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German Pages 344 [345] Year 2022
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 547
Zurechnung von Dritthandeln im rechtsgeschäftlichen Bereich Zugleich eine Neuausrichtung der Willenserklärung und eine Neubewertung des Handelns unter fremdem Namen, insbesondere im elektronischen Geschäftsverkehr
Von
Daniel S. Huber
Duncker & Humblot · Berlin
DANIEL S. HUBER
Zurechnung von Dritthandeln im rechtsgeschäftlichen Bereich
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 547
Zurechnung von Dritthandeln im rechtsgeschäftlichen Bereich Zugleich eine Neuausrichtung der Willenserklärung und eine Neubewertung des Handelns unter fremdem Namen, insbesondere im elektronischen Geschäftsverkehr
Von
Daniel S. Huber
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
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Meiner Mutter und Uwe
Vorwort Diese Arbeit wurde im Frühjahr 2021 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München) als Dissertation angenommen. Sie ist größtenteils während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Akademischer Rat a. Z.) von Professor Dr. Johannes Hager am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medienrecht der Juristischen Fakultät der LMU München entstanden. Rechtsprechung und Literatur wurden bis einschließlich August 2020 berücksichtigt. Auf das Thema der Arbeit stieß ich bei der Erstellung der Hausarbeit für die Studierenden des vom Lehrstuhl betreuten Grundkurses Zivilrecht. Ausgangspunkt war die Entscheidung des BGH vom 11. Mai 2011 zur vertraglichen Haftung des Kontoinhabers bei unbefugter Nutzung seines eBay-Mitgliedskontos (VIII ZR 289/09), die mich aus dogmatischer Sicht nicht überzeugte. Ohne die Begleitung, Hilfe und Unterstützung durch viele tolle Menschen wäre diese Arbeit so nicht möglich gewesen, vielleicht sogar undenkbar. Diesen Menschen gebührt daher mein herzlicher Dank. An allererster Stelle danke ich meinem Doktorvater Professor Dr. Johannes Hager, der mich sowohl im Rahmen meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl als auch in seiner Rolle als Doktorvater forderte und förderte. Durch die vertrauensvolle Einbindung in seine Forschung und Lehre konnte ich meinen juristischen Verstand schärfen und mein Fachwissen weiter vertiefen. Mein Forschen unterstützte er vor allem durch Gewährung von großen Freiheiten beim wissenschaftlichen Arbeiten und von Raum am Lehrstuhl für rege Diskussionen, sowie durch den einen oder anderen fachlichen Rat. Ebenso bedanke ich mich bei Professor Dr. Helmut Köhler für die Erstellung des Zweitgutachtens. Viele ehemalige Kollegen und Kolleginnen am Lehrstuhl und an der Fakultät sowie weitere enge Weggefährten haben mich großartig unterstützt, indem sie meine wissenschaftlichen Ideen und Thesen herausgefordert und mit mir diskutiert oder meine Arbeit Korrektur gelesen haben. Ihnen allen bin ich hierfür sehr dankbar. Auf meinem langen und steinigen Weg war ich auch im Privaten nicht alleine. Von meiner Familie, meiner Freundin und meinen Freunden habe ich immer äußerst viel Zuspruch und unfassbar verständnisvolle und geduldsame
8 Vorwort
Unterstützung erfahren, gerade auch in den schwierigen Phasen. Sie haben daher einen bedeutenden Anteil an dieser Arbeit. Für ihre liebevolle Hilfe empfinde ich größte Dankbarkeit. Ganz besonders gilt dies für meine Mutter und für Uwe. Ihnen beiden widme ich daher diese Arbeit. München, im März 2022
Daniel Huber
Inhaltsverzeichnis A. Das Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Zurechnung von Dritthandeln im rechtsgeschäftlichen Bereich . . . . . . . . 21 II. Handeln unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Die rechtlichen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Die Friktionen bei der analogen Anwendung der §§ 164 ff. BGB . . . 27 a) Die Berücksichtigung von Formerfordernissen, höchstpersön lichen Rechtsgeschäften und eigenhändigem Handeln . . . . . . . . . 27 b) Die Rechtsscheinvollmachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Die einzelnen Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Zurechnung von Dritthandeln unter fremder Identität unter Anwesenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Abgrenzung von Handeln unter Anwesenden und unter Abwesenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Auftreten eines Bevollmächtigten unter fremdem Namen . . . . . . 30 c) Handeln unter fremdem Namen ohne Vertretungsmacht . . . . . . . 30 d) Handeln unter fremden Telekommunikationsanschlüssen . . . . . . . 32 2. Zurechnung von Dritthandeln unter fremder Identität unter Abwesenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Handeln unter fremdem Namen per Telegramm . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Handeln unter fremdem Namen im Briefverkehr . . . . . . . . . . . . . 34 c) Einschaltung einer Marionettenfigur durch den Namensträger . . 34 d) Handeln unter fremdem Namen unter Beteiligung von Vermittlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 e) Entnahme von Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme an einem Haus- oder Wohnungsanschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Abschluss von Versorgungsverträgen aufgrund von Real offerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Bestimmung des Adressaten einer Realofferte . . . . . . . . . . . 37 cc) Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Zurechnung von Dritthandeln unter fremder Identität im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Handeln unter einem fremden elektronischen Nutzerkonto . . . . . 40 aa) Analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Typischerweise Fremdgeschäft des Namensträgers . . . . . . . . 42 cc) Vorliegen von Rechtsscheinvollmachten . . . . . . . . . . . . . . . . 42
10 Inhaltsverzeichnis b) Registrierung unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Registrierung unter falschem Namen oder einem Pseudonym . . . 4. Zurechnung von verdecktem Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritik an der rechtlichen Einordung des Handelns unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die maßgebliche Sicht des Geschäftsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kriterien für die Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die analoge Anwendung der §§ 164 ff. beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung . . . . . . . . . . . a) Fehlende Offenkundigkeit als Anwendungssperre für die §§ 164 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wortlaut des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik des Stellvertretungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Telos des Offenkundigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Entstehungsgeschichte des Stellvertretungsrechts . . . . . . . . . . . . . f) Wahrung des Offenkundigkeitsprinzips bei der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts in sonstigen Konstella tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Keine Analogie bei fehlender Regelungslücke im Gesetz . . . . . . 3. Keine Anwendung der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht beim Handeln unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Rechtsschein einer Bevollmächtigung bei verdecktem Dritthandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irrelevanz von Dauer und Häufigkeit des Auftretens unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansatz einer eigenständigen Rechtsscheinhaftung nach den allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestimmung des Vertragspartners bei Versorgungsverträgen . . . . . . . a) Auslegung von Realofferten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Unerheblichkeit kurzfristiger geringfügiger Leistungs entnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zurechnung von Handlungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen . . . . . . . . . . . . . I. Die notwendigen Bedingungen für rechtsgeschäftliche Wirkungen als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Begründung von Verträgen durch Willenserklärungen . . . . . . . . a) Der Tatbestand der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Geschäftsfähigkeit als absolute Sperre zwecks situativen Schutzes der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis11 c) Der geheime Vorbehalt als Ausdruck des Verkehrsschutz gedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 d) Das Scheingeschäft als potentieller Beleg für ein dominantes Willensdogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 e) Die Nichtigkeit der Scherzerklärung als Hinweis auf eine allgemeingültige Wertentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 f) Die nicht angefochtene irrtumsbehaftete Willenserklärung als möglicher Kerngedanke vertraglicher Bindungen ohne Willensentsprechung qua Risikohaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 g) Die Abgabe der Willenserklärung und die Zurechnung ihres Abhandenkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 h) Der Zugang der Willenserklärung als Abgrenzung von Risikosphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Die Unterscheidung von Erfüllung, Erfüllungsschaden und Vertrauensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Die grundsätzliche Grenzziehung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Erfüllung und Erfüllungsschaden (positives Interesse) . . . . . . . . . 72 aa) Vertrag und Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Stellvertretung samt Duldungs- und Anscheinsvollmacht . . . 72 c) Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse) . . . . . . . . . . 74 d) Die Charakteristika von Erfüllung und Vertrauensschaden . . . . . 75 aa) Positive Haftung aufgrund von Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Reduktion der Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . 77 cc) Beständige positive Haftung aufgrund von Verschulden . . . . 78 III. Die Rechtsschein- und Vertrauenshaftungals Gegenpole zur klassischen Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Erfüllungsverpflichtungen außerhalb der klassischen Rechts geschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. §§ 170–173 BGB als gesetzlich normierte Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer (Schein-)Willenserklärung . . . . . . . . 80 3. Die Voraussetzungen und Wirkungen der Anscheinsvollmacht . . . . . 81 4. Die Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 C. Der Wille als bloße Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Privatautonomes Handeln ohne Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der privatautonome Begriff der Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formelle Autonomie des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Willensfreiheit gegenüber dem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Willensfreiheit gegenüber Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materielle Autonomie des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Schutz materieller Willensfreiheit in der Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12 Inhaltsverzeichnis b) Die Unerheblichkeit von materieller Willensfreiheit für die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fiktion des rechtsgeschäftlichen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des Willensziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Fiktion des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitliche Fiktion des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zurechnung durch Fiktion des Willens und Zurechnungsalternativen . . . IV. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Der Rahmen der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Privatautonomie im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Privatautonomie im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Die verfassungsrechtliche Dimension der Privatautonomie . . . . . 102 aa) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Ausgangspunkt . 102 bb) Die Grenzen der individuellen Privatautonomie . . . . . . . . . . 103 cc) Die Schutzpflicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 dd) Der verfassungsrechtliche Rahmen der privaten Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Verkehrs- und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Verkehrsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Das Verhältnis von Privatautonomie und Verkehrs- und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Ein historischer Abriss der privatrechtlichen Privatautonomie . . . . . . . . 109 1. Willenserklärungen und Vertragsschlüsse in der römischen Antike . . 109 2. Die Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts und das Allgemeine Preußische Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Hugo Grotius verbindliches Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Verkehrsschutz als Bestandteil der Willenserklärung . . . . . . . . . . 111 3. Die Entwicklung des Willensdogmas und der Erklärungstheorie im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Die Entstehungsgeschichte des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB . . . . . . . . . . . 114 1. Interpretationsspielraum aufgrund fehlender Legaldefinition der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Willens- und Erklärungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Geltungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Weitere (normative) Theorien zur Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . 117 a) Die normative Theorie von Manigk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Die normative Theorie von Hefermehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Die normative Theorie von Pawlowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Inhaltsverzeichnis13 5. Kombinatorische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Diskussionsfeld des subjektiven Tatbestandes . . . . . . . . . . . . b) Die Erforderlichkeit des Geschäftswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Erklärungsbewusstsein als Gretchenfrage . . . . . . . . . . . . bb) Erklärungsbewusstsein als notweniger Bestandteil des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung . . . . . . . . . cc) Verzicht auf das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung . . . . . . . . . . dd) Die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . (1) Die Zurechenbarkeit aufgrund von Erklärungs fahrlässigkeit im frühen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die frühe Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) BGHZ 91, 324 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kritik an der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit . . . . . . (1) Kritik aus beiden Lagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Legitimation für eine Erfüllungshaftung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein aufgrund einer Risikozurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Wertungswiderspruch zur culpa in contrahendo . . . . . . . (4) Systemwidrigkeit der Erfüllungshaftung bei bloßer Erklärungsfahrlässigkeit sowie Kompetenzwidrigkeit . . (5) Kein Wahlrecht der Anfechtung bei § 118 BGB aus anderem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Unbilligkeit der Lehre wegen faktisch gesperrter Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Inkonsequenz der Lehre wegen Ersetzung des fehlenden Erklärungsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Fehlen eines eigenen argumentativen Fundaments der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . d) Der Verzicht (sogar) auf den Handlungswillen . . . . . . . . . . . . . . . e) Willenserklärung ohne Handlung (automatisierte Willens erklärungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Willenserklärung im System der Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . a) Der gesetzliche Begriff der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Immanenter Verkehrs- und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weiter Begriffskern der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Gegensatz von Wille und Erklärungbei der Auslegung von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortsetzung der Diskussion bei der Auslegung der Willens erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung von Willenserklärungen durch Auslegung . . . . . . . . b) Auslegung eindeutiger Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 119 120 120 120 121 123 125 125 126 128 129 129 130 131 131 132 133 133 134 136 138 141 141 142 143 143 143 144 144 145
14 Inhaltsverzeichnis 3. Verhältnis von § 133 und § 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis nach gegenwärtiger Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen § 133 und § 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) §§ 133, 157 BGB als rein deskriptive Vorschriften . . . . . . . . . . . 4. Vorgang der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Normativer Standpunkt des objektiven Erklärungsadressaten . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung des Empfängerkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die weitere Bestimmung des Empfängerhorizonts . . . . . . . . . . . . 6. Falsa demonstratio non nocet – falsa est? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Für die falsa demonstratio angeführte Argumente . . . . . . . . . . . . c) Kritik an der herrschenden Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Grundlage im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ungerechtfertigte Vernachlässigung von Drittinteressen . . . . d) Keine Notwendigkeit der falsa demonstratio . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interessengerechte Ergebnisse durch alternativen Ansatz . . . bb) Falsa demonstratio non nocet als typische Folge konsequenter Anwendung gesetzlicher Auslegungsregeln . . . . . . . cc) Stillschweigende Änderung des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts durch Annahme als Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Geltung des objektiv-normativ Erklärten . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . I. Der Begriff der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Zurechnungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtlicher Zurechnungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zurechnung im Sinne von Verantwortung oder Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatsächliche, normative und Zurechnung qua Gesetz . . . . . . . . . . c) Zurechnung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zurechnung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verschiedene Arten gesetzlich geregelter Zurechnungs gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Willenserklärung als Zurechnungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Stellvertretungsrecht als paradigmatischer Ausgangspunkt für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen . . . . . . . . . 3. Zurechnung durch Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zurechnung durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kausalität (Verursachung, Veranlassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146 146 148 150 150 151 151 151 153 154 154 156 156 156 157 159 159 159 160 161 161 163 163 163 163 163 165 166 167 169 169 169 172 172 174 175 176
Inhaltsverzeichnis15 7. Das Risikoprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Risiko und Risikosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Der Risikobegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Dogmengeschichtlicher Hintergrund des Risikoprinzips . . . . 179 cc) Vom Risiko zur Risikosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Das Risikoprinzip in seinen verschiedenen Ausprägungen . . . . . 181 aa) Abstrakte oder konkrete Beherrschbarkeit einer Risikosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Tatsächliche Beherrschung einer Risikosphäre . . . . . . . . . . . 183 cc) Setzen oder Erhöhen eines Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 dd) Einsatz von Erklärungen aufgrund von automatisierten Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Geltungsgrund für eine Haftung nach Risikosphären . . . . . . . . . . 186 aa) Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Ausgangspunkt einer Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (2) Relative oder absolute Bestimmung von Risikosphären . 187 (3) Bedeutsamkeit der Unterscheidung von Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Wirtschaftlicher Vorteil der Eingehung eines Risikos . . . . . . 189 cc) Selbstverantwortung als Legitimationsgrund . . . . . . . . . . . . . 190 d) Erfordernis von Risikobewusstsein oder Erkennbarkeit des Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Erfordernis eines subjektiven Risikoelements . . . . . . . . . . . . 190 bb) Risikobewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) Erkennbarkeit des Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 e) Zivilrechtliche Haftung nach Risikosphären im Gesetz . . . . . . . . 194 aa) Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Haftung für Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen . . . . . . . . 196 cc) Zivilrechtliche Risikozurechnung im Übrigen . . . . . . . . . . . . 197 f) Risiko als Zurechnungsprinzip in der Rechtsgeschäftslehre . . . . . 198 aa) Zurechnung der Verpflichtung zur Erfüllung anstatt zum bloßen Ersatz von Vertrauensschäden aufgrund der Verantwortlichkeit für ein Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) § 116 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) § 117 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 dd) § 118 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 ee) § 119 BGB (mit §§ 121, 143 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 ff) § 120 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 gg) § 122 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 hh) § 130 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 ii) §§ 170–173 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Dogmatische Einordnung der §§ 170–173 BGB . . . . . . . 212 (2) Risikoverteilung gemäß §§ 170–173 BGB . . . . . . . . . . . 214 jj) § 179 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
16 Inhaltsverzeichnis 8. Verschulden (subjektive Vorwerfbarkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschulden als Zurechnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterformen des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorsatz in Abgrenzung zum rechtsgeschäftlichen Willen . . . bb) Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung von Fahrlässigkeit und Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verschulden als Zurechnungsprinzip in der Rechtsgeschäfts lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fahrlässiges Verhalten als Auslöser von Erfüllungs verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ursprung der Idee vom Verschulden als Zurechnungs prinzip der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Argumente für Verschulden als Zurechnungsprinzip . . . . . . . dd) Kritik am Verschulden als Mindestvoraussetzung für die Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsunsicherheit aufgrund von Unschärfe . . . . . . . . . . (2) Wertungswiderspruch wegen Möglichkeit zur Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anwendung der §§ 104 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kein Verstoß gegen Verhaltenspflicht zu richtiger Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Fehlender Gesetzesnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der rechtsgeschäftliche Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die finale Willenserklärung (samt Geschäftswillen) . . . . . . . . . . . b) Erklärungsbewusstsein und die normativ zugerechnete Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handlungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Handlungswille alleine genügt nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bloßer Handlungswille genügt bei Anwendung des Risikoprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzlich fingierte Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zurechnung aufgrund von Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Fälle der Rechtsscheinhaftung mit Erfüllungs verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Außergesetzliche Rechtsscheinhaftung in Form der Rechtsscheinvollmachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zurechnung aufgrund der Inanspruchnahme von Vertrauen (Vertrauenshaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218 218 219 219 221 222 223 224 224 225 226 228 228 229 229 230 230 231 231 231 232 232 233 234 235 235 236 239 241
Inhaltsverzeichnis17 F. Zurechnung von Willenserklärungen aufgrund rechtsgeschäftlichen Willens, Verschuldens und der Zuordnung zur Risikosphäre . . . . . . . . . . I. Die Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen im Zweipersonen verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand rechtsgeschäftlicher Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prinzip rechtsgeschäftlicher Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Positive und negative Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Minimaltatbestand der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriterien zur Bestimmung der Risikosphäre bei der Zurechnung als Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abstrakte Kriterien für die Zuordnung zu Risikosphären . . . . . . . . . 2. Konkrete Bestimmung für die Zuordnung zu Risikosphären . . . . . . . a) Konkretisierung durch Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unter Anwesenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unter Abwesenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Minimaltatbestand der Willenserklärung im dogmatischen System der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirksamwerden von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abhandengekommene Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugang (§ 130 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mentalreservation (§ 116 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Scheingeschäft (§ 117 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Scherzerklärung (§ 118 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anfechtung wegen Irrtums (§§ 119, 120 BGB) . . . . . . . . . . . . . . aa) § 119 Abs. 1, Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 120 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schadensersatz infolge Anfechtung (§ 122 BGB) . . . . . . . . . . . . . f) Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB) . . . . aa) Arglistige Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Täuschung und Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Täuschung über die Person des Vertragspartners . . . . . . bb) Widerrechtliche Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Stellvertretungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Konsequenzen für die Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darzulegende Tatsachen beim Minimaltatbestand . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast beim Minimal tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beweiserleichterungen durch Anscheinsbeweise . . . . . . . . . . . . . . . .
243 243 243 244 245 245 245 245 246 246 246 247 249 249 250 250 250 251 251 252 252 252 252 253 253 254 255 255 255 255 256 256 257 258 259 259 259 260
18 Inhaltsverzeichnis VI. Echte Willenserklärung statt bloße Rechtsscheinwirkung . . . . . . . . . . . . 1. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Disponibilität der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkung zu Lasten des Zurechnungsadressaten . . . . . . . . . . . . . . VII. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261 261 262 262 263 263 264
G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dritthandelnals Willenserklärung des Zurechnungsadressaten . . . . . . . . II. Unterscheidung offenen und verdeckten Dritthandelns durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zurechnung von verdecktem Dritthandeln durch den Minimal tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Zurechnungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handeln unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kein Wertungswiderspruch zu den Vorschriften des Stellvertretungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Wertungen der §§ 164 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Willensmängel und Wissenszurechnung (§ 166 BGB) . . . . . . . . . . . . a) § 166 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) §§ 116–118 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) §§ 119, 120 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) § 123 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 166 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsschluss ohne Vertretungsmacht (§ 177 BGB) . . . . . . . . . . . . 4. Haftung des falsus procurator (§ 179 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265 265
H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge . . . . . . I. Denkbare Zurechnungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dritthandlungen bei bestehenden Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Zurechnung durch § 278 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurechnung durch Vertrag oder per Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zurechnung qua vertraglicher Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Daseinsvorsorge am Beispiel der Stromlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Elektronischer Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragliche Zurechnungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kernbestandteile des elektronischen Zahlungsverkehrs . . . . . . . . III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 278 278 278 279 280 280 281 283 284 285 288
265 266 266 267 268 268 268 268 268 268 270 271 272 273 274 274 276
Inhaltsverzeichnis19 1. Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Spezialgesetzlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2. Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Spezialgesetzlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 aa) Gleichsetzung von Zurechnung und Vertretenmüssen des Teilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 bb) Zurechnung auch zum Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 cc) Zurechnung nach Verantwortungssphären . . . . . . . . . . . . . . . 293 dd) Zur Zurechnung führende Sorgfaltswidrigkeiten im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (1) Sorgfaltswidrigkeit des Anschlussinhabers . . . . . . . . . . . 294 (2) Keine Sorgfaltswidrigkeit des Anschlussinhabers . . . . . . 296 c) Kritik an der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 aa) Zurechnung ungleich Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 bb) Widersprüchlichkeit der Zurechnung zum Vertragsschluss . . 298 (1) Sonderdogmatik der Rechtsgeschäftslehre? . . . . . . . . . . 298 (2) § 45i Abs. 4 S. 1 TKG als reine Abrechnungsvorschrift . 298 cc) Risiko statt Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 dd) Keine Zurechnung gemäß § 278 S. 1 BGB analog . . . . . . . . 301 ee) Fehlende Systematik der Einzelfallentscheidungen . . . . . . . . 303 3. Elektronischer Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Spezialgesetzlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Nachweis und Anscheinsbeweis für Autorisierung eines Zahlungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 bb) Anscheinsbeweis für eine Pflichtverletzung des Bank kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 cc) Zurechnung von Handlungen Dritter aufgrund der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 IV. Zurechnung durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre . . . . . . . . . . . . 309 1. Risiko als maßgebliches Prinzip in Verträgen, im Gesetz und in der Rechtsprechung für die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen . . . . . . . . 309 a) Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 aa) Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 bb) Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 cc) Elektronischer Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Gesetz und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 cc) Elektronischer Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 c) Zuordnung zur Verantwortungssphäre als Leitprinzip . . . . . . . . . 313
20 Inhaltsverzeichnis 2. Subsidiäre Zurechnung von Leistungsabrufen durch Dritte im Rahmen bestehender Verträge gemäß Zuordnung zur Verantwortungssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kommentare und Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lehrbücher, Monographien, Dissertationen und Habilitationen . . . . . . . . III. Aufsätze und Einzeldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
323 323 325 331
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
A. Das Rechtsproblem I. Zurechnung von Dritthandeln im rechtsgeschäftlichen Bereich Das Gesetz knüpft den Eintritt von Rechtsfolgen in vielen Konstellationen zumindest vordergründig an unmittelbare tatbestandsmäßige Handlungen von natürlichen Personen. Bei § 823 Abs. 1 BGB ist dies die Handlung des Täters, bei den §§ 116 ff. BGB die Kundgabe des Willens des Erklärenden. Handlungen von Dritten entfalten in der Regel nur dann rechtliche Wirkungen für und gegen eine Person, wenn eine gesetzliche Vorschrift deren Zurechnung zu dieser Person anordnet. Beispiele solcher Zurechnungsnormen sind etwa § 164 Abs. 1 S. 1 BGB für die Zurechnung der Willenserklärung eines Stellvertreters zum Vertretenen und § 278 S. 1 BGB für die Zurechnung des Verschuldens eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen zum Schuldner innerhalb von dessen Pflichtenkreis. Allgemeiner gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Zurechnung von Dritthandlungen (auch Dritthandeln; drittbezogenem Handeln) im rechtsgeschäftlichen Bereich sind wegen ihrer Struktur naturgemäß die Regelungen des Stellvertretungsrechts. Gibt eine Person (der Vertreter) eine Willenserklärung im Namen einer anderen Person (des Vertretenen) ab, entscheidet sich die rechtliche Wirksamkeit dieses Handelns für und gegen die Person des Vertretenen – unabhängig vom Vorliegen einer gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht oder einer Rechtsscheinvollmacht, wie die §§ 170–173 BGB zeigen – nach den §§ 164 ff. BGB. Während das Gesetz somit die Zurechnung offenen Dritthandelns ausdrücklich regelt, fehlt es an einer gesetzlichen Regelung der Zurechnung von verdecktem, für den jeweiligen Geschäftsgegner also nicht sichtbarem Dritthandeln. Denn handelt eine Person nicht im, sondern bloß unter dem Namen einer anderen Person, gibt sich der Handelnde somit als der (andere) Namensträger aus, findet § 164 Abs. 1 S. 1 BGB seinem Wortlaut nach keine Anwendung. Ebenso erfasst kein anderes gesetzliches Regelungsregime diese Konstellation, so dass die herrschende Meinung in diesen Fällen für eine analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB plädiert, jedenfalls wenn aus Sicht des Geschäftsgegners eine Willenserklärung des Namensträgers vorliegt.1 Eine solche Analogie stößt jedoch schnell an rechtliche Grenzen und wirft eine Reihe von Fragen auf, 1 Siehe
dazu ausführlich unter A.II.
22
A. Das Rechtsproblem
insbesondere im Zusammenspiel mit der Rechtsscheinhaftung.2 Umgekehrt liegt bei der mittelbaren Stellvertretung und beim Handeln für den, den es angeht, zwar ebenso ein Handeln für fremde Rechnung, aber in und unter eigenem Namen vor. Solche verdeckten Dritthandlungen bereiten dem Geschäftsgegner aber keine größeren Schwierigkeiten, weil er sich – im Unterschied zur Situation beim Handeln unter fremdem Namen – grundsätzlich nur mit einer Person auseinandersetzen muss. Geht es nicht um den Austausch von Willenserklärungen zwecks Abschlusses eines Vertrages, sondern besteht zwischen zwei Parteien bereits eine vertragliche Bindung in Form eines Dauerschuldverhältnisses, etwa eines Energieversorgungsvertrages, kann verdecktes Dritthandeln auf der Seite der e inen Partei bei der anderen Partei den Eindruck erwecken, diese Partei würde selbst handeln, etwa wenn vertragliche Leistungen – wie beispielsweise Strom aus der Steckdose – entnommen werden. Zumindest faktisch wird ein solcher Leistungsabruf dann regelmäßig dem Vertragspartner zugerechnet, also diesem in Rechnung gestellt. Nach welchen dogmatischen Regeln und unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen eine solche Zurechnung auch recht liche Wirkungen entfaltet, ist jedoch weitgehend ungeklärt, und daher ebenso Gegenstand dieser Arbeit.3
II. Handeln unter fremdem Namen 1. Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdgeschäft Handelt eine Person unter dem Namen respektive der Identität einer anderen Person, ist nach heutigem Verständnis im Wege der Auslegung zu untersuchen, ob die rechtlichen Wirkungen des Handelns den Handelnden oder den Namens- oder Identitätsträger treffen sollen.4 Auch mangels Schutz würdigkeit des Handelnden, aber insbesondere nach den allgemeinen Ausle-
2 Zur
Rechtsscheinhaftung siehe unter A.II.3.b). Zurechnung innerhalb von bestehenden Rahmenvertragsbeziehungen siehe ausführlicher unter A.III.4. 4 BGH, Urt. v. 8.12.2005 – III ZR 99/05 Rn. 11 f. (juris) = NJW-RR 2006, 701 (702); Urt. v. 18.1.1988 – II ZR 304/86 Rn. 21 (juris) = NJW-RR 1988, 814 (815); Urt. v. 3.3.1966 – II ZR 18/64 Rn. 9 (juris) = BGHZ 45, 193 (195); MüKoBGB/ Schubert, § 164 Rn. 137; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Bork, BGB AT, Rn. 1406; Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 779); zumindest angedeutet von Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 52 ff. spricht missverständlich vom entscheidenden Interesse des Geschäftsgegners; schon früher Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (222 f.); anders etwa noch Larenz, in: FS Lehmann, S. 234 (250, 252), der stets ein Eigengeschäft des Erklärenden annimmt; siehe weiter auch unter A.IV.1. 3 Zur
II. Handeln unter fremdem Namen23
gungsregeln sei dabei nicht die Vorstellung des Handelnden maßgeblich,5 sondern diejenige des Geschäftsgegners.6 Liegt aus dessen objektiv-normativer Empfängersicht unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte gemäß §§ 133, 157 BGB ein Eigengeschäft des Handelnden vor, will der Geschäftsgegner also mit der Person des Handelnden kontrahieren, treten die Rechtsfolgen des Handelns in der Person des Handelnden ein (Fall der sog. Namenstäuschung).7 Dies sei typischerweise der Fall, wenn der Geschäftsgegner mit dem Namen keine besondere Vorstellung einer bestimmten Person oder Identität verbinde, etwa bei häufig vorkommenden Allerweltsnamen, bei frei erfundenen (Phantasie-)Namen,8 oder wenn der Name und die Identität der anderen Person nach der Natur des Rechtsgeschäfts für dessen Abschluss und Durchführung keinerlei Rolle spiele.9 Letzteres gelte insbesondere bei alltäglichen Geschäften unter Anwesenden, bei denen die geschuldeten Leistungen sofort ausgetauscht werden, wie bei Hotelbuchungen, Tischreservierungen im Restaurant oder Taxibestellungen,10 bei denen vielmehr die physische Präsenz des Handelnden und dessen persönliches Auftreten maßgeblich seien.11 Generell dürfte bei Rechtsgeschäften unter Anwesenden häufig die bloße physische Präsenz des Handelnden dazu 5 BGH, Urt. v. 3.3.1966 – II ZR 18/64 Rn. 9 (juris) = BGHZ 45, 193 (195); MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 137, 142; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 25. 6 OLG Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 211/14 Rn. 52 (juris); MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 137; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90. 7 Siehe nur BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 7 (juris) = NJW 2013, 1946; Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 10 (juris) = BGHZ 189, 346 (349 f.); Urt. v. 8.12.2005 – III ZR 99/05 Rn. 12 (juris) = NJW-RR 2006, 701 (702); Urt. v. 18.1.1988 – II ZR 304/86 Rn. 21 (juris) = NJW-RR 1988, 814 (815); RG, Urt. v. 15.3.1919 – V 242/18 = RGZ 95, 188 (190); BeckOK BGB/Schäfer, § 164 Rn. 33; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 164 Rn. 11; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 138; Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 12; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 24; Bork, BGB AT, Rn. 1407; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 14; Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 776, 779); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 907; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 53; Geusen, Handeln unter fremdem Namen, S. 31, 50 f., 72; Mock, JuS 2008, 309 (312); Petersen, Jura 2010, 187 (189). 8 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 138; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 907; im Ergebnis wohl ebenso Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 50. 9 Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 12; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 24; Staudinger/ Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 88, 92; Bork, BGB AT, Rn. 1407; Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 776, 779); Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 53. 10 BeckOK BGB/Schäfer, § 164 Rn. 33; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 138; Wertenbruch, BGB AT, § 28 Rn. 14. 11 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 137; siehe zudem Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 779); grundsätzlich in diese Richtung bereits Mock, JuS 2008, 309 (312), wenn auch weiter nach der Dauer des Schuldverhältnisses differenzierend.
24
A. Das Rechtsproblem
führen, dass der Geschäftsgegner aufgrund des unmittelbaren Eindrucks von der Person und der Erscheinung des Handelnden mit diesem statt mit dem Namensträger kontrahieren will,12 jedenfalls wenn der Namensträger keine spezifische, für den Geschäftsgegner im Hinblick auf das Rechtsgeschäft besonders relevante Eigenschaft verkörpert, etwa eine bereits erwiesene Kreditwürdigkeit.13 Dies gilt wiederum nicht, wenn sich die besondere Eigenschaft gerade durch den unmittelbaren Eindruck der Person offenbart.14 Aber auch bei rechtsgeschäftlichem Kontakt unter Abwesenden, wie bei einem Spielvertrag i. S. d. § 762 BGB15, bei Lotto- oder Totoscheinen16 sowie bei Gewinnzusagen i. S. v. § 661a BGB17 macht sich die Gegenseite keine besondere Vorstellung von der Identität des anderen, so dass die Rechtsfolgen für gewöhnlich in der Person des Handelnden eintreten. Liegt aus Sicht des Geschäftsgegners indes ein Rechtsgeschäft des Namens- respektive Identitätsträgers vor, verbindet der Geschäftsgegner also mit dem Namen bzw. Identität eine bestimmte Vorstellung, sollen die §§ 164 ff. BGB analoge Anwendung finden (Fall der sog. Identitätstäuschung).18 Das Dritthandeln sei dem Namens- bzw. Identitätsträger demnach dann zuzurechnen, wenn zum Zeitpunkt des Handelns Vertretungsmacht besteht oder der Namens- bzw. Identitätsträger das Handeln gemäß § 177 Abs. 1 BGB
12 Weber, JA 1996, 426 (429, 431) spricht von „sinnlicher Demonstration“, die Nennung des Namens sei bloß eine „Höflichkeitsfloskel“; so früher bereits Giegerich, NJW 1986, 1975; Letzgus, AcP 137 (1933), 327 (329); in diese Richtung ebenso das OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.3.2012 – 9 U 143/10 Rn. 24 ff. (juris) = DAR 2012, 514 (515 f.); siehe auch Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 56 f.; Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (226 f., 229, 230). 13 Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 57 ff.; siehe dazu zudem bereits Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (226 ff.). 14 Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 59 f., 64 ff., man denke etwa an die Verpflichtung eines Profifußballspielers durch einen Fußballverein auf Grundlage eines ausgiebigen Probetrainings. 15 BeckOK BGB/Schäfer, § 164 Rn. 33; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 139; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 24; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 92. 16 BeckOK BGB/Schäfer, § 164 Rn. 33; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 140. 17 BGH, Urt. v. 7.10.2004 – III ZR 158/04 Rn. 20 (juris) = NJW 2004, 3555 (3556); MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 141. 18 BGH, Urt. v. 8.12.2005 – III ZR 99/05 Rn. 11 (juris) = NJW-RR 2006, 701 (702); Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 7 (juris) = NJW 2013, 1946; MüKoBGB/ Schubert, § 164 Rn. 142; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 23, 25; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Bork, BGB AT, Rn. 1410; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 908; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 55; anders hingegen etwa Brehmer, Wille und Erklärung, S. 260 f., der die stellvertretungsrechtlichen Regelungen bloß im Falle der Nicht-Zuordnung der handelnden Person zum Organisations- und Verantwortungsbereich der als erklärend erscheinenden Person anwendet.
II. Handeln unter fremdem Namen25
analog genehmigt.19 Dies soll sowohl bei drittbezogenem Handeln unter Anwesenden als auch unter Abwesenden gelten.20 Häufig betrifft dies indes Rechtsgeschäfte unter Abwesenden sowie solche Geschäfte, bei denen der Geschäftsgegner mit dem Namen oder sonstigen Identitätszeichen eine besondere Vorstellung verbindet, auf einen Vertragsschluss gerade mit dem Namensinhaber besonderen Wert legt oder der Name das einzige Identifikationsmerkmal im Rechtsverkehr ist, und dem Geschäftsgegner wegen des Bedürfnisses der späteren Zuordenbarkeit die Person seines Vertragspartners nicht gleichgültig ist.21 Letzteres trifft vor allem auf den nutzerkontenbasierten elektronischen Geschäftsverkehr zu.22 Dabei ist die allgemeine Annahme eines Vertragsschlusses mit dem Inhaber des betreffenden Telefon- oder Internetanschlusses zweifelhaft, weil solche Anschlüsse nicht selten von unbestimmt vielen Personen genutzt werden und der Geschäftsgegner daher regelmäßig nicht zwingend von einer Nutzung durch den Anschlussinhaber ausgehen kann.23 Ergibt die Auslegung nicht eindeutig, ob ein Eigengeschäft des Handelnden oder ein Fremdgeschäft des Namensträgers vorliegt, soll im Zweifel Letzteres anzunehmen sein.24 2. Die rechtlichen Folgen Früher hielt man Willenserklärungen, die unter fremdem Namen abgegeben wurden, wegen Perplexität generell für nichtig.25 In dieser Pauschalität 19 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 143; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 25; Staudinger/ Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Bork, BGB AT, Rn. 1410; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 15; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 908; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 55. 20 Soergel/Leptien, § 164 Rn. 25; siehe zudem die entsprechenden Beispiele bei Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 56. 21 Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 164 Rn. 14; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 144; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 25; Wertenbruch, BGB AT, § 28 Rn. 15; Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (229). 22 BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 12 (juris) = BGHZ 189, 346 (351); MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 144; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 56; Wertenbruch, BGB AT, § 28 Rn. 15. 23 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 144; das Problem nicht gesehen bei seinen Beispielen hat wohl Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 56; jedenfalls unscharf bei MüKoBGB/ Schubert, § 164 Rn. 144. 24 Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Pawlowski, BGB AT, Rn. 712. 25 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 136; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 89; Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 779); Lieb, JuS 1967, 106 (108 f.); siehe zu den früher verschiedentlich vertretenen Auffassungen die Darstellungen bei
26
A. Das Rechtsproblem
war und ist dies jedoch nicht richtig. Perplexität und daher Nichtigkeit besteht nur dann, wenn der Geschäftsgegner einen zweiseitigen Vertrag zugleich sowohl mit dem Handelnden als auch mit dem Namensträger abschließen will.26 In einem solchen Fall hafte der Handelnde aus § 179 Abs. 1 BGB analog.27 Nach heute herrschender Meinung sollen die §§ 164 ff. BGB beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung analog angewendet werden,28 da dies dem Schutzbedürfnis des Geschäftsgegners und des potentiell Vertretenen entspreche, dem – wenn nicht sowieso eine Vollmacht nach § 167 Abs. 1 BGB vorliegt – die freie Entscheidung über die Genehmigung nach § 177 Abs. 1 BGB analog verbleibe.29 Der Wille des Handelnden, das Geschäft für sich selbst abzuschließen, finde keine Beachtung und hindere die analoge Anwendung des Stellvertretungsrechts daher nicht.30 Verfügt der Handelnde somit über gesetzliche oder rechtsgeschäft liche Vertretungsmacht, wirke sein Handeln nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 6 ff. und bei Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen, S. 7 ff., der sich selbst klar gegen die Nichtigkeit ausspricht (S. 50, 51); ebenso Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 45 ff., 120; Letzgus, AcP 137 (1933), 327 (328); hiergegen kritisch Geusen, Handeln unter fremdem Namen, S. 31 ff.; siehe zudem die Darstellung bei Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 ff. und Weber, JA 1996, 426 (427 f.). 26 Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 779); siehe auch Soergel/Link/Löffler, NJOZ 2013, 1321 (1322); Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 60 ff. 27 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 143; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; wohl für eine unmittelbare Anwendung von § 179 Abs. 1 BGB Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 779). 28 BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 7 (juris) = NJW 2013, 1946; Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 12 (juris) = BGHZ 189, 346 (351); Urt. v. 7.6.1990 – III ZR 155/89 Rn. 20 (juris) = BGHZ 111, 334 (338); Urt. v. 3.3.1966 – II ZR 18/64 Rn. 9 (juris) = BGHZ 45, 193 (195 f.); BeckOK BGB/Schäfer, § 164 Rn. 34; Jauernig, § 177 Rn. 8; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 142; Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 10; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 23; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Bork, BGB AT, Rn. 1410; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 15; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Leipold, BGB AT, § 22 Rn. 16; Medicus/ Petersen, BGB AT, Rn. 908; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 55; Pawlowski, BGB AT, Rn. 708 f.; Wertenbruch, BGB AT, § 28 Rn. 13; Geusen, Handeln unter fremdem Namen, S. 69 f.; Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 65 ff.; wohl für eine unmittelbare Anwendung der §§ 164 ff.: Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (231 ff.). 29 Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90. 30 BGH, Urt. v. 8.12.2005 – III ZR 99/05 Rn. 11 f. (juris) = NJW-RR 2006, 701 (702); Urt. v. 3.3.1966 – II ZR 18/64 (juris) = BGHZ 45, 193 (195 f.); Erman/MaierReimer/Finkenauer, BGB, § 164 Rn. 12; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 41; Soergel/ Leptien, § 164 Rn. 25; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 91; Mock, JuS 2008, 309 (313); Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (229); Weber, JA 1996, 426 (428).
II. Handeln unter fremdem Namen27
analog für und gegen den Namensträger.31 Dies soll jedoch nicht bei einseitigen Rechtsgeschäften i. S. d. § 174 S. 1 BGB gelten.32 3. Die Friktionen bei der analogen Anwendung der §§ 164 ff. BGB a) Die Berücksichtigung von Formerfordernissen, höchstpersönlichen Rechtsgeschäften und eigenhändigem Handeln Eine Willenserklärung soll beim Handeln unter fremdem Namen im Falle der Identitätstäuschung grundsätzlich auch dann in analoger Anwendung der §§ 164 ff. BGB dem Namensträger zurechenbar sein, wenn für die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ein Formerfordernis besteht.33 Dies soll jedoch nicht bei gerichtlichen und notariellen Beurkundungen gelten, da §§ 9, 10 BeurkG vorsehe, dass die zur Verhandlung erschienenen Personen richtig und genau bezeichnet werden.34 Zudem sollen die Stellvertretungsregeln bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften wie der Eheschließung (§ 1311 BGB) oder der Errichtung eines Testaments (§ 2247 Abs. 1 BGB) in den Fällen der Identitätstäuschung genauso wenig (analog) anwendbar sein, wie sie unmittelbare Anwendung fänden, also zur Aufhebbarkeit einer auf diese Weise eingegangenen Ehe (§ 1314 Abs. 1 BGB) respektive zur Unwirksamkeit eines so entstandenen Testaments (§ 125 S. 1 BGB) führen.35 In sonstigen Konstellationen soll das dem Namensträger nach §§ 164 ff. BGB zurechenbare Handeln unter fremdem Namen nicht formwidrig sein und damit nicht zu einer Nichtigkeit wegen Formmangels gemäß § 125 BGB führen.36 Indes ist die Einhaltung der – je nach Formvorschrift einschlägigen – Formzwecke, namentlich ggf. der Warn-, Beratungs- und Belehrungs-, Klarstellungs-, Be31 Bork, BGB AT, Rn. 1410; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 15; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23. 32 Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 90; Köhler, in: FS Schippel, S. 209 (212 f.). 33 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 145; zumindest hinsichtlich der Schriftform siehe Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 89; Bork, BGB AT, Rn. 1413; siehe bereits Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (230 f.). 34 Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 164 Rn. 13; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 146; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 25; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 89; Bork, BGB AT, Rn. 1413; Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 780); siehe zudem Weber, JA 1996, 426 (431). 35 Zur Eheschließung Letzgus, AcP 137 (1933), 327 (334); siehe auch Geusen, Handeln unter fremdem Namen, S. 71 ff.; siehe dazu weiter unter F.IV.4. 36 BGH, Urt. v. 3.3.1966 – II ZR 18/64 Rn. 9 (juris) = BGHZ 45, 193 (195 f.); MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 145; Bork, BGB AT, Rn. 1413; insoweit bereits zweifelnd Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen, S. 28; a. A. Köhler, BGB AT, § 12 Rn. 8; ders., in: FS Schippel, S. 209 (212 ff.).
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A. Das Rechtsproblem
weis- und Dokumentationsfunktion37 jedenfalls dann zweifelhaft, wenn das Handeln unter fremdem Namen nicht aufgrund einer Vollmacht nach § 167 BGB (analog) oder einer Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB (analog) zugerechnet wird, also ausgelöst durch bewusstes Verhalten des Namensträgers, sondern – im Rahmen der Rechtsscheinhaftung in Form der Anscheinsvollmacht – aufgrund dessen fahrlässigen Verhaltens. Denn in diesen Kon stellationen werden die Formzwecke dem Namensträger nicht in persona zuteil und laufen daher ins Leere. b) Die Rechtsscheinvollmachten Wendet man die Vorschriften des Stellvertretungsrechts beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung analog an, müsste dies konsequenterweise auch für die gesetzlichen Rechtsscheinvollmachten der §§ 170–173 BGB gelten. Jedoch liegt darin ein kaum auflösbarer Widerspruch. Die gesetzlichen Rechtsscheinvollmachten setzen voraus, dass dem Geschäftsgegner die bestehende Vollmacht des Handelnden, im Namen des Vollmachtgebers zu agieren, angezeigt wird. Dann aber stellt sich das Verhalten des Handelnden aus objektiv-normativer Empfängersicht nicht als Handeln unter, sondern – jedenfalls konkludent – im fremden Namen dar, mit der Folge, dass die §§ 170–173 BGB sogar unmittelbare Anwendung finden. Ein konstruktives Zusammenspiel von Identitätstäuschung und gesetzlicher Rechtsscheinvollmacht kann es folglich nicht geben. Dieselben Überlegungen finden bei den außergesetzlichen Rechtsscheinvollmachten der Duldungs- und Anscheinsvollmacht ihre Fortsetzung. Zwar halten Rechtsprechung38 und Literatur39 deren Anwendung auch beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung grundsätzlich für möglich, doch bestehen erhebliche Zweifel. Mangels Auftretens des Handelnden im Namen des Namensträgers kann jedenfalls kein Rechtsschein 37 HKK/Meyer-Pritzl, BGB, §§ 125–129 Rn. 60; MüKoBGB/Einsele, § 125 Rn. 8 ff.; Staudinger/Hertel (2017), § 125 Rn. 35 f.; Bork, BGB AT, Rn. 1046 ff.; Neuner, BGB AT, § 44 Rn. 4 ff.; siehe auch die Ausführungen bei Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 130 ff. 38 Siehe nur BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 14 ff. (juris) = BGHZ 189, 346 (352 f.); früher noch diesbezüglich kritisch BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 17 (juris) = BGHZ 166, 369 (374 f.). 39 Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 35; Bork, BGB AT, Rn. 1411; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Leipold, BGB AT, § 22 Rn. 16; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 908; Faust, JuS 2011, 1027 (1028 f.); Hauck, JuS 2011, 967 (968 f.); Herresthal, JZ 2017, 28 (32 ff.); Klein, MMR 2011, 450 (451); Oechsler, Jura 2012, 581 (583); siehe schon zum Bildschirmtext früher Friedmann, Bildschirmtext, S. 89 ff.; kritisch aber MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 123 f.
III. Die einzelnen Fallgruppen29
einer Bevollmächtigung durch einen Vertretenen entstehen.40 Daher rücken andere Modelle der Zurechnung des Handelns des Handelnden zum Namensträger in den Mittelpunkt der Betrachtung, zunächst etwa sonstige Varianten der Rechtsscheinhaftung.41 Wenn aber weder die gesetzlichen noch die außergesetzlichen Rechtsscheinvollmachten beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung im Zuge der Analogie der §§ 164 ff. BGB Berücksichtigung finden können, bestehen erhebliche Zweifel an der Vergleichbarkeit der Situationen, so dass die analoge Anwendung des Stellvertretungsrechts in diesen Konstellationen des Handelns unter fremdem Namen ganz generell auf dem Prüfstand steht.
III. Die einzelnen Fallgruppen 1. Zurechnung von Dritthandeln unter fremder Identität unter Anwesenden a) Abgrenzung von Handeln unter Anwesenden und unter Abwesenden Verdecktes drittbezogenes Handeln unter fremdem Namen (verdecktes Dritthandeln) lässt sich zunächst grob als ein solches unter Anwesenden und unter Abwesenden i. S. d. § 130 Abs. 1 BGB betrachten. Diese Unterscheidung ist für die rechtliche Behandlung des Handelns unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung jedoch ohne weitere Bedeutung. Denn sowohl beim Handeln unter Anwesenden als auch unter Abwesenden sollen die §§ 164 ff. BGB analoge Anwendung finden.42 Die Einordnung ist vielmehr bereits zuvor bei der Abgrenzung wichtig, ob ein Eigengeschäft des Handelnden oder ein Fremdgeschäft des Namensträgers vorliegt, welche sich durch Auslegung nach der objektiv-normativen Sicht des Geschäftsgegners gemäß §§ 133, 157 BGB bestimmt.
40 MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 124; Staudinger/Schilken (2019), BGB, § 167 Rn. 35 f.; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 15 Fn. 13; Faust, JuS 2011, 1027 (1028); Hauck, JuS 2011, 967 (969); Herresthal, JZ 2017, 28 (32 f.); ders., JZ 2011, 1171 (1172); Linardatos, Jura 2012, 53 (54); Oechsler, Jura 2012, 581 (583); Schinkels, LMK 2011, 320461 unter 2.b)aa); Sonnentag, WM 2012, 1614 (1615); Stöber, JR 2012, 225 (228 f.); Werner, K&R 2011, 499 (599); in diese Richtung ebenso bereits Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 195, 197; siehe auch unter A.IV.3. 41 Herresthal, K&R 2008, 705 (707 ff., 710 f.); ders., JZ 2017, 28 (32 f.). 42 Soergel/Leptien, § 164 Rn. 25; siehe dazu auch bereits unter A.II.1.
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A. Das Rechtsproblem
b) Auftreten eines Bevollmächtigten unter fremdem Namen Bei Rechtsgeschäften unter Anwesenden kann danach unterschieden werden, ob der unter fremdem Namen Handelnde zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts dazu befugt ist, mit Wirkung für und gegen den Namensträger zu handeln, etwa aufgrund einer Vollmacht oder eines vollmachtähnlichen Rechtsgeschäfts mit dem Namensträger, oder einer entsprechend wirkenden gesetzlichen Vertretungsmacht. Ob Partner des Rechtsgeschäfts dann der Namensträger oder nicht doch der Handelnde selbst ist, entscheidet sich (alleine) nach dem objektiv-normativen Horizont des Geschäftsgegners. Deutlich wird dies bei einem Fall des RG.43 Ein Mann schließt einen Vertrag mit dem Geschäftsgegner, wobei er bei den von ihm persönlich geführten Vertragsverhandlungen unter dem Namen seines Sohnes auftritt, der ihm zuvor Generalvollmacht erteilt hat.44 Der Geschäftsgegner ist zumindest im Nachhinein der Auffassung, den Vertrag unmittelbar mit dem Vater – und nicht mit dem Sohn – geschlossen zu haben, und fordert vom Vater daher Vertragserfüllung. Dieser verweist darauf, den Sohn beim Vertragsschluss wirksam vertreten zu haben, so dass der Sohn Vertragspartner geworden sei, und lehnt die Erfüllung ab. Die Vorinstanzen wiesen die Klage des Geschäftsgegners ab, da sie keinen Vertragsschluss mit dem Vater sahen. Das RG hielt das Urteil des Berufungsgerichts für rechtsfehlerhaft. Die Tatsachen seien nicht ausreichend genug festgestellt, um entscheiden zu können, ob der Vater bei den Vertragsverhandlungen hinreichend deutlich gemacht hat, dass die Rechtsfolgen seines Handelns nicht ihn selbst, sondern einen anderen, namentlich seinen Sohn, treffen sollen (§ 164 Abs. 2 BGB).45 Dem RG fehlten somit tatsächliche Anhaltspunkte, um im Wege der Auslegung aus der objektiv-normativen Sicht des Geschäftsgegners bestimmen zu können, ob ein Eigengeschäft des Handelnden oder ein Fremdgeschäft des Namensträgers vorliegt. c) Handeln unter fremdem Namen ohne Vertretungsmacht Die Schwierigkeit der Bestimmung der Person des Vertragspartners aus der objektiv-normativen Sicht des jeweiligen Geschäftsgegners besteht in 43 Nachgebildet
dem Fall aus RG, Urt. v. 15.3.1919 – V 242/18 = RGZ 95, 188. der Entscheidung des RG geht nicht hinreichend klar genug hervor, inwieweit der Geschäftsgegner aus den Umständen hätte erkennen können, dass der handelnde Vater und sein Sohn, unter dessen Namen der Vater aufgetreten war, personenverschieden sind. Vielmehr scheint es so zu sein, dass der Geschäftsgegner der Auffassung war, den Vertrag mit dem persönlich anwesenden Vater zu schließen, der den Namen des Sohnes trägt. 45 RG, Urt. v. 15.3.1919 – V 242/18 = RGZ 95, 188 (189 f.). 44 Aus
III. Die einzelnen Fallgruppen31
gleicher Weise, wenn der unter fremdem Namen Handelnde ohne Vertretungsmacht im weiteren Sinne handelt. Bei dinglichen Rechtsgeschäften berücksichtigt die höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Auslegung des Handelns die Vorschriften über den redlichen Erwerb.46 Tritt der Dritthandelnde unter dem Namen des dinglich Berechtigten auf, soll aus der maßgeblichen Sicht des Erwerbers regelmäßig kein Fremdgeschäft des Namensträgers, sondern ein Eigengeschäft des Handelnden vorliegen, so dass es nicht zur analogen Anwendung der §§ 164 ff. BGB komme.47 Beim Erwerb eines Gebrauchtwagens führe das Auftreten des (faktischen) Veräußerers unter dem aus den vorgelegten Fahrzeugpapieren ersichtlichen Namen noch nicht zu der Annahme, der Kaufvertrag (und die dingliche Einigung über den Erwerb) seien dann mit dem Namensträger zustandegekommen.48 Für den Erwerber sei bloß die Übereinstimmung der (vermeintlich echten) Namen des Veräußerers und des aus dem Fahrzeugbrief ersichtlichen Halters relevant, nicht jedoch die hinter dem Namen stehende Person.49 Eine besondere Identitätsvorstellung verbinde der Erwerber mit dem Namensträger jedenfalls solange nicht, wie ein sofortiger Leistungsaustausch stattfinde und es sich nicht um eine bekannte Persönlichkeit handele.50 Trete der Dritthandelnde hingegen – in der umgekehrten Konstellation – unter dem Namen des Erwerbers auf, liege aus der maßgeblichen Sicht des Veräußerers regelmäßig kein Eigengeschäft des Handelnden, sondern ein Fremdgeschäft des Namensträgers jedenfalls dann vor, wenn ein (vermeint licher) Vertreter des Handelnden den (echten) Personalausweis und Führerschein des Namensträgers vorlege, das Kaufvertragsformular dessen perso46 So
jedenfalls auf dem Gebiet des KfZ-Gebrauchtwagenhandels. Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 7 ff. (juris) = NJW 2013, 1946; OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.11.1988 – 11 U 40/88 Rn. 7 ff. (juris) = NJW 1989, 906; a. A. hingegen (noch) OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.3.1985 – 22 U 230/84 unter 1. (juris) = NJW-RR 1985, 2484 f.; LG Heilbronn, Urt. v. 11.6.2012 – 5 O 264/11 St (juris) = BeckRS 2013, 11116 unter I.2.b)aa); dazu Giegerich, NJW 1986, 1975 (1975 f.), der feinsinnig herausarbeitet, dass sich jeder Erwerb vom Nichtberechtigten als Fall der Identitätstäuschung des Handelnden unter fremdem Namen darstellen ließe; siehe dazu auch Schwab, JuS 2014, 265 (266 f.). 48 BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 9 (juris) = NJW 2013, 1946. 49 BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 9 (juris) = NJW 2013, 1946 f., dies ist freilich eine stark interessengeleitete Argumentation, wonach das (Auslegungs-)Ergebnis immer möglichst dasjenige sein soll, das dem Auslegenden objektiv am meisten nutzt; siehe schon vorgehend das OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.3.2012 – 9 U 143/10 Rn. 24 ff. (juris) = DAR 2012, 514 (516); a. A. OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.3.1985 – 22 U 230/84 unter 1. (juris) = NJW-RR 1985, 2484 f.; LG Heilbronn, Urt. v. 11.6.2012 – 5 O 264/11 St (juris) = BeckRS 2013, 11116 unter I.2.b)aa)(1). 50 BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 9 (juris) = NJW 2013, 1946 f.; so schon die Vorinstanz OLG Karlsruhe, Urt. v. 29.3.2012 – 9 U 143/10 Rn. 24 ff. (juris) = DAR 2012, 514 (516). 47 BGH,
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nenbezogene Daten enthalte und mit einer Unterschrift versehen sei, die derjenigen auf dem Personalausweis stark ähnele, selbst wenn die Dokumente vorher gestohlen worden sind; die §§ 164 ff. BGB fänden dann analoge Anwendung.51 Der Veräußerer habe sich die Person des Namensträgers als Vertragspartner vorgestellt, was sich u. a. daran zeige, dass er sich dessen Personalausweis und Führerschein habe zeigen lassen.52 Die Situation sei ohne sofortigen Leistungsaustausch vor Ort kein typischer Gebrauchtwagenkauf, bei dem sich der Verkäufer möglicherweise keine konkrete Vorstellung von der Person des Vertragspartners mache.53 Das Interesse eines Veräußerers sei anders als bei einem Erwerber typischerweise auf einen Vertrag mit dem Namensträger gerichtet, da er den Erwerber entweder auf Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB (analog) in Anspruch nehmen oder bei deren Verweigerung nach § 179 BGB (analog) gegen den unter fremdem Namen Handelnden vorgehen könne.54 Bei der Auslegung dürfe das Rechtsverfolgungsinteresse des Betroffenen nicht unbeachtet bleiben.55 d) Handeln unter fremden Telekommunikationsanschlüssen Jemand gibt telefonisch über den Telefonanschluss einer anderen Person sowie per E-Mail über das E-Mail-Konto derselben anderen Person mit deren Wissen und Unterstützung Erklärungen unter deren Namen zum Abschluss eines Vertrages ab.56 Aus Sicht des Geschäftsgegners, der weder den Namensträger noch den Handelnden zuvor persönlich getroffen hat, stellt sich dies als Handeln des Namensträgers dar, mit welchem bzw. vielmehr mit dessen Unternehmen er kontrahieren will. Ohne weitere Begründung sieht das OLG Koblenz darin aus der maßgeblichen Sicht des Geschäftsgegners ein Fremdgeschäft des Namensträgers, so dass es gemäß der ständigen Rechtsprechung die §§ 164 ff. BGB analog anwendet.57 Aus der Kenntnis des Namensträgers von diesen Vorgängen und dessen Nichteingreifen schließt das Gericht weiter auf das Vorliegen einer Duldungs-, zumindest jedoch ei51 OLG
Hamm, Urt. v. 22.2.2016 – 5 U 110/15 Rn. 40 ff. (juris). Hamm, Urt. v. 22.2.2016 – 5 U 110/15 Rn. 43 (juris). 53 OLG Hamm, Urt. v. 22.2.2016 – 5 U 110/15 Rn. 44 (juris); siehe aber OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.3.1985 – 22 U 230/84 unter 1. (juris) = NJW 1985, 2484 f.; LG Heilbronn, Urt. v. 11.6.2012 – 5 O 264/11 St (juris) = BeckRS 2013, 11116 unter I.2.b)aa)(2)(b); skeptisch ebenso Heyers, Jura 2013, 1038 (1041). 54 OLG Hamm, Urt. v. 22.2.2016 – 5 U 110/15 Rn. 46 (juris). 55 OLG Hamm, Urt. v. 22.2.2016 – 5 U 110/15 Rn. 46 (juris); hingegen nehmen Soergel/Link/Löffler, NJOZ 2013, 1321 (1325) in solchen Konstellationen grundsätzlich Perplexität und somit Nichtigkeit der Erklärungen an. 56 OLG Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14 (juris) = MDR 2014, 1378 f. 57 OLG Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14 Rn. 52 ff. (juris). 52 OLG
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ner Anscheinsvollmacht, so dass es das Handeln im Ergebnis dem Namensträger zurechnet.58 2. Zurechnung von Dritthandeln unter fremder Identität unter Abwesenden a) Handeln unter fremdem Namen per Telegramm In einem vom RG entschiedenen Fall sagt der Handelnde unter dem Namen seines in einer anderen Stadt wohnenden Vaters dem Geschäftsgegner per Telegramm eine Kreditsicherheit zu, wobei er das entsprechende Telegramm mit der Unterschrift des Vaters versieht und in der Wohnstadt des Vaters aufgibt.59 Das RG kritisiert die vom Berufungsgericht zur Bestimmung der handelnden Person vorgenommene Auslegung nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB und hält vielmehr die §§ 164, 177 BGB für maßgebend.60 Aus den Umständen ergebe sich, dass der Sohn im Namen seines Vaters gehandelt habe. Da der Vater zudem um die Abfassung und Absendung der Depesche gewusst und nicht widersprochen habe, müsse dies nach Treu und Glauben als Zustimmung angesehen werden.61 Das RG leitet somit aus den Umständen ein Handeln im fremden Namen i. S. d. § 164 Abs. 2 BGB ab und wendet die §§ 164 ff. BGB unmittelbar an. Die Vertretungsmacht stützt es auf den Grundsatz nach Treu und Glauben aus § 242 BGB. Die heutige herrschende Meinung würde wohl von einem Handeln des Sohnes unter dem Namen seines Vaters ausgehen und aus der Sicht des Geschäftsgegners ein Fremdgeschäft mit dem Namensträger annehmen, so dass die §§ 164 ff. BGB analoge Anwendung fänden. Nach den bloß vagen Schilderungen im Tatbestand käme als Handlungsmacht i. S. e. Vertretungsmacht wegen des Wissens und daher wohl Duldens des Handelns des Sohnes durch den Vater wohl eine Duldungsvollmacht in Betracht.62
58 OLG
Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14 Rn. 56, 59 (juris). Urt. v. 16.9.1915 – VI 130/15 = RGZ 87, 144 ff. 60 RG, Urt. v. 16.9.1915 – VI 130/15 = RGZ 87, 144 (145 f.). 61 RG, Urt. v. 16.9.1915 – VI 130/15 = RGZ 87, 144 (146). 62 Ob im konkreten Fall des RG tatsächlich eine Vollmacht i. S. d. § 167 Abs. 1 BGB oder eine (nach den heutigen Grundsätzen) Duldungsvollmacht vorgelegen hat, lässt sich aufgrund des vom RG nur begrenzt dargestellten Sachverhalts nicht beantworten. Offenbleiben kann und soll an dieser Stelle auch, ob die Duldungsvollmacht eine Rechtsscheinvollmacht oder eine konkludent erteile Außenvollmacht ist; zu dieser Diskussion siehe statt vieler etwa nur Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 29 ff. 59 RG,
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b) Handeln unter fremdem Namen im Briefverkehr In einem anderen Fall des RG richtet eine Frau ein Schreiben an eine andere Person, mit dem die Übernahme einer Bürgschaft für die „von meinem Sohne Fritz“ gemachten Inkassos bestätigt wird.63 Die Frau unterzeichnet das Schreiben anschließend mit dem Namen ihres Ehemannes, aber ohne dessen Wissen und Wollen. Der spätere Empfänger glaubt, das Schreiben stamme tatsächlich – wie von der Ehefrau suggeriert – von dem Ehemann. Der Empfänger sieht nach Aufdeckung der Sachlage im Ergebnis die Ehefrau aus der Bürgschaft verpflichtet. Während das Berufungsgericht eine vertragliche Haftung der Ehefrau bejaht, lehnt das RG sie mangels entsprechender Rechtsgrundlage ab.64 Nach der heute herrschenden Meinung würde die Ehefrau als falsus procurator gemäß § 179 Abs. 1 BGB (analog) haften, da die Vorschriften der §§ 164 ff. BGB wegen des aus der maßgeblichen Sicht des Geschäftsgegners mit dem Namensträger gewollten Rechtsgeschäfts, also dem Gatten, analoge Anwendung fänden. c) Einschaltung einer Marionettenfigur durch den Namensträger In einem Fall des OLG Koblenz65 sichert ein Mitarbeiter einer GmbH mit Wissen und Wollen des Geschäftsführers der GmbH unter dessen Namen einem Geschäftsgegner die Vornahme von bestimmten Zahlungen entweder durch die GmbH oder durch den Geschäftsführer persönlich zu, indem er sich sowohl am Telefon als auch unter der E-Mail-Adresse des Geschäftsführers als dieser ausgibt und entsprechende Erklärungen abgibt. Das OLG Koblenz sieht in dem Telefonat des Mitarbeiters unter dem Namen des Geschäftsführers ein Fremdgeschäft des Namensträgers, so dass es gemäß der ständigen Rechtsprechung die §§ 164 ff. BGB analog anwendet.66 Die Vertretungsmacht leitet das Gericht aus den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung ab.67 Der Geschäftsführer habe dem Mitarbeiter bloß ein Auftreten unter seinem Namen in seiner Funktion als Geschäftsführer, also im Namen der GmbH, nicht jedoch als eigenständige natürliche (mit dem Privatvermögen haftende) Person gestattet. Indes habe es der Geschäftsführer willentlich geschehen lassen, dass sich ein anderer seines Namens im Geschäftsverkehr bedient. Der Geschäftsgegner habe dieses Dulden nach Treu und Glauben 63 RG,
Urt. v. 1.10.1896 – VI 122/96 = RGZ 38, 178. Urt. v. 1.10.1896 – VI 122/96 = RGZ 38, 178 (180 f.). 65 OLG Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14, 3 U 211/14 (juris) = MDR 2014, 1378 f. 66 OLG Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14, 3 U 211/14 Rn. 51 ff. (juris). 67 OLG Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14, 3 U 211/14 Rn. 55 ff. (juris). 64 RG,
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dahingehend verstanden und auch verstehen dürfen, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt sei.68 Jedenfalls aber lägen die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht vor. Der Geschäftsführer habe pflichtwidrig gehandelt, soweit er dem Mitarbeiter freien Lauf ließ, ohne dessen Handeln im Geschäftsverkehr stärker und engmaschiger zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass dieser keine Rechtsgeschäfte tätigt, durch die nicht nur die GmbH, sondern auch er persönlich verpflichtet wird.69 d) Handeln unter fremdem Namen unter Beteiligung von Vermittlern In einem Fall des OLG Brandenburg füllt jemand einen Antrag auf Abschluss eines Kreditvertrags einer Direktbank unter dem Namen einer anderen Person aus, unterzeichnet den Antrag mit deren Namen und schickt ihn an die Bank.70 Daraufhin fordert die Bank den Namensträger postalisch dazu auf, in einer örtlichen Postfiliale das sog. Post-Ident-Verfahren durchzuführen, so dass die Bank ihrer Pflicht zur Überprüfung der Identität des Bankkunden nach dem Geldwäschegesetz nachkommen kann.71 Der Namensträger unterzeichnet daraufhin in einer Postfiliale das Dokument im Zuge des PostIdent-Verfahrens, wobei ihm nicht bewusst ist, was es damit genau auf sich hat, insbesondere zu welchem Zweck er seine Unterschrift leistet.72 Das Gericht nimmt im Rahmen des Handelns unter fremdem Namen ein Fremdgeschäft des Namensträgers an und prüft daher die §§ 164 ff. BGB analog, jedoch ohne das Fremdgeschäft von einem möglichen Eigengeschäft des Handelnden mittels Auslegung abzugrenzen.73 Zwar habe zunächst keine Vertretungsmacht vorgelegen, doch sieht das Gericht in der eigenhändigen Unterschrift des Namensträgers im Zuge des Post-Ident-Verfahrens eine Genehmigung i. S. d. § 177 Abs. 1 BGB (analog).74 Aus der maßgeblichen Sicht der Bank habe die unterschriebene Rücksendung des von ihr zuvor an den Namensträger gesendeten Coupons (der wiederum zuvor durch den unter fremdem Namen abgegebenen Antrag veranlasst war) nur als rechtsverbindliche Erklärung auf Abschluss eines Kreditkartenvertrages ausgelegt werden können. Es sei unbeachtlich, dass der Namensträger nicht gewusst habe, was 68 OLG
Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14, 3 U 211/14 Rn. 58 (juris). Koblenz, Urt. v. 7.10.2014 – 3 U 91/14, 3 U 211/14 Rn. 59 f. (juris). 70 OLG Brandenburg, Urt. v. 13.7.2011 – 4 U 158/10 (juris), allerdings ist das Handeln des Dritten unter dem fremden Namen vom Gericht offengelassen bzw. teilweise schlichtweg unterstellt worden. 71 § 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Geldwäschegesetz. 72 OLG Brandenburg, Urt. v. 13.7.2011 – 4 U 158/10 Rn. 10 (juris). 73 OLG Brandenburg, Urt. v. 13.7.2011 – 4 U 158/10 Rn. 28 (juris). 74 OLG Brandenburg, Urt. v. 13.7.2011 – 4 U 158/10 Rn. 29 ff. (juris). 69 OLG
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er unterschreibe, da ihm sein Verhalten nach der herrschenden Meinung als Erklärungsfahrlässigkeit zuzurechnen sei.75 e) Entnahme von Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme an einem Haus- oder Wohnungsanschluss aa) Abschluss von Versorgungsverträgen aufgrund von Realofferten Die Versorgung einer Immobilie mit Elektrizität, Gas, Wasser und Fernwärme erfolgt häufig nicht aufgrund eines ausdrücklich zwischen dem jeweiligen Versorgungsunternehmen und dem Kunden im Vorfeld geschlossenen Versorgungsvertrages, sondern durch faktische Leistungsentnahme an dem Haus- oder Wohnungsanschluss. Aus technischen Gründen steht die Versorgungsleistung stets zum Abruf bereit, unabhängig vom Vorliegen eines Versorgungsvertrages, auf dessen Grundlage die Leistungen erbracht und abgerechnet werden. Der Gesetzgeber will jedoch die vertragslose Leistungserbringung vermeiden,76 weshalb er in den §§ 2 Abs. 2 S. 1 StromGVV (Elektrizität), GasGVV (Gas), AVBWasserV (Wasser) und AVBFernwärmeV (Fernwärme) für den jeweiligen Bereich vorsieht, dass ein Vertrag auch durch bloße Leistungsentnahme zustandekommen kann. Wie der Wortlaut der genannten Vorschriften hinreichend zum Ausdruck bringt, setzen diese den jeweils anderweitig – nach den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre des BGB – zustandegekommenen Vertrag voraus, sind daher bloß deklaratorisch und nicht etwa konstitutiv.77 Einschlägig sind somit insbesondere die §§ 145 ff. BGB samt den Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGB.78 Mangels entsprechender besonderer Regelung in der StromGVV, GasGVV, AVBWasserV und AVBFernwärmeV bestimmt sich die Person des Vertragspartners (Kunden) des Versorgungsunternehmens durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Dabei kommen regelmäßig der Grundstücks- bzw. Wohnungseigentümer, etwaige Mieter oder Pächter oder sonstige Dritte als Ver75 OLG
Brandenburg, Urt. v. 13.7.2011 – 4 U 158/10 Rn. 34 (juris). wollen das freilich die Versorgungsunternehmen, siehe nur BGH, Urt. v. 15.2.2006 – VIII ZR 138/05 Rn. 16 (juris) = NJW 2006, 1667 (1668); ebenso bereits BGH, Urt. v. 17.3.2004 – VIII ZR 95/03 Rn. 10 (juris) = NJW-RR 2004, 928 (929). 77 So auch st. Rspr., u. a. BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 17 (juris) = NJW 2016, 2260 (2262); insoweit auch Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht, 99. EL September 2018, § 2 StromGVV Rn. 12; Wollschläger/Meyer, IR 2009, 82 (83); anders wohl noch OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.11.1993 – 4 U 75/93 – 13 Rn. 9 (juris) = NJW-RR 1994, 436 (437). 78 So auch Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht, 99. EL September 2018, § 2 StromGVV Rn. 13 ff.; Wollschläger/Meyer, IR 2009, 82 (83). 76 Jedenfalls
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tragspartner in Betracht. Der Vertragsinhalt, die essentialia negotii, insbesondere die Preise, ergeben sich aus §§ 2 Abs. 2 S. 2 AVBWasserV und AVBFernwärmeV und den entsprechenden Vorschriften in den anderen genannten Verordnungen. bb) Bestimmung des Adressaten einer Realofferte Das Leistungsangebot bzw. die Bereitstellung der Leistung zur Entnahme stelle ein Angebot des Versorgungsunternehmens zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in Form einer sog. Realofferte dar, das konkludent von derjenigen Person angenommen werde, die aus dem Leistungsnetz Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnehme.79 Dieser Rechtssatz berücksichtige die normierende Kraft der Verkehrssitte, die dem sozialtypischen Verhalten der Annahme der Versorgungsleistungen den Gehalt einer echten Willenserklärung zumesse. Aus Sicht eines objektiven Empfängers stelle sich die Vorhaltung der Leistung und des Leistungsabrufs an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte typischerweise als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar, deren Inanspruchnahme – auch bei entgegenstehenden Äußerungen des Entnehmenden – die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots beinhalte, weil der Abnehmer wisse, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung erbracht zu werden pflege.80 An wen sich die Realofferte des Versorgers richte, sei durch deren Auslegung aus Sicht eines verständigen Dritten in der Position des potentiellen Erklärungsempfängers zu ermitteln, wobei die objektive Bedeutung des Verhaltens des erklärenden Versorgungsunternehmens Vorrang vor dem subjekti-
79 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 13 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261); Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 12 (juris) = BGHZ 202, 158 (161 f.); Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 10 (juris) = BGHZ 202, 17 (21 f.); Urt. v. 25.11.2009 – VIII ZR 235/08 Rn. 13 (juris) = NJW-RR 2010, 516 (517); Urt. v. 10.12.2008 – VIII ZR 293/07 Rn. 6 (juris) = NJW 2009, 913; Urt. v. 17.3.2004 – VIII ZR 95/03 Rn. 10 (juris) = NJW-RR 2004, 928 (929); Urt. v. 30.4.2003 – VIII ZR 279/02 Rn. 12 (juris) = NJW 2003, 313; dies soll auch für einen „Wärmedieb“ gelten, so jedenfalls das OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.11.2014 – 4 U 147/13 Rn. 95 (juris); OLG Celle, Urt. v. 12.4.2012 – 13 U 105/11 Rn. 5 ff. (juris); siehe auch LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 23 (juris) = CR 2010, 173 (174); AG Darmstadt, Urt. v. 21.3.2011 – 313 C 243/09 Rn. 13 ff. (juris); Witzel, in: Witzel/Topp, 2. Aufl. 1997, § 2 AVBFernwärmeV, S. 61; siehe auch Wollschläger/Meyer, IR 2009, 82 (83). 80 BGH, Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 12 (juris) = BGHZ 202, 158 (161 f.); Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 10 (juris) = BGHZ 202, 17 (21 f.) m. w. N.
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ven Willen des Erklärungsempfängers habe.81 Typischerweise sei dabei derjenige der Erklärungsempfänger, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübe,82 üblicherweise sei dies der Grundstückseigentümer; allerdings kämen auch Mieter oder Pächter in Betracht.83 Unerheblich sei, ob das Versorgungsunternehmen wisse, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss habe. Ähnlich wie beim unternehmensbezogenen Geschäft sei dessen Wille so zu verstehen, den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt zu verpflichten, der die Leistung entnehme, egal wer dies konkret sei.84 Einzig bei der Entnahme von Wasser könne möglicherweise deshalb immer nur ein Grundstückseigentümer als Erklärungsadressat anzusehen sein, weil (nur) dieser nach den Satzungen vieler Gemeinden dem Anschlusszwang unterliege85 bzw. nur diesem ein Anspruch auf Anschluss an die Versorgung zustehe.86 Zu einem konkludenten Vertragsschluss mit dem Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss komme es indes nicht, wenn konkrete, gegenläufige Anhaltspunkte vorlägen oder die Leistungserbringung bereits auf einem ausdrücklich oder konkludent geschlossenen Vertrag mit einer anderen Person erfolge.87 Indes entstehe ein solcher Vertrag nicht be81 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 13 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 12 (juris) = BGHZ 202, 158 (161 f.); Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 11 (juris) = BGHZ 202, 17 (22) m. w. N.; Rottnauer, RdE 2008, 105 (106). 82 BGH, Beschl. v. 20.12.2005 – VIII ZR 7/04 Rn. 2 (juris) = WuM 2006, 207. 83 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 14 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 14 ff. (juris) = BGHZ 202, 158 (163 f.) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 12 ff. (juris) = BGHZ 202, 17 (22 f.) m. w. N.; LG Kiel, Urt. v. 12.12.2012 – 2 O 185/12 Rn. 23 ff. (juris); LG Köln, Urt. v. 15.3.2011 – 7 O 569/09 Rn. 33 ff. (juris); AG Mannheim, Urt. v. 4.12.2009 – 3 C 390/09 Rn. 17 (juris); LG Itzehoe, Urt. v. 3.3.2009 – 1 S 179/08 Rn. 8 ff.; AG Halle, Urt. v. 8.11.2007 – 93 C 4980/06 Rn. 14 (juris) = RdE 2008, 219 f. 84 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 14 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 16 (juris) = BGHZ 202, 158 (163 f.) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 14 (juris) = BGHZ 202, 17 (23) m. w. N. 85 In diese Richtung BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 17 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 –VIII ZR 316/13 Rn. 15 (juris) = BGHZ 202, 17 (23 f.) m. w. N.; Urt. v. 10.12.2008 – VIII ZR 293/07 Rn. 10 f. (juris) = NJW 2009, 913 ff.; Urt. v. 30.4.2003 – VIII ZR 278/02 Rn. 12 (juris) = WuM 2003, 458. 86 KG Berlin, Urt. v. 18.2.2009 – 11 U 38/08 Rn. 23 (juris) = MDR 2009, 856 (857); AG Erfurt, Urt. v. 5.1.2007 – 5 C 1525/06 Rn. 6 (juris). 87 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 14 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 18 (juris) = BGHZ 202, 158 (164 f.) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 16 (juris) = BGHZ 202, 17 (24) m. w. N.; anders hingegen das OLG Köln, Urt. v. 16.12.2009 – 11 U 89/09 Rn. 4
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reits dadurch, dass der Grundstückseigentümer kurzfristig Leistungen in geringem Umfang entnehme, etwa Strom für Licht im Rahmen der Besichtigung von Räumlichkeiten durch potentielle Mieter oder Käufer des Grundstücks.88 cc) Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung die tatsäch liche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls bislang bei dem Grundstückseigentümer89, der Wohnungseigentümergemeinschaft90, dem Mieter91, dem Pächter92, einem tatsächlich nicht in der Wohnung wohnenden Mitmieter93 und beim betreffenden Verwalter oder Mieter94 gesehen. Teils argumentiert sie dabei mit Vorgängen während der Vertragsbeziehung, etwa an wen die Rechnungen des Versorgungsunternehmens gegangen sind,95 teils schlichtweg mit der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss in Form der tatsächlichen Sachherrschaft i. S. d. § 854 Abs. 1 BGB,96 teils mit der typischen Rolle eines Mieters, sogar wenn dieser nur formal der Mieter ist und selbst (juris) ohne weitere Begründung für den Fall, dass der Vormieter Vertragspartner des Versorgungsunternehmens ist. 88 BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 23 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 –VIII ZR 316/13 Rn. 21 (juris) = BGHZ 202, 17 (25 f.) m. w. N.; a. A. jedoch OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2013 – 19 U 116/13 Rn. 13 ff. (juris) = NJW-RR 2014, 942. 89 OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.11.1993 – 4 U 75/93 – 13 Rn. 8 (juris) = NJW-RR 1994, 436; OLG Koblenz, Urt. v. 29.6.1983 – 1 U 15/83 (juris); AG Erfurt, Urt. v. 5.1.2007 – 5 C 1525/06 Rn. 6 (juris). 90 OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.12.2011 – 1 U 2/11 Rn. 31 ff. (juris); LG Arnsberg, Urt. v. 22.11.2006 – 3 S 121/06 Rn. 30, 33, 35 (juris). 91 BGH, Urt. v. 25.11.2009 – VIII ZR 235/08 Rn. 11 ff. (juris) = NJW-RR 2010, 516 (517); Urt. v. 10.12.2008 – VIII ZR 293/07 Rn. 13 (juris) = NJW 2009, 913 (914); LG Köln, Urt. v. 15.3.2011 – 7 O 569/09 Rn. 33 ff. (juris); LG Itzehoe, Urt. v. 3.3.2009 – 1 S 179/08 Rn. 8 ff. (juris); AG Mannheim, Urt. v. 4.12.2009 – 3 C 390/09 Rn. 17 (juris); AG Halle, Urt. v. 8.11.2007 – 93 C 4980/06 Rn. 14 (juris) = RdE 2008, 219 f. 92 BGH, Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 17 ff. (juris) = BGHZ 202, 17 (24 f.); Beschl. v. 20.12.2005 – VIII ZR 7/04 Rn. 2 (juris) = WuM 2006, 207. 93 BGH, Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 19 ff. (juris) = BGHZ 202, 158 (165 f.). 94 Insoweit mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen von BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 16 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261 f.). 95 So in BGH, Urt. v. 10.12.2008 – VIII ZR 293/07 Rn. 13 (juris) = NJW 2009, 913 (914). 96 So in BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 16 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261 f.) und bereits in BGH, Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 17 (juris) = BGHZ 202, 17 (24) m. w. N.
40
A. Das Rechtsproblem
weder in der betreffenden Wohnung wohnt, noch mangels Schlüssel Zugang zu dieser hat.97 In der Regel treffen die Gerichte keine Feststellungen zur Identität derjenigen Person, die die Leistung während eines vertragslosen Zustands zuerst entnommen hat, insbesondere ob diese mit dem Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss identisch ist. Bloß im Falle der Mitverpflichtung des nicht in der Wohnung wohnenden Mitmieters rechnet die Rechtsprechung das Verhalten des (Haupt-)Mieters dem Mitmieter im Wege der Stellvertretung zu, wobei die Vertretungsmacht aus einer Duldungsvollmacht folgen soll.98 Fragen der Zurechnung solcher Leistungsentnahmen stellen sich dann, wenn eine andere Person als der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt an dem Anschluss Leistungen entnimmt, insoweit also unter einem fremden Anschluss handelt. 3. Zurechnung von Dritthandeln unter fremder Identität im elektronischen Geschäftsverkehr a) Handeln unter einem fremden elektronischen Nutzerkonto aa) Analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB Gibt jemand über das personengebundene, passwortgeschützte elektronische Nutzerkonto einer anderen Person eine Willenserklärung ab, die der Erklärungsadressat aus seiner objektiv-normativen Sicht gemäß §§ 133, 157 BGB als Willenserklärung des Kontoinhabers versteht, sieht die Rechtsprechung darin eine Konstellation des Handelns unter fremdem Namen.99 Werde 97 So in BGH, Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 20 ff. (juris) = BGHZ 202, 158 (165 f.); anders hingegen das AG Darmstadt, Urt. v. 21.3.2011 – 313 C 243/09 (juris), das zumindest den Lebensgefährten der Mieterin, der dem Versorgungsunternehmen vom Vermieter als Mitmieter gemeldet worden ist, nicht als (Mit-)Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss und somit nicht als (Mit-)Vertragspartner ansieht (siehe dort Rn. 18). 98 So in BGH, Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 24 ff. (juris) = BGHZ 202, 158 (166); in diese Richtung wohl auch das OLG Jena, Urt. v. 20.12.2006 – 4 U 600/06 Rn. 10 (juris) = MDR 2007, 768. 99 Grundlegend BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 10 ff. (juris) = BGHZ 189, 346 (349 f.); siehe zuletzt aber auch das OLG Celle, Urt. v. 9.7.2014 – 4 U 24/14 (juris) = NJW-RR 2015, 163; LG Gießen, Beschl. v. 6.3.2013 – 1 S 337/12 (juris) und zuvor schon das LG Aachen, Urt. v. 15.12.2006 – 5 S 184/06 Rn. 5 ff. (juris) = NJW-RR 2007, 565; das AG Bremen, Urt. v. 20.10.2005 – 16 C 168/05 Rn. 12 ff. (juris) = NJW 2006, 518 f. und das OLG München, Urt. v. 5.2.2004 – 19 U 5114/03 Rn. 9 ff. (juris) = NJW-RR 2004, 1328 f.; anders jedoch das LG Bonn, Urt. v. 28.3.2012 – 5 S 205/11 Rn. 6 (juris) = NJW-RR 2012, 1008, das in dem Fall von
III. Die einzelnen Fallgruppen41
bei der Nutzung eines fremden Namens beim Geschäftsgegner der Anschein erweckt, es solle ein Geschäft mit dem Namensträger abgeschlossen werden, und werde dabei eine falsche Vorstellung über die Identität des Handelnden hervorgerufen,100 fänden die Regelungen über die Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) und die hierzu entwickelten Grundsätze entsprechende Anwendung.101 Eine rechtsgeschäftliche Erklärung verpflichte den Namensträger daher regelmäßig (nur) dann, wenn sie gemäß § 164 Abs. 1 BGB (analog) in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht erfolge, nach § 177 Abs. 1 BGB (analog) vom Namensinhaber nachträglich genehmigt werde oder wenn die Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht griffen.102 Personenbezogene, passwortgeschützte elektronische Nutzerkonten i. d. S. können beispielsweise das E-Mail-Konto einer Person oder der Account bei einem Online-Auktions- oder Kaufhaus wie eBay103 oder Amazon104 sein. Dort erhält ein Nutzer nach einer Online-Registrierung unter Angabe seines Klar namens, seiner postalischen und elektronischen Adresse sowie seiner Bankverbindung oder sonstigen Zahlungsinformationen ein persönliches, passwortgeschütztes Konto, über das er Bestellungen vornehmen, also Willenserklärungen abgeben kann. Regelmäßig sehen die Nutzungsbedingungen solcher Dienstleister vor, dass das erhaltene Passwort geheim zu halten sowie der Zugang zum Konto sorgfältig gegen Drittzugriffe zu sichern ist.105 einem Eigengeschäft des Handelnden ausgeht; Zustimmung auch in der weiteren Literatur, so etwa Bork, BGB AT, Rn. 1411; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 56; Friedmann, Bildschirmtext, S. 70 ff.; Borges, NJW 2011, 2400 (2400 f.); Herresthal, JZ 2011, 1171 (1172); davon zu unterscheiden ist die Errichtung eines Nutzerkontos unter fremdem Namen, gewissermaßen auf der vorgelagerten Stufe; siehe dazu etwa Meyer, Identität und virtuelle Identität natürlicher Personen, S. 41 ff.; siehe zudem bereits ausführlich unter A.II.2. 100 Wie Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 1 ff. herausgearbeitet hat, sind mangels jedenfalls größerer Bedeutung der körperlichen Erscheinung einer Person bzw. deren unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung für den Abschluss von Rechtsgeschäften im heutigen Geschäftsverkehr andere Identitätsträger wie insbesondere der Name von Bedeutung. 101 BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 12 (juris) = BGHZ 189, 346 (351) mit Verweis auf BGH, Urt. v. 3.3.1996 – II ZR 18/64 Rn. 9 (juris) = BGHZ 45, 193 (195 f.); OLG Köln, Urt. v. 13.1.2006 – 19 U 120/05 Rn. 19 f. (juris) = NJW 2006, 1676 f. 102 BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 11 (juris) = BGHZ 189, 346 (350 f.) mit Verweis auf OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2006 – 28 U 84/06 unter II.1. (juris) = NJW 2007, 611 (612); OLG Köln, Urt. v. 13.1.2006 – 19 U 120/05 unter II.1.b) (juris) = NJW 2006, 1676 (1677); LG Bonn, Urt. v. 19.12.2003 – 2 O 472/03 unter I.2.d) (juris) = MMR 2004, 179 (180 f.). 103 www.ebay.de. 104 www.amazon.de. 105 Siehe für ein Konto beim Online-Auktionshaus eBay § 2 Nr. 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Nutzung der deutschsprachigen eBay-Dienste, abrufbar
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A. Das Rechtsproblem
bb) Typischerweise Fremdgeschäft des Namensträgers Für die rechtliche Einordnung als Fremdgeschäft des Kontoinhabers oder als Eigengeschäft des unter fremdem Namen Handelnden106 ist im Grundsatz unerheblich, ob der Kontoinhaber im elektronischen Geschäftsverkehr seinen (echten) Klarnamen oder ein Pseudonym (wie einen Benutzernamen) verwendet. Denn ein Wesensmerkmal des Internets ist dessen – vom Gesetzgeber ausdrücklich in § 13 Abs. 6 TMG vorgeschriebene – anonyme und pseudonyme Nutzung, so dass alleine aus der Verwendung eines bestimmten Namens oder Pseudonyms, unter dem eine Person im Internet auftritt, nicht sicher auf deren Identität geschlossen werden kann. Wesentliche Argumente für das regelmäßige Vorliegen eines Fremdgeschäfts des Kontoinhabers in diesen Konstellationen sind die fehlende Erkennbarkeit des Dritthandelns für den Geschäftsgegner sowie das allgemeine Interesse des Geschäftsgegners, das Geschäft mit der Person abzuschließen, deren Kontaktdaten elektronisch beim jeweiligen Plattformbetreiber hinterlegt und damit auch im Nachhinein, etwa bei Streitigkeiten, abrufbar sind107 – und dies trifft (bloß) auf den jeweiligen Kontoinhaber zu. Das soll jedoch anders sein, wenn es sich bloß um ein Bargeschäft gegen Abholung handelt, das über ein elektronisches Nutzerkonto abgeschlossen wird und bei dem sich der Geschäftsgegner zuvor keinerlei Gedanken über die Identität seines Vertragspartners macht, sondern den Vertragspartner vielmehr stets in derjenigen Person sieht, die bei der späteren Übergabe des Kaufpreises und Entgegennahme des Kaufgegenstandes erkennbar als Käufer auftritt.108 cc) Vorliegen von Rechtsscheinvollmachten Hat der unter fremdem Namen Handelnde keine gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht, insbesondere weil ihn der Kontoinhaber nicht gemäß § 167 BGB (analog) bevollmächtigt hat, und genehmigt der Konto inhaber dessen Handeln nicht nach § 177 Abs. 1 BGB (analog), soll es für unter http://pages.ebay.de/help/policies/user-agreement.html, zuletzt abgerufen am 30.08.2020. 106 Siehe dazu bereits im Allgemeinen unter A.II.1. 107 BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 10 (juris) = BGHZ 189, 346 (349 f.); OLG Celle, Urt. v. 9.7.2014 – 4 U 24/14 Rn. 7 (juris) = MMR 2014, 663 (664 f.); anders jedoch das LG Bonn, Urt. v. 28.3.2012 – 5 S 205/11 Rn. 6 (juris) = NJW-RR 2012, 1008. 108 So zumindest das LG Bonn, Urt. v. 28.3.2012 – 5 S 205/11 Rn. 6 (juris) = NJW-RR 2012, 1008; anders zuvor aber das LG Aachen, Urt. v. 15.12.2006 – 5 S 184/06 Rn. 7 (juris) = CR 2007, 605 (605 f.); kritisch auch schon Heyers, JR 2014, 227 (233).
III. Die einzelnen Fallgruppen43
die Zurechnung der Erklärung für und gegen den Kontoinhaber auf das Vorliegen einer Rechtsscheinvollmacht, also einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht ankommen. Letztere läge in der Regel jedoch nur vor, wenn das Verhalten, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten schließe, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit sei.109 b) Registrierung unter fremdem Namen Bei der Einrichtung von elektronischen Nutzerkonten durch Online-Registrierung wird die Identität des sich registrierenden Nutzers häufig nicht weiter überprüft. Dadurch können sich Nutzer fast beliebig fremder Identitäten bedienen, um unter diesen im elektronischen Geschäftsverkehr zu handeln (Identitätsanmaßung; Identitätsdiebstahl). In solchen Konstellationen führt die Überlegung, ob ein Geschäftsgegner das Rechtsgeschäft mit dem unter fremdem Namen Handelnden oder mit dem Kontoinhaber abschließen will, wegen der Personenidentität der beiden nicht weiter. Vielmehr müsste viel allgemeiner gefragt werden, ob aus der Sicht des Geschäftsgegners ein Rechtsgeschäft des Handelnden oder des Trägers der Identität vorliegt. c) Registrierung unter falschem Namen oder einem Pseudonym Gibt jemand eine Erklärung anonym, pseudonym oder unter einer falschen Identität ab, liegt kein Handeln unter fremdem, sondern bloß unter falschem Namen und damit ein Handeln des Handelnden selbst vor.110 Die Verwendung des Namens deutet in diesen Fällen aus der objektiv-normativen Sicht des Erklärungsadressaten auf keine bestimmte andere Person als den Handelnden hin, selbst dann nicht, wenn das vom Handelnden gewählte Pseudonym auf eine andere Person zu weisen scheint, weil darin Bestandteile des Namens einer real existierenden Person enthalten sind, beispielsweise eines Prominenten. Unter Nutzern des Internets ist allgemein bekannt, dass viele Benutzernamen weitgehend frei wählbar sind und häufig nicht weiter überprüft werden, so dass ein Erklärungsadressat unter normalen Umständen – jedenfalls ohne bereits vorherigen Kontakt – mit diesen keine bestimmte Identitätsvorstellung verbindet. 109 BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 16 (juris) = BGHZ 189, 346 (352 f.) mit Verweis u. a. auf BGH, Urt. v. 13.7.1977 – VIII ZR 243/75 unter IV. = WM 1977, 1169 (1170); LG Gießen, Beschl. v. 6.3.2013 – 1 S 337/12 Rn. 8. 110 Siehe dazu MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 138; Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 12; Soergel/Leptien, § 164 Rn. 24; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu § 164 ff. Rn. 88, 92; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 908; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 53; Lieb, JuS 1967, 106 (107 f.); Ohr, AcP 152 (1952/53), 216.
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A. Das Rechtsproblem
4. Zurechnung von verdecktem Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge Neben der Zurechnung von verdecktem Dritthandeln bei Vornahme von Rechtsgeschäften erweist sich auch die Zurechnung verdeckten Dritthandelns innerhalb von bestehenden (Rahmen-)Vertragsbeziehungen als problematisch, beispielsweise bei Versorgungsverträgen über die Lieferung von Strom, Gas, Fernwärme oder Wasser, bei Verträgen über die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen und bei Zahlungsdiensterahmenverträgen i. S. d. § 675 Abs. 2 BGB. Der Vertragskunde ist durch den Vertrag mit dem jeweiligen Anbieter verpflichtet, die abgerufenen Leistungen des Leistungserbringers nach Maßgabe des vereinbarten Tarifs zu bezahlen. Typischerweise ist der Vertragskunde jedenfalls bei Versorgungs- und Telekommunikationsverträgen jedoch nicht die einzige Person, die die vom Anbieter bereitgestellten Leistungen abruft. Andere Familienmitglieder, Freunde und Bekannte sowie sonstige Gäste nutzen ebenso Wasser, Strom und Telefon, müssen die Leistungsentnahmen jedoch mangels eigenen Vertrages mit den Leistungserbringern diesen gegenüber nicht vergüten. Vielmehr findet im Ergebnis eine Zurechnung der Leistungsentnahmen zum jeweiligen Vertragskunden statt. Unter welchen Voraussetzungen diese Zurechnung erfolgt, insbesondere bei Fehlen einer unmittelbaren oder zumindest mittelbaren vertraglichen Bestimmung diesbezüglich, ist Gegenstand dieser Arbeit.
IV. Kritik an der rechtlichen Einordung des Handelns unter fremdem Namen 1. Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdgeschäft a) Die maßgebliche Sicht des Geschäftsgegners Die Abgrenzung von Eigengeschäft des unter fremdem Namen Handelnden und Fremdgeschäft des Namensträgers nicht nach dem (inneren) (Vertreter-)Willen des Handelnden, sondern anhand der objektiv-normativen Sicht des Geschäftsgegners gemäß §§ 133, 157 BGB überzeugt.111 Doch liegt darin keine Besonderheit dieser Rechtsfigur, vielmehr ergibt sich dies schlichtweg aus der Anwendung des Gesetzes. Nicht nur aus der objektiv-normativen Sicht des Geschäftsgegners, sondern auch aus der Sicht des unter fremdem Namen Handelnden soll das Rechtsgeschäft zwischen dem Namensträger und dem Geschäftsgegner zustandekommen. Denn nur in dieser Weise kann
111 Heyers,
JR 2014, 227 (231 f.).
IV. Kritik an der Einordung des Handelns unter fremdem Namen 45
der unter fremdem Namen Handelnde die Willenserklärung, die der Geschäftsgegner abgibt, in der Regel verstehen. b) Die Kriterien für die Auslegung Die Auslegung gemäß dem objektiv-normativen Empfängerhorizont des Geschäftsgegners richtet sich nach den allgemeinen Regeln stets nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.112 Aus dem objektiven Verständnis folgt allerdings, dass verschiedene Geschäftsgegner denselben Einzelfall nach denselben Maßstäben und damit grundsätzlich im Ergebnis gleich auslegen. Daher lassen sich für die verschiedentlich denkbaren Konstellationen zumindest im Groben einheitliche Kriterien der Auslegung bestimmen. Ein für die Auslegung bedeutsamer Unterschied liegt jedoch darin, ob der unter fremdem Namen Handelnde und der Geschäftsgegner bei Vornahme des Rechtsgeschäfts Anwesende oder Abwesende i. S. d. § 130 Abs. 1 BGB sind. Unter Anwesenden dürfte der persönliche Eindruck von der Person des unter fremdem Namen Handelnden grundsätzlich im Vergleich wesentlich mehr ins Gewicht fallen,113 während unter Abwesenden im Rechtsverkehr Identitätsmerkmale wie der Name sowie andere (elektronische) Legitimationskennzeichen typischerweise größere Bedeutung haben.114 Somit liegt beim Handeln unter fremdem Namen unter Anwesenden in der Regel eher ein Eigengeschäft des Handelnden und unter Abwesenden eher ein Fremdgeschäft des Namensträgers vor. Zwingend ist dies jedoch nicht. Wenig überzeugend ist es, bei der Auslegung entscheidend auf die Vorteilhaftigkeit des Auslegungsergebnisses für den jeweils betroffenen Geschäftsgegner hinsichtlich der damit verbundenen Rechtsfolgen abzustellen.115 Nicht wen der Geschäftsgegner als Partner des Rechtsgeschäfts – etwa im Hinblick auf den redlichen Erwerb gemäß §§ 932 ff. BGB – wünscht, ist maßgebend, sondern wen er anhand der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls aus seiner objektiv-normativen Empfängersicht als solchen versteht.
112 Siehe
dazu ausführlich später unter D.V. Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksichtigung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 74 ff., der seiner Ansicht den Sachverhalt aus RG, Urt. v. 15.3.1919 – V 242/18 = RGZ 95, 188 ff. zugrunde legt. 114 Mankowski, CR 2007, 606. 115 So aber BGH, Urt. v. 1.3.2013 – V ZR 92/12 Rn. 9 (juris) = NJW 2013, 1946 f.; OLG Hamm, Urt. v. 22.2.2016 – 5 U 110/15 Rn. 46 (juris); siehe auch Holzhauer, JuS 1997, 43 (48); Jaensch, BB 2013, 1492; auch Soergel/Link/Löffler, NJOZ 2013, 1321 (1324 f.) muss wohl so verstanden werden; kritisch hingegen Heyers, JR 2014, 227 (228); ders., Jura 2013, 1038 (1040 ff.); differenzierend Vogel, Jura 2014, 419 (425). 113 Hinke,
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A. Das Rechtsproblem
2. Die analoge Anwendung der §§ 164 ff. beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung a) Fehlende Offenkundigkeit als Anwendungssperre für die §§ 164 ff. BGB Das in § 164 Abs. 1 S. 1 BGB tatbestandlich vorausgesetzte Offenkundigkeitsprinzip (auch Offenheitsprinzip oder Offenlegungsgrundsatz)116 besteht aus zwei für die Stellvertretung117 wesensbestimmenden Elementen.118 Zum einen muss die Vertretung als solche erkennbar sein,119 zum anderen die Person des Vertretenen.120 Beides schützt den Geschäftsgegner,121 aber auch den rechtsgeschäftlichen Verkehr.122 Der Geschäftsgegner muss erkennen können, dass das in Rede stehende Rechtsgeschäft nicht der Person gilt, mit der er verhandelt, sondern Fremdwirkung hat.123 Während der Geschäftsgeg116 Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 35; siehe zur Terminologie auch Soergel/Leptien, Vor § 164 Rn. 23; Bork, BGB AT, Rn. 1379; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 9; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 45; Einsele, JZ 1990, 1005. 117 Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 28. 118 Insoweit unterscheidet auch Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 425 deutlich; siehe ebenso Heyers, JR 2014, 227 (228 ff.); Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 104 f., 106. 119 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 107, 110; Geusen, Das Handeln unter fremdem Namen im Zivilrecht, S. 21, 59; Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 18; Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksichtigung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 73, 74, 81 ff.; Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 105, 107, 121; Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 31, 88 f., 91, 137 f.; Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 145; kritisch hingegen, und mit sich selbst in Widerspruch setzend später auf S. 91 f., wenn er dort auf die Erkennbarkeit verzichtet; weiter auch Herresthal, JZ 2011, 1171 (1172 f.); Heyers, JR 2014, 227 (229); Mankowski, CR 2007, 606 (606). 120 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 110; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 45; Wertenbruch, BGB AT, § 28 Rn. 13; Geusen, Das Handeln unter fremdem Namen im Zivilrecht, S. 21, 59; Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksichtigung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 68 f., 73, 74, 81 ff.; diesbezüglich eher zurückhaltend Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 31, 137 f.; Bartels, Jura 2015, 438 (441). 121 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 107; Geusen, Das Handeln unter fremdem Namen im Zivilrecht, S. 21; siehe auch Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 116 f. 122 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 107; Bork, BGB AT, Rn. 1378, der den Schutz des Rechtsverkehrs als rein reflexartig beschreibt; Einsele, JZ 1990, 1005 (1006); a. A. K. Müller, JZ 1982, 777 (779); so wohl auch G. Hager, AcP 180 (1980), 239 (262). 123 MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 107; Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 18, 22; Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksichti-
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ner auf die Benennung und sogar auf die Bestimmung der Person des Vertretenen bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nach zumindest weit verbreiteter Ansicht verzichten kann, solange diese wenigstens bestimmbar ist bzw. zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt wird, wenn er weiß, dass eine Stellvertretungskonstellation vorliegt, ist hingegen ein (bewusster) Verzicht auf die Offenlegung der Stellvertretungskonstellation bereits deshalb nicht möglich, weil der Geschäftsgegner mangels deren Erkennbarkeit keine bewusste Entscheidung darüber trifft. Aus diesem Grund ist eine entsprechende Anwendung des Stellvertretungsrechts zwar denkbar, wenn es an einer eigenen Willenserklärung des Vertreters oder an der Erkennbarkeit des Vertretenen fehlt, nicht jedoch, wenn die Stellvertretungskonstellation insgesamt verdeckt bleibt.124 Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, verstanden als Erkennbarkeit der stellvertretungstypischen Dreipersonenkonstellation aus der objektivnormativen Sicht des Geschäftsgegners gemäß §§ 133, 157 BGB, ist das charakteristische Spezifikum des Stellvertretungsrechts, das notwendige Voraussetzung für die Anwendung der §§ 164 ff. BGB ist.125 Wegen der fehlenden Erkennbarkeit der Stellvertretungskonstellation beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung können die §§ 164 ff. BGB in diesen Fällen daher weder unmittelbare noch analoge Anwendung finden, wie im Nachfolgenden weiter erläutert wird. b) Wortlaut des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB Der Wortlaut des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB spricht gegen dessen unmittelbare Anwendung auf die Fälle der Identitätstäuschung beim Handeln unter fremdem Namen,126 bei denen das Dritthandeln für den Geschäftsgegner nicht gung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 68 f., 73, 74, 77 f., 81 ff.; Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 104 ff.; Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 81; ebenso wohl Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 426 und Bartels, Jura 2015, 438 (441, 444); Heyers, JR 2014, 227 (229); Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 124 Bei fehlender Vertretungsmacht bedarf es freilich schon deshalb keiner Überlegungen über die Möglichkeit der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts, weil dessen Vorschriften diesen Fall in den §§ 170–173 und §§ 177–179 BGB bereits unmittelbar regeln. 125 Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 51; so auch Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 104 f., 107, der jedoch – insoweit inkonsequent – die analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB beim Handeln unter fremdem Namen zulässt (S. 109 ff., 113, 115 ff., 121 ff., 144 f.); auch Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 426 muss wohl so verstanden werden; siehe zudem HKK/ Schmoeckel, BGB, §§ 164–181 Rn. 9. 126 Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 107; in diese Richtung wohl ebenso Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksich-
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erkennbar ist. Auch aus den Umständen i. S. d. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt sich nicht, dass die Erklärung des unter fremdem Namen Handelnden im Namen des Namensträgers erfolgen soll. Wäre dies der Fall, läge gerade kein Handeln unter, sondern in fremdem Namen vor.127 Einer analogen Anwendung des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. des gesamten Stellvertretungsrechts steht in diesen Fällen der Wortlaut des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB freilich nicht von vorneherein zwingend entgegen, da Voraussetzung einer Analogie gerade ist, dass der betroffene Sachverhalt nicht vom Wortlaut gesetzlicher Vorschriften erfasst wird, also eine Regelungslücke besteht.128 c) Systematik des Stellvertretungsrechts Allerdings sprechen systematische Gründe gegen die (analoge) Anwendung der Stellvertretungsregeln bei verdecktem Dritthandeln des unter fremdem Namen Handelnden in den Fällen der Identitätstäuschung.129 Die systematische Auslegung von Normen besteht im Wesentlichen aus zwei Elementen. Erstens fragt sie nach dem Verhältnis einzelner Normen zur Gesamtheit des Normensystems, somit letztlich zur Rechtsordnung insgesamt.130 Zweitens strebt sie nach einer Einheitlichkeit des Systems im Sinne einer zumindest sprachlichen und logischen Widerspruchsfreiheit, wobei sie sich an einem inneren, kohärenten System allgemeiner Rechtsprinzipien und Wertungen orientiert, die idealiter das (spezifische) Recht durchziehen.131 Vor diesem Hintergrund passt § 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht in ein Systemverständnis des Stellvertretungsrechts, wonach dieses auch verdecktes Dritthandeln dem Namensträger zurechnet. Die Erteilung der Vollmacht durch Erklärung gegenüber dem Dritten, demgegenüber die Vertretung stattfinden soll, gemäß § 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB geht nicht mit dem verdeckten Dritthandeln eines unter fremdem Namen Handelnden einher. Denn wenn der Geschäftsgegner von der Bevollmächtigung des Handelnden durch Mitteilung durch den Vollmachtgeber weiß, stellt sich das anschließende Hantigung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 74; anders indes Flume, BGB AT II, § 44 IV (S. 778). 127 Siehe hierzu bereits unter A.II.1. 128 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 214 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechts theorie, § 23 Rn. 822 ff., 889 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11 I (S. 52 ff.). 129 Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 19; Heyers, JR 2014, 227 (230). 130 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 99 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 22 Rn. 745 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 8 (S. 35 ff.), § 10 III (S. 42 ff.). 131 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 99 ff., 104 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 22 Rn. 744, 746; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 III (S. 42 ff.).
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deln des unter fremdem Namen Handelnden aus der maßgeblichen Sicht des Geschäftsgegners objektiv-normativ nicht mehr als Handeln unter, sondern in fremdem Namen dar. Dies gilt in gleicher Weise für die §§ 170–173 BGB, die jeweils implizit voraussetzen, dass die stellvertretungsrechtliche Dreipersonenkonstellation – jedenfalls für den Geschäftsgegner – offenbar, also offensichtlich ist. Besonders plastisch wird dies bei § 172 Abs. 1 BGB, da kaum vorstellbar ist, dass der Handelnde als Bevollmächtigter eine Vollmachtsurkunde vorlegt, ohne damit zugleich zu erklären, im Namen des Vollmachtgebers zu handeln. Ebenso wenig ließe sich § 174 S. 1 BGB (und auch § 180 S. 2 BGB) in ein solches System integrieren.132 Der betreffende Geschäftsgegner kann von seinem Recht zur unverzüglichen Zurückweisung eines einseitigen Rechtsgeschäfts überhaupt nur dann Gebrauch machen, wenn für ihn erkennbar ist, dass die Konstellation einer Stellvertretung vorliegt, weshalb selbst die Befürworter der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts in den Fällen der Identitätstäuschung beim Handeln unter fremdem Namen für § 174 S. 1 BGB eine Ausnahme anerkennen müssen.133 Einige Vorschriften des Stellvertretungsrechts sind somit nicht nur dem Wortlaut nach, sondern insbesondere auch aus systematischen Gründen nur auf Konstellationen anwendbar, in denen das Dritthandeln des unter fremdem Namen Handelnden für den Geschäftsgegner erkennbar ist. Wenn aber bereits eine ganze Reihe von Regelungen der §§ 164 ff. BGB nicht auf verdeckte Dreipersonenkonstellationen passen, ist kaum nachvollziehbar, die Zurechnung des Handelns unter fremdem Namen auf Grundlage einer analogen Anwendung von § 164 Abs. 1 S. 1 BGB vorzunehmen. d) Telos des Offenkundigkeitsprinzips Das Erfordernis der Erkennbarkeit der Dreipersonenkonstellation für den Geschäftsgegner für die allgemeine Anwendbarkeit des Stellvertretungsrechts folgt auch aus Schutzzweckerwägungen. Das Merkmal der Offenkundigkeit in § 164 Abs. 1 S. 1 BGB dient vor allem dem Schutz des Geschäftsgegners,134 132 Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 108; so ist wohl auch Heyers, JR 2014, 227 (230) zu verstehen. 133 Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 19; Köhler, in: FS Schippel, S. 209 (213). 134 HKK/Schmoeckel, BGB, §§ 164–181 Rn. 9; MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 107; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 18; Larenz/Wolf, BGB AT, 9. Aufl. 2004, § 46 Rn. 19; Leipold, BGB AT, § 22 Rn. 3; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 44 f.; siehe ebenso Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 107 f.; siehe dazu schon unter A.IV.2.a).
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beispielsweise wenn dieser mit einer bestimmten Person keinen Vertrag schließen will,135 aber auch dem Schutz des Rechtsverkehrs.136 Offenkundigkeit bloß in Bezug auf die Person des Kontrahenten genügt zum Schutze des Geschäftsgegners insofern nicht, vielmehr bedarf es darüber hinaus der Offenkundigkeit der Stellvertretungskonstellation als solcher.137 Hinreichende Sicherheit erhält der Geschäftsgegner nur, wenn er neben der Identität seines Vertragspartners auch die Dreipersonenkonstellation kennt. Gewöhnlich stellt eine Person vor der Vornahme eines Rechtsgeschäfts eine Reihe von Überlegungen an, die nicht nur die Einschätzung der Solvenz des potentiellen Vertragspartners einschließen, sondern – wegen einer möglichen Haftung aus § 179 BGB – auch des dazwischengeschalteten Vertreters. Weiß der Geschäftsgegner nichts von der Stellvertretungskonstellation, ist ihm verwehrt, den Bestand und den Umfang der Vertretungsmacht vor Abschluss des Rechtsgeschäfts zu prüfen oder sich zur Erreichung der Wirkungen der §§ 172, 173 BGB eine Vollmachtsurkunde vorlegen zu lassen.138 Denkbar ist zudem, dass der Geschäftsgegner aus persönlichen oder wettbewerblichen Gründen ein Geschäft mit einer bestimmten Person nicht abschließen will, etwa um nicht einem Konkurrenten einen Vorteil zu verschaffen. Auch könnte der Geschäftsgegner die Vornahme eines Rechtsgeschäfts über einen Mittelsmann generell ablehnen, z. B. weil das Risiko des Scheiterns des mit dem Rechtsgeschäft angestrebten Erfolgs mit Zunahme der daran beteiligten Personen wegen der damit verbundenen wachsenden Anzahl potentieller Fehlerquellen steigt. Der Geschäftsgegner könnte an der reibungslosen Abwicklung des betreffenden Rechtsgeschäfts ein besonderes Interesse haben, etwa wenn er auf die vom Namensträger zu erbringende Leistung dringend angewiesen ist, so dass er lieber unmittelbar mit dem Namensträger oder direkt mit einem anderen potentiellen Vertragspartner verhandeln würde, um das Risiko der Nichterfüllung so weit wie möglich zu minimieren. Zwar ist allgemein anerkannt, dass eine von Gesetzes wegen besonders geschützte Person grundsätzlich über ihren Schutz disponieren, also auch vollständig auf diesen verzichten kann. Allerdings setzt dies notwendig die Kenntnis über die Konstellation voraus. 135 Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 55; in diese Richtung ist wohl auch Herold, Telemedicus vom 11.2.2019 unter III.2. zu verstehen. 136 Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 18; Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 59 f.; Einsele, JZ 1990, 1005 (1009 f.); Heyers, JR 2014, 227 (229 f.); siehe hierzu auch schon unter A.IV.2.a). 137 Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 18; Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksichtigung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 73, 74 f.; Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 107 f.; Heyers, JR 2014, 227 (229 f.); siehe dazu schon unter A.IV.2.a). 138 Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 107 f.
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Ein Geschäftsgegner kann in den Fällen des offenen Handelns für den, den es angeht, und in dem Fall der erst nachträglichen Bestimmung seines Vertragspartners auf dessen Benennung zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts verzichten,139 weil er davon Kenntnis hat. Ist ihm die Dreipersonenkonstellation hingegen unbekannt, so kann er über seinen Schutz nicht disponieren. Zwar mag es sein, dass die Anwendung bestimmter einzelner Vorschriften des Stellvertretungsrechts, wie etwa der §§ 177, 179 BGB, dem Geschäftsgegner im Nachgang des Vertragsschlusses zum Vorteil gereichen können. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendung sämtlicher Vorschriften des Stellvertretungsrechts stets und ausnahmslos vorteilhaft für ihn wäre. Man denke etwa nur an die Haftungsbeschränkung des beschränkt geschäftsfähigen Vertreters ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 Abs. 3 BGB. e) Entstehungsgeschichte des Stellvertretungsrechts Aus der gesetzgeberischen Historie des Stellvertretungsrechts ergeben sich keine Argumente für, allerdings auch keine gegen die Anwendung des Stellvertretungsrechts auf verdeckte Dritthandlungen. Insbesondere wird das Handeln unter fremdem Namen in den Gesetzesmaterialien nicht erwähnt. Immerhin betonen jedoch sowohl die Motive140 als auch die Denkschrift141 die Wesentlichkeit der nach außen sichtbaren Kundgabe des Vertreterwillens für ein in Vertretung vorgenommenes Rechtsgeschäft.142 Indes ist damit nicht gesagt, ob neben der Identität des Vertragspartners auch die Offensichtlichkeit der Stellvertretungskonstellation gemeint ist. f) Wahrung des Offenkundigkeitsprinzips bei der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts in sonstigen Konstellationen Eine Betrachtung der sonstigen Konstellationen, in denen die §§ 164 ff. BGB in ihrer Gesamtheit oder wenigstens in Teilen analoge Anwendung finden sollen, zeigt, dass die Identitätstäuschung beim Handeln unter fremdem Namen die einzige Konstellation wäre, in der es an einer Offenkundigkeit des Dreipersonenverhältnisses und somit des Dritthandelns fehlen würde. In sämtlichen sonstigen Fällen ist die Offenkundigkeit aus der maßgeblichen Sicht des betreffenden Geschäftsgegners erkennbar. Dies gilt für die analoge
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hierzu auch schon unter A.IV.2.a). I 225. 141 Denkschrift I 28. 142 Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 28. 140 Motive
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Anwendung der §§ 177–179 BGB auf den Pseudoboten143 wie auch auf einen bewusst falsch übersetzenden Dolmetscher,144 bei denen für den betreffenden Gegenüber jeweils klar ist, dass dahinter letztlich eine andere Person steht. Dies gilt ebenso beim Handeln eines Vertreters für eine (noch) nicht existente juristische Person oder eine Personengesellschaft145 und beim Handeln eines Amtswalters146. Eine Ausnahme scheint lediglich das verdeckte (echte) Geschäft für den, den es angeht, bei Bargeschäften des täglichen Lebens zu sein. Bei solchen ist für den Geschäftsgegner auch nicht aus den Umständen i. S. d. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB erkennbar, dass der Handelnde für einen Hintermann agiert. Dennoch sollen die §§ 164 ff. BGB (unmittelbare) Anwendung finden.147 Allerdings ist dies gerade wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen das Offenkundigkeitsprinzip, der Problematik einer stringenten dogmatischen Begründung und mangels Bedürfnis eines solchen Instituts stark umstritten,148 so dass es nicht als Grundlage für die Bestimmung eines einheitlichen Prinzips der analogen Anwendung der §§ 164 ff. BGB tauglich ist. Sämtlichen sonstigen Konstellationen der analogen Anwendung zumindest einzelner Vorschriften des Stellvertretungsrechts ist die Erkennbarkeit der 143 OLG Oldenburg, Urt. v. 19.1.1978 – 1 U 88/77 Rn. 21 f. (juris) = NJW 1978, 951 f.; BeckOK BGB/Schäfer, § 177 Rn. 12; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 177 Rn. 8; MüKoBGB/Schubert, § 177 Rn. 7; Soergel/Leptien, § 177 Rn. 11; Staudinger/Schilken (2019), § 177 Rn. 22; Bork, BGB AT, Rn. 1361; Flume, BGB AT II, § 43, 4 (S. 759); Medicus/Petersen, BGB AT, § 48 Rn. 747 f.; Neuner, BGB AT, § 41 Rn. 40, § 51 Rn. 20. 144 BeckOK BGB/Schäfer, § 177 Rn. 12; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 177 Rn. 8; MüKoBGB/Schubert, § 177 Rn. 7; Soergel/Leptien, § 177 Rn. 11; Staudinger/Schilken (2019), § 177 Rn. 22. 145 BGH, Urt. v. 12.11.2008 – VIII ZR 170/07 Rn. 10 (juris) = BGHZ 178, 307 (311); Urt. v. 7.5.1984 – II ZR 276/83 Rn. 8 (juris) = BGHZ 91, 148 (152); Urt. v. 8.7.1974 – II ZR 180/72 Rn. 12 ff. (juris) = BGHZ 63, 45 (48 f.); Urt. v. 14.3.1973 – VIII ZR 114/72 Rn. 10 (juris) = NJW 1973, 798; BeckOK BGB/Schäfer, § 177 Rn. 16; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, § 177 Rn. 9; MüKoBGB/Schubert, § 177 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, § 177 Rn. 3; Soergel/Leptien, § 177 Rn. 12; Staudinger/ Schilken (2019), § 177 Rn. 20; Flume, BGB AT II, § 47, 1 (S. 799). 146 RG, Urt. v. 15.11.1912 – III 188/12 = RGZ 80, 416 (418); BeckOK BGB/ Schäfer, § 177 Rn. 17; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 177 Rn. 8; MüKoBGB/Schubert, § 177 Rn. 7; Soergel/Leptien, § 177 Rn. 11; Staudinger/Schilken (2019), § 177 Rn. 19. 147 H. M., siehe BGH, Urt. v. 21.12.1954 – I ZR 13/54 unter IV.5. (juris) = NJW 1955, 587 (590); Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 164 Rn. 14; MüKoBGB/ Schubert, § 164 Rn. 128; Palandt/Ellenberger, § 164 Rn. 8; Soergel/Leptien, Vor § 164 Rn. 29; Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 53 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 1399 f.; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 21; Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 50; Einsele, JZ 1990, 1005 (1009 f.); Mock, JuS 2008, 309 (312 f.). 148 Flume, BGB AT II, § 44 II 2 (S. 774 f.); K. Schmidt, JuS 1987, 425 (429); kritisch auch Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 53 ff.
