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German Pages 207 [208] Year 1892
ZUR EHRENRETTUNG DES
KAISERS TIBERIUS VON'
W.
AUS DEM
IHNE.
ENGLISCHEN
MIT ZUSÄTZEN VON
WILHELM
SCHOTT.
STRASSBURG. VERLAG VON K A R L J. TRÜBNER. 1892.
Vorwort. Die „Tiberiusfrage" ist ein in den letzten drei Jahrzehnten so vielfach behandelter Gegenstand, dass die Neuherausgcbe einer vor mehr als dreissig Jahren erschienenen Schrift aus diesem Gebiete wohl einer besondern Rechtfertigung bedarf. Man ist gewöhnt, den bekannten Schriften von Ad. Stahr und L. Freytag das Verdienst der ersten Geltendmachung einer entschiedenen und durchgreifenden Kritik an der taciteischen (bezw. suetonischen und dionischen) Darstellung des Lebens und der Regierung des Kaisers Tiberius zuzuschreiben. Allein schon im Jahre 1856 bezw. 1857, also mehrere Jahre v o r dem Erscheinen von S t a h r ' s „Tiberius", wurde von Herrn Professor Dr. W. Ihne, damals in Liverpool, in den Proceedings of the Literary and Philosophical Society of Liverpool der hier in deutscher Uebersetzung erscheinende Aufsatz „A plea for the Etnperor Tiberius" veröffentlicht, worin zum erstenmal in s y s t e m a t i s c h e r , d u r c h a u s e r s c h ö p f e n d e r W e i s e die Un-
IV haltbarkeit des in den Quellen gegebenen Charakterbildes des Tiberius nachgewiesen worden ist. Nur der Umstand, dass diese Abhandlung in einer wenig bekannten englischen Zeitschrift erschien, lässt es erklärlich erscheinen, dass sie, von einer kurzen Erwähnung bei Stahr (Tiberius1 S. 313) und einer Rezension von G. R. Sievers (in Fleckeisens Jahrbb. f . Phil. u. Paed. Jahrg. 79 (1859) S. 643 ff. abgesehen, von allen Tiberiusforschern gänzlich unberücksichtigt geblieben ist. Als sie mir nach längeren eingehenden Studien auf diesem Gebiet durch die Güte des Herrn Verfassers zugänglich wurde, erkannte ich, dass in ihr nicht nur alle bisher gewonnenen und als neu betrachteten w e s e n t l i c h e n Resultate bereits enthalten seien, sondern auch, dass diese Abhandlung mit dem Vorzug der Vollständigkeit und Gründlichkeit den besonderen präciser Kürze und zweckmässiger, übersichtlicher Anordnung verbinde. Da zudem auch die Tiberiusfrage, deren grosse Bedeutung für die Beurteilung der ersten römischen Kaiserzeit sowie des hervorragendsten römischen Geschichtsschreibers wohl allgemein anerkannt wird, noch keineswegs als gänzlich abgeschlossen betrachtet werden kann, so dürfte es nach dem allen wohl als nicht ungerechtfertigt erscheinen, wenn ich mich mit Zustimmung des Herrn Verfassers entschlossen
V habe, durch Neuherausgabe in deutscher Uebersetzung diesen Beitrag zur Tiberiusforschung weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Die Z u s ä t z e , die ich auf Wunsch des Herrn Verfassers der Abhandlung beigegeben verfolgen vor
allem den Zweck,
habe,
die in den
letzten Jahrzehnten gewonnenen neuen Resultate in e i n z e l n e n P u n k t e n , sowie das zur Verteidigung
der
taciteischen
Darstellung
des
Tiberius Vorgebrachte zu verzeichnen, und damit zugleich ein Bild des gegenwärtigen
Standes
der Tiberiusfrage zu geben, wesshalb ich mich auch dabei fast durchaus referierend verhalten habe; zugleich wird man aus ihnen aber auch ersehen, dass im w e s e n t l i c h e n nichts neues mehr vorgebracht noch auch die in der Abhandlung dargelegte Auffassung von
Tiberius
irgendwie stichhaltig widerlegt ist; das letztere um so weniger, als sich die unbedingten Verteidiger des Tacitus auf eine wissenschaftliche Begründung ihrer Ansichten selten
einlassen
und sich meist darauf beschränken, gegen die „pietätslose" Kritik zu eifern, die nun auch den unfehlbaren Tacitus „in den Staub zu ziehen" sich erkühne1). ') Vgl. Nippcrdey
a. u. a. O. S. 34 Anm. 1: „Es ist in
neuester Zelt Mode geworden (man möchte es eine Epidemie nennen, welche auch sehr tüchtige Forscher nicht verschont, bei andern in Masslosigkeit und Unverstand sich zum Delirium gesteigert hat), die Zuverlässigkeit und Gerechtigkeit des Taci-
VI Die Unmöglichkeit, in der Verarbeitung der ungemein ausgedehnten Tiberiuslitteratur unbedingte Vollständigkeit zu erreichen, werden Kundige leicht ermessen; indess hoffe ich, keine wirklich wesentliche Arbeit unberücksichtigt gelassen zu haben. Absichtlich ausgeschlossen blieb die von Gentile (a. u. a. O. S. 29 ff.) aufgezählte ältere, namentlich italienische Litteratur1), weil diese Schriften, was kritische Methode und Vollständigkeit anlangt, doch noch als verhältnismässig sehr unvollkommene Versuche zu bezeichnen sind. — Die Uebersetzung ist von Herrn Professor Ihne durchgesehen und dabei noch manche Aenderung im einzelnen vorgenommen worden, sodass dieselbe also dem englischen Original nicht mehr in allen Punkten g e n a u entspricht. Die Mehrzahl der unter dem Text angeführten Citate ist zur bequemeren Uebersicht von mir hinzugefügt worden. Zum Schlüsse sei hier noch Herrn Professor Ihne für die vielfache freundliche Unterstützung tus zu verdächtigen" — «in Beispiel unter vielen für die Art und Weise, in der man auf Seite der unbedingten Verehrer des Tacitus über das Streben nach kritischerer Behandlung der römischen Kaisergeschichte zu urteilen liebt. ') Den Titel der ersten in D e u t s c h l a n d erschienenen (freilich noch sehr unvollkommenen) „Rettung" des Tiberius teilt Schedlbaucr a. u. a. O. S. 3 Anm. 1 mit: Excmplum non speruettdi prineipis, Ti. Julius Caesar, Octaviani Augusti successor et ßlius adoptivus, regibus et princtpibus multis dignissimum, ex veterum auetorum monumentis produetum ab Erhardo Fabro. Diss. Altdorf 1646.
Vil bei der Arbeit, sowie den Gymnasialdirektionen, welche mir Programme ihrer Anstalten zur Benützung zu überlassen die Güte hatten, der gebührende Dank ausgesprochen. W . Schott.
Berichtigungen.
S.
3 Anm. 1 lies Lays statt Says. (Die angeführten V e r s e sind dem Gedicht „ Virginia" entnommen, ed. Tauchnitz, Lcipz. 1851, S. 161 ff.) ,, 10 Z. 2 v. u. lies Bildung statt Bilguttg. „ 12 „ 12 v. o. ,, um „ nur. „ 39 „ 4 v. o. „ sein ,, seinen. „ 49 Anm. Z. 9 v. o. lies beteiligt statt beleidigt. „ 53 Z. 12 v. u. lies indem statt in dem. „ 61 „ 13 v. u. ist nach sichern, einzuschalten als. „ 73 „ 13 v. u. ergänze der hinter mit. „ 73 „ 12 v. u. lies Fälle statt Falle. „ 84 Anm. 1 Z. 2 v. u. lies privatorum statt priratorum. „ 88 „ 1 „ 1 v. u. „ cohibebat „ cohibebet. „ 153 „ 1 „ 2 v. u. „ et „ ac. „ 159 Z. 3 v. u. lies 365 statt 366. „ 160 „ 10 v. o. ergänze hinter Berlin 1873: S. 30 J f . Daselbst Z. 6 v. u. hinter Altenburg 1866: S. 49 J f . „ „ 1 v. u. lies 1873 statt 1874. S. 166 Anm. 1 Z. 1 v. o. lies 124 statt 142. „ 179 Z. 15 v. o. lies 127 statt 117. „ 191 „ 7 v. u. „ 174 „ 175. „ 198 „ 8 v. u. „ des „ der. D u r c h ein Versehen wurden ferner in den Z u s ä t z e n die Nummern der Abschnitte von III. an verschoben, so dass auf S. 168 vor Absatz 1: III., für III. auf S. 170 IV., für IV. auf S. 172 V. einzusetzen ist u. s. f. Dementsprechend ist dann auf S. 179 Z. 4 v. u. XII. statt XI., auf S. 187 Z. 1 v. u. VII. statt VI. zu lesen.
I. Der Kaiser Tiberius Claudius Nero stammte väterlicher- und mütterlicherseits aus der Claudischen Familie 1 ), die in einem Volke, das sich durch unbeugsamen Hochmut und Stolz auszeichnete und alle die rauhen und harten, aber keine der sanften Tugenden unseres Geschlechts besass, ohne Zweifel das allerhochmütigste und stolzeste war und diese unliebenswürdigen Eigenschaften wie ein Erbstück vom Vater auf den Sohn übertrug. Wenn ein Claudius nach der Familiengruft am Fusse des Kapitols überführt wurde und seiner Bahre die lange Reihe Trauernder folgte, die nach der feierlich-ernsten, eindrucksvollen Sitte des römischen Volkes durch entsprechende Kleidung und Gesichtsmasken die adligen Ahnen des Hauses darstellten, dann mochte wohl das staunende V o l k unter den zahlreichen Dictatoren, Consuln, Censoren und Triumphatoren hindeuten auf die düstere Gestalt des mit seinem und der armen, unschuldigen Virginia Blut befleckten Decemvirs Appius Claudius 8 ); sie konnten ferner den blinden Appius ') T a c . A n n . V I , 51: utrimque
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(ci) origo gentis
Claudiac.
) Liv. III, 56 ff.
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bemerken, der einst mit echt römischem Trotz geraten hatte, den Friedensantrag des siegreichen Pyrrhus zurückzuweisen, bis er den Boden Italiens verlassen habe 1 ); und dann P. Claudius Pulcher, dessen hochfahrender Sinn nicht nur der Autorität menschlicher Gesetze, sondern auch Geboten der Götter trotzte. Sie mochten dann wohl ihren Kindern erzählen, wie dieser Mann, mit dem Oberbefehl über ein römisches Heer und eine Flotte betraut, mit furchtbaremVerlust geschlagen ward, weil er den Feind unter Verachtung der ungünstigen Vorzeichen angegriffen und zu dieser Uebertretung noch frivolen Spott gefügt hatte, indem er höhnend sagte: „Wenn die heiligen Hühner nicht fressen wollten, so müsse man sie ins Wasser werfen, vielleicht wollten sie lieber saufen!" 2 ) Und dieses Mannes Schwester war es, die, als ihr Wagen einmal in einer engen Strasse vom Gedränge aufgehalten ward, die gottlose Bitte an die Götter richtete, sie möchten doch ihren Bruder wieder ins Leben zurückrufen, damit er noch einmal eine Schlacht verliere und die Stadt von dem allzuzahlreichen Gesindel befreie s) E s gab im Claudischen Geschlecht allerdings grosse Staatsmänner und grosse Feldherren, aber keinen Mann, der etwas Liebenswürdiges, Freundliches in seinem Wesen >) Liv. 10, 13. •') Val. Max. I. 4, 3. 3 ) Suet. Tib. 2.
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gehabt, keinen, der sich mit der grossen Masse gut zu stellen gewusst, keinen, dem es gelungen wäre, sich die Zuneigung seiner niedriger stehenden Mitbürger zu gewinnen. Die strenge, schroffe Haltung aller dieser Männer entsprach dem für die Claudier sprichwörtlich gewordenen „finsteren, spöttischen Ausdruck," und mit einigem Recht konnten die Römer sagen: Hass Denn
auf nie
der Stirn, u-ar je
Spott ein
um den Mund kennzeichnen dies Geschlecht, Claudier volksfreundlich und gerecht.')
W a r das der Geist, der die Grundlage von Tiberius' Charakter bildete, so war seine Erziehung und das, was er um sich sah und hörte, nicht geeignet, ein von Natur hartes und düsteres Gemüt milder zu machen. Durch die zweite Heirat seiner Mutter ward er der Stiefsohn des Herrschers von Rom. Der Knabe war scharfsichtig genug, das ganze Schein- und Heuchelwesen des Augustus und die unaufhörlichen Intriguen seiner Mutter zu durchschauen. Unglücklicherweise hatte Augustus von Livia keine Kinder, dagegen von seiner ersten Frau, Scribonia, eine Tochter. Auf sie concentrirte sich alle Liebe des Vaters. Sie war mit Agrippa, dem Freund und treuesten Diener des Augustus verheiratet. Tiberius und sein Bruder Drusus wurden sichtlich vernachlässigt und ihnen alle ') Macaulay,
Says
of Ancient
Rome.
