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German Pages 165 Year 1985
CHRISTOPH LANDSCHEIDT
Zur Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten
Schriften zum Strafrecht Band 62
Zur Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten Zugleich ein Beitrag zur Gefahrenquellenverantwortlichkeit im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte
Von
Dr. Christoph Landscheidt
DUNCKER & HUMBLOT /
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Landscheidt, Christoph: Zur Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten: zugl. e. Beitr. zur Gefahrenquellenverantwortlichkeit im Rahmen d. unechten Unterlassungsdelikte / von Christoph Landscheidt. Berlin: Duncker und Humblot, 1985. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 62) ISBN 3-428-05793-7
NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
IC> 1985 Duncker & Humblot, BerUn 41
Gedruckt 1985 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany ISBN 3-428-05793-7
Vorwort Der Rauminhaber, in dessen Räumlichkeiten andere zu Schaden kommen oder zu kommen drohen, fühlt sich regelmäßig stärker in das rechtsgutsgefährdende bzw. -verletzende Geschehen involviert als andere. Das Problem, ob er im Falle seines Untätigbleibens nur gern. § 323 c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung zu bestrafen ist oder ob er als Garant gern. § 13 StGB dafür einzustehen hat, daß der Schadenserfolg ausbleibt, ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Einen Schwerpunkt bildet die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich die Räumlichkeit als eine überwachungspflichtige Gefahrenquelle erweist, insbesondere, ob die Pflichten des Rauminhabers über die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten hinausgehen. Besondere Berücksichtigung schließlich finden jene höchst problematischen Fälle, in denen der Rauminhaber nicht verhindert, daß in seinen Räumen Straftaten begangen werden. Die Arbeit hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Sommersemester 1984 als Dissertation vorgelegen. Zu besonderem Dank bin ich Herrn Prof. Dr. Ulrich Berz für die Anregung und Betreuung der Arbeit verpflichtet. Dank schulde ich ferner Herrn Dr. Andreas Ruck, der mir stets ein interessierter und kritischer Gesprächspartner gewesen ist. Schließlich danke ich den Mitarbeitern des Verlages Duncker & Humblot für die problemlose Zusammenarbeit. Bochum, im November 1984 Christoph Landscheidt
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil Einführung
A. Aktuelle Problematik ..............................................
13
B. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung ........................
17
I. Die Kombination von genetischer und funktionaler Betrach-
tungsweise als Basis der modernen Garantenlehre ..............
18
11. Mögliche Alternativen des methodischen Vorgehens ............
24
III. überblick über das weitere Vorgehen ..........................
25
Zweiter Teil t}berblick über die Rechtsprechung zu den Garantenpftichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten
A. Der Rechtsstellungsgedanke in der Rechtsprechung des Reichsgerichts 27 B. Die Tendenz zur Anerkennung einer eigenständigen Garantenstellung des Rauminhabers ................................................. 33
c. Einschränkungstendenzen in der jüngeren Rechtsprechung
40
D. Zusammenfassung .................................................
43
Dritter Teil Lösungsansätze im Schrifttum A. Der soziale Herrschaftsbereich als Grundlage erhöhter Verantwortung 45
Inhaltsverzeichnis
8
I. Die Einflußsphäre des räumlich-gegenständlichen Herrschafts-
bereichs als zentrales Haftungskriterium ........................
45
11. Die Konkretisierung des Herrschaftsgedankens ................
47
111. Kritik .........................................................
49
B. Das "Kehrseitenargument" oder die Lehre von den bestimmten Vorrechten korrespondierenden Pflichten .............................. 53 I. Inhalt und Reichweite der Rechte- und Pflichten-Verknüpfung
53
11. Der Einwand des Grund-Folge-Verhältnisses von Pflicht und Recht.......................................................... 56 111. Gegenkritik ...................................................
56
IV. Weitere Einwände gegen die Kehrseitentheorie
58
1. Die Degeneration des Art. 13 Abs. 1 GG vom Grundrecht zum
Pflicht recht .................................................
58
2. Diskrepanz zwischen rechtlicher und faktischer Abschirmung des Herrschaftsbereichs .....................................
59
V. Verwerfung des Kehrseitenarguments
c. Die Garantenstellung aus Eigentum und Besitz auf der Grundlage der Pflichtenbindung des Art. 14 Abs. 2 GG .............. . . . . . . . . . . ..
I. Der Satz "Eigentum verpflichtet" als Grundlage strafrechtlicher
Handlungspflichten
61
62
............................................
64
11. Die faktische Bedeutungslosigkeit des Art. 14 Abs. 2 GG für die strafrechtliche Eigentümerhaftung ..............................
66
111. Die bedenkliche Wiederbelebung des "Monopolgedankens" in den sog. Einsperrungsfällen ........................................ 67 IV. Die Gefahr der Entwertung des Grundrechts D. Zusammenfassung .................................................
69 71
Vierter Teil Die Garantenpßichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten im Lichte der die funktionale und genetische Betrachtungsweise kombinierenden Garantenlehre A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenzhaftung des Rauminhabers ...........................................................
73
Inhaltsverzeichnis I. Der Raum als überwachungs- und kontrollpflichtige Gefahren-
quelle .........................................................
1. Die Zustandsverantwortlichkeit für dingliche Gefahrenquellen
im allgemeinen .............................................
9 73 74
a) Die generelle Verantwortung des Sachherrn in allen Fällen der Gefahrhervorrufung durch die Sache in der Lehre Herzbergs ....................................................
74 aal Skizzierung der dogmatischen Grundlage des überwachungsprinzips .................................... 75 bb) Kritik ............................................... 77
b) Die Begrenzung der Verantwortung des Sachherrn auf typische, unmittelbare Sachgefahren bei Pfleiderer ..........
79
c) Die faktische Begrenzung der Verantwortung des Sachherrn auf die Verkehrssicherung unter Ausschluß von Rettungspflichten nach h. M. ...................................... 82 d) Stellungnahme ...........................................
84
2. Die Zustandsverantwortlichkeit des Rauminhabers im besonderen ....................................................... 86 a) Die Pflicht des Rauminhabers zur Herstellung und Erhaltung der Verkehrssicherheit... .. ... . .. ..... ... .. . . . . ... .. 86 b) Besondere Pflichten des Rauminhabers bei Gefahren, die nicht auf mangelnder Verkehrssicherheit beruhen? ........ aal Die Pflicht zur Befreiung Eingeschlossener ............ (1) Uneingeschränkte Rettungspflicht ................ (2) Die differenzierende Betrachtung der Einsperrungsfälle ............................................. bb) Die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten innerhalb der Räumlichkeiten .................................. (1) Die Bedeutung der "besonderen Beschaffenheit und Lage des Raumes" nach h. M. .................... (2) Kritik und zusammenfassende Stellungnahme .... (a) Wohnkomfort als haftungsrelevante Quelle der Gefahr? ..................................... (b) "Soziale Brennpunkte" als schlechthin überwachungspflichtige Gefahrenquellen .......... (c) Fazit: Die besondere Beschaffenheit und Lage des Raumes - ein untaugliches Kriterium ....
88 88 88 92 96 96 97 97 98 99
11. Der Mensch als "Gefahrenquelle" innerhalb einer Räumlichkeit 101 1. Die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten aus der durch das
Hausrecht begründeten Autoritätsstellung ................... 104
2. Die Aufsichtspflicht innerhalb eines Raumes kraft beruflicher Autoritätsstellung ........................................... 107 a) Zur überwachungsgarantensteIlung des Polizeibeamten als Ausgangspunkt .......................................... 107 b) Die Pflicht des Gastwirts zur überwachung seiner Gäste 109
10
Inhaltsverzeichnis c) überwachungspflichten des Betriebsinhabers .............. aal Die Pflicht des Betriebsinhabers zur Verhinderung von Straftaten ........................................... (1) § 130 OWiG als normative Grundlage ............ (2) Einwand und Stellungnahme .................... (a) Die deliktische Geschäftsherrnhaftung gern. § 831 BGB .................................... (b) Kriminalpolitische überlegung ............... bb) Beschränkung der Eingriffspflichten auf betriebsbezogene Straftaten ......................................
110 112 112 113 113 114 115
3. Zusammenfassung .......................................... 117 IH. Gefahrschaffendes Vorverhalten des Rauminhabers ............
117
1. Die
vorsätzliche, aber gerechtfertigte Einschließung eines Dritten in einem Raum ..................................... 118
2. Die versehentliche Einschließung eines Dritten .............. 120 3. Die Schaffung der Gefahr von Straftaten durch Auswahl und Zusammenführung von Gästen durch den privaten Gastgeber 121 4. Der Ausschank von Alkohol durch den Gastwirt bzw. durch den privaten Gastgeber ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 a) Die Haftung des Gastwirts ............................... 127 b) Die Haftung des privaten Gastgebers ..................... 131 5. Die Verabreichung von Betäubungsmitteln und die Ermöglichung der Einnahme dieser Mittel in der privaten Wohnung 132 6. Zusammenfassung .......................................... 139 B. Schutzpflichten des Rauminhabers aus seiner besonderen Beziehung zum bedrohten Rechtsgut .......................................... 140 I. Einführung, Problemausgrenzung .............................. 140
11. Die Garantenstellung aus häuslicher Gemeinschaft .............. 142 1. Eigenständiger Garantieaspekt oder Subspezies der Obhuts-
übernahme? ................................................. 142
2. Die Gefahrschaffung bzw. -erhöhung als konstitutive Komponente der Obhutsübernahme ................................ 145 a) Kausalität der übernahme für die Gefahrerhöhung ...... 145 b) Die Gegenmeinung ...................................... 146 c) Stellungnahme ........................................... 147 3. Konsequenzen für die praktische Problembewältigung ...... 150
Inhaltsverzeichnis
11
a) Die Pflichtenübernahme in der Lebens- und Wohngemeinschaft .................................................... 150 b) Die Pflichtenübernahme durch den privaten Gastgeber
153
c) Die Pflichtenübernahme durch den Gastwirt, Hotelier und andere Betriebsinhaber .................................. 154 4. Zusammenfassung .......................................... 156
Ergebnis der Untersuchung ........................................... 157 Literaturverzeichnis ................................................... 159
Erster Teil
Einführung
A. Aktuelle Problematik "Die Garantenpflicht des Inhabers der Herrschaftsgewalt über Räume, strafbare Handlungen in den seinem Einfluß unterstehenden Räumlichkeiten zu verhindern, ist wohl zu den dubiosesten Fragenkomplexen der gesamten Garantenproblematik zu zählen." Diese Äußerung von Landau1 in seiner im Jahre 1976 erschienenen Dissertation sollte durch eine noch im selben Jahr bekannt gewordene Entscheidung des Bundesgerichtshofs2 sowie durch eine zweite aus dem Jahr 19823 ihre aktuelle Bestätigung finden. Die Wiedergabe der den genannten Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte mag an dieser Stelle der Verdeutlichung der zur Untersuchung anstehenden Materie dienen: Im ersten Fall hatte der Angeklagte einen obdachlosen Rentner, den er in einer Gastwirtschaft kennengelernt hatte, gegen eine Mietvorauszahlung von 50,- DM in seiner Wohnung aufgenommen. Noch am selben Tag tranken sie zusammen mit zwei weiteren Gästen, die der Angeklagte mitgebracht hatte, erhebliche Mengen Alkohol. Nachdem der Rentner eingeschlafen war, zog ihm einer der Gäste die Brieftasche mit Bargeld und einem Sparbuch aus der Jacke. Da das Guthaben in Höhe von 3000,- DM nur gegen ein Kennwort abgehoben werden konnte, forderte er den Rentner auf, es ihm zu nennen. Als dieser nicht reagierte, schlug er ihm mehrfach mit zunehmender Wucht ins Gesicht. Der Rentner erlitt Verletzungen im Nasen- und Rachenraum und erstickte an dem eingeatmeten Blut. Der Angeklagte stand währenddessen in der Nähe und beobachtete das Geschehen. Ihm war klar, daß der Landau, Diss., S. 182. Urt. v. 6.10.1976 - 3 StR 202/76 BGHSt 27, 10 (= JA 1977, 137 m. Anm. Blei = JR 1977, 289 m. Anm. Naucke = JuS 1977, Nr.l0, S.266 m. Anm. Tenckhoff in JuS 1978, 308 = MDR 1977, 150 = NJW 1977, 204). 3 Urt. v. 24.2.1982 3 StR 34/82 BGHSt 30, 391; MDR 1982, 506 (= NJW 1982, 1235; NStZ 1982, 245; m. Anm. Geilen JK StGB § 13/3). 1
2
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1. Teil: Einführung
Rentner erpreßt werden sollte. Er verhinderte die Tat nicht, obwohl er dies gekonnt hätte. Der BGH hat die Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung mit Todesfolge, begangen durch Unterlassen, mit der hier nicht interessierenden Begründung aufgehoben, daß eine Bereicherungsabsicht des Angeklagten nicht festgestellt worden sei. Hingegen hat er die jedenfalls für eine Beihilfe durch Unterlassen relevante Annahme der Strafkammer, daß der Angeklagte als Wohnungsinhaber eine Garantenstellung innehatte, bestätigt. Wer sich auf Einladung des Wohnungsinhabers in eine fremde Wohnung begebe, dürfe sich darauf verlassen, daß ihm dieser - in seinem ,Herrschaftsbereich' - bei schwerwiegenden Gefahren zur Seite stehe. Im zweiten Fall hatte der Haupttäter B zusammen mit anderen die IBjährige A gewaltsam entführt, um sie zu vergewaltigen. Dies scheiterte zunächst an der heftigen Gegenwehr der A. Deshalb transportierte B die A in die Wohnung der beiden angeklagten Eheleute. B hielt das von diesen als Mieter teilweise bewohnte Haus für den passenden Unterschlupf, um sein Vorhaben zu Ende zu führen. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als B und einer seiner Helfer die inzwischen gefesselte und durch die ihr verbundenen Augen außerdem orientierungslose A, die fortwährend um Hilfe schrie, durch das Treppenhaus in das Obergeschoß trugen, wurde der angeklagte Ehemann aufmerksam; er erhielt aber auf seine Frage, was das Ganze solle, eine nichtssagende Antwort. Im Dachgeschoß versuchte B erneut, durch weiter fortgesetzte Schläge und Fußtritte den Widerstand der A zu brechen. Als der angeklagte Ehemann im Dachgeschoß erschien, erzählte ihm die A das Vorgefallene und bat ihn um Hilfe. B bedrohte den angeklagten Ehemann mit dem Tode, worauf dieser erklärte, er werde seine Ehefrau auf der Arbeitsstelle verständigen. Als die Ehefrau erschien und auch sie um Hilfe gebeten wurde, erklärte diese, daß sie das jetzt noch nicht könne, aber später die Eltern der A benachrichtigen werde. Sie beschränkte sich lediglich darauf, das Gesicht der A von Blutspuren zu reinigen und mit einem Staubsauger die Scherben einer bei der Auseinandersetzung zerstörten Tischlampe aufzusaugen. Nachdem B auch der angeklagten Ehefrau gedroht hatte, sie im Falle ihrer Einmischung ebenfalls ,umzubringen', und mit einem auf sie geworfenen Aschenbecher zusätzlich tätlich geworden war, kehrte sie an ihre Arbeitsstelle zurück, ohne gegen die beabsichtigte Vergewaltigung etwas zu unternehmen. Beiden angeklagten Eheleuten war klar, daß B die A gewaltsam entführt hatte, daß er unter Anwendung von Gewalt mit ihr geschlechtlich verkehren und daß er sie auch weiterhin körperlich mißhandeln wollte, und zwar in den zur Ehewohnung gehörenden Räumen. Schließlich gelang es dem B auch, die A noch in der Wohnung der Angeklagten zum Beischlaf zu zwingen. Die Entscheidung des Landgerichts, das das Verhalten der
A.
Aktuelle Problematik
15
beiden angeklagten Eheleute unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Beihilfe durch Unterlassen (zu §§ 177, 237, 223 a, 52)4 beurteilt hatte, hob der BGH auf. Der Inhaber einer Wohnung habe nicht ohne weiteres rechtlich dafür einzustehen, daß in seinen Räumen durch Dritte keine Straftaten begangen würden. Obwohl beide Sachverhalte auf den ersten Blick einige Unterschiede aufweisen, sind sie in wenigstens einem Punkt deckungsgleich. Die untätigen Angeklagten waren Inhaber der Räumlichkeiten, in denen sich die von Dritten begangenen Straftaten abspielten. Da der BGH Anhaltspunkte, die eine hinreichende Grundlage für die Annahme eines der überkommenen und weitgehend anerkannten Garantieverhältnisse (wie z. B. Verwandtschaft, Ingerenz, freiwillige Übernahme) hätten hergeben können, nicht festzustellen vermochte, ging es für ihn allein um die Frage, ob die Angeklagten in ihrer Eigenschaft gerade als Wohnungsinhaber rechtlich dafür einzustehen hatten, daß innerhalb ihrer Räumlichkeiten Dritte keine Straftaten begingen. Von dieser Fragestellung ausgehend untersucht die vorliegende Arbeit das grundsätzliche Problem, ob die Tatsache der Innehabung eines Raumes überhaupt tauglicher Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Unterlassungsverantwortlichkeit des Inhabers sein kann. Die angeführten Fälle aus der Rechtsprechung des BGH sind nur beispielhaft für typische und aktuelle Fallgestaltungen. Die Frage ist, ob - wie es in der Rechtsprechung vielfach geschehen ist 5 - ein eigenständiges Garantieverhältnis aus "verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten"6 anzuerkennen ist. Wäre dies der Fall, so wäre der Rauminhaber nicht nur bei den genannten massiv,en, vorsätzlichen Rechtsgutsverletzungen durch Dritte besonders in Pflicht zu nehmen, sondern er hätte als Garant grundsätzlich Rechtsgutsbeeinträchtigungen innerhalb seiner Räumlichkeiten zu verhindern. Diese nur von einem Teil der Literatur7 bejahte, weitreichende Konsequenz hat die jüngere Rechtsprechung indessen nicht gezogen8 • Sie hat vielmehr den Weg gewählt, die Frage der GarantensteIlung des Wohnungsinhabers im Einzelfall mit Hilfe materieller Kriterien zu beantworten. Diese materiellen Gesichtspunkte sind im wesentlichen den anerkannten FallParagraphen ohne nähere Bezeichnung sind solche des Strafgesetzbuches. Vg!. zunächst nur RGSt 58, 299; 72,373; BGH, NJW 1966, 1763, i. E. wohl auch BGHSt 27, 10. o Formulierung bei Jescheck LK § 13 Rn. 44; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rdn.54. 7 Blei, AT § 87 I 4 a S. 329; Böhm, Diss., S. 68 f.; wohl auch Schönke/Schröder (17. Auf!. 1974) Vorbem. Rn. 128. 8 OLG Stuttgart, NJW 1981, 182; BGHSt 30, 391 u. NStZ 1983, 117 sowie MDR 1984, 90. 4
5
16
1. Teil: Einführung
gruppen der sog. überwachungs- und Beschützergarantieverhältnisse entnommen. Doch weisen die Begründungen erhebliche Unsicherheiten auf hinsichtlich der systematischen Einordnung der maßgeblichen Garantieaspekte. So werden Ingerenz und übernahmekriterien gleichsam addiert zu einer "neuen" Garantenstellung kraft besonderen Vertrauensverhältnisses, die den Wohnungsinhaber verpflichten soll, jenseits der Grenze zur schweren Kriminalität Straftaten gegen seine Gäste zu verhindernD, wobei offenbleibt, woher der BGH diese Einschränkung nimmt. Zum anderen soll sich eine Garantenpflicht des Wohnungsinhabers ergeben können, wenn die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaff.enheit oder Lage eine Gefahrenquelle darstellt, die er so zu sichern und zu überwachen hat, daß sie nicht zum Mittel für die leichtere Ausführung von Straftaten gemacht werden kann 10 • Dabei wird hier anders als bei der Zustandsverantwortlichkeit für sonstige dingliche Gefahrenquellen wie selbstverständlich vorausgesetzt, daß der Inhaber einer Wohnung nicht nur im Rahmen der üblichen Verkehrssicherung zur Gefahrenabwehrl l verpflichtet sei, sondern daß er darüber hinaus ausnahmsweise auch Rettungspflichten habe 12 • Außerdem könnte die sehr allgemein gehaltene Voraussetzung, der Raum müsse wegen seiner "besonderen Beschaffenheit oder Lage" eine Gefahrenquelle darstellen, ein gewandeltes Gefahrenquellenverständnis nahelegen, welches nicht mehr eine konkrete, von der Sache selbst ausgehende Gefahr verlangt 13 , sondern eine generelle, abstrakte Gefährlichkeit der jeweiligen Räume ausreichen läßt. Dies hätte u. U. tiefgreifende Konsequenzen für die bis heute nicht geklärte strafrechtliche Unterlassungsverantwortlichkeit des Gastwirts14• Seine Gasträume stellten möglicherweise als "sozialer Brennpunkt" (insbesondere im Hinblick auf die Begehung von Straftaten) per se eine Gefahrenquelle in diesem weiteren Sinne dar, was gewissermaßen im Rahmen einer allgemeinen Betriebshaftung15 seine umfassende Garantenstellung be9 BGHSt 27, 10; grds. krit. zu einer Summierung von garantenstellungsähnlichen Positionen Jakobs, AT, 29/70 bei Fn. 145; vgl. demgegenüber aber auch Arzt, JA 1980, 553 (649). 10 BGHSt 30, 391 (396). 11 Vgl. zunächst nur Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 43 ff. (44). 12 Z. B. die Pflicht, den von Dritten Eingesperrten zu befreien. Denn bei der Einsperrung wird der Raum "zum Mittel für die Ausführung der Straftat" gemacht, wie es BGHSt 30, 391 verlangt hat. 13 Herzberg, Die Unterlassung, S. 325 ff.; Jescheck LK § 13 Rn. 35; Schönke/ Schröder/Stree § 13 Rn. 43; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 281 fr. 14 Vgl. nur RGSt 58, 299; BGH, NJW 1966, 1763, die die Garantenpflicht des Gastwirts, gegen Straftaten von Gästen einzuschreiten, bejahten; dagegen BGH, GA 1971, 336, wo eine Garantenpflicht des Gastwirts nicht angenommen wurde, sondern nur eine allgemeine Hilfspflicht im Rahmen des § 323 c (330 c a. F.). 15 Ähnlich bereits Geilen, JZ 1965, 469 (473).
A. Aktuelle Problematik
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dingen würde. Andererseits macht der BGH die beachtliche Einschränkung, daß es nicht ausreiche, wenn die Wohnung allein durch ihre sozialübliche Abschirmfunktion zur Gefahrenquelle werde16 • Es muß bezweifelt werden, ob die Rechtspraxis überhaupt mit diesen höchstrichterlichen Grundsätzen arbeiten kann. Denn die wichtige Frage, unter welchen Voraussetzung,en die eigentlich dem Schutz des Menschen dienende Wohnung zu einer die Garantenhaftung auslösenden Gefahrenquelle wird, läßt der BGH selbst 17 ganz und gar offen. Auch ist es keineswegs selbstverständlich, in welcher Weise und in welchen Grenzen die hier primär als Zustandsverantwortlichkeit gedachte Garantenhaftung des Gefahrquellenüberwachers die Pflicht begründet, Straftaten Dritter zu verhindern18 • Angesichts der angedeuteten Unsicherheiten und diametral verlaufender höchstrichterlicher Entscheidungen sowie der großen praktischen Bedeutung der hier angesprochenen Fragen bedarf eine Untersuchung, die sich mit der Problematik möglicher Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten beschäftigt, keiner weiteren Rechtfertigung.
B. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung Es kann nicht überraschen, daß die Rechtsprechung sich so schwer tut, der möglichen Begründung von Garantenpflichten der Inhaber bestimmter Räumlichkeiten ein dogmatisches Fundament zu bereiten. Denn wie BGHSt 30, 391 (396). Insoweit verweist er auf Jescheck LK § 13 Rn. 44; Herzberg, Die Unterlassung, S.331, 334; Maurach/Gössel, AT, Tb. 2 § 45 II C 5, S. 154; Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S.130; Rudolphi SK § 13 Rdn.37; Schmidhäuser, AT, 16/57 ff., S.675; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rdn.47; doch stellt sich dieses Zitat bei näherem Hinsehen als höchst problematisch dar. Zumindest Herzberg, Pfleiderer, Schmidhäuser und Stree behandeln als Fallgestaltungen, in denen die Wohnung eine Gefahrenquelle darstellt, ausschließlich die Fälle der Einsperrung eines Dritten. In diesen Fällen ist es jedoch die "Eigenschaft als Wohnung und damit als nach außen abgeschirmter, der Wahrnehmung dort geschehener von außen entzogener Bereich", der die Gefahr ausmacht, was nach der vom BGH (St 30, 391, 396) selbst aufgestellten Prämisse zur Auslösung der Gefahrquellenverantwortlichkeit des Wohnungsinhabers gerade nicht ausreichen soll. 18 Dies wird besonders deutlich in den Erläuterungen von Jescheck LK § 13 Rn. 44: Die GarantensteIlung des Wohnungsinhabers in den Fällen, in denen die Räumlichkeit als Unterschlupf für Straftäter, als Bereitstellungsplatz für kriminelle Unternehmungen oder als Beutelager genutzt oder in denen der Angriff gegen das Opfer durch die Gestaltung der Wohnung erleichtert oder dem Opfer dadurch die Gegenwehr oder Flucht erschwert werde, soll sich aus dem Gesichtspunkt der Gefahrquellenüberwachung ergeben. Doch behandeln die Erläuterungen unter Rn. 35, auf die verwiesen wird, ausschließlich die Zustandsverantwortlichkeit im Rahmen der Verkehrssicherung und nicht einen einzigen Fall einer Straftatenverhinderungspflicht. 16 17
2 Landscheidt
18
1. Teil: Einführung
stets, wenn es um die Unterlassungsverantwortlichkeit in Fallgestaltungen geht, die sich nicht ohne weiteres auf die überkommenen Entstehungstatbestände (Gesetz, Vertrag, Ingerenz) zurückführen bzw. unter die anerkannten Fallgruppen der Beschützer- und Überwachungsgarantieverhältnisse einordnen lassen, betritt man unsicheres Gelände. Daß spezielle Einzelprobleme der unechten Unterlassungsdelikte bis heute einer überzeugenden und für den Tatrichter praktikablen Lösung harren, ist nicht verwunderlich, wenn nicht einmal die Diskussion um die theoretischen Grundlagen der delicta commissiva per ommissionem zur Ruhe gekommen istl • Die vorliegende Arbeit soll keinen weiteren Beitrag zu dieser Grundlagendiskussion liefern. Die Fülle der im Bereich der Unterlassungsdogmatik, insbesondere hinsichtlich der Entstehung, des Inhalts und der Grenzen von Garantenpflichten, noch ungeklärten Streitfragen läßt vielmehr die Notwendigkeit erkennen, sich bei der Beschäftigung mit der Thematik ausgehend von der bestehenden Dogmatik praktisch relevanten Einzelaspekten zuzuwenden. Mit zunehmender wissenschaftlicher Durchdringung der Gesamtproblematik der GarantensteIlung und der aus ihr folgenden Erfolgsabwendungspflichten wird man den Kreis der jeweiligen Einzelbetrachtungen immer enger ziehen müssen. Dabei darf freilich nicht der Blick für die grundlegenden Fragen gänzlich verlorengehen, die die unechten Unterlassungsdelikte innerhalb der allgemeinen Strafrechtsdogmatik aufwerfen und ohne den eine sinnvolle Einordnung des in Betracht genommenen Problemausschnitts nicht möglich wäre. I. Die Kombination von genetischer und funktionaler Betrachtungsweise als Basis der modernen Garantenlehre Zu den wenigen unbestritteten Prinzipien der Unterlassungs dogmatik gehört die Funktion der GarantensteIlung. Ihre elementare Aufgabe ist es, den Kreis der potentiellen Täter verläßlich festzulegen2 • Diese Begrenzungsfunktion impliziert zugleich das Dilemma der - vom Gesetz1 Aus der Fülle der Literatur seien exemplarisch genannt: Androulakis, Studien zur Problematik der unechten Unterlassungs delikte, München-Berlin 1963; Bärwinkel, Zur Struktur der GarantieverhäItnisse bei den unechten Unterlassungsdelikten, Berlin 1968; Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten, Diss. Berlin 1957; Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, Göttingen 1958; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz, Göttingen 1966; Welp, Vorausgegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, Berlin 1968 sowie die bereits genannten grundlegenden Monographien von Herzberg und Schünemann; aus neuerer Zeit vgl. etwa Arzt, JA 1980, 553 ff., 647 ff., 712 ff.; Maiwald, JuS 1981,473. 2 Arzt, JA 1980, 553 (557).
B. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung
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geber insoweit im Stich gelassenen3 - Rechtsprechung, die bisweilen meint, Fallgestaltungen, die sich zunächst nur schwer oder gar nicht unter die anerkannten Fallgruppen von Garantieverhältnissen einordnen lassen, mit der "Erfindung" neuer Garantenpositionen oder mit der bis zur Unkenntlichkeit geratenen Modifizierung der alten beikommen zu können4 • Eine solche Vorgehensweise heißt, die anerkannte Begrenzungsfunktion der Garantenstellung ad absurdum zu führen. Denn je zahlreicher die in Betracht kommenden Garantieaspekte sind, desto größer wird selbstverständlich auch der potentielle Täterkreis. Von einer wirklichen Begrenzung kann dann nicht mehr die Rede sein, so daß die Frage, wie es denn die Unterlassungsdogmatik mit der in Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankerten Garantiefunktion des Strafgesetzes halte, an Brisanz und Aktualität eher gewinnt als verliert5 • Das Bestreben nach größtmöglicher Bestimmtheit bei der Festlegung der Voraussetzungen von Garantenpflichten ist jedenfalls eine Erklärung für die oft beklagte Hartnäckigkeit, mit der an der überkommenen Dreiteilung nach den Entstehungsgründen (Gesetz, Vertrag, Ingerenz) zum Teil bis heute fest gehalten worden ist 6 • Die an den Entstehungsgründen orientierte genetische Betrachtungsweise scheint auf den ersten Blick am ehesten geeignet, dem unechten Unterlassungsdelikt, insbesondere durch eine streng formale Anlehnung an das Gesetz, eine positivrechtliche Grundlage zu verleihen7 • Aber die klassische Dreiteilung vermittelt eben nur den Anschein einer rechtsquellenmäßigen Legitimation der Garantenstellungen B• In Wahrheit stellt die alleinige Rückführung der Garantenstellungen in bestimmten Fällen, z. B. die Rückführung auf spezialgesetzliche Regelungen außerhalb des Strafgesetzbuches, oftmals nur einen formalen Beleg dar, nicht aber eine überzeugende Begründung für die in concreto aus der Norm abgeleiteten Garantenpflichten9 • Es bleibt nach wie vor dunkel, warum etwa der 3 Zu der Möglichkeit einer gesetzlichen Präzisierung vgl. den Vorschlag von Herzberg, Die Unterlassung, S.362 vor Einführung des § 13; kritisch gegenüber den gesetzgeberischen Möglichkeiten: Jescheck LK § 13 Rn. 14; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 6 m. w. N. 4 So auch Tenckhoff, JuS 1978, 308 (309) für die Neuschöpfung der GarantensteIlung "kraft Vertrauensverhältnisses" in BGHSt 27,10. S Dazu Grünwald ZStW 70 (1958),418; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendung und Strafgesetz, S. 277 ff., 280, 324 ff.; Stratenwerth, AT, Rn. 998. 6 Aus der Rspr. vgl. RGSt 58, 131; 68,394; BGHSt 4, 22; 11,355; 19, 169 und Baumann, AT, § 18 11 3 S. 256 ff. 7 Vgl. dazu Geilen, AT, § 44 I 3 a S. 237. 8 Henkel, Mschkrim 1961, 178 (184 f.). 9 So spricht etwa Maurach, AT (4. Aufl., 1971), § 46 II CIS. 605 vom "vielstrapazierten § 1353 EGB, der zur Konstruktion nahezu aller im Kreise der Ehe, Familie und des Hausstandes denkbaren Unterlassungen, von der Kuppelei bis zur Tötung, herhalten mußte".
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1. Teil: Einfühn.mg
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Gastwirt, der in seinen Gasträumen nicht gegen Straftaten Dritter einschreitet und dadurch gegen Vorschriften des Gaststättengesetzes verstößt (vgl. §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr.2, 15 GaststG)1°, allein deshalb schon eine zu strafrechtlicher Verantwortlichkeit (und damit zur Erfolgshaftung!) führende GarantensteIlung innehaben soll11, zum al wenn es sich bei den in Frage stehenden Delikten um solche handelt, die in den Vorschriften des Gaststättengesetzes überhaupt nicht aufgeführt sind 12 . Der Versuch einer positivrechtlichen Begründung geht nicht selten mit einer unzulässigen überdehnung des von einer gänzlich anderen gesetzgeberischen Teleologik geprägten Regelungsinhaltes der außerstrafrechtlichen Spezialnorm einher13 und kann schon deswegen häufig nicht überzeugen. Nicht zuletzt dieser Befund, daß die oftmals vorzufindende Exposition einer außerstrafrechtlichen Norm nicht mehr ist als die nur vorgeschobene Hilfsbegründung für die in Wirklichkeit aus materiellen Erwägungen hergeleitete GarantensteIlung, hat dazu geführt, daß der genetischen Betrachtungsweise eine funktionelle Gruppierung der Garantieverhältnisse zur Seite gestellt worden ist1 4 • Danach lassen sich alle Garantenpflichten innerhalb der unechten Unterlassungsdelikte auf zwei Grundsituationen zurückführen: Zum einen kann die Garantenposition die Funktion haben, ein bestimmtes Rechtsgut gegen beliebige 15 Beeinträchtigungen zu schützen (sog. Obhuts- oder Beschützergarantieverhältnis). Zum anderen kann der Garant verpflichtet sein, grundsätzlich alle Rechtsgüter gegenüber Gefährdungen zu schützen, die aus einer VOn ihm zu überwachenden Gefahrenquelle stammen (sog. überwachungsgarantieverhältnis)16. Diese funktionelle Konzeption ermöglicht Früher § 35 GewO. RGSt 58, 299; außerdem die Vorinstanz zu BGH, NJW 1966, 1763. Der BGH selbst läßt die Herleitung der Garantenstellung aus den Normen des GaststG a. F. dahinstehen und sieht den Grund für die besondere Inpflichtnahme der Wirtin darin, daß diese "eine Gaststätte betreibt". BGHSt 30, 391 nimmt ebenfalls nur noch auf das "Betreiben der Gaststätte" Bezug. Nach Maurach/Gössel, AT § 46 11 C 2, S.151 folgt die Straftatenverhinderungspflicht des Gastwirts direkt aus dem Gaststättenrecht. 12 Daß selbst gesetzlich ausdrücklich geregelte Rechtspflichten keine Garantenpflichten zu sein brauchen, zeigt sich selbst innerhalb des Strafrechts am Beispiel der echten Unterlassungs delikte, die trotz der eindeutigen gesetzlichen Ausprägung gerade keine Garantenhaftung auslösen, vgl. Geilen, AT, §44 I 3 a S.237. 18 Henkel, Mschkrim 1961, 178 (184). 14 Arzt, JA 1980,553 (648) m. w. N. 15 Wobei die individuelle Obhutsübernahme allerdings auf einen bestimmten Kreis von Angriffen beschränkt sein kann, vgl. Herzberg, Die Unterlassung, S. 354. 15 Androulakis, Studien, S. 205 ff.; Arzt, JA 1980, 553 (648); Dreher/Tröndle § 13 Rn. 5; Geilen, AT, § 44 I 3, S.238; Heimann/Trosien/Wolff LK (9. Aufl.) Einl. Rn. 166; Herzberg, Die Unterlassung, S. 315 ff.; Henkel, Mschkrim 1961, 10
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B. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung
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eine deutlichere Grenzbestimmung und erleichtert durch die eindeutige Festlegung des Schutzzwecks der Garantenposition die Erkenntnis von Inhalt und Reichweite der anerkannten Garantieverhältnisse. Doch kann eine noch so pragmatische Handhabung der neueren zweigeteilten Garantenlehre, wie sie sich nunmehr auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung andeutet17, nicht darüber hinwegtäuschen, daß jeder materielle Erklärungsversuch die Antwort auf die Frage nach dem Entstehungsgrund und damit nach den rechtlichen Grundlagen der Garantenpflichten schuldig bleibt. Selbst grundlegende Untersuchungen neueren Datums18 vermochten die bestehenden Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit eines materiell-funktionellen, das Garantenprinzip völlig verselbständigenden Interpretationsansatzes nicht auszuräumen19 • Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur behilft sich deshalb mit einer Kombination der beiden - je für sich als unzulänglich erachteten - Gesichtspunkte, indem sie eine die genetische und funktionale Betrachtungsweise verbindende Gesamtschau zum Ausgangspunkt nimmt20 • Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, wollte man sich mit dem Für und Wider dieser in letzter Konsequenz sicherlich nicht vollständig befriedigenden Lösung insgesamt auseinandersetzen. Nur eine kurze methodologische Oberlegung21 sei zur Erläuterung und Rechtfertigung der h. L. angemerkt. Für die Rechtsprechung war die topische, fallgruppen- und problemorientierte Methode das primäre Erkenntnismittel, um das positivrechtlich nicht geregelte Phänomen der Unterlassungsverantwortlichkeit überhaupt gedanklich zu erfassen. Die dabei herausgearbeiteten Zuordnungsgesichtspunkte (Gesetz, Vertrag etc.) erwiesen sich jedoch z. T. als unbrauchbar, weil sie dem Anspruch, die Entstehungstatbestände von Garantenrechtspflichten (abschließend) 178 (190); Jescheck, AT, § 19 IV, S. 503 ff.; ders. LK § 13 Rn. 19; A. Kaufmann, Dogmatik, S. 283 ff.; Maurach/Gössel, AT, § 4611 CIS. 147; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 54, 101; ders. SK § 13 Rn. 24; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 8. 17 BGHSt 30, 391 (396), wo unter Bezugnahme auf das o. g. Schrifttum das Landgericht angewiesen wird, die GarantensteIlung des Wohnungsinhabers unter dem Gesichtspunkt der Gefahrquellenüberwachung zu prüfen. 18 Herzberg, Die Unterlassung; Schünemann, Grund und Grenzen, aaO. 18 VgI. nur Stratenwerth, AT, Rn.988. 10 Geilen, FamRZ 1964, 385 (390 f.); ders., AT, § 44 I 3 c S.239; Heimann/ Trosien/Wolff, LK (9. Auf!.) Ein!. Rn. 166; Jescheck, AT, § 59 IV 2 S.505; ders. LK § 13 Rn. 19; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S.54, 101; ders. SK § 13 Rn. 25; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 8; Stree, Mayer-FS., S. 145 (146 f.). 21 Vgl. zur Methodik die erschöpfende Darstellung bei Schünemann, Grund und Grenzen, S. 77 ff.; des weiteren Henkel, Mschkrim 1961, 178 ff.; Kaufmann, JuS 1961, 173 mit der Replik von Böhm, JuS 1961,177.
1. Teil: Einführung
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zu beschreiben, nicht gerecht wurden22 . Die Funktionenlehre ist nichts anderes als die Anwendung derselben topischen, fall gruppen- und problemorientierten Methode, allerdings mit dem Unterschied, daß die dabei entwickelten Kategorien zunächst nichts über den Entstehungsgrund der jeweiligen Garantenposition aussagen, sondern das Garantieverhältnis nur inhaltlich beschreiben und mit Leben füllen. Die Entstehungsgründe erschließen sich der h. L. erst durch die Erkenntnis, daß jede der Kategorien (Überwachungs- und Obhutsverhältnisse) rudimentär an gesetzlichen Leitbildern orientiert ist23 . So kann beispielsweise als das gesetzliche Leitbild der Zustandsverantwortlichkeit, die einen Unterfall der allgemeinen Gefahrquellenverantwortlichkeit darstellt, die Verkehrssicherungspflicht angesehen werden, deren ursprüngliche positivrechtliche Regelung sich dogmengeschichtlich betrachtet im Strafrecht findet (§ 367 Ziff. 12 a. F.)24. Desgleichen lassen sich gesetzliche Leitbilder auffinden, aus denen sich ableiten läßt, daß ähnlich strukturierte Autoritätsverhältnisse stets dazu verpflichten, von Menschen ausgehende Gefahren einzudämmen (§ 357; die Aufsichtspflicht über Minderjährige, § 832 BGB)25. Die Suche nach dem positivrechtlichen Ursprung der Ingerenz muß dagegen schon deshalb erfolglos bleiben, weil der Ingerenzsatz, gemessen an den sonstigen Fällen der Gefahrquellenüberwachung, allzu Selbstverständliches formuliert. Wenn schon verantwortlich ist, wer in seinem Zuständigkeitsbereich dingliche Gefahrenquellen unterhält, dann muß grundsätzlich erst recht verantwortlich sein, wer den gefährlichen Kausalprozeß selbst in Gang gesetzt hat. Wenn insoweit überhaupt von einem gesetzlichen Leitprinzip die Rede sein kann, so ist es die (Straf-)Rechtsordnung selbst, die das Verbot aufstellt, andere zu verletzen, welches zugleich das Gebot enthält, selbstgeschaffene Gefahren zu beseitigen, wenn aus ihnen die Verletzung fremder Rechtsgüter droht 26 . Indes läßt sich der Rechtsordnung nirgends eindeutig entOben unter I. Blei, AT, § 87 I, S.322; vgl. auch Stratenwerth, AT, Rn. 998 ff. Daß sich diese gesetzlichen Leitbilder ihrerseits wiederum z. T. auf vorrechtliche Institutionen gründen (z. B. Ehe, Eltern-Kind-Verhältnis), mindert nicht. die Bedeutung, die die normative Ausgestaltung für die Herleitung der Garantenstellungen hat; einschränkend Jakobs, AT, 29/28 S.661; krit. Herzberg, Die Unterlassung, S. 215 ff. Zur Bedeutung "gesetzlicher Wertvorstellungen" vgl. auch Rudolphi SK § 13 Rn. 3; Schünemann, Grund u. Grenzen, S. 255 ff. 24 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 8. 25 Zur Bedeutung des § 831 BGB für die Aufsichtspflicht des Geschäftsherrn vgl. noch unten 4. Teil 11. 2. c) aal (2) (b). 26 Jescheck LK § 13 Rn. 31; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 32; kritisch vom Standpunkt eines umfassenden negativen Handlungsbegriffs her, Herzberg, Die Unterlassung, S.211 (Fn.19); vgl. dazu wiederum die Kritik bei Landau, Diss., S. 88 ff. und bei Schünemann, GA 1974, 231 (235 ff.). 22
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B. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung
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nehmen, daß etwa auch diejenigen Gefahren beseitigt werden müssen, die jemand gerechtfertigt oder ohne jeglichen Sorgfaltsverstoß erlaubterweise geschaffen hat. Es wäre angesichts der Vielschichtigkeit der damit angesprochenen Problematik vermessen, behaupten zu wollen, auch diese speziellen Fragen ließen sich pauschal mit dem neminemlaede-Verbot beantworten. Hier können u. U. nur diffizile materielle Erwägungen weiterführen, die stets zu berücksichtigen haben, daß die Strafbarkeit (was insbesondere hinsichtlich der bei der Ingerenzhaftung früher mitunter zu beobachtenden Ausweitungstendenzen betont werden muß)27 auf solche Fälle zu begrenzen ist, in denen sich die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Handeln unabweisbar aufdrängt28 • Ähnliches gilt für bestimmte Obhutsgarantieverhältnisse. Daß z. B. eheliche und familiäre Bindungen überhaupt zu erhöhten Obhuts- und Beistandspflichten führen können, ist vom Standpunkt der Moral und der Sozialethik eine Selbstverständlichkeit, welche die rechtliche Anerkennung29 in einer Reihe von Vorschriften gefunden hat (z. B. §§ 1353, 1360, 1626, 1631 BGB; 223 b, 221 Abs. 2). Der vom Gesetz im Prinzip anerkannten erhöhten Verantwortung innerhalb der Familie und Ehe gilt es auf dem Boden des Strafrechts mit Hilfe materieller Kriterien klare Grenzen zu ziehen, die wegen der nur sehr beschränkten Aussagekraft des gesetzlichen Leitprinzips notwendigerweise enge Grenzen sein müssenso. Eine grundsätzlich restriktive Handhabung ist auch insoweit geboten, als der individuell verbindlichen Zusage einer Pflichtenübernahme garantenpflichtbegründende Bedeutung zugemessen wird. Pflichten, die durch ausdrückliche oder konkludente Zusage übernommen werden, haben nur dann den Rang einer Garantenpflicht, wenn dem Verpflichteten analog den gesetzlich geregelten Fällen der Gleichstellung (in §§ 221, 223 b, 266) eine Vertrauensstellung mit besonderen Obhuts- und Sorgepflichten zuwächst 31 • Die überkommene Vertragskonstruktion hat 27 Vgl. RGSt 57, 193; 70, 226; BGHSt 3, 18; 4, 22; 7, 287; LG Berlin MDR 1965, 591. 28 Stratenwerth, AT, Rn. 988, zur Ingerenz vgl. beispielsweise die Differenzierung unter Rn. 1009. 29 Dezidiert Geilen, FamRZ 1964, 385 (390 f.): "Maßgebend für das Strafrecht sind zwar nicht die im Familienrecht ausformulierten Gesetzesbestimmungen mit ihrem teleologisch anders zugeschnittenen und deshalb strafrechtlich nicht immer passenden Regelungsgehalt ... , wohl aber der dahinterstehende, umfassendere, von diesen positivrechtlichen Bestimmungen nur punktförmig durchgezogene, dadurch aber auch gesetzlich verankerte Pflichtenkreis." 30 Vgl. nur Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 6 a. E. 31 Rudolphi SK § 13 Rn. 46; Stratenwerth, AT, Rn. 998.
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1. Teil: Einführung
insoweit zu Recht an Bedeutung verloren 32 , als es auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der Absprache nicht ankommen kann. Allein schon die verbindliche, wenngleich auch formell unwirksame, faktische Zusage der Pflichtenübernahme kann bewirken, daß z. B. der eigentlich zum Schutz des Rechtsguts Verpflichtete auf die Hilfszusage vertrauend notwendige Schutz- und Sicherungsvorkehrungen unterläßt und damit das Rechtsgut erhöhten Gefahren aussetzt 33 • Doch scheint auch eine völlige Verdrängung des Vertrages nicht gerechtfertigt zu sein. Immerhin kann zur Bestimmung von Inhalt und Reichweite der übernommenen Schutzpflichten die Überlegung fruchtbar sein, wie ein die Pflichtenbindung regelnder Vertrag ausgesehen hätte. Alles in allem zeigt diese kursorische Betrachtung, daß es Rechtsprechung und Lehre zumindest gelungen ist, zwei inhaltlich verschiedene, topisch-fallgruppenorietierte Ansätze miteinander zu verknüpfen und zu einem halbwegs praktikablen Ordnungsprinzip zusammenzufassen34 • Es ist gewiß nicht übertrieben, insoweit bereits von dem System85 einer an gesetzlichen Leitprinzipien orientierten, materiellen Garantenlehre zu sprechen88 • 11. Mögliche Alternativen des methodischen Vorgehens
Eine Einzelbetrachtung, die sich zur Aufgabe gestellt hat, ein spezielles Garantenphänomen, nämlich die strafrechtliche Unterlassungsverantwortlichkeit des Rauminhabers, zu untersuchen, kann auf zweierlei 32 Henkel, Mschkrim 1961, 178 (184); Dreher/Tröndle § 13 Rn.7; Jescheck, AT, § 59 IV 3 c S.506; Lackner § 13 Anm.3 a bb; Maurach/Gössel, AT, § 46 11 C S. 151 f.; Rudolphi SK §13 Rn. 58; Schmidhäuser, AT, 16/45-47 S. 669 f.; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 28; Stratenwerth, AT, Rn. 997 ff.; Welzel, Lb, S. 214; eingehend zum Ganzen Pfander, Diss., S. 132 ff. 33 Vgl. oben Fn. 32, wobei streitig ist, ob die Gefahrerhöhung nur typisches oder aber konstitutives Element der Obhutsübernahme ist, dazu unten 4. Teil B. 11. 2. 34 Arzt, JA 1980, 553 (648); zur Bildung von Sammelgruppen bereits Henkel, Mschkrim 1961, 178 ff.; zur Bildung von Grundfällen Pfleiderer, Die Garantenstellung, S. 120 ff.; Schmidhäuser, AT, 16/51 bei Fn.33: die Grundfallmethode basiert auf der überlegung, daß es Grundfälle gibt, bei denen die Strafbarkeit der Unterlassung außer Diskussion steht. Daraus wird im Wege der Analogie die Gruppe der dazu passenden Garantenstellungen entwickelt; ablehnend Schünemann, Grund und Grenzen, S. 79 ff.; kritisch auch Herzberg, Die Unterlassung, S. 197 f. 35 Ähnlich bereits Blei, AT, § 87 I S. 320 f.; wobei System nicht als umfassendes System zu verstehen ist, sondern eine Systematisierung im Sinne eines topischen Ableitungszuammenhanges gemeint ist, vgl. dazu Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S.33; kritisch allerdings Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 193 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 138 ff. (140). 38 Die entgegen der Behauptung Schünemanns (Grund und Grenzen, S. 81) auch über das bloße "Klassifikationsniveau" hinausgelangt sein dürfte.
B. Ausgangspunkt und Gang der Untersuchung
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Weise verfahren. Sie kann versuchen, den Nachweis zu führen, daß das untersuchte Phänomen einen eigenen, möglicherweise auf einem selbständigen Entstehungsgrund fußenden, Zuordnungsgesichtspunkt (z. B. die Zuständigkeit für den sozialen Herrschaftsbereich "Wohnung") notwendig macht, der von dem bestehenden System anerkannter Garantieverhältnisse nicht erfaßt wird, womit zugleich erwiesen wäre, daß das System unvollständig, beliebig erweiterungsfähig und damit als Ordnungsprinzip letztlich untauglich ist 37 • Sie kann aber auch so vorgehen, daß sie - wie angedeutet - die an gesetzlichen Leitprinzipien orientierte, materielle Garantenlehre als vorläufig geschlossenes, aber verfeinerungsfähiges und -bedürftiges System auffaßt, in welches sich jede begehungsgleiche Unterlassung einordnen und anhand materieller Kriterien auf ihre Analogie zu den anerkannten Fällen von Garantenpflichtverletzungen hin überprüfen läßt38 • In der überzeugung, daß nur der von einem relativ breiten Konsens getragene Ausgangspunkt den Bedürfnissen einer allzu kasuistisch-einzelfallbezogenen, bisweilen orientierungslosen und z. T. mit Art. 103 Abs.2 GG nicht in Einklang stehenden Rechtsprechung gerecht werden kann, verfolgt die Arbeit den zuletzt genannten Weg. Hf. Vberblick über das weitere Vorgehen
Zunächst soll ein überblick über die Rechtsprechung einen Eindruck von der Fülle der höchst unterschiedlichen Fallgestaltungen vermitteln, in denen die Tatsache, daß die Rechtsgutsverletzung innerhalb bestimmter Räumlichkeiten stattfand oder daß sie wenigstens mit den Räumlichkeiten in engerem Zusammenhang stand, Bedeutung für die GarantensteIlung des Rauminhabers erlangte. Die Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, daß dem Umstand, daß das Rechtsgut innerhalb eines bestimmten Raumes verletzt wurde, anfänglich nur zweitrangige Bedeutung neben einem anderen, dem eigentlichen Garantieaspekt (Ehe oder familiäre Beziehungen, Stellung als Haushaltungsvorstand, Miet37 Eine solche Vorgehensweise sähe sich dann u. U. vor die Alternative gestellt, entweder einer anderen in sich geschlossenen Garantenkonzeption (etwa der Lehre Schünemanns von "der Herrschaft über den Grund des Erfolges" in Grund und Grenzen, aaO.) unter Zurückstellung aller dagegen zu erhebenden Bedenken (vgl. nur Herzberg, Die Unterlassung, S. 217 ff., 288 f.; Landau, Diss., S. 78 ff. u. Maiwald, JuS 1981,473,480 ff.) zu folgen oder aber ein eigenes Garantenkonzept zu entwickeln, was aller Wahrscheinlichkeit nach die bestehenden Unsicherheiten nur noch vergrößern würde. Letzteres scheint gleichwohl Schünemann (in: Unternehmenskriminalität, S. 77 f.) von jeder Einzelbetrachtung zur Unterlassungsverantwortlichkeit zu fordern, wie unter anderem aus der Auseinandersetzung mit Thiemann, Diss., S. 1519 deutlich wird. 38 I. E. ebenso Tenckhoff, JuS 1978, 309 (310 bei Fn. 23).
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1. Teil: Einführung
vertrag, Ingerenz) zugemessen wurde und sich erst nach und nach zu einem eigenen garantenpflichtbegründenden Kriterium verselbständigte S9 , was schließlich in der oben genannten Entscheidung BGHSt 27,10 seinen Höhepunkt fand. Im Anschluß an den Rechtsprechungsüberblick werden die Versuche des Schrifttums aufgezeigt, eine eigenständige Garantenposition des Rauminhabers für Rechtsgutsbeeinträchtigungen innerhalb seiner Räume zu begründen, was schon aufgrund des hier gewählten Ansatzes nach kritischer überprüfung drängt. Der vierte Teil der Arbeit bemüht sich dann innerhalb des Systems der modernen Garantenlehre, die maßgeblichen Voraussetzungen herauszuarbeiten, die für den Rauminhaber eine Garantenstellung entstehen lassen. Dabei wird das besondere Augenmerk auf die grundsätzliche Frage zu richten sein, ob und in welchem Maße überhaupt das Kriterium der Innehabung eines Raumes für sich allein oder im Zusammenhang mit anderen Gesichtspunkten Garantenrechtspflichten begründet.
39 Die Entwicklung spiegelt sich auch in den gewählten Formulierungen wider, z. B.: "Stellung als Ehemann, als Haushaltungsvorstand, Leiter des Hauswesens, Stellung als Hausrechtsinhaber, als Vermieter und als Wohnungsinhaber."
Zweiter Teil
tTberblick über die Rechtsprechung zu den Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten
A. Der Rechtsstellungsgedanke in der Rechtsprechung des Reichsgerichts In welchem Maße der Richter bei der praktischen Bewältigung von Rechtsproblemen von dem jeweiligen Erkenntnisstand der Wissenschaft abhängig ist, zeigt besonders deutlich die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten. In der Folge zahlreicher Bemühungen im Schrifttum, das Unterlassungsverbrechen dogmatisch "in den Griff zu bekommen"1, bewegte sich das Reichsgericht lange Zeit auf dem schmalen, aber offenbar sicher erscheinenden Pfad der sog. Rechtspflichttheorie 2 , die bekanntlich schon auf Feuerbach 3 zurückgeht. Die rechtsquellenmäßige Legitimation der Erfolgsabwendungspflichten durch ihre Rückführung auf Gesetz und Vertrag war von kaum zu erschütternder überzeugungskraft. Allerdings war für das Reichsgericht von Anfang an weniger entscheidend, daß die Rechtspflicht zum Handeln aus einer einzelnen konkreten Norm des positiven Rechts durch Auslegung gewonnen werden konnte. Vielmehr forderte das Gericht stets, daß der potentielle Unterlassungsverantwortliche eine sozial ethisch verpflichtende Position innehatte, deren rechtliche Anerkennung auch im Gesetz ihren Niederschlag fand. Der Blick war also keineswegs nur starr 1 Vgl. z. B. die Arbeiten von v. Buri, GS 21 (1869), 189 ff., GS 27 (1875), 25 ff.; Feuerbach, Lehrbuch, S.50; Krug, Commentar, S. 21 ff.; Luden, Abhandlungen, Bd. 1 (1836) u. Bd.2 (1840); Rotering, GS 34 (1883), 206 ff.; Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts, Bd.4 (1821), 527 ff.; Traeger, Problem der Unterlassungsdelikte; weitere Nachweise bei van Gelder, Diss., S. 4 ff. und bei den oben 1. Teil B. in Fn. 1 genannten Autoren. 2 Ab RGSt 11 (1884), 153 (154) ergänzt durch den Ingerenzgedanken; dazu eingehend Kugler, Diss., S. 105 ff. S Lehrbuch, S. 50.