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Dreipersonenkonstellation für den jeweils betroffenen Geschäftsgegner – und damit die Offenkundigkeit des Dritthandelns des Handelnden – gemeinsam. Die allgemeine Anerkennung der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts bei der Identitätstäuschung beim Handeln unter fremdem Namen fällt also aus dem Rahmen und bildet einen Sonderfall. g) Keine Analogie bei fehlender Regelungslücke im Gesetz Voraussetzung und Ausgangspunkt einer analogen Anwendung einer Vorschrift ist der Bestand einer gesetzlichen Regelungslücke.149 Eine solche bestünde beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung nur dann, wenn diese Konstellation nicht bereits vom Gesetz erfasst würde. Da aus der maßgeblichen Sicht des Geschäftsgegners eine Willenserklärung des Namensträgers vorliegt, ist es angezeigt, zuerst festzustellen, ob die Willenserklärung, die der unter fremdem Namen Handelnde abgibt, in ihrer rechtlichen Wirkung eine solche des Namensträgers ist. Erst wenn diese Überlegung nicht weiterführt und keine alternativen Lösungen dem Gesetz entnommen werden können, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob das Gesetz eine Regelungslücke aufweist, diese planwidrig ist und wie diese zu schließen ist. 3. Keine Anwendung der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht beim Handeln unter fremdem Namen a) Kein Rechtsschein einer Bevollmächtigung bei verdecktem Dritthandeln Die Anwendung der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht auf das Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung durch Rechtsprechung150 und herrschende Lehre151 begegnet erheblichen Bedenken. Zwar ist ohne Probleme vorstellbar und daher möglich, dass der 149 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 214 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 23 Rn. 889 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11 I (S. 52 ff.). 150 BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 14 ff. (juris) = BGHZ 189, 346 (352 f.); in Ansätzen früher noch zweifelnd der BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 16 ff. (juris) = BGHZ 166, 369 (373 ff.); differenzierend das LG Fulda, Urt. v. 19.9.2011 – 4-2 O 108/09 Rn. 23 ff. (juris). 151 Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 35 f.; Bork, BGB AT, Rn. 1411; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 23; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 908; Wertenbruch, BGB AT, § 28 Rn. 15, § 31 Rn. 21; Faust, JuS, 1027 (1028); Klein, MMR 2011, 450 (451); Oechsler, AcP 208 (2008), 565 (568 f., 582 f.); ders., Jura 2012, 581 (583); siehe schon zum Bildschirmtext früher Friedmann, Bildschirmtext, S. 89 ff.; kritisch aber MüKoBGB/Schubert, § 164 Rn. 123 f.; ebenso Herresthal, JZ 2011, 1171 ff.
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A. Das Rechtsproblem
Namensträger das Auftreten des unter seinem Namen Handelnden wissentlich duldet oder bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, so dass aus diesem Blickwinkel gemäß der gängigen Dogmatik der Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht eine Zurechenbarkeit gegeben sein könnte. Doch kann beim Handeln unter fremdem Namen mangels Auftretens des Handelnden als Vertreter im Namen des Namensträgers kein Rechtsschein einer Bevollmächtigung entstehen.152 Aus der maßgeblichen Sicht des Geschäftsgegners handelt kein Vertreter im Namen eines Vertretenen, sondern eine Person unter und in eigenem Namen. Handeln unter fremdem Namen erweckt bloß den Anschein des Handelns des Namensträgers, keineswegs jedoch der Bevollmächtigung des Handelnden.153 b) Irrelevanz von Dauer und Häufigkeit des Auftretens unter fremdem Namen Besonders deutlich wird die mangelnde Kompatibilität des verdeckten Dritthandelns, wie es beim Handeln unter fremdem Namen vorliegt, mit den Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht bei den Merkmalen der Dauer und Häufigkeit des Auftretens als Vertreter. Nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre sollen die Grundsätze der Anscheinsvollmacht in der Regel nur dann greifen, wenn das Verhalten des einen Teils, aus dem der Geschäftsgegner auf die Bevollmächtigung des Dritten glaubt schließen zu können, von einer gewissen Dauer und Häufigkeit ist.154 Doch welche Person – insbesondere bei Rechtsgeschäften unter Abwe152 MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 124; Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 35 f.; Brox/Walker, BGB AT, § 24 Rn. 15 Fn. 13; Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 145 f.; Faust, JuS 2011, 1027 (1028); Hauck, JuS 2011, 967 (969); Herresthal, JZ 2011, 1171 (1172); ders., JZ 2017, 28 (32); Linardatos, Jura 2011, 53 (54); Oechsler, Jura 2012, 581 (583); Schinkels, LMK 2011, 320461; Sonnentag, WM 2012, 1614 (1615); Stöber, JR 2012, 225 (228 f.); in diese Richtung ebenso bereits Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elek tronischen Geschäftsverkehr, S. 195, 197. 153 Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 145 f.; Faust, JuS 2011, 1027 (1028); Hauck, JuS 2011, 967 (969); Herres thal, JZ 2011, 1171 (1172); ders., JZ 2017, 28 (32). 154 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 65 (juris) = BGHZ 208, 331 (352); Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 18 (juris) = BGHZ 189, 346 (353 f.); Urt. v. 10.1.2007 – VIII ZR 380/04 Rn. 25 (juris) = NJW 2007, 987 (989); Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 17 (juris) = BGHZ 166, 369 (374 f.); Urt. v. 5.3.1998 – III ZR 183/96 Rn. 11 (juris) = NJW 1998, 1854 (1855); Urt. v. 9.6.1986 – II ZR 193/85 Rn. 8 (juris) = NJW-RR 1986, 1169; Urt. v. 13.7.1977 – VIII ZR 243/75 Rn. 20 (juris) = WM 1977, 1169 (1170); Urt. v. 4.5.1971 – VI ZR 126/69 Rn. 22 (juris) = WM 1971, 906 (907); Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 178/55 = NJW 1956, 1673 (1674); Urt. v. 5.1.1955 – VI ZR 227/53 = WM 1955, 230 (232); Urt. v. 10.3.1953 – I ZR
IV. Kritik an der Einordung des Handelns unter fremdem Namen 55
senden – tatsächlich unter dem Namen des Namensträgers handelt, ist für den Geschäftsgegner nicht erkennbar.155 Neben dem Namensträger und dem zum betreffenden Zeitpunkt unter dessen Namen Handelnden können dies beliebig viele andere Personen sein. Daher sind Dauer und Häufigkeit keine geeigneten Kriterien, um einen belastbaren Rechtsschein zu erzeugen.156 Denkbar wäre allenfalls, dass sich bei vergangenen Rechtsgeschäften zwischen dem Namensträger und dem Geschäftsgegner das jeweilige Handeln unter fremdem Namen stets im Nachhinein als solches offenbart hat, und die auf diese Weise vorgenommenen Rechtsgeschäfte zudem stets anstandslos durch den Namensträger erfüllt worden sind, etwa durch Begleichung von Rechnungen oder Erbringung sonstiger vereinbarter Gegenleistungen. Indes würde dann immer noch kein Rechtsschein einer Bevollmächtigung entstehen, denn in den einzelnen Konstellationen könnte je nach den Umständen der Handelnde jeweils auch der Namensträger selbst gewesen sein. c) Ansatz einer eigenständigen Rechtsscheinhaftung nach den allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen Mangels Auftretens des Handelnden als Vertreter soll beim Handeln unter fremdem Namen statt einer Rechtsscheinvollmacht eine eigenständige Rechtsscheinhaftung in Betracht kommen.157 Eine solche wird wahlweise 76/52 = MDR 1953, 345 (346); OLG Bremen, Beschl. v. 21.6.2012 – 3 U 1/12 Rn. 28 (juris) = NJW-RR 2012, 1519 (1520); MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 110; Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 146 f. 155 Dies erkennt auch der BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 17 (juris) = NJW 2006, 1971 (1972); siehe weiter das LG Darmstadt, Urt. v. 28.8.2014 – 28 O 36/14 Rn. 48 f. (juris) = WM 2014, 2323 (2326); so ist wohl auch das LG Fulda, Urt. v. 19.9.2011 – 4-2 O 108/09 Rn. 28 (juris) zu verstehen; Faust, JuS 2011, 1027 (1028); Härting, BB 2011, 2187 (2188); Hauck, JuS 2011, 967 (969); Herresthal, JZ 2011, 1171 (1173); ders., JZ 2017, 28 (33); Schinkels, LMK 2011, 320461; kritisch auch Härting/Strubel, BB 2011, 2188 (2189), die deswegen eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zumindest im elektronischen Geschäftsverkehr bereits beim ersten Handeln unter fremdem Namen fordern; die Besonderheiten des elektronischen Geschäftsverkehrs ebenfalls bereits betonend Herresthal, JZ 2011, 1171 (1172); bereits zum Bildschirmtext ebenso in diese Richtung Friedmann, Bildschirmtext, S. 93 f., 110 f. 156 Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 146 f.; Faust, JuS 2011, 1027 (1028); Herresthal, JZ 2011, 1171 (1173); ders., K&R 2008, 705 (706 f.); Schinkels, LMK 2011, 320461 unter 2.b)aa); Sonnentag, WM 2012, 1614 (1615). 157 MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 124; Borges, NJW 2011, 2400 (2401); Faust, JuS 2011, 1027 (1028); Hauck, JuS 2011, 967 (969); Herresthal, JZ 2017, 28 (33); ders., JZ 2011, 1171 (1172 f.); ders., K&R 2008, 705 (707 ff.); Linardatos, Jura 2012, 53 (54); Oechsler, AcP 208 (2008), 565 (566; 582 f.); ders., Jura 2012, 581 (583);
56
A. Das Rechtsproblem
auf §§ 171, 172 BGB (analog)158 oder auf § 56 HGB159 gestützt. Bereichsabhängig wird die Formulierung unterschiedlicher Rechtsscheintatbestände vorgeschlagen, im elektronischen Zahlungsverkehr etwa das rechtsgeschäftliche Handeln mit einem fremden, individualisierenden Legitimationskennzeichen, wenn die Dispositionsmöglichkeit über das Legitimationskennzeichen effektiv begrenzt ist,160 im allgemeinen elektronischen Geschäftsverkehr beispielsweise bei der Nutzung eines fremden elektronischen Nutzerkontos. Allerdings könne ein Rechtsschein nur dann entstehen, wenn diese Legitimationskennzeichen aufgrund von Sicherheitsstandards auch tatsächlich hinreichend geschützt seien, insbesondere gegen unbefugten Zugriff durch Dritte von außen.161 Eine solche Ablehnung der Anwendung der Grundsätze der Duldungsund Anscheinsvollmacht sowie Entwicklung einer eigenständigen Rechtsscheinhaftung beim Handeln unter fremdem Namen würde jedoch bei gleichzeitiger Beibehaltung der Zurechnung mit Wirkung für und gegen den Namensträger durch analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB im Falle des Vorliegens von Vertretungsmacht oder einer Genehmigung gemäß § 177 Abs. 1 BGB (analog) im Ergebnis zu einer wenig wünschenswerten gespaltenen Zurechnung des Handelns unter fremdem Namen führen. Denn bestünde Vertretungsmacht oder würde das unter fremdem Namen Handeln ohne Vertretungsmacht später gemäß § 177 Abs. 1 BGB (analog) genehmigt, würde die Zurechnung nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) erfolgen. Hingegen würde bei deren Fehlen, aber bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer (eigenständigen) Rechtsscheinhaftung die Zurechnung des Handelns zum Namensträger und damit unter gänzlich anderen, unterschiedlichen Voraussetzungen erfolgen. Eine solche gespaltene Zurechnung ist aus Gründen größtmöglicher dogmatischer Stringenz abzulehnen. Dies macht umso mehr deutlich, dass die Zurechnung des Handelns unter fremdem Namen zum Namensträger in den Fällen der Identitätstäuschung durch analoge Anwendung des Stellvertretungsrechts dogmatisch nicht überzeugt.
Sonnentag, WM 2012, 1614 (1616 ff.); siehe zudem Stöber, JR 2012, 225 (228 f.); in diese Richtung bereits zum Bildschirmtext Friedmann, Bildschirmtext, S. 94 ff. 158 MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 124. 159 Oechsler, Jura 2012, 581 (583). 160 Herresthal, JZ 2017, 28 (33); ders., K&R 2008, 705 (707). 161 Herresthal, JZ 2011, 1171 (1174); ders., K&R 2008, 705 (707); Sonnentag, WM 2012, 1614 (1616).
IV. Kritik an der Einordung des Handelns unter fremdem Namen 57
4. Bestimmung des Vertragspartners bei Versorgungsverträgen a) Auslegung von Realofferten Die Auslegung der Realofferte eines Versorgungsunternehmens entscheidet darüber, wer deren Adressat ist und demzufolge Vertragspartner des Versorgers werden soll. Daher bestimmt die Auslegung der Realofferte auch, ob die jeweilige Leistungsentnahme ein Eigenhandeln des Adressaten oder ein Dritthandeln einer anderen Person ist. Die Auslegung erfolgt dabei nach den allgemeinen Regeln anhand des objektiv-normativen Empfängerhorizonts gemäß §§ 133, 157 BGB.162 Überzeugend ist das Abstellen auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss, da der Inhaber die Leistungen entweder selbst entnommen haben muss, oder dem tatsächlich Entnehmenden den Zugang zur Entnahmestelle mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ermöglicht oder zumindest nicht verwehrt hat, so dass der Anschlussinhaber aus der maßgeblichen Sicht des Versorgungsunternehmens als Adressat der Realofferte taugt. Dies gilt auch bei Verträgen über die Lieferung von Wasser und Fernwärme, weshalb es widersprüchlich ist, bei diesen im Grundsatz stets den Grundstückseigentümer zu adressieren, selbst wenn dieser mangels Eigennutzung des Grundstücks keine tatsächliche Verfügungsgewalt über den Anschluss hat.163 Aus der gesetzlichen Anschlusspflicht des Versorgungsunternehmens, die gegenüber dem jeweiligen Grundstückseigentümer besteht, auf den Willen des Versorgungsunternehmens zu schließen, das Angebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags an den Grundstückseigentümer zu richten, ist aus objektiv-normativer Empfängersicht nicht zwingend. Der Anschlussvertrag und der spätere Versorgungsvertrag stehen vollkommen separat nebeneinander und können daher auch zwischen verschiedenen Vertragspartnern geschlossen werden. Vielmehr würde es einleuchten, ohne Ausnahmen stets den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss zum Zeitpunkt der erstmaligen Leistungsentnahme während eines vertragslosen Zustands hinsichtlich der Leistung als Adressaten der Realofferte des Versorgers anzusehen, da dieser den Zugang zur Anschluss- und Entnahmestelle beherrscht. Der Grundstückseigentümer begibt sich seiner Verfügungsgewalt, wenn er die Nutzung des 162 So insbesondere BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 13 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 13 (juris) = BGHZ 202, 158 (162 f.) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 11 (juris) = BGHZ 202, 17 (22) m. w. N. 163 In diese Richtung aber BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 17 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 –VIII ZR 316/13 Rn. 15 (juris) = BGHZ 202, 17 (23 f.) m. w. N.; Urt. v. 10.12.2008 – VIII ZR 293/07 (juris) = NJW 2009, 913 ff.; Urt. v. 30.4.2003 – VIII ZR 278/02 (juris) = WuM 2003, 458.
58
A. Das Rechtsproblem
Grundstücks entgeltlich oder unentgeltlich anderen Personen willentlich überlässt, nicht jedoch, wenn das Grundstück ohne Willen des Grundstückseigentümers von Hausbesetzern, Obdachlosen oder sonstigen Personen genutzt wird. b) Keine Unerheblichkeit kurzfristiger geringfügiger Leistungsentnahmen Bloß kurzfristige und geringfügige Leistungsentnahmen sind in dogmatischer Hinsicht keineswegs unerheblich und daher nicht bedeutungslos,164 selbst wenn sie nur das Einschalten der Beleuchtung bei Besichtigungen von Wohnungen oder Grundstücken durch Kauf- oder Mietinteressenten betreffen. Zum einen ist kaum klar bestimmbar, in welchem Umfang eine Leistungsentnahme noch kurzfristig und geringfügig ist.165 Zum anderen widerspricht dies dem Grundbedürfnis, Leistungsentnahmen nach Möglichkeit nicht ohne vertragliche Grundlage zu gewähren.166 Folgerichtiger und systemgerecht wäre es vielmehr, als Adressaten der Realofferte auch in solchen Konstellationen den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss anzusehen. c) Zurechnung von Handlungen Dritter Ein Versorgungsvertrag zwischen dem Versorger und dem Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss kommt dann zustande, wenn der Anschlussinhaber die an ihn adressierte Realofferte annimmt. Dazu bedarf es einer Handlung, die nach dem objektiv-normativen Empfängerhorizont des Versorgers eine korrespondierende Annahmeerklärung des An schlussinhabers ist. Erfolgen Leistungsentnahmen durch andere Personen als den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss, entspricht dies der Konstellation des Handelns unter fremdem Namen unter Abwesenden. In der Rechtsprechung wird bislang nicht thematisiert, wer die Leistung (zuerst) entnommen hat. Meist dürfte in den Fällen entweder unstreitig gewesen sein, dass der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt die Leistungen selbst entnommen hat, oder die Bestimmung der die Leistungen entnehmenden Person ist als unwichtig angesehen worden. Dies macht 164 So aber BGH, Urt. v. 25.2.2016 – IX ZR 146/15 Rn. 23 (juris) = NJW 2016, 2260 (2261) m. w. N.; Urt. v. 2.7.2014 – VIII ZR 316/13 Rn. 21 (juris) = BGHZ 202, 17 (25 f.) m. w. N.; a. A. jedoch OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2013 – 19 U 116/13 Rn. 13 ff. (juris) = NJW-RR 2014, 942. 165 OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2013 – 19 U 116/13 Rn. 15 (juris) = NJW-RR 2014, 942. 166 Siehe unter A.III.2.e)aa).
V. Resümee59
die Frage nach der dogmatischen Konstruktion der Zurechnung von Leistungsentnahmen Dritter natürlich nicht entbehrlich. Bei Leistungsentnahmen eines Mieters eines Grundstücks ist für die Zurechnung zu einem Mitmieter auf § 164 Abs. 1 S. 1 BGB in Kombination mit einer Duldungsvollmacht abgestellt worden.167 Unklar ist jedoch, worin genau ein Handeln in – oder unter – fremdem Namen liegen soll.168 Möglicherweise folgt die Zurechnung aber auch unmittelbar aus der Inhaberschaft der Verfügungsgewalt über den Anschluss, so dass es im Ergebnis für die Zurechnung von Dritthandlungen keine Rolle spielt, ob tatsächlich der Inhaber der Verfügungsgewalt selbst, dessen Familienmitglieder, Freunde und Bekannte oder unbekannte Dritte die Leistungen entnommen haben.
V. Resümee Die herrschende Meinung rechnet das Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung in analoger Anwendung der §§ 164 ff. BGB dem Namensträger zu.169 Dabei grenzt sie die Identitätstäuschung des Handelnden (Fremdgeschäft) durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB aus Sicht des Geschäftsgegners von der Namenstäuschung (Eigengeschäft) ab.170 Eine Zurechnung zum Namensträger erfolgt im Ergebnis bei Vorliegen dementsprechender Vertretungsmacht, bei Genehmigung des Dritthandelns des Handelnden durch den Namensträger gemäß § 177 Abs. 1 BGB und bei Vorliegen der Voraussetzungen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht.171 Bei erstmaligen Leistungsentnahmen aus Versorgungsnetzen ohne Bestehen einer diesbezüglichen vertraglichen Grundlage kommt nach herrschender Ansicht ein Versorgungsvertrag zwischen dem Versorgungsunternehmen und dem Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss zustande, da die Realofferte des Versorgers stets an diesen Anschluss inhaber gerichtet sei.172 Besteht bereits ein Versorgungsvertrag für die Leistungsentnahmen, werden diese stets dem jeweiligen Vertragspartner des Versorgungsunternehmens zugerechnet.
167 BGH,
(166).
Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 24 ff. (juris) = BGHZ 202, 158
168 BGH, Urt. v. 22.7.2014 – VIII ZR 313/13 Rn. 24 ff. (juris) = BGHZ 202, 158 (166), prüft aber weder das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 164 ff. BGB noch diejenigen der Duldungsvollmacht. 169 A.I. bis A.III. 170 A.II.1. 171 A.II.2. 172 A.III.2.e).
60
A. Das Rechtsproblem
Diese Lösungsversuche überzeugen in dogmatischer Hinsicht jedoch nicht.173 Gegen die analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB auf das Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung spricht, dass die Anwendung des Stellvertretungsrechts zwingend die Offenkundigkeit des Drittbezugs des Handelns voraussetzt, also eine für den Geschäftsgegner offene, erkennbare und nicht etwa verdeckte Dreipersonenkonstellation vorliegt.174 Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 164 Abs. 1 BGB175 und wird durch die Systematik des Stellvertretungsrechts176 sowie das Telos der stellvertretungsrechtlichen Vorschriften177 untermauert. Das dogmatische Defizit der Lösung über die Analogie des Stellvertretungsrechts offenbart sich besonders bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, deren Voraussetzungen jeweils an die Erkennbarkeit der Vertreterkonstellation anknüpfen, welche beim verdeckten Dritthandeln unter fremdem Namen jedoch stets fehlt.178 Die Bestimmung des Vertragspartners bei einer erstmaligen Entnahme von Leistungen an einem Versorgungsanschluss durch Abstellen auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss überzeugt grundsätzlich.179 Doch bedarf dieser Ansatz einer weiteren Konturierung, da die Ermittlung des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss bislang nicht nach einheitlichen Kriterien erfolgt. Zudem fehlt es an einem dogmatischen Fundament für die Zurechnung von Leistungsentnahmen, die auf Grundlage eines bestehenden Vertrages, aber nicht durch den Vertragspartner persönlich erfolgen. In dieser Arbeit sollen Alternativlösungen dieser Konstellationen entwickelt werden, die zu interessengerechten und dogmatisch begründeten Ergebnissen führen.180 Im Zentrum steht dabei der Begriff der Zurechnung.
173 A.IV.
174 A.IV.2.a).
175 A.IV.2.b). 176 A.IV.2.c).
177 A.IV.2.d). 178 A.IV.3. 179 A.IV.4.
180 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 20 kritisiert zumindest teilweise zu Recht, dass die modernen Zurechnungslehren im rechtsgeschäftlichen Bereich an einer tragfähigen Begründung mangeln; natürliches Ziel dieser Arbeit ist daher nicht nur, einen eigenständigen Lösungsansatz zu finden, sondern freilich auch, diesen hinreichend zu begründen.
B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen I. Die notwendigen Bedingungen für rechtsgeschäftliche Wirkungen als Ausgangspunkt Die Untersuchung der Möglichkeit der Entstehung und des Umfangs von Erfüllungsverpflichtungen im Zusammenhang mit (verdecktem) Dritthandeln unter fremdem Namen erfordert zunächst, dass bestimmt wird, welche (Mindest-)Voraussetzungen die Rechtsordnung im Allgemeinen und die Rechtsgeschäftslehre im Besonderen für deren Entstehung vorsehen. Eine in sich stimmige Lösung, die aber weder von den allgemeinen Rechtsprinzipien noch von den einzelnen gesetzlichen Vorschriften getragen würde, wäre unvertretbar. Erst nach Sichtung und Bewertung der möglichen Lösungsansätze für die Zurechnung von Dritthandeln unter fremdem Namen kann ein rechtsdogmatisches Modell entwickelt werden, das diesbezüglich sowohl das Praxisproblem löst als auch dem rechtlich gesetzten Rahmen entspricht. Dazu sind die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre1 und die hinter diesen stehenden grundlegenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers zwischen den beiden Polen der Privatautonomie und des Verkehrsschutzes zu untersuchen.2 Dabei ist die klassische Rechtsgeschäftslehre von der ebenso Er füllungsverpflichtungen ermöglichenden Rechtsschein- und Vertrauenshaftung3 abzugrenzen, sowie zwischen Verpflichtungen zur Erfüllung einerseits und zum bloßen Ersatz des positiven oder negativen Interesses andererseits zu unterscheiden.4
1 Diese im Grunde Selbstverständlichkeit betont auch schon Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 107 f.; Kellmann, JuS 1971, 609 (609); siehe dazu weiter unter B.II. 2 Diese Vorgehensweise präferiert ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 26; zu dieser Dogmatik auch R. Dreier, in: Recht – Moral – Ideologie, S. 70 ff., 88 ff. 3 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 334; siehe weiter unter B.III.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 431 f. diskutiert die Frage, inwieweit das Prinzip der Privatautonomie überhaupt gleiche Rechtsfolgen trotz nicht-rechtsgeschäftlichen Handelns zulässt, bejaht dies aber. 4 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 107 f., 333 f.; siehe weiter unter B.II.2.
62
B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
Welche tatbestandlichen Voraussetzungen führen von Rechts wegen zu welchen rechtsgeschäftlichen Wirkungen? Diese in der Vergangenheit natürlich nicht unerforscht gebliebene Frage ist in den Kontext des Dritthandelns zu stellen, insbesondere sind die in der Rechtsgeschäftslehre verankerten Prinzipien der Zurechnung von Dritthandlungen herauszuarbeiten. Seiner Natur und Struktur nach bietet hierfür das Stellvertretungsrecht den paradigmatischen Ausgangspunkt, da es die Zurechnung offenen (und nach herrschender Meinung auch verdeckten)5 Dritthandelns regelt. Die bis heute lebendig geführte Diskussion um die Grundlagen der klassischen Rechtsgeschäftslehre ist in diesem Zusammenhang Ausdruck ihrer – vom historischen Gesetzgeber durchaus gewollten6 – Widersprüche, die es zur Erlangung rechtsdogmatischer Kohärenz jedoch weitest möglich aufzulösen gilt.
II. Die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre 1. Die Begründung von Verträgen durch Willenserklärungen a) Der Tatbestand der Willenserklärung Nach den Motiven zum BGB sei das Wesen des Rechtsgeschäfts darin zu sehen, dass sich ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille betätige und der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirkliche.7 Die Willenserklärung wird allgemein als Kundgabe des Willens verstanden, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist.8 Welchen tatbestandlichen Voraussetzungen eine Willenserklärung im Einzelnen mindestens genügen muss, um als solche Geltung zu beanspruchen, was sozusagen ihren Mindest- oder Minimaltatbestand ausmacht, ist noch immer umstritten.9 Wollen zwei Parteien einen Vertrag schließen, äußern sie also ihren Willen in korrespondierender Weise, kommt der Vertrag mit dem als gewollt geäußerten 5 Siehe für das insoweit stets nur verdeckte Handeln unter fremdem Namen statt vieler Staudinger/Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 88 ff. m. w. N. 6 Siehe nur HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 8 m. w. N. 7 Motive I 126; für Schnell, Signaturmissbrauch und Rechtsscheinhaftung, S. 68, 164, 174 ff. ist die Willenserklärung der §§ 116 ff. BGB als objektiver Scheintatbestand dahingehend zu definieren, dass der Erklärende ein bestimmtes Rechtsgeschäft mit dem Geschäftspartner wolle. 8 BGH, Urt. v. 17.10.2010 – X ZR 97/99 Rn. 17 (juris) = BGHZ 145, 343 (346); MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 3; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 13; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 1; Bork, BGB AT, Rn. 398; siehe auch Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 1 ff. 9 Instruktiv vor allem Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 1 ff.
II. Die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre63
(und durch Auslegung ermittelten) Inhalt zustande. Allerdings können beim Willensbildungsprozess, bei Abgabe sowie bei Zugang der Willenserklärungen ebenso wie bei deren Auslegung Fehler geschehen, die die dauerhafte Wirksam- und Beständigkeit der rechtsgeschäftlichen Beziehung hindern. b) Die Geschäftsfähigkeit als absolute Sperre zwecks situativen Schutzes der Privatautonomie Zwingende Voraussetzung für rechtsgeschäftlich wirksames Handeln ist die Geschäftsfähigkeit der durch das Handeln unmittelbar Betroffenen. Die Geschäftsfähigkeit ist eine absolut wirkende gesetzliche Schranke,10 so dass auch der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit des Geschäftspartners nicht geschützt ist.11 Insoweit gibt der Gesetzgeber der negativen Privatautonomie des nicht voll Geschäftsfähigen den Vorrang vor dem Verkehrsschutz, also der Sicherheit im Rechtsverkehr, beispielsweise wenn ein Minderjähriger vom Geschäftsgegner als geschäftsfähig angesehen wird, weil sich der Minderjährige als volljährig ausgibt. Dies gilt sowohl hinsichtlich primärvertraglicher Ansprüche, als auch – zumindest in entsprechender Anwendung – vertragsähnlicher Haftungskonstellationen, wie im Falle des § 122 BGB oder der culpa in contrahendo.12 c) Der geheime Vorbehalt als Ausdruck des Verkehrsschutzgedankens Weitere Hindernisse für die Wirksamkeit von zumindest dem äußeren Anschein nach unverdächtigen Willenserklärungen bzw. erfolgten Vertragsschlüssen finden sich in den §§ 116–118 BGB. Diesen Vorschriften ist zusammen mit den §§ 119 ff. BGB gemein, dass sie die Willenserklärung nicht definieren, sondern tatbestandlich als bereits definiert voraussetzen, und weiter ausformen, so dass von diesen Vorschriften in Teilen auf deren vom 10 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 14; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 146 f. 11 Allgemeine Meinung, so bereits seit RG, Urt. v. 13.2.1928 – VZ 317/27 = RGZ 120, 170 (174); Urt. v. 18.9.1934 – II 95/34 = RGZ 145, 155 (159); später dann BGH, Urt. v. 12.10.1976 – V IZR 172/75 Rn. 17 (juris) = NJW 1977, 622 (623); Urt. v. 30.4.1955 – II ZR 202/53 Rn. 17 f. (juris) = BGHZ 17, 160 (168); BAG, Urt. v. 19.7.1974 – 5 AZR 517/73 Rn. 20 (juris) = DB 1974, 2062 (2063); MüKoBGB/ Schmitt, Vorb. zu § 104 Rn. 7; Soergel/Hefermehl, Vorb. zu § 104 Rn. 10; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 468 f.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 90; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 238 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 390; Canaris, NJW 1964, 1987 (1988, 1990). 12 Staudinger/Klumpp (2017), Vorb. zu §§ 104 ff. Rn. 63.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 553; Neuner, BGB AT, § 34 Rn. 72.
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
Gesetzgeber intendierte Qualität geschlossen werden kann. Nach § 116 S. 1 BGB ist es für die Wirksamkeit einer Erklärung als Willenserklärung ohne Auswirkung, wenn der Erklärende das Erklärte bzw. die bloß vermeintlich als gewollt erklärten Rechtsfolgen in Wirklichkeit nicht will.13 Bei dieser Mentalreservation räumt das Gesetz dem Verkehrsschutz Priorität gegenüber der Privatautonomie ein.14 Das Erklärte gilt, unabhängig davon, ob es gewollt ist, jedenfalls wenn dem Erklärenden bewusst ist, dass sein Wille und seine Erklärung inhaltlich auseinanderfallen.15 Konsequenterweise bedarf es des (Verkehrs-)Schutzes nicht, falls der andere, demgegenüber die Erklärung abzugeben ist, den Vorbehalt des Erklärenden kennt (§ 116 S. 2 BGB); dieser ist dann nicht schützenswert. Tatsächlich liegt vor dem Hintergrund der vorherrschenden Definition der Willenserklärung bei einem geheimen Vorbehalt keine Willenserklärung vor,16 so dass die Norm dem Wortlaut nach in sich widersprüchlich scheint. d) Das Scheingeschäft als potentieller Beleg für ein dominantes Willensdogma Die Nichtigkeit des Scheingeschäfts gemäß § 117 Abs. 1 BGB wird als Beleg für das Willensdogma im BGB angesehen, da daraus hervorgehe, dass es bei der Auslegung von Willenserklärungen primär auf den übereinstimmenden Willen der Parteien ankomme.17 Mangels Vorliegens eines Rechtsbindungswillens fehle es überhaupt am Tatbestand einer Willenserklärung.18 Natürlich hängt diese Betrachtungsweise davon ab, wie man die Willens 13 Davon unbenommen ist freilich eine Unwirksamkeit aus anderen Gründen, etwa mangels Vorliegen einer eventuell erforderlichen Form (§ 125 BGB) oder wegen Geschäftsunfähigkeit (§ 105 Abs. 1 BGB). 14 Staudinger/Singer (2017), § 116 Rn. 1; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 203 ff., 255; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 419 f. bedenkt § 116 BGB auch als Fall der Rechtsscheinhaftung kraft wissentlicher Schaffung eines Rechtsscheins, verwirft dies jedoch; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 110 und Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 40 sprechen in diesem Zusammenhang indes nicht von Verkehrs-, sondern von Vertrauensschutz. 15 Ansonsten läge nach gängiger Sichtweise ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum nach § 119 Abs. 1 BGB vor; siehe nur RG, Urt. v. 15.10.1914 – VI 297/14 = RGZ 85, 322 (324); Staudinger/Singer (2017), § 119 Rn. 6. 16 Differenzierter MüKoBGB/Armbrüster, § 116 Rn. 3 und Soergel/Hefermehl, § 116 Rn. 4, die dies nur bei einem offenen Vorbehalt annehmen. 17 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 44; Staudinger/Singer (2017), § 117 Rn. 1; Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 20 I c (S. 366). 18 Palandt/Ellenberger, § 117 Rn. 1; Soergel/Hefermehl, § 117 Rn. 1; Staudinger/ Singer (2017), § 117 Rn. 1; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 594; Kuhn, AcP 208 (2008), 101 (105); siehe dazu auch BGH, Urt. v. 26.5.2000 – V ZR 399/99 Rn. 8 (juris) = BGHZ 144, 331 (333); Urt. v. 29.6.1966 – V ZR 68/65 Rn. 36 (juris) =
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erklärung in concreto definiert, insbesondere ob sich § 117 Abs. 1 BGB – sowie die §§ 116–118 BGB und §§ 119 ff. BGB – überhaupt ins System der Willenserklärungen einfügen sollen, diese Vorschrift somit der Privatautonomie in negativer Hinsicht Rechnung trägt,19 mithin die Willensfreiheit der Beteiligten schützt. Inwieweit sonstige Teilnehmer des Rechtsverkehrs bei Scheingeschäften geschützt werden, insbesondere ob ihnen gegenüber – als an dem Geschäft nicht unmittelbar beteiligte Dritte – die Nichtigkeit der Erklärung ebenso zwingende Folge ist,20 ist noch genauer zu beleuchten. Festzuhalten gilt, dass im Falle des § 117 Abs. 1 BGB zwar der konkrete Empfänger – und damit der situativ vermeintlich entscheidende Teil des Rechtsverkehrs – weiß, dass keine wirksame Willenserklärung des Erklärenden vorliegt, nicht aber – zumindest nicht zwingend – der sonstige Rechtsverkehr. Deshalb bleibt offen, ob die Norm überhaupt über eine verkehrsschützende Komponente verfügt oder bloß klarstellt, dass das von zwei Personen Erklärte, jedoch nicht Gewollte, nicht gelten soll, wenn beide davon wissen und dies auch so verabreden, und folglich das Erklärte rein deklaratorisch ist. e) Die Nichtigkeit der Scherzerklärung als Hinweis auf eine allgemeingültige Wertentscheidung Bei einer Scherzerklärung i. S. d. § 118 BGB muss der Erklärende dem Empfänger nach § 122 Abs. 1 Alt. 1 BGB einen entstandenen Vertrauensschaden ersetzen, es sei denn, der Erfüllungsschaden ist niedriger und der Empfänger kannte den Grund der Nichtigkeit oder musste ihn kennen (§ 122 Abs. 2 BGB). Kein Fall des § 118 BGB liegt vor, wenn der Empfänger den Scherz erkennt oder erkennen muss, da nach den Auslegungsgrundsätzen dann bereits keine Willenserklärung vorliegt.21 Aus objektiv-normativer Sicht BGHZ 45, 376 (379); a. A. wohl BeckOK BGB/Wendtland, § 117 Rn. 1; Larenz/Wolf, BGB AT, 9. Aufl. 2004, § 35 Rn. 18. 19 So BGH, Urt. v. 26.5.2000 – V ZR 399/99 Rn. 8 (juris) = BGHZ 144, 311 (333 f.); MüKoBGB/Armbrüster, § 117 Rn. 1; Staudinger/Singer (2017), § 117 Rn. 1. 20 Nach einer verbreiteten Auffassung können sich auch Dritte auf die Nichtigkeit des Scheingeschäfts nach § 117 Abs. 1 BGB berufen (so u. a. Staudinger/Singer (2017), § 117 Rn. 21). Gereichte Dritten jedoch die Nichtigkeit zum Nachteil, so können diese nach ebenso verbreiteter Ansicht gemäß den allgemeinen Vorschriften zum Verkehrs- und Vertrauensschutz in weitem Umfang bei eigenem guten Glauben auf die Gültigkeit des Scheingeschäfts rekurrieren (so ebenfalls Staudinger/Singer (2017), § 117 Rn. 21 mit Verweis auf Motive I 193). 21 Soergel/Hefermehl, § 118 Rn. 1; Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 2; Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 20 I b (S. 365); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 596; siehe dazu ebenso Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 56 ff.; auch Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 129 und S. 187 muss wohl so verstanden werden.
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fehlt in diesem Fall der Rechtsbindungswille. Für die Anwendbarkeit des § 118 BGB ist es unerheblich, ob die mangelnde Ernstlichkeit für den Empfänger erkennbar zum Ausdruck kommt.22 Entscheidend ist alleine, dass der Erklärende die – möglicherweise aus objektiver Sicht nicht einmal berechtigte, also bloß subjektive – Erwartung hat, der Mangel der Ernstlichkeit werde von der anderen Seite erkannt. Häufig dürfte es freilich ein Problem der Beweisbarkeit sein, inwiefern der Erklärende eine solche subjektive Erwartung tatsächlich hatte, und zwar unabhängig davon, ob die Beweislast in der jeweiligen Konstellation beim Erklärenden oder beim Erklärungsempfänger liegt. Über den tatbestandlichen Anwendungsbereich hinaus wird in § 118 BGB im Zusammenspiel mit § 122 BGB teils das gesetzliche Leitbild für die rechtliche Behandlung des fehlenden Erklärungsbewusstseins im Tatbestand der Willenserklärung gesehen. Demnach könne bei dessen Fehlen keine vertragliche Bindung eintreten (§ 118 BGB), sondern der Erklärende hafte bloß auf das negative Interesse (§ 122 Abs. 1 BGB), es sei denn, der Empfänger kenne die Nicht-Ernstlichkeit der Erklärung oder müsste sie kennen (§ 122 Abs. 2 BGB).23 Wenn nach § 118 BGB bereits im Falle einer bewusst abgegebenen Scherzerklärung ipso iure Nichtigkeit eintrete, dann erst recht bei den übrigen Fällen des fehlenden Erklärungsbewusstseins, bei denen die Zurechnungsvoraussetzungen (noch) schwächer seien.24 § 118 BGB zeige somit, dass alleine der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers noch keine Bindung an den Anschein einer rechtsgeschäftlichen Erklärung rechtfertige.25 Daher verhalte sich die herrschende Meinung systemwidrig, wenn sie bei fehlendem Erklärungsbewusstsein mit der Erklärungsfahrlässigkeit auf das Verschuldensprinzip zurückgreifen müsse. Denn mit Verschulden könne bloß der Tatbestand der culpa in contrahendo, nicht jedoch die Bindung an das Erklärte begründet werden.26 Indes wird § 118 BGB andererseits nicht zu Unrecht als Sonderfall bzw. Ausnahmeregel begriffen,27 aus der als solcher naturgemäß nicht ohne weite22 BGH, Urt. v. 26.5.2000 – V ZR 399/99 Rn. 8 (juris) = BGHZ 144, 331 (334); Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 3; a. A. Pawlowski, BGB AT, Rn. 476a; siehe zudem Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 64. 23 Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 5; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 470 f. 24 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550; ders., NJW 1984, 2281 f.; a. A. aber Flume, BGB AT II, § 20, 3 (S. 414 f.); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 607; Bydlinski, JZ 1975, 1 (2). 25 Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 5. 26 Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 5. 27 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 49; Flume, BGB AT II, § 20, 3 (S. 415); zustimmend MüKoBGB/Armbrüster, § 118 Rn. 2; Medicus/Petersen, BGB
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res eine Verallgemeinerung hergeleitet werden kann. Ihrem Wortlaut nach bezieht sich die Vorschrift jedenfalls zunächst bloß auf den Fall, dass der Erklärende die subjektive Erwartung hat, der Mangel der Ernstlichkeit der Erklärung werde erkannt. Ob § 118 BGB über diesen tatbestandlich eng umgrenzten Anwendungsbereich hinaus eine grundsätzliche Wertung der Rechtsordnung für das Verhältnis von Privatautonomie und Verkehrsschutz ausdrückt, ist damit weder gesagt noch ausgeschlossen.28 Womöglich ist § 118 BGB auch bloß eine gesetzlich besonders geregelte Risikohaftung für den Fall, dass die Prognose des Erklärenden, die Nicht-Ernstlichkeit seiner Erklärung werde erkannt, falsch ist, und sich somit das vom Erklärenden (regelmäßig bewusst) gesetzte Risiko verwirklicht. Bei einem solchen Verständnis wäre § 118 BGB keineswegs systemwidrig. Vielmehr wäre dann auch die verschuldensunabhängige (reine Risiko-)Haftung aus § 122 BGB auf Ersatz des negativen Interesses folgerichtig. f) Die nicht angefochtene irrtumsbehaftete Willenserklärung als möglicher Kerngedanke vertraglicher Bindungen ohne Willensentsprechung qua Risikohaftung Eine Gesamtbetrachtung der §§ 119 ff., 121, 142 BGB zeigt, dass eine Bindung an die Erklärung (und den etwaigen mit dieser Erklärung verbundenen Vertrag) selbst dann erfolgen kann, wenn sich der Erklärende bei Abgabe seiner Willenserklärung irrt, nämlich, wenn er trotz entsprechender Möglichkeit nicht anficht und daher nach Ablauf der Frist des § 121 BGB eine – zumindest insoweit – wirksame Bindung an das Erklärte besteht.29 Dies gilt unabhängig davon, ob der Erklärende die Anfechtung bewusst oder unbewusst unterlässt bzw. die Anfechtungsfrist bewusst oder unbewusst verstreichen lässt.30 Ficht der Erklärende seine Erklärung jedoch wegen des Irrtums an, so haftet er wie bei § 118 BGB gemäß § 122 BGB verschuldensunabhängig auf Ersatz des negativen Interesses. Den §§ 118, 119 ff. und 122 BGB lässt sich somit abstrakt der Gedanke entnehmen, und als These formulieren, dass Fehler bei der Abgabe von Willenserklärungen einer vertraglichen Bindung und somit einem Erfüllungsanspruch nicht im Wege stehen, wenn sie aus dem Risikobereich des Erklärenden stammen (§§ 119 ff. BGB), eine AnAT, Rn. 607; Bydlinski, JZ 1975, 1 (3); kritisch Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 454 und Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 179 f. 28 Bydlinski, JZ 1975, 1 (3). 29 Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 316 ff.; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 26, 30, 60, 87 sieht alleine in der Anfechtbarkeit der §§ 119 ff. den Geltungs- oder Zurechnungsgrund für die irrtümliche Willenserklärung. 30 Dies übersieht wohl Brehmer, Wille und Erklärung, S. 133 f.
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fechtung nicht bzw. nicht form- und fristgerecht erklärt wird (§§ 143, 121 BGB)31 und kein Sonderfall einer Scherzerklärung vorliegt (§ 118 BGB). Setzt der Erklärende hingegen bewusst eine Scherzerklärung in die Welt oder ficht er seine Willenserklärung form- und fristgerecht an, so haftet er verschuldensunabhängig für das durch sein Verhalten erhöhte Risiko, das sich durch die Entstehung des Rechtsgeschäfts verwirklicht hat, auf Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 Abs. 1 BGB), es sei denn, der Empfänger hat den Fehler erkannt oder hätte ihn erkennen müssen (§ 122 Abs. 2 BGB). Somit kennt die klassische Rechtsgeschäftslehre Konstellationen, in denen eine vertragliche Bindung entsteht und Bestand haben kann, obwohl der Erklärende keinen entsprechenden Willen besitzt, sondern bloß die eigene Risikosphäre nicht hinreichend sichert. Man könnte formulieren, das Gesetz fingiert den Willen bezüglich des insoweit betroffenen Rechtsgeschäfts. g) Die Abgabe der Willenserklärung und die Zurechnung ihres Abhandenkommens Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen werden mit der formgerechten Vollendung des Erklärungsvorgangs wirksam,32 empfangsbedürftige Willenserklärungen bedürfen unter Abwesenden gemäß § 130 Abs. 1 BGB des Zugangs. Dem Wortlaut nach setzt § 130 BGB jedoch zunächst die Abgabe der Willenserklärung voraus,33 deren Definition das Gesetz nicht enthält. Allgemein wird eine Willenserklärung dann als abgegeben angesehen, wenn der Erklärende alles getan hat, was seinerseits zum Wirksamwerden der Erklärung erforderlich ist.34 Verkörperte Erklärungen wie etwa Vertragsdokumente bedürfen dabei der endgültigen willentlichen35 Entäußerung in den Verkehr.36 Nicht vollkommen geklärt ist, ob der Erklärende die Erklärung in Richtung des richtigen Adressaten auf den Weg gebracht haben muss,37 oder auch zufäl31 In diese Richtung auch Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 101 und Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 132 f. 32 MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 13; Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 11; Bork, BGB AT, Rn. 604; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 264; Neuner, BGB AT, § 33 Rn. 4. 33 Kritisch jedoch insbesondere HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 12. 34 MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 13; Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 5; Staudinger/ Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 28; Bork, BGB AT, Rn. 611, 617; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 11 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 265; Neuner, BGB AT, § 33 Rn. 6 ff. 35 BGH, Urt. v. 8.3.2006 – IV ZR 145/05 Rn. 13 (juris) = NJW-RR 2006, 847 (849 f.); Urt. v. 18.12.2002 – IV ZR 39/02 Rn. 7 (juris) = NJW-RR 2003, 384; Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 32. 36 Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 30; Bork, BGB AT, Rn. 611. 37 So die wohl überwiegende Auffassung, u. a. BGH, Urt. v. 28.2.1989 – XI ZR 80/88 Rn. 20 (juris) = NJW 1989, 1671 f.; Urt. v. 11.10.1974 – V ZR 25/73 Rn. 15
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lig erfolgreiche Ab- und Umwege zu Gunsten des Erklärenden berücksichtigt werden, selbst wenn dieser die falsche Adresse gewählt hat.38 Gelangt die Erklärung ohne den Willen des Absenders in den Verkehr, so soll der Verkehr in seinem Vertrauen auf die Verbindlichkeit der Erklärungen über die Grundsätze der culpa in contrahendo39 oder analog § 122 BGB zumindest im Hinblick auf das negative Interesse geschützt sein, weil (und sofern) der Aussteller der abhandengekommenen Willenserklärung ein erhöhtes Missbrauchsrisiko geschaffen hat.40 Die wohl herrschende Meinung bejaht jedoch sogar eine – letztlich zu einer Erfüllungsverpflichtung führende – Abgabe, wenn der Erklärende das Inverkehrbringen der Erklärung zu vertreten hat,41 also mindestens fahrlässig i. S. d. § 276 BGB handelt. Eine Parallele zur Erklärungsfahrlässigkeit bei fehlendem Erklärungsbewusstsein ist nicht zu übersehen.42 Folglich wird dem Erklärenden die Willenserklärung auch dann zugerechnet, wenn diese zwar nicht mit dessen Willen in den Verkehr gelangt ist, er jedoch hätte erkennen und somit verhindern können, dass der Empfänger dies als von ihm abgegebene Willenserklärung auffassen könnte. Somit ist auch die Scheinabgabe einer Willenserklärung eine Abgabe i. S. d. § 130 Abs. 1 BGB, solange der Schein dem (insoweit) Erklärenden zugerechnet werden kann.43 Die Zurechnung erfolgt in diesem Fall auf zwei Ebenen: Der Erklärende haftet auf Erfüllung (positives Interesse), falls ihm ein der Anscheinsvollmacht vergleichbarer Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, ansonsten gemäß (juris) = NJW 1975, 39; MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 13; differenzierend Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 33. 38 So jedenfalls BGH, Urt. v. 11.5.1979 – V ZR 177/77 Rn. 12 (juris) = NJW 1979, 2032 (2033); Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 6; Flume, BGB AT II, § 14 Rn. 2 (S. 225 f.). 39 BGH, Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73 Rn. 19 (juris) = BGHZ 65, 13 (15); MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 14. 40 Staudinger/Singer (2017), § 122 Rn. 11 und Vorb. zu § 116 ff. Rn. 49. 41 Erman/Arnold, BGB, § 130 Rn. 4; MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 14; Palandt/ Ellenberger, § 130 Rn. 4; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, § 130 Rn. 7; wohl auch Flume, BGB AT II, § 20, 3 (S. 414); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 266, 607 f.; siehe zudem Brehmer, Wille und Erklärung, S. 229; a. A. BGH, Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73 Rn. 18 f. (juris) = BGHZ 65, 13 (14 f.); Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 229 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 170 f., siehe auch S. 197; Canaris, JZ 1976, 132 (133); anders zudem Bork, BGB AT, Rn. 615, der meint, es fehle an einer zurechenbaren, nach außen gerichteten Handlung, die auch für die Annahme einer Rechtsscheinhaftung erforderlich sei. 42 HKK/Oestmann, BGB, § 130–132 Rn. 35; MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 1; Stadler, BGB AT, § 17 Rn. 37; siehe dazu auch Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 34 f.; wohl auch Neuner, BGB AT, § 32 Rn. 17; a. A. Bork, BGB AT, Rn. 615. 43 So ist wohl auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 249 ff. zu verstehen, der auch eine ohne Sorgfaltspflichtverstoß des Erklärenden in den Verkehr gelangte Willenserklärung als abgegeben ansieht.
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§ 122 BGB analog auf Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse), wenn und weil der Fehler aus seiner Risikosphäre stammt. Natürlich hat der Erklärende bei einer positiven Zurechnung gleichfalls die Möglichkeit, durch form- und fristgerechte Anfechtung analog §§ 119 ff. BGB seine Haftung analog § 122 BGB auf das negative Interesse zu reduzieren.44 Eine solche Differenzierung zwischen einer Zurechnung aufgrund von Verschulden einerseits und Risikoerwägungen andererseits ist jedoch fragwürdig. Beide Zurechnungsgründe lassen sich tatbestandlich nur schwer voneinander abgrenzen, da die Übergänge von einer Risikohaftung zu einem Fahrlässigkeitsvorwurf fließend sind.45 Zudem stellt sich die Frage, ob die sog. Erklärungsfahrlässigkeit überhaupt Fahrlässigkeit i. S. d. § 276 Abs. 2 BGB ist oder nicht doch eher eine Art Risikohaftung.46 Es erscheint inte ressengerechter, beiden Beteiligten die zumindest von einer Partei gewollte vertragliche Bindung zunächst zu ermöglichen. Begreift man die Bestimmungen der Rechtsgeschäftslehre jedenfalls auch als ein Ausgleich zwischen Privatautonomie und Verkehrsschutz, so ist die Lehre von der rein negativen Zurechnung (§ 122 BGB anlog) bei abhandengekommenen Willenserklärungen insoweit nicht zu Diensten. Sowohl der Privatautonomie als auch dem Verkehrsschutz wäre am meisten gedient, wenn man zunächst von einer positiven Zurechnung ausginge. Denn der (vermeintlich) Erklärende könnte sich dann immer noch mittels form- und fristgerechter Anfechtung von den nicht gewollten (gegenseitigen) Erfüllungsansprüchen durch eigene Entscheidung wieder lösen, und diese durch einen gegen ihn gerichteten Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens ersetzen. Im Übrigen dürfte sich die Antwort auf die Frage, ob der (vermeintlich) Erklärende hätte erkennen und deshalb verhindern können, dass sein Geschäftsgegner der Auffassung sein könnte, er habe die Willenserklärung willentlich in den Verkehr begeben, häufig zwischen Beweisproblemen und Wertungsfragen verlieren. Dies gilt etwa, wenn die Umstände zum versehentlichen Inverkehrbringen im Dunkeln bleiben oder das Gericht bewerten muss, ob die jeweilige Situation für den (vermeintlich) Erklärenden erkennbar war. Einheitliche und deshalb rechts sichere Ergebnisse lassen sich auf diese Weise kaum erzielen. h) Der Zugang der Willenserklärung als Abgrenzung von Risikosphären Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die BGB AT, Rn. 615; Canaris, JZ 1976, 132 (134). dazu unter E.II.8.c). 46 Siehe dazu ebenso unter E.II.8.c). 44 Bork,
45 Siehe
II. Die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre71
Möglichkeit hat, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.47 Bei dieser den Vorschriften des BGB zugrunde liegenden Empfangstheorie48 trägt der Erklärende das Übermittlungsrisiko und der Empfänger das Risiko der Kenntnisnahme.49 Zeitlich geht eine Willenserklärung spätestens dann zu, wenn sie der Empfänger tatsächlich zur Kenntnis nimmt.50 Ansonsten erfolgt der Zugang bereits in dem Zeitraum zwischen dem Beginn der Kenntnisnahmemöglichkeit und der tatsächlichen Kenntnisnahme. Um zwecks Erlangung von Rechtssicherheit den Zugangszeitpunkt schon im Vorfeld stets möglichst exakt bestimmen zu können, werden einige Differenzierungen der Zugangsdefinition diskutiert,51 die sich jedoch häufig in Einzelfallbetrachtungen verlieren. Doch das Ziel sollte vielmehr eine abstrakt-generelle Formel des Zugangsbegriffs sein, die in möglichst vielen Einzelfällen zu bereits im Vorhinein kalkulierbaren und damit rechtssicheren Ergebnissen gelangt, und die durch § 130 Abs. 1 BGB vorgezeichnete Risikoabgrenzung, wonach bis zum Zugang der Erklärende, danach der Empfänger das Risiko des Verlusts der Erklärung trägt, im Detail weiterzeichnet. 2. Die Unterscheidung von Erfüllung, Erfüllungsschaden und Vertrauensschaden a) Die grundsätzliche Grenzziehung des Gesetzes Die Rechtsgeschäftslehre differenziert zwischen Erfüllung, Erfüllungsschaden (positives Interesse) und Vertrauensschaden (negatives Interesse).52 Eine Partei kann Erfüllung verlangen, wenn ein wirksamer Vertrag entsprechenden Inhalts besteht, während hingegen ein Geschädigter bloß einen Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens hat, wenn der Vertragsschluss in bestimmter Art und Weise unwirksam ist. Der exakte Verlauf der Grenze zwischen Vertrag samt vertraglichem Erfüllungsanspruch, kein Vertrag, aber 47 BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 15/10 Rn. 15 (juris) = NJW-RR 2011, 1184 (1185); Urt. v. 21.1.2004 – XII ZR 214/00 Rn. 13 (juris) = NJW 2004, 1320; Urt. v. 13.2.1980 – VIII ZR 5/79 Rn. 15 (juris) = NJW 1980, 990; Urt. v. 3.11.1976 – VIII ZR 140/75 Rn. 13 (juris) = BGHZ 67, 271 (275); BAG, Urt. v. 11.11.1992 – 2 AZR 328/92 Rn. 33 (juris) = BAG NJW 1993, 1093 f.; Palandt/Ellenberger, § 130 Rn. 5; Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 39; Bork, BGB AT, Rn. 619; Medicus/ Petersen, BGB AT, Rn. 274; Neuner, BGB AT, § 33 Rn. 9 ff. 48 HKK/Oestmann, BGB, §§ 130–132 Rn. 8, 14 f.; Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 8; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 270. 49 Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 39. 50 Bork, BGB AT, Rn. 621; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 276. 51 Instruktiv hierzu Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 39 ff. 52 Siehe nur Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 174 ff.
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens, und kein Bestand eines rechtsgeschäftlichen Kontakts von rechtlicher Bedeutsamkeit, ist umstritten. b) Erfüllung und Erfüllungsschaden (positives Interesse) aa) Vertrag und Anfechtung Ohne Zweifel entsteht ein Erfüllungsanspruch, wenn zwei Personen durch Austausch fehlerfreier – insoweit also perfekter – Willenserklärungen einen Vertrag mit entsprechendem Inhalt schließen, den sie beide zu diesem Zeitpunkt genau so wollen, wie sie erklären, und der an keinen Wirksamkeitshindernissen – wie fehlender Geschäftsfähigkeit – leidet. Irrt jedoch eine Partei bei Abgabe ihrer Willenserklärung (§§ 119 ff. BGB) oder wird sie getäuscht oder bedroht (§ 123 BGB), kommt es zwar zunächst zu einem wirksamen Vertragsschluss, dieser ist jedoch anfechtbar. Dasselbe gilt gemäß der Rechtsprechung53 und herrschenden Meinung54 für den Fall, dass dem Erklärenden das Erklärungsbewusstsein fehlt, er aber hätte erkennen können, dass der Erklärungsgegner sein Verhalten als Willenserklärung auffassen könnte (sog. Erklärungsfahrlässigkeit). Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass es am Ende keinen Erfüllungsanspruch geben kann. Denn ficht der Erklärende nicht form- und fristgemäß an, so hat der mangelleidende Vertrag weiterhin Bestand und dient dauerhaft als Rechtsgrund zum Behaltendürfen der ausgetauschten Leistungen. Bloß im Falle einer form- und fristgemäßen Anfechtung wandelt sich der Erfüllungsanspruch in einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens, der der Höhe nach auf das Erfüllungsinteresse begrenzt ist (§ 122 Abs. 1, Abs. 2 BGB). bb) Stellvertretung samt Duldungs- und Anscheinsvollmacht Tritt eine Person offen als Stellvertreter im Namen einer anderen Person auf und ist sie von dieser anderen Person entsprechend bevollmächtigt worden (§ 167 Abs. 1 BGB), wirkt eine zuvor einmal erteilte Vollmacht trotz ihres Widerrufs von Gesetzes wegen fort (§§ 170–174 BGB). Besteht eine gesetzliche Vertretungsmacht entsprechenden Umfangs, wirkt die vom Vertreter innerhalb der Vertretungsmacht abgegebene Willenserklärung für und 53 Grundlegend BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 (juris) = BGHZ 91, 324 (330); später auch BGH, Urt. v. 7.11.2011 – VIII ZR 13/01 Rn. 37 (juris) = BGHZ 149, 129 (136). 54 Siehe dazu die umfassenden Darstellungen bei MüKoBGB/Armbrüster, § 119 Rn. 93 ff. und bei Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 34 ff.; a. A. aber etwa Neuner, BGB AT, § 32 Rn. 22 f.
II. Die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre73
gegen den Vertretenen (§ 164 Abs. 1 BGB) und führt zu Erfüllungsansprüchen zwischen dem Vertretenen und dem Geschäftsgegner. Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre in den Fällen der Duldungs-55 und (jedenfalls nach Teilen der Literatur) der Anscheinsvollmacht56, wobei es genügt, dass der insoweit Vertretene den Anschein der Bevollmächtigung fahrlässig gesetzt hat.57 Somit ist weitgehend anerkannt, dass die fahrlässige Verursachung des Rechtsscheins einer Willenserklärung – präziser: des Rechtsscheins einer Bevollmächtigung durch den (vermeintlich) Vertretenen – zu einem Erfüllungsanspruch führen kann. Dies ist nicht unumstritten, weil § 172 Abs. 1 BGB, der wesentliche Wertungen der gesetzlichen Rechtsscheinhaftung enthält, tatbestandlich voraussetzt, dass der Vollmachtgeber die Vollmachtsurkunde dem Vertreter zuvor ausgehändigt hat. Auf den ersten Blick kann eine solche Aushändigung nur ein aktiver, bewusster und damit vorsätzlicher Vorgang sein, so dass fahrlässiges Handeln nicht für die Zurechnung von Erfüllungsverpflichtungen genügen dürfte.58 Indes lässt sich die gesetzliche Rechtsscheinhaftung des Vollmachtgebers gemäß der §§ 172 ff. BGB auch so erklären, dass der Vollmachtgeber, der die Bevollmächtigung des Vertreters entweder als Innen- oder als Außenvollmacht vornimmt, und zusätzlich eine Vollmachtsurkunde aushändigt, 55 St. Rspr., BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 15 (juris) = BGHZ 189, 346 (352); Urt. v. 10.1.2007 – VIII ZR 380/04 Rn. 19 (juris) = NJW 2007, 987 (988); Urt. v. 21.6.2005 – XI ZR 88/04 Rn. 23 (juris) = NJW 2005, 2985 (2987); Urt. v. 14.5.2002 – XI ZR 155/01 Rn. 18 (juris) = NJW 2002, 2325 (2327); Urt. v. 15.10.1987 – III ZR 235/86 Rn. 20 (juris) = NJW 1988, 697 (698); Urt. v. 15.12.1955 – II ZR 181/54 (juris) = NJW 1956, 460; MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 102 ff. m. w. N.; Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 28 ff. m. w. N.; Bork, BGB AT, Rn. 1549 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 930; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 84 ff., 93. 56 St. Rspr., BGH, Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 16 (juris) = BGHZ 189, 346 (352 f.); Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73 Rn. 20 (juris) = WM 1975, 1054 (1055); Urt. v. 12.2.1952 – I ZR 96/51 Rn. 19 (juris) = BGHZ 5, 111 (116); MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 107 ff. m. w. N.; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 17; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 44; Stadler, BGB AT, § 30 Rn. 46; Wertenbruch, BGB AT, § 31 Rn. 19 f.; a. A. Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 31 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 971; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 98; Pawlowski, BGB AT, Rn. 720. 57 Umstritten, für eine Erfüllungshaftung auch bei fahrlässiger Setzung des Rechtsscheins BGH, Urt. v. 20.1.1983 – VII ZR 32/82 Rn. 12 f. (juris) = NJW 1983, 1308; Urt. v. 20.1.1954 – II ZR 155/52 Rn. 17 (juris) = BGHZ 12, 105 (109) und bereits RG, Urt. v. 18.9.1934 – II 95/34 = RGZ 145, 155 (158); Erman/Maier-Reimer/ Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 26; MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 133; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 13; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 24; a. A. Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 40; Flume, BGB AT II, § 49, 4 (S. 834 ff.); Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 197 spricht vom Risikoprinzip. 58 Ausführlich begründet insbesondere von Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 31 m. w. N.
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
deswegen für das Handeln des Vertreters in seinem Namen positiv haftet, weil er nach dem Widerruf, dem Entzug oder dem Auslaufen der durch die Vollmachtsurkunde verkörperten Vollmacht es (möglicherweise sogar unverschuldet) unterlassen hat, die Vollmachtsurkunde wieder einzuziehen oder für kraftlos erklären zu lassen (§ 172 Abs. 2 BGB). Häufig dürfte hinter einem solchen Unterlassen ein versehentliches Vergessen – und damit eine Sorgfaltswidrigkeit (also Fahrlässigkeit) stecken. Im Übrigen kommt es von Gesetzes wegen auch dann zu einer Erfüllungsverpflichtung, wenn eine mit Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgegebene Willenserklärung wegen Irrtums oder fehlenden Erklärungsbewusstseins mangelbehaftet und daher gemäß §§ 119 ff. BGB (ggf. analog) anfechtbar ist, eine Anfechtung aber nicht form- oder fristgemäß erklärt wird. c) Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse) Die Rechtsgeschäftslehre kennt im Wesentlichen vier Konstellationen, in denen eine an rechtsgeschäftlichen Kontakten beteiligte Person Ersatz ihres Vertrauensschadens verlangen kann. Erstens betrifft dies gemäß § 122 Abs. 1 BGB die Anfechtung einer anfechtbaren Willenserklärung sowie die Scherzerklärung gemäß § 118 BGB, wenn nicht der Geschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 122 Abs. 2 BGB), zweitens in analoger Anwendung des § 122 Abs. 1 BGB die Anfechtung der erklärungsfahrlässig abgegebenen Willens erklärung,59 sowie die abhandengekommene Willenserklärung60. Drittens trifft die Ersatzpflicht nach § 179 Abs. 2 BGB den falsus procurator, wenn dieser den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hat und der andere Teil (der Geschädigte) den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte oder kennen musste (§ 179 Abs. 3 S. 1 BGB). In diesen beiden Fällen setzt die Haftung kein Verschulden, also nicht einmal das Vorliegen von Fahrlässigkeit voraus. Vielmehr handelt es sich um eine reine Risikohaftung.61 Viertens
59 Grundlegend dazu BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 (juris) = BGHZ 91, 324 (330); andere sehen darin eine unmittelbare Anwendung des § 122 Abs. 1 BGB, siehe etwa MüKoBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 5; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 34 ff. 60 MüKoBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 6. 61 MüKoBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 3; Soergel/Hefermehl, § 122 Rn. 1; Staudinger/Singer (2017), § 122 Rn. 2; Erman, AcP 139 (1934), 273 (327); Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309 (351 ff.; 437 f.); Raiser, AcP 127 (1927), 1, 27; später auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 479 ff., 535 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 189 m. w. N.
II. Die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre75
besteht ein Anspruch auf Ersatz zumindest62 des Vertrauensschadens in den Fällen der culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB, wenn also bereits ein vertragsähnliches Verhältnis – insbesondere aufgrund von Vertragsverhandlungen oder einer sonstigen Vertragsanbahnung – vorliegt, aus dem sich Pflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB ergeben und diese verletzt sind. Allerdings besteht ein solcher Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des Vertretenmüssens der Pflichtverletzung i. S. d. § 276 Abs. 1 BGB durch den Schuldner, wodurch er sich von den beiden anderen genannten Schadensersatzansprüchen elementar unterscheidet. Festhalten lässt sich jedenfalls, dass das Gesetz einem Geschädigten den entstandenen Vertrauensschaden zuspricht, soweit ein Vertragsschluss aus Gründen scheitert, die in der Risikosphäre des anderen Teils liegen. Nicht einmal Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB (analog) oder gemäß der Grundsätze der culpa in contrahendo schuldet, wer eine Erklärung abgibt, die zwar den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung repräsentiert, also aus Empfängersicht mit Rechtsbindungswillen abgegeben worden ist, bei der es im subjektiven Tatbestand aber sowohl an Erklärungsbewusstsein als auch an Erklärungsfahrlässigkeit mangelt.63 Dies soll keine anfechtbare Willenserklärung sein, sondern gar keine Willenserklärung. Aus culpa in contrahendo besteht in solchen Fällen kein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens, da mangels Erklärungsfahrlässigkeit bereits definitionsgemäß kein Verschulden vorliegt. d) Die Charakteristika von Erfüllung und Vertrauensschaden aa) Positive Haftung aufgrund von Risiko Die Rechtsgeschäftslehre kennt eine Reihe von Konstellationen, in denen ein Erfüllungsanspruch – jedenfalls zunächst – entsteht, obwohl eine Vertragspartei zum maßgeblichen Zeitpunkt der Abgabe ihrer Willenserklärung nicht über den unbedingten, bewussten Willen verfügt, den die Erklärung repräsentiert. Bei § 116 BGB muss sich der Erklärende an seiner Erklärung festhalten lassen, selbst wenn sie nicht seinem Willen entspricht. Grund für eine positive Zurechnung kann in einem solchen Fall somit nicht der wirkliche rechts62 Je nach den Umständen des Einzelfalls kann es auch einen Anspruch auf Vertragsschluss bzw. auf Erfüllung bzw. auf Ersatz des positiven Interesses geben; siehe dazu MüKoBGB/Emmerich, § 311 Rn. 186, 199. 63 So zumindest indirekt Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 35.
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
geschäftliche Wille sein, sondern bloß die auf den Erklärenden zurückgehende, aus seinem Risikobereich stammende Erklärung. Durch das Entlassen der Erklärung in den Rechtsverkehr setzt der Erklärende entweder bewusst oder zumindest fahrlässig ein Risiko von deren Rezeption nach objektivem Verständnis, das aufgrund seines Wissensvorsprungs nur der Erklärende selbst, und nicht sein Interaktionspartner tragen kann.64 In den Fällen der Anfechtbarkeit gemäß §§ 119 ff. BGB entspricht die in die Welt gesetzte Willenserklärung nicht dem tatsächlichen Willen des Erklärenden, kann aber dennoch als beständige Rechtsgrundlage (zum Behaltendürfen) für Erfüllungsleistungen dienen, wenn der Erklärende nicht (wirksam) anficht. Zurechnungsgrund kann – insbesondere für die Zeit nach Ablauf der Anfechtungsfrist – der wirkliche rechtsgeschäftliche Wille bezüglich der erklärten Rechtsfolgen nicht sein, insbesondere weil die Anfechtungsfrist nicht unbedingt wissentlich und willentlich, also bewusst, abgelaufen sein muss. Verschulden kommt gleichfalls nicht als Zurechnungsgrund in Betracht, denn Fahrlässigkeit ist keine Voraussetzung für die Anfechtbarkeit, unverschuldetes Irren ist möglich.65 Vielmehr muss eine Risikohaftung Grund für diese positive Zurechnung sein.66 Zur Eigensteuerung des von ihm selbst gesetzten Risikos darf der Irrende nach §§ 143, 119 ff. BGB innerhalb der Frist des § 121 BGB (formgerecht) selbst entscheiden, ob er den Erfüllungsanspruch bedient oder – infolge der Anfechtung – lieber Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB leistet. Er kann sogar innerhalb der Anfechtungsfrist gegenüber dem Erklärungsgegner offenlegen, dass er sich geirrt hat, und später dennoch bewusst auf die Anfechtung verzichten, so dass für alle Beteiligten offen zu Tage tritt, dass die Erklärung von dem Irrenden nicht gewollt war. Solange der Erklärende nicht form- und fristgemäß anficht, hat der Vertrag Bestand – möglicherweise sogar auch gegen den Willen des Anfechtungsgegners. Der Erklärende haftet somit positiv für in seiner Erklärung liegende Fehler und ihre Folgen, soweit er hierfür das Risiko gesetzt hat bzw. diese seiner Risikosphäre entstammen, solange die Erklärung objektiv als seine Willenserklärung erscheint.
64 Staudinger/Singer (2017), § 116 Rn. 1 m. w. N. sieht hinter § 116 BGB die Vertrauenshaftung stehen. 65 OLG Frankfurt, Urt. v. 7.12.1979 – 10 U 75/79 = BauR 1980, 578 (579); Giesen, BGB AT, Rn. 218; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 738. 66 In diese Richtung Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 38, § 119 Rn. 5.
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bb) Reduktion der Haftung auf das negative Interesse Der Erklärende kann die zunächst positive Haftung jedoch auf das ne gative Interesse reduzieren, wenn er rechtzeitig reagiert. Dieser Modus des Gesetzes, zunächst positiv zuzurechnen, nach Wahl und Veranlassung des Erklärenden jedoch die negative Haftungsreduktion zuzulassen, bietet Vorteile. Zum einen dient dies der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, denn geschieht nach Abgabe einer Erklärung nichts mehr, hat die Erklärung weiterhin Bestand und der Erklärungsgegner ist so gestellt, wie er stehen würde, wenn die Erklärung fehlerfrei wäre. Zweitens liegt es in der Hand des Erklärenden, zu entscheiden, ob er das Rechtsgeschäft trotz des Willensmangels gelten lassen möchte. Wäre eine anfechtbare Willenserklärung von vorneherein nichtig, gäbe es diese Option nicht, wenn man sie nicht wenigstens durch eine Genehmigungsmöglichkeit ersetzte. Dies erhält die Chance des Erklärungsgegners, doch (noch) das zu bekommen, was er von Anbeginn anstrebt – nämlich einen Anspruch auf die Gegenleistung. Im Gegensatz hierzu ist die Erklärung eines falsus procurator im Namen des (vermeintlich) Vertretenen von vorneherein nichtig und kann nur dann zu einer positiven Haftung des (vermeintlich) Vertretenen führen, wenn dieser das Geschäft gemäß § 177 Abs. 1 BGB genehmigt. Grund für diese unterschiedliche Behandlung von Anfechtung (grundsätzlich positive Haftung des Erklärenden, jedoch Möglichkeit zur Reduzierung seiner Haftung auf das negative Interesse durch Anfechtung) und Stellvertretungsrecht (grundsätzlich negative Haftung des Vertreters, jedoch Möglichkeit der positiven Haftung des (dann erst) Vertretenen durch dessen Genehmigung) dürfte die größere Distanz des Vertretenen von der Erklärung des Vertreters im Stellvertretungsrecht im Vergleich zu der eigenen Willenserklärung bei einer Anfechtung sein. Während in den Fällen der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung für gewöhnlich klar scheint, dass die irrtumsbehaftete Erklärung auf den Erklärenden zurückgeht, weil sie von diesem stammt, ist dies beim Auftreten eines falsus procurator nicht zwingend. Denn der Mangel der Bevollmächtigung kann nicht nur auf einem Fehler im Bevollmächtigungsprozess beruhen, sondern auch darauf, dass der (dann bloß vermeintlich) Vertretene niemals etwas mit der als Vertreter auftretenden Person zu schaffen hatte, der falsus procurator also keine stärkere Verbindung zum (vermeintlich) Vertretenen hat. Aber auch das Stellvertretungsrecht kennt eine positive Zurechnung, ohne dass der (vermeintlich) Vertretene diese unmittelbar veranlasst hätte, namentlich in Form der Anscheinsvollmacht. Bei dieser wird dem Vertretenen die Erklärung des Vertreters deswegen positiv zugerechnet, weil der Vertretene objektive Sorgfaltspflichten verletzt hat, er also bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, dass der Erklärende als sein Vertreter
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
auftritt und Geschäfte in seinem Namen abschließt, und dadurch für Dritte der Eindruck entsteht, der Scheinvertreter sei entsprechend bevollmächtigt.67 cc) Beständige positive Haftung aufgrund von Verschulden Neben dem wirklichen rechtsgeschäftlichen Willen und Risiko kann auch Verschulden ein positiver Zurechnungsgrund in der Rechtsgeschäftslehre sein, also Erfüllungsansprüche auslösen. Dies gilt zum einen, wenn fehlendes Erklärungsbewusstsein durch Erklärungsfahrlässigkeit kompensiert wird, zum anderen in den Fällen der culpa in contrahendo, in denen als Vertrauensschaden der nicht zustandegekommene Vertrag und damit der fehlende Erfüllungsanspruch anzusehen ist.68 Ähnliches gilt für die Fälle der Duldungs- und Anscheinsvollmacht. Denn während bei der Duldungsvollmacht Vorsatz – jedenfalls dessen Wissenselement, das für bedingten Vorsatz genügt, soweit das Ergebnis des eigenen Handelns zumindest billigend in Kauf genommen wird69 – gegeben ist, liegt bei der Anscheinsvollmacht ein Sorgfaltspflichtverstoß, mithin fahrlässiges Verhalten i. S. d. § 276 Abs. 2 BGB vor. Im Gegensatz zu Rechtsgeschäften, denen irrtumsbehaftete oder erklärungsfahrlässig abgegebene Willenserklärungen zugrunde liegen, sollen solche Rechtsgeschäfte, die ihre rechtlichen Wirkungen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht verdanken, wegen ihres Rechtsscheincharakters nach Ansicht der wohl herrschenden Meinung jeweils nicht anfechtbar sein.70 Demzufolge scheint Verschulden als im Vergleich zum Risiko stärkerer Zurechnungsgrund tendenziell auch zu einer stärkeren Bindung an das Erklärte zu führen. Wer – unbewusst – im rechtsgeschäftlichen Verkehr ein Risiko von rechtlichen Erklärungsfolgen schafft oder erhöht, das sich später verwirklicht, ist zunächst positiv verpflichtet, kann sich jedoch wieder hiervon lösen, wobei die eigene Haftung auf das negative Interesse reduziert wird, 67 Siehe
hierzu ausführlich unter B.III.3. § 311 Rn. 186, 199. 69 MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 161. 70 So die h. M., etwa Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 167 Rn. 27; Jauernig/Mansel, § 167 Rn. 9; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 22; Hübner, BGB AT, Rn. 592; Leipold, BGB AT, § 24 Rn. 40 f.; Stadler, BGB AT, § 30 Rn. 43, 46; a. A. BeckOK BGB/Schäfer, § 167 Rn. 20; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 27; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 16; Prütting/Wegen/Weinreich/Frensch, § 167 Rn. 48; Bork, BGB AT, Rn. 1559; Faust, BGB AT, § 26 Rn. 38; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 997 f.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 97; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 90 f., 98; differenzierend Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 45 m. w. N., der mangels rechtsgeschäftlichen Charakters der Anscheinsvollmacht nur die Duldungsvollmacht für anfechtbar hält und MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 147, der bemerkt, dass die unmittelbare Anwendung der §§ 119 ff. BGB tatbestandlich mangels wirklichen Willens des Vertretenen kaum passt. 68 MüKoBGB/Emmerich,
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während jemand, dem ein größerer Vorwurf zur Last gelegt wird, nämlich Verschulden, enger an seine Erklärung gebunden ist, indem diese für nicht anfechtbar erklärt wird. Indes hält das Gesetz diese Abstufung nicht strikt durch. Denn eine Willenserklärung ist selbst dann anfechtbar, wenn dem Erklärenden der Irrtum fahrlässig unterlaufen ist, ihm also ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann.71 Die Anfechtung ist dann nicht etwa gesperrt.72 Ähnliches gilt bei erklärungsfahrlässigem Verhalten.73
III. Die Rechtsschein- und Vertrauenshaftung als Gegenpole zur klassischen Rechtsgeschäftslehre 1. Erfüllungsverpflichtungen außerhalb der klassischen Rechtsgeschäftslehre Erfüllungsverpflichtungen kennt das Privatrecht nicht nur im Rahmen der klassischen Rechtsgeschäftslehre als Folge des Austausches von Willenserklärungen, sondern auch aufgrund anderer Rechtsinstitute, insbesondere der Rechtsscheinlehre.74 Zu nennen ist zuvorderst die in den §§ 170–173 BGB statuierte Fortwirkung rechtsgeschäftlich erteilter Vollmachten, aber auch die daraus entwickelte Duldungs- und Anscheinsvollmacht, sowie die allgemeine Rechtsscheinhaftung, deren Kern aus einem zurechenbaren Rechtsscheintatbestand besteht, also dem Schein eines Rechts, auf dessen Bestand der Adressat gutgläubig vertraut.75 Als eigenständige Säule ist hiervon die Vertrauenshaftung zu unterscheiden, deren Charakteristikum gerade nicht der Schein eines Rechts auf Seiten des Zurechnungsadressaten, sondern das (berechtigte)
71 OLG Frankfurt, Urt. v. 7.12.1979 – 10 U 75/79 = BauR 1980, 578 (579); Giesen, BGB AT, Rn. 218; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 738. 72 MüKoBGB/Armbrüster, § 119 Rn. 1; in diesem Wertungswiderspruch liegt ein Grund, weshalb die Nichtanfechtbarkeit einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zumindest fragwürdig ist. 73 Grundlegend BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 20 (juris) = BGHZ 91, 324 (329 f.); siehe zudem nur MüKoBGB/Armbrüster, § 119 Rn. 101; Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 13 f.; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 35 f. m. w. N.; Brox/Walker, BGB AT, § 6 Rn. 14, § 18 Rn. 25; Köhler, BGB AT, § 7 Rn. 15; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 607; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 28 ff., 106 f. 74 Ebenso betont Leuschner, Verkehrsinteresse und Verfassungsrecht, S. 27 diesen Umstand derselben Rechtswirkungen von Rechtsgeschäfts- und Rechtsscheinlehre; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 5, 430 f.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 333 f.; ablehnend steht dem indes Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 116 gegenüber. 75 Siehe nur die Darstellung bei Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 34 ff.
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
Vertrauen beim Erklärungsadressaten ist.76 Mittels dieser para-rechtsgeschäftlichen Institute sollen die vermeintlichen strukturellen, im Einzelfall als ungerecht und daher ungenügend empfundenen Brüche bzw. Defizite der klassischen Rechtsgeschäftslehre ausgeglichen werden.77 Dies zeigt jedoch, dass das zunächst durch den historischen Gesetzgeber gesetzte, und – darauf aufbauend – durch die Rechtsprechung und Lehre weiterentwickelte System der klassischen Rechtsgeschäftslehre bedeutende Lücken aufweist, die bislang nicht – zumindest nicht vollständig – systemgerecht gefüllt wurden. Durch einen anderen dogmatischen Ansatz lassen sich möglicherweise viele dieser Probleme wieder – oder überhaupt erst – in die Rechtsgeschäftslehre, verstanden als System, das auf Willenserklärungen basiert, integrieren.78 2. §§ 170–173 BGB als gesetzlich normierte Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer (Schein-)Willenserklärung Bei offenem Dritthandeln ersetzt eine gesetzliche Rechtsscheinvollmacht gemäß §§ 170–173 BGB oder eine hieraus entwickelte Duldungs- oder Anscheinsvollmacht bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen eine fehlende Bevollmächtigung und damit eine Willenserklärung. Selbst wer insoweit der überwiegend vertretenen Rechtsscheintheorie79 und nicht der Rechtsgeschäftstheorie80 folgt, muss zu der Einsicht gelangen, dass das Gesetz in den §§ 170–173 BGB Tatbestandsvoraussetzungen aufstellt, nach denen die rechtlichen Wirkungen einer Willenserklärung erzeugt werden, ohne dass tatsächlich eine Willenserklärung gemäß der herrschenden Definition vorliegt. Damit präsentiert das Gesetz selbst ein Modell einer (im Ergebnis) positiven Zurechnung rechtsgeschäftlicher oder zumindest rechtsgeVertrauenshaftung, S. 430 ff., 491 ff. diese Richtung wohl Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 115; so lassen sich zudem die Fallkonstellationen bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 111 ff. und S. 202 verstehen, in denen er ausnahmsweise eine positive Vertrauenshaftung annimmt; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 439 ff. diskutiert die Vertrauenshaftung ausdrücklich als Korrelat der Privatautonomie. 78 Ablehnend Canaris, Vertrauenshaftung, S. 430 ff., der insbesondere auch darauf verweist, dass Wertungswidersprüche vermieden werden müssen (S. 433 ff.). 79 Hierzu insbesondere Canaris, Vertrauenshaftung, S. 32 ff., 134 ff.; Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, S. 7 ff.; Wellspacher, Das Vertrauen auf äußere Tatbestände im bürgerlichen Rechte, S. 83 ff.; siehe hierzu zudem unter E.II.7.f)ii)(1). 80 Vor allem Flume, BGB AT II, § 49, 2a, c (S. 823 f., 825 ff.), § 51, 9 (S. 858 f.) m. w. N.; ähnlich Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 245 ff., der die §§ 170 ff. als „Tatbestände einer zusicherungsgleichen rechtsgeschäftlichen Risikoübernahme“ ansieht. 76 Canaris, 77 In
III. Die Rechtsschein- und Vertrauenshaftung81
schäftsähnlicher Art, gewissermaßen als deren gesetzliches Minimalerfordernis. Zwar ist umstritten, ob die auf diese Weise ersetzte Vollmacht sämtliche Eigenschaften einer originären Vollmacht besitzt, namentlich etwa, ob die gesetzliche Rechtsscheinvollmacht anfechtbar ist,81 und ob dem Geschäftsgegner ein Wahlrecht zusteht, ob er sich auf die Rechtswirkungen der Rechtsscheinvollmacht berufen möchte.82 Indes gibt es sowohl dafür als auch dagegen keine unmittelbaren Anknüpfungspunkte im Gesetz. Im Ergebnis bestimmt sich dies vor allem danach, ob man Rechtsscheinvollmachten insgesamt und konsequent als Willenserklärungen behandeln will – wofür Einiges spricht.83 3. Die Voraussetzungen und Wirkungen der Anscheinsvollmacht Während über die Existenz, die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Rechtswirkungen der Duldungsvollmacht zumindest weitgehend Einigkeit besteht, ist dies bei der Anscheinsvollmacht anders. Umstritten ist bereits, ob das Auftreten des Vertreters von einer gewissen Dauer und Häufigkeit sein muss.84 Selbst wer dies als konstitutives Kriterium fordert, schweigt regel81 Für die unmittelbar gesetzlich geregelten Fälle der Rechtsscheinvollmacht bejahen dies u. a. MüKoBGB/Schramm, § 171 Rn. 8; Palandt/Ellenberger, § 171 Rn. 1; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 97; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 74, 79, wenn der Mitteilende bzw. der die Vollmachtsurkunde Aushändigende bei der Abgabe im Irrtum war (§ 119 BGB) oder getäuscht oder bedroht worden ist (§ 123 BGB); verneint wird dies hingegen u. a. von Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, § 184 zu Anm. 26 m. w. N.; kritisch ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 136. 82 Gegen ein solches Wahlrecht insbesondere die Rechtsprechung, die hierfür richtigerweise kein Bedürfnis sieht, weil der Geschäftsgegner den kraft Rechtsschein Vertretenen tatsächlich in Anspruch nehmen kann, siehe BGH, Urt. v. 20.1.1983 – VII ZR 32/82 Rn. 14 (juris) = BGHZ 86, 273 (275 f.); Urt. v. 25.6.1973 – II ZR 133/70 Rn. 25 f. (juris) = BGHZ 61, 59 (69 f.); der Sichtweise der Rechtsprechung stimmen große Teile der Literatur zu: BeckOK BGB/Schäfer, § 179 Rn. 6; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 179 Rn. 4; MüKoBGB/Schramm, § 167 Rn. 75; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 72; K. Schmidt, in: FS Gernhuber, S. 435 ff. (443 ff.); skeptisch ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 520; für ein Wahlrecht insbesondere Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 112, vor allem mit Verweis auf die häufig nur schwer zu belegenden Voraussetzungen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht und dem dadurch bedingten Risiko der Prozessniederlage des eigentlich zu schützenden Geschäftsgegners. 83 Freilich ist jedenfalls die Anfechtbarkeit wegen Irrtums über die Rechtsfolgen bzw. Rechtswirkungen der gesetzlichen Rechtsscheinvollmacht und ebenso der Duldungs- und Anscheinsvollmacht nach § 119 BGB ausgeschlossen. Dies ist allerdings keine Besonderheit von Rechtsscheinvollmachten, sondern eine allgemeine Regel des Anfechtungsrechts. Rechtsfolgenirrtümer sind generell unbeachtlich; siehe dazu differenzierend wie ausführlich Staudinger/Singer (2017), § 119 Rn. 67 ff. 84 Unscharf insoweit Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 96, der davon spricht, dass die Anscheinsvollmacht nicht notwendig, aber im Regelfall eine gewisse Dauer und Häu-
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
mäßig darüber, ob ein abstraktes oder ein konkretes dauerhaftes und häufiges Auftreten erforderlich ist, also ob es im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften mit demselben Geschäftsgegner stehen muss, oder es genügt, wenn der Vertreter gegenüber anderen Personen bereits im Namen des Vertretenen aufgetreten ist. Weitaus umstrittener ist die Frage nach den Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht. Während die Rechtsprechung85 und weite Teile der Literatur86 der Anscheinsvollmacht vollmachtsgleiche Wirkung zuschreiben, lehnen dies einige Stimmen in der Literatur ab. Hauptargument gegen eine Vollmachtswirkung sei, dass der Rechtsschein im Unterschied zur Duldungsvollmacht nicht bewusst gesetzt werde und sich die Rechtsfolge deshalb in systemkonformer Weise bloß auf eine Haftung für potentielle Vertrauensschäden aus culpa in contrahendo beschränke.87 Richtigerweise ist jedoch eine Parallele zum fehlenden Erklärungsbewusstsein im objektiven Tatbestand der Willenserklärung zu ziehen, das gemäß Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur88 durch Erklärungsfahrlässigkeit ersetzt werden kann. Dies hat zur Folge, dass auch eine Anscheinsvollmacht wie eine gewöhnliche Willenserklärung analog § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden kann, und es (nur) auf diese Weise zu einer Haftung auf Ersatz des negativen Interesses analog § 122 BGB kommt.89 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – nämlich wenn nicht angefochten wird – wegen (und zugleich trotz) der Anfigkeit des rechtsscheinbegründenden Verhaltens voraussetze; in diese Richtung auch Bork, BGB AT, Rn. 1550. Die Rechtsprechung fordert ebenfalls in der Regel ein mehrmaliges Auftreten, wenn auch nicht gegenüber demselben Geschäftsgegner, siehe BGH, Urt. v. 5.3.1998 – III ZR 183/96 Rn. 11 (juris) = NJW 1998, 1854 (1855); Urt. v. 11.5.2011 – VIII ZR 289/09 Rn. 16 (juris) = BGHZ 189, 346 (352 f.); laut Grigoleit/Herresthal, BGB AT, Rn. 475 soll ein einmaliges Auftreten zur Begründung der Anscheinsvollmacht indes nicht ausreichen. 85 BGH, Urt. v. 12.2.1952 – I ZR 96/51 Ls. 2 und Rn. 19 (juris) = BGHZ 5, 111 (112, Ls. 2); siehe zudem weiter etwa BGH, Urt. v. 22.1.1998 – I ZR 18/96 Rn. 15 ff. (juris) = NJW 1998, 3342 (3343); Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 232/90 Rn. 10, 14 (juris) = NJW 1991, 1225; Urt. v. 20.1.1983 – VII ZR 32/82 Rn. 12 (juris) = BGHZ 86, 273 ff. (275 f.); Urt. v. 24.1.1978 – VI ZR 264/76 Rn. 9 (juris) = BGHZ 70, 247 (249); siehe auch schon RG, Urt. v. 14.3.1907 – VI 284/06 = RGZ 65, 292 (294 ff.). 86 So Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 11, 17; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 17; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 44; Stadler, BGB AT, § 30 Rn. 46; Wertenbruch, BGB AT, § 31 Rn. 19; Giesen/Hegermann, Jura 1991, 357 ff. (367 f.). 87 Flume, BGB AT II, § 49, 4 (S. 834 f.); Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 101; Schack, BGB AT, Rn. 515; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 33 f., 271 f.; siehe dazu auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 50; differenzierend Peters, AcP 179 (1979), 214 (237 ff., 243 f.); siehe auch Canaris, JZ 1976, 132 (133). 88 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 ff. (juris) = BGHZ 91, 324 ff.; statt vieler hierzu MüKoBGB/Armbrüster, § 119 Rn. 93 ff.; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 33 ff.; siehe hierzu ausführlich unter D.IV.5.c). 89 So wohl, wenn auch undeutlich Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 98; siehe zudem Schack, BGB AT, § 18 Rn. 508; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 161 f.
III. Die Rechtsschein- und Vertrauenshaftung83
scheinsvollmacht eine nach Ablauf der Anfechtungsfrist vollwirksame Bevollmächtigung vorliegt, mit der Folge der Haftung auf das positive Interesse. Weitgehend unerkannt geblieben, oder jedenfalls kaum diskutiert, ist der wertungsmäßig stimmige Dreiklang von fehlendem Erklärungsbewusstsein bei einer Willenserklärung, der fehlenden Abgabe einer Willenserklärung (sog. abhandengekommene Willenserklärung) und der mangelnden Bevollmächtigung (Anscheinsvollmacht). Stets kann das jeweilige Fehlen des (vermeintlich) rechtsgeschäftsspezifischen Elements gemäß der Rechtsprechung und weiten Teilen des Schrifttums durch ein sorgfaltwidriges Verhalten des Erklärenden kompensiert werden und auf diese Weise zu einer Erfüllungsverpflichtung führen. Während die herrschende Meinung diesbezüglich von Verschulden90 in Form von Fahrlässigkeit spricht, sehen andere darin wegen der Selbstbezüglichkeit respektive Selbstgerichtetheit des Vorwurfs bloß eine Obliegenheitsverletzung, so dass sie die Zurechnung auf die Beherrschbarkeit der eigenen Risikosphäre stützen.91 4. Die Vertrauenshaftung Die im Vergleich zur Rechtsscheinhaftung abstrakteren Voraussetzungen unterliegende Vertrauenshaftung soll nach verbreiteter Ansicht ebenso Erfüllungsverpflichtungen hervorbringen können, so dass zu untersuchen ist, inwieweit sich die Vertrauenshaftung von der klassischen Rechtsgeschäftslehre bereits im Ausgangspunkt, dann weiter tatbestandlich und schließlich hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen unterscheidet, wobei Gemeinsamkeiten nicht zu leugnen sind.92 Die Entwicklung der sog. Vertrauenshaftung kraft schlüssigen Verhaltens ursprünglich durch Coing93 ist nicht ohne Kritik geblieben. Weder gebe es für eine solche Vertrauenshaftung eine Grundlage im Gesetz noch sei sie mit dem geltenden Recht überhaupt vereinbar,94 insbesondere bestehe ein Wertungs widerspruch zu den §§ 119 ff. BGB, wenn man eine solche Vertrauenshaftung 90 BGH, Urt. v. 5.3.1998 – III ZR 183/96 Rn. 11 (juris) = NJW 1998, 1854 (1855). 91 Bork, BGB AT, Rn. 1564; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 95. 92 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. 93 Staudinger/Coing (1957), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 3e ff., der wortwörtlich so formuliert: „Wenn eine Partei ein Verhalten zeigt, welches, redliche und vernünftige Einstellung vorausgesetzt, nur mit einem bestimmten rechtsgeschäftlichen Willen vereinbar ist, so muss sich die betreffende Partei so behandeln lassen, als habe sie einen entsprechenden Willen stillschweigend erklärt“. 94 Zuvorderst Canaris, Vertrauenshaftung, S. 18 ff., der weder § 242 BGB noch § 157 BGB als insoweit tauglichen Ansatzpunkt sieht; in diese Richtung ebenso Hanau, AcP 165 (1965), 220 (231).
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
für nicht anfechtbar halte.95 Durch Systematisierung der im deutschen Zivilrecht angelegten Elemente einer Vertrauenshaftung hat Canaris das allgemeine Grundprinzip der Vertrauenshaftung herausgearbeitet, und zur klassischen Rechtsgeschäftslehre trennscharf abgegrenzt. Die Rechtsgeschäftslehre habe ihren Ursprung in der Privatautonomie, die im Wesentlichen durch die Freiheit des Individuums zu rechtlicher Gestaltung, Selbstbestimmung und Selbstbindung gekennzeichnet sei, was den Erklärenden mit seiner Willenserklärung in Form einer Geltungserklärung in einen engen Bezug setze.96 Ob der Erklärungsadressat dem privatautonom Erklärenden oder dessen Erklärung ein (konkretes) Vertrauen entgegenbringe, sei für die Wirksamkeit von dessen Erklärung vollkommen ohne Belang, auch nicht im Gewand der Verkehrssicherheit.97 Wäre (entgegengebrachtes) Vertrauen ein Bestandteil der Privatautonomie, ließen sich wirksame Verträge mit vertrauensunwürdigen Personen als Vertragspartner nicht erklären.98 Für die Vertrauenshaftung sei vielmehr kennzeichnend, dass der Vertrauenstatbestand dem betroffenen Geschäftsgegner tatsächlich bekannt sei und dieser auf dessen Bestand wirklich vertraue, also gutgläubig sei.99 Tragender Haftungsgrund müsse das Vertrauen als solches sein,100 und nicht etwa die privatautonome Entfaltung. Die Inte grationsfähigkeit des Vertrauensgedankens in die Rechtsgeschäftslehre101 scheitert laut Canaris jedoch nicht nur an der Unterschiedlichkeit des jeweiligen dogmatischen Ausgangspunkts, sondern auch an den konkreten gesetzlichen Bestimmungen des BGB. Weder die Mentalreservation nach § 116 BGB noch die vorläufige Bindung einer willensmängelbehafteten Willenserklärung gemäß §§ 119, 123 BGB habe einen Rechtsschein- bzw. Vertrauenscharakter; eine nicht angefochtene Willenserklärung sei wirklich und nicht nur Schein.102 Während auf Rechtsfolgenseite die Erfüllungshaftung als Rechtsfolge einer privatautonomen Geltungserklärung konsequent sei, sei der Vertrauensgedanke insoweit indifferent und zweispurig, könne also sowohl zu einer positiven als auch zu einer negativen Vertrauensentsprechung führen.103 Vertrauenshaftung, S. 26. Vertrauenshaftung, S. 413 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 246. 97 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 414. 98 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 416 f. 99 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 1, 491. 100 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 2. 101 So Canaris, Vertrauenshaftung, S. 424, 430, der aber einen inneren Zusammenhang bzw. eine gewisse Verwandtschaft der beiden freilich nicht leugnet (S. 411 ff.). 102 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 418 ff., 421 ff., 422. 103 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 3 f., 49, 416, 532 f.; so muss man wohl auch Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 54, 335 verstehen; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 111 f. 95 Canaris, 96 Canaris,
III. Die Rechtsschein- und Vertrauenshaftung85
Damit sei die Vertrauenshaftung sowohl ein eigenständiges, von Gesetzes respektive Rechts wegen geltendes104 Haftungsregime als auch Korrelat zur Rechtsgeschäftslehre, das diese im Falle der Teilnahme am rechtsgeschäft lichen Verkehr105 ergänze,106 etwa beim fehlenden Erklärungsbewusstsein im Falle des Vorliegens eines objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung.107 Während die Privatautonomie der Anknüpfungspunkt sei, wenn es um das konstitutive In-Geltung-Setzen von Rechtsfolgen gehe, sei der Vertrauensgedanke maßgebend, wenn eine Bindung an eine rein deklaratorische Erklärung wie etwa bei den §§ 171 ff. BGB in Rede stehe.108 Zudem könne die Vertrauenshaftung vor unbilligen Folgen nichtiger Willenserklärungen schützen, insbesondere bei Betroffenheit Dritter.109 Da das Gesetz selbst – wie etwa in § 179 BGB – an den Vertrauensgedanken positive Rechtsfolgen knüpfe, verbiete es die Privatautonomie als solche nicht, dass mittels der Vertrauenshaftung im Ergebnis genau dieselben Rechtsfolgen in Geltung gesetzt werden können, selbst wenn diese Voraussetzungen materiell niedriger seien.110 Die Vertrauenshaftung und die Geltung von Rechtsfolgen aufgrund privatautonomen Handelns sind nicht kongruent. Das eine ist kein (vollständiger) Teil des anderen. Klassisch rechtsgeschäftliches Handeln wirkt unabhängig davon, ob der Erklärungsadressat darauf vertraut, dass der Erklärende seine Erklärung ernst nimmt und die Erfüllung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich anstrebt. Eine strikte Trennung von Rechtsgeschäftslehre und Vertrauenshaftung ist dennoch nicht durchzuhalten, insbesondere da eine solche Trennung gerade nicht im Gesetz angelegt ist. Vielmehr lösen die einzelnen Vorschriften des BGB die Probleme mal auf die eine, mal auf die andere Weise. Weder eine (eng verstandene) Privatautonomie noch der Vertrauensgedanke, noch ein anderer dogmatischer Ansatz werden im BGB konsequent durchgehalten. Die Suche nach einem möglichst einheitlichen Prinzip, das diese verschiedenen im Gesetz angelegten Facetten aufnimmt und miteinander in Einklang bringt, ist deshalb indes nicht vergebens, sondern aus dogmatischer Sicht ein umso erstrebenswerteres Ziel.
Vertrauenshaftung, Vertrauenshaftung, 106 Canaris, Vertrauenshaftung, 107 Canaris, Vertrauenshaftung, 108 Canaris, Vertrauenshaftung, 109 Canaris, Vertrauenshaftung, 110 Canaris, Vertrauenshaftung, 104 Canaris, 105 Canaris,
S. 428 f. S. 442 ff. S. 439 ff. S. 428, 440. S. 425. S. 426. S. 432, 434.
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B. Die klassische Rechtsgeschäftslehre als gesetzter Rahmen
IV. Resümee Weder die Privatautonomie noch der Verkehrs- und Vertrauensschutz sind in den Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre des BGB in Gänze repräsentiert. Der historische Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, viele Konstellationen gerade nicht bis ins letzte Detail zu regeln. Vielmehr bietet das Gesetz gewisse Spielräume, innerhalb derer sich die weitere rechtliche Ausgestaltung bewegt. Die absolute Grenze für die Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen bildet dabei die Geschäftsfähigkeit gemäß der §§ 104 ff. BGB.111 Weitere unumstößliche Wertentscheidungen dieser Schärfe kennt das Gesetz indes nicht. Neben der klassischen Rechtsgeschäftslehre können auch die Rechtsschein- und die Vertrauenshaftung Erfüllungsverpflichtungen zumindest rechtsgeschäftsähnlicher Art hervorbringen. Beide Institute haben sich parallel zur Rechtsgeschäftslehre entwickelt.112 Sie sollen die Lücken füllen, die die Rechtsgeschäftslehre vermeintlich bereithält.113 Ein solches Paralleluniversum mit jeweils eigenen Regeln und Besonderheiten befriedigt jedoch nicht, wenn das Ziel ist, ein möglichst einheitliches System der Hervorbringung von Erfüllungsverpflichtungen rechtsgeschäftlicher Art zu finden, das auf einer kohärenten Dogmatik ohne innere Widersprüche gründet. Nach gegenwärtigem Verständnis können jedoch viele, teils völlig verschiedene Wege und Voraussetzungen Erfüllungsverpflichtungen erzeugen. Vergleicht man diese miteinander, sind innere Widersprüche und Systembrüche nicht zu übersehen. Doch deuten sich Lösungen an, wenn man sich von der Idee eines perfekten, vollständig privatautonom gebildeten und geäußerten Willens – wie ihn in letzter Konsequenz selbst die klassische Rechtsgeschäftslehre nicht verstanden wissen will – freimacht. Im Kern lässt sich Vieles auf den Gedanken zurückführen, dass jemand, der etwas tut oder unterlässt, hierfür rechtsgeschäftliche Verantwortung trägt, soweit sein Verhalten zumindest mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Ein solcher Ansatz ist allein schon deshalb sinnvoll, weil der wirkliche Wille einer Person nicht sicher feststellbar ist.
111 B.II.1.b). 112 B.III.
113 B.III.1.
C. Der Wille als bloße Fiktion I. Privatautonomes Handeln ohne Willensfreiheit 1. Der privatautonome Begriff der Willensfreiheit Das Konzept der Privatautonomie basiert auf dem Gedanken der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Rechtssubjekts,1 welche beide wiederum in der Willensfreiheit des Individuums wurzeln.2 Privatautonomes Handeln setzt demnach die Freiheit des Willens des Handelnden voraus. Soll also die Zurechnung von Dritthandeln innerhalb des von der Privatautonomie gesetzten Rahmens erfolgen, muss die Willensfreiheit derjenigen Person gewahrt sein, der das Handeln im Ergebnis zuzurechnen ist. Der Begriff der Willensfreiheit ist für sich genommen indifferent. Bei einem engen Begriffsverständnis meint Freiheit ein absolut, von allen denkbaren Abhängigkeiten und Einflüssen losgelöster Zustand, mithin völlige Autonomie.3 Fasst man den Begriff indes weit, lässt sich auch dann von (innerer und äußerer) Freiheit einer Person sprechen, wenn sie von eigenen Veranlagungen, Erfahrungen, Erinnerungen, Emotionen, Bedürfnissen oder Empfehlungen, Werbung oder sonstigen Gegebenheiten, sowie auch den weiteren Umständen des konkreten Einzelfalls, beeinflusst ist, solange sie selbst als Person – welcher Teil von ihr auch immer – und niemand anderes die jeweilige Entscheidung trifft.4 Wenn Philosophen meinen, der menschliche Wille sei (womöglich) determiniert,5 ist damit je nach Definition folglich noch 1 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 123; Laufs, MedR 2011, 1 (5); siehe dazu ausführlich und differenziert unter D.II. 2 Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 11. 3 Geschieht etwas ohne causa, mangelt es also an Kausalität, so dass der Status quo als Wirkung einer vorherigen Ursache angesehen werden könnte, müsste man freilich von Zufall sprechen; ebenso bereits Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 244. 4 Siehe dazu Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 241 ff.; Schreiber, in: JbZivRWiss 2006, S. 33 (43). 5 Diese philosophische Diskussion aus juristischer Sicht begleitend Braun, JZ 2004, 610 ff.; Heun, JZ 2005, 853 (854 f., 857 ff.); Jäger, GA 2013, 3 (7); Laufs, MedR 2011, 1 (1, 4 ff.); Waldstein, in: FS Schwind, S. 329 (329 ff., 335 ff.); siehe dazu auch Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 65 ff.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 242 f.
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C. Der Wille als bloße Fiktion
nicht zugleich gesagt, der menschliche Wille sei unfrei. Zwar deuten die neueren Forschungen der Neurowissenschaften darauf hin, dass (Handlungs-) Entscheidungen, also auch der Wille, eine Handlung auszuführen, keine ausschließlich bewussten Entscheidungen sind, sondern im Unbewussten zumindest in Teilen vorbereitet, wenn nicht sogar wesentlich geprägt werden.6 So scheint es, als sei der Wille – gemeint als eine bewusste Entscheidung – keineswegs frei im Sinne von völlig autonom, sondern abhängig von neuronalen Prozessen im Unbewussten. Damit wäre der enge Freiheitsbegriff widerlegt. Solange aber keine gesicherten Erkenntnisse über die Art und Weise und den Vorgang der unbewussten Entscheidungsfindung vorliegen, lässt sich nicht sagen, ob der am Ende des Prozesses stehende Wille nicht doch privatautonom in dem Sinne ist, dass er einzig und alleine das Konstrukt des ihn bildenden Individuums ist, das als eigenständige Person die Entscheidungen autonom trifft. 2. Formelle Autonomie des Willens a) Willensfreiheit gegenüber dem Staat Von Privatrechts wegen ist nicht die soeben beschriebene materielle, sondern bloß eine formelle Autonomie des menschlichen Willens Voraussetzung wirksamen privatautonomen Handelns, verstanden in dem Sinne, dass das Handeln der Person zumindest auf ihre eigene Entscheidung zurückgeht, mag die Person diese Entscheidung bewusst oder unbewusst getroffen haben. Mit formeller Autonomie ist dabei gemeint, dass das Rechtssubjekt bei seiner Entscheidung frei von ganz bestimmten externen Einflüssen ist. Dies betrifft sowohl die Einflussnahme durch den Staat als auch durch Private. Als Abwehrrechte gegen Einwirkungen des Staates dienen vor allem das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG, die die Bürger vor Eingriffen des Staates, und damit auch vor Eingriffen in die dem bürgerlichen Handeln vorgelagerten Entscheidungsfindungen schützen.7 Die Handlungsfreiheit ei6 Dies geht originär auf die Experimente von Libet zurück, dargestellt bei: Libet, The Behavioral and Brain Sciences 8 (1985), 529 ff.; Libet, Mind Time, S. 162 f.; Nachfolgeexperimente bei Haggard/Eimer, Experimental Brain Research 126 (1999), 128 ff.; Schreiber, in: JbZivRWiss 2006, S. 33 (36 ff.); eine zusammenfassende Darstellung aus juristischem Blickwinkel findet sich bei Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (160 ff.); siehe auch Heun, JZ 2005, 853 (853, 855 ff.); Jäger, GA 2013, 3 (3 ff., 7 ff.); Laufs, MedR 2011, 29, 1 ff.; teilweise wird der psychologisch-empirische Wille vom privatautonomen, rechtsgeschäftlichen Willen separiert, siehe Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 541 ff., der dies stark kritisiert (S. 545). 7 Heun, JZ 2005, 853 (855); Laufs, MedR 2011, 1 (5 f.); siehe hierzu ausführlich unter D.II.1.c).
I. Privatautonomes Handeln ohne Willensfreiheit89
nes jeden Bürgers genießt allerdings zum Schutze der anderen Bürger nicht unbeschränkten Schutz, wie Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG zeigt. b) Willensfreiheit gegenüber Privatpersonen Im Verhältnis unter Privaten setzen insbesondere §§ 105, 123, 138 Abs. 2 BGB den Rahmen für wirksames privatautonomes Handeln. Zwar liegt gesetzesterminologisch auch dann eine Willenserklärung vor, wenn ein Geschäftsunfähiger (§ 105 Abs. 1 BGB) oder ein Bewusstloser (§ 105 Abs. 2 BGB) rechtsgeschäftlich handelt, der Erklärende im Zusammenhang mit der Abgabe der Willenserklärung getäuscht oder bedroht wird (§ 123 Abs. 1 BGB) oder sich dabei in einer Zwangslage oder Ähnlichem befindet (§ 138 Abs. 2 BGB), doch erlangt das betroffene privatautonome Handeln dann keine (endgültige) Wirksamkeit. Rechtsdogmatisch sind die Geschäftsfähigkeit und die Freiheit von Täuschung und Drohung somit keine Voraussetzungen für eine Willenserklärung als solche, sondern bloß für deren beständige Wirksamkeit.8 Welche externen Einflüsse sich auf die Wirksamkeit des privatautonomen Handelns von Personen auswirken sollen, bestimmt der Gesetzgeber somit durch seine normativen Entscheidungen. Dabei ist er nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte und nach Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Der Gesetzgeber schafft somit durch die Privatrechtsordnung einen formellen Rahmen, in welchem den Privatrechtssubjekten wirksames privatautonomes Handeln möglich ist, unabhängig davon, wie frei dieses Handeln im Übrigen im Hinblick auf sonstige etwaige externe Einflüsse, wie kommerzielle Werbung oder persönliche Ratschläge anderer Personen, sowie hinsichtlich neuronaler Prozesse beim Handelnden ist.9 3. Materielle Autonomie des Willens a) Kein Schutz materieller Willensfreiheit in der Rechtsgeschäftslehre Diese normative Bestimmung der Bedeutsamkeit von gewissen externen Einflüssen auf die Willensbildung der Rechtssubjekte für die Wirksamkeit deren rechtsgeschäftlichen Handelns, die durch die formelle Willensfreiheit gesichert wird, findet keine Entsprechung auf der internen Ebene, welche die 8 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 314 ff., 348 ff.; siehe zudem Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 235 ff. 9 Laufs, MedR 2011, 1 (6 f.); Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (175 ff., 183 ff., 194 f.).
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C. Der Wille als bloße Fiktion
materielle Autonomie des Willensbildungsprozesses bewerten würde. Dem Gesetz ist es somit gleichgültig, ob das Bewusstsein, das Unbewusste oder sonstige neuronale Konstrukte den von einer Person erklärten Willen hervorgebracht haben.10 Vielmehr ist eine Willenserklärung nach den Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre offenbar auch dann wirksam, wenn der der Erklärung zugrunde liegende rechtsgeschäftliche Wille als eine bewusste Entscheidung bloß das Ergebnis eines komplexen neuronalen Prozesses ohne entscheidende Steuerung durch das menschliche Bewusstsein ist, solange der Wille durch solche Umstände wesentlich beeinflusst ist, die in der Person bzw. Sphäre des Erklärenden liegen. Manche mögen hier an die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen denken, doch diese bezieht sich gemäß § 119 BGB bloß auf Fehler bei der späteren Erklärungshandlung, nachdem der Wille bereits zuvor gebildet worden war, es sich also nicht um Fehler im Willensbildungsprozess handelt. Eine trennscharfe Grenzziehung zwischen externen und internen Einflüssen ist allerdings nicht möglich, wie das Beispiel einer psychologischen Einflussnahme auf die Motivation menschlicher Entscheidungen zeigt. Die Kaufentscheidung für ein bestimmtes Produkt hängt nicht nur von persönlichen Vorerfahrungen und Vorlieben, dem Geschmack und dem objektiven Bedarf im jeweiligen Moment ab, sondern auch wesentlich von dem – allgemein gesprochen – gesellschaftlich erzeugten Bedürfnis, beispielsweise durch das persönliche Umfeld und die Werbung.11 Dadurch werden externe Einflüsse zu im Wesentlichen unbewusst wirkenden internalen Einflüssen, die den Willensbildungsprozess nachhaltig prägen.12 b) Die Unerheblichkeit von materieller Willensfreiheit für die Privatautonomie Die komplexen und gegenwärtig noch undurchsichtigen Einflüsse auf den Prozess der Willensbildung hindern de lege lata jedoch nicht die Entstehung eines rechtsgeschäftlichen Willens, an den die Rechtsgeschäftslehre wirksame Rechtsfolgen knüpfen kann. Unabhängig von der Einordnung des 10 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 227 ff., 515 f.; in Abgrenzung dazu Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 101, 123, der die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit als zwingendes Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung ansieht; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 235 ff., 247 f. 11 In diese Richtung ist wohl auch Schreiber, in: JbZivRWiss 2006, S. 33 (43) zu verstehen. 12 Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 15 spricht insoweit von Entscheidungen, die mit der individuellen Lebensgeschichte des jeweiligen Entscheidungsträgers untrennbar verbunden sind.
I. Privatautonomes Handeln ohne Willensfreiheit91
menschlichen Willens als vollkommen frei, extern oder unbewusst beeinflusst oder sogar vollständig determiniert ist er jedenfalls wesentlicher Bestandteil des gegenwärtigen rechtsgeschäftlichen Funktionsmodells, das der Ordnung des rechtsgestalterischen Miteinanders dient.13 Auf welche Weise dieser Wille im Inneren eines Rechtssubjekts genau entsteht, ist hierfür im Prinzip unerheblich, da es den Willen zumindest als Konstrukt gibt und die Privatrechtsordnung daher auch Rechtsfolgen an dessen Kundgabe knüpfen kann.14 Die Rechtsordnung weiß nicht und kann gegenwärtig nicht wissen, wie ein rechtsgeschäftlicher Wille konkret entstanden ist, und unterstellt schlichtweg, dass es der freie Wille des Rechtssubjekts ist, was auch immer das bedeuten mag. Versteht man den Willen einer Person als deren bewusste Entscheidung, dürfte dies jedoch meist eine Fiktion sein. Für die Wirksamkeit von rechtsgeschäftlichem Handeln ist alleine von Bedeutung, ob der erklärte Wille mit dem wirklichen Willen übereinstimmt.15 Im Übrigen wäre selbst bei einer erheblichen oder sogar entscheidenden Beteiligung des Unbewussten am Willensbildungsprozess keineswegs widerlegt, dass der rechtsgeschäftliche Wille in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung16 entsteht. Denn die Kriterien der Entscheidungsfindung im Unbewussten liegen noch weitestgehend im Verborgenen, so dass selbst dann Vieles vorstellbar und möglich ist, auch ein Handeln in Selbstbestimmung im weiteren Sinne. Auch könnte begrifflich noch von privatautonomem Handeln gesprochen werden, wenn das Handeln von derjenigen Person ausgeht, die man aus objektiver Sicht für handlungsverantwortlich hält, unabhängig davon, aus welcher Quelle sich deren Wille zum Handeln speist, ob er also zufällig, in Teilen determiniert oder aus einem Zwang heraus entstanden ist.17 Willensfreiheit zu einer notwendigen Voraussetzung wirksamen rechtsgeschäftlichen Handelns zu machen, wäre mangels ihrer zuverlässigen Feststellbarkeit und 13 Bydlinski, JZ 1975, 1; in diese Richtung zudem Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 3; diese Frage grundlegend in Abgrenzung zur versprechensethischen Sichtweise aufwerfend Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 68 ff., 107 ff., der dennoch die Freiheit des Individuums betont. 14 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (155, 194 f.); Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 16; Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 14 f.; siehe zur mangelnden Transparenz der Willensbildung aus der Außenperspektive zudem Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 241 f., 247 f. 15 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 8; Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (173 ff.). 16 Selbstbestimmung und Selbstverantwortung werden als Wesensmerkmale der Privatautonomie begriffen, siehe etwa nur Soergel/Hefermehl, Vor 116 Rn. 4 f., 9, 16.; dazu ausführlich und differenziert unter D.II.1. 17 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 8; Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (173 ff.).
