegern können sich die Autoren auf die »Deutsche Mathematik«, also auf Vahlen und Bieberbach berufen, deren Einstellung in Bezug auf die Juden in der Mathematik hinlänglich belegt ist, und zwar in einer Zeit, als die heutigen das Problem noch gar nicht erkannten.114

Grethlein war in den folgenden Jahren bei de Gruyter sehr darauf bedacht, daß die Namen jüdischer Mathematiker aus wiederaufgelegten oder überarbeiteten Büchern verschwanden. Darüber klagte Perron, der lange mit dem Verlag über einen erneuten Nachdruck seiner Irrationalzahlen ( erschienen erst 1947 ) gestritten hatte, in einem Brief an Wilhelm Süss im Juni 1944. Der Verlag, so Perron, »war nämlich der Meinung, daß meine objektiven Quellennachweise nicht unserer Weltanschauung entsprechen. Namen wie Cantor, Kronecker, Minkowski u.a. müßten aus dem Buch verschwinden«. Es habe ihn eineinhalb Jahre gekostet, einen unveränderten Nachdruck durchzusetzen.115 Günther Schulz, ein früherer Mitarbeiter Bieberbachs und Vahlens, erkundigte sich im Februar 1946 nach dem Schicksal des 1945 begonnen Neudrucks seiner Formelsammlung zur praktischen Mathematik ( 1937 ), denn er wollte »sehr gern dort die berechtigte Zitierung jüdischer Autoren durchführen und die Namen wieder einfügen, die ich auf dringenden Wunsch von Herrn Grethlein seinerzeit streichen mußte«.116 113 Aktennotiz Grethleins, 12. September 1939, VA de Gruyter, Dep. 42, 227, Mappe: Haussner, Robert. 114 Grethlein an Hasse, 7. Dezember 1939, SUBG, Nachlaß Hasse, 33:1; Unterstreichung im Original. 115 Perron an Süss, 28. Juni 1944, UAF, C 89 / 71. 116 Schulz an Verlag de Gruyter, 8. Februar 1946, VA de Gruyter, Dep. 42, 271, Mappe 1110: Schulz: Formelsammlung. Angesichts seiner Ausführungen, er halte sich zur Zeit in Oberwolfach auf, bis seine »berufliche Lage geklärt« sei, und er hoffe, »als völlig inaktiver Pg. des Jahres 1937 [ … ], auch weiter als Hochschullehrer 240

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Offenbar hatte Grethlein sich bei seiner Haltung gegenüber jüdischen Mathematikern stark von den extremen Vorstellungen Bieberbachs und Vahlens leiten lassen. Eine einheitliche Vorgehensweise, das zeigen die Beispiele der Verlage Springer und de Gruyter, gab es bis 1938 / 39 nicht. In van der Waerdens Einführung in die algebraische Geometrie von 1939 ( Band 51 der Grundlehren ) werden die jüdischen Autoren ebenso zitiert wie in den während des Krieges erschienenen Bänden von Wilhelm Magnus und Fritz Oberhettinger, Formeln und Sätze für die speziellen Funktionen der mathematischen Physik ( Band 52 der Grundlehren, 1943, insbes. Courant, Hurwitz und Szegö ), und Béla v. Szökefalvi-Nagy, Spektraldarstellung linearer Transformationen des Hilbertschen Raumes ( Heft 5,5 der Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete, insbes. Bochner, von Neumann, Hahn, Hellinger, Toeplitz ). Bei allen Schwierigkeiten, die die antisemitischen Vorgaben des NS-Staates mit sich brachten, gab es, wie gesehen, verschiedene Möglichkeiten mit ihnen umzugehen. Unter Umständen konnte sogar die Zustimmung des Propagandaministeriums erbeten werden, wenn es um Publikationen ging, an denen jüdische Autoren beteiligt waren. So plante der Springer Verlag Ende 1944 auf Anregung der Forschungsführung im Reichsluftfahrtministerium eine Neuauflage des ersten Bandes der Methoden der mathematischen Physik von Hilbert und Courant. Das Propagandaministerium holte daraufhin Stellungnahmen von Erhard Schmidt in Berlin und Wilhelm Süss, dem Vorsitzendem der DMV, ein, die das Vorhaben beide mit Nachdruck befürworteten, Schmidt sogar in einer Auflage von 5000 Stück.117 Ob das Propagandaministerium noch Gelegenheit hatte, eine entsprechende Genehmigung zu erteilen, ist unbekannt. Für die Benutzung der Bücher jüdischer Mathematiker wurden zwar mitunter gewisse Hürden aufgebaut, doch bezogen sie sich in erster Linie auf Studierende – und selbst für sie, so betonte Süss in einer kurzen Stellungnahme im Mai 1943, lasse sich die Benutzung von Lehrbüchern jüdischer Autoren »gerade in unserem Fachgebiet« kaum umgehen.118

tätig sein zu dürfen,« drängt sich der Verdacht auf, daß die Wiederaufnahme der jüdischen Autoren zu einem Schachzug in der Entnazifizierung wurde. 117 Vgl. die Korrespondenz zwischen Süss und dem Propagandaministerium vom November 1944 und Januar 1945, UAF, C 89 / 13, S. 103, 107 und 114 und Süss an den Verlagsausschuß der DFG, 5. Januar 1945, BAK, R 73 / 12976 . 118 Süss an Mayrhofer, 7. Mai 1943, UAF, C 89 / 67. 241

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8.2.2

Mathematisches Publizieren im Spiegel der Fachpolitik

Das Beispiel Compositio mathematica bezeugt, daß nach 1933, als auch in den Naturwissenschaften und der Mathematik ideologische Kriterien an Gewicht gewannen, die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik versuchte, Einfluß auf das mathematische Publikationswesen zu nehmen. Darin wurde das Amt für Wissenschaft im REM von der DMV unter ihrem Vorsitzenden Wilhelm Süss unterstützt. Süss war von 1937, dem Jahr seines Beitritts zur NSDAP, bis 1945 Vorsitzender der DMV und von 1940 bis 1945 Rektor der Universität Freiburg. Er bewies 1938 dem REM seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit eindrücklich, als es galt, die jüdischen Mitglieder aus der DMV auszuschließen, und qualifizierte sich in diesem Prozeß als verläßlicher Partner. Auf dieser Basis wuchs Süss in die Rolle eines der einflußreichsten Repräsentanten der deutschen Mathematiker während des »Dritten Reichs« und arbeitete als DMV-Vorsitzender und später als Freiburger Rektor eng und vertrauensvoll mit dem REM zusammen.119 Im Bereich des mathematischen Publizierens gab es mit der versuchten Neuordnung des mathematischen Zeitschriftenwesens, den Bestrebungen zur Reorganisation des mathematischen Referatewesens, der Gründung der Zeitschrift Deutsche Mathematik und dem Programm zur Bereitstellung kriegswichtiger mathematischer Literatur ( 8.3 ) drei Gebiete, in denen sich die besonderen politischen Rahmenbedingungen niederschlugen. Die Reorganisation des mathematischen Zeitschriftenwesens120 Bereits nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte es Diskussionen darüber gegeben, die Zahl der wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu reduzieren, um der nach Meinung der Nazis zunehmenden Zersplitterung entgegenzuwirken. Insbesondere hatte der Physiker Johannes Stark, der seit 1930 der Partei angehörte, im Herbst 1933 eine »Neuordnung des physikalischen Schrifttums« unter einem gemeinsamen Herausgebergremium

119 Dazu siehe Remmert, Zwischen Universitäts- und Fachpolitik; ders.: Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung. 120 Dieser Abschnitt folgt Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung, S. 171 ff. 242

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gefordert. Doch aus all diesen Plänen war in den folgenden Jahren nichts geworden.121 Vermutlich im Frühjahr 1939 sandte Bieberbach eine Kopie seiner »Vorschläge zu einer Planung auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Zeitschriften« an den »Pg Süss zur Kenntnis«.122 Bieberbach orientierte sich sehr an Starks Vorstellungen von 1933 und wählte die mathematischen Zeitschriften als Beispiel, um seine Ideen zu erläutern. Entsprechend sollte aber nach seiner Meinung »auch auf den übrigen naturwissenschaftlichen Gebieten verfahren werden«. Er beklagte, was bereits zuvor als Zersplitterung bezeichnet worden war, namentlich daß Artikel, die eigentlich einem einzigen Forschungsfeld angehörten, in verschiedenen Zeitschriften verstreut zu finden wären. Diese Praxis, so Bieberbach, wäre weder effektiv für die Fachgelehrten noch für die Herausgeberkollegien. Zudem brächte dieser Zustand den negativen ökonomischen Effekt mit sich, daß persönliche Abonnements äußerst rar wären. Bieberbachs Reorganisationsvorschläge gipfelten in dem Vorschlag, die DMV sollte die zentrale Überwachung und Koordinierung der Zeitschriften übernehmen. Süss befürwortete Bieberbachs Initiative. Als er im November 1939 Ministerialrat Kummer im REM traf, um die bevorstehende Fusion von Zentralblatt und Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik zu diskutieren ( siehe unten ), kam er ebenfalls auf eine mögliche Umstrukturierung des Systems der mathematischen Zeitschriften zu sprechen.123 Obschon das Auswärtige Amt aus Prestigegründen angeordnet hatte, daß Fusionen wissenschaftlicher Zeitschriften zu unterbleiben hätten, einigten Kummer und Süss sich auf ein neues Organisationsprinzip, die Spezialisierung der mathematischen Zeitschriften. Dies hätte das Ende der traditionellen Zeitschriften mit einem breiten Spektrum bedeutet, z. B. des Journals für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal ), der Mathematischen Annalen und der Mathematischen Zeitschrift. Bieberbach hatte vorgeschlagen, daß Crelles Journal sich auf Algebra und Zahlentheorie spezialisieren sollte, die Mathematischen Annalen auf Analysis und die Mathematische Zeitschrift auf Geometrie. Süss hatte die Idee sofort aufgenommen

121 Vgl. Knoche, Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 264–268; Sarkowski, Der Springer Verlag, S 329–331; vgl. die Bestrebungen des Teubner Verlags zu einer Neuord nung seiner mathematischen Zeitschriften um 1900 ( Hashagen, Walther von Dyck, S. 391–394 ). 122 »Vorschläge zu einer Planung auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Zeitschriften«, wahrscheinlich April 1939, UAF, E4 / 78. 123 Süss an Kummer, 28. Mai 1940, UAF, E 4 / 45. 243

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und beschlossen, mit den verantwortlichen Herausgebern zu verhandeln.124 Helmut Hasse, der verantwortliche Herausgeber von Crelles Journal, äußerte zwar Sympathie für Bieberbachs Vorschläge, schrieb allerdings im Dezember 1939 an Süss, sie seien, »wie alles was von B. ausgeht, etwas stürmisch, und es dürfte schwierig sein, sie in die Praxis umzusetzen«.125 Trotz dieses Dämpfers wandte Süss sich im Februar 1940 auch an Heinrich Behnke als geschäftsführenden Herausgeber der Mathematischen Annalen. Behnke brachte keinen besonderen Enthusiasmus für die Vorstellungen von Bieberbach und Süss auf. Zwar äußerte er sich sehr diplomatisch, stellte aber in seiner Antwort an Süss sogleich klar, daß er nicht bereit war, ohne Kenntnis seiner Mitherausgeber van der Waerden und Hecke über das Thema zu verhandeln.126 Während Hasse und Behnke ihre Zurückhaltung in der Frage der Neuorganisation vorsichtig verpackten, stießen diese Ideen beim Springer Verlag in Berlin, in dem die Mathematischen Annalen und die Mathematische Zeitschrift erschienen, auf völlige Ablehnung. »Der Verlag«, so schrieb Süss im Februar 1940 an Behnke, »hat offenbar die Absicht, sich gegen irgend eine Änderung von außen her zu wenden. Anscheinend hat er nicht erkannt, daß ja von meiner Seite aus nur eine Förderung gerade auch seiner Zeitschriften erstrebt wird und nicht eine Behinderung«.127 Angesichts dieser einhelligen Zurückhaltung und offenen Ablehnung wurden die Pläne von Süss zunächst zurückgestellt. Bei Antritt seines Rektorats im Herbst 1940 sah Süss jedoch eine neue Chance gekommen, sein altes fachpolitisches Anliegen wieder vorzubringen. Daher legte er dem Minister Rust eine Liste von vier Vorschlägen vor, die er gern auf der Tagesordnung der Prager Rektorenkonferenz im Dezember 1940 gesehen hätte. Sie bezogen sich sowohl auf die Universitäts- als auch auf die Wissenschaftspolitik.128 Insbesondere sein vierter Vorschlag wies direkt in das Netz seiner fachpolitischen Interessen. Unter der neutralen Überschrift »Wissenschaftliche Gesellschaften und Zeitschriftenwesen« plädierte Süss für eine Neuorganisation des deutschen wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens unter Führung der deutschen wissenschaftlichen Gesellschaften. Dabei machte er sich die ursprüngliche Argumentation Bieberbachs völlig zu eigen und forderte, daß das REM zu der »erforderlichen Umorganisierung im deutschen wissen124 125 126 127 128

244

Süss an Sperner, 14. Dezember 1939, UAF, E 4 / 76. Hasse an Süss, 8. Dezember 1939, UAF, E 4 / 76. Behnke an Süss, 17. Februar 1940, UAF, C 89 / 42. Süss an Behnke, 27. Februar 1940, UAF, C 89 / 42. Dazu und weiteren Verquickungen zwischen Rektoramt und DMV-Vorsitz bei Süss siehe Remmert, Das Problem der Kriegsforschung.

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schaftlichen Zeitschriftenwesen« die deutschen wissenschaftlichen Gesellschaften als »geeignetste Berater« heranziehen sollte.129 Trotz des neuen Gewichts, das er den Vorschlägen als Rektor beizulegen gedachte, gerieten sie mit zunehmender Dauer des Krieges in Vergessenheit. Die gescheiterte Fusion der Referateorgane »Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik« und »Zentralblatt für Mathematik und ihre Grenzgebiete«130 Süss’ Bericht an das REM über den Stand der jüdischen Mathematiker in den Herausgebergremien des Springer Verlags, seine Denunziation Schurs und die hochtrabenden Pläne zur Neuorganisation des deutschen Zeitschriftenwesens waren nicht seine einzigen Versuche, Einfluß auf das mathematische Verlagswesen zu nehmen und insbesondere Druck auf den Springer Verlag auszuüben. Springer hatte sich 1931 mit der Gründung des Zentralblatts für Mathematik und ihre Grenzgebiete im Bereich des Referatewesens engagiert. Das Zentralblatt wurde von Otto Neugebauer und Richard Courant herausgegeben und stand von Anfang an in direkter und bewußter Konkurrenz zum traditionsreichen Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik, das seit 1927 / 28 von der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin herausgegeben wurde.131 Das Jahrbuch war berüchtigt für die große zeitliche Verzögerung, mit der die Referate erschienen, während das Zentralblatt bald als effizienter bekannt war. Bis 1939 hatte das Jahrbuch zunehmend mit ideologischen Interventionen von Bieberbach zu kämpfen, der sich zum Sprecher der Jahrbuch-Kommission in der Preußischen Akademie der Wissenschaften gemacht hatte. Insbesondere wünschte Bieberbach den Verzicht auf jüdische Referenten. Auch dem Zentralblatt bereitete die NS-Ideologie Probleme, da ( 1 ) dem Herausgebergremium »nicht-arische« Mathematiker angehörten, wie z. B. der italienische Mathematiker Tullio Levi-Civita, der im Oktober 1938 nicht mehr haltbar war, ( 2 ) der Gesamtherausgeber Neugebauer, der im November 1938 als Reaktion auf die Levi-Civita-Affäre sein Amt niederlegte, ein Emigrant war, und ( 3 ) das Zentralblatt ausdrücklich als internationales Unternehmen konzipiert war. Schon bald nach der Gründung des Zentralblatts gab es, insbesondere von Seiten der DMV, Bemühungen, eine Zusammenarbeit von Jahrbuch und Zentralblatt zu 129 Süss an Rust, 4. November 1940, UAF, B1 / 1439. 130 Dieser Abschnitt folgt Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung, S. 173–176. 131 Dazu ausführlich Sieg mund-Schultze, Mathematische Berichterstattung. 245

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erreichen. Dem standen jedoch die wirtschaftliche Konkurrenz der herausgebenden Verlage de Gruyter und Springer sowie die ideologische Inkommensurabilität zwischen Bieberbach und dem Springer Verlag entgegen. Dennoch wurde in den späten 1930er Jahren eine Zusammenlegung oder doch wenigstens eine Kooperation zwischen Zentralblatt und Jahrbuch diskutiert. Ende 1938 wurde bekannt, daß in den USA die American Mathematical Society ein neues Referateorgan, die Mathematical Reviews, gründen wollte. Dies beunruhigte Mathematiker und Verleger in Deutschland, ob sie nun nationalsozialistische Neigungen hatten oder nicht. Im Januar 1939 drängte Bieberbach die Verlage de Gruyter und Springer, eine Fusion der beiden Organe in Betracht zu ziehen und unterbreitete sogleich detaillierte Vorschläge zu ihrer Durchführung. Auch der DMV-Vorsitzende Süss versuchte Anfang 1939, entsprechenden Druck auf de Gruyter und Springer auszuüben.132 Der Springer Verlag verfolgte jedoch eigene Pläne und hätte es vorgezogen, mit den Mathematical Reviews zusammenzuarbeiten, anstatt zu einer Kooperation mit dem Jahrbuch gezwungen zu werden. Ferdinand Springer hatte die Gründung der Mathematical Reviews im Dezember 1938 mit Oswald Veblen diskutiert und vorgeschlagen, sein Berater F. K. Schmidt, solle in die USA reisen, um Springers Interessen im mathematischen Referatewesen zu vertreten.133 Süss erfuhr davon im März 1939 und forderte den zuständigen Sachbearbeiter im REM, Dr. Dames, auf, Schmidt »nicht eher die geplante Fahrt nach Amerika antreten zu lassen, als die wirklichen Beweggründe zu dieser Reise und die Ziele des Verlages Springer dabei ganz eindeutig geklärt sind«.134 Gleichzeitig schlug er vor, Dames solle sowohl seinen Vorgesetzten, Ministerialrat Dr. Kummer als auch die Reichsschrifttumskammer über Springers Pläne informieren. Als Süss Ende April erfuhr, daß das REM Schmidts Reise in die USA genehmigt hatte, schrieb er direkt an Kummer, um ihm seine Bedenken gegen die Reise sowie die Interessenlage der DMV darzulegen. Er hob hervor, daß die DMV großes Interesse an einer Fusion von Jahrbuch und Zentralblatt habe, und bekräftigte seine Befürchtung, daß Springers Kontakte zu den Mathematical Reviews dieser Fusion entgegenstünden. Das Zentralblatt charakterisierte Süss dabei als das Unternehmen »einer Gruppe jüdischer Mathematiker samt ihren Freunden« und wies ausdrücklich auf die »auch heute noch intensive und mindestens 132 Reingold, Refugee Mathematicians, S. 327–333; Remmert, Mathematical Publishing in the Third Reich; Sieg mund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 167 ff. 133 Reingold, Refugee Mathematicians, S. 331. 134 Süss an Dames, 24. März 1939, UAF, C89 / 36. 246

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äußerlich herzliche Beziehung zwischen Herrn Dr. Spr. [ = Springer ] und dem jüdischen Emigranten Prof. Courant« hin. Daher, so Süss, hege er »die stärksten Zweifel, ob bei den Verhandlungen in Amerika die deutsche Sache durch einen Unterhändler des Verlags Spr. überhaupt vertreten wird, wenn sie nicht mit den Interessen des Verlags übereinstimmt«. Abschließend forderte Süss, die Reiseerlaubnis für Schmidt möglichst »sofort« zurückzuziehen, da Schmidt in der kommenden Woche in die USA reisen wolle.135 Um sicherzugehen, daß die Sache in seinem Sinne entschieden wurde, rief Süss zwei Tage später, am 29. April, Ministerialrat Kummer in Berlin an. Kummer teilte ihm mit, daß Schmidt bereits abgereist sei. Süss erwiderte, daß seines Wissens Schmidt erst auf dem Wege nach Bremen sei und das Schiff, das er erreichen wolle, erst am 1. oder 2. Mai aus den USA erwartet werde, und implizierte auf diese Weise, daß Schmidt sehr wohl noch aufgehalten werden könne. Kummer reagierte darauf mit der Mitteilung, daß die Frage von seinem Vorgesetzten entschieden worden sei und Schmidt »nicht nur wegen des Zbl. [ = Zentralblatts ] fahre, sondern auch überhaupt um die Stimmung der amerikanischen Mathematiker uns gegenüber zu erkunden und zu versuchen, sie zu bessern zu helfen«. An dieser Stelle verlor Süss die Contenance, wie er wenig später Hasse schrieb, und warf Kummer vor, »für eine derartige Erkundigung [ habe ] das Ministerium offenbar einen ungeeigneten Mann für geeignet gehalten«. In seinen Augen wäre »doch erst die Stellungnahme Berufener einzuholen gewesen«. Nun habe man »den Bock zum Gärtner gemacht«. Aus dem Bericht an Hasse geht klar hervor, daß Süss die Kompetenzen der DMV und damit seine eigenen mißachtet sah. Es sei, so beklagte er Hasse gegenüber, »unsachlich gearbeitet worden und dagegen muß und werde ich angehen«.136 Süss, so zeigt diese Episode, war bereit, die von ihm definierten Interessen der DMV mit harten Bandagen zu verteidigen. Die Reise Schmidts allerdings konnte er nicht verhindern, ebensowenig wie die Gründung der Mathematical Reviews, die noch 1939 erfolgte. Die Vereinigung von Jahrbuch und Zentralblatt wurde im Vorstand der DMV über das ganze Jahr 1939 weiter intensiv diskutiert. Im September 1939 stellte Süss die Forderung an die Verlage Springer und de Gruyter, die »Vereinigung der beiden Organe für beide Verlage bindend zustande zu bringen« und setzte den 3. Oktober als Ultimatum.137 Diese Vorgehensweise wurde von Bieberbach 135 Süss an Kummer, 27. April 1939, UAF, C89 / 36. 136 Süss an Hasse, 1. Mai 1939, UAF, E4 / 77. 137 Süss an die Verlage de Gruyter und Springer, 23. September 1939, zit. n. Sieg mund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 223, Anhang 13. 247

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und Vahlen voll unterstützt. Bieberbach allerdings beklagte, daß »Springer im Verein mit dem ihm hörigen FK Schmidt das Ministerium eingekreist« habe und sich bei seiner Ablehnung der Fusion auf das REM berufe.138 Springer selbst reagierte am 4. Oktober mit einem Schreiben auf Süss’ Ultimatum, das keine Aussicht auf eine freiwillige Zusammenarbeit erkennen ließ: 1. ) Ich bin grundsätzlich nicht in der Lage, auf Anfragen näher einzugehen, die mit einer ultimativen Fristsetzung verknüpft sind. 2. ) Ich bin solange nicht in der Lage, zu der Frage der Vereinigung der beiden Organe Stellung zu nehmen, als ich nicht weiss, ob das Ministerium seinen bisherigen Standpunkt aufrechterhält oder ändert. Ich darf Ihnen anheimgeben, hierüber zunächst Klarheit zu schaffen. 3. ) Ein weiterer Hinderungsgrund für mich, auf Ihr Schreiben näher einzugehen, ist die Tatsache, daß es nach Form und Inhalt auf mangelnde Kenntnis der Stellung des wissenschaftlichen Verlegers im allgemeinen, der Aufgaben und Pflichten im speziellen schließen läßt, die im dritten Reich dem deutschen Verleger auferlegt sind.139

Das waren scharfe Töne, doch Süss verfolgte das Ziel der Fusion beharrlich weiter. Als er aber Anfang November im REM die Frage der Vereinigung von Zentralblatt und Jahrbuch diskutieren wollte, erfuhr er, daß das Außenministerium »während des Krieges jede Zusammenlegung wissenschaftlicher Zeitschriften« untersagt hatte. Es sei, so Süss, »als ein propagandistisches Erfordernis bezeichnet worden, nach Möglichkeit unsere gesamte wissenschaftliche Produktion und Publikation in normaler Zahl, höchstens mit Einschränkung im Umfang, weiter zu führen«. So kam eine Vereinigung von Zentralblatt und Jahrbuch nicht mehr in Frage. Immerhin wurde entschieden, eine Zusammenarbeit der beiden herbeizuführen, wie sie Bieberbach vorgeschlagen hatte. Als Leitlinien sollten für das Zentralblatt »besonders rasches Referieren« und für das Jahrbuch »das Prinzip der Vollständigkeit und der größeren Sorgfalt der Referate« gelten.140 Mitte November schließlich trafen sich Bieberbach, Harald Geppert, F. K. Schmidt, Springer und Beauftragte des Verlags de Gruyter in Berlin, um die Zusammenarbeit von Zentralblatt und Jahrbuch unter einer Generalredaktion in Berlin zu vereinbaren, deren Leiter der überzeugte Nationalsozialist Geppert wurde.141 Dies kam der Zusammenlegung, die die DMV, Süss und 138 139 140 141 248

Bieberbach an Süss, 27. September 1939, UAF, E4 / 78. Ferdinand Springer an Süss, 4. Oktober 1939, UAF, E4 / 68. Süss an Hasse, Müller und Sperner, 11. November 1939, UAF, E4 / 68. Sieg mund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 224 ff., Anhang 14.