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2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
auf die förmliche Rechtsquelle gerichtet, sondern schon damals wurde die normative Ausgestaltung von Handlungspflichten in erster Linie als Richtschnur in einem noch weitgehend unbekannten und gesetzlich nicht geregelten Gebiet verstanden4 • Besonders augenfällig wird diese für die weitere Entwicklung bedeutsame Betrachtungsweise in einem Urteil vom 9.2. 1892 5 • Dort heißt es zur Kuppeleistrafbarkeit eines Ehemannes: "Es ist damit zum Ausdruck gebracht, daß die Kuppelei auch als Kommissivdelikt durch Unterlassung begangen werden kann; daß sie eintretenden Falles also nach den diese Deliktsform beherrschenden Grundsätzen zu beurteilen ist. Daraus folgt, daß, sofern dabei von der Vernachlässigung einer zu erfüllenden Pflicht die Rede ist, nur rechtlich begründete, nicht nur moralische Verbindlichkeiten in Betracht zu ziehen sind. Nur von einem gesetzlichen Rechte und von einer moralischen Pflicht spricht hier der erste Richter. Allein was derselbe als eine nur moralische Pflicht bezeichnet, muß sogar als eine Rechtspflicht charakterisiert werden. Es folgt dies aus dem Wesen der Ehe, wie es im Rechte, insbesondere auch im preußischen Allgemeinen Landrechte Anerkennung gefunden hat und aus der darin dem Ehemanne zugewiesenen Rechtsstellung." Schließlich folge aus der Stellung des Ehemannes als Haupt der Gemeinschaft, daß er für eine dem Gesetze entsprechende Gestaltung derselben zu sorgen habe6 • Vorab sei betont, daß bei dem Umgang mit Lebenssachverhalten wie dem der Entscheidung zugrunde liegenden selbstverständlich einige Vorbehalte geboten sind. Trotz der Hervorhebung der rechtlichen Gesichtspunkte durch das Gericht kann nicht verborgen bleiben, daß die Kuppeleitatbestände der §§ 180, 181 a. F. nicht zuletzt ein Ausdruck der herrschenden moralischen Anschauungen ihrer Zeit waren. Daß die Rechtsprechung zu den §§ 180, 181 a. F. nach der Liberalisierung des Sexualstrafrechts7 und der daraus resultierenden Umgestaltung der Kuppeleistrafbarkeit für die heutige Rechtslage an Bedeutung verloren hat, versteht sich von selbst. Dennoch darf bei der Untersuchung der strafrechtlichen Unterlassungsverantwortlichkeit u. a. des Wohnungsinhabers die Judikatur zur Kuppelei nicht gänzlich unberücksich4 Der Normativierung von Rechtspflichten wurde mithin eine Bedeutung zugemessen, der im Ansatz das heutige Verständnis z. T. noch entspricht, vgl. Blei, AT, § 87 I S. 319 ff.; Jakobs, AT, 29/28 S. 660 f.; Stratenwerth, AT, Rn. 996; vgl. bereits 1. Teil B. I. Fn. 23. Allerdings war die Tendenz in der Entwicklung der Rechtsprechung gegenläufig: während die heute h. L. mit Hilfe materieller Kriterien um eine inhaltliche Bestimmung und Begrenzung der Garantenpflichten bemüht ist, führte das völlige Fehlen materieller Erwägungen in der Rechtsprechung des RG zu einer erheblichen Ausweitung von Garantenpflichten (siehe dazu den weiteren Text). 5 RGSt 22, 332 (333). 8 RGSt 22, 332 (334). 7 Durch das 4. StrRG v. 23. 11. 1973, BGBI. I S. 1725.
A. Der Rechtsstellungsgedanke des RG
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tigt bleiben. Zum einen waren die tatbestandlichen Begehungsmodalitäten "Vorschubleisten durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht" (§ 180 Abs.1 a. F.) und "Gewährung einer Wohnung" (§ 180 Abs.3 a. F.) geradezu auf den Wohnungsinhaber zugeschnitten. Zum anderen läßt schon die große Anzahl der zu den §§ 180, 181 a. F. (verwirklicht durch Unterlassen) ergangenen Entscheidungen vermuten8 , daß die Kuppeleijudikatur für die Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt hat. So beherrschte der in der Entscheidung RGSt 22, 332 besonders deutlich zum Ausdruck gebrachte "Rechtsstellungsgedanke" die Rechtsprechung, wenn es um die Begründung von Handlungspflichten des Inhabers bei unzüchtigem und strafbarem Geschehen in der Wohnung oder in anderen Räumlichkeiten ging. Ständig wiederkehrende Formulierungen und Argumentationsmuster deuteten darauf hin, daß das Reichsgericht ungefähr ein halbes Jahrhundert nach Feuerbach sich faktisch längst von dessen Ansatz einer aus dem positiven Gesetzesrecht abgeleiteten Pflicht gelöst und sich der Rechtsstellungsgedanke verselbständigt hatte. Dies bedeutet, daß zunehmend die konkrete normative Grundlage der Pflicht dahingestellt blieb und es als ausreichend angesehen wurde, daß die vermeintlich pflichtenerzeugende Position des Unterlassenden irgendeine rechtliche, zumeist eine nicht näher substantiierte Autoritätsstellung schaffende Ausgestaltung gefunden hatte. Schon in einer frühen Entscheidung zur Kuppeleistrafbarkeit hieß es, zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes sei der Täter als "Hausherr" imstande und als "Vermieter" in der rechtlichen Lage gewesen9 • Konnten mit der rechtlichen Stellung des Vermieters noch bestimmte gesetzliche Rechte, z. B. das KündigungsrechPO und das Recht der Aufforderung zur Räumung, verbunden werden, so zeigte sich in der Berufung auf die Stellung als "Hausherr", die als solche jedenfalls im Gesetz nicht vorkam, bereits eine gewisse Ausweitungstendenz. Freilich erklärte das Gericht später ausdrücklich, daß sich die Rechtspflicht der Eltern zum Einschreiten gegen die Unzucht ihres volljährigen Sohnes auch "aus ihrem Hausrechte" ergebel l . Weil sich das unzüchtige Treiben in der elterlichen Wohung abgespielt hatte und die Eltern davon Kenntnis hatten, erwuchs ihnen "als Inhaber der Wohnung hieraus die Pflicht, dem Unzuchtsbetrieb hindernd entgegenzutreten ...". Stand anfangs als normative Grundlage des gegen die eigenen Kinder (l) 8 Außer den im Text genannten vgl.: RG, JW 1914, 365; RG, JW 1926, 1184; RG, HRR 1929, Nr. 261; RG, JW 1931, 1576; RG, HRR 1940, Nr. 41. 9 RG Rspr., 10 (1888), 703 (704); vgl. auch schon RG Rspr. 2 (1880), 447. 10 So RG Rspr., 9 (1887), 301 (306). 11 RG, GA 60 (1913), 445.
2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
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durchzusetzenden Hausrechts noch die Strafrechtsbestimmung des § 123 im Vordergrund 12 , so wurden in der oben genannten Entscheidung 13 familien rechtliche Vorschriften des BGB herangezogen: " ... und zwar in erster Linie für den Ehemann als Familienoberhaupt (§ 1354 Abs. 1 BGB)l4, weiterhin aber auch für die Ehefrau als Leiterin des Hauswesens, die selbst ein entgegenstehendes Verbot des Ehemannes nicht zu beachten gehabt hätte (§§ 1356 Abs. 1, 1354 Abs. 2 BGB)"15. Welchen Inhalt die Pflicht hatte, die aus der so gewonnenen Rechtsstellung folgte, macht die Entscheidung RGSt 48, 196 (197) deutlich. Der Ehemann, dessen Gattin eine (auch damals nicht strafbare) lesbische Beziehung zu einer anderen Frau unterhielt, sei kraft der ihm durch § 1354 BGB a. F. eingeräumten Rechtsstellung in der Lage, die andere Frau aus seiner und seiner Ehefrau gemeinschaftlichen Wohnung hinauszuweisen, und daher Unterlassungstäter einer Kuppelei. In einer Entscheidung aus dem Jahre 192416 wurde die Rechtspflicht des Vermieters, der die Unzuchtsausübung des Mieters in den vermieteten Räumen duldete, aus dem Gesichtspunkt der Ingerenz bejaht. Daß sich der Vermieter durch das Unterlassen der Kündigung strafbar mache, habe seinen Grund in der durch die Überlassung der Mieträume geschaffenen Lage, die nach der weiteren Entwicklung der Verhältnisse die Verübung der Unzucht begünstige l7 . Dieser Grundsatz, der eine kaum mehr kontrollierbare Ausuferung der Garantenpflichten des Vermieters zu bringen drohte, wurde indes nicht konsequent angewandt. In späteren Entscheidungen nämlich wurde eine allgemeine Rechtspflicht des Vermieters, der Unzuchtsausübung seines Mieters entgegenzutreten, in den Fällen, in denen der Mieter eine von den Räumen des Vermieters gänzlich abgeschlossene Wohnung innehatte, abgelehnt1s . Bald auf entgegenstehende Besitzrechte, bald auf das räumliche Näheverhältnis abstellend, erklärte das Gericht zudem, daß weder das Hausrecht noch familienrechtliche Vorschriften die Pflicht begründeten, volljährige Kinder, die Unzucht trieben, aus der Wohnung zu weisen, wenn diesen an der Wohnung Mitbesitz eingeräumt war19 oder die Eltern dem Kind von der elterlichen Wohnung getrennte Räume vermietet hatten20 . So RG Rspr. 9, 301 (306). RG, GA 60, 445. 14 A. F. 15 A. F.; ebenso zur Rechtspflicht der Hausfrau als Leiterin des gemeinsamen Hauswesens, RG, GA 53 (1906), 164. 16 RGSt 58, 244, die eigentlich einen ganz anderen Fall betrifft, jedoch einleitend umfangreiche Ausführungen zum Kuppeleitatbestand enthält. 17 RGSt 58, 244 (245 f.). 18 RGSt 67 (1933), 310 (314). 19 RGSt 77 (1943), 125 (126); RGSt 40 (1907), 165 (167). 20 RGSt 67, 310 (314). 12 13
A. Der Rechtsstellungsgedanke des RG
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Auch außerhalb des Kuppeleitatbestandes wurde die Unterlassungsverantwortlichkeit vielfach mit der faktischen und rechtlich ausgestalteten Autoritätsstellung des Täters begründet. Für das "Ansichbringen" i. S. d. § 259 a. F. sah es das HG als ausreichend an, daß eine Witwe die Einbringung der von ihrem sechzehnj ährigen Sohn gestohlenen Sachen in die Familienwohnung sowie die dortige Verwendung der Sachen in ihrer Stellung "als Haushaltungsvorstand, als Haupt der Familie wie als Mutter" geduldet hatte2 1• Während diese Entscheidung auch nach heutigem Verständnis von Garantenpflichten aus Aufsichts- und Autoritätsverhältnissen noch Geltung beanspruchen kann22 , müssen die darauffolgenden, von derselben Begründung getragenen Entscheidungen zu den Straftatenverhinderungspflichten unter Eheleuten i. E. durchweg als überholt angesehen werden23 • Danach hatte der Ehemann, der beispielsweise die Einbringung gestohlener Sachen in die eheliche Wohnung durch seine Frau geduldet hatte, das Tatbestandsmerkmal des Ansichbringens (i. S. d. § 259 a. F.) verwirklicht, weil er "kraft seines umfassenden Verwaltungsrechts" die alleinige Verfügungsgewalt über die in der Familienwohnung befindlichen Sachen hatte 24 • Desgleichen beging Begünstigung durch pflichtwidrige Unterlassung der Ehemann, der duldete, daß seine Ehefrau fortlaufend gehehlte Ware in der ehelichen Wohnung unterbrachte und mit diesen Waren Handel trieb. Als Ehemann sei er verpflichtet und in der Lage gewesen, gegen das Treiben seiner Ehefrau einzuschreiten25 • Demgegenüber wurde eine Hechtspflicht des Vermieters zur Entfernung gestohlener Sachen aus der Wohnung verneint26 • Viel beachtet wurde die eine gehörige Ausweitung der Gastwirtshaftung einleitende Entscheidung HGSt 58, 29927 , der folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der Angeklagte war Gastwirt. Als er die Gaststube seiner Wirtschaft betrat, waren dort Diebe anwesend, die gestohlene Geschirre zum Verkauf ausgelegt hatten. Der Angeklagte unternahm nichts. Das Gericht begründete die Verurteilung wegen Hehlerei (§ 259 a. F.) damit, daß dem Angeklagten eine Hechtspflicht zum EinRGSt 52 (1918), 203 (204 f.). Vgl. nur Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 52. 23 Stellvertretend für die h. M. vgl. Geilen, FamRZ 1961, 147 ff. (157 ff.); Jakobs, AT, 29/37 S.665; Jescheck LK § 13 Rn. 43; Lackner § 13 Anm. 3 a; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 53 je m. w. N. Gleichwohl sind die Begründungen teilweise lehrreich für die richtige Beurteilung der Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten. 24 RG, GA 59 (1911), 353. 25 RG, DR 1943, 234. 26 RGSt 57 (1923),242 (243) zu § 257 a. F. 27 Urt. v. 10. 10. 1924. 21
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2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
schreiten zwar nicht aus seinem Hausrecht (§ 123), wohl aber aus der Gewerbeordnung 28 erwuchs. Als Beweis für die Vielfalt der Fallgestaltungen, in denen unter anderem angeblich auch die Räumlichkeiten als Tatort eine Rolle spielten, ist eine Entscheidung aus dem Bereich der Tötungsdelikte zu erwähnen. Die Rechtspflicht der Mutter, die ihre minderjährige, im Haushalt lebende Tochter nicht an der Tötung ihres unehelichen Kindes unmittelbar nach ihrer Geburt gehindert hatte, begründete das RG29 einerseits mit der elterlichen Fürsorge, die der Mutter gegenüber ihrer Tochter oblag, andererseits damit, daß die Mutter unter den hier obwaltenden besonderen Verhältnissen als "Haushaltungsvorstand" auch eine Rechtspflicht gegenüber dem Neugeborenen selbst gehabt habe. Zu den besonderen Verhältnissen zählte das Gericht den Umstand, daß das Kind lImit ihrem Einverständnis in ihrer Wohnung ohne fremde Hilfe" geboren worden war3°. Allein mit Hilfe des Ingerenzsatzes, ohne die rechtliche Stellung des Wohnungsinhabers zu erwähnen und ohne auf die Wertigkeit des Vorverhaltens einzugehen, beurteilte das Gericht den der Entscheidung RGSt 24, 339 f. zugrunde liegenden "Einsperrungs"-Fall: Der Angeklagte schloß eine Tür ab, ohne zu wissen, daß sich in dem Raum noch eine Frau aufhielt. Als er dies erkannte, öffnete er die Tür trotz Aufforderung nicht sofort. Erst nach längerem Zögern, nachdem mit gewaltsamer Öffnung gedroht worden war, schloß er die Tür auf. In den Gründen heißt es, der Angeklagte habe die Rechtspflicht gehabt, die Tür unmittelbar nach Kenntnisnahme von der Einsperrung aufzuschließen, weil er es selbst gewesen sei, der die Frau eingesperrt habe 31 • Ebenfalls wegen Freiheitsberaubung durch Unterlassen wurde ein Zugführer bestraft, der während der Fahrt entsprechend den Dienstvorschriften eine Abteiltür verschlossen hatte. Als der Zug anhielt, weigerte er sich trotz Aufforderung, die Tür aufzuschließen und hinderte so die Reisenden am Verlassen des Zuges 32 . In diesem Zusammenhang ist eine - kaum
28 § 33 Abs.2 Nr.1 GewO a. F. entsprach dem heutigen § 4 Abs.1 Nr.1 GaststG. 29 RGSt 72 (1938), 373 (374). 30 Ob der Gesichtspunkt der durch die gemeinsam bewohnte Wohnung vermittelten räumlichen Nähe zum Tatgeschehen neben dem Verwandtschaftsverhältnis nach Auffassung des RG eigenständige Bedeutung hatte oder ob dieser Umstand - was näher liegt - die ohnehin als gegeben angesehene Garantenstellung der Großmutter nur untermauern sollte, wird nicht ganz klar; kritisch auch Jescheck LK § 13 Rn. 44; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn.18. 31 RGSt 24 (1893), 339 (340). 32 RG, DJZ 1908, 764.
A. Der Rechtsstellungsgedanke des RG
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beachtete - spätere Entscheidung des Reichsgerichts 33 interessant, in der das Gericht ausdrücklich auf das Verhalten des Täters zum Zeitpunkt des Einschließens abstellt. Im Leitsatz heißt es: "Daraus, dass ein Dritter sich unbefugt in einem Hause befindet, das übungsgemäß um die in Frage kommende Zeit verschlossen gehalten wird, und dieses Haus trotz der ihm vorher gewährten Möglichkeiten nicht verläßt, kann die Verpflichtung für den Besitzer nicht hergeleitet werden, dass er, sobald es dem anderen gefällt, diesem zu öfnen hat."
Eine Verpflichtung zur Öffnung des Hauses in dem Zeitpunkt, in dem der Eingesperrte durch den Verschluß tatsächlich der Freiheit beraubt gewesen sein solle, könne nur aus dem Verhalten hergeleitet werden, das der Angeklagte vorher bei Vornahme des Verschlusses betätigt habe.
B. Die Tendenz zur Anerkennung einer eigenständigen GarantensteIlung des Rauminhabers
Die sich schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts abzeichnende Tendenz einer zunehmenden Verselbständigung der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten setzte sich nach dem Kriege fort und verstärkte sich noch. Die in Betracht kommenden gesetzlichen Grundlagen möglicher Erfolgsabwendungspflichten des Rauminhabers (Normen des privaten und öffentlichen Rechts) traten mehr und mehr in den Hintergrund. Nicht selten blieben sie überhaupt unerwähnt!. Während sich das Reichsgericht noch bemüht hatte, die Garantenpflichten z. T. aus der rechtlichen Ausgestaltung abzulesen, beschränkte sich die Nachkriegsrechtsprechung zur Begründung der Garantenstellung häufig auf eine ins Faktische gewendete bloße Positionsbeschreibung. Verstärkt wurde diese Entwicklung noch dadurch, daß man inzwischen auf ein Schrifttum zurückblicken konnte, das die überkommenen Rechtspflichttheorien mit ihren auf Gesetz, Vertrag und Ingerenz beschränkten Entstehungstatbeständen z. T. schon hinter sich gelassen und den Weg für eine erhebliche Ausweitung der Erfolgsabwendungspflichten geebnet hatte. Dazu trug die Einführung des Herrschaftsgedankens, wonach sich mögliche Abwendungspflichten aus der Zuständigkeit für einen bestimmten Herrschaftsbereich (z. B. Wohnung, RG, GA 62 (1916), 348 f. OLG Celle, HeSt 1 (1947) 109; OHGSt 3, 1; BayObLG, MDR 1952, 321; BGH, NJW 1953, 591; bestätigt in BGHSt 6, 322 (324); OLG Bremen, NJW 1957, 72 (73); OLG Hamm, MDR 1959, 59; vgl. auch BGH, NJW 1966, 1763; BGH, GA 1967, 116; OLG Hamm, MDR 1970, 162; Einzelheiten sogleich im Text. 33
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3 Landscheidt
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2. Teil: Überblick über die Rechtsprechung
Hof, Garten) ergeben sollten2 , ebenso bei wie die wachsende Bedeutung, die der "rechtlich sozialen"3, "beruflichen"4, bis hin zur tatsächlichen Stellung des Abwendungspflichtigen zugemessen wurde s. Selbst die Garantenlehre Naglers 6 , die wegen der Verlagerung der Gleichstellungsproblematik auf die Tatbestandsebene methodisch so fruchtbar gewesen ist, barg durch Formulierungen wie die, daß der Tatbestand der Begehungsdelikte einer "Tatbestandsberichtigung im Wege zweckorientierter, ausdehnender Textdeutung"7 durch Hinzufügung der GarantensteIlung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal bedürfe, die Gefahr in sich, von der Rechtspraxis im Sinne einer Ausweitung der Rechtspflichten gründlich mißverstanden zu werden. In Fortführung der Reichsgerichtsrechtsprechung wurde der Ehemann, der trotz der ihm obliegenden Rechtspflicht "als Haushaltungsvorstand" widerspruchslos geduldet hatte, daß seine Frau gestohlene Lebensmittelkartenvordrucke in seinen Haushalt verbrachte, wegen Hehlerei bestraft8 • Ebenfalls mit der Stellung "als Haushaltungsvorstand" wurde die strafbare Teilnahme am Schwarzbuttern begründet9 • Zum Nachweis der Rechtspflicht des Täters, gegen das Unzuchttreiben in seinen Räumen einzuschreiten, berief sich der BGH nur auf dessen Stellung "als Wohnungsinhaber"lO. In einem der Entscheidung RGSt 72, 37411 ähnelnden Fall wurde die Pflicht der Großmutter bejaht, gegen die Tötung des im eigenen Haushalt aufgenommenen und betreuten Enkelkindes durch die Tochter einzuschreiten. "Diese Rechtspflicht ergab sich aus ihrer Stellung als Haushaltungsvorstand12 ." Unter Berufung auf das Reichsgericht entschied das Bayerische Oberste Landesgericht1 3 , daß Eltern, soweit es ihnen möglich und zumutbar sei, der unzüchtigen Betätigung auch ihrer großjährigen Kinder "in den Räumen ihrer Wohnung auf Grund ihres Hausrechts" entgegenzutreten hätten, und zwar der Vater als Familienoberhaupt und die Mutter als 2 Traeger, Problem der Unterlassungsdelikte, S. 107 ff. (109); kritisch dazu Sauer, GS 114 (1940), 279 ff. (303); Höpfner, ZStW 36 (1915), 103 ff. (124 bei Fn.23). 3 Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 98 ff. (101, 107 ff.). 4 Kissin, aaO., S. 113; vgl. auch Sauer, GS 114, 303 (309). 5 Dahm, ZStW 59 (1940), 133 ff. (172, 173 f.). 6 Nagler, GS 111 (1938), 1 ff. (51 ff., 52 ff.). 7 Nagler, aaO., S. 61. 8 OLG Celle, HeSt 1 (1947), 109 f. 9 OLG Celle, Hann.Rpfl. 1947, 50. 10 BGH bei Dallinger, MDR 1951, 537 (unter Hinweis auf RGSt 58, 98 u. 227); vgl. auch BGH, NJW 1954, 847. 11 Vgl. oben 2. Teil A. bei Fn.29. 12 OGHSt 1 (1948), 87 (88). 13 BayObLG, MDR 1952, 312; vgl. auch OLG Stuttgart, FamRZ 1959, 74.
B. Eigenständige GarantensteIlung des Rauminhabers
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Leiterin des Hauswesens. Aus der ehelichen Lebensgemeinschaft folgerte der BGH14 die Pflicht des Ehegatten, Fremdabtreibungen seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung zu verhindern. Die Verletzung dieser Rechtspflicht stehe mindestens dann dem positiven Mitwirken bei der strafbaren Handlung des anderen Teils gleich, wenn diese Handlung "in dem besonderen Herrschaftsbereich der ehelichen Wohnung" stattfinde. An dieser wichtigen Einschränkung der Rechtsprechung zu den Straftatenverhinderungspflichten unter Eheleuten (in der sogar einmal eine Wiederbelebung der nationalsozialistischen Sippenhaftung gesehen worden war15), zeigt sich ganz besonders deutlich, was in den zahlreichen voraufgegangenen Entscheidungen durch die Bezugnahme auf die Stellung als "Haushaltungsvorstand, Leiterin des Hauswesens, Vermieter, Hausrechtinhaber und Wohnungsinhaber" nur angedeutet worden war: daß nämlich in Wahrheit die tragende Wurzel der angenommenen GarantensteIlung weniger in der ehelichen oder familiären Beziehung erkannt wurde als vielmehr in der beherrschenden Stellung des Garanten innerhalb einer bestimmten Einflußsphäre, insbesondere innerhalb bestimmter Räumlichkeiten (z. B. der Ehe- und Familienwohnung, Gasträume etc.)16. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des OLG Bremen aus dem Jahre 195617 , die beispielhaft die erhebliche Unsicherheit der Rechtsprechung illustriert, Garantenpflichten innerhalb einer bestimmten räumlichen Einflußsphäre überzeugend zu begründen: Der Ehemann hatte die Aufnahme eines seiner Frau gehörigen Hundes in den gemeinsamen Haushalt geduldet. Der Hund fiel mehrfach Passanten in der Nähe der Wohnung an. Eines Tages biß der Hund einen vorbeiradelnden Schüler sowie eine Nachbarin. Das Gericht verurteilte den Ehemann wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die Erfolgsabwendungspflicht des Ehemannes wurde gleich in mehrfacher Hinsicht begründet. In der Duldung der Aufnahme des Hundes in den Haushalt sah das Gericht ein vorangegangenes gefährliches Verhalten. Darüber hinaus ergebe sich die Rechtspflicht des Ehemannes zur Erfolgsabwendung aus seiner Stellung als Haushaltungsvorstand, weil nach der Änderung des Eherechts vom 1. 4.1953 nunmehr beide Ehegatten als Vorstand des Haushaltes anzusehen seien und beide gemeinsam das Hausrecht 14 BGH, NJW 1953, 591; zust. OLG Schleswig, NJW 1954, 285, das allerdings die Rechtspflicht der Arbeitgeberin zur Verhinderung der Selbstabtreibung einer in den Haushalt aufgenommenen Angestellten i. E. verneint. Offen bleibt aber nach den wiedergegebenen Gründen, ob die Abtreibungshandlung selbst auch in der gemeinsamen Wohnung vorgenommen wurde, was die Beurteilung u. U. geändert hätte. 15 H. Mayer, in: Materialien zur Strafrechtsreform, S. 275. 16 Ähnlich bereits die Analyse von Geilen, FamRZ 1961, 147 (157). 17 OLG Bremen, NJW 1957, 72 ff.
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2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
ausübten. "Insoweit müssen dieselben Rechtsgrundsätze gelten, die für die Strafbarkeit von Ehegatten, Eltern, Vormündern, Geistlichen und Lehrern entwickelt sind, die entgegen ihren ihnen obliegenden Pflichten Straftaten innerhalb ihres Lebenskreises dulden oder geschehen lassen." Schließlich ergebe sich die Abwendungspflicht des Ehemannes auch aus der ehelichen Lebensgemeinschaft, die ihn verpflichte, den anderen Ehegatten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten, wenn diese Handlungen im besonderen Herrschaftsbereich der Ehegatten stattfänden. Wörtlich führt das Gericht dazu weiter aus: "Dieser Rechtssatz wird daher grundsätzlich für alle Fälle innerhalb der ehelichen Wohnung gelten. Es erscheint jedoch nicht überspannt, wenn man den Herrschaftsbereich noch auf die Straße unmittelbar vor der ehelichen Wohnung ausdehnt." Zu Recht ist die Entscheidung auf massive Kritik im Schrifttum gestoßen 18 . Der Hinweis auf die Verantwortung innerhalb eines nicht näher definierten und wohl auch nicht definierbaren Lebenskreises bedeutet in der Tat eine unüberschaubare Ausweitung des Pflichtenkatalogs. So überrascht denn auch nicht die Konsequenz, daß der eheliche Herrschaftsbereich nicht mehr auf die gemeinsame Wohnung begrenzt, sondern die Verlagerung des Verantwortungsbereichs extra muro ausdrücklich befürwortet wird. Schließlich dekuvriert die Markierung der dennoch für erforderlich gehaltenen Begrenzung des Verantwortungsbereichs durch die "Unmittelbarkeit" die ganze Unkalkulierbarkeit eines solchermaßen von der räumlichen Entfernung abhängig gemachten Pflichtenkreises. Wurde bis dahin in der Mehrzahl der Fälle wenigstens noch versucht, die angenommenen Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten auf irgendeine rechtliche Grundlage zu stellen, und sei es auch nur dadurch, daß man die Position des "Haushaltungsvorstandes, des Hausrechts- oder Wohnungsinhabers" mit der Selbstverständlichkeit gewohnheitsrechtlicher Grundsätze handhabte, ließ es im Gegensatz zum RG19 der BGH endlich offen, ob sich die Verpflichtung des Gastwirts, Straftaten in seiner Gaststätte zu verhindern, aus dem Gaststättengesetz ergebe (§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 12 Abs.2 Nr. 1 GaststG [a. F.] )20. Die Rechtspflicht der Gastwirtin zu verhindern, daß 18 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 142 f.: "Wo sollte auch der eheliche ,Herrschaftsbereich' enden? Am nächsten Laternenpfahl? An der nächsten Straßenecke, wo der Hund ja auch jemanden hätte beißen können? Schließlich wäre von Fall zu Fall die ganze Stadt zum ,ehelichen Herrschaftsbereich' der betreffenden Eheleute erklärt worden."; Landau, Diss. S. 6; Meyer-Bahlburg, Diss., S. 26 u. 87 ff. l~ RGSt 58, 299; dazu bereits oben 2. Teil A. bei Fn.27. 20 BGH, NJW 1966, 1763.
B. Eigenständige Garantenstellung des Rauminhabers
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mehrere männliche Gäste einer jungen Frau, die sich geweigert hatte, mit einem von ihnen zum zweiten Mal zu tanzen, gewaltsam das Haupthaar und einen Teil der Schamhaare abschnitten, ergab sich für den BGH jedenfalls daraus, daß die Angeklagte eine Gaststätte betrieb. In Räumen, die ihrer Verfügungsgewalt unterstünden, habe sie für Ordnung zu sorgen, insbesondere ihre Gäste vor Ausschreitungen anderer Gäste zu schützen. Eine deutliche Wende in Richtung auf eine Einschränkung der Verantwortung des Gaststätteninhabers für dort begangene Straftaten schien zunächst ein Urteil des 2. Strafsenats in einem ähnlich gelagerten Fall einzuleiten2 !. Die Strafbarkeit des Geschäftsführers, der gegen die Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch einen Gast nicht eingeschritten war, untersuchte der BGH - soweit aus den mitgeteilten Gründen ersichtlich - allein unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Hilfeleistung. Die besondere Verantwortung des Inhabers "als Hausherr" wurde nur im Rahmen des § 323 c (§ 330 c a. F.) berücksichtigt. Die Möglichkeit einer GarantensteIlung als Voraussetzung für ein unechtes Unterlassungsdelikt blieb dagegen unerwähnt. Schon deshalb war jedoch das Urteil kaum geeignet, als Leitentscheidung zur Unterlassungsstrafbarkeit des Gastwirts zu dienen. Grundsätzlich als Garant zur Verhinderung von (Straßenverkehrs-) Straftaten und Selbstgefährdungen seiner Gäste wurde von der Rechtsprechung ursprünglich der Gastwirt angesehen, der in seinen Gasträumen Kraftfahrern übermäßige Mengen Alkohol verabreichte 22 • Erst nach und nach setzte sich die Auffassung durch, daß eine Haftung des Gastwirts erst dann in Betracht kommen könne, wenn die eigene Verantwortlichkeit des Trinkenden bereits ausgeschlossen sei23 • Desgleichen soll das Prinzip der Selbstverantwortung grundsätzlich die Haftung des privaten Gastgebers ausschließen, der den Gästen in seiner Wohnung Rauschgift verabreicht. Bringe sich ein Besucher durch den Genuß des Rauschgiftes in Lebensgefahr, so sei der private Gastgeber nur dann als Garant zur Hilfe verpflichtet, wenn das Opfer nicht frei und selbstverantwortlich gehandelt habe2 '. Dagegen könne keine Garantenpflicht aus der Tatsache hergeleitet werden, daß es sich bei dem Gastgeber um den mit besonderen Abwehrbefugnissen ausgestatteten Wohnungsinhaber handele25 • BGH, GA 1971, 336 ff. BGHSt 4, 20; OLG Düsseldorf, VM 60, 17. 23 BGHSt 19, 152; dazu Geilen, JZ 1965,469; St. 26,35 (38). 24 OLG Stuttgart, NJW 1981, 182; krit. Geilen, JK, StGB § 13 Nr. 1. 25 Die Anwendung der vom BGH (St. 27, 10, 12) aufgestellten Grundsätze wird für den Fall der reinen Selbstgefährdung des Gastes ausdrücklich abgelehnt, OLG Stuttgart, NJW 1981, 182 (183). 21
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2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
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Wie wenig gesichert bis heute die theoretischen Grundlagen möglicher Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten sind, zeigen die Begründungen der beiden o. g. BGH-Entscheidungen: Im "Rentner"-FaIl26 sah der BGH den entscheidenden Gesichtspunkt für die GarantensteIlung des Wohnungsinhabers in der durch die Aufnahme des Rentners in die eigene Wohnung begründeten Vertrauenslage. Der Kreis der Rechtspflichten wurde - wie die Verweisung auf BGH, NJW 1966, 1763 27 deutlich macht - sehr weit gezogen. Der Wohnungsinhaber habe wie der Gastwirt in den Räumen, über die er die Verfügungsgewalt habe, "für Ordnung zu sorgen". Denn wer sich auf Einladung des Wohnungsinhabers in eine fremde Wohnung begebe, dürfe sich darauf verlassen, daß ihm dieser - in seinem "Herrschaftsbereich" - bei schwerwiegenden Gefahren zur Seite stehe. Dies müsse jedenfalls dann gelten, wenn dem Gast die Gefahren gerade durch seinen Aufenthalt in der Wohnung drohten, wenn also die Bedrohung nicht von einem außenstehenden Dritten, sondern von einem Gast ausgehe, den der Wohnungsinhaber selbst mit in die Wohnung gebracht habe. Der Inhaber müsse eingreifen, wenn die Grenze zur schweren Kriminalität überschritten werde, etwa in seiner Wohnung eine Frau vergewaltigt oder ein Gast getötet oder schwer verletzt zu werden drohe. Dagegen sei der Wohnungsinhaber nicht etwa verpflichtet, seine Gäste gegen schlechthin jede Straftat zu schützen, beispielsweise gegen geringfügige Beleidigungen oder kleine Betrügereien. Insoweit würden an den Wohnungsinhaber keine unzumutbaren Anforderungen gestellt. Eine Reihe von Fragen ließ der BGH dahinstehen. Er ließ es offen, ob sich die Verpflichtung des Wohnungsinhabers schon daraus ergebe, daß ihm die Rechtsordnung auf der anderen Seite besondere Abwehrbefugnisse zum Schutz seiner Wohnung einräume2 8 • Es brauche weiterhin nicht entschieden zu werden, ob der Wohnungsinhaber selbst von ungebetenen "Besuchern", wie etwa von einem verunglückten Einbrecher oder einem Bettler, Gefahren abzuwenden habe. Ebenfalls dahinstehen könne die Frage, ob die Pflicht noch weiter auf den bloßen körperlichen Schutz zu beschränken sei 29 • Der Entscheidung kommt vor allem deshalb besondere Bedeutung zu, weil sich der BGH hier zum ersten Mal eingehend mit der Problematik von Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten beschäftigt, ohne daß die Beurteilung etwa durch eheliche oder familiäre Beziehungen zwischen den Beteiligten oder die be28 27
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BGHSt 27, 10; der Sachverhalt ist im 1. Teil unter A. wiedergegeben. Vgl. in diesem Abschnitt bei Fn.20. Unter Hinweis auf MezgerjBlei, AT (15. Aufl.), S. 96; Böhm, Diss. S. 68 f. So Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 145 ff., 149-152.
B. Eigenständige Garantenstellung des Rauminhabers
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rufliche Position des potentiellen Garanten beeinflußt wird. Zudem geht es um die höchst brisante Frage, ob der Wohnungsinhaber Angriffe Dritter gegen einen Gast abwehren muß. Allerdings lassen die Entscheidungsgründe mehr Fragen offen, als sie beantworten. Zunächst überrascht, wie wenig das Gericht bemüht ist nachzuweisen, daß es sich bei der angenommenen GarantensteIlung des Wohnungsinhabers um einen etwaigen Unterfall der in Rechtsprechung und Lehre anerkannten Garantenstellungen handelt oder daß zumindest die hierzu entwikkelten Grundsätze analog angewendet werden können 3o • Die vom Senat angeführten Umstände, daß der Wohnungsinhaber den Rentner eingeladen und den späteren Aggressor selbst mit in die Wohnung gebracht habe, lassen allenfalls vermuten, daß hier übernahme- und Ingerenzgesichtspunkte eine Rolle gespielt haben könnten. Statt dessen behandelt der BGH die Entscheidungen zur Verantwortung des Gastwirts bedenkenlos als gefestigte Rechtsprechung31 und sieht als Quelle der Garantenpflicht die Vertrauenslage an, die mit der Aufnahme in die Wohnung geschaffen wird. Dabei wird freilich verkannt, daß Vertrauen allein niemals die Garantenposition als solche zu rechtfertigen vermag 32• Soweit in Rechtsprechung und Literatur betont wird, daß es für die Garantenpflicht entscheidend darauf ankomme, ob sich das Opfer auf ein Tätigwerden des anderen verlassen durfte 33 , handelt es sich dabei nur um ein strafbarkeitslimitierendes Kriterium, welches allen Beschützergarantieverhältnissen eigen ist 34 • Das Vertrauen muß zu den übrigen Voraussetzungen hinzukommen. Ein eigenständiges Garantieverhältnis kraft besonderer Vertrauenslage ist hingegen nicht allgemein anerkannt 35 • Gegen die Neuschöpfung einer Garantenstellung "kraft Vertrauensverhältnisses" spricht daher vor allem das in Art. 103 Abs.2 Insoweit treffend die Kritik von Tenckhoff, JuS 1978, 308 (310). Wobei er sich ausdrücklich auf BGH, NJW 1966, 1763 bezieht, obwohl gerade diese Entscheidung kaum eine dogmatisch überzeugende Begründung liefert und die Rspr. zur Gastwirtshaftung schon wegen BGH, GA 1971, 336 nicht als gefestigt angesehen werden kann, vgl. bereits oben in diesem Abschnitt bei Fn. 21. 32 Tenckhoff, JuS 1978, 308 (309). 33 Vgl. z. B. OLG Celle, NJW 1961, 1940; OLG Karlsruhe, GA 1971, 281 (283); Androulakis, Studien S. 205 ff.; Blei, Mayer-FS., S. 119 ff. (137 ff.); Stree, Mayer-FS., S. 145 ff. (154); Tenckhoff, JuS 1978, 308 (309) m. w. N. 34 Insoweit zu allgemein Tenckhoff, JuS 1978, 309, der die Vertrauenslage auch als konstitutives Element der Ingerenz ansieht. 35 Abweichend neuerdings Jakobs, AT, 29/67 ff., der nach GarantensteIlungen aus übernahme, die er als Unterfall der Ingerenz ansieht (29/46 ff.), und solchen aus besonderem Vertrauen differenziert. Doch überzeugt diese Differenzierung nicht. Tatsächlich handelt es sich bei den GarantensteIlungen "kraft besonderen Vertrauens" um übernahmefälle (dazu noch unten 4. Teil B.). Ähnlich Dreher/Tröndle, § 13 Rn. 10; wie hier Tenckhoff, JuS 1978, 308 (310) bei Fn.23. 30 31
2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
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GG verfassungsrechtlich verankerte Bestimmtheitsgebot. Wenn man sich schon mit der generalklauselartigen Regelung des § 13 und dem Bestimmtheitsgrad der durch Rechtsprechung und Lehre hierzu entwickelten Auslegungsergebnisse begnügen muß36, so ist als Minimalforderung wenigstens zu verlangen, daß die Konturen, die die h. M. dem Tatbestandsmerkmal "wenn er rechtlich dafür einzustehen hat" gegeben hat, in concreto auch wirklich eingehalten werden 37 . Das ist jedoch bei einer Garantenstellung, die sich keiner der anerkannten Fallgruppen innerhalb der Schutz- und überwachungspflichten zuordnen läßt, nicht der Fa1l38 •
c. Einschränkungstendenzen in der jüngeren Rechtsprechung über die zweite bereits oben in der Einführung wiedergegebene Fallgestaltung1 zur Garantenstellung des Wohnungsinhabers hatte ebenfalls der 3. Strafsenat des BGH zu entscheiden. Hier konnte das Gericht nun nicht mehr die Frage dahinstehen lassen, ob der Wohnungsinhaber auch von solchen Personen Gefahren abzuwenden hat, die ohne sein Zutun in die Wohnung gelangt sind. Insbesondere hatte das LG in Anlehnung an BGHSt 27, 10 die eine Garantenstellung begründende Rechtspflicht zum Handeln dem Umstand entnommen, daß die Angeklagten in ihrer Rolle als Wohnungsinhaber die Verfügungsgewalt über die von dem Haupttäter zu seiner Tat benutzten Räume besaßen. Indes fehlte für eine Parallele zu der dort tragenden Argumentation mit der vom Wohnungsinhaber geschaffenen Vertrauenslage - worauf der BGH zu Recht hinweist - in casu jede tatsächliche Grundlage. Zunächst setzt sich der BGH ausführlich mit jener Lehre2 auseinander, die aus den besonderen Abwehrbefugnissen des Wohnungsinhabers (vor allem in Art. 13 GG) - als Reflex gesteigerter Rechte - auf entsprechende Schutzpflichten des so Privilegierten schließt. Im Ergebnis lehnt der BGH sie als zu weitgehend ab 3 • Zu bedenken sei, daß die geJescheck LK § 13 Rn. 14; dazu bereits oben 1. Teil B. I. So zu Recht Tenckhoff, JuS 1978, S. 308 (310). S8 Deshalb ist die Entscheidung auch auf vielfältige Kritik gestoßen: J escheck § 13 Rn. 44; Naucke, JR 1977, 290 ff.; Rudolphi SK § 13 Rn. 37; Stratenwerth, AT, Rn. 1020; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 54; zust. dagegen Blei. JA 1977, 138; Dreher/Tröndle § 13 Rn. 12. 1 BGHSt 30, 391. 2 Blei, AT, § 87 I 4 a, S.329; ders. JA 1977, 138; Bockelmann, AT, § 17 B I, S. 135; Böhm, Diss., S. 68 ff.; Preisendanz StGB, S. 77; eingehend zu dieser Auffassung noch unten 3. Teil B. 3 BGHSt 30, 391 (394 f.). 38 37
C. Einschränkungstendenzen
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nannte Auffassung jeden Wohnungsinhaber ohne weiteres in die Rolle des Beschützers in seiner Wohnung befindlicher Menschen und in die einer Aufsichtsperson gegenüber denjenigen von ihnen zwinge, die andere in ihrer körperlichen Unversehrtheit angreifen, ohne daß hierfür eine alle gleichermaßen verpflichtende Rechtsgrundlage ersichtlich wäre und ohne daß der Wohnungsinhaber etwas anderes dazu beigetragen hätte als das Anmieten oder Innehaben seiner Wohnung. Aus dem Verfehlen dieser Rolle, die ihm ohne Rücksicht auf Verschulden oder auch nur Verursachen der entstandenen Gefahr für andere zugewiesen werde, solle ihm sodann eine strafrechtliche Haftung für die in seinen Räumen geschehene Rechtsgutsverletzung auferlegt werden. Diese weitgehende Gleichstellung des bloß untätig bleibenden Wohnungsinhabers mit dem eigentlichen Rechtsverletzer, durch die er zu dessen Komplize werde, sei mit dem Sinn der Garantenhaftung, die ein "Einstehenmüssen" für die Unversehrtheit des zu schützenden Rechtsgutes voraussetze, nicht mehr zu vereinbaren 4 • Sodann macht das Gericht den höchst problematischen Versuch, das durch die dargelegte Argumentation bereits vorgezeichnete Ergebnis der Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der zu diesem Problemkreis bereits vorliegenden RechtsprechungS zu harmonisieren. Auch die bisherige Rechtsprechung habe den Inhaber einer Wohnung oder sonstiger Räume nur dann für in diesen Räumen begangene Rechtsgutsverletzungen haftbar gemacht, wenn besondere Umstände hinzugetreten seien, die eine Rechtspflicht zum Handeln begründet hätten. In Wirklichkeit aber kaschiert der Hinweis auf die vermeintliche Harmonie wohl eher den faktisch vollzogenen Bruch mit der bis dahin höchst unsteten Rechtsprechung, die zu einer zunehmenden Verselbständigung der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten geführt hatte, ohne über die Gründe für die angeblichen Besonderheiten der jeweiligen Einzelfallgestaltung eindeutig Rechenschaft abzulegen. Nicht weniger problematisch ist der bereits erwähnte Hinweis des Gerichts darauf, daß die Wohnung möglicherweise eine Gefahrenquelle darstellt, die derjenige, der die Herrschaft über sie innehat, so absichern muß, daß sich für Dritte keine Gefahren ergeben. Denn bei Ausschreitungen einzelner Gäste gegen andere geht regelmäßig von der Wohnung selbst eine Gefahr nicht aus, sondern ausschließlich von den Straftätern6 • Es ist außerordentlich zweifelhaft, ob sich an diesem Befund überhaupt etwas dadurch ändern kann, daß die besondere BeschaffenBGHSt 30, 391 (395). Unter Bezugnahme auf: RGSt 72, 373; OGHSt 1, 87; BGH, NJW 1953, 591; BGH, GA 1967, 115; RGSt 58, 299; BGH, NJW 1966, 1763; BGHSt 27, 10; insoweit kritisch auch Geilen, JK, StGB § 13 Nr. 3. 6 So schon Tenckhoff, JuS 1978, 308 (311). 4
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2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
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heit oder Lage der Wohnung die Deliktsverwirklichung noch begünstigt. Ist auch die Argumentation mit der Gefahrquellenverantwortlichkeit auf der Schiene der modernen Garantenlehre im Grunde zu begrüßen, so deutet sich jedoch innerhalb jener sogleich wieder eine bedenkliche Akzentverschiebung an. Bei aller Kritik gegen die auf die "Vertrauenslage" abstellende Entscheidung im "Rentner"-FaIF ist nicht zu übersehen, daß der Schlüssel für die hier aufgeworfenen Fragen eher in der jeweiligen persönlichen Beziehung zwischen den beteiligten Personen liegt (z. B. in einem eventuellen Obhuts- oder Aufsichtsverhältnis) als in der Stellung des Rauminhabers zu der potentiell gefährlichen Räumlichkeit8 • Zuletzt sei eine Entscheidung des BGH erwähnt9 , die allenfalls zur KlarsteIlung des Inhaltes und der Reichweite möglicher Rechtspflichten beiträgt, die sich aus dem Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ergeben können. Der Angeklagte hatte einen Jugendfreund in seine Wohnung aufgenommen. Beide lebten fortan zusammen und sprachen erheblich dem Alkohol zu. Der Freund erkrankte schwer und wurde bettlägerig. Zunächst versorgte und pflegte der Angeklagte den Kranken, der die Verbringung in ein Krankenhaus oder auch nur die Zuziehung eines Arztes ausdrücklich ablehnte. Dann aber stellte der Angeklagte jegliche Pflegeleistung ein und erklärte dem Freund, er könne ihm nicht mehr helfen. Dies war dem Kranken, der auf jeden Fall bei seinem Freund bleiben wollte, recht. Der Angeklagte gab dem Kranken daraufhin nichts mehr zu essen und versorgte ihn wunschgemäß nur noch mit Schnaps, Bier und Zigaretten. Nach den Feststellungen des Gerichts war der Kranke bis zu seinem Tode bei klarem Bewußtsein gewesen. Das Urteil des LG, das den Angeklagten wegen versuchten Totschlags verurteilt hatte, hob der BGH auf. Es sei zwar anerkannt, daß die Begründung einer Wohn- und Lebensgemeinschaft Obhuts- und Schutzpflichten zu erzeugen vermöge, die den einen Beteiligten zum Garanten dafür machten, daß der andere vor dem Eintritt bestimmter Schäden bewahrt bleibe 10 • Den Freispruch des Angeklagten begründete der BGHII jedoch damit, daß sich aus einer solchen Wohnund Lebensgemeinschaft für den daran Beteiligten keine Rechtspflicht ergebe, den anderen am selbst gewollten Ableben zu hindern, sofern sich dieser in freier Willensbestimmung dazu entschlossen habe, dem für BGHSt 27, 10. Ähnlich bereits Landau, Diss., S. 189. 9 BGH, NStZ 1983, 117 f. 10 Des weiteren vgl. BGH, MDR 1984, 90 (dazu noch unten 4. Teil B. 11.). 11 Unter Hinweis auf die Entscheidungen BGHSt 27, 10; 30,391, wobei freilich diese Entscheidungen selbst keine Rechtspflichten aus einer Wohn- und Lebensgemeinschaft zu beurteilen hatten. 7
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D. Zusammenfassung
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ihn erkennbar herannahenden Tod keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen, sondern dem dazu führenden Geschehen seinen Lauf zu lassen. In Anbetracht der außergewöhnlichen Fallgestaltung ist die Entscheidung kaum geeignet, grundlegend neue Erkenntnisse für die höchst umstrittene Frage zu bringen, ob sich aus einer Wohn- und Lebensgemeinschaft die Rechtspflicht ergibt, die Folgen eines Selbsttötungsversuchs des Partners zu verhindern12 • Denn im vorliegenden Falle hatte das Opfer nicht selbst aktiv Hand an sich gelegt, sondern sich in völliger Passivität dem Schicksal einer tödlich verlaufenden Krankheit ergeben. Wenn der BGH angesichts dessen den untätigen Beteiligten für straflos erklärt, so tut er dies unter besonderer Hervorhebung des Respekts vor der voll verantwortlichen, bis zur Todesstunde bewußt reflektierten Entscheidung des Schwerkranken für den Verzicht auf lebensrettende oder -verlängernde Maßnahmen und trägt damit der vorherrschenden, von humanitären Erwägungen getragenen Überzeugung der Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe auch im privaten (nichtärztlichen) Bereich Rechnung13 • Offen läßt das Gericht hingegen, wie die Rechtslage zu beurteilen gewesen wäre, wenn der Erkrankte bereits Tage vor seinem Tode bewußtlos geworden wäre14 •
D. Zusammenfassung Bei einer Gesamtbetrachtung der höchst wechselvollen Entwicklung, die die Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten in der erst in den letzten Jahren zunehmend restriktiver gewordenen Rechtsprechung genommen haben, verdient die Bundesgerichtshofentscheidung vom 24. 2. 1982 1 besonders hervorgehoben zu werden. Schon die Erkenntnis 2 , daß die bloße Stellung als Wohnungsinhaber diesen nicht zu einer generellen Rundum-Verteidigung beliebiger Rechtsgüter verpflichtet, muß angesichts der jahrzehntelangen Rechtsprechungstradition als Fortschritt bezeichnet werden. Darüber hinaus ist der an sich nicht unproblematische Hinweis auf die mögliche Gefahrenquellenverantwortlichkeit des Wohnungsinhabers insoweit positiv, als er dahin verstanden werden kann, daß offenbar auch der 12 So AG Duisburg, MDR 1971, 1027 m. Anm. Doering, MDR 1972, 664, wo der Täter den bereits bewußtlosen Partner in der Wohnung vorfand. 13 BGH, NStZ 1983, 117 (118); vgl. nur Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 21 ff. und die Schrifttumsnachweise vor Rn. 19. 14 Vgl. auch Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 29. 1 BGHSt 30, 391. 2 Wie sie bereits in BGHSt 27,10 angedeutet wird.
2. Teil: überblick über die Rechtsprechung
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BGH die Lösung des Problems der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten in der jeweiligen Zuordnung des zu entscheidenden Falles zu einer der anerkannten Fallgruppen innerhalb des Systems der Schutz- und überwachungspflichten sieht. Gleichwohl birgt auch diese Verschiebung der Perspektive Gefahren in sich, wenn nämlich die nach Obhutspflichten für bestimmte Rechtsgüter und überwachungspflichten in bezug auf bestimmte Gefahrenquellen unterschiedenen Fallgruppen als beliebig erweiterungsfähig angesehen werden. Solange man nicht - mangels einer überzeugenden Alternative3 - die von Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelten Kriterien für die Entstehung von Garantieverhältnissen als Minimalvoraussetzungen und das daraus entwickelte System als vorläufig abgeschlossen akzeptiert 4 , besteht immerfort die Möglichkeit, neue Fallgruppen - etwa die Gruppe kraft Vertrauensverhältnisses5 - zu "erfinden". Die Frage, warum der Wohnungsinhaber in diesem Falle als überwachungs- oder Beschützergarant ausgemacht wird und in jenem nicht, läßt sich nur dann überzeugend und mit hinreichender Bestimmtheit beantworten, wenn zunächst sorgfältig versucht wird, das zu sichtende Fallmaterial den anerkannten Garantieaspekten zuzuordnen. Gelingt diese Zuordnung nicht, weil eine Voraussetzung des angenommenen Garantieverhältnisses nicht erfüllt ist, so ist für ein unechtes Unterlassungsdelikt grundsätzlich kein Raum. Wollte man anders verfahren, bestünde nach wie vor die Gefahr jener unseligen "Ölflecktendenz" , die der früheren Rechtsprechung zum Vorwurf gemacht worden ist'.
So Schrnidhäuser, AT 16/51 bei Fn. 33. Vgl. Tenckhoff, JuS 1978, 308 (309); Jescheck, AT, § 58 IV, 4 S.495; ders. LK § 13 Rn. 14. 5 So in BGHSt 27, 10. G Welzel, JZ 1960, 179. 3
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Dritter Teil
Lösungsansätze im Schrifttum In der Literatur sucht man vergeblich eine spezielle Erörterung der praktisch so relevanten Frage nach möglichen Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten. Dies erklärt sich aus dem bereits eingangs angesprochenen allgemeinen Befund, daß dem früher in erster Linie um eine fundierte Garantenkonzeption bemühten Schrifttum einzelne Garantenphänomene vorzugsweise zur Illustration grundsätzlicher dogmatischer Überlegungen dienten, während die spezifische Problematik einer bestimmten Fallgruppe nur selten zum selbständigen Gegenstand der Untersuchung gemacht wurde. So ist für die im folgenden zu erörternde Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich die GarantensteIlung des Rauminhabers nur ein besonderer und zugleich typischer Anwendungsfall des von ihr als elementar angesehenen generellen Garantieaspekts. Andererseits wird es auch als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben angesehen, gesetzliche Garantenpflichtgründe im Wege der Einzeluntersuchung zu erforschen 1 , allerdings mit der in höchstem Maße problematischen Konsequenz, daß letztlich der Grundrechtskatalog zur Eruierung strafrechtlich relevanter Handlungspflichten herhalten muß. Davon wird bei der Behandlung der "Kehrseitentheorie" und bei der Erörterung der GarantensteIlung aus Eigentum und Besitz die Rede sein.
A. Der soziale Herrschaftsbereich als Grundlage erhöhter Verantwortung I. Die Einfiußsphäre des räumlich-gegenständlichen Herrschaftsbereichs als zentrales Haftungskriterium
Traeger 2 hat als einer der ersten den Herrschaftsgedanken als selbständigen Anknüpfungspunkt für eine Rechtspflicht zum Handeln in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Schon der Umstand, daß der 1 2
Blei, AT, § 87 I, S. 322; Landau, Diss., S. 69 u. passim. Traeger, Problem der Unterlassungsdelikte, S. 107 ff.
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
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tatbestandsmäßige Erfolg auf einem von dem Täter beherrschten Gebiet (Wohnung, Hof, Garten etc.), sei es durch Zufall oder sei es gar durch die Schuld eines anderen, einzutreten drohe, soll den Inhaber zur Abwendung des Schadens verpflichten, weil nur derjenige, in dessen Herrschaftsbereich der für den anderen gefahrdrohende Zustand eingetreten sei, diesen Zustand beseitigen könne 3 • Der von Traeger gebildete "Luftschiffer"-Fall ist kennzeichnend für die Tragweite seiner Auffassung. Stürze ein Luftschiffer über einem Park ab und bleibe er dort verletzt liegen, so sei der Eigentümer Garant für die Abwehr weiterer schädlicher Folgen. S.ei er hingegen außerhalb der Mauern gefallen, so bestehe für den Eigentümer keine Erfolgsabwendungspflicht4 • Obwohl Traegers Auffassung im Ergebnis kaum über die bloße "Monopolstellung" 5 des Parkeigentümers als Anknüpfungspunkt der Erfolgsabwendungspflichten hinausgelangt ist, lenkt er die Aufmerksamkeit auf eine wichtige, wenngleich zu seiner Zeit noch wenig beachtete, Differenzierung. Die Rechtsprechung zu den Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten hatte ein Konglomerat von Begriffen hervorgebracht 6 , die allesamt eher geeignet waren, die Problematik zuzuschütten, als daß sie zur Klärung beigetragen hätten. Die Stellung als "Haushaltungsvorstand, Leiterin des Hauswesens, Haupt der Familie, Hausrechts- oder Wohnungsinhaber etc." wurde zum Anknüpfungspunkt zahlreicher Rechtspflichten innerhalb bestimmter Räumlichkeiten gemacht. Dabei wurde später kaum mehr7 danach unterschieden, ob es sich um eine Pflicht aus dem Hausrecht handelte, welches grundsätzlich jedem beliebigen Rauminhaber zusteht und in der Regel mit den familiären, ehelichen oder sonstigen persönlichen Beziehungen unter den Beteiligten nichts zu tun hat, oder ob es in erster Linie um eine von den ehe- oder familienrechtlichen Fürsorgepflichten abgeleitete Rechtspflicht ging8 • Indem Traeger die Abwendungspflicht Traeger, Problem der Unterlassungs delikte, S. 108. Traeger, Problem der Unterlassungsdelikte, S. 109. S Nur Bockelmann, AT, § 17 B I 6 c S. 135, ders. in, Niederschriften, S. 100, sieht die "MonopolsteIlung" des Unterlassenden als maßgeblichen Garantieaspekt an; ablehnend die ganz h. M.; vgl. nur Herzberg, Die Unterlassung, S. 359; Jescheck, AT, § 59 IV 4 b, S. 509; Stratenwerth, AT, Rn. 1020. 6 Generell gegen die unscharfe Begriffsbildung bereits Geilen, FamRZ 3
4
1964, 385 (390).