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C. Der Wille als bloße Fiktion
Nachweisbarkeit im Einzelfall auch kaum praktikabel und daher wenig sinnvoll. Dies würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen.18 Zudem bedürfte es selbst bei vollkommener Determiniertheit des Willens eines Systems einer Rechtsgeschäftslehre, welches dem einzelnen Willen zum Ausdruck verhilft und dadurch Rechtsfolgen bewirkt.19
II. Fiktion des rechtsgeschäftlichen Willens 1. Bestimmung des Willensziels Gemein fordert man im subjektiven Tatbestand einer (perfekten) Willenserklärung das Vorhandensein von Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen.20 Im objektiven Tatbestand muss ein Rechtsbindungswille21 (oder auch Rechtsfolgewille22) gegeben sein. Teilweise wird auch von der gewollten Rechtswirkung23 oder Rechtsgestaltung24 gesprochen. Jedenfalls muss Zweck der Erklärung die Herbeiführung einer Rechtsfolge sein.25 Unscharf bleibt, ob sich der Wille auf die von Rechts wegen tatsächliche (z. B. wirtschaftliche) Folge oder auf die Rechtsfolge, also auf die rechtliche Verpflichtung samt der mit ihr einhergehenden Bindung beziehen muss.26 Der Unterschied wird deutlich, wenn man einen Kaufvertrag über eine Flasche Wasser betrachtet. Muss der Käufer den Kaufvertrag als solchen wollen oder genügt, wenn er das Wasser in der Flasche möchte? Letzteres genügt als solches sicherlich nicht, da konsequenterweise ansonsten dann auch jeder Dieb eine Willenserklärung auf Abschluss eines Kaufvertrags abgeben würde. Daher dürfte es ausreichen, wenn der Käufer den Willen bildet und äußert, er werde (notgedrungen) sämtliche Bedingungen erfüllen, die der Verkäufer aufstellt, damit er, der Käufer, den Besitz und das Eigentum an der Flasche 18 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 8; Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (191). 19 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 8 spricht diesbezüglich zutreffend von der normativen Zurechnung menschlichen Verhaltens, das die Gestaltung von Rechtsgeschäften bezwecke; siehe zudem Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 245 f.; siehe zudem Kellmann, JuS 1971, 609 (612). 20 Siehe hierzu nur Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 2, § 32 Rn. 13 ff.; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (770, 777); ausführlich unter D.IV.5. 21 Statt vieler MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 50. 22 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 16; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 2. 23 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 4. 24 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 9. 25 Neuner, BGB AT, § 28 Rn. 2, § 31 Rn. 2. 26 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 1023.
II. Fiktion des rechtsgeschäftlichen Willens93
samt deren Inhalt erhält. Typischerweise streben Menschen jedoch nicht nach einer vertraglichen Bindung, die als solche zunächst einmal bloß die eigenen Handlungsmöglichkeiten beschränkt, sondern akzeptieren diese nur als notwendiges Mittel zum Zweck, nämlich den späteren tatsächlichen Erhalt der vereinbarten Gegenleistung. Regelmäßig dürfte daher die Annahme, der Erklärende wolle die erklärte Rechtsfolge, im Wesentlichen bloße Fiktion sein.27 2. Inhaltliche Fiktion des Willens Der wirkliche Wille, der im Gehirn einer Person entsteht, kann die regelmäßig an ihn aus dogmenrechtstheoretischer Sicht gestellten Anforderungen kaum erfüllen. Dazu müssten stets sämtliche relevanten Informationen zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung, auf den es gemäß § 119 Abs. 1 BGB ankommt, im aktiven Bewusstsein des Erklärenden sein. Dies ist freilich utopisch.28 Man denke nur an ein umfangreiches Vertragswerk, das hunderte Seiten umfasst und über mehrere Monate unter Beteiligung von vielen Personen ausgehandelt worden ist. Bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung erscheint es ausgeschlossen, dass sich die Vertragsschließenden (bei einem schriftlichen Vertrag die Vertragsunterzeichnenden) zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Willenserklärungen vollständig aktiv darüber bewusst sind, welchen konkreten Inhalt sie damit erklären.29 Möglicherweise kennen die Vertragsschließenden die inhaltlichen Details des Vertrages nicht einmal, beispielsweise wenn sie in die Verhandlungen nicht involviert waren, etwa weil sie bloß die zeichnungsbefugten Vertreter einer juristischen Person sind, oder es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt.30 Die Annahme, der vollständige Vertragsinhalt sei im rechtsgeschäftlichen Willen, also im Bewusstsein der Vertragsverpflichteten bzw. deren Vertreter zum Zeitpunkt der Willensäußerung aufgenommen, liegt demnach reichlich fern.31 Allenfalls könnte man an einen Bezugswillen denken, also dass sich die Vertragsschließenden auf das Vertragswerk beziehen, ohne dabei zum maßgebenden Zeitpunkt tatsächlich an sämtliche Details des Vertrages zu denken. Damit wäre 27 Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 242; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 1023. 28 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 442 ff., 508; in diese Richtung kann auch Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 402 verstanden werden; Schnell, Signaturmissbrauch, S. 164 ff., 170 f. bezeichnet die Willenserklärung gemäß der §§ 116 ff. BGB deshalb sogar als objektiven Scheintatbestand. 29 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 4 ff., 442 ff. 30 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 455. 31 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 4 ff., 442 ff.
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C. Der Wille als bloße Fiktion
die Abgabe der Willenserklärung aber bloß der formale Vollzug einer bereits zuvor getroffenen Willensentschließung. Während diese Überlegungen im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung zu Verwerfungen führen, ergeben sich hingegen aus objektiver Empfängersicht keine Probleme.32 Die Abgabe des Erklärungstatbestandes lässt mangels Möglichkeiten zur Erlangung von Erkenntnissen über die inneren Vorgänge beim Erklärenden keine andere Deutung zu, als dass der Erklärende den erklärten Inhalt will,33 selbst wenn dies meist wohl eine bloße Fiktion ist. 3. Zeitliche Fiktion des Willens Neben dieser inhaltlichen Fiktion des rechtsgeschäftlich relevanten Willens besteht zugleich eine zeitliche Fiktion. Denn selbst wenn der Erklärende den Willen samt dem aus rechtsdogmatischer Sicht erforderlichen Inhalt tatsächlich bilden sollte, bedeutet das nicht, dass er dies auch zum rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung macht.34 Bei einem juristischen Laien dürfte dies alleine bereits daran scheitern, dass er diesen Zeitpunkt überhaupt nicht kennt, also nicht einmal auf dessen Einhaltung achten kann. Aus streng dogmatischer Sicht hindert die verfrühte oder verspätete Bildung des rechtsgeschäftlichen Willens abseits des Zeitpunkts der Abgabe der Erklärung an sich die Wirksamkeit der entsprechenden Willenserklärung. Aus objektiver Empfängersicht wird jedoch der Wille unterstellt, der zum Zeitpunkt der Abgabe erkennbar zum Ausdruck kommt. De facto dürfte dies allerdings regelmäßig eine bloße Fiktion des wirklichen Willens zu diesem Zeitpunkt sein. Mit der automatisierten Willenserklärung (auch Computererklärung; elektronische Willenserklärung) ist sogar eine Konstellation als Willenserklärung anerkannt, bei der feststeht, dass die Person, der man den Erklärungstatbestand als ihre Willenserklärung zurechnet, zum maßgeblichen Zeitpunkt keinen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willen gebildet hat.35 Dennoch werden solche automatisierten Erklärungen allge-
32 Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 46 sieht in einer objektivierten Sichtweise auf den (geäußerten) Willen der Parteien die praktisch bestmög liche, da zumindest kontrollierbare Annäherung an den [wirklichen] Willen der Parteien. 33 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 16; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 6. 34 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 442 ff., 454 ff. 35 Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 256; Friedmann, Bildschirmtext, S. 17 f.; Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 47 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 116 ff., 140 ff., 204 ff.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220); Köhler, AcP 182 (1982), 126 ff., 132 ff.; siehe hierzu auch unter D.IV.5.e).
III. Zurechnung durch Fiktion des Willens und Zurechnungsalternativen 95
mein für wirksame Willenserklärungen gehalten.36 Diese allgemeine Akzeptanz ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass wirksames rechtsgeschäftliches Handeln nicht vom Vorhandensein eines wirklichen Willens zum maßgeb lichen Zeitpunkt abhängen kann.
III. Zurechnung durch Fiktion des Willens und Zurechnungsalternativen Die Fiktion des Inhalts des Willens zum maßgeblichen Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung ist eine funktionale Hilfskonstruktion der Rechtsgeschäftslehre zur Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen.37 Aufgrund der statistischen Häufigkeit und Typizität einer solchen Fiktion muss der Nachweis eines fehlenden oder alternativen Willens zum relevanten Zeitpunkt im Einzelfall ohne Auswirkungen bleiben, wenn die klassische rechtsgeschäftliche Dogmatik, wie sie in ihren Wesenszügen im BGB abgebildet ist, in sich stimmig bleiben soll. Es wäre widersprüchlich, einerseits sehenden Auges von einer Fiktion des rechtsgeschäftlichen Willens auszugehen, andererseits aber den Regelfall im konkreten Einzelfall zur Ausnahme zu deklarieren, um sie nach §§ 116 ff., 119 ff. BGB wiederum zu korrigieren. Aus funktionaler Sicht und zur Ordnung des Rechtsverkehrs ist die Annahme einer Willensfiktion verständlich und sinnvoll, da sie der Komplexität menschlichen Handelns Struktur, Klarheit und damit Einfachheit verleiht.38 Hängt wirksames privatautonomes Handeln indes nicht unbedingt von der Existenz eines wirklichen Willens entsprechenden Inhalts ab, kommen neben der Fiktion des Willens aber auch andere Alternativen der Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen in Betracht.39 Die Willenserklärung ist damit nicht bloß im Begriffssinne Erklärung des Willens eines Menschen, sondern
36 AG Königswinter, Urt. v. 30.04.2004 – 10 C 136/03 Rn. 5 ff. (juris); Spindler/ Schuster/Spindler, Vor 166 ff. Rn. 5 ff.; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 57; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 8 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 256; Neuner, BGB AT, § 31 Rn. 38 ff.; Friedmann, Bildschirmtext, S. 17 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 140 ff., 204 ff.; Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Köhler, AcP 182 (1982), 126 (132 ff.); Krüger/Bütter, WM 2001, 221 (223); Paefgen, JuS 1988, 592 (593); Paulus, JuS 2019, 960 (961 f.); Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839 (839 f.); siehe hierzu auch unter D.IV.5.e). 37 Kritisch zu diesem Befund besonders Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 525 ff. 38 Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 46 sieht Praktikabilitätsvorteile jedenfalls bei einer objektiven Betrachtung bzw. Bestimmung des Willens von Vertragsparteien. 39 Dazu ausführlich unter E.
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C. Der Wille als bloße Fiktion
vielmehr ein Zurechnungsmechanismus.40 Der Erklärungsinhalt einer Willenserklärung wird einer zumindest bestimmbaren Person, dem Zurechnungsadressaten, zugerechnet, wenn zwischen der Erklärung und der Person eine Beziehung von einer bestimmten Beschaffenheit besteht.41 Dies wirft freilich die Frage auf, von welcher Qualität eine solche Beziehung (mindestens) sein muss, damit eine rechtsgeschäftliche Zurechnung erfolgt.42 Der – wie gezeigt fingierte – rechtsgeschäftliche Wille ist nach der Konzeption der Rechtsgeschäftslehre insoweit sicherlich ein hinreichendes Zurechnungskriterium,43 jedoch kein notwendiges, wie die im Gesetz angelegten Durchbrechungen (§§ 116 ff., 119 ff., 172 ff. BGB) eindrücklich zeigen. Denkbar sind daneben auch andere Kriterien der Zurechnung, wie Kausalität, Veranlassung, Verschulden und das Risikoprinzip,44 die daher insoweit auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen sind.45
IV. Resümee Die Existenz des freien Willens, der von einem autonom denkenden und handelnden Menschen in einem bewussten, vollkommen rationalen Abwägungs- und Entscheidungsprozess gebildet wird, ist unwahrscheinlich, genauso wie auch das Zusammenkommen sämtlicher subjektiver Tatbestandsmerkmale einer Willenserklärung zum rechtlich maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Abgabe nicht wahrscheinlich ist. Vielmehr ist regelmäßig beides eine Fik tion.46 Während bloß die formelle47 und nicht auch die materielle Willensfreiheit48 für die Wirksamkeit rechtsgeschäftlichen Handelns Voraussetzung ist, erweckt die allgemeine Betonung der subjektiven, aber auch der objektiven Tatbestandsmerkmale der Willenserklärung den Eindruck, als seien diese meist gegeben, und als könne man sie im konkreten Einzelfall auch stets sicher feststellen. Wie jedoch bereits einfache Gedankenspiele zeigen, liegen diese Tatbestandsmerkmale selten vor. Und selbst wenn sie vorliegen, ließe 40 So etwa Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 108 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 196 ff., 205. 41 Bork, BGB AT, Rn. 1321; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 108. 42 Zu den möglichen Zurechnungskriterien ausführlich unter E. 43 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 135 ff., 138. 44 Siehe zu Letzterem insbesondere Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 124 ff. 45 Siehe hierzu ausführlich unter E. 46 C.II. und C.III. 47 C.I.2. 48 C.I.3.
IV. Resümee97
sich dies nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht einmal unter Laborbedingungen hinreichend sicher nachweisen, geschweige denn im alltäglichen Rechtsverkehr. Das wahrlich Innere bleibt in letzter Konsequenz verborgen,49 wohl selbst dem (vermeintlich) Wollenden. Diese Erkenntnis erschüttert die tradierte Dogmatik der Rechtsgeschäftslehre, insbesondere den Tatbestand der Willenserklärung. Sie berechtigt dazu, über alternative Erklärungsmodelle nachzudenken, die etwa das Problem der mangelnden (sicheren) Bestimmbarkeit des wirklichen Willens berücksichtigen, möglicherweise durch eine objektivere Beschreibung der Wirklichkeit. Ein solcher Objektivierungsprozess findet in der Rechtsgeschäftslehre bereits seit geraumer Zeit statt,50 man denke etwa bloß an die Erklärungsfahrlässigkeit als Ersatz für ein fehlendes Erklärungsbewusstsein.51 Daher kann es zumindest nicht schon im Ausgangspunkt gegen die Privatautonomie verstoßen, wenn einer Person ein rechtsgeschäftlicher Wille rechtlich zugeordnet wird, den diese Person zum aus rechtlicher Sicht relevanten Zeitpunkt in Wirklichkeit nicht gebildet hat. Auch ein völliger Verzicht auf sämtliche subjektiven Voraussetzungen im Tatbestand der Willenserklärung scheint demnach nicht ausgeschlossen.52
Das Rechtfertigungsprinzip, S. 474. Selbstbindung ohne Vertrag, S. 132 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 144 f., 155 f., 164. 51 Grundlegend dazu bekanntlich der BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 (juris) = BGHZ 91, 324; siehe dazu ausführlich unter D.IV.5.c). 52 So insbesondere schon Leenen, JuS 2008, 577 (580). 49 Rehberg,
50 Köndgen,
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung I. Der Rahmen der Privatautonomie Die Suche nach einer Struktur der Rechtsgeschäftslehre, in welche sich auch die Konstellationen des Handelns unter fremdem Namen einfügen, führt zu den Grundlagen der Privatautonomie. Jeder brauchbare Ansatz muss sich an den Prinzipien und Regeln der Privatautonomie messen lassen. Zunächst muss daher der allgemeine Rahmen privatautonomen Handelns bestimmt werden. Dazu ist nicht nur eine Analyse der einzelnen rechtsgeschäftlichen Regelungen im BGB und deren Interpretation erforderlich, sondern auch der historischen Entwicklung dieser Regelungen sowie deren moderner verfassungsrechtlicher Anknüpfung.
II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz 1. Privatautonomie a) Privatautonomie im engeren Sinne Die Privatautonomie ist als vorgegebener Legitimationsrahmen, Wert oder Gedanke1 Gegenstand und Projektionsfläche verschiedenartiger Interpretationen. Dem Wortlaut nach steht die Eigen- bzw. Selbstständigkeit in ihrer Abgrenzung zu anderen Personen, insbesondere zur Öffentlichkeit im Mittelpunkt. Insoweit sei Privatautonomie der Mangel fremder Einwirkung in die Gestaltung von Rechtsverhältnissen.2 Damit ist zunächst wenig Erkenntnis gewonnen. Angedeutet ist bloß, dass das Individuum sowohl vom Staat bzw. von der Gesellschaft als auch von allen anderen Individuen zu unterscheiden ist.3 Welcher Qualität diese Unterscheidung sein soll, also nach welchen Kriterien und Eigenschaften unterschieden werden soll, lässt der Begriff offen. Diese Konturlosigkeit öffnet den Begriff für unterschiedliche BedeuWille und Erklärung, S. 48; Kellmann, JuS 1971, 609. Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 402; differenzierender Brehmer, Wille und Erklärung, S. 129 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413; siehe auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 1.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226). 3 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 40. 1 Brehmer, 2 Frotz,
II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz99
tungsprojektionen. Konturen erhält er erst durch seine Verwendung im Zusammenhang mit anderen Begriffen, zu denen er in Bezug stehen soll, wie etwa mit der privatautonomen Erklärung oder dem privatautonomen Handeln. Privatautonomie in diesem Sinne soll nach einem engen Begriffsverständnis vorliegen, wenn die rechtliche Selbstgestaltung in freier Selbstbestimmung vorgenommen wird.4 Optimal sei, wenn der (freie) subjektive Wille des Handelnden in der Erklärung zum Ausdruck komme.5 b) Privatautonomie im weiteren Sinne Nach heute gängigem Verständnis bedeutet und beinhaltet Privatautonomie jedoch bloß die Möglichkeit des Einzelnen, Rechtsverhältnisse in Selbst bestimmung eigenverantwortlich zu gestalten,6 also durch Willensäußerungen auf die Entstehung oder Verhinderung von Rechtsfolgen entscheidend Einfluss zu nehmen,7 nicht zwingend auch die Gestaltung selbst.8 Man 4 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 Rn. 45 (juris) = BVerfGE 81, 242 (254); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 6, 45; Werba, Die Willens erklärung ohne Willen, S. 36; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 40, 80; in diese Richtung ist wohl ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 130 zu verstehen; siehe zudem Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 71; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226). 5 BVerfG, Beschl. v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84 Rn. 46 f. (juris) = BVerfGE 72, 155 (170); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 1 ff., 45; hingegen weniger streng Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422. 6 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 2, 115, 126 ff., 147 ff., 155, 157 f.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17, 218; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 28 f.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 233; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 75; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1; siehe zudem Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 28 ff.; etwas abstrakter formuliert Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 74; ebenso, wenn auch mit anderen Worten, Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 464; siehe weiter HKK/Schermaier, BGB, Vor § 104 Rn. 7; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 125 ff.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 50 f.; Hepting, in: 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226); Laufs, MedR 2011, 1 (6); kritisch hingegen Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 84 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 251; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 35. 7 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 115, 117, 123 f., 126 f.; siehe zudem Flume, BGB AT II, § 1, 1 (S. 1); Brehmer, Wille und Erklärung, S. 125 ff.; Leuschner, Verkehrsinteresse und Verfassungsrecht, S. 32; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (227 f.) betont im Zusammenhang mit der Privatautonomie die Gestaltungsfreiheit des Individuums, also dessen Freiheit zur inhaltlichen Ausgestaltung von Rechtsfolgen. 8 So aber noch Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 3, 102, 117, 138, 143, 415, 468, der selbst jedoch auch in fahrlässigen Willenserklärungen einen Ausdruck
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
könnte von bloß formeller Privatautonomie sprechen,9 im Gegensatz zu einer willensgetragenen, materiellen Privatautonomie. Neben dem Gedanken der Selbstbestimmung,10 also der Freiheit von Fremdbestimmung,11 meint Privatautonomie aber auch (andauernde) Selbstbindung (an das Erklärte)12 sowie Selbstverantwortung,13 die ihrerseits nicht Teil,14 sondern Korrelat der Selbstbestimmung sein soll.15 Voraussetzung sowohl von Selbstbestimmung als auch von Selbstverantwortung ist die menschliche Freiheit, auch anders handeln zu können.16 Darin liegt wiederum eine Selbstbezüglichkeit, die notwendigerweise mit einer Beschränkung der eigenen Freiheit verbunden ist.17 Privatautonomie bezeichnet somit nicht etwa die Freiheit des Einzelnen, zu tun und zu lassen, was er möchte. Ein solch absolutes Freiheitsdogma funktioniert bereits in der Theorie nicht, wie Art. 2 Abs. 1 GG anschaulich von Selbstgestaltung sieht (S. 279) und sich dadurch mit sich selbst in Widerspruch setzt. 9 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 115 spricht ebenso von engerer und weiterer Privatautonomie; Flume, BGB AT II, § 1, 2 (S. 2). 10 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 55; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 1; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 35; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226 f.). 11 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15; kritisch Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 82 f.; insbesondere ist auch die Freiheit von Bestimmung durch den Staat gemeint, siehe dazu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 f.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226). 12 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 56 f.; Wiebe, die elektronische Willenserklärung, S. 81; siehe zudem Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 51; die Diskrepanz zwischen Willensfreiheit und Selbstbindung zu Recht kritisierend Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 496 f.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226). 13 Flume, BGB AT II, § 23, 1 (S. 449); Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 27 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422, 433; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, S. 6, 8, 76; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 15; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 232 ff.; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 56 f.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 37 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 75, 78, 81. 14 So aber in Bezug auf die abstrakte Selbstverantwortung Brehmer, Wille und Erklärung, S. 103. 15 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 54 f., der im Übrigen ein bewegliches System der Privatautonomie herausgearbeitet hat, wonach diese aus einem abgestuften Zusammenspiel verschiedener Kräfte bestehe, die jeweils unterschiedliche Stärken besitzen, S. 125; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 116, 126, wohl im Gegensatz zu den Ausführungen auf S. 103, siehe Fn. davor; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422, 433; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 93; Flume, BGB AT II, § 4, 8 (S. 61 f.). 16 Zur Willensfreiheit siehe unter C. 17 Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 51; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226).
II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz101
zeigt. Privatautonomie ist vielmehr auch soziale Bindung in einem kommunikativen Verhältnis.18 Neben der Möglichkeit zu selbstbestimmtem Handeln und der Selbstverantwortung ist auch die kommunikative Fremdbezüglichkeit des Handelns des Einzelnen ein immanenter Bestandteil der Privatautonomie, auch wenn dies bislang kaum diskutiert wird. Allein ist der Mensch im rechtsgeschäft lichen Verkehr ein unvollkommenes Wesen, so dass er mindestens einen zweiten Menschen finden muss, um glücklich zu sein.19 Ohne Kommunikationspartner bleibt der rechtsgeschäftliche Wille ohne Folgen, selbst wenn er erklärt wird. Denn die Sendung einer Information ist sinnlos, wenn es keinen Empfänger gibt, der die Information erhält und auf den sie wirken kann. Neben empfangsbedürftige betrifft dies auch nicht empfangsbedürftige Willens erklärungen, wie etwa das Testament. Denn auch eine geäußerte Willenserklärung kann alleine noch nichts bewirken, wenn sie nicht auf jemanden trifft, der sie wahrnimmt und auf sie reagiert. Privatautonomie ist folglich paradox. Die Gestaltung der eigenen Ange legenheiten ist notwendig vorbedingt durch (auch rechtliche) Existenz, Empfangs- und Reaktionsbereitschaft von mindestens einer anderen Person. Willenserklärungen als Gestaltungsmittel sind somit Akte sozialer Kommu nikation,20 schon alleine deshalb, weil der Mensch ein soziales Wesen ist und gewollt wie ungewollt bzw. bewusst wie unbewusst mit seiner Umwelt kommuniziert. Die situative Rollenverteilung von Erklärendem und Erklärungsempfänger ist stets nur eine Momentaufnahme, die sich ständig ins jeweilige Gegenteil verkehren kann. Der Rechtsverkehr als Zusammenkunft potentieller Inter aktionspartner ist daher notwendiger Bestandteil der Privatautonomie jedes einzelnen seiner Teilnehmer. Die Stärkung des Rechtsverkehrs führt daher nicht etwa zur Schwächung der Privatautonomie, sondern ebenfalls zu deren Stärkung. Dies hat noch nichts mit Vertrauens- und Verkehrsschutzaspekten als natürliche Antipoden der Privatautonomie zu tun, sondern ist Teil der privatautonomen Gestaltung jedes Einzelnen.
Die elektronische Willenserklärung, S. 78. des entsprechenden Zitats von Blaise Pascal. 20 Larenz, BGB AT, § 19 I; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 6 f. 18 Wiebe,
19 Abwandlung
102
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
c) Die verfassungsrechtliche Dimension der Privatautonomie aa) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Ausgangspunkt Die Privatautonomie ist als grundlegendes Konzept der deutschen Privatrechtsordnung verfassungsrechtlich abgesichert.21 Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Darunter fällt nicht nur die freie Persönlichkeitsentfaltung als solche, sondern auch die Privatautonomie im Rechtssinne als deren spezifischere Unterform samt des weiteren Teilbereichs der Vertragsfreiheit.22 Als Grundrecht ist die Privatautonomie zunächst bloß ein Abwehrrecht der Bürger gegen Eingriffe des Staates in die (rechtliche) Gestaltung ihrer Leben.23 Der Schutz reicht von der Vertragsabschlussfreiheit, dem Ob und den weiteren Voraussetzungen eines Vertrages und damit der Abwehr von Kontrahierungszwängen, über die Vertragsinhaltsfreiheit, also dem Wie eines Vertrages, bis hin zur staatlichen Garantie der Beständigkeit der vertraglichen Vereinbarungen.24 Den kontrahierenden Bürgern muss dabei von Verfassungs wegen ein möglichst hohes Maß an freier und verantwortlicher Selbstbestimmung zustehen.25 Im Ausgangspunkt darf der Staat weder per Gesetz oder durch richterliche Entscheidungen, noch in sonstiger Weise in die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten eingreifen. Durch die Setzung der Privatrechtsordnung, fraglos ein hoheitlicher Akt, und ihre detaillierte Ausgestaltung hat der gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebundene Privatrechtsgesetzgeber natürlich erheblich in die Grundrechte Die Willenserklärung ohne Willen, S. 36. Beschl. v. 19.10.1993 – Az. 1 BvR 567/89 Rn. 51 ff. (juris), 1 BvR 1044/89 Rn. 51 ff. (juris) = BVerfGE 89, 214 (231 f.); Beschl. v. 13.5.1986 – Az. 1 BvR 1542/84 Rn. 46 (juris) = BVerfGE 72, 155 (170); Beschl. v. 4.6.1985 – Az. 1 BvL 12/84 Rn. 26 (juris) = BVerfGE 70, 115 (123); Beschl. v. 12.11.1958 – Az. 2 BvL 4/56, 2 BvL 26/56, 2 BvL 40/56, 2 BvL 1/57, 2 BvL 7/57 Rn. 206 ff. (juris) = BVerfGE 8, 274 (328 f.); Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 38, 63; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 22 f.; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 101; Starck, in: v. Mangold/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 145; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 127 f.; Canaris, JZ 1987, 993 ff.; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (75). 23 Dreier, in Dreier: GG, Art. 2 I Rn. 38; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 102; siehe zudem BVerfG, Beschl. v. 23.6.1993 – 1 BvR 133/89 Rn. 46 (juris) = BVerfGE 89, 48 (61), der auch auf BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958 – 2 BvL 4/56, 2 BvL 26/56, 2 BvL 40/56, 2 BvL 1/57, 2 BvL 7/57 Rn. 206 ff. (juris) = BVerfGE 8, 274 (328) verweist; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 402; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 40. 24 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17. 25 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 105; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 145 m. w. N. 21 Werba,
22 BVerfG,
II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz103
seiner Bürger eingegriffen. Mit jeder Änderung des Privatrechts ist zudem ein erneuter Eingriff verbunden. Die Bürger, die durch die Privatrechtsordnung insgesamt, sowie im Einzelnen durch deren konkrete Ausgestaltung, etwa in Gestalt von Formvorschriften, zwingenden Vertragstypen oder vertraglichen Geltungsmodalitäten durch den Staat in ihrem privatautonomen Bewegungsradius eingeschränkt werden, sind insoweit in der klassischen Abwehrdimension ihrer Grundrechte betroffen.26 bb) Die Grenzen der individuellen Privatautonomie Art. 2 Abs. 1 GG gewährt den Schutz der Privatautonomie jedoch nicht vorbehaltlos, sondern beschränkt diesen durch Gesetzesvorbehalt, so dass der Gesetzgeber Beschränkungen der Privatautonomie nicht nur vornehmen darf, sondern auch muss, etwa zum Schutze und Ausgleich der Privatautonomie anderer Bürger.27 Der Gesetzgeber ist rechtfertigungsbedürftig und an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden.28 Die Setzung der Privatrechtsordnung als solche ist noch kein grundrechtswidriger Vorgang. Nach dem Grundgesetz ist die Privatautonomie der anderen Bürger die bedeutendste Grenze für das privatautonome Handeln eines jeden Bürgers.29 Folglich haben Bürger einen Anspruch gegen den Staat auf Abwehr staatlicher Bestrebungen sowie staatlicher Förderung der Fremdbestimmung durch andere Privatrechtssubjekte, so dass der Staat – zumindest im Ausgangspunkt – Vertragsschlüsse ohne Achtung der Selbstbestimmung des dadurch betroffenen Bürgers nicht fordern, fördern oder in sonstiger Weise ermög lichen darf. Dies bedeutet auf der anderen Seite jedoch nicht, dass jede vertragliche Vereinbarung eines Bürgers tatsächlich von dessen wirklichen Willen getragen sein muss. Sie muss dem Bürger jedoch als Akt seiner eigenen Selbstbestimmung zumindest in einem weiten Sinne zurechenbar sein. cc) Die Schutzpflicht des Staates Der Staat hat eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Eingreifen, soweit die Grundrechte nicht in ihrer klassischen Abwehrdimension, sondern als Schutzauftrag wirken.30 Dies betrifft zunächst den Schutz der Bürger vor sich 26 Maunz/Dürig/Di
Fabio, GG, Art. 2 Rn. 106. Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 19. 28 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 103.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 147. 29 Paulus/Zenker, JuS 2001, 1 (2). 30 BVerfG, Urt. v. 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 Rn. 13 ff. (juris) = BVerfGE 46, 160 (164 f.); Urt. v. 25.2.1975 – 1 BvF 1/74 bis 6/74 Rn. 151 ff. (juris) = BVerfGE 39, 27 Lorenz,
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
selbst, wenn sie durch eigenes Handeln ihre Privatautonomie begrenzen, beispielsweise durch die (Selbst-)Verpflichtung, künftig keine Verträge mehr zu schließen, oder durch Eingehung von Verträgen, die künftiges privatautonomes Handeln de facto beschränken, beispielsweise weil das Vermögen dadurch weitgehend gebunden wird.31 Vorbedingung privatautonomen Handelns ist die Parität der Bürger.32 Denn echte Selbstbestimmung liegt zumindest dann nicht vor, wenn Bürger alleine aufgrund ihrer strukturellen Unterlegenheit in Verhandlungen von stärkeren Partnern übervorteilt werden.33 Solche Defizite können fehlende Informationen, mangelndes Vermögen, allgemeiner intellektueller Rückstand, größere objektive oder subjektive Bedürfnisse oder eine ungünstige Marktsituation sein.34 Ist die Parität der Bürger aus einem dieser Gründe gestört, folgt aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates die Aufgabe, die strukturelle Disparität unter Einhaltung des Unter- und des Übermaßverbots zu kompensieren.35 Beispiele hierfür sind das Arbeitsrecht, das soziale Mietrecht und das Verbraucherschutzrecht.36 Wo dabei genau die Grenze zwischen dem Schutz des einen (schwächeren) und dem Eingriff in die Rechte des anderen (stärkeren) Bürgers verläuft, ist von der Verfassung außerhalb des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht vorgeschrieben, sondern eine rechtspolitische Überlegung, die der Staat zuvorderst rechtsgestaltend in seiner Rolle als Gesetzgeber anstellen muss.37 Schließlich ist der Staat weiter auch zum Schutz unbeteiligter Dritter (Verbot des Vertrages zu Lasten Dritter), bestimmter Minderheiten (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) und gewisser gesellschaftlicher Moralvorstellungen (§ 138 BGB) verpflichtet.38
1 (41); MüKoBGB/Säcker, Einl. Rn. 66; MüKoBGB/Armbrüster, § 134 Rn. 34; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.); Klein, NJW 1989, 1633 ff. 31 Paulus/Zenker, JuS 2001, 1 (2); spezifisch hinsichtlich autonomer automatisierter Erklärungen Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 268 f. 32 BVerfG, Urt. v. 6.2.2001 – 1 BvR 12/92 Rn. 33 (juris) = BVerfGE 103, 89 (100 f.); Beschl. v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89 Rn. 54 (juris) = BVerfGE 89, 214 (232); Beschl. v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 Rn. 47 (juris) = BVerfGE 81, 242 (254 f.). 33 MüKoBGB/Armbrüster, § 138 Rn. 86; Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 134; Adomeit, NJW 1994, 2467 ff. 34 Paulus/Zenker, JuS 2011, 1 (1 f.). 35 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 107; Paulus/Zenker, JuS 2001, 1 (5). 36 Adomeit, NJW 1994, 2467 (2468); Paulus/Zenker, JuS 2001, 1 (5). 37 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 20 f. 38 Zum Umfang und den Grenzen des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots siehe MüKoBGB/Schubert, § 242 Rn. 69 f.; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 11.
II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz105
dd) Der verfassungsrechtliche Rahmen der privaten Individualität Art. 2 Abs. 1 GG gibt nicht punktgenau vor, wie die Bürger ihre Privatautonomie ausüben können, insbesondere inwieweit dabei allein der wirkliche Wille maßgeblich sein soll. Sowohl die Willenserklärung als Mittel der Privatrechtsausübung als auch der Mechanismus des Vertragsschlusses sind hinsichtlich ihrer jeweiligen konkreten Voraussetzungen von Verfassungs wegen nicht genau vorgezeichnet. Das Grundgesetz steht somit der Zurechnung eines Erklärungstatbestandes als Willenserklärung einer Person ohne deren Willen nicht entgegen, sofern der Staat seinen Bürgern nicht einen (staats-)eigenen Willen aufzwingt, den fremden Willen anderer Bürger aufdrückt oder eine Zurechnung ermöglicht, die im Ergebnis nicht der Selbstbestimmung im weiteren Sinne entspricht. 2. Verkehrs- und Vertrauensschutz a) Verkehrsschutz Verkehrs- und Vertrauensschutz werden regelmäßig als Gegen- oder zumindest Ergänzungsprinzipien zur Privatautonomie, genauer zur Selbstbestimmung des Einzelnen genannt.39 Beide werden meist in einem Atemzug erwähnt,40 als ob sie Synonyme wären oder verschiedene Ausprägungen eines gemeinsamen Oberbegriffs,41 was allerdings nicht der Fall ist.42 Verkehrsschutz meint den überindividuellen Schutz des Rechtsverkehrs; dies umfasst zum einen sämtliche potentielle Teilnehmer des Rechtsverkehrs, zum anderen den Rechtsverkehr als solchen,43 gewissermaßen institutionell. Da39 Singer, JZ 1989, 1030; in Bezug auf den Verkehrsschutz Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 227; dies fällt ebenso auf Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 52; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 658, 677; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 2, 54 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 83 f. 40 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 21 (juris) = BGHZ 91, 324 (330); Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 69 f., 131 ff., 137 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 1 f.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 100 f.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 52; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 37; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 54 f.; Singer, JZ 1989, 1030; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (224 f.). 41 In diese Richtung wohl Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 84. 42 Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, S 227 f.; Leuschner, Verkehrsinteresse und Verfassungsrecht, S. 51 f.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 52; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 124. 43 Insoweit hat der Begriff des Verkehrsschutzes sowohl eine subjektiv-indivi duelle, auf die einzelnen Teilnehmer bezogene, als auch eine objektive, also auf den
106
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
mit ist bloß gesagt, wer und was geschützt ist, nicht auf welche Weise dieser Schutz erfolgt. Insoweit ist der Begriff indifferent.44 Im Vordergrund steht der Schutz des Rechtsverkehrs als Institution, dessen grundlegende Funktion die Gewährung von Ordnung und Rechtssicherheit ist, insbesondere in Form von Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit, Genauigkeit und Beständigkeit, so dass die Privatrechtssubjekte ihre Rechtsgeschäfte möglichst zügig, reibungslos und fehlerfrei abwickeln können.45 Dies betrifft auch die Praktikabilität des rechtsgeschäftlichen Verkehrs im Sinne einer möglichst durchsichtigen Rechtslage.46 Verkehrsschutz wäre beispielsweise dann nicht in Gänze gewährleistet, wenn Vertragsschlüsse oder Vertragsgestaltungen aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen fehleranfällig wären und sich dadurch die privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Menschen verkomplizierten, sich der Rechte- und Güteraustausch verlangsamte oder die Validität privater Rechte in Frage gestellt wäre, insbesondere wenn sich individuelle Rechte nicht durchsetzen ließen. b) Vertrauensschutz Vertrauensschutz ist kein Synonym für Verkehrsschutz, sondern stellt ein eigenständiges Wertungsprinzip dar.47 Vertrauensschutz meint den Schutz abstrakten oder konkreten Vertrauens, welches in das Bestehen einer Tat sache oder einer rechtlichen Begebenheit gesetzt wird.48 Vertrauen ist als Grundvertrauen Grundlage jeder menschlichen Beziehung.49 Konkretes Vertrauen liegt vor, wenn eine bestimmte Person Vertrauen entgegenbringt, etwa der Adressat einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, der auf den Bestand und den Inhalt der Willenserklärung vertraut.50 Von abstraktem VerVerkehr insgesamt bezogene Komponente; so auch die Einteilung bei Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 52, 336; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 658; siehe auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 172. 44 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 131. 45 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 63; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 131, 135 f., 137, 150 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 55; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 83 f.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 336 spricht insoweit von der Sicherung des Betätigungsfeldes durch Verkehrsschutz. 46 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 141. 47 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 79; siehe zudem Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 52. 48 Siehe nur Canaris, Vertrauenshaftung, S. 1 ff.; zum Systemvertrauen Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 148 ff., 242 ff. 49 Larenz, BGB AT, § 2 IV (S. 38); Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 82. 50 MüKoBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 1; in diese Richtung auch Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 52; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (226)
II. Privatautonomie und Vertrauens- und Verkehrsschutz107
trauen oder auch Systemvertrauen könnte die Rede sein, wenn es um keine bereits individualisierte bzw. individualisierbare Person geht, die als Vertrauensperson bzw. Vertrauensgegenstand in Betracht kommt, sondern entweder der Rechtsverkehr in seiner Gesamtheit oder einzelne seiner Teilnehmer Vertrauen entgegenbringen.51 Verfassungsrechtlich ist der Vertrauensschutz im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankert und liegt der Privatrechtsordnung als tragendes Prinzip zugrunde.52 Einfachgesetzlich hat der Vertrauensschutz vielfachen Ausdruck gefunden, beispielsweise als Anspruch auf Schadensersatz für enttäuschtes Vertrauen bei Anfechtung einer Willenserklärung gemäß § 122 Abs. 1 BGB, beim Handeln eines Stellvertreters ohne Vertretungsmacht nach § 179 Abs. 2 BGB und in § 15 HGB. Eine besondere Rolle spielt der Vertrauensschutz beim redlichen Erwerb gemäß §§ 932 ff. BGB, wonach Eigentum auch dann erworben werden kann, wenn ein Nichtberechtigter verfügt, solange der Erwerber gutgläubig i. S. d. § 932 Abs. 2 BGB in Bezug auf die Eigentümerstellung des Verfügenden vertraut und die gegenständliche Sache nicht abhandengekommen ist gemäß § 935 BGB. 3. Das Verhältnis von Privatautonomie und Verkehrs- und Vertrauensschutz Im Ausgangspunkt sind die Privatautonomie auf der einen sowie der Vertrauens- und Verkehrsschutz auf der anderen Seite separate, völlig eigenständige Wertungsprinzipien mit jeweils unterschiedlichen Anknüpfungspunkten.53 Während der Erklärende die Privatautonomie auf seiner Seite hat, streitet der Vertrauensschutz für den Erklärungsadressaten, der Verkehrsschutz zudem zusätzlich für den Rechtsverkehr.54 Maximale Verkehrssicherheit im Sinne eines störungsfreien, schnellen und effektiven Rechtsverkehrs, d. h. eines Austausches von Gütern und Leistungen, wäre dann gegeben, wenn die Wirksam- und Beständigkeit der Grundlage des Güter- und Leistungsaustausches nicht von der Selbstbestimmtheit des Handelns der einzelnen Rechtssubjekte abhinge, insbesondere nicht von deren wirklichen Willen, hält die Selbstbindung des Individuums (etwa an das Erklärte) für einen Teil des Vertrauensschutzes, und damit der Freiheit des anderen; nach Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 138 kann Vertrauen auch Vertrauen auf den Erhalt der Gegenleistung sein. 51 Zu dieser Unterscheidung Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 82, 84, 148 ff. 52 Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, Art. 20 Rn. 69; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 39 ff.; Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2011, 794. 53 Für das Vertrauensprinzip Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 79. 54 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 79.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
also Gegebenheiten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar sind, sondern von rein objektiven Voraussetzungen, wie im Extremfall einer (staatlichen) Zuteilung. Zweckmäßiger ist jedoch, die Verteilung den Rechtssubjekten weitestgehend selbstbestimmt zu überlassen, weil diese die jeweiligen Verhältnisse und Notwendigkeiten am besten einschätzen können,55 und das Verteilungsergebnis dann die höchste Akzeptanz unter den Rechtssubjekten finden würde. Es wird deutlich, dass nicht beides – Verkehrssicherheit und Privatautonomie (im engeren Sinne) – in gleichem Maße zu höchster Vollendung kommen kann. Auch der Schutz von Vertrauen scheint auf den ersten Blick nicht Teil der Privatautonomie zu sein. Denn das Vorhandensein oder Entgegenbringen von Vertrauen ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung selbstbestimmten Handelns, wie die mögliche Wirksamkeit von Rechtsgeschäften mit bekannt vertrauensunwürdigen, unseriösen und unzuverlässigen Personen zeigt.56 Zudem ist die Enttäuschung von Vertrauen, das in einen Erklärungstatbestand gesetzt wird, systemisch vorprogrammiert, da entweder das Vertrauen des Erklärenden auf die Wirksamkeit seines selbstbestimmten (Nicht-)Handelns oder das Vertrauen des (vermeintlichen) Erklärungsadressaten auf die Beständigkeit des Erklärungstatbestandes enttäuscht werden.57 Allerdings kann sich das Vertrauen auf die Selbstbestimmtheit des Handelns des Erklärenden beziehen, und dadurch die freie Entfaltung der Selbstbestimmung des situativen Erklärungsadressaten schützen, so dass der Vertrauensschutz insoweit zugleich reflexartig dem Schutz der negativen Privatautonomie des Vertrauenden dient.58 Zwar mag hierbei die Selbstbestimmung des Erklärenden durch den Vertrauensschutz beschränkt sein, doch ist der Erklärende regelmäßig nur situativ Erklärender und nicht Erklärungsadressat. Diese Rollen sind niemals dauerhaft gleich besetzt, nicht einmal im Rahmen desselben Rechtsgeschäfts. Denn der Erklärende ist stets auch Erklärungsadressat für die Erklärungen seines Erklärungsgegenübers. Der Vertrauensschutz ist somit Bestandteil der Privatautonomie selbst. Der Schutz des systemischen und konkreten Vertrauens komplettiert das Konzept der Privatautonomie.59 Der dem Vertrauensschutz systemisch übergeordnete 55 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 79; kritisch jedoch Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 59 ff., 336. 56 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 54 f.; ebenso klar differenzierend Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 94. 57 In diese Richtung Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 58. 58 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 76, 79 spricht davon, dass – gewissermaßen auf der zweiten Ebene – das Vertrauensprinzip integraler Bestandteil der Rechtsgeschäftslehre sei; siehe ebenso Säcker, Jura 1971, 509 (527 f.). 59 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 103; in diese Richtung wohl auch Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 41; Wiebe, Die elektronische Willenser-
III. Ein historischer Abriss der privatrechtlichen Privatautonomie 109
Schutz des Rechtsverkehrs gewährleistet darüber hinaus als abstrakter Mechanismus die negative Privatautonomie sämtlicher Teilnehmer des Rechtsverkehrs. Alle drei Prinzipien müssen in einer privatautonomen Rechtsgeschäftslehre ihren angemessenen Ausdruck und Ausgleich finden.
III. Ein historischer Abriss der privatrechtlichen Privatautonomie 1. Willenserklärungen und Vertragsschlüsse in der römischen Antike Die Idee der allgemeinen Vertragsfreiheit hat ihren Ursprung nicht im römischen Recht. Die Römer kannten zur Begründung eines wirksamen Schuldverhältnisses (obligatio) nur vier Typen von Konsensualkontrakten (emptio venditio, locatio conductio, mandatum, societas).60 Außerhalb des Typenzwangs der Konsensualkontrakte konnten die Römer lediglich auf die recht feierliche und aufwändige Form der stipulatio und des vestimentum bei Litteral- und Realkontrakten zurückgreifen,61 was ebenfalls mit einem hohen Form- und Typenzwang einherging. Die freie Vereinbarung schuldrechtlicher Verpflichtungen durch bloße Willensübereinstimmung (nudus consensus) war im alten Rom unbekannt und ist erst durch die Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts ideengeschichtlich in Erscheinung getreten.62 2. Die Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts und das Allgemeine Preußische Landrecht a) Hugo Grotius verbindliches Versprechen Eine zentrale Figur in der Entwicklung der auf die Willenserklärung gründenden Vertragstheorie ist der holländische Jurist Hugo Grotius (1583–1645). Mit seiner Lehre vom verbindlichen Versprechen lieferte er den Ausgangspunkt für die Loslösung von dem römischrechtlich geprägten Typen- und Formzwang.63 Zwar knüpfte auch Grotius zunächst an die moraltheologische klärung, S. 76; im Ergebnis so auch Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 29. 60 Honsell, Römisches Recht, § 32 V; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 38 Rn. 11; Liebs, Römisches Recht, S. 247 ff.; zudem Ehmann, in: FS Stathopoulos, S. 1 (2 f.). 61 Honsell, Römisches Recht, § 32 II, III; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privat recht, § 40 Rn. 1 ff., 14 ff. 62 Siehe hierzu auch Ehmann, in: FS Stathopoulos, S. 1 (2 f.). 63 Ehmann, in: FS Stathopoulos, S. 1 (4 f., 36 f.); Ackermann, Der Schutz des negativen Interesses, S. 74 ff., 78, 89 f. greift diesen Gedanken aus der Historie auf und
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Tradition an, indem er die verbindliche Wirkung eines menschlichen Versprechens mit Gott begründete, der gegen seine Natur handeln würde, wenn er das Verheißene nicht gewährte,64 doch löste er sich später hiervon. Die davon zu trennende Frage, unter welchen Voraussetzungen das Versprechen einer Person rechtlich verbindlich sein soll, ist durch Grotius konkret geworden. Er entwickelte ein Dreistufenmodell, das den Bindungsgrad eines Versprechens abbilden soll.65 Demnach sei die erste Stufe die Erklärung des Versprechenden, jetzt etwas ernstlich für die Zukunft zu wollen, sich aber noch eine Willensänderung vorzubehalten. Denn jeder Mensch habe das Recht, seinen Willen zu ändern. Auf der zweiten Stufe komme die ernstliche Absicht hinzu, auf dem Willen tatsächlich zu beharren (pollicitatio, also „Gelübde“), was dem anderen jedoch noch kein eigenes Recht gewähre. Die eigene Willensbildung verpflichte also noch nicht gegenüber einer anderen Person, sondern sei vielmehr nur ein moralischer Akt. Erst wenn auf der dritten Stufe zu der Willensentscheidung ein Zeichen (signum) hinzutrete, dass dem anderen ein Recht zustehen solle, könne schließlich von einem vollkommenen Versprechen (perfecta promissio) die Rede sein. Erst hierdurch würde das Versprechen verbindlich. Ein wahrlich vollkommenes Versprechen galt nach Grotius allerdings nur dann, wenn zusätzlich noch weitere Rahmenbedingungen vorlagen,66 wie etwa der Gebrauch der Vernunft (dies rekurriert auf die heutige Geschäftsfähigkeit), die Irrtumsfreiheit des Versprechenden und das Zustandekommen des Versprechens ohne Furcht („keine Willensmängel“), sowie wenn das Versprechen keinem unrechten Zweck diente („gesetzliches Verbot“ oder „Sittenwidrigkeit“). Wichtig war Grotius zudem, dass vor der Prüfung der Übereinstimmung des Willens des Versprechenden (Erklärenden) mit demjenigen des Erklärungsempfängers geprüft wird (äußerer Konsens), ob eine Übereinstimmung zwischen dem erklärten und dem eigentlichen Willen besteht (innerer Konsens).67 Aus der naturrechtlichen Sicht konnte das Versprechen nur dann verbindliche Wirkung entfalten, wenn es mit dem wirklichen Willen übereinstimmte.68 Damit war das moderne Verständnis des Vertrages geboren, der durch freie Willensbildung und ernstliche und verbindliche Willenserklärungen zustande kommt. Nach der Weiterentwicklung der Lehre Grotius’ durch andere Naturstellt ihn in Zusammenhang mit modernen Überlegungen zur Dogmatik der Rechtsgeschäftslehre; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 14. 64 Ehmann, in: FS Stathopoulos, S. 1 (4). 65 Ehmann, in: FS Stathopoulos, S. 1 (4 f., 6, 25). 66 Siehe hierzu detailliert unter Grotius, De iure Belli ac Paris, II 11 § 5–22. 67 Grotius, De iure Belli ac Paris, II 11 § 6 II, übersetzt: „Entsprechend sagen wir, wenn das Versprechen auf der Voraussetzung einer Tatsache beruht, die nicht so ist wie angenommen, so wird es naturrechtlich keine Wirkung haben.“ 68 So auch die Deutung von Eisenhardt, JZ 1986, 875 (877).
III. Ein historischer Abriss der privatrechtlichen Privatautonomie 111
rechtler im 18. Jahrhundert mündete die Entwicklung schließlich in einen positivrechtlichen Niederschlag im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794.69 Mit diesem Schritt des preußischen Gesetzgebers ist der menschliche Wille als solcher als eigenständige Rechtskategorie anerkannt worden.70 b) Verkehrsschutz als Bestandteil der Willenserklärung Beim Blick auf diese Anfänge der Willenserklärung fällt auf, dass zwar die Bindung des Versprechenden (Erklärenden) an sein Versprechen (die Willenserklärung), also die Gegebenheiten des privatautonomen Handelns, im Mittelpunkt standen, tatsächlich aber auch Verkehrs- und Vertrauensschutz aspekte zumindest mittelbar von Bedeutung waren. Dies zeigen die Überlegungen zur Beständigkeit und Ernstlichkeit des Versprechens. Denn im Ergebnis ist nicht (bloß) der Versprechende betroffen, der bei mangelnder Beständigkeit des Versprechens doch nicht gebunden wäre, sondern vor allem der Versprechensempfänger, der sicher sein will, dass das Versprechen gilt und Bestand hat. Der Form- und Typenzwang aus dem römischen Recht führte zu einem erhöhten Verkehrsschutz, weil der jeweilige Vertragspartner durch die strenge Form wusste, dass er sich auf das Gesagte verlassen kann. Der Schritt zu der Sichtweise, dass nicht eine bestimmte Form oder eine bestimmte Art des Versprechens dessen Verbindlichkeit begründet, sondern vielmehr der (geäußerte) Wille des Versprechenden, der anschließend durch den Willen des Versprechensempfängers bestätigt wird, ist das grundlegende Verdienst der Naturrechtler. 3. Die Entwicklung des Willensdogmas und der Erklärungstheorie im 19. Jahrhundert Die Weiterentwicklung des Versprechens zu einer Willenserklärung, die ihr dogmatisches Zentrum einzig und allein im Willen des Versprechenden (Erklärenden) hat, ist konsequent. Friedrich Carl von Savigny formulierte im Jahre 1848 zum ersten Mal das Willensdogma.71 Andere Rechtsgelehrte wie 69 Im dortigen § 1 heißt es: „Die Willenserklärung ist eine Äußerung dessen, was nach der Absicht des Erklärenden geschehen, oder nicht geschehen soll.“ § 4 lautet: „Die Willenserklärung muß frey, ernstlich, und gewiß, oder zuverlässig seyn.“; abgedruckt etwa bei Eisenhardt, JZ 1986, 875 (877). 70 So jedenfalls H. Dilcher, in: GS Conrad (1979), S. 65 (92); und ihm folgend Eisenhardt, JZ 1986, 875 (877). 71 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, S. 264, 444: „Denn eigentlich muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden, und nur weil er ein inneres, unsichtbares Ereigniß ist, bedürfen wir eines Zei-
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Windscheid72, Enneccerus73 und Zitelmann74 folgten diesem Ansatz. Aus Savignys Formulierung schlossen die Vertreter der Willenstheorie, dass eine Erklärung immer dann nichtig ist, wenn sie mit dem Willen des Erklärenden nicht übereinstimmt, unabhängig davon, ob der Erklärende einem Irrtum unterliegt oder nicht.75 Zwar sah die Willenstheorie einige wenige Ausnahmen zur Abmilderung allzu harscher Folgen für den auf die Wirksamkeit einer Erklärung Vertrauenden vor, dennoch blieb es in den meisten Fällen dabei, dass der Erklärungsgegner – und damit als weitere Konsequenz der Rechtsverkehr – mit der Rechtsunsicherheit und ihren negativen Folgen stark belastet war. Insbesondere Rudolf von Jhering und Otto Bähr waren nicht bereit, dieses Ergebnis hinzunehmen. Jhering erklärte die Willenstheorie 1861 für unbillig und praktisch trostlos, und versuchte deren Folgen über die von ihm entwickelte culpa in contrahendo aufzufangen,76 während Bähr 1875 zumindest die Irrtumsfälle über eine Fiktion des Willens des Erklärenden lösen wollte, um dem Erklärungsgegner auf diese Weise wenigstens im Ergebnis Vertrauensschutz zu gewähren.77 Erst mit Roever schwang das Pendel von der Willenstheorie konsequent zur Erklärungstheorie,78 deren Anhänger der Auffassung waren, dass auch eine irrtümliche Erklärung grundsätzlich gelten müsse, da sie nun einmal
chens, woran er von Anderen erkannt werden könne, und dieses Zeichens, wodurch sich der Wille offenbart, ist eben die Erklärung. Daraus folgt aber, daß die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis ist.“; siehe hierzu auch Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 23 f. und Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 17 f.; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (774 ff.). 72 Windscheid, AcP 63 (1880), 72 ff. 73 Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, S. 67 ff. 74 Zitelmann, in: Jher. Jb., Bd. 16 (1878), S. 357 ff. 75 Eisenhardt, JZ 1986, 875 (878). 76 Jhering, in: Jher. Jb., Bd. 4 (1861), S. 1 ff. 77 Bähr, in: Jher. Jb., Bd. 14 (1875), S. 393, 401 ff.: „Wer beim Contrahieren in einer ihm zuzurechnenden Weise die äußere Erscheinung seines Willens hervorruft, so daß der ihm Gegenüberstehende bonafide Rechte daraus erlangt zu haben glaubt oder glauben darf, wird mit seiner Behauptung, daß ihn in Wirklichkeit der entsprechende Wille gefehlt habe, gar nicht gehört. Er haftet aus der äußeren Erscheinung seines Willens gerade so, als ob er wirklich gewollt habe.“ Dies könnte man bereits als ersten Ansatz einer Erklärungstheorie werten, allerdings weist Enneccerus, Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, S. 71 zu Recht darauf hin, dass Bähr aus der Sichtweise der Willenstheorie argumentiert, da er versucht, den fehlenden Willen durch eine Fiktion zu ersetzen statt eine neue Theorie auf anderen Grundlagen zu entwickeln (so auch Eisenhardt, JZ 1986, 875 (878)). 78 So die Bewertung von Eisenhardt, JZ 1986, 875 (878) und Musielak, AcP 211 (2011), 769 (775).
III. Ein historischer Abriss der privatrechtlichen Privatautonomie 113
vorliege.79 Bei dieser konfrontativen Gegenüberstellung vom Willen einerseits und Erklärung andererseits sollte es nicht bleiben. Dernburg versuchte zwischen beiden Lagern eine Brücke zu schlagen, indem er zwar auf der einen Seite den Willen des Erklärenden für ausschlaggebend hielt, auf der anderen Seite jedoch eine Fiktion des Willens mit dem Inhalt des Erklärten zulassen wollte, wenn der entsprechende Wille fehlte. Der Erklärende sollte sich nur dann unter engen Voraussetzungen wieder von dem Erklärten lösen können, wenn er seinen entgegenstehenden Willen aufgrund anderer Tatsachen beweisen konnte, was ihm jedoch nicht für jeden Fall gestattet werden sollte.80 Die Idee, zwischen den extremen Positionen beider Theorien zu vermitteln, um ihre jeweiligen theoretischen und praktischen Probleme zu lösen, bildete dann den Nährboden für die Diskussionen um die Ausrichtung der Rechtsgeschäftslehre im BGB. 4. Die Entstehungsgeschichte des BGB Der erste Entwurf des BGB aus dem Jahre 1887 war deutlich von den Anhängern der Willenstheorie geprägt worden. Daher verwundert es kaum, dass gemäß diesem eine Erklärung, die nicht dem Willen des Erklärenden entsprach, nichtig sein sollte.81 Nach den Motiven sollte dem Willen, der auf die Hervorbringung einer Rechtswirkung gerichtet ist, Folge geleistet werden, so dass die beabsichtigte Wirkung deshalb eintrete, weil sie gewollt sei.82 Die zweite Kommission versuchte sich deutlich von der Willenstheorie zu lösen, jedoch nicht, um sich in die Arme der Erklärungstheorie zu begeben. Man verständigte sich vielmehr zunächst darauf, dass sich weder das Willensdogma noch die dem Willensdogma spiegelbildlich gegenüberstehende Vertrauensmaxime (Erklärungstheorie) ohne erhebliche Modifikationen durchführen ließen und es daher notwendig sei, die einzelnen in Betracht kommenden Konstellationen getrennt voneinander ins Auge zu fassen, ohne zu der einen oder anderen Theorie positiv Stellung zu beziehen.83 Mit anderen Worten wollten die Väter des BGB weder die Willens- noch die Erklärungstheorie in das BGB übernehmen, sondern schlichtweg pragmatische Lösungen für die einzelnen Probleme der Rechtsgeschäftslehre finden.84 Die Über die Bedeutung des Willens bei Willenserklärungen, S. 17 ff. Pandekten, Allgemeiner Teil, S. 232 ff. 81 Motive I 190; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 22. 82 Motive I 190 f. 83 So die Protokolle I 94, 222 f.; siehe zudem HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 8 f.; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (773, 775 f.). 84 Denkschrift, S. 30; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 214. 79 Roever,
80 Dernburg,
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Rechtsgeschäftslehre des BGB folgt damit weder noch und zugleich sowohl als auch der Willens- und Erklärungstheorie, also letztlich einem völlig eigenständigen Ansatz. Zwar wird deshalb die Ansicht vertreten, die Vorschriften des BGB taugten nicht als Grundlage zur Ableitung einer dogmatischen Struktur der Willenserklärung.85 Doch ließe sich auch behaupten, dass durch die Vorschriften über die Willenserklärung schlichtweg eine eigene, dritte Theorie von der Willenserklärung im BGB verwirklicht worden ist, die einer eigenen Dogmatik folgt. Die fehlende Legaldefinition der Willenserklärung könnte für deren weiter- und tiefergehende Untersuchung entweder Stütze oder Hemmnis sein.
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 1. Interpretationsspielraum aufgrund fehlender Legaldefinition der Willenserklärung Aufgrund des Verzichts des BGB-Gesetzgebers auf eine Legaldefinition der Willenserklärung im BGB bemühen sich Literatur und Rechtsprechung seit jeher um eine Begriffsbestimmung, indem sie aus den Vorschriften über die Willenserklärung Rückschlüsse auf deren Voraussetzungen ziehen. Die teils stark unterschiedlichen Ansätze resultieren insbesondere aus der differenzierten Einordnung der Vorschriften über Willensmängel. Dies betrifft in erster Linie die Diskussion um das Erfordernis von Erklärungsbewusstsein im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung.86 Durch dessen Interpreta tionsspielraum, den die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre eröffnen, mehr aber noch durch das vom Gesetz nicht zwingend vorgegebene (Rang-)Verhältnis der einzelnen Vorschriften über die Willenserklärung zueinander, ergibt sich ein vergleichsweise weiter, vom Gesetzgeber so ausdrücklich gewollter87 Rahmen. Diesen wollen die unterschiedlichen Willenserklärungstheorien auf verschiedene Weisen füllen. Aus methodischer Sicht sollte solchen Theorien Vorrang eingeräumt werden, die ohne eine analoge Anwendung von Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre auskommen, sich also möglichst passgenau in das gesetzliche System einfügen.
85 So
Musielak, AcP 211 (2011), 769 (775 f.). dazu ausführlich unter D.IV.5.c)cc). 87 Siehe nur unter HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 7 f.; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 11; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 3, 5. 86 Siehe
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 115
2. Willens- und Erklärungstheorie Unstreitig ist weder die Willens- noch die Erklärungstheorie als dogmatische Grundlage der Willenserklärung ins BGB übernommen worden.88 Gegen beide Theorien sprechen vor allem die Vorschriften zur Irrtumsanfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB. Wäre das Willensdogma verwirklicht, müsste ein sich Irrender seine Erklärung nicht anfechten, um die Nichtigkeit (§ 142 Abs. 1 BGB) seiner Willenserklärung zu erreichen, da sie dann bereits aus sich heraus alleine aufgrund des Willensmangels nichtig wäre. Zugleich spricht die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung jedoch auch gegen die Verwirklichung der Erklärungstheorie, denn würde das Erklärte unabhängig von dem wirklichen Willen des Erklärenden gelten, dürfte es unter keinen Umständen möglich sein, das Erklärte durch Anfechtung zur Nichtigkeit zu bringen.89 Gegen die Verwirklichung der Willenstheorie spricht zudem die Unbeachtlichkeit der Mentalreservation nach § 116 S. 1 BGB, die ansonsten nicht nur in dem gesetzlich geregelten Ausnahmefall, sondern stets durchschlagen müsste.90 Weiter spricht die Unschädlichkeit der Falschbezeichnung (falsa demonstratio non nocet), wonach der parteiübereinstimmende, wirkliche Wille bei einem Vertragsschluss entscheidend sein soll, selbst wenn objektiv (ebenso übereinstimmend) etwas anderes erklärt ist, klar gegen die Erklärungstheorie.91 3. Geltungstheorie Den willenstheoretischen Gegensatz von Wille und Erklärung wollte Larenz durch die von ihm entwickelte Geltungstheorie überwinden.92 Nach der Geltungstheorie ist die Willenserklärung nicht die bloße Mitteilung eines 88 Protokolle I 222 f.; siehe zudem Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (212); HKK/Vogenauer, BGB, §§ 133, 157 Rn. 37 f.; MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 21; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 11; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 16; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 3, 5; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 65; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (773, 776); siehe zudem Schubert, AcP 175 (1975), 426 (431). 89 In beide Richtungen MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 21; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 16; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 5; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 17 ff., 22 ff. 90 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 16; Neuner, BGB AT, § 30 Rn. 3; HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 8. 91 So auch Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 16; zum Grundsatz der falsa demonstratio und ihrer rechtlichen Einordnung ausführlich unter D.V.6. 92 Larenz, Methode der Auslegung, S. 34 ff.; ders., BGB AT, § 19 I (S. 334); siehe zudem Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 17; siehe dazu auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 26 f.
116
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
einzig maßgeblichen Wollens, das Geltungsgrund für die willenserklärten Rechtsfolgen wäre, oder die Ankündigung einer Handlung, sondern selbst bestimmender (Vollzugs-)Akt.93 Sie selbst, und nicht der hinter ihr stehende Wille bewirke demzufolge, dass die erklärten Rechtsfolgen gelten,94 so als folgten sie aus dem Gesetz.95 Letztlich gelte das, was erklärt sei, selbst wenn dem ein Irrtum zugrunde liege, solange es zugerechnet werden könne.96 Eine solche Zurechnung sei auch bei einer irrtumsbehafteten Willenserklärung gegeben, da diese zwar nicht auf einem Geschäftswillen beruhe, also auf einem Willen, der sich auf das konkret erklärte Rechtsgeschäft bezieht, jedoch auf dem Willen, die erklärten Rechtsfolgen in Geltung zu setzen.97 Die Geltungstheorie erfährt jedoch insbesondere im Hinblick auf zwei Aspekte starken Gegenwind. Zum einen überspiele sie bloß den Unterschied zwischen Wille und Erklärung.98 Der Unterschied bleibe bestehen, denn wirklich gewollt habe der Erklärende das Erklärte im Falle eines Willensmangels nicht, selbst wenn er es im Rahmen der Geltungstheorie technisch in Geltung gesetzt haben sollte. Wer dies anders sehe, müsse jedenfalls zu der Einsicht gelangen, dass derjenige, der zunächst formell an seine Erklärung gebunden werde, weil er sie willentlich in Geltung gesetzt hat, seiner Selbstbestimmung nicht vollständig gerecht werde. Zwar mag es sein, dass 93 Larenz, Methode der Auslegung, S. 34 ff., 58 ff.; ders., BGB AT, § 19 I (S. 334); Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 17; Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 26 f.; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (776); siehe zudem Brehmer, Wille und Erklärung, S. 27 f. 94 Larenz, BGB AT, § 19 I (S. 334); Brehmer, Wille und Erklärung, S. 27, 43, 178 f.; siehe zudem Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 7; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 246; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 29 ff. hält die Willenserklärung parallel zur Geltungstheorie für eine performative Äußerung, in der mit der Geltungsanordnung für die zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge mehr als bloß eine Aussage über den inneren Willen liege, und dementsprechend nicht für eine konstative Äußerung. 95 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 28. 96 Larenz, Methode der Auslegung, S. 53; ebenso Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 3; Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 26; kritisch Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 214, der in Bezug auf den der Geltungstheorie immanenten Vertrauensaspekt auf den empirischpsychologischen, also den wirklichen inneren Willen abstellen will, weil sich das Vertrauen darauf beziehe, dass das Erklärte (innerlich) gemeint und gewollt sei. 97 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422; Soergel/Hefermehl, Vorb. zu §§ 116 ff. BGB Rn. 14; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 17. 98 So jedenfalls Flume, BGB AT II, § 4, 7 (S. 59); Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 3 f.; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 34; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 594, 642; in diese Richtung ebenso Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 72; kritisch auch Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 17.
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 117
die Erklärung als solche bzw. der Erklärungstatbestand willentlich gesetzt worden ist, doch sind die darin konkret benannten Rechtsfolgen bei Vorliegen eines Willensmangels nicht gewollt, obwohl sie gelten. Ein Maximum an Selbstbestimmung kann darin deshalb nicht liegen.99 De facto überbrückt die Geltungstheorie somit nicht den Dualismus von Wille und Erklärung, den man als unveränderliches Faktum wohl anerkennen muss,100 sondern liefert eine Begründung für die Zurechnung und die durch sie bewirkte Geltung von konkreten Rechtsfolgen aufgrund von willensgesteuertem Verhalten des Erklärenden. Auf diese Weise kann die Geltungstheorie immerhin erklären, weshalb irrtumsbehaftete Willenserklärungen gemäß §§ 119 ff. BGB schwebend wirksam sind und endgültig wirksam bleiben, wenn sie nicht, nicht rechtzeitig oder nicht formgerecht angefochten werden. 4. Weitere (normative) Theorien zur Willenserklärung a) Die normative Theorie von Manigk Den Widerspruch des Gesetzes, das zwar auf der Entscheidungserheblichkeit des Willens zu fußen scheint, aber in bestimmten Konstellationen ausdrücklich auch nicht Gewolltes als Willenserklärung anerkennt, suchten in der Vergangenheit einige durch normative Kriterien aufzulösen, die den willensmangelbedingten Mangel an Selbstbestimmung ausgleichen sollten. So nahm Manigk die fehlerhafte Willenserklärung in den legalen Begriff der Willenserklärung auf, so dass auch dann eine Willenserklärung im Sinne des Gesetzes vorliege, wenn die dadurch in Geltung gesetzten Rechtsfolgen nicht gewollt seien.101 Grund hierfür sei, dass auch eine insoweit fehlerhafte Willenserklärung eine vorsätzliche, also als solche gewollte Erklärung sei. Ihre entscheidende Kritik erfährt diese Ansicht aus dem Schrifttum. Es gehe nicht um den Vorsatz, genauer um einen Willen bezüglich der Erklärung, sondern auf das Wollen der (dann dadurch) in Geltung gesetzten Rechtsfolgen,102 also um einen anderen Anknüpfungspunkt. Nur darin läge eine insoweit perfekte 99 In diese Richtung Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 74 f.; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 17; kritisch auch Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 44 f., der die Frage aufwirft, inwiefern die endgültige, insoweit wahre Geltung erst durch die Geltungsanordnung des Gesetzgebers eintrete. 100 So auch Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 131; ebenso Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 3; Flume, BGB AT II, § 4, 7 (S. 59), der die Geltungstheorie letztlich als andere Variante der Erklärungstheorie ansieht; anders jedoch Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 27; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 72. 101 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 102 ff.; ders., Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 150 ff.; ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 89. 102 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 18.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Selbstbestimmung. Doch ist diese Sichtweise vor dem Hintergrund der Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre nicht zwingend, da diese selbst für eine dauerhaft wirksame Willenserklärung nicht notwendig voraussetzen, dass die erklärten – und dadurch in Geltung gesetzten – Rechtsfolgen gewollt sind. b) Die normative Theorie von Hefermehl Nach Hefermehl ist die Willenserklärung ein Vertrauenstatbestand, der einen durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden normativen Rechtsbegriff darstellt.103 Der Mindest- oder Minimaltatbestand104 einer Willenserklärung, der unter dem Aspekt der Selbstverantwortung des Erklärenden möglichst weit zu verstehen sein müsse, umfasse jede Handlung, die objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen lasse.105 Dabei bleibe die Selbstbestimmung (des Erklärenden) gewahrt und werde durch den Gedanken der Selbstverantwortung bloß ergänzt. Sinn der Privatautonomie sei es nicht, den Erklärenden von dem Risiko eines Irrtums zu befreien.106 (Mindest-)Voraussetzung sei aber, dass ein Handlungswille vorliege.107 An dieser Auffassung wird kritisiert, dass eine irrtumsbehaftete Willenserklärung dem Gesetze nach anfechtbar sei, sich der Erklärende in Wirklichkeit also doch von dem Risiko seines Irrtums befreien könne.108 Dies zeigt, dass sich die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre sogar für vollkommen kon träre Ansichten fruchtbar machen lassen.109 Genauso ließe sich nämlich betonen, dass der Erklärende am Ende das Risiko – das sich nicht verwirklichen muss, aber kann – tatsächlich selbst tragen muss, entweder durch die Bindung an seine Erklärung, wenn er es versäumt, frist- oder formgerecht anzufechten, oder aber in Form seiner Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 122 BGB.
103 Soergel/Hefermehl,
Vor § 116 Rn. 16. Begriff und damit auch den Gedanken eines Mindesttatbestandes greift bereits Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 218 auf, der insoweit wiederum u. a. auf Henle, Vorstellungs- und Willenstheorie, S. 3 ff., 92 ff., 130 verweist; siehe zudem Musielak, AcP 211 (2011), 769 (777). 105 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 14. 106 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 16. 107 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 16. 108 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 18. 109 Für § 118 und § 119 BGB zeigt dies Musielak, AcP 211 (2011), 769 (793) eindrücklich; derselben Meinung sind Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 33; Ahrens, JZ 1984, 986 (987); Bydlinski, JZ 1975, 1 (2); Schubert, JR 1985, 15. 104 Den
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 119
c) Die normative Theorie von Pawlowski Pawlowski betont besonders die Selbstbestimmung des Erklärenden und sieht die Grundlage der Privatautonomie in einer Willenserklärung, die auf einem vernünftigen, freien Willen beruhe.110 Dieser Ansatz erfährt nicht zu Unrecht schon allein deswegen Kritik, weil nicht bloß der vernünftige Wille von der Rechtsordnung geschützt wird,111 sondern auch der unvernünftige Wille, der den einzelnen Erklärenden sogar – insoweit selbstbestimmt – rechtmäßig und wirksam in den Ruin treiben kann. Wer sich selbst schaden will, kann und darf das, solange er geschäftsfähig i. S. d. §§ 104 ff. BGB ist und das betreffende Rechtsgeschäft nicht gegen §§ 134, 138 BGB verstößt. 5. Kombinatorische Theorien a) Das Diskussionsfeld des subjektiven Tatbestandes Aus dem Umstand, dass nach den Vorschriften des BGB weder der Wille noch die Erklärung, sondern vielmehr beide, und damit – als dahinter stehende allgemeine Prinzipien – sowohl die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als auch die Interessen des Rechtsverkehrs und das Vertrauen von Erklärungsgegnern in den Bestand des Erklärten für den Tatbestand der Willenserklärung von Bedeutung sind, entwickelten Literatur und Rechtsprechung weitere Theorien, die sämtlichen Aspekten gerecht werden sollten.112 Während man sich im Wesentlichen einig ist, dass jede Willenserklärung eines objektiven Tatbestandes bedarf, also aus objektiv-normativer (Empfänger-)Sicht gemäß §§ 133, 157 BGB die Kundgabe des Erklärenden sein muss, die geäußerte Rechtsfolge herbeiführen zu wollen, verläuft die Streitfront quer durch den subjektiven Tatbestand, der Synonym für den wirklichen Willen des Erklärenden ist. Diese Diskussion lässt sich an der heute üblichen Aufteilung in Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille113 festmachen, sowie an der Feststellung, dass die wohl in allen Meinungslagern als perfekt ange110 Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 232 ff., 251; siehe zum freien Willen bereits unter C. 111 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 18. 112 Siehe nur die Darstellung bei Musielak, AcP 211 (2011), 769 (770, 777 ff.). 113 Siehe etwa HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 10; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 6; Bork, BGB AT, Rn. 588 ff.; einen instruktiven Überblick über die dogmengeschichtliche Entwicklung der Aufteilung des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung gibt Musielak, AcP 211 (2011), 769 (770 f., 779 ff., 793 ff.); siehe zudem schon Lehmann, BGB AT, S. 74; kritisch ob dieser Voraussetzungen Brehmer, Wille und Erklärung, S. 135 f.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
sehene Willenserklärung über sämtliche dieser Elemente verfügt. Doch welchen Anforderungen muss eine Erklärung mindestens genügen, so dass sie als – wenn auch ggf. fehlerhafte – Willenserklärung i. S. d. Gesetzes anzusehen ist?114 Muss der Erklärende den Eintritt der erklärten Rechtsfolgen wollen, oder genügt es, wenn ihm bewusst ist oder zumindest bewusst sein müsste oder auch nur könnte, dass er aus objektiv-normativer (Empfänger-) Sicht die erklärten Rechtsfolgen herbeiführen will? b) Die Erforderlichkeit des Geschäftswillens Wer den Standpunkt vertritt, eine Willenserklärung liege nur dann vor, wenn der Erklärende genau den Willen habe, dasjenige Rechtsgeschäft abzuschließen, das er aus objektiv-normativer Sicht abschließen wolle, also wenn er nach gängiger Terminologie Geschäftswillen besitzt,115 ist im Lager des Willensdogmas stehen geblieben. Diese Ansicht ignoriert, dass die Rechtsgeschäftslehre mit den inhalts-, erklärungs- oder eigenschaftsirrtumsbehafteten Willenserklärungen gemäß §§ 119, 120 BGB ausdrücklich auch solche Willenserklärungen kennt und auch als solche benennt, die eindeutig nicht mit dem Geschäftswillen des Erklärenden übereinstimmen. Der Geschäftswille kann also nicht ausschlaggebend sein. c) Das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins aa) Das Erklärungsbewusstsein als Gretchenfrage Der größte Streitpunkt hinsichtlich des Tatbestandes der Willenserklärung betrifft bekanntermaßen die Frage, ob das Erklärungsbewusstsein definitionsgemäß eine notwendige Voraussetzung ist. Dabei war in der Entstehungszeit des BGB sowie in der frühen Zeit seiner Geltung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst sowohl die Anzahl möglicher (notwendiger oder hinreichender) subjektiver Willenselemente einer (perfekten, also fehlerfreien) Willenserklärung, als auch ihre jeweilige Bezeichnung Gegenstand von Diskussionen. Anfangs nahm man bloß eine Zweiteilung des subjektiven Tatbestandes vor, gemäß der heute gängigen Terminologie in Handlungswille einerseits und Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille als ein gemeinsames Element andererseits.116 114 Exakt so formuliert auch Musielak, AcP 211 (2011), 769 (777 f.) die entscheidende Frage; siehe zudem bereits Brehmer, Wille und Erklärung, S. 211; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 218. 115 RGRK-BGB/Krüger-Nieland, Vor § 116 Rn. 5. 116 So die Auswertung von Musielak, AcP 211 (2011), 769 (779), der insofern beispielhaft auf Zitelmann, in: Jher. Jb., Bd. 16 (1878), S. 357 (363 f.) verweist.
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 121
Im Anschluss vervielfältigten sich die möglichen Willenselemente, wobei die einzelnen Autoren selbst bei Identifizierung derselben Anzahl subjektiver Willenselemente häufig nicht zur selben Bedeutungszumessung kamen. Nicht selten bezeichneten entweder dieselben Begriffe inhaltlich unterschiedliche Merkmale oder umgekehrt unterschiedliche Begriffe inhaltlich (zumindest weitestgehend) identische Merkmale. Als geistiger Vater der heutigen Terminologie der drei subjektiven Willenselemente gilt Heinrich Lehmann,117 der die Diskussion begrifflich in die heutigen Bahnen lenkte. Schiebt man die unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Kategorisierungen der subjektiven Tatbestandsmerkmale einmal beiseite und wirft einen Blick auf die eigentliche Diskussion über die notwendigen (Mindest-)Bestandteile des subjektiven Tatbestandes der Willenserklärung, so fällt auf, dass praktisch von Anbeginn über das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins gestritten wurde. Dieser Streit ist häufig – möglicherweise zumeist unbewusst – de lege ferrenda geführt worden, sollte jedoch zuvorderst de lege lata untersucht werden. Natürlich ist kaum zu übersehen, dass die heutige Diskussionsfront dort verläuft, wo sich die Anhänger des Willensdogmas und die Vertreter der Erklärungstheorie seit jeher begegnen, nur eben nun auf dem Boden des BGB, und diese daher weitestgehend aus ihrer jeweiligen Grundposition heraus argumentieren. bb) Erklärungsbewusstsein als notweniger Bestandteil des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Stimmen in der Literatur der Auffassung, eine objektiv als Willenserklärung im Sinne des BGB erscheinende Erklärung müsse in subjektiver Hinsicht von einem tatsächlich vorhandenen Geschäftswillen, nach heutiger Terminologie dem Erklärungsbewusstsein118, getragen werden, um Rechtsfolgen zu bewirken.119 Als Beispiel für die Unterscheidung, ob Erklärungsbewusstsein vorliegt oder nicht, diente etwa der Fall, dass jemand einen Schuldschein (und somit etwas rechtlich 117 Lehmann, BGB AT, S. 74 und die entsprechende dogmengeschichtliche Einordnung von Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 51 (52) und Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 22; inhaltlich hat wohl schon Kohler, in: Jher. Jb., Bd. 16 (1878), S. 325 (335 f.) die heutige Dreiteilung vorgedacht, wobei er noch nicht die heutige Nomenklatur verwendet hatte. 118 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu § 116 ff. Rn. 38; Neuner, BGB AT, § 32 Rn. 20 sprechen insoweit von „Partizipationswillen“ statt von „Erklärungsbewusstsein“. 119 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 10 f.; Breit, Die Geschäftsfähigkeit, S. 160 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 428, 548 ff.; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 429 ff., 469 ff.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 202 ff., 340 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 175 f.; Eisenhardt, JZ 1986, 875 (879).
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Relevantes) unterschreibt, dabei jedoch in dem Glauben ist, es handle sich bloß um eine Einladung (also um etwas rechtlich nicht Relevantes).120 Anders sei dies nur dann, wenn der Betreffende glaube, er unterschreibe eine Quittung (und damit ebenso etwas rechtlich Relevantes). Nach dieser Ansicht stellt das Vorhandensein des Bewusstseins, innerhalb des Rechtsverkehrs zu agieren, die argumentativ tragende Säule dar, der Erklärung die Qualität einer Willenserklärung zuzusprechen. Dabei wird gesehen, dass das BGB das Erklärungsbewusstsein als Wirksamkeitsvoraussetzung weder unmittelbar fordert noch ablehnt.121 Doch wird als Argument für die Nichtigkeit einer ohne Erklärungsbewusstsein abgegebenen Willenserklärung insbesondere angeführt, dass eine Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens (im Falle der dann nicht unwahrscheinlichen Anfechtung) gemäß § 122 BGB ungerecht sei, geradezu eine unbegründete Härte darstelle, wenn dem Erklärenden jede Vorstellung gefehlt habe, sich am rechtsgeschäftlichen Verkehr zu beteiligen.122 Die Überzeugungskraft dieses Billigkeitsarguments123 hängt freilich vom Standpunkt des Betrachters und insbesondere davon ab, was man als gerecht empfindet.124 Zudem fordert ein anderer Teil der Anhänger dieser Ansicht die analoge Anwendung von § 122 BGB oder die Anwendung der Grundsätze der culpa in contrahendo zu Gunsten des Erklärungsgegners, der auf die Erklärung vertraut habe, damit diesem der ihm entstandene Vertrauensschaden ersetzt werde;125 so schuldet der Erklärende bloß den Ersatz des Vertrauensschadens und kann sich nicht für die Anspruchserfüllung entscheiden. Nach Auffassung mancher sei dies auch nicht gerechtfertigt, da es keinen Grund dafür gebe, dem ohne Erklärungsbewusstsein Erklärenden durch die Einräumung einer solchen Wahlmöglichkeit, bewusst nicht anzufechten, die Chance auf ein gutes Geschäft zu geben, das ihm nur zufällig in den Schoß falle.126 Ein Mindestmaß gesetzlicher Verankerung findet das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins und damit umgekehrt die Nichtigkeitsfolge einer Er120 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 12; Breit, Die Geschäftsfähigkeit, S. 162; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 28. 121 MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 27; Lehmann, BGB AT, S. 127; dies steht jedenfalls im Hintergrund der Diskussionen von Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 f., 548 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 128 ff., 169 ff.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 28 ff.; Bydlinski, JZ 1975, 1 ff.; Singer, JZ 1989, 1030 (1034 f.). 122 Lehmann, BGB AT, S. 127. 123 So Musielak, AcP 211 (2011), 769 (784 f.). 124 Ohne weitere Begründung, aber dennoch dem Inhalt nach eine Art Erklärungsbewusstsein fordernd: Enneccerus, BGB AT, 12. Bearb. 1928, S. 350 (352); Henle, BGB AT, 1926, S. 210. 125 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 39. 126 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 548 f.
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klärung ohne Erklärungsbewusstsein zwar nicht unmittelbar, aber wenigstens indirekt in § 118 BGB. Wenn – wie in der konkret in § 118 BGB geregelten Konstellation – eine Erklärung bereits dann keine wirksame Willenserklärung sei, wenn der Erklärende weiß und will, dass das Erklärte, das objektiv als Willenserklärung erscheint, als Solches existiert, jedoch bloß nicht will, dass die erklärte Rechtsfolge tatsächlich eintritt, also der eigene Vorsatz sich bloß auf die Existenz der Erklärung und nicht auf die darin bezeichnete Rechtsfolge bezieht, dann müsse eine Erklärung erst recht nichtig sein, wenn dem Erklärenden nicht einmal bewusst sei, einen objektiven Erklärungstatbestand zu setzen.127 Diejenigen, die dem widersprechen, verweisen jedoch nicht zu Unrecht darauf, dass § 118 BGB bloß eine Ausnahmevorschrift sei, die einzig und alleine den Sonderfall regele, den der Tatbestand des § 118 BGB unmittelbar erfasst. Ein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke könne daraus gerade nicht entnommen werden.128 Kritik müssen sich die Befürworter des Erklärungsbewusstseins daneben vor allem deshalb gefallen lassen, weil sie die Interessen des Erklärenden gegenüber dem Erklärungsgegner überdeutlich betonen. Sie sprechen einer Erklärung, die nicht von einem Erklärungsbewusstsein getragen wird, die Bindungswirkung ab, selbst wenn das Fehlen des Erklärungsbewusstseins für den Erklärungsgegner nicht erkennbar ist,129 er sich also dagegen nicht wehren, verwahren oder wappnen kann. Dadurch werden die Interessen des Erklärungsgegners im Vergleich zu stark vernachlässigt. cc) Verzicht auf das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung Wer weiter der Erklärungstheorie aus dem 19. Jahrhundert nachhing, hielt auch nach Einführung des BGB das Erklärungsbewusstsein für ein entbehr liches Tatbestandsmerkmal im subjektiven Tatbestand einer Willenserklä127 Wolf/Neuer, BGB AT, § 32 Rn. 22; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 172 ff., 177; Canaris, NJW 1984, 2281 f. 128 So schon Flume, BGB AT II, § 20, 3 (S. 415) und Larenz/Wolf, BGB AT, § 34 Rn. 13; zustimmend HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 49; MüKoBGB/Armbrüster, § 118 Rn. 2; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu § 116 ff. Rn. 33, 37; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 607; Bydlinski, JZ 1975, 1 (3); historisch gesehen stammt die Vorschrift, gewissermaßen als ein einzelnes Überbleibsel, aus dem noch willenstheoretisch viel stärker geprägten Erstentwurf zum BGB, so jedenfalls Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 118; siehe zudem Kellmann, JuS 1971, 609 (613); kritisch jedoch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 178 f.; ebenso Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 65. 129 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (787).
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rung.130 Die Konstellation des fehlenden Erklärungsbewusstseins sei dem Erklärungsirrtum i. S. d. § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB gleich, dessen Wortlaut schließe dies jedenfalls nicht aus.131 Als Beispiel zur Veranschaulichung dient wiederum die Unterschrift des Erklärenden auf einem Schuldschein, während er glaubt, eine Einladung oder Quittung zu unterzeichnen. Wieso soll eine Willenserklärung zwar dann vorliegen, wenn der Unterzeichnende meint, eine Quittung zu unterschreiben, nicht jedoch auch, wenn er sie für eine Einladung hält, obwohl er doch in beiden Fällen nicht (positiv) gewusst hat, was er genau unterschreibt, und es aus Sicht des Erklärungsgegners keinen Unterschied macht (die Beweisbarkeit im jeweiligen Einzelfall einmal ausgeklammert)?132 In beiden Konstellationen kommt beim Erklärungsgegner nicht das an, was der Erklärende erklären wollte, so dass der Gedanke der Selbstbestimmung in beiden Fällen gleichermaßen keinen Ausdruck findet.133 Den Erst-recht-Schluss der Anhänger des Erklärungsbewusstseins aus § 118 BGB wollen die Befürworter dessen Verzichts dadurch entkräften, dass sie den Fall des § 118 BGB mit dem des fehlenden Erklärungsbewusstseins für unvergleichbar halten. Bei § 118 BGB sei sich der Erklärende zwar zum einen bewusst, dass er den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung setze, allerdings sei ihm zum anderen genauso bewusst, dass er die erklärte Rechtsfolge nicht wolle. Dagegen sei ihm beim fehlenden Erklärungsbewusstsein gerade nicht bewusst, ob er die erklärte Rechtsfolge wolle, er habe diesbezüglich schlichtweg noch keine Entscheidung treffen können. Aus diesem Grund erscheine es sinnvoll, ihn nicht mit der Nichtigkeitsfolge des § 118 BGB zu belasten, sondern vielmehr mit der Anfechtbarkeit aus §§ 119 ff. BGB und der damit einhergehenden Wahlmöglichkeit.134 Dem Argument, es sei ungerecht, dem ohne Erklärungsbewusstsein Erklärenden durch Einräumung des Anfechtungsrechts die Wahlmöglichkeit zu geben, ein 130 So in früherer Zeit vor allem Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, S. 50 ff.; weiter zudem MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2006, Vor § 116 Rn. 13 und § 119 Rn. 78 ff.; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 12–15; Flume, BGB AT II, § 23, 1 (S. 449 f.); Larenz, Methode der Auslegung, S. 82 ff.; Bydlinski, JZ 1975, 1 ff.; von Craushaar, AcP 174 (1974), 2 (6 ff.); Gudian, AcP 169 (1969), 232 ff.; Kellmann, JuS 1971, 609 (612 f.); siehe zudem Musielak, AcP 211 (2011), 769 (801). 131 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 32 ff.; in diese Richtung ebenso Kellmann, JuS 1971, 609 (613). 132 In eine ähnliche Richtung Musielak, AcP 211 (2011), 769 (788). 133 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 163; ders., JZ 1975, 1 (5); zur fehlenden Selbstbestimmung bei (wenn auch nur vorläufiger) Bindung Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 f.; ders., NJW 1984, 2282. 134 So Bydlinski, JZ 1975, 1 (3) mit Verweis auf Flume, BGB AT II, § 23, 4e (S. 470); Musielak, AcP 211 (2011), 769 (793); insgesamt kritisch zur Heranziehung des § 118 BGB Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 37.
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ihm zufällig in den Schoß gefallenes, wirtschaftlich vorteilhaftes oder in sonstiger Weise attraktives Rechtsgeschäft durch Nichtanfechtung an sich zu ziehen, wird mit der Begründung der Boden entzogen, dass das Gesetz im Falle des § 119 BGB genauso entscheide. Dem Willensirrenden werde die Wahl belassen, ein für ihn vorteilhaftes Geschäft zu behalten oder durch Anfechtung zu beseitigen.135 Schließlich wird darauf verwiesen, dass die analoge Anwendung des § 122 BGB zu Gunsten des Erklärungsgegners, welche eine Vielzahl derjenigen Stimmen, die das Erklärungsbewusstsein für ein zwingendes Merkmal im subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung halten, für interessengerecht erachten, ein starkes Indiz dafür sei, bereits die natürlichen Voraussetzungen des § 122 BGB, namentlich die Anfechtung und damit die Anfechtbarkeit nach §§ 119 ff. BGB, anzunehmen.136 dd) Die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit137 (1) D ie Zurechenbarkeit aufgrund von Erklärungsfahrlässigkeit im frühen Schrifttum Eine Zäsur in der Diskussion lieferte schließlich die Entscheidung des BGH zur Übernahme einer Bürgschaft,138 wobei die Zäsur zu diesem Zeitpunkt bereits längst durch das Schrifttum vorbereitet worden war. So kann die Einschätzung von Isay, dem Erfinder des bekannten Schulfalls der Trierer Weinversteigerung aus dem Jahre 1899, bei dem ein Ortsfremder zum Gruße eines Freundes die Hand hebt und damit die Rechtsfrage aufwirft, ob er insoweit ein wirksames Gebot abgibt, als eine der frühen zarten Pflanzen der Erklärungsfahrlässigkeit angesehen werden: Eine Willenserklärung sei dasjenige Verhalten, welches nach der Erfahrung unter Würdigung aller Umstände regelmäßig – ohne Rücksicht auf Richtigkeit im Einzelfall – den Schluss auf einen bestimmten Willen gestatte, und bei welchem die betreffende Person sich dieser Schlüssigkeit bewusst war oder bewusst sein mussJZ 1975, 1 (4). JZ 1975, 1 (5), der die Analogiefähigkeit von § 118 BGB konsequent ablehnt und somit in der Folge auch nicht zur analogen Anwendung von § 122 BGB kommt; siehe zudem Kellmann, JuS 1971, 609 (613). 137 Streng genommen handelt es sich nicht um die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit, sondern um die Lehre von der Zurechenbarkeit bzw. Zurechnung des objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung, bei der die Erklärungsfahrlässigkeit – neben dem Erklärungsbewusstsein – eines der Zurechnungskriterien unter möglichen weiteren ist; siehe dazu BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 (juris) = BGHZ 91, 324 (330). 138 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 (juris) = BGHZ 91, 324; zu dieser Entscheidung ausführlich unter D.IV.5.c)dd)(3). 135 Bydlinski, 136 Bydlinski,
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te.139 Der Gedanke der rechtsgeschäftlichen Zurechnung einer aus objektivnormativer Sicht als Willenserklärung erscheinenden Erklärung aufgrund von geschäfts- und erklärungswillensfremden Überlegungen, insbesondere aufgrund des Verschuldensprinzips war somit bereits zu diesem Zeitpunkt im Schrifttum verankert. Schon in der Vorzeit des BGB gab es die Idee, dass ein Irrtum des Erklärenden über den Inhalt und die Bedeutung seiner Erklärung diese nur dann nichtig werden lasse, wenn der Irrtum nicht auf grober Nachlässigkeit beruht140 bzw. der objektive Tatbestand der Willenserklärung nicht durch den Erklärenden verursacht und zu dessen Schuld anzurechnen ist.141 Andere wiederum blieben allgemeiner und sprachen bloß davon, dass derjenige, der in einer ihm zurechenbaren Weise den äußeren Anschein einer Willenserklärung hervorrufe, für seine Erklärung einzustehen habe.142 Nach Inkrafttreten des BGB konzentrierte sich die Idee vor allem auf den Fahrlässigkeitsvorwurf als Maßstab der Zurechnung, wenn dem Erklärenden das Erklärungsbewusstsein fehlt.143 Natürlich erscheint es auf den ersten Blick ambivalent – und daher ist die dagegen gerichtete Kritik144 jedenfalls nicht schon im Ansatz verfehlt –, wenn auf der einen Seite das Erklärungsbewusstsein für ein verzichtbares Element im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung gehalten wird,145 man es auf der anderen Seite jedoch angeblich ersetzen muss, wenn es fehlt, so dass das genaue Gegenteil behauptet wird. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass es im Grunde nicht um den Ersatz für ein fehlendes Erklärungsbewusstsein geht, sondern vielmehr allgemeiner um die Frage, unter welchen Umständen der objektive Tatbestand einer Willenserklärung dem Erklärenden zuzurechnen ist. (2) Die frühe Argumentation Argumentativ wurde die Lehre von der Zurechenbarkeit durch willensfremde Kriterien, insbesondere aufgrund eines Fahrlässigkeitsvorwurfs, durch Belege innerhalb und außerhalb des BGB zu stützen versucht. Aus §§ 119 ff. 139 Isay, Die Willenserklärung im Thatbestande des Rechtsgeschäfts nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, S. 26. 140 Regelsberger, Die Vorverhandlungen bei Verträgen, S. 19; Windscheid, AcP 63 (1880), 72 (100). 141 In diese Richtung Regelsberger später in: Pandekten, Bd. I, S. 514, wobei dort eine weitere Voraussetzung ist, dass der Empfänger der Erklärung den Mangel der Erklärung nicht erkannt hat und auch nicht hat erkennen müssen. 142 Bähr, in: Jher Jb., Bd. 14 (1875), S. 393 (401). 143 So insbesondere Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 208 ff., der erstmals den Begriff der Erklärungsfahrlässigkeit prägte. 144 Insbesondere von Musielak, AcP 211 (2011), 769 (794 f.). 145 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 20 (juris) = BGHZ 91, 324 (329 f.).
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BGB und § 157 BGB folge, dass die Rechtsgeschäftslehre nicht nur auf der Selbstbestimmung des Erklärenden aufbaue, sondern genauso das Vertrauen des Erklärungsgegners und die Verkehrssicherheit im Blick habe, indem es den Erklärenden auch an nicht bewusst in Geltung gesetzte Rechtsfolgen binde.146 Jedoch – und das ist keine bloß unerhebliche Einschränkung – könne die Erklärung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein nur dann als Willens erklärung wirken, wenn sie dem Erklärenden objektiv zurechenbar sei, also dieser bei gehöriger Sorgfalt die mögliche Bedeutung seines Verhaltens als Willenserklärung hätte erkennen und eine solche Deutung durch Vermeidung dieses Verhaltens hätte verhindern können. Aus der Privatautonomie folge zwingend, dass Einschränkungen der Selbstbestimmung – wie sie etwa mit der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit einhergingen – ihrerseits begrenzt werden müssten.147 Während diese Begründung wegen ihres Ansatzes, das Erklärungsbewusstsein zu ersetzen, eindeutig aus der Ecke des Willensdogmas kommt, versuchen andere die Zurechenbarkeit durch Erklärungsfahrlässigkeit zu begründen, indem sie die Erklärungstheorie bemühen. Demnach habe sich der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 119 Abs. 1 BGB auf den Boden der Erklärungstheorie gestellt, wodurch die Frage nach dem Vorliegen einer Willenserklärung nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen sei.148 Würde man § 119 BGB bei fehlendem Erklärungsbewusstsein nicht anwenden, läge darin folglich ein Systembruch. Allerdings wäre die Anwendung von §§ 119, 122 BGB unbillig, wenn dem Erklärenden im Hinblick auf die Schaffung des objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung kein Sorg faltspflichtverstoß gemacht werden könne. Allgemein formuliert basiert die Theorie der Zurechenbarkeit einer Willenserklärung somit auf der Grundannahme, dass einerseits der Erklärende für sein Verhalten Verantwortung trage und andererseits bestehendes Vertrauen beim Erklärungsempfänger schützenswert sei.149 Zudem wird für das Erfordernis eines wertenden Zurechnungskriteriums anstelle der Anwendung der Erklärungstheorie angeführt, dies fordere das 146 So vor allem Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 159; ders., JZ 1975, 1, aber auch MüKoBGB/Kramer, 1. Aufl. 1978, Vor § 116 Rn. 13, § 119 Rn. 7 ff.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (213, 223 ff.); das Prinzip der Selbstverantwortung betonen in diesem Zusammenhang Emmerich, JuS 1984, 971 und Schmidt-Salzer, JR 1969, 281 (285); siehe zudem die Darstellung bei Musielak, AcP 211 (2011), 769 (789). 147 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 159. 148 Gudian, AcP 169 (1969), 232 ff. 149 So die zusammenfassende Wertung von Musielak, AcP 211 (2011), 769 (789); siehe zudem HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 11; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu 116 ff. Rn. 37 f.
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Prinzip der Selbstverantwortung150, dies sei schlichtweg aus Billigkeitserwägungen151 oder für einen Interessenausgleich zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger152 erforderlich, oder um die Umstände des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigen zu können.153 Zuvor ist als Begründung für die Heranziehung der Erklärungsfahrlässigkeit auf Parallelen im Rechtsleben und in der Rechtspraxis in anderen Bereichen, wie etwa beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, abgestellt worden, in denen das Vertrauen des Geschäftsgegners ebenso geschützt werde.154 (3) BGHZ 91, 324 Der BGH hat das Erklärungsbewusstsein – also das Bewusstsein des Erklärenden, durch sein Verhalten den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung zu setzen – als zwingende Voraussetzung im subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung abgelehnt und als Begründung die (bereits genannten) Argumente aus der Literatur angeführt.155 Ohne weitergehende (eigenständige, dogmatische) Begründung – sondern vielmehr als bloße Behauptung – erklärt der BGH darüber hinaus, dass eine Willenserklärung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein (doch) nur dann vorliege, wenn sie als solche dem Erklärenden zugerechnet werden könne.156 Dies setze voraus, dass der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass seine Erklärung oder sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte. Dabei verweist der BGH auf eine seiner früheren Entscheidungen, wonach sich das Vorhandensein des Rechtsbindungswillens nicht nach dem (tatsächlich nicht in Erscheinung getretenen) inneren Willen beurteile, sondern danach, ob der andere aus dem Handeln unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste.157 Damit will der BGH wohl JuS 1984, 971; Schmidt-Salzer, JR 1960, 281 (283). AcP 169 (1969), 232 (234). 152 Bydlinski, JZ 1975, 1 (5). 153 Leipold, BGB AT, § 17 Rn. 18. 154 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 212, 218; kritisch jedoch Musielak, AcP 211 (2011), 769 (795 f.), der diese Begründung für (zu) oberflächlich hält, da sie nicht auf den Grund für die Erforderlichkeit des Schutzes des Geschäftsgegners eingehe. 155 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 20 f. (juris) = BGHZ 91, 324 (329 f.), wobei der BGH ausdrücklich auf die Ausführungen von MüKoBGB/Kramer, 1. Aufl. 1978, § 119 Rn. 81 ff. und Bydlinski, JZ 1975, 1 ff. verweist. 156 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 (juris) = BGHZ 91, 324 (330). 157 BGH, Urt. v. 22.6.1956 – I ZR 198/54 Rn. 14 (juris) = BGHZ 21, 102 (106). 150 Emmerich, 151 Gudian,
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 129
zeigen, dass der Grundgedanke einer rechtsgeschäftlichen Zurechnung ohne Erklärungsbewusstsein bereits in der vorherigen Rechtsprechung des BGH angelegt war.158 Das BAG159, einige Oberlandesgerichte160 sowie auch der größte Teil des Schrifttums161 folgten und folgen der Ansicht des BGH. ee) Kritik an der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit (1) Kritik aus beiden Lagern Die Entscheidung des BGH zu Gunsten der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit und die sie überwiegend stützenden Stimmen aus der Literatur sind freilich nicht ohne Kritik geblieben. Wenig überraschend lassen sich vor allem die Anhänger der willenszentrierten Theorien von der Idee der Erklärungsfahrlässigkeit und der damit einhergehenden Gleichbehandlung von fehlendem Erklärungsbewusstsein und fehlendem Geschäftswillen nicht überzeugen.162 Doch erfährt die Entscheidung auch aus dem erklärungstheoretischen Lager Kritik.
158 Siehe hierzu auch die durch BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 (juris) = BGHZ 91, 324 (330) obsolet gewordenen Überlegungsansätze des BGH zur Erforderlichkeit des Erklärungsbewusstseins zuvor: BGH, Urt. v. 20.10.1952 – IV ZR 44/52 Rn. 17 (juris) = NJW 1953, 58; Urt. v. 22.6.1956 – I ZR 198/54 Rn. 14 ff. (juris) = BGHZ 21, 102 (106 f.); Urt. v. 14.3.1963 – VII ZR 257/61 (juris) = NJW 1963, 1248; Urt. v. 10.5.1968 – V ZR 221/64 Rn. 25 (juris) = WM 1968, 775 (776); Urt. v. 11.7.1968 – II ZR 157/65 Rn. 7 ff. (juris) = NJW 1968, 2102 (2103); Urt. v. 23.2.1976 – II ZR 177/74 Rn. 18 (juris) = WM 1976, 448 (449); BAG, Urt. v. 5.2.1971 – 3 AZR 28/70 Rn. 44 (juris) = NJW 1971, 1422 (1423); Urt. v. 2.3.1973 – 3 AZR 325/72 Rn. 36 f. (juris) = DB 1973, 1129 (1129 f.); anders klingt es jedoch noch im Urteil des BGH v. 24.10.1955 – II ZR 216/54 (juris) = WM 1955, 1550 (1550 f.) an, in dem das Gericht das Erklärungsbewusstsein ausdrücklich als notwendige Voraussetzung anzusehen scheint; so auch die diesbezüglich nicht unberechtigte Kritik von Canaris, NJW 1984, 2281. 159 BAG, Urt. v. 4.5.1999 – 10 AZR 290/98 Rn. 34 ff. (juris) = NJW 2000, 308 (309); Urt. v. 4.9.1986 – 8 AZR 636/84 Rn. 11 ff. (juris) = NJW 1987, 2102. 160 OLG Hamm, Urt. v. 23.9.1992 – 31 U 108/92 = BB 1992, 2177; OLG Nürnberg, Urt. v. 24.1.1990 – 9 U 2491/89 Rn. 40 ff., 48 ff. (juris) = WM 1990, 928 (930). 161 Neben den bereits zuvor genannten Autoren etwa auch BeckOK BGB/Wendtland, § 133 Rn. 6; MüKoBGB/Armbrüster, § 119 Rn. 97; Palandt/Ellenberger, Vor § 116 Rn. 2 f.; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 13; Bork, BGB AT, Rn. 596; Brox/ Walker, BGB AT, § 4 Rn. 17, § 6 Rn. 16; Gottwald/Würdinger, BGB AT, § 2 Rn. 37; Köhler, BGB AT, § 7 Rn. 5; Leipold, BGB AT, § 17 Rn. 18; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 607 ff.; Stadler, BGB AT, § 17 Rn. 9; Wertenbruch, BGB AT, § 6 Rn. 13 f.; Kellmann, JuS 1971, 609 (613). 162 Kritisch zeigen sich insbesondere Canaris, NJW 1984, 2281 (2282); ders., in: FS 50 Jahre BGH, S. 129 (140 ff.); Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
(2) K eine Legitimation für eine Erfüllungshaftung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein aufgrund einer Risikozurechnung Aus der Warte einer möglichst großen Selbstbestimmung für den Einzelnen als Grundfeste der Privatautonomie wird behauptet, die im BGB in den Konstellationen des irrtumsbedingt (§§ 119 ff., 120 und 122 BGB) oder bei einer Scherzerklärung (§§ 118, 122 BGB) fehlenden Geschäftswillens angelegte Risikozurechnung, die – außer bei § 118 BGB – zu einer (wenn auch anfechtbaren) Erfüllungshaftung führen kann, sei nur deshalb gerechtfertigt, weil der Erklärende sich dabei stets bewusst sei, dass er sich auf dem potentiell gefährlichen rechtsgeschäftlichen Terrain bewegt.163 Ohne ein solches (Risiko-)Bewusstsein könne der (objektiv) Erklärende das Risiko jedoch nicht steuern und beherrschen.164 Das Risikoprinzip als solches sei die schärfste und am stärksten einschneidende Zurechnungsform und könne daher nicht beliebig herangezogen werden. Vielmehr bedürfe das Risikoprinzip mindestens einer Verknüpfung mit einem typisierbaren, potentiell gefähr lichen Verhalten,165 das jedoch bloß bei erklärungsbewusstem Verhalten vorliege. Fehlende Steuer- und Beherrschbarkeit komme jedoch eher der Geschäftsunfähigkeit, Bewusstlosigkeit oder der Situation bei abhandengekommenen Willenserklärungen gleich. Bei diesen sei eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zur Erfüllung jedoch gerade nicht die gesetzliche Folge. Dies müsse genauso behandelt werden.166 Zwingend ist dies natürlich nicht, denn im Allgemeinen setzt jeder Mensch durch sein Handeln und sein Unterlassen innerhalb und außerhalb des Rechtsverkehrs ein Risiko der Verwirklichung von gewissen Gefahren für sich und andere.167 Ob die Rechtsordnung an ein menschliches Verhalten rechtsgeschäftliche Wirkungen oder sonstige Rechtsfolgen (wie etwa deliktische Folgen) knüpft, macht qualitativ zunächst keinen Unterschied, ist also kein Unterscheidungskriterium für eine Haftung nach Risikoerwägungen.168 Rn. 37 ff.; Brehm, BGB AT, Rn. 133; Hübner, BGB AT, § 32 II 2a; Neuner, BGB AT, § 32 Rn. 21 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 169 ff. 163 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 38. 164 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 145 ff., 247 ff.; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 164; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 124 ff.; Bydlinski, JZ 1975, 1 (4). 165 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 38; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 145 ff.; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 164; ders., JZ 1975, 1 (4). 166 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 38; siehe zudem Neuner, BGB AT, § 32 Rn. 22 f.; ders., JuS 1971, 609 (613). 167 Kellmann, JuS 1971, 609 (613). 168 Mehr zum Risikoprinzip als Zurechnungskriterium unter E.II.7.
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 131
(3) Wertungswiderspruch zur culpa in contrahendo In Anknüpfung an die Analyse, wonach der Risikogedanke eine Erfüllungsverpflichtung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein nicht zu begründen vermag, wird der Ansatz der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit, also statt des Risikos ein individuelles Verschulden und damit eine höhere Anforderung zur Grundlage der Zurechnung zu machen, zunächst als konsequent eingestuft. Allerdings bestehe ein Wertungswiderspruch, wenn – wie im Falle der Erklärungsfahrlässigkeit – ein Verschulden zum einen zu einer Erfüllungshaftung und zugleich jedoch – namentlich bei der culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB – zum Ersatz des Vertrauensschadens führen könne.169 Eine Haftung einzig auf das negative Interesse sei jedenfalls sachgerechter und mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit besser zu vereinbaren.170 Auf den ersten Blick mag diese Kritik berechtigt sein, auf den zweiten ist die dahinter stehende Überlegung jedoch keineswegs zwingend, da der Anknüpfungspunkt des Verschuldens bei der Erklärungsfahrlässigkeit ein anderer ist als bei der culpa in contrahendo, deren Voraussetzung eine unspezifische, vorvertragliche Pflichtverletzung ist, bei der sich das Verschulden also nicht wie bei der Erklärungsfahrlässigkeit auf das Setzen eines objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung und damit auf einen ganz bestimmten Aspekt beziehen muss. (4) S ystemwidrigkeit der Erfüllungshaftung bei bloßer Erklärungsfahrlässigkeit sowie Kompetenzwidrigkeit Weiter wird die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit für rechtsstaatlich bedenklich gehalten. Anknüpfend an die These, nach dem System im BGB werde bei verschuldeten Pflichtverletzungen im vorvertraglichen Bereich i. S. d. culpa in contrahendo gemäß §§ 122, 179, 280 BGB bloß der Vertrauensschaden und keineswegs der Erfüllungsschaden ersetzt, handle es sich bei der Forderung nach einer Erfüllungszurechnung bei Vorliegen von Erklärungsfahrlässigkeit um einen Systembruch.171 Für dessen Auflösung durch eine Änderung des Systems fehle der Rechtsprechung gemäß der grundgesetzlich geltenden Gewaltenteilung die rechtsstaatliche Kompetenz, die alleine beim Gesetzgeber liege. Mithin sieht sich die Rechtsprechung dem 169 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 38; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 174. 170 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 39; angedeutet auch von Neuner, JuS 2007, 881 (886). 171 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 39; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 174.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Vorwurf einer Kompetenzüberschreitung ausgesetzt. Diese Kritik fiele indes nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn sich die Erfüllungszurechnung tatsächlich nicht de lege lata begründen ließe. Dies bedarf daher erst noch genauerer Untersuchung.172 (5) Kein Wahlrecht der Anfechtung bei § 118 BGB aus anderem Grund Die Begründung der Anhänger der Erklärungsfahrlässigkeit, der nach § 118 BGB Scherzerklärende brauche kein Wahlrecht in Form der Anfechtung, weil er bereits von vorneherein wisse, dass er rechtsgeschäftlich nicht gebunden sein möchte, weshalb die vom Gesetzgeber vorgesehene unmittelbare Haftung auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB ohne Umweg über eine etwaige Anfechtung gerechtfertigt sei,173 wird angezweifelt. Zum einen sei die Rechtsfolge der zwingenden Nichtigkeit in Kombination mit einem Schadensersatz nicht die einzig denkbare Lösung. Der Gesetzgeber hätte sich stattdessen für die Erfüllungshaftung desjenigen entscheiden können,174 der durch seinen Scherz das Risiko des Missverständnisses erhöhe.175 Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber dies nicht getan habe, wird geschlossen, dass die zwingende Nichtigkeitsfolge der Scherzerklärung einen anderen Grund haben müsse, der vielmehr im Verkehrsschutz liege. Ein Rechtsverkehr, in dem ungewollte Scherzerklärungen zu erfüllen sind, sei störanfälliger, weil naturgemäß der Scherzerklärende an der Erfüllung kein Interesse habe und es deshalb häufiger zu Erfüllungsverweigerungen komme.176 Zweitens bleibe im Rahmen der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit unbeantwortet, wieso der ohne Erklärungsbewusstsein, aber erklärungsfahrlässig Erklärende ein Wahlrecht der Anfechtung verdiene, der Scherzende jedoch nicht. Immerhin könnten für beide Seiten die Erfüllung sowie das Recht auf die vertragliche Gegenleistung genauso wie beim ohne Erklärungsbewusstsein Erklärenden attraktiver sein als die Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens.177 Zudem sei nicht ersichtlich, weshalb 172 Siehe
dazu vor allem unter E.II. Vor § 116 Rn. 5; Flume, BGB AT II, § 20, 3 (S. 415); Brehmer, Wille und Erklärung, S. 142; Bydlinski, JZ 1975, 1 (3); Musielak, AcP 211 (2011), 769 (793); Röder, JuS 1982, 125 (126); zurückhaltend aber Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 58 ff.; siehe jedoch auch Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 182 ff. 174 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 178 f. 175 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 37. 176 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 37; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 181 f. 177 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 58 f.; Singer, JZ 1989, 1030 (1034 f.). 173 Jauernig/Mansel,
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 133
die Parteien nicht das bekommen können sollten, was sie beide wollen, soweit sie es beide wollen.178 Tatsächlich dürfte jedoch das fehlende Wahlrecht des Scherzenden dadurch gerechtfertigt sein, dass er das Risiko des Missverständnisses bewusst setzt bzw. erhöht, während sowohl der erklärungsfahrlässig Handelnde als auch der i. S. d. § 119 BGB Irrende bereits definitionsgemäß unbewusst handeln.179 (6) Unbilligkeit der Lehre wegen faktisch gesperrter Anfechtung Die bei Anwendung der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit im Vergleich zum Festhalten am Erklärungsbewusstsein häufiger eintretende Erfüllungshaftung des Erklärenden bereite praktische Probleme auf der Ebene der Anfechtung, welche an sich als immanentes Korrektiv gedacht sei. Denn der (nur fahrlässig) Erklärende verkenne – wie die tatsächlich entschiedenen Fälle zeigten – typischerweise, dass er sich durch eigenes aktives Verhalten in Form der rechtzeitigen Abgabe einer wirksamen Anfechtungserklärung wieder von der Erklärung lösen müsse, die ihm als Willenserklärung zugerechnet worden ist.180 Gegen eine Aufweichung des Fristerfordernisses gemäß § 121 Abs. 1 BGB zum Ausgleich dieses Informationsgefälles spreche jedoch der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Vorhersehbarkeitsgrundsatz. Daher bleibe es im Ergebnis, trotz des formal bestehenden Anfechtungsrechts, regelmäßig bei einer – letztlich unbilligen – Erfüllungshaftung des Erklärenden. Gegen diese Sichtweise spricht jedoch § 121 Abs. 1 BGB selbst. Danach lässt bloß schuldhaftes Zögern den Fristlauf beginnen. Wer somit unverschuldet erst spät anficht, etwa weil ihm das Anfechtungsrecht unbekannt ist, kann die Frist jedenfalls innerhalb der Zehnjahresgrenze nach § 121 Abs. 2 BGB wahren. (7) Inkonsequenz der Lehre wegen Ersetzung des fehlenden Erklärungsbewusstseins Die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit wird als inkonsequent kritisiert. Auf der einen Seite behaupte man, Erklärungsbewusstsein sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung einer Willenserklärung, andererseits begreife man es zumindest als notwendiges Zurechnungskriterium, das gleichwertig nur bei Vorliegen von Erklärungsfahrlässigkeit substituiert sei. Somit halte man eine solche Erklärung für nichtig, die sowohl frei von ErklärungsbeDie Willenserklärung ohne Willen, S. 58 f. hierzu bereits unter B.II.1.f) und weiter unter E.II.7.f)dd). 180 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 40; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 159 f., 203; Canaris, NJW 1984, 2281. 178 Werba, 179 Siehe
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
wusstsein als auch von Erklärungsfahrlässigkeit ist.181 Würde diese Lehre das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins tatsächlich begraben, dürfte dessen Fehlen nicht zur Nichtigkeit der Erklärung führen.182 Aus der Sicht des Erklärungsempfängers ergebe sich kein Unterschied, denn er vertraue auf die Wirksamkeit der Erklärung, unabhängig davon, ob diese von Erklärungsbewusstsein, Erklärungsfahrlässigkeit oder von beiden nicht getragen sei.183 Diese Kritik hat ihre Berechtigung, bleibt aber unvollständig. Richtig ist, dass die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit auch dann von einer (wirksamen) Willenserklärung ausgeht, wenn kein erklärungsbewusstes Verhalten des Erklärenden vorliegt. Somit ist das Erklärungsbewusstsein als solches definitionsgemäß kein notwendiger Bestandteil einer Willenserklärung. Korrekt ist auch, dass das Erfordernis der Erklärungsfahrlässigkeit als Zurechnungskriterium mit den klassischen Erklärungstheorien in Widerspruch steht. Doch behauptet die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit nicht, zu den Erklärungstheorien zu zählen. Vielmehr bildet sie eine vollkommen eigenständige Kategorie, so dass die Kritik letztlich verfehlt ist. (8) F ehlen eines eigenen argumentativen Fundaments der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit Weitaus stärker fällt die Kritik bezüglich des argumentativen Fundaments der Lehre aus. Ihre Vertreter versuchten, sie mit denselben Argumenten zu stützen, die bereits die Anhänger der Erklärungstheorie heranziehen, kämen jedoch zum umgekehrten Ergebnis.184 Eine weiter differenzierende Begründung, wieso eine Erklärung bei Nichtvorliegen von Erklärungsfahrlässigkeit im Rahmen der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit im Gegensatz zum Ansatz der Erklärungstheorie nichtig sein müsse, falle dürftig aus. Insbesondere werde kaum darauf eingegangen, wieso das Vertrauen des betreffenden Erklärungsgegners dann nicht schützenswert sein soll, wenn dem Erklärenden keine Fahrlässigkeit zur Last falle,185 also welches Unterscheidungsmerkmal dabei zur Anwendung komme. Der Vorwurf konzentriert sich darauf, die Lehre setze sich nicht mit der systembezogenen Kritik auseinander, dass durch ein Verschulden des Erklärenden als Konsequenz allenfalls eine Schadensersatzverpflichtung in Form der culpa in contrahendo, nicht aber 181 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (794 f., 798) mit Verweis auf BGH, Urt. v. 29.11.1994 – XI ZR 175/93 Rn. 10 (juris) = NJW 1995, 953; ähnlich könnte zudem die Kritik von Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 173 und von HKK/ Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 11 verstanden werden. 182 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (794 f., 798). 183 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (796 f.). 184 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (794 f., 798). 185 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (795 f.).
