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German Pages 376 [378] Year 2019
Die Bibel und die Frauen
Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie Herausgegeben von Irmtraud Fischer, Christiana de Groot, Mercedes Navarro Puerto, Adriana Valerio
Mittelalter Band 6.1
Franca Ela Consolino Judith Herrin (Hrsg.)
Zwischen Orient und Okzident: Frühmittelalter (6.–11. Jh.) Deutsche Ausgabe herausgegeben von Irmtraud Fischer unter Mitarbeit von Johannes Schiller
Verlag W. Kohlhammer
Die Herausgabe des Werkes wird unterstützt durch
1. Auflage 2019 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-035477-7 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-035478-4 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Vorwort zur deutschen Ausgabe Der vorliegende Band, der von der an der Universität LʼAquila lehrenden Historikerin Franca Ela Consolino und der Byzantinistikspezialistin Judith Herrin vom Kingʼs College in London zusammengestellt wurde, führt in eine in den westlichen Kirchen weniger bekannte byzantinische Welt ein. Er geht den bedeutenden Strömungen des Christentums mit einer sogenannten hohen Christologie nach, die es wagten, viele biblischen Geschichten, die im Milieu einfacher Leute spielen, ins Milieu des Hochadels zu transformieren. Wer die vorliegenden Aufsätze liest, wird danach die berühmten Mosaiken wie jene von Ravenna oder Poreč mit anderen Augen ansehen. Zudem zeigt auch dieser Band wiederum aufs Vortrefflichste, dass Frauen immer die Bibel gelesen und sie für sich und andere ausgelegt haben. Allein, dass die Trullanische Synode 692 n. Chr. einschärfen muss, dass Frauen in der Liturgie zu schweigen hätten, lässt auf gegenteilige Praxis selbst im byzantinischen Osten schließen, in dem Frauen zwar offiziell aus dem politischen Leben weitgehend verdrängt, aber wie sich aus Quellen durchaus belegen lässt, zumindest in gewissen Schichten sehr aktiv waren. Darüber hinaus bezieht der Band auch die Bibelauslegung bedeutender Frauen des Westens wie des Ostens sowie Leseweisen im jüdischen und muslimischen Kontext mit ein. Freilich kann immer nur exemplarisch gearbeitet werden und viel Interessantes bleibt noch zu erforschen wie etwa der weibliche Herrschaft legitimierende Rekurs auf alttestamentliche Frauen im frühmittelalterlichen Krönungsordo für Königinnen und Kaiserinnen im fränkischen Reich. Ohne die funktionierende Infrastruktur eines Universitätsinstituts wäre mir die Herausgabe eines solchen Bandes nicht möglich gewesen: Für die Mühen des Ausfindigmachens deutscher Ausgaben von Quellen und Publikationen, der formalen Vereinheitlichung bibliographischer Angaben, des Korrekturlesens und des Erstellens der Register danke ich sehr herzlich Ass.Prof. Dr. Johannes Schiller sowie den StudienassistenInnen Thomas Hausberger, Simone Krassnitzer und Dagmar Giglleitner. Auch in diesem Band hat uns Ao. Prof. Dr. Anneliese Felber unterstützt bei der Übersetzung von Zitaten aus dem Lateinischen sowie bei den Quellenangaben, wofür ich herzlich danke. Für das Layout zeichnet in bewährter Weise Dr. Patrick Marko verantwortlich, dem ebenso großer Dank gebührt. Auch für diesen Band hat wiederum Dr. Gabriele Stein viel an Übersetzungsarbeit geleistet. Die Zitate sind in den meisten Fällen von ihr ins Deutsche übersetzt, ohne dass dies eigens angegeben wird.
6 Vorwort Da Übersetzungen immer das Teuerste in unserem Projekt darstellen, bin ich zu großem Dank für finanzielle Unterstützung verpflichtet: allen voran der Vizerektorin für Personal, Personalentwicklung und Gleichstellung Prof. Dr. Renate Dworczak und dem Verein zur Förderung der Theologie. Graz, im November 2018
Irmtraud Fischer
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Franca Ela Consolino – Judith Herrin Einführung
9
Stavroula Constantinou „Das Haupt der Frau ist der Mann“ Kyriarchat und die Rhetorik weiblicher Unterordnung in der byzantinischen Literatur
21
Rosa Maria Parrinello Frauen und Bibel in Byzanz (7.–10. Jh.)
45
Anna M. Silvas Der Schriftgebrauch bei Kassia
61
Mary B. Cunningham Zur byzantinischen Rezeption biblischer Offenbarungen über die Jungfrau Maria
79
Martha Himmelfarb Die Jungfrau Maria und die antike jüdische Literatur
104
Maria Lidova Die himmlische Garde der Gottesmutter Maria zwischen den Engeln in der frühbyzantinischen Kunst
120
Giuseppa Z. Zanichelli Mittelalterliche Marienikonographie zwischen Orient und Okzident
154
Giuseppe Cremascoli Wein, Weib und der Abfall des Weisen vom Glauben Sir 19,2 im lateinischen Mittelalter
182
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Inhalt
Francesco Stella Judit und andere alttestamentliche Frauen in der lateinischen Poesie der Spätantike und des Mittelalters
204
Christiane Veyrard-Cosme Frauen und die Bibel in der lateinischen Korrespondenz des Frühmittelalters (6.–9. Jh.)
229
Franca Ela Consolino Schreiberinnen und Hl. Schrift im lateinischen Frühmittelalter Die Bibel bei Dhuoda und Hrotsvit
246
Ines Weber Die Rezeption biblischer Texte und ihre normierende Wirkung auf Ehe, Ehebruch und Ehescheidung vom 7. bis 11. Jahrhundert
282
Ulrike Bechmann Biblische Frauenfiguren im Koran
301
Bibliographie
326
Stellenregister
363
AutorInnen
376
Einführung Franca Ela Consolino – Judith Herrin
Das frühe Mittelalter ist eine Epoche, die oft als durch und durch im römischkatholischen Sinne christlich betrachtet wird, obwohl zwischen dem 5. und dem 11. Jh. n. Chr. auch andere Formen des Christentums und andere Glaubensrichtungen blühten. Außerhalb des europäischen Abendlandes, wo der Papst als Nachfolger des heiligen Petrus das anerkannte Oberhaupt der Christenheit war, gehörten Frauen ‒ Griechisch-Orthodoxe, Arianerinnen, Monophysitinnen, Donatistinnen, Nestorianerinnen, Jüdinnen oder Musliminnen ‒ auch anderen Kirchen und Religionen an. Alle wurden von Texten der Bibel beeinflusst, die weithin im Umlauf und auch unter Analphabeten und Ungebildeten bekannt waren. Denn die jüdische Überlieferung des Alten Testaments war von den ersten ChristInnen übernommen und zur Grundlage ihrer im Neuen Testament niedergeschriebenen Offenbarung gemacht worden. Da Mohammeds Lehre von der Unterwerfung unter Gott (Islam) Elemente der jüdischen und der christlichen Lehre enthielt, waren auch seine AnhängerInnen zumindest teilweise mit beiden Testamenten vertraut. Bei der Zusammenstellung der Beiträge für den vorliegenden Band schien es uns wünschenswert, dass er diese vielfältigen Gegebenheiten widerspiegeln und die Beziehungen von geographisch, sozial und kulturell je unterschiedlich verorteten Frauen zur Bibel so inklusiv wie nur möglich darstellen sollte. In einigen – eher seltenen und glücklichen – Fällen ist ein direkter Umgang einzelner Frauen mit dem biblischen Text anzunehmen; hierzu zählen die Schriften der byzantinischen Nonne Kassia und der abendländischen Nonne Hrotsvit. Häufiger ist dieser Kontakt von Männern vermittelt, die aus biblischen Vorbildern schöpften, um die Frauen zu inspirieren und anzuleiten. Sie alle waren – ganz gleich, ob sie selbst in der Bibel lesen konnten oder sie vom Vorlesen oder aus Kommentaren und Erzählungen zu bestimmten Begebenheiten und/oder von bestimmten Personen kannten ‒ zutiefst vom jüdisch-christlichen Erbe beeinflusst. Obwohl die gesamte christliche Welt sich auf die Heilige Schrift als geoffenbarte Wahrheit gründete, war die Art und Weise, sich darauf zu beziehen, doch nicht immer dieselbe. Im lateinischen Raum hatte Hieronymus’ direkter Zugriff auf den hebräischen Text des Alten Testaments zu einigen Diskrepanzen gegenüber der griechischen Übersetzung der Septuaginta geführt, die den bis dato bestehenden lateinischen Fassungen als Grundlage gedient hatte; diese Fassungen waren weiterhin im Umlauf, während die Vulgata sich nach und nach als der für den Großteil der Leserschaft maßgebliche Text behaup-
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tete. Außerdem dauerte es mehrere Jahrhunderte, bis der Kanon des griechischen Neuen Testaments feststand – allein die Auflistung der Bücher, die darin Aufnahme finden sollten, brauchte schon ihre Zeit. Zudem inspirierten die örtlichen Märtyrer mit ihren Kulten und Kapellen, Wundergeschichten und Hymnen eine beträchtliche Vielfalt an Texten, die mehr oder weniger direkt auf die Bibel verwiesen. Nicht in jedem Fall gab die Bibel klare und/oder erschöpfende Antworten auf die Fragen, die ihre Lektüre aufwarf. Einerseits enthielt sie dunkle und schwer verständliche Passagen, andererseits mussten aus den Stellen und Episoden der Schrift immer wieder moralische Lektionen und Verhaltenslehren gezogen werden: Dafür war in erster Linie die biblische Exegese zuständig, die sich zunächst im griechischen Raum entwickelt hatte, dann aber zunehmend eigenständig auch in lateinischer Sprache praktiziert wurde. Auf einem nicht ganz so anspruchsvollen Niveau, das aber auch die weniger gebildeten Gläubigen miteinbezog, bestand zudem Klärungsbedarf, was das Schicksal einiger Personen – allen voran der Jungfrau Maria ‒ betraf, über die die Bibel mit Informationen geizte. Im Osten wie im Westen wurde dieser Bedarf durch eine Reihe apokrypher Schriften gedeckt, die in der – zuweilen erklärten – Absicht verfasst wurden, diese Lücke zu füllen. Da sie aus zwei einander ergänzenden, aber sehr unterschiedlichen kulturellen Räumen auf uns gekommen sind, haben wir es für das Beste gehalten, sie so oft wie nur möglich miteinander zu vergleichen. Wenn wir uns diese Texte in ihrer Gesamtheit vor Augen halten, dann sehen wir, dass das Bibelverständnis der Frauen von mehreren zentralen Aspekten geprägt war. Seit der Spätantike waren zwei Frauenfiguren zu entscheidender Bedeutung gelangt: Eva, die man für die Vertreibung der Menschheit aus dem Paradies verantwortlich machte, und Maria, die die Menschheit dank ihrer Rolle in der Heilsgeschichte miterlöst hatte. Die christliche Tradition übersetzte diese Polarität in eine allgemeines Konzept: Es galt, Evas Schuld zu meiden und Marias Tugenden nachzuahmen. Sexuelle Konnotationen verschärften den Kontrast zwischen diesen beiden Frauentypen: Eva, die von der Schlange (das heißt vom Teufel) verführt worden war, hatte Adam zum Ungehorsam gegen Gott verleitet (deshalb die zahlreichen Warnungen der Kirchenväter vor der Gefährlichkeit der Frauen) und war dafür letztlich mit der Unterwerfung unter den Mann und mit Geburtsschmerzen bestraft worden. Maria dagegen hatte keinerlei Erfahrung mit Männern und mit Sexualität; sie hatte vom Heiligen Geist empfangen und ohne Schmerzen geboren. Weil Maria – gleichzeitig Jungfrau und Mutter Gottes in einer Person ‒ ein so komplexes Vorbild war, dass keine ihr gleichkommen konnte, drohte allen Frauen das Schicksal der Eva, weshalb die männlichen Autoren sie ständig ermahnten, diesem wesensmäßig schuldhaften Bild zu widerstehen und nach einer höheren, ungeschlechtlichen und engelsgleichen Lebensform zu streben. Dass viele diesem Aufruf gefolgt sind, wissen wir aus den zahlrei-
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chen Hinweisen auf Frauen, die sich mit der Entscheidung für ein zölibatäres Leben als Nonnen und Asketinnen dem unvermeidlichen Vergleich mit Eva entzogen und dem Vorbild Marias annäherten. Bei der Förderung ihrer Verehrung schöpften der Osten und der Westen aus verschiedenen Aspekten des marianischen Kults, der allerdings im griechischen Osten im Frühmittelalter zu deutlich größerer Bedeutung gelangte; das belegen die Hymnen zur Gottesmutter, für die es im lateinischen Westen keinerlei Entsprechung gibt. Und damit nicht genug: Ein im Frühmittelalter auf Griechisch verfasstes Marienleben, das nur in einer georgischen Übersetzung erhalten geblieben ist, deutet an, dass die Jungfrau eine führende Rolle unter den Aposteln gespielt habe, und hat mit dieser „feministischen“ Darstellung reichlich kritische Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Den gebildeten Frauen, die sich passendere biblische Vorbilder auswählen konnten (oder den Kirchenmännern, die ihnen die entsprechenden Hinweise geben wollten), stand im Übrigen eine breite Palette inspirierender biblischer Figuren zur Verfügung. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass durchaus nicht immer dieselben Frauen als Vorbild dienten. So berief man sich im Osten – wo das marianische Beispiel präsenter und einflussreicher war ‒ weitaus seltener als im Westen auf biblische Heldinnen wie Judit oder Ester; dagegen waren diese Vorbilder natürlich für die mittelalterlichen jüdischen und sogar für manche muslimischen Gemeinschaften (Gesellschaften) überaus reizvoll. Deshalb schien es uns unerlässlich, auch Beiträge von Wissenschaftlerinnen aufzunehmen, die sich auf diese Bereiche spezialisiert haben, in denen die biblischen Geschichten wohlbekannt und geschätzt waren. Das Thema der Beziehung zwischen der Bibel und den Frauen lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Es kann sowohl die biblischen Vorschriften über die Frauen und für die Frauen als auch die biblischen Frauen als Subjekte bzw. Objekte oft beispielhafter Handlungen oder Äußerungen betreffen und schließlich auch Frauen einbeziehen, die schreiben und sich dabei auf die Bibel als moralische Autorität und/oder erzählerische Quelle berufen, die auch die Apokryphen miteinschlossen. Bei der Auswahl der Beiträge zum vorliegenden Band haben wir versucht, alle Facetten des Themenkomplexes, die einander nicht selten überschneiden oder überlagern, zu berücksichtigen. Auf die Verwendung der Bibel als maßgeblicher Quelle für moralische Vorschriften beziehen sich die Beiträge von Stavroula Constantinou für den griechischen Osten und von Giuseppe Cremascoli für den lateinischen Westen. Cremascolis Aufsatz erläutert anschaulich, wie die Bibel dazu benutzt werden kann, ein überwiegend aus Ordensleuten und insbesondere Mönchen bestehendes männliches Publikum vor den Gefahren weiblicher Anziehungskraft zu warnen. Aus dem, was die Bibel im Hinblick auf das Risiko, vom rechten Weg und Glauben abzukommen, vorschreibt – ein Risiko, dem auch der Weise ausgesetzt ist ‒, schlussfolgert man, dass die größte Gefahr für
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die Seele eines Mannes vom Wein und von den Frauen ausgehe: Welchen verheerenden Einfluss Letztere ausüben, wird vor allem durch die bekannten Erzählungen über König Salomo belegt. Diese wiederkehrenden Erwägungen bilden eine Konstante, die von der Spätantike ins Frühmittelalter und darüber hinaus reicht. So entsteht ein gewundener Weg, auf dem die negative Rolle der Frau als Instrument des Verderbens bald forciert, bald abgemildert wird und – wie der Autor feinsinnig anmerkt ‒ die Worte und Vorschriften der Bibel einer Welt der gezügelten, aber nicht vollständig unterdrückten männlichen Beunruhigungen einen gewissen Halt geben. Demgegenüber zeigt Stavroula Constantinou, wie die offenkundig männlichen Autoren einer stark androzentrisch geprägten Gesellschaft (die Verfasserin verwendet den Begriff „Kyriarchat“) ihrem weiblichen Publikum die biblischen und insbesondere paulinischen Vorschriften über die Unterwerfung der Frau mit exemplarischen Erzählungen näherbrachten, deren Protagonistinnen diese Vorschriften verinnerlicht und sich zu eigen gemacht hatten und deshalb ihren Männern gegenüber – die ihnen in spiritueller Hinsicht oft unterlegen waren ‒ auf einen unabhängigen, eigenen Willen verzichteten. Zu diesen harmonischen Ehepaaren gesellen sich andere Fälle, in denen die Protagonistinnen zum Beweis ihrer Frömmigkeit die Gewalttätigkeit und die Misshandlungen ihrer brutalen Männer klaglos ertragen (und zuweilen sogar provozieren). Vergleicht man dies mit der Art, wie Prokopios das Verhalten Belisars und Justinians gegenüber ihren jeweiligen Gattinnen kommentiert, so wird deutlich, dass es allgemein anerkannte gesellschaftliche Parameter gab, die die Beziehung zwischen den Geschlechtern auf die absolute Unterwerfung der Frau gründeten. Die Frauen werden daher im besten Fall, wenn sie die Lehre der Bibel (und deren Interpretation durch die Kirchenmänner) auf sich anwenden, bei sich selbst und ihren Ehemännern spirituelle Fortschritte erreichen und im schlimmsten Fall die Heiligkeit durch ihr frommes Verhalten und die darauf unweigerlich zu erwartende brutale Reaktion der Ehemänner erlangen. Abgesehen von Eva und Maria, die schon die ältesten christlichen Bibelausleger in ein polares Verhältnis zueinander brachten, bietet die Schrift eine reiche Auswahl an Heldinnen, über die man nachdenken und zum Nachdenken anregen kann, und es ist davon auszugehen, dass deren Erlebnisse und Probleme, die in den Texten erzählt werden, bei einem weiblichen Publikum mit vergleichbaren Problemen auf besonderes Interesse stießen. So werden in Gesellschaften, in denen das Problem der Fruchtbarkeit von zentraler Bedeutung war, Geschichten über unverhoffte Geburten – wie die der Sara, die Abraham erst im hohen Alter einen Sohn schenkt, oder die der Elisabet, der hochbetagten Mutter des Täufers ‒ für Frauen mit Empfängnisschwierigkeiten besonders anziehend gewesen sein. Das Problem der Unfruchtbarkeit teilten unzählige Kaiserinnen, Königinnen und Frauen der herrschenden Elite mit einfachen, namenlosen Frauen, und sie alle werden sich in ihren Gebeten
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mit den biblischen Protagonistinnen wundersamer Empfängnisse identifiziert und für sich selbst eine ähnliche Heilung von Unfruchtbarkeit erfleht haben. In ähnlicher Weise konnte eine Figur wie die der reuigen Sünderin (die damals gemeinhin mit Maria Magdalena identifiziert wurde) als Mahnung dienen, angesichts der göttlichen Barmherzigkeit nicht zu verzweifeln. Doch nicht immer dokumentieren die auf uns gekommenen schriftlichen Zeugnisse derartige Reaktionen, und daran zeigen sich auch die Unterschiede zwischen West und Ost. Während es zum Beispiel Kassia gelingt, die Seelenqual der Sünderin mit äußerstem Feingefühl darzustellen, lässt sich über den lateinischen Sprachraum nichts dergleichen sagen: Dort genießt die Gestalt der Magdalena im frühen Mittelalter keine nennenswerte Aufmerksamkeit, sondern tritt ihren Siegeszug erst in der unmittelbar darauffolgenden Epoche an. Und was vielleicht noch erstaunlicher ist: die karolingische Adlige Dhuoda, die mit Gewalt von ihren beiden Söhnen getrennt wird (der Ältere, Wilhelm, wird an den Hof Karls des Kahlen geschickt und der Jüngere seiner Mutter noch vor der Taufe aus Sicherheitsgründen weggenommen), identifiziert sich nicht etwa mit der Jungfrau Maria (die sie nie erwähnt) oder mit der Mutter der Makkabäer, sondern in erster Linie mit Ijob. Unser Buch versucht diese textlichen Befunde zu spiegeln, weshalb Maria, die unter den biblischen Heroinnen zweifellos eine beherrschende Rolle innehat, in den Beiträgen zum griechischen Osten, wo ihre Verehrung allumfassende Dimensionen erlangt, sehr viel größeren Raum einnimmt. Francesco Stella untersucht das Schicksal einiger alt- und neutestamentlicher Frauenfiguren im lateinischen Westen und zeigt ihr langes Fortleben in Dichtungen, die von der Spätantike bis ins Hochmittelalter reichen. Die Galerie beispielhafter biblischer Frauen, die – allen voran Judit und Ester ‒ den Lesern zur Bewunderung vorgeführt werden, richtet sich an ein gemischtes Publikum, das allerdings im Falle der Texte, die zur gottgeweihten Keuschheit mahnen, vor allem die Frauen anspricht; sie werden ungeachtet ihrer unterschiedlichen Lebenszusammenhänge dazu aufgefordert, die Tugenden der biblischen Heroinnen nachzuahmen. Dank der vielseitigen Verwendbarkeit dieser Gestalten, die (insbesondere Judit) sich nicht nur als mustergültige Verkörperungen eines zugleich besonnenen als auch heldenhaften Verhaltens, sondern auch – wie in Bezug auf die Kaiserinnen Judith und Irmingard geschehen ‒ zu konkreteren Anspielungen auf den politischen Bereich und den Gebrauch der Macht eignen, kann diese Nachahmung unterschiedliche Formen annehmen. Diese biblischen Frauen, die im lateinischen Westen einen recht hohen Rang einnehmen und breite Anerkennung finden, werden im Osten von der herausragenden Bedeutung der Theotokos, der jungfräulichen Gottesgebärerin, in den Schatten gestellt. Auch dies findet in unserem Band Berücksichtigung und ist Gegenstand der sorgfältigen Untersuchung von Mary Cunningham, die der Frage nachgeht, wie sich der Marienkult in mittelbyzantinischer
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Zeit (ca. 7.‒12. Jh.) nach und nach durchgesetzt hat. Die Verehrung der Jungfrau wird zu einem festen Bestandteil der byzantinischen Gesellschaft und äußert sich unter anderem darin, dass der liturgische Kalender etwa zwischen dem 6. und dem Anfang des 8. Jh. um fünf Feste (die Geburt der Jungfrau, ihre Darstellung im Tempel, die Empfängnis, die Verkündigung und die Entschlafung) und einige kleinere Gedenktage erweitert wird. Neben den marianischen Predigten und den Hymnen zu Ehren der Jungfrau werden in diesem Beitrag auch einige Versionen des Marienlebens untersucht. Dabei wird deutlich, dass den liturgischen und hagiographischen Schriften trotz der unterschiedlichen Anlässe und literarischen Gattungen die Tendenz gemeinsam ist, Maria als eine Gestalt mit eigener Bedeutung zu zeichnen und ihr somit eine Rolle zuzuweisen, die den christologischen Aspekt zwar unterstützt, sich aber nicht darin erschöpft. Ein indirekter Hinweis auf Marias wachsende Bedeutung im Osten findet sich auch in der antiken jüdischen Literatur. Das zeigt der Beitrag von Martha Himmelfarb, die an drei untersuchten Passagen jüdische Reaktionsweisen auf die Gestalt der Jungfrau exemplifiziert. Die Verfasser dieser zwischen dem 4. und dem 7. Jh. in stark byzantinisch beeinflussten Kreisen entstandenen Texte übernehmen einige Aspekte der Mariengeschichte, tun dies jedoch zu dem Zweck, sie in ihr Gegenteil zu verkehren oder auf den Kopf zu stellen. Nicht zufällig sind zwei der betreffenden Heldinnen Mütter des Messias und die dritte eine Mutter von sieben Söhnen, deren Martyrium als heilsbedeutsam dargestellt wird. Bezeichnend ist auch das unterschiedliche Schicksal, das den drei Protagonistinnen im Mittelalter beschieden war: So verlor die kriegerische und recht wenig weibliche Messiasmutter Hefzi-Bah ihre Faszination, sobald das byzantinische Reich nicht mehr das Zentrum des jüdischen Literaturschaffens war und mithin keine Notwendigkeit mehr bestand, dem Schutzhandeln, das die Christen der Jungfrau zuschrieben, etwas entgegenzusetzen. Die Mutter der sieben Söhne hingegen, die eine ähnliche Heilsrolle übernimmt, wie sie die Christen der Jungfrau Maria zuwiesen, sollte ihre Bedeutung als mustergültige Frau und Mutter im Lauf des Mittelalters auch außerhalb der byzantinischen Welt behalten. Das Alte und das Neue Testament üben einen starken Einfluss auf den Islam aus, die dritte große monotheistische Religion, die im Frühmittelalter entsteht und an Boden gewinnt. Deshalb wäre ein Sammelband über die Frauen und die Bibel im frühen Mittelalter ohne eine Berücksichtigung der im Koran vertretenen biblischen Frauengestalten höchst unvollständig; diese Lücke wird durch die Arbeit von Ulrike Bechmann geschlossen. Im Koran, der nicht nur die Bibel, sondern „die Bibel und ihre Rezeption“ rezipiert, erscheinen die weiblichen Figuren biblischer Provenienz verhältnismäßig selten und ohne Namensangabe; ihre Bedeutung hängt nicht so sehr von individuellen Vorzügen oder Handlungen, sondern – und das ist eine Eigenschaft, die sie mit den männlichen Protagonisten teilen – von dem ab, was sie im Hinblick auf
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das Handeln Gottes verkünden oder aussagen. Die Einzige, die namentlich genannt wird, ist Maryam (Maria), die auch in die muslimische Mystik und Volksfrömmigkeit Eingang gefunden hat. Neben dem geschriebenen Wort spielen auch die Bilder eine überaus wichtige Rolle. Sie erzählen die Geschichten aus der Bibel (und den Apokryphen) und führen Andachtsformen ein, die nicht unbedingt durch die Stimme der Prediger oder die Lektüre der Texte vermittelt sein müssen. Giuseppa Zanichellis Beitrag über Mariendarstellungen erhellt sowohl den gemeinsamen Hintergrund des Ostens wie des Westens (in dieser Hinsicht erweisen sich die Mosaiken aus S. Maria Maggiore als besonders wichtig), als auch die jeweiligen besonderen Entwicklungen, die gleichwohl Teil eines nie unterbrochenen Dialogs zwischen den beiden Welten sind. Doch das Frühmittelalter ist nicht nur von namenlosen Frauen und mehr oder weniger passiven Adressatinnen der Bibel und deren Vorschriften, Botschaften und Figuren bevölkert. Es ist auch der Lebensraum von Frauen, die durch einen Dialog von unterschiedlicher Tiefe und eine mehr oder wenige kreative Beziehung mit dem Wort der Bibel verbunden sind. Diese persönliche und direkte Anteilnahme schlägt sich sowohl in den Korrespondenzen – von denen im Übrigen nur die Schreiben der betreffenden intellektuellen oder geistlichen Briefpartner erhalten sind ‒ als auch in den von Frauen verfassten griechischen und lateinischen Werken nieder. Der Bibel in der frühmittelalterlichen, an Frauen gerichteten Briefliteratur sind die Arbeiten von Rosa Maria Parrinello (für den griechischen Osten) und Christiane Veyrard-Cosme (für den lateinischen Westen) gewidmet. Mit den Schriftstellerinnen im engeren Sinne befassen sich die Artikel von Anna Silvas über Kassia und von Franca Ela Consolino über Dhuoda und Hrotsvit. Rosa Maria Parrinello hat sich in Band 6.2 der Reihe „Die Bibel und die Frauen“ bereits mit der Bibelkenntnis der Frauen im spätmittelalterlichen Byzanz beschäftigt; ihr Beitrag zum vorliegenden Band schlägt damit eine Brücke zu den nachfolgenden Entwicklungen, die sicherlich reichhaltiger und interessanter sind, wenngleich es ‒ wie die Verfasserin im einleitenden Teil anschaulich darlegt ‒ nicht korrekt wäre, den Frauen in der Epoche, mit der wir uns jetzt befassen, die Bibelkenntnisse völlig abzusprechen. Unter den Frauen mit direkter und gründlicher Kenntnis der Bibel ragen die Briefpartnerinnen des Theodoros Studites heraus, bei denen es sich zumeist, aber nicht ausschließlich, um Nonnen handelt. Parrinello arbeitet sowohl die unterschiedliche Häufigkeit der (zuweilen überhaupt nicht vorhandenen) Bibelzitate als auch ihre vielfältigen Verwendungszwecke heraus, die von der Tröstung über die Katechese bis hin zur geistlichen Leitung reichen. Diese Zwecke könnten, wie Theodoros weiß, ohne die aktive Mitarbeit der Adressatinnen, die durchaus imstande sind, die Zitate zu erkennen und in den Kontext einzuordnen, gar nicht erreicht werden. In diesem Dialog, der sich zwischen ihm und seinen gebildeten Briefpartnerinnen entspinnt, nutzt Theodoros die Bibel nicht nur
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als gemeinsamen Bezugsrahmen, sondern auch als ein Instrument, das sich – nicht zuletzt dank seines rhetorischen Geschicks – ihren Bedürfnissen nach Leitung und Trost immer wieder anpasst. Mit Blick auf den lateinischen Westen untersucht Christiane Veyrard-Cosme Briefe an hochgestellte Frauen mit direktem und bewusstem Zugang zur Schrift. Sie geht der Ambivalenz ihrer Beziehung zur Bibel sowie der Frage nach, inwieweit diese vornehmen Frauen Subjekt oder Objekt des Diskurses über die Heilige Schrift sind, den Kirchenmänner von so hervorragender Bildung wie Alkuin von York oder von so hoher Stellung wie Papst Nikolaus I. (800‒867) mit ihnen etabliert haben. In den Briefen des Letztgenannten an zwei oströmische Kaiserinnen, die er für das Papsttum gewinnen will, greift der Pontifex auf die Bibel zurück: Der Kaiserin Theodora stellt er männliche Vorbilder (Mose, Aaron, Samuel, Sacharja und sogar Jesus) vor Augen, während Ester als Vorbild für Kaiserin Eudokia dient. Seinem Gegner Photios weist Nikolaus die Rolle der neuen Eva zu. Vor diesem Hintergrund stellt die Bibel den Bezugsrahmen dar, der das Verhalten der beiden Herrscherinnen bestimmen soll. Eine offenkundig aktivere Rolle scheinen hingegen einige aristokratische Klosterfrauen – vor allem Gisela, Schwester Karls des Großen und Äbtissin von Chelles, und ihre Nichte Rotrud ‒ gegenüber Alkuin gespielt zu haben, den sie in exegetischen Fragen um Hilfe bitten. Hier wird die Beziehung zwischen Hieronymus und den heiligen Damen in seinem Umfeld gleichsam wiederaufgelegt und legitimiert einen kulturellen Austausch, bei dem die biblische Lehre und die Wissbegierde der Briefpartnerinnen – die allerdings von ihrem gelehrten Gegenüber sehr gelobt werden – letztlich als Hintergrund für eine Inszenierung dienen, die, von der Schrift ausgehend, die literarische Persönlichkeit des Magister Alkuin zur Geltung bringt. Zu den eher seltenen Fällen, in denen sich der Raum der weiblichen Freiheit und Kreativität im Verhältnis zur Heiligen Schrift präzise bestimmen lässt, zählen drei Frauen, die hierüber ein schriftliches Zeugnis hinterlassen haben. Die Nonne Kassia gehörte möglicherweise auch zu den Briefpartnerinnen des Theodoros Studites; ihre eigentliche Bedeutung beruht jedoch auf ihrem dichterischen Schaffen, das eine eigenständige Interpretation der in den liturgischen Versen evozierten biblischen Themen bietet. Anna Silvas zeigt auf, wie sich im dichten Geflecht aus biblischen Bezügen ein Raum für Gedanken, Kommentierungen und theologische Überlegungen auftut, der in der liturgischen Form des Hymnus vollendeten Ausdruck findet. Auch die übrigen Dichtungen von Kassia bestätigen ihre Sensibilität, ihre eingehende Schriftkenntnis und das Bewusstsein der Verfasserin, dass Frauen wichtig und auch in der Lage sind, keine negative Rolle zu spielen ‒ wenn sie sich auf die Seite der Wahrheit stellen. Auch die sächsische Dichterin und Schriftstellerin Hrotsvit war Nonne. Sie schrieb auf Latein und lebte und wirkte etwa ein Jahrhundert nach Kassia
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im ottonischen Reich. Ihr interessantester Charakterzug ist ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das sich auch in der wohlüberlegten Entscheidung ausdrückt, für die nicht sehr zahlreichen Texte innerhalb ihres Œuvres, die sich mit biblischen Themen befassen, auch aus apokryphen Quellen zu schöpfen. Zu ihrer Rechtfertigung erklärt sie, dass die Authentizität, die diesen Texten derzeit abgesprochen werde, vielleicht eines Tages Anerkennung finden würde. Bei Hrotsvit findet sich keine Spur einer männlichen Vermittlung (an gebildete männliche Leser wendet sie sich nicht etwa, um sich in Fragen der Lehre unterweisen zu lassen, sondern um sich für ihr mangelndes Können zu entschuldigen). Ihr längstes Gedicht über ein apokryphes Sujet ist eine Biographie der Gottesmutter, mit der sie das Interesse an Maria vorwegnimmt, das sich mit der Ankunft der byzantinischen Prinzessin Theophanu am Kaiserhof wenige Jahre später allgemein durchsetzen sollte. Der vielleicht interessanteste Fall einer Frau des frühen Mittelalters, die in direktem Kontakt zur Bibel stand, ist aber jener der Fürstin Dhuoda, einer verheirateten Laiin also, die durch ihre Ehe dem karolingischen Hochadel angehörte. Sie wurde gewaltsam von ihrem 15-jährigen Sohn Wilhelm getrennt, da sein Vater ihn als Gewähr für seine eigene Loyalität an den Königshof Karls des Kahlen hatte senden müssen. Um die Mitte des 9. Jh. beschloss Dhuoda, für ihren Sohn ein Handbuch zu verfassen, das ihm bei seinem Leben am Hof als Leitfaden dienen sollte. Was Dhuodas Fall so einzigartig macht, ist zum einen ihr Stand als verheiratete Frau und zum anderen die nicht von Kirchenmännern vermittelte Form, wie sie als Laiin die Bibel verwendet: Sie nutzt sie als eine Quelle für Lebensmaximen und Beispiele, die sich auf das weltliche Leben eines jungen Adligen anwenden lassen. Bei ihrem Versuch einer Erziehung aus der Ferne greift diese Mater dolorosa auf männliche Bibelgestalten zurück, identifiziert sich mit der Rolle des Apostels Paulus und bedient sich der Worte Ijobs, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Die Entscheidung, sie und Hrotsvit gemeinsam zu behandeln, dient einem doppelten Zweck: Auf diese Weise soll einerseits die Unabhängigkeit dieser beiden Frauen und andererseits die Besonderheit ihrer jeweiligen Positionen herausgestellt werden. Die Bedeutung der Beziehung zwischen der Bibel und den politischen Gegebenheiten, die in Kassias und Dhuodas Biographien stillschweigend vorausgesetzt und in den Briefen von Papst Nikolaus explizit angesprochen wird, thematisieren, wenngleich unter anderen Vorzeichen, auch die Beiträge von Maria Lidova und Ines Weber. Maria Lidovas Beitrag geht der im byzantinischen Osten sehr verbreiteten Ikonographie der von Engeln flankierten Gottesmutter nach. Sie zeigt, wie diese Darstellung, die die zeitgenössische Symbolik der kaiserlichen Macht aufnimmt, die selbst im Himmel anerkannte „Königinnenmacht“ der Theotokos suggeriert und somit ihre Rolle als mächtige Fürbitterin bei Gott zugunsten der Menschen verstärkt. Wir haben es also mit einem Fall zu tun, in dem das richtige Verständnis der im Bild
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transportierten Botschaft das Wissen um die byzantinische Machtsymbolik voraussetzt. Ines Weber zeigt in ihrer Untersuchung den tiefgreifenden Einfluss, den die biblischen Vorschriften über Ehe, Ehebruch und Scheidung nicht nur auf die kircheninterne Debatte, sondern seit dem Untergang Westroms auch auf die diesbezüglichen Gesetzgebungen ausgeübt haben. Die Vielzahl der Verweise belegt, wie weitreichend und verästelt der Einfluss der biblischen Vorschriften auf die zeitgenössischen Rechtssysteme war. Die in dieser Arbeit zusammengetragenen Daten liefern aber auch den juridischen Hintergrund, der uns hilft, eine historische Tatsache wie etwa den bekannten Scheidungsversuch Lothars II. von Lothringen (835‒869) zu verstehen: Lothar wollte sich von seiner Frau Theutberga trennen, die ihm keine Erben geschenkt hatte, um an ihrer statt seine Konkubine Waldrada heiraten zu können und so die mit dieser bereits gezeugten Söhne legitimieren zu lassen. Die Existenz umfassender Vorschriften vor und nach dieser verworrenen Geschichte (in die sich Hinkmar von Reims mit der Abfassung des Traktats De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae einschaltete) gibt uns die Koordinaten an die Hand, die zu ihrer Einordnung erforderlich sind. Bei der Untersuchung der Bezüge auf Frauen und der Reaktionen von Frauen auf den allgegenwärtigen Einfluss der biblischen Botschaft sind wir, was die jeweiligen Deutungsmechanismen betrifft, auf einen hochinteressanten Kontrast gestoßen. Ein erster, offensichtlicher Unterschied ist zugleich sprachlicher und geographischer Natur: Biblische Beispiele wie die der Susanna oder der Judit stoßen fast ausschließlich im Westen auf Interesse. Ester, die Papst Nikolaus den Königinnen auf dem Thron als kraftvolles Vorbild vor Augen führt, findet in den griechischen Texten des Mittelalters nur selten Erwähnung. Zwischen dem 10. und dem 11. Jh. kommt sie überdies in der Krönungsformel der germanischen Königinnen vor, während es im Osten, wo die Kaiserinnen kraft ihres Standes als Gemahlinnen des Kaisers inthronisiert werden, hierzu keine Parallele gibt. Der heilige Theodoros Studites lobt seine Briefpartnerinnen zudem auf eine ganz andere Weise als sein Beinahe-Zeitgenosse Nikolaus I., aber auch anders als der Mönch Alkuin, der in seinem Austausch mit den Nonnen der karolingischen Elite für sich die Rolle eines zweiten Hieronymus in Anspruch nimmt. Der Vergleich zwischen dem westlichen Europa und Byzanz lässt jenseits des gemeinsamen theologischen Erbes einige spürbare Unterschiede deutlich werden, die mit der kulturellen Bedeutung und zentralen Stellung der Theotokos zusammenhängen – einer Bedeutung, die sich auch in der jüdischen Reaktion auf die christliche Schriftauslegung widerspiegelt. In der gesamten Epoche werden die Frauenbilder auf visueller wie auch auf verbaler Ebene bestimmten Funktionen und Umständen angepasst, wobei die jeweiligen Entwicklungen im griechischen Osten und im lateinischen Westen je unterschiedlich verlaufen und der Koran aufgrund der islamischen Rezeption der
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Bibel sowie der biblischen Exegese eine wieder andere Sicht der biblischen Frauenfiguren bietet. Als sehr erhellend erweist sich auch die Auseinandersetzung mit den bildenden Künsten: So lässt sich ein Bezug zwischen der Darstellung apokrypher Episoden insbesondere aus dem Marienleben und der Herangehensweise Hrotsvits herstellen, die sich in dem Teil ihrer Schriften, in denen biblische Personen die Hauptrolle spielen, bewusst auf apokryphe Texte stützt. Hrotsvit, Kassia und Dhuoda repräsentieren drei unterschiedliche Arten, mit der Bibel und ihren Handlungsfiguren umzugehen ‒ das wird deutlich, wenn man versucht, sie miteinander zu vergleichen. Noch wichtiger aber scheinen uns die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu sein: eine große Zielstrebigkeit und ein direkter Zugang zur Schrift, die nicht nur als Quelle für moralische Lehren, sondern auch (und vor allem, möchte man sagen) als Ansporn und Inspiration für das eigene literarische Schaffen dient. Es war nicht ganz einfach, eine solche Vielfalt von Aspekten in einem einzigen Buch zu vereinen, und wir danken Adriana Valerio, die uns die Herausgabe zugetraut und gemeinsam mit Irmtraud Fischer bei der Lösung verschiedener praktischer Probleme geholfen hat. Unser Dank gilt in erster Linie aber den Beitragenden für die Texte, die sie uns geliefert, und für die Geduld, mit der sie auf die Veröffentlichung gewartet haben. Wir danken Lavinia Ceccarelli (die auch für die Endredaktion des Bandes verantwortlich war), Francesco Marzella und Chiara Staiti, die die Komplexität und den Nuancenreichtum der von ihnen übersetzten Texte gekonnt wiedergegeben haben. Kari Elisabeth Børresen, die für uns in der Anfangsphase der Organisation eine geschätzte Ansprechpartnerin war, sei der Band gewidmet: Unsere Widmung möchte eine Dankesschuld abtragen, die, weit über das Gelegentliche und Zufällige hinaus, ihren Beitrag als Forscherin und ihre intellektuelle Großzügigkeit betrifft. Nach der Publikation dieses Bandes in Italienisch haben wir die traurige Nachricht von ihrem Tod erhalten. Sie war unsere inspirierende Lehrerin und Leiterin in der Erforschung der Beziehung von mittelalterlichen Frauen zur Bibel. Unsere ersten Begegnungen mit dieser überaus vitalen und dominierenden Persönlichkeit liegen mehrere Jahrzehnte zurück. Wir beide erinnern uns an die hartnäckige Forderung nach unserer Zusammenarbeit in ihren ambitionierten Projekten; diese kamen pünktlich mit Telefonanrufen, knapp nach acht Uhr morgens, wenn Kari annahm, dass wir schon an der Arbeit wären. Seit den Siebzigerjahren war sie unaufhaltsam damit beschäftigt, die Beziehung von Frauen christlichen Glaubens von apostolischer Zeit bis ins späte 12. Jh. so gut wie möglich zu erhellen. Ihr eigenes wissenschaftliches Werk verkörpert dieses breite Interesse etwa in den Studien zu Christina von Schweden und in ihrer scharfen und schlagkräftigen Kritik des Patriarchats, womit sie für alle einen sehr hohen Maßstab setzte. Dank ihres aktiven Engagements in der European Science Foundation haben wir beide von einer Rei-
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Franca Ela Consolino – Judith Herrin
he von Tagungen an interessanten Orten (Innsbruck, Göttingen, Straßburg, Oslo, Rom) profitiert, an denen sich eine erstaunliche Breite von WissenschafterInnen versammelte, um spezielle Aspekte weiblichen Engagements in den Religionen zu diskutieren. Viele dieser Debatten, an denen wir teilnahmen, haben unsere Arbeit beeinflusst, und der hier präsentierte Band ist sicher eine Frucht davon, die ohne sie nicht hätte verwirklicht werden können. Nun, da die deutsche Version des Bandes in Druck geht, ist es uns ein Bedürfnis, diese herzliche Würdigung einer führenden feministischen Gelehrten einzufügen, deren brillante Forschung, Enthusiasmus und Zuneigung uns so tief beeinflusst und inspiriert hat. Wir danken Kari insbesondere für das Öffnen neuer Sichtweisen und Perspektiven, die wir bis dato nicht überlegt hatten und die entscheidend waren für den in Gang gebrachten, kontinuierlichen Austausch wissenschaftlicher Arbeit. All das hat uns immens bereichert, hat uns zu einem gemeinsamen Zugang geführt und uns nicht zuletzt die seltene Freude beschert, dass eine wissenschaftliche Zusammenarbeit in eine Freundschaft gemündet ist. Jede Entscheidung lässt, da sie bestimmte Aspekte einbezieht, andere unweigerlich oder gezwungenermaßen außen vor. Diesem Gesetz kann sich auch unser Band nicht entziehen, und wir sind uns dessen bewusst. Wir hoffen jedoch, dass die Vielfalt der Beiträge und die Unterschiedlichkeit der Themen, Bereiche, Sprachen und Kulturen zumindest eines gezeigt haben: dass die Welt des Frühmittelalters weitaus reicher und problematischer war, als es auf den ersten Blick scheint, und dass sich die Begegnung und zuweilen auch der Zusammenstoß zwischen den Ideen und Wirklichkeiten, die die Entwicklung der nachfolgenden Kulturen beeinflusst haben, aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten lässt. LʼAquila/London, Dezember 2014
„Das Haupt der Frau ist der Mann“ Kyriarchat und die Rhetorik weiblicher Unterordnung in der byzantinischen Literatur Stavroula Constantinou Universität Zypern
Immer wieder unterstreicht Elisabeth Schüssler Fiorenza in ihren wegweisenden Arbeiten den großen Einfluss, den biblische Texte in verschiedenen historischen Epochen auf Genderbegriffe und andere Ideologien, auf die Mentalitäten und auf die Werte westlicher Gesellschaften ausgeübt haben.1 Auch für Byzanz, das nicht nur zutiefst christlich, sondern auch der Inbegriff einer theokratischen Herrschaft war, trifft Schüssler Fiorenzas Hinweis in vollem Umfang zu. Der byzantinische Kaiser galt als Gottes Stellvertreter auf Erden. Wie Gott als Kyrios im Himmel herrschte, so regierte der Kaiser als Kyrios auf Erden und führte die göttlichen Gebote aus.2 Während der biblische Gott über die Oikoumene herrschte und der Kaiser als Sein Abbild das byzantinische Reich regierte, unterstand der Oikos, der Haushalt, als Zentrum des byzantinischen Alltagslebens dem Paterfamilias, der wiederum dem Vorbild seines kaiserlichen Herrn nachempfunden war.3 Mit anderen Worten, das 1 2
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Vgl. z. B. Elisabeth Schüssler Fiorenza, But She Said: Feminist Practices of Bib lical Interpretation (Boston: Beacon Press, 1992), 47; und dies., The Power of the Word: Scripture and the Rhetoric of Empire (Minneapolis: Fortress Press, 2007). Zu den biblischen Einflüssen auf die imperialen und politischen Ideologien in Byzanz vgl. Gilbert Dagron, Emperor and Priest: The Imperial Office in Byzantium (Cambridge: Cambridge University Press, 2003); zum Gebrauch der Bibel im späten 11. und 12. Jh. vgl. Margaret E. Mullett, „Food for the Spirit and a Light for the Road: Reading the Bible in the Life of Cyril Phileotes by Nicholas Kataskepenos“, in Literacy, Education, and Manuscript Transmission in Byzantium and Beyond (hg. v. Judith Waring und Catherine Holmes; The Medieval Mediterranean 42; Leiden: Brill, 2002), 139–164 (Nachdruck in Dies., Letters, Literacy and Literature in Byzantium [CStS 889; Aldershot: Ashgate Variorum, 2007], Kap. VII). Zum byzantinischen Oikos vgl. Paul Magdalino, „The Byzantine Aristocratic Oikos“, in The Byzantine Aristocracy, IX to XIII Centuries (hg. v. Michael Angold; BAR.I 221; Oxford: BAR, 1984), 92–111 (Nachdruck in Ders., Tradition and Transformation in Medieval Byzantium [CStS 343; Aldershot: Variorum, 1991], Kap. II); ebenso Leonora Neville, Authority in Byzantine Provincial Society, 950–1100 (Cambridge: Cambridge University Press, 2004), 66–77. Zur dominanten Rolle des Vaters in der byzantinischen Familie vgl. Judith Herrin, „Toleration and Repression within the Byzantine Family: Gender Problems“, in Toleration and Repression in the Middle Ages: In Memory of Lenos Mavrommatis (hg. v. Katerina Nikolaou; Instituto
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Kyriarchat, „das auf der Macht des Kyrios – des Herrn, Sklavenhalters, Familienvaters und Ehemannes – beruhende gesellschaftspolitische System der Herrschaft und Unterordnung“, das Schüssler Fiorenza in der Bibel und den von dieser beeinflussten Gesellschaften entdeckt,4 könnte auch herangezogen werden, um die von Männern dominierten Strukturen der byzantinischen Gesellschaft zu beschreiben. Im vorliegenden Beitrag soll untersucht werden, wie byzantinische Schriftsteller die biblische Ideologie – und insbesondere das berühmte Pauluswort vom Mann als dem „Haupt der Frau“ (1 Kor 11,3) – einsetzen, um ihre kyriarchalen, in hohem Maße auf Genderungleichheiten aufruhenden Gesellschafsstrukturen zu legitimieren, zu untermauern und zu festigen.5 Mithilfe biblischer Texte entfaltet eine Anzahl byzantinischer Autoren eine wirkmächtige Rhetorik, mit der es ihnen gelingt, die Position der Frauen überzeugend darzustellen und gleichzeitig zu beeinflussen. Ihr Zweck ist dabei ein doppelter: Zum einen wollen sie die Frauen dazu bringen, ihre Unterordnung unter die Männer als gottgewolltes Schicksal zu akzeptieren, damit sie nicht etwa auf die Idee verfallen, eine wie auch immer geartete Autorität zu beanspruchen; und zum anderen wollen sie die Männer an ihre Verantwortung erinnern, die Frauen in die Schranken zu weisen. Um dieses zweifache Ziel zu erreichen, bauen sie Frauen, die ihren niederen Rang anerkennen, Willen und Willkür ihrer Herren akzeptieren und so die paulinische Lehre in die Tat umsetzen, zu Rollenvorbildern auf, während sie Frauen, die ein entgegengesetztes Verhalten an den Tag legen, als Hexen darstellen. Ferner üben sie harsche Kritik an allen Männern, die es ihren Frauen erlauben, die ihnen auferlegten Gendergrenzen zu überschreiten. Die Männer beispielhafter Frauen hingegen werden gelobt. Die im vorliegenden Beitrag verwendeten Texte datieren aus dem 6. bis 11. Jh. und gehören verschiedenen Gattungen an: der Hagiographie (Heiligenviten, erbauliche Geschichten), der Enkomiastik (Begräbnisreden) und der Geschichtsschreibung (Kaiservita). Die folgende Analyse will die Genderethik der untersuchten Texte herausarbeiten und zeigen, wie literarische Texte – in diesem Fall aus der früh- und mittelbyzantinischen Literatur – als wirkungsvolles Werkzeug benutzt werden konnten, um den kyriarchalen Byzantinōn Ereunōn / Diethnē symposia 10; Athen: Ethniko Idryma Ereunōn, 2002), 173–188. 4 Elisabeth Schüssler Fiorenza, „Yeast of Wisdom or Stone of Truth: Scripture as a Site of Struggle“ in Los caminos inexhauribles de la Palabra: Homenaje a J. Severino Croatto en sus 70 años de vida (hg. v. Guillermo Hansen; Buenos Aires: Lumen, 2000), 67–89; 70, Anm. 10. 5 Andere soziale Ungleichheiten waren durch Faktoren wie Alter, Gesundheit, Geschlecht und sexuelle Orientierung, Ethnizität, Religion und Klasse bedingt. Vgl. z. B. Dion C. Smythe (Hg.), Strangers to Themselves: The Byzantine Outsider: Papers from the Thirty-second Spring Symposium of Byzantine Studies, University of Sussex, Brighton, March 1998 (SPBSP 8; Aldershot: Ashgate Variorum, 2000).
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Strukturen und Zwecken einer bestehenden Gesellschaft perfekte Dienste zu leisten.
1.
Gute Frauen
1.1
Die Vita der Theodora von Thessaloniki: Alles entscheidet der Ehemann
Im Leben der Theodora von Thessaloniki, einem Text, der um das Jahr 894 von einem gewissen Gregor, Priester in Thessaloniki (Griechenland), verfasst worden ist, lesen wir den folgenden Dialog: Sie gebrauchte ihren Verstand, um ihr Leid zu ertragen, und wurde ihrem Mann in seiner Verzagtheit eine Stütze, indem sie sagte: „Wie ich gehört habe, heißt es in der Heiligen Schrift, dass ‚der Mann das Haupt der Frau‘ sei (1 Kor 11,3) und ‚alle Glieder einträchtig füreinander sorgen‘ sollen (1 Kor 12,25), und weiter heißt es: ‚Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich bin nicht auf dich angewiesen. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich‘ (1 Kor 12,21f.). Da ich, zwar der schwächere und geringere Teil, dennoch dieselbe Sorge für dich trage, bitte ich dich daher inständig, mein verehrtestes Haupt, nicht an dem Verlust unserer Kinder zu verzagen, den wir nun erlitten haben […]. Danke vielmehr Gott, Der [uns diese Kinder] gewährt hat, und führe diesen meinen Wunsch aus. Alle Menschen bringen ihre Erstlingsfrüchte Gott dar; lass auch uns die Erstlingsfrucht unserer Kinder darbringen, das Mädchen, das einzige Kind, das uns noch bleibt […]“ Ihr guter Mann antwortete ihr: „Frau, dein Wunsch ist gut und dein Rat vortrefflich. Komm, lass uns deinen guten Plan rasch ausführen. Denn die besten Vorsätze sollte man ohne Zögern ausführen.“ (Leben der Theodora von Thessaloniki, §8)6
Diese Unterhaltung zwischen der Heldin Theodora und ihrem namenlosen Gatten ist das einzige Gespräch, das die Eheleute in der gesamten Erzählung führen. In allen anderen Fällen ist es der allwissende Erzähler, der uns die Gedanken, Taten und das eheliche Leben des Paares schildert. Dass der Hagiograph gerade für diesen Augenblick die Erzähltechnik des Showings, des „Zeigens“, wählt und die Charaktere im Gespräch darstellt, kommt nicht von ungefähr. Wie noch erläutert werden wird, ist dies Teil seines Plans, der 6
Englische Übersetzung in Alice-Mary Talbot, „Life of St. Theodora of Thessalonike“, in Holy Women of Byzantium: Ten Saints’ Lives in English Translation (hg. v. ders.; Byzantine Saints’ Lives in Translation 1; Washington: Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 1996), 159–237; 169f.
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darauf abzielt, die Ansichten seines Publikums im Hinblick auf das Verhalten der Frauen zu beeinflussen: Den Hörerinnen oder Leserinnen der Lebensbeschreibung gibt er ein Vorbild, dem sie nacheifern können,7 und die Männer erfahren, welches Verhalten sie von ihren Frauen erwarten sollen. Der einleitende Satz, mit dem der Erzähler besagte Unterhaltung kommentiert, legt bereits fest, wie Theodoras Äußerungen gelesen und verstanden werden sollen. Unmittelbar bevor er sie selbst zu Wort kommen lässt, lobt der Erzähler die Heldin für ihr kluges Urteil und ihre Weisheit, die untrennbar mit ihrer vorbildlichen ehelichen Tugend verbunden sind. Was Theodora dann gleich im Anschluss sagt, soll das zuvor von ihr gezeichnete Bild als einer vollkommenen Gattin untermauern und ihre Güte auf sehr direkte und überzeugende Weise veranschaulichen. Zudem zielt Theodoras direkte Rede darauf ab, die Eigenschaften einer guten Ehefrau lebendig werden zu lassen: Unterwerfung, Gehorsam, fromme Initiativen und das Mittragen ehelichen Unglücks – Eigenschaften, die in ihrem Fall zum Erwerb der Heiligkeit beitragen. Natürlich werden alle diese Ziele durch die Technik des Showings erreicht, die den Worten der Heldin die Form einer überaus stilisierten und wirkungsvollen Rede verleiht. Theodora beginnt diese Rede mit Zitaten aus einem der einschlägigen Paulusbriefe, aus 1 Kor, in dem der Apostel unter anderem das Verhältnis zwischen Mann und Frau beschreibt. Paulus’ beeindruckende Rhetorik, die wirkungsvoll in Theodoras eigene Rede eingefügt und dort noch weiter ausgeführt wird, vergleicht das Verhältnis zwischen Mann und Frau mit dem zwischen den wichtigeren und weniger wichtigen Teilen des Körpers (dem Haupt und dem übrigen Leib oder dem Auge und der Hand). Es sei darauf hingewiesen, dass die Leibmetapher, die Paulus hier verwendet, komplex ist. Alcuin Blamires schreibt hierzu: Aus [den Paulusbriefen] eine hierarchisierte, genderbezogene „Haupt-Leib“-Metapher herauszulesen heißt, einem komplexen System von Analogien-in-Analogien Gewalt anzutun. Christus, der als Haupt der Kirche bezeichnet wird, steht, so die Vorstellung, in einem bräutlichen Verhältnis zur Kirche, die im übertragenen Sinne „sein Leib“ ist und die er durch seine Selbstaufopferung rettet. Männer sind qua Analogie „Häupter“ ihrer Frauen und werden gedrängt, nach dem Beispiel Christi ihre Frauen zu lieben, die wiederum im übertragenen Sinne „ihr Leib“ und „ihr eigen Fleisch“ sind. Gleichzeitig aber werden Ehemänner
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Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der Heiligen wird Theodora nicht als jemand dargestellt, der außerordentliche Taten vollbracht hat. In ihrem Verhalten und Handeln ist sie einer gewöhnlichen Frau näher als einer Heiligen, die eine außergewöhnliche Persönlichkeit ist. Dieses Portrait der Theodora verrät, dass der Hagiograph versucht hat, eine Heilige zu schaffen, mit der sich die Frauen seiner Zeit identifizieren konnten.
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und Ehefrauen in das „Wir“ derer miteingeschlossen, die allesamt „Glieder“ des „Leibes“ Christi/der Kirche sind.8
Ungeachtet ihrer Komplexität nutzen die Kirchenväter und spätere byzantinische Autoren9 wie die hier vorgestellten die paulinische Metapher, die eine Hierarchie und doch auch eine Gleichstellung der Geschlechter zu suggerieren scheint, weniger um für die Gleichheit, als vielmehr um für die Ungleichheit zu argumentieren. In Theodoras Fall allerdings geht die Vorstellung von der Unterlegenheit der Frauen mit einer christlichen Weisheit einher, die von der Heldin verkörpert wird, ihrem Ehemann hingegen fehlt. Obwohl Theodora sogar explizit auf ihre weibliche Schwäche hinweist, erscheint sie angesichts der Tragödie ihrer Familie stärker und weiser als ihr Ehemann. Sie ist diejenige, die einerseits den Kummer über den Verlust ihrer beiden kleineren Kinder mithilfe des Glaubens zu unterdrücken vermag und andererseits auf den gottgefälligen Gedanken kommt, die älteste Tochter Gott zu weihen. Doch Theodoras spirituelle Überlegenheit verleiht ihr keine Autonomie; ihr Ehemann ist derjenige, der als „ihr Haupt“ die Entscheidungen trifft und ihre Vorschläge, die er für „vortrefflich“ hält, in die Tat umsetzt. Dieser Mann wird seinerseits vom Erzähler als „guter“ Mann beschrieben, weil ihm die Tugendhaftigkeit seiner Frau bewusst ist und er die Richtigkeit ihres Urteils und Ratschlags erkennt. Theodora – und das ist bemerkenswert – ergreift erst dann das Wort und die Initiative, als er ihren Trost braucht: Sie spricht mit ihrem Mann, um ihn zu beeinflussen, damit er gottgewollte Entscheidungen trifft, die sich letztlich positiv auf seine spirituelle Entwicklung auswirken werden. Damit setzt sie eine andere Weisung des Apostels Paulus in die Tat um: „Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann“ (1 Kor 11,9). Auch wenn diese Stelle in Theodoras Lebensbeschreibung nicht ausdrücklich zitiert wird, bildet sie doch den Subtext ihres Verhaltens und der Art, wie sie mit ihrem Mann umgeht: Sie ist seine Dienerin und Gehilfin und kümmert sich um all seine Belange. Ehe sie jedoch die Rolle der Lehrerin übernimmt und ihren Mann in Fragen der Gottgefälligkeit unterweist, versäumt es Theodora nicht, wie schon erwähnt, ihre weibliche Unterlegenheit herauszustellen. Gerade das macht sie so klug und lobenswert. Der Hagiograph würdigt Theodoras weibliches Rollenverhalten und hebt ebendieses Verhalten durch die Technik des „Zeigens“ erzählerisch hervor. Auf diese 8 Alcuin Blamires, „Paradox in the Medieval Gender Doctrine of Head and Body“, in Medieval Theology and the Natural Body (hg. v. Peter Biller und Alastair J. Minnis; YSMT 1; Woodbridge: York Medieval Press, 1997), 13–29; 14. 9 Zu den Kirchenvätern vgl. Elizabeth A. Clark, „Devil’s Gateway and Bride of Christ: Women in the Early Christian World“, in Dies., Ascetic Piety and Women’s Faith: Essays on Late Ancient Christianity (SWR 20; Lewiston: Mellen, 1986), 23– 60.
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Weise ermutigt er seine Zuhörerinnen, sich mit seiner Heldin zu identifizieren und dasselbe Verhalten an den Tag zu legen. Wenn sie ihrem Beispiel folgen, werden sie nicht nur in den Augen der Männer, sondern auch vor Gott vollkommen sein. Analog werden die verheirateten männlichen Hörer der Lebensbeschreibung aufgefordert, dem Beispiel von Theodoras „gutem“ Ehemann zu folgen und jeden frommen Rat oder Vorschlag ihrer Frauen in die Tat umzusetzen. Es scheint, als habe die Darstellung einer Frau (nämlich der heiligen Protagonistin selbst), die das Verhältnis zwischen den Geschlechtern mit Pauluszitaten kommentiert und so die benachteiligte Position der Frau aufzeigt und legitimiert, nicht nur den kyriarchalen Zwecken Gregors und seiner Zeitgenossen in der Gesellschaft des 9. und 10. Jh. gedient. Auch bei den Hagiographen anderer Epochen ist es ein weit verbreitetes Motiv, Paulus nicht von männlichen, sondern von weiblichen Charakteren zitieren zu lassen. Unter allen literarischen Erzeugnissen, die in Byzanz kursierten, erfreuten sich die verschiedenen hagiographischen Gattungen größter Beliebtheit und erwiesen sich daher als überaus geeignet, die kyriarchalen Ideologien ihrer Verfasser und der jeweiligen Gesellschaft zu transportieren. Dementsprechend häufig werden hagiographischen Heroinen, die die Rolle der Ehefrau spielen, Pauluszitate oder -paraphrasen in den Mund gelegt, die deutlich an Theodoras Bezugnahme auf den Apostel erinnern. Genau wie Theodoras Rede leitet auch ihre Worte ein Erzählerlob ein. Und wie Theodora verweisen diese Heldinnen offenbar vor allem dann auf Paulus’ Geschlechterkonzepte, wenn sie sich in einer schwierigen Situation befinden und bestimmte Entscheidungen und Handlungen erforderlich sind.
1.2
Die zu allem bereite namenlose Ehefrau aus der Geistlichen Wiese des Johannes Moschos
Ein ähnliches Beispiel aus einer anderen hagiographischen Gattung als der Heiligenvita ist die namenlose Heldin einer erbaulichen Erzählung aus der Geistlichen Wiese (7. Jh.) des Johannes Moschos (ca. 550–619). In dieser Geschichte besucht eine wunderschöne Frau ihren Mann, der wegen seiner Schulden im Gefängnis sitzt. Dabei fällt sie einem Potentaten auf, der sie bedrängt, mit ihm zu schlafen; im Gegenzug wolle er ihr das Geld geben, das sie benötige, um ihren Mann loszukaufen. Da „sagte sie, die sehr schön war und ein sehr reines Herz hatte, zu ihm: ‚Mein Herr, ich habe gehört, dass der Apostel sagt, nicht die Frau verfüge über ihren Leib, sondern ihr Mann (1 Kor 7,4). Ich will gehen und meinen Mann fragen, Herr, und dann
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werde ich tun, was er befiehlt‘.“10 „Tief aufseufzend und unter Tränen“11 weist der Ehemann das Angebot zurück. Beeindruckt von der Weigerung des Ehepaars, ein Angebot anzunehmen, das ihrem Unglück ein Ende bereiten würde, erzählt ein anderer Häftling, ein Räuber und Mörder, dessen Hinrichtung bevorsteht, den beiden, wo das Geld versteckt ist, das er gestohlen hat, und bittet sie, es an sich zu nehmen. Gleich nach der Hinrichtung des Häftlings schafft die Heldin das Geld herbei; zuvor aber fragt sie ihren Mann um Erlaubnis. Sie sagt zu ihm: „Ist es euer Wunsch, Herr, dass ich zu dem Ort gehe, den der Räuber uns verraten hat, und nachsehe, ob er die Wahrheit gesprochen hat?“12 Schließlich bezahlt sie die Schulden ihres Mannes, der daraufhin aus dem Gefängnis freikommt (Kap. 189). Man könnte diese kurze Geschichte als literarische Abhandlung über das Idealbild einer Ehefrau lesen, denn der vorbildliche Charakter und das beispielhafte Verhalten der Protagonistin sind, wie die folgende Analyse zeigen wird, die zentralen Themen der Erzählung und die Kernaussagen, um die herum sich der Plot entfaltet. Die namenlose Heldin, mit der sich möglichst jede Frau identifizieren soll, vereinigt in sich alle weiblichen Eigenschaften, die unter dem Einfluss der paulinischen Lehren von den Kirchenvätern und den späteren byzantinischen Autoren gepriesen werden. Wie Theodora ist auch diese Heldin bescheiden, fromm, treu, unterwürfig und sich ihres niederen Ranges bewusst. Ihr Augenmerk gilt vom Anfang der Geschichte bis zu ihrem Ende allein ihrem Mann, dessen Dienerin und Gehilfin sie wird. Einzig auf das Wohl ihres Mannes bedacht, ist sie bereit, alles für ihn zu tun und sogar mit einem Mann zu schlafen, den sie nie zuvor gesehen hat, wenn ihr dies nur die Mittel verschafft, seine große Sehnsucht nach Freiheit zu stillen. Ihre körperliche Schönheit, die der Erzähler besonders betont, spiegelt die Schönheit ihres Herzens und Charakters, die aus ihren oben aufgelisteten Vorzügen resultiert. Diese Vorzüge machen sie aus: nicht als unabhängiges Individuum, sondern als Ehefrau. Die Rede der Heldin, die ihre weiblichen Tugenden noch deutlicher zutage treten lässt, ist weniger stark stilisiert als die Worte der Theodora. Dies mag damit zusammenhängen, dass Moschos, anders als Theodoras Hagiograph, seinen Hörern das Portrait einer Frau vor Augen führen will, die kein rhetorisches Geschick und daher auch nicht die Möglichkeit besitzt, die Entscheidungen ihres Ehemannes durch ihre Beredsamkeit zu beeinflussen. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass seine Heldin im Vergleich zu Theodora sehr wenig sagt. Obwohl sie die Protagonistin ist, ergreift sie in der gesamten Erzählung nur zweimal das Wort, und ihre (oben bereits zitierten) Reden beschränken sich auf wenige kurze Sätze. Dennoch dienen die Worte der ano nymen Heldin demselben Zweck wie die der Theodora: eine Frau zu zeigen, 10 Übersetzung aus Wortley 162. 11 Ebd. 12 Ebd., 163.
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die die Ideale einer kyriarchalen Gesellschaft verkörpert und gerade dadurch die Hörer des Texts beeinflussen wird. Zum ersten Mal erhebt die namenlose Frau in der Erzählung ihre Stimme, als der Potentat sie fragt, ob sie mit ihm schlafen werde, wenn er die Schulden ihres Ehemannes begleicht. In ihrer Antwort nennt sie den Mann zunächst „mein Herr“, eine formelle Anrede, wie sie für Frauen und Angehörige einer niedrigeren sozialen Schicht angemessen war, wenn sie mit einem wohlhabenden und mächtigen Mann sprachen. Diese Form der Anrede offenbart natürlich noch einen weiteren Aspekt der kyriarchalen Ideologie, die dem Text zugrundeliegt: dass man es von den sozial niedriger Gestellten erwartete, Distanz zu den Privilegierten zu wahren, die als Herren behandelt wurden. Dann beantwortet die Heldin die Frage des Machthabers mit einem Pauluszitat (1 Kor 7,4). Anders als Theodora und andere hagiographische Heldinnen beruft sie sich nicht auf die „Haupt-Leib“-Metapher. Dennoch zeigt ihr ganzes Verhalten, dass sie diese völlig verinnerlicht hat. Das zweite Mal lässt der Erzähler seine Heldin sprechen, als sie herausfinden will, ob der Räuber in der Sache mit dem versteckten Geld die Wahrheit gesagt hat. Diese Rede ist noch kürzer als die erste. Wie in ihrer kurzen Unterhaltung mit dem Potentaten verwendet sie das formelle „Herr“ und wahrt damit die Distanz zwischen Ehefrau und Ehemann, die von den Zeitgenossen des Autors erwartet wurde. Dieses Mal jedoch verweist sie nicht auf eine biblische Autorität wie Paulus. Erneut legt der Autor ihr sehr sorgfältig gewählte und formulierte Worte in den Mund, um das Portrait einer gehorsamen Frau zu zeichnen, deren Wille einzig und allein darin besteht, den Willen ihres Mannes zu tun. Statt einer Aussage, die ihre persönliche Meinung verraten würde, stellt sie eine Frage, mit der sie ihren Mann und Herrn zu einer Antwort einlädt. Sie fragt ihn, ob er will, dass sie geht und nachsieht, „ob der Räuber die Wahrheit gesagt hat“. Hinter dieser Frage steckt mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, was die Heldin eigentlich fragen will: ob sie das Geld des Räubers, wenn es denn existiert, an sich nehmen und für die Befreiung ihres Mannes einsetzen darf. Dass sie diese Frage nicht direkt stellt, hängt meines Erachtens damit zusammen, dass der Verfasser sie als eine Frau konstruiert, die nicht selbständig denkt, denn die Frage, die er ihr in den Mund legt, passt in ihrer Art zu einer Frau, die ihren Ehemann als ihr Haupt betrachtet. Auch in narrativer Hinsicht sind die vorbildlichen Eigenschaften und das beispielhafte Verhalten der Frau von Bedeutung, denn sie bestimmen das Auftreten und Handeln der drei männlichen Akteure, durch das die Erzählung voranschreitet, ihren Höhepunkt erreicht und schließlich ihr natürliches Ende findet. Zunächst wird die Heldin zur Leidensgefährtin ihres Ehemannes: Sie sorgt für sein tägliches Brot; ihre häufigen Besuche und die gemeinsamen Mahlzeiten im Gefängnis sollen ihrem Mann all die emotionale Unterstützung bieten, die er braucht, um sein armseliges Leben fortzuführen. Durch
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ihre Anwesenheit im Gefängnis und ihre mustergültige Einstellung tröstet sie nicht nur ihren Mann, dessen Liebe zu seiner Frau noch zunimmt, sondern zieht auch die Aufmerksamkeit zweier anderer Männer auf sich: des Potentaten und des Häftlings, deren Taten letztlich dazu führen, dass die Probleme des Ehepaares sich lösen und die Erzählung ein Ende findet. Der Lösungsvorschlag des Potentaten bringt die Erzählung zunächst in Gang. Sein unmoralisches, jedoch verführerisches Angebot erzeugt eine Spannung, durch die der Plot seinen Höhepunkt erreicht. Die Weigerung des Ehemanns, das Angebot des Potentaten anzunehmen, und die Tugendhaftigkeit seiner Frau erfüllen einen doppelten erzählerischen Zweck: Sie bauen die Spannung ab und rufen den Häftling auf den Plan. Er schlägt eine Lösung vor, die der Ehemann akzeptieren kann, und wird so zum Retter des Paares. Dieses moralische Angebot des Häftlings ermöglicht das Ende der Geschichte. Die drei Männer – der Ehemann, der Potentat und der Häftling – sind offenbar in ein Gewebe aus Beziehungen und Handlungen eingebunden, das die Heldin geknüpft hat. Der Potentat macht der Heldin ein Angebot, über das sie als unterwürfige Ehefrau ihren Mann entscheiden lässt. Die Liebe zu ihr, die ein Ergebnis ihres vorbildlichen Charakters ist, hindert ihn daran, die einzige Chance auf Freiheit zu ergreifen, die sich ihm bietet. Sein Verhalten entspricht dem deuteropaulinischen Gebot, wonach die Männer verpflichtet sind, „ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib“ (Eph 5,28).13 Aus diesem Grund lobt ihn der Erzähler und nennt ihn einen „weisen Mann“. Der Häftling wiederum, der sowohl die Frau als auch den Mann für ihre Reaktion auf das Angebot des Potentaten bewundert, entscheidet sich, ihnen auf eine Weise zu helfen, die die beiden nicht kompromittiert. Sein Angebot ähnelt einem Bußakt, mit dem er hofft, Gottes Vergebung für seine Sünden zu erlangen. Letztlich trägt also die Heldin dadurch, dass sie eine vorbildliche Ehefrau ist, dazu bei, sowohl die Lage ihres Mannes als auch die des Häftlings zu verbessern. Erstens werden beide bessere Menschen. Obwohl er sich heftig nach Freiheit sehnt, gibt der Ehemann der Versuchung nicht nach und hält seine Frau davon ab, ihm zuliebe Ehebruch zu begehen. Der Häftling seinerseits erkennt seine Sünden und bereut. Zweitens kommt der Ehemann durch das Eingreifen des Häftlings aus dem Gefängnis frei, während der Häftling von seinen Sünden befreit wird, weil er sich von der Tugendhaftigkeit der beiden Eheleute zu einer guten Tat hat inspirieren lassen. Die Geschichte von der guten Frau ist auch für andere Männer erbaulich, die sich mit den Handlungsträgern identifizieren. Wie Moschos selbst uns mitteilt, hat er die Geschichte von einem gewissen Eusebios gehört, einem Priester, der in derselben Stadt lebte wie das Ehepaar und der jedem Mann, dem er begegnete, von den beiden erzählte. Moschos seinerseits hat die Ge13 Anders als die modernen Bibelwissenschaftler hielten die byzantinischen Autoren die deuteropaulinischen Briefe für echte Schriften des Apostels Paulus.
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schichte zum Nutzen seines Freundes und Widmungsträgers Sophronios und seiner gegenwärtigen und zukünftigen Leser und Hörer in seine Geistliche Wiese aufgenommen. Mit anderen Worten: Es sind Männer, die diese Geschichte durch ihre Taten voranbringen; es sind Männer, die diese Geschichte weitererzählen; und es sind Männer, die durch diese Geschichte erbaut werden sollen. Wie die vorangegangene Analyse gezeigt hat, ließe sich die Geschichte von der guten Frau als die kyriarchale Erzählung schlechthin beschreiben. Nicht nur, dass es sich um eine Geschichte handelt, die ursprünglich unter Männern – nämlich in gewissen Kreisen des östlichen Mönchtums – kursierte, von Männern mündlich tradiert und schließlich von einem Mann für einen anderen niedergeschrieben wurde, um den Bedürfnissen einer männlichen Spiritualität Genüge zu tun, nein: Diese Geschichte ist durch und durch kyriarchal. Kyriarchale Ideologien untermauern ihre gesamte Architektur und sind auf jeder – der stilistischen, thematischen, strukturellen und der erzählerischen – Ebene zu finden. Mit anderen Worten, die Geschichte führt ihre Hörer in eine Welt ein, in der nur Männer Entscheidungen treffen und in der nur Männer handeln. Die einzige weibliche Gestalt, die in der Erzählung auftritt und sich den kyriarchalen Vorstellungen von weiblichen Werten völlig unterwirft, fungiert als ein Werkzeug, das männlichen Zielen und Interessen dient.
1.3
Die Grabrede des Michael Psellos für seine untertänige Mutter Theodota
Frauen sind „gut zu denken“14 – das gilt nicht nur für Hagiographen, sondern auch für Autoren, die sich in anderen Gattungen wie etwa der Enkomiastik bewegen. Hier wäre Michael Psellos’ (1017/18–1096) Begräbnisrede für seine Mutter Theodota zu erwähnen, die der berühmte byzantinische Schriftsteller um 1054 verfasste und die mehr über ihn selbst als über das eigentliche Thema seines Logos verrät. Wie in der früheren Forschung bereits angedeutet, verfolgt Psellos mit diesem Enkomion für seine Mutter eine Reihe persönlicher Ziele. Erstens will Psellos mittels seiner Mutter ein Bild von sich selbst zeichnen, das heißt, seine eigene Autobiographie verfassen.15 Zweitens ist das frag14 Claude Lévi-Strauss, Das Ende des Totemismus (Edition Suhrkamp 128; Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1965), 116. Peter Brown verwendet diesen berühmten Aphorismus des französischen Anthropologen, um zu beschreiben, wie die Männer der Spätantike Frauen gebrauchten, „um ihre eigene nagende Besorgnis wegen der Haltung, die die Kirche der Welt gegenüber einnehmen sollte, in Worte zu fassen“, Peter Brown, Die Keuschheit der Engel: Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit am Anfang des Christentums (München: Hanser, 1991), 168. 15 Michael Angold, „The Autobiographical Impulse in Byzantium“, DOP 52 (1998): 225–257.
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liche Enkomion ein „politisches Dokument“, nämlich eine Reaktion auf die Haltung, die Kaiser Konstantin IX. Monomachos Psellos gegenüber an den Tag legt. Drittens will Psellos mit dem Lob auf seine Mutter, die er als Heilige darstellt, seine eigenen asketischen Ideale anpreisen. Viertens rechtfertigt Psellos durch seine Mutter seine eigenen intellektuellen und philosophischen Motive.16 Und fünftens schließlich dient Theodota ihrem Sohn als Werkzeug für sein Lob der Rhetorik und sein Plädoyer für die rhetorische Kultur.17 Doch obwohl Psellos seine eigentlichen Absichten und Zwecke zu bemänteln sucht, indem er seine Schrift als ein Enkomion auf seine heiligmäßige Mutter ausgibt, versäumt er es doch nicht, ihre Lebensweise zu beschreiben und darzustellen, wie vorbildlich sie ihre verschiedenen Rollen als Tochter, Frau, Gattin und Asketin ausgefüllt hat. Über Theodotas Beziehung zu ihrem Ehemann, dessen Name nicht genannt wird, schreibt Psellos an einer Stelle Folgendes: Meinem Vater war sie nicht nur Gefährtin und Hilfe gemäß göttlichem Ratschluss, sondern auch eine wichtige Vermittlerin und Entdeckerin der edelsten Dinge. (Kap. 9a) […] Da mein Vater ein solcher Mann war, traute sich aufgrund der Ausgeglichenheit seiner Seele jeder, an ihn heranzutreten und ihn anzusprechen, und es gab keinen einzigen Menschen, der dies nicht gewagt hätte. Nur meine Mutter in ihrer feinsinnigen Tugendhaftigkeit verkehrte und sprach mit ihm nicht von gleich zu gleich, sondern so, als wäre sie niedriger gestellt als er. Nur in dieser Hinsicht hielt sie an einer Unstimmigkeit zwischen ihnen beiden fest und redete nicht so mit ihm, wie es seiner Natur entsprach, denn nicht nach seinem Charakter, sondern nach dem alten Gebot wollte sie sich richten. (Kap. 9d)18
Im Gegensatz zu den bisher untersuchten hagiographischen Texten greift Psellos nicht auf die Technik des „Zeigens“ zurück, um das Verhalten seiner Mutter in ihrer Rolle als Ehefrau anschaulicher darzustellen. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass diese spezielle Erzähltechnik nicht zu den Gattungsmerkmalen der von ihm gewählten literarischen Form gehört. Ein weiterer Unterschied zwischen Psellos und den anderen untersuchten Autoren besteht darin, dass er keine Pauluszitate anführt. Gleichwohl ist seine Darstellung der Ehefrau Theodota stark von paulinischen Geschlechterkonzepten geprägt, die sich zum Beispiel im ersten und im letzten Satz des oben zitierten Abschnitts nachweisen lassen. Trotz dieser Unterschiede verabsäumt auch Psellos es nicht, seine Hauptperson als die ideale Ehefrau zu portraitie16 Anthony Kaldellis, Hg., Mothers and Sons, Fathers and Daughters: The Byzantine Family of Michael Psellos (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2006), 29–50. 17 Jeffrey Walker, „These Things I Have Not Betrayed: Michael Psellos’ Encomium of His Mother as a Defense of Rhetoric“, Rhetorica: A Journal of the History of Rhetoric 22/1 (2004): 49–101. 18 Übersetzung aus Kaldellis, Mothers and Sons, 67f.
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ren, die ebendeshalb so vorbildlich ist, weil sie die kyriarchalen Genderrollen verinnerlicht hat. Wie die anderen zuvor besprochenen Heldinnen wird auch Theodota mit Erfolg als weibliches Rollenmodell gezeichnet: Sie ist sich gegenüber ihrem Mann ihrer untergeordneten Stellung bewusst und wird seine Dienerin und Gehilfin (vgl. Gen 2,18). Da Psellos’ Absicht ganz wie bei Gregor darin besteht, seine Mutter mit Attributen der Heiligkeit auszustatten, ergänzt er Theodotas Darstellung als der perfekten Ehefrau zudem um ihre Fähigkeit, innerhalb der Beziehung zu ihrem Mann als Mittlerin des Göttlichen zu agieren. Mithilfe einer von der Bibel geprägten Rhetorik und bestimmter Erzähltechniken schlagen die bisher besprochenen Autoren in ihren Darstellungen ehelicher Beziehungen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie vertreten und fördern gleichzeitig kyriarchale und religiöse Werte, obwohl zwischen beiden durchaus Widersprüche bestehen. Will etwa eine Laiin, durch die Hagiographie ermutigt, im religiösen Bereich die Initiative ergreifen, dann muss sie die Grenzen ihres von der kyriarchalen Gesellschaft erwünschten passiven und unterwürfigen Verhaltens überschreiten. Dennoch gelingt es den genannten Autoren, ihrer Hörerschaft keine anti-kyriarchalen Botschaften zu vermitteln: Sie schildern harmonische Ehebeziehungen, in denen der Gatte die religiösen Interessen der Heldin teilt und ihr religiöses Engagement gutheißt. Die dargestellten Heldinnen unterbreiten, wie schon erwähnt, ihren nicht minder frommen Ehemännern gottgefällige Vorschläge, die diese freudig in die Tat umsetzen. Auf diese Weise werden den Hörern religiös aktive Heldinnen vorgeführt, die dennoch nicht gegen die Lehre vom Haupt und vom Leib verstoßen. Natürlich befinden sich unter den laikalen Hörern, die durch diese Texte in ihren kyriarchalen und christlichen Idealen bestärkt werden sollen, auch Frauen, deren eheliche Beziehungen alles andere als harmonisch sind, weil ihre Männer sie grausam behandeln, ein unmoralisches Leben führen und ihre religiösen Ambitionen nicht teilen. Wie kann man solche Frauen dazu bewegen, ihre Ehemänner einerseits als ihr Haupt anzuerkennen, während sie doch andererseits zu religiösen Praktiken ermutigt werden sollen, mit denen ebendiese Männer nicht übereinstimmen? Auf diese Frage geben eine Anzahl Heiligenviten Antwort, in denen Laiinnen die Hauptrolle spielen. Sie erlangen die Krone der Heiligkeit, indem sie zum einen die Autorität ihrer brutalen und gottlosen Ehemänner anerkennen und zum anderen mit Wohltätigkeit, Fasten, unablässigem Gebet, häufigem Kirchbesuch und dergleichen mehr intensive religiöse Aktivitäten entfalten, die allesamt – und das gilt insbesondere für die Wohltätigkeit, die sich ja auf die gemeinsame wirtschaftliche Lage auswirkt – bei den Männern auf heftigen Widerstand stoßen.19 19 Vgl. Stavroula Constantinou, Female Corporeal Performances: Reading the Body in Byzantine Passions and Lives of Holy Women (StBU 9; Uppsala: Uppsala University Library, 2005), 162–192.
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1.4
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Die Vita der Thomais: Die misshandelte Ehefrau erlangt Heiligkeit
Die Hagiographen heiliger Ehefrauen wenden zwei Methoden an, um diesen Widerspruch aufzulösen und den Eindruck zu vermitteln, dass ihre Heldinnen nicht von der Haupt-Leib-Lehre abweichen – obwohl sie tatsächlich genau das tun, da sie sich nicht nach dem Willen ihrer Männer richten, sondern ein autonomes Leben führen. Erstens legen sie ihren Heldinnen, genau wie die bereits besprochenen Autoren, eine von der Rhetorik und Lehre des Paulus geprägte Sprechweise in den Mund. So sagt beispielsweise Maria die Jüngere, die Protagonistin einer der zur Debatte stehenden Lebensbeschreibungen, die das Werk eines anonymen Verfassers aus dem 11. Jh. ist, zu ihrem Mann: „Ich weiß, dass ich nicht die Herrin meines Leibes bin, sondern dass du mein Haupt bist, auch wenn du nicht so denkst“ (Leben der Maria der Jüngeren, §7).20 Zweitens begrüßen die Heldinnen in der Darstellung der Hagiographen die Gewalttätigkeit ihrer Ehemänner, die, mit Schüssler Fiorenza gesprochen, „das Herzstück kyriarchaler Unterdrückung“ darstellt.21 Heilige Frauen werden von ihren Männern, die ihren vorzeitigen und plötzlichen Tod verursachen, gedemütigt und unbarmherzig geschlagen. Thomais beispielsweise, eine andere heilige Frau, deren anonym verfasste Lebensbeschreibung auf die Mitte des 10. Jh. datiert wird, kommt nach der Verrichtung ihrer religiösen Aktivitäten nach Hause, wo ihr Mann sie bereits zornig erwartet. Er wird als „gewalttätiger Tyrann mit wulstigen Brauen“ beschrieben, „der die selige [Thomais] finster ansah, wobei […] die Wildheit seines Blicks und die Grobheit seines Gesichts zutage traten“ (Leben der Thomais, §15).22 Ohne ein Wort zu sagen, greift er zur Gewalt. Seine Schläge fügen der Heldin so große Schmerzen zu, dass sie sich, wie der Hagiograph anmerkt, „nicht in Worte fassen lassen“ (Leben der Thomais, §9).23 Die körperlichen Züchtigungen der heiligen Frauen werden von ihnen selbst und von ihren Männern als natürlich und notwendig angesehen. Da die Frauen ihren Männern nicht gehorchen, haben diese als Männer, deren Autori20 Übersetzung aus Angeliki E. Laiou, „Life of St. Mary the Younger“, in Holy Women of Byzantium: Ten Saints’ Lives in English Translation (hg. v. Alice-Mary Talbot; Byzantine Saints’ Lives in Translation 1; Washington: Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 1996), 239–289; 263. 21 Elisabeth Schüssler Fiorenza, „Einleitung“, Concilium 30/2 (1994) (Themenheft Gewalt gegen Frauen, hg. v. Elisabeth Schüssler Fiorenza und Mary Shawn Copeland): 95–107; 97. 22 Übersetzung aus Paul Halsall, „Life of St. Thomaïs of Lesbos“, in Holy Women of Byzantium: Ten Saints’ Lives in English Translation (hg. v. Alice-Mary Talbot; Byzantine Saints’ Lives in Translation 1; Washington: Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 1996), 291–322; 313. 23 Ebd., 307.
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tät in Frage gestellt worden ist, das absolute Recht und sogar die Pflicht, sie zu bestrafen und auf diese Weise die durch den Ungehorsam der Frauen verletzte Ordnung wiederherzustellen. So betont beispielsweise der Hagiograph der Thomais, wie freudig sie die unerträglichen und demütigenden Schläge ihres Mannes empfängt, die sie ersehnt und begrüßt: „Sie jubelte und freute sich, ‚Jubeln soll meine Seele voller Freude im Herrn [vgl. Lk 1,46], denn mit Erlösung hat er mich bekleidet, mich gewandet mit Freude [vgl. Jes 61,10]‘“(Leben der Thomais, §7).24 Je schmerzhafter die Gewalt des Mannes wird, desto größer wird ihre Freude. Thomais sieht sich als Märtyrerin, die um der Liebe Christi willen durch die Hand eines Tyrannen Leid erfährt. Dadurch, dass sie sich als echte Herren, als Kyriarchen, gerieren, geben also die Ehemänner ihren Frauen die Möglichkeit, heilig zu werden. Die Gewalt ihrer Männer trägt mehr zu ihrer Heiligkeit bei als ihre eigenen frommen Taten. Trotz ihrer kyriarchalen Ausrichtung sagen die paulinischen Lehren nichts über die Gewalt von Männern an ihren Frauen. In der Bibel finden sich jedoch andere Texte wie etwa im ersten Petrusbrief, die Sklaven und Frauen davon abraten, sich gegen das willkürliche und gewalttätige Verhalten ihrer Herren oder Ehemänner zu wehren. Vielmehr sollen sie die an ihnen verübte Gewalt zum einen als Gottes Willen und zum anderen als Folge ihrer eigenen Fehler und ihres niederen Standes betrachten. Sie sollen ihr Leid in der Nachfolge Christi auf sich nehmen. Wer sich auflehnt und seinem Herrn nicht vergibt, kann Christus nicht ähnlich werden (1 Petr 2,18–24; 3,1ff.). Dieses Gedankengut wirkt in den Lebensbeschreibungen frommer Ehefrauen nach. Hier werden den Hörerinnen Frauen als Rollenmodelle vor Augen geführt, die die Gewalttätigkeit ihrer Männer oder Herren begrüßen und stoisch erdulden.
1.5
Das Leben der Maria der Jüngeren: Kyriarchale Ideologie der Sklaverei
Auch die Sklavenideologie aus 1 Petr findet in dieser Literatur ihren Niederschlag, und zwar vor allem im Leben der Maria. Das belegt die Art und Weise, wie Marias Mann eine ihr nahestehende Sklavin behandelt. Nikephoros – so heißt der Gatte – glaubt, seine Frau habe ein Verhältnis mit einem anderen Mann, und droht ihrer Sklavin, sie zu töten, wenn sie den Namen des angeblichen Liebhabers nicht preisgebe. Der folgende Abschnitt beschreibt, wie die Sklavin reagiert und welche Behandlung sie daraufhin erduldet: Sie sagte, „Mein Herr, heute liegen mein Leben und mein Tod in deinen Händen, und ich werde alles erleiden, was du willst. Doch ich weiß nichts Niederträchtiges über meine Herrin und habe solches auch nicht von anderen gehört.“ Da 24 Ebd.
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wurde er zornig; er befahl, die Sklavin auf dem Boden auszustrecken und sie heftig zu schlagen. Als er nicht mehr von ihr erfuhr, obwohl sie reichlich Hiebe erhielt, ließ er sie widerstrebend gehen. (Leben der Maria der Jüngeren, §8)25
Wie Maria und die anderen heiligen Frauen, die Gewalt erleiden, wird auch die Sklavin von ihrem Hagiographen dafür gelobt, dass sie die Rechte ihres Herrn anerkennt und seine unmenschliche Gewalt tapfer erträgt. Die Dienerin folgt dem Beispiel ihrer Herrin, setzt die Mahnungen aus dem ersten Petrusbrief um und erwirbt so ein Attribut der Heiligkeit: die Ausdauer im Leid. Im Großen und Ganzen sollen Laiinnen, die mit gottlosen und grausamen Männern verheiratet sind, aus den Lebensbeschreibungen heiliger Frauen lernen, wie sie Gott dienen können, ohne dadurch die kyriarchalen Strukturen ihrer Gesellschaft zu gefährden. Diese Texte deuten an, dass eheliches Leid eine „natürliche“ und sogar notwendige Gegebenheit ist. Es zu erdulden ist ein persönlicher Sieg, der zu spirituellem Wachstum führt. Die Frau, die sich um Christi willen der Gewalttätigkeit ihres Mannes bereitwillig unterwirft, erwirbt die größte aller weiblichen Tugenden und wird mit Heiligkeit gekrönt.
1.6
Das Leben der Matrona: Die kyriachale Metaphorik vom Haupt und Leib in monastischem Kontext
Die paulinische „Haupt-Leib“-Metapher, die die Beziehung Christi zur Kirche und die Beziehung des Mannes zu seiner Frau beschreibt, findet auch im klösterlichen Kontext Anwendung, wo der Abt oder die Äbtissin als Haupt des monastischen Leibes betrachtet wird: „Die gesamte Kongregation eurer Schwesternschaft gemeinsam mit eurem Oberen in Christus ähnelt einem vollständigen Leib, der besteht und gebildet wird aus einem Haupt und verschiedenen Teilen mit verschiedenen Fähigkeiten und Kräften“ (Typikon der Theodora Synadene für das Mutter-Gottes-Kloster Bebaia Elpis [1327–1335], Kap. VI.48).26 Die Lebensbeschreibungen einer ganzen Anzahl von Klostergründerinnen und Äbtissinnen zeigen, dass das Haupt eines Frauenklosters oft nicht die Äbtissin, sondern eine männliche spirituelle Autorität, etwa ein Bischof, ein Patriarch oder ein einflussreicher Abt gewesen ist. Die Gründungsurkunden von Frauenklöstern, deren Verfasserinnen selbst auf die Schwäche der Frau und auf ihre Unfähigkeit verweisen, eine Führungsrolle
25 Laiou, „Life of St. Mary“, 264. 26 Übersetzung von Alice-Mary Talbot in Byzantine Monastic Foundation Documents: A Complete Translation of the Surviving Founders’ Typika and Testaments (hg. v. John Thomas und Angela Constantinides Hero; 5 Bde; DOS 35; Washington: Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 2000), 4:1512–1578; 1537.
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zu übernehmen,27 belegen, dass die Leitung eines Nonnenkonvents durch einen Mann kein literarischer Topos, sondern eine Realität ist, die sich in der hagiographischen Literatur widerspiegelt. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie die „Haupt-Leib“-Metapher auf die Geschlechterverhältnisse im monastischen Kontext angewandt wurde, liefert uns das Leben der Matrona, ein hagiographischer Text, den sein anonymer Verfasser etwa in der Mitte des 6. Jh. niedergeschrieben hat. Matrona hat im Lauf ihres religiösen Werdegangs verschiedene Etappen durchlaufen: als fromme Ehefrau, die die Gewalttätigkeit ihres Ehegatten um Christi Willen geduldig ertrug; als vermeintlicher Mönch im Kloster des heiligen Abts Bassianos in Konstantinopel; als Nonne in einem Konvent im syrischen Emesa; und als Einsiedlerin an verschiedenen anderen Orten. Jetzt kehrt sie nach Konstantinopel zurück, um sich ihren großen Wunsch zu erfüllen: Sie will in der Nähe ihres früheren Abts und geistlichen Vaters Bassianos leben. Nachdem sie Bassianos’ Erlaubnis und Unterstützung erwirkt hat, gründet sie schließlich in Konstantinopel ein Nonnenkloster. Bis zu seinem Tod fungiert Bassianos als geistlicher Vater der Heldin und als Haupt ihres Frauenklosters, das sogar nach dem Vorbild von Bassianos’ Kloster erbaut worden ist. Mehrfach betont der Erzähler, dass Matrona in allem dem Willen ihres geistlichen Vaters gefolgt sei und „nichts ohne sein Einverständnis unternommen“ habe (Leben der Matrona, §36).28 Sie wird dafür gelobt, dass sie „ein genaues Abbild ihres Lehrers“ und „ein makelloser Spiegel seiner Lebensweise“ geworden ist, „sein Vermächtnis sorgfältig bewahrt und es an die weitergegeben hat, die nach ihr kamen“ (Leben der Matrona, §50).29 Matrona übernimmt sogar die Gürtel und Gewänder, die Bassianos und seine Mönche tragen, als Tracht für sich und ihre Nonnen. Mit anderen Worten, Bassianos wird das Haupt Matronas und ihrer Frauengemeinschaft, und die Architektur seines Klosters, seine Mönchsgewänder, seine Regel und seine Lebensweise werden zum Modell, dem Matronas Kloster und das Leben innerhalb seiner Mauern nachgebildet sind. Matrona, so deutet ihr Hagiograph an, ist ebendeshalb eine so vorbildliche Äbtissin, weil ihr Haupt ein so heiliger Mann wie Bassianos ist, der sie in all ihren heiligmäßigen Taten leitet. 27 Obwohl die Gründungsurkunden von Frauenklöstern, die auf uns gekommen sind, überwiegend aus der spätbyzantinischen Periode stammen, scheinen die in ihnen enthaltenen Informationen über die weiblichen Orden auch für frühere Epochen zu gelten, vgl. Catia Galatariotou, „Byzantine Women’s Monastic Communities: The Evidence of the Typika“, JÖB 38 (1998): 263–290; 290. 28 Übersetzung aus Jeffrey Featherstone und Cyril Mango, „Life of St. Matrona of Perge“, in Holy Women of Byzantium: Ten Saints’ Lives in English Translation (hg. v. Alice-Mary Talbot; Byzantine Saints’ Lives in Translation 1; Washington: Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 1996), 13–64; 51. 29 Ebd., 63.
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Zu einem früheren Zeitpunkt der Erzählung – noch bevor Matrona ihre Karriere als verkleideter Mönch in Bassianos’ Kloster beginnt – wendet Matrona sich im Gebet mit folgenden Worten an Gott: „Denn ohne Deine Herablassung ist es den Menschen unmöglich, irgendetwas Gutes zu tun, und insbesondere den Frauen, die sich aufgrund ihrer Schwäche leicht vom Satan auf Abwege führen lassen“ (Leben der Matrona, §5).30 Diese Worte werden Matrona von ihrem Hagiographen in den Mund gelegt, denn gleich im Anschluss bemerkt der Erzähler: „Wahrscheinlich waren dies die Worte, mit der die edle Matrona zu Gott flehte“ (Leben der Matrona, §5).31 Auch Matrona ist also ohne jeden Zweifel eine jener Heldinnen der byzantinischen Literatur, die von den männlichen Erzählern ihrer Geschichten mit einer kyriarchalen Rhetorik ausgestattet werden, um die Geschlechterkonzeptionen der Zuhörer zu beeinflussen. Matronas Worte enthalten meines Erachtens den Schlüssel zum Verständnis ihres späteren Verhaltens als Äbtissin. Sie hält sich selbst für eine „schwache“ Frau und traut es sich nicht zu, autonom zu handeln und eine so wichtige Position wie die der Äbtissin auszufüllen. Deshalb legt sie die Leitung ihrer Nonnengemeinschaft in Bassianos’ Hände. Damit handelt sie in Übereinstimmung mit der biblischen, patristischen, byzantinischen und de facto kyriarchalen Gendertheorie, der zufolge die Frau von Natur aus schwach, verletzlich und wankelmütig ist und daher der männlichen Kontrolle, Obhut und Leitung bedarf.
2.
Böse Frauen
2.1
Antonina, die notorische Ehebrecherin und Unterdrückerin ihres Mannes
„Dein Vergehen gegen uns, mein Bester, weißt du nur zu gut. Da ich aber deiner Frau zu großem Danke verpflichtet bin, will ich dir all diese Sünden nachsehen und ihr dein Leben schenken. Von ihr hängt die Sicherheit deines Lebens und deines Besitzes ab. Wie du dich künftig zu deiner Gemahlin stellst, das sollen uns deine Taten lehren.“ Als Belisar dies gelesen hatte, war seine Freude grenzenlos; zugleich wollte er dem noch anwesenden Quadratos seine Gesinnung beweisen, und so erhob er sich unverzüglich und warf sich seiner Frau zu Füßen. Mit beiden Armen umschlang er ihre Füße, leckte unablässig ihre Sohlen, nannte sie Urheberin seines Lebens und Glückes und erklärte, künftighin ihr getreuer Sklave und nicht mehr ihr Mann sein zu wollen.32
30 Ebd., 24. 31 Ebd. 32 Prokopios, Geheimgeschichte 4,27–31 (Veh 43–45).
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In dieser komischen Szene aus dem vierten Kapitel von Prokopios’ (500–565) Geheimgeschichte (550) erscheint der betrogene Ehemann Belisar, Kaiser Justinians berühmter und erfolgreicher General, als furchtsamer Schwächling, der seiner sittenlosen Frau die Füße leckt, weil sie ihn vor dem Zorn einer anderen verderbten Frau, der Kaiserin Theodora, geschützt hat. Die Komik der Szene resultiert aus der Verkehrung der eigentlichen Ordnung: Der tapfere und maskuline Militärbefehlshaber ist, so wird es dargestellt, im Privatleben ein unterwürfiger und weibischer Ehemann und legt alle Autorität in die Hände seiner dominanten Frau, die in dieser Beziehung eindeutig die Stärkere ist. Die ersten fünf Kapitel der Geheimgeschichte beschreiben das Verhältnis zwischen Belisar und seiner Gattin und zeigen uns einen Protagonisten, der von seiner deutlich älteren, treulosen und bösartigen Frau völlig versklavt und zugrundegerichtet wird. Deswegen wird er von anderen Personen der Erzählung und vom Erzähler selbst verlacht, der es nicht versäumt, ihn für seine Charakterschwäche und dafür zu kritisieren, dass er sich von seiner Frau tyrannisieren lässt: Auf diese Art wurde sein schwächlicher Charakter damals aller Welt offenkundig. Denn obschon er früher seine eidlichen Zusagen gegenüber Photios und einigen Verwandten gebrochen hatte, hatte er doch im allgemeinen Entschuldigung dafür gefunden. Man führte seine Unzuverlässigkeit nicht auf Weiberherrschaft, sondern auf Furcht vor der Kaiserin zurück. Als er sich aber […] auch nach Theodoras Tode weder um Photios noch um sonst einen Verwandten kümmerte, seine Gemahlin vielmehr offensichtlich die Herrin spielte, […] da verzweifelten alle an ihm, spotteten allgemein seiner und schalten ihn einen Toren. So etwa stellen sich Belisars Schwächen dar […].33
Belisars Beziehung zu seiner Frau ist allerdings das genaue Gegenteil der ehelichen Beziehungen, die wir im ersten Teil dieses Kapitels besprochen haben, und kehrt in der Ehehierarchie, wie sie durch die paulinische „Haupt-Leib“Metapher etabliert worden ist, das Unterste zuoberst. Zwar zitiert Prokopios die Schriften des Apostels nicht und nimmt auch nicht ausdrücklich darauf Bezug, doch seine kyriarchalen Vorstellungen – und wohl auch die seiner Zeitgenossen – vom männlichen und weiblichen Geschlecht und dem Verhältnis zwischen beiden sind ein deutlicher Nachhall der Paulustexte. Die beiden ehelichen Beziehungen, die in der Geheimgeschichte so plastisch dargestellt werden – die zweite, die Prokopios noch detaillierter beschreibt, ist die zwischen Kaiser Justinian und Kaiserin Theodora –, offenbaren die kyriarchalen Geschlechterkonzepte ihres Verfassers, die sich, anders als bei den zuvor untersuchten Autoren, nicht in der Schilderung beispielhafter Paare, sondern in absoluten Negativbeispielen ausdrücken. Wie in der Einleitung bereits angedeutet, werden kyriarchale Gender-Ideologien durch 33 Prokopios, Geheimgeschichte 5,25–27 (Veh 53–55).
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gegenteilige Bilder und absolut negative Beispiele gestützt. Man kann sogar sagen, dass Ideologien ganz allgemein durch Gegenteile gestützt werden. „Eine der grundlegenden ideologischen Maßnahmen“ besteht nach Ansicht des berühmten modernen Ideologietheoretikers Slavoj Žižek darin, „das Reale des Antagonismus“ auf die „komplementäre Polarität von Gegenteilen“ zu reduzieren.34 Genauso, wie der Mann der Frau gegenübergestellt wird – wobei Ersterer das Haupt und Letztere den Leib der paulinischen Metapher repräsentiert –, um die Überlegenheit des Mannes zu untermauern, wird beispielsweise eine gute Frau oder ein gutes Ehepaar einem schlechten gegenübergestellt, damit das Gute und Mustergültige umso deutlicher zutage tritt. Ein (geschlechtsspezifisches) Verhalten, das in der kyriarchalen Gesellschaft als vorbildlich gilt, kann sowohl durch positive als auch durch negative Beispiele veranschaulicht, verstanden und nachgeahmt werden. Deshalb findet sich in der byzantinischen Literatur, die das Produkt einer männlich strukturierten Gesellschaft ist, sowohl die Gestalt der guten Frau – der Heiligen – als auch der bösen Frau oder der Hexe. Antonina und Theodora, die beiden „Anti-Frauen“ der Geheimgeschichte, werden als Hexen dargestellt. In Antoninas Fall wird die Hexerei mit ihrem Verhalten als Ehefrau in Verbindung gebracht, das so absurd, unnatürlich und abscheulich ist, dass es nur eine Erklärung geben kann: Es stecken finstere übernatürliche Kräfte dahinter. Die Protagonistin ist nicht nur eine notorisch ehebrecherische Frau, die sich ihrem Mann nicht unterordnet. Sie wird überhaupt erst um des Ehebruchs willen zur Ehebrecherin: Kaum war sie verheiratet, „ging sie auf Ehebruch aus“,35 als hätte sie nur geheiratet, um den Ruf ihres Mannes zu zerstören, für den sie offenbar weder Liebe noch Zuneigung hegt. Dann macht sie auch noch den geliebten Patensohn ihres Mannes zu ihrem Liebhaber: Theodosios, einen jungen Mann, den Antonina und Belisar wie ihren Sohn behandeln und der bei ihnen im Hause lebt. Als Antoninas Liebhaber genießt Theodosios Privilegien, die ihrem leiblichen Sohn Photios vorenthalten werden, und um seinetwillen lässt die Protagonistin Photios mit Theodoras Hilfe foltern und zugrunde richten. Als Antoninas inzestuöse Beziehung zu Theodosios fortdauert, macht sie sie öffentlich. Ihr sexuelles Verlangen ist so übermächtig, dass sie ihm sogar in Anwesenheit Dritter nachgibt, und ohne Zögern quält sie jeden mit entsetzlicher Folter oder tötet sogar, wer ihrer schamlosen Liebesaffäre im Wege steht. Auch die Tatsache, dass ihr Liebhaber sich ihr nicht zu entziehen vermag, wird auf Antoninas Hexenkünste zurückgeführt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt „regte sich bei Theodosios das böse Gewissen und veranlasste einen Sinneswandel“.36 Er begreift die Ungeheuerlichkeit dieser Beziehung 34 Slavoj Žižek, „Introduction: The Spectre of Ideology“, in Mapping Ideology (hg. v. dems.; London: Verso, 1994), 1–33; 23. 35 Prokopios, Geheimgeschichte 1,13 (Veh 11–13). 36 Prokopios, Geheimgeschichte 1,36 (Veh 17).
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zwischen ihm und seiner Patin und versucht ihr zu entkommen und Mönch zu werden – jedoch ohne Erfolg: So stark ist das Band, mit dem diese Frau ihn an sich bindet, dass er nicht anders kann, als zu ihr zurückzukehren. Antoninas Hexerei ist auch die Ursache dafür, dass ihr gehörnter Ehemann seinen eigenen Augen nicht traut, sondern der lächerlichen Ausrede der Protagonistin Glauben schenkt, als er die beiden Liebenden in flagranti erwischt. Und als Belisar schließlich nicht mehr über ihren Ehebruch hinwegsehen kann, hindert sie ihn mit ihren Zaubersprüchen daran, diesen zu ahnden. Belisar macht nicht nur nicht von seinem Recht als Ehemann Gebrauch, seine ehebrecherische Gattin zu bestrafen, sondern lässt sich von Antonina sogar dazu überreden, jeden zu töten, der versucht, ihm bei der Wiederherstellung seiner verlorenen Ehre zu helfen. Mit dem Ergebnis, dass Belisar seine Würde verliert und sich „die heftige Feindschaft des Kaisers und aller angesehenen Römer“ zuzieht.37 Antonina setzt ihre magischen Kräfte gegen ihren Ehemann ein, um ihre Affäre mit Theodosios ungehindert fortsetzen zu können – und sie geht sogar noch einen Schritt weiter: Als es Theodosios schließlich doch gelingt, sich eine Weile von Antonina zu entfernen, macht sie keinen Hehl aus ihrem Kummer über den Verlust des Liebhabers und zwingt Belisar zu folgendem absurden Verhalten: Schließlich brachte sie auch noch ihren Gatten zu solchem Wehegeschrei. Da weinte denn der arme Wicht und rief nach seinem heißgeliebten Theodosios. Später ging Belisar sogar zum Kaiser, beschwor ihn und die Kaiserin und veranlaßte sie, nach Theodosios zu schicken; er sei ihm jetzt und in alle Zukunft daheim unentbehrlich.38
Antonina gebraucht ihre Zauberkunst nicht nur, um ihren Ehemann im Hinblick auf ihre irreguläre Liebesbeziehung zu manipulieren; es gelingt ihr vielmehr, Belisars Leben völlig zu kontrollieren, sodass er gänzlich von ihr abhängig ist. Auch was seine Soldatenlaufbahn und sein Geld betrifft, ist der Protagonist außerstande, Entscheidungen zu treffen. Außerdem leidet seine Berufsausübung unter dem magischen Einfluss seiner Frau, und er wird korrupt: Er vernachlässigt seine militärischen Aufgaben und bringt das Reich in Gefahr; er behält Kriegsbeute für sich, die eigentlich dem Kaiser gehört; er behandelt seine Freunde undankbar; er bricht sein Wort und verletzt seine Eide.
37 Prokopios, Geheimgeschichte 1,30 (Veh 17). 38 Prokopios, Geheimgeschichte 1,39f. (Veh 19).
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2.2
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Kaiserin Theodora – eine Hexe von seltener Unmoral
Als sogenannte „Hexe“ – nämlich als eine unmoralische Frau, die nicht nur ihr eigenes Leben und das Leben anderer Frauen, sondern auch das Leben von Männern einschließlich ihres Gatten völlig kontrolliert – muss sich Antonina vor nichts und niemandem fürchten, im Gegenteil: Sie ist es, die anderen durch ihr monströses Verhalten Angst einjagt. Die einzige Person in der Erzählung, die Antonina in Schrecken versetzt, ist eine andere, noch mächtigere Hexe: Kaiserin Theodora. Doch Antoninas Furcht vor Theodora ist nicht von Dauer. Als Antonina der Kaiserin hilft, sich einiger persönlicher Feinde zu entledigen, werden die beiden Frauen zu Verbündeten in ihrem bösen Tun: Denn Theodora war über sie sehr erzürnt und erbittert. Als sie [Antonina] aber die Kaiserin durch Hilfeleistung in schwierigsten Lagen für sich gewonnen hatte […], da brauchte sie keine Bedenken mehr zu haben, ganz unbekümmert und in aller Offenheit sämtliche Frevel zu begehen.39
Dieser Abschnitt führt Theodora in die Erzählung ein und schildert sie als zänkische Hexe, die leicht reizbar ist und „ihre Zähne zeigt“. Im weiteren Verlauf der Erzählung wird die Darstellung der Kaiserin als Hexe noch ausgeschmückt und anhand ihrer sexuellen Ausschweifungen vor ihrer Heirat und ihrer bösen Taten veranschaulicht. Es ist bemerkenswert, dass Antonina die Einzige ist, der es gelingt, Theodora „für sich zu gewinnen“: Da sie selbst eine Hexe ist, weiß sie sie zu nehmen. Anders als bei Antonina wird Theodoras Hexenkunst mit dem teuflischen Charakter ihres Gatten Justinian und weniger mit ihrer Rolle als Ehefrau, als vielmehr mit Kompetenzüberschreitungen einer Frau im öffentlichen Bereich in Verbindung gebracht. Theodora wird vor allem deshalb als „Hexe“ bezeichnet, weil sie Justinian geheiratet hat, der Prokopios zufolge eine Inkarnation des Teufels sei, der Antichrist, und weil sie ihrem Mann mit bösen Taten nacheifere, die zur Zerstörung des ganzen Reichs führen werden. Mit anderen Worten: Theodora wird hier als das Hexenweib des Antichristen portraitiert und dem Bild der heiligmäßigen Frau und Braut Christi gegenübergestellt. Anders als die heiligmäßigen Frauen will Theodora die Welt nicht retten, sondern vernichten. Auch wenn Theodora die Ehe in der byzantinischen Gesellschaft unterminiert, indem sie die Frauen dazu ermutigt und ihnen hilft, sich gegen ihre Männer aufzulehnen und Ehebruch zu begehen, ist sie selbst eine treue Ehefrau, allerdings weder unterwürfig wie die im vorigen Teil besprochenen Heroinen noch dominant wie Antonina. Sie steht mit Justinian auf einer Stufe. Das kaiserliche Paar wird als vollkommene Einheit gezeichnet: Was Bosheit 39 Prokopios, Geheimgeschichte 1,14 (Veh 13).
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und Verderbtheit betrifft, sind Justinian und Theodora einander ebenbürtig: „Gemeinsam war ihnen Habgier, Mordlust und allgemeine Unaufrichtigkeit. Beide kannten ja nur Lüge“.40 Sie handeln meist gemeinsam und konnten, „indem sie sich in die Hände arbeiteten, […] die Untertanen stets entzweien und ihre Gewaltherrschaft umso fester begründen“.41 Weiter sagt der Erzähler: Deshalb machten […] die beiden niemals den Eindruck von Menschen, sondern von mörderischen und, wie die Dichter sagen, menschenfressenden Dämonen. Sie berieten sich erst miteinander, wie sie alle Geschlechter und Werke der Menschen möglichst einfach und schnell vernichten könnten, dann nahmen sie Menschengestalt an und suchten als „Menschendämonen“ die ganze bewohnte Erde heim. Beweisen könnte uns dies neben vielem anderen auch die furchtbare Gewalt ihres Tuns. Dämonen sind ja etwas ganz anderes als Menschen. Während von jeher Menschen auftraten, gar schreckenerregend durch Schicksalswillen oder Naturanlage, und zu ihrer Zeit entweder Städte oder ganze Länder oder sonst dergleichen vernichteten, waren doch nur diese zwei imstande, Tod über die gesamte Menschheit […] zu bringen. So verrichteten sie nicht aus Menschen-, sondern aus anderer Kraft heraus ihre Schreckenstaten.42
Wie der weitere Verlauf des zwölften Kapitels zeigt, ist nicht Theodora, sondern Justinian der eigentliche Dämon, während sein Hexenweib ihm eine treue Gefährtin und Helferin ist. Justinians Mutter bekennt, so erfahren wir, dass sie ihn von einem Dämon empfangen habe, und ein frommer Mönch erklärt, er sehe „den Fürsten der Dämonen im Palaste auf dem Throne sitzen“.43 Überdies sagen Theodoras frühere Liebhaber, ein Dämon sei über sie gekommen, während sie bei ihr gelegen hätten, und Theodora selbst erwähnt, ehe sie mit Justinian zusammenkommt, einem Freund gegenüber, sie habe geträumt, dass sie „mit dem Fürsten der Dämonen das Lager teilen“ und „diesem ganz bestimmt als Ehefrau beiwohnen“ werde.44 Justinians und Theodoras Herrschaft ist in jeder Hinsicht pervers und damit teuflisch: Sie verkehren die soziale und heilige Ordnung, sie bestrafen Unschuldige und lassen Verbrecher unbehelligt, und sie erreichen ihre Ziele mit Mord und Blutvergießen, kurz: Ihre Herrschaft führt direkt in die Hölle. Den schlagendsten Beweis für Justinians Niedertracht sieht Prokopios in seiner Heirat mit Theodora, einer ehemaligen Prostituierten niederer Herkunft, die keinerlei Tugend besitzt:
40 41 42 43 44
Prokopios, Geheimgeschichte 15,19f. (Veh 141). Prokopios, Geheimgeschichte 10,23 (Veh 103). Prokopios, Geheimgeschichte 12,14–17 (Veh 117–119). Prokopios, Geheimgeschichte 12,26 (Veh 121). Prokopios, Geheimgeschichte 12,32 (Veh 123).
Rhetorik weiblicher Unterordnung in der byzantinischen Literatur
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Weiteres über die Art dieses Menschen zu berichten, halte ich für völlig unnötig. Denn alle seine seelischen Empfindungen dürfte dieser Ehebund hinlänglich dartun, Dolmetscher, Zeuge und zugleich Biograph seines Charakters.45
Prokopios’ literarische Behandlung beider Frauen, der Theodora und der Antonina, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein männlicher Autor Frauen gebraucht, „um mit ihnen zu denken“. In diesem Fall jedoch setzt er Anti-Frauen ein, weil sein Hauptzweck darin besteht, Kaiser Justinian und dessen General Belisar aufgrund ihrer Charaktereigenschaften, ihrer Misserfolge und ihrer Fehlurteile zu attackieren. Natürlich zeigen die Darstellungen von Antonina und Theodora auch, was Prokopios von ehelichen Beziehungen hält, die die traditionelle Hierarchie auf den Kopf stellen. Seine Geheimgeschichte ist nicht nur ein unterhaltsames und überaus raffiniertes Stück Literatur, sie ist auch ein didaktisches Werk und vertritt als solches den Standpunkt, dass Ehemänner und Ehefrauen die ihnen zugewiesenen Rollen spielen sollten. Frauen, die ihre Grenzen überschreiten, bringen Unordnung hervor und verursachen Katastrophen. Deshalb sollten sie nicht toleriert werden.
3.
Theodora und Theodora – zwei Pole eines kyriarchalen Frauenbildes
Alice-Mary Talbot gelangt in einer ihrer Arbeiten über die byzantinischen Frauen zu folgendem Fazit: Die byzantinische Haltung gegenüber Frauen war ambivalent. Unter dem Einfluss zweier stereotyper Frauenbilder, der Jungfrau Maria, die Jungfräulichkeit und Mutterschaft auf wunderbare Weise miteinander vereinte, und Eva, der sexuellen Verführerin, schwankten sie zwischen ihrer Verehrung für die Frauen als Mütter und ihrer Kritik an der weiblichen Schwäche und Treulosigkeit.46
Die vorliegende Analyse hat jedoch gezeigt, dass die Art und Weise, wie die Frau in der byzantinischen Literatur behandelt wird, keineswegs ambivalent ist. Die Theodora aus dem Leben der Theodora von Thessaloniki zum Beispiel und die Theodora aus der Geheimgeschichte, also die ideale Frau oder Heilige auf der einen und die idealtypische Anti-Frau oder Hexe auf der anderen Seite, sind zwei Identitäten, die trotz ihrer unübersehbaren Unterschiede übereinstimmend und unmissverständlich dieselben kulturellen Praktiken, 45 Prokopios, Geheimgeschichte 10,3f. (Veh 99). 46 Alice-Mary Talbot, „Women“, in The Byzantines (hg. v. Guglielmo Cavallo; Chicago: University of Chicago Press, 1997), 117–143; 143.
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Stavroula Constantinou
Diskurse und Ideologien repräsentieren. Die beiden Theodoras, die im Guten oder im Bösen zu Gehilfinnen ihrer Männer werden, sind konstruiert worden, um – jede auf ihre Weise – die byzantinische Kyriarchie zu stärken. Genau wie die Jungfrau und Eva sind auch diese beiden Frauengestalten lediglich zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Frauen und Bibel in Byzanz (7.–10. Jh.) Rosa Maria Parrinello Università degli Studi di Torino
Dass Frauen in der byzantinischen Welt aus historischen, sozialen und kulturellen Gründen sowohl von der passiven Kultur im Sinne der Bildung als auch von der aktiven Kultur im Sinne der literarischen Produktion ausgeschlossen waren, ist nichts Neues. Ebenso nicht unbekannt sind einige höchst seltene Ausnahmen in diesem unerfreulichen Panorama ‒ angefangen bei der Dichterin Kassia, die Mitte des 9. Jh. lebte, bis hin zu der berühmten Historiographin Anna Komnene (1083‒1153), die uns mit ihrer Alexias1 das vergnüglichste Werk der gesamten byzantinischen Literatur hinterlassen hat. Es ist mithin eine Tatsache, dass die gebildeten Frauen selbst in der Oberschicht eine Minderheit darstellten, auch wenn sich die Situation in der letzten Phase des Reichs zum Besseren hin entwickelte.2 Gleichwohl muss man sich vor Augen halten, dass die Literatur, wie in Kürze gezeigt werden wird, in Byzanz nicht der einzige Weg war, auf dem die Frauen Kenntnis von der Bibel erhielten. Texte, aus denen sich die Lebensumstände der Frauen rekonstruieren lassen, sind juristische Sammlungen, die einen Eindruck von deren rechtlicher Situation vermitteln,3 Geschichtswerke, sofern es um die Kaiserinnen geht, Biographien und Heiligenviten sowie Begräbnisreden, die etwa in der Mitte zwischen Hagiographie und Geschichtsschreibung anzusiedeln sind.4 1
Weiterführende allgemeine Informationen finden sich in den einleitenden Überlegungen meines Beitrags Rosa Maria Parrinello, „Theodora Palaiologina und andere Gelehrte, Kopistinnen und Exegetinnen in Byzanz“, in Frauen und Bibel im Mittelalter: Rezeption und Interpretation (hg. v. Adriana Valerio und Kari Elisabeth Børresen; Die Bibel und die Frauen 6.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2013), 198‒217. 2 Alice-Mary Talbot, „The devotional Life of Laywomen“, in Byzantine Christianity (hg. v. Derek Krueger; People’s History of Christianity 3; Minneapolis: Fortress Press, 2010), 201‒220.237‒240; vgl. auch Carolyn L. Connor, Women of Byzantium (New Haven: Yale University Press, 2004); Angeliki E. Laiou, „Women in the History of Byzantium“, in Byzantine women and their world (hg. v. Ioli Kalavrezou; Cambridge: Harvard University Art Museums/Yale University Press, 2003), 23‒32. 3 Vgl. Joëlle Beaucamp, Le statut de la femme à Byzance: 4e–7e siècle (2 Bde; Travaux et Mémoires du Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance / Monographies 6; Paris: De Boccard, 1990‒1992). 4 Jean Grosdidier de Matons, „La femme dans l’Empire byzantin“, in Histoire mondiale de la femme (hg. v. Pierre Grimal; 4 Bde; Paris: Nouvelle Librairie de France, 1967), 3:11–43; 12.
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Rosa Maria Parrinello
Nicht diesen Quellen zurechnen können wir für die fragliche Periode die Regeln der Frauenklöster und die Stiftungsurkunden in jenen Fällen, wo die Stifterin eine Frau aus der kaiserlichen oder einer der aristokratischen Familien war, weil es sich hierbei um spätere Dokumente handelt, deren älteste auf das 10. Jh. zurückgehen. Was die Lebensumstände der Frauen betrifft, herrschte in Byzanz eine beständige Spannung zwischen dem christlich-asketischen Ideal der Jungfräulichkeit, das im monastischen Leben umgesetzt werden konnte, und der Förderung der Ehe, die einen legitimen Rahmen für geschlechtliche Beziehungen und die Zeugung von Nachkommen bot. In der Ehe bestand die Rolle der Frauen vorrangig darin, die Kinder großzuziehen, das heißt, sie zu versorgen, sie die Psalmen zu lehren und ihnen biblische Geschichten oder Heiligenviten zu erzählen. Das Ideal der weiblichen Heiligkeit dagegen war an den Lebensstand der Jungfrau oder den der Witwe gebunden: In dem einen wie in dem anderen Fall mussten die Frauen ihrer Weiblichkeit entsagen und „zum Mann“ werden (man denke beispielsweise an Gregor von Nyssas Makrina, die im wahrsten Sinne des Wortes eine γυνὴ ἀνδρεία, eine männliche Frau, war).5 Betrachtet man die Bildungslaufbahn, so gab es für die Jungen Schulen, während die Mädchen vom sechsten oder siebten Lebensjahr an ‒ von ihren Eltern, ihren Vormunden oder einem Hauslehrer ‒ zuhause erzogen wurden, weil der Zweck ihrer Erziehung ja ebendarin bestand, sie auf ein Leben im häuslichen Bereich und auf das Dasein als Ehefrau und Mutter vorzubereiten: Die kleinen Mädchen lernten überdies spinnen, weben und sticken. Die Unterweisung in den Klöstern war nicht viel anders. Wenn die Mädchen also lesen lernten, so in erster Linie deshalb, weil sie imstande sein sollten, den Psalter zu lesen. Die frühe Kindheit eines byzantinischen Mädchens spielte sich ausschließlich unter der Obhut der Mutter im Gynaikeion, im Frauenbereich des Hauses, ab, wo das Kind traditionelle Mädchenspiele spielte und von den Lippen der Mutter Fabeln und erbauliche Geschichten mit zumeist religiöser Thematik zu hören bekam. Außerdem erhielt das Mädchen innerhalb des Hauses und beinahe immer direkt von der Mutter eine summarische Bildung.6 Peter Hatlie bringt es auf den Punkt: „Christian virtues of learning, discipline, nurturing, unwavering piety and indomitable spirit are among the characteristics epitomized by mothers“.7 Neben dem Lesen wurde den Mädchen auch das Schreiben beigebracht. Sie lernten die Psalmen auswendig, lasen die anderen Bücher der Septuaginta und hatten außerdem Zugang zu den Heiligenviten. Zudem wurde der litur5
Vgl. Eva Nardi, Né sole né luna: L’immagine femminile nella Bisanzio dei secoli XI e XII (Florenz: Olschki, 2002), 199–208. 6 Judith Herrin, „Mothers and Daughters in the Medieval Greek World“, in Dies., Unrivalled Influence: Women and Empire in Byzantium (Princeton: Princeton University Press, 2013), 80‒114. 7 Peter Hatlie, „Images of Motherhood and Self in Byzantine Literature“, DOP 63 (2009): 41‒57; 56.
Frauen und Bibel in Byzanz
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gische Gesang mit großer Sorgfalt gepflegt.8 Im Alter von sieben oder acht Jahren wurde das Mädchen verlobt und heiratete entsprechend der in Byzanz gültigen alten römischen Rechtsnorm mit zwölf, auch wenn es nicht an Beispielen für deutlich frühere Eheschließungen fehlt. Die Erziehung, die das Mädchen bis zu seiner Heirat erhielt und die in Höchstfall einen Zyklus von drei Jahren umfasste, hat Elena Giannarelli treffend als eine „monastische Pädagogik“ definiert.9 Diese zielte weder auf eine echte Bildung noch darauf ab, die Kinder mit kulturellen Grundlagen oder einem kritischen Geist auszustatten, sondern war darauf ausgerichtet, der kleinen Schülerin die rudimentären Voraussetzungen für ein Leben der Andacht und des Gebets, das heißt ein bescheidenes konfessionelles Alphabetisierungsniveau, zu vermitteln. Das entsprach vor allem der griechischen Praxis, die auf die θαλάμευσις, das zurückgezogene Dasein im Ehegemach, vorbereitete. Die häusliche Frömmigkeit von Frauen sah also die geistliche Lektüre, die Ikonenverehrung, das private Gebet und Andachten in den Privatkapellen vor. Hervorzuheben ist gleichwohl die Rolle der Mutter bei der frühesten Erziehung der Kinder, Mädchen wie Jungen: Hier ist das schöne Beispiel Theoktistes, der Mutter des Theodoros Studites, anzuführen, die früh zur Waise geworden und daher ἀγράμματος, Analphabetin geblieben war. Als Erwachsene jedoch hatte sie sich aus Liebe zu Gott selbst das Lesen beigebracht und den Psalter auswendig gelernt. Dabei hatte sie weder ihre häuslichen Arbeiten vernachlässigt noch war sie ihrem Mann zur Last gefallen. Vielmehr hatte sie vor und nach dem Schlafen beim Licht einer Kerze eifrig gelernt (Oratio 13,3 [PG 99,885b]). Ferner können wir auf den Fall des großen Intellektuellen Michael Psellos verweisen (1018‒1078), der im Epitaph für seine Mutter Theodota dieser das Verdienst zuschreibt, die große Wissbegier ihres Sohnes verstanden zu haben, nachdem ihr im Übrigen Johannes Chrysostomos und die Jungfrau erschienen waren und sie aufgefordert hatten, ihren kleinen Sohn zum Lernen zu ermutigen!10 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Zeugnis der Historikerin, byzantinischen Prinzessin und Porphyrogeneta Anna Komnene. Sie
8
Enrico V. Maltese, „Donne e letteratura a Bisanzio: per una storia della cultura femminile“, in Ders., Dimensioni bizantine: Donne, angeli e demoni nel Medioevo Greco (Turin: Paravia Scriptorium, 1995), 111‒137; 114. 9 Elena Giannarelli, La tipologia femminile nella biografia e nell’autobiografia del IV secolo (Rom: Istituto storico italiano per il Medio Evo, 1980), 35, Anm. 21. Allerdings bezieht sich Giannarelli auf die von Makrina erhaltene und erteilte Erziehung. Makrinas familiäre Situation stellte in einer Zeit, da die gottgeweihte Jungfräulichkeit auch im häuslichen Bereich gelebt werden konnte, eine absolute Ausnahme dar, vgl. Maltese, „Donne e letteratura a Bisanzio“, 114f.; das gilt auch für die späteren Jahrhunderte. 10 Ebd., 125f.
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war, was weibliche Bildung betrifft, eine absolute Ausnahmeerscheinung11 und erinnert sich daran, wie ihre Mutter Eirene während des Essens ein Buch in den Händen gehalten und über die Texte der heiligen Väter, insbesondere des Bekenners Maximus, diskutiert habe (Alexias IX,2ff.): Maximus ist ganz sicher kein leicht verständlicher, sondern ein eher anspruchsvoller Autor, der vor allem mehrere exegetische Kommentare verfasst hat und sich zudem auch in seinen nicht-exegetischen Werken ständig auf die Schrift bezieht. Von der Bedeutung dieser Entscheidung wird weiter unten noch die Rede sein. Für die vorangegangene Periode können wir ‒ nach wie vor auf die Lektüre und das Studium der Schrift bezogen ‒ einen Abschnitt aus dem Leben der Theophanu (Kap. 5) anführen, der 895/896 verstorbenen späteren Frau des Kaisers Leon VI., des Weisen: Theophanu war sechs Jahre alt, als ihr Vater begann, sie in den heiligen Schriften zu unterweisen. Den Psalter und die abendlichen und morgendlichen Hymnen kannte sie schon bald auswendig, und sie verbrachte ihre Tage mit Lesen und Lernen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass ein Teil der „matrilinearen“ Unterweisung die (nicht nur in der Kirche, sondern auch zuhause erlaubte) Verehrung von Ikonen12 betraf: Bildern von Christus etwa, der das Evangelium in der Hand hält oder segnet (so zeigt beispielsweise die berühmte Ikone vom Sinai, die wahrscheinlich auf das 6. Jh. datiert werden kann, einen Christus, der mit der Rechten segnet und in der Linken das Evangelium hält),13 sowie Darstellungen vom heiligen Petrus mit den Schlüsseln zum Paradies14 oder von der Jungfrau Maria mit Engeln und Heiligen.15 Wichtig ist ferner die Darstellung der Heiligen Familie. Oft handelt es sich um Bilder, die eng mit der Bibel in Verbindung stehen. Viele Kirchen waren außerdem mit Wunderszenen ausgeschmückt wie der Heilung des Gelähmten und des Blinden, der 11 Näheres hierzu in meinem Beitrag Parrinello, „Theodora Palaiologina“; vgl. auch Thalia Gouma-Petersen, Hg., Anna Komnene and her Times (Garland Medieval Casebooks 29; GRLH 2201; New York: Garland, 2000). 12 Judith Herrin, „The Icon Corner in Medieval Byzantium“, in Dies., Unrivalled Influence, 281‒301. 13 Die berühmte Ikone ist gewissermaßen das Wahrzeichen des Katharinenklosters am Sinai, vgl. Abbildung und Erläuterung bei Judith Herrin, „Women and the Faith in Icons in early Christianity“, in Dies., Unrivalled Influence, 38‒79; 57‒59. Vgl. auch Robert S. Nelson und Kristen M. Collins, Hg., Holy Image, Hallowed Ground: Icons from Sinai (Los Angeles: Getty Museum, 2006). 14 Vgl. Leslie Brubaker und John Haldon, Byzantium in the Iconoclast Era: c. 680‒850: A History (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), 36f.; Guislaine Noyé, „Byzance et Italie méridionale“, in Byzantium in the Ninth Century: Dead or Alive? Papers from the Thirtieth Spring Symposium of Byzantine Studies (hg. v. Leslie Brubaker; Society for the Promotion of Byzantine Studies / Publications 5; Aldershot: Ashgate, 1998), 229–243; 236f. 15 Vgl. Robin Cormack, „The Eyes of the Mother of God“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 167‒174.