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Bieberbach angestrebt hatten, recht nah und gewährleistete zugleich die besonders von Bieberbach gewünschte Geschäftsführung im Sinne ideologischer Vorgaben, da Geppert fortan für die Vergabe der Referate für Zentralblatt und Jahrbuch verantwortlich war. Die verschiedenen Versuche, die Süss und die DMV nach 1938 unternahmen, um Einfluß auf das System mathematischen Publizierens zu gewinnen, illustrieren, daß verlegerische Unabhängigkeit, wie im Fall des Springer Verlags, während des »Dritten Reichs« auch in einer Disziplin wie der Mathematik keine Selbstverständlichkeit war. Beispielhaft dafür kann die Mitteilung stehen, die Süss im Februar 1944 verbreitete, daß er »seit Kurzem auch beim Reichsministerium Speer und Propaganda Ministerium als Zensor für die mathematische Literatur eingesetzt« sei.142 Das bedeutete, daß alle Anträge mathematische Literatur zu drucken, seiner Zustimmung bedurften ( siehe 8.3.1 ). Eine staatlich geförderte Zeitschriftenneugründung: »Deutsche Mathematik« Bieberbach war nicht nur als Fachpolitiker um die Nazifizierung der Mathematik bemüht, wenn auch innerhalb der DMV mit geringem Erfolg,143 sondern propagierte zudem eine Rassenlehre für die Mathematik, die er vehement gegen alle Kritik verteidigte. Dieser Beitrag zur nationalsozialistischen Rassenideologie, der darauf zielte, die Methoden und Ergebnisse jüdischer Mathematiker zu diskriminieren, ist als »Deutsche Mathematik« bekannt geworden – in Analogie zur »Deutschen Physik«.144 Als Sprachrohr der »Deutschen Mathematik« wurde 1936 mit Vahlen als nominellem und Bieberbach als tatsächlichem Herausgeber die Zeitschrift Deutsche Mathematik gegründet.145

142 Süss an Feigl, 2. Februar 1944, UAF, C89 / 51; wortgleich Süss an Heisig ( Teubner ), 3. Februar 1944, UAF, C 89 / 21. 143 Dazu siehe Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung, bes. S. 160 ff, aber auch S. 176 zum impliziten Einfluß Bieberbachs auf die DMV. 144 Dazu siehe Lindner, »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik; Mehrtens, Ludwig Bieberbach and »Deutsche Mathematik«; Remmert, Galilei und die Rassenlehre, S. 341–349; vgl. die Bemerkungen bei Segal, Mathematicians under the Nazis, S. 387–410. 145 Eine gründliche Analyse der Zeitschrift liefert die Staatsexamensarbeit von Kranz, Die Mathematiker und ihre Publikationen in der Zeitschrift »Deutsche Mathematik«, auf die sich das folgende stützt. 249

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Zeitschriftengründungen sind in der Regel eine kostspielige Angelegenheit und für Verlage nur interessant, wenn sich mit ihnen die Hoffnung verbinden läßt, Zugang zu einem Marktsegment zu erhalten. Das war im Fall der Zeitschrift Deutsche Mathematik kaum zu erwarten, da Bieberbach mit seinen extremen Ideen unter den Mathematikern in Deutschland nur geringe Resonanz fand. Allerdings gelang es Bieberbach im Verbund mit dem einflußreichen Vahlen, dem Projekt eine politische Dimension zu geben und auf diese Weise staatliche Förderung durch die DFG zu erhalten. Der DFG stand seit dem Sommer 1934 der Physiker Johannes Stark vor.146 Stark, der 1919 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde, gehörte nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit Philipp Lenard, der 1905 den Nobelpreis für Physik erhalten hatte, zu den entschiedensten Gegnern von Einsteins Relativitätstheorie. Lenard und Stark sprachen sich schon 1924 für den Nationalsozialismus aus. Sie wurden die Leitfiguren der unverhohlen antisemitischen »Deutschen Physik«. So war die Ausgangslage günstig, als Bieberbach im Oktober 1934 die DFG um 2.500 Reichsmark zur Gründung einer »Deutschen Zeitschrift für Mathematik« bat, die ein »Sammelpunkt der Deutschen mathematischen Arbeit an den Hochschulen« sein sollte. Er betonte, die Zeitschrift verstehe sich nicht als Konkurrenz zu anderen mathematischen Zeitschriften, sondern habe als Ziel, »in historischem und biographischem Bericht ein volles und organisches Bild vom Fortschreiten der Deutschen mathematischen Forschung und vom Leben der Forscher zu geben«.147 Besondere Bedeutung maß Bieberbach dem »studentischen Teil« der Zeitschrift zu, in dem »sie über die Fachschaftsarbeit, über Arbeitsgemeinschaften und Wissenschaftslager der mathematischen Fachabteilungen berichten« werde. Ausdrücklich unterstrich Bieberbach den politischen Charakter seines Vorhabens, denn auf »dieser Grundlage sollen alle vorhandenen Kräfte, Studenten und Dozenten zu gemeinsamer Zusammenarbeit verpflichtet werden«. Die Zeitschrift werde »so dem Aufbau einer Deutschen mathematischen Forschungsgemeinschaft die Wege bereiten« und fülle »ein schon lange empfundenes Bedürfnis aus, indem sie Menschen und Wissenschaft, völkische Zugehörigkeit und wissenschaftliche Leistung in gemeinsamer Arbeit von Dozenten und Studenten einander näher rückt«. Bieberbach versäumte nicht zu betonen, daß die DMV nicht für diese Aufgabe in Frage komme, da »sie Träger nationaler Belange einstweilen nicht sein will«. Stark ließ sich umgehend überzeugen, war doch die »Marschrichtung« des Unternehmens im Sinne des Nationalsozialismus und parallel zur »Deutschen 146 Dazu siehe Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 110–115. 147 Bieberbach an das Präsidium der DFG, 14. Oktober 1934, BAK, R 73 / 15934. 250

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Physik«. Er ordnete an, die neue Zeitschrift »tatkräftig zu fördern«.148 Dabei war von Anfang an klar, daß das Unternehmen defizitär sein würde, wie auch die Verlagsangebote von Vieweg und Hirzel hervorhoben.149 Hirzel erhielt schließlich den Zuschlag und das erste Heft erschien 1936. Die DFG hat die Deutsche Mathematik bis zum Ausscheiden Starks Ende 1936 mit ca. 24.000 Reichsmark gefördert, denen gut 2.000 Reichsmark als Einnahmen gegenüberstanden. Starks Nachfolger, der Wehrchemiker Rudolf Mentzel, war allerdings nicht bereit, das Projekt mit solch hohen Summen weiter zu unterstützen und schrieb im Januar 1937 entsprechend an Bieberbach und Vahlen. In seiner Antwort hob Bieberbach hervor, daß die Deutsche Mathematik unter den mathematischen Zeitschriften in Deutschland von großer Bedeutung sei. Keineswegs dürften ihr Umfang beschränkt oder die Wartezeiten bis zur Veröffentlichung eingereichter Arbeiten zu lang werden, denn sie solle »ein Gegengewicht bieten [ … ] gegen andere Zeitschriften, bei denen die Verhältnisse ungefähr wie folgt liegen«: Die eine ( mathematische Annalen ) wird von einem Juden redigiert. In einer anderen ( mathematische Zeitschrift ) erscheinen u.a. Arbeiten, die jüdischen Kommunistinnen gewidmet sind. In einer dritten ( Crelles Journal ) werden Arbeiten von Emigranten abgedruckt. Eine vierte ( Quellen und Studien ) wird von einem Juden und einem emigrierten Mischling geleitet. Eine Ablehnung einer an sich guten Arbeit durch uns würde den Volksgenossen zwingen, sich an eine dieser eben durch kurze Stichproben gekennzeichneten Zeitschriften zu wenden.150

Das waren starke ideologische Argumente, denen Mentzel sich nicht verschloß. Allerdings wurde der jährliche Zuschuß bei einer Besprechung Bieberbachs und Mentzels für die Zukunft auf 12.000 Reichsmark beschränkt. Zugleich wurde aber die fachpolitische Perspektive unterstrichen, denn als Ziel wurde benannt, »das Eigentum an der Zeitschrift auf einen Mathematiker-Verband zu übertragen, wenn ein solcher sich aus der Arbeit an der Zeitschrift und dem um sie 148 Ebd., handschriftlicher Vermerk der DFG-Geschäftsstelle auf dem Schreiben Bieberbachs. 149 Dazu und zum Folgenden vgl. Kranz, Die Mathematiker und ihre Publikationen. 150 Bieberbach an DFG, 17. Februar 1937, BAK, R 73 / 15934. Dazu siehe Mehrtens, Ludwig Bieberbach and »Deutsche Mathematik«, S. 223. Gemeint sind: Otto Blumenthal, Emmy Noether, Richard von Mises, Otto Toeplitz und Otto Neugebauer; die vierte Zeitschrift waren die bei Springer erscheinenden Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik. 251

Eine Disziplin und ihre Verleger

gescharten Kreise gebildet« habe.151 Diesen Aspekt brachte Bieberbach in seinen fachpolitischen Auseinandersetzungen ins Spiel, die den Bestand der DMV in Frage stellten und die Gründung eines »NS Mathematikerbundes« vorsahen. Der Zeitschrift Deutsche Mathematik hatte Bieberbach »bei dem künftigen Aufbau« die Rolle als »innerdeutsches Organ des NS Mathematikerbundes« zugedacht.152 Dieses Ziel, die Nazifizierung der Mathematik, hat sie trotz der großzügigen Förderung durch die DFG – 1938 und 1939 in Höhe von 12.000 Reichsmark im Jahr, danach 10.000 – und einer Startauflage von 6.500 Exemplaren nicht erfüllen können. Weder national noch international konnte sie sich durchsetzen. In einer Übersicht der meistzitierten mathematischen Zeitschriften für den Zeitraum 1942 / 44 erreichte sie den 92. Rang, während Crelles Journal ( 8. ), Mathematische Zeitschrift ( 6. ) und Mathematische Annalen ( 2. ) unter den ersten zehn waren.153 Das letzte Heft der Deutschen Mathematik erschien 1944.

8.3

Mathematisches Publizieren im Zweiten Weltkrieg

Wie gesehen gab es auch während des Zweiten Weltkriegs ideologische Einflüsse auf das mathematische Publikationswesen. Sie traten allerdings zunehmend hinter den praktischen Problemen zurück, einerseits der Kriegs- und Rüstungsforschung die dringend benötigte mathematische Literatur und damit das unerläßliche mathematische Arbeitswissen in Druckform zur Verfügung zu stellen ( 8.3.1 ) und andererseits dafür Sorge zu tragen, daß genügend und geeignete Lehrbücher für die Studierenden zur Verfügung standen ( 8.3.2 ).

8.3.1

Kriegswichtige Literatur

Die Bedeutung der mathematischen Kriegsforschung im Zweiten Weltkrieg ist unbestritten, wenn ihr Umfang auch erst in Ansätzen erforscht ist.154 Klar ist, daß dabei vor allem von Seiten der Anwender nicht nur neue mathematische 151 Protokoll der Besprechung von Bieberbach mit Mentzel vom 2. März 1937, BAK, R 73 / 15934. 152 Bieberbach an Süss, 27. Dezember 1937, UAF, C89 / 44; vgl. auch Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung I: Krisenjahre und Konsolidierung, S. 169. 153 Brown, Scientific Serials, S. 171–173. Auf Platz 1 dieser Liste finden sich die Fundamenta mathematica. 154 Für Deutschland vgl. vor allem Epple, Rechnen, Messen, Führen; ders. Präzision vs. Exaktheit; ders. / Remmert, Eine »ungeahnte Synthese zwischen reiner und 252

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Methoden benötigt wurden, etwa in der Luftfahrtforschung und -industrie, sondern zunächst einmal grundlegende Literatur wie etwa Formelsammlungen und Tafelwerke, in denen sowohl die Lösungen von Standardproblemen tabelliert waren ( Differentialgleichungen, Integrationstafeln etc. ) als auch neuere Entwicklungen zugänglich gemacht werden sollten ( etwa im Bereich der LaplaceTransformation ). So schrieb im Mai 1941 der Autor der Formelsammlung zur praktischen Mathematik ( Sammlung Göschen 1110 ), der Berliner Privatdozent Günther Schulz, an den Verlag Walter de Gruyter, er wolle für die geplante Neuauflage des gut verkäuflichen Bändchens einige Umarbeitungen vornehmen. Als Begründung für die Neubearbeitung mit einer Erweiterung des Stoffes führte er aus: »Wenn auch schon immer die Verfahren der praktischen Mathematik mehr und mehr Verwendung fanden, so haben gerade die Kriegsjahre diese Entwicklung ausserordentlich beschleunigt.«155 Tatsächlich sei ein steigender Bedarf festzustellen, da es kaum einen Fachkollegen an Universitäten oder Hochschulen gäbe, der »nicht noch wissenschaftliche Arbeiten für hohe militärische Stellen oder die Kriegsindustrie übernommen hat. Diese Arbeiten – mögen sie nun mehr mathematischer oder mehr physikalisch-technischer Natur sein – erfordern aber fast stets auch Rechenarbeit und damit die Verwendung der sog. praktischen Mathematik, vielfach sogar in einem Maass, das Fernerstehende kaum vermuten ( Ballistik, Luftfahrtforschung, Elastizitätstheorie ).« Dies führe dazu, daß auch diejenigen Mathematiker, die sich vor dem Krieg fast ausschließlich der reinen Mathematik verschrieben gehabt hätten, sich nun auch der angewandten Mathematik widmen müßten. Des weiteren verwies Schulz auch auf den Nutzen einer Neubearbeitung und Erweiterung der Formelsammlung für benachbarte Wissenschaften, da man beobachten könne, »wie die ingenieurwissenschaftliche, geodätische, meteorologische, versicherungsmathematisch-statistische, ja sogar die biologische Forschungspraxis eines mathematischen Rüstzeugs von wachsendem Schwierigkeitsgrad und in immer steigendem Umfang« bedürfe. Die Methoden der praktischen Mathematik befänden sich in »beschleunigter Entwicklung« und es gäbe »zur Zeit kein modernes Lehrbuch darüber«. Schulz dachte daher an eine Erweiterung der Formelsammlung besonders im Hinblick auf Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik, zumal die beiden Göschen-Bändchen über Wahrscheinlichkeitsrechnung ( von Otto Knopf, 1923 ) »nach allgemeiner Ansicht völlig veraltet angewandter Mathematik«; Epple / Karachalios / Remmert, Aerody namics and Mathematics; Mehrtens, Mathematics and War; Remmert, Mathematicians at War. 155 Schulz an den Verlag de Gruyter, 19. Mai 1941, VA de Gruyter, Dep. 42, 314. 253

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sind und durch eine bloße Umarbeitung wohl nicht mehr modernisiert werden können, und [ ... ] ein Band über mathematische Statistik in der Sammlung Göschen noch völlig fehlt«. Daher wolle er dem Verlag alsbald ein weiteres Verlagsangebot »in dieser Richtung« zukommen lassen. Schulz konnte allerdings die Überarbeitung des Göschen-Bändchens auch im März 1942 noch nicht liefern, da er unter großer Arbeitsüberlastung litt, die er mit »Arbeiten für eine Wehrmachtsstelle« sowie das zu Ende gehende Wintersemester mit »einigen Hundert Wehrmachtsurlaubern« begründete.156 Ein »durchgesehener Neudruck« der Formelsammlung erschien erst 1945. Die Einschätzung der Bedarfslage durch Schulz traf den Kern des Problems sehr genau: die Forschungspraxis in vielen Disziplinen, ebenso wie die Erfordernisse der Industrie, hatten einen hohen Bedarf an mathematischem Arbeitswissen in geeigneten und modernen Darstellungen. Gleichzeitig waren allerdings viele der potentiellen Autoren nicht verfügbar, weil sie entweder im Feld standen oder durch die Mitarbeit in der ( mathematischen ) Kriegsforschung ausgelastet waren. Auch in der Industrie fühlte man das Fehlen geeigneter mathematischer Literatur schmerzlich. Die effiziente Einbeziehung der Mathematik in den Kriegsforschungsbetrieb war im Oktober 1941 nachdrücklich im ersten von drei Memoranden des bei Siemens & Halske tätigen Physikers Dr. Johannes Rasch gefordert worden. Insbesondere regte Rasch die Bereitstellung von für Ingenieure und Techniker geeigneter mathematischer Literatur an und machte konkrete Vorschläge dazu. Er beklagte, es fehlten »ein gründliches mathematisches Lehrbuch, wie es Whittaker und Watson in englischer Sprache herausgegeben haben,157 ein ausführliches Werk über die Theorie der Besselfunktionen und ein weiteres über die Theorie der Kugelfunktionen. Sehr wünschenswert wäre ausserdem der Druck einer ausführlichen Sammlung von Formeln der Mathematik, welche die in den Zeitschriften verstreut liegenden wertvollen und oft schwer zugänglichen Ergebnisse enthalten sollte.«158 Rasch gab dem Memorandum eine »Zusammenstellung einiger wichtiger mathematischer Werke des In- und Auslandes« bei, aus der klar ersichtlich wurde, daß es an einschlägiger deutschsprachiger Literatur fehlte. Um diese Lücken zu schließen, sollten, nach Raschs 156 Schulz an den Verlag de Gruyter, 8. März 1942, VA de Gruyter, Dep. 42, 314. 157 Whittakers Klassiker A Course of Modern Analysis erschien 1902 in Cambridge; 1915 kam eine zusammen mit Watson überarbeitete Ausgabe heraus ( Neuauflagen 1920, 1927 und 1935 ). 158 Rasch an den RFR, 3. Oktober 1941, Abschrift im Nachlaß Süss, UAF, C 89 / 11, S. 44–48, hier S. 44 f. 254

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Vorstellung, die entsprechenden Werke ( abgesehen von der Formelsammlung ) eigens von dafür kompetenten Mathematikern verfaßt werden und zwar »nur von einem oder höchstens zwei Mathematikern [ … ], da meines Erachtens bei der Beteiligung noch weiterer Verfasser das Werk zwar an Umfang zunehmen, an Einheitlichkeit und Klarheit aber nur verlieren würde«.159 Die Denkschriften und Vorschläge von Rasch führten dazu, daß der Reichsforschungsrat ( RFR ) im Frühjahr 1942 ein Programm zur Bereitstellung kriegswichtiger mathematischer Literatur finanzierte.160 Dabei ging es ebenso um mathematische Tafelwerke für Ingenieure wie um Monographien zur Einführung in wichtige mathematische Spezialgebiete. Das Publikationsprogramm wurde in die Hände von Süss gelegt, der sich allerdings mit vergleichbaren älteren Bestrebungen seines Kollegen Gustav Doetsch im Reichsluftfahrtministerium ( RLM ) auseinanderzusetzen hatte, was aufgrund tiefer gegenseitiger Abneigung nicht leicht war.161 Ihre Rivalität spiegelte sich in der Wahl ihrer Verlagspartner wider. Doetsch strebte eine Zusammenarbeit mit seinem Verleger Springer an, während Süss mit der Akademischen Verlagsgesellschaft in Leipzig zusammenarbeiten wollte, obschon er von engen Vertrauten, wie etwa Georg Feigl in Breslau, gebeten wurde, diesen Schritt zu überdenken. Möglicherweise spielte neben den Auseinandersetzungen, die Süss mit Springer und dessen Berater F. K. Schmidt gehabt hatte ( siehe 8.2.2 ), das formale Argument eine Rolle, daß Springer »staatlich subventionierte Verlagswerke nicht übernimmt«.162 Neben der mittel- und langfristigen Planung im Rahmen des RFR wurde das RLM unmittelbar tätig. Dort plante man in der Forschungsführung eine weitreichende Aktion zum »Fotokopieren ausländischer Bücher«.163 Der Direktor des Darmstädter Instituts für Praktische Mathematik, Alwin Walther, begrüßte den Plan zwar, betonte aber in einem Brief an Ludwig Prandtl in Göttingen, daß dieses Vorgehen »lediglich einen nur durch den Krieg zu rechtfertigenden 159 Ebd., S. 46. 160 Vgl. Mehrtens, Mathematics and War, S. 115 f; Remmert, Mathematicians at War, S. 38–42. 161 Vgl. Remmert, Vom Umgang mit der Macht. 162 Feigl an Süss, 16. April 1942, UAF, C 89 / 19. 163 Eine Übersicht über die nachgedruckten Bücher ist uns nicht bekannt. Der zweite Band von Whittaker-Watson wurde 1944 als Kopie in Umlauf gebracht mit dem Vermerk: »Vervielfältigt im Auftrage der Forschungsführung des R. d. L. und Ob. d. L. durch die Zentrale für wissenschaftliches Berichtswesen der Luftfahrtforschung ( ZWB ) in der Lilienthal-Gesellschaft für Luftfahrforschung«. Für diesen Hinweis danken wir Walther Purkert. 255

Eine Disziplin und ihre Verleger

Notbehelf darstellt und möglichst bald durch die Schaffung noch besserer deutscher Bücher abgelöst werden sollte«.164 Grundsätzlich sahen das auch die Verantwortlichen im RLM so, denn bereits im Oktober 1942 entwickelten Doetsch, Springer und F. K. Schmidt ein kleines Programm, das eine Formelsammlung und ein Buch über elliptische Funktionen von Wilhelm Magnus beinhaltete, eine Darstellung der Theorie der konformen Abbildungen – relevant in der Luftfahrtforschung – von Albert Betz, ein Buch über die Entwicklung nach reellen Funktionen von Georg Feigl und Erhardt Schmidt sowie eine Integraltafel von Walther Meyer zur Capellen.165 Magnus’ Tafelwerk erschien noch 1943 und Springer veröffentlichte nach dem Krieg auch die Bücher von Betz, Magnus und Meyer zur Capellen, während das Buch von Feigl und Schmidt nie erschien.166 Süss hingegen behandelte seine weitreichenden Pläne zum mathematischen Publikationswesen als Geheimsache, was F. K. Schmidt Sorgen im Hinblick auf die Unabhängigkeit von Springers Publikationsstrategien bereitete. In einem Brief an Springer vom 30. Oktober 1942 stellte er sorgenvoll fest, daß »die Pläne von Süss, die er streng geheim hält, [ … ] sehr weit zu gehen« schienen. »Ob sich mit seinen Absichten das Bestehen selbständiger Sammlungen noch verträgt, vermag ich nicht zu sagen.«167 Als Doetschs Stellung im RLM Anfang 1943 schwächer wurde, fiel Süss gewissermaßen das Monopol im Hinblick auf die Auftragsvergabe im Bereich mathematischer Monographien zu.168 Im Hause Springer sah man sehr wohl, daß dies eine große Gefahr für Springers Vormachtstellung im Bereich der Mathematik bedeutete. Insbesondere war es im Kriege kaum durchführbar, von Süss vergebene Themen unabhängig noch einmal zu besetzen, so daß eine wirkliche Konkurrenz unmöglich war. So entschied man sich dafür, Schmidt unabhängig von Süss’ Vorhaben mit der Planung für die Nachkriegszeit zu beauftragen. In einer Aktennotiz aus dem Springer Verlag vom Februar 1943 heißt es: 164 Walther an Prandtl, August 1942, Abschrift im Nachlaß Süss, UAF, C 89 / 13, 151 f. 165 Springer an Schmidt, 20. Oktober 1942, VA Springer, C 152, Doetsch. 166 Magnus, Wilhelm / Oberhettinger, Fritz: Formeln und Sätze für die speziellen Funktionen der mathematischen Physik. 1943; Betz, Albert: Konforme Abbildung. 1948; Magnus, Wilhelm / Oberhettinger, Fritz: Anwendung der elliptischen Funktionen in Physik und Technik. 1949; Meyer zur Capellen, Walther: Integraltafeln. Sammlung unbestimmter Integrale elementarer Funktionen. 1950. 167 Schmidt an Springer, 30. Oktober 1942, VA Springer, C 152, Doetsch. 168 Vgl. Remmert, Mathematicians at War, S. 38–42. 256

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen Professor Schmidt berichtet über die Schwierigkeiten, die durch die Aktion von Süss entstanden sind. Dadurch, dass das Gesamtgebiet der Mathematik im Hinblick auf die Kriegswichtigkeit aufgeteilt und zur Bearbeitung an verschiedene Autoren abgegeben wurde, besteht die Gefahr, dass ein Einbruch in die Vorherrschaft Springers auf dem Gebiete der Mathematik entsteht. [ … ] Es wird empfohlen, dass Professor Schmidt, ohne Rücksicht auf Süss, diejenigen Autoren mit Ablieferungstermin nach dem Kriege verpflichtet, die ihm am besten zu sein scheinen.169

Tatsächlich bemühte Schmidt sich unter Umgehung von Süss ebenfalls um kriegswichtige Buchprojekte für Springer. Im September 1943 erhielt er vom RLM für drei Monographieprojekte – von Walter Brödel, Gerhard Damköhler und Eberhard Hopf – die Klassifizierung als kriegswichtig, so daß die Autoren im Auftrag des Springer Verlags an ihnen arbeiten konnten ( erschienen sind sie allerdings nie ). Schmidt betonte ausdrücklich: »Dieser Erfolg ist deshalb besonders wichtig, weil damit ein Präzedenzfall geschaffen ist, auf den wir nun weiter aufbauen können.« Gleichzeitig bestätigte sich die Befürchtung, daß Süss ausschließlich mit der Akademischen Verlagsgesellschaft zusammenarbeiten wollte, so daß Schmidt die Strategie bekräftigte, sich auf die Planung für die Zeit nach dem Krieg zu konzentrieren.170 In der Tat waren die Pläne von Süss, der von seinem engen Freund Hellmuth Kneser in Tübingen beraten wurde, soweit sie sich rekonstruieren lassen, sehr weitreichend. Sie hingen in ihrer Mehrheit eng mit von ihm koordinierten mathematischen Kriegsforschungsaufträgen zusammen. In einer Übersicht der Kriegswirtschaftsstelle im Reichsforschungsrat vom April 1944 sind achtzehn Projekte genannt, z. B. das bereits im Zusammenhang mit Doetsch und Springer erwähnte Buchprojekt Entwicklungen nach reellen Funktionen von Erhard Schmidt und Georg Feigl ( Berlin ), Funktionentheoretische Grundlagen der modernen Analysis nebst Anwendungen von Heinrich Behnke und Adolf Kratzer ( Münster ), Elliptische Funktionen von Maximilian Krafft ( Marburg, auf Basis des Buches von Tricomi ), Theorie und Praxis der konformen Abbildungen von Friedrich Lösch ( Rostock ), Theorie und Praxis der Grenzschichtlehre von Henry Görtler und Werner Mangler ( Göttingen ), Praxis der Eigenwertprobleme von Lothar Collatz ( Hannover ), Lineare Integralgleichungen von 169 Aktennotiz über die Besprechungen zwischen Professor F. K. Schmidt, den Herren Lange, Berlin und Wien, und Dr. Rosbaud am 9. Februar 1943, VA Springer, C 408, Hasse. 170 Schmidt an Rosbaud, 17. September 1943, VA Springer, C 707, Magnus. 257

Eine Disziplin und ihre Verleger

Werner Schmeidler ( Berlin ), Praktische Analysis von Friedrich Willers ( Dresden ), Partielle Differentialgleichungen von Erich Kamke (Tübingen ), Hypergeometrische Differentialgleichungen von Herbert Seifert und William Threlfall ( Braunschweig ), Kugelfunktionen von Josef Lense ( München ). Bis November 1944 war die Liste auf 32 Projekte angewachsen, die aber zum Teil reine Forschungsvorhaben waren und nicht zum Literaturprogramm zählten.171 Die Unterstützung durch den Reichsforschungsrat bezog sich nicht allein auf die Drucklegung der Bücher, sondern auch den Autoren wurden Beihilfen gewährt. So erwähnt Collatz im Vorwort die »vom Reichsforschungsrat in dankenswerter Weise finanzierten Kontrollrechnungen für die Tabellen«.172 Das Literaturprogramm war zwar ehrgeizig, aber während des Krieges erschienen bei Süss’ Wunschpartner, der Akademischen Verlagsgesellschaft, nur die Bücher von Kamke, die allerdings auf ein bereits lang zuvor angelaufenes Projekt zurückgingen ( Differentialgleichungen, Lösungsmethoden und Lösungen: Teil 1: Gewöhnliche Differentialgleichungen, 1942, 2. Auflage 1943, 3. Auflage 1944; Teil 2: Partielle Differentialgleichungen erster Ordnung für eine gesuchte Funktion, 1944 ), und das Buch von Collatz ( Eigenwertprobleme und ihre numerische Behandlung, 1945 ). Nach dem Krieg erschienen noch die Bücher von Krafft ( 1948 ), Lense ( 1950 ) und Schmeidler ( 1950 ). Eine Neuauflage von Willers’ Methoden der praktischen Analysis ( Göschens Lehrbücherei 1928 ) kam 1950 heraus, während die anderen Pläne nicht ausgeführt wurden. Angesichts der schwierigen Bedingungen des Krieges ( und der Nachkriegszeit ) überrascht diese eher enttäuschende Bilanz nicht.