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 135
eine rechtsgeschäftliche Bindung ausgelöst werden könne.186 In der Tat zielt die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit primär auf die Lösung der Pro bleme der vorherig etablierten Dogmatik, statt aus sich heraus ein umfassendes, eigenständiges Erklärungsmodell zu liefern. Zudem könne der Verweis auf das Prinzip der Selbstbestimmung das Erfordernis von Verschulden als Zurechnungskriterium bei der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit nicht begründen, da in den gesetzlich geregelten Fällen des fehlenden Geschäftswillens, also bei anfechtbaren Willenserklärungen, das Vorliegen von Verschulden – wie es diese Lehre für die Zurechnung des Erklärungstatbestandes vorsehe – keine Voraussetzung für die Zurechnung als Willenserklärung sei.187 Damit ist wohl angesprochen, dass das Gesetz keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass ein Verschulden des Erklärenden vorliegen muss, damit anfechtbare, aber nicht angefochtene Willenserklärungen dauerhaft wirksam sind. Die Behauptung, die Privatautonomie erfordere die Heranziehung des Verschuldens als Zurechnungskriterium, sei daher unbegründet.188 Auch aus dem Gedanken der Selbstverantwortung – also das Einstehenmüssen für das eigene Verhalten (im Rechtsverkehr) – als Gegengewicht zur Privatautonomie könne das Verschuldenserfordernis nicht hergeleitet werden.189 Bei einem Akt sozialer Kommunikation – und als ein solcher würde die Willenserklärung mittlerweile allgemein verstanden – müssten vielmehr die Interessen der Empfängerseite angemessen berücksichtigt werden. Aus Sicht des Empfängers mache es aber keinen Unterschied, ob der Erklärende den Erklärungstatbestand, auf den der Empfänger vertraut, verschuldet habe oder nicht. Daher sei für den Empfänger die unterschiedliche Behandlung von Erklärungsbewusstsein (bei dessen Fehlen Nichtigkeit der Erklärung) und Geschäftswillen (bei dessen Fehlen bloße Anfechtbarkeit der Erklärung) unverständlich und unbillig. Schließlich sei ein Verschulden des Erklärenden in Form von Erklärungsfahrlässigkeit auch nicht aus Billigkeitserwägungen oder zum Ausgleich der Interessen von Erklärendem und Empfänger als Zurechnungsmaßstab erforderlich.190 Das Argument, gemäß § 122 Abs. 2 BGB sei der sorgfaltswidrige Empfänger in seinem Vertrauen auf den Bestand der Willenserklärung nicht geschützt, weshalb spiegelbildlich der Erklärende ebenso nur bei Sorgfaltswidrigkeit für den Erklärungstatbestand einstehen müsse, wird zurückgewie186 So
aber insbesondere Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 174. AcP 211 (2011), 769 (794 f.). 188 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (795). 189 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (795). 190 Musielak, AcP 211 (2011), 769 (797). 187 Musielak,
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
sen. Die Norm beziehe sich nur auf den Empfänger und schränke den durch § 122 Abs. 1 BGB zunächst gewährten Vertrauensschutz im Falle von dessen Sorgfaltswidrigkeit wieder ein. Für den Erklärenden folge daraus nichts. d) Der Verzicht (sogar) auf den Handlungswillen Der Handlungswille bezeichnet das Bewusstsein des Erklärenden, eine Handlung zu vollziehen, also etwas bewusst zu tun oder zu unterlassen.191 Während Anhänger der Erklärungstheorie neben dem Geschäftswillen und dem Erklärungsbewusstsein bzw. ersatzweise der Erklärungsfahrlässigkeit auch das Vorliegen von Handlungswillen für entbehrlich halten, und damit jede Form eines subjektiven Elements im Tatbestand der Willenserklärung ablehnen,192 vielmehr in Teilen eine Zurechnung aufgrund der Veranlassung des Vertrauenstatbestandes bevorzugen,193 halten die Vertreter willenszen trierter Theorien natürlich erst recht an dem Erfordernis des Handlungswillens fest.194 Dies bedeutet nicht, dass die Handlung, welche den objektiv-normativ als Willenserklärung erscheinenden Erklärungstatbestand hervorgerufen hat, als solche tatsächlich gewollt sein muss, sondern bloß, dass es eines vom Willen grundsätzlich beherrschbaren Verhaltens bedarf.195 Nicht Handlungswille im engeren Sinne, sondern bloß die Beherrschbarkeit der Handlung zum Zeitpunkt ihrer Vornahme, also Handlungsfähigkeit,196 soll insoweit Mindest voraussetzung für den subjektiven Tatbestand der Willenserklärung sein.197 191 Statt vieler Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (216); ebenso Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 72 ff.; Leenen, JuS 2008, 577 (579); differenzierend Neuner, BGB AT, § 32 Rn. 9 f.; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (771). 192 Insbesondere Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 83, 107 und HKK/ Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 14; in diese Richtung ist wohl auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 135 und S. 240 ff. zu verstehen; deutlicher in Brehmer, JuS 1986, 440 (443); Kellmann, JuS 1971, 609 (612, 613 f.), der die Situation des Zustandekommens von Verträgen als Gefährdungshaftung charakterisiert (S. 615). 193 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 14 f. 194 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 16; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 170 f.; siehe zudem Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 94, 207 f., der im Rahmen seines Konzepts der Zurechnung nach dem Risikoprinzip eher von einem Handlungswillen ausgeht, der sich auf eine Art Rahmenvereinbarung bzw. Rahmenkontrolle bezieht. 195 BGH, Urt. v. 1.7.1986 – VI ZR 294/85 Rn. 7 (juris) = BGHZ 98, 135 (137); Urt. v. 12.2.1963 – VI ZR 70/62 Rn. 12 (juris) = BGHZ 39, 103 (106); Staudinger/ Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 27; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 72 f. 196 Neuner, JuS 2007, 881 (884). 197 Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 51 (72 f.); anders jedoch Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 86 f., der vollständig auf den Handlungswillen verzichten will.
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 137
Somit soll keine Willenserklärung vorliegen, wenn die Handlung aufgrund eines unkontrollierbaren Reflexes, unter Hypnose, aus einem bewusstlosen Zustand oder aufgrund von vis absoluta ausgelöst ist.198 Ungelöst bleibt bei den willenszentrierten Theorien der Widerspruch der inneren Inkonsequenz, nämlich inwieweit die Annahme von Handlungsfähigkeit als Mindestvoraussetzung des subjektiven Tatbestandes und der damit verbundene Verzicht auf einen Handlungswillen stimmig ins Bild passen, wenn zugleich das Vorhandensein von Erklärungsbewusstsein für die Wirksamkeit der Willenserklärung gefordert wird.199 Jemand, der bloß handlungsfähig ist, jedoch in Bezug auf das relevante Verhalten keinen Handlungswillen bzw. kein Handlungsbewusstsein besitzt, kann erst recht kein Erklärungsbewusstsein haben. Somit kann es nur darum gehen, ob im Rahmen der Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit der (objektiv) Erklärende hätte erkennen können, dass der Erklärungsgegner sein Verhalten, das der Erklärende steuern kann,200 als Willenserklärung auffassen könnte. Sowohl gegen das Erfordernis von Handlungswillen als auch von Handlungsfähigkeit, und somit für einen vollständigen Verzicht auf sämtliche subjektive Elemente im Tatbestand der Willenserklärung, spricht nach einer weiteren Ansicht der Wortlaut des § 105 Abs. 2 BGB. Danach liege begrifflich auch dann eine Willenserklärung vor, wenn sie im Zustand der Bewusstlosigkeit abgegeben werde.201 Dem wird zu Recht entgegen gehalten, man dürfe aus dem Wortlaut des § 105 Abs. 2 BGB nicht zu viel ableiten, da der Gesetzgeber die Willenserklärung ausdrücklich nicht habe regeln wollen und daher in den gesetzlichen Begrifflichkeiten nicht allzu genau habe formulieren müssen.202 Im Ergebnis wird der Frage, ob es eines Handlungswillens, zumindest aber der Handlungsfähigkeit, oder überhaupt eines subjektiven Elements im Tatbestand der Willenserklärung bedarf, zu Recht kaum praktische Bedeutung 198 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 27; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (799). 199 So jedoch im Ergebnis wohl Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 27. 200 Bei fehlender Steuerungsfähigkeit zum relevanten Zeitpunkt soll es nicht zwingend bei der gesetzlichen Nichtigkeitsfolge nach §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1, Abs. 2 BGB bleiben, sondern eine Haftung auf Ersatz des Vertrauensschadens nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo jedenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Erklärende sein Verhalten zwar nicht hätte steuern, er jedoch hätte vorhersehen können, dass dieses als Willenserklärung gewertet werden könnte und deshalb eine Zurechenbarkeit besteht (so Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 50). 201 Insbesondere Kellmann, JuS 1971, 609 (614); siehe zudem Leenen, BGB AT, § 5 Rn. 29, 34; ders., JuS 2008, 577 (579). 202 In diese Richtung Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 27; Musielak, AcP 211 (2011), 769 (799).
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
(wenn auch natürlich dogmatische Relevanz) zugeschrieben. Denn – jedenfalls innerhalb der bisherigen Denkkategorien – sind kaum Fälle vorstellbar, in denen ein (unmittelbares) Verhalten einer Person aus objektiv-normativer Sicht als Willenserklärung gewertet wird, bei dem der Handlungswille oder die Handlungsfähigkeit fehlt.203 e) Willenserklärung ohne Handlung (automatisierte Willenserklärungen) Eine Ausnahme hiervon bzw. ein Sonderfall ist die automatisierte Willenserklärung (auch Computererklärung204; elektronische Willenserklärung), bei der zum Zeitpunkt ihrer Abgabe nicht einmal eine Handlung des Erklärenden vorliegt.205 Bei einer automatisierten Willenserklärung handelt es sich um eine von einem EDV-System oder einem elektronischen Agenten206 automatisch erzeugte und versandte elektronische Erklärung, die den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung darstellt.207 Bestellt jemand beispielsweise Waren in einem Webshop, wird die Annahme der Bestellung durch den Verkäufer häufig nicht von einer natürlichen Person versendet, sondern von einem elektronischen Shopsystem. Ähnliches gilt, wenn das EDV-System eines Händlers abhängig vom jeweils aktuellen Warenbestand im Lager automatisiert Bestellungen beim Lieferanten aufgibt.208 Bei solchen vollkommen automatisiert versandten elektronischen Erklärungen steht fest, dass jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Abgabe kein Mensch den diesbezüglichen (Abgabe-) Willen besitzt, so dass zumindest in diesem Moment kein subjektiver Tatbestand einer Willenserklärung i. S. d. herrschenden Dogmatik vorliegen kann.209 Obwohl sich dies offenkundig nicht in die herrschende Dogmatik der Willenserklärung einfügt, werden diese Vorgänge mittlerweile als dem JuS 2008, 577 (579); Musielak, AcP 211 (2011), 769 (799). BGB AT, Rn. 256; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 116 ff., 140 ff. spricht insoweit etwas missverständlich statt von Computer erklärung von der elektronischen Willenserklärung, differenzierter zu den Bezeichnungsvarianten auf S. 202 f.; Grützmacher/Heckmann, CR 2019, 553 (554 Rn. 8); Köhler, AcP 182 (1982), 126 (133 f.); Paulus, JuS 2019, 960 (961 f.). 205 A. A. Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839 (840), die auf den (möglichen) Handlungswillen bei der Inbetriebnahme der Datenverarbeitungsanlage durch deren Betreiber abstellen. 206 Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 6 f.; Specht/Herold, MMR 2018, 40 (41 ff.). 207 Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 5 ff.; Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 47, 66 f.; Köhler, AcP 182 (1982), 126 (132 ff.). 208 Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 6; Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 48; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 130 f.; Paulus, JuS 2019, 960 (962); Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839 (840). 209 Ammann, DSRITB 2017, 503 (504 f.). 203 Leenen,
204 Medicus/Petersen,
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 139
Betreiber des EDV-Systems zugerechnete Willenserklärungen aufgefasst.210 Die dogmatische Einordnung wird dabei vor allem auf die Kontrolle und die Gestaltungshoheit des Betreibers im Rahmen der Programmierung des EDVSystems gestützt.211 Der Betreiber verfüge über die Verantwortung und den generellen Zurechnungswillen bezüglich der durch das System abgegebenen Erklärungen.212 Wie beim abredewidrig ausgefüllten Blankett stehe der Zurechnung die fehlende Kenntnis des Betreibers vom konkreten Inhalt und Zeitpunkt der Erklärung nicht im Wege. Ob dann später ein Mensch oder ein Computer die Erklärung abgebe, mache keinen Unterschied.213 Andere Stimmen gründen die Zurechnung der automatisierten Willenserklärung auf den generellen rechtsgeschäftlichen Willen des Betreibers, den dieser durch die Implementierung und Programmierung des Systems geäußert habe.214 Teils wird auch die analoge Anwendung der stellvertretungsrechtlichen Regeln diskutiert, wenn auch meist – größtenteils mangels Vergleichbarkeit der Interessenlagen – abgelehnt.215 Dies wird häufig mit dem Hinweis verbunden, wegen der potentiellen Haftung als falsus procurator gemäß § 179 BGB er210 BGH, Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12 Rn. 17 (juris) = NJW 2013, 598 (599); Urt. v. 26.1.2005 – VIII ZR 79/04 Rn. 12 (juris) = NJW 2005, 976; Urt. v. 3.11.2004 – VIII ZR 375/03 Rn. 8 f. (juris) = NJW 2005, 53 (54); Urt. v. 7.11.2011 – VIII ZR 13/01 Rn. 28 ff. (juris) = NJW 2002, 363 (364); Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 5 ff.; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 8; Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 47 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 137, 204, 208 f.; Grützmacher/Heckmann, CR 2019, 553 (555 Rn. 10); Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220); Köhler, AcP 182 (1982), 126 (128 ff.); Mehrings, MMR 1998, 30 (31); Paulus, JuS 2019, 960 (961 f.). 211 Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 6; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 256; Pawlowski, BGB AT, Rn. 448; Köhler, AcP 182 (1982), 126 (132 ff.). 212 Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 6 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 256; Pawlowski, BGB AT, Rn. 448; siehe auch Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, S. 70.; Köhler, AcP 182 (1982), 126 (134); so wohl zudem Paulus, JuS 2019, 960 (963 f., 965); kritisch Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 204; Grützmacher/Heckmann, CR 2019, 553 (555 Rn. 13). 213 Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 6 f.; Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 39 ff.; Viebcke, Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene Willenserklärungen und ihre Anfechtung, S. 78 ff.; siehe zudem Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 133 ff.; Köhler, AcP 182 (1982), 126 (134); a. A. hingegen Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 57 f., 68 f., der meint, dass ein Computer keinen Willen bilden könne; in diese Richtung zudem auch Grützmacher/Heckmann, CR 2019, 553 (555 Rn. 13). 214 Heun, CR 1994, 595 (596); siehe zudem Paulus, JuS 2019, 960 (963 f., 965); a. A. Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 215 Siehe zur Diskussion zudem Spindler/Schuster/Spindler, Vor 166 ff. Rn. 7; Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 52 f.; Wiebe, die elektronische Willenserklärung, S. 129 ff.; Ammann, DSRITB 2017, 503 (505 f.); Bräutigam/Klindt, NJW 2015, 1137 (1138); Grützmacher/Heckmann, CR 2019, 553 (555 Rn. 13); Herold, Telemedicus vom 11.2.2019 unter III.2.; Heuer-James/Chibanguza/Stücker, BB 2018,
140
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
fordere eine solche Analogie zumindest die Existenz einer rechtsfähigen Haftungsmasse. Wiederum andere Stimmen sehen das Risikoprinzip verwirklicht, da der Betreiber durch den Verzicht der Überprüfung der einzelnen Erklärungen vor deren Versand das Risiko fehlerhafter Erklärungen im Rechtsverkehr erhöhe.216 Eine weitere Meinung leitet das allgemeine Bedürfnis der Möglichkeit solcher Erklärungen und ihrer Zurechnung als Willenserklärungen aus dem Grundsatz der Privatautonomie ab.217 Die Annahme eines generellen rechtsgeschäftlichen Bezugswillens stößt allerdings dann an argumentative Grenzen, wenn Erklärungen nicht mehr durch die Programmierung vorgegeben sind, sondern das System autonom und nach eigenständig entwickelten Algorithmen über diese entscheidet, wozu moderne Softwaresysteme vermehrt fähig sind.218 Daher ist die Annahme eines solchen generellen (Bezugs-)Willens nicht (mehr) geeignet, als Grundlage für die dogmatische Einordnung der automatisierten Erklärung als Willenserklärung zu dienen. Solche automatisierten Erklärungen sowie Erklärungen von autonomen elektronischen Agenten sind somit bei genauerer Betrachtung trotz ihrer zunehmenden praktischen Bedeutung und weit verbreiteten Akzeptanz nicht einmal ansatzweise in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre integriert. Festzuhalten ist aber, dass sich selbst solche Tatbestände allgemeiner Anerkennung als Willenserklärung erfreuen, bei denen der Erklärende zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung nicht einmal eine unmittelbare Handlung vollzieht.
2818 (2821 f.); Schirmer, JZ 2016, 660 (664); Sosnitza, CR 2016, 764 (766); Specht/ Herold, MMR 2018, 40 (43). 216 Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220); siehe zum Risikoprinzip zudem Heuer-James/Chibanguza/Stücker, BB 2018, 2818 (2822); Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 217 Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 70 ff., 74 ff. 218 Dass die Entscheidungen durch das Programm, also letztlich durch den programmierenden Menschen dahinter, vorgeben sind, wird aber gerade der bisherigen Argumentation zugrunde gelegt, u. a. von Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, S. 47; Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 66; Viebcke, Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene Willenserklärungen und ihre Anfechtung, S. 90; Wiebe, Die elektronische Willens erklärung, S. 130 ff., 137 ff., 157; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220 f.); Heun, CR 1994, 595 f.; Köhler, AcP 182 (1982), 126 (132 f.); Paulus, JuS 2019, 960 (965); kritisch auch schon Spindler/Schuster/Spindler, Vor §§ 116 ff. Rn. 6 f.; Specht/ Herold, MMR 2018, 40 (41 ff.).
IV. Wille und Erklärung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB 141
6. Die Willenserklärung im System der Rechtsgeschäftslehre a) Der gesetzliche Begriff der Willenserklärung Nach der herrschenden Meinung liegt nicht nur dann eine Willenserklärung i. S. d. BGB vor, wenn das Erklärte gewollt ist, sondern auch, wenn in zurechenbarer Weise bloß der Anschein einer Willenserklärung hervorgerufen wird, selbst wenn der für den Anschein Verantwortliche keine oder andere Rechtsfolgen in Geltung setzen will.219 Befreit man sich von den nicht konsequent im BGB kodifizierten Lehren der Willensdogmatiker und Erklärungstheoretiker220, ergibt sich dies bereits alleine aus dem Wortlaut der Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre und deren systematischem Zusammenspiel. Das Gesetz spricht ebenso von einer Willenserklärung, wenn sie mangels Geschäftsfähigkeit des Erklärenden nichtig ist, wie der Wortlaut des § 105 Abs. 1, Abs. 2 BGB zeigt. Daher kann es Willenserklärungen von Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen (§ 107 BGB) geben, diese sind bloß nicht wirksam. Weiter liegt nach dem Gesetzeswortlaut auch dann eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende zwar die Erklärung abgeben will, nicht jedoch auch deren Inhalt bzw. die mit dem Inhalt verbundenen (Rechts-)Folgen auslösen, ohne dass er dies mit der Erklärung offenlegen muss (§§ 116 S. 1, 118 BGB).221 Das Recht setzt für das Vorliegen einer Willenserklärung somit nicht (zwingend) voraus, dass der Erklärende den von ihm objektiv erklärten Rechtsbindungswillen wirklich gebildet hat. Selbst wenn der Erklärungsadressat weiß, dass die Erklärung nicht von einem entsprechenden Willen getragen wird, handelt es sich gesetzesterminologisch um eine Willenserklärung (§§ 116 S. 2, 117 Abs. 1 BGB). Aus einer Zusammenschau der §§ 116–118 BGB folgt somit, dass weder das Vorhandensein des objektiv erklärten Willens noch die Überzeugung des Erklärungsadressaten, dass die Erklärung den wirklichen Willen des Erklärenden abbildet, zwingende Voraussetzungen einer Willenserklärung sein können. Vielmehr scheint das Verständnis des Rechtsverkehrs aus dem Blickwinkel des jeweiligen Erklärungsadressaten gemäß §§ 133, 157 BGB für die Bestimmung der Willenserklärung maßgebend. Diese Annahme wird durch die 219 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 14; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 1, 34 ff.; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 262; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 55; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 91; Kellmann, JuS 1971, 609 (613 f.); Leenen, JuS 2008, 577 (580); siehe zudem MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 3; kritisch insbesondere Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 19 ff. 220 Siehe hierzu bereits unter D.III. und D.IV. 221 In diese Richtung kann man auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 31, 65 f. verstehen.
142
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Regelungen zum Anfechtungsrecht bei irrtümlich abgegebenen Willenserklärungen in den §§ 119 ff., 121, 142, 143 BGB gestützt. Aus § 119 Abs. 1 BGB folgt, dass auch dann eine Willenserklärung vorliegt, wenn der Erklärende bei Abgabe der Erklärungszeichen über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Dies gilt in gleicher Weise gemäß §§ 123, 124 BGB für durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmte Willenserklärungen. Diese Erklärungen sind Willenserklärungen im gesetzesterminologischen Sinne und entfalten Rechtswirkungen, solange der Erklärende sie nicht wirksam anficht oder andere Unwirksamkeitsgründe vorliegen. b) Immanenter Verkehrs- und Vertrauensschutz Mit einem solchen objektiven Begriffsverständnis von der Willenserklärung ist bereits automatisch ein Vertrauens- und Verkehrsschutz verbunden.222 Denn jedenfalls aus terminologischer Sicht ist für das Vorliegen einer Willenserklärung unerheblich, ob das objektiv Erklärte wirklich gewollt ist. Bedeutsam ist dies bloß – aber immerhin – im Hinblick auf die dauerhafte Wirksamkeit der Willenserklärung. Der auf den objektiven Erklärungstatbestand vertrauende Erklärungsadressat wird darüber hinaus durch weitere Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre geschützt, gerade für sein (berechtigtes) Vertrauen in die Wirksamkeit einer Willenserklärung. Auf der ersten Stufe geschieht dies durch die Form- und Verfahrensanforderungen, die das Gesetz mit den §§ 119 ff., 121, 123, 124, 143 BGB an den Erklärenden stellt, wenn er sich von seiner irrtumsbehafteten Erklärung durch Anfechtung wieder lösen möchte. War dem Erklärenden bei Abgabe seiner Willenserklärung bewusst, dass er die erklärten Rechtsfolgen nicht will, sperrt § 116 S. 1 BGB die Anfechtungsmöglichkeit. Auf der zweiten Stufe ist das Vertrauen des Erklärungsadressaten auch im Falle einer wirksamen Anfechtung durch den Schadensersatzanspruch aus § 122 BGB geschützt. Für den Rechtsverkehr bedeutet dies, dass grundsätzlich solange von der Wirksamkeit einer objektivnormativ als Willenserklärung einer Person erscheinenden Erklärung auszugehen ist, bis aufgrund einer Anfechtung etwas anderes angezeigt wird, vorausgesetzt die Erklärung stammt von einem Geschäftsfähigen.
222 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 216 f.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 115 ff.; siehe zudem HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 26 f.; Kellmann, JuS 1971, 609 (615 f.).
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung143
c) Weiter Begriffskern der Willenserklärung Damit sind die Grenzen des von Gesetzes wegen tatbestandlichen Mindestmaßes einer Willenserklärung, also eines Mindest- oder Minimaltatbestandes, festgelegt. Aus der Fortgeltung einer irrtumsbehafteten Willenserklärung nach fruchtlosem Ablauf der Anfechtungsfrist ist zu schließen, dass es auf den wirklichen Willen des Erklärenden nicht ankommen kann.223 Das Recht zur Anfechtung wegen eines Irrtums deutet weiter darauf hin, dass ebenso nicht die bloße Existenz des objektiven Erklärungstatbestandes ausschlaggebend sein kann. Allgemeiner gesprochen setzt sich die Willenserklärung somit aus einem objektiven Erklärungstatbestand und einem Zurechnungskriterium zusammen, das den Erklärungstatbestand mit der Person des Erklärenden verknüpft. Von welcher Art und Beschaffenheit dieses Zurechnungskriterium sein muss, um eine Zurechnung als Willenserklärung zu bewirken, ist an dieser Stelle noch offen.224 Der wirkliche Wille des Erklärenden ist insoweit jedenfalls kein notwendiges, aber – soweit überhaupt genügend präzise feststellbar225 – zumindest ein hinreichendes Zurechnungskrite rium.226
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung bei der Auslegung von Willenserklärungen 1. Fortsetzung der Diskussion bei der Auslegung der Willenserklärung Die Diskussionen um das Wesen der Willenserklärung im Spannungsfeld von Privatautonomie und Verkehrs- und Vertrauensschutz enden nicht beim Begriff der Willenserklärung, sondern finden bei der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB ihre Fortsetzung.227 Die Auslegung ist ein Vorgang, der sich bloß auf den äußeren Erklärungstatbestand und äußere Umstände beziehen kann, denn in den Kopf und die Gedanken eines Menschen, und damit auf dessen Willen, können wir zumindest nach dem gegenwärtigen Stand der
223 Siehe Brehmer, Wille und Erklärung, S. 60 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532 ff.; siehe zudem HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 26 f. 224 Siehe dazu weiter unter E. 225 Siehe hierzu ausführlich bereits unter C.II. 226 In diese Richtung bereits Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 164; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 91, 146; Kellmann, JuS 1971, 609 (615 ff.). 227 Kellmann, JuS 1971, 609 (610); so wohl auch HKK/Vogenauer, BGB, §§ 133, 157 Rn. 2.
144
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Wissenschaft keinen Blick werfen.228 Der Wortlaut der insoweit maßgebenden Normen §§ 133, 157 BGB lässt dabei genügend Spielraum für Interpretationen, so dass sich sowohl die Anhänger der willenszentrierten als auch diejenigen der erklärungsbezogenen Theorien in ihnen wiederfinden können, um der Auslegung ihr Gepräge zu geben. 2. Bestimmung von Willenserklärungen a) Bestimmung von Willenserklärungen durch Auslegung Früher umstritten, heute jedoch zumindest weitgehend geklärt ist, ob die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB bereits bei der Prüfung, ob eine Willenserklärung vorliegt, von Bedeutung sind, und ob inhaltlich eindeutig erscheinende Willenserklärungen überhaupt der Auslegung bedürfen. Dem Wortlaut der §§ 133, 157 BGB nach scheint Auslegung bloß die Bestimmung des Erklärungsinhalts zu sein, also die Festlegung des genauen Bedeutungsgehalts einer Willenserklärung, wenn bereits feststeht, dass Auslegungsgegenstand eine Willenserklärung ist. Denknotwendig müssen die Auslegungsgrundsätze jedoch auch auf der Stufe davor bereits Berücksichtigung finden.229 Denn die Bestimmung des Inhalts einer (Willens-)Erklärung, also welche einzelnen Rechtsfolgen der Erklärende mit seiner Erklärung in Geltung setzen will, schließt implizit die Beantwortung der Frage ein, ob überhaupt irgendeine Rechtsfolge gewollt ist.230 Dabei ist zu bedenken, dass zwar einerseits das Fehlen eines objektiven Rechtsbindungswillens die sichere Erkenntnis liefert, dass es sich nicht um eine Willenserklärung handelt, umgekehrt jedoch die Feststellung eines objektiv (vermeintlich) erklärten Rechtsbindungswillens – jedenfalls nach herrschendem Verständnis – nicht zwingend das Vorliegen einer Willenserklärung bedeutet.231 Wie gezeigt genügt nach herrschender Meinung als Mindestvoraussetzung nicht, dass bloß 228 Dieselbe Ansicht teilt Larenz, Methode der Auslegung, S. 11; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 203; Schnell, Signaturmissbrauch, S. 164 ff., der die Willenserklärung gemäß §§ 116 ff. BGB als objektiven Scheintatbestand bezeichnet; siehe zudem bereits unter C.II. 229 Siehe hierzu ausführlich Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 8, 25 mit Verweis auf die st. Rspr., etwa BGH, Urt. v. 5.10.2006 – III ZR 166/05 Rn. 18 (juris) = NJW 2006, 3777 (3778); Urt. v. 22.6.1956 – I ZR 198/54 (juris) = BGHZ 21, 102 (106 f.); Jauernig/Mansel, § 133 Rn. 1; Larenz, Methode der Auslegung, S. 91; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 41, 47, 133; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 64, 199; Kellmann, JuS 1971, 609 (609); auch Brehmer, Wille und Erklärung, S. 116 kann so verstanden werden. 230 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 25. 231 In diese Richtung argumentierend Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 25.
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung145
der objektive Erklärungstatbestand einer Willenserklärung gesetzt ist, sondern es bedarf zusätzlich einer Zurechnung, die entweder im Erklärungsbewusstsein oder – ersatzhalber – in der Erklärungsfahrlässigkeit gesehen wird. Eine Zurechnung alleine durch Auslegung des objektiven Erklärungstatbestandes erfolgt nicht.232 b) Auslegung eindeutiger Erklärungen Lange war die Auffassung verbreitet, eindeutige Willenserklärungen bedürften nicht der Auslegung.233 Dem lag wohl ein Verständnis der Auslegung als stets aufwendiger und komplexer Vorgang zugrunde. Versteht man Auslegen jedoch schlichtweg als hermeneutischen Prozess der Ermittlung des Bedeutungsgehalts von Erklärungen, wie es der Begriff selbst in erster Linie nahelegt, so bedürfen auch (vermeintlich) eindeutige Erklärungen, die im Übrigen nur selten vorkommen,234 der Auslegung.235 Denn erst durch die Untersuchung der Erklärungszeichen und ihrer Umstände lässt sich überhaupt feststellen, ob es sich um eine eindeutige Erklärung handelt.236 Dies erscheint nicht nur aus logischen Gründen zwingend, sondern ergibt sich auch unmittelbar aus dem Gesetz. § 133 BGB gibt dem Auslegenden den Auftrag, den wirklichen Willen des Erklärenden unabhängig vom unmittelbaren buchstäblichen Wortsinn der Erklärung zu ermitteln. Dies heißt insbesondere, dass selbst der auf den ersten Blick eindeutige Wortlaut einer Äußerung nicht das bedeuten muss, was die Auslegung als Bedeutungsinhalt hervorbringt. Vor allem aus den Begleitumständen einer Erklärung sowie aus dem Gesamtzu232 Insoweit sind die Ausführungen von Brehmer, Wille und Erklärung, S. 115 f. und auch von Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 49 missverständlich. 233 BGH, Urt. v. 13.12.2006 – XII ZB 71/04 Rn. 10 (juris) = NJW 2007, 1460 f.; Urt. v. 10.2.1960 – V ZR 39/58 Rn. 24 (juris) = BGHZ 32, 60 (63); RG, Urt. v. 3.4.1939 – IV 165/38 = RGZ 160, 109 (111); Urt. v. 11.3.1909 – IV 304/08 = RGZ 70, 391 (393); Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 6; in diese Richtung wohl zudem Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 73. 234 BGH, Urt. v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81 Rn. 16 (juris) = BGHZ 86, 41 (46). 235 BGH, Urt. v. 19.12.2001 – XII ZR 281/99 Rn. 19 (juris) = NJW 2002, 1260 (1261); Urt. v. 13.8.1996 – XI ZR 218/95 Rn. 11 f. (juris) = NJW-RR 1996, 1458; Urt. v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81 Rn. 15 f. (juris) = BGHZ 86, 41 (46); BAG, Urt. v. 20.7.2004 – 9 AZR 626/03 Rn. 24 (juris) = NJW 2005, 1144 (1144 f.); Urt. v. 10.1.1975 – 3 AZR 70/74 Rn. 22 f. (juris) = DB 1975, 1368; RG, Urt. v. 20.4.1940 – II 156/39 = RGZ 163, 324 (328 f.); Urt. v. 24.6.1938 – III 183/37 = RGZ 158, 119 (124); BeckOK BGB/Wendtland, § 133 Rn. 22.1; Erman/Arnold, BGB, § 133 Rn. 12; MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 53; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 27; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 9; Köhler, BGB AT, § 9 Rn. 3; Canaris, JZ 1987, 543 (545). 236 BGH, Urt. v. 19.12.2001 – XII ZR 281/99 Rn. 19 (juris) = NJW 2002, 1260 (1261); MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 53; Biehl, JuS 2010, 195 (197).
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sammenhang kann sich ein anderer Gehalt ergeben, als unmittelbar durch den Wortlaut zum Ausdruck kommt.237 3. Verhältnis von § 133 und § 157 BGB a) Verhältnis nach gegenwärtiger Anschauung Zwar ist man sich mittlerweile einig, dass nicht nur § 133 BGB, sondern auch § 157 BGB entgegen des Wortlauts nicht erst bei der Auslegung von Verträgen, sondern bereits bei der Auslegung von Willenserklärungen heranzuziehen ist.238 Allerdings ist das Verhältnis beider Normen zueinander weiterhin höchst umstritten, selbst wenn man sie als zwei Elemente einer einheitlichen Auslegungsregel mit verschiedenen Facetten versteht. Während § 133 BGB dem Auslegenden auftrage, den wirklichen Willen des Erklärenden zu ermitteln, wie dieser selbst ihn verstanden haben will,239 folge aus § 157 BGB der Auftrag, die Erklärung aus der Perspektive des Rechtsverkehrs („Verkehrssitte“) zu werten, also objektiv-normativ.240 Dies wird als Widerspruch wahrgenommen.241 Viele Stimmen sehen in § 133 BGB den Auftrag an den Auslegenden, aus der Perspektive des Erklärenden dessen wirklichen Willen zu ermitteln, also aus den Erklärungszeichen und den Begleitumständen das wirklich Gewollte herauszuarbeiten.242 Gleichzeitig soll aus § 157 237 Dazu vor allem auch BGH, Beschl. v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80 Rn. 11 (juris) = BGHZ 80, 246 (249 f.); Urt. v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81 Rn. 16 (juris) = BGHZ 86, 41 (46); MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 55; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 8; Brox-Walker, BGB AT, § 6 Rn. 4; Brox, JA 1984, 549 (552). 238 BGH, Urt. v. 14.7.1956 – V ZR 223/54 Rn. 45 (juris) = BGHZ 21, 319 (328); BeckOK BGB/Wendtland, § 157 Rn. 2; HKK/Vogenauer, BGB, §§ 133, 157 Rn. 29, 31; MüKoBGB/Busche, § 157 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 20; Staudinger/ Singer (2017), § 133 Rn. 3; Staudinger/Roth (2020), § 157 Rn. 1; Bork, BGB AT, Rn. 500; Köhler, BGB AT, § 9 Rn. 8; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 319 f.; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 11; Stadler, BGB AT, § 18 Rn. 5; Wertenbruch, BGB AT, § 9 Rn. 1; Biehl, JuS 2010, 195 (196). 239 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 5, 11; Köhler, BGB AT, § 9 Rn. 4; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 22 ff.; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 120 f.; Wieser, JZ 1985, 407. 240 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 3 f.; Staudinger/Roth (2020), § 157 Rn. 2; Bork, BGB AT, Rn. 501; Brox-Walker, BGB AT, § 6 Rn. 13 ff.; Gottwald/Würdinger, BGB AT, Rn. 87; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 321; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 11 ff., 15 f.; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 268, 272 f.; Ohr, AcP 152 (1952/53), 216 (235 f.); siehe auch Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (215). 241 Staudinger/Coing (1957), § 133 Rn. 18; Larenz, Methode der Auslegung, S. 8 f. 242 MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 15 f.; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 5, 11; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 22 ff.
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung147
BGB folgen, dass Treu und Glauben und die Verkehrssitte, also ein objektivnormativer Auslegungsmaßstab anzulegen sei. Während Vertreter eines eher objektiven Ansatzes darin keinen Gegensatz sehen, da sie schlichtweg den „wirklichen Willen“ objektiv interpretieren,243 wird die damit verbundene Annahme eines „normativen Willens“ teilweise als Widerspruch gesehen.244 Eine Auflösung dieses – wie sich noch zeigen wird nur vermeintlichen – Konflikts zwischen § 133 und § 157 BGB wird einerseits durch eine unterschiedliche Behandlung von empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen angestrebt, sowie andererseits durch fallgruppen artige Interessen- und Schutzerwägungen. Während bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen der Vertrauens- und Verkehrsschutzgedanke des § 157 BGB größere Bedeutung erlange, rücke bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen der in § 133 BGB zum Ausdruck gekommene Gedanke der Selbstbestimmung in den Vordergrund.245 § 133 BGB soll somit stets dann Vorrang gegenüber § 157 BGB haben, wenn die Selbstbestimmung beider Parteien Verwirklichung erfahre und zugleich Verkehrs- und Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht entgegenstünden.246 Wisse oder erkenne der betroffene Erklärungsadressat, was der Erklärende wirklich wolle, so sei dies gegenüber dem möglicherweise anderen Verständnis gemäß objektiv-normativer Empfängersicht vorrangig. Wisse und erkenne der Erklärungsadressat den wirklichen Willen des Erklärenden hingegen nicht, gelte das objektivierte Verständnis.247 Dieser Abwägungsprozess erscheint vergleichsweise komplex und verlagert die Ermittlung des Bedeutungsgehalts einer Willenserklärung in vielen Fällen letztlich auf die Beweisebene eines Prozesses.248 Wer was wann gewusst und wie verstanden hat, bliebe ansonsten stets nur eine vage Vermutung und bedürfte daher intensiver Aufarbeitung, die am Ende dennoch nicht zwingend zu eindeutigen Ergebnissen käme. Dabei lassen sich die Vorgaben aus §§ 133, 157 BGB auf recht einfache Weise miteinander in Einklang bringen.249 243 So etwa Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 1; Bork, BGB AT, Rn. 501; Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 147 f.; Kellmann, JuS 1971, 609 (610 ff.). 244 So ausdrücklich Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 5 f., der von einer Gegenläufigkeit der Auslegungsmaximen spricht. 245 MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 11, 27; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 15 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 322; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 32; Stadler, BGB AT, § 18 Rn. 15; zurückhaltender Bork, BGB AT, Rn. 513 ff. 246 So schon Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 14, 29 ff.; Wieser, JZ 1985, 407. 247 HKK/Vogenauer, BGB, §§ 133, 157 Rn. 39 f., 42; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 6. 248 Die Auslegung von Willenserklärungen ist nach st. Rspr. Aufgabe des Tatrichters, siehe nur BGH, Urt. v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81 Rn. 16 (juris) = BGHZ 86, 41 (45 ff.); Beschl. v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80 Rn. 11 (juris) = BGHZ 80, 246 (249 f.). 249 Siehe bereits Kellmann, JuS 1971, 609 (610); das gilt selbst für die Auslegungsregel der falsa demonstratio, siehe dazu unter D.V.6.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
b) Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen § 133 und § 157 BGB Als Ausdruck der Selbstbestimmung des Individuums postuliert § 133 BGB das Ziel eines jeden Auslegungsprozesses, die Ermittlung des wirk lichen Willens des Erklärenden. Zur Betonung dieser Zielvorgabe stellt der zweite Regelungsgehalt in § 133 BGB klar, dass der wirkliche Wille – aus verschiedenen Gründen, die die Norm selbst nicht nennt – nicht zwingend mit dem zunächst vielleicht sogar als eindeutig erscheinenden Wortlaut einer Erklärung übereinstimmen muss. In § 133 BGB kommt zum Ausdruck, dass der wirkliche Wille nicht einfach feststeht, sondern verfahrensartig (durch Auslegung) zu ermitteln, im wortwörtlichen Sinne zu erforschen ist. Damit ist offengelassen, ob das vorgegebene Ziel, das Wissen um den wirklichen Willen des Erklärenden, überhaupt je erreicht werden kann. Zumindest ist eine möglichst gute Annäherung anzustreben. Ob das, was am Ende des Auslegungsprozesses als wirklicher Wille erscheint, dem wirklichen Willen, wie ihn der Erklärende verstanden haben möchte, tatsächlich entspricht, weiß – wenn überhaupt – nur dieser selbst. Rechtlich maßgebend ist daher nicht der wirkliche Wille, sondern dasjenige, was vom Standpunkt des Erklärungsgegners unter Einbeziehung aller objektiv ersichtlichen Umstände als wirklicher Wille des Erklärenden erscheint.250 Während somit gemäß § 133 BGB die Bestimmung des wirklichen Willens das Ziel der Auslegung ist, markiert § 157 BGB den Ausgangspunkt der Betrachtung und ist maßgebend für den im Auslegungsprozess zugrunde zu legenden Verständnishorizont des Betrachters bzw. Auslegenden. Die Deutung der Erklärungszeichen samt ihren Begleitumständen ist zwar aus dem Blickwinkel des Erklärungsadressaten, aber gemäß dem (allgemeinen) Verkehrsverständnis vorzunehmen.251 Wie gezeigt darf dabei nicht der Fehler gemacht werden, den Erklärenden am buchstäblichen Sinne seiner Erklärung festzuhalten. Wenn ein Bauer beim Verkauf seiner Ernte gegenüber den Abnehmern von der Ware als Tomaten spricht, obwohl er Erdbeeren meint, dann sind auch aus Sicht des Rechtsverkehrs bei Vorliegen hinreichend ersichtlicher Anhaltspunkte252 Erdbeeren Vertragsgegenstand, nicht Tomaten. Nichts Anderes folgt aus § 133 BGB. Liegen die Gesamtumstände aus der 250 Ebenso schon Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 69; die Existenz einer objektiven Bedeutung generell ablehnend Schütz, Der sinnhafte Aufbau, S. 174; Bork, BGB AT, Rn. 526 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 323. 251 Staudinger/Singer (2017), § 113 Rn. 18 f.; Bork, BGB AT, Rn. 527; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 15; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (215); siehe dazu auch unter D.V.5. 252 Etwa wenn der Bauer allgemein bekannt nur Obst und gerade kein Gemüse anbaut und verkauft und/oder bereits in der Vergangenheit Tomaten und Erdbeeren
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung149
objektivierten Sicht eines Abnehmers indes anders, gehen diese also aufgrund der Umstände berechtigterweise von Tomaten als Vertragsgegenstand aus, sind diese als Vertragsgegenstand erklärt. Eine solche, stets den Gesamtzusammenhang berücksichtigende Sichtweise ist deshalb zwingend, weil ein Zweipersonenverhältnis aufgrund der Möglichkeit der Abtretung grundsätzlich stets zu einem Dreipersonenverhältnis werden kann. Durch eine spätere Abtretung würde ein beim ursprünglichen Vertragsschluss noch unbekannter Dritter künftiger Inhaber des Anspruchs werden, so dass bei der Bestimmung des Anspruchsinhalts Aspekte des Verkehrsschutzes nicht ausgeblendet werden dürfen.253 Die Kritik an einer „Normativierung des Willens“ geht somit fehl. Der wirkliche Wille als solcher spielt in der Rechtsgeschäftslehre keine Rolle, soweit er nicht hinreichend in der Willenserklärung seinen Ausdruck gefunden hat. Welchen Ausdruck er gefunden hat, kann gleichfalls nur von außen bewertet werden. Für den Auslegenden gilt dann aber dasselbe. Welchen Verständnishorizont der Erklärende hat, kann der Auslegende nur aufgrund der gesamten, für ihn ersichtlichen Umstände, also beispielsweise der Vorgeschichte der jeweiligen Konstellation ermessen.254 Der Gesetzgeber hat diese Wertung als grundlegendes Prinzip auch in § 118 BGB verwirklicht. Die bei einer Willenserklärung fehlende Ernsthaftigkeit (und somit das Fehlen eines erklärten Rechtsbindungswillens) ist zumeist nicht bloß dem Erklärenden bewusst, sondern ebenso im Wege objektiv-normativer Auslegung unter Einbeziehung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls feststellbar. Diese objektive Feststellbarkeit bildet den Legitimationsgrund für die Rechtsfolge der Nichtigkeit nach § 118 BGB. Unabhängig davon, ob der Erklärende aus seiner Sicht berechtigt oder unberechtigt davon ausgehen durfte, dass die fehlende Ernsthaftigkeit vom Erklärungsadressaten erkannt würde, soll dieses von ihm selbst gesetzte Risiko ihn im Ergebnis nicht zur Erfüllung verpflichten. Wegen der durch ihn bewirkten Erhöhung des Risikos von Missverständnissen und negativer wirtschaftlicher Folgen auf der Gegenseite muss er jedoch den Vertrauensschaden ersetzen (§ 122 BGB), und zwar unabhängig davon, ob ihm ein Verschulden zur Last fällt.255
häufig begrifflich verwechselt hat; das Beispiel ist angelehnt an Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 6. 253 Speziell zu dem damit verbundenen Problem um die Auslegungsregel falsa demonstratio non nocet unter D.V.6. 254 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 49; Bork, BGB AT, Rn. 549; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 9; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 69 spricht daher nachvollziehbar von einer Wertung der Umstände durch den Auslegenden; siehe zudem BGH, Urt. v. 8.7.1999 – III ZR 5/98 Rn. 9 (juris) = NJW 1999, 3191. 255 Das wäre aber Voraussetzung für einen Anspruch aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
c) §§ 133, 157 BGB als rein deskriptive Vorschriften Die Vorschriften der §§ 133, 157 BGB erweisen sich somit nicht als kon stitutive Auslegungsregeln, sondern als rein deskriptiv. Dass sich ein Erklärungsadressat mit dem Erklärungstatbestand auseinandersetzen muss, um herauszufinden, was der Erklärende wirklich gewollt hat, ist einleuchtend. Ebenso ist klar, dass es bei der Deutung der Erklärungszeichen zwar auf den Standpunkt, die bekannten Informationen sowie die persönlichen Vorkenntnisse des Erklärungsadressaten ankommt, nicht jedoch auf dessen individuelles Spezialverständnis. Denn die Wahrscheinlichkeit, den Erklärenden richtig zu verstehen, liegt weitaus höher, wenn der Erklärungsadressat diejenige Interpretation wählt, die gemeinhin am weitesten verbreitet ist. Es kann nicht ausschlaggebend sein, dass nur der konkrete Erklärungsadressat Tomaten schon immer für Erdbeeren hielt und die Erklärung einzig aus diesem Grund so versteht. 4. Vorgang der Auslegung In praktischer Hinsicht vollzieht sich die Auslegung von Willenserklärungen folglich in zwei Schritten.256 Erstens muss der Auslegende den Auslegungsgegenstand und die Auslegungsmittel bestimmen, also das relevante Tatsachenmaterial sammeln. Dazu gehören vor allem der Erklärungstat bestand, aber auch die Vorgeschichte der jeweiligen Konstellation und die weiteren Umstände sowie das Verhalten der Beteiligten.257 Im Anschluss folgt zweitens die rechtliche Deutung der Erklärung durch den Auslegenden. Während Ersteres Tatsachenfrage ist, wofür die allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast gelten, ist Letzteres eine reine Rechtsfrage, die einzig und alleine der Rechtsanwender zu beantworten hat.258 Dies bedeutet, dass es in einem Prozess nicht in das Belieben der beiden Parteien gestellt ist, sich über die Deutung einer Erklärung zu verständigen.259 Zwar können die Parteien auf Umwegen dasselbe Ziel erreichen, indem sie unstreitig einen 256 So
schon Biehl, JuS 2010, 195 (197); Kellmann, JuS 1971, 609 (611). (2017), § 133 Rn. 8; wegen der Unschärfe des Begriffs der Umstände kritisch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 655; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 92; siehe zudem Larenz, in: FS Lehmann, S. 234 (243); Kellmann, JuS 1971, 609 (610 f.). 258 Die Auslegung von Willenserklärungen ist nach st. Rspr. Aufgabe des Tatrichters, siehe nur BGH, Urt. v. 8.12.1982 – IVa ZR 94/81 Rn. 16 (juris) = BGHZ 86, 41 (45 ff.); Beschl. v. 9.4.1981 – IVa ZB 6/80 Rn. 11 (juris) = BGHZ 80, 246 (249 f.); Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 29; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 77. 259 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 8, 77 ff.; zurückhaltend hingegen MüKo BGB/Busche, § 133 Rn. 66, 68; NK-BGB/Looschelders, § 133 Rn. 101; zwischen natürlicher und normativer Auslegung unterscheidend Bork, BGB AT, Rn. 548. 257 Staudinger/Singer
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung151
Sachverhalt in den Prozess einführen, der das Gericht dazu bringt, die von den Parteien gewünschte Deutung anzunehmen. Indes verbleibt die Entscheidungs- bzw. Deutungshoheit beim Gericht. Im Anschluss stützt sich die Deutung des Auslegungsgegenstandes innerhalb des durch §§ 133, 157 BGB abgesteckten Rahmens auf die Kenntnisse von Sprache und Logik sowie die etablierten Erfahrungssätze und Auslegungsmaximen.260 5. Normativer Standpunkt des objektiven Erklärungsadressaten a) Ausgangslage Nach herrschender Meinung sind empfangsbedürftige Willenserklärungen nach dem objektiv-normativen Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte auszulegen.261 Dabei ist nicht das tatsächliche Verständnis des konkreten Erklärungsempfängers maßgebend, sondern das Verständnis einer objektiven Person anstelle des wirklichen Erklärungsadressaten.262 Zur Bestimmung des Willensinhalts ist danach zu fragen, auf welche Kategorie von Empfängern abzustellen ist und wie deren Verständnishorizont aussieht. Gehört der Erklärungsadressat demselben Kultur-, Sprach- oder sonstigen Verkehrskreis des Erklärenden an? Über welches Wissen verfügt ein objektivierter Empfänger, kennt er sämtliche Umstände, die auch dem konkreten Empfänger bekannt sind? b) Bestimmung des Empfängerkreises Der objektive Empfänger i. S. d. § 133, 157 BGB ist ein Angehöriger des durch die Erklärung angesprochenen Personenkreises.263 Die Empfangs bedürftigkeit der Erklärung spielt dabei keine entscheidende Rolle.264 Es er260 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 44 ff., 52 ff.; siehe zudem MüKoBGB/ Busche, § 133 Rn. 62 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 545; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 53 ff. 261 Bork, BGB AT, Rn. 500, 527; Köhler, BGB AT, § 9 Rn. 7 f.; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 11; Kellmann, JuS 1971, 609 (610 ff.); bei der Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel etwa BGH, Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12 Rn. 17 f. (juris). 262 Bork, BGB AT, Rn. 500; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 11, der von der Sicht eines redlichen, verständigen und folgerichtig denkenden Interpreten spricht; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 120 f.; skeptisch in dieser Hinsicht aber Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 90 f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 208. 263 BGH, Urt. v. 26.2.1970 – KZR 5/69 Rn. 12 (juris) = BGHZ 53, 304 (307); Urt. v. 23.10.1958 – II ZR 4/57 Rn. 25 (juris) = BGHZ 28, 259 (260); BeckOK BGB/ Wendtland, § 133 Rn. 28; MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 11. 264 Anders freilich die h. M., siehe nur MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 10 ff.; Soergel/Hefermehl, Vor § 133 Rn. 14, 16; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 15, 18;
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
scheint wenig sinnvoll, den Fokus bei der Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen anders als bei empfangsbedürftigen stärker auf den Erklärenden zu legen, da der Erklärende auch bei der Abgabe nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen typischerweise den – wenn man so will – tatsächlichen Erklärungsadressaten im Blick hat und die Erklärungszeichen danach ausrichtet, also seine Worte dementsprechend wählt. Für nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen gilt die Ausrichtung der Erklärung auf andere Teilnehmer des Rechtsverkehrs daher in gleicher Weise wie bei empfangsbedürftigen Erklärungen. Sie sollen im Rechtsverkehr Rechtswirkungen hervorbringen, so dass auch die Verständnismöglichkeiten des Rechtsverkehrs berücksichtigt werden müssen.265 Unabhängig von der Empfangsbedürftigkeit geht es daher um den objektivierten Verständnishorizont der Adressaten(kreise) selbst, seien diese in der Erklärung namentlich benannt, wie etwa Erben in einem Testament, seien es sämtliche Teilnehmer an einer Internet-Versteigerung oder schlichtweg alle Nachbarn, die eine im Hausflur ausgehängte Auslobung lesen können.266 Der Testierende formuliert seinen Willen in der Regel so, wie er glaubt, dass ihn die betreffenden Personen richtig verstehen werden. Denn er möchte, dass sein letzter Wille zur Geltung kommt, auch wenn dessen Wirksamkeit nicht vom Zugang des Testaments i. S. d. § 130 Abs. 1 BGB abhängt. Eine Differenzierung nach der Empfangsbedürftigkeit ergibt auch deshalb keinen Sinn, weil bereits per definitionem durch jede Willenserklärung Rechtswirkungen hervorgebracht werden sollen, sich also auf das rechtliche Miteinander, den Rechtsverkehr, auswirken sollen, so dass auch sämtliche Willenserklärungen aus Gründen der Rechtssicherheit aus dieser objektiven Sicht auszulegen sind. Der insoweit objektive Erklärungsadressat ist jedoch kein durchschnittlicher Teilnehmer des Rechtsverkehrs, sondern ein durchschnittlicher Teil des Verkehrskreises, dem der jeweilige Adressat angehört.267 Wer in diesem Sinne zum Adressatenkreis der Erklärung gehört, ergibt sich wiederum durch Auslegung der Erklärungszeichen gemäß §§ 133, 157 BGB. Bei empfangsbedürftigen Erklärungen ist dies typischerweise der Erklärungsadressat. Die Branche, der Beruf, der Fachbereich, die Kultur, der (regionale) Sprachgebrauch oder die sonstige Überordnung des betreffenden Adressatenkreises Bork, BGB AT, Rn. 512 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 322 ff.; Neuner, BGB AT, Rn. 32; Kellmann, JuS 1971, 609 (612). 265 BeckOK BGB/Wendtland, § 133 Rn. 31; MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 11. 266 Zur Auslobung in diese Richtung Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 17; anders die h. M. beim Testament, siehe nur bei Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 15, 37; Flume, BGB AT I, § 16, 5 (S. 331); Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 47; Brox, JA 1984, 549 (552); Wieser, AcP 189 (1989), 112 (120). 267 BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 232/05 Rn. 10 ff. (juris) = NJW 2007, 2912 f.; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 34.
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung153
prägen somit den Verkehrskreis, auf den im Rahmen der Auslegung für das Verständnis abzustellen ist.268 c) Die weitere Bestimmung des Empfängerhorizonts Mit der Bestimmung des potentiellen Adressatenkreises ist der für die Auslegung maßgebliche Empfängerhorizont noch nicht vollständig fest gelegt. Zwar ist damit klar, dass es für die Deutung der Erklärungszeichen auf den allgemeinen Sprachgebrauch des bestimmten Adressatenkreises an kommt,269 so dass berufs-, branchen- oder fachspezifische Begriffe auch in diesem Sinne zu verstehen sind, und das (ggf. rein lokale bzw. regionale) Sprachverständnis der Empfänger genauso entscheidend ist270 wie die Verkehrssitte, die Interessenlage und der wirtschaftliche Zweck des Geschäfts.271 Wenn ein Berliner Konditor in seiner Berliner Konditorei „Berliner Pfann kuchen“ im Angebot hat, so verkauft er „Krapfen“272 und nicht süße, flach aus gebackene Eiermehlspeisen, die an Crepes erinnern („Pfannkuchen“), weil potentielle Käufer in Berlin das Angebot des Konditors vor Ort regelmäßig in dieser Weise verstehen. Ein süddeutscher Tourist, der darunter die süße, flach ausgebackene Eiermehlspeise versteht, wird mit seiner Auslegung des Angebots daher nicht gehört. Auch der in der Erklärung eines Ingenieurs verwendete Fachterminus ist – richtet sich die Erklärung an Fachkollegen – nach dem Verständnishorizont eines Ingenieurs auszulegen, selbst wenn der konkrete Erklärungsempfänger den Begriff im Einzelfall nicht kennen sollte. Sodann ist zu bestimmen, welche Informationen der objektivierte Erklärungsempfänger seiner Auslegung zugrunde legen muss. Denkbar wäre, dass er nur die unmittelbaren Erklärungszeichen in Betracht ziehen darf, also etwa die geschriebenen oder gesprochenen Worte. Denn die Auslegung soll bloß den Sinngehalt der Erklärungszeichen ermitteln, so dass es naheliegend scheint, auch nur diese zu untersuchen. Allerdings sprechen die besseren Argumente dafür, dass der Empfänger neben den unmittelbaren Erklärungszeichen auch vorangegangene Verhandlungen sowie sonstige sichtbare Um268 MüKoBGB/Busche,
§ 157 Rn. 24. § 133 Rn. 12; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 119 f.; Biehl, JuS 2010, 195 (198, 199). 270 BGH, Urt. v. 23.11.1994 – VIII ZR 133/93 Rn. 16 (juris) = NJW-RR 1995, 364 f.; Urt. v. 23.6.1994 – VII ZR 163/93 Rn. 12 f. (juris) = NJW-RR 1994, 1108 (1109); Biehl, JuS 2010, 195 (198, 199). 271 BGH, Urt. v. 19.2.2001 – XII ZR 281/99 Rn. 19 ff. (juris) = NJW 2002, 1260 (1261); Urt. v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98 Rn. 20 ff. (juris) = NJW-RR 2000, 1002 (1003); BeckOK BGB/Wendtland, § 133 Rn. 25; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 25. 272 In Süddeutschland teilweise als „Berliner“ bezeichnet. 269 MüKoBGB/Busche,
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stände, die den Beteiligten aufgrund der gemeinsamen Vorgeschichte bekannt sind, in die Auslegung einbeziehen muss.273 Der jeweilige Empfänger hat sämtliche vorherigen Vorgänge miterlebt, so dass er in der Lage ist, diese bei der Deutung des durch die Erklärungszeichen beschriebenen Erklärungstatbestandes miteinzubeziehen. Enthielte man dem objektiven Empfänger diese Informationen bei der Auslegung vor, wäre das spätere Ergebnis der Auslegung typischerweise bereits weiter entfernt vom wirklichen Willen des Erklärenden. Dies würde dem durch § 133 BGB bestimmten Ziel der Auslegung, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen, zuwiderlaufen.274 Nach dem objektiv-normativen Empfängerhorizont bedeutet Auslegung somit im Kern Deutung gemäß der Sichtweise und dem Verständnishorizont des Erklärungsempfängers, soweit dieser ein durchschnittlich verständiger Teilnehmer des angesprochenen Adressatenkreises ist, ohne dass das Spezialbzw. Einzelwissen einzelner Teilnehmer des angesprochenen Verkehrs- oder Personenkreises berücksichtigt wird.275 In die Auslegung der Erklärung sind sämtliche Umstände einzubeziehen, die dem Empfänger im Laufe seiner Beziehung zum Erklärenden bekannt geworden sind, oder die zumindest erkennbar sind, etwa wenn sie unmittelbar aus der Erklärung hervorgehen, oder aus deren Umständen.276 6. Falsa demonstratio non nocet – falsa est? a) Ausgangslage Dem Grundsatz falsa demonstratio non nocet wird in Rechtsprechung und Schrifttum fast einhellig zugestimmt. Demnach soll die Falschbezeichnung des Vertragsgegenstandes durch die Erklärenden unschädlich für das Zustandekommen und die Auslegung des Vertrages sein, wenn beide Vertragsparteien tatsächlich dasselbe wollen, also der Erklärungsgegner entweder zu fällig demselben Erklärungsirrtum unterliegt wie der Erklärende, er den Vertragsgegenstand trotz der (objektiven) Falschbezeichnung richtig versteht
273 MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 11; Moser, Die Offenkundigkeit der Stellvertretung, S. 90; Heck, AcP 112 (1914), 1 (43) spricht von Umstandswissen, in Abgrenzung zum Regelwissen, dass Sprache und Verkehrssitte umfasst. 274 Siehe dazu unter D.V.3. 275 BGH, Urt. v. 26.2.1970 – KZR 5/69 Rn. 12 (juris) = BGHZ 53, 304 (307); Urt. v. 23.10.1958 – II ZR 4/57 Rn. 25 (juris) = BGHZ 28, 259 (264); BeckOK BGB/ Wendtland, § 133 Rn. 28; ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 120 f. 276 BGH, Urt. v. 20.10.2005 – III ZR 37/05 Rn. 9 (juris) = NJW 2006, 286 f.; Urt. 28.7.2005 – III ZR 3/05 Rn. 10 (juris) = NJW 2005, 3636 f.; BeckOK BGB/Wendtland, § 133 Rn. 23, 25, 27 f.; Karakatsanes, Unterzeichnung der Privaturkunde, S. 60 f.
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung155
oder das hinter dem Irrtum des Erklärenden Gewollte erkennt.277 Meinen und wollen beide Vertragsparteien dasselbe, so soll das Gewollte gelten, auch wenn objektiv-normativ etwas anderes erklärt ist. Wegen der aus § 117 Abs. 1 BGB folgenden Nichtigkeit des Scheingeschäfts sollen übereinstimmend absichtliche Falschbezeichnungen hingegen nicht gelten.278 Entgegen der sonst im Zusammenhang mit der Formbedürftigkeit von Erklärungen vertretenen Andeutungstheorie279 sollen unabsichtliche Falschbezeichnungen andererseits selbst dann unschädlich sein, wenn sie nicht einmal im Ansatz in der ansonsten formgerechten Erklärung angedeutet worden sind280 – jedenfalls bei solchen Erklärungen, die auf den Abschluss zweiseitig verpflichtender synallagmatischer Verträge bzw. ihre Erfüllungsgeschäfte gerichtet sind.281 Bei einseitigen formgebundenen Rechtsgeschäften wie letztwilligen Verfügungen oder Bürgschaften verlangt die Rechtsprechung indes auch in den Fällen der falsa demonstratio mit Verweis auf die jeweiligen Formzwecke ein Mindestmaß an Andeutung unmittelbar in der Erklärung.282
277 RG, Urt. v. 20.9.1905 – V 58/05 = RGZ 61, 264 (265); BGH, Urt. v. 18.1.2008 – V ZR 174/06 Rn. 12 (juris) = NJW 2008, 1658 (1659); Urt. v. 23.2.1956 – II ZR 207/54 Rn. 12 (juris) = BGHZ 20, 109 (110); Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 8; Bork, BGB AT, Rn. 518 ff.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 327; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 27; Wieling, Jura 1979, 524 (524 f.). 278 Jedenfalls bei formbedürftigen Rechtsgeschäften: Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 14 a. E.; so bereits Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 40; Reinicke, JA 1980, 455 (458). 279 Siehe nur BGH, Urt. v. 18.1.2008 – V ZR 174/06 Rn. 13 (juris) = NJW 2008, 1658 (1659); Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 38 f.; kritisch MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 57; Staudinger/Singer (2017), § 137 Rn. 31 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 562; Reinicke, JA 1980, 455 (460 f.); Wieling, Jura 1979, 524 (526 ff.). 280 Siehe vor allem BGH, Urt. v. 18.1.2008 – V ZR 174/06 Rn. 12 (juris) = NJW 2008, 1658 (1659); Urt. v. 8.3.1991 – V ZR 25/90 Rn. 9 (juris) = NJW 1991, 1730 f.; Urt. v. 25.3.1983 – V ZR 268/81 Rn. 16 ff. (juris) = BGHZ 87, 150 (153 f.); Urt. v. 14.7.1969 – V ZR 122/66 Rn. 32 (juris) = NJW 1969, 2043 (2045); und zuvor bereits das RG, Beschl. v. 24.9.1931 – V B 7/31 = RGZ 133, 279 (281); Beschl. v. 16.3.1910 – V 23/10 = RGZ 73, 154 (157); Urt. v. 19.4.1906 – V 287/05 = RGZ 63, 164 (169); Urt. v. 20.9.1905 – V 58/05 = RGZ 61, 264 (265); Flume, BGB AT II, § 16 (S. 306 f.); a. A. Wieling, AcP 172 (1972), 297 (307 ff.); siehe zudem die umfassende Darstellung bei Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 31. 281 Reymann, NJW 2008, 1773 ff. 282 Siehe nur BGH, Beschl. v. 9.4.1981 – IVa ZB 4/80 Rn. 8 (juris) = BGHZ 80, 242 (246); Urt. v. 20.12.1974 – V ZR 132/73 Rn. 23 ff. (juris) = BGHZ 63, 359 (363); Urt. v. 28.11.1957 – VII ZR 42/57 = BGHZ 26, 142 (146 f.); zuvor bereits das RG, Urt. v. 17.3.1913 – VI 5/12 = RGZ 82, 70 (71); Urt. v. 11.3.1909 – IV 304/08 = RGZ 70, 391 (303 f.).
156
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
b) Für die falsa demonstratio angeführte Argumente Der Grundsatz der falsa demonstratio steht argumentativ im Wesentlichen auf zwei Säulen. Zum einen wird auf die sich aus den §§ 116 S. 2, 117 Abs. 1, Abs. 2, 122 Abs. 2 BGB ergebenden Wertungen abgestellt.283 Zum anderen wird etwas allgemeiner mit der Schutzwürdigkeit der Interessen argumentiert. Man könne dem für die Privatautonomie grundlegenden Prinzip der Selbstbestimmung der beiden Vertragsparteien durch die Akzeptanz des wirklichen, wenn auch nicht erklärten Willens im Ergebnis mehr Bedeutung verleihen, indem man dem wirklichen Willen der Vertragsparteien (soweit dieser feststellbar ist) zur Geltung verhelfe, soweit Vertrauens- und Verkehrsschutzgesichtspunkte zum Schutze des Erklärungsempfängers mangels dessen Schutzbedürftigkeit nicht erforderlich seien.284 Die Differenzierung bei formbedürftigen Rechtsgeschäften danach, ob die (unabsichtliche) Falschbezeichnung schädlich ist oder nicht, wird mit jeweils unterschiedlich stark wirkenden Formzwecken begründet.285 c) Kritik an der herrschenden Sichtweise aa) Keine Grundlage im Gesetz Die für die falsa demonstratio angeführten Argumente überzeugen bei genauer Betrachtung nicht. Aus §§ 116 S. 2, 117 Abs. 1, Abs. 2 BGB folgt bloß, dass Willenserklärungen keine Rechtswirkungen haben, wenn der Erklärungsgegner erkennt bzw. weiß, dass der Erklärende etwas anderes will, als es den äußeren Eindruck hat. Mit gutem Willen könnte man diesen Vorschriften zwar die allgemeine Wertung entnehmen, dass das Gewollte durchschlagen soll, wenn es dem Erklärungsgegner bekannt ist, doch ist dies keineswegs zwingend. Vielmehr haben diese Vorschriften stets die Nichtigkeit der (gesamten) Erklärung zur Folge, so dass das hinter dem Erklärten verborgene Gewollte insgesamt gerade nicht gilt. Denn verstünde man die Wertung die283 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 13; Larenz, BGB AT, § 20 I c (S. 366); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 327 (in Bezug auf § 117 Abs. 2 BGB); Reinicke, JA 1980, 455 (457 f.). 284 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 13; Bork, BGB AT, Rn. 518; so auch schon Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 39 f. 285 Siehe dazu insbesondere die zusammenfassende Darstellung bei Staudinger/ Singer (2017), § 133 Rn. 31, der in Rn. 32 f. zu Recht die mangelnde Klarheit und fehlende stringente Anwendung der Andeutungstheorie kritisiert; zudem MüKoBGB/ Busche, § 133 Rn. 10; Bork, BGB AT, Rn. 562; Köhler, BGB AT, § 9 Rn. 15 f.; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 331; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 40 ff.; siehe zudem Wieling, Jura 1979, 524 (526 ff.).
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung157
ser Vorschriften so, dass bloß das aus objektiv-normativer Empfängersicht Erklärte nichtig sei, so dass Raum für die Geltung des wirklich Gewollten bliebe, fehlte für ein solches Verständnis die rechtliche Grundlage. Wie man von Vorschriften, in denen das Gesetz im Falle der Kenntnis des Erklärungsgegners vom wirklich Gewollten die Nichtigkeit der Erklärung anordnet, zur Wirksamkeit des wirklich Gewollten gelangen möchte, erschließt sich nicht. bb) Ungerechtfertigte Vernachlässigung von Drittinteressen Zudem verfangen die Überlegungen zur Gewichtung von Selbstbestimmung auf der einen und Vertrauens- und Verkehrsschutz auf der anderen Seite nicht,286 jedenfalls werden diese Überlegungen nicht konsequent zu Ende geführt. Der Gedanke, die Selbstbestimmung der beiden Vertragsparteien könne in den Vordergrund treten, wenn Vertrauens- und Verkehrsschutzaspekte zum Schutze des Erklärungsgegners keine Rolle spielten,287 ist nur im Ansatz nachvollziehbar. Übersehen wird dabei, dass die Prämisse, es bedürfe des Verkehrsschutzes nicht, man also auf ihn insoweit verzichten könne, kaum jemals erfüllt sein kann, so dass die Hervorhebung der Selbstbestimmung ungerechtfertigt ist. Das Beispiel eines Vertrages zugunsten Dritter zeigt dies besonders eindrucksvoll. Eine zwar übereinstimmend gewollte, aber aus objektiver Sicht falsche Bezeichnung des Vertragsgegenstandes wirkt sich bei einem Vertrag zugunsten Dritter unmittelbar auf den Dritten aus. Denn bei konsequenter Anwendung des falsa-Grundsatzes steht dem Dritten de facto ein anderer Anspruchsinhalt gemäß § 328 Abs. 1 BGB zu, als es aus objektiv-normativer Empfängersicht den Anschein hat. Nun mag das Problem beim Vertrag zugunsten Dritter noch im Rahmen der gängigen Argumente der falsa demonstratio zu lösen sein. So ließe sich schlichtweg anführen, dass Vertrauens- und Verkehrsschutzgesichtspunkte – namentlich die des Dritten – schon bei Vertragsschluss gegen die Betonung der privat autonomen Selbstbestimmung sprechen würden, so dass die Voraussetzungen der falsa demonstratio nicht vorlägen und dementsprechend nicht das von Versprechendem und Versprechensempfänger übereinstimmend Gewollte, sondern das objektiv Erklärte gelte. Die Kritik lässt sich aber verallgemeinern: Eine Forderung, die in einem Zweipersonenverhältnis entsteht, kann im Nachgang stets abgetreten werden, soweit kein Abtretungsverbot besteht, das auch dingliche Wirkung entfaltet (§ 399 Alt. 2 BGB).288 Die Vertrauens- und 286 Siehe hierzu Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 44 f., der anmerkt, dass Drittinteressen die Geltung des übereinstimmend falsch Bezeichneten aushebeln können; siehe insoweit auch Reinicke, JA 1980, 455 (460); Wieling, Jura 1979, 524 (528 f.). 287 Siehe unter D.V.6.b). 288 MüKoBGB/Roth/Kieninger, § 399 Rn. 33.
158
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Verkehrsschutzinteressen potentieller Zessionare sind somit stets von Bedeutung und daher immer mitzudenken. Bei (vorbehaltsloser) Akzeptanz der falsa demonstratio durch die Rechtsordnung bewegten sich (potentiell) Forderungen im Rechtsverkehr, die in Wirklichkeit einen anderen Inhalt haben, als ihr Etikett ausweist. Zwar könnte man versuchen, dies schadensersatzrechtlich in den Griff zu bekommen, weil die Abtretung solcher Forderungen scheitert. Denn die aus objektiv-normativer Sicht (vermeintlich) entstandene Forderung existiert nicht und kann mangels Möglichkeit des redlichen Erwerbs von Forderungen nicht auf den Zessionar übertragen werden. Somit erfüllt der Zedent seine der Zession zugrunde liegende schuldrechtliche Verpflichtung nicht, die aus objektiv-normativer Sicht nicht auf den Gegenstand gerichtet ist, der der Forderung wirklich innewohnt, sondern auf den objektiv-normativ erklärten Gegenstand. Daher macht sich der Zedent bei Vorliegen von zumindest leichter Fahrlässigkeit i. S. d. § 276 Abs. 2 BGB wegen Nichterfüllung bei anfänglicher Unmöglichkeit nach § 311a Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig. Indes würde dies das Problem bloß auf eine andere, die sekundäre Ebene verlagern, es bliebe aber ein Problem.289 Drittinteressen und Verkehrsschutzaspekte treten auch in anderen Konstellationen der falsa demonstratio in den Vordergrund, etwa bei formbedürftigen Rechtsgeschäften wie der Auflassung,290 bei Rechtsgeschäften mit steuerrechtlichen Auswirkungen sowie bei solchen, bei denen der Drittbezug bereits im Zweipersonenverhältnis angelegt ist, wie beispielsweise bei Wechseln und Schecks.291 Insbesondere die fast sklavische Umklammerung der falsa demonstratio bei formbedürftigen Rechtsgeschäften verwundert, was im Schrifttum folgerichtig auch nicht ohne Kritik geblieben ist.292 Sobald Interessen von einem oder mehreren Dritten durch das Rechtsgeschäft zumindest potentiell betroffen sind, kann dem wirklich Gewollten kein Vorrang vor dem objektiv Erklärten eingeräumt werden. Zudem verlagert die falsa demonstratio die Auslegung von Willenserklärungen in unzulässiger 289 Kein Problem besteht natürlich, wenn Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft (Verfügungsgeschäft) im Zweipersonenverhältnis zeitlich zusammenfallen, das Pro blem eines Drittbezuges daher in dieser Form gar nicht auftreten kann. Aus dieser Sondersituation allerdings auf die allgemeine Zulässigkeit der falsa demonstratio zu schließen, würde etwas zu kurz greifen. 290 Siehe dazu insbesondere BGH, Urt. v. 18.1.2008 – V ZR 174/06 = NJW 2008, 1658. 291 Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 14 m. w. N. 292 Siehe zur uneinheitlichen und insoweit inkonsequenten Anwendung des Grundsatzes der falsa demonstratio bei formbedürftigen Rechtsgeschäften bereits unter Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 31 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 562; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn 331; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 40 ff.; Wieling, Jura 1979, 524 (526 ff.).
V. Der Gegensatz von Wille und Erklärung159
Weise auf die Tatsachenebene und unterstellt sie auf diese Weise der Beweisbarkeit.293 d) Keine Notwendigkeit der falsa demonstratio aa) Interessengerechte Ergebnisse durch alternativen Ansatz Für die Rechtsfigur der falsa demonstratio besteht kein Bedürfnis. Interessengerechte Ergebnisse lassen sich für die Beteiligten nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles entweder schon durch eine konsequente Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregeln oder durch die Annahme einer stillschweigenden Vertragsänderung bei der Erfüllung der schuldrechtlichen Verpflichtung erreichen. In den sonstigen Konstellationen widersprechen die durch die Anwendung der falsa demonstratio erzielten Ergebnisse dem Verkehrsinteresse, das aufgrund der potentiellen Beteiligung von Dritten Berücksichtigung finden muss. bb) Falsa demonstratio non nocet als typische Folge konsequenter Anwendung gesetzlicher Auslegungsregeln Als Paradebeispiel für die falsa demonstratio dient die Reichsgerichtsentscheidung „Haakjöringsköd“, in der die beiden Vertragsparteien zur Bezeichnung des Vertragsgegenstandes den norwegischen Begriff für Haifischfleisch verwenden, obwohl sie beide Walfischfleisch meinen.294 Das Gericht – und ihm folgend das Schrifttum295 – geht davon aus, dass wegen der Falschbezeichnung objektiv-normativ „Haifischfleisch“ erklärt worden sei, so dass die Parteien bei Abstellen auf dieses objektiv-normative Auslegungsergebnis einen Vertrag über „Haifischfleisch“ geschlossen hätten, den aber keine Partei gewollt habe. Deshalb gelte ausnahmsweise das wirklich Gewollte, selbst wenn dieses – vermittelt über die Willenserklärungen der Parteien – in dem Vertrag keinen Ausdruck gefunden habe. Diese Sichtweise ist diskussionswürdig. Bei konsequenter Anwendung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, nach denen nicht nur der Erklärungstatbestand, sondern auch sämtliche, den Erklärungstatbestand einbetten293 Zur Auslegung durch Gerichte, auch in der Revisionsinstanz siehe Bork, BGB AT, Rn. 557. 294 RG, Urt. v. 8.6.1920 – II 549/19 = RGZ 99, 147 f. 295 Siehe nur Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 14; Bork, BGB AT, Rn. 523; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 327; Neuner, BGB AT, Rn. 28; Cordes, Jura 1991, 352 ff.
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D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
den Umstände in den Auslegungsvorgang einzubeziehen sind296 – also die Vorgeschichte des Vertrages, insbesondere die vorvertragliche Kommunikation zwischen den Vertragsparteien – entsteht ein anderes Bild.297 Dann würde sich wohl bereits durch objektiv-normative Auslegung der Willenserklärungen ergeben, dass die Parteien einen Vertrag über Walfischfleisch und nicht über Haifischfleisch geschlossen haben. Denn gemäß § 133 BGB darf die Auslegung nicht am buchstäblichen Sinne der Erklärung haften bleiben, sondern muss den wirklichen Willen der Erklärenden erforschen, wie dieser insgesamt seinen Ausdruck in der Erklärung und ihren Umständen gefunden hat.298 Insoweit bleibt zwar der Rechtssatz, dass Falschbezeichnungen nicht schaden, natürlich richtig, drückt jedoch nichts Besonderes aus, sondern bestätigt bloß das durch Auslegung gewonnene Ergebnis. cc) Stillschweigende Änderung des schuldrechtlichen Rechtsgeschäfts durch Annahme als Erfüllung In den wohl eher seltenen Fällen, in denen die objektiv-normative Auslegung mangels erkennbarer Anhaltspunkte im Erklärungstatbestand und dessen Umständen nicht zu dem Ergebnis gelangt, das dem wirklichen Willen der Parteien entspricht, lässt sich das Ziel über die Annahme einer (stillschweigenden) Änderung des Vertrags zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung erreichen. Wer objektiv-normativ Haifischfleisch erklärt, aber in Wirklichkeit Walfischfleisch meint, kann durch Lieferung auf der einen bzw. Entgegennahme auf der anderen Seite von Walfischfleisch das Verpflichtungsgeschäft bezüglich des bislang geschuldeten Vertragsgegenstandes modifizieren, so dass im Ergebnis sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft mit dem wirklichen Willen der Parteien und der objektiv-normativen Auslegung des Rechtsgeschäfts übereinstimmen. Voraussetzung wäre eine dementsprechende vertragliche Einigung durch (zumindest konkludente) Willenserklärungen.299 296 BGH, Urt. v. 13.1.2003 – II ZR 254/00 Rn. 13 ff. (juris) = NJW 2003, 2908 (2910); Urt. v. 7.2.2002 – I ZR 304/99 Rn. 31 ff. (juris) = BGHZ 150, 32 (38 f.); MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 50 f.; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 48 f.; siehe hierzu bereits unter D.V.5.c). 297 MüKoBGB/Busche, § 133 Rn. 50 f.; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 48 f.; Reinicke, JA 1980, 455 (456); Wieling, Jura 1979, 524 (525). 298 BGH, Urt. v. 7.2.2002 – I ZR 304/99 Rn. 31 ff. (juris) = BGHZ 150, 32 (38 f.); Urt. v. 12.7.2001 – IX ZR 358/00 = NJW 2001, 3327 (3328); Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 5; Soergel/Hefermehl, § 133 Rn. 9; Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 8; Bork, BGB AT, Rn. 549; Köhler, BGB AT, § 9 Rn. 2; Neuner, BGB AT, § 35 Rn. 4, 7. 299 Auch Vorgänge nach Abschluss des auszulegenden Vertrages können die Auslegung des Vertrages beeinflussen, siehe nur BGH, Versäumnisurt. v. 6.7.2005 – VIII ZR 136/04 Rn. 29 (juris) = NJW 2005, 3205 (3207); Urt. v. 24.6.1988 – V ZR 49/87
VI. Resümee161
dd) Geltung des objektiv-normativ Erklärten Kommt es – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Lieferung und Entgegennahme des falsch bezeichneten Vertragsgegenstandes, bliebe das Verpflichtungsgeschäft objektiv-normativ falsch bezeichnet und unerfüllt i. S. d. § 362 Abs. 1 BGB. In solchen wie auch in sonstigen Konstellationen, in denen der aus objektiv-normativer Empfängersicht übereinstimmende Wille der Parteien vom wirklichen Willen abweicht, ist das Abstellen auf den wirklichen Willen aus Gründen des Verkehrsschutzes abzulehnen, zumal die unmittelbar beteiligten Parteien die Falschbezeichnung hätten leichter vermeiden können als der Rechtsverkehr die Rezeption des Falschverständnisses. Behauptete im Übrigen eine Partei nach Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts wahrheitswidrig, sie habe von Anfang an das aus objektiv-normativer Empfängersicht Erklärte gewollt, so läge darin ein widersprüchliches Verhalten, also ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben i. S. d. § 242 BGB. Diese Partei würde mit ihrer Behauptung folglich nicht gehört, insbesondere könnte sie nicht die Erbringung der Leistung des ursprünglich von ihr selbst nicht gewollten Vertragsgegenstandes verlangen.
VI. Resümee Privatautonomes Handeln bewirkt ohne einen Kommunikationspartner nichts.300 Der Schutz des Rechtsverkehrs sowie des Vertrauens seiner einzelnen Teilnehmer ist deshalb der Privatautonomie immanent. Daher hat der Gesetzgeber in der Rechtsgeschäftslehre des BGB weder das Willensdogma noch die Erklärungstheorie kodifiziert, sondern vielmehr einen eigenen pragmatischen Ansatz zur Lösung der einzelnen Praxisprobleme gewählt.301 Den Begriff der Willenserklärung hat er dabei nicht legaldefiniert, so dass sich Literatur und Rechtsprechung eine Spielwiese für wissenschaftliche Über legungen über deren Definition bot, und weiterhin bietet. Herrschend ist gegenwärtig die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit.302 Hinter ihr stehen Rn. 22 (juris) = NJW 1988, 2878 (2879); Urt. v. 28.6.1971 – III ZR 103/68 Rn. 22 (juris); Palandt/Ellenberger, § 133 Rn. 17; Kellmann, JuS 1971, 609 (611); kritisch Staudinger/Singer (2017), § 133 Rn. 50; zwar kann – ohne ausdrückliche oder konkludente Vertragsänderung – die bloße Auslegung einen bereits geschlossenen Vertrag nicht nachträglich ändern, jedoch kann das Verhalten beider Parteien nach Vertragsschluss, insbesondere im Zuge der Vertragserfüllung, deutliche Hinweise darauf geben, wie die Parteien ihre Vertragserklärung selbst verstehen und damit auch von Dritten verstanden wissen wollen. 300 D.I., D.II. und D.III. 301 D.IV.1. 302 D.IV.5.c).
162
D. Die Privatautonomie zwischen Wille und Erklärung
Überlegungen der Zurechnung, so dass die Frage aufgeworfen ist, was eine solche Zurechnung eigentlich ausmacht.303 Die Bestimmung und Auslegung von Willenserklärungen nach §§ 133, 157 BGB umfasst sowohl den Erklärungstatbestand als auch dessen Umstände, wie etwa die vorvertragliche Kommunikation der Beteiligten.304 Gemäß § 133 BGB ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu ergründen, so wie er seinen Ausdruck in der Erklärung gefunden hat. Dabei ist gemäß § 157 BGB der Standpunkt des Erklärungsadressaten einzunehmen, wobei sich der zugrunde zu legende Verständnishorizont nach dem Maßstab eines durchschnittlich verständigen Teilnehmers des von der Erklärung adressierten Verkehrskreises bestimmt.305 Die Rechtsfigur der falsa demonstratio non nocet steht nicht im Einklang mit §§ 133, 157 BGB.306 Bei genauerer Betrachtung lassen sich dieselben Ergebnisse meist über eine konsequente Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregeln307, eine konkludente Vertragsänderung im Zuge der Vertragserfüllung308 oder über § 242 BGB erzielen.309 Im Übrigen gilt schlichtweg das von den Parteien objektiv Erklärte.310
303 D.IV.6. 304 D.V.4. 305 D.V.3.
und D.V.5.
306 D.V.6.c).
307 D.V.6.d)bb). 308 D.V.6.d)cc).
309 D.V.6.d)dd). 310 D.V.6.d)dd).
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht I. Der Begriff der Zurechnung 1. Allgemeiner Zurechnungsbegriff Die Bestimmung der Zurechenbarkeit eines bestimmten Sachverhalts zu einer Person erfordert zuerst eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Zurechnung sowie deren allgemeinen und rechtlichen Voraussetzungen. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis stellt die Zurechnung eine Verbindung zwischen einem Objekt oder einer Handlung (Seinstatbestand), dem Zurechnungsgegenstand, auf der einen und einer Person (Subjekt), dem Zurechnungsadressaten, auf der anderen Seite her.1 Gemeint ist das wertende Inbeziehungsetzen zweier Gegenstände.2 Wird etwas einer Person zugerechnet, so gehören Zurechnungsgegenstand und Zurechnungsadressat als eine Einheit zusammen. Damit steht noch nicht fest, wie Zurechnung geschieht, also auf welcher Grundlage sie erfolgt.3 Vielmehr ist der Begriff der Zurechnung bloß ein Oberbegriff für verschiedene Arten, Gründe oder Prinzipien einer möglichen Verknüpfung, wie etwa Kausalität oder Verschulden. 2. Rechtlicher Zurechnungsbegriff a) Zurechnung im Sinne von Verantwortung oder Verantwortlichkeit Eine gesetzliche Definition eines rechtlichen Zurechnungsbegriffs gibt es nicht.4 Trotz des einheitlichen Grundgedankens, der hinter dem Begriff der 1 Siehe nur Brehmer, Wille und Erklärung, S. 106; Esser, Gefährdungshaftung, S. 51, 70; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 71 ff., 143 f.; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 51; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 63; Hardwig, Die Zurechnung, S. 7; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 96; Schiefer, Strukturen der Erfolgszurechnung im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, S. 5 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 140 f. 2 Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 61, 71; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 61, 141; Fabricius, JuS 1966, 1 (5). 3 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 608 f. 4 Bork, BGB AT, Rn. 1322.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Zurechnung steckt, wäre eine einheitliche Begriffsbestimmung aufgrund der verschiedenen Arten von Zurechnung auch kaum möglich, zumindest nicht besonders sinnvoll.5 Zurechnung im rechtlichen Sinne ist jedoch tendenziell negativ konnotiert. Vorwiegend geht es um die Zuordnung von Schuld6 bzw. Verantwortlichkeit für eine Handlung7 oder Tat8, einen Erfolg,9 allgemeiner gesprochen von Verhalten im Geschäftskreis,10 und der Ersatzpflicht für einen Schaden,11 hat also freiheitsbeschränkenden Charakter.12 Verwendung findet der Begriff insbesondere im Strafrecht und Zivilrecht, dabei zuvorderst in dem dem Strafrecht strukturell ähnlich gelagerten Deliktsrecht, wenn es also um die Frage geht, inwieweit einer Person ein Delikt als Täter zuzurechnen ist. Die Vielschichtigkeit des Zurechnungsbegriffs wird bereits im Strafrecht deutlich, wo etwa nicht bloß die Zurechnung einer Tat zu einer Person, also die äußere Verknüpfung mit einer Person, von Bedeutung ist, sondern auch die Zurechnung der Tat zu der für die Tat verantwortlichen Person, also um eine Art innere Zurechnung, die als Zurechnungsfähigkeit bzw. Schuld fähigkeit bezeichnet wird.13 Im Zivilrecht spielt Zurechnung vor allem bei den Verkehrspflichten14 sowie bei der Gefährdungshaftung15 eine Rolle, also bei Konstellationen, in denen es um die Haftung für ein Schadensereignis geht, das nicht unmittelbar mit der Handlung einer Person verknüpft ist. In 5 In
diese Richtung bereits Bork, BGB AT, Rn. 1322. Selbstbindung ohne Vertrag, S. 107; siehe ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 108 f.; so schon die Hegelianer, siehe hierzu nur die zusammenfassende Darstellung bei Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 60; siehe zudem auch Gottwald, in Karlsruher Forum 1986, S. 3 (7). 7 Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 51, 60; siehe schon Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 31; Gottwald, in: Karlsruher Forum 1986, S. 3 (7). 8 Flume, BGB AT, § 10, 5 (S. 131); Larenz, Methode der Auslegung, S. 71 f.; siehe zudem HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 17. 9 Schiefer, Strukturen der Erfolgszurechnung im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, S. 5 ff., 9, insbesondere in Abgrenzung zur Vorwerfbarkeit (S. 10). 10 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 468; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 141 f. 11 So ist wohl Bork, BGB AT, Rn. 1322 ff., 1325, 1328 zu verstehen, für den Verantwortlichkeit die Rechtsfolge der Zurechnung ist, nicht deren Legitimation (Rn. 1325); Hardwig, Die Zurechnung, S. 7; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 108, für den Zurechnung das Einstehenmüssen für ein schadenstiftendes Ereignis meint und die Verantwortlichkeit für das Ereignis und dessen Folgen rechtfertigt. 12 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 107. 13 Siehe Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 58. 14 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 112. 15 Siehe nur Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 56 erläuternd Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 116. 6 Köndgen,
I. Der Begriff der Zurechnung165
der Rechtsgeschäftslehre ist Zurechnung gleich doppelt relevant, zum einen bei der Frage, ob eine Person für einen (objektiven) Erklärungstatbestand verantwortlich ist, zum anderen, ob der Erklärungstatbestand eine Willenserklärung im Rechtssinne des BGB ist, so dass daraus rechtsgeschäftliche Rechtsfolgen hervorgehen können.16 Neutraler formuliert meint Zurechnung die Selbstverantwortung einer Person für ihr Verhalten und ihren Geschäftskreis.17 b) Tatsächliche, normative und Zurechnung qua Gesetz Das Recht kennt Zurechnung in unterschiedlichem Gewand. Eine terminologische Unterteilung in tatsächliche Zurechnung, normative Zurechnung und Zurechnung aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung bietet sich an. Die tatsächliche Zurechnung soll dabei die unmittelbare Verknüpfung zwischen einem Gegenstand (z. B. einem Fahrrad) oder einem Taterfolg (z. B. eine durch Steinwurf zerbrochene Fensterscheibe) mit einer Person (dem Fahrradfahrer bzw. dem Steinwerfer) bezeichnen. Sie besteht aus zwei Komponenten. Erstens aus der (äußeren) Verknüpfung des Geschehens, gemeint sind damit die Vorgänge, die von außen durch andere Personen beobachtet werden können, mit der Person eines potentiellen Zurechnungsadressaten. Zweitens aus der inneren Verbindung mit dieser Person, gemeinhin als Zurechnungsfähigkeit bezeichnet, die insoweit Vorbedingung für den weiteren Vorgang der Zurechnung ist.18 Während die äußere Zurechnung von rein deskriptiver Natur sein mag, geht es bei der Zurechnungsfähigkeit – zumindest auch – um eine normative Überlegung. Zwar kann zweifelsohne beobachtet werden, dass der Steinwerfer die Fensterscheibe mit dem Stein beschädigt hat, so dass diese zu Bruch gegangen ist. Doch ob diese Tat für ihn auch (rechtliche) Konsequenzen hat, also ob er für den dadurch entstandenen Schaden aufkommen muss, ist damit noch nicht gesagt. Eine Antwort darauf ließe sich einerseits vollkommen abstrakt aufgrund allgemeiner normativer Erwägungen finden,19 andererseits könnte sie der dazu berufene Gesetzgeber durch eine (unmittelbare oder bloß mittelbare) gesetzliche Regelung geben, 16 Grundlegend bekanntlich BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 = BGHZ 91, 324 (330). 17 Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 96; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 108. 18 Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 17, 63 unterscheidet in ähnlicher Weise nach der Zurechnung des Erklärungszeichens als Problem der Abgabe der Willenserklärung und des Erklärungsinhalts als Problem der Auslegung. 19 Man denke etwa an die insbesondere aus dem Strafrecht bekannte Unterscheidung von (unmittelbarer) Kausalität und objektiver Zurechnung, siehe dazu nur Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 1 ff., 38 ff.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
deren Tatbestandsvoraussetzungen so konkret formuliert sind, dass nach deren Rechtsfolge die betreffende Person die Folgen der Tat tragen muss.20 So würde das Gesetz die Zurechnung infolge einer normativen Entscheidung des Gesetzgebers unmittelbar selbst treffen.21 Während die Zurechnung fremden Verhaltens auf diese Weise innerhalb eines gesetzlichen Tatbestandes erfolgen kann, ist dies aber auch aufgrund einer gesetzlichen Zurechnungsnorm22 wie §§ 31, 164, 278 BGB möglich, die das Verhalten einer Person mit Wirkung für eine andere, nämlich die bezogene Norm23, ausdrücklich zurechnet. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 164 Abs. 1 BGB wird das rechtsgeschäftliche Handeln einer Person (Vertreter) einer anderen Person (Vertretener) ausdrücklich als deren rechtsgeschäftliches Handeln zugerechnet, mit anderen Worten, es wird von Gesetzes wegen so getan, als habe der Vertretene selbst gehandelt.24 c) Zurechnung im engeren Sinne Diesem weiten Verständnis des rechtlichen Zurechnungsbegriffs, der gewissermaßen als abstrakter Oberbegriff gleichermaßen sowohl für die Verknüpfung einer Person mit ihrem von außen beobachtbaren Verhalten, als auch für die damit verbundene rechtliche Wertung Verwendung findet,25 wird ein enges Begriffsverständnis entgegengesetzt. So sei Zurechnung die Zuordnung („Addition“) tatbestandsrelevanter Verhältnisse zu einem Rechtssubjekt im Rahmen einer Gesamtschau.26 Danach beträfe Zurechnung bloß die Frage, ob bei Nichterfüllung bestimmter Tatbestandsmerkmale einer Gesetzesnorm durch das Verhalten einer Person das Verhalten von anderen Personen – also Verhalten (gemeint ist: das Ereignis, der Taterfolg), das man 20 Wer mit einem Stein eine Fensterscheibe einwirft, muss die Fensterschreibe reparieren oder die mit einer Reparatur verbundenen Kosten tragen. 21 Bork, BGB AT, Rn. 1328 spricht begrifflich eher von Haftung als von Zurechnung. 22 So die Begriffsverwendung bei Bork, BGB AT, Rn. 1324. 23 Zu dieser Terminologie erneut Bork, BGB AT, Rn. 1324; siehe zudem Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 64. 24 Neuner, BGB AT, § 49 Rn. 2. 25 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 93. 26 Bork, BGB AT, Rn. 1324, wobei insoweit zwischen der Norm, in Bezug auf die etwas zugerechnet werden soll (= bezogene Norm), und der Norm, die die Zurechnung erst ermöglicht (= Zurechnungsnorm), unterschieden werden müsse, erstere sei etwa § 433 BGB, letztere beispielweise § 164 BGB; siehe dazu Brehmer, Wille und Erklärung, S. 106; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 71 ff., 143 ff.
I. Der Begriff der Zurechnung167
in tatsächlicher (äußerer und innerer) Hinsicht27 zuvorderst diesen anderen Personen als deren unmittelbares Verhalten zurechnen würde – insoweit im Ergebnis der einen Person zuzuordnen ist, so dass aufgrund einer Gesamtschau bzw. Zusammenrechnung sämtlicher Elemente der betreffende gesetzliche Tatbestand insgesamt als erfüllt anzusehen ist. Festzuhalten ist, dass die Zurechnung eines Zurechnungsgegenstandes zu einem Zurechnungsadressaten die gleichzeitige Zurechnung zu einem anderen, möglicherweise sogar entfernteren Zurechnungsadressaten keineswegs und schon gar nicht grundsätzlich ausschließt. Aus logischer Sicht muss jedoch zuvor geprüft werden, ob es zur Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes überhaupt einer Zurechnung bedarf, oder ob nicht etwa durch (sachgerechte) Auslegung28 – beispielsweise im Wege eines weiten Verständnisses von (normativen) Begriffen im gesetzlichen Tatbestand der betreffenden Vorschrift – erreicht werden kann, dass das Verhalten des Rechtssubjekts bereits unmittelbar vom Tatbestand erfasst wird, so dass mangels unerfüllter Tatbestandsmerkmale keine Zurechnung fremden Verhaltens erforderlich ist. Bei einer solchen Herangehensweise kommt es zum einen auf das rechte Maß der Auslegung der Rechtsbegriffe, zum anderen auf die Deutung des Verhaltens des Rechtssubjekts an. Nach einer an dem Schadensgedanken orientierten, engen Definition des Zurechnungsbegriffs stellt Zurechnung eine Beziehung zwischen dem Schadensereignis und dem Ersatzpflichtigen her, die eine Verantwortlichkeit des Zurechnungsadressaten für dieses Ereignis und seine Folgen rechtfertigt.29 Diese Definition ist einerseits enger als die vorherige, soweit sie sich bloß auf die Zuordnung von Schadensereignissen beschränkt, zugleich ist sie jedoch weiter, weil sie nicht zwingend festlegt, welche Beschaffenheit eine Zurechnung aufweisen muss, um Zurechnung in diesem Sinne zu sein, also ob es sich – in der hier vorgenommenen Kategorisierung – um eine tatsächliche, normative oder gesetzliche Zurechnung handeln muss.30 d) Zurechnung und Haftung Während alleine schon sprachlich erst durch den Vorgang des Zurechnens eine Verbindung zwischen zwei Dingen entstehen soll, wo bislang keine Verbindung ist, suggeriert der Begriff der Haftung, dass einer Sache etwas 27 Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 608; siehe dazu auch bereits unter E.I.2.b). 28 Diese Frage stellt sich bereits Bork, BGB AT, Rn. 1330. 29 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 108; ebenso Hardwig, Die Zurechnung, S. 7; siehe dazu bereits unter E.I.2.b). 30 Siehe dazu bereits unter E.I.2.b).
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
anhaftet, eine feste Verbindung zwischen zwei Dingen also bereits besteht. Zurechnung bezeichnet somit einen Vorgang, bei dem etwas Fremdes aufgrund eines Zurechnungsgrundes, etwa einer gesetzlichen Anordnung durch eine Zurechnungsnorm, zugeordnet wird. Haftung hingegen bezeichnet Verantwortlichkeit für etwas Eigenes,31 meist für einen Schaden.32 Demnach dienen Haftungsnormen nicht der Überwindung defizitärer Tatbestandsverwirklichung einer bezogenen Norm,33 sondern enthalten den maßgeblichen Tatbestand, dessen Verwirklichung zum Schadensersatz oder zu einer anderweitigen Haftung führt, ausschließlich und vollständig selbst, wie etwa im Falle des § 831 BGB.34 Zurechnung sei somit für den Tatbestand einer Norm relevant, während Haftung die Rechtsfolgenseite betreffe.35 Eine derart strenge Unterscheidung von Eigenverantwortlichkeit (Haftung) einerseits und Fremdverantwortlichkeit (Zurechnung) andererseits ist jedoch keineswegs zwingend. Haftung lässt sich vielmehr auch als Oberbegriff im Sinne von Verantwortlichkeit für bestimmtes Verhalten definieren, während eine Zurechnung in manchen Fällen überhaupt erst dafür sorgt, dass – meist aufgrund entsprechender ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung – die Verantwortlichkeit eines bestimmten Rechtssubjekts besteht. Ob jemand für etwas haftet, hängt somit möglicherweise davon ab, ob ihm in tatsächlicher Weise, normativer Weise oder qua Gesetz ein fremdes Verhalten zugerechnet wird.36 Ein Beispiel für eine (eigene) Haftung aufgrund eines gesetzlich zugerechneten (auch) fremden Verhaltens ist § 831 BGB, in dessen Tatbestand das Verhalten einer anderen Person, des Verrichtungsgehilfen, eine zumindest mitentscheidende Rolle spielt. Ohne Existenz und tatbestandsmäßiges Verhalten des Verrichtungsgehilfen kann der Tatbestand nicht erfüllt sein. Etwas abstrakter formuliert könnte man Haftung demnach als rechtliche Verantwortlichkeit für Geschehnisse in der Welt (Ereignisse; Taten; Schäden) definieren, während Zurechnung bloß die Verknüpfung eines Geschehnisses mit einer Person bedeutet, ohne dass damit schon zwingend eine rechtliche Verantwortlichkeit verbunden wäre. Innerhalb des § 831 BGB wird dem Ge31 In diese Richtung zwischen Zurechnung und Haftung unterscheidet Bork, BGB AT, Rn. 1328; ebenso schon Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470, der jedoch statt von Haftung von Haftungsgrund spricht, aber wohl dasselbe meint. 32 Siehe nur das Selbstverständnis des ersten Satzes „Das Haftungsrecht nimmt als Ausgangspunkt den Schaden.“ bei Deutsch, JZ 1968, 721; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 471. 33 Siehe dazu bereits unter E.I.2.c). 34 In dieser Weise konkretisierend insbesondere Bork, BGB AT, Rn. 1328. 35 Bork, BGB AT, Rn. 1328; ähnlich ist wohl Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 142 zu verstehen. 36 So muss wohl auch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 615 verstanden werden; siehe dazu schon unter E.I.2.b).
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien169
schäftsherrn das Verhalten des Verrichtungsgehilfen zugerechnet. Ob daraus eine Verpflichtung zum Schadensersatz folgt, hängt dann natürlich noch von weiteren Voraussetzungen ab, die tatbestandlich erfüllt sein müssen, etwa der Qualifikation des Verrichtungsgehilfen als solchen und dem Misslingen der Exkulpation (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB). e) Verschiedene Arten gesetzlich geregelter Zurechnungsgegenstände Das geschriebene Recht kennt eine Reihe verschiedener Arten von Zurechnungsgegenständen.37 Zugerechnet wird beispielsweise das Verhalten fremder Personen, so etwa rechtsgeschäftliches Vertreterhandeln gemäß § 164 Abs. 1 BGB oder das Handeln als Bote, sowie das Verhalten, das im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Schadensersatzansprüchen steht, wie etwa bei § 31 BGB, oder von Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB. Bei Verträgen zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) werden hingegen positive Wirkungen Dritten zugerechnet, bei Verträgen (mittelbar) zu Lasten Dritter (hypothetisch) negative Wirkungen. Bei Verträgen mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter erfolgt eine Zurechnung von Schutzwirkungen i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB.38 Allerdings findet nicht nur eine Zurechnung äußeren Geschehens, sondern auch innerer Vorgänge statt, wie etwa in Form von Wissen, so etwa bei § 166 Abs. 1 BGB. Als Zurechnungssperren fungieren umgekehrt die Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit gemäß §§ 104 ff. BGB im rechtsgeschäftlichen Bereich, das Pendant der Deliktsfähigkeit nach §§ 827, 828 BGB bei zivilrechtlichen Delikten sowie im Strafrecht §§ 16, 17 und §§ 19–21 StGB.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien 1. Die Willenserklärung als Zurechnungstatbestand Die Willenserklärung als Zurechnungstatbestand39 oder Zurechnungsmechanismus zu verstehen, kommt nach Ansicht von Rechtsprechung40 und 37 Siehe Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 881 ff.; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 64. 38 Es ist einzig eine Frage der eingenommenen Perspektive, ob man die Ansicht vertritt, der Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter erweitere den Schutzbereich, so dass auch bestimmte Dritte erfasst werden, oder ob dem insoweit gemäß § 241 Abs. 1 BGB Verpflichteten zusätzlich weitere Schutzverpflichtete unter den entsprechenden Voraussetzungen zugerechnet werden. 39 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 15, 26 f.; Schnell, Signaturmissbrauch, S. 166 f., 173; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 67, 107, 109, 112 f., 138, 164; auch angedeutet von Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 57; so ausdrücklich Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet,
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
herrschender Lehre41 derjenigen Lösung für die zwischen dem Erklärenden und dem Erklärungsadressaten potentiell auftretenden Konflikte am nächsten, die die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre des BGB durch ihr Zusammenspiel anstreben, namentlich die normative Einordnung der betreffenden gegensätzlichen Interessen und ihr sachgerechter Ausgleich.42 Der Erklärungsinhalt der Willenserklärung wird einer bestimmten bzw. bestimmbaren Person zugerechnet, somit eine Beziehung zwischen beiden hergestellt,43 zumindest vorläufig.44 Ob und wie, also mit welchem Inhalt, eine Willenserklärung vorliegt, und wer ihr Erklärender sein soll, bestimmt sich wie gewohnt durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB.45 Nur auf den ersten Blick ist dabei die Bestimmung der Person des Erklärenden unproblematisch, denn Erklärender kann diejenige Person sein, die sich gemäß §§ 133, 157 BGB aus der Erklärung und ihren Umständen als erklärende Person ergibt, oder der wirkliche Absender der Erklärung, wenn sich beide voneinander unterscheiden. Stehen aber Zurechnungsgegenstand (Erklärung bzw. auszulegende Erklärungszeichen) sowie Zurechnungsadressat (Erklärender) fest, stellt sich die schließlich entscheidende Frage nach der Qualität des Zurechnungskriteriums (auch Zurechnungsprinzip, Zurechnungsgrund oder Zurechnungsweise), nach welchem sich bestimmt, wann und wie das Zurechnungsband zwischen Gegenstand und Adressat geknüpft ist. Die wohl stärkste rechtsgeschäftliche Zurechnungsverbindung ist der punktuell zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung tatsächlich vorhandene, auf die aus objektiv-normativer Sicht erklärte S. 72 ff.; siehe zudem die Darstellung bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 175; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 140 ff.; Kellmann, JuS 1971, 609 (614 ff.); kritisch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 430; deutlich früher schon Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 271, 272, 556, 560; ders., Irrtum und Auslegung, S. 115, 219, 243, 246 f., 250 f., 262; ders., Das rechtswirksame Verhalten, S. 97, 158 f., 221 f., wobei Vertrauen und Verschulden erhebliche Elemente des Tatbestandes seien; zudem Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (221, 225). 40 Grundlegend BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 (juris) = BGHZ 91, 324. 41 Siehe nur die zusammenfassende Darstellung bei MüKoBGB/Armbrüster, Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 3 f.; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 1, 8, 33 ff.; zur historischen Entwicklung Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 70 ff.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (218 f.); siehe zudem bereits unter D.IV.6.c). 42 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 109; Westermann, JuS 1964, 169 (177); kritisch hingegen etwa Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 162 und Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 19 ff. 43 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 108; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 93 f.; siehe zudem Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 379 ff. 44 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 110. 45 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 112 f.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien171
Rechtsfolge gerichtete Wille des Erklärenden.46 Wie jedoch die Möglichkeit der Fortgeltung von nachweislich nicht gewollt, bloß irrtümlich Erklärtem nach Ablauf der Anfechtungsfrist zeigt, kann ein solcher Wille nicht der einzige, dauerhaft beständige Zurechnungsgrund für eine Willenserklärung sein. Zu diskutieren sind daher andere mögliche Zurechnungskriterien. Denkbar sind zum einen rein objektive Kriterien, wie die Kausalität des Verhaltens des Erklärenden oder das Setzen bzw. Erhöhen eines Risikos durch den Erklärenden, wodurch die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses wächst. Zum anderen sind Kriterien möglich, die jedenfalls auch über eine subjektive Komponente verfügen, wie das Verschulden. Zu bedenken ist, dass je nach Qualität des Zurechnungskriteriums dessen Wirkung stärker oder schwächer ist, so dass mehr oder weniger Sachverhalte erfasst, und daher mehr oder weniger zugerechnet werden. Sämtlichen, ernsthaft in Frage kommenden Zurechnungskriterien muss ein wertendes Element gemein sein. Denn schon in der bloßen Überlegung, wann ein Ereignis, ein Vorgang oder eine sonstige Tatsache mit einer Person verknüpft sein soll, steckt eine normative Wertung, selbst wenn sie – wie im Falle der Kausalität – auch noch so gering sein mag. Aus rechtsdogmatischer Sicht sind bei der Diskussion möglicher Zurechnungskriterien insbesondere zwei Aspekte von Bedeutung. Erstens die jeweilige Eignung, im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften rechtsgeschäftliche Wirkungen hervorzubringen. Zweitens, darauf aufbauend, ob diese Wirkungen von vorneherein dauerhaft und beständig sind, oder – zumindest im Ergebnis – eine bloß negative Zurechnung in Form einer Haftung für Vertrauensschäden i. S. v. §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 2 BGB droht. Die nachfolgende Untersuchung möglicher Zurechnungskriterien beleuchtet diese daher aus zwei Blickwinkeln, zum einen im Hinblick auf ihre ab strakte Geeignetheit zur Erzeugung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen, zum anderen, inwieweit das BGB ihnen konkret, möglicherweise sogar ausdrücklich, rechtsgeschäftliche Wirkungen zuschreibt. Die These, die Rechtsgeschäftslehre beruhe einzig auf dem erklärten freien Willen ihrer Akteure, ist vor dem Hintergrund der doch recht zahlreichen Durchbrechungen des Gesetzes selbst (§§ 116 ff., 119 ff., 172 ff. BGB) und den darüber hinausgehenden Entwicklungen in der Rechtsprechung47 nicht haltbar.
46 Diese Funktion des Willens betonend Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (219). 47 In dieser Hinsicht maßgebend etwa BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 (juris) = BGHZ 91, 324.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
2. Das Stellvertretungsrecht als paradigmatischer Ausgangspunkt für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen Im Stellvertretungsrecht wird das Handeln einer Person unter bestimmten Voraussetzungen einer anderen Person zugerechnet. Möglicherweise lassen sich den §§ 164 ff. BGB deshalb Anhaltspunkte und grundlegende Wertungen entnehmen, nach welchem Muster die Rechtsgeschäftslehre Personen Erfüllungsverpflichtungen auferlegt, also rechtsgeschäftliche Wirkungen hervorruft. Nach § 164 Abs. 1 BGB ist dies der Fall, wenn der Zurechnungsadressat individualisiert ist („im Namen des Vertretenen“) und der Erklärungstatbestand diesem aufgrund eines Zurechnungsbandes zugerechnet werden kann („zustehenden Vertretungsmacht“). Was vordergründig bloß als Zurechnungssystem für die Fremdwirkung von Willenserklärungen erscheint, könnte bei genauerer Betrachtung Ausdruck des Kerngedankens der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre sein, welcher Elemente es für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen notwendigerweise bedarf.48 Auf den ersten Blick mag es zwar tautologisch erscheinen, als Modell der Zurechnung einer Willenserklärung zu einer Person mit den Vorschriften der §§ 164 ff. BGB ein Modell der Zurechnung von Willenserklärungen heranzuziehen, bei dem Voraussetzung ist, dass bereits einer Person (dem Vertreter) ein Erklärungstatbestand als deren Willenserklärung zugerechnet wird. Doch soll es bei dieser Betrachtung bloß um den Mechanismus der Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen als solchen, sowie um die erforderliche Qualität des Zurechnungskriteriums gehen. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB spricht von „innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht“, die in einer Vollmacht i. S. d. § 167 Abs. 1 BGB oder einer gesetzlichen Vertretungsmacht bestehen kann. Da die Vollmacht ihrerseits eine Willenserklärung ist, muss weiter beleuchtet werden, unter welchen Voraussetzungen das Gesetz im Einzelnen und in einer Gesamtschau – gewissermaßen im weitesten Sinne – Vertretungsmacht verleiht. Übertragen auf die Zurechnung eines Erklärungstatbestandes als Willenserklärung einer Person bedeutet dies, dass die Anforderungen an die Qualität des Zurechnungsbandes womöglich aufgrund einer wertenden Gesamtschau der Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre zu bestimmen sind, bei der die §§ 164 ff. BGB ein Teil der zu untersuchenden Elemente sind. 3. Zurechnung durch Beweis Ein bestimmtes Verhalten (Handlungen; Unterlassen) oder ein bestimmtes Ereignis könnten durch Beweis einer zu bestimmenden Person als deren Verhalten bzw. Erfolg zugerechnet werden. In diesem Fall wären etwa Er48 So
wohl schon Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 130.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien173
klärungszeichen, die aus objektiv-normativer Empfängersicht gemäß §§ 133, 157 BGB den Tatbestand einer Willenserklärung erfüllen, als von der Person stammend anzusehen, die diese Erklärungszeichen selbst abgegeben hat. Damit wäre der bloße Beweis von Tatsachen eine mögliche Zurechnungsweise. Falls bewiesen werden könnte, dass eine bestimmte Handlung von einer Person vorgenommen worden ist oder eine Person etwas Bestimmtes gedacht oder sich vorgestellt hat, würde diese Handlung bzw. Vorstellung dieser Person als ihre Handlung bzw. ihre Vorstellung zugerechnet. Könnte hingegen kein solcher Beweis erbracht werden, so würde keine Zurechnung erfolgen. Im Falle der Willenserklärung bedeutete Zurechnung durch Beweis, dass nur dann eine Willenserklärung einer Person vorläge, wenn diejenige Partei, die sich später auf die Existenz der Willenserklärung beruft, zur Überzeugung des angerufenen Gerichts beweisen könnte (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass diese Person die betreffenden Erklärungszeichen abgegeben hat und diese den wirklichen Willen der Person zum Zeitpunkt der Abgabe abbilden. Eine solche Zurechnung durch bloßen Beweis würde jedoch die dem Recht zugrunde liegende klare Unterscheidung von Tatsachen einerseits und ihrer rechtlichen Wertung andererseits verkennen. Diese Unterscheidung findet ihren Niederschlag vor allem in der Differenzierung von materiellem und prozessualem Recht. Eine derartige Zurechnung würde den Eindruck erwecken, als seien die in den gesetzlichen Tatbeständen verwendeten Termini keine auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe, die mittels der Auslegungs methoden auszulegen wären, sondern eine exakte Bezeichnung von Tatsachenvorgaben, die stets auf den Begriffskern beschränkt bleibt. Die Grenze der Auslegung und damit auch die natürliche Grenze der Definition von Rechtsbegriffen ist deren Wortlaut.49 Wie innerhalb dieser Wortlautgrenze aus den denkbaren Möglichkeiten eine Definition bestimmt wird, ist dann eine normative Frage, die argumentativ anhand weiterer Überlegungen zu beantworten ist.50 Vor diesem Hintergrund ist die Willenserklärung begrifflich nicht nur die Erklärung des wirklichen Willens einer Person, sondern ein Rechtsbegriff, durch den auch weitere Sachverhalte erfasst werden können, wie alleine schon das Anfechtungsrecht der §§ 119 ff. BGB zeigt. Wer durch Beweis zurechnen möchte, muss sich zuvor notwendig die Frage stellen, was überhaupt zu beweisen ist, also welche Tatsache vorliegen muss. Bei der Willenserklärung ist also zunächst zu bestimmen, was genau Wille, was Erklärung 49 Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 I (S. 39 f.); in diese Richtung zudem Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 67 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 22 Rn. 731, 737. 50 Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 I ff. (S. 39 ff.).