Frauen und Bibel in Byzanz
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Auferweckung des Lazarus oder der Samariterin am Jakobsbrunnen, die die Mütter ihren Kindern erklären und die zu den liturgischen Lesungen aus den Evangelien in Bezug gesetzt werden konnten: Man kann folglich von einer Art Biblia pauperum sprechen. Judith Herrin wendet sich gegen die Tendenz, die besondere Ikonenverehrung der Frauen damit zu erklären, dass sie weniger rational als die Männer, mithin zu einem verfeinerten theologischen Verständnis unfähig, Spielball ihrer emotionalen Veranlagung und deshalb in ihrer Frömmigkeit auf visuelle Unterstützung angewiesen gewesen seien und dass dies ihre besondere Beziehung zu den Ikonen begünstigt habe. In Wirklichkeit hatten, wie Herrin zu Recht eingewandt hat, auch die Männer eine enge Beziehung zu den Ikonen, die mit ihren Frontaldarstellungen (in der oben erwähnten Sinai-Ikone sind es die Augen und das Antlitz Christi, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen) die persönliche Beziehung zwischen Bild und Beter betonen und die Botschaft des Bildes unmittelbarer werden lassen. Im Unterschied zu den Männern hatten die Frauen jedoch einen deutlich geringeren Austausch mit der Außenwelt, wodurch sich ihre Beziehung zur Ikone innerhalb des häuslichen Bereichs potenzierte. Wenn das Bild also Träger einer Botschaft ist, dann betet die betrachtende Person und empfängt gleichzeitig die Botschaft, und der Kontakt wird durch den dazwischenliegenden Raum intensiviert. Das geschieht vor allem dann, wenn die Ikone auf Augenhöhe angebracht ist und so die optische Täuschung des allwissenden Blickes entsteht, der dem oder der Frommen folgt. Wenn das Bild sich direkt an den Betrachter zu wenden scheint, wird seine Autorität erheblich verstärkt.16 Konkreter ausgedrückt: die besondere Beziehung zwischen Frauen und Ikonen entsteht und wächst in einer Situation häuslicher Abgeschiedenheit, begrenzter Möglichkeiten des Kirchenbesuchs und frustrierter religiöser Leidenschaft. Unter solchen Bedingungen (es ist Herrins Verdienst, dies gezeigt zu haben) spielten die Ikonen für die weibliche Frömmigkeit insofern eine ganz eigene Rolle, als sie einen individuellen Zugang zur Religion, einen besonderen Kontakt zu einem Heiligen ermöglichten, an dem man sich uneingeschränkt erfreuen konnte.17 Obwohl sie nicht Teil des Klerus waren, waren die Frauen an der privaten religiösen Unterweisung beteiligt: Sie gaben ihren eigenen Glauben an ihre Kinder weiter, lehrten die Psalmen, erzählten Heiligenviten. Dieses Element einer mündlichen Kultur ist für die Frauen in allen mittelalterlichen Gesellschaften überaus wichtig, aber in Byzanz verfügten die Frauen nachweislich über eine wirkliche Kenntnis der biblischen Geschichten: Hier sind die Hagiographien kostbare Quellen. Das Leben der Athanasia von Ägina (die Heilige lebte im 9., ihre Vita stammt aus dem 10. Jh.) bezeugt, dass die Heilige an 16 Herrin, „Women and the Faith in Icons“, 57. 17 Vgl. aber die entgegengesetzte Deutung bei Alexander P. Kazhdan und Alice-Mary Talbot, „Women and Iconoclasm“, ByzZ 84/85 (1991/1992): 391‒408.
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Rosa Maria Parrinello
Sonn- und gebotenen Feiertagen ihre Nachbarinnen um sich versammelte und ihnen Abschnitte aus der Schrift vorlas. Eirene von Chrysobalanton (10. Jh.) predigte sogar vor großen Gruppen von Frauen und Mädchen.18 Es steht außer Zweifel, dass einige – wenn auch nur wenige – Frauen gebildet waren und anderen vorlesen konnten. An anderer Stelle konnte ich zeigen, dass es Kopistinnen gab, wenngleich sie eine überaus seltene Ausnahme darstellten.19 Da sie also von der Teilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen waren (auch wenn die Kaiserinnen in der Politik eine gewisse Rolle spielten), begeisterten sich viele Frauen außerdem für die religiösen Kontroversen ihrer Zeit: Im Zuge der Gegenbewegung gegen den Ikonoklasmus – also den Bilderstreit der byzantinischen Kaiser, der, wenn auch mit Unterbrechungen und Phasen, in denen die Partei der Ikonodulen sich durchsetzen konnte, von 726 bis 843 dauerte ‒ gingen oft auch die Frauen, die glühende Ikonenverehrerinnen waren, „auf die Barrikaden“. Die ersten „Märtyrer“ des Ikonoklasmus waren der Überlieferung nach ebenfalls Frauen, die zu verhindern versuchten, dass die Soldaten den Befehl Leons III. ausführten und die Christusikone an der Chalke von Konstantinopel entfernten… und es waren zwei Frauen, die Kaiserinnen Eirene und Theodora, die 787 und 843 den Ikonenkult offiziell wiedereinführten. Namentlich Eirene, die nach dem Tod ihres Ehemanns Leon IV. die Regierungsgeschäfte für ihren Sohn Konstantin VI. übernahm (und zu den Adressatinnen von Schreiben des Studiten zählte), berief 787 das Zweite Konzil von Nizäa ein, um die Bilder zu rehabilitieren. Theodora ihrerseits, die Witwe des Theophilos und Regentin für Michael III., zog 843 einen endgültigen Schlussstrich unter den Bilderstreit.20 Ungeachtet dieser engen Verbindung, die sich zwischen Frauen und Bibel etabliert zu haben schien, geizen die Quellen mit Hinweisen auf die Modalitäten und die Praxis der Bibellektüre, wann und wo diese stattfand. Der religiöse Glaube und die Andachtspraktiken spielten im Leben byzantinischer Frauen insbesondere der Mittel- und Oberschicht eine bedeutende Rolle. Ihre Religiosität (nicht selten der einzige Bereich ihrer Biographie, zu 18 Nardi, Né sole né luna, 164. 19 Parrinello, „Theodora Palaiologina“. 20 Zu diesen anderen Kaiserinnengestalten und ihrer religiösen Inbrunst vgl. Judith Herrin, Women in Purple: Rulers of Medieval Byzantium (London: Weidenfeld & Nicolson, 2001); Dies., „Women and the Faith in Icons“; Dies., „The Imperial Feminine in Byzantium“, in Dies., Unrivalled Influence, 161‒193; Dies., „Political Power and Christian Faith in Byzantium: The Case of Irene (Regent 780–790, Emperor 797–802)“, in ebd., 194‒207; Dies., „The Many Empresses of the Byzantine Court (and All Their Attendants)“, in ebd., 219‒237; Dies., „Theophano: Considerations on the Education of a Byzantine Princess“, in ebd., 238‒260. Andere Wissenschaftler stimmen hiermit nicht überein; vgl. Robin Cormack, „Women and Icons, and Women in Icons“, in Women, Men and Eunuchs: Gender in Byzantium (hg. v. Liz James; London: Routledge, 1997), 24–51; Brubaker und Haldon, Byzantium, 253.262‒277.291‒294.447‒452.
Frauen und Bibel in Byzanz
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dem uns überhaupt Informationen vorliegen) vollzog sich, wie wir gesehen haben, in einem eng umrissenen Rahmen. Das Gebet, das Bibelstudium und die Ikonenverehrung waren geistliche Trostmittel zur häuslichen Anwendung. Gesellschaftlich anerkannte Gelegenheiten, den häuslichen Bereich zu verlassen, waren die Teilnahme an kirchlichen Feiern (Prozessionen und Liturgien), Besuche von Wallfahrtsstätten und karitative Tätigkeiten: Primäre und kostbare Belege hierzu sind die hagiographischen Quellen, die natürlich mit der gebührenden Vorsicht gelesen werden müssen. Wie ist diese Zurückhaltung der Quellen hinsichtlich der Bibellektüre und -kenntnis der Frauen zu erklären? Ein normatives Moment lässt sich an der Trullanischen Synode festmachen, die Kaiser Justinian II. in demselben Kuppelsaal (Trullos, daher der Name des Konzils) einberief, in dem auch das sechste ökumenische Konzil (680‒681) stattgefunden hatte. Auf diesem waren jedoch keine Kanones erlassen worden, was das Trullanum von 692 nun nachholte. Diese Synode ist vor allem deswegen wichtig, weil der spürbar vom paulinischen Lehramt geprägte Kanon 70 es den Frauen untersagt, während der göttlichen Liturgie zu reden:21 Es sei den Frauen nicht erlaubt, zum Zeitpunkt der göttlichen Liturgie zu sprechen, sondern nach dem Wort des Apostels Paulus „sollen sie schweigen. Denn es ist ihnen nicht gestattet zu sprechen, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie aber etwas lernen wollen, sollen sie zuhause ihre Männer fragen“ (1 Kor 14,34f.).
Insgesamt stellt die Trullanische Synode den Höhepunkt eines langen Prozesses dar, der darauf abzielte, die Frauen von der aktiven Beteiligung an der Liturgie auszuschließen: Die Bischöfe des Trullanums verurteilten die Frau zum Schweigen und reduzierten ihre Rolle im liturgischen Geschehen auf die einer bloßen Zuschauerin und Zuhörerin.22 Doch nicht nur dieser Kanon hat sich auf die Frauen ausgewirkt: Auch die Kanones 19 und 64 müssen an dieser Stelle erwähnt werden. Ersterer rät dazu, die Heiligen Schriften nach den festgelegten Regeln und der Tradition der Väter auszulegen: (Wir bestimmen), daß die Vorsteher der Kirchen an jedem Tag, insbesondere an Sonntagen, den gesamten Klerus und das Volk die Worte der Frömmigkeit lehren müssen, indem sie die Gedanken und Urteile der Wahrheit aus der heiligen Schrift weitergeben und dabei weder die schon festgesetzten Bestimmungen noch die Überlieferung der gotterfüllten Väter übertreten (τοὺς ἤδη τεθέντας 21 Judith Herrin, „Femina Byzantina: The Council in Trullo on Women“, in Homo Byzantinus: Papers in Honor of Alexander Kazhdan (hg. v. Anthony Cutler und Simon Franklin; DOP 46; Washington: Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 1992), 97‒105. Deutsche Übersetzung: FC 82,261–263. 22 Herrin, „Femina Byzantina“, 100.
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Rosa Maria Parrinello ὅρους ἢ τὴν ἐκ τῶν θεοφόρων πατέρων παράδοσιν). Wenn aber ein Schriftwort behandelt wird, sollen sie es nicht anders auslegen als es die Leuchten und Lehrer der Kirche (οἱ τῆς ἐκκλησίας φωστῆρες καὶ διδάσκαλοι) durch ihre eigenen Schriften dargelegt haben. Sie sollen sich eher hierin auszeichnen, als daß sie ihre eigenen Überlegungen ausarbeiten, weil sie bisweilen demgegenüber ratlos sind und vom Geziemenden abfallen.23
In Byzanz ist es also verboten, die Bibel auszulegen, wenn man sich nicht an die festgelegten Regeln und die Tradition der Väter hält; Neuerungen sind unnötig.24 Daneben tritt Kanon 64: (Wir bestimmen), daß ein Laie öffentlich weder einen Vortrag zu dogmatischen Themen halten noch lehren soll, weil er sich damit selbst ein Lehramt (ἀξίωμα διδασκαλικόν) anmaßt. Vielmehr soll er der vom Herrn überlieferten Ordnung folgen und das Ohr denen leihen, die die Gnade der Lehrrede (τὴν χάριν τοῦ διδασκαλικοῦ λόγου) empfangen haben, und das Göttliche von ihnen lernen […]. Wenn jemand überführt wird, an dem gegenwärtigen Kanon zu rütteln, soll er für 40 Tage ausgeschlossen werden.25
Vor dem Hintergrund dieser Kanones verstehen wir, weshalb Eirene Maximus den Bekenner gelesen hat: Er gehört zu jenen Leuchten und Lehrern der Kirche, in deren Kielwasser man sich bewegen muss, wenn man nicht gegen die Kanones verstoßen will.
1.
Briefe der geistlichen Begleitung von Theodoros Studites (759‒826) an Frauen
Auf der Grundlage des bisher Gesagten ist es den Frauen also nicht gestattet, während der Liturgie zu sprechen; es ist ihnen nicht gestattet zu lehren, und es ist ihnen nicht gestattet, die Schrift eigenständig auszulegen: Welche Randgebiete bleiben ihnen dann noch, wenn nicht die passive Lektüre? Unter diesem Blickwinkel möchte ich mich, wenn auch nur kurz, mit den Briefen befassen, die Theodoros Studites zum Zweck der geistlichen Begleitung an
23 Carla Noce et al., I canoni dei concili della Chiesa antica 1: I concili greci (SEAug 95; Rom: Institutum Patristicum Augustinianum, 2006), 104f.; FC 82,210. 24 Martin Jugie, „Interpretation III. Exégèse médiévale 1. En Orient“, DBSup 4 (1949): 591–608; 591‒593. 25 Noce et al., I concili greci, 148f.; FC 82,257.
Frauen und Bibel in Byzanz
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Frauen geschrieben hat,26 und der Frage nachgehen, welche Bedeutung darin der Verwendung von Bibelzitaten zukommt. Theodoros, der große Reformer des zu seiner Zeit an moralischem Laxismus krankenden Mönchtums, der dem Stoudioskloster mit der Hypotyposis neue Regeln gab und die Arbeit der dortigen Schreibstube förderte, lebte in der für das Mönchtum überaus schwierigen Zeit des Bilderstreits (730‒787/815‒843): Er selbst wurde als Ikonoduler, als Ikonenverehrer, für seinen Glauben grausam gefoltert, ermunterte die Mönche, seine Kinder im Geiste, jedoch weiterhin, dieses neue Martyrium mit derselben Tapferkeit zu erdulden wie die ruhmreichen Märtyrer in den Zeiten der Christenverfolgungen. Nach dem Ende der ersten Phase des Bilderstreits versuchte man in den Klöstern, zum ursprünglichen Zönobitentum zurückzukehren: Theodoros will den kontemplativen Aspekt mitnichten zurückdrängen, sondern hält die Kontemplation oder Hēsychía im Gegenteil für eine notwendige Voraussetzung der asketischen Erfahrung; er will nur ihre Extremformen unterbinden, die die zönobitisch-monastische Erfahrung und Lebensweise selbst in Frage stellen. Theodoros Studites war Hegumenos des Klosters zum Hl. Johannes Prodromos Stoudios, das ein privater Wohltäter namens Stoudios gestiftet hatte. Stoudios war im Jahr 454 Hýpatos oder Konsul des Ostens, und das Kloster lag in jenem Stadtteil von Konstantinopel – genauer gesagt in der südwestlichen Ecke der Altstadt im Viertel Psamathia unweit des Goldenen Tores –, der in der Folgezeit unter dem Namen tou Stoudiou bekannt wurde. Die studitische Mönchsgemeinschaft spielte während des kulturellen und humanistischen Revivals im 9. Jh. insofern eine wichtige Rolle, als das Stoudioskloster Zentrum und treibende Kraft eines außergewöhnlichen Phänomens war, nämlich des Übergangs von der Majuskelschrift Unziale zur Minuskelschrift (Metacharakterismos). Der erste Brief, der hier untersucht werden soll, ist zwischen 797 und 799 verfasst worden und an Theodoros’ Mutter Theoktiste gerichtet, die erfahren hat, dass sie schwer krank ist. Die zahlreichen Bibelzitate stammen vor allem aus den Paulusbriefen (2 Tim 4,10; 2 Kor 5,8; Röm 11,33; 2 Kor 11,23ff.), aber auch aus dem AT (Gen 25,8), und dienen dem eigentlichen Zweck des Briefes, 26 Vgl. zumindest Julien Leroy, „La réforme studite“, in Il monachesimo orientale (OrChrAn 153; Rom: Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, 1958), 181– 214; Ders., „Le monachisme stoudite“, in Théodore Stoudite, Les Grandes Catéchèses (Livre 1) : Les épigrammes (I–XXIX) (hg. v. Florence de Montleau; SpOr 79; Bégrolles-en-Mauges: Abbaye de Bellefontaine, 2002), 39‒116; Peter Hatlie, The Monks and Monasteries of Constantinople, ca. 350–850 (Cambridge: Cambridge University Press, 2007); Rosa Maria Parrinello, Il monachesimo bizantino (Rom: Carocci, 2012), 49‒69. Im vorliegenden Beitrag werde ich einige Briefe wie den an die Hegumene Irene, an Maria, die Frau des Spatharios oder an die Nonne Hypakoë unerwähnt lassen, da in ihnen keine besondere Verwendung von Bibelzitaten festzustellen ist. Der an die Jungfrau Thomaïs gerichtete Brief über die Bilderfrage enthält gar keine Bibelzitate.
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der als Trostschrift konzipiert ist. Sie weisen darauf hin, dass Theoktiste den Weg beschreitet, der zum Herrn führt (Mt 7,14), dass sie tot sei und gleichzeitig lebt und den guten Kampf kämpft (2 Tim 4,7; diese Stelle wurde in der Messe am Sonntag vor Theophanie gelesen).27 Ein anderer Brief aus dem Jahr 801 ist an die Kaiserin Eirene, Mutter Konstantins VI. und Befürworterin einer Politik gerichtet, die dem Mönchtum zugutekam: Es handelt sich nämlich um ein Dankschreiben an die Regentin, die die Mönche des Stoudiosklosters von allen Tributpflichten befreit hatte. Der Brief beginnt mit einem Zitat aus Jer 38,15 und ist auch sonst von überwiegend atl. Zitaten aus den Prophetenbüchern (Jes 58,6), aus 4 Makk 17,4 und Gen 33,11 durchzogen (erinnern wir uns, dass die byzantinische Ideologie eine Reihe ihrer Symbole für die Königsherrschaft nicht aus dem NT, sondern aus dem AT entnommen hat28). Außerdem verweist er auf Mt 2,10 sowie auf zwei Zitate aus den Reden Gregors von Nazianz (22,1 und 15,11) und endet in einer Art Ringkomposition mit einem neuerlichen Zitat aus Jeremia (15,19).29 Theodoros schreibt ferner eine Reihe von Briefen, die wir als „Leitungsbriefe“ bezeichnen könnten und die an die Hegumenen, also die Vorsteherinnen von Frauenklöstern, oder an die gesamte Nonnengemeinschaft gerichtet sind. In Brief 59 an die Hegumene von Gordina (zwischen 821‒826) lobt er diese dafür, dass ihre Nonnen der ikonoklastischen Verfolgung widerstanden haben, und ruft sie dazu auf, in ihrer Herzensreinheit sowie auf dem Weg der Jungfräulichkeit und Rechtgläubigkeit beharrlich zu sein. Die Hegumene ist ein Muster an Orthopraxis, ihre Schülerinnen sollen mit einem einzigen Willen im Gesetz des Herrn leben. Der Briefschluss steht ganz unter dem Zeichen von 2 Thess 3,18 und ist eine Doxologie im wahrsten Sinne des Wortes.30 Aus demselben Grund schreibt Theodoros zwischen 815 und 820 auch an die Hegumene von Nikaia: Der Brief ist ein einziges Geflecht aus Paulus zugeschriebenen Zitaten (Röm 8,35; 1 Kor 6,20;31 Phil 3,8; 2 Tim 2,5; Eph 4,1f.;32 1 Kor 9,27); hinzu kommen ein Zitat aus dem Buch Jesaja (8,18) und ein weiteres aus dem Johannesevangelium (8,41).33 Tendenziell sind die Briefe an Nonnengemeinschaften reicher an Bibelzitaten als die, die er an einzelne Frauen schreibt: Man denke beispielsweise an Brief 65, den er zwi27 CFHB 31/1:21‒23. 28 Vgl. Gilbert Dagron, Empereur et prêtre: Étude sur le „césaropapisme“ byzantin (Paris: Cerf, 1996). 29 CFHB 31/1:24‒27. 30 CFHB 31/1:170f. 31 Die Stelle aus 1 Kor wurde am sogenannten Sonntag des verlorenen Sohnes gelesen. Diesen und die anderen liturgischen Hinweise verdanke ich Stefano Rosso, La celebrazione della storia della salvezza nel rito bizantino: Misteri sacramentali, feste e tempi liturgici (Città del Vaticano: Libreria Editrice Vaticana, 2010). 32 Diese Stelle, die den Aufbau des Leibes Christi in der – in diesem Falle monastischen ‒ Einheit thematisiert, wurde am 8. Lukassonntag gelesen. 33 CFHB 31/2:610f.
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schen 821 und 826 an eine Nonnengemeinschaft aus Prinkipos richtet, um ihr sein Lob auszusprechen. Der Brief ist ein Mosaik von Zitaten aus dem Buch Genesis (Gen 2,9, eine der Lesungen an den Donnerstagen in der Fastenzeit), dem Hohelied (4,12 „verschlossener Garten, versiegelter Quell“), den Evangelien (Lk 1,75, der Besuch Marias bei Elisabet, ein Abschnitt, der am 25. November im Gottesdienst gelesen wurde, und Mt 10,38 aus der Lesung des Allerheiligensonntags), der Apostelgeschichte (15,30) und den paulinischen Briefen (1 Kor 6,20; Röm 8,17; Phil 4,4, einer der Palmsonntagslesungen, und 3,30), die gemeinsam das Bild eines heiligen Leibes entstehen lassen: einer Art Garten der Jungfräulichkeit und Heiligkeit, in dessen Mitte, als Baum des Lebens, Christus steht.34 Ich halte die These für plausibel, dass Theodoros die Verwendung der Bibelzitate je nach Adressatin personalisiert: Ist die Adressatin eine Nonnengemeinschaft, deren Identität und Zusammenhalt auch auf dem Hören der Heiligen Schriften beruht, intensiviert sich die Verwendung der Zitate. 818 oder 819 schreibt Theodoros an eine Gemeinschaft von 300 Nonnen, die Kerker und Schläge, die Abwesenheit ihrer geistlichen Mutter und die Trennung von ihrem Kloster erdulden mussten. Er nennt sie dreimal Mütter, Töchter des himmlischen Jerusalem, und zitiert Mk 9,23 („Alles kann, wer glaubt“, eine Stelle, die am 4. Fastensonntag zu Ehren des Johannes Klimakos gelesen wurde), 1 Petr 1,8 und den vielleicht in der gesamten monastischen Literatur, insbesondere aber von dem Studiten selbst als Basis seiner monastischen Reform am häufigsten zitierten patristischen Schriftsteller Basilius von Cäsarea (Homilie auf die heiligen 40 Märtyrer, PG 31,20a).35 In seinem 818 verfassten Trostbrief an die Nonnen Megalo und Maria zum Tod des Hegumenos, der ein Mann Gottes und lieber Freund des Theodoros war, erklärt er, der Hegumenos sei nicht tot, sondern wohne jetzt dort, wo das wahre Licht erstrahlt und die Heiligen ruhen. Die beiden einzigen Bibelzitate aus 1 Tim 3,15 und Phil 2,15 sind auf den Briefteil konzentriert, in dem der Studit betont, dass die Kirche über die Säulen und Stelen jubelt, zu denen der Hegumenos gehöre und die ein Bollwerk im Kampf gegen die Irrlehren seien.36 Auch an Frauen, die in der Welt leben, schickt Theodoros Trostbriefe wie das zwischen 821 und 826 entstandene Kondolenzschreiben an die Witwe eines kürzlich verstorbenen Militärkommandanten namens Democharis. Die Frau hatte ihren Mann sehr geliebt, und Theodoros weiß, dass es unmöglich ist, die passenden Worte zu finden, um ihren Schmerz zu lindern. Er greift auf zwei Zitate aus 2 Kor 5,8 und 1 Thess 4,13f., auf Gen 3,19 und Ijob 1,21 zurück („Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen“, dieser Abschnitt wurde am Donnerstag der Karwoche gelesen), um die Frau davon zu überzeugen, dass sie sich mit ihrem Verlust abfindet und den Willen des Herrn ak34 CFHB 31/1:178‒180. 35 CFHB 31/2:559. 36 CFHB 31/2:465f.
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zeptiert.37 Außerdem gibt es einen Brief an eine Frau, die ihren Sohn verloren hat: Dass es sich um eine hochgebildete Frau handeln muss, ersehen wir daraus, dass Theodoros außer aus den Psalmen (102[103],15; 88[89],49; 49[50],14; 114[115],7; 117[118],6) und den Paulusbriefen (1 Thess 4,14; 1 Kor 15,52) nicht nur aus dem Buch Sirach (10,19), sondern zudem aus dem Agamemnon des Aischylos zitiert (V. 1343). In diesem Fall bilden die biblischen und die klassischen Zitate gemeinsam ein rhetorisch elaboriertes Ganzes: eine Trostschrift im wahrsten Sinne des Wortes, die, wie schon der unmittelbar zuvor erwähnte Brief, wiederum Ijob 1,21 zitiert.38 Eines der umfangreichsten Dossiers bilden die neun Trostbriefe an die Hegumene Euphrosyne zum Tod ihrer Mutter Eirene: Eirene war die Witwe eines hochrangigen kaiserlichen Würdenträgers und gebürtige Armenierin. Sie hatte sich gemeinsam mit ihrer Tochter Euphrosyne, die der Mutter als Äbtissin nachfolgte, Gott geweiht. Im dritten Brief (aus dem Jahr 823) mahnt Theodoros die Tochter, die Tugenden ihrer Mutter nachzuahmen. Dieser Brief enthält die meisten Bibelzitate: Er zitiert aus Gen 35,20 und 50,1 mit Bezug auf die Gestalt der Rahel, aus Jes 8,18, der Stelle, die am Montag der 2. Fastenwoche gelesen wurde, aus Ps 33(34),20, Dtn 34,8, Phil 3,3 und Eph 6,12, dem Abschnitt der 10. Lukaswoche, und 2 Kor 11,2, sowie einen Vers aus 1 Petr 5,4, mit dem er sie dazu auffordert, an die anderen Schwestern zu denken, denen sie nach dem Vorbild ihrer Mutter Eirene als Hegumene vorsteht.39 Im vierten Brief (ca. 823–826) zitiert Theodoros jene Stelle aus der Apostelgeschichte, die sich nach der monastischen Ideologie auf die erste Zönobitengemeinschaft bezieht, auf die Urgemeinde von Jerusalem, in der alle „ein Herz und eine Seele“ waren (Apg 4,32). Er verweist auf das Vorbild der Protomärtyrerin Thekla und der Febronia und ermahnt sie, wie die anderen Nonnen Braut und Miterbin Christi und Licht der Welt zu sein.40 Im fünften Brief (aus dem Jahr 824) kommt er auf das Thema des Todes der Mutter zurück und zitiert 1 Tim 6,12, eine Lesung aus dem ersten Teil des Triodions, des liturgischen Buches des orthodoxen Osterfestes; 2 Thess 1,7 und Kol 3,11, eine Stelle, die am Sonntag der Heiligsten Stammeltern des Erlösers gelesen wurde, sowie 1 Thess 2,8, Mt 5,12 und erneut Apg 4,32, während der katechetische Brief von 824 eine Art Predigt über die Fastenzeit darstellt: Wahrscheinlich handelt es sich um einen Text, der nach Art einer Katechese gelesen werden sollte, was den eher gehobenen Stil und Ton und die höhere Dichte an Bibelzitaten insbesondere aus der ntl. Briefliteratur (1 Kor 7,32; Phil 2,12 und 4,7, eine Stelle, die am Fest der Geburt der Theotókos gelesen wurde; 2 Kor 9,7 über die Großzügigkeit des Gebens, eine der Lesungen am 1. Lukassonntag) erklären würde; hinzu kommen Mt 21,18 (diese Stelle wurde am Montag der Großen und Heiligen 37 38 39 40
CFHB 31/2:643f. CFHB 31/2:734‒737. CFHB 31/2:666f. CFHB 31/2:678f.
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Woche, der Karwoche, gelesen), ein weiteres Mal Apg 4,32 und ein Zitat aus der Chrysostomos-Liturgie.41 An die Patrizierin Eirene, die kurz nach ihrer Verheiratung Nonne wurde, schreibt er vielleicht zwischen 818 und 820 einen Brief, in der er sie dafür lobt, dass sie ein Soldat Christi sei: Für das Leben im Kloster hat sie ein bequemes Leben aufgegeben. Neben Lk 1,42f., einer Stelle, die am Fest der Darstellung Marias im Tempel, dem schon erwähnten 25. November, gelesen wurde, Mt 5,12 und einer Rede Gregors von Nazianz (7,19) zitiert Theodoros Joh 14,23: Er ist also sicher, dass der Vater und der Sohn in ihr Wohnung genommen haben, und bittet sie, für ihn zu beten.42 Einer anonymen Einsiedlerin gegenüber, die ihm ihrerseits offenbar recht ausführlich geschrieben hat, rechtfertigt sich Theodoros (zwischen 815 und 818) mit einem Zitat aus Lk 6,30 („Gib jedem, der dich bittet“) für die Kürze seiner Antwort, greift ein weiteres Mal auf Apg 4,32 zurück und zitiert außerdem 2 Kor 12,20 und eine Stelle aus einem Brief des Basilius (262,2). Außerdem fasst er die Grundsätze des monastischen Lebens zusammen, die er der Nonne in Erinnerung ruft, um sie zu ermahnen, dass sie in der unruhigen und schwierigen Zeit des Ikonoklasmus im Glauben standhaft bleibt.43 Theodoros muss sich auch mit schwierigen Fragen befassen: Die Frau eines Protospatarios, eines Würdenträgers am byzantinischen Hof (ursprünglich ein militärisches Amt, aus dem später ein Ehrentitel wurde, der seinem Träger jedoch Zugang zum Senat verschaffte), möchte ins Kloster gehen und fragt den Studiten, wie sie ihren Mann dazu bringen könne, ihr diesen Schritt zu erlauben. Theodoros rät ihr (der betreffende Brief stammt aus der Zeit zwischen 815 und 819), sie solle ihren Mann davon überzeugen, den Heilsweg des monastischen Lebens mit ihr gemeinsam einzuschlagen, und zitiert in diesem Zusammenhang 1 Kor 7,16.44 Außerdem greift Theodoros auf Ps 102(103),15 und auf ein Zitat aus der Basiliusregel zurück (Regulae fusius tractatae, 8,1). Im Brief-Diptychon an die Nonne Maria (der erste der beiden Briefe stammt aus dem Jahr 818, der zweite wird zwischen 815 und 819 datiert) schreibt er, dass er gemeinsam mit ihr und allen anderen Christen Teil der μία Ἐκκλησία κοινοβιακή sei und dass Maria, was ihre Vornehmheit als Tochter Gottes und Braut Christi betreffe, Febronia und Thekla in nichts nachstehe. Neben mehreren Pauluszitaten (2 Kor 6,14; 1 Tim 6,12, der schon erwähnten Lesung vom 1. Samstag des Triodions; Phil 1,28; Röm 8,35 und Gal 2,6) zitiert er einen Psalmvers (45[46],3) und den heidnischen Epistolographen Aristainetos (I,13).45 41 42 43 44 45
CFHB 31/2:705‒710. CFHB 31/2:575f. CFHB 31/2:537f. CFHB 31/2:549‒551. CFHB 31/2:551f.
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Zu Theodoros’ Adressatinnen gehört auch die eingangs schon erwähnte Kassia.46 Sie war ein wunderschönes Mädchen und aussichtsreiche Anwärterin bei der Auswahl der künftigen Ehefrau von Kaiser Theophilos: 821 nämlich beschloss die Kaiserinmutter Euphrosyne, dass es für ihren Sohn Theophilos (829‒842) – den künftigen Gemahl jener Theodora, die dem Ikonoklasmus ein Ende setzte ‒ an der Zeit sei, sich eine Frau zu nehmen, und schrieb für die Wahl der Braut einen Schönheitswettbewerb aus. Im Vorfeld solcher Wettbewerbe, die seit dem Ende des 8. und das gesamte 9. Jh. hindurch mit einer gewissen Häufigkeit stattfanden, entsandte man eigens beauftragte Beamte ins gesamte Reichsgebiet, die das sogenannte kaiserliche Maß bei sich trugen: ein Täfelchen mit den Idealmaßen der Bewerberinnen (Statur, Brust, Fuß). Kassia war eines der beiden Mädchen (die andere war Theodora), die Kaiser Theophilos vorgeführt wurden. Dieser kommentierte ihre Schönheit mit den Worten: „Quell und Ursprung aller menschlichen Drangsal war eine Frau“,47 und erhielt auch prompt eine Antwort: „Auch die besseren Dinge kommen von der Frau“. Diese scharfe Replik disqualifizierte das Mädchen und veranlasste ihre Entscheidung für das monastische Leben, die sie freiwillig traf (und die mithin nichts mit der klösterlichen Hölle einer Arcangela Tarabotti zu tun hatte). Der Möglichkeit beraubt, Kaiserin zu werden, gründete sie ein Kloster, in dem sie den Rest ihres Lebens zubrachte und religiöse Gedichte, Epigramme (viele davon in gnomischen Versen) und Hymnen verfasste.48 Kassia stand in engem Kontakt mit Theodoros, von dem einige an sie adressierte Briefe auf uns gekommen sind. Gerade das Stoudioskloster war in den nachfolgenden Jahrhunderten maßgeblich daran beteiligt, die liturgischen Bücher – darunter auch die der Nonne Kassia ‒ neu zu edieren. Sie verfasste nicht nur geistliche Dichtung, sondern komponierte auch die Begleitmusik dazu: Die Zahl der Hymnen, die ihr mit Sicherheit zugeschrieben werden können, beläuft sich auf 33.49 46 Vgl. den Beitrag von Anna Silvas über Kassia im vorliegenden Band. 47 PG 109,685c; Enrico V. Maltese, „Donne a Bisanzio: misogamia culta e popolare tra l’XI e il XV secolo“, in Ders., Dimensioni bizantine: Donne, angeli e demoni nel Medioevo Greco (Turin: Paravia Scriptorium, 1995), 25‒48; 25. 48 Vgl. Hans-Georg Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich (HAW 12,2.1/ByHB 2.1; München: Beck, 1959), 429.461.603f.698.797: Er erwähnt die heilige Marta, Mutter des Hl. Symeon Stylites des Jüngeren, im 6. Jh.; Sergia aus dem Kloster der Hl. Olympias in Konstantinopel im 7. Jh.; Thekla, Verfasserin eines Kanons zur Theotokos, im 9. Jh.; Theodosia im 9. Jh.; Theodora Palaiologina Raulaina; eine Palaiologina, die in der ersten Hälfte des 14. Jh. Kanones zum Hl. Demetrios verfasst hat. Zu den anderen byzantinischen Hymnographinnen vgl. Eva C. Topping, Holy Mothers of Orthodoxy: Women and the Church (Minneapolis: Light and Life Publishing Company, 1987); Dies., „Thekla the Nun: In Praise of Woman“, GOTR 25 (1980): 353‒370; Dies., „Women Hymnographers in Byzantium“, Diptycha 3 (1982/83): 98‒111. 49 Neben dem im vorliegenden Band publizierten Artikel von Anna Silvas vgl. zumindest Eva C. Topping, „Kassiane the Nun and the Sinful Woman“, GOTR 26 (1981):
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Der erste Brief des Studiten an Kassia50 (zwischen 816 und 818) enthält kein einziges Bibelzitat, im zweiten (aus demselben Zeitraum) findet sich lediglich ein Zitat aus Ps 132(133),1, eines aus Joh 1,29 und eines aus Phil 1,29. Den dritten hingegen (zwischen 821 und 826) durchzieht ‒ möglicherweise weil der Brief umfangreicher und stärker untergliedert ist als die anderen beiden ‒ ein dichteres Geflecht aus atl. (Num 23,3ff. und Ez 7,3) und ntl. Zitaten (1 Thess 2,4; 2 Tim 2,15; Phil 3,8; 2 Tim 2,19). Es hat nicht den Anschein, als hätte der Studit die an Kassia gerichteten Briefe mit besonderer Sorgfalt konstruiert: Sie ist für ihn eine Nonne unter anderen, von derselben Liebe zu Christus und zum jungfräulichen Leben erfüllt wie alle anderen auch. Eine eigene Erwähnung verdient der an die Kaiserin Theodosia, Gattin Leons V., und ihren Sohn Basileios gerichtete Brief über den Bilderstreit (zwischen 821 und 824):51 Gegen die Εἰκονομάχοι vertritt Theodoros darin die Auffassung, dass es erlaubt ist, Bilder von Christus zu verehren, und bittet die Kaiserin, den rechten Glauben zu verteidigen; dabei zitiert er 1 Tim 2,5 und 6,12 sowie Hebr 11,38, eine Stelle, die am Allerheiligensonntag gelesen wurde, 12,4 und 1 Kor 10,29, aber auch 2 Petr 1,5, Lk 6,44, Ijob 5,9 und Sir 4,5. Zum Abschluss dieser ersten, summarischen Untersuchung zur Verwendung der Bibel in den an Frauen gerichteten Briefen des Theodoros scheint mir die Hypothese plausibel, dass die Zitate im Schrifttum des Studiten einen mehrfachen Zweck verfolgen: Zum einen sind sie sicherlich geistliche Speise, Wegzehrung, Mittel des Trosts und bilden das Gerüst der Briefe (wenngleich in einigen gar keine Zitate enthalten sind); zum anderen sind sie für Theodoros’ geschickte Feder ein Werkzeug der rhetorischen Konstruktion: Er wendet sich an Frauen, von denen er weiß, dass sie die Zitate kennen und mithin imstande sind, sie zu erfassen, zu kontextualisieren und vielleicht ihrerseits wiederzuverwenden. Er scheint sich der Tatsache bewusst zu sein, dass seine Briefe zum Ausgangspunkt der Katechese werden können, und zuweilen schreibt er sie sogar in genau dieser Absicht. Er bedient sich aus dem AT wie aus dem NT, vorzugsweise aus den Psalmen und den paulinischen Briefen, wobei letztere sicher die am häufigsten zitierten biblischen Verweise bilden. Manche Stellen wie Ijob 1,21 kommen speziell in den Trostbriefen zum Einsatz, mit anderen wie Joh 14,23 werden die weiblichen monastischen Gemeinschaften implizit als „Wohnung des Vaters“ bezeichnet. Die am häufigsten zitierte Stelle ist Apg 4,32 – vielleicht deshalb, weil die Mehrzahl der Briefe an Nonnen gerichtet ist. Insgesamt ist die Bibel für den Studiten nicht nur der „große Kodex“, den er als gemeinsame Grundlage voraussetzen kann, sondern auch das wichtigste, wenngleich (es scheint mir nicht übertrieben, 201‒209, und Dies., „The Psalmist, St. Luke and Kassia the Nun“, ByS(P) 9 (1982): 199‒210. 50 Uns liegen drei Briefe des Studiten an Kassia vor; hierbei handelt es sich um die Briefe 217, 370 und 539 (CFHB 31/2:339f.501f.813f.). 51 CFHB 31/2:811–813.
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dies zu sagen) dem eigentlichen Brief nachgeordnete Hilfsmittel der geistlichen Begleitung von Frauen, Nonnen wie Laiinnen, Witwen, Frauen, die ihre Kinder verloren haben, Töchtern, die ihre Mütter verloren haben, Nonnen, die ein Martyrium erleiden und auf den Trost ihres geliebten geistlichen Vaters warten.
Der Schriftgebrauch bei Kassia Anna M. Silvas University of New England (Australien)
1.
Der historische Kontext
Kassia, Cassia, Kasia, Kassiane, Eikasia oder Ikasia – in diesen Varianten ist ihr Name überliefert oder buchstabiert worden ‒ war eine byzantinische Nonne aus dem 9. Jh. Sie ist die herausragende Dichterin der griechischen Kirche und die Einzige der vier oder fünf zweifelsfrei identifizierten griechischsprachigen Hymnenschreiberinnen,1 deren Werke nachweislich Aufnahme in die liturgischen Bücher gefunden haben. Kassia – so schreibt der Hl. Theodoros Studites ihren Namen in zweien seiner Briefe, und an diese Schreibung wird sich auch dieser Artikel halten – wurde ca. 810 als Kind einer aristokratischen Familie in Konstantinopel geboren. Was ihren Zunamen Kανδιδατίσσῃ2 betrifft, so wird vermutet, dass ihr Vater am kaiserlichen Hof den hohen militärischen Rang eines Candidatus innehatte. Wie andere Mädchen aus diesen privilegierten Kreisen erhielt auch Kassia eine gute Ausbildung3 und brachte es in der griechischen Sprache zu 1
2
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Zu Theodosia, Thekla, Kassia und Palaiologina vgl. Eva C. Topping, „Women Hymnographers in Byzantium“, Diptycha 3 (1982/1983): 98‒111. Zu Phebronia, einer Nonne aus dem frühen 9. Jh. und Verfasserin poetischer, grammatischer und metrischer Werke, die nicht erhalten sind, vgl. auch Peter Hatlie, The Monks and Monasteries of Constantinople, ca. 350‒850 (Cambridge: Cambridge University Press, 2007), 422f. Der Name stellt insofern ein Problem dar, als er normalerweise die Frau eines Candidatus bezeichnet. Zu den Debatten über diesen Beinamen und Kassias Lebenssituation vgl. Ilse Rochow, Studien zu der Person, den Werken und dem Nachleben der Dichterin Kassia (BBA 38; Berlin: Akademie-Verlag, 1967), 24f.; Theodorus Studites, Epistulae (hg. v. Georgios Fatouros; 2 Bde; CFHB 31/1‒2; Berlin: de Gruyter, 1992), 1:26*; Judith A. Bentzen, A Study of the Liturgical and Secular Works of Blessed Kassia, Byzantine Nun and Poet (Magisterarbeit; University of New England, Australien, 1994), 14f. Die Mehrzahl der byzantinischen Frauen konnte nicht lesen. Dies galt allerdings auch für die Männer. Zur Ausbildung der Mädchen in höfischen Kreisen vgl. Judith Herrin, „Theophano: Considerations on the Education of a Byzantine Princess“, in The Empress Theophano: Byzantium and the West at the Turn of the First Millennium (hg. v. Adelbert Davids; Cambridge: Cambridge University Press, 1995), 64‒85; 76‒79. Herrin weist auf das hohe Tempo dieser Ausbildung hin, die im heiratsfähigen Alter (also in der Pubertät) abgeschlossen sein musste: „Es ist wichtig, sich daran zu erinnern,
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einem hohen Maß an literarischer Kenntnis. Sie studierte die Schriften, die Klassiker der Patristik – insbesondere Gregor von Nazianz –, Sakralmusik, Dichtung und Metrik und möglicherweise auch einige griechische Klassiker wie z. B. Homer. Der Lehrplan umfasste in etwa das, was wir heute als Stoff der Primar- und der ersten Sekundarstufe bezeichnen würden und endete in der Regel, aber nicht immer, kurz vor der weiterführenden Beschäftigung mit Rhetorik und Philosophie. Für Frauen vom Format einer Kassia gab es im Byzanz des 9. Jh. eine kurze Zeitspanne, innerhalb derer sie ihre Talente entfalten konnten; als bald darauf die althergebrachte Misogynie mit dem beginnenden 10. Jh. erneut um sich griff, wurde dieses Fenster wieder zugeschlagen. Obwohl die Ikonophilen (auch Ikonodulen genannt) nicht zuletzt auch als Frauenbewegung triumphierten, scheint die Chance, gewisse ikonoklastische Einstellungen zu korrigieren, nicht genutzt worden zu sein. Wir können (wenn auch recht hypothetisch) annehmen, dass die byzantinische Gesellschaft des 8. Jh., die gegen die Araber ums Überleben kämpfen musste, einen stärker patriarchal geprägten Charakter annahm als noch im Jahrhundert zuvor. Und wir können (noch hypothetischer) annehmen, dass diese patriarchale Tendenz die Frauen zum Widerstand reizte. Wenn das zuträfe, wäre es eine weitere Erklärung für die aktive Beteiligung von Frauen an der anti-ikonoklastischen Bewegung. Oberflächlich wurde der Ikonoklasmus in der Mitte des 9. Jh. besiegt und die Ikonenverehrung wiedereingeführt. Die Prinzipien der Ikonoklasten sollten jedoch, merkwürdig genug, länger überdauern als ihre Haltung gegenüber den heiligen Bildern […]. Wenn wir davon ausgehen, dass die Sieger von 843 die frauenfeindliche Einstellung der Ikonoklasten übernommen haben, dann verleiht dies den erhobenen Daten eine gewisse Schlüssigkeit: In der Welt der triumphierenden Ikonodulen wurde die Rolle der Frauen im kulturellen Leben massiv beschnitten (Briefwechsel mit Frauen wurden praktisch eingestellt und Dichtungen von Frauen unterdrückt), die Spuren der Frauen, die sich am Kampf gegen die Bilderstürmer beteiligt hatten, wurden verwischt, die Feiern zu Ehren heiliger Frauen, die die Ikonenverehrung verteidigt hatten, wurden drastisch eingedämmt…4
Den großen politischen, religiösen und gesellschaftlichen Kontext, in dem sich Kassias Leben abspielte, bildete also der Bilderstreit, der die östliche Christenheit zwischen 729 und 843 erschütterte. Die Ikonoklasten versuchten
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dass die Mädchen schnell lernen mussten. Prinzessinnen hatten frühzeitig erwachsen zu werden und standen unter Druck, denn von ihnen wurde erwartet, dass sie wichtige Staatsangelegenheiten bewältigten“, ebd., 83. Vgl. auch Ann Moffatt, „Schooling in the Iconoclast Centuries“, in Iconoclasm: Papers Given at the Ninth Spring Symposium of Byzantine Studies, University of Birmingham, March 1975 (hg. v. Anthony Bryer und Judith Herrin; Birmingham: Centre for Byzantine Studies, University of Birmingham, 1977), 85‒92. Alexander P. Kazhdan und Alice-Mary Talbot, „Women and Iconoclasm“, ByzZ 84/85 (1991/1992): 391‒408; 404; zur sich wandelnden Rolle von Frauen siehe ebd., 401–404.
Der Schriftgebrauch bei Kassia
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– zum Teil in Reaktion auf Idolatrievorwürfe von muslimischer Seite ‒, die Verwendung sakraler Ikonen aus den christlichen Gottesdiensten und Andachten zu verbannen. Frauen aller Gesellschaftsschichten und monastische Kreise waren die entschiedensten Gegner dieses fehlgeleiteten Versuchs, einen pseudochristlichen Archaismus durchzusetzen.5 Kassia, die „einem sowohl promonastischen als auch bilderfreundlichen Milieu angehörte, obwohl zumindest einer ihrer Verwandten ein hochrangiger Ikonoklast war“,6 beteiligte sich sogar schon als junges Mädchen aktiv an diesem Widerstand. Diese Erfahrung prägte ihren mutigen Charakter, ihr Engagement für die christliche Frömmigkeit und ihr sehr anspruchsvolles christliches Frauenbild. Sie wurde sogar zu einer Art kindlicher Bekennerin, als man sie mit Schlägen dafür bestrafte, dass sie inhaftierten Mönchen und geächteten Ikonodulen geholfen hatte.7 Ratsuchend wandte sich Kassia an den herausragenden Kirchenvater ihrer Zeit: den Hl. Theodoros Studites (759‒826), den Reformer der monastischen Lebensweise, Verteidiger der christlichen Ehe (gegen die vom Kaiser wiedereingeführte Praxis der Scheidung und Wiederheirat) und großen bilderfreundlichen Theologen.8 In seinen drei erhaltenen Briefen an Kassia9 findet Theodoros herzliche Worte des Lobes für ihre rechtgläubigen Überzeugungen und Traditionen,10 dankt ihr dafür, dass sie einem seiner Schüler im Gefängnis geholfen hat, und preist gleichzeitig die stilistische Qualität ihres Griechisch als herausragend für ihre Zeit und bemerkenswert für einen noch so jungen Menschen. Außerdem wird deutlich, dass die junge Kassia schon als Mädchen von einem monastischen Leben träumte und Theodoros gebeten hatte, ihr in diesem Punkt den Rücken zu stärken, auch wenn er – vielleicht in dem Gedan5
Cyril Mango kommt zu dem Schluss, dass der Triumph der Orthodoxie auf ein Bündnis zwischen Frauen und monastischen Kreisen zurückzuführen sei: Cyril Mango, „Historical Introduction“, in Iconoclasm: Papers Given at the Ninth Spring Symposium of Byzantine Studies, University of Birmingham, March 1975 (hg. v. Anthony Bryer und Judith Herrin; Birmingham: Centre for Byzantine Studies, University of Birmingham, 1977), 1–6; 4. Diesen Punkt hat Judith Herrin später in „Women and the Faith in Icons in Early Christianity“ weiterentwickelt; eine überarbeitete und aktualisierte Fassung dieses Beitrags liegt vor in Dies., Unrivalled Influence: Women and Empire in Byzantium (Princeton: Princeton University Press, 2013), 38‒79. 6 Alexander P. Kazhdan, Lee F. Sherry und Christina Angelidi, A History of Byzantine Literature (650‒850) (Research Series 2; Athen: National Hellenic Research Foundation, Institute for Byzantine Research, 1999), 316f. 7 Vgl. Rochow, Studien, 20‒26. 8 Zur Beziehung zwischen dem Hl. Theodoros und Kassia vgl. Hatlie, The Monks and Monasteries, 407f.424f.432. 9 Die Briefe finden sich in Rochow, Studien, 20–22. Eine Diskussion und englische Übersetzung biete ich selbst am Ende meines Artikels Anna M. Silvas, „Kassia the Nun c.810‒c.865: an Appreciation“, in Byzantine Women: Varieties of Experience AD 800‒1200 (hg. v. Lynda Garland; Aldershot: Ashgate, 2006), 7‒39; 32‒37. 10 Theodoros vertritt die Auffassung, in ihrem Bemühen um den rechten Glauben seien Frauen und Männer gleich, Ep. 142,19‒21.
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Anna M. Silvas
ken, was ihre Familie wohl dazu sagen mochte – in seiner Unterstützung eher zurückhaltend war.
2.
Zwei Kassias, eine Identität
Einer berühmten, von Symeon Metaphrastes im 10. Jh. erstmals bestätigten Legende zufolge soll Kassia im Jahr 829 an einer Brautschau teilgenommen haben, die Kaiserin Euphrosyne für Kronprinz Theophilos veranstaltet hatte. Diese Episode verdient hier Erwähnung, weil sie uns eine Kassia vor Augen führt, die ein wichtiges biblisches Thema zugunsten der Frauen verwendet: Im 6323. Jahr der Welt und im 823. Jahr der göttlichen Menschwerdung vollendete der Kaiser der Römer, Theophilos, Sohn Michaels des Stotterers, sein zwölftes Lebensjahr. Seine Mutter Euphrosyne war entschlossen, eine Frau für ihn zu finden, und versammelte mehrere Mädchen von unvergleichlicher Schönheit, unter denen sich ein bestimmtes Mädchen befand, die schönste Blume von ihnen allen,11 die Kassia hieß, und eine andere namens Theodora. Euphrosyne gab ihm einen goldenen Apfel und sagte ihm, er solle ihn der überreichen, die ihm am besten gefalle. Voller Staunen über Kassias Schönheit sagte Kaiser Theophilos: „Ach, welch beklagenswerte Dinge sind durch die Frau hervorgebrochen!“ Sie antwortete, wenn auch mit einer gewissen Bescheidenheit: „Ja, doch auch die besseren Dinge entspringen durch die Frau.“ Von diesem Wort mitten ins Herz getroffen, ging Theophilos an ihr vorüber und gab Theodora, die aus Paphlagonien kam, den goldenen Apfel.12
11 Ὡραιοτάτη impliziert möglicherweise ein Mädchen, das etwas älter und damit der Blüte des Frauseins etwas näher war als die anderen. 12 PG 109,685c: Κόσμου ἔτος ςτκγ́, τῆς θείας σαρκώσεως ἔτος ωκγ́, ῾Ρωμαίων Βασιλεὺς Θεόφιλος ὁ υἱὸς τοῦ Μιχαὴλ τοῦ Τραυλοῦ, Εἰκονομάχος, ἔτη ιβ́. Τῆς δὲ μητρὸς αὐτοῦ Εὐφροσύνης βουληθείσης δοῦναι αὐτῷ γυναῖκα, ἄγει κόρας διαφόρους ἀσυγκρίτους τῷ κάλλει, μεθ᾿ὧν μία τις ἐξ αὐτῶν κόρη ὡραιοτάτη ὑπῆρχεν Εἰκασία λεγομένη καὶ ἑτέρα Θεοδώρα ὀνομαζoμένη. Τόυτῳ δοῦσα ἡ μήτηρ χρυσοῦν μῆλον εἶπεν δοῦναι τῇ ἀρεσάσῃ αὐτῷ. Ὁ δὲ Βασιλεὺς Θεόφιλος τῷ κάλλει τῆς Εἰκασίας ἐκπλαγεὶς ἔφη, ὡς ἄρα διὰ γυναικὸς ἐῤῥυη τὰ φαῦλα. ἡ δὲ μετ᾿ αἰδοῦς πως ἀντέφησεν· ἀλλὰ καὶ διὰ γυναικὸς πηγάζει τὰ κρείττονα. Ὁ δὲ τῷ λόγῳ τὴν καρδίαν πληγεὶς ταύτην μὲν εἴασεν, Θεοδώρᾳ δὲ τὸ μῆλον ἀπέδωκεν, οὔσῃ ἐκ Παφλαγονίας. Die Legende wurde viele Male mit geringfügigen Abweichungen wiederholt. Rochow, Studien, 5‒19, diskutiert die Versionen von Leon Grammatikos, Theodosios Melitenos, Georgios Monachos, Zonaras, Glykas und Ephraim. Zusammengestellt und übersetzt sind alle diese Versionen bei Kurt Sherry, Kassia the Nun in Context: The Religious Thought of a Ninth-Century Byzantine Monastic (Gorgias Eastern Christian Studies 14; Piscataway: Gorgias Press, 2013), 120‒132.
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Ist das dieselbe Kassia, die uns in den Briefen des Hl. Theodoros und ihren eigenen literarischen Werken begegnet? In der jüngeren Forschung hat Bentzen die Historizität dieser Legende bestritten. Gleichwohl beweise die Legende, „wie gut sie den Byzantinern in Erinnerung geblieben war und welche Bedeutung sie für sie hatte, dass sie sie in ihre Literatur mitaufnehmen wollten.“13 Die Prosopography of the Byzantine Empire I: 641‒86714 enthält zwei Einträge, „Kassia I“ und „Kassia II“ und vermerkt am Ende des zweiten: „Möglicherweise identisch mit Kassia I“. Lauxtermann weist auf die Schwierigkeiten hin, die der Annahme, es habe zwei Kassias gegeben, im Wege stehen: „Kassia ist ein sehr ungewöhnlicher Name, und es braucht viel Phantasie, davon auszugehen, dass es in exakt derselben Zeit zwei Kassias gegeben haben soll, die literarisches Talent besaßen und Nonne werden wollten“. Und die, wie wir vielleicht hinzufügen dürfen, (wahrscheinlich) in derselben Stadt gelebt haben und beide aus aristokratischen Familien stammten.15 Ein Zusammentreffen all dieser Faktoren ist des Zufälligen wohl zu viel. Also gehen wir davon aus, dass wir es mit ein und derselben Kassia zu tun haben. Allerdings ist die Entscheidung, beide Kassias für identisch zu erklären, nicht voraussetzungslos und hat einige Konsequenzen, die die Datierung der Brautschau, die Datierung der Briefe des Theodoros und Kassias ungefähres Alter betreffen. In einer früheren Überblicksdarstellung16 bestand meine Lösung darin, ihr Geburtsjahr in Übereinstimmung mit Krumbacher17 und Beck18 um das Jahr 810 herum anzusetzen und für die Briefe des Theodoros eine Entstehungszeit in den 820ern anzunehmen, als Kassia im postpubertären, frühen Teenageralter war.19 Als Erklärung dafür, dass ihr Alter von 19 oder 20 Jahren 13 Bentzen, Study, 7. 14 John R. Martindale, Hg., Prosopography of the Byzantine Empire I: 641‒867 (Aldershot: Ashgate, 2001), 762f. 15 Marc Lauxtermann, „Three Biographical Notes“, ByzZ 91 (1998): 391–405; 392. Lauxtermann vertritt die Auffassung, Kassia habe am Totenbett jenes Mannes, den er für ihren Onkel hält, nicht interveniert, weil ihre ikonophile Haltung milder geworden sei; ihre Anwesenheit bei der Brautschau sei eine nachträgliche Erfindung ihrer Nonnen gewesen, die, so Lauxtermanns Vermutung, eine Vita verfasst hätten, um ihre Mutter Oberin bei den Ikonodulen zu rehabilitieren. Diese angebliche, nicht erhaltene Vita sei, was den besagten Vorfall betrifft, von den Chronisten ausgeschlachtet worden. Lauxtermanns Theorie beruht weitestgehend auf nicht belegbaren Hypothesen. 16 Silvas, „Kassia the Nun“, 17.33. 17 Karl Krumbacher, „Kasia“, SBAW.PPH 27/1 (1897): 305‒369; 315. 18 Hans-Georg Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich (HAW 12,2.1/ByHB 2.1; München: Beck, 1959), 519. Vgl. auch Kazhdan, Sherry und Angelidi, History of Byzantine Literature, 316, und Diane Touliatos, „Kassia (c. 810‒c. 843/867)“, in Women Composers: Music Through the Ages (hg. v. Martha Furman Schleifer und Sylvia Glickman; 8 Bde; New York: Hall, 1996–2006), 1:1‒24. 19 In seinem zweiten Brief spricht Theodoros sie als κόρῃ ἀρτιφυεῖ („kürzlich gesprosstes Mädchen“) an, was mit Sicherheit als „kürzlich zum reifen Mädchen geworden“ zu
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bei der Brautschau von 829/83020 als vergleichsweise „fortgeschritten“ empfunden wurde (was für sich genommen schon ein Indiz dafür ist, dass sie von einer Eheschließung Abstand genommen hatte), verweise ich auf Bentzens Aussage, dass bei einer Brautschau kein Mädchen älter als 14 Jahre gewesen sein dürfte.21 Der Charakter jener Kassia, die an der Brautschau teilnahm, deckt sich völlig mit dem Charakter der späteren Dichterin. Sie ist eine freimütige und schlagfertige junge Frau und nicht gewillt, eine Beleidigung ihres Geschlechts hinzunehmen. Das hat jedoch nichts mit Arroganz, geschweige denn mit Männerhass, sondern damit zu tun, dass ihr als Christin die jahrhundertealte EvaMaria-Typologie der Kirchenväter gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen ist.22 Ihr ruhiges, aber unbeirrtes Eintreten für Frauen und ihre keineswegs devote Haltung gegenüber dem Höhergestellten ist ein überzeugender Hinweis darauf, dass beide Kassias identisch sind. Die Anspielung auf Maria als Antitypus der Eva, die sie gegen Theophilos ins Feld führt, kehrt in Kassias Troparia an die Hl. Barbara und die Hl. Christina und im Grunde in ihrem verstehen ist, das heißt, Kassia wäre kein Kind mehr gewesen, sondern hätte sich in der Mitte des zweiten Lebensjahrzehnts befunden. 20 Die Datierung auf das Jahr 830 geht zurück auf Warren T. Treadgold, „The Problem of the Marriage of the Emperor Theophilos“, GRBS 16 (1975): 325‒341. 21 Vgl. Bentzen, Study, 20, die als Beleg (ebd., 42) offenbar Angeliki E. Laiou zitiert: „The Role of Women in Byzantine Society“, JÖB 31 (1981): 233‒260; 236. Nach römischem Recht lag das Mindestalter für eine Verlobung bei sieben und das Mindestalter für die Verheiratung eines Mädchens bei zwölf Jahren. Da Gregor von Nyssas Leben der Makrina zufolge seine Schwester in ihrem zwölften Lebensjahr verlobt wurde und bis zur Eheschließung eine Wartezeit von einigen Jahren vorgesehen war, kann man davon ausgehen, dass Christen in dieser Region und Epoche es vorzogen, ihre Töchter erst zu verheiraten, wenn sie schon ein wenig reifer für die Ehe waren. In seinem Großen Asketikon (LR 15) erklärt Basilius, dass das Gelübde der Jungfräulichkeit erst im ehefähigen Alter abgelegt werden solle. Im kanonischen Brief 199 nennt er 16 oder 17 Jahre als das früheste angemessene Alter für ein Jungfräulichkeitsgelübde oder eine Eheschließung. Das bestätigt auch der Fall der Mutter des Theodoret von Kyrrhos, die nach 13jähriger Ehe mit 30 Jahren schließlich von ihrer Unfruchtbarkeit geheilt wurde. Demnach wurden in der Spätantike zumindest die christlichen Mädchen eher mit 15 bis 18 als mit 12 bis 15 Jahren verheiratet. 22 Das Eva-Maria-Thema ist aus der Adam-Christus-Typologie des Römer- und des ersten Korintherbriefs (Röm 5,14; 1 Kor 15,22.45) abgeleitet. Es lässt sich fast bis in die nachapostolische Zeit hinein zurückverfolgen und findet sich in allen antiken christlichen Traditionen, vgl. Justin, Dialogus cum Tryphone 100 (Marcovich 241–243); Irenäus, Adversus Haereses III,22,4 (SC 211,438‒445) und V,19,1 (SC 153,248‒251); Ephräm der Syrer, Gesänge über die Geburt unseres Heilands. Hymnus 12 (CSCO 187/CSCO.S 83,79–82); Johannes Chrysostomos, In Ps. 44,7 (PG 5,93); Johannes von Damaskus, Hom. in dorm. S. V. M. II,3 (SC 80,130‒135); Hesychios, Sermo 5 in Deiparam (PG 93,1464); Tertullian, De carne Christi 17 (CCSL 2,904f.); Hieronymus, Ep. 22,21 (Labourt 1:131–133); Augustinus, Sermo 51,2‒3 (CCSL 41Aa,10–14) und Sermo 232,2 (SC 116,262–264).
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gesamten religiösen Schrifttum immer wieder. Überdies würde, wie Lauxtermann zu bedenken gibt,23 die Kassia, die ihre Replik hier mit einem zwölfsilbigen Vers formuliert, ausgezeichnet zu einer Kassia passen, die Epigramme und Maximen dichtete. Zwischen dem von Theophilos benutzten Verb ἐῤῥύη und Kassias πηγάζει vollzieht sich ein Wortspiel: Durch den Wechsel ins Präsens deutet Kassia an, dass Marias Umkehrung der Eva-Rolle eine noch immer sprudelnde Quelle der „besseren Dinge“ für die Menschheit ist und dass diese heilbringende Rolle der in der Theotókos beispielhaft verkörperten „Frau“ in jeder Frau wahr werden kann, die sich der Heiligkeit widmet.24 Den Chronisten zufolge gründete Kassia nach dem endgültigen Zusammenbruch des Ikonoklasmus 843 (nach Theophilos’ Tod) ein Nonnenkloster. Symeon schreibt, sie habe dies aus Enttäuschung darüber getan, dass sie nicht Kaiserin geworden sei.25 Dies ist jedoch eine romantische Erfindung, die gänzlich vernachlässigt werden kann. Nein, der Bräutigam Christus war keineswegs die zweite Wahl einer gekränkten Kassia. Dass diese jugendliche Aspirantin eines monastischen Lebens mit ihrem lebhaften Charakter überhaupt als Kandidatin bei der kaiserlichen Brautschau präsentiert wurde, kann bestenfalls als ein Manöver ihrer Familie betrachtet werden. Sie wurde dazu gezwungen. Und ihr „Scheitern“ kann für sie persönlich nichts Anderes gewesen sein als ein Erfolg. Es erinnert uns nachdrücklich an die Worte des Polonius in Shakespeares Hamlet: „Sei dir selber treu, / Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage, / Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.“26 Kassia erhielt die unerwartete Gelegenheit, Theophilos gegenüber etwas von ihrem wahren Wesen preiszugeben. Sie ergriff sie beim Schopf und rettete sie damit beide vor einer gemeinsamen Zukunft, der wohl kein Glück beschieden gewesen wäre. 23 Lauxtermann, „Three Biographical Notes“, 397. 24 Und ebenso in jedem Mann, denn in Kassias Maximen über das monastische Leben ist Maria der Archetyp eines jeden vollkommenen Christen: „Wer monastisch lebt, ist eine Wohnstatt Gottes, ein königlicher Thron, ein Palast der Heiligen Dreifaltigkeit“. „Ihre allegorische Beschreibung des monastischen Standes schöpft aus dem liturgischen Titelrepertoire der Theotókos, mit anderen Worten: Kassia erklärt, dass der wahre Mönch/die wahre Nonne insofern Theotókos ist, als er oder sie in ihrer eigenen Seele Gott gebiert“. Sherry, Kassia the Nun, 40. 25 So Symeon Metaphrastes zufolge (PG 109,685) ἡ μὲν Εἰκασία τῆς βασιλείας ἀποτυχοῦσα μονὴν κατεσχευάσεν. Zur Expansion der monastischen Gründungen, die dem Triumph der Orthodoxie 843 vorangingen, vgl. Hatlie, The Monks and Monasteries, 327‒330.347‒352; und Rosemary Morris, Monks and Laymen in Byzantium 843‒1118 (Cambridge: Cambridge University Press, 1995). Peter Charanis, „The Monk as an Element of Society“, DOP 25 (1971): 61–84; 68, schreibt, dass es nach dem Ende des Ikonoklasmus eine „Flut an neuen Klöstern“ gegeben habe. Viele Gründungen, die sich zuvor dem Ikonoklasmus verschrieben hatten, wie etwa das ChoraKloster, erhielten nun wieder eine bilderfreundliche Leitung. 26 William Shakespeare, Hamlet (übers. v. August Wilhelm Schlegel, hg. v. Dietrich Klose; Reclam Bibliothek; Stuttgart: Reclam, 2014), 28.
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Dass Kassia etwa zwölf oder dreizehn Jahre später über die nötigen Mittel verfügte, um ein Kloster zu gründen, weist darauf hin, dass ihre Eltern wohl in der Zwischenzeit verstorben waren.27 Ihr Kloster lag im Westen der Stadt unweit des Männerklosters Studion, was die noch aus ihrer Jugendzeit stammende Verbindung zu Theodoros gefestigt und intensiviert haben dürfte.28 Als die Hegumene der Nonnen trat sie in die Fußstapfen ihrer geistigen Väter, des Hl. Basilius des Großen und des Hl. Theodoros, und verpflichtete sich ganz und gar dem Koinobitentum (der Praxis des geordneten Lebens in der Gemeinschaft) als einer unabdingbaren Forderung des christlichen Lebens. Wie aus ihren intensiven Aphorismen über die monastische Berufung ersichtlich, erwartete sie von sich selbst und von ihren Nonnen deutlich mehr als die vornehme, minimalistische Form der Askese, wie sie bei zurückgezogen lebenden byzantinischen Adligen in späterer Zeit zu beobachten ist.29 In ihrer monastischen Gemeinschaft, wo sie nun endlich ein mit liturgischen Feiern, Arbeit und beständiger Bibelbetrachtung ausgefülltes Leben führen konnte, entfaltete Kassia ihr außergewöhnliches Talent als eine überaus produktive Verfasserin sakraler Gesänge und Melodien sowie nicht-liturgischer Verse. Handschriften aus dem 11.–16. Jh. schreiben ihr mindestens 49 Hymnen ‒ von denen 23 Aufnahme in die liturgischen Bücher gefunden haben30 ‒ und etwa 261 nicht-liturgische Verse31 in Form von Epigrammen oder Aphorismen, sogenannten „gnomischen“ Versen, zu. Ihr literarisches Talent tritt zutage, wenn man ihr Werk mit dem anderer Hymnographen ihrer Zeit vergleicht. Während diese zu einem konventionellen, weitschweifigen und manierierten Stil tendieren, neigt Kassia zu Originalität, einem schlichteren Vokabular und einem präziseren Wortgebrauch. Kassias Nähe und Verbindung zum Studionkloster hat das Überleben ihres Werkes ermöglicht. Die Studitenmönche spielten vom 9. bis zum 12. Jh. eine 27 Möglicherweise war sie ein Einzelkind, zumindest ist nirgends von Geschwistern die Rede. 28 Zum Standort des Klosters vgl. Antonia Tripolitis, Kassia: The Legend, the Woman, and Her Work (Garland Library of Medieval Literature 84; New York: Garland, 1992), xv; Bentzen, Study, 8. 29 Vgl. die Untersuchung zu Kassias monastischer Philosophie bei Sherry, Kassia the Nun, 63–91.111‒117. Vgl. auch ihr Sticheron zum Fest der Geburt des Hl. Johannes Prodromos, des Exempels aller monastisch Lebenden (Tripolitis, Kassia, 50f.), mit dem sich Kosta Simić befasst hat: „Kassia’s Hymnography in the Light of Patristic Sources and Earlier Hymnographical Works“, Zbornik Radova Vizantološkog Instituta 48 (2011): 7‒37; 28–30. 30 Vgl. die Auflistung und Diskussion bei Rochow, Studien, 32‒46. Das Corpus von Kassias nicht-kanonischen Hymnen wurde durch Entdeckungen in zwei Handschriften auf dem Berg Athos erweitert, vgl. Sophronios Eustratiades, „Κασιανὴ ἡ Μελωδός“, ᾿Εκκλησιαστικὸς Φάρος 31 (1932): 92‒112. Eine Ausgabe von Kassias kanonischen und nicht kanonischen Schriften in Griechisch und in englischer Übersetzung bietet Tripolitis, Kassia. 31 Diese wurden zuerst von Karl Krumbacher ediert: „Kasia“, 331–339.
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maßgebliche Rolle bei der Revision und Aktualisierung der konstantinopolitanischen liturgischen Bücher. Sie setzten ihrer Kollegin und Freundin ein einzigartiges Denkmal: Nicht, indem sie ihre „Vita“ verfassten, sondern indem sie eine Auswahl ihrer Hymnen in die liturgischen Bücher aufnahmen, auf deren Genehmigung und Verbreitung sie unvergleichlich großen Einfluss hatten – was nicht heißen soll, dass wir für eine bescheidene „Vita“ nicht auch dankbar wären.
3.
Kassia und die patristische Schriftauslegung
Man muss sich bewusst machen, dass viele der stillschweigenden Voraussetzungen, die (insbesondere seit der Reformation im 16. und dem Aufkommen der „wissenschaftlichen“ Bibelinterpretation im 19. Jh.) im Westen an den Begriff „Die Bibel“ geknüpft sind, in der religiösen Kultur, deren Erbe Kassia antrat, unbekannt waren. Schon das Wort „Bibel“ war ungebräuchlich, denn es geht auf mittelalterliche lateinische Kommentare zurück, deren Verfasser das griechische Neutrum Plural βίβλια („Bücher“) als lateinisches Femininum Singular biblia („das Buch“/„die Bibel“) gebrauchten. Natürlich gab es keine gedruckten Bibeln, die sozusagen stapelweise verfügbar gewesen wären. Um sich in jener Zeit „das Wort“ anzueignen, brauchte es zeitaufwändige Hand- und mühsame Kopfarbeit. Selbst wenn sich jemand den geschriebenen Text verschaffen konnte, geschah dies noch immer im Kontext einer in hohem Maße mündlichen, gemeinschaftlichen und kirchlichen Kultur. Die patristische Schrifthermeneutik basierte darauf, die heiligen Worte mithilfe einer Reihe von „Schlüsseln“, wie man es vielleicht nennen könnte, zu dechiffrieren. Diese Schlüssel sind in aufsteigender Reihenfolge: 1. der wörtliche (bezogen auf den unmittelbaren narrativen Kontext), 2. der moralische (bezogen auf die Verhaltensregel, die aus dem Text abgeleitet werden kann), 3. der typologische (bezogen auf die heilsgeschichtliche Einordnung des Texts) und 4. der anagogische (bezogen auf die Frage, inwiefern dieses Wort zu letztgültigen spirituellen Wirklichkeiten „emporführt“). Die frömmste Herangehensweise an die Heilige Schrift hatte diesen letztgenannten Aspekt im Blick: dass der Heilige Geist die spirituellen Sinne entflammte. Auf ebendiese Tradition der „geistlichen Sinne“ bezieht sich Patriarch Bartholomeos I., wenn er sagt: [Wir versuchen] auch, aus der reichen patristischen Tradition zu schöpfen, die auf das frühe dritte Jahrhundert zurückgeht, und werden die Lehre der fünf geistlichen Schriftsinne erklären. Wenn wir dem Wort Gottes zuhören, es in uns aufnehmen und anfassen, dann haben wir alle geistlichen Wege, um das einzigartige göttli-
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Anna M. Silvas che Mysterium wahrzunehmen. Origenes von Alexandrien schreibt auf Grund der Sprichwörter 2,5 über „das göttliche Wahrnehmungsvermögen“ (αἴσθησις): „Dieser Sinn offenbart sich als Sicht, wenn man die immateriellen Dinge betrachtet, als Gehörsinn, um Stimmen zu erkennen, als Geschmackssinn, wenn man frisches Brot schmeckt, als Geruchssinn, wenn man den süßen geistlichen Duft riecht, und als Tastsinn, wenn man mit dem Wort Gottes umgeht, das mit der ganzen Kraft der Seele erfasst wird.“ Die geistlichen Sinne werden verschieden beschrieben, nämlich als die „Fünf Sinne der Seele“, als „göttlich“, als „innere Fähigkeiten“ und selbst als „Fähigkeiten des Herzens oder des Gemüts“. Diese Doktrin inspirierte die Theologie der Kappadozier (besonders die von Basilius dem Großen und Gregor von Nyssa) genauso wie die Theologie der Wüstenväter (besonders von Evagrius Ponticus und Macarius dem Großen).32
Der Nährboden dieses weisheitlichen, auf Höheres gerichteten Zugangs zur Heiligen Schrift ist das Leben und insbesondere die Teilnahme an der Liturgie der Kirche. Um es mit einem klassischen Begriff des westlichen Mönchtums zu sagen: Die Liturgie ist in einem durchaus realen Sinn die kollektive Lectio divina der Kirche, ihre kontemplative und doxologische Lesart der Heilsworte und Heilstaten Gottes. Kassias Beschäftigung mit der Schrift erfolgt durchgängig in diesem altkirchlichen Modus. In der Liturgie werden alle Erzählungen, Prophezeiungen, Symbole, Gebote, Parallelen und Antithesen der Schrift gesungen. Indem die herrlichen, bildhaft anschaulichen Hymnen, die in der besagten Zeit und nicht zuletzt durch den Einfluss der syrischsprachigen Kirche in immer größerer Zahl in die konstantinopolitanische Liturgie aufgenommen wurden, gesungen werden, werden sie gleichzeitig theologisiert. Wie in der Liturgie war auch im persönlichen Gebet die Schriftbetrachtung darauf ausgerichtet, die spirituelle Innerlichkeit zu erwecken und die christlichen Gläubigen auf sublime Weise mit Leib, Seele und Geist dem Logos, dem Wort hinter den Wörtern, dem Gottmenschen Jesus Christus anzuverwandeln. Kassias Version der Heiligen Schrift war die kanonische Version der griechischsprachigen Kirche, das heißt, das griechische Original des Neuen Testaments (in der revidierten, „byzantinischen“ Fassung) und die Septuaginta, die kanonische griechische Bibelübersetzung des Alten Testaments. Da sie nie aufgefordert wurde, öffentlich zu predigen, liegen uns von ihr, anders als im Fall der Kirchenväter, keine ausführlichen Mitschriften biblischer Kommentare vor. Stattdessen sind in ihre Verse und Dichtungen die Auslegungen bib-
32 Patriarch Bartholomeos I. von Konstantinopel, Ansprache auf der XII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode über das Wort Gottes in Leben und Sendung der Kirche, Sixtinische Kapelle (18. Oktober 2008), online: http://www.vatican. va/news_services/press/sinodo/documents/bollettino_22_xii-ordinaria-2008/05_tedesco/b30_05.html#REDE_DES_%C3%96KUMENISCHEN_PATRIARCHS_ BARTHOLOMEO_I. [zuletzt abgerufen am 19.10.2018].
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lischer Themen, insbesondere in der Art, wie sie in der Liturgie vorkommen, miteingeflossen.33
4.
Kassia als Schriftinterpretin in liturgischen Versen
Einen exzellenten Einstieg in Kassias Schrifthermeneutik bietet ihr Hymnus zur Vesper am Vorabend des Fests der Theophanie, der Erscheinung des Herrn.34 Er ist in der Form eines dramatischen Dialogs gehalten, der sich in drei Stichera (Verse liturgischer Gesänge) gliedert. Kosta Simić erläutert Kassias Vorgehensweise: Als Grundlage dient der Dichterin hier das Gespräch zwischen Christus und dem Vorläufer Johannes aus dem Matthäusevangelium (Mt 3,13–15), das sie zugleich dramatisiert und theologisch vertieft. Den Worten Christi geht eine Einleitung voran, die vom Erzähler, das heißt von Kassia, gesprochen wird: Sie führt die Person Christi in das Drama ein. Christus bittet Johannes, ihn in den Wassern des Jordan zu taufen, wo er die „von der List der Schlange versklavte“ menschliche Natur wiederherstellen will (Z. 9–10).35
Diese Art, sich mit den Mitteln der Vorstellungskraft in die Evangelienerzählung hineinzuversetzen und in einer Haltung des theologischen Staunens ihre innere Bedeutung auszuloten, ist ein typisches Merkmal der byzantinischen Liturgiedramatisierung. Im dritten Sticheron steigert Kassia ihren Hymnus zu einem Crescendo: Als Theologin und Sängerin verleiht sie der Ehrfurcht Ausdruck, mit der Johannes auf das Ersuchen Christi reagiert, von seiner Hand getauft zu werden: „Oh mein Schöpfer, wie soll ich, der ich Gras bin, (vgl. Ps 89[90],5; 102[103],15) dir die Hände auflegen, der du Feuer bist? (vgl. Hebr 12,29 u. a.) Wie sollen die Wasser des Stromes dich aufnehmen, der du ein großes Meer (vgl. Sir 24,31) der Gottheit bist (vgl. Kol 2,9) und die unerschöpfliche Quelle des Lebens? (Ps 35[36],10) Wie soll ich dich taufen, der du, obwohl selbst ohne Verunreinigung, die Unreinheit der Menschen beseitigst? (vgl. Ez 22,15 u. a.) 33 Kurt Sherry vertritt die Auffassung, Kassia verdiene es, als Kirchenlehrerin anerkannt zu werden: „Ich behaupte, dass Kassias Werke auf derselben Ebene anzusiedeln sind wie die der Kirchenväter ihrer Zeit: Johannes von Damaskus, Photios der Große und Theodoros Studites, ihr geistlicher Vater […]. Der theologische Gehalt von Kassias hymnographischer Hinterlassenschaft ist Grund genug, sie als Kirchenmutter jenen gleichzustellen, die zu den Vätern gerechnet werden“, Kassia the Nun, 11f. 34 Der Text ist nachzulesen bei Tripolitis, Kassia, 30‒33. 35 Simić, „Kassia’s Hymnography“, 17.
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Anna M. Silvas Dazu, zu unserem Heil, wurdest du aus der Reinen geboren“, sprach der, der aus der Unfruchtbaren geboren worden war: „Ich bin es, der es nötig hätte, von dir getauft werden!“ (Mt 3,14) Ehre sei dir, o Herr!36
Das mit den Klängen der Heiligen Schrift vertraute Ohr wird sofort ahnen, dass Kassia ganz nach Art des liturgischen und theologischen Diskurses der Patristik dieses Sticheron an zahlreichen biblischen Anspielungen entlangfädelt. Doch das ist nicht alles. Simić zeigt, wie der gesamte Hymnus in seiner liturgischen Umsetzung musikalisch funktionieren könnte. Tatsächlich ist diese komplexe Verflechtung, diese Symphonie aus Musikalität und Emotionalität, liturgischem Gespür und theologischer Achtsamkeit, Doxologie und kirchlicher Gemeinschaft ein für Kassias Umgang mit der Bibel typisches Merkmal: Die dramatische Wirkung würde vor allem im zweiten und dritten Sticheron entschieden verstärkt, wenn diese poetischen Werke von zwei Chören antiphonisch dargeboten würden. Durch den Wechselgesang entstünde ein Dialog zwischen den Chören; sie übernähmen die Redeanteile der Protagonisten, das heißt, der eine Chor würde die Rolle Jesu spielen, der im zweiten Sticheron spricht, und der andere Chor würde den Johannes geben, der im dritten Sticheron zu Wort kommt. Und auch die in der Kirche versammelten Gläubigen, die nicht am Wechselgesang der Chöre beteiligt wären, würden dadurch in die Dramatisierung der Evangelienerzählung einbezogen, dass sie […] den Schlussreim jedes Sticherons wiederholen: Κύριε, δόξα σοι, „Ehre sei dir, o Herr!“37
Kassia hat viele Troparia, vorzugsweise über heilige Märtyrer, heilige Frauen und die kappadozischen Väter, aber auch für größere liturgische Feiern komponiert. Zu den letztgenannten zählen ein kanonisches und acht nicht-kanonische Troparia zur Geburt des Erlösers,38 drei für den Vortag des Fests der Erscheinung des Herrn, drei nicht-kanonische Troparia zur Begegnung oder Darstellung des Herrn im Tempel,39 eines zur Verkündigung und eines zur Entschlafung der Gottesmutter, der Theotókos, zwei für den ersten Fastensonntag (Sonntag des Zöllners und des Pharisäers), eines für den Freitag der ersten Fastenwoche und eines für den Mittwoch der Karwoche. Einer ihrer Kanones war für die Osternacht und ein weiterer, langer, für die Toten bestimmt. Alle von Kassia komponierten Hymnen sind von hohem theologischem und liturgischem Gespür und von einer sparsam, aber sensibel eingesetzten 36 Übersetzung aus dem Griechischen bei Tripolitis, Kassia, 32. 37 Simić, „Kassia’s Hymnography“, 18. 38 Das kanonische Troparion Als Augustus Herrscher über die Erde war gilt nach dem über die Sünderin als eines ihrer besten. Der Text ist nachzulesen bei Tripolitis, Kassia, 18f. Vgl. auch die Analyse dieses Troparions in Simić, „Kassia’s Hymnography“, 8‒12. 39 Vgl. Tripolitis, Kassia, 38‒41.
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Rhetorik gekennzeichnet. Einige Motive kehren mehrfach wieder: ihre bevorzugte Anrufung Christi als „Erlöser“ (σῶτερ), die „Rettung der Seelen“, die große Bedeutung von Tränen, das Erflehen der göttlichen Gnade. Besondere Inspiration schöpft sie aus dem Bild der Frauen, die am Auferstehungsmorgen Myrrhe zum Grab bringen und so zu den ersten Boten des herausragenden Ereignisses werden. Besonders empfänglich ist Kassia – was bei einer Ikonodulen und Schülerin des Hl. Theodoros kaum überrascht ‒ für die Demut und Selbsterniedrigung Christi bei seiner Menschwerdung und die daraus erwachsende Herablassung und mitfühlende Barmherzigkeit. Immer wieder verwendet sie den Begriff der Kenosis (vgl. Phil 2,7), der Selbstentäußerung oder ‑erniedrigung, und zwar gewöhnlich in Kombination mit einem Attribut, das das Paradoxe dieser Entäußerung noch hervorhebt. So spricht sie zum Beispiel von der göttlichen Kenosis Christi. Ebenso verwendet sie den eng mit dieser Vorstellung verwandten Begriff der Συγκατάβασις (Abstieg, Herablassung) als Beschreibung der Selbsterniedrigung Gottes bei der Menschwerdung. In ihren von Eustratiades40 wiederentdeckten Hymnen zur Geburt Christi verweilt sie bei der Armut des neugeborenen Erlösers und erwägt das Schriftwort: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen (2 Kor 8,9; EÜ). Simić weist darauf hin, wie häufig Kassia davon spricht, dass Gott sichtbar, das Wort „im Fleisch“ gewesen sei, um sich gegen die irregeleiteten Vorstellungen der Bilderstürmer abzugrenzen und die Wirklichkeit der Menschheit Christi zu betonen.41 Es ist bemerkenswert, dass ein von Kassia komponierter Kanon, wenn auch nur teilweise und gleichsam getarnt, seinen Weg in das Herzstück des heiligsten aller christlichen Feste gefunden hat: der Osternacht. Eine Zeitlang galt es als unziemlich, ihn einer Frau zuzuschreiben, und ihre Verfasserschaft wurde verschleiert und heruntergespielt. Verständlicherweise gilt er als das beste ihrer längeren Werke.42 Er beginnt mit der Erinnerung an den Gesang Mirjams und der anderen Frauen nach der Errettung am Schilfmeer. So gesehen war es durchaus nicht unpassend, dass seine Komponistin eine Frau und seine ersten Sängerinnen ihr Nonnenchor war: Doch lasst uns wie die Mädchen nun dem Herrn singen, denn er ist wunderbar verherrlicht worden!
Vollständig wiedergeben wollen wir im Folgenden Kassias Troparion zur Hl. Barbara, einer der in der östlichen Christenheit besonders beliebten weiblichen Heiligen. Die darin skizzierte weibliche Theologie ist ein Nachhall der 40 Vgl. Eustratiades, „Κασιανὴ“, 102‒105. 41 Vgl. Simić, „Kassia’s Hymnography“, 20–25. 42 Vgl. Eustratiades, „Κασιανὴ“, 97‒100.
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dem Kaiser bei der Brautschau erteilten Antwort und kehrt auch in den Troparia zur Hl. Christina wieder. In Kassias Darstellung hat Barbara Anteil an Marias Rolle, die die Rolle Evas umgedreht hat. Diese Rolle kann, so Kassias Vorstellung, im alten Streit zwischen der rettenden Gnade und der zerstörerischen Bosheit theoretisch von jeder Frau übernommen werden: Der böse Feind, der einst die Stammmutter gewann als ein Werkzeug der Sünde, ist beschämt worden, besiegt von einer Frau, denn Er, der von einer Jungfrau Fleisch angenommen hat, das Wort des Vaters, schlicht und unwandelbar, wie Er allein weiß, hat Evas und Adams Fluch aufgehoben. Jetzt hat Christus die Märtyrerin Barbara würdig gekrönt, und breitet durch sie Güte und großes Erbarmen über die Welt aus.43
Kassia verwendet die Schrift typologisch, um sie zu erhellen. In der vierten Ode ihres Tetraodion zum Karsamstag wendet sie die Erwartung einer künftigen, schreckenerregenden Theophanie in Hab 3,1‒19 auf ihre Erfüllung in der Menschwerdung und Passion Christi an und flicht Hab 3,14 auf suggestive Weise in ihre Verse mit ein: Habakuk, der deine göttliche Selbstentäußerung (kenosis) voraussah, ruft in Ekstase aus: „Du hast die Gewalt des Mächtigen durchbrochen, o Guter, indem du jenen im Hades predigtest als der Allmächtige.“44
In ihren drei Stichera über die „Begegnung“ oder Darstellung Christi im Tempel (Lk 2,22‒38)45 wendet sie das eindrückliche Bild der von einem Serafim getragenen glühenden Kohle aus Jes 6,6f. auf das Christuskind an, das Maria „wie in einer Zange“ zwischen ihren Armen geboren hat. Wie die Kohle, die nicht vom Feuer verzehrt wird, übergibt Maria das Kind an den greisen Simeon. 43 Übersetzung der Autorin aus dem Griechischen ins Englische: Tripolitis, Kassia, 13. 44 Ebd., 84. 45 Ebd., 38‒41.
Der Schriftgebrauch bei Kassia
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Kassias berühmtestes Werk ist ihr Troparion für den Orthros am Mittwoch der Karwoche, Κύριε, ἡ ἐν πολλαῖς ἁμαρτίαις: Hier wird die Erfahrung der Sünderin aus Lk 7,36‒50, die sich Christus nähert, mit einigen Motiven der Salbung in Bethanien (Joh 12,1‒8) kombiniert. Dieses Troparion ist in vielen Anthologien der griechischen und/oder religiösen Dichtung enthalten.46 Wie ihre anderen Hymnen hat Kassia auch diesen vertont, sodass sie zu Recht als Melodos bezeichnet wird. O Herr, sie, die gefallen war in viele Sünden, nimmt, da sie deine Gottheit erkennt, den Rang einer Myrrhenträgerin ein, und bringt dir klagend Myrrhe noch vor deinem Begräbnis. Weh mir!, sagt sie, denn die Nacht umfängt mich ‒ ein Stachel der Leidenschaft, finster und mondlos, ein Verlangen nach Sünde! Empfange meine quellenden Tränen, Du, der du aus den Wolken die Wasser des Meeres aussprengst. Neige dich herab zu mir, zum Seufzen meines Herzens, Du, der du in deiner unaussprechlichen Selbstentäußerung (kenosis) die Himmel herabgebogen hast! Inbrünstig will ich deine unbeschmutzten Füße küssen und dann will ich sie abwischen mit den Haaren von meinem Kopf. Als deren Laut im Paradies ihr in der Abendkühle in die Ohren drang, verbarg sich Eva voller Furcht. O wer vermöchte die Vielzahl meiner Sünden und die Tiefen deines Erbarmens völlig auszuloten, o Erlöser der Seelen, mein Erlöser? Wende dich nicht von mir ab, deiner Magd, o Träger unermesslich großen Erbarmens!47 46 Zum Beispiel Constantine A. Trypanis, The Penguin Book of Greek Verse (Harmondsworth: Penguin Books, 1971). 47 Übersetzung aus dem Griechischen bei Tripolitis, Kassia, 76‒79.
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In einem Moment des Innehaltens, unmittelbar bevor die Kirche das eigentliche Gedenken an das Leiden Christi begeht, fasst dieser Hymnus noch einmal die gesamte fastenzeitliche Erfahrung der Μετάνοια, der Umkehr und Buße, zusammen. Kassias Sprache erinnert in ihrer emotionalen Unmittelbarkeit an die Psalmen. In knappen, auf das Wesentliche beschränkten Worten beschreibt sie den ungleichen Kampf der Frau gegen die Gewohnheit der Sünde, die sie zur Sklavin hat werden lassen, die Krise, die nun eingetreten ist, ihren Entschluss, sich Christus zu nähern, und die Bitte, die sie an ihn richtet. Diese flehende Sünderin trägt das Schreien der ganzen, notleidenden Welt, die sich nicht selber retten kann, vor ihren Erlöser. Anders als ihre männlichen Kollegen bezeichnet Kassia die von ihr portraitierte Frau nicht rundweg als ἁμαρτωλός (Sünderin) oder πόρνη (Prostituierte). Dennoch bringt sie ihre moralische Verzweiflung mit wunderbarer Intensität zum Ausdruck. Paradoxerweise ist es diese gefallene Frau – und nicht Simon oder die Pharisäer, die ihr nicht einmal den Rang einer Prophetin zugestehen wollen ‒, die begreift, dass dieser da in ihrer Mitte Gott ist. Dass sie kommt, um den Erlöser zu salben, trägt ihr bei Kassia einen Platz unter jenen Frauen ein, die mit heiliger Myrrhe zum Grab gingen und so zu den ersten Boten der Auferstehung wurden. Im weiteren Verlauf entwickelt sich das Gedicht zu einem dramatischen Monolog im Inneren der Frau selber. „In den Worten der Sünderin entfaltet Kassia das Pathos einer gequälten, zerknirschten, Erlösung suchenden Seele“48 und nimmt den Hörer mit hinein in ihren Exodus: heraus aus der „mondlosen Nacht“ der sinnlichen Gefangenschaft und hinein in den „bodenlosen Abgrund“ der göttlichen Barmherzigkeit. Ein solcher Weg der Buße und Reue ist möglich, weil Gott sich durch die „unaussprechliche“ Kenosis seiner Menschwerdung herabgebeugt hat, um in Jesus gegenwärtig und mitleidend, zugänglich und berührbar zu werden. Eva war in ihrer Sündhaftigkeit vor ihm weggelaufen, doch diese Frau wagt das genaue Gegenteil: In der Sünde gefangen eilt sie ihm entgegen, setzt alles auf die eine Karte seiner Güte und niederbeugenden Hinwendung. Sie rechnet nicht etwa damit, dass seine Reinheit durch ihre Unreinheit beschmutzt, sondern im Gegenteil, dass ihre Unreinheit durch seine Reinheit geheilt werden wird. Kassias Meisterwerk ist ein vorzüglicher Hymnus auf die Demut und mitfühlende Barmherzigkeit Christi, des Erlösers der Seelen. Die Verfasserin dieser Sakraldichtung muss in ihrem Innersten verstanden haben, was tiefe Reue im Angesicht Gottes bedeutet. Wir dürfen sicher sein, dass Kassia als Dichterin und als geistliche Mutter bestrebt war, eine solche Haltung auch bei anderen zu fördern. Es wäre allzu banal, wenn man annehmen wollte, Kassia müsse dieselbe Art von Sünde begangen haben wie die von ihr porträtierte 48 Eva C. Topping, „The Psalmist, St. Luke and Kassia the Nun“, ByS(P) 9 (1982): 199– 210; 206.
Der Schriftgebrauch bei Kassia
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Frau, um diese Gefühle ausdrücken zu können. Wie jeder reife Christ, der auf einem ernsthaft christlichen Lebensweg eine gewisse Entfernung zurückgelegt hat, hat sie zwangsläufig auf die eine oder andere Weise die Erfahrung ihrer spirituellen Bedürftigkeit gemacht. Sie weiß, was es heißt, von Gottes erlösender Gnade abhängig zu sein.
5.
Kassias Schriftgebrauch in der nicht-liturgischen Dichtung
Wir wollen uns nun noch kurz dem Schriftgebrauch in Kassias nicht-liturgischen Versen zuwenden. Zum Thema Frauen greift Kassia einige alttestamentliche Weisheitssprüche und einige Epigramme des Palladas aus der Anthologia Graeca auf. Ihre Haltung zur weiblichen Schönheit scheint ambivalent ‒ sie ist entweder eine unwillkommene Ablenkung oder im besten Falle eine dienende Hilfestellung. Dann aber trifft sie eine verblüffende Aussage: Im ersten Buch Esdras ist Kassia auf einen Text gestoßen, der ihre Erfahrung der weiblichen Solidarität in der Krise der Kirche in jeder Hinsicht bestätigt und mit ihrer Eva-Maria-Typologie übereinstimmt. Auf der Grundlage dieses Textes formuliert sie ihr deutlichstes Bekenntnis zur Stärke der Frauen – solange sie mit der Wahrheit im Bunde sind: Esdras bezeugt, dass die Gattung der Frauen vereint mit der Wahrheit über alles obsiegt.49
Der Text stammt aus dem Buch, das in der griechischen Fassung der Septuaginta als 1. Buch Esdras und in der lateinischen Vulgata als 3. Buch Esdras geführt ist, aber nicht mit dem Buch Esra aus dem masoretischen Esra-Nehemia-Corpus verwechselt werden darf. Laut Zählung der von Rahlfs edierten Ausgabe der Septuaginta bezieht sich Kassia auf die Verse 1 Esdras 3,12: ὑπερισχύουσιν αἱ γυναῖκες, ὑπὲρ δὲ πάντα νικᾷ ἀλήθεια („Frauen sind von hervorragender Stärke, doch die Wahrheit siegt über alles“) und 1 Esdras 4,13: περὶ τῶν γυναικῶν καὶ τῆς ἀληθείας („über Frauen und die Wahrheit“). Den Kontext bilden 1. Esdras 3–4: Drei Leibwächter debattieren vor König Darius darüber, was am stärksten sei. Der dritte von ihnen, Serubbabel, erklärt, das seien die Frauen, doch da auch sie wie alles andere unredlich seien, übertreffe die Wahrheit auch sie und dauere ewig: „Gepriesen sei der Gott der Wahrheit!“ 49 φῦλον γυναικῶν ὑπερισχύει πάντων· καὶ μάρτυς ῎Εσδρας μετὰ τῆς ἀληθείας. Bentzen, Study, 148, der der vollständige biblische Kontext entgangen ist, übersetzt die Verse aus der Sicht eines weltlichen Feminismus (ebd., 250): „Die Gattung der Frauen beherrscht alles; und Esras Zeugnis beweist, dass dies wahr ist.“
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Er gewinnt den Wettstreit und wird mit der Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels belohnt. Kassia passt den Text ihrer Aussageabsicht an: Ja, Frauen siegen über alles, aber – um es einmal so auszudrücken ‒ nur, wenn sie mit der Wahrheit im Bunde sind. Was die Gefährdungen der Keuschheit betrifft, ist Kassia sehr hellsichtig, wie ihre Glosse zu einer Stelle aus den Sprichwörtern zeigt: Besser ein Kampf als heimliche Liebe (vgl. Spr 27,5), denn im ersten sind alle wachsam, doch in die zweite geraten sie durch Betörung.
Der Geist von Kassias nicht-liturgischer Dichtung lässt sich wohl kaum besser auf den Punkt bringen als mit dem folgenden Gebet, das einige ihrer Themen zusammenführt: Möge Christus mir lieber die Kraft geben, Anfeindungen von Männern (ἀνδράσι) zu ertragen, die nachdenken und äußerst weise sind, als im Umgang mit törichten Narren ein unbeschwertes Leben zu genießen.
6.
Resumee
Um das biblische Wort so ausdrücken zu können, wie Kassias es in ihrer theologischen Dichtung, liturgischen Doxologie und in ihren Weisheitsmaximen getan hat, muss diese Frau – das ist deutlich geworden und darf abschließend festgehalten werden ‒ dieses Wort zutiefst verinnerlicht haben. In ihrer Gedankenwelt und in ihrem Schrifttum wird das Gedenken an die biblischen Heilstaten Gottes in der Liturgie auf ihre höchste Vergegenwärtigungsstufe erhoben. Ihre Hermeneutik ist typischerweise von einer „Theologie der Frau“ durchsetzt, die deren heilsökonomische Bedeutung aus dem Blickwinkel der Rollenumkehrung zwischen Eva und der Jungfrau Maria betrachtet: einer in der christlichen Tradition wohldurchdachten und aus der Adam-Christus-Thematik des Evangeliums und anderer biblischer Schriften abgeleiteten Typologie. Es erfüllt uns mit dankbarem Staunen, dass diese fromme „Feministin“ aus dem Konstantinopel des 9. Jh. im Gedächtnis der Christenheit überlebt hat. Trotz aller misogynen Verschleierungsversuche hat sich Kassia in ihrem Nachleben den bleibenden Respekt der östlichen Kirchen erworben und dient heute jenen von uns als Inspiration, die das wahre Wohl der Frauen in Gesellschaft und Kirche zu fördern hoffen.
Zur byzantinischen Rezeption biblischer Offenbarungen über die Jungfrau Maria Mary B. Cunningham University of Nottingham
Maria, die Theotókos („Gottesgebärerin“) oder „Meter Theou“ („Mutter Gottes“), als die sie verschiedentlich in Texten beschrieben wird, ist eine zentrale Gestalt der byzantinischen Theologie und Spiritualität.1 Im Lauf der mittelbyzantinischen Periode, die normalerweise grob auf das 7. bis 12. Jh. datiert wird, hat sich die Verehrung der Jungfrau Maria in der byzantinischen Gesellschaft fest etabliert. Fünf Marienfeste (Geburt, Darstellung im Tempel, Empfängnis, Verkündigung und Entschlafung) wurden irgendwann zwischen dem 6. und dem frühen 8. Jh. in den liturgischen Kalender eingeführt. Hinzu kamen kleinere Gedenktage wie der zu Ehren ihrer Eltern, Joachim und Anna, am Tag nach ihrer Geburt (8. September) und zu Ehren von Reliquien wie dem Kleid und dem Gürtel Mariens (am 2. Juli bzw. am 31. August).2 Das Fest der Darstellung im Tempel (2. Februar) begann marianische Bedeutung zu bekommen, einerseits, weil ihre Reinigung als Wöchnerin nach vierzig Tagen geschah und andererseits, weil Simeons Prophezeiung, dass ein Schwert Marias Herz durchbohren wird (Lk 2,35), als Hinweis auf den künftigen Schmerz unter dem Kreuz verstanden wurde.3 In Konstantinopel 1
2 3
In den letzten Jahren sind zahlreiche Arbeiten über die Marienverehrung in Byzanz erschienen, darunter die Beiträge in den folgenden Sammelbänden: Sarah Jane Boss, Hg., Mary: The Complete Resource (London: Continuum, 2007); Chris Maunder, Hg., The Origins of the Cult of the Virgin Mary (London: Burns & Oates, 2008); Maria Vassilaki, Hg., Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (Mailand: Skira, 2000); Dies., Hg., Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (Aldershot: Ashgate, 2005); Robert N. Swanson, Hg., The Church and Mary: Papers read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (SCH[L] 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004); Leslie Brubaker und Mary B. Cunningham, Hg., The Cult of the Mother of God in Byzantium: Texts and Images (Birmingham Byzantine and Ottoman Studies 11; Farnham: Ashgate, 2011). Einen Überblick bietet Mary B. Cunningham, Wider Than Heaven: Eighth-Century Homilies on the Mother of God (Crestwood: St. Vladimir’s Seminary Press, 2008), 19‒28. Pauline Allen, „The Greek Homiletic Tradition of the Feast of the Hypapante: The Place of Sophronios of Jerusalem“, in Byzantina Mediterranea: Festschrift für Johannes Koder zum 65. Geburtstag (hg. v. Klaus Belke et al., Wien: Böhlau, 2007), 1–12; Dies., „Portrayals of Mary in Greek Homiletic Literature (6th–7th centuries)“,
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wurden der Mutter Gottes seit dem späten 5. Jh., vor allem aber vom 6. Jh. an zahlreiche Kirchen geweiht.4 Immer öfter verfasste man insbesondere zu festlichen Anlässen liturgische Predigten und Hymnen zu Ehren der Jungfrau;5 und auch die Abfassung von Wundergeschichten und einigen Marienleben begann in der mittelbyzantinischen Epoche.6 Alle diese Belege zeugen von der Entwicklung einer blühenden Marienverehrung, die sich nach zaghaften Anfängen im 5. Jh. im Kontext des Konzils von Ephesus (431) vor allem seit dem 6. Jh. immer weiter ausbreitete.7 Es gibt zahlreiche Gesichtspunkte, unter denen sich die byzantinische Interpretation der biblischen Gestalt der Maria betrachten ließe ‒ nicht nur Architektur und Texte, sondern auch Kunst, Numismatik, Siegelkunde und andere. Teils aus Gründen der gebotenen Kürze, teils aufgrund der Tatsache, in The Cult of the Mother of God in Byzantium: Texts and Images (hg. v. Leslie Brubaker und Mary B. Cunningham; Birmingham Byzantine and Ottoman Studies 11; Farnham: Ashgate, 2011), 69–88. 4 Cyril Mango, „Constantinople as Theotokoupolis“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 17‒25; 19–21. 5 Niki Tsironis, „The Mother of God in the Iconoclastic Controversy“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 27‒39. 6 Eine Liste findet sich bei François Halkin, Hg., Bibliotheca Hagiographica Graeca. Auctarium (SHG 47; Brüssel: Société des Bollandistes, 1969), Appendix III: Maria Deipara, 256‒273; viele dieser Texte sind nach wie vor nicht ediert. Vgl. Jane Baun, „Apocalyptic Panagia: Some Byways of Marian Revelation in Byzantium“, in The Cult of the Mother of God in Byzantium: Texts and Images (hg. v. Leslie Brubaker und Mary B. Cunningham; Birmingham Byzantine and Ottoman Studies 11; Farnham: Ashgate, 2011), 199‒218. 7 Für die lebhafte Verteidigung der Position, dass die Verehrung der Jungfrau Maria schon viel früher begann, vgl. Ally Kateusz, „Collyridian Déjà Vu: The Trajectory of Redaction of the Markers of Mary’s Liturgical Leadership“, JFSR 29/2 (2013): 75– 92; Dies., „‚She Sacrificed Herself as the Priest‘: Early Christian Female and Male Co-Priests“, JFSR 33/1 (2017): 45–67; Stephen J. Shoemaker, Mary in Early Christian Faith and Devotion (New Haven: Yale University Press, 2016). Traditionellere – und immer noch überzeugende – Antworten auf diese Fragen sind zu finden bei: Averil Cameron, „The Cult of the Virgin in Late Antiquity: Religious Development and Myth-Making“, in The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. Robert N. Swanson; SCH 39; Woodbridge: Boydell, 2004), 1‒21; Dies., „The Theotokos in Sixth-Century Constantinople: A City Finds Its Symbol“, JTS 29 (1978): 79‒108; Dies., „The Virgin’s Robe: An Episode in the History of Early Seventh-Century Constantinople“, Byzantion 49 (1979): 42‒56; Dies., „Images of Authority: Élites and Icons in Late Sixth-Century Constantinople“, Past and Present 84 (1979): 3‒35; alle wieder abgedruckt in Dies., Continuity and Change in Sixth-Century Byzantium (London: Variorum Reprints, 1981); Bissera V. Pentcheva, Icons and Power: The Mother of God in Byzantium (University Park: Pennsylvania State University Press, 2006).
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dass viele dieser Aspekte schon die Aufmerksamkeit in anderen Publikationen erfahren haben,8 wird sich der vorliegende Beitrag auf die liturgischen und hagiographischen Texte aus der Zeit zwischen dem 7. und dem 10. Jh. konzentrieren. Diese Periode war, was die Entwicklung der marianischen Vorstellungen betrifft, besonders wichtig. Liturgische Texte einschließlich festlicher Hymnen und Predigten zu bestimmten Anlässen begannen Maria als eine Gestalt mit eigenem Format zu porträtieren. Das heißt nicht, dass ihre christologische Bedeutung deshalb unterschätzt worden wäre – dieser Aspekt bleibt vielmehr in den meisten Predigten, die Maria als die Theotókos preisen, das Hauptanliegen. Dennoch lässt sich vom 7. Jh. an in liturgischen Texten ein zunehmendes Interesse an ihrer Fürbittmacht wie auch an ihrem persönlichen Hintergrund, ihren Emotionen und ihrer Rolle bei den Ereignissen im Leben Christi nachzeichnen. Noch ausgeprägter ist dieses Interesse in den hagiographischen Texten, die in dieser Zeit verfasst wurden und für die ein dem Theologen Maximus Confessor (7. Jh.) zugeschriebenes (aber nur in einer späteren georgischen Übersetzung überliefertes) Marienleben ein gutes Beispiel darstellt.9 Zu den interessanten Besonderheiten der verschiedenen Gattungen der Marienliteratur in der byzantinischen Periode gehört, dass sie je nach Schwerpunktsetzung aus ganz unterschiedlichen Überlieferungssträngen schöpfen. Festpredigten und ‑hymnen folgen meist dem Alten und dem Neuen Testa8 9
Eine erste Einführung in diese Themen bieten die Beiträge in Vassilaki, Mother of God. Eine revidierte Textedition samt englischer Übersetzung bietet Maximus Confessor, The Life of the Virgin (hg. v. Stephen J. Shoemaker; New Haven: Yale University Press, 2012) [= Shoemaker]; vgl. auch CSCO 478–479/CSCO.I 21–22. Van Esbroeck hielt den Text für echt und folgte Michael Tarchnisvili in der Auffassung, der Mönch Euthymios habe ihn im späten 10. Jh. ins Georgische übersetzt, vgl. CSCO 479/CSCO.I 22,VI–VIII. Stephen Shoemaker hat diese Zuschreibung in einer Reihe von Artikeln akzeptiert, vgl. z. B. Stephen J. Shoemaker, „The Virgin Mary in the Ministry of Jesus and the Early Church According to the Earliest Life of the Virgin“, HTR 98 (2005): 441‒467; Ders., „The Georgian Life of the Virgin attributed to Maximus the Confessor: Its Authenticity (?) and Importance“, in Universum Hagiographicum: Mémorial R.P. Michel van Esbroeck, S.J. (1934‒2003) (hg. v. Basil Lourié; Scrinium 2; St. Petersburg: Byzantinorossica, 2006), 307–328. In der Einleitung zu seiner neuen Übersetzung des Werkes akzeptiert Shoemaker allerdings die Schwierigkeit, Maximinians Verfasserschaft der griechischen Urversion des Marienlebens nachzuweisen; er plädiert jedoch weiterhin für eine Datierung in das frühe 7. Jh. (vgl. Shoemaker 21). Einige Wissenschaftler haben die Authentizität des Werks hingegen angezweifelt, vgl. z. B. Ermanno Maria Toniolo, „L’Akathistos nella Vita di Maria di Massimo il Confessore“, in Virgo Liber Verbi: Miscellanea di studi in onore di P. Giuseppe M. Besutti, O.S.M. (hg. v. Ignazio M. Calabuig; Rom: Marianum, 1991), 209‒228, und zuletzt Phil Booth, „On the Life of the Virgin attributed to Maximus the Confessor“, JThS NS 66 (2015): 149–203. Shoemaker antwortet auf Booths Thesen in: Stephen J. Shoemaker, „The (Pseudo?‑)Maximus Life of the Virgin and the Byzantine Marian Tradition“, JThS NS 67 (2016): 115–142.
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ment und verschmelzen prophetische, typologische und narrative marianische Bezüge zu einer reichhaltigen, intertextuellen Form der Bibelexegese. Zusätzlich zu den kanonischen Quellen begannen diese liturgischen Texte insbesondere nach dem 7. Jh. apokryphe Texte wie das im 2. Jh. verfasste Protevangelium des Jakobus und spätere (meist im 5. und 6. Jh. entstandene) Darstellungen der Entschlafung Mariens und ihrer Aufnahme in den Himmel zu verwenden.10 Demgegenüber beweisen hagiographische Texte wie die marianischen Wundererzählungen, Lebensbeschreibungen und Apokalypsen eine ausgeprägte Unabhängigkeit von den biblischen und sogar den apokryphen Erzählungen.11 Obwohl die Verfasser dieser Texte sich auf AT und NT beziehen und sich unter Umständen auch von den apokryphen Erzählungen inspirieren lassen, legen sie eine auffällige Tendenz an den Tag, sich von diesen Darstellungen zu lösen und selbsterfundene Details hinzuzufügen. Niki Tsironis geht recht überzeugend davon aus, dass in der mittelbyzantinischen Periode eine literarische Gattung die andere oder sogar ein Medium das andere beeinflusst haben könnte. Insbesondere hat sie die Auffassung vertreten, dass marianische Vorstellungen, die ursprünglich in der Dichtung aufgekommen waren, zuerst in der Homiletik, dann in der Ikonographie und schließlich, mit zunehmender Akzeptanz auch in den Kern der orthodoxen Religionspraxis, in der Liturgie, Eingang fanden.12 Die hagiographischen und apokalyptischen Texte scheinen nicht Teil dieses Kreislaufs der wechselseitigen Beeinflus10 Eine Ausgabe einer frühen Version des Protevangeliums des Jakobus bietet SHG 33. Eine englische Übersetzung liegt vor bei James K. Elliott, Hg., The Apocryphal New Testament: A Collection of Apocryphal Christian Literature in an English Translation (Oxford: Clarendon Press, 1993; überarb. Aufl. 2005), 57‒67. Zur Verwendung dieses apokryphen Texts in den Predigten des 8. Jh. vgl. Mary B. Cunningham, „The Use of the Protevangelion of James in Eighth-Century Homilies on the Mother of God“, in The Cult of the Mother of God in Byzantium: Texts and Images (hg. v. Leslie Brubaker und Mary B. Cunningham; Birmingham Byzantine and Ottoman Studies 11; Farnham: Ashgate, 2011), 163‒178. Zur Übernahme apokrypher Darstellungen der Entschlafung Mariens in Predigten ab dem 7. Jh. vgl. Brian E. Daley, On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood: St. Vladimir’s Seminary Press, 1998), insbes. 9‒35. 11 Zu den mittelbyzantinischen Marienleben siehe Anm. 9.66.67; zu einer Sammlung von Wundererzählungen aus dem 10. Jh. im Umkreis des Borns oder der Quelle („Pege“) in Konstantinopel vgl. Alice-Mary Talbot und Scott F. Johnson, Hg., Miracle Tales from Byzantium (Dumbarton Oaks Medieval Library 12; Cambridge: Harvard University Press, 2012), 204‒297; zur Apokalypse der Theotokos siehe Montague R. James, Hg., Apocrypha Anecdota: A Collection of Thirteen Apocryphal Books and Fragments (TaS 2,3; Cambridge: Cambridge University Press, 1893), 109‒126; Jane Baun, Tales from Another Byzantium: Celestial Journey and Local Community in the Medieval Greek Apocrypha (Cambridge: Cambridge University Press, 2007). 12 Niki Tsironis, „From Poetry to Liturgy: The Cult of the Virgin in the Middle Byzantine Era“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 91‒99; 91f.
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sung gewesen zu sein. Jane Baun spricht hier von einer „parakanonischen“ Überlieferung; sie spiegelt den volkstümlichen Glauben an Marias Macht als Gottesmutter und Fürsprecherin wider, der sich insbesondere nach der ikonoklastischen Periode entwickelte.13 Ich werde den vorliegenden Beitrag in drei Hauptteile gliedern und mich im ersten mit marianischen Festpredigten, im zweiten mit Hymnen und schließlich im dritten Teil mit hagiographischen und apokalyptischen Texten befassen. Wegen der hier gebotenen Kürze und aufgrund der Breite des Gegenstandes werde ich nicht jedes dieser Themen mit der angemessenen Gründlichkeit abhandeln können. Ich hoffe jedoch, einige Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, wie die biblische Offenbarung über Maria jeweils verwendet worden ist, und wo und wie die betreffenden Autoren bewusst von dieser Offenbarung abgewichen sind.14 Zurvor sind noch einige klärende Worte notwendig. Wie bei den meisten homiletischen und hymnographischen Texten der frühen christlichen und byzantinischen Zeit sind, was die Datierung und Zuschreibung des hier zu behandelnden Materials betrifft, nach wie vor viele Fragen offen. Obwohl sich viele Texte bestimmten Autoren zuordnen lassen, bleiben andere problematisch, weil die handschriftlichen Überlieferungen oft abweichende Zuschreibungen bieten. Dass es im Bereich sowohl der Predigten als auch der Hymnen an kritischen Ausgaben mangelt, stellt ein Problem dar: Wir haben es in den meisten Fällen mit Texten zu tun, die in ganz unterschiedlichen Überlieferungskontexten auf der Grundlage einzelner Handschriften ediert worden sind. Die Gattung der Hymnographie bedarf am dringendsten der systematischen Forschung, nicht nur in Bezug auf die Textkonstitution, sondern auch auf Fragen der Zuschreibung und Herkunft. Diese Gattung ist in einer Vielzahl liturgischer Bücher tradiert und in Umlauf gebracht worden, die in den modernen orthodoxen Kirchen bis heute in Gebrauch sind. Einzelne Texte und Autoren fügen sich nahtlos in die liturgischen Feiern ein, die nicht nur aus Hymnen, sondern auch aus Lesungen, Responsorien und Gebeten bestehen. Moderne Übersetzungen des hier thematisierten Materials sind großenteils Mangelware. Es bleibt zu hoffen, dass Untersuchungen wie 13 Jane Baun, „Discussing Mary’s Humanity in Medieval Byzantium“, in The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. Robert N. Swanson; SCH[L] 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004), 63‒72; 66f. 14 Inzwischen habe ich mich, teils überlappend mit diesem Artikel, auch in anderen Publikationen diesen Themen gewidmet; vgl. z. B. Mary B. Cunningham, „Mary as Intercessor in Constantinople during the Iconoclast Period: The Textual Evidence“, in Presbeia Theotokou. The Intercessory Role of Mary across Times and Places in Byzantium (4th–9th Century) (hg. v. Leena M. Peltomaa, Andreas Külzer und Pauline Allen; VBF 39/DÖAW.PH 481; Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2015), 139–152; Dies., „The Life of the Virgin Mary According to Middle Byzantine Preachers and Hagiographers: Changing Contexts and Perspectives“, Apocrypha 27 (2016): 137–159.
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die vorliegende ein Bewusstsein dafür schaffen, dass zahlreiche marianische Texte aus mittelbyzantinischer Zeit noch immer der Erforschung und Übersetzung harren.
1.
Die homiletische Tradition
Die Marienpredigten aus der mittelbyzantinischen Periode können aus zwei Gründen hauptsächlich als Festorationen kategorisiert werden: Erstens fühlten sich die Prediger etwa seit dem 6., vor allem aber im Lauf des 7. und des 8. Jh. gedrängt, panegyrische Predigten (in den Handschriften oft „Enkomien“ genannt) zu den neu eingerichteten Festen zu verfassen, die an Ereignisse im Leben der Gottesmutter erinnern. Dieser Prozess verlief aus uns unbekannten Gründen recht langsam. Die ersten Festpredigten erschienen erst etliche Jahre und in manchen Fällen sogar ein ganzes Jahrhundert nachdem das betreffende Fest dem Kalender hinzugefügt worden war. Einige byzantinische Texte aus dem 8. Jh., wie etwa die Mariä-Empfängnis-Predigt des Johannes von Euböa, weisen darauf hin, dass die Marienfeste, obwohl offiziell eingerichtet, in der Mitte des 8. Jh. aber offenbar noch nicht allgemein gefeiert wurden.15 Ein zweiter Grund mögen die Überlieferungswege gewesen sein, die verhindert haben könnten, dass frühere, von weniger berühmten Predigern verfasste Predigten auf uns gekommen sind. Die Praxis, Festpredigten durch Handschriftensammlungen weiterzugeben, die als Auswahl aus den Schriften der berühmtesten griechischen Väter für die Tage oder Feste des Kirchenjahrs konzipiert waren, bedeutet, dass womöglich viele Homilien von früheren oder weniger bekannten Predigern verlorengegangen sind.16 Im Korpus der erhaltenen Schriften herrschen gewisse Methoden der Bibelzitation und Bibelauslegung vor, obwohl neue exegetische Ansätze beträchtlichen Raum einnehmen. Die meisten Prediger, die über Themen wie die Geburt Mariens oder ihre Darstellung im Tempel schreiben, versuchen zunächst, diese Themen auf eine prophetische Grundlage zu stellen. Aus15 CPG 3,8135; Johannes von Euböa, In conceptionem (PG 96,1473); vgl. die Diskussion bei Cunningham, Wider Than Heaven, 19‒28.182, Anm. 45.51. 16 Listen und Beschreibungen der liturgischen Sammlungen, in denen die besagten Homilien überliefert sind, bietet Albert Ehrhard, Überlieferung und Bestand der hagiographischen und homiletischen Literatur der griechischen Kirche (3 Bde; Leipzig: Hinrichs, 1937‒1952). Eine Diskussion über die spätere Verwendung und die Zielgruppen solcher liturgischen Sammlungen findet sich bei Mary B. Cunningham, „Messages in Context: The Reading of Sermons in Byzantine Churches and Monasteries“, in Images of the Byzantine World: Visions, Messages and Meanings: Studies presented to Leslie Brubaker (hg. v. Angeliki Lymberopoulou; Farnham: Ashgate, 2011), 83‒98.
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drückliche atl. Zeugnisse für die Ereignisse des Marienlebens gibt es natürlich nicht, doch in den Augen der byzantinischen Exegeten lauern hinter dem wörtlichen Schriftsinn allenthalben Hinweise auf ihre theologische Rolle bei der Menschwerdung Christi. Gott habe – davon gehen byzantinische Prediger wie Andreas von Kreta aus ‒ seit Anbeginn der Schöpfung geplant, dass diese Jungfrau seinen Sohn gebären sollte, der eine metaphysische Erneuerung der ersten Schöpfung repräsentiert. So schreibt Andreas in seiner ersten Homilie über die Geburt Mariens: Heute wurde dem Schöpfer des Alls ein geschaffener Tempel errichtet, und neu wird das Geschöpf dem Schöpfer als göttliche Wohnstatt bereitet. Heute empfängt die einst zu Staub gewordene Natur den Beginn der Vergöttlichung, und der Staub, der emporgehoben wurde, strebt wieder empor zur Herrlichkeit in der Höhe. Heute weiht Adam Maria, indem er sie von uns und für uns Gott als Erstlingsgabe darbringt, sie, die nicht mit dem übrigen Teig vermischt wurde; durch sie wird das Brot gemacht zur Neuformung des Menschengeschlechts.17
Diese Methode der Exegese, die die Einheit von AT und NT betont und Christus als die Wiederaufnahme oder Erfüllung der Erschaffung des ersten Menschen, Adam, durch Gott begreift, hat zunächst den Paulusbriefen vieles zu verdanken (z. B. 1 Kor 15,45‒47) und dann frühchristlichen Theologen wie Irenäus von Lyon, die dieses paulinische Motiv weiterentwickelten.18 Byzantinische Prediger, unter ihnen Andreas von Kreta, dehnten diese Vorstellung auf Maria aus und beschrieben sie nicht nur als die „Zweite Eva“, die Gott gehorchte, statt ihm ungehorsam zu sein, sondern auch als die unberührte (jungfräuliche) Erde, von der der zweite Adam, Christus, seine physische Natur annahm, oder auch als Paradiesgarten Eden, der den Lebensbaum (Christus) oder Gott selbst beherbergte.19 Propheten wie Mose (als Verfasser des Pentateuchs), David, Jesaja und andere hätten es nach den byzantinischen Predigern vorgezogen, auf rätselhafte, verschlüsselte Weise von Maria 17 CPG 3,8170; Andreas von Kreta, In nativitatem I (PG 97,809d‒812a); übers. bei Cunningham, Wider Than Heaven, 75. In einzelnen Elementen folgt die Übersetzung: Andreas von Kreta, „‚Zum Fest der Geburt der Jungfrau …‘: Auszüge aus der Predigt zur Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin“, Der Bote der Deutschen Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland (1997/4): 1, online: http:// orthodoxe-bibliothek.de/index.php/zeitschriften/der-boote/1997/1997-4/757 [zuletzt abgerufen am 19.10.2018]. 18 Zu den neueren Untersuchungen gehören Ysabel de Andia, Homo vivens: Incorruptibilité et divinisation de l’homme selon Irénée de Lyon (Paris: Études Augustiniennes, 1986); John Behr, Asceticism and Anthropology in Irenaeus and Clement (OECS; Oxford: Oxford University Press, 2000); Matthew C. Steenberg, Irenaeus on Creation: The Cosmic Christ and the Saga of Redemption (SVigChr 91; Leiden: Brill, 2008). 19 CPG 3,8170; Andreas von Kreta, In nativitatem I (PG 97,816); übers. bei Cunningham, Wider Than Heaven, 78f.
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zu sprechen. Christen, die genug theologischen Verstand besäßen, um solche Hinweise zu erkennen, seien in der Lage, im gesamten AT Anspielungen auf ihre Rolle als Gottesträgerin oder Gottesgefäß zu sehen. Auch wenn die Typologie formal betrachtet keine Weissagung ist, ist sie doch insofern prophetisch, als sie die theologische Bedeutung von Marias Rolle als Mutter Christi vorhersagt. Ehe wir uns näher mit diesen verschiedenartigen Typen befassen, lohnt es sich, die Typologie als Methode der Textexegese kurz zu definieren. Wie Frances Young aufzeigt, ist die Typologie ein moderner Begriff. Für die patristischen und byzantinischen Kommentatoren war sie eine von vielen Formen der Allegorie.20 Während einige ForscherInnen die Typologie von der Allegorie unterscheiden und geltend machen, dass Erstere in der historischen Zeit verwurzelt bleibe, während Letztere im biblischen Text eine ewige Bedeutung sehe,21 vertritt Young, der von Sebastian Brocks Arbeit über die syrische Hymnographie beeinflusst ist, die Ansicht, dass die Typologie dazu diene, uns aus einem weltlichen und rein linearen Zeitrahmen in einen ewigen Daseinszustand zu befördern, in dem die Heilsgeschichte eine einheitliche und zeitlose Wirklichkeit darstellt.22 Die marianischen Typoi, die in der byzantinischen liturgischen Dichtung aufkamen, scheinen diese Deutung ihrer Funktion zu bestätigen.23 Zunehmend wurden die betreffenden Hinweise aus dem Textzusammenhang herausgelöst zitiert: Für die byzantinischen Prediger und Hymnographen kam es bei einem Typos wie der Jakobsleiter (Gen 28,10‒17), dem brennenden Dornbusch (Ex 3,1‒8) oder Gideons Vlies (Ri 6,37‒40) natürlich nicht auf den historischen Hintergrund, sondern auf die Bedeutung an. Solche Typoi lassen sich zu Kategorien gruppieren, die bestimmte theologische Botschaften vermitteln: Einige, wie die Jakobsleiter (Gen 28,10‒17), weisen voraus auf 20 Frances Young, Biblical Exegesis and the Formation of Christian Culture (Cambridge: Cambridge University Press, 1997), 152.193; Alan C. Charity, Events and Their Afterlife: The Dialectics of Christian Typology in the Bible and Dante (Cambridge: Cambridge University Press, 1966), 171, Anm. 2. 21 Z. B. Jean Daniélou, From Shadows to Reality: Studies in the Biblical Typology of the Fathers (London: Newman Press, 1960); Geoffrey W. H. Lampe und Kenneth J. Woollcombe, Essays on Typology (SBT 22; London: S.C.M. Press, 1957). 22 Young, Biblical Exegesis, 151‒157; Sebastian P. Brock, The Luminous Eye (Rom: C.I.I.S, 1985), 17. 23 Eine einführende Untersuchung zu diesem Thema bietet Mary B. Cunningham, „The Meeting of the Old and New: The Typology of Mary the Theotokos in Byzantine Homilies and Hymns“, in The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. Robert N. Swanson; SCH[L] 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004), 52‒62. Vgl. auch Paul Ladouceur, „Old Testament Prefigurations of the Mother of God“, SVTQ 50 (2006): 5‒57; Ephrem Lash, „Mary in Eastern Church Literature“, in Mary in Doctrine and Devotion: Papers of the Liverpool Congress, 1989, of the Ecumenical Society of the Blessed Virgin Mary (hg. v. Alberic Stacpoole, Geoffrey Pinnock und Jill Pinnock; Dublin: Columba Press, 1990), 58‒80.
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Marias Rolle als Verbindung zwischen der geschaffenen und der göttlichen Welt. Zeichen wie der brennende Dornbusch und Gideons Vlies hingegen deuten die Art und Weise an, wie die Gottheit in der Schöpfung immanent werden kann. Im 4. Jh. bezieht sich der Prediger Johannes Chrysostomos in einem Kommentar auf die typologische Bedeutung von Gideons Vlies und erklärt, dass Gottes stille Manifestation als Tau auf diesem stofflichen Objekt sein sanftes und leises Eintreten in Marias Schoß präfiguriert habe.24 Andere Typoi wie das ungeöffnete Tempeltor (Ez 43,27‒44,3), das Paradies (Gen 2,8–14), der verschlossene Garten und der versiegelte Quell (Hld 4,12) stehen für Marias Jungfräulichkeit. Im Falle des Paradieses oder des Gartens Eden liegt ein doppelter typologischer Bezug vor, insofern auch die Vorstellung von Christus als zweitem Adam evoziert wird: Wie Gott den ersten Menschen aus nicht bestellter und nicht bewässerter Erde erschaffen hat, so hat er aus Marias unberührter, jungfräulicher Natur Fleisch angenommen. Zu den „Gefäß“-Typoi gehören das Begegnungszelt in der Wüste (Ex 26; 35‒36; 40) und seine Geräte, zum Beispiel das Gefäß mit dem Manna (Ex 16,32f.), sowie der Tempel Salomos (1 Kön 6–8). Solche Zeichen verweisen unmissverständlich auf Marias erhabene Rolle als die, die Gott in sich trug. Die in dieser Bildlichkeit enthaltenen Paradoxa werden von byzantinischen Predigern und Hymnenschreibern bis zur Neige ausgeschöpft. Diese Typoi betonen die Stofflichkeit der betreffenden Gegenstände, die dennoch eine Verbindung mit dem Göttlichen in sich bergen, hervorbringen oder aufrechterhalten konnten. Die Art, wie diese Typologie verwendet wird, ist bald kreativ, bald traditionell. Während manche Autoren neue Interpretationen fest etablierter Typoi bieten oder gelegentlich sogar neue Typoi einführen, fassen andere sie zu einer Liste von Anrufungen zusammen, die häufig mit dem als Chairetismos (Lk 1,28) bekannten Gruß „Freue dich“ beginnen. Im Lauf des 8. Jh. nahm die Zahl der atl. Typoi, die auf Maria verweisen, noch weiter zu. Nach dieser Zeit, in der für einige der neueingeführten Feste zum ersten Mal Predigten verfasst wurden, wurde die Gattung konventioneller, zumindest was die marianische Typologie betrifft. Eine der interessantesten Neuerungen des 8. Jh. wurde im Zusammenhang mit dem Fest der Darstellung Mariens im Tempel entwickelt: Die reiche Symbolik der beiden Predigten zu diesem Fest, die Germanos von Konstantinopel zugeschrieben werden, beruht auf der Vorstellung, dass sich in Maria als dem „lebendigen“ Tempel die Verheißung des alten, menschengemachten jüdischen Tempels erfüllt.25 24 Johannes Chrysostomos, In Matthaeum homiliae 26,39,3; siehe Ladouceur, „Old Testament Prefigurations“, 25. 25 CPG 3,8007f.; PG 98,292‒320; übers. bei Cunningham, Wider Than Heaven, 145‒172. Zu den Homilien und den Zweifeln bezüglich ihrer Echtheit vgl. ebd., 39f. Diese Zweifel greift Dirk Krausmüller in seinem Beitrag wieder auf: „Making the Most of Mary: The Cult of the Virgin in the Chalkoprateia from Late Antiquity to the Tenth Century“, in The Cult of the Mother of God in Byzantium: Texts and Ima-
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Mittelbyzantinische Prediger bedienen sich auch narrativer Mittel, um Marias Charakter und ihre Rolle in der Heilsgeschichte auszuloten. Diese exegetische Technik nähert sich dem Thema eher über den Wortsinn, gibt den Predigern jedoch Gelegenheit, die Bedeutung der Schrift in vielfältiger und innovativer Weise zu ergründen. Einer der vielleicht überraschendsten Aspekte dieser exegetischen Methode tritt in der Freiheit zutage, die sich die Prediger nahmen, um Marias Geschichte nachzuerzählen. Dabei stützen sie sich nicht nur auf die kanonischen Evangelien, sondern besonders nach dem Beginn des 7. Jh. auch auf die apokryphen Quellen.26 Ziel dieser narrativen Weiterentwicklung ist es gewöhnlich, Details zu erklären oder zu vertiefen, die nach dem Eindruck der Prediger und ihrer ZuhörerInnen in der Schrift nicht zur restlosen Zufriedenheit geklärt sind: zum Beispiel den mentalen Aufruhr, in den Maria durch die Verkündigung des Erzengels Gabriel gestürzt wurde, oder ihre wahren Empfindungen, als sie ihren Sohn qualvoll am Kreuz sterben sah. Der lakonische Charakter der ntl. Erzählungen über Maria spiegelt sich bis zu einem gewissen Grad in den frühchristlichen Schriften wider. Tina Beattie hat unlängst vermutet, dass sich darin das Stillschweigen oder das Mysterium niederschlägt, das die Autoren der nachapostolischen Zeit im Hinblick auf Maria wahren wollten.27 Diese Haltung wurde jedoch mit zunehmender Marienverehrung im 4. und 5. Jh. allmählich aufgegeben. Spätere Prediger haben ihre Scheu offenbar mehr und mehr abgelegt, die Erzählungen der Evangelien zu erweitern, nicht zuletzt unter Zuhilfenahme apokrypher Texte wie des Protevangeliums des Jakobus. Beispiele für eine solche narrative Ausschmückung lassen sich in einer ganzen Anzahl mittelbyzantinischer Festpredigten finden. Hierzu gehören Predigten zum Fest der Verkündigung, die von Predigern wie Germanos von Konstantinopel,28 Andreas von Kreta29 und dem Patriarchen Photios stammen.30 Selbst innerhalb dieser Gattung fällt auf, wie vielfältig die Methoden ges (hg. v. Leslie Brubaker und Mary B. Cunningham; Birmingham Byzantine and Ottoman Studies 11; Farnham: Ashgate, 2011), 219‒246. Zum Fest des Tempelgangs Mariens siehe nun Jaako H. Olkinuora, Byzantine Hymnography for the Feast of the Entrance of the Theotokos (Studia Patristica Fennica 4; Helsinki: Suomen patristinen seura, 2015). 26 Cunningham, „The Use of the Protevangelion of James“, 167. 27 Tina Beattie, „Mary in Patristic Theology“, in Mary: The Complete Resource (hg. v. Sarah Jane Boss; London: Continuum, 2007), 75–105; 77. 28 CPG 3,8009; PG 98,320‒340 (unvollst.); Dumitru Fecioru, „Un nou gen de predică în omiletica patristică: Predica la Bunavestire a Sfântului Gherman I al Constantinopolului“, Biserica Ortodoxă Română. Buletinul Oficial al Patriarhiei Române 64 (1946): 60‒92 (Heft 1‒3), 180‒193 (Heft 4‒6), 386‒397 (Heft 7‒9); übers. bei Cunningham, Wider Than Heaven, 221‒246 (auf der Basis von Feciorus Textedition). 29 CPG 3,8174; PG 97,881‒913; übers. bei Cunningham, Wider Than Heaven, 197‒219. 30 Photius, Patriarch v. Konstantinopel, Orationes et homiliae LXXXIII (hg. v. Staurakes Aristarches; 2 Bde; Konstantinopel: Annuaire Oriental & Printing Co., 1900), 2:525‒531; übers. (mit Emendationen) bei Mango 139‒149.
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sind, mit denen die lukanische Erzählung (Lk 1,26‒38, oft mit Elementen aus Mt 1,18‒25 versetzt) ergänzt wurde. Während Germanos zwei dramatische Dialoge – einen ersten zwischen Maria und Gabriel und einen zweiten zwischen Maria und Josef ‒ verfasst und lediglich durch Prolog und Epilog narrativ umrahmt, platziert Andreas von Kreta seinen dialogischen Abschnitt inmitten von Redeteilen, die in einem eher meditativen, theologischen Stil gehalten sind.31 Auffallend ist, dass Photios, anders als seine Vorgänger im 8. Jh., in seiner Bearbeitung gar keine narrativen oder dramatischen Dialoge verwendet. Seine Abhandlung ist – wie es dem typischen Stil seiner Predigten entspricht ‒ eher nüchtern und schöpft aus einer narrativen und dramatischen Tradition, die beim Thema der Verkündigung seit dem 5. Jh. dominant geworden war. Wenn Prediger darüber sprachen, wie Maria die Nachricht von ihrer bevorstehenden Empfängnis Jesu, des Sohnes Gottes, erhielt, dann stellten sie in der Regel – ganz gleich, ob sie dabei dialogische Formen verwenden oder nicht ‒ ihre menschlichen Emotionen einschließlich ihrer Angst, ihres Zweifels, ihrer Verwunderung und letztlich ihres Vertrauens in die Botschaft des Engels heraus.32 Wenn sie Marias anfängliche Angst betonen, gehen die byzantinischen Prediger über Lukas hinaus und unterstreichen das Paradox, das den Kern der christlichen Lehre ausmacht: Gott selbst wollte als Mensch in seine Schöpfung eintreten und bediente sich zu diesem Zweck des Leibes einer gewöhnlichen, wenngleich reinen und tugendhaften jungen Frau. Während einige Prediger zudem die Bedeutung von Marias freier und wohlerwogener Zustimmung zu Gottes Willen hervorheben, wird dieser Aspekt der Geschichte bei anderen ignoriert und gelegentlich sogar suggeriert, dass die Empfängnis zu dem Zeitpunkt, da sie Gabriel ihr fiat gab, bereits geschehen wäre.33 Mittelbyzantinische Predigten über die Darstellung Marias im Tempel stützen sich ausschließlich auf das apokryphe Protevangelium des Jakobus, da die kanonischen Evangelien diese Begebenheit überhaupt nicht erwähnen. 31 Vgl. die Analyse beider Homilien in Alexander P. Kazhdan, Lee F. Sherry und Christina Angelidi, A History of Byzantine Literature (650‒850) (Research Series 2; Athen: National Hellenic Research Foundation, Institute for Byzantine Research, 1999), 61‒64; Mary B. Cunningham, „Dramatic Device or Didactic Tool? The Function of Dialogue in Byzantine Preaching“, in Rhetoric in Byzantium: Papers from the 35th Spring Symposium of Byzantine Studies, University of Oxford, March 2001 (hg. v. Elizabeth Jeffreys; SPBSP 11; Aldershot: Ashgate Variorum, 2003), 101‒113; 110–112. 32 Allen, „Portrayals of Mary“. 33 So z. B. Germanos in seiner Predigt über die Verkündigung, wo er den Erzengel Gabriel sagen lässt: „Ich bin erstaunt darüber, wie wenig du meinen Worten geglaubt hast, du Bevorzugte, wenn du doch so gänzlich rein und makellos bist. Denn siehe, der König der Herrlichkeit ist, so denke ich, eben da ich dies sage, gekommen, um in dir, der Königin, Wohnung zu nehmen“, Fecioru, „Un nou gen de predica“, 83; Cunningham, Wider Than Heaven, 231.
