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German Pages 537 Year 1979
BRUNO SIMMA . EDDA BLENK·KNOCKE
Zwischen Intervention und Zusammenarbeit
Zwischen Intervention und Zusammenarbeit Interdisziplinäre Arbeitsergebnisse zu Grundfragen der KSZE
Herausgegeben von
Prof. Dr. Bruno Simma Dr. Edda Blenk-Knocke
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1979 Duncker & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1979 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04514 9
VORWORT Der vorliegende Band gibt die wissenschaftlichen Ergebnisse eines Forschungsprojektes wieder, das in den Jahren 1976 bis 1978 mit Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk durchgeführt wurde. Anläßlich seiner Veröffentlichung möchten wir allen Mitarbeitern, die dem Projekt bis zu seinem Abschluß treugeblieben sind, sehr herzlich danken. Dem Arbeitskreis zum Schwerpunkt der Stiftung "Forschung im Bereich der Internationalen Beziehungen" sind wir dafür Dank schuldig, daß er den ersten Anstoß zu dem Forschungsvorhaben gegeben hat. Die zuständigen Instanzen der Stiftung Volkswagenwerk sind uns immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden; insbesondere bei Frau Dr. Edith Hagenguth bedanken wir uns für vielfältige Unterstützung. Herrn Professor Dr. Johannes Broermann, Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, danken wir für die Aufnahme des Bandes in sein Verlagsprogramm. Herr Dieter H. Kuchta hat die Herstellung des Buches betreut, Fräulein Dagmar Lieber und Herr Martin Hanz haben uns bei der Korrektur des Manuskripts geholfen. Ihnen allen sei herzlich gedankt. München, im Sommer 1979
Bruno Simma Edda Blenk-Knocke
INHALTSVERZEICHNIS
Bruno Simma und Edda Blenk-Knocke Einführung ........................................................
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I. Zur Interventionsproblematik Eckart Wehser Die Intervention nach gegenwärtigem Völkerrecht
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Hans Günther Brauch Sozialwissenschaftliche Interventionsbegriffe und externe Einwirkungsphänomene im Bereich der internationalen Beziehungen ......
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Lothar Gündling Die deutsch-amerikanische Kontroverse um den Nuklearexport: Einmischung in innere Angelegenheiten? .............................. 121 Ulrich Beyerlin Menschenrechte und Intervention. Analyse der west-östlichen Menschenrechtskontroverse von 1977/78 ................................ 157 Bernard Willms Politische Selbstbehauptung oder völkerrechtliche Intervention? Zum Stellenwert der Menschenrechte in der ideenpolitischen Ost-WestAuseinandersetzung ................................................ 201
11. Vertrauen in den internationalen (insbesondere Ost-West-)Beziehungen Jörg Manfred Mössner Vertrauen in der internationalen Politik. Völkerrechtliche Aspekte .. 245
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Inhaltsverzeichnis
Dieter Mahncke Vertrauen in der internationalen Politik. Politikwissenschaftliche Aspekte ........................................................... 277 Wolfgang Heisenberg Die vertrauensbildenden Maßnahmen der KSZE-Schlußakte: Theoretische Ansätze und praktische Erfahrungen ........................ 299 Friedemann Müller Abhängigkeit und Vertrauen als sicherheitspolitische Komponente der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen .................................. 319
111. Institutionalisierung im Bereich der KSZE Winrich Kühne Die Schlußakte von Helsinki und das Problem der gesamteuropäischen Institutionalisierung ............................................... 337 Bruno Simma und Dieter Schenk Der schweizerische Entwurf eines Vertrages über ein europäisches System der friedlichen Streiterledigung ............................ 363 Christoph Royen Die Einstellung der Sowjetunion und der übrigen osteuropäischen Staaten zu obligatorischen (gerichtlichen und schiedsgerichtlichen) Formen der friedlichen Streitbeilegung .................. . . . . . . . . .. 401
IV. Grundsätze staatlichen Verhaltens im europäischen und UN-Bereich Hanspeter Neuhold Die Prinzipien des "KSZE-Dekalogs" und "Friendly-Relations-Deklaration" der UNO-Generalversammlung .............................. 441
V. Bewertung der Arbeitsergebnisse Michael Schweitzer Synopsis des Völkerrechtlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 505
Inhaltsverzeichnis
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Werner Pfeifenberger Synopsis des Politologen ........................................... 519 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ............................ 529 Verzeichnis der Mitarbeiter ................................ " ......... 532
EINFÜHRUNG Von Bruno Simma und Edda Blenk-Knocke
Die Grenzen zwischen den Disziplinen haben konventionellen Charakter. "The division of the behavioral science into disciplines and the division between behavioral science and international law rests upon the fiction that the world is divided in the same manner as scholarship, i. e. that there are discrete mutually exclusive sets of phenomena corresponding to each developed field of studyl." Viele Forschungsprobleme sind von der Sache her nur interdisziplinär lösbar. Die Wissenschaft ist sich dieser Tatsache bewußt. So betont etwa auch Ryffel in seiner 1974 erschienenen systematischen Grundlegung der Rechtssoziologie, daß man die Spezialisierung der Disziplinen nicht in die Sachverhalte selbst hineintragen dürfe, wenn es um praktisch relevante Fragestellungen geht!. Neben dem Unbehagen der Wissenschaftler selbst über die Abschottung der Einzeldisziplinen wird die Forderung nach Interdisziplinarität nachdrücklich von der außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit artikuliert: "Unter dem Titel ,interdisziplinäre Zusammenarbeit' wird den Mitgliedern des gesellschaftlichen Subsystems Wissenschaft der Ausweis abverlangt, daß ihre Tätigkeit für die Lösung der bedrohlichen Probleme, vor die sich unsere technische Zivilisation gestellt sieht, Relevanz besitzt3." Interdisziplinäre Forschung ist in den letzten Jahren zum strapazierten Schlagwort geworden, nicht nur, aber auch im Gespräch zwischen Jurisprudenz und Sozialwissenschaften. Schlagwort deshalb, weil die Zusammenarbeit vielfach ein Lippenbekenntnis bleibt und lediglich die faktische Mangelhaftigkeit des interdisziplinären Dialogs verdeckt'. Interdisziplinäre Forschung sieht sich allerdings auch vielen Problemen 1 Michael Barkun, Bringing the Insights of Behavioral Science to International Rules, Western Reserve Law Review 18 (1967), S. 1639 - S. 1660 (S.1649). 2 Hans Ryf/el, Rechtssoziologie. Eine systematische Orientierung (Neuwied - Berlin 1974), S. 358. 3 Helmut Holzhey, Interdisziplinarität, NZZ vom 18. 12. 1974. , Vgl. Gerhard Struck, Rechtswissenschaft und Soziologie, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften, Bd. 1 (2., unveränd. Aufl., München 1976), S. 13 - S. 34 (S. 13).
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gegenüber. HolzheyG nennt eine Reihe von Gründen, die neben den objektiven, aus der Sache selbst resultierenden Schwierigkeiten die interdisziplinäre Zusammenarbeit hemmen, z. B. "sich selbsterhaltende" , "konservative" Tendenzen in den Einzeldisziplinen, welche die über die herkömmlichen disziplinären Gepflogenheiten hinausgehenden Arbeiten als "abweichend" etikettieren und gegebenenfalls negativ sanktionieren. Er verweist auf die Spannung zwischen einer interdisziplinären Orientierung und den fixen Berufsbildern des Arbeitsmarktes sowie den disziplinär gebundenen Berufskarrieren8 • Ist der Dialog zwischen den Disziplinen nicht "herrschafts frei" , so besteht die Gefahr, daß eine Disziplin mit Hilfe der Interdisziplinarität hegemoniale Bedürfnisse befriedigen will, etwa hinsichtlich des methodologischen Ansatzes bei der Erforschung bestimmter Objektbereiche. Beispiele, die Holzhey nennt, sind der Physikalismus und Psychologismus7 • Das Mißtrauen der Jurisprudenz, dessen Berechtigung hier nicht näher diskutiert werden kann, gegenüber Hegemonialansprüchen der Soziologie hat sich in der Literatur unter dem negativen Stichwort "Soziologisierung der Jurisprudenz" niedergeschlagen8 • Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Völkerrecht und Internationalen Beziehungen steht noch am Anfang. Zwar existiert
eine Anzahl - zum überwiegenden Teil von Völkerrechtlern verfaßter - programmatischer Schriften zum Verhältnis von Völkerrecht und Soziologie, die eine Öffnung gegenüber den Sozialwissenschaften und der sozial wissenschaftlichen Methode fordern. Allerdings wird nicht konkret gesagt, welche Disziplin zuständig sein soll. Weiterhin sind verschiedene Ansätze einer soziologischen Völkerrechtstheorie entwickelt worden, die sich vor allem an die Internationalen Beziehungen anlehnen'. Bereits im Jahre 1921 schreibt Franz W. Jerusalem: "Seit langem ... bietet sich dem Juristen eine wissenschaftliche Methode dar, welche als ihre Aufgabe ansieht, die Gesetze des sozialen Lebens und unter ihnen diejenigen des Rechts zu erforschen ... Es ist die Soziologie ... Die Soziologie kann dem Juristen zeigen, wie das Recht ein integrierender Bestandteil des sozialen Lebens überhaupt ist, daß er das Wesen der einzel5 Helmut Holzhey, Interdisziplinär, Reihe: Philosophie aktuell (Basel Stuttgart 1974), S. 113 ff. S Helmut Holzhey, Interdisziplinarität in Forschung und Lehre, NZZ vom 19./20. 6. 1977. 7 Holzhey (Anm. 5), S. 115. 8 Vgl. Rüdiger Lautmann, Soziologie vor den Toren der Jurisprudenz (Stuttgart u. a. 1971), S.9 ff.; Andreas Heldrich, Das trojanische Pferd in der Zitadelle des Rechts, JuS 14 (1974), S. 281 - S. 288. 9 Darüber Edda Blenk-Knocke, Zu den soziologischen Bedingungen völkerrechtlicher Normenbefolgung: Die Kommunikation von Normen (Ebelsbach 1979).
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nen Rechtserscheinungen lediglich im Zusammenhang mit allen anderen sozialen Lebenserscheinungen verstehen kann 10 ." Einige Jahre danach stellt Dietrich Schindler sen. neben die logischdogmatische Methode des Völkerrechts die soziologische Methode. Er ist überzeugt, daß der Beitrag des Völkerrechts zur Weltfriedenssicherung nur mit der soziologischen Methode erforscht werden kann: "L'essenee de l'examen sociologique eonsiste dans le fait que le droit n'est pas etudie eomme un domaine isole, mais dans ses relations avee l'ensemble de la realite sociale et eomme une partie de eelle-ei. Au point de vue sociologique, il y a Heu d'examiner quelle est l'influenee du droit sur le reste de la realite sociale et eomment, en d'autres termes, le monde en dehors du droit influe la formation, le maintien et la destruetion du droit, eomment il favorise eertaines institutions juridiques et en paralyse d'autres. L'examen sociologique s'oeeupe done, pour prendre une formule extremement resumee, des relations entre le droit et la realitel l." Ebenso wie Schindler betont Julius Stone 23 Jahre später die enge Beziehung zwischen der sozial wissenschaftlichen Öffnung des Völkerrechts und der friedlichen Zukunft der Menschheit: "It must be elear ... that I regard the systematie development of sociological inquiries eoneerning international law as indispensable for the human future, at any rate insofar as the human future is deemed to depend on the role of internationallaw12." In jüngster Zeit mehren sich auch im deutschen Sprachraum die Diskussionsbeiträge zum Verhältnis von Völkerrecht und Sozialwissenschaften13 • So hat auch der Erstherausgeber des vorliegenden Bandes für einen Methodenpluralismus in der Art plädiert, daß die soziologischpolitische Analyse als Ergänzung der juristisch-dogmatischen dienen soll. Dies impliziert keineswegs notwendig methodischen Synkretismus14 • Das Recht kann nicht als autonome Dimension im internationalen Leben angesehen, seine Rolle durch eine bloße Analyse rechtlicher Doktrinen, Prozeduren und Institutionen ohne Berücksichtigung des soziapolitischen Kontextes nicht adäquat erfaßt werden. Völkerrecht wird 10 Franz W. Jerusalem, Völkerrecht und Soziologie (Jena 1921), S.3 f. (Hervorhebungen im Original). 11 Dietrich Schindler, Contribution a l'etude des facteurs sociologiques et psycholQgiques du droit international, RdC 46 (1933), S. 233 - S. 326 (S.237). 12 Julius Stone, Problems Confronting Sociological Enquiries Coneerning International Law, RdC 89 (1956), S. 61 - S. 180 (S. 138). 13 Vgl. die Literaturangaben bei Bruno Simma, Völkerrecht und Friedensforschung, FW 57 (1974), S. 65 - S. 83 (S. 66 f., Anm.4). Von besonderem Gewicht dazu jüngst Hanspeter Neuhold, Internationale Konflikte - verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung (Wien - New York 1977), S. 1- S. 16. 14 Vgl. Bruno Simma, Völkerrechtswissenschaft und Lehre von den internationalen Beziehungen: Erste überlegungen zur Interdependenz zweier Disziplinen, OZöffR 23 (1972), S. 293 - S. 324 (S. 294).
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im politischen Raum erzeugt und betreut. Dies kann nicht heißen, daß Recht auf Macht reduzierbar ist, denn Politik selbst ist ein vieldimensionaler Prozeß, der von der "realistischen Schule" (Politik als Machtverwirklichung) wie der "idealistischen Schule" (Politik als Wertverwirklichung) in ihren radikalen Ausprägungen lediglich verkürzt erfaßt wird. "... the homo politicus who pursues nothing but power is as unreal a myth as the homo economicus who pursues nothing but gain. Political action roust be based on a co-ordination of morality and power"15. Die enge Verzahnung des Völkerrechts mit der sozialen Realität ist sowohl für seine Entstehung und Verbreitung als auch für seine Wirksamkeit bedeutsam. Bei der Steuerung internationaler Verhaltensprozesse sind ebenfalls informelle, nicht rechtliche Verhaltensregeln relevant, in die das Völkerrecht eingebettet ist, deren Unterstützung es bedarf und die es gegebenenfalls in seiner Effektivität beeinträchtigen. Beispielhaft seien die zwischen den Supermächten "geltenden" Regeln des Crisis Management genannt. Max Huber hat bereits 1910 darauf hingewiesen, daß die Stellung des Rechts zu den außerrechtlichen Normen dringend der Erforschung bedarf: "Die Untersuchung darüber, welches die tatsächlichen Formen des internationalen Verkehrs sind und wann und in welcher Gestalt sie zu gemeinen Rechtsnormen sich ausgestaltet haben, bildet die Hauptaufgabe der VölkerrechtswissenschaftI8 ." Eine rein normativ betriebene Völkerrechtswissenschaft wird ohne Berücksichtigung metajuristischer Faktoren nicht die Prozesse der Entstehung, Entwicklung und Wandlung des Völkerrechts, der Herausbildung neuer Völkerrechtsquellen, des Erkennens und Beschreibens von Normen (z. B. des Völkergewohnheitsrechts) und der Verpolitisierung weiter Normkomplexe im Anwendungsfall erfassen können17 • Die Erforschung metajuristischer Faktoren führt nun aber notwendig zur interdisziplinären Kooperation mit verschiedenen Disziplinen, z. B. den Internationalen Beziehungen, der Rechtssoziologie, Psychologie, Sozialpsychologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre. Apriori kann kein Bereich der sozialen Realität als völkerrechtsirrelevant angesehen werden. Das hat zur Folge, daß bei der Komplexität des Erkenntnisgegenstandes die Analyse auf verschiedenen Ebenen ansetzen kann und muß, z. B. auf der Ebene von Individuum, Klein- oder Groß gruppe und 15 E. H. Carr, International Politics: Idealism vs. Realism, in: Frederick H.
Hartmann (Hrsg.), World in Crisis (New York 1967), S. 8 - S. 15 (S. 13). 18 Max Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts (Berlin 1928), S. 44. 17 Vgl. Simma (Anm. 14), S. 301 ff.
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der Weltgesellschaft, wobei auf jeder Ebene politische, ökonomische und sozio-kulturelle Faktoren wirksam werden. Eine besondere Affinität des Völkerrechts besteht jedoch zur Disziplin der Internationalen Beziehungenl8 , da das Charakteristikum des Völkerrechts in der Verhaltenssteuerung von Großorganisationen (Staaten) besteht und die Analyse der grenzüberschreitenden faktischen politischen Prozesse, wie sie durch die Disziplin der Internationalen Beziehungen ausgeübt wird, für das Völkerrecht von spezieller Wichtigl{eit ist. Insbesondere die "International Relations" erforschen das für das Völkerrecht relevante sozio-politische Substrat. Sie besitzen die Erfahrungen und die "approaches" zur Analyse der inter- und transnationalen Interaktionen und damit zur Realität des völkerrechtlichen Regelungsbereiches. Allerdings veranschlagen die meisten Analysen internationaler Verhaltensabläufe die verhaltenssteuernde Kraft des Völkerrechts als gering bzw. ignorieren das völkerrechtliche Ordnungselement völligI'. Nachdem auch in der Bundesrepublik Deutschland die grundsätzliche Notwendigkeit der interdisziplinären Kooperation zwischen Völkerrecht und Internationalen Beziehungen von Vertretern beider Disziplinen betont worden war, begann der interdisziplinäre Dialog in institutionalisierter Form im Jahre 1972 mit einer Kieler Tagung über das Verhältnis von Völkerrecht und Friedensforschung!o. Fortgesetzt wurde die interdisziplinäre Initiative dann durch das Institut für Internationales Recht - Völkerrecht der Universität München, dem die beiden Herausgeber angehören. Unter ihrer Leitung wurde im Oktober 1974 ein interdisziplinäres Symposium über das Thema "Völkerrecht und Internationale Beziehungen" veranstaltet. Das Unternehmen wurde von Anfang an von der Stiftung Volkswagenwerk tatkräftig gefördert. Auf dem erwähnten Symposium, das am Sitz der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München stattfand, wurde zunächst noch einmal die Bedeutung interdisziplinärer Forschung unterstrichen21 • Während die Völkerrechtler, wie bereits ausgeführt, ihr Interesse an den Erkenntnissen der Politikwissenschaft seit langem offen zeigen, konkretisierte nunmehr auch die Politologie ihre Wünsche an das Völkerrecht. Für die Politikwissenschaft interessant, so Kar! 18 Walter Rudol! bezeichnet das Völkerrecht als "normativen überbau" der internationalen Beziehungen: Völkerrecht und Deutsches Recht (Tübingen
1967), S. 27.
Vgl. dazu Michael Schweitzer, S. 506 in diesem Band. Vgl. Joachim Wege, Völkerrecht und Friedensforschung, Tagungsbericht, ZRP 6 (1973), S. 19 f. 21 Die auf dem Ebenhausener Symposium 1974 gehaltenen Referate wurden veröffentlicht in: FW 58 (1975), S. 195 - S. 263. 19
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Kaiser, ist der Beitrag des Völkerrechts zur Erhaltung des Weltfriedens und zur Durchsetzung von Grundrechten, sowie der Stellenwert völkerrechtlicher Normen bei der Regulierung internationaler Konflikte und der internationalen Politik allgemein. Kaiser bemerkt ausdrücklich, daß die Internationalen Beziehungen sowohl im Bereich ihrer normativen Theorie (Wert und Zielsystem dieser Wissenschaft) als auch im Bereich der Praxeologie (Handlungs anleitungen) auf das Völkerrecht angewiesen sind. Er unterstreicht ferner die Bedeutung des Völkerrechts für die Konzeptionen der International Relations über die Zukunft und Ordnung des internationalen Systems, für das kritische überdenken bestehender parochialer Tendenzen in den Internationalen Beziehungen, die internationale Probleme - etwa den Nord-Süd-Konflikt - einseitig durch Veränderung innerstaatlicher Strukturen und innerstaatlicher Bedingungen der Außenpolitik lösen wollen, für die Diskussion um den Friedensbegriff (negativer und positiver Frieden) und den Begriff des friedlichen Wandels 22 • Weiterhin wurde in Ebenhausen eine Reihe von Forschungsproblemen identifiziert, die für beide Disziplinen relevant sind ("bridge topics"). Hanspeter Neuhold stellte das völkerrechtliche Gewaltverbot, das Interventionsverbot und die friedliche Streiterledigung als interdisziplinäre Forschungsgegenstände voru. Jost Delbrück wandte sich dem "bridge topic" internationale Friedenssicherung zu und betonte, daß nicht nur instrumentale, sondern vor allem materielle Friedenssicherung, die sich an den sozialwissenschaftlich zu erforschenden Ursachen der drängenden internationalen Konflikte orientiert, Aufgabe des Völkerrechts ist24 • Am Abschluß des Symposiums stand der einhellige Entschluß, die interdisziplinäre Kooperation in Form der gemeinsamen Bearbeitung konkreter Forschungsfragen weiterzuführen. Zu diesem Zweck wurden zwei Arbeitsgruppen vorgesehen. Die eine sollte sich schwerpunktmäßig mit der Interventionsproblematik und Fragen der zwischenstaatlichen Konfliktregulierung am Beispiel der KSZE, die zweite mit Problemen des internationalen "Crisis Management" befassen. Die zweitgenannte Arbeitsgruppe löste sich in der Folge wieder auf. Ihr Leiter, Hanspeter Neuhold, war der überzeugung, daß eine wissenschaftlich fruchtbare Arbeit über diesen Fragenkomplex nur noch auf der Basis einer Einsichtnahme in Regierungsakten möglich sei, wie sie der - privaten Forschung bisher nicht zur Verfügung steht. 22 Karl Kaiser, Völkerrecht und Internationale Beziehungen. Zum Verhältnis zweier Wissenschaften, ebd., S. 197 - S. 209 (S. 202 ff.). 23 Hanspeter Neuhold, Völkerrecht und andere Sozialwissenschaften: Konkrete Ansätze zu einem Brückenschlag, ebd., S. 213 - S. 239. 24 Jost DelbTÜck, Im Rahmen einer universalen Friedensstrategie Menschenrechtsschutz und internationales Wirtschafts- und Sozialrecht, ebd., S. 240 - S. 251.