8.3.2

Lehrbuchaktionen 1943 und 1944

Wie bereits erwähnt waren die Studierendenzahlen im Deutschen Reich seit 1931 von einem Hochstand von etwas mehr als 126.000 Studierenden an Universitäten und technischen Hochschulen bis 1940 mit knapp 37.500 auf einen absoluten Tiefstand gesunken. Bis 1943 stiegen sie schließlich wieder auf

171 Dazu siehe die Übersichten von Süss vom 25. März 1944 ( Süss an Fischer im Reichsforschungsrat, 25. März 1944, BAK, R 73 / 12976 ), vom April 1944 mit handschriftlichen Ergänzungen, die bis November 1944 reichen ( UAF, E 6 / 8, 6 f ) und die vermutlich noch spätere, aber undatierte Übersicht von Süss ( C 89 / 106, enthält alle in E 6 / 8 genannten Projekte ). 172 Collatz, Eigenwertprobleme und ihre numerische Behandlung, S. VIII. 258

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

ca. 50.000.173 Diese stark rückläufige Entwicklung führte dazu, daß der Markt für Lehrbücher im Bereich der Mathematik und der Naturwissenschaften stagnierte. Allerdings trat ab 1940 eine leichte Erholung ein, da sowohl die Gesamtzahl der Studierenden wieder stieg, als auch der Anteil der Studierenden in Mathematik und Naturwissenschaften. So ergab sich für die Kriegsjahre ein im Vergleich zur Vorkriegszeit gestiegener Bedarf an Lehrbüchern, der nicht ohne weiteres zu decken war. In der Tat wurden während des Krieges die Herstellungsprobleme angesichts fehlender Druckkapazitäten und aufgrund des Papiermangels besonders im Lehrbuchbereich aller Disziplinen nicht nur von Seiten der betroffenen Verlage als dringend zu behebendes Problem eingestuft, sondern auch von staatlicher Seite erkannt. In diesem Zusammenhang spielt auch das Nachwuchsproblem eine Rolle. Bereits seit 1937 hatten Wissenschaftsfunktionäre und Wissenschaftspolitiker begonnen, das sich anbahnende Problem zukünftiger Engpässe im akademischen Nachwuchs wahrzunehmen.174 Fritz Todt etwa, der Generaldirektor für das deutsche Straßenwesen und spätere Reichsminister für Bewaffnung und Munition, und Carl Krauch, der einflußreiche IG-Farben-Vorstand und ab 1938 Leiter der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau im Reichswirtschaftsministerium, schätzten vor dem Krieg, daß dem Deutschen Reich bald zwischen 30.000 und 70.000 Naturwissenschaftler und Ingenieure fehlen würden. Allerdings fruchteten ihre Appelle nichts und noch während des Krieges war das Thema nicht zufriedenstellend behandelt. Immerhin leitete das REM Maßnahmen zur Beschleunigung des Studiums ein, um dem Problem zu begegnen. So wurden zwischen 1939 und 1942 reichseinheitliche Diplomstudiengänge für die meisten naturwissenschaftlichen Disziplinen eingerichtet, die auf eine Beschleunigung des Studiums und damit eine schnellere Verfügbarkeit des Nachwuchses zielten.175 Es lag also unbedingt im staatlichen Interesse, die Versorgung mit geeigneten Lehrbüchern zu gewährleisten. Im Dezember 1941 wurde der Leiter des Springer Verlags, Tönjes Lange, vom Leiter der Fachgruppe Wissenschaftlicher Verlag in der Reichsschrifttumskammer zum Leiter der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger im Börsenverein des deutschen Buchhandels ernannt. Diese 1920 gegründete Arbeitsgemeinschaft innerhalb des Börsenvereins war eine Vertretung der wissenschaftlichen Verlage zur Wahrung ihrer Interessen im buchhändlerischen Geschäftsverkehr. Lange wurde 1943 damit beauftragt, im Zusammen173 Die Zahlen nach Grüttner, Studenten im Dritten Reich, S. 487. 174 Vgl. Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 247 ff. 175 Dazu Grüttner, Studenten im Dritten Reich, S. 196 f. 259

Eine Disziplin und ihre Verleger

arbeit mit der Abteilung »Schrifttum« des Propagandaministeriums bei den Universitäten den Bedarf an Lehrbüchern zu erfragen. Gleichzeitig war der Papierbedarf der Wissenschaftsverlage im Lehrbuchbereich festzustellen, wofür Listen mit besonders wichtigen Lehrbuchtiteln angefertigt wurden. Diese Listen mußten dann der Abteilung »Schrifttum« zur Entscheidung vorgelegt werden. Das Propagandaministerium ließ daraufhin in den Jahren 1943 und 1944 sogenannte »Lehrbuchaktionen« durchführen, mit deren Vorbereitung die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger im Börsenverein beauftragt wurde. Die 1943 erstmals durchgeführte Lehrbuchaktion hatte drei Ziele:176 erstens die zusätzliche Papierbeschaffung für dringend benötigte Lehrbücher, zweitens deren Produktionssicherung und drittens die Verteilung wissenschaftlicher Lehrbücher an die Sortimentsbuchhandlungen. Die wissenschaftlichen Verlage hatten dazu Produktionsanträge für einzelne Titel aus allen Disziplinen zu stellen, die dann in der Papierzuteilung vorrangig zu berücksichtigen waren. In den Unterlagen von Lange sind auf dem Gebiet der Mathematik die Anträge der Akademischen Verlagsgesellschaft in Leipzig überliefert mit den Planungen für die Sammlung Hilb vom 13. September 1943.177 Für eine Reihe von Büchern wurden Papierzuteilungen und Druck- bzw. Nachdruckgenehmigungen bewilligt, z. B. für Vorlesungen über Vektorrechnung von Max Lagally ( 1928, ²1934, ³1944 ), Grundzüge der darstellenden Geometrie von Erich Salkowski ( 1926, ²1943 ), Differentialgleichungen reeller Funktionen von Erich Kamke ( 1930, ²1945 ), Mathematische Instrumente von Walther Meyer zu Capellen ( 1941, ²1944 ), sowie für zwei Werke, die zugleich Teil des Literaturprogramms von Wilhelm Süss waren, nämlich Eigenwertprobleme und ihre numerische Behandlung von Lothar Collatz ( 1945 )178 und das mehrbändige Werk von Erich Kamke, Differentialgleichungen. Lösungsmethoden und Lösungen (Teil I: Gewöhnliche Differentialgleichungen ( 1942, ²1943, ³1944 ), Teil II: Partielle Differentialgleichungen erster Ordnung für eine gesuchte Funktion ( 1944 ). Erst 1949 gelangte die Differential- und Integralrechnung von Gerhard Grüß zum Druck. Weitere Bände, die in einer Reihe B der Sammlung Hilb geplant waren, sind nie erschienen: Graphische Analysis von Helmut 176 Vgl. Tönjes Lange: Kurzer Tätigkeitsbericht der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger 1943, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 177 VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 178 2. Aufl.: Eigenwertaufgaben mit technischen Anwendungen 1949. 260

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

Heinrich, Kinematische Geometrie von Theodor Schmid, Lineare Mathematik für Physiker und Ingenieure von Helmut Ulm, und Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik von Adolf Kratzer. 1944 zeichnete sich allerdings das Ende der Akademischen Verlagsgesellschaft ab. Der Prokurist Wilhelm Erler, der im Zuge der »Arisierung« neben Dr. Walter Becker und Johannes Geest als Verlagsleiter eingesetzt worden war, schrieb im September 1944 an Tönjes Lange: »Ich habe jetzt Sorge genug; denn auch bei uns im Verlag sind zahlreiche Zeitschriften stillgelegt. Ausserdem aber hat die Firma Buchhandlung Gustav Fock G.m.b.H. von der Reichsschrifttumskammer Leipzig die Schliessungsverfügung erhalten.«179 Nach Abschluß der Lehrbuchaktion beurteilte Tönjes Lange die Zuteilungsmenge des Papiers im September 1943 als im ganzen zufriedenstellend und das Gesamtergebnis der Lehrbuchaktion als »höchst befriedigend«. Das größte Problem neben der Zuweisung der Papierkontingente sei, daß es vor allem an Druckkapazitäten, Setzern und Druckern mangele: Das Schwierige ist dabei, dass das Ministerium S p e e r die Drucker sehr gern für sich in Anspruch nimmt, da es sich hier um Intelligenzarbeiter handelt, die sehr schnell und erfolgreich für Feinarbeiten in der mechanischen Industrie umgeschaltet werden könnten. Von 250.000 in den Druckereien Beschäftigten wären 120.000 bereits herausgenommen. [ … ] Leider war es bisher nicht möglich, auch bei der Wehrmacht zu erreichen, dass von Einziehungen in den Druckereien abgesehen wird.180

Lange bezweifelte, daß es möglich wäre, die deutschen Drucker und Setzer durch ausländische Arbeitskräfte zu ersetzen. Auch mit der Herstellung von wissenschaftlichen Büchern im Ausland habe man keine ermutigenden Erfolge erzielt. Problematisch sei des weiteren die sogenannte »Bleiabgabe« der Druckereien. Die Arbeitsgemeinschaft brachte zum Ausdruck, daß es unsinnig sei, wenn das Blei vom Stehsatz von Lehrbüchern, die nachweislich in kurzen Abständen neu gedruckt werden, abgegeben werden sollte. Dies könne kaum im Sinne der Verordnung sein. Man kam zu der Überzeugung, daß 179 Erler an Lange, 6. September 1944, VA Springer, Ordner 1.18.3. Die Buchhandlung Gustav Fock mit international agierendem Antiquariat war die Ursprungsfirma, aus der die Akademische Verlagsgesellschaft hervorgegangen war. 180 Vgl. Kurzer Bericht über die vom Leiter der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger zum 8. September 1943 einberufenen Besprechung, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 261

Eine Disziplin und ihre Verleger

die Bleiabgabe vor allem von belletristischen Werken genommen werden solle. Der bei der Besprechung anwesende Vertreter des Ministeriums sagte seine Mithilfe bei der Beseitigung dieser Probleme zu, dennoch blieben sie bestehen. Die Lehrbuchaktion von 1943 sollte zunächst eine einmalige Aktion bleiben. Am 15. Februar 1944 konnte Lange jedoch die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft davon in Kenntnis setzen, daß auch im Jahr 1944 eine Lehrbuchaktion stattfinden solle und bat um eine erneute Aufstellung der gewünschten Titel.181 Bei Springer wurden die beiden Bände der Elementarmathematik von Klein in die Lehrbuchaktion aufgenommen. Die Bände sollten in einer Auflage von je 3000 Exemplaren nachgedruckt werden. Auch Blaschkes Differentialgeometrie, Bd. I und II ( Grundlehren, Bd. 1 und 7 ), sollte in die Aktion aufgenommen werden.182 Lange konnte Blaschke im August 1944 berichten, das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda habe für seine beiden Bände Differentialgeometrie, die schon seit einiger Zeit vergriffen waren, Papier für eine Auflage von je 2000 Exemplaren bewilligt.183 Damit sei auch die Verpflichtung entstanden, diese Bände neu herauszubringen. Gleichzeitig sei es aber unmöglich, Werke mit mathematischen Formeln in irgendeiner Druckerei neu setzen zu lassen, weil die leistungsfähigen Leipziger Druckereien durch die Kriegseinwirkungen zerstört seien und andere hierfür in Frage kommende Firmen so sehr mit Aufträgen überlastet seien, daß sie weder im laufenden Jahr und zum Teil sogar bis Mitte des nächsten Jahres keine derartigen Aufträge mehr annehmen könnten. Lange schlug Blaschke vor, von beiden Bänden einen fotomechanischen Neudruck herstellen zu lassen. Noch im Februar 1945 wurde eine weitere Lehrbuchaktion geplant, bei der jedoch »nur kriegswichtige Lehr- und Handbücher Aussicht auf Papier- und Druckgenehmigung«184 hatten, wie der zuständige Ministerialdirigent Bade an die wissenschaftlichen Verlage schrieb. Tönjes Lange richtete im März 1945 ein entsprechendes Rundschreiben an die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wis-

181 182 183 184

262

VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. Verlag an Schmidt, 27. Juli 1944, VA Springer, Abt. B, B 168 II. Lange an Blaschke, 9. August 1944, VA Springer, Abt. B, B 168 II. Rundschreiben Bade an Wissenschaftsverlage, 28. Februar 1945, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger.

Politische Rahmenbedingungen und staatliche Interessen

senschaftlicher Verleger mit der Bitte um Titelauflistungen.185 Zu einer weiteren Aktion kam es jedoch vor Kriegsende nicht mehr. Mit der Zuteilung von Papierkontingenten allein war die Drucklegung von Lehrbüchern und anderen wissenschaftlichen Werken allerdings keineswegs gesichert; denn das gesamte deutsche Druckgewerbe hatte enorme Kapazitätsprobleme, die vor allem durch zerstörte Druckereien und vernichteten Formelsatz bedingt waren. Der Verlag Vieweg beispielsweise hatte zwar selbst kein starkes mathematisches Verlagsprogramm mehr, war aber dennoch für die Drucklegung mathematischer Publikationen eine wichtige Adresse. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte Friedrich Vieweg neben seinem Verlag eine Druckerei erworben, die sich zu einer modern ausgestatteten Offizin entwickelte und ähnlich wie die Teubners für mathematischen und anderen wissenschaftlichen Satz ganz besonders geeignet war. Zur Auslastung dieser Druckerei hatte Vieweg schon immer Druckaufträge von anderen Verlagen entgegengenommen. Hier wurden mathematische Zeitschriften und Bücher bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein gedruckt. Um so dramatischer spitzte sich die ohnehin angespannte Situation zu, nachdem die Druckerei Viewegs 1944 durch einen Bombenangriff zerstört worden war. Auch für den Springer Verlag war Vieweg eine der wichtigsten Druckereien, wie Lange seinem Verlagsberater Schmidt im Oktober 1944 berichtete: Bei einem der verschiedenen Angriffe auf Braunschweig ist die Druckerei Vieweg völlig zerstört worden. Bei ihr wurden neben anderen wichtigen Zeitschriften unseres Verlages, wie z. B. die Biochemische Zeitschrift, die Zeitschrift für Physik und die beiden mathematischen Zeitschriften »Mathematische Annalen« und »Mathematische Zeitschrift« gedruckt. Ich kann heute noch nicht übersehen, wer den schwierigen Satz in Zukunft übernehmen kann; ob es Vieweg gelingen wird, einen kleineren Betrieb außerhalb Braunschweigs in irgend einer Form wieder aufzuziehen, läßt sich noch nicht sagen. Es hängt von Verhandlungen ab, die ich durch einen Beauftragten des Springer-Verlags mit Vieweg in Braunschweig aufgenommen habe. Auf alle Fälle bleibt aber die Tatsache bestehen: das mathematische Satzmaterial, die Zeichen und Formeln sowie alle Matrizen sind verlorengegangen.186

185 Lange an die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger, 9. März 1945, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 186 Lange an F. K. Schmidt, 27. Oktober 1944, VA Springer, H 179 Hensel / Hasse. 263

Eine Disziplin und ihre Verleger

Im November 1944 schlug Schmidt vor, die betroffenen Autoren zweckmäßigerweise vom Ausfall der Viewegschen Druckerei erst dann zu unterrichten, wenn »die Verhandlungen über eine anderweitige Herstellung der M.Z. und der Annalen abgeschlossen sind.« Manuskripte von Monographien wurden in der Folge teilweise fotomechanisch vervielfältigt, aber grundsätzlich blieb das Problem weit über das Kriegsende hinaus bestehen.

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9

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten – das mathematische Publikationswesen in der Nachkriegszeit 1945–1949

Das »Dritte Reich« und der Zweite Weltkrieg hatten gravierende Auswirkungen auf die Mathematik in Deutschland. Die Entlassung der jüdischen Mathematiker aus ihren Ämtern in den Universitäten war ein großer Verlust für die Disziplin.1 Die internationalen Beziehungen der Mathematiker wurden zunehmend durch die politischen Umstände in Mitleidenschaft gezogen. Positionen wie die Auffassung des angesehenen Helmut Hasse, daß Deutsche und Juden sich im Zustand des Krieges befänden, trugen wenig dazu bei, die Situation zu entspannen.2 Im Zweiten Weltkrieg wurde, wie in allen Disziplinen, die Personaldekke an den Universitäten immer dünner, denn der Nachwuchs stand im Krieg. Darüber hinaus wurden viele Mathematiker, wie etwa Wolfgang Krull, Herbert Seifert oder Emanuel Sperner, zu Kriegsforschungsaufgaben herangezogen und so dem üblichen Forschungs- und Lehrbetrieb entzogen. Ihre Ergebnisse unterlagen häufig der Geheimhaltung, so daß die Publikationstätigkeit insgesamt rückläufig war. Die Publikationsmöglichkeiten ihrerseits waren im Krieg durch die Papierkontingentierung stark eingeschränkt. Pointiert gesagt: das mathematische Deutschland fiel zwischen 1933 und 1945 von seiner Spitzenposition in die zweite Reihe zurück.

1 2

Zu diesem Themenkomplex siehe Siegmund-Schultze, Mathematiker auf der Flucht vor Hitler; Bergmann / Epple, Jüdische Mathematiker. Dazu siehe Siegmund-Schultze, Mathematische Berichterstattung, S. 164; Remmert, Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung, S. 229. 265

Eine Disziplin und ihre Verleger

Der Wiederaufbau der Mathematik und des mathematischen Publikationswesens verlief nach 1945 inmitten der Zerstörungen an den Universitäten und der alltäglichen wirtschaftlichen Not schleppend. Ein Indikator dafür ist, daß die 1948 neugegründete DMV im Jahr 1949 nur etwa 275 Mitglieder hatte. Im Jahr 1958 zählte sie in Ost- und Westdeutschland 600 Mitglieder, aber die hohe Zahl der frühen 1930er Jahre – mehr als 1100 Mitglieder – wurde erst Mitte der 1970er Jahre wieder erreicht.3 Tatsächlich begann sich die mathematische Kultur erst in den 1950er Jahren, nachdem die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich deutlich verbessert hatten, wieder sehr dynamisch zu entfalten. Zunächst aber standen auch die Mathematiker vor einem Scherbenhaufen: die Lücken, die die Vertreibung der jüdischen Mathematiker in den Hochschulen und in einzelnen Subdisziplinen, wie etwa der abstrakten Algebra, gerissen hatte, waren nicht zu füllen. An die internationalen Beziehungen konnte insgesamt nur langsam wieder angeknüpft werden. Die bereits im Krieg aufgetretene Papierknappheit setzte sich nach Kriegsende fort. Sie schlug sich einerseits in einem akuten Mangel an mathematischer Lehrbuchliteratur nieder, der durch die Kriegsverluste von Büchern in privaten und öffentlichen Bibliotheken sowie in den Verlagen noch verstärkt wurde, und trug andererseits zu dem erheblichen Engpaß bei der Publikation von Originalarbeiten in mathematischen Zeitschriften bei. Die Literaturknappheit erwies sich als eines der größten Probleme des mathematischen Hochschulunterrichtes und führte zu neuen Lehrbuchreihen, die zum Teil von Verlagen getragen wurden, die zuvor nicht oder kaum im mathematischen Publikationswesen aktiv gewesen waren (Wolfenbütteler Verlagsanstalt, Vandenhoeck & Ruprecht ). Aber auch der Nachholbedarf in bezug auf die Publikation aktueller oder während des Krieges nicht publizierter Forschungsergebnisse war enorm und schlug sich in Überlegungen zu Neu- oder Wiedergründungen von Zeitschriften nieder. Für beide Arten von Projekten waren die Repräsentanten der alten Eliten gesuchte Gesprächspartner. Das Ende des Zweiten Weltkriegs stellte auch in der Organisation des deutschen Buchhandels eine einschneidende Zäsur dar, die nicht nur durch die politische Teilung Deutschlands Veränderungen in der Verlagsbranche nach sich zog. Schon kurz nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 verordneten die westlichen Alliierten am 12. Mai 1945 eine Publikationsgenehmigungspflicht für alle Druckerzeugnisse. Der deutsche Buchmarkt der unmittelbaren Nach3

266

Dies liegt zum Teil am Strukturwandel der DMV, in der sich nach dem Krieg weniger Lehrer finden. Zahlen nach Gericke, Aus der Chronik der Deutschen Mathematiker-Vereinigung.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

kriegszeit war gekennzeichnet durch Papiermangel, fehlende Druckkapazitäten, juristische Probleme und unterlag bis 1949 der Lizenzierungspolitik im Sinne der Re-Education durch die Besatzungsmächte.4 Bereits früh zeichnete sich eine Abspaltung der sowjetischen Besatzungszone von den Westzonen ab, die sich aus buchhandelspolitischer Sicht besonders auf das alte Buchhandelszentrum Leipzig mit dem Sitz des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, mit seinen traditionsreichen Verlagen und mit seiner ausgereiften Infrastruktur buchgewerblicher Zulieferbetriebe drastisch auswirkte. Die Leipziger polygraphischen Betriebe waren im Krieg weitgehend zerstört worden, woraus sich schon während des Krieges fatale Konsequenzen für das gesamte deutsche Verlagswesen ergeben hatten, denn die Mehrzahl der Herstellungsbetriebe sowie das durch den gut funktionierenden Zwischenbuchhandel hoch leistungsfähige Vertriebsnetz des deutschen Buchhandels hatten ihr Zentrum in Leipzig. An einen schnellen Wiederaufbau war nicht zu denken, zumal eine zentralistische Organisation des deutschen Buchhandels von den Alliierten politisch nicht erwünscht war. Berlin als ein Hauptsitz renommierter Wissenschaftsverlage wurde in vier Sektoren aufgeteilt, in denen unter unterschiedlichen politischen und juristischen Bedingungen Lizenzen für Neu- und Wiedergründungen von Verlagen erteilt wurden. Die Isolierung Berlins erwies sich in der Folge für den Wiederaufbau der dortigen Verlagsfirmen als höchst problematisch, besonders im Hinblick auf die Wiederaufnahme des Geschäftsverkehrs mit Herstellungsbetrieben wie Papierhändlern, Druckereien und Buchbindereien in den Westzonen. Dennoch war die Ausgangslage in den Nachkriegsjahren nicht für alle Verlage gleichermaßen brisant. Verlage, die noch während des »Dritten Reiches« publizieren konnten und nach 1945 wieder eine Lizenz erhielten, oder Verlage, die zwar verboten wurden, aber vor 1933 in einem bestimmten Marktsegment erfolgreich agiert hatten, waren nach ihrer Lizenzierung in einer vorteilhafteren Situation als Verlagsneugründungen. Die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu ehemaligen Autoren beispielsweise oder noch bestehende Autorenverträge boten zumindest eine gute Basis für einen relativ schnellen Wiederaufbau. Neue, noch unbekannte Verlage mußten sich zunächst um die Autorengewinnung sorgen. Konnten die sogenannten »Altverlage« in manchen Fällen sogar noch auf die Druckmatern von bereits publizierten Buchausgaben zurückgreifen, so war die Situation völlig anders bei Verlagsneugründungen oder in Verlagen, die nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt ins mathematische Feld einsteigen und sich dort als neue Publikationsadresse einführen wollten. Ein neuer Programm4

Zum Buchhandel und Buchmarkt in den drei westlichen Besatzungszonen vgl. die ausführlich Studie von Umlauff, Der Wiederaufbau des Buchhandels. 267

Eine Disziplin und ihre Verleger

aufbau im wissenschaftlichen Verlag ist langwierig, denn beispielsweise neue Lehrbücher erfordern eine lange Vorausplanung von der Auftragsvergabe an den Autor bis zum Druck des Manuskriptes. Schnelligkeit vor der Konkurrenz, aber auch verlegerisches Know-how und vor allem freie Kapazitäten waren entscheidend. Andererseits bestand für die »Altverlage« durchaus die Gefahr, bei zu langer Verzögerung des Lizenzierungsverfahrens Autoren zu verlieren, die ihre noch während des Krieges abgefaßten, aber nicht mehr publizierten Arbeiten in schneller lizenzierten Verlagen unterbringen konnten. Autorenrechte sind die wichtigsten Ressourcen eines Verlags, so daß ein recht strenger Wettbewerb um Autoren auch im mathematischen Buchmarkt zu vermuten ist. Zur Beantwortung der Frage, wie und ob die in der Weimarer Republik führenden Verlage im mathematischen Sektor nach dem Krieg wieder in den Markt eintraten, sei daher zunächst ein Blick auf die äußere Entwicklung der Verlage Springer, de Gruyter und Akademische Verlagsgesellschaft geworfen.

