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German Pages 393 [396] Year 1973
BEIHEFTE ZEITSCHRIFT
FÜR
ROMANISCHE
BEGRÜNDET FORTGEFÜHRT
ZUR
VON
VON
HERAUSGEGEBEN
GUSTAV
WALTHER VON
140. Heft
GRÖBER
VON
KURT
PHILOLOGIE
WARTBURG
BALDINGER
WOLF
DI
ETRICH
Der periphrastische Verbalaspekt in den romanischen Sprachen Untersuchungen zum heutigen romanischen Verbalsystem und zum Problem der H e r k u n f t des periphrastischen Verbalaspekts
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 1973
©
ISBN 3-484-52045-0 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Satz: Rothfuchs Dettenhausen Einband von Heinr. Koch Tübingen
VORWORT
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Neuphilologie der Universität Tübingen im Dezember 1971 als Dissertation und im Januar 1973 auch als Habilitationsschrift angenommen. Ihre Anfänge reichen, was die synchronischen Untersuchungen betrifft, in die Jahre 1966/67 zurück. Mit den diachronischen Problemen, besonders in Bezug auf die Herleitung der romanischen aspektuellen Verbalperiphrasen von griechischen Vorbildern, habe ich mich seit 1968 beschäftigt. Die Arbeit wurde im Herbst 1971 abgeschlossen, so daß seither erschienene Literatur nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden konnte. An dieser Stelle möchte ich allen denen danken, die am Zustandekommen dieser Arbeit beteiligt waren. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Eugenio Coseriu, der die Arbeit anregte und sie während ihres Entstehens stets durch Kritik im Methodischen und durch vielfältige Hinweise im einzelnen förderte. Seiner tatkräftigen Leitung, seiner Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt seinem langjährigen Universitätsunterricht verdanke ich vieles, das in die vorliegende Arbeit eingegangen ist. Für wertvolle Hinweise und Beobachtungen schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Gerhard Rohlfs und Herrn Prof. Dr. Antonio Tovar aufrichtigen Dank, ebenso Herrn Dr. Manfred Faust für manche Präzisierung. Meinen Dank möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Kurt Baldinger für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie aussprechen. Schließlich danke ich meiner Frau für ihre Hilfe beim Sammeln von Material und beim Lesen der Korrekturen. Tübingen, im Februar 1973
Wolf Dietrich
V
INHALT
VORWORT
V
0. G E G E N S T A N D UND ZIEL DER A R B E I T 0.1.
1
Bestand an Verbalperiphrasen in den romanischen Sprachen
I
0.1.1. T y p e n romanischer Verbalperiphrasen 0.1.2. Aspektuelle Verbalperiphrasen im Portugiesischen 0.1.3. . . . im Spanischen 0.1.4. . . . im Katalanischen 0.1.5. . . . im Okzitanischen 0.1.6. . . . im Französischen 0.1.7. . . . im R ä t o r o m a n i s c h e n 0.1.8. . . . im Italienischen 0.1.9. . . . im Sardischen 0 . 1 . 1 0 . . . im R u m ä n i s c h e n
1 3 4 5 5 6 6 7 7 7
0.2.
Die ideelle Einheit dieser Verbalperiphrasen
8
0.3.
Die Notwendigkeit einer einheitlichen E n t s t e h u n g
11
0.4.
Die These der griechischen H e r k u n f t und ihre Begründung
15
0.5.
Das Vorgehen bei der Untersuchung
19
1. DIE V E R B A L P E R I P H R A S E 1.1.
21
Das Problem mehrgliedriger sprachlicher Zeichen
22
1.1.1. H. Frei 1.1.2. W. T h ü m m e l
23 26
1.2.
Paradigmatischc Abgrenzung
29
1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.5. 1.2.6.
L. Tesniere G. Guillaume A. I. Smirnickij E. Coseriu E. Benveniste M. R a e t h e r
29 32 34 34 35 38
VII
1.3.
Syntagmatische Kriterien
40
1.3.1. L. M. Brieer-van-Akerlaken 1.3.2. B. Pottier 1.3.3. E. Coseriu
40 41 42
1.4.
44
Semantische Abgrenzung
1.4.1. G. Guillaume 1.4.2. L. Zawadowski
44 47
1.5.
51
„Verba adiecta"
1.5.1. Abgrenzung der „verba adiecta" 1.5.2. Identifizierung von „verba adiecta" 1.5.3. „Verba adiecta" und Verbalperiphrasen
51 54 55
1.6.
56
Das Problem der Grammatikalisierung
1.6.1. Die Kriterien der Identifizierung und Abgrenzung 1.6.2. Grammatikalisierung - Diachronie der Norm, Synchronie des Systems. . 1.6.3. Die Grammatikalisierung von Verbalperiphrasen
56 57 61
2. ÜBERBLICK ÜBER DIE GESCHICHTE DER ERFORSCHUNG DER ROMANISCHEN VERBALPERIPHRASEN
65
2.0.
Vorbemerkungen
65
2.1.
Die Anfänge. Fr. Diez
66
2.2.
Das Französische
69
2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6. 2.2.7.
G. Gougenheim J. Damourette - E. Pichon L. Flydal P. Imbs J. Pohl A.-J. Henrichsen H. Schogt
70 74 76 77 78 79 81
2.3.
Das Spanische
81
2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5. 2.3.6. 2.3.7. 2.3.8. 2.3.9.
R . J . Cuervo R. K. Spaulding H. Chmeli&k H. Keniston S. Gili y Gaya J. Roca Pons E. Coseriu S. Hamplova K.-H. Körner
81 82 83 85 88 90 91 93 97
2.4.
Das Portugiesische
98
2.4.1. H. R. Kahane - H. S. Hutter VIII
98
2.4.2. K.-H. Klöppel 2.4.3. W.Z. Shetter 2.4.4. A. T. de Castilho
99 99 101
2.5.
Das Katalanische und Okzitanische
103
2.6.
Das Italienische
103
2.6.1. St. Skerlj 2.6.2. B. Setterberg-J^rgensen 2.6.3. A. Granville Hatcher - M. Musa
104 105 107
2.7.
Das Rumänische
109
2.8.
AUgemeiniomanisches
111
2.8.1. M. Manoliu 2.8.2. E. Coseriu
111 113
3. TEMPUS UND ASPEKT IM ROMANISCHEN VERBALSYSTEM 3.1.
117
Diskussion einiger Aspekttheorien im Hinblick auf das romanische Verbalsystem
117
3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.1.5. 3.1.6. 3.1.7. 3.1.8. 3.1.9.
Die antiken Theorien Der Terminus ,Aspekt' S. Agrell E. Koschmieder G. Guillaume J. Holt J. Kurylowicz H.Frei R.Jakobson
117 118 119 120 121 124 125 126 127
3.2.
Das romanische Imperfekt
130
3.3.
Tempus und Aspekt im romanischen Verbalsystem (nach E. Coseriu). . 133
3.3.1. Die .Ebene' 3.3.2. Die .primäre Perspektive' 3.3.3. Die .sekundäre Perspektive' 3.3.4. Die .Dauer' 3.3.5. Die .Wiederholung' 3.3.6. Die .Vollendung' 3.3.7. Das .Resultat' 3.3.8. Die .Schau' 3.3.9. Die .Phase' (.Der Grad') 3.3.10. Die .Situierung'
133 134 135 137 137 138 138 139 144 147
3.4.
Grundsystem und zusätzliche Kategorien
151
3.5.
.Intensive' und .extensive' Periphrasen
152
3.5.1. Der lexikalische Charakter der „verba adiecta"
152 IX
3.5.2. Die Modifizierbarkeit der Modifikatoren 3.5.3. .Extensive Periphrasen' mit „verba adiecta"
153 154
4. DAS GRIECHISCHE VERBALSYSTEM
157
4.1.
Das Aspektsystem der einfachen Formen
157
4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4. 4.1.5.
Überblick über die ältere Forschung Das ternäre System der Kopenhagener Schule Universelle Kategoriensysteme „Psychosystematik" Funktionelle Beschreibung
157 159 161 163 164
4.2.
Stand der Forschung zu den griechischen Verbalperiphrasen
169
4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5.
Die ältere Sprachwissenschaft G. Björck H.B. Rosén W. J. Aerts Die „Semitismusfrage"
169 175 178 182 184
5. DIE ASPEKTUELLEN VERBALPERIPHRASEN IM GRIECHISCHEN 5.1.
....
188
Die Kategorie der Winkelschau-Periphrasen mit etßi + Part. Präs. u.a.. . 189
5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4. 5.1.5. 5.1.6.
Die vorklassische Periode (Homer - Herodot) 189 Die klassische Epoche - Die Tragiker 193 Die übrige klassische Literatur bis zur ,neuen Komödie' 198 Die Koiné bis zum NT 203 Das Neue Testament 213 Vom NT abhängige Literatur (Die Apostolischen Väter, Kirchenväter, apokryphe Schriften) 221 5.1.7. Sonstige Beispiele aus der griechischen Literatur des 6 . - 1 0 . Jahrhunderts . 230 5.1.8. Weitere Ausdrücke der Winkelschau im Griechischen 232 5.2.
Die Kategorien der prospektiven, retrospektiven und komitativen Schau - Periphrasen mit i'pXPßdl, 7réXoj, e%ll, ßaivu), T)K(.0 + Part. Präs. . . 237
5.2.1. 5.2.2. 5.2.3. 5.2.4. 5.2.5.
Die Periphrase mit ?PXPIXOl (TCXGJ) + Part. Präs Die Periphrase mit efru + Part. Präs Die Periphrase mit ßaivCO + Part. Präs Die Periphrase mit ^KCO + Part. Präs Die kontinuative Schau: Periphrasen mit hlareXéco, Suayiyvoficu + Part. Präs. (und StareXeio +Adj.)
237 239 240 241 Stacco, 243
5.3.
Die Kategorie der globalen Schau
246
5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.3.4.
i\6ùv +verbum finitum icòi>, napùv + verbum finitum Xaßcbv + verbum finitum p ó X ù v + verbum finitum
248 255 258 262
X
5.4.
Die sekundäre parallel-prospektive Perspektive
264
5.4.1. epxoßcu + Part. Fut
265
5.4.2. eißl + Part. Fut
268
5.4.3. TJ/CCD + Part. Fut
273
5.5.
Ergebnisse
276
5.6.
Skizze dss neugriechischen Verbalsystems (Tempus und Aspekt) . . . .
280
6. LATEINISCHE ASPEKTUELLE VERBALPERIPHRASEN
283
6.1.
Das lateinische Verbalsystem im Hinblick auf Tempus und Aspekt . . . 2 8 3
6.2.
Lateinische Verbalperiphrasen der Winkelschau
289
6.2.1. Bisherige Untersuchungen 6.2.2. ,Esse'+ Part. Präs. als Ausdruck der .Winkelschau' 6.2.2.1. Die Bibel 6.2.2.2. Übrige kirchliche und profane Literatur 6.2.3. Weitere Periphrasen zum Ausdruck der .Winkelschau' 6.2.3.1. .Esse'+ Abi. Ger 6.2.3.2. .Stare' + Part. Präs 6.2.3.3.
289 291 292 300 305 305 306
.Stare' + Abi. Ger
307
6.3.
Periphrasen zum Ausdruck der übrigen Schaukategorien
308
6.3.1. 6.3.2. 6.3.3. 6.3.4.
.Ire' + Part. Präs./Abl. Ger. zum Ausdruck der .prospektiven Schau' . . . 3 0 8 .Venire' + Part. Präs. zum Ausdruck der retrospektiven Schau' 309 Die .kontinuative' und .extensive' Schau im Lateinischen 310 Die .globale' Schau im Lateinischen 312
6.4.
Die sekundäre parallel-prospektive Perspektive im Lateinischen
316
6.5.
Ergebnisse
317
7. ZUSAMMENFASSUNG
320
VERZEICHNIS DER UNTERSUCHTEN T E X T E
329
LITERATURVERZEICHNIS
337
INDEX LOCORUM GRAECUS
362
INDEX LOCORUM LATINUS
377
XI
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Im allgemeinen wurde die von der Bibliographie Linguistique (Spectrum, UtrechtAnvers), dem Thesaurus Linguae Latinae (Index Librorum Scriptorum Inscriptionum, Leipzig 1904, mit Nachträgen), von Liddell-Scott (A Greek-English Lexicón, rev. and augm. by H.S. Jones, Oxford 1940) und von der Vetus Latina, Bd. 1,1 (Verzeichnis der Sigel für Kirchenschriftsteller, red. B. Fischer OSB, Freiburg 2 1963) verwandten Abkürzungen für Autoren, Werke und Zeitschriften benutzt. Daneben haben wir folgende Zeichen gebraucht: CM CI SHVSL VL Vulg.
XII
= = = = =
„construcción mediata" (vgl. 1.3.3.) „construcción inmediata" (vgl. 1.3.3.) Skrifter utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskaps-Samfundet i Lund Vetus Latina oder Itala Vulgata
0.
GEGENSTAND U N D ZIEL DER ARBEIT
0.1.
Bestand an Verbalperiphrasen in den romanischen Sprachen
0.1.1.
Typen romanischer Verbalperiphrasen
In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, die Stellung und Funktion bestimmter aspektueller Verbalperiphrasen 1 im Verbalsystem der romanischen Sprachen zu erfassen und ihre Entstehung in der Romania zu beleuchten. Insgesamt gibt es hier funktionell gesehen im wesentlichen drei Arten von periphrastischen Verbalausdrücken: a) solche, die vorwiegend temporale Kategorien bezeichnen: Hierzu gehören z . B . die Formen des Präteritums im Kat. (vaig creure), des Futurs im Rum. (voi merge, oi merge, am sä merg, o sä merg), Sard. ( a p p ' a kkantare, deppo âere), Surselv. (eau vegn a scriver = je vegnfel) a scriver), sowie in südit. Mundarten, z. B. lukan. l'aggi'a mannâ J o manderò", außerdem die des Konditionals im Rum. merge), Sard. (dia kantare) und Bergamask. (av parla)2 ; desweiteren der Typ habeo factum bzw. * sum venutus in den Sprachsystemen, w o diese Formen einfach die Vergangenheit bezeichnen, d . h . w o keine einfachen Vergangenheitsformen (z.B. passé simple, passato remoto) bestehen. Das ist z . B . in der nordit. Umgangssprache (ho fatto, sono venuto) und im gesprochenen Franzö1
Unter .Verbalperiphrase' wollen wir vorläufig einfach eine Konstruktion aus (in der Regel) zwei Verbalformen verstehen, die syntaktisch eine Einheit bilden und von der wir annehmen, daß sie in bestimmter Hinsicht zum Paradigma einer der an der Konstruktion beteiligten Verbalformen gehört. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen der Paraphrase, die die Umschreibung eines inner- oder außersprachlichen Inhalts auf der Ebene der Rede darstellt, und der Periphrase, die nur auf der Ebene des Systems, bzw. der Norm, festgestellt werden kann und immer eine innersprachliche Bedeutung hat. Darüberhinaus kann man bei den Periphrasen bis zu einem gewissen Grad auch zwischen lexikalischen und grammatischen Periphrasen unterscheiden. Erstere betreffen vorwiegend einen lexikalischen, letztere einen instrumentalen oder grammatischen Inhalt. In dieser Arbeit wollen wir uns nur mit grammatischen Periphrasen beschäftigen. 2 Vgl. Gramatica limbii romàne, I, S. 269f.; A. Velleman, Gramatica, II, S. 528; G. Rohlfs, HGIS, II, S. 384f. 396; = GSLI, II, S. 335, 346; III, S. 54f.
1
sisch der Fall (j'ai fait, je suis venu)', dasselbe gilt auch für den Typ vado (ad) facere, wenn er mangels einfacher Futurformen die Funktion des Futurs übernimmt (z. B. voy a venir mañana statt vendré mañana im volkstümlichen Spanisch Hispano-Amerikas, jedoch auch in Spanien 3 , teilweise auch im Französischen); b) diejenigen, die die passive und die kausative Diathese ausdrücken (Typ „je suis battu par . .. ", „vengo lodato da .. . ", bzw. „il me fait venir", „hace construir una casa")', c) solche, die bestimmte mehr oder weniger aspektuelle Kategorien ausdrücken (Typ vado facendo, estoy haciendo u s w . , j e viens d'écrire, estou para dizer usw., sowie Formen vom Typ j'ai écrit, voy a escribir usw., sofern sie in Opposition zu den einfachen Präterital- bzw. Futurformen stehen 4 . Während die Periphrasen mit temporaler bzw. diabetischer Bedeutung vom Typ a), b) in allen entsprechenden beschreibenden und historischen Grammatiken behandelt werden, sind die aspektuellen Periphrasen vom Typ c) — um die es in dieser Arbeit ausschließlich gehen soll — erst von E. Coseriu als zusammengehörig erkannt und in einem kohärenten Funktionssystem dargestellt worden. Daran lehnt sich auch die Arbeit seiner Schülerin B. Schlieben-Lange an 5 . Wir werden daher im folgenden zunächst eine möglichst umfassende, jedoch keineswegs vollständige Liste der heute in den romanischen Sprachen realisierten Verbalperiphrasen zur 3 Vgl. Ch.E. Kany, American-Spanish Syntax, Chicago 1963; = Sintaxis Hispanoamericana, Madrid 1969, S. 192. 4 Ob in den romanischen Sprachen mit weiteren Arten der periphrastischen Realisierung grammatischer Kategorien gerechnet werden kann, bleibt problematisch. Evtl. könnte man z. B. gewisse Konstruktionen mit „verba adiecta" (vgl. unten 1.5.), wie je peux chanter, voglio cantare usw., als modale Periphrasen interpretieren. Dabei ergeben sich jedoch verschiedene Schwierigkeiten, auf die wir hier nicht eingehen können. 5 Vgl. E. Coseriu, Sobre las llamadas „Construcciones . . . ", Montevideo 1962; Tomo y me voy (1966); El aspecto verbal perifrástico (1968); B. SchliebenLange, Okzitanische und katalanische Verbprobleme, BZRPh 127, Tübingen 1971. - In einer unveröff. Zulassungsarbeit haben wir selbst Untersuchungen zur Abgrenzung der aspektuellen Verbalperiphrasen durch ihre Tempora und Modi im Französischen, Spanischen und Italienischen (1967) vorgelegt (vgl. unten Kap. 3, Anm. 60; Kap. 5, Anm. 77). - Für das Deutsche hat H.-J. Heringer, Die Opposition von .kommen' und .bringen' als Funktionsverben, Düsseldorf 1968, Konstruktionen mit „Aktionsartbedeutung" festgestellt (z. B: kausativ ,zum Schweigen bringen' / .schweigen' oder effektiv ,zur Anwendung kommen' / ,angewandt werden'), die sich jedoch von der hier behandelten romanischen Konstruktionen nicht nur durch die Art der Kombination, sondern z. T. auch hinsichtlich der Bedeutungskategorie unterscheiden, da sie eine Verbindung der Diathese mit einer aspektuellen Funktion betreffen. 2
Bezeichnung aspektueller Kategorien geben 6 und anschließend die mit ihrer Entstehung zusammenhängende Problematik erläutern.
0.1.2.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Portugiesischen 7
a) ir, ir a + Infinitiv; b) estar a + Infinitiv (vor allem in Portugal gebräuchlich), estar + Gerundium (vorwiegend in Brasilien üblich); c) ir, vir + Gerundium; andar a, viver a Infinitiv (mehr in Portugal gebräuchlich), andar, viver + Gerundium (mehr in Brasilien gebräuchlich); d) ir, vir, andar + part. pass., Adj,; e) seguir, prosseguir,
continuar
+ Gerundium; continuar
a/em/com
+ In-
finitiv; f) ficar a + Infinitiv, ficar + Gerundium; g) pegar, agarrar, ir in kopulativer Konstruktion (pego e
escrevo)\
h) estar para, estar por + Infinitiv; i) sair + Gerundium; j) por-se a, (a)garrar a, dar(-se) a, dar para/em, cair a (brd&.),deitar a, romper a, desatar a, entrar a, pegar a, despejar a (bras.), desandar a (bras.), comegar a, principiar a + Infinitiv; deitar + Gerundium; k) continuar
a + Infinitiv;
1) acabar de, deixar de, vir de + Infinitiv; m) acabar, terminar + Gerundium; comegar por, acabar por/com/em finitiv; continuar em/com + Infinitiv;
+ In-
n) vir a + Infinitiv; Dabei schließen wir die Periphrasen vom Typ habeo/teneo factum bzw. *sum venu tus von vornherein aus, da sie erstens so weitgehend grammatikalisiert sind, daß ihre Identifizierung in kaum einem Fall Schwierigkeiten bieten dürfte, und sie zweitens hinsichtlich ihrer Entstehung nicht in die hier zu behandelnde Problematik gehören; vgl. unten 5.4. und 6.4. 7 P. Vázquez-Cuesta - M.A. Mendes da Luz, Gramática Portuguesa, Madrid 2 1961, S. 374-377; A. T. de Castilho, I n t r o d u j o ao estudo do aspecto verbal na lingua portuguesa, Alfa 12 (1967), bes. S. 110-112; E. Coseriu, Tomo y voy, S. 33; J. Dunn, A. Giammar of the Portuguese Language, London 1930, §§ 439 440, 450-455; W. 2. Shetter, Durative Formulas in Brazilian Portuguese: The Verbal Dimension of ,Focus', Language Learning 11 (1961), S. 4 3 - 6 2 . 6
3
0) ter + part. pass. in Kongruenz mit dem Objekt; p) voltar, tornar a + Infinitiv.
0.1.3.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Spanischen 8
a) ir a + Infinitiv; b) estar + Gerundium; c) ir, andar, venir, llevar + Gerundium; d) ir, andar, seguir + part. pas., Adj.; e) seguir, continuar, permanecer + Gerundium; f) quedarfse) + Gerundium; g) tomar, coger, agarrar, ir, saltar (Puerto Rico, Spanien), llegar (Chile) in kopulativer Konstruktion (tomo y me voy); h) estar para, estar por + Infinitiv; 1) salir + Gerundium; j) ponerse a, echarse a, romper a, coger a, entrar a, dar a (veraltet), agarrar a (veraltet in Spanien, üblich in einigen Gebieten Hispanoamerikas), soltarse a (am.), largarse a (am.), pasar a, empezar a, comenzar a + Infinitiv; k) continuar a + Infinitiv; 1) acabar de + Infinitiv; m)empezar por, comenzar por, continuar por, acabar por, terminar por, concluir por + Infinitiv; n) llegar a, ir a, venir a + Infinitiv; o) ir, venir in kopulativer Konstruktion (fue y dijo); p) tener + part. pas. in Kongruenz mit dem Objekt; q) volver a, tornar a + Infinitiv. 8
J. Roca Pons, Estudios sobre perífrasis verbales del español, Madrid 1948; Ch. E. Kany, Sintaxis Hispanoamericana, S. 2 3 9 - 2 5 3 , 2 8 2 - 2 8 4 , 2 8 9 - 2 9 0 ; S. Hamplová, Acerca de la manera de acción y el problema de su expresión mediante las perífrasis verbales en español, Philologica Pragensia 11, 1 (1968), S. 2 0 9 - 2 3 1 ; E. Coseriu, Tomo y me voy, S. 27ff.; M. Alonso, Gramática del español contemporáneo, Madrid 1968, S. lOOf.
4
0.1.4.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Katalanischen 9
a) anar a + Infinitiv; b) estar + Gerundium; c) anar, venir + Gerundium; d) seguir, persistir + Gerundium; e) agafar in kopulativer Konstruktion (besonders im Roussillon); f) començar a, rompre a + Infinitiv; g) continuar a + Infinitiv; h) acabar de + Infinitiv; i) començar, continuar, acabar + Gerundium; j) tenir + part. pass. in Kongruenz mit dem Objekt; k) tornar a + Infinitiv.
0.1.5.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Okzitanischen 10
a) anar + Infinitiv; b) estre a, èsser a + Infinitiv; c) anar + Gerundium; d) se prendre in kopulativer Konstruktion; e) anar per, èsser per + Infinitiv; f) estre a punt de + Infinitiv; g) se metre a, se botar a, començar de/a + Infinitiv; h) contunhar delà + Infinitiv; i) finir de, venir de + Infinitiv.