7 Ansätze einer Unterscheidung finden sich noch in den ersten Entscheidungen des Reichsgerichts, z. B. RG, GA 60,445; RG Rspr. 9, 301 (306). 8 Offensichtlich sah sich die Rechtsprechung bis zur Entscheidung BGHSt 30, 391 auch nie zu einer klaren Differenzierung und damit zu der Beantwortung der Frage, ob allein schon die Herrschaft über den Raum Rechtspflichten begründen könne, gezwungen, weil immer zugleich familienrechtliche Beziehungen, sonstige enge Lebensgemeinschaften oder - wie in den Gastwirtsfällen - berufliche Sonderstellungen vorlagen; BGHSt 27, 10 wich auf das "Vertrauensverhältnis" aus.
A. Der soziale Herrschaftsbereich
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allein von dem Umstand abhängig machte, daß der schädliche Erfolg auf dem von potentiellen Handlungspflichtigen beherrschten Gebiet einzutreten drohte, setzte er die Existenz eines räumlich-gegenständlichen Herrschaftsbereichs voraus, der völlig losgelöst zu sehen war von den rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen zwischen den sich darin aufhaltenden Personen9 • Damit war eine Grundvoraussetzung für die Anerkennung einer selbständigen Garantenstellung aus der (bloßen) Zuständigkeit für einen Herrschaftsbereich geschaffen. Während Traegers Ansicht bei seinen Zeitgenossen eher auf Kritik und Ablehnung stießlo, vermochte Welp im Jahre 1968 "eine unerwartete Renaissance" der Traegerschen Auffassung festzustellen l l , wobei er selbst freilich dem Herrschaftsgedanken nicht mehr als eine "Lückenbüßerfunktion" zuschrieb und eine Parallele in der polizeirechtlichen Zustandshaftung zu sehen glaubte. In der Tat setzte sich der Begriff des sozialen Herrschaftsbereichs im Laufe der Zeit mehr und mehr durch und gehörte schließlich zum festen Bestandteil der literarischen Auseinandersetzung l2 . Über seine Bedeutung bestand indes alles andere als Klarheit. Erst die Untersuchung von Bärwinkepa machte den Versuch, dem Herrschaftsgedanken deutlichere Konturen zu verleihen. 11. Die Konkretisierung des Herrschaftsgedankens
Zunächst stellt Bärwinkel klar l4, daß der Begriff des "räumlich sozialen Herrschaftsbereichs" enger zu interpretieren sei und nicht als Synonym für die "Monopolstellung" desjenigen verstanden werden dürfe, der bloß aufgrund räumlicher Nähe am sozialen Geschehen teilhabe l5 . "Räumlich" meine einen wirklich vorhandenen, konkret abgegrenzten Raum, 9 Traegers Ausgangspunkt findet sich besonders deutlich in der späteren Unterscheidung des Garantieverhältnisses der Ehegatten untereinander von dem Garantieverhältnis aus dem räumlichen Herrschaftsbereich der Ehewohnung, dazu bereits, Böhm, Diss., S.69; Geilen, FamRZ 1961, 147 (149); Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 139. 10 Höpfner, ZStW 36 (1915), 124; R. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 164 f.; Sauer, GS 114 (1940), 303; Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 116. 11 Welp, Handlungsäquivalenz, S.260. 12 Aldosser, S.105 (111); Dahm, ZStW 59, 174; Welzel, LB, § 28 A I, S.216; Schönke/Schröder (17. Auf!. 1974), Einf. vor § 1, Rn. 124 ff. (128, 135); Landsberg, Diss., S. 42 ff.; weitere Nachweise bei Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S.140, Fn.31: Allgemein zum Herrschaftsgedanken vgl. Schünemann, Grund und Grenzen, S. 229 ff.; Herzberg, Die Unterlassung, S.l72 ff.; Landau, Diss., S. 229 ff. 13 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 139 ff. 14 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 142. 15 Unter Bezugnahme auf die Diskussion zwischen Welzel und Bockelmann in Niederschriften, S. 100.
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3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
der den alltäglichen, natürlichen Vorstellungen von Räumen entspreche, in denen sich menschliche Handlungen abspielen. "Herrschaftsbereich" meine in diesem Zusammenhang nicht den bloßen Handlungsbereich, der jeder menschlichen Verhaltensweise eigen sei. Der räumlich abgegrenzte Herrschaftsbereich müsse bereits bestehen, bevor das schädigende Ereignis eintrete16 • Weiterhin bedeute "Herrschaft", daß jemand die Macht habe, innerhalb des konkreten, abgegrenzten Raumes die Geschehnisse zu bestimmen und zu lenken17 , wobei es - wiederum in Abgrenzung zum Kriterium der MonopolsteIlung - nicht darauf ankommen soll, daß der Inhaber der Herrschaft der einzig Herrschende seps. "Sozial" bedeute, daß die Sozialordnung einem (oder mehreren) Menschen einen konkreten Raum zur Herrschaftsausübung zuweise 19 • Letzteres, insbesondere die Formulierung "der Zuweisung eines Raumes durch die Sozialordnung zur Herrschaftsausübung in Eigenverantwortlichkeit" , läßt bereits deutlich den Punkt erkennen, bei dem Bärwinkel zur Begründung eventueller Garantenpflichten ansetzen will: bei der Funktion der Wohnung im Sozialgefüge. Wenn die Gemeinschaft sich weitgehend einer Eingriffsmöglichkeit in die Wohnungssphäre enthalte, so sei sie ihrerseits hinsichtlich des Schutzes anderer (als des Wohnungsinhabers) darauf angewiesen, daß der Wohnungsinhaber in seiner Wohnung den sozialen Frieden wahre, d. h. die Sozialgüter (die für die Gemeinschaft wertvollen Güter) schütze. Maßgeblich sei die soziale (arbeitsteilige) Funktion des einzelnen, hier die soziale Rolle des Wohnungsinhabers als Beherrscher des räumlich sozialen Herrschaftsbereichs "Wohnung". Die rechtliche Relevanz der dieser Rolle entnommenen sozialethischen Pflicht zum Rechtsgüterschutz versucht Bärwinkel anhand der StGB-Vorschriften betreffend den schweren Diebstahl (§ 243 Abs. 1 Nr.2, 3 und 7 a. F.) und die Brandstiftung (§ 306 Nr.2) nachzuweisen2o • Die dort niedergelegten Diebstahlsqualifikationen21 und 18 So schon Welzel, Niederschriften, S. 100, in Erwiderung auf Bockelmann ebendort, der nämlich meinte, schon der Kraftfahrer, der auf dunkler, einsamer Landstraße jemanden anfahre, habe diesen in seinem Herrschaftsbereich. Denn er sei der einzige, der ihn retten könne. Daran wird deutlich, daß Bockelmann "Herrschaftsbereich" als allgemeinen Handlungsbereich des Inhabers der Monopolstellung auffaßte. 17 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 143. 18 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 143 Fn. 45. 19 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 143. 20 Vgl. insoweit auch die Parallele zu Böhm, Diss., S. 67 ff., auf die Bärwinkel selbst hinweist, Garantieverhältnisse, S. 144 bei Fn. 50. 21 Der Fall des Einbruchs- oder Einsteigediebstahls wird heute von § 243 Abs.1 Nr.1 erfaßt. Die Tatsache, daß es sich jetzt um ein sog. Regelbeispiel handelt, während früher eine echte Diebstahlsqualifikation vorlag, dürfte im vorliegenden Zusammenhang, in dem es nur um die Schutzfunktion des Raumes geht, ohne Bedeutung sein.
A. Der soziale Herrschaftsbereich
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Brandstiftungsvoraussetzungen beruhten darauf, daß bei ihrer Verwirklichung das Gebäude bzw. der umschlossene Raum, unter den ja auch die Wohnung fällt, in ihrer Schutz funktion für Menschen und Sachen beeinträchtigt würden. Der Befund, daß das Strafgesetz selbst schon die elementare Funktion des Raumes "Wohnung" festlege, nämlich Menschen und Sachen physischen Schutz zu gewähren, führt den Autor zu der Erkenntnis, daß der Wohnungsinhaber als Beherrscher eines solchen Raumes somit rechtlich vor allem seine Herrschaft im Sinne dieser Funktion auszuüben habe. Er müsse die Geschehnisse so lenken, daß die Rechtsgutsobjekte in ihrer physischen Existenz nicht verletzt oder zerstört würden. Das Erfordernis der physischen Existenz der Rechtsgutsobjekte führt nach der Ansicht Bärwinkels dazu, daß die GarantensteIlung aus der Zuständigkeit für den Herrschaftsbereich "Wohnung" nur in solchen Tatbeständen relevant werden kann, wo es darum geht, Rechtsgüter mit physischen Objekten bzw. solche, die durch einen physischen Angriff auf das Objekt verletzt werden können, zu schützen22 •
III. Kritik Der entscheidende und zugleich schwächste Punkt der Argumentation nicht zu bezweifelnde rechtlich anerkannte Schutzfunktion der Wohnung den Inhaber verpflichten soll, seine Herrschaft "im Sinne dieser Funktion" auzuüben. Betrachtet man die generelle Schutzfunktion der Wohnung in den §§ 243 Abs.l Nr.2, 3 und 7 a. F. und 306 Nr.2, die angeblich den bedeutungsvollsten Hinweis auf die rechtliche Relevanz der aus der Rolle des Wohnungsinhabers fließenden sozial ethischen Verpflichtungen geben sollen, so muß man feststellen, daß die in den genannten Vorschriften zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Wertung nicht über eine nur für den Bereich des Strafrechts, also eher fragmentarisch konkretisierende Anerkennung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsguts "Wohnung" hinausgelangt. Diese Vorgabe des Gesetzgebers impliziert aber nicht notwendigerweise zugleich eine rechtliche Pflicht zum Handeln im konkreten Gefahrenfalle, ja nicht einmal ein allgemeines Verhaltensgebot im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der anerkannten Schutzfunktion. Tatsächlich überschätzt Bärwinkel wohl die Bedeutung des generellen Schutzzwecks der Wohnung für die konkrete Gefahrenlage im Einzelfa1l 23 • Generell wirkt die Wohnung schützend durch die ihr eigene Abschirmung und Begrenzung zur Außenwelt (z. B. vor Witterungseinflüssen, Straftätern ete.). Doch kann es nicht auf den generellen Bärwinkels ist die Schlußfolgerung, daß die -
22 23
Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 145. Vgl. auch die Kritik von Tenckhoff, JuS 1978, 308 (310).
4 Landsdleidt
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3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
Zweck, sondern nur auf die aktuelle, im Einzelfall vorliegende Funktion ankommen24 • Ist das Rechtsgutsobjekt erst einmal in Gefahr geraten, so hat der generelle Schutz häufig versagt (z. B. wenn der Dieb oder Mörder die verschlossene Tür aufbricht). Umgekehrt können es jedoch gerade die Abschirmungs- und Begrenzungseinrichtungen - als wesentliche Elemente der generellen Schutzfunktion - sein, die im konkreten Falle die physische Existenz des Rechtsguts bedrohen, etwa in den Fällen, daß die umschließenden Mauern die Rettung des Schwerverletzten oder Eingesperrten verhindern. Hier kann der Wohnungsinhaber die physische Existenz des Rechtsguts nur dadurch gewährleisten, daß er die in concreto in eine Bedrohung umgeschlagenen Schutzeinrichtungen aufhebt, indem er etwa Türen oder Fenster aufsperrt, um den Eingeschlossenen hinaus- oder fremde Hilfe hereinzulassen. So gesehen, spielt im Falle der akuten Rechtsgutsgefährdung die generelle Schutzfunktion überhaupt keine Rolle mehr. Der Wohnungsinhaber muß praktisch auch bei weitem mehr tun, als nur seine Herrschaft "im Sinne der generellen Schutzfunktion" der Wohnung auszuüben, was einmal mehr Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Ausgangspunktes erweckt. Dadurch, daß der Wohnungsinhaber das Rechtsgutsobjekt grundsätzlich vor jedem physischen Angriff zu schützen hat, wird er zu einem Rechtsgutsschutz verpflichtet, den die Wohnung selbst niemals leistet und natürlich auch gar nicht leisten kann. Dies zeigt, daß von dem generellen Schutzzweck der Wohnung nicht auf die konkreten Schutzpflichten des Inhabers geschlossen werden kann. Schließlich muß sich Bärwinkels Auffassung auch an ihren praktischen Ergebnissen messen lassen. Ohne Frage kommt seiner Lehre eine Begrenzungsfunktion dadurch zu, daß das Garantieverhältnis aus dem sozialen Herrschaftsbereich der Wohnung nur in solchen Straftatbeständen zur Anwendung kommen kann, wo es darum geht, Rechtsgüter mit physischen Objekten bzw. solche, die durch einen physischen Angriff verletzt werden können, zu schützen. Zu bedenken ist jedoch, ob die so gewonnene, in sich zwar konsequente und scharfe Grenzziehung in Einzelfällen nicht willkürlich erscheint und ob sie nicht um den Preis sachgerechter Ergebnisse stattfindet25 • Für die §§ 242 ff. ergibt sich beispielsweise nach Bärwinkel, daß der Wohnungsinhaber, der wissentlich zuläßt, daß ein Dieb Sachen eines Freundes oder eines Dritten aus seiner Wohnung stiehlt, wegen Beihilfe zum Diebstahl zu bestrafen ist, da in den §§ 242 ff. die Funktion des Raumes, physischen Schutz zu gewähren, So schon Schünemann, Grund und Grenzen, S. 362. Vgl. auch die ablehnenden Stellungnahmen von Herzberg, Die Unterlassung, S. 331 (332 f.); Schünemann, Grund und Grenzen, S.362 (und die ausführliche Methodenkritik auf S. 125 ff.); Tenckhoff, JuS 1978, S.308 (310); BGHSt 30, 391. 24
25
A. Der soziale Herrschaftsbereich
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im Vordergrund steht26 . Anders fällt das Ergebnis aus bei Angriffen auf die Freiheit. Von dem Standpunkt aus, daß die Schutzfunktion des Raumes nur den Schutz der physischen Existenz des Rechtsguts bzw. den Schutz vor physischen Angriffen umfaßt, braucht der Wohnungsinhaber konsequenterweise mit dem Mittel der Drohung geführte Angriffe auf die persönliche Freiheit nicht abzuwehren27 . Droht also etwa ein Gast einer anderen Besucherin, er werde einen vermeintlichen Diebstahl zur Anzeige bringen, wenn sie nicht mit ihm geschlechtlich verkehre, so brauchte der Hausherr gegen diesen erniedrigenden Angriff auf die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung und der Ehre nicht einzuschreiten. Unternähme er hingegen nichts, wenn der Gast die Zigaretten der Besucherin mitgehen ließe, so wäre er Gehilfe eines Diebstahls. Zu ähnlich fragwürdigen Ergebnissen gelangt Bärwinkel in den Fällen des Raubes und der Erpressung28 . Wohl sei der Wohnungsinhaber verpflichtet, den Dritten innerhalb der Wohnung vor einem Raub zu bewahren, nicht aber vor einer Erpressung mittels einer Drohung (denn Vermögen und Freiheit sind keine physischen Rechtsgüter). Diese Resultate drängen zu der grundsätzlichen Kritik, daß Bärwinkel die generelle Schutzfunktion der Wohnung im Sozialgefüge einerseits und die vom Recht anerkannte Schutzfunktion andererseits geradezu willkürlich voneinander trennt, indem er die Basis der rechtlichen Relevanz letztlich nur in den §§ 243 Abs. 1 Nr.2, 3, 7 a. F., 306 sucht 29 und so zu einer Reduzierung auf das Schutzobjekt in seiner physischen Existenz gelangt. Bärwinkel selbst räumt ein, § 243 a. F. berühre nur einen Teil der Schutzfunktion30 . Die Behauptung, die genannten Strafrechtsnormen beschrieben die Funktion der Wohnung im Sozialgefüge abschließend, stellt er zu Recht nicht auf, sondern betont an anderer Stelle vielmehr die verfassungsrechtlich anerkannte Funktion der Wohnung in der Sozialordnung31 • Die Frage ist, ob es nicht nahegelegen hätte, die rechtliche Bedeutung der generellen Schutzfunktion der Wohnung gerade auch anhand von Art. 13 Abs. 1 GG zu überprüfen. So betrachtet, gibt nicht nur das StGB32, sondern gerade auch die VerfasBärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 150. Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 152, mit der Einschränkung, daß der Raum nicht Mittel zum Zweck der Durchsetzung oder Verstärkung der Drohung sein dürfe. 28 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 151 f.; in BGHSt 27, 10 ergäbe sich nach Bärwinkel die Garantenstellung des Wohnungsinhabers aus der massiven Gewaltanwendung gegen den Rentner. Im Falle einer Erpressung mittels (bloßer) Drohung, bei der die Wohnung für die Drohung keine Rolle spielt, wäre der Wohnungsinhaber hingegen nicht Garant gewesen. 29 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 144 f. 30 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 145. 31 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 140. 32 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 144. 26
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4'
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
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sungsvorschrift selbst entscheidende Hinweise auf die "besonderen elementaren Sinnbezüge" , die die Sozialordnung mit dem Raum "Wohnung" verknüpft sieht. Gemessen an Art. 13 Abs. 1 GG steht die Freiheit des einzelnen im Vordergrund, das Recht auf unbedingte Achtung der Privatsphäre 33 , also die Freiheit, in seinen eigenen vier Wänden in Ruhe gelassen zu werden34 • Auch § 123 Abs. 1 kommt insoweit Bedeutung ZUM, als er einen Teilaspekt der strafrechtlichen Realisierung dieses Freiheitsschutzes darstellt. Ohne die Frage hier vertiefen zu müssen, ist wohl nicht zu leugnen, daß die generelle Schutzfunktion der Wohnung auch und gerade das Rechtsgut Freiheit umfaßt. An diesem Schutz kann ein Dritter ebenso teilhaben wie an dem Schutz hinsichtlich physischer Angriffe. Warum dann aber zwischen Angriffen auf physisch existierende Rechtsgüter und solchen auf die individuelle Freiheit innerhalb der Wohnung unterschieden werden sollte, ist nicht einzusehen. Als Fazit der durch Bärwinkel konkretisierten Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich ist festzuhalten, daß sie trotz der aufgezeigten Differenzierungen die Frage nach dem eigentlichen Haftungsgrund nicht überzeugend beantworten kann. Letzten Endes haftet der Wohnungsinhaber, weil das drohende Schadensereignis zu seiner Herrschaftssphäre "Wohnung" in enger räumlicher Beziehung steht, ohne daß der Nachweis irgendeines besonderen Verhältnisse des Wohnungsinhabers zum Opfer oder zum Gefahrenherd erforderlich wäre 36 • Daß das Kriterium der räumlichen Nähe allein jedoch keinesfalls geeignet ist, den Kreis der potentiellen Unterlassungstäter verläßlich festzulegen, schon weil räumliche Nähe in aller Regel auch eine Voraussetzung für die allgemeine Hilfspflicht nach § 323 c ist3 7 , bedarf keiner weiteren Erläuterung. Denn, so hält Herzberg 38 der Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich mit Recht entgegen, "wenn man anfangen wollte, aus jedwedem sozialen Näheverhältnis gleich auch eine Garantenpflicht abzuleiten, so wäre aus rechtsstaatlichen Gründen nachdrücklich Einspruch zu erheben". Eine dürftigere und flüchtigere Beziehung als die durch die zufällige Anwesenheit im räumlichen Herrschaftsbereich hergestellte könne man sich doch kaum denken. Wenn jemand in seinem sozialen Herrschaftsbereich als Vgl. BVerfGE 32, 54 (73). BVerfGE 27, 1 (6). 35 Zu eng Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 144 Fn. 52; zu § 123 vgl. noch unten 4. Teil A. 11. 1. 36 Vgl. Herzberg, Die Unterlassung, S.333; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 362; BGHSt 30, 391. 37 Ob räumliche Nähe zum Unfall ort zwingende Voraussetzung für die Hilfeleistung im Rahmen des § 323 c ist, ist freilich umstritten. Zum Meinungsstreit vgl. Dreher/Tröndle § 323 c Rn. 6 (pro); Rudolphi SK § 323 c Rn. 18; Schönke/Schröder/Cramer § 323 c Rn. m. w. N. (alle contra). 38 Herzberg, Die Unterlassung, S. 333. 33
34
B. Das "Kehrseiten argument"
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Garant schadensverhindernd eingreifen müsse, so habe das immer andere Gründe als den, daß der Schaden sich dort zu ereignen drohe 39 • Dem ist zuzustimmen. Der Grund für die Rechtspflicht des Rauminhabers zum Einschreiten kann auch vom Standpunkt der hier zugrunde gelegten h. L.40 in der Tat nur die besondere Beziehung des Rauminhabers entweder zu der gefahrschaffenden Situation oder zum bedrohten Rechtsgut sein.
B. Das "Kehrseitenargument" oder die Lehre von den bestimmten Vorrechten korrespondierenden Pflichten Der gegen die Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich geltend gemachte grundsätzliche Einwand, daß sie sich nicht durch die beiden elementaren Prinzipien der modernen Garantenlehre legitimieren kann, ist genau genommen jedem Versuch entgegenzuhalten, der eine von diesen Prinzipien gelöste eigenständige Garantenstellung etablieren will. Jedoch verdient die Auffassung 1 , die aus den besonderen Vorrechten des Wohnungsinhabers auf entsprechende Garantenpflichten schließt, schon deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil sie sich selbst keinewegs in "grundlegendem Gegensatz" zur Auffassung der modernen Garantenlehre sieht, wie sie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Urteil des BGH vom 24.2.1982 Anklang gefunden hat2 • I. Inhalt und Reichweite der Rechte-und-P8ichten-Verknüpfung Bereits auf Kissin 3 geht der Gedanke zurück, daß dem einzelnen "die Beherrschung eines Komplexes von subjektiven Rechten" zugestanden wird in der Erwartung, daß er die entsprechenden Handlungen zum Schutze fremder Rechtsgüter vornehme. Zur Bestimmung möglicher Rechtspflichten benutzt er das materielle Kriterium der "Herrschaft" ebenso wie das des "Vertrauens". Die Gesellschaft vertraue darauf, daß der einzelne seine ihm von der Rechtsordnung übertragenen Pflichten erfülle. Sie richte sich in ihrer eigenen Tätigkeit darauf ein und unterlasse es deshalb, ihre Mitglieder vor den entstehenden Gefahren durch alle möglichen Vorkehrungen und Vermehrung der sozialen Einrichtun39 40
1 2
3
Herzberg, Die Unterlassung, S. 334. Vgl. oben 1. Teil B. I. Blei, AT, § 87 I 4 C, S.329. BGHSt 30, 391. Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 116.
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
54
gen zu schützen 4 • Diesen Gedanken hat Böhm' aufgegriffen und weitergeführt. Ausgehend von dem Vertrauensgrundsatz, hält er bestimmte Personen dann zur Erfolgsabwendung für strafrechtlich verpflichtet, wenn und soweit die Rechtsordnung ihnen besondere Vorrechteeingeräumt hat. Der Grund für die aus diesen Rechten folgenden Pflichten sei, daß die Gesellschaft im Vertrauen auf das Funktionieren der Träger dieser Rechte auf gewisse Sicherungen verzichte 6 • Entsprechend seiner induktiven Methode 7 sucht Böhm nach der gesetzgeberischen Anerkennung von Erfolgsabwendungspflichten vornehmlich in Normen des StGB und - unter der sicherlich zutreffenden Prämisse, daß sich die Rechtswidrigkeit menschlichen Verhaltens stets aus der gesamten Rechtsordnung ergebe 8 - in Vorschriften anderer Gesetze sowie der Verfassung. Zunächst knüpft er an § 223 b an 9 , der die böswillige Vernachlässigung der Sorgepflicht für zum Hausstand gehörige Personen mit Strafe belegt. Die frühere Rechtsprechung ,die darüber hinausgehend ganz allgemein mit der Position des Haushaltungsvorstandes und der Stellung als Leiterin des Hauswesens Rechtspflichten verbunden hatte10 , lehnt er mit Nachdruck ab: "Rechtlich bedeuten diese Titel, die unangenehme Erinnerungen an Luftschutzkeller, gemeinsames Radiohören und andere ,Gemeinschaftserlebnisse' wachrufen, nichtsl l ." Den Ansatzpunkt für die Begründung der Rechtspflicht sieht er vielmehr in dem verfassungsrechtlich verankerten Haus- und Wohnungsrecht. Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung versage jedem Dritten, insbesondere auch den staatlichen Hoheitsorganen (vgl. §§ 103, 104 StPO), den Zutritt zur Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers. Der Inhaber dieses verfassungsmäßig geschützten Wohnungsrechts nehme also eine in mehrfacher Beziehung privilegierte Stellung ein. Wenn die Rechtsordnung dem Wohnungsinhaber aber ein solches Vorrecht einräume, so könne sie auch von ihm verlangen, daß er in seiner Wohnung Schädigungen einzelner oder der Allgemeinheit, vor allem auch durch Straftaten12 , verhindere. Diese Rechte-Pflichten-VerknüpKissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 107 f. Böhm, Diss., S. 67 ff. a Böhm, Diss., S. 74. 7 Vgl. insoweit die Methodenkritik von Schünemann, Grund und Grenzen, S. 188 ff.; grundsätzlich zur Gleichstellungsproblematik vgI. auch das Korreferat von Böhm zu Kaufmann in JuS 1961, 177 (179). 8 Zum Erfordernis der Orientierung an gesetzlichen Leitprinzipien im Sinne der die funktionale und genetische Betrachtungsweise verknüpfenden Gesamtschau, vgI. bereits oben 1. Teil B. I. 9 Böhm, Diss., S. 67 f. 10 VgI. oben 2. Teil A. 11 Böhm, Diss., S. 68. 12 Böhm, Diss., S. 69. 4
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B. Das "Kehrseitenargument"
55
fung Böhms führt in ihrer Umkehrung zu einem zwar konsequenten, aber dennoch äußerst bemerkenswerten Ergebnis. Stehe der Wohnungsinhaber nämlich unter Polizeiaufsicht, so habe er keine Rechtspflicht, in seiner Wohnung Verbrechen zu verhindern. Weil die Polizei ungehindert bei ihm ein- und ausgehen könne, fehle dem Inhaber das zur Entstehung der Rechtspflicht erforderliche Wohnungsrecht1 3 • Namentlich Blei14 hält Böhms Ansatz für verallgemeinerungsfähig und glaubt, seinen Standpunkt sogar mit der restriktiver gewordenen Rechtsprechung des BGH15 in Einklang bringen zu können, der die Lehre 18 von den bestimmten Vorrechten korrespondierenden Pflichten ausdrücklich verworfen hat. Blei zieht in Erwägung, daß Sicherungs-, Obhuts- und Schutzpflichten auch als Reflex gesteigerter Rechte daraus erwachsen könnten, daß bestimmte Bereiche nach außen hin rechtlich abgeschirmt und damit auch externen Vorkehrungen zum Schutz vor Gefahren mehr oder weniger entzogen seien (Eigentum, Hausrecht, Familie). Nach Ansicht Bleis kann die Rechtsordnung derart weitgehende Abwehrbefugnisse - wie sie in Art. 13 Abs. 1 und 2 GG dem Wohnungsinhaber eingeräumt sind - mindestens auf die Dauer nicht gewähren, ohne ihm die entsprechende Pflicht aufzuerlegen, in dem so abgeschirmten eigenen Hausfriedensbereich in gewissen Grenzen selbst für Ordnung zu sorgen. Aus der Tatsache, daß die Rechtsordnung den Wohnungsinhaber durch das Grundrecht des Art. 13 GG privilegiert, folgert er insbesondere auch die PflichtensteIlung zur Verhinderung und Erschwerung von Straftaten. Die Harmonie zu der Entscheidung BGHSt 30, 391 versucht er durch den Hinweis herzustellen, daß auch nach seiner Auffassung die Rechtspflichten des Wohnungsinhabers zur Schadensabwehr eben nur "in gewissen Grenzen" bestünden. Sachliche Kriterien zur Bestimmung dieser Grenzen stellt er indessen nicht auf. Die überlegung, daß die Rechtspflicht des Wohnungsinhabers die Kehrseite gewährter Vorrechte sei, ist auf vielfältige Kritik gestoßen.
13 Böhm, Diss., S. 70. 14 Blei, AT, § 87 I 4 c, S.329; ders. Mayer-FS, S.119 (132) Fn.65; ders. JA 1972, 15; ders. JA 1977, 138; unter Bezugnahme auf Henkel, Mschkrim 1961, 178 (184 bei Fn. 13); ähnlich Heimann/Trosien, LK (9. Auf!.) Einl. Rn. 176 und früher Schönke/Schröder (17. Auf!.) Vorbem. 128: "Die Rechtsgemeinschaft, die den Hausfrieden ihrem besonderen Schutz und Eingriffe von öffentlicher Hand besonderen Kautelen unterwirft, kann andererseits vom Inhaber des Hausrechts erwarten, daß dieser in den seinem Eingriff unterstehenden Räumlichkeiten für Ordnung sorgt"; kritisch Herzberg, Die Unterlassung, S. 323 f. bei Fn. 45. 15 BGHSt 30, 391 (394). 18 Im Folgenden der Einfachheit halber "Kehrseitentheorie" genannt.
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
56
11. Der Einwand des Grund-Folge-Verhältnisses von Pfticht und Recht Zutreffend weist Bärwinkel 17 darauf hin, daß das Kriterium dieser "Rechte-und-Pflichten"-Verknüpfung vor allem deshalb so bestechend sei, weil es an das gängige alte Wort erinnere: Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Er hält dem "Kehrseitenargument" entgegen, daß es das Grund-Folge-Verhältnis von Pflicht und Recht gewissermaßen auf den Kopf stelle. Nach seiner Ansicht existieren zunächst nur Pflichten, die jemand aufgrund seiner sozialen Stellung in der Gesellschaft hat. Erst weil jemand eine solche Stellung habe, würden ihm zur Erfüllung der damit spezifisch verbundenen Pflichten bestimmte (Vor-)Rechte eingeräumt. Als Beispiel führt Bärwinkel den Polizeibeamten an, der die Pflicht habe, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Zur Wahrnehmung dieser Pflicht würden ihm spezielle (Hoheits-)Rechte gewährt. Ganz generell seien seine Rechte zur Vornahme aller hoheitlichen Anordnungen in Umfang und Inhalt auf das Notwendigste zur Erfüllung seiner Pflicht, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, beschränkt. Diese Rechte, so Bärwinkeps weiter, entsprächen aber keineswegs immer den primären, trotzdem zu erfüllenden Pflichten. Beispielsweise gewähre die Rechtsordnung dem Vater nicht ein einziges Recht in bezug auf sein uneheliches Kind, sondern verpflichte ihn lediglich zur Unterhaltszahlung; trotzdem sei er Garant für Leib und Leben des Kindes19 . Umgekehrt gebe es eine große Zahl von besonderen Rechten, denen keine Garantenpflichten entsprächen20 .
111. Gegenkritik Bärwinkels Kritik ist nur zum Teil berechtigt. Zutreffend ist die von ihm verfochtene Sekundarität der (Vor-)Rechte sicherlich dort, wo der einfache Gesetz- oder Verordnungsgeber bestimmten Personengruppen (Polizeibeamten, Feuerwehrleutenetc.)21 spezielle Rechte zum Zwecke der erfolgreichen Wahrnehmung ihrer Pflichten einräumt. Hier handelt es sich in der Tat nicht um die generelle Zuweisung von RechtspositioBärwinkel, Garantieverhältnisse, S.86. Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 87. 19 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 87; das Beispiel trifft nach Änderung der Rechtsstellung des nichtehelichen Kindes nicht mehr zu. Nach Abschaffuhg des § 1589 Abs.2 a. F. BGB sind Vater und nicht eheliches Kind verwandt, so daß die Unterhaltspflicht grundsätzlich auch das nichteheliche Kind trifft, § 1601 BGB, und mithin der Vater entsprechende Rechte hat (vgl. Palandt/Diederichsen, § 1606 Anm. 2). 20 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 88 mit Beispielen. 21 Beispiele von Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 86 f. 17
lB
B. Das "Kehrseitenargument"
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nen, sondern der Gesetzgeber schafft nur die speziellen Voraussetzungen zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben. Etwas völlig anderes ist es jedoch, wenn es sich bei den (Vor-)Rechten um verfassungsrechtlich gewährte (Grund-)Rechte handelt. So ist die in Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistete Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung ein Grundrecht, das dem einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde und im Interesse der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum gewährleisten soll. Durch den verstärkten verfassungsrechtlichen Schutz gerade der Wohnräume im engeren Sinne soll dem Gebot unbedingter Achtung der Privatsphäre des Bürgers Rechnung getragen werden. Art. 13 Abs. 1 GG sichert so für den Bereich der Wohnung das Recht des einzelnen, in Ruhe gelassen zu werden22 • Das Menschenbild des Grundgesetzes ist weder individualistisch noch kollektivistisch. Für die verfassungs rechtliche Ordnung des Grundgesetzes ist der Mensch "Person" von unverfügbarem Eigenwert 23 , zu freier Entfaltung bestimmt und zugleich als Glied der Gemeinschaft und des Staates berufen, das Zusammenleben verantwortlich mitzugestalten24 • Es ist jedoch eine ganz und gar einseitige Hervorhebung der bloß kollektiven Verantwortung des einzelnen, wenn Bärwinkel den Menschen primär in der PflichtensteIlung seiner jeweiligen sozialen Rolle sieht. Es trifft nicht zu, daß die Betrachtung der Rechte-und-PflichtenBeziehung im Hinblick auf den Wohnungsinhaber zunächst nur die Existenz von Pflichten erkennen läßt, die der Wohnungsinhaber aufgrund seiner sozialen Stellung innerhalb der Gesellschaft hat. Das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung wird nicht erst aufgrund der sozialen Stellung des Wohnungsinhabers "zur Wahrnehmung der damit spezifisch verbundenen Pflichten" gewährt; im Gegenteil ist das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht erst die Folge, sondern gerade die Basis seiner sozialen Stellung innerhalb der Gemeinschaft. Diese notwendige Differenzierung zwischen spezifischen Vorrechten bestimmter (meist Berufs-)Gruppen und den verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten jedermanns läßt Bärwinkel vermissen. Das von ihm angenommene und der Kehrseitentheorie entgegengehaltene GrundFolge-Verhältnis ist daher kein Grundsatz, der allgemeine Geltung beanspruchen kann. Auf die "soziale Stellung" des Wohnungsinhabers trifft er jedenfalls nicht zu.
22 BVerfGE 27, 1 (6); 32, 54 (73); 42, 212 (219); NJW 1979, 1539 mit Anm. von Erichsen, JK, GG, Art. 13 Nr. 1. 23 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 7,320 (323); 8,274 (329). 24 Hesse, Verfassungsrecht, § 4 Rn. 114 ff.
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
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IV. Weitere Einwände gegen die "Kehrseitentheorie" überzeugender erscheint demgegenüber der Einwand Schünemanns25 , daß der Schutz des Hausrechts bei dringenden Gefahren (und damit auch bei einer unmittelbar bevorstehenden Straftat)26 ohnehin nicht bestehe, was sich aus Art. 13 Abs. 3 GG27 ergebe. Außerdem sei das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ein typisches Abwehrrecht, für dessen Umwandlung in ein Pflichtrecht schlechterdings keine gesetzlichen Anhaltspunkte ersichtlich seien. 1. Die Degeneration des Art. 13 Abs. 1 GG vom Grundrecht zum Pftichtrecht
Um gleich den letzten Punkt vorwegzunehmen: der sehr pointierte Vorwurf, die Kehrseitentheorie wandle das Abwehrrecht des Art. 13 Abs. 1 GG in ein Pflichtrecht um, bedarf der Relativierung. Die These der Kehrseitentheorie, daß ein Zusammenhang bestehe zwischen der Anzahl der von der Rechtsordnung gewährten Individualrechte, also der Größe des dem einzelnen gewährten Freiheitsraumes und der Notwendigkeit der Inpflichtnahme des einzelnen durch die Allgemeinheit, um so das Funktionieren des Lebens in der Gemeinschaft zu gewährleisten, hat einen unbestreitbar richtigen Kern. Weil Freiheit nicht grenzenlos gewährt werden kann, ist es erforderlich, das Individuum im Einzelfall zur Selbstbeschränkung zu verpflichten, was u. U. bedeuten kann, daß die Freiheit des einzelnen "zu unterlassen" durch die Auferlegung von Handlungspflichten begrenzt wird. Wenn Blei2B sagt, der Genuß der dem Wohnungsinhaber gewährten Abwehrbefugnisse sei mindestens auf Dauer nicht ohne die entsprechende Auferlegung von Erfolgsabwendungspflichten denkbar, so bedeutet dies zunächst keine Umwandlung des Art. 13 GG in ein "Pflichtrecht" , sondern intendiert gleichsam eine Garantie der Existenz und des Erhalts des Freiheitsrechts. Es handelt sich hierbei um die Schlußfolgerung von der als Notwendigkeit erkannten Schranke auf den Inhalt und die Reichweite des Freiheitsrechts. Dies ist eine der Verfassungsrechtsprechung durchaus geläufige überlegung. So sind dem Bundesverfassungsgericht etwa die Schranken der Gewährleistung der freien Entfaltung der Persönlichkeit Beleg dafür, daß Art.2 Abs. 1 GG in einem umfassenden Sinne allgemeine menschliche Handlungsfreiheit gewährleistet29 • Ähnlich ist die Forderung Bleis nach der Inpflichtnahme des Schünemann, Grund und Grenzen, S. 362. Klammerzusatz vom Autor selbst. 27 I. V. m. den jeweiligen Polizeigesetzen der Länder. 28 Blei, AT, § 87 14 C, S. 329. 29 Std. Rspr. vgl. nur BVerfGE 6, 32 (36); dazu Hesse, Verfassungs recht, § 12 I 10 Rn. 426 m. w. N. 25 26
B. Das "Kehrseitenargument"
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Wohnungsinhabers ein Beleg dafür, daß er den Bestand der Freiheit innerhalb der Wohnung, nämlich den Schutz vor dem Einschreiten Dritter - insbesondere hoheitlicher Organe -, letztlich garantiert wissen und somit den Charakter des Art. 13 GG als Freiheitsrecht gerade erhalten will. Die individuelle Eigenverantwortung soll die Gemeinschaft von der Verantwortung für den einzelnen entlasten und deren Einmischung in die Intimsphäre der Wohnung weitgehend überflüssig machen. Die Selbstverantwortung stellt sich in der Lehre Bleis damit als notwendiges Korrelat praktizierter Freiheit dar. Allerdings - und insoweit ist der Vorwurf Schünemanns berechtigt - decken sich Intention und praktische Konsequenzen der Kehrseitentheorie nicht im geringsten. Dadurch, daß Art. 13 GG unmittelbar herangezogen wird, um die in ihren Grenzen völlig unbestimmte Garantenstellung des Wohnungsinhabers zur Verhinderung von Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu begründen, wird das Grundrecht in seinem Charakter als Freiheitsrecht faktisch weitgehend entwertet, ohne daß die Notwendigkeit eines solchen Vorstoßes des Strafrechts in die Verfassung überhaupt überzeugend dargelegt worden wäreso. 2. Diskrepanz zwischen rechtlicher und faktischer Abschirmung des Herrschaftsbereichs
Beachtlich ist auch der weitere Einwand Schünemanns31 gegen die Kehrseitentheorie, daß der Schutz des Hausrechts bei dringenden Gefahren wegen der Schranke des Art. 13 Abs. 3 GG ohnehin nicht bestehe. Ein Vorrecht, daß in concreto gar nicht besteht, kann in der Tat nicht die Begründung besonderer Pflichten rechtfertigen. Gleichwohl erfaßt diese Kritik die Argumentation der Kehrseitentheorie nicht in ihrer ganzen Tragweite. Wenn Blei nämlich von einem Reflex gesteigerter Rechte spricht und weiter ausführt, innerhalb der Wohnung sei faktisch und rechtlich die Möglichkeit anderweitiger Hilfe so erheblich eingeschränkt, daß es sachgerecht sei, dem Wohnungsinhaber eine entsprechende Garantenpflicht aufzuerlegen32 , so beschränkt er seine Betrachtung des Wohnungsinhabers nicht allein auf dessen formal-rechtliche Stellung. Vielmehr schärft er damit zugleich den Blick für ein Phänomen, das zu den alltäglichen Erfahrungen eines jeden gehört und vielleicht gerade aus diesem Grunde auch in der Kritik Schünemanns zu wenig Beachtung 30 Zur Problematik der Herleitung von Garantenpfiichten unmittelbar aus der Verfassung vgl. auch noch unten C. 31 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 362; desgl. Tenckhoff, JuS 1978, 308
(310). 32
Blei, AT, § 87 I 4 c, S. 329.
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
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findet S3 • Die abgeschlossene Wohnung stellt für den Außenstehenden eine wirkungsvolle Barriere dar, deren (gewaltsame) überwindung Dritte nur unter den dringlichsten Voraussetzungen wagen. Es ist kein Einzelfall, daß beispielsweise in einer Mietwohnung schwerste Mißhandlungen unter den Bewohnern über einen längeren Zeitraum möglich waren, ohne daß Nachbarn, die sich der Wahrnehmung der Geschehnisse schon aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht hätten entziehen können, eingeschritten wären. Sicherlich spielt hier eine ganze Reihe sozialer Faktoren eine wichtige Rolle. Aber es ist nicht zu leugnen, daß die umfassende gesetzgeberische Ausgestaltung der Schutzfunktion der Wohnung34 auch dann noch Wirkung zeitigt, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für den Schutzanspruch des Wohnungsinhabers längst nicht mehr vorliegen, weil Gegennormen das Eindringen in die Wohnung rechtfertigen würden. Darin liegt der eigentliche Reflex der rechtlichen Ausgestaltung, der zu einem bloß noch faktischen "Schutzwall" führt. Dieser faktische Schutzwall unterscheidet sich allerdings in seiner Wirkung auf Dritte in keiner Weise von der Situation, in der der Wohnungsinhaber auch rechtlichem Schutz unterliegt. Die verschlossene Wohnungstür wird so auf jeden Fall zum Signal mit der Warnung: "Stop! Das geht Dich nichts an!" Die Wahrscheinlichkeit eines bedrohlichen Geschehens innerhalb der Wohnung muß sich beinahe zur Gewißheit verdichtet haben, ehe sich der Außenstehende zu Rettungsrnaßnahmen entschließt. Und nicht selten werden die Vermutungen erst viel zu spät angesichts des aus der Wohnung dringenden unerträglichen Verwesungsgeruchs zur tragischen Gewißheit. Diese besonderen tatsächlichen Momente waren es übrigens auch, die schon Pfleiderer 5 bewogen haben, den Fall der Einschließung eines anderen als selbständigen Grundfall der Garantenstellung des Wohnungsinhabers anzusehen. Nach seiner Ansicht liegt dem Fall der Einschließung eine einzigartige Situation zugrunde. Die Einschließung schaffe eine Beziehung, die andauern könne. Der Eingeschlossene sei von der Fürsorge des Wohnungsinhabers fast ebenso abhängig wie das Kind von der Mutter. Ebenso wie der Ur-Grund fall der Mutter, die ihr Kind verhungern lasse3 6 , vermittele der Grundfall der Einschließung ein eindeutiges Werterlebnis. Indem Pfleiderer einzig auf die Abhängigkeit vom Wohnungsinhaber abstellt, macht er deutlich, daß wegen der besonderen tatsächlichen Umstände innerhalb der abgeschlossenen Wohnung an das Eingreifen Dritter regelmäßig nicht zu denken ist. Ein Desgl. Tenckhoff, JuS 1978, 308 (310). Insoweit zutreffend auch Bärwinkel, GarantieverhäItnisse, S. 140; vgl. auch Lackner, JZ 1969,29 (30); Dtto, Grundkurs, AT, S. 142. 35 Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 141; vgl. bereits oben 1. Teil B. I Fn. 34. 36 Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 127. 33
34
B. Das "Kehrseitenargument"
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Grund dafür ist - wie gezeigt - , daß der Außenstehende, der irgendeine Gefahr in der Wohnung vermutet, stets von der generellen, rechtlich ausgestalteten Abschirmung der Wohnung abgehalten wird, selbst dann noch, wenn die rechtlichen Abwehrbefugnisse des Wohnungsinhabers im akuten Notfall in Wirklichkeit ausgeschaltet sind. V. Verwerfung des "Kehrseitenarguments" Doch können auch all diese durchaus beachtlichen überlegungen eine GarantensteIlung des Wohnungsinhabers nicht plausibel machen. Letztlich laufen sie darauf hinaus, daß die GarantensteIlung des Wohnungsinhabers nur deshalb geschaffen wird, weil der vom Gesetzgeber mit der Schaffung der allgemeinen Hilfspflicht des § 323 c beabsichtigte Rechtsgüterschutz durch eine außergewöhnliche Verkettung rechtlicher und tatsächlicher Umstände innerhalb der Privatwohnung als regelmäßig ins Leere gehend angesehen wird. Dem kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil es völlig undenkbar ist, die Begrenztheit des Anwendungsbereichs eines echten Unterlassungsdeliktes mit der Schaffung von Garantenpflichten kompensieren zu wollen. Andernfalls würde man dem mit Recht verworfenen Gedanken des "Hilfsmonopols" zur höchst unerwünschten Wiedergeburt verhelfen. Demgegenüber verdienen die grundsätzlichen Einwände, die der BGH37 gegen die Kehrseitentheorie geltend gemacht hat, Zustimmung. Die Aussage, daß die Zuweisung des Freiheitsraumes zugleich die Inpflichtnahme des Begünstigten erforderlich mache, ist im Grunde nichts weiter als das Postulat des gewünschten Rechtszustandes. Es soll gar nicht bestritten werden, daß es wünschenswert, ja sogar notwendig ist, dem Wohnungsinhaber unter Umständen auch bestimmte Erfolgsabwendungspflichten aufzuerlegen. Was aber rechtfertigt es, ihn in seiner Eigenschaft als Grundrechtsträger zur Rundum-Verteidigung zu verpflichten und ihn so zum "Hilfspolizisten" im eigenen Hause zu erklären38 ? Der maßgebliche Mangel der Kehrseitentheorie besteht darin, daß sie keinerlei Differenzierungen hinsichtlich des Erfolges, der abgewendet werden soll, zuläßt. Die GarantensteIlung wird an einen Tatbestand geknüpft - die Inhaberschaft der Wohnung - , der ohne jeden Bezug zur Rechtsgutsverletzung dasteht. Die Zufälligkeit des Tatortes bestimmt so u. U. das Maß der Verantwortung. Dies mag ein (zugegebenermaßen extremes) Beispiel verdeutlichen: Flieht jemand vor seinen wild 37
38
BGHSt 30, 391 (394 f.), oben 2. Teil C. Stratenwerth, AT, Rn. 1021.
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
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um sich schießenden Verfolgern und sucht er Schutz vor dem Kugelhagel in der Wohnung eines anderen, so ist es eine Fügung des Schicksals, wenn das Opfer nicht schon auf der Straße, sondern erst in den Räumen des Dritten von den tödlichen Kugeln getroffen wird. Sollte hier wirklich der Wohnungsinhaber durch die schicksalhafte Verlagerung der todbringenden Handlung in seine Wohnung in irgendeiner Weise in das strafbare Geschehen einbezogen werden können (von der tatsächlichen Abwendungsmöglichkeit einmal abgesehen)? Die Kehrseitentheorie vermag kein nachvollziehbares Argument dafür zu liefern, warum im Beispielsfalle die grundsätzliche Garantenpflicht, Straftaten im eigenen Hausbereich zu verhindern, keine Geltung beanspruchen sollte, obwohl hier doch wohl eine Inpflichtnahme des Wohnungsinhabers als Garant offensichtlich nicht diskutabel ist. Ebendies offenbart den Mangel: zwischen dem zum Garanten auserkorenen Unterlassenden und dem gefährdeten Rechtsgut braucht keine weitere Beziehung zu bestehen als allein räumliche Nähe. Insoweit ist der Kehrseitentheorie ebenso wie der Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich entgegenzuhalten, daß allein mit dem Kriterium der räumlichen Nähe eine überzeugende Begrenzung des Unterlassungstäterkreises nicht geleistet und damit die elementare Aufgabe der Garantenstellung nicht erfüllt werden kann.
C. Die Garantenstellung aus Eigentum und Besitz auf der Grundlage der Pflichtenbindung des Art. 14 Abs. 2 GG Obgleich die Trennung von der rein formalen Herleitung von Erfolgsabwendungspflichten allgemein begrüßt wird 1 , wird andererseits in der zunehmenden Materialisierung der Garantenfrage nach wie vor auch die Gefahr einer unerträglichen Ausweitung gesehen2 • Daß diese Sorge nicht gänzlich unberechtigt ist, hat die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH gezeigt 3• Allzu leicht läßt sich eine Garantenstellung "kraft Vertrauensverhältnisses" begründen, ohne daß die Herkunft dieses Garantieverhältnisses erkennbar wäre. Die Entstehungsgründe der Garantenpflichten dürfen indes nicht völlig unberücksichtigt bleiben, will man nicht "den Boden unter den Füßen verlieren" und statt rechtlich verfestigter Pflichten sittliche Pflichten ausreichen lassen, bei deren Begründung vielfach das Rechtsgefühl Pate Vgl. oben 1. Teil B. 1. Vgl. Geilen, FamRZ 1961, 147 (152); Landau, Diss., S.69; Stree, Mayer-FS, S. 145 (147). 3 Insbesondere mit BGHSt 27, 10. 1
2
c.
Garantenstellung aus Eigentum und Besitz
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stehV. Auf der anderen Seite ist niemandem damit gedient, wenn irgendwelche außerstrafrechtlichen Spezialnormen herhalten müssen, das gewünschte oder bereits feststehende Ergebnis einer GarantensteIlung zu legitimieren, wie es bei der überkommenen RechtspflichtIehre vielfach der Fall gewesen ist. Am allerwenigsten droht demjenigen der Vorwurf, sich einer vorgeschobenen Hilfsbegründung für die in Wirklichkeit aus materiellen Erwägungen hergeleitete GarantensteIlung zu bedienen, der auf verfassungsrechtlich begründete Bindungen verweisen kann, ist doch die Gefahr der offensichtlichen Grenzüberschreitung durch Auslegung und Lückenschließung angesichts der tatbestandlichen Weite und Unbestimmtheit vieler Verfassungsartikel, insbesondere des Grundrechtskatalogs, vergleichsweise gering. Auch ist es sicher kein Zufall, daß kaum eine andere Materie des Allgemeinen Teils derart von verfassungsrechtlichen überlegungen durchdrungen ist wie gerade das Problemfeld der Unterlassungsdelikte. Nicht erst die Einführung des § 13 hat die verfassungsrechtliche Brisanz der gesamten Unterlassungsdogmatik im Hinblick auf die in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Garantiefunktion des Strafgesetzes deutlich gemacht. Spätestens seit Inkrafttreten des Grundgesetzes mußte jede Rückbesinnung auf mögliche (im weiteren Sinne) gesetzliche Entstehungsgründe gleichsam als Gegenbewegung zur materiellen Betrachtungsweise unweigerlich auch ins Verfassungsrecht führen. So führte BleiS schon im Jahre 1966 aus: "Das Problem dieser Art der Zurückführung von Garantenpflichten auf ein Gesetz wird über den bisher erreichten Stand entscheidend nur mit weit ausgreifenden Untersuchungen - insbesondere auch vom Verfassungsrecht her - zu fördern sein." Unbestreitbar kann in allen Rechtsgebieten die objektive Wertordnung des Grundgesetzes zahlreiche Hilfestellungen geben, wenn es bei 4 Stree, Mayer-FS, S.147; diese die formelle und materielle Betrachtungsweise verknüpfende Gesamtschau entspricht der auch hier zugrunde gelegten h. M., vgl. oben 1. Teil B. I. bei Fn. 20; einseitig die genetische Betrachtungsweise favorisierend früher Geilen, FamRZ 1961, 147 (152): "Jedoch scheint mir ... sicher zu sein ... , daß man an dem Erfordernis einer Garanten-Rechtspflicht festhalten muß, und zwar nicht nur in dem üblichen Lippenbekenntnis - insoweit ist das Erfordernis unbestritten und die ganze These wäre eine Trivialität -, sondern in dem Sinn einer dieser rechtlich-positiven Etikettierung auch inhaltlich entsprechenden Begrenzung der Pflicht. Auch wenn man deshalb nicht zu dem ursprünglich engen Ausgangspunkt einer im Gesetz ausdrücklich formulierten Rechtspflicht zurückkehren kann, muß man doch eine ,rechtlich verfestigte' Garantenpflicht verlangen; d. h. die Pflicht muß sich mit den Methoden der Auslegung und Lückenschließung, sozusagen in einer rechtlichen Gesamtschau, als Garantenrechtspflicht nachweisen lassen." Ablehnend Herzberg, Die Unterlassung, S. 216 f.; wie die h. M heute Geilen, AT, § 44 I 3 C, S. 239. 5 Blei, Mayer-FS, S. 119 ff. (132 Fn.65).
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3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
der Lösung von Rechtsproblemen um die inhaltliche Konkretisierung und Begrenzung von Handlungsspielräumen geht 6 • Bedenken muß es indes erwecken, wenn versucht wird, aus einer konkreten Grundrechtsnorm bestimmte Rechtspflichten ableiten zu wollen, deren Nichtbeachtung strafrechtlich sanktioniert werden soll. I. Der Satz "Eigentum verpflichtet" als Grundlage strafrechtlicher Handlungspflichten Unter diesem Aspekt kommt vor allem der Vorschrift des Art. 14 Abs.2 GG Bedeutung für die Gefahrquellenverantwortlichkeit zu, weil in dieser Vorschrift ausnahmsweise entgegen der eigentlichen Intention der Grundrechte, primär die Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat zu regeln7 , expressis verbis eine Rechtspflicht des Eigentümers erwähnt wird. Es bestand lange Zeit Einigkeit darüber, daß der Satz "Eigentum verpflichtet" im Hinblick auf die Herleitung einer Garantenstellung "ebenso dubios wie nichtssagend" sei B und daß er für die strafrechtliche Pflichtenbegründung "ob seiner Landläufigkeit" nicht fruchtbar gemacht werden könne9 • Dem hat Landau10 mit Nachdruck widersprochen. Er sieht in der Materialisierung der modernen Garantenlehre die Gefahr der Verdeckung der wahren Haftungstatbestände und einer Verwischung ihrer rechtlichen Grundlagen und Grenzenl1 . Demgegenüber will er die Haftung des Sachherrn aus Eigentum und Besitz auf ein umfassendes, allgemeines Prinzip zurückführen, "welches wegen seiner überragenden Bedeutung im Verfassungs recht verankert wurde und als solches ... auch im Strafrecht Geltung beanspruchen kann, soweit diese(s) keine abschließende Regelung hinsichtlich der pflichtbegründenden Merkmale" gebe l2 • Dieses Prinzip sieht er in der die Sozialpflichtigkeit des Eigentums anordnenden Vorschrift des Art.14 Abs.2 GG verwirklicht. Jedem Grund- und Freiheitsrecht sei die Pflicht immanent, aktive Rechtsgutsbeeinträchtigungen Dritter oder der Allgemeinheit zu unterlassen. Die 6 Dies gilt z. B. für die Bedeutung der Grundrechte im zivilen Schadensersatzrecht, wenn es um das Verhältnis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Meinungsfreiheit geht, vgl. BVerfG, NJW 1980, 2072 mit Anm. Schwerdtner, JK, GG Art. 5 I, Nr. 4. 7 Ähnlich die Regelung der Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder in Art. 6 Abs. 2 GG. 8 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 254. 9 Welp, Handlungsäquivalenz, S. 262. 10 Landau, Diss., S. 115 ff. (122). 11 Landau, Diss., S. 69. 12 Landau, Diss., S. 116 u. 106 ff.