9.1

Mathematische »Altverlage« – Akademische Verlagsgesellschaft, Springer, de Gruyter

Die in der Weimarer Republik nicht nur auf dem Gebiet der Mathematik expandierende Akademische Verlagsgesellschaft in Leipzig trat nicht mehr in ihrer alten Form in den deutschen Buchmarkt ein. Nach ihrer erzwungenen Arisierung im »Dritten Reich« mußte der Geschäftsführer Leo Jolowicz zurücktreten.5 Sein Sohn Walter Jolowicz wurde 1938 aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen und emigrierte 1939 in die USA, wo er seinen Namen in Johnson änderte. Zusammen mit seinem Schwager Kurt Jacoby gründete er 1941 die Academic Press ( heute zur Elsevier-Gruppe gehörend ), das Antiquariat Walter J. Johnson mit wissenschaftlicher Buchhandlung ( Johnson Bookseller ) und das auf Reprints spezialisierte Unternehmen Johnson Reprints. Johnson begann in den USA die eigenen Verlagsprodukte nachzudrucken, reüssierte nach 1945 aber nicht mehr in der alten Form auf dem deutschen Markt. Johnson stand in engem Kontakt mit dem Antiquariat von Lange & Springer und hat später, in den 1960er Jahren, den Springer Verlag bei seinem Einsteig in den USamerikanischen Markt sehr unterstützt, bis hin zu verlegerischen Koproduk-

5

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Zur Geschichte des Verlages und der Antiquariatsbuchhandlung Gustav Fock vgl. Lorz, Familie Leo Jolowicz, S. 83–123.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

tionen zwischen der Academic Press und Springer, die das Impressum beider Verlage trugen.6 Die noch vorhandenen Lagerbestände der Akademischen Verlagsgesellschaft und des Antiquariats Gustav Fock von ca. 1,5 Millionen Büchern in Leipzig verbrannten am 4. Dezember 1943 fast vollständig. Bereits 1935 war die Arisierung eingeleitet worden, indem dem Prokuristen des Verlags Willy Erler und dem zweiten Geschäftsführer Johannes Geest die Alleinvertretungsberechtigung erteilt worden war. Im Mai 1938 war die Tochterfirma Mayer & Müller aus dem Handelsregister gelöscht worden.7 Daß die Akademische Verlagsgesellschaft nicht liquidiert wurde, war Resultat ihrer »Weltgeltung und ihres bedeutsamen Exports, der dem Staat enorme Devisen einbrachte«.8 Das Unternehmen firmierte ab November 1946 in Leipzig unter dem Namen Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig. In den 1950er Jahren erst gründete Walter Johnson in Frankfurt a.M. einen neuen Verlag, in dem die Reihe Ostwald’s Klassiker der exakten Wissenschaften in einer neuen Folge herauskam. 1983 wurde der Verlag in Frankfurt geschlossen. Die Akademische Verlagsgesellschaft spielte in der Bundesrepublik als mathematischer Verlag keine Rolle mehr. In der DDR wurde die Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig als naturwissenschaftlicher Verlag weitergeführt, wobei Chemie, Physik und technische Wissenschaften das Programm dominierten. Die beiden in der britischen Besatzungszone Berlins ansässigen Verlage Springer, dessen Verlagsgebäude durch Luftangriffe »seit Ende 1943 zu zwei Dritteln zerstört«9 war, und Walter de Gruyter erhielten noch 1945 eine Produktionslizenz: als erster Verleger in der britischen Zone erhielt Herbert Cram am 3. Oktober 1945 eine Lizenz für den Verlag Walter de Gruyter10, der ganz nach der Strategie der »Altverleger« seinen Wiederanfang mit »Nachdrucken und dem Verkauf von Altbeständen« und »durch konsequente Nutzung der alten Verlagsrechte« bestritt.11 De Gruyter publizierte nach der Lizenzierung vor allem gut eingeführte Titel wie »mathematische und naturwissenschaftliche Lehrbücher sowie verschiedene Bändchen aus der Sammlung Göschen«.12 Die preiswerten 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. hierzu die Ausführungen von Götze, Der Springer-Verlag, S. 85–87. Vgl. Lorz, Die Familie Leo Jolowicz, S. 111. Ebd., S. 108. Götze, Der Springer Verlag, S. 1. Vgl. Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 259. Abbildung der Lizenzurkunde ebd., S. 260. Ebd., S. 261 und 263. Ebd., S. 263. 269

Eine Disziplin und ihre Verleger

Bändchen der gut eingeführten Sammlung Göschen waren für den niederliegenden Buchmarkt der unmittelbaren Nachkriegsjahre trotz Papiermangel sicherlich die geeignete Publikationsform, erneut Autoren und Leser an den Verlag zu binden. Von den ca. 1000 Titeln der Sammlung waren 1946 »überhaupt nur noch 20 bis höchstens 25 verschiedene Bände verfügbar«.13 Bevor neue Titel vorbereitet wurden, war daher das erste Ziel »diese gewaltigen Lücken erst einmal zu schliessen und Neuauflagen der vergriffenen oder durch Kriegseinwirkungen in Verlust geratenen Bestände herauszubringen, ehe wir neue Verpflichtungen einzugehen vermögen.« Eine unveränderte Veröffentlichung der alten Bändchen war nicht in allen Fällen möglich. Die Autoren wurden angehalten, bei Neuauflagen ihrer bereits publizierten Titel darauf zu achten, daß die Bändchen »auf militärische Beispiele und solche, die mit dem verflossenen Naziregime irgendwie zusammenhängen, sorgfältig durchgesehen und derartige etwa vorkommende Beispiele getilgt werden müssen, ist selbstverständlich. Auch unterdrückte jüdische Mathematiker sind wieder in Ehren aufzunehmen.«14 De Gruyter publizierte neben der Sammlung Göschen auch Neuauflagen von Göschens Lehrbücherei. Ferdinand Springer bekam nur kurze Zeit später, am 25. Oktober 1945, eine Lizenz, allerdings nur für Buchpublikationen, nicht für Zeitschriften.15 Während für de Gruyter eine Verlegung des Firmensitzes aus Berlin »nie zur Diskussion«16 stand, gründete Ferdinand Springer im vom Krieg weitgehend verschont gebliebenen, in der amerikanischen Besatzungszone liegenden Heidelberg eine Dependance. Dort erhielt er am 5. August 1946 vom Military Government eine amerikanische Lizenz, diesmal sowohl für Bücher als auch für Zeitschriften.17 Die in Berlin erteilte britische Lizenz nutzte Springer für eine weitere Niederlassung seines Verlags in Göttingen, wo er über gute Kontakte zur Universität verfügte. Göttingen sollte, so hoffte Springer, zur »Zentrale für unsere Tätigkeit auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften«18 werden, aber die Göttinger Zweigstelle existierte nur bis 1962. Obwohl die Altverleger nach dem Krieg an ihr Programm anknüpften, mußte der Neuaufbau des Programms an veränderte Bedürfnisse innerhalb der Dis13 14 15 16 17 18 270

Kropp ( Nachfolger Grethleins bei de Gruyter ) an Alexander Witting, 23. April 1946, VA de Gruyter, Dep. 42, 297. Ebd. Vgl. Götze, Der Springer Verlag, S. 4. Abbildung der Lizenzurkunde ebd., S. 8. Ziesak, Der Verlag Walter de Gruyter, S. 261. Vgl. die Abbildung der Lizenzurkunde bei Götze, Der Springer Verlag, S. 5. Zit. n. ebd., S. 9.

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ziplin und im Hinblick auf benachbarte Wissenschaften angepaßt werden. Bei Springer thematisierte der Berater Schmidt, der seit 1946 Professor in Münster war, dieses Problem. Schmidt war auch noch nach Kriegsende einer der Herausgeber der Gelben Reihe und plante deren weitere inhaltliche Ausrichtung, die leicht modifiziert werden sollte: Während auch ich noch im Laufe des Krieges davon überzeugt war, daß der Mathematiker in der deutschen Industrie eine erfolgversprechende Zukunft haben werde, ist bei der starken Beschränkung aller industriellen Entwicklungsarbeit in nächster Zeit kaum damit zu rechnen, daß Mathematiker in grösserem Umfange in der Industrie Fuss fassen. Gerade auf dem Gebiet der Hochfrequenztechnik und der Aerodynamik, die beide mathematische Hilfsmittel in grösserem Umfang benötigten, werden wir in absehbarer Zeit kaum die Möglichkeit haben, neue Projekte durchzuführen. Wir hatten uns demgemäss dahin geeinigt, dass wir zwar den Ausbau der Gelben Sammlung in Richtungen der Anwendungen nicht aufgeben wollen, dass aber für die nächsten Jahre eine Betonung der theoretischen Seite der Mathematik angebracht sein wird.19

Springer notierte in einem Aktenvermerk über die Gelbe Reihe vom Januar 1946, daß der Aerodynamiker Ernst Pohlhausen erwartete, dass das Interesse am Studium der reinen Mathematik in Deutschland in den nächsten Jahren stark zurückgehen wird, zumal wenn in der Ausbildung der Oberlehrer für den Mathematikunterricht neue Wege beschritten werden. Hieraus folgt, dass das rein mathematische Buch hauptsächlich für das Ausland geschrieben wird und dass nur wirkliche Spitzenleistungen zur Drucklegung kommen. Daneben werden mathematische Lehrbücher für diejenigen technischen Wissenschaften wichtig werden, für die die Mathematik zu den Grundwissenschaften gehört. An Lehrbüchern der Differential- und Integralrechnung für diese Zwecke besteht an sich kein Mangel, aber ein wirklich gut geschriebenes Lehrbuch der Diff.- und Integralrechnung wird immer seinen Absatz finden, wenn es bei vernünftiger Strenge auf die praktischen Anwendungen die erforderliche Rücksicht nimmt.20

19 20

Schmidt an Springer, 18. Mai 1946, VA Springer, Abt. C, Ordner C 931. Aktennotiz Springers vom Januar 1946, VA Springer, Abt. C, Ordner C 931. 271

Eine Disziplin und ihre Verleger

Unabhängig von den Unwägbarkeiten des Marktes, die die Nachkriegsjahre mit sich brachten, hat sich die Gelbe Reihe nach dem Krieg behaupten können und blieb neben den Ergebnissen der Mathematik ein wichtiges Standbein in Springers mathematischem Programm. Ein anderes ungelöstes Problem war die Fortführung der Mathematischen Annalen und der Mathematischen Zeitschrift. Im Juni 1946 hatte Springer noch immer keine Lizenz zur weiteren Herausgabe erhalten.21 Dies wurde von Verlagsseite als ganz besonders mißlich empfunden, denn die Rolle der Zeitschriften für das Verlagsprogramm war nach dem Krieg ebenso zentral wie vor dem Krieg. Springer war zwar nicht nur, aber doch in hohem Maß durch die Übernahme der Mathematischen Annalen von Teubner nach dem Ersten Weltkrieg zum ersten Publikationsort für Mathematiker geworden. Das Risiko, diese Position wieder zu verlieren, war angesichts der ausbleibenden Zeitschriftenhefte hoch. Der Springer Verlag konnte nicht in der gewohnten Weise agieren, denn erstens fehlten Lizenzen und zweitens fehlten auch die entsprechenden Ressourcen wie Papier. Je länger der bis Kriegsende führende mathematische Verlag nicht bedarfsentsprechend produzieren konnte, desto größere Chancen ergaben sich für die Konkurrenz. In der Außenwirkung des Unternehmens sah F. K. Schmidt im Juni 1946 aus diesem Grund erhebliche Defizite, zumal »es in den letzten Monaten mehreren kleineren Verlegern und Druckereien gelungen ist, wissenschaftliche Zeitschriften unter der Leitung hervorragender Gelehrter in Gang zu bringen.«22 Die Produktionsverzögerungen führten – wie Schmidt befürchtete – zum Verlust des Ansehens innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft: Man fragt sich, warum dann dem Springer Verlag das unmöglich sein soll, was ganz unbedeutenden Verlegern gelingt. Selbstverständlich wird übersehen, daß es sich wohl in allen Fällen um eine vorübergehend günstige Situation handelt, die von geschäftstüchtigen Unternehmern ausgenutzt wird, Papier- und Druckmaterialien sind eben noch gelegentlich an dieser oder jener Stelle soweit vorhanden, daß zunächst einmal mit dem Drucken begonnen werden kann. Sobald der Papiervorrat aufgebraucht ist, werden natürlich dieselben Schwierigkeiten entstehen wie Sie sie haben.23

Schmidt schätzte die Situation völlig richtig ein, denn er gab zu bedenken, daß die Neugründung von Zeitschriften insofern eine Gefahr für den Verlag darstellte, 21 22 23 272

Zum Problem der Zeitschriftenfrage vgl. 9.5. Schmidt an Springer, 8. Juni 1946, VA Springer, Abt. B, N 53. Ebd.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

als »durch diese Entwicklung eine Reihe hervorragender Wissenschaftler in den Dienst kleiner und wenig leistungsfähiger Unternehmer gespannt worden sind. Zweifellos werden diese Gelehrten versuchen, ein Versacken der einmal ins Leben gerufenen Zeitschrift durch das Gewicht ihres Namens zu verhindern.« Der Aufbau neuer Kommunikationsforen konnte durch die Reputation der Herausgeber das Ende der traditionsreichen Springer-Zeitschriften bedeuten: Daß unter diesen Zeitschriften sich solche befinden, die ihrer ganzen Anlage nach mehr als nur vorübergehenden Lückenbüßer für die im Augenblick ausgefallenen Organe sein wollen, werden Sie zweifellos ebenfalls bemerkt haben. Ich erinnere nur an die Zeitschrift für Naturforschung, die von Sommerfeld, Clusius und Kuhn herausgegeben wird. In Tübingen erscheint ferner eine Zeitschrift unter dem Titel »Universitas«, die für das Gebiet der Geisteswissenschaften das zu leisten versucht, was Sie unter Betonung der naturwissenschaftlichen Richtung für die Gesamtheit aller Wissenschaften mit Ihrer neuen Zeitschrift zu bieten beabsichtigen. Wie ich höre, plante Herr Peschl24 in Bonn die Herausgabe einer neuen mathematischen Zeitschrift, wobei er sich auf einen Bonner Verleger stützt, der sich wohl schon vor einiger Zeit auch an Hecke25 gewandt hatte. Selbstverständlich besteht bei vielen Wissenschaftlern, die nun schon seit längerer Zeit auf die Möglichkeit der Publikation warten, große Neigung, die neuen Blätter zu unterstützen.26

Schmidt verwies in diesem Zusammenhang auch auf die zu erwartenden Konsequenzen für den Buchverlag: »Gleichzeitig sinkt die Bereitwilligkeit zum Abschluß von Buchverträgen mit Ihrem Verlage. Diese Entwicklung droht tatsächlich unsere bei der Gelben Sammlung schwebenden Pläne zu gefährden, wenn sie noch länger anhalten sollte.« Erst ab der zweiten Hälfte des Jahres 1947 konnte Springer die Mathematischen Annalen und die Mathematische Zeitschrift wieder publizieren, doch verlief die Weiterführung stockend: auf den Jahrgang 1947 der Mathematischen Annalen folgte 1949, und auch die Mathematische Zeitschrift konnte erst 1950 wieder an ihren Vorkriegsumfang anknüpfen. Die Befürchtungen Schmidts waren in der Tat berechtigt wie die Aktivitäten der an-

24 25

26

Ernst Peschl war seit 1938 a.o. Prof. in Bonn, seit 1948 o. Professor dort. Erich Hecke hatte 1923 bei der Akademischen Verlagsgesellschaft seine Vorlesungen über die Theorie der Algebraischen Zahlen publiziert, die auch im amerikanischen Nachdruckprogramm aufgenommen wurden. Schmidt an Springer, 8. Juni 1946, VA Springer, Abt. B, N 53. 273

Eine Disziplin und ihre Verleger

deren Verlage zeigen, aber Springer konnte schließlich seine Spitzenposition auf dem internationalen Buchmarkt bis in die Gegenwart behaupten. Aus Sicht der Disziplin galt es nach Kriegsende vor allem zwei Probleme im Publikationswesen zu beseitigen: erstens mußten Lehrbücher wieder verfügbar werden und zweitens sollten die Zeitschriften wieder erscheinen. Da die Akademische Verlagsgesellschaft sowie die Verlage Springer und de Gruyter gar nicht oder nicht im benötigten Umfang ihre Produktion aufnehmen konnten, ergriffen andere Verlage die Initiative.

9.2

Chance für neue Verlage auf dem mathematischen Markt: Lehrbücher

Für die bis 1945 nicht in der Mathematik aktiven Verlage schien der Lehrbuchsektor prädestiniert, um eine Neuprofilierung oder einen Neueinstieg zu wagen. Im folgenden wird dies anhand der Beispiele des traditionsreichen, aber in der Mathematik bis 1945 kaum in Erscheinung getretenen Göttinger Verlags Vandenhoeck & Ruprecht und des 1945 / 46 gegründeten Verlagsneulings Wolfenbütteler Verlagsanstalt skizziert. Am Beispiel der bei Vandenhoeck & Ruprecht ab 1948 erscheinenden Reihe Studia mathematica wird deutlich werden, daß bei den Verhandlungen um neue Lehrbuchreihen auch fachpolitische Motive relevant waren.

9.2.1

Die »Studia mathematica« bei Vandenhoeck & Ruprecht

Als erste deutsche Universität nahm die Göttinger Georgia Augusta am 17. September 1945 ihren Betrieb wieder auf. Der traditionsreiche, 1735 gegründete Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der seit seiner Gründung eng mit der Universität verbunden war und seit den 1930er Jahren auch als »Hausverlag« der Göttinger Akademie der Wissenschaften hohes Renommee als Wissenschaftsverlag erworben hatte, erhielt bereits am 1. Dezember 1945 von der britischen Militärregierung eine Verlagslizenz. Um den Wiederaufbau des Verlagsprogramms in Gang zu bringen und auch für die Zukunft ein tragfähiges inhaltliches Konzept zu sichern, war es wichtig, einerseits an die bestehenden Kontakte zur örtlichen Universität und zur Akademie anzuknüpfen, und andererseits bestand nun die realistische Chance, das Programmprofil auf Disziplinen zu erweitern, die in der Vergangenheit nicht zu den inhaltlichen Schwerpunkten gezählt hatten. Helmut Ruprecht, Verleger in der sechsten Generation 274

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

des Familienunternehmens, war bestrebt, seinen Verlag auch »nach der naturwissenschaftlichen und mathematischen Seite hin weiter auszubauen.«27 Ausdruck dieser Neuorientierung ist die Reihe Studia mathematica, die der Verlag ab 1948 herausbrachte. Die Autorenkorrespondenzen geben ein anschauliches Bild von der Sondierung des Marktes, der Abwägung von Erfolgschancen beim Programmaufbau angesichts der Produkte konkurrierender Verlage und gemeinsamer Interessen von Verlag und Mathematikern. Zunächst übernahm Vandenhoeck & Ruprecht 1946 auf Wunsch von Wilhelm Blaschke in Hamburg den Verlag der Abhandlungen aus dem mathematischen Seminar der Universität Hamburg sowie der Hamburger Mathematischen Einzelschriften. Beide waren bis Ende des Krieges in Leipzig bei Teubner in Kommission erschienen. In einem Brief vom Mai 1946 kommentierte Ruprecht diese Akquisition mit den Worten, es sei in Leipzig »von diesen Reihen wohl nichts mehr vorrätig, während in Hamburg einiges erhalten geblieben ist. Für die Hamb. Mathem. Einzelschriften liegen auch wohl schon wieder einige Manuskripte vor, ja es ist wohl das eine oder andere nahezu fertig gewesen und ausgebombt worden, an deren baldiger Neuherstellung und Ausgabe den Herren sehr gelegen ist.«28 Damit hatte Vandenhoeck & Ruprecht eine erste, durchaus angesehene mathematische Zeitschrift sowie eine Reihe im Programm, das nun weiter ausgebaut werden sollte. Zu diesem Zwecke wandte sich Ruprecht – wie seine Verlegerkollegen am Ende des 19. Jahrhunderts – zunächst an Mathematiker am Ort, um den Bedarf zu eruieren und inhaltliche Hinweise auf fehlende Literatur zu erhalten. Mit Theodor Kaluza sen., der seit 1935 als Ordinarius in Göttingen lehrte, und Wilhelm Magnus, der zwischen 1946–1949 Professor in Göttingen war, besprach Ruprecht schon um die Jahreswende 1945 / 46, wenige Wochen nach der Lizenzierung seines Verlags, »die Möglichkeit[ , ] den Studierenden bald wieder zu dem nötigen Unterrichtsmaterial zu verhelfen«.29 Das Konzept der neuen Reihe sollte sich eng an den Hochschulunterricht anlehnen. Strategisch schien es sinnvoll, »gute, nicht zu umfangreiche Leitfäden auf den wichtigsten Gebieten zu schaffen. Andererseits wurden einige Gebiete genannt, auf denen auch etwas umfangreichere Bücher als durchaus erwünscht bezeichnet wurden, so z. B. auf 27

28 29

Rundschreiben Helmut Ruprechts an Süss, Behnke, Sperner u.a. vom 11. Januar 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nrn. 19, 179, 180. Ruprecht an Süss, 11. Mai 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Ebd. 275

Eine Disziplin und ihre Verleger

dem Gebiet der analytischen Geometrie, der Differentialgleichungen und der Elementaren Zahlentheorie.«30 Neben diesen inhaltlichen Fragen ging es im wesentlichen auch um die Suche nach geeigneten Autoren für Lehrbücher, denn es sollte »größtes Gewicht darauf gelegt werden [ … ], daß die didaktische Seite der Bücher voll zu ihrem Recht kommt«. Nach der Besprechung mit Kaluza und Magnus wandte sich Ruprecht im Januar 1946 in einem Rundbrief an Heinrich Behnke in Münster, Erich Hecke in Hamburg, Emanuel Sperner in Freiburg und an Wilhelm Süss, der als langjähriger Vorsitzender der DMV über die entsprechenden Kontakte verfügte. Abgesehen von Hecke, über dessen Antwort nichts bekannt ist, reagierten die Angeschriebenen schnell und positiv auf das Anliegen des Verlegers und erklärten sich bereit, selbst als Autoren oder in beratender Funktion die Pläne zu unterstützen. Sperner pries Ruprecht sogleich eine Neubearbeitung seines eigenen Buches über analytische Geometrie an. Es gebe, so Sperner weiter, zwar schon einen interessierten Verleger, mit dem er aber noch keine feste Vereinbarung getroffen habe. Zugleich empfahl er sich als Ratgeber: »Wenn Sie etwa wünschen, daß ein Plan für eine mathematische Buchreihe Ihres Verlags aufgestellt werden soll, so könnte ich Ihnen einen solchen gern zusammen mit den Herren Professoren Süss und Bol, an die Sie sich ja ebenso gewandt haben, aufstellen. Ich bitte Sie dann nur um etwas genauere Angaben Ihrer Absichten.«31 Tatsächlich erschien Sperners Einführung in die analytische Geometrie und Algebra 1948 als erster Band der Reihe Studia Mathematica bei Vandenhoeck & Ruprecht. Behnke und Süss gingen noch einen Schritt weiter und dachten sogleich an eine neue Zeitschrift ( siehe 9.4.1 ). Süss bot sich dem Verlag sowohl als Vermittler für Autorenkontakte als auch selbst als Autor an: »Auch ich stelle mich im Interesse unseres akademischen Unterrichts wie in demjenigen unseres Fachgebiets allgemein gern als Autor zur Verfügung und würde unter Umständen ein kleineres Lehrbuch über Differentialgeometrie veröffentlichen. Als Leiter des Mathematischen Reichsinstituts und auch als derzeitiger Vorsitzender der Deutschen Mathematikervereinigung fühle ich mich den Kollegen gegenüber für die Vertretung der Mathematik in jeder Hinsicht verantwortlich.«32 Mit Süss hatte der Verlag einen interessierten und

30 31 32

276

Ebd. Sperner an Ruprecht, 25. Januar 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 179. Der erwähnte Band war 1931 bei Teubner erschienen. Süss an Ruprecht, 30. Januar 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

engagierten Berater gewonnen, der dann auch Herausgeber der neuen Reihe wurde. Die Interessen von Süss hatten allerdings, wie er es in dem Brief bereits andeutete, eine deutliche fachpolitische Komponente. Einerseits war er als Vorsitzender der DMV angesichts seiner Funktionen im »Dritten Reich« nicht unangefochten. Insbesondere der Tübinger Mathematiker Erich Kamke, der 1948 der Vorsitzende der neugegründeten DMV wurde, versuchte Süss klarzumachen, daß es eines personellen Neuanfangs bedurfte. In dieser Situation kam es Süss neben der sachlichen Aufgabe der Beseitigung des Lehrbuchmangels sehr zupaß, daß er sich einmal mehr als Sachwalter der Mathematik in Deutschland zeigen konnte. Andererseits war der Fortbestand des von Süss im November 1944 gegründeten Reichsinstituts für Mathematik, des heutigen Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach, nicht gesichert. Es war eine außergewöhnliche Herausforderung, das Institut in den späten 1940er Jahren am Leben zu erhalten. Dabei kam insbesondere der Reintegration der Mathematik in Deutschland in den internationalen Forschungszusammenhang eine große Bedeutung zu. An diesen Zielen arbeitete Süss in Abstimmung mit den französischen Militärbehörden mit Hochdruck und Erfolg. In seinen Strategien spielten vom Institut getragene Publikationen eine wichtige Rolle. Süss selbst formulierte dies in aller Deutlichkeit in einem Brief an Ruprecht vom Juni 1946: Eine Besprechung mit Ihnen wäre nicht nur für diese Zeitschrift und die vorher genannten Lehrbücher unserer Reihe, sondern auch wegen neuer, mir von der Militärregierung übertragener wissenschaftlicher Planungen sehr erwünscht. Es handelt sich dabei um dreierlei: d. eine Reihe von mathematischen Forschungs-Monographien e. eine wissenschaftlich mathematische Zeitschrift f. einen für die Militärregierungen bestimmten, zusammenfassenden Bericht über die deutschen mathematischen Forschungserkenntnisse seit Kriegsbeginn.33