9
A. Badia Margaiit, Gramática Catalana, I, Madrid 1 9 6 2 , S. 3 9 2 - 3 9 7 ; im übrigen verweisen wir auf die Tübinger Dissertation von B. Schlieben-Lange, Okzitanische und katalanische Verbprobleme, BZRPh 127, Tübingen 1 9 7 1 , S. 206. 10 L. Alibert, Gramatica Occitana, Tolosa 1935, S. 3 0 3 - 3 0 6 ; B. Schlieben-Lange, S. 203f.
5
0.1.6.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Französischen 11
a) aller + Infinitiv; b) aller (en) + Gerundium; c) être sur le point d) se mettre
de + Infinitiv;
à, commencer
à + Infinitiv;
e) être en train de, être à, se trouver à + Infinitiv; f) continuer
à + Infinitiv;
g) venir de, (sortir de) + Infinitiv; h) commencer
par, finir par + Infinitiv;
i) venir à + Infinitiv; j) aller, venir + Infinitiv.
0.1.7.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Rätoromanischen 1 2
a) star (ster) a + Infinitiv; b) ir + Gerundium; c) tour, piglier, prender
in kopulativer Konstruktion; 1 3
d) esser per, star (ster) per, esser sii precint e) se metter
a, entschéiver
da/per + Infinitiv;
a + Infinitiv.
11 G. Gougenheim, Etude sur les périphrases verbales de la langue française, Paris 1929; M. Grevisse, Le Bon Usage, ^1969, S. 596-601; J. Damourette - E. Pichon, Des mots à la pensée, V, S. 97-136; A.-J. Henrichsen, Les périphrases verbales; H.G. Schogt, Les auxiliaires en français. 12 A. Velleman, Grammatica . . . della lingua ladina d'Engiadin'Ota, II, Zlirig 1924, S. 535-542. 13 Beispiele mit tour und piglier bei O. Peer, Dicziunari rumantsch, Cuoira 1962; vgl. auch E. Coseriu, El aspecto verbal perifràstico . . . , Anm. 46; Beispiele mit prender bei Vieli-Decurtins, Vocabulari romontsch, sursilvan - tudestg, Cuera 1962, S. 515: „questa lavur duess ins prender e far" („diese Arbeit sollte man (einfach) erledigen"), Jeu hai priu e mussau ad el la via" („ich zeigte ihm kurzerhand den Weg"), „schia, prendei e mei!" („so, und nun geht!"), „pren e quescha!" („schweig endlich!").
6
0.1.8.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Italienischen 14
a) stare + Gerundium, stare a + Infinitiv; 15 b) andare, venire + Gerundium; 16 c) (andare + part. pass., Adj.); d) prendere,
pigliare in kopulativer Konstruktion (prendo
e me ne
vado);
e) stare per, essere per + Infinitiv; f) mettersi
a, prendere
a, cominciare
g) continuare
a + Infinitiv;
h) cominciare
col, continuare
a + Infinitiv;
col, finire col + Infinitiv;
i) venire a + Infinitiv; j) andare a + Infinitiv.
0.1.9.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Sardischen 17
a) èssere + Gerundium; b) pigare in kopulativer Konstruktion (piganta e di dónanta una c) se pònnere
0.1.10.
bacchetta);
a + Infinitiv.
Aspektuelle Verbalperiphrasen im Rumänischen 1 8
a) a sta, a $edea in kopulativer Konstruktion (stau yz scriu); 14 G. Devoto - D. Massaro, Grammatica italiana, o.O. 1962, S. 225f.; Devoto - Oli, Vocabolario ili. della lingua italiana, 2 Bde., Milano 1967; G. Rohlfs, HGIS, III, Bern 1954, S. 20-22; GSLI, III, Torino 1969, S. 133-135; E. Coseriu, Tomo y me voy, S. 27. 15 Die bei G. Rohlfs, GSLI, III, Torino 1969, S. 133f., angegebenen salentin. Konstruktionen vom Typ sto ac bibo und vado ac bibo, sowie die abruzz. Konstruktion tengo a fare, die unter dem Ausdruck des Durativums angeführt werden, scheinen die Bedeutung verloren zu haben und wirkliche „pleonastische" Wendungen mit der Bedeutung der it. einfachen Verbformen darzustellen. 16 In dieser Funktion wird bei G. Rohlfs,GSLI, III, S. 127, für das Piemont (Castellinaldo) die Konstruktion mit tenere + part. pass, erwähnt: u ten dió ,egli va dicendo'. 17 M.L. Wagner, La lingua sarda, S. 368, 375f.; M. Pittau, II dialetto di Nuoro, S. 88; G. Rohlfs, HGIS, III, S. 22; GSLI, III, S. 135. 18 Gramatica limbii romàne, 2 II, S. 98, 237f.; K. Sandfeld, Rumaenske Studier, I, S. 89-91; E. Coseriu, Tomo y me voy, S. 19-25; D. Dumitrescu, Despre perifrazele verbale in spanioß $i romàni, SCL 22 (1971), S. 471-489.
7
b) (a fi + Gerundium) 19 ; c) a {se) lua, a se apuca, a se pune, a se indemna in kopulativer Konstruktion (iau ji scriu)~, d) ian + Imperativ; 20 e) a sta, a da, a fi, a vrea + Konjunktiv; a urma + Konjunktiv; f) a se pune + Konjunktiv, a se pune la/ pe + Supinum; a prinde + Konjunktiv/Infinitiv, a se apuca + Konjunktiv/ de + Supinum.
0.2.
Die ideelle Einheit dieser Verbalperiphrasen
Aus dem angeführten (sicherlich nicht vollständigen) Inventar läßt sich unschwer ersehen, daß in allen romanischen Sprachen zusätzlich zu den in 0.1.1. unter a) und b) angeführten Periphrasen für alte Kategorien des Sprachsystems21 noch weitere funktionell und auch materiell analoge Verbalperiphrasen für bestimmte neue Kategorien existieren. Ihre Realisierung in der Norm ist zwar von Sprache zu Sprache unterschiedlich, aber die Art der Konstruktionen und die durch sie jeweils ausgedrückten Bedeutungen sind in den romanischen Sprachen in so gleichartiger Weise wiederholt, daß wir die von E. Coseriu22 vertretene These des allgemein romanischen Charakters der von diesen Periphrasen ausgedrückten aspektuellen Kategorien hier aufgreifen wollen. Das bedeutet, daß die angeführten Verbalperiphrasen, deren Funktionen im einzelnen unten (vgl. 3.3.) behandelt werden sollen, nicht willkürlich zusammengestellte lexikalische Wendungen darstellen, sondern trotz bestehender Unterschiede im Grad der Grammatikalisierung und trotz materieller Verschiedenheit inhaltlich zusammenhängen, da sie gleichartige 19 Vor allem altiumänisch; vgl. M. Rädulescu, Formeie perifrastice, bes. S. 697. 20 Nach Mitteilung von Professor Coseriu könnte ian, das in den Grammatiken und Wörterbüchern als Interjektion angegeben und mit dem Verbum a lua in Verbindung gebracht wird, eine Fortsetzung des lat. interjektionalisierten Imperativs em sein, der genauso wie ian (heute regional) gebraucht wurde, nämlich in Verbindung mit dem Imperativ (vgl. unten 6.3.4.), und so, zumindest diachronisch gesehen, eine analoge parataktische Konstruktion darstellt, wie wir sie in 0.1.10. c) vor uns haben: Jan auzi, mäi fe-femeie, du-te §i deschide degrabX" (M. Sadoveanu, Frafii Jderi, I, S. 56). 21 Auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem periphrastischen Ausdruck ehemals „synthetisch" ausgedrückter Kategorien und demjenigen für bisher in einem Sprachsystem nicht existierende Funktionen hat u.a. H. Brinkmann, Studien . . . , Bd. I Sprache, Düsseldorf, 1965, S. 19f. hingewiesen. 22 Vgl. E. Coseriu, Sobre las llamadas . . . , S. 7ff.; ders., Tomo y me voy . . . , S. 50f.; El aspecto verbal perifrästico en griego antiguo, S. 113f.; Das romanische Verbalsystem, Vorlesung gehalten in Tübingen, Sommersemester 1963 und 1968.
8
aspektuelle Funktionen ausüben. Es lassen sich allerdings mehrere Gruppen unterscheiden, denen verschiedene Arten von Aspektkategorien entsprechen (vgl. unten Kap. 3.3.), und zwar: a) mit Verben wie rsein~l, b) mit Verben wie rgehen~l,
r sich
befinden 1 ;
Tcommeri^;
c) mit Verben wie r nehmenJ d) mit Verben wie ranfangen1,
""anfassen1; ""fortfahren1,
e) mit Verben wie 'zurückkehren 1 ,
'aufhören 1 ;
Himdrehen1.
Im Rahmen jeder Gruppe aber sind die in den einzelnen romanischen Sprachen verschieden realisierten Konstruktionen 2 3 insgesamt als gleichwertig anzusehen. Das heißt nicht, daß sie beliebig vertauschbar wären sie sind in der jeweiligen Norm festgelegt —, sondern daß sie funktionell analog sind. Die materielle Verschiedenheit der Konstruktion innerhalb einer Gruppe beeinflußt die ideelle Einheit, d.h. die Gleichartigkeit der Funktionen dieser Verbalperiphrasen,nicht. Aus der obigen Liste wird zudem deutlich, daß nicht in allen romanischen Sprachen alle zusätzlichen aspektuellen Kategorien gleichmäßig verwirklicht sind (so im Frz. z . B . weit weniger als im Port.), aber die Ausdrucksmöglichkeiten für die im System bestehenden Kategorien sind in allen romanischen Sprachen analog gestaltet; es können jederzeit entsprechende Periphrasen dafür neu gebildet und die Kategorien so in der Norm realisiert werden. Wichtig ist, daß diese Kategorien in den romanischen Sprachen systematisch, und zwar gerade durch Periphrasen und nicht durch andere syntaktische oder unsystematische lexikalische Verfahren ausgedrückt werden, wie dies z.B. im Deutschen der Fall ist ( z . B . durch Adverbien wie ,gerade', ,eben', .gleich' bzw. durch Wendungen wie ,im Begriff sein', ,dabei sein, etwas zu tun', usw.). Der angeführte Bestand an romanischen aspektuellen Verbalperiphrasen kann naturgemäß nicht das vollständige Inventar der möglichen Konstruktionen dieser Art darstellen, da diese lediglich marginalen Systeme innerhalb der Verbalsysteme der Einzelsprachen nur partiell verwirklicht und somit in höherem Maße offen sind als die Grundkategorien des Verbums, die z . B . in allen Tempora und Modi funktionieren 2 4 . Bei unseren Verbal23 Einerseits hypotaktisch mit Infinitiv, Gerundium, Supinum oder dem Konjunktiv als Modus der H y p o t a x e , andererseits parataktisch mit der kopulativen Konjunktion r
und"!
2 4 Zum Zentrum und Rand des Verbalsystems s. unten 1 . 6 . 2 . , Abschn. 2. - Zur Auffassung des Sprachsystems als Verband sich ständig neu verwirklichender Möglichkeiten vgl. E . Coseriu, Sincronía, diacronía e historia, Montevideo 1 9 5 8 , S. 1 5 4 : „ L a lengua funciona sincrónicamente y se constituye diacrónicamente". Dies bedeutet für die adäquate Beschreibung eines funktionierenden Systems, daß neben dem schon realisierten auch der noch nicht realisierte, aber potentiell nach densel-
9
periphrasen ist durchaus mit noch nicht erfaßten, besonders diatonischen 25 Varianten zu rechnen, z.B. bei der sehr nuancenreichen, aber auch stark geographisch differenzierten Gruppe von Konstruktionen mit Verben des Anfangens, Aufhörens usw. Dabei müssen auch verschiedene Stufen der Grammatikalisierung dieser periphrastischen Verbindungen berücksichtigt werden. Außerdem ergeben sich diachronisch gesehen mehr oder weniger große Verschiebungen: das Altfranzösische besaß z.B. die Periphrase mit estre + Part. Praes., aber noch kaum die mit aller + Infinitiv 26 , zumindest ist sie in den Texten nicht eindeutig belegt. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, daß die strukturelle Bedeutung 27 der je nach der Sprachnorm mit verschiedenen, jedoch inhaltlich ähnlichen Verben gebildeten aspektuellen Verbalperiphrasen analog sein kann. So werden z.B. die Verben rsich befinden 1 , Stehen 1 , r sitzeif oder rseiri"i in hypotaktischen und parataktischen Konstruktionen in verschiedenen Normen zur Bildung von aspektuellen Verbalperiphrasen mit analoger struktureller Bedeutung verwandt: span. estoy haciendo, rum. stau fac und $ed fac, nuor. söe fakende28. Da man die Konstruktionen, die wir aspektuelle Verbalperiphrasen nennen, bisher gewöhnlich nur vom Gesichtspunkt jeweils einer einzigen romanischen Sprache betrachtet hat 2 9 , ist ihre funktionelle und materielle Entsprechung sowohl innerhalb einer Sprache als auch übereinzelsprachlich im Rahmen der Romania oftmals nicht erkannt worden (vgl. Anm. 31). Das hatte zur Folge, daß man diese scheinbar disparaten Wendungen ent-
25
26 27
28 29
ben Verfahren verwirklichbare Teil berücksichtigt werden muß. Vgl. hierzu E. Coseriu, El aspecto verbal perifrástico, S. 94f. Dieser Terminus wird im Anschluß an L. Flydal, Remarques sur certains rapports entre le style et l'état de langue, NTS 16 (1952), S. 248, von E. Coseriu, Structure lexicale, S. 199, im Rahmen der Unterscheidungen innerhalb der .Architektur' der Sprache (auch von dort) gebraucht. Diese Unterscheidungen gehören zu denen, die benötigt werden, um zu einem für strukturelle Untersuchungen adäquaten Gegenstand zu gelangen. Vgl. G. Gougenheim, Etude, S. 36ff. und 92ff. E. Coseriu, Semantik und Grammatik, Vortrag gehalten vor dem Institut für deutsche Sprache, Mannheim (wird dort im Jahrbuch für 1971 erscheinen), unterscheidet zwischen der lexikalischen Bedeutung, die dem Was der Erfassung entspricht, der kategoriellen Bedeutung, die dem Wie der Erfassung entspricht (Bedeutung der Verbalkategorien), der instrumentalen Bed. (Bedeutung der Morpheme), der strukturellen Bed. (Bedeutung der grammatischen Kategorien) und der ontischen Bedeutung, die dem dem Satz zugeschriebenen Existenzwert (affirmativ, negativ, interrogativ usw.) entspricht. M.L. Wagner, La lingua sarda, S. 334, 376. Vgl. R.K. Spaulding, History and Syntax; G. Gougenheim, Etude; H. Keniston, Verbal Aspect; A.-J. Henrichsen, Les périphrases verbales; de Castilho, Introduçao; S. Hamplová, Acerca de la manera de acción, um nur einige wenige derer zu nennen, die sich um die Verbalperiphrasen einer einzelnen romanischen Sprache bemüht haben.
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weder an verschiedenen Stellen in den Grammatiken, meistens im Kapitel „Syntax", (z.B. unter dem „Gebrauch des Partizips", „— des Infinitivs", „ - der Hilfsverben" oder den „periphrastischen Tempora" erwähnte 30 oder in ihnen einfach unsystematische, nicht-grammatische Ausdrücke sah 3 1 . Wenn man jedoch den Bestand an derartigen Periphrasen in den romanischen Sprachen insgesamt berücksichtigt, sie darüberhinaus von ihrer jeweiligen Funktion aus betrachtet und infolgedessen die materiellen Konstruktionen als paradigmatisch bestimmt (und nicht primär als syntaktische Kombinationen) auffaßt, stellt man überall analoge Konstruktionen mit denselben, nämlich aspektuellen Bedeutungen, allerdings in unterschiedlichen Norm-Realisierungen, fest.
0.3.
Die Notwendigkeit einer einheitlichen Entstehung
Diese Tatsache ist für unsere Frage nach der Entstehung dieser Verbalperiphrasen äußerst wichtig. Wir wollen dabei jedoch nicht von den Verhältnissen in den frühen Epochen der einzelnen romanischen Sprachen ausgehen 32 , sondern die heutige Situation zugrundelegen. Wenn aber heute, wie wir gesehen haben, in allen romanischen Sprachen analoge Verbalperiphrasen existieren, ist die Annahme naheliegend, daß sie keine Neuerungen der romanischen Einzelsprachen darstellen, sondern ihre Grundlage zu Beginn, d.h. noch in gemeinromanischer Zeit da war. Damit soll nicht behauptet werden, jede einzelne Verbalperiphrase habe eine materielle vulgärlateinische Grundlage, sondern vielmehr, daß das Prinzip, bestimmte aspektuelle Kategorien durch bestimmte Arten von periphrastischen Konstruktionen auszudrücken, auf einer einheitlichen Basis beruhen muß. Die Einzelsprachen sind dann in Bezug auf die Realisierung verschiedene Wege gegangen, aber die aspektuellen Verbalperiphrasen sind überall immer wieder nach denselben Prinzipien gebildet worden. Im Lateinischen waren nun aber diese Muster kaum vorhanden. Es ist zwar wiederholt behauptet worden, die Periphrase mit esse und Part. Praes. 30 So z.B. W. Meyer-Lübke, Gramm, der rom. Spr., III, Romanische Syntax, Leipzig 1 8 9 9 , §§ 3 1 2 - 3 1 7 , 3 2 4 , 3 3 0 - 3 3 1 . 31 So G. Gougenheim, Etude, S. 3 7 8 über die französischen Periphrasen: „Ces périphrases ne constituent pas un système bien défini . . . Elles se forment au hasard, à des dates différentes, et avec des succès inégaux". Dazu muß gesagt werden, daß Gougenheim viele Periphrasen behandelt, die keine aspektuellen Periphrasen sind; vgl. unten 2.2.1. 32 Vgl. zum Asp. H. Chmeliüek, Die Gerundialumschreibung, s. unten 2.3.3.; zum Afrz. G. Gougenheim, Etude, s. unten 2.2.1.; zum Ait. St. Skerlj, Syntaxe, s. unten 2.6.1.
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sei im Lateinischen von Anfang an in aspektueller Funktion dagewesen 3 3 , aber die dafür genannten Beispiele sind in der Regel anders zu erklären: •y (1) senatuosque sententiam utei scientes esetis (Senat, de Bacch., CIL I , S. 581, 23 „damit ihr Bescheid wißt über . . . " , nicht „damit ihr dabei seid, Bescheid zu wissen"; (2)
tibi sum oboediens
(Plaut. Mil. 1129);
(3)
ut tu sis sciens (Plaut. Poen.
(4)
quos semper videas bibentes esse in thermopolio (Plaut. Cure. 292); nach St. Eklund, The periphrastic . .. use, S. 13, ist esse mit in thermopolio zu verbinden. Nach J. Marouzeau, L'emploi, S. 170, möglicherweise Periphrase, unserer Meinung nach zu Recht, da sonst der Anschluß esse in thermopolio nach quos . . . videas bibentes ungeschickt wäre.
(5)
minimeque male cogitantes sunt qui in eo studio occupati sunt (Cato R.R. praef. 4 ) „sind keineswegs verkehrt denkende Leute";
(6)
Et magis est animus vitai claustra coercens der stärker zusammenhält".
1038);
(Lucr. 3.396) „ist einer,
In allen diesen Fällen ist keine „dauernde Handlung" oder ein „Zustand" (etwa „ist gerade dabei zu . . . " ) betont, sondern es handelt sich jeweils um substantivische bzw. adjektivische Verwendungen der Partizipien mit ,esse', also nicht um einheitliche periphrastische Verbalausdrücke 34 . So auch im folgenden, wobei wir Beispiele mit Partizipien auswählen, die gewöhnlich nicht adjektivisch gebraucht werden 3 5 : 33 So z.B. A. Draeger, Historische Syntax der lateinischen Sprache, Bd. 1, S. 293; E.J. Tammelin, De partieipiis . . . , S. 70ff.; W. McC. Milroy, The participle in the Vulgate New Testament, S. 19; R. Kühner - C. Stegmann, AGLS, II, 1, S. 159; L.C. Barrett, Two Notes on the Latin Present Participle, TPAPhA 40 (1909), S. XVIII-XXI; E. Löfstedt, Phil. Komm., S. 245-249; Weerenbeck, Part. prés, et gérondif, S. 178f. ; St. Lyer, Le participe présent construit avec esse, R.E.L. 8 (1930), S. 241-249; J.J. Gavigan, The Syntax of the Gesta, 1943, S. 71; A. Ernout - F. Thomas, Syntaxe Latine, Paris 2 1959, S. 274f.; E.C. Woodcock, A New Latin Syntax, London 1959, S. 79; J.B. Hofmann - A. Szantyr, Lat. Syntax und Stilistik, München 1965, S. 388: „In der Volkssprache bereits des Altlateins tritt nicht selten das Part. Praes. mit sum statt des V. finitum ein, um das Zuständliche und Andauernde der Handlung kräftig zu betonen (vgl. engl, the boy is going to school)". Diese Aussage mag stellvertretend für die in den anderen angegebenen Schriften stehen. - Im Ahd. handelt es sich bei den Konstruktionen mit „sein" + Part. Präs. um Latinismen aus der Bibelsprache (vgl. H. Brinkmann, Studien . . . , Bd. I, Sprache, S. 24), wo sie auf Grund des griechischen Einflusses erstmals üblich werden. Sie haben jedoch im Ahd. keine aspektuelle Bedeutung, sondern bilden lexikalische Umschreibungen. 34 Zur Identifizierung der Verbalperiphrase, s. unten 1.6.1. 12
(7)
laneaque aridulis haerebant morsa labellis/quae prius in levi fuerant extantia filo (Catull, carm. 64, 316f.); wegen des statischen Charakters von ,extare', der keine Partialisierung der Handlung zuläßt, adjektivisch zu verstehen.
(8)
qui si dediticius est, profecto iussis nostris oboedierts erit (Sali. Bell, lug. 31, 19); wegen der Parallelität ,dediticus' - ,oboediens' adjektivisch.
(9)
gestus erat non verba exprimens, sed cum sententiis congruens (Cic., Brut. 141); kein Zustand, sondern seine Gestik war so beschaffen.
(10) nemo umquam tarn sui despiciens fuit quin speraret . . . (Cic. de or., II, 89, 364; die Determinierung durch tarn macht despiciens syntaktisch zum Adjektiv. (11) est ... quasi in extrema pagina Phaedri his ipsis verbis loquens Socrates (Cic. orat. 41); „es tritt mit folgenden Worten S. als Sprecher a u f ; vgl. Cic. div. 1,52. (12) nullius sensu carentis pars aliqua potest esse sentiens ; mundi autem partes sentientes sunt', (Cic. nat. deor. II, 8,22); „so beschaffen"; vgl. Cic. nat. deor. 2,8,21; Flacc. 4,9. (13) Sacra facit uates: sint ora fauentia sacris (Prop. IV, 6,1); kein „Zustand", keine „dauernde Handlung", sondern Eigenschaft: „solche, die das Opfer begünstigen". (14) Barba erat incipierts, barbae color aureus (Ov.met.\7, 395); adj., da mit Adj. parallel konstruiert. (15) Nox erat incipiens . . .; Cum foribus patriis egrediebar amans (Ov. her. 18,55); nach Löfstedt, Komm. S.243, Anm. 3, incipiens hier = prima. Doch ist auch eine echte Verbalperiphrase denkbar: „stand gerade an ihrem Beginn". (16) calx quae erit haerens in canalibus (Vitr. 7, 1, 7); nach Eklund 36 .indifferent'; möglicherweise Periphrase. (17) Cuius decursum antecedebat rivus, qui ad eorum accessum summam efficiebat loci iniquitatem; nam palustri et voraginoso solo currens erat 35 Die übrigen Stellen s. bei J. Marouzeau, L'emploi du participe présent à l'époque républicaine, MSL 6 (1910/11), S. 1 6 9 - 1 7 1 ; L.C. Barrett, Two Notes on the Latin Present Participle, TPAPhA 40 (1909), X V I I I - X X I ; St. Eklund, The periphrastic . . . use, S. 3 6 - 5 2 . 36 St. Eklund, S. 50. - Bei Vitruv soll sich allen Autoren zufolge ein besonders starker Gebrauch des Part. Praes. + esse finden. Eine nähere Prüfung zeigt aber, daß sie fast alle adj. sind; vgl. Eklund, S. 3 7 - 5 0 .