C. Garantenstellung aus Eigentum und Besitz
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äußerst interessante und im Verfassungsrecht keineswegs eindeutig beantwortete Frage hingegen, inwieweit der einzelne Grundrechtsträger auch zur Vornahme von Handlungen verpflichtet ist1 3 , glaubt Landau 14 überraschenderweise dahinstehen lassen zu können, weil nach seiner Auffassung das positive Recht in Art. 14 Abs. 2 GG "tätigen Einsatz" vorgeschrieben hat. Weiterhin führt er 15 unter Bezugnahme insbesondere auf das öffentlich-rechtliche Schrifttum16 aus, daß es sich bei Art. 14 Abs.2 GG nicht nur um einen bloßen Programmsatz 17 , sondern um aktuell geltendes Recht handele. Ebenso wie die Pflichten bindung des Eigentums im Hinblick auf den Schutz des Gemeinwohls erfolgt sei, sei auch das Strafrecht zum Schutz der Allgemeinheit geeignet und bestimmt1 8 • Die strafrechtliche Rechtsgüterordnung erfasse nur einige Werte, die sie gegen ,typisches wertverletzendes menschliches Verhalten' schütze 19 , während das Verfassungsrecht in den Mittelpunkt seiner Schutzordnung letzte Grundwerte stelle, die es nach allen Richtungen hin zu verteidigen gelte und die zudem Wegweiser für alle anderen Rechtsgebiete darstellten. Wenn jedoch das Strafrecht zwar die Schutzobjekte, nicht aber die Pflichten und die sie begründenden Merkmale abschließend normiert habe, so seien die zum Schutz der strafrechtlichen Güterordnung erfordeflichen Pflichten wenigstens mittelbar dem Verfassungs recht zu entnehmen, und im Falle der besonderen Verantwortlichkeit aus Eigentum und Besitz würden die Träger der Pflichten durch Art. 14 Abs. 2 GG sogar direkt benannt2o • Freilich erkennt Landau selbst, daß damit nicht das Geringste für die Bestimmung des konkreten Inhalts der sich angeblich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Pflichten gewonnen ist 21 • Wann nämlich der Eigentümer tätig werden, was er im einzelnen tun und welche Rechtsgüter er gegen welche Art von Angriffen schützen muß, läßt Art. 14 Abs. 2 GG - selbst wenn man die Prämisse der strafrechtlichen Relevanz dieser Vorschrift überhaupt akzeptieren wollte - nicht einmal andeutungsweise erkennen. Deshalb muß Landau im folgenden ein Zu dieser Frage vgl. Dürig, ZgesStW 109 (1953), S. 326 f., 334 ff. (337). Landau, Diss., S. 121. 15 Landau, Diss., S. 122 f. 16 Z. B. Maunz/Dürig/Herzog, Art. 14 Rn. 2; weitere Nachweise bei Landau, Diss., S. 123 Fn.21. 17 So aber z. B. v. Mangoldt/Klein, Art. 14 V 2 c, S.434; Maunz, Staatsrecht (17. Aufl. 1971), § 22 I 3 S.170 abw. jetzt Maunz/Zippelius 24. Auf!. 1982, § 22 S. 167; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 298. 18 Landau, Diss., S. 124. 19 Landau, Diss., S. 125 in Anlehnung an Sax in Bettermann/Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, 3. Bd., 2. Halbbd., S. 912. 20 Landau, Diss., S. 126, gemeint sind wohl "die Eigentümer". 21 Landau, Diss., S. 126. 13
14
5 Landsdleidt
3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttwn
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völlig anderes, nämlich das materielle Kriterium der Gefahrhervorrufung durch die Sache in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellen: Die Begründung einer Rechtspflicht zum Handeln könne "mit Hilfe von Art. 14 Abs. 2 GG" nur insoweit vorgenommen werden, als hiermit dem Eigentümer oder Besitzer aufgegeben werde, die von ihm beherrschten Sachen gefahrlos zu halten oder, bei bereits bestehenden Gefährdungen, der Gefahrrealisierung entgegenzuwirken22 • 11. Die faktische Bedeutungslosigkeit des Art. 14 Abs. 2 GG für die strafrechtliche Eigentümerhaftung Doch in Wahrheit hilft Art. 14 Abs.2 GG überhaupt nicht; die Begründung der Rechtspflicht zum Handeln erfolgt bei Landau allein mit Hilfe der Spezifizierung der Gefahrquellenverantwortlichkeit, was die gesamte folgende Darstellung23 nachhaltig unter Beweis stellt. Dabei überschätzt Landau zweifellos die Bedeutung des Eigentums bzw. des Besitzes für die strafrechtliche Unterlassungsverantwortlichkeit. Wie in seiner Auseinandersetzung mit der Auffassung Schröders 24 deutlich wird, sieht Landau in der Eigentümer- bzw. Besitzerhaftung "den unbestreitbaren Vorteil", daß z. B. in den Fällen, in denen Rechtsgüter Dritter durch eine Sache bedroht werden, die Frage, wer für eine eintretende Gefahrrealisierung verantwortlich sei, überwiegend einfach und auch für jedermann auf den ersten Blick einleuchtend beantwortet werden könne 25 • Diese Behauptung muß sich anhand eines beweiskräftigen Sachverhalts überprüfen lassen: Angenommen, jemand ist Eigentümer eines Grundstücks, das infolge einer Trassenverlegung unmittelbar an eine stark befahrene Bundesstraße grenzt. Das Grundstück ist an der zur Straße grenzenden Seite mit Bäumen bepflanzt. Als eines Abends auf regennasser Straße ein PKW aus der Kurve getragen wird und unglücklicherweise gen au zwischen zwei Bäume gerät und eingeklemmt wird, unternimmt der Eigentümer nichts, um die verletzten Insassen zu befreien. Haftet er für die Freiheitsberaubung oder den Totschlag, falls die Unfallopfer infolge nicht rechtzeitiger Hilfe sterben, nur weil er Eigentümer der Bäume ist? - Die Tatsache, daß auch Landau diese Frage nicht ohne eine sehr differenzierte, sorgfältige Untersuchung mannigfacher materieller Kriterien beantworten könnte, zeigt, daß die von ihm vertretene Eigentümerhaftung auf der Landau, Diss., S. 127. Landau, Diss., S. 129 ff. 24 SchönkejSchröder (16. Aufl. 1972), Vorbem. zu § 1 Rn. 128. 25 Landau, Diss., S. 71 ff. (73); vgl. auch die Kritik Pfleiderers, Die Garantenstellung, S. 138 f. zur EigentÜInerhaftung. 22 23
C. GarantensteIlung aus Eigentum und Besitz
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Grundlage des Art. 14 Abs. 2 GG bei weitem mehr verspricht, als sie halten kann. So unterscheidet er nach Sachen, die sich negativ auf die Rechtssphäre Dritter auswirken, weil sie entweder von Natur aus typische Aktivitäten zu entfalten vermögen26 oder mit ,einer latent vorhandenen Gefährlichkeit behaftet sind 27 oder weil sie sich in gefahrdrohendem Zustand befinden2B . Konsequenterweise müssen bei dieser Differenzierung "an sich ungefährliche Räumlichkeiten"29 eine Sonderstellung einnehmen, was bei Landau zur Bildung der Fallgruppe führt, bei der die räumliche Begrenzung "zur Falle" wird30 • III. Die bedenkliche Wiederbelebung des "Monopolgedankens" in den sog. Einsperrungsfällen Hauptanwendungsfälle seien die der Einsperrung anderer in einem Raum. Das Entscheidende ist nach Landau, daß durch die einmal erfolgte Einschließung ein Dauerzustand geschaffen worden ist, durch den der Eingeschlossene nun allein durch die Raumbegrenzung daran gehindert wird, den ihm drohenden Verletzungen und Beeinträchtigungen zu entgehen. Die Umschließung selbst wird danach zur Gefahr für den Betroffenen, aus der es kein Entkommen gibt, wenn er nicht aus seiner mißlichen Lage befreit wird. Zur Abwendung dieser dem Eingeschlossenen drohenden Gefahren ist der Eigentümer oder Besitzer des Raumes verpflichtet, sobald er von einer solchen Situation Kenntnis erlangt, auch, wenn die Einschließung vorsätzlich von einem deliktsfähigen Dritten vorgenommen worden ist. Zwar ist der Eigentümer oder Besitzer nicht verpflichtet, gegen die rechtswidrige Handlung des Dritten selbst einzuschreiten31 • Nachdem aber die Einschließung erfolgt sei, so Landau, drohten die Gefahren allein durch die Raumbegrenzung. Diese sei es, die die von dem Dritten beabsichtigte gefahrdrohende Landau, Diss., S. 132 ff., 153 ff. Landau, Diss., S. 135 ff., 157 ff. 28 Landau, Diss., S. 141 ff., 168 ff. 29 Landau, Diss., S.182, wobei jede räumliche Begrenzung im weitesten Sinne erfaßt wird. 30 Zwar verneint Landau grds. eine GarantensteIlung des Rauminhabers bei Straftaten Dritter innerhalb der Räumlichkeit, weil hier regelmäßig die Gefahr nicht von der Räumlichkeit selbst ausgehe; er hält aber eine Garantenstellung des Rauminhabers für möglich, wenn der Straftäter den Raum zur Begehung der Straftat "einsetze", weil dann wiederum die Räumlichkeit zur "Falle" werde, S. 189. Da dies im Ergebnis der h. M. zur Gefahrquellenverantwortlichkeit des Rauminhabers entspricht, wird darauf im vierten Teil zurückzukommen sein. 31 VgI. dazu bereits das Beispiel von Herzberg, Die Unterlassung, S.331. 26 27
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3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
Situation aufrechterhalte. Alles weitere werde nunmehr durch die Raumbegrenzung ,besorgt'. Der Inhaber der tatsächlichen und rechtlichen Herrschaftsgewalt sei trotz des entgegenstehenden Willens des Dritten von der Einwirkungsmöglichkeit auf die Umschließung nicht ausgeschlossen. Deshalb habe er das Notwendige zu veranlassen, um die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit des Eingeschlossenen zu beenden32 • Dasselbe müsse in dem von Traeger3 3 gebildeten Fall gelten, in dem jemand über eine Parkmauer zu klettern versuche, hierbei stürze und verletzt innerhalb des Parkes liegenbleibe. Dabei ist nach Landau allerdings eine wesentliche Einschränkung vorzunehmen. Könne sich der Eindringling selbst befreien oder bestehe die Möglichkeit, mit vorübergehenden Passanten Kontakt aufzunehmen, so sei der Eigentümer oder Besitzer lediglich wie jeder dieser Passanten auch zur Hilfeleistung gem. § 330 c (a. F.) verpflichtet 34 . Bei dieser Sachlage könne nämlich nicht mehr davon gesprochen werden, daß der räumliche Machtbereich des Inhabers der Herrschaftsgewalt für den Verunglückten eine Falle darstelle. Die Gefahren, die dem Eindringling bei dieser Sachlage nach dem Unfall drohten, unterschieden sich durch nichts von denen, die bestehen würden, wäre er außerhalb des Parks zu Fall gekommen 35 • Auch hinter dieser Argumentation steht unausgesprochen der Gedanke des "Hilfsmononpols"36. Der Eigentümer soll dann als Garant zur Hilfe verpflichtet sein, wenn er der einzige ist, der überhaupt zur Hilfeleistung in der Lage ist. Folglich käme es für die Lösung des oben genannten Beispiels der eingeklemmten Autoinsassen nach Landau ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände am Unfallort an. Im Extremfall gar hinge die Unterlassungstäterschaft des Grundstückseigentümers von der Zufälligkeit ab, ob das Unfallfahrzeug mit einem noch funktionsfähigen Autotelefon ausgestattet wäre, mittels dessen die Insassen selbst Hilfe herbeiholen könnten. Ebensowenig wäre der Grundstückseigentümer Garant, wenn das Unfallfahrzeug noch von der Straße aus wahrzunehmen wäre. Daß diese Ergebnisse nicht befriedigen können, liegt auf der Hand. Abgesehen davon muß mehr als bezweifelt werden, Landau, Diss., S. 183 f. Traeger, Problem der Unterlassungs delikte, S. 108 f.; vgl. auch den "Luftschiffer"-Fall (oben 3. Teil A. 1. bei Fn.4), dem das hier (oben 3. Teil C. 11.) erörterte Beispiel ähnelt. 34 Ähnlich Böhm, Diss., S. 68 f., der allerdings darauf abstellen will, ob der Grundstücksteil, auf dem der Unfall sich ereignet, noch zum befriedeten Besitztum im Sinne des § 104 Abs. 1 StPO gehört. 35 Landau, Diss., S. 185. 36 Den Landau im Rahmen der Erörterung der Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich im Ergebnis selbst verwirft, S. 68 f. 32
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c.
GarantensteIlung aus Eigentum und Besitz
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daß gerade Art. 14 Abs.2 GG die von Landau angestellten, z. T. sehr detaillierten materiellen Differenzierungen bezüglich der Sachgefahr gebietet. Aus dem Eigentumsrecht als solchem lassen sich ebensowenig wie aus der (zum ersten Male in der Weimarer Reichsverfassung expressis verbis zum Ausdruck gebrachten) Sozialbindung Haftungskriterien ableiten. Schon der frühesten Entwicklungsgeschichte der Verkehrssicherungspflichten entspräche die Koppelung von Recht und Pflicht nicht, kam es doch auch für § 367 Ziff. 12 (a. F.) nicht auf die Eigentumsverhältnisse an37 •
IV. Die Gefahr der Entwertung des Grundrechts Überhaupt muß es überraschen, daß der Versuch, den normativen Ansatz für strafrechtliche Pflichten im Verfassungs recht zu finden, allgemein ohne Blick auf die widerstreitenden Rechtsgüter, hier auf das vermeintlich gefährdende Eigentum auf der einen und das potentiell gefährdete Rechtsgut (z. B. Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum) auf der anderen Seite, gemacht wird 38 • Schließlich kennt das moderne Verfassungsrecht keine Begrenzung von Grundrechten ohne strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips 39. Die Grundrechtsbegrenzung kann stets nur das Ergebnis einer Rechtsgüterzuordnung nach dem Prinzip praktischer Konkordanz sein40 , was bei der Kollision zweier verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter bedeutet, daß beiden Grenzen gezogen werden müssen, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können. Damit verbietet sich von vornherein die isolierte Betrachtung eines einzelnen Grundrechts unter dem Aspekt der Pflichtenbegründung. So ist Eigentum zunächst einmal als Sicherung von Freiheit zu verstehen, deren Bindungen stets verhältnismäßig sein müssen41 • Die Frage nach der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der Begrenzung aber läßt sich nicht ohne Berücksichtigung des widerstreitenden Verfassungs guts beantworten. Die in ihrer Allgemeinheit sicherlich zutreffende Aussage, daß allen Grundrechtsinhabern die Pflicht auferlegt sei, die Rechte anderer nicht zu beeinträchtigen oder zu verletzen 42 , bedeutet für den Bereich des Unterlassens doch nicht etwa, daß jeder Grundrechtsträger zugunsten Dritter So treffend v. Bar, Verkehrspflichten, S. 111. Ein Vorwurf, der in gleicher Weise für die Kehrseitentheorie gilt. 39 Vgl. dazu Hesse, Verfassungsrecht, § 2 IU, 2 Rn. 72 ff., § 10 U, 2 Rn. 308 ff. (318). 40 Hesse, Verfassungsrecht, § 2 UI 2 Rn. 70 ff. (72). 41 Hesse, Verfassungsrecht, § 12 IU Rn. 448 a. E.; Einzelheiten in BVerfGE 50, 290 (339 ff.). 42 Landau, Diss., S. 117. 37
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3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
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auch aktiv werden muß. Vielmehr kann die durch das Prinzip praktischer Konkordanz gestellte Optimierungsaufgabe im Einzelfall durchaus die Begrenzung der Rechte Dritter in der Weise erforderlich machen, daß diese ein Unterlassen des Grundrechtsträgers zu ihren Lasten hinnehmen müssen. Eine aus einer Grundrechtsbegrenzung abgeleitete Rechtspflicht zum Handeln kann sich demnach nur als das Resultat einer (u. U. aufwendigen) Verhältnismäßigkeitsprüfung darstellen. Diese Prüfung mag im Einzelfall ergeben, daß zum Zwecke der Optimierung der in Frage stehenden Verfassungs güter ausnahmsweise die Freiheit des Grundrechtsträgers zur Untätigkeit begrenzt werden muß. Die Grenzziehung erfolgt damit aber nicht allgemein, sondern nur, soweit dies zum Schutze des kollidierenden Guts wirklich erforderlich ist. Die Pflichten lassen sich somit aus den in den einzelnen Verfassungsartikeln formulierten Grenzen nicht unmittelbar ableiten, sondern es sind allenfalls die unzähligen Möglichkeiten des Aufeinandertreffens der dort thematisierten Freiheitsbereiche (z. B. Eigentum, Wohnung) mit Grundrechten anderer und sonstigen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern, aus denen sich im Einzelfall als das Ergebnis einer Güterabwägung Handlungspflichten ergeben können. Mit alledem soll also nicht bestritten werden, daß einige Handlungspflichten zuallerletzt ihre rechtliche Grundlage auch in der Verfassung finden, schon weil Grundrechtsgewährung ohne gleichzeitige Grundrechtsbegrenzung undenkbar wäre. Nicht überzeugen kann dagegen der Versuch, strafrechtliche Handlungspflichten an der konkreten Bindung eines Verfassungsartikels (hier Art. 14 Abs. 2 GG) festmachen zu wollen. Dabei fällt nicht einmal so sehr ins Gewicht, daß hier der Regelungsgehalt einer speziellen Verfassungsmaterie gehörig überspannt zu werden droht, vergegenwärtigt man sich nur, daß der Verfassungsgeber mit der Aufnahme der Bestimmung des Art. 14 Abs.2 GG in erster Linie das Interesse einer an den Bedürfnissen der Gemeinschaft orientierten Nutzung von Grund und Boden im Auge hatte 43 • Bedenklicher ist, daß derartige, auch in anderen Rechtsgebieten bisweilen zu beobachtende Vorstöße ins Verfassungsrecht geradezu zwangsläufig eine gewisse Entwertung des Grundgesetzes in seiner anerkannten Funktion als rechtliche Grund- und Wertordnung des Gemeinwesens 44 bedingen. Gewiß ist es kein Sakrileg, die Verfassung zur Lösung praktischer Rechtsprobleme heranzuziehen. Jedoch darf die Erkenntnis, daß eine Verfassungsnorm kein bloßer Programmsatz, sondern aktuell geltendes Recht ist, nicht dazu führen, daß der Grundrechtskatalog, ge43 44
Vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 14 Rn. 7; BVerfGE 21, 73 ff. (83). Hesse, Verfassungsrecht, § 1 III, 1, Rn~ 17.
D. Zusammenfassung
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dacht als elementarer Schutzwall des Bürgers gegen übergriffe des Staates, zu einer unübersichtlichen Ansammlung pflichtenbegründender Generalklauseln degeneriert. Im Ergebnis ist nichts damit gewonnen, daß man die strafrechtlich relevanten Handlungspflichten des Sachherrn zum Zwecke ihrer rechtlichen Legitimierung auf ein "allgemeines Prinzip" zurückzuführen versucht, insbesondere dort nicht, wo der rechtliche Charakter und Entstehungsgrund dieser Pflichten - wie bei den Verkehrssicherungspflichten - ohnehin außer Zweifel stehen45 •
D. Zusammenfassung Weder die Lehre vom sozialen Herrschaftsbereich noch die Kehrseitentheorie haben eine eigenständige Garantenstellung des Rauminhabers überzeugend darlegen können. Es wurde gezeigt, daß es schon im Ansatz verfehlt ist, für die Bestimmung des potentiellen Garanten Kriterien wie dem der "räumlichen Nähe" oder der "Monopolstellung" den Ausschlag geben zu wollen. Insbesondere ist überhaupt kein Grund ersichtlich, warum der Rauminhaber in seiner Eigenschaft als Grundrechtsträger (Art. 13 Abs. 1 GG) in die Rolle eines Beschützers der in seinen Räumen befindlichen Menschen oder in die einer Aufsichtsperson zur Verhinderung von Straftaten versetzt werden sollte. Beiden Lehren ist der Mangel gemeinsam, daß sie keine schlüssigen Differenzierungen im Hinblick auf die Rechtsgutsbeeinträchtigungen zulassen, die der Rauminhaber als vermeintlicher Garant abzuwehren hat. Auch eine Garantenstellung aus Eigentum oder Besitz auf der Grundlage des Art. 14 Abs.2 GG, nach der der Rauminhaber allgemein 45 Im Zivilrecht ist das Prinzip der Verkehrspflichtigkeit, wonach jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle hervorruft oder andauern läßt, die nach Lage der Dinge erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer zu treffen hat, zu Gewohnheitsrecht erstarkt, weil es sich hierbei um eine prinzipiell unangefochtene, von der Rechtsordnung anerkannte Regel handelt, vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 164; im Lichte des § 13 ist es verfassungsrechtlich unbedenklich und stellt keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs.2 GG dar, diesen gewohnheitsrechtlich gebildeten Rechtssätzen Eingang ins Strafrecht zu gewähren, vgl. nur Schönke/Schröder/Eser § 1 Rn. 19; Tröndle LK § 1 Rn. 25, 27; Dreher/Tröndle § 1 Rn. 9. Aus dem Gebot, daß Gewohnheitsrecht ebenso wie Gesetzesrecht nicht in Widerspruch zu ranghöherem geschriebenem Recht treten darf (Hesse, Verfassungsrecht, § 14 I, 1 Rn. 507), folgt zugleich, daß das Gewohnheitsrecht ebenso wie Gesetzesrecht, wenn es die spezielle Rechtsquelle ist, vor dem ranghöheren Recht anzuwenden ist. Dies bedeutet, daß jedenfalls für die Begründung gewohnheitsrechtlich anerkannter Verkehrssicherungspflichten im Strafrecht Art. 14 Abs.2 GG gar nicht bemüht werden darf.
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3. Teil: Lösungsansätze im Schrifttum
haftet, wenn von seinen Räumlichkeiten Gefahren gleich welcher Ursache ausgehen, ist abzulehnen. Abgesehen davon, daß schon die Grundlage der Ableitung einer Garantenstellung unmittelbar aus einer Grundrechtsbegrenzung verfehlt ist, können auch die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Ergebnisse dieser Lehre nicht überzeugen. Die Vorstellung, daß der Rauminhaber stets dann Garant sei, wenn seine räumliche Begrenzung für das Opfer "zur Falle" werde, ist letztlich ebenfalls dem Gedanken der Monopolstellung verhaftet und kann schon deswegen kein für die Garantenbestimmung tauglicher Gesichtspunkt sein.
Vierter Teil
Die Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten im Lichte der die funktionale und genetische Betrachtungsweise kombinierenden Garantenlehre A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenzhaftung des Rauminhahers Erinnert man sich der im 2. Teil der Arbeit vorgenommenen prinzipiell positiven Bewertung der neuen Rechtsprechung, die die Beantwortung der Frage nach möglichen Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten u. a. unter dem Aspekt der Gefahrquellenüberwachung sucht und damit die funktionale Betrachtung der Garantieverhältnisse expressis verbis in ihre überlegungeneinbezieht, so ist nunmehr eine Vertiefung dieses bereits dort als nicht unproblematisch angesprochenen Ansatzes geboten. I. Der Raum als überwachungs- und kontrollpßichtige Gefahrenquelle Um der unter diesem Abschnitt zur Diskussion stehenden Garantenstellung des Rauminhabers deutlichere Konturen verleihen zu können, ist es zunächst einmal erforderlich klarzustellen, unter welchen Voraussetzungen eine Räumlichkeit eine Gefahrenquelle darstellt. Denn es ist kein Fall von Augenscheinlichkeit, daß jede beliebige Mietwohnung ebenso eine der überwachung und Kontrolle bedürftige Gefahrenquelle soll sein können wie beispielsweise ein Atommeiler, ein Giftdepot oder ein Kraftfahrzeug. Zwischen den "gefährlichen Maschinen und Anlagen", die in diesem Zusammenhang regelmäßig genannt werden1 , ist die Wohnung zunächst einmal ein Fremdkörper, soll sie doch als Lebensmittelpunkt und gewöhnlicher Aufenthaltsort des Men1
Jescheck LK § 13 Rn. 35; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 43.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
schen gerade Schutz vor Gefahren bieten. Da schon die Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit für dingliche Gefahrenquellen im allgemeinen umstritten sind, ist es notwendig, die hierzu vertretenen Auffassungen nachzuzeichnen, um von daher Rückschlüsse auf die besondere Gefahrquellenverantwortlichkeit des Rauminhabers ziehen zu können. 1. Die Zustandsverantwortlichkeit für dingliche Gefahrenquellen im allgemeinen
a) Die generelle Verantwortung des Sachherrn in allen Fällen der GefahrhervorTUfung durch die Sache in der Lehre Herzbergs
Die wohl strengste Auffassung zur Zustandsverantwortlichkeit des Sachherrn vertritt Herzberg. Zwar sieht auch er 2 grundsätzlich "die unverkennbare Gefahr einer Ausuferung der überwachungspflicht im Strafrecht, vor allem der des Sachbeherrschers", der er durch das Erfordernis der konkreten Gefährlichkeit der zu überwachenden Sache (im Gegensatz zu ihrem bloßen Ursächlichwerden für die Gefahr) zu begegnen sucht. Gleichwohl gelangt er im Ergebnis zur Anerkennung einer recht weitreichenden Verantwortlichkeit des Sachbeherrschers. Entscheidendes Kriterium ist nach seiner Auffassung, daß der der überwachung bedürftige Faktor die Gefahr hervorrufen muß3, wobei Herzberg eine Parallele zu dem Erfordernis der Gefahrschaffung im Ingerenzbereich zieht4 • Anzusetzen sei bei dem Grundgedanken der strafrechtlichen Zurechnung, die sich niemals aus der bloßen Kausalität rechtfertige. Maßgeblich sei vielmehr der normative Gesichtspunkt, daß ein Geschehen als das ,Werk' des Verursachers erscheine. Im Falle mangelnder Verkehrssicherheit ergebe schon die objektive ex-ante-Betrachtung die Gefährlichkeit der Sache in bezug auf einen bestimmten Erfolg. So seien z. B. lose Dachziegel, eisbedeckte Bürgersteige, in die Straße ragende morsche Äste, unbedeckte Gruben auf zugänglichen Grundstücken, unbeleuchtete steile Treppen etc. für Leib und Leben oder das Eigentum anderer gefährlich. Darum werde andererseits der Halter der Katze nicht garantenpflichtig, den drohenden Tod abzuwenden, wenn eine alte Dame infolge des Anblicks einen Herzanfall erleide5 • Es muß also die Gefahr ihren Ursprung gerade in dem ordnungswidrigen Zustand der Sache selbst haben, wenn sie dem Herzberg, Herzberg, 4 Herzberg, • Herzberg,
2
S
Die Unterlassung, S. 326. Die Unterlassung, S.325. Die Unterlassung, S. 300 f. Die Unterlassung, S. 326.
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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Sachherrn als sein Werk zugerechnet werden soll. Das Kriterium der objektiven ex-ante-Betrachtung beschreibt mithin das den Verkehrssicherungspflichten implizite Vorsorgemoment: Da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht möglich ist, kann und muß nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden'. Beruht hingegen die Gefährlichkeit der Sache nicht auf mangelnder Verkehrssicherheit, so kann nach Herzberg7 nur aus der konkret gegebenen Situation heraus prognostiziert werden, ob sich eine Sache gefährlich auswirkt. ,Die Situation sei da', wenn jemand im Schwimmbecken seines Gastgebers infolge eines Herzanfalles zu ertrinken drohe oder ein Kleinkind aus dem Kühlschrank, in dem es sich versteckt habe, sich nicht mehr befreien könne. Es sei dann plötzlich eine Lage entstanden, in der eine bestimmte, an sich in ordnungsgemäßem Zustand befindliche Sache für das Leben eines Menschen konkrete Gefahren hervorrufe. In diesen Fällen bedürfe es nicht des Rückgriffs auf den ,sozialen Herrschaftsbereich'8 oder andere Garantieaspekte; vielmehr folge die Garantenpflicht des Sachherrn einleuchtender schon aus dem Prinzip der Gefahrquellenüberwachung. Um diese Erklärung verstehen zu können, bedarf es einer kurzen Erläuterung des bei Herzberg zugrunde gelegten Verständnisses des überwachungsprinzips. aal Skizzierung der dogmatischen Grundlage des überwachungsprinzips
Herzberg konstatiert im Rahmen der Untersuchung des Verhältnisses zwischen der GarantensteIlung und dem Rechtspflichtkriterium die völlige Verselbständigung des Garantenprinzips9. Das Garantenprinzip bedeute nach seinem materiellen Inhalt, daß entscheidend die im sozialen Leben anerkannte, besondere Verantwortlichkeit sei, die einem Menschen zum Zwecke der Schadensverhinderung auferlegt sei. Diese soziale Sonderverantwortlichkeit werde spätestens durch den einschlägigen Straftatbestand zur Rechtspflicht - eine These, an der im Falle des aktiven Tuns noch niemand Anstoß genommen habe. Die Anwendung dieser These auch auf den Unterlassungsbereich ist eine logische Konsequenz des von Herzbergentwickelten, umfassenden sog. 8 Palandt/Thomas, § 823 Anm. 8; der Grundsatz gilt im Zivil- und Strafrecht gleichermaßen, vgI. bereits oben 3. Teil C. IV. Fn.45. 7 Herzberg, Die Unterlassung, S. 328. 8 Den Herzberg als Kriterium zur Bestimmung von Garantieverhältnissen ja ablehnt, Die Unterlassung, S. 331 ff.; dazu bereits oben 3. Teil A. IH. a. E. 9 Herzberg, Die Unterlassung, S. 215.
4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
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negativen Handlungsbegriffes ("Vermeidbares Nichtvermeiden")lO, der sowohl aktives Tun als auch Unterlassen erfaßt. Da jedoch auch der Täter eines echten Unterlassungsdeliktes in vermeidbarer Weise den tatbestandlichen Erfolg nicht vermeidet l1 , bedarf es zur Bestimmung des Täters des unechten Unterlassungsdeliktes des zusätzlichen Kriteriums der GarantensteIlung ("Vermeidbares Nichtvermeiden in Garantenstellung")12. Hinsichtlich der Reichweite des Garantenprinzips greift Herzberg im wesentlichen auf die Lehre von der Zweiteilung nach überwachungs- und Beschützergaranten zurück13 • Im Zusammenhang mit dem an dieser Stelle allein interessierenden überwachungsprinzip stellt er fest, daß es eine eigenständige, insbesondere vom Ingerenzgesichtspunkt unabhängige Garantenpflicht kraft Zuständigkeit für Gefahrenquellen gebe 14• Unter Bezugnahme auf Esser 15 resümiert Herzberg: "Entscheidend ist ... nicht ein irgendwie geartetes Vorverhalten, sondern daß denjenigen, der ,die tatsächliche Sachherrschaft innehat', die ,Vorsorgepflicht' trifft, ,Schäden anderer durch die Sache zu verhindern'." Vor allem soll es auf die Pflichtwidrigkeit einer etwaigen Vorsorgeunterlassung nicht ankommen 16 • Es gebe keinen einleuchtenden Grund, aus dem der überwachungsgarant, der den Erfolg noch hindern könne, seiner Sonderpflichten ledig sein sollte, wenn er nur vorher den gefährlichen Faktor ausreichend sorgfältig bewacht habe. Das strafrechtliche Gebot, die gefahrerzeugenden Dinge des eigenen Herrschaftsbereichs sorgfältig zu überwachen, habe nicht bloß den Sinn, schadens auslösende Kollisionen zu vermeiden, sondern den des Schutzes fremder Rechtsgüter schlechthin. Es befehle darum, teleologisch gedeutet, gewisse Schadensfälle ungeachtet früherer Sorgfalt an jeder noch möglichen Stelle zu unterbrechen17 • Weiter heißt es, der Sachherr müsse notfalls auch "hinter seiner Sache herlaufen" und ihre Auswirkungen paralysieren oder abschneiden l8 . Auf diesem Wege gelangt der Autor zu der Person des "generell überwachungspflichtigen", der seine Sachen beständig auf ihre UngeHerzberg, Die Unterlassung, S. 170. Ausgangspunkt ist das Beispiel bei Herzberg, Die Unterlassung, S. 169. 12 Hier sehr verkürzt; Einzelheiten zur Differenzierung nach sog. "reinen Bewirkungsdelikten", "Garanten- und verhaltensgebundenen Delikten", vgl. Die Unterlassung, S. 49 ff., 60 ff., 107 ff., 127 ff. lS Herzberg, Die Unterlassung, S. 172 und 316. 14 Herzberg, S. 319 unter Berufung auf RGSt 14, 362 (363), die den Fall einer fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen betraf, begangen von einem Hauseigentümer, in dessen ausnahmsweise unbeleuchtetem Treppenhaus ein Briefträger gestürzt war. 15 Esser, Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, S. 417. 16 Herzberg, Die Unterlassung, S. 322. 17 Herzberg, Die Unterlassung, S. 323. 18 Herzberg, Die Unterlassung, S. 325. 10
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A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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fährlichkeit zu überprüfen habe 19 • Folglich kann im "Swimming-pool"Fall20 ebenso wie in den Fällen der zufälligen Einsperrung eines Dritten die Entscheidung nur lauten, der Sachherr sei garantenpflichtig, den Tod durch Ertrinken zu verhindern bzw. den Freiheitsverlust unverzüglich wiederaufzuheben und mögliche schlimmere Folgen zu verhüten21 • Andererseits verneint Herzberg die Garantenpflicht des Parkeigentümers im Traegerschen "Luftschiffer"-FaIl22 • An dieser Stelle ist zu lesen23 : "Ein Grundstück ist nicht deshalb eine gefährliche Sache, weil ein Fallschirmspringer darauf prallen und sich lebensgefährlich verletzten kann. Geschieht solches tatsächlich einmal, dann läßt sich rückblickend nur sagen, daß die Sache in einen Geschehensablauf, der die Lebensgefahr hat entstehen lassen, ursächlich verkettet ist. Das allein kann den generell überwachungspflichtigen nicht in dieser Eigenschaft konkret garantenpflichtig machen." bb) Kritik Diese unterschiedlichen Ergebnisse überzeugen nicht. Es ist nicht ersichtlich, warum das Schwimmbecken als "Hervorrufer der Gefahr" angesehen wird (mit der Folge der GarantensteIlung), die Parkmauer im "Luftschiffer"-Fall dagegen nicht. Die Frage ist, wieso nicht auch das Schwimmbecken als bloß ursächlich in den Geschehensablauf verkettet zu werten ist. Daß jemand die Last einer besonderen körperlichen Schwäche, einer Krankheit, einer außergewöhnlichen Anfälligkeit oder eines sonstigen persönlichen Defekts zu tragen hat, ist bei aller gebotenen Solidarität und Mitmenschlichkeit zuallererst sein ureigenes Problem. Ebenso ist der Umstand, daß jemand einen Unfall erleidet, sei es infolge eines Herzanfalles oder sei es infolge eines Sturzes, Bestandteil des allgemeinen Lebensrisikos, für das ein Dritter grundsätzlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Diese eher banale Erkenntnis vermag sich nun aber nicht ohne weiteres deshalb zu wandeln, weil mehr oder weniger zufällig in das Geschehen eine konkret gefährliche Sache verknüpft ist, für die ein anderer zuständig ist. So soll es vorgekommen sein, daß ein Betrunkener infolge eines unglücklichen Sturzes mit dem Gesicht in einer Pfütze oder einem Tümpel zu liegen kam und ertrank. Nicht anders als im "Swimmingpool"-Fall wirkte sich hier eine Sache in der konkreten Situation geHerzberg, Die Unterlassung, S. 327,329,331. Oben 4. Teil A. I. 1. a) a. E. 21 Herzberg, S. 330 f., zur Differenzierung für den Fall der planmäßigen Einsperrung des Dritten durch einen anderen, vgl. unten 4. Teil A. I. 2. b) aal (2). 22 Oben 3. Teil A. I. bei Fn. 4. 23 Herzberg, Die Unterlassung, S. 327. 19
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fährlich aus. Indessen mutet die Wertung, der Tod des Betrunkenen sei dem anwesenden, aber untätigen Grundstücksinhaber als sein Werk zuzurechnen, nicht ohne Grund befremdlich an. Denn es wird hier ein Kriterium zum maßgeblichen Faktor erhoben, das in Wirklichkeit überhaupt erst durch das unglückliche und schicksalhafte Zusammenwirken außergewöhnlicher Umstände Bedeutung erlangt. Die sich in der konkreten Situation ad hoc auswirkende Sachgefahr verblaßt nahezu völlig hinter dem Umstand, daß allein erst der in der Person des Opfers liegende Grund die bedrohliche Situation hat entstehen lassen. Schon rein äußerlich stellt sich das soziale Geschehen eher als die typische Situation einer unterlassenen Hilfeleistung denn einer vorsätzlichen Tötung dar. Auch erscheint es ungerecht, daß im Fall des Ertrinkenden der Dritte Garant sein soll, weil das Schicksal es will, daß der Infarkt den Schwimmer im Swimming-pool ereilt, daß er aber sicher nicht Garant wäre, wenn der Unfall in einem offenen Gewässer geschähe. Man könnte das Beispiel gar auf die Spitze treiben, wenn man sich vorstellte, daß es sich um einen Pool mit Zugang zu einem offenen Gewässer handelte mit der Folge, daß der Sachherr rein zufällig, nämlich mit dem Passieren der "Grenze", zum Garanten bzw. von seiner vermeintlichen GarantensteIlung befreit würde. In bei den Fällen ist er nicht Garant. Die Beispiele machen deutlich, daß der normative Gesichtspunkt, daß sich das Geschehen als das Werk des Verursachers erweisen müsse, indem der überwachungsbedürftige Faktor als "Gefahrhervorrufer" erscheine, ohne stärkere Konkretisierung ein zu breites Spektrum möglicher - eben auch gegensätzlicher - Wertungen zuläßt. Dadurch freilich verliert auch das auf den ersten Blick so bestechende teleologische Argument der generellen Schadensverhütungspflicht an Durchschlagskraft. Es bleibt die Frage, welchen Nutzen eine noch so konsequente Pflichtenbegründung für den Gefahrquellenüberwacher hat, wenn ihr die von so viel Unsicherheit begleitete Wertungs frage vorgelagert ist, ob die Sache im konkreten Fall überhaupt als Gefahrerzeuger (Gefahrhervorrufer) angesehen werden kann. Dies illustriert besonders eindrucksvoll das bereits oben24 erwähnte Beispiel der beim Unfall eingeklemmten Autoinsassen. Blieben etwa die Insassen weitgehend unverletzt, so drohte die Gefahr weiterer Schäden einzig und allein noch von den beiden Bäumen. Obwohl sie ohne Frage als Hervorrufer der weiteren Gefahren angesehen werden könnten, kommt eine GarantensteIlung des Eigentümers nicht in Betracht. Das Autofahren birgt zahlreiche Risiken in sich, u. a. auch die 24
Vgl. oben 3. Teil C. 11.
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Gefahr, im Falle eines Unfalls eingeklemmt zu werden. Wenn es nun einmal passieren sollte, daß nicht schon die Deformation der Karosserie selbst zur Einschließung führt, sondern erst die fatale Bruchlandung zwischen zwei Bäumen auf dem Grundstück eines Dritten, so wird der Dritte nicht automatisch Garant für die Rechtsgüter der Eingesperrten, obgleich ausschließlich seine Bäume in der konkreten Situation die weiteren Gefahren hervorrufen. Denn die Rechtsgutsbeeinträchtigung durch eine an sich völlig ungefährliche, in verkehrssicherem Zustand befindliche Sache wird nicht allein dadurch zum Werk des Sachbeherrschers, daß er die Beeinträchtigung entdeckt und untätig bleibt. Im Augenblick der Entdeckung steht er dem Geschehen nicht näher als jeder beliebige Dritte. Der Zustand der Einklemmung stellt sich aus der Sicht eines verständigen Beobachters als Realisierung des zu schnellen oder unaufmerksamen Autofahrens dar und ist daher - ebenso wie der Herztod im Schwimmbecken - dem Verantwortungsbereich der Opfer, nicht dem des Sachbeherrschers zuzurechnen. Seine Hilfspflicht besteht nur im Rahmen des § 323 C 25 • Insgesamt ergeben diese Überlegungen, daß die Figur eines "generell Überwachungspflichtigen", der sogar zur Rettung von Rechtsgütern berufen ist, die von seinen normalerweise völlig ungefährlichen und in ordnungsgemäßem Zustand befindlichen Sachen in Gefahr gebracht werden, nicht anerkannt werden kann. Ein derart weit gesteckter Verantwortungsbereich, der mit der schadensvorbeugenden Sachhaltung nichts mehr zu tun hat, ist abzulehnen.
b) Die Begrenzung der Verantwortung des Sachherrn auf typische, unmittelbare Sachgefahren bei Pfleiderer Im Rahmen der praktischen Anwendung seiner Grundfallmethode26 sieht Pfleiderer27 als eigentlichen Grundfall im häuslichen Bereich die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an. Die Verkehrssicherungs25 Das bedeutet selbstverständlich im Ergebnis Straflosigkeit, wenn nicht einmal die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen. Erkennt der Gastgeber im Swimming-pool-Fall - was theoretisch denkbar ist - aus Fahrlässigkeit die Notlage des Ertrinkenden nicht, bleibt er straflos wie jeder Dritte, der die Unglückssituation vorwerfbar verkennt. Das subjektive Gerechtigkeitsempfinden mag hier nach Strafe verlangen. Doch läßt sich der daraus resultierende Vorwurf gegen eine vermeintlich unzulängliche Dogmatik, die nicht zuletzt wegen der verfassungsrechtlichen Problematik des § 13 um eine Eingrenzung von Garantenpflichten bemüht ist und insoweit auch solche "Strafbarkeitslücken" hinnimmt, ebensogut gegen den Gesetzgeber wenden, der eben nicht jedes fahrlässige Verhalten - hier die Verletzung der allgemeinen Hilfspflicht - strafrechtlich sanktioniert hat. 26 Vgl. bereits oben 1. Teil B. I. Fn.34. 27 Pfleiderer, Die Garantenstellung, S. 128.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
pflicht sei die Abwehrstellung gegen die typischen von einem Haus oder Grundstück ausgehenden Gefahren. Sie sei die alltäglichste und selbstverständlichste Pflicht des Hauseigentümers. Auf der Verkehrssicherungspflicht baue die Garantenstellung im häuslichen Bereich auf28 • Zu diesen Garantenfällen des häuslichen Bereichs gehöre auch die unterlassene Befreiung eines im Hause Eingeschlossenen durch den Hauseigentümer oder Wohnungsinhaber29 • In den Fällen der verletzten Verkehrssicherungspflichten sei es immer das Gebäude oder Grundstück selbst, das durch seinen ordnungswidrigen Zustand gefährlich werde. Auch im Falle der Einschließung lasse sich noch sagen, daß die Gefahr unmittelbar vom Gebäude ausgehe, weil es durch die .eingebauten Vorrichtungen verschließbar gemacht sept. Entscheidend ist nach Pfleiderer, daß ein Grundstück, auf dem ein Verkehr eröffnet ist, wegen seiner "natürlichen Eigenschaften" Gefahren für andere heraufbeschwöre'l1. Der Eigentümer sei als Garant verpflichtet, diesen typischen Gefahren zu begegnen. Anders lägen die Dinge dagegen bei Sachen ohne diese "natürliche Eigenschaft" zur Gefahrentfaltung. So soll beispielsweise der Eigentümer eines Koffers, der auf die Fahrbahn geraten ist, nicht Garant zur Verhinderung von Verkehrsunfällen sein. "Ein Koffer ist kein Gegenstand, von dem typischerweise Gefahren ausgehen können und den der Eigentümer deshalb besonders verwahren oder überwachen müßte32 ." Damit entfalle das wesentliche Moment, das die Garantenstellung des Grundstückseigentümers, wenn er die Verkehrssicherungspflicht verletzte, begründe. Als Anknüpfungspunkt bliebe dann nur das bloße Eigentum an der Sache. Es sei aber kein Grund ersichtlich, warum im Strafrecht eine unbeschränkte und alles umfassende Verantwortlichkeit des Eigentümers für seine Sachen angenommen werden sollte.
Pfleiderers Differenzierung beruht auf der im Prinzip zutreffenden überlegung, daß es für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Sachherrn nicht ohne weiteres gleichgültig sein kann, ob die Gefahr, die zum Rechtsgutsschaden geführt hat, in mangelnder Verkehrssicherheit ihren Ursprung hatte oder ob die an sich völlig ungefährliche Sache erst in einer ad hoc zur Rechtsgutsverletzung eskalierten Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 129. Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 130, wogegen die Einschließung durch einen anderen als den Inhaber einen eigenständigen Grundfall begründen soll, der sich an die Fälle enger Verbundenheit oder der Schutzübernahme anlehne, S.141, vgl. dazu die auffällig polemische Kritik von Schünemann, Grund und Grenzen, S. 88 f. 30 Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 131. 31 Pfleiderer, S. 138. Die von Pfleiderer gezogene Parallele zur Tierhalterhaftung interessiert an dieser Stelle nicht weiter. 32 Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 138. 28 29
A.
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Situation mitursächlich wurde. Allerdings überzeugen die im einzelnen angeführten Argumente nicht. Es ist nicht erklärlich, wieso es sich im Falle der unterlassenen Befreiung eines Eingeschlossenen um einen Unterfall der verletzten Verkehrssicherungspflicht handeln soll, im Falle des auf die Straße gefallenen Koffers dagegen nicht. Genau umgekehrt ist es richtig. Ein Raum ist nicht deshalb verkehrsunsicher, weil er verschließbar ist; und der verschlossene Raum als solcher befindet sich nicht in ordnungswidrigem Zustand, weil sich ein Mensch darin aufhält, der aus eigener Kraft nicht herausgelangen kann. Hier handelt es sich nicht um Sicherungs- oder überwachungspflichten im Sinne einer vorbeugenden Schadensverhütung, sondern um schlichte Rettungspflichten des Sachherrn, die mit der Verkehrssicherung nichts zu tun haben33 • Andererseits gehört zur Verkehrssicherheit sog. "mobiler Gefahrenquellen" (in der Terminologie Pfleiderers3 4 ) selbstverständlich auch ihre geographische Lage im Raum, d. h. ein auf der Straße liegender Koffer ist nicht als ordnungsgemäß und verkehrssicher abgestellt anzusehen. Deshalb muß der verkehrssicherungspflichtige Eigentümer den Koffer als Garant beiseite schaffen35 • Bedenken gegen die Argumentation Pfleiderers bestehen vor allem deshalb, weil schon seine Prämisse, die Verkehrssicherungspflicht sei die Abwehrstellung nur gegen typische vom Haus oder Grundstück ausgehenden Gefahren, nicht zutrifft. Die Frage ist, ob sich die Unterscheidung zwischen typischen und untypischen Gefahren überhaupt durchführen läßt. Der Begriff der "typischen Sachgefahr" ist offensichtlich dem Zivilrecht entlehnt, wo er in erster Linie dazu dient, die Gefährdungshaftung (etwa des Tier- oder Fahrzeughalters) auf solche Situationen zu begrenzen, in denen sich die spezifische, typische Sachgefahr manifestiert 36 • Zwar machte allein dies ihn für die verschuldensbezogene Haftung für Verkehrspflichtverletzungen noch nicht von vornherein unbrauchbar, vergegenwärtigt man sich etwa, daß sich die Entstehungsgründe der Verkehrs(sicherungs-)pflichten37 über weite 33 I. E. auch Landau, Diss., S. 181 ff., der die Pflicht zur Befreiung allerdings aus einem anderen Grund bejaht, vgl. oben 3. Teil C. 111. M Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S. 136 ff. 35 Dasselbe gilt für einen auf der Fahrbahn liegenden toten Hund. Der Halter muß diesen nicht aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung beseitigen, weil der Hund hier nicht durch seine ihm eigentümliche Beweglichkeit gefährlich wird, sondern aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verkehrssicherung, vgl. das Beispiel bei Pfleiderer, S. 137 ff.; für die Zustandshaftung im Rahmen des Allg. Polizei- und Ordnungsrechts vgl. auch BayVGH, NJW 1979, 2631. 38 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 86; vgl. auch PalandtjThomas, § 833 Anm.3b. 37 Die Terminologie ist nicht einheitlich, vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 43; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 281 f.
6 Landsdleidt
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
Strecken mit denen der Gefährdungshaftung decken38 • Doch läßt sich die Frage, worin die dem Haus oder dem Grundstück eigentümliche Gefahr liegt, in dieser Allgemeinheit überhaupt nicht beantworten. So mag für Pfleiderer die von einem unbeleuchteten Treppenhaus ausgehende Gefahr eine dem Haus eigentümliche, eben typische Gefahr sein, schon weil es sich hierbei um einen ausgesprochenen Schulfa1l39 der strafrechtlich relevanten Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht handelt. Indes kann die statistische Häufigkeit des Auftretens einer Gefahr allenfalls für die Anzahl der Pflichten von Bedeutung sein, nicht aber für deren Bestehen oder Nichtbestehen 40 • Andernfalls könnte der statistisch vergleichsweise seltene Fall des Gebäudeeinsturzes, der im Zivilrecht als das klassische Beipiel der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht angesehen wird (was historisch zu einer weitreichend anologen Anwendung des § 836 BGB geführt hat 41 ), niemals zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Hauseigentümers führen, wenn dabei Menschen zu Schaden kämen. Letztlich ist es wohl nicht möglich, die unübersehbaren Gefahren, die von einem Haus oder einem Grundstück ausgehen können, nach typischen und untypischen abzugrenzen42 • Das Resultat wäre mangels rationaler Wertungs gesichtspunkte von Willkür gezeichnet. Somit dürfte hinreichend deutlich geworden sein, daß sich mit dem Kriterium der "typischen Sachgefahr" die an sich notwendige Begrenzung der Verantwortung des Sachherrn nicht erreichen läßt. c) Die faktische Begrenzung der Verantwortung des Sachherrn auf die Verkehrssicherung unter Ausschluß von Rettungspflichten nach herrschender Meinung
Daß die Verantwortung des Sachherrn für dingliche Gefahrenquellen nach h. M. faktisch auf die Haftung für verkehrsunsichere Zustände hinausläuft, wird zwar - soweit ersichtlich - in der strafrechtlichen Literatur nirgends ausdrücklich gesagt43 , erhellt aber ohne weiv. Bar, Verkehrspflichten, S. 112. Der auf RGSt 14, 362 zurückgeht. 40 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 86. 41 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 19 ff. m. w. N. 42 I. E. auch Jakobs, AT, 29/31, S. 662. 43 Geilen, AT, § 44 11 2 a, S.243 spricht davon, daß sich dieser Garantenfall mit der aus dem Zivilrecht bekannten Verkehrssicherungspflicht "berühre", und Jescheck LK § 13 Rn. 35 sagt, es handele sich um Pflichten, die "teilweise" mit den im Zivilrecht entwickelten Verkehrssicherungspflichten übereinstimmten. Eindeutig nur Thiemann, Diss., S. 16, der meint, bei der Gefahrquellenverantwortlichkeit handele es sich um das strafrechtliche Pendant zur zivilrechtlichen Verkehrssicherungspfiicht. Hier werde für Schäden Dritter 3B
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teres durch einen Blick auf die in diesem Zusammenhang einschlägigen Stellungnahmen und angeführten Beispiele. Der deutlichste Beweis findet sich in den Erläuterungen J eschecks 44 : "Der Grund für die Garantenpflicht aus der überwachung von Gefahrenquellen im eigenen Herrschaftsbereich liegt darin, daß sich die Umgebung des Garanten darauf verläßt, daß, wer die Verfügungsgewalt oder Kontrolle über einen räumlich abgegrenzten Bereich ausübt, der anderen offensteht oder aus dem auf andere in gefährlicher Weise eingewirkt werden kann, die Gefahren beherrscht, die sich durch Zustände, Maschinen, Anlagen, Tiere oder Einrichtungen in oder aus diesem Bereich ergeben können." Diese Aussage deckt sich im wesentlichen mit dem Gedanken der Verkehrssicherungspflicht, wonach jeder, der Gefahrenquellen schafft, die nach Lage der Dinge erforderlichen "Sicherungsvorkehrungen" zum Schutze Dritter zu treffen hat 45 • Demgemäß ist der Sachherr zur Sicherung von Gebäuden und Grundstücken, Baustellen, Sportanlagen, Kraftfahrzeugen etc. verpflichtet 46 • Allerdings braucht der Garant nur die unmittelbar aus der Gefahrenquelle drohenden Schäden abzuwenden, nicht aber ist er zur Abwendung weiterer aus der Verletzung herrührender Nachteile verpflichtet 47 , es sei denn, die Verletzung beruht auf einer pflichtwidrigen Vorunterlassung des Sachherrn48 • Rettungspflichten hat der überwachungsgarant also nicht 49 •
gehaftet, deren Ursache in dem "nicht ordnungsgemäßen Zustand" der Sache zu suchen sei. Vgl. auch Schünemann, Grund und Grenzen, S. 229 ff. (237), der von einem anderen Ausgangspunkt zu diesem Ergebnis gelangt. Basierend auf der von ihm entwickelten Lehre, daß nur eine gegenwärtige, in die Zukunft gerichtete Herrschaft über den Grund des Erfolges dessen Zurechnung rechtfertigen könne, schließt er für den ausführlich behandelten Bereich der Verkehrspflichten (S. 281 ff.), daß die Herrschaft über den Gefahrenbereich noch im Zeitpunkt der Unterlassung vorhanden und dieser Herrschaftsbereich noch eine gegenwärtige Gefahrenquelle sein müsse (S.289). Mit den Termini "Unfallverhütungsvorschriften" oder auch "Sicherungspflichten" seien die Verkehrspflichten zutreffend gekennzeichnet (S. 290). "Wenn dies (seil. die Sicherung) unterlassen wurde oder nicht möglich war und es deswegen zu dem unerwünschten Unfall gekommen ist", so Schünemann, "wird der neue Sachverhalt von dem Schutzzweck der Verkehrspflichten nicht mehr erfaßt." Als Ergebnis faßt Schünemann zusammen, daß die Herrschaft über einen Gefahrenbereich nur Sicherungs-, nicht aber Rettungspflichten erzeuge (S. 290). 44 Jescheck LK § 13 Rn. 35. 45 Palandt/Thomas, § 823 Anm. 8 a; v. Bar, Verkehrspflichten, S.43 m. w. N. 46 Vgl. Arzt, JA 1980, 553 (651); Dreher/Tröndle, § 13 Rn. 12; Geilen, AT, §44 II 2 a, S.243; Jakobs, AT, 29/29, S.661ff.; Maurach/Gössel, AT Tb. 2, § 46 II C 2 b, S.150; Rudolphi SK § 13 Rn. 27 ff.; Schmidhäuser, AT, 16/59, S.675; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 43 ff.; Stratenwerth AT I Rn. 1018 ff.; Wesseis, AT, § 16 II 6 a, S. 195, alle mit Nachweisen aus der Rspr. 47 Jescheck LK § 13 Rn. 35; Heimann/Trosien/Wolff LK9 Einl. Rn. 186. 48 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 45 f. 4U Rudolphi SK § 13 Rn. 31; desgl. Landau, Diss., S. 176 ff. (178). 6'
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d) Stellungnahme
Die Begrenzung der Verantwortlichkeit des Sachherrn über dingliche Gefahrenquellen auf die Verkehrssicherung verdient grundsätzlich Zustimmung. Doch ist es erforderlich, die maßgeblichen Argumente deutlicher herauszustellen. Dies soll anhand des oben50 erwähnten Falles des Schwimmers geschehen, der im Schwimmbecken seines Gastgebers in folge eines Herzanfalles zu ertrinken droht. Man denke sich parallel dazu das Beispiel eines unbeteiligten Dritten, der anstelle des Gastgebers am Beckenrand steht oder der am Ufer eines natürlichen Gewässers den Todeskampf untätig mitansieht. Führt man sich noch einmal die unbestrittene Prämisse der Unterlassungsdogmatik vor Augen, daß die elementarste Funktion der Garantenstellung die Festlegung des (potentiellen) Täters eines unechten Unterlassungdeliktes ist5 1, so kann die Frage nur sein, durch welches sachliche Kriterium sich der Gastgeber im genannten Beispiel vom Dritten unterscheidet. Entsprechend den Feststellungen im zweiten und dritten Teil der Arbeit kann zur Unterscheidung keinesfalls allein darauf abgestellt werden, daß der Gastgeber Eigentümer, Besitzer, Hausherr oder Inhaber eines (sozialen) Herrschaftsbereichs ist. Auch die konkrete Sachgefahr ist in allen Fällen dieselbe. Das einzige Kriterium, durch welches sich der Gastgeber von dem Dritten unterscheidet, ist seine besondere Beziehung zur Sache schon im Vorfeld des Schadensereignisses. Diese Erkenntnis ist alles andere als neu. Doch ist klarzustellen, daß das spezielle Verhältnis zur Sache nicht durch irgendeine formal-rechtliche oder gar durch eine alles in allem rechtlich kaum faßbare Herrschaftsbeziehung52 gekennzeichnet ist, sondern durch die von niemandem bestrittene Pflicht, die Sache so zu halten, daß sie für andere keine Gefahren birgt, also durch die Verkehrs sicherungspflicht selbst. Aber es kann und muß nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts vorgesorgt werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die im Rahmen des Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungs gemäßem oder bei nicht ganz fernliegendem bestimmungswidrigem Umgang mit der Sache drohen53 • Da das allgemeine Gefährdungsverbot bekanntlich an der Vorhersehbarkeit und
52
4. Teil A. I. 1. a) a. E. Arzt, JA 1980,553 (556 f.), bereits oben 1. Teil B. I. Zur Kritik des Herrschaftsbegriffs neuerdings wieder Maiwald, JuS 1981,
53
BGH, NJW 1978, 1629; Palandt/Thomas, § 823 Anm. 8 a.
