237 27 12MB
German Pages 441 [444] Year 1993
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE
PHILOLOGIE
BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER
Band 246
ELMAR SCHAFROTH
Zur Entstehung und vergleichenden Typologie der Relativpronomina in den romanischen Sprachen Mit besonderer Berücksichtigung des Substandards
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1993
Meiner Frau Marianne
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schafroth, Elmar: Zur Entstehung und vergleichenden Typologie der Relativpronomina in den romanischen Sprachen : mit besonderer Berücksichtigung des Substandards / Elmar Schafroth. Tübingen : Niemeyer, 1993 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 246) NE: Zeitschrift für Romanische Philologie / Beihefte ISBN 3-484-52246-1
ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Memminger Zeitung, Memmingen Einband: Heinrich Koch, Tübingen
Vorwort
Die vorliegende Arbeit versucht, einen Beitrag zur Synchronie und Diachronie der Relativpronominalsysteme in der Romania zu leisten. Im Mittelpunkt stehen Relativkonstruktionen, die in allen romanischen Einzelsprachen mit präskriptiver Norm als Substandard gelten, in nicht-kodifizierten romanischen Sprachsystemen (z.B. Sardisch, französische, frankoprovenzalische, okzitanische, italienische Dialekte, französische Kreolsprachen, romanische Substandardvarietäten) jedoch die Gebrauchsnorm darstellen und somit als genuin sprechsprachliche Diskursstrategien betrachtet werden können. Auf der Basis einer übereinzelsprachlichen abstrakten Typologie der «Substandard»-Relativa werden, ausgehend vom klassischen Latein, sowohl frühere Sprachstufen (bes. des Frz. und Ital.) als auch die Gegenwartssprache (bes. des Frz., Ital., Span., Port.), einschließlich diatopischer und diastratisch-diaphasischer Varietäten, berücksichtigt. Die Problematik des «polyvalenten Relativums» wird somit unter historisch-genetischem und synchronisch-funktionalem, aber auch unter soziolinguistischem und sprachtypologischem Aspekt behandelt. Ich möchte an dieser Stelle all denen herzlich danken, die am Zustandekommen dieser Arbeit beteiligt waren. Mein Dank gilt in erster Linie Herrn Professor Dr. Lothar Wolf, der diese Arbeit angeregt und in allen Phasen der Entstehung betreut und durch vielfältige und wertvolle Hilfe gefördert hat. Ferner möchte ich Herrn Priv.doz. Dr. Werner Hupka für viele kritische Anmerkungen und bibliographische Hinweise danken. Herzlich gedankt sei auch Herrn Dott. Antonio Luna (Potenza) für seine Hilfe bei der Auswertung italienischer Korpora, Hejrn Dr. Joachim Christi für die Durchsicht des Spanisch-Kapitels, sowie Herrn Dr. Paul Berthold Rupp, Fachreferent für Romanistik an der Universitätsbibliothek Augsburg, und Frau Hedwig Bäcker, frühere Institutsbibliothekarin (Romanistik) an der Universität Erlangen, für ihre freundliche Unterstützung. Mein ganz besonderer Dank gilt sodann Herrn Dr. Norbert Weinhold, der mir eine unschätzbare Hilfe bei der Korrektur des Manuskripts war und der mir in vielen substantiellen Gesprächen zahlreiche kritische Hinweise und Ratschläge gegeben hat. Mein allerherzlichster Dank gilt schließlich meiner Frau Marianne, die mir zu allen Zeiten eine zuverlässige moralische Stütze war und in aufopferungsvoller Weise am Gelingen des Manuskripts, insbesondere an der Anfertigung der Bibliographie, beteiligt war.
V
Inhaltsverzeichnis
ι.
Inhalt und Ziel der Arbeit
ι
2.
Untersuchungsgegenstand, Terminologie und Methode
5
2.1. Untersuchungsgegenstand 2.2. Terminologische und begriffliche Klärungen 2.2.1. Terminologische Grundlagen 2.2.2. Zur Unterscheidung von Relativpronomen, Relativpartikel und Relativum 2.2.3. Zur Unterscheidung von und in der Sprachwissenschaft 2.3. Methodische Grundlagen 2.3.1. Theoretische Vorüberlegungen 2.3.2. Zur Typologie der romanischen Relativa 2.3.2.1. Gemeinromanisches Maximalsystem und einzelsprachliche Makrosysteme 2.3.2.2. Typologie der Substandardrelativa 2.3.2.3. Illustration des Modells durch französische und italienische Beispiele 3.
5 8 8 12 15 20 20 23 23 25 27
Forschungsstand
31
3.1. Gesprochene Sprache, Substandard und Varietäten 3.2. Relativsätze und Relativpronomina 3.2.1. Sprachtypologie und Universalienforschung 3.2.2. Generative Transformationsgrammatik 3.2.3. Approche pronominale und Guillaumescher Strukturalismus 3.2.4. Einzeluntersuchungen 3.3. Zur Forschungsgeschichte der Substandardrelativa
31 33 33 43
4.
59
46 50 52
Latein
4.1. Das Relativpronominalsystem im klassischen Latein 4.2. Die Reduktion der klassischlateinischen Relativpronomina unter
59
dem Einfluß der Volkssprache 4.2.1. Phonologische Veränderungen 4.2.2. Morphologische Veränderungen
60 61 64 VII
4-2.3· Syntaktische Veränderungen 4.3. Die Herausbildung der romanischen Relativpronominalsysteme . . 4.3.1. Vom vulgärlateinischen zum protoromanischen System . . 4.3.2. Die Entwicklung zu den romanischen Substandardtypen 4.3.3. Die Entwicklung zu den unmarkierten romanischen Relativpronomina 4.3.4. Die Entstehung neuer romanischer Relativpronomina . . 4.3.5. Die Verwendung von Adverbien in der Funktion von Relativpronomina 4.4. Zusammenfassung
65 67 67 72
5.
81
Französisch
5.1. Zum Gebrauch der Relativpronomina im Altfranzösischen 5.2. Zum Gebrauch der Relativpronomina im Mittelfranzösischen . . . . 5.3. 16. Jahrhundert 5.3.1. Zum Gebrauch der Relativpronomina im 16. Jahrhundert 5.3.2. Zur Darstellung der Relativpronomina in den ersten Grammatiken und Sprachbüchern des Französischen . . . 5.3.2. ι. Die Darstellung der Relativpronomina im Lesclarcissement de la langue francoyse 5.3.2.2. Die Darstellung der Relativpronomina in weiteren Grammatiken und Sprachbüchern des 16. Jahrhunderts 5.3.2.2.1. Jacques Dubois ( 1531 ) : Introduction à la langue française (In gallicani isagoge) 5.3.2.2.2. Louis Meigret (1530): Le Traité de la Grammaire française 5.3.2.2.3. Giles du Wes (1532): An Introductorie for to Lerne, to Rede to Pronounce and to Speke French Trewly 5.3.2.2.4. Robert Estienne (1557): Traicté de la gramaire françoise .' 5.3.2.2.5. Pierre de la Ramée (1562): Gramere. Pierre de la Ramée (1572): Gramaire 5.4. 17. Jahrhundert 5.4.1. Zur Darstellung der Relativpronomina in Grammatiken und Sprachbüchern vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zu den Remarques von Vaugelas 5.4.1.1. Jean-Baptiste du Val (1604): L'Escholefrançoise 5.4.1.2. Abraham La Faye (1608): Lingua Gallicae et Italicae hortulus amoenissimus 5.4.1.3. Charles Maupas (1618): Grammaire et syntaxe françoise 5.4.1.4. Antoine Oudin (1632 und 1640): Grammaire françoise . . 5.4.1.5. NathanaelDuez(i643,1646,u.a.): Le vray gvidon de la langue françoise VIII
76 77 79 79
81 88 93 93 97 98
101 ιοί 102 102 102 103 103
103 103 103 104 105 106
5 ·4· 2
Die französischen Relativpronomina im Spiegel der Sprachnormierung 5.4.3. Die Distribution der Relativpronomina im vorbildlichen Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts am Beispiel der Remarques de la Langue Françoise und anderer zeitgenössischer normativer Werke 5.4.3.1. qui 5.4.3.1.1. g«/als Subjektpronomen 5.4.3.1.2. gwj als indirektes und präpositionales Objekt 5.4.3.2. Die Verwendung von où in relativischer Funktion 5.4.3.3. quoi 5.4.3.4. dont 5.4.3.4.1. dont in Vertretung einer de-Ergänzung von Verben und Nominalgruppen 5.4.3.4.2. dontzur Bezeichnung der Herkunft 5.4.3.4.3. Besonderheiten im Gebrauch von doni 5.4.3.5. Präp +lequel 5.4.3.5.1. duquel statt de qui 5.4.3.5.2. duquel statt dont 5.4.3.6. Der Gebrauch von que in der Funktion eines indirekten oder präpositionalen Objekts 5.4.3.7. Zusammenfassung 5.4.4. Zum Gebrauch der Relativpronomina in Briefen und literarischen Werken des 17. Jahrhunderts 5.4.4.1. Vaugelas'frühe Werke und Briefe 5.4.4.2. Paul Scarron, Le roman comique 5.4.4.3. Werke von Molière, Corneille und Racine 5.4.5. Zum nicht-normativen Gebrauch der Relativa im 17. Jahrhundert 5.4.6. Zum gesprochenen Französisch im 17. Jahrhundert . . . . 5.5. Zum Gebrauch der Relativpronomina des Französischen vom 17. bis 19. Jahrhundert auf der Basis von Wörterbüchern und Grammatiken 5.6. Zum Gebrauch der Relativpronomina in ausgewählten literarischen Werken des 18. und 19. Jahrhunderts 5.6.1. Zu Werken des Grafen Caylus und Louis Sébastien Merciers 5.6.2. Zu den Romanen L'assommoir und La conquête de Plassans von Émile Zola 5.6.3. Zu literarischen Werken volkstümlichen Charakters . . . 5.7. Zu den Substandardrelativa im modernen Französisch 5.7. ι. Zur Darstellung in einsprachigen französischen Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts
106
107 108 108 110 113 115 117 118 119 120 121 121 121 122 124
126 126 134 136 140 142
153 158 158 159 164 165 165 IX
5 ·7· 2.
Zur Darstellung in puristischen Publikationen des 20. Jahrhunderts 5.7.3. Zur Darstellung in Wörterbüchern zum français populaire, français parlé und argot 5.7.4. Zu den Substandardrelativa in der Literatur des 20. Jahrhunderts 5.7.4. ι. Substandard als Mittel der Stilistik und sozialen Markierung 5.7.4.2. Eine Episode: Verlagslektoren korrigieren André Gide . 5.7.5. Zum Gebrauch der Relativa im heutigen gesprochenen Französisch 5.7.5.1. Auswertung des Corpus d'Orléans 5.7.5.1.1. Auswertungsmethode 5.7.5.1.2. Ergebnisse 5.7.5. ι .3. Zu den Substandardrelativa 5.7.5. ι .4. Präsentation der Substandardrelativsätze im Corpus d'Orléans 5.7.5.1.5. Weitere Phänomene 5.7.5.1.6. Innersprachliche Korrelationen 5.7.5.1.7. Zusammenfassung 5.7.5.2. Auswertung des Crédif-Korpus (Cahiers du français des années quatre-vingts) 5.7.5.2.1. Ergebnisse 5.7.5.2.2. Z u den Substandardrelativa 5.7.5.2.3. Präsentation der Substandardrelativsätze im Corpusdu Crédif 5.7.5.2.4. Weitere Phänomene 5.7.5.2.5. Innersprachliche Korrelationen 5.7.5.2.6. Zusammenfassung 5.7.5.3. Weitere Korpora zum gesprochenen Französisch 5.8. Zum Gebrauch der Relativa in diatopischen Varietäten des Französischen 5.8.1. Zu den Relativa im kanadischen Französisch 5.8.2. Zu den Relativa im nordafrikanischen Französisch 5.8.3. Zu den Relativa in den Dialekten der langue d'oïl und der langue d'oc auf der Basis des Materials in Sprachatlanten und Monographien 5.8.3.1. Atlas linguistique de la France (ALF) 5.8.3.2. Regionalatlanten und Dialektmonographien 5.8.3.2.1. Französische Dialekte 5.8.3.2.2. Frankoprovenzalische Dialekte 5.8.3.2.3. Okzitanische Dialekte 5.8.3.2.4. Weitere Regionalatlanten 5.8.3.3. Zusammenfassung X
169 170 172 172 175 177 177 178 180 183 186 190 191 192 193 195 197 200 202 203 203 204 206 206 217
220 220 221 221 223 226 227 227
5.9 • Zu den Relativa in französischen Kreolsprachen 5.9.1. Frankokreolisch in der Karibik 5.9.2. Frankokreolisch in Louisiana 5.9.3. Frankokreolisch im Indischen Ozean 5.9.4. Frankokreolisch im Pazifik 5.9.5. Zusammenfassung 5.10. Zur kontroversen Diskussion um das Alter des gesprochenen Französisch am Beispiel der Substandardrelativa
229 230 233 234 236 237 240
6.
249
Italienisch
6.1. Zum Gebrauch der Relativpronomina im Altitalienischen
249
6.1.1. Formen und Funktionen der Relativa im Altitalienischen 6.1.2. che als Relativpartikel 6.1.3. Zusammenfassung 6.2. Zur Darstellung der Substandardrelativa in italienischen Wörterbüchern vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis heute 6.3. Zur Darstellung der Substandardrelativa in modernen Grammatiken des Italienischen 6.3.1. Die Grammatica italiana von Luca Serianni 6.3.2. Die Grande grammatica italiana di consultazione von Lorenzo Renzi
249 252 259 260 265 265 267
6.3.3.
Die Grammatik der italienischen Sprac/ie von Christoph Schwarze 6.4. Zum Gebrauch der Relativa in diatopischen Varietäten des Italienischen 6.4.1. Zum Regionalitalienischen von Bologna 6.4.1.1. Ergebnisse der Korpusauswertung 6.4.1.1.1. Anzahl der verwendeten Relativpronomina 6.4.1.1.2. Verteilung der verschiedenen Relativkonstruktionen . . . 6.4.1.1.3. Substandardsprachlicher Gebrauch von Relativpronomina 6.4.1.1.4. Exkurs: Substandardsprachlicher Gebrauch der polyvalenten Konjunktion che 6.4.1.2. 6.4.2. 6.4.2.1. 6.4.2.1. ι. 6.4.2.1.2. 6.4.2.2. 6.4.2.2.1. 6.4.2.2.2. 6.4.2.2.3.
Zusammenfassung Zu den Relativa in den Dialekten Italiens auf der Basis des Materials in Sprachatlanten und Monographien . . . . Sprachatlanten Atlante linguistico-etnografico dell'Italia e della Svizzera meridionale (AIS) Regionalatlanten Dialektmonographien Piemontesisch Lombardisch Ligurisch
269 270 270 271 271 272 273 275 278 279 279 279 279 282 282 283 286 XI
6.4-2.2-4- Venezisch 6.4.2.2.5. Romagnolisch 6.4.2.2.6. Abruzzesisch 6.4.2.2.7. Kampanisch 6.4.2.2.8. Apulisch 6.4.2.2.9. Kalabresisch 6.4.2.3. Zusammenfassung 6.5. Zum Gebrauch der Substandardrelativa im geschriebenen Italienisch 6.5.1. Literarische Werke 6.5.2. Briefe italienischer Kriegsgefangener(i9i5-i9i8) 6.5.3. Schulaufsätze neapolitanischer Kinder 6.6. Zum soziolinguistischen Stellenwert der Substandardrelativa im heutigen Italienisch 7.
Spanisch
7.1. 7.2.
287 287 287 288 289 289 290 291 291 297 302 303 307
Zum Gebrauch der Relativpronomina im Altspanischen Zum Gebrauch der heutigen Substandardkonstruktionen im 16. Jahrhundert 7.3. Zur Darstellung der Substandardrelativa in Grammatiken des Spanischen 7.4. Zur Darstellung der Substandardrelativa in Wörterbüchern des Spanischen 7.5. Zu den Substandardrelativkonstruktionen in sprachwissenschaftlichen Untersuchungen 7.6. Untersuchungen zu den Relativpronomina in einigen Varietäten des gesprochenen europäischen Spanisch 7.7. Untersuchungen zum Gebrauch der Relativa im geschriebenen Spanisch 7.8. Zu den Substandardrelativa im amerikanischen Spanisch 7.9. Zusammenfassung
324 325 330
8.
332
Portugiesisch
307 311 312 316 317 319
8.1. Zu den Substandardrelativa im europäischen und brasilianischen Portugiesisch 8.2. Zur Frequenz und Distribution der Relativpronomina in neueren Korpora zum modernen gesprochenen Portugiesisch 8.2.1. Das Korpus von Joäo Malaca Casteleiro 8.2.2. Das Korpus des Portugués fundamental 8.2.3. Das Korpus von Christoph Petruck 8.3. Zusammenfassung
335 335 336 338 341
9.
Katalanisch
342
10.
Okzitanisch
346
XII
332
11.
Sardisch
351
12.
Rumänisch
354
13.
Rätoromanische Mundarten
358
13.ι. Friaulisch
358
13.2. Dolomitenladinisch
358
13.3. Bündnerromanisch
359
14.
Zur Frage des universellen Status der Substandardrelativa und zum Problem sprachlicher Einfachheit
15.
360
Z u r sprachtypologischen Beschreibung der Substandardrelativkonstruktionen
366
16.
Zusammenfassung und Ergebnisse
371
17.
Abkürzungen
384
18.
Bibliographie
385
18. ι. Primärquellen
385
18.2. Textkorpora: GesprocheneSprache
386
18.3. Wörterbücher
386
18.4. Sprachatlanten
391
18.5. Grammatiken, Sprachbücher, Sprachtraktate
393
18.6. Benutzte Literatur
398
XIII
ι.
Inhalt und Ziel der Arbeit
Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur Erforschung gesprochener Sprache, insbesondere des Substandards, in den romanischen Sprachen. Ausgehend von einer übereinzelsprachlichen abstrakten Typologie der Substandardrelativa werden alle romanischen Sprachen auf dieses Modell hin überprüft. In die Analyse werden allerdings nicht nur nationale Schriftsprachen der Romania mit einbezogen (Französisch, Italienisch, Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch, Rumänisch), sondern auch Sprachsysteme ohne kodifizierte Norm (Sardisch, französische, frankoprovenzalische, okzitanische und italienische Dialekte und Regionalsprachen, französische Kreolsprachen) bzw., wie im Falle des Okzitanischen, auch solche mit bewußt an der gesprochenen Sprache (i.e. den Mundarten) ausgerichteten Normierungskonzepten. Der synchronische Parallelismus funktional äquivalenter Formen und Konstruktionen in allen romanischen Einzelsprachen erfordert eine erklärende diachronische Perspektive. Aus diesem Grund beginnt unsere Studie bei einem sprachtypologisch völlig anders gearteten System, dem klassischen Latein. Ausgehend vom Paradigma flexivischer Relativpronomina wird das Zusammenwirken verschiedener sprachlicher Prozesse nachgezeichnet, an deren Ende die Prototypen der romanischen Substandardkonstruktionen stehen. Es wird deutlich, daß die heutigen «volkssprachlichen» Relativsatzstrategien ihren Ursprung im nachklassischen Sprechlatein haben. Dieses Mikrosystem stand unseren Untersuchungen zufolge bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt als Bestandteil nähesprachlich markierter gesprochener Sprache einem «neutralen» (schriftsprachlichen) System aus zum Teil ererbten, zum Teil neuen Formen und Funktionen gegenüber. Die flexivischen Defizite, die seit der im Vulgärlatein begonnenen Kasusreduktion auch in den (schriftsprachlichen) romanischen Systemen der Relativa vorhanden waren, wurden im Mittelalter durch den latinisierenden, kasussensitiven Typus lequel auszugleichen versucht. Die Schriftsprache erhielt so ein distanzsprachliches Pendant zum volkssprachlichen polyfunktionalen que. Bei den einzelsprachlichen Beschreibungen wurden den Diasystemen «Französisch» und «Italienisch» vor allem wegen der sehr früh einsetzenden Normierungstradition in beiden Ländern und den daraus resultierenden Implikationen für das Spannungsverhältnis «gesprochene/geschriebene Sprache» ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Sowohl in Frankreich als auch in Italien schälte sich bereits zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt ein sprachliches Modell herI
aus, das für die Konstituierung einer Nationalsprache bzw. Literatursprache als vorbildlich erachtet wurde. Mit der Schaffung des italienischen Akademie-Wörterbuchs verstummte die Diskussion um die literarische Norm in Italien zwar auch in der Folgezeit nicht - die Entscheidung war jedoch de facto zugunsten des archaischen Toskanisch der Trecentisten gefallen. Mit der Einigung Italiens wurde zwar ein am mündlichen Sprachgebrauch orientiertes Sprachmodell als Nationalsprache propagiert, die Beschränkung auf einen regionalen Soziolekt bescherte den Sprechern außerhalb der Toskana jedoch eine artifizielle Hochsprache. In Frankreich wurde aus politischen, kulturellen und anderen Gründen die Frage der Nationalsprache sehr früh für das Franzische entschieden. In einer zweiten Etappe wurde die Gemeinsprache dann einem drastischen Normierungsprozeß unterworfen, der am mündlichen Sprachgebrauch einer sozialen Minderheit, dem Hofe im absolutistischen Frankreich, ausgerichtet war. Andererseits wurde zu allen Zeiten anders gesprochen als geschrieben. Die zu erwartende Diskrepanz zwischen schriftsprachlicher Norm und mündlichem Sprachgebrauch ist in diesen beiden Einzelsprachen als besonders ausgeprägt zu betrachten. Während in Italien vor allem diatopisch determinierte Sprachvarietäten in Opposition zur normierten Schriftsprache standen und stehen, sind für das Französische stark diaphasisch und diastratisch geprägte Manifestationen gesprochener Sprache die maßgeblichen Elemente sprachlichen Substandards 1 . Beide Komponenten werden ausführlich berücksichtigt, sei es in Form zusammenfassender Darstellungen bekannten sprachlichen Materials (Wörterbücher, Grammatiken, Sprachatlanten, Monographien), sei es in der Auswertung und Präsentation neuer sprachlicher Daten, die wir aus der Analyse verschiedener Korpora zum gesprochenen Französisch und Italienisch (Corpus d'Orléans, Crédi/-Korpus, Korpora von Beauchemin/Martel/Théoret, Rizzi/Vincenzi, das Journal d'Héroard u . a . ) gewinnen konnten. Erstmals werden Korpora authentischer gesprochener Sprache systematisch nach inner- und außersprachlichen Kriterien auf das Vorkommen und die Gebrauchsbedingungen des sog. Substandardrelativums untersucht. Dabei wird die Frequenz dieser Fälle ebenso berücksichtigt wie deren etwaige strukturelle Gebundenheit, i.e. die syntagmatische Einbettung in die Satz- und Textstruktur {funktionaler Aspekt). Gleichzeitig 1
Da sich diaphasische und diastratische Varietäten nicht als disparate Subsysteme herauslösen lassen, sondern - teils nachvollziehbar, teils jedoch auch unentwirrbar - verflochten sind mit diatopischen Varietäten einerseits und mit den konzeptuellen Eigenschaften gesprochener Sprache andererseits, begreifen wir diese Varietäten als Bündel von Merkmalen, die an verschiedenen Stellen zwischen zwei Polen eines Kontinuums angesiedelt sind. Die beiden Endpunkte dieser Variantenskala sind, in ihrer idealisierten Form, auf der einen Seite die kodifizierte Norm, auf der anderen Seite ein Diasystem, das nur aus organisch gewachsenen, nicht-normierten («volkssprachlichen») Sprachformen besteht. Die sprachliche Wirklichkeit zeigt jedoch, daß es kaum einen Sprecher gibt, der hinsichtlich seiner Sprachkompetenz oder seines Sprachverhaltens das eine oder andere Extrem in seiner Reinform repräsentiert. Stattdessen ist davon auszugehen, daß jeder Sprecher immer nur eine Auswahl aus diesem Kontinuum trifft, die an die unterschiedlichsten Faktoren gekoppelt sein kann. 2
wird versucht, d i e j e n i g e n E l e m e n t e z u b e s t i m m e n , die mit d e m A u f t r e t e n dieser Strukturen korrelieren (syntaktisch-typologischer Aspekt).
Z u m anderen wer-
d e n außersprachliche P a r a m e t e r w i e Gesprächssituation und - t h e m a sowie das S o z i o g r a m m eines j e d e n Sprechers ( A l t e r , G e s c h l e c h t , Schulbildung, B e r u f , u n d , w o möglich, Verhältnis zu S p r a c h e ) mit e i n b e z o g e n (soziolinguistischer Aspekt). E i n e s unserer Z i e l e ist es also, eine qualitative und quantitative B e s t i m m u n g d e r N o r m a b w e i c h u n g e n im B e r e i c h der R e l a t i v k o n s t r u k t i o n e n v o r z u n e h m e n . H i e r z u ist ein Blick auf die Verhältnisse in früheren Sprachstufen sowie auf die historische E n t w i c k l u n g der P h ä n o m e n e unumgänglich 2 . E i n e detaillierte A n a lyse des sprachnormativen D i s k u r s e s , d e r sich in S p r a c h t r a k t a t e n , W ö r t e r b ü chern und G r a m m a t i k e n widerspiegelt, soll hierbei d e n soziolinguistischen
Stel-
lenwert d e r untersuchten P h ä n o m e n e in G e s c h i c h t e u n d G e g e n w a r t verdeutlichen. D i e s wird in b e s o n d e r e m M a ß e für die N o r m i e r u n g d e r
französischen
Sprache g e s c h e h e n . D e r E i n f l u ß , d e n die Sprachregulierung im 17. Jahrhundert auf die französischen Schriftsteller hatte, wird anhand einiger a u s g e w ä h l t e r W e r k e hinsichtlich des G e b r a u c h s der R e l a t i v p r o n o m i n a ü b e r p r ü f t . D e r Stellenwert stilisierter g e s p r o c h e n e r Sprache in der Literatur wird darü b e r hinaus exemplarisch für das 19. und 20. Jahrhundert untersucht. In e i n e m b e s o n d e r s e k l a t a n t e n Fall ( G i d e , Les caves du Vatican) w u r d e ein v o m A u t o r intentional gesetztes Substandardrelativum von d e n H e r a u s g e b e r n p o s t h u m e r E d i t i o n e n «korrigiert», i . e . durch die normsprachliche Variante ersetzt. U m g e k e h r t läßt sich durch die graphische Realisierung k o n z e p t u e l l e r M ü n d lichkeit ( z . B . in den italienischen K r i e g s g e f a n g e n e n b r i e f e n o d e r in d e n Schulaufsätzen neapolitanischer K i n d e r ) die tiefe V e r a n k e r u n g bestimmter Relativk o n s t r u k t i o n e n im Sprachsystem d e r S p r e c h e r a u f z e i g e n . A u c h an a n d e r e n romanischen Sprachen a u ß e r d e m Französischen und Italienischen wird die G ü l t i g k e i t unseres abstrakten M o d e l l s unter B e w e i s gestellt. D i e e i n z e l n e n Typen w e r d e n anhand von sprachwissenschaftlichen Darstellung e n , G r a m m a t i k e n und W ö r t e r b ü c h e r n 3 , im Portugiesischen z u m Teil auch auf d e r Basis von K o r p o r a g e s p r o c h e n e r S p r a c h e , verifiziert. D a b e i richtet sich d e r Blick nicht nur auf d e n aktuellen Sprachzustand, sondern auch auf die Verhältnisse in früheren Sprachstufen. D i a t o p i s c h e Varietäten w e r d e n im Falle des Spanischen (amerikanisches Spanisch), Portugiesischen (brasilianisches Portugiesisch) und vereinzelt auch des Katalanischen ( M a l l o r k i n i s c h ,
Algueresisch)
e b e n f a l l s mit berücksichtigt. A u f g r u n d d e r erstaunlichen Parallelität der verschiedenen Typen von (Substandard-) R e l a t i v k o n s t r u k t i o n e n in d e n romanischen Sprachen und D i a l e k t e n 1
3
Diese Perspektive bietet auch neue Erkenntnisse zu einem (mittlerweile schon) alten Streit, i.e. zur Kontroverse um das Alter des gesprochenen Französisch. Dies wird exemplarisch am Beispiel des polyfunktionalen Relativums untersucht. Im Hinblick auf die Darstellung dès Forschungsstandes zu den Substandardrelativa in den einzelnen romanischen Sprachen kann jedoch - im Rahmen unserer Zielsetzungnicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.
3
soll schließlich die Frage umrissen werden, inwieweit sprachtypologische Gesetzmäßigkeiten universalen Charakters für die untersuchten Konstruktionen verantwortlich sind. In diesem Zusammenhang wird auch auf das Konzept der sprachlichen Einfachheit) eingegangen. Abschließend werden am Beispiel des Französischen Möglichkeiten präsentiert, die Substandardrelativa nach bekannten sprachtypologischen Kriterien (, ) zu beschreiben.
4
2.
Untersuchungsgegenstand, Terminologie und Methode
2.1.
Untersuchungsgegenstand
Unsere Untersuchung zu den Relativa in den romanischen Sprachen rückt die enge Verknüpfung der morphologischen und der syntaktische Ebene, die sich in dieser grammatischen Kategorie vereinigen, in den Mittelpunkt. Wir präsentieren jedoch weder eine neue syntaktische Theorie noch die Anwendung eines bekannten Modells auf unsere Fragestellung. Vielmehr versuchen wir, die morphologische und syntaktische Beschreibbarkeit der (normsprachlichen) Relativpronomina auf die Phänomene des Substandards auszudehnen. Dabei gehen wir von der Vorstellung aus, daß jede historische Einzelsprache im Laufe ihrer Geschichte bis hin zur Konstituierung ihrer Schriftsprache eine Auswahl aus einem System gemeinsamer romanischer Virtualitäten getroffen hat. Im Falle des Französischen ζ. B. sind jedoch bei der Kodifizierung der Norm nicht nur bestehende Möglichkeiten des Systems realisiert worden. Wie unsere Analyse zum 17. Jh. zeigen wird, wurden einerseits auch künstlich geschaffene Regeln, die noch heute als Norm gelten, festgeschrieben 1 . Andererseits wurden bereits bestehende Realisierungen abgelehnt und nicht in den Standard aufgenommen 2 . Letzteres trifft natürlich auch auf andere romanische Sprachen zu, wenngleich dort (besonders im Spanischen und Italienischen) die Akzeptanz bestimmten Phänomenen gegenüber im allgemeinen größer war. Jede kodifizierte Norm einer romanischen Sprache stellt zu einem gewissen Teil ein Destillat aus dem tatsächlichen Sprachgebrauch dar, zu einem anderen Teil jedoch das Ergebnis eines - rein linguistisch - nicht zu rechtfertigenden Regulierungsaktes 3 . Dieser soziolinguistisch definierten Norm - einem heterogenen Gebilde aus Konventionen und Regeln - standen jedoch von Anfang an Realisierungs- oder Gebrauchsnormen 4 der Sprecher gegenüber, die seit jeher
1
2 3
4
Z . B . im Falle der Beschränkung von präpositionalem qui und quoi auf personale bzw. nicht-personale Bezugsnomina. Z . B . die Verbannung von que in obliquer Funktion (s. Kap. 5.4.3.6.). Dies betrifft ζ. B. die Durchsetzung der Latinismen cuyo im Span, und cujo im Port, sowie der flektierenden Pronomina frz. lequel, ital. il quale, span, el cual, port, o quai, kat. el qual anstelle von funktional äquivalenten Versprachlichungsstrategien ( z . B . que + Possessivpronomen), die in der Volkssprache zur Verfügung standen und (in gesprochener Sprache) eine weitaus größere Disponibilität besaßen. Vgl. auch die Unterscheidung von Deulofeu (1981:161 ff.) in «norme de réalisation
5
bestanden, sich als «natürliche» Sprache linear weiterentwickelten und in nichtnormierten Sprachsystemen, den Dialekten, Kreolsprachen und diastratisch/ diaphasisch markierter Sprechsprache, bewahrt wurden. Während die standardsprachlichen Mikrosysteme bereits für alle romanischen Sprachen in extenso beschrieben wurden, fehlt bisher eine zusammenfassende Darstellung und Kategorisierung der nicht-normativen Relativkonstruktionen. Wir gehen hierbei von einem übereinzelsprachlichen Modell (2.3.2.2.) aus, das verschiedene Typen von Substandardkonstruktionen in abstrakter Form präsentiert. Wir prüfen sodann, welche der Typen einzelsprachlich belegbar sind und versuchen dabei, sowohl frühere Sprachstufen als auch regional und sozial determinierte Varietäten zu erfassen. Besonders für das Französische, Italienische und Spanische wird auf der Basis von Sekundärliteratur und/oder eigenen Untersuchungen neben der gesprochenen Sprache auch die geschriebene Sprache berücksichtigt. Für alle romanischen Einzelsprachen wird jedoch grundsätzlich der soziolinguistische
Stellenwert der Substandardkonstruktionen
- absolut und relativ zu den standardsprachlichen Relativpronomina - zu bestimmen versucht. Z u diesem Z w e c k m u ß zuerst geklärt werden, welche Fälle wir zu den Relativpronomina zählen. ( D e r Unterschied zur Relativpartikel wird in 2.2.2. dargelegt). Wir betrachten hierzu exemplarisch Formen und Funktionen im Französischen, da unsere Auswertung von literarischen Werken und Korpora gesprochener Sprache in erster Linie für diese romanische Einzelsprache erfolgte (in geringerem M a ß e für das Italienische und nur sporadisch für das Portugiesische). D a b e i gingen wir strikt nach den im folgenden dargestellten Kriterien vor. In bezug auf die anderen romanischen Sprachen interessiert uns besonders der funktionale und soziolinguistische Stellenwert der Relativpronomina 5 in den jeweiligen einzelsprachlichen Makrosystemen - im Vergleich zu den
Reiativpartikeln,
für die wir einheitlich die Kategorien unserer Typologie zum Maßstab machen 6 . D i e Kategorie wird für das Französische somit nach Grevisse ( I 2 i986: § 6jj)7
5
6
7
8
wie folgt beschrieben 8 :
linguistique (du système)» und «norme sociolinguistique». L e t z t e r e bezeichnet er auch als «bricolage issu de la r é f o r m e dirigiste». S. auch D e u l o f e u (1984). D a wir beispielsweise für das Spanische und Katalanische keine eigenen Korpusauswertungen durchführen, halten wir eine systematische B e s c h r e i b u n g der Relativpronomina dieser Sprachen für entbehrlich. U n s e r e grundsätzliche Unterscheidung in Partikel und Pronomen erhebt den A n spruch übereinzelsprachlicher Gültigkeit. S. hierzu K a p . 2.2.2. und 2.3.2. Z u r Darstellung der Relativpronomina im Bon Usage von der ersten A u f l a g e (1936) bis zur elften (1980) s. Pierrard (1986). D i e s e habe sich, abgesehen von einer ständig wachsenden Z a h l an historischen Erläuterungen, Remarques und Beispielen, im großen und ganzen nicht geändert. Für die A u s w e r t u n g italienischer Texte und K o r p o r a legten wir den in der G r a m m a t i k von Renzi (1988/^1989) enthaltenen Beitrag von C i n q u e z u g r u n d e , für das Portugiesische die G r a m m a t i k von Cunha/Lindley Cintra (1985).
6
Ein Relativpronomen kann in autonomer Funktion, d.h. ohne Bezugsnomen (relatif nominal9) auftreten. In einem solchen Fall übernimmt der Relativsatz im übergeordneten Satz die Rolle des Subjekts (Qui cherche trouve) oder Objekts (et l'on ouvrira à qui frappe; Je choisirai qui je veux). In den meisten Fällen jedoch dient es dazu, das Bezugsnomen im Matrixsatz zu repräsentieren (relatif représentant). Dabei kann es folgende syntaktische Funktionen einnehmen: die des Subjekts, direkten Objekts, Prädikatnomens 10 (attribut), logischen Subjekts (sujet réel) und complément adverbial non prépositionnel (de mesure, de temps, de manièrein elliptischer Funktion, vgl. § 689d) sowie die eines complément prépositionnel (Präp+ lequel; Präp + quoi, wenn das Bezugsnomen ein neutrales Pronomen ist; Präp + qui, wenn eine Person bezeichnet wird; dont statt duquel ist obligatorisch, wenn das Bezugsnomen ce, cela, rien ist).
Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Komplexe Relativsätze (relatives imbriquées) wurden bei der Zählung der Relativkonstruktionen mitberücksichtigt12. Auf die Aufnahme in die Substandardtypologie wurde jedoch wegen der nicht eindeutig bestimmbaren syntaktischen Struktur dieser Sätze und wegen ihres von alters her literarischen Charakters verzichtet (s. hierzu Kap. 5.7.5.1.5.). In vielen sprachwissenschaftlichen Darstellungen zu den Relativpronomina wird auf die enge typologische und etymologische Beziehung zu den Interrogativpronomina hingewiesen. Dies hat in einigen Fällen dazu geführt, daß beide Kategorien in ihrer Synchronie und Diachronie grundsätzlich zusammen behandelt worden sind' 3 . Dieser Modus mag sich für eine strukturalistische Darstellung eignen, liegt aber aufgrund des fehlenden tertium comparationis für die jeweiligen Substandardphänomene nicht im Rahmen unseres Interessenbereiches. Außerhalb unserer Betrachtung stehen ferner Relativsätze ohne Antecedens' 4 , da sie in den parole-Akten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Relativkonstruktionen quantitativ eine marginale Position einnehmen und qualitativ keine Ansatzpunkte für unsere auf den Substandard bezogene Fragestellung bieten. Ebenfalls nicht konstitutiv für unsere Analyse ist das Begriffspaar < restriktiver/
9
«Les pronoms sont nominaux quand ils n'ont pas d'antécédent» (§ 627). Oder eines losgelösten Attributs (épithète détachée). " Für diese Fälle setzen wir jedoch die Kategorie an (Typ i b , ic). 12 Das jeweils erste que bzw. che wurde als Relativum gewertet. 13 Z . B . bei Bonnard ( 1 9 6 1 ) , Moignet (1967), Price (1975), Harris (1978), Léard (1982) und Pierrard (1986). Die Zusammengehörigkeit von Relativa und Interrogativa wird bei diesen Ansätzen meist durch den Term relatifs-interrogatifs zum Ausdruck gebracht. ' 4 S. hierzu für das Französische Mourin (1984), Pierrard (1988) und Muller (1989), für das Italienische Hottenroth (1985) und Cinque (i988/ 2 i989). 10
7
explikativer Relativsatz> 1 5 , da e s , auf unseren H a u p t u n t e r s u c h u n g s g e g e n s t a n d (gesprochene S p r a c h e ) b e z o g e n , keine operationalisierbaren Kriterien gibt, die die eindeutige Z u o r d n u n g z u einer d e r beiden K a t e g o r i e n erlauben w ü r d e n 1 6 . V i e l m e h r sind im code parlé o f t Strategien a m W e r k , die d e n B e g r i f f s u m f a n g eines B e z u g s n o m e n s mit anderen Mitteln (ζ. B . semantischen und syntaktischen) einschränken bzw. e r g ä n z e n als sich im gängigen U n t e r s c h e i d u n g s m o d e l l der traditionellen G r a m m a t i k , das die S p r e c h p a u s e (im code phonique) (im code graphique)11
bzw. das K o m m a
als relevante Kriterien heranzieht, widerspiegelt. D a r ü b e r
hinaus lassen sich besonders in spontaner Sprechsprache zahlreiche R e l a t i v k o n struktionen gar nicht im Hinblick auf die beiden K a t e g o r i e n b e s t i m m e n . E s w u r d e schließlich stets darauf g e a c h t e t , indirekte Fragesätze ( z . B . moi de quoi tu as besoin)
Dis-
o d e r verschiedene Typen von K o n j u n k t i o n a l s ä t z e n
( z . B . Finalsätze mit quelche18)
von d e n R e l a t i v k o n s t r u k t i o n e n a b z u g r e n z e n .
2.2.
Terminologische und begriffliche Klärungen
2.2.1.
Terminologische G r u n d l a g e n
D i e f o l g e n d e n B e g r i f f e und Termini w e r d e n im wesentlichen in A n l e h n u n g an L e h m a n n (1984) v e r w e n d e t . Z u r Illustration g e h e n wir von f o l g e n d e n Beispielsätzen aus: (1) Je connais un restaurant qui n'est pas du tout cher (2) Je connais un bon restaurant qui n'est pas du tout cher In ( 1 ) ist un restaurant (in (2) un bon restaurant) Bezugsnomen'9 synonym auch die B e z e i c h n u n g Antecedens (bon) restaurant wird als Matrixsatz und übergeordneter
16
17 18 19
20
b e z e i c h n e t , gelegentlich auch als
un
Hauptsatz
Satz. D i e K o n s t i t u e n t e qui η 'est pas du tout cher ist ein Rela-
tivsatz ( R S ) , qui ist Relativpronomen20
15
( B N ) , w o f ü r wir
v e r w e n d e n . D e r S a t z Je connais
(RP).
Vgl. hierzu GLLF( 1977:VI,5022f.), Brunner (1981), Kleiber (1981), (1987) und, ausführlich, Lavric (1989). Kritisch zu den Termini relative déterminative und relative explicative äußert sich Warnant (1984). Zur historischen Dimension der beiden Relativsatztypen s. auch die Beiträge in Fuchs et alii (1987). Eine ähnliche Position nehmen Deulofeu (1980:26) und Kudla (1984:34 et pass.) ein. Für eine Differenzierung der beiden Typen im Hinblick auf Substandardrelativkonstruktionen plädiert beispielsweise Alisova (1965). S. hierzu die historische Betrachtung von Catach (1987). S. Damourette/Pichon (1927-1952:^,§ 1322) und Grevisse ("1986: § 1086). Genau genommen müßte man hier von Bezugsnominal sprechen. Auf diese terminologische Präzisierung wird jedoch verzichtet. Wir unterscheiden auch nicht - im Gegensatz zu Lehmann (1984) - zwischen als syntaktischem und als semantischem Begriff. Stattdessen sprechen wir von der syntaktischen Funktion bzw. von der semantischen Natur des Bezugsnomens. Zur Unterscheidung Relativpartikel und Relativpronomen sowie zum Ausdruck Relativa als Hyperonym s. weiter unten (Kap. 2.2.2.). 8
Der Relativsatz in ( i ) hat die gleiche Funktion wie das Adjektiv bon in (2), i.e. die der Attribution, und ist deshalb Attribut zu un restaurant. Relativsätze wie in (1) werden deswegen auch Attributsätze genannt. Als Hyperonym zu Relativsatz verwenden wir den Ausdruck Relativkonstruktion, unter den wir alle untergeordneten Sätze und satzartigen Konstruktionen subsumieren, in denen das Bezugsnomen syntaktisch bzw. semantisch-syntaktisch repräsentiert wird. Damit erfassen wir auch Fälle außerhalb des Normbereichs (z.B. in Dialekten, Kreolsprachen und gesprochenem Substandard), auf die die Kriterien eines Relativpronomens bzw. die syntaktische Wohlgeformtheit eines Satzes häufig nicht zutreffen. Das Vorhandensein eines Relativpronomens zur notwendigen Bedingung für das Bestehen eines Relativsatzes zu machen - wie es ζ. B. in Touratier (1980:69^ ,546f.) geschieht - ist aus Sicht der Universalienforschung aus zwei Gründen falsch: Es ist unmöglich, den Begriff des Relativpronomens sei es als elementar zu behandeln, sei es unabhängig von dem des RSes zu definieren. Vielmehr setzt der Begriff «Relativpronomen) den Begriff voraus (Lehmann 1 9 8 4 : 4 7 ) .
Außerdem «hat sich die wissenschaftliche Tradition längst von der Vorstellung gelöst, bei einem R S müsse immer ein Relativpronomen dabei sein» (z.B. that im Englischen; hier trifft die vereinfachte Gleichung RS=Nebensatz, in dem auf einen Begriff zurückverwiesen wird, nicht zu). Relativsätze ohne Bezugsnomen 21 , wie in (3), bezeichnen wir auch als substantivische Relativsätze·. (3) Quine
dit mot consent
Gelegentlich nehmen wir Bezug auf das Begriffspaar «restriktiven und «explikativer Relativsatz>, das auch mit den Termini notwendiger und nicht-notwendiger (bzw. appositiver) Relativsatz wiedergegeben und im üblichen Sinne (der traditionellen Grammatik) verwendet, somit nicht definiert wird. Als komplexe Relativsätze oder - in der Terminologie Grevisses ( I 2 i986: § 1062) - relatives imbriquées bezeichnen wir Relativkonstruktionen mit eingebettetem Konjunktionalsatz wie in (4) und (5) 22 . Wir nennen diesen Satztyp deshalb auch Relativ-Konjunktionalsatz: (4) Un livre ( . . . ) qu'il n'est pas encore dit que je n'écrirai pas (Gide, Si le grain ne meurt, 1,6) (nach Grevisse , 2 I 9 8 6 : § 1 0 6 2 ) (5) Quel ragazzo, che ti giuro che è bravissimo, deve vincere (nach Hottenroth 1985:216)
Das erste que bzw. che betrachten wir als Relativum, das zweite als Konjunktion. Des weiteren noch eine Klärung des Begriffs «Substandard)23. Wir verwen21 22 23
In der Forschung spricht man auch von Relativsätzen mit implizitem Antecedens. S. hierzu auch unsere Ausführungen in Kap. 5.7.5.1.5. S. hierzu unter den verschiedensten Aspekten Holtus/Radtke (Hgg.) ( 1 9 8 6 ) , ( 1 9 8 9 ) und ( 1990) sowie Albrecht ( 1990). Zum Begriff des Substandards in den Einzelphilologien s. Holtus/Radtke ( 1 9 9 0 ) .
9
den dieses Konzept im Bewußtsein darüber, daß von Substandard erst in dem Augenblick die Rede sein kann, in dem eine Sprache einen Standard herausgebildet hat. Da dies für die untersuchten romanischen Einzelsprachen erst im 17. Jahrhundert und später geschah, eignet sich dieser Begriff nicht für die Beschreibung sprachlicher Gegebenheiten vor der jeweiligen Normierungsperiode. Wir sprechen deshalb stattdessen grundsätzlich von «Entsprechungen der heutigen Substandardrelativa (ζ. B.) im Altitalienischen». Dies schließt jedoch nicht aus, daß die genannten Phänomene zum einen primär Merkmale gesprochener Sprache waren und zum anderen, seit den ersten Belegen im Sprechlatein nachklassischer Zeit, volkssprachlich markiert waren. Mit anderen Worten, wir postulieren eine historische Kontinuität - im Sinne Hausmanns (1979) eine «starke» Kontinuität - der untersuchten Relativkonstruktionen (Substandard im engeren Sinne), die sich anhand der Kriterien , und nachvollziehen läßt. Des weiteren soll betont werden, daß wir die Begriffe und als völlig wertneutral betrachten24. Das trifft auch auf den Begriff der zu, unter dem wir primär die «exemplarische Form innerhalb einer Gemeinsprache»25 verstehen, i.e. die «korrekte Norm» im Sinne des kodifizierten präskriptiven Sprachgebrauchs. Synonym hierzu verwenden wir Standardsprache und Hochsprache. Sekundär wenden wir auf nicht-standardisierte Diasysteme (Dialekte, spontane Sprechsprache, Kreolsprachen) zum einen den Begriff der an, der auf der Vorstellung basiert, daß jede Varietät eine normative Größe darstellt, die «in bestimmten Kommunikationssituationen von bestimmten Sprechern und Hörern reziprok erwartet und dann in der Regel auch realisiert»26 wird; zum anderen den Normbegriff Coserius, der Norm im Sinne von «normaler Norm» begreift, die all das umfaßt, was in einer Sprachgemeinschaft als «konstant, normal und traditionell»27 gilt. Der Unterschied zwischen deskriptiver und Coseriuscher Norm soll, auf die Substandardrelativa 24
15 26
27
Auch wenn der Terminus Nonstandard unsere Konzeption von adäquater beschreiben würde, behalten wir diesen in der Romanistik mittlerweile etablierten Ausdruck bei. Vgl. hierzu Albrecht (i99o:66f.), der zwischen einem (bzw. bzw. e x t r e m e k o m m u n i k a t i v e Distanz> stehen. D i e nähe- und distanzsprachlichen Realisierungen w e r d e n ferner auf zwei E b e n e n angesiedelt, von d e n e n eine die universalen V e r f a h r e n und Strategien enthält, die a n d e r e die
einzelsprachlich-konúngen-
ten. D i e E r f o r s c h u n g des g e s p r o c h e n e n Italienisch
b e g a n n erst in den achtziger
Jahren. In der deutschsprachigen Italianistik sind in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g vor allem G ü n t e r Holtus und E d g a r R a d t k e zu n e n n e n , die als A u t o r e n und Herausg e b e r mit einer V i e l z a h l von V e r ö f f e n t l i c h u n g e n in E r s c h e i n u n g getreten sind 6 . V o n den italienischen Linguisten beschäftigten sich vor allem B e r r u t o 7 , Sornicola und Sabatini mit dieser T h e m a t i k 8 . Im Z u g e der G e s p r o c h e n e - S p r a c h e - F o r s c h u n g entstand eine eigenständige Disziplin, die d e n S c h w e r p u n k t auf diastratische und diaphasische Variation sow i e auf soziolinguistische Fragestellungen l e g t e , die
Substandardforschung.
M a ß g e b l i c h an der E n t w i c k l u n g dieses Forschungszweigs beteiligt w a r e n B e r ruto 9 und b e s o n d e r s Holtus/Radtke. D i e drei von ihnen B ä n d e Sprachlicher
Substandard10
herausgegebenen
enthalten B e i t r ä g e , die s o w o h l einzelsprach-
lichen 1 1 als auch allgemein gültigen S u b s t a n d a r d b e s c h r e i b u n g e n g e w i d m e t sind. D a b e i w e r d e n sprachhistorische A s p e k t e e b e n s o berücksichtigt wie F r a g e n zur N o r m und G r a m m a t i k . D e r dritte B a n d b e h a n d e l t das Spannungsverhältnis zwischen S t a n d a r d , Substandard und sprachlichen Varietäten und bringt d a d u r c h die e n g e V e r k n ü p f u n g zwischen regionaler Variation (besonders den D i a l e k t e n ) u n d Substandard z u m A u s d r u c k , die seit einiger Z e i t unter d e m A u s d r u c k Varietätenlinguistik
z u s a m m e n g e f a ß t wird 1 2 . V o r allem in Italien w u r d e dieser A n s a t z
mit g r o ß e m E i f e r verfolgt 1 3 . D i e spezifische historische Situation und die ausgeprägte Vitalität der D i a l e k t e bildeten hierfür eine ideale G r u n d l a g e . A u c h in der deutschsprachigen Italianistik w u r d e das T h e m a zu e i n e m inzwischen fest etablierten F o r s c h u n g s f e l d 1 4 .
Holtus/Radtke (Hgg.) (1985), Radtke (1984) und (1985). Einen Überblick bietet auch Wandruszka (1988). 7 Zusammenfassend Berruto (1988). 8 Der Stellenwert dieses Themas in der wissenschaftlichen Diskussion kann auch an der Veröffentlichung von Kolloquiumsakten zu den italiani parlati durch die Accademia della Crusca ermessen werden. 9 Besonders Berruto (1983), (1983a), (1985), (1987), (1990). 10 Holtus/Radtke (Hgg.) (1986), (1989) und (1990). " Untersuchungen zum Italienischen und Französischen bilden den Schwerpunkt. Zum Spanischen s. Kleineidam/Schlör (1989), zum Rumänischen Bochmann (1989). 11 Zumindest in der deutschsprachigen Romanistik. Vgl. Holtus/Radtke (1983:11). 13 Im wesentlichen seit Cortelazzo (1969) und De Mauro (1970). Zusammenfassend Berretta (1988). 14 S. besonders Holtus/Radtke (Hgg.) (1983). Vgl. den dort dokumentierten Forschungsstand (Holtus/Radtke 1983). 6
32
In den letzten Jahren wird die Beschreibung mehrdimensionaler Variation auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Gesprochene-Sprache-Forschung gesehen' 5 . Dabei gingen die Überlegungen methodisch nicht nur in eine Richtung: Neben der Charakterisierung von Varianten und Varietäten wurden auch die überregionalen Gemeinsamkeiten im Gebrauch gesprochener Sprache dargestellt 16 . Die Aktualität der genannten Themen dauert an. Vor allem der Forschungsbereich gesprochene Sprache> bringt immer wieder neue Ergebnisse zutage. Dabei verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend auf übereinzelsprachliche und universalistische Perspektiven' 7 .
3.2.
Relativsätze und R e l a t i v p r o n o m i n a
Im folgenden werden die wichtigsten Theorien zur Relativsatzbildung aus verschiedenen sprachwissenschaftlichen Schulen zusammengefaßt. Den Schwerpunkt bilden dabei die Arbeiten aus der Sprachtypologie und der Universalienforschung. Auf andere linguistische Beschreibungsmodelle wird nur dann eingegangen, wenn sie eine eigene Konzeption im Bereich unseres Untersuchungsgegenstandes hervorgebracht haben. Abschließend wird ein Blick auf die wichtigsten jüngeren Einzeluntersuchungen zu Relativsätzen und -pronomina geworfen.
3.2.1.
Sprachtypologie und Universalienforschung
Sprachtypologie und Universalienforschung werden im allgemeinen nicht getrennt voneinander betrachtet, da sie sich in Konzeption und Zielsetzung gegenseitig ergänzen. Die eine Disziplin ist das logische Pendant der anderen' 8 :
15
16 17
18
Zum Französischen etwa Blanche-Benveniste (1988a), zum Italienischen Radtke (1981a), (1983), Marcato (1989), Berruto (1989). Z . B . Mioni (1983) und Sabatini (1985) und (1990). Vgl. z . B . Koch/Oesterreicher (1990) und den Kolloquiumsband von Halford/Pilch (Hgg.) (1990), in dem vor allem die syntaktische Verschiedenartigkeit von Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Vordergrund steht. Zentral ist dabei die Frage, ob geschriebene und gesprochene Sprache generell zwei verschiedene Syntaxstrukturen und -Strategien besitzen. Raible (i989:xxxi) betont die Bedeutung von Typologie und Universalienforschung für die Romanistik, die sowohl für die diachronische als auch für die synchronische Perspektive - «angefangen vom Latein bis zur Gegenwart der romanischen Sprachen und, durch alle Sprachen und Varianten hindurch, bis hin zu den Kreolsprachen auf romanischer Basis» - den beiden Disziplinen einen wohl einmaligen Fundus an Belegen und Daten zur Verfügung stellen kann. Die Kluft zwischen einseitig diachronisch und einseitig synchronisch orientierter Sprachwissenschaft lasse sich im Rahmen von Typologie und Universalienforschung auf höherer Ebene aufheben. «Es ist die Chance für die Renaissance einer integralen Romanistik».