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Die homiletische Ausgestaltung dieses Themas kann vielfältige Formen annehmen, doch oft sind narrative Darstellung und dramatischer Dialog wichtige Elemente. So konstruiert etwa Germanos von Konstantinopel in seiner zweiten Predigt über die Darstellung einen Dialog zwischen Marias Mutter Anna und dem Hohepriester des Tempels.34 Dieses Zwischenspiel kommt im Protevangelium nicht vor: Dort ist lediglich ein Empfangszeremoniell beschrieben, bei dem der Priester das dreijährige Kind küsst und segnet.35 Germanos erfindet jedoch einen ausgedehnten Monolog, in dem Anna von ihren Vorfahren und von ihrer Unfruchtbarkeit spricht und ihrem Wunsch Ausdruck verleiht, Gott für dieses Kind zu danken, indem sie es im Tempel darbringt. Im Laufe dieser Aussage denkt Anna an ihre Verzweiflung zurück, die sie, ehe sie Maria empfing, in einen Zustand ijobgleicher Buße und Gottvertrauen geführt hatte.36 Die Antwort des Hohepriesters deutet voraus auf die Worte Simeons (Lk 2,28‒35); er segnet das Mädchen und hebt die Bedeutung ihrer Ankunft hervor.37 Diese gesamte Predigt macht deutlich, dass Germanos die apokryphe Erzählung voll und ganz akzeptiert und sie als Teil eines ununterbrochenen literarischen Zeugnisses betrachtet, das bis zur Frohbotschaft des NT zurückreicht. Zum Besten seiner Gemeinde betont er die biblischen Anklänge (an AT und NT), erweitert die Erzählung jedoch in einer Weise, die in den vorangegangenen Jahrhunderten auf die kanonischen Texte beschränkt war. Germanos verwertet nicht nur die narrativen und dramatischen Aspekte des Protevangeliums, sondern stellt auch prophetische und typologische Bezüge her. Die Prozession der jungen Mädchen mit Fackeln, die Joachim auffordert, die kleine Maria zum Tempel zu begleiten, verweist auf Ps 44(45),15;38 der Tempel selbst ist ein Typos für die Jungfrau, die später wie das Allerheiligste Gott selbst in sich tragen wird.39 In einer immer reicheren Typologie und Bildlichkeit entfalteten die Predigten zum Fest der Darstellung der Theotokos im Tempel das Motiv, dass Marias neuer, lebendiger Körper die Vollendung des alten Tempels ist. Ein weiterer interessanter Strang des narrativen Nachdenkens über Maria findet sich in Predigten, die von ihrer Klage zu Füßen des Kreuzes handeln. Dieses Thema scheint im 6. Jh., nämlich in einem Kontakion von Romanus 34 35 36 37 38
CPG 3,8008; PG 98,312‒316; übers. bei Cunningham, Wider Than Heaven, 166‒169. Protevangelium des Jakobus 7,2; Elliott, The Apocryphal New Testament, 60. CPG 3,8008; PG 98,313; Cunningham, Wider Than Heaven, 166f. CPG 3,8008; PG 98,316; Cunningham, Wider Than Heaven, 168f. PG 98,312; Cunningham, Wider Than Heaven, 164; eine detailliertere Ausgestaltung dieser Szene findet sich in CPG 3,8007; (Pseudo-?)Germanos von Konstantinopel, Homilia in praesentationem I (PG 98,297); Cunningham, Wider Than Heaven, 151f. 39 CPG 3,8007; (Pseudo-?)Germanos von Konstantinopel, Homilia in praesentationem I (PG 98,293); Cunningham, Wider Than Heaven, 146: „For today she enters the temple of the law at the age of three, she who alone will be dedicated and called the spotless and highest temple of the Lord …“
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dem Meloden,40 erstmalig gestaltet worden zu sein, auch wenn seine Wurzeln sich womöglich bis zu den antiken griechischen und jüdischen Klagetraditionen und in die syrische Hymnographie zurückverfolgen lassen.41 Es fällt auf, dass Johannes, der einzige Evangelist, der Marias Anwesenheit zu Füßen des Kreuzes erwähnt, nichts über ihren Kummer oder ihre Tränen schreibt (Joh 19,25‒27). In Byzanz kommen die ersten Bearbeitungen dieses Themas nach dem 6. Jh. auf, und es scheint, als habe dieser Gedanke nicht nur in liturgischen Texten, sondern auch in der Kunst erst nach dem Bilderstreit Fuß gefasst. Nach Romanus’ Kontakion wird das Motiv in Homilien von Predigern wie Germanos von Konstantinopel und Georg dem Hymnographen aus dem 8. bzw. 9. Jh. weiterentwickelt.42 Bei Germanos, der darin Romanus folgt, nennt Maria Christus „mein Kind und mein Gott“, als sie nach einer Antwort auf das Mysterium sucht, das sich vor ihren Augen offenbart.43 Georg der Hymnograph führt dieses Thema in seiner Karfreitagspredigt noch weiter aus und beeinflusst damit seinerseits eine ganze Gruppe späterer Predigten und Hymnen über dasselbe Thema.44 Wie Tsironis herausstellt, geht es Georg darum, das Leiden Christi theologisch zu deuten und die Gemeinde gleichzeitig durch seine dramatische Nacherzählung der Geschichte in das Geschehen zu verwickeln. Marias Verzweiflung soll seine Hörer nicht nur emotional berühren, sondern zudem das Ausmaß des Opfers verdeutlichen, das Christus für die Menschheit gebracht hat. Sie ruft nicht nur die restliche Menschheit, sondern die gesamte Schöpfung (Sonne, Himmel, Erde und Wiesen) dazu auf, an ihrer Klage teilzuhaben. Wie seine Menschwerdung verwandelt auch das Leiden Christi die Schöpfung, da er als Gott in sie eingetreten ist und doch das Menschsein voll und ganz erfahren hat. Maria spielt in dieser Predigt eine mächtige Rolle: Sie führt den Chor der um ihren Sohn Klagenden an und wird als die „Mutter der Kirche“ angerufen, in der die Gläubigen Zuflucht finden.45 40 Romanus der Melode, Cantica: Cantica Genuina (hg. v. Paul Maas und Constantine A. Trypanis; Oxford: Clarendon Press, 1963), 142‒149. Ein Kontakion ist eine Verspredigt mit strenger metrischer Struktur anlässlich kirchlicher Hoch- oder Heiligenfeste. 41 Niki Tsironis, The Lament of the Virgin Mary from Romanos the Melode to George of Nicomedia: An Aspect of the Development of the Marian Cult (Diss., London: King’s College, 1998). 42 CPG 3,8031; (Pseudo-?)Germanos von Konstantinopel, Homilia in domini corporis sepulturam (PG 98,244‒290). Während Tsironis diese Predigt für echt hält, schreibt Jean Darrouzès sie dem Patriarchen Germanos II. von Konstantinopel zu, der im frühen 13. Jh. lebte: DSp 6:310. Vgl. Tsironis, The Lament of the Virgin Mary, 223‒228. 43 CPG 8031; PG 98,269c; Tsironis, The Lament of the Virgin Mary, 226. 44 Georg der Hymnograph, Oratio in illud: ‚Stabant autem juxta crucem jesu Mater ejus, et soror Matris ejus…‘ (PG 100,1457‒1489); Tsironis, The Lament of the Virgin Mary, 248f.279‒289. 45 PG 100,1477.
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Ein weiterer Aspekt des Marienlebens, der in der Schrift nicht erwähnt wird, ist die Geschichte ihres Todes und ihrer Aufnahme in den Himmel. Martin Jugie, Antoine Wenger, Simon Mimouni, Michel van Esbroeck und zuletzt Stephen Shoemaker haben die Entwicklung verschiedener Gruppen von apokryphen Schriften untersucht, die von dieser Geschichte handeln.46 Laut Shoemaker kursierten sie nicht vor dem späten 5. Jh. Sie kamen zunächst im Nahen Osten (Syrien, Palästina und Ägypten) auf, verbreiteten sich aber innerhalb weniger Jahrhunderte in der gesamten Christenheit und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.47 Dem Historiker Nikephoros Kallistu Xanthopulos zufolge, der im 14. Jh. lebte, führte Kaiser Maurikios das Fest der Dormitio (des Todes oder der „Entschlafung“) Mariens (15. August) gegen Ende des 6. Jh. in den liturgischen Kalender ein und folgte damit einem traditionellen Gedenken, das in Palästina und Ägypten mindestens schon seit dem 5. Jh. begangen wurde.48 Die frühesten erhaltenen byzantinischen Homilien über die Entschlafung Mariens datieren etwa vom Anfang des 7. Jh.49 Nicht anders als die Festpredigten über ihre Geburt und über ihre Darstellung im Tempel wurden auch sie wahrscheinlich eigens zu Ehren des neueingeführten Festtags verfasst. Brian Daley stellt heraus, dass diese Texte – genau wie die anlässlich der anderen Marienfeste entstandenen – den liturgischen Kontext (häufig eine ganznächtliche Vigil unmittelbar vor dem Fest) betonen, für den ihre Autoren sie geschrieben haben.50 Sie sollten die Gemeinden der damaligen Zeit in die Feier eines Mysteriums einbeziehen. So schreibt Andreas von Kreta im frühen 8. Jh.: „Dies sind Wirklichkeiten, von denen wir nichts wissen können. Doch immerhin können wir, soweit dies möglich ist, die Bedeutung der Riten lernen, denen wir heute beiwohnen.“51 Prediger wie Andreas versuchen 46 Martin Jugie, La mort et l’assomption de la sainte Vierge: Étude historico-doctrinale (Studi e Testi 114; Vatikanstadt: Biblioteca Apostolica Vaticana, 1944); Antoine Wenger, L’Assomption de la très sainte Vierge dans la tradition byzantine du VIe au Xe siècle (AOC 5; Paris: Institut Français d’Études byzantines, 1955); Simon C. Mimouni, Dormition et assomption de Marie: Histoire des traditions anciennes (ThH 98; Paris: Beauchesne, 1995); Michel van Esbroeck, Aux origines de la Dormition de la Vierge (VCS 472; Aldershot: Variorum, 1995); Stephen J. Shoemaker, Ancient Traditions of the Virgin Mary’s Dormition and Assumption (OECS; Oxford: Oxford University Press, 2002). 47 Shoemaker, Ancient Traditions, 25‒77. 48 Nikephoros Kallistu Xanthopulos, Historia ecclesiastica 17,28 (PG 147,292). 49 Eine hervorragende Untersuchung und Übersetzungen ausgewählter Texte bietet Daley, On the Dormition of Mary. 50 Daley, On the Dormition of Mary, 28f. Viele der erhaltenen Predigten über die Entschlafung der Gottesmutter wurden während ganznächtlicher Gebetswachen in der Nacht vor dem Fest gehalten. Vgl. Céleste Chevalier, „Les trilogies homilétiques dans l’élaboration des fêtes mariales, 650‒850“, Greg 18 (1937): 361‒378. 51 CPG 3,8182; Andreas von Kreta, In dormitionem II.3 (PG 97,1076c); übers. bei Daley, On the Dormition of Mary, 29.106. Diese Predigt war irrtümlich als die zweite
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also zum einen die theologische Bedeutung des gefeierten Ereignisses zu vermitteln und zum anderen mittels einer überschwänglichen Rhetorik und Bildlichkeit seine Größe zu preisen. Beachtung verdient, dass byzantinische Prediger es in der Regel vermeiden, den Geschehnissen rund um Marias Tod und Aufnahme ausdrücklich auf den Grund zu gehen. Obwohl sie die damals kursierenden Versionen der apokryphen Darstellungen akzeptieren, widerstrebt es diesen Autoren offenbar, die Geschehnisse, nachdem der Leib aus dem Grab verschwunden und in den Himmel emporgestiegen war, exakt zu analysieren: Sie ziehen es vor, dies als ein Mysterium zu beschreiben, das sich dem menschlichen Verstand entzieht. Andreas von Kreta geht davon aus, dass das, was der Mutter Gottes widerfahren ist, die Auferstehung vorwegnimmt, die alle Christen nach ihrem Tod erwartet. Es befähigt Maria jedoch auch, als Fürsprecherin und Beschützerin aller, die hier auf Erden leben, zu agieren.52 Germanos von Konstantinopel, der etwa zur selben Zeit schreibt, betont Marias Mittlerinnenrolle und das Erfordernis, dass ChristInnen sie noch mehr preisen und ihre heiligen Reliquien verehren müssten.53 Als Abschluss dieses Abschnitts über die Homiletik lohnt sich die Frage, ob es möglich ist, zwischen dem 7. und 10. Jh. in byzantinischen Festpredigten eine Entwicklung in Bezug auf die Bedeutung Marias auszumachen. Einige Veränderungen sind, wie bereits gezeigt, auffallend: Etwa vom frühen 7. Jh. an begannen die Prediger zu Ehren des um die Jahrhundertwende eingeführten Fests der Entschlafung auf apokryphe Texte über den Tod und die Aufnahme Mariens in den Himmel zurückzugreifen. Die intensive Verwendung des Protevangeliums des Jakobus, jenes apokryphen Evangeliums, das von der Empfängnis und der Kindheit Mariens sowie von den Ereignissen vor der Geburt Christi handelt, setzt sich in Verbindung mit den Festen der Empfängnis und Geburt der Gottesmutter sowie ihrer Darstellung im Tempel erst ungefähr mit Beginn des 8. Jh. durch. Die Beschäftigung mit den apokryphen Texten schloss die Verwendung der kanonischen Schriften sowohl des AT wie auch des NT aber weder aus, noch wurden diese an den Rand gedrängt, denn die mittelbyzantinischen Prediger stützten sich auch weiterhin auf eine traditionelle Exegese, die im frühen 5. Jh. ihren Anfang genommen hatte und der prophetischen, typologischen und narrativen Bedeutung der biblischen Verweise auf Maria nachspürte. Der Prozess war von einer Vorliebe für intertextuelle Zitationen gekennzeichnet, die die Einheit der Schrift als eines nahtlosen Ausdrucks der göttlichen Offenbarung hervorheben sollten. Gleichzeitig hatten die byzantinischen Prediger keinerlei Scheu, den narrativen Abschnitten des NT, die von Maria handeln, ausschmückende Details der Trilogie ediert worden, ist aber in Wirklichkeit die erste. 52 CPG 3,8183; Andreas von Kreta, In dormitionem III.9 (PG 97,1100c); übers. bei Daley, On the Dormition of Mary, 144f. 53 CPG 3,8010; Germanos von Konstantinopel, In dormitionem I (PG 98,340‒348); übers. bei Daley, On the Dormition of Mary, 19f.153‒166.
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wie etwa selbsterfundene Dialoge hinzuzufügen. Im 8. und 9. Jh. lassen sich Unterschiede in der Art und Weise feststellen, wie die jeweiligen Prediger mit der Schrift und mit den Apokryphen umgehen. Während einige Prediger wie etwa der Patriarch Photios (9. Jh.) die biblische Erzählung eher zurückhaltend behandeln und die apokryphen Texte nicht ausdrücklich erwähnen, schöpfen andere, z. B. Georg der Hymnograph, nach Belieben aus den apokryphen und hagiographischen Überlieferungen, um die neutestamentlichen Darstellungen zu ergänzen. Möglicherweise haben diese unterschiedlichen Predigttechniken gemeinsam mit einigen anderen Aspekten der Marienverehrung in dieser Zeit auch zu Streitigkeiten geführt.54
2.
Hymnographie
Im Rahmen der liturgischen Feiern an den Festen der Gottesmutter Maria wurden nicht nur Predigten gehalten, sondern auch Hymnen gesungen. Die Hymnographie entwickelte sich parallel zur Homiletik, und häufig verfassten dieselben Autoren (unter ihnen Andreas von Kreta, Johannes von Damaskus, Theodoros Studites, Leo VI. und andere) Werke in der einen wie in der anderen Gattung. Niki Tsironis vertritt, wie schon erwähnt, die These, dass innerhalb des byzantinischen liturgischen Schrifttums ein Transfer von Ideen und Bildern stattgefunden hätte, dass also die „liturgische Dichtung“ (darunter fasst sie offenbar die frühen Kontakia wie die des Dichters Romanus des Meloden aus dem 6. Jh. und den berühmten Hymnos Akathistos)55 die Homilien und diese wiederum die Ikonographie und die Liturgie selbst beeinflusst hätten.56 Unter „Liturgie“ versteht Tsironis die Vielfalt der hymnographischen Texte, aus denen die variablen Teile des Offiziums und der Kasualien in der byzantinischen orthodoxen Kirche überwiegend bestehen. Es ist wahrscheinlich, dass die eher ausgreifende und experimentelle Natur der liturgischen Homilien insbesondere dann, wenn sie für die erst kürzlich eingerichteten 54 Zu den Predigern, die Widerstand gegen verschiedene Aspekte der Marienverehrung oder gegen Aspekte der apokryphen Erzählung ahnen lassen, gehören auch Germanos von Konstantinopel und Theodoros Studites. Vgl. z. B. CPG 3,8008; Germanos von Konstantinopel, In praesentationem II (PG 98,312); Cunningham, Wider Than Heaven, 164; Photios, On the Birth of the Virgin 6 (Homilie 9), übers. bei Mango 168. Eirini Panou hat diese Frage in einem unveröffentlichten Vortrag auf dem 43. Spring Symposium of Byzantine Studies im März 2010 in Birmingham erörtert. Ich danke Frau Panou herzlich dafür, dass sie mir eine Kopie dieses Vortrags zur Verfügung stellte. 55 Die Kontakia von Romanus sind veröffentlicht in: Maas/Trypanis; SC 99.110.114. 128.283. Zum Hymnos Akathistos vgl. Leena M. Peltomaa, The Image of the Virgin Mary in the Akathistos Hymn (The Medieval Mediterranean 35; Leiden: Brill, 2001). 56 Tsironis, „From Poetry to Liturgy“, insbes. 91f.
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Marienfeste verfasst worden waren, den Hymnendichtern eine sprudelnde Ideenquelle lieferten. Marianische Hymnen samt Kanones und kürzeren Texten wie Theotokia und Staurotheotokia wirken wie ein Konzentrat aus den schönsten und ergreifendsten Passagen älterer Kontakia oder Predigten.57 Ein wichtiges Merkmal, das Hymnen und Predigten verbindet, ist ihr gemeinsames Interesse an der intertextuellen Exegese und Typologie. Die hymnographische Gattung des Kanons basiert auf einer typologischen Schriftauslegung, die den Parallelen zwischen den Cantica des AT und dem ntl. (oder apokryphen) Ereignis, das gefeiert wird, nachspürt. Der Kanon des Johannes von Damaskus über die Entschlafung der Gottesmutter, um nur ein Beispiel zu nennen, feiert in jeder seiner Oden die Vorwegnahme der glorreichen Aufnahme Mariens in den von Mirjam, dem Propheten Habakuk und anderen gesungenen Hymnen: Kommt her, Jungfrauen und Chorknaben, Schließt euch mit uns der Prophetin Mirjam an, Und erhebt eure Stimme im Gesang ihres Auszugs; Denn nun hat diese Jungfrau, Gottes Mutter, die ohnegleichen ist, Das Ziel ihrer Pilgerfahrt zum Himmel erreicht.58
Byzantinische Kanones ähneln Predigten, insofern sie für spezifische Feiern im Laufe des liturgischen Jahres zusammengestellt wurden und spezielle Ereignisse von Heiligen interpretieren. Ihre exegetische Methode ist wie die vieler Homilien intertextuell und typologisch: Bei den marianischen Kanones besteht das Hauptziel des Hymnendichters darin, deutlich zu machen, dass Marias Rolle bei der Menschwerdung von den Propheten vorhergesehen und im AT immer wieder durch Typoi und Bilder vorweggenommen worden ist. In einigen Kanones werden narrative Mittel, Dialoge oder Akklamationen jedoch ganz ähnlich verwendet wie in den Predigten. In der gesamten mittelbyzantinischen Zeit haben wir es also nicht nur mit einer gattungsübergreifenden Beeinflussung, sondern auch mit verschwimmenden Genregrenzen zwischen Predigten und Kanones zu tun. Die kürzeren Typen von Hymnen wie Theotokia und Staurotheotokia und ebenso die aneinandergereihten Lob-Epitheta, die Hannick einfach Laudes marianae nennt, unterscheiden sich jedoch in wichtigen Merkmalen von den
57 Ebd., 97. Kanones sind längere Hymnen, die die Mönche während der Morgenandacht sangen und die von den neun biblischen Cantica aus dem AT und NT inspiriert waren. Theotokia und Staurotheotokia sind kurze (einstrophige) Hymnen; Erstere beschreiben Maria auf dogmatische Weise und apostrophieren sie als Fürsprecherin; Letztere gedenken ihrer Klage um ihren Sohn zu Füßen des Kreuzes (Joh 19,26). 58 Übers. bei Daley, On the Dormition of Mary, 241.
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homiletischen Texten.59 Diese kurzen Hymnen sind über die byzantinischen liturgischen Bücher verstreut und lassen sich häufig keinem bestimmten Fest oder Anlass zuordnen. Noch verwirrender ist, dass diese Hymnen auch in die längeren Kanones integriert werden können, was ihre Datierung oder Zuordnung zu bestimmten Hymnendichtern erschwert. Was nun unsere vorhin getroffene Feststellung betrifft, wonach die Hymnographie oft ein Konzentrat aus ursprünglich in liturgischen Predigten verwendeten Themen und Bildern darstellt, so finden sich in den kürzeren marianischen Hymnen aus mittelbyzantinischer Zeit zahlreiche Belege für diese Tendenz. Themen wie Marias Klage zu Füßen des Kreuzes, die zuerst von Predigern wie Georg dem Hymnographen bearbeitet wurden, erscheinen in verdichteter und verfeinerter Form in den Staurotheotokia. Anrufungen der Gottesmutter als Fürsprecherin, „Beschützerin und machtvolle Patronin“ und andere Epitheta, die sich in den marianischen Homilien erst allmählich durchsetzten, finden sich dagegen wiederholt in mittelbyzantinischen Theotokia und anderen Kurzhymnen.60 Im Bereich der byzantinischen Hymnographie bleibt noch vieles zu tun, obwohl die Grundlagen existieren.61 Fragen wie die, welche exegetischen Methoden die verschiedenen Hymnendichter verwenden, wie sich die Vorstellungen von Marias Fürsprecherinnenrolle entwickelt und wie genau sich die Beziehungen zwischen den Homilien und den Hymnen gestalten, sind bislang unbeantwortet. Unbestritten sind hingegen die ständige Beeinflussung und der Austausch zwischen den beiden liturgischen Gattungen. Während die Predigten, wie Hannick vermutet, im Vergleich zu den Hymnen vielleicht einen stärker didaktisch und dogmatisch geprägten Zweck erfüllten,62 kann kein Zweifel daran bestehen, dass beide literarischen Genres auch und vielleicht sogar in erster Linie dem Lobpreis und der Anrufung der Gottesmutter gedient haben.
59 Christian Hannick, „The Theotokos in Byzantine Hymnography: Typology and Allegory“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 69–76; 69. 60 Tsironis, „From Poetry to Liturgy“, 97f. 61 Textsammlungen bieten ASSS; Wilhelm von Christ und Matthaios K. Paranikas, Hg., Anthologia Graeca Carminum Christianorum (Leipzig: Teubner, 1871; Nachdruck 1963); Sophronios Eustratiades, Hg., Θεοτοκάριον (Hagioreitikē Bibliothēkē 7–8; Chennevières-sur-Marne: L’Ermitage, 1931). Eine Untersuchung zu diesem Thema stammt von Christian Hannick, „Exegèse, typologie et rhétorique dans l’hymnographie byzantine“, DOP 53 (1999): 207‒218. 62 Hannick, „The Theotokos in Byzantine Hymnography“, 69f.
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Hagiographie
Autoren der mittelbyzantinischen Zeit verfassten auch Marienleben und eine Marienapokalypse. Interessant ist diese Gruppe von Texten unter anderem wegen ihrer auffälligen Abweichungen von den biblischen und sogar den apokryphen Überlieferungen. Dies sind Hinweise auf einen „volkstümlichen“ Strang in der Marienverehrung, der sich anders entwickelt hat als der „offizielle“ Mainstream. Die Verwendung der Bezeichnungen „volkstümlich“ und „offiziell“ in Bezug auf den Marienkult bedarf in dieser Epoche allerdings der Rechtfertigung. Jane Baun hat die Vermutung geäußert, dass die Überzeugungen und Praktiken der Volksfrömmigkeit zwar sicher nicht auf die weniger gebildeten oder amtskirchlichen Schichten beschränkt waren, sich aber hauptsächlich in Form von hagiographischen und erbaulichen Texten, Wundererzählungen und Apokalypsen anonymer Verfasser niederschlugen.63 Solche Texte waren in der orthodoxen christlichen Gesellschaft und in Klöstern weit verbreitet und dienten sowohl als private als auch öffentliche Lesungen in hauptsächlich paraliturgischen Kontexten. Baun argumentiert, dass die besagten literarischen Erzeugnisse, selbst wenn sie, vom Standpunkt der offiziellen Kirche aus betrachtet, eher Randerscheinungen waren, die Entwicklung der Marienverehrung und der Mariologie dennoch beeinflusst haben.64 Diese Theorie wird erhärtet, wenn wir uns den Einfluss vor Augen halten, den die sogenannten apokryphen Texte über die Entschlafung im 7. bis 10. Jh. auf die betreffenden Festpredigten ausgeübt haben. Zu den mittelbyzantinischen Marienleben gehört die georgische Übersetzung eines griechischen, Maximus zugeschriebenen, Texts, eine (zwischen 783 und 813 datierte) Lebensbeschreibung, die Epiphanios, einem Mönch aus dem Kallistratos-Kloster in Konstantinopel, zugeschrieben wird,65 und zwei weitere, die Symeon Metaphrastes und Johannes Geometres im 10. Jh. ver63 Baun, „Apocalyptic Panagia“; Dies., „Discussing Mary’s Humanity“; Dies., Tales from Another Byzantium. Zu den Begriffen der „offiziellen“ und der „volkstümlichen“ Literatur vgl. auch Robert Browning, „The ‚Low Level‘ Saint’s Life in the Early Byzantine World“, in The Byzantine Saint: University of Bimingham Fourteenth SpringSymposium of Byzantine Studies (hg. v. Sergei Hackel; Sob.St 5; London: Fellowship of St. Alban and St. Sergius, 1981), 117–127; Cyril Mango, „Discontinuity with the Classical Past in Byzantium“, in Byzantium and the Classical Tradition: University of Bimingham 13th Spring-Symposium of Byzantine Studies, 1979 (hg. v. Margaret Mullett u. Roger Scott; Birmingham: Centre for Byzantine Studies, 1981), 48–57. 64 Baun, „Apocalyptic Panagia“, 204. 65 Zwei Ausgaben des Marienlebens, die auf unterschiedlichen Manuskripten basieren, wurden publiziert: PG 120,186‒216; Dressel 13–44. Siehe auch Simon C. Mimouni, „Les Vies de la Vierge: Etat du question“, in Ders., Les traditions anciennes sur la Dormition et l’Assomption de Marie: Études littéraires, historiques et doctrinales (SVigChr 104; Leiden: Brill, 2011), 75–115; 89.
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fassten.66 Zwischen diesen vier Marienleben bestehen wichtige Verbindungen: entweder, weil sie alle eine ältere Erzählung als gemeinsame Quelle verwendeten oder weil sie sich gegenseitig beeinflussten. An anderer Stelle habe ich die wissenschaftliche Kontroverse über die Datierung des griechischen Prototypus des georgischen Marienlebens diskutiert. Bleibt nur festzustellen, dass ich mit Phil Booth in der Situierung des Texts in das 10. Jh. übereinstimme und gegen eine Datierung in das frühe 7. Jh. argumentiere.67 Was an dieser Überlieferung am meisten auffällt, ist die unverkennbare Bereitschaft, in der Darstellung der Ereignisse aus dem legendarischen Leben Mariens sowohl von den biblischen als auch von den apokryphen Texten beträchtlich abzuweichen, obwohl diese früheren Schriften doch die Grundlage der betreffenden Ausgestaltungen bilden. Das georgische Marienleben enthält einige der auffälligsten Abweichungen von der überkommenen narrativen Tradition sowohl der Bibel als auch der Apokryphen. Der Autor interpretiert sogar die Erzählungen der kanonischen Evangelien neu, um Maria ins Zentrum des christlichen Gottesdienstes zu stellen. Dem Autor zufolge hat sie ihren Sohn überallhin begleitet, die Frauen in seiner Nachfolge angeführt und ihn selbst während seiner Verhaftung, Befragung und Kreuzigung nicht verlassen.68 In Anlehnung an eine ältere, bei einigen anderen patristischen Autoren verwendete Überlieferung deutet der Text an, dass Maria in der Nacht nach seinem Begräbnis an der Ruhestätte Christi gewacht habe und so zur Augenzeugin der Öffnung des Grabes und der Auferstehung ihres Sohnes geworden sei. Sie habe den Jüngern die frohe Botschaft verkündet und sei so den Myrrhenträgerinnen zuvorgekommen. Später, nach der Himmelfahrt Christi, habe Maria die Arbeit der Apostel, ihr Fasten und Beten beaufsichtigt und sie auf ihre Missionen entsandt.69 Das Leben endet mit den Schilderungen von Marias Tod und ihrer Aufnahme in den Himmel, die auf einer früheren apokryphen Erzählung beruhen, und erzählt abschließend, wie ihre Reliquien unter der
66 Eine Ausgabe des von Metaphrastes verfassten Marienlebens bietet Basilius Latyshev, Menologii anonymi Byzantini saeculi X quae supersunt (2 Bde; St. Petersburg: Imp. Akad. Nauk, 1912), 2:345‒383; die des Johannes Geometres ist bislang – abgesehen vom Schlussteil bei Wenger, L’Assomption, 364‒415 ‒ nicht ediert. Eine neue kritische Ausgabe des gesamten Texts ist derzeit durch Maximos Constas und Christos Simelides in Vorbereitung. Sie gründen ihre Arbeit auf einem kritischen Text, der von Wenger erstellt, jedoch nie publiziert wurde. 67 Zur Bibliograhie siehe Anm. 9; zu meiner eigenen Position vgl. Cunningham, „The Life of the Virgin Mary“; Dies., „The Life of the Theotokos by Epiphanios of Kalli stratou“, in The Reception of the Mother of God in Byzantium: Marian Narratives in Texts and Images (hg. v. Thomas Arentzen und Mary B. Cunningham; Cambridge: Cambridge University Press, im Druck). 68 Shoemaker 101–118. 69 Ebd., 122–126; Shoemaker, „The Virgin Mary in the Ministry of Jesus“, 454.
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Regierung von Kaiser Leo I. und seiner Gemahlin Verina (457‒474) nach Konstantinopel überführt wurden.70 Wie Shoemaker betonte, kann man den Inhalt des georgischen Lebens der Jungfrau Maria nur als radikal bezeichnen.71 Indem er Maria in die Mitte seiner Erzählung über das Leben Jesu Christi stellt, porträtiert sie der Autor als mächtige Matriarchin. Sie beeinflusst nicht nur die Entscheidungen ihres Sohnes, sondern setzt sich nach Christi Tod und Himmelfahrt sogar an die Spitze seiner Jünger. Und in jedem Fall unterscheidet sich das in diesem Leben der Jungfrau vermittelte Bild von Maria als der Mutter und Jüngerin Jesu und schließlich Vorsteherin der frühesten christlichen Gemeinde klar von der in den liturgischen Homilien und Hymnen gepflegten Darstellungsweise. Das Leben betont nicht nur Marias Bedeutung im Leben Christi und seiner Apostel, sondern rückt auch andere Frauenfiguren wie etwa Maria Magdalena in den Blickpunkt.72 Was das Verhältnis zwischen dem georgischen Leben der Jungfrau und den drei anderen byzantinischen hagiographischen Texten betrifft, bleibt noch vieles zu tun. Das früheste Marienleben, das des Epiphanios, stimmt in vielerlei Hinsicht mit der im georgischen Leben der Jungfrau vorliegenden narrativen Tradition überein. Hier wie dort finden sich beispielsweise Szenen aus der Kindheit Mariens. So etwa sagt Gott ihr in einer Vision im Allerheiligsten des jüdischen Tempels die Empfängnis Christi voraus.73 Details wie dieses finden sich allem Anschein nach nur in der mittelbyzantinischen hagiographischen Tradition und haben keine Parallelen in apokryphen Texten wie dem Protevangelium des Jakobus. Gleichwohl unterscheidet sich das Marienleben des Epiphanios jedoch auch in einigen nicht unwesentlichen Punkten von der Erzählung im georgischen Marienleben. So gerät Maria in dem Textteil, der vom Wirken und von den Wundern Christi handelt, gänzlich aus dem Blickfeld. Der Hauptzweck dieses Werkes, das in einem schlichten und unprätentiösen Stil gehalten ist, besteht offenbar darin, die apokryphen und die biblischen Geschichten von der Empfängnis bis zur Entschlafung Mariens zu harmonisieren. Der Autor stellt sie, anders als im georgischen Marienleben, nicht als mächtiges Oberhaupt der frühen Kirche dar, betont aber ihre enge mütterliche Beziehung zu ihrem Sohn. Epiphanios weicht zudem insofern von den anderen drei Texten ab, als Maria nicht über Nacht an Christi Grab wacht und auch nicht Augenzeugin seiner Auferstehung wird. Sie bleibt aufgrund unsagbaren Schmerzes im Haus in Jerusalem, das sie mit Johannes, dem Lieblingsjünger, teilt.74 Christus erscheint dort seiner Mutter, sodass sie beruhigt sein kann. Insbesondere nach der Himmelfahrt Christi führt Maria nach 70 71 72 73 74
Shoemaker 130–148. Vgl. insbes. Shoemaker, „The Virgin Mary in the Ministry of Jesus“, 445‒457. Shoemaker 99.117f.124. Ebd., 46; Epiphanios, Vita deiparae (Dressel 18). Epiphanios, Vita deiparae (Dressel 37).
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Epiphanios ein streng asketisches Leben. Ein weiteres interessantes Merkmal des Texts ist seine sakralgeographische Schwerpunktsetzung und sein Interesse an den physischen Überresten von Marias Leben in Palästina: So erzählt er seinen LeserInnen, dass laut Andreas von Kreta im heiligen Haus auf dem Zion an der Stelle, wo die Gottesmutter regelmäßig auf Knien gebetet habe, bis auf den heutigen Tag Vertiefungen im Marmor zu sehen seien.75 Die anderen beiden Leben der Jungfrau, die in der zweiten Hälfte des 10. Jh. entstanden sind, können zusammen behandelt werden, auch wenn die Forschung sich über ihre Beziehung nicht ganz einig ist: Während Martin Jugie für die Abhängigkeit des Metaphrastes von Johannes Geometres argumentiert, behauptet Antoine Wenger das Gegenteil.76 Sowohl Shoemaker als auch van Esbroeck glauben, dass beide Texte unabhängig voneinander auf der Basis der griechischen Vorlage des georgischen Lebens der Jungfrau entstanden seien.77 Das Leben des Metaphrastes ist der kürzere der beiden Texte. Es handelt sich um eine Neufassung der Erzählung in jenem höheren Stil, der unter den Literaten des 10. Jh. beliebt war. Symeon hat viele Details nicht, betont aber Marias Nähe zu Christus und ihre Anwesenheit bei seinem Prozess, seiner Kreuzigung, seinem Begräbnis und seiner Auferstehung. Leider existiert noch immer keine vollständige kritische Ausgabe des Lebens der Jungfrau von Johannes Geometres. Zwar hat Wenger den letzten Teil des Texts ediert,78 doch die erste Hälfte ist nur in Handschriften zugänglich.79 Einer der interessantesten Aspekte dieses Texts ist, dass er noch mehr als andere die Funktion Marias als Fürbitterin für die Christen der Gegenwart betont. Sie spielt nicht nur eine zentrale Rolle in der Aufgabe ihres Sohnes, sondern nimmt direkt teil an seinen heilenden und erlösenden Handlungen.80 Auf das hohe Maß an Marienverehrung, das diesen Text kennzeichnet, wurde nicht nur von Shoemaker,81
75 Epiphanios, Vita deiparae (Dressel 38). 76 Martin Jugie, „Sur la vie et les procédés littéraires de Syméon Métaphraste: Son récit de la vie de la Sainte Vierge“, EOr 22 (1923): 5‒10; Ders., La mort et l’assomption, 320; Wenger, L’Assomption, 193–195; Shoemaker, „The Virgin Mary in the Ministry of Jesus“, 460. 77 Vgl. CSCO 479/CSCO.I 22,XIX–XXIX; Shoemaker, „Georgian Life of the Virgin“; Ders., „The Virgin Mary in the Ministry of Jesus“, 460f. 78 Wenger, L’Assomption, 364‒415. 79 Für diesen Artikel beziehe ich mich auf eine der besten Handschriften: Cod. Vat. gr. 504, fol. 172v–194v (1105). 80 Vgl. Shoemaker, „The Virgin Mary in the Ministry of Jesus“, 461. 81 Johannes, so Shoemaker (ebd., 462), der die in diesem Text erhobenen mariologischen Ansprüche keineswegs unterschätzt, „verbindet Marias Leiden ausdrücklich mit dem Prozess der menschlichen Erlösung, indem er erklärt, dass Maria für uns gelitten hat, um unsere Erlösung zu erwirken, und dass Christus sie als Lösegeld für uns gegeben hat, während sie ihn wie der Vater für uns dem Tod übergeben hat“.
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sondern auch von Wissenschaftlern wie Jean Galot und Hilda Graef hingewiesen.82 Ehe ich zum Schluss komme, soll noch kurz von der Marienapokalypse aus dem 9. Jh. die Rede sein: Darin wird beschrieben, wie Maria auf ihrer Reise durch Himmel und Hölle die unterschiedlichen Schicksale sieht, die den Toten jeweils beschieden sind.83 Jane Baun zufolge enthält dieser Text, gemeinsam mit anderen volkstümlichen Werken wie den Marienleben, die wir untersucht haben, eine alternative und gelegentlich subversive Interpretation der christlichen Erlösung.84 Maria fungiert in diesem Text als mächtige Matriarchin, die sich bei einem als gerecht und unnahbar dargestellten Christus für christliche Sünder einsetzt, die sie um ihre Fürsprache gebeten haben. Obwohl die Marienapokalypse Marias Fürbittmacht und ihre mütterlichen und weiblichen Merkmale betont, deutet sie an keiner Stelle an, dass das Heil und die Erlösung von irgendjemand anderem als Gott kommen könnten. In dieser Hinsicht bietet die Apokalypse uns eine weniger radikale Interpretation der heilsgeschichtlichen Rolle Mariens, als sie aus den verschiedenen mittelbyzantinischen Leben der Jungfrau herausgelesen werden kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Gestalt Marias in den hagiographischen und apokalyptischen Quellen deutlich anders interpretiert wird als in den liturgischen Homilien und Hymnen. Anscheinend existierten im mariologischen Schrifttum der mittelbyzantinischen Zeit zwei unterschiedliche Strömungen: eine, die den biblischen und patristischen Zeugnissen treu blieb, und eine andere, die für eine einfallsreiche – und nicht immer traditionelle – Gestaltung ihrer Rolle als Jüngerin Christi und als Fürsprecherin offen war. Trotz dieses sichtbaren Unterschieds zwischen den beiden Traditionen muss jedoch auch betont werden, dass sie gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen und es auch Überschneidungen zwischen den verschiedenen literarischen Gattungen gibt. Die byzantinischen Leben der Jungfrau Maria zum Beispiel stützen sich genauso wie die liturgischen Predigten und Hymnen auf die Heilige Schrift (AT wie NT). Daneben erinnert das Marienlob, das sie in manchen Passagen anstimmen, mit seinen biblischen Typoi und poetischen Bildern an homiletische und hymnographische Traditionen. Wahrscheinlich haben christliche Laien und Mönche beide Gattungen geschätzt und die je-
82 Jean Galot, „La plus ancienne affirmation de la corédemption mariale: Le témoignage de Jean le Géomètre“, RSR 45 (1957): 187‒208; Hilda Graef, Mary: A History of Doctrine and Devotion (2 Bde; London: Sheed and Ward, überarb. Aufl. 1985), 1:199f. 83 Eine Edition der Apokalypse, die in zahlreichen Handschriften und mehreren Rezensionen überliefert ist, liegt vor in: James, Hg., Apocrypha Anecdota, 109‒126. 84 Siehe Baun, Tales from Another Byzantium.
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weiligen liturgischen oder literarischen Kontexte waren ihnen auch bewusst; dementsprechend sie haben sie auch interpretiert.85
4.
Schluss
Dieser Beitrag versuchte einen Überblick über die marianische Exegese verschiedener byzantinischer Textgattungen aus dem 7. bis 10. Jh. Obwohl es in einem Artikel von dieser Länge nicht möglich ist, einen so großen Themenbereich adäquat darzustellen, können dennoch einige generelle Entwicklungen in dieser Epoche aufgezeigt und einige Schlussfolgerungen gezogen werden Wie wir gesehen haben, entwickelten sich zu jener Zeit zwei unterschiedliche Richtungen des marianischen Denkens, wobei die liturgischen Texte wie Festpredigten und Hymnen eher der einen und die hagiographischen und apokalyptischen Texte eher der anderen Strömung zuzurechnen sind. Verwandte Gattungen wie erbauliche Geschichten und Wundererzählungen wurden nicht in die Untersuchung miteinbezogen, lassen sich aber vermutlich der zweitgenannten Richtung zuordnen. Während das „amtliche“ oder liturgische Material gewisse konservative Tendenzen aufweist und die Methoden der Prediger und Hymnendichter – etwa die typologische Exegese oder die beschreibende Erzählung ‒ zunehmend konventionell werden, verblüffen „volkstümliche“ Texte durch ihre Bereitschaft, Marias Geschichte mit einfallsreichen und theologisch gewagten Details aus eigener Erfindung anzureichern. Trotz dieser Unterschiede gibt es manche Entwicklungen, die sich in beiden Überlieferungssträngen nachweisen lassen. Bezüge auf Marias mütterliche Zärtlichkeit, die als „weibliche“ Eigenschaft aufgefasst wurde, werden nicht nur in den hagiographischen, sondern auch in den liturgischen Gattungen in nachikonoklastischer Zeit häufiger. Ioli Kalavrezou zeigte, dass diese Vorstellungen aus den liturgischen Texten auf die religiöse Kunst und insbesondere die Ikonenkunst übergegangen sind.86 Ein verwandtes, wenn auch leicht anders geartetes Phänomen ist das wachsende Gewicht, das Literatur und Kunst auf Marias Fürbittmacht legen.87 85 Eine moderne, extremere Parallele wäre vielleicht eine gläubige Christin, die zuhause und in der Kirche das Neue Testament liest, aber durchaus einen Film wie „Das Leben des Brian“ im Kino genießen kann, ohne sich in ihrem Verständnis vom Leben und Leiden Christi in Frage gestellt zu fühlen. 86 Ioli Kalavrezou, „Images of the Mother: When the Virgin Mary Became Meter Theou“, DOP 44 (1990): 165‒172. 87 Zur Entwicklung dieses Aspekts der Marienverehrung vgl. Cameron, „The Virgin’s Robe“; Vasiliki Limberis, Divine Heiress: The Virgin Mary and the Creation of Christian Constantinople (London: Routledge, 1994); Pentcheva, Icons and Power.
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Die mittelbyzantinische Deutung der Rolle der Gottesmutter im Hinblick sowohl auf die Menschheit als auch auf Gott stützte sich vor allem auf die biblische Offenbarung. Da jedoch diese Offenbarung, was Maria betrifft, eher rätselhaft ist und mit Informationen geizt, musste sie mithilfe apokrypher Texte, patristischer Zeugnisse und mittelalterlichen Einfallsreichtums ergänzt werden. Wie byzantinische Marientexte belegen, war der gesamte Prozess motiviert durch ein wachsendes Interesse an Maria: an dem Menschen Maria wie auch an der Fürsprecherin und Schutzpatronin von Konstantinopel.
Die Jungfrau Maria und die antike jüdische Literatur Martha Himmelfarb Princeton University
Den Juden der Antike war durchaus bewusst, wie viel die Jungfrau Maria den Christen bedeutete: Das belegen ihre gelegentlichen Versuche, die christliche Erzählung zu untergraben. So war Jesus dem babylonischen Talmud zufolge nicht der Sohn einer Jungfrau, sondern einer verheirateten Frau und ihres Liebhabers und damit nach jüdischem Recht ein uneheliches Kind (b. Šabb. 104b; b. Sanh. 67a).1 In der Tradition der Toledot Jeschu (Geschichte Jesu), einer sprachlich wie zeitlich recht heterogenen Sammlung von Texten, deren älteste offenbar aus rabbinischer Zeit stammen, kommt Maria etwas besser weg.2 Zwar ist Jesus auch hier ein Bastard, doch ist seine Mutter eher Opfer als Sünderin: Sie wird von einem Nachbarn schwanger, der sich als ihr Ehemann ausgab, während ihr wirklicher Ehemann sich im Lehrhaus aufhielt. Die drei Erzählungen, mit denen ich mich im vorliegenden Beitrag beschäftige, stehen jedoch für eine andere Art, auf die Gestalt der Jungfrau zu reagieren. Hier nämlich nutzen Juden der Antike Aspekte ihrer Rolle für jüdische Zwecke. Zwei der Heldinnen sind Mütter des Messias; die dritte ist die Mutter von sieben Söhnen, deren Martyrium erlösende Bedeutung beigemessen wird. Diese sind aber keineswegs die einzigen Beispiele dafür, dass biblische Heldinnen in der rabbinischen Literatur marianische Züge tragen.3 Weitere Forschungen in diesem Bereich werden sicherlich noch mehr Spuren
1 2
3
Vgl. Peter Schäfer, Jesus im Talmud (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 31–37; Schäfer weist darauf hin, dass dieser Abschnitt nur in unzensierten Handschriften und Ausgaben des Talmud vorkommt. Zu Texten und Übersetzung vgl. Michael Meerson und Peter Schäfer, Hg., Toledot Yeshu: The Life Story of Jesus: Two Volumes and Database (TSAJ 159; Tübingen: Mohr Siebeck, 2014); zum derzeitigen Forschungsstand vgl. Peter Schäfer, Michael Meerson und Yaacov Deutsch, Hg., Toledot Yeshu („The Life Story of Jesus“) Revisited: A Princeton Conference (TSAJ 143; Tübingen: Mohr Siebeck, 2011). Ich habe an anderer Stelle bereits gezeigt, dass die Gestalt der Jungfrau auch die rabbinische Darstellung zweier biblischer Matriarchinnen, nämlich Saras (Gen Rab. 53.9) und Rachels (Klgl Rab., Petiḥa 24), beeinflusst hat, vgl. Martha Himmelfarb, „The Mother of the Seven Sons in Lamentations Rabbah and the Virgin Mary“, JSQ 22 (2015): 325–351.
Die Jungfrau Maria und die antike jüdische Literatur
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zutage fördern, die die Jungfrau in den jüdischen Texten der Antike hinterlassen hat.
1.
Die Mutter des verschwundenen Messiaskindes
Das älteste der Beispiele, die hier erörtert werden sollen, stammt aus dem Jerusalemer Talmud, einem Werk, das im 5. Jh. vollendet wurde. Die Geschichte, um die es hier geht, wird einem Rabbi aus dem frühen 4. Jh. zugeschrieben.4 Der Protagonist der Geschichte ist ein Jude, der gerade seinen Acker pflügt, als er seine Kuh brüllen hört. Ein Araber übersetzt ihm das Gebrüll: Der Jude solle aufhören zu pflügen, weil der Tempel zerstört worden sei. Gleich darauf brüllt die Kuh ein zweites Mal, und der Araber sagt dem Juden, er solle den Pflug wieder anspannen: In Betlehem sei der Messias geboren worden, sein Name sei Menachem, Sohn des Hiskija. Nachdem er die Kuh und den Pflug verkauft hat, um sich seinen Unterhalt fortan als fahrender Händler mit Säuglingswindeln zu verdienen, begibt sich der Jude auf die Suche nach dem neugeborenen Messias. Er ging von Stadt zu Stadt, bis er in jene Stadt [Betlehem] kam. Alle Frauen (dort) kauften (Windeln von ihm), nur die Mutter Menachems kaufte nicht. Da hörte er die Stimmen der Frauen, die riefen: „Menachems Mutter, Menachems Mutter, komm, kauf doch etwas für deinen Sohn!“ Sie (aber) sagte: „Ich möchte ihn, alle Feinde Israels, (am liebsten) erwürgen, denn an dem Tage, da er geboren wurde, wurde der Tempel zerstört.“ Er [der Händler] sagte zu ihr: „Wir vertrauen darauf, dass er [der Tempel], so wie er um seinetwillen zerstört wurde, auch um seinetwillen wieder aufgebaut wird.“ Sie sagte zu ihm: „Ich habe kein Geld.“ Er antwortete: „Das macht ihm nichts – komm und kauf etwas für ihn [deinen Sohn]; wenn du heute kein Geld hast, so werde ich in einigen Tagen wiederkommen und mir (mein Geld) holen.“ Nach einiger Zeit kam er in diese Stadt (zurück) und sagte zu ihr: „Wie geht es dem Baby?“ Sie antwortete: „Nachdem 4
Diese Stelle habe ich andernorts ausführlicher diskutiert, vgl. Dies., „The Mother of the Messiah in the Talmud Yerushalmi and Sefer Zerubbabel“, in The Talmud Yeru shalmi and Graeco-Roman Culture 3 (hg. v. Peter Schäfer; TSAJ 93; Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 369–389. Vgl. auch Dies., Jewish Messiahs in a Christian Empire: A History of the Book of Zerubbabel (Cambridge: Harvard University Press, 2017), 39–47, mit Bezug auf zwei wichtige Beiträge, die nach dem Artikel erschienen sind: Hillel Newman, „The Birth of the Messiah on the Day of the Destruction: Historical and Anti-Historical Notes“, in For Uriel: Studies in the History of Israel in Antiquity Presented to Professor Uriel Rappaport (hg. v. Menahem Mor et al.; Jerusalem: Merkaz Zalman Shazar, 2006), 85–110 (hebr.), und Peter Schäfer, The Jewish Jesus: How Judaism and Christianity Shaped Each Other (Princeton: Princeton University Press, 2012), 214–235.
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du mich gesehen hattest, kamen Winde (ruchin) und Wirbelwinde (‘al‘olim) und rissen es [das Baby] mir aus meinen Händen.“ (y. Ber. 2.4 [5a])5
Die Geschichte beginnt mit einer guten Nachricht: Noch am Tag der Zerstörung des Zweiten Tempels wird der Messias geboren. Doch am Ende ist der Messias verschwunden, und nichts deutet darauf hin, dass er zurückkehren wird. Tatsächlich äußert die Mutter im Laufe der Erzählung ziemlich klar den Wunsch, ihren eigenen Sohn zu erwürgen: „Ich möchte ihn, die Feinde Israels, erwürgen“. Die Wendung „Feinde Israels“, die an anderen Stellen der rabbinischen Literatur in negativen Kontexten als Euphemismus für das Volk Israel oder einzelne Mitglieder desselben verwendet wird, mag hier dazu dienen, diese ungeheuerliche Aussage abzumildern.6 Im Licht dieser recht schockierenden Aussage der Mutter wäre das Angebot des Hausierers, wiederzukommen und das Geld später zu kassieren, vielleicht als Warnung zu lesen: Er wird ein Auge darauf haben, wie sie sich ihrem Kind gegenüber verhält. Da die Mutter den Wunsch geäußert hat, das Kind zu töten, ist es überdies schwierig zu beurteilen, ob wir ihrer Schilderung der ungewöhnlichen Umstände, unter denen das Kind verschwindet, am Ende der Geschichte Glauben schenken sollen. Vielleicht will man zu verstehen geben, dass sie die Winde nur erfunden hat, um ihre eigene Schuld zu bemänteln. Bevor ich mich mit der Bedeutung dieser Geschichte befasse, sollte ich erwähnen, dass die meisten Forscher sie positiver bewertet und größere Sympathien für die Mutter entwickelt haben, als ich es hier nahelegen möchte.7 Die betreffenden Lesarten verweisen zum einen auf den Gebrauch des eher unüblichen Wortes „Wirbelwind“ und sehen darin eine Anspielung auf den Wind, der den aramäischen Bibelübersetzungen zufolge den Propheten Elija gen Himmel getragen hat (2 Kön 2,1.11).8 Mit dieser Anspielung solle angedeutet werden, dass das Messiaskind wie Elija in den Himmel aufgenommen 5 6 7
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Die deutsche Übersetzung orientiert sich an Peter Schäfer, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums: Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (Tria Corda 6; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 4f. Zum euphemistischen Gebrauch der Wendung, vgl. z. B. b. Ber. 4b. Zum SingularPronomen „ihn“ mit dem Plural „Feinde Israels“, vgl. Ders., Jewish Jesus, 228.315f., Anm. 44f. Vgl. Yonah Frenkel, Studies in the Spiritual World of the Aggadic Story (Tel Aviv: Hakibbutz Hameuchad, 1981), 160–163 (hebr.); Galit Hasan-Rokem, Web of Life: Folklore and Midrash in Rabbinic Literature (Contraversions; Stanford: Stanford University Press, 2000; das hebräische Original ist 1996 erschienen), 152–160; Israel Knohl, The Messiah Before Jesus: The Suffering Servant of the Dead Sea Scrolls (Berkeley: University of California Press, 2000), 72–74. Eine ganz andere Lesart der Geschichte, die die Mordlust der Mutter in den Vordergrund rückt, bietet Schäfer, Jewish Jesus, 214–235. Frenkel, Studies, 163, Anm. 19; ebenso Hasan-Rokem, Web of Life, 160, und Knohl, Messiah, 132, Anm. 4.
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worden sei. Diese Lesart setzt allerdings voraus, dass die Mutter eine verlässliche Quelle ist, was aber keineswegs als erwiesen gelten kann. Und selbst wenn die Mutter glaubwürdig wäre, lässt das Fehlen weiterer Hinweise auf die Elijaerzählung es zumindest fragwürdig erscheinen, dass eine solche Anspielung beabsichtigt war. Der andere Faktor, der besagte Forscher zu einer optimistischeren Deutung veranlasst, ist die Version der Geschichte im Midrasch Echa Rabba, einer Sammlung von Homilien und Auslegungen zum Buch der Klagelieder, die etwa zeitgleich mit dem Jerusalemer Talmud in Palästina entstanden ist. In dieser Version der Geschichte (Klgl Rab. 1,51) erklärt die Mutter ihren Unwillen, Windeln für ihren Sohn zu kaufen, mit den Worten: „Ich befürchte Schwierigkeiten für meinen Sohn.“ Anders als die Mutter im Jerusalemer Talmud sorgt sie sich demnach um die Zukunft ihres Sohnes, statt ihn erwürgen zu wollen. Als der Händler sich dann später wieder nach dem Kind erkundigt, antwortet sie: „Habe ich dir nicht gesagt, dass ich Schwierigkeiten für meinen Sohn befürchte?“, und erzählt gleich im Anschluss vom Verschwinden des Säuglings. Obwohl auch hier nichts darauf hinweist, dass die Windentführung des Jungen eine Himmelfahrt gewesen ist – er also im Himmel abwarten soll, bis man ihn ruft und er sich auf Erden offenbaren kann –, lässt die Schilderung der Mutter in diesem Fall doch eher die Annahme zu, dass mit dem Verschwinden des Säuglings nicht sein Ableben gemeint ist. So oder so ändert aber die Überarbeitung der Geschichte in Echa Rabba nichts an ihrer Bedeutung im Jerusalemer Talmud, im Gegenteil: Sie ist ein Beleg dafür, dass der Überarbeiter die frühere Version offenbar als verstörend empfand. Es überrascht nicht, dass Erzählungen vom christlichen Messias auf die jüdischen Bewohner des inzwischen christianisierten Imperiums eine beträchtliche Anziehungskraft ausübten, und die Geschichte im Jerusalemer Talmud zeigt, dass diese Faszination unter anderem von der Mutter des Messias ausging. Doch sie zeigt auch, dass die Rabbinen des Jerusalemer Talmud diese volkstümliche Begeisterung nicht teilten. Ihre Geschichte, so meine These, persifliert eine jüdische Erzählung, die eine zentrale Figur der christlichen Erzählung übernommen hatte. Eine direkte Persiflage der christlichen Erzählung selbst kann nicht beabsichtigt gewesen sein, da der Messias der Talmuderzählung, der ja nicht einmal das Kindesalter erreicht hat, schwerlich mit dem christlichen Messias zu verwechseln war. Vielmehr spricht aus der Geschichte das Unbehagen der rabbinischen Elite gegenüber dem volkstümlichen jüdischen Wunsch nach einer Messiaserzählung, die mit der christlichen konkurrieren konnte. Das persiflierende Moment lässt sich vor allem an zwei Aspekten festmachen: zum einen daran, dass der Messias verschwindet und nichts auf seine künftige Wiederkehr hindeutet, und zum anderen daran, dass die Mutter als Gefahr für ihren eigenen Sohn dargestellt wird.
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2.
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Die Mutter der sieben Söhne
Die zweite Stelle, die hier besprochen werden soll, findet sich in Klgl Rab. 1,50.9 Der Midrasch Echa Rabba ist in zwei Versionen auf uns gekommen, deren eine in der Editio princeps aus dem frühen 16. Jh. und den nachfolgenden Druckausgaben und deren andere in der von Salomon Buber edierten Ausgabe vorliegt.10 Auch wenn die inhaltlichen Unterschiede geringfügig sind, unterscheiden sich die beiden Fassungen in ihrem Wortlaut deutlich voneinander.11 Im Folgenden werde ich, sofern nicht anders angegeben, aus der Buber-Ausgabe zitieren. Eine kürzere und weniger detaillierte Version der Geschichte ist im Babylonischen Talmud (b. Giṭ. 57b) nachzulesen; dort ist sie auf Aramäisch, in Echa Rabba hingegen auf Hebräisch abgefasst. Mehrere spätere rabbinische Texte enthalten ebenfalls Versionen dieser Geschichte. Sie alle hängen – eventuell mit Ausnahme der Version im Midrasch Pesiqta Rabbati – entweder von Echa Rabba oder vom Babylonischen Talmud ab.12 Auch wenn die Heldin der Geschichte in Echa Rabba, Mirjam b. Tanchum, denselben Namen wie die Jungfrau trägt, ist sie nicht die Mutter des Messias, sondern die Mutter von sieben Söhnen, die durch die Hand der Römer den Märtyrertod sterben, weil sie sich weigern, ein Götzenbild anzubeten. Eine frühere Fassung der Geschichte findet sich in 2 Makk 7, einem Werk, das vermutlich aus dem späten 2. Jh. v. Chr. stammt. Schon längst haben Forscher darauf hingewiesen, dass die Sprache dieses Kapitels sehr viel schlichter ist als das hochliterarische Griechisch des übrigen Buches, was darauf hindeutet, 9 Siehe dazu ausführlicher Himmelfarb, „Mother of the Seven Sons“. 10 Midrasch Echa Rabbati: Sammlung agadischer Auslegungen der Klagelieder (hg. v. Salomon Buber; Wilna: Romm, 1899). Die Buber-Ausgabe fußt auf einem Manuskript aus der Casanata-Bibliothek in Rom und ergänzt die nicht in dieser Handschrift enthaltenen Petihot anhand eines Manuskripts aus dem Britischen Museum (vgl. Midrasch Echa Rabbati, 1 [Einleitung]); der betreffende Abschnitt findet sich auf den Seiten 84f. Die maßgeblichen Druckausgaben des Midrasch Rabba geben die Editio princeps wieder. 11 Vgl. Paul Mandel, „Between Byzantium and Islam: The Transmission of a Jewish Book in the Byzantine and Early Islamic Periods“, in Transmitting Jewish Traditions: Orality, Textuality, and Cultural Diffusion (hg. v. Yaakov Elman und Israel Gershoni; Studies in Jewish Culture and Society; New Haven: Yale University Press, 2000), 74–106, insbes. 92–100. Mandel vertritt den Standpunkt, die Buber-Ausgabe spiegele die ursprüngliche, palästinische Version der Sammlung wider, während die gedruckten Ausgaben die babylonische Version einschließlich der Veränderungen am Text enthielten, die man in Babylon im Zuge der mündlichen Überlieferung vorgenommen habe. 12 Hinweise zum Wortlaut der unterschiedlichen Versionen, ihrer Datierung und ihren Beziehungen bietet Gerson D. Cohen, „Hannah and Her Seven Sons in Hebrew Literature“, in Ders., Studies in the Variety of Rabbinic Cultures (Philadelphia: Jewish Publication Society, 1991), 39–60; 55f., Anm. 3 (Erstveröffentlichung 1953).
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dass es sich um die Übersetzung eines nicht erhaltenen hebräischen oder aramäischen Originals handelt. Die Geschichte in 2 Makk 7 wurde dann nach der Zeitenwende vom Verfasser des vierten Makkabäerbuchs aufgegriffen und ausgeschmückt. Die Rabbinen, die für die Fassung in Echa Rabba verantwortlich zeichnen, mögen des Griechischen durchaus mächtig gewesen sein, doch obwohl die Erzählung bereits in 2 und 4 Makk und überdies in christlichen Homilien zu Ehren der makkabäischen Märtyrer vorlag, enthält die Version in Echa Rabba keinerlei Hinweise darauf, dass ihre Verfasser sich der Verbindung bewusst gewesen wären, und es sind auch keine literarischen Bezüge zu der Geschichte, wie sie in 2 und 4 Makk erzählt wird, festzustellen. Es scheint daher plausibel, dass es sich um eine selbständige Weiterentwicklung derselben hebräischen oder aramäischen Geschichte handelt, auf der auch das Kapitel in 2 Makk beruht. Wie die Geschichten in 2 und 4 Makk beschreibt auch die Erzählung in Echa Rabba die Verfolger als heidnische Macht, wenngleich der Herrschertitel „Caesar“ diese Macht eindeutig als das römische Imperium und nicht als das Seleukidenreich aus 2 und 4 Makk identifiziert. Was die Randdetails der Verhaftung und Verurteilung ihrer Helden betrifft, hat die Forschung eine Reihe von Parallelen zwischen Echa Rabba und der christlichen Märtyrerliteratur herausgearbeitet, und es mag sein, dass zumindest einige dieser Details tatsächliche römische Praktiken widerspiegeln.13 Doch als der Midrasch Echa Rabba zusammengestellt wurde, war Rom bereits seit einiger Zeit christlich, und wo auch immer ihre Ursprünge liegen mögen – die Geschichte in Echa Rabba ist, so meine These, nur vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Marienverehrung wirklich zu verstehen. Die Geschichte beginnt mit der Mutter und ihren Söhnen in der Gefangenschaft. Einer nach dem anderen werden die Söhne vor den Kaiser geführt und gedrängt, einem Götzenbild ihre Verehrung zu bezeigen. Und einer nach dem anderen weigert sich, begründet seine Weigerung mit einem Toravers und wird zum Tod verurteilt. Schließlich wird auch der jüngste Sohn hinausgeführt. Auch er verweigert den Götzendienst und rechtfertigt seine Weigerung mit Versen aus der Tora und den Psalmen. Doch anders als seine Brüder bekommt er die Chance, sein Leben zu retten, ohne gegen die Tora zu verstoßen. Der Kaiser bietet ihm an, einen Ring vor das Götzenbild zu werfen. Wenn der Knabe sich dann bücke, um den Ring aufzuheben, würden die Umstehenden denken, er habe den Befehl des Kaisers erfüllt und dem Götzenbild die Ehre erwiesen. Doch das Kind lässt sich nicht auf diesen Vorschlag ein, sondern beginnt den Kaiser zu beleidigen und anhand von Bibelversen zu belegen, dass der Gott Israels – anders als das Götzenbild des Kaisers – ein lebendiger Gott ist. Auch auf die Frage des Kaisers, weshalb ein so mächtiger Gott zugelassen habe, dass die Brüder ein so entsetzliches Schicksal treffe, 13 Ebd., 43–49, und die dort angeführten Belegstellen.
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antwortet der Knabe mit Schmähworten. Sein Mut und seine Bildung sind beeindruckend – umso mehr, als wir am Ende der Erzählung erfahren, wie alt er ist: sechseinhalb Jahre und zwei Stunden nach der Buber-Ausgabe oder zwei Jahre, sechs Monate und sechseinhalb Stunden nach der Editio princeps. Ehe der jüngste Sohn hingerichtet wird, bittet die Mutter den Kaiser um die Erlaubnis, ihren Sohn zu umarmen. Der Kaiser gewährt ihre Bitte, und die Mutter reicht ihrem Sohn die Brust und stillt ihn. Mindestens eine moderne Lesart sieht hierin einen anrührenden Ausdruck mütterlicher Liebe,14 doch da im Altertum eine Frau, die ein Kind stillte, häufig nicht dessen Mutter war, ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass die antiken Leser das Stillen mit mütterlicher Fürsorge assoziiert haben.15 Überdies passt diese Auslegung nicht zu der in der Buber-Ausgabe angeführten Belegstelle: „Honig und Milch sind unter deiner (Fem. Sg.) Zunge“ (Hld 4,11).16 Aufgrund der erotischen Färbung des Verses, dem diese Stelle entnommen ist, scheint diese als Beleg für einen Akt mütterlicher Zärtlichkeit eher ungeeignet: „Von deinen Lippen, meine Braut, träufelt Honigseim. Honig und Milch sind unter deiner Zunge, und der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon.“ Zudem entspricht das Femininum Singular „deiner“ nicht der Szene in Echa Rabba, wo vermutlich von der Zunge des Sohnes die Rede ist. Soweit ich weiß, gibt es weder in der jüdischen noch in der christlichen Literatur ein Vorbild für dieses Motiv einer Mutter, die ihr Kind stillt, ehe es den Märtyrertod stirbt. In 2 Makk 7 ermutigt die Mutter ihren jüngsten Sohn, den Tod zu wählen, und erinnert sich daran, wie sie ihn neun Monate lang in ihrem Leib getragen und drei Jahre lang gestillt hat (2 Makk 7,27). Doch in der Szene selbst stillt sie ihn nicht. In 4 Makk kommt in der Mahnrede der Mutter an ihre Söhne auch das Wort Schwangerschaft vor (4 Makk 15,6f.), doch das Stillen wird nur in der imaginären Rede erwähnt, die eine weniger heroische Mutter dem Autor zufolge vielleicht hätte halten können (4 Makk 16,7). In der zweiten Hälfte des 4. Jh. verfasst Gregor von Nazianz seine 15. Homilie Über die Makkabäer; darin zeigt die Mutter ihren erwachsenen Söhnen die Brüste, als sie sie zum Märtyrertod drängt – eine Szene, die an die Ilias erinnert (22,79–89), wo Hekuba versucht, Hektor vom Kampf gegen Achill abzuhalten.17 Allerdings hat Gregor sich die Mutter sicherlich nicht als Stillende vor14 Hasan-Rokem, Web of Life, 123. 15 Zum Kontext spätantiker ägyptischer Darstellungen der das Christuskind stillenden Jungfrau vgl. Elizabeth S. Bolman, „The Enigmatic Coptic Galaktotrophousa and the Cult of the Virgin Mary in Egypt“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 13–22, insbes. 15f. 16 Eine spätere Fassung der Geschichte im Seder Elijahu Rabba entwickelt den Gedanken sogar noch weiter: Unmittelbar bevor er den Bibeltext zitiert, füllen Milch und Honig aus der Mutterbrust den Mund des Sohnes und tropfen zu Boden. 17 PG 35,916c–917b (Abschn. 4); eine französische Übersetzung findet sich bei Raphaëlle Ziadé, Les martyrs Maccabées: de l’histoire juive au culte chrétien: Les ho-
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gestellt, denn er lässt sie sich auf ihr ergrautes Haupt berufen, um ihre Söhne zum Gehorsam zu veranlassen. Und schließlich gilt es zu bedenken, dass alle drei Werke trotz ihrer Anspielungen auf die physischen Aspekte der Mutterschaft die Mutter preisen, weil sie über ihre weiblichen Grenzen hinausgewachsen sei. 2 Makk verweist auf ihren „männlichen Mut“ (2 Makk 7,21), 4 Makk nennt sie „edler als Männer, was die Charakterstärke betrifft, tapferer als Krieger, wo es ums Aushalten geht“ (4 Makk 15,30, vgl. auch 16,14). Gregor rühmt sie als eine „männliche Seele in einem weiblichen Körper“. Die einzige Märtyrererzählung aus der Antike, die den Akt des Stillens in einem anderen als dem bisher erwähnten Sinne beinhaltet, ist das im frühen 3. Jh. in Nordafrika verfasste Martyrium von Perpetua und Felicitas. Doch auch hier liegt der Akzent darauf, dass die Heldin die Begrenztheit des weiblichen Körpers überwindet. Perpetua ist eine römische Matrone aus gutem Haus, die den christlichen Glauben angenommen hat und zusammen mit ihrem kleinen Sohn als Mitglied einer Gruppe von ChristInnen verhaftet worden ist, die nun ihre Bestrafung erwarten. Sie ist begierig darauf, gemeinsam mit den anderen ChristInnen zu sterben, und betrachtet es als ein Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel, dass der Säugling auf sie angewiesen ist und von ihr ernährt werden muss. Deshalb gibt sie das Kind, nachdem sie es eine Zeitlang im Gefängnis gestillt hat, in die Obhut ihres Vaters, dessen flehentliche Bitten, dem Christentum abzuschwören, sie mehrfach zurückweist.18 In einer Vision sieht Perpetua das glückliche Geschick, das sie als Märtyrerin erwartet: In der Arena triumphiert sie über einen Ägypter von beängstigendem Aussehen; als sie sich zum Kampf rüstet, fallen ihre Kleider von ihr ab, und sie stellt fest, dass sie ein Mann geworden ist. Weder die Literatur von der Mutter der makkabäischen Märtyrer noch das Martyrium von Perpetua und Felicitas ist wirklich geeignet, die Szene in Echa Rabba zu erhellen, in der die Mutter ihren jüngsten Sohn stillt. Um diese Szene zu erklären, schlage ich vor, auf die christliche Marienverehrung mit ihrem Motiv der das Christuskind stillenden Jungfrau zurückzugreifen. Die frühesten Quellen verraten keine allzu große Begeisterung für dieses Thema. mélies de Grégoire de Nazianze et de Jean Chrysostome (SVigChr 80; Leiden: Brill, 2007), 301–311. Zur Datierung dieser Homilie auf das Jahr 362, als Julians Christenverfolgung den makkabäischen Märtyrern besondere Bedeutung verlieh, vgl. Martha Vinson, „Gregory Nazianzen’s Homily 15 and the Genesis of the Christian Cult of the Maccabean Martyrs“, Byzantion 64 (1994): 166–192; 166f. Zu der These, dass zumindest die endgültige Fassung der Homilie erst zu einem späteren Zeitpunkt von Gregors Karriere, nämlich während seiner Zeit in Konstantinopel (379–81) entstanden sei, vgl. Ziadé, Martyrs Maccabées, 147–154; 174f. 18 Die Genderforschung hat sich intensiv mit der Perpetualegende befasst; zum Aspekt der Mutterschaft vgl. hier insbes. Elizabeth Castelli, „‚I Will Make Mary Male‘: Pieties of the Body and Gender Transformation of Christian Women in Late Antiquity“, in Body Guards: The Cultural Politics of Gender Ambiguity (hg. v. Julia Epstein und Kristina Straub; New York: Routledge, 1991), 29–49; 33–43.
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Als eine Frau nach einer Dämonenaustreibung im Lukasevangelium ausruft: „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“, gibt Jesus ihr zur Antwort: „Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen“ (Lk 11,27f.). Doch schon im 4. Jh., in der liturgischen Dichtung Ephräms des Syrers, ist das Motiv der Jungfrau, die das Christuskind stillt, deutlich positiver konnotiert.19 In den Hymnen von Romanus dem Meloden, dem bedeutendsten griechischen liturgischen Dichter des 6. Jh., spielt es bereits eine zentrale Rolle.20 Der wichtigste konstantinopolitanische Marienhymnus war der Hymnos Akathistos, der zwischen dem 5. und dem 7. Jh. verfasst wurde und aus einer Reihe von Marienanrufungen besteht. Von besonderem Interesse für unsere Geschichte von der Mutter und ihren Söhnen ist ein Abschnitt am Ende einer Strophe, der auf einer typologischen Lesart des Exodus beruht: „Freue dich, Gelobtes Land. / Freue dich, du, aus der Milch und Honig fließen!“ (11,16f.).21 Typologisch gelesen ist das Gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen, kein geographischer Ort oder das Ziel des Exodus, sondern das ewige Leben, das der Hymnus dann wiederum mit der Jungfrau Maria gleichsetzt. Die Assoziation von Milch und Honig mit dem Leben nach dem Tod findet sich nicht nur im Hymnos Akathistos. Die im 4. oder 5. Jh. entstandene Paulusapokalypse, eine der beliebtesten Apokalypsen der Antike, beschreibt das Paradies wie den Garten Eden in Gen 2 als von vier Strömen durchflossen; in dem einen davon fließt Milch, in dem anderen Honig.22 Die weite Verbreitung einer solchen Darstellung des Paradieses mag ein christliches Verständnis des 19 Ephräm, Hymnen über die Geburt Christi 4,149–153.184f. (CSCO 187/CSCO.S 83,34.36); 5,24 (42); 11,4 (61); 12,1 (63); 18,12 (85); sowie Hymnen über die Jungfräulichkeit 25,3 (CSCO 224/CSCO.S 95,79). 20 Romanus der Melode, Cantica: Cantica Genuina (hg. v. Paul Maas und Constantine A. Trypanis, Oxford: Clarendon Press, 1963), 276–280.281; eine englische Übersetzung findet sich in Kontakia of Romanos, Byzantine Melodist (hg. v. Marjorie Carpenter; 2 Bde; Columbia: University of Missouri Press, 1970–1973). Zur Jungfrau, die das Christuskind stillt, vgl. darin „On the Nativity I“ (1), Strophe 2 und 23; „On the Nativity II“ (2), Strophe 13; „On the Presentation in the Temple“ (4), Strophe 4; „On the Marriage at Cana“ (7), Strophe 14; „On the Nativity of the Virgin Mary“ (35), Refrain; „On the Annunciation“ (36), Strophe 1; „On the Annunciation II“ (37), Strophe 13. 21 Zur typologischen Lesart dieser Strophe vgl. Leena M. Peltomaa, The Image of the Virgin Mary in the Akathistos Hymn (The Medieval Mediterranean 35; Leiden: Brill, 2001), 167–173. Peltomaa vertritt die These, die Strophe könne Elemente, die normalerweise als Typoi Christi selbst gedeutet wurden, deswegen auf die Jungfrau beziehen, weil der Hymnus den Schwerpunkt auf die Rolle lege, die Maria bei der Menschwerdung gespielt habe. 22 Paulusapokalypse 25f.; in den anderen beiden Flüssen fließen Wein und Öl (27f.) (Wilhelm Schneemelcher, Hg., Neutestamentliche Apokryphen 2: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes [Tübingen: Mohr Siebeck, 61997], 659f.).
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Hymnos Akathistos vorbereitet haben, indem die Milch und der Honig, die aus der Jungfrau flossen, buchstäblich als Flüsse aufgefasst werden konnten. War jemand dagegen mit dem Lob der Jungfrau als Nährmutter des Christuskindes vertraut, so stellte man sich wahrscheinlich vor, dass die Milch und der Honig tatsächlich aus den Brüsten der Jungfrau flossen, und mir scheint, dass der Hymnus gerade diese Doppeldeutigkeit beabsichtigt haben könnte. An einer früheren Stelle derselben Strophe wird die Jungfrau als Nachfolgerin des Manna und damit als eine Quelle göttlicher Nahrung angerufen.23 Durch die Gleichsetzung mit dem Gelobten Land wird diese göttliche Nahrung mit dem Leben nach dem Tod in Verbindung gebracht. Frühere christliche Texte verwendeten zwar nicht das Motiv der stillenden Jungfrau, wohl aber das Bild des Stillens, um die Erfahrung der ChristInnen zu veranschaulichen, die von Gott oder Christus mit der Milch der Erlösung getränkt werden.24 Die gedankliche Verbindung zwischen der Milch der Jungfrau und der Milch und dem Honig des Gelobten Landes und des Lebens nach dem Tod hilft uns, den Akt des Stillens in Echa Rabba und die Verwendung der Belegstelle aus dem Hohelied zu verstehen: Ehe ihr Sohn in den Tod geht, reicht die Mutter ihm die Milch (und den Honig) der Unsterblichkeit. Noch deutlicher wird der implizite Vergleich zwischen der Mutter der sieben Söhne und der Jungfrau Maria in dieser Szene, als die Mutter ihrem todgeweihten Sohn Folgendes mit auf den Weg gibt: „Sag [dem Abraham] in meinem Namen: ‚Du hast einen Altar errichtet und deinen Sohn nicht geopfert. Ich habe sieben Altäre errichtet und meine Söhne geopfert.‘“ Nach rabbinischer Auffassung hatte Abraham durch seine Bereitschaft, auf Gottes Forderung einzugehen und seinen geliebten Sohn zu opfern (Gen 22), die Erlösung seiner Nachkommen sichergestellt. Das verleiht den Worten der Mutter beträchtliches Gewicht: Das Martyrium ihrer Söhne ist eine noch wirkmächtigere Quelle der Erlösung als die Beinahe-Opferung des Isaak, denn ihre Söhne haben – genauso wie der christliche Erlöser – dem Tod nicht nur ins Auge gesehen, sondern sind wirklich gestorben. Darüber hinaus deuten die Worte der Mutter an, dass sie nicht nur Abraham, sondern auch die Jungfrau Maria übertroffen hat. Wie die Jungfrau ist auch sie eine Quelle der Milch der Unsterblichkeit, doch sie hat sieben Söhne geopfert, die Jungfrau dagegen nur einen. Nachdem sie ihren jüngsten Sohn gestillt hat, bittet die Mutter, gemeinsam mit ihm sterben zu dürfen. In 2 Makk 7 stirbt die Mutter allem Anschein nach als Märtyrerin, gleich nach ihren Söhnen (2 Makk 7,41), während in 4 Makk 23 Vgl. hierzu Vasiliki Limberis, Divine Heiress: The Virgin Mary and the Creation of Christian Constantinople (London: Routledge, 1994), 121–142, insbes. 138, wo sie sich auf Teile der 11. Strophe bezieht. 24 Gail P. Corrington, „The Milk of Salvation: Redemption by the Mother in Late Antiquity and Early Christianity“, HTR 82 (1989): 393–420; 412f. (über 1 Petr und Clemens von Alexandria); Bolman, „Enigmatic Coptic Galaktotrophousa“, 17, über Clemens.
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der Märtyrertod der Mutter ausdrücklich erwähnt wird (4 Makk 17,1). Doch in Echa Rabba lehnt der Kaiser das Ansuchen der Mutter ab. Nach einiger Zeit, so erfahren wir, verfällt sie dem Wahnsinn und stürzt sich von einem Dach. Bei ihrem Tod zitieren die Umstehenden den Psalmvers: „Sie wird Mutter und freut sich an ihren Kindern [oder: Söhnen]“ (Ps 112[113],9), und der Heilige Geist antwortet mit dem Vers aus den Klageliedern, auf den die ganze Geschichte bezogen ist: „Um diese weine ich“ (vgl. Klgl 1,16).25 Nachdem die Mutter also zunächst implizit als Quelle der Unsterblichkeit und größer als Abraham dargestellt worden ist, bereitet der Midrasch Echa Rabba ihr nun das unrühmliche Ende einer Frau, die unfähig war, ihren Kummer zu ertragen. Auch die biblischen Verse zu Ehren der Mutter vermögen den Schock der enttäuschten Erwartungen kaum zu lindern. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass das Schicksal der Mutter unverkennbare Parallelen zur Jungfrau Maria aufwies und dies als problematisch empfunden wurde. In diesem Fall hätte der Midrasch Echa Rabba die Mutter also zunächst zu einer Gestalt aufgebaut, die sich mit der Jungfrau messen kann, dann aber die Frage aufgeworfen, ob eine solche Gestalt für Juden überhaupt angemessen ist, und ihr Format gleich im Anschluss wieder verkleinert, indem er sie unter ihrem Leid zusammenbrechen ließ. Denkbar ist jedoch auch, dass das Schicksal der Mutter auf die gedankliche Verbindung zwischen dem Opfer der Mutter und der Fesselung Isaaks verweist. Wie wir gesehen haben, vergleicht sich die Mutter mit Abraham, doch das furchtbare Ende, das Echa Rabba ihr zuweist, erinnert an das Schicksal, das Abraham und Isaak im Midrasch Tanchuma, der ins 8. oder 9. Jh. datiert wird, für Sara befürchten. Als Abraham den Befehl erhält, Isaak zu opfern, zögert er, ohne Erklärung fortzugehen, denn er fürchtet, dass Sara sich etwas antun könne, wenn sie bemerkt, dass das Kind verschwunden ist (Tanchuma Wajjera 22). Später, als Isaak gefesselt auf dem Altar liegt, fragt er sich besorgt, wie seine Mutter die schlechte Nachricht wohl aufnehmen wird: „Vater, sag es meiner Mutter nicht, wenn sie an einer Grube oder auf dem Dach steht, damit sie sich nicht hinabstürzt und stirbt“ (Tanchuma Wajjera 23). Die Beschreibung des Todes, den Isaak für seine Mutter befürchtet, weist große Ähnlichkeit mit dem Tod der Mutter in Echa Rabba auf. Auch wenn das von Isaak befürchtete Szenario in der Darstellung des Tanchuma nicht eintritt, ist seine Beinahe-Opferung dennoch die indirekte Ursache für Saras Tod. Nachdem Abraham die Prüfung erfolgreich bestanden und Isaak auf dem Altar durch einen Widder ersetzt hat, geht Satan in der Gestalt des Isaak zu Sara und berichtet ihr in allen Einzelheiten von den jüngsten Ereignissen. Sein Bericht endet mit den Worten: „Wenn Gott nicht zu ihm gesagt hätte: ‚Erhebe deine Hand nicht gegen den Knaben‘ [Gen 22,12], dann 25 Die gedruckten Ausgaben zitieren zunächst Jer 15,9, „Die Mutter, die sieben Söhne gebar, welkte dahin“, und schreiben den Psalmvers – ebenso wie der babylonische Talmud, der nur den Psalmvers zitiert – einer himmlischen Stimme zu.
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wäre ich schon geschlachtet.“ Als Sara diese Worte hört, stirbt sie – vermutlich am Schock (eine Erklärung zur Todesnotiz in Gen 23,1). Auf diese Weise fällt nicht Isaak, sondern sie dem Eifer Abrahams, Gottes Willen zu tun, zum Opfer. Obwohl der Midrasch Tanchuma zu spät entstanden ist, als dass er Echa Rabba hätte beeinflussen können, besteht doch die Möglichkeit, dass die besagte Darstellung als Einzelüberlieferung älter ist als die Endredaktion der betreffenden Sammlung. Ich halte die Möglichkeit, dass Echa Rabba auf diese Tradition anspielt, für durchaus reizvoll. Wie wir gesehen haben, stellt Echa Rabba einen ausdrücklichen Vergleich zwischen dem Opfer der Mutter und Abrahams Versuch an, seinen Sohn Isaak zu opfern. Dieser Vergleich fällt zugunsten der Mutter aus: Sie hat sieben Söhne, Abraham aber nur einen Sohn geopfert; außerdem wurde Abrahams Opfer abgewendet, während das ihre tatsächlich stattgefunden hat. Angesichts des Nachdrucks, mit dem die Mutter darauf verweist, dass ihr Opfer größer gewesen sei als das des Abraham, hielt man es vielleicht für angemessen, sie genau jenen Tod sterben zu lassen, den Isaak für seine eigene Mutter befürchtet hatte. Mit anderen Worten: Die Art, wie die Mutter in Echa Rabba zu Tode kommt, soll möglicherweise noch einmal hervorheben, dass sie ihre Söhne tatsächlich geopfert hat.
3.
Hefzi-Bah und die schöne Statue im Sefer Zerubavel
Sefer Zerubavel, das Buch Serubbabel, ist eine hebräische Apokalypse und Anfang des 7. Jh. während der Kriege zwischen den Byzantinern und den Persern entstanden.26 Zumindest einige Juden sahen in diesen Kriegen den Auftakt zur messianischen Ära. Vor allem die kurze Zeitspanne, in der es den Persern gelang, Jerusalem seinen christlichen Herrschern zu entwinden (614– 628), hat offenbar die Hoffnung genährt, dass Gott die Heilige Stadt ihren rechtmäßigen Herren zurückgeben und den Dritten Tempel gründen werde. Als Reaktion auf diese aufwühlenden Ereignisse entwirft der Sefer Zerubavel ein detailreiches eschatologisches Szenario in Form einer Offenbarung, die an Serubbabel ergeht. Serubbabel, ein Nachkomme König Davids, wurde im 6. Jh. v. Chr. von den Persern zum Statthalter von Judäa ernannt; unter ihm 26 Die Mutter des Messias im Sefer Zerubavel habe ich an anderer Stelle ausführlicher behandelt, vgl. Himmelfarb, „Mother of the Messiah“, und Dies., Jewish Messiahs, 35–39.48–52.58f. Einen hebräischen Text mit französischer Übersetzung bietet Israël Lévi, „L’Apocalypse de Zorobabel et le roi de Perse Siroès“, in Ders., Le Ravissement du Messie à sa naissance et autres essais (CREJ 13; Louvain: Peeters, 1994), 173–227, eine englische Übersetzung Himmelfarb, Jewish Messiahs, 147–157.
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wurde der Zweite Tempel erbaut. Das Werk ist, vorsichtig ausgedrückt, recht locker strukturiert und enthält eine Vielfalt ursprünglich voneinander unabhängiger Quellen. Die Zusammenfassung, die ich im Folgenden anbiete, geht über viele Schwierigkeiten hinweg, die der Text tatsächlich enthält. Der Sefer Zerubavel beginnt damit, dass Serubbabel zu Gott schreit und dieser ihn daraufhin nach Rom bringt – mit Rom meint der Verfasser ganz eindeutig Konstantinopel, das neue Rom. In Rom erscheint der Erzengel Michael, der ab sofort für den Rest des Werks die Rolle des Offenbarers übernimmt. Michael stellt Serubbabel dem Messias aus dem Hause Davids vor: Menachem, Ammiels Sohn, der dort im Gefängnis sitzt. Menachem wird in Anlehnung an den leidenden Knecht aus Jes 53 (V. 3f.) als „verachtet, schwer verwundet und voller Schmerzen“ beschrieben.27 Doch die eschatologischen Ereignisse werden nicht auf Menachems Initiative hin, sondern durch die Taten seiner Mutter ausgelöst: Mit Hilfe eines wundertätigen Stabs tötet HefziBah die bösen Könige von Jemen und Antiochia. Fünf Jahre nachdem HefziBah ihren Feldzug begonnen hat, betritt der von Josef abstammende Messias Nehemia, der Sohn des Huschiel, die Bühne. Er sammelt die Menschen um sich und führt die Opfer wieder ein, die mit der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr. unterbrochen worden waren. Zur selben Zeit erschlägt Hefzi-Bah den Perserkönig Schiroe, der gegen die beiden ins Feld gezogen war. Schon bald aber wird der Messias Nehemia von Armilus getötet, laut dem Sefer Zerubavel dem größten der eschatologischen Widersacher. Armilus, so erfahren wir, ist der Sohn einer wunderschönen, in Stein gemeißelten Jungfrau, die in Rom in einem „Haus der Schande und Verachtung“28 – offenkundig einer Kirche – aufgestellt gewesen und von Satan schwanger geworden war. Erst nachdem Armilus Nehemia erschlagen hat, tritt Menachem, Ammiels Sohn, seine messianische Sendung an. Gemeinsam mit dem Propheten Elija erweckt er Nehemia wieder zum Leben und tötet Armilus. Endlich steigt Gott selbst herab, um gegen die eschatologischen Widersacher Gog und Magog (vgl. Ez 39) und die Streitkräfte des Armilus zu kämpfen, und ein riesiger, im Himmel erbauter Tempel senkt sich auf die Erde. Über die Identität der schönen Statue der Jungfrau kann es kaum Zweifel geben, und es ist außerdem klar, dass die Geburt von Armilus als Parodie der Jungfrauengeburt fungiert, mit Satan als Vater anstelle Gottes. Doch die byzantinischen Zeitgenossen des Sefer Zerubavel verwendeten keine Rundplastik, um die Jungfrau oder Christus abzubilden; ihre Darstellungen waren zweidimensional. Dass der Sefer Zerubavel die Jungfrau als Statue darstellt, kann vielleicht mit einer Episode am Ende des Werks erklärt werden, wo Armilus die Statue holt und sie aufstellt, damit alle Völker ihr Ehre erweisen.
27 Lévi, „L’Apocalypse“, 176; Himmelfarb, Jewish Messiahs, 149. 28 Lévi, „L’Apocalypse“, 180 mit Anm. 4; Himmelfarb, Jewish Messiahs, 152.
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Für den Sefer Zerubavel stellt also die Verehrung der Jungfrau einen Götzendienst dar, und Götzenbilder sind dreidimensional.29 Im Unterschied zur Statue wird Hefzi-Bah niemals als schön beschrieben, noch ist ihre Rolle als Kriegerin spezifisch mütterlich. Dabei ist diese Rolle deutlich dem zeitgenössischen byzantinischen Bild von Maria als der Beschützerin der Gläubigen geschuldet, was dazu führte, dass Ikonen der Jungfrau auch im militärischen Bereich Verwendung fanden. 610 schmückte Heraklios, der Kaiser, der Jerusalem schon bald verlieren und dann zurückerobern sollte, die Schiffe, auf denen er gegen seinen Vorgänger Phokas segelte, mit Marienikonen. Als später, im Jahr 626, die Perser und Avaren Konstantinopel belagerten, ließ Patriarch Sergios Bilder der Jungfrau und des Christuskindes auf die westlichen Stadttore malen, und zeitgenössische Berichte stellten die Stadt während der Abwesenheit des Heraklios unter den Schutz der Jungfrau und ihres Sohnes.30 Außerdem sind, wie Alexei Sivertsev gezeigt hat, Hefzi-Bahs militärische Unternehmungen – nicht anders als das Patronat und die Schutzherrschaft der Jungfrau über Konstantinopel – sämtlich darauf ausgerichtet, Jerusalem zu verteidigen. Sie besiegt zwei Könige, die Krieg gegen die Heilige Stadt führen, sie nimmt an der Schlacht gegen den Perserkönig teil, als dieser Nehemia und die Kinder Israels in Jerusalem angreift, und sie steht am Osttor der Stadt, um Armilus am Eindringen zu hindern, nachdem er Nehemia erschlagen hat. Auch ihr Name spiegelt ihre Verbindung mit Jerusalem wider: Hefzi-Bah bedeutet „Ich habe Gefallen an ihr“ und ist Jes 62,4 zufolge der neue Name, den Gott dem wiederhergestellten Jerusalem geben wird.31 Indem der Verfasser des Sefer Zerubavel Jerusalem mit einer eigenen wachsamen Messiasmutter ausstattet, stellt er seine heilige Stadt auf eine Stufe mit Konstantinopel.
4.
Zusammenfassung
Der Sefer Zerubavel hat die jüdische Eschatologie in den Jahrhunderten nach seiner Abfassung stark beeinflusst, besonders durch seine Darstellung der Be29 Ebd., 56–58, wo ich mein früheres Verständnis der byzantinischen Darstellung der Jungfrau korrigiere. 30 Dies., „Mother of the Messiah“, 384; eine ausführlichere Diskussion mit weiteren Aspekten siehe bei Alexei M. Sivertsev, Judaism and Imperial Ideology in Late Antiquity (Cambridge: Cambridge University Press, 2011), 93–101. 31 Sivertsev deutet außerdem an, dass der Sefer Zerubavel Hefzi-Bah als Jerusalems Tyche darstellt: die weibliche Personifikation einer Stadt, wie sie in römischer Zeit üblich war. Auch diese Rolle beinhaltet den Vergleich mit der Jungfrau, auf die man die Attribute der Tyche von Konstantinopel übertragen hatte (ebd., 88–90.101–104). Zur Jungfrau als Tyche vgl. auch Limberis, Divine Heiress, 14–21.124–133.
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ziehung des Messias aus Josefs Haus und jenes aus davidischem Geschlecht. Doch während Armilus und seine Mutter, die Statue, in einigen dieser späteren Werke gemeinsam mit den beiden Messiasgestalten erscheinen, genießt Hefzi-Bah eine deutlich geringere Aufmerksamkeit. Nach dem Sefer Zerubavel kommt sie noch in „An jenem Tag“ vor, einem Pijjut oder liturgischen Gedicht, das kurz nach der muslimischen Expansion geschrieben wurde, ein oder zwei Jahrzehnte nach der Abfassung des Sefer Zerubavel. Wie der Sefer Zerubavel stellt „An jenem Tag“ Hefzi-Bah als Messiasmutter und Kriegerin dar. Der Pijjut fügt aber, wie Sivertsev gezeigt hat, diesem Bild der Hefzi-Bah noch ein Element hinzu, das im Sefer Zerubavel fehlt, nämlich die Identifikation mit ihrem wundersamen Stab, der – wie der Stab Aarons in der Wüste – blüht, d. h. Menachem gebiert; zeitgenössische Christen identifizierten die Jungfrau mit Aarons blühendem Stab.32 Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Texten ist, dass für den Pijjut der Sohn von Hefzi-Bah, obwohl er wie im Sefer Zerubavel den Namen Menachem, Sohn des Ammiel, trägt, nicht der davidische, sondern der von Josef abstammende Messias ist. Angesichts der bestehenden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Werke argumentiert Sivertsev, dass der Pijjut keine Abhängigkeit vom Sefer Zerubavel zeigt, sondern eine unabhängige Entwicklung der Traditionen darstellt, die auch dem Sefer Zerubavel zugrunde liegen.33 Aber nachdem der Pijjut auf den Sefer Zerubavel anzuspielen scheint, würde ich dagegen vorschlagen, dass die Identifikation Menachems als Messias aus dem Haus Josefs einen Versuch darstellt, dem doch überraschenden Bild von Hefzi-Bah im Sefer Zerubavel gerecht zu werden, die dort mit dem von Josef abstammenden Messias enger verbunden ist als mit ihrem eigenen Sohn.34 Nach „An jenem Tag“ taucht Hefzi-Bah meines Wissens nur noch zwei Mal in jüdischen Texten auf, in einem kurzen eschatologischen Szenario einer Handschrift des 12. Jh. aus dem Rheinland, und im Zohar, dem klassischen Werk der jüdischen Mystik im Spanien des 13. Jh. In dem eschaologischen Text ist sie noch die Kriegerin, während sie im Zohar nur mehr als Mutter des davidischen Messias Menachem, Sohn des Ammiel, vorkommt.35 Zuvor hatte ich HefziBahs faktisches Verschwinden in Werken, die sich auf andere Aspekte des Sefer Zerubavel konzentrieren, als Reflex der Angst vor einer Mutter für den jüdischen Messias gedeutet. Nunmehr bevorzuge ich eine andere Erklärung: Für Juden unter muslimischer Herrschaft war eine Mutter des Messias weniger von Bedeutung als für Juden in christlichen Landen; deshalb ist es nicht überraschend, dass sich die beiden späten Vorkommen Hefzi-Bahs in Werken der christlichen Welt finden. Doch selbst für Juden, die unter Christen lebten, war eine Messiasmutter, die zugleich eine Kriegerin war, nur dann 32 33 34 35
Sivertsev, Judaism, 119–122. Ebd., 114–122. Himmelfarb, Jewish Messiahs, 52–55. Ebd., 123f.
Die Jungfrau Maria und die antike jüdische Literatur
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sinnvoll, wenn von christlicher Seite Ähnliches für die Jungfrau Maria in Anspruch genommen wurde. Daher büßte Hefzi-Bah ihre Anziehungskraft ein, man empfand ihre Taten nicht länger als heroisch, sondern zunehmend als merkwürdig und verstörend. Die Mutter der sieben Söhne hingegen genoss eine beachtliche Popularität im Westeuropa des Mittelalters.36 Sie spielte eine Rolle, die die Christenheit fortgesetzt der Jungfrau Maria zuschrieb, und – im Unterschied zur Rolle Hefzi-Bahs – war diese nach den Maßstäben der mittelalterlichen Juden für eine Frau und Mutter offenbar angemessen.
36 Elisheva Baumgarten und Rella Kushelevsky, „From ‚The Mother and Her Sons‘ to ‚The Mother of the Sons‘ in Medieval Ashkenaz“, Zion 71 (2006): 301–342 (hebr.). Vgl. auch Cohen, „Hannah“, 55f., Anm. 3.
Die himmlische Garde der Gottesmutter Maria zwischen den Engeln in der frühbyzantinischen Kunst* Maria Lidova Wolfson College, Oxford
In den letzten Jahrzehnten hat sich die wissenschaftliche Aufmerksamkeit verstärkt auf die Frage nach der Entwicklung der Muttergottesverehrung in Byzanz gerichtet und zahlreiche Publikationen, mehrere Forschungsprojekte, eine Reihe akademischer Veranstaltungen und besondere, themenbezogene Ausstellungen hervorgebracht.1 Ungeachtet dieses großen Interesses bedürfen die Entstehung marianischer Ikonographien und die Rolle, die die betreffenden Bilder bei der Verbreitung der Muttergottesverehrung gespielt haben, der weiteren Klärung und einer exakten, möglichst parallelen Systematisierung des bildlichen wie auch des textlichen Materials.2 Paradoxerweise debattieren *
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An dieser Stelle möchte ich mich bei den Editorinnen dieses Bandes, Franca Ela Consolino und Judith Herrin, für ihre wertvollen Kommentare und Anregungen, dem Problem der Beziehung von Frauen zur Bibel nachzugehen, herzlich bedanken. Mein ausdrücklicher Dank gilt Gabriele Stein und Irmtraud Fischer, die mit großer Aufmerksamkeit und Respekt vor dem Original den Text ins Deutsche übertragen haben. Um nur einige zu nennen: Maria Vassilaki, Hg., Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (Mailand: Skira, 2000); Nicholas Constas, Proclus of Constantinople and the Cult of the Virgin in Late Antiquity: Homilies 1–5, Texts and Translations (SVigChr 66; Leiden: Brill, 2003); Robert N. Swanson, Hg., The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (SCH[L] 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004); Maria Vassilaki, Hg., Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (Aldershot: Ashgate, 2005); Bissera V. Pentcheva, Icons and Power: The Mother of God in Byzantium (University Park: Pennsylvania State University Press, 2006); Chris Maunder, Hg., The Origins of the Cult of the Virgin Mary (London: Burns & Oates, 2008); Leslie Brubaker und Mary B. Cunningham, Hg., The Cult of the Mother of God in Byzantium: Texts and Images (Birmingham Byzantine and Ottoman Studies 11; Farnham: Ashgate, 2011); Leena M. Peltomaa, Andreas Külzer und Pauline Allen, Hg., Presbeia Theotokou: The Intercessory Role of Mary across Times and Places in Byzantium (4th–9th Century) (VBF 39/ DÖAW.PH 481; Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2015). Zur neuesten Diskussion über die frühmittelalterliche marianische Ikonographie und ihre Entwicklung siehe Arne Effenberger, „Maria als Vermittlerin und Fürbitterin. Zum Marienbild in der spätantiken und frühbyzantinischen Kunst Ägyptens“, in Presbeia Theotokou: The Intercessory Role of Mary across Times and Places in
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die Forscher bis heute darüber, ob die Gestalt der Maria in frühchristlichen Kunstwerken von Anfang an einen gewissen unabhängigen Stellenwert besaß oder ob sie noch lange auf die Figur ihres Sohnes bezogen,3 unweigerlich mit dieser assoziiert und überhaupt nur aufgrund deren Bedeutung als heilsgeschichtliches Werkzeug visualisiert wurde.4 So problematisch diese Fragen auch sein mögen, wird doch gemeinhin anerkannt, dass das Bild der Jungfrau spätestens im 5. bis 6. Jh., als sich die Verehrung der Theotókos in allen Gebieten des byzantinischen Reichs ausbreitet, in der Kunst wie auch in der Theologie eine mehr oder weniger klar definierte Form erhält und sich als ein zentrales Phänomen der christlichen Kultur etabliert.5 In der fraglichen Zeit entstanden zahlreiche Marienkirchen, und das Bild der Jungfrau schmückte nicht nur monumentale Bauten, sondern fand sich auch auf Ikonen, Miniaturen, Elfenbeinarbeiten, Textilien, kleinformatigen Objekten, Siegelbildern und sogar Schmuckstücken.
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Byzantium (4th–9th Century) (hg. v. Leena M. Peltomaa, Andreas Külzer und Pauline Allen; VBF 39/DÖAW.PH 481; Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2015), 49–108. Vgl. ebenso den Beitrag von Giuseppa Z. Zanichelli im vorliegenden Band. Richard Price merkt an: „Mary mattered precisely as the Theotokos, the one who gave birth to Christ, God and man. She was not yet a theme in her own right“, Richard M. Price, „The Theotokos and the Council of Ephesus“, in The Origins of the Cult of the Virgin Mary (hg. v. Chris Maunder; London: Burns & Oates, 2008), 89‒103, insbes. 96.98. Antonia Atanassova, „Did Cyril of Alexandria invent Mariology?“, in The Origins of the Cult of the Virgin Mary (hg. v. Chris Maunder; London: Burns & Oates, 2008), 105‒125, insbes. 105, bietet allerdings in ihrem Beitrag im selben Band eine andere Deutung: „It was his [Cyril’s of Alexandria] victory at Ephesus, partial as it was, that would become the crucial element in facilitating the development of formal Marian theology as integral to Christian tradition“. Zum frühen Stadium der Marienverehrung siehe ebenso: Stephen J. Shoemaker, Mary in Early Christian Faith and Devotion (New Haven: Yale University Press, 2016); Maria Lidova, „Embodied Word: Telling the Story of Mary in Early Christian Art“, in The Reception of the Mother of God in Byzantium: Marian Narratives in Texts and Images (hg. v. Thomas Arentzen und Mary B. Cunningham; Cambridge: Cambridge University Press, im Druck). Entsprechende Vorstellungen finden sich bei einer ganzen Reihe christlicher Autoren wie beispielsweise Johannes von Damaskus, der in seiner Expositio fidei über die Bilderverehrung (4,16) schreibt: „So ist es auch mit der Gottesmutter. Denn die Verehrung, die man ihr erweist, bezieht sich auf den, der aus ihr Fleisch geworden.“ (BKV1 44,229); im Originalbeitrag wird aus der englischen Übersetzung von Frederic H. Chase zitiert: Saint John of Damascus: Writings (FaCh 37; Washington: The Catholic University of America Press, 1958). Eine detaillierte Diskussion dieser Entwicklung bietet Averil Cameron, „The Early Cult of the Virgin“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 3‒15; zur Verfestigung dieser Entwicklung in der mittelbyzantinischen Zeit vgl. den Beitrag von Mary Cunningham im vorliegenden Band.
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Ein allgemeiner Überblick über die erhaltenen Monumente zeigt, dass das Bild der von einem himmlischen Gefolge aus Engeln umgebenen und flankierten Gottesmutter von Anfang an sehr beliebt war und in den vielfältigsten kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten breite Verwendung fand. Symptomatisch ist in dieser Hinsicht, dass sich diese Art der Darstellung auch auf privaten byzantinischen Siegelbildern findet; die frühesten Exemplare stammen aus dem 7. Jh.6 Wissenschaftler, die sich mit diesen kleinen Symbolen individueller Autorität – winzigen und doch höchst detaillierten Reliefkompositionen ‒ befasst haben, vermuten, dass sie in Anlehnung an ähnliche Darstellungen in der Monumentalkunst entstanden sind. Tatsächlich wird die Gottesmutter in ebendieser ikonographischen Form, als „Maria zwischen den Engeln“, die Apsiswölbung der allermeisten byzantinischen Kirchen erobern.7 Genau über dem Hauptaltar platziert sollte diese Darstellung sich zur wichtigsten liturgischen Ikone und zum zentralen Andachtsbild des Kirchenraums entwickeln.8 Ungeachtet ihrer Bedeutung ist diese in der Literatur so häufig erwähnte und schlaglichtartig diskutierte Ikonographie jedoch kaum je eigens erforscht worden, was vielleicht mit der vermeintlich unproblematischen Bedeutung dieser allgegenwärtigen Darstellung zusammenhängt.9 Der vorliegende Artikel ist daher zunächst einmal von der Notwendigkeit bestimmt, diesen Aspekt 6 George Zacos und Alexander Veglery, Byzantine Lead Seals (6 Bde; Bern: Benteli, 1972–1985), I/2:722, Nr. 1125; 747, Nr. 1189; 765, Nr. 1236A; I/3:1668, Nr. 2948; Valentina Shandrovskaya, „Kompositsia ‚Bogomater s arkhanghelami‘ na vizantiyskikh pechatyakh“ [Komposition der „Mutter Gottes mit Erzengeln“ auf byzantinischen Siegeln], in Vizantija v kontekste mirovoj kulʼtury (Trudy Gosudarstvennogo Ėrmitaža [Transactions of the State Hermitage Museum] 42; St. Petersburg: Izdatelʼstvo. Gosudarstvennogo Ėrmitaža, 2008), 238‒251. 7 Robin Cormack, „The Mother of God in Apse Mosaics“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 91‒105. 8 Zum Problem des Apsisbildes vgl. Maria Andaloro und Serena Romano, „L’immagine nell’abside“, in Arte e Iconografia a Roma: Da Costantino a Cola di Rienzo (hg. v. dens.; StArte 15; Di fronte e attraverso 537; Mailand: Jaca Book, 2000), 93‒132; Beat Brenk, The Apse, the Image and the Icon: An Historical Perspective of the Apse as a Space for Images (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz / B: Studien und Perspektiven 26; Wiesbaden: Reichert, 2010). 9 Zu den Werken, die diesen ikonographischen Typus umsetzen, vgl. Georg Stuhlfauth, Die Engel in der altchristlichen Kunst (ASCA 3; Freiburg: Mohr, 1897), 54; Christa Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei: Vom 4. Jahrhundert bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts (FKGCA 4; Wiesbaden: Steiner, 1960; Nachdruck 1992), 52‒61; Carlo Bertelli, La Madonna di Santa Maria in Trastevere: Storia, iconografia, stile di un dipinto romano dell’ottavo secolo (Rom: Eliograf, 1961), 45– 47; Franz Rademacher, Die Regina Angelorum in der Kunst des frühen Mittelalters (KDRh.B 17; Düsseldorf: Schwann, 1972); Joan Barclay Lloyd, „Mary, Queen of the Angels: Byzantine and Roman Images of the Virgin and Child Enthroned with Attendant Angels“, Melbourne Art Journal 5 (2001): 5‒24.
Maria zwischen den Engeln in der frühbyzantinischen Kunst
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anzusprechen, und reagiert zudem auf die Notwendigkeit, die Entwicklung der Ikonographie der „Maria zwischen den Engeln“ in der frühbyzantinischen Periode neu zu bewerten, um die Botschaft und ursprüngliche Aussage dieser zentralen christlichen Darstellung weiblichen Jubels zu verstehen.
1.
„Maria zwischen den Engeln“: die Entwicklung der Ikonographie
Die große Menge der erhaltenen Werke belegt, dass das Thema „Maria zwischen den Engeln“ in der Ikonographie der frühbyzantinischen Kunst durchaus unterschiedlich umgesetzt werden konnte. Dennoch lassen sich innerhalb der großen Vielfalt von Formen und Gestaltungsweisen einige Grundmuster erkennen. Diese Muster sind nicht starr und betreffen weniger die Jungfrau, die stehend oder thronend und sowohl mit als auch ohne Kind abgebildet sein kann, als vielmehr die Gestaltung der geflügelten Boten beiderseits der Theotókos. Ihre Darstellung weist eine Reihe besonderer und leicht erkennbarer Merkmale auf, die eventuell als Indizien für mögliche Verwandtschaftsbeziehungen und ursprüngliche Unterschiede in der geographischen Herkunft oder der Typologie der verwendeten Quellen dienen könnten. Ein Blick auf die Ursprünge jedweder marianischen Ikonographie führt uns unweigerlich zum Mosaikzyklus von der Kindheit Christi, der den Triumphbogen der Kirche S. Maria Maggiore in Rom schmückt und üblicherweise auf die Zeit Papst Sixtus’ III. datiert wird (432‒440).10 In dieser Bilderfolge 10 Ihr einzigartiger Charakter, ihre frühe Entstehungszeit und natürlich der erhaltene Zyklus aus dem 5. Jh., in dem das Bild der Gottesmutter zum ersten Mal einen zentralen Stellenwert erlangt, machen die Kirche S. Maria Maggiore zu einem der meistdiskutierten Bauwerke der wissenschaftlichen Literatur. Eine der frühesten vollständigen Beschreibungen des ikonographischen Programms bietet Dmitrij V. Ajnalov, „Mozaiki IV i V vekov: Issledovanìâ v oblasti ikonografii i stilâ drevne-hristìanskago iskusstva“, Zhurnal Ministerstva narodnogo prosveshcheniya [Journal of the Ministry of Education] 299 (1895), 94‒155. Einen Überblick über die vorliegende Historiographie mit einer Auswahl der wichtigsten Thesen über die frühchristliche Ausschmückung von S. Maria Maggiore bietet der Beitrag von Maria Raffaella Menna, „I mosaici della basilica di Santa Maria Maggiore“, in La pittura medievale a Roma 312–1431: Corpus 1: L’orizzonte tardoantico e le nuove immagini, 312–468 (hg. v. Maria Andaloro; Mailand: Jaca Book, 2006), 306‒346. In den letzten Jahren sind die Mosaiken von S. Maria Maggiore erneut in den Fokus einer besonderen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit geraten, die zu einer Reihe von Aufsätzen und ausführlichen Erörterungen oder Überblicksdarstellungen in mehreren Dissertationen sowie zu einer wichtigen Monographie geführt hat: Gerhard Steigerwald, Die frühchristlichen Mosaiken des Triumphbogens von S. Maria Maggiore in Rom (Regensburg: Schnell & Steiner, 2016).
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aus dem 5. Jh. erscheint Maria viermal: in den Szenen der „Verkündigung“, der „Anbetung der Könige“ und der „Darstellung“ sowie in der Komposition, die die Heilige Familie vor den Toren einer Stadt zeigt und üblicherweise als „Begegnung mit Aphrodisius“, dem Gouverneur der ägyptischen Stadt Sotinen, gedeutet wird.11 Neben der wohlbekannten zeitlichen Nähe dieses Zyklus zum Konzil von Ephesus im Jahr 431, das Maria zur Theotókos, zur Gottesgebärerin, erklärt hatte, haben vor allem die Gewänder der Jungfrau großes Interesse erregt: Sie sind insbesondere im Vergleich zu späteren Darstellungen, auf denen Maria sehr viel bescheidenere Kleidung und das Maphorion trägt, ungewöhnlich kostbar.12 In allen vier Fällen ist Maria in den Gewändern einer hochgestellten Römerin, das heißt in einer weißen Tunika und einer goldenen Dalmatica dargestellt.13 Diese feierliche Kleidung wird noch durch die Verwendung goldener Glas-Tesserae betont, die den Stellenwert der abgebildeten Person unterstreichen und ihre Gestalt innerhalb der Bilderzählung und der sonstigen Farbgebung des Triumphbogens visuell hervorheben. Die Jungfrau ist die einzige 11 Die „Begegnung mit Aphrodisius“ ist in der Geschichte der christlichen Kunst ein äußerst seltenes oder sogar einmaliges Sujet. Sie stammt aus apokryphen Erzählungen und ist hauptsächlich aus dem Pseudomatthäusevangelium bekannt (Ps.-Mt 22‒24), findet sich aber auch im sogenannten Arabischen Kindheitsevangelium. Diese Zuordnung der Szene wurde erstmals von Kondakov in der französischen Ausgabe seiner Geschichte der byzantinischen Kunst vorgeschlagen: Nikodim P. Kondakov, Histoire de l’art byzantine: Considéré principalement dans les miniatures (Paris: Libraire de l’art, 1886‒1891), 105. Eine detaillierte Historiographie zu diesem Sujet und eine alternative, allerdings weniger überzeugende Deutung bietet Suzanne Spain, „‚The Promised Blessing‘: The Iconography of the Mosaics of S. Maria Maggiore“, ArtB 61 (1979): 518‒540; 519, Anm. 7. Zur neuesten Deutung dieser Szene als Begegnung zwischen Christus und Kaiser Augustus siehe Steigerwald, Die frühchristlichen Mosaiken, 96–111. 12 Zum Konzil von Ephesus siehe: Basil Studer, „Il Concilio di Efeso (431) nella luce della dottrina mariana di Cirillo di Alessandria“, in La mariologia nella catechesi dei Padri (Età postnicena) (hg. v. Sergio Felici; BSRel 95; Roma: LAS, 1991), 49–67; John A. McGuckin, St. Cyril of Alexandria: The Christological Controversy: Its History, Theology, and Texts (Crestwood: St. Vladimir’s Seminary Press, 2004). Zu visuellen Wiedergaben der Figur Marias in dieser Dekoration vgl.: Maria Lidova, „The Imperial Theotokos: Revealing the Concept of Early Christian Imagery in Santa Maria Maggiore in Rome“, Convivium 2/2 (2015): 60–81. 13 Es handelt sich um eine Toga oder Trabea picta laut Brenk, vgl. Beat Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom (Wiesbaden: Steiner, 1975), 50; oder eine Cyclas, wie kürzlich von Steigerwald postuliert: Gerhard Steigerwald, „Die Rolle Mariens in den Triumphbogenmosaiken und in der Weiheinschrift der Basilika S. Maria Maggiore in Rom“, JAC 51 (2008): 137‒151; 140. Eine detaillierte Diskussion dieser für eine Reihe spätantiker Frauendarstellungen typischen Gewandung bietet Kathrin Schade, Frauen in der Spätantike – Status und Repräsentation: Eine Untersuchung zur römischen und frühbyzantinischen Bildniskunst (Mainz: von Zabern, 2003), 107‒112.
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Abb. 1: Rom, S. Maria Maggiore, Triumphbogen, Darstellung im Tempel und Begegnung mit Aphrodisus (Foto der Autorin).
Figur des Kindheitszyklus, die mit solch kostbaren, funkelnden Gewändern geehrt wird: Es sind Gewänder, die einen eindeutigen Zusammenhang mit der sakral-himmlischen Dimension des goldenen Hintergrunds herstellen und überdies die Botschaft einer göttlichen und zugleich irdisch-königlichen Macht vermitteln. Eine weitere Besonderheit des Zyklus, die die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler auf sich gezogen hat, besteht darin, dass Christus und seine Mutter auf dem Triumphbogen von S. Maria Maggiore stets von Engeln begleitet werden. Das Auftreten dieser himmlischen Entourage ist insofern durchaus ungewöhnlich, als die Engelfiguren sichtbar in den Kontext der Szenen eingebunden sind. Sie stehen auf derselben Ebene wie die irdischen Protagonisten und übernehmen in der narrativen Struktur des gesamten Programms eine wichtige Funktion. Im Augenblick der „Verkündigung“ sind sie neben dem Thron der Jungfrau platziert, während ein weiterer geflügelter Bote vom Himmel herabsteigt und Maria mit der göttlichen Botschaft von der Menschwerdung Gottes begrüßt.14 Die gleich darunter befindliche Komposition der „Anbetung“, die gemeinhin als die rätselhafteste Szene des ganzen Zyklus gilt, ist um die zentrale Gestalt des Christuskindes herum angeordnet, das auf einem riesigen und prächtigen Thron sitzt. Hier sind die Engel hinter der hohen Rückenlehne des Throns zu sehen. Sie blicken auf den Stern über dem Thron und werden eindeutig stärker mit Jesus als mit der zu seiner Rechten sitzenden 14 Zur Verkündigungsszene und ihrer Bedeutung in dieser Dekoration siehe: Giuseppe de Spirito, „L’Annonciation de Sainte-Marie-Majeure: image apocryphe?“, Apocrypha 7 (1996): 273–292; Steigerwald, Die frühchristlichen Mosaiken, 33–52. Allgemein zur Diskussion über diese Ikonographie siehe: Maria Lidova, „ΧΑΙΡΕ ΜΑΡΙΑ: Annunciation Imagery in the Making“, IKON 10 (2017): 45–62.
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Abb. 2: Ravenna, S. Apollinare Nuovo, Thronende Jungfrau zwischen Engeln (Foto der Autorin).
Maria in Verbindung gebracht. In zwei anderen Szenen, die die Begegnungen mit Simeon im Tempel und mit Aphrodisius vor den Toren der Stadt Sotinen darstellen, folgen die überirdischen Wesen der Gottesmutter und ihrem Sohn oder flankieren sie symmetrisch, treten also klar erkennbar als ihre Wächter und ihr höfisches Gefolge auf. (Abb. 1) Diese Mosaiken der römischen Basilika aus dem 5. Jh. zeigen die Engel praktisch in Frontalansicht, im Stehen und in ganzer Länge; sie tragen weiße Tuniken und Pallia und vollführen meist die Geste der Acclamatio. Ihre Kleidung und ihre Proportionen (sie sind ein wenig größer als die anderen Personen) vermitteln ebenso wie die Tatsache, dass sie in einer gewissen Dis tanz zur Jungfrau platziert sind, den Eindruck einer offiziellen Funktion als schweigende Begleiter der Heiligen Familie. Diese Tradition und die Tendenz, die körperlose Eskorte der Jungfrau aus genau vier Engeln bestehen zu lassen, setzt sich allem Anschein nach in der bekannten Komposition aus S. Apollinare Nuovo in Ravenna fort, die nicht selten in einem Atemzug mit dem römischen Zyklus aus dem 5. Jh. genannt wird (Abb. 2).15 Die dortige Szene, die aus dem frühen 6. Jh. stammt und sich in der äußersten östlichen Ecke der Nordseite des Kirchenschiffs befindet, zeigt die thronende Jungfrau mit dem Christuskind und vier himmlischen 15 Emanuela Penni Iacco, La basilica di S. Apollinare Nuovo di Ravenna attraverso i secoli (Studi e scavi / Università di Bologna, Dipartimento di Archeologia NS 8; Bologna: Ante Quem, 2004); Deborah Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity (Cambridge: Cambridge University Press, 2010), 146‒174.
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Wesen, die die Gottesmutter symmetrisch umrahmen.16 Die mächtigen geflügelten Gestalten neben Maria unterstreichen nicht nur die Bedeutung der beiden zentralen Personen, sondern spiegeln zudem eine ähnliche Komposition auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchenschiffs wider, wo Jesus als thronender Herrscher ebenfalls von vier Engeln flankiert dargestellt ist. Die vier Geistwesen fungieren offenkundig als Vermittler zwischen der Jungfrau und einer langen Reihe menschlicher Gestalten, die seit den Veränderungen, die im 6. Jh. an diesem Teil des ikonographischen Programms vorgenommen wurden, als heilige Jungfrauen und Märtyrerinnen daherkommen und von den Heiligen Drei Königen angeführt werden, die Geschenke bringen.17 In Anbetracht der Tatsache, dass Christus auf der anderen Seite des Kirchenschiffs den Vorsitz über die Prozession männlicher Heiliger führt, dient das Bild Marias hier eindeutig als Exemplum und erhabenste Verkörperung weiblicher Heiligkeit. Obwohl die Engelsgestalten im Mosaikprogramm von S. Apollinare Nuovo beträchtlich unter den schwerwiegenden restauratorischen Eingriffen des 19. Jh. gelitten haben, scheinen der typische, massige Körperbau der himmlischen Wächter und die Beschaffenheit ihrer ursprünglichen Gewandung getreu reproduziert worden zu sein. Letztere verdient wegen ihrer unverkennbaren Ähnlichkeit nicht nur mit den weißen, togaartigen Gewändern der Engel in S. Maria Maggiore, sondern auch mit der Bekleidung des Christuskindes auf dem Schoß der Jungfrau Beachtung: Möglicherweise wollte der Künstler in dieser Szene andeuten, dass Jesus dieselbe göttliche, immaterielle Natur besitzt wie die himmlischen Wesen. Engel in strenger Frontalansicht, um mit Maguire zu sprechen, „steif und reglos“, die die Gestalt der Jungfrau einrahmen, sollten sich in der späteren
16 Viele Wissenschaftler haben vermutet, dass diese Komposition dem Bild der thronenden Jungfrau nachempfunden ist, das Kaiser Leo I. für die Blachernenkirche in Konstantinopel in Auftrag gegeben hatte: Henri Stern, „Sur les influences byzantines dans les mosaïques ravennates du début du VIe siècle“, in Il passaggio dall’antichità al medioevo in occidente: 6–12 aprile 1961 (SSAM 9; Spoleto: Centro, 1962), 521‒540; 526.532; Friedrich W. Deichmann, Ravenna: Hauptstadt des spät antiken Abendlandes 2/1: Kommentar 1: Die Bauten bis zum Tode Theoderichs des Großen (Wiesbaden: Steiner, 1974), 148; Raffaella Farioli Campanati, „Ravenna, Costantinopoli: Aspetti topografico-monumentali e iconografici“, in Storia di Ravenna (hg. v. Antonio Carile; 5 Bde; Venedig: Marsilio, 1992), 2,2:127‒157; 147f. Die Frage ist allerdings spekulativ, und es scheint müßig, darüber nachzudenken, ob die Darstellung der Engel auf demselben, rein hypothetischen Prototyp basiert. 17 Zu den Veränderungen vgl. Giuseppe Bovini, „Antichi rifacimenti nei mosaici di S. Apollinare Nuovo di Ravenna“, Corso di cultura sull’arte ravennate e bizantina 13 (1966): 51–81; Arthur Urbano, „Donation, Dedication, and Damnatio Memoriae: The Catholic Reconciliation of Ravenna and the Church of Sant’Apollinare“, JECS 13/1 (2005): 71‒110.
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byzantinischen Kunst zu einem konstanten Leitmotiv entwickeln.18 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Mosaikausschmückung der Kapelle im Amphitheater von Durrës (frühes 6.–8. Jh.). Dort tragen die himmlischen Wesen prächtige höfische Gewänder ‒ Tuniken und mit Fibeln an den Schultern befestig- Abb. 3: Durrës, Kapelle des Amphitheaters, Maria Köte Paludamenta ‒ und nigin zwischen den Engeln, aus: Heide Buschhausen halten Stäbe in der lin- und Helmut Buschhausen, „Durazzo und die Anfänge des Christentums in Albanien“, Steine sprechen 40/120 ken Hand, während die (2001): 2‒19. rechte Handinnenfläche auf Brusthöhe dem Betrachter zugewandt ist.19 Von Kopf bis Fuß wie königliche Wachen gekleidet stehen sie an der Seite der Jungfrau, die ohne das Kind, doch im vollen Ornat der byzantinischen Kaiserin abgebildet ist (Abb. 3). Als möglicher Nachhall dieser frühbyzantinischen Art der Engelsdarstellung können die Wanddekorationen zweier weiterer, bedeutender Baudenkmäler gedeutet werden. Beide hängen mit der besonderen Verehrung zusammen, die die Bilder der Gottesmutter nach dem Ende der ikonoklas18 Henry Maguire, „Style and Ideology in Byzantine Imperial Art“, Gesta 28/2 (1989): 217‒231; 223. 19 Maria Andaloro, „I mosaici parietali di Durazzo o dell’origine costantinopolitana del tema iconografico di Maria Regina“, in Studien zur spätantiken und byzantinischen Kunst (hg. v. Otto Feld und Urs Peschlow; 3 Bde; Bonn: Habelt, 1986), 3:103– 112; Dhorka Dhamo, „Les mosaïques paléochrétiennes en Albanie“, in LʼAlbania dal Tardoantico al Medioevo, aspetti e problemi di Archeologia e Storia dellʼArte: Ravenna, 29 aprile – 5 maggio 1993; XL Corso di Cultura sullʼArte Ravennate e Bizantina (hg. v. Raffaella Farioli Campanati; Ravenna: Ed. del Girasole, 1993), 491–504; Reshat Gega, „L’architecture des monastères byzantins et postbyzantins en Albanie“, in ebd., 505–525; Heide Buschhausen und Helmut Buschhausen, „Durazzo und die Anfänge des Christentums in Albanien“, Steine sprechen 40/120 (2001): 2‒19; Kim Bowes und Afrim Hoti, „An Amphitheatre and Its Afterlives: Survey and Excavation in the Durrës Amphitheatre“, JRAr 16 (2003): 380–394; Kim Bowes und John Mitchell, „The Main Chapel of the Durres Amphitheater: Decoration and Chronology“, MEFRA 121/2 (2009): 569‒595; Elisabetta Neri, Bernard Gratuze und Nadine Schibille, „Dating the Mosaics of the Durres Amphitheatre through Interdisciplinary Analysis“, Journal of Cultural Heritage 28 (2017): 27–36 (bestätigt die Datierung ins frühe 6. bis 8. Jh.).
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Abb. 4: Nicäa, Koimesis-Kirche, Stehende Jungfrau (Apsis) und Engel (Bema), aus: Underwood, „Evidence“, Abb. 3.7.
tischen Auseinandersetzung zurückgewannen. Eine offenkundige Parallele zu der von vier Engeln – zwei auf jeder Seite – flankierten Jungfrau bildete die Ausschmückung von Apsis und Bema in der Koimesis-Kirche von Nicäa (Abb. 4).20 Die frontalen Darstellungen der geflügelten Begleiter befanden sich im Bema-Bereich: Sie trugen äußerst kostbare Gewänder einschließlich des Loros, des breiten kaiserlichen Schultertuchs, hielten Standarten mit dem Trisagion in Händen und wurden durch die Beschriftung als Fürstentümer, Mächte, Herrschaften und Gewalten ausgewiesen. Leider existiert die Kirche nicht mehr; sie wurde 1922 zerstört, und ihre Ausgestaltung ist nur noch von Schwarz-Weiß-Aufnahmen bekannt, die kurz zuvor gemacht worden waren. Eine intensive Debatte kreist um die Frage, ob die Kirche im 7. Jh. erbaut wurde oder ein Beispiel für die künstlerische Aktivität in der Region zu Zeiten des Bilderstreits ist – eine These, die in der Forschung zuletzt immer mehr Anhänger gefunden hat.21 In diesem Zusammenhang lassen mehrere signifikante Veränderungen, die an der Mosaikausschmückung der Kirche vorgenommen wurden und auch auf den Aufnahmen aus dem frühen 20. Jh. 20 Zu den Engeln in diesem ikonographischen Programm vgl. Glenn Peers, Subtle Bodies: Representing Angels in Byzantium (The Transformation of the Classical Heritage 32; Los Angeles: University of California Press, 2001), 42f.82‒88; hier findet sich auch eine detaillierte weiterführende Bibliographie. 21 Marie-France Auzépy, „Liturgie et art sous les Isauriens: À propos de la Dormition de Nicée“, in Le saint, le moine et le paysan: Mélanges dʼhistoire byzantine offerts à Michel Kaplan (hg. v. Olivier Delouis, Sophie Métivier und Paule Pagès; Byzantina Sorbonensia 29; Paris: Publications de la Sorbonne, 2016), 29–58.
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deutlich zu erkennen sind, Raum für vielfältige Interpretationen.22 Unstrittig ist einzig die Tatsache, dass die frühere Darstellung des Kreuzes in der Konche zu einem bestimmten Zeitpunkt – höchstwahrscheinlich im 8. Jh. – durch das Mosaik einer stehenden Jungfrau mit dem Christuskind ersetzt wurde. So unterschiedlich die jeweiligen Ansichten auch sein mögen, alle Forscher, die sich mit diesem Bauwerk befasst haben, stimmen darin überein, dass sich das Bild der Theotókos, selbst wenn es nicht Teil der ursprünglichen Ausgestaltung war und aus einer späteren Zeit stammt als die himmlischen Wesen, harmonisch in das ältere ikonographische Programm eingefügt und, wann immer es angefertigt worden sein mag, in diesem Rahmen seine reibungslose theologische Bestätigung und Anerkennung gefunden habe. Das zweite grandiose Beispiel der Monumentalkunst, in dem sich die Tradition der Gottesmutter mit den sie beiderseits flankierenden Engelsgestalten fortsetzt, ist die berühmte Ausschmückung des Altarraums in der Hauptkirche des byzantinischen Reichs – der Hagia Sophia in Konstantinopel.23 Hier wurde die Zahl der geflügelten Wächter von vier auf zwei reduziert, doch ihre Frontalstellung, ihre feierliche Haltung und ihr hoher Rang, der durch die prächtigen Gewänder und die Insignien höfischer Beamter signalisiert wird, weisen darauf hin, dass dieser Ausgestaltung, die den Gedanken von der Wiederherstellung der Ikonen- und Theotókos-Verehrung vollendet visualisiert, dasselbe Vorbild zugrunde liegen könnte.24 22 Paul A. Underwood, „The Evidence of Restorations in the Sanctuary Mosaics of the Church of the Dormition at Nicaea“, DOP 13 (1959): 235‒243; Charles Barber, „The Koimesis Church, Nicaea: The Limits of Representation on the Eve of Iconoclasm“, JÖB 41 (1991): 43‒60; Ders., „Theotokos and Logos: The Interpretation and Reinterpretation of the Sanctuary Programme of the Koimesis Church, Nicaea“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 51‒59. 23 Cyril Mango und Ernest J. W. Hawkins, „The Apse Mosaics of St. Sophia at Istanbul. Report on Work Carried out in 1964“, DOP 19 (1965): 115‒151; Cyril Mango, „St. Michael and Attis“, DCAH 12 (1984‒1986): 39‒62; Nikolas Oikonomidès, „Some Remarks on the Apse Mosaic of St. Sophia“, DOP 39 (1985): 111‒115; Robin Cormack, „The Mother of God in the Mosaics of Hagia Sophia at Constantinople“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 107–124; 111f. 24 Das monumentale Programm der Konche aus dem 9. Jh. ist vielleicht nicht die früheste Darstellung der Theotókos mit Engeln in der Hauptkirche des byzantinischen Imperiums. Dafür spricht unter anderem der Hinweis des Paulus Silentiarius, der vier Silberplatten beschreibt, die einst das Innere der St.-Sophienkirche geschmückt hätten. Auf dreien davon war Christus dargestellt, dem jedes Mal entweder Engel, Apostel oder Propheten zur Seite standen. Der letzte Clipeus trug dem im 6. Jh. schreibenden Autor zufolge das Bild der Jungfrau. In Anbetracht der Komposition der anderen drei Schilde ist es naheliegend, dass diese Darstellung ähnlich gestaltet war; die Engel können gewiss als die aussichtsreichsten Bewerber um die Plätze neben der Gottesmutter gelten: Bertelli, La Madonna di Santa Maria, 46f.; Cormack, „The Mother of God in the Mosaics of Hagia Sophia“, 108.