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
und was somit Willenserklärung im Rechtssinne ist, um anschließend schlussfolgern zu können, welche Sachverhaltskonstellationen davon erfasst werden. So könnte man etwa zu der Erkenntnis gelangen, dass mit Wille im Rechtssinne nicht nur der wirkliche Wille der Person bezeichnet wird, sondern auch, was die Person selbst für ihren wirklichen Willen hält (die eigene Wahrnehmung des Willens) oder das, was andere Personen aufgrund der wahrnehmbaren Gesamtumstände für den Willen der Person halten (die fremde Wahrnehmung des Willens). Für die Diskussion um die Zurechnung von Verhalten oder Ereignissen zu einer Person bedeutet dies, dass stets zuvorderst zu definieren ist, von welcher Beschaffenheit die Zurechnungskriterien von Rechts wegen sein müssen, also welche Tatsachen insoweit vorzuliegen haben. Der Beweis als solcher ist somit kein eigenständiges Zurechnungskriterium, sondern lediglich ein Hilfsmittel zur Bestimmung von Tatsachen, die ihrerseits Bestandteil des eigentlichen Zurechnungskriteriums sind. 4. Zurechnung durch Auslegung Spiegelbildlich zur Möglichkeit der Zurechnung einer Willenserklärung durch Beweis ist die Zurechnung durch Auslegung zu diskutieren.51 Im Zentrum der Diskussion könnte dabei eine modifizierte Definition der Willenserklärung stehen, definiert als Erklärung, die aus objektiv-normativer Empfängersicht gemäß §§ 133, 157 BGB als Kundgabe des Rechtsfolgewillens derjenigen Person erscheint, die als Erklärender aus dem Erklärungstatbestand selbst oder ihren Umständen hervorgeht. Die Auslegung würde in diesem Fall nicht nur das Ob und das Wie der Willenserklärung bestimmen, sondern auch die Person des Erklärenden. Insoweit läge im Vorgang der Auslegung sowohl die Zurechnung der Erklärungszeichen zu einer Person als deren Urheber, als auch die Zurechnung des Erklärungstatbestandes als Willenserklärung des aus ihr ersichtlichen Erklärenden. Nach diesem Verständnis wäre Auslegung eine Möglichkeit der Zurechnung und nicht bloß ein der Zurechnung vorausgehender Vorgang.52 Zwei Beispiele verdeutlichen diesen Gedanken: A unterschreibt eigenhändig ein Vertragsangebot des B und schickt das unterschriebene Dokument 51 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 115 f.; in diese Richtung für die Computererklärung als Willenserklärung Süßenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet, S. 72 ff.; ebenso angedeutet von Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 74, 94; Kellmann, JuS 1971, 609 (612 ff.); siehe zur Auslegung von Willenserklärungen zudem bereits unter D.V. 52 So aber Bork, BGB AT, Rn. 1330, der Zurechnung als eine Form des Ausgleichs defizitärer Tatbestandsverwirklichung begreift, wobei die Defizität gerade nicht gegeben wäre, wenn ein Sachverhalt bereits durch eine bestimmte Variante der Auslegung vom gesetzlichen Tatbestand erfasst würde.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien175
per Brief an B. In der Abwandlung schickt C den Brief mit wortgleichem Inhalt an B, wobei C die eigenhändige Unterschrift des A täuschend echt nachahmt. Genauso eindeutig, wie im Ausgangsfall gemäß der herrschenden Definition eine Willenserklärung des A vorliegt, ist dies in der Abwandlung zu verneinen. Zwar liegt auch im zweiten Beispiel der objektive Tatbestand einer Willenserklärung des A vor, jedoch nicht einmal ansatzweise der subjektive Tatbestand, denn es fehlt bereits der Handlungswille. Rechnete man Erklärungstatbestände jedoch durch bloße Auslegung als Willenserklärung den Personen zu, die aus der Erklärung selbst und ihren Umständen als Erklärender hervorgehen, läge in beiden Konstellationen eine Willenserklärung des A vor. Eine solche Zurechnung durch Auslegung bedeutete maximalen Vertrauens- und Verkehrsschutz.53 Erklärungsempfänger und Rechtsverkehr würden dadurch den stärksten Schutz erfahren, denn auf einen Erklärungstatbestand, der als Willenserklärung einer bestimmten Person erscheint, wäre grundsätzlich Verlass. Doch wäre eine solche Zurechnung verfassungswidrig, da sie mangels eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes gegen die wesentlichen Grundgedanken der (negativen) Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG, insbesondere gegen die darin verankerte Vertragsfreiheit in Form der Vertragsabschlussfreiheit verstoßen würde.54 Verträge zu Lasten Dritter lässt die Privatrechtsordnung nicht zu.55 In der Abwandlung gibt es keinerlei Ursprungsimpuls des A, auf die sich die von C in die Welt gesetzte Erklärung zurückführen ließe. Rechnete man ihm die Erklärung dennoch durch Auslegung zu, hätte C einen Vertragsschluss veranlasst, der A gegenüber B verpflichtete, obwohl A damit in keinerlei Verbindung steht. Bloße Auslegung kann somit keine Zurechnung einer Willenserklärung begründen. 5. Verantwortlichkeit Verantwortlichkeit als solche ist kein Zurechnungskriterium, sondern bezeichnet die Wertung, die mit einer erfolgreichen Zurechnung eines Zurechnungsgegenstandes zu einem Zurechnungsadressaten einhergeht.56 Wenn einer Person ein Verhalten zugerechnet wird, so ist sie für das zugerechnete 53 Siehe
hierzu bereits unter D.II.2. hierzu nur Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 31, 33 f. 55 Staudinger/Klumpp (2015), Vorb. zu §§ 328 ff. Rn. 53 ff. 56 Bork, BGB AT, Rn. 1325; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 51, 89 f.; Larenz, Methode der Auslegung, S. 81 ff., 83, 89, 90, 97, 105; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 137; so lässt sich auch Deutsch, JZ 1968, 721 verstehen, wenn er sagt, dass Verantwortlichkeit Zurechnung zum Willen heiße. 54 Siehe
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Verhalten verantwortlich, sie muss also für das Ergebnis (den Erfolg) ihres Verhaltens einstehen.57 Zurechnung als Vorgang und Verantwortlichkeit als Ergebnis dieses Vorgangs befinden sich auf einer Ebene, während die Kriterien der Zurechnung auf einer anderen Ebene zu bestimmen sind. Ob jemand für eine Tat verantwortlich ist, hängt davon ab, ob man ihm die Tat zurechnen kann. Verantwortlichkeit selbst ist somit ein abstrakter Begriff, der als solcher keinen Hinweis auf den inneren Grund, also das tragende Zurechnungskriterium für die Verantwortlichkeit gibt.58 6. Kausalität (Verursachung, Veranlassung59) Kausalität bezeichnet die Beziehung zwischen einer Ursache und ihrer Wirkung,60 umfasst somit notwendig auch den Zufall.61 Sie ist als notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Zurechnungskriterium sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht, dort vor allem im Delikts- und Schadensrecht, bekannt. Bei aktivem Tun kann eine Tat oder ein Schadensereignis nur dann einer Person als deren Tat zugerechnet werden, wenn ihr Handeln hierfür kausal geworden ist, also die Person durch ihr Handeln eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die die Tat oder das Schadensereignis zur Folge hatte.62 57 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 268; Schiefer, Strukturen der Erfolgszurechnung im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, S. 5 f.; siehe zudem Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 80. 58 In diese Richtung schon Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 79 ff., 336. 59 Zwischen Kausalität und Veranlassung differenzierend Hübner, Der Rechtsverlust, S. 102 f.; kritisch dazu Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 174; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474 ff. setzt Veranlassung und Kausalität begrifflich gleich; ebenso Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 127; Schiefer, Strukturen der Erfolgszurechnung im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, S. 11 setzt die Begriffe Verursachung und Kausalität gleich; ebenso Schulin, Kausalitätsbegriff, S. 85; auch Veranlassung und Verursachung sind Synonyme, siehe nur Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 88 und Marburger, AcP 173 (1973), 137 (154). 60 Siehe hierzu Röckrath, Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, S. 5 ff.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 119 f.; mangels spezifischer Klarheit aufgrund des Begriffs kritisch Schiefer, Strukturen der Erfolgszurechnung im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, S. 10 ff., der folglich weiter differenziert; ebenso differenzierter etwa Gottwald, in: Karlsruher Forum 1986, S. 3 (4); Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (219) Fn. 65 sieht das Veranlassungsprinzip als Teil des Risikoprinzips. 61 Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 61 f., 76. 62 Siehe nur Staudinger/Schiemann (2017), § 249 Rn. 8; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 86.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien177
Indes ist die Kausalität einer Handlung dabei bloß ein Zurechnungskriterium unter weiteren, die noch kumulativ hinzukommen müssen, welches als Hilfsmittel vor allem dazu dient, eine Reihe potentieller Zurechnungsadressaten bereits frühzeitig auszuschließen,63 viele jedoch auch nicht.64 Ob im Ergebnis eine Tat bzw. ein Handlungserfolg einer Person (dem im weitesten Sinne Handelnden) rechtlich als deren Tat zugerechnet wird, entscheidet sich erst nach Prüfung zusätzlicher, engerer Zurechnungskriterien.65 Im Strafrecht geschieht dies durch die objektive Zurechnung, das Verschulden und die Verschuldens- bzw. Zurechnungsfähigkeit,66 im Deliktsrecht durch die Kausalität im weiteren Sinne (haftungsbegründende Kausalität), Adäquanztheorie, Lehre vom Schutzzweck der Norm und darüber hinaus durch Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB).67 Dass Kausalität in manchen Konstellationen jedoch nicht einmal ein notwendiges Mindestkriterium für die Zurechnung einer Tat zu einer Person ist, also auch ein zu enges Kriterium sein kann, zeigt sich bei der Zurechnung eines Ereignisses zu solchen Personen, die nicht aktiv gehandelt, sondern eine Handlung unterlassen haben. Im streng naturwissenschaftlichen Sinne kann ein Unterlassen nie Ursache eines Ereignisses sein.68 Kausalität kann zwar ein Ereignis (Wirkung) mit einer Person (Ursache) verknüpfen. Sie taugt jedoch nicht zur Bestimmung der Verantwortlichkeit der Person, weil insoweit ein wertendes Kriterium als Legitimationsgrund für die Zurechnung fehlt.69 Dasselbe gilt 63 Kritisch ebenso Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 156 f.; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 62. 64 Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 57, 61; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474 spricht hinsichtlich der Kausalität sogar von einem Verzicht auf ein Zurechnungskriterium. 65 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 469; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 62; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 86 f.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 119, 131; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 147, 209; anders wohl HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 17 ff., 22, der eine Veranlassung genügen lassen will. 66 Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 1 ff., 38 ff. und § 24 Rn. 4 ff. 67 Staudinger/J. Hager (2017), § 823 Rn. A 1 ff., Staudinger/J. Hager (2009), § 823 H 1 ff.; Rönnau/Faust/Fehling, JuS 2004, 113 (115 ff.). 68 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474 f.; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 63. 69 In diese Richtung schon Canaris, Vertrauenshaftung, S. 469, 473 ff.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 474; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 174; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 96; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 131; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 188 f.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 119; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 147; Koller, WM 1981, 210 (211); Rönnau/Faust/Fehling, JuS 2004, 113 (118).
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
für die Rechtsgeschäftslehre, in der somit der bloß auf irgendeine Art und Weise kausal mit einer Person verknüpfte objektive Tatbestand einer Willenserklärung nicht ohne weiteres als Willenserklärung der Person zugerechnet werden kann, die als Erklärender erscheint.70 7. Das Risikoprinzip a) Risiko und Risikosphäre aa) Der Risikobegriff Risiko wird als Gefahr einer planwidrigen Entwicklung definiert,71 oder als ein Ereignis möglicher negativer (Gefahr) oder positiver Auswirkung (Chance).72 Im Allgemeinen wird jedoch das Negative in den Vordergrund gerückt, so dass Risiko als Gefahr einer planwidrigen Entwicklung umschrieben werden kann.73 Der Risikobegriff lässt sich weiter in die zwei Elemente der vorhersehbaren Wagnisse einerseits, und der unvorhersehbaren Gefahren andererseits unterteilen.74 Manche verstehen unter Risiko auch die Kombination aus dem Umfang potentieller Verluste und der Wahrscheinlichkeit deren Eintritts,75 wobei die Unterscheidung in Chance oder Gefahr individuell wertungsabhängig sei.76 Wenn insoweit von Gefahr die Rede ist, so ist damit stets die Gefahr des Eintritts negativer Konsequenzen, also insbesondere von Schäden gemeint. Risiken und Gefahren stehen stets in Relation zu zumindest einer Person, die (faktisch) das Risiko oder die Gefahr insoweit trägt, als dass ihr im weitesten Sinne ein potentieller Schaden droht. Aus dieser Faktizität der Schadenstragung folgt aber noch nicht, dass die Person 70 Dies bedeutet hingegen nicht, dass Kausalität ein notwendiges (Mindest-)Kriterium für die Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen ist. Grundsätzlich ist auch die Zurechnung aufgrund der Haftung für ein Risiko denkbar; siehe hierzu aber nun im Anschluss unter E.II.7. 71 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 3, 12. 72 Siehe den entsprechenden Eintrag „Risiko“ bei Wikipedia, zuletzt abgerufen am 30.08.2020. 73 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 3, 731. 74 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 731; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 189 spricht insofern von einem zufälligen Schadens eintritt. 75 Manuj/Mentzer, Global supply chain risk management strategies, in: Interna tional Journal of Physical Distribution & Logistics Management, 38 (3), S. 192 (196 f.); hierzu kritisch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 303 f., der Risiko als die Möglichkeit beschreibt, einen Schaden zu erleiden. 76 Di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 110 f.; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 304.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien179
den Schaden auch tragen soll. Geht es um eine Verteilung von Risiken, ist damit regelmäßig nicht gemeint, wie die Risiken faktisch verteilt sind, sondern wie sie normativ zu verteilen sind, also wie sie im Ergebnis verteilt sein sollen. bb) Dogmengeschichtlicher Hintergrund des Risikoprinzips In der jüngeren Rechtsentwicklung hat das Risikoprinzip dem Verschuldensprinzip als Grundlage der Haftung für Schäden, genauer für die haftungsbedingte Verteilung von (potentiellen) Schäden, starke Konkurrenz gemacht. Die wachsende Bedeutung der Haftung für Risiken, also für Gefahren und deren Verwirklichung in Gestalt von Vermögensnachteilen (Schäden), und die damit verbundene Zurückdrängung des Verschuldensprinzips verläuft nicht zufällig parallel zur immer schneller fortschreitenden Technisierung der Gesellschaft.77 Neue Technologien bringen nicht nur Vorteile und neue gesellschaftliche Chancen mit sich, sondern auch (teils erhebliche) Gefahren, die der Mensch nicht immer, jedenfalls nicht immer sofort und nicht in Gänze kontrollieren kann.78 Will eine Gesellschaft trotz eines Gefahrenpotentials nicht auf die Vorteile neuester Technik verzichten, will sie also nützliche, aber teils gefährliche und nicht vollständig beherrschbare Technik einsetzen, muss sie für die von der Technik ausgehenden Risiken rechtliche Verantwortlichkeiten bestimmen, die präventive Verhinderungswirkungen entfalten können. Der Betrieb solcher Technik ist innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen aufgrund seiner Vorteilhaftigkeit kein Verstoß gegen eine gesetzliche Norm oder eine Pflichtverletzung, oder soll es nicht sein, sondern erlaubtes Handeln. Führt ein solches erlaubtes Handeln aber zu Schäden, sollen die Geschädigten diese nicht hinnehmen müssen.79 Das Festhalten am Verschuldensprinzip als Basis für die Verantwortlichkeit eines verwirklichten Risikos führt dabei wegen des regelmäßigen Fehlens der für einen Verschuldensvorwurf erforderlichen Anknüpfung an eine Norm- oder Pflichtverletzung (der Betrieb der Technik an sich ist gesellschaftlich gerade erwünscht) nicht zum gewünschten Ergebnis.80 Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Internets. Dessen Vorteile, wie die schnellere, direkte Kommunikation, die ständige Verfügbarkeit von Informationen sowie die allgemeine Senkung von Transaktionskosten gehen mit ei77 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 154, der vor allem auf die grundlegende Herausarbeitung dieses Zusammenhangs durch Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 240 ff. verweist; siehe daneben Meder, JZ 1993, 539 (539 ff.). 78 Historischer Abriss durch Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 3 ff. 79 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 157. 80 Insoweit bereits Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 154.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
ner Reihe von Nachteilen einher, beispielsweise mit der Gefahr des Diebstahls sensibler Daten, dem Identitätsmissbrauch und mit einer erhöhten Gefährdung (digitaler) Immaterialgüterrechte. Das Deliktsrecht ist davon gleichermaßen betroffen wie die Rechtsgeschäftslehre. Die Nutzung des Internets sowie sogar der bloße Betrieb internetbezogener Technik bergen Gefahren für Rechtsgüter anderer Personen, selbst wenn diese nicht aktive Nutzer des Internets sind.81 cc) Vom Risiko zur Risikosphäre Risiko als solches ist für sich genommen, ohne weitere, zusätzliche Elemente kein h inreichendes Kriterium für die Zurechnung eines Ereignisses zu einem Zurechnungsadressaten.82 Zum einen muss ein bestehendes Risiko zunächst überhaupt erst auf irgendeine Art und Weise mit mindestens einer Person verknüpft sein, zum anderen ist die Reichweite der Risikozurechnung zu bestimmen, also für welche Risiken eine Person aus welchen Gründen einzustehen hat, also verantwortlich ist.83 Letzteres führt vom abstrakt bestehenden Risiko zur konkreten Bestimmung von Risikosphären von Personen, so dass das Risikoprinzip etwas genauer als Zurechnungsprinzip nach (abgegrenzten) Risikosphären bezeichnet werden könnte.84 Damit ist noch nicht gesagt, nach welchen Kriterien und Gründen Risiken den Risikosphären von einzelnen oder mehreren Personen gewissermaßen als Verantwortlichkeitszuständigkeit zugewiesen sind. Denkbar sind unterschiedliche Arten der Festlegung von Risikosphären, die ihrerseits wiederum von verschiedenen Legitimationsgründen getragen werden können. Der Begriff 81 Man denke etwa an die (zumindest vordergründig anonyme) Veröffentlichung intimer Fotos des Ex-Partners auf einer allgemein zugänglichen Plattform im Internet, die potentiell sämtliche Nutzer des Internets weltweit einsehen können, unabhängig davon, ob der Ex-Partner das Internet oder die betroffenen Webseiten nutzt. 82 Natürlich eignet es sich allerdings grundsätzlich als Zurechnungsgrund, siehe nur Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 99. 83 In Bezug auf die Verantwortlichkeit des Erklärenden für eine Willenserklärung in diese Richtung schon Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 124; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 176 hebt das Risikoprinzip als besondere Ausprägung der Selbstverantwortung hervor. 84 Den Gedanken einer solchen „Sphärentheorie“ im rechtsgeschäftlichen Verkehr hatte bereits Friedmann, Bildschirmtext, S. 99 ff. im Zusammenhang mit dem früheren Bildschirmtext aufgegriffen; siehe zudem Koller, Risikozurechnung, S. 78, 438 f.; siehe ebenso Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 68 ff.; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 97; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 157 ff., 217 f. und Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 38 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 468 spricht insoweit von Geschäftskreis; Sosnitza, CR 2016, 764 (767).
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien181
der Risikosphäre dient dabei bloß als Sammel- bzw. Oberbegriff für eine Reihe denkbarer Zuordnungen von Risiken zu bestimmten Personen.85 Ohne weitergehende, definierende Überlegungen bleiben die Termini Risiko, Ri sikoprinzip und Risikosphäre jedoch konturlos und damit zu unbestimmt, um aus der abstrakten ex ante-Perspektive konkrete Sachverhalte darunter zu fassen.86 Eine schärfere Konturierung ist daher insbesondere zum Zwecke der Bestimmtheit respektive zumindest der Bestimmbarkeit, und somit der Rechtssicherheit erforderlich. b) Das Risikoprinzip in seinen verschiedenen Ausprägungen aa) Abstrakte oder konkrete Beherrschbarkeit einer Risikosphäre Das Einstehenmüssen für ein Risiko (Risikoprinzip; Risikogedanke) bezeichnet nicht bloß eine Art von Zurechnungsprinzip aufgrund des Gedankens der Selbstverantwortung87, sondern dient als Sammelbegriff für gleich mehrere, sich in Qualität und Intensität unterscheidende Materialisierungen eines Zurechnungsprinzips, was vielfach übersehen oder ignoriert wird.88 Im Wesentlichen lassen sich drei Varianten auseinanderhalten,89 die zum Teil ihrerseits wiederum variantenreich sind. Maßgeblich für die Unterscheidung der Varianten ist dabei, aus welchen (tieferen) Gründen die als potentielle
85 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 190 f. diskutiert die Risikosphäre hingegen als eigenständigen materiellen Zurechnungsaspekt, und nicht bloß als Summe der Anknüpfungspunkte der Risiken, für die eine Person einzustehen hat, lehnt dies dann aber mangels Tragfähigkeit ab (S. 190). 86 So in anderem Zusammenhang Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 731; in diese Richtung geht auch die Kritik von Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 631; Willburg, in: Elemente des Schadensrechts, S. 38 (40 f.) versucht eine Kategorisierung, indem er vor allem Ereignisse in und aus der eigenen Person dieser zuordnet, aber auch solche, die von Dingen ausgehen, die eine Person besitzt. 87 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 125 f.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 101; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 175; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 176; siehe auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 4. 88 Grundlegend zum Risikoprinzip Rümelin, Zufall, S. 69 ff., weiter insbesondere zudem Canaris, Vertrauenshaftung, S. 479 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 184; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (219 ff.); Köhler, AcP 182 (1982), 126 (138); Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 94 f. hingegen sieht die verschiedenen Möglichkeiten der Anknüpfungspunkte für das Risikoprinzip im Hinblick auf das Ziel der Erreichung von vorhersehbaren Ergebnissen und damit von Rechtssicherheit kritisch. 89 Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 103; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 159; zuvor schon Beuthien, Zweckerreichung, S. 18 f.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Zurechnungsadressaten zu betrachtenden Personen für das verwirklichte Risiko einstehen müssen.90 Zunächst ist denkbar, die Zurechnung eines Ereignisses zu einer Person davon abhängig zu machen, ob das Ereignis in den Einwirkungsbereich dieser Person fällt und das Risiko des Eintritts des Ereignisses (deshalb) entweder von der betroffenen Person (also konkret) oder zumindest im Allgemeinen (also abstrakt) beherrschbar ist.91 Gemeint ist damit, ob im Vorfeld des Ereignisses grundsätzlich die Möglichkeit bestanden hat oder hätte, auf das Ereignis einzuwirken, es somit zu initiieren, zu verhindern, zu modifizieren oder zu beenden. Im Unterschied zur Beherrschung einer Risikosphäre ist für die Bejahung ihrer bloßen Beherrschbarkeit nicht notwendig, dass dem Zurechnungsadressaten ein jederzeitiges Eingreifen (etwa in einen laufenden Prozess) und damit auch ein Verhindern des Ereignisses möglich gewesen wäre, sondern bloß, dass ihm im Vorfeld die Option zugestanden hatte, sich in eine solche Position zu bringen, er diese Möglichkeit aber nicht wahrgenommen hat. Eine solche (insoweit also bloß mittelbare) Beherrschbarkeit einer Risikosphäre ist von der möglichen Einflussnahme weiter entfernt als die (unmittelbare) Beherrschung einer Risikosphäre. Das folgende Beispiel veranschaulicht dies: Ein Baggerfahrer verlässt die Fahrerkabine seines Baggers, ohne dass die Handbremse angezogen ist. Der Bagger setzt sich sodann selbstständig in Bewegung und prallt gegen einen Poller, der dadurch umknickt. In einer Abwandlung des Falls sitzt der Baggerfahrer noch in der Fahrerkabine, als sich der Bagger wegen der nicht angezogenen Handbremse selbstständig in Bewegung setzt, so dass er rechtzeitig bremsen kann, bevor der Bagger gegen den Poller prallt. Im Ausgangsfall ist der Zusammenstoß mit dem Poller sowohl abstrakt als auch konkret beherrschbar, weil der Baggerfahrer (oder eine andere Person) vor Verlassen der Fahrerkabine die Handbremse hätte anziehen können, so dass sich der Bagger nicht hätte fortbewegen können, und deshalb auch nicht gegen den Poller geprallt wäre. De facto be90 So
bereits Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 124, 217. hierzu etwa Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S. 25 ff.; Koller, Risikozurechnung, S. 78 f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 176; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 70 f.; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 97, 312; Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, S. 42, 45; ders., Zufall, S. 30 ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 134, 137; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 157, 158 f., 216 f.; siehe zudem schon Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 86 ff.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220); Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309 (414 f); Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 91 Siehe
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien183
herrscht der Fahrer die Situation hier aber nicht. Denn im Unterschied zur Abwandlung sitzt er im Ausgangsfall zum Zeitpunkt des Wegrollens nicht mehr in der Fahrerkabine und kann das Wegrollen daher nicht unterbinden. Im Ausgangsfall liegt somit bloß Beherrschbarkeit des Risiko, nicht jedoch dessen Beherrschung vor, in der Abwandlung hingegen beides. bb) Tatsächliche Beherrschung einer Risikosphäre Die tatsächliche Beherrschung einer Risikosphäre meint die Fähigkeit des Beherrschenden, jederzeit auf die innerhalb der Risikosphäre geschehenden Ereignisse entscheidend einwirken,92 insbesondere Störungen abwehren zu können.93 Dahinter steckt der Gedanke der Gefahrbeherrschung,94 also dass von mehreren Beteiligten derjenige eine Gefahr zu tragen hat, der sie überwiegend beherrscht.95 Will man die Verantwortlichkeit für Risiken (genauer: für die Folgen von Risiken, also Schäden im weitesten Sinne) Personen nach bestimmten Sphären zuordnen, muss man zuvor die Frage beantworten, ob es dabei alleine um die (Nicht-)Zurechnung zu einer Person als Zurechnungsadressaten gehen soll, oder um die Verteilung von Zurechnungsrisiken zwischen mehreren Personen (untereinander). Die erste Variante entspricht der strafrechtlichen und der mit dieser vergleichbaren deliktischen Perspektive der Zurechnung, die klären soll, ob eine Person als (aus der abstrakten Masse der Allgemeinheit durch das jeweilige Ereignis hervortretender) Täter der Tat anzusehen ist. Dabei ist weniger die Verteilung oder gar Aufteilung von Haftungsrisiken (und bei ihrer Verwirklichung: Haftungsfolgen) auf mehrere Personen von Bedeutung. Es geht somit weniger um eine tendenzielle Betrachtungsweise in der Form, dass (von zweien) entweder der eine oder der andere der Täter ist, sondern bloß darum, ob eine Person für sich genommen der Täter ist.96 Die zweite Variante entspricht hingegen einem anderen, eher als rechtsgeschäftlich bezeichenbaren Ansatz, nämlich Haftungsfolgen (Schäden) tendenziell entweder dem Erklärenden oder dem Erklärungsadressaten zuzuweisen, weil entweder dieser oder jener die Haftungsrisiken besser beherrscht, also deren Verwirklichung im direkten Vergleich besser verhindern oder versiVertrauenshaftung, S. 482. Risikozurechnung, S. 79. 94 Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 138. 95 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 190; Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309 (322); siehe zudem Marburger, AcP 173 (1973), 137 (143); in diese Richtung wohl ebenso schon Köhler, AcP 182 (1982), 126 (138). 96 So ist wohl auch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 311 zu verstehen. 92 Canaris, 93 Koller,
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
chern kann. Zwar ist diese Kategorisierung stark vereinfachend, weil bei genauer Betrachtung auch im Deliktsrecht zumindest im Ergebnis eine Schadensverteilung vorgenommen wird (entweder kann ein Ereignis als Tat und damit der daraus resultierende Schaden einem Täter zugerechnet werden, oder der Geschädigte bleibt eben auf seinem Schaden sitzen) und bei Rechtsgeschäften gerade in der Anbahnungsphase eines Vertrages eine quasi-deliktische Situation bestehen kann, etwa wenn sich die potentiellen Vertragspartner noch nie zuvor begegnet sind,97 geschweige denn in einem rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Kontakt gestanden haben. Erst recht besteht eine quasi-deliktische Situation, wenn die betreffende Handlung im rechtsgeschäftlichen Zweipersonenverhältnis ihren Ausgang bei einer dritten Person hat und deshalb die Frage im Raum steht, ob die Handlung derjenigen Person zuzurechnen ist, von der sie aus objektiver (Empfänger-) Sicht auszugehen scheint. Es kann festgehalten werden, dass am Ende sowohl im Straf- und Deliktsrecht als auch in der Rechtsgeschäftslehre die Verteilung von Schäden zur Diskussion steht. Allerdings muss man bereits auf der jeweils vorgelagerten Stufe – abstrakt von dieser Verteilungsfrage – eine singuläre Prüfung der Zurechenbarkeit des (letztlich schadenstiftenden) Ereignisses zu einer Person (und nicht gleich sofort der Zurechenbarkeit des Schadens) vornehmen, für die es entweder eine positive oder negative Antwort geben kann. Für eine solche – gewissermaßen als primär zu bezeichnende – Zurechnung eines Ereignisses zu einer Person ist die (alleinige) Beherrschung des Bereichs, in den das Ereignis fällt, durch die in Frage kommende Person zumindest ein denkbares Zurechnungskriterium. cc) Setzen oder Erhöhen eines Risikos Neben der Beherrschbarkeit und der Beherrschung eines Risikos sind das (kausale) Schaffen bzw. Setzen98 eines Risikos oder das Erhöhen99 eines bereits bestehenden Risikos (bzw. einer Gefahr), beispielsweise die Ausstellung 97 Diesen Gedanken aufwerfend Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 161 ff. 98 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 482; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 99 spricht nicht von Setzen und Erhöhen eines Risikos, sondern zusammenfassend von Steuern; ebenso wohl Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 125 f. 99 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 30, 236, 482; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 179; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 67, 70 f.; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 97, 312; ansatzweise bereits bei Rümelin, Schadenszurechnung, S. 48 f.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, S. 134; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194 ff.; siehe zudem Schiefer, Strukturen der Erfolgszurechnung
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eines später abredewidrig ausgefüllten Blanketts100 oder die voreilige Unterzeichnung einer später abhandenkommenden und dann verwendeten Urkunde101, oder der Einsatz von Medien102, nicht jedoch die bloße allgemeine Teilnahme am Rechtsverkehr,103 schließlich weitere mögliche Zurechnungskriterien innerhalb des Risikoprinzips. Dabei bedingen weder das Setzen noch das Erhöhen eines Risikos zwingend ein Bewusstsein über das Risiko oder dessen Erkennbarkeit beim Zurechnungsadressaten.104 Beides kann als rein objektives Faktum beschrieben werden, das vollkommen unabhängig von den subjektiv-individuellen Vorstellungen einer Person existiert. Trägt etwa eine Person eine Ölflasche durch einen Raum und bemerkt dabei nicht, dass aufgrund eines Lecks aus der Flasche Öl austritt und auf den Boden tropft, erhöht sich die Unfall- und Verletzungsgefahr für Menschen, gleichwohl dem Flaschenträger die Erhöhung der Gefahr durch das eigene Tun trotz der abstrakten und konkreten Erkennbarkeit der Gefahr nicht bewusst ist. Ob Zurechnung nach einem der genannten Risikoprinzipien ein subjektives Element in Form eines Risikobewusstseins oder zumindest einer (subjektiven) Erkennbarkeit des Risikos erfordert, ist damit weder bestätigt noch verworfen, wird daher noch weiter zu erörtern sein.105 dd) Einsatz von Erklärungen aufgrund von automatisierten Operationen Der Einsatz von Informationstechnik zur Versendung elektronischer Erklärungen und damit auch zum Abschluss von Rechtsgeschäften in Form von automatisierten Operationen106 soll eine eigenständige Kategorie der Verantwortlichkeit für ein Risiko bilden,107 obwohl dies sowohl auf die Idee der Beherrschbarkeit und die – insbesondere auch abhängig von der jeweiligen Ausgestaltung im Detail – Erhöhung des Risikos zurückgeht, also bereits kategorial erfasst ist. Diese Sonderkategorisierung überzeugt daher nicht, im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, S. 221 f.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 163; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220). 100 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 60 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 196. 101 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 487; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 197. 102 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 216. 103 Für Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 216 genügt dies nicht, es müsse noch etwas Weiteres hinzukommen. 104 Siehe dazu insbesondere Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194 ff.; zurückhaltender hingegen Canaris, Vertrauenshaftung, S. 482. 105 Siehe hierzu vor allem die Diskussion bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 189 ff.; dazu weiter unter E.II.7.d). 106 So Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 198. 107 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 198.
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insbesondere da die Verantwortlichkeit für elektronische Erklärungen bereits auf die allgemeine Risikolehre gestützt werden kann und somit für eine spezifische Unterform gar kein Bedarf besteht. c) Geltungsgrund für eine Haftung nach Risikosphären aa) Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung (1) Ausgangspunkt einer Gefahr Als Legitimationsgrundlage des Risikoprinzips (in seinen bereits dargestellten verschiedenen Ausprägungen) als Zurechnungskriterium werden im Wesentlichen die Gedanken der Gefahrschaffung und der Gefahrbeherrschung108 angeführt.109 Zumeist ist damit die grundlegende Überlegung verbunden, wer von mehreren in Frage kommenden Personen eine Gefahr bzw. deren Risiko tendenziell besser beherrschen, also die Gefahr kontrollieren, ihre Folgen verhindern oder sich im Vorfeld gegen sie versichern kann.110 Die Gefahrbeherrschung beschränkt sich dabei nicht im wortwörtlichen Sinne auf die Sphäre einer Person, also ihren räumlich-gegenständlichen Bereich, sondern es geht vielmehr um die (abstrakte) Beherrschbarkeit111 oder Beherrschung der Gefahr als solche durch eine Person. Meist wird durch Vergleich mehrerer Personen eine Verteilung der jeweils bestehenden 108 Etwas abstrakter lässt sich auch von „Risikoschaffung“ oder „Risikosetzung“ und „Risikobeherrschung“ sprechen; die Begriffe Risiko und Gefahr werden nachfolgend im Wesentlichen synonym verwendet. 109 Zuletzt Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 125 f., der diesen Gedanken insbesondere, jedoch nicht ausschließlich im Hinblick auf die Zurechnung fehlerhafter Willenserklärungen formuliert; zudem Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194, 199; bereits zuvor Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309 (349 ff., 414 f., 437 f.) zur Gefahrbeherrschung; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 482 zur Risikoerhöhung und Risikobeherrschung; Koller, Risikozurechnung, S. 78 ff. zur abstrakten Beherrschbarkeit; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 176 f., 183 ff., 190 ff., der zwischen der Beherrschbarkeit eines Risikos (Prävention) und dem räumlichen Einflussbereich bezüglich des Risikos (Sphärengedanke) unterscheiden will; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 97; Marburger, AcP 173 (1973), 137 (143). 110 Diesen Aspekt der Risikozurechnung diskutiert Canaris, Vertrauenshaftung, S. 482, 535; Koller, Risikozurechnung, S. 79, 97 f.; in diese Richtung wohl schon Marburger, AcP 173 (1973), 137 (143); siehe zudem Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 72 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 158 ff., 219 ff. 111 Insoweit klarstellend Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 159; zuvor schon Beuthien, Zweckerreichung, S. 18 f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 190 f.; v. Schenck, Der Begriff der „Sphäre“, S. 80.
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Risiken, genauer an sich bereits eine Verteilung der aus diesen Risiken entstandenen oder potentiell entstehenden Schäden bzw. der Zuständigkeit für deren Ausgleich zwischen mehreren Personen vorgenommen. Diese recht undifferenzierte Herangehensweise begegnet jedoch Bedenken. (2) Relative oder absolute Bestimmung von Risikosphären Das Risikoprinzip wird bislang kaum als ein absolutes Prinzip, also unter Außerachtlassung einer vergleichsgeleiteten (insoweit also relativen) Zuweisung von und zu Risikosphären diskutiert.112 Indes dürfen diese beiden, vermeintlich gleich tragenden und gleichberechtigten Säulen des Risikoprinzips, Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung, aufgrund ihrer völlig verschiedenen Ansatzpunkte keineswegs miteinander vermengt werden. Vielmehr ist zu differenzieren: Während man bei der Feststellung der Gefahrbeherrschung tatsächlich stets eine Abgrenzung der Risikosphären verschiedener Personen vornehmen könnte (jedoch keineswegs müsste), um festzustellen, ob ein Risiko in Bezug auf dessen Beherrschung und vor allem im Hinblick auf die Vermeidung negativer Risikofolgen eher in den Bereich der einen Person oder der anderen fällt,113 liegt dem Gedanken der Anknüpfung an die Gefahrschaffung zumindest nicht primär eine derart vergleichende Betrachtung zugrunde. Ob jemand eine Gefahr geschaffen oder erhöht hat, ist aus sich heraus feststellbar und bedarf keines Vergleichs mit anderen Situationen. Gefahrbeherrschung und Gefahrerhöhung sind daher strukturell unterschiedliche Risikoprinzipien, die in ihrer Unterschiedlichkeit mit der Gegenüberstellung von aktivem Tun und pflichtwidrigem Unterlassen als zwei Seiten derselben Qualität von Verantwortlichkeit vergleichbar sind. Man könnte somit sagen, schafft eine Person eine (spezifische) Gefahr, so stammt die Gefahr aus der Risikosphäre dieser Person. Ist eine bestehende Gefahr hingegen nicht von einer bestimmten Person geschaffen worden, kann man sie dennoch der Risikosphäre einer Person, und damit einer bestimmten Person zuordnen, ohne dass diese konkrete Zuordnung bereits abstrakt im Vorhinein feststünde. Anschließend lässt sich im Hinblick auf die möglichen Zurechnungsadressaten 112 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 125 spricht mit Bezug zu Bähr, in: Jher. Jb., Bd. 14 (1875), 393 (407), der insoweit von der relativen culpa spricht: „Mag auch der Erklärende relativ unschuldig sein, so ist doch der ihm Gegenüberstehende noch weit unschuldiger“; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 25; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 67, 155, 158; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 163; siehe zudem Canaris, Vertrauenshaftung, S. 535. 113 Diesen Gedanken greift auch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 324 auf; zudem auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 99, 189; in diese Richtung wohl zudem Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 124 f., 127; siehe zudem Canaris, Vertrauenshaftung, S. 30, 482, 485; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 67, 70 f.
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prüfen, ob jeder für sich genommen die Gefahr beherrscht. Stellt sich dabei heraus, dass mehrere Personen die Gefahr beherrschen, so ist – erst jetzt – festzustellen, wer hiervon im Vergleich zu den anderen Personen die Gefahr am besten beherrscht. Der Risikosphäre dieser Person ist die Gefahr schließlich zuzuordnen. (3) B edeutsamkeit der Unterscheidung von Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung Die Unterscheidung von Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung bei der Bestimmung von Risikosphären ist insbesondere für zwei Aspekte von Bedeutung. Zum einen ergeben sich durch die strukturelle Unterschiedlichkeit dieser beiden Prinzipien unterschiedliche Anforderungen an den Sachverhalt, der nach den dadurch bestimmten Risikosphären zuzurechnen sein soll. Legt man der Zurechnung nach Risikosphären den Gedanken der Gefahrschaffung zugrunde, so müssen andere, qualitativ anspruchsvollere Voraussetzungen vorliegen als bei einer vergleichenden Zurechnung nach dem Gedanken der (relativen) Gefahrbeherrschung. Bei dem allgemeineren Prinzip der Gefahrbeherrschung kommt es aufgrund dessen weniger strengen Voraussetzungen häufiger zur Zurechnung zum Zurechnungsadressaten als beim insoweit spezielleren Prinzip der Gefahrschaffung. Zum anderen wirkt sich die Unterscheidung von Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung auf die Diskussion um das Erfordernis subjektiver Elemente bei der Zurechnung nach Risikosphären aus. Bei der Schaffung einer Gefahr – was das Vorliegen einer irgendwie gearteten Handlung oder eines Vorgangs impliziert – ist die Anknüpfung an ein subjektives Element in Form von Gefahr- bzw. Gefährdungsbewusstsein oder subjektiver Erkennbarkeit der Gefahr denkbar.114 Bei der Beherrschung einer Gefahr, die kein Vorliegen einer solchen Handlung oder eines Vorgangs impliziert, sondern eher als ein bestimmter Zustand beschrieben werden kann, ist ein Gefahr- bzw. ein Gefährdungsbewusstsein oder eine subjektive Erkennbarkeit der Gefahr zwar nicht ausgeschlossen, indes fehlt im Vergleich das temporäre Momentum, an das man anknüpfen könnte. Wer etwas tut, muss sich als Person zuvor für das Tun bewusst oder unbewusst entschieden haben, weshalb im Zuge des entsprechenden Entscheidungsprozesses weitere Gedanken vorhanden gewesen sein können. Wer nichts tut, sondern nur für etwas zuständig ist, macht sich über diesen Zustand regelmäßig keine oder zumindest kaum Gedanken, 114 Teilweise wird auf quasi-subjektiver Ebene daran angeknüpft, dass sich jemand – wie etwa bei der deliktischen Gefährdungshaftung – für das mit einer besonderen Gefahr behaftete Handeln entschieden hat, so etwa Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 126.
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hat möglicherweise ein bloßes sachgedankliches Mitbewusstsein. Forderte man somit bei der Prüfung einer Risikozurechnung durch Gefahrbeherrschung zwingend das Vorliegen eines subjektiven Elements, gelangte man in den meisten Fällen mangels dessen Feststellbarkeit wohl im Ergebnis nicht zu einer Zurechnung. bb) Wirtschaftlicher Vorteil der Eingehung eines Risikos Neben den genannten Geltungsgründen für die Heranziehung des Risikoprinzips für die Herstellung eines Zurechnungszusammenhangs wird – wenn auch selten – auf die Überlegung abgestellt, wer aus dem Risiko bzw. dessen Übernahme wirtschaftliche Vorteile zieht.115 Obwohl dieser Ansatz in einem Atemzug mit der Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung genannt wird, unterscheidet er sich ganz grundsätzlich von diesen beiden. Denn es geht dabei gerade nicht um Gefahrenaspekte, also um etwas Negatives, sondern vielmehr um die Frage, wer den Nutzen aus dem bestehenden oder geschaffenen Risiko zieht, also um etwas Positives. Anders formuliert soll derjenige, für den das Risiko eine (wirtschaftliche) Chance darstellt, auch die damit einhergehenden Gefahren (ggf. Schäden) tragen. Schwierigkeiten bereitet diese im Vergleich zu den anderen Legitimationsgründen strukturell grundverschiedene Stoßrichtung jedoch, wenn die Zusammenschau aller Gründe nicht zu einer klar ersichtlichen Abgrenzung der Risikosphären führt. Hat eine andere Person den wirtschaftlichen Vorteil als diejenige, die die Gefahr tatsächlich geschaffen hat oder beherrscht, fällt dies also auseinander, so muss man eine Entscheidung darüber treffen, welches Prinzip dann leitenden Charakter haben soll. Die Risikosphäre erweist sich als ein – möglicherweise asymmetrisches – Konstrukt in der Form, dass von mehreren Elementen zumindest manche vorliegen müssen, wobei sich die einzelnen Elemente nicht widersprechen dürfen.116 Tun sie es doch, so ent115 So Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S 176 ff., der insoweit von Äquivalenz spricht; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 93; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 72, 155; Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 312; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 126, der sich seinerseits jedoch grundlegend auf Fuchs, AcP 43 (1860), 94 (100) bezieht; auch Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 536 bezieht sich auf das wirtschaftliche Interesse einer Partei; teils wird dies auch als Vorteil-Nachteil-Prinzip oder Interessentheorie bezeichnet, etwa von Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, S. 139 ff.; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220); siehe zudem Heuer-James/Chibanguza/Stücker, BB 2018, 2818 (2822); Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 116 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 157 f. spricht von einem „beweglichen System“, das auf die hier herausgearbeiteten, teils jedoch von Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S. 25 ff. anders benannten Elemente „Schä-
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scheidet ein Kriterium vorrangig vor den anderen. Welchem Prinzip Vorrang gebührt, ist Gegenstand weiterer Überlegungen. cc) Selbstverantwortung als Legitimationsgrund Sowohl dem Gedanken der Gefahrschaffung als auch der Gefahrbeherrschung liegt die Idee der Selbstverantwortung als weitaus weniger spezifisches, allgemeineres Prinzip zugrunde.117 Für das eigene Verhalten, Handeln wie Unterlassen, ist jeder zunächst selbst verantwortlich. Dies gilt auch, wenn durch das eigene Verhalten eine Gefahr geschaffen oder erhöht wird. Auch für Geschehnisse, die im eigenen Einwirkungsbereich (Gefahrenbereich; Risikosphäre) geschehen, die man beherrscht oder die zumindest durch einen selbst beherrschbar sind,118 ist man selbst verantwortlich. Nicht ausgeschlossen ist dabei, dass daneben zusätzlich auch andere, weitere Personen Verantwortung tragen, beispielsweise jemand, der für eine andere Person gehandelt hat. Dies schließt die Selbstverantwortung für den eigenen Bereich jedoch nicht aus. Das Risikoprinzip ist somit fest mit dem Gedanken der Selbstverantwortung für das eigene Verhalten verbunden, der in der Gefahrbeherrschung und Gefahrschaffung bloß eine detailliertere Ausgestaltung erfährt. d) Erfordernis von Risikobewusstsein oder Erkennbarkeit des Risikos aa) Erfordernis eines subjektiven Risikoelements Die Zuordnung eines bestimmten Risikos (eines Schadenseintritts) zur Risikosphäre einer bestimmten Person sowohl aufgrund des Beherrschens als auch des Schaffens bzw. Erhöhens des Risikos durch diese Person ist grundsätzlich rein objektiver Natur. Subjektive Elemente spielen zumindest vordergründig keine Rolle.119 Allerdings ist fraglich, ob eine solche, rein objekdigung durch besondere Gefahr“, „Gesichtspunkt der verteilenden Gerechtigkeit“, „Konnex von Haftung und Interesse“ sowie der „Haftung für die eigene Einfluss- und Wirkungssphäre“ Bezug nimmt; siehe zum beweglichen System zudem Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 93 ff. 117 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 99; siehe zum Zusammenhang von Selbstverantwortung und Verantwortung für ein Risiko Brehmer, Wille und Erklärung, S. 117, 123 f.; siehe zur Selbstverantwortung bereits unter C.I.1. und D.II.1.b). 118 Siehe zur Abgrenzung unter E.II.7.b)aa) und E.II.7.b)bb). 119 Sicherlich können die Grenzen zwischen objektiven und subjektiven Kriterien des Risikos verschwimmen, etwa bei der Frage der Beherrschung eines Risikos. Denn wem nicht bewusst oder für wen nicht erkennbar ist, dass ein bestimmtes Risiko besteht, beherrscht dieses Risiko zumindest nicht vollständig. Wer somit feststellt, eine
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tive Verknüpfung von Zurechnungsgegenstand und Zurechnungsadressat normativ als Legitimationsgrundlage der Zurechnung genügt, oder ob es bei der Risikozurechnung neben dem objektiven auch eines subjektiven Tatbestandes bedarf.120 Denkbar wäre insoweit das tatsächliche Bewusstsein über den Bestand des Risikos oder die zumindest abstrakte oder konkrete Erkennbarkeit des Risikos. bb) Risikobewusstsein Mit Risikobewusstsein soll im Folgenden das Wissen bzw. die Kenntnis des potentiellen Zurechnungsadressaten darüber gemeint sein, dass ein bestimmtes Risiko oder eine bestimmte Gefahr besteht oder durch das eigene Verhalten entsteht oder sich erhöht. Manche halten in den Fällen der Risikoschaffung und Risikoerhöhung die (letztlich ja stets bewusste) Entscheidung einer Person für ein bestimmtes Verhalten (aktives Tun oder Unterlassen) bereits für ein subjektives Element in diesem Sinne des Risikobewusstseins.121 Dies begegnet jedoch Bedenken, denn mit der bloßen Entscheidung für ein bestimmtes Verhalten ist nicht zwingend ein tatsächliches Bewusstsein über die damit einhergehenden Risiken verbunden.122 Daher kann trotz objektiver Gefährlichkeit eines Verhaltens einer Person nicht ohne weiteres auf das Vorhandensein von Risikobewusstsein bei dieser Person geschlossen werden. Würde man Risikobewusstsein in dieser Weise verstehen, so käme dies mangels dessen eingrenzenden Charakters faktisch einem Verzicht auf ein subjektives Kriterium gleich, da es dann schlichtweg immer vorliegen würde.123 Ähnliches gilt für die Herleitung des Erfordernisses von Risikobewusstsein für die Risikozurechnung aus den Rechtsfiguren des „Handelns auf eigene Gefahr“ und der „bewussten Selbstgefährdung“, die bereits aus dem Vertretungsrecht (dort aus der Haftung des falsus procurator) und aus dem Person beherrsche ein bestimmtes Risiko, sagt damit wohl zugleich, der Person sei das Risiko bewusst oder es sei für sie zumindest erkennbar. 120 Hierzu ausführlich Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 189 f.; siehe ebenso Koller, Risikozurechnung, S. 205 f., 217 f.; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 67. 121 So etwa Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 126; wohl auch Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 67 f., 76; anders hingegen Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 194 und wohl auch Friedmann, Bildschirmtext, S. 102. 122 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 191. 123 Hierauf bezogen sowie auf die generell recht weit verbreitete Varianz in der Definition von Risiko- oder Gefährdungsbewusstsein meint Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr, S. 255, dass das Gefährdungsbewusstsein „stets oder nie vorhanden [sei], je nachdem, was man unter diesem Begriff versteht“.
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Deliktsrecht bekannt sind.124 Beide Rechtsfiguren sind Prinzipien, die ihrer Struktur nach dem Risikoprinzip zuzuordnen sind. Bei beiden ist nach allgemeinem Verständnis eine Haftungsvoraussetzung, dass sich der Betroffene der jeweiligen Gefahr bewusst ausgesetzt hat.125 Allerdings ergibt sich daraus keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Erfordernis einer subjektiven Komponente bei der Zurechnung gemäß dem Risikoprinzip. Zum einen werden nicht allzu hohe Anforderungen an die Qualität der notwendigen Bestandteile des Risikobewusstseins gestellt, was zur Folge hat, dass das Vorhandensein von Risiko- oder Gefährdungsbewusstsein in vielen Fällen de facto einer bloßen Unterstellung gleichkommt.126 Zum anderen wird das Erfordernis von Risikobewusstsein schlichtweg ohne weitere Begründung zur zwingenden Voraussetzung in den genannten Fällen der Risikohaftung erhoben. Nicht gesagt ist damit, dass eine Risikozurechnung nicht auch ohne ein solches Bewusstsein denkbar wäre. Jedenfalls fehlt ein grundlegendes Argument für dessen Erforderlichkeit. Wenn in Bezug auf die Vertrauenshaftung im Privatrecht behauptet wird, es brauche für diese kein Bewusstsein über die Gefährlichkeit der Teilnahme am Rechtsverkehr, sondern es gehe – wie etwa bei der Scherzerklärung nach § 118 BGB – bloß darum, dass der Erklärende die Bedeutung seines Verhaltens bzw. seiner Erklärung erkennen konnte,127 so geht es offensichtlich weniger um das Vorliegen eines tatsächlich vorhandenen Risikobewusstseins, also ein Gewahrsein über das Risiko des eigenen Verhaltens, als vielmehr um dessen abstrakte oder konkrete Erkennbarkeit.128 124 Insbesondere Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 131 f., 191 f. will das Erfordernis des Risikobewusstseins auf diesen allgemeinen Gedanken zurückführen; für die Erklärung der gesetzlichen Erfüllungshaftung des falsus procurator gemäß § 179 Abs. 1 BGB verweist der BGH, Urt. v. 14.3.1961 – VI ZR 189/59 (juris) = BGHZ 34, 355 (Ls.) auf diesen Gedanken. 125 So BGH, Urt. v. 5.11.1974 – VI ZR 100/73 Rn. 7 ff. (juris) = BGHZ 63, 140 (144); Urt. v. 14.3.1961 – VI ZR 189/59 Rn. 18 (juris) = BGHZ 34, 355, (363); Urt. v. 25.3.1958 – VI ZR 13/57 (juris) = NJW 1958, 905; Urt. v. 16.12.1952 – I ZR 29/52 Rn. 23 (juris) = NJW 1953, 377 (378); Urt. v. 17.5.1951 – III ZR 57/51 Rn. 10 f. (juris) = BGHZ 2, 159 (163); Canaris, Vertrauenshaftung, S. 486, 535. 126 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 192 f. benutzt dieses Argument unter Bezugnahme auf den vom BGH, Urt. v. 9.2.1971 – VI ZR 151/69 Rn. 25 ff. (juris) = VersR 1971, 473 entschiedenen Fall, bei dem das Gericht eine bewusste Selbstgefährdung eines Mitfahrers bei einer (verunfallten) Gefälligkeitsfahrt bereits deshalb annahm, weil diesem im Vorfeld Umstände bekannt waren, die starke Zweifel am Zustand des Fahrers hätten aufkommen lassen müssen. 127 So Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550. 128 Heruntergebrochen könnte man auch sagen, dass jedes Verhalten potentiell gefährlich ist, so dass insoweit freilich grundsätzlich jeder – persönliche negative Dispositionen einmal ausgeblendet – über ein (potentielles) Erklärungsbewusstsein
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Schließlich wäre man in der Praxis bei der Prüfung des Vorliegens von Risikobewusstsein – wie bei sämtlichen subjektiven Tatbestandsmerkmalen – mit allgemeinen Beweisschwierigkeiten, und damit Praxisproblemen konfrontiert. Ob objektive Tatbestandsmerkmale vorliegen, lässt sich aufgrund der größeren Anzahl potentiell zur Verfügung stehender Beweismittel typischerweise deutlich leichter nachweisen als das Vorliegen subjektiver Tatbestandsmerkmale. Der Verzicht auf das Erfordernis und damit auf das Merkmal des Risikobewusstseins bei der Zurechnung nach Risikogesichtspunkten würde in der Rechtspraxis daher zu eindeutigeren Ergebnissen führen. cc) Erkennbarkeit des Risikos Viele Stimmen fordern somit zwar das Vorliegen von Risikobewusstsein als subjektives Kriterium bei der Zurechnung nach dem Risikoprinzip. Indes stellt sich dies bei genauer Betrachtung eher als Forderung nach Vorhandensein von Erkennbarkeit des Risikos heraus.129 Dieser Schritt weg von einem lupenreinen subjektiven Kriterium, wie es das Risikobewusstsein wäre, hin zu einem formal zwar als subjektiv bezeichneten, tatsächlich aber eher objektiven Kriterium130 beendet die Diskussion um das Erfordernis subjektiver Tatbestandsvoraussetzungen beim Risikoprinzip. Ob etwas für eine Person erkennbar ist, hängt zwar grundsätzlich von den persönlich-individuellen Fähigkeiten der betrachtenden Person und ihrer Perspektive („Sichtfeld“) im jeweiligen Einzelfall ab. Doch wird die Erkennbarkeit stets retrospektiv geprüft, so dass de facto die objektiv-normative Sichtweise des später Prüfenden, etwa des in einem Gerichtsprozess urteilenden Richters, darüber entscheidet. Individuell – und insoweit also subjektiv – ist dann bloß die Einschätzung der persönlichen Fähigkeiten der betroffenen Person. Maßstab ist dann, ob diese Fähigkeiten in Bezug auf die Wahrnehmungsfähigkeit den durchschnittlichen Fähigkeiten einer vergleichbaren Person entsprechen oder ob sie negativ oder positiv entscheidend hiervon abweichen.131 verfügt; bei einem solchen Verständnis wäre dieses Merkmal jedoch eine leere Hülle, verfügte jedenfalls über keinen begrenzenden Charakter. 129 Exemplarisch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550; in diese Richtung ebenso Brehmer, Wille und Erklärung, S. 247 und Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 71 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 197; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 173, 218 f.; so muss man wohl auch Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 76 ff., 88 verstehen; siehe zudem Koller, Risikozurechnung, S. 88 f. 130 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 183 f. 131 Anders formuliert handelt sich dann eher um eine Frage der Zurechnungsfähigkeit, die strukturell der Geschäftsfähigkeit oder der Deliktsfähigkeit vergleichbar ist; siehe dazu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 237; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 58, 94 f.
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Unabhängig von dieser Kategorisierung der Erkennbarkeit des Risikos ist für die Diskussion über die Zurechnung nach dem Risikoprinzip entscheidend, ob Erkennbarkeit des Risikos dabei als zwingende Voraussetzung vorliegen muss. Im Kern stellt sich die Frage, ob man einer Person die Verwirklichung eines Risikos, also die Entstehung eines Schadens, vorwerfen kann, wenn das Risiko und der damit verbundene Schadenseintritt für die Person oder gar für jedermann nicht erkennbar gewesen sind. Den Unterschied kann man sich an den folgenden Beispielen klarmachen. Eine Person antwortet auf die E-Mail eines Geschäftspartners, die ein Angebot auf Abschluss eines Vertrages enthält. In einem anderen Fall hebt eine Person auf einem öffentlichen Marktplatz ihre Hand, um sich für einen verabredeten Freund sichtbar zu machen. Dies fasst der Auktionator bei einer Versteigerung auf dem Marktplatz als verbindliches Gebot auf. Während im Ausgangsbeispiel der Handelnde weiß, dass er sich im Rechtsverkehr bewegt, weil er bewusst auf ein Angebot antwortet, fehlt der handelnden Person im zweiten Fall die Kenntnis der relevanten Umstände. Ohne Zweifel würde man aus objektivnormativer Empfängersicht die Erkennbarkeit des rechtlich relevanten Handelns im ersten Fall bejahen, im zweiten Fall jedoch ins Grübeln kommen: Ist es für den Handelnden erkennbar, dass auf einem öffentlichen Marktplatz eine Versteigerung stattfindet und das eigene Verhalten daher das Risiko birgt, als Teil der Versteigerung angesehen zu werden? Man ist geneigt zu sagen, es komme darauf an. Und tatsächlich sind die gesamten Umstände des Einzelfalls entscheidend. Genaugenommen löst sich die Frage nach der Erkennbarkeit nun endgültig von der subjektiven Ebene und bewegt sich auf die objektive Ebene zu. Erkennbarkeit ist letztlich nichts anderes als ein Teil der (objektiven) Beherrschbarkeit, Beherrschung oder Schaffung bzw. Erhöhung eines Risikos. Denn ein bestimmtes Risiko ist nur dann beherrschbar oder wird im tatsächlichen Wortsinne beherrscht, wenn es grundsätzlich (für jedermann) erkennbar ist, da nur gegen erkennbare Gefahren Vorkehrungen getroffen, (konkrete) Versicherungen abgeschlossen oder Überprüfungsroutinen aufgestellt werden können. Erkennbarkeit mag somit ein Tatbestandsmerkmal bzw. ein Element der Zurechnung nach dem Risikoprinzip sein, jedoch ist es kein subjektives, sondern ein objektives. e) Zivilrechtliche Haftung nach Risikosphären im Gesetz aa) Gefährdungshaftung Das deutsche Zivilrecht kennt das Risikoprinzip als etabliertes Zurechnungsprinzip insbesondere im Schadensersatzrecht, wobei es dort – je nach der weiteren Ausgestaltung des jeweiligen gesetzlichen Tatbestandes – nicht immer das einzige, und somit auch nicht das tragende Zurechnungsprinzip
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darstellt.132 Am klarsten ist das Risikoprinzip bei den Tatbeständen der Gefährdungshaftung umgesetzt. Wird etwa gemäß § 7 Abs. 1 StVG beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs (KfZ) ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Wer durch den Einsatz von zwar erlaubter, aber gefährlicher Technik Mitmenschen in Gefahr von Personen- und Eigentumsschäden nicht nur geringen Ausmaßes bringt, also ein Risiko für Schäden setzt, muss bei Verwirklichung des Risikos für den Schaden aufkommen, unabhängig davon, ob er für das konkrete schadensstiftende Ereignis unmittelbare Verantwortung trägt. Der Halter eines Kraftfahrzeugs profitiert von dessen wirtschaftlichem Nutzen und kann dessen Gefährlichkeit bzw. die möglichen Auswirkungen durch regelmäßige Wartung, Anpassung an den neusten Stand der (Sicherheits-)Technik, Auswahl des Fahrzeugführers (§ 7 Abs. 3 StVG) und die Versicherung potentieller Schäden begrenzen.133 Im Vergleich zum Geschädigten, für den das Schadensereignis in aller Regel Zufall (genauer: Pech) ist, auf den er im Vorfeld keine Einflussmöglichkeit hatte, ist die Risikoübernahme und die damit verbundene Schadensersatzpflicht des Schädigers gerechtfertigt. Ein weiteres prominentes Beispiel für eine gesetzliche Risikohaftung ist § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, der Körper oder die Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Der zur Haftung verpflichtete Hersteller beherrscht wegen der Möglichkeit, durch entsprechende Organisation des Produktionsprozesses, insbesondere durch intensive Überprüfung des Produkts auf Sicherheitsmängel, die Gefahrenquelle einzudämmen, die diesbezügliche Gefahr. Zudem setzt er das damit verbundene spezifische Risiko, indem er das fehlerbehaftete Produkt auf den Markt bringt. Bemerkenswert ist eine gemeinsame Betrachtung von § 7 Abs. 1 StVG und § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Ein KfZ-Hersteller haftet nicht für „natürliche“ Unfälle, obwohl er die Gefahr von Personen- und Sachschäden durch Entwicklung und Verkauf des KfZ überhaupt erst gesetzt hat, sondern (im Rahmen der besonderen gesetzlichen Beschränkungen) bloß für „unnatürliche“ Unfälle, die auf technischen Fehlern des KfZ beruhen. Die Risikosphären von Hersteller und Halter sind nach Beherrschbarkeit, Beherrschung und Setzen sowie Erhöhen des Risikos sowie dessen wirtschaftlicher Nutzbarmachung voneinander abgegrenzt. 132 Siehe nur Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 100 f., 103 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 159 f.; siehe auch Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309 (321 f.). 133 Siehe zur Gefährdungshaftung Kötz, AcP 170 (1970), 1 ff.; zudem Marburger, AcP 192 (1992), 1 ff., 28 ff., dieser insbesondere zur allgemeinen Zurückdrängung der Verschuldenshaftung.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Während dabei Produktfehler am KfZ in die Risikosphäre von sowohl Hersteller als auch Halter fallen, sich die beiden Risikosphären also überlappen, betrifft ein nicht produktfehlerbedingter Unfall alleine die Sphäre des Halters. In subjektiver Hinsicht machen sowohl § 7 Abs. 1 StVG als auch § 1 Abs. 1 ProdHaftG die Risikozurechnung nicht vom Vorliegen eines Risikobewusstseins abhängig. Indes ist fehlende Erkennbarkeit vom Gesetzgeber als haftungsbeschränkendes Element verstanden worden, denn nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ist fehlende Erkennbarkeit der Gefahr ein direkter und gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 StVG zumindest ein indirekter Grund für eine Beschränkung der Haftung. bb) Haftung für Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen Die Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB und für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB folgt unabhängig von der jeweils unterschiedlichen tatbestandlichen Ausgestaltung als bloße Zurechnungsnorm einerseits (§ 278 BGB) und eigenständige Anspruchsgrundlage andererseits (§ 831 BGB) ebenso dem Muster der Risikozurechnung.134 Wer im eigenen vertraglichen oder deliktischen Pflichtenkreis gegenüber anderen Personen Hilfspersonen einsetzt, also Kontrolle aus der Hand gibt, ist für deren (nicht notwendig von diesen verschuldeten) Pflichtverletzungen verantwortlich.135 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Geschäftsherr durch seine Entscheidung, ob er überhaupt eine Aufgabe auslagert und, falls ja, wen er mit der Aufgabe betraut, das Risiko beherrscht und durch die Auswahl und Anleitung des Gehilfen das Risiko setzt oder erhöht.136 In beiden Fällen knüpft das Gesetz die Zurechnung nicht ausdrücklich an das Vorliegen eines subjektiven Elements in Form eines Risikobewusstseins oder der Erkennbarkeit des Risikos. Allerdings setzt die gesetzliche Haftung jeweils an die Einsetzung einer Hilfsperson an, so dass der Geschäftsherr in sämtlichen Fällen eine Entscheidung über die Gehilfenbestellung getroffen hat, im Zuge dieser eine abstrakte Erkennbarkeit des Risikos zumindest denkbar ist.
134 So für § 278 BGB schon Motive II 30; BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 40/94 Rn. 12 (juris) = NJW 1996, 451; Staudinger/Caspers (2019), § 278 Rn. 1; für § 831 BGB siehe Staudinger/Bernau (2018 – Updatestand: 13.04.2020), § 831 Rn. 5. 135 BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 40/94 Rn. 12 (juris) = NJW 1996, 451; Soergel/Wolf, § 278 Rn. 1. 136 MüKoBGB/Schäfer, § 670 Rn. 7; Staudinger/Caspers (2019), § 278 Rn. 1; Staudinger/Bernau (2018 – Updatestand: 13.04.2020), § 831 Rn. 5.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien197
cc) Zivilrechtliche Risikozurechnung im Übrigen Das Gesetz nimmt weitere Risikozurechnungen vor. Nach § 670 BGB ist ein Auftraggeber (und über § 683 BGB auch der Geschäftsherr bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag) zum Ersatz verpflichtet, wenn der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Darunter fallen nicht bloß Aufwendungen im engeren Sinne, also freiwillige Vermögensopfer,137 sondern auch Schäden, also unfreiwillige Vermögensopfer.138 Wer somit durch die Beauftragung einer Person das Risiko dafür schafft, dass der Beauftragte im Rahmen des Auftrags Aufwendungen tätigt oder Schäden erleidet, muss auch dann Ersatz leisten, wenn er diese weder angeordnet noch ihnen im Vorfeld zugestimmt noch sie im Nachhinein genehmigt hat. Zumindest bei Aufwendungen steht dem Auftraggeber die Möglichkeit zu, das Risiko einer späteren Ersatzpflicht dadurch zu begrenzen, dass er dem Beauftragten im Vorfeld genaue Vorgaben macht, welche Arten von Aufwendungen gestattet sind, einen Genehmigungsvorbehalt für den Einzelfall vorsieht oder zumindest eine allgemeine Richtlinie ausgibt.139 Fehlendes Risikobewusstsein hindert die Zurechnung nach § 670 BGB nicht. Ein Erfordernis der Erkennbarkeit des Risikos ist in § 670 BGB in Form der Erforderlichkeit der Aufwendungen nach den Umständen als Tatbestandsmerkmal zumindest angedeutet.140 Die Rechtsprechung hat den Gedanken der Zurechnung nach dem Risikoprinzip etwa bei den Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer nach der Lehre vom innerbetrieblichen Schadensausgleich bei gefahrgeneigten Tätig keiten141 sowie bei der Beweislastumkehr bzw. Beweiserleichterung, bei137 BGH, Urt. v. 10.11.1988 – III ZR 215/87 Rn. 9 (juris) = NJW 1989, 1284 (1285); Erman/Berger, BGB, § 670 Rn. 7; Jauernig/Mansel, § 670 Rn. 2; Staudinger/ Martinek/Omlor (2017), § 670 Rn. 7. 138 Siehe insbesondere die Darstellung bei Staudinger/Martinek/Omlor (2017), § 670 Rn. 17 ff.; zudem Erman/Berger, BGB, § 670 Rn. 18 ff.; MüKoBGB/Schäfer, § 670 Rn. 11 ff. 139 Staudinger/Martinek/Omlor (2017), § 670 Rn. 11 ff. 140 Dies ist natürlich nicht zwingend, wenn man bedenkt, dass bei einem Auftrag auch unvorhersehbare Dinge passieren können, so dass auch unvorhersehbare Aufwendungen erforderlich sein können. Es ist somit alleine aufgrund der gesetzlichen Anordnung erkennbar, dass Aufwendungen auf den Auftraggeber zukommen können, nicht jedoch, ob dies dann tatsächlich der Fall sein wird und von welcher Art und in welcher Höhe. 141 Siehe BGH, Urt. v. 29.11.1990 – I ZR 45/89 Rn. 25 ff. (juris) = NJW 1991, 1683 (1685); BAG, Urt. v. 24.11.1987 – 8 AZR 524/82 Rn. 15 ff. (juris) = BAGE 57, 55 (59 ff.); Urt. v. 19.3.1959 – 2 AZR 402/55 Rn. 15 ff. (juris) = BAGE 7, 290 (295 ff.); Urt. v. 25.9.1957 – GS 4/56, GS 5/56 Rn. 19 ff. (juris) = BAGE 5, 1 (4 ff.).
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
spielsweise bei der deliktischen Produkthaftung142 und Arzthaftung,143 aufgegriffen und weiterentwickelt. Bei beiden ist der Gedanke der Risikosphäre Kern des Prinzips. Der Arbeitnehmer wird im Rahmen seines Arbeitsvertrages und des Weisungsrechts vom Arbeitgeber durch Übertragung von Aufgaben Risiken ausgesetzt, die zu Schäden führen können, während der Arbeitgeber diesem Risiko nicht ausgesetzt ist.144 Man denke etwa an einen Baggerfahrer, der bei seiner Tätigkeit Stromkabel durchtrennen oder fremdes Eigentum beschädigen kann, was dessen Arbeitgeber, dem Bauunternehmer, mangels Ausübung entsprechender Tätigkeiten nicht unterlaufen kann. Der Bauunternehmer profitiert aber von der für ihn wertschöpfenden Tätigkeit des Baggerfahrers, so dass er durch die Beauftragung mit der gefahrgeneigten Tätigkeit nicht nur das Risiko von entsprechenden Schäden gesetzt hat, sondern diese auch beherrscht (Auswahl von Personal und (Sicherheits-) Technik) und aus den Arbeiten wirtschaftliche Vorteile zieht. Nach einer normativen Betrachtung, bei der die Position des Arbeitgebers mit derjenigen des Arbeitnehmers verglichen wird, muss der Arbeitgeber zumindest in einem gewissen Umfang und bis zu einer bestimmten Grenze für die mit dem Risiko der Tätigkeit des Baggerfahrers einhergehenden Schäden einstehen. Ebenso sind der Hersteller und der behandelnde Arzt näher an den Risikound Fehlerquellen als der durch das Produkt oder den Behandlungsfehler Geschädigte, und können diese Fehlerquellen daher auch besser kontrollieren, also die Verwirklichung des Risikos verhindern. Zumindest langfristig führt dies zu einer verbesserten Vorsorge auf der Seite desjenigen, der die Vorsorge relativ besser treffen kann.145 Subjektive Risikozurechnungselemente wie Risikobewusstsein bzw. die Erkennbarkeit des Risikos146 werden insoweit nicht diskutiert. f) Risiko als Zurechnungsprinzip in der Rechtsgeschäftslehre aa) Zurechnung der Verpflichtung zur Erfüllung anstatt zum bloßen Ersatz von Vertrauensschäden aufgrund der Verantwortlichkeit für ein Risiko Die Rechtsgeschäftslehre kennt eine Reihe von Vorschriften, die positive (Erfüllungsverpflichtung i. S. d. § 362 Abs. 1 BGB) oder negative (Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens) rechtsgeschäftliche Rechtsfolgen einer Person 142 Staudinger/J. Hager
(2009), § 823 Rn. F 38 ff. (2009), § 823 Rn. I 55 ff. 144 Siehe schon BAG, Urt. v. 25.9.1957 – GS 4/56, GS 5/56 Rn. 32 ff. (juris) = BAGE 5, 1 (7 ff.). 145 Das ist einer der Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts, siehe Eidenmüller, AcP 197 (1997), 80 (81 ff., 126 ff.). 146 Siehe hierzu bereits unter E.II.7.d)cc). 143 Staudinger/J. Hager
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nach dem Risikoprinzip zurechnen.147 Diese rechtsgeschäftlichen Wirkungen sind von den ähnlichen rechtlichen Wirkungen zu unterscheiden, die von Prinzipien ganz anderer Stoßrichtung ausgehen, welche außerhalb der klassischen Rechtsgeschäftslehre liegen, wie etwa der gesetzlichen und außergesetzlichen Rechtsscheinhaftung sowie der allgemeinen Vertrauenshaftung.148 Die Kernfunktionsnormen der Rechtsgeschäftslehre enthalten nuancierte Varianten des Risikoprinzips, die für die Entwicklung eines allgemeinen Prinzips rechtsgeschäftlicher Zurechnung weiter herauszuarbeiten sind. Insbesondere die Frage, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen die Verantwortlichkeit für ein Risiko zu einer Erfüllungsverpflichtung, wann hingegen bloß (wenn überhaupt) zu einer Pflicht zum Ersatz eines entstandenen (Vertrauens-)Schadens führt, sucht eine Antwort. Dabei steht im Mittelpunkt des Interesses, wie das Gesetz die Risikosphären der einzelnen Beteiligten definiert, insbesondere ob sie sich jeweils absolut oder relativ zueinander bestimmen.149 Das Gesetz ermöglicht zudem die Einschaltung von Mittlern wie Boten, Vertretern oder Technik und sorgt auf diese Weise für eine Erhöhung der Zahl möglicher Fehlerquellen im rechtsgeschäftlichen Kommunikationsprozess. Treten neue Akteure bzw. Elemente auf den Plan, die von keinem der Akteure bewusst eingesetzt worden sind, rückt die genaue Bestimmung der Risikosphären ins Zentrum der Betrachtung. Zum Schwur kommt es bei der Identitätsanmaßung und dem Identitätsmissbrauch, also vor allem bei Hacking150 und Phishing151 im elektronischen Geschäftsverkehr. Hat keiner der Beteiligten ein besonderes Risiko für den Identitätsmissbrauch gesetzt, muss dennoch einer dessen Folgen tragen, wobei die Schadenstragung durch einen Beteiligten dann der Korrektur bedarf, wenn sie nicht der gesetzlichen Wertung entspricht.152 147 Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220 f.) sieht bei maschinellen Erklärungen (Computererklärungen) das Risikoprinzip als Kriterium für die Zurechnung von Erfüllungsverpflichtungen verwirklicht; siehe zudem Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 94. 148 Siehe hierzu schon unter B.III.4. und später unter E.II.11. 149 Siehe zu dieser Unterscheidung bereits unter E.II.7.c)aa)(2). 150 Beim Hacking verschafft sich der Hacker eigenständig Zugriff auf Computersysteme, indem er etwa Sicherheitslücken in der Hard- oder Software ausnutzt. 151 Im Unterschied zum Hacking ist beim Phishing der betroffene Nutzer selbst entscheidend am Missbrauch des Computersystems beteiligt, indem er aufgrund von gefälschten Webseiten, E-Mails oder Kurznachrichten persönliche (Zugangs-)Daten – insoweit freiwillig – aus der Hand gibt. 152 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 125 lehnt die Übernahme einer solchen allgemeinen Gefahr von Fälschungen von Willenserklärungen durch eine der an einem rechtsgeschäftlichen Vorgang beteiligten Personen mit Verweis auf das Erfordernis einer „besonderen Gefahr“ gemäß Kötz, AcP 170 (1970), 1 (23 ff.) ab. Sind jedoch durch das Handeln des „bösen Dritten“, den weder Erklärender noch Erklä-
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
bb) § 116 BGB Dogmatisch wird die Mentalreservation nach § 116 BGB teilweise als Ausprägung des Gedankens der Vertrauens- und Rechtsscheinhaftung aufgrund wissentlicher Schaffung eines Rechtsscheins verstanden, die wegen der überragenden Verantwortung des Erklärenden für den von ihm in die Welt gesetzten Erklärungstatbestand zu einer positiven Haftung führe.153 Andere knüpfen zur dogmatischen Begründung der Norm bereits daran an, dass der Erklärende den objektiven Tatbestand immerhin willentlich herbeiführe, was zur Wahrung des privatautonomen Selbstbestimmungsprinzips genüge.154 Dagegen spricht jedoch, dass privatautonomes Handeln im engeren Sinne nur dann vorliegt, wenn nicht nur das Setzen des objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung, sondern auch die damit verbundenen Rechtsfolgen gewollt sind.155 Die positive Haftung des Erklärenden lässt sich bei § 116 BGB jedoch vielmehr mit dem Risikoprinzip erklären. Das Eintreten der vom Erklärenden tatsächlich nicht gewollten Rechtsfolgen kann ohne weiteres der Risikosphäre des Erklärenden zugeordnet werden.156 Wer aus objektiv-normativer Empfängersicht den Tatbestand einer Willenserklärung setzt, sorgt für das Risiko, dass der Rechtsverkehr ihm diesen Tatbestand mit allen Konsequenzen als seine Willenserklärung zurechnet. Zugleich beherrscht der Erklärende das Geschehen, da er es selbst in der Hand hat, objektive Tatbestände von Willenserklärungen, deren Rechtsfolgen er nicht will, nicht zu erklären. Nimmt man die Risikoverteilung zwischen ihm und dem Erklärungsgegner in Blick, so ist dem Erklärenden das Risiko eher zuzuschreiben als dem Erklärungsgegner. Dies ändert sich in der Variante des § 116 S. 2 BGB. Dort wird dem Erklärenden das besondere Risiko und damit eine Erfüllungsverpflichtung deshalb nicht zugerechnet, weil es ein solch besonderes Risiko in dieser Konstellation nicht gibt. Wenn der Erklärungsgegner weiß, dass die erklärten rungsempfänger eingesetzt haben, Schäden entstanden, so muss im Ergebnis irgendjemand diese Schäden tragen. Bleibt die Person des „bösen Dritten“ unbekannt, so können gegen sie bestehende Ansprüche jedenfalls nicht realisiert werden. Haben die Beteiligten gegeneinander deswegen keine Ansprüche, etwa weil es in Bezug auf einen Schadensersatzanspruch am Verschulden fehlt, so verbleibt der Schaden bei demjenigen, der ihn erlitten hat. 153 Statt vieler Staudinger/Singer (2017), § 116 Rn. 1; kritisch hingegen Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 110. 154 So etwa Flume, BGB AT II, § 20, 1 (S. 402); Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 112; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 420. 155 Staudinger/Singer (2017), § 116 Rn. 1; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 114 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 203. 156 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 164 f.
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Rechtsfolgen vom Erklärenden tatsächlich nicht gewollt sind, liegt aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Erklärungsgegners bereits keine Willenserklärung vor.157 Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass im Einzelfall zusätzlich zum Risikoprinzip auch ein Verschulden des Erklärenden vorliegen und damit ebenso als Grundlage der Zurechnung dienen könnte.158 Verschulden umfasst – als das im Vergleich zum Risiko wegen dessen strengeren Voraussetzungen im Ergebnis stärker bindende Zurechnungskriterium – stets auch die Haftung für Risiko.159 Wegen § 116 S. 2 BGB ließe sich die positive Haftung des Erklärenden im Übrigen nicht alleine auf das Verschuldensprinzip stützen, denn Vorsatz oder Fahrlässigkeit, also Wissen oder Wissenkönnen des Erklärenden alleine führen nicht notwendig immer zu einer Erfüllungsverpflichtung, da die fehlende Kenntnis des Erklärungsgegners hinzutreten muss, für die der Erklärende aber gerade nicht selbst sorgen kann. cc) § 117 BGB Bei einem Scheingeschäft i. S. d. § 117 Abs. 1 BGB liegt aus objektivnormativer Empfängersicht bereits keine Willenserklärung vor,160 so dass sich die Frage der Zurechnung einer Willenserklärung erst gar nicht stellt. Tatsächlich setzt und beherrscht der Scheinerklärende im Einvernehmen mit dem Erklärungsgegner das Risiko, dass der Rechtsverkehr die Erklärung – wie es dem wirklichen Willen des Scheinerklärenden ja gerade entspricht – nicht ernst nimmt. dd) § 118 BGB Bei einer Scherzerklärung i. S. d. § 118 BGB setzt und beherrscht der Scherzerklärende das Risiko, dass der Erklärungsgegner den Scherz nicht erkennt und im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung Dispositionen vornimmt, die zu einem (Vertrauens-)Schaden führen.161 Dem Erklärenden 157 Ähnliche Überlegungen stellt bereits Brehmer, Wille und Erklärung, S. 164 an; zur Weite und Tiefe des objektiv-normativen Empfängerhorizonts siehe bereits unter D.V.5. 158 Zwingend ist das Vorliegen von Verschulden in den Fallkonstellationen des § 116 BGB hingegen keineswegs. 159 Siehe zur Haftung aufgrund des Verschuldensprinzips nachfolgend unter E.II.8. 160 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 44; Staudinger/Singer (2017), § 117 Rn. 1 f.; ähnliche Überlegungen bei Brehmer, Wille und Erklärung, S. 165 f.; siehe hierzu bereits unter B.II.1.d). 161 Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 2; so muss wohl auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 190 f. verstanden werden; siehe zudem Brehmer, Wille und Erklärung, S. 162.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
ist es im Vorfeld seines Scherzes möglich, durch Vermeidung oder Modifi kation des Scherzes das Risiko von Missverständnissen zu minimieren oder ganz auszuschalten, etwa auch durch eine entsprechende Aufklärung unmittelbar danach.162 Das Risiko entstammt somit seiner Risikosphäre. Klärt er nicht auf, muss er dem Erklärungsgegner nach § 122 Abs. 1 BGB den auf das positive Interesse beschränkten Vertrauensschaden ersetzen, wenn der Erklärungsgegner (bzw. der Dritte i. S. d. § 122 Abs. 1 BGB) die Nichtigkeit nach § 118 BGB nicht kannte und nicht kennen musste (§ 122 Abs. 2 BGB). Im Ergebnis führt das Zusammenspiel dieser Normen nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zu einem Schadensersatzanspruch des Erklärungsgegners gegen den Erklärenden, nämlich bloß dann, wenn der Adressat den Scherz – in der Regel sowohl für den Erklärenden wie auch für andere Personen wider Erwarten – nicht erkennt, er ihn auch nicht hätte erkennen müssen und ihm daraus tatsächlich ein (realer Vertrauens-)Schaden entsteht. Zumeist dürfte ein Schadensersatzanspruch zumindest am Kennenmüssen scheitern, denn typischerweise ist die als Scherz gewollte Erklärung objektiv-normativ als ein solcher erkennbar, so dass regelmäßig kein objektiver Tatbestand einer Willenserklärung vorliegt.163 Lediglich in dem praktisch kaum denkbaren Ausnahmefall des unverschuldeten Nichterkennens des Scherzes haftet der Erklärende auf Schadensersatz, nicht jedoch auf Erfüllung. Die fehlende Erfüllungsverpflichtung ist konsequent, da der Erklärende zwar ein Risiko für Missverständnisse im Rechtsverkehr setzt, die Verwirklichung dieses Risikos jedoch nicht nur aus seiner eigenen, rein subjektiven Sicht, sondern auch objektiv unwahrscheinlich ist. Aufgrund des in den Fällen des § 118 BGB regelmäßig fehlenden objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung kann der Risikogedanke somit keine Erfüllungsverpflichtung des Erklärenden tragen.164 Aus §§ 118, 122 BGB folgt somit eine Schadensersatzpflicht für objektiv sichtbar ungewolltes Handeln, das der Erklärungsgegner subjektiv ausnahmsweise nicht als ungewollt erkennt. § 118 BGB ist eine systemwidrige und nicht verallgemeinerungsfähige Vorschrift der Rechtsgeschäftslehre,165 die durch ihren Regelungsgehalt die unverbindliche alltägliche menschliche Kommunikation erleichtert, indem sie etwa aus didaktischen oder sonstigen Gründen Dahingesagtes schützt, und so letztlich überhaupt erst ermöglicht. 162 Staudinger/Singer
(2017), § 118 Rn. 5. § 118 Rn. 6; Staudinger/Singer (2017), § 118 Rn. 2; wohl hingegen anders Brehmer, Wille und Erklärung, S. 161. 164 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 173 sieht in der unterschiedlichen Behandlung von § 118 (Nichtigkeitsfolge) und fehlendem Erklärungsbewusstsein (siehe dazu unter D.IV.5.) einen Wertungswiderspruch; in diese Richtung ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 433 ff. 165 MüKoBGB/Armbrüster, § 118 Rn. 1 f.; Palandt/Ellenberger, § 118 Rn. 2; siehe zudem bereits unter B.II.1.e) und unter D.IV.5.c)bb). 163 MüKoBGB/Armbrüster,
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ee) § 119 BGB (mit §§ 121, 143 BGB) Den Vorschriften des Anfechtungsrechts liegt eine abgestufte Zurechnung nach dem Risikoprinzip zugrunde.166 Wer bei der Willensbildung irrt, in der gängigen Terminologie also einem Motivirrtum unterliegt, kann sich von dem ihm zugerechneten objektiven Willenserklärungstatbestand grundsätzlich nicht mehr durch Anfechtung lösen,167 haftet somit trotz nur eingeschränkter Verwirklichung der eigenen Selbstbestimmung positiv auf Erfüllung. Wer indes die objektive Bedeutung der von ihm gewählten Erklärungszeichen nicht kennt (Inhaltsirrtum) oder sich bei der Auswahl der Erklärungszeichen irrt (Erklärungsirrtum), kann seine Erklärung unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (insbesondere in Bezug auf Frist und Form gemäß §§ 121, 143 BGB) anfechten. Wird dem Erklärenden der Unterschied zwischen seinem Willen und seiner Erklärung nie bewusst, versäumt er die Anfechtungsfrist oder entscheidet er sich bewusst gegen die Anfechtung, haftet er ebenso beständig positiv. Bloß im Falle einer frist- und formgerechten Anfechtung der fehlerbehafteten Erklärung haftet der Erklärende nicht positiv, sondern unter den weiteren Voraussetzungen des § 122 Abs. 1, Abs. 2 BGB negativ auf Ersatz des Vertrauensschadens. Gänzlich von der Haftung befreien kann sich der Erklärende nicht mehr, sobald er den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung zurechenbar gesetzt hat. Für diese abgestufte (Zurechnungs-)Haftung aufgrund einer insoweit fehlerbehafteten Willenserklärung gibt es unterschiedliche dogmatische Erklärungsansätze. Teils fasst man § 121 BGB als Fall einer Klarstellungsobliegenheit auf, bei deren Verletzung wegen eines Verschuldens gegen sich selbst die positive rechtsgeschäftliche Bindung des Erklärenden die Folge sei.168 Allerdings bleibt bei dieser Sichtweise im Unklaren, weshalb daraus eine positive und nicht bloß eine negative Haftung entsteht.169 Andere sehen 166 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 256 f. stellt hingegen den vertraglichen Vertrauensschutz jedenfalls als Prinzip des § 119 Abs. 1 BGB in den Vordergrund. 167 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 4, der freilich zu Recht darauf hinweist, dass nur solche Motivirrtümer nicht der Anfechtung unterliegen, die sich alleine in der Phase der Willensbildung auswirken. Irrtümer, die in der Erklärungshandlung fortwirken, können hingegen zu einer späteren Anfechtung berechtigen. 168 So etwa Zitelmann, BGB AT, S. 170; in diese Richtung zudem MüKoBGB/ Armbrüster, § 121 Rn. 2; kritisch jedoch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 116 f. 169 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 116 f. beschreibt das Argument der Verletzung einer Klarstellungsobliegenheit folgerichtig als indifferent in Bezug auf die (positive oder negative) Rechtsfolge; er sieht das Anfechtungsrecht durch die Wertung des Prinzips der Selbstbestimmung geprägt.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
§ 121 BGB als gesetzliche Befristung (Präklusivfrist) für die Selbstbestimmungsfreiheit, nach deren Ablauf der Gesetzgeber als Ersatz für die Selbstbestimmung positive oder negative Rechtsfolgen setzen müsse.170 Dabei sei eine vom Gesetzgeber angeordnete negative Rechtsfolge kein Eingriff in die Selbstbestimmungsfreiheit. Die positiven Rechtsfolgen seien entweder bloß Eingriffe von geringem Gewicht oder durch höherrangige Zurechnungsgründe gerechtfertigt, wie etwa dem Verkehrsschutz,171 der insbesondere durch die gesetzgeberische Entscheidung für die (bis zur Anfechtung) schwebende Wirksamkeit (statt schwebende Unwirksamkeit) gestärkt sei.172 Weiter dient der Vertrauensschutz als Begründung,173 wobei eine positive Rechtsfolge zu diesem Zwecke keineswegs zwingend ist, wie die gesetzlichen Ansprüche auf Ersatz des Vertrauensschadens gerade zeigen. Das abgestufte Haftungskonzept des Anfechtungsrechts lässt sich jedoch deutlich stringenter als Zurechnung aufgrund von Zuordnungen zu Risikosphären erklären. Der Erklärende besitzt Kontrolle über den eigenen Willensbildungsprozess, er kann die entscheidenden Faktoren bewusst wie unbewusst verarbeiten, etwaige Fehler korrigieren und das entstandene Ergebnis kontrollieren,174 so dass eine aus der Risikosphäre des Erklärenden bereits fehlerhaft hervorgehende Willenserklärung besonders stark und anfechtungsfest bindet.175 Fehler bei der Erklärungshandlung unterliegen zwar ebenso der Kontrolle des Erklärenden, hingegen nicht mehr ohne weiteres auch dessen Korrektur. Zwar erhöht der Erklärende erst durch den Schritt, einen zunächst nur intern gebildeten Willen zu externalisieren, das Risiko von Schäden im Rechtsverkehr im Vergleich zur bloß inneren Willensbildung, so dass man von einem vergleichsweise höheren Risiko und einem insoweit auch höheren Gefahrenpotential sprechen könnte. Indes geht mit der Vornahme der Erklärungshandlung zugleich ein nicht unerheblicher Kontrollverlust einher, da (Teil-)Erklärtes nicht ohne Folgen korrigiert werden kann, so Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 118. Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 118 f., der als echte Eingriffe in die Selbstbestimmungsfreiheit die §§ 149 S. 2, 516 Abs. 2 S. 2, 416 Abs. 1 S. 2, 2307 Abs. 2 S. 2 BGB sowie die handelsrechtlichen Tatbestände §§ 75h, 91a, 362 HGB erwähnt; überhaupt sei die Möglichkeit der (verkehrsfreundlichen) Anfechtung gerade für das Arbeits-, Gesellschafts- und Handelsrecht problematisch (Staudinger/ Singer (2017), § 119 Rn. 3). 172 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 124 f. 173 Staudinger/Singer (2017), § 121 Rn. 1; kritisch vor allem Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 154 ff. 174 Staudinger/Singer (2017), § 119 Rn. 5; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 101. 175 In diese Richtung Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 127, nach dem der Erklärende nach einem eigenen Fehler die Verantwortung und damit auch das Verständigungsrisiko trage. 170 Singer, 171 Singer,
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien205
dass die – gerade auch im Verhältnis zum Erklärungsgegner – wegen der Anfechtbarkeit der Erklärung schwächere Bindung gerechtfertigt ist. Schließlich trägt die vom Gesetzgeber gemäß § 121 BGB angestrebte, ausdrücklich möglichst schnelle Aufklärung des Fehlers, die naturgemäß ebenso der Sphäre des Erklärenden zuzuordnen ist, da die Diskrepanz zwischen Wille und Erklärung regelmäßig nur dem Erklärenden bekannt ist, zu einer Verringerung des Risikos von Missverständnissen und Schäden im Rechtsverkehr bei. Denn der Erklärungsgegner weiß ab diesem Zeitpunkt, dass der Erklärende eine positive Bindung nicht gewollt hat. Daraus folgt die Rechtfertigung für die Reduktion der Haftung auf den Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 BGB). Wer trotz der für den Fristbeginn des § 121 Abs. 1 BGB vorausgesetzten Kenntnis des eigenen Fehlers die Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig aufklärt, haftet positiv auf Erfüllung, weil er das Risiko der beständig fortdauernden positiven Haftung in eigenen Händen gehalten, also beherrscht hat.176 Die trotz letztlich fehlender privatautonomer Selbstbestimmung positive Bindung an das Erklärte bei Fehlern im eigenen Willensbildungsprozess und bei Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist folgt somit aus dem Gedanken der Haftung für die eigene Risikosphäre, insbesondere wegen Beherrschbarkeit und tatsächlicher Beherrschung des Risikos. ff) § 120 BGB Gemäß § 120 BGB ist eine von einer Person oder (Übermittlungs-)Einrichtung unrichtig oder verfälscht übermittelte Willenserklärung zunächst als Willenserklärung des tatsächlich übermittelten Inhalts vorbehaltlich der sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen wirksam, kann jedoch vom Erklärenden mit der Folge der Schadensersatzpflicht gemäß § 122 BGB angefochten werden. Zumindest vorläufig besteht somit eine positive Bindung an den objektiven Erklärungstatbestand.177 Als hinter § 120 BGB stehendes Zurechnungsprinzip sehen manche Stimmen das Veranlassungsprinzip.178 Überzeugender ist jedoch die Begründung mit dem Risikoprinzip.179 Das Risiko einer unrichtig oder falsch übermittelten Willenserklärung entspringt 176 Siehe
hierzu schon die Ausführungen unter E.II.7.b)aa) und E.II.7.c). Die Willenserklärung ohne Willen, S. 127 sieht in den Vorschriften §§ 120, 122 BGB weniger eine positive Haftung des Erklärenden, als vielmehr eine – durch die bei Aufdeckung der Falschübermittlung wohl regelmäßig erfolgende Anfechtung vermittelte – Haftung auf Schadensersatz für enttäuschtes Vertrauen. 178 So auf den ersten Blick Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 127, der sich mit dieser Aussage jedoch tatsächlich auf das hinter § 122 BGB stehende Zurechnungsprinzip bezieht. 179 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 89; MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2006, § 120 Rn. 1; ebenso nun MüKoBGB/Armbrüster, § 120 Rn. 1; Soergel/Hefermehl, 177 Werba,
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
in den Fällen des § 120 BGB (insbesondere auch im Verhältnis zum Erklärungsgegner) der Risikosphäre des Erklärenden, der durch Auswahl, Kon trolle und Instruktion des Boten oder der verwendeten Übermittlungstechnik die Sicherheit der Übertragung der Willenserklärung entscheidend beeinflussen kann, und deshalb haftet.180 Der Erklärende beherrscht das Risiko und erhöht es zugleich, indem er zwischen sich und den Erklärungsempfänger eine Zwischenstation einbaut. Auch die (bewusste) Verfälschung und damit die absichtlich falsch übermittelte oder gar frei erfundene Willenserklärung, die ein Bote überbringt, ist (im relativen Vergleich eher) der Risikosphäre des Erklärenden zuzuordnen, so dass der Erklärende auch in diesen Fällen zunächst positiv, nach einer etwaigen Anfechtung jedenfalls aber negativ (§ 122 BGB) haftet.181 Die Gegenmeinung lehnt sowohl eine vorläufig positive, als auch eine negative Haftung des Auftraggebers des vorsätzlich falsch übermittelnden Boten ab und will den Boten wie einen Vertreter ohne Vertretungsmacht haften lassen.182 Eine solche Haftungsfreistellung des Erklärenden ist für den Erklärungsgegner jedoch alleine schon deshalb unbillig, weil der Erklärende durch seine Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Auswahl und Anleitung des Boten der Risikovermeidung näher steht, als der Erklärende selbst, der die Falschübermittlung zumeist schon deshalb nicht beeinflussen kann, weil er nicht einmal weiß, dass bzw. mit welchem Inhalt ihn eine Willenserklärung erreichen soll,183 und er bei Vermögenslosigkeit oder bei Nicht-Auffindbarkeit des Boten vollkommen ohne Schuldner für seinen (Vertrauens-)Schaden auskommen muss. Zudem unterscheidet schon der § 120 Rn. 1; Staudinger/Singer (2017), § 120 Rn. 1 ff.; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 255; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 102 f.; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 152; Marburger, AcP 173 (1973), 137 (155, 157). 180 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 89; Staudinger/Singer (2017), § 120 Rn. 4; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 102 f.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 128; Marburger, AcP 173 (1973), 137 (155). 181 Staudinger/Singer (2017), § 120 Rn. 4; Leenen, BGB AT, § 14 Rn. 63; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 128 f.; Jahr, JuS 1989, 249 (256); Marburger, AcP 172 (1973), 137 (153); anders jedoch die (wohl noch) h. M. BGH, Urt. v. 19.11.1962 – VIII ZR 229/61 (juris) = WM 1963, 165 (166), OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.6.2008 – I-24 U 175/07, 24 U 175/07 Rn. 15 (juris) = OLGR 2009, 67 (68); Flume, BGB AT II, § 23, 3 (S. 456); Larenz, BGB AT, § 20 IIa (S. 377); BeckOK BGB/Wendtland, § 120 Rn. 5; Palandt/Ellenberger, § 120 Rn. 4; Staudinger/ Schilken (2019), Vorb. zu §§ 164 ff. Rn. 81. 182 Siehe die Darstellung bei Staudinger/Singer (2017), § 120 Rn. 2 m. w. N.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 232 ff. will den Boten bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen auf Schadensersatz haften lassen. 183 Etwa in dem Fall, dass der Erklärende gewissermaßen aus dem Nichts, also ohne vorvertraglichen Kontakt oder Verhandlungen, ein Angebot auf Abschluss eines Vertrages an den Erklärungsempfänger übermittelt.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien207
Wortlaut des § 120 BGB nicht zwischen unverschuldeter, fahrlässiger oder vorsätzlicher Falschübermittlung des Boten,184 so dass auch die Fälle absichtlicher Falschübermittlung von der Vorschrift erfasst werden. Für eine zu einem anderen Ergebnis führende teleologische Reduktion des § 120 BGB besteht somit kein Anlass. Zwar ist innerhalb der Dreipersonenkonstellation der Bote der Störer, jedoch der Erklärende der auslösende Risikofaktor, der diesen überhaupt erst ins Spiel gebracht hat. Betrachtet man bloß das insoweit letztlich entscheidende Zweipersonenverhältnis zwischen Erklärendem und Erklärungsgegner, zählt der Bote in § 120 BGB eindeutig zur Risikosphäre des Erklärenden, der daher das Risiko im Rahmen des § 120 BGB – zunächst positiv und nach etwaiger Anfechtung negativ – tragen muss. Anders verhält es sich jedoch, wenn der (vermeintliche) Bote des Erklärenden tatsächlich nicht von diesem stammt bzw. losgeschickt worden ist, sondern vollkommen eigenmächtig handelt und nur dem Anschein nach eine Erklärung des Erklärenden übermittelt, faktisch also gar kein Bote im terminologischen Sinne ist (sog. Pseudobote).185 Die Willenserklärung eines Pseudoboten ist dem (vermeintlich) Erklärenden nicht zurechenbar, denn für eine solche, ihm möglicherweise sogar völlig unbekannte Mittelsperson hat er weder ein besonderes Risiko geschaffen noch hat er das entsprechende Risiko beherrscht, so dass es nicht zu seiner Risikosphäre zählt.186 Für den Erklärenden ist der Pseudobote ein außenstehender Dritter, mit dem ihn konkret nichts verbindet. Eine Einschränkung gilt dann, wenn der Erklärende doch ein höheres (Fälschungs-)Risiko setzt (und somit beherrscht), indem er etwa zu Gunsten des Boten eine urkundlich verkörperte Botenmacht ausstellt oder mit einem anderen Blankett hantiert.187 Die starke Mindermeinung plädiert in dieser Konstellation dementsprechend für eine zunächst positive Zurechnung als Willenserklärung des Erklärenden nach dem Risikoprinzip, deren Bindung der Erklärende durch rechtzeitige Anfechtung auf eine Haftung für den Vertrauensschaden reduzieren kann. Für drittbezogenes rechtsgeschäftliches Handeln eines falschen und daher nur vermeintlichen Boten
184 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 89; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 129, der insoweit auch den Willen des historischen Gesetzgebers betont; in diese Richtung ist wohl auch Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 102 f. zu verstehen. 185 HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 90; MüKoBGB/Armbrüster, § 120 Rn. 4; MüKoBGB/Schubert, § 177 Rn. 7; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 102 f. 186 BGH, Urt. v. 21.5.2008 – IV ZR 238/06 Rn. 35 (juris) = NJW 2008, 2702 (2704 f.); MüKoBGB/Armbrüster, § 120 Rn. 4; Staudinger/Singer (2017), § 120 Rn. 3. 187 Canaris, Vertrauenshaftung S. 482 f., 487 f.; ebenso differenzierend Staudinger/ Singer (2017), § 120 Rn. 3.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
muss der Erklärende jedoch nicht haften, wenn er das Risiko dafür weder geschaffen noch erhöht oder beherrscht hat. gg) § 122 BGB Zum Ersatz des Vertrauensschadens ist ein Erklärender nach § 122 BGB dann verpflichtet, wenn er einen Scherz erklärt (§ 118 BGB), eine irrtumsbehaftete Willenserklärung abgibt (§ 119 Abs. 1, Abs. 2 BGB) oder ein Bote oder eine Einrichtung die Willenserklärung fehlerhaft übermittelt (§ 120 BGB), und dadurch bei dem Erklärungsgegner oder einem Dritten ein Vertrauensschaden entsteht. Bereits im Wortlaut des § 122 BGB kommt der Rechtsgrund der Vorschrift zum Ausdruck, der Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers. Insgesamt ergebe das Zusammenspiel mit §§ 119, 120, 121 BGB ein mehrstufiges System der Vertrauens- und Rechtsscheinhaftung.188 Dieser rechtspolitische Zweck, den auf die fehlerbehaftete Erklärung Vertrauenden (§ 122 Abs. 2 BGB) in Bezug auf seine vertrauensbedingten Dispositionen zu schützen, ist jedoch von der Frage zu unterscheiden, nach welchem dahinterstehenden Zurechnungsprinzip die Zurechnung des Vertrauensschadens erfolgt. Nicht wenige sehen das Veranlassungsprinzip verwirklicht,189 ohne zu erläutern, wie die reine Veranlassung (Kausalität) ohne weitere, wertende Kriterien zu einer Zurechnung führen soll.190 Teils wird Verschulden als entscheidendes Zurechnungskriterium genannt.191 Zwar mag dem Erklärenden in den meisten Fällen der Scherzerklärung (§ 118 BGB) oder – erst recht – der irrtümlichen Willenserklärung (§ 119 BGB) ein Schuldvorwurf gemacht werden können, so dass insoweit regelmäßig ein Verschulden vorliegen dürfte, doch ist dies – alleine schon nach dem eindeutigen Wortlaut – gerade nicht (Mindest-)Voraussetzung.192 Zudem würde die Annahme eines Verschuldenselements den Rechtsverkehr mit der Bürde des oft nur schwierigen Verschuldensnachweises belasten und dadurch dem Verkehrsschutz in gewisser Weise widersprechen, den das Anfechtungsrecht aber 188 Staudinger/Singer (2017), § 122 Rn. 1; ebenso in diese Richtung Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 130; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S. 474 ff. 189 So etwa BGH, Urt. v. 14.3.1969 – V ZR 8/65 Rn. 40 (juris) = WM 1969, 816 (818); RG, Urt. v. 25.2.1913 – III 403/12 = RGZ 81, 395 (398); Urt. v. 27.5.1905 = RGZ 60, 345; Erman/Arnold, BGB, § 122 Rn. 1; Jauernig/Mansel, § 122 Rn. 2; Palandt/Ellenberger, § 122 Rn. 1; wohl ebenso Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, S. 38 ff. 190 Staudinger/Singer (2017), § 122 Rn. 2; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 473 f.; siehe zu diesem Problem zudem bereits unter E.II.6. 191 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 207 ff., 341. 192 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 188.