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Hoffnungen auf die Thronfolge genommen, besonders seitdem die Geburt von drei Söhnen der Julia die Fortdauer des kaiserlichen Hauses zu sichern schien. Allein ein böser Geist war thätig, die Hoffnungen der Julischen Famlie zu zerstören. Livia war entschlossen, ihre eigenen Söhne auf den Thron zu bringen. Sie scheute vor keinem Mittel zurück, das sie ihrem Ziele näher bringen konnte, und verzweifelte nie am Erfolg. Agrippa starb, und um dem Thron eine Stufe näher zu kommen, ward Tiberius gezwungen, sich von einem Weibe, das er liebte, zu scheiden, und die verworfene Julia zu heiraten, die er verabscheute. ') Nun begann für Tiberius eine Zeit der Demütigung, die ganz darnach angethan war, selbst das heiterste und freundlichste Gemüt zu finsterem Menschenhass zu stimmen. Augustus hatte ihn nie geliebt; seine ehrgeizige Gattin verachtete und hasste ihn dazu als einen Emporkömmling und Eindringling; ihre Söhne von Agrippa, als die nächsten Erben des Thrones von Augustus verhätschelt, geflissentlich emporgehoben und ausgezeichnet, vernachlässigten ihn, ihren Stiefvater, und beleidigten ihn ohne Scheu; seine Mutter Livia gebrauchte ihn bei ihren fortwährenden Ränken und Anschlägen nur als ein Werkzeug, durch das sie nach Augustus' Tod das Reich zu beherrschen hoffte. >) Suet. Tib. 7. Dio Cass. 54, 31, 2; 35, 4.
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So verliess er, von Unwillen und Verbitterung erfüllt, Rom, um auf der Insel Rhodus in Zurückgezogenheit zu leben, w o Litteratur, Philosophie, und vor allem seine geliebte Astrologie seine ausschliessliche Beschäftigung bildeten.') Bald war er nun in der Hauptstadt ganz vergessen; von allen missachtet und ohne Gefahr angegriffen, musste er selbst wahrnehmen, wie er immer mehr der Vergessenheit und völliger Verachtung anheim fiel; seine freiwillige Abwesenheit von Rom ward zu einer gezwungenen. Nun sehnte er sich nach Rückkehr, aber sie ward durch die strenge Zurückweisung von Seiten des Augustus unmöglich gemacht. 2 ) Erst nach Verlauf von sieben Jahren schenkte der Kaiser endlich den Bitten der Livia Gehör und gab dem Tiberius die Erlaubnis zur Rückkehr nach Rom. 3 ) Jetzt wurden seine Aussichten besser: seine beiden ältesten Stiefsöhne starben schnell nacheinander 4 ); seine Gattin hatte während seiner Abwesenheit das Kaiserliche Haus durch ihre stadtbekannten Aussweifungen so geschändet, dass Augustus, wenn auch blutenden Herzens, sich gezwungen sah, sie, sein einziges Kind, aus der Hauptstadt zu verbannen. 5 )
' ) Suet. Suet. 3 ) Suet. ' ) Suet. ' ) Suet. a)
Tib. 10 f. Dio Cass. 55, 9. 5. V e l l . Pat. II, 99. Tib. 11 a. E. Tib. 13 a. E. Dio Cass. 10a, 10. V e l l . Pat. II, 103, 1. Tib. 15. T a c . Ann. I, 3. Dio Cass. 55, 10a, 9 f. A u g . 65. Tib. 11. D i o Cass. 55, 10, 12 ff.
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Tiberius stand damals im besten Mannesalter; Augustus, aller Freunde seiner Jugend und aller derjenigen unter seinen eigenen Familiengliedern beraubt, auf deren Unterstützung er für die letzten Jahre seines Lebens gerechnet hatte, sah sich gezwungen, sich auf seinen Stiefsohn zu stützen, dessen Mut, Tact und Geschick sich oft trefflich bewährt hatten. Tiberius ward von Augustus adoptirt und mit einer Machtfülle ausgestattet, die keinen Zweifel mehr darüber übrig liess, dass er zum künftigen Träger des kaiserlichen Purpurs bestimmt sei.') Und die Massregeln, die zur Erreichung dieses Zieles ergriffen wurden, waren so wirksam, dass kein erblicher Prinz je geräuschloser und sicherer den Thron seines Vorgängers bestiegen hat, als Tiberius bei dem Tode des Augustus. E r hatte damals das reife Alter von 56 Jahren erreicht, also genau dasselbe, in welchem die ereignissvolle Laufbahn des ersten Caesar durch die Dolche der republikanischen Verschwörer abgeschnitten worden war. W ä r e Tiberius auch in diesem Alter gestorben, so würde das in der That ein ebenso grosses Unglück für die römische Welt gewesen sein, als die Jahre der Verirrung, der Anarchie und des Blutvergiessens, die der Ermordung Caesars folgten, aber sein Ruf wäre dann makellos geblieben; er wäre unter ') Suct. Aug.
15. Tib. 15 f. Vell. Pat. II, 103, 2.
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die Wohlthäter seines Volkes gerechnet und sein früher Tod als ein nationales Unglück beklagt worden. Nun aber ist er in der Geschichte gebrandmarkt als ein „verabscheutes und verabscheungswürdiges Ungeheuer" (Hume), weil er nicht glücklich genug war, zu sterben bevor er unumschränkte Macht in die Hand bekam. Die im menschlichen Herzen allezeit mächtige Neigung von andern schlecht zu denken und zu reden, war vielleicht niemals so stark als während der Periode des nationalen, sittlichen, politischen und religiösen Verfalls, in welcher die römische Kaiserherrschaft entstand. Sie wuchcrte unter dem Banne, der die Freiheit der Rede niederdrückte. Keine Handlung der Gewalthaber, kein Ereignis, dem man eine für sie ungünstige Deutung geben konnte, entging den Lästerzungen dieser entarteten Generation. Kein Verbrechen war so schwarz und so scheusslich, keine Unthat so grundlos und so wahnsinnig, keine Thorheit so absurd, dass man sich nicht in dieser Gesellschaft, aus der alle höheren Regungen unserer Natur verschwunden waren, begierig aufgegriffen, geglaubt und verbreitet hätte; einer Gesellschaft, die von Patriotismus, Selbstverleugnung, Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Reinheit des Lebens nur aus den Annalen ver gangener Tage etwas wusste, denen man kaum Glauben schenken mochte; einer Gesellschaft, die in epicureischer Selbstsucht, verworfendster
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Kriecherei und krassestem Aberglauben ganz versunken und verloren war. Wenn ein Mann in hervorragender Stellung unerwartet starb, ward sein Tod ohne Bedenken dem Dolch oder Gift zugeschrieben, selbst wenn nicht die leiseste Spur von Gewalt nachzuweisen war. Und diese argwöhnischen Vermutungen blieben nicht auf den Pöbel beschränkt. Anspielungen wenigstens und Andeutungen werden gemacht von den achtbarsten Geschichtschreibern jener Zeit. Nicht nur der frühe Tod des Marcellus, des Gaius und Lucius 1 ), der Adoptivsöhne des Augustus und mutmasslichen Erben seines Thrones, ward verdeckterweise der „verhängnisvollen Stiefmutter des Augusteischen Hauses" zur Last gelegt, sondern man glaubte sogar von Augustus selbst, obgleich er die äusserste Grenze des menschlichen Lebens und der Altersschwäche erreicht hatte, er sei zuletzt ihrer todbringenden List zum Opfer gefallen.8) Sicherlich konnte nichts ') T a c . Annal. I, 3. Ut .. L. Cacsarem .. (et) Gaium .. mors fato propera vel novercae Liviae dolus abstulit. — W a s Tiberius von Gaius Caesar hielt, können wir aus einer Stelle bei Vellerns sehen, II, 101, 1: C. Caesar tarn varie se gessit, ut nec laudaturum magna nec vituperaturum mediocris materia dcficiat. W i r müssen wohl annehmen, dass Vellerns den Sinn des Tiberius völlig kannte, und kein einziges W o r t schrieb, das seinem Herrn missfallen konnte. D a s bedingte Lob, das Vellerns dem Gaius Caesar erteilt, ist demnach eine getreue Wiedergabe der Gesinnung des Kaisers gegen denselben. Vgl. auch Vell. II, 103, 2. 2 ) T a c . Ann. I, 5. Et quidam scelus uxoris suspectabant• Dio Cass. 56, 30, 1.
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zweckloser sein, als einen sterbenden Mann zu töten. Die Thronfolge des Tiberius war eine unwiderrufliche Notwendigkeit; es war kein Mensch da, der sie ihm hätte streitig machen können. 1 ) Warum hätte Livia, nachdem sie geduldig so lange gewartet hatte, den Lauf der Natur durch ein so schauerliches Verbrechen zu beschleunigen wünschen sollen? Nur ein ganz unumstösslicher Beweis könnte uns veranlassen diesem lächerlichen Gerede Glauben zu schenken. Jedenfalls kann, falls wir hier wirklich ein Verbrechen vor u n s haben, Tiberius nicht in dasselbe verwickelt werden. Bei all den unaufhörlichen, fein gesponnenen Intriguen seiner Mutter, während deren ein Hindernis nach dem andern zwischen ihm und dem Thron beseitigt ward, scheint er nur ein passives Werkzeug in ihrer Hand gewesen zu sein.- Nicht um seinetwillen, sondern um ihren eigenen Ehrgeiz zu befriedigen, und unter dem Namen ihres Sohnes die Welt zu beherrschen, arbeitete die stolze Claudierin Jahr für Jahr mit der grössten Rücksichtslosigkeit und Ausdauer auf das eine Ziel hin, das sie schliesslich erreichte, Sie war zu unweiblich, um viel mütterliche Liebe für ihren Sohn zu hegen. Dementsprechend fehlte es ') Es ist vollkommen richtig, was Vellerns sagt (II, 103, 2) Nequc enim qttaerendits erat quem legerei (AugustusJ, sed legendus qui eminebat.
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natürlich auch Tiberius an kindlicher Zuneigung zu seiner Mutter. Ein herzliches, inniges Verhältnis zwischen ihnen gab es nie.') Stolz, wenn nicht höhere Motive, hielt Tiberius davon ab, mit Livia zu conspirieren. Handelt es sich hier wirklich um Verbrechen der Mutter, um ihrem Sohn die Nachfolge zu sichern, so ist es, so annehmbar dieselben auch für ihn in ihrem Ergebnis sein mochten, doch unwahrscheinlich, dass er die Hand dabei mit im Spiel gehabt habe. Möglicherweise müssen wir dieses Urteil auch auf eine That ausdehnen, die, so schändlich sie war, doch eine traurige Notwendigkeit geworden war, da nur zwischen ihr und einem grossen Unglück für den Staat die Wahl blieb. Der dritte von den Söhnen des Agrippa und der Julia, Agrippa Posthumus, war noch am Leben, und war von seinem Grossvater adoptiert worden. Zu diesem Schritt war Augustus mehr veranlasst worden durch seine natürliche Zuneigung zu seiner Familie, als durch die gebotene Rücksicht auf das Glück und die Wohlfahrt des Staates. Denn es scheint, dass der edel geborene, durch die Adoption seitens des Augustus zu einer so hohen Stellung emporgehobene junge Mann von Natur roh, übermütig und aller feineren ßilgung völlig baar war. Wie ein Gladiator nur mit seiner körperlichen Kraft ') Vgl. Suet Tib. 50 f.
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prahlend, legte er eine solche Rohheit an den Tag, dass Augustus sich genötigt sah, ihn von Rom nach der kleinen Insel Planasia zu verbannen, wo er unter militärischer Ueberwachung lebte, i) Agrippa hatte durch seine Abstammung von Julia, der Tochter des Augustus, offenbar näheren Anspruch auf den Thron als Tiberius. Ohne Zweifel wäre es ihm leicht gelungen, eine gefährliche Partei zu sammeln und eine Zeit lang die oberste Gewalt dem Tiberius streitig zu machen. Allein es ist auch ganz gewiss, dass dieser zuletzt doch den Sieg errungen hätte, und also die Schrecken des Bürgerkrieges umsonst heraufbeschworen worden wären. Es war daher ein Glück für Rom, dass Agrippa unmittelbar nach Augustus' Tod aus dem W e g e geräumt wurde. E r fiel unbemitleidet und ungerächt. Einige Leute vermuteten, dass Augustus selbst noch die blutigen Befehle erteilt habe; aber wahrscheinlicher ist es, dass Livia bei dieser bösen That die Hand im Spiele hatte; und es ist nicht anzunehmen, dass Tiberius eine Massregal missbilligt haben sollte, die ihn von einem, wenn auch noch so verächtlichen Nebenbuhler befreite. *) Die Scenen, die sich nun in Rom abspielten, häufen unauslöschliche Schande auf diese Aristo ') Tac. Ann. I, 3. Suot. Aug. 65. Vcll. Pat. 2, 112; 7. ') Tac. Ann. I, 6. Vcll. P a t . a. a. 0.