33
Beide haben zum Ziel, die Variationsbreite des Begriffs definiert, das Relativpron o m e n entsprechend als s y n t a k t i s c h e r A r t i k e l ) . A l l e r d i n g s haben die A r b e i t e n von Steinthal bis einschließlich B e n v e n i s t e a u ß e r h a l b d e r Indogermanistik wenig B e a c h t u n g g e f u n d e n u n d somit d e r typologischen und universalistischen Forschung nur wenige Impulse verliehen. D e r indogermanistische S c h w e r p u n k t dominiert z w a r auch weiterhin in H a n s j a k o b Seilers B u c h Relativsatz,
Attribut
und Apposition
(i960) - insofern
steht Seiler in d e r N a c h f o l g e B e n v e n i s t e s . E i n e Z ä s u r stellt die A r b e i t j e d o c h hinsichtlich ihres erstmals strukturalistischen A n s a t z e s dar, auf dessen G r u n d lage Seiler u . a . ein n e u e s B e g r i f f s i n s t r u m e n t a r i u m in die Diskussion einführt ( z . B . , ). D i e methodische N a c h f o l g e Seilers hat sein Schüler L e h m a n n a n g e t r e t e n , d e r in seiner u m f a s s e n d e n typologisch-universalistischen Studie Der Relativsatz
(1984) 3 2 - nach e i g e n e m B e k u n d e n «die theoretische
G r u n d l e g u n g ( . . . ) ganz im G e i s t e der Forschungen Seilers und seiner Mitarbeiter» ( X I I I ) konzipiert hat 3 3 . E b e n f a l l s indogermanistisch ausgerichtet ist die 1981 erschienene typologische A r b e i t Der Relativsatz Sprachen
in den
indoeuropäischen
von H e l e n a K u r z o v á , in der vor allem die E n t s t e h u n g der verschiede-
nen Relativsatztypen aus zwei indogermanischen H a u p t t y p e n beschrieben w i r d , die sich durch das einleitende P r o n o m e n unterscheiden, das e n t w e d e r *yo o d e r *kwo lautet. D i e s e Klassifizierung wird als exemplarisch f ü r die unterschiedli-
30
31
32
33
«Der Autor will eine allgemeingültige Bestimmung des RSes geben, mit dem spezifischen Ziel, seine Rekonstruktion des indogermanischen RSes funktionell zu begründen» (Lehmann 1984:5). Zu Benveniste s. auch Kurzová (i98i:37ff.). Zuerst erschienen in: Bulletin de la Société de Linguistique de Paris 53,39-53. Ebenfalls abgedruckt in E. Benveniste, Problèmes de linguistique générale, vol. I, Paris 1966, 208-22. «Eine erste Version dieser Arbeit wurde Ende 1979 ( . . . ) der Universität Köln als Habilitationsschrift vorgelegt und gleichzeitig in den Arbeiten des Kölner Universalien-Projekts (akup) als Nr. 36 einem beschränkten Kreis von Lesern zugänglich gemacht» (XIII). Das von H. Seiler unter dem Namen UNITYP weitergeführte Projekt gilt «als einer der fundiertesten Beiträge ( . . . ) zur aktuellen Diskussion um Sprachtypologie und Universalienforschung» (Heger 1989:266). Zusammenfassend hierzu auch Raíble (i989:ix-x). Lehmanns theoretischer Ansatz vereinigt zwei Strömungen. Zum einen liegt seinen Analysen ein dynamischer Sprachbegriff zugrunde, der die Humboldtsche Sprachkonzeption und deren Weiterentwicklung durch Eugeniu Coseriu mit einbezieht. Andererseits ist er Joseph H. Greenberg und dessen Universalienforschung verpflichtet, die er in einigen wesentlichen Punkten modifiziert. «Charakteristisch sind der funktionale, operationale Ansatz, der Verzicht auf die Hypostasierung einzelner struktureller Eigenschaften zu Sprachuniversalien und stattdessen die Systematisierung der Sprachverschiedenheit in einem dimensionalen Modell» (Lehmann 1984: XIII).
36
chen syntaktischen Strukturen d e r indogermanischen Sprachen betrachtet 3 4 . D i e so v o r g e n o m m e n e Typologie «leidet allerdings unter der B e s c h r ä n k u n g d e r «Stichprobe» auf die indogermanischen Sprachen. D i e Fortschritte der letzten z e h n Jahre im theoretischen Verständnis des R S e s k o n n t e n o f f e n b a r nicht berücksichtigt werden» 3 5 . B e d e u t e n d e r für unsere Fragestellung ist der zweite Teil der A r b e i t , der die historische E n t w i c k l u n g d e s Relativsatzes in d e n e u r o p ä ischen (indogermanischen) S p r a c h e n 3 6 skizziert, und hieraus b e s o n d e r s die D a r stellungen z u d e n Relativsätzen mit flektiertem P r o n o m e n (Typ lequel,
il quale,
usw.) und mit Relativpartikel. V o n d e n vier Relativsatztypen mit Partikel k o m m e n in d e n romanischen Sprachen zwei vor. D e r erste Typ hat zwei M e r k m a l e : in «direkter B e z i e h u n g » steht lediglich die Relativpartikel (im Frz. que, im Ital. che31),
«bei anderen B e z i e h u n g e n » , i . e . in d e r R o l l e eines indirekten o d e r prä-
positionalen O b j e k t s , tritt zur Partikel ein P e r s o n a l p r o n o m e n hinzu. Vgl. die Sätze ( i ) und (2), die einen indirekten (dare qualcosa tionalen K a s u s (travailler pour quelqu'un)
a qualcuno)
bzw. präposi-
enthalten 3 8 :
( ι ) La bambina che le hai dato il pane (2) Le patron que je travaille pour lui D i e s e r Typ «hat in den romanischen S p r a c h e n nur eine b e s c h r ä n k t e V e r w e n dung» 3 9 und «trägt d e n C h a r a k t e r einer ausgesprochen volkstümlichen Variante» (99). Innerhalb des diasystematischen K o n t i n u u m s , dessen beide Pole K u r z o v á (1981:83) mit «volkstümlichen» und «schriftsprachlichen» Varianten besetzt, b e f i n d e n sich die Sätze ( 1 ) und (2) im «linksten Teil» dieser A c h s e . D e r zweite Typ (bei K u r z o v á «Typ 4») sieht f ü r die R o l l e des direkten O b j e k t s ebenfalls die stilistisch neutralen Partikeln que bzw. che vor, «in indirekten B e z i e h u n g e n , also nach Präpositionen», stehen j e d o c h flektierte Relativa des Typs lequel,
il quale,
die «stilistisch m e r k m a l h a f t » und «im rechten Teil d e r
A c h s e lokalisiert» (87) sind.
34 35 36
37
38 39
Kurzová (1981) spricht von der syntaktischen Struktur der yo- und &wo-Sprachen>. Lehmann (1984:7). Als Grundlage für den typologischen Vergleich betrachtet Kurzová eine bestimmte Universalie, i.e. «die Stellung des Satzes im attributiven Verhältnis zum Nomen, die Eingliederung des Satzes zur adjektivischen Komponente . . . der Nominalphrase» (7) bei referenzieller Identität zwischen der Nominalphrase des Matrixsatzes und der durch das Relativum substituierten Nominalphrase. Zu den Partikeln zählt Kurzová grundsätzlich die Formen que, che, die auch in ihrer Funktion als direktes Objekt keinen Pronominalstatus zugesprochen bekommen. Reste der Flexion sieht Kurzová hingegen in frz. qui (in Opposition zu que) und ital. cui (in Opposition zu che), die als Pronomina betrachtet werden. Merkmale eines Relativpronomens sind zum einen die Indikation der Flexionskategorien der Nominalphrase und die Vertretung der Nominalphrase. Beide Funktionen werden vom Relativum des Typs lequel abgedeckt. Hervorhebungen durch uns. Auch in deutschen Dialekten ist das Phänomen bekannt, vgl. im Schlesischen Der Mann, was ich ihm gab' Geld. Im «Südwestdeutschen wird hier wo gebraucht» (83). S. Kap. 14.
37
E i n e b e d e u t e n d e E t a p p e in d e r E n t w i c k l u n g d e r U n i v e r s a l i e n f o r s c h u n g stell e n d i e A k t e n z u d e m 1 9 6 1 in D o b b s F e r r y ( N e w Y o r k ) a b g e h a l t e n e n K o n g r e ß ü b e r sprachliche U n i v e r s a l i e n dar. Sie w u r d e n 1963 v o n J o s e p h H . u n t e r d e m T i t e l Universals
of language
Greenberg
herausgegeben. Vor allem der Beitrag
des H e r a u s g e b e r s selbst40 setzte neue A k z e n t e . G e m ä ß der zentralen Rolle, die d i e M o r p h o s y n t a x 4 1 s e i t j e h e r i n d e r S p r a c h t y p o l o g i e s p i e l t e , u n d i m Z u g e d e s in d e n 60er J a h r e n in M o d e g e k o m m e n e n linguistischen I n t e r e s s e s an d e r S y n t a x , w i d m e t e sich G r e e n b e r g vor a l l e m der W o r t s t e l l u n g 4 2 , d e r e n universale G e s e t z m ä ß i g k e i t e n er b e w e i s e n wollte43. A u f d e r m e t h o d o l o g i s c h e n G r u n d l a g e v o n 45 U n i v e r s a l i e n , v o n d e n e n sich 25 auf W o r t s t e l l u n g s p h ä n o m e n e u n d d i e ü b r i g e n auf morphologische
Kategorien beziehen44, entwirft er eine
lungstypologie
order
(basic
typology)45,
Grundwortstel-
mit deren Hilfe die meisten Sprachen46
40
G r e e n b e r g ( 1963/' 1966).
41
In der Sprachtypologie kristallisierte sich relativ früh ein Forschungsschwerpunkt heraus: das Interesse an morphosyntaktischen Typen. D i e U n m ö g l i c h k e i t , Sprachtypologie als e n t w e d e r rein morphologisch oder rein syntaktisch zu verstehen, wurde bald erkannt. Vgl. hierzu L e h m a n n (1984:41 f.).
42
D i e B e s t i m m u n g von Sprachtypen anhand von G e s e t z m ä ß i g k e i t e n in der Wortstellung ist j e d o c h keineswegs n e u , sondern geht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück (vgl. z . B . Henri Weil, The Order of Words in the Ancient Languages compared with that of the Modern Languages. B o s t o n : G i n n & C o m p a n y 1887. N a c h d r u c k : B e n j a mins, A m s t e r d a m 1978). Sie wurde von C h a r l e s Bally (i932/ 4 i9Ó5) und Lucien Tesnière (Eléments de syntaxe structurale, Paris 1 9 5 9 , 1 1 9 6 9 ) w i e d e r a u f g e g r i f f e n . N e u e r e T h e o r i e n sind vor allem mit den N a m e n Winfried L e h m a n n n und T h e o V e n n e m a n n (zusammenfassend in Renate Bartsch/Theo V e n n e m a n n , Grundzüge der Sprachtheorie. Eine linguistische Einführung. Tübingen 1982) sowie G e o r g B o s s o n g («Historische Sprachwissenschaft und empirische Universalienforschung», in: Romanistisches Jahrbuch 33 ( 1982), 17-51 ) verbunden. Z u m Teil gingen mit der methodologischen Weiterentwicklung auch terminologische N e u e r u n g e n einher, z. B . Serialisierungstypologie (Bartsch/Vennemann) o d e r Positionstypologie (Bossong). Für die A n w e n d u n g G r e e n bergscher Prinzipien auf die Romanistik sind vor allem Martin B . Harris, G u s t a v Ineichen, L o r e n z o Renzi, P a o l o R a m a t und Suzanne Fleischmann zu nennen (vgl. hierzu Oesterreicher i989:223ff., 242ff.). Eine Typologie der romanischen Sprachen auf der Basis der G r e e n b e r g s c h e n Typen versucht Sôrés (1989).
43
G r e e n b e r g geht es einerseits um empirische Universalien, andererseits um die Unterschiede zwischen den Sprachen. Somit fallen in seinem A n s a t z Typologie und Universalistik praktisch z u s a m m e n . Ihren Vorläufer hat diese universalistisch-typologische Tradition bereits in Jakobson, Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze (1941) und «Typological studies and their contribution to historical comparative linguistics», in: Proc. VIII. Int. Cong. Ling. (1958), 17-25. (Vgl. hierzu L e h m a n n 1984:38). Oesterreicher (1989:225) betont, d a ß die nur in der nordamerikanischen - nicht in der europäischen - Tradition von diesem « Z u s a m m e n f l i e ß e n von Universalienforschung und Sprachtypologie» bestimmt ist.
44
Vgl. hierzu Brettschneider (i98o:2of.). D a s verstärkte Interesse an der Wortstellung spiegelt die herausragende Position wider, die die Syntax in der Linguistik der 60er Jahre e i n g e n o m m e n hat. Kritische A n m e r k u n g e n zu G r e e n b e r g finden sich z . B . bei L e h m a n n (1984) und Oesterreicher (i989:225ff.). Z u r Rezeption G r e e n b e r g s in Italien sowie zu einem R e s ü m e e der Universaliendiskussion in der italienischen Sprachwissenschaft s. L e h m a n n (1981).
45
38
der Welt bestimmten Wortstellungstypen zugeordnet werden können. Die Grundwortstellung einzelner Sprachen richtet sich also nach universellen Gesetzen, die sich aus dem Zusammenwirken von bestimmten syntaktischen Eigenschaften mit hoher typologischer Relevanz definieren 47 . Hierzu gehört zum einen die Stellung der Hauptkonstituenten Subjekt (S), direktes Objekt (O) und finîtes Verb (V) im einfachen, unmarkierten Aussagesatz (i.e. in der Grundwortstellung). Von den sechs möglichen Kombinationen kommen in den untersuchten Sprachen nur vier tatsächlich vor, nämlich SOV (44%), SVO (35%), VSO ( 1 9 % ) und VOS (2%) 4 8 . Zum anderen ist die Stellung von attributivem Adjektiv (A) und Nomen (N) sowie das Vorhandensein von Präpositionen (Pr) und Postpositionen (P) von Bedeutung. Greenberg kombiniert nun die drei dominanten Stellungstypen (SOV, SVO, VSO) mit den beiden Alternativen NA/ A N und Pr/Po, so daß er zu einer Matrix von 12 Möglichkeiten («Klassen») kommt, auf die sich die 30 untersuchten Sprachen verteilen. Daraus leitet Greenberg 25 Wortstellungsuniversalien ab, die er teils als (z.B. universal 17: «With overwhelmingly more than chance frequency, languages with dominant order VSO have the adjective after the noun»), teils als absolute Implikationen formuliert (z.B. universal3: «Languages with dominant VSO order are always prepositional»49). Greenberg dehnt seine Aussagen auf verschiedene grammatische Phänomene aus, die sich alle mit den aus der basic order typology gewonnenen Erkenntnissen beschreiben lassen, so z.B. Adverbien, Komparativkonstruktionen, Fragesätze, Relativsätze 50 , Genus, Numerus, Kongruenz, Pronomina. Nicht selten warf ihm die Kritik deshalb Generalisierungen und Analogieschlüsse vor 51 . So leitet er beispielsweise aus der italienischen Wortstellung - auf unzulässige Weise, wie ζ. B. Körner 52 befindet - die Aussage ab, daß die Initialstellung des Subjekts konstitutives Merkmal der romanischen Sprachen sei.
46 47 48
49 50 51
52
Greenberg selbst untersucht 30 Sprachen. Vgl. Lehmann (1984:42). Die Stellungstypen O S V und OVS sind in Greenbergs Sprachenkorpus nicht belegt. Zudem fällt auf, daß der Typ VOS nur sehr selten auftritt. Eine kritische Betrachtung dieser Ergebnisse nimmt Oesterreicher (i989:227f.) vor. Zitiert nach Brettschneider (1980:20). (i.e. Bezugsnomen). Lehmann (1984:42) z . B . warnt vor einer Verabsolutierung der Grundwortstellungstypologie durch Universalisten und Typologen, da die betreffenden Kategorien nicht übereinzelsprachlich angelegt sind und somit kein unabhängiges tertium comparationis definiert wurde. Des weiteren darf natürlich nicht übersehen werden, daß «solche Stellungsmerkmale für den grammatischen Bau einer Sprache eine desto geringere Rolle spielen, je freier ihre Wortstellung ist». Die in der Nachfolge Greenbergs unternommenen Versuche, Grundwortstellungstypen zu dem typologisch relevanten Kriterium zu erklären, mit dem alle anderen Merkmale einer Sprache korrelieren und aus dem diese abgeleitet werden können, kritisiert Oesterreicher (1989). Körner (1987:8, I07ff.).
39
Mit B a c h (1965) 5 3 als Vertreter d e r generativen G r a m m a t i k und G r e e n b e r g ( 1963) als B e g r ü n d e r einer n e u e n Universalistik laufen zwei S t r ö m u n g e n zusamm e n , die d e n B e g i n n der «kontinuierliche[n] G e s c h i c h t e d e r typologischen und universalistischen E r f o r s c h u n g des R S e s » 5 4 m a r k i e r e n . U n t e r d e m E i n f l u ß d e r generativen
Grammatik
stehen zahlreiche a n d e r e A r -
beiten zur Sprach typologie und Universalienforschung 5 5 .
Der
Forschungs-
schwerpunkt verlagert sich auf die syntaktische E b e n e 5 6 , die Wortstellung einzelner E l e m e n t e rückt in d e n V o r d e r g r u n d . D i e u m f a n g r e i c h s t e sprachtypologische A r b e i t z u m Relativsatz im R a h m e n der generativen G r a m m a t i k 5 7 ist d i e j e n i g e von Christian Touratier (1980), La relative - Essai de théorie syntaxique.
D e r weitaus g r ö ß t e Teil d e s B u c h e s (90 % )
beschäftigt sich, w a s der Titel allerdings nicht vermuten läßt, mit d e m Lateinischen: Ce livre entend formuler une théorie de la relative latine, c'est-à-dire à la fois proposer une théorie générale de la relative tout court et rendre compte des particularités apparentes de la relative latine. (Klappentext) D a r ü b e r hinaus w e r d e n Französisch ( 8 % ) , Englisch, D e u t s c h , A l t g r i e c h i s c h , Hebräisch und einige a n d e r e Sprachen untersucht 5 8 . Im M i t t e l p u n k t steht die
53 54 55
56
57
58
S. übernächste Anmerkung. Lehmann (1984:7). Z . B . Emmon Bach, «On some recurrent types of transformations», in: MSLL 18 (1965), 3-18. Bach postuliert universale syntaktische Transformationen (wie z . B . die Einbettung des Relativsatzes, die Initialstellung oder Tilgung des Relativpronomens), die jedoch virtuell sind, also einzelsprachlich unterschiedlich, d. h. entweder obligatorisch oder optional, realisiert werden. Weitere Arbeiten: Arthur Schwartz, «General aspects of relative clause formation», in: WPLU 6 (1971), 139-169. (Die funktionelle und strukturelle Nähe zu den Fragesätzen wird hier als Erklärung herangezogen für das als allgemeingültig eingestufte Phänomen, daß das Relativpronomen nur in postnominalen Relativsätzen möglich ist. Die Untersuchung wird anhand eines Vergleichs von 28 Sprachen durchgeführt). Downing (1978) (Auf der Basis von Stichproben aus 52 Sprachen werden 35 Universalien unterschiedlicher Wertigkeit postuliert, darunter z . B . die Stellung des Relativsatzes zum Bezugsnomen oder die morphosyntaktischen Eigenschaften des Relativpronomens). (Vgl. Lehmann 1984:6). Um eine universale Hierarchie von syntaktischen Funktionen des Nukleus (Bezugsnomens) geht es in der Arbeit von Keenan/Comrie (1977). Touratier legt dabei im wesentlichen Chomskys Modell von 1965 (Aspects of the theory of syntax) zugrunde. Er steht der Transformationsgrammatik allerdings durchaus kritisch gegenüber, vor allem Chomskys extended standard theory, und der oft mangelnden Differenzierung zwischen Syntax und logisch-semantischen Kategorien. Gleichwohl läßt er keinen Zweifel an seiner Überzeugung, daß «les générativistes sont à peu près les seuls à avoir vraiment cherché une théorie de la proposition relative», auch wenn sein theoretischer Ansatz verschiedentlich andere Konzeptionen mit einbezieht, z . B . die der Konstituentenstrukturgrammatik oder des Martinetschen Funktionalismus. Quantifizierung nach Lehmann (1984:7). 40
grammatische Analyse des (lateinischen) Relativsatzes. Touratier beschäftigt sich deshalb besonders mit Relativsätzen mit und ohne Bezugsnomen, der Syntax des Bezugsnomens, der Unterscheidung zwischen restriktivem und appositivem Relativsatz sowie mit , zu denen er vor allem die Syntax des Relativpronomens und von Chomsky 1977). Eine weitere Hierarchie («Pronoun Retention») faßt die syntaktischen Funktionen der (meist klitischen) Pronomina zusammen, die in einem Relativsatz mit dem Relativum auftreten können. Diese drücken in den untersuchten Sprachen fast nie die Subjektfunktion aus, sehr häufig jedoch die Rolle des indirekten Objekts und des Genitivs.
41
kommenden Typen des RSes und eine Anzahl von Generalisierungen und verschiedenen abstrakten Gesetzmäßigkeiten, die die interne Struktur der Relativkonstruktion sowie deren Beziehung zu anderen Strukturfakten der Sprache betreffen» 62 . Lehmanns Ansatz versteht sich deswegen als Synthese, die sowohl alle wesentlichen Aspekte der RSbildung behandelt als auch auf sprachvergleichendem Niveau die universalen Gesetzmäßigkeiten und Typen der RSbildung zu einer allgemeinen Theorie des RSes vereinigt (Lehmann 1984:8).
Zur korrelativen Sprachtypologie Karl-Hermann Körners Einen der seltenen Versuche, «die zentralen syntaktischen Fakten der heutigen Romania im Zusammenhang zu betrachten» (Körner 1987:7), stellt Körners typologischer Ansatz dar, auf dessen Grundlage sich die romanischen Sprachen und Dialekte in zwei Haupttypen einteilen lassen. Ausschlaggebend sind hierbei die in einer Sprache jeweils miteinander korrelierenden syntaktischen Merkmale 63 . Nach Körner gehört das Französische - wie auch das Italienische64 und Katalanische - aufgrund seiner syntaktischen Struktur einem subjektlichen «europäischen Sprachenbund» an, für den in der Regel das Englische als typisch gilt, während die meisten anderen romanischen Sprachen, besonders Spanisch und Rumänisch, aber auch Portugiesisch, Sardisch, Mittel- und Süditalienisch einen objektmarkierten Sprachtypus verkörpern. Körner weist vor allem die gegenseitigen Bedingtheiten («Korrelationen») der einzelnen syntaktischen Merkmale jedes Typs nach. Der «objektliche» Typ läßt sich nach Körner identifizieren durch die gegenseitigen Beziehungen zwischen Objektmarkierung, bloßer Fakultativität der Subjektpronomen, Redundanz der Objektpronomen, Abneigung gegen das Passiv, relative Wortstellungsfreiheit, Reflexivität, Aspektkategorie und Nominalität der Verbformen. Die Subjektlichkeit (subjecthood) des anderen hingegen drückt sich beispielsweise in der nur funktionellen Verwendung von Objektpronomina, in der Vorliebe für Subjektpronomen (im Frz. obligatorisch) und in der auffälligen Markierung des Subjekts aus 65 , die sich
62 63
64
65
Lehmann (1984:8). Damit steht er methodologisch in diametraler Opposition zur isolierten basic order typology, wie sie vor allem von den Nachfolgern Greenbergs vertreten wurde. Diese hatten übersehen, daß «Wortstellung nur eines unter mehreren grammatischen Mitteln» (Lehmann 1981:446) ist. Zitiert nach Körner (1987:168). Wenngleich nur in eingeschränktem Maße (vgl. den Begriff der , den Körner (1987:155-166) auf das Italienische anwendet). Französisch und Katalanisch sind die einzigen romanischen Sprachen, die wie das Deutsche und Englische eine unpersönliche Subjektform (on, hom, man, one) besitzen, der kein objektliches Korrelat entspricht. Das Italienische, als Mitglied dieses europäischen Typus, macht hier, entsprechend seiner typologischen Inkonsistenz, eine Ausnahme. Im lateinamerikanischen Spanisch wird bezeichnenderweise das indefinite (Subjekt-)Pronomen uno in der Funktion von dt. wesentlich häufiger verwendet als im europ. Span. (Körner 1987:115).
42
z . B . in d e r E x i s t e n z sog. [k] nachweisen 35 , z . B . in der Appendix Probi: equs non ecus coqus non cocus coquens non cocens coqui non coci36 exequiae non execiae
(App.Pr. (App.Pr. (App.Pr. (App.Pr. (App.Pr.
37) 38, seit altlat. Zeit belegt) 39) 40) 27)
A b e r auch vor i und e tritt die Reduktion auf 37 , allerdings lassen sich für die Entwicklung von < q u > vor a,e,i aus den romanischen Ergebnissen keine Gesetzmäßigkeiten rekonstruieren 38 . So blieb [kw] z . B . im Italien, in quercia ( < Q U E R C E A ) und quindici ( < Q U I N D E C I M ) erhalten, während anderer-
28 29 30 31
32 33 34 35
36
37
38
App.Pr. 29, 62, 174, 176, s. Vaananen (i962/ 3 i98i: §90). Väänänen (1962/31981: §90). Vgl. Tagliavini (1973:193). Für das sehr seltene [gw], das nach Väänänen (i9Ó2/ 3 i98i: §94) nur nach η (ζ. Β. in lingua, sanguis, unguo) erscheint, nehmen Berschin/Felixberger/Goebl (1978:70)-für das Französische - eine analoge Entwicklung an, während Väänänen - gesamtromanisch gedacht - von einer allgemeinen Bewahrung des stimmhaften Labiovelars ausgeht. Väänänen (i9Ó2/ 3 i98i: §91). Väänänen (1962/'1981: §86 u. §91). Väänänen (i9Ó2/ 3 i98i: §91). S. auch Herman (1965/1990:26), der die Schreibung < Q > oder < C > für < Q V > für das 5. Jh. besonders in Spanten und Süditalien, weniger in Gallien, feststellt. Die reduzierte Form C O C I breitete sich jedoch in spätlat. Zeit aus, vgl. C O C I N A für C O Q U I N A (Väänänen i962/ 3 i98i: §91). Nach Pope (i934/ 2 i952: § 192) war dieser Prozeß vor e und 1 zu galloromanischer Zeit, vor α im frühen A f r z . , abgeschlossen. Wolf/Hupka (1981: §61) datieren diese Entwicklung auf das 8. bis 10. Jh. S. Berschin/Felixberger/Goebl (1978:70).
63
seits der Labiovelar ζ. Β . in den lat. Pronomina Q U I und Q U I D überall zu [k] reduziert wurde. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache von B e d e u t u n g , daß aus [kw] entstandenes [k] nicht mehr an der Palatalisierung teilnimmt, da alle primären kLaute vor [i,e] - im Frz. auch vor [a] 39 - bereits palatalisiert waren 4 0 : klat. Q U I [kwi], vit. Q U I [ki] > frz. qui, nicht *[tsi] > it. chi, nicht [t/i] D i e Forschung ist sich weitgehend einig, daß die Nominativ-Form (Sg. und PI.) des maskulinen Relativpronomens Q U I [kwi] und der genusindifferente Dativ Singular C U I [kui] von dieser Entwicklung erst im späteren Vulgärlatein bzw. erst im Romanischen
betroffen waren: it. chi [ki] sowie frz. qui [ki], beide aus lat.
Q U I , andererseits it. cui [kui] und afrz. cui [ki] aus lat. C U I 4 ' .
4.2.2.
Morphologische Veränderungen
Zunächst wurde die Maskulinform des Nominativs Q U I nach und nach auch für das Femininum Q U A E verwendet 4 2 - im Singular und Plural. D e r N o m . Sg. des Neutrums schwankte - aufgrund der entsprechenden Interrogativform 4 3 - eine Zeit lang zwischen Q U I D und Q U O D , bevor die Generalisierung von Q U I D einsetzte. Ferner dehnte sich auch die A k k u s a t i v f o r m des Maskulinums Singular ( Q U E M ) auf das Femininum (Sg. und Pl.), mitunter sogar auf das Neutrum, aus. Von den zahlreichen Nominativ- und A k k u s a t i v f o r m e n des klat. Paradigmas setzten sich somit also lediglich Q U I und Q U E M (für Mask, und Fem., Sg. und PI.) sowie Q U I D (Neutrum Sg. und Pl., N o m . und A k k . ) durch 4 4 . D e r ursprüngliche Dativ Sg. C U I dehnte sich als starktonige Form auch auf den A k kusativ aus 45 und setzte sich außerhalb der Iberoromania fort, während C U I U S nur in iberoromanischen Sprachen und Dialekten und auf Sardinien weiter-
39
40 41
42
43 44
45
Vor a wird < q u > im Italienischen und in einigen Randdiaiekten Frankreichs immer, im Frz. nur in fremden und gelehrten Wörtern, [kw] ausgesprochen. Vgl. Berschin/Felixberger/Goebl (1978:70) und Wolf/Hupka (1981: §74). Nach Price (1975:133) fielen cui und qui im Afr. des 12. Jahrhunderts in der graphischen Form und in der phonischen [ki] - über [kyi] - zusammen. Beide waren zuvor auch lautlich voneinander verschieden: qui [ki] vs. cui [kui]. Vgl. auch Pope (i934/2i952: §864). Belege für den Zusammenfall von Mask, und Fem. können nach Jeanjaquet (1894:44) schon für das 4. Jh. nachgewiesen werden. Diese Tendenz kann durch den Einfluß der genusindifferenten Interrogativform QUI verstärkt worden sein. Vgl. Meyer-Lübke (1899/1972: §613), der ferner den lautlichen Zusammenfall von QUE(M) (Mask. Akk.) und Q U A E (Fem. Nom.) als Faktor anführt. S. auch FEW 11,1465a. S. hierzu auch Sommer (1902/31914/1948:439). Vgl. Harris (1978:205f.), Väänänen (i962/ 3 ig8i: §285) und (1976:269). Vgl. auch Bourciez (i9io/ 5 i9Ó7:95f.), der für das Ende des Kaiserreiches die Formen QUI, QUE(M), den Dativ CUI sowie ein Neutrum, das als Q U O D und QUID, z.T. auch als Pluralform Q U A E in Erscheinung trat, ansetzt. Harris (1978:205f.) erinnert an die parallele Entwicklung von ILLUI und E C C E ILLUI im Frz. und Ital. 64
lebt 46 . Unter Ausblendung der Kategorie 47 setzen wir mit Harris (1978: 205) folgendes vit. Relativpronominalsystem an48:
Nominativ
Mask./Fem.
Neutrum
QUI
QUID
unbetont
QUEM
betont
CUI
Akkusativ
QUID
( Genitiv)
(CUIUS)
(CUIUS)
Dativ
CUI
CUI
Ähnlich wie Harris argumentiert auch Price (1975 ¡132 f.). Er sieht in der Reduktion des flexivischen klat. Relativpronominalsystems folgende wesentliche Konsequenzen für die Volkssprache gegeben. ι. Q U I übernahm die Rolle des Subjekts des Relativsatzes und dehnte sich auch auf Q U A E (Sg. und PI.) aus. 2. Q U E , das einerseits aus dem Mask. Sg. A k k . Q U E M , andererseits auch aus dem ursprünglichen Interrogativpronomen Q U I D stammt 49 , das seinerseits als Neutrum die Form Q U O D verdrängte, ersetzte die klat. Pronomina Q U A M , Q U O S und Q U A S und wurde somit als Relativum in Funktion des direkten Objekts verwendet. 3. Q U O D wurde in seiner Funktion als Neutr. Nom. und A k k . vom ursprünglich rein interrogativen Q U I D abgelöst 50 .
4.2.3.
Syntaktische Veränderungen 5 '
Während im Altlateinischen der Relativsatz meist dem Matrixsatz vorausging, wurde dieses Verfahren in klassisch-lateinischer Zeit seltener. «Bereits seit Plautus machen die vorangestellten nur mehr aller RSe aus; über % sind nach-
46 47
48
49 50
51
Vgl. Bourciez (iç)io/ 5 i967:243,453) und Alvar/Pottier (1983:138 s '). Durch die formale Identität der maskulinen Singular- und Pluralform in Gestalt von Q U I , das seinerseits paradigmenbildend für die Entwicklung der Relativa war, spielt der Numerus bei den Relativpronomina spätestens zum Zeitpunkt der Herausbildung der romanischen Volkssprachen keine Rolle mehr. Die spanische Besonderheit quien vs. quienes geht nicht auf einen lat. Plural zurück, sondern erklärt sich als analogische Form des Spanischen. Vgl. hierzu z . B . Bourciez (i9io/ 5 i9Ó7:453). Laut FEW II, 1465a «bleiben drei formen übrig, qui, cui (dativ), quem, und diese leben im galloroman. weiter». Z u den unterschiedlichen Meinungen zu dieser Frage s. Anm. 85 in diesem Kapitel. Zur weiteren Entwicklung von Q U I D im Haupt- und im Nebenton im Frz. s. Kap. 5.1. zum Afrz. S. hierzu vor allem Lehmann (1979), (1979a) und (1984:772ff.,389ff., pass.).
65
gestellt» 52 . Dabei verfestigt sich die Position des Relativpronomens am A n f a n g des Relativsatzes. Durch seine Flektierbarkeit konnte es die morphologische Identifikation des Bezugsnomens übernehmen, gleichzeitig dieses im Relativsatz vertreten und seine syntaktische Rolle (Kasus) anzeigen. Diese Veränderungen müssen jedoch in einen allgemeineren Zusammenhang gestellt werden. Durch die genannten phonologischen und morphologischen Veränderungen in der gesprochenen Sprache zu nachklassischer Zeit wurde die Deklination stark reduziert, was sich in erheblichem Maße auch auf die Syntax auswirkte: Die Entwicklung zur festen Wortstellung, die Entstehung der Kategorie und die Etablierung der Präpositionen als morphosyntaktische Informationsträger seien stellvertretend für diesen sprachtypologischen Wandel zur Analytizität 5 3 genannt. Die Konsequenzen für die Relativsatzstrategie liegen auf der Hand. Z u m einen wurde die «syntaktische Technik, das Bezugsnomen unmittelbar vor den R S zu stellen ( . . . ) nun weitgehend obligatorisch» 54 , zum anderen übernimmt das Relativpronomen immer mehr die Funktion einer subordinierenden Konjunktion, die im System der sich linear weiterentwickelnden (romanischen) Volkssprache(n) die Stelle des Relativpronomens einnimmt (s. Kap. 4.3.2). Durch den graduellen Verlust der Kasusflexion, der im Nomen schneller voranschritt als im Pronomen, konnten die syntaktischen Funktionen von Bezugsnomen und Relativum nur noch zum Teil morphologisch ausgedrückt werden. Das Ergebnis war eine Dreikasusflexion mit Q U I als Nominativ, Q U E ( M ) als A k k u sativ und C U I als Form für andere oblique Kasus 5 5 . «Dieses System war schon deswegen instabil, weil que(m)
phonologisch und morphologisch die unmar-
kierte Form war und daher eine natürliche Neigung hatte, sich auszubreiten
52 53 54 55 56
Lehmann (1979:10). S. Kap. 15. Lehmann (1979:18). Vgl. De Jong (1900:9). Lehmann (1984:391).
66
4-3·
D i e Herausbildung der romanischen Relativpronominalsysteme
4.3.1.
Vom vulgärlateinischen zum protoromanischen System57
Innerhalb von zwei Jahrhunderten (vom 2. Jh. bis zum 4. Jh. n.Chr. 58 ) vollzog sich im Sprechlatein ein kategorieller Wandel, der auch das System der Relativpronomina erfaßte. Die grammatische Genusopposition wurde durch die Unterscheidung nach dem natürlichen Geschlecht (Sexus) verdrängt. Da aber die Maskulinformen Q U I und Q U E M auch für feminine Bezugsnomina verwendet wurden, kristallisierte sich eine neuartige Opposition heraus, die zwischen belebten und unbelebten Nomina differenzierte 59 :
Syntakt. Funktion Subjekt
Belebte Bezugsnomina
Unbelebte Bezugsnomina
QUI 60
Direktes Objekt
QUEM
Oblique Kasus
CUI
QUID
Eine etwas abweichende Meinung zur Entwicklung der Nominativ- und Akkusativformen vertritt Väänänen (1976:272). Ersetzt für die Genese des protoromanischen Relativpronominalsystems folgende Phasen an: 1) Seit dem 2. Jh. n. Chr. Q U I und Q U E M werden auch für feminine Bezugsnomina verwendet 6 '. In der mehr als 5000 Exemplare umfassenden Sammlung christlicher Inschriften von E. Diehl 62 lassen sich ungefähr 180 Fälle (meist in der Formel .. .qui vixit...) nachweisen, in denen sich QUI, 32 Fälle (besonders in formelhaften Wendungen wie .. .cum quem vixit...), in denen sich Q U E M (bzw. graphisch < Q U E N > und 11 Fälle, in denen sich (CUM) Q U E (bzw. Q U A E ) 6 3 auf
57
58 59 60
61 62
63
Zur Abgrenzung von Vulgärlateinisch (bzw. ) und Romanisch s. Manu Leumann, « und », in: Lingua Posnaniensis 8 (i960), 1-11, Reichenkron (1965), Berschin/Berschin (1987) und D e Dardel (1987). Zum P r o toromanischen) s. ferner R . A . H a l l , «The Reconstruction of Proto-Romance», in: Language 26 (1950), 6-27. Vgl. Väänänen (1976:269, 272). S. hierzu auch Bonnard (1961:247^). Zum Gebrauch von personalem qui im Altspan., das in allen syntaktischen Funktionen bis ins 14. Jh. verbreitet war und danach durch quien (bzw. port, quem) ersetzt wurde, vgl. Bourciez (i9io/ 5 i9Ó7:453). Vgl. auch Herman (1978/1990:41). E. Diehl, Inscriptions Latinae Christianae veteres I-III. Berlin, 1924-1931, zitiert nach Väänänen (1976:269). Zum Vergleich lassen sich 11 Fälle anführen, wo die Ablativform des Femininums noch - gemäß dem klassisch-lateinischen System - cum qua lautet.
67
eine Frau beziehen 64 . Der Gebrauch von Q U E M erweist sich dabei als der ältere 65 . Die überwiegende Zahl der Beispiele für Q U I stammt aus der Zeit zwischen dem 4. und 6. Jh. n. Chr, wobei der älteste, sicher datierbare Beleg auf das Jahr 295 n.Chr. zurückreicht. Beispiele hierfür sind (nach Väänänen ig62/ 3 i98i: § 285): - Q U I für Q U A E (3) Primae Florentiae filiae carissimae . . . qui ab Orfeu maritu in Tiberi decepta est (Thylander A 210, Grabinschrift aus Ostia, vermutlich 2. Jh. n.Chr.)
- Q U E M für Q U A M (4) Futuit quem voluit (Pompeji 2188) (5) Olympias filiam quem reliquit (CIL V 5933, Grabinschrift aus Mailand) (6) ad quem petram iratus fregit tabulas (Peregr. 5,5)
Durch die Schwächung der Kategorie 66 ergibt sich ein kategorieller Wechsel von der klat. genussensitiven Opposition zur Dichotomie + belebtlbelebt67. Innerhalb der Kategorie [+ belebt] automatisiert sich ferner die Opposition /, die durch Q U I und Q U E M morphologisch besetzt ist und der syntaktischen Unterscheidung zwischen Rectus (Subjekt) und Obliquus (direktes Objekt) dient. Die Kategorie [- belebt] wird durch Q U O D repräsentiert. 2) 4. bis 6. Jh. Infolge einer zeitweiligen Abschwächung der Opposition + belebt/- belebt werden Q U I und Q U E M in zunehmendem Maße auch für die (klat.) Formen des Neutrums, Q U O D und Q U A E , verwendet. In spätlateinischen Texten, so z . B . in der Mulomedicina Chironis, finden sich ausreichend Belege dafür (nach Väänänen i962/ 3 i98i:i25): (7) stentinum qui (8) collirium quem (9) iumentum quem
64
65 66
67
A b e r auch Funktionsübergriffe in der umgekehrten Richtung, die den ungeregelten Gebrauch der RP zu jener Zeit nur noch unterstreichen, lassen sich nachweisen: In 7 Fällen beziehen sich die Femininformen Q U A E bzw. Q U E auf einen männlichen Verstorbenen. Er läßt sich bereits in den Pompejanischen Inschriften nachweisen. Diese Erscheinung erfaßt jedoch nicht alle pronominalen Paradigmen. Bei den Demonstrative IILE und I L L A ζ. Β. blieb die Genusunterscheidung bewahrt. Vgl. Herman (1978/1990:41) und (1983/1990:159^). «Während der Numerus gänzlich aus dem Relativum verschwindet, bleibt vom Genus ein Rest in Gestalt der Kategorie , die später, unter verschiedenen Detailumständen, für die Wahl der Formen qui, chi, quien usw. in RSen verantwortlich ist» (Lehmann 1984:391).
68
Vegetius68 korrigiert diese Formen in intestinum quod und collyrio quod169... Nach Nomina auf -um im Singular trat vit. gehäuft QUI auf, da das Genus von Vertretern dieser Deklinationsklasse, die sich nur im Nom. und Vok. Sg. sowie im Nom. und Akk. PI. von den Maskulina der o-Deklination unterschied, im Vit. Schwankungen unterlag und schließlich zugunsten des Maskulinums aufgegeben wurde (vgl. VINUS für VINUM (Petron), CORNUS für CORNUM (Varrò, Gellius), FATUS für FATUM (Petron)70). Bei Gregor von Tours sind 20 Belege dieser Art zu finden. Besonders markant: (10) genus humanuni qui ( 1 1 ) vulnus qui (12) lumen qui 7 '.
Aber auch für das RP des Akkusativ Plural, Q U A E , kann QUI belegt werden: (13) cetera omnia qui in pedibus contingere solet (Mulom. ChirJ2) (14) loca qui dicuntur, carra . . . qui hoc inferre vedintur (Merowing.
Urkunden73)
Andererseits zeigen im gleichen Zeitraum die Formen des Neutrums, QUOD und Q U A E bzw. Q U E , zuerst nur auf Sachen und Kollektiva bezogen, starke Generalisierungstendenzen und werden unabhängig von Genus, Numerus und Kasus verwendet. Ausgangspunkt dieser Entwicklung dürfte das seit altlateinischer Zeit belegte Phänomen der constructio ad sensum gewesen sein. Auf die RP-Syntax bezogen, sind damit Fälle wie ea omnia quod factum erit gemeint, bei denen eine nicht normgemäße Inkongruenz zwischen singularischem Prädikat (und damit Pronomen) und pluralischem Subjekt besteht. Das Bezugsnomen war ursprünglich unbelebt wie z. B. res: (15) Ego te, Euclio, de alia re rescivisse censui, quod ad me attinet (Plautus, Aul. 769 ff.)
Dieser Typ trat zu spätlateinischer Zeit häufiger auf und führte letztlich zur Erstarrung von QUOD, was folgende Beispiele, entnommen aus mittellat. Dokumenten wie z.B. der Fredegarii chronica oder der Vita Hugberti, belegen74: universa quod; pauca quod; illa quod; haec ... quod; cuncta... quod; bona ipsius quod habuit; propter sacrata muñera quod optulit. Auch in obliquen Kasus ist QUOD zu finden:
68 69
70 71 72 73
74
Zitiert nach Väänänen (i962/ 3 i98i:i25). S. S. Grevander, Untersuchungen zur Sprache der Mulomedicina Chironis. Lund-Leipzig, 1926, pp.35ff. Zitiert nach Väänänen (1976:269). S. Wolf/Hupka (1981: § 170) und Väänänen (1962/31981: § 214). Bonnet (1890/1968:391), zitiert nach Väänänen (1976:269). Grevander (i926:ibid.), zitiert nach Väänänen (i976:ibid.). S. J. Vielliard, Le latin des diplômes royaux et chartes privées de l'époque mérovingienne. Paris, 1927, S. 150. Zitiert nach Väänänen (1976:269). Zitiert nach Norberg (1944:57).
69
(i6) da ei cibum, quod sic consuetus est 75 (quod für cui) Par un relâchement du rapport entre l'antécédant [sic!] et le relatif, ce dernier, sous la forme (et au sens) neutre, se rapproche de id quod , ou, plus lâchement encore, (Väänänen 1976:270). 3 ) 6. bis 8. J h . Z u den bisher genannten Formen kommen noch Q U A (und Q U A M , Q U A S ) sowie, besonders in Italien, Q U I D hinzu. Die Auswahl aus dem komplexen Formeninventar geschah meist unsystematisch und läßt somit Rückschlüsse auf die Situation im gesprochenen Latein der Epoche zu. Dies führt Väänänen u . a . auch auf die Unsicherheit der meist nur halbgebildeten Kopisten im U m g a n g mit den klat. Relativpronomina zurück, die an Stelle der volkssprachlichen Formen - bzw. derer, die sie dafür hielten - niedergeschrieben werden sollten. A n'en pas douter, la langue parlée tendait à unifier le relatif dans la forme neutre, hésitant entre le sing, quod et le pl. quae (Väänänen 1976:272). D i e Form Q U A E ( Q U E ) setzte sich schließlich aus mehreren Gründen durch. Z u m einen wegen ihrer Verschmelzung mit dem ebenfalls sehr häufigen Obliquus Q U E M sowie mit dem Interrogativum Q U I D . Z u m anderen wurde diese Entwicklung begünstigt durch die seit dem 6. J h . nachzuweisende Herausbildung der Konjunktion Q U E (graphisch ebenso < Q U A > , < Q U E M > , selten auch < Q U I D > ) , die an die Stelle von Q U O D 7 6 tritt, jener Konjunktion also, die immer schon Interferenzen mit dem Pronomen Q U O D unterworfen war. D a s vit. System der Relativa in den Kasus und läßt sich somit wie folgt darstellen:
Syntaktische
Funktion Belebte
Subjekt
Bezugsnomina QUI
Unbelebte
Bezugsnomina
QUOD/QUAE -> QUI/QUEM/QUOD/QUAE 7 7 - >
Direktes
Objekt
QUEM > QUE
Q U A E (χ Q U E M χ Q U O D ) - > QUE
Zusammenfassend sind somit für die merowingische Zeit folgende vier Formen anzusetzen 78 : ι . Q U I als Subjektform f ü r Mask, und Fem. (Sg. und Pl.), die außer in G a l lien immer seltener gebraucht wurde und in der Ostromania gänzlich verschwand 7 9 . 75 76 77 78
79
Grevander (1926:37^), zitiert nach Väänänen (1976:270). Zur protoromanischen Konjunktion ko ( , < Q U O D > , < Q U E > , < Q U A E > , < Q U E M > ,
8°.
A l s P r o d u k t d e r V e r s c h m e l z u n g v o n Q U E M , Q U I D u n d Q U A E w u r d e sie (in d e r W e s t r o m a n i a ) u n i v e r s e l l , i . e . in a l l e n s y n t a k t i s c h e n F u n k t i o n e n v e r w e n det8'. 3. Q U E M als b e t o n t e O b l i q u u s f o r m , d i e v o r a l l e m in d e r I b e r o - u n d O s t r o m a n i a s o w i e auf Sardinien verbreitet war. 4. C U I als w e i t e r e b e t o n t e O b l i q u u s f o r m , d i e ü b e r a l l a u ß e r h a l b d e r I b e r o r o m a n i a b e w a h r t w u r d e u n d b e r e i t s vit. mit e i n e r v o r a n g e s t e l l t e n P r ä p o s i t i o n verbunden werden konnte82. D i e s e E r g e b n i s s e w e r d e n v o n Pei ( 1 9 3 2 : 1 7 6 ) f ü r N o r d f r a n k r e i c h i m 8. Jh. bestätigt: Q U I , Q U E M und Q U O D
w e r d e n s o w o h l in i h r e r u r s p r ü n g l i c h e n
F u n k t i o n als a u c h in m e h r als z w e i D r i t t e l n d e r F ä l l e f ü r alle a n d e r e n R e l a t i v p r o n o m i n a v e r w e n d e t 8 3 . A u s Q U E M u n d Q U O D sei b e r e i t s z u r d a m a l i g e n Z e i t e i n e Form Q U E entstanden84. V ä ä n ä n e n g r e i f t in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g d i e F r a g e a u f , o b Q U O D - d a s n e b e n quae
(que)
v o r a l l e m in T e x t e n z w i s c h e n d e m 4. u n d 6. J h . n . C h r . sich
g e n e r a l i s i e r e n d e N e u t r u m d e s R P s - nicht als e i n e g e l e h r t e , l e t z t l i c h h y p e r k o r rekte Form zu interpretieren w ä r e , die von Schreibern für das volkssprachliche universelle Q U E verwendet wurde85.
80 81
82 83
84
85
Relativsätzen ohne Antecedens. In dieser Funktion blieb qui überall außer im Balkanromanischen erhalten. S. Väänänen (1962/31981: §285). Z u r Herausbildung des Typs « Q U E M + resumptives Pronomen» als Vorläufer der späteren Substandardkonstruktion in den romanischen Sprachen vgl. z . B . Bourciez (i9io/ 5 i9Ó7:276). S. Kap. 4.3.2. Vgl. Bourciez (i9io/ 5 i9Ó7:243). Textauswertungen durch Pei (1932: Appendices 1,14,17,19) ergaben, daß im Zeitraum von 700 bis 717 6 2 % der Relativpronomina unkorrekt, d . h . nicht im Sinne des klat. Modells, 38 % korrekt verwendet wurden. Zwischen 750 und 770 entsprachen 70 % der klat. Norm, 25 % nicht (nach Berschin/Felixberger/Goebl 1978:181 ). Diese verstärkte Orientierung am klassischen Latein ist zweifelsohne auf die Wirkungen der Karolingischen Renaissance zurückzuführen. « A b Mitte des 8. Jhs. ist in vielen Punkten eine allmähliche Umkehrung der Tendenz zur Aufnahme sprechsprachlicher Formen als Varianten in die Schriftsprache zu beobachten . . . » (ib.). Z u r Karolingischen Reform s. auch Selig (1989), Lüdtke ( 1989:9f.). Reichenkron (1929:378) geht von einem zunächst lautlichen Zusammenfall im Vit. von (unbetontem) Q U E M , Q U A E , Q U I D und meist auch Q U O D in der Partikel ke aus. Väänänen (1976:273) stimmt mit Jeanjaquet (1894:42ff.) und Herman (1963:125 ft.) in der Ablehnung der Thesen von Diez ( 5 I882:IO32), Rydberg (I898:357FF.) und anderen überein. Diez führt Konjunktion und Relativpronomen que auf Q U I D zurück, Rydberg erklärt die Konjunktion que aus Q U I A und nimmt eine vom Pronomen que unabhängige Entwicklung an. Herman (1963: 127) hingegen, der die Position Jeanjaquets übernimmt, führt beide Verwendungen von que auf Q U E M zurück. Diese Entwicklung sei zudem durch den Einfluß anderer Formen des Relativums beschleunigt worden, besonders durch den Neutrum Plural Q U A E , in gewissem Umfang auch durch das Interrogativum Q U I D . Ähnlich argumentiert Norberg (1968:58). Vgl. dagegen die bereits skizzierten Positionen von Harris (1978) und Price (1975), die Q U I D als die
71
Wenn dann in den späteren Jahrhunderten, etwa 500-800 n.Chr. noch massenhaft quod geschrieben wird, in allen möglichen Funktionen, nach Abstrakten, Concreten, Personen, collectiv und individuell, so ist dieses quod wahrscheinlich nichts weiter ( . . . ) als die geschriebene Form für das gesprochene Relativadverb ke, dessen Entwicklung schon langsam und allmählich im klassischen Latein vor sich gegangen ist, und dann im Vulg.-lat. seine Vollendung erreicht hat (Reichenkron 1929:378). D i e E n t w i c k l u n g des R e l a t i v u m s in d e r Volkssprache hin z u einer generalisierten Form que ist eine g e s a m t r o m a n i s c h e E r s c h e i n u n g . Sie läßt mit A u s n a h m e d e r Fälle, die unmittelbar auf den A k k u s a t i v Q U E M und den O b l i q u u s C U I z u r ü c k z u f ü h r e n sind, die K a t e g o r i e n , und als konstitutive M e r k m a l e eines a n d e r e n Sprachtyps somit hinter sich. A u s g e n o m m e n von dieser R e g e l ist nur das Französische, das im S u b j e k t p r o n o m e n qui d e n Nominativ d e s klat. Systems bewahrt bzw., seit den S t r a ß b u r g e r E i d e n , wiederhergestellt hat.
4.3.2.
D i e E n t w i c k l u n g z u d e n romanischen Substandardtypen
W i e in K a p . 4.2 und 4.3.1 deutlich w u r d e , führte eine R e i h e sprachlicher Prozesse im g e s p r o c h e n e n Latein nachklassischer Z e i t z u m radikalen A b b a u d e r F l e x i o n , die im Falle des RP-Systems - w i e auch bei a n d e r e n P r o n o m i n a 8 6 - ein R e s t p a r a d i g m a von drei funktional distinktiven F o r m e n ( Q U I / Q U E / C U I ) z u m E r g e b n i s hatte, die im wesentlichen den A u s g a n g s p u n k t f ü r die K o n s t i t u i e r u n g der R e l a t i v p r o n o m i n a l s y s t e m e in den romanischen Schriftsprachen bildeten ( K a p . 4.3.3). E i n vit. B e l e g f ü r j e d e dieser F o r m e n sei (nach L e h m a n n 1979:18) genannt: Subjektkasus
(QUI)
(17) Primae Florentiae filiae carissimae . . . qui ab Orfeu maritu in Tiberi decepta est (Thylander A210) - Objekt
(Dir. Obj.)