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In beiden Arrangements sind die flankierenden Engelgestalten nicht Teil des Muttergottesbildes, sondern an die Seitenwände und in den Bemabereich „ausgelagert“. Dennoch könnte man den Standpunkt vertreten, dass auch in diesen Fällen an der ursprünglichen Vorstellung von ihrer Rolle und Funktion als der einer himmlischen Wache festgehalten wurde. In diesem Fall wäre ihre Präsenz für den Betrachter noch immer Abb. 5: Mailand, Diözesanmuseum, Reliquiar stark mit der in der Mitte der von S. Nazaro, Seite A: Thronende Jungfrau Konche platzierten Jungfrau vermit Kind, aus: Gemma Sena Chiesa, Hg., Il bunden gewesen. Was den räumTesoro di San Nazaro: Antichi argenti liturgi- lichen Aspekt betrifft, eröffnete ci della basilica di San Nazaro al Museo Didie getrennte Darstellung in der ocesano di Milano (Mailand: Silvana, 2009), frühbyzantinischen Komposition 166, Taf. 12. zudem weitere Konnotationen, da die verschiedenen Bildteile nun den Altarraum umschlossen und gleichzeitig nach außen gerichtet waren, wodurch eine komplexere Interaktion zwischen den Zelebranten und der im Kirchenschiff stehenden Gemeinde wie auch mit anderen Bilderzählungen gewährleistet wurde, die die Wände schmückten. In vielen anderen byzantinischen Kunstwerken, deren Entstehungszeitraum von der Spätantike bis in die Epoche der Palaiologen reicht, findet sich eine ganz andere Art der Engelsdarstellung. Das auffälligste Kennzeichen dieses Typus ist die ehrerbietige, geneigte Haltung der Figuren, die mit Geschenken in den Händen (Diademen oder runden goldenen Tellern) oder einfach mit erhobenen Händen abgebildet sind und sich zur Mitte hin und der Gottesmutter zuwenden.25 Die Ausrichtung der geflügelten Diener, die im 25 Nach Ansicht einiger Forscher geht dieses Schema höchstwahrscheinlich auf die weithin bekannte Komposition des „Aurum Coronarium“ zurück. Diese Ikonographie wurde hauptsächlich in der römischen Kunst verwendet, um die facettenreiche Beziehung zwischen dem Herrscher und den eroberten Völkern oder Vasallen wiederzugeben; später reproduzierte sie offenbar reale Zeremonien der Geschenkübergabe und des Goldverteilens, die einen wesentlichen Teil des byzantinischen Hofzeremoniells ausmachten. Die Beliebtheit dieser Szene im Oströmischen Reich wird durch die berühmten Reliefs an der Basis des von Theodosius I. im Hippodrom von Konstantinopel aufgestellten Obelisken eindrucksvoll belegt. Theodor Klauser, „Aurum Coronarium“, MDAI 59 (1944): 129‒153; Roland Delmaire, Largesses sacrées et res privata: L’aerarium impérial et son administration du IVe au VIe siècle (CÉFR 121; Rom: École française de Rome, 1989), 377‒400, Anm. 1; Fergus G. B.
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Profil zu sehen sind, und ihre klar erkennbare Hinwendung zu und Interaktion mit der Jungfrau kristallisieren sich als die markantesten Merkmale dieses ikonographischen Typus heraus, der übrigens auch eine der frühesten uns bekannten Muttergottesdarstellungen überhaupt kennzeichnet: das Seitenrelief auf dem silbernen Reliquiar von S. Nazaro in Mailand, Abb. 6: Rom, S. Maria Antiqua, „Palimpsest-Wand“, Redas in das 4. Jh. datiert konstruktion der Maria Königin zwischen den Engeln, wird und damit noch äl- aus: Wladimir de Grüneisen, Sainte Marie Antique ter ist als die Mosaiken (Rom: Bretschneider, 1911), 138, Abb. 105. in S. Maria Maggiore in Rom (Abb. 5).26 Diese Art der Komposition mit Engeln, die Geschenke bringen und sich Christus und der Jungfrau Maria zuwenden, entwickelt sich in den nachfolgenden Jahrhunderten weiter. Eines der zweifellos interessantesten frühbyzantinischen Beispiele für diesen Typus hat auf der „Palimpsest-Wand“ von S. Maria Antiqua die Zeit überdauert und stammt anscheinend aus dem ersten Drittel des 6. Jh. (Abb. 6).27 Die Jungfrau ist dort als Maria Königin auf einem Millar, „aurum coronarium“, in The Oxford Classical Dictionary (hg. v. Simon Hornblower und Antony Spawforth; Oxford: Oxford University Press, 42012), 213. 26 Vgl. Marco Navoni, „Per una storia della capsella argentea: Da Ambrogio a Carlo Borromeo fino ai nostri giorni“, in Il Tesoro di San Nazaro: Antichi argenti liturgici della basilica di San Nazaro al Museo Diocesano di Milano (hg. v. Gemma Sena Chiesa; Mailand: Silvana, 2009), 17‒26; Gemma Sena Chiesa, „La capsella e il suo decoro: Il linguaggio delle immagini fra devozione cristiana e tradizione imperiale“, in ebd., 27‒54; Fabrizio Slavazzi, „La capsella di San Nazaro: Indagini sull’apparato figurativo“, in ebd., 55‒62; Elisabetta Gagetti, „Bibliografia storica: La fortuna nei secoli di un oggetto tra devozione e arte“, in ebd., 63‒72. 27 Joseph Wilpert, Hg., Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV. bis XIII. Jahrhundert (4 Bde; Freiburg: Herder, 1917), 2:658‒660, und 4:Taf. 133f.; Wladimir de Grüneisen, Sainte Marie Antique (Rom: Bretschneider, 1911), 136‒139; Nikodim P. Kondakov, Ikonografia Bogomateri (2 Bde; St. Petersburg: Otdelenie russkogo iazyka i slovesnosti Imperatorskoy akademii nauk, 1914; Nachdruck Moskau: Palomnik, 1999), 1:270.276‒280; Gerhard Steigerwald, Das Königtum Mariens in Literatur und Kunst der ersten sechs Jahrhunderte (Diss., Freiburg i. Br., 1965), 185‒193; Per Jonas Nordhagen, „The Earliest Decorations
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prächtigen Thron mit Lyra-Rückenlehne und in zeremonieller Gewandung abgebildet. Sie trägt eine Krone und darunter eine reich dekorierte Mütze, und um ihr purpurnes Gewand schlingt sich ein kostbarer Loros, ein königliches Schultertuch. Das Christuskind sitzt auf ihrem Schoß, während links und rechts von Maria zwei geflügelte Engel in leuchtend weißen Gewändern und mit Diademen in den Händen leicht gebeugt dastehen. Nur der Engel zur Linken der Jungfrau ist erhalten geblieben, der andere wurde höchstwahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 6. Jh. zerstört, als die ursprünglich rechteckige Nische in eine halbrunde Apsis verwandelt wurde. Eine weitere Spielart oder vielleicht ein Pendant zu diesem Muster hob den zeremoniellen Charakter der Komposition stärker hervor: Hier wurden die Engel mit Weihrauchgefäßen in den Händen dargestellt und übernahmen in der Gegenwart Gottes eine Funktion, die der des Diakons am Altar entsprach. Diese Elemente verstärkten die Konnotationen der Szene als einer Art des himmlischen Dienstes und erzeugten eine besondere liturgische Bedeutung, bei der die überirdischen Wesen nicht nur die tatsächlichen kirchlichen Feiern nachahmten, sondern zudem das Göttliche enthüllten und auf sakralen Charakter der Figuren im Zentrum hinwiesen. Eines der prominentesten Beispiele für diesen Typus kommt aus Ägypten und findet sich auf einem Wandgemälde in der Apsis der Kapelle XXVIII in Bawit, dessen Beschriftungen die Engel bezeichnenderweise als ΑΓΓΕΛΟΣ ΤΗΕΟΥ („Engel Gottes“) und ΑΓΓΕΛΟΣ ΚΥΡΙΟΥ („Engel des Herrn“) ausweisen.28 Diese Namen weichen von den bekannteren und in Byzanz gebräuchlichen Engelbezeichnungen ab. Mehrere erhaltene Darstellungen der „Jungfrau zwischen den Engeln“ ‒ etwa der Wandteppich von Cleveland (6. Jh.), die Apsismosaiken in der Kathedrale von Gelati in Georgien (12. Jh.) und in der Mavriotissa-Kirche am KastoriaSee (spätes 12. Jh.) und andere ‒ sind ebenfalls mit griechischen Inschriften versehen, die darauf hinweisen, dass die beiden himmlischen Boten in Byzanz in der Regel, wenn auch nicht ausschließlich, mit den Erzengeln Michael und Gabriel assoziiert wurden. in Santa Maria Antiqua and Their Date“, AAAHP 1 (1962): 53–73; 56f. (Nachdruck in Ders., Studies in Byzantine and Early Medieval Painting [London: Pindar Press, 1990], 157–176; 160f.). In der Regel wird dieses Wandgemälde auf die erste Hälfte des 6. Jh. datiert; meiner Meinung nach lassen jedoch einige stilistische und ikonographische Besonderheiten sowie die Geschichte und Reihenfolge der Machtverhältnisse im frühmittelalterlichen Rom eine Datierung auf die Zeit der ostgotischen Herrscher, das heißt auf das erste Drittel des 6. Jh. zu, vgl. Eva Tea, La Basilica di Santa Maria Antiqua (Pubblicazioni dell’Università Cattolica del Sacro Cuore 5; Scienze storiche 14; Mailand: Vita e pensiero, 1937), 37.171–173; Maria Lidova, „Maria Regina on the ‚Palimpsest‘ Wall in S. Maria Antiqua in Rome: Historical Context and Imperial Connotations of the Early Byzantine Image“, Iconographica 16 (2017): 9–25. 28 Ihm, Programme, 61.203.
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Alle späteren Kompositionen, auf denen die Engel im Profil zu sehen sind und sich entweder verneigen oder einen Schritt in Richtung Bildmitte tun, scheinen – das legt die Verbreitung der betreffenden Darstellungsweise nahe ‒ auf diese in der frühbyzantinischen Periode etablierte Tradition zurückzugehen. Durch diese Art der dynamischen Interaktion entsteht der Eindruck, als könne man einen kurzen Blick auf das gleichsam mitten in der Bewegung erstarrte Zeremoniell der himmlischen Liturgie erhaschen: Die himmlischen Boten präsentieren dem Betrachter Christus und seine Mutter und fungieren so als Bindeglied zwischen den Gläubigen und der Gottheit. Die konkreten Geschenke und Gaben fehlen in diesen Kompositionen häufig oder sind (wie beispielsweise in der Apsis der Kirche Panagia Angeloktistos auf Zypern aus dem 6.–7. Jh.) durch die typischen Attribute Weltkugel und Zepter ersetzt. Dennoch bleiben die wesentlichen Elemente durch die gesamte byzantinische Zeit hindurch erkennbar; das gilt auch noch für die aus dem 12. Jh. stammenden Fresken im mazedonischen Kurbinovo und viele weitere. Ebenso wie das „Aurum Coronarium“ ist auch die „Anbetung der Könige“ eine Darstellungsform, über deren mögliche Verbindung zu der hier behandelten Ikonographie viel diskutiert worden ist. Diese Szene, in der dem neugeborenen König Geschenke überreicht werden, hat in der frühbyzantinischen Kunst unterschiedliche Gestaltungen erfahren. Die häufigste war eine horizontale Komposition, bei der die Sterndeuter in einer Reihe hintereinander vor der thronenden Jungfrau standen und im Profil dargestellt waren. Schon zu einem recht frühen Zeitpunkt wurde jedoch eine weitere Umsetzung des Themas noch beliebter: Hier saß die Gestalt der Jungfrau in der Mitte, während die Besucher symmetrisch zu beiden Seiten ihres Thrones angeordnet waren.29 Das Wandgemälde aus den Katakomben der Hl. Marcellinus und Petrus in Rom (4. Jh.) ist ein gutes Beispiel für diese Lösung, zumal hier sogar die Anzahl der Sterndeuter „passend gemacht“, das heißt auf zwei reduziert worden ist.30 Ist es denkbar, dass sich diese Komposition ursprünglich aus der verlorengegangenen Anbetungsszene entwickelt hat, die bekanntlich die Fassade der Geburtskirche in Bethlehem schmückte?31 Die Bedeutung dieser Stätte und 29 Barclay Lloyd, „Mary, Queen of the Angels“, 6. 30 Kondakov, Ikonografia Bogomateri, 1:30‒34; Ihm, Programme, 52; Johannes G. Deckers, Hans R. Seeliger und Gabriele Mietke, Die Katakombe „Santi Marcellino e Pietro“: Repertorium der Malereien (RSCr 6; Città del Vaticano: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana, 1987); Maria Andaloro, Hg., La pittura medievale a Roma 312–1431: Corpus 1: L’orizzonte tardoantico e le nuove immagini, 312–468 (Mailand: Jaca Book, 2006), 136f.; Jeffrey Spier, Hg., Picturing the Bible: The Earliest Christian Art (New Haven: Yale University Press, 2007), 181: „Catacomb of Marcellinus and Peter: Frescoes from the ‚Crypt of the Virgin‘“. 31 Siehe dazu Joseph A. Munitiz et al., Hg., The Letter of the Three Patriarchs to the Emperor Theophilos and Related Texts (Camberley: Porphyrogenitus, 1997), 42; Dmitrij V. Ajnalov, The Hellenistic Origins of Byzantine Art (New Brunswick: Rut-
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die Beliebtheit der Szene in der frühen christlichen Kunst und nicht zuletzt auch auf Pilgerzeichen, die zweifelsfrei mit Palästina in Verbindung gebracht werden können, ist als Hinweis darauf gewertet worden, dass die Genese der thronenden Jungfrau möglicherweise durch ihre Platzierung in der Apsis und der Dekoration der bethlehemitischen Kirche bedingt gewesen sein könnte.32 Mehrere Elfenbeinschnitzereien, Wandgemälde und, noch wichtiger, frühbyzantinische Ikonen zeigen noch eine weitere Variante der Komposition „Maria zwischen den Engeln“. Hier sind die himmlischen Wesen hinter der Rückseite des Abb. 7: Sinai, Katharinenkloster, Ikone der Throns zu sehen. Sie fliegen emThronenden Jungfrau zwischen den Hei- por oder stehen in einer sehr chaligen, aus: Robert S. Nelson und Kristen rakteristischen, pulsierenden Pose M. Collins, Hg., Holy Image, Hallowed da, die den Eindruck einer inneren Ground: Icons from Sinai (Los Angeles: Dynamik erzeugt und der Szene J. Paul Getty Museum, 2006), 49. eine stärkere räumliche oder sogar sphärische Ordnung verleiht. Die Immaterialität der Engel wird durch das Unstete ihrer Haltung zum Ausdruck gebracht: Sie sind körperlos, durchscheinend und beinahe gewichtlos, fliegend, in der Luft schwebend dargestellt; oft entsteht dieser Effekt vor allem dadurch, dass der untere Teil ihres Körpers durch den Thron verdeckt wird. Eine typische Drehung der Figuren, die in manchen Fällen von der vertikalen Achse abweicht und eher an der lyra-förmigen Rückenlehne des Throns oder an zusätzlichen diagonalen oder unregelmäßigen Linien ausgerichtet scheint, bereichert die Komposition und kontrastiert häufig mit der strengen Frontalstellung und Unbeweglichkeit der Gottesmutter. gers University Press, 1961), 233‒237; André Grabar, Martyrium: Recherches sur le culte des reliques et l’art chrétien antique (3 Bde; Paris: Collège de France, 1943– 1946), 2:163; Ihm, Programme, 52; Gerhard A. Wellen, Theotokos: Eine ikonographische Abhandlung über das Gottesmutterbild in frühchristlicher Zeit (Utrecht: Het Spectrum, 1961), 147. 32 Maria Lidova, „Mary and the Adoration of the Magi: From Iconic Space to Icon in Space“, in Festschrift in Honour of A. Lidov (im Erscheinen).
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Das berühmteste Beispiel für diese Variante ist natürlich die Ikone aus dem Sinaikloster, auf der die Jungfrau von zwei heiligen Soldaten flankiert wird (Abb. 7).33 Die Engel hinter dem Thron unterscheiden sich auffällig von den übrigen Figuren auf der Ikone. Aufgrund der hellen Farben ihrer Gewänder und ihrer dynamischen Posen wirken ihrer Leiber beinahe durchscheinend und immateriell. Sie blicken nach oben auf einen Himmelsauschnitt, durch den das göttliche Licht aus Gottes Hand auf die thronende Maria herabstrahlt. Diese Art der Darstellung ähnelt der auf einer Ampulla aus dem Heiligen Land (6.–7. Jh.), die heute Abb. 8: Rom, S. Maria in Trastevere, Madonin Monza aufbewahrt wird.34 Auf na della Clemenza (Foto der Autorin). dieser Pilgerdevotionalie ist auf der einen Seite der thronenden Jungfrau die „Anbetung der Könige“ und auf der anderen Seite die „Verkündigung an die Hirten“ zu sehen; hinter dem Thron erkennt man zwei fliegende Engel. Sie flankieren die zentralen Figuren und treten den Königen und Hirten gegenüber als göttliche Boten auf. Gleichzeitig stehen sie ‒ genau wie der Stern, der auf exakt derselben vertikalen Achse platziert ist wie Maria und das Kind ‒ für den himmlischen Bereich.
33 Ernst Kitzinger, „Byzantine Art in the Period between Justinian and Iconoclasm“, in Berichte zum XI. Internationalen Byzantinischen Kongress IV/1 (München: Beck, 1958), 1–50; 47; Kurt Weitzmann, The Monastery of Saint Catherine at Mount Sinai. The Icons 1: From the Sixth to the Tenth Century (Princeton: Princeton University Press, 1976), 18–21 (B. 3); Peers, Subtle Bodies, 49‒52; Robin Cormack, „Icon of the Virgin and Child between Archangels Accompanied by Two Saints“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 262f.; Ders., „The Eyes of the Mother of God“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 167–174. 34 André Grabar, Ampoules de Terre Sainte (Monza – Bobbio) (Paris: Klincksieck, 1958), 16–21; Graziano A. Vergani, „Ampolla-reliquiario con Adorazione del Bambino e Ascensione“, in La rivoluzione dell’immagine: Arte paleocristiana tra Roma e Bisanzio (hg. v. Fabrizio Bisconti und Giovanni Gentili; Cinisello Balsamo: Silvana Editoriale, 2007), 202f.
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Eine komplexe Kontrapost-Drehung der Engel, bei denen der obere und der untere Teil von Körper und Rumpf in entgegengesetzte Richtungen zeigen, kennzeichnet zahlreiche Kunstwerke der frühbyzantinischen Periode, angefangen bei der Maria-Regina-Ikone in Sta. Maria in Trastevere in Rom (Abb. 8)35 über die Mosaikdarstellung der Jungfrau im nördlichen Kirchenschiff von St. Demetrios in Thessaloniki bis hin zu Elfenbeinarbeiten wie denen von Berlin oder Paris (Abb. 9)36 und sogar Textilien wie dem berühmten Wandteppich von Cleveland (Abb. 10).37 In der Mehrheit dieser Fälle sind die Engel klassisch in helle Weißtöne gekleidet. Sie tragen Zepter oder Weltkugeln in der einen Hand und halten die andere Hand auf Brusthöhe, wobei die offene Innenfläche dem Betrachter zugewandt ist. Durch diese achsensymmetrisch gespiegelte Geste wird der Eindruck einer Umrahmung oder Einklammerung der zentralen Figuren noch verstärkt. Die Besonderheit der gebogenen, beinahe tanzenden oder leicht verdrehten Haltung der Engel in diesen Werken ist so offensichtlich, dass sie nicht als bloßer Zufall abgetan werden kann. Sie stellt offenbar einen von frühmittelalterlichen Meistern häufig verwendeten Kunstgriff dar, und ihre Beliebtheit deutet vielleicht auf einen bestimmten Prototyp dieser Darstellungsweise hin, den manche in Konstantinopel vermuten. Leider wissen wir nicht, wie die Ausschmückung der Blachernenkirche, des wichtigsten Marienheiligtums der Stadt, ausgesehen hat, obwohl die Quellen belegen, dass die Szene der
35 Zur Ikone vgl. Bertelli, La Madonna di Santa Maria; Maria Andaloro, „La datazione della tavola di S. Maria in Trastevere“, RINA 19/20 (1972/1975): 139–215; Maria Lidova, „L’icona acheropita della Vergine di Santa Maria in Trastevere a Roma“, in Le arti a confronto con il sacro: Metodi di ricerca e nuove prospettive di indagine interdisciplinare: Atti delle giornate di studio, Padova, 31 maggio–1 giugno 2007 (hg. v. Valentina Cantone und Silvia Fumian; Padua: CLEUP, 2009), 19‒28; Dies., „Empress, Virgin, Ecclesia: The Icon of Santa Maria in Trastevere in the Early Byzantine Context“, IKON 9 (2016): 109–128. 36 Zum Bild aus Thessaloniki: Robin Cormack, The Church of Saint Demetrios: The Watercolours and Drawings of W. S. George (Thessaloniki: Municipality of Thessaloniki, 1985). Zu den Elfenbeineinbänden: „Diptychon mit thronendem Christus und thronender Maria mit Kind, Nr. X.26“, in 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit: Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff; 3 Bde; Mainz: Philipp von Zabern, 1999), 2:740–742 (mit vorangestellter Bibliographie); John Lowden, „The Word Made Visible: The Exterior of the Early Christian Books as Visual Argument“, in The Early Christian Book (hg. v. William E. Klingshirn und Linda Safran; Washington: Catholic University of America Press, 2007), 13–47. 37 Kurt Weitzmann, Hg., Age of Spirituality: Late Antique and Early Christian Art, Third to Seventh Century (New York: Metropolitan Museum of Art, 1979), 532f.: „Icon of the Virgin Enthroned, Nr. 477“; Dorothy G. Shepherd, „An Icon of the Virgin: A Sixth-Century Tapestry Panel from Egypt“, BCMA 56 (1969): 90‒120; MarieHélène Rutschowscaya, Coptic Fabrics (Paris: Biro, 1990), 134f.
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Maria Lidova Abb. 9: Berlin, Diptychon aus Elfenbein, Thronende Maria zwischen den Engeln, aus: Ludwig Wamser, Hg., Die Welt von Byzanz – Europas östliches Erbe: Glanz, Krisen und Fortleben einer tausendjährigen Kultur (Stuttgart: Theiss, 2004), 163.
Abb. 10: Cleveland, Wandteppich, Thronende Jungfrau zwischen den Engeln Michael und Gabriel, aus: Vassilaki, Hg., Mother of God, 224.
„Maria zwischen den Engeln“ darin enthalten war.38 Mithin bleibt es äußerst problematisch, hier ihren Ursprung anzunehmen; zum einen, weil wir nicht in der Lage sind, die fehlenden Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Baudenkmälern zu rekonstruieren, und zum anderen, weil das erhaltene Material eine überaus breite Palette an Formen und Variationen aufweist. Schließlich erscheint die von Engeln flankierte Maria in Darstellungen, die eine bestimmte Episode aus den Evangelien, nämlich die Himmelfahrt Christi, zum Thema haben. Diese Komposition besteht üblicherweise aus zwei Teilen: einem oberen, wo Christus von fliegenden Engeln in den himmlischen Bereich geleitet wird, und einem unteren, irdischen Bereich, wo die Apostel sich um die im Zentrum stehende Gottesmutter scharen. In dieser Szene werden Maria meist zwei Engel zur Seite gestellt, die eine Art räumlicher Unterbrechung oder Zäsur zwischen der Jungfrau und den Aposteln bewirken. Überraschenderweise enthält der Text des Evangeliums keinerlei Hinweis auf 38 Cyril Mango, The Art of the Byzantine Empire 312–1453: Sources and Documents (Englewood Cliffs: Prentice-Hall, 1972), 34f.
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diese Anwesenheit der die Jungfrau begleitenden Engel, ja nicht einmal auf die Anwesenheit Mariens selbst. Dass sie in diese Komposition aufgenommen wurde, muss durch die ikonographische Entwicklung und durch das Bestreben bedingt gewesen sein, die Person der Maria hervorzuheben, ihr innerhalb der Szene größere Bedeutung zu verleihen und sie sichtbar in die Apotheose des himmlischen Hofstaats im oberen Bildteil zu inteAbb. 11: Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, grieren. Ein wunderbares Tetraevangeliar des Rabbula (Plut. 1.56, f. 13v), aus: Bernabò, Hg., Il Tetravangelo di Rabbula, Taf. XXVI. Beispiel für diese Gestaltungsweise ist die berühmte Miniatur im Rabbula-Evangeliar aus dem 6. Jh. Interessanterweise kombiniert diese Illustration (Florenz, Laurent. Plut. I. 56. fol. 13v) mehrere der oben beschriebenen Arten von Engeldarstellungen, da die betreffende Szene mit nicht weniger als drei Engelpaaren bestückt werden musste (Abb. 11).39 Zunächst erscheinen sie mit den üblichen offiziellen Attributen im oberen Bereich neben dem Thron des von einer Mandorla umgebenen Erlösers. In der Bildmitte sind zwei weitere Engel zu sehen, die in ihren ausgestreckten Händen goldene Diademe darreichen und sich vor dem Anblick des in den Himmel auffahrenden Christus verneigen. Und schließlich wird im unteren Bereich die Gottesmutter von zwei geflügelten Begleitern flankiert. Sie sind, wie auf solchen Darstellungen üblich, in aktiver Kommunikation mit den Aposteln begriffen und machen diese auf die Theophanie aufmerksam, die sich über ihnen abspielt. Gleichzeitig unterstreichen diese mächtigen 39 Carlo Cecchelli, Giuseppe Furlani und Mario Salmi, Hg., The Rabbula Gospels: Facsimile Edition of the Miniatures of the Syriac Manuscript Plut. I,56 in the Medicaen-Laurentian Library (Monumenta occidentiis 1; Olten: in aedibus Urs Graf, 1959); Massimo Bernabò, Hg., Il Tetravangelo di Rabbula: Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 1.56: L’illustrazione del Nuovo Testamento nella Siria del VI secolo (Folia picta 1; Rom: Edizioni di storia e letteratura, 2008).
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Gestalten in ihren weißen Gewändern die Bedeutung der Jungfrau innerhalb der Gruppe der Jünger Jesu. Damit ähnelt ihre Funktion der von Wächtern, die einerseits den Zugang zur Gottheit beschränken und anderseits mit den Umstehenden interagieren. Ähnliche Engeldarstellungen finden sich in der Apsis der Euphrasius-Basilika in Poreč (Mitte des 6. Jh.) und in vielen anderen frühbyzantinischen Gebäudeausschmückungen.40 Die breite Palette der Umsetzungen, die das Thema „Maria zwischen den Engeln“ in der frühbyzantinischen Kunst erfahren hat, beweist seine überwältigende Beliebtheit und Vielfalt. Die Aussage des im Grunde immer gleichen Bildes wird sowohl durch auffällige Unterschiede als auch durch kleinere Abweichungen leicht modifiziert. Auf diese Weise vermitteln die marianischen Kompositionen eine subtilere, feiner nuancierte Botschaft, die eine je unterschiedliche emotionale Wirkung erzeugt. Deshalb muss sich jeder, der sich an einer angemessenen Deutung der Szene versuchen will, zunächst mit verschiedenen marianischen Begriffen, Texten und Vorstellungen vertraut machen, die in der damaligen Zeit im Umlauf waren und das Verständnis wie auch die Verbreitung des Themas der „Maria zwischen den Engeln“ in frühbyzantinischer Zeit letztlich geprägt haben.
2.
„Maria zwischen den Engeln“: die Konzepte hinter dem Bild
Dass, wie im Vorigen erläutert, schon auf den Wänden von S. Maria Maggiore aus dem 5. Jh. Engel aktiv präsent sind, wirft unweigerlich Fragen auf und verlangt nach Erklärungen. Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, ob und wie diese Ausschmückung der biblischen Erzählung, wie sie sich auf den Mosaikfeldern des Triumphbogens entfaltet, mit irgendeiner textlichen Überlieferung korreliert. Zweitens ist zu prüfen, ob das Auftreten der Engelgestalten vielleicht durch Faktoren bedingt sein könnte, die nicht mit der eigentlich biblischen Beschreibung zusammenhängen – etwa durch die Notwendigkeit, nach dem Konzil von Ephesus bestimmte theologische Begriffe und/oder einen veränderten Status der Jungfrau zum Ausdruck zu bringen. Eine dritte erwägenswerte Alternative ist die Möglichkeit, dass diese ikonographische Lösung das Ergebnis einer künstlerischen Weiterentwicklung und Anpassung des bestehenden heidnischen oder imperialen Repertoires an christliche Verhältnisse gewesen ist; ein Prozess, für den die zahlreichen imperialen Konnotationen des Zyklus im Allgemeinen und der majestätischen Figur der 40 Henry Maguire und Ann Terry, Dynamic Splendor: The Wall Mosaics in the Cathedral of Eufrasius at Poreč (2 Bde; Pennsylvania: Pennsylvania State University Press, 2007).
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Jungfrau im Besonderen geradezu prädestiniert scheinen. Da das ikonographische Programm von S. Maria Maggiore eines der frühesten erhaltenen Beispiele der von Engelfiguren flankierten Jungfrau Maria in der christlichen Monumentalkunst darstellt, könnte man annehmen, dass sich darin eine frühe Entwicklungsphase dieses in der Malerei so beliebten Sujets wiederspiegelt. Antworten auf diese Fragen sind daher von besonderer und grundlegender Bedeutung für das Verständnis der gesamten nachfolgenden Kunsttradition. Die religiösen Texte, die üblicherweise mit den betreffenden Bildern in Verbindung gebracht werden, können die Präsenz der Engel in den römischen Mosaiken aus dem 5. Jh. nur teilweise erklären. Bekanntlich stützten sich die Zyklen mit Ereignissen aus der Kindheit Christi und vor seiner Geburt weitgehend auf apokryphe Quellen.41 Das hängt damit zusammen, dass die kanonischen Berichte aus dem Lukasevangelium – dem einzigen, das Maria nennenswerte Bedeutung beimisst – weder die nötigen Details noch ausreichend Informationen bieten, um das Leben der Jungfrau auf dieser Grundlage stimmig zu rekonstruieren.42 In der Regel verweist die Forschung hauptsächlich auf zwei Apokryphen: das Pseudomatthäusevangelium (8./9. Jh.) und das Protoevangelium des Jakobus (2. Jh.). Letzteres ist hinsichtlich des hier diskutierten Themas nicht sonderlich hilfreich; Ersteres dagegen liefert mehrere interessante Einzelheiten. Aus dem sechsten Kapitel des Pseudomatthäus evangeliums erfahren wir, dass Maria noch während ihrer Zeit im Tempel, das heißt noch vor der Geburt Jesu, nicht nur von Engeln ernährt, sondern zudem oft in ihrer Gegenwart gesehen wurde: Täglich erquickte sie sich lediglich an eben der Speise, die sie aus der Hand des Engels empfing […]. Häufig sah man, daß Engel mit ihr sprachen; und sie gehorchten ihr wie einer sehr teuren Freundin (Ps.-Mt 6,3). 41 Zu den Kindheits- und Marienevangelien siehe die entsprechenden Kapitel in: Outi Lehtipuu und Silke Petersen, Hg., Antike christliche Apokryphen: Marginalisierte Texte des frühen Christentums (Die Bibel und die Frauen 3.2; Stuttgart: Kohlhammer, 2018), sowie zu Darstellungen derselben: Jacqueline Lafontaine-Dosogne, „Iconography of the Cycle of the Life of the Virgin“, in The Kariye Djami 4: Studies in the Art of the Kariye Djami and Its Intellectual Background (hg. v. Paul A. Underwood; BollS 70/4; London: Routledge, 1975), 161–194; Dies., „Iconography of the Cycle of the Infancy of Christ“, in ebd., 195–241. 42 Allgemeinere Erläuterungen hierzu finden sich bei James K. Elliott, Hg., The Apocryphal New Testament: A Collection of Apocryphal Christian Literature in an English Translation (Oxford: Clarendon Press, 1994), 57‒67; Savvas Agouridis, „The Virgin Mary in the Texts of the Gospels“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 59‒65; Ioannis Karavidopoulos, „On the Information Concerning the Virgin Mary Contained in the Apocryphal Gospels“, in ebd., 67‒76; James K. Elliott, „Mary in the Apocryphal New Testament“, in The Origins of the Cult of the Virgin Mary (hg. v. Chris Maunder; London: Burns & Oates, 2008), 57–70.
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Interessanterweise enthält der Text eine sehr klare Vorstellung von der Verehrung, die Maria – noch ehe sie überhaupt die Mutter Gottes geworden war ‒ von himmlischen Wesen entgegengebracht wurde. Das ist insofern von Bedeutung, als es ganz offensichtlich mit den Darstellungen der die Jungfrau begleitenden Engel in der Kunst zusammenhängt. Derselbe Text hilft auch, die Präsenz der Engel in der Anbetungsszene in S. Maria Maggiore zu verstehen. Der Autor erzählt, wie die Heilige Familie in Bethlehem ankommt und dort in einer Höhle wohnt, und er merkt an: Und dort gebar sie einen Sohn, und die Engel umgaben Ihn bei seiner Geburt. Und sobald er geboren worden war, stand er auf Seinen Füßen, und die Engel schmückten Ihn und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen guten Willens (13,2).43
Dieses Ereignis wird von einem anderen apokryphen Text, dem sogenannten Arabischen oder Syrischen Evangelium von der Kindheit des Erlösers, bestätigt (wahrscheinlich aus dem 6. Jh.).44 Dieser Text wird aus mehreren Gründen nur selten im Zusammenhang mit byzantinischen Marienzyklen diskutiert. Er bietet eine hochinteressante und sehr viel detailliertere Beschreibung der Geschichte und basiert höchstwahrscheinlich auf denselben Quellen wie die anderen Kindheitsapokryphen. Auch die syrische Version erzählt im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Geburtshöhle, dass Engel dort gewesen seien: Zur gleichen Zeit kamen die Hirten und entfachten ein Feuer und freuten sich überschwenglich, und ihnen erschienen himmlische Heerscharen, die jubelten und priesen Gott (4).
Die Bedeutung dieser Quelle beruht jedoch vor allem auf ihrem Bericht von der Beschneidung, der ansonsten unbekannte Details enthält: Da sah ihn der ehrwürdige Greis Simeon, als er wie ein Lichtstrahl leuchtete, während Maria, die Jungfrau, seine Mutter, ihn auf ihren Armen trug. Und sie war erfreut über ihn, und die Engel umgaben ihn im Kreis, wobei sie [ihn] lobpriesen wie ein Heer vor dem König (6). 43 Diese Schilderung ist besonders interessant, wenn man sie mit den liturgischen Interpretationen des Kirchenraums vergleicht. In der Patriarch Germanos zugeschriebenen Schrift Historia mystica ecclesiae catholicae entspricht die Apsis „der Höhle von Bethlehem, wo Christus geboren wurde“, womit die Anwesenheit der Engel eine zusätzliche Rechtfertigung erfährt, vgl. Cormack, „The Mother of God in Apse Mosaics“, 95. 44 Elliott, The Apocryphal New Testament, 100‒107.
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Die Erwähnung von Engeln beim Einzug der Heiligen Familie in den Tempel ist auffällig und passt offenbar gut zu der Komposition der Darstellungsszene auf dem Mosaik von S. Maria Maggiore, wo zwei Engel die Gestalt der Maria flankieren, während ein dritter Engel hinter Josef und der Prophetin Hanna zu sehen ist. Der Text verweist nicht nur auf die Präsenz der himmlischen Kreaturen, die der hellsichtige Blick des Hl. Simeon zu erkennen vermag, sondern schreibt ihnen überdies die Funktion von Wächtern an der Seite Christi zu, der hier bezeichnenderweise mit einem irdischen König verglichen wird. Dieser Teil der christlichen Erzählung ist nicht nur für sich genommen und im Analysekontext der breiteren textlichen Überlieferung interessant, sondern gewinnt zudem durch den Vergleich mit erhaltenen Kunstwerken eine herausragende Bedeutung. Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, dass Engel in der byzantinischen Kunst nicht selten eine wichtige Rolle spielen.45 Was uns hier interessiert, ist nicht so sehr die künstlerische Umsetzung narrativer Szenen des AT oder NT, in denen Engel als himmlische Boten, Mittler zwischen Gott und den Menschen oder Überbringer des göttlichen Willens eine ganz konkrete Funktion ausüben, sondern das Vorkommen dieser höheren Wesen in bildlichen Kontexten, die nicht erkennbar durch eine bestimmte biblische Erzählung bedingt sind. Zusätzlich zu ihren feierlichen Posen und der Größe der Engelsgestalten wird ihr hoher Rang, wie wir gesehen haben, regelmäßig durch verschiedene Insignia wie Weltkugeln und Stäbe, die sie in Händen halten, und zuweilen auch durch höfische Gewänder wie das Divitision signalisiert, das oft durch einen prächtigen kaiserlichen Loros ergänzt wird.46 Allerdings kommt, wie Mango gezeigt hat, „die imperiale Ikonographie von Erzengeln nie in narrati45 Zu den Engeln und ihren Darstellungen vgl. Raffaele Garrucci, Storia della arte cristiana nei primi otto secoli della chiesa (6 Bde; Prato: Guasti, 1873–1881), 1:292– 297; Stuhlfauth, Engel; Demetrios I. Pallas, „Himmelsmächte, Erzengel, Engel“, RBK 3 (1978): 13‒119; Gerhard Podskalsky und Anthony Cutler, „Angel“, ODB 1 (1991): 97; Aleksandr Kazhdan und Nancy Patterson Ševčenko, „Archangel“, ODB 1 (1991): 155; Marco Bussagli, Storia degli angeli: Racconto di immagini e di idee (Storia 10; Mailand: Rusconi, 1995); Raffaella Giuliani, „Angelo“, in Temi di iconografia paleocristiana (hg. v. Fabrizio Bisconti; SSAC 13; Città del Vaticano: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana, 2000), 106‒109; Marco Bussagli und Mario D’Onofrio, Hg., Le Ali di Dio: Messaggeri e guerrieri alati tra Oriente e Occidente (Mailand: Silvana, 2000); Peers, Subtle Bodies; Cecilia Proverbio, La figura dell’angelo nella civiltà paleocristiana (Todi: Tau, 2007); Elżbieta Jastrzębowska, „New Testament Angels in Early Christian Art: Origin and Sources“, Światowit 8 (49)/A (2009–2010): 153–164. 46 Colette Lamy-Lassalle, „Les archanges en costume impérial dans la peinture murale italienne“, in Synthronon: Art et archéologie de la fin de l’Antiquité et du Moyen Âge (hg. v. André Grabar et al.; BCAr 2; Paris: Klincksieck, 1968), 189‒198; Mango, „St. Michael“, 39‒45; Maguire, „Style and Ideology“; Catherine Jolivet-Lévy, „Note sur la représentation des archanges en costume imperial dans l’iconographie byzantine“, CAr 46 (1998): 121‒128.
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ven Szenen“, sondern „nur in statischen oder ‚ikonischen‘ Bildern“ vor.47 Die frühchristlichen Wurzeln dieser Tradition sind durch die berühmten Worte des Severus von Antiochia belegt, mit denen der Autor des 6. Jh. die Praxis kritisiert, Engel in kaiserlichen Purpurgewändern und mit „Zeichen allumfassender Macht“ darzustellen. An einer anderen Stelle gibt er zu bedenken, dass weiße Gewänder angemessener wären.48 Diese Aussage steht in interessanter Korrelation zu den frühen Paralleltraditionen, Engel entweder in weißen Tuniken und Pallae oder in offizieller, beinahe königlicher Kleidung abzubilden. Die Verbindungen zwischen den Kaisern und Bildern kaiserlicher Macht auf der einen und Engeldarstellungen auf der anderen Seite waren in der byzantinischen Kultur stets sehr eng. Die Bestrebungen, wie etwa in S. Maria Maggiore den höfischen Charakter der himmlischen Wächter und ihres Auftrags im Dienst des allmächtigen Königs und seiner Mutter zum Ausdruck zu bringen, bleiben sowohl in der byzantinischen Kunst als auch in der Literatur weiterhin bestehen. Nicht nur die Engel werden regelmäßig mit Konnotationen und Attributen ausgestattet, die besser zu hohen kaiserlichen Beamten oder Heerführern passen würden, sondern auch die Kaiser werden umgekehrt in den verschiedensten Panegyriken und offiziellen Anreden mit Engeln verglichen.49 Die Konstruktion des Engelbildes auf der Grundlage offizieller Repräsentationsformen und sichtbarer Verkörperungen einer realen, irdischen Macht ist von besonderer Bedeutung. Sie weist darauf hin, dass die Darstellung der „Mutter Gottes zwischen den Engeln“ von Anfang an die Züge einer offiziellen Entourage aufwies und dass somit eine denkbar enge visuelle und symbolische Parallele zwischen den himmlischen Kreaturen und einer königlichen Wache bestand. Für den mittelalterlichen Betrachter war diese Gleichsetzung umso offensichtlicher, da die Ikonographie der „Maria zwischen den Engeln“ in aller Regel auf Kompositionen beruhte, die rein weltlichen Kontexten entnommen waren: Das zugrundeliegende Schema wurde weitgehend mit offiziellen, repräsentativen Anlässen am Hof eines Konsuls oder Kaisers assoziiert. Das belegen zahlreiche elfenbeinerne Diptychen der frühbyzantinischen Periode, die die Konsuln in sitzender Haltung von vorne und flankiert von Wächtern oder Allegorien der Städte Rom und Konstantinopel zeigen, und das belegt auch das aufsehenerregende Beispiel der berühmten, noch vor dem Jahr 512 entstandenen Miniatur der Prinzessin Anicia Juliana aus dem Wiener Dioskurides (cod. med. gr. 1. fol. 6v).50 Die Prinzessin sitzt, genau wie die Jungfrau 47 Mango, „St. Michael“, 44. 48 Mansi 13:184; Mango, „St. Michael“, 42f.; Peers, Subtle Bodies, 60.74f. 49 Maguire, „Style and Ideology“, 222–224. 50 Richard Delbrück, Die Consulardiptychen und verwandte Denkmäler (2 Bde; Studien zur spätantiken Kunstgeschichte 2; Berlin: de Gruyter, 1929); Cecilia Olovsdotter, The Consular Image: An Iconological Study of the Consular Diptychs (BAR International Series 1376; Oxford: John and Erica Hedges, 2005). Informationen zu
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auf entsprechenden Darstellungen, auf einem Thron und wird von zwei Figuren flankiert, bei denen es sich in diesem Fall jedoch nicht um Engel, sondern um Personifikationen handelt (Abb. 12). Bestimmte Details an den Gewändern der Engel und vor allem der Stab, den sie auf den Darstellungen regelmäßig in der Hand halten, rechtfertigen einen Vergleich und eine Assoziation mit byzantinischen Hofbeamten wie etwa den Cubicularii, Ostiarii oder Silentiarii. Die Inhaber des letztgenannten Abb. 12: Wien, Österreichische Nationalbiblio- Ranges hatten bekanntlich thek, Dioskurides, Anicia Juliana (cod. med. gr. 1. das Recht, als Erkennungsfol. 6v), aus: Kiilerich, „The Image of Anicia Ju- zeichen ihres Amtes kostliana“, 170. bare (aus Gold angefertigte und mit Perlen geschmückte) Zepter zu tragen.51 Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass einige Silentiarii eigens als Begleiter und Diener der Kaiserin ernannt wurden, was innerhalb der höfischen Kultur eine direkte und deutliche Parallele zu den Darstellungen der von himmlischen Wächtern eskortierten Jungfrau herstellen würde. Eine andere Gruppe byzantinischer Höflinge, die hier Erwähnung verdient, sind natürlich die der Eunuchen, die in schriftlichen Texten regelmäßig mit Engeln verglichen und vorwiegend im Dienst der den jüngsten Analysen dieser Miniatur aus dem Wiener Dioskurides und weiterführende bibliographische Hinweise bieten Bente Kiilerich, „The Image of Anicia Juliana in the Vienna Dioscurides: Flattery or Appropriation of Imperial Imagery“, SO 76/1 (2001): 169‒190; Leslie Brubaker, „The Vienna Dioskorides and Anicia Juliana“, in Byzantine Garden Culture (hg. v. Antony Littlewood, Henry Maguire und Joachim Wolschke-Bulmahn; Washington: Dumbarton Oaks, 2002), 189‒214; Diliana N. Angelova, Gender and Imperial Authority in Rome and Early Byzantium, First to Sixth Centuries (Diss., Harvard University, 2005), 111‒118. 51 ODB 3 (1991): 1896. Die Parallele zwischen den Silentiarii und den Engeln hat Gerhard Wolf im Zusammenhang mit der Darstellung der Himmelswesen auf der Ikone aus S. Maria in Trastevere besonders hervorgehoben, vgl. Gerhard Wolf, „Alexi farmaka: Aspetti del culto e della teoria delle immagini a Roma tra Bisanzio e Terra Santa nell’Alto Medioevo“, in Roma fra Oriente e Occidente (2 Bde; SSAM 49; Spoleto: CISAM, 2002), 2:755–790; 785.
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kaiserlichen Familie und insbesondere ihrer weiblichen Mitglieder eingesetzt wurden.52 Allerdings kommen Engel auch in anderen Kontexten und Situationen der byzantinischen Kunst vor und können nicht ausschließlich als Bestandteil der marianischen Ikonographie betrachtet werden. Ihre Präsenz an der Seite Christi ist jedoch durchaus logisch und lässt sich leicht aus den religiösen Texten, insbesondere aus der atl. Überlieferung und verschiedenen Epiphanieberichten, erklären. Das ist deshalb wichtig, weil die christlichen Vorstellungen und Deutungen von Engeln tief in der älteren jüdischen Schrifttradition verwurzelt waren.53 Das Auftreten himmlischer Wesen an der Seite Gottes diente offenkundig dem Zweck, die Herrlichkeit der Gottheit zu visualisieren. Zum Teil geht es auf Vorgängermodelle aus der römischen Vergangenheit und auf heidnische Ikonographien der absoluten, triumphalen Überlegenheit und Königswürde zurück, die oft und reichlich von Siegesgöttinnen und anderen geflügelten Wesen Gebrauch machten. Neben Gott selbst konnten die Engelfiguren auch das Symbol des Kreuzes, die Hetoimasia (den Thron der Wiederkunft) und den Altar flankieren.54 Gelegentlich finden sie sich auch an der Seite eines 52 Myrto Hatzaki, Beauty and the Male Body in Byzantium: Perceptions and Representations in Art and Text (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009), 86‒115; Maria Parani, „Look like an Angel: The Attire of Eunuchs and its Significance within the Context of Middle Byzantine Court Ceremonial“, in Court Ceremonies and Rituals of Power in Byzantium and the Medieval Mediterranean: Comparative Perspectives (hg. v. Alexander D. Beihammer, Stavroula Constantinou und Maria G. Parani; Leiden: Brill, 2013), 433‒463; Georges Sidéris, „Sur l’origine des anges eunuques à Byzance“, in Constructing the Seventh Century (hg. v. Constantin Zuckerman; TMCB 17; Paris: Association des Amis du Centre d’Histoire et Civilisation de Byzance, 2013), 539‒558. 53 Vgl. Lourdes Diego Barrado, „Le rôle des anges dans l’iconographie de la Rome byzantine“, in Les anges et les archanges dans l’art et la société à l’époque préromane et romane: Actes des XXIXe Journées Romanes de Cuixà, 8‒16 juillet 1996 (Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 28; Codalet: Association culturelle de Cuixà, 1997), 133–144; 133; Peers, Subtle Bodies, 13‒60. Zum Problem einer angemessenen Rekonstruktion des frühchristlichen Engelbegriffs und seinen engen Verbindungen mit der älteren Schrifttradition (einschließlich eines kurzen Überblicks über die betreffende Historiographie) vgl. Ellen Muehlberger, Angels in the Religious Imagination of Late Antiquity (Diss., Indiana University, 2008), 9‒14. In der Dissertationsschrift werden diese Fragen detaillierter erörtert als in ihrem kürzlich erschienenen Buch: Ellen Muehlberger, Angels in Late Ancient Christianity (Oxford: Oxford University Press, 2013). Vgl. ebenso Garrucci, Storia. 54 Das Thema der den Altar flankierenden Engel zählt zu den zentralen Ikonographien der byzantinischen Welt. Eine eingehende Analyse der erhaltenen Baudenkmäler zeigt, wie sich dieses Thema aus frühen Beispielen wie etwa den Mosaiken von Germigny-des-Prés (beginnendes 9. Jh.), wo der fragliche Altar unverkennbar auf die atl. Bundeslade anspielt (vgl. Ann Freeman und Paul Meyvaert, „The Meaning of Theodulf’s Apse Mosaic at Germigny-des-Prés“, Gesta 40/2 [2001]: 125‒139; Gillian
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bestimmten Heiligen wie etwa im Fall des Hl. Neophytos, der in seiner Grabkapelle und früheren Einsiedlerhöhle (enkleistra) im Neophytos-Kloster in Paphos auf Zypern zwischen zwei Engeln dargestellt ist (1182‒1183). Das Wandgemälde bezieht sich eindeutig auf die Vorstellung von der Heiligkeit des Mönchs, der durch sein frommes Erdenleben in die Nähe der himmlischen Wesen gerückt ist.55 Ähnliche Muster waren schon in der Spätantike zur Darstellung von verschiedenen Heiligen üblich, wie z. B. für die Hl. Thekla und den Säulenheiligen Simon, die beide regulär von Engeln begleitet portraitiert wurden.56 Gleichwohl belegt eine umfassende Analyse der erhaltenen Kunstwerke zweifelsfrei, dass die Jungfrau nach Christus die einzige Person ist, der regelmäßig und sogar in der Mehrzahl der Fälle himmlische Begleiter zur Seite gestellt werden. Das wirft die Frage auf, ob diese besondere Aufmerksamkeit Maria selber gilt oder ob es letztlich doch wieder der himmlische König ist, der mit diesem offiziellen Gefolge geehrt werden soll. Da die Jungfrau und das Christuskind üblicherweise gemeinsam dargestellt werden und mithin nicht voneinander zu trennen sind, ist diese Angelegenheit recht kompliziert. Dennoch legen die ikonographische Entwicklung dieses Bildes, die Tatsache, dass Jesus in einigen dieser Kompositionen nicht anwesend ist, und bestimmte literarische Quellen den Gedanken nahe, dass das Thema der flankierenden Engel gerade für die Verehrung der Gottesmutter besonders relevant war und
V. Mackie, „Theodulf of Orléans and the Ark of the Covenant: A New Allegorical Interpretation at Germigny-des-Prés“, Racar 32/1‒2 [2007]: 45‒58; Ivan Foletti, „Germigny-des-Prés, il Santo Sepolcro e la Gerusalemme Celeste“, Convivium 1/1 [2014]: 32‒49), zum mittelbyzantinischen Motiv der Engel entwickelt hat, die in der „Gemeinschaft der Apostel“ um den Altar herumstehen: eine Szene, die üblicherweise die Apsiswölbung ausschmückt. Erzengel erscheinen in der byzantinischen Kunst auch regelmäßig zu beiden Seiten des Allerheiligsten, auf der Ikonostase oder rechts und links des Kircheneingangs, vgl. Georgi Gerov, „Angels – Entrance Guardians“, Zbornik radova Vizantoloskog instituta 46 (2009): 435‒442. 55 Cyril Mango und Ernest J. W. Hawkins, „The Hermitage of St. Neophytos and Its Wall Paintings“, DOP 20 (1966): 119‒206. Interessanterweise findet sich die Vorstellung, dass die Lebensweise helfen kann, einen engelgleichen Status zu erlangen, auch in der marianischen Theologie, insbesondere bei Cyrill von Jerusalem, vgl. Cameron, „The Early Cult of the Virgin“, 7. 56 Die Theklaakten bieten dafür den Hintergrund, da der Text nach der Beschreibung der Erscheinung des Paulus sagt, dass er einmal einem Menschen, ein andermal einem Engel geglichen habe; vermutlich hat die oft gezogene Parallele zwischen heiligen Menschen und den geflügelten Kreaturen diese Assoziation verstärkt; vgl. Wilhelm Schneemelcher, Hg., Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung 2: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes (Tübingen: Mohr, 51989), 216. Siehe ebenso Johannes Chrysostomus, Homilien zum Matthäusevangelium 8,4, wo er die zahlreichen Mönche der ägyptischen Wüste mit den Chören der Engel in menschlicher Form vergleicht.
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in den Augen des christlichen Betrachters eine tiefe symbolische Bedeutung erlangte.57 Im weithin bekannten Hymnos Akathistos, der gemeinhin Romanos Melodos zugeschrieben, heute aber häufig früher datiert wird und hinsichtlich der Marienverehrung vielleicht den repräsentativsten frühbyzantinischen Text überhaupt darstellt, übernehmen die Engel verschiedene Funktionen.58 Die Eröffnungszeile der ersten Strophe (oikos) dieses Preisgedichts auf die Theotókos enthält einen Verweis auf den himmlischen Überbringer der Verkündigungsbotschaft ‒ dadurch entsteht die Illusion, der Hymnus sei die Vergegenwärtigung eines Dialogs zwischen Maria und Gabriel ‒ und dient als Vorlage für die nun folgenden vielfältigen Anrufungen der Jungfrau, die allesamt mit „Sei gegrüßt“ oder „Freue dich“ (chaire) beginnen; sie basieren weitgehend auf atl. Figuren, die die Christen als biblische Präfigurationen der Theotókos deuteten. In dieses dichterische Gewebe sind an mehreren Stellen Hinweise eingeflochten, die Engel zu biblischen Episoden, aber vor allem zur Muttergottes selbst in Beziehung setzen, etwa wenn Maria apostrophiert wird als die „Tiefe, die selbst für die Augen der Engel unsichtbar ist“, als „von den Engeln vielbestauntes Wunder“, als eine, „die das Leben von Engeln spiegelt“, und schließlich als „heiligster Wagen dessen, der über den Cherubim ist, […] erhabenste Wohnstatt dessen, der über den Seraphim ist“. Diese Epitheta und insbesondere das komplette 9. Kontakion – „Alle Stände der Engel staunten über das große Werk deiner Menschwerdung; denn sie sahen den Gott, unzu57 Man denke etwa an den koptischen Architrav aus frühbyzantinischer Zeit, der im Britischen Museum aufbewahrt wird (EA1502) und eine interessante, in drei Reihen verlaufende Inschrift aufweist. Der Textfluss wird in der Mitte der oberen Zeile durch eine muschelähnliche Palmette unterbrochen. Nach einer Anrufung der Heiligen Dreifaltigkeit wendet sich der Text (in dieser Reihenfolge!) an den heiligen Michael, die heilige Maria und den heiligen Gabriel. Mithin wird der Name Mariens vor den Augen des Lesers logisch und optisch von den Namen der beiden Erzengel flankiert und folgt damit dem Muster, das wir nun als die herkömmliche oder archetypische Version des Themas „Maria zwischen den Engeln“ annehmen dürfen. Bezeichnenderweise ist der Verweis auf Gott als Heilige Dreifaltigkeit, der an erster Stelle steht, gewissermaßen von der nachfolgenden, dreigeteilten Struktur getrennt, die größtenteils in die zweite, das heißt die mittlere Zeile passt und in der der Name der Gottesmutter zentral platziert ist. Insgesamt ähnelt die Gestaltung sehr dem Türsturz mit den Namen der Erzengel und der Jungfrau, der in Cleveland aufbewahrt wird (online: http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_ details.aspx?assetId=379598001&objectId=124203&partId=1 [zuletzt abgerufen am 19.10.2018]). 58 Vasiliki Limberis, Divine Heiress: The Virgin Mary and the Creation of Christian Constantinople (London: Routledge, 1994); Luigi Gambero, Mary and the Fathers of the Church: The Blessed Virgin Mary in Patristic Thought (San Francisco: Ignatius Press, 1999); Leena M. Peltomaa, The Image of the Virgin Mary in the Akathistos Hymn (The Medieval Mediterranean 35; Leiden: Brill, 2001).
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gänglich, als Menschen, allen zugänglich, wie er unter uns wohnte und von allen hörte: Halleluja“ ‒ weisen klar darauf hin, dass im Akathistos die Jungfrau selbst und nicht nur ihr Sohn von den Engeln gefeiert wird. Die verschiedenen bildlichen Kontexte, in denen Engel Verwendung finden, zeigen, dass die Hinzufügung körperloser Wesen auf beiden Seiten der Bildmitte die zentrale Darstellung nicht nur besonders hervorhebt, sondern zudem die Heiligkeit der betreffenden Person und ihren übergeordneten Rang in der himmlischen Hierarchie unterstreicht. Die Vorstellung von der Jungfrau, einer irdischen Frau, die zu größerer Höhe und Heiligkeit aufstieg als die Engel, Vorrang vor allen himmlischen Wesen erhielt und am himmlischen Hof, wo allein Gott über ihr steht, eine herausragende Stellung bekleidet, ist ein wesentliches Prinzip des christlichen Denkens und ein fester Bestandteil liturgischer Gebete, Hymnen, Homilien und patristischer Texte. Man denke nur an die Zeilen des im christlichen Osten so beliebten Mariengebets Áxion estín aus der Liturgie des Johannes Chrysostomos aus dem 4. Jh.: „Die du geehrter bist als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim …“. Diese Assoziation war es, die in den Gläubigen systematisch erzeugt und gleichzeitig in den künstlerischen Darstellungen der von Engeln flankierten Gottesmutter visualisiert wurde. In diesem Zusammenhang muss man sich fragen, ob die Komposition der „Maria zwischen den Engeln“ womöglich für die weiblichen Gemeindemitglieder von besonderer Bedeutung war. Die Beteiligung von Frauen und insbesondere Kaiserinnen an der Entwicklung und Herausbildung des frühen Marienkults bot den weiblichen Gläubigen einen sehr facettenreichen und anregenden Weg, mit Darstellungen der Theotókos59 zu interagieren. Das Verhaltensmodell und didaktische Vorbild, zu dem die Gestalt der Maria in den Kunstwerken stilisiert wurde, diente nicht nur als Quelle der Inspiration, sondern verkörperte die Vorstellung von einem absoluten spirituellen Triumph weiblicher Heiligkeit, die sogar die der himmlischen Wesen übertraf.60 59 Siehe dazu Kate Cooper, „Empress and Theotokos: Gender and Patronage in the Christological Controversy“, The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. Robert N. Swanson; SCH[L] 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004), 39–51; Jean-Michel Spieser, „Impératrices romaines et chrétiennes“, in Mélanges Gilbert Dagron (TMCB 14; Paris: Association des Amis du Centre d’Histoire et Civilisation de Byzance, 2002), 593–604; Liz James, „The Empress and the Virgin in Early Byzantium: Piety, Authority and Devotion“, in Images of the Mother of God: Perceptions of the Theotokos in Byzantium (hg. v. Maria Vassilaki; Aldershot: Ashgate, 2005), 145–152; Diliana N. Angelova, Sacred Founders. Women, Men, and Gods in the Discourse of Imperial Founding, Rome through Early Byzantium (Oakland: University of California Press, 2015), 250–259. 60 Zum Problem der Reaktionen von Frauen auf Bilder und der komplexen Interaktion der Byzantinerinnen mit der Gestalt der Jungfrau vgl. Judith Herrin, Unrivalled
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Gleichwohl fungierte Maria aufgrund ihrer irdischen Herkunft im Himmelreich stets als Mittlerin und wurde in den Anliegen der Menschen zu einer unverzichtbaren Fürsprecherin bei Gott. Darstellungen der Muttergottes zwischen den Engeln zeugten also von ihrem Verbleib im Paradies und gleichzeitig von ihrer Rolle als Himmelskönigin und göttlicher Autorität, die über den himmlischen Heeren stand. Und schließlich gewannen die körperlosen Wächter auch für das im Zusammenhang mit der Jungfrau zentrale Thema der Menschwerdung besondere Bedeutung.61 Die Gegenwart von Engeln wurde grundlegend für die Vermittlung der Lehre von den zwei Naturen Christi, dessen Menschheit durch eine irdische Frau gewährleistet wurde, während die Nähe der überirdischen Himmelswesen seine Gottheit bezeugte. Ein weiterer Aspekt der fraglichen Ikonographie betrifft die Notwendigkeit, Marias Verherrlichung für den Betrachter anschaulich werden zu lassen und die feierliche Verehrung, die der himmlische Hofstaat ihr zuteilwerden ließ, explizit darzustellen. Zahlreiche Quellen bestätigen diese Vorstellung und sprechen regelmäßig davon, dass die Engel zu Ehren der Gottesmutter singen und feierliche Rituale vollführen.62 Schon im 4. Jh. beschreibt Epiphanios von Salamis in einer Homilie über die Jungfrau eine spirituelle Himmelsvision, in der die Theotókos zum Objekt der Proskynesis oder Verehrung seitens der Engel wird.63 Noch wichtiger aber ist in unserem Kontext, dass dieselbe Vorstellung auch durch die Inschriften bestätigt wird, die mehrere Darstellungen der „Maria zwischen den Engeln“ begleiten und wesentlich ergänzen. Eine dieser Inschriften ist das bereits erwähnte ikonographische Programm der Koimesis-Kirche von Nicäa, das durch eine Reihe mit Mosaiksteinchen (tesserae) gelegter Textzeilen vervollständigt war. Die Zeile über dem Bild der Gottesmutter war unterhalb der drei von der Hand Gottes ausgehenden göttlichen Lichtstrahlen im Himmelssegment ganz oben in der Konche platziert, was darauf hinweist, dass der betreffende Satz für das VerInfluence: Women and Empire in Byzantium (Princeton: Princeton University Press, 2013), insbes. 28f.38‒79.131‒193. 61 Peers weist zu Recht darauf hin, dass die geheimnisvolle Natur der Engel in Byzanz eine Art Gegenstück zu der hochkomplizierten Vorstellung von der Menschwerdung Gottes bildete, Peers, Subtle Bodies, 17.106. 62 Zum Beispiel der Hymnus „Χαῖρε Θεοτόκε ἀγαλλίαμα τῶν ἀγγέλων“, der auf dem griechischen Papyrus 1029 im Britischen Museum erhalten ist und ins 6. Jh. datiert wird; vgl. Anton Baumstark, „Ein frühchristliches Theotokion in mehrsprachiger Überlieferung und verwandte Texte des ambrosianischen Ritus“, OrChr 7/8 (1918): 37‒61. 63 „Λέγω γὰρ ταύτην οὐρανὸν καὶ θρόνον ὁμοῦ τε καὶ σταυρόν· τὰς γὰρ ἁγίας ἀγκάλας ἐκτείνασα, τὸν Δεσπότην ἐβάστασεν ὁ θρόνος χερουβικὸς, σταυροειδὴς, οὐράνιος, περὶ ἧς διὰ τῶν Γραφῶν ἐν οὐρανοῖς παρακύπτω, καὶ βλέπω ταύτην ὑπὸ ἀγγέλων προσκυνουμένην“ (PG 43,497). Ich danke Arkadii Avdokhin, der mich auf diesen Text aufmerksam gemacht hat.
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ständnis des Programms von wesentlicher Bedeutung gewesen sein muss. Er lautete: +ΕΓ ΓΑΣΤΡΟΣ ΠΡΟ ΕΩΣΦΟΡΟΥ ΕΓΕΝΗΚΑ ΣΕ – „Ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern“ (Ps 109[110],3). Dieser verbale Ausdruck der Menschwerdung spielt auf Gottvater an, durch dessen Willen der Erlöser in die Welt gekommen ist. Mithin diente dieses Zitat als Kommentar zu der bildlichen Menschwerdungsdarstellung in der Apsis, wo Gottvater in Form einer Hand und Christus – eher unkonventionell – innerhalb der Gestalt der Maria visualisiert war. Was uns aber hier besonders interessiert, ist die Zeile, die gleich zweimal unmittelbar unter den Engelgestalten im Bema zu lesen war: +ΚΑΙ ΠΡΟΣΚΥΝΗΣΑΤΩΣΑΝ ΑΥΤΩ(Ι) ΠΑΝΤΕΣ ΑΝΓΕΛΟΙ – „Vor ihm sollen sich alle Engel niederwerfen“, die üblicherweise mit Ps 96(97),7 assoziiert wird, sich aber wahrscheinlich vor allem auf Hebr 1,6 bezog, der auch der Inschrift in der Konche und der Apsisdekoration insgesamt zugrunde liegt.64 Ungeachtet ihrer räumlichen Trennung formten diese Inschriften das gesamte Programm des Altarraums zu einer Einheit und verbanden sich zu einem ununterbrochenen Text: „Ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern, vor ihm sollen sich alle Engel niederwerfen“ – wobei sich der erste Teil auf die Menschwerdung bezieht, während der zweite als Reaktion darauf die Engel auffordert, dieses erhabene Wunder freudig zu bestaunen. Da der Platz in der Konche letztendlich größtenteils von der Gestalt der stehenden Jungfrau ausgefüllt war, galt die Verehrung der himmlischen Mächte, auf die sich die Inschriften beziehen, allem Anschein nach in erster Linie dem Bild der Theotókos. Nicäa ist nicht das einzige Beispiel für diese Art der Ausgestaltung. Aus einem völlig anderen kulturellen Umfeld und doch ebenfalls aus dem Kontext der Komposition „Maria zwischen den Engeln“ stammt die lateinische Inschrift, die den Rahmen der wunderbaren Ikone in der römischen Kirche S. Maria in Trastevere (6. bis frühes 8. Jh.) schmückt. Heute ist nur noch ein Teil des Textes erhalten; er beginnt mit einem Kreuz in der oberen linken Ecke und läuft von dort aus in zwei Richtungen. Die eine Zeile lautet: DS QYOD IPSE FACTYS EST und wurde in Bertellis Rekonstruktion mit dem 64 Zu dieser Identifikation des Nicäa-Textes, siehe: Cyril Mango, „The Chalkoprateia Annunciation and the Pre-Eternal Logos“, DCAH 17 (1993–1994): 165–170. Kritisch dazu allerdings Barber, „Theotokos and Logos“, bes. 51, der die Inschrift als Teil von Oden 2,43/Dtn 32,43 sieht. Dieselbe Zeile wird auch im Traktat „Über die göttliche Liturgie“ des Hl. Germanos zitiert: Germanos von Konstantinopel, On the Divine Liturgy (hg. v. Paul Meyendorff; Crestwood: St. Vladimir’s Seminary Press, 1999), 74f. Diese Tatsache stützt den Ansatz einiger Forscher, die das gesamte Programm und insbesondere die Engelfiguren liturgisch deuten und auf den Parallelismus von irdischer und himmlischer Kirche bezogen wissen wollen, wie er für die byzantinischen liturgischen Schriften des 8. und 9. Jh. typisch war, vgl. Auzépy, „Liturgie et art sous les Isauriens“.
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Wort YTERO vervollständigt:65 die andere Zeile lautet: ASTANT STYPENTES ANGELORYM PRINCIPES – GESTARE NATYM. Beide Zeilen sind unvollständig, doch die erhaltenen Fragmente erlauben uns eine annähernde Rekonstruktion und Übersetzung des Texts: „Die Erzengel stehen ehrfürchtig vor der einen, die … geboren hat … Gott hat sich selbst [aus deinem Schoß?] erschaffen“. Diese Rahmeninschrift ist weniger formelhaft und allgemein, sondern offenbar als Kommentar unmittelbar auf die in der Ikone dargestellte Szene bezogen. Sie spricht von den Engeln im Plural: Reglos stehen sie da und verharren in schweigender Anbetung vor der Mutter Gottes, die der Welt den menschgewordenen Christus geschenkt hat – der Bezug zum künstlerischen Programm des Bildfelds und der oben bereits thematisierten besonderen Engeldarstellung ist hier unverkennbar. Der zweite Teil der Inschrift betont die Unabhängigkeit des wunderbaren göttlichen Wirkens und enthält Anklänge an liturgische christliche Gebete vor allem aus der weihnachtlichen Zeit, die damals weit verbreitet waren; darin wurden zum einen die Theotókos, die den Erlöser zur Welt gebracht hat, zum anderen Christus selbst, der die Jungfrau Maria für seine Menschwerdung erwählt hat, und schließlich auch der Jubel und Lobpreis der Engel herausgehoben.66 Darstellungen, die die Verehrung der Gottesmutter durch Engel zum Gegenstand haben, beschreiben – das dürfen wir nicht vergessen – nicht einfach eine abstrakte Zeremonie der jenseitigen Welt, sondern fungieren als Hinweis darauf, welche Haltung der Jungfrau Maria gegenüber angemessen ist. Die Verehrung durch die himmlischen Wesen war als Zeugnis für die Heiligkeit der Jungfrau von grundlegender Bedeutung und diente als Muster für ein andächtiges und ehrfürchtiges Verhalten. Durch die ihr zur Seite gestellten himmlischen Wächter wurde das in vielen byzantinischen Kirchen auf der Hauptachse platzierte Bild der Gottesmutter anschaulich verherrlicht,
65 Bertelli, La Madonna di Santa Maria, 34–42. 66 Vere dignum et justum est, aequum et salutare, nos tibi gratias agere, Domine sancte, Pater omnipotens, aeterne Deus, quia hodie Dominus noster Jesus Christus dignatus est visitare mundum. Processit de sacrario corporis virginalis, et descendit pietate de coelis. Cecinerunt Angeli, Gloria in excelsis, cùm humanitas claruit Salvatoris. Omnis denique turba exultabat Angelorum: quia terra Regem suscepit aeternum. Maria beata facta est templum pretiosum, portans Dominum dominorum. Genuit enim pro nostris delictis vitam praeclaram, ut mors pelleretur amara. Illa enim viscera, quae humana non noverant macula, Deum portare meruerunt. Natus est in mundo, qui semper vixit et vivit in coelo, Jesus Christus, Filius tuus, Dominus noster. Per quem maiestatem tuam laudant Angeli (John M. Neale und George H. Forbes, The Ancient Liturgies of the Gallican Church: Now First Collected, with an Introductory Dissertation, Notes, and Various Readings, Together with Parallel Passages from the Roman, Ambrosian, and Mozarabic Rites [Burntisland: Pitsligo Press, 1855], 36).
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mit herrschaftlichem Glanz versehen und vor den Augen der Gemeinde in liturgischer Weise gefeiert. Diese Erfahrung inspirierte den Betrachter, der der unter dem Bild zelebrierten Liturgie beiwohnte, in seinen Gebeten zur Himmelskönigin aufzuschauen und sich mit den Chören der Engel zu vereinen, um der Theotókos seine persönliche Verehrung zu bekunden. Die Parallele zwischen den Engelscharen und den irdischen Zelebranten ist ein Gemeinplatz der byzantinischen liturgischen und theologischen Tradition und wurde insbesondere in Bezug auf die Jungfrau gelegentlich explizit formuliert.67 Sogar Quellen, die zeitgenössische Geschehnisse beschreiben, tendieren zum Vergleich mit der Versammlung der Engel. Dies belegen die berühmten Worte von Gregor von Nazianz bei der Beschreibung des Eintritts von Kaiser Valentius in die Kathedrale: „Als er hineinkam, war er wie vom Donner gerührt vom Psalmengesang, der an sein Ohr drang. Er sah das Meer aus Menschen und die ganze wohlgeordnete Anordnung rund um den Altar und in dessen Nähe, die mehr aus Engeln denn aus Menschen zu bestehen schien“ (Or. 43,52). Texte wie diese zeigen an, dass ähnliche Ideen und Assoziationen bereits in früher christlicher Zeit als topos Standard gewesen sein mussten. Das Bild der „Maria zwischen den Engeln“ stellt zweifellos eines der wichtigsten ikonographischen Schemata der byzantinischen Kunst dar. Seine Ursprünge sind nach wie vor nicht restlos geklärt und bedürfen der weiteren Forschung. Dennoch scheint die Annahme gerechtfertigt, dass es schon zu einem recht frühen Zeitpunkt nicht nur genutzt wurde, um eine komplexe theologische Botschaft zu übermitteln, sondern in erster Linie dazu diente, die Marienverehrung bekanntzumachen und weiterzuentwickeln. Die Bildstruktur, die diese Darstellung prägt, ist facettenreich, weil sie sich parallel und in Abhängigkeit von der Christus-Ikonographie, älteren heidnischen Darstellungsformen und literarischen Beschreibungen entwickelte, doch ihre Beliebtheit und Langlebigkeit vermitteln einen Eindruck von der Wirkung und allgegenwärtigen, zeitlosen Bedeutung dieser frühbyzantinischen visuellen Formel.
67 Rebecca Dubowchik, „Singing with the Angels: Foundation Documents as Evidence for Musical Life in Monasteries of the Byzantine Empire“, DOP 56 (2002): 277‒296, insbes. 281f.; Muehlberger, Angels in the Religious Imagination, 114‒128.
Mittelalterliche Marienikonographie zwischen Orient und Okzident Giuseppa Z. Zanichelli Università degli Studi di Salerno
In den Jahrhunderten, in denen sich der fortschreitende, aber nicht kontinuierliche Übergang von der klassischen zur christlichen Kultur vollzog, wurde die Kommunikation zu einem nicht unwesentlichen Teil durch ein sich ausprägendes System aus narrativen und symbolischen Bildern strukturiert. Die Zentren, in denen dieses System konzipiert und angelegt wurde, waren die ersten vier Sitze der Patriarchate: Rom, Antiochia, Alexandria und Konstantinopel. Hinzu kam von Anfang an Jerusalem als wichtigstes Pilgerziel ‒ also noch ehe das Konzil von Chalzedon die Hauptstadt Palästinas im Jahr 451 offiziell zum Patriarchat erhob.1 Das christliche Bild entwickelte sich zunächst im privaten Bereich, vor allem an Grab- und häuslichen Kultstätten, wo die Präsenz der Frauen deutlicher zu spüren war. Doch nach dem Edikt von Mailand (313) gewann auch das öffentliche Bild mit seinen von der Priesterhierarchie kontrollierten theologischen Inhalten zunehmend an Bedeutung. Es diente dazu, die zentralen Lehren ‒ insbesondere die von der zweifachen Natur Christi ‒, die sich in den lebhaften Debatten der Kirchenväter über die als geoffenbart geltenden Texte herauskristallisierten, in den Sakralbauten zu visualisieren. Da die Gestalt der Jungfrau Maria nur in einigen Episoden der unbestreitbar christozentrisch angelegten Evangelienerzählung vorkommt,2 setzt ihre Darstellung sich im System der christlichen Bilder recht langsam durch. Zunächst begegnet sie nur im Zusammenhang mit Szenen aus der Kindheit Jesu und dort vor allem in der Anbetung der Könige, einer Episode, die versinnbildlicht, wie sich die Fürsten der Erde vor dem Messias verneigen. Das früheste bekannte Beispiel einer marianischen Darstellung stammt aus den Priscilla-Katakomben an der Via Salaria, deren Bilder auf die Zeit zwischen 230 und 270 datiert werden können, wobei die Platzierung der Malerei, die uns 1 Kurt Weitzmann, „Loca Sancta and the Representational Arts of Palestine“, DOP 28 (1974): 31‒55. 2 Dazu gehören Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, Verkündigung an die Hirten, Anbetung der Könige, Flucht nach Ägypten, der zwölfjährige Jesus im Tempel, außerdem die Kreuzigung und Pfingsten. Vgl. Luigi Rosano, „Maria“, in Enciclopedia dell’arte medievale (hg. v. Angiola M. Romanini; 12 Bde; Rom: Instituto della Enciclopedia Italiana, 1991–2002), 8:205–234.
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hier interessiert, dafür spricht, dass sie nicht nach 250 entstanden ist.3 Die Jungfrau ist dort in der Ikonographie der Mater (Abb. 1), einem Ausschnitt oder einer Fokussierung der Weihnachtsszene, mit entblößter Brust beim Stillen des Kindes abgebildet (Galaktotrophousa).4 Dabei wird das klassische Bild der stillenden Göttin, etwa einer Isis oder Hera, aufgegriffen und erfährt gleichzeitig durch die Kombination mit dem Motiv der Jungfräulichkeit eine unverkennbare Umdeutung. Vor der sitzenden Mutter ist die Gestalt eines Propheten zu erkennen, der auf einen Stern weist und als Jesaja (vgl. Jes 7,14) oder Bileam (vgl. Num 24,17) identifiziert werAbb. 1: Rom, Priscilla-Katakomben, Stillen- den kann: Die Texte des einen wie de Jungfrau mit Prophet: Vincenzo Fioc- des anderen wurden von den Kirchi Nicolai, Fabrizio Bisconti und Dani- chenvätern als Prophezeiungen der lo Mazzoleni, Le catacombe cristiane di Jungfräulichkeit Mariens interpreRoma: Origini, sviluppo, apparati decorati- tiert. Nicht weit davon entfernt, in vi, documentazione epigrafica (Regensburg: der Gewölbemitte der Grabkammer Schnell & Steiner, 22002), 125, Abb. 140. gleich neben dem großen Lichtschacht, befindet sich die früheste erhaltene Verkündigungsdarstellung (Abb. 2): Maria sitzt auf einem Thron, der flügellose Engel steht wie ein irdischer Diener in ehrerbietiger Haltung vor ihr. Auf dieser Malerei ist Maria genauso gekleidet, wie es der Kodex für die illustren Auftraggeberinnen, die aristokratischen Damen wie die Stifterin der Grabanlage, die hochberühmte Priscilla aus der Adelsfamilie der Acilii Glabriones, vorsah und wie wir sie auf den römischen Bildern der nachfolgenden Jahrhunderte finden: Die Jung3
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Maria G. Muzj, „La prima iconografia mariana“, in La Vergine Madre nella Chiesa delle origini (hg. v. Ermanno Toniolo; Fine d’anno con Maria 16; Rom: Centro di Cultura Mariana „Madre della Chiesa“, 1996), 209‒243; Umberto Utro, „Maria nell’iconografia cristiana dei primi secoli“, in Storia della mariologia (hg. v. Enrico dal Covolo und Aristide Serra; 2 Bde; Rom: Città Nuova, 2009–2012), 1:353‒381. Zur parallelen Ausbreitung des Themas in der koptischen Welt vgl. Victor Lasareff, „Studies in the Iconography of the Virgin“, ArtB 20/1 (1938): 26‒65; 27‒36; Erica Cruikshank Dodd, „Christian Arab Sources for the Madonna Allattante in Italy“, Arte medievale 2/2 (2003): 33‒39.
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frau thront auf einem imposanten Sitz, ihr Haupt ist nur andeutungsweise mit einem leichtgewebten Stoff verhüllt, während der schwere Faltenwurf der Tunika und der Palla, die ihren Körper bedecken, ihren hohen Rang signalisiert.5 Der Engel hingegen trägt eine kurze Tunika ohne irgendein besonderes Merkmal, was Abb. 2: Rom, Priscilla-Katakomben, Verkündigung: ihm eine klar untergeord- Pasquale Iacobone, Maria a Roma. Teologia, culnete Rolle zuweist. to e iconografia mariana a Roma, dalle origini Parallel dazu prägt all’Altomedioevo (Pian di Porto: Tau, 2009), 105, Taf. 1b. sich ein weiterer, nichtnarrativer Bildertypus aus, nämlich die Ikone: idealisierte Portraits, die nicht wie die der klassischen Zeit an eine bestimmte Person erinnern, sondern das Unsichtbare sichtbar machen sollen. Die statische Haltung der in Frontalansicht dargestellten Person sensibilisiert den Betrachter und fordert zu einer Reaktion der emotionalen Anteilnahme heraus. Von den ältesten Bildnissen, die in den Quellen erwähnt sind und für den häuslichen Gebrauch bestimmt waren,6 ist keines erhalten, doch wird es hier nicht an Darstellungen der Jungfrau gemangelt haben. Das zumindest legt die Legende nahe, wonach Pulcheria, die die Marienkirchen von Blachernae und Chalkoprateia erbauen ließ, von ihrer Schwägerin Eudocia, die sich in Jerusalem aufhielt, ein von der Hand des heiligen Lukas gemaltes Portrait der Jungfrau erhalten haben soll (448‒450)7 – eine Episode, die in jedem Fall geeignet ist, den Beitrag der Frauen zur Konstruktion des Marienbildes herauszustellen: In dieser Anfangsphase bleiben die Ikonen im privaten Bereich, haben keinerlei offizielle liturgische Funktion und bewahren viele formale Merkmale der Götter-, Kaiser- und Grabbilder, aus denen sie
5 Beat Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom (Wiesbaden: Steiner, 1975), 50–52. 6 Thomas F. Mathews, Byzantium: From the Antiquity to the Renaissance (New York: Abrams, 1998), 43‒47. 7 Christine Angelidi, Pulcheria: La castità al potere: c. 399 – c. 455 (Donne d’oriente e d’occidente 5; Mailand: Jaca Book, 1996), 127‒130; Anne L. McClanan, „The Empress Theodora and the Tradition of Women’s Patronage in the Early Byzantine Empire“, in The Cultural Patronage of Medieval Women (hg. v. June Hall McCash; Athen: University of Georgia Press, 1996), 50‒72; 52.
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sich entwickelt haben.8 Zwar können die Oranten aus den Katakomben nicht zu den Madonnenbildern gezählt werden, da keine von ihnen sich mit Sicherheit als Maria identifizieren lässt,9 doch auf den in Rom gefertigten, mit Gold bemalten Glasmedaillons ist die Identifizierung dank der Bildunterschriften eindeutig. Hier erscheint die Jungfrau an der Seite der heiligen Agnes, deren Liturgie der marianischen als Vorlage gedient hat.10 Nach und nach werden die Darstellungen von Szenen aus der Kindheitsgeschichte mit Einzelheiten aus den späteren apokryphen Evangelien ausgeschmückt, die den größten Teil der Auskünfte über die Muttergottes liefern. Vor allem zwei Texte übten großen Einfluss aus: das auf Griechisch verfasste Protevangelium des Jakobus, aus dem neben den Namen ihrer Eltern Joachim und Anna die Episoden aus der Kindheit Mariens und die Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Heirat und der Geburt in Bethlehem stammen, und das Pseudo-Matthäusevangelium in lateinischer Sprache, das besagte Episoden nicht nur um weitere Details ergänzte, sondern zudem ausgiebig von wundersamen Begebenheiten aus der Kindheit Jesu erzählte. Diese Erweiterung des textlichen Repertoires zeigt sich zum Beispiel darin, dass in der Szene, in der der Verkündigungsengel erscheint, Maria Wasser aus der Quelle schöpft oder purpurne Wolle für die Vorhänge des Tempels spinnt. Dass die Geburtsszene in einer Grotte spielt und Ochs und Esel dabei sind oder die Flucht nach Ägypten mit außergewöhnlichen Ereignissen einhergeht, entnimmt man aus diesen Schriften.11 Im 4. Jh. intensiviert sich die Verwendung von Andachtsbildern mit Motiven aus der hagiographischen Literatur. So erscheint zum Beispiel auf den Reliquiaren von S. Nazaro12 (ca. 370‒390) und Brivio (spätes 4. oder frühes 5. Jh.)13 Maria unverkennbar in der Funktion der Fürsprecherin. Dieselbe Komposition der von Märtyrern umstandenen Maria existierte auch in monumentalen Dimensionen, wie der Titulus der verlorengegangenen Apsis von 8
Hans Belting, Bild und Kult: Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst (München: Beck, 1990), 38. 9 Fabrizio Bisconti, „L’orante, Maria e le acque: L’incontro dei temi“, in Deomene: L’immagine dell’orante tra Oriente e Occidente: Catalogo della mostra tenuta a Ravenna, Museo Nazionale, 25 marzo ‒ 24 giugno 2001 (hg. v. Angela Donati und Giovanni Gentili; Mailand: Electa, 2001), 19‒25. 10 Raffaele Garrucci, Vetri ornati di figure in oro trovati nei cimiteri dei cristiani primitivi di Roma (Rom: Tipografia delle Belle Arti, 21864), 73‒77; Taf. IX. 11 Jacqueline Lafontaine-Dosogne, Iconographie de l’Enfance de la Vierge dans l’Empire Byzantin et en Occident (Brüssel: Académie Royale de Belgique, 1964/1965); David R. Cartlidge und James K. Elliott, Art and the Christian Apocrypha (London: Routledge, 2001), 21‒46. 12 Gemma Sena Chiesa, Hg., Il Tesoro di San Nazaro: Antichi argenti liturgici della basilica di San Nazaro al Museo Diocesano di Milano (Mailand: Silvana, 2009), 166, Abb. 12. 13 Galit Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs: An Art Historical Study of Early Christian Silver Reliquaries (Oxford: Oxford University Press, 2008), 38‒61.122f.
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Abb. 3: Rom, S. Maria Maggiore, Triumphbogen, Verkündigung: Maria Andaloro, Hg., La pittura medievale a Roma 312–1431: Corpus 1: L’orizzonte tardoantico e le nuove immagini, 312–468 (Mailand: Jaca Book, 2006), 334.
S. Maria Maggiore in Rom beweist. Diese Basilika hatte Sixtus III. (432‒440) gleich nach dem Konzil von Ephesus erbauen lassen, das die Verehrung der Jungfrau als Theotókos, als „Gottesgebärerin“, anerkannt hatte. Dieser Ehrentitel unterstrich weniger die unmittelbare Affektivität der Mutterschaft, als vielmehr Marias Rolle bei der Menschwerdung.14 Ohne dieses kostbare Bilddokument, auf dem vermutlich die thronende Maria mit dem Kind auf dem Schoß zwischen Engeln und Märtyrern und vielleicht dem von links hinzutretenden päpstlichen Auftraggeber zu sehen war, hatten es die ForscherInnen schwer, die beiden Frauengestalten im Apsisbogen der Basilika zu identifizieren. Tatsächlich weisen beide Merkmale auf, die auf späteren Mariendarstellungen wiederkehren werden.15 Die Frau in der ersten Szene auf der linken Seite, die den purpurnen Faden spinnt, wird praktisch immer als Maria 14 Ioli Kalavrezou, „Images of the Mother: When the Virgin Mary became Meter Theou“, DOP 44 (1990): 165‒172; Averil Cameron, „The Cult of the Virgin in Late Antiquity: Religious Development and Myth-Making“, in The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. Robert N. Swanson; SCH[L] 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004), 1‒21. 15 Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken; Suzanne Spain, „‚The Promised Blessing‘: The Iconography of the Mosaics of S. Maria Maggiore“, ArtB 61 (1979): 518‒540; 530–532.
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und die betreffende Szene dementsprechend als Verkündigung interpretiert (Abb. 3).16 Dabei verdient ihre Kleidung besondere Aufmerksamkeit: Sie trägt ein kostbares goldenes Gewand mit Purpursaum (Trabea) über einer weißen Tunika mit bestickten Ärmelbündchen; unter dem Saum der Tunika schauen goldene Schuhe hervor. Eine kostbare Schmuckrosette ziert den Perlengürtel, der das hochtaillierte Gewand umschließt, und das zu einer kunstvollen Frisur geflochtene Haar schmücken Perlen und Edelsteine. Zwar handelt es sich bei dem kostbaren Stoff offenbar um Seide, die aus Byzanz importiert wurde, wo man rasch die luxuriösen Gewohnheiten des nahegelegenen Sassanidenhofes übernommen hatte. Doch der Schnitt des Gewandes spiegelt auch hier die Bekleidungssitten der römischen Elite wider, aus der der Auftraggeber, Papst Sixtus III., stammte. Hier fehlt jedwedes Element, das sich direkt zur konstantinopolitanischen Kaisertradition in Bezug setzen ließe,17 wie auch der Vergleich mit der im Kirchenschiff von S. Maria Maggiore dargestellten Errettung des im Nil ausgesetzten Mose bestätigt. In dieser Episode tragen die Pharaonentochter und ihre Damen ebenfalls prachtvolle Hofgewänder; ihr Haar ist jedoch nicht nach römischer Mode frisiert, sondern von kostbaren Hauben verdeckt, ähnlich jenen, die später in Ravenna die Köpfe der Damen aus dem Gefolge der Theodora zieren werden.18 Dieser unterschiedliche Kopfputz muss eine für die Zeitgenossen klar erkennbare symbolische Bedeutung gehabt haben. Das beweist die lange Prozession der Heiligen in S. Apollinare Nuovo (561‒569), die, obwohl mit modischeren, viel enger anliegenden Gewändern bekleidet, bezeichnenderweise weiterhin nach klassischer Tradition frisiert sind – und das, obwohl die wallende Rica durch die Mahnung des Paulus, die Frauen sollten sich zum Zeichen der Unterwerfung und Demut nur capite velato in der Öffentlichkeit zeigen (vgl. 1 Kor 11), sicherlich einen ganz anderen Stellenwert bekommen hatte.19 In der Szene der Anbetung der Könige im Bogen von S. Maria Maggiore trägt die zweite Figur, die spiegelsymmetrisch zur ersten neben dem Thron Christi sitzt, einen langen dunklen Umhang, der auch ihr Haupt bedeckt, aber die goldene Tunika darunter sichtbar werden lässt; besonders auffällig sind die
16 Brenk, Die frühchristlichen Mosaiken, 10f. 17 Ann M. Stout, „Jewelry as a Symbol of Status in the Roman Empire“, in The World of Roman Costume (hg. v. Judith L. Sebesta und Larissa Bonfante; Madison: University of Wisconsin Press, 1994), 77‒100; 94; Mary Harlow, „Female Dress, ThirdSixth Century: The Message in the Media“, Antiquité Tardive 12 (2004): 203‒215; 210. 18 Alexandra Croom, Roman Clothing and Fashion (Stroud: Amberley, 2010), 100. 19 Mary R. D’Angelo, „Veil, Virgins and the Tongues of Men and Angels: Women’s Heads in Early Christianity“, in Off with Her Head! The Denial of Women’s Identity in Myth, Religion, and Culture (hg. v. Howard Eilberg-Schwartz und Wendy Doniger; Berkeley: University of California Press, 1995), 131‒164.
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Mappa, ein Stofftuch, in ihrer linken Hand und die roten Schuhe.20 Dieselben Attribute charakterisieren die beiden nur wenig früher entstandenen weiblichen Gestalten auf der Innenfassade der Kirche S. Sabina (422‒432), bei denen es sich laut Titulus um Personifikationen der Ecclesia ex circumcisione und der Ecclesia ex gentibus handelt. Auf diesem Mosaik wird die Frisur der beiden Figuren durch eine weiße Haube vervollständigt, wie sie seit Mitte des 3. Jh. von Frauen der Mittelschicht getragen wurde – ein Kleidungsstück, das in der Folgezeit auch auf vielen Marienbildern zu finden sein wird. Die Frage, wie sich die offizielle Anerkennung der Marienverehrung auf die Bilderproduktion ausgewirkt hat, bleibt unbeantwortet, da Abb. 4: Rom, S. Maria Antiqua, Maria Köim Westen keine Beispiele aus dem nigin: John L. Osborne, Johann Rasmus Jahrhundert nach der Entstehung Brandt und Giuseppe Morganti, Hg., der Mosaiken in S. Maria Maggiore Santa Maria Antiqua al Foro Romano cento erhalten geblieben sind. Zudem be- anni dopo: Atti del Colloquio Internazionale ginnen die Pilger, die Nazareth und Roma, 5‒6 maggio 2000 (Rom: Campisano, 2004), Abb. 13. Bethlehem besucht haben, Marienbilder von den Heiligen Stätten, den Loca sancta, in Palästina mit nach Hause zu bringen. Um jegliche Hypothesenbildung über die Entstehung von Bildern in Rom noch weiter zu erschweren, weist das älteste auf uns gekommene Bilddokument, das nach dieser Zäsur entstanden und nur unvollständig erhalten ist, wahrhaft außergewöhnliche ikonographische Merkmale auf: Die Rede ist von der Darstellung der Maria Königin auf der Palimpsest-Wand in S. Maria Antiqua, der ältesten römischen Marienkirche an den Hängen des Palatins auf dem Forum Romanum
20 Zur Verbreitung der roten Schuhe auf den Darstellungen des 5. und 6. Jh. vgl. Croom, Roman Clothing, 131.
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(Abb. 4).21 Die Jungfrau sitzt in Frontalansicht, das Kind auf dem Schoß,22 auf einem juwelenbesetzten Thron; sie trägt eine Krone und wird von zwei Engeln flankiert, die als Bannerträger fungieren: Die Rolle der Jungfrau bei der Menschwerdung wird nunmehr als königlicher Rang veranschaulicht. Das Bild ist als das erste in einer langen Reihe vorwiegend von Päpsten in Auftrag gegebener Marienbilder gedeutet worden, die die Gottesmutter als eine Gestalt der römischen Kirche darstellen, auch wenn neuere Forschungen gezeigt haben, dass das Fresko bereits vor der Umwandlung des Gebäudes in eine Kirche entstanden ist und es sich mithin um ein privates Andachtsbild gehandelt haben muss.23 Die stark kaiserlich-byzantinische Prägung ihrer Gewänder und insbesondere des kostbaren Loros24 stützt die Hypothese, wonach die betreffende Ikonographie ursprünglich aus Konstantinopel stammen könnte. Hierfür sprechen auch die vielen erhaltenen theologischen Texte aus Byzanz – man denke nur an den berühmten Hymnos Akathistos ‒, die die Jungfrau als Königin apostrophieren.25 Gleichwohl bleibt eine gewisse Unsicherheit: nicht nur, weil alle zeitgleichen Werke von den Ikonoklasten zerstört worden sind, sondern auch, weil die nach dem 9. Jh. entstandenen byzantinischen Darstellungen diese Tradition nicht weiterführen, sondern die Jungfrau ‒ als Symbol für den kaiserlichen Sieg über die Angreifer, die die Stadt am Bosporus 21 Zu diesem Problem vgl. Marion Lawrence, „Maria Regina“, ArtB 7/4 (1925): 150‒161; Ursula Nilgen, „Maria Regina: Ein politischer Kultbildtypus“, RJ 19 (1981): 3‒33; Mary Stroll, „Maria Regina: Papal Symbol“, in Queens and Queenship in Medieval Europe: Proceedings of a Conference Held at King’s College London April 1995 (hg. v. Anne J. Duggan; Woodbridge: Boydell Press, 1997), 173‒204. 22 Christus hält wie auf den Darstellungen des 6. Jh. keine Gesetzesrolle, sondern einen Evangelienkodex in Händen. 23 Beat Brenk, The Apse, the Image and the Icon: An Historical Perspective of the Apse as a Space for Images (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz / B: Studien und Perspektiven 26; Wiesbaden: Reichert, 2010), 102f. 24 Der Loros ist eine prächtige, sieben Meter lange, goldbestickte und juwelengeschmückte Stola, die in einem komplizierten und genau festgelegten Faltenwurf um den Körper des byzantinischen Kaisers oder der Kaiserin herumgelegt wurde; er wurde nur anlässlich der Osterfeierlichkeiten getragen und spielte auf die Auferstehung Christi an. Die Mappa hingegen war kein im engeren Sinne kaiserliches Attribut; das beweist die Tatsache, dass sie auf dem Theodora-Mosaik von San Vitale in Ravenna in den Händen einer Dame und nicht der Kaiserin selbst abgebildet ist, vgl. Gilbert Dagron, „From the Mappa to the Akakia: Symbolic Drift“, in From Rome to Constantinople: Studies in Honour of Averil Cameron (hg. v. Hagit Amirav und Bas ter Haar Romeny; Leuven: Peeters, 2007), 203‒220. Die Krone der Jungfrau in S. Maria Antiqua scheint nicht mit Perpendulia (goldenen, mit Perlen und Edelsteinen geschmückten Ketten, die zu beiden Seiten des Gesichts herabhingen) geschmückt gewesen zu sein, die genau wie die Fibel mit den drei hängenden Perlen allerdings eng mit dem kaiserlichen Paar assoziiert wurden; vgl. Stout, „Jewelry“, 83. 25 Averil Cameron, „The Theotokos in Sixth-Century Constantinople: A City Finds Its Symbol“, JTS 29 (1978): 79‒108.
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bestürmt hatten ‒ als Regina Poli, als „Himmelskönigin“, charakterisieren.26 Wie John Osborne zutreffend bemerkt,27 kann man mangels stichhaltiger Hinweise nur spekulieren, ob das unvollständige Fresko in einem Kultraum, der später unter Justin II. (565‒576) in eine Kirche umgewandelt wurde, zu privaten Zwecken von hohen byzantinischen Funktionären und Militärs in Auftrag gegeben wurde, die sich in den entscheidenden Jahren des Gotenkriegs in Rom aufhielten und vermutlich in der Kaserne der GarAbb. 5: Rom, Commodilla-Katakomben, de auf dem Palatin untergebracht Thronende Jungfrau zwischen den hll. Felix waren. Der private Charakter der und Audactus und der verstorbenen TurtuDarstellung, die nach 575 jedenfalls ra: Maria C. Crippa und Mahmoud Zibawi, L’arte paleocristiana: Visione e Spazio dal- nicht mehr zu sehen, sondern mit le origini a Bisanzio (Mailand: Jaca Book, einem neuen Andachtsbild ‒ einer weniger unkonventionellen Ver1998), 369, Taf. 165. kündigungsszene ‒ übermalt worden war, wird noch dadurch unterstrichen, dass diese besondere kaiserlich-byzantinische Aufmachung sich in Rom nicht hat durchsetzen können: Hier trägt die Jungfrau auf Werken, die die Päpste in Auftrag gegeben haben, seit dem 8. Jh. zwar eine Krone, aber keinen Loros. Im Lauf des 6. Jh. erfährt die Marienverehrung eine außergewöhnliche Verbreitung, wie die Weihe zweier neuer römischer Kirchen belegt: S. Maria in Trastevere und S. Maria Antiqua. Infolgedessen vervielfachen sich die Mariendarstellungen in Form von privaten Andachtsbildern, Kirchenmosaiken mit theologischem Inhalt und Ikonen. In all diesen Fällen erscheint Maria jedoch in einem weiten, dunklen Umhang, der ihren mit einer weißen Haube umhüllten Kopf bedeckt. Die Farbe des Umhangs reicht von Purpur bis Blau, Braun oder Schwarz, was dem Bild eine mehr oder weniger königliche Konnotation verleiht. Die Verbreitung des Marienbilds in seinen unterschiedlichen Formen weist darauf hin, dass die Marienfrömmigkeit alle gesellschaftlichen Schichten durchdrungen hatte und nun das bevorzugte Vehikel der Kommu26 Bissera V. Pentcheva, Icons and Power: The Mother of God in Byzantium (University Park: Pennsylvania State University Press, 2006), 12f. 27 John L. Osborne, „Images of the Mother of God in Early Medieval Rome“, in Icon and Word: The Power of Images in Byzantium: Studies Presented to Robin Cormack (hg. v. Antony Eastmond und Liz James; Aldershot: Ashgate, 2003), 135‒156; 140.
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Abb. 6: Poreč, Euphrasius-Basilika, Apsis: Giuseppe Cuscito, „Parenzo“, in: Enciclopedia dell’arte medievale (hg. v. Angiola M. Romanini; 12 Bde; Rom: Istituto della Enciclopedia Italiana, 1991–2002), 9:174–178; 176.
nikation mit dem Unsichtbaren darstellt, wie Erik Thunø andeutet.28 Er erläutert, wie sich das christliche Zeichensystem im 6. Jh. durch die Festlegung hierarchischer Strukturen und klar definierter Symbolsysteme stabilisiert hat. Nicht zufällig zeigt das Fresko der Turtura in den Commodilla-Katakomben (Abb. 5)29 zu Beginn des Jahrhunderts deutlich, dass das Ritual der Fürbitte zwangsläufig zu einer Identifikation zwischen Fürbitter und Bittsteller führte und sich das spirituelle Vorbild in der sichtbaren Wirklichkeit spiegelte. Die Verbreitung der Ikonographie der von zwei bannertragenden Engeln flankierten thronenden Jungfrau wird dadurch begünstigt, dass sie in monumentalen, heute nur noch vereinzelt erhaltenen Ausführungen an öffentlichen Kultstätten erscheint: in S. Maria Capua Vetere, in Blachernae in Konstantinopel, in der Euphrasius-Basilika von Poreč (Abb. 6), in S. Apollinare Nuovo und S. Maria Maggiore in Ravenna, in der Panagia Angeloktisti in Kiti (Abb. 7a) und in der Panagia Kanakaria in Lythrankomi (Abb. 7b), beide auf Zypern, in der Demetrios-Basilika in Thessaloniki, in der Sergiuskirche in Gaza und in der Geburtskirche in Bethlehem.30 Doch auch bewegliche Gegenstände müssen bei dieser Verbreitung eine wichtige Rolle gespielt haben. Hier sind die Ikonen und insbesondere die textilen Ikonen zu nennen, denn das Weben galt als die heilige Kunst schlechthin und wurde in den Apokryphen direkt mit der Jungfrau Maria assoziiert: Sie stellt das Material her, das gera28 Erik Thunø, „The Cult of the Virgin, Icons and Relics in Early Medieval Rome: A Semiotic Approach“, AAAHP NS 17 (2003): 79‒98. 29 Eugenio Russo, „L’affresco di Turtura nel Cimitero di Commodilla, l’icona di S. Maria in Trastevere e le più antiche feste della Madonna a Roma“, Bollettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo 89 (1980‒1981): 71‒150. 30 Christa Belting-Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei: Vom 4. Jahrhundert bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts (FKGCA 4; Stuttgart: Steiner, 21992).
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Abb. 7a: Zypern, Kiti, Panagia Angeloktisti: Crippa und Zibawi, L’arte paleocristiana, 398, Abb. 354.
Abb. 7b: Zypern, Nikosia, Byzantinisches Museum Erzbischof Makarios, Panagia Kanakaria aus Lythrankomi: Ebd., 397, Abb. 351.
de in dieser Epoche zum ersten Mal auch mit dem Volto Santo, dem Heiligen Antlitz Christi, in Verbindung gebracht wird,31 während in Konstantinopel zeitgleich die textilen Reliquien der Jungfrau ‒ ihr Gewand, das Maphorion (der Mantel) und der Gürtel32 ‒ zu außerordentlicher Bedeutung gelangen. Als 31 Gerhard Wolf, „From Mandylion to Veronica: Picturing the ‚Disembodied‘ Face and Disseminating the True Image of Christ in the Latin West“, in The Holy Face and the Paradox of Representation: Papers from a Colloquium Held at the Bibliotheca Hertziana, Rome and The Villa Spelman in Florence, 1996 (hg. v. Herbert L. Kessler und Gerhard Wolf; Villa Spelman Colloquia 6; Bologna: Clueb, 1998), 153‒179. 32 Annemarie Weyl Carr, „Threads of Authority: The Virgin Mary’s Veil in the Middle Ages“, in Robes and Honor: The Medieval World of Investiture (hg. v. Stewart Gordon; New York: Palgrave, 2001), 59‒93; 63.
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Beispiel für diese Produktion ist der herausragende koptische Wandteppich aus dem Museum of Art in Cleveland zu nennen: Er zeigt die thronende Maria mit dem Kind auf dem Schoß in einer von zwei Säulen umgrenzten Architektur und umgeben von den Brustmedaillons der zwölf Apostel, während der triumphierende Christus den oberen Bildbereich einnimmt.33 Die Geste des Kindes, das die Schriftrolle in der Hand hält, ist dieselbe wie auf dem Turtura-Wandbild in Rom (Abb. 5) und in der Apsis der Panagia Kanakaria in Lythrankomi (Abb. 7b).34 Das deutet darauf hin, dass diese Bilder nicht nur aus denselben Quellen schöpften, sondern im gesamten Mittelmeerraum in Umlauf waren. Das Bild der thronenden Jungfrau setzte sich auch auf einer anderen Gruppe von Objekten, nämlich den Einbänden der liturgischen Bücher durch, die aus Diptychen mit fünf Abteilungen bestanden und in Elfenbein gefertigt waren. Elfenbein war im religiösen wie auch im politischen Bereich neben Seide und kostbaren Metallen das bevorzugte Material für Diplomatengeschenke und offizielle Gaben.35 Die thronende Maria zwischen Engeln wurde gemeinsam mit Szenen aus der Kindheit Jesu auf dem vorderen Einband der Kodizes dargestellt, während der hintere Einband den thronenden Christus zwischen den Heiligen Petrus und Paulus zeigte. Alle vier erhaltenen Exemplare sind einer Werkstatt in Konstantinopel zugeschrieben worden, die im 6. Jh. aktiv war, auch wenn sich in der Stadt am Bosporus für keines davon antike oder neuzeitliche Belege finden.36 Diese Zentralisierung der Produktion, für die es lediglich stilistische Hinweise gibt, lässt sich tendenziell als Bestätigung der wesentlichen Rolle deuten, die Konstantinopel bei der Fertigung heiliger und insbesondere marianischer Bilder gespielt hat, erklärt aber nicht die großenteils aus den Apokryphen abgeleiteten ikonographischen Varianten, die die Szenen aus der Kindheit Jesu in den vier erhaltenen Exemplaren 33 Dorothy G. Shepherd, „An Icon of the Virgin: A Sixth-Century Tapestry Panel from Egypt“, BCMA 56 (1969): 90‒120. 34 Ebd., 93f. Das Kind hält die Schriftrolle in der verhüllten Linken und lässt die rechte Hand in der typischen Geste des klassischen Philosophen auf deren oberem Ende ruhen. 35 Anthony Cutler, The Craft of Ivory: Sources, Techniques, and Uses in the Mediterranean World: A. D. 200‒1400 (DOBCP 8; Washington: Dumbarton Oaks, 1985). 36 Zur konstantinopolitanischen Herkunft der Diptychen aus dem Evangeliar von SaintLupicin (Paris, Bibliothèque Nationale de France, ms. lat. 9384), dem EtschmiadsinEvangeliar (Jerewan, Matenandaran Library, ms. 2374) und dem Evangeliar von Saint-Andoche (Saulieu, Musée François-Pompon, mit einem Einband aus zwei einfachen Platten) vgl. Jean-Pierre Caillet, „L’origine des derniers ivoires antiques“, Revue de l’art 72 (1986): 7‒15. Vgl. auch John Lowden, „The Word Made Visible: The Exterior of the Early Christian Book as Visual Argument“, in The Early Christian Book (hg. v. William E. Klingshirn und Linda Safran; Washington: Catholic University of America Press, 2007), 13‒47; Lowden fügt dieser Reihe noch das unvollständig erhaltene Diptychon aus Murano hinzu, dessen Fragmente über verschiedene Sammlungen verstreut sind.
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kennzeichnen. Dass diese Diptychen die Einbände der Evangeliare mit den vier kanonischen Evangelien besonders kostbar machen sollten, erhöht den Reiz des Problems und weist darauf hin, dass die Bilder keine ausschließlich didaktische Funktion gehabt haben können, wie sie Papst Gregor I. gegen die ikonoklastischen Forderungen des Serenus von Marseille geltend gemacht hatte,37 sondern ihr Zweck ‒ und zwar durchaus nicht nur mit Blick auf die „litteras nescientes“ ‒ zu einem wesentlichen Teil auch darin bestand, das Unsichtbare sichtbar zu machen.38 Es wäre interessant, diese Einbände mit Buchmalereien aus derselben Epoche zu vergleichen, doch leider sind in der einzigen erhaltenen römischen Handschrift, dem Evangeliar des Corpus Christi College von Cambridge (ms. 286), nur die Miniaturen zu Szenen aus der Leidensgeschichte nach Lukas auf uns gekommen.39 Zahlreicher sind dagegen die Buchillustrationen aus dem Nahen Osten: Im zeitgleich entstandenen Rabbula-Evangeliar, das 586 im syrischen Scriptorium des Johannesklosters von Beth Zagba angefertigt wurde,40 ist die Jungfrau (f. 1v) im Stehen als Hodegetria41 abgebildet: Sie hält das Kind auf dem linken Arm, ist in Purpur und Gold gekleidet, von einem Ziborium aus Marmor, Metallen und Edelsteinen umgeben und von zwei Pfauen flankiert, die in der nahöstlichen Tradition ein sowohl christologisches als auch königliches Symbol darstellen. Auf diese aristokratische Gestalt, die als Imago praefatoria am Anfang der Handschrift steht, folgt eine Reihe von Abbildungen, die die Jungfrau zum allerersten Mal als Protagonistin des gesamten christologischen Zyklus von der Kindheit bis zu den Szenen post mortem darstellen. In dieser Bilderfolge, die laut Weitzmann an Vorbilder aus Jerusalem angelehnt ist,42 erscheint die Jungfrau mit der einen oder anderen Ausnahme – etwa der festlichen Farbe ihres Umhangs in der Episode der Hochzeit zu Kana (f. 5r) ‒ in den üblichen dunklen Gewändern. Auch in dieser außergewöhnlichen Bilderfolge fehlt es nicht an Elementen aus 37 George H. Tavard, The Thousand Faces of the Virgin Mary (Collegeville: Liturgical Press, 1996), 82f. 38 Thunø, „The Cult of the Virgin“, 90. Vgl. Herbert L. Kessler, Spiritual Seeing: Picturing God’s Invisibility in Medieval Art (Philadelphia: University of Philadelphia Press, 2000). 39 In der Szene, die den Aufstieg zum Kalvarienberg thematisiert (f. 125r), erscheint als Illustration zu Lk 23,27 lediglich eine weibliche Figur, die im Begriff ist, ihr Gewand zu zerreißen und ihre Brust zu entblößen. Francis Wormald, The Miniatures in the Gospels of St Augustine: Corpus Christi College MS. 286 (The Sandars Lectures in Bibliography 1948; Cambridge: Cambridge University Press, 1954). 40 Massimo Bernabò, Hg., Il Tetravangelo di Rabbula: Firenze, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 1.56: L’illustrazione del Nuovo Testamento nella Siria del VI secolo (Folia picta 1; Rom: Edizioni di Storia e Letteratura, 2008). 41 Zu dieser Ikonographie vgl. Maria Vassilaki, Hg., Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (Mailand: Skira, 2000). 42 Weitzmann, „Loca Sancta“, 37‒44.
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den Apokryphen, zum Beispiel der Verkündigung an Zacharias und vor allem der Verkündigung an Maria, die auch hier wieder gut sichtbar mit der Arbeit des Spinnens beschäftigt ist. Zwei weitere marianische Buchmalereien aus dieser Zeit, die erhalten geblieben sind, stammen aus Armenien: Hier steht die Jungfrau, in einen Umhang mit üppigen Fransen gehüllt, bei der Verkündigung vor einem prächtigen Gebäude bzw. sitzt bei der Anbetung der Könige in streng frontaler Position auf einem Thron und hält einen Clipeus, ein Schild, mit der Abbildung des Abb. 8: Paris, Bibliothèque Nationale de Kindes auf dem Schoß.43 Mithin ist France, ms. Lat. 9384, Einband aus Elim 6. Jh. einerseits eine Verbreitung fenbein: Reise nach Bethlehem: Caillet, streng formalisierter Marienikonen „L’origines“, 10. und andererseits, vor allem in den Regionen, wo die monophysitische Kontroverse mit besonderer Leidenschaft ausgetragen wurde, eine Vervielfältigung der Varianten in den narrativen Szenen zu konstatieren. Das beweist ein weiteres Elfenbein-Ensemble, das um 546 in Konstantinopel hergestellt wurde, aber für Bischof Maximianus von Ravenna (546‒556) bestimmt war,44 nämlich die Bischofskathedra mit ihrer Abfolge von Szenen aus dem Leben Christi, unter denen insbesondere die Kindheitsepisoden hervorzuheben sind: etwa die Tafel mit der Reise nach Bethlehem, auf der eine sichtlich schwangere, schwerfällige, leidende Maria nur mit Mühe von Josef auf dem Rücken des von ihrem Stiefsohn geführten Esels im Gleichgewicht gehalten wird – eine Gestaltung, die, gerade was die Betonung der menschlichen Aspekte betrifft, in den nachfolgenden Jahrhunderten nur selten Nachahmer fand (Abb. 8).45 43 Es handelt sich um die Miniaturen, die später dem Etschmiadsin-Evangeliar von 989 hinzugefügt wurden (ms. 2374 von Jerewan), vgl. Lilit Zakarian, „La miniature arménienne de la haute époque“, in La miniature arménienne: Collection du Maténadaran (hg. v. Tamara Mazaéva; Erevan: Naïri, 2006), 11–19; 11. 44 Clementina Rizzardi, „La cattedra eburnea di Massimiano a Ravenna: Rilettura stilistica“, in Hadriatica: Attorno a Venezia e al Medioevo tra arti, storia e storiografia: Scritti in onore di Wladimiro Dorigo (hg. v. Ennio Concina, Giordana Trovabene und Michela Agazzi; Miscellanea [Università degli studi di Venezia. Facoltà di lettere e filosofia] 1; Padua: Il Poligrafo, 2002), 145‒150. 45 Eines der seltenen Beispiele für diese Ikonographie findet sich auf dem Einband des Evangeliars von Saint-Lupicin.
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In Rom muss die Produktion von Marienbildern mit Sicherheit auch textile Objekte umfasst haben, wie der Liber Pontificalis hinreichend belegt.46 Doch bei den Beispielen, die aus dieser Epoche erhalten sind, handelt es sich um Malereien auf Holz oder Leinwand – schlichte Portraits, die in den Praesepia, den Kapellen im Inneren der wichtigsten Marienbasiliken, eine öffentliche Funktion erfüllten: Es sind dies die Ikonen aus S. Maria Antiqua, S. Maria Maggiore und aus dem Pantheon, also den drei wichtigsten der Jungfrau geweihten Kirchen in der Stadt der Päpste, die sämtlich nach der Ikonographie der Hodegetria gestaltet sind.47 Während alle diese sakralen Bilder gemeinhin auf das 6. oder spätestens auf den Beginn des 7. Jh. datiert werden, sind die Belege für das gesamte 7. Jh. überaus rar, obwohl die Produktion von Marienbildern sich in dieser Zeit nicht verlangsamt haben dürfte. Aus ebendieser Periode, das heißt etwa aus dem Jahr 650 stammt nämlich ein weiteres herausragendes Bild der Gottesmutter,48 das sich in S. Maria Antiqua befindet; hier ist auf einem Freskenfragment die stehende Jungfrau zu erkennen, die ihr Gesicht dem Gesicht des Kindes nähert: offenbar ein frühes Zeugnis für die Ikonographie der Jungfrau Eleousa (Jungfrau der Zärtlichkeit), die lange Zeit für eine ursprünglich koptische oder byzantinische Erfindung des 11. oder 12. Jh. gehalten wurde.49 Die Präsenz dieser Bilder in Rom ist – ganz gleich, ob sie von dort oder von anderswo stammen – jedenfalls das Resultat eines konkreten, unter der Oberaufsicht der römischen Kurie durchgeführten Projekts: Tatsächlich haben wir es hier mit einem echten Exportprogramm zu tun, da diese Bilder ein sehr wirkungsvolles Hilfsmittel bei der allmählichen Christianisierung Mittel- und Nordeuropas darstellten, die die römische Kirche noch vor dem unter Papst Zacharias (751) initiierten Bündnis mit den Franken betrieb. Beda Venerabilis bezeugt, dass Benedict Biscop bei der Rückkehr von seiner vierten Reise in die Papststadt 679/680 für die von ihm soeben neugegründeten Klöster von Wearmouth und Jarrow neben Reliquien und Büchern sowie 46 Maria Andaloro, „Immagine e immagini nel Liber Pontificalis da Adriano I a Pasquale I“, in Atti del Colloquio Internazionale Il Liber Pontificalis e la Storia Materiale: Roma, 21–22 febbraio 2002 (hg. v. Herman Geertman; MNIR 60/61; Assen: Van Gorcum, 2003), 45‒103. 47 Vgl. Serena Ensoli und Eugenio La Rocca, Hg., Aurea Roma: Dalla città pagana alla città cristiana: Catalogo della mostra, Roma, Palazzo delle Esposizioni 22 dicembre 2000 ‒ 20 aprile 2001 (Rom: L’Erma di Bretschneider, 2000), 660‒662 (Nr. 375–376 [Maria Andaloro]). Zur orientalischen Herkunft der Ikone des Monasterium Tempuli vgl. ebd., 663 (Nr. 378 [Maria Andaloro]). 48 Per Jonas Nordhagen, „La più antica Eleousa conosciuta: Una scoperta in S. Maria Antiqua“, BArte 47 (1962): 351‒353. 49 Robert P. Bergman, „The Earliest Eleousa: A Coptic Ivory in the Walters Art Gallery“, The Journal of the Walters Art Gallery 48 (1990): 37‒56, akzeptiert die Datierung auf das 6. Jh. und wertet demnach diese Elfenbeinarbeit als frühesten Beleg für die Eleousa-Darstellung.
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dem Erzkantor Johannes und einer Privileg-Urkunde von Papst Agatho (678‒681) auch Imagines oder Picturae Imaginum von der Jungfrau, den Heiligen sowie alt- und neutestamentlichen Geschichten mitgebracht habe.50 Dass diese Bilder die Inselkultur unmittelbar beeinflusst haben, hat Ernst Kitzinger51 1956 in seiner Analyse der Ikonographie des hölzernen Sarkophags nachgewiesen, der die Reliquien des heiligen Cuthbert enthalten hatte und 698, elf Jahre nach dem Tod des heiligen Bischofs und Abts, in Lindisfarne angefertigt worden war. Der Forscher richtete sein Augenmerk auf ein bestimmtes Detail des Sarkophags, nämlich eine geschnitzte Darstellung Abb. 9: Dublin, Trinity College Library, der Jungfrau mit Kind. Er führte die ms. A. I (58), f. 7v: Book of Kells, Jungfrau mit Kind: Carol Farr, The Book of Kells: neue Ikonographie – die Jungfrau Its Function and Audience (The British Liist dort mit der unteren Körperhälf- brary Studies in Medieval Culture 4; Lonte im Profil, mit dem Gesicht jedoch don: British Library, 1997), Taf. V. in Frontalansicht abgebildet ‒ auf die römische Kultur zurück und zeigte auf, dass sie besonders gut geeignet war, um eine eher affektive Beziehung zwischen Mutter und Sohn zum Ausdruck zu bringen. Ähnliches gilt auch für andere auf der Insel gefertigte Bilder, die sich von diesem herleiten: zuallererst für die Madonna mit Kind aus dem Book of Kells (Iona, um 800; Abb. 9), wo der Ausdruck dieser affektiven Beziehung eine außerordentliche Intensität erreicht.52 50 Beda Venerabilis, Vita quinque sanctorum abbatum I,6: „picturas imaginum sanctarum quas ad ornandum ecclesiam beati Petri apostoli quam construxerat detulit; imaginem videlicet beatae dei genitricis semperque virginis Mariae, simul et duodecimo apostolorum“ (PL 94,717d–718a). Ernst Kitzinger, „The Role of Miniature Painting in Mural Decoration“, in Kurt Weitzmann et al., The Place of Book Illumination in Byzantine Art (Princeton: Princeton University Press, 1975), 99‒142; 118. 51 Ders., „The Coffin-Reliquary“, in The Relics of St. Cuthbert (hg. v. Christopher F. Battiscombe; Oxford: Oxford University Press, 1956), 202‒304; vgl. hierzu auch die Rezension von David H. Wright, „Review of The Relics of St. Cuthbert“, ArtB 43/2 (1961): 141‒160. 52 Martin Werner, „The Madonna and Child Miniature in the Book of Kells“, ArtB 54/1–2 (1972): 1‒23.129‒139; George Henderson, From Durrow to Kells: The Insular Gospel-Books 650‒800 (London: Thames & Hudson, 1987), 154f.
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Parallel dazu gipfelte in Rom die durch die starke Präsenz griechischer Prälaten begünstigte Marienverehrung unter dem Pontifikat Sergius I. (687‒701) in der Einsetzung des letzten der vier im Westen anerkannten Marienfeste, nämlich der Himmelfahrt.53 Diese strengere Einteilung der Marienfeste, Ergebnis einer klarer strukturierten Beziehung zur byzantinischen Welt, bringt in Rom ein komplexes Bildersystem hervor, das auf der Rezeption, Erneuerung und Umwandlung verschiedener, der theologischen und exegetischen Spekulation, aber auch dem Diktat der Frömmigkeit erwachsener Ikonographien beruht. In diesen Kontext, der chronologisch recht schwierig zu bestimmen ist, gehört die große Enkaustik-Tafel in S. Maria in Trastevere (Abb. 8), deren ganze außergewöhnliche Komplexität bei den Restaurationsarbeiten der 1950er Jahre zum Vorschein kam. Die vorgeschlagenen Datierungen reichen vom 6. bis zum beginnenden 8. Jh.54 Das Bild greift die Ikonographie Mariens als Königin auf: Maria trägt die prächtige, mit Perpendulia geschmückte Krone, die kostbare Purpurtunika mit Kragen und perlenbesetzten Rotae, nicht aber den Loros, der den Ausschlag dafür gegeben hatte, die zugrundeliegende Ikonographie der Tradition des kaiserlichen Konstantinopel zuzuordnen. Die von Carlo Bertelli55 bei seiner Restauration angeführten Vergleichspunkte und Argumente weisen auf Papst Johannes VII. (705‒707) als möglichen Auftraggeber hin, doch könnte es sich auch um ein älteres Bild handeln, das umfunktioniert wurde, indem man besagten Papst – dessen Marienverehrung wir nicht nur die Votivfresken in S. Maria Antiqua, sondern auch die der Jungfrau geweihte Grabkapelle in St. Peter verdanken56 ‒ in der Pose der Proskynesis nachträglich hinzufügte.57 In der Grabkapelle befand sich früher ein Mosaik, das Maria als Königin mit ganz ähnlichen Attributen wie die Madonna della Clemenza, jedoch im Stehen und ohne Kind in Orantenhaltung darstellte.58 Auch hier war neben ihr, diesmal in stehender Haltung, der Pontifex, Johannes indignus episcopus, zu sehen, der das Modell der Kapelle in Händen hielt. Um die beiden Gestalten herum waren Episoden aus dem Leben Christi 53 Andrew J. Ekonomou, Byzantine Rome and the Greek Popes: Eastern Influences on Rome and the Papacy from Gregory the Great to Zacharias, A. D. 590–752 (Lanham: Lexington Books, 2007), 260‒264. 54 Ensoli und La Rocca, Hg., Aurea Roma, 662f. (Nr. 377 [Maria Andaloro]). 55 Carlo Bertelli, La Madonna di Santa Maria in Trastevere: Storia, iconografia, stile di un dipinto romano dell’ottavo secolo (Rom: Eliograf, 1961). 56 Ann K. van Dijk, The Oratory of Pope John VII (705‒707) in Old St Peter’s (Diss., Johns Hopkins University, 1995). 57 Die Gestalt des Stifters ist nicht in enkaustischen, sondern in Tempera-Farben ausgeführt, vgl. Osborne, „Images of the Mother of God“, 149, Anm. 31. 58 Das Mosaikfragment mit der Jungfrau wird zurzeit in der Dominikanerkirche San Marco in Florenz, das Fragment des Stifters hingegen in St. Peter aufbewahrt. Vgl. Ann K. van Dijk, „Reading Medieval Mosaics in the Seventeenth Century: The Preserved Fragments from Pope John VII’s Oratory in Old St Peter’s“, Word & Image 22/3 (2006): 285‒291.
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bis zur Auferstehung abgebildet. Die Mittlerinnenfunktion der Jungfrau, die der Titulus als Sancta Dei Genitrix bezeichnet, wird dadurch unterstrichen, dass neben der Verkündigungsszene zum ersten Mal in der westlichen Tradition in Quadratschrift der englische Gruß (Lk 1,28) erscheint: Wie Ann Karin van Dijk gezeigt hat,59 bedeutet das eine klare Aufforderung an die Gläubigen, diese Anrufung an die Gottesmutter für das eigene Seelenheil und für das des päpstlichen Auftraggebers zu wiederholen. Der von Leo III. (dem „Isaurier“) herbeigeführte Ausbruch des Bilderstreits im Jahr 730 wirkte sich unmittelbar auf den Umgang mit Bildern im Westen aus: Das beweist der Liber Pontificalis, der berichtet, wie der aus Syrien stammende Papst Gregor III. (731‒741) bei der Konsekration einer dem Erlöser, Maria und den Heiligen geweihten Kapelle in St. Peter dort ein Bildnis der Jungfrau aufstellte, das er mit einer Krone, einer Halskette, Juwelenohrringen und einem silbernen Rahmen schmückte.60 Das Bild wird zur Ikone, zu einem Gegenstand allgemeiner Verehrung, dem Achtung und Ehrfurcht gebühren, da er unmittelbar mit seinem himmlischen Archetypos verbunden ist und so nicht nur ein direktes Medium der Fürbitte darstellt, sondern zudem in der Liturgie eine konkrete und elementare Rolle spielt. Noch einen Schritt weiter geht Papst Stefan II. (752‒757), der angesichts der drohenden Langobardengefahr eine Litanei anberaumte, in deren Verlauf er selbst „proprio umero“ das Acheiropoieton, die Christusikone aus der Kapelle Sancta Sanctorum, bis zur Kirche S. Maria Maggiore trug, in der sich die Marienikone befand,61 die bei der Einführung der Prozession vom 15. August eine zentrale Rolle spielen sollte.62 Im Lauf des 8. Jh. vervielfachen sich die Marienbilder, und in Rom tritt ein neuer Typus auf, der bereits in den koptischen und nahöstlichen Kirchen große Verbreitung gefunden hatte: die Nischenbilder der Madonna mit Kind. Diese Bilder sind offenbar besonders konnotiert, denn mit ihrer Platzierung außerhalb des Chorraums sind sie nicht nur mit Sicherheit Ausdruck der Laienfrömmigkeit, sondern wahrscheinlich auch von Frauen in Auftrag gegeben worden, da sie sich häufig in dem den weiblichen Gemeindemitgliedern vorbehaltenen rechten Kirchenschiff befinden.63 Nicht nur die häufigen Übermalungen, sondern auch Spuren von Kerzen und Düften zeugen von dem kom59 Dies., „The Angelic Salutation in Early Byzantine and Medieval Annunciation Imagery“, ArtB 81/3 (1999): 420‒436. 60 Thomas F. X. Noble, Images, Iconoclasm, and the Carolingians (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2009), 127f. 61 Enrico Parlato, „Le icone in processione“, in Arte e iconografia a Roma: Da Costantino a Cola di Rienzo (hg. v. Maria Andaloro und Serena Romano; StArte 15; Di fronte e attraverso 537; Mailand: Jaca Book, 2000), 69‒92; 74f. 62 Belting, Bild und Kult, 363‒368. 63 John L. Osborne, „Early Medieval Painting in San Clemente, Rome: The Madonna and Child in the Niche“, Gesta 20 (1981): 299‒310; Ders., „Images of the Mother of God“, 141‒144.
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plexen Verhältnis zwischen Gebet und Geschenk, zwischen Materiellem und Spirituellem, das die Andachtspraxis kennzeichnete. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass selbst die Madonna della Clemenza ursprünglich ein außergewöhnlicher Beleg für diese Praxis war: Wie Per Jonas Nordhagen gezeigt hat,64 hielt die dort dargestellte Jungfrau wahrscheinlich ein echtes, goldenes Vortragekreuz in der Hand, das an dem Bild befestigt und vom Auftraggeber des Werks gestiftet worden war. Vor allem in den Jahren, in denen der Ikonoklasmus die entsprechenden Rituale im Osten jäh unterbricht und sich in den Ländern des Mittelmeerraums die bilderfeindliche islamische Herrschaft ausbreitet, scheint der Westen eine zunehmend komplexe, von Nießbrauch und Tauschhandel geprägte Beziehung zum Bild im Allgemeinen und zum Marienbild im Besonderen zu entwickeln. Die Fresken von S. Maria Antiqua zeigen, wie wichtig das Vorbild der päpstlichen Auftraggeberschaft war, das in Rom trotz der wiederholten Angriffe der Langobarden und später der Ankunft der Franken das gesamte 8. Jh. hindurch fortwirkt: Sowohl Papst Zacharias (741‒752) als auch Papst Hadrian I. (772‒795) sind hier neben der thronenden Jungfrau dargestellt, die im zweiten Fall erstmalig ein Titulus als Maria Regina, Maria Königin, ausweist. Der letztgenannte Papst hat der Basilika S. Maria Maggiore überdies einen Stoff „ex auro purissimo atque gemmis, habentem adsumptionem sanctae Dei genetricis“ zum Geschenk gemacht: der erste Beleg für diese umstrittene Ikonographie überhaupt.65 Von diesem Zeitpunkt an sind Madonnenbilder auch für das kontinentale Europa belegt, wo es allerdings auch schon in den vorangegangenen Jahrhunderten nicht an Marienkirchen gefehlt hatte; als Beispiel mag die Daurade in Toulouse dienen, die noch im 17. Jh. nennenswerte Spuren der beeindruckenden Mosaikdekoration mit marianischen Episoden und Ikonen aufwies.66 Das früheste Bild dieser neuen Phase findet sich im Sakramentar von Gellone, das eines der ersten Zeugnisse des neuen liturgischen Texts bietet, der nach 784 am Hof Karls des Großen ausgearbeitet worden war.67 Der für den Gebrauch der Diözese von Meaux im Nordosten Frankreichs hergestellte Kodex zeigt auf der Incipit-Seite (f. 1v) eine stehende Frauenfigur, die von einer Inschrift als SCA maria ausgewiesen wird. Sie hält in der linken Hand ein Vortragekreuz, von dem ein α und ein ω herabhängen, und in der 64 Per Jonas Nordhagen, „Icon Designed for the Display of Sumptuous Votive Gifts“, in DOP 41 (1987): 453‒460. 65 Andaloro, „Immagine e immagini“, 68. 66 Helen Woodruff, „The Iconography and Date of the Mosaics of La Daurade“, ArtB 13/1 (1931): 80‒104. 67 Paris, Bibliothèque Nationale de France, ms. lat. 12048: Trésors carolingiens: Livres manuscrits de Charlemagne à Charles le Chauve: Catalogue de l’exposition, Paris, Bibliothèque nationale de France, Site Richelieu, 20 mars‒24 juin 2007 (Paris: Bibliothèque Nationale de France, 2007), 78‒83 (Nr. 7 [Marianne Besseyre]).
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rechten Hand ein Weihrauchfass. Gekleidet ist sie in eine Tunika aus einem mit geometrischen Motiven dekorierten Stoff, und ihr Kopf ist von einer Kapuze bedeckt, deren unterer Saum ihr auf die Schultern fällt. Unübersehbare Elemente ursprünglich koptischer Provenienz, die anscheinend nur in peripheren Zentren Fuß gefasst haben, lassen an Bücher aus dem Mittelmeerraum denken, auch wenn der Weg, den sie zurückgelegt haben, kaum zuverlässig nachgezeichnet werden kann.68 Die Exemplare, die im Scriptorium des Aachener Hofs als Muster dienten, wurzelten jedenfalls in der Tradition der großen kaiserlichen Hauptstädte Ravenna, Rom oder Konstantinopel. In dem Bildersystem, das man entwickelt hatte, um die prunkvollen liturgischen Kodizes zu illustrieren, kam die Jungfrau nicht vor, wenn man einmal von den Einbänden absieht, auf denen sich das Modell der schon erwähnten fünfteiligen Diptychen konstantinopolitanischer Fertigung aus dem 6. Jh. fortsetzte.69 In all diesen Fällen trägt die Jungfrau Tunika und Maphorion; nur in einer außergewöhnlichen, purpurnen, in Gold und Silber geschriebenen und im ersten Viertel des 9. Jh. in Bayern gefertigten Handschrift erscheint die Jungfrau noch als die nach antiker Mode im klassischen Schnitt gewandete Foemina clarissima und als Protagonistin in Episoden, die nur in ganz wenigen Bildzeugnissen erhalten sind, wie Josefs Zweifel an Marias Unschuld oder Marias Einzug in das Haus ihres Mannes.70 Diese unterschiedlichen Versionen weisen darauf hin, dass im westlichen Christentum spätantike neutestamentliche Kodizes bekannt und in Umlauf gewesen sein müssen, von denen heute nur noch vereinzelte Spuren erhalten sind – einschließlich der „ikonographischen Leitlinien“, wie Kitzinger sie genannt hat:71 Darunter versteht man schematische Aufstellungen der narrativen Abfolgen, die aus Rom verschickt wurden, um eine rechtgläubige Darstellung der Episoden aus den Evangelien und den Heiligenviten zu gewährleisten.72 Seit dem Pontifikat Pasqualis’ I. (795‒823) begegnet die Jungfrau auch in Rom wieder als Protagonistin von Apsismosaiken: Die zwischen 817 und 822 restaurierte Apsisdekoration von S. Maria in Domnica (Abb. 10)73 zeigt 68 Erwin Rosenthal, „Some Observations on Coptic Influence in Western Early Medieval Manuscripts“, in Homage to a Bookman: Essays on Manuscripts, Books and Printing Written for Hans P. Kraus on his 60th Birthday, Oct. 12 1967 (hg. v. Hellmut Lehmann-Haupt; Berlin: Mann, 1967), 51‒74. 69 Hier sei vor allem an die Einbandtafel des Lorscher Evangeliars in der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek erinnert. 70 Vgl. dazu Fabian, Claudia, Hg., Pracht auf Pergament: Schätze der Buchmalerei von 780 bis 1180 (München: Hirmer, 2012), 66‒69; 69 (Nr. 5: Purpurevangeliar [Béatrice Hernad]). 71 Kitzinger, „The Role of Miniature Painting“, 117‒120. 72 Giuseppa Z. Zanichelli, „Les livres des modèles et les dessins préparatoires au Moyen Âge“, Cahiers de Saint-Michel-de-Cuxa 43 (2012): 61‒69. 73 Älter als diese ist nur noch die Darstellung in der Venantiuskapelle (625‒650) im Baptisterium der Laterankirche; hier ist die Jungfrau im unteren Bereich der Apsis-
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Abb. 10: Rom, S. Maria in Domnica, Apsis: Armando Petrucci, „Carolinga: Arte“, in Enciclopedia dell’arte medievale (hg. v. Angiola M. Romanini; 12 Bde; Rom: Istituto della Enciclopedia, 1991–2002), 4:294–320; 315.
die thronende Jungfrau mit Kind, umgeben von einem Chor stehender Engel; der vor ihr kniende Papst berührt den heiligen Fuß, während die Jungfrau ihn segnet. Pasqualis I. stiftete derselben Kirche noch weitere Objekte mit Marienbildern, darunter auch den goldenen Schleier mit der Szene der Geburt Christi, der den eminent christozentrischen Charakter der betreffenden Darstellungen deutlich veranschaulicht.74 Doch in der Kapelle, die der Pontifex zum Andenken an seine Mutter, Theodora episcopa, gleich neben dem rechten Kirchenschiff erbauen ließ, befindet sich eine Nische mit dem Bild einer thronenden Jungfrau mit Kind zwischen zwei weiblichen Heiligen, das zwar restauriert worden ist, doch von Anfang an Ausdruck der persönlichen, privaten Frömmigkeit des Papstes gewesen sein muss und sich von der theologischen Ausgestaltung des eigentlichen Kirchengebäudes abhebt. In diesem Zusammenhang ist, wie Erik Thunø kürzlich hervorgehoben hat,75 das Kreuzreliquiar aus Emaille von besonderer Bedeutung, das besagter Papst konche in Orantenhaltung und von Heiligen und hohen kirchlichen Würdenträgern umgeben abgebildet, während die Apsiswölbung vom Brustbild des von zwei Engeln flankierten Christus beherrscht wird, vgl. Gillian V. Mackie, Early Christian Chapels in the West: Decoration, Function and Patronage (Toronto: University of Toronto Press, 2003), 212‒230. Zu S. Maria in Domnica vgl. Maria Andaloro und Serena Romano, „L’immagine nell’abside“, in Arte e iconografia a Roma: Da Costantino a Cola di Rienzo (hg. v. dens.; StArte 15; Di fronte e attraverso 537; Mailand: Jaca Book, 2000), 93‒132; 106f. 74 Der im Liber Pontificalis erwähnte Schleier ist verlorengegangen, doch der Stoff mit der Verkündigungsszene, der heute in den Vatikanischen Museen aufbewahrt wird, wurde ebenfalls von Pasqualis I. in Auftrag gegeben. 75 Erik Thunø, Image and Relic: Mediating the Sacred in Early Medieval Rome (ARID.S 32; Rom: L’Erma di Bretschneider, 2002).