50 51
473 (480).
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der Vermeidbarkeit orientiert ist, hat die Verkehrssicherung stets auch die Art der möglichen Gefahrrealisierung im Blick. Im Ausgangsfall bedeutet dies, daß der Gesetzgeber in seiner Eigenschaft als Verkehrssicherungspflichtiger bestimmte Vorkehrungen treffen muß, um gewisse vorhersehbare Gefahren abzuwenden. Er muß z. B. dafür sorgen, daß niemand unversehens ins Becken fallen kann und die Wasserqualität immer so ist, daß Schwimmer keine Schäden an ihrer Gesundheit erleiden. Insbesondere muß er für den Fall der Benutzung des Pools durch Kinder weitreichende Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Es gibt indessen keine Sicherungspflicht, die besagt, der Inhaber müsse schlechthin dafür Sorge tragen, daß niemand in seinem Schwimmbecken (z. B. auch infolge eines Herzanfalles) ertrinken kann. Eine solche umfassende Sicherungspflicht wäre auch völlig sinnlos, weil der Schwimmbeckenbesitzer im Hinblick auf diese Art der Gefahrrealisierung überhaupt machtlos ist und insoweit keinerlei Sicherungsmaßnahmen treffen kann. Vorsorglich kann und muß der Pool-Inhaber nichts dagegen tun, daß auf diese Art und Weise jemand in seinem Becken zu Schaden kommt. Betrachtet man dies bedenkend die konkrete Schadenslage, so kann man nur zu der Feststellung gelangen, daß der Gastgeber der Situation in gar keiner Weise anders gegenübersteht als der Dritte in den Vergleichsfällen. Denn das einzige, hier für maßgeblich erachtete Kriterium, durch welches er sich von dem Dritten unterscheidet, ist seine Pflicht gewesen, bestimmten Arten der Gefahrrealisierung vorzubeugen. Welche Bedeutung aber sollte dieser besonderen Inpflichtnahme, die wie gesagt das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen dem vermeintlichen Garanten und dem Nichtgaranten darstellt, noch zukommen, wenn der konkrete Schadensverlauf vom Sinn und Zweck dieser Sonderverpflichtung mangels Vorhersehbarkeit gar nicht erfaßt wird? Im Falle der akuten Schadensrealisierung kann der besonderen Position des Verkehrssicherungspflichtigen mithin nur dann Bedeutung zukommen, wenn der Erfolg sich als das Resultat des verkehrsunsicheren Zustandes der Sache selbst darstellt. Der Zustand der Sache als solcher ist aber jedenfalls dann als verkehrssicher anzusehen, wenn die Sache für sich genommen aus der Sicht eines verständigen Beobachters im sozialen Kontakt mit Menschen, die sich ihr auf gewöhnliche, also nicht gänzlich fernliegende und deshalb im weitesten Sinne vorhersehbare Weise nähern, ungefährlich ist. Erst dieser Brückenschlag von der durch das Kriterium der Vorhersehbarkeit gekennzeichneten Verkehrssicherungspflicht zur Zustandsverantwortlichkeit des Sachherrn ermöglicht es, die Haftung des Verantwortlichen für Gefahrquellen auf das vernünftige und notwendige Maß zu reduzieren.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre 2. Die Zustandsverantwortlichkeit des Rauminhabers im besonderen a) Die Pflicht des Rauminhabers zur Herstellung
und Erhaltung der Verkehrssicherheit
In der ständig wiederkehrenden Formulierung des sowohl im Zivil-54 als auch im Strafrecht55 geltenden Grundsatzes, daß jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle hervorruft oder andauern läßt, alle nach Lage der Dinge erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer Personen zu treffen hat, wird zu Recht Tautologisches erkannt. Denn es gibt keinen Verkehr ohne Gefahren und keine rechtserheblichen Gefahren ohne Verkehr56 • In den eigenen vier Wänden, so ließe sich demnach mutmaßen, könnte es mangels "Verkehrs" keine rechtserheblichen Gefahren und mithin keine überwachungs- und kontrollpflichtigen Gefahrenquellen geben. Auf den ersten Blick scheint sich diese Mutmaßung noch dadurch zu bestätigen, daß der Begriff "Verkehr" in den Verkehrssicherungspflichten historisch ja nicht etwa aus dem Zivilrecht (§ 276 BGB), sondern aus der viel engeren Begriffsbestimmung der Strafvorschrift des § 376 Ziff. 12 stammt57 ; und dort bedeutete "Verkehr": Publikumsverkehr auf einem Grundstück. Dennoch enden die Verkehrssicherungspflichten anerkanntermaßen nicht an der Schwelle der Wohnungstür. Denn "Verkehr" ist nicht eng, sondern weit zu verstehen. Nahezu jede Art der Ermöglichung sozialen Kontaktes vermag Verkehrssicherungspflichten auszulösen. Zwar bleibt es dem Inhaber unbenommen, seine Böden regelmäßig auf Hochglanz zu bohnern und sie hernach mit (die Gefahr eines Sturzes gleichsam in sich bergenden) Bastteppichen zu schmücken, ohne entsprechende Warnschilder anzubringen. Betritt aber ein Mensch befugtermaßen die Wohnung, so ist der Inhaber in jedem Fall verpflichtet, auf die bestehenden Gefahren hinzuweisen58 • In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Haus- oder Grundstücksbesitzer auch solche Personen vor den von seinem Grundstück oder seinem Haus ausgehenden Gefahren zu schützen hat, die es
54 Jauernig/Teichmann, § 823 Anm. B 3 d aa; Palandt/Thomas, § 823 Anm. 8; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 113 m. w. N. aus der Rspr. 55 Dreher/Tröndle, § 13 Rn. 12; Jescheck § 13 Rn. 35; Lackner § 13 Anm.3 b; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 281; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 11, 12,43,47. 56 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 1. 57 RGZ 62, 31 (33); 68, 161 (162); Bartlsperger, Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, S. 2 f.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 8 f. 58 Wobei die Warnung die schwächste Form der Sicherung ist, v. Bar, Verkehrspflichten, S. 85.
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unrechtmäßig betreten haben. Rudolphi 59 verneint diese Frage. Eine Garantenpflicht gegenüber dem Dieb sei abzulehnen. Letzterem ist wegen Fehlens der für die Verkehrssicherungspflicht notwendigen Vertrauenslage grundsätzlich zuzustimmen. Doch gilt der Grundsatz, daß nur der rechtmäßige "Besucher" zu schützen ist, nicht ausnahmslos. Zu bedenken ist einerseits, daß der Vertrauensschutz eine tragende Säule der Verkehrssicherungspflicht ist 60 . Die Enttäuschung der schutzwürdigen Erwartungshaltung ist ein zentrales Kriterium für die Entstehung von Verkehrssicherungspflichten. Denn wer den Verkehr eröffnet, spiegelt Risikofreiheit vor. Andererseits wurde bereits auf das mindestens ebenso wesentliche Element der Vorhersehbarkeit hingewiesen. Eine Verkehrssicherungspflicht besteht danach auch dann, wenn mit dem Betreten durch Unbefugte gerechnet werden muß61. Die Lösung des Problems ergibt sich also aus der Kombination beider Aspekte: "Ein Fußballverein haftet auch demjenigen, der sich den Eintritt erschlichen hat, wenn die Tribünen die Menschenrnassen nicht gefahrlos tragen können62 ••• Dem Dieb hat man für den Zustand der Treppe oder für die Dunkelheit des Hausflures deswegen nicht einzustehen, weil er ein Schild ,Vorsicht, gebohnert' nicht erwarten kann und weil er sowieso im Dunkeln arbeitet63." Auch dürfte heute keinem Zweifel mehr unterliegen, daß nicht der Grundgedanke der Ingerenz der entscheidende Gesichtspunkt für die Entstehung von Verkehrssicherungspflichten ist. Verkehrssicherungspflichten entstehen unabhängig von der Frage, wer den Verkehr eröffnet hat. Die gegenteilige Auffassung von Welp64 ist zu Recht auf Ablehnung gestoßen 65 , vermag sie doch keine überzeugende Begründung dafür zu geben, warum etwa bei einem Wechsel in der Person des Eigentümers eines seit langem dem Verkehr eröffneten Grundstücks auch für den Nachfolger entsprechende Verkehrssicherungspflichten entstehen. so Rudolphi SK § 13 Rn. 31; desgl. Höpfner, ZStW 36,103 (124); a. A. Landau, Diss., S. 184 f.; Mayer-Bahlburg, Diss., S.88; Bockelmann, Niederschriften, S. 100; offengelassen von BGHSt 27, 20 (12); diff. Schröder, AcP 179 (1979), 567 (586). 60 Vgl. nur die oben (4. Teil A. I. 1. c) bei Fn.44) zitierte Begründung bei Jescheck LK § 13 Rn. 35 u. eingehend v. Bar, Verkehrspflichten, S. 117 ff. 61 So zu Recht v. Bar, Verkehrspflichten, S. 187. Dies wird zwar regelmäßig Kinder betreffen, muß aber nicht so sein. Anders wohl Rudolphi SK § 13 Rn. 31; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 304 ff. 6Z v. Bar, Verkehrspflichten, S. 189. 63 v. Bar, Verkehrspflichten; diff. Schröder, AcP 179 (1979), 567 (586). 04 Welp, Handlungsäquivalenz, S. 241 ff. 65 Herzberg, Die Unterlassung, S. 318 f.; Kugler, Ingerenz, Diss., S. 147 ff.; Landau, Diss., S. 60; Otto, NJW 1974, 528 (532). Bedenklich: Jakobs, AT, 29/31, S.662.
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Zusammenfassend ergibt sich, daß jeder verkehrsunsichere, ordnungswidrige Zustand innerhalb des Raumes, der in bezug auf einen bestimmten Erfolg gefährlich ist, für den Inhaber Sicherungs- bzw. Gefahrenabwehrpflichten entstehen läßt. Das defekte Gasrohr, das unbeleuchtete Treppenhaus sowie die einsturzgefährdete Decke machen die Räumlichkeiten unbestreitbar zu Gefahrenquellen66 , deren Überwachung und Kontrolle dem Inhaber als Verkehrssicherungspflichtigem obliegt. Insoweit ist die Unterlassungsverantwortlichkeit des Rauminhabers unproblematisch.
b) Besondere Pflichten des Rauminhabers bei Gefahren, die nicht auf mangelnder Verkehrssicherheit beruhen? Zweifelhaft ist dagegen, ob der Rauminhaber auch dann überwachungsgarant ist, wenn es nicht der verkehrsunsichere, ordnungswidrige Zustand des Raumes selbst ist, der die Gefahren hervorruft. aal Die Pflicht zur Befreiung Eingeschlossener In diesem Rahmen wird insbesondere die Pflicht des Rauminhabers diskutiert, zufällig oder von Dritten vorsätzlich Eingesperrte aus seinen Räumen zu befreien. (1) Uneingeschränkte Rettungspflicht
Obwohl nach dem oben Gesagten feststeht, daß der Sachherr unter dem Gesichtspunkt der GefahrquellenverantwortIichkeit nur zur Verkehrssicherung im Sinne einer vorbeugenden Schadensverhütung verpflichtet ist, soll gleichwohl der Rauminhaber in seinen Räumen Eingeschlossene befreien müssen67 • Auf den Grund der Einsperrung soll es grundsätzlich nicht ankommen68 • Von dem Gedanken der Verkehrssicherung wird dieses Ergebnis offensichtlich nicht getragen. Tatsächlich geht es um Rettungspflichten des Rauminhabers. Die Besonderheit der Einsperrungsfälle liegt u. a. darin, daß, wenn der Rauminhaber die Möglichkeit erhält, den Eingeschlossenen zu beWeitere Beispiele bei Josef, Gruchot Bd. 52 (1908), S. 525 ff. Bockelmann, Niederschriften, S. 100; ders. AT, § 17 B I 6 c S. 135; Pfleiderer, Die GarantensteIlung, S.130; Schmidhäuser, AT, 16/68 S.675; Schönke/ Schröder/Stree § 13 Rn. 47; Schünemann, Grund und Grenzen, S.361; Welzel, Niederschriften, S.95; ders., Lb., S.216; Jakobs, AT, 29/36 S.665; MayerBahlburg, Diss., S.88; Ladau, Diss., S. 183; zum selben Ergebnis kommen wohl: Traeger, Bärwinkel (oben 3. Teil A.); Kissin, Böhm, Blei (oben 3. Teil B.). 68 Differenzierend nur Herzberg, Die Unterlassung, S. 330 f.; dazu sogleich unter (2). 66
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freien, das Unglück bereits passiert ist. Das Kind ist dann im wahrsten Sinne des Wortes bereits in den Brunnen gefallen. Das Axiom der durch die Verkehrseröffnung begründeten Vertrauenslage macht hier keinen Sinn. Der Rechtsordnung läßt sich nirgends entnehmen, daß schon eine Vertrauenslage als solche besondere Rechtspflichten erzeugt69 • Stets muß die Vertrauenslage beim Vertrauenden irgend etwas bewirken können, sei es, daß er eigene Schutzvorkehrungen unterläßt oder sei es, daß er seine Rechtsgüter besonderen Gefahren aussetzt. Das ist jedoch bei dem Opfer einer bereits eingetretenen, konkreten Rechtsgutsbedrohung nicht der Fall. Ist die Tür erst einmal ins Schloß gefallen70 , so mag der Eingesperrte vielleicht darauf vertrauen, der Inhaber werde ihn schon wieder herauslassen. Es besteht indes für ihn nicht die geringste Möglichkeit, sein Verhalten in irgendeiner Weise im Hinblick auf dieses Vertrauen auszurichten. Das Vertrauen ist hier als rein subjektive Erwartungshaltung auf der Opferseite, das keinerlei Reaktionen mehr bewirken kann, rechtlich irrelevant. Dasselbe gilt im Falle des Kindes, für das der Kellerschacht zur bedrohlichen Einbahnstraße geworden ist, weil es den Keller aus eigener Kraft nicht mehr verlassen kann71 • Das möglicherweise vorhandene Vertrauen in die Rettungsbereitschaft des Inhabers führt nicht zu einer über das bereits bestehende Risiko hinausreichenden, selbst gefährdenden Verhaltensweise. Auf seiten des Rauminhabers ist die Situation dadurch gekennzeichnet, daß bis zum Eintritt des Rechtsguts in die Krisenlage für ihn nicht der geringste Anlaß bestand, irgendwelche Sicherungsvorkehrungen zu treffen. Gerade wenn wie hier die zum Gefahrenherd degenerierte Sache sich unter normalen Umständen in bezug auf bestimmte Erfolge völlig gefährdungsindifferent zu verhalten pflegt, hat der Inhaber weder die Veranlassung noch die Pflicht, in dieser Hinsicht wachsam zu sein, die Sach,e zu beobachten oder sonst auf sie aufzupassen. Das dem Begriff der Gefahrquellenüberwachung implizite Vorsorgemoment ist in diesen (Rettungs-)Fällen fehl am Platze72 • Es ist keineswegs so, daß der Sachherr hier die von der Sache ausgehenden Gefahren besser beherrscht oder beherrschen muß als jeder andere. Erweist sich nämlich eine an sich völlig ungefährliche und in verkehrssicherem Vgl. Stree, Mayer-FS, S. 154; Einzelheiten noch unten 4. Teil B. Ir. 2. Vgl. die Beispiele von Bockelmann, Niederschriften, S.100 u. Schmidhäuser, AT, 16/58, S. 675. 71 Vgl. das Beispiel von Herzberg, Die Unterlassung, S. 330. 72 Abw. Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 47, der die Einsperrungsfälle mit den Fällen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gleichstellt, wobei unberücksichtigt bleibt, daß an anderer Stelle (Rn. 45) eine Rettungspflicht gerade nur unter der Voraussetzung einer vorangegangenen Sorgfaltspflichtverletzung bejaht wird. 69
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
Zustand befindliche Sache in einer eklatanten Ausnahmesituation unversehens als gefährlich, so zeigt dies, daß der Inhaber die Sache selbst in ihrer Eigenschaft als potentieller Gefahrenherd eben nicht beherrscht. Selbst guten Willens ist er machtlos dagegen, daß Unfälle, Naturereignisse73 u. ä. seine Sachen in ein für Dritte gefährliches Geschehen verwickeln. In der akuten Schadenslage beherrscht der Inhaber die Sachgefahr nicht mehr und nicht weniger als jeder andere. Richtigerweise ist daran festzuhalten, daß der Rauminhaber nur für die Verkehrssicherheit seiner Räumlichkeiten einzustehen hat. Wer sein Kellerfenster öffnet, um frische Luft hereinzulassen, macht den Keller nicht verkehrsunsicher. Es gibt normalerweise keine Pflicht des Kellerbesitzers, sein Fenster dagegen zu sichern, daß jemand dort hindurchfällF4. Lehnt sich der Nachbar aus Neugier kopfüber in das Fenster und verliert er infolgedessen das Gleichgewicht, so ist dieser Schadenserfolg nicht das Resultat des verkehrsunsicheren Zustandes des Kellers. Es kann keine Rede davon sein, daß sich der Nachbar dem Keller auf gewöhnliche, nicht gänzlich fernliegende und deshalb im weitesten Sinne vorhersehbare Weise genähert hat. Dieser Unfall vermag die GarantensteIlung des Kellerinhabers nicht auszulösen. Rettungspflichten entstehen also auch für den Rauminhaber nur dann, wenn ihm eine pflichtwidrige Vorsorgeunterlassung vorzuwerfen ist. Konsequenterweise verbietet sich mit der hier zugrunde gelegten Betrachtung von vornherein die Annahme einer GarantensteIlung in allen Fällen, in denen - wie Landau75 formuliert - "die räumliche Begrenzung zur Falle" wird. Denn die räumliche Begrenzung wird schon dann zur konkret gefährlichen Falle, wenn sie nur verhindert, daß andere z. B. einem Verunglückten zu Hilfe kommen könnten. Verschluckt sich beispielsweise ein Gast bei dem zum Essen gereichten Fischgericht an einer Gräte und droht er zu ersticken, so kann ihm gerade der Aufenthalt in der fremden Wohnung zum Verhängnis werden. überall sonst hätten ihm möglicherweise hilfsbereite Menschen beigestanden, was allein die ihn umgebenden Mauern verhindern. Indes kann der verkehrssichere, ordnungsgemäße Zustand eines von Mauern umgebenen Raumes kein die Garantenpflicht begründender Umstand sein. Der drohende Erstickungstod ist nicht dem Gastgeber zuzurech73 Z. B. wenn der Wind in den o. g. Beispielen die von innen nicht zu öffnende Tür zuschlagen läßt. 74 Der Fall kann anders liegen, wenn das geöffnete Fenster z. B. für Kinder eine ausgesprochene Reizwirkung hat, wenn sich im Keller ein Spielwarenlager befindet (vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S.189). Denn Kinder sind in besonderem Maße gegen ihren eigenen Mutwillen und ihre Unberechenbarkeit zu schützen, oben 4. Teil A. I. 2. a) Fn. 61. 75 Landau, Diss., S. 182.
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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nen, sondern liegt ausschließlich in der Selbstgefährdung des Opfers begründet. Das Unglück ist eine Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos, das Untätigbleiben des Gastgebers ein Fall unterlassener Hilfeleistung. Ebensowenig ist der Parkeigentümer Garant für das Leben des Luftschiffers im Beispiel Traegers76 oder der Grundstückseigentümer im Beispiel der zwischen den Bäumen eingeklemmten Autoinsassen77 • Gerade das letztere Beispiel, in dem es sich eindeutig um einen "Einsperrungs"-Fall handelt, der sich sachlich nicht von den Schulfällen der Einsperrung in einem Haus oder in einer Wohnung unterscheidet, macht deutlich, daß es eine völlig ungerechtfertigte Verlagerung der Verantwortung wäre, dem Inhaber der an sich völlig ungefährlichen, in verkehrssicherem Zustand befindlichen Sache eine GarantensteIlung aus dem Gesichtspunkt der Gefahrquellenüberwachung aufzubürden. Oder sollte es im Hinblick auf die Bestrafung - abgesehen von der fakultativen Milderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 - wirklich keinen Unterschied machen, ob der Rauminhaber seinem Opfer bewußt eine "Falle" stellt, um es einzusperren, oder ob er nicht hilft, die Folgen eines Unfalles zu beseitigen? - Dem Unbehagen, das in diesen Fällen durch die offenbar schon früher als willkürlich empfundene unterschiedliche Behandlung des Rauminhabers im Vergleich zu Dritten hervorgerufen wurde, hat insbesondere Höpfner78 - freilich vor Einführung des Tatbestandes der unterlassenen Hilfeleistung in das StGB und insoweit mit negativem Vorzeichen - auf anschauliche Weise zum Ausdruck gebracht: "Wenn eine fremde Katze sich in meinen Keller geschlichen und dort gefangen hat, muß ich sie, selbst wenn es mich etwas kostet, herauslassen. Wenn ein Mensch in einem einsamen fremden Turm durch Zufallen der Tür eingesperrt ist, so bin ich, auch wenn ich ohne das geringste Opfer öffnen kann, nicht dazu verpflichtet, weil es ein fremder Turm ist. Das sind Entscheidungen, die m. E. das Rechtsgefühl gröblich verletzen. Die Theorie, die zu ihnen führt, muß falsch sein." Nun existiert zwar die Vorschrift des § 323 c, gleichwohl hat sich an der Fragwürdigkeit der von der überwiegenden Meinung verfochtenen Ergebnisse in vergleichbaren Fallgestaltungen nichts geändert. Im Beispiel Höpfners wäre nach ihr der zufällig vorbeikommende Inhaber des Turms Garant für Freiheit und Leben des Eingesperrten aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Gefahrquellenüberwachung78a , während Vgl. oben 3. Teil A. I. bei Fn.4. Oben 3. Teil C. 11. 78 Höpfner, ZStW 36, 103 ff. (124 f.). 78a Vgl. nur Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 47. 76
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
jeder andere Passant nur nach § 323 c bestraft werden könnte. Richtigerweise ist der Fall bezüglich beider als unterlassene Hilfeleistung zu beurteilen, denn die Einsperrung ist nicht das Resultat des verkehrsunsicheren Zustandes des Turmes. Die Ergebnisse, die die hier zugrunde gelegte Betrachtung durch ihre Begrenzung der Haftung des Sachherrn auf die Verantwortlichkeit für verkehrsunsichere Zustände ermöglicht, sind nicht nur einleuchtender, sondern auch gerechter79 •
(2) Die differenzierende Betrachtung der EinsperTUngsfälle Eine gegenüber der h. M. differenzierende Lösung der Einsperrungsfälle vertritt Herzberg 80 • Nach seiner Auffassung, die die stete Bemühung um eine Koordinierung der Überwachungspflichten mit den 1ngerenzregeln erkennen läßt81, ist der Grund, der zur Einsperrung geführt hat, nicht von vornherein gleichgültig. Zwar soll die zufällige, versehentliche Einsperrung eines Dritten den "generell Überwachungspflichtigen" garantenpflichtig machen, den Freiheitsverlust unverzüglich wiederaufzuheben und mögliche schlimmere Folgen zu verhüten82 • Grundsätzlich ·erfahre aber das Prinzip der Gefahrquellenüberwachung - der 1ngerenz entsprechend - eine wesentliche Einschränkung, wenn erst der Wille eines planmäßig handelnden Dritten die Sache zu einer in bestimmten Situationen konkret gefährlichen mache 83 • Denn das Verflochtensein der Sachen des Herrschaftsinhabers in lebensgefährliches Geschehen verblasse hinter dem Umstand, daß andere Menschen, die ihn nichts angingen, vorsätzlich Straftaten begingen. Der ,wahre' Hervorrufer der konkreten Gefahr sei wertend zu erfassen. Die Selbstverantwortlichkeit dessen, der die Sache planmäßig erst zur Gefahrenquelle mache, eröffne unter dem Gesichtspunkt der sozialen Adäquanz einen breiten Freiheitsraum, in dem der Sachherr solche Ergebnisse hinnehmen (oder sogar wünschen) dürfe. Als Beispiel führt Herzberg an, daß derjenige, der bemerke, daß die Steine seines Gartens und die Äste seines Baumes zu gefährlichen Werkzeugen würden, weil Apo-Leute, um der Polizei Widerstand zu leisten, Wurfgeschosse sammelten und Schlagstöcke abschnitten, nicht Garant für das körperliche Wohl des Bedrohten werde. Eine abweichende Beurteilung fordere jedoch der Umstand, daß die vom bösen Willen anderer planmäßig ausgenutzte Sache bei der Rechts79 80 81 82
83
Vgl. dazu bereits die Bemerkung oben 4. Teil A. I. 1. a) bb) in Fn.25. Herzberg, Die Unterlassung, S. 330 f. Vgl. 4. Teil A. I. 1. a). Herzberg, Die Unterlassung, S. 331. Herzberg, Die Unterlassung, S. 328.
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gutsbeeinträchtigung bis zuletzt mitwirke84 • Hier sei der Sachherr in der Regel intensiver als der Ingerent beteiligt8s • Die dem Sachherrn zuzurechnende Mitwirkung der Sache könne bis zum Ende aktuell gegenwärtig bleiben und die Aktivität des sie benutzenden Straftäters sogar überdauern. Dadurch könne die Beteiligung des Sachherrn in gewissen Fällen ein solches Gewicht erhalten, daß er in eine Garantenposition berufen werden müsse, obwohl dem eigenverantwortlichen Handeln des Dritten ein Pflichtverstoß bei der Sachhaltung nicht vorausgegangen sei86 • Dies soll einmal der Fall sein, wenn der Plan des Straftäters gerade darin bestanden hat, die Sache in den Zustand mangelnder Verkehrssicherheit zu bringen. Hier müsse der Sachherr die Verkehrssicherheit wieder herstellen, gleichgültig, wer mit welcher Absicht den gefährlichen Zustand bewirkt habe. Das verdient nach dem oben Gesagten87 uneingeschränkte Zustimmung. Daß der allgemein Verkehrssicherungspflichtige auch von Dritten geschaffene Gefährdungen beseitigen muß, ist in der Tat nichts Ungewöhnliches. Seit jeher muß der Geschäftsinhaber auf dem Boden liegende Bananenschalen aufheben, seien sie nun von Dritten achtlos weggeworfen oder seien sie von Rowdies bewußt als "Fallen" ausgelegt. Bedenken bestehen jedoch im Hinblick auf die vom Autor ausgemachte weitere Konstellation, die den Fall betrifft, daß ein Dritter ein Haus planmäßig als Mittel mißbraucht, sein Opfer von der Außenwelt abzuschneiden88 • Zwar begehe der Hauseigentümer, der zufällig bemerke, daß A gerade den B einsperre, nicht - als untätiger Überwachungsgarant - Beihilfe zur Freiheitsberaubung, wenn er weitergehe. Denn nicht sein Haus, sondern allein der A rufe die Gefahren hervor, die dem B jetzt drohten. Jedoch lasse die Zeit sozusagen ,Gras darüber wachsen', daß die Gefahrhervorrufung allein die Tat anderer Menschen sei. Der generell Überwachungspflichtige könne sich nicht ewig darauf berufen, daß die Gefahr allein das Werk Dritter sei. Dauere die unerwünschte Wirkung der Sache an, so werde er nach einer gewissen, aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu bemessenden Zeit genauso Garant, wie er es sofort geworden wäre, wenn der Herzberg, Die Unterlassung, S.330. Wobei für die Ingerenzhaftung grds. nicht pflichtwidriges Verhalten ausreichen soll (S. 294 ff.), während im Falle der vorsätzlichen Deliktsverwirklichung durch einen Dritten der nur mittelbar beteiligte Ingerent ohne Pflichtverstoß nicht als Hervorrufer der Gefahr angesehen werden könne (S.306). 86 Anders als bei der Ingerenz, s. vorstehende Fn. 84
85
87 88
S. o. 4. Teil A. I. 1. d).
Herzberg, Die Unterlassung, S. 331.
4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
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gefahrvolle Sachzustand durch ein Unglück entstanden wäre. Danach ist nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung, sondern wegen eines Tötungsdelikts strafbar, wer den von anderen in seinem Keller Eingeschlossenen verhungern läßt. Auch der differenzierenden Betrachtung Herzbergs ist i. E. nicht zu folgen. Bei dem genannten Gesichtspunkt der andauernden, sichtbaren Mitwirkung der Sache handelt es sich m. E. um eine bloße Äußerlichkeit, die bei der rechtlichen Beurteilung nicht den Ausschlag geben kann. Sicherlich richtig ist, daß dem Sachherrn die andauernde Mitwirkung seiner Sache bei der Rechtsgutsbeeinträchtigung in der Regel das Gefühl verleihen wird, daß ihn das Geschehen irgendwie betrifft, daß er etwas damit zu tun hat. Allerdings ist das keine Besonderheit, die gerade nur durch die andauernde Mitwirkung der Sache bewirkt wird. Allein schon die räumliche Nähe (die MonopolsteIlung des Unterlassenden) kann äußerlich diese besondere Intensität der Beteiligung ausmachen. So ist im o. a. "Turm"-BeispieI89 der zufällig vorbeikommende Passant, der angesichts des um Hilfe flehenden oder des gar bereits in Siechtum verfallenen Eingesperrten untätig bleibt, obwohl es ihn nur einen Handgriff kosten würde, das Verlies zu öffnen, bei äußerlicher Betrachtung sicherlich viel intensiver in das Geschehen verwickelt als der untätige Eigentümer, der etwa nur durch einen anonymen Anruf des Täters von der Einsperrung erfährt. Indessen kann eine derart emotional begründete Gewichtung kein tragfähiger Aspekt für die Begründung einer GarantensteIlung sein. Außerdem steht die kritisierte Auffassung vor einer weiteren kaum zu überwindenden Schwierigkeit. Schon die Formulierung, der Rauminhaber werde "nach einer gewissen, aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu bemessenden Zeit" zum Garanten, läßt ahnen, daß es in höchstem Maße schwierig, wenn nicht unmöglich sein wird, den entscheidenden Zeitpunkt, in dem die GarantensteIlung "einsetzt", mit einiger Sicherheit zu bestimmen. Vergegenwärtigt man sich nur die unterschiedlichen Auffassungen, die heute zu der Frage des Ansetzens zum Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt vertreten werden90 , so dürfte - gleichgültig welcher Auffassung man folgt - als unbestreitbares Erfordernis feststehen, daß der Zeitpunkt, in dem der Unterlassende Garant würde, in jedem Falle (und sei es nur eine "juristische Sekunde") vor dem Zeitpunkt liegen müßte, der als Versuchsbeginn angesehen wird. Denn ohne Garantenstellung ist selbstverständlich auch ein Ansetzen zum Versuch nicht denkbar. Durch welches S. o. 4. Teil A. I. 2. b) aal (1) bei Fn. 78. Vgl. nur Schönke/Schröder/Eser § 22 Rn. 47 ff. m. w. N.; allgemein zu den Grundlagen des Versuchsbeginns vgl. Berz, Jura 1984, 511 ff. 89
90
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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sachliche Kriterium jedoch dieser dem Versuchsbeginn zwingend vorgelagerte Zeitpunkt gekennzeichnet sein sollte, ist überhaupt nicht ersichtlich. Viel ernster zu nehmen sein dürfte hingegen der zu erwartende Appell an das Rechtsgefühl. Ist es nicht wirklich eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, wenn der Rauminhaber, der den im Keller Gefangenen "schmoren" läßt, nur eine Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung zu gewärtigen hat? - Gleichgültig, welche Folgen das Verhalten des Unterlassenden hat, braucht er nach der hier vertretenen Auffassung im Höchstmaß mit einer Fr,eiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zu rechnen. Wäre er Garant, würde er z. B. beim Tode des Eingesperrten mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren, gegebenenfalls sogar mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Bevor freilich angesichts dieser Diskrepanz die vorgeschlagene, konsequente Haftungsbegrenzung voreilig verworfen wird, sollte man sich klarmachen, daß es zahlreiche, bisweilen praktischere und nicht minder krasse Fälle unterlassener Hilfeleistung gibt. Entdeckt etwa ein Autofahrer des Nachts auf einem einsamen Feldweg einen von einem anderen angefahrenen, schwerverletzten Radfahrer und fährt er, weil er seinerseits alkoholisiert ist und sich Ärger ersparen will, davon, so ist er nur nach § 323 c verantwortlich, selbst dann, wenn der Verletzte erst nach langem, schmerzvollem Todeskampf stirbt. Ja, sogar demjenigen, der in dem durch eigenes Verschulden gestürzten, nicht einmal lebensgefährlich verletzten, aber bewegungsunfähigen Radfahrer seinen Todfeind erkennte und den Unglücklichen mit Genugtuung erfrieren, verhungern oder verdursten ließe, könnte strafrechtlich nichts weiter als unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen werden. Auch in diesen Fällen dürfte der ausschließlich dem § 323 c zu entnehmende Strafrahmen als bei weitem zu gering erachtet werden. Anstatt sich jedoch aufgrund derartiger Strafmaßerwägungen zu einer größeren Bereitschaft bei der Annahme von GarantensteIlungen verleiten zu lassen, sollte vielleicht eher überlegt werden, den Strafrahmen des § 323 c de lege ferenda (z. B. durch Einführung eines besonders schweren Falles) flexibler zu gestalten91 •
91 Vgl. dazu bereits Schünemann, Grund und Grenzen, S. 318 f., freilich nur, um die Fälle der von ihm abgelehnten Ingerenz aufzufangen; kritisch Herzberg, Die Unterlassung, S.293. Zur Beurteilung der fahrlässigen Verletzung der allgemeinen Hilfspflicht vgl. oben 4. Teil A. I. 1. a) bb) in Fn.25.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre bb) Die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten innerhalb der Räumlichkeiten
(1) Die Bedeutung der "besonderen Beschaffenheit
und Lage des Raumes" nach h. M.
Oberflächliche Betrachtung legt nahe, daß anhand der bisher gewonnenen Erkenntnisse das Ergebnis für die nunmehr zu erörternde Fallgruppe der Straftatenverhinderungspflichten innerhalb bestimmter Räumlichkeiten eigentlich feststehen müßte. Wenn schon, so könnte man meinen, die verkehrssichere, in ordnungsgemäßem Zustand befindliche Räumlichkeit, in der Dritte zu Schaden kommen, für sich genommen keine die Haftung des Inhabers begründende Gefahrenquelle sein könne, so könne sie es erst recht nicht sein, wenn Dritte eigenverantwortlich handelnd den Raum zur Begehung von Straftaten mißbrauchen. Bei dieser auf den ersten Blick durchaus einleuchtenden Argumentation würde freilich übersehen, daß in beiden Fällen mit dem Begriff der Gefahrenquelle möglicherweise nicht dasselbe gemeint ist. Wurde darunter bisher stets eine gegenständliche, konkret zu erfassende Sachgefahr verstanden - wie etwa die durch die umschließenden Mauern begründete Abschirmung 92 - , so könnten die Formulierungen im neue ren Schrifttum und insbesondere die des BGH ein gewandeltes Verständnis des Gefahrquellenbegriffs andeuten. Danach soll im Falle der Begehung von Straftaten durch Dritte ja gerade nicht die jeder beliebigen Wohnung eigentümliche Abschirmfunktion die Gefahrquelleneigenschaft ausmachen, sondern eine darüber hinausgehende, in bezug auf die Straftat besonders gefährliche Beschaffenheit und Lage 93 • Was darunter möglicherweise zu verstehen ist, wird anhand von Beispielen zu demonstrieren versucht. Die Räumlichkeit werde etwa wegen ihrer räumlichen Beschaffenheit und Lage zur Straftat ausgenutzt, wenn sie als Unterschlupf für Straftäter, als Bereitstellungsplatz für kriminelle Unternehmungen oder als Beutelager genutzt oder wenn der Angriff gegen das Opfer durch die Gestaltung der Wohnung erleichert oder dem Opfer dadurch die Gegenwehr oder Flucht erschwert werde94 • Die Wohnung müsse zu einem "maßgeblichen Faktor" für die Straftat werden95 • Sie müsse im konkreten Ablauf der Straftat eine Rolle spielen96 • 92 In diesem Sinne haben alle Autoren, die sich mit der Frage beschäftigt haben (Traeger, Pfleiderer, Herzberg, Landau), die Sachgefahr aufgefaßt. 93 BGHSt 30, 391 (394). 94 Jescheck LK § 13 Rn. 44 (mit der Verweisung auf Rn. 35). 95 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 54 i. E. zustimmend zu RGSt 58, 300 und BGH, NJW 1953, 591. 96 Rudolphi SK § 13 Rn.37 in Anlehnung an Schünemann, Grund und Grenzen, S. 361.
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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(2) Kritik und zusammenfassende Stellungnahme
Die Frage ist, ob die besondere Beschaffenheit oder Lage des Raumes wirklich das maßgebliche Band zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Rauminhabers zu knüpfen vermag, wenn im Mittelpunkt des Geschehens ein vorsätzlich handelnder Dritter steht, der die Rechtsgutsverletzung aktiv herbeiführt. (a) Wohnkomfort als haftungsrelevante Quelle der Gefahr? Man denke sich beispielsweise den Fall, daß das unter den Händen seines Mörders in Todesangst laut um Hilfe schreiende Opfer von den Passanten der an der Wohnung vorbeiführenden, stark frequentierten Geschäftsstraße nur deshalb nicht gehört wird, weil der Raum mit einer lärmdämmenden Isolierverglasung (oder einer geräuschvoll arbeitenden Klimaanlage) ausgestattet ist. Ohne Frage stellt die Isolierverglasung oder die Klimaanlage im konkreten Ablauf des Geschehens ein bedeutendes zusätzliches Gefahrenmoment dar. Die besondere Beschaffenheit, die Ausstattung spielt für das Gelingen der Tat eine wesentliche Rolle. Soll aber der gegenwärtige Wohnungsinhaber schon allein deswegen zur Abwendung bzw. zur Erschwerung des Todeserfolges verpflichtet sein, weil er Herr über eine solchermaßen "gefährliche" Wohnung ist? In den oben erörterten Fällen der Eigen- und Fremdabtreibung oder der Kindestötung 97 - betrachtet man sie unter dem Gefahrquellenaspekt - kann keine Rede davon sein, daß die besondere Beschaffenheit oder Lage der Wohnung als solche ein maßgeblicher Faktor für die Abtreibungs- oder Tötungshandlung gewesen oder daß die Wohnung gar als Mittel der Tatbegehung 'eingesetzt worden ist. Allenfalls die Tatsache, daß die Räumlichkeiten - wie jede gewöhnliche Wohnung - über fließendes Wasser verfügten, mag im Einzelfall die technische Durchführung der Abtreibung erleichtert haben9B • Daß ebensogut die Bahnhofstoilette Ort der Abtreibung oder der Tötung eines Neugeborenen sein kann, lassen zahlreiche Fälle erkennen, von denen allenthalben in der Tagespresse zu lesen ist. Die maßgebliche Eigenschaft des Raumes, die ihn letztlich zum geeigneten Tatort macht,
97
RGSt 72, 373; BGH, NJW 1953. 591; GA 1967, 115 dazu oben im 2. Teil
A. u. B.
98 VgI. Pfleiderer, Die Garantenstellung, S.131: "Eine Abtreibung kann an jedem beliebigen Ort vorgenommen werden. Es wäre zu weit hergeholt, wenn man hier argumentieren würde, das Gebäude sei deshalb gefährlich, weil es das strafbare Treiben den Blicken anderer entziehe." Wolle man den Wohnungs- oder Hausinhaber tatsächlich zum Garanten dafür bestellen, daß in seinen Räumen keine strafbaren Handlungen vorgenommen würden, so müßte der maßgebende Wertungsgesichtspunkt noch klarer genannt werden.
7 Landsmeldt
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
besteht allein darin, daß seine Umschlossenheit den Täter vor den Blicken und dem Eingreifen Dritter zu schützen vermag. (b) "Soziale Brennpunkte" als schlechthin überwachungspflichtige Gefahrenquellen Geht man von der - vom BGH99 geteilten - Auffassung aus, daß nur die räumliche Abschirmung für die Qualifikation als Gefahrenquelle keine Bedeutung haben kann, so müssen andere Kriterien den Ausschlag geben. Möglicherweise ist für die kritisierte Auffassung die Vorstellung leitend, daß es in der sozialen Realität ausgesprochene Brennpunkte gibt, was die Begehung von Straftaten angeht. Bekanntlich sind beispielsweise Gastwirtschaften in jedweder Erscheinungsform ein Anziehungspunkt (und nicht selten Lebensmittelpunkt) für Personen, die man allgemein als Kriminelle bezeichnet. Prostitution, Rauschgifthandel und beinahe jede andere Form von Kriminalität ist in zahlreichen Gaststätten vor allem der Ober- und Mittelzentren (aber nicht nur dort) beheimatet. Dies ist Alltagserfahrung und kriminologische Erkenntnis zugleich10o • Deshalb bezeichnet man den Besuch bestimmter Lokale als "gefährlich", und bisweilen ist zu lesen, die Anhäufung derartiger Etablissements in bestimmten Stadtvierteln stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit, für das Ansehen der Stadt etc. dar. In diesem Sinne verstanden wäre eine Gaststätte, die als Ort krimineller Aktivitäten in Betracht kommt, immer auch Gefahrenquelle, die der Gastwirt als überwachungsgarant durch die Verhinderung von Straftaten einzudämmen hätte 101 • In diesem Sinne verstanden wäre aber auch jeder andere Ort, der sich - aus welchen Gründen auch immer - besonders gut für die Begehung von Straftaten eignete, Gefahrenquelle. Dabei brauchten sich die Örtlichkeiten im Hinlick auf das konkret verwirklichte Delikt nicht einmal durch dieselben Merkmale auszuzeichnen. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß z. B. terroristische Gewalttäter und andere Erpresser sich zur Durchführung spektakulärer Entführungen sowohl die Einöde abgelegener Gehöfte als auch die Anonymität von Appartementhäusern in stark belebten Stadtzentren zunutze zu machen wußten. Sowohl die verlassene Bauernkate als auch die Appartementwohnung wären wegen ihrer besonderen, den Straftätern ungeheuer nützlichen Eigenschaften GeBGHSt 30, 391. Göppinger, Kriminologie, S.294. 101 Vgl. dazu die Bemerkung von Geilen in seinem Aufsatz über die Mitverantwortung des Gastwirts bei Trunkenheitsfahrten in JZ 1965, 469 (473): "So wäre z. B. für die Gastwirtshaftung mit gutem Grund die Frage aufzuwerfen, warum hier keine ,in einen bestimmten Zuständigkeitsbereich fallende Gefahrenquelle', gewissermaßen ein Unterfall einer Betriebshaftung angenommen werden soll." 99
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fahrenquellen mit der Folge einer GarantensteIlung der Inhaber102 . Wer einen so weitgehenden Gefahrquellenbegriff freilich für erwägenswert hält, muß sich über die Konsequenzen klar werden. Stellt man nicht mehr auf den Zustand des Raumes als solchen ab, der - bewegt man sich auf dem Boden des von der Rechtsprechung vertretenen Gefahrenbegriffs - die Möglichkeit des Schadenseintritts nahelegen mußl03, so nähert man sich unweigerlich dem Bereich der abstrakten Gefahr des Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts. Dort versteht man unter der abstrakten Gefahr die Gefährlichkeit eines allgemeinen, abstrakten Sachverhaltes104 . Es ist schon höchst zweifelhaft, ob die Tatsache, daß Gastwirte häufig über abseits der übrigen Gasträume liegende, von dort nicht einsehbare Hinterzimmer verfügen, überhaupt einen solchen abstrakt gefährlichen Sachverhalt i. S. des Allgemeinen Polizei- und Ordnungs rechts darstellt. Aber selbst wenn öffentlich-rechtliche Normen zum Zwecke des vorbeugenden Rechtsgüterschutzes dem Gastwirt gebieten würden, seine Lokalitäten möglichst übersichtlich zu gestalten und eventuell vorhandene Nebenräume stets auf sich dort verbergende Straftäter zu überwachen 105 , liefe die uneingeschränkte strafrechtliche Ahndung der Verletzung dieser Pflichten letztlich wieder auf einen Rückfall in die Denkweise des strengen Rechtspflichtdogmas hinaus, die die moderne Garantenlehre doch eigentlich überwunden haben sollte. Es ist evident, daß nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung das in erster Linie repressive Strafrecht auf den Plan ruft. Deshalb ist einem Gefahrquellenverständnis, das gleichsam jeden sozialen Brennpunkt zu einer die GarantensteIlung auslösenden Gefahrenquelle hochstilisiert, mit Nachdruck entgegenzutreten. (c) Fazit: Die besondere Beschaffenheit und Lage
des Raumes - ein untaugliches Kriterium Tatsächlich ist überhaupt nicht ersichtlich, welcher Art die Kriterien sein sollten, die die zur Gefahrquelleneigenschaft führende Beschaffenheit oder Lage der Räumlichkeit kennzeichnen. Um beim Beispiel zu bleiben: Die Gaststätte ist ein Begegnungsort von Menschen, ein Ort, an dem die Kommunikation mit Fremden schnell zustande kommt. Die Gaststätte mag vielleicht deshalb ein beliebter Umschlagplatz für
102 103
Vgl. auch die Beispiele bei Geilen, AT, § 442 a, S. 243 f. RGSt 10, 173 ff. (176); 30, 179; BGHSt 18, 271; vgl. auch Demuth, Diss.,
S. 49 ff. 104 10:;
7'
Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, § 3 IV, 4. Zur Bedeutung des GaststG siehe noch unten 4. Teil A. 11. 2. b).
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Diebesgut sein, weil sie unter dem Vorwand, sich bewirten zu lassen, betreten und so auch von Fremden aufgesucht werden kann, ohne daß diese einen Verdacht auf sich lenkten. Der Markt-, der Rummelplatz, der Bahnhofsvorplatz oder das Straßencafe sind jedoch ebensolche Begegnungsorte von Menschen. Nicht selten sind auch diese Orte Umschlagplatz für gestohlene Waren. Überall, wo Menschen in größerer Zahl zusammenkommen, fällt der einzelne weniger auf. Es kann deshalb im Hinblick auf den Tatort keinen Unterschied machen, ob dem Hehler die gestohlene Armbanduhr über den Bistrotisch eines Straßencafes oder über den Tresen einer Hafenspelunke zugeschoben oder ob sie ihm im Gedränge der Bahnhofshalle zugesteckt wird. Einen anderen Übergabeort werden sich die Täter aussuchen, wenn etwa wertvoller Altarschmuck Gegenstand des Geschäftes ist. Die Madonnenstatue aus dem 16. Jahrhundert wird nicht auf der Cafeterrasse gehandelt, weil sie unweigerlich die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Täter lenken würde. In diesem Falle bietet das Hinterzimmer der Gaststätte oder eine andere Räumlichkeit besseren Schutz vor den unliebsamen Blicken Dritter. An diesen Beispielen wird deutlich, daß nur der Zufall (z. B. die Art und Größe der Beute) darüber entscheidet, ob die Täter ihren Handel in den Gasträumen einer Wirtschaft, auf dem Bahnhofsvorplatz, im Park oder sonstwo treiben. Im Beispiel der Statue nutzen die Täter die Abgeschirmtheit des Hinterzimmers, um dort ungestört handelseinig zu werden. Die "besondere Beschaffenheit und Lage" des Hinterzimmers hat hier keine andere Bedeutung, als daß es die gewöhnliche Abschirmung gewährt, die jedem beliebigen Raum innewohnt; ein Gesichtspunkt freilich, der nach dem Gesagten für die Qualifizierung als Gefahrenquelle ausscheiden muß. Zu einer völlig anderen Beurteilung müßte es zweifellos führen, wenn sich feststellen ließe, daß der Gastbetrieb in Mafia-Manier gleichsam nur als "Scheingeschäft" betrieben würde oder weniger kraß, daß der Patron durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten und wirksame Sicherheitsvorkehrungen zugunsten der Hehler Deckung gewährte. Aber bei einer derart massiven Einspannung des Rauminhabers läge regelmäßig bereits aktive Beihilfe oder gar Mittäterschaft vor. Von alledem ist in den genannten Beispielen nicht die Rede. Sie bewegen sich im Gegensatz dazu auf geradezu amateurhaftem Niveau. Der Gastwirt wird zufällig Zeuge einer Hehlerei in seinen Räumen und bleibt untätig. Die zuständige Behörde mag ihm im Wiederholungsfalle gern. §§ 15 Abs.2, 4 Abs.1 Nr.1 GaststG die Konzession entziehen, als Gehilfe einer Hehlerei zu bestrafen ist er deswegen nicht. Ähnliches muß in den angeführten Fällen gelten, in denen etwa der Eigentümer einer abgelegenen Blockhütte erfährt, daß sich dort Straf-
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täter versteckt halten, ihre Beute oder Tatwerkzeuge lagern 106 • Bloße Untätigkeit kann hier unter dem Gesichtspunkt der Gefahrquellenverantwortlichkeit zu keiner strafrechtlichen Unterlassungshaftung des Eigentümers führen. Denn auch hier erschöpft sich die Gefährlichkeit der Hütte in der bloßen Abschirmung der Beute etc. Der Umstand, daß z. B. die Rückführung der dort gelagerten Beute aufgrund der durch die Blockhüttenwände bedingten Abschirmung erschwert wird, stellt keine haftungsrelevante Gefährdung fremden Eigentums gerade durch den Hütteninhaber dar. Nach alledem erweist sich das vom BGH herausgestellte Kriterium einer besonderen Beschaffenheit oder Lage des Raumes, die den Raum über seine ihm eigentümliche Abschirmung hinaus gefährlich machen muß, als inhaltsleer. Die genannten Beispiele erfüllen diese Voraussetzungen jedenfalls nicht. Soweit ersichtlich gibt es praktische Anwendungsfälle nicht. Denn in allen Fällen ist es die aus der räumlichen Begrenzung zwangsläufig resultierende Abschirmung gegen außenstehende Dritte, die für die Begehung der Straftat eine Rolle spielt. Es bleibt also dabei, daß der Rauminhaber nur für den verkehrssicheren Zustand seiner Räumlichkeiten verantwortlich ist. Aus dem Gesichtspunkt der GefahrqueUenverantwortlichkeit hat er weder Rettungs- noch Straftatenverhinderungspflichten. 11. Der Mensch als "Gefahrenquelle" innerhalb einer Räumlichkeit Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, daß unter dem Gesichtspunkt der dinglichen Gefahrenquellenüberwachung keine Pflicht des Rauminhabers existiert, innerhalb seiner Räumlichkeiten Straftaten anderer abzuwehren. War insoweit bislang nur von Sachen als möglichen Gefahrenquellen die Rede, so ist nunmehr der Blick auf den Menschen gerichtet, der durch die Begehung einer Straftat die Gefahr hervorruft. In diesem Zusammenhang findet sich bei Landau 107 die treffende Formulierung, daß sich im Falle strafbarer Handlungen Dritter "der Gefahrenherd in den Räumlichkeiten aufhält". Im Hinblick auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Rauminhaber für das deliktische Verhalten dritter Personen innerhalb seiner Räume strafrechtlich verantwortlich ist, ist eine strukturelle Ähnlichkeit mit 106 Vgl. die Beispiele bei Geilen, AT, § 44 II 2 a, S.244; Schönke/Schröder/ Stree § 13 Rn. 54; desgleichen hat der Hausherr keine Garantenpflicht zu verhindern, daß Attentäter durch seinen unverschlossenen Hausflur auf das Nachbargrundstück gelangen, um dort einen Menschen zu töten. Beispiel von Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 485 ff. tn7 Landau, Diss., S. 188 f.
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den oben erörterten Fällen der Verantwortung für dingliche Gefahrenquellen festzustellen 108 • Wie der Rauminhaber die durch den verkehrsunsicheren Zustand seiner Räumlichkeiten hervorgerufenen Gefahren abwenden muß, ohne daß es um den Schutz bestimmter ihm anvertrauter Rechtsgüter ginge, könnte er möglicherweise im Einzelfall verpflichtet sein, von Dritten ausgehende Gefahren, die sich in seinen Räumen zu realisieren drohen, abzuwenden, gleichgültig, gegen wen sich der Angriff richtet. Da für das Verhalten anderer Personen nur verantwortlich gemacht werden kann, wer rechtlich und faktisch in der Lage ist, das Verhalten dieser Personen zu steuern, ist neben der tatsächlichen Möglichkeit des potentiellen überwachungsgaranten, auf das Verhalten Dritter Einfluß zu nehmen, stets auch seine rechtliche Befehlsgewalt erforderlich109 • Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, die sich speziell mit den Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten befaßt, sind allerdings zwei Grundsituationen zu unterscheiden. Hat jemand die generelle Aufsichts- und Befehlsgewalt über einen anderen - wie etwa die erziehungsberechtigten Eltern über ihre minderjährigen Kinder -, so ist er garantenpflichtig unabhängig davon, an welchem Ort sich die von der zu überwachenden Person ausgehende Gefahr zu verwirklichen droht. Da insoweit eine räumliche Beschränkung der Erziehungsgewalt nicht existiert, kann dem Ort des strafbaren Geschehens (ein Haus, eine Wohnung oder eine sonstige Räumlichkeit) für die Entscheidung über das Ob der Garantenstellung evidentermaßen keine Bedeutung zukommen. Ähnliches gilt in Beziehungen, denen ein rechtlich geregeltes potentielles Autoritätsverhältnis zugrunde liegt. So ist zwar die Erziehungsgewalt von Lehrern in der Weise gegenständlich beschränkt, daß sie nur solche Straftaten zu verhindern haben, die innerhalb des Schulbetriebes begangen werden llO • Doch hat dies mit einer räumlichen Begrenzung nichts zu tun, da der Schulbetrieb nicht nur im Schulgebäude oder auf dem Schulhof stattfindet, sondern in weiterem Sinne etwa auch auf einem Schulausflug. Ebensowenig wie für die Pflichten der Eltern ist für die Pflichten der Lehrer der Ort des strafbaren Geschehens der maßgebliche Garantieaspekt. Da in den Fällen, in denen ohnehin eine rechtliche Aufsichts- und Befehlsgewalt anerkannt oder ein potentielles Autoritätsverhältnis rechtlich festgelegt ist, die Tatsache, daß die Straftat sich inner108 Ähnlich Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 51; zu den Unterschieden freilich auch Schünemann, Grund und Grenzen, S. 323 ff. (324). 109 Herzberg, Die Unterlassung, S. 320 f.; Rudolphi SK § 13 Rn. 32; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 329. 110 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 52; Schünemann, Grund und Grenzen, S.325.