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ebenso bezweckt.193 Im Übrigen ist Anknüpfungspunkt für die Haftung aus § 122 BGB nur vordergründig die Anfechtung gemäß §§ 119, 120 BGB, welche als solche stets vorsätzlich und somit schuldhaft erfolgt. In § 122 BGB liegt keine Haftung für das durch die Anfechtung enttäuschte Vertrauen in den Fortbestand einer fehlerhaften Willenserklärung, sondern für das bereits durch die fehlerhafte Willenserklärung herausgeforderte Vertrauen, das den Erklärungsgegner oder Dritten zu Vertrauensdispositionen veranlasst hat.194 Dies zeigt alleine schon der in § 122 BGB vorgesehene Gleichlauf von bereits aus sich heraus nichtigen (Willens-)Erklärungen gemäß § 118 BGB einerseits und gemäß §§ 119, 120 BGB angefochtenen Erklärungen andererseits. Die Haftung für bereits anfechtungslos nichtige Scherzerklärungen lässt sich gerade nicht an die Anfechtung knüpfen.195 Der Haftung aus § 122 BGB liegt vielmehr das Risikoprinzip zugrunde.196 Der Erklärende hat es selbst in der Hand, sich bei seiner Erklärungshandlung unmissverständlich und fehlerfrei auszudrücken und damit das Vertrauen in das Vorliegen eines objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung zu fördern, der dauerhaft von Bestand ist. Entlässt der Erklärende aber bewusst oder unbewusst, also verschuldet oder unverschuldet, eine fehlerhafte Willenserklärung in die Welt, die zu diesem Zeitpunkt nicht seinem Willen entspricht, so setzt er das Risiko, dass der Erklärungsgegner und Dritte, die – wie es für einen schnellen und reibungslosen Rechtsverkehr notwendig und sinnvoll ist – im (wegen § 122 Abs. 2 BGB berechtigten) Vertrauen auf die Gültigkeit der fehlerbehafteten Willenserklärung Dispositionen treffen, Schäden erleiden. Die fehlerhafte Willenserklärung entstammt somit der Risikosphäre 193 So
Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 130. AcP 169 (1969), 193 (208 f.); siehe zum Vertrauensschutz durch § 122 BGB zudem Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 127. 195 Als weiteres Argument für die Anknüpfung der Haftung an das Veranlassen der fehlerhaften Willenserklärung statt an deren Anfechtung soll die Tatsache sein, dass man die im ersten Entwurf des BGB noch vorgesehene per se-Nichtigkeit (ohne das Erfordernis einer Anfechtung) einer irrtumsbehafteten Willenserklärung bereits mit der Haftungsfolge des § 122 BGB versehen wollte, so dass es nach der Grundkonzeption des historischen Gesetzgebers nicht auf eine Anfechtung ankommen konnte (so Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 130; Raiser, AcP 127 (1929), 1 (25)). 196 So schon Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309 (351 ff., 413 ff., 437 f.); Raiser, AcP 127 (1927), 1 (27); Erman, AcP 139 (1934), 273 (327); Marburger, AcP 173 (1973), 137 (154 f.); darauf aufbauend dann Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470, 479 ff., 486, 535 f.; siehe zudem HKK/Schermaier, BGB, §§ 116–124 Rn. 23; MüKo BGB/Kramer, 5. Aufl. 2006, § 122 Rn. 3; Soergel/Hefermehl, § 122 Rn. 1; Stau dinger/Singer (2017), § 122 Rn. 2; Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 101; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 77; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 188 f.; Canaris, JZ 1976, 132 (134); Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (219 ff.). 194 Ostheim,
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
des Erklärenden, zumal im Verhältnis zum Erklärungsgegner,197 der deshalb einen bei ihm entstehenden Schaden im Ergebnis nicht tragen muss. Nur ausnahmsweise ist der Erklärende von der Haftung des § 122 BGB frei, nämlich wenn der Ausgangspunkt für die fehlerhafte Willenserklärung tatsächlich in der Risikosphäre des Erklärungsgegners liegt oder der Erklärende den Fehler der Willenserklärung kannte oder kennen musste (§ 122 Abs. 2 BGB), und deshalb den entstandenen Schaden letztlich selbst verantworten muss.198 hh) § 130 BGB Während bei § 120 BGB tatbestandlich zwingend ein Bote oder eine Einrichtung zur Übermittlung eingesetzt sein muss, ist dies bei § 130 BGB keine Voraussetzung (indes auch kein Hindernis). Es bedarf bloß des Zugangs, unabhängig von der Art der Übermittlung, die damit sowohl mittelbar als auch durch den Erklärenden selbst erfolgen kann. Der recht allgemein und dadurch weit gehaltene Zugangsbegriff und seine genauere Bestimmung waren zwangsläufig Gegenstand von Diskussionen. Während sowohl die noch im 19. Jahrhundert diskutierte sog. Äußerungstheorie (Wirksamenwerden einer Willenserklärung bereits mit deren Äußerung) als auch die sog. Entäußerungstheorie (auch Übermittlungstheorie, Wirksamwerden mit Absendung in Richtung des richtigen Empfängers) mit Einführung des § 130 Abs. 1 BGB in das BGB offensichtlich eine Absage erhielten, blieb nach dem Wortlaut der Vorschrift offen, ob der sog. Empfangstheorie (Wirksamwerden bereits mit Empfang des Erklärungsempfängers) oder der sog. Vernehmungstheorie (Wirksamwerden erst mit korrekter Kenntnisnahme der Erklärung durch den Empfänger) Vorrang zu geben ist.199 Jedenfalls nach dem Wortlaut erfordert Zugang keine Kenntnisnahme der Erklärung. Durchgesetzt hat sich die Empfangstheorie, die den Zugangsbegriff aufgrund von Risikoerwägungen bestimmt.200 197 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 481; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 131. 198 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 131 mit Verweis auf RG, Urt. v. 25.2.1913 – III 403/12 = RGZ 81, 395 (398) und Flume, BGB AT II, § 21, 7 (S. 424). 199 Siehe hierzu die Darstellung der Entwicklung bei Staudinger/Singer (2017), § 130 Rn. 2 ff., 41. 200 Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 2; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 129, der das Ergebnis als Kompromisslösung bezeichnet; tatsächlich sprechen gegen die Vernehmungstheorie vor allem zwei Argumente, zum einen hätte es der Empfänger innerhalb seines Einflussbereichs ansonsten stets selbst in der Hand, ob und wann er die Willenserklärung wirksam werden ließe, ohne dass dies der Erklärende beeinflussen könnte, und zum anderen sähe sich der Erklärende diesbezüglich mit Beweisschwierigkeiten konfrontiert, da er in den Einflussbereich des Empfängers
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien211
Betrachtet man bloß den Erklärenden und den Erklärungsgegner, lässt sich eine räumlich-gegenständliche und damit bildhaft tatsächlich als (Einwirkungs-)Sphären vorstellbare relative Risikoabgrenzung vornehmen.201 Während der Erklärende durch die Entscheidung für eine direkte oder bloß indirekte Übermittlung seiner Erklärung an den Empfänger bewusst oder unbewusst das Risiko für Übermittlungsfehler setzt und dieses Risiko zugleich beherrscht, weil er den Übermittlungsweg selbst wählen und kontrollieren kann, besteht diese Möglichkeit für den Empfänger bis zur Grenze seines Einflussbereichs nicht. Umgekehrt endet die Beherrschung bzw. Beherrschbarkeit des Kommunikationswegs durch den Erklärenden an der Sphärengrenze zum Empfänger, während dieser wiederum von da an sowohl das Risiko (des Misslingens) beherrscht als auch durch Auswahl und Sicherung der Empfangseinrichtung beeinflussen kann. Aufgrund dieser Überlegungen haben Literatur und Rechtsprechung den Zugangsbegriff dahingehend bestimmt, dass die Willenserklärung in den Macht- bzw. Einwirkungsbereich des Empfängers gelangen und mit ihrer Kenntnisnahme durch den Empfänger unter gewöhnlichen Umständen zu rechnen sein muss.202 § 130 Abs. 1 BGB liegt somit eine zweistufige Abgrenzung nach Risikosphären zugrunde. Zunächst hat sich der Gesetzgeber mit Einführung des § 130 Abs. 1 BGB für die Zugangslösung und gegen die Wirksamkeit einer Willenserklärung durch bloße (Ent-)Äußerung entschieden, denn der Erklärende setzt und beherrscht das spezifische Risiko, es zählt also zur seiner Risikosphäre. In einem zweiten Schritt haben Literatur und Rechtsprechung daran anknüpfend durch ihre Definition des Zugangsbegriffs gemäß der Empfangstheorie eine weitere Bestimmung, und dadurch eine Konturierung der Risikosphären vorgenommen. Die relative Zuordnung von Risiken zu den jeweiligen Risikosphären führt anders als bei den §§ 116–122 BGB nicht unmittelbar zu einer positiven oder negativen Haftungskonsequenz für den Erklärenden, sondern bloß zur Erkenntnis, ob die betreffende Willenserklärung wirksam geworden ist. Dies liegt daran, dass die Risikozuordnung nach § 130 Abs. 1 BGB an eine bereits bestehende Willenserklärung anknüpft und es somit im Gegensatz zu den anderen genannten Vorschriften nicht mehr um die Existenz der Willenserklärung geht. Aus § 130 Abs. 1 BGB lässt sich der Grundgedanke ableiten, dass das Verhalten einer Person keine rechtsgegerade keinen Einblick hat (so auch Staudinger/Singer (2017), § 130 Rn. 8 mit Verweis u. a. auf Motive I 156). 201 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 118 ff.; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 162 f., 389. 202 So schon das RG, Urt. v. 10.11.1933 – VII 192/33 = RGZ 142, 402 (407); Urt. v. 14.4.1920 – I 275/19 = RGZ 99, 20 (23); Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 41 ff.; siehe zudem Brehmer, Wille und Erklärung, S. 118 ff.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
schäftliche Wirkung hat, solange es deren Einwirkungs- und damit Risikosphäre nicht verlassen hat. ii) §§ 170–173 BGB (1) Dogmatische Einordnung der §§ 170–173 BGB Die Einordnung der §§ 170–173 BGB entweder als Rechtsscheinvollmacht oder als rechtsgeschäftliche Vollmacht ist umstritten.203 Die Anhänger der Rechtsgeschäftstheorie sind hinsichtlich der Fortgeltung der Außenvollmacht nach § 170 BGB der Auffassung, eine nach § 167 BGB erteilte Außenvollmacht erlösche gemäß der Regelung in § 170 BGB schlichtweg erst mit der Anzeige gegenüber dem Geschäftsgegner.204 Dieser Ansicht widersprechen allerdings der Wortlaut des § 170 BGB sowie die Regelungen in §§ 168 S. 3, 167 Abs. 1 BGB und § 173 BGB. § 170 BGB spricht davon, dass das Er löschen der Vollmacht vom Vollmachtgeber bloß angezeigt wird, was im pliziert, dass der Akt der Anzeige nicht unmittelbar selbst das Erlöschen der Vollmacht bewirkt, sondern bloß der Hinweis auf einen bereits zuvor geschehenen Erlöschensvorgang ist.205 Aus dem Wortlaut der §§ 168 S. 3, 167 Abs. 1 BGB ergibt sich unzweifelhaft, dass eine Außen- wie eine Innenvollmacht sowohl intern als auch extern zum Erlöschen gebracht werden kann.206 Gemäß § 173 BGB findet § 170 BGB keine Anwendung bei Bösgläubigkeit des Geschäftsgegners bezüglich des Bestands der Außenvollmacht. Gibt dabei der Vollmachtgeber dem Geschäftsgegner nicht selbst das (bereits intern erfolgte) Erlöschen der Vollmacht an, sondern erhält dieser den Hinweis bloß mittelbar aus einer anderen Quelle, so wirkt die Vollmacht ihm gegenüber wegen § 173 BGB nicht mehr. Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts hängt jedoch nicht von dessen Kenntnis durch eine Person ab, so dass die Regelung des § 173 BGB für die Rechtsscheintheorie streitet.207 Folglich sprechen zu203 Siehe
hierzu auch schon unter B.III.2. insbesondere Flume, BGB AT II, § 51, 9 (S. 856), siehe auch § 49, 2 (S. 822 ff.); in diese Richtung auch Staudinger/Schilken (2019), § 170 Rn. 1 und wohl auch Rn. 3. 205 Siehe zu dieser Unterscheidung Staudinger/Schilken (2019), § 170 Rn. 7. 206 BeckOK BGB/Schäfer, § 170 Rn. 2; Soergel/Leptien, § 170 Rn. 1; Staudinger/ Schilken (2019), § 170 Rn. 3. 207 Andererseits könnte man § 173 BGB auch als besonders kodifizierte Auslegungsmaxime begreifen: Kennt ein Empfänger den wahren Willen eines Erklärenden, etwa aus Vorgesprächen oder sonstigen Umständen, so stellt die vermeintliche Willenserklärung des Erklärenden für ihn eine solche nicht oder nicht mit dem vermeintlich objektiv erklärten Inhalt dar, weil aus seiner objektiv-normativierten Sicht die Erklärung den wirklichen Willen gerade nicht ausdrückt. § 173 BGB wäre damit bloß Ausdruck des viel allgemeineren Gedankens, dass Ungewolltes keine rechtsgeschäft204 So
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien213
mindest in Bezug auf § 170 BGB die besseren Argumente für die Rechtsscheintheorie, da es Fallkonstellationen geben kann, in denen das Recht als solches nicht existiert (im Fall des § 170 BGB eine fortdauernde wirksame Bevollmächtigung), jedoch von Gesetzes wegen Rechtsfolgen wirken, als würde dieses Recht bestehen. Dies gilt erst recht für die in §§ 171, 172 BGB geregelten Tatbestände, aus denen sich die Rechtsfolge einer wirksamen Bevollmächtigung im Unterschied zu § 170 BGB auch dann ergibt, wenn eine wirksame Vollmachterteilung nicht einmal versucht worden ist, etwa weil die Erteilung aufgrund einer Anfechtung, sonstiger Nichtigkeit oder eines Widerrufs unwirksam ist.208 Rechtsgeschäftlich ließe sich die von §§ 171, 172 BGB angeordnete Rechtsfolge nur dann erklären, wenn man in der Mitteilung oder öffentlichen Bekanntgabe nach § 171 Abs. 1 BGB sowie in der Vorlage einer ausgehändigten und nicht für kraftlos erklärten (§ 176 BGB) Vollmachtsurkunde selbst den Akt einer wirksamen Bevollmächtigung sehen würde.209 Allerdings bliebe auch dann das bereits zu § 170 BGB beschriebene dogmatische Zuordnungsproblem mit § 173 BGB. Im Ergebnis wirkt sich die dogmatische Einordnung der §§ 170–173 BGB als Rechtsscheinvollmacht oder rechtsgeschäftliche Vollmacht kaum aus, da die jeweiligen Folgen praktisch identisch sind.210 Auch die Vertreter der Rechtsscheintheorie fordern etwa die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers211 und halten die gesetzlichen Rechtsscheinvollmachten wie die Vollmacht grundsätzlich für anfechtbar.212 Einzig bei der Frage der Disponibilität des Rechtsscheins und damit der Rechtsfolgen unterscheiden sich beide Ansätze zumindest in Teilen. Während man bei Annahme der Rechtsgeschäftstheorie naturgemäß gar nicht zur Frage der Disponibilität der Rechtsfolgen gelangt, wird sie im Rahmen der Rechtsscheintheorie diskutiert. Manche vertreten die Ansicht, die Annahme von Rechtsscheintatbeständen schütze den Verkehr und in concreto den jeweiligen Geschäftspartner, der auf diesen Schutz im Rahmen seiner Entscheidungsfreiheit verzichten könne, mit der Folge der Haftung des falsus procurator nach § 179 BGB. Auch prozessuale Beweisschwierigkeiten für das Vorliegen der Rechtsscheinvollmacht werden liche Auswirkung haben soll, wenn der Erklärungsempfänger entsprechend Bescheid weiß, wie auch der Regelung des § 116 S. 2 BGB zu entnehmen ist. 208 Soergel/Leptien, § 171 Rn. 1. 209 Staudinger/Schilken (2019), § 171 Rn. 2 f., § 172 Rn. 2. 210 Staudinger/Schilken (2019), § 170 Rn. 1 will die dogmatische Einordnung davon abhängig machen, welche Rechtsfolgen man zulassen möchte; freilich besteht bei einer solchen Vorgehensweise die Gefahr des Zirkelschlusses. 211 Staudinger/Schilken (2019), § 170 Rn. 7. 212 BeckOK BGB/Schäfer, § 170 Rn. 8 f.; MüKoBGB/Schubert, § 170 Rn. 11; Soergel/Leptien, § 170 Rn. 3; Staudinger/Schilken (2019), § 170 Rn. 7, § 171 Rn. 9, § 172 Rn. 2.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
als Argument für das Wahlrecht angeführt.213 Die Rechtsprechung und große Teile der Literatur lehnen dies jedoch insbesondere mit dem überzeugenden Argument ab, dass eine mit einem solchen Wahlrecht verbundene Besserstellung des Geschäftsgegners im Vergleich zu einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung nicht gerechtfertigt sei.214 Wer die Möglichkeit der Disponibilität über die Rechtsfolgen bei der Rechtsscheintheorie ablehnt, votiert im Ergebnis für den vollständigen Gleichlauf von Rechtsschein- und Rechtsgeschäftstheorie. Schlussendlich werden somit nach §§ 170–173 BGB rechtsgeschäftliche Rechtsfolgen dem (vermeintlich) Vertretenen zugerechnet, weshalb ein Blick auf das dahinterstehende Zurechnungsprinzip lohnt. (2) Risikoverteilung gemäß §§ 170–173 BGB Ein Verschulden des (vermeintlichen) Vollmachtgebers ist nicht das (positive) Zurechnungsprinzip, das den §§ 170–173 BGB zugrunde liegt.215 Bei § 170 BGB spielt bereits nach dem Wortlaut keine Rolle, ob der Vollmachtgeber die Erlöschensanzeige vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt. Dasselbe gilt bei § 171 BGB für das Unterlassen der Kundgebung des Widerrufs. Zwar ist für das Erreichen der Vollmachtwirkung gemäß § 172 Abs. 1 BGB zunächst die Aushändigung der Vollmachtsurkunde an den (vermeint lichen) Vertreter und deren Vorlage bei Vornahme des Rechtsgeschäfts tatbestandliche Voraussetzung. Ein Aushändigen der Urkunde in diesem Sinne wird von der herrschenden Meinung nur bei einer willentlichen Übergabe zum Zwecke des Gebrauchmachens angenommen,216 so dass man im Ausgangspunkt von Vorsatz und somit Verschulden als Grundlage der Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen nach § 172 BGB sprechen könnte. Allerdings basiert 213 Für ein Wahlrecht MüKoBGB/Schramm, § 167 Rn. 141; NK-BGB/Ackermann, § 167 Rn. 93; Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 44; § 177 Rn. 26; MüKoHGB/ Krebs, Vor § 48 Rn. 56; Bork, BGB AT, Rn. 1545, 1558, 1565; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 112; Canaris, NJW 1974, 455 (456); ders., NJW 1991, 2628 f.; Chiusi, AcP 202 (2002), 494 (509 f.); Pawlowski, JZ 1996, 125 (131); Prölss, JuS 1985, 577 (580). 214 Gegen ein Wahlrecht BGH, Urt. v. 20.1.1983 – VII ZR 32/82 Rn. 13 (juris) = BGHZ 86, 273 (276); BeckOK BGB/Schäfer, § 179 Rn. 6; Erman/Maier-Reimer/ Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 28, § 179 Rn. 4; MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 135 ff.; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 17; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 24, § 179 Rn. 3; Hübner, BGB AT, Rn. 1287; Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 72. 215 Soergel/Leptien, § 170 Rn. 1. 216 BGH, Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73 = NJW 1975, 2101; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 2; Soergel/Leptien, § 172 Rn. 3; Staudinger/Schilken (2019), § 172 Rn. 2; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 78; a. A. MüKoBGB/Schubert, § 172 Rn. 18; NKBGB/Ackermann, § 172 Rn. 5; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 188 I 1 c, die den Rechtsschein der Bevollmächtigung bei unsorgfältiger Verwahrung durch den Aussteller aufgrund von Risikoerwägungen zurechnen wollen.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien215
die Zurechnung im Ergebnis nach § 172 Abs. 2 BGB vor allem auf der später unterbliebenen Rückgabe der Vollmachtsurkunde an den Vollmachtgeber bzw. auf der unterbliebenen Kraftloserklärung (§ 176 BGB), wofür es jeweils keines Verschuldens des Vollmachtgebers bedarf. Als hinter den §§ 170–173 BGB stehendes Zurechnungsprinzip lässt sich vielmehr das Risikoprinzip ausmachen.217 Wer eine Außenvollmacht erteilt, setzt (und erhöht) das Risiko, dass der Bevollmächtige gemäß der Vertretungsmacht Verträge schließt, bis der Geschäftsgegner erfährt, dass die Vertretungsmacht nicht mehr besteht (§ 170 BGB). Der Vollmachtgeber beherrscht zudem das Missbrauchsrisiko, da er jederzeit über den Status der Vertretungsmacht mit dem Geschäftsgegner kommunizieren kann, so dass das Risiko seiner Sphäre zuzuordnen ist. Dies trifft gleichfalls auf die öffentliche Kundgabe einer Bevollmächtigung nach § 171 Abs. 1, Abs. 2 BGB zu, die bereits als solche risikoerhöhend wirkt. Es steht anschließend im Belieben des Vollmachtgebers, ob er die Vollmachtskundgabe widerruft, um die Wirkung des § 171 Abs. 2 BGB zu verhindern, so dass es zu seiner Risikosphäre zählt. Bei § 172 Abs. 1 BGB setzt der Vollmachtgeber bereits durch die Anfertigung der Vollmachtsurkunde das Risiko des späteren möglichen Fehlgebrauchs der Urkunde, beispielsweise wenn diese entwendet wird oder anderweitig abhandenkommt, anschließend von ihr Gebrauch gemacht wird und der Aussteller der Urkunde nicht nachweisen kann, dass er sie nicht willentlich ausgehändigt hat.218 Durch ungenügende Verwahrung der Urkunde schafft der Aussteller das Risiko, dass die Urkunde in den Rechtsgeschäftsverkehr gelangt und dort Schäden anrichtet, weshalb er sich den Rechtsschein zurechnen lassen muss.219 Zudem beherrscht er das Risiko, da er es selbst in der Hand hat, eine Vollmachtsurkunde gar nicht erst zu erstellen, sicher zu verwahren, nur an ausgewählte Personen auszuhändigen oder sich zurückgeben oder für kraftlos erklären zu lassen, so dass das Risiko seiner Sphäre zuzuordnen ist. Legt nun ein Vertreter ohne Bevollmächtigung die Vollmachtsurkunde vor, trägt der Aussteller der Urkunde – und nicht etwa der Geschäftsgegner – das damit verbundene Risiko, haftet also positiv, 217 So vor allem Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 237 ff., 245 ff., 342, der die §§ 170 ff. BGB als rechtsgeschäftliche Tatbestände einer zusicherungsgleichen Risikoübernahme einordnet; ebenso Rieder, Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 197. 218 Mit diesem letzten Argument weist MüKoBGB/Schubert, § 172 Rn. 18 auf das eher praktische bzw. prozessuale Problem der Beweisbarkeit hin, durch das freilich alle materiell-rechtlichen Grundlagen konterkariert werden können: Wer seine mate riell-rechtlich bestehende Rechtsposition nicht beweisen kann, verliert den Gerichtsprozess, soweit ihn die Darlegungs- und Beweislast trifft. 219 MüKoBGB/Schubert, § 172 Rn. 18; NK-BGB/Ackermann, § 172 Rn. 5; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT II, § 188 I 1 c.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
wobei er die Haftung (nur dann) durch Anfechtung auf das negative Interesse (§ 122 BGB) reduzieren kann, wenn er sich bei Erstellung der Urkunde bzw. bei ihrer Aushändigung i. S. d. § 119 BGB geirrt hat.220 jj) § 179 Abs. 1 BGB Bei § 179 BGB geht es nicht um eine positive oder negative Haftung von einem der avisierten Vertragspartner (Vertretener, Geschäftsgegner), sondern um die Haftung des bei Vertragsschluss auftretenden Vertreters ohne Ver tretungsmacht. Gemäß § 179 Abs. 1 BGB haftet dieser nach Wahl des Geschäftsgegners entweder auf Erfüllung oder Schadensersatz. Wie sich (erst) aus § 179 Abs. 2 BGB ergibt, haftet er jedoch bloß auf Ersatz des negativen Interesses (begrenzt auf das positive Interesse), wenn ihm die fehlende Vertretungsmacht bei Vertragsschluss nicht bekannt war. Die herrschende Meinung hält § 179 Abs. 1 BGB für eine gesetzlich geregelte Vertrauenshaftung, die an eine stets konkludent (mit-)erklärte Behauptung des Vertreters anknüpfe, Vertretungsmacht zu besitzen.221 Teils wird § 179 Abs. 1 BGB als stillschweigendes Garantieversprechen des Vertreters gegenüber dem Geschäftsgegner angesehen, dass er Vertretungsmacht besitze.222 Andere schreiben der Vorschrift vielmehr deshalb rechtsgeschäftlichen Charakter zu, weil der Vertreter bei Abschluss des Vertretergeschäfts zumindest konkludent als eigene Leistung verspreche, eine vertragliche Verbindung zwischen dem Geschäftsgegner und dem Vertretenen herzustellen.223 Beide Ansätze eines rechtsgeschäftlichen Verständnisses des § 179 Abs. 1 BGB werden jedoch als Fiktionen abgelehnt, da es an einer entsprechenden Willenserklärung des Vertreters fehle.224 Zwar weiß der Vertreter in den Fällen des § 179 Abs. 1 BGB, dass er keine Vertretungsmacht besitzt, dennoch handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung,225 da es nicht auf das Vorliegen von
220 BeckOK BGB/Schäfer, § 172 Rn. 13; MüKoBGB/Schubert, § 172 Rn. 16; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 1; Soergel/Leptien, § 172 Rn. 13; Staudinger/Schilken (2019), § 172 Rn. 2. 221 BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 Rn. 28 (juris) = NJW 1995, 1739 (1741 f.); Urt. v. 29.1.1963 – VI ZR 119/62 Rn. 25 f. (juris) = BGHZ 39, 45 (51); Urt. v. 5.5.1960 – III ZR 83/59 (juris) = BGHZ 32, 250 (254); MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 2; Soergel/Leptien, § 179 Rn. 1; Staudinger/Schilken (2019), § 179 Rn. 2; Neuner, BGB AT, § 51 Rn. 19 f.; Prölss, JuS 1986, 169. 222 Unmittelbar zurückgehend auf Motive I 244; siehe auch MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 1; Staudinger/Schilken (2019), § 179 Rn. 1. 223 So Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 273 ff., 281 ff., 343. 224 MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 2; Flume, BGB AT II, § 47, 3a (S. 801 f.). 225 MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 2.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien217
Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Bezug auf die Rechtsfolge bzw. den Schaden ankommt. Vielmehr setzt derjenige, der als Vertreter im Namen des Vertretenen und damit als dessen Mittler mit dem Geschäftsgegner einen Vertrag schließt, ein Fehlerrisiko für den Rechtsgeschäftsverkehr, dessen Folgen er deshalb nach § 179 Abs. 1 BGB tragen muss.226 Diese gesetzliche Risikohaftung rechtfertigt sich nicht nur durch das Auftreten als Vertreter, sondern auch durch die Beherrschung des damit verbundenen Risikos von Fehlern und Schäden. Der Vertreter kann sich absichern, indem er sich von dem Vertretenen eine Vollmachtsurkunde aushändigen lässt, so dass gemäß § 172 BGB sowohl der Geschäftsgegner als auch der Vertreter durch die gesetzliche Rechtsscheinwirkung geschützt würden.227 Der Gesetzgeber hat sich im Stellvertretungsrecht somit für eine abgestufte Haftung(szurechnung) nach dem Risikoprinzip entschieden. Wie insbesondere die §§ 170–173 BGB zeigen, trägt der Vertretene möglichst lange das Risiko einer Erfüllungsverpflichtung, selbst wenn der Vertragsschluss gar nicht seinem Willen entsprochen hat, weil und soweit er den Vertreter als Dritten und damit als potentielle Risikoquelle einsetzt.228 Im Vergleich zum Vertreter und erst recht zum Geschäftspartner steht der Vertretene dem Risiko am nächsten, da er durch die Einschaltung und Auswahl des Vertreters, genauer durch die Erteilung von Vollmacht oder die Ausstellung von Rechtsscheinträgern (Vollmachtsurkunden), das Risiko des Misslingens des Geschäfts beherrscht. Die Haftungsreduktion auf das negative Interesse (§ 122 BGB) bleibt ihm bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB unbenommen, jedoch ist ihm keine vollständige Haftungsfreizeichnung möglich. Erst wenn trotz dieser weitreichenden Zuordnung zur Risikosphäre des Vertretenen keine Vollmachtswirkung in Form einer rechtsgeschäftlichen 226 In diese Richtung schon Leenen, BGB AT, § 16 Rn. 4; ähnlich BGH, Urt. v. 9.11.2004 – X ZR 101/03 Rn. 8 (juris) = NJW-RR 2005, 268; Urt. v. 2.2.2000 – VIII ZR 12/99 Rn. 14 (juris) = NJW 2000, 1407 (1408); Urt. v. 20.10.1988 – VII ZR 219/87 Rn. 8 ff. (juris) = NJW 1989, 894 f.; Urt. v. 29.1.1963 – VI ZR 119/62 Rn. 25 ff. (juris) = NJW 1963, 759 (760); Urt. v. 5.5.1960 – III ZR 83/59 (juris) = BGHZ 32, 250 (254); MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 2; Staudinger/Schilken (2019), § 179 Rn. 2; in diese Richtung ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 70. 227 Dies meint wohl auch MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 2, wenn er davon spricht, dass das Fehlen der Vertretungsmacht (jedenfalls im Verhältnis zum Geschäftsgegner) dem Verkehrsbereich des Vertreters zuzuordnen ist, weshalb dieser auch unter dem Gesichtspunkt der (relativen) Risikoverteilung für die fehlende Vertretungsmacht einstehen müsse; ähnlich BGH, Urt. v. 9.11.2006 – X ZR 101/03 Rn. 8 ff. (juris) = NJW-RR 2005, 268 f.; Urt. v. 10.5.2001 – III ZR 111/99 Rn. 7 ff. (juris) = NJW 2001, 2626 f.; Neuner, BGB AT, § 51 Rn. 20. 228 Siehe hierzu bereits unter E.II.7.f)ii).
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Vollmacht oder Rechtsscheinvollmacht besteht, nimmt das Gesetz in § 179 BGB eine zweite Stufe der Risikozurechnung vor. Wirksamkeitsmängel der Vollmacht ordnet § 179 BGB im übrigen Zweipersonenverhältnis (Vertreter; Geschäftspartner) der Risikosphäre des Vertreters zu, da dieser durch die Art seines Auftretens als Vertreter und wegen seiner strukturell bedingt besseren Absicherungs- und Vorsorgemöglichkeiten das Risiko des Scheiterns des Geschäfts im Vergleich besser beherrschen kann als der Geschäftspartner, zumal der Vertreter ohne vorherige Rückversicherung über den Bestand der Vertretungsmacht rechtsgeschäftliche Risiken streut. Zwar beherrscht der Geschäftspartner das Geschehen zumindest in Teilen auch, da er durch die Aufforderung zur Vorlage einer Vollmachtsurkunde die Rechtswirkung des § 172 BGB herbeiführen kann. Jedoch kann er sich infolge der Tatbestandsvoraussetzung des Aushändigens in § 172 Abs. 1 BGB, wonach gemäß der herrschenden Ansicht ein willentlicher Akt erforderlich ist,229 der Rechtsscheinwirkung aus seiner Perspektive nie sicher sein, da er bei der Aushändigung der Urkunde regelmäßig nicht anwesend ist, so dass er – im Unterschied zum Vertreter – keine vollständige Kontrolle über das Gelingen des Vertragsschlusses im Unterschied zum Vertreter hat. 8. Verschulden (subjektive Vorwerfbarkeit) a) Verschulden als Zurechnungsprinzip Verschulden (culpa) bezeichnet im Zivilrecht die subjektive Vorwerfbarkeit mindestens eines Umstandes.230 Verschuldensformen sind gemäß § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit. Wie der Vorschrift zu entnehmen ist, sind die Begriffe Verschulden und Vertretenmüssen nicht deckungsgleich. Das Vertretenmüssen ist weiter und umfasst auch die Übernahme einer Garantie (§ 276 Abs. 1 BGB) und das Einstehenmüssen für das Verhalten Dritter (§ 278 BGB). Das Verschulden eignet sich definitionsgemäß als Zurechnungsprinzip.231 Wer sich in einer bestimmten Weise verhält, dabei die Umstände kennt und 229 Absolut h. M., siehe nur Staudinger/Schilken (2019), § 172 Rn. 2 m. w. N.; allerdings wird bei Fahrlässigkeit, insbesondere bei ungenügender Verwahrung eine analoge Anwendung des § 172 Abs. 1 BGB zumindest diskutiert, siehe dazu Staudinger/Schilken (2019), § 172 Rn. 7 f. 230 MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 2; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 120. 231 Siehe nur MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 1 ff.; Arndt, Die Zurechnung in ihrer Bedeutung für das Zugehen der Willenserklärungen, S. 11, 19, 21, 29 ff. setzt Zurechnung sogar mit Verschulden gleich; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 476 ff.; Esser, Gefährdungshaftung, S. 70 ff.; Hübner, Der Rechtsverlust, S. 105 f.; Lüdeking,
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien219
den Handlungserfolg will (Vorsatz) oder trotz Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Verhaltenserfolgs die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (Fahrlässigkeit i. S. d. § 276 Abs. 2 BGB), muss sich das Verhalten vorwerfen lassen. Das Gesetz kennt das Verschulden als Zurechnungsprinzip in zivilrechtlicher Hinsicht sowohl im Schadensersatzrecht als auch in der Rechtsgeschäftslehre. Gemäß § 823 Abs. 1 BGB kann der Geschädigte nur im Falle einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung eines der darin genannten Rechtsgüter Schadensersatz fordern. Auch nach § 823 Abs. 2 S. 2 BGB kann der Geschädigte im Ergebnis nur bei einer verschuldeten Schutzgesetzverletzung Schäden ersetzt verlangen. Ebenso hängt bei der zentralen Regelung des vertraglichen Schadensersatzes in § 280 Abs. 1 BGB die Ersatzpflicht des Schädigers in den überwiegenden Fällen von einem Verschulden ab, woran auch die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hinsichtlich des Vertretenmüssens nichts ändert. In der Rechtsgeschäftslehre taucht das Verschulden vor allem in Form der Erklärungsfahrlässigkeit bei der Zurechnung von Willenserklärungen auf.232 b) Unterformen des Verschuldens aa) Vorsatz in Abgrenzung zum rechtsgeschäftlichen Willen Vorsatz ist Wissen und Wollen der Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale einer Vorschrift. Beides muss sich nicht auch auf den tatbestandlichen Erfolg beziehen.233 Wie im Strafrecht ist zwischen bedingtem und direktem Vorsatz sowie Absicht zu unterscheiden,234 ohne dass sich diese Unterscheidung auf der Rechtsfolgenseite auswirkt. Ob sich das Wissenselement nicht nur auf die objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen muss, sondern auch auf die (Existenz der) Vorschrift, aus der sich diese ergeben, ist umstritten, wird von der herrschenden Meinung aber bejaht.235 In Bezug auf das Willenselement lässt die herrschende Meinung in der Regel – soweit Die zugerechnete Willenserklärung, S. 90; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 175; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 63 f.; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, S. 610 ff.; differenzierend Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 93 f., 214 f. 232 Grundlegend hierzu BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 (juris) = BGHZ 91, 324; teilweise wird der Begriff des Verschuldens synonym zu dem der Zurechenbarkeit verwendet, siehe etwa Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, S. 4; siehe zudem unter D.IV.5.c). 233 BGH, Urt. v. 8.2.1965 – III ZR 170/63 Rn. 25 (juris) = NJW 1965, 962 (963); MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 154. 234 MüKoBGB/Grundmann, § 276 BGB Rn. 154. 235 Siehe statt aller die knappe Darstellung bei MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 158 ff.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
nichts anderes gesetzlich vorgeschrieben ist – bedingten Vorsatz genügen, wonach der Täter mit dem von ihm für möglich gehaltenen Erfolg einverstanden sein oder diesen zumindest billigend in Kauf nehmen muss.236 Vorsatz schreibt das Gesetz nur in seltenen Fällen als Mindestanforderung für eine Zurechnung vor, so etwa in § 826 BGB. Zumeist fordert es bloß Verschulden im Allgemeinen oder Vertretenmüssen, oder spricht, wie in § 823 Abs. 1 BGB, ausdrücklich von Vorsatz und Fahrlässigkeit, so dass Absicht als stärkste Form des Verschuldens sowie leichte Fahrlässigkeit von Gesetzes wegen im Hinblick auf die Rechtsfolgen regelmäßig gleich bewertet werden. Im Unterschied zum Vorsatz als solchem besteht der rechtsgeschäftliche Wille idealiter im Wesentlichen aus dem Wollen ganz bestimmter (Rechts-) Folgen, die die Rechtsordnung dem Grundsatz nach zulässt.237 Zur Wirksamkeit des rechtsgeschäftlichen Willens muss der Handelnde nicht über bestimmte Kenntnisse des gesetzlichen Tatbestandes verfügen, der Wille alleine genügt. Darüber hinaus bedarf es des nicht subjektiven, sondern rein objektiven Tatbestandes der Erklärung des Willens nach außen, zumindest konkludent. Während aber Vorsatz somit stets aus einem Wissens- und einem Wollenselement besteht, wobei sich beide Elemente auf den Tatbestand, nicht jedoch zwingend auch auf den tatbestandlichen Erfolg, also die Rechtsfolgen, beziehen müssen,238 genügt für das Vorliegen eines rechtsgeschäftlichen Willens nach bisherigem Verständnis das Wollen des rechtsgeschäftlichen Erfolgs in Form des Eintritts der (tatsächlichen) Rechtsfolgen.239
236 BGH, Urt. v. 14.6.2000 – VIII ZR 218/99 Rn. 19 (juris) = NJW 2000, 2896 (2897); Urt. v. 27.4.1995 – X ZR 60/93 Rn. 16 (juris) = NJW-RR 1995, 936 (937); Urt. v. 8.1.1963 – VI ZR 87/62 (juris) = 1963, 579 (580); Urt. v. 5.11.1962 – II ZR 161/61 Rn. 33 f. (juris) = NJW 1963, 148 (150); Urt. v. 27.10.1954 – VI ZR 132/53 (juris) = VersR 1954, 591; MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 161; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 10. 237 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 6 ff. spricht davon, dass die in Geltung gesetzten Rechtsfolgen dem Willen der Beteiligten entsprechen müssen, damit die Selbstgestaltung durch Selbstbestimmung gewährleistet ist. 238 Dies hängt natürlich von der genauen Gestaltung des entsprechenden gesetzlichen Tatbestandes ab, siehe dazu differenzierend MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 153, 155 ff.; siehe zudem BGH, Urt. v. 20.3.1961 – III ZR 9/60 Rn. 13 (juris) = NJW 1961, 1157 (1160); Staudinger/Caspers (2019), § 276 Rn. 24. 239 Ob mit dem Wollen der Rechtsfolge gemeint ist, dass sich der Wille auf die rechtliche Seite der Rechtsfolge beziehen muss, bei einem Kaufvertrag etwa auf den „Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache“, oder ob es – gewissermaßen in der Laiensphäre – genügt, dass man „die Kaufsache haben will“, sei an dieser Stelle mangels Relevanz für die weiteren Überlegungen ausdrücklich offengelassen; siehe hierzu bereits unter C.II.1.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien221
bb) Fahrlässigkeit Gemäß § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei gilt aus Gründen des Vertrauens- und Verkehrsschutzes ein objektiver Sorgfaltsmaßstab, der sich normativ bestimmt.240 Subjektive Defizite auf Seiten des Normadressaten, wie mangelhafte psychische oder physische Fähigkeiten, verschieben den Sorgfaltsmaßstab nicht, positives Expertenwissen und Fachkenntnisse hingegen schon.241 Die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt besteht wie beim Vorsatz aus einem kognitiven Element, das als Erkennbarkeit bezeichnet wird, und einem voluntativen Element, der Vermeidbarkeit.242 Der persönliche Schuldvorwurf wird somit nur dann erhoben, wenn für den Adressaten die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens erkennbar gewesen ist, und er deshalb den tatbestandlichen Erfolg hätte vermeiden können. Die Erkennbarkeit bezieht sich als Aufgreifkriterium sowohl auf die tatsächlichen Umstände als auch auf die daraus folgenden rechtlichen Wertungen, wobei es Schwierigkeiten bereitet, wann die Rechtswidrigkeit für den Betroffenen erkennbar ist, also wann man von ihm verlangen kann, Expertenrat einzuholen, und wie sich Restzweifel darauf auswirken.243 Berücksichtigt werden muss, inwiefern die Kausalität von Ereignissen überhaupt vorhersehbar ist,244 sowie das Vertrauen des Adressaten auf ein normgerechtes Verhalten anderer Verkehrs teilnehmer,245 es sei denn dieses ist evident nicht vorhanden oder nicht zu erwarten. Weiter muss das als normgerecht erkennbare Verhalten objektiv möglich sein, was bedeutet, dass weder unzumutbare noch unmögliche Anstrengungen verlangt werden dürfen.246 Insoweit gilt der Maßstab eines durchschnittlichen Menschen. 240 BGH, Urt. v. 27.3.2003 – IX ZR 399/99 Rn. 29 (juris) = NJW 2003 2022 (2024); bereits zuvor das RG, Urt. v. 15.2.1919 – I 207/18 = RGZ 95, 16 (17 f.); MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 54; Staudinger/Caspers (2019), § 276 Rn. 29. 241 MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 56 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 9.1.1990 – VI ZR 103/89 Rn. 12 (juris) = NJW-RR 1990, 406 f., wobei freilich die generelle Schuldunfähigkeit die Untergrenze bildet. 242 BGH, Urt. v. 17.3.1981 – VI ZR 286/78 Rn. 38 (juris) = BGHZ 80, 199 (204); BeckOK BGB/Lorenz, § 276 Rn. 17, 28; Jauernig/Stadler, § 276 Rn. 23; MüKoBGB/ Grundmann, § 276 Rn. 53. 243 BeckOK BGB/Lorenz, § 276 Rn. 28 ff.; MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 73. 244 BGH, Urt. v. 5.11.1976 – V ZR 93/73 Rn. 18 ff. (juris) = NJW 1977, 763 (764); MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 70. 245 MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 71; Staudinger/Caspers (2019), § 276 Rn. 29. 246 MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 77, 81, wobei nach BGH, Urt. v. 1.7.1986 – VI ZR 294/85 Rn. 9 (juris) = BGHZ 98, 135 (137 f.) die Beweislast beim Geschädigten liegt.
222
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Trotz der Normativierung und Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabs bleibt der Fahrlässigkeitsvorwurf häufig unscharf und damit unbestimmt. Im bekannten Lehrbeispiel der Trierer Weinversteigerung247 könnte man zwar einerseits annehmen, der Ortsunkundige handele fahrlässig, wenn er seine Hand hebt, um einen Freund zu begrüßen, weil er hätte erkennen und vermeiden können, dass er dadurch Einfluss auf die laufende Weinversteigerung nehmen würde. Andererseits ist fraglich, ob er als Ortsunkundiger überhaupt hätte erkennen und damit rechnen müssen, dass in der Lokalität eine Versteigerung stattfindet, was dem Fahrlässigkeitsvorwurf widerspräche.248 Das Beispiel zeigt, wie es nicht nur auf die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs ankommt, sondern auch auf die speziellen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, sowie auf die Festlegung der insoweit maßgebenden Norm im Detail. cc) Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit Strukturell ähneln sich Vorsatz und Fahrlässigkeit dahingehend, dass beiden ein kognitives (bei Vorsatz Wissen; bei Fahrlässigkeit Erkennbarkeit) und ein voluntatives Element (bei Vorsatz Wille; bei Fahrlässigkeit Vermeidbarkeit) gemein ist. Allerdings besteht die Ähnlichkeit auf voluntativer Ebene bloß oberflächlich. Während der Wille als Bestandteil des Vorsatzes ein echtes subjektives Element aus dem Inneren der betreffenden Person ist, bestimmt sich die Erkennbarkeit als Teil der Fahrlässigkeit nicht subjektiv, sondern nach objektiven Maßstäben,249 so dass es kein Widerspruch wäre, bei Fahrlässigkeit von einer quasi-objektivierten Verschuldenshaftung zu sprechen. Der persönlich-individuelle Vorwurf bei der Fahrlässigkeit lautet im Unterschied zum Vorsatz gegenüber dem Normadressaten nicht, er habe sich wissentlich und willentlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden, sondern vielmehr, er habe sich negativ vom normierten Sorgfaltsmaßstab entfernt, ohne dass dies in bewusster Weise geschehen sein muss. Somit sind Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht etwa als zwei Ausprägungen eines Verschuldensprinzips zu sehen, sondern eher als zwei singuläre, vollkommen verschiedene und eigenständige Zurechnungsprinzipien. Deshalb erstaunt es umso mehr, dass in der Rechtsgeschäftslehre über eine Verschuldenszurechnung im Allgemeinen diskutiert wird, obwohl in concreto meist nur die Zurechnung aufgrund von Fahrlässigkeit die entscheidende Rolle in 247 Isay, Die Willenserklärung im Thatbestande des Rechtsgeschäfts nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsch Reich, S. 26. 248 Beide Überlegungen stellt Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 121 zum Fall der Trierer Weinversteigerung an. 249 Siehe hierzu bereits die Ausführungen soeben unter E.II.8.b)bb).
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien223
der Diskussion einnimmt.250 Tatsächlich wird eine Verschuldenszurechnung bei Vorsatz vergleichsweise seltener bereits prinzipiell abgelehnt als bei Vorliegen bloßer Fahrlässigkeit, wohl weil bewusstes und gewolltes Verhalten naturgemäß bereits stark mit der Person verknüpft ist, während dies bei bloß sorgfaltswidrigem Verhalten wegen des fehlenden, gewissermaßen echten subjektiven Elements eher Zweifeln begegnet. c) Abgrenzung von Fahrlässigkeit und Risiko Begreift man mit der herrschenden Meinung die Wertung fahrlässigen Verhaltens als objektive Zurechnung von subjektiver Vorwerfbarkeit,251 steht notgedrungen die Frage im Raum, inwieweit sich die Zurechnung aufgrund von Fahrlässigkeit (Erkennbarkeit; Vermeidbarkeit) von derjenigen aufgrund des Risikoprinzips (Bestimmung der Risikosphäre durch Setzung und Beherrschung von Risiko)252 überhaupt tatbestandlich unterscheidet.253 Bei beiden Zurechnungsprinzipien muss der Zurechnungsadressat auf das bestehende Risiko einwirken können, damit eine Zurechnung erfolgt. Beim Risikoprinzip bezeichnet man dies als Risikobeherrschung, bei der Fahrlässigkeit als Vermeidbarkeit.254 Bei einem weiten Verständnis des Begriffs der Risikobeherrschung ließe sich auch die Erkennbarkeit darunter fassen, so dass Risikobeherrschung sowohl Erkennbarkeit als auch Vermeidbarkeit umfassen würde. Allerdings kann sich die Risikosphäre des Zurechnungsadressaten nicht nur aus der Risikobeherrschung, sondern auch der Risikosetzung und Risikoerhöhung ergeben,255 die jeweils nicht von einer Erkennbarkeit des Risikos abhängen. Daher ist eine Zurechnung nach dem Risikoprinzip auch dann denkbar, wenn das Risiko nicht erkennbar ist, während dies bei der Fahrlässigkeit bereits per definitionem ausgeschlossen ist. Somit sind die Zurechnung aufgrund von Fahrlässigkeit und diejenige nach dem Risikoprinzip nicht deckungsgleich, auch wenn in Teilen Gemeinsamkeiten bestehen. Wer ein Risiko erkennen und vermeiden kann, beherrscht das Risiko, so dass 250 Wie etwa bei der Frage, ob Erklärungsfahrlässigkeit fehlendes Erklärungsbewusstsein im Tatbestand der Willenserklärung ersetzen kann, grundlegend dazu BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 20 ff. (juris) = BGHZ 91, 324 (329 f.). 251 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 175; Rümelin, Schadenszurechnung, S. 67 f.; siehe dazu ebenso bei MüKoBGB/Grundmann, § 276 Rn. 50 ff.; Staudinger/Caspers (2019), § 276 Rn. 29 ff.; Meder, JZ 1993, 539 (541 f.). 252 Siehe hierzu bereits unter E.II.7.b)aa) und E.II.7.b)bb). 253 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 160 differenziert nur oberflächlich; er sieht bei Gefahren aus der Sphäre des Erklärenden jedenfalls häufig auch fahrlässiges Verhalten vorliegen. 254 Brehmer, Wille und Erklärung, S. 125 f. 255 Siehe dazu bereits unter E.II.7.b)cc).
224
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
es zu seiner Risikosphäre gehört. Umgekehrt können Risiken aber auch dann zur Sphäre einer Person zählen, wenn diese Person sie nicht erkennen kann.256 d) Verschulden als Zurechnungsprinzip in der Rechtsgeschäftslehre aa) Fahrlässiges Verhalten als Auslöser von Erfüllungsverpflichtungen Spätestens mit der Bürgschafts-Entscheidung des BGH verabschiedete sich die Rechtsprechung von einem streng verstandenen Willensdogma in der Rechtsgeschäftslehre und wandte sich endgültig der damals in der Literatur bereits herrschenden Zurechnungslösung zu, indem sie zwar einerseits auf das Vorhandensein von Erklärungsbewusstsein im subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung verzichtete, andererseits aber dieses funktional durch das Vorhandensein von Erklärungsfahrlässigkeit ersetzte.257 Eine erfolgreiche Zurechnung setze voraus, dass der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Erklärung oder sein Verhalten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.258 Der dadurch definierte Minimaltatbestand der Willenserklärung entspricht bis heute der herrschenden Meinung.259 Bemerkenswert an den Ausführungen des BGH ist, dass der Senat zwar die bereits von der Literatur herausgearbeiteten Argumente für und wider das Erfordernis des Erklärungsbewusstseins im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung anführt und abwägt, jedoch keine eigene Begründung für die gewählte Zurechnungslösung nach dem Verschuldensprinzip – genauer Fahrlässigkeitsaspekten – liefert.260 Wieso es überhaupt einer Zurechnung bedarf und warum gerade Verschulden in Form von Erklärungsfahrlässigkeit das einschlägige Zurechnungsprinzip sein soll, erläutert der Senat nicht, erst recht gibt er hierzu keine Begründung, sondern formuliert bloß einen subsumtionsfähigen Rechtssatz.261
256 Siehe
hierzu bereits unter E.II.7.d). hierzu bereits unter D.IV.5.c)ee)(7). 258 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 22 (juris) = BGHZ 91, 324 (330). 259 Siehe nur Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 28 ff.; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 187; siehe zudem bereits unter D.IV.5.c). 260 Siehe dazu bereits unter D.IV.5.c)ee)(8). 261 Zudem verweist der BGH auf entsprechende Ausführungen in der Literatur, insbesondere bei Bydlinski, JZ 1975, 1 ff. und MüKoBGB/Kramer, 5. Aufl. 2006, Vor. § 116 Rn. 13 und § 119 Rn. 78 ff.; siehe zudem BGH, Urt. v. 22.6.1956 – I ZR 198/54 Rn. 14 f. (juris) = BGHZ 21, 102 (106). 257 Siehe
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien225
Die Idee der Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen aufgrund fahrlässigen Verhaltens hat sich seitdem weiter ausgebreitet. So plädiert die herrschende Lehre wegen der strukturellen Vergleichbarkeit für einen Gleichlauf von fehlendem Erklärungsbewusstsein und fehlender Begebung bei den Fällen der abhandengekommenen Willenserklärung, mit der Folge, dass auch bei fehlender Begebung bei Vorliegen von fahrlässigem Verhalten der betreffenden Person erfüllungswirksam zuzurechnen sei.262 Dasselbe soll gemäß einer Mindermeinung auch bei nachlässiger Verwahrung von Vollmachtsurkunden gelten, so dass insoweit § 172 Abs. 1 BGB analog anzuwenden sei.263 bb) Ursprung der Idee vom Verschulden als Zurechnungsprinzip der Willenserklärung Die zwischen Willensdogma und Erklärungstheorie vermittelnde Idee von der Zurechnung des aus objektiv-normativer Empfängersicht Erklärten zur erklärenden Person nach bestimmten Zurechnungskriterien nahm ihren Ursprung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts.264 Nach der damaligen Überlegung ist die Willenserklärung kein Begriffsproblem, sondern ein Funktions262 So vor allem MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 14; Palandt/Ellenberger, § 130 Rn. 4; Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 5; Flume, BGB AT II, § 23, 1 (S. 449 f.); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 266 f.; a. A. und bloß für eine Haftung auf Ersatz des negativen Interesses aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB hingegen die Rechtsprechung in BGH, Urt. v. 8.3.2006 – IV ZR 145/05 Rn. 13, 19 (juris) = NJW-RR 2006, 847 (849); Urt. 18.12.2002 – IV ZR 39/02 Rn. 5, 7 (juris) = NJW-RR 2003, 384 f., die sich aus der im Ergebnis selben Rechtsprechung zu einer abhandengekommenen Vollmachtsurkunde in BGH, Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73 Rn. 19 (juris) = BGHZ 65, 13 (15) entwickelt hatte; dieser Ansicht folgt insbesondere Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 49. 263 So OLG Stuttgart, Urt. v. 31.7.1956 – 5 U 4/56 (juris) = MDR 1956, 673; NK-BGB/Ackermann, § 172 Rn. 5 m. w. N.; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, § 188 I 1 c; a. A. die Rechtsprechung um BGH, Urt. v. 30.5.1975 – V ZR 206/73 Rn. 15 ff. (juris) = BGHZ 65, 13 ff. und die h. L. um BeckOK BGB/Schäfer, § 172 Rn. 6; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 172 Rn. 5; MüKoBGB/Schramm, 6. Aufl. 2012, § 172 Rn. 5; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 2; Soergel/Leptien, § 172 Rn. 3; Staudinger/Schilken (2019), § 172 Rn. 7; Flume, BGB AT II, § 49, 2c (S. 827); Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 39; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 78 ff.; Stadler, BGB AT, § 30 Rn. 37; Musielak, JuS 2004, 1081 (1083); Neuner, JuS 2007, 401 (410). 264 Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, S. 271, 272, 556, 560; später wiederholend und weiter ausführend in Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 115, 219, 243, 246 f., 250 f., 262; aufgegriffen anschließend vor allem von Larenz, Methode der Auslegung, S. 72 f.; zwar haben Bähr, Jher. Jb, Bd. 14 (1875), 393 (401) und Roever, Über die Bedeutung des Willens bei Willenserklärungen, S. 25 ff. zuvor bereits den Zurechnungsgedanken formuliert, jedoch nicht derart in die Mitte ihrer Lehre von der Willenserklärung gestellt.
226
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
und Zurechnungsproblem im System der Rechtsgeschäftslehre.265 Der Erklärende müsse den Sinn seiner Erklärung gegen sich gelten lassen, den die Erklärung nach der Verkehrsauffassung für den Erklärungsadressaten habe.266 Aus dieser Formulierung wird jedoch nicht deutlich, ob die Zurechnung in diesem Sinne voraussetzt, dass dem Erklärenden bewusst ist, welche konkreten Erklärungszeichen er verwendet, ihm also schlussendlich der den Zeichen innewohnende objektiv-normative Sinngehalt verschlossen bleibt. Jedenfalls hat man sich von der Vorstellung gelöst, dass sich ein Vorsatz oder gar ein rechtsgeschäftlicher Wille auf den Erklärungstatbestand bzw. auf den Vertragsschluss oder die mit dem Vertragsschluss verbundenen Rechtsfolgen beziehen muss.267 Entscheidend sei nicht, ob der Erklärende bei seinem Verhalten den Willen gehabt habe, in den Vertrag einzutreten, sondern vielmehr, ob er nach der Verkehrssitte so anzusehen sei wie einer, der sich verpflichtet habe.268 Vergegenwärtigen muss man sich dabei, dass diese erste Idee einer Zurechnungslehre noch fest mit der Vorstellung verbunden war, eine vollwirksame – insoweit gewissermaßen echte Willenserklärung – müsse von einem Erklärungsbewusstsein, oder zumindest von Vorsatz getragen werden, so dass ein fehlender Wille bzw. fehlender Vorsatz aus rechtstechnischer Sicht ersatzweise fingiert werden müsse.269 cc) Argumente für Verschulden als Zurechnungsprinzip Zwar begründet die Rechtsprechung den Verzicht auf das Erklärungsbewusstsein im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung,270 nicht jedoch, weshalb an dessen Stelle als Zurechnungsprinzip gerade das Verschulden treten und erklärungsfahrlässiges Verhalten dabei das Mindestzurechnungskriterium sein soll. Als Begründung, wieso nicht bloß der erklärte rechtsgeschäftliche Wille Erfüllungsverpflichtungen hervorzubringen vermag, sondern auch andere Zurechnungsprinzipien, wird auf zwei Funktionen verwiesen, die die Willenserklärung habe: Zwar sei sie zum einen Mittel zur privat265 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 96; diesen Gedanken ebenso aufgreifend Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 62 und Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 140. 266 So bereits RG, Urt. v. 8.12.1914 – III 299/14 = RGZ 86, 86 (88), auf das sich Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 98 für seine Herleitung entscheidend beruft. 267 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 221, 265. 268 RG, Urt. v. 8.3.1919 – I 231/18 = RGZ 95, 122 (124) und diesen Gedanken aufgreifend Manigk, DJZ 1936, 350 (357). 269 So muss man wohl Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 217, 254 verstehen. 270 BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 Rn. 20 f. (juris) = BGHZ 91, 324 (329 f.).
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien227
autonomen Gestaltung der Rechtsverhältnisse, zum anderen könne sie (von anderen Personen) aber auch als verbindliche Erklärung eines bestimmten Inhalts angesehen werden. Die Willenserklärung diene somit gerade nicht nur der Privatautonomie, sondern auch dem Vertrauensschutz.271 Die Festlegung auf das Verschulden als einschlägiges Zurechnungsprinzip geht bereits auf die Anfänge der rechtsgeschäftlichen Zurechnungslehre zurück. Mittels Negativabgrenzung zu anderen Zurechnungsprinzipien schied man zunächst den reinen Kausalzusammenhang bzw. das Veranlassungsprinzip als taugliches Zurechnungsprinzip für rechtsgeschäftliche Wirkungen aus, da dessen Heranziehung einer gerechten Abwägung der beteiligten Interessen widerspreche.272 Es bedürfe vielmehr einer engeren Beziehung des Zurechnungsadressaten zu dem erweckten Vertrauen, die aber erst dann gegeben sei, wenn dem Erklärenden bewusst sei oder zumindest bewusst sein müsse, dass jemand anderes in seinem Verhalten eine Willenserklärung sehen könnte.273 Das von vielen als essentiell geforderte Erklärungsbewusstsein sei ein Unterfall der Zurechnung nach Verschuldensaspekten;274 der Erklärende habe eine „Verhaltenspflicht zu richtiger Erklärung“, so dass jeder Geschäftsfähige nicht nur wissen müsse, ob er gegenüber dem Erklärungsgegner mit dem eigenen Verhalten eine Erklärung abgebe, sondern auch, was er diesem damit erkläre.275 Demzufolge ordnet man die Kenntnis des Erklärenden über das von ihm Erklärte, also sein Erklärungsbewusstsein, als vorsätzlich und damit als Verschulden ein. Da auch fahrlässiges Verhalten zum Verschulden zählt, ist bei einer solchen Zuordnung der Schritt vom Erklärungsbewusstsein zur Erklärungsfahrlässigkeit nicht mehr weit. Positiv gewendet biete Verschulden den Schlüssel zu einer gerechten Zurechnung.276 Das Verschuldenserfordernis gewährleiste die Möglichkeit der privatautonomen Selbstbestimmung, wodurch die Privatautonomie zumindest im weit verstandenen Sinne gewährleistet würde.277
271 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 158 f. mit Verweis auf RG, Urt. v. 17.9.1919 –V 131/19 = RGZ 96, 273 (276); Urt. v. 2.12.1913 – II 474/13 = RGZ 84, 320 (325). 272 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 160; in der Folge Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 159. 273 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 159, 237, 252 f. 274 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 238. 275 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 254. 276 Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, S. 235. 277 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 126 f.; Larenz, Methode der Auslegung, S. 219.
228
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
dd) Kritik am Verschulden als Mindestvoraussetzung für die Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen (1) Rechtsunsicherheit aufgrund von Unschärfe Kritik erfährt die Heranziehung des Verschuldens (Erklärungsfahrlässigkeit) als Mindestvoraussetzung für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen wegen seiner vermittelnden Stellung freilich sowohl von den Anhängern des Erklärungsbewusstseins,278 als auch von denjenigen, die auf das Erklärungsbewusstsein vollständig verzichten wollen. Die Zurechnung einer Willenserklärung aufgrund von Verschulden widerspricht der Notwendigkeit von Klarheit und Verlässlichkeit im rechtsgeschäftlichen Verkehr, da aus Sicht des jeweiligen Erklärungsgegners sowie des allgemeinen Rechtsverkehrs unabhängig davon eine Willenserklärung vorliegt oder zumindest vorzuliegen scheint, ob die Erklärung aufgrund eines rechtsgeschäftlichen Willens, aufgrund von Vorsatz oder von Fahrlässigkeit entstanden ist.279 Diese Unsicherheit verträgt sich nicht mit dem Gebot der Gewährleistung eines möglichst reibungslosen Rechtsverkehrs. Sie wird durch die Unschärfe verstärkt, die mit der Bewertung des Verhaltens des Zurechnungsadressaten im Hinblick auf dessen objektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit verbunden ist. Während das Schuldprinzip im Strafrecht eine hinreichende Grundlage für die Zurechnung bietet, weil dort neben der Frage nach dem Wie der Bestrafung zunächst vor allem diejenige nach dem Ob zu beantworten ist, taugt das im Zivilrecht als Verschulden bezeichnete Kriterium nicht dazu, entstandene Lasten zu verteilen. Eine Verteilung der mit einem Schaden verbundenen Lasten ist nun einmal auch dann geboten – wenn keinem Beteiligten, auch nicht dem Zurechnungsadressaten – ein Verschulden zur Last fällt.280 Indes entstehen beim Scheitern rechtsgeschäftlicher Beziehungen nicht immer Schäden, so dass auch nicht immer Lasten zu verteilen sind. Zudem fallen Schäden zunächst dort an, wo sie unmittelbar entstehen. Ob dieser natürliche Schadensanfall unbillig ist, so dass es einer Umverteilung bedarf, ist eine hiervon zu trennende und letztlich rechtspolitische Frage.
278 Zu
den hierzu bereits hinlänglich bekannten Argumenten unter D.IV.5.c)ee). Die Willenserklärung ohne Willen, S. 123. 280 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 121; in diese Richtung ebenso Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 90 ff. 279 Werba,
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien229
(2) Wertungswiderspruch wegen Möglichkeit zur Anfechtung Manche sehen darin einen Wertungswiderspruch, dass bei Heranziehung von Verschulden als Zurechnungsprinzip dem Erklärenden, der sich sorgfaltswidrig verhalten hat, wegen seiner Möglichkeit zur Anfechtung ein Wahlrecht zustehe, ob die Erklärung fortgelten soll, während eine solche Wahl nicht habe, wer sich sorgfaltsgemäß verhalten hat.281 Dieser Einwand überzeugt aber nicht, denn zum einen stellt das Wahlrecht der Anfechtung kein echtes Wahlrecht im Sinne einer reinen Chance dar, sondern zumindest auch ein Risiko, da bei Passivität des Anfechtungsberechtigten automatisch eine Entscheidung fällt, namentlich die dauerhaft wirksame Willenserklärung. Dies ist nicht zwingend positiv für den Zurechnungsadressaten. Zudem ist mit dem Wahlrecht zugleich die gesetzliche Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB verbunden, während bei Annahme einer ex tunc-Nichtigkeit der Erklärung § 122 BGB jedenfalls keine unmittelbare Anwendung finden würde.282 (3) Anwendung der §§ 104 ff. BGB Gegen eine rechtsgeschäftliche Haftung bei Vorliegen von Verschulden spreche zudem die fast unumstrittene Anwendung der §§ 104 ff. BGB statt der §§ 827, 829 BGB im Hinblick auf die Geschäfts- bzw. Zurechnungs fähigkeit, da bei einer konsequenten Haftung für Verschulden die deliktischen Regeln Anwendung finden müssten.283 Indes werden Ursache und Wirkung verdreht: Das Verschulden ist nicht deshalb ein ungeeignetes Zurechnungskriterium, weil nach fast einhelliger Ansicht die §§ 104 ff. BGB als Schranke der Zurechnungsfähigkeit (Geschäftsfähigkeit) angesehen werden, sondern umgekehrt bestimmt die Zuordnung der Willenserklärung bzw. die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen zum Bereich der Rechtsgeschäftslehre oder zum Deliktsrecht, ob die §§ 104 ff. BGB oder §§ 827, 829 BGB Anwendung finden. Da diese Zurechnung den rechtsgeschäftlichen Bereich betrifft, ist die Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit nur konsequent.284 281 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 123, der sich zudem auf Brehmer, JuS 1986, 440 (444) beruft. 282 BGH, Urt. v. 20.3.1986 – III ZR 236/84 Rn. 44 (juris) = NJW 1986, 2104 (2106); zuvor schon das RG, Urt. v. 30.10.1942 – VII 41/42 = RGZ 170, 65 (69); MüKoBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, § 122 Rn. 2; Soergel/ Hefermehl, § 122 Rn. 2; Staudinger/Singer (2017), § 122 Rn. 4. 283 Lüdeking, Die zugerechnete Willenserklärung, S. 91; so muss zudem wohl Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 124 verstanden werden. 284 A. A. Hübner, in: FS Nipperdey, S. 373 (373 f., 388 f.).
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
(4) Kein Verstoß gegen Verhaltenspflicht zu richtiger Erklärung Aus einem Verstoß gegen eine „Verhaltenspflicht zu richtiger Erklärung“285 folgt kein Argument für das Verschuldensprinzip als tragenden Gedanken der Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen. Zum einen besteht weniger eine Verhaltenspflicht, die nach außen gerichtet ist, sondern vielmehr eine Verhaltensobliegenheit, die zur Verhinderung persönlicher Nachteile aus eigenem Interesse zu befolgen ist.286 Zum anderen begründet alleine ein Pflichtverstoß noch kein Verschulden im Sinne eines subjektiv vorwerfbaren Verhaltens. Weiter stellt die diesem Ansatz zugrunde liegende Annahme, dem Erklärenden müsse bewusst sein, dass er aus objektiver Sicht eine Willenserklärung abgebe, eine bloße Fiktion dar.287 Denn es ist gerade noch nicht gesagt, dass der Erklärende tatsächlich erkennen kann, dass sein Verhalten vom Erklärungsgegner oder vom Rechtsverkehr als Willenserklärung ausgelegt werden könnte, so dass er dies selbst ebenso erkennen müsste. Die Einordnung des Erklärungsbewusstseins in die Kategorie des Verschuldens (als Vorsatz), um daraus zu schließen, dass demnach auch andere Verschuldensformen wie Fahrlässigkeit als Zurechnungsmaßstab dienen können, ist somit einerseits nicht zwingend, und muss sich andererseits den Vorwurf gefallen lassen, reine Begriffsjurisprudenz ohne weiteren Gehalts zu sein.288 Weshalb man auf der Suche nach einer engeren Beziehung zwischen Zurechnungsgegenstand und Zurechnungsadressat als beim Veranlassungsprinzip nicht zunächst das Risikoprinzip in Betracht zieht, bevor man das Verschuldensprinzip annimmt, bleibt offen. (5) Fehlender Gesetzesnachweis Im Wesentlichen ist jedoch zu kritisieren, dass die Anhänger des Verschuldensprinzips als Mindestvoraussetzung für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen die Gültigkeit ihrer Annahme nicht am Wortlaut des Gesetzes und dessen Systematik festmachen, das Verschuldensprinzip also insbesondere nicht aus den einzelnen gesetzlichen Vorschriften als rechtsgeschäftliches Zurechnungsprinzip herleiten. Verschulden, auch in Form von bloßer Fahrlässigkeit, ist somit zwar sicherlich eine hinreichende Bedingung für die Zurechnung eines objektiven Erklärungstatbestandes und damit von rechtsgeschäftlichen Wirkungen zu einer Person. Jedoch ist damit nicht ge285 Siehe
hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 476 ff. auch Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 147 mit Verweis auf Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 157. 287 Siehe hierzu bereits unter C.II. und C.III. 288 In diese Richtung Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 67. 286 So
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sagt, dass Verschulden deshalb auch eine notwendige Bedingung wäre, also von Gesetzes wegen nicht auch das Vorliegen geringerer Voraussetzungen – etwa die Zuordnung zur Risikosphäre – genügen kann.289 9. Der rechtsgeschäftliche Wille a) Die finale Willenserklärung (samt Geschäftswillen) Der Paradefall der Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen ist die perfekte, teils als final bezeichnete290 Willenserklärung, die der Erklärende willentlich, gemäß der überkommenen Terminologie also mit Geschäftswillen, zur privatautonomen Gestaltung von Rechtsfolgen abgibt, weil er diese Erklärung in dieser Weise unter Wissen und Wollen sämtlicher damit verbundener rechtsgeschäftlicher Konsequenzen in diesem Moment abgeben will.291 b) Erklärungsbewusstsein und die normativ zugerechnete Willenserklärung Der rechtsgeschäftliche Wille des Erklärenden kann nach den §§ 116 ff., 119 ff. BGB auch ohne Vorhandensein eines Geschäftswillens rechtsgeschäftliche Wirkungen hervorbringen, wenn der Erklärende wenigstens über Erklärungsbewusstsein verfügt. Nach der herrschenden Meinung genügt für das Vorliegen einer Willenserklärung als Minimaltatbestand aber ein Verhalten, das objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen lasse, sofern der Handelnde mit einer solchen Deutung nach den Umständen rechnen musste, also der Erklärende erklärungsfahrlässig handelt (sog. normativ zugerechnete Erklärung).292 289 Siehe
zum Risikoprinzip bereits unter E.II.7. Begriff der finalen Willenserklärung verwendet MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 3 für die „volltypische“ Willenserklärung, ihren „Vollbegriff“, womit er in Abgrenzung zur Willenserklärung kraft normativer Zurechnung, welche wegen Willensmängeln gemäß §§ 119 ff. BGB anfechtbar ist, eine fehlerfreie und daher von Anfang an voll wirksame Willenserklärung meint; siehe auch Werba, Die Willens erklärung ohne Willen, S. 116 f.; siehe zum Willen als Zurechnungskriterium auch differenziert Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (221). 291 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 18 weist dabei darauf hin, dass eine in diesem Sinne perfekte Willenserklärung erfordert, dass die erklärten und damit in Geltung gesetzten Rechtsfolgen in tatsächlicher Hinsicht gewollt sind, also der Erklärende nicht bloß Kenntnis von dem von ihm gesetzten Erklärungstatbestand hat; Brehmer, Wille und Erklärung, S. 211 ff. spricht insoweit vom Wesen der Willenserklärung in Abgrenzung zu ihrem Tatbestand, für den es weniger bedürfe, als das Wesen ausmache. 292 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 Rn. 19 m. w. N.; in diese Richtung ebenso Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 516; Werba, Die Wil290 Den
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
c) Handlungswille aa) Handlungswille alleine genügt nicht Wird der objektive Tatbestand einer Willenserklärung nicht vom Erklärungsbewusstsein bzw. von Erklärungsfahrlässigkeit (und Geschäftswillen) getragen, stellt sich die Frage, ob alleine der Handlungswille hinreichende Bedingung für die Zurechnung als Willenserklärung ist.293 Der Handlungswille – in Abgrenzung zu willensabsoluten Einflüssen sowie Fremdsteuerungen verstanden als bewusste und gewollte Entscheidung, überhaupt eine Handlung vorzunehmen, aber nicht verstanden als Bewusstsein, genau die jeweils konkret ausgeführte Handlung zu vollziehen294 – sorgt als nach gängigem Verständnis295 zwingende Voraussetzung im subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung dafür, dass sich nur privatautonome Entscheidungen des Individuums – seien diese bewusster oder unbewusster Natur – rechtsgeschäftlich auswirken. Normativ macht es einen erheblichen Unterschied, ob bei einer Versteigerung die Hand einer anwesenden Person deshalb in die Höhe gestreckt ist, weil die Person die Hand selbst gehoben hat, oder weil die Hand von einer anderen Person hochgezogen wurde. Die herrschende Meinung möchte den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung bei bloßem Vorliegen von Handlungswillen nicht zurechnen, da der Handlungswille alleine kein taugliches Zurechnungskriterium sei, sondern es hierfür zumindest des Vorliegens von Erklärungsfahrlässigkeit bedürfe.296 Anders jedoch die Mindermeinung, die bei Vorliegen von Handlungswillen eine qualifizierte Verursachung bzw. eine zurechenbare Veranlassung des Erklärungstatbestandes sieht,297 und damit den Handlungswillen für ein ausreichendes Zurechnungskriterium hält.
lenserklärung ohne Willen, S. 116 f., 136; Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (222, 233); siehe zudem unter D.IV.5.c)dd) und unter E.II.8. 293 So müssen Brehmer, Wille und Erklärung, S. 195 und Larenz, Methode der Auslegung, S. 62 verstanden werden. 294 So aber Werba, die Willenserklärung ohne Willen, S. 72 ff.; siehe dazu bereits unter D.IV.5.d). 295 A. A. Brehmer, Wille und Erklärung, S. 65 f.; Kellmann, JuS 1971, 609 (612, 613 f.). 296 Siehe hierzu bereits unter D.IV.5.d). 297 So vor allem Hepting, Ehevereinbarungen, S. 282; siehe zudem Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 51 (67); undeutlich, ob Handlungswille stets hinreichendes Zurechnungskriterium ist, Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 136 ff.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien233
bb) Bloßer Handlungswille genügt bei Anwendung des Risikoprinzips Die Einstufung des Handlungswillens als hinreichendes Zurechnungskriterium hängt davon ab, ob man mit der herrschenden Meinung die zumindest fahrlässige Verkennung der aus Empfängersicht rechtsgeschäftlichen Natur des eigenen Verhaltens als Mindestmaß fordert,298 oder mit der Mindermeinung das Risikoprinzip genügen lässt.299 Nur bei Anwendung des Risikoprinzips, also bei Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestandes als Willenserklärung gemäß der Zuordnung zur Risikosphäre, führt bereits alleine das Vorliegen von Handlungswillen zur Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen, weil mit der generellen Kontrollier- und Steuerbarkeit des eigenen Verhaltens – und nur dann liegt definitionsgemäß ein Handlungswille vor – die Beherrschbarkeit bzw. Beherrschung des Risikos kommunikativer Missverständnisse korrespondiert.300 Umgekehrt stellt der Handlungswille im Rahmen der Zurechnung nach dem Risikoprinzip jedoch kein notwendiges Zurechnungselement in dem Sinne dar, dass bei dessen Fehlen eine Zurechnung als Willenserklärung stets zwingend ausgeschlossen wäre. Die Risikosphäre eines Zurechnungsadressaten kann aufgrund der Beherrschbarkeit bzw. Beherrschung durch den Adressaten oder des Setzens des Risikos auch dann berührt sein, wenn es eine Handlung des Adressaten und dementsprechend auch einen daran anknüpfenden Handlungswillen gar nicht gibt.301 Denkbar sind etwa Konstellationen wie das bewusste Gewährenlassen eines Dritten, der durch eigenes Handeln den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung setzt, der aus der objektiven Empfängersicht den (vom Dritten personenverschiedenen) Zurechnungs adressaten als Erklärenden erscheinen lässt.302 So wird etwa das Abhandenkommen einer Willenserklärung dem Fehlen von Handlungswillen teilweise gleichgestellt,303 und damit im Ergebnis eine anfechtbare Erfüllungsverpflichtung des Zurechnungsadressaten angenommen.
298 Siehe
hierzu unter D.IV.5.c). zum Risikoprinzip bereits unter E.II.7. 300 Siehe dazu ausführlich unter E.II.7.b)aa) und E.II.7.b)bb). 301 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 137. 302 Hierzu folgendes Beispiel: Eine Chefin bekommt mit, dass ihr Sekretär mit einem elektronischen Textverarbeitungsprogramm unter Verwendung ihres Briefkopfes ein Schreiben erstellt, dieses mit einem elektronisch gespeicherten Scan der Original-Unterschrift der C hefin signiert und anschließend versendet. Die Chefin hat keine Handlung vorgenommen, an die sich ein Handlungswille knüpfen könnte, jedoch mit dem eigenen Verhalten das Risiko der fehlerhaften Kommunikation beherrscht und erhöht. 303 So ausdrücklich Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 137. 299 Siehe
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
d) Gesetzlich fingierte Willenserklärungen Das Gesetz kennt nicht nur die rechtsgeschäftlichen Wirkungen von Willenserklärungen, welche durch privatautonomes Handeln entstehen, sondern auch von solchen Erklärungen, deren Rechtsfolgen es als widerlegliche oder unwiderlegliche Vermutungen oder als Fiktionen anordnet, und den im Gesetz benannten Personen damit als deren Willenserklärungen zurechnet. Beispiele hierfür sind etwa die gesetzlichen Genehmigungsfiktionen bei Schweigen nach Aufforderungen, sich zu erklären, wie in §§ 108 Abs. 2, 416 Abs. 1 S. 2 BGB.304 Die drei genannten Ansätze unterscheiden sich danach, ob sie dem Willen der Person, der sie zugerechnet werden, jedenfalls typischerweise und damit am wahrscheinlichsten in der jeweiligen Situation entsprechen (so bei der gesetzlichen Vermutung, die je nach Intention des Gesetzgebers entweder widerleglich oder unwiderleglich ist) oder nicht (so bei der echten gesetzlichen Fiktion).305 Indem das Gesetz anordnet, dass zumindest hinsichtlich der Rechtsfolgenwirkung eine Willenserklärung anzunehmen ist, greift es erheblich in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie des Zurechnungsadressaten ein. Indes ist ein solcher Eingriff des nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebundenen Gesetzgebers im Rahmen der Schranke aus Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber mit dem ebenso in der Verfassung verankerten Prinzip des Verkehrsschutzes und der damit verbundenen Verkehrs- und Rechtssicherheit einen billigen Ausgleich anstreben muss, zumal er in den gesetzlich geregelten Fällen durch eine Orientierung am typisierten Willen des Zurechnungsadressaten ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zu wahren versucht hat.306 Dogmatisch umstritten ist, ob das Gesetz die Willenserklärung als solche anordnet oder bloß deren Rechtsfolge.307 Die Einordnung hat Auswirkungen darauf, ob die allgemeinen Regeln über die Willenserklärung, wie über die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) und Willensmängel (§§ 119 ff. BGB) auf bloß fingierte Willenserklärungen Anwendung finden.308 Im Ergebnis geht die herrschende Meinung von einer Fiktion der Willenserklärung selbst aus und wendet die genannten Vorschriften daher auf diese (weitest ge 304 Weitere gesetzliche Beispiele sind §§ 455 S. 2, 516 Abs. 2 S. 2, 545, 625 BGB, sowie §§ 75h Abs. 1, 362 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 HGB; ferner § 5 Abs. 1 VVG und § 5 Abs. 3 S. 1 PflVG. 305 Siehe zu dieser Differenzierung nur MüKoBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 12 f. 306 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 72. 307 Siehe dazu die Darstellung der verschiedentlich diskutierten Willenselemente im subjektiven Tatbestand einer Willenserklärung bei Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 20 f. 308 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung bei Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 65 ff., insbesondere Rn. 71.
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien235
hend)309 an. Das überzeugende Hauptargument ist der Wertungsgedanke, dass eine gesetzlich fingierte Willenserklärung als typischerweise nicht oder zumindest weniger wahrscheinlich mit dem wirklichen Willen des Erklärenden übereinstimmende Erklärung in ihrer Wirkung nicht stärker sein darf, als eine Erklärung, hinter der der Wille des Erklärenden steht, etwa indem sie grundsätzlich nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen anfechtbar wäre.310 Die bloße Existenz dieser Fiktionsnormen zeigt jedoch, dass das Gesetz rechtsgeschäftliche Wirkungen nicht nur an bewusst und willentlich gesetzte objektive Erklärungstatbestände knüpft, sondern auch anderen Rechtsprinzipien wie dem Vertrauens- und Verkehrsschutz sowie der Rechtssicherheit einen wichtigen Stellenwert zuweist. 10. Zurechnung aufgrund von Rechtsscheinhaftung a) Gesetzliche Fälle der Rechtsscheinhaftung mit Erfüllungsverpflichtung Das Gesetz kennt eine Reihe von Tatbeständen der Rechtsscheinhaftung, so etwa in §§ 370, 405 BGB, § 15 Abs. 1, Abs. 3 HGB, Art. 10 WG und in § 13 ScheckG. Gesetzlich geregelte Rechtsscheinvollmachten, also gesetzlich fingierte Willenserklärungen, finden sich zudem in den §§ 170–173 BGB und in § 56 HGB. Gemein ist sämtlichen diesen Tatbeständen der Verzicht auf Verschulden als notwendige Voraussetzung für die Zurechnung des jeweiligen Rechtsscheins. Denn nicht einmal die fahrlässige Herbeiführung des Rechtsscheins ist in diesen Fällen streng genommen tatbestandliche Voraussetzung. Die kausale Veranlassung genügte dem Gesetzgeber zur Anordnung der Erfüllungsverpflichtung,311 auch wenn in den meisten Konstellationen der Zurechnungsadressat den Rechtsschein de facto mindestens fahrlässig herbeiführen oder dessen Beseitigung fahrlässig unterlassen dürfte. Davon zu unterscheiden ist, dass nach der gesetzlichen Konzeption der Rechtsscheinhaftung der Zurechnungsadressat den Rechtsschein zuvor meist willentlich und damit vorsätzlich in den Rechtsverkehr entlassen hat, etwa durch Ausstellung und Aushändigung einer Vollmachtsurkunde (§§ 172, 405 Abs. 1 BGB). 309 Die h. M. wendet bis auf die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB – und dort auch nur nicht in Bezug auf den sog. Schlüssigkeitsirrtum, jedoch auf den sog. Tatsachenirrtum – die Regeln über die Willenserklärung auch auf gesetzlich fingierte Willenserklärungen an; siehe dazu MüKoBGB/Armbrüster, § 119 Rn. 65; Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 65 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 190, 202, 218 f. 310 Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 75; differenzierend Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 67. 311 Staudinger/Schilken (2019), § 170 Rn. 1.
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Auf die gesetzlichen Rechtsscheinvollmachten der §§ 170–173 BGB finden die Vorschriften über Willenserklärungen, insbesondere über die Geschäftsfähigkeit und die Anfechtung aufgrund deren rechtsgeschäftsähnlichen Charakters entsprechende Anwendung.312 Das Handeln des Vertreters im Namen des Vertretenen wird diesem somit nur dann von Gesetzes wegen zugerechnet, wenn er bei der Veranlassung des Rechtsscheins geschäftsfähig gewesen ist.313 Der Vertretene kann die Rechtswirkungen bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB durch Anfechtung auf Kosten der Schadensersatzpflicht aus § 122 BGB ex tunc beseitigen. Im Ergebnis rechnet das Gesetz somit Erfüllungsverpflichtungen selbst dann zu, wenn tatbestandlich keine Willenserklärung vorliegt, verlangt jedoch, dass die Vorschriften über Willenserklärungen im Übrigen eingehalten sind. Ob diese Erfüllungsverpflichtungen dann zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zählen oder eine eigenständige Kategorie bilden, kann an dieser Stelle offenbleiben. Unstreitig ergeben sich bei der gesetzlichen Rechtsscheinhaftung zumindest im Kern dieselben Rechtsfolgen wie sie die klassische Rechtsgeschäftslehre erzeugt. b) Außergesetzliche Rechtsscheinhaftung in Form der Rechtsscheinvollmachten Teils ausgehend von dem Grundsatz der Vertrauenshaftung und damit auch zurückgehend auf den Gedanken von Treu und Glauben aus § 242 BGB,314 teils anknüpfend an die gesetzlich geregelten Rechtsscheinvollmachten315 haben Rechtsprechung und Lehre mit der Duldungs- und Anscheinsvollmacht weitere, über das Gesetz hinausgehende Rechtsscheinvollmachten entwickelt, die sich jedenfalls in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen an die §§ 170– 173 BGB anlehnen.316 Vergleichbar der Haftung des Ausstellers einer Vollmachtsurkunde gemäß §§ 172 Abs. 1, Abs. 2, 173 BGB bedarf es für die Zurechnung von Erfüllungsverpflichtungen aufgrund von Drittverhalten gemäß den außergesetzlichen Rechtsscheinvollmachten eines Rechtsscheintatbestandes (Vollmachtsurkunde), der dem Zurechnungsadressaten zurechenbar 312 Palandt/Ellenberger, § 171 Rn. 1, § 172 Rn. 1; siehe dazu auch schon unter B.III.2. und B.III.3. 313 MüKoBGB/Schubert, § 171 Rn. 7, § 172 Rn. 24; Palandt/Ellenberger, § 171 Rn. 1, § 172 Rn. 1; Soergel/Leptien, § 172 Rn. 3; Staudinger/Schilken (2019), § 171 Rn. 5, § 172 Rn. 2. 314 So BeckOK BGB/Schäfer, § 167 Rn. 14; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 23 f.; Bork, BGB AT, Rn. 1549; Hübner, BGB AT, Rn. 1285; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 84, 92; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 39 ff. 315 So etwa Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 6; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 17; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2 (17 ff.). 316 Siehe dazu bereits unter B.III.3.
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ist (Aushändigen der Urkunde, § 172 Abs. 1 BGB), eine kausale Disposition des Geschäftspartners (aufgrund der Vorlage der Urkunde, § 172 Abs. 1 BGB) sowie dessen Gutgläubigkeit (keine Kenntnis und kein Kennenmüssen der wirklichen Gegebenheiten, § 173 BGB) und daher Schutzwürdigkeit. Während man bei der Duldungsvollmacht bloß darüber streitet, ob es sich überhaupt um eine Rechtsscheinvollmacht317 oder nicht doch eher um eine durch schlüssiges Verhalten erteilte Innen- oder Außenvollmacht318 – also um eine rechtsgeschäftliche Vollmacht – handelt, ohne dass sich die Wahl für eine Ansicht gravierend auswirken würde,319 sind die Gräben bei der Anscheinsvollmacht tiefer. Zwar ist man sich über die Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht, insbesondere im Hinblick auf das Zurechnungskriterium der (bloß) fahrlässigen Herbeiführung des Rechtsscheins zumindest weitestgehend einig, jedoch nicht über ihre rechtliche Wirkung. Teils schreibt man ihr echte Vollmachtswirkung, also rechtsgeschäftliche Wirkungen zu,320 teils will man den Zurechnungsadressaten wegen seines fahrlässigen Verhaltens nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB bloß auf das negative Interesse haften lassen.321 317 MüKoBGB/Schubert, § 102 ff.; Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 29a; anaris, in: FS 50 Jahre BGH, S. 129 (154 ff.); siehe zu diesem Streit bereits unter C B.III.3. und unter E.II.7.f)ii)(1). 318 RG, Urt. v. 5.11.1879 – I 35/79 = RGZ 1, 8 ff.; BeckOK BGB/Schäfer, § 167 Rn. 16; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 11; Jauernig/Mansel, § 167 Rn. 8; MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 37 ff.; NK-BGB/Ackermann, § 167 Rn. 78 i. V. m. Rn. 44 ff.; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 8; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 15; Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 29 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 1556; Enneccerus/ Nipperdey, BGB AT, § 184 II 2; Flume, BGB AT II, § 49, 3 (S. 828); Hübner, BGB AT, Rn. 1283; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 928; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 152 ff. 319 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 157 f. 320 So Rechtsprechung und h. L., siehe u. a. BGH, Urt. v. 5.3.1998 – III ZR 183/96 Rn. 10 ff., 16 (juris) = NJW 1998, 1854 (1855 f.); Urt. v. 6.2.1996 – XI ZR 121/95 Rn. 8 ff. (juris) = NJW-RR 1996, 673; Urt. v. 12.2.1952 – I ZR 96/51 (juris) = BGHZ 5, 111 (116); BVerwG, Urt. v. 25.2.1994 – 8 C 2/92 Rn. 10 (juris) = NJW-RR 1995, 74 (75); BeckOK BGB/Schäfer, § 167 Rn. 16; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 9 ff.; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 11 ff.; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 15 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 1560 ff.; Brox/Walker, BGB AT, § 25 Rn. 32; Hübner, BGB AT, Rn. 1284 ff., 1289 (im bürgerlichen Recht nur bei grober Fahrlässigkeit); Köhler, BGB AT, § 11 Rn. 35; Wertenbruch, BGB AT, § 31 Rn. 17 f.; Becker/Schäfer, JA 2006, 597 (599); Lorenz, JuS 2010, 771 (774); Mock, JuS 2008, 391 (395); jeweils Einordnung als rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht: Leenen, BGB AT, § 9 Rn. 96; Pawlowski, BGB AT, Rn. 728 mit Rn. 727. 321 So die verbreitete M.M., vertreten u. a. von MüKoHGB/Krebs, Vorb. zu § 48 Rn. 52 ff.; NK-BGB/Ackermann, § 167 Rn. 74 ff.; Staudinger/Schilken (2019), §167 Rn. 31; Flume, BGB AT II, § 49, 4 (S. 832 ff., 835); Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 970 ff.; Pawlowski, BGB AT, Rn. 716b ff., Rn. 727a ff.; Wolf/Neuer, BGB AT, § 50 Rn. 98; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 49 ff., 191 ff.; Lobinger, Rechtsgeschäftliche
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E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Strukturell liegt beiden Rechtsscheinvollmachten gemäß ihren tatbestand lichen Voraussetzungen ein Verschulden als Zurechnungskriterium zugrunde – Vorsatz bei der Duldungsvollmacht und Fahrlässigkeit bei der Anscheinsvollmacht.322 Damit verlaufen die Überlegungen zur Zurechenbarkeit eines Rechtsscheins bei den außergesetzlichen Rechtsscheinvollmachen vollkommen parallel zur Zurechenbarkeit des objektiven Erklärungstatbestandes bei der Willenserklärung.323 Unterschiedlich ist bloß, dass bei den Rechtsscheinvollmachten eine gerade auch für den Geschäftspartner offenkundige Dreipersonenkonstellation besteht, während bei der Willenserklärung bloß ein aus dem Erklärenden und dem Erklärungsadressaten bestehendes Zweipersonenverhältnis vorliegt. Im Unterschied zu den gesetzlich geregelten Rechtsscheinvollmachten wird eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Willenserklärung auf außergesetzliche Rechtsscheinvollmachten eher kritisch gesehen. Allgemein anerkannt ist noch, dass der Schutz geschäftsunfähiger und bloß beschränkt geschäftsfähiger Personen gemäß §§ 104 ff. BGB gegenüber dem (Vertrauens-)Schutz des Rechtsverkehrs überwiegt, und den genannten Personengruppen daher keine Rechtsscheinwirkungen zuzurechnen sind.324 Stark umstritten ist aber, ob der unter den Voraussetzungen der Duldungsund Anscheinsvollmacht zugerechnete Rechtsschein anfechtbar ist. Die herrschende Meinung verneint dies mit dem Hauptargument, dass die Frage der Bindung an den Rechtsschein bereits abschließend auf Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsscheinvollmachten geklärt werde.325 Für die Gegenansicht ist im Wesentlichen die Einordnung der Rechtsscheinvollmachten als quasi-rechtsgeschäftliche Vollmachten und folglich als Teil der Rechtsgeschäftslehre entscheidend,326 vor allem bei der Duldungsvollmacht, falls diese als konkludent erteilte Außenvollmacht angesehen wird.327 Bejaht Verpflichtung, S. 265 ff.; Canaris, JZ 1976, 132 (133); ders., in: FS 50 Jahre BGH, S. 156 ff.; Lobinger, JZ 2006, 1076 (1077 ff.); Petersen, Jura 2003, 310 (313); Picker, NJW 1973, 1800 f. 322 Siehe zum Verschulden als Zurechnungskriterium bereits unter E.II.8. 323 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 150 f., 157 f. 324 Siehe nur Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 39 m. w. N. 325 BeckOK BGB/Schäfer, § 167 Rn. 20; Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 167 Rn. 27; Jauernig/Mansel, § 167 Rn. 9; Soergel/Leptien, § 167 Rn. 22; Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 45; Hübner, BGB AT, Rn. 592; Leipold, BGB AT, § 24 Rn. 40 f.; Stadler, BGB AT, § 30 Rn. 43. 326 Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, § 167 Rn. 27; NK-BGB/Ackermann, § 167 Rn. 94; Palandt/Ellenberger, § 172 Rn. 8; Bork, BGB AT, Rn. 1559; Neuner, BGB AT, § 50 Rn. 90 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 43, 196; Becker/Schäfer, JA 2006, 597 (600 f.). 327 So etwa Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 45; Flume, BGB AT II, § 49, 3 (S. 828 ff.); Becker/Schäfer, JA 2006, 597 (600).
II. Rechtsgeschäftliche Zurechnungsprinzipien239
man mit der Mindermeinung die Anfechtbarkeit der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, würden beide in ihrer Rechtsfolge vollumfänglich wie echte Willenserklärungen wirken, Schein wäre dann Sein.328 Unbestreitbar kann das Vorliegen von bloßem Verschulden jedoch Erfüllungsverpflichtungen rechtsgeschäftlicher Art erzeugen. 11. Zurechnung aufgrund der Inanspruchnahme von Vertrauen (Vertrauenshaftung) Zurechnung ist auch aufgrund von Vertrauen denkbar. Der Vertrauensgedanke als solcher hat mit der Schuldrechtsmodernisierung in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB einen allgemeinen Ausdruck im Gesetz gefunden. Ansonsten findet er sich dort bloß in der Gestalt des Vertrauensschadens, etwa in den §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 2 BGB. Ob überhaupt, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen eine Vertrauenshaftung vollkommen losgelöst von der Rechts geschäftslehre329 parallel zu dieser Erfüllungsverpflichtungen hervorzubringen vermag, oder bloß negativen Vertrauensschutz bietet, ist Gegenstand ganz grundlegender Diskussionen.330 Der mit der Inanspruchnahme von Vertrauen verbundene Risikogedanke ist hinsichtlich der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen aus sich heraus jedenfalls indifferent.331 Im Grundsatz und Ausgangspunkt sei von einer bloß negativen Entsprechung des Vertrauens auszugehen,332 allerdings gebe es – abhängig von der notwendigen Intensität zur Erreichung des mit dem Vertrauensgedanken bezweckten Verkehrsschutzes – Sonderfälle positiver Vertrauensentsprechung,333 insbesondere dann, wenn der bloß negative Vertrauensschutz versage, nicht praktikabel sei oder zusätzliche Prinzipien, die außerhalb des Vertrauensprinzips liegen, ein 328 Conrad, Die Vollmacht als Willenserklärung, S. 167 f.; siehe zudem Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 153, 157, 161 f. 329 Staudinger/Coing (1957), Einl. zu § 104 Rn. 2; Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 145, 183; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 143; Blohmeyer, BB 1969, 101 (104); Diederichsen, JuS 1966, 129 (135); Fabricius, JuS 1966, 50 (51, 58); Hanau, AcP 165 (1965), 220 (230 ff.); Hübner, in: FS Kaser, S. 715 (726 f.); Hübner, in: FS Nipperdey, S. 373 (378, 380); siehe dazu natürlich zudem Canaris, Vertrauenshaftung, S. 411 ff. 330 Siehe hierzu bereits unter B.III.4. 331 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 49; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 99 mit weiteren Darstellungen, S. 202; siehe zudem Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 98 ff. 332 Grundlegend natürlich Canaris, Vertrauenshaftung, S. 6; siehe zudem Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 91 ff., 98 ff.; dies bestätigen die ausdrück lichen Regelungen zum Vertrauensschadenersatz gemäß §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 2 BGB. 333 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 111 ff.
240
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
Abweichen erforderten.334 Hierzu zählten die Irreversibilität der Vertrauensdisposition des Vertrauenden, die durch bloß negative Vertrauensentsprechung nicht kompensiert werden könne, ein strukturell erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis, etwa im Handels- und Gesellschaftsrecht oder die wissent liche Schaffung des Vertrauenstatbestandes, wie etwa in den Fällen des § 116 S. 1, 172 Abs. 1, Abs. 2, 179 Abs. 1 BGB.335 Auffällig ist, dass die Forderung nach positiver Vertrauensentsprechung, also nach Erfüllungsverpflichtungen rechtsgeschäftlicher Art, häufig diejenigen Stimmen erheben, die das Erklärungsbewusstsein als notwendiges Tatbestandsmerkmal im subjektiven Tatbestand der Willenserklärung ansehen,336 und daher in vielen Konstellationen nicht zu einer Zurechnung von Verhalten als Willenserklärung gelangen. Dahinter steckt der Versuch, die klassische Rechtsgeschäftslehre möglichst frei von vermeintlich konträren, wesensfremden Einflüssen und damit in gewisser Weise dogmatisch rein zu halten, zugleich aber neben diesen dogmatischen Überlegungen auch praktische Probleme interessengerecht zu lösen. Aufgrund dieser Abstraktion der positiven Vertrauenshaftung von der Rechtsgeschäftslehre sollen – insoweit konsequent und in sich stimmig – die Vorschriften über Willenserklärungen auf den Vertrauenstatbestand, der somit weder gemäß seiner Tatbestandsvoraussetzungen noch in Bezug auf sämtliche seiner Rechtsfolgewirkungen eine Willenserklärung i. S. d. BGB ist, keine unmittelbare, aber im Hinblick auf vereinzelte Vorschriften analoge Anwendung finden.337 Gegen die Existenz eines solchen, von der Rechtsgeschäftslehre unabhängig wirkenden allgemeinen Vertrauensprinzips, das Erfüllungsverpflichtungen rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Art hervorbringt, spricht im Wesentlichen das Fehlen entsprechender Regelungen und sonstiger Anhaltspunkte im Gesetz. Solche Regelungen kann aber – wegen der Tragweite einer solchen Entscheidung für die Zivilrechtsordnung – einzig der hierzu von Verfassungs wegen berufene Gesetzgeber aufstellen.338 Vielmehr deuten die diversen Anknüpfungspunkte für den Vertrauensgedanken im Gesetz für einen Vertrauensschutz mit bloß negativen Rechtswirkungen, wie etwa § 311 Abs. 3 S. 2 BGB und die §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 2 BGB zei-
Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 112. Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 115. 336 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 115. 337 Ausführlich dazu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 451 ff. 338 Grundlegend zur Wesentlichkeitstheorie BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 Rn. 77 ff. (juris) = BVerfGE 49, 89 (126 ff.), zuvor schon angedeutet in BVerfG, Urt. v. 6.12.1972 – 1 BvR 230/70, 1 BvR 95/71 Rn. 104 (juris) = BVerfGE 34, 165 (192 f.). 334 Singer, 335 Singer,
III. Resümee241
gen.339 Daneben besteht für eine Zurechnung von Erfüllungsverpflichtungen als Vertrauensentsprechung indes bei konsequenter Anwendung der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre kein Bedürfnis. Eine positive Vertrauenshaftung soll im Ergebnis (Gerechtigkeits-)Lücken füllen, die die Rechtsgeschäftslehre vermeintlich hinterlässt.340 Begreift man die Rechtsgeschäftslehre innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens jedoch so, dass keine (Schutz-)Lücken dieser Art bestehen, ist auch keine solche Korrektur notwendig.341 Im Übrigen ist eine positive Vertrauensentsprechung nichts, was der Rechtsgeschäftslehre völlig fremd wäre: Der Begriff der Willenserklärung ist kein Ausdruck absolut reiner Selbstbestimmung des privatautonom handelnden Individuums, sondern zumindest auch ein technisch-juristischer Ordnungs- und Systembegriff, der entgegen gebrachtes Vertrauen absorbiert.342 Die Vertrauenshaftung als solche ist somit bloß ein paragesetzliches System zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse, die alleine dadurch entstehen, dass die Rechtsgeschäftslehre nicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten interessengerecht angewendet wird.343
III. Resümee Der Begriff der Zurechnung bezeichnet die Verknüpfung eines Zurechnungsgegenstandes mit einem Zurechnungsadressaten mittels eines Zurechnungsbandes in Gestalt eines Zurechnungsprinzips (Zurechnungskriteriums; Zurechnungsgrunds).344 Haftung meint hingegen die eigene Verantwortlichkeit einer Person für ein Ereignis.345 Das Recht kennt eine Reihe verschiedener Prinzipien zur Zurechnung von Verhalten von Personen, angefangen bei der kausalen Veranlassung346, über das Risiko347, das Verschulden348, den (wirklichen) rechtsgeschäftlichen Willen349 bis hin zu komplexeren ZurechnungsprinDie Willenserklärung ohne Willen, S. 115. jedenfalls Canaris, Vertrauenshaftung, S. 300 f. 341 Werba, die Willenserklärung ohne Willen, S. 115. 342 In diese Richtung Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen, S. 79; Thiele, Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, S. 82 ff.; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 115, 117; Säcker, Jura 1971, 509 (519); SchmidtSalzer, JR 1969, 281 (285 f.); Wieacker, JZ 1967, 385 (391); siehe dazu bereits unter C.I.3.b). 343 Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 118. 344 E.I.1. und E.I.2.c). 345 E.I.2.d). 346 E.II.6. 347 E.II.7. 348 E.II.8. 349 E.II.9. 339 Werba, 340 So
242
E. Die rechtsgeschäftliche Zurechnung im bürgerlichen Recht
zipien, wie der Rechtsschein-350 und der Vertrauenshaftung351. Während die Kausalität als reine Ursache-Wirkung-Beziehung Erfüllungsverpflichtungen nicht hervorzubringen vermag, können hingegen der rechtsgeschäftliche Wille, ausdrückliche Anordnungen des Gesetzes, die Rechtsscheinhaftung sowie das Verschulden zu Erfüllungsverpflichtungen führen. Mindestvoraussetzung für die Zurechnung von Erfüllungsverpflichtungen ist gemäß den Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre entgegen der herrschenden Sichtweise nicht das Vorliegen von Verschulden, sondern die Zuordnung des objektiven Erklärungstatbestandes zur Risikosphäre einer Person.352 Zu dieser Sphäre zählen sämtliche Risiken, die für diese Person beherrschbar sind oder die diese Person setzt oder erhöht.353 Ein Risikobewusstsein ist nicht Voraussetzung für eine Erfüllungsverpflichtung der Person.354 Die Zurechnung eines objektiven Erklärungstatbestandes zu einer Person als deren Willenserklärung aufgrund der Zuordnung dieses Erklärungstatbestandes zu ihrer Risikosphäre kann jedoch nur dann auch dauerhaft und beständig zu ihrer Erfüllungsverpflichtung führen, wenn der Erklärungstatbestand ihrem wirklichen Willen entspricht bzw. die Person den Erklärungstatbestand nicht anficht.
350 E.II.10. 351 E.II.11.
352 E.II.7.b). 353 E.II.7.b). 354 E.II.7.d).
F. Zurechnung von Willenserklärungen aufgrund rechtsgeschäftlichen Willens, Verschuldens und der Zuordnung zur Risikosphäre I. Die Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen im Zweipersonenverhältnis 1. Gegenstand rechtsgeschäftlicher Zurechnung Die bisherigen Überlegungen lassen sich als eigenständiger Erklärungsansatz für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Wirkungen gemäß den Regelungen der Rechtsgeschäftslehre des BGB fassen. Die Willenserklärung ist nicht nur Werkzeug zur privatautonomen Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse des Individuums, sondern auch zur rechtsgeschäftlichen Gestaltung im Rechtsverkehr1 sowie Mittel der wirtschaftlichen Güterbewegung2. Sie erzeugt daher nicht nur rechtsgeschäftliche Wirkungen, wenn sie Kundgabe des wirklichen Willens des Erklärenden ist, sondern auch, wenn ihr Inhalt dem Erklärenden auf sonstige Weise zuzurechnen ist.3 Bei einer solchen Betrachtung der Willenserklärung als Zurechnungsproblem ist der zuzurechnende Gegenstand auf der einen von dem zurechnenden Prinzip (Zurechnungsprinzip; Zurechnungskriterium; Zurechnungsgrund) auf der anderen Seite zu unterscheiden. Der Zurechnungsgegenstand ist die Willenserklärung, womit bloß der objektive Tatbestand der Willenserklärung gemeint ist, also Erklärungszeichen, die aus objektiv-normativer Empfängersicht einen bestimmten Rechtsfolgewillen zum Ausdruck bringen. Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Rechtsfolgewillen dem wirklichen Willen entspricht. Erklärungszeichen i. d. S. können alle Akte von Kommunikation sein, die mit den Sinnen wahrnehmbar und deshalb interpretierbar sind. Darunter fällt insbesondere Geschriebenes wie Briefe und E-Mails, Gesprochenes, auch am Telefon, Gesten wie Kopfschütteln oder Daumenheben oder auf sonstige Weise Gezeigtes. Der Modus
1 Siehe
unter E.II.8.d)cc) und E.II.9.a). Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 171 f. 3 Vor allem BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83 (juris) = BGHZ 91, 324; siehe hierzu insgesamt bereits unter E. 2 Singer,
244
F. Zurechnung von Willenserklärungen
zur Bestimmung des Inhalts des objektiven Erklärungstatbestandes einer Willenserklärung bestimmt sich nach den §§ 133, 157 BGB.4 2. Prinzip rechtsgeschäftlicher Zurechnung Die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre enthalten kein absolutes Willensdogma. Die punktuell temporär vielleicht vorhandene Willensentsprechung ist keine zwingende Voraussetzung einer wirksamen Willenserklärung.5 Mindestbedingung für die Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestandes als Zurechnungsgegenstand zu einer Person als deren Zurechnungs adressat ist vielmehr die Zuordnung der betreffenden Erklärungszeichen zur Risikosphäre dieser Person, die dadurch zum Erklärenden wird.6 Ebenso hinreichende, jedoch nicht notwendige Voraussetzung ist daneben das Vorliegen von Verschulden, auch in Form von bloßer Fahrlässigkeit,7 und der wirkliche, mit der Erklärung übereinstimmende Wille.8 Risiko ist demnach ein weiterer möglicher Zurechnungsgrund neben den sonstigen, bereits etablierten Zurechnungsgründen. Zur Risikosphäre eines Zurechnungsadressaten zählen sämtliche Kommunikationsakte, für deren Entstehung und Verbreitung dieser das Risiko durch eigenes Tun oder pflichtwidriges Unterlassen gesetzt oder erhöht hat, oder deren Entstehung und Verbreitung für den Zurechnungsadressaten beherrschbar sind.9 Ein Risikobewusstsein ist nicht erforderlich.10 Entscheidend ist bloß, dass der betreffende Kommunikationsakt aus der Risikosphäre des Zurechnungsadressaten stammt. Ob dieser Akt eine Willenserklärung im rechtlichen Sinne ist, bestimmt sich durch objektiv-normative Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB.11 Ein Erklärungsbewusstsein oder ein sonstiges Bewusstsein darüber, sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr zu bewegen, ist dabei keine Zurechnungs voraussetzung.12 Erforderlich ist aber, dass der Zurechnungsadressat zurechnungsfähig, also geschäftsfähig i. S. d. §§ 104 ff. BGB ist.13
4 Siehe
unter D.V. unter C.III. und unter D.IV. 6 Siehe unter E.II.7. 7 Siehe unter E.II.8. 8 Siehe unter E.II.9. 9 Siehe unter E.II.7.b) und E.II.7.c). 10 Siehe unter E.II.7.d). 11 Siehe unter D.V. 12 Siehe unter D.IV.5.c). 13 Siehe unter B.II.1.b). 5 Siehe
III. Kriterien zur Bestimmung der Risikosphäre245
3. Positive und negative Zurechnung Das Recht unterscheidet zwischen positiver, negativer und zumindest vo rübergehender positiver Zurechnung, die der Erklärende durch Anfechtung auf das negative Interesse begrenzen kann.14 Eine positive Zurechnung erfolgt im Falle der Abgabe und des Zugangs einer in jeder Hinsicht nahezu perfekten, also nicht anfechtbaren Willenserklärung, sowie in den Fällen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht15, und des vorsätzlich handelnden falsus procurator.16 Bloß eine negative Zurechnung, die Pflicht zum Ersatz des negativen Interesses, ist dem Zurechnungsadressaten zuzurechnen, wenn vorvertragliche Pflichten verletzt werden17 oder der falsus procurator fahrlässig gehandelt hat18. Eine zumindest zunächst nur vorläufige positive Zurechnung besteht bei anfechtbaren Rechtsgeschäften bis zu deren etwaiger form- und fristgerecht erklärter Anfechtung.19 Diese positive Zurechnung besteht als dauerhafte Bindung fort, wenn die Frist zur Anfechtung ereignislos verstreicht.
II. Der Minimaltatbestand der Willenserklärung Diese Überlegungen münden in einer modifizierten Definition der Willenserklärung, die gewissermaßen den Minimaltatbestand der Willenserklärung bestimmt: Eine Willenserklärung ist die aus objektiv-normativer Sicht bestimmte Kundgabe des Willens der als erklärend erscheinenden Person, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, wenn die Willensbekundung dieser Person deshalb zuzurechnen ist, weil sie aus deren Verantwortungssphäre stammt.
III. Kriterien zur Bestimmung der Risikosphäre bei der Zurechnung als Willenserklärung 1. Abstrakte Kriterien für die Zuordnung zu Risikosphären Während Handlungswille und Verschulden bereits bekannte und etablierte Prinzipien zur Zurechnung von Willenserklärungen sind, ist die Zuordnung 14 Siehe
unter B.II.2. jedenfalls die h. M., siehe unter B.III.3. und E.II.10.b). 16 Siehe unter E.II.7.f)jj). 17 Siehe unter B.II.2.c). 18 Siehe unter B.II.2.c). 19 Siehe unter B.II.1.f) und B.II.2.d)bb). 15 So
246
F. Zurechnung von Willenserklärungen
zu der Risikosphäre einer Person noch unbekannt und konturlos.20 Aus abstrakt-genereller Sicht stammen Zustände und Ereignisse dann aus der Risikosphäre einer Person, wenn diese Person das Risiko konkret oder abstrakt beherrscht, oder das Risiko gesetzt oder erhöht hat.21 Der betreffende Kommunikationsakt muss also nicht unmittelbar durch das Verhalten der als erklärend erscheinenden Person veranlasst sein. Vielmehr kann auch eine bloß mittelbare Veranlassung genügen. Wird der als erklärend erscheinenden Person ein Kommunikationsakt aufgrund der Zuordnung zu ihrer Risikosphäre als Willenserklärung zugerechnet, so schließt dies die Zurechnung zu einer anderen Person selbst dann aus, wenn der Kommunikationsakt in Wirklichkeit unmittelbar von einer anderen Person ausgeht. 2. Konkrete Bestimmung für die Zuordnung zu Risikosphären a) Konkretisierung durch Fallgruppenbildung Inwieweit eine Person ein bestimmtes Risiko beherrscht oder ein Risiko setzt oder erhöht, ist eine vergleichsweise abstrakte Überlegung und bedarf daher weiterer Konkretisierung. Durch Bildung von Fallgruppen lässt sich eine Einordnung bestimmter Konstellationen vornehmen. Aufgrund ihrer situativen Unterschiedlichkeit sind dabei Willenserklärungen unter Anwesenden von denen unter Abwesenden zu unterscheiden. b) Unter Anwesenden Sendet eine Person mit den Sinnen wahrnehmbare Erklärungszeichen an eine andere im selben Raum anwesende Person, also spricht, gestikuliert oder mimt die Person, sind diese Erklärungszeichen der Risikosphäre dieser Person zuzuordnen. Dasselbe gilt, wenn Sender und Empfänger miteinander telefonieren.22 Ergibt die objektiv-normative Auslegung der Erklärungszeichen aus der Empfängersicht, dass der Tatbestand einer Willenserklärung des Senders vorliegt, sind die Erklärungszeichen somit dem Sender als dessen Willenserklärung zuzurechnen. Schwierigkeiten können sich dann ergeben, wenn nicht die Person des tatsächlichen Senders, sondern eine andere Person als Erklärender der Willenserklärung erscheint, wie etwa in den Fällen der Identitätstäuschung beim Handeln unter fremdem Namen. In einem solchen 20 Siehe aber zur allgemeinen Herleitung von Risiko als geeignetes Zurechnungsprinzip unter E.II.7. 21 Siehe hierzu unter E.II.7.a) und E.II.7.b). 22 Die Kommunikation via Telefon findet unter Anwesenden statt, siehe etwa nur MüKoBGB/Einsele, § 130 Rn. 28.
III. Kriterien zur Bestimmung der Risikosphäre247
Fall ist zu untersuchen, inwieweit die Willenserklärung (auch) aus der Risikosphäre dieser Person stammt. Insoweit läge aber eine Willenserklärung unter Abwesenden vor, wenn sich diese Person nicht zugleich im selben Raum befände. Verkörperte Erklärungen in Form von Schriftstücken oder sonstigen grafisch gefassten Zeichen entstammen der Risikosphäre der Person, die sie übergibt. Ergibt die Auslegung, dass der Übergebende eine eigene Willenserklärung abgibt, ist sie ihm als seine Willenserklärung zuzurechnen. Ergibt die Auslegung jedoch, dass eine andere Person der Erklärende sein soll, kommt es für die Zurechnung als Willenserklärung zu dieser Person darauf an, ob die Erklärungszeichen (auch) aus der Risikosphäre dieser anderen Person stammen. c) Unter Abwesenden Anders als bei Erklärungen unter Anwesenden können Sender und Empfänger bei Erklärungen unter Abwesenden das Erklärungsverhalten des anderen nicht unmittelbar wahrnehmen, sondern nur die (ggf. elektronischen) Verkörperungen der Erklärungen oder das Verhalten der (ggf. eingesetzten) Übermittlungsperson. Der Empfänger kann aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen bloß Vermutungen darüber anstellen, inwieweit die ihm als Willenserklärung des Senders erscheinenden Erklärungszeichen der Risikosphäre des Senders entstammen. Verwendet der Sender etwa ein dem Empfänger bereits bekanntes bestimmtes Briefpapier, erhält der Empfänger eine E-Mail aus dem E-MailKonto des Senders oder ist ein stets zuverlässiger Mitarbeiter des Senders der Bote der Erklärungszeichen, spricht Einiges für die Zuordnung der jeweiligen Erklärungszeichen zur Risikosphäre des Senders. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Dritte hinter den Erklärungszeichen stehen, ohne dass der Sender davon Kenntnis gehabt hat. Indes stünde dann zumindest fest, dass der Dritte Zugang zum E-Mail-Konto des Senders hatte bzw. der Bote zur Sphäre des Senders gehört. Das Briefpapier könnte hingegen auch ohne besonderen Bezug zum Sender den Empfänger erreicht haben. Denn jede Person, die – beispielsweise als früherer Adressat eines Briefes des Senders – einmal in Kontakt mit dem Briefpapier gekommen ist, könnte dieses ohne allzu großen Aufwand für eigene Zwecke verwenden. Weder durch die Erstellung noch durch den früheren Gebrauch des Briefpapiers hat der Sender ein besonderes Risiko für dessen Fremdverwendung gesetzt oder erhöht. Auch beherrscht er das Risiko einer solchen Fremdverwendung nicht, so dass dieses Risiko nicht aus seiner Risikosphäre stammt.
248
F. Zurechnung von Willenserklärungen
Wer ein zugangsgeschütztes elektronisches Nutzerkonto eröffnet,23 sei es ein E-Mail-Konto oder ein sonstiges Konto, über das elektronische Kommunikation möglich ist, setzt und erhöht das Risiko dessen Missbrauchs aufgrund von Drittzugriffen. Zugleich beherrscht derjenige als Kontoinhaber dieses Risiko zumindest grundsätzlich, indem er etwa ein sicheres Passwort wählen und geheim halten, und das System durch Installation, Anwendung und Wartung von Sicherheitsvorkehrungen vor Drittzugriffen schützen kann. Jede Kommunikation über das Konto stammt somit aus der Risikosphäre des Senders dieser Kommunikation, wenn der Sender das Konto selbst eingerichtet hat, selbst wenn die Kommunikation unmittelbar von einem Dritten ausgeht. Anders verhält es sich jedoch, wenn nicht der als Sender Erscheinende, sondern ein Dritter unter Angabe der persönlichen Daten des Senders das Konto in dessen Namen eingerichtet hat (sog. Identitätsdiebstahl), ohne dass dies zu seiner Risikosphäre gehört. Adressdaten finden sich teilweise in öffentlich einsehbaren Verzeichnissen und Registern oder können von Adresshändlern gekauft werden. Solange kein Post-Ident-Verfahren24, ein vergleichbares Prozedere oder eine sonstige Verifizierung der wahren Identität des Kontoinhabers bei dessen Einrichtung durchgeführt wird, steht der wahre Kontoinhaber nicht sicher fest, und somit auch nicht, wessen Sphäre das Risiko zuzuordnen ist. Dritte könnten unter Verwendung der Identität eines Nachbarn ein E-Mail-Konto einrichten und anschließend daraus E-Mails unter dem Namen des Nachbarn versenden. Mangels Risikosetzung oder Risikobeherrschung wäre dies nicht der Risikosphäre des Nachbarn zuzuordnen. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen, wenn mehrere Personen Zugriff auf ein gemeinsames elektronisches Konto haben, unabhängig davon, ob dies nach den Regeln des Kontoanbieters erlaubt ist. Denkbar ist etwa die Einrichtung eines gemeinsamen E-Mail-Kontos durch Ehegatten, die als Ehepaar mit Familie und Freunden darüber korrespondieren möchten. Ergibt die Auslegung einer aus diesem gemeinsamen E-Mail-Konto versendeten Nachricht, dass eine Erklärung des Ehemanns vorliegt, ist ihm diese als seine Nachricht zuzurechnen, weil sie (auch) zu seiner Risikosphäre zählt. Dies gilt selbst dann, wenn nicht er, sondern nur seine Ehefrau beim Anbieter als Kontoinhaberin registriert ist. Wer Zugang zu einem elektronischen Konto hat, setzt und beherrscht das Risiko, dass andere Personen, die ebenso auf das Konto zugreifen können, Erklärungen darüber abgeben, so dass diese Erklärungen dem Zugangsberechtigten als dessen eigene Erklärungen zuzurechnen sind, soweit dieser aus Empfängersicht als Erklärender erscheint. 23 Freilich darf dabei nicht vernachlässigt werden, wie sicher der Passwortschutz tatsächlich ist. 24 Ein Verfahren der Deutschen Post AG, bei dem die Identität von Personen in einer Filiale von einem Mitarbeiter der Deutschen Post AG durch Vorlage und Abgleich von amtlichen Lichtbildausweisen überprüft wird.
IV. Minimaltatbestand der Willenserklärung249
IV. Der Minimaltatbestand der Willenserklärung im dogmatischen System der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre 1. Geschäftsfähigkeit Der Minimaltatbestand der Willenserklärung wird dem Zurechnungsadressaten auch bei Zuordnung zu seiner Risikosphäre nur dann zugerechnet, wenn der Zurechnungsadressat gemäß §§ 104 ff. BGB geschäftsfähig ist.25 Fehlende bzw. beschränkte Geschäftsfähigkeit wirkt somit als Zurechnungssperre, man könnte insoweit von fehlender Zurechnungsfähigkeit sprechen.26 Nach der Wertung des Gesetzes, das einen maximalen Schutz von Minderjährigen27 und Geschäftsunfähigen anstrebt, darf rechtsgeschäftsbezogenes Handeln nicht zum Nachteil dieser Schutzsubjekte wirken. Der Wortlaut des § 105 Abs. 2 BGB, wonach es auf den Geisteszustand zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung ankommt, steht der Anwendung der Regeln über die Geschäftsfähigkeit auf den Minimaltatbestand nicht entgegen. Auf den ersten Blick scheint diese Formulierung dafür zu sprechen, dass es eine beobachtbare Situation geben muss, in der der Erklärende die Willenserklärung selbst abgibt, also willentlich in Richtung des intendierten Adressaten auf den Weg bringt.28 Für die Bestimmung, ob die Abgabe einer Willenserklärung vorliegt, kommt es aber nicht auf die Sicht eines neutralen, objektiven Beobachters an, der die Umstände vor, während und nach der Abgabe der Erklärung vollständig kennt, sondern auf den Blickwinkel des konkreten Erklärungsadressaten. Dieser kann bei fehlenden anders gelagerten Anhaltspunkten grundsätzlich davon ausgehen, dass die als Absender erscheinende Person die Erklärung abgegeben hat, unabhängig davon, ob der Absender die Erklärung persönlich verfasst, in einen Briefumschlag gesteckt, frankiert und zum Briefkasten gebracht hat, oder ein Fami lienmitglied, ein Hausangestellter oder eine sonstige Person.
25 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 198; siehe zudem Canaris, Vertrauenshaftung, S. 452; Reese, Vertrauenshaftung bei elektronischen Signaturen, S. 62, 90, 155. 26 Siehe die parallel hierzu in der Rechtsscheinlehre geführte Diskussion, so etwa bei Staudinger/Schilken (2019), § 171 Rn. 5; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 452 f., 469; Leuschner, Verkehrsinteresse und Verfassungsrecht, S. 45; siehe zudem unter B.II.1.b). 27 Siehe nur Staudinger/Klumpp (2017), Vorb. zu §§ 104 ff. Rn. 16 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 452 f.; siehe zudem unter B.II.1.b). 28 Siehe unter B.II.1.g).