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Nachdem die Stiftung Volkswagenwerk die Finanzierung der weiteren Arbeit sichergestellt hatte, mußte sich nunmehr erweisen, wie tragfähig die verbale Bejahung interdisziplinärer Kooperation in der Praxis eigentlich ist. Es wiederholte sich die häufige Erfahrung interdisziplinären Arbeitens, daß eine Diskrepanz zwischen der deklarierten und der tatsächlichen Gesprächsbereitschaft der Disziplinen besteht25 . Dies zeigte sich insbesondere in der Schwierigkeit, Politikwissenschaftler zur Mitarbeit in dem Forschungsprojekt zu gewinnen, was zur Folge hatte, daß die politologische Seite gegenüber den Juristen leicht unterrepräsentiert war. Die endgültige Zusammensetzung der interdisziplinären Arbeitsgruppe sah wie folgt aus: Von siebzehn Mitarbeitern sind fünf Teilnehmer den Sozialwissenschaften zuzuordnen (drei Politologen, ein Soziologe, ein Volkswirt), fünf Mitarbeiter sind sowohl völkerrechtlich als auch politikwissenschaftlich ausgewiesen, sechs Teilnehmer sind "reine" Völkerrechtler, ein Mitarbeiter schließlich Geisteswissenschaftler (Philosoph). Eine weitere Schwierigkeit ergab sich durch eine anfängliche starke Fluktuation in den Arbeitsgruppen. Der relativ lange Zeitraum von der Konzeption des Forschungsprojekts im Jahre 1975 bis zu seinem Abschluß im Jahre 1978 führte dazu, daß sich Interessenlage und Verpflichtungen der ursprünglichen Mitarbeiter teilweise entscheidend veränderten, so daß sich der Mitgliederstand erst in der zweiten Phase der Arbeit stabilisierte. Dennoch waren elf Mitarbeiter seit Beginn mit dem Projekt befaßt, acht waren davon bereits auf dem Ebenhausener Symposium 1974 vertreten. Die personelle Fluktuation wirkte sich naturgemäß auch auf die Wahl der konkreten Untersuchungsgegenstände aus. Nun gibt es unterschiedliche Formen interdisziplinären Zusammenwirkens, z. B. die Modelle "Hilfswissenschaft" oder "Symposium"28. Im Modell Hilfswissenschaft stehen die beteiligten Wissenschaften nicht im gleichen Rang. Hilfswissenschaften werden zu Rate gezogen, wenn die Primärwissenschaften bereits das Problem definiert haben, und sollen lediglich bestimmte Zusatzinformationen liefern. Das Modell "Symposium" kann im günstigsten Fall tatsächlich ein befriedigendes interdisziplinäres "Gespräch" erreichen, in der Regel stellt es jedoch eine Vorstufe zur interdisziplinären Kooperation dar Was im Falle des vorliegenden Projektes realisiert werden sollte, war das Zusammenwirken qualifizierter Wissenschaftler verschiedener Disziplinen bei der Bearbeitung eines konkreten Forschungsproblems27 , also eine Form der Kooperation, die über die anderen Modelle hinausreicht. Methodologisch 25 Vgl. HoZzhey (Anm. 5), S. 108. 28 Vgl. ebd., S. 108 f. 27
Vgl. ebd., S. 109.
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gesehen war die Zusammenarbeit weitgehend ein Sprung ins kalte Wasser. Wir wollten endlich die unverbindliche Ebene gegenseitiger Sympathiebezeugungen überwinden und die Praxis der Zusammenarbeit erproben. Die Zurverfügungstellung eines Erfahrungsraumes, eines Experimentierfeldes für interdisziplinäre Kooperation, stellte deshalb mit eine wichtige Motivation bei der Durchführung des Forschungsprojektes dar. Diese Motivation stand gleichberechtigt neben dem sachlichen Interesse an der angeschnittenen KSZE-Problematik. Wir weisen auf diesen Umstand auch deswegen hin, weil er erklären und rechtfertigen soll, warum die nunmehr vorgelegten Forschungsergebnisse den Untersuchungsgegenstand KSZE in keiner Weise umfassend oder gar erschöpfend behandeln. Die Europäische Sicherheitskonferenz war lediglich Lieferantin der "bridge topics", auf die wir uns konzentrieren wollten. Daß insbesondere das Spannungsfeld Menschenrechte - Intervention im Verlauf unserer Arbeit immer brennendere Aktualität erlangte, spricht für das Problembewußtsein in Ebenhausen. Im Rahmen des Forschungsprojekts fanden vier Arbeitskonferenzen statt. Vor diesen Konferenzen wurden die Arbeitspapiere in ihren jeweiligen Entwicklungsstadien an die Mitarbeiter verschickt, so daß sie auf den Treffen sogleich inhaltlich behandelt werden konnten. Jedes Referat stand so mehrfach im interdisziplinären Forum zur Diskussion. Bald zeigte sich, daß es zwischen den Beteiligten zu einem Verständigungsprozeß kam. Sprachbarrieren, die den Informationsaustausch zwischen den Disziplinen behindern, konnten abgebaut bzw. gemildert werden. Die Autoren leisteten eine übersetzungsaufgabe für die jeweils anderen Disziplinen. Sie erklärten, problematisierten und gaben Anregungen. Das für die Beteiligten wichtigste Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit liegt sicherlich darin, daß Lernprozesse in Gang gesetzt, die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Faches verdeutlicht wurden. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden einem größeren Kreis an interdisziplinärer Kooperation akademisch und praktisch interessierter Fachvertreter auf einem Abschluß-Symposium im Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg im Juni 1978 vorgestellt. Auch die Zusammensetzung des Schlußsymposiums erwies sich als getreuer Spiegel der zugrundeliegenden Interessenlage der beteiligten Wissenschaften: Die Politologen blieben in der Minderheit. Inhaltlich gruppieren sich die hiermit vorgelegten Arbeiten, gestützt und vertieft durch einige "background papers", in drei Themenbereiche: 1. Die Interventionsproblematik im West/Ost- und West/West-Verhält-
nis (Menschenrechte, Nuklearexport),
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2. die Möglichkeiten der Vertrauensbildung im West/Ost-Verhältnis auf militärischem wie wirtschaftlichem Gebiet, 3. Chancen und Nutzen gesamteuropäischer Institutionen zur politischen Zusammenarbeit und friedlichen Streiterledigung. Das Ausmaß, in dem die einzelnen Beiträge tatsächlich durch die interdisziplinäre Diskussion geprägt wurden, ist verschieden. Eine erste Bewertung der Arbeitsergebnisse unter diesem Gesichtspunkt wurde je einem Vertreter der Völkerrechtswissenschaft und der Internationalen Beziehungen übertragen. Ihre Beurteilungen finden sich im Anschluß an die 13 Sachbeiträge der Arbeitsgruppe28 • Durch die offene Darlegung der Probleme, denen sich das vorliegende Forschungsprojekt gegenübersah, sollen unsere Erfahrungen künftigen interdisziplinären Forschungsvorhaben zugänglich gemacht werden. Auf der praktischen Ebene lassen sich folgende Empfehlungen aussprechen: - Ein Forschungsprojekt sollte sich über keinen zu langen Zeitraum erstrecken. Eine Höchstdauer von ca. zwei Jahren wäre empfehlenswert. - Die Größe einer Arbeitsgruppe sollte vier bis acht Mitarbeiter nicht übersteigen. - Förderlich ist die räumliche Nähe der Beteiligten, da auf diese Weise die nötige intensive Kommunikation leichter gewährleistet werden kann. Telefonische und schriftliche Kontakte können das persönliche Gespräch nicht ersetzen. - Eine langfristige Parallelität von wissenschaftlichem Eigeninteresse und Forschungsproblem ist im Falle fehlender Honorierung besonders wichtig, da die aus der beruflichen Position erwachsenden Verpflichtungen notwendig Vorrang besitzen. - Jüngere Wissenschaftler erweisen sich für unkonventionelle interdisziplinäre Forschungsvorhaben als ansprechbarer, da sie vom traditionellen Wissenschaftsbetrieb ihrer Fächer nicht völlig absorbiert sind. Die entscheidenden Probleme interdisziplinärer Kooperation zeigen sich vielfach erst bei den praktischen Versuchen ihrer Realisierung. Dies gilt auch für den vorliegenden Versuch. Bisher wurde auf die organisatorischen Probleme verwiesen. Sie sind noch relativ leicht zu lösen. Unerwähnt blieben hingegen die methodologischen Schwierigkeiten. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit wurden jedoch immer wieder methodologische Fragen aufgeworfen. Deshalb wird eine inten28 Vgl. Michael Schweitzer u. Werner Pfeifenberger, S. 505 ff. in diesem Band.
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sivere Behandlung methodologischer Probleme, wie sie auch von den "Gutachtern" gefordert wird2u, von allen Beteiligten als dringend angesehen. Allerdings scheint es - das haben bisher alle Versuche interdisziplinären Arbeitens gezeigt - eine allgemeine Methode interdisziplinärer Forschung noch nicht zu geben30 • Schelsky verweist dazu insbesondere auf die ungenügenden wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen und bemerkt, daß "... die gegenwärtige deutsche Wissenschaftstheorie, sei es methodologisch, philosophisch oder wissenschaftssoziologisch, die grundlegenden Probleme der fachübergreifenden interdisziplinären Verständigung überhaupt noch nicht entdeckt und formuliert, geschweige denn gelöst hat31 ." Die Behandlung der methodologischen Probleme, die in der Kooperation von Völkerrecht und Internationalen Beziehungen bzw. anderen Sozialwissenschaften auftauchen, sollte auf jeden Fall die im innerstaatlichen Bereich zwischen Jurisprudenz und Soziologie (insbesondere auch der Rechtssoziologie) geführte Methodendiskussion für sich rezipieren32• Dazu gehört vor allem die Diskussion um das Verhältnis von Sollen und Sein, das nicht nur zwischen (Jurisprudenz als Sollenswissenschaft, Soziologie als Seinswissenschaft), sondern auch innerhalb der Disziplinen eine entscheidende Rolle spieJt33. Selbst die Rechtsdogmatik muß das Sozialleben an verschiedenen Punkten berücksichtigen, etwa im Bereich der Generalklauseln, die traditionell als EinbruchsteIle sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse angesehen werden, sowie der judikatorischen Option, bei der es um die Überwindung des Dogmas von der Lückenlosigkeit des Rechts und um die richterliche Rechtsfortbildung geht34 • Die Bedingungen allerdings, unter denen empirische Erkenntnisse in die juristische Dogmatik einzuführen sind, sind nach wie vor ungeklärt. Wie sich der interdisziplinäre Dialog zwischen Völkerrecht und Sozialwissenschaften, insbesondere den Internationalen Beziehungen, weiterhin gestalten wird, bleibt abzuwarten. Eine methodologische Grundlagendiskussion wird jedoch unausweichlich sein. Wenn dieser Band sie provozieren hilft, hat er seinen Zweck erreicht. Vgl. ebd., S. 517, S. 523 ff. Vgl. Holzhey (Anm. 5), S. 109. 31 Helmut Schelsky, Soziologiekritische Bemerkungen zu gewissen Tendenzen von Rechtssoziologen, JfRR 3 (1972), S. 603 - S. 611 (S.603). 32 Vgl. z. B. Hans Albert, Erkenntnis und Recht. Die Jurisprudenz im Lichte des Kritizismus, JfRR 2 (1972), S. 80 - S. 96; Eike von Savigny, Die Jurisprudenz im Schatten des Empirismus, ebd., S. 97 - S. 108; Erhard Blankenburg et al., Kritische Anmerkungen zur rechts soziologischen Forschung und Argumentation, JfRR 3 (1972), S. 600 - S. 602; Schelsky (Anm. 31). 33 Vgl. Lautmann (Anm. 6), S. 27 f. 34 Vgl. Manfred Rehbinder, Einführung in die Rechtssoziologie (Frankfurt a. M. 1971), S. 7. 29
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I. Zur Interventionsproblematik
DIE INTERVENTION NACH GEGENWÄRTIGEM VÖLKERRECHT Von Eckart Wehser Angesichts der zahlreichen bereits vorhandenen Abhandlungen zum Thema der Intervention im Völkerrecht und insbesondere der neueren ausführlichen Untersuchungen von Neuhold, Rumpf und Vincent1 stellt sich die Frage, ob mit einer weiteren Aufbereitung nicht lediglich allzu Bekanntes wiederholt wird. Dies gilt um so mehr als auch mit diesem Beitrag nicht die Erwartung verknüpft wird, daß der häufig konstatierten Begriffsverwirrung im Bereich der Intervention ein Ende gesetzt werden könnte 2 • Insofern sollen die folgenden Ausführungen vor allem einen überblick über den gegenwärtigen Stand der Diskussion bieten und lediglich denjenigen Spielarten der Intervention, die heute aufgrund aktueller politischer Anlässe in den Vordergrund getreten sind, ausführlicher nachgegangen werden. Dies gilt einmal für die seit dem arabischen Erdölboykott häufig zitierte sog. wirtschaftliche Intervention, zum anderen für die sog. subversive Intervention, die im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion der Menschenrechte stärkeres Interesse findet.
A. Zu den als "klassisch" zu bezeichnenden Eröffnungen einer jeden Abhandlung zum Interventionsverbot gehört der Hinweis darauf, daß Begriff und Inhalt dieses Instituts zu den am wenigsten geklärten Bereichen des Völkerrechts gehören. So bezeichnen etwa Dahm und Wengler S die Intervention mit fast denselben Worten als eines der "dunkelsten und umstrittensten Kapitel der Völkerrechtslehre" und 1 Hanspeter Neuhold, Internationale Konflikte verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung (Wien - New York 1977); Helmut Rumpf, Intervention und Nicht-Intervention im modernen Völkerrecht, Auswärtiger Dienst (1976, Heft 2), S. 41 - 55; R. Vincent, Nonintervention and International Order (Princeton 1974). 2 Vgl. auch Gaetano Arangio-Ruiz, The Normative Role of the General Assembly of the United Nations and the Declaration of Principles of Friendly Relations, RdC 136 (1972), S. 419 - 742 (560). S Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. I (Stuttgart 1958), S.208; Wilhelm Wengler, Völkerrecht, Bd. 11 (Berlin - Göttingen - Heidelberg 1964), S. 1038.
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Eckart Wehser
Friedmann 4 konstatiert, daß mit eben diesem Befund bereits die ein-
zige übereinstimmung festgestellt sei.
Kennzeichnend für den Begriff der Intervention ist vor allem dessen außerordentliche Weite. So fällt unter den - völkerrechtlichen Begriff der Intervention gleichermaßen die "Einmischung" des einen Staates in die Angelegenheiten eines "intakten" anderen Staates, etwa in dessen Wirtschaftspolitik, wie auch der völlig anders gelagerte Fall der Parteinahme zugunsten einer von zwei Bürgerkriegsparteien (Beispiel: der spanische Bürgerkrieg seit 1936). In diesem letzteren Sinn verwendete etwa Talleyrand den Begriff der Intervention, als er jener unbekannten Dame auf ihre Frage, was denn der Unterschied zwischen Intervention und Nichtintervention sei, die so häufig zitierte Antwort gab, daß beide praktisch das gleiche bedeuteten. Die Aussichtslosigkeit einer genaueren Eingrenzung des Interventionstatbestandes veranlaßte Winfield 6 bereits vor mehr als fünfzig Jahren zu der anschaulichen Formulierung, man könne nach dem Studium des Kapitels über die Intervention bei Phillimore meinen, die Intervention umfasse "wohl ziemlich alles, angefangen von einer Rede Lord Palmerstones im britischen Unterhaus bis zur Teilung Polens". Dies führt schließlich zu der Folgerung, daß ein Tatbestand, der militärische Intervention und diplomatischen Rat gleichermaßen erfasse, "will be as little useful as a medical diagnosis which treats fleabites and plagues all in the same category of scarlet feavers"e, oder kürzer, daß ein solcher Begriff für die völkerrechtliche Terminologie nur wenig Wert besitze7 • Ein wesentlicher Grund für die verschwommenen Konturen der Intervention liegt zunächst darin, daß sich politisch-diplomatischer Sprachgebrauch und völkerrechtliche Begriffsbildung unterscheiden. In der täglichen Praxis pflegen nicht nur ideologisch unterschiedlich ausgerichtete, sondern auch untereinander befreundete Nationen der Kritik an innenpolitischen Vorgängen im eigenen Land mit dem Hinweis zu begegnen, es handle sich um eine unzulässige Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten: "Every State may feel entitled to discuss as acts of intervention the most normal tools of diplomacy8." Diesem weiten Begriff der Intervention in der politischen Praxis hat sich der politologische Sprachgebrauch im wesentlichen angeschlossen. Demgegenüber beruht das völkerrechtliche Verständnis der Intervention auf sehr 4 The Changing Structure of International Law (London 1964), S. 267, Anm.24. 5 The History of Intervention in International Law, BYIL 3 (1922/23), S. 130 - 149. e B. S. Murty, Propaganda and World Public Order (New Haven - London 1968), S. 134 f. 7 Herbert W. Briggs, The Law of Nations (2. Aufl. New York 1952), S. 960. 8 Vgl. Ruiz (Anm. 2), S. 553.
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viel engeren Voraussetzungen: Für das Völkerrecht war bis in die jüngste Zeit hinein die Qualifizierung eines Akts als Intervention mit der Anwendung bzw. Androhung (militärischen) Zwangs untrennbar verbunden: "The essence of intervention is compulsion." Allerdings sind die Dinge in Bewegung geraten. Das Problem der exakten Bestimmung der Grenze, jenseits derer sich die Einwirkung auf den fremden Staat nicht mehr auf völkerrechtlich erlaubten diplomatischen Druck beschränkt, sondern eine völkerrechtswidrige Intervention darstellt, ist heute im Anschluß an die - unten noch näher zu erörternde - Auseinandersetzung um den "engen" bzw. "weiten" Interventionsbegriff, um die Abgrenzung der Intervention "nach unten", wenn man diesen ebenso plastischen wie in Mode geratenen Begriff verwenden will, wohl nicht entschärft, sondern eher noch schwieriger geworden. Angesichts der aufgezeigten terminologischen Unklarheiten und einer Staatenpraxis, die seit der Herausarbeitung des Interventionsverbots zahlreiche mehr oder weniger gravierende Verstöße gegen dieses Verbot aufweist, stellt sich schließlich die Frage, ob es nicht lediglich Gegenstand der theoretischen Befassung einiger Politologen und Völkerrechtler ist, sondern tatsächlich auch der allgemeinen Rechtsüberzeugung der Staaten entspricht'. Ähnlich wie der Grundsatz der Staatengleichheit leidet auch das Interventionsverbot an seiner "statischen" Natur; daran daß es, wie insbesondere die Regeln über die Beteiligung an fremden Bürgerkriegen erweisen, eine Tendenz zugunsten der etablierten Regime aufweist und nur unvollkommen in der Lage ist, die unaufhaltsamen politischen Veränderungen, die ihrer Natur nach dynamisch sind, zu erfassen. Zwar betont die Literatur ungeachtet der vorhandenen ideologischen Gegensätze, daß das Interventionsverbot als Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts angesehen werden könne. Der Nachweis für diese angeblich vorhandene übereinstimmung der Staaten kann dann aber nicht, wie es häufig geschieht, lediglich mit dem Hinweis darauf geführt werden, daß so unterschiedliche Dokumente, wie etwa der Warschauer Pakt oder die Satzung der DAS, gleichermaßen ein Verbot der Intervention kannten. So wie man beim Vergleich sozialistischer und westlicher Verfassungen aus der Verwendung gleicher Begriffe, etwa aus der Verwendung des Begriffs "Grundrecht", nicht auf die Verbürgung gleicher Inhalte oder Freiheitsräume schließen darf, so wird man auch im Völkerrecht 9 Vgl. auch die Äußerung des thailändischen Vertreters im "Special Committee on Friendly Relations", wonach das Prinzip der Nichtintervention "more a doctrine than an established principle of international law" darstelle, GAOR, 17th session, 6th cttee, 1962, S. 243.