Tatsächlich wurden alle drei Projekte realisiert: a ) in Form der Studia mathematica, b ) als Archiv der Mathematik, das er allerdings nicht bei Vanden-

33

Süss an Ruprecht, 5. Juni 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. 277

Eine Disziplin und ihre Verleger

hoeck & Ruprecht gründete ( siehe 9.4.1 ), und c ) als FIAT-Bericht Reine Mathematik ( 2 Bände, Wiesbaden 1948 ).34 In diesem Lichte besehen waren die Studia mathematica für Süss Teil einer größeren Strategie, mit der die mathematische Forschung und Lehre in Deutschland unterstützt werden sollte und die zugleich half, das Überleben des Oberwolfacher Instituts zu sichern. Wie sich aus der Korrespondenz Ruprechts mit Süss ablesen läßt, kam es aufgrund der unterschiedlichen Lizenzierungszeitpunkte zu einem Wettbewerb der Verlage in Hinblick auf die Autorenakquisition. Süss vermittelte in der Folge Autoren und gab Ratschläge für den weiteren Programmaufbau: Wenn Sie eine Einführung in die Höhere Analysis ( Differential- und Integralrechnung ) und eine solche in die »Funktionentheorie« oder »Algebra« in Ihrem Programm nicht genannt haben, so wird wahrscheinlich das Vorhandensein guter Lehrbücher auf diesen Gebieten der Grund für das Fehlen solcher Themata in Ihrer Reihe sein. Ich nenne diese Gebiete nur aus dem Grund, weil sie nicht fehlen dürften, falls eine Vollständigkeit des allerwichtigsten von Ihnen angestrebt wird.35

Der Verleger hatte bei der Reihenplanung allerdings die Konkurrenz fest im Blick und antwortete Süss: Ihre Vermutung, daß wir Einführungen in die höhere Analysis ( Differentialund Integralrechnung ) und in die »Funktionentheorie« oder »Algebra« in unserm Programm noch nicht genannt hätten, weil auf diesem Gebiet eine große Zahl guter Bücher bereits vorhanden ist, trifft durchaus zu. Immerhin können auch bei diesen Themen Überlegungen angestellt werden. In Auftrag geben möchten wir diese Bücher noch nicht, ehe sich nicht noch etwas geklärt hat, bei welchen älteren mathematischen Büchern zu diesen Themen in absehbarer Zeit mit Neuauflagen gerechnet werden können. Auch wir beurteilen diese letztere Frage sehr viel skeptischer als manche Herren, die sich 34

35

278

Die FIAT ( Field Information Agency, Tech nical ) hatte die Aufgabe, die deutschen Forschungsergebnisse, die während des Krieges erzielt worden waren, zu sammeln und damit den Alliierten zugänglich zu machen. Die FIAT-Berichte galten vielen Wissenschaftlern als ein Mittel intellektueller Reparationszahlungen. Zu diesem Themenbereich vgl. Gimbel, Science, Technology and Reparations. Süss an Ruprecht, 7. März 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten durch den von Dr. Springer anfänglich zur Schau getragenen Optimismus und manche andere Anzeichen zu der Annahme haben verleiten lassen, daß wir schon bald wieder über das Notwendigste an wissenschaftlichen Büchern würden verfügen können. Wie sich allgemein zeigt und herausstellt, wird überall mit Wasser gekocht und wir müssen bis zur Wiederkehr eines einigermaßen normalen Bücherangebots wahrscheinlich noch mehrere Jahre warten.36

Die weitere Korrespondenz zeigt eindeutig, daß Süss eine beratende Funktion bei Vandenhoeck & Ruprecht einnahm, allerdings ohne Bezahlung und unter wirtschaftlich und politisch höchst komplizierten Rahmenbedingungen. Ein persönliches Treffen zwischen Süss und Ruprecht beispielsweise war ausgesprochen schwierig. Aufgrund der Notwendigkeit, Passierscheine für die verschiedenen Besatzungszonen zu erhalten, konnten sich der Verleger und sein Ratgeber nach langen Bemühungen im Oktober 1947 in Frankfurt a.M. erstmals persönlich über die Pläne unterhalten. Daß Süss sich dem Hause Vandenhoeck & Ruprecht ohne Umschweife als Berater andiente, lag sicherlich auch darin begründet, daß eine Zusammenarbeit mit der Akademischen Verlagsgesellschaft in Leipzig, die er als Wissenschaftsorganisator im Krieg begünstigt hatte, nicht realistisch war. Zudem war sein Verhältnis zu Ferdinand Springer zerrüttet, da Süss sich als DMV-Vorsitzender verschiedentlich dezidiert gegen Springer und dessen Berater F. K. Schmidt gestellt hatte und zu diesem Zwecke auch seinen politischen Einfluß eingesetzt hatte ( siehe 8.2.2 ). Die Reaktionen der von Ruprecht angesprochenen Mathematiker zeigen, daß die Wissenschaftler durchaus neue Publikationsorte in Betracht zogen. Besonders diejenigen Autoren, die noch während des Krieges, häufig durch Vermittlung von Süss, mit der Akademischen Verlagsgesellschaft Verträge abgeschlossen hatten, schienen Potential zu bieten ( siehe 8.3 ). Werner Schmeidler37 beispielsweise hatte ein Manuskript über Integralgleichungen, das er »für die Ak. Verlagsgesellschaft verfasst hat oder noch verfassen soll, und von dem er schreibt, daß er sehen will, was damit zu machen ist. Es wird gut sein, wenn er versucht, sein Vertragsverhältnis zur Ak. Vlg. jetzt zu lösen, was, wie ich höre, auch andere Herren schon vor ihm getan haben. Die Verhältnisse dort scheinen

36 37

Ruprecht an Süss, 20. März 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Schmeidler war Mitglied der NSDAP gewesen und zunächst war es unklar, ob er in der britischen Zone publizieren dürfe. 279

Eine Disziplin und ihre Verleger

ziemlich unklar und aussichtslos zu sein.«38 Schmeidlers Buch erschien allerdings dennoch 1950 beim Nachfolger der Akademischen Verlagsgesellschaft Geest & Portig. Die Bindung der Autoren an andere Verlage wurde zwischen Süss und Ruprecht immer wieder thematisiert. Vor allem die ehemaligen Autoren der Akademischen Verlagsgesellschaft blieben lange in Unsicherheit, was mit den verabredeten Publikationen zukünftig geschehen sollte. Daß zumindest Süss mit wenig Hemmungen gegenüber anderen Verlagen und möglicherweise bereits bestehenden Verträgen vorging, wird auch durch seinen erfolglosen Versuch belegt, die Witwe von Georg Feigl im Juni 1946 dazu zu bewegen, ein Springer bereits zugesagtes Buch Feigls in den Studia mathematica zu veröffentlichen.39 Ab 1948 erschien die Reihe Studia mathematica, die allerdings in erster Linie Mathematiker aus Süss’ Umfeld als Autoren aufwies: Neben Sperners Einführung in die analytische Geometrie und Algebra erschien Gerrit Bols Elemente der analytischen Geometrie ( 1. Teilband 1948, 2. Teilband 1949 ). Der dritte Band der Reihe war Walter Lietzmanns Elementare Kugelgeometrie ( 1949 ), der vierte Gerrit Bols Projektive Differentialgeometrie ( 1950, 3 Bände bis 1964 ). Die Auflage von Sperners Einführung war mit 4000 Exemplaren recht hoch, was darauf schließen läßt, daß der Verlag von einem hohen Bedarf ausging.40 Bols erster Teilband erschien dann in 3500 Exemplaren, alle weiteren Bände wurden wegen der Lohnerhöhungen im Druckgewerbe in immerhin respektablen 2000 bzw. 2500 Exemplaren gedruckt. Der Verleger war im Ganzen mit der Markteinführung seiner neuen Reihe zufrieden, denn er vermerkte in einer Aktennotiz: »Im übrigen hören die Herren von allen Universitäten über die beiden ersten Bücher von Sperner und Bol das allerbeste. Ich glaube, wir haben mit diesen beiden Büchern und Autoren einen sehr guten Start.«41 In dieser Zeit der Neuorientierung auf dem Buchmarkt hatten engagierte Verleger wie Helmut Ruprecht die Chance, ihren Verlag erfolgreich auf neuen Gebieten zu positionieren und Wissenschaftler hatten die Möglichkeit, Einfluß auf das Publikationswesen zu nehmen, sich dadurch eventuell selbst zu profilieren oder ihren Einfluß unter den veränderten Rahmenbedingungen zu wahren. Vor38 39 40 41

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Ruprecht an Süss, 22. Februar 1947, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Dazu siehe Remmert, Mathematical Publishing in the Third Reich, S. 28 f. Vgl. zu den Auflagenzahlen Ruprecht an Süss, 3. Juli 1948, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Aktennotiz Ruprechts über ein Gespräch mit Süss, 30. November 1948, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

bildfunktion für die Studia mathematica hatte sicherlich die erfolgreiche Gelbe Reihe bei Springer. Allerdings mußte man sich zugleich von der Konkurrenz eindeutig abgrenzen. Schließlich schlug Süss den Reihentitel Studia mathematica vor, versehen mit dem vielsagenden Untertitel »Mathematische Lehrbücher, herausgegeben vom Mathematischen Forschungsinstitut in Oberwolfach unter der Leitung von Prof. Dr. W. Süss«. Damit unterstrich er selbstbewußt den Geltungsanspruch seines neuen Instituts im Schwarzwald. Für die Reihe diente Springer auch in Bezug auf die Autorenhonorare als Vorbild. Der Verleger wollte versuchen »herauszubekommen, welche Honorare Springer bei den entsprechenden Büchern bezahlt. Nach der Erinnerung von Prof. Bol, der vor dem Kriege einen Band mit herausgegeben hat, betrug das Honorar damals 200 M. pro Bogen, bei einer Auflage von 1500–2000.«42 Und ganz ähnlich wie für Ackermann-Teubner um 1900 war Ruprecht der Kontakt zur DMV strategisch wichtig. So bat er Süss im November 1949 für eine umfangreiche Werbemaßnahme um die »Beschaffung einer Anschriftenliste der Mitglieder der Deutschen Mathematiker Vereinigung«43 zwecks Versendung eines Werbeprospektes. Die Studia mathematica wurden bis 1978 geführt und nach dem 30. Band als eigenständige Reihe eingestellt.

9.2.2

Die »Bücher der Mathematik und Naturwissenschaften« der Wolfenbütteler Verlagsanstalt

Nicht nur Vandenhoeck & Ruprecht wagte einen Einstieg ins mathematische Buchmarktsegment. Am 13. Oktober 1945 reichte die von der Verlagsagentur Benno Kracke44 gegründete Wolfenbütteler Verlagsanstalt einen Antrag auf Lizenzierung bei der britischen Militärbehörde ein, dem am 2. September 1946 stattgegeben wurde. Auch in diesem Fall sollte – ähnlich wie bei Vandenhoeck & Ruprecht – das Verlagsprogramm sich zunächst auf Lehrbuchliteratur konzentrieren. Kracke formulierte als Ziel des Verlags, »durch rasches Herausbringen einer auf hoher Stufe stehenden und auf neuartiger Grundlage aufgebauten Studentenliteratur dafür zu sorgen, daß der Arbeitseifer der Studenten einen

42 43 44

Ruprecht, Aktennotiz über eine Besprechung mit Süss in Freiburg am 30. November 1948, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Ruprecht an Süss, 15. November 1949, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Zu Krackes Vita existieren keine Informationen. 281

Eine Disziplin und ihre Verleger

möglichst großen wissenschaftlichen Wirkungsgrad erhalten könne.«45 Geplant und umgesetzt wurde auch eine mathematische Reihe, die zunächst aufgrund der Materialknappheit in »Notdrucken« auf den Markt gebracht wurde. Die Notdrucke waren schmale Bändchen von 80 –112 Seiten, die in knapper, gedrängter Form »eine Zusammenfassung der bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse auf den einzelnen Fachgebieten bis zu den neuesten Erkenntnissen bringen« sollten.46 Sie hatten ein einheitliches Format ( DIN A5 ), eine Auflage von 3000 bis 5000 Stück, kosteten zwischen 3 und 6 Mark, sollten »den dringendsten Erstbedarf« abdecken und »dann auch als Grundlage für später herauszubringende umfassendere Lehrbücher in einem größeren Umfange dienen«. Langfristig durchsetzen konnte sich der Verlag mit seinem Konzept nicht, denn bereits 1949 meldete er Konkurs an; ein Teil der Verlagsrechte ging an den Schulbuchverlag Herm. Schroedel über. Ein Verlagsarchiv ist nicht erhalten, aber eine schmale gedruckte Broschüre, aus der die Ziele und das Programm der Verlagsanstalt hervorgehen sowie die Korrespondenz zum Konkursverfahren ab 1949 erlauben einen Einblick in das Programm.47 Die Wolfenbütteler Verlagsanstalt agierte schnell, wie sich später herausstellen sollte auch unüberlegt, und nahm Kontakt zu Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen auf. In der Mathematik wandte sich der Verlag an renommierte Wissenschaftler, die bis dahin in anderen Verlagen publizierten. Einige Beispiele aus der Korrespondenz zwischen Ruprecht, der ja ebenfalls auf der Suche nach potentiellen Autoren war, und Süss können dies belegen. Als Lektor für die Mathematik unterstützte Horst Herrmann das Unternehmen. Herrmann hatte 1932 in Göttingen bei Courant promoviert und kannte aus seiner Göttinger Zeit vermutlich Ernst Witt, Hans Münzner und Udo Wegner, die alle als Autoren für die Wolfenbütteler Verlagsanstalt gewonnen werden konnten ( aber alle nicht lieferten ). Herrmann war nach der Promotion in den Schuldienst gegangen, befand sich aber nach Kriegsende in einer mißlichen Lage, da er 1937 der NSDAP beigetreten war und seine Versuche, an der TH Braunschweig tätig zu werden, von der Militärregierung zunächst unterbunden wurden. Dort gelang ihm erst in den 1950er Jahren ein beruflicher Neuanfang

45 46 47

282

Kracke, Vom Werden und von den Plänen des Verlags, S. 4. Ebd., S. 6. Das Verlagsgespräch; zum Konkursverfahren der Wolfenbütteler Verlagsanstalt GmbH, 1949 –1958, siehe die Akte im NLA – SAW, Signatur: 60 Q Nds, Zg. 45 / 96, Nr. 41.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

im Bereich der Rechentechnik. Zwischenzeitlich war er, bis zu deren Konkurs, für die Wolfenbütteler Verlagsanstalt tätig.48 Eine weitere treibende Kraft, die für den Verlag bei der Autorenakquisition im Bereich Mathematik agierte, war der Hamburger Mathematiker Wilhelm Blaschke, der 1946 seine Hamburger Reihe und Zeitschrift bei Vandenhoeck & Ruprecht untergebracht hatte. Blaschke übernahm die Herausgeberschaft einer mathematischen Forschungsreihe, die neben der Lehrbuchreihe Bücher der Mathematik und Naturwissenschaften bestehen sollte. Im März 1946 teilte Ruprecht mit: Für ein kurzgefasstes Lehrbuch der Elementaren Zahlentheorie lag Herrn Prof. Hasse bereits ein Verlagswunsch vor von der Wolfenbütteler Verlagsanstalt, die, wie Sie wahrscheinlich wissen, augenblicklich dabei ist, ein Mammut-Programm auf die Beine zu stellen und durchzuführen. Sie möchte auf allen Wissensgebieten Vorlesungen als Ersatz für Grundrisse und Lehrbücher veröffentlichen. Herr Prof. Hasse hatte sich noch nicht ganz verbindlich, aber immerhin zustimmend zu dem Plan, dort eine kürzere Zahlentheorie zu veröffentlichen, bereit erklärt, falls die in seinen Vertrag mit Springer enthaltene Konkurrenzklausel das zulässt.49

Schon im Mai 1946 waren viele zugkräftige Autoren an die Wolfenbütteler Verlagsanstalt gebunden, vor allem aus Hamburg: Blaschke selbst, Hans Zassenhaus, Ernst Witt und Hans Petersson, zu denen sich später noch die ebenfalls in Hamburg lehrenden Werner Burau, Pascual Jordan und Wilhelm Maak gesellten. Ruprecht verfolgte die Entwicklung mit großem Interesse: Was seine [ = Blaschkes ] Arbeiten anbetrifft, so hält er sich in Bezug auf seine kleine fertig gestellte Differentialgeometrie für den Springer Verlag ziemlich fest gebunden, sodaß er sie uns vorläufig nicht geben möchte. Er denkt aber daran, eine größere analytische Geometrie zu verfassen, für die er als Vorarbeiten zwei kleinere Bücher zu veröffentlichen gedenkt, aus denen später das größere Buch herauswachsen soll. Diese beiden Bändchen über projektive Geometrie hatte er ursprünglich der sog. Wolfenbütteler Verlagsanstalt geben wollen, ohne sich dort aber schon fest gebunden zu haben. 48 49

Die Angaben zur Biographie Herrmanns bei Tobies, Biographisches Lexikon in Mathematik promovierter Personen, S. 152 f. Ruprecht an Süss, 20. März 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. 283

Eine Disziplin und ihre Verleger Er kann diese beiden Teile schnell druckfertig machen, sodaß sie wohl in diesem Sommer noch in Satz gehen könnten. [ … ] Eine Besprechung mit Herrn Prof. Zassenhaus ergab, daß er dabei ist, den 2. Band seines Lehrbuches der Gruppen-Theorie fertigzustellen, dessen 1. Teil ja auch in den Hamb. Math. Einzelschriften in Zukunft herauskommt, wenn sie also in unseren Verlag übergehen, bei uns. Damit wäre wohl auch ein wertvoller Beitrag gewonnen. Auch Herr Prof. Z., der mit der Wolfenbütteler Verlagsanstalt irgend einen Vertrag über eine kleinere Arbeit hat, steht evtl. gern zur Mitarbeit zur Verfügung. Herr Prof. Witt hat ebenfalls für die Wolfenbütteler Verlagsanstalt 2 kleine Bändchen »Analytische Geometrie« und »Algebra« übernommen. Er wird jetzt die Frage, ob tatsächlich der Wolfenb. Betrieb nun in Gang kommt, also Licenz und Papier erhält und damit in die Lage versetzt wird, seine sehr zahlreichen Verpflichtungen einzulösen, klären. Diese Verlagsanstalt hat nämlich mit zahllosen Herren aller Fakultäten der verschiedensten Art abgeschlossen, und es ist bisher für alle Teile noch undurchsichtig, wann und wie diese Verpflichtungen eingelöst werden sollen. Das ist für Herren, wie z. B. Herrn Prof. Witt, die sich wie er in einer besonders schwierigen Situation befinden, auf die Dauer natürlich eine schwere Belastung, weswegen er auch versuchen will, eine Klärung herbeizuführen. [ … ] Herr Prof. Petersson hat ebenfalls mit der Wolfenb. Verlagsanstalt einen Vertrag über ein zweibändiges Lehrbuch ( im Gegensatz zu den anderen Herren, die nur über vorlesungsartige Notdrucke dort abgeschlossen haben ) über Differential- und Integral-Rechnung, deren Gesamtumfang er auf etwa 40 Bogen schätzt.50

Tatsächlich hatte die Wolfenbütteler Verlagsanstalt noch vor ihrer Lizenzierung 129 Verträge für Notdrucke abgeschlossen bzw. vereinbart.51 Bis Dezember 1949 waren in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Reihe als Notdrucke, wie es auf dem Titelblatt hieß, folgende mathematische Titel erschienen: von Dr.-Ing. habil. Hermann Athen ( Elmshorn ) Ebene und sphärische Trigonometrie sowie Vektorrechnung; von Wilhelm Blaschke Projektive Geometrie sowie Analytische Geometrie; von Siegfried Flügge in Marburg, Theoretische Optik; von Wolfgang Haack in Berlin, Differentialgeometrie ( gebunden und broschiert ) und Darstellende Geometrie; von Wilhelm Maak in Hamburg, Differentialgeo50 51 284

Ruprecht an Süss, 11. Mai 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Kracke, Vom Werden und von den Plänen des Verlags, S. 5.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

metrie; von Karl Heinrich Weise in Kiel, Gewöhnliche Differentialgleichungen. Damit war ein vielversprechender Anfang gemacht, denn einige Werke hatten sich offenbar gut verkauft: von Maaks Differentialgeometrie etwa waren im Dezember 1949 noch 23 Stück auf Lager und von Blaschkes Projektiver Geometrie noch 360, wogegen von Athens Trigonometrie noch ca. 1250 und von der gebundenen Fassung von Haacks Differentialgeometrie noch 1700 Exemplare auf Käufer warteten.52 Zur Zeit des Konkurses Ende 1949 waren noch weitere Bücher in Planung, deren Satz zum Teil sogar schon beendet war: Helmut Freund ( Göttingen ), Einführung in das Studium der Mathematik ( nicht erschienen ); Ernst Graeser ( Göttingen ), Elliptische Funktionen ( 1950 im Verlag Oldenbourg erschienen ); Walter Großmann ( Hannover ), Grundzüge der Ausgleichsrechnungen ( nicht erschienen ); Horst Herrmann, Übungen zur projektiven Geometrie ( 1952 bei Birkhäuser erschienen ); Erich Kähler, Funktionentheorie ( nicht erschienen ); Karl Strubecker ( Karlsruhe ), Höhere Mathematik, Teil I ( 1956 bei Oldenbourg erschienen ); Hans Wittich ( Göttingen ), Funktionentheorie ( nicht erschienen ); Hans Zassenhaus, Algebra und Analytische Geometrie ( nicht erschienen ). Die Reihe war in der Nachkriegszeit von großer Bedeutung, um dem akuten Lehrbuchmangel zu begegnen. Daß sie dies zum Teil auf Schulbuchniveau tat, lag möglicherweise darin begründet, daß bei den Kriegsheimkehrern unter den Studierenden der Bedarf auch an elementaren Lehrwerken enorm war. Zugleich stellte eine solche Planung aber mittelfristig, mit der Steigung des Niveaus der Studienanfänger unter sich normalisierenden Studienverhältnissen, eine Gefahr für den Absatz dar. Neben der Reihe Bücher der Mathematik und Naturwissenschaften wurde in der Wolfenbütteler Verlagsanstalt unter dem Titel Bücher der mathematischen Forschung eine reine Forschungsreihe ins Leben gerufen, für die ebenfalls einige bekannte Autoren gewonnen werden konnten, unter denen Helmut Hasse ( Klassenzahl Abelscher Zahlkörper, 1952 beim Akademie Verlag erschienen ), Pascual Jordan, Verbandstheorie ( nicht erschienen ) und Relativitätstheorie ( nicht erschienen ), Georg Nöbeling, Topologische Verbände und Vereine ( nicht erschienen ) und Francesco Severi ( Grundlagen der abzählenden Geometrie, 1948 ), von dessen Buch 1949 noch 1500 Stück auf Lager waren, hervorstachen. Es waren noch mehrere Werke geplant, die aber fast alle nie erschienen: Werner Burau, Grundmannigfaltigkeiten der projektiven Geometrie ( 1950 in Barcelona erschienen ), N. Behrens, Funktionen auf der Drehgruppe und Kugelfunktionen 52

Angaben nach der Akte Konkursverfahren der Wolfenbütteler Verlagsanstalt GmbH, 1949–1958 vgl. die Akte im NLA – SAW, Signatur: 60 Q Nds, Zg. 45 / 96, Nr. 41. 285

Eine Disziplin und ihre Verleger

( nicht erschienen ), Udo Wegner, Theorie und Anwendung der Matrizen ( nicht erschienen ), H. Buchholtz, Asymptotische Darstellungen ( nicht erschienen ), Günter Bullig, Neue Kettenbruchentwicklungen ( nicht erschienen ). Als das wirtschaftliche Scheitern der Wolfenbütteler Verlagsanstalt unmittelbar bevorstand, wurden in einem Rundschreiben an die Gläubiger des Verlages vom Oktober 1949 verschiedene Gründe für die prekäre Lage angeführt: Die wissenschaftliche Produktion der WVA erfreut sich grosser Anerkennung. Vor der Währungsreform waren die Auflagen in kürzester Zeit abgesetzt, so dass in der Zeit vom Frühjahr 1947 bis zur Währungsreform 70 Titel mit einem Umsatzwert von RM. 1.500.000.-- abgesetzt waren. Nach der Währungsreform machte sich der Geldmangel der Interessenten – Studenten, Wissenschaftler, Praktiker – stark geltend und der Absatz sank. Selbst nach einer am 1.1.49 vorgenommenen Preisherabsetzung von rund 40 v. H. sank der Absatz weiter, weil die Interessenten auch zu den niedrigen Preisen nicht kaufen konnten. Nur einige wenige Werke werden noch immer laufend bestellt.53

Es gebe aber, trotz der ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, einige »Faktoren, die eine Weiterführung des Verlages als aussichtsreich erscheinen lassen«. Hierzu wurde insbesondere auf den gewachsenen Bedarf an wissenschaftlichen Büchern hingewiesen, deren Produktionszahlen noch immer ca. 20 % unter den Zahlen von 1936 lägen. »Dem Bedarf nach,« so hieß es weiter, »müsste daher eine ausgesprochene Konjunktur für wissenschaftliche Bücher bestehen.« Dem aber stehe der Geldmangel gegenüber, durch den der Verlag trotz des hohen Bedarfs in eine wirtschaftliche Krise geraten sei. Dabei handele es sich »ja nicht nur um eine Absatzkrise für die Bücher unseres Verlages, für deren wissenschaftlichen Wert die Namen der Autoren und die Besprechungen in den wissenschaftlichen Zeitschriften ebenso zeugen wie der bei den besonders dringlich gebrauchten Büchern noch heute erzielte vergleichsweise günstige Absatz. Es ist durchaus zu erwarten, dass sich die Absatzverhältnisse für sorgsam ausgewählte wissenschaftliche Bücher bei der Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zwangsläufig günstiger gestalten werden.«54

53 54 286

Schreiben in der Akte Konkursverfahren der Wolfenbütteler Verlagsanstalt, 1949–1958 vgl. die Akte im NLA – SAW, Signatur: 60 Q Nds, Zg. 45 / 96, Nr. 41. Ebd.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

Wenn man seitens des Verlags auch hoffte, diese Durststrecke durchzustehen, so war vermutlich die Kapiteldecke zu dünn, um eine solch umfangreiche Produktion tatsächlich durchzusetzen. Daß die Ausstattung der vor der Währungsreform erschienenen Bände keinen besonders hohen Standard hatte, führte den Konkursverwalter 1952 zu der pessimistischen Einschätzung, daß selbst eine »Verwertung im Wege der Zwangsversteigerung« ausgeschlossen sei.55 Daß das geplante Programm nur lückenhaft umgesetzt wurde, lag allerdings auch daran, daß viele Autoren ihre Ablieferungstermine nicht einhielten, etwa, wie der Konkursverwalter im Dezember 1949 dem Amtsgericht Wolfenbüttel berichtete, Heinrich Grell ( Zahlkörper ), Erich Kähler ( Funktionentheorie ), Wolfgang Krull ( Höhere Algebra ), Hans Münzner ( Mathematische Statistik und Einführung in die Mathematik der Lebensversicherung ), Udo Wegner ( Theorie und Anwendung der Matrizen ) und Hans Wittich ( Funktionentheorie ). Neben den üblichen Verzögerungen, die Autoren und Verlage gut kennen, mag dazu beigetragen haben, daß das Vertrauen in den Marktneuling nicht allzu groß war, während sich die allgemeine Situation im Verlagswesen wieder besserte. Es ist zu vermuten, daß der Lektor Horst Herrmann nach seiner langen Tätigkeit außerhalb der Mathematik nicht über die erforderlichen Verbindungen verfügte, um ein langfristig erfolgreiches – auch im wirtschaftlichen Sinne – Programm zu entwerfen. Darüber hinaus fehlte der Wolfenbütteler Verlagsanstalt möglicherweise ein mathematischer Berater, der über die durch Wilhelm Blaschke rekrutierten Hamburger Kreise hinaus erstklassige Autoren hätte gewinnen können.