13
ad dextrum. (bell. hisp. 29,2); es kann kaum eine Eigenschaft gemeint sein, sondern es dürfte sich um eine Periphrase handeln. (18) Ulixes et Diomedes erant in phialae emblemate Palladium subripientes (Plin. nat. 33, 156); nach Önnerfors37 keine Periphrase; mit Recht, da hier keine Opposition zu subripiebant möglich ist. Demnach ist erant hier lexikalisch. (19) et ustrina talis moras non sustinens est (Apul. met. 7, 19); „ist nicht so beschaffen". Die Stelle ist unsicher. (20) iam subit Erigone hinc dona puellae/namque nitent, illinc oriens est ipsa puella (Manil. astr. 5. 252—255); „ist dabei aufzugehen". (21) has erit et similis tribuens Olor aureus artes (Manil. astr. 5, 388); span. „estará asignando". In diesen beiden Fällen liegen möglicherweise Periphrasen vor. Wenn man alle Verbindungen eines Part. Praes. mit einer Form von esse in Betracht zieht, ergibt sich, daß in der gesamten lateinischen Literatur bis Apuleius höchstens in sechs Fällen (4, 15, 16, 17, 20, 21) eine Verbalperiphrase angenommen werden kann, von denen drei (4, 15, 16) nicht zwingend sind. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß diese Periphrase von alters her im Lateinischen verwurzelt sei. Gerade in den älteren Phasen ist kein einziges ganz überzeugendes Beispiel zu finden. Diese Tatsache ist auch von mehreren Autoren hervorgehoben worden, die alle die genannte Verbindung als adjektivisch bezeichnen 38 . Was die übrigen romanischen aspektuellen Verbalperiphrasen betrifft, so kennen wir gar keine ähnlichen Konstruktionen im Lateinischen. Zwar vermutete Aalto 39 für die Verbindungen eines Part. Praes. bzw. Abi. des Ger. mit esse, stare, ire des späteren Lateins, die „in allen romanischen Sprachen zu finden" seien, die Fortsetzung „einer schon älteren Tendenz" (doch wohl im Lateinischen), aber einen Beleg dafür gibt er nicht an. Das konnte er wohl auch nicht, da das Lateinische diese Verbindung in aspektueller Funktion eben nicht kannte. 37 A. Önnerfors, Pliniana, Diss. Uppsala 1956, S. 119f. 38 So 0 . Riemann - H. Goelzer, Grammaire comparée du grec et du latin,"vol. II, Paris 1897, S. 666; H. Goelzer - A. Mey, Le latin de S. Avit, Paris 1909, S. 2 9 5 297; Ch. E. Bennett, Syntax of Early Latin. The Verb, Boston 1910, S. 434; J. Marouzeau, I.e., Anm. 29; J. Holmberg, Zur Geschichte der periphrastischen Verbindung des Verbums substantivum mit dem Partizipium präsentis im Kontinentalgermanischen, Diss. Uppsala 1916, S. 72f.; L.R. Palmer, The Latin Language, London 1954, S. 325. 39 P. Aalto, Untersuchungen über das lateinische Gerundium und Gerundivum, Helsinki 1949, S. 76.
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Es gab also im Lateinischen zumindest bis ins 2. nachchr. Jahrhundert so gut wie keine Vorbilder für die romanischen aspektuellen Verbalperiphrasen, denn weder in hypotaktischer noch in parataktischer Konstruktion lassen sich bis in diese Zeit Beispiele mit Verben wie "stehen1, Bitzen1, r geheri~| Tcommen1, rnehmeri] ranfassen>, finden, die auch nur Ansätze zur Ausbildung aspektueller Kategorien zeigten 40 . Dies gilt auch für die Konstruktionen vom Typ sp. estar por, it. stare per + Infinitiv, frz. venir de, sp. acabar de + Infinitiv usw., die sich auf das Verhältnis zwischen dem Augenblick der Betrachtung der Handlung und dem jeweiligen Grad der Verwirklichung der Handlung beziehen 41 . Dafür stand im Lateinischen kein einheitliches Verfahren zur Verfügung: entweder drückte man, wenn nötig, die entsprechenden Inhalte lexikalisch aus, z.B. mit Adverbien wie continuo, ilico, extemplo, modo, proxime oder durch lexikalische Periphrasen wie (res) in eo est, ut bzw. iam prope est, utn, oder man konnte auf zwei partielle grammatische Systeme von Verben mit Stammwechsel zurückgreifen: so accubo - accumbo, possideo - possido mit inzeptiver Bedeutung und albeo - albesco mit inchoativer bzw. progressiver Bedeutung der jeweils an zweiter Stelle genannten Form.
0.4.
Die These der griechischen Herkunft und ihre Begründung
Ähnliche Konstruktionen wie die von uns angeführten romanischen Verbalperiphrasen besaß jedoch das Altgriechische, und zwar in besonderem Maße auch solche mit rseiri] 'gehen1, Tcommen1 und dem Part. Praes., sowie mit 40 Vereinzelte Beispiele wie Verg. Aen. 6, 313 stabant orantes primi transmittere cursum, „standen da und bettelten darum"; Caim. Lat. epigr., Bücheler, 1542, (zit. bei D. Norberg, Contribution à l'étude du latin vulgaire, Hommages à Max Niedermann, Bruxelles-Berchem 1956, S. 255: Tu qui stas atque spectas monimentum meum, „der du dastehst und . . . " mit möglicher Periphrasenfunktion; Cic. Brut. 139 aggredior ad dicendum „ich werde jetzt sprechen"), sowie Varro, Men. 278 ut eat ac rem publicam administret „hingehen und" (nicht futurisch) zeigen nur materielle, aber noch keine inhaltlichen Parallelen. Die Behauptung Weerenbecks (Participe présent et gérondif, Nimègue-Utrecht-Paris 1927, S. 314), das Latein habe Wendungen wie perseverare negando, venire cantando, circumire psallendo, betrifft nicht unbedingt die aspektuelle Funktion solcher Periphrasen („une activité qui accompagne et qui détermine sous un rapport modal l'action principale", S. 314), vor allem aber bezieht sie sich nicht ausdrücklich auf die ältere Epoche der lat. Sprachgeschichte, so daß sie nichts hinsichtlich einer eigenständigen lateinischen Entwicklung oder griechischen Einflusses auf das Lateinische besagt. 41 Zur Kategorie der Phase oder des Grades, vgl. unten 3.3.9. 42 Die Periphrase mit dem lat. Part, auf -urus betonte in der frühen und klass. Zeit eher die Intentionalität (modale Bestimmung) als die Betrachtung der Handlung vor ihrem Beginn, so G. Garuti, II tipo - turus + sum nel latino arcaico, Bologna 1954; vgl. F. Portalupi, II futuro predicente latino, Torino 1957, dazu J. Marouzeau, R.E.L. 35 (1957), 307 und R. Pfister, Krat. 6 (1961), 103-105.
15
""nehmen1, fgehen1, ""kommen1 im Part, in Verbindung mit einem Verbum. Das heißt im einzelnen 4 3 :
finiten
a) Ipxojuai, elfiL, f}Kco + Part. F u t . 4 4 ; b) elfii, nvpeco, ivyxävcj,
earrjKa, yiyvoßai,
c) Zpxoßcu, neXco, elpi, r\nu>, ßaivu>, buneXco
etc. + Part. Praes. 4 S ; + Part. Praes. 4 6 ;
icbu, Xaßibv, Kid)V, poXcbv + finites V e r b u m 4 7 .
d)
Während diese Verbindungen weitgehend ähnliche Funktionen besitzen wie diejenigen, die in den romanischen Sprachen der Kategorie der .Schau' entsprechen 4 8 , kennt das Griechische auch Konstruktionen, die die Kategorie der .Phase' 49 ausdrücken: e) apxoßcu + Infinitiv; f) ttavofxcu + Infinitiv. Besonders auffällig ist die Parallelität zwischen den griechischen Periphrasen unter a) — d) und den entsprechenden romanischen Wendungen. Deshalb erscheint es uns gerechtfertigt, die These aufzustellen, daß die Muster für die romanischen aspektuellen Verbalperiphrasen zumindest für die Kategorie der .Schau' auf griechische Vorbilder, d.h. auf einen griechischen Einfluß auf das gesprochene Latein, zurückgehen 5 0 . Diese These ist nicht im ganzen neu. Sie ist mehrfach, jedoch im wesentlichen auf die lateinische Verbindung sum + Part. Praes. beschränkt, vertreten w o r d e n s l . Nicht beachtet hatte man dabei zunächst die Parallelität zwischen der griechischen Periphrase und den romanischen Wendungen mit rseirn, r stehen n , r sitzen n in hypotaktischer und parataktischer Konstruktion. Schon früh hatte man auch in den seit 43 Vgl. E. Schwyzer - A. Debrunner, GG, II, S. 255, 392, 812; R. Kühner - B. Gerth, AGGS, II, 1, S. 3 8 - 4 0 ; 2, S. 6 0 - 6 6 . 44 s. unten 5.4. 47 s. unten 5.3. 45 s. unten 5.1. 48 s. unten 3.3.8. 46 s. unten 5.2. 49 s. unten 3.3.9. 50 Aus diesem Grund schließen wir die Einzeluntersuchung der Periphrasen vom Typ e) - f) aus der Untersuchung aus. Sie sind hier lediglich der Vollständigkeit halber und aus theoretischen Gründen (vgl. unten 1.5.) aufgeführt worden. 51 So von A. Draeger, Historische Syntax der lateinischen Sprache, Bd. 1, Leipzig 2 1 8 7 8 , S. 293, der jedoch auch Polygenese für möglich hält; in gleicher Weise W. McC. Milroy, The participle in the Vulgate New Testament, Baltimore 1892, S. 18; P.W. Hoogterp, Etude sur le latin du Cod. Bobiensis (k) des Evangiles, Diss. Amsterdam 1930, S. 214; M. Lavarenne, Etude sur la langue du poète Prudence, Paris 1933, S. 256; A. Biaise, Manuel du latin chrétien, Strasbourg 1955, S. 133; St. Eklund, The periphrastic . . . use, S. 66. - Gegen Gräzismus G. Landgraf (Hrsg.), Historische Grammatik der lateinischen Sprache, III, 1 (von H. Blase), Leipzig 1903, S. 257; L.C. Barrett, Two Notes, Anm. 28; St. Lyer, Le participe présent construit avec esse R.E.L. 8 (1930), S. 247.
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Tertullian im Lateinischen üblichen Konstruktionen von Verben wie r aufhöreri1, Tortfahren1, Zuvorkommen1, ""scheinen1 mit dem Part. Praes. Gräzismen gesehen 52 . Es handelt sich jedoch hier nur zum Teil um Verbalperiphrasen; vgl. unten 4.2.1., S. 173. Als erster postulierte E. Coseriu auf Grund der vom Romanischen her im ganzen auffälligen Ähnlichkeit zwischen den griechischen und den romanischen aspektuellen Verbalperiphrasen die Entstehung der letzteren durch griechischen Einfluß auf das Lateinische, und zwar nicht für einzelne Konstruktionen, sondern für die gesamte in den romanischen Sprachen bestehende Aspektkategorie der .Schau' 53 . Diese These soll in der vorliegenden Arbeit anhand der Texte im einzelnen geprüft werden. Die enge Berührung zwischen Griechisch und Latein, der tiefgreifende Einfluß, den das Griechische besonders in der Kaiserzeit auf alle Bereiche der lateinischen Sprache, Wortschatz, Syntax und Phraseologie, in geringerem Maß auch auf Phonologie und Morphologie ausübte, ist vielfach betont worden. Schon Friedrich Diez stellte in der Vorrede zum dritten Teil der ersten Ausgabe seiner Grammatik der romanischen Sprachen54 die Frage nach den allgemeinen Bedingungen für gewisse syntaktische Erscheinungen, „die man, wenn sie bei lateinischen Schriftstellern vorkommen, aus dem Griechischen herzuleiten geneigt ist, wie die Anwendung von quod statt des üblichen Accusativs mit dem Infinitiv, die mehrfache Negation statt der einfachen 55 u. a.", die aber „sich zugleich als romanische Züge an der Schwelle des Mittelalters wiederfinden". Außerdem verweist er auf eine ganze Reihe weiterer Paralielismen zwischen spätlateinisch-romanischen und griechischen Konstruktionen: so die Verbindung von Adverbien mit Präpositionen (fin qui, por jamás)', die Nicht-Unterscheidung zwischen Ort und Richtung 56 ; ferner der Gebrauch von in beim prädikativen Objekt (eleggere 52 Vgl. H. Rönsch, Itala und Vulgata, Marburg 2 1875, S. 450; H. Hoppe, Syntax und Stil des Tertullian, Leipzig 1903, S. 57 zu /allere s» Xcwdávew, ostendi zsupaiveodac,
perseverare % ái>é\ea9(U, praevenire xa B Particulier
Général
Zwischen A und a „entwickele" nun das Wort seinen ihm eigentümlichen Inhalt, zwischen a und jy die es generalisierenden Merkmale, die seine Funktion im Satz angeben, in y schließlich umfasse es die ganze bisherige Bewegung im Rahmen seiner Wortart. In dem Raum zwischen a und y erhält das Wort seine inneren Bestimmungen, während der Raum y - B für die äußeren Bestimmungen zur Verfügung steht (morphologie extérieure) 39 . Die Schwelle y ist, in jeder Sprache verschieden^zwischen a und B plaziert und diachronisch verschiebbar. Je näher sie an a rückt, desto größer ist der 35 Die „psychosystematische Methode" G. Guillaume's ist Ausdruck einer eigenwilligen, nur indirekt in Anlehnung an de Saussure entwickelten Sprachtheorie, die die sprachlichen Fakten durch subjektive, psychologische Erklärungen und deren formalisierte Darstellung in den Griff bekommen will. Richtige Intuitionen werden allerdings o f t durch eine schwierige Terminologie und allgemein durch die psychologischen Prämissen verdeckt. Vgl. (von guillaumistischer Warte aus) A. Jacob, Les exigences théoriques de la linguistique selon Gustave Guillaume, Paris 1970. 36 G. Guillaume, Comment se fait un système grammatical, in: Guillaume, L.Sc.L., S. 1 0 8 - 1 1 9 . 37 Guillaume, Système grammatical, S. 109. 38 Guillaume, Système grammatical, S. 110. 39 Guillaume, Système grammatical, S. 113.
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Anteil der äußeren morphologischen Bestimmungen, je näher sie an B rückt, desto stärker ist der Anteil der flexivischen Elemente im Lexem. Die äußere Morphologie kann nun mit zweierlei Mitteln dargestellt werden: a) mit Instrumentalwörtern, insbesondere grammatischen Wörtern (Beispiel: Präposition im Französischen), b) mit suprasegmentalen Mitteln. Je nachdem nun, an welcher Stelle y steht, wird ein größerer oder kleinerer Teil der Generalisierungsbewegung, d.h. der grammatischen Einordnung im Satz, durch äußere Mittel übernommen, denn die syntaktische Funktion wird auch in nicht flektierenden Sprachen angegeben. Dort ist dann y mit a zusammengefallen. Für uns ist wichtig, daß innere und die äußere Bestimmung in grammatischer Hinsicht als gleichwertig angesehen werden. Zu den Ausführungen Guillaume's über die sematischen Eigenschaften des ,mot grammatical' und dessen Grammatikalität in Bezug auf das determinierte Wort, vgl. unten 1.4.1. 1.2.3.
A. I. Smirnickij
A. I. Smirnickij40 stellt in Zusammenhang mit der Abgrenzung periphrastischer Konstruktionen „phraseologische Einheiten" und „analytische Formen" einander gegenüber. In „phraseologischen Einheiten" wird nicht ein Element durch ein anderes modifiziert, so daß auch kein Paradigma in Hinsicht auf ein modifiziertes „Grundwort" denkbar ist: In dem angegebenen Beispiel ( m o l o d e s f ) voz'met svoe ist weder voz'met durch svoe noch svoe durch voz'met modifiziert, sondern nur das von svoe unabhängige Verbalparadigma von vzjat' bzw. das unbegrenzte, von voz'met abhängige Paradigma möglicher Objekte sind denkbar. Hier handelt es sich einfach um syntaktisch bestimmte Einheiten (Satzglieder). Dagegen bildet eine analytische Form" eine sog. „freie Wortverbindung" (svobodnoe slovosoöetanie) aus einem beliebigen „Grundwort" und einem ganz bestimmten „Hilfswort" (sluSebnoe slovo), wobei eben das Grundwort frei, d.h. nicht vorherbestimmt ist41. Die analytische Form ist in diesem Sinne eine modifizierte Form des Grundwortes und gehört mit ihm zusammen in dasselbe Paradigma42. 1.2.4.
E. Coseriu
E. Coseriu stellte in einem Vortrag 43 , in dem er eine Arbeit Amado Alonso's 40 41 42 43
A.I. Smirnickij, Analiti&skie formy, VJa 5,2 (1956), S. 4 1 - 5 2 . Smirnickij, S. 43f. Vgl. hierzu auch A.W. de Groot, Structurele Syntaxis, Den Haag 1949, S. 139f. E. Coseriu, Sobre las llamadas „Construcciones con verbos de movimiento": un problema hispánico, Montevideo 1962. 34
aufgriff 44 , fest, daß im Spanischen Verben wie acabar, andar, continuar, echarse, encontrarse, entrar, estar, hallarse, ir, ponerse, quedar, quedarse, resultar, salir, seguir, tornarse, venir, verse, volverse mit dem Gerundium oder Präposition + Infinitiv „elementos de perífrasis verbales" sind, und zwar „(en el sentido de que, además de asumir morfemas de persona, tiempo, etc., funcionan ellos mismos como „morfemas", es decir, como modificadores grama/ 45 ticales de los verbos en gerundio o infinitivo con los que se hallan construidos)"
Diese Aussage dürfte auch dem von Pottier und Smirnickij Gemeinten entsprechen, obwohl diese Autoren den Sachverhalt anders formulieren. Sie bestätigt auch unsere Kritik an Tesniére (s. oben 1.2.1.) und stimmt mit der Theorie der „Morphemverben" Raethers überein (s. unten 1.2.6.) 1.2.5.
E.Benveniste
E. Benveniste hat sich in einem Aufsatz eingehend mit dem Verhältnis zwischen den Elementen periphrastischer Konstruktionen und ihrer Abgrenzung auseinandergesetzt 46 . Er beschränkt sich bei seinen Überlegungen auf das heutige Französisch, wo er drei Arten von „auxiliations" unterscheidet; dabei unterstreicht er die Zugehörigkeit der periphrastischen Formen zum Paradigma der einfachen Formen: „La forme créée par auxiliation s'oppose, en tant que marquée, ä une forme verbale simple, non auxiliée" 47 . Die Oppositionen sind dann folgende:
il frappe
a) il a frappé b) il est frappé c) il peut frapper
(auxiliation de temporalité) (auxiliation de diathèse) (auxiliation de modalité)
Nach dieser inhaltlichen Einteilung geht Benveniste zur formalen Analyse über: Innerhalb des Paradigmas des „parfait" enthält die periphrastische Form eine Variable (nämlich eine Form von avoir, être als „auxiliant", wie er den traditionellen „auxiliaire" nennt 48 und eine Invariable, den „auxilié". Hinsichtlich der Gesamtheit der Verben ist das Verhältnis jedoch 44 A. Alonso, Sobre métodos: construcciones con verbos de movimiento en español, RFH 1 (1939), 1 0 4 - 1 3 8 (=Estudios lingüísticos. Temas españoles, Madrid 1951, S. 2 3 0 - 2 8 7 , 2 1 9 6 1 , S. 1 9 0 - 2 3 6 ) . 45 Coseriu, Construcciones, S. 6. 46 E. Benveniste, Structure des relations d'auxiliarité, AL Hafn. 9 (1965), S. 1 - 1 5 , und Le parfait périphrastique, S. 5 5 - 6 1 ; vgl. dazu auch B. Schlieben-Lange, Verbprobleme, S. 72f. 47 Benveniste, Structure, S. 3. 48 Benveniste, Structure, S. 3. Benveniste wendet sich gegen die Bezeichnung „verbe auxiliaire", da sie sachlich unzutreffend sei.
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umgekehrt: frappé kann durch eine Reihe anderer Verben, besser Partizipien des Perfekts anderer Verben, ersetzt werden, wobei il a invariabel ist. Als „fonction auxiliationnelle" der beiden bei der „auxiliation" beteiligten Elemente erkennt er „argument" für frappé und „fonction" für il a. Es ist dabei aber nicht so, daß nur ein Bestandteil grammatische Funktionen ausübt — wie dies Tesnière gemeint hatte (s. oben 1.2.1.) —, sondern beide Teile sind am Zustandekommen der neuen Funktion gegenüber der einfachen Form beteiligt: „Le p h e n o m e n e typique, tout singulier, de l'auxiliation de temporalité consiste dans le scindement d'une f o r m e verbale en deux unités a u t o n o m e s et dans la répartition subséquente des fonctions entre les d e u x " 5 0 .
Die Frage ist demnach: Wie ist es möglich, daß ein Präsens der primären Perspektive 51 (il a) neben einem Partizip Perfekt als reinem Semantem ohne grammatische Funktion zu einem Präsens der sekundären Perspektive („Perfekt") wird? Da die grammatische Funktion des Ganzen offensichtlich durch die Verbindung beider Teile entsteht, liegt als Antwort der Schluß nahe, daß eben beide Teile grammatische Funktion tragen. Chanté kann also gerade nicht ausschließlich Semantem sein, denn sonst würde für die Bildung der sekundären Perspektive (il a chanté) nicht gerade die Form des Partizipis des Perfekts gebraucht. Daraus folgt: ,,1'auxilié doit être reconnu c o m m e bifonctionnel. En sus de sa fonction paradigmatique, qui est d'assurer la liaison sémantique avec le verbe, il remplit la fonction syntagmatique complémentaire de celle de l'auxiliant. Auxilié et auxiliant sont mutuellement adjuvants dans ce p r o c è s " 5 2 .
Umgekehrt hat jedoch auch der „auxiliant" nicht nur grammatische Funktion. Das Verbum, das ihn bildet, ist nicht beliebig: 4 9 Das gilt natürlich nicht nur für die „temporalité" in B.'s Sinne, sondern auch für seine Kategorien der „diathèse" und „modalité" (Structure, S. 8 und 10f.). Es läßt sich außerdem aber auch auf die „auxiliation" überhaupt ausdehnen; es handelt sich dabei immer um zwei Elemente („auxiliant" und „auxilié"), die ihrerseits wiederum komplex gestaltet sein können. 5 0 Benveniste, Structure, S. 6. 51 Vgl. dazu unten 3.3.2. und 3.3.3. 5 2 E. Benveniste, Structure, S. 6. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch M.M. Guchmann, Glagol'nye analitiCeskie konstrukeii kak osobyj tip sotetanij iastiinogo i polriogo slova (Na materiale istorii nemeckogo jazyka), in: Voprosy grammatiCeskogo stroja, Moskau 1955, S. 3 2 2 - 3 6 1 , und dies., Über die verbalen analytischen Formen im modernen Deutsch, PBB 8 2 (Sonderbd.), Halle 1961, S. 4 1 5 - 4 2 7 , bes. S. 4 2 1 . Für die lexikalischen Periphrasen hat J. âabrSula, Un problème de la périphérie du système morphologique: A propos des formations prémorphologiques, TLP 2 ( 1 9 6 6 ) , S. 1 8 3 - 1 9 2 , bes. S. 186 und 192, Anm. 11, auf die Nicht-Kommutierbarkeit eines Elements eines „phraséologisme"hingewiesen: z.B. ist in .prendre de l'âge (*» ,viellir') .prendre' nicht durch .saisir' ersetzbar (* .saisir de l'âge'). Ebenso ist allerdings âge nicht durch jedes beliebige Substantiv ersetzbar.