250
F. Zurechnung von Willenserklärungen
2. Wirksamwerden von Willenserklärungen a) Abgabe aa) Der Normalfall Ob eine Willenserklärung i. S. d. § 130 Abs. 1 BGB abgegeben worden ist, entscheidet sich aus objektiv-normativer Empfängersicht. Eine Willenserklärung ist demnach abgegeben, wenn die als erklärend erscheinende Person alles getan hat, was für das Wirksamwerden der Erklärung erforderlich ist.29 Auf diese Weise bestimmt sich auch der Zeitpunkt der Abgabe, auf den es etwa für die Feststellung eines Irrtums bei § 119 Abs. 1 BGB ankommt.30 Für eine solche objektive Bestimmung der Abgabe spricht vor allem der dadurch erhöhte Verkehrsschutz. Zwar dient das Erfordernis der Abgabe vorrangig dem Schutz des Erklärenden, der nicht an eine Willenserklärung gebunden werden soll, die er nicht in den Rechtsverkehr begeben wollte.31 Doch ist der Schutz des Rechtsverkehrs kein natürlicher Konterpart der Privatautonomie, sondern ein ihr immanenter Bestandteil.32 Zudem verneint der BGH die Abgabe einer Willenserklärung, wenn der Erklärende diese – etwa durch eine falsche Adressierung – nicht direkt in Richtung des richtigen Erklärungsempfängers auf den Weg bringt,33 und schützt dadurch nicht den Erklärenden, sondern – zumindest mittelbar – den Erklärungsempfänger, namentlich vor möglichen verzögerungsbedingten Nachteilen, wenn die Erklärung zwar zugeht, aber verzögert.34 Somit schützt das Erfordernis der Abgabe primär nicht den Erklärenden vor ungewollten Erklärungsfolgen, dieser Schutz erfolgt vielmehr bereits im Rahmen der Definition der Willenserklärung, sondern bestimmt denjenigen Zeitpunkt, der für die Beurteilung von Wirksamkeitsvoraussetzungen von Bedeutung ist. Sollte später festgestellt werden, dass in Wirklichkeit nicht die als erklärend erscheinende Per29 Siehe
unter B.II.1.g). BGB AT, § 33 Rn. 3. 31 Siehe unter B.II.1.g). 32 Siehe unter D.II.1. und D.II.2. 33 BGH, Urt. v. 28.2.1989 – XI ZR 80/88 Rn. 20 (juris) = NJW 1989, 1671 f.; Urt. v. 13.2.1980 – VIII ZR 5/79 Rn. 16 f. (juris) = NJW 1980, 990 f.; Urt. v. 11.5.1979 – V ZR 177/77 Rn. 12 (juris) = NJW 1979, 2032 (2033); Urt. v. 11.10.1974 – V ZR 25/73 Rn. 15 (juris) = NJW 1975, 39, wobei der BGH das Merkmal nicht ausdrücklich als Abgabe bezeichnet. 34 Aus diesem Grund will die Gegenansicht bei einer zwar zugegangenen, aber aufgrund von aus der Sphäre des Erklärenden herrührenden Verzögerungen nicht die Wirksamkeit der Willenserklärung in Frage stellen, sondern bloß über die Verteilung der auf die Verzögerung zurückgehenden Lasten diskutieren, so etwa Staudinger/Singer/Benedict (2017), § 130 Rn. 33 f. 30 Neuner,
IV. Minimaltatbestand der Willenserklärung251
son, sondern jemand anderes die unmittelbare Handlung vorgenommen hat, die als Abgabe der Willenserklärung gewertet worden ist, bleibt die erste Wertung bestehen, auch in zeitlicher Hinsicht. Das Erfordernis der Abgabe ist letztlich keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Willenserklärung im engeren Sinne, wie das Beispiel der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung zeigt, die bereits mit ihrer Vollendung wirksam wird,35 sondern ein Problem der Zu rechenbarkeit des objektiven Tatbestandes einer Willens erklärung. bb) Abhandengekommene Willenserklärung Diese Sichtweise wird von der herrschenden Meinung bestärkt, die eine Willenserklärung auch dann unter Rechtsscheinaspekten als abgegeben behandeln will, wenn der Erklärende zwar deren Inverkehrbringen nicht veranlasst, jedoch zu vertreten hat, etwa wenn eine Person aus dem Organisationsbereich des Erklärenden die Willenserklärung in Richtung des Empfängers auf den Weg bringt, und dabei der Meinung ist, dies entspreche dem Willen des Erklärenden.36 Dieser Zurechnungsgedanke aufgrund von Verschuldensgesichtspunkten findet seinen Ursprung im fehlenden Erklärungsbewusstsein und dessen rechtlicher Behandlung. Bestimmt man die Abgabe hingegen aus objektiv-normativer Empfängersicht, ergeben sich im Ergebnis kaum Unterschiede. Im Gegenteil erfolgt eine Zurechnung gerade dann, wenn der objektive Beobachter die Willenserklärung als abgegeben ansieht und hinreichende Zurechnungskriterien vorliegen. Bloß ist insoweit nicht Vertretenmüssen, also Verschulden, das Mindestzurechnungskriterium, sondern die Zuordnung zur Risikosphäre der als erklärend erscheinenden Person.37 b) Zugang (§ 130 Abs. 1 BGB) Eine empfangsbedürftige Willenserklärung bedarf unabhängig von ihrer Definition zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs, also des Eintritts in den Machtbzw. Herrschaftsbereich des Erklärungsempfängers, wobei es dem Empfänger unter gewöhnlichen Umständen möglich sein muss, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu erlangen.38 Für den Zugang einer Willenserklärung i. S. d. Minimaltatbestandes ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. 35 Siehe
unter B.II.1.g). unter B.II.1.g). 37 In diese Richtung schon Hepting, in: FS 600 Jahre Uni Köln, S. 209 (220); siehe zudem unter E.II.7. 38 Siehe unter B.II.1.h). 36 Siehe
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F. Zurechnung von Willenserklärungen
3. Willensmängel a) Mentalreservation (§ 116 BGB) Die Unbeachtlichkeit des geheimen Vorbehalts gemäß § 116 S. 1 BGB passt situativ nur auf Willenserklärungen, die ihren Ausgangspunkt im kognitiven System des Erklärenden haben, nicht jedoch auf solche, die bloß den Minimaltatbestand abbilden. Diese bereits tatbestandlich ausgeschlossene Anwendbarkeit des § 116 S. 1 BGB auf Willenserklärungen i. S. d. Minimaltatbestandes ist jedoch kein Widerspruch zu dessen Voraussetzungen oder Existenz. Vielmehr findet die in § 116 S. 1 BGB geregelte Rechtsfolge schlichtweg bloß auf die Arten von Willenserklärungen Anwendung, die ihrer Beschaffenheit nach überhaupt davon betroffen sein können. Dass nicht jeder von Rechts wegen als Willenserklärung anerkannte Tatbestand von § 116 S. 1 BGB erfasst sein muss, zeigen insbesondere schon irrtumsbehaftete Willenserklärungen i. S. d. §§ 119 ff. BGB, die auch nicht von § 116 S. 1 BGB erfasst sein können. Ist eine Erklärung mit der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre zudem nur deshalb eine Willenserklärung, weil sie dem Erklärenden aufgrund von Erklärungsfahrlässigkeit zugerechnet wird, schließt dies einen geheimen Vorbehalt ebenso aus. Gibt es aber bereits nach bisheriger Lesart Arten von Willenserklärungen, die nicht von § 116 S. 1 BGB erfasst werden, kann dies auch weitere Arten von Willenserklärungen betreffen. Konsequenterweise gilt für § 116 S. 2 BGB dasselbe. b) Scheingeschäft (§ 117 BGB) Bei einem Scheingeschäft gemäß § 117 Abs. 1 BGB stellt sich diese Frage nicht in derselben Schärfe. Das dort tatbestandlich erforderliche Einverständnis zwischen dem Erklärenden und dem Erklärungsgegner über den Scheincharakter der Erklärung ist wie der gesamte Erklärungstatbestand aus der objektiv-normativen Empfängersicht zu bestimmen. Soweit besteht also kein Unterschied zum bisherigen Verständnis der Willenserklärung. Eine Willenserklärung i. S. d. Minimaltatbestandes ist auch dann im Einverständnis mit dem Erklärungsgegner abgegeben, wenn der als erklärend erscheinenden Person ein solcher Wille zuzurechnen ist, und der jeweilige Erklärungsgegner einverstanden ist. c) Scherzerklärung (§ 118 BGB) Die Nichtigkeit der Scherzerklärung gemäß § 118 BGB hängt nach der herrschenden Meinung von der subjektiv beim Erklärenden bestehenden Er-
IV. Minimaltatbestand der Willenserklärung253
wartung ab, das Fehlen seines Rechtsbindungswillens werde vom Erklärungsgegner erkannt, ohne dass diese Erwartung objektiv berechtigt oder auch nur nachvollziehbar sein muss.39 Die Vorschrift ist tatbestandlich daher nur dann einschlägig, wenn der Erklärende diese subjektive Erwartung tatsächlich hat. Auf andere Arten von Willenserklärungen hat § 118 BGB keinen Einfluss, unabhängig davon, ob es dabei einen tatsächlichen Willensbildungsprozess der als erklärend erscheinenden Person gibt, oder bloß der Minimaltatbestand der Willenserklärung vorliegt. Bestimmt man die Erwartung des Erklärenden entgegen der herrschenden Meinung hingegen nicht subjektiv, sondern objektiv-normativ, käme es für die Einordnung als nichtige Scherzerklärung nicht darauf an, ob die Erklärung von dem Erklärenden unmittelbar selbst abgegeben worden ist. In einem solchen Fall würde genügen, wenn die objektiv-normative Auslegung aus der Empfängersicht ergäbe, dass der Erklärende die Erklärung nicht ernst meint.40 Keinesfalls fordert § 118 BGB, dass die als erklärend erscheinende Person in physischer Hinsicht dazu in der Lage sein muss, eine solche Erwartungshaltung zu haben. Ein solcher Umkehrschluss wäre logisch nicht zwingend. Die Vorschrift besagt vielmehr bloß, dass die Erklärung bei einer entsprechenden Erwartungshaltung nichtig ist. d) Anfechtung wegen Irrtums (§§ 119, 120 BGB) aa) § 119 Abs. 1, Abs. 2 BGB Die herrschende Meinung rechnet einen objektiven Erklärungstatbestand dem Erklärenden auch dann als dessen Willenserklärung zu, wenn dieser zwar über kein Erklärungsbewusstsein verfügt, aber erklärungsfahrlässig handelt.41 Allerdings kann sich der Erklärende, dem die Erklärung auf diese Weise zugerechnet wird, durch Anfechtung analog § 119 Abs. 1 BGB wieder von der Erklärung lösen, was seine Schadensersatzpflicht gemäß § 122 BGB (analog) auslöst.42 Die unmittelbare Anwendung der Anfechtungsregeln soll daran scheitern, dass der Erklärende weder über den Inhalt einer Willenserklärung irrte (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) noch eine Willenserklärung 39 Siehe
unter B.II.1.e). Übrigen darf bei § 118 BGB das Beweisproblem nicht unterschätzt werden. Letztlich ist es eine Frage der Glaubhaftigkeit der Aussage des Erklärenden und der sonstigen Umstände und Indizien, ob der Erklärende andere Personen davon überzeugen kann, dass er davon ausgegangen ist, die Nichternstlichkeit seiner Erklärung würde erkannt werden. 41 Siehe dazu unter D.IV.5.c)dd). 42 Staudinger/Singer (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 34. 40 Im
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F. Zurechnung von Willenserklärungen
dieses Inhalts nicht abgeben wollte (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB), da er vielmehr überhaupt keine Willenserklärung abgeben wollte.43 Aber aus einem Erstrecht-Schluss soll folgen, dass diese planwidrige Regelungslücke des Gesetzes wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage durch die Anwendung des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu schließen sei. Denn wenn schon ein Anfechtungsrecht bestehe, wenn sich der Erklärende bei Abgabe der Willenserklärung irrt, dann erst recht, wenn er bei Abgabe darüber im Irrtum ist, dass er eine Willenserklärung abgibt.44 Der Minimaltatbestand fügt sich in diese Dogmatik nahtlos ein. Nimmt man den Wortlaut des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB ernst, so ist bereits zweifelhaft, wieso die Vorschrift bei erklärungsfahrlässig abgegebenen Willenserklärungen bloß analoge und nicht bereits unmittelbare Anwendung finden soll. Zum einen liegt aus der maßgeblichen Empfängersicht auch dann eine Abgabe einer Willenserklärung vor,45 zum anderen wollte der Erklärende eine Erklärung eines solchen Inhalts tatsächlich nicht abgeben. Daher sind auch bloß erklärungsfahrlässig abgegebene Willenserklärungen unmittelbar vom Wortlaut des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB erfasst. Wer einen Minimaltatbestand einer Willenserklärung nicht selbst abgegeben hat oder die Willenserklärung bei ihrer Abgabe nicht als eine solche verstanden wissen wollte, hat eine Erklärung in dem Sinne, wie die Auslegung aus objektiv-normativer Empfängersicht bestimmt, nicht abgeben wollen, so dass der Minimaltatbestand bereits unmittelbar gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechtbar ist.46 Auch § 119 Abs. 1 Alt. 1 und Abs. 2 BGB können dem Minimaltatbestand nicht entgegengehalten werden. Ähnlich § 118 BGB47 betreffen beide Regelungen von vorneherein nur solche Konstellationen, bei denen die als erklärend erscheinende Person zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung überhaupt im Irrtum sein kann. bb) § 120 BGB Bei § 120 BGB knüpft die Anfechtbarkeit nicht an den Entstehungsprozess der Willenserklärung an, sondern an eine bereits entstandene Willenserklä43 Staudinger/Singer
(2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 34 ff. (2017), Vorb. zu §§ 116 ff. Rn. 34 ff.; kritisch aber etwa Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 171. 45 Siehe zur Abgabe unter F.IV.2.a). 46 Ähnlich für die Fälle des Handelns unter dem Namen einer als erklärend erscheinenden Person, also als Erklärender, bereits Brehmer, Wille und Erklärung, S. 259 f., wenn die handelnde Person dem Organisations- und Verantwortungsbereich des Erklärenden zuzurechnen ist. 47 Siehe unter F.IV.3.c). 44 Staudinger/Singer
IV. Minimaltatbestand der Willenserklärung255
rung, die dann falsch übermittelt wird. Unabhängig von der Definition der Willenserklärung ist für den Bestand des Anfechtungsrechts aus § 120 BGB ausschlaggebend, ob die Willenserklärung durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist. Entscheidend ist daher einzig der Vergleich des Inhalts der Willenserklärung zum Zeitpunkt der Abgabe bzw. Übergabe (an den Boten) mit dem Inhalt beim Zugang. Unterscheiden sich diese Inhalte, so liegt eine unrichtige Übermittlung vor. Der Minimaltatbestand ändert daran nichts. e) Schadensersatz infolge Anfechtung (§ 122 BGB) Während die herrschende Meinung § 122 Abs. 1 BGB infolge der gesamtanalogen Anwendung der §§ 119 ff. BGB in den Fällen der Erklärungsfahrlässigkeit analog anwendet, entfällt das Erfordernis der analogen Anwendung jedenfalls beim Minimaltatbestand der Willenserklärung.48 § 122 Abs. 1 BGB findet vielmehr ebenso bereits unmittelbare Anwendung. Die Möglichkeit des Ausschlusses der Schadensersatzpflicht bei Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des beschädigten Erklärungsgegners von der Anfechtbarkeit (bzw. von der Nichtigkeit nach § 118 BGB) gemäß § 122 Abs. 2 BGB steht hierzu nicht im Widerspruch. f) Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung (§ 123 BGB) aa) Arglistige Täuschung (1) Täuschung und Dritter Täuscht eine Person eine andere Person über einen Umstand, so dass die andere Person täuschungsbeeinflusst eine Willenserklärung abgibt, kann der Erklärende die Willenserklärung nach §§ 123 Abs. 1, 124 BGB anfechten. Geht die Täuschung von einem Dritten aus, sind bei der Anfechtung die Beschränkungen des § 123 Abs. 2 BGB zu beachten. Täuscht tatsächlich diejenige Person, die auch als die täuschende Person erscheint, ist sie nicht Dritter i. S. d. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB, so dass § 123 Abs. 2 S. 1 BGB keine Anwendung findet. Täuscht jedoch eine andere Person, deren Verhalten der als täuschend erscheinenden Person als deren Willenserklärung zugerechnet wird, findet § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ebenso keine Anwendung, da nach dem objektiv-normativen Empfängerhorizont kein Dritter täuscht, sondern die Person, die als Täuschender erscheint. Wenn nach der herrschenden Meinung Mit 48 Siehe
soeben unter F.IV.3.d)aa).
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F. Zurechnung von Willenserklärungen
arbeiter des Täuschenden dessen Sphäre zuzurechnen sind,49 so dass sie als Dritte i. S. d. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ausscheiden, so muss dies erst recht für eine Person gelten, die als Täuschender erscheint, und der das Verhalten des tatsächlich Handelnden zugerechnet wird. Dritter i. S. d. § 123 Abs. 2 S. 1 BGB kann somit nur sein, wer aus der objektiv-normativen Sicht des Getäuschten die Täuschung für eine andere, insoweit also dritte Person begeht. (2) Täuschung über die Person des Vertragspartners Wird der als erklärend erscheinenden Person das Handeln einer anderen Person als Willenserklärung zugerechnet, kann darin zugleich eine arglistige Täuschung über die Person des Erklärenden liegen. Eine solche Täuschung über die Person des Erklärenden führt jedoch nicht zu einem Anfechtungsrecht des Erklärungsgegners aus § 123 Abs. 1 BGB, da die Täuschung insoweit nicht kausal für die Willenserklärung des Erklärungsgegners ist. Voraussetzung dieses Anfechtungsrechts ist, dass der Täuschende den Getäuschten zu einer Willenserklärung motiviert, die dieser sonst nicht oder mit einem anderen Inhalt abgegeben hätte.50 Durch die Zurechnung des Dritthandelns als Willenserklärung der als erklärend erscheinenden Person gilt von Rechts wegen jedoch genau das, was sich der Erklärungsgegner vorstellt, so dass die Willenserklärung des Erklärungsgegners tatsächlich an keinem täuschungsbedingten Mangel leidet.51 bb) Widerrechtliche Drohung Für eine Anfechtbarkeit wegen einer widerrechtlichen Drohung gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist unerheblich, ob die Drohung vom Erklärungsgegner oder einem Dritten ausgeht. Bei Kausalität der Drohung für die Willenserklärung oder ihren Inhalt besteht das Anfechtungsrecht.52 Wird nicht die als erklärend erscheinende Person, sondern eine andere Person bedroht, deren Handeln der als erklärend erscheinenden Person als Willenserklärung zugerechnet wird, steht der als erklärend erscheinenden Person das Anfechtungsrecht aus § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu. Dahinter steht der Rechtsgedanke aus § 166 Abs. 1 BGB, wonach es in Bezug auf Willensmängel auf die tatsächlich handelnde Person ankommt. 49 MüKoBGB/Armbrüster, § 123 Rn. 62 ff.; Bork, BGB AT, Rn. 879; Neuner, BGB AT, § 41 Rn. 114; Martens, JuS 2005, 887 (889 f.). 50 MüKoBGB/Armbrüster, § 123 Rn. 13 m. w. N. 51 Anders hingegen Geusen, Das Handeln unter fremdem Namen im Zivilrecht, S. 82, der eine Täuschung über die Tatsache der Personenidentität begangen sieht. 52 Neuner, BGB AT, § 41 Rn. 127 f.
IV. Minimaltatbestand der Willenserklärung257
4. Formvorschriften Eine Willenserklärung ist nach § 125 BGB nichtig, wenn sie nicht der durch Gesetz vorgeschriebenen oder durch Rechtsgeschäft bestimmten Form entspricht. Eine Willenserklärung i. S. d. Minimaltatbestandes ist daher jedenfalls dann formunwirksam und deshalb nichtig, wenn eine erforderliche Form bereits dem äußeren Bilde nach nicht eingehalten ist. Daneben könnte Form unwirksamkeit aber auch dann vorliegen, wenn ein Formerfordernis zwar dem äußeren Anschein nach, nicht jedoch gemäß der jeweils einschlägigen Formzwecke erfüllt ist, also im Hinblick auf die Abschlussfunktion (oder auch Klarstellungsfunktion), die Warnfunktion (auch Schutzfunktion), die Beweisfunktion und die Beratungsfunktion.53 Hat nicht die als erklärend erscheinende Person den Erklärungstatbestand abgegeben, wird sie weder gewarnt noch beraten. Adressiert das Formerfordernis daher die Warn- oder Beratungsfunktion, beispielsweise bei § 311b Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB, sind diese Funktionen daher nur dann erfüllt, wenn die als erklärend erscheinende Person selbst handelt.54 Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Abschluss- und Beweisfunktion, wie sie insbesondere bei der Schriftform gemäß § 126 Abs. 1 BGB und bei der Textform nach § 126b BGB im Vordergrund steht.55 Ob und inwieweit eine Erklärung abgeschlossen ist, kann ebenso der eigenhändigen Unterschrift des Handelnden entnommen werden, welchen Namen auch immer die Unterschrift abbildet. Ein Widerspruch mit den Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 BGB besteht jedenfalls so lange nicht, wie aus objektiv-normativer Sicht die Person, die als Aussteller erscheint, auch der Unterzeichnende zu sein scheint. Die Beweisfunktion ist erfüllt, wenn – wie bei der Textform – ein dauerhafter Datenträger existiert, durch den die Erklärung verkörpert wird, unabhängig davon, ob der Datenträger von dem als erklärend Erscheinenden erzeugt wurde. Hingegen ist eine Erklärung formunwirksam, die nicht nur eigenhändig zu unterschreiben, sondern in ihrer Gesamtheit eigenhändig abzufassen ist, wie etwa das privatschriftliche Testament nach § 2247 Abs. 1 BGB.56 Eigenhändigkeit setzt stets eigenes Handeln voraus, bloß die Hinzuziehung einer Schreibhilfe ist zulässig, selbst wenn diese das Schriftbild des Testierenden verfälscht.57 Somit kann niemand anderes unter dem Namen des (vermeintlich) Testierenden formwirksam testieren. Demjenigen, der nicht in persona BGB AT, § 44 Rn. 4, 7, 9, 13. diese Richtung wohl schon Weber, JA 1996, 426 (431). 55 Hansen, Handeln unter fremdem Namen, S. 26 ff. 56 MüKoBGB/Hagena, § 2247 Rn. 14 ff.; Staudinger/Baumann (2018), § 2247 Rn. 37 ff., 94 ff. 57 Zur Schreibhilfe bei der Schriftform im Allgemeinen MüKoBGB/Einsele, § 126 Rn. 14; siehe zudem Köhler, in: FS Schippel, S. 209 (216 f.). 53 Neuner, 54 In
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F. Zurechnung von Willenserklärungen
eigenhändig schreibt und unterschreibt, kann folglich kein Testament als sein Testament zugerechnet werden. Insoweit besteht daher eine Zurechnungssperre. 5. Das Stellvertretungsrecht Die Vorschriften des Stellvertretungsrechts stehen dem Minimaltatbestand nicht entgegen. Die Zurechnung der Handlungen eines Vertreters für und gegen den Vertretenen nach § 164 Abs. 1 BGB setzt nicht zwingend voraus, dass die Person, die als Vertreter erscheint, zum Zeitpunkt der Abgabe der Vertretererklärung einen rechtsgeschäftlichen Willen wirklich gebildet hat. Dies gilt auch für § 164 Abs. 2 BGB, der bloß das Anfechtungsrecht des Vertreters wegen Irrtums nach § 119 Abs. 1 BGB ausschließt, falls es sich nach objektiv-normativer Betrachtung um ein Eigengeschäft des Vertreters handelt. Ob sich der Vertreter über diesen Umstand Gedanken gemacht hat, ist unerheblich. Auch § 165 BGB erfordert nicht, dass die Erklärung eines bloß beschränkt geschäftsfähigen Vertreters von dessen wirklichen Willen getragen wird. Die Vertretererklärung wird der als Vertreter erscheinenden Person schlichtweg nur dann als deren Willenserklärung im Namen des Vertretenen zugerechnet, wenn die Person zurechnungsfähig ist.58 Dasselbe gilt für §§ 167, 168 BGB. Anders verhält es sich indes bei § 166 Abs. 1 BGB, welcher tatbestandlich nur dann einschlägig sein kann, wenn sich die als Vertreter erscheinende Person tatsächlich eigene Gedanken gemacht hat, da ihr auch nur dann Willensmängel unterlaufen können. Allerdings spricht dies wie bei § 118 BGB59 nicht zwingend gegen die Existenz des Minimaltatbestandes. § 166 Abs. 1 BGB besagt bloß, dass nur solche Willensmängel für die Anfechtbarkeit der Vertretererklärung von Bedeutung sind, die beim Vertreter vorliegen, nicht jedoch, dass Willensmängel bei der Abgabe der Vertretererklärung überhaupt möglich sein müssen. Die übrigen Vorschriften des Stellvertretungsrechts widersprechen ebenso wenig dem Verständnis einer Willenserklärung i. S. d. Minimaltatbestandes.60
58 Siehe
zur Zurechnungsfähigkeit bereits unter F.IV.1. zur Scherzerklärung unter F.IV.3.c). 60 Die Kohärenz einer Vertretererklärung, die (vorsätzlich, fahrlässig oder gänzlich ohne Verschulden) unter dem Namen der als Vertreter erscheinenden Person durch eine andere Person abgegeben, jedoch der als Vertreter erscheinenden Person als deren Willenserklärung i. S. d. Minimaltatbestandes zugerechnet wird, mit den Vorschriften des Stellvertretungsrechts wird unter G diskutiert. 59 Siehe
V. Konsequenzen für die Darlegungs- und Beweislast259
V. Konsequenzen für die Darlegungs- und Beweislast 1. Darzulegende Tatsachen beim Minimaltatbestand In einem Gerichtsprozess darzulegende Tatsache, also beweisbarer Umstand,61 ist beim Minimaltatbestand der Willenserklärung das Vorliegen der Erklärungszeichen. Ebenso sind die tatsächlichen Gegebenheiten, aus denen sich die Zuordnung zur (Risiko-)Sphäre der als erklärend erscheinenden Person ergibt, Tatsachen. Keine Tatsache, sondern rechtliche Wertung ist hingegen die Auslegung der Erklärungszeichen.62 Auch die (Nicht-)Zuordnung der Erklärungszeichen zur Risikosphäre der als erklärend erscheinenden Person ist eine rechtliche Wertung. 2. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast beim Minimaltatbestand Mangels abweichender spezialgesetzlicher Regelung trägt nach den allgemeinen Regeln auch beim Minimaltatbestand die Partei die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, die sich auf die Rechtsfolge der Willenserklärung beruft, während für die rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen die Partei beweisbelastet ist, die sich auf den Nichteintritt, die Hemmung oder den Untergang der Rechtsfolge beruft.63 Im Unterschied zur Rechtsscheinwirkung bei den Rechtsscheinvollmachten kann sich beim Minimaltatbestand nicht nur der Erklärungsgegner, sondern auch der Erklärende auf die Rechtsfolgen der Willenserklärung berufen. Beweiserleichterungen sind im Einzelfall bei Vorliegen entsprechender Wertungsgesichtspunkte aufgrund des Gebots des effektiven Rechtsschutzes und des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit möglich.64 Indes führt alleine 61 Staudinger/J. Hager
(2017), § 823 Rn. C 73. hierzu bereits die Ausführungen unter D.V. Ein bestimmtes Auslegungsergebnis lässt sich folglich nicht beweisen, alleine das Gericht bestimmt später den Inhalt der Erklärungszeichen. Das gilt auch bei (vermeintlicher) Willensübereinstimmung in den Fällen der falsa demonstratio non nocet, siehe diesbezüglich bereits unter D.V.6. 63 St. Rspr., siehe nur BGH, Urt. v. 13.11.1998 – V ZR 386/97 Rn. 13 (juris) = NJW 1999, 352 (353); Urt. v. 24.2.1993 – IV ZR 239/91 Rn. 29 (juris) = BGHZ 121, 357 (364); Urt. v. 14.1.1991 – II ZR 190/89 Rn. 16 (juris) = BGHZ 113, 222 (225); Urt. v. 20.3.1986 – IX ZR 42/85 Rn. 24 (juris) = NJW 1986, 2426 (2427); Urt. v. 13.7.1983 – VIII ZR 107/82 Rn. 9 (juris) = NJW 1983, 2944; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rn. 62. 64 BGH, Urt. v. 19.4.2002 – V ZR 90/01 Rn. 27 (juris) = BGHZ 150, 334 (341 f.); MüKoZPO/Rauscher, Einl. Rn. 276 ff. 62 Siehe
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F. Zurechnung von Willenserklärungen
die Tatsache, dass eine Partei einen Beweis leichter führen kann als die andere, nicht zu einer Abweichung von der allgemeinen Beweislastverteilung.65 Denkbar sind jedoch Modifikationen hinsichtlich der Darlegungslast, insbesondere in Ansehung der Umstände, die Grundlage für die Zuordnung der jeweiligen Erklärungszeichen zur Sphäre der als erklärend erscheinenden Person sind. Wenn einzelne Tatsachen nur der nicht beweisbelasteten Partei bekannt sind und deren Vortrag der Partei zumutbar ist, muss die beweisbelastete Partei den Beweis erst dann führen, wenn die andere Partei insoweit substantiierte Darlegungen gemacht hat.66 Behauptet der Erklärungsgegner also das Vorliegen einer Willenserklärung und müsste er daher nach der allgemeinen Regel darlegen und beweisen, dass entsprechende Erklärungszeichen vorliegen und wie sie mit der als erklärend erscheinenden Person in Zusammenhang stehen, so müsste nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast67 zunächst die als erklärend erscheinende Person darlegen, welche relevanten Tatsachen in ihrem (Einwirkungs-)Bereich geschehen sind, ggf. also jeden Zusammenhang mit den Erklärungszeichen abstreiten.68 Dies ändert allerdings nichts an der grundsätzlichen Beweislastverteilung.69 Beweisen muss die als erklärend erscheinende Person ihre Ausführungen bei der sekundären Darlegungslast folglich nicht, wenn sie nicht beweisbelastet ist. Macht die als erklärend erscheinende Person in einem Prozess eine Anfechtung der ihr zugerechneten Willenserklärung gemäß §§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB geltend, muss sie nach den allgemeinen Regeln sowohl das Vorliegen der Tatsachen darlegen und beweisen, die den Anfechtungsgrund bilden, als auch die Existenz des Kommunikationsakts, der die Anfechtungserklärung darstellt, und den Zeitpunkt von dessen Abgabe, woraus sich dann ergibt, ob die Anfechtungsfrist nach § 121 BGB gewahrt ist. 3. Beweiserleichterungen durch Anscheinsbeweise Beweiserleichterungen in Form von Anscheinsbeweisen sind denkbar, wenn die allgemeinen Voraussetzungen hierfür vorliegen, es sich also um 65 Stein/Jonas/Leipold,
ZPO, § 286 Rn. 75 ff. Urt. v. 18.5.1999 – X ZR 158/97 Rn. 15 (juris) = NJW 1999, 2887 (2888); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rn. 52. 67 Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 93 f. 68 Im Bereich der Telekommunikation haben einzelne Gerichte dem Anschlussinhaber für die unbefugte Nutzung des Fax- oder Internet-Anschlusses zwar nicht die Beweislast (so aber MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 130), jedoch eine sekundäre Darlegungslast auferlegt (BGH, Urt. v. 12.5.2010 – I ZR 121/08 Rn. 12 (juris) = BGHZ 185, 330 (333); OLG Köln, Hinweisbeschluss v. 30.9.2011 – 19 U 91/11 Rn. 4 ff. (juris) = BeckRS 2012, 19382. 69 Saenger/Saenger, ZPO, § 286 Rn. 93 f. 66 BGH,
VI. Echte Willenserklärung statt bloße Rechtsscheinwirkung261
einen typischen Geschehensablauf handelt, der nach allgemeiner Lebens erfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf hindeutet.70 Im elektronischen Geschäftsverkehr soll aufgrund der (noch) zu geringen Sicherheitsstandards kein Anscheinsbeweis für die Nutzung durch den jeweiligen Inhaber eines elektronischen Nutzerkontos oder die Legitimation eines Dritten bestehen, der ein fremdes Konto nutzt.71 Hingegen soll ein Beweis des ersten Anscheins für die Weitergabe des Passworts eines elektronischen Kontos gelten, wenn ein Dritter das Konto nutzt, der zum Ausspähen durch Hacking oder Phishing unfähig wäre.72 Im Übrigen fehlen im elek tronischen Geschäftsverkehr bislang aber noch verlässliche Erfahrungswerte, aus denen sich weitere Anscheinsbeweise ergeben könnten.
VI. Echte Willenserklärung statt bloße Rechtsscheinwirkung 1. Gemeinsamkeiten Anders als eine Rechtsscheinvollmacht gemäß den §§ 170–173 BGB oder eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht wirkt der Minimaltatbestand als echte Willenserklärung. Bei den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen bestehen jedoch Gemeinsamkeiten. Die Rechtsscheinhaftung bedarf zunächst eines (objektiven) Rechtsscheintatbestandes, bei der Willenserklärung muss aus objektiv-normativer Empfängersicht ein Rechtsbindungswille der als erklärend erscheinenden Person erkennbar sein. Bei der Rechtsscheinhaftung scheint ein bestimmtes Recht zu bestehen, bei der Willenserklärung ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Wille. Die Rechtsscheinhaftung erfordert die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins, die bejaht wird, wenn der Zurechnungsadressat den Rechtsscheintatbestand kennt oder kennen muss, also Verschulden vorliegt.73 Tatbestandsvoraussetzung des Minimaltatbestandes ist die Zurechnung, wobei eine solche mindestens erfordert, dass der Erklärungstatbestand zur Risikosphäre des Zurechnungsadressaten gehört. Weitere Voraussetzung der Rechtsscheinhaftung ist nach § 173 BGB die Gutgläubigkeit des Vertragspartners hinsichtlich des fehlenden Rechts. Ähnlich kann beim Minimaltatbestand eine objektiv-normative Auslegung nur dann ergeben, es liege 70 Stein/Jonas/Leipold,
ZPO, § 286 Rn. 129 ff. Hamm, Urt. v. 16.11.2006 – 28 U 84/06 Rn. 14 (juris) = NJW 2007, 611 (612); LG Bonn, Urt. v. 19.12.2003 – 2 O 472/03 Rn. 16 (juris) = MMR 2004, 179 (180 f.); MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 130. 72 Oechsler, MMR 2011, 631 (633); siehe zur Konstellation des Anscheins beweises im elektronischen Geschäftsverkehr das LG Bonn, Urt. v. 19.12.2003 – 2 O 472/03 Rn. 16 (juris) = MMR 2004, 179 (180 f.) mit Anmerkung von Mankowski (MMR 2004, 181 ff.). 73 Siehe zur Anscheinsvollmacht bereits unter B.III.3. 71 OLG
262
F. Zurechnung von Willenserklärungen
der Wille der als erklärend erscheinenden Person vor, wenn sich aus den Umständen oder sonstigen Quellen nichts Gegenteiliges ergibt. Wer hingegen weiß oder vermutet, dass das objektiv Erklärte nicht gelten soll, kann die Erklärung auch nicht in dieser Weise auslegen. Schließlich muss bei der Rechtsscheinhaftung der Rechtsschein in Folge des Vorlageerfordernisses der Vollmachtsurkunde nach § 172 Abs. 1 BGB kausal für das rechtsgeschäftliche Verhalten des Vertragspartners sein. Bei (empfangsbedürftigen) Willenserklärungen erlangt der Erklärungsgegner durch Zugang bereits definitionsgemäß die Möglichkeit zur Kenntnis(nahme), meist sogar die tatsächliche Kenntnis. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung und des Minimaltatbestandes verlaufen somit weitestgehend parallel. Während es aber für die Zurechnung beim Minimaltatbestand genügt, wenn die Erklärung aus der Risikosphäre der als erklärend erscheinenden Person stammt, bedarf es bei der Rechtsscheinvollmacht des Verschuldens des Vertretenen. Mit der Zuordnung zur Risikosphäre scheinen somit geringere tatbestandliche Voraussetzungen stärker zu binden als die strengeren Voraussetzungen des Verschuldens. Denn während die Rechtsscheinvollmacht bloß eine Schein-Willenserklärung ist, soll der Minimalbestand eine echte Willenserklärung sein. Dies könnte ein Wertungswiderspruch sein. Doch entstammen die Rechtsscheinvollmachten dem Stellvertretungsrecht, dessen Anwendbarkeit zwingend voraussetzt, dass eine Person offen als Vertreter einer anderen Person, dem Vertretenen, auftritt, dass also eine offenkundige Dreipersonenkonstellation vorliegt.74 Auf Zweipersonenkonstellationen sowie auf verdeckte Dreipersonenkonstellationen, die dem äußeren Anschein nach Zweipersonenkonstellationen sind, finden die Wertungen der §§ 170–173 BGB dementsprechend keine Anwendung.75 Bereits alleine wegen dieser unterschiedlichen Anknüpfungspunkte kann die Heranziehung des Minimaltatbestandes neben der Anwendung der Rechtsscheinvollmachten keinen Wertungswiderspruch darstellen. 2. Unterschiede a) Anfechtbarkeit Während die herrschende Meinung zwar eine Anfechtung der gesetzlichen Rechtsscheinvollmachten i. S. d. §§ 171, 172 BGB mittlerweile zulässt,76 insoweit also der den Anfechtungsregeln unterworfene Minimaltatbestand und die Rechtsscheinvollmachten gleichlaufen, lehnt die (wohl) herrschende 74 Siehe
dazu unter A.IV.2.a). unter A.IV.3.a). 76 Siehe unter B.III.2. 75 Siehe
VI. Echte Willenserklärung statt bloße Rechtsscheinwirkung263
Meinung die Anfechtbarkeit der Duldungs- und Anscheinsvollmacht im Wesentlichen mit der Begründung ab, diese werde in materieller Hinsicht bereits im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Zurechenbarkeit des Rechtsscheintatbestandes berücksichtigt.77 b) Disponibilität der Rechtswirkungen Nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre kann der auf den Rechtsschein vertrauende Geschäftsgegner (im Nachhinein) nicht über den Rechtsschein disponieren.78 Liegen die Voraussetzungen einer Rechtsscheinhaftung vor, schlagen diese somit stets durch. Die Gegenmeinung verweist auf die Handhabung des § 15 HGB,79 bei dem akzeptiert sei, dass der Geschäftsgegner wählen könne, ob er den Rechtsschein in Anspruch nehme oder sich auf die wirkliche Rechtslage berufe, alleine schon weil der Rechtsschein gerade seinem Schutz und damit seinen Interessen diene. Nicht zu Unrecht betonen jedoch Rechtsprechung und herrschende Lehre, dass der Rechtsschein nicht weiter reichen könne als das scheinende Recht.80 Da das Recht bei wirksamer Stellvertretung kein Wahlrecht vorsehe, könne dieses auch nicht bei wirksamer Scheinvertretung bestehen. Der Minimaltatbestand ist zwingende Folge der Anwendung des Gesetzes und daher nicht disponibel. c) Wirkung zu Lasten des Zurechnungsadressaten Die Rechtsscheinhaftung soll nicht durchgreifen, wenn sie statt zu Lasten des Vertretenen und zu Gunsten des Geschäftsgegners umgekehrt zu Lasten des Geschäftsgegners und zu Gunsten des Vertretenen wirken würde.81 Stets gehe es um die Schutzwürdigkeit des Geschäftsgegners, nicht um die des (Schein-)Vertretenen.82 Der Minimaltatbestand wirkt hingegen stets, da er seine Geltung keinen spezifischen Schutzbedürftigkeitserwägungen für den Einzelfall verdankt, sondern schlichtweg Folge eines allgemeinen gesetzlichen Tatbestandes ist.
77 Siehe
unter B.III.3. unter E.II.7.f)ii). 79 Siehe unter E.II.7.f)ii) und insbesondere MüKoBGB/Schubert, § 167 Rn. 136. 80 BGH, Urt. v. 20.1.1983 – VII ZR 32/82 Rn. 11 (juris) = BGHZ 86, 273 (275); siehe zudem bereits unter E.II.7.f)ii). 81 BAG, Urt. v. 6.9.2012 – 2 AZR 858/11 Rn. 25 (juris) = NJW 2013, 2219 (2221); Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 43. 82 Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 35 ff. 78 Siehe
264
F. Zurechnung von Willenserklärungen
VII. Resümee Nach den Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre ist die Willenserklärung ein objektiver Zurechnungstatbestand, dessen Mindestvoraussetzungen sich vom bislang herrschenden Verständnis der Willenserklärung wesentlich unterscheiden. Diese veränderte Sichtweise mündet in eine modifizierte Definition der Willenserklärung, die somit den Minimaltatbestand der Willenserklärung bestimmt. Demnach ist die Willenserklärung die aus objektiv-normativer Sicht bestimmte Kundgabe des Willens der als erklärend erscheinenden Person, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, wenn die Willensbekundung dieser Person deshalb zuzurechnen ist, weil sie aus deren Verantwortungssphäre stammt.83 Ein in dieser Weise verstandener Minimaltatbestand fügt sich nahtlos in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre ein. Insbesondere erfolgt eine Zurechnung des Minimaltatbestandes zum Zurechnungsadressaten nur, soweit dieser geschäftsfähig ist.84 Bei fehlender Übereinstimmung mit dem wirklichen Willen des Erklärenden zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung besteht für den Erklärenden die Möglichkeit, die ihm auf diese Weise zugerechnete Willenserklärung gemäß §§ 119 ff., 143 BGB anzufechten.85 Im Falle der Anfechtung haftet der Anfechtende auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB.86
83 F.II.
84 F.IV.1.
85 F.IV.3.d). 86 F.IV.3.e).
G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss I. Dritthandelnals Willenserklärung des Zurechnungsadressaten Die Bestimmung der Willenserklärung nach dem Minimaltatbestand verändert die Ausgangslage für die Entwicklung einer Lehre der Zurechnung von Handlungen Dritter, die zum Vertragsschluss führen. Der Minimaltatbestand eröffnet die Möglichkeit, das als solches nicht erkennbare Dritthandeln im rechtsgeschäftlichen Bereich als Willenserklärung des Zurechnungsadressaten zu behandeln.
II. Unterscheidung offenen und verdeckten Dritthandelns durch Auslegung Auf welcher rechtlichen Grundlage das Handeln einer Person einer anderen Person zuzurechnen ist, so dass die andere Person vertragliche Ansprüche erhält bzw. Verpflichtungen ausgesetzt ist, hängt entscheidend davon ab, ob der Drittbezug dieses Handelns offen oder verdeckt ist. Daher ist zunächst offenes Dritthandeln von verdecktem Dritthandeln abzugrenzen. Ob ein – ausdrückliches oder i. S. d. § 164 Abs. 1 S. 2 BGB konkludentes – offenes Dritthandeln im Namen einer Person, ein verdecktes Dritthandeln unter dem Namen bzw. der Identität einer Person oder ein Eigenhandeln des Handelnden vorliegt, bestimmt sich durch Auslegung aus objektiv-normativer Sicht gemäß §§ 133, 157 BGB.1 Ausgangspunkt ist stets der Blickwinkel des Empfängers, den die Erklärungszeichen adressieren. Was dieser an Erklärungszeichen und Umständen wahrnehmen kann, ist Gegenstand der Auslegung. Das Sprachverständnis sowie das Interesse des objektiv bestimm- und deshalb abgrenzbaren Adressatenkreises bilden die Grundlage für den Vorgang der Auslegung. Die Bestimmung der erklärenden Person vollzieht sich anschließend in zwei Schritten. Zunächst erfolgt die eigentliche Abgrenzung von offenem und verdecktem Dritthandeln, indem geprüft wird, ob aus Sicht des Adressatenkreises 1 Zur Auslegung siehe ausführlich unter D.V.; zur ähnlichen Abgrenzung von Eigen- und Fremdgeschäft beim Handeln unter fremdem Namen siehe unter A.II.1. und A.IV.1.
266
G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss
eine Person oder zwei Personen auf der Gegenseite stehen. Gibt sich der Handelnde für eine andere (existente) Person aus, ohne dass diese Personenverschiedenheit für den Adressatenkreis erkennbar ist, liegt verdecktes Dritthandeln vor. Ist für den Empfänger hingegen erkennbar, dass auf der Gegenseite zwei Personen stehen, handelt es sich um offenes Dritthandeln, vollkommen unabhängig davon, ob hinreichend deutlich ist, inwieweit der Handelnde im Namen der anderen Person oder für sich selbst handelt (§ 164 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB).2 Steht nach der Auslegung hingegen der verdeckte Charakter des Dritthandelns fest, bestimmt im zweiten Schritt ebenso die Auslegung des Erklärungstatbestandes, ob eine Erklärung des Identitätsträgers oder des Handelnden vorliegt.3
III. Zurechnung von verdecktem Dritthandeln durch den Minimaltatbestand 1. Das Zurechnungsmodell Während sich die Zurechnung offenen Dritthandelns nach den stellvertretungsrechtlichen Regeln der §§ 164 ff. BGB bestimmt, gilt dies nicht für verdecktes Dritthandeln.4 Nach der Definition des Minimaltatbestandes ist die Willenserklärung die aus objektiv-normativer Sicht bestimmte Kundgabe des Willens der als erklärend erscheinenden Person, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, wenn die Willensbekundung dieser Person deshalb zuzurechnen ist, weil sie aus deren Verantwortungssphäre stammt.5 Erscheint das Handeln einer Person als Willenserklärung einer anderen Person, so wird das Handeln dennoch der anderen Person als deren Willenserklärung zugerechnet, wenn zum einen der erkennbare Wille auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet ist und zum anderen die Erklärung aus der Sphäre der Person stammt, die als erklärende Person erscheint. Falls das Handeln einer Person hingegen als Willenserklärung der handelnden Person erscheint, ist das Handeln als deren Willenserklärung zuzurechnen, wenn der erkennbare Wille auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge gerichtet ist. 2 Bestellt somit ein Geschäftsführer einer GmbH unter Verwendung des Briefpapiers der GmbH eine Kaffeemaschine, ist für den Empfänger erkennbar, dass auf der Gegenseite zwei Personen stehen, die als potentielle Vertragspartner in Frage kommen – zum einen der Geschäftsführer, zum anderen die GmbH. Ob der Geschäftsführer dabei im Namen der GmbH oder für sich handelt, ist dann eine Folgefrage. 3 Siehe dazu unter A.II.1. und A.IV.1. 4 Siehe dazu unter A.IV.2. 5 Siehe unter F.II.
III. Zurechnung von verdecktem Dritthandeln267
Wenn kein bestimmter oder bestimmbarer Rechtsbindungswille erkennbar ist, liegt bereits keine Willenserklärung vor. Fehlt es an der Zurechenbarkeit der Erklärung, weil sie nicht aus der Verantwortungssphäre der Person stammt, die als erklärende Person erscheint, liegt weder eine Willenserklärung dieser Person noch eine solche des Handelnden vor. In diesem Fall haftet der Handelnde jedoch dem Erklärungsgegner auf Ersatz des Vertrauensschadens aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB sowie sämtlicher weiterer dadurch verursachter Schäden unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB. Eine Zurechnungssperre besteht bei fehlender oder bloß beschränkter Geschäftsfähigkeit der als erklärend erscheinenden Person6 und in den Fällen der Formbedürftigkeit der Erklärung, soweit der jeweils einschlägige Formzweck zwingend voraussetzt, dass die betreffende Person selbst handelt.7 Wird die Erklärung der als erklärend erscheinenden Person als ihre Willenserklärung zugerechnet, obwohl sie nicht ihrem wirklichen Willen entspricht, kann die Person sie unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB anfechten, mit der Folge, dass sie gemäß § 122 BGB zum Schadenersatz verpflichtet ist.8 Wie bei der Erklärungsfahrlässigkeit sowie bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht behält die Zurechnung als Willenserklärung stets ihre Wirksamkeit. Der etwaige spätere Beweis des tatsächlichen Handelns einer anderen Person kann die bereits erfolgte rechtliche Bewertung der Zurechnung als Willenserklärung der als erklärend erscheinenden Person daher nicht mehr zerstören. 2. Handeln unter fremdem Namen Die Wendung des Handelns unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung9 ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl verschiedener und im Detail unterschiedlicher Konstellationen.10 Der Handelnde kann vorsätzlich oder fahrlässig bzw. bewusst oder unbewusst unter der fremden Identität handeln. Ein unbewusstes Handeln liegt beispielsweise vor, wenn der Handelnde eine Erklärung bloß mit einem fremden Vornamen unterschreibt und die Auslegung aus objektiv-normativer Empfängersicht eine Erklärung des 6 Siehe
unter F.IV.1. zum Erfordernis der Eigenhändigkeit beim Abfassen eines Testaments unter F.IV.4. 8 Siehe dazu unter F.IV.3.d) und F.IV.3.e). 9 Wenn in diesem Kapitel G. im Folgenden von „Handeln unter fremdem Namen“ die Rede ist, sind damit stets die Fälle der Identitätstäuschung gemeint, auch wenn dies jeweils nicht ausdrückliche Erwähnung findet. 10 Siehe hierzu bereits unter A. 7 Siehe
268
G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss
Namensträgers ergibt. Der Namens- bzw. Identitätsträger kann das Verhalten des Handelnden befürworten, etwa indem er dem Handelnden für das Handeln unter seinem Namen ausdrücklich eine Vollmacht i. S. d. § 167 BGB erteilt, er kann diesbezüglich sorgfaltswidrig, also erklärungsfahrlässig sein, oder für das Risiko des Handelns unter seinem Namen verantwortlich sein. Denkbar ist auch, dass der Namensträger dem Handelnden bloß eine gewöhnliche Vollmacht i. S. d. § 167 BGB für ein Handeln in, und nicht auch unter seinem Namen erteilt, oder der Handelnde über eine gesetzliche Vertretungsmacht verfügt. Sämtliche dieser Konstellationen des Handelns unter fremdem Namen werden nach der These dieser Arbeit nun nicht mehr durch Anwendung der §§ 164 ff. BGB gelöst, sondern durch den in dieser Arbeit herausgearbeiteten Minimaltatbestand der Willenserklärung.
IV. Kein Wertungswiderspruch zu den Vorschriften des Stellvertretungsrechts 1. Die Wertungen der §§ 164 ff. BGB Ob diese Lösung zu Wertungswidersprüchen und -brüchen innerhalb der Rechtsgeschäftslehre – insbesondere mit den §§ 164 ff. BGB – führt, hängt zum einen davon ab, welche Wertungen diese Vorschriften enthalten, und zum anderen, inwieweit diese Wertungen mit der Offenkundigkeit des Handelns des Handelnden, also mit dem Handeln im fremdem Namen verknüpft sind, so dass sie beim verdeckten Dritthandeln nicht einschlägig sind. Unterschiedliche Ergebnisse der verschiedenen Lösungen müssen daher keinen Wertungswiderspruch bedeuten. Herauszufiltern gilt es somit, welche der Wertungen des Stellvertretungsrechts mit dem Dritthandeln und welche hingegen mit der Offenkundigkeit verknüpft sind. Während die stellvertretungsrechtlichen Wertungen des drittbezogenen Handelns auch im Rahmen des Minimaltatbestandes Berücksichtigung finden müssen, gilt dies hingegen nicht für die mit der Offenkundigkeit verbundenen Wertungen. 2. Willensmängel und Wissenszurechnung (§ 166 BGB) a) § 166 Abs. 1 BGB aa) Willensmängel (1) §§ 116–118 BGB Hat der unter fremdem Namen Handelnde einen geheimen Vorbehalt i. S. d. § 116 BGB, schließt er mit seinem Erklärungsgegner ein Scheingeschäft
IV. Kein Wertungswiderspruch zum Stellvertretungsrecht269
i. S. d. § 117 BGB oder gibt er eine Scherzerklärung i. S. d. § 118 BGB ab, treffen die Rechtsfolgen aufgrund der – nach herrschender Meinung – analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts entsprechend § 166 Abs. 1 BGB den insoweit vertretenen Namensträger. Beim Minimaltatbestand kommt es auf die genauen Umstände der Entstehung des objektiven Erklärungstatbestandes beim Handeln unter fremdem Namen nicht an, solange dieser der als erklärend erscheinenden Person aufgrund von Vorsatz, Fahrlässigkeit oder Zuordnung zur Risikosphäre zuzurechnen ist.11 Solche Willensmängel des Handelnden bleiben somit außer Betracht. Zwar ist die Regelung in § 166 Abs. 1 BGB nicht Ausdruck des Offenkundigkeitsprinzips, das innerhalb der Stellvertretungskonstellation den Geschäftspartner schützt, sondern betrifft vielmehr die Einschaltung und das Handeln eines Dritten,12 so dass dessen Wertungen an sich auch beim verdeckten rechtsgeschäftlichen Dritthandeln zu berücksichtigen wären. Doch betreffen die Willensmängel der §§ 116–118 BGB bloß die Bindung des unter fremdem Namen Handelnden an den Erklärungstatbestand der unmittelbar von ihm ausgehenden Erklärungszeichen, nicht jedoch die Zurechnung dieses Erklärungstatbestandes zum Namensträger, die auf anderen Gründen beruht, namentlich auf der Zuordnung zur Verantwortungssphäre des Namensträgers. Bei § 166 Abs. 1 Alt. 1 BGB sind solche Willensmängel tangiert, die der eigenen Willenserklärung des Vertreters anhaften. Beim Minimaltatbestand gibt es eine solche eigene Willenserklärung des Vertreters jedoch nicht zwingend. Die Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestandes zum Namensträger als dessen Willenserklärung trotz Willensmängeln i. S. d. §§ 116–118 BGB beim Handelnden ist im Ergebnis auch nicht ungerecht, da dem Namensträger die Möglichkeit der Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB offensteht,13 auch wenn eine solche Anfechtung die Schadensersatzpflicht des § 122 Abs. 1 BGB auslöst (man beachte aber § 122 Abs. 2 BGB, der gerade bei einer Konstellation i. S. d. § 117 BGB oder § 118 BGB zum Ausschluss der Schadensersatzpflicht führen dürfte). Dies gilt selbst dann, wenn der Namensträger dem Handelnden das Handeln unter seinem Namen durch Erteilung von Vollmacht vergleichbar § 167 BGB ausdrücklich erlaubt. Denn durch diese Initiierung des verdeckten Dritthandelns verhält er sich gegenüber seinem (potentiellen) Geschäftspartner wegen der damit verbundenen Täuschung treuwidrig i. S. d. § 242 BGB und trägt die Verantwortung für die Handlungen des Handelnden, da diese letztlich seiner Sphäre entstammen. Lässt die Vollmacht des Namensträgers, unter seinem Namen in vorab be11 Siehe
hierzu unter F.I., F.II. und F.III. I 226; HKK/Schmoeckel, BGB, §§ 164–181 Rn. 28; MüKoBGB/Schubert, § 166 Rn. 1; Staudinger/Schilken (2019), § 166 Rn. 1. 13 Siehe unter F.IV.3.d). 12 Motive
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G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss
stimmter Weise zu handeln, dem Handelnden einen Handlungsspielraum, steht dem Namensträger wiederum das Anfechtungsrecht aus § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu.14 (2) §§ 119, 120 BGB Unterläuft dem unter fremdem Namen Handelnden bei Abgabe seiner Willenserklärung ein Inhalts- oder Erklärungsirrtum i. S. d. § 119 Abs. 1 BGB, ein Eigenschaftsirrtum i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB oder geschieht ein Übermittlungsfehler i. S. d. § 120 BGB, könnte der Namensträger die Willenserklärung des unter seinem Namen Handelnden nach der herrschenden Meinung im Zuge der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts gemäß § 166 Abs. 1 BGB analog i. V. m. §§ 119, 120 BGB anfechten. Beim Minimaltatbestand bleiben solche Willensmängel des unter fremdem Namen Handelnden hingegen außer Betracht. Sie sperren die Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestandes zum Namensträger grundsätzlich nicht. Allerdings steht dem Namensträger beim Minimaltatbestand die Möglichkeit der Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB offen, soweit der ihm zugerechnete objektive Erklärungstatbestand nicht seinem wirklichen Willen entspricht.15 Der Namensträger kann daher stets unabhängig vom Vorliegen von Willensmängeln in der Person des unter seinem Namen Handelnden die Zurechnung des objektiven Erklärungstatbestandes zu seiner Person anfechten, mit der Folge, dass sich seine Haftung auf den Schadensersatzanspruch aus § 122 BGB beschränkt. Das Anfechtungsrecht steht dem Namensträger selbst dann zu, wenn er dem Handelnden das Handeln unter seinem Namen ausdrücklich erlaubt, der vom Handelnden erzeugte objektive Erklärungstatbestand dann aber nicht dem Willen des Namensträgers entspricht, etwa weil der Umfang der Vollmacht den Erklärungstatbestand nicht deckt. Stimmt der Erklärungstatbestand mit dem Umfang der Vollmacht, unter fremdem Namen handeln zu dürfen, indes überein, steht dem Namensträger ein solches Anfechtungsrecht nicht zu. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur analogen Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB nach der herrschenden Meinung. Dieser Unterschied rechtfertigt sich aber dadurch, dass der Namensträger durch die Vorgabe an den Handelnden, unter seinem Namen zu handeln, die Verdeckung des Drittbezugs des rechtsgeschäftlichen Handelns gegenüber dem Geschäftspartner zu verantworten hat. Darin liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, weil der Geschäftspartner mangels Erkennbarkeit des Drittbezugs keine schützenden Vorkehrungen 14 Siehe 15 Siehe
unter F.IV.3.d). dazu unter F.IV.3.d).
IV. Kein Wertungswiderspruch zum Stellvertretungsrecht271
treffen kann.16 Anders verhält es sich hingegen, wenn der Namensträger dem Handelnden bloß eine Vollmacht für ein Handeln in seinem Namen i. S. d. § 167 BGB erteilt. Das Handeln unter seinem Namen entspricht dann bereits deshalb nicht dem wirklichen Willen des Namensträgers, und berechtigt ihn daher zur Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB, weil die Vollmacht nur das Handeln in und nicht auch unter seinem Namen deckt, unabhängig davon, ob der Handelnde vorsätzlich, fahrlässig oder schuldlos unter statt in seinem Namen handelt. (3) § 123 BGB Wird der unter fremdem Namen Handelnde bei Abgabe der Willenserklärung getäuscht oder bedroht, kann der Namensträger nach der herrschenden Meinung die Willenserklärung des unter fremdem Namen Handelnden im Zuge der analogen Anwendung des Stellvertretungsrechts gemäß § 166 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 123 Abs. 1 BGB anfechten. Bei der Lösung über den Minimaltatbestand wirken sich Täuschungen und Drohungen, die gegenüber dem unter fremdem Namen Handelnden getätigt werden, nicht weiter aus. Unabhängig von Täuschung und Drohung kann der Namensträger den ihm beim Minimaltatbestand zugerechneten objektiven Erklärungstatbestand gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechten, wenn er nicht seinem wirklichen Willen entspricht.17 Zwar ist der Namensträger dann dem Schadensersatzanspruch aus § 122 Abs. 1 BGB ausgesetzt. Allerdings kennt der etwaige geschädigte Geschäftspartner in solchen Konstellationen regelmäßig die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts, oder muss sie zumindest kennen, so dass der Schadensersatzanspruch in aller Regel nach § 122 Abs. 2 BGB unabhängig von einem konkreten Schaden ausgeschlossen ist. Den Namensträger von den Privilegierungen des § 124 BGB auszuschließen und zugleich im Grundsatz dem Schadensersatzanspruch aus § 122 Abs. 1 BGB auszusetzen, ist insbesondere dadurch gerechtfertigt, dass der Namensträger selbst nicht durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt worden ist, sondern (nur) der unter seinem Namen Handelnde. Täuschung und Drohung können somit keinen Einfluss auf seine Willensbildung gehabt haben, so dass der Namensträger die aus diesem Grund verlängerte Bedenkzeit nicht benötigt.
16 Zur Offenkundigkeit des drittbezogenen Handelns als Anwendungsvoraussetzung der §§ 164 ff. BGB siehe bereits unter A.IV.2. 17 Siehe unter F.IV.3.d).
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G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss
Erlaubt der Namensträger dem unter seinem Namen Handelnden durch Erteilung entsprechender Vollmacht vergleichbar § 167 Abs. 1 BGB ausdrücklich, nicht nur in, sondern sogar unter seinem Namen zu handeln, initiiert der Namensträger die Verdeckung der Drittbezogenheit der Konstellation gegenüber dem Geschäftspartner, die dazu führt, dass der Geschäftspartner keine Schutzvorkehrungen oder sonstigen Dispositionen treffen kann.18 Dies gilt auch, wenn der unter fremdem Namen Handelnde ohne Wissen und Wollen des Namensträgers unter dessen Namen handelt. Denn der Geschäftspartner ist wegen der Verdeckung der Drittbezogenheit abstrakt sowohl schutzwürdiger als auch schutzbedürftiger als der Namensträger, auch wenn es später zu einer arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung gegenüber dem unter fremdem Namen Handelnden kommt. Bei Willensmängeln im Kontext des Handelns unter fremdem Namen nicht auf § 166 Abs. 1 BGB analog zurückzugreifen führt somit zu keinen Wertungswidersprüchen im Vergleich zur Konstellation beim Handeln im fremden Namen, weil der Geschäftspartner beim Handeln unter fremdem Namen schutzwürdiger und schutzbedürftiger als der Namensträger ist und daher im Ergebnis einen stärkeren Schutz genießt. bb) Wissenszurechnung Kommt es bei einem Rechtsgeschäft auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen gewisser Umstände an, stellt die herrschende Meinung in analoger Anwendung von § 166 Abs. 1 Alt. 2 BGB auf die Person des unter fremdem Namen Handelnden ab. Dies betrifft beispielsweise die Frage der Bösgläubigkeit beim redlichen Erwerb i. S. d. §§ 932 ff. BGB. Bei der Lösung über den Minimaltatbestand kommt es grundsätzlich nicht auf die Kenntnis gewisser Umstände des unter fremdem Namen Handelnden bzw. deren Kennenmüssen an, sondern auf die des Namensträgers, da dessen Willenserklärung betroffen ist. Eine etwaige Bösgläubigkeit des Handelnden hindert den redlichen Erwerb beim Minimaltatbestand somit nicht, solange der Namensträger selbst nicht bösgläubig ist. Dies macht für den Eigentümer der zu übereignenden Sache keinen Unterschied, da es aus seiner Sicht sowieso Zufall ist, wem der unmittelbare Besitzer die Sache i. S. d. §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB übergibt, dem Erwerber oder einem Stellvertreter des Erwerbers. Zwar würde der Eigentümer in solchen Fällen ggf. häufiger davon profitieren, wenn es auf die Redlichkeit des Handelnden ankäme, da im Zuge des unmittelbaren rechtsgeschäftlichen Kontakts mit dem Geschäftspartner der Handelnde eher an Informationen gelangen kann, die zur Bösgläubigkeit führen. Allerdings 18 Siehe
hierzu bereits unter A.IV.2.d).
IV. Kein Wertungswiderspruch zum Stellvertretungsrecht273
würde dies bloß bei einem Verfügungsgeschäft unter Anwesenden gelten. Bei einem Verfügungsgeschäft unter Abwesenden spielt dies hingegen mangels situativ unmittelbarer Eindrücklichkeit keine Rolle. Natürlich schadet jedoch die Bösgläubigkeit des Namensträgers nach den allgemeinen Regeln, unabhängig davon, ob der Handelnde mit Wissen und Wollen des Namensträgers unter dessen Namen auftritt. Tritt der Handelnde ohne Vertretungsmacht auf, gilt § 166 Abs. 1 Alt. 2 BGB demzufolge zwar bei Handeln im fremden Namen, nicht jedoch bei Handeln unter fremdem Namen. Darin liegt kein Wertungswiderspruch, weil der Gesetzgeber bei § 166 Abs. 1 BGB die typische Situation der Stellver tretung, nämlich einen Vertreter, der mit Vertretungsmacht im Namen und regelmäßig auch im Interesse des Vertretenen handelt, im Sinn hatte. Ein Handeln ohne gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht betrifft weder beim Handeln in noch unter fremdem Namen den Wesenskern des § 166 Abs. 1 BGB, so dass die Wertung dieser Norm bloß bei solchen Handlungen Berücksichtigung finden muss, die mit Vertretungsmacht erfolgen. Konsequenterweise muss dies wegen der vergleichbaren Interessenlage dann auch für Konstellationen gelten, in denen ein unter fremdem Namen Handelnder mit Vertretungsmacht auftritt, also vom Namensträger ausdrücklich dazu bevollmächtigt ist, unter seinem Namen zu handeln. Dies sind jedoch gerade nicht die typischen Konstellationen des Handelns unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung. b) § 166 Abs. 2 BGB § 166 Abs. 2 BGB schützt den Geschäftspartner davor, dass der Vollmachtgeber einen unwissenden, und daher redlichen Vertreter zwischenschaltet, um sich die Wirkungen des § 166 Abs. 1 BGB zu Nutze zu machen.19 Da § 166 Abs. 1 BGB beim Handeln unter fremdem Namen bei der Lösung über den Minimaltatbestand keine Anwendung findet,20 bedarf es auch nicht dieses Schutzes aus § 166 Abs. 2 S. 1 BGB. Vielmehr schlägt bei Heranziehung des Minimaltatbestandes die Kenntnis des Namensträgers bzw. dessen Kennenmüssen gewisser Umstände bereits von Anfang an vollständig auf das jeweilige Rechtsgeschäft durch.
19 MüKoBGB/Schubert, § 166 Rn. 101; Staudinger/Schilken (2019), § 166 Rn. 2, 27; Bork, BGB AT, Rn. 1655; Medicus/Petersen, BGB AT, Rn. 901. 20 Siehe soeben unter G.IV.2.a).
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G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss
3. Vertragsschluss ohne Vertretungsmacht (§ 177 BGB) Handelt eine Person unter fremdem Namen ohne Vertretungsmacht, kann der Namensträger dieses Handeln nach der herrschenden Meinung gemäß § 177 Abs. 1 BGB analog genehmigen und das Rechtsgeschäft auf diese Weise an sich ziehen. Diese Möglichkeit besteht bei der Lösung über den Minimaltatbestand nicht. § 177 BGB will die fehlende Zurechnung des Handelns des Handelnden zum Namensträger überwinden. Dafür besteht beim Minimaltatbestand jedoch kein Bedarf, weil dessen tatbestandliche Voraussetzungen dafür sorgen, dass selbst dann eine (wenn auch nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB anfechtbare) Zurechnung stattfindet, wenn keine Vollmacht i. S. d. § 167 BGB oder eine gesetzliche Vertretungsmacht vorliegt, sondern bloß ein Verschulden in Form von Fahrlässigkeit oder die Zuordnung des Erklärungstatbestandes zur Risikosphäre des Namensträgers.21 Viele Konstellationen, in denen der Namensträger bislang eine Genehmigung des Geschäfts gemäß § 177 Abs. 1 BGB analog prüfen würde, sind deswegen obsolet. Für die übrigen Fälle leuchtet es nicht ein, weshalb dem Namensträger die Möglichkeit offenstehen sollte, das Geschäft an sich zu ziehen. Zwar ist es von Gesetzes wegen formal jedem Vertretenen möglich, das Handeln jedes Vertreters, der im Namen des Vertretenen ohne Vertretungsmacht auftritt, nach § 177 Abs. 1 BGB zu genehmigen, auch wenn dem Vertretenen das betreffende Geschäft dadurch eher zufällig in den Schoß fällt. Doch betrifft die Genehmigungsmöglichkeit typischerweise vielmehr die Fälle, in denen die Vertretungsmacht des Vertreters einen Mangel hat, den der Vertretene überwinden will. Die Möglichkeit des Vertretenen, das in seinem Namen Handeln des ihm fremden Vertreters zu genehmigen, ist nicht der wesenstypische Anwendungsfall des § 177 Abs. 1 BGB, und deshalb auch keine Wertung, die bei einer alternativen Lösung des Handelns unter fremdem Namen zwingend zu berücksichtigen wäre. Schließlich passt das in § 177 BGB ausgestaltete Verfahren auch nicht auf die typische Situation beim Handeln unter fremdem Namen, bei der der Geschäftspartner zunächst in aller Regel nicht weiß, dass das Rechtsgeschäft zur Wirksamkeit noch der Genehmigung durch den Namensträger bedarf, da ihm die Dreipersonenkonstellation nicht offenkundig ist. 4. Haftung des falsus procurator (§ 179 BGB) Beim Handeln unter fremdem Namen haftet der Handelnde dem Geschäftspartner nach der herrschenden Meinung als falsus procurator gemäß 21 Siehe
unter F.I., F.II. und F.III.
IV. Kein Wertungswiderspruch zum Stellvertretungsrecht275
§ 179 BGB analog. Eine solche Haftung würde bei der Lösung über den Minimaltatbestand an sich nicht bestehen. Aufgrund der tatbestandlichen Voraussetzungen des Minimaltatbestandes kommt es jedoch bei solchen Konstellationen häufig bereits zur – wenn auch durch Anfechtung beseitig baren – Erfüllungsverpflichtung des Namensträgers gegenüber dem Geschäftspartner, so dass daneben für eine Haftung des falsus procurator in der Regel kein Bedürfnis besteht. In den wenigen sonstigen Fällen bedarf es zur Erzielung gerechter Ergebnisse meist ebenso nicht des Rückgriffs auf § 179 BGB, da sich quasi inhaltsgleiche Ansprüche des Geschäftspartners gegen den unter fremdem Namen Handelnden je nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls aus §§ 280 Abs. 1 i. V. m. 311 Abs. 2 BGB, aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB oder aus § 826 BGB ergeben.22 Dasselbe gilt, wenn der Namensträger seine Erfüllungsverpflichtung wirksam anficht und deshalb gegenüber dem Geschäftspartner nur gemäß § 122 BGB auf Ersatz des Vertrauensschadens haftet. Allerdings würde eine Nichtanwendung des § 179 BGB bei der Lösung des Handelns unter fremdem Namen über den Minimaltatbestand zu einem Wertungswiderspruch im Vergleich zum Handeln im fremden Namen führen. Wer nicht bloß vorgibt, mit Vertretungsmacht im Namen einer anderen Person zu handeln, sondern sogar behauptet, diese Person selbst zu sein, sorgt damit für den größeren Irrtum und gefährdet den Rechtsverkehr stärker. Den im fremden Namen Handelnden der Haftung aus § 179 BGB auszusetzen, den unter fremdem Namen Handelnden jedoch nicht, wäre daher wertungswidersprüchlich. Die Regelung in § 179 BGB ist nicht etwa als ein Garantieversprechen des Vertreters zu verstehen,23 dass er über hinreichende Vertretungsmacht verfügt, und auch nicht als Versprechen der Herstellung der rechtsgeschäftlichen Verbindung zwischen Geschäftspartner und Vertretenem.24 Vielmehr ist § 179 BGB eine gesetzlich geregelte Vertrauenshaftung25 als Ausgleich für die (konkludente) Behauptung des Vertreters, Vertretungs22 So zum Handeln unter fremdem Namen schon früh Hinke, Wirkung des Handelns unter falschem Namen unter Berücksichtigung des Grundbuch- und Wechselverkehrs, S. 109 ff., später auch Geusen, Das Handeln unter fremdem Namen im Zivilrecht, S. 64, der die Pflicht zum Nachweis des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale in den Vordergrund rückt. 23 So die frühere Annahme im gemeinen Recht, siehe RG, Urt. v. 7.5.1895 – III 31/95 = RGZ 35, 145; diesen Ansatz ablehnend MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 1; Staudinger/Schilken (2019), § 179 Rn. 1 f. 24 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung, S. 273 ff., 281 ff. 25 BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 Rn. 28 (juris) = BGHZ 129, 136 (150 f.); Urt. v. 29.1.1963 – VI ZR 119/62 Rn. 25 (juris) = BGHZ 39, 45 (51); Urt. v. 5.5.1960 – III ZR 83/59 = BGHZ 32, 250 (254); MüKoBGB/Schubert, § 179 Rn. 1; Soergel/Leptien, § 179 Rn. 1; Staudinger/Schilken (2019), § 179 Rn. 2; Neuner, BGB AT, § 51 Rn. 19 f.
276
G. Zurechnung von Dritthandeln zum Vertragsschluss
macht zu besitzen,26 und damit ein Risiko für die Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs zu setzen.27 Bei Betrachtung der Verteilung der Verantwortlichkeiten für diese Risiken ist die fehlende Vertretungsmacht eindeutig dem Risikobereich des Vertreters und nicht des Geschäftspartners zuzuordnen. § 179 BGB ist deshalb eine Kodifizierung des allgemeinen Grundgedankens, dass derjenige, der durch sein Auftreten bei seinem Gegenüber in einem bestimmten Umfang Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, für die damit verbundenen Folgen verantwortlich ist, und aus diesem Grund haftet. Ähnlich wie bei den sonstigen Fällen, in denen ein Vertreter den Eindruck einer bestimmten Haftungssituation erweckt, die nicht der wirklichen Lage entspricht, oder in vergleichbaren Konstellationen, findet § 179 BGB daher auf das Handeln unter fremdem Namen auch bei der Lösung über den Minimaltatbestand zumindest seinem Rechtsgedanken nach Anwendung.28
V. Resümee Beim Handeln unter fremdem Namen kommt in den Fällen der Identitätstäuschung sowohl die herrschende Meinung als auch der in dieser Arbeit herausgearbeitete Minimaltatbestand der Willenserklärung zu einer Erfüllungsverpflichtung der Person, unter deren Namen bzw. Identität der Dritte handelt, soweit hinreichende Vertretungsmacht vorliegt bzw. eine Zurechnung erfolgt. Bei der herrschenden Meinung kann die Zurechnung auf einer Vollmacht, einer gesetzlichen Vertretungsmacht, einer gesetzlichen Rechtsscheinvollmacht, einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht oder einer nachträglichen Genehmigung des Vertretenen beruhen.29 Beim Minimaltatbestand hingegen kann die Zurechnung aufgrund der Zuordnung zur Verantwortungssphäre der als erklärend erscheinenden Person, also aufgrund der Zuordnung zur Risikosphäre der Person, ihrer Erklärungsfahrlässigkeit oder ihres wirklichen Willens erfolgen.30 Der Vertretene haftet nicht auf Erfüllung, soweit der Handelnde keine wirksame Vertretungsmacht besitzt, keine Rechtsscheinvollmacht greift und er die Genehmigung nach § 177 BGB unterlässt.31 Liegen beim MinimalVertrauenshaftung, S. 532 ff., 535. Urt. v. 12.11.2008 – VIII ZR 170/07 Rn. 11 (juris) = BGHZ 178, 307 (311); Urt. v. 9.11.2004 – X ZR 101/03 Rn. 8 (juris) = NJW-RR 2005, 268; Urt. v. 2.2.2002 – VIII ZR 12/99 Rn. 14 (juris) = NJW 2000, 1407 (1408); Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 Rn. 28 (juris) = BGHZ 129, 136 (150 f.); Urt. v. 5.5.1960 – III ZR 83/59 = BGHZ 32, 250 (254); Staudinger/Schilken (2019), § 179 Rn. 2. 28 In diese Richtung bereits Brehmer, Wille und Erklärung, S. 258 f., 260 ff. 29 A.II.2. und A.II.3.b). 30 G.III. 31 A.II.2. 26 Canaris, 27 BGH,
V. Resümee277
tatbestand der Willenserklärung die Zurechnungskriterien vor, kann sich der Zurechnungsadressat von der Zurechnung – und damit von der Erfüllungsverpflichtung – durch Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB lösen, soweit die Erklärung zum Zeitpunkt der Abgabe nicht seinem wirklichen Willen entsprach, etwa wenn er sie nicht selbst abgegeben hat.32 Weiter haftet der Vertretene gemäß § 122 BGB auf Ersatz des Vertrauensschadens (begrenzt auf das positive Interesse), wenn er die Vollmacht wirksam anficht – nach herrschender Meinung nicht gegenüber dem Geschäftspartner, sondern gegenüber dem für ihn Handelnden, der mangels wirksamer Vertretungsmacht seinerseits aus § 179 BGB gegenüber dem Geschäftspartner haftet.33 Der Zurechnungs adressat unterliegt bei Heranziehung des Minimaltatbestandes ebenfalls der Haftung aus § 122 BGB, wenn er die ihm zugerechnete Willenserklärung wirksam anficht – indes unmittelbar gegenüber dem Geschäftspartner.34 Bei Vorsatz haftet der Handelnde in analoger Anwendung des § 179 Abs. 1 BGB nach Wahl des Geschäftspartners auf Erfüllung oder Ersatz des positiven Interesses. Fehlt ihm der Vorsatz, haftet er nach § 179 Abs. 2 BGB analog nur auf Ersatz des Vertrauensschadens (begrenzt durch das positive Interesse).35 Dasselbe gilt beim Minimaltatbestand.36 Daneben haftet der Handelnde bei Vorliegen der jeweiligen weiteren Voraussetzungen auf Ersatz des negativen Interesses aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.37 Eine Haftung auf Ersatz des positiven Interesses kann sich je nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zudem aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und aus § 826 BGB er geben.38
32 G.IV.2.a)aa)(2).
33 Siehe zu den Besonderheiten bei der Anfechtung der bereits ausgeübten (Innen-)Vollmacht statt vieler nur Staudinger/Schilken (2019), § 167 Rn. 77 ff. 34 G.IV.2.a)aa)(2). 35 A.III.1.c). 36 G.IV.4. 37 G.IV.4. 38 G.IV.4.
H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge I. Denkbare Zurechnungsmodelle 1. Dritthandlungen bei bestehenden Verträgen Gegenstand der bislang angestellten Überlegungen war die Frage, wann Dritthandeln zu einem Vertragsschluss führt. Handlungen Dritter sind jedoch nicht nur vorvertraglich denkbar, sondern auch im Rahmen bereits bestehender Vertragsbeziehungen. Bei Verträgen zwischen Versorgungsunternehmen und ihren Vertragskunden, etwa zur Lieferung von Strom oder zur Bereitstellung von Telekommunikationsdienstleistungen, ist die Nutzung durch Dritte, die selbst nicht Vertragspartei sind, eine alltägliche Situation. Man denke etwa an Kinder des Vertragskunden, die den Lichtschalter betätigen oder über den Telefonanschluss telefonieren. Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen solche Leistungsentnahmen durch Dritte dem Vertragskunden zuzurechnen sind, so dass dieser die vertraglich vereinbarte Vergütung zahlen muss, ist zumindest im Ausgangspunkt unklar. 2. Keine Zurechnung durch § 278 S. 1 BGB Die Verantwortlichkeit eines Schuldners für Dritte nach § 278 S. 1 BGB hilft nicht weiter, weder in unmittelbarer, noch in analoger Anwendung.1 Zwar ist die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus nicht nur auf die Zurechnung von Verschulden, sondern allgemein von Verhalten anwendbar,2 so dass die Zurechnung von Leistungsentnahmen nicht bereits deshalb ausgeschlossen wäre. Auch ist der Kunde Schuldner i. S. d. § 278 S. 1 BGB, da zwischen ihm und dem Versorgungsunternehmen bereits ein Versorgungsvertrag besteht. Allerdings sind Leistungsentnahmen aus dem Versorgungsnetz keine Pflichten bzw. Verpflichtungen des Kunden gegenüber dem Versorgungs unternehmen i. S. d. § 278 S. 1 BGB. Vielmehr stellt die Bereitstellung der 1 Zur analogen Anwendbarkeit des § 278 S. 1 BGB als Zurechnungsnorm im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen siehe unter H.III.2.c)dd). 2 Allgemeine Meinung, siehe nur MüKoBGB/Grundmann, § 278 Rn. 1; Staudin ger/Caspers (2014), § 278 Rn. 1 ff.
I. Denkbare Zurechnungsmodelle279
Leistungen an der jeweiligen Übergabestelle die vertragliche Hauptleistungspflicht des Versorgungsunternehmens dar, das dem Kunden so erst die fak tische Möglichkeit verschafft, von seinem vertraglich vereinbarten Recht, die Leistung zu entnehmen, Gebrauch zu machen. Leistungsentnahmen durch Dritte betreffen somit nicht den Pflichtenkreis des Vertragskunden als Schuldner gegenüber dem Versorgungsunternehmen, sondern umgekehrt die Position des Kunden als Gläubiger. Selbst wenn man § 278 S. 1 BGB (zumindest analog) auf solche Konstellationen anwenden würde, lieferte dies nicht nur interessengerechte Ergebnisse. Wie Leistungsentnahmen zu bewerten wären, die nicht durch Personen veranlasst sind, deren sich der Vertragskunde „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient“, also Erfüllungsgehilfen sind, wie etwa Kinder, Besucher oder sonstige Personen, die der Kunde nicht bewusst einschaltet,3 wäre auch dann unklar. Alleine der abstrahierbare Grundgedanke des § 278 S. 1 BGB, wonach derjenige, der Hilfspersonen einschaltet, das mit dieser Einschaltung einhergehende Risiko tragen muss,4 könnte für die Überlegungen der Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte herangezogen werden.5 3. Zurechnung durch Vertrag oder per Gesetz Eine Möglichkeit der Zurechnung zum Vertragskunden könnte in einer bereits im (Rahmen-)Vertrag zwischen dem Versorgungsunternehmen und dem Kunden vereinbarten, ausdrücklichen Haftungsübernahme des Kunden für Leistungsentnahmen liegen, unabhängig davon, wer die Leistungen entnimmt. Ebenso wäre denkbar, dass je nach genauer Formulierung der vertraglichen Hauptleistungspflichten des Kunden dieser zumindest konkludent die Haftung auch für Leistungsentnahmen Dritter übernimmt. Denn wer sich als Kunde durch den Versorgungsvertrag verpflichtet, sämtliche am Übergabepunkt entnommenen Leistungen zu bezahlen, ohne dass dies ausdrücklich auf Leistungsentnahmen unmittelbar durch den Kunden selbst beschränkt ist, muss im Ergebnis auch Leistungsentnahmen bezahlen, die durch Dritte erfolgen. Faktisch handelt es sich dann um eine vertragliche Übernahme des Risikos von gewollten und ungewollten Leistungsentnahmen durch Dritte. 3 Grundsätzlich setzt die Zurechnung zum Schuldner voraus, dass die Hilfsperson mit seinem Willen tätig ist, siehe nur BGH, Urt. v. 25.3.1982 – VII ZR 60/81 Rn. 15 (juris) = BGHZ 83, 293 (295); Urt. v. 27.6.1963 – VII ZR 7/62 (juris) = NJW 1963, 2166 (2167); RG, Urt. v. 6.11.1933 – VI 231/33 = RGZ 142, 184 (189); MüKo BGB/Grundmann, § 278 Rn. 43. 4 Motive II 30; BGH, Urt. v. 24.11.1995 – V ZR 40/94 Rn. 17 f. (juris) = NJW 1996, 451 (452); Staudinger/Caspers (2013), § 278 Rn. 1. 5 Siehe dazu weiter unter H.IV.
280
H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
Daneben gelten in manchen Bereichen spezialgesetzliche Regelungen, die das Risiko bestimmter Leistungsentnahmen Dritter zwischen den Vertragsparteien verteilen. Ein Beispiel ist § 45i Abs. 4 TKG, wonach ein Anbieter von Telekommunikationsdiensten gegen einen Teilnehmer keinen Anspruch auf ein Entgelt hat, soweit der Teilnehmer nachweist, dass ihm die Inanspruchnahme der Leistungen des Anbieters nicht zugerechnet werden kann. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Zurechnung stattfindet, regelt § 45i Abs. 4 TKG jedoch nicht.
II. Zurechnung qua vertraglicher Vereinbarung 1. Daseinsvorsorge am Beispiel der Stromlieferung Verträge über die Lieferung von Strom kommen als Grundversorgungs vertrag gemäß § 2 ff. StromGVV oder als Sonderkundenvertrag i. S. d. § 41 Abs. 1 EnWG zustande. Für den Abschluss des Stromlieferungsvertrags als solchen gelten in beiden Fällen keinerlei Besonderheiten, daher findet insbesondere der Allgemeine Teil des BGB Anwendung.6 Allerdings bestimmt sich die weitere inhaltliche Ausgestaltung des Grundversorgungsvertrags fast ausschließlich nach den Vorschriften der StromGVV,7 während die Ausgestaltung des Sonderkundenvertrags zwar den Vorgaben aus § 41 EnWG genügen muss, darüber hinaus jedoch frei ist, insbesondere im Hinblick auf eine weitere Ausgestaltung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). In den AGB der Versorgungsunternehmen finden sich regelmäßig jedoch keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte. In den Vertragsformularen der Stadtwerke München (SWM) wird etwa bloß die Zählernummer der Verbrauchsstelle abgefragt, an die – was wiederum allerdings nicht ausdrücklich formuliert wird – der Strom geliefert werden soll.8 Dasselbe gilt für die AGB von RWE.9 Die EnBW informiert ihre Kunden in ihren AGB zwar detaillierter über ihre eigenen Leistungspflichten zur Lieferung von Strom an den vertraglich vereinbarten Netzanschluss,10 nicht jedoch über die Zurechnung von Leistungsent6 Siehe für den Grundversorgungsvertrag bei Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht, § 2 StromGVV Rn. 13 ff.; für den Sonderkundenvertrag Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht, § 41 EnWG Rn. 2 ff. 7 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht, § 2 StromGVV Rn. 22 ff. 8 Jeweils abrufbar unter https://www.swm.de/privatkunden/kundenservice/down loads.html, zuletzt abgerufen am 30.08.2020. 9 Abrufbar unter https://www.rwe.de/ekhproductdata/rest/agb/VAG/AGB_01_v16 04.pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020. 10 Nr. 3.1 in den AGB von EnBW, die unter https://www.enbw.com/privatkunden/ tarife-und-produkte/strom/index.html abrufbar sind; zuletzt abgerufen am 30.08.2020.
II. Zurechnung qua vertraglicher Vereinbarung281
nahmen durch Dritte. E.ON liefert gemäß den AGB Strom für die vertragliche Verbrauchsstelle des Kunden an das Ende dessen Netzanschlusses;11 über die Pflicht zur Zahlung der entnommenen Leistungen und über die Zurechnung von Drittentnahmen enthalten die AGB jedoch keine Regelungen. In den AGB von Vattenfall ist ausdrücklich geregelt, dass der Kunde verpflichtet ist, die zur Verfügung gestellte und abgenommene elektrische Energie zu bezahlen.12 Damit die Zahlungspflicht ausgelöst wird, muss demzufolge elektrische Energie an der Übergabestelle zur Entnahme bereitgestellt und anschließend abgenommen worden sein. Wer i. d. S. Abnehmender sein kann, wird allerdings nicht weiter ausgeführt, so dass keine ausdrückliche Regelung zur Energieabnahme durch Dritte und deren Zurechnung zum Vertragskunden besteht. 2. Telekommunikation Anders als im Bereich der Daseinsvorsorge ist im Bereich der Telekommunikationsleistungen mangels dortiger ständiger technischer Verfügbarkeit der Leistung eine Leistungsentnahme ohne vorherigen rechtsgeschäftlichen Kontakt zum Anbieter nicht möglich. Typischerweise bedarf es einer vorherigen Freischaltung der Leistung. Aus diesem Grund spielt ein etwaiger Vertragsschluss durch bloße Leistungsentnahme, wie er bei der Daseinsvorsorge vorkommt, im Telekommunikationsbereich keine Rolle. Im Unterschied zu den Versorgungsunternehmen der Daseinsvorsorge ist den Anbietern von Telekommunikationsdiensten die Möglichkeit der Inanspruchnahme respektive der Nutzung der Dienste durch Dritte, die nicht Vertragspartner sind, bewusst, wie entsprechende Regelungen in den AGB zeigen, insbesondere in Bezug auf die Übernahme bzw. die Haftung des Kunden für Kosten, die durch die Nutzung durch Dritte entstehen.13 Der Rahmen für die Ausgestal11 Nr. 1 in den AGB von E.ON, die unter https://www.eon.de/de/pk/agb. html#strom_1 abrufbar sind; zuletzt abgerufen am 30.08.2020. 12 § 3 Abs. 1 in den AGB von Vattenfall, die unter https://www.vattenfall.de/de/ stromtarife.htm abrufbar sind, zuletzt abgerufen am 30.08.2020. 13 Festnetz (Telefonie und Internet) Nach Nr. 5.1 der AGB der Telekom (Stand: 10.10.2019) ist es dem Vertragskunden nicht gestattet, die Leistungen Dritten zum alleinigen Gebrauch zu überlassen oder an Dritte weiterzugeben (AGB der Telekom Deutschland GmbH, abrufbar unter https://www.telekom.de/agb, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Damit ist wohl nicht die bloß gelegentliche, zeitweise Überlassung des Telefons zur Nutzung durch Dritte, wie Familienangehörige oder Gäste, gemeint – dies wäre realitäts- und damit praxisfern –, sondern die vollständige Hauptnutzung durch einen Dritten, der quasi in die Position des Vertragskunden rückt. Nach Nr. 4.4 der AGB von 1&1 (Stand: 08.2019) hat der Kunde auch die Entgelte zu zahlen, die durch die Nutzung des Anschlusses durch Dritte entstanden sind, es sei denn, er weist nach, dass er diese Nutzung nicht zu vertreten hat (AGB der 1&1 Te-
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H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
tung der AGB der Anbieter wird durch § 47b TKG gesetzt. Danach darf von den kundenschützenden Vorschriften des TKG und entsprechenden Rechtsverordnungen nicht zum Nachteil des Teilnehmers (also des Vertragskunden) abgewichen werden. Für die Zurechnung von Dritthandeln ist dabei ins besondere § 45i TKG von Bedeutung, der eine Haftung nach Sphären beschreibt.14
lecom GmbH, abrufbar unter http://var.uicdn.net/pdfs/1und1-Allgemeine-Geschaeftsbedingungen.pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Dabei habe der Kunde alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen gegen den Missbrauch Dritter zu treffen. Gemäß Nr. 5.2 ist der Kunde bei sog. Flat-Tarifen nur dann berechtigt, die Nutzung der Leistungen des Anbieters dritten Personen zu überlassen, soweit diese mit ihm in einem Haushalt leben und/oder die Nutzung in ähnlicher Weise sozial adäquat ist (z. B. Familienmitglieder). Dies gelte auch für die vorübergehende Überlassung, soweit es sich um Gäste im Rahmen des „Hausgebrauchs“ handele. Der Kunde dürfe den Dienst Dritten nicht zum alleinigen Gebrauch überlassen, oder weitervermieten. Der Kunde habe die Pflichten und Obliegenheiten, wie insbesondere den Zugangsschutz zu seinen Einrichtungen, zu wahren. Nach Nr. 11.7 obliegt dem Kunden die Einrichtung üblicher und angemessener Nutzungs- und Zugangssicherheit in eigener Verantwortung, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Gemäß Nr. 3.2 der AGB Fernsehen, Internet, Telefon und Mobilfunk der Tele Columbus Gruppe (Stand: April 2018) ist der Kunde verpflichtet, die Leistungen nicht an Dritte zur Nutzung zu überlassen, sofern die Nutzung für andere Zwecke nicht ausdrücklich vereinbart ist, und mit den ihn überlassenen PIN-Nummern und Passwörtern sorgfältig umzugehen und diese geheim zu halten (AGB abrufbar unter https://www.pyur.com/content/dam/pyur/download/AGB_04-2018.pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Nach Nr. 5.1, 5.3 S. 2 ist der Kunde zur Zahlung von nutzungsabhängigen, variablen Entgelten verpflichtet, die durch die Inanspruchnahme der Leistung entstehen. Wer die Leistungen in Anspruch nimmt, der Vertragspartner selbst oder Dritte, hat in der Klausel keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden, weshalb davon auszugehen ist, dass auch die Inanspruchnahme von Leistungen durch Dritte erfasst ist. Dieser vermeintliche Widerspruch lässt sich widerspruchsfrei dadurch auflösen, dass – wie bei den anderen Anbietern – bloß die vollständige Überlassung der Nutzung an Dritte in Nr. 3.2 untersagt wird, die zeitweise Nutzungsüberlassung jedoch vertraglich gestattet ist. Gemäß Nr. 12.6 ist der Kunde zur Geheimhaltung von Zugangsdaten verpflichtet und darf diese nicht an Dritte weitergeben. Weiter darf der Kunde solche Zugangsdaten nicht mehr im kundeneigenen Endgerät gespeichert lassen, sofern der Kunde das Endgerät an Dritte veräußert oder Dritten sonst zur Nutzung überlässt. Nach Nr. 8.10 S. 2 der AGB von Tele 2 (Stand: Dezember 2018) darf der Kunde die mit der Hardware überlassene SIM-Karte nicht Dritten zur Verfügung stellen (Allgemeine Geschäftsbedingungen Tele 2 Anschluss, abrufbar unter https://www.tele2. de/Service/Downloads/AGB.html, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Weiter muss er einen etwaigen Verlust der SIM-Karte unverzüglich über die Sperrrufnummer anzeigen und die Karte sperren lassen. Sofern der Kunde eine Sperrung der SIM-Karte nicht oder nur verspätet vornehmen lasse, hafte er für eine etwaige Inanspruchnahme Dritter, es sei denn, er habe die Inanspruchnahme sowie die nicht erfolgte bzw. verspätete Sperrung der SIM-Karte nicht zu vertreten. Gemäß Nr. 11.2 ist der Kunde
II. Zurechnung qua vertraglicher Vereinbarung283
3. Elektronischer Zahlungsverkehr
auch
zur Zahlung solcher Rechnungsbeträge verpflichtet, die durch Nutzung des Kundenanschlusses durch Dritte entstehen, sofern der Anschluss mit Einverständnis des Kunden durch Dritte genutzt wird. Gleiches gelte für eine unbefugte Nutzung des Anschlusses, wenn der Kunde die unbefugte Nutzung zu vertreten habe. Mobilfunk Beim Mobilfunk ist das Risiko einer (unbefugten) Nutzung durch Dritte naturgemäß größer als beim Festnetz, da aufgrund der Mobilität der Endgeräte eine größere Gefahr eines Drittzugriffs besteht, so etwa bei Diebstahl oder sonstigem Verlust. Entsprechend sehen die AGB von Mobilfunkanbietern spezielle Regelungen diesbezüglich vor. Gemäß Nr. 4.1 lit. e der AGB der Telekom hat der Kunde nach Verlust der SIMKarte für Mobilfunkleistungen nur die Preise zu zahlen, die bis zum Eingang der Meldung über den Verlust der Karte bei der Telekom angefallen sind. Nach Nr. 3.2 S. 2 der AGB von Vodafone (Stand: Juli 2019) gilt bei Mobilfunkleistungen, dass der Kunde Vodafone das Abhandenkommen oder die unbefugte Drittnutzung der Vodafone-SIM-Karte unverzüglich mitzuteilen hat (AGB der Vodafone GmbH, abrufbar unter http://www.vodafone.de/infofaxe/203.pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Bis zum Eingang der Mitteilung bei Vodafone hafte der Kunde für die durch unbefugte Drittnutzung entstandenen Entgelte, soweit er das Abhandenkommen oder die unbefugte Drittnutzung zu vertreten habe oder die Mitteilung an Vodafone nicht unverzüglich erfolgt sei. Gemäß Nr. 5.2 und 5.4 ist der Kunde verpflichtet, seine Vodafone-Karte sowie ihm mitgeteilte oder von ihm eingerichtete PIN und Kennwörter vor dem Zugriff unbefugter Dritter zu schützen. Kurioserweise enthalten die AGB von Vodafone somit zwar keine Bestimmungen zur Haftung bzw. Übernahme von Kosten, die durch die – wohl erlaubte – befugte Nutzung durch Dritte entstehen, allerdings liegt ein Erst-recht-Schluss nahe: wenn der Kunde in den beschriebenen Situationen (ausnahmsweise) auch für die unbefugte Drittnutzung haften muss, dann erst recht für die befugte, jedenfalls in den genannten Situationen. Nach Nr. 5.1 S. 2 der AGB von O2 (Stand: April 2019) hat der Kunde auch diejenigen Entgelte zu zahlen, die durch eine Nutzung der vertraglichen Leistungen durch Dritte angefallen sind, soweit nicht der Kunde nachweist, dass ihm die Inanspruchnahme der Leistungen durch den Dritten nicht zugerechnet werden kann (AGB der Telefonica Germany GmbH & Co. OHG für Mobilfunkleistungen, abrufbar unter https://www.o2online.de/recht/agb-und-infos/, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Im Falle des Verlustes der SIM-Karte gelte dies nur bis zum Eingang der Verlustmeldung des Kunden beim Anbieter. Gemäß Nr. 5.2 ist der Kunde weiter verpflichtet, seine persönlichen Passwörter und Zugangskennungen geheim zu halten und unverzüglich zu ändern bzw. ändern zu lassen, wenn die Vermutung besteht, dass nicht berechtigte Dritte davon Kenntnis erlangt haben. Nach Nr. 5.3 lit. b ist der Kunde verpflichtet, dem Anbieter unverzüglich mitzuteilen, wenn er seine SIM-Karte verliert oder diese auf sonstige Weise abhandenkommt. Nach Nr. 1.4 der „Besonderen Bestimmungen für Mobilfunkdienste“ von 1&1 (Stand: 08.2019) darf der Kunde die SIM-Karte ausschließlich selbst nutzen, oder den Personen zur Nutzung überlassen, die mit ihm unter der Kundenadresse in einem Haushalt leben, oder zur sonstigen sozialadäquaten privaten Nutzung (die „Besonderen Bestimmungen für Mobilfunkdienste“ sind ein Anhang der AGB der 1&1 Telecom GmbH, die unter http://var.uicdn.net/pdfs/1und1-Allgemeine-Geschaeftsbedin gungen.pdf abrufbar sind, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). Sei der Kunde Unter-
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H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
a) Vertragliche Zurechnungsbestimmungen Die Vertragsbeziehungen zwischen Banken und anderen Zahlungsdienstleistern auf der einen und deren Kunden auf der anderen Seite ist geprägt durch die zahlreichen, größtenteils zwingenden gesetzlichen Regelungen der §§ 675c–676c BGB, die in Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie (2007/64/EG) mit Wirkung zum 31. Oktober 2010 Eingang in das BGB gefunden haben. Gemäß § 675e Abs. 1 BGB ist ein Großteil der Vorschriften zwingendes Recht, von dem nicht zum Nachteil des Kunden abgewichen werden darf. Die in den AGB der Banken zur Ausgestaltung der Vertragsbeziehung mit ihren Kunden enthaltenen Bestimmungen bilden somit im Wesentlichen die gesetzlichen Vorgaben ab, und sind daher insoweit bloß deklaratorischer N atur. Die AGB der Banken orientieren sich hinsichtlich der allgemeinen Vertragsbeziehung zum Kunden sowie im Hinblick auf den elektronischen Zahlungsverkehr (Nutzung von Debitkarten; Online-Banking) an den Muster-AGB des Bankenverbandes,15 die daher im Folgenden beispielgebend betrachtet werden. nehmer,
sei auch die Überlassung an betriebsangehörige Personen oder eine betriebsadäquate Nutzung zulässig. Eine darüberhinausgehende Überlassung der Karte an Dritte sei nicht möglich. Der Kunde bleibe für die Nutzung soweit verantwortlich, wie er die Nutzung durch Dritte zu vertreten habe. Gemäß Nr. 2.1 hat der Kunde für die üblichen und angemessenen Schutzmaßnahmen zu sorgen, damit Dritte die SIMKarte bzw. sein Endgerät nicht missbräuchlich nutzen können (Code-Sperre, Schutz gegen Diebstahl). Nach Nr. 2.2 hat der Kunde das Abhandenkommen oder die unbefugte Drittnutzung der SIM-Karte unverzüglich mitzuteilen. Der Anbieter werde die SIM-Karte sofort sperren und dem Kunden eine neue Karte zur Verfügung stellen. Unterlasse der Kunde die unverzügliche Mitteilung, hafte er für verschuldete Fremdnutzung, die bei unverzüglicher Mitteilung vermieden worden wäre. Bei unverzüg licher Mitteilung hafte er nur für die bis zum Eingang der Mitteilung geführten Gespräche und nur bis zu EUR 50. Die betragsmäßige Haftungsbegrenzung gelte nicht, wenn der Kunde das Abhandenkommen oder die unbefugte Drittnutzung vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht habe. 14 Ausführlicher dazu unter H.III.2.a). 15 Muster-AGB der Bedingungen für die Girocard (Stand: 06.2016), abrufbar unter https://bankenverband.de/media/uploads/2016/07/20/45401_girocard_0616_muster. pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020: Debitkarten (1) Autorisierung von Zahlungen durch den Karteninhaber Nach Nr. 7 der MusterAGB des Bankenverbandes erteilt der Karteninhaber mit dem Einsatz der Karte die Zustimmung (Autorisierung) zur Ausführung der Kartenzahlung. Soweit dazu zusätzlich eine PIN oder die Unterschrift erforderlich ist, werde die Zustimmung erst mit deren Einsatz erteilt. Nach Erteilung der Zustimmung könne der Karteninhaber die Kartenzahlung nicht mehr widerrufen. (2) Haftung der Bank für nicht autorisierte Kartenverfügungen Gemäß Nr. 12.1 hat die Bank gegen den Kontoinhaber keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen im Falle einer nicht autorisierten Kartenverfügung (etwa in Form von Barabhe-
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b) Kernbestandteile des elektronischen Zahlungsverkehrs Die vertragliche Ausgestaltung der Nutzung von Debitkarten und OnlineÜberweisungen verläuft somit im Wesentlichen parallel, insbesondere im Hinblick auf die Verteilung des Haftungsrisikos zwischen der Bank und dem Kunden. Im Mittelpunkt steht stets die Autorisierung durch den Karten- bzw. bungen am Geldautomaten). Die Bank sei verpflichtet, dem Kontoinhaber den Betrag unverzüglich und ungekürzt zu erstatten. Nach Nr. 12.3 kann der Kontoinhaber einen darüberhinausgehenden Schaden im Falle einer nicht autorisierten Kartenverfügung grundsätzlich von der Bank ersetzt verlangen, es sei denn, die Bank hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Nach Nr. 13.2 übernimmt die Bank alle nach Anzeige des Verlustes oder Diebstahls der Karte, der missbräuchlichen Verwendung oder einer sonstigen nicht autorisierten Nutzung von Karte oder PIN bei der Bank bzw. dem Zentralen Sperrannahmedienst durch Verfügungen entstehenden Schäden. Handele der Karteninhaber in betrügerischer Absicht, trage der Kontoinhaber auch die nach der Sperranzeige entstehenden Schäden. (3) Aufbewahrungs-, Geheimhaltungs- und Informationspflichten des Bankkunden Gemäß Nr. 6.2 muss der Bankkunde die Debitkarte mit besonderer Sorgfalt aufbewahren, um zu verhindern, dass sie abhandenkommt oder missbräuchlich verwendet wird. Sie dürfe insbesondere nicht unbeaufsichtigt in einem Kraftfahrzeug aufbewahrt werden, da sie missbräuchlich eingesetzt werden könne. Nach Nr. 6.3 hat der Karteninhaber dafür Sorge zu tragen, dass keine anderen Personen Kenntnis von der persönlichen Geheimzahl (PIN) erlangen. Die PIN dürfe insbesondere nicht auf der Karte vermerkt oder in anderer Weise zusammen mit dieser aufbewahrt werden. Gemäß Nr. 6.4 (1) ist die Bank bzw. die kontoführende Stelle oder der Zentrale Sperrannahmedienst unverzüglich zu benachrichtigen, wenn der Karteninhaber den Verlust oder Diebstahl seiner Karte, die missbräuchliche Verwendung oder eine sonstige nicht autorisierte Nutzung von Karte und PIN feststellt (Sperranzeige). Der Karteninhaber habe jeden Diebstahl oder Missbrauch unverzüglich bei der Polizei anzuzeigen. Nach Nr. 6.4 (2) muss der Karteninhaber ebenfalls unverzüglich eine Sperranzeige machen, wenn er den Verdacht hat, dass eine andere Person unberechtigt in den Besitz seiner Karte gelangt ist, eine missbräuchliche Verwendung oder eine sonstige nicht autorisierte Nutzung von Karte und PIN vorliegt. Gemäß Nr. 6.2 (5) hat der Kontoinhaber die Bank unverzüglich nach Feststellung einer nicht autorisierten Kartenverfügung zu unterrichten. (4) Haftung des Kontoinhabers für Pflichtverletzungen des Karteninhabers Gemäß Nr. 13.1 (1) haftet der Kontoinhaber für Schäden, die bis zum Zeitpunkt der Sperranzeige verursacht werden, in einer Höhe von maximal EUR 150, wenn der Karten inhaber eine Karte oder PIN verliert, sie ihm gestohlen werden oder sonst abhandenkommen und es dadurch zu nicht autorisierten Kartenverfügungen kommt, ohne dass es darauf ankommt, ob den Karteninhaber an dem Verlust, Diebstahl oder sonstigen Abhandenkommen der Karte ein Verschulden trifft. Nach Nr. 13.1 (2) haftet der Kontoinhaber für die entstandenen Schäden bis zu einem Betrag von maximal EUR 150, wenn der Karteninhaber seine Pflicht zur sicheren Aufbewahrung von Karte oder PIN schuldhaft verletzt hat und es vor der Sperranzeige zu nicht autorisierten Kartenverfügungen kommt, ohne dass ein Verlust, Diebstahl oder ein sonstiges Abhandenkommen der Karte oder PIN vorliegt. Gemäß Nr. 13.1 (5) trägt der Kontoinhaber den
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Kontoinhaber selbst. Eine Autorisierung durch Dritte soll nach den Vertragsbestimmungen weder aufgrund des Anscheins einer Autorisierung noch aufgrund freiwilliger Weitergabe der Authentifizierungsmittel wie Debitkarte und PIN möglich sein, wie das vertragliche Verbot einer solchen Weitergabe zeigt. Bei nicht durch den Karten- bzw. Kontoinhaber autorisierten Buchungen haftet grundsätzlich die Bank. Allerdings steht ihr ein vertraglicher entstandenen
Schaden in vollem Umfang, wenn es vor der Sperranzeige zu nicht autorisierten Verfügungen kommt und der Karteninhaber seine Sorgfaltspflichten nach diesen Bedingungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt oder in betrügerischer Absicht gehandelt hat. Grobe Fahrlässigkeit des Karteninhabers könne insbesondere dann vorliegen, wenn er den Verlust, Diebstahl oder die missbräuchliche Verfügung der Bank oder dem Zentralen Sperrannahmedienst nicht unverzüglich mitgeteilt hat, die persönliche Geheimzahl auf der Karte vermerkt oder zusammen mit der Karte verwahrt war oder die persönliche Geheimzahl einer anderen Person mitgeteilt hat und der Missbrauch dadurch verursacht wurde. Online-Banking (bei Überweisungen) (1) Autorisierung von Zahlungen Nach Nr. 4.1 (1) der AGB für das Online-Banking der Postbank (Stand: 11.08.2019), die insoweit beispielgebend herangezogen werden, muss der Kunde Online-Banking-Aufträge zu deren Wirksamkeit mit dem vereinbarten Authentifizierungselement (TAN) autorisieren (Besondere Bedingungen (AGB) zum Postbank Online-Banking der Deutschen Postbank AG, abrufbar unter https:// www.postbank.de/privatkunden/docs/Postbank-Online-Banking-Besondere-Bedingun gen-923-999-000-0719.pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020). (2) Haftung der Bank für nicht autorisierte Zahlungen Gemäß Nr. 10.1 der AGB richtet sich die Haftung der Bank bei einer nicht autorisierten Online-Banking Verfügung im Falle einer elektronischen Überweisung nach den Besonderen Bedingungen für den Überweisungsverkehr (siehe dazu auch die Muster-AGB des Bankenverbandes für den Überweisungsverkehr, abrufbar unter https://bankenverband.de/media/ uploads/2016/07/14/48001_0416_muster.pdf, zuletzt abgerufen am 30.08.2020: Nach der dortigen Nr. 2.3.1 hat die Bank im Falle einer nicht autorisierten Überweisung gegen den Kunden keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen. Sie sei verpflichtet, dem Kunden den Überweisungsbetrag unverzüglich zu erstatten. Gemäß Nr. 2.3.3 (1) kann der Kunde von der Bank einen Schaden, der nicht bereits davon erfasst ist, grundsätzlich ersetzt verlangen, es sei denn die Bank hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten.). (3) Aufbewahrungs-, Geheimhaltungs-, Informations- und sonstige Sorgfaltspflichten des Kontoinhabers Gemäß Nr. 7.1 (2) (a) der AGB für das Online-Banking der Postbank hat der Nutzer Wissenselemente, wie das Online-Banking Passwort, geheim zu halten, und diese nicht außerhalb des Online-Banking in Textform weiterzugeben und nicht ungesichert elektronisch zu speichern. Nach Nr. 7.1 (2) (b) sind Besitzelemente, wie z. B. die Debitkarte mit TAN-Generator oder ein mobiles Endgerät, vor Missbrauch zu schützen, insbesondere sind die Debitkarte mit TAN-Generator oder die Signaturkarte vor dem unbefugten Zugriff anderer Personen sicher zu verwahren; zudem ist sicherzustellen, dass unberechtigte Personen auf das mobile Endgerät des Teilnehmers (z. B. Mobiltelefon) nicht zugreifen können und dafür Sorge zu tragen, dass andere Personen die auf dem mobilen Endgerät befindliche Anwendung für das Online-Banking (z. B. Online-Banking-App, Authentifizierungs-App) nicht nutzen können; weiter ist die Anwendung für das Online-Banking auf dem mobilen Endgerät
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chadensersatzanspruch in entsprechender Höhe zu, wenn der Karten- bzw. S Kontoinhaber eine (neben-)vertragliche Pflicht verletzt hat, indem er etwa die PIN an Dritte weitergegeben oder die Bank nicht unverzüglich im Zuge einer Sperranzeige über den Diebstahl oder Verlust der Authentifizierungsmittel informiert hat. Mit diesem Anspruch kann die Bank gegen den Er stattungsanspruch des Kunden aufrechnen. Zur Beweislastverteilung ergeben sich aus den Vertragsbestimmungen keine Besonderheiten. Die Zurechnung von Handlungen Dritter wie Geldabhebungen oder elektronische Überweisungen durch – unbekannte oder bekannte – Dritte ist in den Verträgen auf den ersten Blick durch Definition einer Reihe von Vertragspflichten ausgeformt, deren Verletzung eine Haftung des Verpflichteten auslöst. Auf den zweiten Blick ist dies jedoch bloß eine vertraglich nachgezeichnete Definition der bereits bestehenden Risikosphären von Bank und Kunden. Der vertraglich definierte Pflichtenkreis deckt sich mit der Risikosphäre, die die Bank respektive der Kunde jeweils beherrschen. Für Geschehnisse aus der Risikosphäre des Kunden haftet dieser, beispielsweise für die Weitergabe der PIN an Dritte, deren unsorgfältige Aufbewahrung oder für eine verspätete Sperranzeige gegenüber der Bank. Hingegen haftet die Bank, wenn es trotz Sperranzeige noch zu Buchungen (durch Dritte) kommt.
des
Teilnehmers zu deaktivieren, bevor der Teilnehmer den Besitz an diesem mobilen Endgerät aufgibt (z. B. im Rahmen eines Verkaufs des Mobiltelefons). Gemäß Nr. 8.1 (1) muss der Nutzer die Bank unverzüglich über den Verlust oder den Diebstahl eines Besitzelements zur Authentifizierung, die missbräuchliche Verwendung oder die sonstige nicht autorisierte Nutzung eines Authentifizierungselements unterrichten (Sperranzeige). Dies gilt nach Nr. 8.1 (3) ebenfalls, wenn der Nutzer den Verdacht einer nicht autorisierten oder betrügerischen Verwendung eines seiner Authentifizierungselemente hat. Gemäß Nr. 8.2 hat der Nutzer die Bank unverzüglich nach Feststellung eines nicht autorisierten Auftrags hierüber zu unterrichten. (4) Haftung des Kontoinhabers Gemäß Nr. 10.2.1 (1) haftet der Kunde für den der Bank entstandenen Schaden grundsätzlich bis zu einem Betrag von EUR 50, wenn nicht autorisierte Zahlungsvorgänge vor der Sperranzeige auf der Nutzung eines verloren gegangenen, gestohlenen oder sonst abhandengekommenen Authentifizierungselements beruhen, ohne dass es darauf ankommt, ob den Kunden an dem Verlust oder Diebstahl des Authentifizierungselements ein Verschulden trifft. Gemäß Nr. 10.2.1 (3) trägt der Kunde einen entstandenen Schaden in vollem Umfang, wenn es vor der Sperranzeige zu nicht autorisierten Zahlungsvorgängen kommt und der Kunde in betrügerischer Absicht gehandelt oder seine Sorgfaltspflichten nach diesen Bedingungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Nach Nr. 10.2.3 übernimmt die Bank alle nach einer Sperranzeige durch nicht autorisierte Online-Banking-Verfügungen entstehenden Schäden, sobald sie eine Sperranzeige eines Kunden erhalten hat. Dies gelte nicht, wenn der Kunde in betrügerischer Absicht gehandelt habe.
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III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung 1. Daseinsvorsorge a) Spezialgesetzlicher Rahmen Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), die Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV), die Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV), die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) und die Allgemeine Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) enthalten keine Regelungen über die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte. In § 12 Abs. 1 AVBWasserV und AVBFernwärmeV ist bloß die Verantwortlichkeit des Anschlussnehmers für die Errichtung, Erweiterung, Änderung und Unterhaltung der Kundenanlage geregelt. Wenn der Kunde die Anlage einem Dritten vermietet oder sonst zur Benutzung überlässt, so ist er neben dem Dritten verantwortlich. Es geht dabei nicht um die Zurechnung von Leistungsentnahmen, sondern bloß um die Ordnungsgemäßheit der Anlage. Nach § 22 Abs. 1 AVBWasserV und AVBFernwärmeV wird das Wasser bzw. die Wärme nur für die eigenen Zwecke des Kunden und seiner Mieter (und ähnlich berechtigter Personen)16 zur Verfügung gestellt. Die Weiterleitung an Dritte sei nur mit schriftlicher Zustimmung des Wasser- bzw. Fernwärmeversorgungsunternehmens zulässig. Aus der Formulierung wird deutlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass natürlich nicht nur der Kunde, sondern auch sonstige Personen Wasser und Fernwärme unmittelbar dem Anschluss entnehmen und nutzen. Eine Vorschrift über die Zurechnung solcher Leistungsentnahmen enthält das Gesetz jedoch nicht. Im Übrigen enthalten § 6 Abs. 1 StromGVV und GasGVV sowie § 5 Abs. 1 AVBWasserV und AVBFernwärmeV bloß die Verpflichtung des Versorgungsunternehmens, die Leistung im vereinbarten Umfang am Ende des Anschlusses (Übergabepunkt) bereitzustellen. Wer diese Leistung dann dort entnimmt oder entnehmen darf, ist nicht geregelt. b) Die Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat sich mit der Zurechnung von Leistungsentnahmen Dritter meist bloß vor dem Hintergrund eines möglichen Vertragsschlusses mit Dritten zu befassen.17 Die Zurechnung zu einem bestehenden Vertrags16 Dieser Passus findet sich bloß in § 22 Abs. 1 AVBWasserV, nicht aber in § 22 Abs. 1 AVBFernwärmeV. 17 Siehe dazu unter A.III.2.e).
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kunden eines Versorgungsunternehmens ist hingegen nicht Gegenstand dieser Rechtsprechung. Besteht für einen Versorgungsanschluss bereits ein Vertrag mit einem Vertragskunden, so erfolgt die Lieferung stets auf dieser Vertragsgrundlage. Ein weiterer, zusätzlicher Vertrag mit einem Dritten soll durch die Leistungsentnahme durch diesen dann nicht zustandekommen.18 In wenigen Fällen deutet die Rechtsprechung jedoch an, wie sie die Zurechnung von Leistungsentnahmen Dritter bei einem bestehenden Versorgungsvertrag sieht. Maßgeblich scheint die vertragliche Übernahme der Haftung des Vertragskunden für die am Versorgungsanschluss (Übergabepunkt) entnommene Leistung zu sein, die durch den dort angebrachten (Strom-)Zähler gemessen wird, unabhängig davon, welche Person die Leistung tatsächlich entnimmt.19 Zwar geht es im zitierten Fall nicht um die Zuordnung einer Stromlieferung auf Kundenseite, sondern darum, welchem Versorgungsunternehmen die Stromlieferung als deren Lieferanten zuzurechnen ist. Jedoch lässt sich der Grundgedanke der Argumentation, wonach es für die Zahlungsverpflichtung eines Stromkunden darauf ankomme, welche Menge an Strom im Abrechnungszeitraum der Stromzähler messe, der bei Vertragsschluss gegenüber dem Versorgungsunternehmen angegeben worden ist,20 verallgemeinern und auf Kundenseite spiegeln. Demnach haftet der (Strom-)Kunde vertraglich nur – aber eben auch – für diejenigen Leistungsentnahmen, die durch den bei Vertragsschluss angegebenen Stromzähler (Zählernummer) gemessen werden, soweit keine Messfehler bestehen, unabhängig davon, welche Person die Leistungen tatsächlich entnimmt. Dieser Eindruck verfestigt sich bei Betrachtung eines anderen Falles, in dem die Mieterin eines Grundstücksteils nach Ansicht der Rechtsprechung deshalb auch für den Leistungsverbrauch der Mieter der anderen Grundstücksteile gegenüber dem Versorgungsunternehmen vertraglich hafte, weil sich der einzige Zähler des Grundstücks auf ihrem Grundstücksteil befinde.21 Ihr Verbrauch und derjenige der anderen Mieter könne mangels getrennter Zähler nicht separat erfasst werden, weshalb die Willenserklärung des Versorgungsunternehmens bei Vertragsschluss aus der objektiv-normativen Sicht des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss so auszulegen sei, dass das Unternehmen den Versorgungsvertrag nur mit ihm, nicht aber zugleich auch mit den Mietern der anderen Grundstücksteile abschließen wolle.22 Es komme darauf an, ob es der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt gebilligt habe, dass andere Nutzer die Lieferungen verbrauchten.23 18 Siehe 19 OLG 20 OLG 21 OLG 22 OLG 23 OLG
dazu ebenso unter A.III.2.e). Schleswig-Holstein, Urt. v. 14.3.2016 – 14 U 52/15 Rn. 18 ff. (juris). Schleswig-Holstein, Urt. v. 14.3.2016 – 14 U 52/15 Rn. 18 (juris). Celle, Urt. v. 12.4.2012 – 13 U 105/11 Rn. 9 ff. (juris). Celle, Urt. v. 12.4.2012 – 13 U 105/11 Rn. 13 (juris). Celle, Urt. v. 12.4.2012 – 13 U 105/11 Rn. 14 (juris).