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cratie und dieses Volk, die einst so stolz und so eifersüchtig auf ihre Freiheit gewesen waren, und sie zeigen uns, wie hoffnungslos und unwiderbringlich die Tage der republicanischen Freiheit dahin waren. Consuln, Senatoren und Ritter, alle wetteiferten miteinander, knechtische Unterwürfigkeit gegen den neuen Herrscher an den Tag zu legen. •) Weder Rang, noch Adel, noch Reichtum vermochte eine unabhängige Stellung oder die Freiheit der Rede zu sichern; im Gegenteil, sie waren nur ein Grund mehr zu nur so grösserer Feigheit. Nicht nur Handlungen und Worte wurden genau darauf einstudiert, die Gunst des neuen Herrschers zu erringen, sondern sogar in den Mienen wurde ängstlich darauf geachtet, weder zu viel Freude noch zu viel Trauer an den Tag zu legen. Der Tod des Augustus schien die letztere zu erfordern, der Regierungsantritt des Tiberius die erstere, und zwischen dieser Scylla und Charybdis von widersprechenden Bewegungen, suchten sich diese verworfenen Heuchler mit grösster Beharrlichkeit hindurchzuwinden, um die Gunst eines Mannes zu gewinnen, den sie hassten und doch zugleich fürchteten. Bevor Tiberius die Annahme der durch den Tod des Augustus erledigten Machtfülle seiner>) Tac. Ann. I, 7 ff.
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seits anerkannte, wiederholte er eine Komödie, die vor ihm bereits sein Vorgänger in Scene gesetzt hatte. 1 ) E r stellte sich, als ob er Ruhe wünschte. „Wenigstens sollten," erklärte er, „Andere, Bessere zusammen mit ihm die Last der Regierung tragen, der er sich allein nicht gewachsen fühle." Keiner von denen, die diese nnredlichen Worte hörten, konnte sie anders verstehen als so, wie sie gemeint waren. Eine Furcht beherrschte nun alle, sie möchten vielleicht merken lassen, dass sie die wahren Gesinnungen des Kaisers wohl durchschauten. Sie flehten ihn desshalb unter Thränen und fussfälligen Bitten an. doch Mitleid mit ihnen zu haben, und das hilflose Reich nicht preiszugeben. *) Das waren in jener elenden Zeit die constitutionellen Formen, welche bei dem Regierungsantritt beobachtet werden mussten. Ehe wir den Tiberius wegen solcher Vorgänge, die ihn in unseren Augen soweit herabsetzen müssen, verurteilen, müssen wir die Umstände in Erwägung ziehen, in denen er sich befand. Der Wunsch, Gewalt über andere zu besitzen, ist eine so allgemeine Leidenschaft des menschlichen Herzens, dass sehr wenige, denen sich Gelegenheit bot, leicht dazu zu gelangen, der Versuchung widerstanden haben, darnach ') Suct. Aug. 28. Dio Cass. 53, 2 ff. ) T a c . Ann. I, 11 ff. Suet. Tib. 24. Dio Cass. 57, 2, 3 ff.
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2U greifen. Desshalb ist auch die Geschichte im allgemeinen in ihrem Urteil über Usurpatoren immer mild gewesen und hat nur diejenigen streng verdammt, welche entweder freie Verfassungen vernichtet oder in ihrem Kampf um die Herrschaft unschuldiges Blut vergossen haben, ohne durch höhere Motive als Selbstsucht oder Ehrgeiz getrieben zu sein. Im modernen Europa ist das Gesetz der Erbthronfolge') glücklicherweise so fest gegründet und so gut geregelt, dass eine strittige Thronfolge so ziemlich ausser dem Bereiche der Möglichkeit liegt; „der König stirbt nie." Allein es dauerte lange Zeit bis dieses Gesetz allgemein anerkannt wurde und durch die Sanktionierung von seiten civilisirter Völker die unverbrüchliche Geltung erhielt, die es jetzt besitzt. Die Annalen des Mittelalters bieten ein trauriges Bild dar von innerer Verwirrung, Blutvergiessen und nationalem Elend, verursacht durch den rücksichtslosen Ehrgeiz derer, die nach der Herrschaft trachteten. Um gerecht zu sein, dürfen wir Tiberius nicht mit den Königen aus dem Hause Stuart oder Hannover noch auch mit den Habsburgern oder den Hohen') Gibbon, Geschichte des allmählichen Verfalles des römischen Reiches, Cap. 7: D a s höhere V o r r e c h t der Geburt ist, wenn er von der Zeit und der öffentlichen Meinung sanktioniert wird, die einfachste und am wenigsten Hass und Neid erregende von allen Auszeichnungen unter den Menschen. Das anerkannte Recht vernichtet die Hoffnung der Partei, und das Bewusstsein der Sicherheit entwaffnet die Grausamkeit des Monarchen.
zollern vergleichen, sondern mit den Plantagenets, den Yorks und den Lancasters, und mit den deutschen Kaisern der Feudalperiode, die sich ihre Krone mit dem Schwert erobern und behaupten mussten. Verglichen mit diesen, ja auch mit andern, die, weniger befleckt mit dem Blut verruchter Mordthaten, von uns unter die grossen wenn nicht guten Fürsten gerechnet werden, wird immerhin der finstere Römer nicht in ungünstigem Licht erscheinen, selbst für den Fall, dass wirklich die Ermordung des Agrippa ihm zur Last gelegt werden müsste. Und unendlich höher muss er in unseren Augen dastehen als sein V o r g ä n g e r und Vorbild Augustus, höher auch als die Mehrzahl der orientalischen Despoten, der macedonischen Könige von Syrien und Aegypten, und höher als die verächtlichen Tyrannen, die in den griechischen Republiken die monarchische Gewalt an sich rissen. Das w a r e n die Vorgänger und Vorbilder, an denen sich seine sittlichen Grundsätze mit Hilfe einer entarteten Religion und einer wirkungslosen Philosophie allein hatten bilden können. Und wenn man nach einer Folie suchen sollte, von der sich die verhältnissmässige Reinheit des zweiten römischen Kaisers um so schärfer abhebt, so wird dieselbe in niederschlagender Fülle von einer langen Reihe verworfener Menschen geliefert, die durch Blut und Bürgerkrieg den Thron erreichten, den sie dann verunehrten,
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ohne Eigenschaften tüchtiger Herrscher aufweisen zu können. Wenn wir solche Vergleiche und Analogieen als Corrective für unser Urteil über Tiberius heranziehen, werden wir die Komödie nicht zu streng verurteilen, durch die er, der unbestrittene Herrscher, von dem sclavischen Senat den Schatten einer formellen Wahl zum Kaiser erlangte. Es haben in unserer eigenen Zeit Volksabstimmungen stattgefunden deren Ergebniss durch die Militärgewalt nicht weniger im voraus bestimmt war, als die Stimmen des römischen Senats; und Ceremonien, die nach jedem praktischen Gesichtspunkt hin gänzlich bedeutungslos und nebensächlich sind, werden in England durch die Achtung geheiligt, mit der man willig solche altehrwürdigen, wenn auch ganz leeren Formalitäten beibehält. II. W a r auch der Geist der Freiheit und jeder ernstliche Gedanke an Opposition aus dem römischen Senat gewichen, so zeigte es sich dagegen sehr bald, dass das Heer, die Quelle und das Werkzeug der kaiserlichen Macht, seine Bedeutung fühlte und das Recht beanspruchte, seinerseits, wenn auch nicht die Fortdauer des Despotismus selbst (denn der war unwiderruflich fest aufgerichtet), so doch wenigstens die Wahl des neuen Despoten zu bestätigen. Der reine Patriotismus der Bürger war dahin. Der feile
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Geist einer meuterischen Soldateska nahm hinfort die Funktionen der Ratsversammlung und des Forums für sich in Anspruch. Der Schwerpunkt im Staatsleben war seitdem nicht mehr die Bürgerschaft, sondern das Heer, und die Verschlechterung aller Motive und Gefühle in der neuen militärischen Organisation muss das Herz jedes treuen Patrioten mit Bekümmernis erfüllt haben. Die Legionen in Pannonien und am Rhein brachen bei der Nachricht vom Tod des Augustus in offenen Aufstand aus.») Was sie wollten, war indess nicht die Wiederherstellung der Freiheit oder der ruhmreichen Republik der Scipionen oder Catonen; sie ergriffen vielmehr nur die günstige Gelegenheit, höheren Sold und kürzere Dienstzeit zu verlangen, nnd als sie ihre Forderungen für den Augenblick durch die Bestürzung des Tiberius erreicht hatten, waren sie bereit, ihm bei der Durchführung seiner Aufgabe, der Organisation des kaiserlichen Despotismus, behilflich zu sein. Die Rheinischen Legionen bildeten damals das stärkste Heer des Reiches. Es waren acht an der Zahl, eine Macht von nicht weniger als 50,000 Mann, mit allen Kriegsbedürfnissen versehen, allezeit bereit auszurücken und die römischen Provinzen vor den gefürchteten Angriffen germanischer Völkerschaften zu schützen. Sie ') Tac. Ann. I, 16 ff. Vcll. Pat. II, 125.
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standen unter dem Oberbefehl des Germanicus, Sohnes des Drusus und Neffen des Tiberius, eines Mannes von grossen Fähigkeiten, von dem aber noch Grösseres erwartet wurde, des Lieblings des Heeres und des römischen Volkes; eines der Männer, deren Ruf gewonnen hat durch einen frühzeitigen Tod und durch den Contrast, in dem die Reinheit ihrer erhofften Regierung, wie man sich schmeichelte, zu der Härte und verhassten Strenge oder dem Unglück des Vorgängers stehen sollte. Die eitlen Hoffnungen der Unterdrückten sehen stets irgendwo einen Befreier von gegenwärtigen Uebeln und sind gern bereit, ihn mit allen den Eigenschaften auszustatten, die sie wünschen. Nimmt ihn der Tod hinweg, ehe er diese Erwartungen rechtfertigen kann, so erntet er auch noch den Ruhm, den man dem Gestorbenen grossmütig zuerkennt. Es ist nicht unsere Absicht, die wirklichen Verdienste des Germanicus zu verkleinern. Unsere Aufgabe ist, die Unhaltbarkeit der gegen Tiberius mehr oder minder offen erhobenen Anklage nachzuweisen, dass er seinen Tod verursacht habe, aber die historische Gerechtigkeit verlangt, dass alle mit gleichem Masse gemessen werden, und wir müssen dabei zu dem Schlüsse kommen, dass Germanicus in demselben Masse über Gebühr gepriesen worden ist, als man den Tiberius um seinen verdienten Ruhm verkürzt hat.
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Germanicus war der Sohn des Nero Claudius Drusus, des jüngeren Bruders des Tiberius, der an den Folgen eines Sturzes vom Pferde starb, als er an der Spitze eines Heeres in Deutschland stand.1) Auf diese Weise durch seine Geburt in die unmittelbare Nähe des Thrones gestellt, ward er von Augustus zu einer der Stützen der neuen Dynastie und der neuen Ordnung der Dinge ausersehen. Auf seinen Wunsch adoptierte Tiberius seinen Neffen, obgleich er einen eigenen Sohn hatte, der wenig jünger war als Germanicus. la ) Die ungetrübte Freundschaft zwischen diesen beiden jungen Männern, dem leiblichen und dem Adoptivsohn des Tiberius, ist einer der wenigen Lichtpunkte in dieser dunklen Periode der Geschichte, und sie kann sogar den Charakter des jungen Drusus, des Sohnes des Tiberius, von dem Makel befreien, der ihm infolge einer natürlichen Neigung zu Rohheit und Grausamkeit anzuhaften scheint. Wir können keine Spur von Eifersucht zwischen diesen zwei Prinzen entdecken, deren ganz gleicher Anspruch auf die Thronfolge leicht die schlechtesten Leidenschaften hätte erregen können.8) Germanicus ') Dio Cass. 55, 1. >») Tac. Ann. I, 3. Suct. Tib. 15. 52. Dio Cass. 55, 13. Veli. Pat. II, 103, 2. ') Tac. Ann. II, 43. Mttnze aus Asien mit der Aufschrift Apoùaoi repp.avtxà; Kaiaape; véot ftsol ) Tac. Ann. I, 69. ') Tac. Ann. I, 71.