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nur mit Vorbehalten an die gleichlautende Terminologie inhaltliche Folgerungen anknüpfen dürfen. Schon die Tatsache, daß es innerhalb des Warschauer Pakts zu einigen der gravierensten Formen militärischer Interventionen gekommen ist, obwohl das der Allianz zugrundeliegende Vertragswerk ein ausdrückliches Interventionsverbot enthält, dürfte zur Vorsicht mahnen und kann nicht lediglich mit dem Hinweis darauf begegnet werden, daß es sich dabei um "blockinterne" Angelegenheiten gehandelt habe. Zweifelhaft dürfte insbesondere sein, inwieweit zwischen ideologisch unterschiedlich ausgerichteten Staaten Bereitschaft besteht, das Interventionsverbot nicht lediglich zum eigenen Schutz zu reklamieren, sondern es auch gegenüber dem "ideologischen Gegner" zu beachten. Derartige Zweifel werden etwa durch eine Äußerung Korovins bestätigt, der die sowjetische Haltung in der Zwischenkriegszeit in erfrischend offener Weise dahingehend kennzeichnete, daß die Intervention nur insoweit verboten sei, als sie von kapitalistisch-imperialistischen Staaten gegenüber der Sowjetunion ausgehe, während demgegenüber die Intervention der Arbeiterklasse als Methode des - internationalen Klassenkampfes sogar geboten sepo. Entgegen allen offiziellen Beteuerungen scheint sich an dieser sozialistischen Interpretation des Interventionsverbots bis heute kaum etwas geändert zu haben, wenn etwa seitens eines leitenden SED-Funktionärs festgestellt wird, daß die "Propaganda der Ideen des Sozialismus nicht im Widerspruch zu den Verpflichtungen von Helsinki" , sondern in voller übereinstimmung mit der "Pflicht zum Frieden und zur friedlichen Zusammenarbeit der Völker" stehe, hingegen die "antikommunistische und gegen die sozialistischen Länder gerichtete Hetze der westlichen Massenmedien" aufs gröbste den Sinn der Schlußakte, die For:derung nach Nichteinmischung, verletze l l • Ferner wird man fragen müssen, inwieweit diese "schizophrene" Haltung zum Interventionsverbot nicht lediglich der inoffiziellen Haltung der sozialistischen Staaten entspricht, sondern darüber hinaus möglicherweise auch der Außenpolitik anderer Staaten zugrunde liegt. Die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen Ost und West stellt jedenfalls prinzipiell die typische Situation dar, in der das auf Legitimationskriterien gestützte Recht zur Intervention mit der gleichzeitigen Inanspruchnahme des Schutzes vor Intervention als ein Zeichen intensiver politisch-gesellschaftlicher Umwälzungen einhergeht. Derartige "einspurige" Interpretationen des völkerrechtlichen Interventionsverbots sind jedoch zurückzuweisen: Das Interventionsverbot kann 10 Das Völkerrecht der Übergangszeit. Grundlagen der völkerrechtlichen Beziehungen der Sowjetrepubliken (2. Aufi. Berlin 1929), S. 52. 11 Zit. nach Joachim Nawrocki, Die Zeit vom 19. 3. 1976, S.l.
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nur dann einen Sinn haben, wenn es nicht nur im Verhältnis zwischen befreundeten Nationen, etwa zwischen westlichen Demokratien, sondern auch gegenüber totalitären Regimen, seien sie nun kommunistischer oder faschistischer Provenienz, Anwendung findet und umgekehrt auch von diesen respektiert wird. Angesichts der vielen mit dem Interventionsverbot verbundenen Zweifel macht sich in besonderem Maße nachteilig bemerkbar, daß eine übergeordnete völkerrechtliche Zentralinstanz fehlt, die im konkreten Fall verbindlich das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer Intervention feststellen und durch eine ständige Entscheidungspraxis dem Tatbestand festere Konturen vermitteln könnte. Eine derartige kompetente Instanz sieht z. B. Art.23 des GATT-Vertrages vor, der für den Fall, daß sich eine der Vertragsparteien vertragswidrig geschädigt fühlt, ein ausgeklügeltes Entscheidungsverfahren zur Verfügung stellt. Vergleichbare Institute kennt das allgemeine Völkerrecht bekanntlich nicht. Der in der UN-Charta vorgesehene Sanktionsmechanismus für den Fall der Friedensbedrohung bzw. unzulässigen Gewaltanwendung hat sich wegen des Großmachtgegensatzes als ineffektiv erwiesen. Solange aber die Staaten Richter in eigener Sache bleiben, wird sich angesichts der ideologischen Gegensätze und auf grund der sonstigen unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen der Staaten nur mit Mühe ein allgemeiner Konsensus über den Inhalt des völkerrechtlichen Interventionsverbots feststellen lassen. Die angeführten Zweifel an der universalen Geltung sowie an Inhalt und Tragweite rechtfertigen es jedoch letztlich nicht, das Interventionsverbot als Bestandteil des geltenden Völkerrechts fallen zu lassen. Aufgabe sollte es vielmehr sein, bestehende unterschiedliche Auffassungen deutlich zu machen, darüber hinaus - soweit wie möglich - unnötige terminologische Differenzen zu klären und schließlich jedenfalls ein Mindestmaß an Übereinstimmung nachzuweisen. Bevor diesen Problemen nachgegangen wird, soll hier zunächst ein kurzer Überblick über die geschichtlichen Grundlagen des Interventionsverbots gegeben werden, innerhalb dessen drei Abschnitte unterschieden werden: Die "klassische" Periode des Völkerrechts, die sich bis zum Ersten Weltkrieg hin erstreckt, so dann die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und schließlich der Zeitraum seit der Verabschiedung der UN-Charta im Jahre 194512 •
12 Vgl. auch den überblick bei F. X. de Lima, Intervention in International Law (Den Haag 1971), S. 5 - 27.
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B. 1. Solange es Staaten gibt, hat es nicht an Versuchen gefehlt, auf die Geschicke anderer Nationen Einfluß zu nehmen. Daß diese Einmischungen in den Gesichtskreis des Völkerrechts treten konnten, setzte jedoch die Entstehung des auf unabhängigen und souveränen Flächenstaaten aufbauenden Völkerrechts des 17./18. Jahrhunderts voraus. Eines der grundlegenden Prinzipien dieses klassischen Völkerrechts lautet, daß jeder Staat über ein bestimmtes Territorium auf der Erdoberfläche verfügt, innerhalb dessen Grenzen er prinzipiell ausschließlich, jenseits davon jedoch nur ausnahmsweise zuständig ist. Ein geordnetes Nebeneinander, die friedliche Koexistenz im eigentlichen, nicht im ideologischen Sinn, setzt voraus, daß die Staaten diese ausschließliche Kompetenz innerhalb ihrer Hoheitsgebiete nicht lediglich für sich in Anspruch nehmen, sondern auch jeweils den anderen Staaten zuerkennen18• Die Negation der Souveränitätssphäre anderer Staaten stellt seit Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts eine unzulässige Intervention dar: "Der Begriff der Souveränität mußte erst entwickelt werden, um die Beschränkung - denn nichts anderes ist die Intervention - erst möglich zu machenU." Entsprechende Aussagen finden sich nicht nur bei VatteZ, sondern z. B. auch bei Joh. Jakob MaseriG, der den Einmischungen des "Souveräns ... in eines anderen innerliche Angelegenheiten" ein eigenes Kapitel in seinem Lehrbuch widmet. Stellte schon Maser fest, es sei "eine allgemeine Klage, daß manche Souverainen gar oft alle ... Schrancken weit überschreiten und sich mit anderen Staaten sie nichts angehenden inneren Händeln gerne zu thun machen", so entwickelte sich - ganz im Gegensatz zum bestehenden Interventionsverbot - das 19. Jahrhundert zum "Jahrhundert der Interventionen". Dabei ist die Haltung des Völkerrechts gegenüber der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung durch einen eigenartigen Widerspruch gekennzeichnet. Zwar herrschte Einigkeit, daß das Interventionsverbot den Staaten die Einmischung in fremde Angelegenheiten untersagte. Diese Einmischung war aber nur solange untersagt, als sich der Intervenient dabei nicht kriegerischer Mittel bediente. Denn der Krieg galt mit seinen sehr viel intensiveren Auswirkungen als souveränes Recht der Staaten, dem das Völkerrecht indifferent gegenüberstand. Die dem Mittelalter bekannte, wenn auch nicht sehr hilfreiche Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen 13
Ann van Wynen Thomas/A. J. Thamas, A World Rule of Law (Dallas
1975), S. 25.
Hermann Mosler, Die Intervention im Völkerrecht (Berlin 1937), S. 11. Grund-Sätze des jetzt-üblichen Europäischen Völker-Rechts in Friedenszeiten (Hanau 1750), S. 523. 14 15
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war beseitigt: "Der absolute Souverän fühlte sich weder durch sittliche, noch durch juristische Normen in seinem Kriegsführungsrecht gehemmt16 ." Das jus ad bellum, das legitime Recht, politische Interessen mit den Mitteln des Krieges durchzusetzen, fand seine Ergänzung in dem Recht zu territorialen Eroberungen. Unter diesen Umständen, dieser "schiefen Schlachtordnung" von Verbot der Intervention auf der einen und erlaubtem Krieg auf der anderen Seite, lag es auf der Hand, daß der Grundsatz der Nichteinmischung keine strikte Beachtung fand. So proklamierte etwa die Heilige Allianz das Recht zur kollektiven Intervention im Interesse der Aufrechterhaltung der Alleinberechtigung der Throne (monarchisches Legitimitätsprinzip). Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts lieferte dann der südamerikanische Kontinent und der karibische Raum reiches Anschauungsmaterial für die damalige Praxis der Intervention17 • Die vom amerikanischen Präsidenten im Jahre 1823 proklamierte Monroe-Doktrin, ursprünglich als Reaktion auf die Pläne der Heiligen Allianz zur Rückgewinnung der früheren spanischen Kolonien in Südamerika formuliert, entwickelte sich im Gefolge des politisch-wirtschaftlichen Aufstiegs der USA immer mehr zur Legitimationsgrundlage für Einmischungen im karibischen Raum. Als Beispiel sei hier nur auf die im Interesse des Kanalbaus von den USA geförderte Losreißung Panamas von Kolumbien verwiesen. Aber auch die europäischen Großmächte standen nicht abseits, sondern setzten tatsächliche oder behauptete finanzielle Forderungen ihrer Angehörigen häufig mit Gewalt durch. Bekannt geworden ist insbesondere die Blockade Venezuelas u. a. durch Deutschland, Großbritannien und Italien. Die Ursache dafür, daß sich Interventionen von Europa nach Südund Mittelamerika verlagerten, sieht Arangio-Ruiz18 in dem starken Machtgefälle zwischen den USA und den kleineren amerikanischen Staaten, während in Europa ein ausbalanciertes Gleichgewicht bestand. Da die betroffenen kleineren Staaten den mit Gewaltanwendung verbundenen Interventionen der Großmächte militärisch nichts entgegenzusetzen hatten, verlegten sie sich darauf, auf juristische Abhilfe zu sinnen. Zahlreiche "Doktrinen", wie die Calvo-, Drago- und EstradaDoktrin sind das Ergebnis dieser Bemühungen. Darüber hinaus trugen die lateinamerikanischen Staaten aber auch ganz erheblich zur Aus18
Aldo Virgilio Lombardi, Bürgerkrieg und Völkerrecht (Berlin 1976), S.45.
Daß in den einschlägigen Darstellungen immer wieder ausführlich auf die US-amerikanischen Interventionen im karibischen Raum eingegangen wird, dagegen etwa Interventionen der UdSSR in ihrem Hegemonialbereich sehr viel weniger Aufmerksamkeit finden, hängt sicherlich zu einem nicht geringen Teil damit zusammen, daß Notenwechsel und sonstige Dokumente zwischen den USA und den mittelamerikanischen Staaten im Gegensatz zur Praxis sozialistischer Staaten weitgehend veröffentlicht worden sind. 18 Arangio-Ruiz (Anm. 2), S. 548 f. 17
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formung und Ausgestaltung des Interventionsverbots in seiner heutigen Form bei, so daß mitunter von einem "lateinamerikanischen Prinzip" gesprochen wird l9 • 11. Die Erschütterungen des Ersten Weltkrieges ließen in den Staaten die überzeugung reifen, daß der Krieg als Mittel der internationalen Politik ausgeschaltet werden müßte. Ein - in seiner Reichweite beschränkter - Versuch wurde zunächst mit der Satzung des Völkerbundes unternommen. So gingen nach Art. 10 der Satzung die Mitglieder die Verpflichtung ein, die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit aller Mitglieder zu achten und gegen jede Aggression von außen zu wahren. Anschließend an Art. 11, der jeden (drohenden) Krieg als eine Angelegenheit des ganzen Bundes bezeichnete, stellten die Art. 12 ff. Verfahrensregeln auf, die die Mitglieder dazu verpflichteten, vor Beginn kriegerischer Aktionen gegenüber anderen Mitgliedern ein Schiedsgericht oder den Völkerbundrat mit der Streitfrage zu befassen. Für den Fall, daß ein Mitglied einen satzungswidrigen Krieg führte, waren Sanktionen vorgesehen. Die Satzung des Völkerbundes enthielt also kein umfassendes Kriegsverbot, sondern, wie Dahm20 es ausdrückt, lediglich ein Verbot des "prozeßwidrigen Kriegs". Das beschränkte Kriegsverbot des Völkerbundes wurde dann im BriandlKellogg-Pakt zu einem umfassenden Kriegsverbot ausgeweitet. In diesem Vertrag vereinbarten die Unterzeichnerstaaten, den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle zu verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren Beziehungen zu verzichten. Das mit der Völkerbundsatzung und dem BriandlKellogg-Pakt errichtete Friedenssicherungssystem blieb auf die Ächtung des Krieges beschränkt. Die Satzung enthielt kein ausdrückliches Interventionsverbot und Art. 10, aus dem evtl. ein solches Verbot hätte abgeleitet werden können, blieb ohne jede praktische Bedeutung. Formen des "minor coercion" waren demnach auf universeller Ebene vertraglich nicht untersagt. Neben den vertraglichen Friedenssicherungsinstrumenten bestand das Interventionsverbot jedoch nach übereinstimmender Auffassung des Schrifttums auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage fort. So halten z. B. v. LisztlFleischmann!1 die Intervention als autoritative Einmischung in die äußeren oder inneren Angelegenheiten anderer Staaten für völkerrechtswidrig. Der Forderung des Intervenienten werde unter Umständen durch Androhung von Waffengewalt Nachdruck verliehen. St ropp 22 kennzeichnete ebenfalls die gewaltsame oder 19
20 21
22
Ruiz (Anm.2), S. 549 ..
Völkerrecht, Bd. 11 (Stuttgart 1961), S. 340. Das Völkerrecht (12. Aufl. Berlin 1925), S. 119. Grundzüge des positiven Völkerrechts (5. Aufl. Köln 1932), S. 98.
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von Zwangsandrohung begleitete Einmischung in Angelegenheiten anderer Staaten als völkerrechtswidrig. Vanselow 23 verweist insbesondere darauf, daß die Intervention nur vorkomme, wenn "genügend Machtüberschuß" vorhanden sei, um sie gefahrlos begehen zu können. HoldFerneck 24 stellt wesentlich auf die Beeinträchtigung der staatlichen Entschließungsfreiheit durch Ausübung von Druck ab. Dabei komme es auf die "äußere Form" nicht an. Auch Hershey 25 beschränkt den Interventionstatbestand nicht auf die "forcible intervention", sondern führt daneben noch die diplomatische Intervention an, die (zunächst) nur Noten, Proteste u. ä. umfasse. In der Staatenpraxis spielte das Interventionsverbot allerdings nach wie vor keine bedeutende Rolle. Es scheint nur bedingt geeignet gewesen zu sein, "measures short of war" als völkerrechtswidrig aufzufangen und das Kriegsverbot wirksam zu ergänzen. Vor allem im karibischen Raum kam es auch während der Zwischenkriegszeit zu zahlreichen Einmischungen der USA in die Belange der kleineren Republiken. Zwar unterlagen die Beziehungen zwischen den amerikanischen Staaten seit dem Abschluß der Montevideo-Konvention (Konvention über die Rechte und Pflichten der Staaten) vom 26. 12. 1933 einem Interventionsverbot. Auch hatte Präsident Roosevelt eine Umorientierung der amerikanischen Außenpolitik als "Politik der guten Nachbarschaft" verkündet. Die Zahl der Einmischungen nahm jedoch nicht ab, lediglich deren Methoden wurden verfeinert. III. Die Mängel und Lücken des Friedenssicherungssystems der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen führten dazu, daß in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta ein absolutes Gewaltverbot aufgenommen wurde. Damit wurde nicht nur der Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen, sondern wurden auch sonstige Formen der Anwendung bzw. Androhung (militärischer) Gewalt unterhalb der Schwelle des Krieges verboten. Es ist daher schon an dieser Stelle festzuhalten, daß das Gewaltverbot der Charta zumindest in gewissem Umfang auch den Regelungsbereich des Interventionsverbots abdeckt. Von daher erklärt es sich, daß die UN-Charta mit keiner Bestimmung die Intervention des einen Mitgliedstaates in die Angelegenheiten eines anderen verbietet und daß Art. 2 Abs. 7 entgegen einer in der sozialistischen Völkerrechtsliteratur anzutreffenden Behauptung keineswegs die zwischenstaatliche, sondern lediglich die Intervention seitens der Organisation in die Angelegenheiten ihrer Mitglieder untersagt. !3
24 25
Völkerrecht (Berlin 1931), S. 86. Lehrbuch des Völkerrechts (Leipzig 1932), S. 215. The Essentials of International Public Law and Organization (New York
1927), S.236.
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Außer in der eben erwähnten UN-Charta findet sich das Interventionsverbot auch in zahlreichen Verträgen und sonstigen Dokumenten der Nachkriegszeit. Zu erwähnen sind etwa Art. 15 der DAS-Satzung (Charta von Bogota) vom 30. 4. 1948, deren Text den späteren UNResolutionen als Vorbild diente, sowie Art.8 des Warschauer Paktes vom 14.5.1955. Besondere Bedeutung für das heutige Verständnis des Interventionsverbots besitzen die "Declaration of the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Sovereignty" aus dem Jahre 196528 sowie die - im Hinblick auf das Interventionsverbot weitgehend mit der vorgenannten Deklaration übereinstimmende - "Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations" ("Prinzipiendeklaration") aus dem Jahre 197027 • Schließlich enthält auch die KSZE-Schlußakte von Helsinki von 197528 im Prinzip VI ein - wenn auch nicht sonderlich prägnant definiertes - Interventionsverbot. Dieses untersagt die individuelle oder kollektive Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Teilnehmerstaates, und zwar nicht nur mit militärischen, sondern auch mit politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Zwangsmitteln, sofern sie darauf gerichtet sind, einem Staat "Vorteile irgendwelcher Art" zu verschaffen. "Dementsprechend" haben sich die Teilnehmerstaaten insbesondere der Unterstützung terroristischer oder subversiver Tätigkeiten zu enthalten, die auf den gewaltsamen Umsturz der Regierung eines anderen Teilnehmerstaates gerichtet sind.
C. Das Völkerrecht definiert die Intervention als eine unter Anwendung oder Androhung von Zwang erfolgte Einmischung eines Staates in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates, um letzteren zu einer dem Intervenienten genehmen Entscheidung zu veranlassen. 1. Abgesehen von den hier nicht zu erörternden Internationalen Organisationen können prinzipiell nur Staaten "intervenieren", also Subjekte einer Intervention sein. Demgegenüber bilden private natürliche oder juristische Personen keine tauglichen Interventionssubjekte. Dies folgt daraus, daß sich das Völkerrecht nach traditioneller und auch heute noch vorherrschender Auffassung lediglich mit den Beziehungen zwischen Staaten befaßt, sich die völkerrechtlichen Ge- und Verbote 26
27 18
Res. 2131, dazu NeuhoZd (Anm. 1), S. 300 H. Res. 2625, zur Entstehungsgeschichte etwa de Lima (Anm. 12), S. 53 - S. 60. Englischer Text in ILM 1975, S. 1192; deutscher Text in Bull.BReg. 1975,
S.968.
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nur an die Staaten wenden. Dementsprechend haben diese zwar für Handlungen ihrer Organe, prinzipiell jedoch nicht für Aktionen von Privatpersonen einzutreten29 • Privatpersonen als solche, seien sie nun in Gruppen natürlicher Personen oder aber in Institutionen wie Parteien, Presse oder Kirchen vereinigt bzw. organisiert, können daher nicht den Tatbestand der völkerrechtlichen Intervention erfüllen. Das bedeutet jedoch nicht, daß das Völkerrecht von der "Privatintervention" keine Notiz nimmt, es verlagert lediglich unter gewissen Voraussetzungen die Zurechnung derartiger Aktionen. So ist seit der französischen Revolution anerkannt, daß die territoriale Souveränität der Staaten nicht das Recht mitumfaßt, das eigene Territorium als Operationsbasis für bewaffnete Angriffe privater Gruppen auf benachbarte Staaten zur Verfügung zu stellen, wie es etwa beim Angriff der Exilkubaner in der Schweinebucht der Fall war. Aus dem Existenzrecht der anderen Staaten folgt vielmehr die Verpflichtung des Territorialstaates, gewaltsame überfälle auf Nachbarstaaten zu unterbinden30• Diese Regel, wonach der Staat für die von seinem Territorium ausgehende Unterstützung revolutionärer Bestrebungen im Ausland einzustehen hat, galt - sofern nicht völkerrechtliche Verträge etwas anderes vorsahen - nach traditioneller Auffassung nicht für die bloße moralische Anteilnahme. Privat veranstaltete Sympathiekundgebungen, Kritik an oder Propaganda gegenüber anderen Staaten begründete prinzipiell keine Pflicht zum staatlichen Einschreiten. Dies galt unabhängig davon, ob diese Aktivitäten von eigenen oder fremden Staatsbürgern, insbesondere Emigranten, ausgingen. Das Recht der Meinungs- und Pressefreiheit hatte den Vorrang. Eine völkerrechtliche Bestandsgarantie und daraus folgend ,,(the) duty to suppress all such (private) conduct" wurde grundsätzlich verneint31 • Auf eine Kurzformel gebracht lautete die Regel: Lediglich "deeds", nicht "words" begründeten die staatliche Verantwortlichkeit. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stellte sich jedoch zunehmend das Problem, daß Organisationen und Institutionen, wie Presse, Par29 Vgl. etwa Ingo von Münch, Das völkerrechtliche Delikt (Frankfurt 1963), S.95, 224 ff.; Georg Dahm, Völkerrecht, Bd. III (1961), S. 195; ferner Art. 11 des ILC-Entwurfs on State Responsibility, 4th rep., UN-Doc. A/CN. 4/264 and Add. 1, YBILC 23 (1972), S. 71 - S. 160. 30 Vgl. etwa Lassa Oppenheim/Hersch Lauterpacht, International Law, Bd. 1 (8. Aufl. London 1955), S. 292; Hersch Lauterpacht, Revolutionary Activities by Private Persons against Foreign States, AJIL 22 (1928), S. 105 - S. 130; John B. Whitton, Propaganda and International Law, RdC 72 (1948), S. 545S.659 (588 f.); Dahm (Anm. 29), S. 196. 31 Oppenheim/Lauterpacht (Anm.30), S.292; Whitton (Anm.30), S.577 m. überblick über den Meinungsstand.