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„c'est en réalité par son sens que l'auxiliant, et par sa forme que l'auxilié, se complètent pour réaliser la valeur propre du parfait" 5 3 .
Man muß also prinzipiell zwischen 1) der den Bestandteilen eigenen Funktion und 2) der Funktion der Summe unterscheiden. Zum Schluß gibt Benveniste drei Regeln zur Abgrenzung der „auxiliation" an: 54 1) „Principe de non-réflexivité de la fonction auxiliante". Das bedeutet, daß kein „auxiliant" durch sich selbst modifiziert werden kann. Genauer müßte gesagt werden, daß ein „auxiliant" nicht mit einer Form desselben Verbums in derselben Funktion modifiziert werden kann, denn Formen wie il a eu oder il a eu chanté sind nach Benveniste kein Gegenbeispiel gegen seine Regel, da hier nur il a „auxiliant", bzw. eu nur Segment des „surauxiliant" il a eu ist und bei letzterem nur chanté den „auxilié" bildet. Es stellt sich aber bei näherem Zusehen heraus, daß Benveniste's Regel nicht sprachliche Gegebenheiten betrifft, sondern logische. Wenn man das Verhältnis der Elemente in einer periphrastischen Konstruktion als die von Modifikator und Modifikatum auffaßt - was auch beim Zusammenwirken der Funktionen zur Gesamtfunktion möglich ist — und auch bei einer potenzierten „auxiliation" davon ausgeht, daß das voranstehende das jeweils nachfolgende Element modifiziert, so ist es unverständlich, wie zwei Elemente mit derselben Funktion, d.h. als „auxiliants", auftreten sollen. Ob es sich dabei um dasselbe Verbum handelt oder nicht, ist irrelevant. Auch wenn man il a été frappé mit Benveniste als „surauxiliation", nämlich als „auxiliation de diathèse" von il a frappé betrachtet, ist es klar, daß man diese Kombination zunächst in die Einheiten il a été (als „auxiliant") und frappé (als, „auxilié") zerlegen muß, dann wiederum il a été als „surauxiliant" in il a (als „auxiliant") und été (als „auxilié"). Es ist demnach unmöglich, daß zwei „auxiliants" hintereinander auftreten. Da dies von der Form der „auxiliants" unabhängig ist, - das Modifizierende kann sich logisch nicht selbst modifizieren ohne daß der Bezugspunkt zum Modifizierten wird —, ist die von Benveniste genannte Einschränkung zur Abgrenzung der „auxiliation" unwirksam. 2) „Aucun auxiliant n'admet l'auxiliation de diathèse" 5 5 . Diese Tatsache ist nach Benveniste für die französischen „auxiliants" wie être, avoir, pouvoir, devoir leicht einsichtig. Da jedoch keine transitiven Verben, die passivisch konstruiert werden können, als „auxiliants" vorkommen, ist diese Regel zur Abgrenzung der „auxiliation" ebenfalls nicht geeignet. Sie ist jedoch auf die Verben "nehmen1, r anfassen\ rsich anfassen 1 in kopulativer Konstruktion im Port., Span., It. bzw. Rum. anwendbar, da diese Verben in den genannten Konstruktionen als „auxiliants" fungieren und daher kein eigenes Objekt haben und nicht in die passive Diathese umgesetzt werden können. 53 Benveniste, Structure, S. 7. 5 4 Benveniste, Structure, S. 14f. 55 Benveniste, Structure, S. 14f.
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3) „Principe de non-réversibilité du rapport auxiliant: auxilié. Un auxiliant devient l'auxilié d'un surauxiliant, jamais l'inverse" 56 . Dieses Prinzip ist jedoch nicht auf die „auxiliation" beschränkt, sondern gilt entsprechend dem linearen Charakter der sprachlichen Zeichen 57 fur alle syntagmatischen Bezüge. Man kann das Modifizierende nicht mit dem zu Modifizierenden vertauschen, ohne daß sich die Gesamtfunktion des Syntagmas ändert. Es ist ja festgestellt worden, daß die Bestandteile einer periphrastischen Konstruktion trotz ihres komplementären Charakters jeweils ihre eigene Funktion haben. Es ist deshalb klar, daß bei einer „surauxiliation" der „auxiliant" analog zum „auxiliant" der einfachen „auxiliation" gebildet wird und daß innerhalb des „surauxiliant" der „auxilié" der Form des „auxiliant" der nächst niedrigeren Stufe der „auxiliation" entspricht. Wesentlich sind fur uns Benveniste's Ergebnisse hinsichtlich a) der paradigmatischen Einheit der periphrastischen und der einfachen Formen und b) des Verhältnisses von „auxiliant" und „auxilié", das hier sehr viel klarer gesehen wird als bei Tesnière. Dazu ist jedoch anzumerken, daß die Gesamtfunktion unserer Meinung nach zwar von den Konstituenten (lexikalisch und kategoriell) abhängt, sich aber nicht automatisch daraus ableiten läßt. Wenn z.B. der „auxilié" im Infinitiv notwendig immer eine andere Funktion der Periphrase determinieren würde als ein „auxilié" in der Form des Gerundiums, könnte man nicht erklären, warum span. voy a escribir und voy escribiendo funktionell verschiedene Kategorien darstellen, während port, estou a escrever und estou escrevendo bzw. it. sto scrivendo und sto a scrivere lediglich Norm-Varianten derselben Kategorie sind 58 . 1.2.6.
M. Raether
Auf der Grundlage der Frequenz gewisser Verben des Französischen, die mit dem Infinitiv verbunden werden, hat M. Raether 59 versucht, zu bestimmen, welche dieser Verben als „Morphemverben" identifiziert werden können. Er stellt fest, daß die Verben des Französischen, die nach den Frequenzlisten von Guiraud 60 eine ähnliche Häufigkeit aufweisen wie andere „morphematische Moneme" (Präpositionen, Artikel. Prono56 Benveniste, Structure, S. 15. 57 Vgl. F. de Saussure, CLG, Paris 4 1 9 4 9 , S. 103. 58 Die genannten port. Periphrasen sind nicht nur diatopische Varianten, sondern kommen auch bei einem Schriftsteller in einem Werk vor (z.B. E^a de Queiroz, O Primo Basilio). Vgl. unten 3.3.8. zur Funktion dieser Konstruktionen. 59 M. Raether, Untersuchungen über die Konstruktion „Verb + Infinitiv" im Französischen, Diss. Köln 1968. 60 Zitiert bei Raether, S. 202f.
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mina (!)) 61 , gerade die sind, die häufiger mit dem Infinitiv konstruiert werden als andere Verben (,die auch mit dem Infinitiv verbunden werden können), und fragt sich, ob man sie aus diesem Grunde nicht in gleicher Weise als Morpheme, nämlich als „Morphemverben" betrachten könnte. Er faßt darunter auch die Verben, die man gemeinhin als „Modalverben" bezeichnet {pouvoir, vouloir etc.), wendet sich allerdings mit Recht gegen die Auffassung, sie seien .auxiliaires de mode', da nicht klar ist, was darunter zu verstehen ist und wie sie abgegrenzt werden können. Weitere Kriterien, die zur Identifizierung der Morphemverben dienen, sind nach Raether ihre Kürze (va, fait, peut, vient), die Gemeinsamkeit des Suppletivwesens in den Paradigmen dieser Verben, „ihre Bedeutungsweite und ihre Funktionsfülle, ihre Abhängigkeit von Lexemen und schließlich ihre Stellung" 62 . Was jedoch die angebliche Bedeutungsweite und Funktionsfülle betrifft, ist zu bedauern, daß Raether keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Konstruktionen mit den von ihm behandelten Verben, bzw. bei ein und derselben Konstruktion ungerechtfertigte Funktionsunterschiede macht, so z.B. bei aller (S. 60ff.): Wenn (S. 62) aller als Tempus- und Imperativmorphem in „Alors, écoute, tu vas rentrer chez toi. . ." interpretiert wird, so verwechselt der Autor grammatische Funktion („Futur") und Sinn der Aussage („Aufforderung", jedoch außersprachlich und situationell); dagegen liegt z.B. in „n'allez pas mourir" überhaupt keine Tempusfunktion vor (vgl. unten 3.3.10.3.). Schließlich gehören Formen wie in „Allons, ne pleure pas!" nicht in diesen Zusammenhang, da sie keine Konstruktion mit dem Infinitiv auslösen. Daraus ergibt sich, daß die Frequenz gewisser Verben in bestimmten Konstruktionen allein nicht zur Identifizierung und Abgrenzung von Morphemverben ausreicht. Das suppletive Paradigma ist zwar diesen Verben als äußeres Kennzeichen gemeinsam, prädestiniert sie aber nicht zu „Morphemverben", zumal dies nicht für alle Sprachen gilt63. Immerhin dürfte die Frequenz einer bestimmten Konstruktion, sowie ihre Einfachheit und Kürze ein wichtiges äußeres Kriterium zur Bestimmung der Grammatikalisierung solcher Konstruktionen sein.
61 M. Raether, S. 49. 62 M. Raether, S. 5 4 - 8 7 . 63 z.B. haben span. estar, andar, tomar, coger kein suppletives Paradigma.
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1.3.
Syntagmatische Kriterien
1.3.1.
L.M. Brieër-van-Akerlaken
Auf ein wichtiges Kriterium zur Identifizierung und Abgrenzung von Periphrasen hat L.M. Brieër-van-Akerlaken64 hingewiesen. Sie nimmt an, daß die im Französischen in Frage kommenden Verben in periphrastischer Konstruktion niemals allein, sondern immer in Verbindung mit einer „Nominalform" (Partizip oder Infinitiv) vorkommen. Andererseits können diese Verben auch außerhalb der Periphrasen, d.h. autonom gebraucht werden. Auf diese Doppelfunktion gründet sich ihr distributionelles, syntagmatisches Kriterium: „si l'on ne peut parler d'emploi auxiliaire d'un verbe que s'il s'agit d'un verbe accompagné d'un participe ou d'un infinitif, il s'en suit qu'on ne peut pas omettre ce participe ou cet infinitif ni le remplacer par un substantif, un pronom, une proposition complétive ou un adjectif SANS CHANGER LA SIGNIFICATION DU VERBE EN QUESTION. En d'autres termes: si l'on peut OMETTRE la forme nominale ou la REMPLACER par les éléments mentionnés, le verbe dont on veut savoir s'il est un auxiliaire, n'en est pas un" 6 5 .
Sie stellt nun zunächst fest, daß J'ai marché nicht durch J'ai une pomme bzw .Je suis parti hier nicht durch Je suis pauvre ohne Änderung der Bedeutung von j'ai, bzw. je suis ersetzt werden kann. Avoir und être seien demnach in Verbindung mit einem participe passé Hilfsverben, wobei jedoch bei être die Verbindung mit dem Partizip eines intransitiven Verbums von der passivischen Bildung eines transitiven Verbs mit être zu unterscheiden sei, da im letzteren Fall être nur „copule" sei 66 . Bei der Konstruktion mit einem intransitiven Verb wie „Je cours ouvrir la porte" sind Ersetzungen wie „Je cours à la porte pour l'ouvrir", , J e cours pour ouvrir la porte" möglich, ohne daß sich die Bedeutung von je cours ändert. „Je vais ouvrir la porte" dagegen ist zweideutig: Man könnte es mit „J'y vais", aber auch mit „Je l'ouvrirai" paraphrasieren. Im zweiten Fall ist der Infinitiv ohne Bedeutungsänderung von aller nicht ersetzbar, so daß es in dieser Konstruktion der Autorin nach ein „auxiliaire" darstellt 67 . 64 L.M. Brieër-van-Akerlaken, Le problème des verbes auxiliaires en français contemporain, Fol. Ling. 1 (1967), 1 9 4 - 2 3 1 . 65 Brieër-van-Akerlaken, S. 211. 66 Es stimmt jedoch nicht, daß être in diesem Fall Kopula ist, denn sonst könnte man die passivische Bedeutung dieser Konstruktion nicht erklären. Il est battu par . . . bedeutet nicht „er ist ein von . . . Geschlagener", d.h. „der geschlagen worden ist", sondern, „. . . er wird geschlagen". Also kein Zustand, sondern Vorgang. Vgl. unten Anm. 97. 67 Brieër-van-Akerlaken, S. 213.
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Nach der gleichen Methode wird dann festgestellt, daß die Verben sembler, vouloir, pouvoir, savoir, falloir, cesser de und finir par in Verbindung mit dem Infinitiv keine „auxiliaires" sind, dagegen devoir, faillir, faire, laisser, (se) voir (nur partiell), aller, venir de, venir à und manquer de + Infinitiv als Auxiliarien zu betrachten sind. Das distributionelle Kriterium reicht allerdings nicht zur Beantwortung der Frage aus, in welcher Hinsicht die so festgestellten Verben denn nun gerade „Hilfsverben", d.h. Modifikatoren anderer Verballexeme, sind. Das paradigmatische Kriterium, das L.M. Brieër-van-Akerlaken zu diesem Zweck anführt und das auf der Gegenüberstellung jeweils einer periphrastischen Konstruktion und einer „einfachen" Verbalform beruht, bringt hier eine gewisse Klärung: während j'ai chanté und je vais partir einem je chante, bzw. je pars, sowie il est battu (par son père) einer Konstruktion (son père le) bat gegenübergestellt werden können und sich somit als modifizierte Formen dieser „Grund"formen darstellen lassen, ist das bei Konstruktionen mit faillir, manquer de und venir à + Infinitiv nicht so ohne weiteres möglich. Letztere Verben werden von der Autorin daher als „semi-auxiliaires" klassifiziert, da sie immerhin dem distributionellen Kriterium genügen 68 .
1.3.2.
B. Pottier
Ein syntagmatisches Kriterium hatte schon B. Pottier in dem erwähnten Aufsatz 6 9 , allerdings weniger explizit als L.M. Brieër-van-Akerlaken, angeführt: „Debe considerarse verdadero complejo de auxiliaridad el sintagma que no pueda transformarse en grupo disjunto sin que cambie su significación: „está diciendo" no equivale a „está y dice", en tanto que el significado de „habla durmiendo" no se altera si lo descomponemos en „habla y duerme" o „habla mientras A "W duerme 68 Nicht einverstanden erklären können wir uns mit der Argumentation der Autorin, wo sie periphrastische Konstruktionen mit sog. „semi-auxiliaires" und stärker grammatikalisierte Periphrasen mit „auxiliaires" in Opposition zu lexikalischen Wendungen stellt (z.B. aller + gérondif ^ ,finites Verbum' + ,de plus en plus'), um festzustellen, daß in solchen Fällen eine partielle Opposition zu einer einfachen Form des Verbalparadigmas gegeben sei. Hier werden einfach .funktionelle Opposition' und ,Paraphrase' verwechselt. Die Opposition besteht in jedem Fall zwischen „ils vont augmentant" und „ils augmentent". Der Inhalt jeder grammatischen Funktion läßt sich lexikalisch paraphrasieren, wobei die Paraphrase jedoch niemals die „strukturelle Bedeutung" (vgl. oben Kap. 0, Anm. 27) vollständig wiedergibt, sondern eben eine lexikalische Näherung bleibt. Da sich jede grammatische Funktion irgendwie auf die lexikalische Ebene transportieren läßt („er hat gesungen" ^ „es ist vorbei mit seinem Singen", „die Vergangenheit seines Singens", usw.), gäbe es sonst überhaupt nur partielle Oppositionen. 69 B. Pottier, Sobre el concepto de verbo auxiliar (vgl. Anm. 13). 70 B. Pottier, Concepto 2.3.1. (Lingüística moderna, S. 198).
41
Jedoch ist Pottier's Kriterium weniger umfassend als das von Brieer-van-Akerlaken, da es bei ihm explizit auf die Konstruktionen mit dem gerundio beschränkt ist. Allerdings ließe es sich auf die Verbindungen mit dem Infinitiv ausdehnen (je vais chanter / je vais pour chanter). Bei den Konstruktionen ,Morphemverb + Präposition + Infinitiv' (incidencia indirecta) versagt Pottier's Kriterium jedoch, erst recht bei den kopulativen Periphrasen. Das distributionelle Kriterium Brieer-van-Akerlakens ist demgegenüber allgemeiner, da es die Zerlegung der periphrastischen Konstruktion in ihre autonomen Bestandteile auf dem Wege über verschiedenartige syntaktische Kommutationen erreicht. Es läßt sich sogar auf die kopulativen Periphrasen anwenden: Tomo y escribo kann nicht (wie z.B. canto y escribo) mit * yo tomo y tú escribes (dagegen yo canto y tú escribes) oder * tomo mientras escribo (gegenüber canto mientras escribo), * tomo un lápiz y escribo (gegenüber canto una canción y escribo) kommutiert werden, ohne daß tomo die lexikalische Bedeutung erhielte, die es in der Verbindung tomo y me voy gerade nicht hat 7 1 . Im Grunde handelt es sich bei Pottier und Brieer-van-Akerlaken natürlich um dasselbe Kriterium, nämlich die Analyse einer Verbindung, die auf der berechtigten Annahme beruht, daß sprachliche Einheiten, solange sie eben nicht zu neuen lexikalischen oder grammatischen Einheiten verschmolzen sind, unabhängig von ihrer Umgebung ihre lexikalische Bedeutung behalten. Pottier hat aber sein Kriterium wenn auch nicht enger formuliert, so doch weniger explizit dargestellt, so daß nicht klar ist, welche Kommutationen er insgesamt annehmen würde.
1.3.3.
E.Coseriu
In diesem Zusammenhang muß auf das von E. Coseriu72 erwähnte, syntaktische Kriterium zur Identifizierung von Verbalperiphrasen eingegangen werden, das die einheitliche, paradigmatische Funktion der Verbalperiphrase und den modifizierenden, morphematischen Charakter der „Auxiliarien" von einer anderen Seite her präzisiert, als es bei Pottier und Brieer-van-Akerlaken geschieht: Da das Auxiliarverb ein anderes Verb determiniert, darf es selbst keinen weiteren Bezugspunkt als Ergänzung haben (Objekt, präpositionale oder adverbielle Bestimmung). Coseriu unterscheidet hier zwischen „construcción inmediata" (ohne Bezugspunkt) und „construcción mediata" (mit Bezugspunkt), die jedoch nicht mit der rein formalen Unterscheidung Pottier's zwischen incidencia directa und indirecta im Aufbau der Periphrase verwechselt werden darf. „Construcción inmediata" liegt dann vor, wenn das Hüfsverb keine eigene Ergänzung (des Ortes, der Zeit, der Art und Weise, etc.) hat, sondern nur - wenn überhaupt - das modifizierte Verb, bzw. die ganze Periphrase. Im umgekehr71 Vgl. unten 3.3.8. 72 Coseriu, Construcciones, S. 6 - 7 .
42
ten Fall liegt eine „construcción mediata" vor, d.h. hier wird die Periphrase durch Ablenkung des „auxiliant" auf einen anderen Bezugspunkt als das subordinierte Element (bei Konstruktionen mit Gerundium, Infinitiv, Konjunktiv) bzw. das parallele, keine Ergänzung darstellende Element (bei kopulativen Konstruktionen) verhindert. Allerdings ist zu beachten, daß die durch einen äußeren Bezugspunkt hervorgerufene „mediatez" explizit, aber auch nicht-explizit sein kann und dann nur aus dem sprachlichen oder auch nicht-sprachlichen Kontext zu erschließen ist: „Salió DE LA CASA diciendo que volvería a las tres" bzw. „¿Está Juan? - No está Salió (seil. DE AQUI) diciendo que volvería a las tres"73.
In beiden Fällen ist also keine Periphrase gegeben, da sie im ersten Beispiel explizit, im zweiten Beispiel implizit durch den Kontext — hier eine Ortsbestimmung zu salir - verhindert wird: salir erhält dadurch seine lexikalische Bedeutung und funktioniert als autonomes Verb. Dieselbe Beschränkung gilt andererseits auch für den „auxilié", der in dieser Funktion nicht die Ergänzung (des Ortes, der Zeit, des Umstandes, des Zweckes, etc.) des „auxiliant" darstellen darf: va a cacciare bzw. va a caccia gegenüber va cacciando74. Diese Tatsache ist von der eigentlichen Definition der „construcción inmediata" zu unterscheiden, die besagt, daß das modifizierende Verbum keinen eigenen syntaktischen Bezugspunkt haben darf, was jedoch nicht den Fall berührt, daß das modifizierte Verb ein Objekt oder eine adverbielle Bestimmung hat. Hier geht es lediglich darum, daß das modifizierte Verb nicht selbst diejenige syntaktische Ergänzung des modifizierenden Verbs darstellt, die dieses in nicht-periphrastischer Funktion, d.h. auf Grund seiner lexikalischen Bedeutung haben kann. Diese Aussage bedarf vielleicht einer weiteren Erklärung. Man könnte annehmen, daß alle hypotaktischen Konstruktionen mit dem Gerundium, Infinitiv und Konjunktiv streng genommen auch Ergänzungen sind, die einen Umstand angeben 7S , so voy a cantar (voy — ¿adónde? — a cantar), voy cantando (voy - ¿de qué manera? — cantando), ebenso ha cantado (he - ¿qué? - cantado). Der Unterschied zu den - nicht durch ein Verbum 73 E. Coseriu, Construcciones, S. 7. 74 Vgl. auch J. §abr5ula, Un problème . . . , S. 190: „Dans les phrases Pierre va chanter ou La guerre ira s'aggravant, les mots „chanter" ou „s'aggravant" ne peuvent pas être considérés comme compléments circonstanciels, comme p. ex. l'infinitif parler dans les propositions Je viens vous parler. Je cours lui parler, Il est arrivé pour te parler. Daß es sich bei Diathese-Periphrasen ebenso verhält, zeigt H.-J. Heringer, S. 42ff. 75 Vgl. F. Schmidt, Logik der Syntax, Berlin 4 1 9 6 2 , S. 81: „Denn Hypotaxis besagt, daß von zwei Sätzen einer einen Umstand zu einem Satzteil des anderen Satzes und damit ein sachliches Prädikat für einen aus beiden Sätzen zu bildenden Mitsatz angibt, während bei der Parataxis kein Satzglied des einen mit einem Satzglied des anderen eine Prädikation stiftet."
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bezeichneten — Bestimmungen des Ortes, Zweckes, usw. besteht aber gerade in der einheitlichen Funktion der Periphrase, in der a cantar eben keine „Ortsbestimmung" zu voy sein kann, da voy in dieser Verbindung und bei entsprechendem Kontext keine Orts- oder andere Ergänzung verlangt, weil wiederum seine lexikalische Bedeutung durch eine instrumentale Bedeutung 76 ersetzt ist. Somit gehen die oben aufgeführten Fragen (¿adónde?, etc.) an der Bedeutung der Periphrasen vorbei. Sobald ein Verbum, das als „Morphemverb" in Frage kommt, eine solche Ergänzung hat, kann es nicht mehr morphematisch funktionieren. Die hypotaktischen Satzteile können also in diesen Fällen nicht als Ergänzung des Ortes, Umstandes, Zweckes, usw. interpretiert werden, sondern nur als Satzteile, deren Funktion nicht im einzelnen unabhängig vom Verband mit dem „auxiliant", also der Gesamtkonstruktion und -funktion der Periphrase, bestimmt werden kann.
1.4.
Semantische Abgrenzung
Nachdem wir festgestellt haben, daß eine Periphrase paradigmatisch durch das Zusammenwirken funktionell verschiedener Glieder („auxiliant" und „auxilié") und syntagmatisch durch die Tatsache abgrenzbar ist, daß das modifizierende Glied keine eigene syntaktische Determination aufweist, auch nicht in Form des „auxilié", haben wir nun noch die Frage nach der Identifizierung und Abgrenzung periphrastischer Konstruktionen durch semantische Kriterien zu untersuchen. Hier müssen zwei Arten von Fragestellungen unterschieden werden: a) diejenige nach der semantischen Veränderung eines Verbums je nachdem, ob es lexikalisch oder grammatisch verwendet wird; b) diejenige nach der semantischen Determinierung einer Periphrase aus den Bestandteilen heraus. Wir wollen uns nun zunächst dem ersten Problem zuwenden. 1.4.1.