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der Kapelle Sancta Sanctorum im Lateran gestiftet hat. In der Weiheinschrift widmet der Papst der Jungfrau, die er als REGINA MVNDI apostrophiert, das Reliquiar, das als VEXILLUM CRVCIS bezeichnet wird,76 und unterstreicht damit Marias einmalige Bedeutung nicht nur im Hinblick auf die Inkarnation, sondern auch für den Heilsweg der Menschheit. Im Rom Pasqualis’ I. steht die Jungfrau im Zentrum der theologischen Spekulation, was sich unmittelbar auf ihre Darstellung auswirkt, die nun mit neuen Elementen angereichert wird. Das wichtigste Abb. 11: San Vincenzo al Volturno, Epi- Zeugnis sind in diesem Zusammenphanius-Krypta, Lesende Madonna: Vahang die Fresken in der Krypta des lentino Pace, „La pittura medievale nel Molise, in Basilicata e Calabria“, in La pit- Klosters San Vincenzo al Volturno, tura in Italia: L’Altomedioevo (hg. v. Carlo die Abt Epiphanius (824‒842) gegen Bertelli; Mailand: Electa, 1994), 270–303; Ende seines Lebens hatte ausmalen 271, Abb. 346. lassen. Hier kommt die Jungfrau außer im Zyklus der Kindheit Christi weitere zwei Male vor: einmal in der traditionellen Ikonographie als thronende Madonna mit Kind auf dem Schoß und ein weiteres Mal allein. Auf diesem letztgenannten Bild (Abb. 11) sitzt sie auf einem Thron, ihr Haar ist sorgfältig nach klassischer Art frisiert, teilweise von einem Schleier bedeckt und mit langen Perpendulia geschmückt, auf ihren Knien liegt ein Buch, in dem die Worte BEATAM ME DICENT aus dem Magnifikat (Lk 1,46‒55) zu lesen sind. Derselbe Text wird im Sermo de assumptione Mariae des Ambrosius Autpertus zitiert, der von 777 bis 778 Abt des Kloster gewesen war: Er gilt als Inspirationsquelle dieser neuen marianischen Ikonographie, da er in seinen exegetischen Schriften die spirituelle Mutterschaft der Jungfrau auch im Hinblick auf das Menschengeschlecht und ihre Mittlerinnenfunktion hervorgehoben hatte, die in dieser als Begräbnisstätte konzipierten Krypta besonders zum Tragen kommt.77 Auch in diesem Fall soll die dargestellte Schrift die 76 Zur Interpretation der Inschrift und der daraus abgeleiteten Auftraggeberschaft Pasqualis’ I. vgl. Charles R. Morey, „The Inscription on the Enameled Cross of Paschal I“, ArtB 19/4 (1937): 595f. 77 John Mitchell, „The Crypt Reappraised“, in San Vincenzo al Volturno (hg. v. Richard Hodges; Archaeological Monographs of the British School at Rome 7; 5 Bde; London: British School at Rome, 1993–2011), 1/1:75‒114.
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Gläubigen, wie schon in der Kapelle Johannes’ VII. im Vatikan, auf der Ebene der Andacht und des Gebets ansprechen und einbeziehen. Den nächsten Entwicklungsschritt repräsentiert die von einem Mönch namens Tuotilo in St. Gallen als Einband für das Evangelium longum (ms. 53) angefertigte Elfenbeinarbeit (Abb. 12). Auf dieser Platte ist zum ersten Mal in der westlichen Christenheit (895) die Aufnahme Mariens in den Himmel dargestellt, wie der Titulus über der Jungfrau verkündet: Ascensio sce mariae. Maria steht; sie trägt kein Kind im Arm, sondern hat die Hände in einer Geste des Flehens und der Fürbitte zum Himmel erhoben und ist von Engeln umgeben.78 Obwohl das Fest Mariä Himmelfahrt seit über einem Jahrhundert fester Bestandteil der römischen Liturgie Abb. 12: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 53: war, wurde nämlich nach wie vor Himmelfahrt: Werner Vogler, Hg., La absehr lebhaft und kontrovers über bazia di San Gallo (I luoghi delle grandi staihre Aufnahme in den Himmel dis- gioni; Mailand: Jaca Book, 1991), 85, Taf. 13. kutiert: Die Aufnahme in anima war allgemein anerkannt, doch die Aufnahme in corpore war noch immer heftig umstritten.79 Dass die Klöster maßgeblichen Anteil an der Entstehung neuer Ikonographien hatten, kann nicht weiter verwundern, da die Typologie der Sakralbauten innerhalb der Klosteranlagen im Zuge der karolingischen Klosterreform umstrukturiert worden war: Neben der Hauptkirche, für die verschiedene Patronate in Frage kamen, und der dem heiligen Benedikt geweihten Kirche gab es fortan ein drittes, der Jungfrau geweihtes Gotteshaus, in dem auch die betreffenden marianischen Liturgiefeiern abgehalten wurden. 78 Marguerite Menz-Vonder Mühll, „Die St. Galler Elfenbeine um 900“, FMSt 15 (1981): 387‒434; Henry Mayr-Harting, „The Idea of the Assumption of Mary in the West, 800‒1200“, in The Church and Mary: Papers Read at the 2001 Summer Meeting and the 2002 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. Robert N. Swanson; SCH(L) 39; Woodbridge: Boydell Press, 2004), 86‒111. 79 Stephen J. Shoemaker, Ancient Traditions of the Virgin Mary’s Dormition and Assumption (OECS; Oxford: Oxford University Press, 2002).
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Diese Blüte der Bilder in Rom und in der westlichen Christenheit muss bis zu einem gewissen Grad auch die Wiedereinführung des Marienbilds in Byzanz beeinflusst haben: Als man sich nach dem Ende des Bilderstreits 843 daran machte, die alten Apsiden zu restaurieren, begann man just mit der Koimesis-Kirche von Nicäa, also dem Schauplatz ebenjenes Konzils, das das Bilderverbot in der byzantinischen Liturgie wieder aufgehoben hatte (787); es folgte die Chalkoprateia in Byzanz und schließlich 867 die Hagia Sophia höchstselbst.80 Auf all diesen Bilddokumenten ist die Jungfrau in kostbare blaue oder purpurne Tuniken gekleidet und in prächtige Umhänge mit raffiniertem Fransensaum und wertvollen Stickereien gehüllt. Die marianischen Zyklen vervielfachen Marias Präsenz auch in den Szenen aus der Leidensgeschichte und post mortem und enden etwa ab dem Jahr 900 mit dem Bild der Koimesis, der „Entschlafung“ Mariens,81 einer üblicherweise dreigeteilten Szene mit der liegenden Jungfrau im Kreis der betenden Apostel im unteren Bereich, Christus, der die Animula seiner Mutter zum Himmel emporhebt, in der Bildmitte, und im oberen Drittel dem triumphalen Empfang der Seele durch die Engel im Himmel. Diese neue Ikonographie gelangte durch Stoffe und Elfenbeinarbeiten in den Westen und fand in ottonischer Zeit besondere Verbreitung, als die himmlische Apotheose der Jungfrau zum Archetyp der kaiserlichen Apotheose wurde und der Kult gemäß den Richtlinien der Reichskirche eine erkennbar politische Dimension erhielt. Deutschland und Norditalien werden in dieser Zeit zum Schauplatz bedeutender ikonographischer Neuerungen, die vor allem in den Kodizes aus den Skriptorien der großen Reichsabteien nachweisbar sind. In diesem Kontext erscheint die Jungfrau erneut als Theotókos, und das komplexe Hofzeremoniell spiegelt sich in den Szenen aus dem Evangelium wider, wo das Bild der Maria auch dann eingefügt wird, wenn der Text sie gar nicht ausdrücklich erwähnt.82 Dies lässt sich vor allem in der kurzen Regierungszeit Ottos III. beobachten (996– 1002). So weist etwa sein Evangeliar (München, Bayerische Staatsbibliothek, ms. Clm 4453) gleich zwei Koimesis-Darstellungen auf: eine auf der byzantinischen Einbandtafel und eine im Textteil (f. 161v). Der direkte Vergleich zwischen der in Byzanz angefertigten Elfenbeintafel und der Miniatur aus dem Scriptorium des Klosters Reichenau zeigt anschaulich, wie das östliche 80 Robin Cormack, „The Mother of God in Apse Mosaics“, in Mother of God: Representations of the Virgin in Byzantine Art (hg. v. Maria Vassilaki; Mailand: Skira, 2000), 91‒105. 81 Rosalie Kachudas Baryames, The Iconography of the Koimesis: Its Sources and Early Development (Diss., Michigan State University Press, 1977). 82 Daniel Russo, „Les représentations mariales dans l’art d’Occident: Essai sur la formation d’une tradition iconographique“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique Iogna-Prat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 173‒291; 209‒232; vgl. Kristen M. Collins, Visualizing Mary: Innovation and Exegesis in Ottonian Manuscript Illumination (Diss., University of Texas at Austin, 2007), 47‒54.
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Vorbild im Westen verändert wurde: Die Apostel sind in zwei Gruppen zu jeweils sechs aufgeteilt und aus der Elevatio Animae ist eine Himmelfahrt geworden.83 Diese Version der Reichsabteien wird nun maßgeblich, und die Jungfrau, der nach und nach fast sämtliche Kathedralen und in selbigen eine immer größere Zahl von Altären geweiht werden,84 wird auch zur offiziellen Patronin von Äbten wie Witigowo, dem Abt von Reichenau (985‒997),85 und Bischöfen wie Warmundus von Ivrea86 (965‒1011) oder Bernward von Hildesheim (993–1022),87 die im Widmungsbild der von ihnen in Auftrag gegebenen liturgischen Kodizes zu sehen sind. Zu den herausragendsten Neuerungen dieser Zeit gehört die stetig wachsende Zahl der von Frauen in Auftrag gegebenen marianischen Kultgegenstände:88 Man denke etwa an das Ziborium in der Kirche S. Ambrogio in Mailand, einer der ottonischen Hauptstädte, das auf der nach Norden gewandten Seite zwei Frauengestalten zeigt. Sie werden als die Kaiserinnen Adelheid und Theophanu identifiziert und stehen in betender Haltung links und rechts von der ebenfalls stehenden Jungfrau, die die Kaiserkrone in der Hand hält, während über ihr die Taube des Heiligen Geistes schwebt.89 Ein weiteres Beispiel ist die Goldene Madonna von Essen (Abb. 13), die von der Äbtissin Mathilde (973‒1011), der Cousine Ottos III., in Auftrag gegeben wurde: eine kostbare Skulptur der thronenden Jungfrau mit Kind, die den Reichsapfel in der Rechten hält 83 Henry Mayr-Harting, Ottonian Book Illumination: An Historical Study (2 Bde; London: Miller, 1991), 1:139‒146. 84 Éric Palazzo, „Marie et l’élaboration d’un espace ecclésial au haut Moyen Âge“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique Iogna-Prat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 313‒325. 85 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Aug. Perg. 205, f. 72r.; Joachim Prochno, Das Schreiber- und Dedikationsbild in der Deutschen Buchmalerei 1: Bis zum Ende des 11. Jahrhunderts: (800‒1100) (Die Entwicklung des menschlichen Bildnisses 2; Leipzig: Teubner, 1929), 29. 86 Adriano Peroni, „Il ruolo della committenza vescovile alle soglie del Mille: Il caso di Warmondo di Ivrea“, in Committenti e produzione artistico-letteraria nell’Alto Medioevo occidentale (SSAM 39; Spoleto: CISAM, 1992), 247‒274. 87 Rainer Kahsnitz, „Inhalt und Aufbau der Handschrift: Die Bilder“, in Das kostbare Evangeliar des Heiligen Bernward: Ausstellung der zerlegten Handschrift: Domund Diözesanmuseum Hildesheim, 6. Februar‒21. März 1993; Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, 15. August–28. November 1993 (hg. v. Michael Brandt; München: Prestel, 1993), 18‒55; 27‒32. 88 Christina M. Nielsen, Hoc opus eximium: Artistic Patronage in the Ottonian Empire, (Diss., University of Chicago, 2002), 123, warnt davor, das Phänomen aus einer allzu gendergeprägten Sicht zu deuten, da davon ausgegangen wird, dass die kaiserliche Auftraggeberschaft eine wichtige Rolle für die Marienverehrung gespielt hat. Vgl. Collins, Visualizing Mary, 11. 89 Patrick Corbet, „Les impératrices ottoniennes et le modèle marial: Autour de l’ivoire du château Sforza de Milan“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique Iogna-Prat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 109‒135.
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und ihren Körper nach vorne dreht. Diese Ikonographie ist mit der neuen Rolle in Verbindung gebracht worden, die die Frauen im ottonischen Reich und insbesondere während der Regentschaft der Kaiserin Theophanu innehatten (985‒991).90 Dieselbe Mathilde von Essen wird sich später gemeinsam mit ihrem Bruder Otto, dem Herzog von Schwaben und letzten Liudolfinger, auf der Emailleplatte verewigen lassen, die den unteren Teil des nach ihnen beiden benannten Otto-Mathilden-Kreuzes schmückt. Die beiden Geschwister halten ein Vortragekreuz in Händen, das sie gemeinsam emporrecken und das die beiden Stützen der ottonischen Herrschaft, den Klerus und die Aristokratie, symbolisiert.91 Da die Jungfrau Maria für Kaiserinnen, Äbtissinnen und weibliche Angehörige des Hochadels zu einer Identifikationsfigur geworden ist, Abb. 13: Essen, Münsterschatzmuseum, mehren sich zur gleichen Zeit in den Goldene Madonna: Ingrid Voss, „Essen“, Handschriften die Abbildungen, auf in Enciclopedia dell’arte medievale (hg. v. Angiola M. Romanini; 12 Bde; Rom: Istitu- denen bestimmte Frauen zur Jung92 to della Enciclopedia Italiana, 1991–2002), frau in Beziehung gesetzt werden. 6:22–29; 25. Das früheste und bekannteste Beispiel ist der 975 in Fulda gefertigte Kodex mit den Lebensbeschreibungen der Heiligen Kilian und Margarete, auf dessen Frontispiz die thronende Jungfrau zu sehen ist; sie krönt die Heili90 Frank Fehrenbach, Die Goldene Madonna im Essener Münster: Der Körper der Königin (KunstOrt Ruhrgebiet 4; Ostfildern: Tertium, 1996). 91 Krone und Schleier: Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern: Ruhrlandmuseum: Die frühen Klöster und Stifte 500–1200. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Die Zeit der Orden 1200–1500: Eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, in Kooperation mit dem Ruhrlandmuseum Essen (München: Hirmer, 2005), 273 (Nr. 152: Otto-MathildenKreuz aus Essen [Brigitta Falk]). 92 Rosamond McKitterick, „Women in Ottonian Church: An Iconographic Perspective“, in Women in the Church: Papers Read at the 1989 Summer Meeting and the 1990 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (hg. v. William J. Sheils und Diana Wood; SCH[L] 27; Oxford: Blackwell, 1990), 79‒100.
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gen Margarete und Regina und wird, obwohl sie kein Kind im Arm hält, von der Inschrift als Theotókos ausgewiesen.93 In derselben Weise war Maria in einem anderen Kodex dargestellt, der nicht erhalten, aber aus Zeichnungen bekannt ist: Er zeigte Hadwig, die Äbtissin von Essen (910‒951), die der zwischen Engeln thronenden Jungfrau gemeinsam mit der Nonne Thiotera ein Buch überreicht; die Jungfrau hält ein Vortragekreuz in der Hand.94 Diese Ikonographien greifen zwar Elemente aus der römischen und byzantinischen Tradition wieder auf, scheinen das marianische Repertoire jedoch mit direkten Zitaten aus der christologischen Tradition zu erweitern95 und werden so über ihre rein illustrierende Funktion hinaus zu exegetischen Ausarbeitungen mit neuen Bestandteilen, wie sie die theologische Debatte nach und nach zutage förderte. Dieses Vorgehen zeigt sich besonders deutlich an den Sakramentaren, wo die Gestalt der Jungfrau oft, insbesondere in den Illustrationen zu Allerheiligen oder zu Pfingsten, zu einem Sinnbild der Kirche wird. Dieser inkulturierende Vorgang liegt aber auch einer anderen Miniatur zugrunde, um die eine lebhafte Debatte entbrannt ist: der Abbildung auf f. 40v des Sakramentars von Peterhausen,96 die ikonographische Elemente aus den unterschiedlichsten Traditionen in sich zu vereinigen scheint. Dargestellt ist eine thronende weibliche Gestalt in rosafarbener Tunika mit besticktem Kragen und einem goldgesäumten Umhang aus kostbarem Stoff; ihr Kopf ist von einem Heiligenschein umgeben, und sie trägt eine Krone mit Perpendulia, in der rechten Hand ein Vortragekreuz und in der linken ein Buch. Der Thron ist ein einfaches Parallelepiped mit einem langen Kissen. Neben den byzantinischen Elementen, die unmittelbar ins Auge fallen, fehlt es nicht an römischen Merkmalen, die eine Identifikation mit der Kirche nahelegen, allerdings nicht mit der päpstlichen, sondern mit einer außergewöhnlichen Erscheinungsform der Reichskirche, die auf Byzanz blickt, um den Westen zu beherrschen. Sie ist die ideale Braut, wie die Relation zur Christusdarstellung der Majestas Domini zeigt, die auf der gegenüberliegenden Seite derselben Handschrift abgebildet ist, sodass beide Seiten zusammengenommen das Brautpaar aus dem Hohelied ergeben. Diese Art der Darstellung hatte kein unmittelbares Nachleben, da die Reichskirche und die römische Kirche kurz nach Beginn des zweiten Jahrtausends den bis dato mühsam aufrechterhaltenen Waffenstillstand brachen und die Gestalt der Maria im Kontext der Reformbewegung eine andere Rolle und mithin auch eine andere Ikonographie erhielt, bis sie 93 Cynthia J. Hahn, Passio Kiliani – Ps. Theotimus, Passio Margaretae – Orationes: Vollständige Faksimile-Ausgabe im Original-Format des Codex Ms. I 189 aus dem Besitz der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover : Kommentarband (Codices selecti 83; Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 1988). 94 Katrin Graf, Bildnisse schreibender Frauen im Mittelalter: 9. bis Anfang 13. Jahrhundert (Basel: Schwabe, 2002), 34‒37. 95 Collins, Visualizing Mary, 95‒98. 96 Heidelberg, Cod. Sal. IXb: vgl. Collins, Visualizing Mary, 152‒157.
Mittelalterliche Marienikonographie zwischen Orient und Okzident
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kurz nach dem Wormser Konkordat (1122) im Apsismosaik von S. Maria in Trastevere in einer klugen und vielschichtigen Bezugnahme auf älteste römische Traditionen als Sponsa-Ecclesia dargestellt wurde.97 Im Verlauf des ersten Jahrtausends entwickelt sich die Jungfrau als Ausdruck von Autorität oder Frömmigkeit, Exegese oder Andacht Schritt für Schritt, über unzählige Nuancen und Unterschiede der Darstellung, zu einer autonomen Figur und übernimmt schließlich die Rolle einer Mittlerin zwischen einzelnen Individuen und Christus, zwischen politischen Mächten und der Kirche von Rom. Zudem wird sie als Theotókos im Osten wie auch als Mater Dei im Westen zu einer beherrschenden und legitimen und in hohem Maße symbolträchtigen Gestalt, die mit großer Flexibilität auf die vielfältigen Ansprüche der verschiedenen christlichen Kulturen zu reagieren vermag.
97 Ernst Kitzinger, „A Virgin’s Face: Antiquarianism in the Twelfth-Century Art“, ArtB 62/1 (1980): 6‒19.
Wein, Weib und der Abfall des Weisen vom Glauben: Sir 19,2 im lateinischen Mittelalter Giuseppe Cremascoli Università di Bologna
Wer sich mit den biblischen Texten und insbesondere mit den Weisheitsbüchern befasst, ist zwangsläufig fasziniert und zuweilen sogar überrascht von der Fülle an Sentenzen, die die typischen Merkmale des Menschseins in all ihrer Komplexität und Flüchtigkeit festhalten. Was den Stil betrifft, so fällt insbesondere in den Sprichwörtern auf, dass diese Merkmale in einer Abfolge aus Parallelismen und Antithesen ausgedrückt werden, die die Welt und die Wirklichkeit mit weisheitlichen Kategorien und aus verschiedenen Blickwinkeln erhellen sollen. Thema dieses Sentenzenreichtums, der die Texte insgesamt prägt, sind nicht selten die Frauen und ihre Macht und Anziehungskraft, die sie zum Guten und öfter noch zum Bösen auf Männer und deren Leben ausüben. Die vielleicht bekannteste Stelle ist, nicht zuletzt aufgrund ihrer Verwendung in der Liturgie, der siebte und abschließende Abschnitt des Sprüchebuches, das „Lob der idealen Frau“ (Spr 31,10–31), die als eine Quelle der Sicherheit und des Glücks für ihren Ehemann gepriesen wird.1 Entsprechend verkündet eine der Sentenzen (Spr 18,22): Qui invenit mulierem invenit bonum et hauriet iucunditatem a Domino („Wer eine Frau findet, findet ein Gut, und er wird Wohlbehagen schöpfen von Gott.“) ‒ so zumindest der Wortlaut in der kritischen Ausgabe der Vulgata, die im Apparat auch die abweichende Lesart bonam mulierem verzeichnet und den Text mit einer etwas anderen Bedeutung wiedergibt als die von der italienischen Bischofskonferenz approbierte amtliche Übersetzung, die nach dem hebräischen Text liest: „Wer eine Frau gefunden, hat Glück gefunden und das Gefallen des Herrn erlangt.“ Natürlich finden aber auch die problematischen und unglücklichen Lebenssituationen Berücksichtigung und werden mit lebhaftem Realismus beschrieben – wie zum Beispiel in der folgenden Sentenz: „Besser in der Wüste hausen als mit einer streitsüchtigen und reizbaren Frau.“ (Spr 21,19) Der Mann ist dieser Wahrnehmung zufolge verletzlich und den Reizen und der Faszination der Frau hilflos ausgeliefert, umso mehr, wenn das Ganze durch jene 1
Vgl. Robert Weber und Roger Gryson, Hg., Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 52007); La Bibbia: Via, verità e vita: Nuova versione ufficiale della Conferenza Episcopale Italiana (Cinisello Balsamo: San Paolo, 2009). Zum liturgischen Gebrauch siehe Missale Romanum, ed. juxta typicam, Commune non Virginum: pro nec virgine nec martyre, Lectio epistolae.
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Künste potenziert und verstärkt wird, deren sich die Prostituierten bedienen und denen auch der vermeintlich Starke und Unbeugsame erliegen kann.2 Jedenfalls, so die Warnung, soll der Mann stets wachsam und abwehrbereit bleiben, weil derartige Angelegenheiten nie aufhören, gefährlich zu sein.3 Wirft man unter diesem Aspekt auch einen Blick auf andere Weisheitsbücher, so sticht vor allem die düstere Stimmung im Buch Kohelet heraus, dessen schrecklicher und allgegenwärtiger Pessimismus4 sich auch in den wenigen Sentenzen über die Frau niederschlägt. Sie wird als „stärker als der Tod“ definiert: ein Gewirr aus Ketten und Fallstricken, vor dem einen nur die Barmherzigkeit Gottes bewahren kann.5 Das Buch Jesus Sirach befasst sich ausgiebig mit der Beziehung zwischen Mann und Frau: Die Qualitäten der idealen Ehefrau werden gerühmt, das Unglück des Mannes, dessen Frau ihren Standespflichten nicht gerecht wird, jedoch mit trostlosem Pessimismus geschildert. Vor allem Sir 25,17‒36 zeichnet das Bild einer boshaften Frau 2
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Spr 7,25f.: „Dein Herz schweife nicht ab auf ihre Wege, verirre dich nicht auf ihre Pfade! Denn zahlreich sind die Erschlagenen, die sie gefällt hat; viele sind es, die sie getötel hat“. In der Anmerkung der von der italienischen Bischofskonferenz approbierten Übersetzung wird die Stelle wie folgt kommentiert: „Das Kapitel stellt erneut zwei weibliche Gestalten in den Vordergrund, zwischen denen sich der junge Schüler entscheiden muss: ‚Frau Weisheit‘ (V. 1‒5) und die laszive Ehebrecherin (V. 6‒27), die in einer überaus wirkungsvollen und lebhaften erzählerischen Sequenz dargestellt wird“. Spr 31,3: „Gib deine Kraft nicht den Frauen hin, dein Tun und Treiben (i tuoi fianchi: ‚deine Lenden‘, so die Version der CEI-Übersetzung) nicht denen, die Könige verderben!“ In der Vulgata dagegen heißt es: Ne dederis mulieribus substantiam tuam et vias [divitias: varia lectio] tuas ad delendos reges. Hinweis der Herausgeberin der deutschen Version: In der deutschsprachigen Forschung wird Kohelet nicht so pessimistisch gesehen (vgl. vor allem Norbert Lohfink, Kohelet [NEchtB; Würzburg: Echter, 62009]). Dies liegt auch an der sog. Zitatentheorie, die gerade solche Aussprüche über Frauen als Zitate sieht, mit denen sich Kohelet kritisch auseinandersetzt (siehe dazu etwa Ludger Schwienhorst-Schönberger, Kohelet [HThKAT; Freiburg: Herder, 22011]). Koh 7,26.28: „Immer wieder finde ich die Ansicht, stärker (CEI: amara più: ‚bitterer‘) als der Tod sei die Frau. Denn: Sie ist ein Ring von Belagerungstürmen und ihr Herz ist ein Fangnetz, Fesseln sind ihre Arme. Wem Gott wohlwill, der kann sich vor ihr retten, wessen Leben verfehlt ist, wird von ihr eingefangen. […] Was ich immer wieder suchte, aber nicht bestätigt gefunden habe: Unter Tausenden habe ich nur einen einzigen Menschen gefunden, eine Frau habe ich unter ihnen allen nicht gefunden (CEI: Quello che io ancora sto cercando e non ho trovato è questo: un uomo fra mille l’ho trovato, ma una donna fra tutte non l’ho trovata: ‚Was ich noch immer suche und nicht gefunden habe, ist dies: Unter tausend Mann habe ich einen gefunden, aber unter allen Frauen keine‘).“ Die CEI-Übersetzung erläutert: „Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Kohelet in 9,9 dazu aufruft, ‚das Leben zu genießen mit der Frau, die man liebt‘, das heißt mit der eigenen Ehefrau, und dass er mithin die eheliche Liebe als einen der wenigen positiven Aspekte des Daseins ausmacht“. „Wessen Leben verfehlt ist“ in 7,26 wird in der Vulgata mit qui autem peccator est wiedergegeben.
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in den düstersten Farben,6 während 26,1–24 einen Vergleich zwischen der guten und der schlechten Frau anstellen.7 Erstere wird zärtlich und liebevoll gepriesen, weil sie dem Mann Glück bringt, der in diesem Fall Gottes besonderes Wohlwollen genießt, sodass er seine Tage in Frieden verbringen kann.8 Größere Aufmerksamkeit scheint Sir jedoch auf die entgegengesetzten Fälle zu richten. Sie werden durch einen Hang zum Bösen verursacht, der bei „der Frau“ als besonders stark und verheerend dargestellt wird, weil Sünde und Tod von ihr ihren Ausgang nehmen9 und man sich stets vor Augen halten müsse: „Klein ist jede Bosheit im Vergleich zur Bosheit einer Frau“.10 Wehrlos und in beständiger Gefahr, ihrer Faszination hoffnungslos zu erliegen,11 darf der Mann keinesfalls vergessen, dass „durch die Schönheit einer Frau […] schon viele verführt“ wurden, denn „daran entzündet sich Liebe wie Feuer“ (Sir 9,9). Es ist mithin ein Fehler, sich einer Frau gänzlich hinzugeben,12 und es ist klug, sich nicht allzu oft dort herumzutreiben, wo man ihre Gesellschaft genießen kann.13 6 7 8
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Diese Perikope versehen mehrere Ausgaben der Biblia iuxta vulgatam Clementinam mit der Überschrift: De muliere nequam. Diese Perikope trägt die Überschrift: De muliere nequam et de muliere proba. Sir 26,2f.: „Eine mutige Frau macht ihren Mann froh, seine Jahre wird er in Frieden vollenden.“ / Mulier fortis oblectat virum suum et annos vitae illius in pace implebit; pars bona mulier bona, in parte bona [in parte: varia lectio] timentium Deum dabitur viro pro factis bonis. Sir 25,24: „Von einer Frau kommt der Anfang der Sünde und durch sie sterben wir alle.“ / V 25,33: A muliere initium factum est peccati et per illam omnes morimur. In den Anmerkungen der italienischen Übersetzung heißt es S. 1457: „Bezeichnend […] ist die Theoretisierung der Ursünde, deren Verursacherin, die Frau, zur Überbringerin des Todes wird. Die Perspektive ist eindeutig chauvinistisch. Diese Theorie wird später von der Patristik und der nachfolgenden Katechese der Kirche übernommen werden“. Sir 25,19; V 25,33: Brevis malitia [omnis malitia: varia lectio] supra malitiam mulieris; sors peccatorum cadat super eam. Sir 9,8: „Wende das Auge von einer wohlgeformten Frau ab und blick nicht begehrlich auf eine fremde Schönheit!“ V Averte faciem tuam a muliere compta et non circumspicias speciem alienam; 25,21: „Fall nicht herein auf die Schönheit einer Frau und verzehr dich nicht nach einer Frau (CEI: per una donna non ardere di passione: ‚entbrenne nicht aus Leidenschaft für eine Frau‘)!“ / V 25,28: Ne respicias in mulieris speciem et non concupiscas mulierem in specie. Sir 9,2: „Gib deine Seele nicht einer Frau hin, sonst tritt sie deine Stärke mit Füßen!“ V Non des mulieri potestatem animae tuae ne ingrediatur in virtute tua et confundaris. Sir 42,12‒14: „… sitz nicht in der Gesellschaft von Frauen (CEI: E non sederti insieme con le donne: ‚Und sitz nicht mit den Frauen zusammen‘)! Denn aus Kleidern kommt eine Motte heraus und aus einer Frau die Bosheit der Frau. Besser die Bosheit eines Mannes als eine wohltätige Frau und eine Frau, die mit Beschimpfung andere beschämt (CEI: una donna impudente è un obbrobrio: ‚eine schamlose Frau ist eine Schmach‘).“ V Et in medio mulierum noli commorari; de vestimentis enim procedit
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Das hier skizzierte Panorama bildet den Lese- und Deutungshintergrund für den titelgebenden Vers aus dem Buch Jesus Sirach, in dem es heißt, der Wein und die Frauen hätten die Macht, den Weisen in die Apostasie zu stürzen.14 Diese Sentenz ist in der Geschichte und Spiritualität des Westens wohlbekannt und so etwas wie eine Quintessenz aus den zitierten themenverwandten Stellen. Im Folgenden sollen ihr Vorkommen und ihre Verwendung in den Schriften der spätantiken und mittelalterlichen Latinität dokumentiert und dabei die Themen und Eigenarten des Diskurses herausgearbeitet werden. Ein erstes Resultat, das die Untersuchung der betreffenden Texte erbracht hat, ist der Befund, dass die Apostasie in der damaligen Zeit offenbar ganz selbstverständlich mit der physischen und fleischlichen Ausschweifung gleichgesetzt wurde, als deren unmittelbare und konkrete Ursache man die Gier und insbesondere die Gier nach Wein betrachtete. Im Kontext der Apostasie-Erklärung aus dem Buch Sirach wird vor allem in den Abhandlungen de cavendis vitiis15 unter Einbeziehung von Eph 5,18 ermahnt, sich vor Trunkenheit zu hüten, weil der Wein namentlich für diejenigen, die zur Ruhe des Ordens- und Mönchslebens berufen sind, ein Nährboden von Ausschweifung und Ursache von Regellosigkeiten sei. Letzteres wird insbesondere im Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloisa thematisiert. Dort heißt es, dass die Trunkenheit das göttliche Geschenk der Vernunft in uns verdunkele und, wie uns die Schrift oft vor Augen führe, für viele eine Quelle des Verderbens sei.16 Unter den zahlreichen Bibelversen, die als Belegstellen angeführt werden, findet sich auch der, der den Wein und die Frauen für die Apostasie des Weisen verantwortlich macht.17 Ein boshafter Leser mag sich fragen, ob zu Letzteren auch Heloisa selbst gezählt werden muss, doch der Kontext liefert uns diesbezüglich keine Anhaltspunkte. In anderen Texten wird das Laster der Völlerei als solches und in seinen oft abstoßenden und erbärmlichen Aspekten als Nährboden der Ausschweifung dargestellt. Der betreffende Diskurs greift oft und gerne auf Bibelstellen
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tinea et a muliere iniquitas viri [viro: varia lectio]. Melior est iniquitas viri quam benefaciens mulier et mulier confundens in obprobrium. Sir 19,2: „Wein und Frauen verführen die Klugen (CEI: Vino e donne fanno deviare anche i saggi: ‚Wein und Weiber bringen auch die Weisen vom Weg ab‘)“. V Vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes. Vgl. z. B. Hinkmar von Reims, De cavendis vitiis et virtutibus exercendis 1,5 (MGH.QG 16,149f.), wo die lange Auflistung von Bibelstellen, die vor dem Laster der Trunksucht warnen, mit Eph 5,18 beginnt (Nolite inebriari vino in quo est luxuria) und mit Sir 19,2 endet (Vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes). Abaelard, Briefwechsel mit Heloisa VI,[17] (Pagani 354): Quid etiam tam religioni quietique monasticae contrarium est quam quod luxuriae fomentum maxime prae stat et tumultus excitat, atque ipsam Dei in nobis imaginem, qua praestamus ceteris, id est rationem, delet? Hoc autem vinum est, quod supra omnia victui pertinentia plurimum Scriptura damnosum asserit, et caveri admonet. Vgl. ebd.; unter den dort angeführten Bibelstellen findet sich auch Sir 19,2.
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zurück, unter denen uns auch Sir 19,2 wiederbegegnet. Alain de Lille zum Beispiel verurteilt in einem mit Contra gulam überschriebenen Kapitel seines Traktats De arte praedicatoria nach der üblichen Auflistung der bekannten Schriftstellen über den Wein als Wurzel der Wollust die Unmäßigkeit im Essen als mentis sepulcrum, acervus stercorum, origo luxuriae, mater nauseae („Grab des Geistes, Haufen von Kot, Ursprung von Schwelgerei, Mutter des Erbrechens“).18 Noch realistischer ist die Hieronymus-Stelle, die Alardus Gazeus in seinem Kommentar zu Cassians De institutis coenobiorum zitiert und wo, wieder im Kontext des betreffenden Sirachverses, vom spiritu fornicationis die Rede ist. In seinem Brief an den Priester Amandus stellt Hieronymus eine enge und konkrete Verbindung zwischen der Unmäßigkeit im Essen und der Ausschweifung her, weil die voluptas genitalium entfesselt werde, wenn der Bauch mit Speise gefüllt und im Übermaß mit Wein getränkt sei.19 Besonders schwerwiegend seien die Trunkenheit und die Knechtschaft des Weines bei jenen, die zum Dienst an den Seelen berufen sind. In der Predigt De officio pastorali eines unbekannten Verfassers, die die Patrologia Latina im Anhang zu den Werken des Erzbischofs Johann von Rouen bietet, wird auf die Mahnung des Epheserbriefes verwiesen, wonach niemand, der dem Wein allzu sehr zugetan ist, zum Bischofsamt zugelassen werden dürfe.20 Begründet wird dies wie folgt: „Non vinolentum. Turpissimum enim presbyterum vino deditum esse. Ebrietas excaecat rationem, unde Salomon: vinum et mulieres apostatare faciunt hominem [al., sapientes]“ („Keinen Trunksüchtigen. Allzu schändlich nämlich ist ein Priester, der dem Wein ergeben ist. Die Trunksucht verblendet die Vernunft, weshalb Salomo sagt: Wein und Frauen machen einen Menschen [=Mann] [bzw. weise Männer] abtrünnig.“).21 Die Apostasie wäre mithin eine Folge der Verblendung des Verstandes und diese wiederum das Verhängnis dessen, der der Macht des Weines und der Frauen erliegt. 18 Alanus de Insulis, De arte praedicatoria 6 (PL 210,119‒120). 19 Zu Cassians Text vgl. Anm. 64. Zum Kommentar von Alardus Gazeus vgl. PL 49,265c: teste D. Hieronymo ep. 146, ‚Gula fomes sit et mater libidinis, ventremque cibo distentum et vini potionibus irrigatum voluptas genitalium sequatur, et pro ordine membrorum ordo sit vitiorum‘… Hinc Scriptura passim haec duo vitia conjungit. Ose. IV: Fornicatio, vinum et ebrietas auferunt cor. Sir 19,2 Vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes. Leichte Abweichungen im Text des Hieronymus sind in der kritischen Ausgabe von Isidor Hilberg vermerkt, Ep. 45,2 (CSEL 44,488,15‒18). 20 Incerti auctoris Sermones sex ad populum 2 (PL 147,224a): Qualis autem debeat presbyter esse describit Apostolus cum dicit: Oportet episcopum sine crimine esse, tamquam Dei dispensatorem, non protervum, non iracundum, non vinolentum, non percussorem, non turpis lucri appetitorem (Tit 1,7) („Wie der Priester sein muss, beschreibt der Apostel, wenn er sagt: ‚Es ist notwendig, dass der Bischof als Verwalter Gottes ohne Tadel ist: nicht hochmütig, nicht jähzornig, nicht dem Wein hingegeben, nicht gewaltsam, nicht gierig auf schändlichen Gewinn‘“). 21 PL 147,224c.
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Es gibt allerdings auch Texte, deren Verfasser den Wein (oder, allgemeiner, das unmäßige Essen und Trinken) nicht mit der Anfälligkeit für die Versuchungen des Fleisches in Verbindung bringen, obwohl Sir diesen Zusammenhang zu suggerieren scheint. In diesen Fällen – wenn also auf die Gefahren des Weines, nicht aber auf den möglichen Anteil der Frauen an der Apostasie des Weisen hingewiesen werden soll ‒ wird die Sir-Stelle unvollständig zitiert und als Feind lediglich die Unmäßigkeit benannt: ein Drang, den es, wie wir in der Regel des Hl. Benedikt im Kap. De mensura potus lesen, zu zügeln gilt. Das Ideal wäre nach ihm die völlige Enthaltsamkeit im Sinne der Vollkommenheit des monastischen Lebens, und um besondere Verdienste zu erwerben.22 Die Zeiten scheinen jedoch für einen so radikalen Verzicht nicht günstig, und so beschränkt sich der Regelgeber auf den Wunsch, dass der Wein non usque ad satietatem […] sed parcius („nicht bis zur Sättigung, sondern etwas sparsamer“) genossen werden solle.23 Als auctoritas wird wieder Sir 19,2 angeführt, den die Regula allerdings, um nicht vom eigentlichen Thema abzulenken, in leicht abgewandelter Form zitiert: quia vinum apostatare facit etiam sapientes („weil Wein sogar weise Leute abtrünnig macht“).24 Diese verkürzte Zitation von Sir 19,2 in der Regel des Hl. Benedikt, bei der die Frauen als Ursache der Apostasie unerwähnt bleiben, wird bemerkenswerterweise in den bedeutendsten mittellateinischen Lexika als Beleg und Erklärung für das Lemma apostatare angeführt. Schon bei Isidor von Sevilla, der eine frühere Tradition aufgreift, wird diese Vokabel in der Bedeutung überliefert, in der sie heute noch verwendet wird und die sich auch in den Wortlisten der berühmtesten lateinischen Glossare findet. Ein Apostat ist jemand, der sich, nachdem er die Taufe empfangen hat, vom christlichen Glauben abwendet und zur Befleckung götzendienerischer Lügen und Riten zurückkehrt.25 Schon in den Glossaren zeichnet sich jedoch neben der soeben erläuterten eine weitere Bedeutung des Lemmas ab, denn ein Apostat ist sowohl jemand, der sich vom Glauben abkehrt, als auch jemand, der um einer Laune willen den rechten Weg verlässt und sich auf die Straße des Bösen
22 Benedikt, Regula 40,3‒4: De mensura potus (Picasso 132ff.): credimus eminam vini per singulos sufficere per diem. Quibus autem donat Deus tolerantiam abstinentiae, propriam se habituros mercedem sciant. Die Regel des heiligen Benedikt (hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz; Beuron: Beuroner Kunstverlag, 2009), 84: „[…] meinen wir, dass für jeden täglich eine Hemina Wein genügt. Wem aber Gott die Kraft zur Enthaltsamkeit gibt, der wisse, dass er einen besonderen Lohn empfangen wird.“ 23 Benedikt, Regula 40,6. 24 Benedikt, Regula 40,7. 25 Isidorus von Sevilla, Etymologiarum sive Originum libri XX VIII,X,5 (Lindsay): Apostatae dicuntur qui post baptismum Christi susceptum ad idolorum cultum et sacrificiorum contaminationem revertuntur.
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begibt.26 Papias verschmilzt beides zu einer einzigen Glosse, weil für sein Empfinden das eine aus dem anderen erwächst und eine Einheit bildet.27 Auch in den später entstandenen Lexika des Osbernus und des Huguccio von Pisa findet Sir 19,2 Verwendung. Die beiden Verfasser zitieren allerdings so, wie in der Regel des Hl. Benedikt überliefert ist: Nur der Wein wird als Grund für die Apostasie des Weisen genannt, und es ist nicht davon die Rede, dass gemäß der Schrift auch die Frauen dafür verantwortlich wären. Osbernus greift beide Aspekte des Apostasie-Begriffs auf und verweist auf eine Stelle bei Papst Siricius, wo der Christ, der seinem Glauben abschwört, verurteilt wird.28 Sir 19,2 zitiert er, nur mit Bezug auf den Wein, unter dem Stichwort apostatare, das als gleichbedeutend mit pervertere erklärt wird.29 Huguccio zollt diesen Lemmata ebenfalls große Aufmerksamkeit, reduziert den Bezug auf den Abfall vom christlichen Glauben jedoch auf ein Minimum und betont umso mehr die Vorstellung, dass jemand von der Ehrenhaftigkeit in die Perversion, vom Guten ins Böse verfällt. Eine der angeführten derivationes ist, wie bei Osbernus, die ab apostolus per contrarium,30 was zur folgenden Glosse Anlass gibt: et dicitur hic et hec apostata -e, perversus, renuntiatus, refuga, retromissus; proprie ille dicitur apostata qui primo bene agit, sed postea pervertitur et male agendo retro abit („Dieser oder jene wird genannt Apostat, verkehrt, widersagend, zurückweichend, zurückgeschickt; 26 Vgl. z. B. „Glossarium Ansileubi“, in Glossaria Latina iussu Academiae Britannicae edita (hg. v. Wallace M. Lindsay et al.; Paris: Les Belles Lettres, 1926; Nachdruck Hildesheim: Olms, 1965), 58: „AP 153 (Isid. 8,10,5); 154: apostatare: retro ire, prevaricare“. Weitere nützliche Informationen zum Begriff der Apostasie bieten die Indizes zu den Stichwörtern apostata und apostatare im Corpus Glossariorum Latinorum 6 (hg. v. Gustav Loewe und Georg Goetz; Leipzig: Teubner, 1899; Nachdruck Amsterdam: Hakkert, 1965), 82a. 27 Papias, Elementarium Littera A (de Angelis 304,90f.): Apostata qui recedit de via iusta, post baptismum ad idola convertitur – apostatare retroire, praevaricari, et post baptismum ad idola verti („Apostata: wer vom rechten Weg zurückweicht und sich nach der Taufe den Götzen zuwendet. Apostatare: zurückkehren, seine Pflichten verletzen und sich nach der Taufe den Götzen zuwenden“). 28 Osbernus, Derivationes A,XXXII,5‒7 (Bertini/Ussani 34f.): Et per antifrasin apostata te .i. renuntiatus vel perversus, unde apostaticus a um .i. perversus, et hec apostasia renuntiatio, in decretis Sirici pape ‚adiectum est et quosdam Christianos ad apostasiam transeuntes‘; in der Anmerkung findet sich der Verweis auf Ep. pontif. 225 (PL 13,1136a). 29 Osbernus, Derivationes A,XXXII,8: Et apostatare .i. pervertere, unde in libro sapientie: vinum apostatare facit etiam sapientes. 30 Huguccio von Pisa, Derivationes (Cecchini 322,[11],1779): Unde videtur componi ab apo et stans, quasi retro stans, vel, ut dicunt, derivatur ab apostolus per contra rium, vel ab appostus -a -um, quod est perversus et contrarius, et fit ab appono („Weshalb es aus apo und stans zusammengesetzt scheint, wie retro stans [rückwärts gekehrt], oder, wie sie sagen, durch Umkehrung von apostolus abgeleitet oder von appostus, -a, -um, was verkehrt und entgegengesetzt bedeutet und von appono kommt“).
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im eigentlichen Sinn wird Apostat genannt, wer zuerst gut handelt, aber später sich ins Gegenteil verkehrt und durch schlechtes Handeln nach hinten weicht.“).31 Sir 19,2 zitiert Huguccio unter dem Lemma apostato -as und fügt folgende Erklärung hinzu: retro abire a bono, perverti [im App.: scripsi: pervertere codd.], perverse agere, unde in Libro Sapientiae ‚vinum apostatare facit etiam sapientes‘.32 Unverkürzt, mit vollständiger Benennung der Ursachen der Perversion, wird der Vers hingegen im Catholicon des Johannes Balbus zitiert. Dort heißt es am Ende der von Huguccio übernommenen Informationen mit exakter Angabe des biblischen Buchs, aus dem der zitierte Vers stammt: Unde Ecclesiastici XIX: vinum et mulieres apostatare [apostotare in der benutzten Ausgabe] faciunt etiam sapientes („Daher Sirach 19: Wein und Frauen machen sogar weise Leute abtrünnig.“).33 Außerhalb der lexikographischen Verzeichnisse kommen die beiden Aspekte der Apostasie – der Abfall vom Glauben und die Verstrickung in das abgründig Böse, die in den völligen Untergang führt ‒ in unterschiedlichen Schattierungen und Abstufungen zum Tragen, wenn die Verfasser anhand von Sir 19,2 zur (auch vollkommenen) Keuschheit mahnen oder davor warnen, sich von den Trugbildern umgarnen und verzaubern zu lassen, die mit den Verlockungen der Ausschweifung einhergehen. Nicht häufig, aber doch präsent ist in den Abhandlungen über die Keuschheit die Vorstellung, dass das Fehlen dieser Tugend entweder ein Zeichen mangelnden Glaubens ist oder zum Abfall vom Glauben und mithin zur Apostasie führt. Das Thema wird im Sermo de castitate eines unbekannten Verfassers behandelt, der sich in der Patrologia Latina im Anhang zu den Werken des Augustinus findet. Der Text zitiert zunächst den Sirachvers34 und erklärt anschließend, dass der Ehebruch ein untrügliches Zeichen für einen fehlenden Glauben an Gott sei, weil dabei unter Missachtung seines Gesetzes etwas begangen werde, was man vor den Menschen zu verheimlichen suche. Für die Ehebrecher nämlich gelte der Psalmvers über den insipiens, den Toren, der sagt, es gebe keinen Gott.35 31 Ebd.; der Gedanke wird in Cecchini 322,(12),1180 noch einmal bekräftigt: unde apostaticus -a -um, perversus, et apostasia -e, renuntiatio, retro ad malum itio. 32 Ebd. 33 Johannes de Balbis, Catholicon (Mainz, 1460; Nachdruck Westmead: Gregg, 1971), Stichw. apostota [korr.: apostata]. 34 Sermo de castitate 1 (PL 39,2291): Quandocumque castitatem, fratres carissimi, secundum quod decet et expedit, commendamus […] et illud Salomonis: Vinum et mulieres apostatare faciunt etiam sapientes et arguunt sensatos (Sir 19,2) („Unter allen Umständen, liebste Brüder, empfehlen wir die Enthaltsamkeit […] und jenen Ausspruch Salomos: Der Wein und die Frauen lassen auch die Weisen abfallen und klagen die Vernünftigen an“). 35 Ebd. 6 (PL 39,2293): Sed de talibus clamat per prophetam Spiritus sanctus. Dixit, inquit, insipiens in corde suo: non est Deus (Ps 13[14],1).
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Ausdrücklich von der Apostasie, dem Abfall vom christlichen Glauben und dem daraus resultierenden Untergang ganzer Völker und Zivilisationen ist bei Salvian von Marseille die Rede, der in seiner Rezeption von Sir 19,2 beide Ursachen der Apostasie des Weisen, den Wein und die Frauen, erwähnt. In einer bekannten Passage aus De gubernatione Dei beschreibt er die grassierende Sittenlosigkeit in den christianisierten Länden, die sich nun der Apostasie schuldig machten und schlimmer seien als die Barbaren, die sie unglücklicherweise unterworfen hätten. Junge und Alte bibunt, ludunt, moechantur, insaniunt36 in einer Welt, deren Untergang unaufhaltsam ist, und fallen ebendeshalb vom christlichen Glauben ab.37 Personifiziert wird dieser Abfall vom rechten Glauben durch König Salomo, der der Faszination fremdländischer Frauen erlegen sei und sich zum Götzendienst habe hinreißen lassen. Hrabanus Maurus erinnert an diese Begebenheit, nachdem er die Sirachstelle zitiert hat,38 und zeigt sich entsetzt bei der Vorstellung, dass dieser so weise Herrscher, von der Liebe zu fremdländischen Frauen turpiter detentus („schändlich gefangen“), deren Götzen verehrt habe, sodass man ihn nun zu den Apostaten rechnen müsse.39 Ebenfalls von der Salomo-Geschichte inspiriert ist der Appell Gregors VII. an Alfons, König von Kastilien, den 36 Salvian von Marseille, De gubernatione Dei VI,78 (SC 220,412,49‒54): Vidi ego illic res lacrymabiles: nihil scilicet inter pueros differre et senes. Una erat scurrilitas, una levitas; simul omnia, luxus, potationes, perditiones; cuncta omnes pariter agebant, ludebant, ebriabantur, moechabantur, lasciviebant in conviviis („Dort sah ich beklagenswerte Dinge, nämlich, dass nichts die Alten von den Jungen unterschied: Eine einzige Geschmacklosigkeit herrschte, eine einzige Leichtfertigkeit, alles war gemeinsam: die Unzucht, die Trinkgelage, die Verderbtheiten; alles trieben alle gleichermaßen, spielten, betranken sich, hurten, gaben sich bei den Gelagen der Ausschweifung hin“). 37 Ebd. VI,79 (SC 220,142,58‒62): Et quid plura? In hoc per cuncta illa, quae diximus, devoluti sunt ut compleretur in eis dictum illud sermonis sacri: Vinum et mulieres apostatare faciunt a Deo. Nam dum bibunt, ludunt, moechantur, insaniunt, Christum negare coeperunt („Und was noch? Durch alle diese Verhaltensweisen, die wir genannt habe, wurden sie abwärts gerissen, sodass sich an ihnen jenes berühmte Schriftwort erfüllte: Der Wein und die Frauen führen zum Abfall von Gott“). Man beachte, dass das Bibelzitat an die im Text aufgestellte Behauptung angepasst worden ist. 38 Hrabanus Maurus, Commentarius in Ecclesiasticum 4,10 (PL 109,888cd): Vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes… quod bene expertus est Salomon. 39 PL 109,889a: Qui postquam accepit a Deo multam sapientiam quasi flumen, deseruit Deum patrum suorum, et junctus est mulieribus alienigenis, quarum amore turpiter detentus, fana profana et idola diversa eis fabricavit. Unde et laudem gloriae maximae perdidit et non inter electos sed inter apostatas computari promeruit (1 Kön 11) („Der, nachdem er von Gott große Weisheit, einen Fluss gleichsam, erhalten hatte, den Gott seiner Väter verließ und sich mit fremden Frauen verband und, von ihrer Liebe schändlich gefangen, gottlose Tempel und verschiedene Götzenbilder für sie anfertigen ließ. Deshalb verlor er die Ehre seines überaus großen Ruhms und verdiente es, unter die Apostaten gezählt zu werden“).
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er ermahnt, dem illicitum conubium, der illegitimen Verbindung, mit einer Verwandten seiner Frau ein Ende zu setzen.40 Ein falscher Mönch namens Robertus habe dieses Verhältnis gebilligt, der gemeinsam mit seiner Helfershelferin, einer gefallenen Frau, in Satans Diensten stehe.41 Als Kommentar zum Zitat von Sir 19,2, bei dem diesmal der Wein unerwähnt bleibt, dient der Hinweis auf das Schicksal des allerweisesten Königs Salomo, der als Mann und als König durch den incestus mulierum amor („unkeusche Liebe zu Frauen“) zerstört worden sei.42 Dieser Pseudomönch Robertus müsse zur Buße in die Abgeschiedenheit des Klosters von Cluny verbannt werden.43 Auch Innozenz III. macht ausgiebigen Gebrauch von den in der Schrift erzählten Begebenheiten, um zu veranschaulichen, dass viele wegen Frauen, propter speciem mulieris, in den Untergang gestürzt seien, wie es im Sirachvers heißt, der diesmal vollständig und auch einschließlich des arguent sensatos zitiert wird, mit dem der Text in der Vulgata endet.44 Die biblischen Episoden, auf die sich der Papst bezieht, um die verschiedenen Formen der Ausschweifung und die dafür verhängten Strafen zu dokumentieren, sind 40 Gregor VII., Papst, Registrum VIII,3 (MGH.ES 2/2,520,9‒11): Vires resume, illicitum conubium, quod cum uxoris tuę consanguinea inisti, penitus respue („Sammle deine Kräfte und weise die unerlaubte Verbindung, die du mit der Verwandten deiner Frau eingegangen bist, von Grund auf zurück“). 41 MGH.ES 2/2,519,24‒28: At nunc comperto, quod diabolus tuę saluti et omnium qui per te salvandi erant more suo invidens per membrum suum, quemdam Rodbertum pseudomonachum, et per antiquam adiutricem suam, perditam feminam, viriles animos tuos a recto itinere deturbavit … („Doch nun mach dir bewusst, dass der Teufel, der, wie es seine Art ist, dein Heil und das Heil all derjenigen, die durch dich hätten gerettet werden sollen, neidisch beäugt, deinen männlichen Geist durch einen seiner Gefolgsleute vom rechten Weg abgebracht hat, einen gewissen Robertus, einen falschen Mönch, und seine alte Komplizin, eine verlorene Frau“). 42 MGH.ES 2/2,519f.: Non te a salutaribus monitis atque institutis nostris inceste mulieris amor abripiat, quia mulieres apostatare faciunt sapientes. Ipsum quippe regem sapientissimum Salomonem incestus mulierum turpiter amor dejecit et florentissimum regnum Israel Dei judicio pene totum de manu posteritatis eius abrupit („Die Liebe einer unkeuschen Frau reiße dich nicht fort von den Mahnungen des Heils und von unseren Regeln, denn die Frauen lassen die Weisen abtrünnig werden. Selbst den weisesten König Salomo ließ die unkeusche Liebe zu Frauen schändlich untergehen, und durch das Urteil Gottes riss sie seiner Nachkommenschaft das überaus blühende Reich Israel fast völlig aus den Händen“). 43 MGH.ES 2/2,520,15‒18: Prędictum sane nefandissimum Rodbertum monachum, seductorem tui et perturbatorem regni, ab introitu ecclesie separatum intra claustra monasterii Cluniacensis in penitentiam retrudi decernimus. 44 Innozenz III., Papst, De contemptu mundi sive de miseria humane conditionis II,23 (d’Antiga 112,2): Verum est ergo quod legitur: ‚Propter speciem mulieris multi perierunt‘. Nam: ‚vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes et arguunt sensatos‘ („Wahr ist also, was man liest: ‚Durch die Schönheit einer Frau sind viele untergegangen‘. Denn ‚Der Wein und die Frauen lassen die Weisen abtrünnig werden und klagen die Vernünftigen an‘“). Zur ersten der zitierten Sentenzen vgl. Sir 9,9.
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zahlreich. Der Rahmen ist sehr weit gespannt und erwähnt auch Begebenheiten, zu denen der Vers aus dem Buch Sirach nicht recht passen will, weil die Katastrophe in den betreffenden Fällen weder vom Wein noch von den Frauen verursacht worden ist. Erinnert wird vor allem an die Erzählungen aus Gen 19, wo die Stadt Sodom um der Sünden willen, mit denen sich ihre Einwohner befleckt haben, zerstört wird.45 Ebenfalls auf die Genesis bezieht sich der Verweis auf das Massaker an den Sichemiten, das die unversöhnlichen Jakobssöhne Simeon und Levi sogar gegen den Willen ihres Vaters verübten, um die Vergewaltigung ihrer Schwester Dina durch Sichem, den Sohn des regionalen Fürsten, des Hiwiters Hamor, zu rächen (Gen 34).46 Die Liste der Katastrophen, die durch ein nach göttlichem Gesetz verdammenswertes sexuell motiviertes Verhalten hervorgerufen wurden, setzt sich fort mit der Geschichte der Söhne Judas Er und Onan, die – insbesondere Letzterer – sich schuldig gemacht hatten, weil sie getan hatten, was „dem Herrn missfiel“, und zur Strafe sterben mussten (Gen 38,6–10).47 Das Buch Numeri erzählt von der Apostasie Israels, das sich dem Kult des Baal-Pegor zuwandte, als „das Volk mit den Moabiterinnen Unzucht zu treiben“ begann, und von der Plage, die als göttliches Strafgericht über die Israeliten kam, bis Pinhas, der Sohn Eleasars, Vergeltung übte und den Israeliten und die Midianiterin durchbohrte (Num 25,1–17).48 Die Gewalt, die die Benjaminiter von Gibea der Nebenfrau des Leviten aus dem Gebirge Efraim antaten, löste einen Krieg aus, der diesem Stamm der Israeliten die Niederlage und den Untergang brachte (Ri 19–20).49 Hofni und Pinhas, die Söhne des Priesters Eli, schliefen „mit den Frauen […], die am Eingang des Offenbarungszeltes Dienst versahen“, und hörten nicht auf die Ermahnungen ihres frommen und sanftmütigen, aber allzu nachgiebigen Vaters. Daraufhin kam das göttliche Strafgericht auf sie herab und brachte sie zu Tode, als die Philister Israel besiegten und die Bundeslade des Herrn erbeuteten (1 Sam 2,12–36, insbes. V. 22; 4,1–11).50 Die Aufzählung der durch die Sünde der Ausschweifung provozierten Untergänge wendet sich sodann weiteren Fällen zu, die nicht weniger schmerzlich und dramatisch sind. Urija verliert sein Leben durch die Intrigen des Königs David, der sich in Urijas Frau Batseba verliebt hat (2 Sam 11,1‒27).51 Tamar wird von Amnon vergewaltigt und von ihrem Bruder Abschalom ge45 D’Antiga 112,1: Quis eius [sc. luxuriae] multiplices species sufficienter valeat explicare? Hec enim Pentapolim cum adiacenti regione subvertit. Vgl. Gen 19,12‒29: Das Gericht über Sodom. 46 Ebd., Sichem cum populo interemit. Vgl. Gen 34,1‒5 (Dinas Vergewaltigung), V. 6‒24 (Heiratsübereinkunft zwischen den Söhnen Jakobs und den Sichemiten), V. 25‒31 (Massaker an den Sichemiten). 47 Ebd., Her et Onan filios Iuda percussit. 48 Ebd., Judaeum et Madianitidem pugione transfodit. 49 Ebd., Tribus Beniamin pro uxore levitae delevit. 50 Ebd., Filios Eli sacerdotis in bello prostravit. 51 Ebd., Haec Uriam occidit.
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rächt, der den Schuldigen bei einem Festmahl töten lässt (2 Sam 13,1‒22).52 Aus Wollust verleumden zwei Älteste mit Richterfunktion die keusche Susanna, werden von Daniel überführt und mit dem Tode bestraft (Dan 13).53 Aus Wollust bringt sich Ruben um den Segen seines Vaters, weil er dessen Lager geschändet hatte (Gen 35,22);54 aus Wollust erliegt Simson Delilas Verführungskünsten (Ri 16,4‒21);55 aus Wollust lässt sich Salomo zu ruchlosem götzendienerischem Tun hinreißen (1 Kön 11).56 In trockenem, lapidarem Stil hämmert Innozenz’ Liste dem Leser die tragischen Begebenheiten und Schicksale biblischer Gestalten, die sich ins Unglück gestürzt haben, förmlich ein, weil sie der Faszination weiblicher Schönheit und sinnlichem Verlangen erlegen sind. Abschließend kommentiert der Papst, wie schon erwähnt, Verum est ergo quod legitur: ‚propter speciem mulieris multi perierunt‘, um sodann, mit einem vielsagenden nam eingeleitet, zur Bekräftigung Sir 19,2 zu zitieren.57 Für Jonas von Orléans dient dieses biblische Effatum als Bindeglied in der Abfolge seiner Gedanken zu den verhängnisvollen Konsequenzen der Laster der Völlerei und Ausschweifung.58 Zur Völlerei zitiert er dieselbe Hieronymus-Stelle, die, wie bereits erwähnt, auch Alardus Gazeus verwenden wird, um die insana voluptas, unmäßige Lust, zu beschreiben, der man erliegt, wenn man diesem Laster verfällt.59 Gleich darauf kommen die verheerenden 52 Ebd., Ammon interfecit. 53 Ebd., Presbyteros lapidavit. Der recht vage Hinweis in PL 217,726a bezieht sich auf Dan 13: die Erzählung von der keuschen Susanna und den beiden alten Richtern Israels, die wegen ihrer verleumderischen Intrige gegen Susanna hingerichtet werden. 54 Ebd., Ruben maledixit. Vgl. Gen 35,22: „Während Israel in jenem Land wohnte, ging Ruben hin und schlief mit Bilha, der Nebenfrau seines Vaters. Israel hörte davon“, und 49,3f.: „Ruben […] der Erste sollst du nicht bleiben. Du bestiegst ja das Bett deines Vaters; geschändet hast du damals mein Lager.“ 55 Ebd., Sansonem seduxit. 56 Ebd., Salomonem pervertit. Vgl. 1 Kön 11,1f.: „König Salomo liebte neben der Tochter des Pharao noch viele andere ausländische Frauen: Moabiterinnen, Ammoniterinnen, Edomiterinnen, Sidonierinnen, Hetiterinnen. Es waren Frauen aus den Völkern, von denen der Herr den Israeliten gesagt hatte: Ihr dürft nicht zu ihnen gehen und sie dürfen nicht zu euch kommen; denn sie würden euer Herz ihren Göttern zuwenden.“ 57 Vgl. Anm. 44. 58 Jonas von Orléans, De institutione laicali III,6: De octo vitiis principalibus (PL 106,244d). Gegen Ende der langen Aufzählung von Bibelstellen über die Völlerei und nach dem Zitat von Sir 19,2 schlussfolgert der Verfasser: Ex gula quippe nascitur inepta laetitia, scurrilitas, levitas, vaniloquium, immunditia corporis, instabilitas mentis, ebrietas, libido („Aus der Trunksucht erwachsen nämlich die alberne Fröhlichkeit, Narretei, Leichtfertigkeit, eitles Geschwätz, ein unreiner Körper, ein unsteter Geist, Trunkenheit, Wollust“). 59 Ebd.: Ut enim beatus Hieronymus ait, ventrem cibo distentum et diversis potionibus irrigatum statim voluptas genitalis sequitur („Wie nämlich der selige Hieronymus sagt, folgt die geschlechtliche Lust sogleich auf einen mit Speise prall gefüllten und mit verschiedenen Tropfen getränkten Bauch“). Vgl. Anm. 19.
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Auswirkungen der Unzucht zur Sprache, namentlich jene, die von Gott entfernen und mithin zur Apostasie führen. Die Zerrüttung betrifft die gesamte seelische und körperliche Verfassung,60 aber vor allem den Glauben, weil der Sünder letztlich Hass auf das göttliche Gesetz empfindet, Schwächung des Geistes und ungerechte Begierden erfährt, sein zukünftiges Leben und sein ewiges Schicksal vergisst und nur mehr an die irdischen Vergnügen denkt.61 Im Kontext dieser Überlegungen und Kommentare zu Sir 19,2 werden von den Verfassern auch Vergleiche zwischen der vollkommenen Keuschheit und der Entscheidung für den ehelichen Stand angestellt. Das Urteil fällt stets zugunsten der ersteren Option aus, die als unwiderlegbares Zeichen dafür gewertet wird, dass man Gott den Vorrang einräumt und so zum Gipfel der christlichen Vollkommenheit gelangt. In einer der Predigten, die die Patrologia Latina Hildebert von Lavardin zuschreibt, wird nach der Auflistung des Sirachverses und anderer, analog gedeuteter biblischer Verweise auf Verhängnisse von Menschen, die sich der Ausschweifung hingegeben haben,62 die Entscheidung desjenigen gelobt, der folgerichtig beständige und vollkommene Enthaltsamkeit übt und somit Gott ein immerwährendes Opfer, ein unausgesetztes sacrificium bringen kann: einen Akt vollkommener Frömmigkeit, wie sie dem, der der ehelichen Knechtschaft unterworfen ist, nicht zugestanden wird.63 Im Zusammenhang mit der sexuellen Enthaltsamkeit lassen einige Autoren trotz aller Radikalität ihrer eigenen Auffassungen bei dem Gedanken an den furchtbaren und ununterbrochenen Kampf dessen, den sein Lebensstand zu vollkommener Keuschheit verpflichtet, hin und wieder eine gewisse Beklommenheit ahnen. Man muss nur das erste Kapitel De spiritu fornicationis im sechsten Buch von Cassians De institutis coenobiorum lesen. In seinem Kommentar zu diesem kurzen Text stellt Alardus Gazeus Zitate aus biblischen und anderen Texten zusammen, unter denen sich auch Sir 19,2 findet. Cassians Text ist von Formulierungen durchsetzt, aus denen die Überzeugung spricht, dass den, der nach dem Ideal der christlichen Vollkommenheit und damit nach vollkommener Keuschheit strebt, extreme Schwierigkeiten und harte Kämpfe erwarten. Ja er erklärt sogar ohne Umschweife, dass es 60 PL 106,245a: Nascitur vero ex fornicatione caecitas mentis, inconstantia oculorum vel totius corporis, amor immoderatus, saepe periculum vitae, lascivia, joca, petulantia et omnis incontinentia („Aus der Unzucht entstehen sodann die Blindheit des Geistes, die Unstetheit der Augen und des ganzen Leibes, die maßlose Liebe, oft Gefahr des Lebens, Zügellosigkeit, Tändeleien, Unverschämtheit und alle Arten von Unmäßigkeit“). 61 Ebd.: Odium mandatorum Dei, mentis enervatio et iniustae cupiditates, negligentia vitae futurae et praesentis delectatio. 62 Vgl. Hildebert von Lavardin, Sermones LXXVI,617 (PL 171,711b–d). 63 PL 171,711f.: Quis his exemplis et monitis instructus assidue continenter vivit, juge sacrificium Deo reddit, quod non offerunt qui conjugio serviunt, sed illi qui perpe tuae devoti sunt castitati.
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nur wenigen gelinge, einen vollkommenen Sieg zu erringen. Es handele sich um ein immane bellum, einen andauernden Krieg, ohne Kampfpause, das das Leben des Mannes von der Glut der frühen Pubertät an begleite und erst enden werde, wenn auch alle anderen Laster besiegt seien.64 Der Autor geht also davon aus, dass die verschiedenen Maßlosigkeiten der verletzten und von Lastern geplagten menschlichen Natur sich gegenseitig beeinflussen und dass die Ausschweifung das hartnäckigste dieser Laster ist und erst dann niedergerungen werden kann, wenn die Tugend in allen anderen Bereichen den Sieg davongetragen hat. Mithin scheint Cassians Text von Anwandlungen des Leids und der Angst geprägt, und nicht umsonst zitiert Alardus Gazeus in seinem Kommentar die sattsam bekannte Stelle, in der Hieronymus die Phantasmen der Versuchung beschreibt, von denen er sich in der Einöde und unter strengen Bußübungen heimgesucht fühlte. Die Angst ließ ihn weinen und seufzen, und doch wirkte in seinem gezüchtigten und geschwächten Körper die Erinnerung an die tanzenden Mädchen und die in Rom verbrachten Tage als machtvolle Verlockung weiter nach.65 Der heutige Leser gewinnt den Eindruck, dass man sich dem Menschsein insgesamt früher eher über Grundsätze näherte, ohne allzu viel in Frage zu stellen, oder dass man zumindest annahm, alles sei ein für alle Mal festgelegt. Trotzdem kamen (damals nicht anders als heute) allenthalben Fragen und Dilemmata auf, und es ist immer interessant zu sehen, welche Themen aufgegriffen werden und ob es gelingt, Lösungen aufzuzeigen. Um bei den Kommentaren zu unserer Sirachstelle zu bleiben: In dem schon erwähnten Sermo de castitate, den die Patrologia Latina in den An64 Vgl. Johannes Cassian, De institutis coenobiorum 6,1 (SC 109,262,1‒6): Secundum nobis traditione patrum adversus spiritum fornicationis certamen est, longum prae caeteris ac diuturnum et perpaucis ad purum devictum, inmane bellum et quod, cum a primo tempore pubertatis impugnare incipiat hominum genus, non nisi prius cetera vitia superentur extinguitur. 65 Vgl. den Cassian-Kommentar von Alardus Gazeus (PL 49,268b): O quoties, inquit [Hieronymus], in eremo constitutus, et in illa vasta solitudine quae solis exusta ardoribus horridum monachis praestat habitaculum, putabam me Romanis interesse deliciis! … Quotidie lacrymae, quotidie gemitus: et si quando repugnantem somnus imminens oppressisset, nuda humo vix ossa haerentia collidebam. Ille igitur ego, qui ob gehennae metum tali me carcere ipse damnaveram, scorpionum tantum socius et ferarum, saepe choris intereram puellarum („O wie oft – sagt er [scil. Hieronymus] – hatte ich, während ich in der Einöde war und in jener trostlosen Wüste, die, von der Sonnenhitze verbrannt, den Mönchen eine widrige Wohnstatt bietet, den Eindruck, mich mitten unter den Vergnügungen Roms zu befinden! […] Jeden Tag Tränen, jeden Tag Seufzer: Und wenn ich denn doch gegen meinen Willen vom Schlaf übermannt wurde, schlug ich auf dem nackten Erdboden die Knochen gegeneinander, die kaum zusammenhielten. Und so nahm ich, der ich mich aus Furcht vor der Hölle selbst zu einem solchen Kerker verurteilt hatte, Gefährte nur der Skorpione und der wilden Tiere, oft an Tänzen junger Mädchen teil“). Vgl. Hieronymus’ Brief an Eusto chium (Ep. 22,7).
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hang zu den Schriften des Augustinus stellt,66 kommen einige Fragen der Sexualethik zur Sprache und werden mit gesundem Menschenverstand erläutert und durchdacht. Vor allem wird die Anmaßung des Mannes verurteilt, der Treue von seiner Frau verlangt, aber nicht einsieht, dass er ihr gegenüber dieselben Verpflichtungen hat. Der Verfasser fragt sich: Quare non servant fidem uxoribus suis, quam sibi ab eis servari desiderant? („Warum bewahren sie nicht die Treue gegenüber ihren Frauen, die sie für sich selber von ihnen gewahrt zu werden wünschen?“)67 Dann weist er auf der Grundlage der Namenserklärung (derivatio nominis) vir a virtute („Mann von Mannhaftigkeit“) und mulier a mollitie, id est fragilitate („Frau von Weichheit, das bedeutet Unbeständigkeit“) darauf hin, wie lächerlich es sei, wenn der Mann von seiner Frau erwarte, dass sie die Bestie der Wollust besiege, während er selbst – der Starke – sich schon gleich zu Beginn des Kampfes geschlagen gebe.68 Der Traktat kommt sodann zu dem Schluss: In fide catholica quidquid mulieribus non licet, omnino nec viris licet.69 Dann richtet sich die Aufmerksamkeit auf erschwerte Bedingungen, die der Verfasser unseres Sermo kennt und beschreibt, die in ihm aber offenbar kein besonderes Mitleid erregen. Die Rede ist von Ehemännern, die compellente negotio aut iubente rege, also aufgrund geschäftlicher oder militärischer Verpflichtungen ihrem Zuhause über längere Zeit fernbleiben müssen. Wer sich in einer solchen Situation befindet, habe sich zu fragen: Quomodo castitatem servare possim? („Wie kann ich die Keuschheit bewahren?“)70 Die äußerst entschiedene Antwort fußt ausschließlich auf Gründen und Gegebenheiten des Glaubens. Die eheliche Treue müsse wegen Gott und für das Seelenheil (propter Deum et animam suam) auch in diesen Fällen gewahrt71 und Übertretungen müssten im Gedanken an das letzte Gericht und die ewigen Strafen durch Buße wiedergutgemacht werden.72 66 Vgl. Anm. 34. 67 Sermo de castitate 1 (PL 39,2292). 68 Ebd.: Cum enim vir a virtute nomen acceperit, et mulier a mollitie, id est fragilitate; quare contra crudelissimam bestiam libidinem vult unusquisque uxorem suam victricem esse, cum ipse ad primum libidinis ictum victus cadat? 69 Ebd. 3: „Im katholischen Glauben ist all das, was den Frauen nicht erlaubt ist, gänzlich auch den Männern nicht erlaubt“. 70 Vgl. ebd. 7 (PL 39,2293): Sed forte dicet aliquis: ecce compellente negotio aut jubente rege ab uxore tot mensibus aut annis separatus, quomodo castitatem servare possim? 71 Ebd. (PL 39,2294): Rogo vos, fratres charissimi, si propter negotii necessitatem et regis jussionem unusquique ab uxore sua interdum etiam longo tempore separatur; quare propter Deum et animam suam tam longo spatio temporis castitas non servatur? 72 Ebd.: Sciant qui talia agunt, quod si eis non poenitentia subvenerit, cum ante tribunal Christi stare coeperint, ab auditu malo liberari non poterunt: sed dicetur illis: Discedite a me, maledicti, in ignem aeternum (Mt 25,41).
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Die Hildebert von Lavardin zugeschriebene Moralis philosophia sieht die in Sir 19,2 formulierte Lehre in perfektem Einklang mit den Positionen der Klassiker, was der Autor sodann anhand von Zitaten aus den Schriften Sallusts, Senecas und Ciceros belegt.73 Bezeichnend ist vor allem die Parallele zwischen dem biblischen Vers und dem Hexameter aus Ovids Fasten, der Venus und den Wein ebenfalls als Ursache für den Untergang der vornehmsten Denker benennt. Hildebert passt den ovidischen Vers an den Gedanken an, den er zum Ausdruck bringen will, doch zweifellos dient die Kombination Venus / vinum auch in den Fasten dazu, mittels eines Hendiadyoins eine verhängnisvolle Kraft zu beschreiben, die sublimia pectora fregit („hehre Charakter bricht“).74 Die christlichen Autoren, die den Sirachvers kommentieren, weiten den Diskurs aus, um zu zeigen, dass die Apostasie, von der der biblische Text spricht, als Verlust der Weisheit oder sogar als totaler Untergang verstanden werden muss, der das Leben mit sich reißt. Der Wein und die Frauen, so heißt es bei Hrabanus Maurus, faciunt adversos et alienos a sapientia,75 wie der tragische Epilog der glorreichen salomonischen Herrschaft beweist.76 Innozenz III. lässt das Thema des Weins, nachdem er Sir 19,2 zitiert hat, wieder fallen und konzentriert sich stattdessen auf die Frau, besser gesagt auf die durch sie versinnbildlichte species,77 um zu erklären, dass diese vires enervat, sensus diminuit, dies consumit, opes effundit („die Kräfte schwächt, das 73 Vgl. Hildebert von Lavardin, Moralis philosophia. De honesto et utili I,49 (PL 171,1041b–1042b): Das Kapitel mit dem Titel De pudicitia ist ein Cento mit Stücken aus Sallust, Cat. 54, paucis mutatis, wie es in der Anmerkung heißt; aus Seneca, De benef. VII,2; und aus Cicero, De off. I,30. Die Verweise sind wie folgt zu korrigieren und zu ergänzen: Cat. 51,3; De benef. VII,2,2; De off. I,30,106. 74 PL 171,1042b: Nam venus et vinum sublimia pectora fregit. Item ‚vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes‘. In Ovids Fasten (I,301) beginnt der Hexameter mit non, was Hildebert zu nam umändert. Der Gedanke des klassischen Dichters geht dennoch im Wesentlichen in dieselbe Richtung wie Sir 19,2. Ovid stimmt das Lob der antiken Astronomen an und sagt, dass weder Venus noch der Wein ihr hehres Streben hätten hemmen können (Non Venus et vinum sublimia pectora fregit). 75 Hrabanus Maurus, Commentarius in Ecclesiasticum 1,10 (PL 109,888d): Vinum, inquit, et mulieres apostatare faciunt sapientes et arguunt sensatos, ac si diceret, ebrietas et fornicatio illos qui se sapientes in acumine ingenii et in subtilitate sensus aestimant faciunt adversos et alienos a vera sapientia, et reprehensibiles esse ostendunt, eo quod praeter donum praecipuum sapientiae in stultitiam maximam devoluti sunt („Der Wein, so sagt er, und die Frauen lassen die Weisen abfallen und beschuldigen die Vernünftigen; das ist, als würde er sagen: Trunkenheit und Unzucht lassen die, die sich aufgrund ihres Scharfsinns und Feingeists für weise halten, feindlich und fremd gegenüber der wahren Weisheit werden und zeigen, dass sie deshalb tadelnswert sind, weil sie sich über das besondere Geschenk der Weisheit hinweggesetzt und in die größte Dummheit gestürzt haben“). 76 Ebd.: quod bene expertus est Salomon. 77 Vgl. Anm. 44.
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Bewusstsein mindert, Tage vergeudet und Mittel verschwendet“).78 Salomos Schicksal wird indes meist als Beispiel für eine Apostasie im engeren, christlichen Sinne angeführt: für den Abfall vom rechten Glauben, den Rückfall in den Götzenkult oder sogar die Zurückweisung der Verbindung zu Gott. Salomo hatte sich ja von seiner Leidenschaft zu fremdländischen Frauen dazu hinreißen lassen, den fremden Gottheiten Kultstätten zu errichten; deshalb habe er es verdient (promeruit), zu den vom Glauben Abgefallenen gezählt zu werden (inter apostatas computari).79 Und auch der Ehebrecher wird – um noch einmal an bereits erwähnte Texte zu erinnern – von seiner Schuld zur Gottesleugnung verleitet, das heißt zur Torheit dessen, der sagt: Non est Deus, „es gibt keinen Gott“, wie es in dem schon zitierten Ps 13(14),1 heißt, der als Kommentar zu diesem Verstoß gegen das göttliche Gesetz angeführt wird.80 Für Salvian von Marseille beschwören der Wein und die Frauen, von denen in Sir 19,2 die Rede ist, das traurige Schauspiel der nunmehr von Regellosigkeit und Laster heimgesuchten Städte herauf, in denen sich die Christen durch Unsitte und Ausschweifung zum Abfall von ihrem Glauben hinreißen lassen. Er wandelt das betreffende Zitat sogar leicht ab, um deutlich zu machen, dass diese Übertretungen zwangsläufig zur Abkehr von Gott führen.81 Daneben gibt es aber auch „positive“ Lesarten des Sirachverses, der angeführt wird, um die Vorteile eines gemäßigten und klugen Gebrauchs der Sexualität im Rahmen der Ehe oder die Privilegien der Jungfräulichkeit nach christlichem Verständnis zu preisen. Ambrosius stellt dem Sirachzitat einen Verweis auf die paulinische Lehre über Ehe und Jungfräulichkeit zur Seite, um die Vorzüge der temperantia auch im Eheleben zu rühmen, um natürlich auch all das zu verwerfen, was womöglich aus einem maßlosen oder übergriffigen Verhalten zulasten des schwächeren Teils erwächst. Auch in der Ehe sei es ein Gebot der Klugheit und wechselseitigen Achtung, die Werte der Ausgeglichenheit und Mäßigung zu ehren, und die Verletzung dieser Werte sei, wie der Apostel treffend lehre, eine Art von Ehebruch.82 Diese gedanklichen Schritte führen Ambrosius zum Thema der Jungfräulichkeit, das ihm besonders am Herzen liegt und in vielen seiner Werke behandelt wird. Er zitiert berühmte Beispiele und biblische Texte, doch die Grundidee kommt in der folgende Formel zum Ausdruck: Virgo genuit mundi salutem, virgo peperit vitam universorum („Die Jungfrau hat das Heil der
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Innozenz III., Papst, De contemptu mundi II,23 (d’Antiga 112,2). Vgl. Anm. 39. V Ps 13,1: vgl. Anm. 35 und Kontext. Vgl. Anm. 37 und Kontext. Ambrosius, Epistulae, Ep. extra coll. XIV,32 (Opera 21,278): Vinum et mulieres apostatare faciunt etiam prudentes. Unde Paulus etiam in ipsis coniugiis temperantiam docet; est enim velut quidam adulter incontinens in matrimonio qui legem apostolicam praevaricatur.
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Welt hervorgebracht, die Jungfrau hat das Leben aller geboren.“).83 Die Größe der Jungfräulichkeit beruht also darauf, dass sie gewollt gewesen ist, damit im Geheimnis der Menschwerdung der ganzen Welt das Heil geschenkt werden konnte.84 Der Sirachvers, mit dem wir uns hier befassen, wird so zum Anlass des Nachdenkens sowohl über den Schaden, der entsteht, wenn man sich der Maßlosigkeit und Leidenschaft ergibt, als auch über die daraus resultierende Unmöglichkeit, an der Fülle jenes Planes teilzuhaben, mit dem Gott die Menschheit von der Sünde hat erlösen wollen. Aus diesen Erwägungen folgt die Notwendigkeit eines energischen Engagements: Der Weise muss zu Wachsamkeit und Vorsicht gemahnt werden, damit die Sirenen der Wollust ihn nicht ins Verderben stürzen. In der Appendix ad opera dogmatica des Hugo von St. Viktor in der Patrologia Latina findet sich im Kommentar zu unserem Bibelvers eine einzigartige accomodatio, mit der der Weise davon überzeugt werden soll, sich vom Wein und von den Frauen fernzuhalten.85 Nachdem er Mann und Frau als duo lapides igniferi definiert hat, ermahnt der Verfasser den Weisen mit Sir 19,2, sich vor Augen zu halten, dass viele propter vinum tamquam virum [sic] et propter feminas, id est voluptates ins Verderben gestürzt worden sind.86 Die nachdrückliche Warnung wird zu einem konstanten Anliegen der Autoren und stützt sich auf einen Bezugsrahmen, innerhalb dessen der Mann eine nahezu unveränderliche Komponente darstellt: Er ist zerbrechlich, rastlos und zu einem immerwährenden Kampf gezwungen, um der Frau nicht zu erliegen, deren Faszination er stets verspürt, deren Lockungen er aber widerstehen muss. Der Diskurs ist eher allgemein gehalten, doch man erkennt, dass die Mahnung sich fast immer an den homo Dei, den Gottesmann, richtet: Aufgrund seiner – priesterlichen oder monastischen – Berufung wird jedwedes Nachgeben zur Apostasie und liefert ihn den verhängnisvollen Klauen des Bösen aus. Die Schwerpunktsetzung kann unterschiedlich sein, doch der Inhalt der Mahnungen verändert 83 Ebd., Ep. extra coll. XIV,33 (Opera 21,278). 84 Ebd.: Quid autem loquar quanta sit virginitatis gratia, quae meruit a Christo eligi ut esset etiam corporale Dei templum, in qua corporaliter, ut legimus, habitavit plenitudo divinitatis? („Was aber soll ich sagen, wie groß die Gabe der Jungfräulichkeit ist, die verdientermaßen von Christus erwählt wurde, damit sie auch ein körperlicher Tempel Gottes sei, in der, wie wir lesen, die Fülle Gottes in körperlicher Weise Wohnung genommen hat?“) 85 De bestiis et aliis rebus, in Appendix ad Hugonis opera dogmatica II,2 (PL 177,58a: Vinum et mulieres apostatare faciunt homines sapientes (Eccli XIX). Verum vir sapiens et prudens a vino et a muliere se avertet. 86 PL 177,58b: Sunt autem duo lapides igniferi, masculus et femina. Tu igitur professor prudentiae, intellige multos periisse propter vinum tanquam virum [sic], et propter feminas, id est voluptates, et cautus esto ut salvus evadas („Es gibt nämlich zwei Feuersteine, den Mann und die Frau. Du also, der du dich zur Weisheit bekennst, erkenne, dass viele durch den Wein wie durch ein Gift und durch die Frauen, das heißt die Lüste, zuschanden geworden sind, und sei auf der Hut, damit du heil herauskommst“).
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sich nicht: Alle – und insbesondere der homo Dei – seien unvorsichtig und töricht, die Gefahr zu suchen, über deren Größe keinerlei Zweifel bestehen kann und die deshalb stets gemieden werden muss.87 Der erwähnte Sermo de castitate wendet sich vor allem an die jungen Männer, die gerne sagen, es sei unmöglich, diese Tugend zu üben. Der Verfasser nennt die Heilmittel, die man zu Hilfe nehmen kann: maßvolle Ernährung und eine sorgsame Vermeidung der Gefahren, die entstehen, wenn man im Umgang mit den Frauen in familiaritas oder suspecta societas verfällt.88 Als Beleg werden gleich im Anschluss drei Bibelstellen angeführt, darunter auch Sir 19,2. In den Anhängen zu den Werken des Isidor von Sevilla in der Patrologia Latina finden sich Testimonia, Auflistungen von Bibelstellen zu den beiden Kapiteln, in denen die Unzucht und die Maßlosigkeit im Trinken verurteilt werden.89 Bemerkenswert ist, dass am Ende dieser Listen – im Zusammenhang mit einem anderen Vers aus Sirach, der zur Wachsamkeit mahnt, weil ein Feuer immer darauf lauert, zu verschlingen ‒ auch das Phantasma der species mulieris mit Nachdruck heraufbeschworen wird, vor allem dann, wenn sie fremd (aliena) ist.90 Diese und andere Bibeltexte ähnlichen Inhalts werden auch von Abaelard zitiert, der ihre Botschaft voll und ganz akzeptiert. Gleichzeitig stimmt er das Lob der Keuschheit an, deren Verständnis das Christentum eher in Anlehnung an bestimmte Lehren der Philosophen als an die Tradition der jüdischen Welt entwickelt habe.91 Die lange Liste der von ihm direkt im Anschluss zi87 PL 177,58a, vor dem Zitat aus dem Buch Sirach (vgl. Anm. 85): Cave ergo, homo Dei, ebrietatem, nec obligeris luxuriae voluptate, ut non interficiaris a diabolo. 88 Sermo de castitate 1 (PL 39,2291): Forte adolescentes et adhuc in viridi aetate positi dicunt: juvenes homines sumus, continere non valemus. Quibus nos respondere et possumus et debemus, ne forte ideo castitatem custodire non possint, quia amplius manducant quam expedit, et vinum amplius accipiunt quam oportet, familiaritatem mulierum vitare nolunt atque earum suspectam societatem habere nec metuunt nec erubescunt („Vielleicht sagen die Heranwachsenden und die, die in der Blüte ihrer Jahre stehen: Wir sind jung, und es gelingt uns nicht, enthaltsam zu sein. Ihnen können und müssen wir antworten, damit sie nicht womöglich deshalb die Keuschheit nicht bewahren können, weil sie mehr essen, als nottut, und mehr Wein zu sich nehmen, als sich geziemt, den Umgang mit Frauen nicht meiden wollen und sich vor deren anrüchiger Gesellschaft weder fürchten noch sich dafür schämen“). 89 Vgl. Ad sancti Isidori Hispalensis opera Appendices. XI Testimonia divinae Scripturae et Patrum (PL 83,1208): Kap. XVI: non fornicandum; Kap. XVIII: fugiendam ebrietatem. 90 PL 83,1209c: Speciem alienae mulieris multi mirati reprobati sunt. Colloquium enim ejus quasi ignis exardet. Cum aliena muliere non accumbas supra cubitum, et non alterceris cum illa in vino, ne forte declinet cor tuum ad illam, et sanguine labaris in perditione. Die Stelle wird nicht ganz wörtlich zitiert, vgl. Sir 9,11‒13. 91 Abaelard, Theologia Christiana II,87 (CCCM 12,170,1264‒1268): Quod si post abstinentiam et magnanimitatem philosophorum eorum quoque continentiam consideremus, multa in confusionem nostram de eis et ab eis scripta reperiemus et in eis Christianae castimoniae, quam Iudaei non intellexerunt, incepisse pulchritudi-
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tierten Bibelstellen insbesondere aus Sirach (aber auch Koh 7,26: inveni amariorem morte mulierem, „ich fand die Frau bitterer als den Tod“) beweist – so Abaelard ‒, wie gefährlich und problematisch es sei, mit Frauen (den eigenen wie den fremden) einen freundschaftlichen und vertrauten Umgang zu pflegen.92 Der heutige Leser mag mir verzeihen, wenn ich ihm unterstelle, dass er aus diesen Worten gerne Hinweise auf eine persönliche und konkrete Erfahrung und eben nicht bloß Gedankenspuren herauslesen würde, die letztlich doch nur Gemeinplätze sind. Doch das ist unmöglich, und so bleibt es ein unerfüllter Wunsch unserer schrecklichen und sogar grausamen Neugier, dass Heloisas Bräutigam sich auch als ein Mensch geäußert hätte, der selber über diese Dinge Bescheid wusste. Andere Autoren halten sich, wenn sie über diese Themen sprechen, an präzise Kategorien, die im Allgemeinen durch die priesterlichen oder monastischen Lebensumstände gegeben sind. Chrodegang von Metz verfasst eine Regula canonicorum, in der Sir 19,2 vor allem dazu dient, vor maßlosem Trinken zu warnen, das Unheil und Verderben bringt.93 Auf derselben gedanklichen Linie und mit großem Nachdruck verurteilt er den vertrauten Umgang mit Frauen, den er als mit dem Altardienst unvereinbar 94 und als eine Verletzung der gesamten christlichen Glaubenslehre, des depositum fidei, betrachtet.95 Es bestehe die Gefahr, dass der, der mit einer Frau zusammenwohnt, letztlich dem Teufel auf den „Leim“ gehe.96 Die Kanoniker werden außerdem ermahnt, sich nicht für heiliger als David oder weiser als Salomo zu halten.97 Zudem
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nem („Denn wenn wir nach der Enthaltsamkeit und Geistesgröße der Philosophen auch ihre Selbstbeherrschung betrachten, dann werden wir feststellen, dass sie vieles geschrieben haben, was uns beschämt, und dass jene Schönheit der christlichen Keuschheit, die die Juden nicht verstanden, bei ihnen ihren Anfang genommen hat“). Ebd. II,91 (CCCM 12,172,1338‒1340): His et illa consonant de Ecclesiastico, de molestiis et periculoso feminarum consortio, tam propriarum quam extranearum. Chrodegang von Metz, Regula canonicorum LXII (PL 89,1085f.), im Kap. De ebrietate a clero devitanda atque detestanda. Die Spalten 1083f. enthalten das Kap. De familiaritate a clericis mulierum extranearum devitanda. Ebd. LVI (PL 89,1083c): Prima quidem tentamenta sunt feminarum frequentes accessus, et reprehensibiles exhibent clericos. Quid tibi revera cum feminis qui ad altare cum Domino fabularis? („Denn die häufigen Kontakte zu Frauen sind die ersten Versuchungen und zeigen, dass die Kleriker tadelnswert sind. Was nämlich hast du, der du am Altar mit dem Herrn sprichst, mit den Frauen zu schaffen?“). Ebd.: Te cuncti in publico, te in agro rustici, aratores ac vinitores quotidie graviter lacerabunt si contra depositum fidei cum feminis habitare contendis („Alle in der Öffentlichkeit und die Bauern auf den Feldern, die Pflüger und die Winzer werden dich jeden Tag scharf kritisieren, wenn du gegen die Weisungen des Glaubens verlangst, bei Frauen zu wohnen“). PL 89,1083d: Si cum viris feminae habitaverint, viscarium diaboli non deerit („Wenn die Frauen bei den Männern wohnen, wird der Leim des Teufels nicht fehlen“). PL 89,1084a: Meminere debent canonici quod nec Davide sanctiores, nec Salomone sapientiores possunt esse.
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– so Chrodegang abschließend – dürfe man auch das Schicksal des Stammvaters nicht vergessen, der aus dem Paradies vertrieben worden sei, weil er auf eine Frau gehört habe.98 In der monastischen Tradition werden die Einsamkeit und das eremitische Leben immer als Mittel dargestellt, vor den Versuchungen gegen die Keuschheit oder, mit Cassian gesprochen, dem abscheulichen Nährboden der Begierde zu fliehen und den Geist in der Zwiesprache mit Gott von den Phantasmen der Versuchung freizuhalten.99 In seinem Kommentar zu dieser Cassian-Stelle erklärt Alardus Gazeus, dass dies den Abstand betreffe, den der Mönch sowohl zu jenen, die in der Welt leben, als auch vor allem zu den Frauen wahren müsse.100 Die bis hierher zitierten Texte – und auch andere, auf die man noch zurückgreifen könnte – beziehen sich auf einen im Wesentlichen unveränderten Bezugsrahmen aus Gewissheiten, die nicht aus der Unkenntnis der Probleme, sondern aus der Überzeugung erwachsen sind, dass diese Probleme durch eine Askese überwunden werden müsse, die stets den Kriterien des Gegensteuerns, des age contra, folgt. Man weiß, worin die Apostasie des Weisen besteht, von der Sirach spricht – so scheinen diese Texte zu sagen. Die Mittel, ihr nicht zu erliegen, sind wohlbekannt, man muss sie nur anwenden. Damit ist alles klar, und niemand braucht sich mit Fragen zu plagen. Der eine oder andere Gedanke am Rande sei dennoch erlaubt. Von den Jahrhunderten, in denen die im vorliegenden Beitrag zitierten Texte entstanden sind, trennen uns allseits bekannte Unterschiede der Denk- und Lebensstrukturen, ganz zu schweigen von den beträchtlichen Entwicklungen, die die Wissenschaften, die den verborgenen Windungen der Psyche nachspüren, in unseren Kulturen durchlaufen haben. Im Licht dieser grundlegenden Erkenntnis können wir gut und gerne annehmen, dass sich, von unseren Texten über die Apostasie des Weisen einmal abgesehen, in anderen Zeugnissen aus derselben Zeit geheime Seelenregungen entdecken lassen, die zwar unterdrückt, aber nicht ausgelöscht worden sind. Ich habe dieses Thema schon einmal in einem Aufsatz über das Verhältnis zwischen sexueller Enthaltsamkeit und christlicher Vollkommenheit behandelt101 und dort als auctoritas eine Stelle aus einem Brief angeführt, in dem Bischof Hatto von Vercelli die Priester mahnt, sich a conturbernio mulierum, 98 PL 89,1084b: Meminere debent quod paradisi colonum de possessione sua mulier ejecit. 99 Johannes Cassian, De institutis coenobiorum 6,3 (SC 109,266,14‒18): Ita plurimum confert ad depellendum hunc specialiter morbum quies ac solitudo, ut mens aegra minime diversis figuris interpellata ad puriorem perveniens contemplationis intuitum facilius pestiferum concupiscentiae fomitem radicitus possit eruere. 100 Vgl. den Cassian-Kommentar des Alardus Gazeus (PL 49,270, Anm. d): Id est fuga hominum saecularium et maxime mulierum. 101 Giuseppe Cremascoli, „Astinenza dal sesso e perfezione cristiana“, in Comportamenti e immaginario della sessualità nell’Alto Medioevo: 31 marzo ‒ 5 aprile 2005 (SSAM 53; Spoleto: CISAM, 2005), 649‒674.
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vor dem Zusammenleben mit Frauen, zu hüten.102 Der sprachlich elegant gestaltete Abschnitt steht in einem asketischen Kontext des Verzichts und des Kampfs, in dem die weibliche Schönheit negativ thematisiert wird. Dennoch ist im Hintergrund eine wenngleich verhaltene Bewunderung und Bezauberung zu ahnen, und die faszinierenden Eigenschaften, vor denen es sich zu hüten gilt, werden mit beeindruckender Raffinesse aufgezählt: Das wohlfrisierte Haar, die Schönheit des Gesichts, der Wimpernschlag, das Sprühen der Augen, die Freundlichkeit der Rede, die Melodie der Stimme, der angenehme Anblick, die süße Schmeichelei, die schönen Geschmeide, die Eleganz der Kleider, die Wohlgerüchte, die sanfte Nachgiebigkeit und die ganze Üppigkeit des Körpers.103 In dem besagten Aufsatz habe ich diesen Abschnitt damals wie folgt kommentiert: „Rhetorische Topoi ganz ohne Frage, doch Hatto von Vercelli hat sie benutzt, und dafür muss er einen Grund gehabt haben.“104
102 Hatto von Vercelli, Epistolae, Ep. IX: Ad omnes sacerdotes dioecesis Vercellensis (PL 134,118c): Custodite ergo vos, fratres carissimi, a contubernio mulierum, ne membra Christi membra faciatis meretricum (1 Kor 6,15): unde difficile evadere potestis, nisi ab earum consortio declinetis. 103 PL 134,118d: Compti crines, venusta facies, nictatio palpebrarum, elisio oculorum, affabilitas sermonum, garrula modulatio, visus facilis, blanda suasio, praeclara monilia, schemata vestium, olfactio unguentorum, mollis incessus ac totus corporis luxus. 104 Cremascoli, „Astinenza“, 669.
Judit und andere alttestamentliche Frauen in der lateinischen Poesie der Spätantike und des Mittelalters Francesco Stella Università di Siena
1.
Biblische Frauengestalten: ein ganzer Kanon in einem einzigen Vers
Die christliche und mittelalterliche Kultur, das sollte aus den Beiträgen des vorliegenden Bandes ersichtlich werden, ist in Bezug auf die Wertschätzung von Frauen deutlich weniger zurückhaltend als die klassische Antike. Sie geht jedoch, bedingt durch die Erfordernisse des gesellschaftlichen Systems, in dem das kulturelle Instrumentarium immer wieder zum Einsatz kommt, und insbesondere durch das moralische Universum, für dessen Aufrechterhaltung man sich verantwortlich fühlt, bei der Wahl der von „der Frau“ symbolisierten und vertretenen Kontexte und Werte sehr rigoros vor. Der Kanon der beispielhaften biblischen Frauen – Vorbilder tugendhaften Verhaltens oder Sinnbilder religiöser Inhalte ‒ kristallisiert sich in der patristischen Tradition schon recht früh heraus: Eine Spur davon findet sich in Hieronymus’ 65. Brief, in dem er der Jungfrau Principia den 44. Psalm (= Ps 45) auslegt und diesen als Hochzeitslied auf Christus und die Kirche deutet. Hier zählt Hieronymus eine Reihe von Frauenfiguren auf, die seiner Ansicht nach für den historischen Erfolg des Volkes Israel unentbehrlich gewesen sind. Augustinus übernimmt diese Aufzählung in geraffter Form in De natura et gratia 26 im Zusammenhang mit denjenigen Frauen, die wie Maria nicht nur ohne Sünde, sondern auch der Gerechtigkeit gemäß gelebt haben. In der dichterischen Tradition verdichtet sich dieser Kanon, der sich auch in urkundlichen Zeugnissen wiederfindet,1 zu einer kurzen Liste, die in einem Vers des Venantius Fortunatus (530‒607) enthalten ist. Dieser Vers, dem ein gewisser Ruhm beschieden war, ist Teil des Kurzepos De virginitate, das Venantius anlässlich der Ernennung der Äbtis1
Ein berühmter Verweis auf diesen Kanon findet sich im Segnungstext für Judith, Tochter Karls des Kahlen und Braut des angelsächsischen Königs Æthelwulf, den Hinkmar von Reims in seinen Coronationes Regiae überliefert (PL 125,803b–818a; 811c): Despondeo te uni viro virginem castam, atque pudicam futuram conjugem, ut sanctae mulieres fuere viris suis, Sara, Rebecca, Rachel, Esther, Judith, Anna, Noemi, favente auctore et sanctificatore nuptiarum, Jesu Christo Domino nostro.
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sin Agnes, Adoptivtochter von Königin Radegundis, 567 in Poitiers verfasst hat. Maria I. Campanale2 bezeichnete diese Dichtung als „mystisches Hochzeitslied“, weil es die Gattung De virginitate (Preis der Jungfräulichkeit und Ermutigung zum jungfräulichen Leben), an der sich bereits Ambrosius und Hieronymus versucht hatten,3 mit der Gattung des Epithalamions (des Hochzeitslieds) verschmilzt, die hier auf das Thema der mystischen Vermählung der gottgeweihten Jungfrauen mit Christus angewandt wird. Das aus 400 Hexametern bestehende Kurzepos gliedert sich, so Campanale, in ein exordium, das die Seelen der Seligen im Himmel beschreibt, ein perì gámou (Preislied auf die Hochzeit), eine laus sponsae (Lob der Braut) und einen Epilog. Jeder dieser Teile ist mit einer Reihe von exempla ausgestattet: So wird im Lob auf die Braut die felix virginitas („glückliche“ oder „fruchtbare“ Jungfräulichkeit) Mariens hervorgehoben, die ihren eigenen Herrn zur Welt bringen durfte und mithin selbst die berühmtesten Frauen der Bibel an Würde übertraf: „Sara, Rebekka, Rahel, Ester, Judit, Hanna, Noomi hatten, auch wenn sie zu den Sternen emporragen, nicht das Vorrecht, den Vater der Welt zu gebären.“ Sarra Rebecca Rachel Hester Iudith Anna Noemi / quamvis praecipue culmen ad astra levent, / nulla tamen meruit mundi generare parentem.4 Die biblischen Frauen, bei deren Aufzählung Venantius sich seiner bevorzugten Stilmittel der accumulatio oder des articulus bedient, werden als eine Art kleineres oder, wie Campanale es nennt, „nicht bevorzugtes“5 Vorbild dargestellt, was Venantius allerdings andernorts korrigiert oder ergänzt, indem er uns einige der betreffenden Frauen (z. B. Judit) als individuelles positives Beispiel vor Augen führt.6 Jedenfalls zählt Venantius in seinem Vers eine Reihe hervorragender, nur von Maria übertroffener Frauen auf und nutzt damit ein Ausdrucksmittel, das dank der stilistischen Autorität des Dichters in der Folgezeit Nachahmer findet. Der erste ist der Mönch Agius von Corvey, der 876 zum Tod der Äbtissin Hathumod von Gandersheim eine dialogische consolatio verfasste und dabei ausgiebig auf das biblische exemplum zurückgriff, gleichsam als 2 3
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Maria I. Campanale, „Il De virginitate di Venanzio Fortunato (carm. 8,3 Leo): un epitalamio mistico“, Invigilata Lucernis 2 (1980): 75‒128. Neben Ambrosius’ De virginitate (PL 16,265–302b; BKV1 13) und De virginibus ad Marcellinam sororem sua (PL 16,187–232b; BKV2 32) erwähnt Campanale Hieronymus, Ep. 22.130 (Labourt 1:110–160; CSEL 56:175–201); Augustinus, De sancta virginitate (CSEL 41,233–302); Gregor von Nazianz, Parteníes épainos; Hypothékai parthénois (PG 37,521–578.578–632) und Gregor von Nyssa, Perì parthenías (GNO 8/1,247–343); vgl. Campanale, „Il De virginitate“, 75, Anm. 2. V. 99‒101: Sarra Rebecca Rachel Hester Iudith Anna Noemi / quamvis praecipue culmen ad astra levent, / nulla tamen meruit mundi generare parentem. Venantius Fortunatus, De virginitate (MGH.AA 4.1,181–191; 183). Campanale, „Il De virginitate“, 122. V. 303f.: Hoc etiam recolens, quid possit parcior usus: / Sobrietas Iudith vincere sola facit. Venantius Fortunatus, De virginitate (MGH.AA 4.1,181–191; 189).
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wortgetreue Aufzählung ebenfalls verstorbener berühmter Persönlichkeiten.7 Nach einer Abfolge von Propheten und Patriarchen fügt er der Fairness halber einige Frauennamen hinzu (V. 299f.):8 Sara, Rebecca, Rachel, Debora, Noemi, Ruth et Anna, / Holda, Susanna, Iudith et simul Hester obit. Im ersten Hemistichion von V. 299 übernimmt Agius die Aufzählung des Venantius, doch den zweiten Halbvers wandelt er dahingehend ab, dass er die beiden ersten Heroinnen aus der Vorlage Hester Iudith Anna Noemi in den nächsten Vers verschiebt, Rut und Debora an ihre Stelle setzt und zudem Hulda, die Prophetin aus 2 Kön 22, sowie Susanna, die schöne Frau des Jojakim, hinzufügt, die beim Bad in ihrem eigenen Garten von zwei Ältesten belauert und von Daniel gegen deren Anschuldigungen verteidigt worden war (Dan 13). Diese Abwandlung könnte ein Hinweis darauf sein, dass Agius den Venantius nicht direkt oder nicht ausschließlich, sondern zu dem Zweck verwendet hat, seine Quelle mit dem Renommee eines bewährten und brillanten Dichters zu schmücken. In der Geschichte der mittellateinischen Dichtung scheint Hulda nur in einem einzigen weiteren, ebenfalls karolingischen Text erwähnt worden zu sein: Walahfrid Strabo von der Reichenau hatte wenige Jahrzehnte vor Agius De imagine Tetrici, ein rätselhaftes allegorisches Kurzepos von 268 Versen über den Hof Ludwigs des Frommen verfasst, anlässlich des Transports der Theoderich-Statue von Ravenna nach Aachen.9 In diesem singt er das Lob der Königin und Kaiserin Judit, Ludwigs 819 geehelichter zweiter Frau, und vergleicht sie mit der schönen Rahel, die Benjamin so geliebt habe, wie Judit den kleinen Karl liebe: den späteren Kaiser Karl den Kahlen, der offenbar Walahfrids Schüler gewesen war. Der Dichter unterstreicht die sinnige Bedeutung ihres Namens, da sie an Tapferkeit und religiösem Geist (At Iudith virtute refert et relligione,10 V. 193) der biblischen Heldin gleichkomme, die dem assyrischen „Räuber“ den Kopf abgeschlagen und so ihr Volk befreit und gerettet habe. Er weist in V. 198 auf ein Merkmal hin, das für die Erwähnung der Judit ansonsten untypisch ist, nämlich ihre Fähigkeit, ein Instrument zu spielen. („Mit lieblich tönendem Plektrum fährt Judit über das Instrument“,11 eine Stelle, die der Herausgeber Dümmler mit dem Siegeslied aus Jdt 16,1f. – cantate Deo in cymbalis ‒ in Verbindung bringt, das sich aber unter Umständen auch auf die Kaiserin Judit und nicht auf die biblische Heldin beziehen könnte.) Dieser Aspekt erlaubt dem Dichter den Vergleich mit der Prophetin Mirjam, die in Ex 15,20 die Pauke schlägt (tympanum in manu, vgl. De imagine Tetrici, V. 197: Tympana raucisona pulsavit pelle Maria, „Mirjam schlug 7
Zu Agius vgl. Francesco Stella, La poesia carolingia (Le Lettere Università 3; Florenz: Le Lettere, 1995), 93f.310‒321.479–481. 8 Agius von Corvey, Dialogus Agii (MGH.PL 3,369–388; 378). 9 Vgl. Michael W. Herren, „The De imagine Tetrici of Walahfrid Strabo: Edition and Translation“, The Journal of Medieval Latin 1 (1991): 118‒139. 10 Walahfrid Strabo, De imagine Tetrici (MGH.PL 2,370–378; 376). 11 Organa dulcisono percurrit pectine Iudith (ebd.).
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auf die dumpf tönende Haut der Pauken“). Unter weiteren Übertreibungen schreibt er, dass Judit, wenn Sappho und besagte Hulda (2 Kön 22,14) anwesend gewesen wären, gewiss auch metrische Dichtung hätte verfassen und prophetische Worte hätte sprechen können, und singt in bekannter Manier das Preislied der Frau, „obwohl“ sie eine Frau ist: „Denn was immer die Grenzen deines Geschlechts dir vorenthalten haben mögen, hat das der geistlichen Übung gewidmete Leben dir zurückerstattet“.12 Diese Aussage wird gefolgt von einer in einzelne Punkte (Fruchtbarkeit, Bildung, Liebreiz, innere Stärke, Beredsamkeit) untergliederten Lobrede mit Segenswünschen für das ganze Leben und darüber hinaus. Drei Jahrhunderte später greift der Dichter Marbod von Rennes (1035‒1123) diese dichterische Aufzählung biblischer Frauen wieder auf. Marbod, Magister in Angers, befasst sich im 4. Kap. seines berühmten Liber decem capitulorum über zehn Themen der christlichen Bildung mit „der Frau“ (de matrona). Darin verwirft er alle gängigen Vorurteile der misogynen Literatur des Mittelalters (zu der er allerdings in anderen Texten ebenfalls seinen Beitrag leistet) und unterstreicht seinerseits, dass nicht allein Maria das Ansehen und die Bedeutung der Frau gesteigert habe, sondern etliche Frauen mit männlichen Vorzügen gesegnet, den Männern sogar überlegen gewesen und dank ihrer Kraft zu verdientem Ruhm gelangt seien: An dieser Stelle zählt er Sara, Rebekka, Rahel, Ester, Judit, Hanna und Noomi auf, die er mit den sieben Sternen vergleicht, um sodann bei Judit, Ester und Rut zu verweilen und jede von ihnen mit einigen Versen zu preisen.13 Dieses Mal 12 V. 201f.: Quicquid enim tibimet sexus subtraxit egestas / Reddidit ingeniis culta atque exercita vita (ebd.). 13 V. 79‒97: Hoc tamen excepto quoniam res unica constat, / Non paucas legimus mentes gessisse virorum, / Aut etiam superare viros, et pectore forti / Dignam mercedem merita cum laude tulisse. / Sara, Rebecca, Rachel, Esther, Judith, Anna, Noem, / Sidera ceu septem quas saecula prisca tulerunt, / Aequiparasse viros, aut exsuperasse leguntur. / Nam Judith egregium facinus, quod nemo virorum / Ausus erat, gessit, caeso rediens Holoferne, / Bethuliaeque salus urbi data per mulierem, / Urbibus a reliquis pulsum deterruit hostem. / Esther reginam commendat fama perennis, / Quae velut agna lupo crudeli nupta tyranno / Non timuit, capitis discrimine, limen inire, / Quod non exibat quisquis non jussus inisset, / Opposuitque suam propria pro gente salutem, / Edictumque necis populi convertit in hostes. / Ruth taceo quae sola socrum comitata pudicam, / Ad regale genus meruit transfundere prolem, / Dum fidei causa patriam fugit atque parentes. Marbod von Rennes, Liber decem capitulorum (PL 171,1693–1716d; 1701b–c). „Dieses ausgenommen – denn die Empfängnis Mariens ist etwas Einzigartiges ‒ lesen wir dennoch, dass nicht wenige Frauen eine männliche Gesinnung gehabt oder die Männer sogar übertroffen und mit starkem Mut den gerechten Lohn und verdienten Ruhm davongetragen haben. Sara, Rebekka, Rahel, Ester, Judit, Hanna, Noomi, die die früheren Generationen als die sieben Sterne priesen, seien, so liest man, den Männern gleich gewesen oder hätten sie übertroffen. Denn Judit vollbrachte eine herausragende Tat, die keiner der Männer gewagt hatte, als sie zurückkam und den
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lehnt sich die Form des Verses exakt an das Vorbild des Venantius an, und Marbod beschränkt seinen Beitrag auf die amplificatio der Informationen zu drei der zentralen Gestalten, um das Porträt der weiblichen Tugenden sodann mit hagiographischen oder auch heidnischen exempla wie Lucretia, Thraseas und Alkestis zu beschließen.
2.
Das Modell des Avitus
Wenn der Mustervers für den Kanon der biblischen Heroinen von Venantius stammt, so ist die Dichtung De virginitate des Avitus von Vienne das Modellgedicht zum Thema der Jungfräulichkeit. Alcimus Avitus, von 494 bis 523 Erzbischof von Vienne, hat außerdem fünf Bücher De spiritalis historiae gestis verfasst, ein Gedicht über die Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Durchzug durch das Rote Meer, das an mittelalterlichen Schulen schon bald zum Lehrbuch avancierte. Nach Abfassung dieses Gedichts (also nach 506/507) schickt Avitus dem Bischof Apollinaris auf dessen Bitte hin ein Büchlein über die „Religion der Verwandten“ oder „über Jungfrauen unserer Familie“, das er für seine Schwester Fuscina geschrieben hatte, die Nonne geworden war. Die Topik, die Avitus anwendet, orientiert sich nicht wie bei Venantius an der Reihe der exempla, sondern – wie in den patristischen Traktaten und insbesondere bei Augustinus – an der Linie der Argumentation. Im Zentrum steht natürlich der Vergleich mit Maria, der Gelegenheit zu einer weitschweifigen Beschreibung bietet. Auf diesen Abschnitt folgt ein Aufruf zum Kampf, der auf das aus der Lektüre bekannte Vorbild der berühmten Frauen verweist: Nam gloria dudum / sexus ista tui nota est tibi saepe legendo. (V. 340f.: „Denn längst schon ist dir durch häufiges Lesen der Ruhm deines Geschlechts bekannt.“) Er beginnt mit Debora, die das Heer der Israeliten zum Kampf gegen die von General Sisera angeführten Kanaanäer anspornt, beschreibt Siseras riesenhaften Leib – eine nicht in der Bibel enthaltene, vielleicht von der conflatio mit Goliat herrührende Information ‒, und sagt seine Niederlage voraus. Dann geht er (ohne sie beim Namen zu Holofernes erschlagen hatte; und die Rettung, die der Stadt Betulia von einer Frau gebracht worden war, erschreckte den aus den übrigen Städten vertriebenen Feind. Ewiger Ruhm preist die Königin Ester, die, mit dem Tyrannen verheiratet wie ein Lamm mit dem grausamen Wolf, furchtlos ihr Leben riskierte und jene Schwelle übertrat, von der niemand zurückkehrte, der sie ohne Erlaubnis passiert hatte, und die, um ihr Volk zu verteidigen, ihr eigenes Heil aufs Spiel setzte und das ihrem Volk bestimmte Todesurteil gegen die Feinde kehrte. Ich schweige von Rut, die alleine ihre züchtige Schwiegermutter begleitete, und es verdiente, ihre Nachkommenschaft zu einem königlichen Geschlecht zu machen, indem sie um des Glaubens willen Vaterland und Eltern verließ.“
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nennen) zu Jaël über, die Sisera in ihrem Zelt die Schläfe durchbohrt und so einen femineus … triumphus feiert (V. 362). Anschließend verbreitet er sich über die personifizierte Jungfräulichkeit, die bei (dem ausdrücklich erwähnten) Prudentius beschrieben und in der Heiligen Schrift – deren Verlauf er von Rut über die prophetischen Bücher bis hin zu Ester und Judit in raschen Zügen nachskizziert ‒ immer wieder gepriesen wird, und fasst in aller Kürze Judits Wagnis der trügerischen Verführung und der Ermordung zusammen:14 Wie sollte man nicht an Ester erinnern und an die Lügen der keuschen Judit, als der Satrap durch die Täuschung des geschminkten Gesichts erregt wird und die Frau dableibt, sein schändliches Lager verhöhnt und seine rasenden Blicke abwehrt, indem sie ihm den Kopf abschlägt?
Nach diesem kurzen Verweilen bei der Heldin setzt sich die biblische percursio bis zum Ende des Neuen Testaments fort. Sie mündet in ein Lob der Schriftlesung und ihrer Wirkung auf das individuelle Verhalten, das, vom thematischen Kontext her originell, das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen (Mt 25) mit Kommentaren aufgreift. Ein neues Exempel ‒ diesmal das einer Märtyrerin ‒ begegnet erst wieder in V. 513ff.: die überaus verbreitete Legende der heiligen Eugenia von Rom, die sich der Ehe verweigerte, in Männerkleidern in einem Kloster versteckte und entdeckt wurde, weil sich eine Frau, die sie für einen Mann hielt, in sie verliebte und sie, nachdem sie von ihr zurückgewiesen worden war, verriet, sodass Eugenia gezwungen war, ihre Identität preiszugeben. Gleich im Anschluss an die Josefsgeschichte (Josef, der von seinen Brüdern verkauft worden ist, widersteht den Avancen von Potifars Frau; die Episode ist so bekannt, dass der Dichter nicht einmal den Namen erwähnt) nimmt Avitus das Thema der vorbildlichen Jungfräulichkeit in den Blick und bezieht sich zunächst auf Susanna (V. 549‒551), die den Angriffen der beiden Ältesten entkommt: Susannam post hunc dignis quis laudibus umquam / excolat, infirmis quondam quae uicit in annis / improba uota senum coniuratosque furores? Wer wird nach diesem jemals mit angemessenem Lob die tapfere Susanna preisen, die einst in zartem Alter das schändliche Begehren der Ältesten und den verschworenen Liebeswahn besiegte?
Ihre Geschichte, die ebenso wie die der Judit nicht in der Hebräischen Bibel, sondern nur in griechischer Sprache überliefert ist (Dan 13), wird mit einem 14 V. 391‒394: Hester quis memorem et castae mendacia Iudith, / ornati cum fraude satraps accenditur oris, / cum manet inludens obscenum femina lectum / desectoque feros conpescit uertice uisus; Avitus von Vienne, Éloge consolatoire de la chasteté (sur la virginité) (SC 546,164).
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gewissen erzählerischen Vergnügen an der Personencharakterisierung und an psychologischer Analyse gestaltet, das in den anderen exempla fehlt oder allenfalls angedeutet ist. Das lässt sich leicht an der Episode der beiden Richter belegen, die zunächst fortgehen, kurz darauf jedoch am selben Ort wieder zusammenkommen, weil sie beide das – im Fall des einen bereits ausgesprochene, im Fall des anderen bis dato ungeahnte – Begehren verzehrt, Susanna zu sehen. Auch Susannas Zwiespalt – sie weiß nicht, wie sie auf die Heimtücke der beiden reagieren soll ‒ erfährt bei Avitus eine dramatische Gestaltung. Das Eingreifen Daniels schließlich, der die beiden Ältesten getrennt befragt und so die Wahrheit ans Licht bringt und Susanna rettet, gibt dem Autor die Gelegenheit zu einem Ausblick auf den weiteren Verlauf, den die Geschichte des Propheten nach diesem kurzen Auftritt auf der heiligen Bühne noch nehmen sollte. Das Gedicht endet mit dem Lob der Jungfrauen, die als Erste ins Himmelreich gelangen, und mit dem abschließenden Exempel der Marta und der Maria, die – genau wie Avitus’ Schwester mit ihrer Entscheidung für das Klosterleben ‒ den besseren Teil erwählt hat.15
3.
Vorweggenommene Interkulturalität: biblische und heidnische Heldinnen bei Dracontius
Der erste Dichter, der – ein bislang in der Forschung recht wenig beachteter Aspekt seines Werks16 ‒ ausgiebigen Gebrauch von weiblichen exempla 15 Der vorliegende Beitrag war bereits abgeliefert, als eine neue Ausgabe von De virginitate (oder besser von De consolatoria castitatis laude) erschien, die ich daher nicht benutzen konnte: SC 546. 16 Eine Bibliographie der bis 1996 erschienenen Arbeiten über Dracontius samt Diskussion bietet Luigi Castagna, Studi draconziani 1912‒1996 (Studi latini 21; Neapel: Loffredo, 1997). In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Monographien erschienen, von denen einige sich auch mit De laudibus Dei befassen: Miryam De Gaetano, Scuola e potere in Draconzio (Quaderni del Centro internazionale di studi sulla poesia greca e latina in età tardo-antica e medievale 4; Alessandria: Edizioni dell’Orso, 2009) und Giovanni Santini, Inter iura poeta: ricerche sul lessico giuridico in Draconzio (Studi e testi tardoantichi 4; Rom: Herder, 2006). Ich selbst habe mich mehrfach mit Dracontius beschäftigt: Francesco Stella, „Fra retorica e innografia: sul genere letterario delle ‚Laudes Dei‘ di Draconzio“, Phil 132 (1988): 258–274; Ders., „Ristrutturazione topica ed estensione metaforica nella poesia cristiana: da spunti draconziani“, WSt 102 (1989): 213–245; Ders., „Per una teoria dell’imitazione poetica cristiana: saggio di analisi sulle ‚Laudes Dei‘ di Draconzio“, Invigilata Lucernis 7‒8 (1985‒1986): 193–224; Ders., „Innovationi lessicali delle ‚Laudes Dei‘ di Draconzio fra latinità tardoantica e medievale“, Invigilata Lucernis 21 (1999): 7–22; Ders., „Epiteti di Dio in Draconzio fra tradizione classica e cristiana“, CClCr 8 (1987): 601–633, und Ders., „Variazioni stemmatiche e note testuali alle Laudes Dei
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machte, ist der Karthager Dracontius, Verfasser einer Sammlung von Romulea (Kurzepen mit „römischem“ Sujet) über mythologische Episoden, eines christlichen Gedichts mit dem Titel De laudibus Dei, das zu einem Großteil aus biblischen Paraphrasen, lehrhaften und moralischen Erläuterungen besteht, sowie einer im Gefängnis geschriebenen Satisfactio an den Vandalenkönig mit dem Ziel, Begnadigung von seinem Kerker zu erlangen. Das dritte Buch des Gedichts beginnt mit einem Lobeshymnus auf die göttliche Allmacht und Großzügigkeit, der – veranschaulicht am Beispiel des reichen Prassers und des armen Lazarus aus dem Evangelium ‒ die menschliche Habgier gegenübergestellt wird. Der Mittelteil (V. 76‒530), der von der Intention her für nichtchristliche Leser gedacht ist, enthält eine Reihe von Beispielen für moralisch mustergültiges Verhalten und endet mit einem zweiten Hymnus, auf den ein individuelles Sündenbekenntnis und ein abschließendes Gebet folgen. Die exempla dienen also genau wie in Tertullians Ad martyras (4,2f.) und vor allem in Augustinus’ De civitate Dei (V,12f.) als anschauliche moralische Vorbilder. Sie betreffen im ersten Teil Geschichten, die ähnlich wie die über Abraham und Isaak von einem persönlichen oder familiären Opfer handeln: etwa dem des Menoikeus, des Kodros, des Leonidas, der Philaener, des Lucius Iunius Brutus, des Virginius (allerdings ohne explizite Namensnennung), der seine Tochter Virginia tötet, um ihre Entehrung durch Appius Claudius zu verhindern, des Manlius Torquatus, der seinen Sohn töten lässt, nachdem dieser sich einem militärischen Befehl widersetzt hat, des Scaevola, des Curtius und des Regulus. Im Anschluss daran folgen Geschichten über die Opferbereitschaft der beiden Städte Sagunt und Numantia, und danach verkündet Dracontius gewohnt wortreich – doch mit derselben ideologischen Aufgeschlossenheit, die wir ihm bereits in anderen Aspekten seines Gedichts bescheinigt haben17 –, er wolle seine Aufzählung mit einer Reihe weiblicher exempla ins Gleichgewicht bringen:18 di Draconzio, con edizione del florilegio Paris, B.N., lat. 8093 f. 15v (sec. VIII–IX)“, Filologia Mediolatina 3 (1996): 1–35. 17 Ein unveröffentlichtes Kapitel meiner Dissertation L’epica di Draconzio fra tradizione classica e cristiana (Universität Florenz, 1986; Gutachterinnen: Rosa La Macchia und Rita Pierini) ist Überlegungen zu den folgenden Aspekten gewidmet: der Ideologie vom Einklang zwischen Natur und Gesellschaftsordnung; der Art und Weise, wie Dracontius die Rolle der Frau in der Ehe und in der Gemeinschaft zelebriert; seiner Theorie vom Umsturz der Klassen und vom neuen Verhältnis zwischen Römern und Barbaren; seiner Vergebungstheologie; der Dialektik von Gnade und freiem Willen; und seiner Vorstellung vom Bösen. In diesen Aspekten zeigt sich ein unverhüllt moderner Augustinismus, der es ihm erlaubt, in einen Dialog mit der klassischen poetischen Tradition einzutreten und diese im Hinblick auf bis dato unbekannte Probleme und Ideale semantisch neu auszurichten. 18 V. 468‒479: Sed ne forte viris tantum data verba putentur / et quasi sexus iners, fragili sub corpore mollis / laudis onus metuens, ne sit sibi fama superstes / tormentis quaesita suis, aeterna recuset / plurima dona dei – laudis mala femina summae / materiem retinere potest; audacius illis / deprensis nihil est, animos de crimine sumunt
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Doch damit man nicht etwa glaubt, dass diese Worte nur den Männern gewidmet seien und dass die Frau, gleichsam ein träges, schwaches Geschlecht mit ihrem hinfälligen Leib, aus Furcht vor der Last des Ruhmes und aus Scheu davor, ihn zum Preis heroischer Mühen über das Leben hinaus zu erlangen, die unzähligen ewigen Gaben Gottes zurückweise, will ich hinzufügen, dass auch eine niederträchtige Frau einen höchst bedenkenswerten Stoff liefern kann: Es gibt nichts Kühneres als sie, wenn man sie bei einem Fehltritt erwischt; sie schöpfen Mut aus dem Verbrechen selbst, und der Zorn verleiht der Frau unbändiges Ungestüm. Ebendort also, wo sie imstande sind, Inspiration für ihre rasenden Schandtaten zu schöpfen, vermögen sie auch aufrichtige Gefühle für ihr Herz zu fassen und tun, was ihrer Würde entspricht, wenn es der Ruf ihrer Züchtigkeit verlangt, und was ihnen nützen kann, um den Ruhm des ewigen Lebens zu erwerben.19
Diese Vorbemerkung zu den weiblichen exempla spannt also einen anthropologischen Rahmen, der der grundlegenden Frauenfeindlichkeit der antiken Kultur treu bleibt und letztlich auf den Versen Juvenals beruht (6,284f.: nihil est audacius illis / deprensis: iram atque animos de crimine sumunt und 6,97: fortem animum praestant rebus quas turpiter audent):20 Die Frauen sind zu großen Taten imstande, und es ist nur recht, diesen die angemessene Anerkennung zu zollen, doch ‒ so scheint der Dichter sagen zu wollen ‒ die Energie, die sie auf diese Unternehmungen verwenden, ist nichts weiter als die Umkehrung jenes furor, den sie üblicherweise an den Tag legen, um Böses zu tun (mala femina). Die intertextuelle Lektüre dieses Abschnitts ‒ mit Blick auf Juvenal, aber auch auf die Tatsache, dass es sich bei praktisch allen bis dato angeführten (männlichen) Beispielen um exempla scelerum handelt21 – erlaubt jedoch die Hypothese, dass Dracontius hier in Wirklichkeit versucht, den von Juvenal etablierten negativen Topos zu korrigieren, indem er ihn unter umgekehrten Vorzeichen fast wörtlich zitiert, ohne allerdings auf diesem Wege zu einer gänzlich positiven oder neutralen Bewertung des weiblichen Gemüts zu gelangen. Das erste Beispiel, das er in V. 480‒495 anführt, ist das der keuschen Judit, die „vortäuschte, Holofernes zu lieben, und in das Lager des Gene/ datque nimis grandem mulieribus ira furorem. / unde igitur furiale nefas assumere possunt, inde pios animi rapiant sub pectore motus / et faciant quod honesta decet, quod fama pudoris / exigit et vitae prodest sub laude futurae. Dracontius, De laudibus Dei III (MGH.AA 14,92–113; 104f.). 19 Die deutsche Übersetzung legt die italienische Ausgabe von Francesco Corsaro zugrunde: Dracontius, De laudibus Dei, libri tres (Catania: Università di Catania, Centro di Studi Sull’Antico Cristianesimo, 1962), 159. 20 „Nichts ist frecher als sie, wenn sie ertappt worden sind: Zorn und Mut schöpfen sie aus ihrem Vergehen.“, und: „tapferen Mut bringen sie auf für Dinge, die sie schimpflich wagen“ (Adamietz 110f.94f.). 21 Das bemerkt Claude Moussy im Kommentar zu der von ihm edierten Ausgabe: Dracontius, Œuvres 2: Louanges de Dieu 3: Réparation (Paris: Les Belles Lettres, 1988), 102.
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rals eindrang, einen auch für die Männer furchtbaren Ort, und so aus einem vermeintlichen Verbrechen [dem Verrat an ihrem Volk] eine echte Ruhmestat erzeugte“. Das Wort, mit dem Dracontius seine Figur charakterisiert, ist virago, das laut Claude Moussy hier so viel wie „Heldin“ oder, wörtlicher, „Kriegerin“ bedeutet – so hatte schon Ovid Minerva beschrieben,22 und so wird 752 Dracontius selbst in seiner Orestis tragoedia Klytaimnestra und im Romuleum 10,12.62 Medea bezeichnen. Judit erhält also eine spezifisch kriegerische Konnotation. Die nun folgende Schilderung des Feldlagers ist ein kompositorisches Bravourstück und von Anklängen an Statius’ Thebais (4,321) und Äußerungen des Lobs auf die Frau geprägt, deren Mut den der Männer übertrifft: et quod tanta manus non est aggressa virorum (V. 486) oder auch femina sola (V. 487). Anschließend wird erzählt, wie Judit Holofernes enthauptet und seinen Kopf den hebräischen Würdenträgern und der ganzen Stadt zeigt, der sie so den Sieg und die Freiheit schenkt. Der hymnische Schluss der Episode erinnert noch einmal daran, dass diese gegen einen tapferen männlichen Heerführer vollbrachte Tat durch und durch weiblich war: femineo mucrone perit dux fortis et audax, (V. 491: „der tapfere und kühne Anführer stirbt durch den Dolch einer Frau“) und wird nicht etwa im kriegerischen Kampf, sondern von der Hoffnung auf das sinnliche Vergnügen bezwungen (V. 492 promissa voluptas), jedoch: „die Lust war erhofft, aber nicht vollzogen“ (V. 493 sperata licet, non est perfecta libido). An dieser Stelle kann Dracontius der Versuchung nicht widerstehen, eines der für ihn typischen Paradoxa einzufügen und hervorzuheben, dass hier ein Ehebruch bestraft wird, der noch gar nicht begangen worden war. Ebenfalls sehr dracontianisch ist die raffinierte Wiederverwendung eines thematischen Intertexts wie des Carmen 26,162–165 von Paulinus von Nola (355‒431), der Judit in einer Reihe von Beispielen für einen ohne Waffen, aber mit Gottes Hilfe errungenen Sieg angeführt hatte: terrentem magnos late populos Holophernen / arte pudicitiae deceptum callida Iudith / risit, in impuro quae non polluta cubili / barbara truncato victrix duce castra fugavit Die schlaue Judit trieb ihr Spiel mit Holofernes, der die umliegenden Völker weithin in Angst versetzte, nachdem sie ihn mit der Kunst der Züchtigkeit umgarnt hatte; ohne auf unreiner Bettstatt Gewalt zu erleiden, vertrieb sie, siegreich, da sie dem Heerführer den Kopf abgeschlagen hatte, die Scharen der Barbaren.23 22 Met. 2,765 (Anderson 84): huc ubi pervenit belli metuenda virago. 23 CCSL 21,370f. Die deutsche Übersetzung legt die italienische Ausgabe von Andrea Ruggiero zugrunde: Paulinus von Nola, I Carmi: testo latino con introduzione, traduzione italiana, note e indici (2 Bde; Strenae nolanae 6–7; Neapel: Libreria Editrice Redenzione, 1996), 2:217.
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Paulinus24 hebt eher die Häme der Szene hervor, die er in der später von Dracontius wiederverwendeten Gegenüberstellung impuro/polluta einzufangen sucht, und betont weniger die kriegerischen Tugenden als vielmehr die Schläue der Heldin, die in Dracontius’ Version keine Beachtung findet. Die übrigen Beispiele, die Dracontius in De laudibus Dei anführt, stammen dagegen aus der römischen Geschichte und der heidnischen Mythologie: Semiramis, Thamyris, Euadne, Dido, Lucretia ‒ sehr unterschiedliche, wenngleich allesamt mutige und entschlossene Frauen, die oft sogar gegensätzliche Tugenden oder Fähigkeiten verkörpern. Die moralische Lektion, die der Dichter in V. 524‒530 daraus zieht, lautet: Tausende Beispiele [exempla] von Verbrechen werden unzähligen Frauen überall zugeschrieben: Sie begingen sie, weil das Trugbild geringfügigen Ruhms es ihnen eingab, oder gewiss auch aus Frömmigkeit, aber gegenüber einer nichtigen Gottheit.25
Im Anschluss wird den legendären Göttern der wahre Gott gegenübergestellt und mit einem neuerlichen hymnischen Wortschwall gepriesen. Dieser Schluss bzw. Übergang scheint zu bestätigen, dass Dracontius seinen eigenen Stoff als rhetorischen Fundus benutzt und behandelt: in diesem Fall als einen Fundus an Verbrechen, die aus Ruhmsucht (einem Motiv, das positiv konnotiert ist, denn Dracontius stellt es in seiner anthropologischen Vorrede als einer Frau nicht unangemessen dar) oder jedenfalls (certe) zu einem guten Zweck (pie) begangen wurden, auch wenn zumeist – nämlich in allen Fällen außer Judit ‒ für einen heidnischen Gott. Die Bibel scheint ‒ im Gefolge von Augustinus’ De civitate Dei, aber ohne den dort noch spürbaren kulturellen Kontrast ‒ bei den Rhetorikern und Dichtern als eine Quelle von exempla hoffähig geworden zu sein.