(QUE)
(18) de ilio que fecerat (Rhythm, de Ludovico II,9,1 = Mon. Germ. Pet. III, S. 405) Obliquer
Kasus
(CUI)
(19) episcopum de cui parrochia fuit (Leg. Alam. 12) - M a n sieht in ( 1 7 ) und (18), d a ß die Relativa nicht m e h r nach d e m G e n u s flektieren. (19) macht deutlich, d a ß auch die K a s u s f l e x i o n verloren g e g a n g e n ist. Statt
86
maßgebende Form des Neutrums betrachten. (Die bibliographischen Angaben zu Rydberg 1898 und Norberg 1968 s. Väänänen 1976). Auch Corominas/Pascual (1981:1V,703f.) betonen die Rolle von Q U I D bei der Herausbildung einer universellen Partikel, zumal sard, ki nur durch diese Form erklärt werden könne. Zu den Demonstrativpronomina s. Gsell (1989). 72
des klat. G e n i t i v s C U I U S steht nur noch C U I , dessen syntaktischer B e z u g z u m B e z u g s n o m e n durch die Präposition D E a u s g e d r ü c k t wird 8 7 . Parallel z u d i e s e m P r o z e ß d e r nicht zuletzt a u c h soziolinguistisch, zumindest a b e r diamesisch 8 8 gesteuerten Systemstabilisierung verlief in der g e s p r o c h e n e n Volkssprache ein linearer Entwicklungsstrang. D a das R e l a t i v p r o n o m e n durch die R e d u k t i o n der F l e x i o n m o r p h o l o g i s c h die A t t r i b u t i o n des B e z u g s n o m e n s (Identifizierung nach G e n u s und N u m e r u s ) und die L e e r s t e l l e n b i l d u n g im R e l a tivsatz (Identifizierung d e r syntaktischen R o l l e ) nicht m e h r bewerkstelligen k o n n t e , bildete sich in der U m g a n g s s p r a c h e «zuerst supplementär, dann schrittweise allgemein, ein anderes V e r f a h r e n zur Leerstellenbildung» 8 9 heraus, das mittels eines analytischen Konstruktionstyps die bislang in einer F o r m synthetisierten F u n k t i o n e n des R e l a t i v p r o n o m e n s «dekumulierte». D a b e i standen zwei F u n k t i o n e n im V o r d e r g r u n d : S u b o r d i n a t i o n und syntaktische Identifikation. Erstere w u r d e von Q U E ü b e r n o m m e n , j e n e r F o r m also, in der zwei d e r häufigsten m o r p h o l o g i s c h e n K a t e g o r i e n einer S p r a c h e , R e l a t i v u m und K o n j u n k t i o n , z u s a m m e n f i e l e n . D u r c h d e n sprachgeschichtlich legitimierten Subordinationsc h a r a k t e r von Q U E verwundert es nicht, d a ß es volkssprachlich zur Einheitspartikel, z u m universellen
Relativum
und zur universellen
Konjunktion
geworden
ist. D i e zweite Funktion leistet ein resumptives
Element,
durch dessen anaphori-
schen C h a r a k t e r das B e z u g s n o m e n im Relativsatz repräsentiert wird. D i e s e s E l e m e n t , das den syntaktisch-semantischen B e z u g zwischen d e n A k t a n t e n d e s Hauptsatzes und d e n e n des subordinierten Satzes verdeutlicht, ist im Lateinischen meist ein Personal- o d e r D e m o n s t r a t i v p r o n o m e n . Dieses Verfahren hat eine besondere und eine allgemeine Grundlage in der Sprachgeschichte. Die allgemeine ist die ( . . . ) Ausdehnung des Gebrauchs von Personalia und Demonstrativa in allen Bereichen, ganz unabhängig von der RSbildung. Die besondere liegt in der Fortführung eines Relativums durch ein Personale, die auch im klassischen Latein in koordinierten RSen erlaubt und noch im Spätlatein gebräuchlich war, selbst wenn keine Kasusverschiedenheit vorlag 90 (Lehmann 1984:392). D i e p r o n o m i n a l e W i e d e r a u f n a h m e d e s B e z u g s n o m e n s im Relativsatz war also bereits zu klassisch-lateinischer Z e i t durchaus möglich. Die Chronologie der Ausbreitung dieses Verfahrens ist ebenso ungeklärt wie die Rolle, die die folgenden Varianten dabei gespielt haben (Lehmann 1984:392).91
87 88
89 90
91
S. hierzu Dauses (1990:63ft.). Gemeint sind die konzeptionell definierten Kategorien und geschrieb e n , die von einigen (z. B. von Koch/Oesterreicher 1985) als selbständige Dimension, von anderen als Ausprägungen der diaphasischen Variation (Albrecht 1990:70) gesehen werden. Lehmann (1984:392). Als klat. Beispiel führt Lehmann (1984:392) an: Saracenos, quos invaserunt nostri et miserunt eos in fugam. Die Beispiele stammen, wenn nicht anders angegeben, aus Lehmann (1984:392). Die
73
Typ ι: D e r syntaktische Bezug zwischen Matrix- und Relativsatz kommt nicht zum Ausdruck, da das «Relativum» nur als Subordinationspartikel fungiert 9 2 . ( 2 1 ) circumcisis rebus, quae non arbitrer pertinere ad agriculturam (Varrò, De re rustica I,ι,il)93 (22) nutriebant leonem . . . terribilem ad videndum, qui, dum appropinquassemus cellulae, ante rugitum illius omnes animales, quos habuimus, minxerunt (Itin. Ant. Plac. 34, 13-16) - Typ 2: In syntaktischen Funktionen (meist indirektes Objekt, possessiver Genitiv, nicht jedoch Subjekt und direktes Objekt 9 4 ), für die Relativa vorhanden sind, tritt ebenso die unmarkierte Form Q U E ( M ) zusammen mit einem Resumptivum auf 9 5 . (23) hominem quem ego beneficium ei feci (Form. And. 48) - 4 ein e n W e r t v o n 8897. V o n d i e s e n e n t f a l l e n 5 6 , 7 5 % a u f qui/cui5,
29,87 % auf
que,
' S. hierzu zusammenfassend Meyer-Lübke (1899/1972:111,§ 613ff.), Ménard (1968/ 2 I976:78-IOI), Vi§an (I974:Ó7FF.), GLLF (1977^1,5031 ff.) und Wolf/Hupka (1981:179ft.), ausführlich auch D e Jong (1900), Kunstmann (1990). Speziell zu qui, cui, que und coi vgl. Martin (1967), zum restriktiven/nicht-restriktiven Relativsatztypus im A f r z . s. Rosier (1985) und (1986). Z u r Entwicklung der Relativpronomina vom A f r z . zum Nfrz. s. besonders Nyrop (i925:V,3i 1-356) und Le Bidois (1935-1938/ 2 I9Ó7:II,273-333), vom Lat. zum A f r z . Sneyders de Vogel (1919:68ff.). Speziell zu den Relativa im Roman de Renart s. Quereuil (1990). 2 Wir verwenden Rektus zur Bezeichnung der Subjektfunktion und Obliquus zur Bezeichnung von direktem, indirektem und präpositionalem O b j e k t . Die Termini oblique Strukturen, oblique Beziehungen, obliques «que» u . a . benutzen wir hingegen gemäß der in 2.3.2.2. gegebenen Definition ausschließlich im Sinne von i n d i r e k t e m und präpositionalem Objekt>. 3 Kunstmann (1990). 4 Dieses wurde in drei verschiedene Teilkorpora aufgeteilt, die nach quantitativen und methodologischen Gesichtspunkten differenziert wurden. Systematisch und am genauesten wurde ein im Umfang reduziertes Korpus ausgewertet, zu dem 32 Werke aus dem angegebenen Zeitraum zählen, die meistens vollständig (z. B . das Alexiuslied und die Eulaliasequenz), z . T . aber auch nur in Auszügen (z. B. Lancelot) analysiert wurden. 5 Z u m Gebrauch von cui als direktem O b j e k t s. Brunot (i922/ 3 i936:i79), Nyrop (i925:V, 32off.), Sneyders de Vogel (1919:69), Harris (i978:205ff.), Ménard (1968/ 2i976:8if.), Zink (1989: i02f.), Jensen (i990:207ff.) und Kunstmann (1990:201 ff. ,458 f.). Nach Martin (1967:109 f.) wurde cui in dieser Funktion, von wenigen Ausnahmen (z. B. in lothringischen und wallonischen Texten) abgesehen, grundsätzlich auf belebte Nomina bezogen. Z u den graphischen Varianten qui, qi und ki (für 81
Tabelle ι: Formen und Funktionen der (ererbten) Relativpronomina im A f r z . 6
mit
Bezugsnomen +/-
Subjekt Obliquus
+
qui
que
cui
(Direktes Objekt)
Bezugsnomen
belebt
qui (que) ¡
—
belebt
que
(cui)
Obliquus2
dont, ou
Obliquus^
cui +
T a b e l l e 2: F o r m e n
belebt
ohne
belebt
dont, ou quoi
—
belebt
cui +
und Funktionen der romanischen
quoi
belebt
-
belebt
N e u b i l d u n g lequel
im
Afrz.7
Mask
Fem
Singular
Rektus
li q u e l s
la q u e l / q u e l e
Singular
Obliquus
le q u e l
la q u e l / q u e l e
Plural
Rektus
li q u e l
les quels/queles
Plural
Obliquus
les q u e l s
les quels/queles
cui) im A f r z . und A l t o k z . s. Jensen (1990:209). D i e s e spiegeln, so Jensen, den phonetisch-phonologischen Z u s a m m e n f a l l von frz. qui und cui (zugunsten von qui) wider; dadurch k o m m t cui allmählich außer G e b r a u c h (spätestens im 14. Jh.), w ä h r e n d sich
6
7
andererseits präpositionales qui herausbildet, das die obliquen Funktionen von cui übernimmt. Im Unterschied zu qui, cui, que, quoi können dont und ou aufgrund formaler und funktionaler Kriterien nur bedingt als aus dem L a t . ererbte Relativa betrachtet werden. S. hierzu K a p . 4.3.5. S. hierzu auch Sneyders de V o g e l (1919:75), der das Fehlen von lequel in den ältesten Texten, so z. B . im A l e x i u s - und Rolandslied unterstreicht. Kunstmann (1990:470) hat j e d o c h für eine anglonormannische Fassung des A l e x i u s l i e d e s einen B e l e g (les quels) für das erste Q u a r t a l des 12. Jhs. erhoben. A u c h in anderen frühen anglonormann. Texten ist das Relativum belegt. Im 12. Jh. trat es vor allem in religiösen, juristischen und didaktischen Texten (bes. auch in Ü b e r s e t z u n g e n ) in Erscheinung, während es in literarischen W e r k e n erst ab d e m 13. Jh. in z u n e h m e n d e m M a ß e belegt ist.
82
7 , 1 1 % auf ou, 4,74 % auf doné und u.a. 0,35 % auf queUlequeP.
Die Bezugsno-
mina waren zu ungefähr je 5 0 % [ + belebt] bzw. [ - belebt] (oder indefinit). Das Relativum que tritt meist als direktes Objekt auf, vereinzelt - in Verbindung mit einer Präposition - als Präpositionalsyntagma, manchmal, besonders in Texten, bei denen provenzalischer Einfluß gegeben ist 10 , auch als S u b j e k t " . Im Obliquus kann es mehrere Funktionen erfüllen: die des indirekten Objekts, die einer adverbiellen Zeit- und Ortsbestimmung und die eines präpositionalen Objekts. In der Rolle des indirekten Objekts ist que bespielsweise im Yvain 3mal und im Rolandslied imal belegt. Temporal und lokativisch gebrauchtes que wurde im Alexiuslied 5mal, im Rolandslied 7mal und im Yvain 22mal gezählt 12 . Als 8
Dont wurde zum Ausdruck einer Genitivrelation vor allem auf Sachen, weniger j edoch auf Personen bezogen verwendet, weil hierfür noch cui als bevorzugtes Pronomen zur Verfügung stand (s. Jensen 1990:213). 9 In einigen Fällen ist das Relativum formal nicht ausgedrückt. Dies läßt sich vor allem in der Umgebung bestimmter Elemente (z.B. celui oder n'i a) beobachten. S. hierzu Kunstmann (1990: 241-245, et pass.). Zur Tilgung des Relativpronomens im Afrz. s. auch Nyrop (1925: V,3i2), Lerch (1925-1929:1,161), Stempel (1964:444) und Ménard (1968/* 1976:78). Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf ähnliche Phänomene in den frz. Kreolsprachen, die dort ein gängiges Verfahren der Relativsatzbildung darstellen (s. Kap. 5.9.). Allerdings muß bei der Beurteilung dieses Sachverhalts die komplexe Genese der frankokreolischen Varietäten berücksichtigt werden. Iü Z . B . in der Vie de saint Léger (6 Belege) und in der Passion de Clermont (2 Belege). Mit Abstand am häufigsten ist subjektliches que in anglonormannischen Texten zu finden, so z. B. in La Sainte Résurrection (Ende 12. Jh., Manuskript von Canterbury), wo es 27mal (gegenüber einmal belegtem qui) zu finden ist, davon 23mal auf Maskulina, 4mal auf Feminina bezogen (nach Kunstmann 1990:207f.). Kunstmann erteilt in diesem Zusammenhang der einst von Tobler (1905:103) aufgestellten Hypothese, que setze das lat. Fem. Q U A E fort, eine Absage. In der Vie de saint Léger sei que ausnahmslos auf Maskulina bezogen und nichts deute auf eine vom Fem. zum Mask. hin. Die Toblersche These verteidigten in jüngerer Zeit erneut De Poerck (1963:116) und Moignet (1973:45). " Ménard (1968/'1976: §64) führt drei Ursachen für die Verwendung von que als Subjektpronomen an (nach Kunstmann 1990:206f.): 1. Abbau der Kasusflexion zu Lasten des Obliquus. 2. Analogie durch «neutrales» que (ce que). 3. Konkurrenz zu einer Form que mit konsekutiver Bedeutung. Elidierte Formen (qu') in Subjektfunktion können nach Ménard (1968/'1976: §64,2) und Kunstmann (1990:207) dann als que interpretiert werden, wenn an anderen Stellen des Textes Subjekt-que belegt ist. Detaillierte Untersuchungen zum Subjektpronomen im Afrz. und Altokz. bei De Poerck (1963:ι i8ff.). Zum Nebeneinander von qui und que in Subjektfunktion s. auch FEW 11,1465b, Brunot (HLF: 1,446ff.), Le Bidois (1935-1938/^967:11,3i4ff.), Martin (1967), Wolf/Hupka (1981:170) und Jensen (1990:203f.,218), der ein verstärktes Auftreten von que als Subjektpronomen in anglonormannischen Texten feststellt. Im Nfrz. ist que als Subjektpronomen nur marginal (in Substandardvarietäten) und meist als elidierte Form qu', der auch qui zugrunde liegen kann, erhalten. S. hierzu Wolf/ Hupka (1981:170) und Togeby (1982:1,§ 510). Zum Gebrauch in den Dialekten s. Kap. 5.8.3.3. 12 Am häufigsten ist es in dieser Funktion in den ältesten Texten und in narrativen Werken aus der ersten Hälfte des 13. Jhs. belegt. Der Anteil an der Gesamtzahl der Relativkonstruktionen entspricht in etwa den von Jokinen (1978) für das Mfrz. erhobenen Relationen. Vgl. Kunstmann (1990:463).
83
Präpositionalobjekt ist es selten; im Rolandslied kommt es 2mal vor, in La sainte Résurrection und in den meisten anderen Werken nur imal. Obliques que (ohne Präposition) trat in den Funktionen eines Genitivattributs (complément déterminatif), eines indirekten Objekts und einer adverbiellen Bestimmung (meist der Zeit, auch des Ortes, seltener der Art und Weise) auf. Folgende Relativkonstruktionstypen, die heute als Substandard gelten, lassen sich für das Altfranzösische anführen' 3 : Typ ι : Relativpartikel que + 0 Typ ia: Zum Ausdruck obliquer Beziehungen' 4 (1) une partie de l'ost que D e u s out tuched les quers . . . (nach K u n s t m a n n 1990:211) (2) «Vous savés bien que il n'est mie fils celui que il le cuide estre». Et la d a m e fu e s p o e n t e e , si li d e m a n d a : « D e cui d o n t ? » ' 5 (ib.) (3) n'i a celui que li sanz ne sailli par mi le n é s ' 6 (ib.) (4) Jesuscrist, la prophete sainte, que G ï u firent honte m a i n t e ' 7 (ib.) (5) Il i a une d a m e , que D e u s doint bon destin, Q u e est en l'abaïe dedens le mur c h a u c i n ' 8 (ib.) (6) si Ii distrent que il crerroient en celui D i e u que il crerroit ( i b . : 2 i 2 ) (7) le plus rice estoire [] que o n q u e s oïst on parler (ib.)
Typ ib: Zum Ausdruck lokaler und temporaler Beziehungen' 9 (8) (9)
l'en que ele portera blé ( i b . : 2 i 3 ) vos m ' a v r e z au j o r que li t o r n o i e m e n z doit estre (ib.)
(10) la nuit que mesire G a u v a i n jut avec la bele file Helient le roi de N o r g a l e s (ib.) ( 1 1 ) si s'en vont tot le chemin que mesire Y v a i n estoit venus ( i b . : 2 i 9 ) (12) D i e x me m e t e encor en point et en leu que j e te puisse faire deshoneur (ib.)
Typ ic: Zum Ausdruck modaler und anderer Beziehungen 20 (13) par tel couvent qu'il les tenroit aus us et aus coustumes que li emperieres grec les avoit tenuz (ib.:22o)
13
S. hierzu auch Sneyders de V o g e l (1919:81 f f . ) , B r u n o t ( i 9 2 2 / 3 i 9 3 6 : i 8 o f . ) , D a m o u rette/Pichon ( 1 9 2 7 - 1 9 5 2 : 1 ^ ! 1322ft.), Stempel ( i 9 6 4 : 2 i 9 f f . ) , M é n a r d (1968^1976: 84t.), B o u c h a r d (1980). Z u r Relativpartikel que im A f r z . vgl. Jensen (1990) und K u n s t m a n n (1985). S. dort auch zum A l t o k z . , A l t s p a n , und Altital.
14
Diese Funktion, die als indirektes O b j e k t , complément circonstanciel und complément déterminatif auftreten kann, ist sehr häufig belegt. W i r gehen hier nicht der Frage nach, in welchen Fällen die elidierte Form qu' als que oder eher als cui zu interpretieren ist (vgl. K u n s t m a n n 1990:212). E b e n s o k l a m m e r n wir syntaktisch k o m p l e x e Strukturen aus, deren G l i e d e r nicht eindeutig zu analysieren sind, z. B . : et por son oncle que il dist qu'il le conuist et loe et prise (ib.:303).
15
Vgl. den Konstruktionswechsel (mit de) im d a r a u f f o l g e n d e n Fragesatz. Originalversion (Lancelot 9 1 . 1 4 ) . Von verschiedenen Herausgebern später zu qui bzw. a qui korrigiert. V o m H e r a u s g e b e r zu cui korrigiert (aus Perceval 580). B e a c h t e (das zweite) que hier als S u b j e k t p r o n o m e n . V o r allem letztere. A l s A n t e c e d e n s fungierten Z e i t a n g a b e n wie tens, terme, foiz, an, jor, ore, etc. Z u t e m p o r a l e m que im A f r z . s. ferner Jokinen (1978:86).
16
17 18 19
20
B e i den beiden Beispielen handelt es sich zugleich um Konstruktionen des Typs i a * (Präp + BN + que).
84
(14) por le pris que il sereit presie (ib.) Typ 2: Relativpartikel que + Resumptivum Typ 2a: que + Subjektpersonalpronomen (15) E s'i vont les beles dames cortoises, que eles ont deus amis ou trois avec leur barons (nach Brunot i922/ 3 i936:i8o) 21 (16) Il est bien homme plus estrange, / Que, si bien tost il ne se change, / II nous fera tous enrager (nach Sneyders de Vogel 1919:81 ) 2 2 (17) Et la roine qui oit ces plaintes et cels regrez et qu'ele voit as eux celui qu'eles demandent, si s'en sourist (nach Kunstmann 1985:51o) 2 3 Typ 2b: que + Akkusativpersonalpronomen (18) Il a ci devant une tor que aucuns de nos /'ont plusors foiz veue (nach Kunstmann 1985:51) Typ 2c: que + Dativpersonalpronomen (19) chus vaslés si fu fix l'empereur Kyrsac de Coustantinoble, que uns siens freres li avoit tolu l'empire de Constantinoble par traïson (nach Stempel 1964:219) Typ 2e: que + y (20) un flum . . . que on n'i puet passer se par un pont de pierres non (nach Brunot I922/3I936:I8O)
Typ 2f: que + en (21) Il i a une beste que, se vos le poiiés prendre, vos n'en donriiés mie un des membres por cinc cens mars d'argent (nach Ménard I968/2I976:85) Typ 2g: que + Possessivum (21) Signor, vostre mere est la dame / que vous avés a feu a flame / Soventes fois sa terre mise (nach Damourette/Pichon I927-I952:IV,§ 1322) Typ 3: Relativpartikel où24 (22) Chascun avra la seue ou il dira son bon (nach Kunstmann 1990:186) (23) La belle, où mes cuers s'otroie (ib.) (24) cil laron m'enblerent, ù m'avés acaté (ib.)
21
12
23 24
Der gleiche Belege wird bei Wilmet (1978:88) für das Mfrz. angeführt. Da das Zitat aus einem Werk des 13. Jh. stammt (Aucassin et Nicolette) ist die Zuordnung zum Alt-oder Mittelfranzösischen strittig. Wir folgen hier Wolf/Hupka (1981), die den Text zum Afrz. rechnen. Die pronominale Wiederaufnahme wurde allerdings durch den eingeschobenen Nebensatz begünstigt. Die Relativpartikel tritt hier zusammen mit dem Relativpronomen (qui) auf. «Ou correspond grosso modo aux différentes valeurs de la préposition a en fonction de circonstant ou d'objet indirect» (Kunstmann 1990:186). Der Bezug auf personale Bezugsnomina war möglich, wenngleich eher selten (4% der où-Belege) (ib.). Vgl. Beispiele (22) bis (24).
85
Typ 4: R e l a t i v p r o n o m e n + p l e o n a s t i s c h e s A n a p h o r i k u m 2 5 T y p 4a: dont + en (25) II prist la lance, al quor feri / Dunt ensemble sane e eve en issi (ib. :255) (26) e Israel iert a tutes genz a respit, dun il em purrunt fableier (ib.) Typ 4b: Präp + lequel
+ R e s u m p t i v u m ; (a) cui + R e s u m p t i v u m
(27) Mès por Dieu et l'ame mon pere / A cui Diex vrai pardon li face . . . (ib.) (28) Li dus . . . reçut martire avec ceuls qui [für cui ] leur lances florirent (ib.) (29) plusieurs femmes sont, qui [für cui ] ne leur chaut ou elles s'abandonnent (ib.) D i e f o l g e n d e n B e i s p i e l e sind g e s o n d e r t z u b e t r a c h t e n , d a sie a u s e i n e r a n g l o n o r m a n n i s c h e n P s a l t e r ü b e r s e t z u n g aus d e m 12. Jh. s t a m m e n , d e r b e r e i t s im lateinis c h e n O r i g i n a l ( v o l k s s p r a c h l i c h e ) p l e o n a s t i s c h e K o n s t r u k t i o n e n z u g r u n d e lagen26: (30) e raachatas le ceptre de la tue hereditet, le munt Syon, el quel tu habitas en lui27 (31) Buneüred cui Deus de Jacob est sis aidieres 28 Typ 4c: W e i t e r e F ä l l e : qui + S u b j e k t p e r s o n a l p r o n o m e n 2 9 (32) super li piez ne pod ester qui toz los at il condemnets (ib.) (33) E od les marinaus i est dan Horn entré, Ki Gudmod des or mes sera il apelé (ib.) N a c h S t e m p e l (1964:220) sind die T y p e n 1, 2 u n d 4 im A l t f r z . - im G e g e n s a t z z u a n d e r e n r o m a n i s c h e n S p r a c h e n - sehr selten 3 0 : Entscheidend war wohl der Umstand, daß, während Ost- und Iberoromania im wesentlichen nur ein neutrales Relativ (ce, che, que) bewahrt haben, das Französische die Opposition Rektus/Obliquus (qui/[cui]-que) aufrechterhielt (Stempel 1964:221 f.).
25
26
27 28 29
30
A l s Anaphorika können Personal-, Possessiv- und Demonstrativpronomina auftreten. Dieser Typus stellt nach Kunstmann (1990:255) eine Ausnahme dar. Nach Kunstmann (1990:256) zudem vom Hebräischen beeinflußt. Lehmann (1984:271) weist darauf hin, daß im Hebräischen ein Resumptivum in Objektfunktion nur im appositiven Relativsatz, jedoch nicht im restriktiven, obligatorisch ist. Vgl. die Diskussion dieser hebräischen Besonderheit in der Grammaire générale (1660/ 1967:11,71 f.) und in der Encyclopédie (i765/i967:XIV,56ff.). S. hierzu auch unser Kap. 5.5. Lat.: seeptrum redemisti haereditatis tuae, montem Sion, in quo habitasti in eo. Lat.: Beatus cujus Deus Jacob auxiliator ejus. Hierfür erhob Kunstmann (1990:255) für das gesamte Korpus nur zwei Fälle, deren Zuordnung zu unserer Typologie aufgrund der komplexen syntaktischen Struktur nicht unproblematisch ist. Ein Indiz hierfür kann in der Tatsache gesehen werden, daß von der Forschung meist die gleichen Belege zur Illustration des décumul oder des universalen que im Afrz. herangezogen werden. So z. B. die Belege zu den Typen ia und 2c, die sich z. B. auch bei Damourette/Pichon (i927-i952:IV,§ 1322), Guiraud (1966:45) und Bouchard (1980:69) finden. Der zu Typ 2g angegebene Beleg ist der einzige, auf den in der sprachwissenschaftlichen Literatur Bezug genomen wird (so bei Damourette/Pichon § 1322) und Le Bidois (i935-i938/ 2 i967:II,32i).
86
Dies erkläre auch, warum diese Konstruktionen in den älteren Sprachstufen des Spanischen, Italienischen, Portugiesischen und Rumänischen auch literarisch recht zahlreich belegt sind: ( . . . ) ; der gegenwärtige Zustand ist nur das Ergebnis einer neuen sprachästhetischen Einstellung (ib.).
Zusammenfassung Moignet (1971:232) wertet die Tatsache, daß que als polyfunktionales Relativum im mittelalterlichen Französisch belegt ist, heute jedoch als Substandard gilt, als Indiz für eine frühe Reaktion der Puristen, die diese Konstruktionstypen aus der Schriftsprache ausschlossen. Kunstmann (1985:510) weist auf die beiden divergierenden Entwicklungsstränge im Relativpronominalsystem des Afrz. hin. Zum einen die unveränderliche Partikel que3', die alle syntaktischen Funktionen im Relativsatz besetzen konnte und vornehmlich in der Sprechsprache verankert war; zum anderen das Paradigma lequel, das seinen Ausgangspunkt in den Schreibstuben der Kopisten und Übersetzer hatte. Die Diskriminierung von que in anderen Funktionen als in der des direkten Objekts wurde erstmals deutlich von Maupas ausgesprochen, der que nicht mehr als Subjektpronomen zuließ32. Es ist jedoch davon auszugehen, daß que in obliquer Funktion bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt volkssprachlich markiert war. Daß es im Afrz. - im Unterschied beispielsweise zum Altspan, und Altital. - nicht häufiger belegt ist, mag auch daran liegen, daß im Afrz., wie Stempel (1964:220) andeutet, der Unterschied zwischen Rektus und Obliquus auch im Relativsystem bewahrt wurde. Für oblique Strukturen stand somit die Form cui33 zur Verfügung, Nominativ und Akkusativ wurden im wesentlichen durch qui und que besetzt. Ein weiterer Grund muß aber im geringen Prestige der in mfrz. Texten nur noch selten belegt ist. S. Martin/Wilmet (1980:247^). 40 Vgl. ihre Beispiele aus Le quadrilogue invectif und Villons Testament. 4 ' Martin/Wilmet (1980:262t.) bringen dies u. a. auch mit der Generalisierung des Obliquus in Zusammenhang, die die afrz. Zweikasusflexion ablöst. Zusammenfassend zu
88
Konstruktionen. A u c h dont verbreitet sich im Mfrz. immer mehr, sehr häufig mit Bezug auf einen ganzen Satz und noch im 1 5 . Jh. in ursprünglicher lokaler Bedeutung. A u c h für das Relativum lequel,
besonders in adjektivischer Funk-
tion, läßt sich in mfrz. Periode ein steigender Gebrauch feststellen, der auch im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung der Prosa zu sehen ist 42 . D e r Bezug von où auf Personen ist mfrz. ebenfalls bestens bezeugt (s. Martin/Wilmet 1980:255). Typ ι : Relativpartikel que + 0 Typ ia: Z u m Ausdruck obliquer Beziehungen (1) celui qu'elle donne à mengier (Froissart, III) (nach Sneyders de Vogel 1919:81) (2) et maintes aultres choses que, pour abregier, je me passe (Le Petit Jehan de Saintré 347) (nach Jokinen 1978:96) (3) Madame, j'ay nagaires leu unes lectres de une ystoire vray et nouvellement advenue, que ne oïst oncques nul parler (ib. 410) (ib.:97) (4) Donques celui qui soustient les choses que il convient soustenir et craint celles qui sont a craindre et pour la fin que il appartient a faire (Aristote, Maistre Nicole Oresme. Le Livre de Ethiques 207,54d,i7) (ib.) (5) Et il convient faire despens selon ce que l'euvre est digne (ib. 246,74b,15) (ib.:ç8) (6) Si comme je vous donray à cognoistre tout en tretant de la matière et selon ce que je fus infourmez (Froissart XIV,237,1) (nach Valli 19883:464) Typ ib: Z u m Ausdruck lokaler und temporaler Beziehungen (7) Johan fut par son nom clamez le jour qu'il fut fait c r e s t ï e n . . . (Contes pieux en vers du XlVe siècle IV,42-45) (nach Jokinen 1978:88) (8) Père, il est un temps qu'il convient amer, en aultre fault hair, temps de paiz et temps d'envair (Miracles de Nostre Dame par personnages X X I , 1098-1100) (ib.:8 9 ) (9) Il fut troys ans avecque luy, que Griselidis ot enfans (Le Roumant du Marquis de Saluce et de sa femme Griselidys 270-271) (ib.) (10) celluy de qui le subgiet est homme et fait le moyen et est tenue la chose de luy en puet demander l'obeyssance, et luy doit estre rendue em Testât que est la cause quant il l'a demandé (Le Vieux Coustumier de Poictou 53:83) (ib.:94) 43
42
43
que als Subjektpronomen s. Wilmet (1978). Martin ( 1 9 6 7 : 1 1 2 ) hat diesen Gebrauch vor allem für anglonormannische Texte sowie Dokumente aus Lothringen, der Franche-Comté und der östlichen Champagne ermittelt. Jokinen (1978:71 ff. ,80,402) stellte für que einen Anteil von 7,3 % aller Relativa in Subjektfunktion fest, wobei in den meisten Fällen ( 6 , 3 % ) ein belebtes Bezugsnomen vorausgeht. Außerdem korreliert das Auftreten von subjektivischem que mit bestimmten syntagmatischen, strukturellen und stilistischen Faktoren (z. B . vokalischer Anlaut des Folgewortes, ce als Bezugsnomen, formelhafter Schreibstil). S. hierzu auch Valli (1992:88^): «L'examen des textes montre qu'il n'a pas existé une véritable alternance Que/Qui en fonction sujet». Vgl. Marchello-Nizia (1979:163). Zum Verhältnis von qui und lequel in einigen mfrz. Werken s. Brunot (HLF: 1,448). Dies ist gleichzeitig ein früher Beleg für die Konstruktion Präp + BN + que (Typ ia*), die zu klassischer Zeit sogar von den Grammatikern, vor allem in der Präsentativkonstruktion c'est..., toleriert wurde. Weitere mfrz. Beispiele sind: . . .en tous endroitz qu'il avoit guydé ce voyage; . . . par le chemin qu'il estoit venu. Die Belege stammen aus Commynes (111,209:8; 1 1 1 , 1 3 5 : 5 ) , der im selben Text jedoch i36mal où verwendet 89
Typ ic: Zum Ausdruck modaler (und anderer) Beziehungen ( n ) la trayson, en la maniere qu'elle fu devisee et f a i c t e . . . (Contes pieux en vers IV,434-437) (ib.:93) (12) Ores je vous requier et prie, aussy pour l'amour de la dame que sy loyalement amez, que nous luictons en la façon que j'ay appris a luictier (Le Petit Jehan de Saintré 400,19) (ib.) Typ 2: Relativpartikel que + Resumptivum Typ 2b: que + Akkusativpersonalpronomen (13) . .. et gecteront chausses trappes que les auront apportées les femmes (Mistere du siège d'Orléans) (nach Damourette/Pichon I927-I952:IV,§ 1322) (14) . : . tant en Bourdelois que en Pikardie où tousjours il avoit esté trouvé bon chevalier que riens ne le reprouchoit (Froissart XIV,37,13) (nach Valli 19888:464) Typ 2f: que + en (15) Et en tous les pais cy-dessus nommez ne croissent nulz vins, mais font cervoises et bruvai ges d'eaue et de miel, qu'i boivent et s'en norrissent (Jean de Bueil, Le Livre de la Description des pays 103) (nach Wilmet 1978:88) Typ 2g: que + Possessivum (16) .. ., et tant d'aultres que leurs ennemis estoient tous ensonniez d'entendre à eulz (Froissart XIV,77,11) (nach Valli 19883:463) Typ 3: Relativpartikel où (17) Icy me suis voulu retraire / Pour sacrifice salutaire / Faire a toy seul, Dieu ou je croy (Viel Testament 1,6259-6261) (nach Martin/Wilmet 1980:255) (18) . . . sy songa ung petit en pensant qu'il se descouvriroit a son Philipot, comme a celuy ou il apertenoit grant sens et preudommie (Artois 118,191) (ib.) Typ 4: Relativpronomen + pleonastisches Anaphorikum Typ 4a: que + en (19) . . . dont ledit duc de Clèves en fut fort mal content (Commynes, Mémoires, VI,2,426) (nach Damourette/Pichon I927-I952:IV,§ 1327) (20) grant mal est aujourd'uy pource que chascun entend de legier en railleries dissolues et diffamations, dont grans maulx en viennent (Le roman de Jehan de Paris 1 ) (nach Marchello-Nizia 1979:162) (21) je vous dy que je n'ay fait chose de messire Olivier de Clichon, dont je m'en repente, fors tant qu'il a eu si bon marchie que il s'en est partis en vie . . . (Froissart XIV,16,23) (nach Valli 19883:465) Typ 4b: à qui + Dativpersonalpronomen (22) Car I3 pluye les chargeoit tant qu'il n'y 3voit celuy à qui le logis ne luy tardist (Le Roman de Jehan de Paris, 52) (nach Damourette/Pichon I927-I952:IV,§ 1327) Obliques que wurde in den 65 von Jokinen (1978) ausgewerteten mfrz. Texten
(Jokinen 1978:95). Zu c'est... que im Mfrz. s. Martin/Wilmet (1980:254). Neben c'est à vous que sind auch die Konstruktionen c'est vous à qui und c'est à vous à qui belegt.
90
insgesamt 271 mal erhoben 4 4 . Diese Z a h l verteilt sich auf die 5 untersuchten Zeitabschnitte, von denen jeder eine Periode von 30-40 Jahren innerhalb des Zeitraums von 1330 bis 1500 abdeckt, wie folgt: 77, 50, 25, 6 4 , 5 5 . D i e meisten dieser «que circonstanciels» betreffen jedoch den G e b r a u c h als adverbielle Zeitbestimmung ( i b ) , gelegentlich treten auch A n g a b e n der A r t und Weise auf ( i c ) , die meist in der festen Wendung en manière que45 erscheinen. In einigen wenigen Fällen ( 1 1 ) hatte que auch lokale Bedeutung ( i b ) und ersetzte où oder dans lequel4β. Schließlich trat que gelegentlich in hypothetischen Konstruktionen wie en cas que, au (ou) cas que auf. Extrem selten sind jedoch die Fälle, bei denen que ein flektiertes Relativpronomen ersetzt 4 7 . C e l a est, d'ailleurs, naturel, car nos textes représentent la langue écrite, où le que populaire n'a pas libre cours (Jokinen 1978:88).
A u f f a l l e n d ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß universales que auch nicht in den der gesprochenen Sprache nahestehenden Farcen und Sotties der zweiten Hälfte des 15. Jhs. belegt ist. Oer décumul du relatif (que + Resumptivum) wird weder bei Jokinen noch bei Marchello-Nizia und Martin/Wilmet erwähnt 4 8 . Eine von den meisten Grammatiken abweichende Position zum Gebrauch der Relativa im Mfrz. vertritt Valli (1988). A u s den Ergebnissen bei Jokinen (1978) und seiner eigenen Auswertung von B a n d X I V der Chroniques
von Frois-
sart zieht er den Schluß, daß die Distribution der Relativpronomina qui,
que,
quoi und où im Mfrz. keine Anzeichen für eine Verschiedenheit des Systems erkennen lasse, die geeignet wäre, Variationen des heutigen gesprochenen Französich als Ergebnisse eines Systemwandels zu erklären. Seine Interpretation des ausgewerteten Materials läßt sich wie folgt zusammenfassen: ι . D i e Frequenz von que in der Rolle des Subjekts ist niedriger als gemeinhin angenommen 4 9 . Von einem Systemwandel, bewirkt durch die Übernahme der Subjektfunktion durch das Pronomen qui, könne keine Rede sein. 44
2474mal wurde que als O b j e k t p r o n o m e n , i92mal als S u b j e k t p r o n o m e n ermittelt. Valli (1988a) zählte im 14. B a n d der Chroniques von Froissart 44 oblique que-Formen (geg e n ü b e r 224 B e l e g e n für que als direktes O b j e k t und 4 B e l e g e n für que als S u b j e k t p r o nomen).
45
D i e s e war in den 5 untersuchten Zeitabschnitten von 1330 an rückläufig (23,4,3,7,0). Jokinen (1978:94) mutmaßt, d a ß dies in einigen Fällen aus «Unachtsamkeit « des A u tors geschehen sei.
46
47
D a r u n t e r ist que in einigen Fällen z u d e m in eine relative imbriquée eingebunden und kann somit nicht eindeutig als universales Relativum klassifiziert werden: Et quant au saulvement du corps, que j'ay dit que le vray a m o u r e u x tel puet estre saulvé en a m e et en corps (Le Petit Jehan de Saintré 366,4) (Jokinen 1978:97). Hierzu auch Valli (19888:469) und, besonders zum Konstruktionstypus que l'on dit quilque, MarchelloNizia (1979:162).
48
Vgl. hierzu Valli (i988a:459ff:).
49
V i e l e der von den G r a m m a t i k e r n als S u b j e k t p r o n o m e n que gewerteten Fälle weisen in Wirklichkeit die elidierte Form qu' auf, die auch auf qui hindeuten könnte. B e i ande-
91
2. Es gab kein strukturelles Mißverhältnis zwischen haupttonigen (Präp + RP) und nebentonigen Formen (qui, que). 3. Eine Tendenz zur Vermeidung von präpositionalem qui und quoi lasse sich, ähnlich wie im heutigen gesprochenen Französisch, klar nachweisen. 4. Das Relativpronomen où war im 14. und 15. Jh. anders distribuiert als heute. Während es im Mfrz. nur von der Rektion des Verbs abhing und (allem Anschein nach) parallel zum entsprechenden klitischen Pronomen y, i.e. unabhängig von der semantischen Natur des Bezugsnomens, verwendet wurde, ist sein Gebrauch seit dem 17. Jh. von den Merkmalen [+ menschlich] bzw. [— menschlich] abhängig. Zusammenfassung Die einschlägigen Untersuchungen zeigten, daß obliques que wie schon in afrz. so auch in mfrz. Texten nur selten belegt ist50. Valli (1988a) macht jedoch darauf aufmerksam, daß in den ausgewerteten Texten für andere oblique Relativa (Präp + qui, Präp + lequel, Präp + quoi, dont) ebenfalls nur verhältnismäßig wenige Beispiele gezählt werden konnten. Bei den Belegen für obliques que mit und ohne Resumptivum falle zudem auf, daß sie häufig in koordinierten Relativstrukturen erscheinen, deren erster Relativsatz ein (aus heutiger Sicht normatives) Relativpronomen enthält, deren zweiter jedoch oft mit der (schriftsprachlich nicht-normativen) Relativpartikel que angeschlossen wird.
50
ren Belegen ergaben sich Affinitäten zu bestimmten syntaktischen Kontexten (häufig z.B. vor dem Pronomen ce) und Verbkonstraktionen (häufig unpersönlich). Valli ( 1992) hat außerdem in zwei Manuskripten eines Textes aus dem 15. Jh. nachgewiesen, daß das Auftreten von «que sujet» in vielen Fällen an ein sprachtypologisches Merkmal früherer Sprachstufen des Frz. gekoppelt ist: die Unterdrückung des Subjektpronomens im untergeordneten Satz (Konjunktional- oder Relativsatz), die bis Ende des 16. Jhs. (vereinzelt auch später) belegt ist. Dieser Möglichkeit bedienten sich die Schreiber und Kopisten zu mfrz. Zeit in beträchtlichem Umfang. Nach Valli ist damit der Beweis erbracht, daß que nicht einfach eine graphische Variante von qui sein kann. Für que in der Funktion eines indirekten oder präpositionalen Objekts konnte Jokinen (1978:97^,399) lediglich ein Dutzend Belege - von knapp 3000 gue-Relativa (2992) mit BN - finden. Einige dieser Fälle weisen jedoch ambige Strukturen auf und können auch eine andere syntaktische Interpretation erfahren.
92
5·3·
16. J a h r h u n d e r t
5.3.1.
Z u m G e b r a u c h d e r R e l a t i v p r o n o m i n a i m 16. J a h r h u n d e r t
N a c h d e m Dictionnaire
de la langue française
du seizième
siècle
von E d m o n d
H u g u e t läßt sich d e r v o m h e u t i g e n S t a n d a r d a b w e i c h e n d e G e b r a u c h d e r R e l a t i v p r o n o m i n a que, qui u n d où5'
wie folgt beschreiben52.
1. B e s o n d e r h e i t e n i m G e b r a u c h v o n
que53
ι . que als S u b j e k t p r o n o m e n ( n e b e n
qui)54
(1) Je advertiray le roy des enormes abus que sont forgez céans (Rabelais, I,2o) (2) P o n o c r a t e s . . . l'introduisait es compaignies des gens sçavans que là estoient (1,23) 2. ce que f ü r ce qui (3) Lors commenda à ses archiers qu'ilz le meissent en pieces. Ce que feut faict sus l'heure (Rabelais, 1,47) 3. que für ce qui (4) Et que pis est, en devenoit fou, niays, tout resveux et rassoté (Rabelais, 1,15) 4. que als i n d i r e k t e s O b j e k t ( f ü r à qui) (Typ i a ) (5) Tu luy diras que son Remy, A qu'il a donné son Fourmy, Un gai Papillon luy renvoye (Belleau, Petites Itiv., Papillon (1,52)) 5. que f ü r dont (Typ i a ) (6) Je . . . vous prie me mander s'il y a chose de par deçà que vous ayez envye (Monluc, Lettres, 121 (IV,363)) (7) Faictes-le publier à son de trompe, affin que chascun entende la trahison et desloyauté que l'on a usé contre nostre dit roy (ib. 168 (V,93)) (8) Y avoit beaucoup de gentilshommes de qualité, que chacun en a dit son opinion (ib. 184 (V,116)) (9) Miserable, tu m'as trahi Par la plus grande piperie Et la plus grande tromperie Qu'on ay jamais ouy parler (Godard, Desguisez, V,3) 6. que f ü r dans lequel,
auquel,
où (que als a d v e r b i e l l e O r t s - , Z e i t - u n d M o d a l b e -
s t i m m u n g ) (Typ i b , i c )
51
52
53
54
Z u den Möglichkeiten des Gebrauchs von quoy s. Huguet (1934/1965:VI,300f.), zu lequel Huguet (1934/1973:^,795) und zu dont (ζ. Β. in den Bedeutungen , , ) s. Huguet ( 1934:111,25off.). Z u den Relativa im 16. Jh. s. auch Brunot (HLF.ll,317ft·,422ff.) und Gougenheim (1972:89-100). Bei Konstruktionen, die heutigen Substandardtypen entsprächen, erscheint die Relativpartikel que in den Beispielsätzen im Kursivdruck. Huguet (1934/1965^1,269t.). Es werden jeweils nur einige Beispiele aus der umfangreichen Belegsammlung Huguets gegeben. Zum schwankenden Gebrauch von qui und qu'il im 16. Jh., der bei Rabelais jedoch selten ist, s. Huguet (1894/1967:115 f.); qui konnte auch anstelle der Konjunktion que + il(s), also qu'il(s), verwendet werden. So z. B. in der Sallust-Übersetzung von Meigret von 1547. Vgl. hierzu Colón (1983:60). 93
(10) Dedans ces champs que la riviere d'Oyse Sur des arenes d'or en ses bors se degoyse (Regnier, Sat. 15) ( 1 1 ) La mienne estoit forte selon le temps qu'elle fut faitte (Montaigne, 11,15 (H,401)) (12) Nos roys sont arrivez à cette grandeur que nous les voyons aujourd'huy (Pasquier, Recherches, II, 1)
7. que für par lequel55 (Typ ia*) (13) Et convint le regaigner par les mesmes outils qu'il avoit esté perdu, je veux dire par les armes (Pasquier, Recherches, VI,4)
8. que für avec lequel56 (Typ ia*) (14) L a perte d'Heidelberg n'est receue ny de vous ny de nous ny avec la crainte ny avec l'horreur qu'elle eust esté sentie quand Dieu ne nous avoit pas frapé d'un esprit d'insensi bilité (Aubigné, Missives et Disc, milit., 7 (1,146))
II. Besonderheiten im Gebrauch von qui57 ι. qui für que (attribut) (15) Celle qui c'est en jeunesse set bien fine, O ù j'ay esté assez mal entendu (Marot, Ballades, 4)
2. Präp + qui auf Sachen bezogen (16) Pié albastrin, sur qui est appuyé L e beau séjour des graces immortelles (Du Bellay, Olive, 15) (17) Visitant le tombeau sous qui je serois mort (Ronsard, Am. de Marie, Elegie à Marie (1,206))
Weitere Beispiele u.a. von Marot, Montaigne, Aubigné, Regnier. 3. qui für ce qui (18) Jamais nul n'en print dangier. Qui est cas assez merveilleux (Rabelais, 1,27)
III. Besonderheiten im Gebrauch von où5& (Typ 3) ι. où in nicht-lokativischer Funktion für à qui, à laquelle, etc. 59
Leitet eine Präposition (hier par bzw. in (14) avec) das Bezugsnomen ein, kann die Wiederholung dieser Präposition in Verbindung mit einem Relativum (qui, lequel, quoi) unterbleiben und stattdessen nur que als Subordinator stehen - sofern das syntaktisch-semantische Verhältnis zwischen Matrix- und Relativsatz (durch die Präposition beim Bezugsnomen) eindeutig bleibt. Diese Strategie ist beispielsweise auch im Italienischen und im Spanischen (vgl. Esbozo 1973/1974:529) üblich, in ersterem Falle sogar von offizieller Seite sanktioniert (vgl. Vocabolario degli Accademici 1612/ 1976:174). Im Französischen wird diese Konstruktion vor allem in Präsentativsätzen mit c'est... toleriert, ζ. Β . C'est de vous que je parle (statt de qui je parle), c'est pour lui qu'on fait cela (statt pour qui). Vgl. die Aufnahme im Akademie-Wörterbuch ( 6 I835:II,54I). S. auch unser Kap. 5.5. Vgl. letzte Anmerkung. Huguet (i965:VI,286f.). Huguet (i973:V,555·). Das Bezugsnomen konnte auch eine Person sein. Z u r Verwendung von où anstelle von Präp + RP im 15. Jh. s. Huguet (1894/1967:128).
94
(19) Amour . . . est chose divine ou tous les plus grans seigneurs sont subjectz (Fabri, Rhetor., ι. I,p.232) (20) Ne veois tu pas que celle Où tu escriz ses nouvelles te celle? (Marot, Elegies, 1) (21) Le roy ton frere, et toy et tes neveux Estes les saints où elle faict ses voeux (Marot, Chants div., 22)
2. d'où für de qui (22) ( . . . ) et ces belles petites devises aux gentilzhommes et damoyzelles d'où on les a empruntées (Du Bellay, Deffence, II,11) Weitere Belege für heutige Substandardtypen im 16. Jahrhundert: Typ ia: que + 0 (23) Ma continuelle bonne volunté que [] ie ne me lasseray iamès (Diane de Poitiers, Lettres, XCVI,i68) (nach Sneyders de Vogel 1919:81) Typ 2a: que + Subjektpersonalpronomen (24) J'ay veu une femme pudique, sage et honorable que, quand son mary estoit aux champs, elle sentoit, par quelque mouvement secret, le jour que son mary devoit arriver (Bernard Palissy, Traité des Métaux et Alchimie, 256) (nach Damourette/ Pichón I927"I952:IV,§ 1322)60 (25) Il est bien homme plus estrange, Que, si bien tost il ne se change, Il nous fera tous enrager (Grévin, Les Esbahis, 1,3) (nach Sneyders de Vogél 1919:81) Typ 2d: que + Präp + betontes Personalpronomen (26) Que firent ilz encor contre les Parthes, lorsque le jeune Crassus, et vaillant plus son père, se desbaucha de trouppes de Caesar en la Gaule, et y mena une trouppe de braves Gaulois, qu'on ne parloit que d'eux (Brantôme, Recueil des Hommes, ΙΙ,ι; t. VII,126) (nach Damourette/Pichon 1927-1952:IV,§ 1322) (27) Auez-vous point veu d'autres femmes que vous eussiez mieulx aymé coucher auec elles que auec la vostre? (Nie. de Tr., Par., 117,118) (nach Brunot HLF:II,424) Typ 2 f: que + en (28) Ç'a esté le plus beau siege qui fust iamais . . . fors les assautz, qu'on n'en livra jamais (Brantôme, Grands Capitaines, V,i04) (nach Sneyders de Vogel 1919:81) Typ 2g: que + Possessivum (29) quatre capitaines que leurs soldats les tuoient par derriere (Montluc) (nach Brunot i922/ 3 i936:i8o)
Typ 4a: dont + en; duquel + en (30) . . . sa femme, l'une des honnestes dames du monde, dont j'en parle ailleurs (Branthôme, Recueil des Hommes, 1,1,8; t. 1,260) (nach Damourette/Pichon I927-I952:IV,§ 1327) (31) On lui servait à table devant lui double portion, dont il en gardait l'une (Amyot, Lycurgue, ch. LV) (nach Benoist 1877/1968:150) 60
Damourette/Pichon nehmen hier wegen der südfrz. Herkunft des Autors okzitanischen Einfluß an. Andererseits wird die Wiederaufnahme des Subjekts durch den eingeschobenen Temporalsatz begünstigt. In dem Beispiel ist außerdem ein Beleg für temporales que enthalten (le jour que...).
95
(32) . . . et mesmes Ceze, duquel l'histoire en parle fort (Branthôme, Recueil des Hommes, 1,1,8; t. 1,261) (nach Damourette/Pichon I927-I952:IV,§ 1327)
Typ 4b: auquel + y (33) . . . dresserent un grand boys auquel y pendirent une selle d'arme (Rabelais, Pantagruel, 27) (nach Lefebvre 1980:113) Typ 4c: où + y (und andere) (34) . . . sans que la division d'entre eulx puisse convier les aultres inférieurs de nourrir les brigues et partialités où ils y ont depuis ung an continuellement vescu (Charles IX, Instruction du sieur de Biron allant en Provence, 7 décembre 1563, dans la Correspondance du Maréchal Armand de Gontaut-Biron, 6) (nach Damourette/ Pichón I927"I952:IV,§ 1327) Zusammenfassung Im 16. Jh. sind zahlreiche Relativkonstruktionen belegt, die bereits im darauffolgenden Jahrhundert auf dem Index der Sprachnormierer standen (so z. B. das überaus häufig und vielseitig verwendete lequel61, Personen bezogenes qui und quoi62
ferner präpositionales, auf
oder que für dont, où mit personalem Be-
zugsnomen 63 ). Darüber hinaus finden wir bei Rabelais und seinen Zeitgenossen auch Verwendungen, die - wohl wegen ihres als ausgesprochen volkstümlich empfundenen Charakters - von den Grammatikern folgender Jahrhunderte nur in Ausnahmefällen diskutiert werden, jedoch bis zum heutigen Tag als Elemente spontaner Sprechsprache bzw. bestimmter diasystematisch definierter Varietäten weiterexistieren. Zu diesen Phänomenen gehören die Sätze (6) bis (9), (13) und (14) 6 4 , die que in obliquen Strukturen enthalten (Typ ia) sowie (10) bis (12), die que als temporales, lokales und modales Komplement präsentieren (Typen ib, 1c) 65 . Die genannten Erscheinungen sind auch bei Malherbe belegt 66 , vor allem Typ ib und ic. Als Belege für obliques que treten in erster Linie Fälle wie in ( 1 3 ) und (14) auf 6 7 . 61
62
63
64
65
66 67
Sowohl als adjectif relatif wie als Relativpronomen. Zu den Funktionen von lequel s. Huguet (1894/1967:113-115,119-125). S. dort auch viele literarische Belege. Präp + quoi wird jedoch nicht bei allen Autoren des 16. Jhs., so z. B. bei Meigret, auf Personen bezogen (vgl. Colón 1983:53). Eine Zusammenfassung über die normativen Eingriffe bezüglich des Gebrauchs der Relativpronomina bietet Brunot (i922/ 3 i936:i78-i85). Wir werten das syntaktische Verfahren, das diesen beiden Belegen zugrundeliegt, nicht als Substandard im engeren Sinne, da es auch von sprachnormativer Seite in bestimmten Fällen zugelassen wird. Vgl. Anm. 55. Daß diese Konstruktionstypen bereits im 16. Jh. ein ehrwürdiges Alter haben, zeigt unsere Studie zu den Verhältnissen im Sprechlatein und Altfranzösischen. Vgl. auch die entsprechenden Belege zu François Villon bei Van Deyck/Zwaenepoel (1974:381 f.) und Burger ( 2 i974:97). Dieser Gebrauch von que (che) findet sich heute in allen nicht-normierten Sprachsystemen der Romania wieder. Vgl. hierzu Regnier (1869/1970). Z.B.: Les denrées seront à la halle au prix «/«'elles ont accoutumé (que anstelle einer Wiederholung der Präposition à in auquel). Zitat nach Regnier (1869/1970:514).
96
Obwohl wir unter den Beispielen zum 16. Jh. auch einige Belege für den Konstruktionstypus «que + Resumptivum» gefunden haben, muß deren Nichterwähnung bei Regnier und Huguet als Indiz für die Seltenheit dieses Typs - in der Schriftsprache - gewertet werden, die sich bereits in den afrz. und mfrz. Texten nachweisen ließ. Darüber hinaus fällt auf, daß Huguet68 weder zu Typ ia noch zu Typ 2 Beispiele aus den Werken Rabelais' 69 zitiert. Die spärliche Quellenlage sowie die Nichtbehandlung dieser Phänomene in zeitgenössischen Grammatiken deuten somit auf eine sehr frühe volkstümliche Markiertheit dieses Typs hin, die ihre Wurzeln bereits im volkssprachlichen Sprechlatein hat. 5.3.2.