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haushalt, und dem sein Freund und Schmeichler Vellerns kein grösseres Lob spenden kann, als das, dass er „Germanien beinahe zu einer tributpflichtigen Provinz gemacht und das Land nach allen Richtungen durchzogen habe, ohne an seinem Heere den geringsten Verlust zu erleiden, dessen Wohlfahrt ihm mehr als irgend einem anderen Feldherrn am Herzen lag". 1 ) Es ist nichts als Bosheit und Unwissenheit, was die einfältige Anschuldigung veranlasste, die uns der Klatschkrämer Sueton aufbewahrt hat, dass nämlich „Tiberius aus Feindseligkeit gegen Germanicus die grossen Thaten und ruhmreichen Siege des Germanicus herabgesetzt und sie als ganz nutzlos, ja schädlich für den Staat bezeichnet habe".*) Wir können leicht die schwierige Stellung des Tiberius verstehen und würdigen, der allezeit den wahren Stand der Dinge durchschauend, sich gezwungen sah, über die Unglücksfälle, welche den Staat trafen, einen Schleier zu ziehen und kriegerische Unfälle noch dadurch in ein günstiges Licht zu stellen, dass er den Feldherrn, der sie verursacht hatte, mit Ehren und Belohnungen auszeichnete. Hätte er jemals an der Loyalität des Germanicus gezweifelt, und hätte er gefürchtet, dass sein Neffe die Absicht hätte, in die Fusstapfen Caesars zu treten und in den Eroberungen einer sieg') Vell. Pat. II, 97 und II, 115. ") Suet. Tib. 52.
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reichen Armee den Grund zu seiner Herrschaft zu legen, so hätte diese Furcht jedenfalls durch das unrühmliche Ergebnis der Feldzüge in Germanien gänzlich aufgehoben werden müssen. Seine Besorgnisse waren ganz andrer Art: sie waren die eines Fürsten um Staat und Volk, nicht die eines Usurpators um Thron und Leben. Daher sein Wunsch, dass Germanicus zurückkehren solle, und sein Bedauern darüber, dass dieser sich von seiner erfolglosen und gefährlichen Bahn nicht abbringen lassen wollte. Germanicus' dritter Feldzug1) zeigt im ganzen denselben Verlauf wie der zweite. Dieselben riesenhaften Anstrengungen, dieselben schwierigen Märsche, eine grosse Schlacht, die als ein Sieg dargestellt wird, aber den unmittelbaren Rückzug zur Folge hat; dieselben Gefahren und Verluste zu Land, aber ein noch viel schrecklicheres Unglück zur See, das, selbst in der Darstellung des Tacitus, 8 ) geeignet ist, den Leser mit Schrecken und Mitleid zu erfüllen. Nun konnte auch Germanicus auf die Dauer dem Drängen des Kaisers, zurückzukehren und die Germanen ihren inneren Zwistigkeiten zu überlassen, nicht länger widerstehen. Ein glänzender Triumph, den er in Rom wegen seiner „Siege" in Germanien feiern durfte, war ') Tac. Ann. II, 6 ff. ') Tac. Ann. II, 23 ff.
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zwar in Wirklichkeit nur eine Komödie, um das Volk über die Erfolge des Krieges zu täuschen, bewies aber doch deutlich, dass Tiberius sich nicht davor fürchtete, seines Neffen Popularität zu heben. Dass es im Gegentheil sein Wunsch war, sie zu erhöhen, zeigte er dadurch, dass er in seiner gewöhnlichen Sparsamkeit einmal nachliess und ein reichliches Geschenk in seines Neffen Namen unter das Volk verteilen Hess.1) IV. Der Rest der kurzen Laufbahn des Germanicus ist schnell erzählt. Er erhält den ehrenvollen Auftrag,*) die verwirrten Verhältnisse im Osten zu ordnen, einen Auftrag, ähnlich dem, mit welchem Agrippa, C. Caesar und Tiberius selbst 23 ) nacheinander nach dem Orient entsandt worden waren. Zu diesem Zwecke ward er mit der höchsten Civil- und Militärgewalt ausgerüstet und alle Provinzialstatthalter wurden seinem Oberbefehl unterstellt. 3 ) Es gelang ihm zunächst, einen König auf den Thron von Armenien einzusetzen; sodann erneuerte er das Bündnis mit den Parthern, organisierte Cappadocien und Commogene als römische Provinzen und brachte die unzufriedenen Teile von Syrien ') Tac. Ann. II, 41. 42 a. A. ') Vgl. Vell. Pat. II, 129, 3: quanto manicum suutn in transmarinas misil Vell. Pat. II, 94, 2. J ) Tac. Ann. II, 43.
cum hottore provincias ?
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zur Ruhe.1) Hierauf besuchte er Aegypten, wohin ihn ein lobenswertes Interesse zog, dieses Land der Geheimnisse und Wunder zu sehen.1) Nach Syrien zurückgekehrt, ward er von einer schleichenden Krankheit ergriffen und starb zu Antiochia im Alter von 34 Jahren.») Der frühzeitige Tod eines hoffnungsvollen jungen Mannes, der, wenn er gewollt hätte, leicht einmal ein gefahrlicher Nebenbuhler für Tiberius hätte werden können, war wohl geeignet, den schlimmsten Verdacht von Ränken und Mord hervorzurufen. Dieser Verdacht blieb nicht auf die Masse des Volkes beschränkt. Die ansehnlichsten Geschichtsschreiber der folgenden Zeit haben ihn geteilt, und obgleich ihre Behauptungen sich nur auf vage Voraussetzungen und unhaltbare Beweise stützen, sodass sie nicht einmal die Thatsache eines gewaltsamen Todes des Germanicus mit Sicherheit zu erweisen im Stande sind, so haben sie es doch dahin gebracht, dass die Nachwelt den bestimmten Eindruck bekam, der Kaiser Tiberius habe nicht nur an dem Tod seines Neffen ein entschiedenes Interesse gehabt, sondern sei sogar selbst an demselben Schuld. Wäre dieser Eindruck gerechtfertigt, so würde in der That Tiberius verdienen, als ein „verabscheuungswürdiges und allgemein verabscheutes •) Tac. Ann. II, 53 ff. ') Tac. Ann. U, 59 ff. ') Tac. Ann. II, 69 ff.
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Ungeheuer" gebrandmarkt zu werden; dann könnten alle seine Feldherrngaben, alle seine Umsicht und Fürsorge für die Wohlfahrt Italiens und der Provinzen, seine Sparsamkeit und seinen Edelmut, kurz alle seine Herrschertugenden ihn nicht von dem Fluche der ganzen Menschheit befreien. Wenn wir dagegen zu dem Schluss kommen, dass diese Anklage hinfällig ist, werden wir zögern und zuerst genau nachforschen, ehe wir all die andern Anschuldigungen glauben, die man so überreichlich gegen ihn vorgebracht hat. E s scheint fast, als habe man es in Rom als etwas ganz Natürliches und absolut Notwendiges, als eine unausbleibliche Folge der Geburt und Stellung des Germanicus angesehen, dass er seinem Oheim gefährlich werden würde, und dass dieser ihn daher hassen m i i s s t e . Nichts scheint im stände gewesen zu sein, diese Annahme zu entkräften, weder die Loyalität, die Germanicus während des Aufstandes der rheinischen Legionen an den T a g gelegt hatte, noch auch die Ehren, die Tiberius in so reichem Masse auf ihn häufte. Ein Geschlecht, aus dem alle Loyalität und aller Edelmut gewichen war, konnte bei niemanden andre Motive annehmen als die allerschlechtesten. Da wir eine andere Ansicht von der mensch liehen Natur und von der Stellung des Kaisers Tiberius haben, so sind wir genötigt, die meisten
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seiner Handlungen auf andere Motive zurückzuführen, und ihn gegen die rein böswilligen und willkürlichen Anschuldigungen zu verteidigen. — Wir haben bereits gesehen, dass der Oberbefehl über die acht rheinischen Legionen nicht länger in den Händen des Germanicus bleiben konnte, ohne die Sicherheit der Rheingrenze zu gefährden und die Ehre und Würde des ganzen Reiches aufs Spiel zu setzen. In der That war es dem Germanicus zu lang gestattet gewesen, sich der Hoffnung auf kriegerischen Ruhm hinzugeben und grosse Verluste waren die Folge davon gewesen. Seine Abberufung war auf die Dauer unvermeidlich geworden, und obgleich sie für Germanicus ohne Zweifel sehr schmerzlich war und sein stolzes Weib sich durch sie tötlich gekränkt fühlte, so konnte er sich doch über diese Massregel nicht beschweren, und noch weniger über die Art und Weise, in der sie von Tiberius ausgeführt wurde. Erwartete ihn doch zu Rom ein glänzender Triumph und ein äusserst ehrenvolles Amt im Osten. Nicht ohne Schmerz und Bedauern lesen wir bei Tacitus die Worte, wodurch er, ohne selbst eine offene Anklage auszusprechen, doch die schlimmsten Vermutungen andeutet. Er s a g t : „Tiberius habe die Unruhen im Osten nicht ungerne ausbrechen sehen, denn sie hätten ihm die günstige Gelegenheit verschafft, den Germanicus unter einem
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guten Vorwand von den ihm ergebenen Legionen zu entfernen und ihn nach neuen Provinzen zu senden, um ihn dort Ränken und Unglücksfallen aussetzen zu können." 1 ) Das geht denn doch zu weit. Intriguen und Unglücksfalle hätten sicherlich das Ihrige im Norden ebenso gut thun können wie im Osten. W ä r e Mord die Absicht des Tiberius gewesen, er hätte den Mörder in Germanien ebenso willig gefunden als in Syrien, und Gift oder Dolch dort ebenso tötlich als hier; hätte er, feiger aber nicht weniger verräterisch, Germanicus im Kriege umkommen zu sehen gewünscht, so hätte dafür sicherlich das kriegerische Germanien mehr Aussicht geboten als die verweichlichten Völker des Ostens; in Germanien war j a Varus mit seiner ganzen Armee vernichtet worden; in Germanien hatte des Germanicus eigenen Vater Drusus ein frühzeitiger Tod ereilt, und Germanicus selbst war mehr als einmal in der drohendsten Lebensgefahr gewesen. E s ist deshalb ebenso unedel wie widersinnig, seiner Entsendung nach dem Osten die heimtückischen Motive unterzuschieben, wie sie Tacitus andeutet. Gleichzeitig mit der Einsetzung des Germanicus in die oberste Gewalt über alle römischen Streitkräfte und Provinzen in Asien wurde Cn. Piso als Statthalter nach Syrien, der wichtigsten ') Tac. Ann. II, 5. ) Tac. Ann. II, 43.
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der östlichen Besitzungen Roms, ausgesandt. Piso war ein Mann von hochmütigem und herrischem Sinn, jedenfalls ein unliebenswürdiger und schwer zu behandelnder Amtsgenosse und ohne Zweifel für diesen Posten ausersehen, um die ungezügelte Leidenschaft des Germanicus für Kriegsruhm, durch welche die Interessen des Reiches zu Schaden kommen konnten, zu mässigen und in Schranken zu halten. Er fand bald eine Gelegenheit, dem Uebereifer des Germanicus entgegenzutreten. Er weigerte sich, auf die Weisung des Germanicus die syrischen Legionen nach Armenien zu senden, weil sie, wie der Erfolg zeigte, dort nicht nötig waren: das Land ward nämlich ohne das Eingreifen einer militärischen Macht zum Frieden gebracht und erhielt einen König von Germanicus.') Nichtsdestoweniger muss Germanicus durch die Weigerung des Piso, ihn in seinen Plänen zu unterstützen, sich stark gekränkt gefühlt haben. Gut mit einander auskommen konnten die beiden Feldherren ganz unmöglich; aber zur offenen Feindschaft gesteigert wurden ihre Misshelligkeiten erst durch den Hass ihrer Frauen. War Germanicus ein edler, grossmütiger, sanftmütiger Mann, so erfüllten seine Gattin Agrippina jene stolzen Leidenschaften, die aus einem grossen Menschen einen gefährlichen machen. ') Tac. Ann. II, 55. 56.