24 Paulinus von Nola nennt Judit auch im Carmen 28, einem weiteren natalicium für San Felice, in dem er die Ausgestaltung der Basilika von Nola beschreibt und die Darstellung der biblischen Heroine auf einem den Frauen gewidmeten Bild erwähnt: ast aliam sexus minor obtinet, inclita Iudith, / qua simul et regina potens depingitur Esther (V. 26f.; CCSL 21,409). 25 V. 524–526: Milia femineis numerantur ubique catervis / exempla scelerum: modicae vel laudis amore / aut certe fecere pie pro numine vano. Dracontius, De laudibus Dei III (MGH.AA 14,92–113; 106).
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4.
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Andere Juditgestaltungen von Aldhelm bis Milo
Natürlich sind Paulinus von Nola, Dracontius und Avitus nicht die ersten Vertreter der Dichtung, die sich mit Judit beschäftigt haben. Schon Prudentius erwähnt sie in seiner Psychomachia (V. 58‒69): Du, Qual der Menschen, hast mit erneuerten Kräften dein erloschenes Leben wieder erwärmen können, und das, nachdem das Haupt des Holofernes abgeschnitten und die assyrische Bettstatt, triefend von unzüchtigem Blut, gewaschen war. Denn Judith verachtete zuchtvoll das mit Edelsteinen geschmückte Lager des verderbten Heerführers und bändigte mit dem Schwert seine unzüchtige Wut. Die Frau, deren Hand nicht zitterte, besiegte glänzend den Feind, die vom Himmel geschenkte kühne Rächerin meiner Sache! Doch vielleicht genügte eine tapfere Frau nicht, die noch unter dem Schatten des Gesetzes [des Alten Bundes] kämpfte, nur Vorbild für unsere Zeit, in der die wahre Kraft [Christus] in die irdischen Leiber herniederkam, um ein mächtiges Haupt durch schwache Diener zu fällen.26
Die Episode ist Teil einer Rede der Pudicitia an die von ihr besiegte Libido, was der Dichter zum Anlass nimmt, ihre Bedeutung in einem sehr intensiven Abschnitt zu forcieren ‒ oder besser: auf einen bestimmten Ausschnitt zu fokussieren ‒, indem er sie auf die Ebene der Sexualmoral verlagert und Judit als Rächerin des versuchten Ehebruchs zu einem Symbol nicht so sehr des Mutes als vielmehr der Züchtigkeit erklärt. Sie wird damit zu einer typologischen Vorwegnahme der Gegenwart, in der die wahre Tugend (Christi) in einem irdischen Leib Fleisch angenommen hat, um durch das Werk schwacher Diener (infirmos) dem Feind sein gewaltiges Haupt abzuschlagen. Auch Sidonius Apollinaris (430‒486) hatte Judit in seinem Carmen 16 erwähnt, wo er seine Zither und seinen Geist auffordert, nicht mehr den heidnischen Gottheiten, sondern dem Gott zu singen und zu spielen, der Maria in die Brust gedrungen ist und Judits Hand geführt hat, um den Hals des Holofernes zu treffen, als sein Leib mit durchschnittener Kehle dalag und das schwache Geschlecht sich in kraftvollem Schlag wohl zu verbergen wusste. 26 Tene, o vexatrix hominum, potuisse resumptis / viribus extincti capitis recalescere flatu, / Assyrium postquam thalamum cervix Olofernis / caesa cupidineo madefactum sanguine lavit / gemmantemque torum moechi ducis aspera Iudith / sprevit, et incestos conpescuit ense furores, / famosum mulier referens ex hoste tropaeum / non trepidante manu, vindex mea caelitus audax! / At fortasse parum fortis matrona sub umbra / legis adhuc pugnans, dum tempora nostra figurat, / vera quibus virtus terrena in corpora fluxit, / grande per infirmos caput excisura ministros (Engelmann 36‒39).
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Quique manum Iudith ferientem colla Olophernis Iuvisti, exciso iacuit cum gutture truncus Et fragilis valido latuit bene sexus in ictu (V. 11‒13).27
Die Stelle ist also ein Beleg für eine biblische Aretalogie, für die sich weitere Beispiele anführen ließen. Sie zeichnet sich aber neben der schon bekannten Gegenüberstellung von Kraft und Weiblichkeit dadurch aus, dass sie – gewissermaßen bedingt durch den hymnischen Rahmen, in dem Gott, das gepriesene „Du“, handelndes Subjekt bleiben und folglich jedes Ereignis mit Blick auf diesen äußeren Akteur dargestellt werden muss ‒ weniger die Tatkraft der Heldin als vielmehr das göttliche Eingreifen hervorhebt. Venantius erwähnt Judit außer in seinem Merkspruch der kanonischen Frauen nur noch einmal flüchtig, nämlich in V. 304 desselben Gedichts De virginitate. Die bloßen Nennungen in den Listen biblischer Bücher, die nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind, einmal ausgenommen, findet sich das nächste Vorkommen in der dritten De-virginitate-Dichtung der lateinischen Tradition, in der des Aldhelm von Malmesbury (639‒709). Diese Versfassung seines Prosawerks De laude virginitatis, das dem Nonnenkloster von Barking gewidmet ist, ist deutlich umfangreicher als die Vorgängerwerke des Avitus und des Venantius geraten.28 In 2904 Hexametern gibt Aldhelm dort einen Überblick über die betreffende Lehre als eine Art thematische „Bibliographie“ in Versform und gleichzeitig eine Geschichte des Jungfrauenmartyriums und der institutionellen (insbesondere monastischen und kirchlichen) Jungfräulichkeit, die mit biblischen Verweisen und exempla gespickt ist. Die Beispiele aus der Bibel finden sich im letzten Teil des Texts im Rahmen einer Art Psychomachie und reichen von Nabal über Josef bis hin zu Judit, der der anglolateinische Dichter in seinem typischen redundanten und etwas hohlen Stil eine kurze narrative und exegetische Erläuterung widmet: Was soll ich von Judit erzählen, geboren aus adligem Geschlecht, die mit ihrem reinen Leib das Freudenhaus des Königs verachtete und den sündhaften 27 Loyen 120. 28 Die Gesamtausgabe besorgte Rudolf Ehwald (MGH.AA 15); eine kritische Revision des Prosatraktats (samt Ausgabe der Glossen) hat Scott Gwara vorgelegt (CCSL 124); das dichterische Werk ist außerdem in englischer Übersetzung verfügbar (Lapidge und Rosier). Die bedeutendste Untersuchung zu Aldhelms Dichtung ist nach wie vor die von Andy Orchard, The Poetic Art of Aldhelm (CSASE 8; Cambridge: Cambridge University Press, 1994); zu De virginitate verweisen wir an dieser Stelle auf George T. Dempsey, „Aldhelm of Malmesbury’s Social Theology: The Barbaric Heroic Ideal Christianised“, Peritia 15 (2001): 58‒80, und Emma Pettit, „Holiness and Masculinity in Aldhelm’s Opus Geminatum De Virginitate“, in Holiness and Masculinity in the Middle Ages (hg. v. Patricia H. Cullum und Katherine Jane Lewis; Religion and Culture in the Middle Ages; Cardiff: University of Wales Press, 2004), 8‒23.
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Beischlaf mit dem Heiden von Herzen verschmähte? Dank dieser Tat brachte ihr keuscher Beutel den Mitbürgern, die in Todesgefahr geschwebt hatten, die blutige Trophäe, die Scham frommen Sinnes unversehrt bewahrend, und so triumphierte die keusche Reinheit über das Laster des unsittlicher Befleckung schuldigen Fleisches und wehrte den Angriff mit den Pfeilen der kämpfenden Jungfräulichkeit ab, damit das schmutzige Gift des Freudenhauses sich nicht in den schwachen Gliedern ausbreiten und ihr Inneres entzünden konnte.29
Dass Judit sich dem heidnischen König verweigert und später sein abgetrenntes, blutiges Haupt präsentiert, rühmt Aldhelm in ausdrucksstarken Worten als einen Triumph der Keuschheit und stellt die Schlacht als geistlichen Kampf (virgineis … sagittis) und als Widerstand der Frau gegen das Gift einer verderbten Sexualität (das zweimal verwendete prostibulum) dar. Hier hat sich das prudentianische Vorbild einer radikalen Allegorisierung und Abstrahierung der Figur durchgesetzt, deren Weiblichkeit in den Hintergrund tritt, wenngleich die Anspielung auf die fibras fragiles in V. 2570 auf die Formulierungen bei Sidonius oder Dracontius zu verweisen scheint.
5.
Die karolingischen Zeugnisse
Prudentius’ Erfolg wird auch durch die Wiederverwendung des Ausdrucks castae mendacia (aus der oben zitierten Psychomachia) belegt, die uns in Wigbods Titulus (Esther quid memorem et castae mendacia Iudith?), einer in protokarolingischer Zeit (gegen Ende des 8. Jh.) entstandenen Zusammenfassung der biblischen Bücher, gemeinsam mit Übernahmen aus Eugenius und Avitus begegnet.30 Auch in hochkarolingischer Zeit finden sich die Erwähnungen der Heldin überwiegend in biblischen percursiones (Defilees würden wir heute vielleicht sagen) wie der aus Theodulfs Carmen 41 (Theodulf war Bischof von Orléans und ist um das Jahr 821 gestorben), die im frühen Mittelalter als metrische Einführung zu vollständigen Bibelhandschriften überliefert wurde: „Geschrieben findet man sodann die Geschichte einer für ihre Tat berühmten Frau, Judit, unter deren Schlägen die schamlose Raserei zu
29 V. 2560‒2570: Quid referam Iudith generosa stirpe creatam / Prostibulum regis temnentem corpore puro / Et stuprum sceleris calcantem corde profanum? / Civibus idcirco mortis discrimina passis / Casta cruentatum gestavit bulga tropeum / Servans integrum devota mente pudorem. / Sic vitium carnis polluta sorde nocentis / Integritas almo contemnit casta triumpho / Aemula virgineis proturbans bella sagittis, / Lurida prostibuli ne possit serpere virus / In fibras fragiles succensis torre medullis. Aldhelm von Malmesbury, De virginitate (MGH.AA 15,350–471; 457). 30 Versus libris saeculi octavi adiecti 8,2,23 (MGH.PL 1,96).
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Boden ging“;31 und ähnlich in Carmen 2132 („Judit drängte mit dem Schwert die schamlosen Tollheiten zurück, doch es gelang ihr nicht, dich, ungerechte Geißel des Todes, zurückzudrängen“), wo sie in einer Reihe mit anderen berühmten Personen aufgeführt wird, die dem Tod nicht entgangen sind: eine Trosttopik, für die wir bereits frühere Beispiele kennen. Auch hier geht die Charakterisierung der Frau wieder mit dem Lob der Keuschheit einher – oder besser gesagt, mit dem Lob der Bestrafung der Wollust. In der darauffolgenden Generation greift, wie schon gesagt, Walahfrid Strabo auf die biblische Judit zurück, um die kaiserliche Judit zu preisen, die wie ihre Namensgefährtin für ihre virtus und religio gelobt wird. Die übrigen Belege aus dieser Epoche betreffen den Mönch und Magister Milo von Saint-Amand (gest. 871/72), Verfasser eines Gedichts De sobrietate in zwei Büchern. Dieses hat, gemessen an seiner Bedeutung und Originalität, in der Forschung bislang nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Milo wandelt die alte Vorlage der prudentianischen Psychomachia dahingehend ab, dass er mit exegetischen Mitteln moralische Themen behandelt, das heißt, biblische Verweisstellen kommentiert. Judit widmet er einen umfangreichen Abschnitt des ersten Buches33 ‒ den größten in der lateinischen Dichtung – und richtet sein Augenmerk dabei ebenso sehr auf psychologische wie auf moralische Aspekte. Zudem geht er (für ein Lehrwerk absolut ungewöhnlich!) mit großer Sorgfalt auf die Details der Szene ein: einer Sorgfalt, die er als Sensibilität für die historica ratio ‒ also eher für die narrative Ebene als für den geistlichen, typologischen oder tropologischen Sinn ‒ darstellt, weil er darauf vertraut, dass diese Abfolge der Ereignisse von der göttlichen Vorsehung gelenkt wird. Natürlich wird die Heldin mehrfach als casta charakterisiert (so auch in einer anderen Episode, wo er noch einmal auf Judit verweist: Acta pudicitiae te, Iudith, laude bearunt, V. 476). Zudem wird an ihre sobrietas erinnert, die ihr einen Platz in der Vorbildergalerie des Gedichts sichert, weil sie sich nach dem Tod ihres Mannes alleine (besser gesagt „mit der Schwester Mäßigung“, cum sobrietate sorore, V. 333) in ihre Gemächer zurückgezogen und auf Putz und Schmuck verzichtet hatte, wodurch sie – eine religionssoziologische Neuerung – zum Heilsvorbild für die Witwen geworden war. Unter Verzicht auf die Einzelheiten der Geschichte, deren Kenntnis der Dichter bei allen voraussetzen kann, konzentriert sich der Text auf die Verführung zum Ehebruch, die die castissima foemina vortäuscht, und malt sich aus, wie Holofernes die Frau, dieses Bild der Würde, mit scheelen und schwülen Blicken ansieht, in denen sich sein zerrüttetes Gemüt und seine entflammende Wollust ausdrücken. 31 V. 81f.: Scribitur insignis Iudith mox femina facti / Incestus cecidit qua feriente furor. Theodulf von Orléans, Carmina (MGH.PL 1,437–581; 534). 32 V. 71f.: Incestos Iudith compescuit ense furores, / Te non compescit, mortis iniqua lues (ebd., 479). 33 Genauer gesagt 63 Verse (331‒393) in Kapitel XVI: Milo von St-Amand, De sobrietate: Liber I (MGH.PL 3,569–644; 625–627).
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Durch die großen Fenster34 tritt der Tod herein und nimmt ihn gefangen. Der Luxus und die Freuden des Banketts können das Ende nur beschleunigen und der getrunkene Wein den Schmerz der Hiebe allenfalls lindern. Der Beginn des Epilogs, der sich vergilischer Wendungen bedient, stellt die Protagonistin erneut als Beispiel moralischer Tugend dar, doch gleich im Anschluss lässt das Epitheton bellatrix unter der Vielzahl der Tugenden (virtutibus associatis) auch den kriegerischen Aspekt wieder hervortreten, der bei den Schriftstellern nach Dracontius allmählich in den Hintergrund geraten war. Vor allem den Ausstattungsdetails widmet der Passus große Aufmerksamkeit: der kostbaren Kleidung, dem luxuriösen Ambiente des assyrischen Festmahls, der Chronologie von Judits Aufenthalt bei Hof (fünf Tage im Unterschied zu den vier Tagen in der biblischen Erzählung), dem kopf- und namenlosen Rumpf, der Zurschaustellung des Hauptes zunächst für die Hebräer und bei Morgengrauen auf der Mauer auch für die Assyrer. Direkt nach dieser Episode und über den Vergleich mit dieser eingeführt folgt die Geschichte der Jaël,35 deren Mäßigung (die in V. 391 erwähnte sobrietas ist Konstante und Schlüsselbegriff in jeder Erzählung des Gedichts) vielleicht darin bestand, dass sie dem General Sisera, der sich in ihr Zelt geflüchtet hatte, kein Wasser, sondern Milch zu trinken gab und die Kraft aufbrachte, dessen Schläfe mit einem zugespitzten Pflock zu durchbohren, um so ihre Tapferkeit, Kampfesmut und Kühnheit zu beweisen. Hinter den Figuren steht die Mäßigung: Sie hat die Milch dargeboten, und sie hat die Frauenarme mit einem Hammer bewaffnet, um den frevlerischen General für seine Schuld zu bestrafen. Als nächstes folgt, klar an die Reihe der weiblichen exempla von Venantius angelehnt,36 die Geschichte der Ester (Kap. XVII), die hier in einer oft allzu gewollten Interpretation ebenfalls als Vorbild der Mäßigung dargestellt 34 Man könnte hier an Judits Augen denken – tatsächlich handelt es sich jedoch, wie der Herausgeber Ludwig Traube scharfsinnig erkannt hat, um eine Anspielung auf das Bild aus Jer 9,21: quia ascendit mors per fenestras nostras, ingressa est domos nostras. Die kunstvolle Verflechtung der (wechselseitig aufeinander verweisenden) Bibelstellen ist typisch für Milo, der auf diese Weise eine erhöhte Sinndichte des Texts und zugleich eine unerwartete Steigerung der Ausdruckskraft erreicht. 35 V. 386–393: Sic Iahel, uxor Aber, Sisaram post bella fugacem, / Quae male nongentis falcatis curribus egit – / Qui dum poscit aquas, lac accipit – hospita amico / Asperior solito clavo terebravit acuto / Pertractans in fronte locum; mors iuncta sopori est. / Sobrietas ductrix lac praebuit atque reatum / Sacrilegi pugnax audaci perculit ulna / Femineasque manus fabrorum malleus auxit (ebd., 627). 36 V. 394‒410: Hester reginam ieiunia sobria regi / Fecerunt gratam, quam non sua forma suasit / Terribili feritate suo se offerre marito: / Lamentum gemitus luctus suspiria saccus / Verterunt urnam cunctasque ex ordine sortes. / Haec humilis deiecit Aman regina superbum, / Sub rege Asuero populus quem cunctus honorans / Orabat genibus telluris in aequore flexis, / Extulit et ligno iam spe meliore levatum, / Quod quinquagenis cubitis altum ipse pararat / Mardocheo humili; finis fuit iste superbo. / Spectavere decem pendentem in stipite nati, / Quod genitor passus, passuri sorte reatus. / Sic cadit in foveam commenti fraudibus instans; / Inlaqueatur enim, nodos
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wird. Esters Mäßigung besteht darin, dass sie fastet, eine Deutung, die sich vermutlich auf ein im biblischen Text (Est 2,15) erwähntes Detail bezieht: die Zurückhaltung Esters, die es vorzieht, nicht alle Mittel einzusetzen, die der König den Anwärterinnen auf die Königinnenrolle zur Verfügung stellt, oder ihr selbst auferlegtes Fasten, als sie darüber nachdenkt, vor König Ahaschwerosch zu treten und ihn um Gnade für die Juden zu bitten, die Haman verfolgen lassen will. Die Quelle ist hier vermutlich Ambrosius; er hatte in De Helia et ieiunio 9 (PL 14,741b) geschrieben: Judith jejunans Holophernem obtruncat: iisdem artibus populum suum liberat Esther, cui pœnas ebrius Aman exsolvit Mit ihrem Fasten schlägt Judit das Haupt des Holofernes ab, und auf dieselbe Weise befreit Ester ihr Volk, und der trunkene Haman zahlt ihr den Preis für sein Unrecht.
In einer ebenfalls wieder recht gewollten Deutung wird hier die Verleugnung ihrer Schönheit als Grund für die Entscheidung des Königs angenommen (non sua forma suasit, V. 395). Die Mehrzahl der auf die Estergeschichte verwandten Verse ist jedoch der Verschwörung Hamans gewidmet. Er endet an einem 50 Ellen hohen Galgen, wodurch sich das eigentlich den Juden zugedachte Schicksal gegen ihn selbst kehrt. Dies wird durch die Detailinformation, wonach seine zehn Söhne seiner Hinrichtung beigewohnt hätten, noch weiter dramatisiert. Tatsächlich erwähnt der Bibeltext diese Söhne erst später als Opfer der jüdischen Vergeltung: interfecere Iudaei quingentos viros, et alios decem filios Aman (Est 9,12). Selbstüberhebung und Arglist kehren sich gegen sich selbst. Ihr Sturz wird als der moralische Kern der Geschichte präsentiert, während das Stichwort der sobrietas nur den erzählerischen Vorwand liefert. Milo greift das im zweiten Buch wieder auf (V. 200f., Risimus infandum quem Iudith casta Holofernem / Truncavit, MGH.PL 3,651), um es – wenn auch nur als Bestandteil eines der Keuschheit gesetzten Denkmals ‒ der Dramatik einer weiteren Enthauptungsgeschichte gegenüberzustellen: Die „äffische Tänzerin des Propheten“, saltatrix simia vatis (V. 204), fordert den Kopf des Täufers Johannes, der seinerseits eine mit biblischen exempla gespickte Tirade gegen die Fleischeslust anstimmt. Zur selben Zeit findet Judit mehrfach in der rhythmischen Version der Cena Cypriani Erwähnung, die der Diakon Johannes Hymmonides im Jahr 876 für die Festlichkeiten anlässlich des Rombesuchs von Kaiser Karl dem Kahlen verfasst hat und die unlängst in den Blickpunkt der Kritik gerückt ist:37 Bekanntlich tritt in dieser Ende des 4. oder Anfang des 5. Jh. in Prosa qui nectit iniquos. / Sic ruit ascendens ventosa superbia fastum; / Invidia occumbit, genitrix quae facta diabli est (ebd., 627f.). 37 Stellvertretend sei hier nur auf zwei der zahlreichen Titel verwiesen: Hrabanus Maurus/Johannes Hymmonides, La Cena di Cipriano (hg. v. Elio Rosati und
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geschriebenen Bibelparodie jede der Figuren als Gast beim Hochzeitsmahl eines Königs Joël von Kana auf und wird mit einem Adjektiv oder in einer Pose beschrieben, die auf ihre Rolle in der Bibel anspielt. Judit wird hier als „Siegerin“ und als „keusch“, also mit den beiden häufigsten Konnotationen vorgestellt, die die spätantike Literatur ihr zuordnet,38 erscheint aber auch als Vortänzerin und, was ihre Haartracht und die Eleganz ihres Gewandes betrifft, als ein Muster an Schönheit. In der Rhythmenliteratur war Judit jedoch schon einige Jahrzehnte zuvor die Ehre eines ausschließlich ihrer Geschichte gewidmeten Kurzepos zuteilgeworden, das die „Popularität“ des Stoffes belegt: Die rhythmische Fassung war vermutlich für den Vortrag bestimmt. Es handelt sich um den Rhythmus III Strecker,39 der gemeinsam mit vielen ähnlichen Beispielen vollständig in der Handschrift von Verona, Biblioteca Capitolare XC (85), und in Teilen auch in anderen Handschriften aus derselben Zeit überliefert ist (9./10. Jh.: Paris lat. 1154, Bruxellensis 8860‒8867, Verona 88 [83]): 50 Strophen aus drei katalektischen, rhythmisch gestalteten trochäischen Septenaren oder Fünfzehnsilbern, die jedoch in dem veronesischen Palimpsest, der die vollständigste Überlieferung darstellt, großenteils (Str. 13‒44) leider unleserlich sind. Soweit sich der Text entziffern lässt, ist Judit hier, wenngleich sie auch als Frau gepriesen wird, vor allem ein Symbol des Sieges über die heidnischen Völker, denn der Text endet mit einem Siegeswunsch, der „analog“ zur biblischen Erzählung abgefasst ist: Iudith vero inter omnes laudaverunt feminas. / Ille deus, qui percussit tunc castra Assyrii / In virtute prevalenti et in forti brachio, / Perdat gentes paganorum incredulas domino. Judit aber lobten sie unter allen Frauen: Jener Gott, der damals die assyrischen Truppen mit ihrem überlegenen Mut und der Kraft ihres Armes niederwarf, möge die heidnischen Völker vernichten, die nicht an den Herrn glauben (48,3– 49,3).
Deshalb hat man vermutet, dass sich der Text in den Kontext der karolingischen Kriege gegen die Sachsen oder – da er vermutlich aus dem nördlichen Italien stammt – wohl eher noch gegen die Slaven, die Ungarn, die Muslime Francesco Mosetti Casaretto; Orsatti 15; Alessandria: Edizioni dell’Orso, 22004), und Lucie Doležalová, Reception and its Varieties: Reading, Re-Writing and Understanding Cena Cypriani in the Middle Ages (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 75; Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 2007). 38 Johannes Hymmonides, Versiculi de Cena Cypriani (MGH.PL 4.2,857–900). 2,34: Iudith victrix Oloferni offert opertorium (875); 2,150: Lazarus sepultus umbram, Iudit casta soleam (885) (2,259: Iudith sericum servabat casta coopertorium [893]); 2,199: Choreas Iudith ducebat et Iubal psalterium (889); 2,247: Bersabeth crines decoros et Iudith conopeum (892). 39 Versus de Iudit et Olofernum (MGH.PL 4.2,459–462).
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(793) oder die Avaren (796) einordnen lässt. Ein anderes Indiz für das exegetische Interesse am Buch Judit könnte natürlich auch die Existenz der gleichnamigen Kaiserin sein, der Hrabanus Maurus ja in den 830er Jahren seinen Kommentar zum biblischen Text gewidmet hat. Der kriegerische Ton, den das Werk anschlägt, lässt die erste Datierung jedoch plausibler erscheinen. Der Ablauf folgt der biblischen Vorlage und wird nur flüchtig skizziert, um einem Publikum die Ereignisse, mit denen es ohnehin vertraut ist, in Erinnerung zu rufen. Dabei geht es weniger um das Portrait einer Person als darum, die Geschichte – in möglichst enger Anlehnung an die Quelle, die nur so eben den rhythmischen Erfordernissen angepasst wird ‒ im Kontext der chronologischen Eckdaten zu verorten (anno tertio in regno cum esset et decimo [1,1]). Eine Art indirekter Episierung wird durch die wiederholte Verwendung desselben Epithetons für dieselbe Figur (z. B. Olofernus … princeps militiae [2,1; 48,2]), wiederkehrende Klauseln wie multas gentes, contras gentes, deo suo, gladius usw.40 und durch eine gewisse klerikale Patina erzielt, die im Vergleich mit der Quelle zutage tritt: So gebraucht der Rhythmus in Strophe 48,1 das Wort ecclesiis, wo im Original von populus die Rede ist. Das Ergebnis ist ein Gegenstück zu den im 15. Jh. entstandenen Liedern über Ritter oder Paladine, das sich auf wesentliche Elemente und ausgewählte Szenen der Erzählung konzentriert und, von einer oberflächlichen Gegenüberstellung von Christen und Ungläubigen einmal abgesehen, praktisch keinen Raum für mögliche exegetische oder symbolische Andeutungen lässt – eine Art Popularliteratur, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein lateinisches Vorbild zurückgeht.
6.
Der exegetische Erfolg und spätere Entwicklungen
Die Figur der Judit ist in den vielfältigen kulturellen Ausdrucksformen des Frühmittelalters auf unterschiedliche Weise präsent: Auf ikonographischem Gebiet dokumentiert dies die Dissertation von Céline Coussy.41 Doch auch die altenglische Literatur kennt ein leider unvollständig erhaltenes Juditgedicht, das genau wie Beowulf in dem berühmten Cotton Vitellius A. XV der 40 Vgl. meine Analyse in Francesco Stella, Poesia carolingia latina a tema biblico (Biblioteca di medioevo latino 9; Spoleto: CISAM, 1993), 332‒335. Über die geschichtliche Personalität der Königin siehe Elizabeth Ward, „Caesar’s Wife: The Career of the Empress Judith, 819–829“, in Charlemagneʼs Heir: New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840) (hg. v. Peter Godman und Roger Collins; Oxford: Clarendon Press, 1990), 205–227. 41 Céline Coussy, La figure de Judith dans l’Occident médiéval (V–XV siècles) (Limoges: Université de Limoges, 2004). Das zweibändige (bebilderte) Werk ist leider in den Bibliotheken nicht verfügbar.
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British Library überliefert ist.42 Die bedeutendste Spur ist aber sicherlich der Kommentar, den der Abt von Fulda und spätere Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus (gest. 856) – als erster Vertreter des lateinischen Westens überhaupt ‒ zu diesem biblischen Buch geschrieben hat und der in einer neuen kritischen Edition erschienen ist.43 Er wurde um das Jahr 834 herum verfasst, als Hrabanus noch Abt in Fulda war, und ist der Kaiserin Judit gewidmet: Das belegen die metrische Vorrede und das beigefügte carmen figuratum. Die zahlreichen Handschriften überliefern den Juditkommentar meist gemeinsam mit Hrabanus’ Kommentar zum Buch Ester; beide hat er einige Jahre später (um 840) überarbeitet und Kaiserin Irmingard, der Frau Lothars, gewidmet.44 Wie Adele Simonetti gezeigt hat, ist dieser Kommentar mangels der Möglichkeit, aus direkten Quellen zu schöpfen, wenig systematisch und arbeitet im Wesentlichen mit dem wörtlichen und dem allegorischen Schriftsinn: Dies erklärt der Exeget in der zweifachen Vorrede, die Dümmler in den Poetae Latini aevi Carolini 2 der Monumenta Germaniae Historica als Carmen 4 (S. 165–168) herausgegeben hat. In der Prosawidmung45 stellt Hrabanus Judit und Ester, die Heldinnen der biblischen Geschichten, deren Kommentare er der Königin zum Geschenk macht, als Verhaltensvorbilder dar, die es im Hinblick auf virtutes ac studium in bono opere nachzuahmen gelte, zumal die Kaiserin mit der einen den Namen und mit der anderen die Königinnenwürde gemeinsam habe. Er führt weiter aus, dass jede der beiden Frauen ein allegorisches Bild für die Kirche (im weiteren Verlauf verwendet er den Begriff typus) und Judit in jedem Fall ein castitatis exemplar sei. Der entscheidende Aspekt der Vorbildlichkeit besteht genau wie in dem rhythmischen Kurzepos ‒ und nur dort! ‒ darin, dass beide ihre spirituellen Feinde mit der Kraft und ihre physischen Feinde mit der Reife der Weisheit niedergerungen hätten. Wenn die Kaiserin Judith, die bereits bewiesen habe, dass sie ihre Feinde zu besiegen wisse, in ihrem Verhalten ebenso beharrlich sei, werde sie alle ihre Gegner glücklich überwinden.46 Hier zeichnet sich eine durch und durch kriegerische und an42 Eine Analyse des Kontexts bietet Stacy S. Klein in einem Kapitel von Ruling Women: Queenship and Gender in Anglo-Saxon Literature (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2006). 43 Hrabanus Maurus, Commentario al Libro di Giuditta (hg. v. Adele Simonetti; Millennio medievale 73, Testi 19; Florenz: SISMEL/Edizioni del Galluzzo, 2008). 44 Zur Interpretationsgeschichte des Buches Ester vgl. Elisabetta Limardo Daturi, Représentations d’Esther entre écritures et images (Liminaires – Passages interculturels 3; Bern: Lang, 2004), das sich jedoch nicht auf die poetischen Quellen beschränkt. 45 PL 109,539c und ff. 46 Sanctarum mulierum quas sacra Scriptura commemorat, virtutes ac studium in bono opere imitari, non frustra arbitratus sum quarumdam illarum historiam, allegorico sensu ad sanctae Ecclesiae mysterium a nobis translatam, vestro nomini dicare atque transmittere, Judith videlicet, atque Esther: quarum unam coaequatis nomine, alteram dignitate. Quae quidem ob insigne meritum virtutis, tam viris, quam etiam
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tiheidnische Auslegung ab, wie sie für die zweite karolingische Generation typisch zu sein scheint. Was die Verswidmungen betrifft, so ist die zuerst veröffentlichte (tatsächlich aber als zweite, nämlich für Irmingard, verfasste) ein in hymnischem Stil gehaltenes Mesostichon aus 35 Hexametern und mündet in ein weitschweifiges und allgemeines Gebet zu Gott, der die Königin beschützen möge. Die zweite umfasst 20 Hexameter und wendet sich direkt an Irmingard mit der Aufforderung, das opus commissum und das carmen missum ihres ergebenen Dieners nicht zu verschmähen. Sodann lobt sie die Empfängerin und stellt ihr das vornehme Beispiel der Heldin Judit vor Augen (V. 10f.: Accipe, quaeso, Iudith exemplar nobile cunctis, / Mente manuque simul atque hanc imitabere rite, „Nimm, ich bitte dich, Judit als vornehmes Beispiel für alle an, und ahme sie mit Geist und Hand zugleich nach!“). Der Verfasser beweist damit, dass ihm sowohl der moralische als auch der „politische“ Aspekt des biblischen Vorbilds bewusst ist, denn er drückt aus, dass ihr dies das Wohlgefallen Christi im Himmel eintragen und den Feind hindern wird (die Stoßrichtung ist hier offenbar dieselbe wie in dem rhythmischen Kurzepos), auch nur ein puppup (V. 13) von sich zu geben: Dieses Onomatopoetikon stammt möglicherweise aus der Kindersprache und ist ansonsten nur bei Aldhelm belegt.47 Hrabanus verwendet es ein weiteres Mal in De laudibus sanctae crucis 2,21. Der Inhalt dieser Widmung entspricht der an Irmingard aus dem Kommentar zum Buch Ester: Königin, deren Weisheit und Standhaftigkeit und deren Sieg über die Feinde für alle Christen ein überaus vornehmes Beispiel sind, auf dass sie das göttliche Gesetz halten und, indem sie sich eine feste Hoffnung auf Gottes Güte bewahren, auf die Möglichkeit vertrauen, von allen Feinden befreit zu werden.48
Die Gemeinsamkeiten in Topik und Ausdrucksweise bestätigen die Parallelität der beiden Frauengestalten, die in der betreffenden Epoche beinahe miteinander gleichgesetzt wurden. Wie Ester, so fügt Hrabanus in seiner metrifeminis sunt imitabiles, eo quod spiritales hostes animi vigore, et corporales consilii maturitate vicerunt. Sic et vestra nunc laudabilis prudentia, quae jam hostes suos non parva ex parte vicerat, si in bono cœpto perseverare atque semetipsam semper meliorare contenderit, cunctos adversarios suos feliciter superabit (PL 109,539d– 540c). Isidor von Sevilla bietet in Par. 122 seiner Allegoriae quaedam Sacrae Scripturae dieselbe Auslegung, die im gesamten Mittelalter „klassisch“ geworden ist: Judith et Esther typum Ecclesiae gestant, hostes fidei puniunt, ac populum Dei ab interitu eruunt (PL 83,116a). 47 De virginitate 20: Regales vastans caulas bis dicere puppup (MGH.AA 15,351). 48 Expositionem libri Hester reginae […] cuius prudentia et constantia mentis victoriaque de hostibus nobilissimum quibusque fidelibus praebet exemplum, ut divinam legem servantes et spem firmam in dei bonitate habentes confidant se de universis inimicis liberandos. Hrabanus Maurus, Carmen 4 (MGH.PL 2,165–168; 167f.).
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schen Vorrede hinzu, ist auch die Königin dazu aufgerufen, sich ihres Volkes anzunehmen und es in jeder Hinsicht emporzuheben; denn Schönheit und Macht vergehen, und so, wie der Tag Nacht wird und die Blätter und Blüten fallen, so wird auch Irmingard – die der Dichter von seinem Krankenlager aus grüßt ‒ parvi temporis hospes („Gast einer kurzen Weile“) sein. In dieser persönlichen und aufrichtigen Widmung, in der Hrabanus Wendungen wie o regina potens wiederverwertet, die bereits Venantius Fortunatus an Radegundis gerichtet hatte, wird Ester, deren Wirkkraft im Kampf gegen den Feind auf ihrem Gottvertrauen und ihrer Achtung vor dem Gesetz beruht, als ein Muster an Weisheit, Beharrlichkeit und Erfolg dargestellt. Vor allem aber ‒ und das war bei Judit nicht möglich ‒ fungiert sie als Vorbild einer Königin, als einer Frau, der die Macht die Voraussetzungen und die Möglichkeit bietet, Gutes zu tun.49 Die Belege aus der Zeit nach dem 9. Jh. sind nicht sehr zahlreich, scheinen aber darauf hinzuweisen, dass sich bei der Typisierung der Juditfigur ein bestimmter Aspekt durchgesetzt hat: der der starken und siegreichen Frau, die – in Analogie zu Ester, der jedoch in der Poesie ein weniger erfolgreiches Schicksal beschieden war50 ‒ anderen mächtigen Frauen als Vorbild dient. 49 Mayke B. Jong hat versucht, aus der Verwendung der biblischen Vorbilder Schlussfolgerungen auf Hrabanus’ Verhältnis zu diesen Kaiserinnen zu ziehen: „The Empire as ecclesia: Hrabanus Maurus and Biblical historia for Rulers“, in The Uses of the Past in the Early Middle Ages (hg. v. Yitzhak Hen und Matthew Innes; Cambridge: Cambridge University Press, 2000), 191‒226. 50 Abgesehen von den Nennungen in den Listen wird Ester bei Paulinus von Nola nur an zwei Stellen erwähnt (Carm. 26,95 und 28,27), um sodann gemeinsam mit den anderen biblischen Heroinen in Marbods Liber decem capitulorum und natürlich in der Aurora des Petrus Riga und im Epithalamium Virginis des Johannes Anglicus (Johannes de Garlandia) zu neuen Ehren zu kommen. Aelfric hatte eine angelsächsische Übersetzung des Buchs Ester angefertigt, vgl. Mary Clayton, „Aelfric’s Esther: A speculum reginae?“, in Text and Gloss: Studies in Insular Learning and Literature Presented to Joseph Donovan Pheifer (hg. v. Helen Conrad-O’Briain, Vincent John Scattergood und Anne Marie d’Arcy; Dublin: Four Courts Press, 1999), 89‒101. In den politischen Traktaten der Karolingerzeit wurde sie zu einem Paradigma gleichberechtigter Königinnenwürde, wie Franz-Reiner Erkens dokumentiert hat: „Sicut Esther Regina. Die westfränkische Königin als consors regni“, Francia 20 (1993): 15‒38; dieses Motiv lebt in nachkarolingischer Zeit fort und wird schließlich zu einem Topos, vgl. Louis L. Huneycutt, „Intercession and the High-Medieval Queen: The Esther Topos“, in Power of the Weak: Studies on Medieval Women (hg. v. Jennifer Carpenter und Sally-Beth MacLean; Urbana: University of Illinois Press, 1995), 126‒146. Vgl. dazu nun auch Irmtraud Fischer und Käthe Sonnleitner, „Rezeption alttestamentlicher Frauenfiguren zur Legitimation weiblicher Herrschaft im frühmittelalterlichen Krönungsordo für Königinnen und Kaiserinnen“, in Genderforschung vernetzt: 20 Jahre Frauen- und Geschlechterforschung an der Kath.-Theologischen Fakultät der Universität Graz (hg v. Irmtraud Fischer; TKD 31; Innsbruck: TyroliaVerlag, 2016), 33–59. Mit den späteren Epochen befasst sich Birgit Franke, Assuerus und Esther am Burgunderhof: Zur Rezeption des Buches Esther in den Niederlanden
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In der Poesie des 10. bis 13. Jh. kehrt Judit als exemplum im Libellus Scolasticus des Walther von Speyer wieder (ca. 963‒1027),51 der ihre kriegerische Unternehmung mit hymnischen Versen besingt, diese jedoch in einen Abschnitt über die Beherrschung der Triebe einfügt und damit indirekt ihre Keuschheit preist. Analog dazu widmet die Vita Eduardi aus dem 12. Jh. einige Verse über die Hochzeit Eduards des Bekenners mit der Königin Edith dem Lob auf die Frömmigkeit des Königs: Er habe sein Vertrauen in den Gott gesetzt, der auch Josef, Judit und Susanna in ihrer Keuschheit den Sieg verliehen habe. Hier begegnet uns dieselbe Abfolge beispielhafter biblischer Gestalten, die wir schon bei den spätantiken Dichtern kennengelernt haben. Ein direkterer Bezug zum Vorbild liegt jedoch in der Vita Mathildis des Donizo von Canossa vor, der sie als Muster mannhaften Widerstands gegen die Könige darstellt (2,798f.). In der Zeit nach dem 11. Jh. kommt das exemplum eher in im engeren Sinne biblischen Dichtungen wie dem Hildebert von Lavardin (1056‒1133) zugeschriebenen De ordine mundi vor, der Judit eine größere Passage widmet, oder in dem bereits erwähnten Abschnitt aus dem Liber decem capitulorum des Marbod von Rennes (1035‒1123). Insgesamt wird sie jedenfalls auch weiterhin recht häufig erwähnt (bei Bernhard von Cluny, Walter von Châtillon, Johannes Anglicus und anderen), was die Popularität dieser Frauengestalt beweist, die auch in der Malerei der Renaissance und des Barock eine beherrschende Rolle spielen sollte. Abwechslungsreicher ‒ weil von Auslegungen geprägt, die sich im frühen Mittelalter allenfalls angedeutet hatten ‒ ist aber wohl ihr exegetisches Schicksal: So veranlasst die von der zisterziensischen Kultur geförderte Marienfrömmigkeit Hélinand von Froidmont (ca. 1160‒1230) dazu, Judit weniger als Typus der Kirche als vielmehr der Jungfrau Maria zu betrachten,52 während Johannes von Salisbury (1120‒1180) sie im Rahmen einer Debatte über die ethisch-politische Methodologie des Policraticus zu einem Vorbild der pia simulatio erklärt, was wiederum an die castae mendacia Iudith bei den frühmittelalterlichen Dichtern erinnert.53 (1450‒1530) (Berlin: Gebr. Mann, 1998), mit den Neuinterpretationen in der spätmittelalterlichen Mystik Louise Gnädinger, „Esther. Eine Skizze“, ZDP 113 (1994): 31‒62. 51 Walther von Speyer, Vita et Passio Sancti Christophori 4,87–92 (MGH.PL 5.1,43): Anne oblita tibi pudibundae foedera Iudith / Non hoc pacta modo? Quae postquam legis in umbra / Marcida sopiti transfixit colla tyranni, / Cartallum festina suum cervice recisa / Te pereunte domum victrix reditura gravavit / Incolumisque suam duce me repedauit in urbem. 52 Anne T. Thayer, „Judith and Mary: Hélinand’s Sermon for the Assumption“, in Medieval Sermons and Society: Cloister, City, University: Proceedings of International Symposia at Kalamazoo and New York (hg. v. Jacqueline Hamesse et al.; TEMÂ 9; Louvain-La-Neuve: FIDEM, 1998), 63‒75. 53 Vgl. hierzu Marcia Lillian Colish, „Rethinking Lying in the Twelfth Century“, in Virtue and Ethics in the Twelfth Century (hg. v. István Pieter Bejczy und Richard G. Newhauser; BSIH 130; Leiden: Brill, 2005), 155‒173.
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Kulturell folgenlos scheinen aber die etymologischen Deutungen der Namen geblieben zu sein, die Hrabanus Maurus in Anlehnung an Hieronymus in De natura rerum III,1 vorschlägt und denen zufolge Judit laudans vel confitens und Ester absconsa bedeute.
7.
Weitere biblische Heldinnen
Das Beispiel der Judit – und in Teilen auch der Ester und anderer alttestamentlicher Heldinnen ‒ hat uns einen Leitfaden an die Hand gegeben, um der Präsenz der biblischen Frauen in der lateinischen und nicht-lateinischen Literatur des frühen Mittelalters unter dem Aspekt ihrer moralischen Auslegung und politischen Adaption, insbesondere aber ihrer Kontextualisierung nachzuspüren. Durch den jeweiligen dichterischen Rahmen und die der Figur zugewiesene Symbolkraft wird von Mal zu Mal eine andere Nuancierung erforderlich. Um die kulturelle Bedeutung und gesellschaftliche Wirkung dieser so stark ins Mythische überhobenen Gestalten zuverlässig bestimmen zu können, müssten diese Belege mit den hunderten Erwähnungen in der exegetischen und hagiographischen Literatur, in Briefen und Chroniken verglichen werden. Doch auch wenn man sich ausschließlich auf die Dichtung beschränkt, tritt die Konstanz der moralischen und ideologischen Beispielhaftigkeit ebenso lebhaft zutage wie die Variabilität der menschlichen Schattierungen und Anpassungen an die spezifischen AdressatInnen, die die Dichter unter den jeweiligen Bedingungen und in den unterschiedlichsten Kontexten aus der biblischen Erzählung und auch aus deren weniger offenkundigen Aspekten zu destillieren wissen und sie mittels einer plausibel ausgeschmückten Erzählung nachgestalten. Zudem ist Judit bei aller Kontinuität und Vielfalt der Wiederverwendungen natürlich nicht der einzige Fall: Eine weitergefasste Analyse, die allerdings niemals erschöpfend sein kann, würde auch die Nachdichtungen von Episoden mit der spätgebärenden Sara berücksichtigen (Gen 16–21), die in den sogenannten biblischen Epen des Claudius Marius Victorius und des Cyprianus Gallus gepriesen, in karolingischer Zeit vergessen, im 10. Jh. aber wiederentdeckt und schließlich Ende des 12. Jh. von Matthaeus von Vendôme zu einer der Protagonistinnen in seinem Tobias gemacht wird. Lohnend wäre ebenso die Beschäftigung mit Hanna, der Prophetin und Mutter Samuels (1 Sam 1f.), die in einigen carmina des Walahfrid Strabo und des Milo von Saint-Amand erste schüchterne Auftritte hat, jedoch erst später, nämlich in den zahlreichen im 12. Jh. verfassten Paraphrasen der Königebücher (etwa dem In libros Regum des Hildebert von Lavardin) und in anderen biblischen Dichtungen derselben Zeit sowie des nachfolgenden Jahrhunderts (wie dem schon erwähnten Tobias und dem Epithalamium Virginis),
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eine wichtige Rolle übernimmt. Noomi kommt vor dem 12. Jh. ganze drei Mal vor (Cyprian, Venantius und Agius). Rahel (und ihre Rivalin Lea) hingegen werden in der Genesis des Dichters Cyprian und in den besseren Werken der karolingischen Hymnographie ausgiebig besungen und sind zudem auch über den religiösen Bereich hinaus in vielen Gedichten des 12. Jh. vertreten. Rebekka, Isaaks Frau, ist vielleicht die erste Frau aus dem AT, die in der lateinischen Dichtung dokumentiert ist (bei Commodian, Hilarius, Ambrosius, Paulinus von Nola und später beim Dichter Cyprian und bei Arator). Von Debora finden sich erste Spuren in karolingischer und mathildischer Zeit. Eine Analyse all dieser Figuren können wir hier aus Platzgründen nicht durchführen, doch sie würde ganz sicher wichtige Informationen über die biblische Frauendarstellung im Frühmittelalter erbringen, in dem die schriftlichen Zeugnisse zumal aus der Liturgie oder der Rhythmendichtung oft in einem größeren Umkreis zirkulierten als die ikonographischen, die uns heute so tief berühren. Unser Eindruck, ist, dass diese Vorkommen sich um einige wenige sehr präzise theoretische und politische Kernmotive herum strukturieren wie etwa Gottvertrauen auch über die Grenzen der Natur und der eigenen Kräfte hinaus, die Fähigkeit, Männer in ihrer Unsicherheit und Zaghaftigkeit zu überwinden, kriegerische und königliche Beispielhaftigkeit, erfolgsorientierte Keuschheit und unerwartete Fruchtbarkeit. Zusammenfassen lässt sich sagen, dass der Ausnahmecharakter zum zentralen Merkmal kleiner narrativer oder lyrischer Zyklen wird, die sich schon früh um ausgewählte exegetisch-ideologische Motive herum verdichten. Die Schönheit dient wie bei Ester und Judit lediglich als Werkzeug des Erfolgs oder, wie bei Rahel, als ein Element von lediglich allegorischer Bedeutung. Seltsamerweise kommt die Braut aus dem Hohelied in der gesamten lateinischen Dichtung des Frühmittelalters nicht vor. Susanna und Isebel werden erst im 12. Jh. monographische Dichtungen gewidmet. Selbstverständlich müsste dieses Bild auch durch eine Untersuchung über die neutestamentlichen Frauenfiguren ergänzt werden, die eine gewisse Sanftmut, Zärtlichkeit, ja Sinnlichkeit und eine affektive und spirituelle Anhänglichkeit an eine Person oder eine Botschaft beisteuern, wie sie dem AT und in Teilen auch dem Frühmittelalter fremd oder marginal gewesen ist. Die ersten Jahrhunderte bevorzugen natürlich klare Farben und einfache Kontraste und loben die Frauen für ihre Fähigkeit, sich in sexueller Hinsicht zu beherrschen, zu kämpfen und für die Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen – Qualitäten, die besser zu den Forderungen und mithin auch den Werten der kirchlich geprägten intellektuellen Schicht und ihren politischen Bezugsgrößen passen. Den besseren Texten gelingt es jedoch jedes Mal, die monumentalen Konturen dieser Vorbilder ein wenig zu verwischen, sie in einem anderen Licht erscheinen zu lassen und somit alternative und ergänzende Interpretationsräume zu erschließen, die noch der Würdigung harren.
Frauen und die Bibel in der lateinischen Korrespondenz des Frühmittelalters (6.–9. Jh.) Christiane Veyrard-Cosme Université Sorbonne Nouvelle-Paris 3
In einer Welt, die ideologisch von patriarchalisch dominierten Modellen bestimmt ist, wie dies im Hochmittelalter der Fall war, scheinen die Frauen auf den ersten Blick kaum dafür bestimmt zu sein, die ersten Ränge in Domänen wie die der Kultur und der Exegese einzunehmen. Vom kleinen Mädchen bis zur jungen Frau, von der Gattin bis zur Greisin, wird vor allem die soziale Funktion, die sie erfüllen, herausgestellt: die Funktion einer Gebärerin, die ein Erbe der Antike darstellt, und die häusliche Rolle der guten Spinnerin und Verwalterin, die sich dem Wohl der Hausgemeinschaft im weitesten Sinne widmet. Mutterschaft und häusliche Autorität sind die Bereiche, in denen sich im Übrigen oft Vergleichspunkte zwischen Vertretern des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft bieten. Die Erziehung, die Fähigkeit, eine Buchkultur zu beherrschen, und mehr noch die Fähigkeit zu schreiben und Ideen umzusetzen, sich die Heilige Schrift mit hermeneutischem Ansatz anzueignen, sind keineswegs geläufige Gesichtspunkte, um eine Frau, die dieses Namens würdig ist, zu beurteilen, zumindest im größten Teil der Fälle.1 Aber es gibt durchaus Frauen, die Ausnahmen zu sein scheinen, und die gleichzeitig außergewöhnlich in ihrer Weiblichkeit sind: Sie leben in den Randzonen der sozialen Welt der Weiblichkeit, sie sind geweihte Jungfrauen, sie nehmen, vor allem in der Hoch-Zeit einen besonderen Platz ein, wie es insbesondere die Briefliteratur zeigt, besonders in den Briefen, die von einem Briefschreiber an eine Frau als Empfängerin gerichtet sind. Um welchen Platz aber handelt es sich hier? Wir wollen in diesem Aufsatz hinterfragen, welche oft mehrdeutigen Beziehungen sie direkt oder indirekt mit der Bibel unterhielten, um darauf zu untersuchen, ob sie antreibendes Moment und/oder Zielgruppe einer schriftstellerischen Tätigkeit sind, deren letzte Perspektive von uns zu definieren bleibt.2 1 Vgl. zu diesem Thema Jane Stevenson, Women Latin Poets: Language, Gender and Authority from Antiquity to the Eighteenth Century (Oxford: Oxford University Press, 2005), insbes. 209f.; vgl. auch Régine Le Jan, La société du haut Moyen Âge: VIe–IXe siècle (Collection U – Histoire; Paris: Colin, 2003), insbes. 211–232. 2 Vgl. Jane Stevenson, „Anglo-Latin Women Poets“, in Latin Learning and English Lore: Studies in Anglo-Saxon Literature for Michael Lapidge (hg. v. Katherine
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1.
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Die Bibel, Reservoir an Verhaltensmodellen für Frauen
Die Beziehungen zwischen den Frauen und der Bibel in der mittellateinischen Briefkorrespondenz kann in einem ersten Schritt unter dem spezifischen Blickwinkel einer inner-diskursiven Präsenz anvisiert werden. Im Briefstil entwerfen die Briefschreiber, allesamt Kirchenmänner, für ihre Adressaten ein analoges und metaphorisches Zusammengehörigkeitskonstrukt, das mit den Geschlechtern ein Wechselspiel betreibt, um letzteren besser Verhaltens paradigmen anbieten zu können. Indem sie das Wort von ihrer hohen und machtvollen Position aus ergreifen, die ihr Amt und die Kultur mit sich bringen, können sie so wie Fulgentius von Ruspe die gewählten Beispiele legitimieren, indem sie ihnen ein etymologisches Fundament geben, das ihnen erlaubt, mit den traditionellen Grenzen zu spielen, die ihnen die strikte Trennung von Frau und Mann auferlegt.
1.1
Die Bibel und die Metamorphose der virago
Fulgentius von Ruspe, ein Bischof, der 533 gestorben ist, wendet sich in einem langen Brief an seine Empfängerin, Proba, eine Gottesdienerin, die mit der Formel sancta Christi virgo bezeichnet wird, um ihr auf Fragen zu antworten, die die Begriffe Bescheidenheit und Keuschheit betreffen.3 Diese briefliche Abhandlung, die aus dem beginnenden 6. Jh. stammt, bietet eine instruktive Einsicht in die etymologisch-ethischen Überlegungen. Fulgentius baut seine Ausführungen auf dem Etymon vir- auf, um im Hinblick auf die spirituellen Tugenden die Gleichheit von Mann und Frau zu zeigen, wobei er sich auf Auszüge aus dem ersten Buch der Bibel stützt, auf Gen 2,21f.: So hat Gott gewollt, dass das Gut der Keuschheit (virginitas) so groß war, dass er ihr die Würde zugestand, dass sie nach dem Wort der Tugend (virtus) benannt wurde. Wer mit Aufmerksamkeit den Ausdruck „Tugend“ untersucht, wird feststellen, dass er von „Jungfrau“ (virgo) abstammt. Jungfrau (junge Frau) heißt gewissermaßen virago (männliche Frau): denn die Frau wird so von der Heiligen Schrift bezeichnet, weil sie aus dem Manne stammt. Dies lehrt im Übrigen die
3
O’Brien O’Keeffe und Andy Orchard; 2 Bde; Toronto Old English Series 14; Toronto: University of Toronto Press, 2005), 2:86–107. Vgl. zu diesem Autor und dem Text, Joan M. Ferrante, To the Glory of her Sex: Women’s Roles in the Composition of Medieval Texts (Women of Letters; Bloomington: Indiana University Press, 1997), und hier 42. Wir verdanken diesem Werk die Beispiele von Fulgentius und Nikolaus I. (ebd., 14–17). Die Beispiele von Alkuin sind ebenfalls hier zu finden (ebd., 54f.). Vgl. auch SC 487.
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Übersetzung des Buches Genesis, die der Hl. Hieronymus mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Hebräischen ausgearbeitet hat. Diese Übersetzung benutzt folgende Worte: Der Herrgott ließ Adam in einen tiefen Schlaf gleiten, und als er eingeschlafen war, entnahm er ihm eine seiner Rippen, überzog sie mit Fleisch, und Gott der Herr schuf so aus der Rippe, die er Adam entnommen hatte, eine Frau, und er führte sie zu Adam, und Adam sagte: „Hier ist Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch. Man nenne sie Frau (virago), weil sie aus dem Mann (vir) abstammt“.4
In dem Maße, in dem der Name der Frau (virago) vom Wort „Mann“ (vir) abstammt, wer könne da an der Tatsache zweifeln, dass der Mann (vir) so nach dem Wort „Tugend“ (virtus) benannt worden ist? Und da nun nach, wie Paulus lehrt, alle Dinge so geschehen sind, dass sie uns als Beispiel ( figura) für unseren Status dienen (1 Kor 10,6), so ist ohne jeden Zweifel in der Frau (virgo), die aus einer Rippe des Mannes (vir) gekommen ist, die Kirche vorangedeutet – die Kirche, die von einem Mann abstammt und die, nachdem sie ihm einmal entnommen wurde, mit ihm vereint wurde, und die seitdem wahrhaftig die Tugend hat (virtus), von der der wahre Name der Frau (virago) abstammt. Hier liegt nun der Grund, aus dem Paulus nicht zögerte, diese Frau (virago), oder anders gesagt, diese Jungfrau (virgo), die aus dem Manne stammt, nicht nur mit dem Wort „Jungfrau“ (virgo) zu bezeichnen, sondern auch nach dem Mann (vir) zu benennen; so sagt er den Gläubigen: Ich habe euch mit einem einzigen Mann verlobt, dass ich Christus eine reine Jungfrau zuführte (2 Kor 11,2). Christus ist der Mann, dem die Jungfrau entnommen wurde. Und den gleichen Gläubigen sagt der Apostel: bis dass ihr alle ankommt zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur Reife des Mannesalters, zum vollen Maß der Fülle Christi (Eph 4,13). Und genau dies verkündet auch eine spirituelle Ermahnung Davids, die sich gleichermaßen an Männer und Frauen wendet. Handelt mit Kraft, und möge euer Herz fest werden, die ihr alle eure Hoffnung in den Herrn setzt (Ps 30[31],25).5 4
5
Fulgentius von Ruspe, Ep. 3,7 (CCSL 91,215): […] tam magnum quippe Deus voluit esse bonum virginitatis, ut illud non aliunde, sed ex vocabulo dignaretur nominare virtutis. Virginis itaque si quis velit diligenter considerare vocabulum, ex virtutis inveniet nomine derivatum; virgo enim dicitur, quasi virago; virginem vero scriptura sancta non ob aliud vocatam dicit, nisi quia de viro sumpta est. Hoc autem a sancto Hieronimo secundum Hebraicam proprietatem libri Geneseos docet expressa translatio, in qua sic habetur: Immisit ergo Dominus Deus soporem in Adam; cumque obdormisset, tulit unam de costis eius, et replevit carnem pro ea, et aedificavit Dominus Deus costam quam tulerat de Adam in mulierem, et adduxit eam ad Adam. Dixitque Adam: Hoc nunc os ex ossibus meis, et caro de carne mea. Haec vocabitur Virago, quoniam de viro sumpta est. Ders., Ep. 3,8 (CCSL 91,215): Itaque cum viraginis nomen ex nomine viri descenderit, quis dubitet quod vir a virtute vocatus sit? Et quia, sicut Paulus docet, illa omnia in figura facta sunt nostri, profecto in illa virgine quae ex viri fiebat costa, futura iam tunc praefigurabatur Ecclesia, quae vere de viro sumpta, et de quo sumpta illi coni-
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So gelingt es dem Bischof durch das Spiel mit den Worten vir/virtus/virago/virgo und indem er sich auf ein Netz von Bibelzitaten stützt, die aus den Paulusbriefen oder anderen Stellen aus der Vulgata stammen, eine virtuelle Einheit der „virilen Frau“ zu schaffen, die diese – weit entfernt von dem Sarkasmus, an den die profane lateinische Literatur den Leser mit diesem Ausdruck gewöhnt hatte – als ein aufgewertetes Wesen in seinem hybriden Charakter betrachtet. Es ist interessant, dass ausgerechnet das übersetzte und interpretierte Buch Genesis in gewisser Weise zur „Geburt“ einer anderen Konzeption von Weiblichkeit geführt hat.
1.2
Männliche Modelle für Frauen
Die umfangreiche Korrespondenz des Papstes Nikolaus I., der auch unter dem Namen Nikolaus der Große bekannt ist (800–867), ist ein ergiebiges Untersuchungsfeld, um die Wertschätzung der Frauen mit dem Maßstab der Bibel zu ergründen. Im 28. Brief, der an Königin Ermentrude gerichtet ist, vergleicht der Papst seine Adressatin, die ihm viele Geschenke hat zukommen lassen, mit einer berühmten Herrscherin, die aus 1 Kön 10 wohl bekannt ist, mit der Königin von Saba, deren Geschenke König Salomo erfreuten. Angesichts der Geschenke aller Art, die du uns hast zukommen lassen, haben wir deine Ergebenheit uns gegenüber für noch grösser erachtet als die der Königin von Saba.6
An seinem Lebensabend bezieht Papst Nikolaus I., der dafür berühmt ist, den Papstprimat über die kaiserliche Macht zu stellen, auch Position in einem Konflikt, in dem sich im Orient die Anhänger des Photios I., eines einfachen Laien, der aber trotzdem zum neuen Patriarchen Konstantinopels gewählt worden ist, und die Getreuen von dessen Vorgänger, Ignatius, der 858 vom Kaiser Michael III. abgesetzt worden war, gegenüberstehen. Als Anhänger des Ignatius setzt der Papst 863 Photios ab, weswegen dieser seinerseits die
6
uncta, inde habet in veritate virtutem, unde habet verum viraginis nomen. Propter quod hanc viraginem, id est virginem, quae de viro sumpta est, non solum virginis, sed etiam viri nomine Paulus non dubitat appellare; dicit enim fidelibus: Despondi enim vos uni viro virginem castam exhibere Christo. Christus est quippe vir de quo haec virgo sumpta est. Ipsis denuo fidelibus idem apostolus dicit: Donec occurramus omnes in unitatem fidei et agnitionis Filii Dei, in virum perfectum, in mensuram aetatis plenitudinis Christi. Per sanctum quoque David, tam viris quam mulieribus in commune spiritalis huiuscemodi promulgatur hortatio: Viriliter agite et confortetur cor vestrum, omnes qui speratis in Domino. Nikolaus I., Papst, Ep. 28 (MGH.Ep 6,294): Nam et munerum vestrorum diversis speciebus oblatis […] reginae Austri industriam tuam praetulimus.
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Beziehungen mit Rom abbricht. 866 (also ein Jahr vor der Verurteilung und dem Exil Photios’), setzt der Papst zwei Schreiben auf. Eines ist an Theodora, die Mutter Michaels III. und ehemalige Regentin, und ein weiteres an die Kaiserin Eudocia Decapolitissa, die Gattin Michaels, adressiert. In diesen beiden Briefen verwendet der Papst eine Reihe von Formeln, die die hauptsächlichen Vorurteile widerspiegeln, die es gegen die Frauen in einer Welt gab, die von einer patriarchalischen Mentalität dominiert war. Der an Theodora geschriebene Brief stellt eine eloquente Komposition dar, in der die Adressatin von zwei männlichen Figuren eingerahmt ist und inmitten einer Reihe erhabener Kaiserinnen einen herausragenden Platz einnimmt; dies ist bemerkenswert im Vergleich zu jenem, den ihr Gatte, der den päpstlichen Positionen feindlich gegenüberstand, innehatte: Am Schluss des Schreibens vergleicht er sie mit Moses und Aaron, mit Samuel und Zacharias und schließlich mit Jesus. Wir erinnern mit Sorgfalt und im Detail an die Tugenden, die die Eurigen sind und die Ihr besitzt und die in diesen Tagen Euch hinter keiner dieser erhabenen Kaiserinnen zurückstehen lassen, und vor allem nicht im Bereich der Frömmigkeit, in der Ihr ihnen gegenüber nicht unterlegen seid. Wir danken dem allmächtigen Gott ohne Unterlass, der sie Euch hat zukommen lassen und dem Ihr sie verdankt, und Wir segnen ohne Unterlass seinen heiligen Namen und erwähnen oft, wenn Wir uns an die Gläubigen wenden, Eure Frömmigkeit und Eure Ergebenheit als Beispiel, damit sie von den Zuhörern nachgeahmt wird: Als der Kaiser, dein Gatte, noch von dieser Welt war und sich gegen die Gesetze der Kirche aussprach, hattest du keine Angst, dem richtigen Gedankengang zu folgen und zu verteidigen, was rechtens war. Du, so sage ich, du bist bis zum Schluss im wahren Glauben verblieben, indem du deinen einzigen Sohn gelehrt hast, dem Weg seines Vaters zu folgen, nicht dem seines irdischen Vaters, sondern dem seines himmlischen Vaters. Wer könnte die herausragende Qualität deines Charakters loben, den Mut deiner Taten und deines korrekten Verhaltens? Als du allein mit Gottes Hilfe die Herrschaft ausgeübt hat, hast du die Kirche des Herrn nicht nur gegen den sichtbaren Feind beschützt, sondern du hast sie auch – so stark wie ein Mann – gegen den unsichtbaren Feind verteidigt, das heißt gegen den Irrtum, und wie ein Sonnenstrahl hast du die Nebel des Irrglaubens vom Angesicht der Kirche verjagt. Die Ketzer haben in dir eine männliche Brust gespürt, und haben, erstaunt über deine unbesiegbare Stärke, daran gezweifelt, dass du eine Frau bist!7 7
Ders., Ep. 95 (MGH.Ep 6,547): Virtutes vestras, quibus praeditae antecedentium vos Augustarum nulli diebus istis apparuistis secundae, quibus etiam, et praecipue in causa pietatis, earum nemini estis inferiores inventae, subtiliter atque sollicite recolentes, Deo cunctipotenti, cuius munere has percepistis, grates inmensas referre et eius sancto nomini benedicere non cessamus atque piorum studiorum vestrorum praeconia pro imitatione audientium inter fidelium colloquia iugiter enarramus. Tu quippe etiam principe marito tuo contra leges ecclesiae sentiente superstite sana sapere et recta defendere non formidasti. Tu, inquam, in horthodoxa religione perseverans unicum filium non terreni patris, sed supercaelestis iter aggredi docuisti. Quis
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Diese Rede, die vom Briefschreiber an die Kaiserin gerichtet ist, ist aus epideiktischen Formeln komponiert, die auf rhetorischen Fragen und Ausrufen beruhen und versteckte Behauptungen und Bestätigungen darstellen, die zur Aussage führen: Deine Tugenden sind unsagbar. Nikolaus I. sorgt dafür, dass das Lob der Frau in ein Gotteslob (Deo cunctipotenti; Domino cooperante) eingebettet wird. Er stellt seine Adressatin auf ein Podest, wobei auch ihre Taten, deren teleologische Dimension klar herausgehoben wird, gebührend gepriesen werden ( facta fortia): die Nachahmung durch die Gläubigen und das Lob Gottes, der sie der Welt gewährte. Hier wird das semantische Feld des Epos angewandt, um eine Frau zu preisen (enarrare; narrare), die ein virile pectus (eine männliche Brust) und eine unüberwindbare Kraft, insuperabile robur, besitzt. Das Wort mirari, das dazu verwendet wird, um die Reaktion der Allgemeinheit angesichts dieser Außergewöhnlichkeit zu beschreiben (quod femina fueris ambiguum habuerunt), dient offensichtlich als Schutz, als Barriere, um in letzter Instanz das Überspannte der Aussage zu kontrollieren. Die politische Macht, die in einer bisher nicht dagewesenen Situation ausgeübt wurde (cum sola principabaris), genügt, um dieses beispiellose Porträt einer Frau zu erklären, die für eine Männlichkeit wie die eines epischen Helden gepriesen wird (virile pectus war eine Formel, um den Helden eines Epos zu bezeichnen). In seiner Absicht, seiner Adressatin formative Beispiele für die Widerstandskraft zu geben, bietet der Papst der Kaiserin Modelle an, und zwar nicht die geringsten: Moses, der Gesetzesgeber, und Aaron, der Heilige Gottes, haben den Groll, die rauen Angriffe und den Aufruhr ertragen, der von jenen kam, die Moses als Söhne in seinem Schoss trug [vgl. Num 11,10–15] und so sehr liebte, dass er dem Herrn, der sie vernichten und aus ihm eine große Nation machen wollte, sagte: „Erlass ihnen ihre Sünde oder streiche mich aus dem Buch, das du geschrieben hast.“ [Ex 32,32] Der selige Samuel wurde von der Macht durch jene verjagt, denen er zahlreiche Wohltaten hat zukommen lassen. Der Prophet Sacharja war Zielscheibe für Steine, die auf Befehl dessen geworfen wurden, zu dessen Vorteil sein eigener Vater das Königreich gerettet hatte und dem er selbst den Weg zum Heil zeigte. Aber warum sollte man lang bei Menschen bleiben, wenn der Mittler zwischen Gott und den Menschen, unser Herr Jesus Christus, Schande, Auswurf, Auspeitschung und den Tod am Kreuz von jenen hat ertragen müssen, die blind waren und das Augenlicht wiedererlangt, die krank waren und die Ge-
autem morum insignia, quis correctionum tuarum facta fortia narrare sufficiat? Cum enim sola principabaris, Domino cooperante non solum ab hoste visibili, verum etiam nullo mare infirmior ecclesiam Domini ab hoste invisibili, hoc est ab errore, texisti et perversorum dogmatum nebulam tamquam solis radius ab ecclesiae facie depulisti. Senserunt in te heretici virile pectus et mirantes insuperabile robur, quod femina fueris, ambiguum habuerunt.
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sundheit wiedererlangt haben, und von denen, die von den Toten auferstanden sind?8
Diese Gesetzesgeber, Priester und Propheten, die der Person Christi an die Seite gestellt werden, geben der Frau als Adressatin die Aura einer Märtyrerin, die sie zum Rang einer Heiligen und einer verfolgten Weisen erhebt. In seinen brieflichen Ausführungen bietet der Papst eine Neuinterpretation der Situation, in der sich seine Korrespondentin befand, aber auch ein ethisches Programm, das auf männlicher Tugend (virtus) beruht. Es gibt jedoch in den päpstlichen Briefen auch Beispiele, bei denen Frauen der Bibel zu Vorbildern für das Verhalten der männlichen Adressaten werden.
1.3
Weibliche Modelle für Männer
Im Brief 96 bittet der Papst seine Korrespondentin, die Kaiserin Eudocia Decapolitissa, die Gemahlin Michaels III., für die Rückkehr des Ignatius bei Ihrem Gatten zu intervenieren. Indem er am Anfang seines Schreibens die Rolle unterstreicht, die die Gerechtigkeit unter den königlichen Tugenden spielt, schreibt der Papst eine Lobrede auf die weibliche Stärke ( fortitudo), die an jene Punkte anknüpft, auf die wir im zuvor übersetzten Brief hingewiesen haben. Nichts ist für die königliche Macht geziemender als die Liebe zur Gerechtigkeit, nichts ist für die weibliche Schwäche ehrenhafter als die Standhaftigkeit des Geistes. Was gibt es Lobenswerteres und Entschlosseneres als eine Frau, die eine männliche Kraft zeigt und in einer frommen Angelegenheit über den Willen der Männer triumphiert?9
8
9
Ders., Ep. 95 (MGH.Ep 6,548): Nam legifer Moyses et Aaron, sanctus Domini, murmur et duras contumelias atque seditionem patiuntur ab his, quos velut filios in sinu portabat et adeo diligebat, ut Domino volenti eos perdere et facere eum in gentem magnam diceret: ,Aut dimitte eis hanc noxam aut dele me de libro quem scripsisti.‘ Sic beatus Samuhel ab his, quibus multa praestiterat beneficia, de principatu propellitur; sic propheta Zaccharias ab eo, cui pater suus regnum vindicaverat et ipse viam salutis ostendebat, lapidibus impetitur. Sed quid per hominum genus diutius immoremur, quando ipse mediator Dei et hominum dominus noster Iesus Christus ab his, quibus caecos inluminavit, languidos plurimos pristinae sanitati restituit, mortuos excitavit, probra, sputa, flagella et mortem crucis sustinuit? Ders., Ep. 96 (MGH.Ep 6,549): Nihil in regia sublimitate iustitiae dilectione decentius, nihil in infirmitate muliebri fortitudine mentis honestius. Quid autem laudabilius vel robustius, quam si femina virile pectus induat et adhuc in causa pietatis virorum studia superet?
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Indem der Papst seine Adressatin mit den Worten precamur […] ut feminae infirmitatis oblitae viriliter agere studeatis ermutigt, männlich zu handeln und die weibliche Schwäche zu vergessen, entwirft er für sie eine Liste mit den hauptsächlichen Aufgaben, die einer Kaisergattin angemessen sind: Es ist in der Tat nicht umsonst, dass Christus, unser Herr, Euch am Reich eures Gatten teilhaben lässt. Er hat Euch in diese Position zu dem einzigen Zweck gebracht, um seiner Kirche zu helfen, über die Gesamtsituation der Kirche zu wachen, die Heimgesuchten zu trösten, die Unterdrückten und die Verletzten aufzurichten, die Verbannten und im Exil Lebenden heimzurufen, alles, was verengt, verwirrt, ungeordnet und zerstört ist, wiederherzustellen [vgl. Jes 61,1– 4; Lk 4,16–19] und ihr die frühere Kraft wiederzugeben, damit Ihr als mannhafte und starke Frau, als wertvolle Unterstützung, Eurem Gatten, der schwere und unzählige Aufgaben zu bewältigen hat, Hilfe leistet und ihm eine helfende Hand anbietet, damit er nicht vom Gipfel der Gerechtigkeit in all seine verschiedenen und vielschichtigen Aufgaben fällt. Der Herr hat aus diesem Grund, ganz am Anfang der Welt, dem ersten menschlichen Wesen eine ihm ähnliche Hilfe geschenkt, damit kein einsamer Mann zu sehen sei, der unter dem Einfluss eines anderen zu leicht Gipfelhöhen ins Auge fasst, und der, wenn er dabei zu Fall kommt, große Mühe hat, sich wieder zu erheben.10
Das Ende der Passage zeigt sehr schön die biblische Eva als Referenz, die Gefährtin des ersten Menschen, die hier der Eudocia als Beispiel vor Augen geführt wird. Aber diese Figur, das Modell der Kaiserin, ist offensichtlich im Lager der weiblichen Paradigmen eine übertragbare Person: Fähig, durch ihre Qualitäten als Gefährtin zur Nachahmung anzuregen, spielt sie die Rolle eines Vorbildes, um das Verhalten des Photios, den der Papst für einen Usurpator hält, zu geißeln und anzuklagen. Im folgenden Auszug, der aus demselben Schreiben stammt, erscheint Photios als „neue Eva“, eine abwertende Formulierung, die ihn von der Schlange, dem alten Feind des Menschengeschlechtes, verführt zeigt.
10 Ebd.: Non enim frustra nobilitatem vestram Christus Deus noster imperii coniugis vestri fecit consortem nec posuit vos, nisi ut ecclesiam eius adiuvetis, erga statum eius vigiletis, famulis ipsius auxiliemini, maerentes consolemini, oppressos et elisos erigatis, pulsos et exiliatos revocetis et cuncta depravata, confusa, inordinata et destructa vigori pristino reformetis, nihilominus etiam, ut tamquam fortis virago et insignis adiutrix viro vestro ad multa intendenti et innumera disponenti adiutorium inpendatis et, ne inter tot varietates a iustitiae culmine decidat, manum solatii quodammodo porrigatis. Sic Dominus in principio condicionis humanae protoplasto mulieris adiutorium sibi simile tribuit, ne videlicet vir solitarius alterius forte consilio destitutus facilius ad ima decideret difficiliusque post casum resurgeret […].
Frauen und Bibel in der Korrespondenz des Frühmittelalters
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Glaubt uns: In diesen Zeiten sind die Vertreibung des verehrungswürdigen Ignatius und der Aufstieg des vermessenen Photios für Euer Reich ein Übel, das dem der Versuchung Evas gleichkommt.11
Der Papst versichert ihr: Die Schlange der damaligen Zeit, der alte Feind des Menschengeschlechtes, hört nicht auf, die Kirche des Herrn, die sich aus Männern und Frauen zusammensetzt, mit ihren Machenschaften zu plagen.12
Eudocia wird in diesem Zusammenhang gebeten, sich wie eine neue Ester zu verhalten: Handelt, indem Ihr Euren Glauben unversehrt bewahrt, indem Ihr auf dem rechten Weg bleibt, für das Volk Gottes, das die Kirche ist, in derselben Weise wie Esther, die heilige Königin dieses Volkes, und entfacht auch in Eurem Gatten die Furcht vor Gott und die Liebe zu ihm, und handelt mit brennendem Eifer und mit Klugheit für die Wiederherstellung der heiligen Kirche von Konstantinopel.13
Der Papst schließt seine Mahnrede mit folgendem Satz, wobei er Photios als moechus (Ehebrecher/Wüstling) bezeichnet: Befreit Euch also von all Euren weiblichen Ängsten und tut alles, um das von Eurem Gatten zu erlangen, was heilig ist und was der heiligen Kirche geziemt.14
So kann die biblische Eva zu einem ambivalenten Modell werden, als Trägerin für lobenswerte, wie für tadelnswerte Elemente, je nach dem, in welchem Rahmen sie behandelt wird. Die biblische Frau par excellence, Eva, hat im Diskurs der Männer eine doppelte Funktion, indem sie von Fall zu Fall männliche oder weibliche Adressaten charakterisiert.
11 Ebd. (MGH.Ep 6,550): Nam, nobis credite: non minus his temporibus venerabilis Ignatii repulsio seu temeratoris Photii promotio imperio vestro quam Evae suggestio nocuit. 12 Ebd.: Ille namque priscus serpens et antiquus adversarius non cessat ecclesiam Domini, quae de utroque sexu componitur, diversis vexare machinamentis. 13 Ebd.: […] vos in integritate fidei et in tramite rectitudinis populo Dei, qui est ecclesia, more sanctae illius Hester reginae perserverantes virum quoque vestrum circa Dei timorem amoremque succendatis et erga sanctae ecclesiae Constantinopolitanae recuperationem prudenter inflammetis. 14 Ebd.: Deponite ergo cunctam muliebrem infirmitatem et erga eum ea, quae pia sunt, quae sanctae ecclesiae congruunt, impetrare satagite.
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2.
Frauen und die Bibel – eine Erklärung für den Briefstil: Das Beispiel der Korrespondenz Alkuins
2.1
Die Vorstellung des Textkorpus
In den ersten Jahren des 9. Jh. hat der anonyme Autor der Vita Alcuini, die den historisch-spirituellen Werdegang des angelsächsischen Geistlichen und Beraters Karls des Großen, Alkuins (auch Albinus genannt), darstellt, in seinem Werk folgenden Aspekt herausgehoben: Auf Bitten Kaiser Karls des Großen schrieb Albinus ein sehr nützliches Buch über die heilige Dreifaltigkeit, sowie Bücher über die Rhetorik, die Dialektik und die Musik. Er schrieb für Gundrada ein Buch über die Natur der Seele. Auf Bitten von zwei Frauen, Gisela und Richtrud, verfasste er in sehr angemessener Weise ein Werk über das Johannesevangelium, das zum Teil auf dem heiligen Augustin, zum Teil auf seiner eigenen Analyse beruht.15
Alkuin hat seinen Kommentar zum Johannesevangelium seinen Briefkorrespondentinnen gewidmet. Hier muss auf die Bedeutung hingewiesen werden, die der Text dieses Evangeliums ganz offensichtlich für die Inselbewohner, von denen Alkuin abstammte, hatte: So trennte sich etwa der sehr wichtige Insulaner Cuthbert, ein Heiliger aus dem beginnenden 8. Jh., bis zu seinem Tod nicht vom Johannesevangelium. Dieses Evangelium löst in der Vita Alcuini im 7. Kap. die Erzählung von der mystischen Verzückung des Haupthandlungsträgers aus. Unter den zahlreichen Korrespondenten Alkuins befanden sich als Adressatinnen Frauen, die dem Adel und dem Königshof entstammten, mit denen der Berater des Frankenkönigs in Kontakt stand, sowie mehrere Frauen, die ins Kloster eingetreten waren. Einige von diesen waren ebenfalls adelig und sogar von königlichem Blute, wie Gisela, die Schwester Karls des Großen, und Rotrude, eine Tochter des Königs, oder Gundrade, eine Tochter des Kö15 Vita Alcuini, § 21 (CEAug / Série Moyen Âge et Temps Modernes 54,296f. [und 117–29]): Postulante namque imperatore Karolo, scripsit librum de sancta Trinitate utilissimum, necnon de rethorica dialectica et musica. Scripsit ad Gundradam de animae ratione. Postulantibus feminis Gisla et Richtrude honestissime super euangelium Iohannis partim de suo, partim de sancto Augustino mirabile opus composuit. Vgl. auch zur Vita Alcuini Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 3: Karolingische Biographie: 750–920 n. Chr. (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 10; Stuttgart: Hiersemann, 1991), 175–182. Zu Alkuin siehe insbes. Donald A. Bullough, Alcuin: Achievement and Reputation (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 16; Leiden: Brill, 2004).
Frauen und Bibel in der Korrespondenz des Frühmittelalters
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nigs von Mercia. Gisela, die das Kloster Chelles leitete, und ihre im selben Kloster lebende Nichte Rotrude stehen in vorderster Linie der Korrespondentinnen Alkuins. Das zeigen jene Schreiben, die in der Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica die Briefe 195, 196, 213 und 214 der alkuinischen Korrespondenz umfassen. Ein Abschnitt des Briefes, den die zwei Frauen geschrieben haben, zeigt sehr schön die Anlehnung des Textkorpus an Hieronymus: Beide wenden sich ihn als Abt von St. Martin in Tours, nennen ihn magister und verpflichten ihn, ihnen den lang gehegten Wunsch zu erfüllen, einen exegetischen Kommentar zum Johannesevangelium zu schreiben: Erinnere dich, dass der berühmte Gelehrte der Heiligen Schrift der Kirche, der Hl. Hieronymus weit davon entfernt war, die Bitten adeliger Frauen (denen er sehr viele Schriften widmete) zu verachten, ihnen dunkle Stellen prophetischer Texte zu erklären. Auf ihre Anfrage ließ er ihnen Schreiben und Briefe von der Stadt Bethlehem, die durch die Geburt Christi, unseres Gottes, geweiht ist, bis zu den Festungen Roms zukommen, ohne die Entfernung der Länder oder die aufgewühlten Wogen der Adria zu fürchten, in denen er Hindernisse für die Erfüllung des Wunsches der heiligen Jungfrauen hätte sehen können. Die Schifffahrt auf der Untiefen aufweisenden Loire ist weniger gefährlich als auf dem so tiefen Tyrrhenischen Meer. Und es wird dir leichter fallen, einen Träger für deine Briefe von Tours nach Paris ausfindig zu machen, als jener für seine von Bethlehem nach Rom!16
Offensichtlich handelt es sich, was die Korrespondenten betrifft, um eine besondere Facette des Hieronymus aus Stridon, die hier herausgestellt wird: Der Autor der Kommentare zu Jesaia und Ezechiel, die für Paula und ihre Tochter Eustochium bestimmt sind, die selbst Adressatin eines berühmten Briefes ist, in dem der Kirchenvater sie dazu verpflichtet, einen Lehrer zu finden, der ihr so gut wie möglich die Heilige Schrift auslegt. Für Frauen wie Gisela und Rotrude, die in einer Kultur typologischer Exegese lebten, gibt es keinen Zweifel, dass sie damit ein prägendes Gegenbild zu jenen adeligen Damen entwarfen, die Studienbegleiterinnen des Übersetzers und Kommentators der Vulgata waren. Dies gilt umso mehr, als Alkuin sich selbst die Überarbeitung des Bibeltextes zur Aufgabe gemacht hatte. Als Briefschreiberinnen 16 Alkuin, Ep. 196 (MGH.Ep 4,324f.): Memento clarissimum in sancta ecclesia divinae scripturae doctorem, beatissimum siquidem Hieronimum, nobilium nullatenus spernere feminarum preces, sed plurima illarum nominibus in propheticas obscuritates dedicasse opuscula; saepiusque de Bethleem castello, Christi dei nostri nativitate consecrato, ad Romanas arces epistolares, iisdem petentibus volare cartulas, nec terrarum longinquitate vel procellosis Adriatici maris fluctibus territum, quin minus sanctarum virginum petitionibus adnueret. Minore vadosum Ligeri flumen quam Tyrreni maris latitudo periculo navigatur. Et multo facilius cartarum portitor tuarum de Turonis Parisiacam civitatem, quam illius de Bethleem Romam, pervenire poterit.
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erschienen sie so als würdige Nachfolgerinnen der Patrizierinnen, die sich zu einer Lebensform bekehrt hatten, die auf der Kenntnis und dem Studium der Schrift beruht. Wie kürzlich dargelegt, zeigen die handschriftlichen Überlieferungen von Alkuins Werken, dass dieser Brief direkt vor dem alkuinischen Kommentar geschrieben worden ist, während der Widmungsbrief der explanatio Alkuins gesondert zirkulierte.17 Dies erklärt sich nicht aus den Zufällen der Textüberlieferung, sondern liegt im ausdrücklichen Willen der Absender begründet. Im Brief, der die Sendung des so sehnlich erwarteten Kommentares begleitete, legt der Schreiber auf eine Präzisierung wert, die nichts von einer Nebenbemerkung hat: Ich habe diesem Werk den Brief vorangestellt, der Eure Anfrage enthält, damit die Leser in Zukunft erkennen können, mit welchem Eifer Ihr Eure Frömmigkeit ausübt und mit welchem Gehorsam ich gearbeitet habe. Ich habe auch den Brief, in dem Ihr Euren Wunsch ausdrückt, gewissermaßen an die Stelle einer Vorrede zu unserem kleinen Werk hinzugefügt.18
Durch diese Formulierung wird ein hieronymianisches Ethos herausgestellt. Alkuin, der im Zentrum der vom fränkischen Reich gewollten Renovatio stand, gibt sich damit das Format des Hieronymus und verleiht der Gruppe von 26 Briefen, die in der Korrespondenz Alkuins an Frauen gerichtet sind, gewisse Charakteristika: Als Briefe für Führungsfragen haben diese Schreiben eine große Anzahl an Zitaten, die direkt aus ähnlichen Briefen des Hieronymus stammen, die jener an Heliodor, Eustochum oder Paula geschickt hat. So stellt sich nun in Bezug auf unsere Thematik „Frauen und Bibel“ die Frage, wie es sich mit einem anderen komplementären Begriffspaar verhält, dem von Lehrer und SchülerInnen.
17 Vgl. unseren Aufsatz: Christiane Veyrard-Cosme, „Les sœur, filles et cousine de Charlemagne dans le monde culturel carolingien“, in Les réseaux familiaux: Antiquité tardive et Moyen Âge: In memoriam A. Laiou et E. Patlagean (hg. v. Béatrice Caseau; Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation de Byzance / Monographies 37; Paris: ACHCByz, 2012), 163–174. 18 Alkuin, Ep. 214 (MGH.Ep 4,357f.): […] praeponens etiam huic operi epistolam petitionis vestrae, ut in posterum agnoscerent legentes vestrae devotionis studium et meae oboedientiae occasionem. Adiunxi quoque epistolam annuentem voluntati vestrae. Quam etiam quasi prologum anteposui opusculo nostro […].
Frauen und Bibel in der Korrespondenz des Frühmittelalters
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Das Paradigma des Magisters/Lehrers in der exegetischen Korrespondenz
Die Briefe, ob sie nun tatsächlich abgeschickt wurden oder nicht, weil sie an Abwesende adressiert worden sind, gehören in den Bereich der fiktiven Schriften.19 Aber ihr Inhalt, die Botschaft, die sie an die Adressaten übermitteln, ist gleichermaßen historisch wie virtuell. In diesem Zusammenhang hat der Platz, der Lehrern und Schülerinnen zugestanden wird, eine realhistorische Dimension, aber er gewährt auch Einblick in das komplexe Gebilde der geistigen Vorstellungswelt. So könnte die Erwähnung der Verbindung zum Lehrer, die in diesem Corpus hervorgehoben wird, als Ergebnis und Widerhall von bedeutenden Elementen einer anthropologisch-religiösen Tradition verstanden werden.20 Die Form, die Alkuin gewählt hat, um der Nachwelt ein hieronymianisches Bild zu hinterlassen, impliziert hier eine besondere Sorge um eine Lehrverbindung zwischen magister und Schülerinnen, die diese zu einem Austausch verpflichtet, der durch seinen spiegelhaften Zug auf Gegenseitigkeit beruht. Die Wechselbeziehung zwischen den beiden Gegenpolen findet ihren Ausdruck in einem historisch begründeten Überblick, den der magister für seine Explanatio vorschlägt. Wenn man, wie es F. Waquet gezeigt hat, in den alkuinischen Briefen intellektuelle, soziale und wirtschaftliche Elemente herausarbeiten kann, die oft für die Lehrer-Schüler-Beziehung relevant werden,21 so erweist der Austausch zwischen Gisela und Rotrude einerseits und Alkuin andererseits auf beiden Seiten den Willen, durch Analogien, Metaphern und Paraphrasen jene Beziehung namhaft zu machen, die durch die exegetische Lehre entstanden ist. Die beiden Frauen verwenden mit Absicht Bilder, die als Devise ihre libido sciendi hervorheben. Ihr Brief beginnt mit Worten, die den Feuereifer, die Wissbegierde und den Hunger spüren lassen: Nachdem wir, verehrter Meister, ein wenig vom Wissen, süß wie Honig, über die Heilige Schrift in uns aufgenommen haben, das uns Euer Scharfsinn darlegte, entflammte in uns, das bekennen wir, die Begierde nach einer heiligen 19 Zu diesem Thema siehe insbes. Geneviève Haroche-Bouzinac, Lʼépistolaire (Paris: Hachette, 1995), v. a. 70–80. 20 Vgl. zu diesem Thema George Steiner, Der Meister und seine Schüler (München: Hanser, 2003), sowie die Überlegungen von Frédéric Guidon in seiner Doktorarbeit im Bereich der französischen Literatur zum Thema La dialectique du maître et du disciple en littérature: L’exemple du roman fin de siècle (Bourget, Barrès, Gide) (Diss., Université de Metz, 2011), online: http://www.theses.fr/2011METZ002L/ document [zuletzt abgerufen am 19.10.2018]. 21 Vgl. Françoise Waquet, Les Enfants de Socrate: Filiation intellectuelle et transmission du savoir: XVIIe–XXIe siècle (Bibliothèque Albin Michel: Histoire; Paris: Michel, 2008).
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Christiane Veyrard-Cosme
Unterweisung von Tag zu Tag mehr, denn in einer solchen Unterweisung liegt die Reinigung der Seele, die Linderung für unsere Sterblichkeit, die Hoffnung auf ewige Glückseligkeit […]. Es handelt sich um das Manna, das sättigt, ohne dass Überdruss entsteht, und das ohne Unterlass nährt, ohne weniger zu werden. Es sind die Früchte der göttlichen Ernte, Ähren, die von der Hand der Apostel gemahlen und dargeboten wurden, um die Seelen der Gläubigen zu ernähren.22
Indem sie atl. Formulierungen und Anspielungen benutzen, die in der Spätantike rezipiert wurden, und Lk 1,6 umschreiben, wünschen Gisela und Rotrude, dass mithilfe von Briefen und Schriften eine dialogförmige Lehre eingerichtet werde, um ihren unstillbaren Wissensdurst zu lindern: Sehr verehrter Lehrer, wir bitten Euch im Namen der Frömmigkeit, uns nicht ohne den Trost deiner Briefe zu lassen. Du könntest dich uns, die wir dich darum bitten, durch die guten Werke der Briefe zeigen, damit deine Stimme in größter Sehnsucht unseres Herzens verstanden wird. Denn so, wie der sprachliche Ausdruck dessen, der redet, dem Ohr desjenigen, der zuhört, nützlich ist, so ist die Feder dessen, der schreibt, dem Auge desjenigen, der liest, von Nutzen. Die Ideen eines Briefschreibers kommen genau wie die Worte eines Lehrenden im tiefsten Herzen an. Deswegen, seligster Vater, verweigere dich uns nicht. Benetze mit dem Quellwasser des Heils die ausgetrockneten Herzen unserer Nichtigkeit. Wir wollen keineswegs, dass dir das passiert, was Salomo über jene sagt, die ihre Klugheit versteckt halten: „Welchen Nutzen hat ein verborgener Schatz, eine verdeckte Weisheit?“ (Sir 41,17 V) Wir ziehen es vor, dass dir widerfährt, was der Herr durch den Mund der Propheten verkündigt: öffne deinen Mund, und ich werde ihn füllen (Ps 80[81],11). Öffne deinen Mund, um uns mit Eingebung des Heiligen Geistes den Kommentar des heiligen Johannes, des Evangelisten, zu eröffnen, und offenbare uns die verehrungswürdigen Gedanken der heiligen Väter zu diesem Thema. Lass uns nicht ohne Nahrung, hilf uns, damit wir nicht vom rechten Weg abweichen.23 22 Alkuin, Ep. 196 (MGH.Ep 4,323f.): Postquam, venerande magister, aliquid de melliflua sanctae scripturae cognitione, vestra sagacitate exponente, hausimus, ardebat nobis, ut fatemur, de die in diem desiderium huius sacratissimae lectionis, in qua purificatio est animae, solatium mortalitatis nostrae et spes perpetuae beatitudinis. […] Haec est manna, quae sine fastidio satiat, sine defectu pascit. Haec sunt divinae segetis grana, apostolicis fricata manibus atque per eos fidelium epulis animarum apposita. 23 Ebd. (MGH.Ep 4,324): […] vestram, carissime doctor, deprecamur pietatem, ne nos litterarum tuarum solatio deseras. Poteris te ipsum nobis quaerentibus per littera rum officia ostendere, ut intellegatur vox tua in archano cordis nostri desiderio. Nam, sicut loquentis lingua in aure audientis, ita scribentis calamus proficit in oculo legentis; et ad interiora cordis pervenit sensus dirigentis sicut verba instruentis. Quapropter, beatissime pater, noli te ipsum nobis negare. Inriga salutiferi fontis unda pectora nostrae parvitatis arentia. Scimus in te esse fontem viventis aquae, qui, Domino dicente, saliet in vitam aeternam. Nolumus, ad te pertineat quod Salomon ait de eis, qui suam solent celare sapientiam: ,Thesaurus occultatus et sapientia abscondita, quae utilitas in utrisque‘? sed magis Domino dicente per prophetam: ,Aperi
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Der Lehrer antwortet mit einem Brief, in dem die syntaktischen Parallelismen (Quantum … tantum; tanta … facultas, quanta … voluntas) mit einem klanglichen Echo verbunden werden ( facultas/voluntas). Dies erlaubt es, eine Art Kreisbewegung innerhalb der Korrespondenz zu schaffen und die wechselseitigen Aktionen zu imitieren, die zur Redaktion des Kommentars geführt haben: So sehr ich bei Euch eine hervorragende Tat lobe, die ihre Motivation im Wunsch nach Weisheit findet, so sehr beweine ich die Unfähigkeit meiner Person! Ich kenne mich, ich bin weit von den Höhen Eurer lobenswerten Verehrung entfernt. Wenn doch in meinem Wesen eine Fähigkeit zu schreiben läge, die Eurem Wunsch zu lesen gleichkommt!24
Die Inszenierung der Lehrer-Schülerinnen-Beziehung wird durch die Angaben herausgearbeitet, die vom Briefschreiber der Nachwelt hinterlassen werden, damit die verschiedenen Briefe, die die Sammlung bilden, immer in der von ihm festgesetzten Reihenfolge bleiben. Der Briefschreiber magister hat also eine sowohl räumliche als auch zeitliche Gliederung umgesetzt. Die Bibel wird nicht in einer vertraulichen Unterredung entdeckt, sondern folgt voranschreitend, auf biblischem Pfad, und wendet sich, über Gisela und Rotrude hinaus an jeden möglichen Leser. Indem der Briefschreiber auf den Tadel zurückkommt, der an ihn selber adressiert war (dass er nämlich noch nicht genug Zeit hatte, einen Kommentar zu schreiben), antwortet er mit verschlungenen adjektivischen Personalpronomen der zweiten und der ersten Person in einem Hin und Her, das den geschlossenen Pakt zwischen den zwei Seiten repräsentiert: Ich sehe, dass man vielleicht ein gewisses Gleichgewicht zwischen meiner Verweigerung und Eurer Anfrage finden könnte, damit Eure Nächstenliebe nicht durch mein Schweigen gering geschätzt wird, oder dass mein Wagemut, Eurer Bitte zu folgen, mir nicht zum Vorwurf gemacht wird.25
os tuum et ego adimplebo illud‘. Aperi os tuum in sacratissimam, Spiritu sancto inspirante, beati Iohannis evangelistae expositionem; et venerabiles sanctorum patrum pande nobis sensus. […] Noli nos ieiunas dimittere, ne deficiamus in via. 24 Ders., Ep. 213 (MGH.Ep 4,354): Quantum in sanctissimo sapientiae studio optimam in vobis laudo devotionem, tantum mei ipsius plango imperitiam; meque ipsum longe inparem vestrae laudabili devotioni agnosco. Atque utinam tanta esset in meo pectore facultas scribendi, quanta est in vobis voluntas legendi. 25 Ebd. (MGH.Ep 4,356): […] forsan temperamentum quoddam inter meam negationem vestramque petitionem inveniri posse video, ne omnino vel caritas vestra taciturnitate mea spernatur, vel temeritas mea in vestrae petitionis obsequio reprehendatur.
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Abgesehen von diesem Metadiskurs muss der Lehrer eine literarische Spur seiner SchülerInnen bewahren, um sich als venerandus magister für die Nachwelt zu präsentieren. In ihrer Beziehung zur Bibel dienen die Frauen auch als identitätsstiftendes Alibi. Der Brief, der teilweise erzählenden Charakter hat und nicht nur eine einfache Rede darstellt, soll das Ethos Alkuins als magister der karolingischen Renaissance zeigen – ein Bild, zu dessen Festigung die Nachwelt stark beigetragen hat. Wie man jedoch in den Überlegungen des Briefschreibers über seine exegetischen Abhandlungen und die Art und Weise der Abfassung der explanationes sieht, scheint das Gegenüber von Absender und Adressatinnen eine Art Köder zu sein, wenn man es nicht nur als einfachen Rahmen für die Darlegung von Ideen und Vorschriften auffassen will. Die Komposition des Kommentars wird durch den Briefschreiber allerdings als Frucht einer aktiven Zusammenarbeit zwischen einem weiblichen Verlangen, die Bibel kommentiert zu bekommen, und der männlichen Verwirklichung eines Kommentares dargestellt. Er ist einem Text gewidmet, den Alkuin mehrmals als den von allen Evangelien in divinorum profunditate mysteriorum eminentiorem,26 in den göttlichen Mysterien profundesten, bezeichnet hat. Dies geschieht in einer verbalen Spannung, die durch das Oxymoron profunditas/eminens oder einen Text in quo sunt altiora mysteria divinitatis,27 der die höchsten Geheimnisse der Gottheit enthält. Wir haben hier in gewisser Weise die Illustration dessen, was Jennifer Summit in einem kürzlich erschienenen Aufsatz zeigen wollte: Die Frauen arbeiten hier auf auktorialer Ebene an dem von Alkuin geschriebenen Bibelkommentar mit, indem sie in einem Kleriker den Wunsch entfachen und erhalten, eine hermeneutische Einleitung zur Heiligen Schrift zu verfassen.28 Die Beziehungen der Frauen zur Bibel in den Korrespondenzen des Frühmittelalters sind also von großer Komplexität. Die Beherrschung der lateinischen Sprache, die bei den adeligen Frauen nicht als Muttersprache erworben und praktiziert wurde, erlaubt dem mittelalterlichen Adel, eine soziale und politische Einflusszone zu errichten, in der patriarchale Schemata reproduziert werden, nicht jedoch einen Bereich, der ein Freiraum für die weiblichen Mitglieder dieser Gesellschaft darstellen würde. Die kultivierte Frau kann manchmal zur Aufwertung des Mannes dienen. Papst Nikolaus I. stellt mit Hilfe der Heiligen Schrift den Frauen, die Macht ausüben oder der kaiserli26 Vgl. ebd. (MGH.Ep 4,354). 27 Vgl. Ders., Ep. 195 (MGH.Ep 4,323). 28 Vgl. Jennifer Summit, „Women and Authorship“, in The Cambridge Companion to Medieval Women’s Writing (hg. v. Carolyn Dinshaw und David Wallace; Cambridge Companions to Literature; Cambridge: Cambridge University Press, 2003), 91–108; vgl. auch June Hall McCash, „The Cultural Patronage of Medieval Women: An Overview“, in The Cultural Patronage of Medieval Women (hg. v. ders.; Athens: University of Georgia Press, 1996), 1–49.
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chen Macht nahe stehen, ein Arsenal von Paradigmen zur Verfügung; Karl der Große findet in seiner Schwester Gisela, der Äbtissin von Chelles, die sich den heiligen Studien verschrieben hatte, ein Partnerin, die es ihm erlaubt, sein Ethos als Kaiser, Liebhaber der Weisheit und Antreiber der Renovatio, die von seinen Ratgebern wie von ihm selbst gewünscht wurde, zu vervollständigen. Für Alkuin dagegen, den magister Giselas und Rotrudes, sind die Frauen ein Mittel zum Zweck, seine eigene memoria zu gestalten. Die Heilige Schrift wird also manchmal von einer gelehrten Schriftstellerei dazu benützt, sich auf Kosten der Frauen, die sie scheinbar ins Licht stellen will, Geltung zu verschaffen. Basisübersetzung: Klaus Krönert
Schreiberinnen und Hl. Schrift im lateinischen Frühmittelalter: Die Bibel bei Dhuoda und Hrotsvit Franca Ela Consolino Università degli Studi dell’Aquila
Weder sind die weiblichen Stimmen, die aus dem lateinischen Frühmittelalter auf uns gekommen sind, zahlreich, noch sprechen sie alle von der Bibel. Der älteste Text stammt von der Merowingerin Baudonivia, Nonne in der Abtei Sainte-Croix in Poitiers und Autorin einer zu Beginn des 7. Jh. entstandenen Biographie der heiligen Königin Radegundis, der Gründerin ihres Klosters.1 Ihre Lebensbeschreibung sollte die einige Jahre zuvor verfasste Radegundisvita des Venantius Fortunatus ergänzen und ist für unsere Untersuchung von eher geringem Interesse, weil die Bibel darin nur begrenzt und auf wenig aussagekräftige Weise präsent ist: Manche Formulierungen sind zwar biblischen Ursprungs, aber aus dem originären Kontext herausgelöst,2 andere stammen von Zitaten aus der von Baudonivia benutzten Vita Caesarii,3 und wieder andere bieten deshalb keine Überraschung, weil sie ‒ genau wie einige Bezüge auf Episoden aus den Evangelien – die Spiritualität der Protagonistin und ihre Imitatio Christi veranschaulichen sollen.4 Auch das Werk der zweiten frühmittelalterlichen Hagiographin, von der wir Kenntnis haben, stellt kein 1
2
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Ich beziehe mich hier auf die Ausgabe Baudonivia, De Vita Sanctae Radegundis. Liber II (MGH.SRM 2,377–395). Inzwischen liegt eine von Paola Santorelli erstellte Textedition der Vita Radegundis mit Kommentar und Übersetzung vor: La Vita Radegundis di Baudonivia (hg. v. Paola Santorelli; Koinōnia 19; Neapel: D’Auria, 1999). Vgl. z. B. Vita Rad. II,1,18 (MGH.SRM 2,380): cum gladiis et fustibus; das Zitat bezieht sich in Mt 26,47.55 und Lk 22,52 auf den Wachtrupp, der Christus verhaftet, bei Baudonivia aber auf die Heiden, die sich dem Versuch der Königin widersetzen, einen ihrer Tempel in Brand zu stecken. Die beiden Zitate Vita Rad. II,16,6 (ebd., 389): respexit Dominus humilitatem ancillae suae (Lk 1,48: aus dem Magnificat) und II,16,11 (ebd.): Exultavit in gaudio (Lk 1,44: aus den Worten Elisabets an Maria) sind auf Radegundis gemünzt, die von Kaiser Justinian die Kreuzreliquien erhält. In besonderer Häufung in Vita Rad. II,9,10–15 (ebd., 384), vgl. auch die Analyse von Santorelli 131f. zu Z. 208‒219. Z. B. Vita Rad. II,8,20f. (MGH.SRM 2,383): Pro persequentibus se semper oravit et orare docuit, mit Bezug auf Mt 5,44 (orate pro persequentibus et calumniantibus vos); Vita Rad. II,10,27f. (ebd., 384), womit an die Vermehrung der Brote und Fische (Mt 14,19‒21) erinnert wird, um das Wunder des sich niemals leerenden Weinkrugs zu kommentieren, sowie die beiden aufeinanderfolgenden Zitate (Ps 83,13[84,12] und Mt 22,37 = Dtn 6,5) in Vita Rad. II,16,1f. (ebd., 388), die den Wunsch nach der Kreuzreliquie einführen und begründen.
Die Bibel bei Dhuoda und Hrotsvit
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bedeutendes Zeugnis dar: Die Nonne Hugeburc hatte mit zwei heiligen Brüdern zu tun, Wunibald, dem Abt von Heidenheim († 761), dessen Lebensbeschreibung sie verfasste, und Willibald, dem Bischof von Eichstätt († 786 oder 787), der ihr einige Notizen über seine Reise in den Orient diktierte.5 Die biblischen Verweise bei Hugeburc sind eher spärlich und dienen außerdem dazu, an Ereignisse zu erinnern, die sich an den von Willibald besuchten Stätten im Heiligen Land abgespielt haben. Schließlich enthalten auch die drei Briefe, die Desiderius, der spätere Bischof von Cahors († um 655), von seiner Mutter Herchenfreda erhielt und die gemeinsam in der Vita des Heiligen überliefert sind, keinerlei Verweise auf die Bibel.6 Nur zwei Verfasserinnen, die karolingische Adlige Dhuoda und die sächsische Nonne Hrotsvit, räumen der Bibel einen nennenswerten Platz ein und greifen in je unterschiedlicher, wenn auch für das lateinische Abendland nicht gänzlich neuer Weise auf sie zurück. Dhuoda ist ähnlich wie die Märtyrerin Perpetua von Karthago († 203), deren Tagebuch einen großen Teil der nach ihr benannten Passio einnimmt,7 die Verfasserin eines einzigen, unter dramatischen Umständen entstandenen Texts. Genau wie bei Perpetua stellt die Heilige Schrift auch in Dhuodas Fall zwar eine Bezugsgröße dar, ist aber weder ganz noch in Teilen das eigentliche Thema ihrer Erörterung. Als Hrotsvits Vorgängerin hingegen ließe sich die römische Aristokratin Proba anführen, die einen vergilianischen Cento verfasst hatte, um die Heilsgeschichte mit den Worten von Roms größtem Dichter zu besingen.8 Was die als clarissima gerühmte Römerin und die sächsische Ordensfrau miteinander verbindet, sind ihre literarischen Ambitionen, ihre bemerkenswerten dichterischen Fähigkeiten und ihre Erfahrung mit auch nichtbiblischen Themen. Allerdings lassen sich zwischen den beiden spätantiken Autorinnen und ihren frühmittelalterlichen „Kolleginnen“ nur vereinzelte Berührungspunkte benennen, was nicht nur durch die ausgeprägte Persönlichkeit der jeweiligen Frauen, sondern auch durch den langen Zeitraum bedingt ist, der Perpetua von Hrotsvit trennt und in dem sich die christliche Kultur und Literatur weiterentfaltet haben. Diese Entwicklung hängt vor allem mit dem Aufkommen der biblischen Exegese und des asketischen Ideals zusammen, die im Osten entstanden sind und später auf den lateinischen Westen übergegriffen haben. Zwischen dem 4. und dem 5. Jh. lassen sich sowohl ein Austausch mit der 5
Hugeburc, Vitae Willibaldi et Wynniebaldi auctore sanctimoniali Heidenheimensi (MGH.SS 15.1,80‒117) (Vita Willibaldi episcopi Eichstetensis [MGH.SS 15.1,86‒106] und Vita Wynnebaldi abbatis Heidenheimensis [MGH.SS 15.1,106‒117]). 6 Vita Desiderii 9–11 (MGH.SRM 4,569f.). 7 Die Passio Perpetuae et Felicitatis (SC 417,97–183) enthält außerdem eine Vision des Katecheten Saturus (Kap. 11f. [142–151]) sowie die Beiträge des unbekannten Redaktors, der die Geschehnisse einleitet (Kap. 1f. [98–107]) und den Schlussteil über das Martyrium der Protagonisten verfasst (Kap. 14‒21 [152–183]). 8 Proba, Cento 23: Vergilium cecinisse loquar pia munera Christi. Zu dem Gedicht und seiner Verfasserin vgl. seit neuerem BPat 47; zu V. 23 ebd., 151f.
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griechischen Welt als auch die selbständige Suche nach hermeneutischen und auf die Lebensführung bezogenen Parametern nachweisen, welche auf die Initiative angesehener Kirchenmänner zurückgeht: Bischöfe wie Ambrosius und Augustinus oder Mönche wie Rufinus und Hieronymus. Die Laien müssen sich mit der Rolle von Adressaten der Exegese und Paränese begnügen und sind nur als Widmungsträger oder Auftraggeber einzelner Werke aktiver daran beteiligt. Einige prominente Vertreterinnen der römischen Senatsaristokratie treten als Förderinnen und/oder Widmungsempfängerinnen exegetischer Schriften oder noch häufiger der bei Hieronymus oder Rufinus in Auftrag gegebenen Übersetzungen aus dem Griechischen in Erscheinung. Sie bleiben aber, was den Auslegungsprozess betrifft, außen vor, da sie nie in eigenem Namen sprechen (so schreibt Marcella ihre Auslegungen aus Bescheidenheit ihrem Lehrer Hieronymus zu) und sich bestenfalls (wie Fabiola und eben Marcella) erkühnen, Fragen über die Schrift zu stellen – eine ganz ähnliche Rolle, wie sie später auch Alkuins Briefpartnerinnen spielen (das zeigt Christiane Veyrard-Cosme im vorliegenden Band). Wie die vornehmen Römerinnen des ausgehenden 4. und beginnenden 5. Jh. bringen auch diese hochgestellten Frauen die sich für das Klosterleben entschieden hatten, ihr Interesse an der Heiligen Schrift dadurch zum Ausdruck, dass sie eine qualifizierte Meinung erfragen, ohne sich dabei aber auf einen eigentlichen Meinungsaustausch einzulassen. Ende des 4. bzw. Anfang des 5. Jh. hatte die massive Werbung für das asketische Ideal, die sich an ein vorwiegend weibliches Publikum richtete,9 zudem in der Bibel ein Repertoire an Personen und Verhaltensweisen gefunden, das den der Keuschheit verpflichteten Frauen als Orientierung dienen konnte. Den Exempla biblischer Heroinen, auf die schon Autoren wie Ambrosius und Hieronymus verwiesen haben, war im frühen Mittelalter ein langes und glückliches Schicksal beschieden: Ihr Erfolg in der Dichtung wird in Francesco Stellas Analyse eindrucksvoll belegt. Wenn sie sich der Heiligen Schrift zuwenden, haben Dhuoda und Hrotsvit es also mit einer bereits fest etablierten exegetischen und paränetischen Tradition zu tun, deren Kontrolle allein den Männern der Kirche zusteht. Umso bedeutsamer erscheint mithin die Tatsache, dass beide auf die Bibel zurückgreifen, ohne zuvor um die Zustimmung der kirchlichen Hierarchien ersucht zu haben.
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Zur Verwendung der Bibel in der asketischen Propaganda sei in der vorliegenden Reihe auf den Beitrag von Paola Francesca Moretti verwiesen, „Die Bibel und der Diskurs der lateinischen Patristik über Frauen. Von Tertullian bis Hieronymus“, in Christliche Autoren der Antike (hg. v. Kari Elisabeth Børresen und Emanuela Prinzivalli; Die Bibel und die Frauen 5.1; Stuttgart: Kohlhammer, 2016), 137‒176.
Die Bibel bei Dhuoda und Hrotsvit
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Dhuoda Die Heilige Schrift wird den Augen des Geistes gleichsam wie ein Spiegel vorgehalten, damit unser inneres Antlitz darin sichtbar wird. Dort nämlich erkennen wir, was an Hässlichem und was an Schönem in uns ist. Dort machen wir uns bewusst, wie weit wir vorangekommen, dort, wie weit wir noch vom Vorankommen entfernt sind.10
So hatte Gregor der Große die erzieherische Bedeutung der Bibel zusammengefasst. Doch nicht nur die Bibel kommt als ein solcher Spiegel in Frage: ein anderer, gleichwohl vom Wort Gottes durchdrungener, ist das kleine Buch, das eine besorgte Mutter zwischen dem 30. November 841 und dem 2. Februar 843 für ihren heranwachsenden Sohn, von dem sie getrennt worden war, verfasst: Obwohl ich, Dhuoda, schwach an Geist bin und unwürdig unter lauter würdigen Frauen lebe, bin ich doch deine Mutter, mein Sohn Wilhelm, und an dich richtet sich nun, was ich als Handbuch verfasst habe. […] Und so wünsche ich, dass du, obwohl dich Unmengen weltlicher und zeitlicher Geschäfte beanspruchen, dieses Büchlein, das ich dir schicke, häufig liest […]. Du wirst darin finden, worauf du Wert legst, in knapper Form unterrichtet zu werden; du wirst auch einen Spiegel [speculum] finden, in dem du ohne Zweifel das Heil deiner Seele erblicken kannst, damit du nicht nur der Welt, sondern vor allem demjenigen gefallen kannst, der dich aus Lehm geschaffen hat [Gen 2,7]: Was du aber vor allem nötig hast, mein Sohn Wilhelm, ist, dass du beiden Verpflichtungen so nachkommst, dass du der Welt nützlich sein kannst wie auch Gott in allen Angelegenheiten immer zu gefallen vermagst.11
10 Gregor der Grosse, Moralia 2,1,1 (SC 32bis,252): Scriptura sacra mentis oculis quasi quoddam speculum opponitur, ut interna nostra facies in ipsa videatur. Ibi etenim foeda, ibi pulcra nostra cognoscimus. Ibi sentimus, quantum proficimus, ibi a provectu quam longe distamus. Zur augustinischen Herkunft dieses Bildes vgl. I Deug-Su, „Gli specula“, in Lo spazio letterario del Medioevo 1: Il Medioevo latino 1.2 (hg. v. Guglielmo Cavallo, Claudio Leonardi und Enrico Menestò; 5 Bde; Rom: Salerno, 1992–1998), 515‒534; 516–518. 11 Dhuoda, Man. Prol. 5‒27 (SC 225bis,80–82; Fels 15f.): Dhuoda quanquam in fragili sensu, inter dignas uiuens indigne, tamen genitrix tua, fili Wilhelme, ad te nunc meus sermo dirigitur manualis, ut […], inter mundanas et saeculares actionum turmas oppressus, hunc libellum a me tibi directum frequenter legere […] non negligas. […]. Invenies in eo quidquid in brevi cognoscere malis; invenies etiam et speculum in quo salutem animae tuae indubitanter possis conspicere, ut non solum saeculo, sed ei per omnia possis placere qui te formavit ex limo [Gen 2,7]: quod tibi per omnia necesse est, fili Wilhelme, ut in utroque negotio talis te exibeas, qualiter possis utilis esse saeculo, et Deo per omnia placere valeas semper.
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Die diese Zeilen schreibt, ist Dhuoda, Angehörige des karolingischen Hochadels. Sie ist durch ihre 824 geschlossene Ehe mit Bernhard, Graf von Girona und Barcelona, Herzog von Septimanien12 und Sohn des gefeierten Helden im Kampf gegen die Sarazenen, künftigen Heiligen und Cousins Karls des Großen, Wilhelm von Aquitanien, mit dem Herrscherhaus verwandt.13 Wie Dhuoda selbst erklärt, ist es die Trennung von ihrem Sohn, die sie zu einer Schriftstellerin macht: Wie ich sehe, finden die meisten Frauen in der Welt ihre Freude gemeinsam mit ihren Kindern. Und ich begreife, dass ich, Dhuoda, von dir, Wilhelm, mein Sohn, weit entfernt bin. Deshalb bin ich gleichsam betrübt und wünsche mir, dir nützlich zu sein. Voller Freude schicke ich dir dieses kleine Werk, das in meinem Auftrag abgeschrieben wurde, um dir sozusagen beim Lesen Bildung zu vermitteln. Bin ich auch körperlich abwesend, so mag dir dieses kleine Buch hier, wenn du es liest, vermitteln, wie du aus Liebe zu mir handeln sollst.14
Was Dhuoda jedoch nicht sagt, ist, dass die erzwungene Trennung von ihrem Sohn eine direkte Folge der politischen Entscheidungen ist, die ihr Mann während der dynastischen Auseinandersetzungen zwischen den Nachkommen Ludwigs des Frommen getroffen hat. Bernhard hatte sich zunächst auf die Seite Pippins II. von Aquitanien geschlagen und seinen Patensohn und ehemaligen Schüler Karl den Kahlen nicht gegen dessen Halbbruder Lothar 12 Unter Ludwig dem Frommen auf den Höhepunkt seiner Macht gelangt, war Bernhard Tutor Karls des Kahlen geworden, dessen Rechte er im Einvernehmen mit der Kaiserin Judith gegen die Ansprüche seiner Halbbrüder verteidigt hatte. Seine Vertrautheit mit der Kaiserin trug Bernhard – ob begründet oder unbegründet, wissen wir nicht ‒ den Vorwurf des Ehebruchs ein, von dem er sich 831, als er bereits mit Dhuoda verheiratet war, öffentlich reinwusch. Zu Bernhards Biographie und ihrem (politischen, gesellschaftlichen und familiären) Kontext vgl. Thiébaux 13‒18.35. Neben dieser historischen Einbettung findet sich eine erste Einführung zu Dhuoda bei Peter Dronke, Women Writers of the Middle Ages: A Critical Study of Texts from Perpetua († 203) to Marguerite Porete († 1310) (Cambridge: Cambridge University Press, 1984), 36‒54, und Régine Le Jan, „The Multiple Identities of Dhuoda“, in Ego Trouble: Authors and Their Identities in the Early Middle Ages (hg. v. Richard Corradini et al.; Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 15/DÖAW.PH 385; Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften, 2010), 211‒219. 13 Vgl. Gerhard Lubich, Wilhelm, Nr. 45 „W. I. d. Hl.“, in LMA 9:151f. Wilhelm ist der Protagonist eines Zyklus von Chansons de gestes (der sogenannte Cycle de Guillaume) und des Willehalm von Wolfram von Eschenbach, vgl. Karl-Ernst Geith, „Wilhelmsepen“, in LMA 9:198‒201. 14 Dhuoda, Man. Epigr. 4‒10 (SC 225bis,72; Fels 12): Cernens plurimas cum suis in saeculo gaudere proles, et me Dhuodanam, o fili Wilhelme, a te elongatam conspiciens procul, ob id quasi anxia et utilitatis desiderio plena, hoc opusculum ex nomine meo scriptum in tuam specietenus formam legendi dirigo, gaudens quod, si absens sum corpore, iste praesens libellus tibi ad mentem reducat quid erga me, cum legeris, debeas agere.
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unterstützt. Nach Karls Sieg in Fontenoy (am 25. Juni 841) war er jedoch wieder zu diesem übergewechselt und hatte als Unterpfand seiner Loyalität seinen Erstgeborenen, den noch nicht 15jährigen Wilhelm, bei Hof lassen müssen. Dhuoda, die damals dem Willen ihres Mannes gemäß in Uzès lebt und dort die Interessen der Familie vertritt, beschließt, für ihren Sohn eine kleine Abhandlung zu diktieren und abschreiben zu lassen, die ihm alle notwendigen Lebens- und Verhaltensregeln an die Hand gibt. Das Alter von 15 – bzw. bei Fertigstellung des Texts 16 ‒ Jahren ist für die damalige Zeit nicht überaus jung (Karl der Kahle selbst ist nur wenig älter als Wilhelm) und scheint keine so minutiöse Anleitung zu erfordern, wie Dhuoda sie ihrem Sohn hat mitgeben wollen. Vermutlich ist die Abfassung des Büchleins aber eher durch die – vielleicht auf direkten Erfahrungen mit dem besagten Umfeld beruhende ‒ Angst vor den Gefahren motiviert, denen der Junge womöglich am Hof eines Herrschers ausgesetzt ist, der ihn für die eventuellen Fehler seines Vaters büßen lassen könnte.15 Und so erklärt sich auch die Entscheidung, der Schrift die Form eines Liber manualis (des lateinischen Pendants zum griechischen Encheiridion), das heißt eines kleinformatigen Texts zu geben, den Wilhelm in der Hand halten und immer bei sich tragen kann.16 Die Definition des Liber manualis verweist genau wie die des Speculum auf eine präzise Textgattung: kurze moralische Leitfäden, die ihrem Leser konkrete Lebensregeln mit auf den Weg geben wollen und ihre Autorität auf die Schrift und die Väter gründen.17 Im karolingischen Umfeld sind Ende des 8. Jh. noch vor Dhuodas Handbuch fünf an Laien gerichtete Specula verfasst worden: der Traktat des Paulinus von Aquileia für Herzog Heinrich von 15 Dhuoda hatte das Leben bei Hof wahrscheinlich im Palast von Aachen kennengelernt, wo sie ihre Hochzeit gefeiert hatte (Man. Praef. 4–6; SC 225bis,84), vgl. Janet L. Nelson, „Dhuoda“, in Lay Intellectuals in the Carolingian World (hg. v. ders. und Patrick Wormald; Cambridge: Cambridge University Press, 2007), 106‒120; 118f.; zur Deutung der domus magna aus Dhuoda, Man. III,9,6f. (SC 225bis,170) als Palast Ludwigs des Frommen in Aachen vgl. auch Janet L. Nelson, „Gendering Courts in the Early Medieval West“, in Gender in the Early Medieval World: East and West, 300‒900 (hg. v. Leslie Brubaker und Julia M. H. Smith; Cambridge: Cambridge University Press, 2004), 185‒197; 195. 16 Dhuoda, Man. Incipit 42‒45 (SC 225bis,68–70): Quod volo ut cum ex manu mea tibi fuerit directus, in manu tua libenter facias amplecti eum opus, et tenens, voluens legensque stude opere compleri dignissime. 17 Vgl. die allgemeinen Informationen bei Alain Dubreucq, „La littérature des specula: Délimitation du genre, contenu, destinataires et réception“, in Guerriers et moines: Conversion et sainteté aristocratiques dans l’occident médiéval (IXe–XIIe siècle) (hg. v. Michel Lauwers; Collection d’Études Médiévales 4; Antibes: APDCA, 2002), 17‒39 (zu Dhuoda 31–33). Zur Karolingerzeit siehe Raffaele Savigni, „Gli ,specula‘ carolingi“, in Un ponte fra le culture: Studi medievistici di e per I Deug-Su (hg. v. Claudio Leonardi, Francesco Stella und Patrizia Stoppacci; Millennio medievale 81/ Millennio medievale. Strumenti e studi NS 22; Florenz: SISMEL, Ed. del Galluzzo, 2009), 23‒48; 46.
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Friaul, die Unterweisung des Alkuin für den bretonischen Markgrafen Wido und jene von Jonas von Orléans für den Grafen Matfried,18 sowie die beiden für König Ludwig den Frommen und für Pippin I. von Aquitanien bestimmten.19 Die von diesen Kirchenmännern entworfenen Idealbilder sind – außer vielleicht im Fall Ludwigs des Frommen ‒ Projektionen: „Portraits von geistlichen Königen und frommen Laien, die weit mehr den Autoren als den Adressaten ähnelten“.20 Dergleichen lässt sich von Dhuoda nicht sagen, weil ihr gesellschaftlicher Status mit dem ihres Sohnes übereinstimmt und das im Liber vorgelegte Verhaltensmuster das Wissen um die Privilegien des Hochadels widerspiegelt, dem ihre Familie angehört. Diese Zielsetzung, die anders ist als in den weiteren Specula, zeigt sich schon in der Art, wie Dhuoda die Spiegelmetapher selbst behandelt. Der Adressat von De virtutibus et vitiis sollte, so hatte es sein Verfasser Alkuin vorgesehen, wenn er sich in dieser Schrift spiegelte, erkennen können, wie er sich in den Wechselfällen des Lebens verhalten muss, um die ewige Seligkeit zu erringen.21 Ganz anders Dhuoda, in deren Spiegel Wilhelm die nötigen Hinweise finden kann, um nicht nur ein gottgefälliges, sondern zudem ein für die Welt nützliches Leben zu führen. Die biblischen Lehren, auf die sie sich beruft, sollen ihm helfen, dieses doppelte Ziel zu erreichen. Man kann sich also mit gutem Grund fragen, inwiefern Dhuodas Intentionen und die besonderen Umstände, unter denen sie schreibt, sie sowohl in der Auswahl als auch in der Auslegung der Bibelstellen beeinflusst haben könnten. 18 Dies sind im Einzelnen: der Liber exhortationis ad Henricum comitem seu ducem Forojuliensem (PL 99,197‒282, u. inzw. auch in Paulinus von Aquileia, Opere [hg. v. Giuseppe Cuscito; Scrittori della chiesa di Aquileia/Corpus scriptorum ecclesiae Aquileiensis; 2 Bde; Rom: Città Nuova, 2007], 1:202‒289), den Paulinus von Aquileia 796/797 verfasst hat; der Liber de virtutibus et vitiis (PL 101,613‒638), den Alkuin für den Grafen Wido geschrieben hat; die Schrift De institutione laicali des Jonas von Orléans (PL 106,121‒278 u. inzw. auch SC 549/550), die in zwei Fassungen auf uns gekommen ist: einer Kurzversion, die Matfried, dem Grafen von Orléans, gewidmet und gleich nach 818 verfasst worden ist, und einer längeren Fassung, die Jonas geschrieben hat, nachdem er im Februar 828 in Ungnade gefallen war, vgl. SC 407,28‒31 („Introduction“). 19 Siehe die zwischen 819 und 839 entstandene Via Regia des Smaragd von Saint-Mihiel (PL 102,935‒970) und die Schrift De institutione regia, die Jonas von Orléans 831 dem König Pippin von Aquitanien zusandte (SC 407). Allgemeine Informationen zu den Specula Principis bietet Hans H. Anton, „Fürstenspiegel A (Lateinisches Mittelalter)“, in LMA 4:1040‒1049; zur Karolingerzeit Ders., Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (BHF 32; Bonn: Röhrscheid, 1968). 20 Michel Rouche, „Miroir des princes ou miroir du clergé?“, in Committenti e produzione artistico-letteraria nell’alto Medioevo occidentale: 4‒10 aprile 1991 (SSAM 39; 2 Bde; Spoleto: CISAM, 1992), 1:341‒364; 364. 21 Alkuin, Liber de virtutibus et vitiis (PL 101,613‒638; 613c).
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Eine Antwort auf diese Frage wäre deutlich einfacher, wenn wir genauer über Dhuoda und ihre Bildung informiert wären. Leider verrät die Verfasserin uns nichts über ihre Familie oder ihr voreheliches Umfeld, auch wenn man vernünftigerweise annehmen kann, dass sie am Hof Ludwigs des Frommen gelebt hat. Die einzige Quelle über sie ist der Liber manualis, aus dem hervorgeht, dass sie eine gründliche Institutio erhalten hatte und über eine gute Bibliothek verfügte,22 doch es lässt sich nichts Zuverlässiges darüber aussagen, ob und inwieweit Erziehung, Mentalität und Bibelkenntnis, wie Dhuoda sie besaß, außerhalb des Klosters verbreitet waren. Doch vielleicht lässt der Vergleich mit den drei früheren, an Vertreter des Hochadels gerichteten karolingischen Traktaten Rückschlüsse auf ihren besonderen Zugang zu den biblischen Texten zu.23 Obwohl Dhuoda eine geübte Leserin ist, ist ihr Latein zwar lebhaft und wirkungsvoll, aber nicht einwandfrei. Doch es ist nicht nur die fragwürdige literarische Qualität ihres Texts, die sie von den karolingischen Autoren der älteren Specula unterscheidet. Der markante Unterschied zu diesen besteht zum einen in der Tatsache, dass sie eine Frau und obendrein Laiin und verheiratet ist, und zum anderen in ihrer deutlich stärkeren Motivation. Auch die drei Kirchenmänner begründen die Abfassung ihres Handbuchs mit der engen Bindung zwischen Autor und Adressat: Alkuin nimmt eine väterliche Haltung ein (paternae admonitionis), Paulinus von Aquileia verbindet eine betont brüderliche Beziehung (Frater mi, karissime frater) mit Heinrich von Friaul, und Jonas schreibt nach eigener Aussage aus Liebe.24 Dhuoda aber ist die Mutter des Adressaten, und dieser muss aufgrund seines Alters und seiner geringen Welterfahrenheit sowohl in das geistliche als auch in das öffentliche Leben eingeführt werden, wo er dazu berufen ist, sich seinem Rang entsprechend zu verhalten. Diese doppelte Aufgabe und die besondere Kraft der Mutterliebe charakterisieren Dhuodas Vorhaben und verleihen ihm ein weitaus größeres Gewicht als die bloße Vermittlung von Lehrinhalten, wie sie von den Männern der Kirche erwartet wird:
22 In der Frage, welche Bücher der Laiin Dhuoda zur Verfügung gestanden haben könnten, verweise ich auf die Rekonstruktion von Pierre Riché, „Les bibliothèques de trois aristocrates laïcs carolingiens“, MÂ 69 (1963): 87‒104. 23 Ich habe es vorgezogen, De institutione regia von Jonas von Orléans und Smaragds Via Regia nicht in diesen Vergleich mit einzubeziehen, weil die an Herrscher gerichteten Specula durch eine stärkere Betonung der moralischen Verantwortlichkeiten gekennzeichnet sind, vgl. Rachel Stone, „Kings are Different: Carolingian Mirrors for Princes and Lay Morality“, in Le Prince au miroir de la littérature politique de l’Antiquité aux Lumières (hg. v. Frédérique Lachaud und Lydwine Scordia; MontSaint-Aignan: Publications des Universités de Rouen et du Havre, 2007), 69‒86. 24 Jonas von Orléans, De institutione laicali (PL 106,121‒278; 123b).
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Dhuoda steht dir als deine Ermahnerin immer zur Seite, mein Sohn, und wenn ich sterbe und nicht mehr bin, was ja eintreten wird, hast du dieses Gedenkbüchlein meiner Ratschläge. Und wie ein Spiegelbild, wenn du mit dem Geist und den Augen darin liest und zu Gott betest, kannst du mich betrachten und vollständig darin wiederfinden, was du mir gegenüber befolgen sollst. Mein Sohn, du wirst Lehrer haben, die dich mehr und gewichtigere nützliche Beispiele lehren, aber nicht mit gleicher Anteilnahme, mit einem in der Brust glühenden Herzen, wie bei mir, deiner Mutter, mein erstgeborner Sohn.25
„Drei wesentliche Faktoren charakterisieren die Moral des frühen Mittelalters: Die Unterweisung ist konkret, die Beschäftigung mit der Sünde hat Vorrang, der philosophische Blickwinkel ist praktisch nicht existent.“26 Auch Dhuodas Handbuch ist weit von jedweder philosophischen Spekulation entfernt und hat eminent praktischen Charakter. Die Beschäftigung mit der Sünde steht allerdings nicht im Vordergrund – weil die Autorin eine Frau und eine Laiin ist und vor allem, weil zu der Sorge um das Seelenheil ihres Sohnes in ihrem Fall die Angst um sein physisches Überleben an einem Hof und an der Seite eines Königs hinzukommt, die ihm aus Rache an seinem Vater feindselig gegenübertreten könnten. Diese überaus starke affektive Betroffenheit durchzieht den gesamten Liber und macht ihn absolut einzigartig.
1.1
Biblische Verweise
Hauptbezugstext für alle Verfasser von Specula ist die Bibel, zu der in je unterschiedlichem Maß Zitate aus anderen Texten, insbesondere aus den Kirchenvätern, hinzukommen. Dhuoda bildet hier keine Ausnahme.27 Ihre Bibelzitate stammen zu etwa zwei Dritteln aus dem Alten Testament mit besonderer Bevorzugung der Psalmen (etwa 200 Belege bei insgesamt 650 von Riché identifizierten Schriftzitaten). Das Übergewicht dieses Buchs wird durch den liturgischen Gebrauch und die Aufnahme der Psalmen in die zeitgenössischen
25 Dhuoda, Man. I,7,15‒23 (SC 225bis,114–116; Fels 29): Ortatrix tua Dhuoda semper adest, fili, et si defuerim deficiens, quod futurum est, habes hic memoriale libellum moralis, et quasi in picturam speculi, me mente et corpore legendo et Deum deprecando intueri possis, et quid erga me obsequi debeas pleniter inveniri potes. Fili, habebis doctores qui te plura et ampliora utilitatis doceant documenta, sed non aequali conditione, animo ardentis in pectore, sicut ego genitrix tua, fili primogenite. 26 René Wasselynck, „Les ,Moralia in Job‘ dans les ouvrages de morale du haut moyen âge latin“, RTAM 31 (1964): 5‒31; 30. 27 Zur Präsenz und Verwendung der Bibel bei Dhuoda vgl. Franca Ela Consolino, „Dhuoda, la Bibbia e l’educazione dei figli“, in La Bibbia nell’interpretazione delle donne (hg. v. Claudio Leonardi, Francesco Santi und Adriana Valerio; Millennio medievale 34: Atti di convegni 9; Florenz: SISMEL, Ed. del Galluzzo, 2002), 49‒68.