3 KSZE
Eckart Wehser teien und Rundfunk, die nach überkommener liberaler Auffassung privat (-rechtlich) zu qualifizieren waren, von den inzwischen auf den Plan getretenen totalitären Regimen für ihre expansiven Bestrebungen nutzbar gemacht wurden. Damit wurde eine überprüfung der bis dahin vorherrschenden Auffassung erforderlich, wonach private Aktivitäten für den Territorialstaat dann keine völkerrechtliche Verpflichtung zum Einschreiten begründeten, wenn diese Aktivitäten sich lediglich auf "words" beschränkten. Auslösendes Moment für diese überprüfung war vor allem die auf Anregung Lenins im Jahre 1919 gegründete III. - Kommunistische Internationale. Ihre Aufgabe bestand wesentlich darin, die Tätigkeit der einzelnen nationalen kommunistischen Parteien im Hinblick auf die weltrevolutionären Ziele der KPdSU zu koordinieren. Insbesondere Großbritannien, später nach der völkerrechtlichen Anerkennung der Sowjetregierung auch die USA, protestierten gegen diese offen auf Ablösung der bürgerlichen Regierungen gerichteten Bestrebungen bei der Sowjetunion, die sie als "Drahtzieher" dieser Politik betrachteten. Die Sowjetregierung zog sich auf den Standpunkt zurück, sie könne für die Komintern, einer privaten Organisation, nicht haftbar gemacht werden. Demgegenüber begründete VerdrossS 2 in einem richtungsweisenden Aufsatz die Verantwortlichkeit des sowjetischen Staates damit, daß die KPdSU einen maßgeblichen Einfluß auf die Internationale ausübe und diese Partei zwar nicht die offizielle, nichtsdestoweniger aber die "wahre" Regierung der UdSSR darstelle. Damit sei die KPdSU nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten als Organ des sowjetischen Staates zu qualifizieren, für das er hafte. Heute hat die darin liegende grundsätzliche überlegung allgemeine Anerkennung gefunden, daß ein Staat unabhängig von der äußeren privaten oder hoheitlichen Form, in der ein Unternehmen (Rundfunk, Partei oder Presse) betrieben wird, für die gegen andere Staaten gerichteten revolutionären Aktivitäten haftet, sofern nur eine ausreichend enge Verbindung vorhanden ist, die auf finanzieller Abhängigkeit ebenso beruhen kann wie auf staatlicher Kontrolle allgemein33 • Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen: Dem Territorialstaat werden in jedem Fall gewaltsame Aktionen privater Gruppen gegen benachbarte Staaten zugerechnet. Je mehr er derartige Tätigkeiten nicht lediglich duldet oder hinnimmt, sondern fördert, kann er selbst den Tatbestand der - meist subversiven - Intervention erfül82 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Sowjetunion für die Handlungen der russischen kommunistischen Partei und der 3. Internationale, ZöffR 6 (1930), S. 577 - S. 582. 83 Vgl. außer den in Anm. 30 genannten Murty (Anm. 6), S. 119 f. sowie Ann van Wynen ThomaslA. J. Thomas, Non-Intervention (DaUas 1956), S. 276.
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len. Sofern also die einschlägigen UN-Instrumente die bloße "toleration" subversiver Akte als Intervention verbieten, wird eine aktive Identifizierung des Territorialstaates mit den privaten Gruppierungen vorauszusetzen sein. Sofern die Unterstützung revolutionärer Bestrebungen in anderen Staaten auf die Anwendung militärischer Mittel verzichtet, so ist zu unterscheiden: Der Territorialstaat bleibt prinzipiell von der Verpflichtung frei, unabhängige private Institutionen an Kritik oder Propaganda gegenüber fremden Staaten zu hindern: Deren Tätigkeiten können erst dann seine Verantwortlichkeit begründen, wenn sie von ihm kontrolliert oder sonst abhängig sind. Ob damit zugleich eine Intervention des Staates gegeben ist, hängt von der Beantwortung der weiteren Frage ab, ob in der Ausübung der Tätigkeit von Presse, Rundfunk und sonstigen privaten Organisationen eine Ausübung von Zwang gesehen werden kann. Unter dem Blickwinkel dieser allgemeinen Regel muß auch die spezielle Frage betrachtet werden, inwieweit multinationale Unternehmen gegenüber ihren Gaststaaten eine Intervention begehen können. Diese Gesellschaften, deren Wirtschaftspotential mitunter dem Bruttosozialprodukt kleinerer Staaten entspricht, haben dieses Potential nicht selten in politische Einflußnahme umgemünzt. Der Einfluß etwa, den die "United Fruit" in einigen Staaten Mittelamerikas ausübt, gilt als "common knowledge"34; die Beteiligung des ITT-Konzerns am Sturz Allendes wurde inzwischen offiziell dokumentiert und war auslösendes Moment dafür, daß sich die UNO dem Thema der "Multis" widmete. Prinzipiell gilt auch hier, daß nur Völkerrechtssubjekte den Tatbestand der Intervention erfüllen können und daß die großen Gesellschaften, so erheblichen Druck sie auch immer auf ihre Gaststaaten ausüben mögen, nicht allein deswegen in den Rang von Völkerrechtssubjekten erhoben werden können, damit ihre völkerrechtliche Haftung begründet werden kann. Nun ist allerdings in jüngster Zeit der Versuch unternommen worden, insbesondere den mit dem Abbau von Rohstoffen befaßten Gesellschaften zumindest eine begrenzte - partielle - Völkerrechtssubjektivität zu vermitteln und die Verträge (Konzessionen) zwischen ihnen und den Gaststaaten unter den Bestandsschutz des Völkerrechts zu stellen - sog. Internationalisierung der Verträge. Auf diese Weise erhofft man sich einen stärkeren Schutz dieser Gesellschaften vor dem innerstaatlichen (Konfiskations-)Recht der Gaststaaten. U Wallgang Friedmann, Intervention and International Law, in: Louis G. M. Jaquet (Hrsg.), Intervention in International Policies (Tbe Hague 1971),
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Allerdings haben diese Bemühungen, die Gesellschaften mit partieller Völkerrechtssubjektivität auszustatten, für die vor allem Böckstiegel35 steht, nur vereinzelt Zustimmung, überwiegend dagegen Ablehnung erfahren. Nur scheinbar auf dieser Linie liegt die von der UNO mit der Untersuchung der Rolle der multinationalen Konzerne beauftragte sog. Gruppe der "eminent persons", wenn sie in ihrem Bericht38 das Vorgehen der ITT bezeichnet als "subversive politieal intervention on the part of multinational eorporations direeted towards the overthrow or substitution of a host eountry's Government or the fostering of internal or international situations that stimulate eonditions for such aetions ..." Damit subsumiert die Arbeitsgruppe das Vorgehen privater Konzerne zwar praktisch unter das Verbot der subversiven Intervention nach der "Prinzipiendeklaration". Der an die Adresse des ITT-Konzerns gerichtete Vorwurf der Intervention kann jedoch aufgrund der fehlenden Völkerrechtssubjektivität der privaten Gesellschaften nur untechnisch gemeint sein. Dem Völkerrecht entspricht es daher eher, wenn in Art. 2 Abs. 2 b der "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten"a7 zurückhaltender formuliert wird: "Transnational eorporations shall not interfere in the internal affairs of a host State" oder wenn Ziffer 9 der OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen vom 21. 6. 197638 verlangt, daß: "Enterprises should abstain from any improper involvement in loeal politieal activities" . Letztlich kann es daher auch bei Einmischungen von transnationalen Unternehmen lediglich darauf ankommen, inwieweit ihr Verhalten einem bestimmten Staat zugerechnet werden kann. Entsprechend der oben dargestellten allgemeinen Regel dürfte für diese Zurechnung weniger auf den Ort der Niederlassung bzw. der Registrierung abzustellen sein als darauf, welcher Staat - unabhängig von der Nationalität der an der Gesellschaft beteiligten Privatpersonen - einen beherrschenden 35 Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen (Frankfurt 1971), S. 303 - S. 312; zustimmend Feter Fischer, Die internationale Konzession (Berlin - Wien - New York 1974), S. 445 ff. 36 The Impact of Multinational Corporations on Development and on International Relations, UN Doc. ST/ESA/6, S.46; vgl. auch Transnational Corporations: Material Relevant to the Formulation of a Code of Conduct,UN Doc. E/C. 10/18. 37 Res. 3281, 12. 12. 1974, ILM 1975, S.251. 38 Guidelines for Multinational Enterprises, General Polieies, 1976.
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Einfluß, etwa im Sinne einer modfizierten Kontrolltheorie, auf sie ausübt. Insgesamt und abschließend wird man den Vorschlägen, private natürliche und juristische Personen mit - partieller - Völkerrechtssubjektivität auszustatten, um ihr Verhalten unmittelbar unter das völkerrechtliche Intenventionsverbot subsumieren zu können, mit Zurückhaltung zu betrachten haben. Im Gegensatz zu einer in einem anderen Beitrag 39 vertretenen Auffassung erscheinen die Regeln über die Zurechnung "interventionistischen" privaten Verhaltens als durchaus geeignet und ausreichend, es nicht einer sanktionslosen "Flucht ins Privatrecht" anheimfallen zu lassen. 11. Die Einmischung muß in die Angelegenheiten eines anderen Staates erfolgen. Der Begriff der "Angelegenheiten" eines Staates entspricht dem Bereich der alleinigen staatlichen Zuständigkeit (vorbehaltener Bereich, "domestic jurisdiction", "domaine reserve"). Der Bereich dieser alleinigen, eigenen oder ausschließlichen staatlichen Zuständigkeit ist abzugrenzen von der Zuständigkeit anderer Staaten bzw. Internationaler Organisationen. Diese Abgrenzung erfolgt gemäß einer völkerrechtlichen Regel danach, ob Normen des Völkervertrags- oder Gewohnheitsrechts in dem konkreten Bereich vorhanden sind. Der vorbehaltene Bereich entspricht somit dem Inbegriff staatlicher Aktivitäten, die nicht Gegenstand völkerrechtlicher Regelungen sind40 • Soweit also eine bestimmte Materie keine völkerrechtliche Regelung erfahren hat, bleibt es den Staaten prinzipiell überlassen, ihre Entscheidungen nach eigenem Ermessen zu treffen. Als traditioneller Bestand der Vorbehaltssphäre gilt insbes. die Verfassungs- und Wirtschaftsordnung oder das politisch-soziale und kulturelle System der Staaten. Die "Prinzipiendeklaration" sowie Art. 1 der "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" sprechen demgemäß auch von dem unveräußerlichen Recht eines Staates "to choose its economic system as weH as its political, social and cultural system ... without outside interference, coercion or threat in any form whatsoever". Sofern völkerrechtliche Normen vorhanden sind, beschränken sie in ihrem Regelungsbereich die staatliche Entscheidungsfreiheit und setzen zugleich dritte Staaten in den Stand, mit den völkerrechtlich zulässigen 39 Hans Günter Brauch, Sozialwissenschaftliche Interventionsbegriffe . . . In diesem Band S. 78. 40 Vgl. etwa das Urteil des StIGH im Fall der Staatsangehörigkeitsdekrete von Marokko und Tunis, PCIJ, Series B 4, S. 23 f.; ferner die Resolution des Institut de Droit International, Ann IDI 45 (1954), S. 292; Hermann Moslerl Hans atto Bräutigam, WVR, Bd. 111 (Berlin 1962), S. 317.
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Mitteln, etwa im Wege von Protesten, auf die Einhaltung dieser Normen zu drängen, ohne daß daraus der Vorwurf einer unzulässigen Einmischung abgeleitet werden könnte. Da der vorbehaltene Bereich durch den Bestand an völkerrechtlichen Normen bestimmt wird, steht sein Inhalt nicht ein für allemal und unveränderlich fest, sondern paßt sich den Entwicklungen des Völkerrechts an. Bekanntlich hat der StIGH im Fall der Staatsangehörigkeitsdekrete von Marokko und Tunisu im Zusammenhang mit der Auslegung des Art. 15 Abs.8 VBS ausgeführt: "The question whether a certain matter is or is not solely within the jurisdiction of aState is an essentially relative question; it depends on the development of international relations." Insgesamt führt die zunehmende technische und wirtschaftliche Verflechtung der Staaten zu einer ständigen Verkleinerung des interventionsfreien Raums. So sind z. B. das Ausländerrecht, das Diplomatenrecht, der gesamte Bereich der Friedenssicherung und bis zu einem gewissen Grad auch derjenige der Menschenrechte42 Gegenstand völkerrechtlicher Regelung und insofern von den Staaten bei der Gestaltung ihrer Angelegenheiten zu berücksichtigen. Diese Darstellung vom Umfang des "vorbehaltenen Bereichs" entspricht allerdings nur der im Westen vorherrschenden Meinung. Im sozialistischen Völkerrechtskreis wird der Vorrang des Völkerrechts, seine Maßgeblichkeit für die Bestimmung der domestic jurisdiction geleugnet und statt dessen die Auffassung vertreten, daß ein Kernbereich staatlicher Zuständigkeiten unabhängig vom Stand des Völkerrechts den Staaten zur alleinigen Regelung vorbehalten bleibt. So führen die sowjetischen Völkerrechtler Tunkin und Levin u. a. in einem neue ren sowjetischen Lehrbuch aus: "The sphere of the internal jurisdiction of states exists independently of international law and is not its product. In recognizing the existence of such a sphere and demanding non-interference in matters which by their substance fall under the internal jurisdiction of states, international law only acknowledges a truly existing fact, which is the corollary of the sovereignty of states4S ."
Siehe Anm. 40. Dazu auch Bruno Simma, Souveränität und Menschenrechtsschutz nach westlichem Völkerrechtsverständnis, EuGRZ 4 (1977), S. 228 - S. 235; Ulrich Beyerlin, Menschenrechte und Intervention (in diesem Band), S. 157 ff. 43 Zitiert nach Tomislav Mitrovic, Non Intervention in the Internal Affairs of States, in: Milan Sahomc (Hrsg.), Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation (New York 1972), S. 238; vgl. auch Dietrich FrenzkejChristoph Royen, Intervention - Gewalt - Aggression in der sowjetischen Völkerrechtslehre (Ebenhausen 1972), S. 6, S. 19 f. 41
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Nach östlicher Völkerrechts auffassung erstreckt sich das Interventionsverbot also auf die "Gesamtheit der politischen und wirtschaftlichen Probleme" eines Staates". Keine Einigkeit herrscht darüber, ob das Interventionsverbot außer den "internen" auch die äußeren bzw. auswärtigen Angelegenheiten der Staaten in den Schutz vor fremden Einmischungen einbezieht. Dies Problem ist sowohl bei der Ausarbeitung der "Prinzipiendeklaration" als auch bei der KSZE-Schlußakte relevant geworden45 • Auch dieser Meinungsstreit ist zum Teil nur ein Streit um Begriffe. Und zwar wird der Terminus der "inneren" Angelegenheiten, der "domestic jurisdiction", unterschiedlich verstanden. Nach der einen Auffassung, die etwa von Arangio-Ruiz4S vertreten wird, entspricht dieser Begriff den inneren Angelegenheiten im eigentlichen Wortsinn, umfaßt also in etwa die innenpolitischen Vorgänge. Für Ruiz besteht daher auch ein Widerspruch in der Terminologie der UN-Resolutionen. So heißt es im Titel der Resolution 2131 "Inadmissibility of Intervention in the internal affairs", während der Text die Einmischung in die "internal and external affairs" untersagt. Ähnlich ist das Interventionsverbot in der "Prinzipiendeklaration" überschrieben mit "The duty not to Intervene in Matters within the Domestic JuTisdiction of any State." Dieser scheinbare Widerspruch löst sich aber auf, wenn man den Begriff der "inneren" Angelegenheiten als Inbegriff der staatlichen Zuständigkeit versteht. In diesem Sinne führt etwa Berbe.,-47 aus, daß "innere Zuständigkeit" den Gegensatz zur internationalen Zuständigkeit ausdrücken solle. Auch äußere Angelegenheiten könnten daher zur "inneren" oder wie Berber zur Vermeidung von Unklarheiten vorschlägt, zur "eigenen" Zuständigkeit gehören. Ähnlich umschreibt auch Dahm'8 den Bereich der "inneren Angelegenheiten" mit "Ermessenssphäre" der Staaten. Sofern es sich um inhaltliche Bedenken gegen die Erstreckung des interventionsfreien Raums auch auf die "äußeren" Angelegenheiten handelt, wird etwa geltend gemacht, daß, abgesehen von den Fällen der Anwendung völkerrechtlich unzulässiger Mittel, das Gewohnheitsrecht den Versuch, die Außenbeziehungen anderer Staaten zu beeinflussen, nicht als verbotene Intervention betrachte; daß es vielmehr üblich sei, " Vgl. auch Hans Heinrich Mahnke, Die Prinzipienerklärung der KSZESchlußakte und das Völkerrecht - Völkerrechtliche Aspekte der deutschen Frage, ROW 21 (1977), S. 111 - S. 123 (S. 118). 45 Vgl. Neuhold (Anm. 1), S. 317 sowie Victor-Yves Ghebali, L'Acte Final de 1a Conference sur 1a Securite et 1a Cooperation en Europe et 1es Nations Unies, AFDI 21 (1975), S. 73 - S. 153 (S. 95). " (Anm. 2), S. 554. 47 Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1 (2. Aufl. München 1975), S. 184. 48 (Anm. 3), S. 207.
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gegenüber anderen Staaten Wünsche und Forderungen geltend zu machen und mit legalen Druckmitteln den Versuch zu ihrer Durchsetzung zu unternehmen49 • Arangio-Ruiz50 verwies während der Beratungen zum Prinzip der Nichtintervention im Rahmen der "Prinzipiendeklaration" darauf, daß die Staaten in ihren äußeren Angelegenheiten dem Völkerrecht unterworfen seien; Interventionen in die äußeren unterlägen daher nicht den gleichen Beschränkungen wie solche in die sog. "inneren" Angelegenheiten. Ferner wird hervorgehoben, ein Verbot der Einmischung in die äußeren Angelegenheiten berücksichtige zu wenig die fortschreitenden Integrationsbestrebungen, die die Intervention "geradezu erforderten"51. Ob diese Auffassung von allen an der Integration beteiligten Staaten geteilt wird, mag man bezweifeln können. Eine abschließende Stellungnahme zur Frage, inwieweit die Intervention in die äußeren Angelegenheiten zulässig ist oder nicht, braucht hier nicht abgegeben zu werden. Es genügt der Hinweis, daß das in der "Prinzipiendeklaration" verankerte Verbot der Einmischung in die äußeren Angelegenheiten durchaus der vorherrschenden Auffassung im völkerrechtlichen Schrifttum entspricht und sich zudem in den meisten Verträgen, Resolutionen und sonstigen Dokumenten findet, die dem Interventionsverbot gewidmet sind52• III. Die Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates muß unter Androhung bzw. Anwendung von Zwang erfolgen. 1. Der "klassische" (enge) Interventionsbegriff stellt auf die Anwendung bzw. Androhung (militärischer) Gewalt ab und erfaßt daher lediglich Verstöße gegen die territoriale Integrität der Staaten.
Demgegenüber wollen die sozialistischen und die weniger entwickelten Staaten der Dritten Welt auch sonstige, nicht-militärische Formen der Ausübung von Druck und Zwang, insbesondere politische und wirtschaftliche Maßnahmen, in das Verbot von Gewalt und Intervention miteinbeziehen58 • Eine Parallele finden diese Tendenzen mitunter auch 49
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Wengler (Anm. 3), S.1049 f.
Vgl. UN-Doc. A/AC. 125/SR. 16. S. 14.
51 Bernt Graf zu Dohna, Die Grundprinzipien des Völkerrechts über
freundschaftliche Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten (Berlin 1973), S. 122; Thomas Oppermann, Die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, ArchVR 14 (1969/70), S. 321 - S. 341 (S. 335 f.). 62 Vgl. etwa Art. 15 der Bogata-Charta; Art.3 der Draft Declaration on Rights and Duties of States der ILC von 1949; Prinzip VI der KSZE-Schlußakte; aus der Literatur vgl. etwa Quincy Wright, IndYBIntAff 7 (1958), S. 89 - S. 118; Rumpf (Anm. 1), S.41; J. G. Starke, An Introduction to International Law (8. Auf!. London 1977), S. 116 ff. 58 Dazu etwa Rolf M. Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt (Bad Homburg 1970), S. 43 ff.; Hartmut Brosche, Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge (Berlin 1974), S. 182 ff.