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Sie betrachtete sich als einzige Vertreterin der wahren Nachkommenschaft des Augustus; Tiberius war in ihren Augen ein Eindringling; sie hasste die Livia, und ward dafür von ihr ebenso glühend gehasst. Plancina, Pisos Gattin, eine Frau von derselben Gemütsart, stand in der Gunst der Livia, und es ist ganz gut möglich, dass sie deren ausdrücklichen Befehlen oder wenigstens geheimen Wünschen folgte, wenn sie die Agrippina auf jede nur mögliche W e i s e zu kränken und zu demütigen suchte. A b e r alles, was von den durch die Feindseligkeit dieser beiden Frauen verursachten Zänkereien und gegenseitigen Kränkungen erzählt wird, dient zur Widerlegung der damals herrschenden Ansicht, dass Plancina oder Piso an Germanicus Tode schuldig seien, und dass sie bei der Ausführung ihrer That nur die geheimen Befehle des Tiberius oder der Livia ausführten. Denn hätte die alte listige Livia wirklich — aus Gründen, die zu entdecken wir gänzlich ausser Stande sind — den Wunsch gehabt, ihren eigenen Enkel schnell sterben zu sehen, würde sie wohl so thöricht gewesen sein, zu ihrem Helfershelfer einen erklärten Feind ihres Opfers zu wählen? W i r d Gilft als das Mittel des Mordes angewendet, so wird es im Freundeskelch gereicht an der gastlichen Tafel oder am Altar unter den Gelübden ewiger Liebe und Freundschaft. Der gedungene Mörder ruft nicht die Feindschaft
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seines Opfers hervor, sondern sucht sich in sein Vertrauen einzuschmeicheln. Der prüfende Historiker wird sich desshalb bedenken, ehe er in den Entrüstungsschrei der grossen Menge mit einstimmt, die immer schnell mit dem Verdammen fertig ist, ehe sie überzeugende Beweise gehört hat. Wir werden den Nachweis verlangen dafür, erstens, dass Germanicus wirklich an Gift starb; zweitens, dass dasselbe von Piso oder Plancina gereicht wurde; und drittens, dass es auf Befehl des Tiberius geschah. Wie der Fall liegt, erledigt er sich schon mit dem ersten Punkte unserer Untersuchung. E s ist nicht der geringste Beweis dafür vorhanden, dass Germanicus' Tod durch Vergiftung herbeigeführt wurde. Bei dem Process gegen Piso und Plancina, der vor dem römischen Senat geführt wurde, ward als Beweis angeführt, dass in dem von Germanicus bewohnten Hause unter dem Fussboden und verborgen in der Mauer Stücke von menschlichen Gebeinen und Bleiplättchen mit der Aufschrift des Namens „Germanicus" und einiger Zauberformeln aufgefunden worden seien, denen der Aberglaube jener Zeit übernatürliche Gewalt über Leben und Tod beimass.') Sollen wir uns mit solchen Beweisen zufrieden geben, die selbst von einem Gerichtshof von Männern, die von einer gewissen Neigung ') Tac. Ann. II, 69. Dio Cass. 57, 18, 9.
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zu ähnlichem Aberglauben nicht frei waren, mit dem verdienten Spott zurückgewiesen wurden ? — Der Leichnam des Germanicus wurde in Antiochien öffentlich ausgestellt. 1 ) Sueton erzählt, es sei Uber den ganzen Körper eine bläuliche Farbe ausgebreitet gewesen, und Schaum sei aus dem Munde geflossen, und erklärt dies für sichere Anzeichen dafür, dass der Tod durch Vergiftung herbeigeführt gewesen sei. 8 ) Tacitus, etwas vorsichtiger in seinen Behauptungen, erkennt an, dass es gar nicht sicher ausgemacht sei, ob solche Anzeichen überhaupt wirklich vorhanden gewesen seien. Vorausgesetzt also auch, dass die Erzählung Suetons richtig wäre, so würde es doch noch unmöglich sein zu sagen, wodurch die berichteten Erscheinungen verursacht waren. Die Leichtgläubigkeit der Zeit war, wie es scheint bereit, alles, auch das widersinnigste, für baare Münze zu nehmen. So wurde beim Processe des Piso von einem der Ankläger ausgesagt, bei der feierlichen Verbrennung der Leiche des Germanicus sei das Herz vom Feuer unversehrt geblieben, und das war ein sicherer Beweis, dass er an Gift gestorben w a r ! s ) ' ) Tac. Ann. II. 7& Suet. Calig. 1. 3 ) Plinius, der uns dies berichtet, verhält sich sehr skeptisch dagegen und bemerkt, dass die A r t der Krankheit des Germanicus zu Gunsten Pisos gesprochen habe. N. H. U, 187 (71): iVcga/nc (cremori posse cor) et (in) veueno interemptis. Certe exstat oratio Vitelli qua reum Pisonem eins sceleris
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In Ermangelung aller medicinischen Beweise dafür, dass der Tod des Germanicus ein gewaltsamer und nicht durch natürliche Ursachen herbeigeführter gewesen ist, haben wir die näheren Umstände desselben und namentlich das Betragen derer ins A u g e zu fassen, die man als die Mörder im Verdacht hatte. Cn. Piso war, wie wir gesehen haben, ein persönlicher Gegner des Germanicus. Er trat ihm in den W e g und kränkte ihn bei jeder Gelegenheit. Soll sich dieses Benehmen, wie allgemein angenommen wird, aus geheimen Weisungen des Tiberius erklären, so genügt diese Annahme jedenfalls nicht vollständig, um seine spätere Handlungsweise zu erklären, die vielmehr zu beweisen scheint, dass er auf eigene Verantwortung und gegen die Wünsche des Tiberius handelte. A l s ihm Germanicus befahl, die Provinz Syrien zu verlassen, schob er seine Abreise nach Italien auf, bis er die Nachricht von dem Tode seines Feindes erhielt. Hierauf kam er plötzlich zurück und versuchte durch Waffengewalt sich wieder in den Besitz seiner Provinz zu setzen. A l s ihm dies nicht gelang, kehrte er nach Rom zurück, wo ein Process wegen Mordes des Germanicus und wegen hochverräterischen Versuches, gegen die coarguit hoc usus argumento palamque testatus non potuisse ob venenum cor Germanici Caesaris cremori ; contra genere morbi de/ensus est Piso. ') Tac. Ann. II, 70. 75 ff.
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gesetzliche Obergewalt die Waffen zu erheben, gegen ihn eingeleitet wurde. Der Process scheint mit grosser Unparteilichkeit geführt worden zu sein. Tiberius brachte ihn nach den einleitenden Voruntersuchungen vor den höchsten Gerichtshof des Reiches, und enthielt sich dann strengstens aller Einmischung. Die Anklage auf Mord konnte nicht aufrecht erhalten werden 8 ) und scheint als hinfällig und unbegründet anerkannt worden zu sein; aber die Anklage auf Erregung eines Bürgerkrieges nahm ein so bedrohliches Aussehen an, 8 ) und Piso sah sich vom Kaiser so unerbittlich der Entscheidung der Gesetze überlassen, dass er der Verurteilung, die er sicher erwartete, durch freiwilligen Tod zuvorkam. Die Haltung des Tiberius während dieses Processes war eine höchst würdige. Die Rede, welche er bei dieser Gelegenheit vor dem Senat hielt, kann niemand, der von Vorurteilen ganz frei ist, lesen, ohne die Ueberzeugung zu gewinnen, dass seine Hände von Blut rein waren. *) ') Tac. Ann. (II, 79) III, 8 ff. ) Tac. Ann. III, 14: Solum vettetti crimcn Visus est diluisse. ') Tac. Ann. III, 15. III, 14: Sed iudices ob diversa implacabiles erant, Caesar ob bellum provinciae illatum .... ') Tac. Ann. III, 12: „Am Tage der Verhandlung im Senat hielt der Kaiser eine Rede von wohlbercchneter Abgemessenheit. „„Piso,"" sagte er, „„war meines Vaters Legat und Freund, und ist von mir auf Anregung des Senats hin dem Germanicus zur Unterstützung bei Ordnung der Angelegena
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Der Zweck dieser seiner Rede war der, eine strenge Untersuchung und ein gerechtes Urteil zu veranlassen. Und die Haltung des Kaisers strafte seine Worte nicht Lügen. Er hielt sich von den Verhandlungen gänzlich fern, und liess der Gerechtigkeit völlig freien Lauf. Hätte er Piso zu retten gewünscht, so hätte 6in Wort oder ¿ine Andeutung, ja nur ¿in Wink dazu genügt; hätte er ihn mit 6inem Schlage zu vernichten und mit seinem Tode alle etwa möglichen Beweise seiner eigenen Schuld zu beseitigen gewünscht, so würde das für ihn ebenso heiten im Osten beigegeben worden. Man muss nun völlig unparteiisch untersuchen, ob er dort n u r durch Beschimpfungen und Reibereien den jungen Mann erbittert und sich über seinen Tod g e f r e u t , oder denselben durch ein Verbrechen seinerseits herbeigeführt hat. Denn wenn er als Legat die Grenzen seines A m t s überschritten und sich des Ungehorsams gegen den Oberfeldherrn schuldig g e m a c h t und sich über seinen Tod und den Schmerz, den derselbe mir bereitet, gefreut hat, so will ich ihn hassen und ihm mein H a u s verbieten, aber mich f ü r persönliche K r ä n k u n g e n nicht d u r c h die mir als F ü r s t zu Gebote stehende Gewalt rächnn. W i r d aber hierbei ein Verbrechen entdeckt, für welches der niedrigste Bürger bestraft werden muss, so ists an Euch, den Kindern des Gcrmanicus und mir, seinem Vater, den gebührenden Trost zu schaffen. Und dann untersucht genau, ob Piso in dem ihm unterstellten Heer den Samen des A u f r u h r s und der E m p ö r u n g gesät, ob er in unwürdiger Weise n a c h der Gunst und Zuneigung seiner Soldaten gehascht, ob er mit W a f f e n g e w a l t seine Provinz wieder zu gewinnen gesucht hat, oder ob die A n k l ä g e r darin eine falsche und übertriebene D a r s t e l l u n g gegeben h a b e n ; wie ich denn ü b e r h a u p t mit ihrem übermässigen Eifer, wie ich glaube mit Recht, sehr unzufrieden bin. Denn wozu sollte es dienen, seinen L e i c h n a m auszustellen und ihn den neugierigen Blicken der Menge zur Schau zu überlassen, und in aller Welt, auch in der äussersten Ferne, zu verbreiten, er sei vergiftet worden,
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im weiteren nun imstande sein, festeren Boden zu fassen, und uns Uber Tiberius' Motive, über seinen Charakter, seine Worte und Handlungen unsere eigene Meinung zu bilden, ohne uns von den Ansichten seiner Zeitgenossen zu sehr bestimmen zu lassen, deren Bosheit und Abneigung gegen den Kaiser der Darstellung des Tacitus und anderer älterer Schriftsteller eine falsche Färbung gegeben hat. Wir werden im weiteren Verlauf der Untersuchung in der Darstellung der Thatsachen auf dieselben Quellen zurückzugehen haben, aber die Beurteilung behalten wir uns selbst vor. — V.
Durch den Tod des Germanicus sah sich Tiberius einer starken Stütze, und die neue Regierungsform eines grossen Teils ihrer Aussichten auf Fortdauer beraubt. Tiberius war, ebenso wie Augustus, ängstlich darauf bedacht, Glieder seiner eigenen Familie um sich zu sammeln, und für sein Haus und seine Regierung die Stetigkeit zu gewinnen, die im modernen Europa durch die lange Dauer der Erbfolge gesichert ist. Es ist die natürlichste und nötigste Vorsichtsmassregel, die der Gründer einer neuen Dynastie und eines neuen Regierungssystems treffen kann, sich unter seinen Verwandten nach Stützen umzusehen und sie zur Teilnahme am Regimeuj
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heranzuziehen. Solche Erwägungen waren es, die Napoleon I. bestimmten, die Fehler, ja das Widerstreben seiner Brüder zu Ubersehen und seinem abenteuerlichen Schwager und seinem ihm unbedingt ergebenen Stiefsohn Königreiche zu verleihen. Tiberius wusste sehr wohl, dass er für seine Person nichts zu fürchten hatte; dazu hielt er die Zügel der Regierung in zu fester Hand. Er verachtete die römische Aristocratie zu sehr, als dass er sie hätte fürchten sollen. Aber um der Wiederholung der furchtbaren Bürgerkriege vorzubeugen und um die Fortdauer einer Regierungsform, die für Rom eine unvermeidliche Notwendigkeit geworden war, sicher zu stellen, brauchte er Leute mit fähigem Kopf und festem Sinn, die jünger waren als er selbst. Es ist sehr möglich, dass er einen solchen Mann in seinem Neffen Germanicus gefunden zu haben glaubte, und seinem Charakter nach würde er ihn höchstwahrscheinlich als Nachfolger seinem eigenen Sohn vorgezogen haben, wenn es möglich gewesen wäre. Für den letzteren scheint er nicht viel Vaterliebe gehabt zu haben, teils weil er überhaupt kein Herz hatte, in dem zärtliche Liebe Platz gefunden hätte 1 ), teils weil Drusus eine Rohheit des Gefühles und eine hitzige, heftige Gemütsart an ') E s m u s s indess doch darauf hingewiesen werden, d a s s Tiberius in f r ü h e r e r Zeit w o h l im stände w a r zärtlich zu lieben, z. B. seine erste Gattin Vipsania, wie Suet. Tib. 7 zeigt.