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Gebetbücher begünstigt28 sowie durch die teilweise Übernahme eines Alkuin zugeschriebenen Traktats über die Auswahl und den Vortrag der Psalmen noch verstärkt.29 Diese Einfügung spiegelt Dhuodas schriftstellerische Persönlichkeit wider: Sie ist stets darauf bedacht, den eigenen Text mit fremden Beiträgen zu den betreffenden Themen anzureichern und so nach Möglichkeit ihre Fähigkeiten und ihre Belesenheit zu demonstrieren.30 Grundsätzlich entnimmt Dhuoda der Bibel vor allem praktische Hinweise und stützt sich dabei auf eine Exegese, die weniger auf den allegorischen als vielmehr auf den moralischen Sinn gerichtet ist. Diese Herangehensweise zeigt sich in der Fähigkeit, die biblischen Exempla auf die aktuelle Lebenssituation ihres Sohnes anzuwenden. Recht konkret ist vor allem der Blickwinkel, aus dem sie ihre Überlegungen zu den guten und schlechten Ratgebern in der Bibel anstellt, um Wilhelm zu zeigen, wie wichtig es ist, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben.31 Auf eine präzise moralische und gesellschaftliche Wertehierarchie verweisen dagegen die Exempla, mit denen sie veranschaulicht, welche Ehre man seinem Vater schuldet (Man. III,1‒3). So gewinnen Isaaks und Abschaloms gegensätzliche Verhaltensweisen ihrem jeweiligen Vater gegenüber besondere Bedeutung, wenn man sie auf Wilhelms reale Situation und auf die zentrale Rolle der Vaterfigur und der väterlichen Familie innerhalb des von Dhuoda skizzierten Wertesystems bezieht, in dem die Liebe zu und der Respekt vor dem Vater gleich nach der Liebe zu und
28 Innerhalb des Psalters wiederum werden insbesondere Ps 36(37), 50(51) und 118(119) bevorzugt, vgl. Pierre Riché, „La Bible de Dhuoda“, RechAug 33 (2003): 209‒213. 29 Alkuin, De psalmorum usu liber (PL 101,465b–468a), den Dhuoda in Man. XI,1 aufgreift: qualiter ordinem psalmorum ex parte compones, vgl. SC 225bis,35. 30 Dies geht hervor aus Zitaten aus Prudentius (Cathemerinon IX,52f.57; IV,1,33–35 und unmittelbar vorausgehende Anklänge an Cathemerinon IX,55; VI,147f.) und anderen, nicht identifizierbaren Dichtungen (Man. III,10,130‒146 [SC 225bis,182]; IV,7,6‒9.25‒30 [ebd., 228–230]; IV,8,225–227 [ebd., 252]); mit vier von ihr selbst verfassten rhythmischen Liedern (dem Epigramma, einem Akrostichon aus 76 Versen [ebd., 72–78]; Man. X,1 und X,2 [ebd., 338–346], letzteres ebenfalls ein Akrostichon, die Wilhelm gewidmet sind; und Man. X,6,15‒38 [ebd., 356–358], ihrem Epitaph). Zu den Erwähnungen von Autoren wie Augustinus und Isidor und den Zitaten (vgl. SC 225bis,383–385) kommen die Zurschaustellung von Kenntnissen über Zahlensymbolik (Man. VI,4 [ebd., 290–296]) und über das Rechnen und Deuten von Buchstaben und Zahlen (Man. IX [ebd., 326–336]), eine weitschweifige Erörterung über die Bedeutung von quasi (Man. V,1,25‒99 [ebd., 262–266]) und der Schlussabschnitt über den Vortrag der Psalmen in Anlehnung an das Werk, das Alkuin zugeschrieben wird (vgl. o. Anm. 29). 31 Dhuoda unterscheidet zwischen den guten (Samuel, Daniel, Josef, Jitro und Achior: Man. III,5 [SC 225bis,152–158]) und den schlechten Ratgebern (Ahitofel und Haman: Man. III,7 [ebd., 162–164]) und stellt Letzteren den Edomiter Doëg und den demütigen Mordechai gegenüber.
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der Ehrfurcht vor Gott kommen:32 eine Lektion, die Wilhelm gelernt und mit seinem Leben bezahlt hat.33 Die Notwendigkeit, dem Vater zu gehorchen, wird auch durch die sonst unübliche moralische Lektion unterstrichen, die die Verfasserin aus der Episode von den Söhnen Elis zieht.34 In der biblischen Erzählung werden diese bestraft, weil sie dem Befehl ihres Vaters nicht gehorcht haben, wobei ihr Ungehorsam allerdings auf Gott selbst zurückgeht, der beschlossen hat, sie ins Verderben zu stürzen (1 Sam 2,25). Gleichwohl betont die Bibel auch Elis Verantwortung, da er als Vater allzu nachsichtig gewesen ist und das frevlerische Verhalten seiner Söhne toleriert hat. So wird Elis Geschichte nicht zufällig zu einem Beispiel für die Risiken, die mit einer allzu laxen Erziehung einhergehen.35 Dhuoda, die den Aufstand der Söhne Ludwigs des Frommen gegen ihren Vater miterlebt hat (der Text spielt unmittelbar vorher darauf an)36 und Wilhelm unbedingten Respekt gegenüber seinem Vater einschärfen will, erwähnt nur die Schuld der Söhne und verwandelt diese in ein Exemplum für die Strafe, die diejenigen erwartet, die nicht auf die väterlichen Ermahnungen hören. Der Bestrafung der ungehorsamen Söhne stellt Dhuoda die ‒ diesseitige und jenseitige ‒ Belohnung gegenüber, die Gott für die frommen und gehorsamen Kinder vorsieht: Denn die Gott preisen und zu ihm stehen und auf die Väter hören und ihren Weisungen willig nachkommen, werden das Land erben [Ps 36(37),9.22]. Wenn du aber auf meine Ratschläge oben hörst und sie entsprechend in die Tat umsetzt, wirst du nicht nur auf dieser Erde Glück haben, sondern zusammen mit den Hei-
32 Man. III,2,15–17 (SC 225bis,140): Ego autem admoneo te […], ut in primis diligas Deum […] deinde ama, time, et dilige patrem tuum; die Kapitel III,1 und III,2 sind den Pflichten gegenüber dem Vater gewidmet. 33 Um den Tod des Vaters zu rächen, der von Karl dem Kahlen (844) des Verrats beschuldigt und hingerichtet worden war, und um Toulouse zurückzuerobern, führte Wilhelm Krieg gegen den König; hierbei hoffte er auf die Unterstützung der Muslime aus Córdoba. Das Scheitern dieses Versuchs kostete ihn das Leben (850), vgl. Thiébaux 35–37. 34 Man. III,1,24‒27 (SC 225bis,136). Weitere Einzelheiten in Consolino, „Dhuoda“, 60. Eine einleitende Untersuchung zu Dhuodas nicht notwendig gewollten Abweichungen von der biblischen Vorlage bietet Bernadette Janssens, „L’étude de la langue et les citations latines dans le Liber Manualis de Dhuoda: Un sondage“, in Aevum inter utrumque: Mélanges offerts à Gabriel Sanders (hg. v. Marc van Uytfanghe und Roland Demeulenaere; IP 23; Steenbrugis: Abbatia S. Petri, 1991), 259‒275. 35 Vgl. Pierre Riché, Éducation et culture dans l’Occident barbare: VIe–VIIIe siècles (Paris: Seuil, 31973), 501. 36 Man. III,1,23 (SC 225bis,136f. m. Anm. 3): […] in multis, non tui similes, audivimus opus patratum.
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ligen auch jenes Land besitzen dürfen, von welchem der Psalmist sagt: Ich glaube, die Güter des Herrn zu schauen im Lande der Lebendigen [Ps 26(27),13].37
Die Gültigkeit dieser Aussage wird mit einer ansehnlichen Reihe an biblischen Beispielen untermauert: Sem und Jafet, Isaak, Jakob und Josef, die aufgrund ihrer kindlichen Ergebenheit schon zu Lebzeiten das göttliche Wohlwollen auf sich gezogen hätten (Man. III,3). Besonders interessant ist hier das Exemplum Josefs, weil seine Geschichte zeigt, dass auch ein gehorsamer Sohn in Gefahren und Schwierigkeiten geraten kann, zugleich aber sichere Gewähr dafür leistet, dass die göttliche Belohnung auf jeden Fall noch zu Lebzeiten eintritt. Dhuodas Vertrauen in einen doppelten, einen irdischen und einen himmlischen Lohn und ihre Überzeugung, dass gewisse Verhaltensweisen für beides garantieren, finden im Alten Testament weit mehr Bestätigung als im Neuen, das mit Zusicherungen geizt, wonach gute Taten mit irdischem Wohlstand belohnt würden. Vielleicht ist auch dies eine Erklärung für die größere Häufigkeit der alttestamentlichen Zitate im Liber manualis.38 Auf die Bibel greift Dhuoda außerdem zurück, um – unter Berufung auf die Verkündigungstätigkeit des Paulus ‒ die Bedeutung ihrer eigenen Schrift zu unterstreichen: Denn dieses Erziehungsbüchlein soll als Handbuch bezeichnet werden; darin stammt der Text von mir, während die Umsetzung an dir liegt, ganz wie es einer ausgedrückt hat [ut ait quidam]: „Ich habe gepflanzt, Apollo hat begossen, Gott aber hat das Wachstum gegeben.“ [1 Kor 3,6] Was kann ich hier anderes sagen, mein Sohn, außer dass ich unter Berücksichtigung deiner vorherigen Verdienste bei diesem Tun mit Arbeitseifer „den guten Kampf gekämpft, den Glauben bewahrt und den Lauf vollendet habe.“ [2 Tim 4,7] Und bei wem stehen diese Dinge in Ansehen, wenn nicht bei jenem, der gesagt hat: „Es ist vollbracht“? [Joh 19,30] Denn was auch immer ich zu Beginn in diesem Handbuch dargelegt habe […], habe ich bis zum Schluss meines Werkes durchgehalten und in jenem vollbracht, der Gott genannt wird.39 37 Man. III,1,68‒75 (SC 225bis,138–140; Fels 44): Nam benedicentes et sustinentes Deum atque Patribus obedientes et illorum iussa animo libenti complentes, ipsi hereditabunt terram [Ps 36(37),9.22]. Quod si tu audiens, factis quos supra tibi comemoro impleveris dignis, non solum in hanc terram habebis in aliquibus sortem, sed etiam illam cum sanctis mereberis possidere, de qua ait Psalmista: Credo videre bona Domini in terra viventium [Ps 26(27),13]. 38 Gleichwohl muss man nicht unbedingt mit Marie A. Mayeski, Dhuoda: Ninth Century Mother and Theologian (Scranton: University of Scranton Press, 1995), 123f., davon ausgehen, dass Dhuoda Parallelen zwischen ihrer eigenen und der alttestamentlichen Zeit gezogen hätte. 39 Man. Incipit 45‒56 (SC 225bis,70; Fels 12f.): Dicatur enim iste formatus libellus Manualis, hoc est sermo ex me, opus in te, et ut ait quidam: Ego plantavi, Apollo rigavit, Deus autem incrementum dedit. [1 Kor 3,6] Quid hic aliud possum dicere, fili, nisi quod ex meritis precedentibus tuis in hoc labore cum studio operis boni certavi,
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Das letzte Zitat aus dem Johannesevangelium sanktioniert Dhuodas erzieherisches Wirken, das sie eben noch als paulinisch gekennzeichnet hat, durch die Worte Christi. Die Deckungsgleichheit zwischen Dhuodas Initiative und der Verkündigungstätigkeit des Apostels wird durch den Rückgriff auf 1 Kor 3,6 und 2 Tim 4,7 angedeutet. Die zweite Stelle hat genau wie im ursprünglichen Kontext den Charakter einer Abschlussbilanz, der im Bezugstext noch durch die Gewissheit des bevorstehenden Endes betont wurde (2 Tim 4,6: ego enim iam delibor et tempus meae resolutionis instat), um der glücklich erfüllten Sendung Gewicht zu verleihen. Von noch größerer Bedeutung für die Definition von Dhuodas Rolle ist der Bezug auf 1 Kor 3,6, mit dem sie sich als Mittlerin zwischen ihrem Sohn und Gott präsentiert. Ganz anders als die geistlichen Verfasser der früheren Specula wagt Dhuoda es, sich mit dem Apostel zu vergleichen – vielleicht, weil ihr das kirchliche Hierarchiedenken fremd war, oder vielleicht auch, weil sie in Bezug auf Wilhelm – genau wie Paulus in Bezug auf die Korinther ‒ die Verantwortung für die religiöse Erziehung ihres Gegenübers beansprucht. Aus 1 Kor 3 stammt weiter unten auch die „mütterliche“ Metapher des Stillens (1 Kor 3,1f.: Tamquam parvulis in Christo, lac vobis potum dedi non escam), die Paulus auf sich selbst bezieht und die Dhuoda sich zu eigen macht, um – mit der Stilfigur des Polyptoton parvula/parvulum – ihre eigene Demut zu unterstreichen: „Wie eine Unmündige gab ich dem Unmündigen in Christus Milch zu trinken, nicht Speise.“40 Überdies war das Bild des Nährens als Metapher für die Ausübung der geistlichen Vaterschaft durch die Männer der Kirche gebräuchlich:41 Indem sie es auf sich selbst anwendet, stellt Dhuoda sich mit diesen auf eine Stufe und nimmt für sich eine ähnliche Rolle in Anspruch, wie sie in der Karolingerzeit den Taufpaten zuerkannt wurde.42 Im Unterschied zu den Männern der Kirche, die dem Geist nach „Mütter“ werden, ist Dhuoda dies auch dem Fleisch nach, wobei sie die körperliche von der geistigen Mutterschaft unterscheidet,43 um sich selbst sodann die eine wie die andere zuzusprechen: fidem servans cursu consummavi felici? [2 Tim 4,7] Et in quo haec vigeant, nisi in illum qui dixit: Consumatum est? [Joh 19,30]. Quicquid enim in hoc Manuali inchoans deduxi volumine […] usque in finem in illum consumavi opere qui dicitur Deus. 40 Man. VI,1,17f. (SC 225bis,286; Fels 128): Tanquam parvula parvulum in Christo lac potum dedi, non escam. 41 Katrien Heene, The Legacy of Paradise: Marriage, Motherhood and Women in Carolingian Edifying Literature (Frankfurt a. M.: Lang, 1997), 180f., betont, dass Dhuodas Zeugnis das einzige seiner Art ist. 42 Vgl. Pauline Stafford, „Parents and Children in the Early Middle Ages“, EMEu 10 (2001): 257‒271; 267. 43 Man. VII,1,10‒12 (SC 225bis,298): Secundum dicta namque doctorum, duo nativitates in uno homine esse noscuntur, una carnalis, altera spiritualis, sed nobilior spiritualis quam carnalis. Zum augustinischen Ursprung dieser Unterscheidung vgl. ebd., 299 (Anm. 2).
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Damit du in der Zeit, die du ohne Anstoß zu erregen im aktiven Militärdienst oder in der Anforderung eines Amtes verbringst, sicher und ruhig zu wandeln vermagst, habe ich dich, soweit ich es als Erzieherin vermochte, in der Beschaffenheit der zeitlichen Dinge angeleitet und bin dir überall beigestanden [ordinatrix astiti in cunctis]. Nun aber zögere ich nicht [besser: höre ich nicht auf], gleichsam ein zweites Mal leibliche und geistige Mutter, dich zu belehren, wie du fortan den Dienst deiner Seele mit Gottes Hilfe bis zur Vollendung bringst, damit du in Christus täglich wiedergeboren wirst.44
Die Formulierung ordinatrix […] in cunctis, die auch an anderer Stelle wiederkehrt,45 verdeutlicht den eminent praktischen Charakter von Dhuodas Unterweisung, die noch im selben Kapitel erneut ihre doppelte Mutterschaft Wilhelm gegenüber betont. Nach wie vor mit Bezug auf Paulus erkennt sie an, dass man viele geistige Väter haben kann, erinnert aber auch an die Mütter der Märtyrer Celsus und Symphorianus, die ihre Söhne zweimal geboren hätten (primae et secundae nativitatis genitrices in Christo suis extiterunt prolibus).46 Natürlich sind nicht alle biblischen Bezüge ebenso originell verarbeitet oder gleichermaßen bedeutend. So belegt weder der im Prolog enthaltene Verweis auf Gott, der den Stummen den Mund öffnet und den Sprachlosen Beredsamkeit verleiht,47 noch die Anspielung auf die berühmte Episode von Bileams Eselin (vgl. Num 22,21–41), der Gott die Gabe der Sprache gewährte (ein in Vorreden beliebter Hinweis, um die Bescheidenheit des oder der Schreibenden zu betonen),48 den für Dhuoda typischen Zugang zur Bibel, wenngleich beide Schriftverweise die rhetorische Bildung der Verfasserin dokumentieren. Was ihre Originalität betrifft, scheint mir die Tatsache interessanter, dass die Anspielung auf diese berühmte alttestamentliche Episode von zwei Verweisen auf ein und denselben Evangelienvers eingerahmt ist, 44 Man. VII,1,1‒9 (SC 225bis,298; Fels 134): Qualitas temporalium, ut, absque reprehensione, tempore dum vivis in militia actuali, sive dignitatis contemplationum, secure et quiete valeas incedere, prout valui ordinatrix tibi astiti in cunctis. Nunc vero deinceps militiam animae tuae qualiter, auxiliante Deo, ad summum usque perducas, velut genitrix secunda mente et corpore ut in Christo cotidie renascaris ammonere non cesso. 45 Man. XI,1,4f. (SC 225bis,360): ordinatrix tibi in cunctis assisto, in Bezug auf die Kriterien für die Auswahl der zu rezitierenden Psalmen. 46 Man. VII,3,7‒15 (SC 225bis,300–302), mit Zitaten aus Gal 4,19 (Filioli mei, quos iterum parturio, donec Christus in vobis firmius formetur) und 1 Kor 4,15 (per Evangelium ego vos genui). Zur Bedeutung, die man den Müttern der Heiligen aufgrund ihres Einflusses auf ihre Kinder zuerkannte, vgl. Heene, The Legacy, 167‒171. 47 Man. Prol. 4f. (SC 225bis,80): Adest semper ille qui ora aperit mutorum et infantium linguas facit disertas, ein Bezug auf Weish 10,21 (Sapientia aperuit os mutorum et linguas infantium fecit dissertas), der in einem analogen Kontext auch in der Praefatio (26f.) von De institutione laicali des Jonas von Orléans zu finden ist (SC 549,122). 48 Vgl. Ernst R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (Bern: Francke, 21954), 243.
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nämlich auf die Worte der kanaanäischen Frau, die bittet, ihre Tochter von einem Dämon zu befreien („Aber auch für die Hunde unter dem Tisch fällt etwas von dem Brot ab, das die Kinder essen.“):49 Es kommt nämlich oft vor, dass ein aufdringliches Hündchen unter den Tisch seines Herrn herabfallende Brosamen trotz der anderen Hündchen mehrmals aufschnappen und verzehren kann [Mk 7,28; vgl. Mt 15,27]. Er, der ein stummes Tier sprechen machte [Num 22,28], hat die Macht, mir gemäß seiner alten Milde den Sinn aufzuschließen und Verstand zu geben. Und wer seinen Gläubigen in der Wüste einen Tisch zurichtet […], kann auch mir, seiner Magd, ihren Wunsch erfüllen nach seinem Dafürhalten; wenigstens damit ich unter seinem Tisch, innerhalb seiner heiligen Kirche, aus der Ferne die Hündchen erblicken kann, also die Diener an den heiligen Altären, und von den Brosamen geistiger Einsicht mir und dir, Wilhelm, mein schöner Sohn, schöne, klare, würdige und passende Worte auflesen kann.50
Dieser Abschnitt, der Wilhelm veranschaulichen soll, dass sie beide Gott suchen müssen (Quaerendus est Deus, fili, mihi et tibi51), ist deshalb bemerkenswert, weil Dhuoda sich mit der kanaanäischen Frau identifiziert, und mehr noch, weil sie in einer bis dato nirgends sonst belegten Exegese zwischen den Hunden, die dem Tisch nahe sind, nämlich den Priestern, und sich selbst unterscheidet. Auch wenn sie weiter entfernt ist, kann sie noch immer die Krumen der göttlichen Weisheit aufsammeln. Mit dieser Deutung erweitert Dhuoda die biblische Exegese nicht nur um eine neue und praktische Anwendung, sondern schreibt sich überdies die Fähigkeit zu, ohne Vermittlung des Klerus – dem sie eine vorrangige, aber nicht ausschließliche Stellung zuerkennt ‒ aus der göttlichen Lehre zu schöpfen.52 Doch auch dort, wo die exegetische Leistung weniger eigenständig ist, kann der Umgang mit den Bibelzitaten sehr persönlich gefärbt sein. Dies sei im Folgenden an zwei Büchern veranschaulicht: an dem zwischen Spätantike und Mittelalter häufig kommentierten Hohelied und dem Buch Ijob, dem Gregor der Große seinen bedeutenden Kommentar gewidmet hat. Was die Ver49 Mk 7,28: nam et catelli sub mensa comedunt de micis puerorum; vgl. Mt 15,27. 50 Man. I,2,7‒20 (SC 225bis,98–100; Fels 20f.): Nam solet fieri ut aliquotiens importuna catula, sub mensa domini sui, inter catulos alteros, micas cadentes ualeat carpere et mandere. Potens est enim ille qui os animalis muti loqui fecit, mihi secundum suam priscam clementiam aperire sensum et dare intellectum; et qui parat fidelibus suis in deserto mensam […] potest et me ancillae suae ex suo desiderio compleri uoluntatem, [p]saltim ut sub mensam illius, infra sanctam uidelicet ecclesiam, possim procul conspicere catulos, hoc est sanctis altaribus ministros, et de micis intellectu spirituali mihi et tibi, o pulcher fili Wilhelme, pulchrum et lucidum dignumque et abtum colligi ualerem sermonem. 51 Man. I,2,1 (SC 225bis,98). 52 Zu diesem Passus und seinem Verhältnis zur damals bekannten Exegese siehe die ebenso stichhaltige wie erschöpfende Analyse von Mayeski, Dhuoda, 72‒92.145‒154.
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weise bei Dhuoda betrifft, sind die beiden Bücher an den entgegengesetzten Enden der Skala positioniert: Hld ist praktisch nicht vorhanden, während Ijob ebenso häufig zitiert wird wie Joh;53 von den ntl. Büchern kommt nur Mt und von den atl. kommen nur Ps und Sir, das sich aufgrund seines sentenzenhaften Charakters einen der vorderen Ränge sichern konnte, häufiger vor. Während auf Hld auch in den anderen Specula selten verwiesen wird, ist die auffällige Häufigkeit der Verse aus Ijob eine Besonderheit bei Dhuoda. Die erste der drei von Riché identifizierten Hoheliedstellen besteht in der Wiederverwendung eines Ausdrucks, der völlig aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen ist;54 die zweite ist alles andere als sicher.55 Sicher ist hingegen die dritte, wo der betreffende Vers (Hld 2,6 = 8,3) im Rahmen einer Erörterung über den Einsatz der beiden Hände beim Fingerzählen zitiert wird: Über das Zählen mit beiden Händen findest du folgendes Schriftwort: Seine Linke ist unter meinem Haupte, und seine Rechte umfasset mich. Was wird mit der Linken verstanden, mein Sohn, wenn nicht das Leben hier, in dem jeder von uns sich abmüht und durchschlägt? Und welche Bedeutung liegt in der rechten Hand, wenn nicht die heilige und geziemende himmlische Heimat?56
Man hat in der allegorischen Deutung des Verses einen eigenständigen Versuch gesehen, bei dem Dhuoda mangels Anleitung eine „besonders willkürliche und platte“ Interpretation geliefert habe.57 Die Dinge liegen jedoch ein bisschen anders, weil die hier gebotene Exegese zwei kaum anfechtbare (und meines Wissens bisher nicht benannte) Präzedenzstellen hat, die sich in den Kommentaren Bedas und Alkuins finden.58 Wir haben es hier also mit einem 53 Den dreißig von Riché identifizierten Ijob-Stellen muss in Man. I,1,30 (SC 225bis,98) mindestens eine weitere hinzugefügt werden, siehe weiter unten sowie Anm. 67. 54 Hld 4,11: Von deinen Lippen, Braut, tropft Honig ( favus distillans labia tua sponsa), wird in Man. III,5,23f. (SC 225bis,154) verwendet, um die Worte eines Erwachsenen zu charakterisieren ( favum distillant labia eius). 55 Man. VII,6,7 (ebd., 304) ist mit Sicherheit ein abgewandeltes Zitat aus Hag 2,23 (et ponam te quasi signaculum); beide Stellen verbindet das Motiv des göttlichen Lohns. Nicht zwingend und auch vom Kontext her recht weit entfernt ist dagegen der Bezug auf Hld 8,6 (pone me ut signaculum super cor tuum ut signaculum super brachium tuum quia fortis est ut mors dilectio). 56 Man. VI,4,51‒56 (ebd., 294–296; Fels 132): De qua subputatione ambarum invenies scriptum: Laeva eius sub capite meo et dextera illius amplexabitur me. Quid in sinistra, fili, nisi praesens intelligitur vita, in qua unusquisque elaborando voluitur nostrum? Et quid in dextera, nisi sancta et digna coelestis ostenditur patria? 57 Mayeski, Dhuoda, 46 („particularly arbitrary and flat“). 58 Beda, In cant. 7 (PL 91,1225d): Sinistram Dei Ecclesia, prosperitatem videlicet vitae praesentis, quasi sub capite posuit, quam intentione summi amoris premit. Dextera vero Dei eam amplectitur, quia sub aeterna eius beatitudine, tota devotione continetur; Alkuin, Compendium in Cant. 8,3 (PL 100,662a): Laeva incarnationis Christi dona designat; et dextera futura sanctorum cum Christo gaudia exprimit.
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weiteren Beweis für Dhuodas literarische Bildung und durchdachte Verwendung des Gelesenen zu tun, denn diese allegorische Deutung der beiden Hände umfasst sowohl das gegenwärtige als auch das zukünftige Leben und entspricht so der doppelten Perspektive des Liber manualis, dessen Anweisungen auf die diesseitige und die jenseitige Anerkennung abzielen. Übrigens lässt sich die mangelnde Präsenz des Hohelieds gut mit seiner landläufigen Anwendung auf das asketische Leben und auf die Liebe zwischen Gott und der ihm geweihten Seele (oder Jungfrau) erklären. Nicht zufällig berufen sich weder Alkuin noch Jonas, wohl aber Paulinus von Aquileia auf Hld: Er entwirft in seinem Speculum für Heinrich von Friaul einen geistlichen Weg, der die Ehe nicht in Betracht zieht und sich mithin kaum von der Lebensweise eines Mönchs unterscheidet. Die wenigen in Paulinus’ Exhortatio enthaltenen Stellen betreffen die Mystik der Seele, die sich nach der Umarmung des himmlischen Bräutigams sehnt.59 Kommen wir nun zum Buch Ijob, dem ‒ insbesondere dank der Exegese Gregors des Großen ‒ im Mittelalter ein beträchtlicher Erfolg beschieden war. Die Auslegung sah die Hauptfigur schon in karolingischer Zeit als mustergültigen Familienvater, der in glücklichen Zeiten Arme, Waisen und Kinder beschützt und in unglücklichen Zeiten die Prüfung erfolgreich bestanden hatte.60 In den kurz vor Dhuoda verfassten Specula ist das Buch Ijob unterschiedlich stark präsent. Während es in Alkuins De virtutibus gar nicht und bei Paulinus von Aquileia nur sehr selten vorkommt,61 wird es in Jonas’ De instructione laicali mehrfach zitiert, und zwar im zweiten Buch über das Eheleben, für welches sowohl Tobias als auch Ijob als beispielhaft dargestellt werden.62 Auch Dhuoda benennt Ijob als Muster eines guten Verhaltens,63 assoziiert ihn aber weder mit Tobias noch mit dem Eheleben. 59 Vgl. Paulinus von Aquileia, Liber exhortationis 34,87 (PL 99,232b): Hld 2,1, und die zwei Anspielungen auf Hld 3,4 (inveni quem diligit anima mea tenui eum nec dimittam) in 28,70 (PL 99,224: et cum inveneris, ne dimittas eum) und 66,211 (PL 99,279b: suade me ut diligam te, confirma me ut teneam te). 60 Vgl. Pierre Riché, „La Bible et la vie politique dans le haut Moyen Age“, in Le Moyen Age et la Bible (hg. v. dems. und Guy Lobrichon; BiToTe 4; Paris: Beauchesne, 1984), 385‒400; 397 (über Ijob als vorbildlichen Familienvater, der mitten im Wohlstand von Prüfungen heimgesucht wird). 61 Hier stehen die zitierten Ijob-Stellen (Lib. exhort. 56,170 [PL 99,263b]: Ijob 2,6f.; 42,7ff.; 64,203 [PL 99,276a]: Ijob 1,12; 2,6; 66,222 [PL 99,282]: Ijob 10,22) stets im Zusammenhang mit der von Ijob erlittenen Prüfung. 62 Raffaele Savigni, „Les laïcs dans l’écclésiologie carolingienne: Normes statutaires et idéal de ,conversion‘“, in Guerriers et moines: Conversion et sainteté aristocratiques dans l’occident médiéval (IXe–XIIe siècle) (hg. v. Michel Lauwers; Collection d’Études Médiévales 4; Antibes: APDCA, 2002), 41‒92; 46f. (über Ijob als Vorbild für die verheirateten Laien). 63 Vgl. Man. IV,6,30f. (SC 225bis,226) mit Bezug auf Ijob 31,1 und IV,8,42‒45 (ebd., 238) mit Bezug auf Ijob 31,32 und 29,16.
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Die Zitate aus dem Buch Ijob finden sich gehäuft in bestimmten Kapiteln und Abschnitten; ihre Verwendung zeugt keineswegs von einem passiven Zugang zur Bibel, wohl aber von einem zuweilen durch andere Lektüren vermittelten. So greift die Aussage, wonach auf dieser Erde niemand, nicht einmal ein Kind am Tag seiner Geburt, ohne Schuld ist,64 Ijob 14,4f. auf und zitiert dabei nicht aus der Vulgata, in der sich die Aussage so nicht findet, sondern aus der Vetus Latina, die auch den Moralia in Iob zugrunde liegt. Gregor benutzt die Stelle, um die Existenz der Erbsünde und die Heilsnotwendigkeit der Taufe zu belegen,65 Dhuoda hingegen, um Wilhelm zur Beichte zu ermahnen. Die doppelte Verwendung von Ijob 30,16: „Und nun zerfließt die Seele in mir“ (in memet ipso marcescit anima mea) erklärt sich durch die Nähe zu den bei Ijob ausgedrückten Gefühlen. Das Begleitschreiben (dem noch ein Vorspann, eine Segensbitte und ein Prolog vorangehen) beendet Dhuoda, nachdem sie ihren brennenden Wunsch, den Sohn wiederzusehen, und ihren Schmerz über die gewaltsame Trennung hervorgehoben hat, mit folgenden Worten:66 Freilich wünschte ich es mir, wenn mir Gott Kraft gäbe; aber weil das Heil von mir Sünderin weit weg ist, wünsch ich es, und an diesem Wunsch leidet mein Herz sehr.
Wenig später kommt Dhuoda noch einmal auf denselben Vers zurück, um ihrem Schmerz darüber Ausdruck zu verleihen, dass sie Gott nicht schauen kann: „Die Verweigerung des Anblicks tut mir in tiefster Seele weh; denn mir brennt mein Herz.“67 Diese zweite Verwendung, die Riché nicht anführt, zeigt, dass Dhuoda ihre beiden größten Sehnsüchte – die irdische nach dem Sohn und die spirituelle nach Gott ‒ mit derselben biblischen Wendung zum Ausdruck bringt. In den Moralia in Iob hatte Gregor der Große den betreffenden Vers auf die Situation der Auserwählten bezogen, die sich auf Erden in Schmerz verzeh-
64 Man. III,11,138f. (ebd., 196): Non enim est homo qui non peccet, ne si unius diei sit vita eius. 65 Gregor der Grosse, Moralia 9,21,32 (CCSL 143,479): Perpetua quippe tormenta percipiunt et qui nihil ex propria voluntate peccaverunt. Hinc namque scriptum est: Non est mundus in conspectu eius nec unius diei infans super terram. Hinc per semetipsam Veritas dicit: Nisi quis renatus fuerit ex aqua et Spiritu, non potest in troire in regnum Dei [Joh 3,5]. 66 Man. Praef. 31f. (SC 225bis,86; Fels 18): Volueram quidem, si daretur mihi virtus de Deo; sed quia longe est a me peccatrice salus, volo, et in hac voluntate meus valde marcessit animus (vgl. Ijob 30,16: in memet ipso marcescit anima mea). 67 Man. I,1,30–33 (SC 225bis,98; Fels 20): In hac denegatione conspicuitatis valde meus marcescit animus: aestuat enim sensus.
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ren, um dann im Himmel zu jubeln.68 Wir wissen nicht, ob Dhuoda diesen Abschnitt gelesen hat und sich folglich bewusst davon distanziert. Jedenfalls fasst sie ihre zweifache Not in die Worte des vom Elend übermannten Ijob: nunc autem in memet ipso marcescit anima mea et possident me dies adflictionis (30,16). Dagegen lässt sich die Häufung von Verweisen in I,5,47‒52 ganz einfach mit ihrer hervorragenden Kenntnis dieses Buches erklären, dessen Verse Dhuoda rascher in den Sinn kommen als andere:69 Er ist der, den niemand würdigen kann: Er ist der, wie die Schrift sagt, den die Morgensterne allzumal lobten und dem alle Kinder Gottes jauchzeten [Ijob 38,7]. Er ist der, der die Gründe der Erde legte und die Schnur über sie gezogen [38,4f.], mit Toren das Meer verschloss und ihm Wolken zum Kleide gab [38,8f.].
Vielleicht hätte man erwartet, dass Dhuoda bei der Beschreibung von Gottes Schöpferwerk auf die Genesis und nicht – wie sie es tatsächlich tut ‒ auf die erste Antwort zurückgreift, die Gott dem Ijob aus dem Wettersturm erteilt. Diese Stelle, die mit Accinge sicut vir beginnt, verwendet Dhuoda wenig später noch ein weiteres Mal, um Wilhelm zu verdeutlichen, wie er sich Gott gegenüber zu verhalten hat:70 Ich lege dir ferner ans Herz, Wilhelm, mein schöner und liebenswerter Sohn, dir trotz der irdischen Sorgen dieser Welt unverdrossen eine große Sammlung von Büchern zuzulegen, worin du über Gott, deinen Schöpfer, durch die heiligsten Gelehrten, deine Lehrer, etwas erfahren und lernen sollst, mehr und Größeres, als oben niedergeschrieben ist. Bete inbrünstig zu ihm, verehre und liebe ihn! Wenn du das tust, wird er dein Hüter, dein Führer, Begleiter und gar deine Heimat sein, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er wird dir in der Welt 68 Moralia 20,27,56 (CCSL 143A,1044): Electorum quippe anima nunc marcescit, quia in illa postmodum aeterna exsultatione viridescit. Modo eos dies afflictionis possident, quia dies laetitiae post sequuntur. 69 Man. I,5,47–52 (SC 225bis,106–108; Fels 25): Ipse est quem nullus aestimare potest; ipse est, ut ait Scriptura, quem laudant simul astra matutina et cui omnes iubilant filii Dei [Ijob 38,7]. Ipse est qui posuit fundamenta terrae et extendit super eam lineam [Ijob 38,5], conclusit mare terminis, posuitque nubem vestimenta eius [Ijob 38,8]. 70 Man. I,7,2‒12 (SC 225bis,114; Fels 29): Admoneo te etiam, o mi fili Wilhelme pulchre et amabilis, ut inter mundanas huius saeculi curas, plurima volumina librorum tibi adquiri non pigeas, ubi de Deo creatori tuorum per sacratissimos doctorum magistros aliquid sentire et discere debeas, plura atque maiora quam supra scriptum est. Ipsum obsecra, dilige et ama. Quod si feceris, erit tibi custos, dux, comes et patria, via, veritas et vita, tribuens tibi prospera in mundo largissime, et omnes inimicos tuos convertet ad pacem. Tu autem, ut scriptum est in Iob, accinge sicut vir lumbos tuos; sis humilis corde castusque et corpore, atque erectus in sublime esto gloriosus valde et speciosis induere vestibus.
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Glücksgüter reichlich gewähren und alle deine Feinde zum Frieden bekehren. Du aber, wie es im Buch Ijob geschrieben steht, gürte als ein Mann deine Lenden [Ijob 38,3; 40,7], sei von Herzen demütig und auch keusch am Leib, und erheb dich hoch, sei glorreich, und leg schmucke Gewande an [40,10].
Der Kontext, aus dem die beiden Zitate stammen, ist die Auseinandersetzung mit Gott, der – von Ijob auf den Plan gerufen ‒ diesem aus dem Wettersturm heraus antwortet und ihn herausfordert, sich der Auseinandersetzung mit ihm zu stellen (Ijob 40,1‒9). Da die Lenden der Sitz der Wollust sind, hat die lateinische Exegese den ersten der beiden Verse traditionell als Aufforderung zur leiblichen und geistigen Keuschheit interpretiert;71 Dhuoda schließt sich dieser Deutung an. Anders verhält es sich mit dem zweiten Vers, in dem Gott Ijob vor eine unmögliche Herausforderung stellt: so zu sein wie er. In der Bibel gehören die Herrlichkeit und die prächtigen Gewänder, mit denen Ijob zum Wettstreit eingeladen wird, Gott, der sich nach der Auslegung von Gregor dem Großen mit dem Lichtglanz der verstorbenen Gerechten umkleidet.72 In Dhuodas Text findet sich keine Spur einer solchen Auslegung; bei ihr werden die Herrlichkeit und die schönen Gewänder kühn auf Wilhelm bezogen und versinnbildlichen keineswegs den „törichten Versuch, sich mit Gott zu messen“.73 Vielmehr verdeutlicht der Kontext, inwiefern Wilhelms Herrlichkeit und der Glanz seiner Gewänder den Erwartungen entsprechen, die Gott an ihn richtet: Gott wird ihm sein Flehen und seine Liebe dadurch vergelten, dass er ihm weltlichen Wohlstand gewährt und seine Feinde mit ihm aussöhnt. Wilhelm aber (tu autem) soll sich um einen keuschen und ehrenhaften Lebenswandel bemühen. Damit sind wir wieder bei einem der Angelpunkte, um die die Verwendung der biblischen Zitate bei Dhuoda kreist: Für sie geht es darum, aus der Heiligen Schrift Verhaltenshinweise zu gewinnen, die schon auf dieser Erde und in der schwierigen Situation bei Hofe Erfolg garantieren. Denn die Verfasserin rechnet damit, dass das Handbuch zu gegebener Zeit auch von ihrem zweiten, noch sehr kleinen Sohn, dessen Namen sie noch nicht einmal kennt,74 71 Vgl. Isidor von Sevilla, Etym. XI,1,98f. (BAC 434,28–30): Vnde et ad Iob in exordio sermonis dictum est (38,3): ,Accinge sicut vir lumbos tuos‘: ut in his esset resistendi praeparatio, in quibus libidinis est usitata dominandi occasio. Eine tiefere Interpretation bietet Gregor der Grosse, Moralia 28,3,12 (SC 476,94–96), der die Luxuria auch im übertragenen Sinne als Hinweis auf den Hochmut der Keuschheit deutet. 72 Moralia 32,6,8 (SC 525,400–402). 73 Dronke, Women Writers, 44. 74 Vgl. Man. Praef. 17–22 (SC 225bis,84). Der Junge soll nach seinem Vater Bernhard genannt worden sein und ist vielleicht mit Bernard Plantevelue identisch, dessen Sohn, Wilhelm der Fromme, Herzog von Aquitanien, die Abtei Cluny gegründet hat, vgl. SC 225bis,21 u. Anm. 3; vgl. Jean Richard, Bernhard, Nr. 3. „B. Plantapilosa“, in LMA 1:1983f.
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gelesen werden wird und einstweilen auch Wilhelms jungen commilitones von Nutzen sein kann. Für sie alle entwirft Dhuoda eine Darstellung der Gesellschaft und der nicht-geistlichen Elite, der sie angehört. Sie ist dabei bestrebt, die gegenwärtigen und zukünftigen Handlungen des Sohnes in einen Rahmen einzuordnen, der ebenso sehr durch den Werdegang ihres Ehegatten und den ihm geschuldeten Respekt sowie durch die Geschichte und Kontinuität seiner Familie bestimmt wird. Die Kontinuität drückt sich dabei in der Pflicht aus, für die verstorbenen Verwandten des Vaters, deren Namen sie gleich mit auflistet, zu beten.75 Im Liber manualis, dessen Unterweisungen auch dem jungen Souverän zugutekommen könnten,76 trägt der Schriftverweis insofern zum Aufbau einer Spiritualität der Laien bei, als er auf eine weltliche, weder von der zentralen Bedeutung der Kirche noch vom Gegensatz zwischen Gott und Welt geprägten Sichtweise heruntergebrochen wird.77 Nicht die jungfräuliche Gottesmutter, die an keiner Stelle erwähnt wird,78 sondern der zähe Wille seiner irdischen Mutter, der „schwachen“ Dhuoda, soll Wilhelms Schritte in dieser Welt lenken.79 75 Man. X,5,1‒5 (SC 225bis,354); s. auch VIII,14 (SC 225bis,318–320). 76 Zu dieser Möglichkeit vgl. Régine Le Jan, „Dhuoda ou l’opportunité du discours féminin“, in Agire da donna: Modelli e pratiche di rappresentazione (secoli VI–X): Atti del convegno, Padova, 18–19 febbraio 2005 (hg. v. Cristina La Rocca; Collection Haut Moyen Âge 3; Turnhout: Brepols, 2007), 109‒128. 77 Vgl. hierzu die interessanten Beobachtungen von Martin A. Claussen, „God and Man in Dhuoda’s Liber Manualis“, in Women in the Church (hg. v. William J. Sheils und Diana Wood; SCH[L] 27; Oxford: Blackwell, 1990), 43‒52. 78 Falls nicht Man. Epigr. 30f. (SC 225bis,74) auf Maria anspielt; doch selbst wenn dies zuträfe, hätte man es nur mit einem isolierten Beleg zu tun. Das Schweigen über die Madonna erklärt sich zum Teil dadurch, dass die Marienverehrung sich zwar schon während der Herrschaft Karls des Kahlen, aber erst kurz nach der Abfassung des Liber manualis langsam auszubreiten begann (vgl. Dominique Iogna-Prat, „Le culte de la Vierge sous le règne de Charles le Chauve“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale [hg. v. dems., Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996], 65‒98), während sie unter Karl dem Großen nur eine kurze und begrenzte Blütezeit erlebt hatte, die als Reaktion auf die anti-adoptianistische Polemik christologisch ausgerichtet gewesen war. Vgl. dazu Gabriela Signori, Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt: Hagiographische und historiographische Annäherungen an eine hochmittelalterliche Wunderpredigt (Sigmaringen: Thorbecke, 1995), 63–65; Irene Scaravelli, „Per una mariologia carolingia: Autori, opere e linee di ricerca“, in Gli studi di mariologia medievale bilancio storiografico: Atti del 1. Convegno mariologico della Fondazione Ezio Franceschini; Parma, 7–8 novembre 1997 (hg. v. Clelia Maria Piastra; Millennio medievale 26: Atti di convegni 7; Florenz: SISMEL, Ed. del Galluzzo, 2001), 65‒85; 77f. 79 Dieser Aspekt wird deutlich herausgestellt bei Robert Luff, „Schreiben im Exil: Der Liber manualis der fränkischen Adligen Dhuoda“, MLJb 35/2 (2000): 249‒266, der die Eigenständigkeit des Liber manualis an ebendieser Spannung zwischen den traditionellen Bescheidenheitstopoi und dem übermächtigen Wunsch festmacht, ein absolut persönlich geprägtes literarisches Werk zu verfassen.
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Fundamentale Bedeutung hat die Jungfrau Maria, die in Dhuodas Handbuch gar nicht vorkommt, hingegen für die um 935 geborene und nach 973 verstorbene sächsische Adlige Hrotsvit, die in der Benediktinerabtei von Gandersheim erzogen wurde und lebte. Die Abtei war 852 von Herzog Liudolf, dem Stammvater der Ottonen, gegründet worden. Diese Stiftung für höhere Töchter stand in der besonderen Gunst Ottos I., der sie 947 der Kontrolle des Königs, dem sie ursprünglich unterstanden hatte, entzog. Er gewährte der Äbtissin einen Sitz im Reichstag sowie die Befugnis, Recht zu sprechen, Münzen zu prägen und ein eigenes Heer zu unterhalten. Hrotsvit, die möglicherweise mit der Herrscherfamilie verwandt, in jedem Fall aber adliger Herkunft war (das beweist allein ihre Anwesenheit in Gandersheim), verdankte ihre Erziehung zwei Frauen: der uns ansonsten unbekannten Rikkardis und der Äbtissin Gerberga II. (940‒1001), einer Tochter Heinrichs von Bayern (und damit Nichte Ottos des Großen), die das Kloster seit 959 leitete. Die Freiheit, mit der sie, ihren Schriften nach zu urteilen, ihre Kontakte (insbesondere mit dem Hof, an dem sie sich möglicherweise auch aufgehalten hat) pflegte und sich bewegte, verträgt sich schlecht mit dem Ordensgelübde und passt besser zum Stand einer Kanonissin, den ihr die heutige Forschung daher auch mehrheitlich zuschreibt.80 Hrotsvits schriftstellerische Werke werden entsprechend ihrer Entstehungszeit und literarischen Gattung in drei Bücher eingeteilt. Das erste, das in zwei Etappen verfasst und nicht vor 962 veröffentlicht wurde, besteht aus acht Heiligenlegenden (Maria, Über die Himmelfahrt [Ascensio], Gangolf, Pelagius, Theophilus, Basilius, Dionysius, Agnes). Sieben davon sind in leoninischen Hexametern, und nur das Martyrium des jungen Pelagius († 925) ist in elegischen Distichen abgefasst. Die Legende dieses Heiligen, der getötet wurde, weil er die Avancen des Kalifen von Córdoba zurückwies, ist zudem die einzige aktuellere Begebenheit. Das zweite Buch, das ebenfalls in zwei Etappen geschrieben und bis spätestens 965 veröffentlicht wurde, ent80 Die Bibliographie zu Hrotsvit ist nahezu unüberschaubar, daher sei an dieser Stelle lediglich auf einige ausgewählte Werke verwiesen: Katharina M. Wilson, Hg., Hrotsvit of Gandersheim: Rara avis in Saxonia? (MRMS 7; Ann Arbor: MARC Publishing, 1987); Ferruccio Bertini, „Rosvita, la poetessa“, in Medioevo al femminile (hg. v. dems. et al.; StSo; Rom: Laterza, 31992), 63‒95; Dronke, Women Writers, 55‒83; Armando Bisanti, Un ventennio di studi su Rosvita di Gandersheim (Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo 12; Spoleto: Fondazione CISAM, 2005); Phyllis R. Brown und Stephen L. Wailes, Hg., A Companion to Hrotsvit of Gandersheim (fl. 960): Contextual and Interpretive Approaches (Brill’s Companions to the Christian Tradition 34; Leiden: Brill, 2013). Besonders informativ ist die Arbeit von Carla Del Zotto, Rosvita: La poetessa degli imperatori sassoni (Donne d’Oriente e d’Occidente 22; Mailand: Jaca Book, 2009).
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hält sechs Dramen in gereimter Prosa über Märtyrergeschichten (Dulcitius und Sapientia), den Sinneswandel von Kurtisanen (Abraham und Paphnutius) und über Bekehrungen zum wahren Glauben (Calimachus und Gallicanus). Im Anschluss an die Dramen überliefert die Handschrift ferner 35 Hexameter mit Bildlegenden (tituli) zu 14 Szenen aus der Apokalypse. Das dritte Buch mit eher höfischen Themen beinhaltet zwei historische Epen, das erste (die im Auftrag Gerbergas II. und des Mainzer Erzbischofs Wilhelm verfassten Gesta Ottonis in 1517 Hexametern) handelt von Otto I. und wurde vor 968 fertiggestellt. Das zweite über die Anfänge des Klosters von Gandersheim (Primordia coenobii Gandeshemensis, in 600 Hexametern) ist ihr spätestes Werk und wurde nicht vor 973 beendet. Die Themen der ersten beiden Bücher hat Hrotsvit selbst gewählt, wobei sie zunächst nur heimlich und mit großer Unsicherheit zu Werke ging (I, praef. 6), dann aber immer größere Sicherheit erlangte, bis schließlich der Plan in ihr heranreifte, ihre Schriften ihren Zeitgenossen zur Begutachtung vorzulegen. Dieses Interesse an der Meinung anderer und der Entschluss, moralische Dramen als – gleichwohl unwürdige ‒ Gegenstücke zu den weniger moralischen, aber desto mehr bewunderten Bühnenstücken des Terenz zu verfassen, zeigen uns eine Frau, die sich ihrer eigenen literarischen Fähigkeiten bewusst und entschlossen war, sie bekannt zu machen. Dieses Bewusstsein, das hinter den wiederholten, gleichsam topischen Hinweisen auf ihre Unfähigkeit durchschimmert, wird schon daran deutlich, dass die Autorin sich selbst als Clamor validus, „kraftvolle Stimme“, definiert (II, praef. 3). Wie Jacob Grimm als Erster festgestellt hat, übersetzt Hrotsvit mit diesem neutestamentlichen Ausdruck die Bedeutung ihres eigenen Namens ins Lateinische.81 Diese Übersetzung kann als „machtvolles Bekenntnis“ zu Gott oder als „kraftvolles Zeugnis“ der christlichen Wahrheit verstanden werden.82 Allerdings ‒ so Dronke ‒ wird ein zeitgenössischer Leser die Wendung clamor validus eher mit dem ego vox clamantis, der Selbstbezeichnung des Täufers aus Joh 1,23, assoziiert und gleichzeitig als Anspielung auf das Aufsehen verstanden haben, das ein Werk erregt, wenn es sich als christlichen Gegenversuch zu Terenz präsentiert.83 Von den zahlreichen Schriften mit christlichen Themen, die in den ersten beiden Büchern enthalten sind, stehen nur die 35 Erläuterungen zu einem Zyklus aus 14 Bildern zur Apokalypse in einem direkten biblischen Zusammenhang. Diese bilden eine gedankliche Kontinuität zum Dittochaeum des Prudentius, jenes christlichen Autors, auf den die Verfasserin am häufigsten 81 Jacob Grimm, Lateinische Gedichte des 10. und 11. Jahrhunderts (Göttingen: Dieterich, 1838), 9. Die Wendung erinnert an Hebr 5,7: cum clamore valido et lacrimis offerens et exauditus pro sua reverentia, vgl. Berschin VII (dies ist die neueste kritische Ausgabe von Hrotsvits Werken). 82 Wilson 4. 83 Dronke, Women Writers, 70.
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zurückgreift.84 Diese Bildunterschriften, die sich auf ein von anderen aufgestelltes ikonographisches Programm beziehen, waren ein Auftragswerk mit minimalem Gestaltungsspielraum. Obwohl die Darstellungen Themen behandeln, die der Verfasserin am Herzen liegen (den Kampf zwischen Himmel und Hölle, die Belohnung der Heiligen und Märtyrer, die himmlischen Heerscharen, die der Majestät Gottes huldigen),85 kommt unter den von Hrotsvit bevorzugten Motiven doch dem Glaubenszeugnis und vor allem dem Lob der Keuschheit und insbesondere der Jungfräulichkeit eine größere Bedeutung zu. Deshalb ist es bezeichnend, dass ihr einziger persönlicher Beitrag (V. 1) darin besteht, dass sie Johannes, obwohl die Erläuterung der Bilder dies nicht erfordert hätte, als virgo charakterisiert und so dem Apostel explizit jene Lebensform bescheinigt, die in ihren Augen die vollkommenste ist. Die Bedeutung, die Hrotsvit dem Martyrium und der Keuschheit beimisst, zeigt sich in aller Deutlichkeit an den Stoffen aus der hagiographischen Literatur, die ihren Bearbeitungen zugrunde liegen. Die von ihr in Verse gesetzen oder dramatisierten Passionen und Legenden behandeln ganz unterschiedliche und nicht immer naheliegende Themen: etwa das in späterer Zeit sehr erfolgreiche Sujet des Teufelspakts (in den Kurzepen Theophilus und Basilius); die Legende des Märtyrers Dionysius, der nach seiner Enthauptung seinen Kopf aufhebt und an den Ort bringt, an dem er begraben werden will; oder auch die Geschichte Gangolfs, deren nicht-geistlicher Protagonist eher einem Ritter als einem Märtyrer ähnelt. Während die Reihe der Kurzepen mit der Verherrlichung der Agnes endet, die das zweifache Verdienst der Jungfräulichkeit und des Martyriums auf sich vereinigt, hat die fromme Kanonissin doch gleichzeitig gar kein Problem damit, in den Dramen Abraham und Paphnutius die Legenden zweier reuiger Sünderinnen zu behandeln. In einem so ausgeprägten Werk, das den Frauen (von Gangolfs Ehefrau einmal abgesehen allesamt positiven Charakteren) sehr viel Raum gibt, lässt sich die Kenntnis der Bibel natürlich an der Wortwahl, die ja auch die liturgische Praxis prägte, sowie an Zitaten von autoritativem Wert und an der Verwendung von Exempla und Episoden belegen, die Hrotsvit häufig aus ihren Vorbildern schöpft. Zu Letzteren unterhält sie eine Beziehung, die sich nicht immer leicht definieren lässt, weil wir in einigen Fällen den ihrer Bearbeitung zugrunde liegenden Prosatext nicht kennen oder weil die eventuellen Änderungen ganz oder teilweise durch weitere Lektüren und vor allem durch die Notwendigkeit größerer Ausdruckskraft bedingt sein können.86 Nur zwei von acht Verslegenden (Maria und De ascensione Domini) und eines von sechs Dramen (der Calimachus) haben mit biblischen Gestalten, 84 Homeyer 494f. 85 Homeyer 378. 86 Zu Hrotsvits Quellen und ihrer Lektüre vgl. Katrinette Bodarwé, Sanctimoniales Litteratae: Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg (QSBE 10; Münster: Aschendorff, 2004), 309‒315.
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nämlich der Jungfrau Maria und dem Apostel Johannes zu tun, doch die Begebenheiten, an denen sie beteiligt sind, stammen nicht aus dem Neuen Testament: Vielmehr hat die Autorin apokryphen Erzählungen den Vorzug gegeben. Das zuletzt entstandene Drama Calimachus (der vollständige Titel lautet Resuscitatio Drusianae et Calimachi, „Die Auferweckung der Drusiana und des Calimachus“) ist die Bearbeitung einer Episode aus den apokryphen Johannesakten. Schauplatz der Handlung ist die Stadt Ephesus, wo der junge Calimachus sich unsterblich in Drusiana, die Ehefrau des Andronikus, verliebt, die mit ihrem Gatten in Keuschheit lebt. Obwohl seine Freunde versuchen, ihn davon abzubringen, wirbt Calimachus um die Frau, die daraufhin Gott bittet, sie sterben zu lassen, damit der junge Mann nicht ihretwegen auf ewig verdammt wird. Ihr Gebet wird erhört, und nach dem Begräbnis erfährt Johannes von Andronikus den Grund ihres Todes. In der Zwischenzeit besticht Calimachus, der sich nicht von seiner Begierde befreien kann, Fortunatus, den Verwalter des Andronikus, damit dieser ihm Zugang zum Grab verschafft und er die, die er im Leben nicht besitzen konnte, sich nun im Tod zu eigen machen kann. Schon sind die beiden ins Grab eingedrungen und haben die Leinenbinden entfernt, sodass der Leichnam nur noch von einem Schleier verhüllt ist, als plötzlich eine Schlange hervorschießt und Fortunatus tötet. Calimachus stürzt zu Boden, und die Schlange streckt sich über seinem Körper aus. Am darauffolgenden Tag, dem dritten seit Drusianas Tod, begeben sich Johannes und Andronikus zum Grab, wo ein schöner Jüngling ihnen lächelnd verkündet, er sei Drusianas wegen – der nur knapp keine Gewalt angetan worden ist und die der Apostel wiederauferwecken wird – und um dessentwillen gekommen, der neben ihrem Grab ausgestreckt liege. Da erblickt Johannes Calimachus unter einer riesigen Schlange und neben ihm den toten Fortunatus. Johannes vertreibt die Schlange und lässt zunächst Calimachus, der seinen Fehler gesteht und sich bekehrt, und dann Drusiana auferstehen, die Johannes bittet, ihrerseits Fortunatus ins Leben zurückrufen zu dürfen. Dem behagt es jedoch nicht, vor so vielen tugendhaften Menschen vom Tod auferweckt zu werden, und flieht. Nach der Feier der Eucharistie wird Johannes geoffenbart, dass Fortunatus durch das Gift der Schlange sterben wird, und die Ereignisse bestätigen seine Vorhersage. Die Veränderungen, die Hrotsvit an ihrer Vorlage, den Johannesakten, vornimmt, betreffen insbesondere die Charakterisierung und Interaktion der Personen. Der Brief des Calimachus wird etwa durch das direkte Gespräch mit seiner Angebeteten ersetzt. Drusiana sorgt sich, weil ihre Schönheit jenem zarten Jüngling (delicato iuveni) das Verderben zu bringen droht, doch womöglich rührt ihr Leid auch von der Angst her, der Versuchung zu erliegen.87 87 Vgl. Ferruccio Bertini, Il teatro di Rosvita: Con un saggio di traduzione e di interpretazione del Calimaco (Genua: Tilgher, 1979), 129‒136, Kap. IV (Interpretation
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Calimachus scheint von ernsthafter Zuneigung und nicht nur von Begierde getrieben, Fortunatus dagegen ist durch und durch böse: Er lädt Calimachus ein, sich an der Verstorbenen zu vergehen („Hier ist die Leiche – das Gesicht noch nicht zersetzt, die Glieder noch nicht verwest. Stille deine Gelüste nach Wunsch“), und ist nach der Auferstehung außerstande, das Vorgefallene zu akzeptieren. Lieber will er sterben, als das Wohlergehen anderer mitanzusehen („Wenn, wie du sagst, Drusiana mich erweckte, und Calimachus sich zu Christus bekehrt hat, dann verzichte ich auf das Leben und wähle lieber freiwillig den Tod, als diese in so reicher Gnadenfülle zu sehen“).88 Dieser Radikalisierung entspricht auch sein rascher Tod. Neben dieser Akzentuierung des (um es einmal so zu nennen) „reinen“ Bösen in der Person des Fortunatus stellt die Neudimensionierung des Apostels die vielleicht bedeutendste Veränderung gegenüber dem lateinischen Vorbild dar. Johannes gibt einige sentenzenhafte Kommentare ab, nimmt aber insgesamt weniger Raum ein als in den Akten, in denen er nicht nur bei anderen Ereignissen eine zentrale Rolle spielt, sondern auch längere Redezeiten hat (so widmet er Drusianas Tod in den Akten eine Predigt, die im Calimachus nicht einmal andeutungsweise vorkommt). Auch der Ton seiner Äußerungen ist ein anderer: Im Calimachus drückt sich Johannes in seiner Bitte um Calimachusʼ Auferstehung mit einer Zuspitzung aus, die dem apokryphen Text fremd ist: „Gott, unbeschreiblich und unfaßlich allein, unwägbares und einfaches Sein, der Du bist, was Du bist, Getrenntes zusammenfügst, wenn Du den Menschen formst aus Zweierlei und wieder auflöst das vorherige Sein! Befiehl, dass sein Odem zurückkehre […]“89 Es ist schwierig zu entscheiden, ob Hrotsvit hier eher von belehrenden Absichten oder von dem Wunsch geleitet ist, ihre Meisterschaft zur Schau zu stellen (ich persönlich neige zu der zweiten Hypothese). Bezeichnend scheint jedenfalls, dass Hrotsvit sich nicht für einen in theologischer oder didaktischer Hinsicht besonders gewichtigen Text entschieden, sondern sich lieber an einer Vorlage orientiert hat, die Raum für weniger naheliegende dramatische Entwicklungen bot. Zwar ist Drusiana ein Muster an Keuschheit, doch LeserInnen und HörerInnen (es ist unwahrscheinlich, dass die Dramen jemals aufgeführt worden sind) fühlten sich vermutlich von den beiden sündhaften Themen ihrer Geschichte angezogen: dem Werben um eine überaus christliche, verheiratete Frau und vor allem der erst im allerletzten Moment verhinderten Totenschändung. Die Werte, die in dieser Schrift verkündet werden, sind dieselben wie immer, und ebenso verhält es sich auch mit dem abschließenden Triumph des Glaubens und der Keuschheit. Es bleibt jedoch der Verdacht, dass die Wahl der Verfasserin deshalb auf den apokrydes Calimachus); zuvor bereits Gustavo Vinay, Alto medioevo latino: Conversazioni e no (Esperienze 42; Neapel: Guida, 1978), 512‒532. 88 Calimachus VII,1; IX,28 (Homeyer 215.220f.). 89 Calimachus IX,9 (Homeyer 217).
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phen Text gefallen ist, weil der darin gebotene Plot sich besonders für ein spannendes Stück mit dramatischen Effekten eignete. Wie wichtig die Wahl der Vorlage ist, zeigt auch die Verslegende über die Himmelfahrt (De ascensione Domini), die ihren Stoff aus den kanonischen Texten bezieht, die Ereignisse aber anders anordnet und zudem eine an Maria gerichtete Ankündigung ihrer künftigen himmlischen Herrlichkeit enthält. Nach eigener Aussage hat Hrotsvit sich auf die uns nicht überlieferte Übersetzung eines griechischen Texts gestützt, die einem nicht näher identifizierten Bischof Johannes zugeschrieben wurde. Es handelt sich um insgesamt 150 Hexameter, die etwa zur Hälfte aus Reden des auferstandenen Christus bestehen. Die erste betrifft die Einsetzung der Apostel (V. 23‒74), die zweite, kürzere (V. 77‒93) den Abschied von der Mutter, die dritte schließlich die Trennung von den Jüngern (V. 109‒112), die gleich darauf von duo viri beruhigt werden, die ihnen die Wiederkehr Christi zum Letzten Gericht ankündigen (V. 122‒126). Unterdessen besingt David im Himmel zur Leier die Ankunft Christi (V. 101f.104–106), und schließlich bekundet Gottvater das Wohlgefallen, das er an seinem Sohn hat (V. 134‒140). Sowohl die Reden als auch die erzählerischen Passagen haben eine klare didaktische Absicht, die bereits am Anfang deutlich wird: Hier wird das Erdenleben Christi resümiert und darauf hingewiesen, dass er, der ja nicht von der Erbsünde befleckt war, unmöglich von den engen Fesseln des Todes festgehalten werden konnte.90 Die lehrhafte Prägung bleibt auch in der ersten Jesusrede erhalten, in der er – zwischen zwei Breitseiten gegen die „frevlerischen Juden“ ‒ daran erinnert, dass er den Menschen und die Welt mit seinen eigenen Händen erschaffen habe (V. 44f.). Die Bedeutung der Jungfräulichkeit wird in der Abschiedsrede an seine Mutter herausgestellt, die damit endet, dass Christus die Jungfrau – die keuscheste unter den Frauen und die Einzige, die würdig war, ihn zu gebären (V. 82f.: inveni solam prae cunctis te quia castam / condignamque meum corpus generasse sacratum) ‒ dem Jünger Johannes anvertraut, „der im Schmuck seiner Reinheit funkelt“ (V. 91).91 Die Göttlichkeit des Auferstandenen wird von der Stimme Gottvaters bestätigt, der Wohlgefallen an ihm hat (V. 134–137); die Worte erinnern an die Episode von der Taufe Christi und greifen das aus Ps 109(110),1 entnommene Bild von den Feinden auf, die Gott ihm als Schemel unter die Füße legt (V. 139f.). Marias Übergabe in die Obhut des Johannes, die im Evangelium im Kontext der Kreuzigung erfolgt (Joh 19,26f.), wird hier auf den Zeitpunkt der Himmelfahrt verlegt: Der Sohn verspricht der Jungfrau, dass er ihr, wenn sie diese Welt verlässt, nicht nur die himmlischen Scharen senden, sondern ihr zudem selbst entgegenkommen wird, um ihre begnadete Seele in Empfang zu 90 Auf das Nichtvorhandensein der Erbsünde war bereits in V. 17f. hingewiesen worden: Nec mortis vinclis se posse tenerier artis, / Qui solus culpę fuerat sine sordibus Adae, und vorher bereits in V. 4: Qui solus maculis potuit sine vivere cunctis (Berschin 36). 91 Berschin 38 bzw. Homeyer 94.
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nehmen und an den himmlischen Königshof zu geleiten. Manchen Deutungen zufolge spiegelt dieses Schicksal, das Maria erwartet – und das in den kanonischen Evangelien nirgends erwähnt wird ‒, den Einfluss jener apokryphen Erzählung wider, deren lateinische Übersetzung im Abendland unter dem Titel Liber de transitu Beatae Mariae Virginis in Umlauf war. Nach meinem Dafürhalten lässt Hrotsvits Text diese Interpretation jedoch nicht zu, weil er lediglich den besonderen Empfang hervorhebt, der der Seele der Gottesmutter unmittelbar nach dem Tode im Himmel zuteilwird, aber mit keinem Wort auf ihre leibliche Aufnahme hinweist. Zudem ist die Formulierung de mundo discedere (V. 84), „aus diesem Leben […] scheiden“,92 so allgemein, dass sie sich sowohl auf einen normalen Tod als auch auf die leibliche Aufnahme in den Himmel nach dem Tod oder auch auf einen Übergang ins Paradies beziehen könnte, der gar nicht durch den Tod hindurchführt.93 Da wir Hrotsvits Quelle nicht kennen, ist es uns leider nicht möglich, Art und Umfang ihres eigenen Beitrags zu bestimmen; mit und ohne substantielle Änderungen ist freilich die Verfasserin und sie allein für ihren Text verantwortlich. Was die Himmelfahrt Mariens betrifft, die schon Papst Sergius (687‒701) verkündet hatte und die auch von Ambrosius Autpertus († 784) in seinem Sermo de assumptione vertreten worden war, nimmt Hrotsvit (aus eigenem Entschluss oder in Anlehnung an ihre Quelle) eine vorsichtige Haltung ein. Noch nicht dreißigjährig, hat sich die Dichterin bei ihrem zweiten schriftstellerischen Versuch an eine Summa über den Sinn der Himmelfahrt, die zentrale Rolle der Jungfrau und die Bedeutung der Jungfräulichkeit gewagt, die den Ordensfrauen – Nonnen und Kanonissinnen – von Gandersheim, aber auch ihren gelehrten Lesern außerhalb des Klosters vorgelegt werden sollte: Lesern, die sie am Ende des Gedichts ausdrücklich anspricht und bittet, bei dem von ihr besungenen Gott für sie Fürsprache einzulegen: „Wer auch immer das liest, der bete barmherzigen Sinnes: ,Gütiger Herr, verschone doch gnädig die arme Hrotsvitha, gib ihr die Kraft, dich auch weiter in frommen Liedern zu preisen, ihr, die rühmend besang deine staunenswürdigen Taten.‘“ (V. 147‒150).94
92 Homeyer 93. 93 Zu den Apokryphen über die Aufnahme in den Himmel und zum Unterschied zwischen der Aufnahme (die durch den Tod hindurchführt) und dem Hinübergang (transitus) Mariens in den Himmel vgl. Enrico Norelli, „Maria negli apocrifi“, in Gli studi di mariologia medievale bilancio storiografico: Atti del 1. Convegno mariologico della Fondazione Ezio Franceschini; Parma, 7–8 novembre 1997 (hg. v. Clelia Maria Piastra; Millennio medievale 26: Atti di convegni 7; Florenz: SISMEL, Ed. del Galluzzo, 2001), 19‒63; 35‒61. 94 Homeyer 95.
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Maria, die in Hrotsvits Werk mehrfach vorkommt,95 ist auch die Protagonistin ihrer ältesten Schrift,96 die die Sammlung der legendarischen Kurzepen eröffnet: der „Geschichte der Geburt und des lobesamen Lebenswandels der unbefleckten Mutter Gottes“, die sie dem Herrenbruder Jakobus zuschreibt (historia nativitatis laudabilisque conversationis intactae dei genitricis quam scriptam repperi sub nomine sancti Iacobi fratris domini).97 Tatsächlich ist ihre Quelle, wie Strecker bereits Anfang des 20. Jh. gezeigt hat,98 nicht das Protevangelium des Jakobus, sondern dessen lateinische Bearbeitung, das Pseudo-Matthäusevangelium, das vermutlich aus dem ersten Viertel des 7. Jh. stammt, mit Annas Empfängnis beginnt und bis zur Kindheit Jesu reicht.99 Hrotsvit war die Erste, die es in Verse gefasst hat, und ihr Gedicht zählt sogar zu den ältesten Zeugnissen für den Überlieferungsweg dieser apokryphen Erzählung.100 In dem langen Gedicht (es ist mit 891 Versen die längste der Legenden) lassen sich neben kleineren, oft literarisch und stilistisch motivierten Veränderungen eine ganz bestimmte erzählerische Tendenz der Autorin und einige direkte Eingriffe benennen. In ihrer Darstellung der Ereignisse betont Hrotsvit das besondere Band, das Maria und Jesus eint, und grenzt sie gegen Josef ab: Dies ist ein Leitmotiv des gesamten Gedichts, das durch eine enge Verbindung zwischen der Macht des Jesuskindes und der der Mutter gekennzeichnet ist, wobei letztere seine hervorragende Position teilt.101 Unter den wichtigsten eigenen Eingriffen sei zunächst das in elegischen Distichen verfasste Proömium (V. 13–44) genannt, in dem die junge Dichte95 Vgl. Ferruccio Bertini, „La figura di Maria nell’opera di Rosvita“, in Maria di Nazaret nell’antica letteratura cristiana (Pubblicazioni del DARFICLET NS 147; Genua: D.AR.FI.CL.ET, 1993), 79‒87. 96 Vgl. Monique Goullet, „Hrotsvita de Gandersheim, Maria“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique Iogna-Prat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 441‒470. 97 Berschin 4. 98 Karl Strecker, Hrotsvits Maria und Pseudo-Matthaeus (Jahresbericht des Gymnasiums zu Dortmund; Dortmund: Crüwell, 1902). 99 CCSA 9,59‒67 zeigt, dass dies die wahrscheinlichste Datierung auf einer Zeitskala ist, die von der Mitte des 6. bis zum Ende des 8. Jh. reicht. 100 Diese Schrift muss um 800 in zwei verschiedenen Versionen in Umlauf gewesen sein, in der ursprünglichen Fassung (A) und in einer sorgfältiger gearbeiteten Zweitfassung (P). Der Text, auf den Hrotsvit sich stützt, gehört zu einem der beiden von der letztgenannten Fassung abhängigen Überlieferungsstränge und ist der drittälteste Text der Überlieferung. Er geht auf einen Prosatext zurück, der große Ähnlichkeit mit der im Cod. Vat. Palatinus Latinus 430 überlieferten Version aus der ersten Hälfte des 9. Jh. aufweist, vgl. Jan Gijsel, „Zu welcher Textfamilie des Pseudo-Matthäus gehört die Quelle von Hrotsvits Maria?“, CM 32 (1980): 279‒288; 282f. 101 Gut herausgearbeitet hat diesen Aspekt Helene Scheck, Reform and Resistance: Formations of Female Subjectivity in Early Medieval Ecclesiastical Culture (Albany: State University of New York Press, 2008), 144‒147.
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rin die Jungfrau bittet, ihr bei der Abfassung des Gedichts beizustehen (V. 17: adesse). Auf Hrotsvits Initiative ist ferner die symbolträchtige Charakterisierung Joachims, des künftigen Vaters der Gottesmutter, als eines guten Hirten zurückzuführen (V. 58‒63): Hier haben wir es mit einer jener exegetischen Erweiterungen zu tun, die das christliche Epos von Anfang an kennzeichnen. Hinzu kommen einige im Pseudo-Matthäus nicht enthaltene Überlegungen über die vermittelnde Rolle der Jungfrau Maria bei der Erlösung und Rückkehr der Menschheit zum Zustand vor der Ursünde (V. 209‒225) und über Maria als Mutter des Erlösers (V. 299‒311). Zu erwähnen ist schließlich die Erklärung (V. 527‒542), einige (im Pseudo-Matthäus übrigens enthaltene) Ereignisse wegzulassen, die nur kursorisch erwähnt werden: das Gespräch zwischen Maria und dem Engel, Josefs Traurigkeit, als er entdeckt, dass Maria schwanger ist, und die Art und Weise, wie er getröstet wird.102 Dieser Aufzählung müssen zwei Veränderungen hinzugefügt werden, die Hrotsvit vorgenommen hat, um Unstimmigkeiten im Prosatext zu beheben. Pseudo-Matthäus (9,1) enthält zwei unterschiedliche Verkündigungen: die eine an einer Quelle und die andere zwei Tage später, als die Jungfrau einen purpurnen Faden spinnt. Bei Hrotsvit findet sich nur die zweite. Die andere, theologisch heikle Änderung betrifft dagegen die Schwangerschaft der heiligen Anna, der lange Zeit unfruchtbaren Ehefrau des Priesters Joachim (die ganze Geschichte ist von jener der Eltern des Täufers, Elisabet und Zacharias, inspiriert). Das Protevangelium des Jakobus hatte eine wundersame Empfängnis in absentia angedeutet (4,2), Ps.-Mt 3 korrigiert dies stillschweigend: Hier ist Anna bereits schwanger, als Joachim aus Scham über den Vorwurf, er sei Gott nicht wohlgefällig, da dieser ihm die Nachkommenschaft verweigert habe, die Stadt verlässt.103 Nicht getilgt wird dagegen der Vorwurf der Unfruchtbarkeit, den die Magd zu einem Zeitpunkt an Anna richtet, als diese – wenn man von der pseudo-matthäischen Erzählung ausgeht ‒ bereits wissen muss, dass sie ein Kind erwartet. Hrotsvit beseitigt die Unstimmigkeit, indem sie die Empfängnis auf die Zeit nach Joachims Rückkehr verschiebt: Die Schwangerschaft seiner Frau, die der Engel ihm ankündigt, wird in der unmittelbaren Zukunft angesiedelt (V. 180f.: mox praenobilis Anna / Concipiet),104 und Anna selbst erklärt beim Wiedersehen mit ihrem Ehemann, sie freue sich über die Möglichkeit, ein Kind zu empfangen (das dann tatsächlich neun Monate später zur Welt kommen wird).105 102 Rijkel ten Kate, „Hrotsvits Maria und das Evangelium des Pseudo-Matthäus“, CM 22 (1961): 195‒204; 203f. 103 Vgl. Ps.-Mt 3,2 (CCSA 9,307), Versionen A und P; hier sagt der Engel zu Joachim: quam [scil. Annam] scias ex semine tuo concepisse filiam. 104 Berschin 10. 105 Auf diese Unstimmigkeit im Pseudo-Matthäus, die bei Hrotsvit gelöst scheint, hat schon Strecker, Hrotsvits Maria, 8f., hingewiesen, der unschlüssig war, ob er die Korrektur ihr oder ihrer Quelle zuschreiben sollte. Das auf eine zukünftige Schwan-
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Für uns von größerem Interesse sind diejenigen Eingriffe der Autorin, die verdeutlichen, welche Rolle Hrotsvit der Jungfrau in Bezug auf Christus zuschreibt und welche Rolle sie sich selber zuerkennt. Das Proömium preist neben der üblichen Erwähnung Mariens als der neuen Eva, die die Menschheit erlöst, und ihrer jungfräulichen Empfängnis in den ersten beiden Versen die Macht und Hoheit der Jungfrau und nennt sie die einzige Hoffnung der Welt, die ruhmreiche Herrin des Himmels (V. 13: dominatrix inclita caeli),106 die heilige Mutter des himmlischen Königs (V. 14: Sancta parens regis) und den strahlenden Meerstern. Hier werden einige Themen vorweggenommen, die im Lauf des Gedichts, aber auch in späteren Texten wiederkehren. So bilden die königliche Majestät und Macht der Jungfrau die Grundlage ihres Handelns im Theophilus, wo es dem reuigen Sünder dank der Vermittlung Mariens gelingt, den Pakt mit dem Teufel zu brechen. Und auch dort wird Marias Herrschaft im Himmel und auf Erden mit ganz ähnlichen Worten anerkannt wie in dieser ersten Verslegende: Gebärerin des Ewigen, Herrin der Welt (V. 208: aeterni genitrix, eadem mundi dominatrix) und machtvolle Herrin der Himmel (V. 333f.: potens dominatrix / caelorum).107 Im Theophilus geht Hrotsvit sogar noch weiter und nennt die Jungfrau in einem Atemzug mit einer oder mehreren Personen der Dreifaltigkeit: Sie wird gemeinsam mit dem Vater und dem Sohn (V. 165f.) und gemeinsam mit dem Heiligen Geist erwähnt (V. 179f.); und wie schon in der Prosaquelle besteht Theophilus’ Schuld darin, den Sohn und die Mutter geleugnet zu haben (V. 214f.). Ein weiteres Element, das uns nicht nur im Gedicht über die Jungfrau begegnet, ist die bereits bei Isidor von Sevilla108 vorkommende Definition Mariens als Stella Maris, die hier als Glosse auf die Bekanntgabe des von Gott selbst für sie ausgewählten und verkündeten Namens folgt.109 Diese Definition wird im Drama Abraham wiederkehren, als der alte Eremit Ephräm der Protagonistin Maria die Bedeutung ihres Namens erklärt: „Maria heißt ,Meerstern‘, um den die Erde sich dreht und der Pol kreist“ (II,3).110 gerschaft bezogene concepi gaudia prolis aus V. 261 (Berschin 13) wirkt aber ganz wie die Korrektur eines einfachen concepi, das Hrotsvit in ihrer Quelle gelesen haben muss, vgl. Gijsel, „Zu welcher Textfamilie“, 286f. Dieselbe Lösung wendet die apokryphe Schrift De nativitate Mariae an, eine Umarbeitung des Pseudo-Matthäus, die nach 868/869 entstanden ist, vgl. CCSA 10,221f.228. Vgl. auch Gijsel, „Zu welcher Textfamilie“, 286f. 106 Berschin 4; dort auch das folgende Zitat. 107 Berschin 85.89. 108 Isidor von Sevilla, Etym. VII,10,1 (BAC 433,676): Maria inluminatrix, sive stella maris. 109 In V. 275f. (Berschin 13) ist es die Stimme Gottes selbst, die befiehlt, das eben geborene Mädchen Maria zu nennen: ,stella maris‘ lingua quod consonat ergo latina (V. 276). 110 Homeyer 226.
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Was die herausragende Stellung betrifft, die sie der Jungfrau Maria zuschreibt, scheint sich Hrotsvit mit einer Tendenz im Einklang zu befinden, für die es, auch wenn sie noch nicht von der Mehrheit vertreten wird, doch immerhin schon frühere Belege gibt. Bereits Alkuin hatte die Jungfrau als Himmelskönigin und Mutter Gottes definiert und sie um ihre Fürsprache gebeten.111 Zudem hatte die anti-adoptianistische Polemik des ausgehenden 8. und beginnenden 9. Jh. zum Beweis der ursprünglichen Gottheit Christi darauf bestanden, dass Maria als Mutter Gottes (Theotókos) auch über die Macht der Fürsprache verfügt. Diese Macht belegen eine zwischen dem 10. und 11. Jh. auf der Insel Reichenau entstandene Miniatur samt Bildunterschrift und ein Hymnus. Darin werden sowohl Christus, der wieder auf die Erde herabsteigt, um seine Mutter in den Himmel zu geleiten (eine allerdings ausdrücklicher auf die Aufnahme der Jungfrau bezogene Parallele zu dem in Hrotsvits Himmelfahrt gegebenen Versprechen), als auch die von ihr bewirkte Rettung des Theophilus erwähnt.112 Hrotsvits Gestaltung ist in diesen Punkten also nicht originell, und möglicherweise handelt es sich um ein Auftragswerk: Es ist nämlich wahrscheinlich, dass die Abfassung des Gedichts über die Jungfrau zeitlich mit der Gründung eines ihrer Abtei unterstellten und an eine Marienkirche angeschlossenen Benediktinerklosters in Gandersheim zusammenfällt. Dennoch bleibt es ihr Verdienst, in ihren Schriften jene ausgeprägte Marienfrömmigkeit vorweggenommen zu haben, die sich nur wenige Jahre später mit der Ankunft der byzantinischen Prinzessin Theophanu, Gemahlin Ottos II., bei Hof etablieren sollte. Theophanu ließ ihre Töchter in Gandersheim erziehen, das ab 973 nur noch von Kanonissen bewohnt wurde.113 111 Alkuin, Carmina CIX,XVI,2 (MGH.PL 1,160–351; 338): regina polorum; CIX,XVIII,2 (ebd., 339): Christi mater; CX,IV,1 (ebd., 341): regina, dei genitrix, pia virgo Maria; XCIX,XII,6 (ebd., 325): regina poli. 112 AHMA 51,211, Str. 22 (Herabkunft Christi); Str. 32.35 (Theophilus), vgl. Homeyer 153. Éric Palazzo, „Marie et l’élaboration d’un espace ecclésial au haut Moyen Âge“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique IognaPrat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 313‒325; 319, verweist dagegen auf eine Handschrift aus der zweiten Hälfte des 10. Jh. (Paris, Bibl. de l’Arsenal, Ms. 610, fol. 25v.; Abb. ebd., 325) aus Reichenau-Mittelzell mit einer Miniatur, die eine ikonographische Seltenheit darstellt: Sie zeigt Maria, die beim Herrn Fürbitte einlegt, und überschreibt das Bild mit den folgenden Versen: Aurea stella maris, regalis virgula floris / Supplicat hic genito virgo Maria suo. / Ut clemens famulis gratissima dona salutis / Dignetur ferre matris honore suae. 113 Patrick Corbet, „Les impératrices ottoniennes et le modèle marial: Autour de l’ivoire du château Sforza de Milan“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique Iogna-Prat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 109‒135. Die Umwandlung der Marienkirche in ein Benediktinerkloster erfolgte vor 973 (ebd., 112). Aus chronologischen Gründen nicht aufrechterhalten lässt sich die bei Wilson 9 postulierte Möglichkeit, wonach die Entscheidung, griechische Themen zu behandeln, mit dem Besuch der Kaiserin Theophanu in Zusammenhang
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Interessant ist im Proömium des Weiteren der logische Übergang, mit dem es Hrotsvit in ihrer eigenen Bitte um Inspiration gelingt, die Jungfrau gedanklich mit Gott zu verknüpfen. Da Maria den Herrscher des Weltalls in ihrem Schoß getragen hat (V. 29f.), hofft die Dichterin, dass der, der Bileams Eselin geboten hat zu sprechen (Num 22,28), und der dafür gesorgt hat, dass niemand der Mutter seines eigenen Sohnes an Verdienst gleichkommt, nun auch ihr die Zunge zu lösen vermag, damit sie ihm und der Jungfrau ihr Lied singen kann. So wird Hrotsvit es vermeiden, wegen Trägheit verurteilt zu werden, und sich dank der durch die Abfassung ihres Gedichts erworbenen Verdienste eines Tages den klugen Jungfrauen beigesellen können (V. 39–44). Mit diesem etwas gewundenen Gedankengang konstruiert die Verfasserin eine Art Zusammenarbeit zwischen Gott und der Jungfrau, die sich zu ihren Gunsten auswirken soll: Letztere möge ihr beistehen, Ersterer sie inspirieren. Doch während der Verweis auf Bileams Eselin keineswegs ungewöhnlich ist (er ist uns auch schon bei Dhuoda begegnet), ist es durchaus originell, dass Hrotsvit das Gleichnis von den törichten Jungfrauen verwendet, um ihre eigene Entscheidung, Gedichte zu schreiben, zu rechtfertigen, ja nachgerade als unumgänglich darzustellen. Unter Berufung auf das Evangelium gelingt es Hrotsvit somit, ihren nicht autorisierten Akt der Selbstverwirklichung in eine Pflicht umzudeuten, deren Unterlassung schwere Schuld bedingen würde. Bezeichnend für ihre dichterischen Absichten ist auch die Aussage, dass sie einige Episoden weglasse, die nicht wiederholt werden müssten, weil sie sämtlich in den kanonischen Evangelien enthalten seien114 und zudem ihre schwachen Kräfte überstiegen (V. 539). Also übergeht sie diese allseits bekannten Geschichten und beschäftigt sich stattdessen lieber mit Episoden, die in der Kirche seltener Beachtung finden (V. 540–542). Derartige Erwägungen sind ein Topos, der in den Apokryphen häufig vorkommt,115 hier aber auch dazu dient, die Auswahlkriterien der Autorin und ihre Bevorzugung der nicht-kanonischen Texte zu begründen. Den Rückgriff auf apokryphe Quellen hatte Hrotsvit vorsichtshalber auch schon im Vorwort zu den Verslegenden gerechtfertigt: Wenn man mir aber vorwirft, ich hätte nach Einschätzung gewisser Leute [Hervorhebung von mir] manches, das dies Werk enthält, aus den Apokryphen gewählt, so habe ich das nicht mit Bedacht, sondern nur aus Unwissenheit gemacht. zu bringen sei, die allerdings erst 973 und damit deutlich nach der Zeit, in der Hrotsvit ihre beiden ersten Bücher verfasst hat, nach Deutschland gekommen ist. 114 V. 538: Haec evangelici demonstrant cuncta libelli (Berschin 23). Tatsächlich eliminiert Hrotsvit, ohne ihre Leser davon in Kenntnis zu setzen, auch die in ihrer Quelle überlieferte Erprobung der bitteren Wasser, die in den kanonischen Schriften fehlt, in Ps.-Mt 12 (CCSA 9,392–409) dagegen enthalten ist. 115 Darauf hat bereits Strecker, Hrotsvits Maria, 5f., in Bezug auf V. 538‒542 hingewiesen.
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Denn ich wußte nicht, als ich begann und den Faden zu dieser Legendenreihe spann, daß man Zweifel hegt über den Stoff, den ich meiner Arbeit zugrundegelegt. Als ich dann davon gehört, habe ich sie trotzdem nicht zerstört, da das, was man heute als falsch schilt, vielleicht später wieder als echt gilt.116
Hrotsvit bietet nacheinander zwei Begründungen an. In der ersten beruft sie sich auf ihre anfängliche Unwissenheit, aus der heraus sie die nicht-kanonischen Texte für glaubwürdig gehalten habe. In der zweiten erklärt sie, dass sie ihre Gedichte, auch nachdem sie von der fragwürdigen Echtheit ihrer Quellen erfahren habe, nicht habe vernichten wollen, weil sich ja eines Tages herausstellen könne, dass die von ihr benutzten Texte eben doch die Wahrheit enthielten. Gewicht und Sinn dieser Aussagen sind nicht einfach zu beurteilen, doch eines ist offensichtlich: Obwohl sie noch am Anfang steht und wiederholt ihre Bescheidenheit bekundet, ist Hrotsvit vom Wert ihrer Schriften so überzeugt, dass sie beschließt, sie in Umlauf zu bringen und den Gelehrten zur Beurteilung vorzulegen.117 Ihnen gegenüber muss sie die Verwendung der Apokryphen rechtfertigen, und sie tut dies, indem sie deren Unglaubwürdigkeit relativiert („nach Einschätzung gewisser Leute“) und darauf hinweist, dass man in Zukunft womöglich zu einem anderen Urteil kommen wird. Man hat dieser Aussage insofern einen eher rhetorischen als empirischen Wahrheitsgehalt zugeschrieben, als Hrotsvit – die die Zuverlässigkeit ihrer Quellen nicht mit Sicherheit annehmen kann ‒ die objektive Wahrheit durch die Wahrheit ihrer Absichten ersetze.118 Doch vielleicht gibt es eine einfachere Erklärung. Hrotsvits Erwägungen spiegeln jenseits ihrer professionellen Verwendung der Rhetorik auch Meinungen wider, die im Rahmen der lebhaften Debatte über die Apokryphen und die Zulässigkeit ihres liturgischen Gebrauchs – insbesondere im Hinblick auf die marianischen Schriften und Überlieferungen ‒ auch innerhalb der Kirche vertreten wurden.119 Die Kirche war nicht nur 116 Man. I, praef. 3f.: Si autem obicitur quod quaedam huius operis iuxta quorundam estimationem sumpta sint ex apocrifis non est crimen presumptionis iniquae sed error ignorantiae quia quando huius stamen seriei ceperam ordiri ignoravi dubia esse in quibus disposui laborare. At ubi recognovi pessumdare detrectavi quia quod videtur falsitas forsan probabitur esse veritas (Berschin 1; Homeyer 64). 117 Vgl. zu diesem Punkt neben Dronke, Women Writers, 65‒68, neuerdings auch Scheck, Reform, 134f. 118 Katharina M. Wilson, Hrotsvit of Gandersheim: The Ethics of Authorial Stance (DMTS 7; Leiden: Brill, 1988), 5. 119 Antonio Acerbi, „Gli apocrifi tra ,auctoritas‘ e ,veritas‘“, in La Bibbia nel Medioevo (hg. v. Giuseppe Cremascoli und Claudio Leonardi; CBSt 16; Bologna: Ed. Dehoniane, 1996), 109‒139; zu der Mitte des 9. Jh. zwischen Hinkmar von Reims und Ratramnus entbrannten Polemik (Ersterer befürwortete die liturgische Verwendung des Ps.-Mt-Evangeliums und des Transitus Mariae) und zum Gewicht des pseudogelasianischen Dekrets, das die Apokryphen zu den libri non recepti zählt, s. insbes. 121‒129.
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uneins, was die Notwendigkeit betraf, die Apokryphen aus dem Kreis der erlaubten Schriften auszuschließen, sondern hatte ihre ikonographische Verwendung in Einzeldarstellungen oder Bilderzyklen sogar gefördert. Einige Episoden – vom Engel, der die kleine Maria ernährt, bis hin zur Verkündigung am Brunnen, von der Jungfrau, die den purpurnen Faden spinnt, bis hin zur ungläubigen Hebamme ‒ sind bereits zwischen dem 5. und 6. Jh. belegt.120 In größerer zeitlicher Nähe zu Hrotsvit lässt sich das Interesse an apokryphen Geschichten über die Jungfrau sowohl am Bilderzyklus über Joachim und Anna, mit dem Leo III. (795‒816) Anfang des 9. Jh. die Wände von St. Paul hat ausschmücken lassen,121 als auch am marianischen Zyklus in S. Vincenzo al Volturno und an den Fresken in der Kirche S. Maria in Castelseprio belegen, die spätestens in der ersten Hälfte des 10. Jh. entstanden sind. Sie weisen der Jungfrau eine zentrale Rolle zu und stellen zum Teil Szenen aus ihrer Kindheit dar.122 Man muss sich also nicht allzu sehr über die Verwendung apokrypher Quellen wundern oder sich fragen, warum Hrotsvit gerade sie und nur sie gewählt und ihnen den Vorzug vor den kanonischen Texten gegeben hat. Diese Bevorzugung lässt sich zum Beispiel leicht mit der besonderen Rolle der hagiographischen Lectiones im benediktinischen Offizium erklären.123 Im Fall der Verslegende Maria können wir zudem die Übereinstimmung zwischen dem benediktinischen Modell und dem Leben der Jungfrau im Tempel sowie die Tatsache anführen, dass sich hier eine Gelegenheit bot, die Voraussetzungen eines im Dienst Gottes gelebten Lebens ausführlicher und detaillierter zu erörtern.124 Es ist aber auch nicht zu Unrecht darauf hingewiesen worden, dass das Bild der Jungfrau, die den Purpur spinnt (V. 362f.), auf die Gewebe 120 Louis Réau, Iconographie de l’art chrétien (3 Bde; Paris: Presses Universitaires de France, 1955–1959), 2.1:167, erwähnt die Darstellung der kleinen Maria, die von einem Engel genährt wird, auf einer gravierten Marmorplatte in Saint-Maximin in der Provence (5. Jh.); ferner (ebd., 2.1:178) eine byzantinische Elfenbeinarbeit aus Mailand mit der Jungfrau am Brunnen (6. Jh.). Maria bei der Spinnarbeit (ebd., 2.1:179) ist auf dem Mosaik in S. Maria Maggiore (5. Jh.) und auf der elfenbeinernen Maximianskathedra in Ravenna (6. Jh.) zu sehen. Von den beiden Hebammen wird die ungläubige Salome seit dem 6. Jh. (ebenfalls auf der Maximianskathedra), Zelomi hingegen erst seit der 2. Hälfte des 11. Jh. dargestellt, vgl. Hélène Toubert, „La Vierge et les sages-femmes. Un jeu iconographique entre les évangiles apocryphes et le drame liturgique“, in Marie: Le culte de la Vierge dans la société médiévale (hg. v. Dominique Iogna-Prat, Éric Palazzo und Daniel Russo; Paris: Beauchesne, 1996), 327‒360; 335. 121 Gijsel, „Zu welcher Textfamilie“, 288. 122 So die Rekonstruktion von Paula D. Leveto, „The Marian Theme of the Frescoes in S. Maria at Castelseprio“, ArtB 72/3 (1990): 393‒413. 123 Wilson 1. 124 Vgl. Scheck, Reform, 144: „Mary provides a model for monastic women“. Vgl. auch Stephen L. Wailes, „The Sacred Stories in Verse“, in A Companion to Hrotsvit of Gandersheim (fl. 960): Contextual and Interpretative Approaches (hg. v. Phyllis R.
Die Bibel bei Dhuoda und Hrotsvit
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aus purpurner und goldener Seide anspielen könnte, die für die prunkvolle ottonische Hofhaltung angefertigt wurden.125 Und darin wiederum deutet sich ein weiterer, weniger frommer, sondern eher profaner Grund an, der die Wahl des Themas und der Quellen schon in Maria ‒ dem Erstlingswerk einer debütierenden Autorin, die gleichwohl bereits über eine ausgeprägte Persönlichkeit verfügt ‒ beeinflusst haben könnte: eine Lust zu fabulieren, zu erzählen und zu unterhalten, die sich nicht in der Umsetzung einer didaktischen Absicht erschöpft. Hrotsvit wird von ihrer gelehrten Äbtissin ermutigt und findet ihre LeserInnen voraussichtlich nicht nur unter den Stiftsdamen von Gandersheim, sondern auch bei Hofe. Von dort statten nämlich Persönlichkeiten wie der Kölner Erzbischof Bruno (Bruder und Kanzler Ottos I. und glühender Bewunderer des Terenz), Rather von Verona oder Liutprand von Cremona dem Stift längere oder kürzere Besuche ab. Hrotsvit entdeckt das literarische Schaffen nicht nur als Möglichkeit der Erbauung, sondern auch als einen Weg, ihre schriftstellerischen Gaben zur Geltung zu bringen.126 Dies ist eines der Merkmale, die Hrotsvit insofern mit Dhuoda verbinden. Beide sind als Aristokratinnen zwar einerseits stets bereit, ihre weibliche Unterlegenheit zu betonen, verzichten aber andererseits nie auf das Recht und Privileg, selbst zu entscheiden, auf welche Texte sie sich stützen und welche moralischen Lehren sie daraus ziehen wollen. So gesehen drängt sich der Verdacht auf, dass ihnen die kanonischen und apokryphen Schriften – wir wissen nicht, ob oder in welchem Maße bewusst oder unbewusst – auch als vornehmer Vorwand gedient haben könnten. Während Dhuoda die Bibel verwendet, um ihren erzieherischen Ratschlägen Autorität zu verleihen, findet Hrotsvit in den biblischen Apokryphen – nicht mehr und nicht weniger als in den hagiographischen Legenden – erbauliche (und nicht immer ganz unanstößige) Themen, die es ihr erlauben, moralische Lehren zu formulieren. Es gelingt ihr, ohne darauf verzichten zu müssen, ihre Talente unter Beweis zu stellen, ein Werk, das das Interesse der LeserInnen weckt und sie auf angenehme Weise unterhält.
Brown und Stephen L. Wailes; Brill’s Companions to the Christian Tradition 34; Leiden: Brill, 2013), 85‒120; 95‒103. 125 Jane Stevenson, „Hrotsvit in Context: Convents and Culture in Ottonian Germany“, in A Companion to Hrotsvit of Gandersheim (fl. 960): Contextual and Interpretative Approaches (hg. v. Phyllis R. Brown und Stephen L. Wailes; Brill’s Companions to the Christian Tradition 34; Leiden: Brill, 2013), 35‒62; 47. 126 Zu Hrotsvit und ihrem Publikum vgl. zuletzt Linda A. McMillin, „The Audiences of Hrotsvit“, in A Companion to Hrotsvit of Gandersheim (fl. 960): Contextual and Interpretative Approaches (hg. v. Phyllis R. Brown und Stephen L. Wailes; Brill’s Companions to the Christian Tradition 34; Leiden: Brill, 2013), 311‒327.
Die Rezeption biblischer Texte und ihre normierende Wirkung auf Ehe, Ehebruch und Ehescheidung vom 7. bis 11. Jahrhundert Ines Weber Katholische Privat-Universität Linz
1.
Die Sündhaftigkeit des Menschen
Mit der folgenden Schenkungsformula aus dem 9. Jh. überschrieb der Bräutigam seiner Braut die Braut- bzw. Ehegabe, damit sie sie gemeinsam nutznießen konnten: Der höchste und unaussprechliche Vater, dessen über allem waltendes Wesen durch die Ursprünglichkeit seiner Natur auch die Atome selbst und das Leere durchdringt, […] dieses höhere Wesen gewährt durch die ihm innewohnende Gestalt alles Guten, […] und durch seine ebenfalls ewige und wesensgleiche Weisheit einen glanzspendenden Wohnraum himmlischer Erhabenheit an je zweimal fünf Reihen geistiger Scharen, die zum Lob und Ruhm seines Namens geschaffen sind. Diese Engelschöre feinsinnigster Natur werden alle gemäß dem Willen ihres Schöpfers jeweils anderen Diensten zugeordnet und durch Ehrengaben ausgezeichnet. […] Wahrlich jener Chor, der wegen der Erlauchtheit, die er bei der Schöpfung dank göttlicher Freigiebigkeit erhalten hatte, den Namen Luzifers angenommen hatte, blähte sich in Selbstbewunderung auf, indem er vergaß, sich nach der Vorzüglichkeit seines Schöpfers umzublicken und Ehrfurcht vor dessen Erhabenheit zu empfinden. Ohne Verzug stürzte dieser in den Abgrund der Hölle […]. So, wie man liest, kehrten die übrigen Scharen des Himmels – erschreckt durch das Verderben und den Untergang der Frevelhaften, weil sie fürchteten, in ähnlicher Weise zu fallen – dermaßen vom Scheideweg der Freiheit zur unvollendeten und einfachen Haltung der Güte ab, dass sie von der Neigung zum Sündigen nicht mehr berührt werden konnten. Aus diesem Grund also wird erzählt, dass das Geschlecht des Menschen seinen Anfang genommen habe, damit es durch Gehorsam zum Ruhm voranschreite, welchen der Hochmütige [d. h. Luzifer] wegen unheilbarer Schuld verloren hatte. Hierbei ist es aber nicht so zu verstehen, dass der gute Lenker aller Geschöpfe die Vermehrung des menschlichen Geschlechts so haben wollte, dass die Männer zügellos alle beliebigen Frauen missbrauchen, sondern dass zwischen Mann und Frau die Treue der Ehe bewahrt werde, da er den zuerst Geschaffenen [d. h. Adam] nicht mit mehreren, sondern nur mit einer verlobt hatte; denn er hat durch denselben Heiligen und Weisen hierzu gesagt: „Der Mann wird seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich an seine Ehefrau binden, und sie werden zwei in einem
Bibelrezeption und ihre normierende Wirkung
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Fleisch sein“. Folglich verbietet derjenige – der einen Mann mit einer Jungfrau verlobt und beschließt, dass sie zwei in einem Fleisch sein sollen – den Eingriff eines Dritten oder einer Dritten und bekämpft ihn/sie wegen der Zwietracht, die er [d. h. der Dritte] zwischen beiden gestiftet hat. Dieses wird aber auf dermaßen ausdrückliche Erklärungen des Neuen und Alten Testamentes gestützt, dass es durch unsere Argumente nicht mehr bekräftigt zu werden braucht […].1
Es sind verschiedene Aspekte, die den Leser, der an Fragen der Bibelrezeption im Kontext der normativen Texte2 des frühen Mittelalters interessiert ist, aufmerken lassen. Zunächst einmal erstaunt schon die Erzählung von der Erschaffung des Menschen. Entgegen verschiedener anderer Formulae, die dieselbe allein aus den Erzählungen der Genesis (Gen 1,27f. sowie 2,18–24) schöpfen,3 wurde hier der Ausgangspunkt beim Engelsturz gesucht. In dieser Vorstellung hatte Gott zunächst die Engel erschaffen, von denen ein Teil 1
2 3
Formulae extravagantes I,13 (MGH.L 5,1,541f.): Summus et ineffabilis pater, cuius super essentia ipsas etiam athomos et inane principalitate naturae percurrit […] per insitam sibi, quamvis non temporaliter, totius boni formam, per coeternam videlicet ac consubstantialem sapientiam, bis quinis spiritualium catervarum ordinibus ad laudem et gloriam nominis sui conditis, caelicae sublimitatis splendifluum prestitit habitaculum. Illi vero subtilissimae naturae angelici chori secundum beneplacitum Creatoris sui, aliis alii dispositi ministeriis et honorum decorati donariis […]. Verum chorus ille, qui ob claritatem, quam ex divina munificentia creando susceperat, nomen accepit Luciferi, dum sui Conditoris excellentiam respicere maiestatemque revereri non meminit, sese mirans intumuit. Nec mora, luculento habitu viduatus, in voraginem baratri omni turpitudine defuscatus corruit. Tunc caetera celicorum agmina discrimine ac ruina scelestorum perculsa, dum similem casum timuerunt incurrere, de bivio libertatis imperfectum et simplicem bonitatis habitum sic leguntur evasisse, ut nequaquam amplius affeccio peccandi posset eos attingere. Ea igitur causa genus humanum sumpsisse perhibetur originem, ut obediendo proficisceretur ad gloriam, quam superbus amiserat ob inremediabilem culpam. Cuius generis propaginem non sic intelligitur amplificari voluisse bonus omnis creaturae Dispositor, ut licenter quibuslibet viri mulieribus abuterentur, sed inter marem ac feminam fides servaretur coniugii, cum protoplasto non plures, sed unam desponsaverit; cum per eundem sanctum adhuc et sapientem dixerit: ‚Relinquet homo patrem suum et ma trem et adherebit uxori suae, et erunt duo in carne una‘. Qui ergo uni viro virginem unam despondit quique duos in carne una constituit, subtiliter interventionem tercii vel terciae propter duorum discidium arguens interdicit. Verum istud tantis Nove Legis et Vetustae nititur assertionibus, ut nostris argumentis firmari non indigeat. […]. Dt. Übersetzung: Ines Weber, Ein Gesetz für Männer und Frauen: Die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur (2 Bde; MittelalterForschungen 24; Ostfildern: Thorbecke, 2008), 2:139–143 (im Folgenden: Weber). Dazu zählen neben den Formulae auch die Konzilien, Kapitularien, Bußbücher sowie Leges. Vgl. Ines Weber, „Die Bibel als Norm! Eheschließung und Geschlechterverhältnis im frühen Mittelalter zwischen biblischer Tradition und weltlichem Recht“, in Geschlechterverhältnisse und Macht: Lebensformen in der Zeit des frühen Christentums (hg. v. Irmtraud Fischer und Christoph Heil; exuz 21; Münster: LIT Verlag, 2010), 257–304.
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seinem Gehorsam nicht folgte, sondern sich über Gottes Güte erhob und deshalb von ihm in die Hölle gestürzt wurde. Die übrigen Engelschöre besannen sich daraufhin eines Besseren und entschieden sich, Gott die Treue zu halten. Dennoch wollte Gott seine Schöpfung offenbar nicht so unvollkommen belassen und beschloss, den Menschen zu schaffen. Dieser sollte – anders als die gefallenen Engel – durch Gehorsam zum Ruhm kommen. Das konnte vor allem dadurch geschehen, dass Mann und Frau in der Ehe ihr Leben lang einander treu blieben und dass vor allem die Männer zur Monogamie verpflichtet wurden.4 Im Hintergrund dieser Beschreibungen stand jenes Verständnis von der Ehe, innerhalb dessen Mann und Frau als gleichwertige und einander ebenbürtig geschaffene Wesen aufeinander verwiesen waren und überhaupt nur zur „Vollendung der Schöpfungsabsicht Gottes“ gelangten, „wenn sie sich in der Ehe verbanden, einander treu waren und sich die Liebe erwiesen.“5 Schließlich hatte der Mann – so die Formel weiter – Vater und Mutter verlassen, um sich an seine Frau zu binden, sodass die beiden ein Fleisch wurden (Gen 2,24). Dieses eine Fleisch aber durfte unter keinen Umständen zerstört werden. Folglich verbot Gott selbst „den Eingriff eines Dritten oder einer Dritten und bekämpfte ihn/sie wegen der Zwietracht, die er [d. h. der Dritte] zwischen beiden gestiftet hat.“ Ausdrücklich auf die Sichtweisen des AT wie des NT gestützt waren demnach sowohl Mann als auch Frau zur ehelichen Treue verpflichtet.6 In der Konsequenz verfügte diese Formel genauso wie die übrigen normativen Texte des frühen Mittelalters über ein äußerst positives Ehe- sowie Geschlechterbild. Denn immer wieder ist auch bei anderen Autoren zu lesen, dass die Ehe höchstes Gut sei, weil sie von Gott selbst eingerichtet und gesegnet worden war.7 In dieser Formel jedoch erschienen Mann und Frau sogar in einem äußerst positiven Licht, weil Gott dem Menschenpaar genauso wie den Engeln grundsätzlich zugetraut hatte, das Gute zu wählen. Wie in einem solchen System das Verständnis vom Ehebruch verwurzelt war und wie es mit einem ganzen Konglomerat an biblischen Argumentationen untermauert wurde, ist in der bisherigen Forschungsliteratur nur anfänglich wahrgenommen worden.8 So ist zwar die Ehetheologie des 9. Jh. in ihren Grundzügen diskutiert9 und verschiedentlich auf die Rezeption der mat4 Vgl. Formulae extravagantes I,13 (MGH.L 5,1,541f.). 5 Vgl. Weber, „Bibel“, 301. 6 Vgl. Formulae extravagantes I,13 (MGH.L 5,1,541f.; Weber 2:139–143). 7 Vgl. Hans-Werner Goetz, Frauen im frühen Mittelalter: Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich (Köln: Böhlau, 1995), 168–196; insbes. 168.178.191. 8 Vgl. Philip L. Reynolds, Marriage in the Western Church: The Christianization of Marriage During the Patristic and Early Medieval Periods (SVigChr 24; Leiden: Brill, 1994), 315–419. 9 Vgl. Goetz, Frauen, 168–196; Reynolds, Marriage, 315–419; Ders., „Marrying and Its Documentation in Pre-Modern Europe: Consent, Celebration, and Property“,
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thäischen Unzuchtsklauseln, des porneia-Gedankens des Paulus sowie des kultischen Reinheitsdenkens des AT verwiesen worden.10 Auch ist die zum Teil aus den neutestamentlichen Schriften abgeleitete Verquickung von Ehebruch, Scheidung und Trennung benannt worden.11 Ebenso wurde die Vielfältigkeit des Vergehens vor dem Hintergrund der speziellen gesellschaftlichen Situation des frühen Mittelalters sowie der dort grundgelegten rechtlichen Handlungsmöglichkeiten der betroffenen Akteure im Kontext der spezifischen Kommunikationssituationen der entsprechenden Texte bereits an anderer Stelle erläutert.12 Aber in welchem Ausmaß biblische Texte innerhalb der Argumentationen um den Ehebruch aufgegriffen, zu welchem Zweck sie eingesetzt wurden, und auf welche Weise sich ein ganzes Normengerüst etablieren konnte, ist bislang unberücksichtigt geblieben. Daher soll im Folgenden das Verbot des Ehebruchs in seiner Bandbreite und im Wissen um ein breites biblisches Erbe vor dem Hintergrund des eingangs genannten Ehebildes ausgeleuchtet werden. Weltliche sowie biblische Argumentationslinien sollen erschlossen und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dazu bedarf es zunächst eines kurzen Blickes auf die Eheschließungsvorschriften selbst.
in To Have and to Hold: Marrying and its Documentation in Western Christendom, 400–1600 (hg. v. dems. und John Witte; Cambridge: Cambridge University Press, 2007), 1–42; 16; Ders., „Dotal Charters in the Frankish Tradition“, in To Have and to Hold: Marrying and its Documentation in Western Christendom, 400–1600 (hg. v. dems. und John Witte; Cambridge: Cambridge University Press, 2007), 114–164; 114–132. 10 Vgl. Hubertus Lutterbach, Sexualität im Mittelalter: Eine Kulturstudie anhand von Bußbüchern des 6. bis 12. Jahrhunderts (BAKG 43; Köln: Böhlau, 1999), 96– 106.122–149; Weber 1:151–191. 11 Vgl. Goetz, Frauen, 168–196; Lutterbach, Sexualität, 96–106.122–149; Weber 1:151–191; Karl Ubl, Inzestverbot und Gesetzgebung: Die Konstruktion eines Verbrechens (300–1100) (Millennium-Studien 20; Berlin: de Gruyter, 2008); Ders., „Doppelmoral im karolingischen Kirchenrecht? Ehe und Inzest bei Regino von Prüm“, in Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900 (hg. v. Wilfried Hartmann; Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 69; München: Oldenbourg, 2007), 91–124; 95–102. – Vgl. Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theutberga reginae (MGH.Conc. 4 Suppl. 1) und dazu Letha Böhringer, „Gewaltverzicht, Gesichtswahrung und Befriedung durch Öffentlichkeit: Beobachtungen zur Entstehung des kirchlichen Eherechts im 9. Jahrhundert am Beispiel Hinkmars von Reims“, in Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung: Gerichtliche und außergerichtliche Strategien im Mittelalter (hg. v. Stefan Esders; Köln: Böhlau, 2007), 255–289. 12 Vgl. Weber 1:151–191; Wolfgang Graf, Der Ehebruch im fränkischen und deutschen Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung des weltlichen Rechts (Diss., Würzburg, 1982).
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2.
Das Ehebruchverständnis der normativen Texte des 7. bis 12. Jahrhunderts
2.1
Normen der Eheschließung
Mit dem oben genannten Eheverständnis korrespondierten auch die Eheschließungsvorschriften, die sich den spezifischen Gruppenbeziehungen des frühen Mittelalters entsprechend entwickelt hatten und zu denen vier wesentliche Elemente gehörten, ohne die – von einigen Ausnahmen abgesehen – die Ehe nicht als rechtmäßig geschlossen galt. Da ist zunächst der Konsens aller Beteiligten, womit sowohl die Zustimmung von Braut und Bräutigam als auch die der jeweiligen Eltern bzw. Verwandten gemeint war. Sodann wurde – zumindest in den vermögenden Kreisen – eine Braut- bzw. Ehegabe übertragen, die der Witwenversorgung nach dem Tod des Ehemannes diente, zunächst jedoch die neu gegründete eheliche Gemeinschaft finanziell unabhängig machen sollte. Schließlich musste die Eheschließung öffentlich erfolgen und bestimmten Formvorschriften genügen, wozu unter anderem jener schriftliche Schenkungsvertrag gehörte, der eingangs genannt worden ist.13 Alle diese Elemente wurden zum einen mit den weltlichen Formvorschriften gerechtfertigt, zum anderen jedoch dezidiert in die biblische Tradition gestellt und vornehmlich mit den beiden Schöpfungstexten der Genesis sowie mit den Ausführungen des Tobitbuches begründet.14 Folglich wurden zum einen alle am Eheschließungsgeschehen beteiligten Personen gleich behandelt, und zudem wurde auch die Frau, der in der frühmittelalterlichen Gesellschaft zunächst einmal keine öffentlich rechtswirksamen Handlungen zugestanden wurden, ins Geschehen mit einbezogen und dadurch abgesichert.
2.2
Der Ehebruch
Vor dem Hintergrund dieses spezifischen Eheschließungsverfahrens entwickelte sich im frühen Mittelalter eine ganz eigene Definition von dem, was als Ehebruch zu gelten hatte. Ehebruch war weit mehr als nur ein außereheliches Geschlechtsverhältnis, weil grundsätzlich jegliches Handeln, das gegen das rechtmäßige Eheschließungsgeschehen verstieß, als unerlaubte Geschlechtsbeziehung, als adulterium oder als fornicatio gebrandmarkt wurde. Ausgehend vom ehelichen Konsensgeschehen entstand mit juristischen Kategorisierungen und theologischen Argumenten aus der Bibel, näherhin mit ausgewählten Stellen des AT und des NT, ein konsistentes Bild von dem, was 13 Vgl. Weber 1:47–63.83–150. 14 Vgl. Dies., „Bibel“, 284–304.
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als unerlaubte außereheliche Geschlechtsbeziehung in der frühmittelalterlichen Gesellschaft galt. Denn Ehebruch „verurteilt nicht nur das Gesetz“, also das weltliche, „sondern auch die Autorität des Evangeliums verbietet gänzlich, dass es geschieht.“15 Verfolgen wir zunächst die Spur der juristischen Argumentationen. Im frühen Mittelalter galten zunächst einmal grundsätzlich alle Personen, die am Eheschließungsgeschehen beteiligt waren und gegen das Konsensgeschehen verstießen, als Ehebrecher: a) So wurden jene Brautleute als Ehebrecher bezeichnet, die eine Ehe oder auch ein Geschlechtsverhältnis initiierten, ohne zuvor die nötige Zustimmung aller Parteien eingeholt zu haben,16 weil niemand eine Ehefrau „gegen den Willen der Eltern/Verwandten“17 (contra parentum voluntatem) heiraten und keine Person ein Geschlechtsverhältnis eingehen durfte, ohne zuvor „von den Eltern/Verwandten ehelich verbunden worden“18 (a parentibus sociata) zu sein. Denn dieses Verhalten – so argumentiert auch Burchard von Worms zu Beginn des 11. Jh. – muss als Ehebruch angesehen werden, weil derjenige, der das getan hat, „eine Jungfrau geschändet“ (corrupisti virginem) und damit die rechtmäßige „Hochzeit verletzt“ (nuptias violasti) hat, ungeachtet dessen, ob er „dieselbe später geheiratet“ hat (eamdem suscepisti uxorem).19 b) Darüber hinaus – und das ist erstaunlich, aber als Folge des Eheschließungsvorgangs im frühen Mittelalter konsequent – galten all jene Personen, die ohne den Rückhalt der übrigen Verwandtschaft entweder einem außerehelichen Geschlechtsverhältnis oder gar einer Eheschließung zugestimmt haben (consentire), als Ehebrecher. Denn „die Verwandten, die bei dem Beschluss dabei gewesen sind, sollen dasselbe Urteil erdulden“ (et cognati, qui illi consilio interfuerit, patiantur eandem sententiam) wie
15 Hrabanus Maurus, Poenitentium liber ad Otgarium 3 (PL 112,1406a; Weber 2:279): Adulterium autem non solum lex damnat, sed etiam evangelica auctoritas omnino fieri vetat. 16 Vgl. Lex Visigothorum III,4,7 (MGH.LNG 1,150): […] Si puella vel vidua ad domum alterius pro adulterio venerit, eamque vir ipse habere coniugem vellit. Si puella ingenua sive vidua ad domum alienam adulterii perpetratione convenerit, et ipsam ille uxorem habere voluerit, et parentes, ut se habeant, adquiescant: ille pretium det parentibus, quantum parentes puelle vellint, vel quantum ei cum ipsa muliere convenire potuerit. Mulier vero de parentum rebus nullam inter fratres suos, nisi parentes voluerint, habeat portionem; III,4,15 (MGH.LNG 1,156; Weber 2:43); Edictus Rothari 189 (MGH.FU 2,39; Weber 2:57–59); Paenitentiale Vindobonense B 30,7 (Meens 400; Weber 2:255). 17 Vgl. Ghärbald von Lüttich II,4 (MGH.CE 1,27; Weber 2:203); Capitula Silvanectensia prima (830–840?) 5 (MGH.CE 3,81; Weber 2:205–207). 18 Vgl. Lex Baiuvariorum VIII,8 (MGH.LNG 5,2,357; Weber 2:87). 19 Burchard von Worms, Decretorum lib. XIX,5 (PL 140,958c; Weber 2:325).
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die Brautleute selbst.20 Demnach widerfuhr den Verwandten in der Regel dieselbe, allenfalls noch eine nur wenig geringere Bußleistung als Mann und Frau selbst. c) In Fortführung eben dieses Eheverständnisses galten verlobte, verheiratete und auch verwitwete Personen, die ihren Partner entlassen und sich mit einem anderen verbunden hatten, ohne die Verträge rechtsgültig aufgehoben zu haben, ebenfalls als Ehebrecher.21 Wenn eine Ehe überhaupt aufgelöst werden konnte, dann in der Regel nur mit Zustimmung aller Beteiligten. Eine der wenigen Ausnahmen war der noch zu behandelnde Fall der Unzucht.22 d) Zwangsläufig wurden dieselben Personen als Ehebrecher bezeichnet, wenn sie ein außereheliches Geschlechtsverhältnis unterhielten.23 Das galt selbst für verlobte Partner. Denn die Zustimmung zur Eheschließung machte die Ehe verbindlich; damit war sie geschlossen,24 was dazu führte, dass z. B. die „Tochter eines freien Burgunders“ (Burgundionis ingenui filia) den Leges Burgundionum zufolge zu verurteilen war, weil sie sich, noch „bevor sie einem Ehemann übergeben“ worden war (priusquam marito tradatur), mit einem beliebigen Mann „insgeheim durch die Schändlichkeit des Ehebruchs verbunden“ hatte (occulte adulterii se foeditate 20 Vgl. Paenitentiale Pseudo-Egberti II,8 (Wasserschleben 325; Weber 2:229); Paenitentiale Hubertense 9 (CCSL 156,16.20; Weber 2:237); Paenitentiale Merseburgense b 23 (CCSL 156,175f.; Weber 2:243–245); Hrabanus Maurus, Poenitentium liber ad Otgarium 3 (PL 112,1406c–d; Weber 2:279–281); Lex Visigothorum III,3,11 (MGH.LNG 1,144f.; Weber 2:41). 21 Vgl. Paenitentiale Silense 157 (CCSL 156A,32; Weber 2:303): Qui dimiserit uxorem suam et duxerit aliam […], […] a communione fidelium abstinendus; Confessionale Pseudo-Egberti 19 (Wasserschleben 308f.; Weber 2:321); Paenitentiale Silense 155 (CCSL 156A,31; Weber 2:303); Decretum Vermeriense (756) 8 (MGH.CRF 1,40f.; Weber 2:177); vgl. die Texte in Anm. 42. 22 Vgl. unten S. 292–294; zu weiteren Fällen der Ehetrennung vgl. Weber 1:47–85. 23 Vgl. Paenitentiale Pseudo-Egberti II,7 (Wasserschleben 324): im vorliegenden Fall erhalten Mann und Frau exakt die gleiche Bußstrafe auferlegt; Paenitentiale Merseburgense a Me1 11 (CCSL 156,129); W10 12 (ebd.); Paenitentiale Vallicellanum (C. 6) 20 (Schmitz 360); Paenitentiale Finniani 51 (SLH 5,92; Columban, Paenitentiale Columbani 16 (SLH 2,176); Paenitentiale Oxoniense I,10 (CCSL 156,23); Paenitentiale Vallicellanum I,15 (Schmitz 267); Paenitentiale Casinense 17 (Schmitz 404); Paenitentiale Silense 165 (CCSL 156A,32); Lex Visigothorum III,4,12 (MGH. LNG 1,151f.); Konzil von Worms (868) 39 (MGH.Conc 4,279); Paenitentiale PseudoRomanum 14 (Schmitz 476); Appendix Me1 148 (CCSL 156,165); Lex Visigothorum III,4,3 (MGH.LNG 1,148); Paenitentiale Pseudo-Gregorii 4 (Kerff 161–188; 169f.); Paenitentiale Silense 161 (CCSL 156A,32). 24 Weber 1:86–92; vgl. Dies., „,Wachset und mehret euch‘. Die Eheschließung im frühen Mittelalter als soziale Fürsorge“, in Ehe – Familie – Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt (hg. v. Andreas Holzem und Ines Weber; Paderborn: Schöningh, 2008), 145–180; 150–152.
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coniuncxerit, occulte adulterii se foeditate coniuncxerit).25 Gleichzeitig galten aber auch all jene Personen als Ehebrecher, die ein Geschlechtsverhältnis zu einer verlobten, verheirateten oder verwitweten Person unterhielten, unabhängig davon, ob sie selbst verheiratet waren oder nicht.26 All diese Taten galten gleichermaßen als außereheliches Vergehen und waren zu büßen. Allein in der Höhe der Bußleistung unterschieden sie sich, da diese unter anderem vom Status der betreffenden Person abhängig war.27 Es sind eben jene Argumente, die schon in der eingangs genannten Formel aus dem 9. Jh. eine Rolle gespielt haben und die auch Burchard von Worms hier nennt: Wird die Paarbeziehung zwischen den Eheleuten durch eine fremde Person aufgebrochen, so handelt es sich um einen Ehebruch. Ist diese Person jedoch selbst verheiratet, kommt noch ein Ehebruch hinzu, nämlich der Bruch der Paarbeziehung zwischen dem 25 Vgl. Leges Burgundionum. Liber Constitutionum 44,1 (MGH.LNG 2,1,74; Weber 2:13); Edictus Rothari 179 (MGH.FU 2,37; Weber 2:53); Lex Visigothorum III,4,2 (MGH.LNG 1,147f.; Weber 2:43). 26 Vgl. Capitula Iudiciorum 7,3 (Meens 442; Weber 2:245–247): Si quis cum uxore alterius adulteraverit […] laicus V ann. paenit., II ex his i.p.e.a.; hii supra scribti a communione priventur. Post actam paenit. reconcilientur ad communionem […]; Paenitentiale Pseudo-Gregorii 4 (Kerff 169f.; Weber 2:295–297); Paenitentiale Pseudo-Egberti II,10 (Wasserschleben 325; Weber 2:229); Paenitentiale Vigilanum 77 (CCSL 156A,10; Weber 2:299); Paenitentiale Silense 128 (CCSL 156A,29; Weber 2:301); Paenitentiale Vallicellanum (C. 6), De fornicatoribus (Schmitz 357; Weber 2:313); Canones Wallici [A] 17 (P XXVII) (SLH 5,38; Weber 2:213–217); Capitula Iudiciorum 7,4 (Meens 442; Weber 2:247); Paenitentiale Sangallense tripartitum 4f. (Meens 330; Weber 2:251); Lex Visigothorum III,4,9 (MGH.LNG 1,150f.; Weber 2:45); Edictus Rothari 212f. (MGH.FU 2,44; Weber 2:63); Lex Baiuvariorum VIII,10 (MGH.LNG 5,2,358; Weber 2:87); Capitulare Olonnense (822/823) 3 (MGH. CRF 1,317; Weber 2:195); Columban, Paenitentiale Columbani 14 (SLH 2,174; Weber 2:213); Paenitentiale Merseburgense b 23 (CCSL 156,175f.; Weber 2:243– 245); Paenitentiale Merseburgense a Me1 8 (CCSL 156,128; Weber 2:263); W10 9 (ebd.); Paenitentiale Floriacense 8 (CCSL 156,15.19; Weber 2:237); Paenitentiale Vindobonense B 29,1 (Meens 396; Weber 2:253); Paenitentiale Vallicellanum I,14 (Schmitz 266; Weber 2:307); Paenitentiale Parisiense simplex 7 (CCSL 156,14.18; Weber 2:235); Concilium Triburiense (895) 5 (MGH.CRF 2,207; Weber 2:169); Lex Visigothorum III,4,1 (MGH.LNG 1,147; Weber 2:41–43); Paenitentiale Vallicellanum (C. 6) 20 (Schmitz 360; Weber 2:313); Lex Visigothorum III,4,14 (MGH.LNG 1,155; Weber 2:47); Decretum Vermeriense (756) 8 (MGH.CRF 1,40f.; Weber 2:177); Columban, Paenitentiale Columbani 16 (SLH 2,176; Weber 2:213). 27 Burchard von Worms, Decretorum lib. XIX,5 (PL 140,957d; Weber 2:325): Moechatus es cum uxore alterius, tu non habens uxorem? XL dies in pane et aqua […] cum septem sequentibus annis poeniteas. Si moechatus es tu uxoratus cum alterius uxore, quia habuisti quodmodo impleres tuam libidinem, duas carinas, cum quatuordecim sequentibus annis poenitere debes, unam quia super uxorem tuam alteram habuisti, ecce unum adulterium: habuisti etiam alterius uxorem, ecce aliud adulterium, et nunquam debes esse sine poenitentia.
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Ehebrecher und seinem Gatten. Der doppelte Ehebruch aber ist auch doppelt so hoch zu büßen. e) An diese Argumentation anschließend mussten auch jene Gatten, die neben dem Ehepartner ein dauerhaftes Verhältnis zu einer anderen Frau oder gar zu einer Konkubine unterhielten, als Ehebrecher gelten.28 All diese Vergehen wurden von biblischen Begründungen flankiert: a) In diesem Sinne verletzte nämlich der verlobte oder verheiratete Partner, wenn er seinen Ehegatten verlassen und einen anderen Gatten geheiratet hatte, die Norm, weil er – auch nach biblischem Recht – „ein Ehebrecher ist“ (adulter est).29 Schließlich – so argumentierte Hrabanus Maurus – war im Evangelium zu lesen: „Wer seine Ehefrau entlassen und eine andere heimgeführt hat, bricht die Ehe“ (Qui dimiserit uxorem suam, et aliam duxerit, moechatur).30 Es ist jenes Jesus zugeschriebene Logion innerhalb des Streitgesprächs mit den Pharisäern, mit dem hier das Ehebruchsvergehen begründet und als sündhaftes Verhalten gebrandmarkt wurde. Dieses Wort, das in den verschiedenen Evangelientraditionen unterschiedlich tradiert ist,31 wurde in den vorliegenden Texten in beiden Varianten rezipiert. Hrabanus dürfte eindeutig die lukanische Version, die als die ursprüngliche gilt,32 vor Augen gehabt haben, wohingegen das Paenitentiale Pseudo-Egberti die markinische Form aufgegriffen hat. Denn genauso wie bei Markus wird das Vergehen hier für beide Geschlechter gleichermaßen durchgespielt: Wenn die „Frau ihren rechtmäßigen Mann verlassen und einen anderen gewählt hat, soll sie desselben Urteils würdig sein“ (si mulier virum suum legitimum deseruerit et alium elegerit, sit eadem sententia digna), sodass es nicht nur der Frau verboten war, den Mann zu entlassen, sondern auch dem Mann die Frau. Beide galten 28 Capitula cum Italiae episcopis deliberata (790/800?) 5 (MGH.CRF 1,202; Weber 2:185): Et hoc etiam scribimus, ut cunctis diligentes inquirat: ut si est homo uxorem habens, et supra ipsa cum alia adulterans et concubinam habuerint, a tali igitur inlicita perpetratione faciat eos cum omni sollicitudine separari; Radulf von Bourges 42 (MGH.CE 1,265; Weber 2:207); Paenitentiale Silense 149 (CCSL 156A,31; Weber 2:303); Liutprandi Leges 104 (MGH.FU 2,125; Weber 2:73); Paenitentiale Casinense 17 (Schmitz 404; Weber 2:309). 29 Vgl. Paenitentiale Pseudo-Egberti II,8 (Wasserschleben 325; Weber 2:229). 30 Vgl. Hrabanus Maurus, Poenitentium liber ad Otgarium 3 (PL 112,1406a–b.c–d; Weber 2:279–281). 31 Vgl. Mk 10,11f.: Et dicit illis quicumque dimiserit uxorem suam et aliam duxerit adulterium committit super eam et si uxor dimiserit virum suum et alii nupserit moechat; Lk 16,18a: Omnis qui dimittit uxorem suam et ducit alteram moechatur; Michael Theobald, „Jesu Wort von der Ehescheidung: Gesetz oder Evangelium?“, ThQ 175 (1995): 109–124; 114f.117. 32 Dieter Zeller, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010), 244.
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als Ehebrecher und über beide wurde „dasselbe Urteil“ (eadem sententia) gesprochen.33 Markus hatte das Jesuswort seiner jüdisch-hellenistischen Gemeindepraxis, in der die Scheidung auch von der Frau ausgehen konnte, entsprechend angepasst.34 Dass das Paenitentiale die markinische und nicht die lukanische Variante aufgriff, könnte darauf hindeuten, dass auch in der sozialen Praxis dieses Kontextes eine Scheidung von Seiten der Frau möglich war. b) In Fortführung dieser Evangelienstellen richtete sich auch das Verhalten der Personen, die einen entlassenen Gatten heirateten, gegen die Norm, „weil“ – unter Bezugnahme auf Mt 5,32b, Mt 19,9b sowie Lk 16,18b35 – „der Herr selbst gesagt hat: ‚Wer eine Entlassene heiratet, bricht die Ehe‘“ (Qui dimissam duxerit, adulterat).36 Das dahinter stehende Argument lautete: Mit einem solchen Verhalten wurde der an sich schon unrechtmäßige Ehebruch, der mit der Entlassung schon eingetreten war, noch weiter fortgeführt. c) Das Gleiche galt für diejenige, die einen Mann ehrenvoll geheiratet, sich dann jedoch von demselben getrennt und daraufhin im Ehebruch verbunden hatte.37 Ob auch der Mann, mit dem sie sich schließlich im Ehebruch verbunden hatte, sich seinerseits bereits ein Ehebruchsdelikt hatte zuschulden kommen lassen und wenn ja, welches, wurde auf der irischen Synode nicht genauer ausgeführt. Die Konzilientexte aus dem 9. Jh. äußern sich diesbezüglich jedoch sehr klar. So war es einem Mann nach dem Tod des Gatten verboten, die Frau zu heiraten, mit der er zu Lebzeiten des Mannes bereits Ehebruch begangen hatte. Eine solch „verfluchenswerte Sache“ (rem execrabilem) musste „von allen Katholiken verabscheut werden“ (catholicis omnibus detestandam). Denn eine derartige Beziehung durfte nicht „mit Recht Ehe genannt werden kann, wodurch die Übel entstehen, die der Apostel aufzählt, welche nämlich sind: Unzucht, Unreinheit, Zügellosigkeit und die Übrigen, zuletzt Giftmischerei und Totschlag“ (iure dici matrimonium potest, per quod oriuntur, quae apo33 Vgl. Paenitentiale Pseudo-Egberti II,8 (Wasserschleben 325; Weber 2:229). 34 Vgl. Theobald, „Jesu Wort“, 114. 35 Vgl. Mt 5,32b: et qui dimissam duxerit adulterat; Mt 19,9b: qui dimissam duxerit moechatur; Lk 16,18b: et qui dimissam a viro ducit moechatur. 36 Vgl. Paenitentiale Hubertense 46 (CCSL 156,113; Weber 2:239); Paenitentiale Merseburgense b 4 (CCSL 156,173; Weber 2:243); Paenitentiale Silense 157 (CCSL 156A,32; Weber 2:303); Ghärbald von Lüttich II,4 (MGH.CE 1,27; Weber 2:203); Capitula Silvanectensia prima (830–840?) 5 (MGH.CE 3,81; Weber 2:205–207); Paenitentiale Oxoniense II,2 (CCSL 156,191; Weber 2:239); Hrabanus Maurus, Poenitentium liber ad Otgarium 3 (PL 112,1406a–b; Weber 2:279–281); Capitula Treverensia (830–900?) 9 (MGH.CE 1,56; Weber 2:207). 37 Synodus I S. Patricii 19 (SLH 5,56; Weber 2:211): Mulier Christiana quae acciperit uirum honestis nuptis et postmodum discesserit a primo et iunxerit se adulter[i,]o, quae haec fecit[,] excommonis sit.
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stolus numerat mala, quae sunt fornicatio, inmunditia, luxuria et cetera, ad ultimum vero veneficia et homicidia).38 Wörtlich den Lasterkatalog in Gal 5,19 zitierend, der sich in ähnlicher Form auch in 1 Kor 6,9f., Eph 5,5 bzw. 1 Kor 5,11 findet, verurteilten die Konzilsväter eine derartige Verbindung in aller Schärfe,39 bis dahin, dass selbst der Tod des ersten Gatten zu keiner rechtmäßigen Eheschließung zwischen den früheren Ehebrechern führen konnte. Was aber war an einer solchen Verbindung so verabscheuungswürdig? Es ist erneut jenes eingangs erläuterte Eheverständnis, das auch hier Grundlage der Argumentation sein dürfte. Erinnern wir uns: Wenn Mann und Frau heirateten, wurden sie zu einem Fleisch, was dazu führte, dass die Verbindung grundsätzlich untrennbar wurde. Jede Person, die jetzt in diese Verbindung eindrang, brach sie auf und verunreinigte sie. Ein solcher „Eingriff eines Dritten“40 war in jedem Fall untersagt. Wurde dann jedoch später sogar an diese unerlaubte Beziehung eine Ehe angeschlossen, so konnte eine solche Verbindung nur die Mischung von Gift sein. d) Schließlich mussten selbst „diejenigen, die andere heimführen, nachdem sie ihre Ehefrau wegen Unzucht weggeschickt haben“, (quod hi, qui causa fornicationis dimissis uxoribus), „nach dem Wort des Herrn als Ehebrecher angesehen werden“ (Domini sententia adulteri esse notentur).41 Zwar war es in der Regel dem unschuldigen Gatten erlaubt, seinen Partner zu entlassen, wenn dieser Ehebruch begangen hatte,42 was mit dem Zitat von
38 Concilium Triburiense (895) 40 (MGH.CRF 2,236f.; Weber 2:171); Concilium Meldense – Parisiense (845/846) 69 (MGH.Conc 3,117; Weber 2:159–161); Lex Visigothorum III,4,12 (MGH.LNG 1,151f.; Weber 2:45); Concilium Triburiense (895) 51 (MGH.CRF 2,241; Weber 2:173). 39 Vgl. Gal 5,19.21c: Manifesta autem sunt opera carnis quae sunt fornicatio inmunditia luxuria. […] quoniam qui talia agunt regnum Dei non consequentur; 1 Kor 6,9f.: An nescitis quia iniqui regnum Dei non possidebunt? nolite errare: neque fornicarii neque idolis servientes neque adulteri neque molles neque masculorum concubitores neque fures neque avari neque ebriosi neque maledici neque rapaces regnum Dei possidebunt; Eph 5,5: Hoc enim scitote intellegentes: quod omnis fornicator aut inmundus aut avarus quod est idolorum servitus non habet hereditatem in regno Christi et Dei; 1 Kor 5,11: Nunc autem scripsi vobis non commisceri si is qui frater nominatur est fornicator aut avarus aut idolis serviens aut maledicus aut ebriosus aut rapax, cum eiusmodi nec cibum sumere. 40 Vgl. Formulae extravagantes I,13 (MGH.L 5,1,541f.; Weber 2:139–143). 41 Concilium Parisiense (829) (69) 2 (MGH.Conc 2,2,671; Weber 2:157). 42 Vgl. Concilium Parisiense (829) (69) 2 (MGH.Conc 2,2,670f.); Judicia Theodori G 185 (Finsterwalder 270); Paenitentiale Vindobonense B 42,11 (Meens 428); Paenitentiale Martenianum 40 (Hörmann 378); Concilium Suessionense (744) 9 (MGH. Conc 2,1,35); Radulf von Bourges 42 (MGH.CE 1,265); die folgenden Texte entscheiden jedoch, dass selbst im Falle der Unzucht der Gatte nicht entlassen werden durfte: Judicia Theodori Ba 40 (Asbach 83); G 67 (Finsterwalder 260).