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im westlichen Schrifttum". Die angeblich notwendige Erweiterung des Interventionsbegriffs soll zunächst der Tatsache Rechnung tragen, daß die technische Entwicklung im Bereich von Kommunikation und Information erhebliche Fortschritte gemacht habe, die es erlaube, auf den Willen anderer Staaten mit einer Intensität einzuwirken, die früher dem militärischen Druck vorbehalten gewesen sei. Hinzu komme, daß das Kräftegleichgewicht zwischen den Großmächten direkte militärische Auseinandersetzungen praktisch unmöglich gemacht und daher subtilere Formen der Einflußnahme an Bedeutung gewonnen hätten. Als Beispiel dafür werden unter anderem die (Nicht-)Gewährung von Krediten, der Abbruch von Handelsbeziehungen sowie Sabotage, Infiltration und Propaganda genannt55 • Diesen Entwicklungen müsse der traditionelle, auf den Schutz der territorialen Souveränität beschränkte Interventionsbegriff angepaßt werden. Allerdings wird man dieser Argumentation nicht in vollem Umfang folgen können. So sind etwa der Abbruch von Handelsbeziehungen, der Boykott und ähnliche Formen der Ausübung wirtschaftlichen Drucks seit dem 19. Jahrhundert, dem Beginn eines modernen, auf Massenproduktion beruhenden Außenhandels bekannt58• Die kleineren, aber auch die sozialistischen Staaten haben dieses Arsenal wirtschaftlicher Druckmaßnahmen schon früh wiederholt zu spüren bekommen. Auch Sabotage und Propaganda sind keine gänzlich neuen Formen der zwischenstaatlichen Einwirkung. Neu bzw. verfeinert sind allerdings die dabei verwendeten Techniken, insbesondere auf dem Nachrichtensektor. Somit sind kaum neue sanktionsbedürftige Tatbestände als solche aufgetreten, sondern eher eine Schärfung des Bewußtseins und das Interesse an ihrer völkerrechtlichen Ächtung. Die westlichen Industriestaaten haben sich im Verlaufe der Arbeiten an der "Prinzipiendeklaration" den Bestrebungen nach einer Ausweitung des Interventionsverbots widersetzt und auf der engen, den militärischen Zwang voraussetzenden Interpretation beharrt, schließlich aber doch dem erweiterten. wirtschaftlichen und politischen Zwang mitumfassenden Konzept zugestimmt57 und dafür im Gegenzug eine Ein" Thomas/Thomas (Anm. 33), S. 69 und passim; FTiedmann (Anm. 4), S. 262 ff.; Axel Gerlach, Die Intervention (Hamburg 1967); Richard A. Falk, Legal Order in a Violent World (Princeton 1968), S. 160. 55 Gerlach (Anm.54), S.93; Georgios Paschas, Die wirtschaftliche Intervention im Völkerrecht der Gegenwart (Saloniki 1974), S. 20. 68 Vgl. dazu umfassend Bernd Lindemeyer, Schiffsembargo und Handelsembargo (Baden-Baden 1975); ferner Detlef Christian Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht (Baden-Baden 1978), S. 150. 57 Ob sich die Erweiterung des Interventionsbegriffs darauf beschränkt, die Formen nicht-militärischer Gewaltanwendung als Völkerrechtsverstöße auszuweisen oder ob damit darüber hinaus auch ein Verzicht auf das Erfor-
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grenzung des Gewalt- und Aggressionsverbots auf die Anwendung militärischer Gewalt erreichen können. Ob allerdings damit, daß z. B. ein Boykott lediglich als Intervention, nicht dagegen als Gewaltanwendung i. S. des Art. 2 Abs.4 der UN-Charta qualifiziert werden darf, in praktischer Hinsicht viel gewonnen ist, mag bezweifelt werden. 2. Mit der Erweiterung des völkerrechtlichen Interventionsbegriffs stellen sich zwei grundsätzliche Fragen: Die erste betrifft das Verhältnis des Interventions- zum Gewaltbegriff, die andere wird mit dem Stichwort der Abgrenzung der Intervention "nach unten", zur sog. Interzession gekennzeichnet. a) Angesichts der Tatsache, daß Art. 2 Abs.4 der UN-Charta sämtliche Formen der Gewaltanwendung untersagt, erscheint zweifelhaft, inwieweit das Interventionsverbot neben dem Gewaltverbot noch eigenständige Bedeutung besitzt bzw. inwieweit es darin aufgegangen ist. Bemerkenswerterweise wird dieses Problem in der Literatur nur selten reflektiert68 • Die meisten Autoren laufen vielmehr auf der einmal gewählten "Schiene" des Interventions- oder des Gewaltverbots, ohne die mögliche Identität bzw. Parallelität bei der Institute anzusprechen. Zu den wenigen Autoren, die dieser Frage nachgehen, gehört etwa KeZsen 5'. Er äußert im Zusammenhang mit dem Konventionsentwurf über die Rechte und Pflichten der Staaten aus dem Jahre 1949 die Auffassung, daß das Interventionsverbot, sofern man es im Sinne des allgemeinen Völkerrechts als Anwendung militärischer Gewalt interpretiere, neben dem Gewaltverbot überflüssig sei. In ähnlichem Sinn äußert sich auch Vincent GO , wenn er feststellt, daß die Charta " ... seemed to abandon the specific notions of nonintervention and sometimes justifiable intervention by speaking instead in the language of the legitimacy of the use of force." Schließlich befaßt sich auch Arangio-RuizGl mit dem Verhältnis beider Institute und führt aus: "We do not exclude necessarily - although we doubt - that there may be actions condemned as forms of illegal intervention which escape the Charter condemnation of illegal threats or use of force: force being, clearly, more than just armed force. But whatever the number and variety of such "non-covered" actions - in any case not great - there was evidently a great deal of redundancy dernis des Tatbestandsmerkmals des Zwangs verbunden ist, wird nicht immer klar; im letzteren Sinn wohl Oppermann (Anm. 51). 68 Vgl. aber jetzt Dicke (Anm. 56), S. 175 ff. 6' The Draft Declaration on Rights and Duties of States, AJIL 44 (1950), S. 259 - S. 276 (S. 268). 80 (Anm. 1), S. 325. 81 (Anm. 2), S. 550.
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between non-intervention on the one side and paragraph 2.4 (and connected provisions and principles) on the other side." Die westliche - vor allem die angelsächsische - Auffassung in Staatenpraxis 82 und Schrifttum" behandelt das Gewalt- und das Interventionsverbot überwiegend als identisch und sieht die Rechtsquelle für beide in Art. 2 Abs.4 der Charta. Diese Auffassung ist allerdings mit dem engen, den militärischen Zwang voraussetzenden Interventionsbegriff verknüpft. Will man Interventions- und Gewaltverbot nicht als zwei völlig synonyme Begriffe verstehen und in der Normierung des Interventionsverbots mehr als eine eigentlich überflüssige Verbeugung an die Adresse der lateinamerikanischen Länder sehen6" so ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder weist man dem Interventionsverbot sämtliche Formen der Ausübung von Zwang zu, also neben dem militärischen auch die Ausübung politischen oder wirtschaftlichen Drucks. Dann würden sich Gewalt- und Interventionsverbot lediglich im Bereich der militärischen Gewaltanwendung überschneiden ("Idealkonkurrenz"), darüber hinaus verbliebe aber dem Interventionsverbot ein eigenständiger Regelungsbereich unterhalb der Schwelle der militärischen Gewalt. Die andere Möglichkeit wäre die, Fälle militärischer Gewalt völlig aus dem Interventionstatbestand auszugliedern und ihm die Ausübung von Zwang unterhalb der Gewaltschwelle vorzubehalten85 • Das würde allerdings bedeuten, daß der traditionelle Interventionsbegriff im Gewaltverbot aufginge und mit einem völlig neuen Inhalt angefüllt würde. Obwohl letzteren Weg bereits eine Reihe von Autoren gehen88, hat diese - an sich sinnvolle - Abgrenzung bisher noch keine allgemeine Anerkennung gefunden67 • b) Mit dem erweiterten Interventionsbegriff gewinnt auch das Problem der sog. Abgrenzung "nach unten" zusätzliche Relevanz. Der Zwang, der mit militärischen Mitteln ausgeübt wird, tritt nach außen deutlich in Erscheinung: Panzer kann man sehen; subtilere Formen der Druckausübung sind dagegen schwieriger auszumachen und nachzuweisen. Eine klare Trennungslinie zwischen der - völkerrechtlich Vgl. die Nachweise bei Neuhold (Anm.l), S. 30l. es James E. Fawcett, Intervention in International Law, RdC 103 (1961), S. 347 - S. 423; Derek W. Bowett, Self-Defence in International Law (Manchester 1958), S. 14 ff.; Starke (Anm.52), S. 116; Quincy Wright AJIL 51 (1957), S.257; AJIL 53 (1959), S. 112 sowie AJIL 57 (1963), S. 546. 84 Ruiz (Anm. 2), S. 560. 85 Vgl. WengIer (Anm. 3), S. 1039. 88 Zu Dohna (Anm.51), S. 111; Gerlach (Anm.55), S. 112; Neuhold (Anm.l), S. 272 sowie in diesem Bande, S.473. 87 Vgl. auch Rumpf (Anm. 1), S.49. 82
Eckart Wehser noch erlaubten Einflußnahme und der verbotenen nicht-militärischen Intervention kann daher nur annäherungsweise festgestellt werden. Einverständnis herrscht zwar grundsätzlich darüber, daß das Anerbieten "guter Dienste", ferner die Erteilung eines Rates und die Vermittlung bei Streitigkeiten zwischen anderen Staaten (sog. Interzession) keine unzulässigen Einmischungen darstellen, sofern sie keine Sanktionen für den Fall in Aussicht stellen, daß der "beratene" Staat einer von den Vorschlägen abweichenden Lösung den Vorzug gibt. "Gute Dienste" und "Vermittlung" sind nach der Haager Konvention zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle von 1907 ausdrücklich zugelassen. Dagegen kann sich das, was der Form nach als Rat (einer Großmacht) erscheint, aus der Sicht kleinerer Staaten, durchaus als Weisung darstellen. So wenn etwa der diplomatische Vertreter eines anderen Staates vorträgt, "die Regierung seines Landes würde es im Interesse der Aufrechterhaltung der freundschaftlichen Beziehungen begrüßen, wenn ..." oder "es könne ihr nicht gleichgültig sein, wenn ... "18. Für die Abgrenzung zwischen noch erlaubter Einmischung und verbotener Intervention sind im übrigen nur wenige Entscheidungshilfen angeboten worden. Haedrich 89 sowie - für den Bereich der wirtschaftlichen Intervention Bowett70 wollen auf den Willen des sich einmischenden Staates, der sich auf die zwangsweise Durchsetzung seiner Ratschläge richtet, abstellen. Im Gegensatz zu diesem subjektiven Kriterium sehen Dahm sowie ihm folgend Gerlach71 den maßgeblichen Gesichtspunkt in der "Sozialadäquanz" der Druckausübung. Während Dahm es bei der allgemeinen Formel beläßt, es sei im Zweifelsfall zu fragen, "ob das Handeln noch mit den Anschauungen der gesitteten Welt, mit Anstand und Treu und Glauben zu vereinbaren" sei, versucht Gerlach eine weitgehende Differenzierung nach völkerrechtswidrigen Mitteln, Zielen sowie der Verknüpfung von Mitteln und Zweck (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Der Politologe Rosenau72 schließlich betont als wesentliches Kennzeichen für das Vorliegen einer Intervention ein "convention-breaking"-Verhalten seitens des intervenierenden Staates. Wenn auch diese Charakterisierung nicht auf die Abgrenzung zwischen Einflußnahme und Intervention abzielt, so macht doch diese Formulierung deutlich, daß nur außergewöhnliche, von der Norm abweichende Um-
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Hold-Ferneck (Anm.24), S. 215 f. Heinz HaedTich, WVR, Bd. 11, S. 215 f.
70 Economic Coercion and Reprisals by States, Virginia Journal of International Law 12 (1972), S. 1 - S. 12 (S.5). 71 Dahm (Anm. 3), S. 206 f.; Gerlach (Anm. 55). 72 Intervention as a Scientific Concept, Journal of Conflict Resolution 13 (1969), S. 149 - S. 169 (S. 162 f.).
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stände, nicht aber die im Verkehr zwischen den Staaten üblichen Verhaltensweisen, zur Annahme einer völkerrechtswidrigen Intervention führen können. Mehr bzw. Genaueres wird man zur Abgrenzung zwischen Interzession und Intervention kaum sagen können. Bei der Verschiedenartigkeit der Fälle kann ein allgemein greifendes Abgrenzungskriterium wohl auch gar nicht aufgestellt werden, es kommt vielmehr auf die jeweilige sorgfältige Abwägung der konkreten Begleitumstände der Einflußnahme auf die Angelegenheiten des betreffenden Staates an73 • Ob man als Prüfungsmaßstab dabei den Begriff von "Treu und Glauben", die Sozialadäquanz, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder ähnliche Begriffe zugrundelegt: In jedem Fall handelt es sich um ausfüllungsbedürftige Generalklauseln, denen allerdings gemeinsam das Merkmal besonderer Intensität des Einwirkens auf den betroffenen Staat und seine Einrichtungen zugrundeliegt. 3. Als die wesentlichen Formen der Intervention können die militärische, die politische, die wirtschaftliche und schließlich die subversive Intervention unterschieden werden74 • Sie sollen im folgenden erörtert werden. a) Die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten kann zunächst mit militärischen Mitteln erfolgen. Insoweit besteht die bereits erörterte überschneidung mit dem Gewalt- und Aggressionsverbot: "Armed Intervention is synonymous with aggression75 ." Beispiele militärischer Interventionen sind etwa das mit der Theorie des sozialistischen Internationalismus bzw. der Breschnew-Doktrin gerechtfertigte Eingreifen der UdSSR in Ungarn 1956 sowie in der CSSR 1968, das der Amerikaner im Libanon 1958, in der Dominikanischen Republik 1965, sowie in Kambodscha 1970, schließlich das der Franzosen und Engländer am Suez-Kanal 1956. Für diese Form der Intervention gilt die Äußerung, mit der der IGH im Korfu-Kanal-FaIl 70 die britische Rechtfertigung für die Minenräumaktion in albanischen Gewässern zurückwies: "The Court cannot accept such a line of defence. The Court can only regard the alleged right of intervention as the manifestation of a policy of force, such as has, in the past, given rise to most serious abuses and such as cannot, whatever be the present defects in international organization, find a place in internationallaw." Vgl. auch Mitrovic (Anm.43) 5.265. Dabei bleibt offen, auf welcher Rechtsquelle, auf Art. 2 Abs. 4 der Satzung oder auf Gewohnheitsrecht der weite Interventionsbegriff beruht und ob er eventuell sogar gespalten ist, indem er teils vertraglich - in der Satzung - (hinsichtlich der militärischen Gewalt), teils gewohnheitsrechtlich (für die Formen nichtmilitärischer Gewalt) geregelt ist. 75 So Abs.7 der Präambel der Res. 2131; vgl. auch Dicke (Anm.56), 5.175. 70 ICJ Reports 1949, S. 35. 73
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b) Neben der militärischen existiert die Form der politischen Intervention, die gelegentlich auch als diplomatische Intervention Erwähnung findet. Mit ihr ist die Schwierigkeit verbunden, daß sie in der Praxis, da sie selten offen zutage tritt und sich meist hinter verschlossenen Türen abspielt, nur selten eindeutig festgestellt werden kann: "There is little that international legal norms can say about this type of intervention." und: "Generally then we will have to conclude that political intervention is part of the normal process of give and take in international relations, except where it amounts to direct political coercion, i. e .... the attempt to impose a certain mode of behavior on another state, backed by the threat of military or economic sanctions77." c) Der Tatbestand der wirtschaftlichen Intervention (in der sozialistischen Terminologie auch "Economic Aggression") findet zwar schon seit geraumer Zeit in der Staatenpraxis sowie im Schrifttum78 Erwähnung. Eine - gewisse - allgemeine Anerkennung hat er jedoch erst mit der Verabschiedung der "Prinzipiendeklaration" erfahren, in der auch die westlichen Länder einem weiteren Interventionsbegriff ihre Zustimmung erteilten. Die "Prinzipiendeklaration" (und insofern übereinstimmend78 die Resolution 2131) untersagt: "to use or encourage the use of economic ... measures to coerce another state in order to obtain from it the subordination of the exercise of its sovereign rights orfand to secure from him advantages of any kind." Auch die "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten" übernimmt in Art. 32 unverändert diesen Wortlaut. Mit dem Hinweis auf die Aufnahme eines Verbots der wirtschaftlichen Intervention in die genannten UN-Resolutionen ist allerdings noch nicht dargetan, daß damit auch verbindliche, etwa auf Gewohnheitsrecht beruhende Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründet worden sind. Bekanntlich handelt es sich auch bei den als "Deklarationen" betitelten Resolutionen der UNO ihrer Rechtsnatur nach lediglich um Empfehlungen auf der Grundlage des Art. 10 der Satzung. Nach ganz überwiegender westlicher Auffassung stellen sie keine Völker(Anm. 34), S. 48. Vgl. etwa Thomas/Thomas (Anm.33), S. 409 ff.; nunmehr ausführlich Dicke (Anm. 56). 79 In der "Prinzipiendeklaration" müssen die Tatbestandsmerkmale "subordination of its sovereign rights" und "ta secure from him advantages" im Unterschied zur Resolution 2131 allerdings kumulativ erfüUt sein, vgl. auch Christian Tomuschat, Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, ZaöRV 36 (1976), S.444 - S. 491 (S. 456 f.). 77
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rechts quelle i. S. d. Art.38 des IGH-Statuts dar80, Bindungswirkung kann daher grundsätzlich nur eintreten, wenn die in den Resolutionen enthaltenen Regelungen bereits vorher Normen des Völkergewohnheitsrechts darstellten oder aber nach ihrer Verabschiedung zu derartigen Normen erstarkten. Daß vor der Verabschiedung der UN-Deklaration ein universeller Konsens über die Unzulässigkeit der Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln bestand, kann aufgrund der ablehnenden Haltung der westlichen Staaten eindeutig verneint, daß ein solcher Konsens nunmehr besteht, muß zumindest angezweifelt werden. Allerdings hat man den arabischen Staaten im Zusammenhang mit dem Erdölboykott unter Berufung auf die UN-Resolutionen 2131 und 2625 ein völkerrechtswidriges Verhalten vorgeworfen: Die erdölproduzierenden arabischen Länder hätten, da sich das - tendenziell gegen die "kapitalistischen Staaten" gerichtete - Verbot wirtschaftlicher Intervention nunmehr gegen sie richte, "the shoe on the other foot" und wendeten in Fragen des wirtschaftlichen Drucks einen "double standard" an81 • Angesichts der bisher zurückhaltenden westlichen Haltung erscheint dieser aus der konkreten Situation erfolgende Vorstoß zugunsten der Verbindlichkeit der UN-Resolutionen als inkonsequent und geeignet, unerwünschte Präjudizien zu schaffen. Zum einen gehören die USA selbst nicht zu den Staaten, die die Ausübung wirtschaftlichen Drucks peinlichst vermeiden: "the United States itself has been one of the worst offenders in using trade controls in ways which have adversely affected other countries ..."82. Zum anderen erscheint die Argumentation auch deshalb als kurzsichtig, weil die UN-Deklarationen zunehmend für die westlichen Staaten unerwünschte Feststellungen und Belastungen mit sich bringen. Erinnert sei hier nur an die Resolution der Vollversammlung von 1976, in der der bewaffnete Kampf als Mittel zur Befreiung von kolonialer Herrschaft ausdrücklich anerkannt wird. Die Probleme um die Verbindlichkeit des Verbots der wirtschaftlichen Intervention sollen hier jedoch nicht weiter vertieft, sondern im folgenden die Einzelheiten des Tatbestands näher erläutert werden. 80 Vgl. etwa Tomuschat (Anm.79), S. 465 ff.; Bruno Simma, Methodik und Bedeutung der Arbeit der Vereinten Nationen für die Fortentwicklung des Völkerrechts, in: Die Vereinten Nationen im Wandel (Berlin 1975), S. 79 -
S. 102; Lombardi (Anm. 16), S. 215 ff. 81 Jordan J. Paust/Albert P. Blaustein, The Arab on Weapon A Threat to International Peace, AJIL 68 (1974), S. 410 - S. 439; vgl. auch dies., The Arab on Weapon 1977 (New York - Leyden 1977); Richard B. Lillich, Economic Coercion and the New International Legal Order, Int. Aff. 51 (1975), S.358; beide Beiträge sind auch abgedruckt in: Richard B. Lillich (Hrsg.), Economic Coercion and the New International Economic Order (Charlottesville 1976). 8: Richard N. Gardner, The Hard Road to World Order, Foreign Affairs 52 (1974), S. 556 - S. 576.