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den T a g legte, die ganz geeignet war, Tiberius' Widerwillen zu erregen und ihn mit den schwersten Besorgnissen für die Zukunft zu erfüllen.') Ich bin desshalb weit entfernt, mich der Meinung anzuschliessen, dass sich Tiberius vor seinem Neffen gefürchtet und seinen Tod gewünscht habe; ich bin vielmehr der Meinung, dass er seinen Verlust als einen schweren Schlag empfand und ihn aufrichtig betrauerte. Doch zeigte er seinen Gram nicht in jenen äusserlichen Formen der Betrübnis, die im allgemeinen als Masstab für die Gefühle des Herzens angenommen werden: er nahm nicht teil an der Leichenfeier, und kürzte absichtlich die Tage der öffentlichen Trauer ab. 2 ) Aber er war von Natur allen Gefühlsäusserungen feind, und wer wird ihm desshalb ernstlich Gleichgiltigkeit beim Verluste seines Neffen vorwerfen wollen, da er doch beim Tod seines eigenen Sohnes dieselbe Mässigung in seinem Schmerz an den Tag legte ? 3) Als sich Tiberius so des Beistandes und der Unterstützung eines nahen Verwandten von bedeutenden, zu grossen Hoffnungen berechtigenden Fähigkeiten beraubt sah und zugleich bemerken musste, dass sein eigener Sohn Drusus die wesentlichen Eigenschaften eines Herrschers ') Tac. Ann. I, 29. IV, 3. Dio Cass. 57, 13, 1. 14, 9. Suet. Tib. 52. ') Tac. Ann. III, 3 ff. Sen. consol. ad Marc. (Dial. VI), 15, 3. ') Tac. Ann. VI, 12. 13. Sen. a. a. 0.
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nicht besass, schloss er sich mehr und mehr an einen Mann an, dessen Verworfenheit, schlau versteckt unter der betrügerischen Maske der Mässigung, der Tugend, des Eifers und der ergebenen Anhänglichkeit an das Kaiserliche Haus, eben für dieses Haus, wie für das ganze Gemeinwesen ein furchtbarer Fluch wTurde. Es war dies L. Aelius Seianus, ein Mann glühend von grenzenlosem Ehrgeiz, begabt mit persönlichem Mut, hohen politischen und militärischen Fähigkeiten und einem zur Ertragung der grössten Beschwerden und Strapazen fähigen Körper.') Tiberius fand ihn bei seinem Regie rungsantritt im Besitze eines Amtes von höchster Wichtigkeit, nämlich im Commando der Praetorianer-Garden, und übergab ihm einen sehr verantwortungsvollen schwierigen Auftrag, in dem er ihn als Begleiter und Ratgeber mit seinem Sohn Drusus nach Pannonien sandte, um den Aufstand der dortigen Legionen zu dämpfen.*) E r gab sich der Hoffnung hin, in ihm einen Agrippa gefunden zu haben, und war bereit, dem Beispiel des Augustus folgend, sich der Anhänglichkeit und Treue seines Dieners durch eine Verbindung mit der kaiserlichen Familie zu versichern. E r verlobte desshalb eine Tochter des Seianus mit einem Prinzen seines Hauses, einem Sohn des Claudius, des Bruders des ') Tac. Ann. IV, 1 ff. Dio Cass. 57, 19, 5 ff. ') Tac. Ann. I, 24ff.
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Germanicus.') Aber wenn er glaubte, dass diese Auszeichnung genügen würde, um den Ehrgeiz des Sejanus zu befriedigen, so sollte er sich bitter getäuscht finden. Dieser verwegene und verworfene Mensch plante von Anfang an nichts Geringeres als die Vernichtung des ganzen Hauses der Caesaren und die Gewinnung des kaiserlichen Purpurs für sich. Dass es ihm gelang, den wachsamen Tiberius zu täuschen und seine blutigen Pläne fast bis zu ihrer Verwirklichung zu fördern, ist eine der ausserordentlichsten Erscheinungen dieser ausserordentlichen Zeit. Tiberius scheint fast durch übernatürliche Kräfte verblendet gewesen zu sein. E r , der sonst keinem einzigen Menschen ganz traute, hatte ein unbegrenztes Zutrauen zu diesem Erzheuchler und Verräter. Es wäre nicht zu ver< wundern, wenn diese Täuschung eine Folge des Aberglaubens des Kaisers war, und wenn er glaubte, dass ihm die Sterne, denen er Glauben schenkte, in Seianus seinen treuesten Freund offenbarten. 8 ) Es ist in der That verzeihlich, wenn er diesen Glauben durch eine Begebenheit auf übernatürliche Weise gerechtfertigt zu sehen wähnte, die sich bei einem seiner Ausflüge nach Campanien ereignete. Eine Grotte, in der der Kaiser mit seinem Gefolge gerade speiste, stürzte ein, und Tiberius ward vor den fallenden Fels') T a c . Ann. III, 29. Suet Claud. 37. Dio Cass. 58, 11, 5. ) V g l . T a c . Ann. VI, 20. f. Suet. Tib. 69.
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— 55 — stücken durch die Geistesgegenwart und Hingebung Sejans geschützt, der ihn mit seinem eigenen Leibe deckte und so rettete. >) Das erste Verbrechen des Seianus lässt uns in einen solchen Sumpf von Verderbnis, Schändlichkeit und Verworfenheit blicken, dass es uns nicht leicht wird, uns auch nur mit dem Gedanken an seine Möglichkeit vertraut zu machen. Drusus, des Kaisers Sohn, war das erste und hauptsächlichste Hindernis, welches Seianus auf seinem krummen Weg zum Thron zu überwinden hatte, und musste deshalb beseitigt werden. Er war verheirathet mit Livilla, einer Schwester des Germanicus. Dieses verworfene Weib, eine kaiserliche Prinzessin, die Gattin des nächsten Thronerben und Mutter mehrerer Kinder, erniedrigte sich zu der Schande eines ehebrecherischen Verhältnisses mit Sejan, und plante nun mit ihrem Buhlen die Ermordung ihres ahnungslosen Gatten. Und so geheim und geschickt führten die beiden diese Greuelthat aus, dass auch nicht der leiseste Schatten von Verdacht auf sie fallen konnte, 2 ) und dass erst acht Jahre nachher die Welt mit Schrecken und Abscheu es vernahm, und zwar durch die Aussagen der sterbenden Apicata, des unglücklichen Weibes, von dem sich Sejan hatte scheiden lassen, um sich der Livilla gefällig zu erweisen und sich ') Tac. Ann. IV, 59. Suet. Tib. 39. ) Tac. Ann. IV, 3 ff. Dio Cass. 37, 22, 1 lt. Suct. Tib. 62.
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in den Stand zu setzen, sie nach dem Tode des Drusus zu heiraten.') Um dies letztere zu erreichen, bedurfte er indess der Einwilligung des Kaisers. Sejan besass die Keckheit, bei ihm um die Hand der Wittwe seines Opfers anzuhalten. Dieses Zeichen der Gunst wurde ihm allerdings abgeschlagen; aber die Abweisung war in so huldvolle Worte gekleidet, dass es offenbar ist, der Kaiser war durch Sejans Bitte nicht verletzt und wollte ihn nicht kränken.») E s scheint, dass Sejan späler mit einer Tochter des Mannes, den er ermordet, und der Frau, mit der er in verbrecherischem Umgang gelebt hatte, verlobt wurde. 3 ) Das Zustandekommen einer solch empörenden Verbindung wurde indess durch die furchtbare Katastrophe vereitelt, in der Sejan umkam. Wir sind nun gezwungen, dem schändlichen Sejan auf der greuel vollen Bahn seiner Heuchelei und seiner Verbrechen zu folgen. Das erste und hauptsächlichste Hindernis auf dem W e g e zum Thron war durch die Ermordung des Drusus beseitigt. Er war der einzige Prinz des kaiserlichen Hauses, der in der Vollkraft seines Mannesalters stand; aber die drei Söhne des Germanicus konnten in kurzer Zeit für Sejan furchtbare >) Tac. Ann. IV, 3. 11. Dio Cass. 58, 11, 6. Tac. Ann. IV, 39 ff. 3 ) So wenigstens berichtet Zonaras (XI, 2), freilich mit zweifelhafter Glaubwürdigkeit. Vgl. auch Dio Cass. 58, 7. 5 und Sueton. Tib. 65.
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Nebenbuhler werden. Ihre Vernichtung war deshalb seine nächste Aufgabe, und diese ward ihm wesentlich erleichtert durch die Unklugheit von zweien der jungen Männer und durch den hochfahrenden Geist ihrer Mutter Agrippina. In vieler Hinsicht war dieselbe das Muster einer ächten römischen Matrone. Ihre Keuschheit war erhaben über jeden Zweifel in einer Zeit der abscheulichsten Sittenlosigkeit, von der selbst kaiserliche Prinzessinnen nicht frei waren, ihr hoher, edler Geist, ihr Mut und ihre Entschlossenheit zeigte sich im L a g e r und bei den Heeren, zu denen sie ihren Gemahl begleitet hatte.') A b e r ihr Hochmut war eben so gross wie ihre Energie. Sie betrachtete sich und ihre Kinder als die einzigen ächten Nachkommen des Augustus und in Tiberius sah sie nur einen Ein dringling. 2 ) Vergeblich bat Germanicus sie auf seinem Todtenbette inständigst, ihren Stolz zu mässigen und nicht durch ihren Ehrgeiz Mächtigere zu reizen und herauszufordern 3 ). Mit trotzigem Gepränge kehrte sie nach Rom zurück 4 ), WTO sie sich vom kaiserlichen Hause ganz fern hielt und sich namentlich in ihrer Feindseligkeit gegen Livia verstärkte, die sie ') Tac. Ann. IV, 12. — Ibid. I, 69. Tac. Ann. I, 33. IV, 52 (vgl. auch III, 4). — S. auch VI, 23 Si'/i Agrippina aeqni iwpatiens, dominaitdi avida, virilibits citris ft inniuru>u vitia exucrat. 3) Tac. Ann. II, 72. 4) Tac. Ann. II. 75. III, 1 ff. 2)
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als die erste und hauptsächlichste Quelle alles Unglücks betrachtete, das über des Augustus Haus gekommen war. Sie hatte ihre eigenen Freunde und ihre eigene Partei, eine Art Opposition gegen Tiberius und Livia; freilich war diese Partei machtlos zu nützen wie zu schaden, aber sie war für Tiberius doch als ein Zeichen von Agrippinas Stimmung ärgerlich, und für den Fall etwa eintretender Verwicklungen äusserst gefährlich. E s ist kein Wunder, dass es dem Sejan, der das volle Vertrauen des Kaisers besass, mit leichter Mühe gelang, die Kluft zwischen diesem und Agrippina noch zu erweitern. Seine geheimen Einflüsterungen, seine Lügen und Kunstgriffe bliesen den Funken der Abneigung und des Zwiespaltes zur lodernden Flamme des Hasses und der offenen Feindseligkeit an, die nur in Blut erstickt werden konnte. Sein Vorgehen dabeiwar ein teuflisch geschicktes. E r sonderte für seine ersten Angriffe die vertrauten Freunde der Agrippina aus, und ging gegen sie mit Anklagen auf Hochverrat oder andere politische Vergehen vor, welche ihnen unbedingt die unversöhnliche Feindschaft vonseiten des Tiberius zuziehen und unfehlbar mehr oder weniger auch Agrippina in Mitleidenschaft ziehen mussten. Zu deren Unglück stand die sittliche Reinheit ihrer Freunde nicht über dem allgemeinen Niveau der Sittlichkeit jener Zeit. ') Tac. Ann. IV, 17.