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halb einer Räumlichkeit ereignet, keine entscheidende Rolle spielt, kann dieser Bereich im folgenden außer Betracht bleiben 111. Gleichermaßen praktisch und bei weitem problematischer ist dagegen die zweite Konstellation. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, daß zwischen den in den Räumlichkeit Anwesenden grundsätzlich keinerlei Aufsichts- oder Befehlsgewaltverhältnis dergestalt existiert, daß der eine dem anderen allgemein zu befehlen hätte oder sein Verhalten überwachen müßte. Ausgangspunkt ist also diese Grundsituation personaler Eigenverantwortlichkeit des Individuums, auf der das Strafrecht insgesamt aufbaut112 • Die Frage im vorliegenden Zusammenhang ist nun, ob diese Situation individueller Selbstverantwortung, in der jeder grundsätzlich allein für sein eigenes Fehlverhalten einstehen muß, deshalb anders zu beurteilen ist, weil sich die strafbewehrte Rechtsgutsbeeinträchtigung innerhalb einer Räumlichkeit abspielt, deren Inhaber der andere ist. Unter der soeben geannten und soweit ersichtlich nicht bestrittenen Prämisse, daß die zur Verantwortung für das Verhalten Dritter führende Autoritätsstellung stets eine rechtliche Befehlsgewalt erfordert, könnte die Frage nur bejaht werden, wenn die bloße Inhaberschaft einer Räumlichkeit die Rechtsmacht verliehe, auf das deliktische Verhalten der Anwesenden Einfluß zu nehmen, die Rauminhaberschaft mithin per se eine Autoritätsstellung bedingen würde. Die Rechtsprechung hat vielfach angedeutet, daß die rechtliche Befehlsgewalt und die daraus resultierende, zur Garantenpflicht führende Aufsichtspflicht des Hausherrn sich auch aus dessen Hausrecht ergeben könnte 113• Einer eingehenderen Untersuchung wurde das Hausrecht in diesem Zusammenhang jedoch niemals unterzogen. Es bedurfte wohl auch schon deshalb keiner intensiveren Analyse, weil wie erinnerlich114 - neben dem Hausrecht meist andere Gesichtspunkte, insbesondere familienrechtliche und eheliche Beziehungen, für die Bejahung der Unterlassungsverantwortlichkeit mit ins Feld geführt wurden. Dennoch ist die Vorstellung nicht gänzlich abwegig, daß allein das Hausrecht eine Autoritätsstellung begründet, die dem Hausrechtsinhaber die erforderliche rechtliche Befehlsgewalt zur Verhinderung von Straftaten in seinen Räumlichkeiten verleiht.
111 Vgl. dazu Schünemann, Grund und Grenzen, S.323-333; Herzberg, Die Unterlassung, S. 320-322; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 51 ff. 112 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 324. 113 RG Rspr. 1, 61; 2, 447; 9, 301 (306); 10, 703 (704); RG GA 60, 445; BayObLG MDR 1952, 312; OLG Stuttgart, FamRZ 1959, 74. 114 VgI. oben 2. Teil A. u. B.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre 1. Die Pfticht zur Verhinderung von Straftaten aus der durch das Hausrecht begründeten Autoritätsstellung
Um die Frage beantworten zu können, ob aus dem Hausrecht als solchem eine garantenpflichtbegrundende Autoritätsstellung des Hausherrn erwächst, ist vorab ein kurzer Blick auf die Bedeutung und den Zusammenhang der Begriffe Autorität und Hausrecht erforderlich. Autorität besagt Vorrang, Ansehen und Einfluß, welche eine P.erson (u. U. auch eine sachliche Gegebenheit) aufgrund von gewissen Eigenschaften genießt. Sie verschafft ihrem Träger innerhalb eines bestimmten, größeren oder kleineren Kreises Geltung und bewirkt, daß seine Weisung das Denken oder Handeln dieses Kreises bestimmt 115 • In einem weiteren Sinne gibt es auch sachliche Autorität dergestalt, daß bestimmte Gegenstände und Örtlichkeiten an der Autorität, der sie zu dienen bestimmt sind, teilhaben. Der hinter ihnen stehende oder durch sie repräsentierte Träger der Autorität verpflichtet durch sie und wird in ihnen anerkannt 116 • Inhalt und Grenzen des Geltungsanspruchs der Autorität werden bestimmt durch den Ursprung und die immanente Zweckbestimmung der faktischen und rechtlichen überlegenheit. Durch die Zweckbestimmung ist die Autorität einerseits begrenzt, hat aber andererseits aus ihr Herrschaftsrecht und Befehlsgewalt und kann alles, aber auch nur das, was zur Erreichung des jeweiligen Zieles erforderlich ist117 • Soll hier die Autorität im Hausrecht ihren Ursprung haben und dessen Verwirklichung dienen, so wird in der Konsequenz des soeben Festgestellten die aus der Autorität resultierende Befehlsgewalt durch die Zweckbestimmung eben dieses Hausrechts auch zugleich begrenzt. Das Hausrecht als solches wird in § 123 strafrechtlich geschützt. Die ganz h. M. versteht unter dem Hausrecht das Interesse, in Haus und Hof nicht durch die Anwesenheit Unbefugter gestört zu werden118 • In diesem Sinne ist das Hausrecht "ein Stück lokalisierter Freiheitssphäre"119, die Gesamtheit der rechtlich geschützten Befugnisse, über Haus und Hof tatsächlich frei zu verfügen120 • Die abweichende Auffassung von SchalP21, der im Wege einer soziologisch motivierten Hauser, in Staatslexikon, Spalte 808. Hauser, in Staatslexikon, Spalte 810. 117 Dazu Hauser, in Staatslexikon, Spalte 811. tl8 Lackner, § 123 Anm. 1; MaurachjSchroeder, BT, § 3011, 1 S.252; Rudolphi SK § 13 Rn. 1 ff.; Schäfer LK (9. Aufl.) § 123 Rn. 1; eingehend Stoiber, Diss., S. 21 ff.; übersicht bei Bernsmann, Jura 1981, 337 f. 119 Welzel, LB, § 44, S. 332. 120 DreherjTröndle, § 123 Rn. 1. 121 Schall, Diss., S. 135. 115 tl6
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Rechtsgutsbestimmung für die Tatbestandsverwirklichung zusätzlich verlangt, daß die jeweilige Räumlichkeit in ihrer sozialen Funktion beeinträchtigt wird, ist zu Recht auf Ablehnung gestoßen, weil sie dem Wortlaut des Gesetzes widerspricht und sich folglich nicht mehr auf dem Boden des geltenden Rechts bewegt 122 • Nicht zu leugnen ist dagegen in Ergänzung zum herrschenden Rechtsgutsverständnis, daß nicht allein "das äußerliche Eindringen eines raumverdrängenden Körpers den Erfolg aus(macht), sondern die darin steckende, nur dem geistigen Verstehen zugängliche, höchst persönliche Mißachtung des Rechts auf Selbstbestimmung in der eigenen Wohnsphäre" , daß also der Tatbestandsverwirklichung ein Beleidigungsmoment immanent ist 123 • Das so verstandene Hausrecht verleiht dem Hausherrn Autorität: Man verhält sich unter dem Einfluß fremden Hausrechts im Sinne des Hausherrn und fühlt sich normalerweise an dessen Weisungen gebunden. "Autorität besteht nicht in der zwangsmäßigen und gewalttätigen Ausübung der Macht, sie appelliert vielmehr an die freie sittliche Zustimmung124 ." An der Autorität des Hausherrn hat die Räumlichkeit selbst mehr oder weniger Anteil. Letzteres kann jeder nachvollziehen, der schon einmal die leidige Aufgabe übernommen hat, während der Urlaubsabwesenheit des Nachbarn die Blumen in dessen Wohnung zu gießen. Die durch die Wohnung vermittelte Autorität appelliert an die freie, sittliche Zustimmung, nur solche Räume aufzusuchen, in denen sich wirklich Blumen befinden und nicht etwa einen allein der Befriedigung der persönlichen Neugier dienenden "Rundgang" durch die ganze Wohnung zu machen. Ebenso appelliert die durch den Aufenthalt in der Individualsphäre der fremden Wohnung begründete Autorität des Gastgebers an die freie, sittliche Einsicht der Besucher, ihre ehelichen, familiären oder beruflichen Streitigkeiten weder verbal noch handgreiflich ausgerechnet dort auszutragen und dadurch fremden Hausfrieden zu stören. Besondere rechtliche Mittel hat der Hausherr indes nicht, die Friedfertigkeit seiner Gäste zu erzwingen 125 • Er kann sie nur aus der Wohnung weisen. Denn versagt der Appell an die Vernunft und Einsicht, so konkretisiert sich die durch das Hausrecht begründete Autorität des Rauminhabers in der einzigen Möglichkeit der Ausübung rechtlicher Befehlsgewalt, nämlich der verbindlichen Aufforderung, der Störer solle sich entfernen126 • 122 Hirsch, ZStW 88 (1976) 752 (756); Schroeder, JZ 1977, 39; Wagner, GA 1976, 156; ütto, JR 1978, 220. 123 Herzberg, ZStW 82 (1970) 896 (928). 124 Hauser, in Staatslexikon, Spalte 809.
125 Sieht man von den allgemeinen Befugnissen ab, wie z. B. Herbeirufen der Polizei oder Leisten von Nothilfe. 126 Wobei das Verweilen durch diese Aufforderung zu der von § 123 2. Alt. sanktionierten Hausrechtsverletzung wird, vgl. Schönke/Schröder/Lenckner § 13 Rn.
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Daran wird deutlich, daß die Autoritätsstellung des Hausrechtsinhabers (abweichend von der begrifflichen Bedeutung des dominus im römischen Recht 127) nicht umfassende, rechtlich durchsetzbare Befugnisse verleiht, sondern gerade nur so viele, wie zum Schutze des Rechtsgutes tatsächlich erforderlich sind. Rechtlich relevant kann nur diejenige Autoritätsstellung sein, die rechtliche Anerkennung erfahren hat und die, wird ihr Geltungsanspruch bestritten, mit den Mitteln des Rechts durchgesetzt werden kann. Jedes andere, weitere Verständnis würde zu denselben Unwägbarkeiten und Unbilligkeiten führen, die schon Veranlassung gaben, sowohl den Rechtsstellungsgedanken 128 als auch den Gedanken des sozialen Herrschaftsbereichs129 zu verwerfen. Und schließlich: Selbst wenn man unterstellte, im oben genannten Beispiel ginge die Autorität des Gastgebers im Sinne einer aus ihr tatsächlich resultierenden rechtlichen Befugnis so weit, daß er seinerseits "dazwischen gehen" und den Streit seiner Gäste schlichten könnte, sähe man sich unweigerlich der schon an anderer Stelle 130 aufgeworfenen Frage gegenüber, ob aus diesem Eingriffsrecht zugleich auf eine entsprechende Garantenpflicht geschlossen werden könnte. Die Frage stellen heißt sie verneinen, korrespondiert doch - wie erinnerlich gerade nicht jedem Recht die jeweilige Handlungspflicht. Den Fällen, in denen eine generelle Aufsichts- und Befehlsgewalt anerkannt (z. B. bei Eltern) oder ein partielles Autoritätsverhältnis rechtlich festgelegt ist (z. B. bei Lehrern, militärischen Vorgesetzten, Seeleuten ete.), ist der Fall des Hausrechtsinhabers offensichtlich nicht vergleichbar. Während dem generellen Erziehungsrecht der Eltern und den rechtlich normierten partiellen Eingriffsrechten von Lehrern, militärischen Vorgesetzten und Schiffsoffizieren ausdrücklich geregelte, spezielle (Aufsichts-)Pflichten korrespondieren (vgl. z. B. §§ 832 BGB, 41 WStG, 108 SeemannsG), findet sich dergleichen im Verhältnis des Hausrechtsinhabers zu Dritten nicht. Die Erziehungsberechtigung und die partiellen Eingriffsrechte existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern dienen in erster Linie der sachgerechten Pflichterfüllung. Demgegenüber hat der Hausherr nicht einmal die Pflicht, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß das rechtlich anerkannte Hausrecht des Rauminhabers zwar Autorität verleiht, an der sogar die Räumlichkeit als solche aufgrund des personalen Bezuges 127 Wo dominus zugleich die Bedeutung hatte von "Gebieter, Zwingherr, Despot". 128 S. o. 2. Teil A. 129 S. o. 3. Teil A. ISO S. o. 3. Teil B.
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teilhat. Jedoch wird die rechtlich relevante Autoritätsstellung zugleich durch den Zweck, dem Schutze des Hausrechts zu dienen, begrenzt. Aus der durch das Hausrecht begründeten Autoritätsstellung erwächst nicht die rechtliche Befehlsgewalt, ein bestimmtes Wohlverhalten Dritter innerhalb der Räumlichkeit erzwingen zu können. Vielmehr wird dem Schutz des Hausrechts durch die Befugnis, Störer hinauszuweisen, vollends Rechnung getragen. Insoweit handelt es sich um ein primäres, den grundrechtlichen Schutz des Art. 13 GG fortsetzendes und konkretisierendes Recht, dem - im Gegensatz zu den genannten, sonstigen mit einer Autoritätsstellung verbundenen Rechten (von Eltern, Lehrern etc.) - keinerlei Pflichten korrespondieren131 • Im Ergebnis läßt sich somit eine Aufsichtspflicht aus der Autoritätsstellung des Hausrechtsinhabers nicht ableiten. 2. Die Aufsichtspfficht innerhalb eines Raumes kraft beruflicher Autoritätsstellung
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, gewisse Berufe schafften überwachungsgarantieverhältnisse und verpflichteten ihren jeweiligen Repräsentanten, gegen Straftaten Dritter einzuschreiten132 • Neben dem "zur Verhinderung von Straftaten ausdrücklich berufenen"l83 Polizeibeamten werden in diesem Zusammenhang insbesondere auch der Gastwirt134 und allgemein der Betriebsinhaber135 erwähnt.
a) Zur Vberwachungsgarantenstellung des Polizeibeamten als Ausgangspunlä Gerade im Hinblick auf die überwachungsgarantensteIlung von Polizeibeamten können jedoch auch bisweilen vorgetragene Einschränkungsversuche136 nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier die Annahme 131 Vgl. zum Grund-Folge-Verhältnis von Recht und Pflicht bereits oben 3. Teil B. 11. 132 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 52; Maurach/Gössel § 46 11 c, S. 151; Schmidhäuser, AT, 16/61 S. 676 f. allerdings unter dem Gesichtspunkt "übernommener Sicherungspflichten" . Dem entspricht die hier zugrunde gelegte zweigeteilte Garantensystematik nicht. Gegen eine Vermengung dieser Gesichtspunkte mit überzeugenden Argumenten, Herzberg, Die Unterlassung, S. 348 f. 133 Formulierung von Geilen, FamRZ 1961, 147 (159), der allerdings i. E. die Möglichkeit der Gleichsetzung von Berufspflichten mit Garantenpflichten bezweifelt. 134 Maurach/Gössel, § 46 11 c S. 151. 135 Vgl. Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 52; Jescheck LK § 13 Rn. 45; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 62, 205; Schubarth, SchwZStr. 92 (1976) 370 ff.; Göhler, Dreher-FS, S. 611 ff. 138 Z. B. bei Schmidhäuser, AT, 16/61 S.677, der im Einzelfall nach der Schwere der rechtswidrigen Tat differenzieren will.
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einer Garantenpflicht zur Überwachung potentieller Straftäter viel zu weit geht. Im Gegensatz zu den anerkannten Autoritäts- und Aufsichtspersonen (Erziehungsberechtigte, militärische Vorgesetzte, Gefangenenaufseher etc.) hat es der Polizeibeamte nicht mit einer begrenzten Anzahl von potentiellen Delinquenten zu tun, sondern die Zahl der von ihm zu überwachenden "Gefahrenquellen"137 ist unübersehbar. Hier spielt wiederum das Kriterium der Vorsorgemöglichkeit und die damit verknüpfte Vorhersehbarkeit, die offenbar dem gesamten Überwachungsprinzip immanent ist1 38 , eine maßgebliche Rolle. Wie man aus Gründen mangelnder Vorsorgemöglichkeit nach dem oben Gesagten 138 nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden kann, daß Sachen in verkehrssicherem, ordnungsgemäßem Zustand unversehens zu Gefahrquellen degenerieren, darf der Polizeibeamte nicht deshalb für die Straftat eines Dritten verantwortlich gemacht werden, nur weil er sie faktisch und rechtlich in der ad hoc gegebenen Situation hätte verhindern können. Anders als Erziehungsberechtigte, militärische Vorgesetzte und Gefangenenaufseher kann der Polizeibeamte nämlich durch eigene vorbeugende Handlungen nicht im mindesten auf das Verhalten der möglichen Rechtsbrecher einwirken139 . Wegen der Anonymität des in Betracht kommenden Personenkreises fehlt ihm jede Möglichkeit zu vorbeugenden (im wahrsten Sinne des Wortes Oberwachungs-) Maßnahmen, d. h. es fehlt ihm jede Steuerungsmöglichkeit1 40 . Nur am Rande sei erwähnt, daß die Meinung, die eine Garantenpflicht des Polizeibeamten zur Verhinderung von Straftaten anerkennt, die Rechtslage unnötigerweise kompliziert, wenn es beispielsweise um die praktisch unverzichtbare Observationstätigkeit der Polizei geht. Diese Auffassung muß sich bei der Frage einer möglichen Beihilfe durch Unterlassen auf seiten der Polizei mit den keineswegs unumstrittenen Grundsätzen zum sog. agent provocateur behelfen141 . Bei der
137 Kritisch zur Betrachtung des Menschen als "Gefahrenquelle" Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 78. ISS Zur Bedeutung der Vorhersehbarkeit bei dinglichen Gefahrenquellen vgl. oben 4. Teil A. I. 1. d). 139 Anders als bei den dinglichen Gefahrenquellen (vgl. S. 328) stellt in diesem Zusammenhang auch Herzberg (Die Unterlassung, S. 356 f. Fn. 73) auf die prinzipielle Möglichkeit des Garanten ab, durch Vorsorgemaßnahmen auf die Gefahrenquelle Einfluß zu nehmen, wenn er ausführt: "Es geht viel zu weit, dem Polizisten, der die Lebensführung der ihn umgebenden Bürger prinzipiell nicht vorbeugend beeinflussen kann, zum überwachungsgaranten von jedermann zu ernennen." 140 I. E. ebenso Grünwald, ZStW 70, 418 ff. (425, 428), Rudolphi SK § 13 Rn. 36; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 363. 141 Vgl. nur Schönke!Schröder!Cramer § 27 Rn. 15; § 26 Rn. 16 m. w. N. u. BGH bei Dallinger, MDR 1967, 727.
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prinzipiellen Verneinung der Garantenstellung142 würde sich eine derartige Konstruktion von vornherein erübrigen.
b) Die Pflicht des Gastwirts zur Oberwachung seiner Gäste Freilich wäre die ÜberwachungsgarantensteIlung des Polizeibeamten, bejahte man sie überhaupt, im Gegensatz zu der des Gastwirts nicht auf bestimmte Räumlichkeiten beschränkt, sondern sie gälte generell. Dennoch eignet sich das Beispiel des Polizeibeamten, eine Parallele zu ziehen, die deutlich macht, daß der Gastwirt aus ähnlichen Erwägungen und erst recht nicht als Überwachungsgarant für potentielle Straftäter innerhalb seiner Gasträume in Betracht kommt. Der Gastwirt ist ebensowenig wie der Polizeibeamte einer oder mehreren bestimmten Personen als Aufsichtsperson "zur Seite gestellt". Weder ist es seine Aufgabe noch hat er die Möglichkeit, permanent seine Gäste daraufhin zu überwachen, daß sie keine Straftaten begehen. Wenn überhaupt, so kann der Gastwirt nur in einer Hinsicht vorbeugend auf das Verhalten seiner Gäste einwirken, nämlich durch das Unterlassen des Ausschankes von Alkohol. Doch hat dies selbstverständlich nichts mit einem Autoritäts- oder Aufsichtspflichtverhältnis zu tun. Vielmehr ist damit bereits der noch an anderer Stelle 143 zu erörternde Bereich der Ingerenz berührt. Auch das Gaststättenrecht weist dem Gastwirt keine besondere ÜberwachungsgarantensteIlung über seine Gäste ZU 144 • Zwar ist die Erlaubnis zum Betrieb einer Gaststätte gern. § 4 Abs. 1 Ziff. 1 GaststG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Antragsteller werde dem verbotenen Glücksspiel, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit Vorschub leisten, und aus denselben Gründen kann gern. § 15 Abs. 2 GaststG die Erlaubnis zurückgenommen werden. Doch geht es in diesen Vorschriften ausschließlich um präventive Maßnahmen der zuständigen Behörde zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die durch die persönliche Unzuverlässigkeit des Gastwirts typischerweise gefährdet sind. Indessen reichen die genannten Vorschriften keineswegs so weit, vom Gastwirt dieselbe Zuverlässigkeit wie etwa VOn einem "Hilfspolizisten"145 zu verlangen und ihn überdies mit noch mehr Pflichten auszustatten146 • So kann den Vorschriften des Gaststättenrechts nicht etwa die strafrechtlich relevante Überwachungs142 Auch aus dem Gesichtspunkt eines Beschützergarantieverhältnisses, dazu Herzberg, Die Unterlassung, S. 356; a. A. Jescheck, AT, § 59 IV 4 c S. 510. 143 Unten 4. Teil A. IH. 144 A. A. Maurach/Gössel, § 46 H 2 c, S.151; vgl. auch RGSt 58, 300. 145 Formulierung von Stratenwerth, AT, Rn. 1020 f. 146 Wenn man einmal davon ausgeht, daß nach der hier zugrunde gelegten Auffassung ja nicht einmal der Polizeibeamte überwachungsgarant zur Verhinderung von Straftaten ist.
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pflicht des Gastwirts entnommen werden, jede noch so verbissen kämpfende Würfelrunde daraufhin zu kontrollieren, ob nicht vielleicht die harmlos scheinenden Zündhölzer jeweils Platzhalter für beträchtliche Geldsummen darstellen147 • Im übrigen versagt der Hinweis auf das Gaststättenrecht ohnehin, wenn es um andere als die dort ausdrücklich genannten Straftaten geht. Nicht zuletzt dies dürfte ein Grund gewesen sein, der den BGH148 dazu veranlaßt hat, die Frage, ob sich die Rechtspflicht des Gastwirts, Straftaten in seiner Gaststätte zu verhindern, aus dem Gaststättenrecht ergibt, im "Schamhaar"-Fall (in dem es u. a. um eine gefährliche Körperverletzung ging), offenzulassen. Soweit der BGH ausführt, der Gastwirt habe in den Räumen, über die er die Verfügungsgewalt habe, jedenfalls für Ordnung zu sorgen, insbesondere habe er seine Gäste vor den Ausschreitungen anderer Gäste zu schützen, ist der erste Satz aus dem Blickwinkel des Überwachungsprinzips nach dem Gesagten nicht akzeptabel. Der Gastwirt hat mangels Bestehens eines Autoritätsverhältnisses keine strafrechtlich relevante Pflicht zur Überwachung des Disziplin seiner Gäste. Inwiefern der zweite Satz zutrifft, in dem der BGH eine mögliche Beschützergarantenstellung des Gastwirts (jedenfalls partiell bezüglich der Ausschreitung anderer Gäste) zum Ausdruck bringt, wird im Rahmen der Obhutsgarantieverhältnisse zu untersuchen sein149 . c) Vberwachungspflichten des Betriebsinhabers
Vorab ist jedoch am Zusammenhang mit der potentiellen überwachungsgarantenstellung des Gastwirts ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen, der genaugenommen nicht nur ein spezifisches Problem der Gastwirtshaftung betrifft. Nicht zu vernachlässigen ist nämlich, daß der Gastwirt regelmäßig auch Inhaber eines Betriebes, also Geschäftsherr, ist. Als Geschäftsherr könnte er immerhin für das Verhalten seines Personals, zu dem ein gewisses Autoritäts- und Aufsichtspflichtverhältnis nicht von vornherein zu leugnen ist, als Überwachungsgarant strafrechtlich verantwortlich sein. Die im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Haftung des Geschäftsherrn auftretenden Fragen sind bis heute allerdings wenig diskutiert. Vieles ist noch ungeklärt. Das Reichsgericht hat die Pflicht des Geschäftsherrn zur Überwachung seines Personals in ständiger Rechtsprechung bejaht1 50 , wobei es sich Vgl. aber auch Schönke/Schröder/Eser § 284 Rn. 17. BGH, NJW 1966, 1763. 148 Siehe unten 4. Teil B. 150 RG Rspr. 6, 236 (238 f.); GA 44, 398 (399); JW 1916, 205 m. Anm. Frank; eine übersicht über die Rspr. gibt Schünemann, Unternehmenskriminalität, S.70-77. 147
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zur Begründung entsprechend der damals herrschenden Rechtspflichtdoktrin überwiegend auf außerstrafrechtliche Normen (z. B. § 151 GewO a. F.)151 oder Analogien zu diesen Normen stützte152 • Demgegenüber wird im neueren Schrifttum versucht, die GarantensteIlung des Betriebsinhabers im zweigeteilten Garantensystem unter der Rubrik der Verantwortung für bestimmte Gefahrenquellen einzuordnen. Dabei ist der Gedanke leitend, daß der Betriebsinhaber innerhalb des bestehenden Autoritäts- und Aufsichtsverhältnisses die Gefahren beherrschen muß, die von den zu überwachenden Personen ausgehen153• Wenig klar sind allerdings Grund und Grenzen dieser Haftung. Insbesondere ist es bedenklich, wenn das aus dem Direktionsrecht des Betriebsinhabers sich ergebende Autoritätsverhältnis nicht etwa nur auf Betriebsangehörige beschränkt wird, sondern allgemein eine Haftung des Betriebsinhabers für im räumlichen Bereich des Betriebes tätig werdende Personen aus dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für das Geschehen auf dem Betriebsgelände in Erwägung gezogen wird154 . Letzteres kommt aus den bereits genannten Gründen nicht in Betracht. Zum einen besteht gegenüber betriebsfremden Personen keine rechtliche befehlsgewalt, d. h. kein Autoritätsverhältnis, das auf das innerbetriebliche Direktionsrecht des Geschäftsherrn zurückgeführt werden kann155• Autorität ließe sich gegenüber Betriebsfremden nur mit dem Hausrecht des Betriebsinhabers begründen mit der bereits erörterten Folge156 , daß der Geschäftsführer diese Personen nur von seinem Grundstück weisen könnte, dazu aber nicht einmal verpflichtet wäre. Zum anderen fehlt es im Verhältnis zu betriebsfremden Personen an der erforderlichen vorbeugenden Einwirkungs- bzw. Steuerungsmöglichkeit des Geschäftsherrn. Während die Anzahl der Betriebsangehörigen begrenzt ist, ist die Zahl betriebsfremder Personen, die Zutritt zu dem Betrieb haben, sei es als Zulieferer oder als Kunden, prinzipiell unbegrenzt. Deren Lebensführung kann der Geschäftsherr in gar keiner Weise vorbeugend beeinflussen. Von daher kommt eine überwachungsgarantenstellung überhaupt nur im Hinblick auf das eigene Personal in Betracht. RGSt 24, 295; 50, 14; 72, 28. RGSt 58, 135. 153 Insbesondere Thiemann, Diss., S.15-19; A. A. ist Jakobs, AT, 29/36, der Betriebsinhaber habe bzgl. des Verhaltens seiner Mitarbeiter kein Gestaltungsrecht. 154 Thiemann, Diss., S. 15-19. 155 Schubarth, SchwZStr. 92, 370 ff. (390 f.). 158 S. O. 4. Teil A. 11. 1. 151 152
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre aal Die Pflicht des Betriebsinhabers zur Verhinderung von Straftaten
Vergegenwärtigt man sich noch einmal die Ausführungen zur Bedeutung und zum Inhalt der Autorität, dann kann kein Zweifel bestehen, daß die bloße Betriebsinhaberschaft dem Geschäftsherrn im Verhältnis zu seinen Angestellten Geltung und Einfluß verschafft. In den Grenzen des (Arbeits-, Betriebsverfassungs-, Wettbewerbs-)Rechts ist der Handlungsspielraum des Betriebsinhabers gewaltig. Demgegenüber obliegt dem einzelnen Arbeitnehmer regelmäßig nur die Verrichtung bestimmter Tätigkeiten. über das Was und das Wie entscheidet der Geschäftsherr. Freilich bedeutete die bloß faktische Autoritätsstellung des Betriebsinhabers nichts, würde sie nicht durch das Recht Anerkennung erfahren. Die Befugnis des Betriebsinhahers, den Arbeitnehmern Weisungen über Ort, Art und Zeit der Arbeit sowie das Verhalten im Betrieb zu erteilen, also das sog. Direktions- und Weisungsrecht, ist fundamentaler Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts. Die Stellung des Arbeitgebers ist dadurch gekennzeichnet, daß er der alleinige Inhaber der gebündelten Direktionsbefugnisse gegenüber allen Arbeitnehmern und gegenüber den Inhabern delegierter Direktionsbefugnisse in den Zwischenstufen der Hierarchie ist l57 • Demgemäß darf etwa auch der Betriebsrat nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebes eingreifen, § 77 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. (1) § 130 OWiG als normative Grundlage
Die rechtliche Anerkennung der Autoritäts- und Aufsichtsstellung des Betriebsinhabers im Verhältnis zu seinem Personal ist insoweit unbestreitbar. Entscheidend ist nun aber, ob auch die aus diesem Autoritätsverhältnis angeblich resultierende PflichtensteIlung rechtliche Anerkennung erfahren hat, insbesondere, ob die Pflicht des Betriebsinhabers anzuerkennen ist, Straftaten seiner Arbeitnehmer zu verhindern. Eine dem § 357 oder dem § 41 WStG entsprechende Vorschrift existiert im Bereich der privaten Wirtschaft nicht. Vielfach wird deshalb auf § 130 OWiG abgestellt l58 , wonach der Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens I59 , der vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsrnaßnahmen unterläßt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, ordnungswidrig handelt, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht hätte ver157 158 159
Vgl. nur Hanauf Adomeit, Arbeitsrecht, DIll c S. 98. Vor allem GÖhler, Dreher-FS., S. 621, m. w. N. Bzw. die ihm gern. § 130 Abs. OWiG gleichgestellten Personen.
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hindert werden können. Mit dieser Vorschrift, meint Göhler l60 , sei die Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers sogar gesetzlich in einer Weise festgelegt worden, wie dies bei den sonst in Betracht kommenden ,Garanten' i. S. d. § 13 nirgendwo der Fall sei. (2) Einwand und Stellungnahme
Der unmittelbaren Ableitung der Garantenstellung des Geschäftsherrn aus § 130 OWiG haben vor allem J escheck 161 und Rudolphi162 widersprochen. Sie stellen darauf ab, daß die Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet sei. Da eine den §§ 357, 41 WStG entsprechende Vorschrift fehle, dürfe sie auch nicht im Wege der Anerkennung eines unechten Unterlassungsdeliktes eingeführt werden. Gegen die Annahme einer solchen Exklusivität des § 130 OWiG spricht allerdings seine Entstehungsgeschichte. So heißt es in der Begründung der Bundesregierungl63 , die Qualifikation als Ordnungswidrigkeit sei deshalb gerechUertigt, weil die Verletzung der Aufsichtspflicht kein sozial ethisches Unrecht darstelle, sondern eine bloße Verletzung von Ordnungsvorschriften bedeute. Wenn sich der Geschäftsherr darüber hinaus sogar an der Straftat beteilige, so könne er nach den Vorschriften des StGB über die Teilnahme zur Verantwortung gezogen werden, ebenso dann, wenn er durch Verletzung der Aufsichtspflicht fahrlässig eine Straftat begehe. Daß sich der Geschäftsführer nach den Vorschriften des StGB durch Unterlassen an den Straftaten seiner Untergebenen beteiligen kann, ergibt sich m. E. deutlicher noch als aus der direkten Anwendung des § 130 OWiG aus der auffälligen strukturellen Ähnlichkeit der Autoritätsstellung des Betriebsinhabers mit der Stellung der anderen anerkannten Autoritätsund Aufsichtspersonen (Erziehungsberechtigte, Lehrer, milit. Vorgesetzte etc.). So gesehen ist § 130 OWiG nur Ausdruck eines allgemeinen gesetzlichen Prinzips, wonach den Geschäftsherrn die Sonderverantwortlichkeit trifft, seine Angestellten zu überwachen und zu kontrollieren. (a) Die deliktische Geschäftsherrnhaftung gern. § 831 BGB Betrachtet man beispielsweise einmal die zivilrechtliche Ausgestaltung von Aufsichts- und überwachungspflichten im Deliktsrecht, dann wird· die strukturelle Parallelität besonders augenfällig. Ebenso wie 160 161
Göhler, Dreher-FS., S.62!.
J escheck LK § 13 Rn. 45.
Rudolphi SK § 13 Rn. 35 a. BR-Drucks. 420/66, S. 68; ausführlich dazu Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 68-70. 162
163
8 Landsdleldt
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die Erziehungsberechtigten gem. § 832 BGB unerlaubte Handlungen der zu beaufsichtigenden Personen verhindern müssen und sie insoweit schon im Vorfeld der Deliktsverwirklichung eine umfassende Aufsichtspflicht trifft, muß gem. § 831 BGB der Geschäftsherr seine Verrichtungsgehilfen nicht etwa nur sorgfältig auswählen (was strafrechtlich allenfalls unter dem Gesichtpunkt der Ingerenz Bedeutung haben könnte), sondern ist der Geschäftsherr insbesondere zur planmäßigen fortdauernden überwachung mit unerwarteten Kontrollen verpflichtet 164. Die Erfüllung von Pflichten liegt originär in den Händen des Betriebsinhabers. überträgt er Pflichten, so hat er deren Erfüllung ständig zu beaufsichtigen. Diesem Zweck dienen die Weisungsbefugnisse. Was es rechtfertigt, in diesen Fällen die Autoritätspersonen strafrechtlich gleichermaßen als überwachungsgaranten anzusehen, ist die Tatsache, daß die für die Haftung maßgeblichen Kriterien im wesentlichen bei allen vorliegen: es besteht ein Subordinations- und Autoritätsverhältnis mit z. T. weitgehender wirtschaftlicher und/oder sozialer Abhängigkeit des Untergeordneten, wobei die Autoritätsperson weisungsbefugt ist, so daß sie das Verhalten der untergeordneten Person schon im Vorfeld der Deliktsbegehung beeinflussen kann165 . (b) Kriminalpolitische überlegung Auch aus kriminalpolitischer Sicht ist es sinnvoll und notwendig, der Teil-Verantwortlichkeit bzw. der "partiellen Unmündigkeit"166 des Untergebenen mit der besonderen Inpflichtnahme des Geschäftsherrn ein Gegengewicht zu verleihen. Dies ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität für die dort im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Folgen eines kriminellen Unternehmens. Der Angestellte, der im mutmaßlichen oder wirklichen Interesse des Betriebsinhabers illegale Geschäfte macht167 , muß für den Fall der Entdeckung im Gegensatz zum Betriebsinhaber, wäre jener der Täter, nicht etwa um den Fortbestand des gesamten Betriebes fürchten. Partielle wirtschaftliche Verantwortlichkeit des Angestellten bedeutet hier für den Angestellten selbst ebenso wie für den Betriebsinhaber kalkulierbares Risiko 168. Waren die Geschäfte zudem per saldo 164 Palandt/Thomas, § 831 Anm. 6 b; BGH LM § 823 (D c) Nr. 23. 165 Schünemann spricht insoweit treffend von "partieller Unmündigkeit" des Untergebenen, vgl. Grund und Grenzen, S.328; Unternehmenskriminalität, S. 102. 166 S. den Nachweis in der vorstehenden Fn. 167 Ähnlich im sog. Bührle-Fall, entschieden vom schweiz. Bundesgericht BGE 96 IV S. 155; dazu Schubarth, SchwZStr. 92, 370 ff. 168 Das selbstverständlich daneben bestehende Risiko des Angestellten, bestraft zu werden, steht demgegenüber im Hintergrund, zumal es finanziell entsprechend entschädigt werden kann.
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für den Betrieb trotz des Eingreifens der Strafverfolgungsbehörden lohnenswert, wird die Stellung des Angestellten im Betrieb eher gefestigt denn in Gefahr sein169. Nach außen hin hätte der selbst nicht aktiv beteiligte Betriebsinhaber selbst vielfältige Möglichkeiten, sich hernach von den Aktivitäten seines Angestellten zu distanzieren 17o . Genausowenig wie sich z. B. Eltern die Strafunmündigkeit ihrer Kinder zunutze machen dürfenl7l , darf jedoch dem Betriebsinhaber die nur partielle wirtschaftliche Verantwortlichkeit des weisungsabhängigen Untergebenen zum Vorteil gereichen. Vielmehr müssen Autoritätsund Aufsichtspersonen stets ihre rechtliche Befehlsgewalt einsetzen, Straftaten zu verhindern. bb) Beschränkung der Eingriffspflichten auf betriebs bezogene Straftaten Der Umstand, daß die rechtliche Befehlsgewalt des Betriebsinhabers Ausfluß seines umfassenden innerbetrieblichen Direktionsrechts ist, bedeutet andererseits natürlich, daß er nicht jede beliebige, sondern nur betriebsbezogene Straftaten zu verhindern hat 172 . Die Abwendungspflicht kann nur in den Grenzen der rechtlichen Befehlsgewalt bestehen. Dies zeigt schon das Beispiel des Lehrers, dessen rechtliche Befehlsgewalt nur auf den Schulbetrieb beschränkt ist und der deshalb nur im Rahmen des Schulbetriebes Straftaten von Schülern verhindern muß. Für außerhalb des Schulbetriebes begangene Straftaten ist er grundsätzlich nicht verantwortlich173. Dem vergleichbar ist das Weisungs recht des Betriebsherrn von vornherein nur auf betriebliche Angelegenheiten beschränkt, die Privatsphäre des Betriebsangehörigen ist also in jedem Falle ausgenommen174 • Was freilich Betriebsbezogenheit der Straftat bedeutet, läßt sich allgemein nur schwer sagen und ist anhand des jeweiligen Einzelfalles sorgfältig zu überprüfen. Der alleinige Hinweis auf die Bedeutung des Begriffs der BetriebsbE:zogenheit in § 130 OWiG175 ist für die allgemeine 169 Eingehend zu der kriminogenen Wirkung der Eingliederung in einen Betrieb, Schünemann, Unternehmens kriminalität, S. 18 ff. 170 So geschehen im Bührle-Fall; vgl. dazu die bei Schubarth, SchwZStr. 92, 370 wiedergegebene Einlassung des Betriebsinhabers Bührle. 171 Vgl. nur RGSt 52, 203 (294). 172 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 52; Göhler, Dreher-FS., S. 621. 173 Was deutlich macht, daß faktische Autorität ohne rechtliche Befehlsgewalt strafrechtlich irrelevant ist. 174 Vgl. das Beispiel von Pfleiderer, Die Garantenstellung, S.132: ein Fabrikinhaber verhindert nicht, daß einer seiner Arbeiter in der FabrikhaUe gegen seine Ehefrau tätlich wird, die ihn dort kurz vor einem Scheidungstermin aufsucht. 175 Göhler, Dreher-FS., S.621.
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strafrechtliche Unterlassungsdogmatik allerdings insofern problematisch, als dort mit den betriebsbezogenen Pflichtverletzungen vor allem solche gemeint sind, die den Betriebsinhaber in einer bestimmten Eigenschaft als Normadressaten treffen, dagegen die Erfüllung von Tatbeständen des StGB grundsätzlich nicht erfaßt sein SOIl176. Zur näheren Ausgestaltung der GarantensteIlung gibt wiederum die zivilrechtliche Vorschrift des § 831 BGB, die das Aufsichtspflichtverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Verrichtungsgehilfen regelt, einen hilfreichen Hinweis. Der Geschäftsherr haftet nur für solche unerlaubten Handlungen, die der Untergebene in Ausführung der Verrichtung begeht und die nach ihrer Art und ihrem Zweck mit dieser auch in unmittelbarem, innerem Zusammenhang stehen 177 • Dabei kann sich dieser innere Zusammenhang je nach Einzelfall sowohl aus räumlichen wie sachlichen als auch personal bezogenen Kriterien ergeben 178 . Demgemäß wird man den Geschäftsherrn als Überwachungsgaranten dafür ansehen müssen, daß sein Personal nicht "typischen beruflichen Versuchungen"179 erliegt. Der Casino-Besitzer muß gegen Manipulationen seines Personals beim Spiel ebenso einschreiten wie der Diskotheken- oder Barbesitzer gegen die diskriminierende oder gar gewalttätige Behandlung z. B. von farbigen Besuchern durch seine "Türsteher". Im Ergebnis ist festzuhalten, daß eine ÜberwachungsgarantensteIlung zur Verhinderung von Straftaten hinsichtlich der diskutierten beruflichen Sonderstellungen wegen der strukturellen Ähnlichkeit mit den anerkannten Autoritätsverhältnissen nur für den Betriebsinhaber zu bejahen ist, wobei die Garantenpflichten durch das Erfordernis der Betriebsbezogenheit der Straftat und die restriktive Auslegung dieses Begriffs erheblich eingeschränkt sind. Unter Überwachungsgesichtspunkten muß der Gastwirt als Geschäftsherr gegebenenfalls gegen Ausschreitungen seines Personals vorgehen, nicht aber mangels Autoritätsstellung und rechtlicher Befehlsgewalt gegen strafbares Handeln seiner Gäste. Die Tatsache, daß die Straftat innerhalb eines bestimmten Raumes (z. B. des Geschäftslokals) begangen wird, hat auch hier keine eigenständige garantenpflichtbegründende Bedeutung, sondern ist ein Kriterium unter vielen für die Beantwortung der Frage nach der Betriebsbezogenheit der Straftat. Dementsprechend wird man z. B. den Hotelier für verpflichtet halten müssen, zu verhindern, daß der Zimmerkellner die Brieftasche aus der abgelegten Garderobe des Gastes 176 Streitig, zum Meinungsstand vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 115. 177 Vgl. Palandt/Thomas, § 831 Anm. 4; BGH, NJW 1971, 31 (32). 178 Vgl. Thiemann, Diss., S. 21. 178 Formulierung von Fikentscher, Schuldrecht, § 107 I, 2.
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zieht. Wohl abzulehnen sein wird dagegen seine GarantensteIlung, wenn der Kellner sich anschickte, einen vor dem Hotel geparkten Wagen aufzubrechen. Denn der Hotelparkplatz gehört typischerweise nicht zum Arbeitsbereich des Zimmerkellners. Insoweit sind die "Versuchungen" für den Kellner nicht größer als für beliebige Dritte. 3. Zusammenfassung
Weder das Hausrecht noch durch einen Beruf begründete Autoritätsstellungen als solche lassen Überwachungsgarantieverhältnisse entstehen, aufgrund derer jemand verpflichtet ist, innerhalb bestimmter Räumlichkeiten Straftaten Dritter zu verhindern. Eine Ausnahme ist für den Betriebsinhaber im Verhältnis zu seinem Personal anzuerkennen, da dieses Verhältnis in den entscheidenden Merkmalen (Subordination, Weisungsgebundenheit, wirtschaftlich/soziale Abhängigkeit, partielle Verantwortung des Untergebenen) den anerkannten Autoritätsverhältnissen (von Erziehungsberechtigten, Lehrern und den gesetzlichen Fällen der §§ 357, 41 WStG) strukturell ähnlich ist. Eine bedeutende Einschränkung erfolgt durch das Erfordernis der Betriebsbezogenheit der Straftat. Dieses Merkmal liegt vor, wenn ein enger, innerer Zusammenhang zwischen Delikt und betrieblicher Tätigkeit festzustellen ist. Indiz für einen solchen engen Zusammenhang kann u. a. die Tatsache sein, daß die Straftat innerhalb der Betriebsräume begangen wird. Selbständige Bedeutung kommt diesem Umstand dagegen nicht zu. UI. Gefahrschaffendes Vorverhalten des Rauminhabers
Die Haftung des Rauminhabers aus Ingerenz wird in Rechtsprechung und Lehre im wesentlichen anhand von fünf Fallkonstellationen diskutiert: -
die vorsätzliche, aber (z. B. durch Notwehr l80 ) gerechtfertigte Einschließung eines Dritten in einem Raum
-
die versehentliche Einschließung eines Dritten181
-
die Schaffung der Gefahr von Straftaten durch Auswahl und Zusammenführung von Gästen durch den privaten Gastgeber182
180 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 36; Jescheck LK § 13 Rn. 33; Rudolphi SK § 13 Rn. 40 a. 181 RGSt 24, 339; GA 62, 348. lB! BGHSt 27,10.
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-
der Ausschank von Alkohol durch den Gastwirt1 83 bzw. durch den privaten Gastgeber
-
und schließlich die Verabreichung von Betäubungsmitteln und die Ermöglichung der Einnahme dieser Mittel in der privaten Wohnung l84 •
Seit Jahrzehnten kreist im Bereich der Ingel"enz die nicht enden wollende Diskussion um die Frage, ob das gefahrschaffende Vorverhalten zur Auslösung der Garantenpflichten objektiv pflichtwidrig sein muß. Das Schrifttum ist gespalten, wobei die im Vordringen befindliche Auffassung zur Begrenzung der Ingerenzhaftung die Notwendigkeit einer pflichtwidrigen Vorhandlung bejaht 185 • Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung tendiert dazu, eine pflichtwidrige Vorhandlung zu verlangen 186 • Wenngleich auch die Warnung vor einer allzu schematischen Anwendung des Pflichtwidrigkeitserfordernisses ernst zu nehmen ist1 87 , ist der h. M. dem Grundsatz nach zu folgen, weil aus rechtmäßiger Verursachung einer Gefahr nicht die schwere Belastung mit der Garantenpflicht für die Abwendung der aus der Gefahr herrührenden Schäden entstehen kann188• 1. Die vorsätzliche, aber gerechtfertigte Einschließung eines Dritten in einem Raum Schon nach der engeren Auffassung der h. M. kann die GarantensteIlung desjenigen, der einen anderen in Notwehr oder sonst gerechtferBGHSt 4, 20; 19, 152; 26, 35 (38). DLG Stuttgart, NJW 1981, 182. 186 Blei, AT, § 87 I 2 c S. 324; Bringewat, MDR 1971, 716; Eser, Strafrecht 11, Fall 27/19 S.64; Henkel, Mschkrim 1961, 183; Jescheck, AT § 59 IV 4 a S.507; Lackner § 13 Anm. 3 a dd; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 157 ff.; ders. SK § 13 Rn. 39; Schmidhäuser, AT, 16/54 S. 673; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 35; Welzel, Lb. § 28 A I 4 S.216; WesseIs, AT, § 16 11 6 c S.196; vgl. auch v. Hippel Bd. 11, S. 166; Kohlrausch/Lange, Deutsches Strafrecht, 11 3 d vor § 1. A. A. Baumann, AT § 18 11 3 c S. 258; Bockelmann, AT, § 17 B I 6 c aa S. 136 f.; Dreher/Tröndle § 13 Rn. 11; Herzberg, Die Unterlassung, S. 294 ff.; ders. JuS 1971, 74; Maurach/Gössel, AT § 46 11 C 5 c S. 155; Welp, Handlungsäquivalenz, S. 209 ff. (262, 272); differenzierend Arzt, JA 1980, 553 ff. (715); Jakobs, AT, 29/39 S. 667 ff.; Maiwald, JuS 1981, 473 ff. (482); Dtto, NJW 1974, 528 ff. (534); Stratenwerth, AT, Rn. 1008. Die Ingerenz gänzlich ablehnend Schünemann, Grund und Grenzen, S. 317 ff. u. ders. GA 1974, 231. 188 BGHSt 23, 327; 25, 218, 26; 26, 35. 187 Geilen, AT § 44 11 2 c, S. 246, wobei allerdings für das dort angeführte Beispiel der Rückrufpflicht des Autoherstellers bei unerkennbaren Materialfehlern nicht der Gesichtspunkt der Ingerenz, sondern vielmehr die Haftung für verkehrsunsichere Zustände einschlägig sein dürfte (vgl. auch von Bar, Verkehrspflichten, S. 52; Palandt/Thomas, § 823 Anm. 16 D ce). Das Beispiel zeigt, daß die Verkehrspflichten die faktische Sachherrschaft sogar überdauern können. 188 Jescheck LK § 13 Rn. 33. 183 184
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tigt einsperrt und diesen Zustand nach Beendigung der Rechtfertigungslage aufrechterhält, nicht zweifelhaft sein. Denn von dem Grundsatz, daß allein rechtmäßiges Verhalten die Ingerenzgarantenstellung nicht begründen kann, gilt es eine Ausnahme zu machen, wenn jemand gerechtfertigterweise einen Dauerzustand schafft 189 • In dem Sonderfall, daß die Freiheitsberaubung von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt ist (z. B. jemand sperrt einen wild um sich schlagenden Betrunkenen ein190), kommt der Tatsache, daß die Herbeiführung des Zustandes des Eingesperrtseins von einem Dauerdelikt erfaßt wird, insofern besondere Bedeutung zu, als das Dauerdelikt durch die Herbeiführung des Zustandes grundsätzlich nicht abgeschlossen ist, sondern durch die Aufrechterhaltung des Zustandes erneut begangen wird 191 • Ist die vorsätzliche Einschließung von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt, dann ist die in ihr normalerweise zu sehende Pflichtwidrigkeit durch einen Ausnahmetatbestand ausgesetzt. Dieser Ausnahmetatbestand gilt jedoch nur zeitlich begrenzt, solange die Rechtfertigungslage andauert. Die GarantensteIlung ist gleichsam aufschiebend bedingt, und die Pflicht zum Aufschließen setzt mit dem Fortfall der Rechtfertigungslage automatisch ein. Es liegt nämlich in der Natur der Rechtfertigungsgründe, daß die Beeinträchtigung fremder Interessen nur im Rahmen des Erforderlichen erlaubt sein kann192 • Fallen die rechtfertigenden Voraussetzungen für den Fortbestand des Dauerzustandes weg, so wird die GarantensteIlung aktuell, und die in der Aufrechterhaltung des Zustandes zu sehende Deliktsverwirklichung wird rechtswidrig. Deshalb ist der Täter der Einsperrung als Garant verpflichtet, den Eingesperrten nach Wegfall der rechtfertigenden Voraussetzungen unverzüglich freizulassen 193 • Wer so argumentiert, könnte sich allerdings dem Vorwurf ausgesetzt sehen, daß es sich hier nicht um eine Besonderheit des Dauerdeliktes handele. Vielmehr gelte der allgemeine Grundsatz, daß die Beeinträchtigung fremder Interessen nur im Rahmen des Erforderlichen zulässig sei mit der Folge, daß man etwa auch den bei der Verteidigung verletzten Angreifer (abgesehen von der allgemeinen Hilfspflicht nach § 323 c) nicht einfach verbluten lassen dürfe, weil ja der Tod zur Abwehr des Angriffs nicht mehr erforderlich sei194 • 188 Rudolphi SK § 13 Rn. 40 a; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 36; Jescheck LK § 13 Rn. 33. 190 Beispiel bei Rudolphi u. Stree s. o. Fn. 189. 191 Vgl. Schönke/Schröder/Stree Vorbem. § 52 ff. Rn. 81. 192 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 36. 183 Vgl. auch Welzel, Lb. S.215. 104 Vgl. das Beispiel bei Herzberg, Die Unterlassung, S.295; Maurach/GösseI, AT, § 4611 5 c S. 156; Baumann, AT, § 1811 3 c, S. 258.
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Indes wäre der Einwand nicht stichhaltig, kommt es doch für die Erforderlichkeit ausschließlich auf die Verteidigungshandlung, nicht aber auf den Abwehrerfolg an195 • Ist es erforderlich, den Angreifer niederzuschlagen, kommt es auf die Folgen des Schlages nicht an. Der "Verteidiger" darf aber den Niedergeschlagenen und am Boden Liegenden nicht mit Füßen treten. Tut er es dennoch, macht er sich wegen dieser weiteren Handlung nach § 223 (ggf. nach § 223 a) strafbar. Die Besonderheit des Dauerdelikts besteht darin, daß derjenige, der vorsätzlich einen Dauerzustand geschaffen hat, nicht mehr aktiv werden muß, um das Delikt neuerlich zu begehen. Dies bedeutet für die vorliegende Konstellation: ist die Rechtfertigungslage beendet, verhält sich jede weitere Minute der Untätigkeit gleichsam "wie ein Fußtritt" gegen den am Boden Liegenden im genannten Beispiel. 2. Die versehentliehe Einschließung eines Dritten
Anders liegen die Dinge in der zweiten Fallkonstellation. Verschließt jemand eine Wohnung, ein Haus oder einen Geschäftsraum, obwohl sich dort noch ein Mensch aufhält, so wird ihm in aller Regel eine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen sein. Privatwohnungen, Häuser und kleine Geschäfte sind in den seltensten Fällen derart unübersichtlich, daß sich dort Aufhaltende nicht bemerkt werden können 196 , und niemand darf sich beim Abschließen ungeprüft darauf verlassen, daß der Zurückbleibende einen eigenen Schlüssel hat. Wesentlich strenger noch sind die Sorgfalts anforderungen an Inhaber von Räumlichkeiten, in denen beträchtlicher Publikumsverkehr herrscht. In Warenhäusern etwa muß das zuständige Personal wenigstens in Umkleidekabinen und Toiletten nachsehen, ob ein Kunde den Geschäftsschluß - aus welchen Gründen auch immer - "verschlafen" hat (was meist schon im Interesse des Kaufhauses geschehen wird!). Auch in Museen und Galerien sind regelmäßig derartige Vorkehrungen zu treffen, sei es durch besondere Hinweise auf die Schließungszeiten, durch Lautsprecheranlagen oder durch Klingelzeichen. Ebenso müssen Hausmeister von Büro-, Schul- oder anderen öffentlichen oder privaten Gebäuden im Rahmen des Zumutbaren dafür Sorge tragen, daß sich bei Büro- oder Schulschluß niemand im Gebäude aufhält, der es selbständig nicht mehr verlassen könnte. Werden diese Sorgfaltsanforderungen nicht erfüllt, ist die Einschließung objektiv pflichtwidrig. Der Einschließende ist als Garant verpflichtet, sobald er von dem Mißgeschick erfährt, für die Befreiung des Ein195
Siehe nur Schönke/Schröder/Lenckner § 32 Rn. 38; auch Maiwald, JuS
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Was in RGSt 24, 339 Tatfrage gewesen wäre.
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geschlossenen zu sorgen. Nur in seltenen Ausnahmefällen wird es passieren können, daß es trotz völlig korrekten Verhaltens desjenigen, der die Tür verschließt, zur Einsperrung kommt. So kann der Museumswärter bei aller Sorgfalt nicht verhindern, daß ein Besucher kurz vor Schließung aus Neugierde Restaurations- oder Abstellräume verbotenerweise aufsucht und deshalb bei dem abschließenden Kontrollgang nicht bemerkt wird. Nur diejenige Auffassung, die die objektive Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung nicht verlangt 197 , kann hier den Museumswärter als Garanten ansehen. Gleichwohl nehmen einige Autoren 198 entgegen ihrer Prämisse, daß nur pflichtwidriges gefährliches Vorverhalten zur Haftung führen könne, auch dann eine Ingerenzgarantenstellung an, wenn jemand einen anderen "aus Versehen" - also nicht in Notwehr und ohne jeglichen Sorgfaltsverstoß - eingesperrt hat199 • Abgesehen davon, daß diese Autoren die besondere Inpflichtnahme ohne vorangegangenen Sorgfaltsverstoß dogmatisch nicht begründen können, führt die Auffassung zu einer in keiner Weise gerechtfertigten Verlagerung der Verantwortung. Allein der Umstand, daß jemand seine Rechtsgüter unnötigerweise bestimmten Risiken preisgibt, kann nicht die Einstandspflicht eines Dritten begründen, der sich pflichtgemäß verhalten hat. Aus diesem Grunde ist der Museumswärter im o. g. Beispiel nicht Garant. Die Gefahr, daß hierdurch unerträgliche Strafbarkeitslücken aufgerissen werden, besteht nicht. Der Wärter, der den Kunstfreund bis zum nächsten Morgen "schmoren" läßt, riskiert (außer seiner Anstellung) die Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung - eine angemessene Ahndung20o • 3. Die Schaffung der Gefahr von Straftaten durch Auswahl und Zusammenführung von Gästen durch den privaten Gastgeber
Im "Rentner"-Fa1l201 führt der BGH aus, der Gast dürfe sich jedenfalls dann auf den Beistand des Wohnungsinhabers verlassen, wenn die Bedrohung von einem anderen Gast ausgehe, "den der Wohnungsinhaber selbst mit in die Wohnung gebracht" habe. Völlig zu Recht wird 197 Vgl. oben die in Fn.185 als Vertreter der Gegenmeinung aufgeführten Autoren. 198 Z. B. Lackner § 239 Anm.2; Schmidhäuser, AT, 16/52. 199 Kritisch auch Horn SK § 239 Rn. 11. 200 I. E. wie hier RG GA 62, 348; Horn SK § 239 Rn. 11; vgl. auch Jescheck LK § 13 Rn. 33; Rudolphi SK § 13 Rn. 40 a; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 36, wobei allerdings Zweifel bleiben, ob aus der Tatsache, daß diese Autoren nur den Fall der gerechtfertigten Einschließung als Ingerenzfall behandeln, geschlossen werden kann, daß die versehentliche Einsperrung die Ingerenzhaftung nicht auslösen soll, was konsequent wäre. 201 BGHSt 27, 10.