Zur Darstellung der Relativpronomina in den ersten Grammatiken und Sprachbüchern des Französischen70
In einer Zeit, in der sich das Sprachbewußtsein in Frankreich in einer Phase des Umbruchs befand, in der die Emanzipation der Volkssprache gegenüber dem Latein unaufhaltsam geworden war 7 ' und durch den Erlaß von Villers-Cotterêts 1539 ihr Fundament für die Rechtsprechung erhielt 72 , in der ferner zunächst die Gleichwertigkeit, alsbald die Überlegenheit der eigenen gegenüber der prestigeträchtigen italienischen Sprache propagiert wurde, wurden die Rufe nach einer Nationalgrammatik immer lauter. Der französische Drucker und Schriftsteller Geoffroy Tory ( 1480-1533) war einer der ersten, die sich für die Erstellung einer eigenen (französischen) Grammatik aussprachen73: Pleust a Dieu que quelque Noble cueur semployast a mettre & ordôner par Reigle nostre Lâgage Francois (Tory 1529/1973: Einleitungsbrief r°) 7 4
Die Forderung nach Fixierung und Reinigung der französischen Sprache wurde also schon Anfang des 16. Jahrhunderts erhoben, als der von normativen Zwängen noch unberührte Sprachgebrauch der Autoren des vorangegangenen Jahrhunderts, wie z. B. der von François Villon, als korrumpiert empfunden wurde. Dennoch war es kein Franzose, der die erste Grammatik des Französischen schrieb. In seinem über 800 Seiten umfassenden Buch Lesclarcissement de la langue francoyse von 1530 beschreibt der Engländer Jehan Palsgrave in drei Tei-
68 69
70 71
72
73 74
Huguet (1894/1967) und ( 1 9 6 5 ^ 1 ) . Eine systematische Auswertung der Relativsätze im Oeuvre Rabelais' würde Aufschluß über die Häufigkeit und den Stellenwert dieser Konstruktionen geben. Z u den Grammatiken im 16. Jh. s. auch Schmitt (1977) und Bossong (1990). Allerdings «beginnt das Prestige der französischen Sprache nicht erst im 16. J h . , sondern bereits im Mittelalter» (Schmitt 1989:367). Vgl. Wolf/Hupka ( i 9 8 i : 2 9 f f . ) . S. hierzu Schmitt (1988:79): «Der Hof interpretierte die Ordonnanz [von Villers-Cotterêts] als klare Ausssage gegen das Latein u n d die Regionalsprachen und damit als Stellungnahme für die Sprache des Königs, das Französische der Ile-de-France». Vgl. hierzu auch Settekorn (1988:53). Zitat nach Bossong (1990:129).
97
len (Fyrst, Seconde,
Thirde Boke) Wesen und Regeln der französischen Sprache
aus der fremdsprachendidaktischen Perspektive eines englischen Französischlehrers 7 5 . Auch die Beweggründe, eine französische Grammatik zu schreiben, waren für Palsgrave völlig andere als f ü r die auf die Emanzipation ihrer Sprache bedachten Franzosen: D e r englische Gelehrte war als Französischlehrer für Prinzessin Mary, die Schwester des englischen Königs Henry V I I I , angestellt. D a s Ergebnis seiner didaktischen Bemühungen war die wohl «erste kontrastive Grammatik zweier moderner europäischer Sprachen überhaupt» 7 6 . D a s erste Buch beschäftigt sich mit der Lautlehre des Französischen, während das zweite der Formenlehre gewidmet ist. Das dritte Buch enthält ausführliche A n g a b e n zum Sprachgebrauch, die anhand von Regeln kontrastiv dargestellt werden 7 7 .
5.3.2.1.
Die Darstellung der Relativpronomina im Lesclarcissement
de la
langue francoyse Die Relativpronomina werden im zweiten Buch ( K a p . 23 und 24) dargestellt. Sie sind Teil einer sehr umfangreichen Klassifikation der Pronomina (Schema nach Benoist 1877/1968:19): i ° Primitifs
(Personalpronomina, Indefinitpron. on und reflexives se)
2° Dérivatifs
(Possessivpronomina)
Interrogatifs Relatifs Démonstratifs
(simples: ce, composés: ceci, cela, cet, celui, icelui,
Partitifs
(Indefinitpronomina)
Distributifs
(Indefinitpronomina)
8° Numéraux
cestuy)
(Kardinalzahlen)
Während zu den Relativpronomina que, dont, où kein Kommentar gegeben wird, finden qui, quoy und lequel ausreichend Beachtung.
75
76 77
Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung und Würdigung des Lesclarcissement bei Bossong (1990:128-136). Bossong (1990:132). Nach Schmitt (1986:138) findet sich in Palsgrave auch erstmals eine Stelle, «die ausführlich diastratische Divergenzen benennt». Dort ist von voulgarpeople, lerned men, marchaunte men und such as write hystories die Rede.
98
D i e V e r w e n d u n g von qui U n a b h ä n g i g von G e n u s , N u m e r u s und A r t 7 8 des B e z u g s n o m e n s wird das unveränderliche qui auf Substantive und P r o n o m i n a im R e c t u s a n g e w a n d t , die als n e u e I n f o r m a t i o n a u f t r e t e n , z u v o r also noch nicht genannt w u r d e n . (1) le homme qui cömence et ne peult point parascheuer il ne se fait point tenir pour sage (2) et ie qui me fioie en luy pardessus tous me trouuay des premiers trompes (3) toutes femes qui ont regard a leur honneur preignent exemple a elle (Palsgrave 1530/1974: Seconde Boke, Capi, xxiii)
D i e V e r w e n d u n g von quoy W e n n j e d o c h das R e l a t i v p r o n o m e n in e i n e m o b l i q u e n K a s u s steht, i . e . mit einer Präposition in V e r b i n d u n g tritt, steht u n a b h ä n g i g von G e n u s , N u m e r u s und A r t des B e z u g s n o m e n s das P r o n o m e n quoy : (4) lhomme en quoy ie mettoye toute ma fiance (5) mays ce de quoy ie fuis le plus esbahy (6) quât la terre sur quoy vous habitez ne pouez pas secourir (Palsgrave 1530/1974: Seconde Boke, Capi, xxiii) D i e B e i s p i e l e z e i g e n , d a ß es d e m tatsächlichen - und aus Palsgraves Sicht sicherlich auch vorbildlichen 7 9 - S p r a c h g e b r a u c h entsprach, präpositionales quoy nicht nur auf D i n g e und Indefinita, sondern auch auf Personen und definite Bezugsnomina zu beziehen. A u moyen âge, il était courant de représenter par quoi un nom de sens tout à fait précis (Grevisse I2i986: §691!)). D i e M ö g l i c h k e i t , präpositionales quoi auch auf definite S a c h n o m i n a zu bezieh e n , hat sich bis in die Z e i t nach d e r französischen Klassik b e w a h r t , bevor sie von d e n G r a m m a t i k e r n des 18. Jahrhunderts v e h e m e n t b e k ä m p f t wurde 8 0 . A u f Personen b e z o g e n läßt sich quoi bis z u B e g i n n des 17. Jahrhunderts mühelos b e l e g e n , bis es von G r a m m a t i k e r n w i e V a u g e l a s explizit abgelehnt w u r d e 8 1 . In heutiger Z e i t wird es noch bzw. w i e d e r - j e d o c h nur mit sehr geringer F r e q u e n z vor allem in literarischem S p r a c h g e b r a u c h verwendet. D a v o n unabhängig ist die heute durchaus noch verbreitete M ö g l i c h k e i t , quoi auf einen ganzen Satz o d e r auf einen Satzteil z u b e z i e h e n .
78
79
80 81
Unter sollen die Merkmale [menschlich], [sächlich] und [indefinit] verstanden werden. Palsgrave betrachtete das Französisch der Ile-de-France als normative Varietät (vgl. Schmitt 1977:219). S. z . B . Brunot (HLF:\ 1,1678) und Nyrop (1925:V,335ff.). S . K a p . 5.4.3.3.
99
D i e V e r w e n d u n g von lequel a) Im Rectus wird das R e l a t i v p r o n o m e n lequel
anstelle von qui in d e n Fällen
b e n u t z t , in d e n e n das B e z u g s n o m e n bereits als b e k a n n t vorauszusetzen ist. Lequel hat - in stärkerem M a ß e als qui - anaphorische
Funktion und kann sich
ebenfalls sowohl auf Personen als auch auf S a c h e n b e z i e h e n . In d e n meisten Fällen steht lequel im N o m i n a t i v j e d o c h - in appositiver (explikativer) Funktion - nach E i g e n n a m e n von Personen o d e r nach g e o g r a p h i s c h e n N a m e n . (7) comme fist Anchises le quel incontinent apres le fait salla 82 (Johan le Maire) N a c h heutigem Sprachverständnis gilt es j e d o c h als tautologisch, lequel auf einen E i g e n n a m e n zu b e z i e h e n , da dieser per se schon hinreichend definiert ist und nicht noch d e n identifizierenden A r t i k e l in lequel benötigt. Z a h l r e i c h e B e i spiele aus literarischen W e r k e n m o d e r n e r A u t o r e n w i d e r s p r e c h e n j e d o c h dieser A u f f a s s u n g , auch w e n n das B e z u g s n o m e n in diesen Fällen meist direktes O b j e k t und nicht S u b j e k t des Matrixsatzes ist 83 . Ferner wird lequel z u r D e s a m b i g u i e r u n g syntaktisch k o m p l e x e r Strukturen h e r a n g e z o g e n . D i e s e Funktion von lequel ist im heutigen Frz. auf f o r m a l e o d e r literarische g e s c h r i e b e n e S p r a c h e b e s c h r ä n k t und wird vor allem in appositiven Relativsätzen verwendet 8 4 . In (8) w ü r d e d e r B e z u g zu remembrance
durch qui nicht eindeutig hergestellt
werden: (8) et lors auras remembrance de Pegasis la quelle ta compté ( . . . ) Schließlich k a n n lequel auch noch in a d j e k t i v i s c h e r Funktion stehen, was nfrz. noch m ö g l i c h , j e d o c h auf die g e s c h r i e b e n e S p r a c h e , b e s o n d e r s auf den juristischen und literarischen S p r a c h g e b r a u c h , beschränkt 1st 85 : (9) la quelle grant ardeur sembloyt fumer b) In den obliquen positionales
Kasus steht in b e z u g auf ein Sach- o d e r P e r s o n e n n o m e n prä-
lequel:
(10) le dernier qui est le plus désiré et auquel tous les autres tenoient 86 (11) de celle seigneurie qui soubz la quelle dieu vous a fait naistre A u c h nach einer Präposition kann lequel in a d j e k t i v i s c h e r Funktion stehen: (12) apres les quelles partis ainsi debatues (13) en toutes lesquelles choses il estoit obéissant (Palsgrave 1530/1974: Seconde Boke, Capi, xxiiii)
82 83 84
85 86
salla = s'[en] alla. Vgl. Grevisse ( ,2 i986: §692a,b). « ( . . . ) il s'emploie notamment quand la relative est une indication accessoire, adventice» (Grevisse "1986: § 692b). Bei Grevisse ( 12 i986: §600 f.) wird diese Funktion als déterminant relatif bezeichnet. Hier wird noch einmal der anaphorische Charakter von lequel deutlich. 100
E s v e r w u n d e r t nicht, d a ß das universale R e l a t i v u m que und der Typ «que
+
R e s u m p t i v u m » von Palsgrave nicht e r w ä h n t w e r d e n , zumal b e i d e auch in afrz. und m f r z . Texten nur spärlich b e z e u g t sind. D a ß es j e d o c h im g e s p r o c h e n e n Französisch (bestimmter Sprecherschichten) g a n g u n d g ä b e war, läßt sich w e d e r b e w e i s e n noch w i d e r l e g e n . B e m e r k e n s w e r t ist schließlich noch die Tatsache, d a ß que in S u b j e k t f u n k t i o n von Palsgrave selbst v e r w e n d e t w u r d e 8 7 : C'est une chose que ne dure guayres (Palsgrave 425, zitiert nach Valli 1986:547).
5.3.2.2.
D i e D a r s t e l l u n g der R e l a t i v p r o n o m i n a in weiteren G r a m m a t i k e n und S p r a c h b ü c h e r n des 16. Jahrhunderts
5 . 3 . 2 . 2 . 1 . Jacques D u b o i s ( 1 5 3 1 ) : Introduction linguam
à la langue française
(In gallicani
isagoge)
D i e erste von e i n e m F r a n z o s e n v e r f a ß t e G r a m m a t i k d e s Französischen erschien in lateinischer S p r a c h e . D u b o i s , der sich latinisierend Iacobus Sylvius A m b i a n u s n a n n t e , w a r der erste G e l e h r t e in F r a n k r e i c h , d e r die französische Volkssprache in grammatische K a t e g o r i e n und R e g e l n g e f a ß t hat. E s ist unwahrscheinlich, d a ß er das erst kurz z u v o r erschienene Werk von Palsgrave k a n n t e , o b w o h l des ö f t e r e n N a m e n m o d e r n e r europäischer A u t o r e n (wie z. B . d e r von N e b r i j a ) fallen 8 8 . A l s ein nach Universalität strebender Humanist und G e l e h r t e r w ä h l t e D u bois b e w u ß t «das Lateinische als M e t a s p r a c h e , da nur dies seinem W e r k die nötige V e r b r e i t u n g sichert» 8 9 . D a s B u c h besteht aus zwei Teilen, einer «Einführung», die im G r u n d e eine L a u t l e h r e ist, und d e r G r a m m a t i k selbst, die klar nach d e m M o d e l l d e r lateinischen S c h u l g r a m m a t i k konzipiert ist. Nicht nur die Einteilung der Redeteile (acht), sondern auch deren Untergliederung im einzelnen ist ohne Eigenständigkeit von Donat und Priscian übernommen und auf das Französische übertragen worden. Dies paßt zu der anvisierten Zielgruppe; Dubois wendet sich an eine lateinisch gebildete und ausgebildete Leserschaft, für welche diese Beschreibungskategorien selbstverständlich geläufig sind (Bossong 1990:139). D i e D a r s t e l l u n g d e r R e l a t i v p r o n o m i n a in d e r Isagoge b e s c h r ä n k t sich auf die A u f z ä h l u n g d e r lateinischen und französischen F o r m e n . L e t z t e r e sind in einer A r t Lautschrift w i e d e r g e g e b e n ( D u b o i s 1 5 3 1 / 1 9 7 1 : 1 1 2 ^ ) : Lateinische R e l a t i v p r o n o m i n a
Französische R e l a t i v p r o n o m i n a
qui, quae, quod
qui
qui
que, quel,
cuius
dè qui, dequel,
87
88 89
lequel duquel
Laut Huguet auch noch von Rabelais, Marot, Belleau, Monluc, Brantôme. Erst bei Maupas heißt es explizit, daß que nicht Nominativ sei. Vgl. Bossong (1990:136). ib., 138. ΙΟΙ
CUI
a qui, a quel, au quel
a quo
à quoi, a qui
de quo
du quel
qualis
quel bzw. fem. quelè
5.3.2.2.2. Louis Meigret ( 1530) : Le Traité de la Grammaire
française90
In der q ρ< q ρ = q sind die Relationen, die sich für où (χ) und Präp +
ι . χ ist besser als q
χ > q
2. χ ist e b e n s o gut w i e q
χ = q
V o n V a u g e l a s K o m m e n t a t o r e n w e n d e t sich D u p l e i x generell g e g e n den Vorschlag, lequel und qui in den obliquen K a s u s durch quoi zu ersetzen. E r zieht in d e n Sätzen (38) c'est le cheval avec quoy i'ay couru la bague (39) c'est le cheval sur quoy i'ay esté blessé die P r o n o m i n a avec lequel bzw. sur lequel vor {Comm.,
113).
Patru hingegen geht die F r a g e wesentlich differenzierter an und unterscheidet w i e schon an a n d e r e r Stelle auch zwischen Prosa und Poesie. W ä h r e n d Präp + quoy in (38) und (39) in der D i c h t u n g die einzige M ö g l i c h k e i t sei, zieht Patru, was die Prosa b e t r i f f t , avec lequel und g a n z b e s o n d e r s sur lequel vor, o b w o h l er z u g e s t e h t , d a ß avec quoy in (38) «est françois aussi bien q u ' a v e c lequel, n'est pas fort noble» (Comm.,
mais il
114). T h . C o r n e i l l e bestätigt die Richtigkeit der
B e i s p i e l e (38) und (39). Persönlich w ü r d e er j e d o c h , w i e « b e a u c o u p d'habiles gens» (Comm.,
115), die Sätze mit avec lequel bzw. sur lequel konstruieren, weil
sie in gewisser Weise persönlichen C h a r a k t e r hätten und d e s w e g e n quoy, das j a nur auf Sachen a n g e w a n d t w e r d e , nicht in F r a g e k o m m e . A u s diesem G r u n d verletzten (38) und (39) e b e n s o sein S p r a c h g e f ü h l w i e d e r stark personifizierte S a t z voilà un cheval à quoy je dois la vie, in d e m à qui o d e r auquel stehen m ü ß t e . D i e A c a d é m i e ist bezüglich des G e b r a u c h s von quoi gespalten. D i e G e g n e r arg u m e n t i e r e n , d a ß es nur instrumental, also in b e z u g auf K o n k r e t a , ζ . B . in voilà un marteau avec quoy, &c.,
v e r w e n d e t w e r d e n d ü r f e . A l s «neutrales Wort» mit
indefiniter B e d e u t u n g w i e e t w a ce avec quoy k ö n n e es in (38) nicht v e r w e n d e t w e r d e n , da eine Substitution des Satzes durch voilà ce avec quoy j'ay couru
la
bague nicht d e n k b a r sei. D i e Mehrheit h a b e sich j e d o c h für quoy ausgesprochen (Comm.,
116).
5.4.3.4.
dont
V a u g e l a s macht kein G e h e i m n i s aus seiner B e v o r z u g u n g dieses R e l a t i v u m s , das er als «doux», «court» ( 9 1 , 116) und « c o m m o d e » ( 1 1 7 , 343) preist. E r b e t o n t seinen «tres-grand v s a g e » (343) und definiert es als vn mot indeclinable, qui conuient à tout genre, & à tout nombre, & qui s'accommode auec toutes sortes de choses sans exception (344). G l e i c h z e i t i g warnt er j e d o c h vor zu h ä u f i g e m G e b r a u c h 1 2 7 und b e g r ü n d e t dies mit e i n e m sprachästhetischen A r g u m e n t : Car il n'est pas croyable comme ce mot tout monosyllabe qu'il est, ne laisse pas de blesser la veuë, ou l'oüye, quand il est répété trop souuent en vne mesme page (344). 127
Wir folgen hier nicht Haase (1888:53), der die Warnung Vaugelas' vor zu häufigem Gebrauch von dont lediglich auf ce dont im Sinne von ce de quoi bezieht.
117
5 -4-3 ·4· 1 • dont in Vertretung einer de-Ergänzung von Verben und Nominalgruppen Der in den Remarques beschriebene Gebrauch von dont bezieht sich auf die beiden Kasus «Genitiv» und «Ablativ», hinter denen sich in moderner linguistischer Terminologie die Vertretung einer mit de angeschlossenen Ergänzung einer Nominalgruppe bzw. eines Verbs verbirgt. Semantisch betrachtet kann man in ersterem Falle auch vom Ausdruck eines possessiven Verhältnisses sprechen. (40) la femme dont j'ay espousé la fille («Genitiv») (41) les femmes dont je vous ay parlé («Ablativ»)
Zu den semantischen Eigenschaften des Bezugsnomens äußert sich Vaugelas nicht explizit 128 . Aus der Durchsicht verschiedener Stellen, an denen dont erwähnt wird, kann man jedoch schließen, daß (einschließlich und choses moralesI29) und Personen ebenso wie das Demonstrativum ce als Antecedens in Frage kommen. Vergleiche die folgenden Beispiele: (42) (43) (44) (45) (46)
c'est la table, dont ie vous ay donné la mesure vn cheval dont j'ay reconnu les défauts c'est cette courtoisie dont ie vous ay tant parlé l'homme dont je vous ay parlé ce dont je vous ay parlé
In den Sätzen (42) bis (45) stehe dont anstelle von duquel bzw. de laquelle, in (46) sei es mit de quoy austauschbar. Dies würde auf eine Gleichwertigkeit zwischen duquel und dont hindeuten. An anderer Stelle (sub où) spricht sich Vaugelas jedoch grundsätzlich gegen lequel und eindeutig für «certains mots plus doux & plus courts» (91) aus, zu denen neben où und quoy auch dont gehöre. An wiederum anderer Stelle (sub lequel) wird deutlich, daß die Pronomina qui, que, quoy und dont, wann immer die grammatischen Regeln es zulassen, den Formen lequel, auquel bzw. duquel vorzuziehen sind. Hier wird auch deutlich, daß duquel in Vertretung einer de-Ergänzung eines Verbs (bei Vaugelas «Ablativ») selten und dont als «commode particule» (117) hierfür der Normalfall sei. Die Ergänzungen, die von dont in den folgenden Sätzen vertreten werden, sind Bestandteile der Verbalphrasen (avoir de la peine à) se défaire de qc, (avoir de la peine à) se démêler de qc, être exempt de qc, se tirer de qc: (47) (48) (49) (50)
128
130
c'est vn importun, dont j'ay bien eu de la peine à me deffaire' 3 0 c'est vne mauuaise affaire, dont il aura bien de la peine à se demesler ce sont des malheurs dont il n'est pas exent ce sont des affaires, dont il se tirera
Nach Ménage bezieht sich dont normalerweise auf Sachen und gelegentlich auch auf Personen bzw. auf choses animées (Comm., 114). Vgl. K a p . 5 4 . 3 i-2· Le Vayer hingegen stuft dont und duquel hier als gleichwertig ein (Comm., 240).
118
Die widersprüchlichen Angaben zum Gebrauch von dont und duquel lassen sich schematisch wie folgt darstellen. Für das Verhältnis zwischen dont (a) und duquel (b) gelten bei gleichem Bezugsrahmen folgende zwei Aussagen: ι. a ist ebenso gut wie b 2. a ist besser als b
a = b a> b
Bouhours macht darauf aufmerksam, daß de qui in bezug auf ein personales Nomen im «Ablativ» der Normalfall im Frz. sei, ζ. B. in (a) L'Auteur de qui ils ont pris ce passage ne dit pas cela und (b) c'est l'homme de qui j'ay receû une grace, daß ferner de qui in (a) dem lateinischen a quo, in (b) de quo entspreche. Im «Genitiv» hingegen, z.B. in (c) Malheur à ceux, de qui toute la vie se passe en souhaits, sei de qui nach Meinung mancher Grammatiker aus metrischen Gründen besser für die Poesie geeignet, weniger jedoch für die Prosa, auch wenn einige Beispiele guter Autoren das Gegenteil vermuten ließen. Dont sei in einem solchen Falle vorzuziehen. 5.4.3.4.2. dont zur Bezeichnung der Herkunft Vaugelas weist auf die ursprüngliche, rein lokative Bedeutung von dont hin, betont aber, daß der gelegentliche zeitgenössische Gebrauch von dont im konkret-lokalen Sinne zur Bezeichnung der Herkunftsrichtung «tres-mal parier» (344) sei' 3 '. In einem solchen Falle komme nur d'où in Frage' 32 : (51) le lieu d'où je viens
Im übertragenen Sinne jedoch, also zur Bezeichnung der Herkunft, könne dont nach wie vor verwendet werden. Hier wäre zwar auch d'où möglich, jedoch sei dont vorzuziehen, das in (52) die Bedeutung habe: (52) la race/la maison dont il est sorti
Corneille unterstreicht diese Unterscheidung Vaugelas', weist aber darauf hin, daß im zweiten Falle (52) klar sein müsse, daß es sich um die figurative Bedeutung von maison (im Sinne von race) handelt. Ein Satz wie la maison dont vous venez de me voir sortir sei somit falsch, auch wenn im konkreten wie im übertragenen Sinne de laquelle gesagt werden könne (Comm., 588). In gleicher Weise äußern sich Andry und die Académie (ib.). Letztere bemerkt außerdem, daß la race d'où il est sorti weniger gut sei, da d'où niemals oder bedeuten könne. 131
132
Vgl. hierzu Wolf (1991:119), der betont, daß dieser Gebrauch laut Littré für Corneille, Racine, Voltaire und d'Alembert bezeugt sei. Das FEW (14, 32b) gibt Belege für die Saintonge und Maine an. Auch im kanadischen Frz. sei dont für où verbreitet. Ebenso argumentierte bereits vorher Malherbe (vgl. Brunot 1891/1969:397^ und Sneyders de Vogel 1919:77).
119
5·4·3·4·3· Besonderheiten im Gebrauch von dont Abschließend noch ein Fall, der Vaugelas' Spitzfindigkeit und sein akribisches Bemühen, jeglichen usage douteux133 zu erfassen, deutlich illustriert. (53) C'est vn homme dont l'ambition exceßiue a ruiné la fortune (344)
Einige Sprecher hätten Bedenken, diesen Satz so zu äußern, da sich dont nicht nur auf ambition, sondern auch gleichzeitig auf das folgende Nomen fortune beziehen könne' 3 4 und daß bei dieser Lesart die Bedeutung des Satzes unvollständig wäre und fortune somit indefinit bliebe, weil nicht zum Ausdruck käme, um wessen fortune es sich handelt. In der Praxis der Literatur «de nos meilleurs Escriuains & en prose & en vers» (345) werde dieser Unterschied jedoch nicht gemacht, was beispielsweise eine Stelle bei Malherbe verdeutliche: Que peut la fortune publique / Te voiier d'assez magnifique, Si mise au rang des immortels / Dont la vertu suit les exemples, Tu n'as auec eux dans nos temples / Des images et des Autels?
Dont beziehe sich hier nicht auf das nächststehende vertu, sondern auf exemples. Die Interpretation des syntaktischen Bezugs bleibe jedoch hier wie auch in allen ähnlichen Fällen dem sprachlichen Urteilsvermögen des Sprechers überlassen. Vaugelas nimmt in dieser Frage eine tolerante Haltung ein und gesteht: Pour moy je voudrois autant qu'il se pourrait euiter cette equiuoque, sans que pourtant je la voulusse condamner (Rem. 1647/1934/1970:345).
Aus den Stellungnahmen Corneilles wird klar, daß Vaugelas diesen Punkt von Chapelain übernommen hat, der seinerseits empfiehlt, Satz (53) der Eindeutigkeit wegen umzuwandeln in c'est un homme qui par son excessive ambition a ruiné sa fortune. Es sei außerdem unvermeidlich, daß sich dont in (53) auf zwei Nomina beziehe. In einem Satz wie c'est un homme dont le mérité égale la naissance bezöge sich auch duquel (anstelle von dont gebraucht) auf die beiden Substantive merite und naissance. Wenn es aber le mérité duquel hieße, würde man «quelque chose de moins indéfiny, que ce qui suit dans ces mots, a égalé la naissance» (Comm., 588) erwarten. Auch Corneille empfiehlt schließlich, den Satz umzugestalten, etwa in c'est un homme qui a autant de merite que de naissance oder qui n'a pas moins de merite que de naissance. Zum Schluß gibt jedoch auch er die übertriebene Subtilität des Problems zu, «à laquelle il ne faut pas toûjours s'assujettir» (ib.). Die Académie spricht gar davon, daß es einige gebe, «qui se permettent des phrases pareilles à celle que rapporte M. de Vaugelas» (ib., 588f.) und führt ein eigenes Beispiel an: cette femme dont la beauté égaloit l'esprit. Auch wenn man wisse, was der Sprecher mit dem Satz meine, sei dieser jedoch nicht klar genug, weil sich dont auf beauté und esprit gleichzeitig beziehe. 133
«In solchen Fällen ist die Entscheidung bei guten Autoren und gegebenenfalls bei lebenden Schriftstellern auf der Basis der pluralité des voix einzuholen» (Blochwitz 1968:113).
134
« . . . weil dont gleichzeitig Attribut zu l'ambition
120
und la fortune
sei» (Haase 1888:54).
Eine andere Konstruktion, ζ. B. cette femme, qui n'avoit pas moins d'esprit que de beauté oder qui avoit autant d'esprit que de beauté, sei vorzuziehen. 5.4.3.5.
Präp
+lequel
5.4.3.5.1. duquel statt de qui Nur in einem Falle wird duquel gegenüber de qui der Vorrang eingeräumt: Wenn das Relativpronomen die de-Ergänzung einer Präpositionalgruppe vertritt nach Vaugelas eine weitere «Genitiv»-Relation: (54) j'ay enuoyé vn Courrier exprés, au retour duquel ie verray, etc. (55) j'honore infiniment sa vertu, en consideration de laquelle il n'y a rien que ie ne voulusse faire' 3 5
Die Präpositionalgruppen der beiden Sätze lauten au retour de ce courrier exprès und en considération de sa vertu. Sie werden im Relativsatz von dequel bzw. de laquelle vertreten. Vaugelas schließt in beiden Fällen de qui explizit aus' 36 . In (55) läßt sich als Erklärung die Regel anführen, obliques qui weder auf choses inanimées noch auf choses morales (wie hier vertu) zu beziehen (vgl. Kap. 5.4.3.1.2.). Im anderen Fall handelt es sich jedoch um ein personales Bezugsnomen, für das Vaugelas Präp + qui im «Genitiv» ausdrücklich empfiehlt. Darüber hinaus verwundert diese Regel, weil im 17. Jahrh. de qui in dieser Konstruktion durchaus Usus war, was Belegstellen aus Molière und anderen Autoren' 37 dokumentieren. Bouhours begründet das Vermeiden von de qui mit der Unmöglichkeit, dieses nach dem Substantiv des Relativsatzes zu setzen, wie etwa im Satz Le prince au service de qui j'ay passé les plus belles années de ma vie. Es müsse hier zweifelsohne duquel heißen. Die guten Schriftsteller wüßten dies aber und würden entsprechend schreiben (Comm., 244). Patru stimmt Vaugelas in der Beurteilung der Sätze (54) und (55) zu, schließt allerdings den Gebrauch von lequel für die Poesie aus, außer es handle sich um eine «burlesque» (Comm., 243). 5.4.3.5.2. duquel statt dont Wie bereits in Kapitel 5.4.3.4.1. gezeigt wurde, wird das Relativum dont entweder seinem Konkurrenten duquel grundsätzlich vorgezogen oder mit ihm auf gleiche Stufe gestellt. Nur in einem Fall gilt die umgekehrte Empfehlung: zur 135 136
137
Rem., 116. Die Möglichkeit, auch dont zu verwenden, wird von Vaugelas weder hier noch an anderer Stelle angesprochen. Der usage des 17. Jahrhunderts wies jedoch vereinzelt Beispiele für dont «als Attribut eines von einer Präposition abhängigen Subst[antivs]» auf, ζ. B . bei Molière: L'objet de votre amour, lui dont à la maison Votre imposture enlève un puissant héritage. (Zitate nach Haase 1888:53). Vgl. Haase (1888:45).
121
Identifizierung des Bezugsnomens nach Numerus und Genus bei zwei Substantiven im Matrixsatz 1 3 8 . (56) c'est la cause de cét effet, dont ie vous entretiendray à loisir' 3 9 Während in (56) der syntaktische Bezug nicht klar ist, kommt er durch bzw. de laquelle
duquel
zum Ausdruck:
(57) c'est la cause de cét effet, de laquelle ie vous entretiendray à loisir (58) c'est la cause de cét effet, duquel ie vous entretiendray à loisir
5.4.3.6.
D e r Gebrauch von que in der Funktion eines indirekten oder präpositionalen Objekts
A n nur einer Stelle - in den erst 1690 posthum veröffentlichten Nouvelles marques
sur la Langue
Françoise140
Re-
- geht Vaugelas auf den sonst nicht themati-
sierten Substandardgebrauch der Relativpartikel que14'
ein:
Que ne se met pas tousjours bien pour avec et pour quelque autre préposition: Dans la confusion que d'abord ils se présentent à elle. Qui ne voit qu'il faut dire, Dans la confusion avec laquelle d'abord elles [sic!] se présentent à elle? (Nouv. Rem. 1690/ I972:483)142
Damit ist bewiesen 1 4 3 , daß es volkssprachlichen Gebrauch der Partikel que zu klassischer Zeit erstens überhaupt g a b 1 4 4 und zweitens
offensichtlich - sonst wäre
dieses Phänomen nicht Gegenstand der Remarques
- auch innerhalb der von
Vaugelas anvisierten sozialen Schicht bis zu einem gewissen Grad verbreitet war. Brunot stellt fest: Malgré le succès de où et de dont, le simple relatif que se maintenait en concurrence avec eux (Brunot HLF.lllI2,510). D e r anonyme Herausgeber der Nouvelles seiner Observation 138
139 140
141
142
143 144
Remarques
( A l e m á n ) behandelt in
zu diesem Phänomen mehrere Auffälligkeiten im Gebrauch
Vgl. Brunot ( H L F . I U I 2 , 505), der darauf hinweist, daß bei einigen Autoren in analogen Fällen durchaus dont zu finden sei. Rem. (1647/1934/1970:117t.). Die Nouvelles Remarques wurden anonym herausgegeben. Chassang (Hrsg.) (i88o:II, L I I ) weist jedoch auf die seiner Meinung nach allseits bekannte Tatsache hin, daß der Herausgeber ein gewisser Alemán gewesen sei, «avocat du Parlement de Grenoble», von Bouhours «le Vaugelas grenoblois» genannt. Brunot (i922/ 3 i936:i8i) stuft dieses Phänomen als complément de manière ein (Typ ι c). Unter Anwendung unserer Typologie handelt es sich entweder um Typ 1 a oder um Typ i a * , der im literarischen Sprachgebrauch klassischer Zeit (ζ. B . bei Molière und Racine) durchaus üblich war und in Verbindung mit der Präsentativstruktur c'est... von den Grammatikern sogar ausdrücklich gebilligt wurde. Vgl. Kap. 5.4.1 und 5.7. Die Stelle findet sich auch in Chassang (Hrsg.) (1880:11,467^). Vgl. hierzu auch Deulofeu ( 1 9 8 1 : 1 6 3 f f . ) . Vgl. dagegen die Auffassung Vallis (1988a). S. Kap. 5.10. S. hierzu Sneyders de Vogel (1919:80^). Brunot (i922/ 3 i936:i8i) räumt ein: «Mais il y a peu d'observations sur ce point au X V I I e s.».
122
von que, von d e n e n einige auch durchaus a k z e p t a b e l s e i e n ' 4 5 . Z w e i f e l m e l d e t der A u t o r j e d o c h in b e z u g auf die A k z e p t a b i l i t ä t des V a u g e l a s ' s c h e n Beispiels an. Mais je ne croy pas qu'elle [cette particule] aille trop bien quand elle est mise pour avec, sur-tout dans l'exemple de la Remarque de M. de Vaugelas. Et qu'on ne m'allègue pas que cette façon de parler par que abrège fort: Car cette raison doit toujours supposer que l'usage ne s'y oppose point (Nouv. Rem. 1690/1972:484). A l e m á n ist im G e g e n s a t z zu V a u g e l a s b e m ü h t , nach G r ü n d e n f ü r die E x i s t e n z dieses P h ä n o m e n s zu suchen ( S p r a c h ö k o n o m i e , E i n f a c h h e i t ) , die j e d o c h nichtig seien, w e n n der usage nicht mit der b e t r e f f e n d e n F o r m übereinstimme. E r führt ein weiteres Beispiel desselben Typs an: J'ay reçû vôtre L e t t r e avec tout le cont e n t e m e n t et la satisfaction que l'on doit recevoir cet honneur. E s müsse in diesem Satz, den seines Wissens n i e m a n d a u ß e r A n d r y de B o i s r e g a r d g u t h e i ß e , avec laquelle
statt que stehen.
V a u g e l a s ' B e m e r k u n g e n b e s c h r ä n k e n sich d a b e i nicht nur auf d e n Ersatz von avec lequel durch que, für den auch B r u n o t einige literarische B e l e g e ' 4 6 anführt (ib. ) ; auch K o n s t r u k t i o n e n mit a n d e r e n Präpositionen - bei B r u n o t als eingestuft - sind davon b e t r o f f e n . D i e U n k o r r e k t h e i t dieser V e r w e n d u n g von que sei aber so e v i d e n t , d a ß sie eigentlich keiner E r w ä h n u n g b e d ü r f e ( « Q u i ne voit . . . ? » ) . D i e s e A r t der Formulierung soll d e r Remarque w e d e r um einen usage douteux,
A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t verleihen. E s geht hier also den es z u diskutieren gilt, noch um einen a m H o f
und bei guten A u t o r e n als verbindlich betrachteten usage déclaré. V i e l m e h r wird ein offensichtlicher usage général absolut gesetzt, allerdings o h n e A n g a b e von G r ü n d e n , w e d e r v o n rationalen - die bei V a u g e l a s ohnehin eine u n t e r g e o r d n e t e Rolle e i n n e h m e n - noch von sprachlichen. Für V a u g e l a s ist dieses P r o b l e m an eine soziolinguistische Fragestellung g e k o p p e l t , die sich nicht mit h e r k ö m m l i chen P a r a m e t e r n b e s c h r e i b e n läßt. E s bleibt nur die M ö g l i c h k e i t , eine N o r m z u e t a b l i e r e n , die eine aus f u n k t i o n a l e r Sicht nicht gerechtfertigte Verurteilung einer sprachlichen F o r m b e i n h a l t e t ' 4 7 . D i e Arbitrarität solcher N o r m e n kann sich
145
146
147
So z. B. que für dont nach dem Vorbild Malherbes, bei dem der Satz De la même ardeur que je brûle pour elle zu finden sei, oder que für où ζ. Β. in 11 vécut dans le desordre jusqu'à l'âge de vingt ans que Dieu luy ouvrit les yeux (Zitiert nach Nouv. Rem. 1690/ 1972:483-484). Der volkssprachliche Gebrauch von que sei jedoch ungleich häufiger, was Brunot durch zahlreiche Passagen aus literarischen Werken (ζ. B. von Sorel, Scudéry) belegt, die gesprochene Sprache wiedergeben sollen. Daneben gibt es soziolinguistische Normen, bei denen sich die Ablehnung eines sprachlichen Phänomens funktional begründen läßt. Dies trifft ζ. B. auf die Rechtfertigung von Tabus zu, die meist als Verstöße gegen die Regeln der Logik oder der menschlichen Kommunikation erklärt werden. Diese Erklärungsschemata machen sich auch viele Grammatiker zu eigen. Ihr grammatikalisches System muß funktional und daher frei von Redundanz und Ambiguität sein. Die Selektion der sprachlichen Formen, die von einer bestimmten Sprachgemeinschaft übereinstimmend akzeptiert werden, läßt sich jedoch nicht in systematischen Kategorien beschreiben, sondern muß 123
- wie im Falle der Relativpartikel oder bei Präp + qui, Präp + quoi mit personalem Bezugsnomen - darin manifestieren, bestehende Möglichkeiten des Sprachsystems zu eliminieren, um andere Systemoptionen zu favorisieren. Sie kann aber auch zu einer Anreicherung der bereits vorhandenen Ausdrucksmittel führen, wie es beispielsweise bei den Humanisten des 16. Jahrhunderts und deren Propagierung des Relativpronomens lequel nach lateinischem Vorbild der Fall war. Auch Vaugelas' Regeln zu den semantischen Eigenschaften des Bezugsnomens oder zum richtigen (i.e. figurativen) Gebrauch von dont sind in diesem Lichte zu sehen.
5.4.3.7.
Zusammenfassung
Obgleich man den Einfluß der Remarques auf die französische Sprache insgesamt nicht überbewerten darf' 4 8 , deuten die zahlreichen Auflagen des Traktats und die intensive Auseinandersetzung seitens der Kritiker auf seine Bedeutung für die Initiierung und Institutionalisierung des sprachnormativen Diskurses in Frankreich hin. Mehrere Generationen nachfolgender Grammatiken und Sprachtraktate mit größtenteils identischen Regeln' 4 9 lassen ferner auf die eminente Bedeutung der Remarques schließen. Inwieweit nahm nun der von Vaugelas beobachtete und zum Bon Usage erhobene höfische Sprachgebrauch Einfluß auf den Gebrauch des Französischen? Was die unmittelbare Wirkung auf die Zeitgenossen Vaugelas' in Literatur' 50 und Grammatikschreibung angeht, so wird anhand der Untersuchungen zu den
148
149 150
im Hinblick auf die Verflechtung zwischen Sprache und Wertesystem einer bestimmten Epoche betrachtet werden. (Vgl. Deulofeu 1981:163^). «Überschätzen allerdings sollte man solche sprachregelnden Kräfte nicht, ( . . . ) : Sie können bestimmte Entwicklungen retardieren ( . . . ) oder umgekehrt fördern (. . . ) , aber kaum je die Sprachentwicklung wieder zurückdrehen ( . . . ) oder völlig neu gestalten» (Dauses 1985:97). Wolf (1975:148ft.) setzt sich skeptisch mit der weitverbreiteten Meinung auseinander, Vaugelas habe «die französische Sprache fixiert und in Fesseln gelegt». Vgl. hierzu die Beschreibung der drei konstitutiven Prinzipien», die Vaugelas zugrunde legte und deren Mißachtung in der Folgezeit zu der vielzitierten Krise der frz. Sprache führte. So z . B . in Chiflet (1659/1973148ff.) und Regnier Desmarais (1706:286-307). Eine von uns zufällig entdeckte Stelle (vol. 2,3 e partie, chap. IX, 48) im Roman comique von Paul Scarron (1657) bringt dies in humoristischer Weise zum Ausdruck. Auf den Vorwurf Ragotins an La Racune, in dem von ihm vorgetragenen Lied kämen falsche Verwendungen vor, verteidigt dieser unter Verweis auf das Alter und die normannische Herkunft des Liedes die Berechtigung dieser Formen. Danach läßt Scarron seine Figur Bezug nehmen auf die Normierungspraxis seiner Zeit: Car puisque selon ce fameux savoyard M. de Vaugelas, quia réformé la langue françoise, on ne saurait donner de raison pourquoi l'on prononce certains termes, et qu'il n'y a que l'usage qui les fait approuver, ceux du tems que l'on fit cette chanson étoient en usage. Neben dem ironischen Gehalt dieser Äußerung sind vor allem die Wörter réformé und usage zu beachten. Die ungeheure Wirkung der Remarques zeigt sich allein schon an der Tatsache, daß sie nur wenige Jahre nach ihrem Erscheinen Eingang in ein literarisches Werk fanden.
124
Relativpronomina deutlich, wie sehr die explizite Setzung des höfisch-elitären Sprachkonzepts nachwirkte. Darüber hinaus können metasprachliche Texte wie die Remarques auch Aufschlüsse über die Dichotomie gesprochene/geschriebene Sprache> geben, die seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend an die Stelle des Gegensatzes bon usage/mauvais usage tritt 151 . Auf das System der Relativpronomina wirkte sich beispielsweise die Verbannung der /e29
50
9,09
que
68,75 6,25
50
47,36 5>26
47,05 11,76
37,5 0
45,45 0 0
où
33 >3 0
1645/1
1645/2
0
0
0
12,5 0
16,7
5,26
0
0
9,09
0
10,52
0
0
Präp + quoy
0
0
0
0
0
9,09 0
dont
0
0
10,52
5,88
12,5
27,27
lequel Präp +
6,25 lequel
Präp + qui
Signifikant erscheint der Gebrauch von dont und Präp +
lequel.
dont Entsprechend den obigen Beobachtungen scheint sich die Beliebtheit von dont erst im L a u f e der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durchgesetzt zu haben. Während Vaugelas dieses Relativum in seinen frühen Briefen nicht verwendet, erscheint es später regelmäßig und in steigender Z a h l .
a) Das Fehlen von dont Zuerst zu einem Fall, bei dem doni zugunsten eines anderen Relativums vermieden wurde. In seinem Brief aus dem Jahre 1606 vertritt de laquelle in einem Falle die de-Ergänzung eines Verbs, steht damit also in einer Position, in die später auch dont gesetzt wird 171 : Je viens seulement d'apprendre la mauvaise nouvelle, de laquelle ie me suis informé mal volontiers . . . (Rem. i647/i934/i970:xiv)
An anderer Stelle (im 2. Brief von 1645) verwendete Vaugelas desquels in Vertretung einer de-Ergänzung einer Präpositionalgruppe. Hier wäre dont nicht möglich gewesen: si est-ce que Dieu m'a fait cette grace, que ceux même que je n'ay vûs qu'en passant (au nombre desquels mon malheur veut que je vous mette) ont esté persuadés sur le simple récit de mes amis . . . (ib., xlvi)
b) Der Gebrauch von dont Folgende Belegstellen für dont wurden gefunden: 1630 (zitiert aus: Rem. i647/i934/i970:xxxiii-xxxv) Ie uous supplie de croire que ie prens une part toute entiere à tous uos interests, et que ie ne cede à personne du monde en l'estime que ie fais de v ,e mérité et de l'amitié dont uous m'honorez. Monseigneur se fait extrêmement aimer et estimer icy par sa sage conduite, et par la grande discrétion dont il use enuers les Dames. J'ay reçeû vostre derniere lettre du 20 du mois passé, dont je vous rends mille graces.
1645 (zitiert aus: Rem. i647/i934/i970:xlv-xlvi) ( . . . ) pour une personne dont les interets me sont plus chers que les miens. ( . . . ) par les marques de vôtre bonté dont elle [la lettre] est toute pleine. Je ne vous diray donc rien davantage sur ce sujet, ni sur les beautez de vôtre Lettre, que j'aurais leuë en pleine Academie comme un chef-d'oeuvre du metier dont elle se mêle, si [sic!] les loüanges que vous me donnez si amples, & dont elle est toute semée.
Der Gebrauch von dont verteilt sich somit auf folgende syntaktische Konstruktionen: 1) dont in Vertretung einer de-Ergänzung von Verben: 6 Fälle honorer qn de qc, user de qc, rendre grâce à qn de qc, être plein de qc, se mêler de qc, être semé de qc 2) dont in Vetretung einer de-Ergänzung von Nominalgruppen: 1 Fall les intérêts de cette personne me sont plus chers que les miens
Haase (1888:45) vermerkt, daß im 17. Jahrh. «duquel oft statt des heute üblichen dont gebraucht» wurde und daß dont «in der älteren Sprache mitunter statt des Genitive von lequel» (ib. :52) vorkam. Das 17. Jh. biete hierfür jedoch nur sehr wenige Stellen.
132
lequel! Präp +
lequel
Für lequel gibt es nur einen Beleg, bezeichnenderweise aus dem Brief von 1606: ( . . . ) sans que ie sois si temeraire de vous y vouloir inviter par ceste lettre, laquelle i'escris pour servir plustost a moy de tesmoignage de mon devoir qu'a vous de consolation (Rem. 1647/1934/1970: xiv-xv) Wie man unschwer erkennt, steht laquelle
hier als Vertretung eines Sachnomens
in der Funktion eines direkten Objekts. Brunot ( / / L F : I I I , 5 0 3 ) bemerkt, daß akkusativisches lequel zu dieser Z e i t zwar häufiger war als lequel in Subjektfunktion, daß aber generell seit der Gegenoffensive Malherbes die Verwendung dieses im 16. J h . prosperierenden Pronomens im Rückgang begriffen sei: On sait que Malherbe le trouve peu élégant et le barre partout dans les vers de Desportes. C'est le commencement de la décadence, elle ne se marquera cependant qu'au X V I I e siècle (Brunot, HLF: 11,319). E s wird also deutlich, daß Vaugelas zu Beginn des 17. Jahrhunderts in mancher Hinsicht noch dem Sprachgebrauch des vorangegangenen Jahrhunderts verpflichtet war. Dies trifft auch auf seine frühe Übersetzung Les Sermons seque
de
Fon-
von 1 6 1 5 zu:
In many respects the language of the translation is typical of late sixteenth- or early seventeenth-century French prose and therefore it differs in a number of significant ways from the usage recommended in the Remarques (Ayres-Bennett i987:x). Für präpositionales lequel
wurden folgende Fälle erhoben:
1606172 Je viens seulement d'apprendre la mauvaise nouvelle, de laquelle ie me suis informé mal volontiers . . . (in: Rem. 1647/1934/1970:xiv) ( . . . ) les beaux gages qu'il vous a laissés quasi tous eleves, esquels il commence desia heureusement a revivre . . . (ib. ) 1621 ( . . . ) j'ay trouvé un paquet que mon frere le President m'adressoit desia dez le commencement du mois de juin, où il y avoit une lettre, qu'encor que de vieille datte, je ne laisse pas d'envoyer à Votre Grandeur, par laquelle elle pourra voir s'il luy plait, . . . (in: Rem. 1647/1880: xi v) ( . . . ) il nous sera force d'encourir envers Votre Grandeur ce détestable vice, auquel je ne puis que tramper bien avant pour ma p a r t . . . (ib.) 1630 ( . . . ) à cause de la quantité des puissants amis que uous auez, entre lesquels Monsieur le Marquis de Geures tout seul est plus capable de les garantir de toutes sortes de maux (Rem. 1647/1934/1970 :xxxiii)
Z u den beiden Beispielen s. oben (Punkt 2 und 3).
133
I645 73 si est-ce que Dieu m'a fait cette grace, que ceux même que je n'ay vûs qu'en passant (au nombre desquels mon malheur veut que je vous mette) ont esté persuadés sur le simple récit de mes amis .. . (in: Rem. iÓ47/i934/i97o:xlvi)
Zusammenfassung U n s e r e U n t e r s u c h u n g zeigt, d a ß der S p r a c h g e b r a u c h in frühen W e r k e n und B r i e f e n V a u g e l a s ' noch deutlich von der G e b r a u c h s n o r m des a u s g e h e n d e n 16. und b e g i n n e n d e n 17. Jahrhunderts g e p r ä g t ist. Etliche V e r w e n d u n g e n in diesen D o k u m e n t e n der vorklassischen E p o c h e w e r d e n durch V a u g e l a s ' D e f i n i t i o n des bon usage später relativiert. D i e Durchsicht der a n g e f ü h r t e n B e l e g e d e u t e t darauf hin, d a ß der G e b r a u c h von (Präp + ) lequel nicht in allen Fällen d e n in den Remarques
aufgestellten
R e g e l n entspricht. Z u m einen fällt die V e r w e n d u n g von lequel als d i r e k t e m O b j e k t auf, die von V a u g e l a s z w a r nie in R e g e l n g e f a ß t w u r d e , a b e r d e n n o c h seinem Prinzip z u w i d e r l ä u f t , lequel z u v e r m e i d e n , w o i m m e r qui, que, quoy dont gesetzt w e r d e n k ö n n t e n (Rem.
oder
1647/1934/1970:116). Z u m anderen ist die
bereits z u m damaligen Z e i t p u n k t (1606) als veraltend o d e r veraltet eingestufte F o r m esquels u n g e w ö h n l i c h , auf die V a u g e l a s in den Remarques
nicht m e h r ein-
geht. D e u t l i c h e r im W i d e r s p r u c h z u d e n dort aufgestellten M a x i m e n steht die Verw e n d u n g von de laquelle
(1606) statt dont, die er in seinem Traktat als selten
bezeichnet, parce que l'on se sert en tout nombre & en tout genre, de la commode particule Dont (ib., 117). D i e dort a n g e f ü h r t e n B e i s p i e l e z e i g e n , d a ß diese R e g e l auch für die Fälle gilt, in d e n e n w i e im B e i p i e l von 1606 das R e l a t i v p r o n o m e n die d e - E r g ä n z u n g eines V e r b s vertritt: ce sont des affaires,
dont il se tirera
A n s o n s t e n ist präpositionales lequel
(ib.).
durchaus im Sinne von
Vaugelas'
S p r a c h n o r m gebraucht. D e r interne W i d e r s p r u c h in den Remarques
in b e z u g
auf d e n
Gebrauch
dieses
Relativums
wird
hier a u ß e r
acht gelassen
(s.
K a p . 5.4.3.3.).
5.4.4.2.
Paul S c a r r o n , Le roman
D i e Wahl des Roman comique
comique
hat zwei G r ü n d e . Z u m einen einen gattungsspezi-
fischen, denn Scarrons W e r k unterscheidet sich in K o n z e p t i o n und Intention deutlich von den D r a m e n d e r klassischen A u t o r e n . D e r zweite G r u n d ist die zeitliche N ä h e z u sprachnormativen W e r k e n j e n e r Z e i t (z. B . O u d i n 1640, Vaugelas 1647). D i e W i r k u n g der Remarques
173
klingt in einer, - wenn auch ironisch z u
Zur Erklärung dieses Beispiels s.o. dont (a). 134
verstehenden - Stelle des Romans an (Bd. II/i 148), als von «M. de Vaugelas» die Rede ist, «ce fameux savoyard . . . qui a réformé la langue françoise» 174 . Der erste Band des unvollendeten Romans erschien erstmals 1651 bzw., in endgültiger, von Scarron revidierter Fassung, 1655. Band 2 erschien 1657. Beide Bände sind in je zwei Teile untergliedert. Ergebnisse Der Gebrauch der Relativpronomina im Roman comique deckt sich mit den von normativer Seite geforderten Regeln. So findet sich beispielsweise kein Beleg für que in obliquer Funktion (Typ 1 a bzw. 1 a*) ; als adverbielle Zeitbestimmung läßt es sich jedoch häufig nachweisen (ζ. B. un matin que, un jour que, le soir quelle attendit Roquebrune... ), nicht j edoch als lokales Komplement. Hierfür, wie auch für oblique Beziehungen (insbesondere in der Bedeutung ), verwendet Scarron meist das Relati vum om (ζ. Β. dans l'état où je viens de vous le représenter .. . ; les désespoirs où me mirent ces fâcheuses nouvelles; une galanterie où je m'embarquerois). Auf Personen bezogenes où wurde nicht erhoben. Für die Relativa (außer qui und que) ergaben sich folgende Werte: lequel
Präp + lequel
Έ,/lequel
Präp + quoi
48 22 70
56 23 79
15 5 20
112 3 115
42 0
194
Band I (1655) I/i: 001-183 I/2: 189-352 Σ, (Band I)
8 I
Band II (1657) II/i: 001-128 II/2: 133-228 Σ 2 (Band II)
34 0 34
78 3 81
ΣΣ ( = Σ, + Σ 2 )
43
151
9
dont
où
Präp + qui
73 66
156 150 306
24 45 69
181
139
42
46 22 68
59 240
19 9 28
62
207
546
97
Damit stehen Präp + lequel (Σ/lequel), Präp + quoi, dont, où und Präp + qui in einem ungefähren Verhältnis von 2,5 (3) : 1 : 3,3 : 9 : 1,5. Dieses läßt - ganz im Sinne Vaugelas' - eine deutliche Bevorzugung der Form où gegenüber anderen in obliquen Funktionen verwendeten Relativa erkennen. Auch dont erreicht einen beträchtlichen Wert. Überraschend hoch fällt jedoch der Anteil von Präp + lequel aus, das im Unterschied zu den (nicht unumstrittenen175) Empfehlungen in den Remarques meistens nicht (mit Bezug auf Sachnomina) anstelle von präpositionalem quoi verwendet wird. Stattdessen folgt Scarron den Regeln Patrus, der Präp + lequel in der Prosa vorzieht. Von den 62 präpositionalen gwoi-Formen beziehen sich die meisten auf den Inhalt des vorhergehenden Satzes, z.B.: 174 175
Vgl. auch Kap. 5.4.3.7., Anm. 150. S. Kap. 5.4.3.3.