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Unter ihnen war Claudia Pulchra, eine Base und vertraute Freundin der Agrippina; sie w u r d e wegen unsittlichen Lebenswandels, Ehebruchs und eines Vergiftungsversuches gegen Tiberius angeklagt. Es scheint wenigstens für einige dieser Anklagen genügender Grund gewesen zu sein, und Claudia w u r d e schuldig befunden. Daraufhin eilte Agrippina in der leidenschaftlichsten Erregung zum Kaiser, dem sie in der heftigsten Sprache Feindseligkeit gegen die Nachkommen des Augustus vorwarf, indem sie ihn beschuldigte, dass die Verurteilung der Claudia ein lediglich gegen s i e selbst gerichteter Schlag sei. Tiberius, mit seiner gewöhnlichen Gelassenheit, zeigte keine Spur von Aerger, sondern begnügte sich damit, ihr ruhig mit den Worten eines griechischen Dichters zu e r w i d e r n : „Meine Tochter, meinst Du denn, es geschieht Dir ein Unrecht, weil Du nicht herrschen darfst?"') Man sollte meinen, die Feindseligkeit zwischen dem Kaiser und Agrippina sei damit weit g e n u g entwickelt gewesen, um das von Sejan gewünschte Ergebnis herbeizuführen. Aber dieser hatte noch wirksamere Mittel im Vorrat, um seine Pläne ihrer Verwirklichung entgegenzuführen. Durch seine Helfershelfer liess e r Agrippina warnen, sich vor der gastlichen Tafel ') Tac. Ann. IV, 5'_>. Suct. Tib. 53.
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des Tiberius zu hüten, da derselbe im Sinne habe, sie zu vergiften. Die stolze Agrippina wollte nun aber nicht den Verdacht der Furcht auf sich kommen lassen und erschien desshalb absichtlich bei der kaiserlichen Tafel. Ihre argwöhnischen Gedanken waren gleichzeitig dem Tiberius hinterbracht worden, der, um die Wahrheit dieser Mitteilung zu prüfen, ihr eigenhändig einige Aepfel anbot. Ihre Weigerung, diese anzurühren, kränkte ihn aufs tiefste, und in unzweideutigen Worten gab er seinen Gefühlen Ausdruck. ') Trotz des Misstrauens und der Entfremdung zwischen Tiberius und Agrippina ist es doch offenbar, dass der erstere seine Zuneigung zu Germanicus auch auf seine und Agrippinas Kinder übertrug. Auf des Kaisers Wunsch hatte schon sein Sohn Drusus sie adoptiert, und ebenso bewies er fort und fort gegen sie dieselben Gefühle der Liebe und Güte, die sein Verhältnis zu Germanicus so wohlthuend bezeichnet hatten. Nach dem frühzeitigen Tod des Drusus, den Tiberius mit würdevoller Resignation und mit der Mannhaftigkeit eines grossen Fürsten ertrug, scheint seine Zuneigung zu den Jünglingen, die nun zum zweitenmal eines Vaters und Beschützers beraubt waren, mit neuer Stärke erwacht zu sein. Bei der zunehmenden Verödung >) T a c . Ann. IV, 54. Suet. Tib. 53.
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seines Hauses sah er in ihnen einen schwachen Strahl der Hoffnung auf jene feste Dauer seiner Dynastie und der neuen Ordnung der Dinge, die ihm natürlicherweise sehr am Herzen liegen musste; aber obgleich er von dem Verbrechen noch nichts ahnte, dem Drusus unterlegen war fürchtete er doch den unsichtbaren Todesengel, der offenbar die Glieder des Augusteischen Hauses umschwebte. E r trat, mit seinen zwei ältesten Grossneffen Nero und Drusus an der Hand, in den Senat und bat die Senatoren flehentlich, sie wie Väter zu lieben und zu schützen. Dann bezeichnete er sie ganz ausdrücklich als seine Nachfolger, offenbar mehr besorgt, für den Fall seines Todes die Dauer und den Frieden des Staates zu sichern, seinen eigenen Enkeln das Recht der Thronfolge zu verschaffen.') W i e ganz verschieden ist das Bild, das sich uns einige Jahre später zeigt! W i r sehen Tiberius im Senat darauf dringen, über Nero, den er unnatürlicher Ausschweifungen bezichtigt, die verdiente Strafe zu verhängen. Der unglückliche Prinz wird nach der Insel Pontia verbannt. 2 ) Ebenso wird Drusus vor dem Senat angeklagt und für einen Feind des Vaterlandes erklärt. Seine lange Einkerkerung in einem Verliess des kaiserlichen Palastes, die rasenden Ausbrüche ') Tac. Ann. I V . 8. 9. Suct. Tib. 54. ) Suct. Tib. ÖJ. T a c . Ann. V, 3 ff.
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seiner Rachsucht und Verzweiflung, Tag für T a g von den ihm beigegebenen Wächtern aufgezeichnet und nach seinem schrecklichen Hungertod auf Befehl des Kaisers im Senat verlesen, bilden eine der schauerlichsten und empörendsten Scenen dieser traurigen Zeit. 1 ) Wie weit die beiden jungen Männer schuldig waren, können wir jetzt nicht mehr hoffen zu entscheiden. Die Erzählung des Tacitus ist hier von einer grossen Lücke unterbrochen. Vielleicht hat Sejan die Vergehen, die sie sich zu Schulden kommen Hessen, dem Tiberius übertrieben dargestellt oder sogar selbst sie dazu verleitet. 2 ) D a s kann jedenfalls keinem Zweifel unterliegen, dass Tiberius sie für schuldig hielt, und dass ihre Bestrafung ihm nicht weniger wTehe that als dem Augustus die Verbannung seiner verworfenen Tochter Julia und seines zügellosen Enkels Agrippa Posthumus. Vielleicht verdient Tiberius mehr Mitleid als Tadel von unserer Seite. Für die Bestrafung seiner Grossneffen kann er keine schlechten Motive gehabt haben, denn es ist ganz unzweifelhaft, dass er sie einmal geliebt und beabsichtigt hatte, ihnen das Recht der Thronfolge zu sichern E r wandte seine Gunst auch weiterhin ungeschmälert ihrem Bruder Gaius zu, der zum Unglück für Rom sein Nachfolger ward, und durch ') Tac. Ann. VI, 23. ) Vgl. Tac. Ann. IV, 59. 60.
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seine Tollheiten und Verbrechen ebensoviel als seine berüchtigte Schwester, die jüngere Agrippina, dazu beigetragen hat, uns die Tugend der Kinder des Germanicus sehr zweifelhaft erscheinen zu lassen.
VI. Im zwölften Jahre seiner Regierung verliess Tiberius Rom, um nie wieder dahin zurückzukehren. 1 ) Nachdem er eine Zeitlang an der lieblichen Küste von Campanien verweilt hatte, wählte er schliesslich das kleine Eiland Capreae (Capri) zum dauernden Aufenthaltsort. Hier verlebte er in strengster Abgeschlossenheit die letzten elf Jahre seiner Regierung, nur mit einigen Freunden im engeren Verkehr, unter denen unglücklicherweise noch immer Sejan die hervorragendste Stelle einnahm. W a s der Grund zu dieser Entfernung von Rom gewesen sein mag, war schon im Altertum eine vielumstrittene Frage. Die Böswilligkeit, die so eifrig thätig war, für alle Handlungen des Kaisers die schlechtesten Motive aufzusuchen, hat über diesen seinenSchritt mehrere Vermutungen aufgestellt, die alle für ihn gleich verdammlich lauten. Die unhaltbarste Anklage ist die von dem unkritischen Sueton vorgebrachte, der Kaiser habe zuletzt beschlossen, sich ganz der Trägheit und ') T a c . Ann. I V , 57 ff. Suet. Tib. 39 ff. Dio Cass. 58, 1, 1.
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Unthätigkeit hinzugeben. *) W e r eine solche Vermutung hegen konnte, der kannte die Natur dieses Herrschergeistes nicht. Es ist auch durch hinlänglich sichere Beweise festgestellt, dass Tiberius nie aufgehört hat; mit hohem Interesse und grosser Sorgfalt sich mit der Regierung zu befassen, dass er in beständiger Verbindung mit Rom blieb, und die meisten Angelegenheiten fast bis zum letzten T a g seines Lebens selbst entschied.*) Dieser thätige Geist, an die Herrschaft gewöhnt und zur Herrschaft fähig, konnte nie in Gleichgiltigkeit oder Trägheit versinken. Nicht weniger unbegründet ist die von an) deren aufgestellte Vermutung, der Kaiser habe die Einsamkeit aufgesucht, um die zunehmenden Gebrechen seines Alters zu verbergen: seine gebeugte Haltung, sein kahles Haupt und die hässlichen Ausschläge in seinem Gesichte." Nichts konnte der Denkungsart dieses stolzen Claudiers ferner liegen als eine solche Schwächedie ihn zu einem Gecken gestempelt hätte und selbst für eine Frau unwürdig gewesen wäre Aber weit schlimmere Vermutungen diese haben allgemeinen Glauben gefunden. hiess, die gemeinsten sinnlichen Begierden, Wunsch, sich der niedrigsten Wollust und ') Suet. ) S o z. gewordenen 3 ) Taca
Tib. 41. B . die Zurückberufung des in Judaea Pontius Pilatus: Joseph. Antt. 18, 4, 2. Ann. I V , 57.
als Es der un-
unmöglich
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natürlichem Sinnengenuss unbeschränkt hingeben zu können, hätten ihn veranlasst, das A u g e der Hauptstadt zu fliehen, und ihn getrieben, seinen lieblichen Ruhesitz in Capri zu einer wahren Hölle der Ausschweifung und Sinnenlust zu machen. Die Feder eines modernen Geschichtsschreibers sträubt sich gegen die blosse Nennung der Scheusslichkeiten, welche die schmutzigen Klatschkrämer dieser unsittlichen Zeit unbedenklich einem Manne vorwerfen, der beinahe die äusserste Grenze menschlicher Lebensdauer erreicht und sich in seiner Jugend und seinem Mannesalter durch Massigkeit, Einfachheit und Reinheit des Lebens so sehr ausgezeichnet hatte, dass selbst die anonymen Verläumder keinen Vorwurf gegen ihn ausfindig zu machen vermochten1). W i r mögen wohl fragen: W a s hätte ihn, falls er wirklich solche Neigungen gehabt, verhindern können, seine schändlichen Begierden in den geheimen Gemächern seines kaiserlichen Palastes in Rom zu befriedigen? W a r er auf der einsamen Insel etwa sicherer vor Entdeckung? Mussten ihn die Helfershelfer seiner Schändlichkeiten dort nicht auch umgeben? Und warum sollte er überhaupt die Nachrede wegen einer Unsittlichkeit fürchten, welche die damalige Gesellschaft doch bereits so durchdrungen hatte, ' ) Dies giebt selbst Tacitus zu, Ann. V I , 51: egregium famaque quoad privatus vel in imperiis sttb Aiigusto d. h. bis zu seinem 56. L e b e n s j a h r e .
vita fuit,
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dass sie nachgerade aufhörte, ein Vorwurf zu sein? Er, der die öffentliche Meinung seiner Zeitgenossen so sehr verachtete, hätte, falls er wirklich die schändlichen Neigungen gehegt hätte, die man ihm zur Last legte, ihr getrotzt und eine Freude darin gefunden. Er forderte fast geflissentlich den Tadel des knechtischen Haufens heraus, der vor den Füssen seiner Sclaven im Staube lag 1 ); aber andererseits war er ängstlich bedacht auf das günstige Urteil der Nachwelt, und sein Blick war zu weit, als dass er hätte hoffen mögen, er würde sich einen unbefleckten Ruf dadurch zu sichern imstande sein, dass er über Vergehungen einen Schleier zöge, die eben durch das Dunkel, das sie verhüllen soll, nur grösser erscheinen müssen. W ä r e diese schändliche Anklage wohlbegründet, so würden wir schwerlich erwarten, unter dem Gefolge des Tiberius auf Capri einen Kreis von Philosophen, Rhetoren und Rechtsgelehrten vorzufinden'2); so aber nötigt uns deren Verkehr mit dem Kaiser, uns sein Leben ganz anders vorzustellen, als das eines zügellosen Wollüstlings. Er hatte eine gute Erziehung ' ) A l s z. B. Fulcinius T r i o , einer der gemeinsten und niederträchtigsten Menschen dieser Zeit, schliesslich v o r Gericht gestellt, b e v o r er sich im Gefängnis selbst tötete, ein Schriftstück mit den heftigsten Ausfällen und A n k l a g e n gegen Tiberius verfasste, Hess der Kaiser dasselbe im Senat verlesen. S. T a c . Ann. V I , 58. V g l . Suet. Tib. 66. Dio Cass. 58, 25, 2 f. !)