Eckart Wehser Ebenso wie es zur Herausbildung des "klassischen" Interventionsverbots zunächst der Entwicklung des "allgemeinen" Souveränitätsbegriffs bedurfte, war auch für die völkerrechtliche Erfassung der wirtschaftlichen Intervention die Herausbildung des Konzepts der "wirtschaftlichen" Souveränität ("economic selfdetermination", "permanent sovereignty over natural resources") erforderlich. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der wirtschaftlichen Souveränität insbesondere der neuen und weniger entwickelten Staaten wurden im Rahmen der UNO in einer langen Reihe von Resolutionen, an deren Ende die "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten" steht83, in den vergangenen 25 Jahren geschaffen. So werden unter dem Thema der wirtschaftlichen Intervention vor allem Tatbestände erörtert, die für die Staaten der Dritten Welt eine Etappe auf dem Weg zur wirtschaftlichen Selbstbestimmung darstellen. aal In erster Linie geht es hier um die Verstaatlichung ausländischer Unternehmen. In den jungen Staaten blieb die Ausbeutung und Vermarktung von Rohstoffen aufgrund langfristiger, noch während der Kolonialzeit erteilter Konzessionen häufig auch nach Erlangung der Unabhängigkeit in den Händen von Unternehmen aus den früheren Kolonialländern. Ähnlich stellte sich die Situation - trotz deren formaler Unabhängigkeit - in einigen lateinamerikanischen Staaten dar. Die Regierungen gingen daher vielfach dazu über, die ausländischen Unternehmen zu nationalisieren, um auf diese Weise die Lage der Staatsfinanzen zu verbessern, aber auch um den politischen Einfluß der Unternehmen auszuschalten. Bei diesen Nationalisierungen trafen die Entwicklungsländer auf die Forderung der Industriestaaten nach angemessener, prompter und effektiver Entschädigung. Da sie dazu regelmäßig aufgrund des Kapitalmangels nicht in der Lage waren, empfanden sie diese Forderung als Behinderung des Rechts auf freie Verfügung über die Naturschätze. Mexico dürfte daher im "Special Committee on Friendly Relations" stellvertretend für die lateinamerikanischen Länder gesprochen haben, wenn es die westliche Forderung nach angemessener Entschädigung (Mindeststandard) als unzulässige Intervention geregelt wissen wollte 84 • Die durch die Nationalisierung geschädigten Unternehmen setzten sich gegen die - vielfach - entschädigungslosen Enteignungsmaßnahmen zur Wehr, indem sie ihrerseits versuchten, Rohstoffe, die aus den nationalisierten Lagerstätten gefördert waren, unter Berufung auf die 83 Dazu etwa Ria Kemper, Nationale Verfügung über nationale Ressourcen und die neue Weltwirtschaftsordnung der Vereinten Nationen (Berlin
1976). 84
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Nichtigkeit der Verstaatlichungsakte vor den innerstaatlichen Gerichten dritter Staaten beschlagnahmen zu lassen. So verlangte etwa die amerikanische Firma Kennecott vor dem LG Hamburg die Herausgabe von Kupfer, das aus ihren früheren, unter Allende enteigneten Minen stammte85 • In den USA hatte der Supreme Court im Sabbatino-Urteil entsprechende Klagen unter Anwendung der Act of State Doctrine zurückgewiesen. Daraufhin änderte der Kongreß im Jahre 1964 mit dem Hickenlooper-Amendment das Auslandshilfegesetz und verpflichtete die amerikanischen Gerichte zur überprüfung ausländischer Verstaatlichungsakte auf ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht, sofern amerikanische Bürger betroffen sind. Der peruanische Staatspräsident sah darin wiederum "Threat(s) that include a decidedly act of economic aggression ...88. Man wird jedoch festzuhalten haben, daß weder entschädigungslose Nationalisierungsmaßnahmen als solche (wie es gelegentlich von westlicher Seite behauptet wurde), noch Herausgabeklagen der - privaten - Unternehmen vor nationalen Gerichten nach dem heutigen Stand des Völkerrechts den Tatbestand der wirtschaftlichen Intervention erfüllen87• Ein anderer im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Intervention erörterter Komplex ist der Bereich der Wirtschafts- und Entwicklungshilfe. Da kein völkerrechtlicher Anspruch auf Erteilung von Wirtschaftshilfe besteht, liegt es im Ermessen des gewährenden Staates, eine Auswahl der begünstigten Staaten zu treffen und insbesondere befreundete Staaten zu bedenken. Sofern die Hilfe unter bestimmten Auflagen oder Bedingungen gewährt wird, ist auch darin prinzipiell keine unzulässige Einmischung zu sehen. Je auffälliger es jedoch an einer echten Gleichheit der beteiligten Länder fehlt, desto eher kann - bei selbstsüchtigen, egoistischen, eine Notlage ausnützenden Bedingungen seitens des Hilfe leistenden Staates - eine Intervention in Betracht kommen88 • Auch die Bildung von Erzeugerkartellen, wie sie z. B. die erdöl- bzw. kupferproduzierenden Länder ins Werk gesetzt haben, fällt, sofern diese Organisationen lediglich die Stabilisierung bzw. Dynamisierung der Erlöse verfolgen, nicht unter das Interventionsverbot. Dagegen können Boykotte oder Embargen in besonders gravierenden Fällen eine Intervention darstellen. Der arabische Erdölboykott von 85 Dazu etwa Eckart Wehser, Völkerrechtswidrige Verstaatlichung der Kupferminen in Chile?, JZ 29 (1974), 8.117 - 8.123. 88 Vgl. ILM 1969, 8.312. Dieser Auffassung steht auch Berber (Anm.47) nahe. 87 Vgl. aber Dicke (Anm. 56), 8.161, 8.233. 88 Vgl. auch GerZach (Anm. 55),8.167 f.
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1973/1974, der einzelne rohstoffarme Länder zu einer völligen Neuorientierung nicht nur ihrer Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, sondern der gesamten Außenpolitik zwang, soll nach Auffassung einiger westlicher Autoren den Tatbestand der wirtschaftlichen Intervention erfüllt haben89 • d) Zu den modernen, erst in den letzten Jahrzehnten entwickelten Formen der Intervention wird heute allgemein auch die sog. subversive Intervention (indirekte Aggression, konterrevolutionäre Revolution) gerechnet. Darunter fallen eine Reihe unterschiedlicher staatlicher bzw. staatlich geförderter Aktivitäten, die die Bevölkerung eines anderen Staates insbesondere durch Propaganda, Infiltration u. ä. zum Widerstand oder Bürgerkrieg gegen die De-jure-Regierung und letztlich zu ihrer Beseitigung veranlassen sollen. Als die beiden Hauptformen der subversiven Intervention gelten die Ausbildung und Unterstützung terroristischer Gruppen ("armed bands"), die den Sturz einer fremden Regierung betreiben, sowie die Propaganda im weitesten Sinn. Daß die Duldung bewaffneter Überfälle und die militärische Unterstützung revolutionärer Kräfte in benachbarten Staaten ein völkerrechtliches Delikt darstellt, wurde bereits ausgeführt. Dagegen ist der Bereich der Propaganda sehr viel schwieriger in völkerrechtliche Regeln und insbesondere in das Konzept der Intervention einzuordnen. Feindselige Propaganda, sofern sie von den Staaten selbst ausgeht, galt zwar bereits seit Vattel als völkerrechtswidrig, sie spielte aber in der Staatenpraxis angesichts der beschränkten technischen Möglichkeiten eine eher unbedeutende Rolle'o. Lange Zeit bildeten die Grenzen ein kaum zu überwindendes Hindernis. Reisende und schriftliche Botschaften waren die einzigen Informationsmedien. Sie konnten jedoch an der Grenze kontrolliert und gegebenenfalls auch zurückgewiesen werden. Dies änderte sich erst mit der Entwicklung der modernen Nachrichtentechnik, der Telegraphie und dem Ausbau des Rundfunks. Nunmehr konnte vom eigenen Staatsgebiet aus, quasi extra-territorial, auf andere Staaten eingewirkt werden, die Grenzen wurden durchlässig. Es waren vor allem die totalitären Regime, die sich nach dem Ersten Weltkrieg diese technischen Möglichkeiten zunutze machten und ihre revolutionären Ideen verbreiteten. Mit kritischen oder sogar entstellenden Sendungen sollten fremde Regierungen über den Hebel der öffentlichen Meinung in innenpolitische Schwierigkeiten gebracht und auf 89 Vgl. außer den in Anm. 56 und 82 genannten auch Ibrahim Shihata, Destination Embargo of Arab Oil: Its Legalty under International Law, AJIL 68
(1974), S. 591 - S. 627. 90 Vgl. etwa Whitton (Anm. 30), S. 554; L. John Martin, International Propaganda (Minneapolis 1958), S. 5 ff.
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ihren Sturz hingearbeitet werden. Dieser Absicht - technisch - entgegenzuwirken stellte sich aufgrund der schnellen Fortschritte in der Entwicklung der Radiotechnik als äußerst schwierig dar: Ob man das Abhören "feindlicher Sender" verbot oder, wie etwa in der Sowjetunion, sämtliche privaten Rundfunkgeräte einzog91 oder schließlich ausländische Sender durch Störsender ("jamming") ihrer Wirkung zu berauben versuchte: vollkommen unterbinden ließ sich die Information von außen nicht mehr. Hinzu kam, daß der Betrieb von Sendern, abgesehen davon, daß er billiger war als die Anwendung von Waffen, privaten Organisationsformen überlassen werden und somit von der staatlichen Verantwortung abgelenkt werden konnte. Die Anfänge des Tatbestands der subversiven Intervention lassen sich bis in die ersten Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zurückverfolgen und bilden gleichsam die spiegelbildliche Reaktion auf die revolutionären Bestrebungen der Sowjetunion. Schon das - allerdings nicht ratifizierte - Londoner Protokoll von 1924 untersagte "subversive activities originating from the government itself, from its organs or persons and organisations"92. Die endgültigen Konturen der subversiven Intervention entwickelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg, und wurden in der Zeit des Kalten Kriegs durch das wechselseitige Mißtrauen bzw. die Furcht der Großmächte voreinander begünstigt: Versprachen sich die westlichen Staaten Schutz vor kommunistischer Untergrund- und Wühlarbeit, so andererseits die östlichen Staaten vor der Verbreitung von "Menschen, Meinungen und Informationen". In einer Reihe früher UN-Resolutionen versicherte man sich gegenseitig die Unzulässigkeit feindlicher Propaganda und subversiver Intervention. Der von der ILC erstellte "Draft Code of Offences against the Peace and the Security of Mankind"98 verurteilte unter anderem die Förderung von Bürgerkriegen durch dritte Staaten. Am Ende dieser Entwicklung stehen die "Prinzipiendeklaration" und die Schlußakte von Helsinki. Die "Prinzipiendeklaration" verbietet den Staaten unter anderem "ta organize, assist, foment, finance, incite or tolerate subversive, terrorist or armed activities against the violent overthrow of another State ...". Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um die subversive Intervention steht auch heute noch die grenzüberschreitende Tätigkeit von Rundfunksendern. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die Sowjetunion, die in den 20er Jahren die Radiopropaganda als Mittel zur Verbreitung ihrer revolutionären Ziele eingeführt hat, heute zu den ent91 Dazu Julian Hale, Radio Power (London 1975), S. 127 ff. 92 Zit. nach Verdross (Anm. 32), S. 582.
gS
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UN-Doc. A/CN. 4/48, S. 34.
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schiedensten Gegnern - westlicher - grenzüberschreitender Radiosendungen gehört und sie als Verstoß gegen das Einmischungsverbot der KSZE-Schlußakte kennzeichnet. Besonders heftigen Angriffen sind - außer der Deutschen Welle und dem Deutschlandfunk - die beiden in München stationierten amerikanischen "Diversionssender" Radio Free Europe und Radio Liberty ausgesetzt. Beide Sender sind privatrechtlich organisiert, wurden jedoch früher über den CIA, heute über den amerikanischen Haushalt finanziert. Während Radio Liberty direkt in die Sowjetunion in russischer sowie in den Sprachen der Bevölkerungsminoritäten sendet, richtet sich das Programm von Radio Free Europe in den jeweiligen Landessprachen an die Bevölkerung Polens, der CSSR, Bulgariens, Rumäniens und Ungarns. Nach der Darstellung des früheren Direktors von Radio Free Europe ist dessen Programmpolitik "primarily designed to encourage the enslaved people of the captive count ries in their hope of uItimately regaining their national freedom als weIl as individualliberty"D4. In einem "Gutachten" für ein Symposium unter dem Titel "Die Rolle der Massenmedien bei der Erhaltung und Festigung des Friedens" gelangt HoffmannD5 zu dem Ergebnis, daß die Tätigkeit der beiden Sender u. a. einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten seitens der USA darstelle, "da die Sender nach ihrer offiziellen Orientierung bewußt und planmäßig darauf gerichtet sind, die Bevölkerung des Adressatenstaates im Sinne einer negativen und oppositionellen Einstellung zur ... politischen Entwicklung in ihren Ländern zu beeinflussen ..." Inwieweit hier der Vorwurf einer Intervention im Sinne des Völkerrechts erhoben wird, erscheint nicht ganz klar; der Hinweis auf Art. 2 Abs. 7 der UNCharta deutet jedoch wohl darauf hin, daß der Begriff der Einmischung nicht nur im politisch-politologischen, sondern auch im völkerrechtlichen Sinn gemeint ist. Dann fragt sich allerdings, inwieweit man im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Sender von der Ausübung von Druck und Zwang sprechen kann, der definitionsgemäß eine der Voraussetzungen für die Annahme einer Intervention bildet. Nur gelegentlich wird der Versuch Martin (Anm. 90), S. 32. Zur Frage der Völkerrechtswidrigkeit des Betriebs der Sender Free Europe und Radio Liberty; IPW-Berichte 7 (Berlin-Ost 1978), Heft 3, S. 48S. 50; S. 65 - S. 69; vgl. ferner Georg Grasnick/Burkhard Koch, "Freizügigkeit" für ideologische Diversion, IPW-Berichte (1978), Heft 1, S. 53 - S. 58; vgl. auch Beyerlin in diesem Bande; zu ähnlichen Vorwürfen gegenüber der westlichen Presse vgl. Wolfram Neuber, Kalter Krieg auf ideologischem Gebiet - Angriff auf den Entspannungsprozeß, IPW-Berichte 6 (1977), Heft 4, S. 32 - S. 40 (36 f.); aus westlicher Sicht, Gerhard Wetlig, Der Kampf um die freie Nachricht (Zürich 1977). 94
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einer ausführlichen Begründung unternommen. So beschreibt Murt y 98, ausgehend von einer Definition des Zwangs als "moral or physical compulsion by which a person is forced to do or to refrain from doing some act apart from his own voluntary action", die Ausübung von Zwang durch Propaganda als einen fortlaufenden Prozeß, in dem die Akteure versuchten, die Opposition zu stärken. Wann der Versuch der bloßen überzeugung in Zwang übergehe, könne nicht genau gesagt werden: "We have a continuous process by which strategists seek to shape the opinions, attitudes, and behavior of groups, by managing the flow of mass communication. At one end of the process there is persuasion, and at the other end there is constraint of a high degree, or coercion." - Die Grenzen vom unfreundlichen Akt zum völkerrechtlichen Delikt sind hier fließend 97 • Allerdings wird man nur in den seltensten Fällen tatsächlich annehmen können, daß durch kritische oder propagandistische Sendungen "Zwang" auf einen anderen Staat ausgeübt wird. Auch unter dem Blickwinkel des internationalen Rundfunkrechts ist außerordentlich zweifelhaft, ob und wann die kritische oder sogar verzerrende Darstellung von Geschehnissen in anderen Staaten völkerrechtswidrig ist. Das noch gelegentlich bemühte "Abkommen über den Gebrauch des Rundfunks im Interesse des internationalen Friedens"9B aus dem Jahre 1936, dem weder die USA noch die Sowjetunion beigetreten waren, bestimmt lediglich, daß die Vertragspartner "shall not constitute an incitement either to war or acts likely to lead thereto." Daneben werden eine Reihe von Theorien vertreten, die, je nach dem Stellenwert des Souveränitätsprinzips, den Staaten unterschiedlich weitgehende Freiheiten für Rundfunksendungen ins Ausland einräumen99 . Ein bemerkenswertes Indiz für die völkerrechtliche Unbedenklichkeit auch kritischer Sendungen über andere Staaten liefert nunmehr Art. 19 Abs.2 des 1976 in Kraft getretenen UN-Paktes über bürgerliche und zivile Rechte1oo: Danach hat jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit, ohne Rücksicht auf die Grenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift und Druck ... zu verbreiten. Zwar soll die Ausübung dieser Rechte nach Abs.3 "besondere Pflichten und Verantwortlichkeiten" mit sich bringen und kann daher bestimmten Beschränkungen unterliegen. Diese betreffen jedoch vor allem die Befugnis des "Empfangsstaates" , Einschränkungen der allgemeinen Informationsfreiheit anzuordnen. 88 97
(Anm. 6), S. 31 tI. v. Münch (Anm. 29), S. 233.
9B AJIL 32 (1938), Suppl. S. 118. 98 Vgl. den überblick bei Mahnke (Anm.44), S. 118. 100 Text in JIR 14 (1970), S. 772.
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Insgesamt und abschließend gilt für die neuen Formen, für die wirtschaftliche ebenso wie für die subversive Intervention, die Feststellung, daß sich erst langsam allgemein verbindliche Konturen abzeichnen und daß bestimmte staatlich veranlaßte oder geförderte Pressionen allenfalls kontroverse Diskussionen auslösen, diese den Nachweis der Völkerrechtswidrigkeit aber außerordentlich erschweren.
SOZIALWISSENSCHAFTLICHE INTERVENTIONSBEGRIFFE UND EXTERNE EINWIRKUNGSPHÄNOMENE IM BEREICH DER INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN Von Hans Günter Brauch·
A. Zur Einführung: Problemaufriß und Erkenntnisinteresse Die Internationalen Beziehungen, die Geschichte und das Völkerrecht bearbeiten mit jeweils spezifischem Erkenntnisinteresse denselben Objektbereich: die Analyse der inter-, trans- und multinationalen Beziehungen zwischen diversen Akteuren. Während sich das Völkerrecht auf die Interpretation und Weiterentwicklung von Normen bzw. Regeln der zwischenstaatlichen Beziehungen konzentriert und sich dabei der Geschichtswissenschaft als Hilfswissenschaft zur Erfassung der Staatenpraxis bedient, bemüht sich die sozialwissenschaftliche Disziplin der Internationalen Beziehungen um eine realitätsadäquate Erfassung der "Systems, States, Diplomacy and Rules"t, d. h. der Strukturen des internationalen Systems, seiner staatlichen, gesellschaftlichen, transund internationalen Akteure, der Beziehungen und Transaktionen zwischen diesen sowohl in historischer als auch systematischer Perspektive und der Grundprinzipien ihres Verhaltens. Beide Disziplinen, Völkerrecht und Internationale Beziehungen, sind aufeinander angewiesen. Das Völkerrecht sollte sich sozialwissenschaftlicher Empirie und Systematik öffnen und von den realen Problemen ausgehend nach dem Beitrag des Völkerrechts zur Problemlösung fragen. Die Internationalen Beziehungen sollten die völkerrechtlichen Normen der zwischenstaatlichen Beziehungen als Untersuchungsobjekt verstärkt behandeln. Eine transdisziplinäre Aufarbeitung der Nachbardisziplin ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Völkerrecht und Internationalen Beziehungen. Die Intervention stellt als eine Form der externen Einflußrealisierung von Staaten, gesellschaftlichen und transnationalen Akteuren • Der Verfasser dankt Prof. Bruno Simma, Prof. Kar! Kaiser, Prof. Beate Kohler, Dr. Hans-Joachim Schütz und den Mitarbeitern des interdisziplinären Forschungsprojekts für zahlreiche Anregungen. 1 John W. BUTton, Systems, States, Diplomacy and Rules (Cambridge 1968).
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außerhalb des Staatsgebietes ohne Zustimmung bzw. gegen den Willen des betroffenen Objekts ein zentrales Element der Internationalen Beziehungen dar. Die völkerrechtliche Normierung des Interventionsverbots versucht der als völkerrechtswidrig definierten externen Einflußrealisierung Grenzen zu setzen. Folgende Fragen stellen sich dabei aus sozialwissenschaftlicher Sicht: 1. Welche Formen der externen Einflußrealisierung lassen sich im internationalen System der Gegenwart feststellen? 2. Welche externen Einwirkungsphänomene werden durch den engen2 und welche werden durch den weiten Begriff3 des völkerrechtlichen Interventionsverbots erfaßt? 3. Ist der weite Begriff des Interventionsverbots der "Declaration on Friendly Relations" und der KSZE-Schlußakte realitätsadäquat und angesichts der supranationalen Integrationsansätze', der ökonomischen Verflechtung5 und der zunehmenden Interdependenzen8 überhaupt implementierbar? 4. Welche strukturellen Veränderungen in den internationalen Beziehungen sind die Voraussetzung für eine Ausweitung des Interventionsverbots (Problem der Abgrenzung nach unten) und für eine bessere Durchsetzbarkeit dieser Grundnorm der internationalen Politik? 5. Lassen sich aus der Untersuchung sozialwissenschaftlicher Interventionsbegriffe und einer systematischen Erfassung externer Einwirkungsphänomene und deren innenpolitischen und internationa2 Lassa Francis L. Oppenheim/Hersch Lauterpacht, International Law, Bd. 1 (8. Aufl. London 1955), S. 305. 3 A. Van Wynen Thomas/A. J. jr. Thomas, Non-Intervention, The Law and its Importance in the Americas (Dallas 1956); vg1. Axel Gerlach, Die Intervention - Versuch einer Definition (Hamburg 1967); Heinrich Rumpf, Intervention und Nicht-Intervention im modernen Völkerrecht, Auswärtiger Dienst 39 (1976), S. 41 - S. 55; Ulrich Beyerlin, Intervention, in: Rüdiger Wolfrum/Norbert J. Prill/Jens A. BTÜckner, Handbuch Vereinte Nationen (München 1977), S. 229 - S. 233. 4 Leon N. Lindberg/Stuart A. Scheingold, Regional Integration, Theory and Research (Cambridge 1971). 6 Erwin Häckel, Theoretische Aspekte der Regionalen Verflechtung, in: Regionale Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland (Wien 1973). 8 Edward L. Morse, The Transformation of Foreign Policies: Modernization, Interdependence, and Externalization, World Politics 22 (1970), S. 371 S.392; ders., Crisis Diplomacy, Interdependence, and the Politics of International Economic Relations, World Politics 24 (1972), S. 123 - S. 150; Robert W. Russell et a1., Dependence and Interdependence in the International System: An Introduction to International Political Economy (New York 1975). Eine Kritik des InterdependenzbegrifIs findet sich bei Frieder Schlupp/Salua Nourl Gerd Junne, Zur Theorie und Ideologie internationaler Interdependenz, in: Klaus Jürgen Gantzel (Hrsg.), Internationale Beziehungen als System, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 5/1973 (Opladen 1973).