9.3

Produktionsvolumen

Im Auftrag der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gab die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek zu Göttingen 1951 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht eine Bibliographie der deutschen wissenschaftlichen Bücher heraus, die zwischen 1945 und 1949 publiziert wurden. Danach erschienen in diesem Zeitraum 126, zum Teil mehrbändige mathematische Titel auf dem deutschen Buchmarkt, wobei auch autographierte Vorlesungsmitschriften

55

Konkursverwalter, Dr. Grünkorn an das Amtsgericht Wolfenbüttel, 22. Februar 1952, Akte Konkursverfahren der Wolfenbütteler Verlagsanstalt GmbH, 1949–1958, NLA – SAW, Signatur: 60 Q Nds, Zg. 45 / 96, Nr. 41. 287

Eine Disziplin und ihre Verleger

in der Bibliographie aufgeführt werden.56 Dieses Verzeichnis ist nicht ganz vollständig, wie an der Produktion der neugegründeten Wolfenbütteler Verlagsanstalt gezeigt werden kann, gibt aber eine Tendenz wieder. Nach Fachgebieten innerhalb der Mathematik verteilten sich die Titel wie folgt: Grundlagen, Geschichte, Allgemeines

18

Analysis, Differential- und Integralrechnung

14

Funktionentheorie

16

Differential- und Integralgleichungen, Variationsrechnung

8

Algebra und Zahlentheorie, Gruppentheorie – Mengenlehre

12

Geometrie

29

Wahrscheinlichkeitsrechnung, Mathematische Statistik

5

Angewandte Mathematik

10

Vermessungswesen

14

Ganz deutlich läßt sich an den bibliographischen Angaben die Strategie der alten Verlage ablesen, zunächst überarbeitete Neuauflagen oder einfache Neudrucke bereits erschienener Titel herauszubringen. Sie hatten gegenüber Verlagsneugründungen den Vorteil, an alte Autorenkontakte anknüpfen zu können und den Käufern und Lesern bekannt zu sein: Von den aufgeführten 126 Titeln sind 59 als Neuauflagen bzw. Neuausgaben ausgewiesen. Dies gilt insbesondere für den Springer Verlag und den Verlag Walter de Gruyter, die die Verlagsstatistik mit 22 bzw. 21 Titeln dominieren. Es folgen weit abgeschlagen der neugegründete Berliner Akademie Verlag mit lediglich sieben Titeln, die beiden Leipziger Verlage B. G. Teubner und die Akademische Verlagsgesellschaft Geest und Portig sowie die Aschendorffsche Buchhandlung in Münster mit jeweils sechs Titeln. In letzterer hatte Behnke in Münster eine kleine Reihe unter dem Titel Ausarbeitungen mathematischer und physikalischer Vorlesungen initiiert, in der ab 1947 Münsteraner mathematische Vorlesungen als autographierte Manuskripte herauskamen. Die Wolfenbütteler Verlagsanstalt ist in der Bibliographie nur mit fünf Titeln vertreten, es fehlen nachweislich wenigstens zwei weitere Titel bis 1949.57

56 57 288

Zu diesen und den folgenden Zahlen vgl. Deutsche wissenschaftliche Bücher 1945–1949, S. 378–390 ( mathematische Titel ). Vgl. Das Verlagsgespräch.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

Der die Liste mit 22 Titeln anführende Springer Verlag brachte zunächst vorwiegend Neuauflagen und Überarbeitungen bereits erschienener Titel aus der Reihe Grundlehren der mathematischen Wissenschaften heraus, daneben als Neuerscheinungen die Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Erst in den Jahren 1948 und 1949 kamen verstärkt wieder neue Titel innerhalb der Grundlehren heraus. Die 21 bei Walter de Gruyter erschienenen Titel gehörten fast ausnahmslos zur Sammlung Göschen oder zu Göschens Lehrbücherei. Die Neudrucke oder überarbeiteten Neuauflagen waren zum Teil schon vor Kriegsende mit den Autoren vereinbart worden, konnten aber erst nach der Lizenzierung der Firma verwirklicht werden. Der Verlag festigte unmittelbar nach der Wiedereröffnung seine alten Autorenkontakte.58 Die Planung von Neuausgaben wurde aber auch zur Akquise von bis dahin nicht bei de Gruyter unter Vertrag stehenden Wissenschaftlern genutzt. Darüber hinaus sollten die anvisierten Neuauflagen gängiger Titel in der Sammlung Göschen zunächst in erster Linie eine kontinuierliche Präsenz des Verlags auf dem Markt, also im Sortimentsbuchhandel, garantieren, und es kam weniger darauf an, inhaltliche Erweiterungen oder Veränderungen eines Titels dem Leser anzubieten.

9.4

Wiederbelebung der mathematischen Zeitschriften und Neugründungen

Das zweite drängende Problem im mathematischen Publikationswesen der Nachkriegszeit war die Wiederbelebung der mathematischen Zeitschriften, denn weder Crelles Journal bei de Gruyter noch die Mathematische Zeitschrift und die Mathematischen Annalen bei Springer konnten sogleich fortgeführt werden. In dieser Situation bestanden Chancen für Verlage und wissenschaftliche Institutionen, sich eine gute Ausgangsposition im mathematischen Feld zu sichern, sofern sie schnell handelten. Im folgenden werden die komplexen Interessenzusammenhänge an den Beispielen der Neugründung des Archivs der Mathematik als Zeitschrift des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach ( 9.4.1 ), der Wiederbegründung der Mathematischen Semesterberichte durch Heinrich Behnke und Wilhelm Süss bei Vandenhoeck & Ruprecht ( 9.4.2 ) und der Stellung des Akademie Verlags in der Zeitschriftenfrage ( 9.5 ) diskutiert.

58

Dazu finden sich etliche Beispiele in der Korrespondenz im Verlagsarchiv. 289

Eine Disziplin und ihre Verleger

9.4.1

Die Gründung des »Archivs der Mathematik« als fachpolitischer Schachzug

Im Juni 1946 legte Wilhelm Süss in seiner Eigenschaft als Direktor des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach der französischen Militärregierung einen »Plan zur Herausgabe einer neuen mathematischen Zeitschrift« vor. Er begründetet dieses Vorhaben wie folgt: Eine der wesentlichsten Schwierigkeiten für die wissenschaftliche Arbeit deutscher Mathematiker besteht seit dem Zusammenbruch in dem Fehlen jeder Möglichkeit etwas zu veröffentlichen. Die Verleger fast aller mathematischen Zeitschriften der Vergangenheit haben ihren Sitz in der russischen Zone, wo ihre Verlagshäuser und die Druckereien meistens bis zur Arbeitsunfähigkeit zerstört sind; auch diejenigen größeren Druckereien mit mathematischem Satz in anderen Zonen Deutschlands, mit welchem jene Verleger zusammengearbeitet haben, scheinen durch Kriegsereignisse zerstört zu sein. Um die deutsche wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Mathematik nicht noch länger durch das Fehlen einer mathematischen Zeitschrift lahmzulegen, wird folgender Plan zur Herausgabe einer neuen Zeitschrift vorgelegt: [ … ].59

Süss schwebte ein Herausgebergremium vor, in dem mit ihm als verantwortlichem Herausgeber und Leiter des Mathematischen Forschungsinstituts, seinen Freiburger Kollegen Gerrit Bol und Henry Görtler, Robert Furch aus Mainz und seinem langjährigen Freund Hellmuth Kneser in Tübingen »die verschiedenen Zentren für mathematische Forschung in der französischen Zone Deutschlands durch je einen Gelehrten vertreten« sein sollten. Die Zeitschrift sollte sowohl für Veröffentlichungen von Originalarbeiten als auch für kurze Selbstreferate ( zwei bis vier Seiten im Stile der Pariser Comptes rendus ) offen sein, damit wichtige, aber derzeit nicht in voller Länge publizierbare Ergebnisse dennoch bekannt würden. Die Hauptsprache sollte zwar Deutsch sein, aber auch Englisch, Französisch und Italienisch waren als Publikationssprachen vorgesehen. Süss war mit diesem Plan ganz am Puls der Zeit, so daß die Militärregierung zügig ihre volle Unterstützung zusicherte.60 Ferdinand Springer und sein Berater

59 60

290

Antrag von Süss vom Juni 1946 ohne Adressat, UAF, E 6 / 13, S. 4. Ebd., handschriftliche Notiz: »Avis très favorable, cette revue étant créeé par notre initiative.«

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

F. K. Schmidt sahen in dem Vorhaben sogleich eine offene Konkurrenz für die brachliegende Mathematische Zeitschrift.61 Der Plan von Süss entsprach zwar offenkundig dem sachlichen Bedürfnis, eine Lücke im Publikationswesen zu schließen, hatte aber auch eine fachpolitische Komponente, die sich im geplanten Namen und der Titelei der Zeitschrift widerspiegelte: »Mathematische Forschungen. In Verbindung mit dem Mathematischen Forschungsinstitut in Oberwolfach [ und der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ] unter ständiger Mitwirkung von G. Bol ( Freiburg ), R. Furch ( Mainz ), H. Görtler ( Freiburg ), H. Kneser (Tübingen ) herausgegeben von W. Süss ( Freiburg-Oberwolfach ).« Die DMV als Mitherausgeberin ist handschriftlich eingeklammert worden, worin sich die ungeklärte Lage der DMV bis zu ihrer Neugründung 1948, aber auch Süss’ umstrittener Anspruch, sie weiterhin zu repräsentieren, niederschlugen. Das Mathematische Forschungsinstitut erscheint gezielt als herausgebende Institution, um seine Bedeutung zu betonen und mittelfristig seinen Fortbestand sichern zu helfen. Mit den beiden Institutionen, DMV und Institut, denen Süss vorläufig in einem gewissermaßen herrschaftsfreien Raum vorstand, ließ sich auch sein Status als federführender Herausgeber legitimieren, denn nach mathematischen Meriten hätte diese Rolle Kneser gebührt. Der Plan ruhte allerdings zunächst bis Oktober 1947, als Süss, obgleich er das Projekt auch mit Vandenhoeck & Ruprecht diskutiert hatte,62 Kontakt mit dem Verlag Braun in Karlsruhe aufnahm, der sich unmittelbar bereit erklärte, die Zeitschrift in Verlag zu nehmen und darum bat, daß das erste Heft möglichst bald zusammengestellt werde, um es vor dem Druck der »Militärregierung zur Genehmigung vorlegen« zu können.63 In einem ausführlichen »Entwurf zur Planung der neuen Zeitschrift Mathematische Forschung« skizzierte Süss für den Verlag umgehend noch einmal die allgemeine Lage und die Zielsetzung der neuen Zeitschrift.64 Ihm kam es darauf an, ein Forum zu schaffen, »das rasch über die Ergebnisse der mathematischen Forschung einschließlich aller Anwendungsgebiete im einzelnen und zusammenfassend berichtet«. Er wies auf das Problem hin, daß »die alteingeführten Zeitschriften vielfach einen großen 61 62

63 64

Dazu siehe Remmert, Mathematical Publishing in the Third Reich, S. 29. Vgl. Süss an Ruprecht, Behnke und Lietzmann, 19. November 1947; Ruprecht an Süss, Behnke und Lietzmann, 22. November 1947, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Wilhelm Behrens ( Verlag Braun ) an Süss, 10. Oktober 1947, UAF, E 6 / 13, S. 8. Der Entwurf findet sich in der Anlage des Briefes von Süss an den Verlag vom 14. Oktober 1947, UAF, E 6 / 13, S. 10–12. 291

Eine Disziplin und ihre Verleger

Bestand zu publizierender Manuskripte besitzen, deren Drucklegung geraume Zeit in Anspruch nimmt.« Um diese Lücke zu schließen, schlug Süss vor, die Zeitschrift solle vier Abteilungen haben: ( 1 ) »Zusammenfassende Berichte über neuere Forschungsergebnisse«, ( 2 ) Selbstreferate der Verfasser längerer Arbeiten, die vielleicht im Augenblick nicht publizierbar waren, ( 3 ) kurze Originalarbeiten ( bis zu sieben Druckseiten ), ( 4 ) »Mitteilungen aus dem mathematischen Leben (Ankündigungen und Berichte von Tagungen, Berufungen usw. )«. Der vierte Bereich war traditionell vom Jahresbericht der DMV abgedeckt worden, der aber ebenfalls nicht mehr erschien ( erst ab 1950 wieder ). Die vorgeschlagene Struktur belegt, daß es bei der Zeitschrift tatsächlich nicht um eine Konkurrenz zu bestehenden Zeitschriften wie etwa der Mathematischen Zeitschrift, der Mathematischen Annalen oder Crelles Journal ging. Dies unterstrich Süss in einem Brief an Ruprecht, der wenig erbaut war, daß Süss nicht seinen Verlag als Publikationsort wählte. Besonderen Wert legte Süss bei seiner Zeitschriftengründung auf die Internationalität des Herausgebergremiums, »um den internationalen Charakter der Zeitschrift anzuzeigen«, der zugleich ein Spiegel der internationalen Bestrebungen des Mathematischen Forschungsinstitutes Oberwolfach war, auf das der Untertitel »Herausgegeben vom Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach« hinwies. Aus diesem Grunde nahm er auch alsbald Kontakt mit möglichen Autoren im Ausland auf, wie zum Beispiel in Frankreich mit Henri Cartan, der bereits 1946 in Oberwolfach zu Gast gewesen war, und Christian Pauc sowie in der Schweiz mit Hugo Hadwiger, die sogleich ihre Bereitschaft erklärten, Beiträge zu liefern.65 Als 1948 das erste Heft der neuen Zeitschrift unter dem Titel Archiv der Mathematik im Braunschen Verlag in Karlsruhe erschien, bestach das 18köpfige Herausgebergremium durch seine Internationalität, denn neun der Herausgeber lebten außerhalb Deutschlands: Enrico Bompiani ( Rom ), Charles Ehresmann ( Straßburg ), Hugo Hadwiger ( Bern ), Heinz Hopf ( Zürich ), Trygve Nagell ( Uppsala ), Christian Pauc ( Kapstadt ), Johann Radon (Wien ), Jan Arnoldus Schouten (Amsterdam ) und Eduard Stiefel ( Zürich ). Im Geleitwort betonte Süss die internationale Mission der Zeitschrift: Wir sind glücklich, zu unseren Plänen schon die Zustimmung vieler deutscher und ausländischer Kollegen gefunden zu haben, die uns in dem Bestre-

65

292

Vgl. die Korrespondenz in UAF, E 6 / 13; zur Gründung des Archivs der Mathematik siehe auch die Notiz von König, Archiv der Mathematik, S. 481 f.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten ben unterstützen wollen, in sachlicher Zusammenarbeit die Verbindung der Fachkollegen über die Grenzen hinweg wieder herzustellen.66

Tatsächlich hat das Archiv der Mathematik sich nach erfolgreichem Start schnell einen festen Platz unter den deutschsprachigen mathematischen Zeitschriften erworben. Mit dem dritten Band ( 1952 ) änderte es den inhaltlichen Charakter, denn die Mitteilungen z. B. übernahm wieder der Jahresbericht der DMV, und wurde zu einer »normalen« mathematischen Zeitschrift im wieder normalisierten mathematischen Publikationswesen in Deutschland.67 Auch ein äußerer Wechsel trat ein, denn ab dem dritten Band verlegte Birkhäuser in Basel das Archiv der Mathematik. Für Süss kam dem Archiv der Mathematik in seinen fachpolitischen Strategien eine doppelte Bedeutung zu: einerseits flankierte es seine Bemühungen, dem Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach als institutionellem Träger der Zeitschrift eine internationale Plattform zu verschaffen, und andererseits ermöglichte die eigene Zeitschrift dem Institut die Möglichkeit des Zeitschriftentausches, die auch schon nach dem Ersten Weltkrieg eine Chance gewesen war, der Literaturknappheit zu begegnen. Nicht ohne Grund hatte Süss in seinen Verhandlungen mit dem Braunschen Verlag sich für das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach drei Freiexemplare der Zeitschrift ausbedungen sowie die Möglichkeit, beliebig viele weitere Exemplare zum Selbstkostenpreis zu beziehen.68

9.4.2

Die Wiederbegründung der »Mathematischphysikalischen Semesterberichte«

Gemeinsam mit Heinrich Behnke verfolgte Süss noch einen weiteren Zeitschriftenplan, der wie die Studia mathematica bei Vandenhoeck & Ruprecht angesiedelt wurde, nämlich die Wiederbegründung der Mathematisch-Physikalischen Semesterberichte zur Pflege des Zusammenhangs von Schule und Universität. Die Semesterberichte waren 1931 von Behnke und Otto Toeplitz gegründet und vom mathematischen Seminar der Universität Münster in vervielfältigter Schreibmaschinenschrift herausgegebenen worden. Sie waren allerdings 1939 wegen fehlender Hilfskräfte in solche Bedrängnis geraten, daß Behnke sie hatte 66 67 68

Süss, Zum Geleit, S. 2. Dazu König, Archiv der Mathematik, S. 481 f. Vgl. die Anlage des Briefes von Süss an den Verlag vom 14. Oktober 1947, UAF, E 6 / 13, S. 10–12. 293

Eine Disziplin und ihre Verleger

einstellen müssen. Dies beklagte er im März 1941 in einem Brief an Süss, in dem er vorschlug, die Semesterberichte nach dem Krieg auf das ganze Reich auszuweiten, da ein Organ, das die Verbindung zwischen Schule und Hochschule zum Ziel hätte, dringend gebraucht würde, sofern »es nicht politisch aufgezogen wird«. Er bat Süss, die Sache zu bedenken, denn »hier liegt eine kulturelle Aufgabe vor, die ebenso wichtig ist wie die der Weiterführung unserer grossen wissenschaftlichen Zeitschriften«.69 Süss reagierte sofort positiv auf den Vorschlag der »Verreichlichung« und Erweiterung der Semesterberichte und erklärte sich bereit, dafür die Unterstützung der DMV zu sichern.70 Doch das Projekt fiel dem Krieg zum Opfer. Behnke jedoch ließ von seinem Plan nicht ab und schrieb bereits Februar 1946 an Ruprecht, er wolle, unter Umständen zusammen mit der DMV, die Semesterberichte wiederbeleben.71 Im Mai 1946 skizzierte Süss in einem Brief an Ruprecht das Konzept zu einer neuen Zeitschrift auf dem Gebiet der Mathematik und Physik, als deren Herausgeber er sich selbst und Behnke, mit dem er in engem Kontakt stand, vorsah. Sie sollte als Fortsetzung der Semesterberichte vom Mathematischen Forschungsinstitut in Oberwolfach, um dessen Fortbestand Süss rang, und der DMV, als deren Vorsitzender Süss sich noch verstand, getragen werden. Die Zeitschrift würde inhaltlich zwischen der Universitätsmathematik und den höheren Schulen angesiedelt sein und »bewusst eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Gruppen einnehmen.« Süss hatte auch sogleich den Absatzmarkt im Auge, der über die Lehrer an höheren Schulen hinausgehen sollte:72 Sie soll in allen ihren Teilen von einem größeren Kreise als demjenigen gelesen werden können, der an einzelnen Forschungsergebnissen spezieller Art interessiert ist und dafür besonders mathematisch oder physikalisch vorgebildet ist. [ … ] Bei richtiger Ausgestaltung kann erwartet werden, daß 69 70 71

72

294

Behnke an Süss, 28. März 1941, UAF C 89 / 42. Dazu siehe Remmert, Ungleiche Partner, S. 19. Behnke an Ruprecht, 19. Februar 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Zu Behnkes Rolle bei der Wiedergründung der Semesterberichte siehe die Bemerkungen bei Hartmann, Heinrich Behnke und die Entwicklung der Semesterberichte, bes. S. 81–84, die allerdings die Korrespondenz bei Vandenhoeck & Ruprecht nicht ausgewertet hat. Süss, Plan zur Herausgabe einer neuen wissenschaftlichen Zeitschrift auf dem Gebiet der Mathematik und Physik, 30. Mai 1946, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten die Zeitschrift von allen Kreisen der Hochschulmathematiker, auch von reiferen Studierenden, von der Lehrerschaft, und von den in der Praxis – Industrie, Versicherungswesen – tätigen Mathematikern regelmäßig gelesen werden wird. Das Schwergewicht wird ausdrücklich auf der Weiterbildung der höheren Lehrerschaft liegen. Alle am mathematisch-physikalischen Schulunterricht interessierten Kreise sind – unabhängig von ihren sonstigen Ansichten über die höhere Schule – darin einig, daß in unseren Fächern eine starke Leistungssteigerung der Schule erforderlich ist. Diese Steigerung hat eine dauernde lebendige wissenschaftliche Weiterbildung der Lehrer zur Vorbedingung. Deshalb kann angenommen werden, daß die Ministerien die Zeitschrift in ihren Bemühungen unterstützen und für eine möglichst starke Verbreitung auf den Schulen Sorge tragen werden. Somit darf man eine Auflagenziffer erwarten, die die der rein wissenschaftlichen Journale weit übertrifft und an die der früheren mathematisch-didaktischen Zeitschriften heranreicht. Angesichts dieser Erwartungen ist eine sorgfältige Preisberechnung von besonderer Wichtigkeit. Zur Verbreitung der Grundlage soll auch die Physik, vor allem die theoretische Physik, als gleichberechtigt in den Aufgabenbereich der Zeitschrift einbezogen werden.

Der Verlag ging auf diesen Plan ein, und Ruprecht reiste Ende August nach Oberwolfach, um Genaueres zu besprechen. Die unmittelbare Nachkriegzeit war hinsichtlich der Neugründung von Zeitschriften und Reihen eine dynamische Zeit, denn auch für die für das Gebiet der anwendungsbezogenen Mathematik, für Höhere Schule und Universität gedachten Semesterberichte erwuchs schon bald Konkurrenz, und zwar von Verlagen, die bis dahin ebenfalls kaum mit mathematischen Publikationen hervorgetreten waren. Süss fragte im Oktober 1948 bei Ruprecht nach, wie weit die Semesterberichte gediehen seien. Er drang darauf, daß »wir mit dem ersten Hefte noch in diesem Jahre herauskommen«.73 Anlaß für die Eile war eine Zeitschrift, die der Förderverein für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht im Berliner Verlag Dümmler plante, eine Zeitschrift, die sich inhaltlich ebenfalls am mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht orientieren sollte und außerdem die wissenschaftliche Weiterbildung der Lehrerschaft thematisieren wollte. Behnke und Süss setzten sich intensiv mit den entsprechenden Institutionen in Verbindung, um ihrer Zeitschrift die erforderliche Anbindung an die Schulen zu verschaffen. Behnke betonte gegenüber Ruprecht, er sei »in Westfalen allen Fachlehrern und Fachdirektoren bekannt. 73

Süss an Ruprecht, 7. Oktober 1948, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. 295

Eine Disziplin und ihre Verleger

Wir müssen diese Situation ausnutzen und allen diesen Herren eine Voranzeige zuschicken können.«74 Und Süss berichtete im Oktober 1948, er habe in »Südbaden und Südwürttemberg [ … ] Schritte bei den Kultusministerien unternommen, sich für die Werbung für die Semesterberichte bei den Schulen einzusetzen«.75 Nach verschiedenen Verzögerungen, über die Behnke und Süss sich beim Verleger immer wieder wortreich beklagten, erschien das erste Heft der Mathematisch-Physikalischen Semesterberichte erst im April 1949. Die Zeitschrift geriet allerdings aus Mangel an Abonnenten bald in wirtschaftliche Schwierigkeiten.76 Sie wurde bis 1980 bei Vandenhoeck & Ruprecht veröffentlicht und erscheint heute im Springer Verlag. Wenn die Semesterberichte für Behnke wohl in erster Linie eine Herzensangelegenheit waren, denn er kümmerte sich zeit seines Lebens mit großer Energie um den Zusammenhang zwischen Schule und Universität, hatten sie auch den angenehmen Nebeneffekt, zu Tauschzwecken brauchbar zu sein. Die Motive von Süss sind nur schwer zu fassen, doch fügten sich die Semesterberichte ausgezeichnet in seine umfassenden Publikationsstrategien, die in engem Zusammenhang mit seinem Ziel standen, den Bestand des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach zu sichern.