135
( ι ) Après le soupé, il n'y eut personne qui ne félicitât Ragotion de l'honneur qu'on lui avoit fait de le recevoir dans la troupe; de quoi il s'enfla si fort, que son pourpoint s'en ouvrit en deux endroits {Le roman comique, Bd. 11/1:15).
In nur 6 Fällen bezieht sich Präp + quoi auf ein Sachnomen (choses; paroles; clôture; comédie et sérénades; duel; mort), nie jedoch auf ein personales Bezugsnomen. Von den 97 Belegen für präpositionales qui enthalten drei ein nicht-personales, jedoch belebtes Bezugsnomen: cheval (1/1:189), lionne (1/2:227) und bélier (1/2:350-351). Die Beispiele lauten: (2) Il n'est pas nécessaire de vous dire que Destin étoit de ceux qui ne dormoient pas, non plus que les ravisseurs de mademoiselle Angelique, qu'il poursuivoit autant que pouvait galopper un cheval, à qui les nuages déroboient souvent la foible clarté de la lune {Le roman comique. Bd. II/i, 189). (3) elle lui sauta aux yeux, furieuse comme une lionne à qui l'on a ravi ses petits {Le roman comique, Bd. I/i, 227). (4) Il y avait un bélier dans l'hôtellerie, à qui la canaille qui va et vient d'ordinaire en de semblables maisons, avoit accoutumé de présenter la tête, les mains devant... {Le roman comique, Bd. I/i, 350-351).
In keinem der drei Fälle handelt es sich um Personifizierungen, die Vaugelas zufolge vorliegen müßten, um Präp + qui auf Tiere zu beziehen. Auch die Regel, daß bei Charakterisierung von Tieren mit menschlichen Attributen die Verwendung von Präp + qui möglich sei, trifft nicht auf die genannten Beispiele zu. Genausowenig die von der Akademie vorgenommene Unterscheidung zwischen Haustieren und sonstigen Tieren. Für letzteren Fall (z.B. cheval) schreibt die Akademie Präp + lequel vor. Die Untersuchungen zu Scarrons Roman comique lassen für die dort verwendeten Relativpronomina eine im wesentlichen eindeutige Konformität gegenüber der von den Grammatikern kodifizierten Norm erkennen. Allerdings befolgt Scarron nicht in allen Fällen die Regeln Vaugelas', sondern orientiert sich mitunter an den Gepflogenheiten der literarischen Praxis seiner Zeit, wie sie z.B. von Patru oder Th. Corneille beschrieben werden. Trotz des burlesken Charakters des Roman comique, der die stilisierten Lebensformen des Hofes karikierte, läßt sich in sprachlicher Hinsicht keine nennenswerte Abweichung von dem am Hofe ausgerichteten Sprachkonzept erkennen. 5.4.4.3.
Werke von Molière, Corneille und Racine
Es ist evident, daß der Einfluß des sprachnormativen Diskurses nicht ohne Folgen für die zeitgenössische Literatur bleiben konnte. Anhand systematischer Auswertungen von Werken Molières' 76 und Corneilles sowie anhand von Konkordanzen können differenzierte Aussagen zum Gebrauch der Relativpronomina gemacht werden.
176
Diese können jedoch nur in Form einiger Ergebnisse präsentiert werden.
136
Zum Gebrauch der Relativpronomina in einigen Werken Molières 177 dont L'étourdi
(1654) ( V )
où
(Präp
+)
Präp
+
Präp +
lequel
quoi
qui
45
16
2
6
10
8
4
0
I
0
34 26
21
0
I
Le Tartuffe (1664) ( V )
24
Dom Juan (1665) (P)
17
5 3 .8o
Le misanthrope
34
23 26
2 J.79 0
I
Les
précieuses
ridicules Lécole
(1659) (Ρ) des
femmes
(1662) ( V )
Le médecin
(1666) ( V )
8
(1668) ( V )
L'avare (1668) (P) Le
2
4
I
41
3 2
4 2
2 Ç.83
17
15
3184
8
3
15
21
2
5
6
19
21
9
5
4
49
15 24
33
(1670) (P)
fourberies
de Scapin ( 1 6 7 1 ) (P) Le
I5' 8 2
bourgeois
gentilhomme Les
6' 8 '
malgré
lui (1666) (P) Amphitryon
6 9 ·78
malade
imaginaire
(1673) (P)
Gewertet wurden direkte Rede und Bühnenanweisungen. Auf Unterschiede wird, wo nötig, hingewiesen. Zu Präp + quoi zählten wir auch die Wendung de quoi, ζ. B. in voilà de quoi... ; où wurde auch in substantivischer Funktion (ohne Antecedens) berücksichtigt, ebenso wie relativisches d'où. Ρ bedeutet Prosa, V steht für Versdichtung. 178 Davon einmal mit nicht-personalem, jedoch personifiziertem Bezugsnomen: Et leur langue indiscrète, en qui l'on se confie (111,3). 179 Und ein lequel in adjektivischer Funktion. 180 Vgl. den - nach Vaugelas - korrekten Gebrauch von Präp + quoi mit Bezug auf Sachen: et j'ai une petite barque et des gens, avec quoi fort facilement je prétends enlever la belle (1,2). ,8 ' Darunter drei Belege mit sächlichem Bezugsnomen: et de voir sa vie, son repos et ses biens dépendre de la fantaisie du premier téméraire qui s'avisera de lui faire une de ces injures pour qui un honnête homme doit périr ( 1 1 1 , 3 ) ; c e s t ne devoir rien proprement que d'être redevable de la vie à qui nous a ôté l'honneur (111,4); c e s t u n a r t de qui l'imposture est toujours respectée (V,2). 182 Hiervon in einem Falle mit Bezug auf ein nicht-personales Antecedens: Tous deux ils m'ont trouvée et se sont plaints à moi / D'un trait à qui mon coeur ne saurait prêter foi (V,4). Vaugelas' Kriterium der Personifikation bzw. der Charakterisierung durch menschliche Attribute kann jedoch hier herangezogen werden. 183 Davon zweimal mit nicht-personalem Bezugsnomen: et «donner» est un mot pour qui il a tant d'aversion . . . (II,4); et n'oubliez rien, s'il vous plaît, de ces tendres paroles, de ces douces prières, et de ces caresses touchantes à qui je suis persuadé qu'on ne saurait rien refuser (IV, 1). 184 In direkter Rede nur ein Beleg (0,25 %). 177
137
D e r sparsame G e b r a u c h von lequel wird in allen untersuchten K o m ö d i e n Molières, vor allem jedoch in den frühen' 8 5 , deutlich. D a b e i ist es unerheblich, o b es sich um Vers- oder Prosadichtung handelt. D i e Relativa dont und où, in reduziertem U m f a n g auch quoi, sind entsprechend der Doktrin Vaugelas' und anderer Grammatiker sehr zahlreich repräsentiert. Besonderheiten im G e b r a u c h von que betreffen nur die Typen ia* und i b (temporales K o m p l e m e n t ) , denen man gelegentlich begegnet, ζ. B . : Las! en l'état qu'A est, comment vous contenter? (L'Étourdi, 11,3), à l'heure que j e parle (L'Étourdi, Scapin,
IV,7; V , i ) , à cette heure qu'on a besoin de moi (Les fourberies
de
11,4). In anderen Funktionen (universales und dekumuliertes Rela-
ti vum) ist obliques que in keinem der untersuchten Stücke belegt. Dies trifft auch auf die wenigen Stücke zu, in denen Molière die Volkssprache auf die Bühne bringt' 8 6 , z . B . im Dom Juan (der B a u e r Pierrot und seine Freundin Charlotte), im Médecin malgré lui (der Bauer Thibaut mit seinem Sohn Perrin, Lucas und dessen Frau Jacqueline) und in Les femmes savantes (die Dienerin Martine). In keiner dieser Passagen fand sich ein - aus heutiger Sicht normwidriger G e b r a u c h des Relativpronomens, auch nicht in den stark dialektal gefärbten Sequenzen von Lucas, dessen volkstümliche Sprache vor allem durch Auffälligkeiten in Aussprache (fraimes , s art , de l'iau 29 °. Bei Bauche (i920/ 2 i946:104) wird volkssprachliches dont auquel als hyperkorrektes Beispiel («style noble») für dont bzw. auquel angeführt. Noch immer sind im Standardwerk von Henri Bauche, Le langage
populaire,
die meisten Beispiele zum Substandardgebrauch der Relativa enthalten. Neben Verwendungsweisen, die uns bereits aus französischen 2 9 ' (und anderen) Dialekten bekannt sind, z . B . que für qui, qu'il(s)
bzw. qu'elle(s)
für qui, sind auch
Relativkonstruktionen angegeben, die sonst nur selten dokumentiert sind, z. B . à qui que, de qui que mit pleonastischem bzw. redundantem que (und resumptivem en), sogar de qui c'est que, de qui que c'est, für à qui bzw. de qui, wofür volkssprachlich auch nur que oder que + Pronomen
üblich ist 292 :
( 1 ) L a personne à qui j'ai donné votre lettre 2 9 3 (2) L a personne à qui que j'ai d o n n é votre lettre
288
A u c h neueste A r b e i t e n , z . B . der Dictionnaire du français parlé (Bernet/Rézeau 1989), gehen nicht auf derlei Erscheinungen ein. Nicht einmal der Dictionnaire des verbes du français parlé (Mauriac/Ebneter 2 1990), der sämtliche R e k t i o n e n der auf d e m Dictionnaire du français contemporain basierenden 1333 häufigsten Verben im gesprochenen Französisch syntaktisch zu beschreiben und quantitativ zu erfassen versucht, berücksichtigt Substandardkonstruktionen, o b w o h l es sich nach M e i n u n g der A u t o r e n um V e r b e n handelt, «utilisés spontanément par un francophone d ' a u j o u r d ' h u i dans les circonstances informelles de sa vie de tous les jours» (ii). Für das Verb parler z . B . werden nicht weniger als 9 verschiedene syntaktische Typen a u f g e f ü h r t , die j e d o c h alle im B e r e i c h des normsprachlichen Spektrums angesiedelt sind. Ungrammatische Verwendungsweisen ( z . B . : l'histoire q u e j e t'ai parlé) werden ungeachtet ihrer F r e q u e n z im langage parlé ignoriert. A u c h die R e k t i o n demander après quelqu'un ζ . Β . figuriert nicht unter den 8 aufgelisteten V e r w e n d u n g e n von demander, o b w o h l diese beispielsweise im DFC (als «très familier») und im Petit Larousse illustré iç8ç (als «familier») verzeichnet ist.
289
C a r a d e c (1977:201). A l s B e l e g zitiert Larchey ein Beispiel aus einem Werk des Schriftstellers V a d é (1756): C a r m o i , j e suis un militaire dont auquel (Larchey '1878:145). Z u dont auquel vgl. auch C a r o (1891: 1 7 L ) und Siede (1885:40).
290
291
Vgl. hierzu 5.8.3.
292
Vgl. hierzu auch Pfau (1901:46ft.) mit zahlreichen Beispielen aus volkssprachlicher Literatur, und Siede (1885:38). Beispiele aus B a u c h e (i920/ 2 i946:i03). D i e Sätze ( 1 ) und (4) sind die schriftsprachlichen Entsprechungen zu den volkssprachlichen Varianten, die in den restlichen Sätzen illustriert sind.
293
171
(3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)
L a personne que je lui ai donné la lettre L'homme de qui je vous ai parlé L'homme que je vous ai causé L'homme de qui que je vous ai causé L'homme de qui c'est que je vous ai causé L'homme de qui que c'est que je vous ai causé L'homme de qui que je vous en ai causé
Z u volkssprachlichem que bemerkt Bauche ( τ 9 2 ο / 2 1 9 4 6 : 1 0 3 ) allgemein: Que s'emploie à toute occasion en L P [=langage populaire], et hors de propos, comme on vient de le voir ci-dessus. D i e Relativa lequel,
laquelle,
etc. werden nach Bauche kaum verwendet,
dont
werde oft durch que (mit und ohne korrelierendes Element) «ersetzt».
5.7.4.
Z u den Substandardrelativa in der Literatur des 20. Jahrhunderts
5 . 7 . 4 . ι.
Substandard als Mittel der Stilistik und sozialen Markierung
Während die literarischen Belege im 19. Jh. vor allem eine Kennzeichnung provinzieller Personen einfacher Herkunft und burlesk-komischer Situationen erkennen ließen, stellt man in vielen Werken des 20. Jhs. auch die Persiflierung gebildeter Charaktere mittels solcher Konstruktionen fest, z . B . Cyrille Buttelet in La peur de l'amour
von Henri de Régnier:
( 1 ) Il y a des choses que c'est ennuyeux qu'elles finissent Im allgemeinen ist jedoch die Verwendung dieser als solécismes
eingestuften
Phänomene 2 9 4 in der Literatur des 20. Jhs. auf drei Fälle beschränkt. Z u m einen treten sie bei Autoren bestimmter Genres (Boulevardstücke, Burlesken, Vaudevilles u. a.) auf. Dies trifft besonders auf Schriftsteller zu Beginn des 20. Jhs. zu, wie z. B . Henri L a v e d a n 2 9 5 , die die Tradition der Persiflage mit sprachlichen Mitteln fortsetzen. Einige Beispiele aus Werken Lavedans: Henri Lavedan (nach Nyrop 1 9 2 5 ^ , 3 3 1 f.) 2 9 6 (2) Ne me pousse pas, tu ne sais pas ce que je suis capable (Le nouveau jeu, 13) (3) Ce neveu que tu m'as parlé? ce neveu que tu m'as dit qu'il te ferait crever de chagrin (Le vieux marcheur, 40) 294
295 296
Es kommt nicht oft vor, daß Autoren einer Grammatik diesen Konstruktionen das Wort reden. Dies ist jedoch der Fall bei Damourette/Pichon (i927-i952:IV,§ 1322), die die Grammatiker auffordern, in bestimmten Fällen grünes Licht für die Ausschöpfung dieser Sprachquelle zu geben. So verteidigen sie ausdrücklich einen Satz wie folgenden: Lorsque d'une maison sort cette grande rousse, et dans l'instant un adolescent nu, que j'allais lui crier . . . (Aragon, Paris la nuit. Le libertinage, 187). Ebenso Sidonie Gabrielle Colette, La vagabonde (1910). Weitere Belege zu Lavedan und anderen Autoren bei Sandfeld (i936/ 2 i965:II, 176). Literarische Beispiele zum Substandardrelativum auch bei Le Bidois (1935-1938/ 2 ΐ907:ΙΙ,32ΐ), z . B . von Roland Dorgelès, Les croix de bois (1919): Un copain que j'avais l'adresse de chez lui. 172
(4) Deux bouteilles de son Vouvray qu'il y tient tant (ib., 191) (5) Y a aussi un Anglais qu'on lui fait un tas de supplices (Les beaux dimanches,
137)
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Nutzung von Substandardelementen zur sozialen Charakterisierung bestimmter Figuren (ζ. B . Carola in Gides Caves Vatican).
du
Auch dieser Typ setzt eine bereits bestehende literarische Tradition
fort. Neu ist schließlich der Versuch, gesprochene Sprache in der Literatur als Mittel für ideologische Ziele einzusetzen - als Mittel der Provokation und als Ausdruck eines gesellschaftlichen Nonkonformismus, wie es vor allem bei modernen Autoren wie Céline und Queneau der Fall ist. Obwohl bei Raymond Queneau der experimentelle Charakter seiner Sprachkonzeption überwiegt, läßt sich gerade an seiner Persiflage verschiedener Stilebenen, die literarisches Französisch ebenso wie A r g o t , dialektal gefärbtes Französisch 2 9 7 und allgemein sprechsprachliche Phänomene umfassen, ablesen, welche Formen und Strukturen er - «als hervorragender Kenner der französischen Gegenwartssprache» 2 ' 8 für geeignet hält, ein bestimmtes Sprachregister zu charakterisieren. Z u diesen Stilmitteln gehören, was den gesprochenen S u b s t a n d a r d 2 " betrifft, auch Besonderheiten im Gebrauch von Relativpronomina. Diese sollen im folgenden nach Kemmner ( 1 9 7 2 : 1 6 3 ) exemplifiziert werden: ι. Reduktion von qui vor vokalisch anlautendem Folgewort zu
qu'30°
(6) On peut pas supposer que les gens qu'attendent à la gare d'Austerlitz sentent plus mauvais que ceux qu'attendent à la gare de Lyon (Zazie dans le Métro, 7) (7) Heureusement vlà ltrain qu'entre en gare (ib., 8) (8) N'empêche que c'est à moi que ça arrive, moi qu'étais si heureuse (ib., 13) (nach Langenbacher 1981:1983) (9) Va donc chercher le guéridon qu'est dans la chambre (Le dimanche de la vie, 124)
297
298
199
300
S. hierzu Bork (1978), der Queneaus Exercices de style, Werke von Molière, Maupassant u. a. auf dialektal markierte Phänomene untersucht. Langenbacher (1981). S. dort auch zum Sprachverständnis Queneaus. Zum grundsätzlichen Problem 60 11
Innerhalb der Kategorie wurden ebenfalls 4 Gruppen angesetzt. Gruppe A umfaßte Sprecher mit geringer Schulbildung (C.A.P., C.E.P. oder vergleichbare Abschlüsse bzw. geringere Schulbildung). Innerhalb dieser Gruppe wurde weiter differenziert in 3 Untergruppen (A/i, A/2, A/3) - in Abhängigkeit des Alters, in dem die Schulausbildung beendet wurde ( < 13,13-14, 15 und älter) 327 . In Gruppe Β werden Probanden zusammengefaßt, deren Schulabschluß in etwa der «Mittleren Reife» entspricht (Brevet, Β.E.C.P. und vergleichbare Diplome, ebenso abgebrochene Sekundarstufe II). Gruppe C umfaßt Abiturienten (bzw. Absolventen vergleichbarer Diplome) und Studenten, in D werden Akademiker zusammengefaßt. A
Β
C
D
«Abitur»
Ah
Al 2
AI3
«Mittlere Reife»
«Akademiker»
Schulabschlußalter
< 13
13-14
15-17
17, > 17
verschieden
verschieden
Sprecher
5
32
13 17
10
9
Bildungsgrad
Sprecher/Σ
326 327
50
Z u einem ähnlichen Ergebnis ( 3 8 % ) kommt D e Calan (1972). Damit soll eine soziolinguistische Feinabstimmung innerhalb der Gruppe mit den geringsten schulischen Voraussetzungen erreicht werden.
181
Im folgenden werden einige Beobachtungen zu verschiedenen Ergebnissen der Korpusauswertung innerhalb der Kategorie angestellt: AJi
Α/2
Α/3
Α
1,17%
1,30%
7,2/%
Β
C
D
Relativa/Anteil am Gesamtwortschatz
1,16%
1,48%
1,61%
1,87%
Präsentative/Anteil an den Relativkonstruktionen 5 4 , 5 5 % 45,69% 3 9 , 3 4 % 46,52 % 44,81
%44,oo%39,77%
Gérondif-Konstruktionen 1)0
0,68
1,53
1,07
o,94
i,9
2,88
2,6
1,0
2,46
2,02
3,05
2,9
2,77
5.2
3,37
3,23
3,93
3,52
4,5
3,55
8,8
4,59
8,30
7,23
8,94
7,6
II
0
0
0,30
0,1
0,88
0,6
2,88
dont (Durchschnittl. Wert)
0,2
o,34
o,53
o,35
i,'7
1,6
2,55
où (Durchschnittl. Wert)
3,4
2,09
3
2,83
3,58
5,3
7,66
(Durchschn. Wert) 3 2 8 Präsenspartizipien (Durchschnittl. Wert) Anakoluthe (Durchschnittl. Wert) Wiederholte Relativa
329
(Durchschnittl. Wert) Präp + lequel (Durchschnittl. Wert)
Interpretation der Ergebnisse ι. Sprecher mit höherer Schulbildung verwenden mehr hypotaktische Konstruktionen als Sprecher mit geringer Schulbildung. Dies spiegelt sich zum einen am Prozentsatz der Relativa am Wortschatz wider (ebenso an den Gruppendurchschnittswerten für Präp + lequel, dont und où), zum anderen an der Zahl der Gérondifkonstruktionen. Der Unterschied zwischen den Gruppen in bezug auf Partizip-Präsens-Formen ist weniger deutlich. 2. Präsentative, vor allem c'est und il y a, sind im code parlé überaus häufig 330 , besonders jedoch in Verbindung mit Relativkonstruktionen. Während Söll (1974/ 3 1985:160) das Phänomen für diaphasisch und diastratisch neutral hält, zeichnet sich im Orléans-Korpus ein leichter Unterschied in Abhängigkeit 328
329
330
Errechnet wurde die durchschnittliche Häufigkeit einer Form bzw. Konstruktion pro Sprecher(protokoll). Es wurden all diejenigen wiederholten Formen (Vorkommen) innerhalb eines Syntagmas gezählt, die normalerweise nicht mit berücksichtigt werden, z . B . im folgenden Satz: la femme qui m. qui est mariée avec un: colonel (001/54). Das zweite qui wird als Wiederholungsform gewertet. Vgl. Söll (1974/ 3 1985:159-162) und Koch/Oesterreicher (i990:i09ff.). Zu möglichen Wurzeln der Konstruktion c'est... qui im Lateinischen s. Löfstedt (1966).
182
der Variablen «Schulbildung» ab. Prozentual am wenigsten Präsentative verwendeten A k a d e m i k e r , am meisten Sprecher der unteren Bildungsgruppe. 3 . D e r durchschnittliche Wert von Konstruktionsabbrüchen bzw. -wechseln in Relativsätzen läßt keinerlei soziolinguistische Markiertheit erkennen. A n d e r s hingegen die Z a h l der Wiederholungsfälle von Relativpronomina, die bei der A k a d e m i k e r g r u p p e durchschnittlich am höchsten ist. Planungsschwächen im oralen Diskurs sind jedoch ein universales M e r k m a l gesprochener S p r a c h e 3 3 ' , das in syntaktisch komplexeren Konstruktionen zwangsläufig häufiger auftritt als in einfachen parataktischen Strukturen.
5 . 7 . 5 . ι .3. Z u den Substandardrelativa 3 3 2 B e i der Z u o r d n u n g von Relativkonstruktionen zum Substandard differenzieren wir in drei G r u p p e n : I.
Substandardrelativa im weiteren Sinne (Typen 1 bis 4 )
II.
Substandardrelativa (Typ i a , 2 bis 4 )
III. Substandardrelativa im engeren Sinne (Typen i a , 2)
Ergebnisse Substandardrelativa insgesamt
I
II
96
61
III 57333
94
60
56
davon von den 86 erfaßten Sprechern
331 332
333
Vgl. hierzu Koch/Oesterreicher (1990). Diese wurden zu 55 Orléans-Protokollen bereits von Kudla (1984) beschrieben, jedoch ohne Unterscheidung von Typen. Die Fälle wurden stattdessen unter dem Etikett «im Widerspruch zu den Normen der Grammatik» zusammengefaßt und als «Substitutionen» beschrieben. Darunter befinden sich aber auch komplexe Relativkonstruktionen (relatives imbriquées), die zusammen mit Beispielen für universales que aufgeführt werden. In einigen Fällen stimmt unsere Interpretation einiger Sätze nicht mit derjenigen von Kudla überein. So betrachten wir bestimmte Konstruktionen, die bei Kudla als Substandardrelativa gewertet werden, mitunter als Anakoluthe. Z . B . : des petits morceaux de beurre - que je mets avec les que je bats avec les oeufs (006/62). Que wird von Kudla (1984:140) hier als «Substitution von lequel» gewertet; u . E . handelt es sich jedoch um einen Anakoluth nach avec les. Einschließlich der Belege, die nicht von den Probanden, sondern von anderen anwesenden Personen (Ehefrau, Mutter, etc.) stammen. Diese wurden nur bei der Gesamtzählung berücksichtigt (s. A n m . 3 3 8 ) .
183
Davon entfallen auf die einzelnen Bildungsgruppen 3 3 4 : A/i Substandard
Sprecher Belege Substandard
Belege Sprecher Belege
A/3
A
Β
C
D
Σ
26/50
5/17
2/10
ilg
32/86
«5/94
4/ 94
4/94
1/ 94
94/94
5/13
19/50
2/l7
1/10
z/9
25/86
19/60
14/60
53/60
5/60
5/60
il 60
6o/6o
3/5
9/32
5/13
17I50
2/17
7/10
z/9
27/86
20/56
17/56
13/56
50/56
5/56
2/56
i! 5 6
56/56
5/5
15/32
30/94 3 3 5
31/94
4/5
10/32
6/13 24/94
II
Sprecher Substandard
Alz
I
20/60 III
Interpretation der Ergebnisse Aufgrund der erhobenen Daten lassen sich folgende Korrelationen beschreiben: ι . 32 von 86 Sprechern (37,21 % ) benutzten Substandardrelativa der Kategorie I, 23 von 86 ( 2 6 , 7 4 % ) Konstruktionen der Kategorie II und bei 21 von 86 Sprechern (24,41 % ) wurden Substandardrelativa im engeren Sinne (universales que (Typ i a ) und que + Resumptivum (Typ 2)) ermittelt. 2. Die unerwartet große Häufigkeit der Substandardkonstruktionen (bei einem Fünftel bis einem Drittel der Sprecher) ist jedoch im Hinblick auf die soziokulturelle Struktur der Sprecher zu differenzieren: Von den 3 2 Sprechern, die Relativa der Substandardkategorie I verwendeten, gehören 26 ( 8 1 , 2 5 % ) der (quantitativ überrepräsentierten) Bildungsgruppe A an. E i n ähnliches Verhältnis ergibt sich für die Kategorien II und III: 19 von 23 ( 8 2 , 6 0 % ) bzw. 17 von 21 Sprechern ( 8 0 , 9 5 % ) gehören zur G r u p p e der Sprecher mit geringer Schulbildung. 3. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß die Bildungsgruppe A mit 50 Probanden mit Abstand am größten dimensioniert ist. Deswegen müssen die Ergebnisse relativ zu dieser Größe formuliert werden: a) 26 von 50 Sprecher (52 % ) der G r u p p e A verwendeten 85 von 94 (90,42 % ) Substandardrelativa der Kategorie I. Z u m Vergleich: 3 von 1 7 ( 1 7 , 6 5 % ) der G r u p p e Β verwendeten 4 von 94 (4,25 % ) Relativa dieses Typs, in der G r u p p e C waren es zwei Sprecher von 10 Probanden ( 2 0 % ) , bei der 4 von den genannten 94 Phänomenen ( 4 , 2 5 % ) gezählt wurden; bei einem von 9 Sprechern der G r u p p e D ( 1 1 , 1 1 % ) wurde eines von 94 Substandardphänomenen ( 1,06 % ) ermittelt. b) 53 von 60 Substandardrelativa (88,33 % ) der Kategorie II (ohne i b und i c ) wurden von 19 der 50 Sprecher (38 % ) der G r u p p e A verwendet. G r u p p e B : Auf
334 335
Jeweils Anzahl der Sprecher bzw. Belege aus der Gesamtzahl. Hiervon stammen 18 Belege von einem in Algerien geborenen 34jährigen Sprecher (014), dessen Schulabgangsalter mit 11 Jahren angegeben wird. 184
2 von 17 Sprechern ( 1 1 , 7 6 % ) entfielen 3 von 60 Belegen ( 5 % ) . Gruppe C: ι Sprecherin von 10 Befragten (10%) verwendete 3 der 60 Phänomene (5%). Gruppe D: Bei einem von 9 Sprechern (11,11%) wurde 1 von 60 Fällen (1,66 % ) ermittelt. c) Bei den Substandardrelativa im engeren Sinne (Kategorie III) ergab sich ein ähnliches Verhältnis. Gruppe A: 50 von 56 Belegen (89,28%) entfielen auf 3 4 % der Sprecher (17 von 50). Gruppe B: 3 von 56 Belegen ( 5 , 3 5 % ) entfielen auf 2 von 17 Sprechern (11,75%). Gruppe C: 2 von 56 Belegen ( 3 , 5 7 % ) entfiel auf ι von 10 Sprechern ( 1 0 % ) . Gruppe D: 1 von 56 Belegen ( 1 , 7 8 % ) wurde von ι von 9 Sprechern (11,11 %) verwendet. Im schematischen Überblick, unter Differenzierung der Gruppe A in die drei genannten Untergruppen, stellen sich die Verhältnisse wie folgt dar:
Substandard Sprecher Belege Substandard Sprecher Belege Substandard Sprecher Belege
A/i
A/2
A/3
A
Β
C
D
100% 31,91% II 80 % 33,33% III 60 % 35.7' %
46,87%
46,15% 25,53%
52% 90,42 %
17,65% 4,26%
20% 4,26%
11,11% 1,07%
31,25% 31,66%
38,46%
38% 88,33%
ii,76%
10%
23,33%
5%
5%
11,11% 1,66%
28,12%
38,46% 23,21%
34% 89,28%
11,76%
10%
5,35%
3,57%
I 32,98%
30,35%
11,11% 1,78%
Damit sind die Substandardrelativkonstruktionen deutlich diastratisch markiert. Während bei Akademikern nur ein einziger Fall erhoben werden konnte, verwendeten 34 % der Sprecher der Gruppe A universales que und/oder «que + Resumptivum» (Kategorie III, Substandard im engeren Sinne), hingegen nur 11,76% der Gruppe Β und 10% der «Abiturienten». Noch deutlicher tritt die soziolinguistische Markiertheit zutage, wenn alle Substandardphänomene (Kategorie I) berücksichtigt werden. Hier verwendet jeder zweite der Gruppe A eine der Konstruktionen 1 bis 4, während bei knapp jedem sechsten der Gruppe B, jedem fünften der Gruppe C und jedem neunten der Gruppe D ein Substandardrelativum gezählt wurde. Die Unterschiede im geschlechts- und alterspezifischen Gebrauch der Substandardrelativa stellen sich wie folgt dar:
185
Geschlecht Männlich Substandard I Abs. Frequenz Rei. Frequenz Substandard II Abs. Frequenz Rei. Frequenz Substandard III Abs. Frequenz Rei. Frequenz
Weiblich
17/41 41,46%
15/45 33,33%
12/41 29,27%
11/45 24,44%
n/41 26,83%
10/45 2,22%
In bezug auf alle Kategorien von Substandardrelativa (I bis III) ergibt sich ein leichter prozentualer Mehranteil für männliche Sprecher.
Alter Altersgruppe Substandard I Abs. Frequenz Rei. Frequenz Substandard II Abs. Frequenz Rei. Frequenz Substandard III Abs. Frequenz Rei. Frequenz
/
2
3
4
8/23 34,78%
10/25 40%
10/27 37,04%
4/11 36,36%
7/23 30,43%
8/25 32%
5/27 18,51%
3/11 27,27%
6/23 26,09%
7/25 28%
5/27 18,52%
3/11 27,27%
Hier zeichnet sich ein Unterschied zwischen jüngeren und älteren Sprechern ab. Letztere ( G r u p p e 3 und 4, i. e. Sprecher ab Mitte 40) verwendeten die Substandardkonstruktionen anteilig weniger oft als jüngere Generationen 3 3 6 . 5.7.5. ι .4. Präsentation der Substandardrelativsätze im Corpus
d'Orléans337
Typ ι : Relativpartikel que + 0 Typ ia: Z u m Ausdruck obliquer Beziehungen
336
137
Hin ähnliches Ergebnis erbrachten analoge Untersuchungen zum gesprochenen Spanisch (vgl. K a p . 7.6.). Präsentativkonstruktionen, die Substandardrelativa (kursiv) enthalten, werden durch Fettdruck hervorgehoben. Alle Wiederholungen werden gezählt. In (3) z . B . setzen wir insgesamt 3 Substandardrelativa an, 2mal Typ i a , imal Typ 2f (Bsp. 1). Die Quellenangabe, z. B . 014/23, nennt zuerst die Nummer des Sprechers, danach die Seitenzahl im Sprecherprotokoll. Die Belege werden in Originalnotierung übernommen, einschließlich Pausen- und Längenzeichen, etc.
186
(ι) (2) (3)
(4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) (17) (18)
c'est une tâche que je me suis attaché comme j'ai monté ça (014/4) c'est un de mes meilleurs copains qu'on travaille en équipe (014/15) . . . sur ce qu'on a besoin dans la vie moi je trouve que c'est plutôt ce qu'on a besoin sur le le le le pas un à: enseigner des choses que: : après on en n'a pas besoin (014/22) (2mal gewertet) c'est plutôt enseigner par exemple une langue vivante qu'on a besoin (014/23) on est trois trois qu'on s'occupe . . . - trois personnes qu'on s'occupe (014/29-30) (2mal gew.) j'avais fait la liste à tous les copains à tous ceux que j'devais envoyer l à . . . (014/97) si on écrit à des gens i faut qu'i comprennent on se met à la portée des gens qu'on écrit (017/19) . . . une somme dérisoire qu'ils sont - ils sont aidés . . . (017/30) c'est celui - le petit Larousse qu'on appelle où je lis des mots - que je connais pas le sens (048/B/4) (imal gewertet) . . . i y a d'abord euh - que certains - la femme - travaille aussi (048/B/9) vous savez des fois des deuils des qu'on est obligé de répondre (049/59) c'est des métiers qu'il faut avoir les deux (051/24) i y en a qu' ça vient - ça vient tout seul (051/24) c'est une chose qu'on n'a pas - souvent pensé (051/47) ça f a i t . . . mieux que d'voir un griffonné qu'on ne comprend rien (051/59) i y a des enfants que ça ne va encore pas (053/A/11) tous les étudiants vous savez qui ont déjà un certain revenu que les parents les aident beaucoup vous savez . . . (053/A/15) . . . on comprend mieux si il y a pas de fautes d'orthographes que-ii faut réfléchir
(058/33) (19) . . . tandis que - de: - de l'atelier que je je vous parlais (111/15) (20) quand vous r'venez avec une petite paye de quatre-vingt mille qu' faut déjà laisser la moitié pour le loyer ( m / 5 1 ) (21)* . . . il apprendra sûrement mieux je trouve qu'un fils d'ouvrier que les parents travaillent (11 i/F:32) 338 (22) alors chose que les patrons n'étaient pas d'accord (113/70) (23) j'ai un fils-ë euh que c'est pas la peine (113/86) 339 (24) c'est surtout . . . c' côté-là que je suis en train: - d'axer - mes efforts (122/6) (25) j' parle de la: de de ces jeunes - qu' ont des possibilités très limitées - euh: (( )) qui (ceux) qui gênent un peu la société hein ce. ces jeunes de - euh qu'on n'arrive pas: à faire grand-chose (122/13) (26) moi je trouve qu'i' y a autre chose qu'on devrait s'occuper (124/B/124) (27) i y a un truc que j' suis pas très calé c'est des prépositions (128/166) (28) faut vraiment que j'ai une lettre à faire . . . ou un mot qui: que j'en comprends pas le sens (135/25) (29) il y a certains mots qu'on comprend pas toujours la signification (146/36) (30) et: - je vois sur la machine que je travaille (149/A/20) 340 (31) la circulation qu'il y a et: la vitesse que les gens: - roulent (149/A/32) (32) disons ce sont des langues qui euh: - euh qu' on arrive à s'comprendre (149/A/35) (33) c'était vraiment euh: un gars qu'i' avaient besoin (149/B/6)
338
339
340
Der Beleg stammt von der Ehefrau des Befragten. Er wird nur in bezug auf das Verhältnis von Substandardphänomenen und der Summe der Relativa berücksichtigt, nicht jedoch bei den Einzelauswertungen. Ähnliche Fälle werden mit einem Asterisk gekennzeichnet. Hier wurde que im Sinne von gewertet, im Prinzip ist jedoch auch eine andere Interpretation ( z . B . als Konjunktion) möglich. Unmittelbar vorher (149/A/19) hieß es: . . . la machine sur laquelle on travaille.
187
Typ ib: Zum Ausdruck lokaler und temporaler Beziehungen 34 ' (34) . . .sept heures du matin que tout est net (001/10)342 (35) la Touraine c'est des: - euh le coin qu'on parle le mieux Γ français (025/19) (36) ils rentrent - à l'heure que ça leur fait plaisir (042/2) (37) j'trouve que c'est Orléans qu' c'est - le plus marqué (049/19) (38) non (( )) Paris hein - qu'on s'est battu (050/15) (39) y a P a s beaucoup d'maisons qu'y a pas d'espagnols (061/X: 11) (40) . . . au dehors de l'usine que - je suis maintenant (111/7) (41) vous viendrez à partir de l'usine que vous êtes (111/8) (42)* dans ceux qu' j'étais c'étaient des filles (I28/ami:73) Weitere Belege für temporales que des Typs le jour que/cette
nuit
que:
o n (4mal), 014 (imal), 017 (imal), 042 (imal), 051 (imal), 061-T (imal), 061-X (imal), 087 (imal), n i (4mal), 1 1 3 (imal), 128 (imal), 136 (imal), 149 (5mal). Typ ic: Zum Ausdruck modaler und anderer Beziehungen (43) Oui, c'est la façon qu'on dit (043/50) (44) Oui, c'est la façon qu'on dit (043/50) (45) .. .la façon qu'on leur apprend (106/101) Typ 2: Relativpartikel que + Resumptivum Typ 2a: que + Subjektpersonalpronomen (46) i y a le voisin qu'il habite au-d'ssus là (014/28) (47) j'ai passé chez tous les camarades que je connais qu'ils habitent dans le bâti: dans qui tra vaillent dans le bâtiment (014/31) (48) j'écris là à des voisins qu'ils habitent là là là en face dans la même cité (014/83) (49) . . . parce que par exemple des personnes déjà qu'ils ont un certain âge de retourn e r à l ' é c o l e . . . (014/89)
(50) (51) (52) (53) (54)
341
342
343
. . .mais ceux qu'i's ont pas la capacité (O6I/X:24) parce que dans les ilôts y en a des fois aussi qu'ils y sont (O6I/X:37) il y a des gens qu'ils ont - qui ont une très belle écriture . . . (063/89)343 ils en font cadeau à ceux qui - ζ ont le certificat d'études [= qu'ils ont] (066/21) y a certaines personnes qu'ils aimeraient ça (066/32)
Sämtliche Fälle von que als lokaler Zeitbestimmung wurden unter ib aufgeführt. Von que mit temporaler Funktion wurden insgesamt 113 Fälle betrachtet. 84 entfielen auf Konstruktionen wie depuis, voilà, il y a, cela/ça fait + Zeitangabe + que, die allerdings ebenso normsprachlich sind wie maintenant que, aujourd'hui que und der Typ un matin/un jourlune nuit que (vgl. Sandfeld 1936/^965 : II, 172 f., Grevisse ,2 i986: § 689d,2). Von letzterem Typ wurden 4 Fälle erhoben. 25 Belege zählten wir jedoch zum Substandardtyp ib: Es handelt sich dabei um Zeitangaben mit definitem Artikel oder Demonstrativum (ζ. B. le jour que/cette nuit que), die laut Grevisse in der «langue populaire» verbreitet seien. Wir listen jedoch nicht alle 25 Belege einzeln auf, sondern geben zusammenfassende Angaben. Kudla (1984:144) wertet folgendes Beispiel ebenfalls als ib. Wir betrachten es nicht als Relativum, sondern entweder als Anakoluth oder als Wiederaufnahme der Konjunktion puisque: puisqu'on a: - construit un nouveau bâtiment que: - et que . . . i y a une certaine forme d'accélération pour passer à la caisse que les gens . . . (017/25). Man beachte die sofortige Korrektur der Substandardkonstruktion. 188
Typ 2b: que + Akkusativpersonalpronomen (55) enfin d'certaines personnalités comme ça qui sont - qu'on les retrouve bien enfermés (135/19)
Typ 2c: que + Dativpersonalpronomen (56) on les oriente dans dans une branche que ça leur plaît (014/25) (57) . . .qu'on les pousse dans une orientation que ça leur plaît pas (014/25) (58) j'ai appris plusieurs à plusieurs euh - plusieurs étrangers que je leur ai appris à parler le français (014/73) (59) vous avez des enfants avec ça - que ça leur plaît pas tellement l'école (O6I/X:25) (60) il y en a que ça leur plaît et d'autres que ça leur plaît pas (146/16)
Typ 2d: que + Präp + betontes Personalpronomen (61) hein on a mangé certainement de l'argent avec ces floralies qu'on aurait pu faire quelque chose de mieux avec (006/16) (62) puisque j'avais mon p'tit garçon -que] 'avais été obligée dé me séparer de lui pour venir travailler (145/3)
Typ 2f: que + en (63)
. . . sur ce qu'on a besoin dans la vie moi je trouve que c'est plutôt ce qu'on a besoin sur le le le le pas un à: enseigner des choses que:: après on en n'a pas besoin (014/22) (64) on apprend des choses qu'on en n'a: presque jamais besoin hein (014/23) (65) [vous en avez qui] qui en tirent rien - et qu'on en tiré rien (106/35) 344 (66) faut vraiment que j'ai une lettre à faire . . . ou un mot qui: que ]'en comprends pas le sens (135/25)
Typ 2g: que + Possessivpronomen (67) j'en ai un autre qui est que je garde que sa maman travaille (146/10)
Typ 3: Relativpartikel où345 (68) et: je trouve que mes enfants sont bien élevés - ah euh euh - à côté de certains où les femmes les mères travaillent ils sont à la rue (006/6) (69) la directrice - de - où est ma fille (094/B/8)346 (70) la distinction est bien marquée évidemment dans les jeunes où ça ça tend à disparaître (149/A/45)
Typ 4: Relativpronomen + pleonastisches Anaphorikum Typ 4c: Weitere Fälle (71) i y a des ouvriers qui i' gagnent pas: - cent mille francs quoi par mois (044/A/13)
344
345
346
Die Sprecherin unterbricht den Interviewer, nimmt dessen Konstruktion (in Klammern) auf und führt sie zu Ende. D a die Bewertung von nähesprachlichem où nicht unproblematisch ist (s. unten), bewerten wir nur Fälle mit personalem Bezugsnomen als Substandardrelativa. Hier kann où anstelle von chez qui, chez laquelle angenommen werden.
189
5 · 7 · 5 · 1 ·5· W e i t e r e P h ä n o m e n e
Zur Bewertung von nähesprachlichem
où347
ι ) où im k o n k r e t e n o d e r a b s t r a k t e n l o k a l e n S i n n e () wird nicht zu unseren Substandardphänomenen gezählt348. Einige Beispiele:349 (72) (73) (74) (75)
c'est pas des métiers où on se met souvent en grève (020/14) tu vas vendre . . . ou des choses où il faut vraiment apprendre un métier (045/2) là c'est un sujet complètement - où j'ignore complètement les choses (053/A/9) c'est un jeu: vraiment où i' faut répondre (098/87)
(76) c'est quand je lis une lettre où i y a - pleine de fautes ça me choque (120/48) 2) D i e s gilt e b e n s o für où mit t e m p o r a l e r B e d e u t u n g 3 5 0 . E i n i g e B e i s p i e l e : (77) i y a des mois où j': n'écris pas et puis: et puis d'autres mois où j ' é c r i r a i . . . (041/43) (78) Γ lundi où je n' travaille pas (098/139)
Zweifelsfälle N i c h t i m m e r k a n n d i e s y n t a k t i s c h e F u n k t i o n v o n que g e n a u b e s t i m m t w e r d e n 3 5 ' . Wir v e r z i c h t e n in s o l c h e n F ä l l e n auf e i n d e u t i g e Z u o r d n u n g d e r K o n s t r u k t i o n e n u n d l a s s e n sie d e s h a l b für d i e statistische A u s w e r t u n g u n b e r ü c k s i c h t i g t . E i n e A u s w a h l a u s d i e s e r o f f e n e n K a t e g o r i e « Z w e i f e l s f ä l l e » p r ä s e n t i e r e n wir i m f o l genden352: (79) i y a quelque chose qui me: que je rappelle encore que ça me touche (014/11) Anakoluth nach que - oder Typ 2a (que ça statt qui) (80) elles sont moins marquées qu' dans les pays où j'ai eu l'occasion de visiter (062/B/ i) Kontamination aus les pays que j'ai eu l'occasion de visiter und les pays où j'étais? (81) ils oui mais ils vont peut-être tomber euh - sur d'autres que - les parents ils s'en foutent un petit peu . . . (087/11) Anakoluth (unsere Wertung) oder Substandardrelativkonstruktion (que statt dont - Interpretation von Kudla 1984:136) (82) voilà c' que j'en r'viens (087/17) Nach Kudla (1984:141) steht que ... en möglicherweise tur auquel (83) c'est des gens euh que l'on - disons que à la radio on les voit pas (149/B/7) Auf den ersten Blick ist que Konjunktion (von disons abhängig); es könnte sich bei disons aber auch um ein Gliederungssignal oder Überbrückungsphänomen 347
348 349
350
351 351
«Dans la langue générale, c'est un complément adverbial marquant le lieu, la situation, le temps» (Grevisse "1986: §696). Vgl. hierzu die Beispielliste bei Kudla (i984:i48ff.). Sämtliche Beispiele sind parlé-markiert und würden im code graphique negativ bewertet werden. Normativ heißt es un jour que, aber le jour où. Damit sind le jour que und un jour où parlé-markiert. Vgl. hierzu Grand Robert ( 2 i985:VII,947,2), Grevisse ( l 2 i986:689d) und Blanche-Benveniste (1990:327). Vgl. zu diesem Problem Thun (1976). Weitere Beispiele zum Orléans-Korpus bei Kudla (1984:105ff.). 190
handeln; dann wäre der G l i e d s a t z als Relativkonstruktion des Typs 2b (que + les) zu werten (84) c'est une ville que l'on peut dire q u e les Orléanais on peut pas dire que qu'ils sont introuvables (149/A/3) A n a k o l u t h o d e r que statt Relatives
imbriquées
dont!
(syntaktisch
komplexe
Relativsätze
mit
eingebettetem
Konjunktionalsatz)353 (85)
. . . les parents - qui ont des élèves très doués qu'ils veulent qu'ils aillent à l'extérieur sont quand m ê m e p e u n o m b r e u x (004/14)
(86) . . . alors euh ma belle mère qui est une personne â g é e qu'il faut que j'aille voir (005/7) (87) j'essaie de réfléchir à des phrases que j'ai vues q u e à peu près qu'ils sont mieux q u e d'autres (014/59) 3 5 4 (88) c'est Γ français que j'aimerais qu'i: qu'i's apprennent le mieux (053/A/10) (89) peut-être que ce n'est pas le m o y e n que vous désirez que j e vous dise (094/B/25) (90) j ' a v a i s mes - mes parents- et mes beaux-parents qu' étaient âgés -qu'i' fallait q u e j e les soigne (124/B/5) (91) pa'ce que i' votent pour q u e l q u ' u n qu' i pensent q u e peut-être euh: - pourra faire q u e l q u e chose (149/A/45) (92) la matière où j e voudrais qu'i' soit le plus fort (149/A/35) (93) j ' connais personne à O r l é a n s - que j'ai entendu euh: - que j'ai pu dire qu'i: euh pariait vraiment bien q u ' o n voyait vraiment la différence (128/91) 3 5 5
5 . 7 . 5 . ι .6. I n n e r s p r a c h l i c h e K o r r e l a t i o n e n U n s e r e n B e o b a c h t u n g e n zufolge gibt es bestimmte innersprachliche F a k t o r e n , d i e in e n g e m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m A u f t r e t e n v o n
Substandardrelativkon-
struktionen stehen. Hierzu zählen strukturelle E l e m e n t e wie die syntaktische Rhematisierung und die R e k t i o n bestimmter V e r b e n .
353
D i e s e r Typus hat literarische Tradition (vgl. Grevisse l 2 i986: § 1062). Z u klassischer Z e i t war sowohl die «undurchsichtige» Konstruktion (relative imbriquée) üblich wie auch die syntaktisch explizite. Vgl. Mon Dieu, Scapiti, fais-nous un peu ce récit, qu'on m'a dit qui est si plaisant... ( M o l i è r e , Les Fourberies de Scapin III, 1) und II a d'autres emplois auxquels il faut qu'il pense (Tartuffe 11,2). Vgl. zu diesem Problem auch das Kapitel «Die Verschmelzung des Relativsatzes mit einem O b j e k t s a t z e » in Tobler (1886-1908: I, i 2 3 f f . ) . Rouget/Salze (1986) untersuchten das P h ä n o m e n im Z u s a m m e n h a n g mit d e m décumul im m o d e r n e n Französisch. D i e s e Struktur wird dort «greffe» genannt. S. ferner auch Sechehaye (1926:191), Sandfeld (1936/ 2 i965:II,200ff.), M o r e a u ( 1 9 7 1 ) , G a a t o n e (1972), G ¿ ¿ F ( 1977:VI,5021 f.) und G e o r gin (1979:297). Vgl. auch die Studie von J. H ä r m ä , Recherches sur les constructions imbriquées relatives et interrogatives en français. Helsinki: Suomalainen T i e d e a k a t e mia 1979. Z u m 16. Jh. s. B r u n o t (HLF:II,428ff.).
354
D a s erste que wird als Relativum gewertet. qu' in qu'on voyait... kann auch als K o n j u n k t i o n o d e r als Relativpartikel (statt dont) a u f g e f a ß t werden.
355
191
ι. Präsentativ- und Substandardkonstruktionen Wir betrachten im folgenden nur Substandardrelativa im engeren Sinne (Kat.
III): Substandardtypen
ia
2b
2c
2d
2f
2g
Σ
davon in Präsentativkonstruktionen 17/34 4/9
0/1
2/5
1/2
1/4
1/1
26/56
in Prozent
0%
40%
50%
25%
100%
50%
2a
44,44%
46,42%
Substandardrelativa der Typen 1 a und 2 korrelieren also deutlich mit Präsentativkonstruktionen356. Beinahe jeder zweite, nach normativen Maßstäben nicht korrekte Relativsatz wird mit c'est..., il y a, j'ai..., vous avez... und ähnlichen Verfahren gebildet. 2. Korrelation mit Verben Bei der Durchsicht der Belege zu Typ ia fällt auf, daß in 4 Fällen das Funktionsverbgefüge avoir besoin de, in 3 Fällen s'occuper de, beteiligt ist. Ebenfalls ßmal ist die Konstruktion connaître qc de qc belegt, die im Relativsatz normsprachlich dont erforden würde. Bei Typ 2c (Dativpronomen als Resumptivum) fällt die hohe Beteiligung von plaire à (in 4 von 5 Fällen) auf. Bei Typ 2 f (que + en) ist in 2 von 4 Fällen wiederum avoir besoin de verwendet worden 357 . Das Ergebnis deckt sich zum Teil mit den Beobachtungen von Blanche-Benveniste (1990) 358 , die 5 Verben angibt, die besonders häufig in nicht-normativen Konstruktionen auftreten: parier de, penserà, avoir besoin de, se souvenir de, se servir de359. Die Verben parler de und penser à sind im Orléans-Korpus in je einer Substandardkonstruktion belegt. 5.7.5.1.7. Zusammenfassung Die Auswertung hat gezeigt, daß Substandardrelativa (im engeren Sinne) im gesprochenen Französisch des Corpus d'Orléans zum einen insgesamt relativ
356
357
358 359
Bereits im 17. Jh. war die Verwendung von obliquem que im Präsentativ c'est... sehr häufig. Allerdings wurde von den Grammatikern nur die Konstruktion c'est + Präp + BN + que toleriert, z.B.: c'est de vous que je parle. Vgl. Kap.5.4.1. Damit sind insgesamt 6 von 38 Belegen ( 15,78 % ) der Typen 1 a und 2 f mit avoir besoin de konstruiert worden. Vgl. auch Deulofeu (1981). Ähnliches weist die Autorin für den spanischen und portugiesischen Substandard nach. Vgl. auch die Substandardsätze bei Sandfeld (i936/ 2 ig65:II, ιγόί.), die ebenfalls u. a. mit den Verben avoir besoin de, parler de, se servir de, ferner mit avoir envie de, faire attention de, konstruiert wurden. Auch unter Foulets Beispielen (1928:119) figurieren hauptsächlich die Verben se servir de, parler de und avoir besoin de.
192
selten auftreten 300 , zum anderen jedoch bei bestimmten Sprechergruppen eine beträchtliche Frequenz erreichen. Die soziolinguistische Interpretation der Daten hat die Korrelation zwischen nicht-normativem Gebrauch von Relativkonstruktionen und Sprechern mit geringem Bildungsniveau verdeutlicht. Das Vermeiden von distanz- bzw. schriftsprachlichen Relativstrategien (hypotaktische Konstruktionen mit Präp + lequel und donfi6i) bei dergleichen Sprechergruppe unterstreicht diesen Eindruck. Andererseits erreicht das Phänomen auch eine gewisse diaphasische Dimension 302 , was sich an den vereinzelten Beispielen gebildeter Sprecher ablesen läßt. Das Auftreten von Substandardkonstruktionen korreliert jedoch auch mit innersprachlichen Faktoren: Zum einen mit bestimmten Verben, die einen hohen Häufigkeits- und Disponibilitätsgrad besitzen (ζ. B. avoir besoin de und parier de) und deren Rektion in Relativsätzen normsprachlich eine präpositionale Konstruktion bzw. die Verwendung von dont erfordern würde. Beide Strategien sind jedoch erstens Merkmale des code écrit und werden zweitens in spontaner Sprechsprache aus konzeptuellen Gründen (geringer Planungsgrad, Zeitdruck, «aggregative Gestaltung» 303 usw.) naturgemäß selten verwendet. Zum anderen besteht eine auffallende Korrelation zwischen der Substandardrelativpartikel que und den Rhematisierungskonstruktionen, in denen sie auftritt. Beinahe jeder zweite Fall eines nicht-normgerechten Gebrauchs des Relativums que tritt in einer Relativsatzperiphrase des Typs c'est..., il y a ... u.a. auf. 5.7.5.2.