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darin die Einführung des Ingerenzgedankens gesehen202 . Allerdings dürfte der Schluß voreilig sein, der BGH erkenne mit dieser Formulierung indirekt an, daß auch rechtmäßiges Vorverhalten (das Einlassen des Gastes) die Ingerenzhaftung auslösen könne203 . Erstens ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß sich der BGH mit diesem Hinweis auf die Ingerenz, der nur zusätzlich das aus anderen Gründen bereits feststehende Ergebnis absichern sollte, von seiner sich erst allmählich stabilisierenden Haltung204 in dieser kaum so nebensächlichen Frage abrupt wieder abwenden wollte; und zweitens ist es möglich, daß es im konkreten Falle auf die Streitfrage gar nicht angekommen wäre, weil der Wohnungsinhaber tatsächlich bei der Auswahl seiner Gäste die erforderliche Sorgfalt hatte vermissen lassen, wozu der Tatrichter, soweit er nur darauf abgestellt hat, daß der Wohnungsinhaber in den seiner Verfügungsgewalt unterstehenden Räumen "für Ordnung zu sorgen habe", überhaupt keine Feststellungen zu treffen brauchte. Will man in der gegenwärtig betrachteten Fallkonstellation die Ingerenzhaftung des Rauminhabers in Betracht ziehen, so ist mit der h. M.205 die genaue Feststellung unerläßlich, worin konkret der Verstoß gegen die objektive Sorgfalt liegen soll. In den von der Literatur angeführten Beispielen ist der festzustellende Sorgfaltsverstoß meist ausgesprochen kraß und deshalb anschaulich: A lädt den B ein und zugleich ohne Bs Wissen den C, der gegen B auf Rache sinnt206 , oder A bittet ausgesprochene Schlägertypen bzw. stadtbekannte Rowdies in sein Haus207 . Doch muß der Sorgfaltsverstoß nicht unbedingt darin liegen, daß sich der Rauminhaber in der Gestalt des Gastes gewissermaßen den potentiellen Gefahrenherd selbst in die Wohnung holt. Die Sorgfaltspflichtverletzung des Rauminhabers kann ebenso gut darin bestehen, daß er ein besonders anfälliges Opfer mit in die Wohnung bringt, in der sich die potentiell gefährlichen Menschen bereits aufhalten (indem beispielsweise der Rauminhaber in einer lauen Sommernacht ein leicht bekleidetes Mädchen in sein Zimmer im Männerwohnheim einschleust, wo sich seine bereits mehrfach wegen Notzucht vorbestraften Freunde aufhalten208). Tenckhoff, JuS 1978,308 (311); Arzt, JA 1980,553 (716). Die Ausführungen von Arzt, JA 1980, 653, 714, 716 lassen eine solche Deutung der Entscheidung jedoch vermuten. 204 Vgl. BGHSt 19, 154; 23, 327; 25, 218; 26, 35. 205 S. o. die in Fn. 185 Erstgenannten; mit abweichender Begründung i. E. ebenso Herzberg, Die Unterlassung, S. 306. 206 Beispiel von Herzberg, Die Unterlassung, S. 334. 207 Tenckhoff, JuS 1978, 308 (311). 208 Hier spielt für die Gefährlichkeit des Verhaltens auch die Isolierung des Opfers eine Rolle, was bereits Blei, Mayer-FS., S. 119 ff. (dort S. 129 bei Fn. 50) als garantenpflichtbegründenden Gesichtspunkt der Ingerenz ins Gespräch gebracht hat. 202
203
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Maßgeblich ist, daß der Rauminhaber durch die Zusammenführung von Menschen in seinen Räumlichkeiten voraussehbar und vermeidbar eine Situation schafft, aus der heraus möglicherweise von Gästen Straftaten gegen andere Gäste begangen werden209 • Zur Feststellung des Sorgfaltsverstoßes des Rauminhabers ist also eine Gesamtbetrachtung anzustellen, die die drei genannten Faktoren umfaßt: den potentiellen Täter, das potentielle Opfer und die Situation, in der beide nach der Vorstellung des Rauminhabers zusammentreffen werden. Hier werden auch die Schwerpunkte der tatsächlichen Feststellungen in einem Fall wie dem "Rentner"-Fallliegen müssen: ein alter und vielleicht gebrechlicher Rentner, der stets seine Ersparnisse bei sich trägt und daraus auch vor Fremden keinen Hehl macht, ist sicherlich per se gefährdet, das Opfer einer Straftat zu werden, stellt er doch eine leichte Beute für einen körperlich überlegenen Gewalttäter dar. Wichtiger aber sind die Feststellungen auf der Täterseite. Körperkraft und die allgemeine Neigung zu Gewalttätigkeiten mögen für sich genommen schon die Begehung von Straftaten nahelegen, die Vorhersehbarkeit einer Eskalation läßt sich aber sicher nicht mehr leugnen, wenn sich ein mit solchen Eigenschaften ausgestatteter Gast zudem bekanntermaßen in notorischen Geldschwierigkeiten befindet oder erfahrungsgemäß jede kriminelle Gelegenheit für eine "schnelle Mark" wahrzunehmen pflegt und dann mit einem solchen Opfer konfrontiert wird. Kennt der Wohnungsinhaber alle maßgeblichen Umstände, sowohl die auf der Täterseite als auch die auf der Opferseite, ist er Garant zur Verhinderung der von Anfang an vorhersehbaren Straftat aus dem Gesichtspunkt der Ingerenz. Weiß der Rauminhaber allgemein nur um die Neigung des Gastes zu Gewalttätigkeiten, wird der Sorgfaltsverstoß häufig schon darin liegen, daß der Rauminhaber seine friedlichen Gäste oder sonstige Anwesende diesem Schläger ohne Warnung ausliefert. Es kommt jedoch stets auf die konkrete Tatsituation im Einzelfall an. Bittet etwa der Wohnungsinhaber einen Bekannten, der nur nach Alkoholgenuß ausgesprochen streitsüchtig und gewalttätig zu sein pflegt, in seiner Wohnung die Fenster zu streichen, so ist er jedenfalls dann nicht Garant aus Ingerenz, wenn der Bekannte völlig überraschend in nüchternem Zustand die ebenfalls anwesende Putzfrau vergewaltigt. Praktisch werden sich allerdings, wie schon der "Rentner"-Fall vermuten läßt, die Sachverhalte kaum so eindeutig darstellen. Wer wollte die Einlassung des Wohnungsinhabers widerlegen, es habe sich bei den Gästen nur um flüchtige Gaststättenbekanntschaften gehandelt, von deren Gewalttätigkeit gegenüber dem alten Mann er völlig überrascht Z09
Vgl. auch Tenckhoff, JuS 1978, 308 (311).
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
worden sei. Die Möglichkeit solcher u. U. offenkundiger Ausflüchte scheinen dem Vorwurf Gewicht zu verleihen, das Pflichtwidrigkeitserfordernis biete nur eine allzu schematische Radikallösung21O , und es stellt sich die Frage, ob es nicht in Fällen wie diesen mitunter gerechter wäre, eine Garantenpflicht des Verursachers einer objektiven Gefahrenlage auch dann zu bejahen, wenn er die Gefahr nicht pflichtwidrig verursacht hat. Jedenfalls das LG Berlin211 hat diese Auffassung in einem Fall vertreten, in dem der Angeklagte zwei Bekannten erzählt hatte, Frau A bewahre ihren gesamten Schmuck unverschlossen in ihrer Wohnung auf, woraufhin diese den Schmuckdiebstahl begingen. Das Rechtsgefühl drängt zu dem Urteil, auch im "Rentner"-Fall habe der Wohnungsinhaber den alten Mann, der ihm vertraute, nicht ohne weiteres gleichsam "ins offene Messer laufen lassen" dürfen, indem er, ohne den Rentner zur Vorsicht zu mahnen, flüchtige Kneipenbekanntschaften oder Zechkumpane mit in die Wohnung brachte, die er möglicherweise nicht einmal selbst gut genug kannte, um sich über deren Vertrauenswürdigkeit überhaupt ein Urteil bilden zu können. Es sei damit zu rechnen gewesen, daß der alte Mann grundsätzlich auch Freunden und Bekannten des Wohnungsinhabers dieselbe Vertrauensseligkeit entgegenbrachte wie diesem selbst in der selbstverständlichen Annahme, auch der Wohnungsinhaber vertraue seinerseits diesen Menschen. Hier stellt sich die Frage, ob der Wohnungsinhaber nicht wenigstens die Pflicht gehabt hätte, den Rentner auf jene Umstände hinzuweisen, die diesen Vertrauenstatbestand entfallen ließen. Noch eindeutiger müßte das gefühlsmäßige Urteil ausfallen, wenn der Wohnungsinhaber sich gar anschickte, in seinem Stammlokal prahlerisch von seinem wohlhabenden Untermieter zu erzählen, "der schon so verkalkt sei, daß er einen Hunderter nicht von einem Zehner unterscheiden könne". Daß der Wohnungsinhaber in diesen Fällen die Gefahr einer fremden Straftat begründet, entweder durch das Schaffen einer Tatgelegenheit oder durch das Setzen eines Tatanreizes, kann nicht zweifelhaft sein. Doch wird beim näheren Hinsehen gerade anhand der genannten Beispiele deutlich, daß es für die Ingerenzgarantenstellung zur Verhinderung fremder Straftaten auf die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens ankommen muß212. Denn der Gesetzgeber hat nicht jedes Fördern einer fremden Rechtsgutsbeeinträchtigung verboten. Vielmehr stellt Geilen, AT, § 4411 2 c, S.246. LG Berlin, MDR 1965, 591; kritisch Herzberg, Die Unterlassung, S.308. I. E. wohl auch Maurach/Gössel, AT, § 4611 c 5 bund c, S. 155 f. 212 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 166 ff.; ders. SK § 13 Rn. 42 ff. (44); Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 39. 210
211
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das aktive Fördern oder Ermöglichen einer fremden Rechtsgutsverletzung nur dann eine fahrlässige Begehungstäterschaft oder eine vorsätzliche Teilnahme dar, wenn es pflichtwidrig ist213 • Spätestens mit der Entscheidung St 25, 218 (221)214 hat der BGH klargestellt, daß ein Verhalten nicht pflichtwidrig sein kann, das sich als sozialadäquat darstellt. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen, weil es unter der unabweisbar richtigen Prämisse, daß die GarantensteIlung den potentiellen Täterkreis festlegen soll215 , unmöglich ist, an ein sozialübliches Verhalten eine Garantenstellung zu knüpfen. Wenn es aber so ist, daß die Sozialadäquanz - zumal unter der Geltung des Grundgesetzes um der allgemeinen Handlungsfreiheit willen ein breites Spektrum zulässiger, wenngleich gefährlicher Betätigungsmöglichkeiten eröffnet216 , so bedarf es bei der Annahme der Ingerenzgarantenstellung im Falle selbstverantwortlicher Delinquenz eines Dritten äußerster Zurückhaltung. Denn es geht nicht an, das vom Gesetzgeber gewollte Ergebnis, nämlich die Straflosigkeit des aktiven, nicht pflichtwidrigen (weil sozialüblichen) Förderns oder Ermöglichens fremder Straftaten, dadurch zunichte zu machen, daß man aus diesen Handlungen eine Garantenpflicht herleitet und den sozialadäquat handelnden "Ingerenten" dennoch, und zwar über den Umweg eines unechten Unterlassungdelikts, straft 217 • Daraus folgt für die genannten Beispiele: Jede unbewußte Präsentation eines geeigneten Opfers sowie jeder Hinweis auf die besondere Fragilität eines Rechtsgutes muß an dem Maßstab der Sozialadäquanz gemessen werden. Diese Prüfung legt offen, daß die Sozialüblichkeit derartiger Verhaltensweisen der Regelfall, die Inadäquanz die Ausnahme sein wird. Unangemessene Extrovertiertheit, übertriebener Hang zur Selbstdarstellung und naturgegebene Naivität sind als Charaktereigenschaften stets gefährlich, wenn sie zur bedenkenlosen Offenheit gegenüber nur flüchtigen Bekannten führen. Ein strafrechtlicher Vorwurf läßt sich daran indes nicht knüpfen. Andernfalls würde man das Mißtrauen gegenüber Fremden zur Rechtspflicht erheben. Um eine Rechtsordnung, die solches forderte, wäre es schlecht bestellt. Demgemäß ist es verfehlt, eine Garantenpflicht daraus ableiten zu wollen, daß jemand damit prahlt, er wisse, wo ein anderer seinen Rudolphi SK § 13 Rn. 42. Desgl. BGHSt 26, 35 (38). 215 Vgl. oben 1. Teil B. 1. 215 Herzberg, Die Unterlassung, S. 328; lehrreich auch die Auseinandersetzung Herzbergs mit der Regreßverbotslehre Welps, S. 303 ff., zur Problematik der Fälle des (sozial adäquaten) erlaubten Risikos vgl. z. B. BGHSt 27, 336 und allgemein Jescheck, AT, § 36 S. 322 ff. m. w. N. 217 So mit Recht Rudolphi SK § 13 Rn. 42. 213 214
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Schmuck aufbewahrt218 • Ebensowenig begründet es die Ingerenzhaftung des Wohnungsinhabers, wenn er Zechkumpanen von seinem wohlhabenden und senilen Untermieter erzählt und diese in die Wohnung mitnimmt, oder wenn er wildfremde Menschen nur einlädt, wohlwissend, daß sein Untermieter zu allzu großer Vertrauensseligkeit neigt. Solange sich das Verhalten des vermeintlichen Ingerenten in den Schranken der Sozialadäquanz hält, solange kann ihm das Versagen der natürlichen Selbstschutzmechanismen anderer nicht zugerechnet werden. Hielte man nämlich den Wohnungsinhaber im "Rentner"-Fall für verpflichtet, diesen etwa darauf hinzuweisen, daß es sich bei den Besuchern nicht um Freunde, sondern nur um flüchtige Kneipenbekanntschaften handelte, dann müßte z. B. auch der Vermieter, der eine angebliche Vertreterin des örtlichen Müttervereins an die in der Einliegerwohnung lebende und als äußerst vertrauensselig bekannte Rentnerin verweist, der Ingerenzhaftung unterfallen, wenn sich die Besucherin hernach als gefährliche Räuberin entpuppt. Zwar mag die nachbarschaftliche Fürsoge dem Vermieter die Warnung gebieten, die alte Frau solle sich den Ausweis der fremden Besucherin zeigen lassen. Eine Rechtspflicht solchen Inhalts existiert dagegen nicht. Auch dieses weitere Beispiel zeigt, wie groß die Gefahr einer Ausuferung der Ingerenzhaftung wäre, wenn man anfinge, auf dem schwankenden Boden gefühlsmäßiger Wertungen Handlungspflichten zu kreieren. Da grundsätzlich niemand damit rechnen muß, daß andere sich jede ihnen bietende günstige Gelegenheit zur Begehung von Straftaten ausnutzen, müssen schon ganz besondere Umstände gegeben sein, die eine solche Entwicklung nahelegen. Diese Umstände sind vor allem in der ex ante erkennbaren besonderen Gefährlichkeit des späteren Täters sowie in der die Eskalation heraufbeschwörenden, vorhersehbaren Tatsituation zu suchen. Bemerkt der Wohnungsinhaber solche Besonderheiten, darf er auf einen friedlichen Ausgang des Zusammentreffens nicht mehr vertrauen. Mit dem Erkennen derartiger Umstände wird die Grenze zum sozialinadäquaten Verhalten überschritten und die dennoch ausgesprochene Einladung pflichtwidrig. Es bedarf keiner gewagten Spekulation, daß sich die Ingerenz damit zur Begründung der Garantenstellung des Rauminhabers in der genannten Fallkonstellation als außerordentlich stumpfe Waffe erweist. So ist es kein Zufall, sondern durchaus realistisch, wenn die Schulbeispiele von rachelüsternen Gewalttätern21U , stadtbekannten Row218 So aber LG Berlin, MDR 1965, 591; ablehnend Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 172 Fn. 69; ders. SK § 13 Rn. 44 u. Herzberg, Die Unterlassung,
S.308. !18
Herzberg, Die Unterlassung, S. 334.
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dies220 und Gewohnheitsdieben221 handeln. Denn die notwendigerweise eng gezogenen Grenzen der Ingerenz im Falle eigenverantwortlicher Deliktsverwirklichung eines Dritten bedingen strenge Anforderungen an den Nachweis der Sorgfaltspflichtverletzung und bieten dem Täter, der die ihm eigentümliche Naivität vorgebend die Eskalation in Wahrheit erkannt hat, eine bunt gemischte Palette unwiderlegbarer Schutzbehauptungen. Daß daraus in manchen Fällen unbefriedigende Strafbarkeitsergebnisse resultieren, ist hinzunehmen, will man nicht auf der anderen Seite eine ungeheure Ausweitung der Ingerenzhaftung in Kauf nehmen, die noch viel unbefriedigender wäre. 4. Der Ausschank von Alkohol durcll den Gastwirt bzw. durch den privaten Gastgeber
a) Die Haftung des Gastwirts - BGHSt 19, 152 Nach heute herrschendem Verständnis trifft den Gastwirt eine Garantenpflicht nur dann, wenn dieser beim Ausschenken von Alkohol ihm im Interesse der Verhinderung von Straftaten auferlegte Sorgfaltspflichten verletzt222 • Wie in der vorangegangenen Fallgestaltung unter 3. ist auch hier das entscheidende Kriterium, ob das Vorverhalten des Gastwirts, nämlich der Ausschank alkoholischer Getränke, im konkreten Fall noch als sozialadäquat angesehen werden kann223 • Problematisch ist allerdings die Einschränkung, daß die Haftung des Gastwirts nur dort in Betracht kommen soll, wo die eigene Verantwortung des Trinkenden bereits ausgeschlossen sei224 , was der Wirt anhand äußerer Anzeichen (z. B. körperlich-geistige Ausfallerscheinungen) müsse feststellen können225 • Die diesbezügliche Aussage des BGH, daß der Gastwirt auf dem Wege über die strafrechtliche Garantenpflicht nicht zum "Vormund und Hüter" seiner Gäste bestellt werden dürfe226 , ist in ihrer Allgemeinheit ebenso zutreffend, wie sie für die BeurteiTenckhoff, JuS 1978, 308 (311). Rudolphi SK § 13 Rn. 44. 222 Jescheck LK § 13 Rn. 33; Rudolphi SK § 13 Rn. 44; Schönke/Schröder/ Stree § 13 Rn. 40; strenger die frühere Rspr., dazu oben 2. Teil B. Fn.22; zum Streitstand vgl. auch Herzberg, Die Unterlassung, S. 312 ff.; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S.76, 127, 166; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 309 ff.; Welp, Handlungsäquivalenz, S. 98 u. 316 ff. und Geilen, JZ 1965, 369 ff. 223 Dazu Herzberg, Die Unterlassung, S.314; a. A. Kugler, Diss., S. 260 ff. (262): "Die Aussage, der Alkoholausschank sei sozial üblich, besagt für die strafrechtliche Bewertung unter Ingerenzgesichtspunkten letztlich gar nichts. 224 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 40. 225 BGHSt 19, 152 (155). 228 BGHSt 19, 152 (154). 220 221
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lung des Einzelfalles nichts darüber aussagt, welches Verhalten vom Gastwirt in den Grenzen der Sozialadäquanz in concreto gefordert werden muß. Zumindest läßt sich nicht der Grundsatz aufstellen227 , daß die fortbestehende Eigenverantwortlichkeit des Gastes strikte Ausschlußwirkung für die Mitverantwortlichkeit des Gastwirts dergestalt hat, daß sie den Alkoholausschank apriori sozialadäquat erscheinen läßt 228 . Denn hier handelt es sich um zwei in dieser Form nicht miteinander zu verknüpfende Gesichtspunkte2 29 . Die Lehre von der Sozialadäquanz besagt nach h. M.230 nicht mehr, als daß Handlungen, die vollständig im Rahmen des geschichtlich gewordenen Gemeinschaftslebens liegen, kein tatbestandsmäßiges Unrecht darstellen können, selbst wenn sie mit Gefahren für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter verbunden sind. Somit ist die Feststellung einer sozialinadäquaten Verhaltensweise dort, wo sie ausnahmsweise nicht offensichtlich ist, nur Minimalvoraussetzung, um die Maschinerie des Strafrechts überhaupt in Bewegung setzen zu können, oder anders ausgedrückt, kann der Gedanke der sozialen Adäquanz allenfalls eine Hilfe zur einschränkenden Auslegung strafrechtlicher Tatbestände sein. Ein Regreßverbot läßt sich allein auf die Sozialüblichkeit der Vortat indes niemals stützen. Zwar kann bei der näheren Bestimmung der Grenze, wann das Verhalten des Gastwirts als nicht mehr sozialadäquat anzusehen ist, die fortbestehende Eigenverantwortlichkeit des Alkoholkonsumenten eine wichtige Rolle spielen. Keinesfalls aber bedeutet der Befund der Eigenverantwortlichkeit des Gastes zwangsläufig, daß jedes beliebige Verhalten des Gastwirts im Hinblick auf den Alkoholausschank "von der Allgemeinheit zu billigen wäre". Daß darin gar kein allzu großer Widerspruch zur o. g. BGH-Entscheidung231 liegt, ergibt sich bei Lichte besehen schon daraus, daß auch nach Auffassung des BGH "ganz besondere Umstände" die Haftung des Wirts erweitern können: 227 Was aber einige Stellungnahmen im Schrifttum anzudeuten scheinen, z. B. Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn.40: "Aufgrund der Tatsache, daß jeder Mensch als verantwortliches Wesen zunächst für sich selbst verantwortlich ist, kommt hier eine strafrechtliche Haftung des Hintermannes nur dort in Betracht, wo die Verantwortung des anderen ausgeschlossen ist." Vgl. auch Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 166 ff. 228 So Herzberg, Die Unterlassung, S. 315. 229 Geilen, JZ 1965,469 (470); Herzberg, Die Unterlassung, S. 314. 230 Jescheck LK vor § 13 Rn. 45; ders. AT, § 25 IV, 1, S. 201 f.; Maurach/ Zipf, AT, Tb. 1, § 17 11 B, S. 209 f.; Samson SK vor § 32 Rn. 14 f.; Stratenwerth, AT, Rn. 334 f.; Welzel, Lb., § 10 IV, S. 55 ff.; WesseIs, AT, § 2 11, 2, S.l1; BGHSt 23, 226 (228). Abweichend: Dreher/Tröndle vor § 32 Rn. 12; Otto, Grundkurs, AT, § 6 111 2 a S.61; Schmidhäuser, AT, 9/26 f., S.298: Rechtfertigungsgrund. 231 BGHSt 19, 152.
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"Liegen im Einzelfall ganz besondere Umstände vor, z. B. der erkennbare schlechte Gesundheitszustand oder die ersichtlich vorhandene Empfindlichkeit eines Gastes gegenüber den Wirkungen des Alkohols, die dem Gastwirt die Befürchtung aufdrängen müssen, ein trotz erheblichen Alkoholgenusses an sich rechtlich noch verantwortlicher Gast werde sich einer strafrechtlichen Verfehlung schuldig machen, die mit auf die Alkoholbeeinflussung zurückzuführen wäre, mag eine andere Beurteilung ausnahmsweise geboten sein232." Freilich sind die Voraussetzungen der Ingerenzhaftung hier an einem viel zu starren, auf bloße Äußerlichkeiten abstellenden Maßstab orientiert, soweit allein der für den Wirt erkennbare Zustand trunkenheitsbedingter Zurechnungsfähigkeit (§ 20) den Ausschlag geben soll233. Die richtige Lösung ergibt sich aus der Anknüpfung an das bereits oben (unter 3.) Gesagte 234 • Die Sozialadäquanz eröffnet ein breites Spektrum zulässiger und mitunter gefährlicher Verhaltensweisen. Mag der Ausschank von Alkohol an Kraftfahrer auch unerwünscht sein, so läßt sich dennoch nicht leugnen, daß er prinzipiell als gesellschaftliches Phänomen von weiten Teilen der Bevölkerung gebilligt wird. Dies rechtfertigt letztlich - insbesondere unter der Geltung der 0,3 %o-Grenze235 das Urteil der Sozialüblichkeit236 • Alkoholausschank an Kraftfahrer ist mit anderen Worten nicht per se pflichtwidrig. Der Gastwirt, der an einen Kraftfahrer Alkohol ausschenkt, handelt allgemein im Rahmen des sozial Üblichen und verhält sich zunächst einmal rechtmäßig. Niemand fordert von ihm Mißtrauen oder erhöhte Aufmerksamkeit, nur weil der Gast einen Autoschlüssel auf den Tresen legt. Hierin wird zu Recht die Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes für die Ingerenzhaftung gesehen 237 • Jeder darf sich darauf verlassen, daß der andere als voll verantwortlicher Mensch seine Sorgfaltspflichten erfüllt. Der Vertrauensgrundsatz ist somit Ausfluß des Selbstverantwortungsprinzips und ist als solcher zugleich wie in seinem Hauptanwendungsgebiet - dem Straßenverkehr - mit der ihm eigenen Flexibilität ausgestattet: in einer Situation, die dem Vertrauen erkennbar die Grundlage entzieht, ist jedermann verpflichtet, sich der konkreten Gefahrenlage anzupassen238 • 232 BGHSt 19, 152 (156). Hervorhebung hier. Auch Geilen, JZ 1965, 469 (474) meint in dieser Andeutung erkennen zu können, daß sich der BGH einen Ausweg offengehalten habe, auch solche Fälle mit der Ingerenzhaftung zu erfassen, in denen der Gastwirt die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung positiv erkennt. 233 Herzberg, Die Unterlassung, S.314. 234 S. o. 4. Teil A. 111. 3. 235 Dazu Hentschel/Born, Trunkenheit, Rn. 172 m. w. N. 236 BGHSt 19, 152; kritisch Geilen, JZ 1965, 469; Kugler, Diss., S. 262. 237 Eingehend Geilen, JZ 1965,469 (474); Rudolphi § 13 Rn. 44. 238 Geilen, JZ 1965, 469 (474).
9 Landscheidt
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Aber dem Vertrauen des Gastwirts ist eben nicht erst und nur dann die Grundlage entzogen, wenn der Gast den äußerlich erkennbaren Zustand der Zurechnungsunfähigkeit erreicht hat, sondern es sind auch andere Umstände denkbar, aufgrund derer der Gastwirt nicht mehr darauf vertrauen darf, der Gast werde sich nach dem Alkoholgenuß noch sorgfaltsgemäß verhalten. Diese Umstände müssen dann allerdings schon - und das ist gemessen an der Selbstverantwortung des einzelnen eine notwendige Einschränkung - besonderer Art sein. Pflichtwidrig verhielte sich demnach beispielsweise der Wirt, der gedankenlos eine Runde nach der anderen kredenzte, die ein wegen Trunkenheitsdelikten bekanntermaßen mehrfach aufgefallener Kraftfahrer in der erklärten Absicht bestellt hat, bei einer erneuten Alkoholkontrolle den "Promillerekord" brechen zu wollen. Auch wird sich der Gastwirt der Erkenntnis nicht verschließen dürfen, daß er einen Gast, der ersichtlich mit jedem zweiten Glas eine Tablette "hinunterspült" , vom Fahren abhalten muß239. Schließlich wird der Gastwirt auch dann eingreifen müssen, wenn er ausnahmsweise die persönlichen Verhältnisse des Gastes so gut kennt, daß er von der bevorstehenden Trunkenheitsfahrt aus Erfahrung sicher weiß, z. B. weil der Gast als Stammkunde Tag für Tag in volltrunkenem Zustand mit dem eigenen PKW heimfährt240 . Diese mehr oder weniger krassen Fälle von Sorgfaltspflichtverstößen zeigen, daß die Ingerenzhaftung des Gastwirts die Ausnahme ist. Im Regelfall braucht er sich nicht darum zu kümmern, wie seine Gäste heimzukehren gedenken. Nur beim Vorliegen besonderer Umstände kann sich der normalerweise als sozialüblich angesehene Ausschank von Alkohol an Kraftfahrer als pflichtwidrig erweisen. Der wohl praktisch am häufigsten vorkommende Fall ist der vom BGH genannte, daß der Trinkende bereits erkennbar zurechnungsunfähig ist. Aber es gibt auch andere Fälle, in denen für den Wirt erkennbar die Fehlerhaftigkeit der Entschließung des Gastes zum Fahren gleichsam vorprogrammiert241 und deswegen der weitere Alkoholausschank pflichtwidrig ist. Somit wird dem Gastwirt im Ergebnis kein Freibrief ausgestellt. Er muß es im Einzelfall durchaus ernst nehmen, wenn der Gast seine alkoholbedingte Selbstüberschätzung dadurch zum Ausdruck bringt, daß er mit Gewißheit eine Trunkenheitsfahrt in Aussicht stellt oder wenn der Wirt aus anderen Gründen von der bevorstehenden, auf die Alkoholbeeinflussung zurückzuführenden Straftat sicher weiß. Eine ganz andere, 239 In diesem Fall muß er den Gast "wie einen Kranken" behandeln, vgl. Granderath, Diss., S. 232. 240 Beispiel von Herzberg, Die Unterlassung, S. 315, der die Situation allerdings für alltäglich hält, dort Fn. 89. 241 Vgl. Geilen, JZ 1965, 469 (474).
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hier nicht weiter zu vertiefende Frage ist es, in welchem Maße es dem Gastwirt jeweils zugemutet werden kann, sich als "Hilfspolizist" aufzuspielen und sich etwa vor den Augen des amüsierten Publikums mit einem Gast um dessen Autoschlüssel zu "balgen". b) Die Haftung des privaten Gastgebers
Abschließend sei noch das im Schrifttum vergleichsweise stiefmütterlich behandelte Problem angerissen, wie es denn um die Ingerenzhaftung des privaten Gastgebers steht. Sicherlich ist der Umstand zu berücksichtigen, daß der Gastwirt im Gegensatz zum privaten Gastgeber an einem hohen Alkoholkonsum seiner Gäste typischerweise wirtschaftlich interessiert ist, was seine stärkere Inpflichtnahme kriminalpolitisch eher notwendig erscheinen läßt242 • Gleichwohl muß bezweifelt werden, ob eine grundsätzlich unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt ist. Bei dem privaten Gastgeber, der in seinem Haus, in seiner Wohnung oder in seinem Garten Gelegenheit zum Umtrunk gibt, stehen andere haftungsrelevante Gesichtspunkte im Vordergrund. In der Regel kennt er seine Gäste persönlich, weiß um ihre Trinkgewohnheiten und insbesondere um die Art ihrer An- und Abreise. Häufig genug gibt der Gastgeber darüber hinaus selbst den Anlaß zum Trinken und eben auch zum "Sich-Betrinken". Auch hier wäre eine unangebrachte überschätzung des Selbstverantwortungsgedankens fatal. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Gastgebers noch als sorgfaltsgemäß angesehen werden kann. Die Grenze dürfte in der erdachten Situation überschritten sein, wenn beispielsweise jemand zu der Einweihung seines Wochenendhauses einlädt, welches abseits jeglicher Verkehrs- und Fernsprechverbindungen gelegen ist, und er außer Faßbier und Hochprozentigem weder alkoholfreie Getränke noch ausreichende übernachtungsgelegenheiten anzubieten hat. In diesem Fall wird man von einem sorgfaltsgemäßen und von der Allgemeinheit zu billigenden Alkoholausschank an die motorisierten Gäste nicht mehr sprechen können, provoziert der Gastgeber durch sein Verhalten doch geradezu, daß einzelne Gäste im Zustand der Fahruntüchtigkeit und Zurechnungsunfähigkeit die Heimfahrt antreten243 • Die Sicherungsfunktion, die normalerweise der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen zukommt 244, ist hier von vornherein nicht sonderlich hoch zu veranschlagen. Denn abgesehen davon, daß die Selbstverantwortung des einDazu Geilen, JZ 1965, 469 (473, 475). Hier würde man mit Geilen, JZ 1965, 469 (473 f.) wohl schon von .. provozierender Ingerenz" sprechen; das Beispiel zeigt übrigens, daß es keineswegs eine Zufälligkeit der Logistik ist, wer bei einem Trinkgelage Spender und wer Konsument ist, so Jakobs, AT, 29/37 Fn.79 a. E. S.665. 244 Geilen, JZ 1965, 469 (474). 242 243
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zeInen vom Ausschank des ersten Glases an kontinuierlich beeinträchtigt wird, wird ihm unter Umständen abverlangt, sich mit seiner vermeintlichen Abstinenz innerhalb der Gruppe der übrigen Gäste durchzusetzen, die auf den ungebetenen Mahner, nicht zuletzt, um vielleicht das Bewußtsein der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens zu verdrängen, typischerweise mit Ausschließung oder Animation zum Weitertrinken reagiert. Freilich spielt hier schon die besondere Problematik der sog. "Zechgemeinschaft" hinein, die ja Garantenpflichten unter den Zechern regelmäßig nicht begründen so1l245, es sei denn, das angesprochene bewußte Animieren oder "betont aufmunternde Freihalten" ist tatsächlich festzustellen246 . Indes ist mit Blick auf den Gastgeber und Veranstalter des Gelages nur maßgeblich, daß er durch Nichtbeachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Entscheidungsspielraum seiner Gäste von vornherein in bedenklicher Weise verengt und dadurch vorhersehbar und vermeidbar eine höchst gefährliche Situation geschaffen hat247 . Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Ingerenzhaftung des privaten Gastgebers ebenso wie beim Gastwirt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Nur eines ist auch dem privaten Gastgeber verwehrt: Er vermag sich nicht von vornherein unter Berufung auf die Selbstverantwortung seiner Gäste von jeglicher Mitverantwortung schlechterdings freizuzeichnen. Im Ergebnis verdient daher das Resümee Herzbergs 248 Zustimmung, daß die besonderen Probleme, welche bei der Ingerenz die Dazwischenkunft eines anderen aufwerfen, sachgerecht nur mit dem an das Vorverhalten anzulegenden, beweglichen Maßstab der objektiven Sorgfalt zu bewältigen sind. 5. Die Verabreichung von Betäubungsmitteln und die Ermöglichung der Einnahme dieser Mittel in der privaten WohnungOLG stuttgart, NJW 1981, 182
An die soeben getroffenen Feststellungen anknüpfend, erscheint es von vornherein problematisch, das Ausschenken von Alkohol auf der einen und den Konsum von Betäubungsmitteln auf der anderen Seite pauschal unter dem weitgehende Parallelität verheißenden Aspekt des 245 Vgl. Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 41; BGH, NJW 1954, 1047; OLG Düsseldorf, NJW 1966, 1175. 248 BGHSt 24, 27; NJW 1954, 1048; vgl. auch Granderath, Diss., S. 211 ff. 247 Dies zeigt, daß der Gesichtspunkt der Ingerenz eher selten den Ausschlag geben wird. Denn da die Herleitung der Garantenpflicht aus dem Ausschenken von Alkohol voraussetzt, daß diese Tätigkeit sorgfaltswidrig ist, werden die hier im Vordergrund stehenden Fahrlässigkeitsdelikte (§§ 230,222) regelmäßig bereits durch das Vorverhalten selbst, also durch Begehung, verwirklicht. Darauf weist zu Recht Herzberg, Die Unterlassung, S. 312, hin. 248 Herzberg, Die Unterlassung, S. 315.
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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"Verabreichens von Rauschmitteln" zu betrachten249 • Zwischen Alkoholgenuß bzw. -mißbrauch und dem Konsum von Betäubungsmitteln, insbesondere wenn sog. harte Drogen in Rede stehen, ist eine Differenzierung zwingend: Den Betäubungsmittelkonsum betreffend hat nicht nur der Gesetzgeber durch Schaffung des Betäubungsmittelgesetzes (BetMG) eine deutlichere Sprache gesprochen, es kann auch unter Berücksichtigung der Bewertung durch die Allgemeinheit kein Zweifel aufkommen, daß es beim Umgang Süchtiger mit diesen Drogen längst nicht um sozialübliche Verhaltensweisen geht250 • Bei der Verabreichung von Betäubungsmitteln stellt sich mit anderen Worten die Frage erst gar nicht, ob das Verhalten pflichtwidrig ist oder nicht; denn der Verstoß gegen das BetMG und damit die Sorgfaltswidrigkeit ist evident. Mit dem Problem, welche Schlußfolgerung daraus für die Ingerenzhaftung desjenigen zu ziehen sind, der in seiner Wohnung Gästen Betäubungsmittel verabreicht bzw. gemeinschaftlich mit diesen konsumiert, hatte sich das OLG Stuttgart251 im Jahre 1980 zu beschäftigen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: F sowie die Angeklagten A und B waren heroinabhängig. Bei einer Zusammenkunft in der elterlichen Wohnung des A brachte F Geld mit, das er zum Ankauf von Heroin verwenden wollte. Gemeinsam fuhr man nach Frankfurt, um dort einen dem A bekannten Rauschgifthändler aufzusuchen. Zusammen mit diesem suchte A ein Versteck auf, wo er für das Geld des F fünf Gramm Heroin erhielt. Schon auf der Rückfahrt spritzten sich A, Bund F Heroin. Nach einem Gaststättenbesuch kehrten sie schließlich in die elterliche Wohnung des A zurück, wo sie sich erneut eine Heroinspritze setzten. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in der Nacht bemerkten A und B, daß F bewußtlos war. A und B versuchten, u. a. durch Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung und Einflößen eines Kreislaufmittels, dem F zu helfen. Die Angeklagten, die als erfahrene Heroinkonsumenten die lebensgefährliche Wirkung einer überdosis Heroin kannten und wußten, daß in diesem Falle ärztliche Hilfe geboten war, setzten ihre Rettungsbemühungen bis gegen 7 Uhr fort, ohne einen Arzt herbeizurufen. F verstarb gegen 6 Uhr an einer Heroinvergiftung; bei rechtzeitiger ärztlicher Behandlung hätte sein Tod vermieden werden können. Die Angeklagten sind wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden, weil sie es pflichtwidrig unterlassen hätten, einen Arzt zu rufen. Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 42. Ob die Unterscheidung zwischen sog. harten und weichen Drogen, zu denen auch der Alkohol zählt, letztlich berechtigt ist, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Indessen darf das Strafrecht über derartige Wertungen, die auch in Entscheidungen des Gesetzgebers zum Ausdruck kommen, nicht achtlos hinwegschreiten. 251 OLG Stuttgart, NJW 1981, 182. 249
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
Das OLG Stuttgart hat die Verurteilung mit dem Hinweis aufgehoben, daß nur unterlassene Hilfeleistung in Betracht komme. Im besonderen widersprach der Senat der Auffassung des Landgerichts, die Angeklagten hätten eine GarantensteIlung aus Ingerenz gehabt, die hier aus dem Umstand des gemeinschaftlichen Erwerbs 252 und Konsums des Heroins hätte resultieren können. Unter Hinweis auf die Einschränkungstendenzen in der Rechtsprechung 253 meint das OLG, die Tatsache, daß der Erwerb und die Weitergabe von Rauschgift wegen Verstoßes gegen das BetMG rechtswidrig sei, reiche für sich allein gesehen nicht aus, um eine besondere Rechtspflicht gegenüber Mittätern oder Mitkonsumenten zu begründen; das Prinzip der Selbstverantwortung erwachsener Menschen schließe in diesen Fällen grundsätzlich die strafrechtliche Haftung Dritter für den durch Einnahme solcher Rauschmittel eingetretenen gesundheits- oder lebensgefährdenden Zustand - unbeschadet der Hilfeleistungspflicht des § 323 c - jedenfalls so lange aus, als eigenverantwortliches Verhalten des Gefährdeten nicht ausgeschlossen sei. Sodann begründet das Gericht, daß der A auch in seiner Eigenschaft als Wohnungsinhaber den Tod des F nicht stärker zu verantworten habe als andere Beteiligte. Letzteres ergibt sich aus der hier vertretenen Auffassung von selbst und bedarf insoweit keiner weiteren Erläuterung. Abgesehen davon jedoch werfen die Entscheidungsgründe eine Reihe von Fragen auf. Zunächst überzeugt der Hinweis ausgerechnet auf die Entscheidung BGHSt 25, 218 nicht. Dort hatte ein Kraftfahrer einen Radfahrer bei Nebel angefahren, der in gleicher Richtung rechts gehend sein Fahrrad rechts neben sich hergeschoben hatte. Der Radfahrer war erheblich angetrunken. Der Autofahrer hielt an, fuhr dann aber weiter, obwohl er damit rechnete, daß der Mann verletzt und hilflos auf der Straße liegen bleiben und von anderen Fahrzeugen überrollt werden könnte. So geschah es. Der BGH vertrat - wie schon in BGHSt 19, 152 - die Auffassung, daß ein sozialübliches und von der Allgemeinheit gebilligtes Vorverhalten regelmäßig nicht zu einer GarantensteIlung führen könne2 54 • " ••• (Ein) sich auf solche Weise rechtmäßig verhaltender Kraftfahrer", heißt es dort, "kann billigerweise nicht zum Hüter eines Verkehrsteilnehmers bestellt werden, der, wie hier das Opfer, durch sein verkehrswidriges Verhalten allein schuldhaft die Ursache
252 Die Beurteilung als "gemeinschaftlicher Erwerb" war allerdings bedenklich, da A das Heroin allein besorgt und an F weitergegeben hatte, so auch Geilen, Anm. zu OLG Stuttgart, NJW 1981, 182 in JK StGB § 13 Nr. 1. 253 BGHSt 25, 218 (220); NJW 1973, 1706; zur Tendenz der Rspr. vgl. oben 2. Teil C. 254 BGHSt 25, 218 (221).
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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für den Verkehrsunfall und damit für die eigentliche Gefahr ... gesetzt hat255 ." So problematisch die BGH-Entscheidung schon für sich genommen ist, da nur in dubio pro reo davon ausgegangen werden mußte, daß der Autofahrer den Unfall nicht seinerseits rechtswidrig und schuldhaft verursacht hatte, wofür in casu offenbar einiges sprach256 , so problematisch ist ihre Einführung in den gegebenen Zusammenhang. Aufgrund der bereits erwähnten Tatsache, daß der Erwerb und Konsum von Rauschgift als Verstoß gegen das BetMG evidentermaßen rechtswidrig ist, ist der Gesichtspunkt der Sozialadäquanz hier völlig indiskutabel. Anders könnte man nur dann entscheiden, wenn man gleichsam auf eine spezifische "Sozialadäquanz" innerhalb der Drogenszene abstellen wollte etwa derart, daß die Verabreichung von Drogen, u. U. sogar das sog. "Anfixen" Nichtabhängiger (l), innerhalb der Szene allgemein gebilligt werde und daß an ein solches szenenintern übliches Verhalten nicht die schwere Last der Garantenstellung geknüpft werden dürfe. Trotz der überraschenden Bagatellisierung des in dem Verhalten der Angeklagten zu sehenden Verstoßes gegen das BetMG soll dem OLG Stuttgart indes ein derart radikaler Bruch mit dem bisherigen Verständnis des Stellenwertes und der Bedeutung der Sozialadäquanz im Bereich der Ingerenz nicht untergeschoben werden. Richtig ist vielmehr - und so vom Senat wohl auch gemeint -, daß nicht jeder formale Rechtsverstoß automatisch die Ingerenzhaftung auslöst, sondern die Pflichtwidrigkeit in der Verletzung einer Norm bestehen muß, die gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsgutes dient257 • Um so bedenklicher ist es allerdings, worauf Geilen258 zu Recht hinweist, wenn das OLG der Tatsache überhaupt kein Gewicht beimißt, daß die dem BetMG zu entnehmenden Erwerbs- und Überlassungsverbote den Heroinmißbrauch und damit letztlich die Gefahr einer tödlichen Überdosis zu verhindern bezwecken. Statt dessen erhebt das OLG Stuttgart zum fallentscheidenden Gesichtspunkt das Prinzip der Selbstverantwortung, das grundsätzlich die strafrechtliche Haftung Dritter für konsumbedingte gesundheits- und lebensgefährdende Zustände ausschließen soll. Freilich steht diese Auffassung dem Grundsatz nach im Einklang zur h. M., nach der es ausschließlich auf den Gesichtspunkt der freien Entscheidung des vorsätzlich sich selbst Verletzenden oder Gefährdenden BGHSt 25, 218 (222). Nach BGHSt 25, 218 (219) war die Fahruntüchtigkeit oder sonst vorschriftswidriges Verhalten des Kraftfahrers "nicht erwiesen"; vgl. auch die Kritik von Arzt, JA 1980,553 (716). !57 Jescheck, LK § 13 Rn.33. 258 Geilen, JK, StGB § 13 Nr. 1. !55
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
ankommen so1l259. Sei ein freiverantwortlicher Entschluß des Opfers gegeben, so die These der h. M., dann sei die vorsätzliche Anstiftung oder Beihilfe zur Selbstverletzung bzw. -gefährdung mangels tatbestandsmäßiger Haupttat kein strafbares Delikt gegen Leib und Leben. Und was für die vorsätzliche Teilnahme gelte, gelte erst recht für die unvorsätzliche Mitverursachung. Wegen des freien Entschlusses des Opfers soll die tatbestandsmäßige Sorgfaltswidrigkeit des Mitverursachers entfallen260 . Konsequent läßt die h. M. auch im Bereich der Unterlassungsdelikte nicht schon die Garantenstellung für die Täterschaft eines Tötungs- oder Körperverletzungsdeliktes genügen, sondern sie differenziert entsprechend danach, ob ein freiverantwortlicher Entschluß des sich selbst Verletzenden oder Gefährdenden vorliegt oder nicht261 . Man kann mit guten Gründen bezweifeln, ob im Falle Heroinsüchtiger die Heranziehung dieser ursprünglich anhand der Suizidproblematik entwickelten und dort keineswegs unumstrittenen262 Selbstverantwortungsgrundsätze überhaupt weiterhilft 263 . Wenn in den Entscheidungsgründen bezüglich Heroinsüchtiger von dem eigenverantwortlichen Verhalten erwachsener Menschen die Rede ist, so erweckt dies den Eindruck, als könne der süchtige Mensch tatsächlich regelmäßig noch freiverantwortlich darüber entscheiden, ob er sich hie et nune die angebotene Heroinspritze setzen wolle oder nicht264 . In Wahrheit hat der Heroinsüchtige, der die diabolischen Qualen des Entzugs kennt, aber überhaupt keine Wahl. Sein Griff zur Spritze ist das Resultat extremster physischer und psychischer Abhängigkeit und damit Ausdruck absoluter Unfreiheit. Allerdings - und auch insoweit liegt das Urteil des OLG Stuttgart durchaus auf der Linie der h. M. - soll es auf diese eher latente Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit durch Drogen nicht ankommen. Denn zur Präzisierung der "Freiverantwortlichkeit" heißt es 265 , daß diese so lange anzunehmen sei, als keinerlei Anzeichen für psychische Störungen 259 Eingehend Hirsch, JR 1979,429 (430); Rudolphi SK § 13 Rn. 43 u. vor § 1 Rn. 79; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn.40 u. Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 37 ff.; Schünemann, NStZ 1982, 60; BGHSt 6, 147 (154); 13, 162 (167); 19, 135 (137 f.); 24,342 (343). 260 Hirsch, JR 1979,429 (430). 261 BGHSt [GS] 6, 147. 262 Vgl. nur Geilen, JZ 1974, 145 u. Herzberg, Die Unterlassung, S. 265 ff. 263 So Geilen, JK, StGB § 13 Nr. 1. 264 Äußerst bedenklich Schünemann, NStZ 1982, 60 (62): " ... wo wären die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers größer als bei der aus freien Stücken erfolgten Selbstgefährdung?" 265 Hirsch, JR 1979, 429 (432).
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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oder Zwangsvorstellungen erkennbar seien, aufgrund derer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Tragweite des eigenen Verhaltens ausgeschlossen oder wesentlich beeinträchtigt sein könnte. Als Anhaltspunkte kämen die in § 20 genannten Symptome in Betracht266 • Daß erst diese rein äußerliche Symptomatik die tatbestandliche Sorgfaltswidrigkeit des Mitverursachers, also auf der Unterlassungsebene im Rahmen der Ingerenz die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung, schlechterdings entfallen lassen soll267, ist hier nicht weniger problematisch als die Auffassung, die bei der Gastwirtshaftung die erkennbaren körperlich-geistigen Ausfallerscheinungen des betrunkenen Kraftfahrers zum maßgeblichen Kriterium erhebt268 • Nach dem der Entscheidung des OLG Stuttgart zugrunde liegenden Sachverhalt lag nahe, daß F bei Vornahme der zweiten Injektion in der Wohnung des A noch unter den Nachwirkungen des Heroins stand, das er sich einige Stunden zuvor auf der Rückfahrt gespritzt hatte. Die Frage ist durchaus berechtigt, wieso über die Garantenstellung des A, der dem F das Rauschgift immerhin rechtswidrig überlassen hatte, die Zufälligkeit entscheiden sollte, daß die konsumbedingten psychischen Störungen des F sich nicht in unverkennbar pathologischen Symptomen äußerten, sondern vielleicht nur in einem nicht sonderlich auffälligen "BenebeltSein". Letztlich aber kam es in casu nicht einmal auf diese Frage an. Denn F war von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in der Nacht an stundenlang bewußtlos. Selbst wenn man die Auffassung billigte, F habe in freier Verantwortung seine Gesundheit selbst gefährdet, so dürfte der Schluß einfach zu weit gehen, mit dieser freiverantwortlichen Entscheidung habe F zugleich den Tod bewußt einkalkuliert269 • Wer so argumentiert, versucht nichts anderes, als die landläufige Meinung, Drogenkonsum sei Selbstmord auf Raten, in ein juristisches Gewand zu kleiden. Es braucht nicht betont zu werden, daß eine derart triviale Betrachtungsweise der Problematik nicht gerecht würde. Desungeachtet hat die Rechtsprechung auch mehrfach ausgesprochen, daß sowohl die Hilfspflicht nach § 13 als auch nach § 323 c jedenfalls mit der Handlungsunfähigkeit des vermeintlichen Suizidenten einsetze27o , und nach h. M.
286 Hirsch, JR 1979, 420 (432) unter Berufung auf Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 36. 267 Dreher/Tröndle vor § 211 Rn. 4; Hirsch, JR 1979,429 (432). 288 BGHSt 19, 152; s. o. 4. Teil A. 111. 4. a). 269 Vgl. auch die Fallgestaltung in BGH, NStZ 1984, 452. 270 BGH, NJW 1960, 1821; BayObLG, NJW 1973, 565 m. Anm. von Geilen, JZ 1973, 320; vgl. auch BGH, NStZ 1983, 117 (118 letzter Satz); kritisch Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 43.
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besteht immer dann eine Eingriffspflicht, wenn ein Sinneswandel des Suizidenten erkennbar wird 271 • Um wieviel dringlicher müssen all diese Aspekte bei einem Menschen berücksichtigt werden, der nicht mit dem Ziel des Freitodes Hand an sich gelegt hat, sondern schicksalhaft in den Sog der Drogenabhängigkeit geraten ist und sich in diesem permanent krankhaften Zustand unvorsätzlich eine tödlich wirkende überdosis gespritzt hat. Der Süchtige greift nicht allein aus physischer Abhängigkeit zur Droge, sondern er wird zusätzlich durch die unbeschreiblichen Erfahrungen und Gefühle des Rauschzustandes fernab der für ihn meist unerträglichen Realität motiviert. Dieses Motiv wird gegenstandslos, der Zweck der Berauschung unerreichbar, wenn sich der Abhängige durch eine überdosis erkennbar in einen unmittelbar in den Tod mündenden komatösen Zustand versetzt hat. Hier bedarf es überhaupt gar keines Hilferufs als Ausdruck des Sinneswandels, denn dem jetzt Bewußtlosen stand der Sinn von Anfang an nicht zuvörderst danach, sterben zu wollen272 • Im Zusammenhang mit dem Drogenmißbrauch vom Respekt vor der freiverantwortlichen Entscheidung zur sukzessiven Selbstzerstörung zu reden, erscheint schon mehr als bedenklich, ja anstößig; im Angesicht der akuten Todesgefahr aufgrund einer versehentlichen überdosis jedoch etwa vom Respekt vor der bewußten Einwilligung in das Risiko sprechen zu wollen, wäre grenzenloser Zynismus. Selbst wenn man mithin die hier abgelehnte Prämisse des Senats akzeptierte, daß die Injektion der tödlichen Spritze durch F freiverantwortlich erfolgt sei und diese Freiverantwortlichkeit normalerweise die tatbestandliche Sorgfaltswidrigkeit des A ausgeschlossen hätte, kann die Ignorierung der durch die langfristige Bewußtlosigkeit des F offensichtlich gegebenen Zäsur nicht widerspruchslos hingenommen werden: A, der F das Heroin pflichtwidrig überlassen hatte, war wegen dieses vorangegangenen gefährlichen Tuns zu dessen Rettung schon deshalb verpflichtet, weil die unausweichlich in den Tod mündende Bewußtlosigkeit von der Entscheidung zur Selbstgefährdung erkennbar nicht mehr gedeckt war. Verneint man demgegenüber schon grundsätzlich die Freiverantwortlichkeit der Selbstgefährdung bei Heroinsüchtigen, was überzeugender ist, so ist konsequenterweise bereits an das pflichtwidrige, aktive Ver-
271 BGH, JR 1956, 347 mit Anm. Maurach; Dreher/Tröndle, vor § 211 Rn. 6; Horn SK § 212 Rn. 18; Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 44. 272 So auch BGH 1 Str. 20/80, Urt. vom 3.6. 1980 (dort S.6) insoweit bei Holtz, MDR 1980, 985, nicht abgedruckt; zitiert nach Schünemann, NStZ 1982, 60 (61), der die Entscheidung ablehnt. Desweiteren vgl. BGH, NStZ 1984, 452.
A. Gefahrquellenverantwortlichkeit und Ingerenz
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ab reichen des Rauschgiftes selbst anzuknüpfen273 , und bei der behandelten Fallkonstellation handelt es sich folglich um kein Unterlassungsproblem mehr. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß in jedem Falle die Frage, inwieweit dem selbst rauschgiftabhängigen Täter ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, sehr sorgfältiger Prüfung bedarf. 6. Zusammenfassung
Die Haftung des Rauminhabers wegen gefahrschaffenden Vorverhaltens in den beispielhaft genannten Fallkonstellationen ist selten. Sie erfordert grundsätzlich den Nachweis der Sorgfaltswidrigkeit des Vorverhaltens. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Rauminhaber gerechtfertigterweise einen Zustand schafft, der von einem Dauerdelikt erfaßt wird, also wenn er. z. B. einen anderen in Notwehr einsperrt (§§ 239, 32). Keine Ingerenzhaftung trifft dagegen denjenigen, der beim Verschließen der Tür gar nicht weiß, daß sich in den Räumen ein Mensch aufhält. Wer beim Zusperren der Räumlichkeit jedwede Sorgfaltspflicht erfüllt hat, ist nicht Garant für den dennoch versehentlich Eingesperrten, sondern haftet nur im Rahmen des § 323 c. Als Garant muß der Rauminhaber Straftaten seiner Gäste gegen andere Gäste nur dann verhindern, wenn die Zusammenführung dieser Personen in seinen Räumen ausnahmsweise pflichtwidrig gewesen ist, etwa weil eine gewalttätige Eskalation vorauszusehen war. Der Gastwirt ebenso wie der private Gastgeber, der Dritten Alkohol ausschenkt, muß Straftaten dieser Personen, die unmittelbar auf die Alkoholbeeinflussung zurückzuführen sind, verhindern, wenn der Alkoholausschank objektiv sorgfaltswidrig gewesen ist. Sorgfaltswidrig ist der Alkoholausschank nicht erst und nur dann, wenn die fehlende Selbstverantwortung des Trinkenden durch äußerlich sichtbare körperlich-geistige Ausfallerscheinungen zu erkennen ist, sondern auch, falls der Wirt bzw. der private Gastgeber aufgrund anderer besonderer Umstände nicht mehr darauf vertrauen darf, daß sich der Gast nach dem Alkoholgenuß noch sorgfaltsgemäß verhalten wird. Die Verabreichung von Rauschmitteln ist als Verstoß gegen das BetMG per se pflichtwidrig. Jedenfalls bei Abhängigen von sog. harten Drogen (z. B. Heroin) kann von einer freiverantwortlichen Einwilligung in die Selbstgefährdung keine Rede sein. Insoweit versperrt hier das Selbstverantwortungsprinzip nicht die Möglichkeit, dem aktiv, gefährlich und pflichtwidrig handelnden Dritten die tödliche Folge einer 273 Wie hier: BGH bei Holtz, MDR 1980, 985; BGH, JR 1979, 429; BGH NStZ 1981, 350; anders jetzt BGH, NStZ 1984, 410 mit zustimmender Anm. Roxin ebendort, wo allerdings nur in dubio pro reo von eigenverantwortlichem Handeln des Opfers ausgegangen wurde.