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2. Telekommunikation a) Spezialgesetzlicher Rahmen § 45i TKG enthält Regelungen zur Beweislastverteilung bei und zur Zurechnung von zwischen einem Telekommunikationsanbieter und einem Teilnehmer streitigen Entgeltforderungen. Nach § 45i Abs. 3 S. 1 TKG obliegt dem Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikationsdiensten der Nachweis, dass er den Telekommunikationsdienst oder den Zugang zum Telekommunikationsnetz bis zum Übergabepunkt, an dem dem Teilnehmer der Netzzugang bereitgestellt wird, technisch fehlerfrei erbracht hat. Nach § 45i Abs. 3 S. 2 TKG wird widerleglich vermutet, dass das in Rechnung gestellte Verbindungsaufkommen des jeweiligen Anbieters unrichtig ermittelt ist, wenn eine technische Prüfung Mängel aufzeigt, die sich auf die Berechnung des beanstandeten Entgelts zu Lasten des Teilnehmers ausgewirkt haben können, oder zwischen der Beanstandung des Teilnehmers und der technischen Prüfung mehr als zwei Monate liegen. Gemäß § 45i Abs. 4 S. 1 TKG hat der Anbieter zudem keinen Anspruch auf ein Entgelt gegen den Teilnehmer, soweit der Teilnehmer nachweist, dass ihm die Inanspruchnahme von Leistungen des Anbieters nicht zugerechnet werden kann. Dies ist die Nachfolgevorschrift für § 16 Abs. 3 S. 3 TKV 1997, wonach der Anbieter nicht berechtigt war, die betreffenden Verbindungsentgelte vom Kunden zu fordern, wenn der Nachweis erbracht ist, dass der Netzzugang in einem vom Kunden nicht zu vertretenden Umfang genutzt wurde.24 Nach § 45i Abs. 4 S. 2 TKG entfällt der Anspruch auf Entgelt schließlich auch dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Dritte durch unbefugte Veränderungen an öffent lichen Telekommunikationsnetzen das in Rechnung gestellte Verbindungsentgelt beeinflusst haben. b) Die Rechtsprechung aa) Gleichsetzung von Zurechnung und Vertretenmüssen des Teilnehmers Die Rechtsprechung hält das Tatbestandsmerkmal der Zurechnung der Inanspruchnahme von Leistungen in § 45i Abs. 4 S. 1 TKG für inhaltsgleich mit dem früher im Gesetz geregelten Merkmal des zu vertretenden Umfangs der Nutzung aus § 16 Abs. 3 S. 3 TKV 1997, so dass weiterhin der Maßstab des § 276 Abs. 1 BGB gelte.25 In der Sache habe sich durch die mit der 24 § 16
Abs. 3 S. 3 TKV 1997 ist seit 23.2.2007 außer Kraft. Urt. v. 19.7.2012 – III ZR 71/12 Rn. 16 (juris) = NJW 2012, 2878 (2879); Urt. v. 17.2.2011 – III ZR 35/10 Rn. 19 (juris) = BGHZ 188, 351 (356). 25 BGH,
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esetzesänderung modifizierte Begrifflichkeit nichts geändert;26 dies ergebe G sich auch aus der entsprechenden Regierungsbegründung.27 bb) Zurechnung auch zum Vertragsschluss Die Rechtsprechung wendet § 45i Abs. 4 S. 1 TKG nicht nur im Verhältnis zwischen dem Anbieter von Telekommunikationsdiensten, der dem Teilnehmer den Anschluss auf vertraglicher Grundlage bereitstellt, und dem Teilnehmer an, wenn sich beide über die Inanspruchnahme von Leistungen uneinig sind, insbesondere über die Höhe des zu entrichtenden Verbindungsentgelts, sondern auch im Verhältnis zwischen dem Teilnehmer und Dritten, beispielsweise Anbietern sog. Mehrwertdienste, die bislang noch nicht Vertragspartner des Anschlussinhabers sind.28 § 45i Abs. 4 S. 1 TKG soll auch zur Zurechnung von Nutzungsverhalten und damit zum Abschluss eines Vertrages zwischen dem Anschlussinhaber und dem Dritten führen. Zwar sei in der bloßen Gestattung der Anschlussnutzung keine konkludente Bevollmächtigung zu Vertragsabschlüssen zu sehen,29 und es könne – jedenfalls bei nicht dauer haftem oder häufig auftretendem Nutzungsverhalten – mangels individuellen Vertrauenstatbestandes regelmäßig keine Anscheinsvollmacht vorliegen;30 26 So auch Schadow, in: Scheurle/Mayen, TKG, § 45i Rn. 7; Schlotter, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, § 45i Rn. 29; Schneider, Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, S. 205 f. 27 BR-Drs. 92/05, S. 34. 28 Grundlegend noch zur Vorgängervorschrift § 16 Abs. 3 S. 3 TKV 1997: BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 19 (juris) = BGHZ 166, 369 (374 f.); später dann auch das OLG Köln, Urt. v. 22.1.2010 – 6 U 133/09 Rn. 7 (juris); LG Münster, Urt. v. 22.12.2011 – 6 S 25/11 Rn. 17 (juris); AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.7.2010 – 106 C 26/10 Rn. 25 ff. (juris) = MMR 2010, 817 (818); LG Braunschweig, Urt. v. 26.2.2010 – 8 S 289/09 (026) Rn. 16 (juris); AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 67 (juris); LG Bochum, Urt. v. 29.4.2009 – 4 O 408/08 Rn. 27 f. (juris); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 24, 34 f. (juris) = CR 2010, 173 (174 f.); bereits zuvor schon in diese Richtung BGH, Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 19 ff. (juris) = BGHZ 158, 201 (205 ff.); anders jedoch BGH, Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 Rn. 31 ff., 36 (juris) = BGHZ 214, 324 (334 f.; 337) für Fälle, in denen der Mehrwertdienst bloß der Zahlung von Leistungen dient und deshalb als Zahlungsdienst anzusehen ist, der den spezielleren Vorschriften des Zahlungsdiensterechts unterfällt. 29 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 14 (juris) = BGHZ 166, 369 (373); siehe zudem BGH, Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 Rn. 34 (juris) = BGHZ 214, 324 (335); in diese Richtung ebenso Ditscheid/Rudloff, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 45i Rn. 4 f. 30 BGH, Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 Rn. 35 (juris) = BGHZ 214, 324 (335 ff.); Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 16 f. (juris) = BGHZ 166, 369 (373 ff.); anders zuvor noch LG Paderborn, Urt. v. 30.11.2004 – 5 S 142/04 (Ls.) (juris) =
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auch sei die bloße Unterhaltung eines funktionstüchtigen Telefonanschlusses kein hinreichender Vertrauenstatbestand.31 Jedoch sei der Rechtsgedanke, der der Anscheinsvollmacht zugrunde liege, nach dem ein Teilnehmer am Rechtsverkehr für das seiner Risikosphäre zuzurechnende Verhalten Dritter auch vertraglich einzustehen habe, im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen über die herkömmlichen Fallgruppen hinaus anwendbar, was in § 45i Abs. 4 TKG eine rechtliche Grundlage finde.32 Auf einen individuell geschaffenen Vertrauenstatbestand komme es nicht an, da es sich bei der Erbringung von Verbindungsdienstleistungen um ein praktisch vollständig technisiertes, anonymes Massengeschäft handle. Im Ergebnis haftet der Anschlussinhaber somit vertraglich für die Bezahlung des Entgelts, unabhängig davon, ob er den Vertrag durch Anwahl des Mehrwertdienstes unmittelbar selbst geschlossen hat oder ein Dritter, etwa ein (minderjähriger) Familienangehöriger oder ein Gast, soweit dem Anschlussinhaber das Verhalten des Dritten zuzurechnen ist. Für die Anwendbarkeit des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG zumindest auf Mehrwertdienste spreche der Schutzcharakter der Vorschrift, der dem Teilnehmer auch bei Mehrwertdiensten zu Gute kommen soll.33 Weiter wird auf den in § 1 TKG hinterlegten Zweck des Gesetzes hingewiesen, durch technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation sowie leistungsfähige Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern, und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. Zudem wird darauf abgestellt, dass nach § 3 Nr. 17a TKG Mehrwertdienste ausdrücklich vom Gesetz erfasst sind, so dass § 45i Abs. 4 S. 1 TKG ebenfalls auf diese anwendbar sein müssten.34 Die Nutzung des Netzzugangs falle in den Gefahren- und Risikobereich des Anschlussinhabers bzw. des Endnutzers, da der Anbieter über das Nutzungsverhalten des Anschlussinhabers oder autorisierter Dritter keine Kenntnis
MMR 2005, 480; AG Fürth (Odenwald), Urt. v. 11.10.2004 – 1 C 59/04 (13) Rn. 4 (juris) = MMR 2005, 489; AG Nettetal, Urt. v. 9.6.2004 – 19 C 91/04 Rn. 5 (juris) = MMR 2005, 490. 31 BGH, Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 Rn. 36 (juris) = BGHZ 214, 324 (337); Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 18 (juris) = BGHZ 166, 369 (375). 32 So BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 19 (juris) = BGHZ 166, 369 (375 f.), noch zur Vorgängervorschrift § 16 Abs. 3 S. 3 TKV 1997; ebenso Ditscheid/ Rudloff, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 45i Rn. 4 f. 33 LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 24 (juris) = CR 2010, 173 (174); anders hingegen bei Mehrwertdiensten, die bloß der Zahlung von Leistungen dienen und damit Zahlungsdienste sind: BGH, Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 Rn. 36 ff. (juris) = BGHZ 214, 324 (337 ff.). 34 LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 24 (juris) = CR 2010, 173 (174).
III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung293
habe und auch nicht haben könne;35 Anbieter von Mehrwertdiensten seien daher ebenso durch § 45i Abs. 4 S. 1 TKG vor einer Haftung für missbräuchliches Nutzungsverhalten (Dritter) geschützt.36 Dabei wird § 45i Abs. 4 S. 1 TKG weit verstanden. Die Rechtsprechung rechnet nach dieser Regelung nicht nur Mehrwertdienste dem Anschlussinhaber zu, deren Leistung sich in dem Anruf bzw. der Telekommunikationsverbindung selbst erschöpfen, wie etwa ein R-Gespräch, ein Auskunftsdienst,37 ein telefonischer Kundenservice, ein sonstiges Beratungsgespräch oder telefonische Gewinnspiele, sondern auch solche, deren Leistung darüber hinausgehen, wie etwa ein KlingeltonAbo.38 Wird die Telefonverbindung zu einem Mehrwertdienst jedoch bloß zur Abrechnung von Leistungen genutzt, wie der Freischaltung eines OnlineSpiels oder einzelner Spiel-Funktionen, soll § 45i Abs. 4 S. 1 TKG wegen der Einschlägigkeit und Vorrangigkeit der Spezialvorschriften des Zahlungsdiensterechts nicht anwendbar sein.39 cc) Zurechnung nach Verantwortungssphären Grundsätzlich sei ein Teilnehmer (Anschlussinhaber) gemäß den Regelungen in § 45i Abs. 3 S. 1, Abs. 4 TKG auch für Verbindungen vergütungspflichtig, die ohne seine Billigung hergestellt werden, soweit die Ursachen dafür in seiner technischen Sphäre lägen.40 Die Vorschrift grenze die Risikosphären zwischen dem Anbieter und dem Teilnehmer unter dem objektivierten Gesichtspunkt des Vertretenmüssens der Anschlussnutzung ab.41 Für seinen Lebensbereich – in der Regel bis zur Wohnungs- bzw. Grundstücks-
35 AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.7.2010 – 106 C 26/10 Rn. 27 (juris) = MMR 2010, 817 (818 f.). 36 LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 24 (juris) = CR 2010, 173 (174). 37 LG Münster, Urt. v. 22.12.2011 – 6 S 25/11 Rn. 4 (juris). 38 AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.7.2010 – 106 C 26/10 Rn. 2, 21 ff. (juris); Urt. v. 7.8.2009 – 15 C 423/08 Rn. 4 ff. (juris) = MMR 2009, 783 f.; wohl auch AG Horb, Urt. v. 28.10.2014 – 1 C 257/14 Rn. 21 (juris). 39 BGH, Urt. v. 6.4.2017 – III ZR 368/16 Rn. 36 ff. (juris) = BGHZ 214, 324 (337 ff.); AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 71 ff. (juris); anders das LG Braunschweig, Urt. v. 26.2.2010 – 8 S 289/09 (026) Rn. 15 (juris); AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 25 ff. (juris) = CR 2010, 35 (36), die eine Anwendbarkeit der Vorschrift auch in diesen Konstellationen bejahen. 40 BGH, Urt. v. 19.7.2012 – III ZR 71/12 Rn. 15, 27 (juris) = NJW 2012, 2878 ff.; Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 19 ff. (juris) = BGHZ 158, 201 (205 ff.). 41 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 19 (juris) = BGHZ 166, 369 (375 f.); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 35 (juris) = CR 2010, 173 (175).
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grenze – trage der Teilnehmer die Verantwortung.42 Er müsse nach dem Maßstab der Sorgfaltsanforderungen des § 276 Abs. 1 BGB alle zumutbaren, geeigneten Vorkehrungen gegen eine missbräuchliche Nutzung treffen; zumutbar seien ihm sämtliche Maßnahmen, die einem verständigen Durchschnittskunden bekannt seien und mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden könnten.43 Tue er dies, treffe ihn keine Vergütungspflicht, obwohl die missbräuchliche Nutzung aus seiner technischen Sphäre stamme. Gewähre der Teilnehmer anderen Personen Zugang zu seinem Anschluss, müsse er sich deren Verhalten gemäß § 278 BGB analog zurechnen lassen,44 allerdings nur, wenn tatsächlich zwischen demjenigen, der das Entgelt fordert, und dem Teilnehmer bereits ein Schuldverhältnis bestehe.45 Zur technischen (Risiko-) Sphäre des Teilnehmers gehört nicht nur dessen Telekommunikationsendgerät, über dessen unmittelbaren Zugang durch Dritte der Teilnehmer bestimmen kann, sondern auch der in dem Endgerät enthaltene Datenbestand. Wird das Endgerät jedoch auf elektronischem Weg von außen durch Dritte manipuliert, etwa durch sog. Dialer von Mehrwertdiensten, die über den Anbieter abgerechnet werden, so weist die Rechtsprechung das damit verbundene Risiko grundsätzlich dem Anbieter zu, da dieser von der missbrauchsanfälligen Technik wirtschaftlich profitiere.46 dd) Zur Zurechnung führende Sorgfaltswidrigkeiten im Einzelnen (1) Sorgfaltswidrigkeit des Anschlussinhabers Außer bei einer bewussten Duldung (Vorsatz)47 rechnet die Rechtsprechung das Nutzungsverhalten Dritter dem Anschlussinhaber zu, wenn dieser sich fahrlässig, also sorgfaltswidrig verhalten hat.48 Er müsse durch geeignete Vorkehrungen eine missbräuchliche Nutzung seines Telekommunikationsan42 AG
Horb, Urt. v. 28.10.2014 – 1 C 257/14 Rn. 30 (juris) = MMR 2015, 621. Urt. v. 19.7.2012 – III ZR 71/12 Rn. 15 (juris) = NJW 2012, 2878 ff.; Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 22 (juris) = BGHZ 166, 369 (377). 44 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 21 (juris) = BGHZ 166, 369 (376 f.); Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 32 (juris) = BGHZ 158, 201 (209); siehe zur (analogen) Anwendung des § 278 BGB bereits unter H.I.2. 45 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 21 (juris) = BGHZ 166, 369 (376 f.); siehe dazu auch unter H.I.2. 46 BGH, Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 21 ff., 29 (juris) = BGHZ 158, 201 (205 ff., 208), wobei der BGH diese Risikoverteilung nicht unmittelbar in § 16 Abs. 3 S. 3 TKV 1997 geregelt sah, sondern einer ergänzenden Auslegung des Vertrages zwischen dem Anbieter und dem Teilnehmer entnahm. 47 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 22 (juris) = BGHZ 166, 369 (377). 48 Siehe unter H.III.2.b)cc). 43 BGH,
III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung295
schlusses verhindern.49 Er trage grundsätzlich das Missbrauchsrisiko, sofern nicht außergewöhnliche Umstände vorlägen.50 Sorgfaltswidrig könne im Einzelfall sein, dass der Anschlussinhaber von der Möglichkeit, die eigene Rufnummer in eine Sperrliste für konkrete Mehrwertdienste wie R-Gespräche aufzunehmen, keinen Gebrauch mache.51 Auch das Unterlassen der Aussprache eines ausdrücklichen Verbots gegenüber Dritten, etwa minderjährigen Familienmitgliedern, für bestimmte Nutzungen des Anschlusses könne sorgfaltswidrig sein, soweit es für ein solches Verbot einen konkreten Anlass gebe, insbesondere wenn die Nutzung des betroffenen Mehrwertdienstes oder dessen hohe Kostenträchtigkeit einem durchschnittlich aufmerksamen Telefonkunden geläufig sein würden.52 Bleibe die Aussprache des Verbots erfolglos, müsse der Anschlussinhaber entsprechende Sperrungen veranlassen.53 Generell müsse der Anschlussinhaber einem Missbrauch bzw. einem irregulären Kostenanstieg unverzüglich entgegenwirken, wenn ihm dieser bekannt werde, etwa aufgrund eines ausdrücklichen diesbezüglichen Warnhinweises des Anbieters oder durch Blick in die turnusmäßige Rechnung,54 oder wenn ihm entsprechende Anhaltspunkte oder Verdachtsmomente vorlägen; dann sei im Einzelfall sogar die Außerbetriebnahme des Anschlusses erforderlich.55 Allgemein sei ein Mobiltelefon mit einer PIN gegen unbefugte Nutzungen Dritter zu sperren.56 Zudem sei bei Inbetriebnahme von Mailboxen und ähn49 AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.7.2010 – 106 C 26/10 Rn. 27 (juris) = MMR 2010, 817 (818); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 37 (juris) = CR 2010, 173 (175). 50 AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 31, 38 (juris) = CR 2010, 35 (36); zurückhaltend hingegen das AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 100 (juris), das zumindest eine Garantiehaftung ablehnt. 51 So angedeutet von BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 28 (juris) = BGHZ 166, 369 (379 f.); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 38 f. (juris) = CR 2010, 173 (175 f.); siehe ebenso das AG Berlin-Mitte, Urt. v. 7.8.2009 – 15 C 423/08 Rn. 7 (juris) = MMR 2009, 783 (784). 52 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 29 (juris) = BGHZ 166, 369 (380); in diese Richtung ebenso das AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 32 (juris) = CR 2010, 35 (36); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 39 (juris) = CR 2010, 173 (175 f.). 53 AG Berlin-Mitte, Urt. v. 7.8.2009 – 15 C 423/08 Rn. 8 (juris) = MMR 2009, 783 (784); AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 32 (juris) = CR 2010, 35 (36); LG Bochum, Urt. v. 29.4.2009 – 4 O 408/08 Rn. 28 (juris). 54 AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.7.2010 – 106 C 26/10 Rn. 30 (juris) = MMR 2010, 817 (819); AG Freiburg, Urt. v. 10.6.2009 – 5 C 4613/08 Rn. 22 (juris) = MMR 2009, 872 (red. Ls.). 55 BGH, Urt. v. 19.7.2012 – III ZR 71/12 Rn. 27 (juris) = NJW 2012, 2878 (2880); in diese Richtung ebenso bereits das AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 104 (juris). 56 AG Horb, Urt. v. 28.10.2014 – 1 C 257/14 Rn. 31 (juris) = MMR 2015, 621.
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lichen Telekommunikationsanlagen das werkseitig voreingestellte Passwort durch ein individuelles Passwort zu ersetzen, worauf in den entsprechenden Bedienungsanleitungen hingewiesen würde.57 Teilweise wird gefordert, dass elterliche Anschlussinhaber ganz generell auch ohne konkreten Anlass bzw. Verdacht (teure) Mehrwertdienste sperren lassen müssten, wenn minderjährige Kinder im selben Haushalt leben,58 und Minderjährigen ganz allgemein nur ein Kartenhandy mit begrenzten vorausbezahlten Einheiten („Prepaid“) zur Verfügung zu stellen.59 (2) Keine Sorgfaltswidrigkeit des Anschlussinhabers Grundsätzlich müsse sich der Anschlussinhaber Nutzungen durch unbefugte Dritte, mit deren Nutzung er nicht zu rechnen brauche, wie etwa Einbrecher, nicht zurechnen lassen.60 Keine die Zurechnung zum Anschlussinhaber bewirkende Sorgfaltswidrigkeit sei ebenso das Unterlassen der vollständigen Sperrung des Netzzugangs für Dritte einschließlich Familienmitgliedern, wenn es nur um die Verhinderung bestimmter einzelner Mehrwertdienste gehe, da eine solche Beeinträchtigung der Lebensführung unverhältnismäßig und daher unzumutbar sei.61 Eine technische Sperre sei ebenso unzumutbar, wenn dadurch auch Notrufe unmöglich würden oder das Telefonieren stark eingeschränkt werde, wenn etwa Telefonkonferenzen, Rückfragen sowie sonstige technische Annehmlichkeiten nicht mehr genutzt werden könnten.62 Dasselbe gelte für eine Sperre der eigenen Rufnummer bei jedem erdenklichen Mehrwertdienst, da nicht erwartet werden könne, den Telekommunikationsmarkt ständig zu beobachten;63 auch die generelle Sperre sämtlicher Mehrwertdienstenummern sei ohne konkreten Anlass nicht gefordert.64 Ge57 LG Ravensburg, Urt. v. 6.11.2012 – 8 O 52/11 KfH 2 Rn. 16 ff. (juris) = MMR 2013, 748 (749). 58 LG Braunschweig, Urt. v. 26.2.2010 – 8 S 289/09 (026) Rn. 16 (juris); AG Berlin-Mitte, Urt. v. 7.8.2009 – 15 C 423/08 Rn. 7 (juris) = MMR 2009, 783 (784). 59 AG Berlin-Mitte, Urt. v. 8.7.2010 – 106 C 26/10 Rn. 31 (juris) = MMR 2010, 817 (819). 60 AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 31 (juris) = CR 2010, 35 (36). 61 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 23 (juris) = BGHZ 166, 369 (378); AG Bocholt, Urt. v. 13.11.2014 – 4 C 26/14 Rn. 18, 20 (juris) = MMR 2015, 612 (613); AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 32 (juris) = CR 2010, 35 (36). 62 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 24 (juris) = BGHZ 166, 369 (378). 63 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 27, 29 (juris) = BGHZ 166, 369 (379 f.). 64 BGH, Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 36 (juris) = BGHZ 158, 201 (210); AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 107 (juris).
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nauso sei auch kein generelles Misstrauen gegenüber minderjährigen Familienmitgliedern erforderlich, so dass elterliche Mobiltelefone ohne konkreten Anlass nicht kategorisch von diesen ferngehalten werden müssten.65 Keine Zurechnung erfolge auch dann, wenn der Inhaber eines Festnetzanschlusses teure Telefonate auf Mobilfunkgeräte gesperrt habe, die im Haushalt lebenden Minderjährigen diese Sperre jedoch geschickt umgingen, weil der Anschlussinhaber die Umgehungsmöglichkeiten weder kennen noch mit ihnen rechnen müsse.66 Der Inhaber eines Internetzugangs habe normalerweise keine Pflicht zur Überprüfung des Endgeräts auf eingenistete sog. Dialer, die vom Nutzer unbemerkt teure Verbindungen aufbauen, sowie zur allgemeinen Überwachung des Aufbaus von Verbindungen.67 c) Kritik an der Rechtsprechung aa) Zurechnung ungleich Vertretenmüssen Soweit die Gesetzesmaterialien davon sprechen, dass die Regelung des § 45i TKG insgesamt in großen Teilen § 16 TKV 1997 entspreche,68 so ist dies bloß die Beschreibung der Tatsache, dass bei der Anhebung der Vorschrift, die zuvor in einer Rechtsverordnung verortet war, in den Rang eines Gesetzes der Wortlaut der Vorschrift größtenteils nicht verändert wurde. Umgekehrt bedeutet dies zugleich, dass zumindest ein kleiner Teil nun anders ist. Die Formulierung deutet darauf hin, dass dies dem Gesetzgeber durchaus bewusst war, so dass eher kein Redaktionsversehen vorliegt.69 Vielmehr ist von einer bewussten Änderung des Wortlauts auszugehen, woraus indes keinesfalls zwingend der Schluss zu ziehen ist, der Gesetzgeber habe mit der Wortlautänderung auch den Bedeutungs- bzw. Regelungsgehalt modifizieren wollen. Möglicherweise ging der Gesetzgeber auch von einer synonymen Bedeutung aus. Das diesbezügliche Schweigen der Gesetzesmaterialien deutet jedenfalls in keine Richtung. Nimmt man den modifizierten Wortlaut für sich genommen jedoch ernst, geht es nunmehr um Zurechnung, also um die 65 AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 105 (juris); für den Festnetzanschluss auch AG Völklingen, Urt. v. 23.2.2005 – 5c V 575/04 Rn. 30 (juris) = MMR 2005, 482 (483). 66 LG Braunschweig, Urt. v. 22.12.2011 – 6 S 25/11 Rn. 18 (juris). 67 So jedenfalls beim damaligen Stand der Technik BGH, Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 35 f. (juris) = BGHZ 158, 201 (209 f.); anders zuvor noch das AG München, Urt. v. 4.9.2001 – 155 C 14416/01 = NJW 2002, 2960; AG Wiesbaden, Urt. v. 10.8.2002 – 92 C 1328/00 = CR 2003, 754. 68 BR-Drs. 92/05, S. 34. 69 So aber die Vermutung von Mankowski, MMR 2009, 808 (812), der zugleich auf Kessel, in: Arndt/Fetzer/Scherer/Graulich, TKG, § 45i Rn. 70 Fn. 169 verweist.
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H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
Zuweisung zu einer Person im Allgemeinen, und weniger um Vertretenmüssen im Besonderen, welches ein konkreter Zurechnungsmaßstab und somit eine bestimmte Art der Zurechnung ist. Damit ist nicht gesagt, dass die Fälle des Vertretenmüssens von der Regelung nicht mehr erfasst sein sollen. Vielmehr ist im Gegenteil der Begriff nun weiter und kann demnach rein begrifflich ebenso Konstellationen erfassen, bei denen kein Verschulden vorliegt, wie etwa bei der Zuordnung zur Risikosphäre einer beteiligten Person.70 bb) Widersprüchlichkeit der Zurechnung zum Vertragsschluss (1) Sonderdogmatik der Rechtsgeschäftslehre? Die Heranziehung des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG für die Zurechnung von Willenserklärungen zum Anschlussinhaber, die über dessen Telekommunika tionsanschluss konkludent durch Anwahl von Mehrwertdienstenummern oder Versand von SMS abgegeben werden, und auf diese Weise zu Vertragsschlüssen mit Dritten führen sollen, die außerhalb der Vertragsbeziehung von Anbieter und Anschlussinhaber stehen, erscheint wenig einleuchtend.71 Damit setzt sich die Rechtsprechung in unauflösbaren Widerspruch zu ihrer eigenen Dogmatik der Rechtsgeschäftslehre, wonach es für das Vorliegen einer Willenserklärung zumindest der Erklärungsfahrlässigkeit seitens des Erklärenden bedarf.72 Wieso für Vertragsschlüsse im Bereich der Telekommunikation bzw. über (Mobil-)Telefone, Faxgeräte und Internetzugänge eine andere rechtsgeschäftliche Dogmatik samt einem Spezialverständnis der Anscheinsvollmacht gelten soll, erschließt sich nicht.73 Weitere Ausführungen oder Begründungen für ein solches Verständnis lässt die Rechtsprechung vermissen. (2) § 45i Abs. 4 S. 1 TKG als reine Abrechnungsvorschrift § 45i Abs. 4 S. 1 TKG ist vielmehr eine reine Abrechnungsvorschrift, die im Ausgangspunkt bloß in der (Rahmen-)Vertragsbeziehung zwischen dem Anschlussinhaber und dem Anbieter Wirkungen entfaltet.74 Dafür streitet 70 Siehe
dazu im Allgemeinen bereits unter E.II.7. aber neben den Teilen der Rechtsprechung auch Ditscheid/Rudloff, in: Gep pert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 45i Rn. 69; Schaal, MMR 2015, 621 (623); Vogt/Rayermann, MMR 2012, 207 (209); a. A. jedoch Kiparski, in: Gersdorf/ Paal, TKG, § 45i Rn. 21.1; Mankowski, MMR 2009, 808 (809); kritisch ebenso Lobinger, JZ 2006, 1076 (1078 f.). 72 Siehe dazu ausführlich unter D.IV.5.c). 73 So schon Mankowski, MMR 2009, 808 (809). 74 In diese Richtung bereits Mankowski, MMR 2008, 697 (698); ders., MMR 2009, 783; ders., MMR 2009, 808 (809, 811). 71 So
III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung299
zunächst der Wortlaut des § 45i Abs. 4. S. 1 TKG, der zum einen bloß von dem Anspruch auf das (Verbindungs-)Entgelt spricht und zum anderen ausdrücklich den Anbieter als (einzigen) Anspruchsberechtigten ausweist, womit auf dessen Definition in § 3 Nr. 6 TKG referenziert wird.75 Damit sind vom Wortlaut des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG weder weitere, also über das bereits bestehende (Rahmen-)Vertragsverhältnis hinausgehende Vertragsschlüsse im Allgemeinen noch solche mit anderen als Telekommunikationsanbietern im Sinne der Definition des TKG erfasst. Die Nichtanwendbarkeit ergibt sich zudem aus dem systematischen Zusammenhang zu § 45i Abs. 2 TKG, bei dem es ebenso um bereits erbrachte Verbindungsleistungen geht.76 Überdies lautet die Überschrift der Vorschrift „Beanstandungen“, womit thematisch Einwendungen gegen Abrechnungen, nicht jedoch neue Vertragsschlüsse überschrieben sind. Des Weiteren liegt die Ratio des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG einerseits in der Verhinderung von Schutzbehauptungen des Anschlussinhabers, nicht er selbst, sondern ein Dritter habe die in Rede stehenden Verbindungsentgelte zu verantworten. Andererseits soll dem Anschlussinhaber dennoch die Möglichkeit offenstehen, sich von der Haftung von tatsächlich nicht von ihm zu verantwortenden Entgelten zu befreien.77 Schließlich spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 45i TKG gegen dessen Heranziehung als Grundlage für die Zurechnung von Willenserklärungen zum Anschlussinhaber. Demnach soll die Vorschrift bloß nicht (berechtigte) Einwendungen des Anschlussinhabers gegen Inhaltsleistungen abschneiden, die über die technische Verbindungsleistung hinausgehen.78 Die Rechtsprechung differenziert nicht genügend, wenn sie dem Anschlussinhaber neben Verbindungsentgelten aus dessen bereits bestehendem Vertragsverhältnis mit dem Anbieter auch Willenserklärungen gemäß § 45i Abs. 4 S. 1 TKG zurechnet, die zu Vertragsschlüssen mit Dritten führen sollen – jedenfalls dann, wenn die vertragliche Leistung des Dritten sich nicht in der Kommunikation mit dem Anschlussinhaber erschöpft bzw. sich mit dieser deckt,79 sondern da rüber hinausgeht.80 Anders als bei Verträgen über Leistungen der Daseinsvor75 Mankowski, MMR 2009, 808 (811); Zimmermann, MMR 2011, 516 (517 f.) hält hingegen eine Zurechnung gemäß § 45i Abs. 4 S. 1 TKG für (reine) Zahlungsdienstleistungen für zumindest möglich. 76 Mankowski, MMR 2009, 808 (811) ordnet dies nicht als systematisches, sondern als Wortlautargument ein. 77 Mankowski, MMR 2009, 808 (809). 78 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften in BT-Drs. 15/5213, S. 22. 79 So etwa bei einer Telefonauskunft, einem Kundenservice oder einer ErotikHotline. 80 So aber etwa bei einem Klingeltonabo, bei dem nach dem Bestelltelefonat in bestimmten Abständen Klingeltöne für das Mobiltelefon zur Verfügung gestellt werden, oder beim Erwerb von Zusatzfunktionen von Online-Spielen, die nach dem Telefonat
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sorge81 kann der Inhaber eines Telekommunikationsanschlusses nicht nur die Telekommunikationsleistung seines Anbieters – die Vermittlung und den Aufbau von Verbindungen – in Anspruch nehmen, sondern auch durch die Inanspruchnahme der Telekommunikationsleistung mit anderen Personen kommunizieren, also Inhalte austauschen und Verträge schließen.82 Verwendet eine Person das Mobiltelefon einer anderen Person, um damit Pizza zu bestellen, käme niemand auf die Idee, den Vertragsschluss gemäß § 45i Abs. 4 S. 1 TKG grundsätzlich dem Inhaber des Mobilfunkanschlusses zuzurechnen.83 Genauso wenig taugt die Vorschrift als Vehikel zur Zurechnung von Willenserklärungen zum Anschlussinhaber in Bezug auf andere Verträge mit Dritten, die das Telekommunikationsnetz des Anbieters bloß als im Prinzip beliebig austauschbaren Kommunikationsweg nutzen, um darüber vertragliche Leistungen zu vereinbaren, die im Anschluss ausgetauscht werden, unabhängig davon, ob der Austausch ebenfalls elektronisch oder auf einem anderen Weg erfolgt.84 § 45i Abs. 4 S. 1 TKG findet demzufolge nur zu Abrechnungszwecken zwischen dem Anschlussinhaber und dem Anbieter, der den Anschluss bereitstellt, sowie in Bezug auf Mehrwertdienste i. S. d. TKG Anwendung, deren Leistung sich in der Bereitstellung der Telekommunikationsverbindung selbst erschöpfen. Nicht anwendbar ist die Regelung hingegen, wenn über das Telekommunikationsnetz Verträge mit Dritten über solche Leistungen geschlossen werden, die ihren Austausch außerhalb der Telekommunikationsverbindung finden, und potentielle Vertragspartner gemäß objektiv-normativer Empfängersicht auch nicht davon ausgehen können, dass zwingend der Anschluss inhaber der Vertragspartner werden soll. cc) Risiko statt Verschulden Einerseits sieht die Rechtsprechung in § 45i Abs. 4 TKG eine gesetzliche Haftungsverteilung für die Inanspruchnahme von Telekommunikationsleistungen über einen Anschluss gemäß der Abgrenzung der jeweiligen Risikosphären von Anschlussinhaber und Anbieter. Andererseits stellt sie jedoch zugleich auf das Vorliegen von individuellem Verschulden des Anschlussinhabers ab, insbesondere auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten.85 Während freigeschaltet sind; in diese Richtung wohl auch das AG München, Urt. v. 14.11.2011 – 111 C 16681/11 (juris); siehe dazu auch Zimmermann, MMR 2011, 516 (517). 81 Siehe dazu unter H.III.1. 82 In diese Richtung bereits Mankowski, MMR 2009, 808 (809). 83 Mit ähnlichen Abgrenzungsbeispielen Zimmermann, MMR 2011, 516 (517). 84 Mankowski, MMR 2009, 808 (809). 85 Siehe dazu unter H.III.2.b).
III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung301
dies ausweislich des Wortlauts des früheren § 16 Abs. 3 TKV 1997 („zu vertretenden Umfangs“) bis zu dessen Außerkraftsetzung nachvollziehbar war, hat sich die Lage durch die mit der Neuregelung in § 45i Abs. 4 S. 1 TKG einhergehende Modifikation des Wortlauts entscheidend geändert.86 Jedenfalls sind Risiko und Verschulden zwei verschiedene Zurechnungsprinzipien, die nach jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen zurechnen.87 Die Rechtsprechung hält diese beiden Prinzipien nicht strikt auseinander, sondern vermengt sie zu einem vermeintlich einheitlichen Zurechnungsprinzip. Dies zeigt sich sowohl bei der Formulierung der abstrakten Zurechnungsvoraussetzungen als auch in den einzelnen, bereits entschiedenen Fallgruppen.88 Somit bleibt im Unklaren, ob die Rechtsprechung die Haftungsverteilung im Ergebnis im Wesentlichen auf die Zuordnung zur jeweiligen Risikosphäre oder auf das individuelle Verschulden (des Anschlussinhabers) stützt. Denkbar ist, dass sie tatsächlich ein eigenes, aus den Elementen Risiko und Verschulden bestehendes Zurechnungsprinzip anwendet oder unter falscher Etikettierung das Vorliegen von Risiko oder Verschulden prüft. Der systematische Zusammenhang von § 45i Abs. 4 S. 1 TKG mit § 45i Abs. 3 TKG und § 45i Abs. 4 S. 2 TKG, die die Haftung nach dem Gesichtspunkt der jeweiligen räumlichen Einwirkungssphären verteilen,89 spricht jedenfalls auch bei § 45i Abs. 4 S. 1 TKG für eine Zurechnung nach Risikosphären. Die mangelnde Differenzierung der Rechtsprechung ist darüber hinaus nicht nur dogmatisch fragwürdig, sondern auch in der Praxis problematisch. Sind die Zurechnungsvoraussetzungen im Einzelnen nicht klar, können sich sowohl der Anschlussinhaber als auch der Anbieter nicht darauf einstellen und geeignete präventive Maßnahmen zur Abwehr der eigenen Haftung ergreifen. dd) Keine Zurechnung gemäß § 278 S. 1 BGB analog Die von der Rechtsprechung zumindest bei Bestehen eines (Dauer-) Schuldverhältnisses befürwortete analoge Anwendung des § 278 S. 1 BGB zur Zurechnung des Verhaltens derjenigen Personen, denen der Anschluss inhaber Zugang zum Anschluss gewährt,90 also typischerweise Familienmit86 Siehe
dazu unter H.III.2.c)aa). dazu ausführlich unter E.II.7. und E.II.8. 88 Zu Letzteren siehe unter H.III.2.c)ee). 89 Siehe nur Ditscheid/Rudloff, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 45i Rn. 63, wegen der Vermengung von Verschulden und Risiko in den Rn. 66 ff. jedoch missverständlich; siehe ebenso Kiparski, in: Gersdorf/Paal, TKG § 45i Rn. 21. 90 So aber Sodtalbers, in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 45i TKG Rn. 38; auch Ditscheid/Rudloff, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKGKommentar, § 45i Rn. 67; Ditscheid, MMR 2007, 210 (210); Vogt/Rayermann, MMR 2012, 207 (211). 87 Siehe
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H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
gliedern, überzeugt nicht.91 Während es in den Fällen des vermeintlichen Vertragsschlusses mit einem anderen Anbieter bzw. Vertragspartner als demjenigen, der dem Anschlussinhaber den Anschluss bereitstellt, regelmäßig bereits an einem Schuldverhältnis fehlt,92 das dem Anschlussinhaber Pflichten auferlegen könnte, die durch ein zuzurechnendes Verhalten Dritter verletzt sein könnten, leuchtet auch nicht ein, weshalb Ehepartner und Kinder Erfüllungsgehilfen i. d. S. sein sollen.93 Erfüllungsgehilfen sind nur solche Personen, die der Schuldner willentlich einschaltet oder das Gesetz,94 so dass Personen, die sich alltäglich im Einwirkungsbereich des Anschlusses befinden und deswegen bloß faktisch auf den Anschluss Zugriff haben, davon nicht zwingend umfasst sind. Der Kern der Zurechnung zum Schuldner nach § 278 S. 1 BGB liegt in der willentlichen und somit vom Schuldner gesteuerten Einsetzung der jeweiligen Hilfsperson, die bei bloß faktisch Zugriffsberechtigten fehlt, so dass die für einen Analogieschluss erforderliche Vergleichbarkeit95 nicht besteht. Zwar will die Rechtsprechung § 278 BGB nur bezüglich der Personen entsprechend anwenden, denen der Anschlussinhaber Zugang zum Anschluss – gemeint ist wohl: bewusst – gewährt.96 Doch dürfte das Vorliegen dieser Voraussetzung in der Praxis selten offen zu Tage treten und somit im Einzelfall kaum feststellbar sein. Unklar bleibt auch, wieso es im Ergebnis einen Unterschied machen soll, ob der Anschlussinhaber den Zugang anderen Personen (bewusst) gewährt oder ob er gegen den Zugang der faktisch Zugriffsberechtigten bloß Nichts (bzw. nichts Hinreichendes) unternimmt. Schließlich beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 278 S. 1 BGB auf die Zurechnung von Verhalten im Bereich der Leistungsstö rungen,97 nicht jedoch beim Abruf von (Primär-)Leistungen, oder gar im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss, so dass die Vorschrift selbst bei Vorliegen eines Schuldverhältnisses und bei Bejahung der Erfüllungsgehilfenstellung keine Anwendung finden würde. Diskutiert werden müsste somit eine zumindest doppelt, oder sogar dreifach analoge Anwendung des § 278 91 Siehe auch bereits die erste Diskussion zur Zurechnung nach § 278 BGB unter H.I.2. 92 So für die Fälle der R-Gespräche exemplarisch vom BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 21 (juris) = BGHZ 166, 369 (376 f.) hergeleitet; Ditscheid/Rudloff, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, § 45i Rn. 69. 93 Siehe dazu auch bereits unter H.I.2. 94 Siehe nur BGH, Urt. v. 7.12.2004 – VI ZR 212/03 Rn. 17 (juris) = BGHZ 161, 255 (259 f.); MüKoBGB/Grundmann, § 278 Rn. 2; Staudinger/Caspers (2014), § 278 Rn. 18. 95 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 22 Rn. 894 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11 I (S. 52 ff.) und II (S. 55 ff.). 96 So ist wohl BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 21 (juris) = BGHZ 166, 369 (376 f.) zu verstehen. 97 MüKoBGB/Grundmann, § 278 Rn. 1.
III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung303
BGB, soweit es erstens nicht um Leistungsstörungen, sondern um die Zurechnung von Primärleistungen geht, zweitens kein Schuldverhältnis zwischen Anschlussinhaber und Anbieter als (vermeintlichem) Vertragspartner vorliegt und drittens es sich nicht um einen Erfüllungsgehilfen bzw. eine Person, die einem Erfüllungsgehilfen vergleichbar ist, handelt. Wer zur Lösung eines rechtlichen Problems die dreifache Analogie einer Vorschrift bemühen muss, sollte zunächst alternative Lösungen in Erwägung ziehen. ee) Fehlende Systematik der Einzelfallentscheidungen Eine einheitliche Linie ist in der Rechtsprechung zumindest nicht durchweg zu erkennen. Leben minderjährige Kinder im Haushalt eines Anschlussinhabers, soll dieser den Anschluss in Bezug auf einzelne oder sämtliche teure Mehrwertdienstenummern auch ohne konkreten Anlass sperren lassen98 oder zumindest entsprechende Nutzungsverbote gegenüber den Kindern aussprechen müssen (die zudem auch im Nachhinein nachweisbar sein müssen); andere fordern diese Maßnahmen hingegen nur bei gegebenem Anlass,99 insbesondere wenn es bereits zur (auffälligen) Nutzung durch Dritte gekommen ist.100 Zwar ist diese Uneinheitlichkeit zum einen dem weiten Begriff der Fahrlässigkeit (Sorgfaltswidrigkeit) und zum anderen den Umständen des jeweiligen Einzelfalles geschuldet. Allerdings erschwert die Uneinheitlichkeit den Anschlussinhabern die Identifizierung ihrer konkreten Pflichten zur Abwendung einer entsprechenden Haftung, so dass sie sich in ihrem Nutzungsverhalten maximal einschränken müssen, um einem Haftungsrisiko zu entgehen. 3. Elektronischer Zahlungsverkehr a) Spezialgesetzlicher Rahmen Elektronische Zahlungsvorgänge aufgrund eines Zahlungsdiensterahmenvertrags i. S. d. § 675f Abs. 2 BGB sind in den §§ 675c ff. BGB durch wei98 So zumindest angedeutet von BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 28 (juris) = BGHZ 166, 369 (379 f.); LG Braunschweig, Urt. v. 26.2.2010 – 8 S 289/09 (026) Rn. 16 (juris); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 38 f. (juris) = CR 2010, 173 (175 f.). 99 BGH, Urt. v. 4.3.2004 – III ZR 96/03 Rn. 36 (juris) = BGHZ 158, 201 (210); AG Saarbrücken, Urt. v. 25.2.2010 – 37 C 212/09 Rn. 107 (juris). 100 BGH, Urt. v. 16.3.2006 – III ZR 152/05 Rn. 29 (juris) = BGHZ 166, 369 (380); siehe zudem das AG Amberg, Urt. v. 29.5.2009 – 2 C 1424/08 Rn. 32 (juris) = CR 2010, 35 (36); LG Saarbrücken, Urt. v. 28.4.2009 – 9 O 312/08 Rn. 39 (juris) = CR 2010, 173 (176).
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testgehend zwingendes Recht (§ 675e BGB) geprägt, so dass den Banken wenig Spielraum zur Ausgestaltung ihrer AGB zusteht. Diese AGB entsprechen somit im Wesentlichen den gesetzlichen Vorschriften.101 Im Unterschied zu den bereits vorgestellten AGB regelt das Gesetz Zahlungsvorgänge ein101 Autorisierung von Zahlungen Im Rahmen eines Zahlungsdienstevertrags ist nach § 675j Abs. 1 S. 1 BGB ein Zahlungsvorgang gegenüber dem Zahler nur wirksam, wenn er diesem zugestimmt hat (Autorisierung). Art und Weise der Zustimmung sind gemäß § 675j Abs. 1 S. 3 BGB zwischen dem Zahler und seinem Zahlungsdienstleister zu vereinbaren. Insbesondere kann vereinbart werden, dass die Zustimmung mittels eines bestimmten Zahlungsauthentifizierungsinstruments erteilt werden kann (§ 675j Abs. 1 S. 4 BGB). Ist die Autorisierung eines ausgeführten Zahlungsvorgangs streitig, hat nach § 675w S. 1 BGB der Zahlungsdienstleister nachzuweisen, dass eine Authentifizierung erfolgt ist und der Zahlungsvorgang ordnungsgemäß aufgezeichnet, verbucht sowie nicht durch eine Störung beeinträchtigt wurde. Eine Authentifizierung ist nach § 675w S. 2 BGB erfolgt, wenn der Zahlungsdienstleister die Nutzung eines bestimmten Zahlungsauthentifizierungsinstruments, einschließlich seiner personalisierten Sicherheitsmerkmale mit Hilfe eines Verfahrens überprüft hat. Wurde der Zahlungsvorgang mittels eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments ausgelöst, reicht gemäß § 675w S. 3 BGB die Aufzeichnung der Nutzung des Zahlungsauthentifizierungsinstruments einschließlich der Authentifizierung durch den Zahlungsdienstleister alleine nicht notwendigerweise aus, um nachzuweisen, dass der Zahler den Zahlungsvorgang autorisiert (Nr. 1), in betrügerischer Absicht gehandelt (Nr. 2), eine oder mehrere Pflichten gemäß § 675l BGB verletzt (Nr. 3) oder vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen eine oder mehrere Bedingungen für die Ausgabe und Nutzung des Zahlungsauthentifizierungsinstruments verstoßen hat (Nr. 4). Haftung der Bank für nicht autorisierte Zahlungen Im Fall eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs hat der Zahlungsdienstleister (Bank) des Zahlers gegen diesen gemäß § 675u S. 1 BGB keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen. Weiter ist er nach § 675u S. 2 BGB verpflichtet, dem Zahler den Betrag unverzüglich zu erstatten und, sofern der Betrag einem Zahlungskonto belastet worden ist, dieses Zahlungskonto wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastung durch den nicht autorisierten Zahlungsvorgang befunden hätte. Pflichten des Zahlungsdienstleisters (Bank) Die Bank ist gemäß § 674m Abs. 1 BGB verpflichtet, sicherzustellen, dass die personalisierten Sicherheitsmerkmale des Zahlungsauthentifizierungsinstruments nur der zur Nutzung berechtigten Person zugänglich sind (Nr. 1), unaufgefordert keine Authentifizierungsinstrumente an den Zahler zu senden (Nr. 2), sicherzustellen, dass der Zahler Sperre- und Diebstahlsanzeigen vornehmen kann (Nr. 3) und jede Nutzung des Authentifizierungsinstruments zu verhindern, die nach der Sperranzeige erfolgt (Nr. 4). Die Gefahr der Versendung eines Zahlungsdiensteauthentifizierungsinstruments und personalisierter Sicherheitsmerkmale an den Zahler trägt der Zahlungsdienstleister. Pflichten des Zahlers (Bankkunden) Der Zahler (Bankkunde) ist gemäß § 675l S. 1 BGB verpflichtet, unmittelbar nach Erhalt eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um die personalisierten Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Er hat den Zahlungsdienstleister oder einer von diesem benannten Stelle nach § 675l S. 2 BGB den Verlust, den Diebstahl, die missbräuchliche Verwendung oder die sonstige nicht autorisierte Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments unverzüglich anzuzeigen, nachdem er davon Kenntnis erlangt. Gemäß § 676b Abs. 1 BGB hat der Zahler seinen Zahlungsdienst-
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heitlich, differenziert also nicht danach, ob sie auf der Verwendung einer Debitkarte, etwa bei einer Auszahlung an einem Geldautomaten, oder auf der Nutzung des Online-Banking beruhen. b) Die Rechtsprechung aa) Nachweis und Anscheinsbeweis für Autorisierung eines Zahlungsvorgangs Das Gesetz gibt die Grenze zwischen der Haftung der Bank und derjenigen des Kunden in den §§ 675c ff. BGB feingliedrig vor. Aus Sicht der Bank ist die ihr in § 675w BGB auferlegte Beweislast in Bezug auf die Authentifizierung durch den Kunden eine schwere Bürde, da sie bei der Authentifizierung nicht unmittelbar, sondern bloß mittelbar am anderen Ende der Leitung zugegen ist, und deshalb nicht wissen kann, welche Person tatsächlich handelt bzw. gehandelt hat. Aus diesem Grund versuchen die Banken, Beweiserleichterungen in Form von Anscheinsbeweisen sowohl im Online-Banking als auch bei der Nutzung von Debitkarten zu etablieren. Die Rechtsprechung betont, dass gemäß § 675w S. 3 Nr. 1 BGB die (formale) Authentifizierung und die Aufzeichnung der Nutzung des verwendeten Zahlungsauthentifizierungsinstruments samt der personalisierten Sicherheitsmerkmale durch die Bank alleine nicht notwendigerweise genügen, den Nachweis einer Autorisierung zu führen.102 Allerdings hält sie einen Beweis des ersten Anscheins leister unverzüglich nach Feststellung eines nicht autorisierten oder fehlerhaft ausgeführten Zahlungsvorgangs zu unterrichten. Haftung des Zahlers Beruhen nicht autorisierte Zahlungen auf der Nutzung eines verlorengegangenen, gestohlenen oder sonst abhandengekommenen Zahlungsauthentifizierungsinstruments, so kann der Zahlungsdienstleister nach § 675v Abs. 1 S. 1 BGB vom Zahler den Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens bis zu einem Betrag von EUR 150 verlangen. Dies gilt gemäß § 675v Abs. 1 S. 2 BGB auch, wenn der Schaden infolge einer sonstigen missbräuchlichen Verwendung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments entstanden ist und der Zahler die personalisierten Sicherheitsmerkmale nicht sicher aufbewahrt hat. Der Zahler ist seinem Zahlungsdienstleister zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, der infolge eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs entstanden ist, wenn er ihn in betrügerischer Absicht ermöglicht hat oder durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten (Nr. 1) oder vertraglichen Bedingungen zur Nutzung des Authentifizierungsinstruments (Nr. 2) herbeigeführt hat. Soweit keine betrügerische Absicht des Zahlers vorliegt, gilt dies gemäß § 675v Abs. 3 S. 1 BGB allerdings nicht für Schäden, die nach einer Sperranzeige entstanden sind oder wenn die unverzügliche Sperranzeige wegen einer Pflichtverletzung des Zahlungsdienstleisters nicht möglich war. 102 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 18 (juris) = NJW 2016, 2024 (2026); LG Darmstadt, Urt. v. 28.8.2014 – 28 O 36/14 Rn. 32 ff. (juris) = WM 2014, 2323 (2325).
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zum Nachweis einer strittigen Autorisierung im elektronischen Zahlungsverkehr grundsätzlich für möglich.103 Weder Wortlaut noch Telos oder die Entstehungsgeschichte der §§ 675c ff. BGB sprächen dagegen.104 Voraussetzung eines Anscheinsbeweises bei Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments sei ein Sicherheitssystem, das (zum fraglichen Zeitpunkt) allgemein praktisch nicht zu überwinden war, im konkreten Einzelfall ordnungsgemäß angewendet worden ist und fehlerfrei funktioniert hat.105 Der Anscheins beweis dürfe jedoch nicht zu einer faktischen Umkehr der von Gesetzes wegen grundsätzlich der Bank zugewiesenen Beweislast führen. Immerhin habe der Kunde, anders als die Bank, keinen Einfluss auf die technische Gestaltung des Authentifizierungsvorgangs und könne seine korrekte Funktionsfähigkeit im Einzelfall nicht überblicken, weshalb ihn das Gesetz auch bewusst vor einer entsprechenden Beweislast bewahre.106 Aus demselben Grund dürfe vom Kunden zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht verlangt werden, darzulegen und zu beweisen, auf welche Weise die Schutzvorkehrungen des Authentifizierungsverfahrens überwunden wurden oder weshalb sie wirkungslos geblieben sind, sondern bloß, welche Umstände gegen die Autorisierung durch ihn und für ein missbräuchliches Eingreifen eines Dritten sprechen, wobei die vom Bankkunden dargelegten Umstände auch außerhalb des Sicherheitssystems der Bank liegen können.107 bb) Anscheinsbeweis für eine Pflichtverletzung des Bankkunden Neben der Autorisierung eines Zahlungsvorgangs führen nach dem Gesetz bestimmte Pflichtverletzungen des Bankkunden zu dessen Haftung und somit spiegelbildlich zum Haftungsausschluss der Bank. Da die hierfür darlegungsund beweisbelastete Bank aus ihrem Blickwinkel typischerweise nicht feststellen kann, welche Personen welche Handlungen in Bezug auf den Zahlungsvorgang ausgeführt haben, und ob darin jeweils eine grob fahrlässige 103 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 19, 23, 32, 34 (juris) = NJW 2016, 2024 (2026 ff.) mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes von Rechtsprechung und Literatur in Rn. 21 ff., 33. 104 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 24 f. (juris) = NJW 2016, 2024 (2026); OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 9.3.2017 – 5 U 87/13 Rn. 68 ff. (juris); MüKoBGB/Zetzsche, § 675w Rn. 13 ff., 16 ff. 105 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 19, 27, 32, 37 f. (juris) = NJW 2016, 2024 (2026 f.); OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 9.3.2017 – 5 U 87/13 Rn. 68 ff. (juris); siehe zudem LG Köln, Urt. v. 26.8.2014 – 3 O 390/13 Rn. 18 (juris) = NJW 2014, 3735 f.; MüKoBGB/Zetzsche, § 675w Rn. 13 ff., 16 ff. 106 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 26, 29 (juris) = NJW 2016, 2024 (2026 f.). 107 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 29, 48 (juris) = NJW 2016, 2024 (2027, 2028 f.).
III. Zurechnung qua gesetzlicher Regelung307
Pflichtverletzung des Kunden liegt, bemühen sich die Banken auch bei feststehender missbräuchlicher Verwendung von personalisierten Sicherheitsmerkmalen (z. B. PIN und TAN) um die Etablierung eines Anscheinsbeweises. Die Rechtsprechung sieht jedoch in der Aufzeichnung der Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments und der Prüfung der Authentifizierung alleine mangels hinreichender Typizität bzw. eines entsprechenden Erfahrungssatzes keinen Anscheinsbeweis für eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Bankkunden.108 Es gebe wegen der Vielzahl von teils völlig verschiedenen Authentifizierungsverfahren jedenfalls im Falle eines Missbrauchs des Online-Banking (anders als bei der Nutzung von Debitkarten an Geldautomaten)109 keine Erfahrungssätze, die auf ein bestimmtes typisches (objektives) Fehlverhalten des Bankkunden hinweisen würden.110 Bei missbräuchlicher Abhebung mit einer Debitkarte an einem Geldautomaten unter Eingabe der richtigen persönlichen Geheimzahl (PIN) spreche zudem der Beweis des ersten Anscheins (nur) dann dafür, dass der Karteninhaber pflichtwidrig die PIN auf der Karte oder gemeinsam mit dieser verwahrt habe, wenn bei der Abhebung die Originalkarte eingesetzt worden ist.111 Zudem könne selbst aus einem objektiv groben Pflichtverstoß kein zwingender Schluss auf ein gesteigertes personales, individuelles Verschulden gezogen werden, selbst wenn ein solches in vergleichbaren Fällen häufig vorliegen sollte.112
108 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 70 (juris) = NJW 2016, 2024 (2030) mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes von Rechtsprechung und Literatur in Rn. 69. 109 BGH, Urt. v. 29.11.2011 – XI ZR 370/10 Rn. 16 (juris) = WM 2012, 164 (165 f.); Urt. v. 5.10.2004 – XI ZR 210/03 Rn. 31 f. (juris) = BGHZ 160, 308 (317 f.). 110 Zuletzt BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 75 (juris) = NJW 2016, 2024 (2031). 111 BGH, Urt. v. 29.11.2011 – XI ZR 370/10 Rn. 16 (juris) = NJW 2012, 1277; Urt. v. 5.10.2004 – XI ZR 210/03 Rn. 18 ff. (juris) = BGHZ 160, 308 (314 ff.); siehe zudem schon ähnlich BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – XI ZR 224/09 Rn. 10 ff. (juris) = WM 2011, 924 (925) und Urt. v. 5.10.2004 – XI ZR 210/03 Rn. 21 ff. (juris) = BGHZ 160, 308 (313 ff.); OLG Dresden, Urt. v. 6.2.2014 – 8 U 1218/13 Rn. 39 (juris) = ZIP 2014, 766 (767 ff.); AG Berlin-Schöneberg, Urt v. 18.11.2015 – 4 C 197/14 Rn. 55 (juris) = MMR 2016, 392 (394). 112 Zuletzt BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 71, 73 (juris) = NJW 2016, 2024 (2030 f.); davor bereits BGH, Urt. v. 10.10.2013 – III ZR 345/12 Rn. 28 (juris) = BGHZ 198, 265 (273 f.); Urt. v. 30.1.2001 – VI ZR 49/00 Rn. 12 ff. (juris) = NJW 2001, 2092 (2093).
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H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
cc) Zurechnung von Handlungen Dritter aufgrund der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht Die Rechtsprechung hält die Spezialvorschriften des elektronischen Zahlungsverkehrs in den §§ 675c ff. BGB für abschließend, weshalb sie einer parallelen Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht bei Dritthandeln im Zusammenhang mit (elektronischen) Zahlungsvorgängen kritisch gegenübersteht.113 Eine Duldungsvollmacht scheide aus, weil die Autorisierung nach § 675j Abs. 1 BGB auch nicht mit Zustimmung des Bankkunden durch eine andere Person erfolgen könne. Vielmehr benötige eine andere Person für eine wirksame Autorisierung ein eigenes Authentifizierungsinstrument samt gesonderter personalisierter Sicherheitsmerkmale.114 Eine Anscheinsvollmacht sei deshalb nicht möglich, weil der Bankkunde nach der Wertung des in § 675v Abs. 2 BGB festgelegten Grundsatzes nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit hafte, weshalb eine Haftung aufgrund des Vorliegens einer Anscheinsvollmacht, die bloß einfache Fahrlässigkeit voraussetze, wertungswidersprüchlich wäre.115 Zudem könne eine Anscheinsvollmacht überhaupt nur dann zur Zurechnung führen, wenn die Bank das Dritthandeln erkenne, also aus ihrer Sicht ein offenes Dritthandeln vorliege,116 und dieses schon häufiger vorgekommen oder von einer gewissen Dauer sei.117
113 Im Ergebnis noch offengelassen von BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 57 f., 60 (juris) = NJW 2016, 2024 (2029 f.) mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes von Rechtsprechung und Literatur über die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit von Duldungs- und Anscheinsvollmacht neben den §§ 675c ff. BGB in Rn. 56; siehe jedoch anders das LG Darmstadt, Urt. v. 28.8.2014 – 28 O 36/14 Rn. 34 ff., 41 ff. (juris) = WM 2014, 2323 (2325 ff.). 114 BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 59 (juris) = NJW 2016, 2024 (2030). 115 So sinngemäß BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 58 (juris) = NJW 2016, 2024 (2030). 116 Siehe dazu ausführlich bereits unter B.III.3. 117 So muss man BGH, Urt. v. 26.1.2016 – XI ZR 91/14 Rn. 62 (juris) = NJW 2016, 2024 (2030) wohl verstehen.
IV. Zurechnung durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre309
IV. Zurechnung durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre 1. Risiko als maßgebliches Prinzip in Verträgen, im Gesetz und in der Rechtsprechung für die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen a) Vertrag aa) Daseinsvorsorge Soweit ein Versorgungsunternehmen aus dem Bereich der Daseinsvorsorge in seinen AGB eine Regelung zur Zurechnung von Leistungsentnahmen durch den Kunden oder durch Dritte vorsieht, gründet diese auf dem Gedanken der Zuordnung zur jeweiligen Verantwortungssphäre. Die Verträge zum Bezug von Leistungen der Daseinsvorsorge enthalten zwar regelmäßig keine ausdrücklichen Regelungen über die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte, definieren das vertragliche Pflichtenprogramm aber so, dass das Versorgungsunternehmen zur Lieferung an die Übergabestelle und der Vertragskunde zur Bezahlung der dort bereitgestellten und abgerufenen Leistung verpflichtet ist, ohne dass erörtert wird, wer insoweit der Abnehmende ist oder sein kann. Während das Netz – zumindest im Verhältnis der beiden Vertragsparteien – zum Einwirkungs- und Beherrschungsbereich und damit zur Verantwortungssphäre des Versorgungsunternehmens gehört, zählt die Übergabestelle auf dem Grundstück bzw. in der Wohnung des Kunden zu dessen Verantwortungssphäre, so dass die entsprechenden Verträge für die Zurechnung von Leistungsentnahmen die gewissermaßen natürlichen Sphären nachzeichnen, unabhängig davon, ob sie durch den Vertragspartner oder durch Dritte erfolgen. bb) Telekommunikation Verträge über die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen enthalten typischerweise keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte, lassen jedoch bei stationären Tele kommunikationsdienstleistungen ausdrücklich die Mitnutzung durch Haushaltsangehörige und Gäste des Vertragskunden zu, so dass deren Leistungsentnahmen zumindest implizit dem Vertragskunden zugerechnet werden.118 Dahinter steht die Zurechnung gemäß der Zuordnung zur Verantwortungssphäre des Vertragskunden, der im Gegensatz zum Anbieter den Zugang zum Anschluss sichern und kontrollieren kann. Hingegen sehen Verträge 118 Siehe
unter H.II.2.
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H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
über die Nutzung mobiler Telekommunikationsdienstleistungen (Mobilfunk) wegen der dort erhöhten Missbrauchsgefahr detailliertere Bestimmungen zur (unberechtigten) Drittnutzung vor. Durch Definition ausdrücklicher vertrag licher Neben- und Schutzpflichten wird der Vertragskunde zur Geheimhaltung und Sicherung der ihm überlassenen personalisierten Sicherheitsmerkmale wie der PIN angehalten, deren Verstöße zur Haftung des Vertragskunden gegenüber dem Anbieter führen.119 Somit hat der Vertragskunde sowohl für die aktive Weitergabe der personalisierten Sicherheitsmerkmale als auch für das passive Unterlassen ausreichender Sicherung gegen Wegnahme einzustehen – beides Vorgänge, die relativ gesehen seiner Sphäre und nicht der Sphäre des Anbieters zuzuordnen sind. Zwar sprechen manche Bestimmungen in AGB dem Wortlaut nach begrifflich nicht von einer Zurechnung der Drittnutzung, sondern von Vertretenmüssen, doch ist damit zumindest nicht zwingend (nur) Verschulden im engeren Sinne gemeint, sondern auch das Vertretenmüssen, also eine Verantwortlichkeit, eines Risikos aus dem beherrschbaren Einwirkungsbereich des Vertragskunden. cc) Elektronischer Zahlungsverkehr Die Rahmenverträge zwischen Banken und Bankkunden, auf deren Grundlage (elektronische) Zahlungsvorgänge ausgeführt werden, enthalten ein ausdifferenziertes Pflichten- sowie Haftungsprogramm der beiden Vertragspartner, das grundsätzlich die jeweils beherrschbaren Einwirkungssphären abbildet.120 Diese sind fast vollständig dem zwingenden Gesetzesrecht nachempfunden. Zumindest auf den ersten Blick scheint die Verteilung der Haftung zwischen Bank und Bankkunden sich nicht bloß nach der Zuordnung zur jeweiligen Verantwortungssphäre zu richten, sondern an weitere Voraussetzungen anzuknüpfen, die die Zurechnung nach Sphären zu durchbrechen scheinen. Allerdings trügt der Eindruck, wie eine genauere Betrachtung zeigt.121 b) Gesetz und Rechtsprechung aa) Daseinsvorsorge Soweit das Gesetz unmittelbare oder zumindest mittelbare Regelungen zur Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte zu einem bestehenden 119 Siehe
unter H.III.2.b). unter H.II.3. 121 Siehe dazu sogleich unter H.IV.2. 120 Siehe
IV. Zurechnung durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre311
Vertragskunden vorsieht, orientieren sich diese an der Zuordnung zur jeweiligen Verantwortungssphäre. Die Vorschriften zu Verträgen im Bereich der Daseinsvorsorge enthalten keine Regelungen über die Zurechnung von Leistungsentnahmen Dritter im Rahmen bestehender Verträge mit Vertragskunden.122 Indes existieren deklaratorische Regelungen, die verdeutlichen, dass die Inanspruchnahme von gelieferten Leistungen, die ohne vertragliche Grundlage erfolgen, nach den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre zum Vertragsschluss mit dem Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss führen, unabhängig davon, welche Person die Leistung tatsächlich entnimmt.123 Selbst wenn der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss die Leistung nicht selbst entnimmt, wird er Vertragspartner, und muss daher die durch eine andere Person entnommene Leistung bezahlen. Dies muss erst recht für weitere Leistungsentnahmen gelten, unabhängig davon, durch welche Person sie erfolgen. Diese Haftung des Vertragskunden für Leistungsentnahmen durch Dritte fußt auf dem Gedanken, dass der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Anschluss diesen am besten gegen einen nicht gewollten, also unberechtigten Zugriff durch Dritte sichern und kontrollieren kann, da der Anschluss zu seinem Einwirkungsbereich gehört, den er beherrscht. Daher sind sowohl der Anschluss als auch die über den Anschluss entnommenen Leistungen der Verantwortungssphäre des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt zuzuordnen. bb) Telekommunikation Mit § 45i TKG kennt der Bereich der Telekommunikation eine ausdrückliche Vorschrift, nach der Leistungsentnahmen entweder dem Telekommunikationsanbieter (§ 45i Abs. 3, Abs. 4 S. 2 TKG) oder dem Anschlussinhaber (§ 45i Abs. 4 S. 1 TKG) zugerechnet werden.124 Dabei weist das Gesetz die Haftung jeweils der Partei zu, die – zumindest im Verhältnis zueinander – den Bereich, in dem die Leistungsentnahme stattfindet, besser beherrscht und auf diesen durch Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen einwirken kann. Somit haftet jede Vertragspartei für die Leistungsentnahmen, die ihrer Verantwortungssphäre zuzuordnen sind. Zwar soll nach der Rechtsprechung und Literatur eine Leistungsentnahme aus der Sphäre des Anschlussinhabers diesem nur dann zugerechnet werden, wenn er die Inanspruchnahme der Leistung zu vertreten hat, also Verschulden vorliegt, doch ist ein solch enges
122 Siehe
unter H.II.1. unter H.III.1. 124 Siehe unter H.III.2. 123 Siehe
312
H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
Verständnis des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG aufgrund des insoweit keineswegs zwingenden Wortlauts abzulehnen.125 cc) Elektronischer Zahlungsverkehr Die §§ 675c ff. BGB enthalten eine Vielzahl ausdifferenzierter Regelungen zur Zurechnung von unmittelbar durch Dritte veranlassten Zahlungsvorgängen, die in die Verträge zwischen Bank und Bankkunden weitestgehend unverändert übernommen werden (müssen).126 Das Gesetz definiert zum einen die Pflichten von Bank und Bankkunden, welche die Sicherung des durch diese beherrschbaren Einwirkungsbereichs gegen Drittzugriffe konkretisieren. Zum anderen enthält das Gesetz Spezialregelungen zur primären und sekundären Haftung der beiden Vertragsparteien. In dieses Bild von der Abgrenzung der Haftungssphären nach den jeweiligen Einwirkungsbereichen scheint die vom Gesetzgeber der Bank auferlegte Beweislast bezüglich der Authentifizierung bei der Autorisierung nicht zu passen. Auf den ersten Blick gehört dies zur Sphäre des Bankkunden, da dieser es im Unterschied zur Bank in der Hand hat, ob er für einen Zahlungsvorgang einen Überweisungsträger aus Papier, einen Geldautomaten unter Verwendung einer Debitkarte samt PIN oder das Online-Banking samt personalisierter Sicherheitsmerkmale nutzt, und die dabei eingesetzten Instrumente besser vor dem Zugriff Dritter schützen bzw. deren Zugriff verhindern kann. Jedoch entscheidet im Ausgangspunkt alleine die Bank, welche Arten von Zahlungsvorgängen sie überhaupt ihren Bankkunden zur Verfügung stellen möchte, wie diese konkret ausgestaltet sind und welche (technischen) Sicherheitsvorkehrungen sie gegen den unberechtigten Zugriff Dritter einsetzt. Diese Entscheidungen kann die Bank im Vergleich besser treffen, weil sie aufgrund der Meldungen ihrer Kunden Informationen darüber hat, welche Missbrauchsmöglichkeiten gerade verbreitet sind. Zudem hat die Bank sowohl die gesetzliche Pflicht als auch die Kapazität, die einzelnen Zahlungsvorgänge aufzuzeichnen und zu archivieren, so dass sie im Streitfall auf diese Informationen zurückgreifen kann. Dem Bankkunden hingegen dürfte es deutlich schwerer fallen, nach Ablauf einer längeren Zeitspanne nachzuweisen, dass er eine Authentifizierung gerade nicht vorgenommen hat, zumal der Beweis, etwas nicht getan zu haben, kaum zu erbringen ist. Daher fällt zwar die tatsächlich erfolgte Authentifizierung in den Einwirkungsbereich des Bankkunden, die zwischen Bank und Bankkunden streitige, insbesondere wenn nicht selbst durch den Bankkunden erfolgte Authentifizierung jedoch in den Einwirkungsbereich der Bank. Daher ist die Entscheidung des Gesetzgebers, der Bank insoweit 125 Siehe
hierzu bereits die Ausführungen unter H.III.2.c)aa) und H.III.2.c)bb). hierzu bereits unter H.III.3.
126 Ausführlich
IV. Zurechnung durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre313
die Beweislast aufzuerlegen, folgerichtig. Den vom Gesetzgeber hinterlassenen blinden Fleck der Bank, typischerweise nicht sehen zu können, ob ein Bankkunde einen Zahlungsvorgang selbst veranlasst oder eine Pflicht zur Sicherung vor Drittzugriffen (grob) verletzt hat, versucht die Rechtsprechung durch ein fein austariertes System von Anscheinsbeweisen für die Bank sichtbar zu machen.127 Im Ergebnis haftet jede Seite somit für den jeweils von ihr beherrschbaren Einwirkungsbereich, so dass entsprechende Zahlungsvorgänge der jeweiligen Verantwortungssphäre zuzuordnen sind. c) Zuordnung zur Verantwortungssphäre als Leitprinzip Zur Abgrenzung der Haftung zwischen Unternehmen und Vertragskunden für die Inanspruchnahme von Leistungen durch Dritte orientieren sich sowohl die Vertragsparteien bei der Vertragsgestaltung als auch der Gesetz geber, soweit er hierzu Regelungen vorsieht, daran, wessen Verantwortungssphäre die Leistungsentnahmen zuzuordnen sind. Aufgrund ihres (Rahmen-) Vertrages ist den Vertragsparteien bekannt, dass sie gemäß den vertraglichen Vereinbarungen bzw. den gesetzlichen Vorgaben für die ihrer Verantwortungssphäre zuzuordnenden Leistungsentnahmen durch Dritte haften. Dies unterscheidet die Zurechnung gemäß Zuordnung zur Verantwortungssphäre der Vertragsparteien im Rahmen bestehender Verträge von derjenigen, die überhaupt erst zum Vertragsschluss führt. Bei diesen fehlt es an einem solchen (Rahmen-)Vertrag. 2. Subsidiäre Zurechnung von Leistungsabrufen durch Dritte im Rahmen bestehender Verträge gemäß Zuordnung zur Verantwortungssphäre Wesenskern der Zurechnung von Leistungsabrufen durch Dritte im Rahmen bestehender Vertragsverhältnisse ist folglich die Zuordnung zur Verantwortungssphäre eines Vertragspartners im jeweiligen Einzelfall.128 Fehlt es an einer ausdrücklichen oder konkludenten Bestimmung zur Zurechnung von Leistungsabrufen durch Dritte im Vertrag und im Gesetz, ist diese Lücke subsidiär aufgrund dieses Leitprinzips zu schließen. Mit Abschluss eines (Rahmen-)Vertrages, der einerseits die Lieferung von Leistungen an einen Ort zum Abruf durch den Vertragskunden und andererseits die Bezahlung der dort bereitgestellten und abgerufenen Leistungen vorsieht, übernimmt jede Vertragspartei zugleich die Haftung für solche Leistungsabrufe, die ihrer Ver antwortungssphäre zuzuordnen sind. Die Zurechnung von Leistungsabrufen 127 Siehe 128 Siehe
dazu unter H.III.3.b). bereits Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, S. 192 ff.
314
H. Zurechnung von Dritthandeln im Rahmen bestehender Verträge
Dritter im Rahmen eines bestehenden Vertrages erfolgt somit nach demselben Zurechnungsprinzip, das der Zurechnung von Willenserklärungen i. S. d. Minimaltatbestandes zugrunde liegt.129
V. Resümee Im Rahmen einer bestehenden Vertragsbeziehung zwischen zwei oder mehr Parteien kann die Zurechnung von primärleistungsbezüglichen Handlungen, die vertragsferne Dritte anstelle einer Vertragspartei vornehmen, zu dieser Vertragspartei durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Regelung im Vertrag oder durch gesetzliche Anordnung erfolgen. § 278 BGB ist aber keine solche gesetzliche Anordnung.130 Bei sämtlichen dieser Varianten ist das in dieser Arbeit herausgearbeitete Prinzip der Zuordnung zu den Verantwortungssphären der Vertragsparteien die Blaupause für die Zurechnung von Leistungsentnahmen durch Dritte.131 Fehlt im Einzelfall eine vertragliche oder gesetzliche Bestimmung der Zurechnung, dient – insoweit also subsidiär – deshalb auch das Risikoprinzip als Kriterium, nach dem solche Leistungsentnahmen der Vertragspartei zuzurechnen sind.132
129 Siehe 130 H.I.2
131 H.IV.
hierzu unter F.II. und H.III.2.c)dd).
132 H.IV.2.
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Die analoge Anwendung der Regelungen des Stellvertretungsrechts auf das Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung ist abzulehnen.1 Nicht nur die unmittelbare Anwendung, sondern auch die Analogie der §§ 164 ff. BGB erfordert die Offenkundigkeit des Dritthandelns, welche beim Handeln unter fremdem Namen gerade nicht vorliegt.2 Anwendungsvoraussetzung ist eine offene, für den jeweiligen Geschäftsgegner erkennbare Dreipersonenkonstellation. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 164 Abs. 1 BGB3 und wird durch die Systematik des Stellvertretungsrechts4 sowie das Telos der stellvertretungsrechtlichen Vorschriften5 untermauert. Das dogmatische Defizit einer Lösung des Handelns unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung durch eine Analogie zum Stellvertretungsrecht zeigt sich besonders deutlich im Zusammenspiel mit der Duldungs- und Anscheinsvollmacht.6 Eine zur Rechtsscheinwirkung führende Dauerhaftigkeit und Häufigkeit des Auftretens eines Scheinvertreters lässt sich überhaupt nur dann feststellen, wenn der Scheinvertreter offenkundig für den Scheinvertretenen handelt.7 Voraussetzung ist daher die Erkennbarkeit der Vertreterkonstellation, die beim Handeln unter fremdem Namen aber gerade fehlt.
II. Weder die Privatautonomie noch der Verkehrs- und Vertrauensschutz sind in der Rechtsgeschäftslehre des BGB vollständig repräsentiert. Vielmehr sorgen die einzelnen gesetzlichen Vorschriften für einen situativen Ausgleich zwischen diesen Prinzipien. 1 A.IV.
2 A.IV.2.a).
3 A.IV.2.b). 4 A.IV.2.c).
5 A.IV.2.d). 6 A.IV.3.a).
7 A.IV.3.b).
316
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Die Rechtsgeschäftslehre kennt vertragliche Erfüllungsverpflichtungen sowie die Haftung auf das positive und das negative Interesse. Im Falle der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung sind die Erfüllungsverpflichtungen zwar zunächst nur schwebend wirksam, durch Ablauf der Anfechtungsfrist erlangen sie jedoch dauerhafte Wirksamkeit.8 Die Rechtsscheinhaftung9 und die Vertrauenshaftung10 sind zwei weitere Regelungsregimes zur Hervorbringung von positiven und negativen Haftungsfolgen, die sich in ihren jeweiligen Voraussetzungen (nur) in Teilen überschneiden.11 Wesentlicher Aspekt der Rechtsscheinhaftung ist der Anschein des Bestehens eines Rechts, während die Vertrauenshaftung im Kern auf der Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Vertrauenden basiert. Beide Institute sind nicht nur im Hinblick auf ihre tatbestandlichen Anknüpfungspunkte indifferent, sondern auch hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen. Diese völlig verschiedenen Arten der Hervorbringung von Erfüllungsverpflichtungen rechtsgeschäftlicher und rechtsgeschäftsähnlicher Natur sind in sich und zueinander widersprüchlich und mit Systembrüchen verbunden.12 Absolute Sperre für jedwede Art von Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen bildet die Geschäftsfähigkeit des Zurechnungsadressaten gemäß §§ 104 ff. BGB, die auch der Haftung eines Nicht-Geschäftsfähigen auf Ersatz des negativen Interesses im Wege steht.13
III. Die Privatautonomie basiert auf dem Gedanken der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Rechtssubjekts, die beide in dessen Willensfreiheit wurzeln.14 Die Existenz des freien Willens ist nach gegenwärtigem Stand der Forschung allerdings unwahrscheinlich.15 Dies hindert die grundsätz liche Wirksamkeit rechtsgeschäftlichen Handelns jedoch nicht, denn hierfür ist gemäß der Konzeption des Gesetzes bloß eine formelle16 und nicht auch eine materielle Willensfreiheit17 von Bedeutung. 8 B.II.2.
9 B.III.2.
und B.III.3.
10 B.III.4. 11 B.III.1. 12 B.IV.
13 B.II.1.b). 14 C.I.1. 15 C.I.1. 16 C.I.2. 17 C.I.3.
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse317
Der rechtsgeschäftliche Wille als solcher ist in der Regel eine Fiktion, nicht nur seinem Inhalt nach, sondern insbesondere auch im Hinblick auf den Willensinhalt zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung.18 Diese Fiktion des Willens ist eine Hilfskonstruktion der Rechtsgeschäftslehre zur Ermöglichung der Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen unabhängig von der Nachweisbarkeit eines korrespondierenden Willens.19 Diese Erkenntnis legitimiert die Diskussion alternativer Erklärungsansätze für die Hervorbringung von Erfüllungsverpflichtungen, bei denen einer Person ein rechtsgeschäftlicher Wille zugerechnet wird, obwohl dieser nicht dem wirklichen Willen dieser Person zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung entspricht.
IV. Verkehrsschutz und Vertrauensschutz sind Bestandteile der Privatautonomie im weiteren Sinne. Der Wille alleine bewirkt aus sich heraus nichts.20 Es bedarf zusätzlich stets eines Kommunikationspartners, der auf die Kundgabe des Willens reagieren kann.21 Das Grundgesetz verbietet gemäß Art. 2 Abs. 1 Verträge zu Lasten Dritter. Es fordert jedoch nicht, dass Willenserklärungen, Rechtsgeschäfte und Verträge zwingend stets auf den wirklichen Willen der Bürger zurückgehen.22 Der Gesetzgeber des BGB hat weder dem Prinzip der Privatautonomie (im engeren Sinne) noch dem Verkehrs- und Vertrauensschutz den Vorrang eingeräumt, wie bereits die Vorschriften der §§ 116 ff. und §§ 119 ff. BGB zeigen.23 Weder das Willensdogma noch die Erklärungstheorie sind im BGB vollständig verwirklicht worden. Sowohl gegen das Willensdogma als auch gegen die Erklärungstheorie spricht insbesondere die Existenz des Anfechtungsrechts.24 Die Rechtsgeschäftslehre folgt vielmehr einem dritten, eher pragmatischen Ansatz zur Lösung der einzelnen Praxisprobleme.25 Die Willenserklärung ist im Gesetz nicht definiert, sondern wird in den Regelungen des BGB vorausgesetzt. Dadurch besteht ein Rahmen, den Literatur und Rechtsprechung für die Bestimmung der Willenserklärung ausfül18 C.II.
19 C.III. 20 D.I.,
D.II. und D.III.
21 D.II.1.b). 22 D.II.1.c). 23 D.IV.2.
24 D.III.4. 25 D.IV.1.
und D.IV.2.
318
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
len, was so auch der Intention des Gesetzgebers entspricht. Hinter der gegenwärtig herrschenden Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit26 steht der Gedanke der Zurechnung von Rechtswirkungen.27 Die Bestimmung und Auslegung von Willenserklärungen erfolgt gemäß §§ 133, 157 BGB stets aus objektiv-normativer Empfängersicht der Erklärungsadressaten, auch bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen.28 Nach § 133 BGB ist dabei der wirkliche Wille zu erforschen, jedoch nur, soweit dies aus der Außenperspektive möglich ist.29 Der Auslegungsgegenstand bestimmt sich durch den Erklärungstatbestand in der Gesamtheit seiner Umstände, welche dem Erklärungsadressaten bekannt sein können.30 Der zugrunde zu legende Verständnishorizont bestimmt sich nach dem Maßstab eines durchschnittlich verständigen Teilnehmers des von der Erklärung adres sierten Verkehrskreises.31 Die Rechtsfigur der falsa demonstratio non nocet steht nicht im Einklang mit den §§ 133, 157 BGB.32 Sie ist zu Gunsten des Verkehrsschutzes abzulehnen. Dieselben Ergebnisse lassen sich meist bereits durch eine konsequente Auslegung der jeweiligen Willenserklärungen gemäß §§ 133, 157 BGB erzielen, die sämtliche dem Erklärungsadressaten bekannten Umstände des Erklärungstatbestandes einbezieht.33 In den übrigen Fällen ist eine zumindest konkludente Vertragsänderung zum Zeitpunkt der Erfüllung denkbar.34 Gemäß § 242 BGB kann sich schließlich keine Vertragspartei auf die Erfüllung eines in Wirklichkeit von ihr vormals nicht gewollten Vertragsgegenstandes berufen.35 Im Übrigen gilt das von den Parteien objektiv Erklärte.36
V. Der Begriff der Zurechnung bezeichnet die Verknüpfung eines Zurechnungsgegenstandes mit einem Zurechnungsadressaten mittels eines Zurechnungsbandes in Gestalt eines Zurechnungsprinzips (auch Zurechnungskrite 26 D.IV.5.c). 27 D.IV.6. 28 D.V.
29 D.V.3.b). 30 D.V.4. 31 D.V.3.
und D.V.5.
32 D.V.6.c).
33 D.V.6.d)bb). 34 D.V.6.d)cc).
35 D.V.6.d)dd). 36 D.V.6.d)dd).
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse319
riums; Zurechnungsgrunds).37 Haftung hingegen meint die eigene Verantwortlichkeit einer Person für ein Ereignis.38 Die Zurechnung von Erklärungszeichen als Willenserklärung einer Person zu dieser Person hat zwei normative Komponenten, erstens die Zurechnung der Erklärungszeichen als solche dieser Person, zweitens die weitergehende rechtliche Zurechnung als Willenserklärung dieser Person.39 Nach der gesetzgeberischen Konzeption der Rechtsgeschäftslehre kann die Zurechnung von Erfüllungsverpflichtungen aufgrund eines entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willens40, von Verschulden41 und von Risiko42 erfolgen. Die allgemeine Rechtsscheinhaftung, gesetzliche und außergesetzliche Rechtsscheinvollmachten43 sowie die Vertrauenshaftung44 können ebenso Erfüllungsverpflichtungen hervorbringen, wenn auch nicht rechtsgeschäftlicher, sondern bloß rechtsgeschäftsähnlicher Art. Kausalität ist mangels eines normativen Elements hingegen kein solches Zurechnungskriterium.45 Als Minimalerfordernis der Zurechnung rechtsgeschäftlicher Wirkungen liegt den Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre das Risikoprinzip zugrunde.46 Neben dem rechtsgeschäftlichen Willen zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung und dem Verschulden des Erklärenden – meist in Gestalt von Erklärungsfahrlässigkeit – kann somit auch die Zuordnung des Erklärungstatbestandes zur Risikosphäre einer Person zu Erfüllungsverpflichtungen führen. Der Umfang der Risikosphäre einer Person bestimmt sich anhand der abstrakten oder konkreten Beherrschbarkeit des Risikos,47 dessen tatsächlicher Beherrschung48 und dem Setzen oder Erhöhen des Risikos durch die Person49. Ein (subjektives) Risikobewusstsein oder die (objektive) Erkennbarkeit des Risikos ist nicht Voraussetzung für die Zurechnung nach dem Risikogedanken.50 37 E.I.1.
und E.I.2.c).
38 E.I.2.d). 39 E.I.2.b). 40 E.II.9. 41 E.II.8. 42 E.II.7.
43 E.II.10. 44 E.II.11. 45 E.II.6.
46 E.II.7.f).
47 E.II.7.b)aa).
48 E.II.7.b)bb). 49 E.II.7.b)cc). 50 E.II.7.d).
320
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
VI. Eine Willenserklärung ist die aus objektiv-normativer Sicht bestimmte Kundgabe des Willens der als erklärend erscheinenden Person, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, wenn die Willenskundgabe dieser Person deshalb zuzurechnen ist, weil sie aus deren Verantwortungssphäre stammt.51 Der auf diese Weise bestimmte Minimaltatbestand der Willenserklärung fügt sich nahtlos in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre ein.52 Insbesondere erfolgt eine Zurechnung des Minimaltatbestandes zum Zurechnungsadressaten nur, soweit dieser geschäftsfähig ist.53 Bei fehlender Übereinstimmung mit dem wirklichen Willen des Erklärenden zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung besteht für den Erklärenden die Möglichkeit, die ihm auf diese Weise zugerechnete Willenserklärung gemäß §§ 119 ff., 143 BGB anzufechten.54 Im Falle der Anfechtung ist die Willenserklärung nach § 142 BGB nichtig und der Anfechtende haftet auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB.55 In einem Gerichtsprozess darzulegende und ggf. zu beweisende Tatsache ist bei diesem Minimaltatbestand der Willenserklärung das Vorliegen der Erklärungszeichen.56 Tatsachen sind auch die Gegebenheiten, aus denen sich die Zuordnung zur Sphäre der als erklärend erscheinenden Person ergibt. Keine Tatsache, sondern eine rechtliche Wertung ist hingegen die Auslegung der Erklärungszeichen. Auch die Zuordnung oder Nicht-Zuordnung der Erklärungszeichen zur Risikosphäre der als erklärend erscheinenden Person ist eine rechtliche Wertung. Mangels spezialgesetzlicher Regelung trägt nach den allgemeinen Regeln auch beim Minimaltatbestand der Willenserklärung diejenige Partei die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, die sich auf die Rechtsfolge der Willenserklärung beruft, während für die rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen die Partei beweisbelastet ist, die sich auf den Nichteintritt, die Hemmung oder den Untergang der Rechtsfolge beruft.57
51 F.II.
52 F.IV.
53 F.IV.1.
54 F.IV.3.d). 55 F.IV.3.e). 56 F.V.1. 57 F.V.2.
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse321
VII. Die Zurechnung offenen bzw. offenkundigen Dritthandelns einer Person zum Vertretenen erfolgt nach Maßgabe der Regelungen der Stellvertretung in den §§ 164 ff. BGB. Verdecktes Dritthandeln wird hingegen gemäß den Voraussetzungen des Minimaltatbestandes der Willenserklärung zugerechnet.58 Die rechtliche Behandlung des Handelns unter fremdem Namen hängt zunächst davon ab, ob aus der maßgeblichen objektiv-normativen Empfängersicht des Geschäftspartners eine Willenserklärung des Namensträgers (Fall der Identitätstäuschung) oder des Handelnden (Fall der Namenstäuschung) vorliegt.59 Dies bestimmt sich durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Eine Zurechnung als Willenserklärung des Namensträgers oder des Handelnden erfolgt in Abhängigkeit davon, ob eine Willenserklärung (zumindest auch) aus der Veranwortungssphäre des Namensträgers oder der des Handelnden stammt.60 Im Falle der Zurechnung zum Namensträger kann dieser den ihm zugerechneten Minimaltatbestand der Willenserklärung gemäß den §§ 119 ff. BGB mit der Konsequenz seiner Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB anfechten, soweit der Minimaltatbestand nicht seinem wirklichen Willen entspricht. Die Lösung des Handelns unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung über den Minimaltatbestand der Willenserklärung würde im Hinblick auf die Haftung des falsus procurator zu einem Wertungswiderspruch führen, wenn nicht zugleich auch § 179 BGB Anwendung fände.61 Daher ist § 179 BGB zumindest seinem Rechtsgedanken nach auch bei der Heranziehung des Minimaltatbestandes anzuwenden. Daneben haftet der Handelnde bei Vorliegen der jeweiligen zusätzlichen Voraussetzungen auf Ersatz des negativen Interesses aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.62 Eine Haftung auf Ersatz des positiven Interesses kann sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zudem aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und aus § 826 BGB ergeben.63 Im Übrigen führt die Anwendung des Minimaltatbestandes beim Handeln unter fremdem Namen in den Fällen der Identitätstäuschung zu keinen Widersprüchen mit den Regelungen und Wertungen des Stellvertretungsrechts.
58 G.III.1. 59 G.II.
60 G.III.1. 61 G.IV.4. 62 G.IV.4. 63 G.IV.4.
322
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
VIII. Die Zurechnung sowohl offenen als auch verdeckten Dritthandelns einer Person im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses zum Vertragspartner – etwa bei Abruf vertraglich vereinbarter Leistungen – erfolgt durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre des Vertragspartners, soweit im Einzelfall keine anderweitigen vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen greifen. Mindestvoraussetzung für die Zuordnung des Dritthandelns zur Verantwortungssphäre einer Person ist dabei dessen Zuordnung zur Risikosphäre der Person.64 Gegenwärtig bereits bestehende vertragliche oder gesetzliche Bestimmungen orientieren sich regelmäßig an dem Risikoprinzip als Mindestvoraussetzung für die Zurechnung, also der Zuordnung zur Risikosphäre eines Vertragspartners.65 Fehlt es an einer ausdrücklichen oder konkludenten Regelung zur Zurechnung von Leistungsabrufen durch Dritte sowohl vertraglich als auch im Gesetz, ist diese Lücke subsidiär durch Heranziehung dieses Prinzips zu schließen.66
64 H.IV.1. 65 H.IV.1. 66 H.IV.2.
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324 Literaturverzeichnis Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Band I, Allgemeiner Theil, Amtliche Ausgabe, 2. unveränderte Auflage, Berlin 1896 [zitiert: Motive I] Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Band II, Recht der Schuldverhältnisse, Amtliche Ausgabe, 2. unveränderte Auflage, Berlin 1896 [zitiert: Motive II] Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, die neueste 8. Auflage wird herausgegeben von Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland/Oetker, Hartmut/Limperg, Bettina, 5. bis 8. Aufl., München 2006–2018 [zitiert: MüKoBGB/Bearbeiter] Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, herausgegeben von Krüger, Wolfgang/Rauscher, Thomas, 6. Aufl., München 2020 [zitiert: MüKoZPO/Bearbeiter] Nomos Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch – Allgemeiner Teil §§ 1–240, herausgegeben von Heidel, Thomas/Hüßtege, Rainer/Mansel, Heinz-Peter/Noack, Ulrich, 4. Aufl., München 2020 [zitiert: NK-BGB/Bearbeiter] Palandt, Otto (Begr.): Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen, 79. Aufl., München 2020 [zitiert: Palandt/Bearbeiter] Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB, Band 1, Frankfurt a. M. 1897–1899 [zitiert: Protokolle I] Prütting, Hanns/Wegen, Gerhard/Weinreich, Gerd (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch: BGB – Kommentar, 14. Aufl., Köln 2019 [zitiert: Prütting/Wegen/Weinreich/Bearbeiter] Säcker, Franz Jürgen (Hrsg.): Telekommunikationsgesetz. Kommentar, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2013 [zitiert: Bearbeiter, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG] Saenger, Ingo (Hrsg.): Zivilprozessordnung – Familienverfahren, Gerichtsverfassung, Europäisches Verfahrensrecht, 8. Aufl., Baden-Baden 2019 [zitiert: Saenger/Bearbeiter, ZPO] Scheurle, Klaus-Dieter/Mayen, Thomas (Hrsg.): Telekommunikationsgesetz. Kommentar, 3. Aufl., München 2018 [zitiert: Bearbeiter, in Scheurle/Mayen, TKG] Schmoeckel, Mathias/Rückert, Joachim/Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): HistorischKritischer Kommentar zum BGB – Band I Allgemeiner Teil §§ 1–240, Tübingen 2003 [zitiert: HKK/Bearbeiter] Soergel, Hans Theodor (Begr.): Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetzen und Nebengesetzen, 13. Aufl., Stuttgart Berlin Köln Mainz 1999 [zitiert: Soergel/ Bearbeiter] Spindler, Gerald/Schuster, Fabian (Hrsg.): Recht der elektronischen Medien, Kommentar, 4. Aufl., München 2019 (zitiert: Spindler/Schuster/Autor) Staudinger, Julius von (Begr.): Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Berlin [zitiert: Staudinger/Bearbeiter]
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II. Lehrbücher, Monographien, Dissertationen und Habilitationen Ackermann, Thomas: Der Schutz des negativen Interesses, Tübingen 2007 Arndt, Helmuth: Die Zurechnung in ihrer Bedeutung für das Zugehen der Willenserklärungen, Marburg 1934 Beuthien, Volker: Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, Tübingen 1969 [zitiert: Zweckerreichung] Bork, Reinhard: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 4. Aufl., Tübingen 2016 [zitiert: BGB AT] Brauner, Karl-Ernst: Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, Witterschlick/Bonn 1988 Brehmer, Nikolaus: Wille und Erklärung – Zu Geltungsgrund, Tatbestand und Zurechnung der Willenserklärung, Baden-Baden 1992 [zitiert: Wille und Erklärung] Brox, Hans: Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, Karlsruhe 1960 Brox, Hans/Walker, Wolf-Dietrich: Allgemeiner Teil des BGB, 43. Aufl., München 2019 [zitiert: BGB AT] Bydlinski, Franz: Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, Wien 1967 [zitiert: Privatautonomie und objektive Grundlagen] Canaris, Claus-Wilhelm: Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971 [zitiert: Vertrauenshaftung] Conrad, Christian: Die Vollmacht als Willenserklärung, Hamburg 2012 Danner, Wolfgang/Theobald, Christian: Energierecht, 101. Ergänzungslieferung, Mai 2019 Dernburg, Heinrich: Pandekten, Band 1, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., Berlin 1902 [zitiert: Pandekten, Allgemeiner Teil] Di Fabio, Udo: Risikoentscheidungen im Rechtsstaat – Zum Wandel der Dogmatik im öffentlichen Recht, insbesondere am Beispiel der Arzneimittelüberwachung, Tübingen 1994 [zitiert: Risikoentscheidungen] Enneccerus, Ludwig: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band 1.1: Einleitung, Allgemeiner Teil, 12. Bearb., Marburg 1928 [zitiert: BGB AT] Enneccerus, Ludwig: Rechtsgeschäft, Bedingung und Anfangstermin, Band I, Marburg 1888 Enneccerus, Ludwig/Nipperdey, Hans Carl: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band 1: Allgemeine Lehren/Personen/Rechtsobjekte, 15. Aufl., Tübingen 1959 [zitiert: BGB AT]
326 Literaturverzeichnis Esser, Josef: Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung. Beiträge zur Reform des Haftpflichtrechts und zu seiner Wiedereinordnung in den Gedanken des allgemeinen Privatrechts, München 1969 [zitiert: Gefährdungshaftung] Faust, Florian: Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Baden-Baden 2018 [zitiert: BGB AT] Flume, Werner: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band – Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., Berlin 1992 [zitiert: BGB AT II] Flume, Werner: Rechtsgeschäft und Privatautonomie, Karlsruhe 1960 Friedmann, Stefan: Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, Bonn 1986 [zitiert: Bildschirmtext] Frotz, Gerhard: Verkehrsschutz im Vertretungsrecht. Zugleich ein Beitrag zur sozialen Verantwortung als Korrelat privatautonomer Gestaltungsfreiheit, Frankfurt 1972 [zitiert: Verkehrsschutz im Vertretungsrecht] Geusen, Manfred: Das Handeln unter fremdem Namen im Zivilrecht, Düsseldorf 1966 [zitiert: Handeln unter fremdem Namen] Giesen, Dieter: BGB Allgemeiner Teil: Rechtsgeschäftslehre, 2. Aufl., Berlin 1995 [zitiert: BGB AT] Grigoleit, Hans Christoph/Herresthal, Carsten: BGB Allgemeiner Teil, 3. Aufl., München 2015 [zitiert: BGB AT] Grotius, Hugo: De iure Belli ac Paris, Amsterdam, Libri Tres, 1735; ins Deutsche übersetzt und herausgegeben von Walter Schätzel, Tübingen 1950 [zitiert: De iure Belli ac Paris] Hager, Johannes: Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, München 1990 Hansen, Günter: Handeln unter fremdem Namen – Eine Untersuchung über die rechtlichen Folgen des Handelns unter fremdem Namen auf dem Gebiete des Bürger lichen Rechts und des Rechtes der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, Köln 1938 [zitiert: Handeln unter fremdem Namen] Hardwig, Werner: Die Zurechnung – Ein Zentralproblem des Strafrechts, Hamburg 1957 [zitiert: Die Zurechnung] Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821 Henkel, Heinrich: Einführung in die Rechtsphilosophie: Grundlagen des Rechts, 2. Aufl., München 1977 [zitiert: Rechtsphilosophie] Henle, Rudolf: Lehrbuch des bürgerlichen Rechts. Band 1: Allgemeiner Teil, Berlin 1926 [zitiert: BGB AT] Henle, Rudolf: Vorstellungs- und Willenstheorie in der Lehre von der juristischen Willenserklärung, Leipzig 1910 [zitiert: Vorstellungs- und Willenstheorie] Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand, Tübingen 1994 Hepting, Reinhard: Ehevereinbarungen: die autonome Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Verhältnis zu Eherecht, Rechtsgeschäftslehre und Schuldrecht, München 1984 [zitiert: Ehevereinbarungen]
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330 Literaturverzeichnis Rüthers, Bernd/Fischer, Christian/Birk, Axel: Rechtstheorie – mit Juristischer Methodenlehre, 10. Aufl., München 2018 [zitiert: Rechtstheorie] Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts, Band 3, Berlin 1840 Schack, Haimo: BGB – Allgemeiner Teil, 16. Aufl., Heidelberg 2019 [zitiert: BGB AT] Schapp, Jan: Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, Tübingen 1986 Schenck, Dedo von: Der Begriff der „Sphäre“ in der Rechtswissenschaft insbesondere als Grundlage der Schadenszurechnung, Berlin 1977 [zitiert: Der Begriff der „Sphäre“] Schiefer, Frank: Strukturen der Erfolgszurechnung im Strafrecht und im zivilen Deliktsrecht, Regensburg 2001 Schneider, Matthias: Die rechtsgeschäftliche Haftung für den Accountmissbrauch im Internet, Berlin 2015 Schnell, Daniel: Signaturmissbrauch und Rechtsscheinhaftung, Berlin 2007 Schütz, Alfred: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt – Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Konstanz 1974 [zitiert: Der sinnhafte Aufbau] Singer, Reinhard: Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, München 1993 Singer, Reinhard: Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, München 1995 [zitiert: Selbstbestimmung und Verkehrsschutz] Stadler, Astrid: Allgemeiner Teil des BGB, 19. Aufl., München 2017 [zitiert: BGB AT] Stoll, Hans: Das Handeln auf eigene Gefahr: eine rechtsvergleichende Untersuchung, Berlin 1961 [zitiert: Das Handeln auf eigene Gefahr] Süßenberger, Christoph: Das Rechtsgeschäft im Internet, Frankfurt 2000 Thiele, Wolfgang: Die Zustimmungen in der Lehre vom Rechtsgeschäft, Köln/München 1966 Viebcke, Volker: Durch Datenverarbeitungsanlagen abgegebene Willenserklärungen und ihre Anfechtung, Marburg 1972 Wellspacher, Moriz: Das Vertrauen auf äußere Tatbestände im bürgerlichen Rechte, Wien 1906 Werba, Ulf: Die Willenserklärung ohne Willen, Berlin 2005 Wertenbruch, Johannes: BGB Allgemeiner Teil, 4. Aufl., München 2017 [zitiert: BGB AT] Wiebe, Andreas: Die elektronische Willenserklärung, Tübingen 2002 Wilburg, Walter: Die Elemente des Schadensrechts, Marburg 1941 Witzel, Horst/Topp, Adolf: Allgemeine Versorgungsbedingungen für Fernwärme, Erläuterungen für die Praxis zur Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1997
Literaturverzeichnis331 Wolf, Manfred: Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, Tübingen 1970 Zippelius, Reinhold: Juristische Methodenlehre, 11. Aufl., München 2012 Zitelmann, Ernst: Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs: System zum Selbststu dium und zum Gebrauch bei Vorträgen, Band 1, Allgemeiner Teil, Leipzig 1900 [zitiert: BGB AT[
III. Aufsätze und Einzeldarstellungen Adomeit, Klaus: Die gestörte Vertragsparität – ein Trugbild, NJW 1994, 2467 Ahrens, Hans-Jürgen: Zum Vorliegen einer Willenserklärung trotz fehlenden Erklärungsbewußtseins – Anfechtung der Willenserklärung; Anmerkung zum Urteil des BGH vom 7.6.1984 – IX ZR 66/83, JZ 1984, 986 Ammann, Thorsten: Künstliche Intelligenz und ihre Herausforderungen bei der Gestaltung von IT-Verträgen, DSRITB 2017, 503 Bähr, Otto: Ueber Irrungen im Contrahieren, in: Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Jher. Jb.), Band 14 (1875), S. 393 Bartels, Florian: Die Bestimmung der Vertragssubjekte und der Offenheitsgrundsatz des Stellvertretungsrechts, Jura 2015, 438 Bartholomeyczik, Horst: Die subjektiven Merkmale der Willenserklärung, in: Ferid, Murad (Hrsg.), Festschrift für Hans G. Ficker: zum 70. Geburtstag am 20. Juli 1967, Frankfurt 1967, S. 51 ff. Becker, Tilmann/Schäfer, Alexander: Die Anfechtung von Vollmachten, JA 2006, 597 Biehl, Björn: Grundsätze der Vertragsauslegung, JuS 2010, 195 Borges, Georg: Rechtsscheinhaftung im Internet, NJW 2011, 2400 Bräutigam, Peter/Klindt, Thomas: Industrie 4.0, das Internet der Dinge und das Recht, NJW 2015, 1137 Braun, Johann: Meine Freiheit ist deine Freiheit, JZ 2004, 610 Brehmer, Nikolaus: Willenserklärung und Erklärungsbewußtsein – BGHZ 91, 324, JuS 1986, 440 Bridgeman, Bruce: Free will and the functions of consciousness, The Behavioral and Brain Sciences (1985) 8, 540 Brox, Hans: Der Bundesgerichtshof und seine Andeutungstheorie, JA 1984, 549 Bydlinski, Franz: Erklärungsbewußtsein und Rechtsgeschäft, JZ 1975, 1 Canaris, Claus-Wilhelm: Anmerkung zur Entscheidung des BGH, Urt. v. 25.6.1973 (II ZR 133/70) – Rechtsscheinhaftung aus Wechsel bei nicht entstandener KG; Erbringung der Kommanditeinlage durch Verrechnung, NJW 1974, 455 Canaris, Claus-Wilhelm: Anmerkung zur Entscheidung des BGH, Urt. v. 30.5.1975 (V ZR 206/73), JZ 1976, 132
332 Literaturverzeichnis Canaris, Claus-Wilhelm: Anmerkung zur Entscheidung des BGH, Urt. v. 7.6.1984 (IX ZR 66/83) – Ohne Erklärungsbewusstsein erfolgte tatsächliche Mitteilung als Willenserklärung, NJW 1984, 2281 Canaris, Claus-Wilhelm: Anmerkung zur Entscheidung des BGH, Urt. v. 24.6.1991 (II ZR 293/90) – Rechtsscheinhaftung wegen Fortlassung des Formzusatzes „GmbH“, NJW 1991, 2628 Canaris, Claus-Wilhelm: Die Bedeutung allgemeiner Auslegungs- und Rechtsfortbildungskriterien im Wechselrecht, JZ 1987, 543 Canaris, Claus-Wilhelm: Die Vertrauenshaftung im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: Canaris, Claus-Wilhelm/Heldrich, Andreas/Hopt, Klaus J./ Roxin, Claus/Wildmaier, Gunter (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe der Wissenschaft, 2000, Band 1, S. 129 Canaris, Claus-Wilhelm: Geschäfts- und Verschuldensfähigkeit bei Haftung aus „culpa in contrahendo“, Gefährdung und Aufopferung, NJW 1964, 1987 Canaris, Claus-Wilhelm: Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), S. 201 Canaris, Claus-Wilhelm: Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Recht der Geschäftsfähigkeit und im Schadensersatzrecht, JZ 1987, 993 Canaris, Claus-Wilhelm: Zur Frage der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften, die mit Hilfe einer entwendeten Vollmachtsurkunde zustande gekommen sind, JZ 1976, 132 Chiusi, Tiziana J: Zur Verzichtbarkeit von Rechtsscheinwirkungen, AcP 202 (2002), S. 494 Cordes, Albrecht: Die klassische Entscheidung – Der Haakjöringsköd-Fall (RGZ 99, 147–149), Jura 1991, 352 Cornelius, Kai: Vertragsschluss durch autonome elektronische Agenten, MMR 2002, 353 Craushaar, Götz von: Die Bedeutung der Rechtsgeschäftslehre für die Problematik der Scheinvollmacht, AcP 174 (1974), S. 2 Deutsch, Erwin: Grundmechanismen der Haftung nach deutschem Recht, JZ 1968, 721 Diederichsen, Uwe: Der „Vertragsschluß“ durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben, JuS 1966, 129 Dilcher, Hermann: Die Willenserklärung nach dem preußischen ALR „frei, ernstlich und zuverlässig“, in: Kleinheyer, Gerd (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsgeschichte: Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, Paderborn 1979, S. 65 ff. Ditscheid, Alexander: Der neue Telekommunikationskundenschutz, MMR 2007, 210 Dreier, Ralf: Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz (1978), in ders. (Hrsg.), Recht – Moral – Ideologie. Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1978, S. 70 ff. [zitiert: R. Dreier, Recht – Moral – Ideologie] Ehmann, Horst: Die Entwicklung des Versprechensvertrags – gegen die Mystik des Willensvereinigungsmodells, in: Agallopoulou, Pēnelopē (Hrsg.), Timētikos tomos
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Stichwortverzeichnis Abgabe siehe Willenserklärung Adressatenkreis siehe Auslegung Allgemeines Preußisches Landrecht 109 ff. Anfechtbarkeit 74 ff., 77, 81 f., 203 ff., 262 f. Anfechtung –– Schadensersatz 77, 255 –– wegen Drohung oder Täuschung 142, 255 ff., 271 f. –– wegen Irrtums 143, 203 f., 253 ff., 270 Anscheinsbeweis 260 f., 305 ff. Anscheinsvollmacht 53 ff., 72 ff., 80 ff., 237 ff., 308 Auslegung 45 ff., 57 ff., 63, 143 ff., 173, 174, 265 –– Adressatenkreis 152 ff., 265 f. –– Dritthandeln 265 f. –– eindeutiger Erklärungen 145 –– Empfängerhorizont, objektiv-normativer 153 –– Empfängerkreis 151 ff. –– Gegenstand 144 –– Vorgang 150 –– Zurechnung 174 f. Beweiserleichterungen 197, 259 f., 305 ff. Beweislast 66, 197, 259 ff., 287, 290, 305 ff. Blankett 139, 185, 207 Computererklärung 94 f., 138 ff., 185 f. Darlegungslast 259 ff. Daseinsvorsorge 36 ff., 280, 288 ff., 309 f.
Disponibilität, Rechtswirkungen 51, 213, 263 f. Dritthandeln, Dritthandlungen –– offenes, offensichtliches 49, 265 f. –– verdecktes 22, 44, 53, 265 f. Drittinteressen 157 ff. Duldungsvollmacht 40, 53 ff., 72 ff., 78, 80 ff., 237 ff., 308 Eigengeschäft 22 ff., 30 f., 44 f. Empfängerhorizont siehe Auslegung Empfängerkreis siehe Auslegung Entnahme von Leistungen der Daseinsvorsorge 36 ff., 44, 57 f., 278 ff., 309 ff. Entstehungsgeschichte des BGB 113 f. Erfüllung 72 ff. Erfüllungsgehilfe 21, 169, 196, 279, 302 f. Erfüllungshaftung 130 ff. Erfüllungsschaden 71 ff. Erklärungsbewusstsein 72 ff., 114, 120 ff., 130, 133, 231 ff. Erklärungsfahrlässigkeit 66, 70, 125 ff., 129 ff., 224 ff., 267 Erklärungstheorie 111 ff., 115, 123 ff. Fahrlässigkeit siehe Verschulden falsa demonstratio non nocet 154 ff. falsus procurator 34, 74, 77, 139 f., 216, 274 ff. Fiktion siehe Willensfiktion Formerfordernis, Formvorschriften 27, 257 f. Formzwecke 155 f., 257, 267 Fremdgeschäft 22 ff., 30 ff., 42, 44 f. Gefahrbeherrschung siehe Risikoprinzip Gefährdungshaftung 194 ff.
Stichwortverzeichnis341 Gefahrschaffung siehe Risikoprinzip Geltungstheorie 115 ff. Geschäftsfähigkeit 63, 89, 141, 169, 229, 249, 267 Geschäftsverkehr, elektronischer 25, 34 f., 40 ff., 55 f., 199 Geschäftswille 92, 120, 135 f., 231 f. Haftung –– Begriff 167 –– negative 66 f., 74, 77, 131, 203, 211, 216 ff., 239 ff., 245 –– positive 69 ff., 72, 75 ff., 78, 80, 198 ff., 203 ff., 211, 214 ff., 245 Handeln unter falschem Namen 43 f., 267 Handeln unter fremdem Namen 22 ff., 29 ff., 46 ff., 246, 267 ff. –– Einschaltung einer Marionettenfigur 34 –– Entnahme von Leistungen der Daseinsvorsorge siehe Entnahme von Leistungen der Daseinsvorsorge –– Identitätstäuschung 24, 27 ff., 46 ff., 273 –– im Briefverkehr 34 –– im elektronischen Geschäftsverkehr 40 ff. –– ohne Vertretungsmacht 30 –– per Telegramm 33 –– unter Abwesenden 29 –– unter Anwesenden 29 –– unter Beteiligung von Vermittlern 35 –– unter fremden Telekommunikationsanschlüssen 32 Handeln unter fremder Identität siehe Handeln unter fremdem Namen Handlungswille 92, 118 f., 136 ff., 138 ff., 232 ff., 245 Identitätstäuschung siehe Handeln unter fremdem Namen Interesse –– negatives 66 f., 74, 77, 131, 203, 211, 216 ff., 239 ff., 245
–– positives 69 ff., 72, 75 ff., 78, 80, 198 ff., 203 ff., 211, 214 ff., 245 Kausalität siehe Zurechnung Leistungsentnahme durch Dritte 36 ff., 57 ff., 278 ff., 288 ff., 309 ff. Mentalreservation 63 f., 115, 200, 252, 269 Mindesttatbestand der Willenserklärung siehe Minimaltatbestand Mindestvoraussetzungen der Willenserklärung siehe Minimaltatbestand Minimaltatbestand der Willenserklärung 62, 231, 245, 249 ff., 259 ff., 266 ff. Namenstäuschung 23 Naturrechtslehre 109 ff. Nutzerkonto, elektronisches 40 ff., 248, 261 Offenheitsprinzip, Offenkundigkeitsprinzip, Offenlegungsgrundsatz 46 ff., 268 ff. –– Entstehungsgeschichte 51 –– Systematik 48 –– Telos 49 ff. –– Wortlaut 47 Privatautonomie 98 ff. –– im engeren Sinne 98 –– im weiteren Sinne 99 ff. –– verfassungsrechtliche Dimension 102 ff. –– Verhältnis zu Verkehrs- und Vertrauensschutz 107 ff. –– Willensfreiheit 90 Pseudonym 42 f. Realofferte 36 ff., 57 f. Rechtsgeschäft 114 ff., 163 ff. –– höchstpersönlich 27 Rechtsgeschäftslehre, allgemeine 61 ff., 114 ff.
342 Stichwortverzeichnis Rechtsscheinhaftung 55 ff., 73, 79 ff., 212 ff., 235 ff., 261 ff. Rechtsscheinvollmacht 28 f., 42 f., 55, 80 f., 212 ff., 235 ff., 259, 261 Rechtsscheinwirkung 217 f., 259, 261 ff. –– Disponibilität, Wahlrecht 263 –– zu Lasten des Zurechnungsadressaten 263 Registrierung –– unter falschem Namen siehe Pseudonym –– unter fremdem Namen 43 Risiko 178 ff. –– Beherrschbarkeit von Risiko, abstrakte 181 f., 245 –– Beherrschbarkeit von Risiko, konkrete 181 f., 246 –– Beherrschung, tatsächliche 183 f. –– Erhöhen von Risiko 184 f. –– Erkennbarkeit 190 ff., 193 f. –– Setzen von Risiko 184 Risikobegriff 178 Risikobewusstsein 190 ff. Risikoprinzip 178 ff. –– dogmengeschichtlicher Hintergrund 179 f. –– Gefahrbeherrschung 186, 188 –– Gefahrschaffung 186, 188 –– Geltungsgrund, Legitimationsgrund 186 ff. –– Selbstverantwortung 190 –– wirtschaftlicher Vorteil 189 –– zivilrechtliche Risikozurechnung 197 Risikosphäre 178 ff., 245 ff. –– absolute Bestimmung 187 f., 245 ff. –– Bestimmung unter Abwesenden 247 f. –– Bestimmung unter Anwesenden 246 f. –– relative Bestimmung 187 f. Scheingeschäft 64, 201, 252, 268 f. Scherzerklärung 65 ff., 123 ff., 130 ff., 201 f., 208 f., 252 f., 269
Schutzpflicht des Staates 103 f. Selbstbestimmung 84, 87, 91, 99 ff., 105, 116 f., 118 f., 124, 127, 130, 147 f., 157, 200, 203 ff., 227, 234, 241 Selbstbindung 84, 100 Selbstverantwortung 87, 91, 100 f., 118 f., 190 f. Sorgfaltswidrigkeit 77 f., 223, 229, 287 ff., 294 ff. Stellvertretung 26 ff., 46 ff., 60, 77, 172, 258, 268 ff. Telekommunikation 278, 280 ff., 290 ff., 309 f. –– Telekommunikationsdienste, Telekommunikationsleistungen Testament 27, 101, 152, 257 Theorien –– kombinatorische 119 ff. –– normative 117 ff. Veranlassung siehe Zurechnung Verantwortlichkeit, Verantwortung siehe Zurechnung Verantwortungssphäre 245, 265 ff., 293, 309 ff., 313 Verkehrsschutz 61, 63 f., 70, 98 ff., 105 ff., 111, 142, 157 ff., 175 Verrichtungsgehilfe 168 f., 196 Verschulden 66, 78 f., 125 f., 131, 134 ff., 177, 179, 201, 218 ff., 244 f., 262, 300 –– als Zurechnungsprinzip siehe Zurechnung –– Fahrlässigkeit 221 ff., 222, 224 ff. –– Vorsatz 219 ff., 222 Versorgungsanschluss 60, 289, 311 –– Inhaber der Verfügungsgewalt 38 ff., 289 Versorgungsvertrag 36 ff., 44, 57 ff., 278 ff. Vertragsfreiheit 102, 109, 175 Vertragsschluss –– allgemein 61 ff., 114 ff.
Stichwortverzeichnis343 –– römische Antike 109 Vertrauen 71 ff., 79 ff., 83 ff., 98 ff., 106 f., 142, 239 ff. Vertrauenshaftung 79, 83 ff., 239 ff. Vertrauensschaden 74 f., 255 Vertrauensschutz 105 f., 107 f., 142, 239 ff. Vertretenmüssen 297 Vertretung siehe Stellvertretung Vertretungsmacht –– Vertreter ohne siehe falsus procurator Verursachung siehe Zurechnung Vollmachtsurkunde 49 f., 73 f., 214 ff., 235 f., 262 Vorbehalt, geheimer siehe Mentalreservation Vorsatz siehe Verschulden Wille, rechtsgeschäftlicher 87 ff., 114 ff., 143 ff., 231 Willensdogma 64 f., 111 ff., 141, 244 Willenserklärung 109 ff., 114 ff., 141 ff., 143 ff., 231 ff., 243 ff. –– Abgabe 68 ff., 83, 93 f., 138 f., 250 –– abhandengekommen 68 ff., 83, 233, 251 –– Auslegung siehe Auslegung –– automatische, automatisierte 94 f., 138 ff., 185 f. –– Begriff 141 ff. –– Bestimmung 144 –– echte 261 –– elektronische 94 f., 138 ff., 185 f. –– finale 231 –– irrtumsbehaftete 67 –– normativ zugerechnete 231 –– objektiver Tatbestand 143 ff., 243 –– subjektiver Tatbestand 123 ff. –– Zugang 70 f., 210 ff., 251 Willensfiktion 92 ff. –– gesetzliche 234 f. –– inhaltliche 93 f.
–– rechtsgeschäftlicher Wille 91, 92 ff., 95, 112 f. –– zeitliche 94 f. Willensfreiheit 87 ff. –– formelle 88 –– gegenüber Privatpersonen 88 –– gegenüber dem Staat 89 –– materielle 89 ff. Willensmängel 252 ff., 268 ff. siehe auch Anfechtbarkeit und Anfechtung Willenstheorie 111 ff., 115 Wissenszurechnung 272 f. Zahlungsverkehr, elektronischer 284 ff., 303 ff., 310, 312 f. –– Authentifizierung 286 ff., 304 ff., 312 –– Autorisierung 284 ff., 304 ff., 312 Zugang siehe Willenserklärung Zurechnung 163 ff. –– allgemein 163 ff. –– aufgrund der Inanspruchnahme von Vertrauen 239 ff. –– aufgrund von Rechtsscheinhaftung 235 ff. –– aufgrund von Verantwortlichkeit, Verantwortung 175 f. –– durch Auslegung 174 f. –– durch Beweis 172 ff. –– durch Kausalität (Verursachung, Veranlassung) 176 ff. –– durch Risiko siehe Risiko –– durch Verschulden siehe auch Verschulden 224 ff. –– durch Zuordnung zur Verantwortungssphäre siehe Verantwortungssphäre –– im engeren Sinne 166 f. –– normative 165 f. –– rechtliche 163 ff. –– tatsächliche 165 f. –– qua Gesetz 165 f., 279 f., 288 ff., 310 ff. –– qua Vertrag 279, 280 ff., 309 ff.
344 Stichwortverzeichnis –– subsidiäre 313 f. –– unter Abwesenden 247 f. –– unter Anwesenden 246 f. Zurechnungsbegriff 163 f. Zurechnungsgegenstand –– rechtsgeschäftlicher 243 f., 245 –– rechtlicher 169
Zurechnungsgrund siehe Zurechnung, Zurechnungsprinzip Zurechnungskriterium siehe Zurechnung, Zurechnungsprinzip Zurechnungsprinzip, rechtsgeschäftlich 169 ff., 244 Zurechnungstatbestand 169 ff.