Auswertung des C>éd¡/-Korpus (Cahiers du français des années quatrevingts)
Noch kaum rezipiert worden ist das vom Centre de Recherche et d'Etude pour la Diffusion du Français (CREDIF) im Jahre 1984 erstellte Korpus zum Französisch der 80er Jahre. Es ist 1989 bei Didier erschienen und enthält neben dem Transkriptionsband drei weitere Bände zu soziolinguistischen und linguistischen Aspekten. 360
361
362
363
Auf die 5.904 Relativa des gesamten Korpus entfielen 56 Substandardfälle der Typen i a und 2 bzw. 94 der Typen 1 bis 4. Dies entspricht ungefähr einem Anteil von 1 % ( 0 , 9 4 % ) bzw. 1 , 5 % ( 1 , 5 9 % ) . D . h . fast alle Relativsätze sind, summarisch betrachtet, im Sinne der grammatischen Norm gebildet. Z u einem ähnlichen Ergebnis kam Robach (1974) in bezug auf Satzsegmentierungen. Hausmann (1975:37) führt dies zum Teil auch auf die Interview-Situation zurück, die die Neigung zu sprachbewußtem Sprechen verstärke. D e r geringe Anteil beider Formen an der Gesamtzahl der Relativa (51 bzw. 78 von 5.904) weist diese grundsätzlich als Phänomene konzeptueller Schriftlichkeit aus, die in mündlicher Kommunikation in erster Linie von gebildeten Personen bei sprachbewußtem Sprechen verwendet werden. Vgl. die Ergebnisse von Allaire (1973) und Kudla (1984). Diese ist jedoch bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie z . B . im Spanischen, z.T. auch im Italienischen. Koch/Oesterreicher ( 1 9 9 0 : 1 1 ) .
193
Zum Korpus Das Korpus umfaßt die Tonbandaufnahmen von 25 Sprechern aus ganz Frankreich, die in ungezwungener Unterhaltung 304 ihre Meinung zu fünf festgelegten Themen (Schule, Familie, Beruf, Tod, Medien) äußern. Ein zusätzlicher Themenkomplex, dessen Anwendung keiner festen Reihenfolge unterworfen ist und nicht bei allen Probanden abgehandelt wird, beinhaltet die Aspekte E r n ä h rung), , , und . Schließlich werden die Befragten gebeten, Angaben über ihre Person (Alter, Beruf, regionale Herkunft, etc.) zu machen. Das in Normalgraphie notierte Material enthält ungefähr 213.000 Wörter (Vorkommen). Für jeden Sprecher wird zu Beginn des Protokolls ein kurzes Soziogramm präsentiert, das u. a. folgende Daten beinhaltet: Alter, Geschlecht, Familienstand, Geburtsort, Wohnort, Schulbildung, Beruf, Hobbys, Fremdsprachenkenntnisse, Angaben über aktive oder passive Beherrschung eines patois oder einer langue régionale, soziale Aktivitäten (Vereinsmitgliedschaft, Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft o.ä.), Berufe der Eltern, Familienmitglieder u. a. m. Daneben finden sich Angaben zur Atmosphäre vor und während des Gesprächs, zu besonderen Vorkommnissen u.a. Damit erweist sich das CrédifKorpus als soziolinguistisch stärker differenziert als das Orléans-Korpus.
Auswertungsmethode Das Korpusmaterial wurde nach der gleichen Methode wie das Corpus d'Orléans ausgewertet (s. Kap. 5.7.5.1.1.).
Soziolinguistische Variablen Im Crédif-Korpus werden alle Sprecher in einer Matrix zusammengefaßt, die folgende Variablen enthält: ι. Alter 2. Geschlecht 3. Sozioprofessionelle Zugehörigkeit 4. Bewohnte Region (differenziert nach der Vitalität des regionalen/dialektalen Substrats: non marqué - neutre - marqué) 5. Bevölkerungsdichte am Wohnort
Alter Die Probanden wurden in 4 Gruppen eingeteilt: E (Enfants: < 12 Jahre), J (Jeune: 13-19 Jahre), A (Adulte: 20-55 Jahre), R (Retraité: > 55 Jahre).
364
Diese wird in allen Fällen von ein und derselben Exploratorin bestritten, was die Homogenität der Untersuchung unterstreicht.
194
Sozioprofessionelle Zugehörigkeit (Berufsgruppen) Neu ist die Einteilung der Sprecher in Abhängigkeit ihres berufsbedingten Verhältnisses zur Sprache. Drei Gruppen werden unterschieden: F = Faible rapport professionnel à la parole (12 Sprecher) Damit sind Personen gemeint, deren Beruf, mittelbar oder unmittelbar, nichts oder nur wenig mit Sprache zu tun hat (z.B. Arbeiter, Büroangestellte). I = Rapport instrumental à la parole (6 Sprecher) Personen, bei denen Sprache Mittel zum Zweck ist (ζ. B. Ärzte, Händler, Schüler). G = Fort rapport à la parole (7 Sprecher) Diese Gruppe wird auch als «gardiens de parole» bezeichnet und umfaßt Personen, für die das gesprochene und geschriebene Wort Inhalt oder wesentlicher Faktor ihres Berufes ist (z.B. Geistliche, Juristen, Lehrer). Wir übernehmen diese Einteilung, etikettieren die drei Gruppen allerdings mit den Buchstaben A (schwacher Bezug zur Sprache), Β (instrumentaler Bezug zur Sprache) und C (unmittelbarer starker Bezug zur Sprache). 5.7.5.2.1. Ergebnisse Gesamtergebnis Σ/Relativa
Anteil der Relativa am Geamtwortschatz des Korpus i,53%
3263
Anteil der einzelnen Relativa an der Gesamtzahl der Relativa und absolute Frequenz qui
que
dont
où
lequel
Präp + lequel
Präp + quoi
60,19% 1.964
30,16% 984
0,8% 26
7,69% 251
0% 0
1,07% 35
0,09% 3
Präsentativkonstruktionen Insgesamt wurden 1.057 Relativsatzperiphrasen (c'est + RP, il y a + RP u.a.) gezählt. Dies entspricht einem Anteil von 32,39% an allen Relativkonstruktionen. Jeder dritte Relativsatz wurde also mit einer der genannten Rhematisierungen gebildet.
195
Soziolinguistische Variablen A
Β
C
44,03%
26,88%
34,24%
3,o
7,i6
3,85
Präsenspartizipien (Durchschnittl. Wert)
0,41
3,I6
1,28
Anakoluthe (Durchschnittl. Wert)
5,66
8,33
2,71
Wiederholte Relativa (Durchschnittl. Wert)
io,75
17,5
6,71
Präp + lequel (Durchschnittl. Wert)
0,41
1,83
2,57
0,5
1,0
2,0
9,83
11,66
9,o
Berufsgruppen Präsentative/Anteil an den Relativkonstruktionen Gérondifkonstruktionen (Durchschnittl. Wert)
dont (Durchschnittl. Wert) où (Durchschnittl. Wert)
Interpretation der Ergebnisse ι. Ähnlich wie im Corpus d'Orléans wurden auch hier die meisten Präsentativkonstruktionen von Sprechern aus dem unteren Bereich der Sozialhierarchie - bzw. von Sprechern mit dem geringsten Bezug zur Sprache 365 - verwendet. 2. Hypotaktische Konstruktionen (Gérondif, Partizip Präsens) werden auffallend häufig von Sprechern der Berufsgruppe Β verwendet. Diese hat jedoch gleichzeitig den größten Anteil an Anakoluthen und Wiederholungen. 3. Die für den code écrit charakteristischen Relativa dont und Präp + lequel werden im Durchschnitt am häufigsten von Personen verwendet, bei denen Sprache eine zentrale Rolle im Beruf spielt (Gruppe C).
365
Diese beiden Kriterien sind nicht notwendigerweise identisch, stimmen aber bei den Probanden der Gruppe A des Crédif-Korpus größtenteils überein.
196
Alterund Geschlecht E
J
A
R
Männl.
Weibl.
49,52%
39,12%
30,13%
32,86%
35,98%
29,21 %
0,2
7,66
6,88
4,0
5,23
2,92
0,2
o,5
2
>33
1,6
i,53
1,08
0
8,66
6,0
6,2
5,75
5,66
1,6
14,83
15,33
9,4
12,58
10,91
0
2,16
2,11
0,6
1,38
1,41
0
1,0
1,33
1,6
M5
0,91
2,0
6,83
17,44
8,6
9,07
11,08
Präsentative/Anteil an den Relativkonstruktionen Gérondifkonstruktionen (Durchschnittl. Wert) Präsenspartizipien (Durchschnittl. Wert) Anakoluthe (Durchschnittl. Wert) Wiederholte Relativa 3 6 6 (Durchschnittl. Wert)
Präp + lequel (Durchschnittl. Wert) dont (Durchschnittl. Wert) où (Durchschnittl. Wert)
Interpretation der Ergebnisse ι . Hinsichtlich des Alters der Sprecher ergeben sich keine signifikanten Unterschiede. Lediglich in bezug auf die Gruppe der Kinder (E) läßt sich eine durch die altersspezifische Sprachkompetenz erklärbare Unterrepräsentiertheit von hypotaktischen Strukturen - und damit auch von Satzabbrüchen und Wiederholungen - erkennen. Andererseits verwenden Kinder prozentual am meisten Präsentative. 2. Auch der Vergleich zwischen männlichen und weiblichen Sujets bringt kaum verwertbare Unterschiede. Lediglich bei den Präsentativen ist der Wert bei den Männern leicht (6Ά Prozentpunkte) höher als bei den Frauen.
5.7.5.2.2. Z u den Substandardrelativa Wir I. II. III.
366
unterscheiden auch hier drei Gruppen von Substandardkonstruktionen: Substandardrelativa im weiteren Sinne (Typen 1 bis 4) Substandardrelativa (Typ i a , 2 bis 4) Substandardrelativa im engeren Sinne (Typen i a , 2)
S. Anm. 329 zum Corpus d'Orléans. 197
Ergebnisse Substandardrelativa insges. 307
I
II
III
41
30
26
davon von den 25 erfaßten Sprechern
39
28
24
Davon entfallen auf die drei Berufsgruppen sowie auf Männer und Frauen: Berufsgruppen
A
Β
c
8/12
4/6
1/7
29/39
9/39
1/39
Männl.
Weibl.
Substandard I
Sprecher Belege
5/13 14/39
8/12
25/39
Substandard II
Sprecher Belege
7/12
4/6
1/7
4/13
8/12
22/28
5/28
1/28
10/28
18/28
7/12
4/6
1/7
4/13
8/12
5/24
1/24
8/24
16/24
Substandard III
Sprecher Belege
18/24
Interpretation der Ergebnisse ι. Insgesamt verwendeten 13 von 25 Sprechern (52%) Substandardrelativa der Kategorie 1,12 von 25 Sprechern (48%) der Kategorie II. Substandardkonstruktionen im engeren Sinne (universales que und que + Resumptivum) verwendeten ebenfalls 12 von 25 Sprechern (48 %) 368 . 2. Es fällt auf, daß 29 von 39 Substandardkonstruktionen (74,35%) von 8 (von 12) Sprechern (66,66%) derjenigen Berufsgruppe (A) realisiert wurde, die aufgrund ihrer Tätigkeit am wenigsten mit Sprache konfrontiert ist. 4 von 6 Sprechern (66,66%) der Gruppe Β verwendeten 9 von 39 Substandardphänomenen (23,07%), und bei einem von 7 Sprechern (14,28%) wurde einer von 39 (2,56%) Belegen ermittelt. Ähnlich ist die Relation für Substandardrelativa der Kategorien II und III. Kategorie II: 7 von 12 Sprechern der Gruppe A (58,33%) verwendeten 22 von 28 (78,57 %) Substandardrelativa, 4 von 6 (66,66%) der Gruppe Β verwendeten 5 von 28 (17,85%) Phänomenen und 1 von 7 der Gruppe C (14,28%) verwendete 1 von 28 (3,57%) der betreffenden Konstruktionen. Kategorie III: 18 von 24 Belegen (75 %) werden von 7 von 12 Sprechern der Gruppe A (58,33) verwendet, 5 von 24 Belegen (20,83 % ) v o n 4 v o n 6 Sprechern der Gruppe Β (66,66%) und 1 von 24 Belegen (41,66%) von 1 von 7 Sprechern der Gruppe C (14,28%). 367
368
Einschließlich solcher Belege, die von Freunden, Verwandten, Kollegen der Probanden oder von der Enquêtrice stammen. Vgl. jeweils die Quersummen von A, B, C bzw. .
198
3· Die berufsbezogenen Werte machen deutlich, daß weit über 50% der Sprecher der Gruppen A und Β Substandardkonstruktionen bei der Relativsatzbildung verwendeten - im Gegensatz zur Berufsgruppe der Juristen, Lehrer u. a., für die der Faktor - und damit auch sprachbewußtes Sprechen eine zentrale Rolle im Berufsleben spielt. Was überrascht, ist der relativ hohe Anteil an Substandardphänomenen bei Sprechern der Gruppe B. Die Berufe der 4 betreffenden Sprecher sind Elektrotechniker (HA7; Ausbildung: secondaire, BTS électronicien), Schüler (HJ14; noch in der Ausbildung, secondaire), Leiterin einer Näherei (FA17; Ausbildung: primaire; secondaire per Fernunterricht) und Sozialarbeiterin (FA2; Ausbildung: secondaire, Fachausbildung). Bei einer Einteilung nach dem Grad der Schulbildung (wie im Corpus d'Orléans) würden mindestens zwei der vier Probanden der untersten Gruppe zugeordnet werden. Dies verdeutlicht, daß die von uns im Orléans-Korpus zugrunde gelegte Einteilung in Bildungsgruppen nicht unmittelbar vergleichbar ist mit der Einteilung in Berufsgruppen, wie sie im Crédif-Korpus verwirklicht ist. Entsprechende soziolinguistische Relationen können somit immer nur korpusintern betrachtet werden. Vergleichbar sind jedoch die Proportionen in bezug auf Geschlecht und Alter der Testpersonen. 4. Auffallend sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Gebrauch der Substandardrelativa. Frauen verwendeten diese prozentual deutlich öfter als Männer: 66,66% gegenüber 36,46% innerhalb der Kategorie I und sogar 66,66% gegenüber 30,76% in den Kategorien II und III. Dies kann nicht mit unterschiedlicher Berufsgruppenzugehörigkeit erklärt werden, denn jeweils 6 Männer und Frauen gehören Gruppe A an, 4 Frauen gegenüber 3 Männern Gruppe C, und 4 Männer gegenüber 2 Frauen Gruppe B. Lediglich das Alter kann als - wenn auch nur wenig bedeutende - Einflußgröße angeführt werden, denn bei den männlichen Testpersonen sind jeweils ein Proband aus der (eher wortkargen) jüngsten und aus der (eher sprachkonservativen) ältesten Altersgruppe mehr beteiligt, während bei den Frauen 5 Erwachsene gegenüber 4 bei den Männern zu verzeichnen sind. Die Zahl der jugendlichen Sprecher war jeweils drei. 5. Damit wurden die (zu erwartenden) Ergebnisse für die verschiedenen Altersgruppen bereits angedeutet. Die folgenden Relationen machen deutlich, daß die meisten Relativa (der Kategorie I) von jugendlichen Sprechern und Personen von 20 bis 55 Jahren verwendet wurden. Der Sachverhalt wird noch deutlicher, wenn man den Anteil der Sprecher pro Gruppe betrachtet. Demnach haben 83,33% der Jugendlichen und 55,55% der Erwachsenen eines der Substandardrelativa der Typen r bis 4 verwendet. Bei der ältesten Probandengruppe waren dies 40 % , bei den Kindern o % . Substandardrelativa im engeren Sinne (Typen ia, 2) verwendeten nur 20% der Senioren, jedoch erneut 55,55% der Erwachsenen und 83,33% der Jugendlichen.
199
D i e Ergebnisse im Überblick: E
J
0/5 0/39
5/6
5/9
2/5
10/39
18/39
8/39
0/5 0/28
5/6 9/28
5/9 11/28
1/5 5/28
0/5 0/24
5/6 8/24
5/9 10/24
1/5 4/28
Altersgruppen Substandard Sprecher Belege Substandard Belege Sprecher Belege
R
II
Sprecher Substandard
A
I
III
5.7.5.2.3. Präsentation der Substandardrelativsätze im Corpus du
Crédif
Typ ι : Relativpartikel que + 0 Typ ia: Zum Ausdruck obliquer Beziehungen (1) (2) (3) (4) (5)* (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)
369 370
371
372
373
vous savez/ un emploi: qu'on s'y plaît pas ou qu'on a été liciencié [sic!] (FA6/37) oui qui sont déjà passés par ces périodes/ que: moi je suis passée il y a quelques années (FA 6/380)369 si c'est ça que vous voulez parler ou avant ou après (HA7/526) 370 c'était la vie/ qu'on parlait (FJ8/187) c'est un thème que tu a s . . . pas pas tellement de choses à dire non? (EF bei HE10/ i6o) 3 7 ' il y a certains trucs qu'on peut: que je peux/comment vous expliquer ça/me priver ( H R i 1/380) (imal gewertet) 372 c'était mon chat et mon chien/ que je caressais que je parlais (FJ12/95) c'est comme tous les sujets qu-l qu'on a parlé là (FJ12/402)373 mais c'est des sujets qui sont pas . . . qu'on parle assez, on en parle beaucoup (FJ 12/406) tous les petits travaux euh - euh qu'avait besoin un petit artisan (FA 13/288-289) non je crois que c'est un truc qu'on n'aime/ qu'on n'aime pas trop parler (HJ14/ 162) on va voir des trucs que le public n'a pas le droit d'aller le [sic!] voir (HJ14/266) moi ce que je pense de la famille: qu'ils soient heureux: . . . qu'on puisse surtout euh arriver à: à subvenir toujours à ce qu'ils ont besoin quoi (FA17/166)
Eigentlich Typ ia* (Präp + BN + que). Die Angaben in Klammern beziehen sich auf den Sprecher und auf die Stelle der im Protokoll fortlaufend numerierten Dialogparts, //bedeutet , F. Der zweite Buchstabe bezieht sich auf die Altersgruppe (E, J, A, R). Die Belege geben die Originalnotierung wieder, einschließlich Pausen-, Längenzeichen, etc. (z.B. « in (19) mit der Bedeutung ) 3 . « D e k u m u l i e r u n g » d e r e i n f a c h e n R e l a t i v p r o n o m i n a qui u n d que425 a ) «ku
:
+ S u b j e k t p r o n o m e n » ( i m Fr. qui i n d e r F u n k t i o n d e s S u b j e k t s )
B s p . : è l l e è s t e û t l à k'èle
n u b o u d j é v e p u s () b ) «ku
+ S u b j e k t p r o n o m e n » ( i m F r z . que a l s P r ä d i k a t s n o m e n )
B s p . : v o s - è s t o z l à ku ν ' c r o p o z s o v o s - o û s ()
422
R e m a c l e (1937:47) setzt für die Mundart von L a G l e i z e die beiden Relativpronomina ki bzw. k (qui) und ky (que) an.
423
D e r Terminus décumul sei in diesem Falle, so R e m a c l e (1960:74), durchaus angebracht, da die Funktion von ) A n a l o g e Ergebnisse legt Chenal ( 1 9 8 6 : 3 9 6 ^ ) für das Frankoprovenzalische im Aostatal vor. Man betrachte Beispiele wie: Baillade-lèi cen que Tat fata ^ d o n nez-lui ce dont il a besoin>), Son papa que le s-an /'an plettà lo vesadzo () 4 3 3 . Wenngleich nur wenig Material über den Gebrauch der Relativpronomina in den frankoprovenzalischen Sprachinseln Süditaliens vorliegt, kann nach Kattenbusch ( 1 9 8 2 : 1 9 1 ) für die heute noch vitale Mundart in Faeto (Provinz Foggia, Apulien) die Form ks als das im allgemeinen übliche Relativum angesetzt werden: lafénna
ko cánt (). Beispiele, die que in der Funktion eines indirekten oder präpositionalen Objektes zeigen, werden nicht erwähnt.
225
Pronomina, die den ital. Pronomina cui und quale entsprechen, existieren im untersuchten D i a l e k t nicht (Kattenbusch 1982:191).
5.8.3.2.3.
Okzitanische Dialekte 4 3 4
5.8.3.2.3. ι . Atlas linguistique et ethnographique
du Massif Central
D i e Sprachkarten 1823 und 1824 (Bd. 3) enthalten wie im ALLy
(ALMC) die Titel le
marchand à qui j'ai vendu la vache und le couteau dont je me sers. Sie zeigen im gesamten Untersuchungsgebiet ein eindeutiges Bild. In fast allen Fällen weist Karte 1823 Ergebnisse auf, die dem Typ le marchand que j'ai vendu (la vache) entsprechen (ζ. Β . lu martsö k ei bëduda, Pkt. 18); zwei Varianten repräsentieren den Typ le marchand que je lui ai vendu (la vache): lu martsö ke lei vëdu (Pkt. 19) und lu mortsö ke Iji vëdei (Pkt. 6). Karte 1824 zeigt ausnahmslos B e l e g e für den Typ le couteau que je me sers, wobei in einigen Fällen Varianz in bezug auf das Verb auftritt (couper 4 3 5 statt se servir). D i e Konstruktion mit dont ist gänzlich unbekannt 4 3 6 .
5.8.3.2.3.2. Atlas linguistique de la Gascogne
(ALG)
In B d . 6 finden sich zwei Karten zu den Relativpronomina, Nr. 2345 mit dem Titel (ce) qui, (ce) que und Nr. 2346 (qui, que). Die erhobenen Formen sind in beiden Sprachen ke, ks (bzw. k vor Vokal) oder ki, unabhängig von ihrer Funktion als Subjekt oder direktes O b j e k t . C o n t r a i r e m e n t au français, le gascon ne distingue pas le relatif sujet du relatif complément; m ê m e les f o r m e s a p p a r e m m e n t indirectes (du N, de ki, de ke) sont e m p l o y é e s en fonction de sujet o u d ' o b j e t direct ( K a r t e 2346).
5.8.3.2.3.3. Weitere okzitanische Regionalatlanten In den Regionalatlanten der Auvergne und des Limousin (ALAL) östlichen und westlichen Languedoc (ALLOr (ALP)
434 435
436
bzw. ALLOc)
sowie des
und der Provence
sind keine Sprachkarten zu obliquen Relativkonstruktionen enthalten.
S. auch K a p . 10. A u c h bei Verwendung von couper wird die Konstruktion mit que (le couteau que je coupe) verwendet. Standardsprachlich m ü ß t e es le couteau avec lequel je coupe heißen. Relativkonstruktionen mit Präp + lequel lassen sich dialektal j e d o c h nicht belegen. D a m i t kann das von Wartburg im FEW ( X I V , 34a) formulierte Desiderat erfüllt werden: «Wie weit dont in den mundarten verbreitet ist, läßt sich k a u m feststellen, weil eine atlaskarte fehlt. D i e Wörterbücher schweigen sich aus». V o n den im FEW benutzten Q u e l l e n e r w ä h n e n nur wenige das Relativum dont, w o b e i dieses meist als mundartlich nicht-existent beschrieben wird, so z. B . in M o n o g r a p h i e n zum Normannischen und Lothringischen.
226
5-8.3-2.4· Weitere Regionalatlanten D i e Atlanten zum katalanischen Sprachgebiet ( A L C a t und ALPO)
enthalten
keine Karten zu den genannten A s p e k t e n , ebensowenig der zweibändige Sprachatlas zur Insel Réunion ( A L R é ) .
5.8.3.3.
Zusammenfassung
Es wurde deutlich, daß sich in nicht-normierten Sprachsystemen wie den hier untersuchten galloromanischen Dialekten keine Merkmale im G e b r a u c h der obliquen Relativpronomina wiederfinden, die dem schriftsprachlichen System des französischen Standards eignen. D a s Relativum dont ist in fast allen ausgewerteten D o k u m e n t e n inexistent. In den Fällen, in denen es vereinzelt auftritt, so im Frankoprovenzalischen des Lyonnais, muß normsprachli.cher Einfluß - sei es durch soziolinguistisch determiniertes Sprachverhalten oder als Folge einer Interferenz durch die gewählte A b f r a g e m e t h o d e 4 3 7 - angenommen werden. Sämtliche anderen Dokumentationen zu frankoprovenzalischen Mundarten weisen in keinem einzigen Falle die Form dont auf. Eindeutig verhält es sich mit der Konstruktion Präp + lequel, die in allen untersuchten Dialekten unbekannt ist. Vital ist dagegen die Verwendung von haupttonigem qui meist in der Funktion des indirekten O b j e k t s (à qui), vereinzelt auch als präpositionales O b j e k t . Im Lothringischen wie auch im Frankoprovenzalischen des Jura und der Nordalpen ist dieser Konstruktionstyp mehrfach belegt. D a b e i darf jedoch nicht übersehen werden, daß ι . starktoniges qui die diachronisch volkssprachliche Form (vit., afrz.) cui fortsetzt 4 3 8 . 2. die relativischen Substandardkonstruktionen (que, que + Resumptivum) grundsätzlich parallel zur obliquen Konstruktion Präp + qui bzw. - in den allermeisten Fällen - ausschließlich verwendet werden. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die schriftsprachlichen Relativa dont439
437 438
Vgl. hierzu Wolf (1975:47^). « A f r . mfr. cui ( p r o n . rei. p a r r a p p o r t à d e s p e r s o n n e s o u à d e s c h o s e s ) ( i i . - i 4 . j h . ) , a d a u p h . apr. a b e a r n . qui, lütt, qui ( 1 6 3 0 , H a u s t P o r t ) , h d a u p h . cui; mfr. nfr. qui (par r a p p o r t à d e s p e r s o n n e s ) » ( F E W II, 1464b). « A u f d e n lt. dativ cui g e h e n die F o r m e n u n t e r b z u r ü c k ; allein o d e r mit à v e r b u n d e n d r ü c k t e s d a s Verhältnis d e s i n d i r e k t e n o b j e k t s a u s . V g l . a u c h it. cui. A f r . cui wird d a n n a u f l a u t l i c h e m W e g e z u ki ( s c h o n seit e n d e 13. j h . ) ; ü b e r a l l w o h e u t e qui n a c h p r ä p . s t e h t , g e h t es a u f altes cui z u r ü c k » ( F E W II, 1465a).
439
« D i e s e r g e b r a u c h als genitiv des r e l a t i v p r o n o m e n s ist im afr. n o c h nicht sehr h ä u f i g , n i m m t d a n n im 16. j h. ü b e r h a n d und ö f f n e t sich a u c h a l l e n v e r b e n , die mit de k o n s t r u i e r t w e r d e n » ( f ' A W X I V , 3 3 b ) . A l s B e l e g s t e l l e n w e r d e n a n g e f ü h r t (33a): « A f r . dunt ( R o l a n d ; P h T h a o n B e s t ) , dun ( A l A l b ; c a . 1190), fr. dont (seit P e l C h a r l ) . . . . mfr. donc
B r a n t ô m e , a d a u p h . don,
apr. don L v P , lothr. donte M , npr.
dount, T o u l o u s e dount G , G e r s i d . , b e a m . doun ; nfr. dont ( C o h e n R é g - R a ç a n ) , ) (7) Péyi-a oti man ka alé a pa ka mandé mwen paspò/Péyi-a (éti) man ka alé adan 'y la pa ka mandé mwen p a s p ó 4 6 9 () B e i s p i e l e f ü r R e l a t i v a in d e r R o l l e e i n e s p r ä p o s i t i o n a l e n O b j e k t s ( s o w o h l f ü r G u a d e l o u p e als a u c h f ü r M a r t i n i q u e ) 4 7 0 : (8)
Mi boug-la ou ka tjenn a'y la () (9) Mi sé boug-la ou ka tjenn ayo l a 4 7 ' (< Voici les hommes auxquels tu tiens>, wörtlich ) (10) Mi boug-la ou könnet fwè a'y la ( G u a d e l o u p e ) Mi boug-la ou könnet fwè'y la (Martinique) ()
462 463
464
465 466 467 468 469
470 471
Auch und k\ je nach satzphonetischer U m g e b u n g . Vgl. Bernabé (1983:76). D i e s ist vor allem in bodenständigen Kreolsprachen (créole «fondal-natal») der Fall, die noch nicht von einer neueren Welle der Französierung erfaßt sind wie das créole francisé (kréyol tjòlòlò), dessen Formen für den Ausdruck des direkten O b j e k t s in G u a d e l o u p e kè (z.T. auch ku), in Martinique ki (kè, z . T . auch ku) sind ( B e r n a b é 1983:11,928' und 19833:83). Zumindest im créole «fondal-natal». In bereits französierten Kreolsprachen korreliert mit dem resumptiven Pronomen das Relativum kè bzw. ki, ku. A u f diesen nicht zuletzt auch soziolinguistisch definierten Unterschied weist Bernabé (19833:83) hin. S. A n m . 4 6 2 . S. A n m . 463. B e r n s b é (1983:II,928f.). Vgl. auch B e r n a b é (19833:89). B e i den Konstruktionen ohne oti wurde in unserem Beispiel die Präposition adan () in Verbindung mit dem Personalpronomen 'y (), das sich auf das Subjekt péyi bezieht, verwendet. D i e wörtliche Wiedergabe dieses Satzes wäre ) In der syntaktischen Funktion eines Präpositionalobjektes (frz. Präp Präp
+
lequel,
+ qui) können ki oder ke stehen, die jedoch meist nicht realisiert werden,
wobei in beiden Fällen die Präposition (in adverbieller Funktion) am E n d e des Relativsatzes steht: (19) M'aste en bag (ki) nu p0 met le zafer ondò ()479 (24) La mezo eu li sor ()48°
Ähnliche Befunde liefert Bollée (1977:47) für das Kreolische der Seychellen 481 . Auch hier erfüllt das Relativum ki alle syntaktischen Funktionen im Relativsatz, z. B. die des Subjekts (ëpti garsö ki ti apel David ) Die wörtliche Übersetzung von (b) macht bereits deutlich, daß es sich bei dem vermeintlichen Relativpronomen qui um eine synthetisierte Form aus dem Subordinator que und einem (pro)nominalen Element handelt: ), na dmoun i gardé le feu le soir (). Daneben gibt es jedoch auch hypotaktische Konstruktionen mit ki: navé in somin ki vien a loués (), e pi se la:gle ka porte tie b e t - l a . . . (). Belege für das Relativpronomen in der Funktion eines obliquen Kasus sind nicht aufgeführt. Z . B . : nu ko:ta de rom sa le fe (, nicht aber im stile accurato, möglich39.
36 37
38
39
S. hierzu De Boer (1990:233ff.). Im Einklang mit den Vertretern der generativen Transformationsgrammatik wird che nicht als Pronomen aufgefaßt. S. auch Kap. 2.2.2. Cinque befindet sich damit also im Widerspruch zu Serianni, der diese Möglichkeit im Bereich informeller Sprache zumindest konstatiert. Cinque geht allerdings nicht der Frage nach, ob L'occasione in che... akzeptabel wäre.
267
(18) In quella occasione che tu eri malato, io mi trovavo all'estero (ib.)
Den Gebrauch von dove im nicht-konkreten lokalen Sinne - wie in (19) - bezeichnet Cinque als marginal, dove mit Bezug auf Personen anstelle von da cui, presso cui - wie in (20) - sogar als «non corrente»: (19) La sua proposta, dove sono confluiti gli emendamenti del vostro g r u p p o , . . . (Cinque I988/2I989:468) (20) Giorgio, dove potrai trovare questo libro, non li presta volentieri (ib.)
Die pleonastische Verwendung eines Relativpronomens zusammen mit einem anaphorischen Element ist für Cinque (i988/2i989:482) Merkmal eines «stile colloquiale». Das Phänomen lasse sich vor allem in explikativen Relativsätzen beobachten: (21) Le sue opere, di cui ne sono state recensite molte, sono apparse tra il '35 e il '60 (22) Vittorio, le cui sorelle si dice che nessuno sia in grado di sopportar/e per più di un'ora,.. (23) Gianni, a cui credo che non gli abbiano ancora scritto,. . .
Schließlich zum nicht-standardsprachlichen Gebrauch der Relativpartikel, der bei Cinque (i988/ 2 i989'.497ff.) als «costruzione senza pronomi relativi» figuriert. Der Autor unterscheidet hier zwischen restriktiven ((24) bis (29)) und explikativen Relativsätzen ((30) bis (33)): Zuerst zu che in lokaler Funktion: (24) I posti che sta bene sono: il bar, Io stadio... (Cinque 1988/ 2 1989498) (25) È il posto che siamo andati ieri
(24) und (25) seien Merkmale eines «stile basso, trascurato», (26) sei noch darunter anzusiedeln: (26) È il posto che ci siamo andati ieri
In prädikativen Nominalsyntagmen wie in (27) sei jedoch «che + Resumptivum» in spontaner Sprechsprache die akzeptabelste Variante und damit «besser» als bloßes che in (28): (27) È un posto che ci si deve andare tutti, prima o poi (28) È un posto che si deve andare tutti, prima o poi
In der Regel sei in restriktiven Relativsätzen ne als resumptives Element nicht üblich: (29) "L'autostrada che ne siamo usciti prima, era questa . ..
In nicht-restriktiven Relativsätzen gebe es weit weniger Einschränkungen im Gebrauch der Struktur «che + Resumptivum»: (30) (31) (32) (33)
268
Se viene anche Carlo, che non lo può più vedere nessuno, ci posso venire pure io Pensa a Maria, che non gli piace nessuno La mia chiave, che ci ho aperto prima anche la sua porta, è un modello più vecchio Il suo lavoro, che ora non ne vuole più sentire parlare, una volta lo soddisfaceva
B e m e r k e n s w e r t ist ferner die A u s s a g e C i n q u e s zur typologischen Verschiedenheit einer K o n s t r u k t i o n mit
flektiertem
P r o n o m e n (cui) und einer «ohne Rela-
t i v p r o n o m e n » , i . e . mit «che + R e s u m p t i v u m » ( z . B . che ...
gli). D i e Entschei-
d u n g f ü r die eine o d e r a n d e r e müsse vor allem in e i n e m soziolinguistischen R a h m e n diskutiert werden 4 0 .
6.3.3.
D i e Grammatik
der italienischen
Sprache von C h r i s t o p h S c h w a r z e
W i e bereits in K a p . 2.2.2. a n g e d e u t e t , steht im M i t t e l p u n k t von S c h w a r z e s R e l a t i v s a t z - K o n z e p t i o n die K a t e g o r i e des , der als einleitendes E l e m e n t einer Subordinationsstruktur verstanden wird. Junktoren k ö n n e n P r o n o m i n a sein, z. B . cui, äquale
und dove; che kann sowohl P r o n o m e n als auch nur Junktor
sein 4 1 . In letzterem Falle wird d e r B e z u g z u m B e z u g s n o m e n nicht durch che a u s g e d r ü c k t , sondern durch ein anaphorisches E l e m e n t . S c h w a r z e s Beispiel: (34) ( . . . ) di quelli che gli si legge in faccia l'arte di far carriera (Fallaci) (Schwarze 1988:396) Im U n t e r s c h i e d zu Serianni und C i n q u e bleibt dieser G e b r a u c h bei S c h w a r z e diasystematisch unmarkiert.
Zusammenfassung D i e drei «nuove g r a m m a t i c h e » von 1988 unterscheiden sich beträchtlich hinsichtlich ihres theoretischen A n s a t z e s , ihres Präsentationsmodus und ihrer Term i n o l o g i e . D e n n o c h ist allen das B e m ü h e n u m deskriptive
Sprachbeschreibung
zu bescheinigen. Hinsichtlich d e r E r f a s s u n g diasystematischer Variation ist jed o c h vor allem Seriannis G r a m m a t i k z u n e n n e n , die sehr viele Varianten diachronischer, diastratischer, diaphasischer und diamesischer N a t u r enthält. Cinq u e differenziert b e s o n d e r s stark in diaphasischer Hinsicht und unterscheidet m e h r e r e Register und Stile («stile colloquiale», «stile s p o n t a n e o » , «stile leggermente sorvegliato» u . a . m . ) . S c h w a r z e h i n g e g e n beschreibt in erster Linie die Verhältnisse im Standarditalienischen und geht nur a m R a n d e auf die Markiertheit bestimmter V e r w e n d u n g e n ein. Substandardsprachliches che wird also erfreulicherweise in allen drei G r a m matiken diskutiert. D i e B e w e r t u n g fällt dabei j e nach K o n s t r u k t i o n s t y p unterschiedlich aus. A m deutlichsten urteilt Serianni ( « f o r t e m e n t e p o p o l a r e » ) , Cinq u e differenziert stärker nach s p o n t a n e m und s p r a c h b e w u ß t e m Sprechen und ist d e s w e g e n in der L a g e , manche S u b s t a n d a r d k o n s t r u k t i o n e n als « a k z e p t a b e l » in spontaner Sprechsprache zu betrachten. 40 41
Vgl. hierzu auch De Boer (1990:234). Schwarze legt eine zweifache Wertigkeit von che zugrunde, einmal, in Funktion eines direkten Objekts, als Pronomen, einmal als Junktor, der Subjektfunktion haben oder in obliquen Strukturen stehen kann. «Im formalen Register wird die Verwendung von Relativsätzen, in denen che Pronomen ist, eindeutig bevorzugt» (Schwarze 1988:397). 269
6-4·
Z u m Gebrauch der Relativa in diatopischen Varietäten des Italienischen
6.4. ι .
Z u m Regionalitalienischen von Bologna 4 2
D i e 1983 und 19841η B o l o g n a durchgeführte Befragung von 12 Informanten aus Bologna oder U m g e b u n g ergab ein Korpus 4 3 , das in phonetischer Transkription notiert wurde. Untersucht wurden phonetische, phonologische 4 4 und morphosyntaktische Besonderheiten des gesprochenen Bologneser Regionalitalienisch. D i e nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad charakterisierten Probanden wurden entweder zu bestimmten T h e m e n befragt oder zu einer selbständigen Erzählung angehalten. (In einem Fall wurde eine Rundfunkaufnahme ausgewertet). Die Vergleichbarkeit der einzelnen Texte wird etwas erschwert durch z . T . verschiedene Inhalte. Meistens jedoch geht es um Alltagsthemen wie ζ. B . , , , . D a s Prinzip der gelenkten Unterhaltung hat den Vorteil, daß sich die Sprecher nicht «unter Druck» gesetzt fühlen - wie es nicht selten bei gezielt gestellten Fragen geschieht - und so ihre eigene Diskursstrategie zur A n w e n d u n g bringen können. D a s Resultat ist authentische gesprochene Sprache, die lediglich im einen oder anderen Falle durch das Bemühen um sprachbewußtes Sprechen «verfälscht» 45 , meist jedoch spontan geäußert wird, was vom Vertrauensverhältnis zwischen Exploratoren und Probanden abhängt. Mit A u s n a h m e des Mitschnitts einer Radiosendung und der A u f n a h m e eines Alltagsdialogs in einem Geschäft wurden sämtliche Informanten individuell aufgenommen. Für jeden Sprecher wird ein kurzes Soziogramm gegeben, das A n gaben zu Geschlecht, Alter, Schulabschluß und Beruf enthält. Die einzelnen Variablen werden wie folgt präsentiert: 1) Bildungsgrad:
höhere Schulbildung/niedrigere Schulbildung
2) Geschlecht:
männlich/weiblich
3) Alter:
drei Altersgruppen (20-35, 35-50, über 50 Jahre)
Innerhalb des soziolinguistischen Parameters nehmen wir eine weitere Differenzierung der beiden Kategorien «titolo di studio basso» und «titolo di studio alto» vor und kommen zu folgender Einteilung: 42 4:1
44
45
Vgl. Rizzi/Vincenzi (1987:37). S. auch Koch/Oesterreicher (1990). D a s K o r p u s wird dort zusammen mit anderen Korpora des gesprochenen Italienisch beschrieben (41 f.). D e m phonetisch-phonologischen Teil der Studie liegt ein eigenes K o r p u s z u g r u n d e , bei dem 96 Probanden 20 v o r g e g e b e n e Sätze vorlesen mußten. A c h t aus dieser G r u p p e ausgewählte Informanten mußten ferner 22 Sätze lesen, die Minimalpaare o d e r phonetisch-phonologische «Fallen» für Sprecher des B o l o g n e s e r Regionalitalienisch enthielten. Diese Passagen, die sich meistens durch W i e d e r h o l u n g e n , «Fehlstarts», Konstruktionswechsel, A n a k o l u t h e infolge zu k o m p l e x e r Strukturen erkennen lassen, sind indes soziolinguistisch besonders aufschlußreich, da sie o f t hyperkorrektes Sprach verhalten erkennen lassen.
270
Höhere Schulbildung: Mittlere Schulbildung: Niedrige Schulbildung:
i. 2. 3. 4.
Laurea Scuola professionale/Istituto tecnico Scuola media inferiore Scuola elementare
Jedem Schulabschlußtyp lassen sich drei Sprecher zuordnen. Diese ungerade Zahl birgt den Nachteil, keine unmittelbaren Vergleiche innerhalb des Sektors beispielsweise hinsichtlich der Variablen zuzulassen. So steht z . B . eine Sprecherin zwei Sprechern in der Teilgruppe gegenüber, während umgekehrt zwei Frauen und ein Mann die G r u p p e bilden.
6.4. i. ι .
Ergebnisse der Korpusauswertung
Die Auswertung des Korpus nach verschiedenen Kriterien unserer Fragestellung ergab folgende Ergebnisse: 6.4. i. i. ι. Anzahl der verwendeten Relativpronomina 4 6 Die Auszählung der Teilkorpora ergab folgende Einzelergebnisse 4 7 : Sprecher I 2
3 4 5 6
7 8
9 10 II 12
46
47
Geschl. M F M F F M M M F F M F
Alter 35-50 20-35 20-35 20-35
>50 >50 35-50 20-35
>50 35-50 >50 25-50
Schulabschl. Laurea Laurea Laurea SMI SE SE SMI SMI SP/IT SP/IT SP/ST SE
RP abs.
RP rei.
Text/Σ
26
i,95%
1332
19
1,62%
1170
31
1,95% 2,77%
1593
35 29
2,23%
1296
25
2,12%
1179
24
2,08%
1152
37
2,57%
1440
25
1,68%
1485
24
i,73%
1395
12
1,10%
1089
6
1,00%
603
1260
Für jeden Text wurde die Anzahl der Zeilen ermittelt. Der statistische Durchschnitt der Anzahl der Wörter pro Zeile wird - nach Auszählung von 10 willkürlich aus jedem Text ausgewählten Zeilen - auf den Faktor 9,0 (9,066) beziffert. Daraus ergibt sich die (approximative) Anzahl der Wörter pro Text. D a es hier nur auf das prozentuale Verhältnis zwischen der Anzahl der Relativpronomina und der Gesamtzahl der Wörter eines Textes ankommt, erscheint uns diese Art der Berechnung als legitim. Die Anzahl der insgesamt pro Sprecher vorkommenden Relativpronomina ( R P abs.) wurde in Relation zur Gesamtzahl der Wörter eines Teilkorpus (Text/Σ) gesetzt und in Prozentwerten ausgedrückt ( R P rei.). Z u den Abkürzungen der einzelnen Schulabschlüsse: S P / I T = Scuola professionale/Istituto tecnico, S M I = Scuola media inferiore, S E = Scuola elementare.
271
D i e Verteilung der Ergebnisse auf die drei soziolinguistischen Variablen ergibt folgende Werte: Schulabschluß
Durchschnittl.
Laurea (Sprecher ι ,2,3)
1,84%
scuola professionale (9,10,11)
1,50%
Scuola media inferiore (4,7,8) Scuola elementare (5,6,12)
2,47% 1,78%
Alter
Durchschnittl.
20-35 Jahre (2,3,4,8)
2,23%
35-50 Jahre (1,7,10,12)
1,69%
> 50 Jahre (5,6,9,11)
1,78%
Geschlecht
Durchschnittl.
Weiblich
1,84%
Männlich
1,96%
Gruppenwert*8
Gruppenwert
Gruppenwert
Interpretation der Ergebnisse Signifikante Unterschiede ergeben sich nur innerhalb der Kategorien und . D i e Tabellen zeigen, daß die meisten Relativkonstruktionen - in Relation gesetzt zur Gesamtzahl der jeweils realisierten Wörter - von zwei Gruppen verwendet werden: von der Altersgruppe der 20- bis 35jährigen sowie von den Sprecherinnen und Sprechern mit dem Schulabschluß der Scuola
media
inferiore. Daraus ergibt sich, daß diejenigen, die prozentual die meisten Relativpronomina verwenden, die Sprecher sind, auf die beide Kriterien zutreffen, nämlich die Informanten 4 und 8.
6.4. i . ι .2. Verteilung der verschiedenen Relativkonstruktionen In der Funktion des direkten O b j e k t s steht im gesprochenen Bologneser Regionalitalienisch nur che, auch in den Fällen, in denen schriftsprachlich il quale, la quale usw. opportun wären. Folgende Tabelle bietet einen Überblick über die Verteilung der distanzsprachlichen Relativa Präp + cui und Präp + il quale sowie des Relativums dove und der A n z a h l der A n a k o l u t h e auf die einzelnen soziolinguistischen Variablen: Schulabschluß
Präp + cui Präp + il quale Anakoluthe
dove
Laurea (Sprecher 1,2,3)
2
1
6
1
scuola professionale (9,10,11)
1
2
0
3
Scuola media inferiore (4,7,8)
1
o
Scuola elementare (5,6,12)
o
o
5
0
48
10
5
Durchschnittlicher A n t e i l der in der jeweiligen G r u p p e verwendeten Relativpronomina an der G e s a m t s u m m e der benutzten Korpuswörter.
272
Alter 20-35
Jahre Jahre
(2,3,4,8)
I
0
15
2
(1,7,10,12)
3
2
2
7
> 50 J a h r e ( 5 , 6 , 9 , 1 1 )
0
I
4
0
Geschlecht Weiblich Männlich
3
I
II
I
2
10
35-50
5 4
Aufgrund der geringen Anzahl von Belegen ergeben sich keine signifikanten Unterschiede. Es zeichnen sich lediglich Tendenzen ab, so z.B. die Nichtverwendung von cui und il quale bei den Sprechern mit dem geringsten Bildungsgrad sowie die Häufigkeit von Satzabbrüchen bzw. Konstruktionswechseln bei der jüngsten Probandengruppe (u.ä.). 6.4.1.1.3. Substandardsprachlicher Gebrauch von Relativpronomina 49 Die Phänomene beziehen sich auf Erscheinungen des gesprochenen Italienisch, die z.T. noch deutlich diastratisch markiert, z.T. jedoch als konstitutiv für gesprochene Sprache zu betrachten sind 50 . Allgemeine Aussagen In den obliquen Kasus, in denen im italiano standard die Formen Präp + cui, Präp + il quale üblich sind, wird - im substandardsprachlichen Gebrauch - so gut wie immer die unveränderliche Partikel che verwendet. «Völlig ungebräuchlich ist im gesprochenen Italienisch das Relativum il quale « 5 I . Bei den Beispielen aus unserem regionalitalienischen Korpus handelt es sich um drei Substandardtypen 52 verschiedener Qualität und diasystematischer Relevanz. Typ ι : Relativpartikel che + 0 Typ ia: Zum Ausdruck obliquer Beziehungen (indirektes bzw. präpositionales Objekt) Statt des aktantenkongruierenden und kasussensitiven Relativpronomens Präp + il quale oder des syntaktisch kongruierenden Präp + cui steht in zwei Fällen nur die unveränderliche subordinierende Partikel che: ( 1 ) io riesco a guardare cioè una trasmissione che ci sia una d o n n a . . . () (I4/77) 5 3 49 50 51 52
53
Vgl. hierzu auch Koch/Oesterreicher (1990:188, i92f.). Vgl. hierzu Koch/Oesterreicher ( 1 9 9 0 : 1 4 ^ , i9of.). Koch/Oesterreicher (1990:192). Z u Typ 3 (Relativpartikel dove) konnten keine Beispiele ermittelt werden. Alle 9 Belege zu dove bezogen sich auf dessen (konkrete und abstrakte) lokale Funktion als Relativpronomen, z . B . : delle televisioni private dove c'è una grandissima concorrenza (I2/67), c'è un settore dove viene confessionata la calotta (I7/89). (I4/77) ist zu lesen als: Informant 4, Seite 77.
273
(2) mi piacciono delle [ragazze] che adesso in questo momento non mi viene non mi vengono i nomi, certe ragazze che fanno spettacolo () (I4/ 77) D i e s e E r s c h e i n u n g wird vielfach den diastratisch niedrig markierten Varietäten des Italienischen z u g e o r d n e t . K o c h / O e s t e r r e i c h e r (1990:188) sehen sie sogar «im italiano popolare
blockiert», also nicht als charakteristisch für g e s p r o c h e n e s
Italienisch. Typ i b : Z u m A u s d r u c k lokaler und t e m p o r a l e r B e z i e h u n g e n (3) (4) (5) (6) (7) (8)
cioè di mezzogiorno che mangio (I4/76) non è certamente una cosa che non si fanno mica delle carezze (I9/100) ma d'estate per esempio che andavamo qui vicino (I10/103) ci fu un'epoca che il telegiornale lo faceva Enzo Biaggi (I10/106) anche in settembre che qualche volta d'estate la sera lo m e t t e . . . (I12/112) anche stamattina che c'era Barbieri là dei tessuti... (I12/113)
Typ 2: Relativpartikel che + R e s u m p t i v u m Typ 2b: che + A k k u s a t i v p e r s o n a l p r o n o m e n 5 4 D i e s e K o n s t r u k t i o n , von vielen Linguisten als «doppelte M a r k i e r u n g » des A k t a n t e n verstanden, von uns j e d o c h als V e r b i n d u n g der semantisch leeren Subordinationspartikel che mit einem semantisch-syntaktisch m e r k m a l h a f t e n E l e m e n t ( P r o n o m e n ) a u f g e f a ß t , ist im g e s p r o c h e n e n Italienisch ziemlich h ä u f i g a n z u t r e f f e n und hängt a u ß e r mit der sprechsprachlichen T e n d e n z zu analytischem A u s d r u c k sicherlich auch mit einer der universalen syntaktischen Strategien des code parlé schlechthin 5 5 z u s a m m e n - der Linksserialisierung des direkten O b j e k t s und d e r damit v e r b u n d e n e n p r o n o m i n a l e n W i e d e r a u f n a h m e (z. B . in: allora i soldati quello che h a n n o lo g e t t a n o via tutto 5 6 ). In unserem K o r p u s finden sich drei Beispiele f ü r diesen Typ, von Sprechern aus den G r u p p e n M i t t lere Schulbildung) und )
78
Vgl. die Z u o r d n u n g dieser Erscheinung zur i t a l i e n i s c h e n Nähesprache im engeren Sinne> bei Koch/Oesterreicher (1990:192^).
™ Vgl. Koch/Oesterreicher (1990:191), die in cui in diesem K o n t e x t «selbst innerhalb der Distanzsprache bereits als diaphasisch ( z . T . sehr) hoch markiert» einstufen. 80 Z . B . bei M a n z o n i (ci sono fiori che non posso sopportare il profumo; un religioso che vai più un pelo della sua barba che tutta la vostra), C e c c h i (in cima alle colline che intorno non si incontra anima viva) o d e r Pavese (una soffitta che ci si saliva per la scala grande). Zitiert nach Nicoli (1983:215').
283
D a s Subjekt wird durch das anaphorische P r o n o m e n el ( f e m . la) zusätzlich markiert 8 1 . E b e n s o te im f o l g e n d e n Beispiel: (6) ti che te seet brao, dimm ona ròb(b)a () Ebenso82: (7) l'uomo che Ί aveva parlaa el s'è miss a tasé () N a c h Nicoli ist das klitische P r o n o m e n ghe bzw. gh' obligatorisch. 4. Präpositionales Objekt: che/che + Resumptivum (Typen i a , 2c bis 2g) (12) quèlla là l'è la tósa che te n'hoo parlaa () (13) mi gh'avévi on amis eh'el sò papà el faséva el lattee (/) (14) quèst chi l'è on liber che savévom nagòtt di sò autor () (15) el gran che se fa el pan bianch, el se ciama formènt 84 (< il grano con cui si fa il pane bianco, si chiama frumento) (16) quèlla tósa che t'hee parlaa con la soa mamma, l'è ona mia scolara () (17) quèst chi l'è on paés che ghe vén mai nissùn () D a n e b e n wird noch das Relativpronomen dôe, selten auch dóve, d e m im Standarditalienischen meist in cui entspricht, verwendet. E s wird meist alternierend zur Konstruktion «che + Resumptivum» gebraucht, ist aber letztlich häufiger: (18) l'è vestee dôe gh'è dénter i prepóni (oder: . . . che gh'è dénter i prepônt) () (32) 1 ç m n ke go parlów ( d ' u o m o c u i . . .>) (33) in p m n ke nü se ge p ö vive () (34) in ó m n ke nü se ge p ò k u g t á ()
90
91 92 93 94
Z u m p o l y v a l e n t e n R e l a t i v u m che in zweisprachigen Tessiner Familien s. Chini (1989:114). W i e d e r a u f n a h m e des S u b j e k t s durch das anaphorische P r o n o m e n /'. B e i 1' handelt es sich u m die p r o n o m i n a l e W i e d e r a u f n a h m e d e s S u b j e k t s la turta. D a s S u b j e k t des Relativsatzes (la dona) wird durch la zusätzlich markiert. Vgl. auch die lombardischen B e i s p i e l e bei B l a s c o Ferrer (1990:57), wie etwa: l'è kel o m ke la sua d o n a a la fa la sarta (). Ä h n l i c h e B e i s p i e l e finden sich dort auch z u m Emilianischen. Z u r typologischen B e s c h r e i b u n g dieser P h ä n o m e n e bei B l a s c o Ferrer (1990) s. K a p . 15.
286
6 . 4 . 2 . 2 . 4 . Venezisch 9 5 In seiner Studie über den venezischen Dialekt von Triest verzeichnet Vidossi ( 1 9 6 2 : 7 3 ) nur ein Relativpronomen (ke),
das neben der Subjekt- und Objekt-
funktion auch die Rolle des indirekten Objekts (Dativs) übernehmen kann. Dies geschehe durch Setzung des Personalpronomens ge: z . B . el omo ke ge go imprestado.
Allerdings fehlen A n g a b e n und Beispiele für ke
in genitivischer 96 und obliquer (nicht-dativischer) Funktion.
6.4.2.2.5.
Romagnolisch
Nach Pelliciardi ( 1 9 7 7 : 9 7 f . ) gibt es im Romagnolischen nur eine Form des Relativpronomens: che. Diese wird für alle syntaktischen Funktionen im Relativsatz verwendet, auch für indirekte und präpositionale Objekte. In diesem Falle il dialetto fa ricorso alla figura dell'«anacoluto» (Pelliciardi 1977:97).
Subjekt (35) e buvêr l'è clu che e rigóla al bèsti ()
Direktes Objekt (36) e vén eh'a j ò dbù l'à dog gréd ()
Indirektes Objekt (37) evìi ch'ui abàsta póch i'è sèmpar cuntént () (39) mi fiól eh'3 j ò fàt tènt sacrifèzi par lò um da sòl di spiasé ()
6 . 4 . 2 . 2 . 6 . Abruzzesisch In der Reihe Profilo
dei dialetti italiani erschien 1 9 7 9 eine Studie zu den Dialek-
ten der Abruzzen. Ihr Verfasser, Ernesto Giammarco, gibt im Kapitel «Aggettivi e sostitutivi relativi» ( i 4 9 f . ) nur eine Form des Relativpronomens an:
ko91.