9.5

Der Akademie Verlag und die Zeitschriftenfrage

Im sowjetisch besetzten Teil Berlins wurde am 1. Juli 1946 die Preußische Akademie der Wissenschaften unter dem Namen Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin wiedereröffnet. In den Gründungsstatuten wurde auch der Aufbau eines akademieeigenen Verlags beschlossen, was im Januar 1947 verwirklicht wurde. Ziel war es, die akademieeigenen Publikationen zu bündeln, wobei der Verlag aber auch für Publikationen offen war, an denen die Akademie keine Rechte besaß. Noch bevor der Akademie Verlag seine Arbeit aufnahm, hatte im November 1946 der Berliner Mathematiker Hans Rohrbach an den Direktor der Akademie,

74 75 76

296

Behnke an Ruprecht, 26. November 1947, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Süss an Ruprecht, 28. Oktober 1948, VA Vandenhoeck & Ruprecht, Ordner Autorenkorrespondenz Nr. 180. Vgl. Hartmann, Heinrich Behnke und die Entwicklung der Semesterberichte, S. 84 f.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

den Mathematiker Josef Naas,77 appelliert, er möge die Wiederingangsetzung des Journals für die reine und angewandte Mathematik unterstützen, zumal das letzte Heft von Band 186 seit dem Krieg vollständig als Stehsatz in de Gruyters Druckerei in Trebbin ( Kreis Teltow ) lagerte und auch einige Beiträge für das nächste Heft dort schon gesetzt worden seien.78 Die Druckerei de Gruyters war von der russischen Militärbehörde demontiert worden, und die Räume blieben verschlossen. Rohrbach wollte nun über Naas den Stehsatz der Hefte freibekommen und gleichzeitig bat er Naas, bei der Lizenzierung des Journals für die russische Zone behilflich zu sein. Der Akademie Verlag hatte zunächst besonderes Interesse an der Fortführung des Jahrbuchs über die Fortschritte der Mathematik, das seit 1928 unter der verantwortlichen Herausgeberschaft der Akademie der Wissenschaften im Berliner Verlag de Gruyter erschien. Schon kurz nach Gründung des Akademie Verlags, noch im Januar 1947, stellte Naas eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation der mathematischen Zeitschriften an.79 Mittlerweile waren die drei großen mathematischen Zeitschriften, das Journal für die reine und angewandte Mathematik ( Crelles Journal, de Gruyter ), die Mathematischen Annalen und die Mathematische Zeitschrift ( beide Springer ) in der britischen und amerikanischen Zone lizenziert worden. Naas führte dazu aus: An dieser Tatsache kann wohl nur im Falle von Crelles Journal etwas geändert werden. Crelle wurde in den letzten 15 Jahren von Hasse herausgegeben. Nach Kriegsende hat Hasse, um unnötige Schwierigkeiten für die Zeitschrift 77

78 79

Naas war 1932 der KPD beigetreten vgl. Heinemann, Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens, Interview mit Piotr I. Nikitin, S. 108 ). Nach seiner Promotion in Köln ( 1935 ) war er in der Luftfahrtforschung tätig. Wegen »Sabotage« in der Kriegsforschung kam er zu Beginn des Krieges als politischer Häftling in das Konzentrationslager Mauthausen. Von 1946 bis zu seiner Ablösung nach einem Zerwürfnis mit Walter Ulbricht im Jahr 1953 war er Direktor der neugegründeten Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Zu Naas vgl. Gähler / Gähler, Nachruf auf Josef Naas, S. 4 f.; siehe auch die Bemerkungen bei Pike, The Politics of Culture in Soviet-Occupied Germany, S. 147–150 und 286–288; Kocka, Die Berliner Akademien der Wissenschaften, S. 374 und 441; Tobies, Biographisches Lexikon in Mathematik promovierter Personen, S. 240 f. Rohrbach an Naas, 14. November 1946, Archiv der BBAdW, Ordner 7008: Bestand Akademieleitung. Naas, Mathematische Zeitschriften, Archiv der BBAdW, Ordner 701: Verlagsund Druckereiangelegenheiten. 297

Eine Disziplin und ihre Verleger zu vermeiden, die Redaktion vorübergehend an Rohrbach abgegeben. Sowohl Hasse als auch Rohrbach sind bereit, die westliche Lizenz zurückzugeben, wenn Crelle dafür die russische Lizenz bekommt. Da sowohl Hasse als auch Rohrbach Parteianwärter seit 1938 sind, erscheint es zweckmäßig, die Redaktion von Crelle bis zur Rehabilitierung dieser Herren einem anderen zu übertragen. Erhard Schmidt wäre bereit, im Falle einer entsprechenden Bitte von Hasse, interimistisch als Redakteur zu zeichnen. Er will aber keine Arbeit damit haben und ausdrücklich als Strohmann fungieren.

Der Berliner Mathematiker Erhard Schmidt wurde jedoch nicht der nominelle Herausgeber des Journals, sondern Helmut Hasse und Hans Rohrbach blieben Herausgeber bis in die 1970er Jahre. Der erste Nachkriegsjahrgang erschien erst 1950, und die Zeitschrift erscheint noch heute bei de Gruyter. Der Verlag hatte es abgelehnt, das Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik an die Akademie abzutreten, da »er das Verlagsrecht an den Fortschritten besitze und lediglich von der Akademie bei der Herausgabe unterstützt worden sei«80 wie F. K. Schmidt im Juni 1947 an Springer über die neuesten Entwicklungen in Berlin berichtete. Naas habe auf die Absage de Gruyters hin erklärt, er könne zukünftig die Lizenzierungsbemühungen des Jahrbuchs nicht mehr unterstützen, »er werde nun wohl die beiden Verlage Springer und de Gruyter sich selbst überlassen müssen«. Gleichzeitig habe Naas Pläne für ein neues mathematisches Referateorgan entwickelt, das der Akademie Verlag herausbringen wolle. Dem soeben an die Humboldt Universität berufenen Mathematiker Hermann Ludwig Schmid hätten diese Pläne »sehr in die Augen gestochen«. Von Springer und seinem Berater wurden die Bestrebungen der Akademie aufmerksam verfolgt. F. K. Schmidt warnte seinen Kollegen H. L. Schmid, »dass die deutschen Mathematiker eine weitere Zersplitterung des mathematischen Referatewesens kaum mitmachen werden und dass das Blatt des AkademieVerlages kaum mit Mitarbeitern aus den Westzonen rechnen könne.« Springer riet er, das Wiedererscheinen des Zentralblatts noch energischer als bisher voranzutreiben, und hielt ein baldiges Rundschreiben an die früheren Mitarbeiter für zweckmäßig. Angesichts der neuen Konkurrenz griff er einen während des »Dritten Reiches« schon gescheiterten Plan wieder auf und fragte Springer, ob er sich vorstellen könne, »sich mit de Gruyter über ein Zusammengehen von Zentralblatt und Fortschritten zu einigen? Das könnte unsere Position gegenüber den neuen Zersplitterungsversuchen stärken« ( siehe 8.2.2 ).

80 298

Schmidt an Springer, 7. Juni 1947, Abschrift, VA Springer, Abt. C, Ordner C 931.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

Noch im Juni 1947 kam es zu einer Unterredung zwischen Erhard Schmidt, F. K. Schmidt, H. L. Schmid und Naas über die Herausgabe mathematischer Zeitschriften. Aus dem Aktenvermerk vom 24. Juni geht hervor, daß die Mathematiker einhellig der Meinung waren, die bisherigen Zeitschriften hätten »dem Bedürfnis der Mathematiker genügend Rechnung getragen«.81 Sie machten allerdings den Vorschlag, man könne durch eine Kombination von Zentralblatt und Jahrbuch eine Lösung der bestehenden Probleme erreichen, allerdings sollte wegen der bestehenden vertragsrechtlichen Verhältnisse keine Veränderung angestrebt werden, »solange die alten Verlage in Aussicht stellen, daß sie mit ihren bisherigen Zeitschriften demnächst wieder herauskommen«. Dies war eine Enttäuschung für die Pläne des Akademie Verlags, und Naas stellte bedauernd fest, die »Möglichkeiten, die durch den Akademie-Verlag geschaffen wurden, wurden also in diesem Sinne von den hiesigen Mathematikern nicht ausgeschöpft«. F. K. Schmidt machte nun erstaunlicherweise einen Vorschlag, anscheinend um von mathematischer Seite Engagement für den neuen Verlag zu zeigen, der im Prinzip auf ein Konkurrenzunternehmen zu Springer hinauslief. Er schlug vor, zwei mathematische Schriftenreihen herauszugeben, eine Sammlung von Monographien »ähnlich der gelben Sammlung von Springer, jedoch mit einer Aufgabenabgrenzung, über die noch näher zu sprechen wäre« und eine Reihe von mathematischen Lehrbüchern, »die das augenblickliche große Bedürfnis unter den Studenten an Lehrbüchern befriedigen soll«. Auf der Tagung der Deutschen Mathematiker in Berlin, die im Herbst 1947 stattfinden sollte, wollte Naas das weitere Vorgehen besprechen und vorher die Möglichkeiten der Papierbeschaffung und der Druckkapazitäten ausloten. Ferdinand Springer beunruhigte die neue Konkurrenz in Berlin außerordentlich, und im Juni 1947 schrieb er an F. K. Schmidt: Der Vorschlag der Berliner Mathematiker, den Akademie-Verlag durch Herausgabe von Monographien und Fortschritte-Sammlung zufrieden zu stellen und für das Zentralblatt dadurch freie Hand zu gewinnen, hat seine zwei Seiten. Die Personen können wechseln, und es können dann diese neuen Unternehmungen sich als absolute Konkurrenz zu unseren »Grundlehren« und zu den »Ergebnissen« auswachsen. Wäre es nicht viel richtiger den

81

Naas: Aktenvermerk vom 24. Juni 1947, Archiv der BBAdW, Ordner 701: Bestand Akademieleitung. 299

Eine Disziplin und ihre Verleger Akademie-Verlag dahin zu bringen, dass er die Enzyklopädie, die Teubner ja nicht mehr machen wird, weiter führt?82

Teubners ehemaliges Großprojekt, das dem Verlag Jahrzehnte zuvor hohe Anerkennung von Seiten der Mathematiker eingebracht hatte, war wegen seiner langwierigen Publikationsgeschichte schon vor dem Krieg längst kein lukratives Geschäft mehr. Springer klagte, man »könnte das Problem viel rücksichtsloser und schneller lösen, wenn die mathematische Druckkapazität im Westen eine bessere wäre«. Mit den Plänen der Berliner Mathematiker im Akademie Verlag war Springer weder einverstanden, noch wollte er sie kritiklos tolerieren. Er äußerte sein Mißfallen ein paar Tage später gegenüber Tönjes Lange: Bitte besprechen Sie inzwischen mit H. L. Sch m id die Frage der Ingangsetzung unseres Zentralblattes. Er muss aber ganz klar Stellung nehmen und Farbe bekennen. Ist er hierzu nicht bereit, so wird man versuchen müssen, das Zentralblatt von hier aus oder von Göttingen aus in Gang zu bringen. Von einem Zusammengehen mit de Gruyter verspreche ich mir bei der Eigenart von Cr a m nicht viel. Immerhin könnte man die alten Vereinbarungen wiederherstellen und nach aussenhin gemeinsam auftreten, was natürlich unsere Gesamtposition stärken würde. Der Vorschlag F. K. Schmidts, beim Akademie-Verlag eine Lehrbüchersammlung herauszugeben, gefällt mir umso weniger, je mehr ich mich damit beschäftige. Es ist wohl unvermeidlich, dass diese Sammlung sich zu einer Konkurrenz für unsere »Grundlehren« auswachsen würde. Die »Gelbe Sammlung« und die »Ergebnisse« sind für uns aber als Ganzes noch wesentlich wichtiger als das Zentralblatt.83

Tatsächlich hatte Naas schon wenige Wochen nach de Gruyters Absage, die Fortschritte an den Akademie Verlag zu übergeben, bei der Abteilung Verlagswesen der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone einen Antrag zur Lizenzierung einer neuen mathematischen Zeitschrift, der Mathematischen Nachrichten, gestellt. Die Zeitschrift sollte an die seit 1932 vom Berliner Mathematischen Institut an der Universität publizierten Institutszeitschrift anknüpfen und nun von Akademie und Institut gemeinsam herausgegeben werden. Als Herausgeber waren vorgesehen: Erhard Schmidt, Hermann Ludwig Schmidt, Helmut Hasse und Kurt Erich Schröder, der 1946 als Professor 82 83 300

Springer an Schmidt, 13. Juni 1947, VA Springer, Abt. C, Ordner C 931. Springer an Lange, 19. Juni 1947, VA Springer, Abt. C, Ordner C 931.

Zwischen Neuorganisation und alten Eliten

für angewandte Mathematik nach Berlin berufen wurde. Naas befürwortete »die Lizenzierung dieser Zeitschrift auf das wärmste auch unter der Besonderheit, dass in die Redaktion die Herren Hasse und Schröder aufgenommen werden, die formelle politische Belastungen tragen, über die in diesem Falle aber hinweggegangen werden kann, und zwar deshalb, weil Herr Professor Dr. Schröder als Universitätslehrer zugelassen ist und die Zulassung von Herrn Prof. Hasse [ … ] vermutlich kurz bevorsteht«.84 1948 erschien das erste Heft der Mathematischen Nachrichten, die bis heute, nun bei VCH Wiley, publiziert werden.

9.6

Aspekte der Neupositionierungen

In der Ausgangssituation ab 1945 wurden beim Wiederaufbau eines neuen funktionierenden mathematischen Marktes verschiedene Einflüsse wirksam. Aus der Perspektive der Mathematik kann man erstens feststellen, daß die Wiederbelebung des mathematischen Zeitschriftenwesens und des Lehrbuchmarktes nicht allein ein rein sachliches Interesse der Mathematiker und der Verlage war, sondern auch fachpolitische Komponenten hatte. Dies belegen vor allem die verschiedenen Publikationsprojekte – Studia mathematica, Semesterberichte, Archiv der Mathematik –, an denen Wilhelm Süss beteiligt war. Für Süss spielte dabei das Ziel der Bewahrung des Mathematischen Forschungsinstitutes Oberwolfach eine entscheidende Rolle, möglicherweise verbunden mit seinem Beharren auf dem DMV-Vorsitz. Zweitens läßt sich deutlich erkennen, daß es bei all diesen Projekten wie auch der Herausgabe der FIAT-Berichte notwendig wurde, mit der traditionellen Elite zusammenzuarbeiten und von ihren Kenntnissen und Verbindungen zu profitieren. Drittens erfüllte besonders die Publikationsform Zeitschrift in der Nachkriegszeit eine vielfältige Funktion. Einerseits war sie wie schon nach dem Ersten Weltkrieg ein Tauschobjekt zwischen nationalen und möglicherweise auch internationalen Institutionen, mit dem man sich über die finanziellen Probleme hinweghelfen konnte. Andererseits diente sie auch dazu, wie im Falle des Archivs der Mathematik, internationale Kontakte wieder aufleben zu lassen bzw. diese neu zu knüpfen. Über diese fachinternen Aspekte hinaus ist zu konstatieren, daß in dieser Zeit die bis in den Weltkrieg hinein führenden Verlagstandorte wie Leipzig und Berlin den Verlagsunternehmen keine gute Ausgangsbasis bieten konnten. 84

Naas an Haunemann, Abteilung Verlag der Deutschen Verwaltung für Volksbildung, 13. August 1947, Archiv der BBAdW, Ordner 708, Bestand AkademieLeitung. 301

Eine Disziplin und ihre Verleger

Göttingen hingegen war praktisch unzerstört geblieben, und so konnte der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, zu dem auch eine eigene Druckerei mit Spezialisierung auf die Anforderungen wissenschaftlichen Drucks gehörte, recht schnell mit der Produktion beginnen. Die Niederlassung Springers in Göttingen ab 1947 erschwerte allerdings die Ausweitung des Vandenhoeckschen Programms auf Naturwissenschaften und Mathematik, denn Ferdinand Springer hielt schon von Heidelberg aus enge Kontakte zu den naturwissenschaftlichen und medizinischen Instituten. So ist es nicht verwunderlich, wenn Hellmut Ruprecht Autoren aus dem süddeutschen Raum oder Hamburg gewinnen konnte, kaum aber aus Göttingen selbst. Des weiteren belegt das Beispiel der Wolfenbütteler Verlagsanstalt, daß auch auf dem darniederliegenden Markt neue Programme qualitativ wie quantitativ umsichtig geplant werden mußten und trotz des vorherrschenden Mangels die Lehrbuchproduktion kein profitabler Selbstläufer war.

302

10 Fazit

Der Soziologe Richard Whitley hat darauf hingewiesen, daß das wissenschaftliche Publikationswesen nicht allein als neutraler Dienstleistungssektor für eine spezifische Disziplin zu verstehen ist, sondern als ein Bereich, über den Kontrolle innerhalb einer Disziplin ausgeübt wird.1 Einerseits bezieht sich diese Kontrollfunktion auf die Wahrung wissenschaftlicher Standards, die mit bestimmten Zeitschriften oder Buchreihen verbunden und von ihnen erwartet werden. Andererseits geht sie aber über eine solche Kontrolle wissenschaftlicher Standards und Arbeitsprozesse hinaus, indem sich Möglichkeiten eröffnen können, mit Hilfe spezieller Kommunikationskanäle und Publikationsorte Ziele und Prioritäten für die Disziplin zu definieren bzw. vorzugeben. In diesem Sinne bietet das wissenschaftliche Publikationswesen potentielle Instrumente der Machtausübung sowohl in der innerdisziplinären Auseinandersetzung um Ressourcen und Prestige, also symbolisches Kapitel, als auch für Versuche politischer Einflußnahme. Am Beispiel der Mathematik wird deutlich, daß die Funktion des wissenschaftlichen Publikationswesens weit über die reine Vermittlung von Wissensbeständen und Erkenntnissen hinausgeht. Es dient auch der Kontrolle und Machtausübung innerhalb einer Disziplin. Die Kontrolle von Publikationsprozessen verbindet sich mit der Möglichkeit, Geltungsansprüche einzelner Mathematiker oder Gruppen durchzusetzen oder zu bewahren. Solche Geltungsansprüche wurden jedoch nicht nur innerhalb der Mathematik als wissenschaftlicher Disziplin ausgehandelt, wie etwa zwischen den Konkurrenten Berlin und Göttingen, sondern richteten sich zugleich nach außen. So zielte das Engagement in der Produktion mathematischer Lehrbücher für andere Disziplinen darauf, die Position der Mathematik als eigenständiges Nebenfach im Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften und damit vor allem in den 1

Whitley, Intellectual and Social Organization, S. 25–34. 303

Eine Disziplin und ihre Verleger

Technischen Hochschulen – also als disziplinübergreifende Ressource – zu behaupten. Die Fülle der gesammelten mathematischen Werke, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu erscheinen begannen, war nicht nur Spiegelbild der Rivalität zwischen Berlin und Göttingen, sondern diente auch dazu, einerseits, die französische Konkurrenz fest im Blick, internationale Geltungsansprüche anzumelden und andererseits angesichts der großen nationalen Editionsvorhaben den Anspruch der Mathematik zu manifestieren, als gleichberechtigte Disziplin neben den großen Kulturträgern – deutsche Literatur, klassische Philologien, Philosophie und Geschichtswissenschaft – wahrgenommen und anerkannt zu werden. Solche Geltungsansprüche wiesen über die akademische Hierarchie hinaus in Gesellschaft und Kulturwelt und wurden flankiert von Reden über Mathematik, das Enzyklopädieprojekt und die Mitarbeit am Großvorhaben Kultur der Gegenwart. Die Bedeutung des mathematischen Publikationswesens reichte also weit über die Funktion eines disziplininternen Kommunikationssystems hinaus. Dies wurde sowohl in der Weimarer Republik, als die »Weltgeltung« des wissenschaftlichen Buches bedroht schien und mathematisch-naturwissenschaftliche Publikationen als zentrale deutsche Kulturträger erkannt und gefördert wurden, besonders deutlich, als auch im Zweiten Weltkrieg, als der hohe Bedarf an mathematischer Lehr- und Handbuchliteratur für die Kriegsforschung zu einer massiven staatlichen Förderung des mathematischen Publizierens führte, oder in der Nachkriegszeit, als dem fachpolitischen Ziel der Erhaltung des jungen Mathematischen Forschungsinstituts in Oberwolfach auch die Gründung einer Zeitschrift und einer Reihe dienstbar gemacht wurden. Das Beispiel der Mathematik zeigt, daß ein konstant reibungslos funktionierendes Publikationswesen für die Stabilisierung und die Expansion der Disziplin unabdinglich ist: ( 1 ) ( selbstverständlich ) als reines, auf mathematische Inhalte konzentriertes innerwissenschaftliches Kommunikationssystem, und damit ( 2 ) zur Strukturierung der Disziplin in allen Facetten bis hinein in das soziale System der Mathematik ( z. B. die Reform des Jahresberichtes bei Teubner mit seiner sozialen Integrationsfunktion ), ( 3 ) als Mittel, um sich im Prozeß der Ausdifferenzierung des universitären Fächerkanons zu behaupten, ( 4 ) als Basis, von der aus sowohl kulturelle Geltungsansprüche geltend gemacht als auch materielle Ressourcen aus Gesellschaft und Staat gesichert werden können. All diese Aspekte sind für die Entwicklung der Disziplin wichtig. Daher liegt es im Interesse der Mathematiker, daß das Publikationswesen stark professionalisiert und in gewisser Weise auch gesteuert wird – hier ist an die aus der Wissenschaft stammenden Verlagsberater zu denken. Die erfolgreiche Expansion und zunehmende Binnendifferenzierung der Mathematik spiegelt sich über die Grenzen der Mathematik hinaus in diesem professionalisierten Publikationswesen wider, 304

Fazit

dessen Kontrolle von zentraler Bedeutung für die Fachpolitiken der Wissenschaft »nach innen« und »nach außen« ist. Die Kontrollfunktionen der Disziplin bzw. ihrer Fachvertreter beschränkten sich nicht allein auf die Zugangsregelung zu Kommunikationsorten, sondern betrafen auch die Form der Darstellung. Die Verlage übernahmen durch die Bereitstellung von Publikationsorganen in den Prozessen der Stabilisierung, Legitimation und Ausdifferenzierung eine bedeutende Position im mathematischen Feld, aber keineswegs blieb die konkrete Ausgestaltung und die Distribution der Druckerzeugnisse von der Wissenschaft unkontrolliert und war reine Verlagsbzw. Druckereiangelegenheit. Durch den gesamten Berichtszeitraum ziehen sich wie ein roter Faden die nachdrücklichen Forderungen der Mathematiker nach qualitativ hochwertiger und adäquater Ausstattung ihrer Geistesprodukte. Immer wieder wurden die Qualität von Satz und Druck und die Bedingungen des reinen Herstellungsprozesses von den Autoren thematisiert und auch kontrolliert. Die Verleger kamen den mathematischen Autoren in der Regel mit einer großen Geduld entgegen. Dies mag einerseits darin begründet liegen, daß die Mathematik ein durchaus lukrativer Verlagszweig war, nicht nur im Bereich des mathematischen Arbeitswissens, wenn auch nicht mit der Medizin vergleichbar. Die Leitdisziplin Mathematik im Verlagsprogramm verlieh den Verlagen zusätzliches Ansehen. Andererseits gebot es das Berufsethos des Verlegers, den Autoren nicht als bloßer Ökonom entgegen zu treten, sondern, wie Ferdinand Springer 1952 formulierte, »die richtige Mitte [ zu ] finden zwischen den Forderungen, die die Sache, das heisst die Wissenschaft an ihn stellt, und der Notwendigkeit, seinen Betrieb wirtschaftlich gesund zu halten«.2 Springer beobachtete mit Blick auf die schwierige Situation der Nachkriegszeit weiter: Der deutsche wissenschaftliche Verlag hatte und hat vielfach noch seine besondere Note, die ihn auf ein höheres Niveau hebt als das seiner Kollegen z. B. in USA und England: Diese sind reine Kaufleute, die nur auf Publikationen mit hohen Auflagen Wert legen, die ihre Autoren vielfach gar nicht kennen, sondern den Verkehr mit ihnen ihren Lektoren überlassen. Solange der deutsche wissenschaftliche Verlag an seinem Berufsethos des Dienens festhält – und es gehört dazu unter den heutigen Verhältnissen Mut und

2

Springer: Lebensbericht, Rede für den Rotary Club, 13. Mai 1952, S. 15 ( VA Springer, Abt. B, S 140 ). 305

Eine Disziplin und ihre Verleger Opferbereitschaft – wird er der Gefahr der Kollektivisierung, sei es durch den Staat, sei es durch wissenschaftliche Gesellschaften, entgehen.3

Dabei bezieht sich das »Berufsethos des Dienens« eben nicht allein auf die Inverlagnahme lukrativer Titel, sondern auf ein darüber hinaus reichendes Engagement für das Fach. Die Gründung der Mathematischen Zeitschrift und die Übernahme der Mathematischen Annalen durch Springer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten waren, wenn sie auch für den Verlag einen Zugang zum mathematischen Publikationswesen darstellten, doch zugleich wesentliche und nicht auf unmittelbaren Profit gerichtete Schritte, um das Kommunikationssystem der Mathematik in Deutschland funktionsfähig zu halten. Bei Teubner war die Leidenschaft Ackermann-Teubners für die Mathematik so weit gegangen, daß er nicht nur in der und für die DMV fachpolitisch aktiv war und Heinrich Weber 1904 die »Teubnersche Firma« als »stets hilfsbereite Freundin unserer Wissenschaft« rühmte,4 sondern sein Nachfolger Konrad Giesecke 1920 seine »Art der Verlagsführung« bitter beklagte, »bei der die wirtschaftlichen Gesichtspunkte vollständig außer acht gelassen« worden wären.5 Für die Mathematik in Deutschland waren solche »dienenden« Verleger in den kritischen Phasen gegen Ende des 19. Jahrhunderts und auch nach dem Ersten Weltkrieg unverzichtbar. Ein Verlag wurde für Autoren auch dann attraktiv, wenn der Verlagsleiter über seine ökonomischen Ziele hinaus Verständnis für die Publikationspraxis einer Disziplin signalisierte. Auch dies stand Ferdinand Springer deutlich vor Augen, denn er führte in seinem Lebensbericht weiter aus: »Aber Leistung, Erfolg und damit Existenz werden doch von jeder Generation neu bestimmt, und wenn nicht eine fähige junge Kraft die alte ablöst und mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs zusammen zu arbeiten versteht, so werden andere Verlage die Führung übernehmen.«6 Die Bedeutung des von Springer aufgeworfenen Generationenaspekts in der Autor-Verleger-Beziehung sowie der engen Zusammenarbeit zwischen Disziplin und Verlag ist in unserem Berichtszeitraum mehrfach sichtbar geworden; denn auf Basis des Quellenmaterials wurden für Deutschland komplexe Wechselwirkungen zwischen disziplinärer Entwicklung, mathematischem Publikationswe3 4 5 6

306

Ebd. Krazer, Verhandlungen des dritten internationalen Mathematiker-Kongresses, S. 6. Giesecke an Engel, 2. Februar 1920, UAG, Nachlaß Engel, NE 120244. Springer: Lebensbericht, Rede für den Rotary Club, 13. Mai 1952, S. 15 ( VA Springer, Abt. B, S 140 ).