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len Bedingungen Schlußfolgerungen für eine realitätsadäquatere Erfassung und Normierung von Einwirkungsakten ableiten? In diesem Beitrag sollen aus sozialwissenschaftlicher Sicht ein überblick über sozialwissenschaftliche Interventionsbegriffe in Abgrenzung zu vergleichbaren Konzepten vermittelt (Teil B), Einwirkungsphänomene im internationalen System systematisch herausgearbeitet (Teil C) und einige Anregungen und Fragestellungen für mögliche weitere völkerrechtliche Normierungen mit dem Ziel einer Ausweitung des Interventionsverbots nach unten gegeben (Teil D) werden.
B. Sozialwissensmaftlime Interventionsbegriffe Das Problem der Intervention in den gegenwärtigen Internationalen Beziehungen ist nach Kaiser aus drei Gründen von Interesse: "Erstens, es gibt kaum ein Gebiet, wo die Heuchelei ebenso groß ist, d. h., wo eine solche Disparität zwischen feierlich proklamierten Prinzipien und der realen Staatspraxis besteht. Zweitens, wenige Themen haben zu einer fast totalen Verwirrung und Meinungsverschiedenheit über Konzepte und Definitionen in zahlreichen wissenschaftlichen, vor allem historischen und rechtlichen, Arbeiten geführt. Schließlich sind wenige andere Probleme von ebensolcher Wichtigkeit wie dieses, denn die Geschichte der Krisen der Nachkriegszeit und der Gewalttätigkeit ist eine Geschichte wiederholter Interventionen7 • Eine definitorische Abgrenzung und analytische Behandlung des Phänomens "Intervention" wird aus mehreren Gründen erschwert: 1. Der Interventionsbegriff wird als wissenschaftliches Konzept neben
dem Völkerrecht und den Internationalen Beziehungen auch in zahlreichen anderen Rechtsbereichen (Prozeß-, Staats- und Wechselrecht) und in der Nationalökonomie zur Erfassung des staatlichen Eingreifens in den Wirtschaftsprozeß ("Staatsinterventionismus") generell und zur Börsenkursregulierung speziell benutzt. 2. Der umgangssprachliche Interventionsbegriff bezieht sich auf ein breites Spektrum realer Vorgänge. Eine wissenschaftliche übernahme des "common-sense"-Begriffs wäre unpräzise. Da der Interventionsbegriff als Kampfbegriff zur Legitimierung angeblich reaktiver Maßnahmen dient, ist dieser Begriff ebenfalls wissenschaftlich unbrauchbar. 7 KarZ Kaiser, The Political Aspects of Intervention in Present Day International Politics (I), in: Louis G. M. Jacquet (Hrsg.), Intervention in International Politics (The Hague 1971), S. 76.
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3. Angesichts supranationaler Integrationstendenzen, Verflechtung und Interdependenz, verwischen sich immer mehr die Grenzen zwischen Intervention, Einfluß, Eingriff, Interferenz und anderen Begriffen. 4. Schließlich ist auch der völkerrechtliche Interventionsbegriff einem raschen Bedeutungswandel als Ergebnis von Veränderungen im internationalen System der Nachkriegszeit ausgesetzt.
I. Definition des Interventionsbegrills in Lexika und sozialwissenschaftlichen Handbüchern Vergleicht man die Definition des Interventionsbegriffs in Lexika und in sozialwissenschaftlichen Handbüchern, dann kann man in den vergangenen sechzig Jahren - wie auch im Völkerrecht - den allmählichen Übergang von einem engen Interventionsbegriff zu einer breiteren Erfassung von Einwirkungsphänomenen in den internationalen Beziehungen feststellen. Die Definition des Politischen Handwörterbuches (1923), die Intervention u. a. "als direkte Selbsthilfe eines Staates zur Durchsetzung eines völkerrechtlichen Anspruches"8 bezeichnete, dürfte heute ebenso unannehmbar sein wie die Begriffsbestimmung in der Encyclopaedia of the Social Sciences (1932), bei der hinsichtlich der Adressaten von Einwirkungsakten zwischen "a recognized member of the family of nations" und "an outlying state with a less advanced civilization" unterschieden und bei den Interventionsakten zwischen einer "internal intervention" in einen Bürgerkrieg, einer Strafmaßnahme zur gewaltsamen Durchsetzung von vertraglichen Ansprüchen und einer "external intervention", d. h. einer Einmischung eines Staates in die Angelegenheiten eines anderen ohne dessen Zustimmung differenziert wurde8• Unbefriedigend sind auch die Definitionsversuche des Fischer-Lexikon Außenpolitik, das Intervention als "Eingreifen, meist das bewaffnete Eingreifen eines Staates in einen ihm zunächst fremden, schon bestehenden Konflikt" umschreibt und besonders auf eine "permanente Intervention Rußlands in den osteuropäischen Staaten seit 1945 (Satellitenverhältnis)" verweist10• Als ideologisch geprägter politischer Kampfbegriff wird Intervention in Meyers Neues Lexikon (1962) als "diplomatische und militärische Einmischung eines imperialistischen Staates in Angelegenheiten eines 8 Hans Henningsen, Intervention, in: Politisches Handwörterbuch (Leipzig 1923), S. 853 f. 9 Percy H. Winfield, Intervention, in: Encyclopaedia of the Social Sciences, Bd. VII - VIII (New York 1932), S. 236 - S. 239. 10 Golo Mann/Harry Pross (Hrsg.), Fischer-Lexikon Außenpolitik (Frankfurt - Hamburg 1958), S. 116 - S. 118.
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anderen Staates durch Androhung oder Anwendung von Gewalt, z. B. der USA in Korea 1950" definiert, wobei zwischen einer "offenen (militärischen) und getarnten (z. B. Finanzierung konterrevolutionärer Gruppen, die Organisierung des Bürgerkrieges, Spionage, Diversion, ökonomische Intervention)" unterschieden wirdll • Das Kleine Politische Wörterbuch (DDR, 1967), das Intervention "ein Kennzeichen imperialistischer Politik" nennt, versteht darunter "Einmischung eines oder mehrerer Staaten in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates" und unterscheidet zwischen individueller und kollektiver, offener bewaffneter und getarnter Intervention12 • Während Der Große Brockhaus (1954) Intervention als "das diplomatische, militärische oder wirtschaftliche Eingreifen eines oder mehrerer Staaten in die Verhältnisse eines anderen" definierte, fiel die Begriffsbestimmung der Brockhaus Enzyklopädie (1970) differenzierter aus: "Eine I. ist die Einmischung in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates durch die offene oder mittelbare Anwendung oder Androhung von Gewalt sowie der Gebrauch wirtschaftlicher, politischer oder sonstiger Maßnahmen, um gegenüber einem anderen Staat mit dem Ziel Druck auszuüben, die Ausübung seiner Souveränität dem Willen des intervenierenden Staates unterzuordnen oder irgendwelche Vorteile von ihm zu erzwingen13 ." Noack und Stammer bezeichnen in ihrer Schrift: Grundbegriffe der politikwissenschaftlichen Fachsprache (1976) Intervention als "Einmischung oder auch das vermittelnde Eingreifen in eine fremde Angelegenheit. Auf der Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen wird unter I. die Einmischung eines Staates oder einer Staatengruppe in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates verstanden. I. bedeutet auch das Eingreifen eines Staates in die Streitigkeiten zwischen zwei anderen Staaten mit Mitteln der Gewalt oder Gewaltandrohung, wenn der Intervenierende den beiden Streitparteien eine Lösung nach seinem Willen aufzwingen möchte". Als Methoden der Einmischung werden genannt: die "offene, bewaffnete Intervention mittels des Einsatzes von Streitkräften und die getarnte Intervention, die mit Hilfe des Einsatzes von Spionen, der Bildung und Finanzierung von Guerillatruppen und der Organisation von Bürgerkriegen durchgeführt werden. Als Formen wirtschaftlicher Intervention sind zu nennen: Dumping, Anleihepolitik, Diskriminierung des Handels und der Währung eines Landes, Boykott USW."l'. Auf die neue ren NorIntervention, in: Meyers Neues Lexikon, Bd.4 (Leipzig 1962), S. 409 f. Intervention, Nichteinmischung, in: Kleines Politisches Wörterbuch (Berlin-Ost 1967), S. 314 bzw. S. 451 f. 13 Intervention, in: Der Große Brockhaus, Bd.5 (Wiesbaden 1954), S.715; Intervention, in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd.9 (Wiesbaden 1970), S. 195. 11
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mierungsversuche des Interventionsverbots im Rahmen der Vereinten Nationen wird nicht eingegangen. Die Tatsache, daß der Interventionsbegriff weder in dem FischerLexikon Internationale Beziehungen (1969) noch in einem Handwörterbuch Internationale Politik (1977) als Stichwort aufgenommen wurde 15 ,
läßt bereits erkennen, daß die Regeln und Verhaltensnormen der internationalen Beziehungen bisher keinen Schwerpunkt sozialwissenschaftlicher Untersuchungen bildeten, daß es an empirisch abgesicherten Untersuchungen zur Interventionsproblematik fehlt und daß deshalb der Beitrag der Sozialwissenschaften hierzu bisher eher bescheiden und für den Völkerrechtler unbefriedigend warl8 • 14 Paul NoackjTheodor Stammer (Hrsg.), Grundbegriffe der politikwissenschaftlichen Fachsprache (München 1976), S. 127 - S. 128. 15 Karl Dietrich BracherjErnst Fraenkel, Fischer-Lexikon Internationale Beziehungen (Frankfurt - Hamburg 1969); Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik (Opladen 1977). 18 Frederic S. Pearson beschäftigte sich in zahlreichen Aufsätzen mit Teilaspekten der Intervention und ihren Bedingungsfaktoren: Foreign Military Intervention and Domestie Disputes, International Studies Quarterly 18 (1974), S. 259 - S. 290; ders., Geographie Proximity and Foreign Military Intervention, Journal of Conflict Resolution 18 (1974), S. 432 - S. 460; ders., Ameriean Military Intervention Abroad: A Test of Eeonomic and Noneeonomie Explanations, in: S. RaichurjC. Liske (Hrsg.), The Polities of Aid, Trade, and Investment (New York 1976), S. 37 - S. 62; ders., A Pereeptual Framework for Analysis of International Military Intervention, Oceasional Paper No. 735, Center for International Studies, University of Missouri - St. Louis, vervielfältigt, 93 S.; ders.,jRobert Baumann, Foreign Military Intervention by Large and Small Powers, Research Note, International Interaetions 1 (1974), S. 273 S.278; dies., Foreign Military Intervention and Changes in United States Business Aetivity, Journal of Politieal and Military Sociology 5 (1977), S. 79 S.97; John S. Odell, Correlates of U. S. Military Assistanee and Military Intervention, in: Steven J. RosenjJames R. Kurth (Hrsg.), Testing Theories of Eeonomie Imperialism (Lexington 1974), S. 143 - S. 161; Richard Cady/William Prince, Politieal Confliets 1944 - 1966 (Ann Arbor: Inter-University Consortium for Politieal Research 1974); Istvan Kende, Loeal Wars in Asia, Afriea and Latin Ameriea, 1945 - 1969, Center for Afro-Asian Research, Hungarian Aeademy of Seienees (Budapest 1972); Helmut Kramer/Helfried Bauer, Imperialism, Intervention Capaeity and Foreign Poliey Making, Journal of Pe ace Research 9 (1972), S. 285 - S. 302; Herbert K. Tillema, Appeal to Force: American Military Intervention in the Era of Containment (New York 1973); Morris JanowitzjEllen P. Stern, The Limits of Military Intervention: A Propositional Inventory, Military Review (1978), S. 11- S. 21; Ellen P. Stern (Hrsg.), The Limits of Military Intervention (Beverly Hills - London 1977); Edy Kaufmann, The Superpowers and their Spheres of Influence, The Uni ted States and the Soviet Union in Eastern Europe and Latin America (London 1976); Leon GourejMorris Rothenberg, Soviet Penetration of Latin America, Monographs in International Affairs, Center for Advanced International Studies (Miami 1975); Barry M. BlechmannjStephen S. Kaplan, The Use of the Armed Forces as a Political Instrument (Washington: The Brookings Institution, 1976), vervielfältigtes Manuskript; Library 01 Congress (Hrsg.), Background Information on the Use of U. S. Armed Forees in Foreign Countries 1975, Revision for the Subcommittee on International Security and Scientific Affairs of the Committee on International Relations (Washington 1975); Charles W. Kegley, Jr.jEugene R. Wittkopl, Structural Characteristics of International
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Sieht man von den ideologischen Girlanden ab, stellt man bei allen Lexika folgende Gemeinsamkeiten fest: als Interventionssubjekte werden nur Staaten und internationale Organisationen und als Interventionsobjekte nur Staaten genannt. Der enge völkerrechtliche Interventionsbegriff von Lauterpacht (dictatorial interference by the threat or use of force) wurde nur in der Encyclopaedia of the Social Sciences und in dem Fischer-Lexikon Außenpolitik zugrundegelegt, während in den anderen Lexika auch diplomatische und wirtschaftliche Einwirkungsphänomene aufgeführt werden. Die trans- und multinationalen Beziehungen zwischen nichtstaatlichen, gesellschaftlichen Akteuren werden in diesen Definitionen noch nicht berücksichtigt.
11. Theorien und Konzepte der Internationalen Beziehungen Die Versuche von Spezialisten der Internationalen Beziehungen, den Interventionsbegriff und Einwirkungsphänomene als Merkmal der Weltpolitik zu definieren, werden im Kontext ihrer jeweiligen theoretischen Bezüge dargestellt. Um die Vielfalt internationaler Prozesse und komplexer Interaktionsmuster, deren Strukturen und Bedingungsfaktoren intellektuell zu bewältigen, Komplexität zu reduzieren, zu ordnen und zu erklären, bedienen sich SozialwissenschaftIer Theorien und analytischer Konzepte als gedankliche Filter, Ordnungs- und Erklärungsschemata. Der Erkenntnisprozeß der sozialwissenschaftlichen Disziplin "Internationale Beziehungen" wird geprägt durch die Erkenntnisziele bzw. die erkenntnisleitenden Interessen des Beobachters17, die Erkenntnisbedingungen und die Erkenntnismethoden, d. h. die Verfahren und theoretischen Modelle. Die Fülle der Theorieansätze im Bereich der Internationalen Beziehungen lassen sich nach Helga Haftendorn18 klassifizieren als: - phänomenologische Theorien zu einem Gegenstandsbereich (z. B. Macht-, Konflikt-, Integrations- und außenpolitische Entscheidungstheorien); Influence Relationships, International Studies Quarterly 20 (1976), S. 261 S.299. 17 Ulrich Beck, Objektivität und NormativitätjDie Theorie-Praxis-Debatte in der modernen deutschen und amerikanischen Soziologie (Reinbek 1974); vgl. Hans Günter Brauch, Struktureller Wandel und Rüstungspolitik der USA (1940 - 1950), Zur Weltführungsrolle und ihren innenpolitischen Bedingungen (Ann Arbor - London 1977), S. 19 ff. 18 Helga Haftendorn, Theorie der Internationalen Beziehungen, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik (Opladen 1977), S. 298 - S. 309; dies. (Hrsg.), Theorie der Internationalen Politik (Hamburg 1975); Daniel Frei (Hrsg.), Theorien der internationalen Beziehungen (München 1973, 1976); Ekkehart Krippendorff (Hrsg.), Internationale Beziehungen (Köln 1973); Ernst-Otto Czempiel (Hrsg.), Die Lehre von den Internationalen Beziehungen (Darmstadt 1969).
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formale (deskriptive, analytische und präskriptive) Konzepte; funktionale theoretische Ansätze ("approaches, frameworks, Konzepte, ParadigmataU); erkenntnistheoretische systematische Zuordnung von Zielen, Bedingungen und Methoden der Erkenntnis.
Eine solche erkenntnistheoretische Systematisierung führt zu der Unterscheidung zwischen: - Essentialistisch-normativen (bzw. ontologisch-normativen19) Theorien. Diesem Theorieansatz lassen sich auch die Idealisten (bzw. Moralisten) und die Realisten zuordnen, die in den fünfziger Jahren - vornehmlich in den USA - die Theoriediskussion bestimmten (vgl. H, 1); - Empirisch-analytische (bzw. deduktiv-empirische) Theorien. Dieser Richtung können James N. Rosenau, R. J. Vincent, Dran Young und John W. Burton zugerechnet werden (vgl. H, 2); - Historisch-dialektische Theorien. Imperialismus- und dependenztheoretische Arbeiten sind dieser Theorie ebenso zuzuordnen wie politik-ökonomische und historische Analysen20 (vgl. H, 3). Zahlreiche Konzepte lassen sich jedoch nicht eindeutig einer dieser drei erkenntnistheoretischen Schulen zuordnen. Von den 18 bei Haftendorn genannten wichtigsten theoretischen Konzepten der Internationalen Beziehungen sind für unsere überlegungen vor allem jene wichtig, die sich mit Einwirkungsphänomenen, den Akteuren (Interventionssubjekten und -objekten) (vgl. H, 4) und den herrschaftssoziologischen Rahmenbedingungen (vgl. H, 5), den Bedingungen und Motivationen von Einwirkungsakten befassen. 1. Interventionskonzepte der idealistischen und der realistischen Schule
Stellvertretend für den essentialistisch-normativen Theorieansatz wurden die Interventionskonzepte von Manfred Halpern, einem An19 Wolf-Dieter Narr, Theoriebegriffe und Systemtheorie, in: Narr-Naschold, Einführung in die moderne politische Theorie (Stuttgart - Berlin - Köln Mainz 1969). 20 Ekkehart KTippendortJ (Hrsg.), Probleme der internationalen Beziehungen (Frankfurt 1972); ders. (Hrsg.), Internationale Beziehungen (Köln 1973); ders., Internationales System als Geschichte, Einführung in die internationalen Beziehungen, Bd.1 (Frankfurt 1975); ders., Internationale Beziehungen als Wissenschaft, Einführung, Bd.2 (Frankfurt - New York 1977); Gilbert Ziebura/Franz Ansprenger/Gerhard Kiersch, Bestimmungsfaktoren der Außenpolitik in der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Schriften des Fachbereichs Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, Nr. 4 (Berlin 1974).
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hänger der moralischen bzw. idealistischen Schule, und von Hans Morgenthau und K. J. Holsti, zwei Vertretern der realistischen Schule, ausgewählt. a) Interventionskonzept der idealistischen Schule: Halpern
Um Intervention von anderen Handlungen zu unterscheiden, die Konsequenzen über die Staatsgrenzen hinaus haben, schlägt Manfred Halpern folgende Definition vor: "Intervention is any action, beginning with deliberate or remediable interaction among nations, that significantly affects the public international realm of another sovereign state and which stops short of aggressive crossing of international frontiers. Intervention is action along a continuum of possible choices 21 ." Als Formen der Intervention nennt Halpern: Propaganda, Spionage, diskriminierende Wirtschaftspolitik, Unterstützung legitimer Regierungen ebenso wie subversiver Bewegungen, die Unterstützung oder die Verweigerung solcher Unterstützung von Regierungen oder Oppositionsparteien in innenpolitischen Krisen, wo diese Hilfe entscheidend sein kann. Dieser weite Interventionsbegriff verwischt die Grenze zwischen "coercion" und "persuasion". Wichtiger ist für Halpern die Unterscheidung zwischen deren Mitteln und Zielen. Mit der Betonung der Zweck-Mittel-Beziehung gegenüber Verhaltenskategorien unterscheidet sich Halpern von den Behavioristen. Halpern differenziert ferner zwischen folgenden Interventionstypen: Gegenintervention (counter-intervention), Intervention durch indirekte imperialistische Herrschaft, die gelegentlich als präventive Intervention legitimiert werde, vorbeugende Intervention (precautionary 1.) und partnerschaftliche Intervention (vgl. Allianz für den Fortschritt). Anstelle unilateraler amerikanischer Interventionen plädiert Halpern für eine Internationalisierung der Intervention und eine Respektierung der Interessensphären beider Großmächte. b) Interventionskonzepte der realistischen Schule:
Morgenthau und Holsti
Hans Morgenthau, verweist im Zusammenhang mit der staatlichen Souveränität darauf, daß der Außenpolitik der einzelnen Nationen im Völkergewohnheitsrecht zwar keine Grenzen gesetzt werden, aber alle verpflichtet seien, sich nicht in die Außenpolitik aller anderen Staaten einzumischen22 • Ein Satz scheint Morgenthau in seinem 600seitigen 21 Man/red Halpern, The Morality and Politics of Intervention, in: Richard A. Falk, The Vietnam War and International Law (Princeton 1968), S. 39 S. 78 (S.42 f.). 22 Hans J. Morgenthau, Politics among Nations, The Struggle for Power and Peace (New York 1961), S. 315.
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Hauptwerk "Politics among Nations" für die Interventionsproblematik zu genügen. K. J. Holsti widmet dagegen in seinem Buch: "International Politics"23 mehrere Kapitel dem Problemkreis der Macht, der Erlangung der Ziele und den außenpolitischen Instrumenten zur Einflußrealisierung.