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etwaigen überdosis zuzurechnen. Da richtigerweise bereits an das aktive Verabreichen des Rauschgiftes selbst anzuknüpfen ist, handelt es sich um kein spezifisches Ingerenzproblem.
B. Schutzpflicbten des Rauminbabers aus seiner besonderen Beziehung zum bedrohten Rechtsgut Unter diesem Abschnitt geht es nunmehr entsprechend der die funktionale und genetische Betrachtungsweise kombinierenden Garantenlehre um die zweite Grundsituation, in der teils gesetzlich verankerte, teils auf die freiwillige übernahme zurückführende Garantenpflichten gegeben sein können. Die Lage des Beschützergaranten ist dadurch gekennzeichnet, daß der Garant bestimmte Rechtsgüter vor allen oder einzelnen Gefahren1 zu schützen hat. Gleichgültig ist, wodurch diese Gefahren ausgelöst worden sind 2 •
I. Einführung, Problemausgrenzung Das klassische Beschützergarantieverhältnis wird durch die Familie begründet, die als Gemeinschaft von Natur aus auf gegenseitigen Beistand ihrer Mitglieder angelegt ist3 • Einhellig werden Beistandspflichten zwischen den Familienangehörigen bejaht4, wenn diese in einer effektiven Familiengemeinschaft leben, d. h. wenn die Angehörigen zusammenwohnen und einen gemeinsamen Haushalt führen. Heftig umstritten ist dagegen, ob grundsätzlich allein schon die engen verwandtschaftlichen Blutsbande bzw. die ehelichen Bande Garantieverhältnisse zu 1 Die Pflicht zur "Rundum-Verteidigung" (vgl. A. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S.283) ist zwar typisches, aber durchaus nicht notwendiges Kennzeichen des Beschützergarantieverhältnisses, vgl. Herzberg, Die Unterlassung, S.335. 2 Rudolphi SK § 13 Rn. 46; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 9, 14. 3 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 17. 4 Wobei der Kreis der beistandspflichtigen Familienmitglieder nicht durch die Definition des § 11 Abs. 1 Nr. 1 a bestimmt werden soll, Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 18; Jescheck LK § 13 Rn. 22. Garantenpflichten sind danach zu bejahen zwischen Ehegatten, Verwandten gerader Linie, Geschwistern. Umstritten beim Verlöbnis: grds. dafür BGH, JR 1975, 104 mit krit. Anm. Heinitz; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 18; Rudolphi § 13 Rn. 51; Dahm, ZStW 59, 171; dagegen Jescheck, AT, § 59 IV 3 a, S.506; Böhm, Diss. S.67; Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 178 ff.; Geilen, FamRZ 1961, 155 ff.; Herzberg, Die Unterlassung, S. 343 ff.; und bei der Schwägerschaft: dafür BGHSt 13, 162; dagegen Blei, Mayer-FS., S.119 (128); Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 18; Rudolphi SK § 13 Rn. 49; Schmidhäuser, AT, 16/42 Fn.26.
B. Schutzpflichten des Rauminhabers
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begründen vermögen 5 oder ob das faktische Bestehen der effektiven Lebens-, sprich Hausgemeinschaft hinzukommen muß6. Allerdings bewegen sich die widerstreitenden Auffassungen jedenfalls in den Randbereichen familiärer Beziehungen aufeinander zu, indem anerkannt ist, daß die beiden Gesichtspunkte - Familienzugehörigkeit und tatsächliche Gemeinschaft - einander durchdringten. Je enger die Verwandtschaft zwischen zwei Personen sei, um so eher werde man auf eine effektive Lebensgemeinschaft verzichten können, während bei entfernter Verwandtschaft eine effektive Gemeinschaftsbeziehung hinzukommen müsse, um eine GarantensteIlung zu·begründen7 • Tatsächlich hat die Rechtsprechung häufiger - wenn auch nicht expressis ver bis - mit dem in dieser Formel enthaltenen "Additionsverfahren" gearbeitet, wenn sie an sich lose familiäre Bande (Schwägerschaft) nur in Verbindung mit einer bestehenden Hausgemeinschaft für eine Garantenstellung hat ausreichen lassen8 • Demgegenüber wird das im vorliegenden Zusammenhang allein interessierende Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen das tatsächliche Zusammenwohnen in einer Hausgemeinschaft selbständig Garantenpflichten begründen kann, erst beim gänzlichen Fehlen verwandtschaftlicher oder ehelicher Bande aktuell 9 • Deshalb soll im folgenden die besondere Problematik der Angehörigenpflichten, soweit sie für das zu untersuchende Garantieverhältnis "aus häuslicher Gemeinschaft" keine Bedeutung hat, außer Betracht bleiben. Die Frage ist vielmehr, welche Bedeutung hinsichtlich eventueller Obhutsgarantiepflichten dem Umstand zukommt, daß Menschen auf Zeit oder auf Dauer gemeinsam bestimmte Räumlichkeiten innehaben und bewohnen. Im Vordergrund der Betrachtung steht also der potentielle Garant in seiner Eigenschaft als Wohnungsinhaber, Mitbewohner, Untermieter, Kommunarde etc. 5 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 18; Jescheck LK § 13 Rn. 23; Geilen, FamRZ 1961, 148 ff.; Herzberg, Die Unterlassung, S. 339 ff.; Welzel, Lb., S.214 (217). 6 Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 163 ff.; Rudolphi SK § 13 Rn. 50; Maurach/Gössel, AT, § 46 11 C 4 a S.153; Dreher/Tröndle § 13 Rn. 6; Stratenwerth, AT, Rn. 1085; vgl. auch Eser, StR Ir. Fall 26 A 5 S.56; anders Schünemann, Grund und Grenzen, S.357, der auf die "tatsächliche personale Schutzherrschaft" abstellen will; kritisch Herzberg, Die Unterlassung, S. 340 f. 7 Schröder, JR 1964, 227; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 20: Geilen, FamRZ 1964, 390; Herzberg, Die Unterlassung, S. 347 f.; Jescheck LK § 13 Rn. 23. 8 RGSt 73, 389; RG DStR 1936, 178; RGSt 72, 374; dazu bereits oben 2. Teil A; vgl. auch BGHSt 13, 162, wo zur Schwägerschaft Elemente der Gefahrschaffung und Übernahme "addiert" werden, instruktiv Arzt, JA 1980, 553 (649) u. Geilen, FamRZ 1961, 147 ff. (150). 9 So in RGSt 74, 309 (311); 69, 323; AG Duisburg, MDR 1971, 1027 mit Anm. Doering, MDR 1972, 664 u. BGHSt 27, 10.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
11. Die GarantensteIlung aus häuslicher Gemeinschaft10 1. Eigenständiger Garantieaspekt oder Subspezies der Obhutsübernahme?
Im Schrifttum lassen sich zwei Ansätze zur dogmatischen Begründung des Garantieverhältnisses aus häuslicher Gemeinschaft unterscheiden. Die eine Auffassung mißt dem Gedanken der Hausgemeinschaft eigenständige Bedeutung als garantenpflichtbegründendes Kriterium zu, wobei die dogmatische Erklärung dieses Garantieaspekts in der strukturellen Äquivalenz mit der-natürlichen Verbundenheit unter den anerkannten Garanten im engsten Verwandtenkreis erblickt wird l1 • Die Vertreter der Gegenmeinung argumentieren, es handele sich bei dem Aspekt der tatsächlichen häuslichen Gemeinschaft in Wahrheit - nur ins Sozialtypische gewendet12 - um einen Unterfall des Garantieverhältnisses aus der Übernahme einer Schutzposition13. Beide Auffassungen haben praktische Anwendung gefunden. So heißt es im Leitsatz der Entscheidung des AG Duisburg14 : "Aus der engen Lebensgemeinschaft zweier seit Jahren in eheähnlichem Verhältnis zusammen wohnender Homosexueller ergibt sich für den einen eine Rechtspflicht zur Verhinderung eines Selbsttötungsversuchs des anderen."
Demgegenüber scheint der BGH15 anzudeuten, daß es sich bei der Aufnahme in die Wohnung gleichsam um einen einmaligen konkludenten Übernahme akt handeln könnte, der den Wohnungsinhaber für die Dauer des Aufenthaltes des Dritten in eine Schutzposition einrücken läßt. Denn dort heißt es: 10 Die "häusliche Gemeinschaft" wird gemeinhin als Unterfall der "engen Lebensgemeinschaft" bzw. der sonstigen "engen Gemeinschaftsbeziehungen" behandelt, vgl. Jescheck LK § 13 Rn.25; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 25. Sachlich dürfte nach bisherigem Verständnis zwischen der engen Lebensgemeinschaft und der häuslichen Gemeinschaft als deren Regelfall in einer "zivilisierten, seßhaft gewordenen Gesellschaft" (so Herzberg, Die Unterlassung, S. 345) kein Unterschied bestehen. 11 Jescheck, LK § 13 Rn. 25; ders. AT, § 59 IV 3 b, S.506; Maurach, AT, § 46 111 C S.607; Maurach/Gössel, AT, §46 11 4 S.153; Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 25; Herzberg, Die Unterlassung, S. 344. 12 Geilen, AT, § 4411 1 b S. 241; ders. FamRZ 1961, 147. 13 Rudolphi SK 13 Rn. 56; Blei, AT, § 87 I 3 e, f, S.327; Baumann, AT, § 18 11 3 d, S.261; Stratenwerth, AT, Rn. 1018; Lackner, § 13 Rnm. 3 ace; Doering, MDR 1972,664; was dann jedoch konsequenterweise auch für die eheähnliche Verbindung in häuslicher Gemeinschaft gelten muß. Doch wird diese Konsequenz meistens nicht gezogen, vgl. nur Geilen u. Doering aaO.; dazu sogleich. 14 AG Duisburg, MDR 1971, 1027 (Hervorhebung hier). 15 BGHSt 27, 10, wo zur Untermauerung der Argumentation freilich noch der Ingerenzgedanke hinzugefügt wird, dazu bereits oben 4. Teil A. 111. 3.
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" ... hier hatte der Angeklagte den Rentner in seiner Wohnung aufgenommen und ihm deren Schutz zur Verfügung gestellt. Damit hatte er eine Vertrauensgrundlage geschaffen, die es rechtfertigt, ihn als Garanten zu betrachtenuIs. Die Auffassung, die die enge Lebensgemeinschaft bzw. die häusliche Gemeinschaft nicht als selbständige Quelle möglicher Garantenpflichten akzeptiert, sondern danach fragt, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Schutzpflichten in einer solchen Gemeinschaft konkret übernommen wurden, ist überzeugender17 • Sie hätte in BGHSt 27, 10 auch bei konsequenter Anwendung - wie noch zu zeigen sein wird - zum richtigen, nämlich gegenteiligen Ergebnis führen müssen. Im Gegensatz zu dieser "übernahme"-Lösung ist die grds. rechtliche Gleichbehandlung von familiären bzw. ehelichen Beziehungen auf der einen, mit "nur" eheähnlichen, faktischen Gemeinschaftsverhältnissen auf der anderen Seite als selbständige, garantenpflichtbegründende Aspekte schon deswegen nicht zutreffend, weil beide an nicht vergleichbare Voraussetzungen geknüpft sind. So soll die GarantensteIlung in der Ehe bzw. im engen Familienkreis ja gerade nicht vom effektiven Fortbestehen der faktisch-räumlichen Gemeinschaft abhängig sein18 , während das tatsächliche Zusammenwohnen für die Entstehung der übrigen Gemeinschaftsverhältnisse zunächst einmal konstitutiv ist. Wenn aber der Analogieschluß überzeugen und nicht Unähnliches gezwungenermaßen verklammert werden soll, dann können die Entscheidungen hinsichtlich einer GarantensteIlung im engsten Familienkreis (bzw. in der Ehe) und in der häuslichen Gemeinschaft nur parallel verlaufen. Das heißt: entweder man verlangt schon für die GarantensteIlung aus ehelicher oder (Bluts-)Verbundenheit den Fortbestand der effektiven Hausgemeinschaft, dann ist eine Gleichbehandlung der übrigen Gemeinschaftsbeziehungen möglich; oder aber das Analogieverfahren ist mangels Vergleichbarkeit der Fälle überhaupt nicht durchführbar. Dann muß für die Herleitung der Garantenstellung aus "häuslicher Gemeinschaft" ein anderer Gesichtspunkt den Ausschlag geben. Jedenfalls erscheint das Argument, im Modell der Verbundenheit durch gemeinsame Familie werde das Fehlen der faktischen Gemeinschaft sozusagen kompensiert durch das Element der Blutsverbundenheit, das gleichsam als zweite Quelle die Garantenstellung speise19 , allzu theoretisch und vermag die Vergleichbarkeit der Fälle nicht darzulegen. Im übrigen ist der Begriff der "häuslichen Gemeinschaft" viel zu unbeHervorhebung hier. Vgl. jetzt auch BGH, MDR 1984, 90; mit Anm. Rudolphi, NStZ 1984, 149. 18 Vgl. nur Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 19; Herzberg, Die Unterlassung, S. 339 ff. (342). 18 So Herzberg, Die Unterlassung, S. 345. IG
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stimmt und inhaltsleer, um daraus irgendwelche Voraussetzungen für eine konkrete Garantenpflicht ableiten zu können, was u. a. Stratenwerth 20 zu der Kritik veranlaßt hat, es herrsche hier ein Maß an Unsicherheit, das den Entstehungsgrund der engen Lebensbeziehung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten aufs gründlichste disqualifiziere. Gewiß verkennen auch jene Autoren, die von einem eigenständigen Entstehungsgrund ausgehen, nicht, daß nicht jede auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft GarantensteIlungen entstehen läßt. Vielmehr wird zusätzlich verlangt, "daß aufgrund gegenseitigen Vertrauens Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, erhöhte Risiken eingegangen werden oder andere Sicherheitsvorkehrungen unterbleiben"21; oder es soll stets zu prüfen sein, "ob zum Sachverhalt der Gemeinschaft der Wertverhalt des (dadurch) zum Schutze Aufgerufenseins hinzukommt", bzw. "ob dem Unterlassenden kraft enger Lebensgemeinschaft der Schutz des bedrohten Rechtsguts besonders anvertraut ist"22. Damit wird in den eigentlich kritischen Fällen23, in denen sich die häusliche Gemeinschaft als eigenständiger Garantieaspekt bewähren müßte, ein der Obhutsübernahme entlehntes, gewissermaßen "artfremdes" Element als Regulativ benötigt, nämlich der Vertrauenstatbestand; artfremd deshalb, weil die GarantensteIlung aus engstem Familienkreis, der die GarantensteIlung aus häuslicher Gemeinschaft ja erklärtermaßen nachgebildet sein soll, konkreter Vertrauensakte unter den Mitgliedern gerade nicht bedarf24 • So wird der ursprüngliche Ansatz einer am Leitmotiv des engsten Familienkreises orientierten, eigenständigen GarantensteIlung aus häuslicher Gemeinschaft schließlich vollends preisgegeben und in Wahrheit mit Kriterien der Obhutsübernahme argumentiert. Deshalb ist der vor mehr als einem Jahrzehnt aufgestellten Forderung Doeringg25, die GarantensteIlung aus häuslicher Gemeinschaft endlich aufzugeben, nichts hinzuzufügen. Doch ist man mit der Feststellung, daß es sich bei den einschlägigen Fällen von GarantensteIlungen aus häuslicher Gemeinschaft in Wirk20 Stratenwerth, AT, Rn. 1014; vgl. auch die polemische Stellungnahme Geilens, AT, § 44 II 1 a S.240: "Die hier verbreitete Gemeinschaftsideologie mit ihren schlechthin nebulosen Abgrenzungskriterien ist ein merkwürdiges Gemisch vermeintlich ,progressiver' Vorurteilslosigkeit und deutschtümelnder Romantik." 21 J escheck, AT, § 59 IV 3 b, S. 506. 22 Herzberg, Die Unterlassung, S.347. 23 Z. B. RGSt 73, 52: Aufnahme der Geliebten des Mannes in den ehelichen Haushalt gegen den Willen der Ehefrau, wo trotz häuslicher Gemeinschaft eine GarantensteIlung der Ehefrau für die Geliebte zu verneinen ist. 24 Vgl. nur Herzberg, Die Unterlassung, S. 340 f. gegen Schünemann, Grund und Grenzen, S. 356. 25 Doering, MDR 1972, 664.
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lichkeit um solche übernommener Schutzpflichten handelt, noch keineswegs am Ziel. Denn es stellt sich sogleich die Frage nach den Voraussetzungen dieser garantenpflichtbegründenden Obhutsübernahme. Insbesondere taucht das Problem auf, ob es für die Begründung dieser Garantenpflicht wesentlich ist, daß der Gefährdete sich im Vertrauen auf die Einsatzbereitschaft des Garanten einer größeren Gefahr aussetzt, als er es sonst getan hätte, oder auf andere sonst zu treffende Schutzvorkehrungen verzichtet26 • Versagt man einerseits der häuslichen Gemeinschaft als eigenständigem Garantieaspekt die Anerkennung und verlangt man auf der anderen Seite für die Obhutsübernahme die zusätzliche Komponente der Gefahrerhöhung, so könnte dies möglicherweise zu einer nicht unerheblichen Restriktion der garantenpflichtbegründenden Gemeinschaftsbeziehungen führen. In Anbetracht dieser für die Praxis bedeutsamen Konsequenz bedarf die Frage nach der Notwendigkeit der Gefahrschaffung im Rahmen der Obhutsübernahme der Prüfung. 2. Die Gefahrschaffung bzw. -erhöhung als konstitutive Komponente der Obhutsübernahme
Zu der oben angesprochenen Frage lassen sich im wesentlichen die folgenden Auffassungen unterscheiden. a) Kausalität der Obernahme für die Gefahrerhöhung Zunächst weist Stree an zwei Beispielen nach, daß allein die übernahme einer Schutzposition für bestimmte Rechtsgüter bei isolierter Betrachtung kein Rechtsgrund für die besondere Inpflichtnahme sein kann. Weder der Wanderer2 7 , der an einsamer Stelle auf einen Verunglückten stößt und diesen mit dem Versprechen, Hilfe zu holen, verläßt, noch der Menschenfreund 2B , der unbemerkt die Aufsicht über ein an einem Teich spielendes Kind übernimmt, rückten allein aufgrund der tatsächlichen übernahme in eine GarantensteIlung ein. überlasse der Wanderer den Verletzten entgegen dem Versprechen seinem Schicksal oder ertrinke das Kind, während der Menschenfreund unaufmerksam gewes'en sei, so seien beide nicht Garant. Denn es sei widersinnig, den einen wie den anderen gegenüber demjenigen, der sich von vornherein jeglicher Hilfeleistung enthalte bzw. gegenüber demjenigen, der sich gegenüber Dritten stets gänzlich gleichgültig verhalte, schlechter zu stellen. 26 27
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Vgl. nur Jescheck LK § 13 Rn. 26 f. Stree, Mayer-FS., S. 145 ff. (152). Stree, Mayer-FS., S. 153.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
Deshalb, meint Stree, müsse zu der tatsächlichen übernahme ein zusätzliches Moment hinzutreten, damit ein Garantenverhältnis entstehe. Als einen Schritt in die richtige Richtung erkennt der Autor eine Entscheidung des OLG Celle2 9 an, in der verlangt wird, daß die Pflichtenübernahme zu einer sozialethischen Gebundenheit führen müsse, die auf verschiedenen Gründen, vornehmlich der Schaffung einer Vertrauenslage, beruhen könne und zur Folge habe, daß die Rechtsordnung der Stellung eine Schutzfunktion zuzuweisen vermöge. Indes, bemängelt Stree 30 , sei man mit dem Erfordernis der Vertrauenslage nicht weit genug vorgestoßen. Denn der Rechtsordnung lasse sich nirgends entnehmen, daß schon das Herstellen einer Vertrauenslage als solches besondere Rechtspflichten erzeuge. Schließlich werde ja u. U. auch der Verunglückte im Wanderer-Fall auf die Einhaltung des Versprechens vertrauen, ohne daß sich an dem Widersinn des gegenteiligen Resultats (Annahme einer Garantenstellung) etwas änderte. Nach seiner Meinung ist entscheidend, daß die übernahme einer Schutz- und überwachungsposition regelmäßig bestimmte Wirkungen für ein Rechtsgut zeitigt. Die übernahme könne etwa Schutzpflichtige oder Schutz bereite zu einem rechtsgutsgefährdenden Handeln veranlassen, oder sie könne dieselben davon abhalten, den erforderlichen Rechtsgüterschutz in eigener Person zu gewähren bzw. einen Dritten mit der Rechtsgutssicherung zu beauftragen31 . Maßgebliches Kriterium für eine Garantenstellung kraft übernahme ist danach also das Hervorrufen eines Gefahrenmoments, das darin besteht, daß andere Personen im Vertrauen auf die übernahme des Rechtsgüterschutzes entweder rechtsgutsgefährdend handeln oder eigene Schutzmaßnahmen unterlassen32 • b) Die Gegenmeinung
Die Vertreter der Gegenmeinung33 befürchten vor allem, daß die Garantenstellung kraft Obhutsübernahme durch das zusätzliche Gefahrerfordernis ihrer Selbständigkeit beraubt und so in der Ingerenz aufgelöst werde34• Anhand von Beispielen wird versucht nachzuweisen, OLG Celle, NJW 1961, 1940. Stree, Mayer-FS., S. 154. 31 Stree, Mayer-FS., S. 155. 32 Stree, Mayer-FS., S. 158; dieser Auffassung sind viele Autoren gefolgt: Jescheck LK § 13 Rn. 26; Dreher/Tröndle § 13 Rn. 7 ff.; Lackner § 13 Anm. 3 a bb; Maurach/Gössel AT, § 46 11 c 3, S. 152; Rudolphi SK § 13 Rn. 58 f.; Schmidhäuser, AT, 16/45 S. 669; WesseIs, AT, § 1611 5, S. 194. 33 Heimann/Trosien/Wolff LK (9. Aufl.) Ein!. Rn. 184; Geilen, AT, § 44 11 1 c S.242; Herzberg, Die Unterlassung, S. 350 ff.; Stratenwerth, AT, Rn. 1002; differenzierend Schünemann, Grund und Grenzen, S. 343 (349). 34 So insbes. Stratenwerth, AT, Rn. 1002; Herzberg, Die Unterlassung, S. 351 f. 29
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daß eine Begrenzung der übernahmegarantensteIlung mit Hilfe des Gefahrkriteriums überflüssig sei und zu ungerechten Ergebnissen führe. So dürfe beispielsweise der bezahlte Babysitter der Garantenhaftung nicht durch den Nachweis entgehen, die Eltern hätten das Kind ohne seine Zusage unbewacht lassen müssen. Desgleichen dürfe etwa der Bergführer strenger Haftung nicht durch den Beweis entgehen, daß der Tourist einen anderen Begleiter nicht gefunden und den Aufstieg trotzdem gewagt hätte3 5 • Statt dessen sei es notwendig, aber auch ausreichend, daß die übernahme wie der Vertrag eine sozialtypisch verbindliche Zusage enthalte36 . Dem Unterlassenden müsse kraft übernahme der Schutz des Rechtsguts vor drohenden Gefahren besonders anvertraut sein, was durch wertende Betrachtung zu ermitteln sei37 . So ergebe im Wanderer-Fall die Wertung, daß das Versprechen des Wanderers lediglich die Erklärung beinhalte, er werde seiner Pflicht aus § 323 c (n. F.) nachkommen. Ähnlich lösen sich danach die Fälle der unbemerkten Schutzübernahme (Fall des Menschenfreundes). Hier ergebe die Wertung, daß die soziale Beziehung zwischen Garant und Schützling ein gewisses Mclß an übereinkunft voraussetze. Der Schutzbedürftige müsse das Garantieverhältnis wünschen, zumindest akzeptieren38 • c) Stellungnahme
Die Argumentation, durch Hinzufügung des Gefahrkriteriums verkümmere die Obhutsübernahme zu einem bloßen Unterfall der Ingerenz, ist schon im Ansatz bedenklich, weil sie sich einseitig nur aus der Sicht derjenigen erklären läßt, die für die Haftung aus vorangegangenem Tun die Voraussetzung ablehnen, daß die Gefahr pflichtwidrig geschaffen worden sein muß39. Sie berücksichtigt nicht, daß sich etwa für Stree, der die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung als notwendiges Element der Ingerenz ansieht1°, diese grundsätzliche Systemfrage gar nicht stellt. Verlangt man nämlich wie er für die Ingerenzhaftung stets die Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung, so kann im Hinblick auf die selbständige Bedeutung der Obhutsübernahme gar kein Zweifel aufkommen: übernimmt jemand befugtermaßen den Schutz eines Rechtsgutes, versagt er jedoch in der Gefahrenlage, so haftet er als Beschüt35 Beispiele bei Herzberg, Die Unterlassung, S. 353 u. Geilen, AT, § 44 II 1 c S.242. 36 So Geilen, AT, § 44 II 1 c, S. 242. 37 Herzberg, Die Unterlassung, S. 353. 38 Herzberg, Die Unterlassung, S. 354. 39 Wie Herzberg, Die Unterlassung, S. 294 ff.; Geilen, AT, § 44 II 2 c S.246; Stratenwerth, AT, Rn. 1008. 40 Schönke/Schröder/Stree § 13 Rn. 35.
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zergarant für dieses konkrete Versagen. Für Ingerenz ist hier entweder mangels Pflichtwidrigkeit der Vorhandlung schon überhaupt kein Raum, oder aber das ingerente Verhalten ist der Übernahme nur nachgeschaltet; dann kommt der Ingerenz neben der im Vordergrund stehenden Übernahmegarantenstellung keine haftungsbegründende Wirkung mehr zu (z. B.: Der Babysitter gefährdet obendrein seinen Schützling selbst durch sorgfaltswidriges Verhalten). Insoweit taucht eine Konkurrenz zwischen Übernahme und Ingerenz nicht auf41 • Nur dann, wenn ausnahmsweise schon in der Übernahme der Schutzposition eine Pflichtverletzung liegt, z. B. weil der Täter weiß, daß er für eine solche Position nicht im geringsten qualifiziert ist, kann in der konkreten Übernahme auch eine echte Ingerenz liegen, wobei man in diesem Fall allerdings die Haftung häufig schon an das in der sorfaltswidrigen Übernahme liegende aktive Tun wird anknüpfen können. Andererseits kann auch Stree nicht vollends gefolgt werden. Denn es kann für die Garantenstellung etwa eines Arztes, der bei einem Unfall sein Kommen telefonisch zugesagt hat, in der Tat nicht darauf ankommen, ob die nachweisbare Möglichkeit bestand, sonst einen anderen Arzt genügend rechtzeitig herbeizuholen42 • Zutreffend ist nur der Ausgangspunkt, daß der materielle Grund, der die freiwillige Übernahme einer Schutzposition zur Garantenstellung macht, darin liegt, daß im Vertrauen auf die Übernahme andere Schutzmaßnahmen unterlassen werden, die andernfalls getroffen worden wären. Aber dieser Gedanke bedarf offenbar, worauf Maiwald 43 hingewiesen hat, noch einer Ergänzung. Ebensowenig wie das Unterlassen andernfalls getroffener anderweitiger Schutzmaßnahmen ja nicht notwendig davon abhängig ist, daß die für den Schutz gewonnene Person (im Beispiel der Arzt) auch tatsächlich44 ihren Dienst antritt, ist bei der freiwilligen Übernahme einer Schutzposition das Entstehen der Garantenstellung davon abhängig, daß anderweitige Schutzvorkehrungen tatsächlich44 unterlassen werden. Entscheidend ist einzig und allein, ob der Empfänger der Schutzzusage
41 Anders Jakobs, AT, 29/47 S.670 (mit 29/39 S. 667 f.), der sich insoweit zu Unrecht auf Stree beruft (S. 670 Fn.99). Für Jakobs ist die Obhutsübernahme ingerenzgleicher Unterfall der bei ihm sog. Organisationszuständigkeit. Daneben soll es noch den selbständigen Garantieaspekt besonderen Vertrauens als Unterfall institutioneller Zuständigkeit geben. Danach haftet der Babysitter aus übernahme (29/47 S. 670), derjenige, der eine pflegebedürftige Person aufnimmt, kraft besonderen Vertrauens (29/70 S.680). Die Tatsache, daß hier die Haftungskriterien offensichtlich austauschbar sind, läßt die Systematisierung wenig überzeugend erscheinen. 42 Beispiel bei Geilen, AT, § 44 II 1 eS. 242 u. Maiwald, JuS 1981, 473 (481). 43 Maiwald, JuS 1981,473 (481); ähnlich WesseIs, AT, § 16 II 5 S. 195. 44 Hervorhebung hier.
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auf die Einhaltung des Schutzversprechens vertrauen darf45 und demgemäß anderweitige Schutzvorkehrungen unterlassen darf45. Es ist also durchaus nicht unzutreffend, wenn Stl'ee fordert, daß die Zusage der Schutzübernahme bei dem Vertrauenden etwas bewirken müsse. Es reicht aber aus, wenn das Schutzversprechen bei dem Empfänger eine - in der Realität häufig gar nicht nachweisbare - Sorglosigkeit auslöst, die möglicherweise zu einer die Chancen des Rechtsguts verschlechternden Passivität führen kann. Damit steht zugleich fest, daß das Moment der (wenngleich nur potentiellen) Gefahrerhöhung, das anerkanntermaßen in allen GarantensteIlungen als Begehungselement rudimentär enthalten ist46 , auch für die Obhutsübernahme eine gewisse Rolle spielt. Nur bedarf es nicht notwendigerweise des Nachweises, daß die Schutzübernahme in concreto tatsächlich die Gefahr für das zu beschützende Rechtsgut erhöht hat. So bewirkt die Schutzzusage des Babysitters, des Bergführers oder des Arztes bei den Eltern, dem Tourist oder dem Verunglückten Sorglosigkeit. Im berechtigten Vertrauen auf den zugesagten Schutz dürfen sie anderweitige Vorkehrungen unterlassen. Diese durch das Vertrauen möglicherweise bewirkte Passivität kann die Chancen des Rechtsguts verschlechtert haben. Ohne die Schutzzusage des Babysitters hätte die im Theater weilenden Eltern die bohrende Ungewißheit vielleicht schon in der ersten Pause nach Hause getrieben, der Tourist wäre möglicherweise ohne den Führer schon nach wenigen Metern umgekehrt 47 • Es ist überflüssig, hier nach dem Gegenbeweis zu fragen, den der Versprechende realistischerweise gar nicht führen kann 48 • Ist das Rechtsgut dagegen ohnehin chancenlos (wie im WandererFall), so kann die Schutzzusage nichts bewirken. Denn die Feststellung, daß der Verunglückte aufgrund der Schutzzusage des Wanderers anderweitige Vorkehrungen unterlassen darf, macht keinen Sinn, wenn er sie gar nicht unterlassen kann. Schließlich führt auch die unbemerkte Schutzübernahme (im Fall des Menschenfreundes) nicht zu einer ObhutsgarantensteIlung, denn ohne jegliche Kommunikation kann schon von dem für die Übernahme erforderlichen Vertrauenstatbestand zwischen Beschützer und Beschütztem keine Rede sein. Hervorhebung bei Maiwald, JuS 1981,473 (481 f.). Arzt, JA 1980, 553 (560). 47 Bedenklich auch insoweit Jakobs, AT, 29/48, S.672, wonach die Garantenstellung des Bergführers u. U. von der Wirksamkeit des übernahmeversprechens abhängen soll: Fechte der Bergführer den Vertrag auf dem Gipfel an, soll seine Garantenstellung entfallen (I). 48 Vgl. auch die Behandlung des Bergführer-Beispiels bei Rudolphi SK § 13 Rn. 59; i. E. auch Schünemann, Grund und Grenzen, S. 350. 45
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre 3. Konsequenzen für die praktische Problembewältigung
Da die bloß faktische Existenz einer häuslichen Gemeinschaft für sich genommen nicht ausreicht, ein Obhutsverhältnis zu begründen, ist es erforderlich, daß in der Aufnahme eines Dritten in die Wohnung oder durch die gemeinsame Begründung eines Hausstandes bzw. einer Wohngemeinschaft die Übernahme einer individuellen, spezifischen PflichtensteIlung zum Ausdruck kommt. Dies ist weitgehend unproblematisch in den Fällen, daß die pflege- und hilfsbedürftige Person in die Wohnung aufgenommen wird und sie sich dadurch in die tatsächliche Obhut des Wohnungsinhabers begibt 49 • Hier hat die Aufnahme in die Wohnung gerade den (häufig alleinigen) Sinn, den Hilfsbedürftigen von der Notwendigkeit zu entbinden, sich um eine anderweitige Schutzmöglichkeit zu bemühen (z. B. ins Alters- oder Pflegeheim zu gehen). In anderen Fällen dagegen läßt sich die individuelle Übernahme der PflichtensteIlung nicht so leicht feststellen. Gleichwohl handelt es sich auch hier um Fälle der Obhutsübernahme50 .
a) Die Pflichtenübernahme in der Lebensund Wohngemeinschaft Hauptanwendungsfall der Obhutsübernahme zwischen Personen, die in häuslicher Gemeinschaft leben, ist die auf Dauer angelegte Verbindung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (das früher sog. Konkubinat)51. Daß derart enge zwischenmenschliche Beziehungen auch dann, wenn ihnen die urkundliche Bestätigung fehlt, Verbindlichkeiten zwischen den Partnern schaffen können, ist unbestreitbar52 . Denn das moderne Strafrecht moralisiert nicht, sondern dient in erster Linie dem Rechtsgüterschutz. 49 RGSt 69, 321; 73, 390; 75, 311; BGHSt 3, 21; ebenso Geilen, AT, § 44 II 1 b S. 241; Rudolphi SK § 13 Rn. 60. 50 Denn es ist nicht ersichtlich, warum es sich nur im Falle der Aufnahme einer gebrechlichen Person in den Haushalt um Obhutsübernahme soll handeln können, nicht aber im Falle der Aufnahme des Lebenspartners; vgI. dazu Geilen, AT, § 44 11 1 a und b S. 240 f.; Rudolphi SK § 13 Rn. 51 u. 56; Schmidhäuser, AT, 16/46 S.670; Jakobs, AT, 29/70 S.680, wo dieser Gesichtspunkt m. E. nicht hinreichend deutlich wird; desw. jetzt auch BGH, MDR 1984, 90, wo in den Fällen enger häuslicher Gemeinschaft für die Annahme einer Garantenstellung, wenn nicht ein enges Verwandtschaftsverhältnis oder Verlöbnis vorliegt, ohne Einschränkung die übernahme einer Schutz funktion verlangt wird. 51 Einen überblick über die Rspr. gibt Zeichner, Diss. S. 25 ff. 52 Beachtenswert sind auch die Bemühungen im Zivilrecht, das Problem der sog. "Ehe auf Probe" bzw. "der Partnerschaft ohne Trauschein" juristisch in den Griff zu bekommen, vgl. nur die zahlreichen Nachweise bei Palandt/ Diederichsen, vor § 1353 Rn. 8.
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Ohne einer Wiederbelebung der noch allein dem Rechtspflichtdogma verhafteten Vertragskonstruktion das Wort reden zu wollen, stellt die theoretische überlegung, wie im Einzelfall der die jeweilige Beziehung regelnde Vertrag aussehen müßte, eine äußerst nützliche Gedankenbrücke für die Frage dar, welche Schutzpflichten die Partner übernommen haben. Dabei wird man feststellen, daß sich in den meisten nicht ehelichen Lebensbeziehungen, für wie progressiv oder "alternativ" sie von den Partnern selbst auch insgesamt immer gehalten werden mögen, typische Elemente des Ehevertrages finden. Zentrales Element der (stillschweigenden) Absprache zwischen Nichtverheirateten, die in häuslicher Gemeinschaft leben, jedenfalls soweit es sich um eine verfestigte Zweierbeziehung handelt, sei sie nun heterosexueller oder homosexueller Natur, ist regelmäßig die Verpflichtung zum Beistand und zur Sorge für die Person des anderen. Maßgeblich ist, daß der Partner in der Regel als "neue" Bezugsperson gleichsam an die Stelle derjenigen tritt, die sich bis dahin (in Krankheits- oder Unglücksfäl1en etc.) um den anderen gekümmert hätten. Denn die Wahl der neuen Bezugsperson ist nahezu notwendig mit einem gewissen Rückzug oder gar Ausschluß anderer schutzbereiter Personen (z. B. EItern oder Geschwister) verbunden. Gerade hier aber zeigt sich, daß es nicht richtig sein kann, für die Obhutsübernahme den konkreten Nachweis zu verlangen, daß infolge der Schutzübernahme andere Vorkehrungen tatsächlich unterblieben sind53 und dadurch die Gefahr beweisbar erhöht worden ist. Denn der Unterlassungstäter kann natürlich nicht mit der Einlassung gehört werden, sein Partner hätte außer ihm ohnehin niemand anderen gehabt. Vielmehr kommt es nur darauf an, daß sich die Partner aufgrund des gemeinsamen Rückzugs in die Intimsphäre der Zweierbeziehung auf das gegenseitig gegebene Schutzversprechen verlassen und demgemäß sorglos andere Schutzvorkehrungen unterlassen durften. Ganz anders sieht die der bloßen Wohngemeinschaft zugrunde liegende Absprache aus 54 • Regelungsmaterie sind hier nicht in erster Linie die persönlichen, zwischenmenschlichen Beziehungen der Partner, sondern es stehen die Wohnverhältnisse im Vordergrund. Bei Studentengruppen beispielsweise ist es die rationale überlegung, durch das gemeinsame Anmieten einer Wohnung die monatlichen Aufwendungen des einzelnen zu reduzieren. Nicht selten werden die speziel1en Rechte und Pflichten der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft sogar ausdrücklich durch interne "Hausordnungen" schriftlich fixiert. Ähnliches So Maiwald, JuS 1981, 473 (481), s. o. Diese notwendige Differenzierung zwischen Wohn- und Lebensgemeinschaft führt Doering, MDR 1972, 664 nicht konsequent zu Ende, weshalb ihm i. E. nicht gefolgt werden kann. 53
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
gilt für Untermietverhältnisse. Es wäre eine reine Fiktion, derartigen Absprachen zusätzlich die Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand in Unglücksfällen unterzuschieben. Daran ändern grundsätzlich auch gelegentliche Sexualkontakte zwischen den Mitgliedern der Kommune nichts55 • Denn auch sich derart äußernde Beziehungen beinhalten keineswegs stets schon per se die stillschweigende Verpflichtung, in Zukunft für Wohl und Wehe des Partners einstehen zu wollen. Freilich soll nicht geleugnet werden, daß der Übergang von der bloßen Wohn- zu der auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft fließend sein und sich die Abgrenzung im Einzelfall äußerst schwierig gestalten kann. Das ursprüngliche Verhältnis bloßer Mietvertragsparteien kann sich mit der Zeit zu einer Lebenspartnerschaft verdichten, in der der eine zur maßgeblichen Bezugsperson wird und aus der andere zunehmend verdrängt werden. Hier wird die ursprüngliche Absprache gewissermaßen auf eine neue Geschäftsgrundlage gestellt, die nunmehr auch gegenseitige Einstandspflichten beinhaltet. Insbesondere mag es im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, die Frage forensisch zu klären, ob in einer Beziehung die Partner Einstandspflichten übernommen haben. Gänzlich unmöglich ist es sicher nicht. Haben die Partner in jahrelanger Gemeinschaft füreinander gesorgt, sich bei Krankheits- und Unglücksfällen gegenseitig Fürsorge angedeihen lassen und sich einander Unterhalt gewährt, so ergibt die historische Rekonstruktion der Beziehung, daß tatsächlich Verantwortung für die Person des anderen übernommen wurde. Der Bindung liegt in diesem Falle die konkludente Absprache gegenseitigen Beistandes in Notfällen zugrunde 56 • Andererseits ist es denkbar, daß auch eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft erklärtermaßen frei von jeglichen persönlichen Verpflichtungen bleiben soll, daß mit dem Ziel der Befreiung von angeblichen Zwängen, der Emanzipation und Selbstverwirklichung jegliche Verantwortung für das Schicksal des anderen ausdrücklich negiert wird. Da die Entstehung der Garantenstellung kraft freiwilliger Übernahme schon begrifflich nicht gegen den Willen der Beteiligten denkbar ist, kommt hier eine besondere Inpflichtnahme der Partner nicht in Betracht. Denn die Obhutsgarantenstellung kann nur soweit begründet sein, wie die Vertrauensbasis reicht 57 •
Insoweit zutreffend Geilen, AT, § 4411 1 a S. 240. Selbstverständlich kann das zu beurteilende konkrete Ausbleiben der Hilfe selbst (sozusagen als "venire contra factum proprium") nicht als Indiz für eine spontane Aufkündigung der Obhutsübernahme genommen werden (vgl. aber Geilen, AT, § 44 11 1 a S. 240). 57 Vgl. Maurach/Gössel, AT, § 46 11 c 4 a S. 153. 55
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Für die Entscheidung des AG Duisburg58 bedeutet dies, daß die Annahme einer GarantensteIlung durchaus zutreffend sein kann. Wenn "Eheähnlichkeit" der Beziehung bedeutet - was Tatfrage ist 59 - , daß die Partner einander konkludent versprochen hatten, "wie Eheleute" für Wohl und Wehe des anderen einstehen zu wollen, dann war der Angeklagte kraft Übernahme verpflichtet, den Tod seines Partners abzuwenden. Fest steht allerdings, daß aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit Zweifel an der Pflichtübernahme, die trotz eingehender Beleuchtung der Beziehung nicht selten verbleiben werden, zur Ablehnung einer GarantensteIlung führen müssen 60 •
b) Die Pflichtenübernahme durch den privaten Gastgeber Der BGH hat angedeutet, daß in dem Einlassen eines anderen in die private Wohnung die konkludente Übernahme von Einstandspflichten durch den Wohnungsinhaber für den Fall dem Gast drohender, schwerwiegender Gefahren gesehen werden könne 61 • In der Aufnahme in die Wohnung soll demnach die stillschweigende Zusage zum Ausdruck kommen, der Wohnungsinhaber wolle für den Schutz von Leib und Leben des Gastes innerhalb der Wohnung einstehen. In dieser Allgemeinheit trifft die Annahme eines konkludenten Übernahmeversprechens durch das bloße Einlassen in die Wohnung kaum zu. Daß jemand einen anderen in seine Wohnung läßt, kann alle möglichen Gründe haben. Nicht selten gewährt man - ausschließlich dem Gebot der Höflichkeit folgend - auch unliebsamen Besuchern Einlaß in die eigenen vier Wände. Mit diesem Akt des guten Tons bereits eine Schutzpflicht für die Person des Gastes freiwillig übernommen zu haben, wird der Wohnungsinhaber mit Recht weit von sich weisen. Hinzu kommt, daß in BGHSt 27, 10 die konkrete Absprache zwischen dem Wohnungsinhaber und dem Rentner ja feststand. Der Rentner sollte gegen einen Mietvorschuß von 50,- DM wenigstens einmal in der Wohnung übernachten dürfen. Mithin war Gegenstand der Absprache nichts weiter als ein kurzfristiger Untermietvertrag; die Pflichtenbindung war mithin nicht stärker als in den oben behandelten Wohngemeinschaften62 • Damit soll nicht behauptet werden, daß sich aus den Umständen des Einzelfalles nicht ausnahmsweise etwas anderes ergeben kann. Nur: ohne besondere Begleitumstände vermag die bloße Aufnahme in die Wohnung eine ÜbernahmegarantensteIlung nicht zu begründen. 58 59 80 61 62
AG Duisburg, MDR 1971, 1027. I. E. ebenso Schönke!Schröder!Stree § 13 Rn. 25 a. E. Vgl. auch Stratenwerth, AT, Rn. 1018. BGHSt 27, 10. S. o. 4. Teil B. 11. 3. a).
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
c) Die Pflichtenübernahme durch den Gastwirt,
Hotelier und andere Betriebsinhaber
In dem bereits erwähnten "Schamhaar"-Fa1l 63 vertrat der BGH die These, der Gastwirt habe seine Gäste in seinen Gasträumen vor Ausschreitungen anderer Gäste zu schützen. Die Entscheidung hat Beifall64 und Ablehnung65 erfahren. Unter dem Gesichtspunkt der freiwilligen übernahme einer Schutzposition wäre die GarantensteIlung des Gastwirts nur zu bejahen gewesen, konstruierte man die allenfalls in der Eröffnung der Gaststätte zu sehende konkludente Zusage des Gastwirts, Besucher vor Angriffen anderer schützen zu wollen. Die Besucher müßten sich also allein im Vertrauen auf diese verbindliche Schutzzusage den potentiellen Gefahren des Kontaktes mit einer Vielzahl unbekannter und vielleicht aggressiver Menschen voller Sorglosigkeit aussetzen dürfen. Zutreffend sagt Herzberg 66 von einer solchen "ad incertas personas" gerichteten Schutzzusage, daß sie im schlechten Sinne zivilistisch und von einer Fiktion nicht weit entfernt sei. Der Autor gelangt aber dennoch zu einer Garantenstellung des Gastwirts durch Addition dieses unzulänglichen Garantieaspekts mit dem weiteren - ebenfalls von ihm als unzulänglich erachteten - Gesichtspunkt des sozialen Herrschaftsbereichs. Erst die Kombination beider soll die GarantensteIlung ergeben. Denn eine Beschützergarantenstellung entstehe auch dadurch, daß jemand einen Beruf ergreife, mit dem sich nach rechtlichen und sozialen Wertungen die Vorstellung einer generell erhöhten Verantwortlichkeit für bestimmte Mitmenschen verbinde 67 . Die Aussage ist jedoch zu allgemein, um die Notwendigkeit eines verselbständigten Garantieverhältnisses "kraft beruflicher Sonderstellung" darzutun. Die Wertungen hinsichtlich der Verantwortlichkeit eines bestimmten Berufsbildes fallen ja gerade höchst unterschiedlich aus (wie schon die gegenteiligen Stellungnahmen zu BGH, NJW 1966, 1763 zeigen)68, und nicht einmal das jeweilige Berufsbild ist einheitlich zu beBGH, NJW 1966, 1763. Herzberg, Die Unterlassung, S. 355; Maurach!Gössel, AT, § 4611 c 2 C. 85 Schönke!Schröder!Stree § 13 Rn. 54; Jescheck, AT, § 59 IV 46, S.509; ders. LK § 13 Rn. 44; kritisch auch Arzt, JA 1980, 553 (653); Rudolphi SK § 13 Rn. 37. 68 Herzberg, Die Unterlassung, S. 355. 87 Herzberg, Die Unterlassung, S. 356. 88 Z. B. Arzt, JA 1980,653, der mit dem Gedanken der vertraglichen Nebenpflicht operieren will; Maurach!Gössel, AT, § 46 11 C, S.151 will die Straftatenverhinderungspflicht des Gastwirts dem Gaststättenrecht entnehmen. Ablehnend dagegen: Jescheck, AT, § 59 IV 4 b, S.509; Schönke!Schröder! Stree § 13 Rn. 54. 83
64
B. Schutzpflichten des Rauminhabers
155
stimmen. Die Frage ist doch, ob dann nicht auch etwa der Besitzer eines Eissalons, eines Schnell restaurants oder gar einer Trinkhalle den handgreiflichen Streit zwischen Gästen bzw. Kunden als Garant (u. U. beider Parteien?) abwenden muß. Und warum eigentlich sollte dann nicht auch der Inhaber eines Konfektionsgeschäftes als Beschützergarant kraft beruflicher Sonderverantwortlichkeit dagegen einschreiten müssen, daß sich ein Kunde wie von Sinnen auf die in der Anprobe umkleidenden Damen stürzt69 ? Demgegenüber ist das notwendige Maß an Rechtssicherheit nur zu erreichen, wenn man auch hier die engen Voraussetzungen der individuellen Obhutsübernahme verlangt, d. h. der Schutz eines bestimmten Rechtsgutes muß im Einzelfall ausdrücklich oder konkludent übernommen worden sein. Das ist etwa der Fall, wenn der Hotelier seine Gäste veranlaßt, beim Verlassen des Hotels ihren Zimmerschlüssel an der Rezeption ans Schlüsselbrett zu hängen. Hier übernimmt der Hotelier konkludent den Schutz des auf dem Zimmer befindlichen Eigentums der Gäste und ist als Garant verpflichtet, einen eventuellen Diebstahl zu verhindern. Das alles freilich schließt nicht aus, daß es Berufe gibt, die durch die individuelle Obhutsübernahme wesentlich geprägt sind, in denen quasi die BeschützersteIlung das Berufsbild selbst ausmacht. Dies gilt z. B. für den Beruf des Leibwächters, bei dem sich gewissermaßen die Berufspflichten in der Einnahme der Schutzposition erschöpfen. Auch dem Berufsbild der für den Objektschutz zuständigen Organisationen gibt die Übernahme konkreter Schutzfunktionen das maßgebliche Gepräge. Schließlich haben auch der Inhaber eines Parkhauses (oder eines Motels mit bewachtem Parkplatz) bzw. deren Angestellte unabhängig von der Ausgestaltung der zivilrechtlichen Haftung einen Kraftfahrzeugdiebstahl als Garanten zu verhindern. Nur die Tatsache jedoch, daß jemand den Beruf eines Gastwirts, Hoteliers oder Kaufmanns ergreift, macht ihn noch nicht zum Beschützergaranten seiner Kunden, der jedweden Angriff Dritter innerhalb seiner Geschäftsräume abwehren muß. Das Erfordernis der individuellen Obhutsübernahme durch den Betriebsinhaber gilt grundsätzlich auch für seine BeschützergarantensteIlung gegenüber dem eigenen Personal, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die Leitung und Organisation des Betriebes originär in den Händen des Inhabers liegt. Daraus folgt unmittelbar, daß in concreto keine allzu strengen Anforderungen an das jeweilige (konkludente) Übernahmeversprechen zu stellen sind. Wer daher als Geschäftsherr sein Personal mit gefährlichen Verrichtungen betraut, erklärt zu69
In Abwandlung des Falles OLG Hamburg, JR 1950, 409.
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4. Teil: Lösung im System der modernen Garantenlehre
gleich stillschweigend, daß er das seinerseits Erforderliche und Mögliche zu deren Schutz getan habe bzw. auch weiterhin tun werde. 4. Zusammenfassung
Der eigenständige Entstehungsgrund einer GarantensteIlung aus häuslicher Gemeinschaft ist nicht anzuerkennen. Tatsächlich handelt es sich bei den einschlägigen Fällen (z. B. Aufnahme einer pflegebedürftigen Person in den Haushalt, Lebenspartnerschaft im gemeinsamen Haushalt) durchweg um Fälle der Obhutsübernahme. Zur Aufklärung eines eventuellen übernahmeversprechens ist zu fragen, was die Betroffenen vereinbart hätten, wenn sie ihrer Beziehung eine vertragliche Absprache zugrunde gelegt hätten. In bloßen Wohngemeinschaften und beim Abschluß von Miet- oder Untermietverträgen werden Einstandspflichten regelmäßig nicht begründet. Allerdings kann sich eine bloße Wohngemeinschaft zu einer auf Dauer angelegten Lebenspartnerschaft verdichten. In diesem Falle wird das Verhältnis gleichsam auf eine neue Geschäftsgrundlage gestellt, die nunmehr auch Erfolgsabwendungspflichten einschließt, was durch sorgfältige, historische Rekonstruktion der Beziehung zu ermitteln ist. Das allerdings erwartungsgemäß nicht selten mit einem non liquet endende Resultat ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit in Kauf zu nehmen. Durch die bloße Aufnahme eines anderen in die eigene Wohnung werden normalerweise keinerlei Schutzpflichten begründet. Ebensowenig begründet die bloße Aufnahme eines Berufes z. B. des Gastwirts oder Hoteliers per se irgendwelche Schutzpflichten. Stets ist es erforderlich, daß die Pflichtenübernahme im Einzelfall ausdrücklich oder konkludent zugesagt wird.
Ergebnis der Untersuchung Damit kann das Ergebnis der Untersuchung in aller Kürze wie folgt zusammengefaßt werden: Der Umstand, daß jemand Inhaber bestimmter Räumlichkeiten ist, stellt für sich genommen kein garantenpflichtbegründendes Kriterium dar. Die GarantensteIlung des Rauminhabers kann sich vielmehr nur aus dem allgemeinen Gesichtspunkt seiner besonderen Beziehung entweder zur Gefahrenquelle oder zum bedrohten Rechtsgut ergeben. Eine Gefahrenquelle stellt die Räumlichkeit nicht schon dann dar, wenn sie allein durch die ihr eigentümliche Abschirmung gefährlich wird, sondern nur dann, wenn die Gefahren durch ihren verkehrsunsicheren Zustand hervorgerufen wurden. Denn Gefahrquellenverantwortlichkeit bedeutet insoweit Haftung für Verkehrsunsicherheit. Aus dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflicht innerhalb eines Raumes kraft beruflicher Autoritätsstellung hat der Betriebsinhaber als Garant Straftaten seines Personals zu verhindern, wenn es sich dabei um betriebsbezogene Straftaten handelt. Insbesondere hat er dafür Sorge zu tragen, daß sein Personal nicht typischen beruflichen Versuchungen erliegt. Die Ingerenzhaftung des Rauminhabers kommt grundsätzlich nur bei pflichtwidrigem Vorverhalten in Betracht. Wegen der Besonderheiten bei Dauerdelikten muß allerdings auch derjenige, der einen anderen gerechtfertigterweise eingesperrt hat, diesen als Garant befreien, sobald der Rechtfertigungsgrund weggefallen ist. Erfolgte die Einsperrung dagegen versehentlich, so kann die Nichtvornahme der Befreiung nur nach § 323 c bestraft werden. Eine Ingerenzgarantenstellung hat derjenige Rauminhaber, der in seinen Räumen Menschen zusammenführt, obwohl er voraussieht, daß diese dort gegeneinander Straftaten begehen werden. Der Ausschank von Alkohol durch den Gastwirt bzw. durch den privaten Gastgeber ist ausnahmsweise dann pflichtwidrig und begründet die Ingerenzhaftung, wenn diese Personen aufgrund besonderer Umstände nicht mehr darauf vertrauen dürfen, daß sich der Gast nach dem Alkoholkonsum noch sorgfaltsgemäß verhalten wird.
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Ergebnis der Untersuchung
Die Verabreichung von Betäubungsmitteln ist als Verstoß gegen das BetMG evidentermaßen pflichtwidrig. Richtigerweise ist für die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit desjenigen, der anderen Rauschgift verabreicht, bereits an dieses sorgfaItswidrige aktive Tun anzuknüpfen. Dem Selbstverantwortungsprinzip kommt im Falle Rauschgiftabhängiger, jedenfalls wenn es um den Konsum sogenannter harter Drogen geht, keine haftungsbeschränkende Wirkung zu. Schließlich entstehen Garantenpflichten nicht allein dadurch, daß Menschen in enger häuslicher Gemeinschaft leben. Voraussetzung für die Garantenhaftung ist vielmehr, daß freiwillig der Schutz bestimmter Rechtsgüter ausdrücklich oder konkludent übernommen worden ist.
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