Fazit

sen und besonderem Verlegerengagement nachgewiesen. Allerdings bedeuten diese Ergebnisse nur eine Etappe auf dem Weg zum genaueren Verständnis der historischen Kontexte mathematisch-naturwissenschaftlichen Publizierens, da sowohl Vergleichsstudien für den Bereich der Mathematik in anderen Ländern bzw. Sprachräumen als auch Untersuchungen über andere Disziplinen in Deutschland fehlen.

307

11 Literaturverzeichnis

11.1 Archive 11.1.1 Verlagsarchive VA Akademische Verlagsgesellschaft Leipzig, Sächsisches Staatsarchiv, Verlagsarchiv Akademische Verlagsgesellschaft, Geest & Portig KG Leipzig VA de Gruyter Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Dep. 42, Verlagsarchiv Walter de Gruyter VA Springer Heidelberg, Verlagsarchiv Springer ( jetzt Landesbibliothek Berlin ) VA Teubner Leipzig, Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Verlagsarchiv Teubner VA Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, Verlagsarchiv Vandenhoeck & Ruprecht VA Vieweg Braunschweig, Universitätsarchiv, Verlagsarchiv Vieweg

11.1.2 Akademie-Archive Archiv der AdWG Archiv der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Archiv der BBAdW Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

309

Eine Disziplin und ihre Verleger

11.1.3 Universitätsarchive SUBG Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen MIT archives Massachusetts Institute of Technology Cambridge, USA TUAD Archiv der Technischen Universität Dresden UAG Universitätsarchiv Gießen UAF Universitätsarchiv Freiburg

11.1.4 Weitere Archive BAK Bundesarchiv Koblenz NLA – SAW Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel

11.2 Gedruckte Quellen Albrecht, Werner: Raub deutscher Verlagsrechte. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Leipziger Ausgabe, Nr. 1 vom 5. Januar 1952, S. 7–9. Behnke, Heinrich: Der Strukturwandel der Mathematik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Heft 27 ( 1956 ), S. 7–58. Behnke, Heinrich: Rückblick über die Geschichte der Mathematischen Annalen. In: Mathematische Annalen 200 ( 1973 ), S. I–VII. Behnke, Heinrich: Die goldenen ersten Jahre des Mathematischen Instituts der Universität Hamburg. In: Mitteilungen der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg 10 ( 1976 ), Heft 4, S. 225–240. Behnke, Heinrich: Semesterberichte. Ein Leben an deutschen Universitäten im Wandel der Zeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978. Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft über ihre Tätigkeit 1 ( 1922 ) – 12 ( 1932 / 33 ). Bieberbach, Ludwig: Lehrbuch der Funktionentheorie. Leipzig: Teubner 1934.

310

Literaturverzeichnis

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Eine Disziplin und ihre Verleger

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331

Dank

Die Verfasser danken allen sehr, die am Gelingen des Projekts beteiligt waren. Für konstruktive Hinweise, praktische Unterstützung, kritische Lektüre und fruchtbare Diskussionen danken wir ganz besonders: Elke Flatau ( Mainz ), Philipp Kranz ( Mainz ), Daniela Krause ( Mainz ), Waltraut Moderow ( Mainz ), Walter Purkert ( Bonn ), Karin Reich ( Berlin ), Maria Reményi ( Dossenheim ), Reinhold Remmert ( Bad Laer ), Michaela Rhino ( Mainz ), David E. Rowe ( Mainz ), Dietrich Ruprecht ( Göttingen ), Martina Schneider ( Leipzig ), Reinhard SiegmundSchultze ( Kristiansand ) und Renate Tobies ( Jena ). Der Blick auf die Rahmenbedingungen des mathematischen Publizierens und in die Autor-Verleger-Korrespondenzen wäre nicht möglich gewesen ohne die zuvorkommende Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der von uns besuchten Archive und Bibliotheken: die Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, das Archiv der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg ( Berlin ), das Bundesarchiv in Berlin und Koblenz, die Universitätsbibliothek Braunschweig, das Universitätsarchiv Darmstadt, das Archiv der Technischen Universität Dresden, das Universitätsarchiv Freiburg, das Universitätsarchiv Gießen, die Handschriftensammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, das Archiv der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ( Göttingen ), das Stadtarchiv Göttingen, das Universitätsarchiv Greifswald, die Deutsche Nationalbibliothek ( Leipzig ), das Sächsische Staatsarchiv Leipzig, die Bayerische Staatsbibliothek ( München ), die Stadtbibliothek Mainz, die Universitätsbibliothek Mainz und das Niedersächsische Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel. Sehr freundlich sind wir zudem im Archiv des Springer Verlags ( früher am Verlagssitz Heidelberg, inzwischen in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ) und im Archiv von Vandenhoeck & Ruprecht ( Göttingen ) empfangen ( und bewirtet ) worden. Dafür danken wir herzlich.

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Eine Disziplin und ihre Verleger

Besonderer Dank gebührt auch dem Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach für die Gastfreundschaft, die es uns während eines gemeinsamen Forschungsaufenthaltes im März 2008 gewährte. Schließlich danken wir dem Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften, insbesondere seinem Sprecher, Jörg Rogge, für die Möglichkeit, diese Studie in der Publikationsreihe »Mainzer Historische Kulturwissenschaften« veröffentlichen zu können.

Mainz, März 2010

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Volker R. Remmert, Ute Schneider

Personenregister

Ackermann, Albin (1826 –1903 ) 17, 35–36 Ackermann-Teubner, Alfred (1857 – 1940 ) 9, 36, 92, 104–114, 121– 122, 125–127, 129, 146, 183–184, 188, 281, 306 Ahrens, Wilhelm (1872 –1927 ) 94 Artin, Emil (1898 –1962 ) 175, 193– 194, 199 Auerbach, Felix (1856 –1933 ) 94 Baer, Reinhold (1902 –1979 ) 223 Becker, Karl-Heinrich (1876 –1933 ) 205 Behnke, Heinrich (1898 –1979 ) 26, 120, 159–160, 177, 234, 238, 244, 257, 275–276, 288–289, 291, 293– 296 Berliner, Arnold (1862 –1942 ) 147, 226 Bernays, Paul (1888 –1977 ) 218, 221 Bernstein, Felix (1878 –1956 ) 103, 221 Bieberbach, Ludwig (1886 –1982 ) 88, 95, 134, 157, 165, 168, 171, 186, 218, 220, 222–225, 228, 230, 232– 234, 237, 239–241, 243–252 Birkhoff, George D. (1884 –1944 ) 229–230

Blaschke, Wilhelm (1885 –1962 ) 148, 159–162, 169–171, 189–190, 218, 220, 229, 262, 275, 283–285, 287 Blumenthal, Otto (1876 –1944 ) 103, 124, 150, 222, 225–226, 231, 233– 234, 251 Böhm, Friedrich (1885 –1965 ) 138 Bois-Reymond, Paul du (1831 –1889 ) 64–65, 113 Bolzano, Bernard (1781 –1848 ) 34 Borchardt, Carl Wilhelm (1817 –1880 ) 15, 17, 19–20, 23, 28, 33, 39–40, 70, 75–76, 78, 182 Brauer, Richard (1901 –1977 ) 226– 228 Brill, Alexander von (1842 –1935 ) 31–32 Brouwer, Jan 1881 –1966 186, 223– 224 Brunel, Georges (1856 –1900 ) 18 Burau, Werner (1906 –1994 ) 283, 285 Burkhardt, Heinrich (1861 –1914 ) 115–116 Bürklen, Otto (1856 –1919 ) 90, 119 Cantor, Moritz (1829 –1920 ) 30, 63, 77, 240

335

Eine Disziplin und ihre Verleger

Carathéodory, Constantin (1873 –1950 ) 28, 103, 122–123, 186, 220 Cauchy, Augustin-Louis (1789 –1857 ) 42, 70–71, 80, 83, 86, 88 Clebsch, Alfred (1833 –1872 ) 16–18, 36, 38, 181–182, 185, 199, 201, 231 Courant, Richard (1912 –1920 ) 77, 103, 115, 124–126, 129, 135, 146– 149, 155, 159–162, 165, 169–171, 186–194, 198–201, 209–211, 221, 225–231, 241, 245, 247, 282 Cournot, Antoine Augustin (1801 – 1877 ) 80 Cram, Herbert (1893 –1967 ) 235–237, 269, 300 Credner, Hermann (1842 –1924 ) 113– 114 Crelle, Leopold (1780 –1855 ) 15, 17– 19, 28–30, 33, 36, 70, 80, 152, 155, 164, 209, 232, 234–238, 243–244, 251–252, 289, 292, 297–298 Czuber, Emanuel (1851 –1925 ) 93, 102 Dedekind, Richard (1831 –1916 ) 24– 28, 70, 75, 81–82, 182, 186, 201 Doetsch, Gustav (1892 –1977 ) 218, 223–224, 255–257 Dyck, Walther von (1856 –1934 ) 18, 98, 124, 138, 150, 154, 160–161, 166, 184–185, 201, 243 Eisenstein, Ferdinand (1823 –1852 ) 73–74 Eneström, Gustav (1852 –1923 ) 34, 106 Engel, Friedrich (1861 –1941 ) 73, 77, 111, 124–126, 149–150, 183–185, 201, 205, 306

336

Feigl, Georg (1890 –1945 ) 223–224, 249, 255–257, 280 Forsyth, Andrew R. (1858 –1942 ) 81–82 Fourier, Jean Baptiste (1768 –1830 ) 42, 80 Fresenius, Carl (1818 –1897 ) 25 Fricke, Robert (1861 –1930 ) 24, 26, 28, 48–49, 95, 128, 182–183, 311 Frobenius, Georg (1849 –1917 ) 22, 34, 134 Fuchs, Lazarus (1833 –1902 ) 18, 31, 33–35, 55, 75, 78, 134, 311 Gauß, Carl Friedrich (1777 –1855 ) 16, 24, 55, 60, 64, 70–73, 75–79, 129, 148–149, 152, 158, 163 Geest, Johannes (1878 –1947 ) 168, 261, 269, 280, 288 Georgi, Arthur (1902 –1970 ) 213 Giesecke-Teubner, Alfred (1868 – 1945 ) 36, 111 Giesecke-Teubner, Konrad (1878 – 1931 ) 36, 77, 121, 127, 129, 146, 148, 149 Grammel, Richard (1889 –1964 ) 229 Grashof, Franz (1826 –1893 ) 39 Grassmann, Hermann (1809 –1877 ) 29, 73–75, 78, 183 Grossmann, Marcel (1878 –1936 ) 95 Grunsky, Helmut (1904 –1986 ) 234 Gruyter, Walter de (1862 –1923 ) 6, 33, 89, 116, 120, 127, 131, 144– 145, 158, 217, 253, 269, 288–289, 297–298, 300 Gutzmer, August (1860 –1924 ) 31–32, 62, 85, 122, 124, 127, 129, 143 Harnack, Adolf von (1851 –1930 ) 205–206, 208

Personenregister

Hasse, Helmut (1898 –1979 ) 90, 176, 232, 235, 237 Haupt, Otto (1887 –1988 ) 176, 199, 235 Hausdorff, Felix (1868 –1942 ) 102, 115–116, 131, 175, 217, 239 Haussner, Robert (1863 –1948 ) 90, 118, 194–195, 201, 240 Hecke, Erich (1887 –1947 ) 103, 159, 168, 190, 217, 239, 244, 273, 276 Heisenberg, Werner (1901 –1976 ) 136 Helm, Georg (1851 –1923 ) 168 Hensel, Kurt (1861 –1941 ) 29, 34, 49, 172, 189, 235–237, 263 Herglotz, Gustav (1881–1953 ) 103 Herrmann, Horst (1906 –1973 ) 282– 283, 285, 287 Hessenberg, Gerhard (1874 –1925 ) 176 Hilb, Emil (1882 –1929 ) 7, 35, 89, 134, 175–176, 260 Hilbert, David (1862 –1943 ) 16, 101, 186 Hinneberg, Paul (1862 –1934 ) 98 Hölder, Otto (1859 –1937 ) 135 Hopf, Eberhard (1902 –1983 ) 136, 178, 257 Hopf, Heinz (1894 –1971 ) 223, 292 Humboldt, Alexander von (1769 – 1859 ) 47, 298 Hund, Friedrich (1896 –1997 ) 136 Hurwitz, Adolf (1859 –1919 ) 19, 44, 77, 170, 219, 241 Jacobi, Carl Gustav (1804 –1851 ) 15–16, 20, 23, 28, 33, 47, 70–72, 74–75, 78–79, 134, 181–182

Jahnke, Eugen (1861 –1921 ) 61, 66, 94–95, 312 Jordan, Pascual (1902 –1980 ) 82, 283, 285 Junker, Friedrich (1864 –1923 ) 90 Kaluza sen., Theodor (1885 –1954 ) 275 Kamke, Erich (1890 –1961 ) 90, 175– 177, 217, 258, 260, 277 Klein, Felix (1849 –1925 ) 16, 18, 32, 35, 41, 45–46, 55, 58, 71–74, 77, 86, 98–99, 104–105, 107, 109, 128–129, 135–136, 148, 151, 154, 159–160, 162–163, 172–173, 184, 186, 232 Kneser, Adolf (1862 –1930 ) 26–28, 31, 102, 221–222, 232, 257, 290– 291 Knopp, Konrad (1882 –1957 ) 90, 170, 187, 189, 217, 222, 232–233, 236, 238 Koebe, Paul (1882–1945 ) 103, 106 Königsberger, Leo (1837 –1921 ) 16, 37, 44, 59–60, 68–69, 181, 199 Kowalewski, Gerhard (1876 –1950 ) 94, 115–116, 135, 137, 175, 193, 217 Kratzer, Adolf (1893 –1983 ) 175, 257–258, 261 Krazer, Adolf (1858 –1926 ) 122, 124, 143, 155–158, 165, 306 Kronecker, Leopold (1823 –1891 ) 15, 18–19, 29–31, 32–34, 41, 65, 70– 72, 74–76, 78, 134, 240 Krull, Wolfgang (1899 –1971 ) 90, 178 Kummer, Eduard (1810 –1893 ) 15, 31, 34, 70–71, 74, 243, 246–247 Lagally, Max (1881 –1945 ) 176

337

Eine Disziplin und ihre Verleger

Lagrange, Joseph Louis (1736 –1813 ) 42, 70–71, 85 Lampe, Emil (1840 –1918 ) 59–60, 85 Lamprecht, Karl (1856 –1915 ) 59 Landau, Edmund (1877 –1938 ) 103, 122, 149, 217–218, 220–221, 232, 239 Lange, Tönjes (1889 –1961 ) 200, 257, 259–263, 268, 300 Laplace, Pierre Simon (1749 –1827 ) 70–71, 218, 253 Lejeune-Dirichlet, Peter Gustav (1805 –1859 ) 15, 23–24, 28, 31, 33, 182 Lenard, Philipp (1862 –1947 ) 250 Lichtenstein, Leon (1878 –1933 ) 123, 128, 130, 136, 146–148, 186–187, 191, 201, 232, 236 Lie, Sophus (1842 –1899 ) 135, 137, 183 Liebig, Justus von (1803 –1873 ) 25 Liebmann, Heinrich (1874 –1939 ) 65, 116, 136, 221 Lietzmann, Walter (1880 –1959 ) 94, 96, 126, 134, 280, 291 Loewy, Alfred (1873 –1935 ) 223–224 Lorey, Wilhelm (1873 –1955 ) 21, 23, 72, 79, 87, 91, 104, 115, 118–119, 136, 313 Loria, Gino (1862 –1954 ) 92 Lüroth, Jakob (1844 –1910 ) 46–47, 64, 316 Maak, Wilhelm (1912 –1992 ) 283, 285 Magnus, Wilhelm (1907 –1990 ) 241, 256–257, 275–276 Maser, Hermann (1856 –1902 ) 42, 80–83

338

Minkowski, Hermann (1864 –1909 ) 16, 26, 32, 44, 73, 75, 78, 102– 103, 240 Mises, Richard von (1883 –1953 ) 220, 223, 251 Mittag-Leffler, Gösta (1846 –1927 ) 18–19 Möbius, August Ferdinand (1790 – 1868 ) 71–72, 75, 78 Morse, Marston (1892 –1977 ) 229– 230 Müller, Felix (1843 –1928 ) 5, 18, 22–24, 28–29, 31, 33–36, 40, 47, 75–76, 78, 98, 104, 106, 110, 112, 114, 117, 127, 134, 145, 167–168, 248, 269 Münzner, Hans (1906 –1997 ) 282, 287 Naas, Josef (1906 –1993 ) 297–301 Nernst, Walther (1864 –1941 ) 51 Neugebauer, Otto (1899 –1990 ) 158, 221, 229, 232, 236, 245, 251, 312 Neumann, Carl (1832 –1925 ) 16–17, 36, 38, 135, 167, 181, 231 Neumann, Franz (1798 –1895 ) 30 Neumann, John von (1903 –1957 ) 223 Nevanlinna, Rolf (1895 –1980 ) 230 Noether, Emmy (1882 –1935 ) 199, 221, 235, 251 Nörlund, Niels (1885 –1981 ) 193 Ohrtmann, Carl (1839 –1885 ) 22, 33, 134 Oseen, Carl Wilhelm (1879 –1944 ) 176 Osgood, William (1864 –1943 ) 92 Ostrowski, Alexander (1893 –1986 ) 209–210

Personenregister

Ostwald, Wilhelm (1853 –1932 ) 23, 35, 167–168, 269 Papperitz, Erwin (1857 –1938 ) 116 Peschl, Ernst (1906 –1986 ) 273 Petersson, Hans (1902 –1984 ) 283– 284 Planck, Max (1858 –1947 ) 113, 233 Plücker, Julius (1801 –1868 ) 29, 40– 41, 73, 77, 122 Pohlhausen, Ernst (1890 –1964 ) 271 Poincaré, Henri (1854 –1912 ) 18, 42, 69 Prandtl, Ludwig (1875 –1953 ) 46, 103, 123, 255–256 Pringsheim, Alfred (1850 –1941 ) 58, 61, 65–66 Radon, Johann (1887 –1956 ) 159, 292 Reimer, Ernst (1833 –1897 ) 19, 28– 32 Reimer, Georg Andreas (1776 –1842 ) 28, 324 Reimer, Georg Ernst (1804 –1885 ) 19, 28, 40, 117 Remak, Robert (1888 –1942 ) 238 Riecke, Eduard (1845 –1915 ) 40, 72– 73, 77 Riemann, Bernhard (1826 –1866 ) 16, 24–25, 27–29, 70–71, 75, 88, 181– 182 Rohn, Karl (1855 –1920 ) 116 Rosenthal, Artur (1887 –1959 ) 221 Rothe, Rudolf (1873 –1942 ) 95 Rudio, Ferdinand (1856 –1929 ) 34 Runge, Carl (1856 –1927 ) 34, 46, 58, 62, 90, 95, 103, 148, 169, 174, 190 Sanden, Horst von (1883 –1965 ) 95 Scheffers, Georg (1866 –1945 ) 116– 117

Schering, Ernst (1833 –1897 ) 35, 75, 78 Schlesinger, Ludwig (1864 –1933 ) 34, 134, 235–236 Schlömilch, Oskar (1823 –1901 ) 17, 24–25, 28, 35, 38, 48, 82, 84, 137, 167, 181 Schmid, Hermann Ludwig (1908 – 1956 ) 261, 298–299, 300 Schmidt, Erhard (1876 –1959 ) 187, 232, 241, 257, 298–299, 301 Schmidt, Friedrich Karl (1901 –1977 ) 148, 200–201, 228–229, 246–247, 273, 300 Schmidt, John Harry (1894 –1951 ) 136 Schmidt-Ott, Friedrich (1860 –1956 ) 9, 150, 153–154, 160, 162, 208 Schnuse, Christian Heinrich (1830 – 1878 ) 79–81 Schoenflies, Arthur (1853 –1928 ) 51– 52 Scholz, Arnold (1904 –1942 ) 230, 239 Schubert, Hermann (1848 –1911 ) 5, 15, 52, 89–93, 119–121, 136, 139, 144, 173–174, 194 Schulz, Günther (1903 –1962 ) 33, 240, 253–254 Schur, Friedrich (1856 –1932 ) 117 Schur, Issai (1875 –1941 ) 151, 187, 228, 232–234, 245 Schwarz, Hermann Amandus (1843 – 1921 ) 18, 39, 41, 69, 72, 75, 77– 78, 83, 122, 134, 186, 201 Siemens, Werner von (1816 –1892 ) 47, 123, 186, 254 Simmel, Georg (1858 –1918 ) 59

339

Eine Disziplin und ihre Verleger

Sommerfeld, Arnold (1868 –1951 ) 135, 184–185, 201, 273 Sperner, Emanuel (1905 –1980 ) 244, 248, 265, 275–276, 280 Springer, Fritz (1850 –1944 ) 38–41, 76, 83, 122, 186 Springer, Julius (1817 –1877 ) 5–6, 24, 38, 41, 89, 121, 131, 145, 166, 186, 227 Springer d. Ä., Ferdinand (1846 –1906 ) 38 Springer d. J., Ferdinand (1881 –1965 ) 122–123, 146–167, 169, 189, 191– 193, 199–200, 210–211, 225–231, 245–248, 270–273, 298–299, 305 Springer d. J., Julius (1880 –1968 ) 38, 123 Stäckel, Paul (1862 –1919 ) 34, 50–51, 56–57, 60–61, 64, 66, 98, 119, 183 Steiner, Jakob (1796 –1863 ) 15, 23, 28, 33, 70–72, 74–75, 78, 134, 182 Stock, Alfred (1876 –1946 ) 51 Study, Eduard (1863 –1930 ) 24, 221, 229, 319 Süss, Wilhelm (1895 –1958 ) 223–224, 231–233, 240–249, 252, 254–258, 260, 275–284, 289–296, 301 Szegö, Gabor (1895 –1985 ) 219, 223, 241 Teichmüller, Oswald (1913 –1943 ) 230 Thesing, Curt (1879 –1956 ) 114–117, 145 Timerding, Emil Heinrich (1873 – 1945 ) 86–87, 98–99, 176 Toeplitz, Otto (1881 –1940 ) 190, 222, 234, 241, 251, 293 Tornier, Erhard (1894 –1982 ) 228– 230 340

Trefftz, Erich (1888 –1937 ) 95, 148, 190, 196–198, 201 Valentin, Georg (1848 –1926 ) 84–85 van der Waerden, Bartel Leendert (1903 –1996 ) 135, 176, 193–194, 199, 227, 229, 241, 244 Vieweg, Eduard (1797–1869) 24 Vieweg, Heinrich (1826 –1890 ) 24– 25, 27–28, 82, 263 Voss, Aurel (1845 –1931 ) 56, 58–59, 62–64, 98–99, 137 Walther, Alwin (1898 –1967 ) 51, 96, 98, 151, 166, 184, 193, 197–198, 201, 243, 255–256, 260 Weber, Alfred (1868 –1958 ) 59 Weber, Heinrich (1842 –1913 ) 24–26, 28, 32, 70, 102, 119, 138, 182–183, 186, 201 Wegner, Udo (1902 –1989 ) 282, 286– 287 Weierstraß, Karl (1815 –1897 ) 15, 18–20, 22–23, 27, 31, 33–35, 39– 41, 44, 69–70, 72, 75–76, 78, 81, 83, 88, 134, 233 Weil, André (1906 –1998 ) 73–74 Weyl, Hermann (1885–1955 ) 103, 186, 190, 221, 228, 230 Wildhagen, Eduard (1890 –1970 ) 155, 206–207 Willer, Friedrich (1883 –1959 ) 90, 258 Witt, Ernst (1911 –1991 ) 282–284 Witting, Alexander (1861 –1946 ) 94, 96, 137, 270 Zassenhaus, Hans (1912 –1991 ) 26, 73, 102, 220, 283–285, 313 Zermelo, Ernst (1871 –1953 ) 103 Zeuner, Gustav (1828 –1907 ) 37 Zeuthen, Hieronymus (1839 –1920 ) 98

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