G. Guillaume
Die traditionelle Sprachwissenschaft hatte in den Auxiliarverben „Vollverben" gesehen, deren (lexikalische) Bedeutung „verblaßt" oder „verloren" sei77. Diese Erklärung ist jedoch wenig befriedigend. Als erster hat
76 Vgl. oben Kap. 0, Anm. 27. 77 Vgl. G. Gougenheim, Zitat oben 1.1., S. 23; in demselben Sinn J. Vendryes, Sur l'emploi de l'auxiliaire „avoir" pour marquer le passé, Mél. van Ginneken, Paris 1 9 3 7 , S. 8 5 - 9 2 , und M. Cohen, Quelques considérations sur le phénomène des verbes auxiliaires (avec bibliographie pour le français), Omagiu lui Al. Graur, SCL 11 ( 1 9 6 0 ) , S. 4 3 3 - 4 4 2 , bes. S. 4 3 3 f .
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sich wohl G. Guillaume theoretisch mit dieser Frage befaßt 78 . Nach ihm sind die Verben, die als „auxiliaires" gebraucht werden können, solche Verben, die sich vor allen anderen Verben durch eine besondere Eigenschaft auszeichnen, die er „subductivité" nennt. Die „subductivité" beruht auf der lexikalischen Bedeutung dieser Verben und meint die Fähigkeit, im Zuge einer rein logischen Abstraktionshierarchie gedanklich unter die anderen, jeweils weniger allgemeinen Verbinhalte „hinabzusteigen": „ils descendent dans la pensée au-dessous des autres verbes, auxquels ils apparaissent idéellement préexistants" 79 .
Die tiefste „subductivité" weisen „dans la filiation idéelle des mots" die Verben auf, die allgemeine onotologische Kategorien (genèse, existence, possession)80 ausdrücken81. Nicht weit von dem Maximum der „subductivité" entfernt sind verschiedene Modalitäten, wie ,pouvoir', ,vouloir' usw, noch etwas weiter allgemeine Tätigkeiten wie ,faire' zu denken. Desweiteren unterscheidet Guillaume zwischen der „subduction exotérique", d.h. dem gedanklichen Prozeß, der die beschriebene Hierarchisierung unter den verschiedenen Verbalbegriffen vornimmt, und der „subduction ésotérique", die eine „subduction" innerhalb eines Verbinhaltes, z.B. „sein", darstellt und somit eine mögliche grammatische, instrumentale Bedeutung eines Verbums meint. Eine solche ist nach der Auffassung Guillaume's allerdings schon im Syntagma (z. B. être riche) gegeben, wenn das Verbum also nicht einfach isolierte lexikalische Einheit ist (vgl. oben, S. 33). Ein Syntagma oder die Funktion als Prädikat bedeuten jedoch für das betreffende Verbum eine geringere „subduction" (bei être z.B. die Verwendung als Kopula) als eine Auxiliarfunktion (être als Auxiliar des passé composé). Wie bei der „subduction exotérique" im lexikalischen Bereich nimmt Guillaume auch bei der grammatischen „subduction ésotérique" verschiedene Grade oder Stufen an, die von ihm jedoch nur als Denkprozesse und nicht in der Opposition der Begriffe „lexikalisch" und „grammatisch" aufgefaßt werden. Das Grammatische kann nun in Form „transzendeter Vektoren" (Flexionsmorpheme) oder „immanenter Vektoren" (Morphemwörter) erscheinen. 78 G. Guillaume, Théorie des auxiliaires et examen de faits connexes, BSL 1938, S. 5 - 2 3 (= Langage et science du langage, Paris-Québec 1964, S. 7 3 - 8 6 ) . 79 Guillaume, Théorie, S. 73. 80 Und zwar possession „aperçue dans sa corrélation la plus étroite avec l'idée d'existence", Guillaume, Théorie, S. 73. 81 In der Sache ähnlich äußert sich auch M. Manoliu, Observajii asupra procesului de gramaticalizare a verbelor în limbile romanice, Omagiu lui Al. Graur, SCL 11 (1960), S. 5 6 1 - 5 7 0 und 8 9 5 - 9 1 1 , bes. S. 561ff.: „Abstrakte" Verben, d.h. solche mit sehr allgemeinem Inhalt, könnten leicht zu ,Elementen mit maximaler Konkretisierungsfunktion', mit anderen Worten, grammatikalisiert werden. Vgl. auch V.M. Zirmunskij, Ob analitifeskich konstrukcijach, in: Analitiieskie konstrucii v jazykach razliünych tipov, Moskau-Leningrad, 1965, S. 12.
45
Im Zusammenhang mit unserer semantischen Fragestellung sind vor allem die folgenden Bemerkungen Guillaume's von Bedeutung: Die „subduction esotérique", die ja durch grammatische Verfahren ausgelöst wird, bedeutet eine „semantische Instabilität", die mit dem Grad der „subduction" wächst82. Die „semantische Instabilität" entsteht nun auf folgende Weise: In den flektierenden Sprachen wird das „Wort" durch eine doppelte Genese gebildet (seil, im Denkprozeß unmittelbar beim jeweiligen Sprechen): 83
„une genese materielle , qui en determine l'être particulier (la signification), une genèse formelle qui en détermine l'être général (la partie du discours: substantif, verbe, adverbe, etc.)" 8 4
Die gesamte „ontogénèse" des Wortes vollzieht sich in der Regel durch gleichzeitige Vollendung der doppelten Genese. Bei der „subduction ésotérique" wird dagegen die „formale Genese" vor der „materiellen Genese" beendet, so daß diese „subduetive par rapport à ce qu'elle eût été sous son accomplissement entier" ist85. Die notwendige Verbindung eines „auxiliaire" mit einem anderen Lexem ergibt sich für Guillaume daraus als Konsequenz86. Interessant ist hier die Umkehrung der Abhängigkeiten. Guillaume geht - da er die Ebene der Rede und nicht das Funktionelle der Sprache auf der Ebene des Systems betrachtet — nicht vom Paradigma eines Verbums marcher aus, bei dem gewisse Kategorien durch das Hilfsverb avoir ausgedrückt würden, sondern der grammatischen Funktion von avoir, das als Morphemverb sozusagen „semantisch ungesättigt" ist und eine entsprechende Ergänzung braucht. Dabei bleibt jedoch 1) unklar, welchen Zwecken der jeweilig angenommene Denkprozeß folgt, d.h. es wird von Guillaume nicht deutlich gemacht, nach welchen Mustern, besser, nach welcher Tech82 „Sous une subduction ésotérique nulle ou voisine de la nullité, le verbe avoir signifiera „posséder", le verbe will „vouloir", le verbe werden „devenir". Sous une subduction ésotérique accusée, les mêmes verbes prendront par une descente plus ou moins profonde au-dessous d'eux-mêmes, qui en fera des auxiliaires, une signification dont l'impénétrabilité sera proportionnelle à la descente accomplie" (Théorie, S. 76). 83 .Materiell' hier nicht im Sinne von ,Ausdruck' in Opposition zum .Inhalt', sondern gerade in der Bedeutung .semantisch' (vgl. dazu auch G. Guillaume, Discernement et entendement dans les langues: mot et partie du discours, Journ. de Psych. 1939 (= Langage et science du langage, Paris-Québec 1964, S. 8 7 - 9 8 , bes. S. 87, Anm.2). 84 Guillaume, Théorie, S. 77. 85 Guillaume, Théorie, S. 78. 86 „Dans toutes les langues, les verbes auxiliaires sont des verbes dont la genèse matérielle, interrompue par un achèvement plus rapide de la genèse formelle, reste en suspens, ne s'achève pas et appelle, en conséquence, un complément de matière, qui ne peut venir - l'ontogénèse du mot étant close - que de l'extérieur: d'un autre mot" (Théorie, S. 78).
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nik 87 und mit welcher Ausdrucksabsicht jeweils etwas gesagt wird. Zweitens muß man annehmen, daß für Guillaume die grammatische Funktion allein vom Morphemverb getragen wird. Dies ist jedoch, wie wir gesehen haben, nicht annehmbar (vgl. oben 1.2.5.). Wir sind jedoch der Meinung, daß man aus Guillaume's Darlegungen zwei wesentliche Erkenntnisse gewinnen kann: 1) Die Verben, die in periphrastischen Konstruktionen als Modifikatoren auftreten, haben als autonome Einheiten in der Regel eine wenig konkrete (merkmalsarme) lexikalische Bedeutung, da eine solche eher eine instrumentale Bedeutung in einem grammatischen Determinans annehmen kann als eine konkrete lexikalische Bedeutung, d.h. eine, die bestimmte außersprachliche Objekte impliziert 88 . 2) Die lexikalische Bedeutung eines Verbs stimmt nicht mit seiner möglichen instrumentalen Bedeutung überein. Man kann bei dem modifizierenden Verb in einer periphrastischen Konstruktion überhaupt nicht von der lexikalischen Bedeutung des gleichen Verbums außerhalb der Periphrase ausgehen, sondern ihm nur eine instrumentale, einer grammatischen Funktion dienende Bedeutung zuschreiben.
1.4.2.
L. Zawadowski
Die wichtige Frage nach der semantischen Determinierung einer Periphrase aus ihren Bestandteilen heraus hat L. Zawadowski eingehend untersucht 89 . Es geht ihm im wesentlichen um das Verhältnis zwischen Ausdruck und Inhalt in komplexen sprachlichen Zeichen. Bei seinen Untersuchungen legt er als Einheit das Syntagma („construction") zugrunde. Hier unterscheidet er zwischen „constructions régulières", wo die syntagmatischen Beziehungen („rapports formels") zwischen den Monemen („morphèmes") jeweils den paradigmatischen Beziehungen („rapports sé87 Vgl. E. Coseriu, Sincronia, diacronia e historia, Montevideo 1958, S. 145, und ders., Semantik und Grammatik (vgl. oben Kap. 0, Anm. 27), wo betont wird, daß die Sprache kein fertiges,starres System ist, sondern eine freie Technik, die bestimmte Modelle anbietet, auf Grund derer unendlich viele Inhalte ausgedrückt werden können. 88 Bei .rudern' z.B. eine bestimmte Bewegung, Boot, Wasser, usw., bei ,haben' dagegen keine konkreten außersprachlichen Objekte, sondern ein abstraktes Verhältnis. Hier dürften die sogenannten lexikalischen Solidaritäten eine Rolle spielen (vgl. E. Coseriu, Lexikalische Solidaritäten, Poetica 1, 3 (1967), S. 293-303). Je mehr lexikalische Implikationen ein Lexem aufweist, desto konkreter ist es. 89 L. Zawadowski, Constructions grammaticales et formes periphrastiques, KrakowWrodaw-Warszawa 1959, und resümiert in Criteria of Latin Periphrastic Forms, Eos 50, 1 (1960), S. 213-220.
47
mantiques") entsprechen, und „constructions irreguläres", wo dies nicht der Fall ist, sondern die Bedeutung des Syntagmas nicht der seiner Bestand teile analog ist. Die regelmäßigen Beziehungen nennt er kategoriell, da sie innerhalb des Paradigmas einer grammatischen Kategorie bestehen; so z.B. im lateinischen Kasussystem: urb-is
font-is
labor-is
homin-is
urb-i
font-i
labor-i
homin-i
urb-em
font-em.
labor-em
homin-em
. . . etc.
90
Hier besteht jeweils zwischen Formen mit dem gleichen Kasusmorphem dasselbe semantisch-kategorielle Verhältnis: urbis— _ fontis— _ Dieselbe Gleichung läßt sich aufstellen zwischen urbibus fontibus juste , lourd . . , ., . , juste , ? — und -= j -, jedoch nicht zwischen -.—: und — justement lourdement justement element Hier liegt nur ein scheinbarer „rapport formel" vor, dem jedoch kein „rapport catégoriel" entspricht 91 . Es handelt sich also hier (bei élément) überhaupt nicht um ein Syntagma („construction"). Wenn sich aber keine Gleichung zwischen zwei Syntagmen (z.B. la robe ^ le chemin a u f s t e j j e n j ä ß t so ist dasjenige Syntagma als „unv de soie de fer regelmäßig" anzusehen, dessen Bedeutung nicht aus der Kombination der Moneme zu erschließen ist. Zawadowski unterscheidet hier zwischen „Bedeutung" (z.B. chemin de fer = .Eisenbahn') und der „valeur catégorielle" des Syntagmas, die sich aus der Summe der (lexikalischen) Bedeutungen der Moneme ergibt (z.B. chemin de fer = ,Weg aus Eisen'). Im Lateinischen kann die Konstruktion habeo scriptum librum in zweifacher Weise interpretiert werden, und zwar je nach dem, welcher synchronische bzw. welcher diastratische Standpunkt 92 eingenommen wird: im literarischen Latein entsprach die Konstruktion der Klasse von Konstruktionen wie habeo bonum librum bzw. video scriptum bonum librum, d.h. habeo entsprach der Klasse der transitiven Verben, scriptum der Klasse der Adjektive, so daß die Bedeutung von habeo scriptum librum gleich der „valeur catégorielle" war. Im Vulgärlateinischen93 bzw. Romanischen94 liegt 90 L. Zawadowski, Constructions, S. 39. 91 L. Zawadowski, Constructions, S. 4 0 f . 92 Die „diastratischen" Unterschiede betreffen die sprachlichen Eigentümlichkeiten der verschiedenen sozialen Schichten. Vgl. E. Coseriu, Structure lexicale, . . . , S. 199. 93 Vgl. L. Zawadowski, Criteria, S. 217f. 94 Vgl. L. Zawadowski, Constructions, S. 120.
48
dagegen eine „unregelmäßige K o n s t r u k t i o n " vor, da auf Grund der „valeur catégorielle" die B e d e u t u n g nicht vorausgesagt w e r d e n k a n n : die B e d e u t u n g impliziert n i c h t , daß ich ein B u c h „ b e s i t z e " , w i e es im Falle einer „ c o n struction régulière sein m ü ß t e . D i e „valeur catégorielle" ist aber bei dieser K o n s t r u k t i o n im literarischen Latein u n d im R o m a n i s c h e n d i e s e l b e 9 5 . D a g e g e n ist für Z a w a d o w s k i das französische w i e das p o l n i s c h e periphrastische Passiv eine „regelmäßige K o n s t r u k t i o n " . Im F r a n z ö s i s c h e n h a b e die F o r m est in il est aimé il est ingénieur ses parents, sent aimé,
dieselbe B e d e u t u n g w i e in il est intelligent
u n d e b e n s o aimé
. . . , était
dieselbe B e d e u t u n g w i e in Jean,
le plus heureux
on est heureux96.
garçon
oder
aimé
de la ville b z w . Quand
de on se
D a Z a w a d o w s k i d e n T e r m i n u s „periphrastisch"
auf die „ c o n s t r u c t i o n s irrégulières" b e s c h r ä n k e n m ö c h t e , k ö n n e m a n in d i e s e m Fall w e d e r v o n Periphrase n o c h v o n Passiv sprechen: ,,l'élément passif dans la signification des constructions en question n'est pas propre à ces constructions: c'est un élément accidentel, qui entre dans la signification de la construction parce qu'il appartient à la signification du participe" 9 7 . 95 Dies stellt auch V.M. Zirmunskij, Ob analitiieskich konstrukcijach, in: Analitiïeskie konstrukeii v jazykach razliïnych tipov, Moskau-Leningrad 1965, S. 14, für frz. je vais écrire (* „ja dolïen pisat'") fest, jedoch nimmt er die Nicht-Übereinstimmung der lexikalischen Bedeutung der Komponenten einer Periphrase mit ihrer Gesamtbedeutung nicht für russ. budu pisat' an, dem er in dieser Verbindung den gleichen Wert wie in der Verwendung von budu als Kopula (budu vzroslym) zuschreibt. Dabei ist der Widerspruch offenbar, denn budu als Futur des Verbums byt' bedeutet gerade etwas anderes als das Morphemverb budu des Futurs der Verben des imperfektiven Aspekts. 96 L. Zawadowski, Constructions, S. 164. 97 L. Zawadowski, Constructions, S. 165. Gegen diese Darstellung lassen sich vor allem zwei Argumente anführen: 1) Dieser Einwand betrifft die Bedeutung des passiven Partizips selbst. Bei punktuell-resultativen Verben (z. B. perdre, trouver, assassiner) kann nämlich die Bedeutung des passiven Partizips nicht mit der Bedeutung der passiven Aktions-Periphrase mit être in den einfachen Tempora übereinstimmen, da hier vom Kontext her Vorzeitigkeit nicht gegeben ist, die dem passiven Partizip der genannten Klasse von Verben in anderen Fällen eignet (cet enfant, trouvé par un inconnu, est blond : cet enfant est trouvé par un inconnu). Vgl. J. Schmitt-Jensen „ Vorgang" et „Zustand" des formes passives et leurs rapports avec l'aspect du verbe en français moderne, in: Etudes romanes dédiées à Andreas Blinkenberg, Kopenhagen 1963, S. 5 9 - 8 5 . Da das materiell dem lateinischen Part. Perf. Pass. entsprechende romanische Partizip der transitiven Verben ähnlich wie im Lateinischen in Bezug auf Vorzeitigkeit und Gleichzeitigkeit unbestimmt ist (vgl. Kühner-Stegmann, AGLS, II, 1, S. 163f.; Wackernagel, Synt. I, S. 288f.; Leumann-Hofmann-Szantyr, LSS, S. 391 ff.), kann diese Bestimmung nur beim adjektivischen Gebrauch des Partizips in der Rede vom Kontext her erschlossen werden. Historisch gesehen hat dieses Partizip, das ursprünglich ein Verbaladjektiv war, erst im Verlauf der Ausbildung des lateinischen Tempussystems auch die Bedeutung der Vorzeitigkeit erhalten; vgl. E. Herzog, Das to- Partizip im Altromanischen, BZRPh 26 (1910) 7 6 - 1 8 6 , bes. S. 9 7 - 1 0 6 , 1 3 6 - 1 6 3 .
49
An diesem Beispiel wird nicht nur die Inkonsequenz bei der Interpretation dieses Typs von Konstruktionen, sondern auch die Schwäche des semantischen Kriteriums Zawadowskis deutlich. Sie liegt 1) in dem Kriterium selbst, 2) in der einseitigen Anwendung dieses Kriteriums zur Identifizierung und Abgrenzung von periphrastischen Konstruktionen. Ad 1): Das semantische Kriterium, wie Zawadowski es verwendet, dient rein negativ zur Abgrenzung der Elemente einer Konstruktion, deren Bedeutung von der „valeur catégorielle" differiert; hierin liegt sein unbestreitbarer Wert. Ad 2): Die alleinige Anwendung des Zawadöwskischen semantischen Kriteriums reicht offensichtlich zur Identifizierung von Syntagmen mit bestimmten grammatischen Funktionen 9 8 nicht aus. Dieses Kriterium beruht nämlich auf der paradigmatischen Betrachtung der einzelnen Komponenten eines Syntagmas anstatt auf derjenigen der ganzen Konstruktion, bzw. des modifizierten Bestandteils. Zawadowskis Kriterium gilt so nämlich auch für ,, „, , „, , , , „ Verfahren der Wortbildung ( z . B .
Straßen^ndler
, ^
Milch- . händler
,
r
.
..
a
"
lische Kombinationen wie „chemin de fer", erlaubt es aber nicht, grammatische von nicht grammatischen Einheiten zu trennen. Da Zawadowski den funktionellen Gesichtspunkt gerade wegen der Nicht-Unterscheidung zwischen Lexem und Morphem, sowie zwischen System, Norm und Rede ver2) J. Kurytowicz, A propos des temps composés en roman, BL 5 (1937), S. 195199, bes. 198f., hat sehr richtig bemerkt, daß sowohl amatus est wie auch il est aimé jeweils zwei Funktionen besitzen je nach dem, ob eine Periphrase (forme verbale „analytique") oder eine Verbindung „copule + adjectif verbal" vorliege. Als periphrastische Form stehe amatus est im Lateinischen in Opposition zu amatur (Perfekt: Präsens) bzw. zu amavit (Passiv: Aktiv), im Romanischen bestehe demgegenüber nur die Opposition zu amat (Passiv: Aktiv). Die romanische primäre, d.h. periphrastische Funktion entspreche also im Lateinischen der sekundären, okkasionellen Funktion „copule + adjectif verbal" (Präsens), sei aber historisch nur auf Grund gerade dieser sekundären Funktion erklärbar; vgl. ders., The Infectional Catégories of Indo-European, Heidelberg 1964, S. 56f. Die funktionelle Ambivalenz bleibt dadurch bestehen: Die Periphrase funktionierte im Lateinischen im Perfekt, im Romanischen funktioniert sie im Präsens, während die Bedeutung der adjektivischen Verbindung mit der Kopula in beiden Fällen dem Tempus der Kopula entspricht, jedoch im Romanischen die Opposition zwischen Darstellung und Vollendung der Handlung nur in einigen Fällen materiell und damit funktionell gekennzeichnet ist (span. el pais es dividido - el pais estâ dividido; it. viene diviso - é diviso; port, é dividido - estâ dividido). Dies bestätigt, daß das Partizip des Passivs im Romanischen in Hinsicht auf die Zeitstufe indeterminiert ist. Davon zu trennen sind jedoch die Perfektpartizipien der intransitiven Verben (vgl. Kurytowicz, A propos, S. 196 f.: venu, chu, wobei jedoch zu ergänzen ist, daß dies nicht nur die mit esse, sondern auch die mit habere, tenere verbundenen Partizipien betrifft); diese weisen ganz eindeutig eine Zeitstufenopposition zu den entsprechenden Partizipien des Präsens, bzw. Gerundien auf. 98 Dieser Zusatz ist notwendig, da die Ebene des Syntagmas allein nicht zur Identifizierung einer Periphrase ausreicht.
50
nachlässigt, kann er nicht die wesentliche Bedingung der funktionellen Einheit einer periphrastischen Konstruktion, die eben nicht irgendein Syntagma ist, berücksichtigen. Diese Besteht nämlich vor allem in der funktionellen Ungleichheit der Bestandteile, d.h. daß eines das andere syntaktisch determiniert und daß das so Determinierte als neue grammatische Einheit ein Paradigma mit anderen Formen desselben Lexems bildet. Man kann aber nicht von einem funktionell bestimmten Paradigma von Formen sprechen, die einmal lexikalisch und ein anderes Mal grammatisch (instrumental) funktionieren: habeo in der Periphrase habeo dictum und habeo in habeo librum gehören nicht in dasselbe Paradigma, wohl aber habeo dictum und dico.
1.5.
„Verba adiecta"
Nachdem wir die am Anfang des 4. Abschnitts gestellte Frage nach der semantischen Determinierung einer Periphrase auf Grund der Bedeutung ihrer Komponenten hinsichtlich des modifizierenden Gliedes dahingehend haben beantworten müssen, daß dieses Element überhaupt keine lexikalische, sondern nur (in Verbindung mit dem zu modifizierenden Element) eine instrumentale Bedeutung hat, müssen wir diesbezüglich noch die Möglichkeit einer besonderen Funktion verschiedener Verben betrachten, die für die Frage der Abgrenzung und Identifizierung von Verbalperiphrasen wichtig ist. 1.5.1.
Abgrenzung der „verba adiecta"
Man kann, wie zuerst offensichtlich J.L. Vives1 gezeigt hat, in Hinsicht auf die Realität zwei Arten von Lexemen unterscheiden: solche, die die außersprachliche Wirklichkeit primär klassifizieren (Baum, Löwe, Bach), und andererseits solche, die (wie Greis, Doktor, ein Reicher) keine primäre Klassifikation der Realität darstellen, sondern „adjektivische" Bestimmungen von Lexemen, die als real, d. h. als Klassen von Einheiten der Realität (in diesem Fall z.B. .Mensch') anzusehen sind. Vives nennt die ersten rerum nomina oder nomina absoluta, die letzteren appellationes, und man kann sie nomina denominativa, bzw. nomina adiecta nennen, da sie „cum adiecto 1
J. L. Vives, De censura veri, ed. G. Mayans, Opera omnia, Bd. 3, Valencia 1782, S. 146: „Ex categorematicis [seil, voeibus], aliae rem simplicem, et unam significant sine adjecto, ut, quae cujusque essentiam denotant, homo, capra, lapis, durum, cujusmodi sunt pleraque nomina substantiva unius generis quae Quintilianus vocat rerum nomina, philosophorum usus, absoluta: alia cum adjecto significant, ut, quae dicuntur adjectiva, quae idem Quintiiianus apposita nuneupat; item nomina communia, et unius generis nonulla, quae aliquid affingunt substantiae, velut, magister dominus, pater, dives, pauper, cónsul, judex, appellationes nominatur.