Jegliche internationale Politik ist nach Holsti in gewissem Sinne Machtpolitik, wobei unter Macht die allgemeine Fähigkeit eines Staates verstanden wird, das Verhalten anderer zu kontrollieren, Einfluß als ein Aspekt der Macht ist im wesentlichen ein Mittel zur Erreichung eines Zwecks. Macht als analytisches Konzept umfaßt nach Holsti a) die Handlungen (Prozeß, Beziehung), um andere Staaten zu beeinflussen, b) die Mittel (capabilities), die eingesetzt werden, um dem Einfluß zum Erfolg zu verhelfen und c) die Antworten auf diese Handlungen. Folgende Variablen wirken auf die Einflußrealisierung ein: a) die Bereitschaft, die verfügbaren Mittel einzusetzen, b) der Erfolg oder der Fehlschlag von Einflußhandlungen, c) die verfügbaren Mittel (capabilities), die Glaubwürdigkeit und der Bedarf, die die Effektivität von Einflußhandlungen bestimmen. Der Einfluß werde ausgeübt durch: a) überredung (persuasion), b) das Angebot von Belohnungen, c) die Gewährung von Hilfe (rewards), d) die Drohung mit einer Bestrafung, e) die Implementierung einer gewaltlosen Bestrafung und f) durch den Einsatz von Gewalt. Holsti nennt vier Typen der Einflußbeziehungen im Internationalen System: 1. Relations of Consensus (z. B. die angloamerikanischen Beziehungen); 2. Relations of overt manipulation (z. B. die französisch-amerikanischen Beziehungen, 1960 ff.);
3. Relations of coercion (Kalter Krieg, USA und Kuba seit 1960); 4. Relations of force.
Zur Realisierung ihres externen Einflusses bedienten sich die Staaten neben dem klassischen Instrument der diplomatischen Verhandlungen, der Propaganda, wirtschaftlicher Instrumente, (wie z. B. den Techniken der Belohnung und Bestrafung: Zölle, Quoten, Boykott, Embargo, Anleihe, Kredite und Währungsmanipulationen, der ökonomischen Penetration und der Errichtung von Abhängigkeiten), der wirtschaftlichen Kriegführung, der Militär- und der Wirtschaftshilfe, um die politische Stabilität des Empfängers zu fördern, seine Innen- und Außenpolitik zu verändern, ihn für seine Bereitschaft, einer Allianz beizutreten, zu 23 K. J. Holsti, International Politics, A Framework of Analysis (Englewood Cliffs 1967), Kap. VII - XI, S. 191 - S. 345.
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belohnen und ihn bei der Erreichung seiner außenpolitischen... Ziele zu unterstützen. Durch die Massenmedien, schnelle Transportmöglichkeiten, eine komplexe und interdependente Weltwirtschaft, die Rüstungstechnologie und "mass politics" wurden die engen Grenzen des Nationalstaates (seine "impermeability") gesprengt und neuen Formen der geheimen Beeinflussung ("clandestine actions") anderer Staaten der Weg geebnet. Holsti erörtert sechs Typen der Einmischung (interference) und der Intervention, die mit dem Ziel verfolgt werden, die politischen und sozialen Prozesse eines anderen Landes, gewöhnlich ohne Zustimmung der legitimen (und anerkannten) Regierung, zu beeinflussen: 1. diplomatische Einmischung,
2. geheime politische Aktionen, 3. Machtdemonstrationen, 4. Subversion, 5. Guerillakrieg und 6. militärische Intervention. Holstis Schlußfolgerungen, daß heute eine völlige Isolierung der inneren Angelegenheiten von der äußeren Umwelt nicht mehr möglich sei und daß die innenpolitischen Probleme z. B. von Großmächten auf andere Staaten durchschlagen, bedürfen in Teil C einer systematischen Erörterung. 2. Interventionskonzepte empirisch-analytischer Theorieansätze
Standen bei den Idealisten und Realisten als den beiden Vertretern eines essentialistisch-normativen Theorieansatzes die Vermittlung von als richtig erkannten Einsichten, die aus einer Fülle des Erfahrungswissens in generalisierender Absicht über eine hermeneutische Gesamtschau oder durch qualifizierend-komparatorisches, induktives Vorgehen gewonnen werden, im Vordergrund, so kommt bei den Vertretern der empirisch-analytischen Theorie und den an diesem Ansatz orientierten Konzepten der allgemeinen Systemtheorie, des Behaviorismus und der politischen Kybernetik, der intersubjektiv überprüfbaren Beschreibung und Erklärung der Strukturmuster des internationalen Systems Priorität ZU24 •
24
Haftendorn,
5 KSZE
in: Woyke (Anm. 18), S. 299 - S. 300.
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Hans Günter Brauch a) Interventionskonzept der klassifikatorischen Behaviorismustheorie: Rosenau
James N. Rosenau nennt zwei Kriterien, um die Intervention als wissenschaftliches Konzept zu definieren: "One is what might be called the convention-breaking character of interventions. The other is their authority-oriented nature 25 ." Unter "convention-breaking" ist zu verstehen, daß der Intervenierende abrupt und merklich sein bisheriges Verhalten ändert. Intervention ist hiernach ein vorübergehendes Phänomen, das entweder durch die Rückkehr des intervenierenden Staates zu seinem früheren Verhalten oder aber dadurch endet, daß die Intervention ihrerseits ihre eigene Legitimität erlangt und zur Konvention wird. Durch das zweite Kriterium "authority-oriented" scheiden selbst massive Pressionen aus, wie z. B. der Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen und die Einstellung der Auslandshilfe, wenn damit nur die Politik und nicht die "Autoritätsstruktur", also das politische System und die bestehende Machtverteilung, eines anderen Staates beeinflußt werden soll. Rosenaus enge Begriffsdefinition beschränkt sich auf "den Gebrauch oder die Drohung mit Gewalt". Diplomatische, wirtschaftliche, ideologische und propagandistische Einmischungsversuche fallen aus dieser engen Begriffsdefinition heraus. Rosenau lehnt auch die Assoziation des Interventionsbegriffs mit Imperialismus, Aggression, Neokolonialismus, Auslandshilfe und kollektiver Sicherheit ab 28 • Rosenaus Abgrenzung stellt gegenüber dem neuen weiteren völ25 James N. Rosenau, The Concept of Intervention, Journal of International Affairs 22 (1968), S. 167; ders., Intervention as a Scientific Concept, in: ders., The Scientific Study of Foreign Policy (New York - London 1971) S.292. 28 James N. Rosenau, Theorizing Across Systems: Linkage Politics Revisited, in: Jonathan Wilkenfeld (Hrsg.), Conflict Behavior & Linkage Politics (New York 1973), S.38; Rosenau, The Scientific Study ... (Anm.25), S.282; Hans J. Morgenthau, To Intervene or Not to Intervene, Foreign Affairs 45 (1967), S. 425 - S. 436; Holsti (Anm.23), S. 247 - S. 278; J. A. C. Brown, Techniques of Persuasion: From Propaganda to Brainwashing (Middlessex 1963); Philips Davison, Political Communication as an Instrument of Foreign Policy, Public Opinion Quarterly 27 (1963), S. 29 - S. 30; C. G. Fenwick, Intervention by Way of Propaganda, AJIL 35 (1941), S. 626 - S. 631; Paul A. Varg, Imperialism and the American Orientation Toward World Affairs, Antioch Review 26 (1966); Heinrich Loth, Interventionen. Zur imperialistischen Interventionspolitik der Gegenwart (Berlin-Ost 1966); Michael H. Cardozo, Intervention: Benefaction as Justification, in: Roland J. Stanger (Hrsg.), Essays on Intervention (Columbus 1964), S. 63 - S. 85; Dorn A. Graber, The Truman and Eisenhower Doctrines in the Light of the Doctrine of Non-Intervention, Political Science Quarterly 72 (1958), S. 321 - S. 334; Howard Wriggins, Political Outcomes of Foreign Assistance: Influence, Involvement or Intervention?, Journal of International Affairs 22 (1968) S. 217 - S. 230; James Oliver Murdock, Collective Security Distinguished From Intervention, AJIL 56 (1962), S. 500 - S. 503; Jörg-Peter Mentzel, Kollektive Sicherheit und Intervention, Beiträge zur Konfliktforschung, Bd. 1 (1971), S. 5 - S. 35; Gerhard Hafner, Intervention und kollektive Sicherheit, Österreichische Militärische Zeitschrift (1973), S. 376 - S. 384.
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kerrechtlichen Interventionsbegriff einen Rückschritt dar. Rosenau möchte mit seiner Operationaldefinition der Intervention einen Schritt in Richtung auf eine sozialwissenschaftliche Interventionstheorie unternehmen. Als Einflußfaktoren interventionistischen Verhaltens diskutiert er folgende Variablen: Individuelle und bürokratische Rollenvariablen, gesellschaftliche (wie z. B. Prozeß der Meinungsbildung), strukturelle (Struktur des Regierungssystems und des Entscheidungsprozesses) und Umweltvariablen (internationaler Kontext). Während er strukturellen und gesellschaftlichen Einflußfaktoren eine geringe Bedeutung beimißt, hebt Rosenau als Behaviorist vor allem Verhaltensvariablen der individuellen Ebene, der bürokratischen Rolle und des internationalen Umfelds hervor. Das Interventionskonzept ist jedoch nur eines von mehreren theoretischen Konstrukten, mit denen Rosenau die Beziehungen zwischen dem nationalen und dem internationalen System analytisch in den Griff bekommen möchte, neben den wissenschaftlichen Konzepten der Interdependenz, der Penetration, des "linkage" und der Integration. Worin unterscheiden sich die operationalen Definitionen dieser Begriffe? Welche dieser Konzepte sind für eine interdisziplinäre Analyse von Einwirkungsphänomenen im Internationalen System relevant? Am allgemeinsten ist nach Rosenau das Konzept der Interdependenz, wonach das Funktionieren eines Systems ohne Konsequenzen (events and processes) in einem oder mehreren anderen Systemen nicht möglich ist. Zum Integrationskonzept liegen dagegen zahlreiche empirische Untersuchungen vor, die alle die Interaktionen zwischen Verhaltenseinheiten auf einer Aggregatebene und die Ergebnisse einzelner Einheiten auf einer anderen Ebene untersuchen. Das Interventionskonzept erfaßt einen engeren Realitätsausschnitt und bezieht sich auf eine Handlung, eine Verhaltenssequenz, deren Anfang und Ende klar ersichtlich und deren Merkmale "von dem Gebrauch oder der Drohung mit Gewalt" abhängen. Einen erweiterten Interventionsbegriff lehnt Rosenau ab, da dieser von "Einfluß" nicht zu unterscheiden ist. Das Interventionskonzept interpretiert er in dem größeren Kontext der Linkage-Politics als eine Form der Penetration.
Unter Linkage versteht Rosenau "jeden wiederkehrenden Verhaltensablauf, der in einem System seinen Ausgang nimmt und auf den in einem anderen System reagiert wird"27. Rosenau unterscheidet dabei zwischen direkten und indirekten System- und Umweltinputs und !7 James N. Rosenau, Problembereiche und national-internationale Vermittlungsprozesse, in: Helga Haftendorn (Hrsg.), Theorie der internationalen Politik, Gegenstand und Methoden der Internationalen Beziehungen (Hamburg 1975), S. 324.
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drei Grundtypen von Linkageprozessen: penetrierte, reaktive und adaptive Prozesse. "Ein penetrierter Prozeß vollzieht sich, wenn Mitglieder eines politischen Systems am politischen Prozeß eines anderen partizipieren. Das heißt, sie teilen sich mit den Mitgliedern des penetrierten Systems die Autorität, dessen Werte zu verteilen. Die Handlungen einer Besatzungsmacht sind vielleicht das beste Beispiel für einen penetrierenden Prozeß; die Welt der Nachkriegszeit hat aber auch erlebt, wie Entwicklungshilfemissionen, subversive Kader, das Personal internationaler Organisationen, die Vertreter multinationaler Konzerne und die Funktionäre bestimmter transnationaler Parteien Linkages auf eine derartige Weise gebildet haben. Per definitionem verbinden penetrierende Prozesse direkte Outputs und Inputs28 ." In einer neueren Arbeit stellt Rosenau fest, daß Linkage und Penetration in der politikwissenschaftlichen Forschung weitgehend synonym benutzt wurden". Von den hier skizzierten transsystemaren Konzepten sind für die Analyse von Einwirkungsphänomenen im internationalen System wichtig das Konzept der Intervention und der Penetration. Beide Konzepte erfassen - nach der Definition Rosenaus - direkte und gewaltsame (coercive) sowie indirekte (nicht gewaltsame) Eingriffe von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren. Die Konzepte: Interdependenz und Integration deuten die Grenzen staatlicher Souveränität in der gegenwärtigen Weltgesellschaft an, die auch bei realitätsadäquaten Normierungsversuchen des Interventionsverbots zu berücksichtigen sind. Während sich Halpern und Holsti auf die Beschreibung des Interventionskonzepts beschränkten, versuchte Rosenau dieses Konzept in ein klassifikatorisches Bezugssystem seiner behavioristischen Theorie zu stellen mit dem Ziel, eine an Verhaltenskategorien orientierte sozialwissenschaftliche Theorie der Intervention zu entwickeln. Da Rosenau jene Faktoren, die nicht mit der Dominanz von Verhaltenskategorien vereinbar sind, keiner eingehenden Analyse unterzieht, bleibt sein Versuch einer Theoriebildung unbefriedigend. Aus folgenden Gründen kann Rosenaus Konzept nicht zum Ausgangspunkt einer sozialwissenschaftlichen Interventionstheorie genommen werden: 1. Seine Definition ist zu eng und wird dem komplexen Phänomen der Intervention und dem modernen Konzept des Interventionsverbots nicht gerecht. 2. "Es scheint vor allem im Hinblick auf die politische Realität bedenklich, vor der Effektivität im vornherein zu kapitulieren und länger dauerndem Zwang Legimität zu- und den Interventionscharakter abzusprechen." 28 Rosenau (Anm. 27), S. 325. 29 Rosenau, Theorizing Across ... (Anm. 26), S. 49.
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3. "Ebensowenig ist die Ausklamrnerung auch einschneidender Maßnahmen, selbst wenn sie z. B. auf die Änderung der Grundsätze der Innen- oder Außenpolitik oder des Wirtschaftssystems in einem anderen Staat abzielen, zu bejahen, bloß weil sie nicht (direkt) gegen dessen politische Autoritätsstruktur gerichtet sind 30." 4. Die Interventionssubjekte und -objekte werden nicht akteurspezifisch aufgefächert z. B. als Staaten, gesellschaftliche und transnationale Akteure und internationale Organisationen. 5. Die Ökonomie als zentraler weltpolitischer Faktor fällt Verhaltenskategorien zum Opfer. 6. Fragen nach der internationalen Herrschaftsstruktur und den Konfliktformationen werden nicht gestellt. 7. Rosenaus Interventionsbegriff und -theorie dienen nicht der kritischen Erfassung der Realität. b) Phänomenologie deT InteTvention: Vincent und Young
R. J. Vincent versucht das Phänomen der Intervention durch die Kennzeichnung von 6 Merkmalen in den Griff zu bekommen. Er unterscheidet zwischen den Akteuren, dem Interventionsobjekt, dem Interventionsakt (activity of intervention), den Interventionstypen, dem Interventionszweck und dem Kontext der Intervention. Als Interventionssubjekte benennt Vincent: Staaten, revolutionäre Gruppen innerhalb eines Staates, eine regionale oder universelle internationale Organisation. Das Interventionsobjekt wird nicht auf den Staat beschränkt, sondern bezieht Teile seiner innen- und außenpolitischen Aktivitäten ein. Als Interventionsakt wird definiert: "a ,stepping-in' or an ,interference' in any affair so as to affect its course or outcome. This situation could encompass the situation in which intervention takes pI ace on behalf of one party to a dispute, as weIl as the activity of coming-between the parties. ... Here, no pretense will be made to encompass the whole field of interventionary activity in a single definition, and intervention will be understood as coercive interference 31 ." Als InteTventionstypen führt Vincent auf: militärische Intervention durch die Entsendung von Truppen, durch die Gewährung von 30 Hanspeter Neuhold, Internationale Konflikte verbotene und erlaubte Mittel ihrer Austragung. Versuche einer transdisziplinären Betrachtung der Grundsätze des Gewalt- und Interventionsverbots sowie der friedlichen Streitbeilegung im Lichte der UN-Prinzipiendeklaration 1970 und der modernen Sozialwissenschaften, Forschung aus Staat und Recht 37 (Wien - New York 1977), S. 350. 31 R. J. Vincent, Nonintervention and International Order (Princeton 1974),
S. 7 f.
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Militärhilfe oder durch eine militärische Machtdemonstration, ökonomische Intervention durch die mit der Auslandshilfe verknüpften Bedingungen oder die Verweigerung eines Auftrages und politische Intervention durch feindliche Propaganda oder moralische Unterstützung für einen revolutionären Kampf in einem Staat. Als Interventionszweck nennt Vincent: Erhaltung des Gleichgewichts, humanitäre Interessen, sowie Erhaltung der ideologischen Solidarität. Eine Intervention sei dann legitim, wenn sie keine Verletzung der äußeren Unabhängigkeit und der territorialen Integrität bewirke. Als Kontext der Intervention verweist der Autor auf den Charakter des Internationalen Systems. In einem revolutionären Internationalen System mit revisionistischen Bewegungen sei die Interventionswahrscheinlichkeit höher als in einem saturierten System konservativer Mächte. Gestützt auf diese sechs Merkmale definiert Vincent Intervention als "that activity undertaken by astate, a group within astate, a group of states or an international organization which interferes coercively in the domestic affairs of another state. It is a discrete event having a beginning and an end, and it is aimed at the authority structure of the target state. It is not necessarily lawful or unlawful, but it does break a conventional pattern of international relations"sz.
Dran R. Young beginnt seine Erörterung des Interventionsphänomens im internationalen System mit einer Nominaldefinition: "Intervention refers to organized and systematic activities across recognized boundaries aimed at affecting the political authority structures of the target S3 ." Young unterscheidet bei der Bestimmung der Häufigkeit der Intervention zwischen systemischen Faktoren und den Motivationen für die Intervention. Systemische Faktoren sind z. B. große Machtunterschiede, die Interventionen begünstigten, während bei einer Machtparität Konflikte mehr in direkten offenen Konfrontationen als durch Interventionen ausgetragen wurden. Während in einem unipolaren internationalen System die Opfer der Intervention einer Hegemonialmacht sich nicht dagegen wehren könnten, ist nach Young die Situation der schwächeren Staaten in einem multipolaren System günstiger. Ferner hänge die Häufigkeit der Intervention auch von der inneren Stabilität der schwächeren Akteure ab. Schließlich nennt Young den Grad der Interdependenz zwischen den Mitgliedern des internationalen Systems als entscheidende systemische Determinante der Intervention. Als zusätzliche interventionsfördernde Antriebskräfte treten systembedingte motivationale Faktoren hinzu, wie z. B. der politische Revisionismus von Staaten, die mit der internationalen Vincent (Anm. 31), S. 13. Dran R. Young, Intervention and International Systems, Journal of International Affairs 22 (1968), S. 178. 32
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Güterverteilung nicht einverstanden sind, politische Ideologien und normative Konzepte für die Gestaltung der inneren Ordnung der einzelnen Staaten (vgl. Kreuzzugsyndrom) und die Konkurrenz mehrerer universalistischer Ideologien. c) Behavioristische SystemtheoTie: BUTton John W. BUTton behandelt in "Systems, States, Diplomacy and Rules" 34 Fragen der Legitimität von und der Motivation zu Interventionen. Die Beschäftigung mit der Legitimität ist für Burton eine Voraussetzung für das Verstehen von Intervention, Aggression, Konflikt und anderen Phänomenen. Je einheitlicher die Interessen und Werte aller Systeme sind, um so integrierter ist die Gesellschaft als Ganzes und um so weniger Interventionen durch administrative Einheiten sind nötig 35 •
Die Differenzierung zwischen staatlicher Intervention und systemischem Einfluß führt Burton zu folgender überlegung: "System influence extending from one State to another is legitimate provided, first, that the system influence that originates in another State is not derived from the power of that State; and second, that the system influence within the State affected remains subject to the control of that State as are all internal influences36 ." Der Einfluß systemischer Faktoren, wie z. B. multinationaler Unternehmen und nichtgouvernementaler Interessen, stellt nach Burton keine Intervention dar. Die Entwicklungsländer suchten ausländische Interventionen, um ihre Verhandlungsrnacht gegenüber Systemen zu erhöhen, über die sie nur schwerlich ihre Kontrolle ausüben können. Sie suchten die Unterstützung ausländischer Staaten für ihre eigene staatliche Macht gegenüber ausländischem systemischem Einfluß. Bei der Einmischung in Bürgerkriege muß nach Burton unterschieden werden, ob die Intervention auf Ersuchen eines legitimierten BUTton (Anm. 1), S. 40 ff. BUTton (Anm. 1), S. 50 f.: "Systemic influence on System, and State influenee on a system or part of one that is within State jurisdietion, are not examples of intervention. But if one State were to aet in any way either within or outside its boundaries in a manner designed to influenee the behaviour of the system or any part of it in another State, this would be intervention. For example, withholding resourees from usual markets eould be regarded as intervention in the affairs of another State, and could be a serious form of intervention if there were no other souree of supply. This is intervention of sanetions. The use of State influenee, exercised by diplomatie or other means, in order to prevent nationalization would also be intervention. Intervention is, in this view, a eoncept relevant only to the behaviour of States, aeting either upon other States or parts of systems within them. It is the use of State power and not systemic power." 38 BUTton (Anm. 1), S. 51. 34
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Staates durch ein legitimes Interventionssubjekt erfolge oder ob sie durch eine legitimierte "authority" oder eine Einladung durch eine nichtlegitimierte "authority" erfolge. Für Burton ist "legitimization or the absence of it (is) the test which is applied though not explicitly stated, in determining whether intervention is justified'