Questa particella relativa è un morfema unico e invariabile, comune alle due funzioni, ai due numeri e ai due generi (Giammarco 1979:149). 95
96 97
Wir verwenden in Anlehnung an Geckeler/Kattenbusch (1987:29) den Term venezisch als Adjektiv zu Veneto (). «Manca ogni mezzo per poterne far uso come genitivo» (73). Diese sei in volkssprachlichen Texten des 13. Jahrhunderts reichlich bezeugt, meist in der Form ked, besonders vor Vokalen. 287
Es erfüllt somit, allein oder zusammen mit einem pleonastischen bzw. resumptivem Pronomen, alle syntaktischen Funktionen: Subjekt (40) uanna ks bbe (), weitere Beispiele für ka als Vertreter eines präpositionalen Objekts: (49) kedda femana ka m'à dhitta («quella donna di cui mi hai parlato>) 101 (50) a kudd' omma ka m'à manneta, m'à ddita (.Ιη.η. 1991, S. 2: Quisera cartearme con chicas de 10 a 11 años que les guste coleccionar hojitas y conjuntos de sobres y cartas. Que erfährt in der Funktion einer adverbiellen Zeitbestimmung jedoch eine deutlich größere Toleranz denn als Ortsbestimmung. Vgl. die Darstellung im Gran Dicc. (1985), der temporales que als Gebrauchsnorm beschreibt. Der Anschluß von que an Modalbestimmungen wird - wie auch in anderen romanischen Ländern - nur noch von manchen Puristen kritisiert. Er stellt insofern keinen Substandardgebrauch dar.
330
stimmen, welche Konstruktion in Spanien oder in Lateinamerika wann, von welchen Sprechern und unter welchen Bedingungen wie häufig verwendet wird. Unsere Beobachtungen deuten zumindest ganz allgemein darauf hin, daß im amerikanischen Spanisch im Bereich der Nähesprache eine geringere Orientierung an der kodifizierten Norm besteht als in Spanien 76 . Andererseits besteht in bestimmten Sprecherschichten durchaus die Bestrebung, auf europäischer wie auf amerikanischer Seite, die zu respektieren. Im Hinblick auf einzelne Relativkonstruktionen läßt sich außerdem beobachten, daß sie im gesprochenen amerikanischen Spanisch überaus häufig sind, aber auch in spontaner Sprechsprache des peninsularen Spanisch selbst bei Gebildeten durchaus belegt sind. Hierzu zählen die Typen 2b und 2c (otro niño alemán que no le ha encontrado bzw. una persona ... que le gusta el aire)77. Eine gewisse, bei manchen Sprechern auch deutliche Zurückhaltung scheint hingegen den Typen 2g (ese niño que su padre tiene un bar) 78 und vor allem 2d (esta es la pared que hemos estado hablando de ella)79 entgegengebracht zu werden. Diese Phänomene dürfen als diastratisch markiert betrachtet gelten80. In etwas abgeschwächter Weise trifft dies auch auf universales que ohne Resumptivum zu (Typ ia: una cosa que yo no estoy muy segura todavía). Der Typ 2a ( . . . para hacer filosofía, que eso es fundamental) wird gelegentlich realisiert, meist jedoch mit einem resumptiven Demonstrativ-, und nicht, wie z. B. noch im 16. Jh., mit einem Personalpronomen. Vereinzelt sind auch die Typen 3 (donde statt Präp + RP) und 4b (Präp + el cual + pleonastisches Element) belegt.
76
77
78
79
80
Das kann auch als Ausdruck des Wunsches nach kultureller und sprachlicher Eigenständigkeit gewertet werden. Vgl. Berschin/Fernández-Sevilla/Felixberger (1987: ii8ff.). Lope Blanch (1984:259) hält die Relativkonstruktion 2b für die mit Abstand am weitesten verbreitete in der hispanophonen Welt. Danach folge Typ 2c. Gleichzeitig kann jedoch die Beobachtung nicht von der Hand gewiesen werden, daß die Frequenz von cuyo in nähesprachlichen Diskursen beinahe konstant gegen Null geht. Dies legt den Schluß nahe, daß bestimmte genitivische Strukturen entweder vermieden werden oder mit einer Dekumulierung der in cuyo oder del cual vereinten syntaktischen Funktionen realisiert werden. Das von uns zitierte Beispiel (Anm. 68) aus der spanischen Verwaltungssprache kann deshalb als Beleg für die Sogwirkung gesehen werden, die von der Struktur que + su mitunter sogar auf die geschriebene Sprache ausgeht. Daß dieses Phänomen im code graphique auf besondere Ablehnung stößt, braucht nicht betont zu werden. Lope Blanch (1984:260) betont, daß cuyo auch von gebildeten Spaniern oder Lateinamerikanern zugunsten der Konstruktion que + su oder que + ellla vermieden werde. Nach Lope Blanch (1984:260) ist dieser Typ eine «anomalía propia, sobre todo, del habla popular». Vgl. auch deren Fehlen im schriftsprachlichen Korpus von De Kock (unser Kap. 7.7.).
331
8.
Portugiesisch
8.1.
Z u den Substandardrelativa im europäischen und brasilianischen Portugiesisch
In den meisten Grammatiken und Wörterbüchern 1 zum Portugiesischen bleiben Substandardphänomene im Bereich der Relativa unerwähnt. D i e Darstellung beschränkt sich auf die im heutigen Standardportugiesischen üblichen Formen und Funktionen. Z u den Relativpronomina werden im allgemeinen gezählt: que, quem, cujo, o quai, quanto und onde2. Ähnlich wie im Spanischen können die Formen que, quem und o quai präpositional verwendet werden, que allerdings nur nach ) (2) f e m e i a p e care o väd ()
Fakultativ hingegen ist die Setzung des anaphorischen Pronomens bei akkusativischem eine, das jedoch ebenfalls das kataphorische Element pe benötigt. D i e pronominale Wiederaufnahme des Bezugsnomens in Verbindung mit einem Relativpronomen (also eigentlich Typ 4) ist im Rumänischen folglich grammatikalisiert 8 . 1
2
3
4
5
6 7
8
Z u m Dalmatischen s. D o r i a (1989:526). A l s einziges Relativum wird indeklinables ke a n g e g e b e n , das auch mit einem resumptiven E l e m e n t auftreten kann, z. B . : jal ke ghe plúk dormáir (). D a s unveränderliche Relativum ce kann im Nominativ und A k k u s a t i v - auch in indefiniter Funktion - auftreten. «Was hier sichtbar wird, ist eine andere G l i e d e r u n g des grammatischen R a u m s und eine andere Technik der O b j e k t m a r k i e r u n g » (Raíble 1 9 8 9 ^ ) . N a c h Beyrer/Bochmann/Bronsert (1987:119) ist cît Indefinitpronomen, das auch in relativischer Verwendung auftreten kann. Nach B o u r c i e z (i9io/ 5 i9Ó7:598f.) ist care ( < Q U A L I S ) zum unmarkierten Relativp r o n o m e n g e w o r d e n , das vor allem nach Personen verwendet wird, z . B . : omnul care vorbe§te ( d ' h o m m e qui parle>). Z u den beiden konkurrierenden Formen care und ce s. Iliescu (1956). S. hierzu M a n o l i u - M a n e a (1989:104). «Nur im Rumänischen wird der R S durch ein resumptives Relativum eingeleitet, und zusätzlich ist das enklitische Personalpronomen ( . . . ) obligatorisch. ( . . . ) . In anderen romanischen Sprachen löst dies im allgemeinen die Entwicklung des Relativpronomens zum bloßen Subordinator aus» ( L e h m a n n 1984:236). Vgl. hierzu auch Bernini (1989:96). D i e Verbindung war besonders in früheren Sprachstufen
354
Nach Krefeld ( 1 9 8 9 : 2 0 ) gibt es neben den syntaktisch distribuierten Relativpronomina cine/care
vs. pe cine/care
auch im Rumänischen - ähnlich wie frz. que
- «ein unspezifisches konjunktionales Element zur Einleitung von Relativsätzen», die (nicht-flektierbare) Partikel de9,
die gewöhnlich nur im Nominativ/
Akkusativ verwendet wird. De ist auf die volkstümliche und regional-dialektale Kommunikationsvariante festgelegt (Beyrer/Bochmann/Bronsert 1987:12o). 1 0 Z u r Illustration der Verwendung von de möge ein Beispiel genügen (ib.): (3) Mä, äia de vä suiräji pe pod . . . (Sorescu) () Exkurs: Die Entwicklung der Relativpronomina seit dem Altrumänischen 1 1 Nach Vi§an ( 1 9 7 4 : 7 1 ) wurden im Altrumän. die Relativa ce ( < Q U I S χ Q U I χ Q U E M ) und care ( < Q U A L I S ) 1 2 als nicht (mehr) flektierte Formen sowie eine ( < Q U I ( S ) N E χ Q U E ( M ) N E ) und cui ( < C U I ) als komplementär distribuierte Restkasusformen gebraucht. Hinsichtlich ihres semantischen Gehalts gab es jedoch Gebrauchsbeschränkungen: cine/cui
wurde nur auf belebte, ce und care
sowohl auf belebte als auch unbelebte Nomina bezogen. A l s Gegenreaktion auf die Unveränderlichkeit der Relativa konstituierten sich etwa zur selben Zeit nach dem Muster der entsprechenden Ergebnisse aus lat. I L L E Flexionsformen des Pronomens care: G e n . D a t . S g . carui (mask.), cerei (fem.), cororu
(Pl.).
des Rumän. verbreitet, wie folgendes Beispiel aus dem 16. Jh. illustriert: Cela ce lu învence ispita (). Nach Bourciez (i9io/ 5 i967:598f.) ist dieser Gebrauch auch im modernen Rumänisch noch belegt (z.B.: Fructele ce le mîncaü puree! ()), wenngleich sich seit dem 16./ 17. Jh. der Gebrauch von care in Verbindung mit einem Resumptivum durchzusetzen beginnt, z . B . : copilul pe care /'am väzut (). Vgl. hierzu Vulpe (1989:172) und Ernst (1989:339). Weitere Beispiele zu «ce + Resumptivum» bei Meyer-Lübke ( 1899/1972 : III ,§ 628). 9 Zur Etymologie von de vgl. Krefeld (i989:33 96 ): «etymologische Identität von Präposition und Konjunktion und die gegenseitige Beeinflussung der Balkansprachen ( . . . ) schließen sich keineswegs aus». 10 Vgl. auch Lombard (1974:200): «Le pron. rei. populaire de est invariable. Il exige un antécédent. Comme obj.-acc. il exige en général la reprise. Il ne se laisse introduire ni par l'indice pe, ni par aucune autre prép. Les étrangers peuvent sans réserve le laisser de côté». " Die diachronische Perspektive ist hier vor allem deswegen interessant, weil sie den in den romanischen Sprachsystemen einzigartigen Fall nachzeichnet, bei dem die volkssprachliche Partikel ce (frz. que, usw.) von einem genuin gelehrten Relativpronomen (care) verdrängt wurde. Dieses ursprünglich rein flexivisch verwendete Relativum übernahm im Laufe der Sprachgeschichte auch die Funktion einer nicht-flektierten Relativpartikel. 12 Gelehrter Einfluß scheidet bei der Verbreitung von Q U A L I S in Rumänien aufgrund der bekannten (sprach)geschichtlichen Verhältnisse aus. 355
Wie die ersten D o k u m e n t e der rumänischen Schriftsprache aus dem 16. Jh. 1 3 zeigen, ergab sich in der weiteren Entwicklung des Relativpronominalsystems eine deutliche D o m i n a n z von ce im Vergleich zu care. Es wurde unabhängig von Numerus und semantischer Natur des Bezugsnomens und besonders in Verbindung mit dem Demonstrativartikel cel, cea, cei, cele verwendet, mit dem es eine immer engere Beziehung einging, die sich bis zum heutigen Tag bewahrt hat. D a b e i waren cel ce und carele unterschiedliche Funktionen zugeordnet: cel ce leitete restriktive, carele nicht-restriktive Relativsätze ein. Eine weitere Auffälligkeit in den Texten des 16. und 17. Jhs.: D a s Pronomen care hatte ein eigenes Flexionsparadigma gebildet, dessen Nominativ- und A k kusativformen im Singular care, carele, carile (Mask.) bzw. care, carea, cariia (Fem.), im Plural care, cari, carei, carii (Mask.) bzw. care, carele, carile, cari waren. D i e Genitiv- und Dativformen lauteten câruia, câreia,
cârora.
Diesem durch Polymorphismus gekennzeichneten System stand das genus-, numerus- und kasusindifferente Relativum ce gegenüber' 4 . ce pouvait pratiquement être e m p l o y é pour toutes les fonctions syntaxiques (Vi§an 1974:66)
Diese Tendenz zur Unveränderlichkeit15
erfaßte vor allem das
flexionsreiche
Pronomen care, in geringerem U m f a n g eine, zumal dieses ja bereits nur noch eingeschränkt flektierbar war. D i e Generalisierung des Relativpronomens care, die sich im L a u f e der folgenden Jahrhunderte vollzog, hatte Auswirkungen auf den Verwendungsbereich von eine und ce; ersteres wurde auf die Funktion eines Fragepronomens eingeschränkt, letzteres trat immer mehr Funktionen an care ab, so daß es selbst mit B e z u g auf nicht-personale Nomina in Texten des 19. und 20. Jhs. immer seltener w u r d e ' 6 . D a s Relativum care präsentiert sich im modernen Rumänisch in zwei Erscheinungsformen : 1) als genus-, numerus- und kasusindifferente P a r t i k e l care, die vor allem
13
Z u r Entstehung (1988:101 ff.).
14
Hierzu Beispiele nach M a n o l i u - M a n e a (1985:262) aus dem A l t r u m ä n . : un giurelü ce-i era numele (, im dt. Substandard etwa ), aceluia ce-i täie Pätru urechea (), omulü cela ce era íntrü elu duhulú (). D i e s wertet Vi§an als Indiz dafür, daß die Entwicklung zu einer (unveränderlichen) Form des Relativums bereits vulgärlateinisch v o r g e g e b e n war. D i e s drücke sich auch in den anderen romanischen Sprachen aus (z. B . frz. que, ital. che). D a s Scheitern von ce als volkssprachlicher Universalpartikel (entsprechend frz. que) erklärt sich durch die Generalisierung des core-Paradigmas, das neben einer flektierbaren auch eine nichtf l e k t i e r b a r e , unveränderliche Variante enthielt. L e t z t e r e trat an die Stelle von ce.
15
16
und A u s b i l d u n g
der rumänischen
Nationalsprache
s.
Schmitt
E s wird im heutigen R u m ä n . nur noch eingeschränkt verwendet, insbesondere mit B e z u g auf unbelebte B e z u g s n o m i n a und in der Konstruktion cel ce. A n d e r e r s e i t s lasse sich im m o d e r n e n Sprachgebrauch ein «élargissement de la sphère de son emploi» (Vi§an 1974:56) feststellen.
356
Merkmal der gesprochenen Sprache ist 1 7 , obwohl sie zu allen Zeiten auch in der Literatur vorhanden war und auch heute noch ist. 2) als nach Numerus, Genus und Kasus flektierbares P r o n o m e n care, das vor allem in geschriebener Sprache verwendet wird' 8 . Das Flexionsparadigma wurde allerdings um einige Formen reduziert: Seit dem 19. Jh. verschwanden unter dem Druck der unveränderlichen volkssprachlichen Partikel care die N o minativ- und Akkusativformen in zunehmendem Maße, zunächst carele,
dann
carea. Nach Beyrer/Bochmann/Bronsert ( 1 9 8 7 : 1 2 0 ) sind auch die Pluralformen carii und carile heute veraltet. D a s heutige Paradigma des flektierbaren Pronomens care kann nach Vi§an ( 1 9 7 4 : 5 5 ) somit in folgende Typen differenziert werden: care, Präp + care,
Präp
+ care Flex, al -I- care Flex, care Flex19.
17
Ein Beispiel aus dem volkstümlichen Rumänisch (nach Manoliu-Manea 1985:262): Mindrä, mîdrulija mea / care m-am iubit cu ea (). Die Partikel care tritt hier zusammen mit einem Resumptivum (Präp + bet. Personalpronomen, Typ 2d) auf. Vulpe (1989:172) beschreibt invariables care als «partie de la norme orale contemporaine». Es kann auch mit einem Resumptivum auftreten: frate-säu care am fost cu el (). Bochmann (1989:49) rechnet die «Einleitung von Attribut-und Objektsätzen mit kasusinvariantem care» dem rumänischen Substandard zu. 18 Wann die Differenzierung in verschiedene Register erfolgte, ist schwierig nachzuvollziehen. Es spricht jedoch einiges dafür, daß sich dieser Prozeß bereits im 17. Jh. anbahnte. Tatsache ist jedoch, daß beide Varianten in Texten des 16. Jh. nebeneinander existierten. " Die Flexionsformen cäruia, cäreia, cärora werden nur nach bestimmten Präpositionen ( z . B . contra) verwendet.
357
13.
Rätoromanische Mundarten
13. i.
Friaulisch
Nach Frau ( 1 9 8 4 : 7 6 ) gibt es bis auf eine archaische Reliktform 1 nur das indeklinable ke, das auch mit keiner Präposition verbunden werden kann. Beispiele: ( 1 ) 1 pmp ke ti ai fevelát () In diesem Beispiel werden die im italien, nei quali synthetisierten Funktionen dekumuliert in Subordinator (che) und Ortsadverb (ite); wörtlich in etwa (wörtlich e linguistique interne I. Grammaire», in: LRL (1989), 764-785. Heinrich Augustin, Unterengadinische Syntax mit Berücksichtigung der Dialekte des Oberengadins und Münsterthaies. Zürich/Halle: Karras 1903. Zitiert nach Stimm (1987:97!·)· 359
14.
Zur Frage des universellen Status der Substandardrelativa und zum Problem sprachlicher Einfachheit
Wir können im Rahmen dieser A r b e i t die universalistische Perspektive unseres Themas nur andeuten. Wir verweisen hierzu auf die Untersuchungen von Keenan/Comrie (1977), G i v ó n (1979:146-185), Lehmann (1979,1984) und Kurzová (1981) 1 . Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß das, was wir für die meisten romanischen Sprachen 2 als Substandardkonstruktion
apostrophiert haben,
nämlich die Dekumulierung relativischer Funktionen in einen Subordinator und ein Resumptivum, in anderen Sprachen das normale Verfahren im Standard darstellt 3 . So gibt es z. B . im Neugriechischen, Irischen, Arabischen 4 , im A k k a dischen, Sumerischen und Chinesischen Resumptiva in den obliquen syntaktischen Funktionen (indirektes O b j e k t , temporales K o m p l e m e n t , lokales K o m plement, andere Komplemente) 5 . D i e Resumptivkonstruktion ist nach Kurzová (1981:80ff.) auch in den slawischen 6 und balkanischen Sprachen im System der Standardsprache verankert. Dort ist das resumptive Element in den obliquen Relationen ebenfalls obligatorisch, in der direkten Beziehung («Akkusativ») jedoch fakultativ. In den keltischen Sprachen hat die Relativpartikel sogar eine unterschiedliche Form bei direkter und obliquer Beziehung 7 . Ein offensichtlich universales Verfahren wurde also in einigen Sprachen grammatikalisiert und normalisiert, in anderen hat es lediglich fakultative Geltung und gehört meist diastratischen und diatopischen Varietäten an 8 . In einigen diatopischen Varietäten des Deutschen und Englischen sind Konstruktionen mit Relativpartikel mit oder ohne resumptives Element verbreitet. So z. B . im Schle-
1
1
3 4 5 6
7 8
S. auch Marcos-Marin (1978:89-98) und R a m a t ( 1 9 8 7 : ι i g f . ) . Z u den romanischen Sprachen vgl. auch die typologisch-komparatistische Studie von M a n o l i u - M a n e a (1985), besonders K a p . 5, «Transformación relativa» (233-273). Im Sardischen, Okzitanischen und allen genannten Mundarten und nicht-normierten Sprachsystemen sind diese P h ä n o m e n e nicht negativ konnotiert. Im Rumänischen ist die Verbindung von «Relativpartikel und Resumptivum» teilweise grammatikalisiert. Vgl. hierzu auch Sornicola (1985:13) und Bernini (1989). Vgl. hierzu G e h m a n n (1982). Vgl. L e h m a n n (1984:211 f.). Im Polnischen z. B . sind Relativkonstruktionen, bestehend aus einer Partikel und einem flektierten Personalpronomen, «nicht unüblich» ( B a g l a j e w s k a - M i g l u s 1991:33). Nach K u r z o v á (1981:84). Eine umfassende universalistische U n t e r s u c h u n g zu diesem Relativsatztypus in nichtnormierten Varietäten ist noch zu leisten.
360
sischen (der M a n n , was ich ihm gab' Geld 9 ), Süddeutschen 1 0 (den Schrank, wo S' da hinten sehen; das ist einer, wo die Optiker dagegen rebellieren; die Frau, die wo an der Kasse sitzt 1 ') und Schweizerdeutschen ( D a a isch de chöönig Ä o l u s gsii, wo mer am aafang vo dere sendig von em ghöört händ, wörtlich schlüpft (..), mit seiner lokalen G r u n d b e d e u t u n g zusammen». D i e D u d e n - G r a m m a t i k (i959/ 3 i973: § 1343d) markiert relativisches wo, das sich nicht auf Substantive bezieht, die O r t oder Z e i t bezeichnen, als «stark umgangssprachlich o d e r mundartlich». Von seinem G e b r a u c h wird ausdrücklich abgeraten. Z u den Relativpronomina in den deutschen Mundarten s. besonders Weise ( 1 9 1 7 ) : was bzw. wos ist demnach im Mitteldeutschen die übliche Form ( D e r M o n , wos met mer is k o m a n ) ; dazu kann in einigen Fällen das S u b j e k t p r o n o m e n treten (Typ 2a): ich, was ich ...; du, was du ... usw. D a r a u s k a n n , wie in der Leibitzer M u n d a r t , sogar ein flektiertes Relativum entstehen (woser , wose , woses im N o minativ, wosnen, wosense, wosnes im A k k u s a t i v , etc.): der M a o r e r , woser bae uns hot georpt ; där, wosens K e n t is gestorben (entspricht Typ 2g); der M a n n , wos ich nen sä (Typ 2b). Ein beschränkteres Verbreitungsgebiet hat das Relativum wo, das nach Weise ( 1 9 1 7 : 6 6 ^ ) vor allem im A l e m a n n i s c h e n , aber auch im Bairischen und Fränkischen (und anderen M u n d a r t e n ) gebräuchlich ist, z. B . : D u bisch der erseht, wo das seit . Hierzu g e h ö r e n auch Fälle wie: der Buur, wo-η ihm s Huus abbrönnt isch ( D e k u m u l i e r u n g in wo ... ihm), die F r o u , wo mer gestern d ' C h i n d e r von ere gseh hei (Typ 2d; D e k u m u l i e r u n g in wo ... von ere). In obliquen Konstruktionen - meist in Genitiv- und Dativrelationen - steht auch oft nur das Relativum wo, z.B. egerländisch: däi, wau's Herz no jung is , oder altenburgisch: der M o n n , wuu de Frau verreist ist . Im A l e m a n n i s c h e n tritt oft noch der bestimmte A r t i k e l hinzu, z. B . : Ta M a n n , dem wu tes Haus keherat . («Dies geschieht ab und zu sogar beim Nominativ» (Weise 1917:67)). A n s t e l l e von präpositionalen Relativkonstruktionen steht in den genannten M u n d a r t e n grundsätzlich meist die Verbindung «wo .. . (präpositionales) A d v e r b » (Typ 2d): schlesisch: dos is der B o o m , wuu de E p l druf heng , altenburgisch: de B r ü c k e , wuu mer driber g e g a n g sin , bairisch: e Sach, wo mer dra e Freud ham ka . Ä h n l i c h e Beispiele bringt B a u m g ä r t n e r (1959:41 f.) für die Umgangssprache in Leipzig, z. B . : mir brauchn chäds e hamer, wo der schdil was aushäld. B a u m g ä r t n e r macht j e d o c h die soziolinguistische Markiertheit dieses P h ä n o m e n s deutlich, indem er es als M e r k m a l der «unteren» bzw. «untersten Schicht» apostrophiert.
" Authentische Beispiele nach eigener B e o b a c h t u n g . Varianten der einfachen Relativpartikel wo können also «wo + präpositionales A d v e r b » und «Relativpronomen + wo» sein. Vgl. auch die D e k o m p o s i t i o n von deutsch deren in f o l g e n d e m Satz: W i r haben genügend Spieler, denen ihre Mentalität es ist, defensiv zu spielen (Franz B e k k e n b a u e r im A R D - W M - M a g a z i n am 6.7.1990).
361
ben> 12 ). A u c h im englischen Substandard' 3 und in englischen Dialekten ist diese Erscheinung nicht unbekannt. In der English Dialect Grammar wird beispielsweise für die Genitivrelation bemerkt: ( . . . ) but as a rule the possessive cannot be expressed by a single word in the dialects; instead a periphrasis or parenthetical sentence is substituted (Wright 1905/1968:280f.).
Besonders häufig sei die Verwendung von as oder what in Verbindung mit einem Possessivpronomen, ζ. B . : that's the chap as his uncle was hanged. In den englischen Dialekten Schottlands ist statt as auch at üblich: the man at his coat's torn' 4 . A u c h in den (tertiären) Dialekten des amerikanischen Englisch sind ähnliche Strukturen verbreitet. In den Varietäten des Upper Midwest15
findet sich
beispielsweise an Stelle des personalen Subjektpronomens who die Kombination that he und statt des Genitivpronomens whose die Dekumulierung in that + his oder that + the. A u c h im Niederländischen ist diese Erscheinung belegt. A n Stelle der synthetischen Relativpronomina wiens und wier werden im Substandard häufig die z'n bzw. die d'r verwendet' 6 . Es obliegt den Universalisten und Sprachtypologen, die Ursachen für die erstaunlich weite Verbreitung dieser Phänomene zu untersuchen. Einige Faktoren, die die Herausbildung und Durchsetzung dieses Typus begünstigt haben, liegen auf der Hand: ι.
Ein höheres M a ß an struktureller Analytizität durch Verlagerung ver-
schiedener Funktionen von der paradigmatischen
auf die
syntagmatische
E b e n e ' 7 . Dieser Prozeß läßt sich für die romanischen Sprachen bereits seit dem Vulgärlateinischen nachvollziehen' 8 .
12 13 14
15 16
'7 18
Beispiel aus Schwarze (1988:396). Vgl. das Beispiel bei C o m r i e (1981:149): This is the road that I k n o w where it leads. Wesentlich b e d e u t e n d e r für die englische Sprachgeschichte ist j e d o c h die Variante of which (anstelle von whose), die bereits im Frühmittelenglischen belegt ist. Sie kann als A u s d r u c k der E n t w i c k l u n g von einem synthetischen zu einem analytischen Sprachtypus betrachtet w e r d e n , die beispielsweise auch die Interrogativpronomina erfaßt hat (whom? neben who ... to?). E i n e Linearität dieses «drift» (nach E d w a r d Sapir, Language. An Introduction to the Study of Speech. N e w Y o r k : Harcourt, B r a c e & C o . 1921) wird j e d o c h von Schneider in Frage gestellt, da deutliche Unterschiede hinsichtlich des sozialen Ursprungs und der syntaktischen Bedingtheit beider Typen weniger auf ein Nacheinander als auf ein N e b e n e i n a n d e r von flektierten und unflektierten whpronouns - bereits in früheren Sprachstufen des Englischen - hindeuten. S. hierzu E d g a r W. Schneider, « W h o ( m ) ? Constraints on the loss of case marking of vWi-pronouns in the English of S h a k e s p e a r e and other poets of the Early M o d e r n English period», in: Matti Rissannen et alii (Hgg.), English Historical Linguistics. Papers from the Sixth International Conference, Helsinki, May 1990. Berlin: M o u t o n de G r u y t e r (im D r u c k ) sowie « W h o ( m ) ? C a s e marking of u> ¿¡-pronouns in written British and A m e r i c a n English», in: G e r h a r d Leitner (Hrsg.), New Dimensions in Corpus Linguistics. Berlin: M o u t o n de G r u y t e r (im D r u c k ) . Vgl. A l l e n ( 1 9 7 5 , 2 : 5 5 ^ ) . N a c h N o o r d h o f (1937:84). Vgl. hierzu auch B l a s c o Ferrer ( 1988:260f.) und Bernini (1989). D i e Ergebnisse in der R o m a n i a sind also einerseits R e f l e x eines monogenetischen
362
Pro-
Parallel zu dem distanz- bzw. schriftsprachlichen Verfahren, das die Funktionen Subordination* und in einer Form synthetisiert,
exi-
stiert nähe- bzw. sprechsprachlich die Strategie der expliziten, analytischen Funktionsmarkierung (Typ 2, Typ 4). D i e syntaktische Funktion wird durch ein mit der Partikel bzw. dem Pronomen korrelierendes syntaktisch-semantisch merkmalhaftes Element (Personal-, Possessivpronomen u . a . ) deutlich gemacht (Typ 2) bzw. pleonastisch verstärkt (Typ 4). 2.
D i e andere Strategie besteht darin, mittels einer morphologisch kon-
stanten Form, die nur die Rolle der Subordination erfüllt, alle syntaktischen Funktionen auszudrücken (Typ 1, Typ 3). Diese werden jedoch oberflächenstrukturell nicht markiert, sondern müssen vom Hörer durch den allgemeinen Wissenskontext oder den Ko-Text, i . e . den sprachlich-kommunikativen Kontext' 9 , erschlossen werden. 3.
D e r polyfunktionale Charakter eines universalen Elements (Konjunk-
tion, Relativum, Interrogativum) begünstigt seine Generalisierung. Diese läßt sich gesamtromanisch auf den morphologischen Zusammenfall des Relativums und der Konjunktion Q U E im Vit. zurückführen 2 0 . Inwieweit sich die Substandardtypen in den romanischen Sprachen werden behaupten oder, auf längere Sicht hin, durchsetzen können, kann nur in spekulativer Weise diskutiert werden 2 1 . Lehmann (1979:21) prognostiziert beispielsweise für das Italienische die Durchsetzung des Typs 2d {que -I- betontes Personalpronomen) gegenüber dem Typ «que + unbetontes Element» ( z . B . Typ 2c, 2e), da letzterer «nicht so explizit, also nicht so leistungsfähig bzgl. der Skala der syntaktischen Funktionen» sei wie ersterer. Auszuschließen sei ferner nicht, daß sich in den romanischen Sprachen, wie im Englischen, die Unterdrückung der Relativkonjunktion que/che herausbildet 2 2 . D i e Funktion der Unterordnung könnte dann immer noch «durch die im einfachen Satz unmögliche Stellung der Konstituenten signalisiert werden, sobald diese, wie im Engl., petrifiziert ist» (Lehmann 1979:22). Ähnliche Verfahren fanden wir auch in den französischen Kreolsprachen vor.
zesses - A u s g a n g s p u n k t war das M o r p h e m Q U E des gesprochenen Latein zu nachklassischer Z e i t - , andererseits A u s d r u c k eines übergeordneten universalen, also polygenetischen (morphosyntaktischen) Prinzips, das beispielsweise im deutschen Sprachtyp vorwiegend durch wolwas ( + Resumptivum), im englischen Sprachtyp durch as/at/that ( + Resumptivum) bzw. durch of which realisiert ist. 19 20
S. hierzu Koch/Oesterreicher (1990:11). Vgl. unser K a p . zum Lateinischen. B e s o n d e r s in der Hispanistik n e h m e n einige A u t o ren deshalb keine Trennung zwischen der K o n j u n k t i o n und dem Relativum que vor. S. zu dieser Frage A l o n s o M e g i d o (1981-1982).
21
Kritisch zur typologischen Progressivität A l b r e c h t ( i 9 9 o : 9 5 f f . ) .
22
Eine umgekehrte Tendenz läßt sich j e d o c h im gesprochenen Portugiesisch betrachten. D o r t wird die Subordinationspartikel que durch das E l e m e n t de verstärkt. D i e Seq u e n z de que findet sich in allen Typen von K o m p l e m e n t s ä t z e n . N a c h L e h m a n n (1979:23). Vgl. hierzu auch Bernini (1989:97).
363
A b s c h l i e ß e n d noch einige B e m e r k u n g e n zur Frage der sprachlichen
Verein-
fachung. D i e H ä u f i g k e i t bzw. G e n e r a l i s i e r u n g bestimmter P h ä n o m e n e in k o n z e p t i o nell g e s p r o c h e n e r S p r a c h e w u r d e oft mit d e m Prinzip d e r sprachlichen Vereinfac h u n g erklärt 2 3 . D a ß dieses E r k l ä r u n g s m o d e l l in mancherlei Hinsicht p r o b l e m a tisch ist, hat Ernst (1983) anhand italienischer B e i s p i e l e gezeigt 2 4 . S e i t d e m haben sich m e h r e r e A u t o r e n , besonders aus d e m B e r e i c h d e r Italianistik, mit d e m T h e m a beschäftigt 2 5 . D i e A m b i g u i t ä t des B e g r i f f s hat z . B .
Albrecht
( i 9 9 0 : 7 4 f f . ) h e r v o r g e h o b e n und abstrakte Kriterien zur E i n g r e n z u n g des Phän o m e n s aufgestellt, die er dann anhand von einzelsprachlichen P h ä n o m e n e n überprüft. A l s b e s o n d e r s wichtig erscheinen uns zwei A s p e k t e : Z u m einen m u ß s p r a c h l i c h e Einfachheit) als «relationeller B e g r i f f » verstanden w e r d e n , «der nur als zweistelliger P r ä d i k a t o r v e r w e n d e t w e r d e n kann» (7Ó) 26 . Z u m anderen ist als Prozeß begreift, bei dem ein Element einem anderen gegenübersteht bzw. durch ein anderes ersetzt oder verdrängt wird. Dies geschehe jedoch in einer Art und Weise, die für den Benutzer «più facile, più agevole, meno complesso, meno faticoso, meno impegnativo cognitivamente» sei. Der Aussage von Ramat (1982:292), Konstruktionen mit einer Relativpartikel statt eines flektierten Relativpronomens seien «easier to produce and to understand», muß deshalb mit Skepsis begegnet werden.
364
tionen 2 8 abgeschwächt werden, da die Auswahl einer Struktur vom Prestige einer high variety gegenüber einer low variety gesteuert sein kann. Zweitens ist es nicht sinnvoll, Vereinfachungsprozesse rein systemintern zu betrachten, wie z . B . Guiraud (1966), da er vom realen Kontakt des Menschen mit Sprache abstrahiert 29 . Bei der Beurteilung von Sprachwandel ist es deswegen präziser, von Systemveränderungen oder -reduzierungen zu sprechen. A u f g r u n d der umrissenen Problematik des Konzepts der sprachlichen Einfachheit bzw. Vereinfachung, zogen wir es vor, diese Begriffe zu vermeiden 3 ". Im folgenden sollen zusammenfassend noch einmal einige Faktoren genannt werden, die zur Kontinuität der Relativkonstruktionen mit polyvalentem quel che mit und ohne Resumptivum beigetragen haben 3 ': - Analytizität 3 2 (Typ 2, Typ 4) - Dekumulierung und Verteilung der Funktionen auf die syntagmatische Achse (Typ 2) 33 - Generalisierung eines morphologisch unveränderlichen, häufigen und pragmatisch polyfunktionalen Elements (Typ 1, Typ 2, Typ 3) - Beschränkung auf nur eine Form (Typ 1, Typ 2, Typ 3) - Kommunikative Relevanz des einheitlichen Subordinators 3 4 - Beibehaltung der unmarkierten Wortstellung eines einfachen Aussagesatzes - Psycholinguistische Faktoren 3 5 (geringe syntaktische Planung 3 6 , Spontaneität, unmittelbares A n k n ü p f e n an den Matrixsatz mit einempasse-partout-Element).
18
Z u r Funktion des italiano popolare B o c h m a n n (1988:284).
29
W ä h r e n d die Frage im ersten Falle lauten m ü ß t e «Einfach im Vergleich w o z u ? » , m ü ß t e sie im zweiten Fall «Einfach für wen?» heißen. «Im übrigen gibt es vorerst noch keine zuverlässige M e t h o d e , die einer gesamten Sprache oder Sprachvarietät zu messen» ( A l b r e c h t 1990:121).
10
als «Lösungsversuch des Diglossiedilemmas» s.
31
D a b e i gehen wir von einer Gleichzeitigkeit synthetischer und analytischer Verfahren aus. Vgl. hingegen B e r r u t o (1990:31), dessen Darstellungsweise ein Nacheinander suggeriert: l ' u o m o che gli ho dato un libro < l ' u o m o cui ho dato un libro.
32
Vgl. hierzu A l b r e c h t ( i 9 9 o : 9 7 f f . ) . R a m a t (1982:290) weist auf die Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen semantischen Einheiten und der morphosyntaktischen Organisation hin. Jedes M o r p h e m (Relativpartikel, Resumptivum) stehe für eine Funktion.
33
34
35
36
D e m H ö r e r wird die Subordination des f o l g e n d e n Satzes angekündigt. Vgl. hierzu R a m a t (1982:288f.), die darin eine Vereinfachung in kommunikativer Hinsicht sieht. E i n e Untersuchung zu diesem B e r e i c h erbrächte wertvolle Erkenntnisse zur Varietäten· und Fehlerlinguistik. Koch/Oesterreicher (1985:25) stellen dieses P h ä n o m e n in A n l e h n u n g an Talmy G i v ó n in Z u s a m m e n h a n g mit d e m B e g r i f f , der in konzeptionell gesprochener Sprache anstelle des s y n t a k t i s c h e n Modus> vorherrsche.
365
15.
Zur sprachtypologischen Beschreibung der Substandardrelativkonstruktionen
In letzter Z e i t ist das Interesse an sprachtypologischen Fragestellungen innerhalb der Romanistik durch eine Reihe von Arbeiten neu belebt worden 1 . D a b e i standen in erster Linie allgemeine typologische Z ü g e der historischen Einzelsprachen im Mittelpunkt. Von einigen Ausnahmen abgesehen (vor allem Körner 1987) sind dabei diasystematische Varietäten nicht oder nur am Rande berücksichtigt worden. So fehlt z . B . eine umfassende sprachtypologische A r b e i t zu den Substandardrelativa in den romanischen Sprachen. Unsere Überlegungen zu diesem T h e m a verstehen sich als A n r e g u n g e n für die weitere Diskussion eines Aspekts, dessen Komplexität den Rahmen dieser A r b e i t sprengt. Wir beziehen uns deshalb selektiv nur auf zwei Perspektiven: die korrelative Sprachtypologie Körners und die bereits traditionsreichen Begriffspaare und .
Substandardrelativa und die Sprachtypologie Körners Unter A n w e n d u n g der in 3.2.1. skizzierten Positionen Körners ist man versucht, das dekumulierte Relativpronomen zum subjektlichen Typ zu zählen. In der Tat läßt sich der décumul im Französischen, Italienischen, Katalanischen und besonders im lateinamerikanischen Spanisch, das nach Körner ebenfalls eher dem genannten europäischen Sprachtypus angehört 2 , sehr häufig feststellen. A b e r auch im europäischen Spanisch und im Portugiesischen ist das Phänomen stark verbreitet, so daß sich zwischen den romanischen Einzelsprachen, was die Nachweisbarkeit dieser Phänomene betrifft, keine signifikanten Unterschiede ergeben. D i e verstärkte Identifizierung des Subjektpronomens wird ζ. B. in (1) und (2) deutlich: ( 1 ) L ' h o m m e que j e connais son fils (2) L ' u o m o che conosco suo figlio
' Z . B . G e i s l e r (1982), E c k e r t (1986), K ö r n e r (1987). Vgl. hierzu seinen A u f s a t z «Hat das lateinamerikanische Spanisch eine eigene G r a m matik?» (1987:110-119; erstmals erschienen 1985). U . a . wird deutlich, daß der prädikative Relativsatz auch im Spanischen Lateinamerikas sehr leicht auffindbar ist und gleichzeitig Infinitivkonstruktionen eher vermieden werden.
2
366
Das Possessivpronomen trägt in beiden Fällen zur Markierung des Subjekts bei. Dieser Typ gehört jedoch - außer in Lateinamerika 3 - im Spanischen zu den weniger häufigen Substandardkonstruktionen. Auch im Portugiesischen haben andere Verfahren einen höheren Stellenwert, z . B . Typ 2d, der besonders im brasilianischen Portugiesisch verbreitet ist: (3) O livro que eu falei dele
Diese Konstruktion ist wiederum im Französischen 4 , Italienischen 5 , Spanischen und besonders im Katalanischen deutlich seltener vertreten als andere Substandardtypen. Andererseits können die Sätze (4) und (5) - ebenso wie (6) und (7) - auch als «objektpronomenfreudige» Konstruktionen begriffen werden, was die Körnersche These der Subjektlichkeit im Frz. (und Italien.) - zumindest in diesen Fällen - nicht bestätigt: (4) (5) (6) (7)
L'homme L'homme L'homme L'homme
que que que que
je je je je
parle avec lui parle de lui lui parle /'écoute
Als Indiz für die von Körner beobachtete funktionslose Verwendung von Subjektpronomina (clitic doubling) kann für das (dekumulierte) Relativum folgender Fall (8) angeführt werden 6 : (8) L'homme qu';Y parle
Weitere Überlegungen zu diesem Thema sind nötig. Sie müssen jedoch stets die typologische Verschiedenartigkeit von Substandardvarietäten im Auge behalten. Z u m Grad der Analytizität und Redundanz von standardsprachlichen und substandardsprachlichen Relativkonstruktionen am Beispiel des Französischen In Kap. 2.2.2. haben wir die Funktionen eines Relativpronomens wie folgt beschrieben: ι . Subordination 2. Attribution (i.e. Identifikation des Bezugsnomens) 3. Leerstellenbildung (i.e. Repräsentation des Bezugsnomens und Anzeige der syntaktischen Rolle, die dieses im Relativsatz spielt) Für unsere folgenden Überlegungen teilen wir die dritte Funktion auf in zwei 3 4
5
6
S. hierzu unsere Ausführungen zum amerikanischen Spanisch (Kap. 7.8). Im traditionellen kanadischen Französisch allerdings ist sie sehr häufig belegt (vgl. Kap. 5 . 8 . 1 . ) . Im Italienischen scheint dieser Typ allerdings an Boden zu gewinnen. Vgl. Lehmann ( 1 9 7 9 : 2 1 ) und Mioni (1983:502). Die Dekumulierung der Funktionen des Subjektpronomens in «Subordinator + Resumptivum» ist im Italien, nur dialektal belegt (vgl. z . B . Kap. 6.4.2.).
367
E i n z e l f u n k t i o n e n ( R e p r ä s e n t a t i o n , syntaktische R o l l e ) , die in einer F o r m amalgamiert sein o d e r durch zwei F o r m e n a u s g e d r ü c k t w e r d e n k ö n n e n . D i e e i n z e l n e n F u n k t i o n e n w e r d e n von verschiedenen M o r p h e m e n ( M ) übern o m m e n . D i e A b k ü r z u n g e n für diese F u n k t i o n e n sind: ι. Sub
=
Subordination
2. A t t r
=
Attribution
3. R e p
=
Repräsentation
4. Synt
= Syntaktische R o l l e
D i e verschiedenen Relativsatzstrategien lassen sich nach diesem S c h e m a wie folgt analysieren. D i e e i n z e l n e n Typen sind j e w e i l s nach a b n e h m e n d e r A n a l y t i zität bzw. z u n e h m e n d e r Syn the tizi tat aufgelistet 7 . Standard
(A)
(0
(2)
(3)
L'homme avec lequel je parle L'homme à/avec qui je parle Il n'y a rien à quoi il s'intéresse
Synt
•Sub+Rep+Attr
Synt
Sub+Rep
Synt
Sub+Rep
(B)
(4) L'homme qui parle (5) L'homme que j'écoute (C) (6)
L'homme dont je connais le fils
(7) L'homme dont je parle
(D)
(8)
L'homme auquel je parle
Synt+Sub + Rep Synt+Sub + Rep
Synt+Sub+Rep Synt+Sub+Rep
M,S y n t + S u b + R e p + A t t r
Substandard (E)
(9) (10) (F) (11) (12) (13) (14) (G) (15)
L'homme que je parle avec lui L'homme que je parle de lui
Ms„b Msub
L'homme L'homme L'homme L'homme
MSub MSub M Sub Ms„b
que je lui parle que je connais son fils qu'il parle que je /'écoute
L'homme que je parle
MSy„,
M s y n t + Rep
M
M s y n t + Rep
S
y„,
M s y m + Rcp M s y n t + Rep M s y n t + Rep M s y n i + Rep
Ms„b
D i e unter ( E ) aufgelisteten K o n s t r u k t i o n e n sind somit a m analytischsten, gefolgt von ( A ) u n d (F). D i e Substandardstrategien ( E ) und (F) erweisen sich dabei j e d o c h insofern grundsätzlich als analytischer im Vergleich zu ( A ) , als ihre Wortstellungsstruktur mit d e r in e i n e m u n a b h ä n g i g e n A u s s a g e s a t z identisch ist. 7
Zum synthetischen und analytischen Sprachtypus vgl. Kuen (1952), Weinrich (1963), Geisler (1982:21 ff., posi.), Eckert (i986:354ff., pass.), Jacob (i99o:i4ff.), Stammerjohann (1991) und Stammerjohann (Hrsg.) (1991). Z u s. Weinrich (1963), Baldinger (1968), Hunnius (1977), Wandruszka (1980) und Jacob (1990). Zu den Begriffen s. Eckert (i986:354ff., pass.). Zusammenfassend sowie zur Kombination der Begriffspaare und s. Geckeier (1985) und (1989).
368
W ä h r e n d d e r g r ö ß t e G r a d an Synthetizität in (8) und ( 1 5 ) erreicht ist, sind ( 1 ) , (9) und (10) a m r e d u n d a n t e s t e n . A m wenigsten R e d u n d a n z weist d e r Typ ( 1 5 ) auf. Mit B e z u g auf G e c k e i e r (1989), der die B e g r i f f s p a a r e «analytisch/synthetische und 8 in einer A r t K r e u z k l a s s i f i k a t i o n miteinand e r verbindet, wird ein M o d e l l v o r g e s c h l a g e n , das d e n spezifischen Strategien der Relativsatzbildung R e c h n u n g trägt. So ist ein R e l a t i v p r o n o m e n grundsätzlich p o í í d e t e r m i n i e r e n d , wenn es das v o r a u s g e h e n d e B e z u g s n o m e n vertritt 9 . G l e i c h z e i t i g determiniert das R P a b e r auch das V e r b des Relativsatzes, zu d e m es die E r g ä n z u n g darstellt. D i e s e (standardsprachlich) d o p p e l t e F u n k t i o n des R e l a t i v p r o n o m e n s führt zu f o l g e n d e n stellungstypologisch verschiedenen K a t e gorien: I)
Analytisch-post-prädeterminierend:
(A)
II)
Synthetisch-post-prädeterminierend:
(B), (C), (D)
III)
Analytisch-O-postdeterminierend:
(E)
IV)
Analytisch-O-prädeterminierend:
(F)
V)
Synthetisch-O-O-determinierend:
(G)
E i n e Einteilung, die nur die Stellung des R e l a t i v u m s z u m B e z u g s n o m e n e r f a ß t , hätte h i n g e g e n f o l g e n d e s A u s s e h e n : I)
Analytisch-postdeterminierend:
( A ) , ( E ) , (F) 1 0
II)
Synthetisch-postdeterminierend:
(B), (C), (D)
III)
Synthetisch-nicht-determinierend:
(G)
R e l a t i v k o n s t r u k t i o n e n , die nicht d e m vorbildlichen S p r a c h g e b r a u c h entsprec h e n , sind also vornehmlich analytischen Typs, w ä h r e n d die syntaktisch-semantischen F u n k t i o n e n in den normativen Relativsätzen meist in einer F o r m synthetisiert sind. Innerhalb der analytischen bzw. synthetischen V e r f a h r e n lassen sich überdies verschiedene G r a d e e r k e n n e n . Was die R e d u n d a n z der einzelnen
8
9 10
Wir beziehen mit Geckeier (1989) die Position, daß die Begriffe und als skalar zu betrachten sind und sich auf den Grad der < morphologischen Kohäsion der Wörter) beziehen. und hingegen sagen etwas über die Determinationsrichtung aus. Sie geben das «Stellungsverhältnis der grammatischen Elemente zu den zu determinierenden Lexemen» an ( 181 ). Innerhalb der daraus resultierenden Kreuzklassifikation ist der Typ «que + Resumptivum» prinzipiell als analytisch-postdeterminierend, dont, aber auch polyfunktionales que als synthetisch-postdeterminierend einzustufen. Was die Skalarität betrifft, besetzt der erste Typ den analytischen, letztere beiden Typen den synthetischen Pol. Wir klammern Relativsätze ohne Antecedens aus unserer Betrachtung aus. Blasco Ferrer (1990:57,68) sieht in den analytisch-postdeterminierenden Relativsystemen der oberitalienischen Dialekte Piemontesisch, Lombardisch, Ligurisch und Emilianisch auch eine «Tendenz zur Isolierung, also zur Markierung von grammatikalischen Funktionen durch lose statt durch gebundene Morpheme» verwirklicht. Statt paradigmatischer Oppositionen wie im Standarditalienischen (che - cui) liege eine «Modifikation im Syntagma» vor (ke + 0, ke + ge, ke + en).
369
Strukturen betrifft, wird im Bereich des Substandards die dominante Position von Typ 2d ( E ) deutlich, der z . B . im brasilianischen Portugiesisch besonders verbreitet ist, aber auch im Italienischen immer häufiger in Erscheinung tritt. Ein ähnlich hohes Maß an Redundanz weist im Standard nur die Konstruktion Präp
+ lequel
auf11.
" Jacob (i99o:i78ff.) sieht zwei Möglichkeiten der Relativsatzbildung im heutigen Französisch. Die Spezifizierung nach Genus, Numerus und Kasus durch ein aktantensensitives Relativpronomen stelle eines der beiden Verfahren dar. Das andere, charakteristisch für die nicht-geschriebene Umgangssprache, führe zu einem , i. e. zu einem Verlust an grammatischer Information, die durch das «Setzen eines pronom conjoint» (i8o) ausgeglichen werde. Skeptisch äußert sich Jacob jedoch zur Bewertung dieser Strategien als analytische Prozesse. 370
16.
Zusammenfassung und Ergebnisse
D i e Ergebnisse unserer A r b e i t gliedern sich in zwei Hauptbereiche: Erstens wird die einzelsprachliche Belegbarkeit der in einem übereinzelsprachlichen Maximalsystem enthaltenen Ausprägungen von Relativkonstruktionen
der
Volkssprache bzw. des Substandards, zum Teil einschließlich der diachronischen, diatopischen und diastratisch-diaphasischen Varietäten, dargestellt (/). Zweitens werden die Erkenntnisse über Frequenz, Distribution, Gebrauchsbedingungen und soziolinguistischen Stellenwert von Substandardrelativa in konzeptionell gesprochenem Französisch, Italienisch und Spanisch anhand der Ergebnisse zu den Korpusuntersuchungen resümiert (II). I.
D i e A n w e n d u n g eines übereinzelsprachlichen Modells zur Beschreibung
der konzeptionell sprechsprachlichen Relativkonstruktionen hat sich in mehrerlei Hinsicht als berechtigt erwiesen. Bereits im Vulgärlatein der nachklassischen Periode konnten vier Haupttypen volkssprachlicher Relativsatzstrategien ermittelt werden. Diese bilden auch den Ausgangspunkt für die Untersuchung der romanischen Sprachsysteme. Ein differenziert gestaltetes Raster, das alle Typen von Relativkonstruktionen mit polyvalentem quel che enthält, erlaubte die einzelsprachliche Überprüfung hinsichtlich dieser Verwendungsweisen.
Dabei
stellten sich für die frühen D o k u m e n t e der romanischen Sprachen unterschiedliche G r a d e von Häufigkeit heraus, die, wie im Falle des Französischen, bereits auf (negative) volkssprachliche Markiertheit dieser Verfahren schließen lassen. In anderen Literaturen hingegen, ζ. B . der italienischen, sind diese Konstruktionen nicht negativ bewertet. D e r gemeinsame Entwicklungsstrang dieser sprachlichen Verfahren differenziert sich in zweierlei Hinsicht: Erstens im Hinblick auf das Medium,
in dem sie auftreten. Während beispielsweise noch im 16. Jahrhun-
dert für das Spanische und Französische etliche B e l e g e aus schriftsprachlichen Quellen zu ermitteln waren, trifft dieser Sachverhalt für das folgende Jahrhundert nur noch für das Spanische, jedoch nicht mehr für das Französische zu. D i e s hängt unmittelbar mit dem zweiten Faktor, den Prinzipien normativer Sprachregulierung, zusammen. D i e Vaugelas'schen Konzepte zur Beschreibung des präskriptiven Sprachgebrauchs schlossen konzeptionell sprechsprachliche Konstruktionen, die nicht den Gepflogenheiten der honnêtes
gens entsprachen,
kategorisch aus. Dies geschah beispielsweise nicht in Spanien. Neben innersprachlichen Prozessen (1.2.) können somit auch einzelsprachlich kontingente kulturelle Faktoren den unterschiedlichen funktionalen und soziolinguistischen Stellenwert eines sprachlichen Phänomens erklären.