51
significant". E . Coseriu 2 schlägt n u n vor, diese U n t e r s c h e i d u n g , die V i v e s nur b e i S u b s t a n t i v e n durchführte, auch auf die V e r b e n z u übertragen. E s gibt n ä m l i c h auch h i e r E i n h e i t e n , die nicht m i t einer primär realen, s o n d e r n m i t einer auf ein anderes V e r b u m b e z o g e n e n B e d e u t u n g auftreten: , k ö n n e n ' , ,wollen', ,müssen' u s w . , ,anfangen', .fortfahren', .aufhören' sind im allgem e i n e n k e i n e selbständigen E i n h e i t e n der Realität, s o n d e r n sie f u n k t i o n i e ren lediglich in B e z u g auf s o l c h e , n ä m l i c h auf andere H a n d l u n g e n ( V e r b e n über V e r b e n ) . Ihre lexikalische B e d e u t u n g existiert dann nur, i n s o f e r n sie sich auf ein anderes V e r b u m b e z i e h e n u n d es m o d i f i z i e r e n . In dieser F u n k t i o n b e d e u t e n sie nichts im H i n b l i c k auf die primäre Erfassung der außersprachlichen Wirklichkeit, s o n d e r n nur e t w a s im Hinblick auf das Wie dieser Erfassung, d . h . sie stellen w i e die „substantiva a d i e c t a " in B e z u g auf die Substantiva e i n e F u n k t i o n s m ö g l i c h k e i t innerhalb der Wortkategorie „ V e r b " dar, durch die die Art der Erfassung der außersprachlichen Wirklichkeit b e s t i m m t wird, nicht deren primäre Erfassung selbst. A u f die Frage „Was m a c h t ( m a c h t e u s w . ) er dort? " k a n n m a n n i c h t a n t w o r t e n „er darf ( d u r f t e u s w . ) " , „il p e u t (pourra, e t c . ) " , „suele (solía)",
„apxercu",
b z w . „er h ö r t a u f , „il c o n t i n u é " , „ c o n t i n ú a " 3 , w o h l aber k a n n m a n m i t 2
E. Coseriu, Semantik und Grammatik (wird im Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim, 1971, erscheinen). 3 Hier sind zwei weitere Präzisierungen notwendig: 1) Im jeweiligen Sprachsystem gegebene Möglichkeiten bei gewissen Verben hinsichtlich der syntaktischen Verbindung („er hörte auf zu singen" - „er hörte auf mit dem Singen" - „er endete mit dem Singen" - „er beendete seinen Gesang"; „er konnte singen" - „er vermochte zu singen" - „er war imstande zu singen" beeinträchtigen das Gesagte nicht. Es handelt sich in jedem Fall um Verbalhandlungen. Damit soll nicht gesagt werden, die jeweiligen Konstruktionen ( x (zu +) Inf., + Präp. + Subst., + Subst.) bedeuteten dasselbe, sondern vielmehr, daß die genannten syntaktisch übergeordneten Verben in höherem oder geringerem Maße nur etwas in Bezug auf die beigeordnete oder untergeordnete Verbalhandlung bedeuten, sei diese nun kategoriell, d . h . in Hinsich auf die Wortart, als Verbum oder als Substantiv (bzw. in einem Syntagma) erfaßt. Sie selbst stellen hier keine autonome Verbalhandlung dar. - Die semantisch festzustellende Funktion von Verben als „verba adiecta" besteht unabhängig von der kategoriellen Erfassung der realen lexikalen Verbalhandlung, auf die sie sich beziehen (arbeiten - Arbeiten - Arbeit), so daß z. B. 'anfangen - ' sowohl in der Konstruktion ""anfangen zu arbeiten 1 wie r anfangen mit der Arbeit" 1 usw. „verbum adiectum" ist. Dies präjudiziert nichts im Hinblick auf die verschiedene Bedeutung solcher Konstruktionen (z. B. Anfang einer Handlung, Anfang in Bezug auf eine Reihe verschiedener Handlungen), bzw. darauf, ob eine Konstruktion mit einem „verbum adiectum" als Verbalperiphrase zu betrachten ist oder nicht. 2) Mehr oder weniger synonyme Verben oder Wendungen (z. B. '"müssen"1 —>• r verpflichtet sein"1) r die Verpflichtung haben" 1 , •"—spüren" 1 , C — e m p f i n d e n " ! ) sind danach zu beurteilen, o b sie in einer bestimmten Konstruktion nur als Bestimmung eines weiteren Verbums funktionieren oder ob sie autonom sind, d. h. selbst eine weitere Bestimmung (z.B. ein Objekt) dominieren: dies ist oben in allen Fällen außer bei '"müssen"1 der Fall. Daher funktioniert rmüssen~1 z. B. fast immer als „verbum adiectum", r verpflichtet sein"1 dagegen nicht.
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der Form eines selbständigen Lexems antworten, wie „er gibt", „er hat angeordnet", „il chanta", „correu", „scrive". Der Einwand, daß z.B. die Bedeutung einer transitiven Verbalform wie „er gibt" sich nur in den Beziehungen zu ihren beiden Ergänzungen (direktes und indirektes Objekt) darstellen und aktualisieren könne, „er gibt" allein also als Antwort auf die gestellte Frage „Was macht er? " ebenso wenig reale Bedeutung habe wie z.B. „comincia", trifft den eigentlichen Sachverhalt nicht, da die syntaktischen Bezüge (Objekte) nicht die Bedeutung von „er gibt" als reale Handlung betreffen, sondern lediglich die aktuelle Konkretisierung dieser Handlung in einem bestimmten Kontext, d.h. die gewöhnliche zusätzliche Information bieten. Dabei ist „er gibt" auch ohne weitere Bestimmungen immer eine wirkliche Handlung. Dies gilt aber nicht für „comincia", das allein in keinem Fall eine reale Handlung darstellt, sondern nur eine Modifizierung üi Bezug auf eine andere Handlung. Ebensowenig gibt z.B. ,groß' im nominalen Bereich eine primäre Information, sofern es sich nicht auf ein primär reales Lexemwort bezieht. „Comincia", „he must" usw. funktionieren gewöhnlich als verbal gestaltete weitere Bestimmungen anderer primärer Verbalhandlungen. Man kann daher von gewissen Verben einer Sprache als von „verba adiecta" sprechen, wenn sie in Verbindung mit einem anderen Verbum als dessen Modifikator funktionieren. Es gibt Verben, die auf Grund ihrer lexikalischen Bedeutung eigentlich immer so funktionieren (z.B. deutsch gönnen', ,anfangen', span. ,soler'), und es gibt andere, die sowohl als „verba denominativa" wie auch als „verba adiecta" auftreten können (z.B. deutsch ,brauchen': „er braucht das Buch" — „er braucht nicht (zu) kommen"; ,pflegen': „sie pflegte den Kranken" - „sie pflegte zu rauchen"; span. .deber': „me debe dinero" - „debe venir mañana"; frz. ,devoir' 4 ; „vous me devez dix francs" - „il doit arriver demain" 5 . Man kann also nicht davon ausgehen, daß es bestimmte „universale" Inhalte von „verba adiecta" gibt, die überall in mehr oder weniger derselben Form ausgedrückt würden. So entspricht z.B. dem deutschen .können', das in der Regel als „verbum adiectum" funktioniert, im Ungarischen einerseits tudni ,wissen', das kaum als „verbum adiectum" auftreten kann, und andererseits eine 4 5
Vgl. auch unten 2.2.2., Anm. 45. Natürlich werden beispielsweise 'Anfang - ' und rEnde"' scheinbar auch in Bezug auf „Sachen" gebracht, z. B. r der Anfang des Vortrages"1, r das Ende des Waldes"1, r das Ende der Welt"! , aber es handelt sich hier eigentlich immer um implizite Verbalhandlungen: zeitlicher Ablauf des Vortrags Chalten"1, lesen" 1 , '"schreiben"', r hören"1 usw. sind Handlungen, ohne die ein Vortrag keinen Anfang und kein Ende hat), zeitlich oder räumlich ausgedehnte Handlung, die es erlaubt von Anfang und Ende des Waldes, der Welt zu sprechen C"sich ausdehnen"1, '"gehen"', r hingelangen"1, '"existieren"1, usw. Besonders '"sein"', bzw. Tiaben"1 lassen sich hier immer zugrundelegen.
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innere grammatische Bestimmung des Verbums mit der Bedeutung ,es besteht kein Hindernis, daß . . ,' 6 . Ebenso wird der Inhalt .können' z.B. im Französischen teils durch pouvoir, das meistens „verbum adiectum" ist, teils durch savoir, das vorwiegend als primäre lexikalische Einheit funktioniert, gedeckt. 1.5.2.
Identifizierung von „verba adiecta"
Die Identifizierung von „verba adiecta" geschieht vor allem in syntaktischer Hinsicht, nämlich dadurch, daß man feststellt, daß ein Verbum in einer bestimmten Konstruktion nicht autonom, sondern nur als weitere Bestimmung eines anderen Verbums auftritt. Das „Verbum adiectum" stellt dann dieselbe Satzfunktion wie das modifizierte Verbum dar, was man z.B. besonders in Relativsätzen beobachten kann: „das Buch, das er angefangen hat zu lesen" kann nicht in „das Buch, das er angefangen hat" + „zu lesen" analysiert werden, da „Buch" offensichtlich nicht Objekt von „anfangen", sondern von „anfangen zu lesen", d.h. Objekt des durch ,anfangen' modifizierten primären Verbs ,lesen' ist 7 . Der nicht autonome Charakter der „verba adiecta" ergibt sich außerdem daraus, daß sie selbst nicht als Antwort auf die Frage „Was macht (machte usw.) er dort? " stehen können, ohne daß ein anderes Verbum impliziert ist. Im übrigen sind die „verba adiecta" nicht durch eine bestimmte Klasse von Verben realisiert, sondern stellen eine Funktion verschiedener Verben dar: bestimmte Verben werden in dieser Funktion häufiger angetroffen als andere, weil sie auf Grund ihrer Bedeutung dazu prädestiniert sind. Sie werden aber nicht unbedingt immer in dieser Funktion gebraucht. Im Deutschen hat ein Teil dieser Verben, nämlich die sogenannten „Modalverben" auch besondere morphologische Kennzeichen: „Er hat das Geld dringend gebraucht" („verbum denominativum") — „Er hat nicht (zu) kommen brauche«" („verbum adiectum"). Ebenso: „Du hast es doch gewollt" - „Er hatte kommen wolle«" 8 . 6
7
8
Sie wird durch das Morphem -hat-j-het- ausgedrückt: (rok ,ich schreibe (etwas)', irhatok ,es steht dem nichts im Wege, daß ich (etwas) schreibe'; vgl. J. Tompa, Ungarische Grammatik, S. 49f. Auf die Tatsache, daß z. B. port, posso comer ebensowenig eine Satzrelation enthält wie tenho acabado, weist auch D. M. Feldmann, Analytic Vs. Synthetic, Linguistics 10 (1964), S. 1 6 - 2 1 , S. 1 9 - 2 1 , hin. Im Französischen z.B. ist diese morphologische Unterscheidung nicht da, dennoch kann eine funktionelle Unterscheidung gemacht werden: „II le veut" - „II veut écrire". Von dem letzten Beispiel kann eine gleich aussehende Konstruktion wie „il sait éviter ce danger" oder „il espère gagner" dadurch getrennt werden, daß man folgendes feststellt: „II sait" und „il espère" stellen keine Qualifizierung von „éviter", bzw. „gagner" dar, sondern dominieren diese Verben als selbständige Satzteile. Dagegen bedeutet „il veut écrire" eine weitere Bestimmung zu „écrire", nämlich eine Art der Verwirklichung dieses Verbinhaltes.
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1.5.3.
„Verba adiecta" und Verbalperiphrasen
Die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen „verba denominativa" und „verba adiecta" für die Identifizierung grammatischer Verbalperiphrasen liegt auf der Hand. Falls mit „verba adiecta" in Verbindung mit einem anderen Verbum (seil, denominativum) Verbalperiphrasen gebildet werden können, ist bei deren Identifizierung zu berücksichtigen, daß die instrumentale Bedeutung der Modifikatoren jeweils gleich ihrer lexikalischen Bedeutung ist. Nach dem Kriterium Zawadowski's 9 könnten sie nicht als „unregelmäßige Konstruktionen", d.h. als Periphrasen identifiziert werden, da ihre Gesamtbedeutung mit ihrer „etymologischen Bedeutung", d.h. der nach der lexikalischen Bedeutung ihrer Bestandteile und der auf Grund ihrer Kombination zu erwartenden grammatischen Bedeutung übereinstimmt 10 . Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß Konstruktionen mit „verba adiecta" als grammatische Verbalperiphrasen funktionieren können. In der genannten semantischen Hinsicht unterscheiden sie sich jedoch von allen anderen Verbalperiphrasen. Die Frage ist lediglich, ob alle Konstruktionen mit „verba adiecta" grammatische Verbalperiphrasen darstellen, d.h. ob alle lexikalischen Inhalte solcher Verben prinzipiell als instrumental (= grammatisch) anzusehen sind, oder ob sie in bestimmten Fällen auch einfach als weitere lexikalische, d.h. hier adverbielle, Bestimmungen anderer Verben sein können. Wenn man davon ausgeht, daß die lexikalische Bedeutung der „verba adiecta" per definitionem immer eine bestimmte Qualifizierung eines Verbalinhalts primärer Realitätsklassifikation einschließt und damit eigentlich immer instrumentalen Charakter besitzt, scheint es uns folgerichtig zu sein, alle Verbindungen dieser Art als grammatisch zu betrachten. Ihre Grammatikalität ist freilich von besonderer Natur (vgl. unten 3.5.). Als grammatische Kategorien kämen hier entweder schon bekannte, da auch durch innere Bestimmungen ausgedrückte wie Modus, Aspekt usw., oder auch neue Kategorien in Frage (evtl. ,Wiederholung' für span. soler + Inf.). Wir wollen uns in dieser Arbeit auf diejenigen Verbindungen beschränken, die möglicherweise aspektuelle Funktionen innerhalb der Kategorien ,Phase' und ,Situierung' haben (vgl. unten 3.3.9. und 3.3.10.).
9 Vgl. L. Zawadowski, Constructions, S. 117f., 127ff. 10 Bei einem höheren Grad der Grammatikalisierung (vgl. unten 1.6.3. und 3.5.) kann die lexikalische Bedeutung auch von „verba adiecta" einen anderen instrumentalen Charakter annehmen, als er aus der lexikalischen Bedeutung zu erwarten wäre. So stellt z. B. il veut pleuvoir im mundartl. Frz. eine imminentielle Periphrase dar (vgl. L. Martin, De l'emploi . . . , S. 204; R. Rapin, A propos de .vouloir' . . . , FM 26 (1958) S. 134f.; H. Meier, Futuro y futuridad, S. 72. Im Rum. stellen a vrea und das Futurmorphem voi (vei, va . . .) synchronisch gesehen getrennte Einheiten dar.
55
1.6.
Das Problem der Grammatikalisierung
1.6.1.
Die Kriterien der Identifizierung und Abgrenzung
Aus den in diesem Kapitel diskutierten wichtigsten Versuchen zur Abgrenzung periphrastischer Konstruktionen 11 lassen sich unserer Meinung nach folgende allgemeine Kriterien als notwendig und adäquat herausarbeiten, um eine grammatische Periphrase zu identifizieren 12 : 1) Nicht-Ableitbarkeit der Bedeutung der Periphrase aus den sie bildenden Elementen. Das impliziert die wechselseitige Funktionsdeterminierung der Elemente innerhalb der Periphrase, die jedoch nicht bei der Identifizierung, sondern erst bei einer schon identifizierten Periphrase festgestellt werden kann. 2) Syntaktische Einheit der periphrastischen Konstruktion, die voraussetzt, daß kein Bestandteil weder von einem anderen getrennt werden, d.h. auch nicht isoliert werden kann, noch durch eine Einheit, die an der gleichen Stelle im Satz stehen, aber eine andere Verbalkategorie betrifft (Substantiv, Pronomen), ersetzt werden noch einen eigenen syntaktischen Bezugspunkt (eine Satzrelation, d.h. Objekt, Ergänzung irgendeiner Art) haben kann. 3) Funktionelle Opposition der periphrastischen Konstruktion zu anderen morphologisch gekennzeichneten grammatischen Kategorien eines Gliedes der Periphrase. Das bedeutet, daß die Periphrase zum Paradigma des Lexems gehört, das bei hypotaktischen Konstruktionen in einer bestimmten invariablen grammatischen Form in der periphrastischen Konstruktion steht (z.B. als Infinitiv, Gerundium, Konjunktiv usw.), (bzw. bei parataktischen Konstruktionen dieselbe Form wie der Modifikator aufweist). Dies kann im allgemeinen leicht durch eine Kommutationsprobe festgestellt werden, bei der eine fragliche Periphrase durch eine einfache Verbalform desselben vermuteten Paradigmas ersetzt wird (iba a comprar el traje en la ciudad « comprö el traje en la ciudad & *marchaba a comprar . . . ) . Da eine grammatische Kategorie, die auf Grund einer funktionellen Opposition innerhalb eines Paradigmas festgestellt wird, per definitionem vorausgesetzt, daß es sich um eine auf der Ebene des
11 Die transformationeile Grammatik, die die paradigmatische Ebene der Sprache weitgehend vernachlässigt, hat kaum etwas zur Abgrenzung des von ihr verwandten Konstituenten „Aux" vorgelegt. Vgl. zu den Leistungen der transformationellen Grammatik auf diesem Gebiet B. Schlieben-Lange, Verbprobleme, S. 7 0 - 7 2 , 8 6 - 8 9 . 12 Vgl. hierzu besonders B. Schlieben-Lange, Verbprobleme, S. 9 5 - 1 1 1 .
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Systems gegebene virtuelle, stets neu realisierbare Möglichkeit der Sprachtechnik handelt 13 , schließt dieses Kriterium die Bedingung ein, daß eine grammatische Periphrase theoretisch jeweils mit allen Einheiten einer Wortart - Verbalperiphrasen also mit allen Verben - gebildet werden kann. In der Norm können hier natürlich Beschränkungen vorliegen. Diese Kriterien scheinen uns allgemein und zugleich umfassend genug zu sein, um periphrastische Konstruktionen als grammatische Einheiten, d. h. als „Periphrasen" von Funktionen, die an anderen Stellen eines Paradigmas (zumindest in den romanischen Sprachen) durch innere Bestimmungen (Flexionsmorpheme) ausgedrückt werden 14 , zu identifizieren und von lexikalischen Verbindungen abzugrenzen. Allerdings wird dies nicht immer in Form einer einfachen Alternative möglich sein, sondern man wird in Bezug auf die Norm mit verschiedenen Stufen der Grammatikalisierung, in Bezug auf die Rede dagegen mit den Erfordernissen der jeweiligen Redesituation zu rechnen haben. 1.6.2.
Grammatikalisierung — Diachronie der Norm, Synchronie des Systems
Die Grammatikalisierung betrifft das Verhältnis zwischen dem Lexikalischen und dem Grammatischen. Wir verstehen darunter die Tatsache, daß ein sprachliches Zeichen von der Ebene der lexikalischen Einheiten auf die Ebene des Grammatischen übergehen, d.h. instrumental und damit grammatisch distinktiv werden kann. Dadurch wird entweder eine alte Opposition erhalten und nur materiell neu realisiert oder eine neue funktionelle Opposition geschaffen 15 . Diachronisch gesehen bedeutet dies im allgemeinen, daß ein sprachliches Zeichen auf einer früheren Sprachstufe nur lexi13 Vgl. oben S. 47, A n m . 87. 14 Wie oben (1.2.1., S. 32) erwähnt, k ö n n e n in einer Sprache auch alle grammatischen F u n k t i o n e n durch äußere Bestimmungen (Morphemwörter) ausgedrückt werden. Doch ist auch in dem Fall die Abgrenzung zwischen K o m b i n a t i o n e n , die eine grammatische F u n k t i o n haben, bei denen also ein M o r p h e m w o r t a u f t r i t t , und lexikalischen Verbindungen (nicht lexikalischen Periphrasen), von entscheidender Bedeutung. Denn auch in einer solchen theoretisch angenommenen Sprache dürften nicht alle „lexikalischen" Verbindungen funktionell sein. - Für die lexikalischen Periphrasen, mit denen wir uns in dieser Arbeit nicht näher beschäftigen wollen, gelten entsprechend im lexikalischen Bereich im wesentlichen die Kriterien, die oben für die grammatischen Periphrasen aufgestellt wurden. Sie stellen nämlich Periphrasen von lexikalischen Einheiten dar, die sonst in der jeweiligen Sprache durch einfache Zeichen, d . h . nicht durch Syntagmen ausgedrückt wurden. Vgl. hierzu J. Sabräula, Un Probleme . . . , s. oben 1.2.5., A n m . 52. 15 Die Schaffung neuer morphologisch gekennzeichneter Oppositionen aus ursprünglich nicht funktionellen Einheiten behandelt F . R. Adrados, Gramaticalizaciön y desgramaticalizaciön, in: Estructuralismo e Historia, III, S. 5 - 4 1 .
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kaiische Bedeutung hatte, während es auf einer späteren historischen Sprachstufe zur normalen Realisierung einer grammatischen Funktion, d.h. instrumentalisiert oder grammatikalisiert wurde, und zwar entweder nur unter bestimmten Bedingungen oder ausschließlich. Dabei muß angenommen werden, daß dasselbe materielle Zeichen (Konstruktion) auch auf der ersten historischen Sprachstufe in der Rede schon als Bezeichnung der entsprechenden grammatischen Kategorie erscheinen konnte, allerdings noch nicht mit derselben instrumentalen Bedeutung, die es erst auf einer späteren Stufe als normele Realisierung der betreffenden Kategorie ausdrückt. Die gelegentliche Redebedeutung wird also erst von einem bestimmten Zeitpunkt an zu einer wirklich grammatischen, nämlich dann, wenn das Zeichen (die Konstruktion) regelmäßig und normalerweise in Opposition zu anderen grammatisch bestimmten Formen desselben Paradigmas tritt. Alle lexikalischen Einheiten können theoretisch der Paraphrasierung (Ebene der Rede, der Bezeichnung) grammatischer Funktionen dienen. Der „systematische" Ausdruck grammatischer Funktionen auf der Ebene der Norm unterscheidet sich davon durch seine Regelmäßigkeit und die weitgehende Unabhängigkeit von der jeweiligen Redesituation. Er gehört einem geschlossenen Bezugssystem (Paradigma) an. Synchronisch muß also zwischen lexikalischen Zeichen, die nur auf der Ebene der Rede, also zufällig und unsystematisch instrumentale Verfahren „bezeichnen" können, und lexikalischen Zeichen unterschieden werden, die in bestimmten syntagmatischen Verbindungen immer grammatische Funktionen ausdrücken, also instrumentale Bedeutung haben, die aber in allen anderen Verbindungen gewöhnlich ihre lexikalische Bedeutung besitzen. Die Unterscheidung geschieht von der Ebene des Systems aus, das die Möglichkeiten der grammatischen Verfahren bereitstellt, die Art ihrer sprachlich-materiellen Verwirklichung jedoch offen läßt. Diese gehört zur Ebene der Norm. Wie E. Coseriu gezeigt hat 16 , kann dasselbe Objekt je nach dem, von welcher struktuellen Ebene der Sprache aus es betrachtet wird, verschieden beurteilt werden: einem und demselben System (synchronisch) können verschiedene Normen entsprechen, und zwar entweder gleichzeitig (funktionelle Varianten) oder in historischer Folge (Diachronie, Sprach-,Wandel'). Während etwas auf der Ebene des Systems funktioniert (Synchronie), kann es auf der Ebene der Norm als Aufeinanderfolge verschiedener Realisierungen erscheinen (Diachronie). Gleiches gilt auch für das Verhältnis von Typus und System. Die höhere Ebene umfaßt jeweils die niedere Ebene, und zwar auch das in ihr nur unvollständig, partiell oder noch gar nicht Realisierte. So hatte z.B. die Verbindung ,habere + Inf.' 16 Vgl. E. Coseriu, SDH,S. 73f.; E1 aspecto verbal perifràstico, S. 9 3 - 9 7 ; Sincronia, diacronia y tipologia, S. 2 7 7 - 2 7 9 ; Sistema, norma e „paiola", S. 250.