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Mt 19,9 auch biblisch abgesichert wurde,43 aber einzelne Traditionen erlaubten sogar dem betrogenen Partner die erneute Heirat.44 Andere Traditionen hingegen verboten gerade diese Wiederheirat,45 sodass genau diese Personen, die dem zuwider handelten, in einzelnen Texten als adulteri bezeichnet wurden.46 Wie lautete die Begründung? „Denn auch wenn im Text des Evangeliums gelesen wird“, so schrieben die Konzilsväter von Friaul, „dass der Herr gesagt hat, dass allein im Fall der Unzucht der Mann seine Frau wegschicken darf, kann man dort dennoch nicht lesen, dass er [d. h. der Herr] es ihm erlaubt hat, eine andere in der Ehe mit sich zu verbinden, während jene noch lebt; es kann vielmehr kein Zweifel bestehen, dass er [d. h. der Herr] es verboten hat. Er sagt nämlich: ‚Wer auch immer seine Ehefrau außer im Fall der Unzucht weggeschickt und eine andere heimgeführt hat, begeht Ehebruch‘.“ Um Klarheit über diese Evangelienpassage zu erhalten, exegetisierten die Konzilsväter die entsprechende Stelle aus Mt Wort für Wort und begründeten dann ihre Entscheidung mit der Stellung des Einschubes „außer im Falle der Unzucht“ im Satzgefüge: „Weil ja der zweideutige Ausdruck ‚außer im Falle der Unzucht‘ in der Mitte steht, kann freilich gefragt werden, ob sich das Diktum ‚wer seine Frau außer im Falle der Unzucht entlassen hat‘ nur auf die Erlaubnis zur Entlassung der Ehefrau bezieht oder auf beides, d. h. eine andere zur Frau zu nehmen, während jene noch lebt, als wenn er gesagt hätte: ‚Wer seine Ehefrau entlassen und eine andere außer im Falle der Unzucht angenommen hat, der bricht die Ehe‘.“ Rat suchten sie schließlich im „Kommentar des hoch erfahrenen seligen Hieronymus“ und erforschten dort dessen „Interpretation“ „sorgfältig“ und „aufmerksam“. Das Ergebnis: Der Einschub kann „sich nur auf die Erlaubnis beziehen, die Frau zu entlassen.“ „Denn“, so die Begründung des Hieronymus, auch der zunächst unschuldige Gatte „darf nämlich nicht die Untat der ehebrecherischen Frau nachmachen“. Selbst wenn jene Ehefrau „die zwei, [die] doch gewiss ein 43 Vgl. Mt 5,32a: Ego autem dico vobis quia omnis qui dimiserit uxorem suam excepta fornicationis causa facit eam moechari et qui dimissam duxerit adulterat; 19,9a: Dico autem vobis quia quicumque dimiserit uxorem suam nisi ob fornicationem et aliam duxerit moechatur. 44 Vgl. Paenitentiale Pseudo-Theodori IV,19,18 (Wasserschleben 582); Confessionale Pseudo-Egberti 19 (Wasserschleben 308f.); Judicia Theodori D 163 (Finsterwalder 251); Co 90 (Finsterwalder 277); Ba 39 (Asbach 83); Paenitentiale Silense 145 (CCSL 156A,30); Paenitentiale Pseudo-Theodori IV,19,18 (CCSL 156B,28); Paenitentiale Merseburgense b 31 (CCSL 156,176); Capitula Iudiciorum 9,1c (Meens 446); Judicia Theodori G 81 (Finsterwalder 261); Paenitentiale Vindobonense B 42,5 (Meens 426); Paenitentiale Oxoniense II,2 (CCSL 156,191); Konzil von Rom (853) 36 (MGH.Conc 3,328); Concilium Romanum (826) 36 (MGH.Conc 2,2,582). 45 Vgl. Concilium Foroiuliense (796 vel 797) 10 (MGH.Conc 2,1,192f.); Capitula Treverensia (830–900?) 9 (MGH.CE 1,56); Paenitentiale Martenianum 24 (Hörmann 370). 46 Vgl. Paenitentiale Martenianum 37 (Hörmann 377).
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Fleisch [sind], durch die Spaltungen der Unzuchtsvergehen in drei geteilt hat, ist es nicht erlaubt, dass der Ehemann leichtfertig durch sein Tun die drei in vier teilt. Daher wird offen dargetan, dass es so verstanden wird: Solange die Ehebrecherin lebt, ist es dem Mann nicht erlaubt und er kann nicht ungestraft eine zweite Hochzeit eingehen.“47 Erneut schließt sich der Kreis zur bereits mehrfach genannten Formel: Die Beziehung von Mann und Frau, die aufgrund der Eheschließung unzertrennlich geworden ist, darf durch niemanden aufgebrochen werden. Der Gedanke des einen Fleisches der Eheleute begründete neben den matthäischen Unzuchtsklauseln auch hier das Vergehen. e) Als besonders schädlich musste es demnach gelten, „zur gleichen Zeit zwei Ehefrauen oder Konkubinen zu haben.“ „Denn während es im Haus kein Vorteil ist, wird es zum Schaden der Seele gereichen.“ Unter Bezugnahme auf Eph 5,29, dessen umliegende Verse auch sonst innerhalb der übrigen Eheschließungsvorschriften gerade für die Gleichbehandlung der Eheleute und nicht im Sinne der Unterordnung der Frau unter die Gewalt des Mannes eingesetzt wurden,48 wurde auch hier argumentiert: „So wie Christus die Kirche rein bewahrt hat, so muss der Mann die Ehe rein bewahren.“49 Erneut stand das Bild vom einen Fleisch im Hintergrund 47 Concilium Foroiuliense (796 vel 797) 10 (MGH.Conc 2,1,193; Weber 2:149–151): […] Nam etsi legatur in sacris evangelicis paginis sola fornicationis causa dixisse Dominum dimittere virum uxorem suam, non tamen legitur concessisse aliam vivente illa in coniugio sibi sociare, prohibuisse quidem modis omnibus non ambigitur. Ait enim: Quicumque dimiserit uxorem suam nisi ob fornicationem et aliam duxerit, moechatur. Qua de re ita diffinire prospeximus, ut iuxta eiusdem Domini mellifluam vocem nemo haec interdicta violator inculcare praesumat. Sed quoniam in medio ambiguus interponitur sermo, id est ‚nisi ob fornicationem‘, quaeri nimirum potest, utrum ad solam licentiam dimittendi uxorem ‚qui dimiserit uxorem suam nisi ob fornicationem‘ an etiam ad utrumque dictum referatur, hoc est ad aliam vivente illa accipiendam, quasi dixerit: ‚Qui dimiserit uxorem suam et aliam nisi ob fornicationem duxerit, moechatur‘. Et idcirco peritissimi viri beati Hieronimi libellum commentariorum recenseri nobis studiose mandavimus, anxiae [sic] utique cognoscere festinantes, qualiter hisdem famosissimus doctor haec sacrata dominica verba iuxta capatioris ingenii sui subtilitatem sensisse monstraretur. Cuius nimirum sensum, sagaciter explorantes, in promptum nichilominus patuit ad solam dimittendi uxorem licentiam pertinere. Nam cum more suo vir sanctus ad huius capituli summatim seriem exponendam transcurreret, inter cetera et post pauca sic ait: Et quia poterat, inquit, accidere, ut aliquis calumniam faceret innocenti et ob secundam copulam nuptiarum veteri crimen inpingeret, sic prior dimitti iubetur uxor, ut secundam prima vivente non habeat. Non enim debet imitari malum adultere uxoris, et si illa duo, immo unam carnem per scissuras fornicationum divisit in tres, non decet, ut maritus nequius exsequendo tres dividat in quattuor. Unde patenter datur intellegi: quamdiu vivit adultera, non licet viro nec potest inpune secundas contrahere nuptias. 48 Vgl. Weber, „Bibel“, 274–276.290. 49 Concilium Romanum (826) 37 (MGH.Conc 2,2,582; Weber 2:157): Ut non liceat uno tempore duas habere uxores sive concubinas. Nulli liceat uno tempore duas habere
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der Überlegungen. So wie jeder Mensch sein eigenes Fleisch nährt und hegt,50 so sollte auch der Mann das Fleisch, das er seit der Eheschließung mit seiner Frau teilte, rein halten. Und so ist es in diesem Fall sogar der Mann, dem die eheliche Treue nicht nur zuerst, sondern allein ans Herz gelegt wird.
2.3
In der Konsequenz: Verlust des Reiches Gottes
Was aber geschah mit denjenigen, die trotz dieser Verbote gegen die Norm verstießen? Sowohl Männer als auch Frauen hatten mit harten Bußen zu rechnen. Zu solchen Bußauflagen zählten lange Fastenzeiten, aber auch das Verbot christlich bestattet zu werden.51 Dann aber findet sich auch das Argument, dass – unter Bezug auf 1 Kor 5,1152 – mit solchen Personen, wie es der Apostel „selbst vorschreibt, nicht gegessen werden darf“ (nec cibus sumendus est).53 Daneben konnte der Ehebrecher jedoch auch dazu verurteilt werden, die Braut- bzw. Ehegabe in mehrfacher Weise zu zahlen.54 In allen Fällen jedoch erwarteten Mann und Frau die gleichen Bußauflagen.55 Es war Hrabanus Maurus, der eigens darauf aufmerksam machte, dass „die christliche Religion uxores, quia, cum domui non sit lucrum, animae fit detrimentum. Nam sicut Christus castam observat eclesiam, ita vir castum debet custodire coniugium; Concilium Parisiense (829) (69) 2 (MGH.Conc 2,2,670f.). 50 Eph 5,29: Nemo enim umquam carnem suam odio habuit sed nutrit et fovet eam sicut et Christus ecclesiam. 51 Vgl. Paenitentiale Pseudo-Egberti II,8 (Wasserschleben 325; Weber 2:229): Vir, qui uxorem suam legitimam deseruerit et aliam mulierem ceperit, adulter est; ne det ei ullus presbyter eucharistiam, neque ullum eorum rituum, qui Christianum hominem decent; et si eum obire contigerit, ne ponatur cum Christianis hominibus. Et si mulier virum suum legitimum deseruerit et alium elegerit, sit eadem sententia digna, ut supra dictum est; et cognati, qui illi consilio interfuerint, patiantur eandem sententiam, nisi prius ad emendationem se convertere velint, prout confessarius eorum eis praescripserit. 52 1 Kor 5,11: Nunc autem scripsi vobis non commisceri si is qui frater nominatur est fornicator aut avarus aut idolis serviens aut maledicus aut ebriosus aut rapax cum eiusmodi nec cibum. 53 Konzil von Savonnières (859) 16 (MHG.Conc 3,479; Weber 2:165); vgl. beispielhaft Paenitentiale Casinense o.c. (Schmitz 430). 54 Vgl. Lex Visigothorum III,4,7 (MGH.LNG 1,150); Columban, Paenitentiale Columbani 16 (SLH 2,176); Edictus Rothari 179 (MGH.FU 2,37); Lex Visigothorum III,4,2 (MGH.LNG 1,147f.); Paenitentiale Ambrosianum II,2 (Körntgen); Leges Burgundionum. Liber Constitutionum 61 (MGH.LNG 2,1,93). 55 Vgl. beispielhaft Paenitentiale Finniani 51 (SLH 5,92); Paenitentiale Pseudo-Egberti II,8 (Wasserschleben 325); Capitula Treverensia (830–900?) 9 (MGH.CE 1,56); Radulf von Bourges 42 (MGH.CE 1,265); Paenitentiale Pseudo-Egberti II,7.10 (Wasserschleben 324.325); Paenitentiale Pseudo-Gregorii 4 (Kerff 169f.); Paenitentiale Hubertense 9 (CCSL 156,16.20); Paenitentiale Merseburgense b 23 (CCSL 156,175f.).
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Ines Weber
den Ehebruch beider Geschlechter mit dem gleichen Maßstab“ verurteilte. Gleichzeitig sah er gerade hier Probleme, die in der Rechtssituation des frühen Mittelalters begründet waren: Frauen konnten, weil sie im frühmittelalterlichen Rechtsleben in der Regel öffentlichkeitswirksam nur bedingt handlungsfähig waren, „ihre Männer nicht leicht des Ehebruchs anklagen“, sodass „es keine Strafe für die im Verborgenen begangenen Sünden“ der Männer gab, wohingegen die Männer aber die „ehebrecherischen Ehefrauen leichter bei den Priestern anzuklagen“ vermochten. „Obwohl also der Fall für Männer und Frauen gleich gelagert ist, wird das Strafverfahren manchmal aus Mangel an Beweisen ruhen.“56 Das aber war gerade aufgrund des eingangs genannten Gleichheitsgrundsatzes zu vermeiden. Die Konzilien und Kapitularien, die gattungsgemäß oftmals keine Bußauflagen kannten, verboten nach einer Trennung oftmals eine Wiederheirat.57 Darüber hinaus findet sich in den Leges vereinzelt auch die Erlaubnis, dass der Ehegatte den Ehebrecher und die Ehebrecherin töten durfte,58 wenn er die beiden auf frischer Tat ertappt hatte. Mag auch Hans-Werner Goetz annehmen, dass diese Strafe selten bis gar nicht praktiziert worden ist,59 so handelt es sich doch um harte Sanktionen, die erklärungsbedürftig sind. Bei näherer Betrachtung zeigt sich nämlich, dass die Autoren auch hier alttestamentliche Texte als Vorlage verwendet haben könnten, die dann neben dem römischen Recht Pate für die entsprechenden Regelungen standen. Denn sowohl in
56 Hrabanus Maurus, Poenitentium liber ad Otgarium 3 (PL 112,1406b–c; Weber 2:279–281): […] Item in decretis Innocentii papae, cap. 24, scriptum est quod viri cum adulteris non conveniant. Et illud desideratum est sciri cur communicantes viri cum adulteris uxoribus non conveniant, cum contra uxores in consortio adulterorum virorum manere videantur. Super hoc Christiana religio adulterium in utroque sexu pari ratione condemnat. Sed viros suos mulieres non facile de adulterio accusant, et non habent latentia peccata vindictam. Viri autem liberius uxores adulteras apud sacerdotes deferre consueverunt: et ideo mulieribus, prodito earum crimine, communio denegatur. Virorum autem latente commisso, non facile quisquam ex suspicionibus abstinetur. Qui utique submovebitur, si ejus flagitium detegatur. Cum ergo par causa sit, interdum probatione cessante, vindictae ratio conquiescit. 57 Vgl. beispielhaft Capitula Treverensia (830–900?) 9 (MGH.CE 1,56; Weber 2:207): Si alicuius uxor adulterata fuerit vel si ipse adulterium commiserit, quia neque dimissus ab uxore neque dimissa a marito alteri coniungatur; Concilium Foroiuliense (796 vel 797) 10 (MGH.Conc 2,1,192f.; Weber 2:149); Concilium Suessionense (744) 9 (MGH.Conc 2,1,35; Weber 2:149). 58 Vgl. Edictus Rothari 212 (MGH.FU 2,44; Weber 2:63): Antiqua. Si adulter cum adultera occidatur. Si adulterum cum adultera maritus occiderit, pro homicidio non teneatur; Lex Visigothorum III,4,4 (MGH.LNG 1,149; Weber 2:43); Leges Burgundionum. Liber Constitutionum 68,1.2; 35,2 (MGH.LNG 2,1,95.69; Weber 2:15); Lex Visigothorum III,2,2; III,4,5 (MGH.LNG 1,133f.149; Weber 2:33). 59 Goetz, Frauen, 238.
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Lev 20,1060 als auch in Dtn 22,2261 wird genau dieser Fall verhandelt. Dort ist Bestrafung nur vorgesehen, wenn die Ehebrecher, so wie im genannten Fall, in flagranti erwischt wurden. Der Ehebruch galt als privatrechtliches Vergehen und durfte deshalb vom Betroffenen eigenhändig sanktioniert werden.62 Dass sich in den alttestamentlichen Schriften an keiner Stelle ein Beleg findet, der der Ehefrau dasselbe Recht zugestand wie dem Ehemann, ist schnell erklärt. Im Alten Orient galt der Ehebruch als Unrecht gegen den Ehemann. Außereheliche Geschlechtsverhältnisse des Mannes galten nur dann als Ehebruch, wenn er in die eheliche Gemeinschaft eines anderen Mannes eindrang. Dann wiederum oblag diesem Ehegatten das Recht auf Wiedergutmachung. Damit aber hatte die Frau im Falle des Ehebruchs des Mannes keine Handhabe. Dieses Ehebruchsverständnis lag den Texten des 7. bis 11. Jh. jedoch nicht mehr zugrunde. Dass dennoch nirgends von einem Tötungsrecht der Frau zu lesen ist, überhaupt nur einmal von der Auslieferung der Ehebrecher an die Gattin, mag der sozialen Praxis dieser Zeit und der damit verbundenen fehlenden rechtlichen Handlungsmöglichkeiten auf Seiten der Frau geschuldet sein. Umso mehr ist hervorzuheben, dass in den genannten Fällen immer beide Unzuchtspartner des Todes waren und es keineswegs nur die Frau allein war, der dieses widerfahren konnte. Im Gegenteil wurde einzelnen Texten zufolge nur der Mann getötet,63 vor allem dann, wenn er sich von der Anklage des Ehebruchs nicht reinschwören konnte.64 Mitte des 9. Jh. scheint sich jedoch Widerstand aufgebaut zu haben. Auf dem Konzil von Mainz (861–863) wurde nämlich die Frage, ob es dem Gatten „gemäß dem weltlichen Gesetz erlaubt sei, sie zu töten“, wenn seine „Ehefrau Ehebruch begangen hat“, auf folgende Weise beantwortet: Die heilige Kirche Gottes wird niemals durch die weltlichen Gesetze gebunden. Sie besitzt nicht das Schwert, außer das geistliche und das göttliche; er soll sie nicht töten, sondern lebendig lassen; sie tötet nicht, sondern schenkt das Leben.65
60 Lev 20,10: Si moechatus quis fuerit cum uxore alterius et adulterium perpetrarit cum coniuge proximi sui morte moriantur et moechus et adultera. 61 Dtn 22,22: Si dormierit vir cum uxore alterius uterque morientur id est adulter et adultera et auferes malum de Israhel. 62 Georg Braulik, Deuteronomium II: 16,18–34,12 (NEchtB; Würzburg: Echter, 1992), 167. 63 Vgl. Lex Baiuvariorum VIII,1 (MGH.LNG 5,2,353f.); Canones Wallici [A] 17 (P X XVII) (SLH 5,138). 64 Vgl. Edictus Rothari 213 (MGH.FU 2,44). 65 Konzil von Mainz (861–863) o.c. (MGH.Conc 4,131; Weber 2:165): Si cuius uxor adulterium perpetraverit, utrum marito ipsius liceat secundum mundanam legem eam interficere. Sancta dei ecclesia mundanis numquam constringitur legibus; gladium non habet nisi spiritalem atque divinum; non occidit, sed vivificat.
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Die Konzilsväter setzten also dem weltlichen Recht ein alternatives Handeln entgegen, weil sie sich an Ersteres nicht gebunden wissen wollten. Neben all diesen Strafen, die allesamt – ob nun biblisch begründet oder nicht – im Hier und Jetzt abzuleisten waren und die immer auch dem innergemeindlichen sowie innerweltlichen Frieden dienten,66 wurde das Ehebruchsdelikt sowohl in den verschiedenen Konzilien- und Kapitularientexten sowie in den Bußbüchern auch im Kontext der christlichen Heilsbotschaft und damit innerhalb der Überlegungen zum Reich Gottes verhandelt. So wurde eindringlich vor dem Vergehen gewarnt, weil Ehebrecher, „so wie es der Apostel sagt, das Reich Gottes nicht erlangen“ (sicut ait apostolus, regnum dei non consequentur).67 Denn wegen einer solch unerlaubten Liebe sind die einen durch Gift, die anderen durch das Schwert oder durch andere verschiedene Übeltaten vernichtet worden. Deshalb müssen jene Übel mit dem schärfsten Eisen und aller ärztlichen Kunst herausgeschnitten werden, durch die das Reich Gottes den Menschen verschlossen werden muss, ‚da ja‘, wie derselbe Apostel sagt, ‚diejenigen, die so handeln, das Reich Gottes nicht erlangen‘.68
Ob die Schreiber der Texte bei ihren Überlegungen immer nur die paulinische Redeweise vor Augen hatten, die in 1 Kor 6,9f., in Gal 5,19–21 sowie in Eph 5,569 davon spricht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht besitzen werden, oder ob derartige Zitate im größeren Kontext der Verkündigung des Reiches Gottes – jenem „Herzstück des Wirkens Jesu“70 zu lesen sind, das sich bekanntermaßen durch alle Evangelientexte zieht, kann ohne weitere Untersuchungen zur Exegese im frühen Mittelalter nicht geklärt werden. In welcher Weise die biblischen Schriften im Wissen um die übrigen Texte interpretiert wurden, welche Querverweise möglich waren und wie aufeinander Bezug genommen wurde, darüber kann beim derzeitigen Forschungsstand wenig gesagt werden. Entsprechende Untersuchungen stehen aus. Dass die Autoren sich in den hier untersuchten Texten jedoch allein auf Paulus stützten, spricht dafür, dass die Überlegungen zum Reich Gottes in den Evangelien an keiner Stelle mit dem Ehebruch bzw. der Unzucht in Verbindung gebracht werden. 66 Weber 1:380f. 67 Konzil von Savonnières (859) 16 (MHG.Conc 3,479 ; Weber 2:165). 68 Concilium Triburiense (895) 40 (MGH.CRF 2,236f.; Weber 2:171): […] quia pro tam inlicito amore alii veneno, alii gladio vel aliis diversis sunt perempti maleficiis. Idcirco acutissimo ferro et totius generis artificio sunt resecanda, per quae caelestia regna sunt obcludenda; ‚quoniam‘, ut idem apostolus ait, ‚qui talia agunt, regnum Dei non consequentur‘ […]; Paenitentiale Martenianum 37 (Hörmann 377). 69 Siehe das Zitat von 1 Kor 6,9f.; Gal 5,19.21c; Eph 5,5 in Anm. 39. 70 Hermann-Josef Venetz, „Jesus von Nazaret: Prophet der angebrochenen Gottesherrschaft: Grundlegende Reich Gottes-Texte der synoptischen Evangelien“, BiKi 62 (2007): 78–88; 78.
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Damit aber schließt sich erneut der Kreis zur eingangs genannten Formel, so dass sich zumindest festhalten lässt: Alle hier genannten Vergehen galten als sündhaftes Verhalten. So wie jene Formel, die den Schöpfungsakt aus dem Engelsturz abgeleitet und damit den Ehebruch überhaupt erst in den Zusammenhang des sündhaften Vergehens der Menschen eingebunden und Luzifer in die Hölle verbannt hatte, so dürfte dieser Unheilszusammenhang in allen Texten mitgemeint gewesen sein, wenn vom Verlust des Himmelreiches gesprochen wird.
3.
Ehe, Ehebruch und Ehescheidung zwischen weltlichem Recht und biblischer Grundlegung – ein Fazit
Als Resultat lässt sich festhalten: Die Vorstellung der Eheschließung als konsensuelles Vertragsgeschehen zwischen vier gleichberechtigten Parteien ist ebenso Basis des frühmittelalterlichen Ehebruchverständnisses wie die neutestamentlich vorgegebenen, aus den Evangelien sowie aus den Paulusbriefen hergeleiteten Ideen zum Ehebruch. Diese Ehekonzeptionen, die sich im Detail an verschiedenen Stellen unterschieden, wurden durch die frühmittelalterlichen Texte synchronisiert und zu einer konsistenten Lehre zusammengefasst. Als solche wurden die weltlich-rechtlichen Eheschließungsvorschriften mit den biblischen Ideen so kombiniert, dass auch im Bereich der ehelichen Delikte das Eheschließungsgeschehen konsequent fortgesetzt und dabei die gesamte Bandbreite neutestamentlichen Gedankengutes realisiert wurde. Gleichzeitig aber wurde das gesamte Deliktfeld im christlichen Sündendenken und damit in der christlichen Anthropologie verankert, die ebenfalls auf einer Gleichheit der Geschlechter basierte. Im Hinblick auf das Gruppen- und Geschlechterverhältnis hatte das zur Folge, dass Mann und Frau, aber auch die jeweiligen Verwandten, gleichbehandelt wurden. So wie im konsensuellen Eheschließungsgeschehen alle Partner auf eine Stufe gestellt wurden, so zogen auch Verstöße gegen die Norm die gleichen Konsequenzen für alle Beteiligten nach sich. Jene Strafen aber, die sich auf die Braut- bzw. Eheleute selbst bezogen und nach dem neutestamentlichen Vorbild zumeist eine Wiederverheiratung verboten, waren in einer agrarisch geprägten Gesellschaft extrem hart und wirkten damit abschreckend, weil das Überleben nur innerhalb von intakten familiären Beziehungen möglich war. Dabei hatten sie dreierlei vor Augen: zum einen die Unauflöslichkeit
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der ehelichen Gemeinschaft,71 zum anderen die Schutzbedürftigkeit der Frau, zum Dritten den Frieden innerhalb der Gemeinschaft, weil Ehebruch ein extrem gruppensprengendes Potential in sich birgt. Die Frau, die in der Regel nicht öffentlichkeitswirksam und damit nicht selbstständig handeln konnte und so deutlich gefährdeter gegenüber unrechtmäßigen Beschuldigungen von Seiten des Mannes war,72 sollte zum einen geschützt werden; zum anderen sollte sie nach aufgelöster Ehe nicht schutzlos außerhalb der familiären Gemeinschaft leben müssen.73
71 Zum gesamten Thema der Wiederheirat vgl. Weber 1:60–63 (Wiederheirat der Witwe); 177–182.189.191. 72 Ein weiteres Beispiel für die unberechtigte Beschuldigung vgl. Grimvaldi, Leges 7 (MGH.FU 2,75f.). 73 Vgl. zum Thema der Ehetrennung die Literatur in Anm. 11.
Biblische Frauenfiguren im Koran Ulrike Bechmann Universität Graz
Für Marie-Theres Wacker
Texte über biblische Frauenfiguren im Koran werfen tiefgreifende grundsätzliche Fragen nach Rezeption und Intertextualität von Bibeltexten und außerbiblischen Traditionen auf, denn der Koran rezipiert nicht nur die Bibel, sondern zusätzlich deren Rezeption. Dies kann hier nur durch kurze Überlegungen zu den hermeneutischen Grundlagen eines religionswissenschaftlichen Ansatzes angedeutet werden, die auf die aktuelle Diskussion zur Entstehung des Korans verweisen müssen. Biblische Frauengestalten im Koran sind relativ rar. Nicht, dass Frauen keine Rolle spielten. Aber sie treten eher wenig, und außer bei Maryam (Maria) namentlich gar nicht in Erscheinung. Anders als in der Bibel fehlen ausgefeilte Erzählungen zu Frauen, aber es gibt verschiedene Koranverse, die auf sie verweisen. Dies liegt daran, dass der Koran kaum erzählt; seine Texte sollen vielmehr rezitiert und gehört werden. Sie sind teilweise liturgischer Natur, vieles ist gereimt und voll Poesie, was man in den meisten Übersetzungen (außer bei der Übertragung Friedrich Rückerts) kaum nachvollziehen kann.1 Der Koran gibt oft direkte Reden wieder, Reden zwischen Gott und Muhammad als Offenbarungsvermittler. Das von Gott angesprochene „Du“ zielt aber auch auf alle, die den Text hören oder lesen. Sind in der Bibel Weisheitstexte, prophetische Rede und Erzählung grosso modo auf verschiedene biblische Bücher verteilt, so verbindet der Koran „verschiedenste Textsorten zu der neuen, vom Koran allein repräsentierten Gattung ‚Sure‘.“2 Viele der biblischen und außerbiblischen Anspielungen dienen weniger der Erzählung, als einem bestimmten exegetischen oder paränetischen Interesse;3 die dahinter liegenden Motive altarabischer, jüdischer oder christlich-arabischer Herkunft setzt man 1
Vgl. Navid Kermani, Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran (München: Beck, 1999). 2 Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike: Ein europäischer Zugang (Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2010), 561. 3 Vgl. Neuwirth, Koran, 565; zur Selbstreferentialität ebd., 137–145; Nicolai Sinai, Fortschreibung und Auslegung: Studien zur frühen Koraninterpretation (Diskurse der Arabistik 16; Wiesbaden: Harrassowitz, 2009).
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offenbar als bekannt voraus. Die koranische Rezeption biblischer Frauengestalten lässt sich deshalb aus religionswissenschaftlicher Perspektive nicht isoliert als Beziehung zwischen Bibel und Koran behandeln, sondern muss das Verhältnis der Offenbarungsschriften zu weiterer Traditionsliteratur der Spätantike beachten. Dieser kontroversen und aktuellen Debatte um die Entstehung des Korans kann im Blick auf die Frauenfiguren nur exemplarisch nachgegangen werden, die anderen Verweise müssen summarisch erfolgen.4
1.
Das Verhältnis von Bibel und Koran
1.1
Die religionswissenschaftliche Perspektive auf die Bibelrezeption im Koran
Das koranische Selbstverständnis zum Verhältnis von biblischen und koranischen Texten geht von einer einzigen auf „himmlischen Tafeln“5 aufgezeichneten Offenbarung aus, die nur der Koran bewahre, die ursprünglich gleichlautende Tora und das Evangelium sei im Laufe der Zeit verderbt worden,6 weshalb die Neuoffenbarung, diesmal in arabischer Sprache, notwendig wurde. Doch gelten die bisherigen Offenbarungen für jede Gemeinschaft. Dieses korantheologische Offenbarungsverständnis unterscheidet sich von einer religions- bzw. literaturwissenschaftlichen Rekonstruktion der historischen Prozesse zur Entstehung des Korans. Dort geht es um die neue Identität des Korantextes durch die Rezeption biblischer Texte, Motive und Stoffe im Koran, ihre neue Gestaltung im Kontext des spätantiken Text- und Traditionsmilieus sowie die Formulierung ganz neuer Inhalte. Dass es eine Rezeption biblischer Texte gibt, sagt der Korantext selbst. In der muslimischen Tradition heißen die biblischen Stoffe die Isrā‘īlīyāt. Die inhaltliche Nähe zeigt sich auch daran, dass am Beginn die islamische Botschaft als eine jüdische oder christliche Häresie debattiert wurde.7 4
Als Koranübersetzung wird verwendet: Der Koran (übertr. v. Hartmut Bobzin; München: Beck, 2010). 5 Das jüdische Konzept der Offenbarung auf „himmlischen Tafeln“ wird etwa im Buch der Jubiläen entfaltet, vgl. Lynn LiDonicci und Andrea Lieber, Hg., Heavenly Tablets: Interpretation, Identity and Tradition in Ancient Judaism (JSJ.S 119; Leiden: Brill, 2007). 6 Vgl. Stefan Schreiner, „Der Koran als Auslegung der Bibel – die Bibel als Verstehenshilfe des Korans“, in „Nahe ist dir das Wort …“: Schriftauslegung in Christentum und Islam (hg. v. Hansjörg Schmid, Andreas Renz und Bülent Ucar; Theologisches Forum Christentum – Islam; Regensburg: Pustet, 2010), 167–183. 7 Vgl. Ders., „Die ‚Häresie der Ismaeliten‘: Der Islam als politisches und theologisches Problem der Christen“, in Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in
Biblische Frauenfiguren im Koran
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Im 19. Jh. wuchs mit der Kolonialisierung des islamischen Raums das Interesse am Islam und dem Orient.8 Die Ähnlichkeiten und Differenzen zur Bibel wie zu außerbiblischen Traditionen provozierten jüdische wie christliche Forschungen zum Koran.9 Allerdings standen solche Arbeiten oft unter dem hermeneutischen Vorbehalt, dass die koranische Rezeption (durch Muhammad als Autor) falsch, unvollständig oder abweichend wäre. Die Bibel wurde fraglos als normativer „Mastertext“ angenommen, an dem die Rezeption gemessen wurde. Die theologische Eigenständigkeit und Eigenwertigkeit des koranischen Textes kam nur wenig in den Blick. Erst die stärkere Beschäftigung mit den Apokryphen und die Textfunde in Qumran erweiterten den Blick auf weitere außerbiblische, christliche und jüdische Textkonvolute als Basis für die Rezeption biblischer Motive im Koran. Neuere Ansätze zu Rezeption und Intertextualität sowie die Wahrnehmung muslimischer Koranforschung führten zu einer differenzierten Betrachtungsweise zum Verhältnis Bibel und Koran,10 wenngleich apologetische Arbeiten auch heute noch zu finden sind. Ob der Koran nicht doch auf dem Hintergrund ostchristlicher (syro-aramäischer) Sprache und Liturgie gelesen werden muss, entfachte ab dem Jahr 2000 eine heftige Debatte.11 Das Forscherteam des Projekts „Corpus Coranicum“ um Angelika Neuwirth versteht den Koran als spätantiken Text, der schon die jüdische und christliche Exegese biblischer Stoffe reflektiert (und damit nicht einfach die Stoffe der Bibel übernimmt), die damit in den hermeneutischen Diskurs der spätantiken Texte einschließlich des Korans eingebunden werden muss. Christliche wie jüdische Gemeinden lebten in Arabien wie auch sonst in dem weiten Raum des spätrömischen Reiches nicht allein mit den Bibeltexten, sondern auch mit deren Auslegung und Weiterschreibung. Die Frage nach der Rezeption biblischer Frauenfiguren im Koran muss in diesen breiteren Wissenschaftsdiskurs eingebettet werden. Texte aus dem jüChristentum und Islam (hg. v. Hansjörg Schmid et al.; Theologisches Forum Christentum – Islam; Regensburg: Pustet, 22009), 119–138. 8 Vgl. Edward Said, Orientalism (London: Routledge & Kegan Paul, 1978/1995). 9 Vgl. Wilhelm Rudolph, Die Abhängigkeit des Qorans von Judentum und Christentum (Stuttgart: Kohlhammer, 1922); Theodor Nöldeke und Friedrich Schwally, Geschichte des Qorāns (3 Bde; Leipzig: Dieterich, 21909–1938; Nachdruck der 2. Aufl. Hildesheim: Olms, 1961); Abraham Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? (Leipzig: Kaufmann, 21902); Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran (Gräfenheinichen: Schulze, 1931; Nachdruck Hildesheim: Olms, 42013). 10 Vgl. z. B. Marilyn R. Waldman, „New Approaches to ‚Biblical‘ Materials in the Qur’ān“, MW 75 (1985): 1–16; Franz V. Greifenhagen, „Cooperating Revelations? Qur’an, Bible and Intertextuality“, Arc 33 (2005): 302–317. 11 Vgl. Christoph Burgmer, Hg., Streit um den Koran: Die Luxenberg-Debatte: Standpunkte und Hintergründe (Berlin: Schiler, 2005); Mitri Raheb, „Contextualising the Scripture: Towards a New Understanding of the Qur’an – an Arab-Christian Perspective“, SWC 3 (1997): 180–201.
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disch-hellenistischen Konvolut der Rewritten Bible oder eigenständige andere Traditionen waren manchmal einflussreicher als der Bibeltext selbst. Der folgende Vergleich von Bibel und Koran hierarchisiert nicht die Bibel, sondern legt eine Basis, um die eigenständige koranische Theologie zu erarbeiten.
1.2
Biblische Frauenfiguren in der koranischen Rezeption
Im Folgenden leitet der biblische Erzählfaden des Alten und Neuen Testaments die Bearbeitung der biblisch-koranischen Frauenfiguren und fasst die oft in mehreren Suren vorkommenden Inhalte zusammen. Dabei wird auch die relative Chronologie der Koranpassagen beachtet, die allerdings nicht unumstritten ist. Die Frauenfiguren können nicht einfach namentlich identifiziert werden. „Eva im Koran“ gibt es so nicht, weil die erste Frau der Menschheit im Koran nicht Eva heißt und folglich sämtliche Konnotationen, die mit dem Namen „Eva“ verbunden sind, nicht eingetragen werden sollten. Auch suggerieren die Namen, dass die biblische Figur als normatives Modell dient und gefährden einen unbefangenen Blick, denn der Koran setzt die Kenntnis der biblischen und außerbiblischen Traditionen voraus, interpretiert sie allerdings neu.
2.
Die Rezeption von Frauenfiguren der Hebräischen Bibel
2.1
Die Erstgeschaffene – die Frau ādams
2.1.1 Mann und Frau – eine Schöpfung Die Er- und Anerkenntnis von Gottes Schöpfungsmacht ist einer der theologischen Ausgangspunkte für die Entstehung des Islam. Schöpfungsaussagen sind „ein beständiger Bezugspunkt der koranischen Predigt“,12 da sie die alleinige Macht und Souveränität Gottes belegen. Die Sure 96 gilt als eine der frühesten Suren, in ihr steht die Menschenschöpfung an erster Stelle. 12 Friedmann Eissler, „Adam und Eva im Islam“, in Christfried Böttrich, Beate Ego und Friedmann Eißler, Adam und Eva in Judentum, Christentum und Islam (Judentum, Christentum und Islam; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011), 138–199; 139; vgl. Jolanda Guardi, „Eva e la creazione nel Corano, nella tradizione musulmana e nella teologia femminista“, AScR 11 (2006): 281–290; Amina Wadud, Qur’an and Woman: Rereading the Sacred Text from a Woman’s Perspective (Oxford: Oxford University Press, 1999).
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Das Anhaftende – al-‘alaq Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen. Trag vor im Namen deines Herrn, der schuf, den Menschen aus Anhaftendem schuf! (Sure 96,1f.)
In nuce enthält Sure 96 schon das Verhältnis von Mensch und Gott. Die Menschenschöpfung steht am Anfang der Welt, dabei gibt es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Der geschlechtlichen Trennung der Menschen geht ein doppelgeschlechtliches oder ungeschlechtliches Wesen voraus. Erst durch Trennung der Frau aus dem Wesen entstehen die beiden Geschlechter. Zentral ist die alleinige souveräne Schöpfungstätigkeit Gottes, die alle Menschen aus Lehm, Blutstropfen oder Samentropfen macht – aus etwas Nichtigem etwas Besonderes. Beide Geschlechter stammen von Gott aus einem Wesen. Folglich richten sich auch die Aufforderungen zur Erkenntnis und zur Anerkenntnis Gottes an beide Geschlechter, und dies begründet ein unmittelbares Verhältnis beider zu Gott. Beide können durch das mit dem Schreibrohr Gelehrte (Sure 96,4f.) erkennen, wie sie sich Gott zuwenden können und dass dies ihr Ziel ist. Beiden wird Rechtleitung zuteil, beide sind folglich für ihr Handeln verantwortlich. Wer vom rechten Weg abweicht, kann um Vergebung bitten, um das Verhältnis zu Gott wiederherzustellen. Diese grundlegende Gleichheit der Menschen zieht sich durch den ganzen Koran (vgl. u. a. Sure 4,1). Wenn Menschen als Kinder adāms angesprochen werden, sind jeweils beide Geschlechter gemeint, denn „Adam ist immer Eigenname und Gattungsbegriff zugleich.“13
2.1.2 Die Rolle der ersten Frau Die erste Frau bleibt namenslos, wörtlich heißt es, sie ist „Teil eines Paares“.14 Die koranische Tradition verarbeitet das biblische Motiv (Gen 2,21f.) in der ihr eigenen theologischen Verkündigung von der Rechtleitung und Verantwortung beider Menschen. Das Motiv der Rippe Adams, aus der die Frau geschaffen ist, baut nicht der Koran, sondern erst die islamische Tradition zu Ungunsten der Frauen aus. Wie in der Bibel stehen die koranischen Paradiestexte im Kontext von Schöpfungstexten. Das Paradies ist zwar auch Ausgangsort der Schöpfung im Kreis der Engel, aber doch auch als Ziel nach dem Tod immer wieder beschrieben und als Hoffnungsort in prächtigen Sprachbildern, Mosaiken oder auch Bildern imaginiert. Das Motiv vom Baum des Lebens im Paradies wird als bekannt vorausgesetzt. Welche Elemente jeweils speziell aufgegriffen und wie neu komponiert werden, hängt vom Kontext der Sure und ihrem Aussageziel ab. Erst die muslimische Tradition greift aus der vielstimmigen Tradi13 Eissler, „Adam und Eva“, 152. 14 Eissler, „Adam und Eva“, 155.
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tion auf den Namen „Hawwa“ (ḥawwāh in Gen 3,20; 4,1) für die erste Frau zurück. Der Koran selbst nennt den Namen nicht. In der Szene um die Verführung der Menschen im Paradies zeigt sich sehr deutlich, dass Gen 2–3 allein nicht die Rezeptionsbasis bildet, sondern verwoben ist mit weiteren Traditionen vom himmlischen „Hofstaat“ der Engel, dem Engelsturz, der Herausforderung Gottes durch Iblīs und die Erlaubnis Gottes an ihn, Menschen verführen zu dürfen (vgl. Ijob 1–2). Andere koranische Motive weisen auf weitere außerbiblische jüdische und christliche Traditionen hin. Hier sei exemplarisch die Sure 20,115–124 zitiert: Wir hatten früher schon mit Adam einen Bund geschlossen, doch er vergaß ihn; wir fanden bei ihm keinen festen Willen. Als wir zu den Engeln sprachen: „Werft euch vor Adam nieder!“ Da warfen sie sich nieder, außer Iblis, der weigerte sich. Da sprachen wir: „Adam, siehe, dieser da, der ist ein Feind von dir und deiner Frau. Dass er euch nur nicht aus dem Paradiesesgarten treibe und du dann ins Elend gerätst! Siehe, dir ist bestimmt: Du brauchst dort nicht zu hungern und auch nicht nackt zu sein; du brauchst dort nicht zu dürsten und keine Sonnenhitze zu leiden.“ Da flüsterte ihm Satan zu: „Adam, soll ich dich zum Baum des ewigen Lebens führen und zu einer Herrschaft, welche nie vergeht?“ Da aßen beide von ihm, und ihre Blöße wurde ihnen bewusst. Und sie begannen, sich mit Blättern aus dem Garten zu bedecken, die sie zusammenfügten. So trotzte Adam seinem Herrn und irrte ab. Doch dann erwählte ihn sein Herr, kehrte sich ihm zu und leitete ihn recht. Er sprach: „So steigt gemeinsam von ihm herab; ihr seid einander feind.“ Wenn dann von mir Rechtleitung zu euch kommt, so wird der, welcher meiner Leitung folgt, nicht in die Irre gehn und auch nicht elend sein. Doch wer sich von meiner Mahnung abwendet, der hat ein karges Leben. Blind werden wir ihn zum Tag der Auferstehung einberufen.
Anders als in der Hebräischen Bibel spielt die Frau keine eigenständige (negative) Rolle gegenüber Adam. Beide Menschen kann der Satan verführen, die Handlung beider ist im Dual gehalten, das heißt, beide essen zusammen. Letztlich zielen auch die Paradiestexte darauf, dass alle Menschen für ihre Verfehlungen selbst verantwortlich sind. Gottes Erbarmen übersteigt aber selbst die Verfehlung, auf die Einflüsterung von Iblīs zu hören, das belegt die Passage über das erste Menschenpaar ebenfalls.
2.2
Die Mutter Isḥāqs (Isaaks) – Ibrāhīms Frau
Namentlich kommen im Koran weder Sara noch Hagar vor. Wenn man trotzdem die Frauen Ibrāhīms im Koran mit diesen Namen identifizieren kann, dann deshalb, weil sie in der Tradition der Korankommentare, in den Prophe-
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tengeschichten und im Hadith, der Erzähltraditionen außerhalb des Korans, namentlich erwähnt werden. Aus der großen Sara-Tradition (Gen 11,27–23,20) greift der Koran in drei Suren die Verkündigung Isaaks an Sara und Abraham zusammen mit dem sich anschließenden Gericht über Sodom und Gomorrha (Gen 18–19) auf, so dass nicht nur die Motive, sondern auch der Erzählzusammenhang von Gen 18–19 koranisch rezipiert sind. Diese Suren setzen zudem jüdische und (ost-)christliche Auslegungstraditionen von Gen 18–19 voraus.15 In den verschiedenen Suren unterscheidet sich die Zeichnung der Frau Ibrāhīms sehr, ihre Positionierung variiert von der Nicht-Erwähnung in Sure 15,51–57 bis zur zentralen Figur in Sure 11. Kam zu dir der Bericht von den geehrten Gästen Abrahams? … Da erfasste ihn Furcht vor ihnen. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht!“ – und verkündeten ihm einen klugen Knaben. Da kam, schreiend, seine Frau herbei, schlug sich ins Gesicht und sprach: „Eine unfruchtbare alte Frau!“ Sie sprachen: „Genau so! Gesprochen hat dein Herr! Siehe, er ist der Weise, der Wissende.“ (Sure 51,24.28– 30)
Ibrāhīms Frau reagiert in Sure 51,24–30 auf die Verkündigung an Ibrāhīm mit einer Geste des Unglaubens, und sie argumentiert auch ihren Einwand. Ihre Reaktion setzt voraus, dass sie das Gespräch hört. Biblisch wird Sara entdeckt und argumentiert erst auf Nachfrage, hier fordert sie die Boten aus Eigeninitiative heraus. Sie selbst hat eine Stimme, sie formuliert selbst den Einwand des Alters, sie bekommt eine eigene bekräftigende Zusage durch die Boten: Ja, es ist ein Wunder, aber Gottes Weisheit und Wissen um die Situation ermöglicht die Geburt des Kindes. Die ausführlichste Rezeption der Geschichte um Sara erfolgt in Sure 11,69–74: Unsere Boten kamen zu Abraham mit der frohen Botschaft. Sie sprachen: „Frieden!“ Er sprach: „Frieden!“ Und alsbald brachte er ein gebratenes Kalb. Als er nun sah, dass sie es nicht anrührten, hegte er Argwohn gegen sie und empfand Furcht vor ihnen. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht! Siehe, wir sind zum Volke Lots gesandt!“ Seine Frau stand da und lachte. Da kündigten wir ihr Isaak an und nach Isaak Jakob. Sie sprach: „Weh mir, soll ich gebären, da ich doch schon alt bin und mein Gatte hier ein Greis ist? Siehe, das ist fürwahr ein wunderliches Ding!“ Sie sprachen: „Seid ihr über Gottes Befehl verwundert? Gottes Erbarmen und sein Segen seien über euch, ihr ‚Leute des Hauses‘! Siehe, er ist zu 15 Vgl. Andrew E. Arterbury, „Abraham’s Hospitality Among Jewish and Early Christian Writers: A Tradition History of Gen 18:1–16 and Its Relevance for the Study of the New Testament“, PRSt 30 (2003): 359–376; vgl. Ed Noort und Eibert Tigchelaar, Hg., Sodom’s Sin: Genesis 18–19 and Its Interpretation (TBN 7; Leiden: Brill, 2004).
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loben und zu rühmen.“ Als der Schreck von Abraham gewichen war und die gute Kunde zu ihm kam, begann er mit uns über das Volk Lots zu streiten.
Ibrāhīms Begegnung mit den Boten Gottes rahmt die zentrale Verkündigungsszene, die sich ganz an die Frau als Verheißungsempfängerin richtet. Das berühmt gewordene Lachen der Sara aus Gen 18,12 führt Sure 11 unvermittelter ein, es ist offensichtlich ein fester Bestandteil der Tradition. Die Frau Ibrāhīms ist eine Berufene, die Gestaltung der Szene enthält die formalen Elemente wie bei der Berufung biblischer Propheten. Ibrāhīms Frau bekommt Isḥāq und dessen Sohn Ya’qūb (Jakob) geoffenbart. Als Einwand formuliert sie gegenüber den Boten Gottes das entscheidende Hindernis des Alters. Aufgrund ihres Einwands erhält sie bestätigend die Botschaft von Segen und Barmherzigkeit, denn Gott sei dies kein Hindernis. Die Boten Gottes unterstreichen, dass Ibrāhīms Frau Isḥāq gebären und Ya’qūb als dessen Nachkommen haben wird. Das Lob Gottes ist die angemessene Reaktion auf Gottes Wundertaten. Die Mutter Isḥāqs rückt hier gegenüber Ibrāhīm deutlicher als in Gen 18 ins Zentrum. Erst nach der Verkündung an seine Frau kommt Ibrāhīm aus der „Schockstarre“. In Sure 15,51–57 dagegen spielt die Frau Ibrāhīms gar keine Rolle. Nur Ibrāhīm wird ein „kluger Knabe“ verkündet, der Einwand des Alters bezieht sich hier nur auf ihn und wird mit einem Bekenntnis zu einem Gott, an dem nicht gezweifelt werden soll, entkräftet. Die Frau Ibrāhīms fehlt als Bedeutungsträgerin, diese Leerstelle klafft nicht nur im Vergleich zu dem Traditionsstoff, sondern auch innerkoranisch zu den anderen Suren. Die koranische Rezeption der Saratraditionen variiert also das Motiv und greift je nach theologischem Akzent auf unterschiedliche Traditionen zurück. So entspricht z. B. der gegenüber der Bibel fehlende Anthropomorphismus in Sure 11 stark der jüdischen Interpretation von Gen 18 in Genesis Rabbah.16 Aber auch andere frühjüdische und christliche Traditionen zu Saras königlicher, jedenfalls vornehmer Herkunft, die wie Ibrāhīm ihr Zuhause verlassen muss, sind weit verbreitet und entfalten sich erneut in der muslimischen Tradition. Saras Schönheit, die Gefährdung durch einen Tyrannen, Ibrāhīm, der sie als seine Schwester ausgibt, Pharaos Versuch, ihrer habhaft zu werden, seine Bestrafung, worauf er ihr Hagar als Sklavin gibt – all diese Geschichten sind im Umlauf. Das Motiv von Ibrāhīm als erstem Muslim wird auf Sara als erste Muslima übertragen – eine Konzeption, die in Mekka auch mit Hājar verbunden ist.
16 Vgl. Michael Lodahl, Claiming Abraham: Reading the Bible and the Qur’an Side by Side (Grand Rapids: Brazos Press, 2010), bes. 9–24; Gisela Egler, „Sarah und Hagar in islamischer Tradition“, Cibedo 6 (1992): 182–186.
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2.3
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Hājar (Hagar), die Mutter Ismā‘īls (Ismaels)
Hājar wird im Koran nicht erwähnt, auch nicht als Mutter von Ismā‘īl, obwohl dieser eine wichtige Rolle spielt. „Islamic scholars … will be struck by the paucity of sources when compared with what may be found in the Judeo-Christian traditions.“17 Die Tradition erst hat Hājar in die Auslegung der Sure 14,37 eintragen, wo es heißt: Unser Herr, siehe, ich habe von meinen Nachkommen einige angesiedelt in einem unfruchtbaren Tal bei deinem Heiligtun, unser Herr, auf dass sie das Gebet verrichten. Mach du, dass Menschenherzen sich hin zu ihnen neigen, und schenke ihnen Früchte für den Lebensunterhalt, vielleicht sind sie ja dankbar.
Der Kontext der Sure gibt keine Anhaltspunkte, dass es hier um Hājar und Ismā‘īl ginge. Aber die semantischen Leerstellen wie etwa „einige aus meiner Nachkommenschaft“ waren später leicht zu füllen, als man Ismā‘īl und Hājar mit der Ka‘ba verband. Erst die Hadith-Sammlung von Sahih al-Bukhari tradiert Hājar zusammen mit Ismā‘īl als Gründerin oder Mitgründerin der Riten in Mekka.18 17 Hibba Abudigeiri, „Hagar: A Historical Model for ‚Gender Jihad‘“, in Daughters of Abraham: Feminist Thought in Judaism, Christianity, and Islam (hg. v. Yvonne Yazbeck Haddad und John L. Esposito; Gainesville: University Press of Florida, 2001), 81–107; 81. 18 Dort bringt Ibrāhīm Hājar mit Ismā‘īl an einen wasserlosen Ort, was Ibrāhīm auf Hājars Vorwürfe hin als Gottesbefehl enthüllt und Hājar vertraut gottesfürchtig auf Gottes Versorgung. Als das Wasser ausgeht und das Kind zu sterben droht, läuft sie verzweifelt zwischen den Bergen al-Safa und al-Marwa hin und her, bis sie durch einen Engel den ZamZam-Brunnen findet und diesen einfasst. Damit kann sie sich und ihr Kind durchbringen. Der Lauf zwischen beiden Bergen gehört zum Ritus des Hadsch. Nur Sure 2,158 könnte eventuell auf den Lauf gedeutet werden, erwähnt aber auch Hājar nicht. Erst später vereindeutigte man den Ritus, entweder in Transformierung einer alten Bedeutung oder durch eine Neudefinition. Im kollektiven Gedächtnis der Wallfahrt lebt die Erinnerung an Hājar als Stammmutter der Araber (vgl. Gen 25,12– 18) fort. Die Pilgernden folgen nicht nur den Spuren Ibrāhīms und Ismā‘īls, sondern erleben auch das Schicksal und die Rettung der Hājar nach. Das Grab Hājars wird in Mekka an der Ka‘ba verehrt, vgl. Riffat Hassan, „ʽEid al-Adha (Feast of Sacrifice) in Islam: Abraham, Hagar and Ishmael“, in Commitment and Commemoration: Jews, Christians, Muslims in Dialogue (hg. v. André LaCoque; Chicago: Exploration Press, 1994), 131–150; Fred Leemhuis, „Hājar in the Qur’ān and its Early Commentaries“, in Abraham, the Nations, and the Hagarites: Jewish, Christian, and Islamic Perspectives on Kinship with Abraham (hg. v. Martin Goodman, George H. van Kooten und Jacques T.A.G.M. van Ruiten; TBN 13, Leiden: Brill, 2010), 503–508; Alan Cooper, „Hagar In and Out of Context“, USQR 55 (2001): 35–46; Thomas Michel, „Hagar, Mother of Faith in the Compassionate God“, IslChr 30 (2004): 47–54; Jessica Grimes,
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2.4
Die Frauen um Mūsā
Die Exoduserzählung rezipiert der Koran ebenso, u. a. auch die Kindheitsgeschichte Mose (Ex 1–2). Mūsā ist der am häufigsten erwähnte Prophet.19 In diesem Zusammenhang finden auch Moses Mutter, seine Schwester und seine Frau Zippora in Sure 20 und Sure 28 Erwähnung, allerdings tragen auch sie keinen Namen. Die wenigen Sätze und Andeutungen setzen die Geschichte des Kindes Mose als bekannt voraus. An beiden Stellen geht es darum, wie Mūsā ausgesetzt und durch seine Schwester der Mutter zurückgegeben wird. Grundtenor ist die Rechtleitung und Bewahrung des Propheten Mūsā durch alle Gefahren und vor allen Feinden (Pharao und Pharaos Frau). Anlässlich der Bewahrung Mūsās als kleiner Junge gibt Gott seiner Mutter eine direkte Anweisung – sie erhält eine Offenbarung. In dieser verspricht ihr Gott, dass Mūsā unbeschadet bleiben wird – und trotzdem wird die Mutter als aufgeregt und untröstlich gezeichnet, so dass Gott ihr durch die Schwester das Kind zurückgibt, „ … damit sie sich erfreue und nicht traurig sei“ (Sure 20,40). Sie erhält also ein Zeichen, damit sie Gottes Ankündigungen vertraut. Interessant ist, dass sich Gott hier wie in Sure 28 der Traurigkeit und Trauer der Mutter über den Verlust des – wenn auch geretteten – Kindes erbarmt. Dass sie nicht traurig sein soll, dient nicht nur ihrer Freude, sondern dem Ziel, „damit sie wisse, dass die Verheißung Gottes wahr wird“ (Sure 28,13). Es geht also wieder um die Verkündigung von Gottes Eigenschaften, nicht um die Zeichnung der Frauenfigur. Exemplarisch sei hier die Kindheitsgeschichte Mūsā aus Sure 28,7–14.23–31 zitiert: Wir gaben Moses Mutter ein: „Nähre ihn an deiner Brust! Wenn du aber um ihn fürchtest, dann wirf ihn in den Strom! Und fürchte dich nicht, und sei nicht traurig! Siehe, wir werden ihn dir wiedergeben und ihn zu einem der Gesandten machen!“ Da nahmen ihn Leute aus dem Hause Pharaos mit sich, auf dass er ihnen zu einem Feind und Grund zur Trübsal werde. Siehe, Pharao, Haman und ihre Heerscharen, die waren Missetäter. Pharaos Frau sprach: „Eine Freude ist er für mich und dich! Tötet ihn nicht! Vielleicht ist er uns noch von Nutzen, oder wir nehmen ihn als Sohn an!“ Und dabei ahnten sie nichts. Das Herz der Mutter Moses wurde leer, und fast hätte sie ihn preisgegeben, wenn wir nicht ihr Herz gefestigt hätten, damit sie zu den Gläubigen gehöre. Sie sprach zu seiner Schwester: „Folge ihm!“ Da schaute sie von weitem zu ihm, ohne dass sie es merkten. Wir hatten ihm zuvor die Mutterbrust verwehrt. Da sprach sie: „Soll „Reinterpreting Hagar’s Story“, lectio difficilior 1 (2004), online: http://www.lectio. unibe.ch/04_1/Grimes.Hagar.pdf [zuletzt abgerufen am 19.10.2018]. 19 Zu Mūsa im Koran vgl. exemplarisch Karl Prenner, Muhammad und Musa: Strukturanalytische und theologiegeschichtliche Untersuchungen zu den mekkanischen Musa-Perioden des Qur’ān (Studien 6; Altenberge: CIS, 1986); Brannon M. Wheeler, Moses in the Qur’an and Islamic Exegesis (RoutledgeCurzon Studies in the Quran; London: RoutledgeCurzon, 2002).
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ich euch zu Leuten eines Hauses führen, die an eurer Stelle für ihn sorgen und ihm wohlgesinnt sind?“ So brachten wir ihn seiner Mutter wieder, damit sie sich erfreue und nicht traurig sei und damit sie wisse, dass die Verheißung Gottes wahr wird. Doch die meisten von ihnen haben kein Wissen. (Sure 28,7–13)
An diese Episode schließt sich jene von der Wanderung nach Madyan (Midian) an. Sure 28,23 nimmt Elemente aus Ex 2,15–22 auf, wo Mose Zippora und ihren Schwestern beim Tränken der Herden hilft und so Zippora zur Frau bekommt. Allerdings spricht die Bibel von sieben Schwestern, hier sind es nur zwei. Möglicherweise fließen hier wie in der folgenden Szene Motive von der Brunnenszene zwischen Jakob und Rahel (Gen 29) mit ein, da der biblische Mose nicht um Zippora dienen muss. Der biblische Jakob aber muss um zwei Töchter dienen. Anders als in der Bibel ergreift eine der Töchter die Initiative und schlägt dem Vater vor, ihn als Knecht zu behalten. Diese tritt als eigenständige Gesprächspartnerin auf. Als er zum Wasser von Midian hinabstieg, da fand er eine große Schar von Menschen dort beim Tränken, und er fand, abseits von ihnen, zwei Frauen, die ihr Vieh im Zaume hielten. Er sprach: „Was ist mit euch?“ Sie sprachen: „Wir können nicht eher tränken, als bis die Hirten fertig sind, denn unser Vater ist ein hochbetagter Greis.“ Da tränkte er für sie. Dann ging er in den Schatten und sprach: „Mein Herr, ich bedarf des Guten, das du zu mir herabgeschickt hast.“ Da trat die eine schüchtern zu ihm hin und sprach: „Siehe, mein Vater bittet dich zu sich, damit er dich dafür belohnen kann, dass du für uns getränkt hast.“ Als er zu ihm kam und ihm die Geschichte erzählte, sprach er: „Fürchte dich nicht! Du bist dem frevlerischen Volk entkommen.“ Eine der beiden sprach: „Mein Vater! Nimm ihn in deinen Dienst! Siehe, der Beste, den du in deinen Dienst nehmen kannst, ist stark und treu.“ Er sprach: „Siehe, ich will dich mit einer von meinen beiden Töchtern verheiraten, vorausgesetzt, dass du acht Jahre bei mir dienst! Willst du zehn vollenden, so liegt das bei dir. Doch will ich dir nicht lästig fallen. So Gott will, wirst du finden, dass ich zu den Redlichen gehöre.“ Er sprach: „Abgemacht sei es zwischen mir und dir! Und welche der beiden Fristen ich erfülle, es soll gegen mich keine Feindseligkeit geben! Gott waltet über das, was wir sagen.“ (Sure 28,23–28)
Ab V. 29 geht es sodann um die Berufung von Mūsā (vgl. Ex 3).
2.5
Die Verführerin von Yūsuf und die List der Frauen
Den „Josefsroman“ (Gen 37–50) rezipiert Sure 12, die mit Yūsuf (Josef) überschrieben ist. Legt die biblische Erzählung Wert auf erzählerische Spannung, so zielt die Sure darauf ab, beispielhaft die Rechtleitung und Bewahrung des Propheten Yūsuf durch Gott zu demonstrieren. Die Sure ist als Rede Gottes gestaltet. Die Bewertungen der handelnden Personen steuern das richtige
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Verständnis. „Anstatt den plot mitzuerleben, ist vom Leser gefordert, dass er die höheren Weisheiten zur Kenntnis nimmt.“20 Dabei stellt die Sure keine Nacherzählung, sondern eine eigenständige Komposition mit teils weiteren außerbiblischen Motiven dar. Yūsuf wird verkauft, kommt nach Ägypten und bekommt von Gott alle Weisheit verliehen. Da beginnt der Konflikt mit der Frau des Ägypters. Ihre negative moralische Charakterisierung macht von vornherein klar, dass die Frau die klassische Verführerin des Unschuldigen und Glaubenden ist. V. 24 nimmt den guten Ausgang vorweg, es bleibt nur noch offen, wie Yūsuf bewahrt wird, nicht, dass er bewahrt wird. Da trachtete die Frau, in deren Haus er war, ihn zu verführen. Sie verriegelte die Türen und sprach: „Herbei mit dir!“ Er sprach: „Behüte Gott! Mein Herr hat ja meine Wohnstatt wohlbereitet. Siehe, den Frevlern wird es nicht wohlergehen!“ Sie aber trug nach ihm Verlangen, und auch er hätte sie wohl begehrt, wäre nicht die Erleuchtung von seinem Herrn gekommen. So wendeten wir Böses und Abscheuliches von ihm, denn siehe, er ist einer unserer ergebenen Knechte. Da liefen beide eilends hin zur Tür, und sie zerriss sein Hemd von hinten, und sie trafen an der Tür auf ihren Herrn. Sie sprach: „Die Vergeltung für den, der den Deinen Böses antun wollte, kann nur Gefängnis sein oder schlimme Pein.“ Er sprach: „Sie war es, die mich zu verführen suchte.“ Und ein Augenzeuge aus ihrem Haus bezeugte: „Wenn sein Hemd von vorn zerrissen ist, spricht sie die Wahrheit, und er ist einer von den Lügnern; doch wenn sein Hemd von hinten zerrissen ist, hat sie gelogen, und er ist einer, der die Wahrheit spricht.“ Als er nun sah, dass sein Hemd von hinten zerrissen war, sprach er: „Siehe, das ist eins der Ränkespiele von euch Frauen! Ja, eure Ränkespiele sind gewaltig. Joseph! Wende dich ab davon! Und du, Frau, bitte um Verzeihung wegen deiner Schuld! Denn siehe, du warst eine von den Sündigen!“ (Sure 12,23–29)
Ohne die Bewahrung Gottes wäre Yūsuf der Verführung der Frau des Ägypters erlegen. So aber scheitert der Verführungs- und Verleumdungsversuch der Frau; sie wird als schuldig überführt. Ihr Verhalten charakterisiert der Ägypter als übliches listiges Verhalten von Frauen insgesamt (V. 28). Die Szene wird vor dem Abschluss in V. 33f. unterbrochen, die Frau tritt der üblen Nachrede entgegen. Da sprachen die Frauen in der Stadt: „Die Frau des Mächtigen sucht ihren Burschen zu verführen! Er entflammte sie zu Liebesleidenschaft. Siehe, wir sehen sie in klarem Irrtum.“ Als sie von deren Arglist hörte, da sandte sie zu ihnen und richtete ein Gastmahl für sie aus. Sie legte einer jeden ein Messer hin und sprach: „So komm heraus zu ihnen!“ Und als sie ihn erblickten, da rühmten sie ihn, schnitten sich in die Hände und sprachen: „Gott bewahre, das ist kein 20 Harald Schweizer, „Die Josefsgeschichte im Koran und in der hebräischen Bibel: Synoptischer Vergleich“, BN 144 (2010): 15–39; 23; vgl. Ders., „Koranische Fortschreibung eines hebräischen Textes: Hermeneutische Überlegungen anhand der Gestalt Josefs“, BN 143 (2009): 69–79.
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Mensch, das ist vielmehr ein edler Engel!“ Sie sprach: „Genau der ist es ja, um dessentwillen ihr mich getadelt habt. Ich wollte ihn verführen, doch er blieb standhaft. Und wenn er nun nicht tut, was ich ihm befehle, so wird er eingesperrt und ist dann einer der Erniedrigten.“ Er sprach: „Herr! Der Kerker ist mir lieber als das, wozu die Frauen mich bewegen wollen. Und wenn du ihre Ränkespiele nicht von mir wendest, dann könnte ich ihnen verfallen und einer von den Toren sein.“ Da erhörte ihn sein Herr und wendete ihre Ränkespiele von ihm ab. Siehe, er ist der Hörende, der Wissende. (Sure 12,30–34)
In der Bibel bringt Josefs Schönheit die Frau des Potifar dazu, ihn immer wieder verführen zu wollen (Gen 39,6). Diese Versuche stoßen auf kein Verständnis. Der Koran vertieft dieses Motiv und baut es aus. Aber er äußert auch Verständnis für die Frau des Pharao, die durch die „Frauen der Stadt“ in gewisser Weise wegen der außerordentlichen Schönheit Yūsufs („engelgleich“) rehabilitiert wird. Da sich das Motiv auch im jüdischen Midrasch findet, gilt auch hier, dass sich die Charakterisierung der verführenden Ägypterin auf einen größeren Fundus an Texten und Geschichten stützt als nur den biblischen Text. Doch trotz allen Verständnisses: Am Ende bleibt die Frau Gott gegenüber im Unrecht und Yūsuf wird bewahrt. Nur der Beistand Gottes rettet also Yūsuf vor der List der Frau. Die Geschichte illustriert die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit, am Glauben auch unter widrigen Umständen festzuhalten und Gott dabei um Hilfe anzuflehen. Die Tradition wie die spätere Literatur hat diese Szene als Liebesgeschichte zwischen Joseph und Suleika entfaltet.21
2.6
Die Königin von Saba
Die schon in der Bibel legendäre Königin von Saba (1 Kön 10,1–13) bekommt im Koran (Sure 27,22–44) eine ganz eigene, märchenhafte Prägung mit Motiven, die außerhalb der Bibel liegen. Legenden um diese Königin und das südarabische Reich existieren in der jüdischen, äthiopischen wie südarabischen Tradition.22 Im Koran steht ihre Geschichte in der Reihe der Prophetenerzählungen, die ein Zeichen für die Menschen waren: Mūsā, Ṣāliḥ, der Prophet für die Ṯamūd, und Lūṭ. Sulaimān (Salomo) sammelt sein Heer aus Menschen, Dschinnen und Vögeln, vermisst den Wiedehopf und will ihn für sein Fern21 Vgl. Erika Glassen, „Die Josephsgeschichte im Koran und in der persischen und türkischen Literatur“, in Paradeigmata: Literarische Typologie des Alten Testaments (hg. v. Franz Link; 2 Bde; Schriften zur Literaturwissenschaft 5; Berlin: Duncker & Humblot, 1989), 1:169–179. 22 Vgl. den Themenband der Zeitschrift Graphè 11 (2002): La Reine de Saba; Jacob Lassner, Demonizing the Queen of Sheba: Boundaries of Gender and Culture in Postbiblical Judaism and Medieval Islam (Chicago Studies in the History of Judaism; Chicago: University of Chicago Press, 1993).
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bleiben bestrafen. Er aber bringt die Nachricht, dass die Königin der Sabäer reich und mächtig ist, aber dass ihr Volk durch Satans Werk nicht Gott, sondern die Sonne anbetet (V. 22–28). Sulaimān schickt einen Brief durch den Wiedehopf und fordert sie auf, sich zu bekehren „Erhebt euch nicht gegen mich, und kommt als Gottergebene zu mir!“ (V. 31). Während die Bibel noch die Königin von Saba als eine Regentin sieht, die Salomo auf die Probe stellt, dann aber seine Überlegenheit anerkennt, kehren sich hier die Rollen von Anfang an um: Die Königin von Saba wird auf die Probe gestellt. Hier fließen aber zusätzlich weitere legendenhafte Stoffe in die Geschichte ein. Immerhin entscheidet sich die Königin von Saba gegen einen Krieg, den ihre Berater vorschlagen, sondern bietet Geschenke an. Da es aber um ihre Bekehrung zum rechten Glauben geht, lehnt Sulaimān ab und fordert seine Untertanen heraus, wer als erstes den Thron der Königin bringen kann. Es sprach derjenige, der Wissen aus dem Buch besaß: „Ich bringe ihn dir sofort!“ Als er ihn bei sich stehen sah, sprach er: „Das hier gehört zur Huld meines Herrn, mich zu erproben, ob ich dankbar oder undankbar bin. Wer dankbar ist, tut sich das selbst zugute, doch wer undankbar ist – siehe, mein Herr ist auf keinen angewiesen, edelmütig.“ Er sprach: „Macht ihren Thron für sie unkenntlich! Wir wollen sehen, ob sie rechtgeleitet ist oder zu denen gehört, die sich nicht rechtleiten lassen.“ Als sie kam, wurde gesagt: „Ist so dein Thron?“ Sie sprach: „Als ob er es wäre!“ „Schon vor ihr wurde uns Wissen gebracht, und wir waren Gottergebene. Abgehalten hat sie das, was sie an Gottes statt (!) verehrte. Siehe, sie gehörte zu einem Volk Ungläubiger.“ Es wurde zu ihr gesagt: „Tritt ein in den Palast!“ Als sie ihn sah, dachte sie, er sei ein Wasser und entblößte ihre Beine. Er sprach: „Es ist nur ein Palast, mit Glas vertäfelt.“ Sie sprach: „Mein Herr! Ich habe an mir selbst gefrevelt. Mit Salomo ergebe ich mich Gott, dem Herrn der Weltbewohner.“ (Sure 27,40–44)
Die Königin von Saba wird von einem Dschinn zu Sulaimān gebracht, auf die Probe gestellt und bekehrt sich. Sie spricht das Sündenbekenntnis und ergibt sich unter Gottes Willen. In dieser Verarbeitung nicht nur biblischer Traditionen über die Königin von Saba gerät sie zum Vorbild derer, die vom Polytheismus zum Bekenntnis an den einen Gott kommen. Die islamische Tradition verleiht der Königin den Namen Bilqīs.
2.7
Lūṭs Frau und seine Töchter
An die Verkündigung an die Frau Ibrāhīms schließt sich – wie im biblischen Zusammenhang – direkt die Passage an, in der es um die Bedrängnis und Rettung Lūṭs und seiner Familie geht (Sure 11,77–83).23 Der Koran nimmt nur 23 Vgl. Michael Lodahl, „Disputing over Abraham Disputing with God: An Exercise in Intertextual Reasoning“, CScR 34 (2005): 487–504.
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einige Elemente von Gen 19 auf, darunter Lūṭ und seine Töchter. Die Töchter bietet Lūṭ den Bedrängern aus der Stadt an, was diese aber ablehnen. Die längere biblische Passage, mit denen Lot seine Töchter „anpreist“, um die Gäste zu schonen, ist auf einen Satz zusammengedrängt. Als unsere Boten zu Lot kamen, wurde er ihretwegen ganz bekümmert, geriet durch sie in Bedrängnis und sprach: „Das ist ein Tag, der schwer zu ertragen ist!“ Da kam sein Volk eilends zu ihm gelaufen; doch hatten sie zuvor immer wieder Schlimmes getan. Er sprach: „Mein Volk! Hier, da sind meine Töchter, sie sind besonders rein für euch. Fürchtet Gott, und bringt nicht Schande über mich! Ist unter euch denn kein aufrechter Mann?“ Sie sprachen: „Du weißt doch wohl, dass wir kein Recht an deinen Töchtern haben; und weißt doch ganz genau, was wir wollen!“ Er sprach: „O hätte ich doch nur Macht gegen euch oder könnte Zuflucht suchen bei einer starken Stütze!“ Sie sprachen: „O Lot, wir sind die Boten deines Herrn! Sie werden dir nichts antun können. Brich daher auf mit deinen Angehörigen tief in der Nacht, und keiner von euch wende sich nach hinten, bis auf deine Frau! Siehe, ihr Schicksal wird das sein, was sie getroffen hat. Siehe, der für sie festgesetzte Zeitpunkt ist der Morgen, und ist der Morgen nicht schon nahe?“ (Sure 11,77–81).
In Gen 19,26 erstarrt Lots Frau zur Salzsäule, weil sie sich dem Befehl widersetzt, sich nicht umzuwenden. Lūṭs Frau aber hat hier keine Wahl. Sie wird sich umwenden, weil ihr Schicksal vorherbestimmt und sie wie die anderen vernichtet wird. Dagegen ist im Schicksal der Töchter vorherbestimmt, dass ihnen nichts passiert. Am Schicksal der Frauenfiguren im Hause Lūṭ zeigt sich, dass der Wille Gottes unabänderlich geschieht, positiv wie negativ. Gottes Boten retten den Propheten Lūṭ aus schwerster Bedrängnis – eine Hoffnung für die Gläubigen der Gegenwart.
2.8
Frauen als Beispiele des Glaubens und Unglaubens (Sure 66,10–12)
Noch einmal erwähnt der Koran die Frau Lūṭs zusammen mit der Frau Nūhs (Noahs), beide stehen in Sure 66,10 als Beispiel für Ungläubige. Wieder geht es nicht um die Persönlichkeit der Frauen, sondern um ihr Beispiel für die jetzigen Gläubigen. Während über Noahs Frau biblisch nichts Eigenständiges, vor allem nichts Negatives erzählt wird, aber Lots Frau zur Salzsäule erstarrt (Gen 19,26), setzt diese Sure Wissen um die Frauen voraus, das vermutlich über die biblischen Texte hinausgeht. Nur so lässt sich erklären, dass die Frauen hier ohne weiteren Kontext als Beispiel für Unglauben genannt werden können. Es geht erneut darum, dass alle, auch die Frauen, sich selbst vor Gott verantworten müssen. Diese Beispiele betonen die Eigenständigkeit von Frauen in religiösen Entscheidungen.
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Ulrike Bechmann Gott hat ein Gleichnis für die Ungläubigen geprägt: Die Frau von Noah und die Frau von Lot. Beide waren zweien von unseren frommen Knechten unterstellt – und betrogen sie. Da halfen ihnen beide nichts mehr gegen Gott. Und es ward gesagt: „Geht ein ins Feuer, zusammen mit den anderen!“ (Sure 66,10)
Dem schließen sich in Sure 66,11f. zwei Frauen als Beispiel des Glaubens an: Die Frau des Pharao und Maryam: Und Gott hat ein Gleichnis für die Gläubigen geprägt: Pharaos Frau, als sie sprach: „Mein Herr, baue mir bei dir ein Haus, im Paradies, und rette mich vor Pharao und seinem Tun, und rette mich vor dem frevlerischen Volk!“ Und Maria, die Tochter von ‘Imran, die ihre Scham hütete. Da bliesen wir von unserem Geist in sie, und sie glaubte an die Worte ihres Herrn und an seine Bücher. Und sie war eine der demütig Ergebenen. (Sure 66,11f.).
Allerdings kommt die Frau des Pharao auch als Gegnerin Mūsās vor, wenn sie zu dem feindlichen Pharao gezählt wird (Sure 28,9). Sie selbst ist dem Kind freundlich gesinnt und gibt den Befehl, den Knaben am Leben zu lassen. Aber ihre Zugehörigkeit zu Pharao wird ihr zum Verhängnis.
3.
Rezeption neutestamentlicher und apokrypher Frauentraditionen
3.1
Das Protevangelium des Jakobus und die christlichen Marientraditionen
Die Rezeption ntl. Traditionen konzentriert sich in Sure 19 und Sure 3 insbesondere auf die lukanische Kindheitsgeschichte (Lk 1–2). Doch wird gerade an diesen koranischen Traditionen deutlich, dass das weite Feld der apokryphen Literatur zum Rezeptionsraum dazugehört, einschließlich der vielfältigen frühchristlichen Marientraditionen in den Kirchen des Ostens. Insbesondere das apokryphe Protevangelium des Jakobus (ProtevJak) beeinflusste die Korantexte über Maryam.24 Diese vielfältigen Beziehungen koranischer Texte zu anderen Texten bestätigen, was das Konzept der Intertextualität festhält, nämlich die Unendlichkeit möglicher Textbeziehungen. Kronholm stellt
24 Vgl. Ulrike Bechmann, „Apokryphe Evangelientraditionen im Koran“, BiKi 60 (2005): 108–111.
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dazu fest: „We are faced with a flood of influence with almost innumerable branches.“25 Aus der großen Zahl möglicher intertextueller Bezüge sei hier exemplarisch das ProtevJak aufgrund der deutlichen Bezüge zu der Maryam-Tradition herausgegriffen. Vermutlich im 2. Jh. verfasst, war es nicht in den ntl. Kanon aufgenommen worden. Aber viele Übersetzungen dieses Evangeliums zeugen von seiner weiten Verbreitung. Heute noch existieren allein 140 griechische Handschriften. Es dürfte zum Text- und Traditionsbestand des christlichen Lebens auf der arabischen Halbinsel gehört haben. Das ProtevJak trägt in der frühesten erhaltenen Fassung des 4. Jh. die Überschrift „Geburt Mariens“ und im Untertitel den Namen des Jakobus. „Als Charakterisierung der Gesamtintention dieses Werkes … bietet sich das Stichwort ‚Marienlob‘ an.“26 Es füllt die narrativen Leerstellen der Evangelien über das Leben Marias, um ihre besondere Heiligkeit herauszustreichen. Für die Entwicklung der mariologischen Traditionen insgesamt war es von größter Bedeutung.
3.2
Szenenabfolge in den Maryam-Suren im Vergleich mit Lk 1–2 und ProtevJak
Im direkten Vergleich der einzelnen Szenen lassen sich sowohl die spezifischen Ziele der Texte als auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Tradierung feststellen. Sehr unterschiedlich rezipieren die beiden Suren Elemente des ProtevJak wie der lukanischen Tradition. Der Überblick über die einzelnen Motive der Erzählungen in allen vier wichtigen Traditionen zur Kindheitsgeschichte Marias und Jesu zeigt: Nur Sure 3 kennt das Gebet der Frau ‘Imrāns (der Mutter Maryams), das nur eine Parallele im ProtevJak hat. Das ProtevJak erzählt zunächst von Joachim und Anna, den Eltern Marias. Es schildert die Vorgänge von der wunderbaren Geburt Mariens, ihr Leben im Tempel als Jungfrau, ihre Reinheit, die jungfräuliche Geburt, ihre Flucht nach Ägypten. Marias Besonderheit zeigt sich durch die himmlische Ankündigung ihrer Geburt. Als der Engel Gabriel Maria die wunderbare Geburt Jesu verkündet, muss sie sich vor haltlosen Anklagen im Tempel verbergen, sie wird geprüft und empfängt und gebiert schließlich jungfräulich Jesus, was eine Hebamme bestätigt. Eine inhaltliche Beziehung zum ProtevJak legen die Motive in den Versen über Maryam in Sure 3,33ff. nahe. 25 Tryggve Kronholm, „Dependence and Prophetic Originality in the Koran“, OrSuec 31–32 (1982–1983): 47–70; 60; vgl. Greifenhagen, „Cooperating Revelations?“. 26 Hans-Josef Klauck, Apokryphe Evangelien: Eine Einführung (Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk, 2002), 90.
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Die Johannes-Zacharias-Traditionen (Yahyā/Zakarīyā) mit der wunderbaren Empfängnis und Geburt durch die alten und unfruchtbaren Eltern dagegen kennen beide Suren und nur Lk, nicht ProtevJak. Bei den Maria/Maryam-Passagen wechseln die Parallelen. Als gemeinsamer Kern aller vier Traditionen gibt es nur ein Element: Die Verkündigung an Maria/Maryam, dass sie als Jungfrau einen Sohn, Jesus bzw. ‘Īsā, gebären wird. Darauf antwortet Maria/Maryam dem himmlischen Boten mit einer nur leicht variierten Gegenfrage: „Wie kann das geschehen, wo ich keinen Mann erkenne?“ Jede der unterschiedlichen Erzähltraditionen kreiert allerdings eine besondere theologische Perspektive. Sure 19,1–33
Sure 3,33–51
Lk 1–2
ProtevJak 1–16
Gebet der Frau Gebet Joachim/ ‘Imrāns Annas Schwangerschaft der Ankündigung Marias Frau ‘Imrāns und Schwangerschaft Maryam im Tempel Maria im Tempel Versorgung durch Versorgung durch Gott Gott Gebet des Zakarīyā Gebet des Zakarīyās Gebet des Zacharias Ankündigung Yaḥyās Ankündigung Ankündigung Yaḥyās Johannes Verkündigung an Verkündigung an Verkündigung an Verkündigung an Maryam Maryam Maria Maria Maryam verbirgt sich Maryam verbirgt Maria verbirgt sich sich Anklage im Tempel Prüfung Josef/Maria Geburt ‘Īsās (Palme) Geburt Jesu (Stall) Geburt Jesu (Stall) Zeichen: Zeichen: Zeichen: Zeichen: Rede ‘Īsās als Kind Taten ‘Īsās Windeln Jungfrauengeburt Anklage im Tempel Darstellung im Tempel ‘Īsā verteidigt Maryam
3.3
Die Frau ‘Imrāns, die Mutter Maryams in Sure 3,33–37
Zwar fehlt für die Mutter Maryams, die Frau ‘Imrāns, eine biblische Basis, aber das ProtevJak kennt Marias Eltern. Da die Frau ‘Imrāns in den Suren so eng mit Maryam verankert ist, sei sie hier zumindest kurz erwähnt. An ihr hängt die Hochschätzung Maryams, sie ist es, die ihre Tochter Maryam Gott weiht.
Biblische Frauenfiguren im Koran
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Die Frau ‘Imrāns und ihr Kind Maryam stehen in einer Reihe der Erwählten, die bei Adam beginnt. Was ProtevJak in großer Breite erzählt, bündelt sich in den wenigen Versen der Sure 3,33–37. Von ‘Imrān selbst ist außer als Namensgeber nicht die Rede. Von der Frau ‘Imrāns dagegen werden zwei direkte Reden überliefert. Im Gebet verspricht sie Maryam Gott schon vor ihrer Geburt und bittet um die Annahme des Kindes. Ihre Kindheit im Heiligtum und ihre wunderbare Versorgung durch Gott werden als Wunder gepriesen. Diese Bitte wiederholt sie nach der Geburt Maryams, der sie selbst den Namen gibt. Sie spricht auch zwei Gottesprädikationen aus: Gott hört und weiß alles. Und: Bei Gott können sie und ihr Kind Zuflucht finden. Die Frau ‘Imrāns wird von Gott erhört und Maryam von Gott in besonderer Weise angenommen.
3.4
Die Frau des Zakarīyā
In der lukanischen Kindheitsgeschichte geht die Verkündigung des Johannes an Elisabeth und Zacharias (Lk 1) der Ankündigung von Jesu Geburt an Maria voraus. Ähnlich verbinden sich beide Traditionen in Sure 19 und Sure 3. Dieser Stoff fehlt im ProtevJak. Nach der klassischen zeitlichen Ansetzung gehört Sure 19 zu den mekkanischen Suren, entsteht also früher als Sure 3. Diese Zeit ist durch Minderheitensituation und Ablehnung der Verkündigung Muhammads durch das polytheistische Mekka geprägt. Im Vergleich beider Suren werden auch die unterschiedlichen Akzente deutlich, ohne sie im Einzelnen ausführen zu können. Die koranische Verkündigung von Yaḥyā ähnelt ganz der Verkündigung von ‘Īsā an Maryam, zum Teil bis in den Wortlaut. Sure 19,2–11
Sure 3,37–41 37 Da nahm ihr Herr sie gütig an, ließ sie aufwachsen auf schöne Weise und setzte Zacharias zur Pflegschaft über sie ein. Sooft nun Zacharias zu ihr in den Tempel eintrat, fand er bei ihr Speise. Er sprach: „Woher kommt denn das zu dir?“ Sie sprach: „Es ist von Gott. Siehe, Gott versieht mit Gaben, wen er will, ohne abzurechnen.“
2 Erinnerung an deines Herrn Barmherzigkeit an seinem Knecht Zacharias. 3 Damals, als er insgeheim zu seinem 38 Da betete Zacharias zu seinem Herrn Herrn rief.
320 4 Er sprach: „Mein Herr, sieh doch, schwach ist mir das Gebein geworden, schlohweiß das Haupt! Doch im Gebet zu dir, mein Herr, war ich nicht erfolglos. 5 Siehe, ich fürchte die Verwandten nach mir, da meine Frau unfruchtbar ist. So schenke mir von deiner Seite einen Nahestehenden, 6 der Erbe sei von mir und auch vom Hause Jakobs! Und mach, mein, Herr, ihn wohlgefällig!“ 7 „O Zacharias, siehe, wir kündigen dir einen Knaben an. Sein Name sei Johannes, womit wir früher noch niemanden benannten!“ 8 Er sprach: „Mein Herr! Wie soll ich einen Knaben bekommen, da meine Frau unfruchtbar ist und ich schon hochbetagt bin?“ 9 Er sprach: „So ist es. Dein Herr spricht: ‚Das ist für mich ein Leichtes, da ich dich ja früher schon erschaffen habe, als du noch nichts warst.‘“ 10 Er sprach: „Mein Herr, mach mir ein Zeichen!“ Er sprach: „Dein Zeichen sei, dass du nicht zu den Menschen sprichst drei Tage ohne Unterbrechung.“ 11 Da trat er aus dem Tempel vor seine Leute und machte ihnen kund: „Sprecht das Lob in der Morgenfrühe und am Abend!“
Ulrike Bechmann und sprach:
„Mein Herr, beschenke mich mit guter Nachkommenschaft von dir! Siehe, du erhörst das Gebet!“ 39 Da riefen ihm die Engel zu, als er im Tempel stand und betete: „Gott kündigt dir Johannes an, der wird ein Wort von Gott bestätigen und wird ein Herr sein und Asket – und Prophet, einer von den Rechtschaffenen.“ 40 Er sprach: „Mein Herr, wie soll mir denn ein Knabe werden, wo mich das Alter schon erreichte und meine Frau unfruchtbar ist?“ Er sprach: „So ist Gott. Er tut, was er will.“
41 Er sprach: „Mein Herr, gib mir ein Zeichen!“ Er sprach: „Dein Zeichen sei, dass du drei Tage lang nur deutend zu den Menschen sprichst. Gedenke häufig deines Herrn! Preise ihn am Abend und am Morgen!“
Das Gebet von Zakarīyā mit der Verkündigung der wunderbaren Geburt von Yaḥyā steht in beiden Suren im Vordergrund. Im Vergleich zur lukanischen Kindheitsgeschichte tritt hier die Frau des Zakarīyā ganz zurück. Sie wird nur indirekt durch den Einwand Zakarīyās gegenüber dem Engel eingeführt. In beiden Suren steht die Unfruchtbarkeit beider gleichermaßen einem Nachkommen entgegen. Wie anschließend die Verkündigung an Maryam ist diese Szene als prophetische Berufung (Yaḥyās wie ‘Īsās) mit einem Einwand und einem bestätigendem Zeichen gestaltet. Diese wundersame Geburt des Propheten verkündet Gottes Willen und zeigt die Möglichkeit, auch einem alten, unfruchtbaren Ehepaar ein Kind zu erschaffen. Die Schöpfung des Menschen dient als Beleg dafür, dass dies für Gott nichts Besonderes sei. Die Frau des Zakarīyā, die biblische Elisabeth (Lk 1,13.24), trägt keinen Namen. Ihr einziges Kennzeichen ist: Sie ist unfruchtbar und wird einen Sohn gebären. Als solche ist sie parallel zu der Mutter Ishāqs (Sara) gekennzeichnet
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– und in besonderer Weise parallel, aber trotzdem etwas anders, zu Maryam. In der koranischen Botschaft liegt der Akzent nicht auf der Rettung der einzelnen Frauenfiguren, als vielmehr auf dem Zeichen einer wunderbaren Geburt eines Propheten, das immer wieder durch die Geschichte hindurch von der Größe und Schöpfermacht des einzigen Gottes kündet.
3.5
Maryam
Die Zakarīyā-Episode steht in beiden Suren vor der Verkündigung an Mar yam als jungfräuliche Gebärerin von ‘Īsā. Sure 19 trägt sogar den Titel „Mar yam“, Sure 3 trägt die Überschrift „die Sippe ‘Imrān“, die Familie Maryams. Beide Suren nehmen insbesondere auf Maryam und die Geburt und Bedeutung ‘Īsās Bezug. Maryam ist die einzig namentlich rezipierte Frau der Bibel. Etwa 70 Verse nennen Maryam. Ihr Name steht entweder allein, meist aber zusammen mit ‘Īsā (Jesus), der als „‘Īsā, der Sohn Maryams“ charakterisiert ist. Dieser Titel kommt insbesondere in apokryphen Schriften vor. „Wahrscheinlich stammt dieser Titel Jesu ursprünglich aus der Äthiopischen Kirche und wurde von den muslimischen Exulanten bei ihrer Rückkehr nach Mekka dorthin gebracht.“27 Die koranische Wertschätzung Maryams28 reflektiert vermutlich die im 7. Jh. im christlich-arabischen Raum weit verbreitete Verehrung Marias. Im Vergleich setzen beide Suren jeweils einen eigenen theologischen Akzent.
3.5.1 Maryam in Sure 19,16–36 V. 16 setzt neu ein: „Und gedenke in der Schrift/dem Buch der Maryam!“ Worauf sich dieses „Buch Maryams“ bezieht, bleibt allerdings unklar. Sure 19 erinnert an die Berufung der Propheten durch die Zeiten hindurch, um den Glauben an einen Gott zu verkünden, in deren Linie auch Muhammad steht. Zu diesen Propheten zählen auch Yaḥyā (biblisch Johannes der Täufer) und ‘Īsā, der am Ende der Zeiten wiederkommen wird. Nach der Zakarīyā-Episode (Sure 19,1–11) und der Ankündigung der Geburt von Yaḥyā (Sure 19,12–15) schließen sich an die Verkündigung an Maryam (Sure 19,16–21), die Geburt ‘Īsās an der Palme (Sure 19,22–26) sowie das bestätigende Wunderzeichen für ‘Īsā als den neuen Propheten (Sure 19,27–33) an. Im Zentrum der Episode Maryams steht die Verkündigung von ‘Īsās jungfräulicher Empfängnis und Geburt. Sie ist jungfräulich, jung, allein, im Heiligtum und ohne Mann! Maryams Empfängnis ist das genaue Gegenteil zu der des alten, unfruchtbaren Ehepaars in den vorangegangenen Versen. 27 Martin Bauschke, Jesus im Koran (Köln: Böhlau, 2001), 184, Anm. 41. 28 Vgl. Arent J. Wensinck und Penelope Johnstone, „Maryam“, EI2 6 (1991): 628–632.
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Doch beide Extreme fallen Gott als Schöpfer der Welt und der Menschen nicht schwer. Die Schwangerschaften bezeugen die göttliche Barmherzigkeit, die Allmacht und die Einzigkeit Gottes und leiten prophetisch zum Glauben an den einen Gott an. Der Ort der Verkündigung an Maryam bleibt unbestimmt, es ist ein „östlicher Ort“, an dem es einen Vorhang gibt (Sure 19,16f.). Dieses Motiv könnte aus ProtevJak stammen. Sure 19 deutet dies nur an, erst Sure 3 führt dies näher aus. Maryam spielt in diesem prophetischen Geschehen eine herausragende Rolle. Sie selbst erhält eine göttliche Offenbarung, glaubt und gebiert als Jungfrau den Propheten ‘Īsā. Sie erweist sich als die wahre Glaubende, weil sie – anders als Zakarīyā – nicht am Wort des Gottesboten zweifelt. Die Frage, wie sie gebären kann, ohne dass sie einen Mann hat, beantwortet der Engel erneut mit dem Hinweis auf die Schöpferkraft Gottes. Maryams Frage ist weniger ein Zweifel als die Frage danach, auf welchem Weg Gott handeln wird. Die Motive des Erschreckens, des Boten Gottes, der Verkündigung und der Rückfrage Maryams finden sich auch in Lukas. In der Geburtsszene folgen eigenständige Traditionen. Ohne Vorläufer ist die Geburt ‘Īsās bei einer Palme. Nur das schwer zu datierende Evangelium des Pseudomatthäus unbekannter Herkunft29 kennt dieses Motiv. Maryam fühlt sich allein und verlassen der Geburt ausgesetzt und wünscht sich den Tod. Doch das neugeborene Kind ‘Īsā spricht, tröstet Maryam und weist sie in einem bestätigenden Wunder auf ihre Versorgung durch Gott mit frischem Wasser und frische Datteln hin. ‘Īsā kündet sich als Zeichen an, durch das Gott die Menschen rechtleiten will.
3.5.2 Maryam in Sure 3,42–51 Sure 3 erinnert wie Sure 19 zunächst an die Propheten von Adam bis ‘Īsā, die zum Volk Israel gesandt waren. Sure 3,33ff. wird der medinensischen Zeit zugerechnet. Hier dominiert die Auseinandersetzung mit früheren Theologien und stellt diesen die Echtheit der koranischen Verkündigung entgegen. Die Sure erinnert daran, dass die Rechtleitung früherer Zeiten von den bisherigen Empfängern der Offenbarung abgelehnt wurde. Maryam, Zakarīyā, Yaḥyā und ‘Īsā setzen diese Rechtleitung durch ihre Prophetie fort – aber ebenfalls ohne dauerhaften Erfolg, weshalb der Koran die Verkündigung der Rechtleitung Gottes erneuert. 29 Vgl. Klauck, Apokryphe Evangelien, 105–109. Vermutlich entstand dieses lateinisch abgefasste Evangelium im Westen erst um 600–625 n. Chr.; zu Parallelen im arabischen Kindheitsevangelium vgl. Martin Bauschke, „Der koranische Jesus und die christliche Theologie“, MThZ 52 (2001): 26–33; vgl. auch Neuwirth, Koran, 484– 489.
Biblische Frauenfiguren im Koran
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Kernstück der Maryam-Episode von Sure 3 ist wiederum die Ankündigung der Geburt ‘Īsās (V. 41–47). Vorgeschaltet wird aber jetzt das, was Sure 19 nur andeutet: Maryams Vorgeschichte (V. 33–38) und die Ankündigung der Geburt Yaḥyās (V. 39f.). Am Beginn der Verkündigungsszene antwortet Maryam auf ihre Erwählung durch Gott, indem sie, wie befohlen, demütig ist, sich verneigt und sich niederwirft (V. 43). Die drei Handlungen entsprechen der muslimischen Gebetshaltung: die innere Einstellung, die körperliche Verneigung und die Verneigung in der Gemeinschaft als Ausdruck tiefster Anbetung. Maryam betet Gott in der muslimischen Form an. V. 44 unterbricht die Szene, Gott deutet Muhammad an, dass Maryam angefeindet und das Los über sie geworfen worden sei, ein Hinweis auf ihre Gefährdung, wie sie viele Propheten erlebten und von Maria im ProtevJak erzählt wird. Dann erst geht die Verkündigungsszene mit V. 45 weiter. In Sure 19 hat Maria eine Vision, in Sure 3 eine Audition. Ihr wird der Name des angekündigten Kindes genannt: „Christus Jesus, Sohn der Maria“ (Sure 3,45). Das Kind ist angesehen im Diesseits und Jenseits; es rückt in die Nähe Gottes. Diese Merkmale kennzeichnen ‘Īsā als besonderen Propheten, weil er von Maryam geboren ist. Die Abkunft von ihr wird also auf die gleiche Ebene gestellt wie sein Anerkanntsein im Diesseits und Jenseits. Sohn Mar yams zu sein, bedeutet also eine inhaltliche Näherbestimmung, die von der Besonderheit Maryams herrührt. Maryams Frage nach dem Wie wird mit der Schöpfungskraft Gottes beantwortet. Wie die Evangelien setzen auch Sure 3 und Sure 19 in ihrer unterschiedlichen Rezeption der Kindheitsgeschichte theologisch je einen eigenen Akzent. Strukturell scheint es im Koran hinsichtlich der „Kindheitsgeschichte“ einen ähnlichen Prozess wie bei den Evangelien gegeben zu haben. Die frühe Verkündigung (hier Sure 19, dort Mk) interessiert sich nicht für die Kindheit Jesu/‘Īsās, sondern für sein Prophet-Sein. Erst die spätere Verkündigung füllt diese „Lücke“ auf (Sure 3,33ff./Lk 1–2; Mt 1–2).
3.5.3 Maryam als Prophetin im Koran? Ob und inwieweit Maryam Prophetin sei, hat die islamische Tradition meist mit Nein beantwortet, aber schon die Debatte zeigt, dass dies so eindeutig nicht ist. Eine besondere Kennzeichnung Maryams als Prophetin ist im Kontext der gesamten Sure 3 stimmig. Vieles deutet darauf hin, dass Maryam in dieser Funktion zur Kette der von Gott gesandten Menschen zählt. Durch die vorgeschaltete Erwählung und Kindheit Maryams rückt die spätere Verkündigungsszene Sure 3,42ff. Maryam in das Zentrum der koranisch eigenständigen Kennzeichnung als Frau mit besonderer prophetischer Qualität.30 30 Vgl. Loren D. Lybarger, „Gender and Prophetic Authority in the Qur’ānic Story of Maryam: A Literary Approach“, JR 80 (2000): 240–270.
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All das, was männliche Propheten auszeichnet, erfüllt Maryam durch ihre besondere Aufgabe. So präzisiert die Sure 3 gegenüber Sure 19 die theologische Bedeutung Maryams. Die Sippe ‘Imrān vertritt mit der Mutter Maryams und Maryam selbst das weibliche Element in der prophetischen Tradition und balanciert so die patriarchale Ibrāhīm-Tradition aus.31 Für Maryam als Prophetin spricht: –– Was immer Sure 19,16a mit dem „Buch“ Maryams meint: Dass Maryam überhaupt ein „Buch“ zugeschrieben wird, weist sie schon in die höheren Ränge derer, denen eine Offenbarung Gottes zuteil wird. –– Zu Zakarīyās Darstellung als Prophet gibt es inhaltlich Anklänge bei Maryam: Das Gebet von Maryams Mutter um ein Kind entspricht dem Gebet Zakarīyās. –– Sure 3,33ff. zählt die Sippe ‘Imrān mit Maryam als Tochter ‘Imrāns, Zakarīyā, Yaḥyā (Johannes) und ‘Īsā (Jesus) zu den bisherigen Propheten. –– Durch die literarische Parallelität wird Maryams Geburt das gleiche Gewicht gegeben wie der Geburt ‘Īsās. –– Ihre Mutter verkündet Maryams Geburt nach einem Gebet, sie weiht Maryam Gott und diese ist durch die Versorgung im Tempel von Gott angenommen. Damit hat sie im Diesseits und Jenseits die gleiche Wertschätzung wie ‘Īsā. –– Zweimal wird Maryam eine direkte Offenbarung von Gott zuteil, wo ihr die jungfräuliche Empfängnis und Geburt Jesu und seine Bedeutsamkeit als Zeichen für die Menschen angekündigt wird. –– Maryam selbst wird zweimal zur Prophetin der Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes (Sure 3,37): durch ihr Wirken und ihr Sprechen, genauso wie ‘Īsā durch sein Wirken und Sprechen Prophet und Zeichen der Barmherzigkeit Gottes ist. –– Maryam empfängt ‘Īsā ausschließlich durch den Geist (vgl. auch Sure 21,91; 66,12), eingeblasen von Ğibrīl (Gabriel), eingehaucht durch die Erschaffung seines Geistes.
3.5.4 Maryam als siddiqa (Wahrhaftige) Den hohen Stellenwert Maryams im Koran belegt der Titel „ṣiddīqa“ (die Gerechte, Wahrhaftige) in Sure 5,75: „Christus, Marias Sohn, ist nichts als ein Gesandter, vor dem andere Gesandte dahingegangen sind. Seine Mutter ist eine Gerechte.“ Der Ehrentitel wird sonst nur für Patriarchen und Fromme
31 Vgl. Angelika Neuwirth, „Mary and Jesus – Counterbalancing the Biblical Patriarchs: A Re-Reading of sūrat Maryam in sūrat Āl ‘Imrān (Q 3:1–62)“, ParOr 30 (2005): 231–260.
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gebraucht.32 In der islamischen Mystik und Volksfrömmigkeit verehrt man Maryam besonders.33
4.
Ausblick
Am Beispiel der biblischen Frauenfiguren und ihrer Rezeption im Koran zeigt sich, dass ein einfacher Vergleich von Bibel und Koran zu kurz greift. Der Koran rezipiert nicht nur die Bibel, sondern zusätzlich die Rezeptionen der Bibel. Insofern muss jeder Vergleich einerseits nicht nur die biblischen Texte, sondern auch deren Rezeptionsweg bis zur Zeit des Koran mitbedenken, andererseits die je eigene literarische wie theologische Zielrichtung der Suren in Betracht ziehen. Das erzählerische Interesse an der Gestaltung der Frauenfiguren tritt in den Hintergrund, was sich auch daran zeigt, dass sie – außer bei Maryam – namenlos sind. Die biblischen Frauenfiguren gehören zur Offenbarungsgeschichte, sie sind prophetische Vorläuferinnen, an denen Vorbild im Glauben wie Scheitern oder Unglauben wie bei den männlichen biblischen Figuren abgehandelt werden. Ihre oft als bekannt vorausgesetzten Geschichten (einschließlich der über sie verbreiteten Volkstraditionen und Rezeptionsschriften) nutzt der Koran, um etwas über Gottes Handeln zu verkünden. Von daher entscheidet sich, was aus dem großen Raum der Rezeption aufgenommen wird. Eine herausragende, wenn auch differente Rolle zur biblischen Tradition gewinnen Hājar im Hadsch und Maryam in der Mystik und Volksfrömmigkeit des Islam.
32 Vgl. Heribert Busse, Die theologischen Beziehungen des Islams zu Judentum und Christentum: Grundlagen des Dialogs im Koran und die gegenwärtige Situation (Grundzüge 72; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988), 54. 33 Vgl. Annemarie Schimmel, Jesus und Maria in der islamischen Mystik (München: Kösel, 1996), bes. 141–158.
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Stellenregister Hebräische Bibel Genesis (Gen) 1,27f.............................................283 2–3...............................................306 2.................................................. 112 2,7................................................249 2,8–14............................................87 2,9.................................................55 2,18–24........................................283 2,18................................................32 2,21f.....................................230.305 2,24.............................................284 3,19................................................55 3,20..............................................306 4,1................................................306 11,27–23,20.................................307 16–21...........................................227 18–19.........................................307f. 18,12............................................308 19.......................................... 192.315 19,12‒29......................................192 19,26............................................ 315 22................................................. 113 22,12............................................ 114 23,1.............................................. 115 25,8................................................53 25,12–18......................................309 28,10‒17........................................86 29................................................. 311 33,11..............................................54 34.................................................192 35,20..............................................56 35,22............................................193 37–50........................................... 311 38,6–10........................................192 39,6.............................................. 313
49,3f.............................................193 50,1................................................56 Exodus (Ex) 1–2............................................... 310 2,15–22........................................ 311 3.................................................. 311 3,1‒8..............................................86 15,20............................................206 16,32f.............................................87 26...................................................87 32,32............................................234 35‒36.............................................87 40..................................................87 Levitikus (Lev) 20,10............................................297 Numeri (Num) 11,10–15......................................234 22,21–41......................................259 22,28....................................260.278 23,3ff.............................................59 24,17............................................ 155 25,1–17........................................192 Deuteronomium (Dtn) 6,5...............................................246 22,22...........................................297 32,43 (Oden 2,43)........................ 151 34,8................................................56 Richter (Ri) 6,37‒40.........................................86 16,4‒21........................................193 19–20...........................................192
364 Stellenregister 1 Samuel (1 Sam) 1f.................................................227 2,12–36........................................192 2,25.............................................256 4,1–11..........................................192
Habakuk (Hab) 3,1‒19............................................74
2 Samuel (2 Sam) 11,1‒27........................................192 13,1‒22......................................192f.
Psalmen (Ps) 14,1........................................189.198 27,13............................................257 31,25............................................ 231 34,20..............................................56 36,10..............................................71 37.................................................255 37,9............................................256f. 37,22......................................... 259f. 45.................................................204 45,15..............................................90 46,3...............................................57 50,14..............................................56 51.................................................255 81,11............................................242 84,12............................................246 89,49..............................................56 90,5...............................................71 97,7.............................................. 151 103,15......................................56f.71 110,1............................................272 110,3............................................ 151 113,9............................................ 114 115,7..............................................56 118,6..............................................56 119...............................................255 133,1..............................................59
1 Könige (1 Kön) 6–8................................................87 10.................................................232 10,1–13........................................ 313 11.......................................... 190.193 2 Könige (2 Kön) 2,1.11...........................................106 22.................................................206 22,14............................................207 Jesaja (Jes) 6,6f................................................74 7,14.............................................. 155 8,18...........................................54.56 53,3f............................................. 116 58,6................................................54 61,1–4..........................................236 61,10..............................................34 62,4.............................................. 117 Jeremia (Jer) 9,21.............................................. 219 15,9.............................................. 114 15,19..............................................54 38,15..............................................54 Ezechiel (Ez) 7,3..................................................59 22,15..............................................71 39................................................. 117 43,27‒44,3.....................................87
Haggai (Hag) 2,23.............................................261
Ijob 1–2...............................................306 1,12..............................................262 1,21..........................................55f.59 2,6f..............................................262 5,9..................................................59 10,22............................................262 14,4f.............................................263 29,16............................................262
Stellenregister
365
30,16..........................................263f. 31,1.32..........................................262 38,3..............................................265 38,4f.7–9......................................264 40,1‒9..........................................265 42,7ff...........................................262
7,21.............................................. 111 7,27.............................................. 110 7,41.............................................. 113
Sprichwörter (Spr) 2,5.................................................70 7,1‒5.6–27................................... 183 18,22............................................ 182 21,19............................................ 182 27,5................................................78 31,3.............................................. 183 31,10–31....................................... 182
Jesus Sirach (Sir) 4,5..................................................59 9,2.8.............................................184 9,9..........................................184.191 9,11‒13.........................................200 10,19..............................................56 19,2...................................... 182–203 24,31..............................................71 25,17‒36....................................183f. 26,1–24........................................184 41,14............................................242 42,12‒14......................................184
Kohelet (Koh) 7,26....................................... 183.201 7,28.............................................. 183 9,9................................................ 183 Klagelieder (Klgl) 1,16.............................................. 114 Hohelied (Hld) 2,1................................................262 2,6...............................................261 3,4................................................262 4,11....................................... 110.261 4,12........................................... 55.87 8,3.6.............................................261 Ester (Est) 2,15..............................................220 9,12..............................................220
Deuterokanonische Schriften Judit (Jdt) 16,1f.............................................206 2 Makkabäer (2 Makk) 7...........................................108–111
Buch der Weisheit (Weish) 10,21............................................259
Daniel (Dan) 13................................... 193.206.209
Neues Testament Matthäus (Mt) 1–2...............................................323 1,18‒25..........................................89 2,10................................................54 3,13–15........................................71f. 5,12............................................. 56f. 5,32....................................... 291.293 5,44..............................................246 7,14................................................54 10,38..............................................55 14,19‒21......................................246 15,27............................................260 19,9...................................... 291–293 21,18..............................................56 22,37............................................246 25.................................................209 25,41............................................196 26,47.55.......................................246
366 Stellenregister Markus (Mk) 7,28..............................................260 9,23................................................55 10,11f...........................................290 Lukas (Lk) 1–2....................................... 316–323 1,6................................................242 1,26‒38..........................................89 1,28..........................................87.171 1,42f...............................................57 1,44..............................................246 1,46‒55........................................ 175 1,46................................................34 1,48..............................................246 1,75................................................55 2,22‒38..........................................74 2,28‒35..........................................90 2,35................................................79 4,16–19........................................238 6,30................................................57 6,44...............................................59 7,36‒50..........................................75 11,27f........................................... 112 16,18......................................... 290f. 22,52............................................246 23,27............................................166 Johannes (Joh) 1,29................................................59 3,5................................................263 8,41................................................54 12,1‒8............................................75 14,23......................................... 57.59 19,25‒27........................................91 19,26..............................................95 19,26f...........................................272 19,30............................................257 Apostelgeschichte (Apg) 4,32..........................................56f.59 15,30..............................................55
Römer (Röm) 5,14................................................66 8,17................................................55 8,35...........................................54.57 11,33..............................................53 1 Korinther (1 Kor) 3,1f...............................................258 3,6..............................................257f. 4,15..............................................259 5,11.......................................292.295 6,9f.......................................292.298 6,15..............................................203 6,20............................................ 54f. 7,4.............................................26.28 7,16................................................57 7,32................................................56 9,27................................................54 10,6.............................................. 231 10,29..............................................59 11,3............................................. 22f. 11,9................................................25 12,21f.25........................................23 14,34f.............................................51 15,22.45.........................................66 15,45‒47........................................85 15,52..............................................56 2 Korinther (2 Kor) 5,8............................................. 53.55 6,14................................................57 8,9..................................................73 9,7..................................................56 11,2......................................... 56.231 11,23ff...........................................53 12,20..............................................57 Galater (Gal) 2,6.................................................57 4,19..............................................259 5,19–21........................................298 5,19..............................................292
Stellenregister Epheser (Eph) 4,1f.................................................54 4,13.............................................. 231 5,5.........................................292.298 5,18.............................................. 185 5,28................................................29 5,29........................................... 294f. 6,12................................................56 Philipper (Phil) 1,28................................................57 1,29................................................59 2,7..................................................73 2,12................................................56 2,15................................................55 3,3..................................................56 3,8.............................................54.59 3,30................................................55 4,4..................................................55 4,7..................................................56 Kolosser (Kol) 2,9.................................................71 3,11................................................56 1 Thessalonicher (1 Thess) 2,4.................................................59 2,8.................................................56 4,13f.............................................55f. 2 Thessalonicher (2 Thess) 1,7..................................................56 3,18................................................54 1 Timotheus (1 Tim) 2,5.................................................59 3,15................................................55 6,12..........................................56f.59 2 Timotheus (2 Tim) 2,5.................................................54 2,15.19...........................................59 4,6................................................258
367 4,7.........................................54.257f. 4,10................................................53 Titus (Tit) 1,7................................................186 Hebräer (Hebr) 1,6................................................ 151 11,38..............................................59 12,4................................................59 12,29..............................................71 1 Petrus (1 Petr) 1,8..................................................55 2,18–24..........................................34 3,1ff...............................................34 5,4..................................................56 2 Petrus (2 Petr) 1,5..................................................59
Apokryphen 1 Esdras 1 Esdras 3,12.................................77 1 Esdras 4,13.................................77 4 Makkabäer (4 Makk) 15,6f............................................. 110 15,30............................................ 111 16,7.............................................. 110 16,14............................................ 111 17,1.............................................. 114 17,4................................................54 Arabisches Kindheitsevangelium 4.................................................. 143 6.................................................. 143 Paulusapokalypse 25–28........................................... 113
368 Stellenregister Protevangelium des Jakobus (ProtevJak).......................... 316–323 1–16............................................. 318 4,2...............................................275 7,2..................................................90 Pseudomatthäus (Ps.-Mt)............322 3..................................................275 6,3............................................... 141 9,1................................................275 12.................................................278 13,2.............................................. 143 22‒24...........................................124 Theklaakten 3.............................. 147
Rabbinische Schriften und Verwandtes b. Ber. 4b.....................................106 b. Giṭ. 57b...................................108 b. Šabb. 104b...............................104 b. Sanh. 67a.................................104 y. Ber. 2.4 [5a].............................106 Gen Rab. 53.9..............................104 Klgl Rab. 1,50f..........................................107f.
Petiḥa 24.....................................104 Midrasch Tanchuma Wajjera 22................................... 114 Sefer Zerubavel....................116–118 Pijjut „An jenem Tag“................ 118
Koran 2,158............................................309 3.......................................... 316–324 4,1................................................305 5,75..............................................324 11...............................................307f. 11,77–83.................................... 314f. 12..........................................311–313 14,37............................................309 15,51–57....................................307f. 19......................................... 316–324 20................................................. 310 20,115–124..................................306 21,91............................................324 27,22–44................................... 313f. 28...............................................310f. 28,9.............................................. 316 51,24–30......................................307 66,10–12.................................... 315f. 66,12............................................324 96.............................................. 304f.
Stellenregister
Weitere antike und mittelalterliche Autoren/Texte Abaelard Briefwechsel mit Heloisa VI,[17]......................................... 185 Theologia Christiana II,87.91.. 200f. Agius von Corvey Dialogus 299f.............................206 Alanus de Insulis De arte praedicatoria 6..............186 Aldhelm von Malmesbury De laude virginitatis 2560‒2570.................................216f. De virginitate 20.........................224 Alkuin Carmina......................................277 Compendium in Cant. 8,3...........261 Ep. 195...............................................244 196....................................... 241–243 213.............................................243f. 214...............................................240 Liber de virtutibus et vitiis..........252 Ambrosius De Helia et ieiunio 9...................220 Ep. extra coll. XIV,32f..............198f. Andreas von Kreta In annuntiationem.........................88 In dormitionem II.3.......................92 In dormitionem III.9......................93 In nativitatem I..............................85 Anna Komnene Alexias IX,2ff................................48
369 Anonyma Leben der Maria der Jüngeren.................................. 33–35 Leben der Matrona.................35–37 Leben der Theodora von Thessaloniki............................23–26 Leben der Theophanu...................48 Leben der Thomais.....................33f. Marienapokalypse...................... 101 Sermo de castitate 1.................................................. 189 3..................................................196 6............................................189.198 7..................................................196 Sermones sex ad populum 2.......186 Versus de Iudit et Olofernum....221f. Vita Alcuini.................................238 Vita Desiderii..............................247 Vita Eduardi................................226 Augustinus De civitate Dei V,12f................... 211 De natura et gratia 26................204 Sermones 51,2‒3............................................66 232,2..............................................66 Avitus von Vienne De virginitate........................... 208f. De spiritalis historiae gestis.......208
370 Stellenregister Baudonivia De Vita Sanctae Radegundis......246 Beda Venerabilis In cant. 7.....................................261 Vita quinque sanctorum abbatum I,6................................................ 169 Benedikt Regula 40,3‒7............................. 187 Chrodegang von Metz Regula canonicorum LVI............................................201f. LXII............................................201 Cicero De officiis I,30,106......................197 Dhuoda Liber manualis Incipit 42‒45...............................251 Incipit 45–56.............................257f. Epigramma..................................255 Epigr. 4–10..................................250 Epigr. 30f.....................................266 Prol. 4f.........................................259 Prol. 5‒27....................................249 Praef. 4–6....................................251 Praef. 17–22................................265 Praef. 31f.....................................263 I,1,30–33......................................263 I,1,30............................................261 I,2,1.7–20.....................................260 I,5,47–52......................................264 I,7,2‒12..................................... 264f. I,7,15–23......................................254 III,1–3.................................. 255–257 III,5.............................................255 III,5,23f.......................................261 III,7..............................................255 III,9,6f.........................................251 III,10,130–146.............................255
III,11,138f....................................263 IV,6,30f.......................................262 IV,7,6–9.25–30............................255 IV,8,42‒45...................................262 IV,8,225–227...............................255 V,1,25–99....................................255 VI,1,17f........................................258 VI,4.............................................255 VI,4,51‒56...................................261 VII,1,1‒9.10–12.........................258f. VII,3,7‒15...................................259 VII,6,7.........................................261 VIII,14.........................................266 IX................................................255 X,1f..............................................255 X,5,1‒5........................................266 X,6,15‒38....................................255 XI,1.............................................255 XI,1,4f.........................................259 Donizo von Canossa Vita Mathildis 2,798f...................226 Dracontius De laudibus Dei III..............211–214 Orestis tragoedia........................ 213 Romuleum 10,12.62..................... 213 Ephräm der Syrer Hymni de nativitate 4,149–153.184f............................. 112 5,24.............................................. 112 11,4.............................................. 112 12...................................................66 12,1.............................................. 112 18,12............................................ 112 Hymni de virginitate 25,3........... 112 Epiphanius Monachus H agiopolita Vita Deiparae............................. 99f.
Stellenregister Fulgentius von Ruspe Ep. 3,7f................................230–232 Gazet, Alard Cassian-Kommentar.... 186.194f.202 Georg der Hymnograph Oratio in sepulturam Jesu Christi...........................................91 (Pseudo-?)Germanos von Konstantinopel In annuntiationem.........................88 In dormitionem I...........................93 In praesentationem I................ 87.90 In praesentationem II......... 87.90.94 Historia mystica ecclesiae catholicae..............................142.151 Gregor VII., Papst Registrum VIII,3...................... 190f. Gregor der Grosse Moralia in Iob 2,1,1.............................................249 9,21,32.........................................263 20,27,56.....................................263f. 28,3,12.........................................265 32,6,8...........................................265 Gregor von Nazianz Orationes 15...............................................110f. 15,11..............................................54 22,1................................................54 43,52............................................ 153 Hatto von Vercelli Ep. IX....................................... 202f. Hesychios Sermo 5 in Deiparam....................66
371 Hieronymus Ep. 22,7..............................................195 22,21..............................................66 45,2..............................................186 65.................................................204 Hildebert von Lavardin Moralis philosophia I,49.............197 Sermo LXXVI,617......................194 Hinkmar von Reims De cavendis vitiis et virtutibus exercendis 1,5............................. 185 Coronationes Regiae..................204 De divortio Lotharii regis et Theutberga reginae....................285 Hrabanus Maurus Carmen 4....................................223 Comm. in Eccles. 1,10..............................................197 4,10....................................... 190.198 Comm. in Iudith..........................223 De laudibus sanctae crucis 2,21..............................................224 De natura rerum III,1.................227 Poenitentium liber ad Otgarium 3................................. 287f.290f.296 Hrotsvit von Gandersheim I, praef. 3f............................. 263.279 I, praef. 6.....................................268 I, praef. 29f.39–44......................278 I, praef. 538–542.........................278 I,1 Maria.....................274–276.280f. I,1 Ascensio.................................272 I,1 Theophilus.............................276 II, praef. 3...................................268 II,1 Calimachus...................270–272 II,1 Abraham...............................276
372 Stellenregister (Pseudo-)Hugo von St. Viktor De bestiis et aliis rebus II,2..... 199f.
Johannes Hymmonides Cena Cypriani.......................... 220f.
Huguccio von Pisa Derivationes.............................188f.
Johannes Moschos Pratum spirituale....................26–30
Hymnos Akathistos 1.3................................................148 11,16f........................................... 112 13.................................................148 15f..............................................148f.
Jonas von Orléans De institutione laicali.. 252f.259.262 De institutione regia.................252f.
Innozenz III., Papst De contemptu mundi sive de miseria humane conditionis II,23......................................191–193 Irenäus Adversus Haereses III,22,4..........................................66 V,19,1.............................................66 Isidor von Sevilla Allegoriae 122.............................224 Etymologiae VII,10,1.......................................276 VIII,X,5......................................187 XI,1,98f.......................................265 Johannes Cassian Institutiones 6,1..............................................194f. 6,3...............................................202 Johannes Chrysostomos Hom. in Mt. 8,4................................................ 147 26,39,3...........................................87 Hom. in Ps. 44,7............................66 Johannes von Damaskus Hom. in dormitione Mariae.....66.95 Expositio fidei 4,16...................... 121
Juridica Appendix Me1 148.......................288 Burchard von Worms, Decretorum lib. XIX,5........ 287.289 Canones Wallici [A] 17 (P XXVII)................. 289.297 Capitula cum Italiae episcopis deliberata (790/800?) 5...............290 Capitula Iudiciorum 7,3f...............................................289 9,1c..............................................293 Capitula Silvanectensia prima (830–840?) 5........................ 287.291 Capitula Treverensia (830–900?) 9.................................. 291.293.295f. Capitulare Olonnense (822/823) 3..................................................289 Columban, Paenitentiale Columbani 14.................................................289 16.........................................288f.295 Concilium Foroiuliense (796 vel 797) 10...................293f.296 Concilium Meldense – Parisiense (845/846) 69................................292 Concilium Parisiense (829) (69) 2....................................292.295 Concilium Romanum (826) 36f.............................................293f. Concilium Suessionense (744) 9...........................................292.296 Concilium Triburiense (895) 5..................................................289
Stellenregister 40.51............................................292 Confessionale Pseudo-Egberti 19..........................................288.293 Decretum Vermeriense (756) 8.288f. Edictus Rothari 179........................................ 289.295 189...............................................287 212f.....................................289.296f. Formulae extravagantes I,13...............................282–284.292 Ghärbald von Lüttich II,4.... 287.291 Grimvaldi, Leges 7....................300 Judicia Theodori...................... 292f. Konzil von Mainz (861–863) o.c..297 Konzil von Rom (853) 36.............293 Konzil von Savonnières (859) 16.......................................... 295.298 Konzil von Worms (868) 39.........288 Leges Burgundionum. Liber Constitutionum 35,2..............................................296 44,1..............................................289 61.................................................295 68,1.2...........................................296 Lex Baiuvariorum VIII,1...........................................297 VIII,8..........................................287 VIII,10.........................................289 Lex Visigothorum III,2,2..........................................296 III,3,11.........................................288 III,4,1...........................................289 III,4,2................................... 289.295 III,4,3..........................................288 III,4,4f.........................................296 III,4,7.................................... 287.295 III,4,9..........................................289 III,4,12..................................288.292 III,4,14.........................................289 III,4,15.........................................287 Liutprandi Leges 104..................290 Paenitentiale Ambrosianum II,2.295
373 Paenitentiale Casinense 17..........................................288.290 o.c................................................295 Paenitentiale Finniani 51....288.295 Paenitentiale Floriacense 8........289 Paenitentiale Hubertense 9...........................................288.295 46................................................ 291 Paenitentiale Martenianum 24.................................................293 37.......................................... 293.298 40................................................292 Paenitentiale Merseburgense a Me1 8.11.................................... 288f. W10 9.12.................................... 288f. Paenitentiale Merseburgense b 4.................................................. 291 23.........................................288f.295 31.................................................293 Paenitentiale Oxoniense I,10...............................................288 II,2........................................ 291.293 Paenitentiale Parisiense simplex 7..................................................289 Paenitentiale Pseudo-Egberti II,7........................................288.295 II,8................................288.290f.295 II,10...................................... 289.295 Paenitentiale Pseudo-Gregorii 4..........................................288f.295 Paenitentiale Pseudo-Romanum 14.................................................288 Paenitentiale Pseudo-Theodori IV,19,18........................................293 Paenitentiale Sangallense tripartitum 4f..............................289 Paenitentiale Silense 128...............................................289 145...............................................293 149...............................................290 155...............................................288 157........................................ 288.291 161.165.........................................288
374 Stellenregister Paenitentiale Vallicellanum I,14.15....................................... 288f. (C. 6) 20................................... 288f. (C. 6), De fornicatoribus.............289 Paenitentiale Vigilanum 77........289 Paenitentiale Vindobonense B 29,1..........................................289 B 30,7..........................................287 B 42,5.11................................... 292f. Radulf von Bourges 42.. 290.292.295 Synodus I S. Patricii 19.............. 291 2. Trullanum (691/692)................51f. Justin Dialogus cum Tryphone 100.........66 Juvenal Satiren......................................... 212 Kassia (Äbtissin).................... 71–76 Marbod von Rennes Liber decem capitulorum.207f.225f. Martyrium von Perpetua und Felicitas...............................111.247 Milo von Saint-Amand De sobrietate....................... 218–220 Nikephoros Kallistu Xanthopulos Historia ecclesiastica 17,28..........92 Nikolaus I., Papst Ep. 28..........................................232 95......................................... 233–235 96......................................... 235–237 Osbernus Derivationes...............................188
Ovid Fasten I,301.................................197 Metamorphosen 2,765................. 213 Papias Elementarium Littera A..............188 Paulinus von Aquileia Liber exhortationis..............252.262 Paulinus von Nola Carmina 26,95............................................225 26,162–165.................................. 213 28,26f.......................................... 214 28,27............................................225 Proba Cento 23......................................247 Prokopios Geheimgeschichte 1,13f.30.36.39f.........................39–41 4,27–31..........................................37 5,25–27..........................................38 10,3f.23..........................................42 12,14–17.26.32...............................42 15,19f.............................................41 Prudentius Cathemerinon.............................255 Psychomachia............................. 215 Psellos, Michael Begräbnisrede für seine Mutter Theodota............................30–32.47 Romanus der Melode Kontakia................................ 90f.112 Sallust Catilina 51,3................................197
Stellenregister Salvian von Marseille De gubernatione Dei VI,78f................................... 190.198
375
Sidonius Apollinaris Carmen 16,11–13.......................215f.
387.395–397..................................57 403.................................................55 412.................................................57 434.................................................54 454.465.472.................................55f. 482f.498...................................... 56f. 538.................................................59 539............................................ 59.63 Oratio 13,3....................................47
Statius Thebais 4,321.............................. 213
Theodulf von Orléans Carmina 21.41........................... 217f.
Tertullian Ad martyras 4,2f......................... 211 De carne Christi 17.......................66
Venantius Fortunatus De virginitate......................204f.216
Seneca De beneficiis VII,2,2...................197
Theodora Synadene...................35 Theodoros Studites Ep. 6f.................................................53f. 59.65........................................... 54f. 142.................................................63 217............................................ 59.63 323.................................................55 370..................................... 59.63.65f.
Walahfrid Strabo De imagine Tetrici................... 206f. Walther von Speyer Vita et Passio Sancti Christophori................................226 Wigbod Versus libris saeculi octavi adiecti......................................... 217
AutorInnen Ulrike Bechmann ist Professorin für Religionswissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz. Franca Ela Consolino ist Professorin für Lateinische Sprache und Literatur an der Universität LʼAquila. Stavroula Constantinou ist Associate Professor am Department of Byzantine and Modern Greek Studies der Universität Zypern. Giuseppe Cremascoli ist emeritierter Professor für Mittellateinische Literatur an der Universität Bologna. Mary B. Cunningham ist Honorary Associate Professor am Department of Theology and Religious Studies der Universität Nottingham. Judith Herrin ist Constantine Leventis Senior Research Fellow und emeritierte Professorin für Spätantike und Byzantinistik am Kingʼs College London. Martha Himmelfarb ist William H. Danforth Professor of Religion an der Princeton University. Maria Lidova ist Junior Research Fellow am Ancient World Research Cluster des Wolfson College, Oxford. Rosa Maria Parrinello lehrt am Dipartimento di Storia der Universität Turin und ist Dozentin am Dipartimento di Lettere e Filosofia der Universität Trient. Anna M. Silvas ist Adjunct Senior Research Fellow an der School of Humanities der University of New England (Australien). Francesco Stella ist Professor für Lateinische Literatur des Mittelalters und des Humanismus an der Universität Siena. Christiane Veyrard-Cosme ist Professorin für Lateinische Sprache und Literatur an der Universität Paris III – Sorbonne Nouvelle. Ines Weber ist Professorin für Kirchengeschichte und Patrologie an der Katholischen Privat-Universität Linz. Giuseppa Z. Zanichelli ist Professorin für Kunstgeschichte des Mittelalters an der Universität Salerno.
Die auf 20 Bände angelegte internationale, in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Spanisch erscheinende Enzyklopädie „Die Bibel und die Frauen“ setzt sich zum Ziel, eine Rezeptionsgeschichte der Bibel, konzentriert auf genderrelevante biblische Themen, auf biblische Frauenfiguren und auf Frauen, die durch die Geschichte hindurch bis auf den heutigen Tag die Bibel auslegten, zu präsentieren. Christliche und jüdische Forscherinnen und Forscher aus den Wissenschaftstraditionen der vier Sprachräume erarbeiten dieses interdisziplinäre Werk, das theologische, archäologische, ikonographische, kunsthistorische, philosophische, literaturwissenschaftliche und sozialgeschichtliche Genderforschung miteinander ins Gespräch bringen und neue Untersuchungen anregen will. Im Zentrum des Interesses stehen • literarische Frauenfiguren der Bibel und • deren Rezeption in der Exegesegeschichte durch Exegeten und Exegetinnen, • geschlechtsspezifische Lebenszusammenhänge in biblischen Zeiten, • Frauen, die in bestimmten Epochen und Auslegungstraditionen die Bibel interpretierten, • Frauen, denen biblische Texte oder deren Auslegung zugeschrieben werden, • genderrelevante Texte (z.B. Rechtstexte) und Themen (z.B. kultische Reinheit), • die Rezeption biblischer Frauenfiguren und genderrelevanter Themen in der Kunst. 1. Hebräische Bibel – Altes Testament 1.1 Tora: Irmtraud Fischer/Mercedes Navarro Puerto/Andrea Taschl-Erber (Hrsg.) 1.2 Prophetie: Irmtraud Fischer/Juliana Claassens (Hrsg.) 1.3 Schriften: Christl Maier/Nuria CalduchBenages (Hrsg.) 2. Neues Testament 2.1 Evangelien. Erzählungen und Geschichte: Mercedes Navarro Puerto/Marinella Perroni (Hrsg.) 2.2 Neutestamentliche Briefliteratur: Korinna Zamfir/Uta Poplutz (Hrsg.) 3. Pseudepigraphische und apokryphe Schriften 3.1 Frühjüdische Schriften: Eileen Schuller/
Marie-Theres Wacker (Hrsg.) 3.2 Frauentexte und apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums: Silke Petersen/Outi Lehtipuu (Hrsg.) 4. Jüdische Auslegung 4.1 Talmud: Tal Ilan/Lorena Miralles Maciá/ Ronit Nikolsky (Hrsg.) 4.2 Jüdisches Mittelalter und Neuzeit: Carol Bakhos/Gerhard Langer (Hrsg.) 5. Patristische Zeit 5.1 Christliche Autoren der Antike: Kari Elisabeth Børresen/Emanuela Prinzivalli (Hrsg.) 5.2 Biblische Frauenfiguren in der Exegese der Patristik: Agnethe Siquans/Markus Vinzent (Hrsg.) 6. Mittelalter und frühe Neuzeit 6.1 Frühmittelalter: Franca Ela Consolino/ Judith Herrin (Hrsg.) 6.2 Frauen und Bibel im Mittelalter: Adriana Valerio/Kari Elisabeth Børresen (Hrsg.) 6.3 Renaissance und „Querelle des femmes“: Ángela Muñoz Fernandez/Xenia von Tippelskirch (Hrsg.) 7. Zeit der Reformen und Revolutionen 7.1 Reformation und Gegenreformation in Nord- und Mitteleuropa: Charlotte Methuen/Lothar Vogel (Hrsg.) 7.2 Das katholische Europa im 16.-18. Jahrhundert: Maria Laura Giordano/Adriana Valerio (Hrsg.) 7.3 Aufklärung und Restauration: Ute Gause/ Marina Caffiero (Hrsg.) 8. 19. Jahrhundert 8.1 „Säkulare“ Frauenbewegungen: Angela Berlis/Christiana de Groot (Hrsg.) 8.2 Fromme Lektüre und kritische Exegese im langen 19. Jahrhundert: Michaela SohnKronthaler/Ruth Albrecht (Hrsg.) 9. 20. Jahrhundert und Gegenwart 9.1 Feministische Bibelwissenschaft im 20. Jahrhundert: Elisabeth Schüssler Fiorenza/Renate Jost (Hrsg.) 9.2 Aktuelle Tendenzen: Maria Cristina Bartolomei/Ilse Müllner/NN (Hrsg.)