371
ι. Es wurde deutlich, wie sprachtypologische Prozesse und konzeptionell mündliche Versprachlichungsstrategien das klassisch-lateinische Relativpronominalsystem auflösten und zu einem Minimum an Formen führten, die im Vulgärlatein nachklassischer Zeit mehrere syntaktische Funktionen erfüllen konnten. Im Falle des Relativums Q U E haben verschiedene Faktoren zu seiner Multifunktionalität beigetragen: Zum einen phonologische Veränderungen, die den lautlichen Zusammenfall einzelner Formen (z.B. Q U A E , QUEM) in Q U E bewirkt haben; ferner, in engem Zusammenhang hiermit, morphologische Veränderungen, die sogar kategorielle Verschiebungen zur Folge hatten (teilweise oder völlige Auflösung der Kasus-, Genus- und Numerusopposition, stattdessen Herausbildung der Opposition /). Als unmittelbare Konsequenz für die Syntax ergab sich die Tendenz zur festen Wortstellung sowie zum analytischen Ausdruck (Präpositionen übernehmen - zuerst zusätzlich, später grundsätzlich - die Funktion der Kasusendungen). Ein weiterer Umstand, der zur Ausbreitung der Form Q U E geführt hat, war die seit dem 6. Jh. nachzuweisende Herausbildung der Konjunktion Q U E , die an die Stelle von QUOD trat. Während ein Restparadigma von drei Kasusformen (QUI-QUE-CUI) das romanische Erbe des klat. flexivischen Relativpronominalsystems darstellte und die Basis für die unmarkierten Relativa in den romanischen Einzelsprachen bildete, entwickelte sich das Relativum Q U E geradlinig weiter zu einer polyfunktionalen Partikel, die nur noch der Subordination diente 1 . Diese Strategie impliziert gleichzeitig den höchsten Grad an Ökonomie bzw. das geringste Maß an Redundanz. Sie liegt in all den Fällen vor, in denen Q U E lediglich Scharnierfunktion zwischen zwei Propositionen innehat, die in einem bestimmten syntaktischen Verhältnis zueinander stehen (Typ ia). Eine ähnliche Verwendung als semantisch und syntaktisch leere Partikel zeichnet sich beim ursprünglichen Ortsadverb U B I ab (Typ 3). Als Kompensation zum Verlust der Leerstellenbildungsfunktion konnte ein pronominales Element (meist Personal- oder Demonstrativpronomen) zur Identifikation des syntaktischen Bezuges hinzutreten. Dieses Verfahren war auch in Relativsätzen mit flektierten Relativpronomina (Typ 4) zu beobachten, was mit dem typologischen Wandel zur Analytizität zusammenhängt. Das Bedürfnis gesprochener (Volks-)Sprache nach analytischem, nicht-abstraktem Ausdruck syntaktischer Beziehungen hat schließlich zur Generalisierung des «dekumulierten Relativpronomens» geführt (Typ 2). 2. Die Untersuchungen zum Französischen waren aufgrund der eingangs geschilderten sehr spezifischen historischen Verhältnisse am detailliertesten. Hinzu kommt, daß die Gesprochene-Sprache-Forschung die meisten und umfangreichsten Korpora bisher für das Französische erarbeitet hat. In altfranzösischen Texten lassen sich nur jeweils sehr wenige Belege für die 1
Die volkssprachliche Tendenz zum Abbau komplexer Paradigmen und zur Herausbildung und Verwendung unveränderlicher Morpheme (Prinzip der Sprachökonomie) muß hier als wesentlicher Faktor in Betracht gezogen werden.
372
relativische Verwendung von universalem que ohne (Typ ia) oder mit Resumptivum (Typ 2) finden. Dies trifft jedoch nicht im gleichen Maße auf die Verwendung der Partikel in temporaler und lokaler Funktion zu, die eine deutlich größere Verbreitung in den Texten hatte. Die Gründe für die ausgesprochene Seltenheit von obliquem que (meist keiner oder nur 1 Beleg für die Funktion des präpositionalen Objekts, 0-2 Belege für die Funktion des indirekten Objekts) hängen mit einem sprachtypologischen Umstand zusammen: mit der Bewahrung - zumindest in der Schriftsprache - der Opposition / (auch) im Paradigma der Relativpronomina, das neben der Rektusform qui (ζ. T. que) die Obliquusformen que (als direktes Objekt) und cui (für indirekte und präpositionale Relationen) aufwies. Die Tatsache, daß die letzteren Funktionen im schriftsprachlichen System durch eine eigene Form (cui) besetzt waren, ist als Grund für die Vermeidung des konkurrierenden, genuin sprechsprachlichen que anzunehmen. Eine frühe volkssprachliche Markierung und somit Diskriminierung dieser Konstruktionen in distanzsprachlichen Kontexten kann deshalb als wahrscheinlich betrachtet werden. Dieser Eindruck verstärkt sich im Hinblick auf die folgenden Jahrhunderte und wird zur Gewißheit durch die Analyse metasprachlicher Aussagen zu diesem Problem vom 17. Jahrhundert bis in die heutige Zeit. Auch im Mfrz. sind Konstruktionen des Typs ia sehr selten belegt. Die Relation in den von Jokinen erfaßten Texten liegt für die Funktion des indirekten Objekts bei 4 von 3000 gwe-Belegen, für die Rolle des präpositionalen Objekts bei 8 von 30002. Die Dekumulierung des Relativpronomens (Typ 2) geht in den mfrz. Texten praktisch gegen Null. Weder Jokinen (1978) noch Marchello-Nizia (1979) konnten in ihren Textkorpora ein Beispiel finden. Die ersten Grammatiken des Französischen enthalten keine Angaben zu Varianten im Gebrauch der Relativpronomina. Das emanzipatorische Bestreben, Französisch dem Lateinischen als ebenbürtig erscheinen zu lassen, hätte einer Auseinandersetzung mit allem, was nicht unmittelbar auf (klassisch-)lateinische Kategorien und Paradagimen zurückzuführen war, a priori die Grundlage entzogen. Untersuchungen zur Sprache des 16. Jahrhunderts haben jedoch gezeigt, daß vereinzelte Belege in Literatur und Historiographie (hier vor allem bei Monluc) zu finden sind. Mit der Grammatik von Maupas (1618) wird erstmals die Existenz von Varianten im Gebrauch der Relativpronomina angesprochen. Demnach kann nur qui als Subjektpronomen toleriert werden, nicht que. Ferner wird die Struktur c'est + Präp + BN + que neben c'est + Präp + BN + Präp + RP zugelassen - jedoch nicht ohne die Präsentativkonstruktion und die einleitende Präposition3. Damit wurde dem Gebrauch von que in obliquer Funktion eine klare Absage erteilt, die Vaugelas in einer erst posthum veröffentlichten 2
3
Bei einer Gesamtzahl von 12.059 Relativa (qui, lequel, que, quoi, dont, où) mit Antecedens in den 65 mfrz. Texten bei Jokinen (1978) ergibt sich ein Anteil dieses Typs von 0,0995 0/° · Auf ca. 1005 Relativa kommt somit ein universales que. Ebenso bei Oudin (1640).
373
Remarque
expressis verbis z u m A u s d r u c k bringt. A u ß e r einigen w e n i g e n B e l e -
g e n 4 in vorklassischer Literatur volkstümlicher P r ä g u n g und a b g e s e h e n von einer Handvoll Beispiele zweitrangiger klassischer A u t o r e n kann o b l i q u e s
que
(Typ i a u n d Typ 2) 5 als nicht-existent in der Literatur d e r frz. Klassik betrachtet werden6. D i e A n a l y s e d e r Remarques
de la langue françoise
(1647) und d e r
taires zeitgenössischer G r a m m a t i k e r s o w i e d e r Académie
Commen-
Française bot d a r ü b e r
hinaus einen klaren Einblick in die N o r m i e r u n g s p r a x i s der klassischen E p o c h e . W i d e r s p r ü c h e innerhalb d e r von V a u g e l a s fixierten Prinzipien, willkürlich aufgestellte und ü b e r d i f f e r e n z i e r t e R e g e l n , g e g e n die V a u g e l a s mitunter selbst verstieß, sowie die in der R e g e l s u b j e k t i v e , von ästhetischen Werturteilen geleitete Haltung bestimmten Relativa g e g e n ü b e r (positiv im Falle von où, dont, negativ im Falle von lequel)
quoi,
führten zu e i n e m h e t e r o g e n e n System aus tradier-
tem und artifiziellem usage. D i e unmittelbare W i r k u n g auf die zeitgenössischen A u t o r e n w u r d e aus d e r Durchsicht von W e r k e n Scarrons, M o l i e r e s , C o r n e i l l e s und R a c i n e s deutlich. D i e drei letztgenannten A u t o r e n v e r m i e d e n in ihren D r a m e n das von V a u g e l a s als g e b r a n d m a r k t e R e l a t i v u m lequel
mit
a u f f a l l e n d e r D e u t l i c h k e i t . W ä h r e n d es R a c i n e in keiner seiner zahlreichen Trag ö d i e n , j e d o c h gleich 7 m a l in seiner einzigen K o m ö d i e v e r w e n d e t , geht selbst M o l i è r e in seinen K o m ö d i e n äußerst sparsam mit d e m latinisierenden Pronom e n u m . D o c h kann die A b n e i g u n g g e g e n lequel nicht allein auf den E i n f l u ß V a u g e l a s ' z u r ü c k g e h e n . D i e Tatsache, d a ß sich bereits in den von uns durchgesehenen (vor d e n Remarques
e r s c h i e n e n e n ) Tragödien C o r n e i l l e s kein B e l e g
f a n d , kann als Indiz für eine generelle A b l e h n u n g dieser F o r m gewertet w e r d e n . A n d e r e r s e i t s fallen bei d e n drei klassischen A u t o r e n - heute substandardsprachliche - V e r w e n d u n g e n von où anstelle präpositionaler Relativa sowie von obliq u e m que im Sinne des Typs i b ( t e m p o r a l ) , des Typs i c ( m o d a l ) und Typs i a * (Präp + BN + que) a u f 7 - letztere j e d o c h o h n e die von M a u p a s , O u d i n und die Académie
Française
g e f o r d e r t e E i n b e t t u n g in die
Präsentativkonstruktion
c'est D i e untersuchten G r a m m a t i k e n u n d W ö r t e r b ü c h e r von d e r zweiten H ä l f t e des 17. Jahrhunderts bis z u m 19. Jahrhundert unterscheiden sich k a u m hinsichtlich der R e g e l n z u m G e b r a u c h der R e l a t i v p r o n o m i n a 8 . A u s den
konstitutiven
Prinzipien V a u g e l a s ' w u r d e n regulative Prinzipien für die G r a m m a t i k e r und Pu4
5 6
1 8
Diese sind wegen ihrer mitunter komplexen syntaktischen Struktur meist jedoch nicht eindeutig zu identifizieren. Wir zählen hierzu ausdrücklich nicht die Typen ia*, ib und ic. Mit zumindest einer berühmten Ausnahme, einem Beleg von Mademoiselle de Scudéry, der in der Forschung regelmäßig zitiert wird. Diese stehen nicht immer im Einklang mit den Regeln Vaugelas'. In einigen Fällen wurden Regeln konkretisiert, die bei Vaugelas nur implizit erscheinen. So z. B. in der Richelet-Ausgabe von 1728, in der der Gebrauch von où auf Personen getadelt wird. Hier muß jedoch gleichzeitig eine Änderung der Gebrauchsnorm angenommen werden, die von den großen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts dokumentiert wird.
374
risten der Folgezeit 9 , die sich starr an den Sprachnormen des 17. Jahrhunderts orientierten, ohne dem Sprachwandel in der gesprochenen Sprache Rechnung zu tragen. D i e Auswertung des bei Ernst (1985) und Prüssmann-Zemper (1986) abgedruckten Journal d'Héroard
ergab eine Reihe aufschlußreicher Erkenntnisse
über ein Beispiel konzeptionell gesprochener Sprache im 17. Jahrhundert. Die Ä u ß e r u n g e n des jungen Dauphin, des späteren Ludwig XIII, enthalten 842 Relativpronomina, von denen 462 ( 5 4 , 8 7 % ) in Rhematisierungsstrukturen eingebettet sind. D a b e i erweist sich das Präsentativ voici/voilà + RP mit 235 Belegen als die häufigste Konstruktion, vor c'est + RP (180) und ilya
+ RP (31) 1 0 . Wie
das sprachliche Milieu, in dem der Sohn Heinrichs I V zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufwuchs, beschaffen war, läßt sich nicht rekonstruieren. D i e Meinungen reichen von volkssprachlich bis höfisch-elitär 1 1 . D i e Forschung ist sich zumindest weitgehend darüber einig, daß die Aufzeichnungen Héroards zahlreiche Elemente konzeptioneller Mündlichkeit enthalten, die einerseits universal-essentieller Natur sind, andererseits deutliche Parallelen zum heutigen gesprochenen Französisch aufweisen 1 2 . D a die untersuchten Wörterbücher und Grammatiken des 18. und 19. Jahrhunderts keine A n g a b e n zu nicht-normativen Relativkonstruktionen im Sinne unserer Substandardtypen ( i a und 2) enthielten, bot sich die Durchsicht einiger thematisch-inhaltlich und sprachlich geeigneter literarischer Werke an. In drei Beispielen für das 18. Jahrhundert, zwei Theaterstücken des für den naturalistisch-volkssprachlichen Charakter seines (literarischen) O e u v r e
bekannten
G r a f e n Caylus sowie einem «drame populaire» von Louis Sébastien Mercier, war jedoch keine der betreffenden Konstruktionen zu ermitteln, obwohl die Sprache, vor allem lexikalisch und morphologisch, zum Teil sehr starke volkssprachliche Z ü g e trägt. A u c h in zwei Werken Zolas war hierzu, von einer Stelle (Typ 2a) in einem Trinklied abgesehen, kein Beispiel im Récit oder in direkter Rede zu finden. Hingegen sind literarische Werke volkstümlicher Genres des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Boulevardstücke, Burlesken, Vaudevilles) bekanntermaßen ergiebige Quellen für diastratisch markierte Volkssprache, die auch den nicht-normativen Relativkonstruktionen ihren festen Platz zugesteht. A u c h moderne A u t o r e n (Céline, Q u e n e a u , A j a r ) machen, wenngleich in bescheidenerem Umfang, von diesem aus normativer Sicht fehlerhaf' Vgl. hierzu K a p . 5.4.3.7. D e r hohe Prozentsatz an Präsentativkonstruktionen erklärt sich auch durch den Faktor , was Untersuchungen zur heutigen französischen Kindersprache (Hudelot 1980) unterstreichen. D o r t wurden 6 0 % der Relativkonstruktionen mit Präsentativen (vor allem c'est + RP, il y a + RP) gebildet. Im Corpus d'Orléans und Corpus du Crédif hingegen waren in der Sprache Erwachsener nur 4 1 , 6 1 % bzw. 3 2 , 3 9 % der verwendeten Relativa in eine mise en relief eingebettet.
10
" D a s Sprach- und Sozialverhalten des Vaters, Heinrich IV, war b e k a n n t e r m a ß e n alles andere als vorbildlich. Jedoch m u ß bezweifelt w e r d e n , d a ß der K ö n i g in sprachlicher Hinsicht maßgeblich auf den Sohn eingewirkt hat. 12
Für das dekumulierte Relativpronomen (Typ 2c) fand sich ein B e l e g .
375
ten Phänomen G e b r a u c h . D i e Diskriminierung dieser syntaktischen Typen spiegelt sich in den Kommentaren puristischer Publikationen sowie zahlreicher Wörterbücher und Grammatiken wider. Sie kommt aber auch zum Ausdruck in einem Beispiel fragwürdigen Umgangs mit Literatur, das uns in der Korrektur einer Stelle in G i d e s Caves du Vatican begegnet. In den meisten posthumen Ausgaben dieses Werkes wurde eine Substandardkonstruktion des Typs que
...
son durch die normsprachliche Variante dont ersetzt. Dies macht neben einer für Frankreich bereits hinlänglich bekannten Normierungspraxis vor allem den soziolinguistischen Stellenwert solcher Verwendungen deutlich. Die Exemplifizierung des Ausdrucks solécisme (DPF)
in einem modernen französischen Wörterbuch
anhand des Satzes L'affaire que je m'occupe
erinnert stark an den Tenor
in puristischen Werken vergangener Jahrhunderte und ist ein untrügliches Zeichen für die extreme Diskriminierung dieser Phänomene im Französischen, die außer acht läßt, daß diese syntaktischen Strategien eine «erwartete Norm» in diastratisch markierten Varietäten oder nähesprachlichen Diskursen darstellen können. D a ß der französische (und romanische) Sprachtypus diese Erscheinungen als Systemvirtualitäten vorsieht, zeigt auch ein Blick auf die Diasysteme der Primärdialekte und Kreolsprachen, in denen diese als obligatorische bzw. im Sinne Coserius «normale» Realisierungen vorkommen. In den untersuchten galloromanischen Dialekten ließen sich alle «Substandard»-Typen im engeren Sinne unseres Modells nachweisen. D i e syntaktische Relation zwischen Matrixund Relativsatz wird entweder rein subordinativ ( i a ) oder analytisch-linear (Typ 2) ausgedrückt. Dies trifft bis zu einem gewissen G r a d auch auf die französischen Kreolsprachen zu, die jedoch außer den genannten Strategien über eigene koordinative oder morphologische Verfahren verfügen. Parallelen zwischen frz. Substandard und frz. Dialekten einerseits und den frz. Kreolsprachen andererseits bestehen im Hinblick auf zwei Strategien: Z u m einen gibt es hier wie da die Möglichkeit, zwei Propositionen mittels eines konstanten Elements (que im Frz., ki, ke, sa oder auch 0 im Kreolischen) in relativischer Weise aufeinanderzubeziehen, zum anderen besteht die Strategie des analytischen Ausdrucks, bei dem zwei Elemente, darunter ein syntaktisch merkmalhaftes, die Relation deutlich machen (frz. que + Resumptivum, kreol. ki + Resumptivum, 0 + Präp + Resumptivum). D a s T h e m a kann nicht ohne einen Hinweis auf die kontroverse Diskussion um das A l t e r des gesprochenen Französisch behandelt werden. D i e These, der zufolge die hier beschriebenen Substandardphänomene (im engeren Sinne) Ergebnis einer jüngeren Sprachentwicklung im Französischen seien, läßt sich anhand eines «Indizienprozesses» widerlegen: a) Z u m einen im Hinblick auf die einzelsprachliche historische Kontinuität, die sich seit dem Altfranzösischen - wenngleich in beschränkterem M a ß e als in anderen romanischen Sprachen - belegen läßt. D a ß sogar von einer «starken Kontinuität» auszugehen ist, die die Frequenz, die Funktion und den soziolinguistischen Stellenwert des Phänomens in den jeweiligen Sprachstufen mit ein376
schließt, kann zusammenfassend aufgrund folgender Faktoren postuliert werden: Die spärlichen Belege im Afrz. beweisen, daß diese Konstruktionen Bestandteil des Systems waren. Die geringe Frequenz erklärt sich einerseits durch das kasussensitive Restparadigma qui - cui -que, das einer Generalisierung von que in obliquen Kasus nicht förderlich war. Andererseits kann sie als Indiz für eine frühe soziolinguistische Markiertheit dieser Konstruktionen in der Schriftsprache angenommen werden, die sich auch im Mfrz. und 16. Jh. anhand der wenigen Belege nachvollziehen läßt und ab dem 17. Jh. durch entsprechende metasprachliche Äußerungen bestätigt wird. b) Zum anderen spricht die Verankerung der Phänomene im kanadischen Französisch, das seit der Loslösung von Frankreich im Jahre 1763 einer eigenen Entwicklung folgte, für die These, daß die besagten Verfahren bereits Bestandteil des Diasystems waren, also schon im gesprochenen Französisch der Siedler des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jhs. existiert haben müssen. c) Ferner mit Blick auf die anderen romanischen Makrosysteme, denen diese syntaktischen Verfahren inhärent sind. Dies läßt auf ein funktionelles Prinzip den romanischen Sprachtypus - schließen, dessen Wurzeln sich anhand dieser Konstruktionstypen bis ins nachklassische Vulgärlatein zurückverfolgen lassen. d) Schließlich bietet eine universalistische Perspektive Anlaß zur Annahme, daß die von uns als Substandardtypen beschriebenen Versprachlichungsstrategien in einer sehr großen Anzahl von Sprachen und Dialekten als Bildungsmuster wirksam sind, unabhängig vom soziolinguistischen Status der Phänomene. Vor allem die Typen 2 und 4 (Partikel + Resumptivum, Pronomen + pleonastisches Anaphorikum), die in vielen Sprachen grammatikalisiert sind, erweisen sich dabei als besonders produktiv. Gründe hierfür sind im syntagmatisch-analytischen Aufbau der Strukturen (statt paradigmatisch-synthetischer Mittel wie dt. dessen, engl, whose, frz. dont, port, cujo) zu suchen sowie im Prinzip der Sprachökonomie, das in der Herausbildung eines konstanten subordinierenden, für mehrere grammatische Funktionen verwendbaren Elements (Partikel), verwirklicht ist. 3. Für das Italienische läßt sich von Anfang an eine größere Häufigkeit der Substandardtypen (1 bis 3) nachweisen, die nach Ausweis unserer Untersuchungen bis auf Typ 2a (che + Subjektpronomen) alle belegt sind, größtenteils auch in den Werken der Tre Corone. Neben dem Gebrauch von präpositionalem che, der heute ebenfalls nicht-normativ ist, ließ die italienische Sprachakademie in ihrem Wörterbuch von 1612 zwei Konstruktionstypen zu: Zum einen die Verwendung der Partikel che nach einem durch eine Präposition eingeleiteten Bezugsnomen (Typ ia*) (z.B.: È caduto nel laccio che son caduti altri) - und zwar ohne die von französischen Grammatikern für die entsprechende frz. Konstruktion gestellte Bedingung der Einbettung in die Rhematisierungsstruktur c'est... Zum anderen den Gebrauch von que nach Zeitangaben (Typ ib). In einer späteren Auflage (1855) gibt die Accademia della Crusca sogar einige Beispiele zu universalem che (Typ ia) und zum dekumulierten Relativpronomen - keines jedoch aus Werken der Trecentisten. Während der erste Fall (Typ ia) nicht 377
kommentiert wird, gibt die Akademie eine Wertung zum Gebrauch von che mit Resumptivum (Typ 2), die jedoch mit der Zuordnung des Phänomens zum parlar familiare überraschend milde ausfällt und auf eine weite Verbreitung in der gesprochenen Sprache schließen läßt, die auch durch Aussagen in weiteren Wörterbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts bestätigt wird. Unterschiedlich ist dort allerdings die Markierung der Phänomene, die von familiare bis fortemente popolare e dialettale reicht, letzteres vor allem bei Konstruktionen des Typs 2. Da die Vitalität der Primärdialekte in Italien aufgrund geographischer, historischer und politischer Faktoren bis zum heutigen Tag vergleichsweise groß ist, lag es nahe, die genuin sprechsprachlichen Phänomene auch in den italienischen Mundarten zu vermuten. Eine Durchsicht von Sprachatlanten und Monographien ergab einen positiven Befund für alle Dialektzonen. Von sprachtypologischer Bedeutung ist die Tatsache, daß der im gesprochenen (und geschriebenen) Italienisch unseren Untersuchungen zufolge nicht belegte Typ 2a (che + Subjektpersonalpronomen) in den galloitalienischen Dialekten Norditaliens zu finden ist (gh'era un òmm ch'el dormiva de la quarta). Auch in den Regionalvarietäten des Italienischen, untersucht am italiano regionale di Bologna, lassen sich die Substandardkonstruktionen nachweisen. Ebenso in Briefen italienischer Kriegsgefangener während des Ersten Weltkrieges, die vor allem im Hinblick auf die skripturale Umsetzung konzeptioneller dialektaler Mündlichkeit von Interesse sind. Ähnliche Beobachtungen ergaben sich für Schulaufsätze neapolitanischer Kinder, die vielfach die muttersprachliche Kompetenz der dialektalen low variety offenbarten. Ein Blick auf Untersuchungen der Konstruktionen in italienischen Zeitungstexten und literarischen Werken ergab ferner Fundstellen bei Autoren wie Ginzburg, Chiesa, Scotarello und besonders Pavese, die die Substandardrelativa zu stilistischen Zwecken verwenden. Aber auch bei Manzoni fehlen Beispiele für diese Typen nicht. 4. Die Untersuchungen zum Spanischen ergaben eine starke literarische Tradition der Substandardrelativkonstruktionen seit dem Altspanischen, die auch vom 16. bis 19. Jahrhundert und in modernen Werken nachweisbar ist. Dies hat die spanische Sprachakademie in ihrem Traktat von 1973 zur Diskussion einiger Phänomene veranlaßt. Dazu gehört die Konstruktion Präp + BN + que (Typ ia*), die keinerlei Einschränkungen unterworfen wurde. Auch der Anschluß an eine Orts- oder Zeitangabe durch que wurde im Prinzip toleriert, obwohl einige Verwendungen von lokalem que den Widerspruch mancher Grammatiker herausforderten. Das Nebeneinander von que und einem Dativpronomen (Typ 2c), das eine Dativrelation oder einen präpositionalen Akkusativ ausdrücken kann, wurde trotz der literarischen Dimension des Phänomens als stark umgangssprachlich bzw. diastratisch markiert betrachtet. Dies gelte in besonderem Maße für den Typus que... su anstelle von cuyo. Überraschend ist, daß die Real Academia Española diese Konstruktionen erwähnt, wenngleich sie sie größtenteils kritisiert, während die meisten anderen Grammatiken und fast alle Wörterbücher hierzu keinerlei Angaben machen. Dies verdeutlicht die Dis378
krepanz zwischen Sollnorm und Istnorm im heutigen Spanisch, denn sowohl im europäischen als auch im amerikanischen gesprochenen Spanisch erreichen Konstruktionen dieser Art in nähesprachlichen Situationen eine beachtliche Frequenz (s. II.). Das soziokulturelle Niveau der Sprecher scheint dabei, besonders in Lateinamerika, eine untergeordnete Rolle zu spielen. Signifikant ist darüber hinaus, daß einige dieser Substandardkonstruktionen einer statistischen Untersuchung zufolge auch im geschriebenen Spanisch, i. e. in literarischen und anderen Werken spanischer und lateinamerikanischer Autoren (ζ. B. Cela, Castro, Vargas Llosa) belegt sind. 5. Eine Parallele zur größeren Verbreitung der Substandardrelativa im gesprochenen lateinamerikanischen Spanisch im Vergleich zum europäischen Spanisch läßt sich für das brasilianische Portugiesisch im Vergleich zum europäischen Portugiesisch ziehen. Der Gebrauch von que anstelle von Präp + o quai oder cujo beispielsweise ist in Brasilien innerhalb der Nähesprache so gut wie nicht diskriminiert, während er in Portugal deutliche diastratische Markierung aufweist. Im Bereich des dekumulierten Relativpronomens herrscht nach Ausweis unserer Untersuchungen in Brasilien Typ 2d vor (O homem que eu falei ontem dele), während in Portugal neben dem Typ que ... Ihe (2c) der Gebrauch der Partikel que (Typ la) recht häufig zu sein scheint. Für beide Varietäten wurde kein Hinweis auf die Verbreitung der Typs 2a und 2b (que + Subjektpronomen/Akkusativpronomen) gefunden. In beiden Sprachsystemen ist ferner die deutlich distanzsprachliche, diastratisch hochmarkierte Form cujo in konzeptionell gesprochener (Nähe-) Sprache nicht oder nur in isolierten Fällen nachzuweisen. Dies bestätigen auch manche Grammatiken, ohne allerdings auf die äquivalenten Konstruktionsmöglichkeiten in der Sprechsprache einzugehen. Die europäisch-portugiesische Grammatikographie und Lexikographie zeigen sich hier auffallend puristisch, obwohl die literarische Tradition dieser Phänomene seit dem Altportugiesischen nicht von der Hand zu weisen ist. Belege aus allen Jahrhunderten, auch dem klassischen Zeitalter Portugals, liefern den Beweis. 6. Mit Ausnahme des Typs 2a (que + Subjektpronomen) konnten wir für das Katalanische alle Substandardtypen, vor allem in gesprochener Sprache, nachweisen. In der Distanz- und Schriftsprache sind sie deutlich negativ bewertet und gelten als diastratisch nieder markiert. Dies liegt zu einem guten Teil an der präskriptiven Norm des Katalanischen, die Pompeu Fabra zu Beginn dieses Jahrhunderts kodifizierte. Er stufte den Gebrauch von «que + Resumptivum» anstelle von Präp + el quat als vulgärsprachlich ein. An dieser Festlegung orientierten sich seitdem zahlreiche Grammatiken und Wörterbücher, die deshalb diese Konstruktionen in den meisten Fällen gar nicht oder als negativ bewertet erwähnen. Ganz anders ist die Situation im Okzitanischen. Durch die verschiedenen Bemühungen um eine an den Dialekten ausgerichtete Norm bzw. Schriftsprache ergab sich die Notwendigkeit, Formen und Strukturen aus diesen Varietäten in gebührender Weise zu berücksichtigen. Die seit alters belegten Relativkonstruktionen mit polyfunktionalem que fanden somit neben gelehrten Formen 379
wie dont und lo quai auch Eingang in Grammatiken, Wörterbücher und sogar moderne Sprachlehrbücher. Damit liegt im Okzitanischen der unter den romanischen Sprachen einzigartige Fall vor, daß volkssprachliche, konzeptionell gesprochene Strukturen als wertneutrale, rein funktional determinierte Strategien betrachtet werden. Aus dieser Tradition erklären sich auch die zahlreichen Belege zu allen von uns als Substandardtypen im engeren Sinne bezeichneten Konstruktionen (Typ ia, 2). Aber auch que in temporaler und lokaler Funktion sowie die Verbindung eines Relativpronomens mit einem pleonastischen Element sind unseren Untersuchungen zufolge belegt. Während im Altsardischen noch ein Kasusparadigma, bestehend aus ki, kúyu, kúi und kén, existierte, zeigte die Entwicklung zum modernen Sardisch eine radikale Reduktion der Formen. Aus den kasussensitiven Relativpronomina im Altsard., die allerdings auch damals schon in anderen als ihren ererbten Funktionen auftreten konnten und somit einem Funktionssynkretismus Vorschub leisteten, bildete sich im Verlauf der sardischen Sprachgeschichte ein universales, unmarkiertes Element ki(e) heraus, in dem die Funktionen aller Relativa zusammenflössen. Gleichzeitig verlagerte sich die syntaktische Merkmalhaftigkeit, die zuvor im Pronomen inkorporiert war, auf die syntagmatische Achse. Dies führte zu dem heute in allen sardischen Dialekten vorherrschenden Konstruktionstypus «ki -I- Resumptivum». Das Rumänische hat im Hinblick auf unsere Fragestellung eine sehr spezifische, von anderen romanischen Einzelsprachen abweichende Entwicklung durchlaufen. Während der gemeinromanische Typus Q U E (im Rumän. ce) als universale Relativpartikel (mit oder ohne Resumptivum) bis ins 16. Jh. für alle syntaktischen Funktionen die vorherrschende Strategie im Rumänischen war, erfaßte die Tendenz zur Unveränderlichkeit auch das ursprünglich rein flexivisch verwendete Relativum care ( < QUALIS), dessen Paradigma sich in zweierlei Richtungen generalisierte. Zum einen übernahm care als unveränderliches Relativum zunehmend die Funktion der starren Partikel ce, die heute auf nicht-personale Bezugsnomina sowie indefinten Gebrauch beschränkt ist. Die Verbindung von invariablem care mit einem resumptiven Personalpronomen hingegen wurde für die Funktion des direkten Objekts grammatikalisiert und gehört dem Standard an. Als Kasusmorphem trat in diesen Fällen außerdem das care vorangestellte Element pe obligatorisch hinzu. Andererseits behielt care seinen ererbten Charakter als flexivisches Relativpronomen bei, obwohl einige Kasusformen (z.B. der Akkusativ carele) aufgegeben wurden. Die Situation wird noch komplizierter durch die Existenz einer diastratisch markierten Relativpartikel de, die in der Regel im Nominativ und Akkusativ verwendet wird. Auch in den rätoromanischen Mundarten werden Relativsätze traditionell mit der unveränderlichen Partikel ke bzw. cha gebildet, zu der in vielen Fällen ein anaphorisches resumptives Elememt treten kann. Die Formen il kuäl etc. gelten, vor allem im Falle der auf italienischem Gebiet gesprochenen Varietäten Friaulisch und Ladinisch, als Entlehnungen aus dem Italienischen. 380
II. Unsere Untersuchungen zu zwei umfangreichen Korpora des gesprochenen Französisch erbrachten eine Reihe neuer Aspekte. Sowohl im Corpus d'Orléans als auch im Corpus du Crédif wurde nur ein geringer prozentualer Anteil von Substandardkonstruktionen an der Gesamtzahl der verwendeten Relativa ermittelt' 3 . Für die Substandardtypen im engeren Sinne (Typ ia, 2), i.e. diejenigen, die von normativen Grammatikern am stärksten verurteilt werden, ergab sich im Orléans-Korpus ein Wert von 0,94%, im Crédif-Korpus ein Wert von 0,73 % . Substandardtypen im weiteren Sinne (Typ 1 bis 4) wurden im ersten Korpus zu 1 , 5 9 % , im zweiten zu 1 , 1 9 % realisiert. Die entsprechenden Ergebnisse für das Korpus zum italiano regionale di Bologna lauteten 2,04% (Typ ia, 2) und 4,77% (Typ 1 bis 4). Für das Spanische wurden deutlich höhere Werte ermittelt. Eine Studie zur Stadtsprache Sevillas errechnete einen Anteil von insgesamt 5,8 % nicht-normativ verwendeter Relativa, eine Untersuchung zur habla popular in Mexico City erbrachte ein Ergebnis von 9,8%, und bei Sprechern aus León wurden sogar 23,1 % aller Relativsätze als nicht normgerecht eingestuft. Das bedeutet, daß die Häufigkeit dieser Formen im gesprochenen Spanisch im Vergleich zu den beiden anderen Sprachen am größten ist. Dabei zeigt sich zudem - abgesehen von den genannten 23,1 % in León - ein Gefälle vom europäischen zum lateinamerikanischen Spanisch. Ein Blick auf die soziolinguistische Relevanz macht deutlich, daß der Stellenwert dieser Phänomene im Französischen anders bewertet werden muß als im Spanischen. (Für das Italienische können hierzu aufgrund des geringen Korpusumfangs nur tendenzielle Aussagen getroffen werden). Während die untersuchten Relativkonstruktionen im Französischen in auffallender Weise diastratisch markiert sind, ist das Kriterium der soziokulturellen Zugehörigkeit in Spanien, und in noch stärkerem Maße in Lateinamerika, ein untergeordnetes. Das Auftreten der Phänomene ist dort vielmehr an nähesprachliche Kommunikationsfaktoren gekoppelt. Eine Untersuchung zum gesprochenen Spanisch in Santiago de Chile anhand von gebildeten Sprechern (alle mit Hochschulabschluß) in informellen Gesprächssituationen ergab für die nicht-normativen Relativkonstruktionen einen Anteil von mindestens 3,84%. Die bereits genannte Analyse zum andalusischen Spanisch Sevillas wurde mit ausschließlich gebildeten Sprechern durchgeführt und führte dennoch zu einem erstaunlich hohen Anteil von Relativa, die nicht dem vorbildlichen Sprachgebrauch entsprechen. Eine weitere Untersuchung zum gesprochenen Spanisch einer Gruppe gebildeter Madrider bestätigt diese Ergebnisse in vollem Umfang. Ein zusätzliches Indiz spricht für die Verankerung dieser Phänomene im Makrosystem des Spanischen. Auch in literarischen Werken und wissenschaftlichen Abhandlungen konnten Substandardrelativa nachgewiesen werden. In einem 13
Dies trifft auch auf die anderen ausgewerteten Korpora (François 1974, Eschmann 1984 und Ludwig 1988) zu. Das Ergebnis deckt sich in etwa mit den Untersuchungen Labovs (1972) zur gesprochenen (englischen) Sprache, der den Anteil an ungrammatischen Sätzen auf weniger als 2 % beziffert. Nach Mioni (1983:509).
381
Korpus aus Werken spanischer und lateinamerikanischer Autoren wurden 1 , 0 6 % der Relativsätze als Substandardfälle im engeren Sinne (Typ i a , 2) realisiert. Selbst unter Berücksichtigung der stilistischen Relevanz vieler Fälle ist das Ergebnis dennoch beachtlich. Es bestätigt die starke literarische Tradition dieser Konstruktionen im Spanischen. D e m g e g e n ü b e r kann für das Französische die Bedeutung soziolinguistischer Faktoren nicht übersehen werden. In beiden Korpora wurden die meisten Substandardkonstruktionen von Sprechern mit geringerem Bildungsgrad bzw. mit einem schwach ausgeprägten Verhältnis zu Sprache verwendet. Im d'Orléans
Corpus
entfielen 9 0 , 4 2 % der Substandardrelativa im weiteren Sinne (Typ 1
bis 4) auf 5 2 % der Sprecher mit geringster Schulbildung, während nur 17,65 % der G r u p p e mit einem der «Mittleren Reife» entsprechenden Schulabschluß 4 , 2 5 % der B e l e g e verwendeten, 2 0 % der Abiturientengruppe 4 , 2 5 % der Belege und 1 1 , 1 1 % der A k a d e m i k e r 1 , 0 6 % der Belege. Für die Substandardrelativa im engeren Sinne (Typ i a , 2) ergab sich eine ähnliche Relation. Hiermit korrelieren die Ergebnisse des Crédif-Korpus,
bei dem die S p r e c h e r - in A b h ä n -
gigkeit des Stellenwertes, den Sprache in ihrem (Berufs-)Leben spielt - in drei Gruppen eingeteilt wurden: 66,66 % der Sprecher mit dem geringsten B e z u g zur Sprache verwendeten 74,35 % der Substandardrelativa im weiteren Sinne, ebenfalls 6 6 , 6 6 % der G r u p p e , für die Sprache zur A u s ü b u n g des Berufs benötigt wird, verwendeten 2 3 , 0 7 % der B e l e g e und bei 1 4 , 2 8 % der Sprecher, für die Sprache eine zentrale Rolle spielt ( z . B . Juristen, Lehrer, Geistliche), wurden 2 , 5 6 % der B e l e g e ermittelt. A u c h hier ergab sich ein ähnliches Verhältnis für die Kategorie . In den untersuchten Texten des frankokanadischen Korpus (Echantillon de textes libres) betrug der A n teil nicht-normativer Relativa (Typ 1 bis 4) 59,37 % an der Gesamtzahl der Relativkonstruktionen; zu 34,37 % wurden Substandardfälle im engeren Sinne ermittelt. D i e soziolinguistische Relevanz dieser Phänomene ist allerdings deutlich geringer als in den französischen Korpora: 5 0 % aller Sprecher mit niederer Schulbildung verwendeten Substandardkonstruktionen der Typen i a und 2. In der G r u p p e der Informanten mit mittlerer Schulbildung betrug der Wert 3 3 , 3 3 % , bei den gebildeten Sprechern immerhin 2 5 % . Für das Italienische scheint sich nach Ausweis unserer Korpusuntersuchungen ebenfalls eine diastratische Markiertheit der Substandardrelativa abzuzeichnen. Von den 7 Belegen für Typ i a und Typ 2 stammen 5 von Sprechern mit geringer Schulbildung und 2 aus der G r u p p e der Sprecher mit mittlerer Schulbildung. Für die G r u p p e der A k a d e m i k e r ließ sich kein B e l e g ermitteln. Von den 14 Belegen für alle Substandardtypen (1 bis 4) wurden 8 von der untersten Bildungsgruppe, 6 von der mittleren, jedoch keiner von der höchsten Bildungsgruppe realisiert. Andererseits deutet gerade im Italienischen einiges auf eine größere A k z e p tanz gegenüber diesen Phänomenen seitens der Sprecher hin. Nach den Aussagen einiger Linguisten tendiert das «che polivalente» in nähesprachlichen, mitunter auch diaphasisch neutralen Gesprächssituationen zur Normalisierung. 382
Dieser zunehmend unmarkierten Konstruktion stünden dann eine Reihe distanzsprachlich-formeller Varianten gegenüber. Fast allen romanischen Sprachen gemeinsam ist die Existenz distanzsprachlich markierter Relativpronomina des Typs cuyo, cujo, dont, di cui sowie Präp + el cual/o quail lequel! del quale usw. Aus den Untersuchungen zum Spanischen und Portugiesischen wurde deutlich, daß die Form cuyo bzw. cujo sprechsprachlich äußerst selten ist bzw. in manchen Korpora gar nicht vorkommt. Im Portugués fundamental wurden von den 700.000 Wörtern 19 Belege für cujo und 85 für quallquais ermittelt (gegenüber 27.817 Belegen für das Relativum que). In zwei anderen Korpora zum gesprochenen Portugiesisch konnte cujo nicht bzw. imal belegt werden. In mehreren Korpora zum gesprochenen Spanisch (Spaniens und Lateinamerikas) wurde kein einziger Beleg für cuyo erhoben. In anderen erreicht das flektierbare Relativum nur marginale Frequenz. Sogar in dem genannten schriftsprachlichen Korpus wurde nur ein Anteil von 3,91 °/o an der Gesamtzahl der Relativa ermittelt. Dies trifft in ähnlicher Weise auf die untersuchten französischen Korpora zu: dont erreichte im Corpus d'Orléans eine Frequenz von 1 , 3 2 % (im Verhältnis zur Gesamtzahl der Relativa), im Corpus du Crédif sogar nur von 0,8%; Präp + lequel wurde im Orléans-Korpus in 0,86% aller Relativkonstruktionen verwendet, im Crédif-Korpus in 1,07% aller Fälle. Das Auftreten beider Relativa korreliert dabei mit der soziolinguistischen Kategorie bzw. eigene Sprachvarietäten?», in: Hugo Aust (Hrsg.), Wörter, Schätze, Fugen und Fächer des Wissens. Festgabe für Theodor Lewandowski zum 60. Geburtstag. Tübingen: Narr 1987· 35-58. Stehl (1988) = Thomas Stehl, «Areallinguistik XI. Apulien und SalentoMree linguistiche XI. Puglia e Salento«, in: LRL (1988), 695-716. Stein (1984) = Peter Stein, Kreolisch und Französisch. Tübingen: Niemeyer 1984. Steinmeyer (1979) = Georg Steinmeyer, Historische Aspekte des français avancé. Genf: Droz 1979. Stempel (1964) = Wolf-Dieter Stempel, Untersuchungen zur Satzverknüpfung im Altfranzösischen. Braunschweig: Westermann 1964. Stengel (1879) = Edmund Stengel, «Die ältesten Anleitungsschriften zur Erlernung der französischen Sprache», in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 1 (1879), 1-40.
424
Stimm (Hrsg.) (1980) = Helmut Stimm (Hrsg.), Zur Geschichte des gesprochenen Französisch und zur Sprachlenkung im Gegenwartsfranzösisch. Wiesbaden: Steiner 1980. Stimm (1987) = Helmut Stimm, «Die Syntax in der bündnerromanischen Grammatik», in: Günter Holtus/Johannes Kramer (Hgg.), «Rätoromanisch» heute (Kolloquiumsakten, Mainz, 20.12.1986). Tübingen: Niemeyer 1987, 95-103. Stourdzé (1969) = Colette Stourdzé, «Les niveaux de langue», in: Le Français moderne 65 (1969), 18-21. Streicher (Hrsg.) (1936/1970) = Jeanne Streicher, Commentaires sur les Remarques de Vaugelas par La Mothe le Vayer, Scipion Dupleix, Ménage, Bouhours, Conrart, Chapelain, Patru, Thomas Corneille, Cassagne, Andry de Boisregard et l'Académie Française. 2 Bde. Paris 1936. Slatkine Reprints, Genf 1970. Susskind (1959) = Norman Susskind, «The Decumulated Relative Pronoun of Popular French», in: Studia Neophilogica 31 (1959), 195-201. Svennung (1935) = Josef Svennung, Untersuchungen zu Palladius und zur lateinischen Fach- und Volkssprache. Den Haag: Almqvist & Wikseils 1935. Sylvain (1936/1979) = Suzanne Sylvain, Le créole haïtien. Morphologie et syntaxe. Wetteren-Port-au-Prince 1936. Slatkine Reprints, Genf 1979. Tagliavini (1973) = Carlo Tagliavini, Einführung in die romanische Philologie. München: C . H . B e c k 1973. Telmon (1988) = Tullio Telmon, «Areallinguistik II. PiemontMree linguistiche II. Piemonte», in: LRL (1988), 469-485. Thun (1976) = Harald Thun, «Die Präsentation durch que im volkstümlichen Französisch», in: Kurt Braunmüller/Wilfried Kürschner (Hgg.), Grammatik. Akten des 10. Linguistischen Kolloquiums (Tübingen 1975). Bd. 2. Tübingen: Niemeyer 1976, 265276. Thun (1986) = Harald Thun, Personalpronomina für Sachen. Tübingen: Narr 1986. Tiscornia (1930) = Eleuterio F. Tiscornia (1930), La lengua de Martín «Fierro». Buenos Aires: Instituto de Filología 1930. Tobler (1886-1908) = Adolf Tobler, Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. IIV. Leipzig: Hirze 1886-1908. Togeby (1966) = Knud Togeby, «L'unicité de dont», in: Le français moderne 34 (1966), 8186. Touratier (1980) = Christian Touratier, La relative. Essai de théorie syntaxique (à partir de faits latins, français, allemands, anglais, grecs, hébreux, etc.). Paris: Klincksieck 1980. Tranel (1978) = Bernard Tranel, «On the elision of li/ in French qui», in: Studies in French Linguistics ι (1978), 53-75. Väänänen (1959) = Veikko Väänänen, «Le latin vulgaire des inscriptions pompéiennes», in: Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 3 (1958). Berlin: Akademie-Verlag 1959. Väänänen (i962/ 3 i98i) = Veikko Väänänen, Introduction au latin vulgaire. Paris: Kliencksieck 1962, 3 1981. Väänänen (1976) = Veikko Väänänen, «Sur la protohistoire de qui/que pronom relatif», in: Actes du Xllle Congrès International de Linguistique et de Philologie Romanes (Québec, 1971). Bd. I. Québec: Les Presses de l'Université Laval 1976, 267-275. Valdman (1989) = Albert Valdman, «Aspects sociolinguistiques de l'élaboration d'une norme écrite pour le créole haïtien», in: Ludwig (Hgg.) (1989), 43-63. Valesio (1974) = Paolo Valesio, «L'estrazione della relativa. Implicazioni italiane», in: Mario Medici/Antonella Sangregorio (Hgg.), Fenomeni morfologici e sintattici nell'ita-
425
liano contemporaneo (Atti del Sesto Congresso Internazionale di Studi, Roma, 4-6 settembre 1972). Rom: Bulzoni 1974, 339-356. Valli (1984) = André Valli, «Un exemple d'approche du problème des variantes syntaxiques en linguistique diachronique», in: Recherches sur le français parlé 5 (1983). Aix-enProvence: Université de Provence 1984, 125-143. Valli (1985) = André Valli, «Changements de norme, décalages grammaticaux et représentations du français parlé: l'exemple du Tëlémaque Travesti de Marivaux», in: Recherches sur le français parlé 6 (1984). Aix-en-Provence: Université de Provence 1985, 7-21. Valli (1986) = André Valli, «Le traitement de la variation linguistique dans l'étude de l'acquisition des langues secondes», in: Acquisition d'une langue étrangère. Perspectives et recherches. (Actes du 5e colloque international, Aixe-en-Provence
IÇ84). T. 2. Aixe-
en-Provence: Université de Provence 1986, 541-558. Valli (1988) = André Valli, «À propos de changements dans le système du relatif: état de la question en moyen français», in: Recherches sur le français parlé 8 (1986). Aix-en- Provence: Université de Provence 1988, 119-136. Valli (1988a) = André Valli, «À propos de que relatif aux cas obliques en moyen français», in: Claire Blanche-Benveniste/André Chervel/Maurice Gross (Hgg.) (1988). Grammaire et histoire de la grammaire. Hommage à la mémoire de Jean Stefanini. Aix-enProvence: Université de Provence, 1988, 455-474. Valli (1992) = André Valli, «Transcription et grammaire. La distribution de Que «sujet» dans deux versions manuscrites d'une oeuvre du X V e siècle, Pierre de Provence et la belle Maguelonne»,
in: Recherches sur le français parlé 11 (1991). Aix-en-Provence:
Université de Provence 1992, 87-109. Van den Eynde/Blanche-Benveniste (1978) = Karel Van den Eynde/Claire Blanche-Benveniste, «Syntaxe et mécanismes descriptifs: présentation de l'approche pronominale», in: Cahiers de lexicologie 32 (1978), 3-27. Van Deyck/Zwaenepoel (1974) = Rika Van Deyck/Romana Zwaenepoel, François Villon. Oeuvres d'après le manuscrit Coislin. Vol. 2. Saint-Aquilin-de-Pacy: Mallier 1974. Vanelli (1976) = Laura Vanelli, «Nota linguistica», in: Spitzer (1921/1976), 295-306. Vanelli (1988) = Laura Vanelli, «Morphosyntax/Aior/osmra«/», in: LRL (1988), 94-112. Varvaro (1988) = Alberto Varvara, «Areallinguistik XII. Sizilien/Aree linguistiche
XII.
Sicilia», in: LRL (1988), 716-731. Vergnaud (1974) = Jean Roger Vergnaud, French relative clauses. Cambridge, Massachusetts: Institute of Technology 1974. Vey (1911/1978) = Eugène Vey, Le dialecte de Saint-Étienne au XVlíe siècle. Paris: Champion 1911. Laffitte Reprints, Marseille 1978. Vidal de Battini (1949) = Berta Elena Vidal de Battini, El habla rural de San Luis. Parte I: Fonética, Morfología, Sintaxis. Buenos Aires 1949. Vidal de Battini (1964^ 1966) = Berta Elena Vidal de Battini, El español de la Argentina. Bd. i. Secretaría de Estado de Cultura y educación, 1964, 2 I966. Vidossi (1962) = Giuseppe Vidossi, Studi sul dialetto triestino. Turin: Bottega d'Erasmo 1962. Viereck (1986) = Wolfgang Viereck, «Zur Erforschung des Substandard English», in: Holtus/Radtke (Hgg.) (1986), 220-229. Vigara Tauste (1980) = Ana M. a Vigara Tauste, Aspectos del español hablado. nes al estudio del español coloquial. 1980.
426
Aportacio-
Madrid: Sociedad general Española de Librería
Vi§an (1974) = Viorel Vi§an, «Le pronom relatif invariable en roumain et en français», in: Bulletin de la Société Roumaine de Linguistique Romane 10 (1974), 55-73. Voghera (1985) = Miriam Voghera, «Alcune considerazioni statistiche e funzionali sulla subordinazione nell'italiano contemporaneo», in: Franchi de Bellis/Savoia (Hgg.) (1985), 421-426. Vulpe (1989) = Magdalena Vulpe, «Rumänisch: gesprochene und geschriebene Sprache/ Langue parlée et langue écrite», in: LRL (1989), 165-175. Wagner (1974) = Robert-Léon Wagner, L'ancien français. Points de vue Paris 1974.
programmes.
Wandruszka (1972) = Mario Wandruszka, «Die französische Sprache verändert sich», in: Französisch heute 3 (1972), 28-32. Wandruszka (1980) = Ulrich Wandruszka, « oder in den romanischen Sprachen?», in: Romanistisches Jahrbuch 31 (1980), 56-72. Wandruszka (1988) = Ulrich Wandruszka, «Bemerkungen zur sprachwissenschaftlichen Italianistik im deutschsprachigen Raum - eine Bilanz», in: Blumenthal/Kapp (Hgg.) (1988), 129-144. Warnant (1984) = Léon Warnant, «Les propositions "relatives, "determinatives et "explicatives selon la cinéto-syntaxe ( 1 )», in : Langues et cultures. Mélanges offerts à Willy Bal. 3. Linguistique comparative et romane. Louvain-La-Neuve: Cabay 1984, 335-344. Weinrich (i960) = Harald Weinrich, «Vaugelas und die Lehre vom guten Sprachgebrauch», in: Zeitschrift für Romanische Philologie 76 (i960), 1-33. Weinrich (1963) = Harald Weinrich, «Ist das Französische eine analytische oder synthetische Sprache?», in: Lebende Sprachen 8 (1963), 52-55 bzw. in: Hausmann (Hrsg.) (1983), 167-183. Weise (1917) = Oskar Weise, «Die Relativpronomina in den deutschen Mundarten», in: Zeitschrift für deutsche Mundarten 12 (1917), 64-71. Westenfelder (1991) = Johannes Westenfelder, Nicht Sprachschöpfer, sondern Sprachverwerter. San-Antonio als Produkt der «crise du français». Hamburg: Verlag Dr. Kovac 1991. Weyers (1988) = Christian Weyers, Empirie und Typologie in der Sprachgeschichte. Zur Syntax und Pragmatik des Subjektpronomens im älteren Spanisch. Frankfurt-Bern-New York- Paris: Peter Lang 1988. Wilmet ( 1978) = Marc Wilmet, «Sur certains emplois de que en moyen français», in : Martin (Hrsg.) (1978), 83-110. Winkler (1912) = Emile Winkler, La doctrine grammaticale française d'après Maupas et Oudin. Halle: Niemeyer 1912. Winkler (1931) = Émile Winkler, «Aus dem Denksystem des Französischen», in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 54 (1931), 423-480. Wolf (i979/ 2 i99i) = Heinz Jürgen Wolf, Französische Sprachgeschichte. HeidelbergWiesbaden: Quelle & Meyer 1979, 2 1991. Wolf (1975) = Lothar Wolf, Aspekte der Dialektologie. Eine Darstellung von Methoden auf französischer Grundlage. Tübingen: Niemeyer 1975. Wolf (1975a) = Lothar Wolf, «Historische Aspekte zum Begriff des guten Sprachgebrauchs im Französischen», in: Josef Becker (Hrsg.), Wissenschaft zwischen Forschung und Ausbildung. München: Ernst Vögel 1975, 141-152. Wolf (1981) = Lothar Wolf, «Zur sprachpolitischen Situation in Quebec», in: Gesellschaft für Kanada-Studien 1 (1981), 41-50. Auch erschienen in: Der fremdsprachliche Unterricht 15 (1981), 95-104.
427
Wolf (1983) = Lothar Wolf, «La normalisation du langage en France: de Malherbe à Grevisse», in: Edith Bédard etalii (Hgg.), La norme linguistique. Québec: Conseil de la langue française/Paris: Le Robert 1983, 105-137. Wolf (1984) = Lothar Wolf, «Le français dans les Remarques de Vaugelas», in: Langues et cultures. Mélanges offerts à Willy Bal. Vol. 3. Linguistique comparative et romane. Louvain-La-Neuve: Cabay 1984, 357-366. Wolf (1986) = Lothar Wolf, «Le problème des normes du français au Canada», in: Le Québec, le Maghreb, les Antilles, l'Océan Indien. Frankfurt: Diesterweg 1986, 40-47 (Französisch heute 17/1). Wolf (1987) = Lothar Wolf, Französische
Sprache in Kanada. München: Ernst Vögel
1987. Wolf (1991) = Lothar Wolf, «Le langage de la Cour et le français canadien. Exemples de morphologie et de syntaxe», in: Brigitte Horiot (Hrsg.), Français du Canada - français de France. (Actes du Colloque international de Cognac du 27 mai au 30 septembre 1988). Tübingen: Niemeyer 1991, 115-123. Wolf/Hupka (1981) = Lothar Wolf/Werner Hupka, Altfranzösisch.
Entstehung und Cha-
rakteristik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1981. Wüllenweber (1877) = Heinrich Wüllenweber, Vaugelas und seine Commentatoren. trag zur Geschichte der französischen
Bei-
Sprache während des i j . Jahrhunderts. Berlin:
C . H . M ü l l e r 1877. Zink (1989) = Gaston Zink, Morphologie du français médiéval. Paris: Presses Universitaires de France 1989.
428