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im Lat. zu einer bestimmten Zeit nur die ihren Konstituenten entsprechende lexikalische Bedeutung „etwas zu tun haben" 17 . In der Rede konnte sie neben anderen Konstruktionen auch das bezeichnen, was normalerweise durch die Morpheme -bo, -bis, . . . , bzw. -am, -es, . . . ausgedrückt wurde. Die Grammatikalisierung von ,habere + Inf.' dürfte sich in der Weise vollzogen haben, daß diese Konstruktion (vorwiegend in der Form .Infinitiv + habere') zu einer bestimmten Zeit regelmäßig die instrumentale Bedeutung derselben im System weiterbestehenden und damit als synchronisch zu betrachtenden grammatischen Kategorie ,Futur' erhält, die in derselben Norm zunächst auch noch durch die Varianten -bo, -bis, bzw. -am, -es ausgedrückt wird, und daß sie dadurch funktionell wird. In einer noch späteren Norm existiert dann nur noch die Form Jtabere + Inf.' als funktionelle Realisierung des ,Futurs', wobei Varianten auftauchen können, die möglicherweise eine weitere Norm ankündigen. Während sich die Normen wandeln, bleibt das System jedoch dasselbe, da die funktionellen Oppositionen dieselben bleiben 18 . Da das System der Sprache ein System von zu realisierenden Möglichkeiten ist, schließt es, wie wir bereits gesagt haben, auch das auf der Ebene der Norm nur partiell oder noch gar nicht Verwirklichte ein. Dies ist bei der dynamischen Sprachbeschreibung, wie sie E. Coseriu gefordert hat, zu berücksichtigen. Auch die Grammatikalisierung von Verbalperiphrasen ist in dem Sinne zu beschreiben, daß sie als diachronische Realisierung einer auf der höheren Abstraktionsebene schon bestehenden synchronischen Funktion erfaßt wird. Die partielle Realisierung einer Funktion ist synchronisch vor allem durch ein unvollständiges Paradigma gekennzeichnet: Die Beschränkung kann bei den Verbalperiphrasen z.B. Tempus, Modus und/oder die Kombinierbarkeit mit anderen Verbkategorien (vgl. unten 3.4.) oder aber auch die Eindeutigkeit der Bezeichnung (lexikalische oder grammatische Bedeutung der Konstruktion) auf der Ebene der Norm betreffen. Je beschränkter ein derartiges Paradigma erscheint, desto geringer ist der Grad seiner Grammatikalisierung. Das kann von der Ebene der Norm aus in zweierlei Hinsicht festgestellt werden: 1) Es handelt sich um eine zentrale Funktion innerhalb eines größeren Paradigmas (z.B. Verbum, im Gegensatz zu Substantiv), die von konkurrierenden Formen ausgedrückt wird, wobei eine oder mehrere jeweils ein beschränktes Paradigma aufweisen und daher als noch nicht vollstän17 Abgesehen von der klassischen und nachklassischen gräzisierenden Konstruktion (a/ 6X W + Inf ) in der Bedeutung '"können vgl. Leumann-Hofmann-Szantyr, LSS, S. 314. 18 Vgl. E. Coseriu, Sobre el futuro romance, RBF 3,1 (1957), 1 - 1 8 ; H. Meier, Futuro y futuridad, RFE 48 (1965), 6 1 - 7 7 ; M. Leumann, Lateinisch habere mit Infinitiv, Mus. Helv. 19 (1962), 6 5 - 7 1 .
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dig grammatikalisiert gelten müssen (z. B. vado (ad) + Inf. in Norm III): SYNCHRONIE DES SYSTEMS - DIACHRONIE DER NORM
System Norm I „CANTABO"
„FUTUR"
Norm III
Norm II „CANTARE HABEO"
1
i
Norm IV
y „VADO (AD) ^ x" 1" CANTARE" 1
Rede I
r
II
_ III
volo cantare
cantabo
cantare habeo
cantare habeo
cantare habeo
debeo cantare
canto
canto
vado (ad) cantare
cantabo
vado (ad) cantare
canto
debeo cantare
debeo cantare
volo cantare
cantaturus sum
volo cantare
habeo ad cantare
habeo ad cantare
habeo de cantare
:
"i 1
1 1 J
u IV
Eine solche Form kann — muß aber nicht — in einer anderen Norm vollständig grammatikalisiert auftreten. 2) Es handelt sich um eine marginale (d.h. nicht in jedem Fall notwendig ausgedrückte) Kategorie (vgl. unten 3.4.), bei der man auch von der Synchronie des Systems aus feststellt, daß sie in verschiedenen Normen immer nur partiell verwirklicht wird, wobei sich sowohl der Ausdruck selbst als auch der Grad seiner Grammatikalisierung ändern kann 19 . Außer den oben genannten Beschränkungen kann hier auch eine Restriktion in der Grammatikalität dadurch vorliegen, daß die betreffende Konstruktion nicht in Bezug auf alle möglichen Lexeme grammatisch modifizierend wirkt (vgl. z. B. unten 3.3.9.a). 19 Zu den partiellen Systemen innerhalb eines Gesamtsystems vgl. E. Coseriu, El aspecto verbal, S. 96f.
60
1.6.3.
Die Grammatikalisierung von Verbalperiphrasen
Die zu Beginn des Abschnitts 1.6.2. gestellte Frage nach der Grammatikalisierung berührt in Bezug auf Verbalperiphrasen im wesentlichen drei Probleme: 1) Inwieweit sind die einzelnen periphrastischen Konstruktionen als normale Realisierungen grammatischer Funktionen anzusehen, d . h . inwieweit stellen sie wirklich Verbalperiphrasen dar? Die Antwort hierauf ergibt sich aus den in 1.6.1. dargelegten Kriterien und kann durch Kommutation geprüft werden 2 0 . 2) Daran schließt sich die Frage an, ob alle durch Verbalperiphrasen ausgedrückten Funktionen die gleiche Stellung im Verbalsystem besitzen. Auf Grund der Tatsache, daß es in einem Verbalsystem Sektionen geben kann, die nur partiell realisiert sind, m u ß diese Frage für die im Romanischen und Griechischen periphrastisch ausgedrückten Funktionen wohl verneint werden (vgl. unten 3.4., 3.5.3.3., 5.5.). Wenn für eine Funktion verschiedene Realisierungen in mehr oder weniger komplementärer Verteilung (Restriktionen entweder in Bezug auf die modifizierbaren Verben, auf die Realisierung in bestimmten Tempora oder Modi, oder in diatopischer oder diastratischer Hinsicht) angetroffen werden, so ist dies ein Kennzeichen dafür, daß die betreffende Funktion in der Norm unvollständig realisiert ist, da sie nämlich nicht in jedem Fall durch eine bestimmte F o r m ausgedrückt wird. Bei vollständiger Grammatikalisierung kann ein Zeichen in der Rede in keinem Fall lexikalisch interpretiert werden. Trotz unvollständiger Realisierung in verschiedenen Normen kann aber eine synchronische Funktion auch dadurch bestätigt werden, daß immer wieder neue, und zwar analoge Konstruktionen sowohl in diachronischer 20 Nicht gerechtfertigt erscheint die Unterscheidung, die N. D. Arutjunova, O kriterii vydelenija analitiCeskich form, in: Analitiieskie konstrukcii, S. 8 6 - 9 3 , bes. 90f., zwischen „analytischen Formen" und „grammatikalisierten Verbindungen" (grammatizovannye soietanija) macht. Danach liegen „analytische Formen" dann vor, wenn dieselbe Kategorie (z.B. Tempus) auch durch einfache Verbalformen ausgedrückt wird (z.B. engl. / have written - I wrote). Während „analytische Formen" Einheiten eines Verbalparadigmas seien, stellten „grammatikalisierte Verbindungen" lediglich nicht-funktionelle Varianten einfacher Verbalformen dar, bzw. seien dann gegeben, wenn die ganze Kategorie nur periphrastisch realisiert sei (z. B. im Fall des romanischen und germanischen Passivs). Die Unstimmigkeit ist jedoch offensichtlich, da es sich bei Varianten gar nicht um eine eigene grammatische Kategorie handelt und die Periphrasen im anderen Fall den einfachen Formen funktionell gleichgestellt werden müssen. Außerdem stimmt es nicht, daß das Passiv der romanischen und germanischen Sprachen (außer Dänisch) deswegen nicht „analytisch" sein sollte, weil es nur periphrastische Formen aufweist, denn die entsprechende Kategorie ist hier Diathese (zalog) und nicht Passiv, innerhalb der (nämlich in der Funktion des Aktivs) durchaus einfache Verbalformen vertreten sind. Ebenso gilt ja auch für das oben genannte Beispiel die Kategorie Tempus und nicht Perfekt, da letzteres nur einen Funktionstyp innerhalb der Kategorie Tempus darstellt.
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wie auch in diatopischer Hinsicht gebildet werden. Die Analogie kann z.B. darin bestehen, daß es gerade periphrastische Wendungen und nicht andere Formen sind, daß ähnliche Verben als Modifikatoren mit ähnlicher instrumentaler Bedeutung gewählt werden, usw. Der jeweilige Stellenwert einer Verbalperiphrase muß in der entsprechenden Norm und dem System des Verbalsystems jeder Einzelspr^che getrennt festgestellt werden. 3) Schwierigkeiten können sich bei der Identifizierung von Verbalperiphrasen in der Rede ergeben, nämlich bei der Entscheidung in einem gegebenen Text, ob eine Konstruktion lexikalisch (evtl. auf Grund des syntaktischen Bezuges einer Komponente auf eine Einheit außerhalb der Konstruktion) 21 , oder als Verbalperiphrase, d.h. grammatisch zu verstehen ist. Es ist klar, daß periphrastische Konstruktionen, die in der Regel aus Elementen gebildet sind, die auch in nicht-grammatischer Funktion verwandt werden können, nicht in jedem Kontext so eindeutig als grammatisch erkennbar (oder für den Sprecher ausdrückbar) sind, wie dies ein Flexionsmorphem als gebundene Form' tut. Diese Tatsache hängt offensichtlich mit dem Grad der Grammatikalisierung einer Periphrase zusammen 22 . Da die lexikalische Bedeutung der als Morphemverben gebrauchten Verben zweifellos zur Bildung der instrumentalen Bedeutung in irgendeiner Weise beiträgt, kann sie besonders bei geringem Grammatikalisierungsgrad in einem geeigneten Kontext unter Umständen durch die Instrumentalität „hindurchscheinen", was bei einer ausschließlich gebundenen Form nicht möglich ist, da sie keine lexikalische Bedeutung besitzen kann: So kommt z. B. bei span. salió diciendo als Folge der lexikalischen Bedeutung von salir die Redebedeutung „unmittelbarer Ausbruch" neben der strukturellen Bedeutung „inzeptive Phase" zum Ausdruck, während -ba in caminaba ausschließlich instrumentale Bedeutung aufweist, da -ba eine gebundene Form ist. In der Rede muß daher bei der Anwendung der Kriterien zur Identifizierung von grammatischen Periphrasen immer der explizite und implizite Kontext, d. h. der Sinn der Aussage berücksichtigt werden. Die Entscheidung ist einfach, wenn die lexikalische Bedeutung widersinnig ist (z.B. eile vient de chanter ä la chórale f elle revient de la chórale, d.h. i* ,sie kommt von singen', * ,— vom Singen'), bzw. wenn offensichtlich eine „construcción mediata" vorliegt: ,ßstoy en la canja/ acechando el momento en que él duerma para dejar la cabeza hundida . . ," 23 .
21 Zur .construccion mediata' vgl. oben 1.3.3. 22 Hiervon trennen muß man die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Bestimmung, die ein typologisches Merkmal ist (vgl. oben 1.2.1., S. 32). Auch eine äußere Bestimmung kann eine gebundene Form sein (Präpositionen, aber gerade auch periphrastische Konstruktionen). 23 C. Laforet, Nada, Barcelona 1945, S. 297.
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In anderen Fällen muß abgewogen werden, ob die strukturelle Bedeutung der Periphrase im Kontext möglich ist oder nicht: „. . . conclut le professeur qui se dirigea vers le salon de l'air de quelqu'un qui, aux petits jeux, va voir ,si on peut revenir'" 24 .
Hier zeigt der Kontext, daß va eine Bewegung bedeutet (Parallelismus mit se dirigea) und außerdem, daß eine prospektive Bedeutung 25 für die Verbindung va voir nicht in Frage kommt, da quelqu'un qui, aux petits jeux auf etwas hinweist, das immer so ist und war, nicht aber im nächsten Augenblick sein wird. Ähnlich ist es z.B. in „Era como um marido pouco amado, que ia amar fora de casa!"26.
Im Kontext ist die prospektive Perspektive bei ia amar nicht sinnvoll, weil die Ortsangabe fora de casa auf die Bedeutung ,gehen' für ia hinweist. Andererseits ist bei „Cuando despues de unos meses volvieron a verme, ..."
27
.
der Unterschied zwischen der lexikalischen Bedeutung „sie kehrten zurück, um mich zu besuchen" und der strukturellen Bedeutung „sie besuchten mich abermals" in Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit so gering, daß das vom Autor Gemeinte beide Bedeutungen umfassen kann und eine Entscheidung für eine Bedeutung daher kaum möglich wird. In „C'est elle-même, sur l'ordre de Mme. Swann, qui allait prévenir le jeune homme dès que celle que j'aimais était seule" 28
könnte die Fügung sur l'ordre de. .. angeben, daß keine Handlung vorliegt, die in der Vergangenheit vorzeitig war (,die warnen sollte'), sondern getrennte Handlungen (,die ging, um zu warnen'). Aber dennoch ist auch die Bedeutung der Periphrase vom Kontext her nicht ganz ausgeschlossen. Beide (getrennt existierenden) Bedeutungen sind in diesem Satz möglich und sinnvoll, und man muß annehmen, daß sie auch vom Autor vorgesehen sind. Das gleiche gilt auch für Kontexte, in denen nicht eindeutig gesagt werden kann, ob eine „construcción inmediata" oder eine „construcción mediata" vorliegt: „ Yo voy a llamar a la puerta principal para que despierte la señora" 29 . „ . . . con gli occhietti scintillanti che andavano come frugandola tutta da capo a piedi per trovare il punto debole . . . " 24 25 26 27 28
30
.
M. Proust, A la recherche du temps perdu, Bd. 3, Paris 1954, S. 309. Vgl. zu den „Perspektiven" des romanischen Verbalsystems unten 3 . 3 . 2 . - 3 . Efa de Queiroz, O primo Basilio, Porto s.a., S. 269. R. Gómez de la Sema, El doctor inverosímil, Buenos Aires 1941, S. 39. M. Proust, A la recherche, III, S. 135.
29 B. Pérez Galdós, Doña Perfecta, in: Obras Completas, IV, Madrid 1941, S. 496a. 30 G. Vèrga, Mastro-don Gesualdo, Firenze 1923, S. 88.
63
Hier kann man entweder „che erano come se andassero frugandola .. ." (,frugare da capo a piedi') oder „che andavano — come frugandola — da capo a piedi . . . " (,andare da capo a piedi') verstehen. Es ist aber wahrscheinlich, daß der Autor die Unterscheidung aus stilistischen Gründen unbestimmt gelassen hat; ebenso im folgenden Beispiel: „ . . . il quäle, poverino, stava sempre Ii a guardarmi a bocca aperta, a imitarmi . . . " ! .
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß immer aus dem Kontext heraus entschieden werden muß, ob eine fragliche Konstruktion lexikalisch oder als Periphrase, d.h. grammatisch zu verstehen ist. Wo dies nicht möglich ist, muß angenommen werden, daß beide Bedeutungen im Kontext zugelassen sind, d . h . daß sowohl das eine wie das andere Bezeichnete sinnvoll ist und von beiden Arten sprachlicher Bedeutungen gedeckt wird. Die Grammatikalisierung einer Periphrase ist dabei umso intensiver, je weniger sie in ihrer Funktionalität kontextabhängig und je höher ihre Frequenz als Ausdruck einer bestimmten grammatischen Funktion ist.
31 G. Bassani, Il giardino dei Finzi-Contini, Torino 1 9 6 2 , S. 72.
64
2.
ÜBERBLICK ÜBER DIE GESCHICHTE DER ERFORSCHUNG DER ROMANISCHEN VERBALPERIPHRASEN
2.0.
Vorbemerkungen
Die Beschäftigung mit den romanischen Periphrasen, bzw. mit einzelnen periphrastischen Konstruktionen in bestimmten romanischen Sprachen, reicht in die Anfänge der Romanistik zurück. Es würde daher über den Rahmen dieser auf die Entstehung der Verbalperiphrasen ausgerichteten Arbeit hinausgehen, wollten wir einen umfassenden Forschungsbericht zu den zahlreichen bis heute vorliegenden Bemühungen um die Probleme der periphrastischen Konstruktionen in der Romania und den romanischen Einzelsprachen erstellen, zumal eine solche Darstellung fast immer das ganze Verbum, zumindest in Hinsicht auf die Kategorien Tempus und Aspekt, betreffen würde. Die weitaus meisten Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet schließen nämlich die Verbalperiphrasen nur indirekt ein, und zwar von zwei Seiten: entweder handelt es sich um Untersuchungen zum Gebrauch des Partizips, Gerundiums, Infinitivs usw. oder des Ausdrucks gewisser „Aspekttheorien" in der jeweiligen Sprache, die dann nach Ansicht der Autoren zum Teil durch periphrastische Konstruktionen bezeichnet werden. Es scheint uns in diesem Zusammenhang nicht notwendig zu sein, ausführlich auf die Geschichte des Aspektbegriffs und die verschiedenen hierzu existierenden Theorien einzugehen, da diese Problematik in letzter Zeit mehrfach behandelt worden ist1. Wir werden unten (3.1.) nur einige wichtige Theorien im Hinblick auf die romanischen Verhältnisse besprechen, um zu zeigen, daß diese Kategorie, wie sie bisher betrach1
Neben einigen älteren Überblicken wie bei B. Faddegon, The Categories of Tense and Time, Manner of Action, and Aspect, in: Donum natal. Schrijnen, 1929, S. 1 1 6 - 1 2 9 ; H.Ch. Sdrensen, Om Definitionerne af Verbets Aspekter, in: In memoriam Kr. Sandfeld, K^benhavn 1943, S. 2 2 1 - 2 3 3 , und M. Sanchez Ruiperez, Estructura del sistema de aspectos y tiempos del verbo griego antiguo, Salamanca 1954, S. 1 - 3 2 ; zuletzt vor allem bei W. Schlachter, Der Verbalaspekt als grammatische Kategorie, MSS 13 (1959), S. 2 2 - 7 8 und W. PoUak, Studien zum ,Verbalaspekt' im Französischen, Wien 1960, S. 4 7 - 1 0 1 ; J. Dombrovszky, Temps verbal, Aspect verbal et Aktionsart, Slavica 1, Debrecen (1961), S. 1 - 3 0 ; J. Knobloch ed., Sprachwissenschaftliches Wörterbuch, Lief. 3, Heidelberg 1965, S. 1 7 2 - 1 8 0 (s.v. Aspekt, Aspektbegriff, Aspekttheorien); H. Stobitzer, Aspekt und Aktionsart im Vergleich des Französischen mit dem Deutschen, Englischen und Italienischen, Diss. Tübingen 1968.
65
tet worden ist, für das romanische Verb unpassend ist, und daß es besser sein dürfte, von anderen kategoriellen Unterscheidungen auszugehen. Wir wollen uns daher im folgenden auf einige wichtige Arbeiten beschränken, die vor allem von den periphrastischen Konstruktionen ausgehen, und versuchen, die Hauptlinien der Entwicklung in der Erforschung der romanischen Verbalperiphrasen zu skizzieren.
2.1.
Die Anfänge. Fr. Diez
Wie oben unter 1.0. erwähnt wurde, ist lange nicht der grammatische Charakter der Verbal-„Umschreibungen", ihr paradigmatischer Wert und daher auch nicht ihre Einheitlichkeit in einem durch die einfachen Formen gegebenen Verbalsystem erkannt worden. So nehmen sie auch in der ersten romanischen Grammatik, der von Friedrich Diez2, eine seltsam unbestimmte Stellung ein. Wie in allen älteren Beschreibungen werden sie auch hier z.T. unter dem Gebrauch des Infinitivs und Participiums behandelt, z.T. aber im Zusammenhang mit dem Verbalsystem als ganzem. Die „Umschreibungen" mit esse, stare, ire und venire + „Gerundium (Part. Praes.)3 jedes gegebenen Verbums" werden im Abschnitt über das Genus Verbi, nämlich als „Umschreibungen des Activs", nicht etwa im 2. Buch unter der Morphologie aufgeführt. Obwohl Diez auf der einen Seite den paradigmatischen Charakter einiger Konstruktionen erkannt hat (Verbindung eines Modifikators mit dem Gerundium jedes beliebigen Verbums), stellt er sie — ebenso wie die Passivperiphrase und die periphrastischen Tempora - in der Syntax dar. Das ist für die formalistische traditionelle Sprachwissenschaft, die den Begriff der grammatischen Funktion noch nicht kannte, ganz normal. Sie versteht unter Syntax nicht die Beziehung zwischen funktionellen Einheiten im Satz, sondern das Verhältnis zwischen einfachen Formen (Morphologie!) innerhalb eines Satzes oder eines Satzteiles 4 . 2 F. Diez, Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. 3, Bonn 2 1860, S. 192-195, 218f., 220, 225f., 227-230, 234, 242ff., 251; Bonn 3 1872, S. 198-202, 227, 229, 234f., 239, 243, 245. 3 Im Altit., Altspan., Altport., Altprov. und Altfrz. waren Verbindungen von esse und dem Part. Praes. möglich, doch waren sie wie auch Diez sagt (2. Aufl., S. 192f., 3. Aufl. S. 199f.), vielfach adjektivisch oder substantivisch. 4 Vgl. W. Schlachter, Die Kongruenz des attributiven Adjektivs im Finnischen, MSS 12 (1958), S. 7: „ . . . der Gebrauch der zusammengesetzten Tempora im Finnischen, der mehr eine Angelegenheit der Syntax als der Formenlehre ist". Dieselbe unzweckmäßige Gegenüberstellung von Morphologie und Syntax vertreten auch Juilland - Edwards, The Rumanian Verb System, The Hague-Paris 1971, S. 68: „We have eliminated forms or constructions which consist of more than one word (compound forms) and belong to syntax or morphosyntax rather than to morphology proper".
66
Nach Diez ist der „Sinn des umschreibenden Elements" auf die „damit begleitete Form" übergangen, so daß ein Gerundium (oder Partizip Präs.) mit esse ein „beharrliches Sein", mit stare „einen vorübergehenden Zustand", mit ire(andare) im It. eine „fortgesetzte Thätigkeit", im Span, „eine beginnende Thätigkeit", im Port., Prov. und Altfrz. wie im It. eine „fortgesetzte Thätigkeit" ausdrücke. Mit venire werde das „Übergehen zu einem Thun" (bes. im It.) bezeichnet. Dabei unterscheidet er zwar grundsätzlich zwischen Periphrasen und der Zusammenrückung syntaktisch autonomer Einheiten 5 , aber es mangelt ihm an expliziten Kriterien für eine solche Unterscheidung. Aus diesem Grund erkennt er z.B. nicht, daß eine Verbindung von esse mit einem Part. Präs. im Lateinischen nicht in jedem Fall eine Periphrase mit partialisierender Bedeutung bildet, wie sie z.B. in asp. „todos eran creyentes que era transida . . ," 6 vorliegt, sondern nur dann, wenn im Kontext die partialisierende Funktion möglich ist, d.h. eine Verbalhandlung und nicht ein Zustand, bzw. eine Eigenschaft gegeben ist, wie in sum dicens (ich bin ein Sprecher) 7 . Im Hinblick auf die Herkunft der genannten periphrastischen Konstruktionen bemerkt Diez nur für esse + Part. Praes., daß es im Lat. „nicht unhäufig" sei, ohne allerdings die erwähnte Unterscheidung zu machen. Außerdem weist er auf entsprechende Formen im Griechischen, Gotischen, Althochdeutschen und Englischen hin. Da die übrigen Periphrasen, wie schon gesagt, unter dem Gebrauch der Form des jeweils modifizierten Verbums (Infinitiv und Part.) behandelt sind, werden sie nicht von anderen Konstruktionen mit diesen Verbalformen unterschieden, so je fais peindre (S. 281) nicht von lo vedo venire oder spero venire (S. 219). Auch zwischen je viens vous faire mes adieux und j'allais sortir (S. 220) wird kein wesentlicher Unterschied der Konstruktion gesehen; vielmehr kann die „eigentliche Bedeutung von Gehen" in eine „uneigentliche" übergehen und das „Antreten einer Handlung" bezeichnen, wobei das Tempus von aller jedoch nicht berücksichtigt wird (S. 220). Dagegen werden frz. venir de („etwas eben Geschehenes"), Span. port. acabar (vollendete Handlung, bzw. = venir de), it. finire (la vostra modestia mi ha finito d'innamorare, = acabar, it. pensare („Nähe einer Handlung", pensava di morire „war drauf und dran zu sterben", ebenso sp., frz.) und frz. manquer („nahe Möglichkeit eines Ergebnisses", = faillir) als Hilfsverben, die „eigentlich einen Adverbialbegriff umschreiben", aufgeführt 8 . Dies zeigt besonders deutlich die unklare Haltung gegenüber diesen Konstruktionen. Auf der einen Seite werden sie als Hilfsverben betrachtet, auf der anderen aber wird ihnen keine grammatische Funktion wie anderen Hilfsverben zugeschrieben, sondern eine (vom Deutschen aus motivierte) adver5
„Dasrom. sto aspettando stimmt nicht zum lat. sto exspectans, Ter. Eun. 3,5 (= 594), welches sich in die beiden Begriffe sto et exspecto auflöst". (Diez, GRS, III 2 , S. 194). 6 Libro deApolonio 272 (nach Diez, GRS, III 2 , S. 193, Apol. 271). 7 Diez, GRS, III 2 , S. 220. 8 Diez, GRS, III2, S. 225f.
bielle Bedeutung, d . h . eine lexikalische Determinierung des zweiten Bestandteils der Verbindung,zugemessen. In anderen Fällen wird die Funktion der Periphrase richtig erkannt, aber das modifizierende Verb wird als „pleonastisch", d. h. eigentlich funktionslos bezeichnet: so bei venir à, venire a + Inf. („ein Gelangen zu etwas") 9 . In Wirklichkeit ist mit „pleonastisch" wahrscheinlich jedoch die Tatsache gemeint, daß das entsprechende Verb nicht mit seiner lexikalischen Bedeutung auftritt, sondern mit einer anderen, eben der „pleonastischen", die aber nur als Redebedeutung und nicht als instrumentale systembedingte Bedeutung erkannt wird. Ganz anders fällt jedoch die Beschreibung aus, wo offensichtlich die Funktion der Periphrase leichter einsehbar ist: it. essere, stare per + Inf., span., port, estar por, estar para + Inf., frz. être sur le point de + Inf. bilden nach Diez 10 „eine vollständige periphrastische Conjugation" mit der Bedeutung, daß eine Handlung so eben vor sich gehe" und „Pro verhält sich zu ad wie Zukunft zu Gegenwart: it. sto per scrivere ,ich will eben schreiben', scripturus sum; sto a scrivere ,ich schreibe eben', scribo".
Alle zuletzt genannten Konstruktionen sind, wie gesagt, im Kapitel über den Modus und dort im Abschnitt über Infinitivkonstruktionen zum Ausdruck des Modus behandelt. Am Ende dieses Abschnitts weist Diez darauf hin, daß der romanische Gebrauch des Infinitivs häufig an das Griechische erinnere (Abhängigkeit von einem anderen Verbum, einem Adjektiv) und daß daneben die Wendungen, die „gewisse Adverbialbegriffe durch Verba mit beigefügtem Infinitiv ausdrücken" (d. h. im wesentlichen die hier genannten Verbalperiphrasen) im Griechischen z. T. mit dem Partizip (seil, statt des Infinitivs) konstruiert werden. Als Beispiel fügt er Zpxoßai Xé£OJV („ich will eben sagen") für frz. je vais dire, span. voy a decir und èrvyxave Trapdbv für span. acertô a estar presente an11. Ebenso sagt er bei der Behandlung der span. Konstruktionen seguir cantando, acabar diciendo und tomar hablando ( = tomar a hablar): „Zahlreiche Structuren dieser Gattung gewährt auch die griech. Sprache . . ," 12 .
Diez hat dabei wohl nicht an die Herkunft dieser Periphrasen im Romanischen gedacht, aber sein Hinweis ist doch von einiger Bedeutung, zumal dieser Parallelität von den meisten Romanisten nicht gesehen worden ist. Auffällig ist aber auch, daß Diez keine periphrastische Konstruktion für das Rumänische erwähnt, das sonst zu den von ihm als eigene romanische 9 Diez, GRS, III 2 , S. 229. 10 Diez, GRS, III 2 , S. 234. 11 ibidem, S. 243 f. Cf. außerdem S. 193 die Erwähnung von griech. '
XeXwccûç
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+ „Dauer' (kursiv) •naidevoj „Dauer'
énaíSevoa
naiö evoew TTQlS evoco V iraiö eóooj naiSeöootßi
(komplexiv) Anders als Ruipérez (op. cit., S. 101) haben wir den Perfektstamm, sowie die infiniten Formen (atemporal beim Perf., Präs. und Aor., temporal beim Fut.) mit einbezogen. Ebenso haben wir die Form des Indikativs des Präsens nicht allein dem kursiven Aspekt zugeordnet, sondern als bezüglich der Dauer (Kursivität) neutral gekennzeichnet.
4.2.
Stand der Forschung zu den griechischen Verbalperiphrasen
4.2.1.
Die ältere Sprachwissenschaft
Bisher existieren zwei ausführliche Arbeiten zu den griechischen Verbalperiphrasen vom Typ elpi + Part. Präs., die auch die wichtigste ältere Literatur enthalten 3 2 . Bei unserer kurzen Rekapitulation der diesbezüglichen Forschungsgeschichte wollen wir auch auf die Behandlung anderer Periphrasentypen eingehen. Dabei berücksichtigen wir wie in den romanischen Sprachen nicht die periphrastischen Ausdrücke, die in einem bestimmten System des Griechischen lediglich als Varianten einfacher Formen (z.B. im Perfekt) oder die (in diachronischer Hinsicht) als normale Realisierungen einer Kategorie anzusehen sind, die in demselben System auch durch einfache Formen verEzikovedski izsledovanija v £est na akademik St. Mladenov, Sofija 1957, S. 405 f. H. + R. Kahane, The Tense System of Modern Greek, Omagiu lui I. Iordan, Bucure$ti 1958, S. 4 5 3 - 4 7 4 . 32 Es handelt sich um G. Björck, HN A I A A 2 K J 2 N , Die periphrastischen Konstruktionen im Griechischen, Uppsala-Leipzig, 1940, und W.J. Aerts, Periphrastica. An Investigation into the Use of eivcu. and exßtP as Auxiliaries or Pseudo-Auxiliaries in Greek from Homer up to the Present Day, Amsterdam 1965.
169
treten ist und die in einer früheren Stufe derselben historischen Sprache nur durch einfache Formen ausgedrückt wurde (z. B. die Kategorie Tempus) 33 . Vielmehr sollen nur solche peripherischen Konstruktionen betrachtet werden, die zusätzliche, nicht auch durch einfache Formen bezeichnete, also offensichtlich nicht zum Grundsystem des Verbums gehörende Kategorien ausdrücken. Von der antiken Grammatik sind die uns hier interessierenden Periphrasentypen (vgl. oben 0.4.) offenbar nicht beachtet worden. Dies ist erklärlich, weil im Vordergrund des Interesses der antiken Grammatiken das morphologische Grundsystem der flektierbaren „Redeteile", nicht aber die grammatischen Funktionen standen. Aus der nicht auf die sprachliche Bedeutung, sondern auf die außersprachliche Bezeichnung bezogenen Aristoteles-Stelle Met.
1017 a 27 obOev yap Suupepet tö &v9punkomme und ihn anbete') von Mt. 2,9 (s. oben) als periphrastisch (,bis er auf einmal . . . stehen blieb, wo . ..') trennen kann. Auch dort, wo man in der Folgezeit die klassische Periode der griechischen Sprache im Hinblick auf periphrastische Konstruktionen untersucht hat, ist es zunächst nicht gelungen, zwischen Periphrasen und lexikalischen Verbindungen zu unterscheiden. So hat W. J. Alexander 36 Konstruktionen mit eißi + Part. Präs., Aor. und Perf. in den attischen Rednern und bei Piaton gesammelt und nach der Stellung (Kopula + Part., Part. + Kopula) gegliedert, die, wie schon Björck 37 bemerkt hat, für die Funktion nicht entscheidend ist, aber er faßt die Konstruktionen in jedem Fall als adjektivische Verbalnomina + Kopula auf, was nicht verwunderlich ist, da er nicht zwischen den verschiedenen Partizipien und auch nicht zwischen Partizipien von „transformativen" d.h. partialisierbaren, und solchen von adjektivischen, nicht partialisierbaren Verbalinhalten (vgl. oben S. 143) unterscheidet 38 . Diese Unterscheidung ist jedoch dann bei F. Blass39 schon gemacht worden. Zum ersten Mal als Verbalperiphrasen erkannt wurden die Konstruktionen mit f/Kco, epxoßcu und eipi (oixojuai ist wohl immer lexikalisch) von W.W. Goodwin 40 , der auch die französischen Parallelen erwähnt: Plat. Phaed. 100b oÖK è'pxoficu èpécov ,1 am not going to say . ..', cf. French je vais dire), sowie Hdt. I, 5 "Hie TCLVTT)V aivécov 8ià navrcx; ,he always praised her' (he went on praising her, French il allait la louant tou/ours)41. Wie man sieht, unterscheidet Goodwin nicht zwischen Konstruktionen mit dem Part. Fut. und solchen mit dem Part. Präs. Die Einheit dieser Konstruktionen sieht er darin, daß „the participle . . . contains the leading idea of the expression" (§ 895, S. 354). Die Verbindung des Part. Präs. oder Aor. mit eifil ist für Goodwin immer adjektivisch (§ 830, S. 332). Bei A. N. Jannaris 42 werden das „durative Präsens", das „durative Futur", sowie das „vollendete Futur" als ,zusammengesetzte Tempora" neben den sechs einfachen Tempora betrachtet. Das „durative Präsens" wird im allge36 W.J. Alexander, Participial Periphrases in Attic Prose, AJPh 4 (1883), S. 2 9 1 - 3 0 8 . 37 Björck, S. 13. 38 Dies gilt auch für I.A. Heikel, De participiorum apud Herodotum usu, Helsingfors 1884. 39 C. Rehdantz, Demosthenes' neun philippische Reden erklärt von C. Rehdantz, 4. Aufl. bes. von F. Blass, Leipzig 1886, II, 2. 40 W.W. Goodwin, Syntax of the Moods and Tenses of the Greek Verb, New York 1889 Nachdr. L o n d o n - N e w York (1965), § 8 3 0 - 8 3 1 , 895. 41 Goodwin, § 895. Bei Hdt. I, 5 handelt es sich um 1, 122, 3. 42 A.N. Jannaris, An Historical Greek Grammar, London 1897, § 687, 1834, 1844f., 1848, 2106 f.
171
meinen durch die Periphrase mit elßi + Part. Präs. ausgedrückt. Gelegentlich tritt hierfür auch „the effective present followed by e'xtov" ein, was nach Jannaris später durch die Periphrase mit exco + Part. Präs. ersetzt wird43. Diese Periphrase sei noch stärker durativ als die mit e'mi + Part. Präs. Ph. Thielmann44 hat die zahlreichen periphrastischen Konstruktionen des Griechischen vor allem als Ausdruck vulgärer Elemente im Griechischen betrachtet, die die Aktionsarten deutlicher als die einfachen Verbalformen bezeichneten. Die Konstruktionen mit epxoßcu und eißi + Part. Fut. sei bei Herodot noch im wesentlichen auf die 1. Pers. Sing, und Verben des Nützens und Helfens beschränkt und erst bei Piaton völlig frei verwendet worden. Hierzu ist zu sagen, daß die Feststellung nur die Textsorten, nicht aber das Sprachsystem betrifft. Thielmann unterscheidet bei den Konstruktionen mit ¿fpxeodai, lernt und fjuetp nicht genügend zwischen den verschiedenen Partizipien. Die Grammatik von Kühner-Gerth45 faßt im allgemeinen die bis dahin angestellten Beobachtungen zusammen, unterscheidet jedoch weder zwischen Konstruktionen mit dem Part. Präs., Aor. und Fut. noch zwischen grammatischen und lexikalischen Verbindungen. So heißt es (I, S. 38 ff.), daß zur selbständigeren und nachdrücklicheren Hervorhebung des Verbalbegriffs die Umschreibung des einfachen Prädikatsverbums durch das Part. Präs., Perf. oder Aor. „(letzteres fast nur dichterisch)" mit der Kopula eivai trete. Die Konstruktion wird also in keinem Fall als grammatische Einheit, sondern immer als lexikalische Verbindung gesehen, obwohl (S. 40) die Stellen getrennt werden, wo eivai nicht Kopula sei, sondern die Bedeutung „vorhanden sein" habe (unserer Meinung nach zu Unrecht im Beispiel Aristoph. Ran. 35 iyyix rqs Ovp(K ßa8i£CJV elßi, vgl. unten S. 200). Bei den Konstruktionen mit Verben der Bewegung (II, S. 60ff.; von den angeführten Verben sind hiveioOcu. und ireTeodcu immer lexikalisch) wird hinsichtlich der Bedeutung („den durch das Partizip ausgedrückten Begriff mit einer gewissen malerischen Vollständigkeit zur sinnlichen Anschauung . . . bringen") nicht zwischen dem Part. Präs., Aor. und Fut. unterschieden und auch nicht davon die Verbindung mit einem syntaktisch autonomen Part, (TJKCO expov ,ich bringe mit') getrennt. 43 Letztere Periphrase ist durchaus von denen mit dem Part. Aor. und Perf. zu trennen, die resultativ sind. Die Verbindung einer finiten Verbform mit &XCJV ist bei Aristoph., Plat. und Theokr. belegt, vgl. Kühner-Gerth II, 2, S. 62 f. Ob sie in jedem Fall eine Periphrase bildet, kann hier nicht beurteilt werden. Allerdings hat sie offensichtlich weder die Bedeutung von etßi + Part. Präs., da hier z.B. die Negation kaum möglich ist, zumindest nicht bei einer Aufforderung (aber: OV ¡J.Tj tp\vaprjaeK ¿XOJV Aristoph. Ran. 202), noch die der Periphrase mit e x w + Part. Praes. (vgl. unten 5.1.8.d), die sowohl in der klass. Zeit wie auch im späten Griech. nur sehr vereinzelt belegt ist. 44 Ph. Thielmann, Über periphrastische Verba im Griechischen, Blätter für das Gymnasialschulwesen 34 (1898), S. 5 5 - 6 5 . 45 R. Kühner - B. Gerth, AGGS, II, 1, S. 3 8 - 4 0 ; 2, S. 5 9 - 6 7 , 87, Anm. 10.
172
In der gleichen Weise werden die Konstruktionen mit den Verben ruyxàveu>, Kvpeïv, ovynvpeïv, Xavdàvew, 5tareXelv, 8uayiyveo8ai, irpiiooetv, diâyeiv, bicwûew, 6a(iiÇea>, ipdâvew mit einem „Partizip als Ergänzung" betrachtet, ohne zu beachten, daß hier nicht in jedem Fall derselbe Konstruktionstyp vorliegt: ipOàvco, XavOâvoj und otypym stellen primäre Handlungen 46 dar, die in Verbindung mit einem Part, nicht ihre lexikalische Bedeutung einbüßen und somit einen von der im Part, ausgedrückten Handlung unabhängigen Vorgang bedeuten: Hdt. 4, 136 ifipdrioav noXXcb ot Zuvdai TOIK llépoaç ÉNI TT\V yéyvpav änuiößevoi .hatten weiten Vorsprung vor den Persern, als sie an der Brücke ankamen'. Dagegen sind die Verben rvyxàvco, SiareXcö, nupco und ihre Synonyme in Verbindung mit einem direkten oder indirekten Objekt denominativ (rrjç àÇiaç Tvyxàvoj, vgl. Aristoph. Av. 1223; rrjv fipepav ôiareXcô ), weisen jedoch vielfach, besonders wenn im Kontext ein Objekt kaum ergänzt werden kann, in Verbindung mit einem Partizip eine andere, nämlich eine grammatische Bedeutung auf, d . h . sie bilden mit dem Part, eine periphrastische Konstruktion: Horn. £ 334 TUffloe yap epxoßeuT] vr)v(; ,lief eben aus'; Hdt. 3,83,3 Kai vvv amrj f j otnir) 5uareXéei povvri èXevdépt) êovaa Uepaécjv ,ist weiterhin frei'. Vgl. hierzu im einzelnen unten 5.1.8.a, 5.2.5. Interessant ist die Erwähnung der Partizipien vap&v, êXOcbv, ßoXdjv, Idbv, Xaßdov, die „das Moment der . . . vorausgegangenen Handlung malerisch gleichsam vor das Auge des Hörers . . . stellen" (II, S. 87), also einerseits lexikalisch, andererseits grammatisch („expressiv") sein sollen. Jedoch werden auch hier nicht die lexikalischen Verbindungen (Horn. B 774 Xaol .. . 8iaKoioiv TepnovTO Kai alyavér/oiv tévreç .freuten sich am Schleudern d e r . . .', d.h. Kontamination zwischen 8IOKOIOIV répirovro und SLOKOVÇ lèvres TepirovTO) von den Periphrasen getrennt (Soph. Ai. 304 BOT\v KAFAINÜV vßpip eKTeiaair LLOV ,welche Kränkung er einfach an ihnen heimzahle'). Vgl. hierzu unten 5.3.2. Auch in der Folgezeit sind lange keine Fortschritte in der Deutung der griechischen Verbalperiphrasen gemacht worden. So wird die Periphrase mit eißi + Part. Präs. von den einen Autoren als der Verbindung eines Adjektivs mit der Kopula gleichwertig angesehen (Gildersleeve 47 , Barbelenet 48 ), von den anderen teilweise als grammatische Einheit, wobei jedoch nicht prinzipiell 46 Vgl. oben 1.5. $>9âvew wird nicht nur in Bezug auf eine andere, „reale" Verbalhandlung gesagt, sondern absolut: Horn. $ 262 tpßdpei dé T€ Kai TOP
äyovra. Dasselbe gilt für XavOcwew, vgl. Horn. N 272 f. aXXov irov rwa . . . Xrjdrj ßapvdßevo, vvv fifiérepov TÒ epyov, „semble bien pour nous en voie d'accomplissement". Aerts, S. 24, schwankt hier zwischen „expressiver Periphrase" und „nominal construction". Hdt. 6, 103 4 ó pèv 5r? npeoßvrepos rü>v iraíSuv r ü Kijucovi ErrjacryopTjc •QV rr¡víK(WTa -napa TÍO irarpeo MtXridSrj Tpe ev ypovibv, eirei (fiíXov a eyù néyioTov 'Apyeícov vélico dürfte, wie auch Aerts, S. 18, Anm. 7, vorschlägt, adjektivisch sein, da keine partialisierbare Handlung vorliegt. Soph. O. T. 126 SoKQVVTa TaJüT'jjv, „das hatte eben den Anschein"; Aerts, S. 18, Anm. 8, deutet die Stelle als expressiv: „It did make that impression". Soph. O. T. 274 "Tßü> ôè rotç aXXoiai KaSpeioiç ráS 'ëoT'âpéoKovô
oaotç
'r¡ re . . .
ist nicht ganz leicht zu beurteilen. Aerts, S. 18, sieht hier eine adjektivische Periphrase. Jedoch scheint uns die Winkelschau nicht unmöglich: „euch anderen Kadmosbürgern, welche dieses dabei ist zufriedenzustellen,.. . ". Soph. O. T. 580 *Av f¡ deXovoa, nävT'eßoü KOjuiferat, span. „lo que esté deseando. . . " 194
Soph. 0. T. 747 6ewcj v eine partialisierende Periphrase: „ich wäre längst schon dabei, . . . zu gehen, wenn nicht . . . " ; nach Aerts, S. 19, ist die Periphrase expressiv. Soph.
Tr.
ot 5' •
22 f . ov yäp OaKÜP
äXX'oanq
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ex ei Kaßriuevoi
Kai
. . . , „saßen dort gerade und waren dabei, mit sich zu Rate zu gehen". Winer, Grammatik, S. 327, hatte hier eine CM (yoav e«ei) gesehen, was unserer Meinung nach jedoch nicht besonders sinnvoll ist. Außerdem widerspricht dem die Stellung von 7)oav. Vgl. Björck, S. 50. SiaÁoytfóuevoi
év raiq KapSicus
OVTÜV
N T Mk. 2, 18 Kai y aap oi ßadyrai
'Icoáppov Kai oi ipaptoaloi
pyorevopres,
„fasteten gerade"; N T Mk. 4 , 3 8 Kai avrbq fjv év rfi npvßvri
inl
to itpooKeipakaiov
KadevScov,
„war dabei, auf dem Hinterdeck auf einem Kissen zu schlafen"; Kontext und Wortstellung legen zunächst die Auffassung des Satzes als CM nahe („befand sich auf . . . und schlief"), aber dies ist einer der Fälle, in denen die von der Wortstellung her existierende, von der Bezeichnung des Sachverhalts her aber schwache Opposition zwischen der Bedeutung der CI und der CM neutralisiert wird. N T Mk.
5, 5
Kai
8ta
iravw be Tives äycu>aKTOvi>Tev D) Tyv èvaryv (re D) Tipooevxónevos ev reo oouf pov (D) it. „stavo digiunando e alla nona ora stavo pregando . . ."; vgl. Aerts, loc. cit. NT Act. 12,5 7Tpooevxh 8è qv eKTevojq ywoßevr) imo TT} TTJV ripépav SieréXeoav oí 'AOrivaioL, „brachten den Tag mit Vorbereitungen zu"; Plat. Resp. 411a nal ßtwpifav r e Kai yeyavojßivoq vno TT}u). Schließlich kann man theoretisch zu jeder Handlung eine bestimmte Ortsveränderung vornehmen (epxeadai) und zu fast jeder Handlung irgendetwas .nehmen' oder .ergreifen'. Man kann jedoch annehmen, daß eine Handlung nur dann „enumerativ" dargestellt wird, wenn sie aus mehreren relevanten „Schritten" besteht 54 .
52 Die Bedeutung der .Abhebung' ergibt sich jedoch nur in der Rede, sie stellt keine systematische Bedeutung (oder Funktion) dieser Konstruktionen dar. Die .Abhebung' scheint im Griechischen nicht als grammatische Kategorie zu existieren, insofern sie keine normale Realisierung aufweist. 53 Vgl. E. Hävers, Enumerative Redeweise, IF 45 (1927), S. 229-251. 54 Die Verhältnisse sind hier unserer Auffassung nach anders zu beurteilen als in Sprachen, deren Lexeme im allgemeinen einen geringeren Grad der begrifflichen Abstraktion aufweisen. 247
5.3.1.
eXdúv + verbum finitum
Hom. II. 2,147 tb? 8'ore Kivyori Zéwooc ßadv Xrjiov èXdcjv, „wenn der Zephyr Weite Saatfelder mit einem Mal aufwühlt". Hom. II. 2,395 toc ore KÙJIA / ¿LKTTJ E VIIéoxero 6to