T a c . Ann. I V , 58
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genossen; er war in der Sprache und Litteratur Griechenlands wohl bewandert und fand grossen Genuss in dem Studium der unsterblichen W e r k e dieses hochbegabten Volkes. W ä h r e n d seines Aufenthalts in Rhodus hatte er die Vorlesungen der Philosophen und Rhetoren regelmässig besucht 1 ), und jederzeit waren einige der ausgezeichnetsten Männer der Litteratur um ihn. Aber auch mit der Litteratur seines Vaterlandes war er wohl vertraut. E r setzte seinen Stolz darein, Lateinisch vollkommen rein zu sprechen und zu schreiben 2 ). Aber ganz besonders eifrig war er dem Studium der Astronomie und Astrologie ergeben, und diese letztereVerirrung des menschlichen Scharfsinnes, in welche später andre grosse Männer gleich ihm verfallen sind, hatte ungemeinen Einfluss auf seine Handlungen, einen Einfluss, der seiner Natur nach nicht genau berechnet werden kann. Wenn wir nun alle diese Dinge zusammenfassen, seine unermüdliche politische Thätigkeit, seine litterarischen Unterhaltungen und Erholungen, seine frühere Mässigung und Enthaltsamkeit und sein hohes Alter, so werden wir zu dem Schluss kommen, dass es sehr verkehrt von uns wäre, wenn wir den schändlichenVerläumdungen der missvergnügten Aristokratie und dem Gassenklatsch des Pöbels ') Suct. Tib. 11. ) Suct. Tib. 70. 71. 3 ) Tac. Ann. VI, 20 ff. Suet. Tib. 69.
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Glauben schenken würden, ohne bessere Beweise in Händen zu haben, als die vagen Gerüchte, die so lang die Leichtgläubigkeit von Jahrhunderten befriedigt haben. VII. Jede neue Phase in dem Leben des Tiberius war nach Tacitus ein Herabsinken von einer höheren zu einer niederen sittlichen Stufe; seine natürliche Neigung ging abwärts, und jeder Schritt, den er that, geschah in dieser verhängnisvollen Richtung; jeder wirkliche oder scheinbare Freund, den er verlor, nahm einen Teil der nur künstlich erhaltenen Kraft weg, die ihn vor gänzlichem Versinken in dem Pfuhl der Schlechtigkeit bewahrte. Sein Leben gleicht einer schauerlichen Tragödie, die Tacitus in fünf Acte einteilt. Bis zum Tod des Augustus, das wird nicht geleugnet, war er ein Mann von fleckenlosem Wandel und Charakter; solange Germanicus und sein Sohn Drusus lebten, nahm er wenigstens die Maske der Tugend an; während der Lebensdauer seiner Mutter zeigte er eine Mischung von guten und schlechten Eigenschaften; der vierte Abschnitt dieser traurigen Laufbahn ist der des überwiegenden Einflusses des Sejan, den Tiberius liebte und fürchtete; er kennzeichnete sich durch Grausamkeit, während die Ausschweifungen wenigstens noch unter einem anständigen Schein verborgen wurden.
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Als endlich dieser letzte gute Genius von der Seite des unglücklichen Kaisers wich, drei J a h r e vor seinem Tode, also in seinem 74. Lebensjahre, da fühlte er sich zum erstenmal frei von allen Schranken, aller Furcht, aller Scham, allen Rücksichten und nun endlich imstande, seine Gier nach Blut und ekelhaften Lüsten nach Herzenslust zu befriedigen.') Hier haben wir ein rechtes Beispiel der rhetorischen Tiraden vor uns, für die Tacitus eine besondere Vorliebe hat. Sie machen Effekt und erregen die Entrüstung oder gewinnen die Sympathien des L e s e r s , und das ist eben ein Hauptzweck dieses tragischen Geschichtsschreibers. W i r werden versuchen, etwas kühler und prosaischer zu urteilen und im Verallgemeinern etwas vorsichtiger zu sein, und wie wir bereits gezeigt haben, dass die gegen das frühere Leben des Tiberius erhobenen Anklagen zum grossen Teil hinfällig sind, so wird es uns auch keine grossen Schwierigkeiten machen, dasselbe für die letzte und traurigste Periode zu beweisen. Der lange ausserordentliche Erfolg, den er bei seiner Thätigkeit gehabt, hatte Sejan zu ') Tac. Ann. VI. 51: Morum quoque tempora Uli diversa: egreginm vita famaque quoad privatus vel in itnpcriis sub occultum ac subdolum fingendis virtutibus, Augusto fuit; doncc Gcrmanicus ac Drtisus superfuere; ident inier bona malaquc mixtus incolnmi matre; intestabilis saevitia, sed obtcctis libidinibus, dum Sciaiinin ihU xit timuitve ; postremo in saicra simul ac dcdecora prorupit, postquam remoto pndore et mctii sno tantum ingenio utebatur.
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einer Höhe erhoben, auf der er unmöglich stehen bleiben, von der er aber nur durch einen plötzlichen zerschmetternden Fall wieder entfernt werden konnte. Lange hatte er das unbegrenzte Vertrauen des Kaisers besessen. Mit jedem tötlichem Schlag, der dessen Haus traf, stieg er höher empor. Während Tiberius in Capri weilte, war er thatsächlich Herr der römischen Welt 1 ). Er schien somit der Erreichung des grossen Zieles, dem die gesamte Thätigkeit seines Lebens gegolten hatte, sehr nahe gekommen zu sein. Aber der greise Tiberius war nicht so unbekümmert um das, was um ihn her vorging, und nicht so versunken in sinnlichen Genüssen, als man uns zu glauben zumutet; seine Augen erkannten endlich das Thun und Treiben seines Günstlings, und von Stund' an war dieser Günstling verloren. Es ist hier nicht der Ort, die Ereignisse genauer zu erzählen, welche den Sturz des Seianus begleiteten2). Wir haben unsere Aufmerksamkeit nur auf den einen Punkt zu lenken: ob Tiberius bei der darauffolgenden Reaction wirklich einer ungezügelten Leidenschaft, unschuldiges Blut zu vergiessen, fröhnte und seinen Sieg weiter verfolgte, als durch die Gerechtigkeit, durch die Forderung der Wiedervergeltung und ') Dio Cass. 58, 5, 1. ) Dio Cass. 58, 6 ff. Suet. Tib. 65. Jos. Antt. 18, 6, 6.
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durch die schuldigen Rücksichten auf sein und des Staates Wohl erlaubt war 1 ). Zunächst dürfen wir nicht vergessen, dass Sejan sich einer Verschwörung der gefährlichsten Art schuldig gemacht hatte. E r w a r das Haupt des tüchtigsten Truppenkörpers in Italien, der gefürchteten Praetorianer - Leibgarde, die ihm rückhaltlos ergeben und von Officieren seiner W a h l befehligt war. Lange Zeit w a r er der ausschliessliche Vermittler aller kaiserlichen Auszeichnungen gewesen; alle die, welche wichtige und gewinnbringendePosten innehatten, waren von ihm ernannt worden. In der nächsten Umgebung des Kaisers auf Capri hatte er seine Spione und ergebenen Freunde und Anhänger, darunter einige aus den ältesten und intimsten Dienern des Tiberius ausgewählt. J e feiner und weiter sich dieses Gewebe von Ränken um den Kaiser zog, um so schwieriger w a r es, Schuldige und Unschuldige zu unterscheiden, und selbst der unbefangenste Gerichtshof würde bei der ruhigsten Ueberlegung nicht imstande gewesen sein, mit ganz unfehlbarer Hand Gerechtigkeit zu üben. Aber nach einem politischen Sturme ist das Gleichgewicht der W a g e der Gerechtigkeit gestört und die Wagschale der siegreichen Partei erhält ein verhängnisvolles Uebergewicht. Dies ist auch in der neueren Geschichte schon J
) Vgl. bes. Dio Cass. 58, 16, 5 ff.
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der Fall gewesen und in Gerichtshöfen, in denen wenigstens die äusseren Formen gerechter Justiz gewahrt wurden. Was können wir da von „blutigen Assisen" in der Zeit des Tiberius erwarten, in welcher die Erinnerung an die massenhaften Schlächtereien und die schändlichen Proscriptionen der Triumvirn noch lebendig war? Ich spreche hier nicht von dem ersten Aufwallen der lang verhaltenen Wut des römischen Volkes gegen Sejan und seine Partei. Bei diesen schrecklichen Racheacten werden selbst die äusseren Formen der Jusfiz nicht mehr gewahrt, wenn auch der Henker nicht vergass, an der unschuldigen jungen Tochter Sejans das rohe Gesetz des alten Rom in Ausführung zu bringen, welches die Hinrichtung von Jungfrauen verbot 1 ). Wo der Pöbel die Execution in die Hand nimmt, da werden die Grenzen von Schuld und Unschuld missachtet, und der finstre Geist der Rache liess bei Griechen und Römern allzuleicht Verwandte und Freunde für die Schuld besiegter Feinde büssen. Für die allgemeine Schlächterei, die jetzt stattfand, ist Tiberius nicht verantwortlich gemacht worden, wohl aber für die Ausdehnung der Verfolgung auf mehrere Jahre, als die von Sejan und seiner J ) So wenigstens erzählt, auf zeitgenössische Gewährsmänner sich berufend, Tac. Annal. V, 9, ferner Dio Cass. 58,11,5, und, den einzelnen Fall nach beliebter Art verallgemeinernd, Sueton. Tib. 61 med.
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Partei drohende Gefahr längst vorüber war, und man billig hätte erwarten sollen, dass die Rache nun genügend geübt sei. Dio Cassius, stets unkritisch in seinen Urteilen und unüberlegt in seinen Behauptungen, sagt, keiner der Angeklagten sei freigesprochen, sondern alle ohne Ausnahme hingerichtet worden >). Tacitus ist, wenn gleich weniger allgemein in der Verurteilung des Tacitus, doch noch streng genug und sein Urteil würde unangefochten bleiben müssen, wenn seine getreue Darstellung der Einzelheiten uns nicht das Material lieferte, um sein Schlussurteil bedeutend zu mildern. 2 ) Offenbar war dem Tiberius bei der Untersuchung der mit Verschwörung Sejans zusammenhängenden Falle sehr darum zu thun, dass der höchste Gerichtshof des Staates, der Senat, ihm die Arbeit und das Odium abnehmen möge. Sicher erkannte er, dass diese erlauchte Körperschaft nicht nach der Seite der Milde hin irren würde. Er musste häufig seinen Einfluss dazu aufbieten, um den ungeziemenden Uebereifer und die übergrosse Strenge der Senatoren zu massigen. s ) Die sich in die Länge ziehenden Prozesse und Hinrichtungen erregten schliesslich seinen Widerwillen. Ueber seine Stimmung in dieser Zeit haben wir ein ziemlich sicheres 2
Dio Cass. 58, 24, 2. ) S. Tac. Ann. VI, 7. 19. ) S. z. B. Tac. Ann. VI, 9 a. E.
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Zeugnis in einem an den Senat geschriebenen Brief, in dem es u. a. am Anfang hiess *): „Wenn ich weiss, was ich Euch schreiben soll, oder wie ich schreiben soll, oder was ich überhaupt jetzt nicht schreiben soll, so mögen mich alle Götter und Göttinnen noch furchtbarer zu Tode peinigen, als ich mich schon täglich gepeinigt fühle!" Das sind nicht die Worte eines Mannes, der sich der unbeschränkten Befriedigung aller seiner natürlichen Lüste und Begierden ergeben hat. Der Brief ist vielmehr ein Beweis der tiefen Melancholie, die des Kaisers Gemüt umdüsterte, einer Melancholie, die sich aus dem Unglück seiner eigenen Familie und aus der unverbesserlichen Schlechtigkeit der Zeit leicht erklären lässt. Einen Beweis dafür, dass der Kaiser selbst in dieser finsteren Periode noch Edelmut und Gerechtigkeit kannte, liefert der Prozess eines römischen Ritters Marcus Terentius, der angeklagt war, ein Freund Sejans gewesen zu sein. Dieser Mann, statt zu leugnen, gestand vielmehr mit kühnem Mut alles ein in einer männlichen Rede, die uns bei Tacitus in folgendem Wortlaut ') Tac. Ann. VI, 6. Quid scribam vobis, patres conscripti, aut quomoäo scribam, aut quid omnino non scribam hoc tempore, di me deaeque peius perdant quam perire me cotidie sentio, si scio. Daraus, dass der Wortlaut des Briefes bei Sueton. Tib. 67 genau derselbe ist, geht wohl mit unbedingter Sicherheit hervor, dass dieser Wortlaut, direkt oder indirekt, aus dem Original entnommen ist, das jedenfall im Senatsarchiv aufbewahrt wurde.
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erhalten ist 1 ): „Es ist vielleicht für mich vorteilhafter meine Schuld zu leugnen, als sie zu bekennen; doch mag die Folge sein, was sie wolle, ich gestehe es ohne Rückhalt zu: ich war ein Freund Sejans, ich habe mich um seine Freundschaft bemüht, und war froh, als es mir glückte, sie zu erlangen. Ich sah, dass er seines Vaters Amtsgenosse war' im Commando der Praetorianer, und dass er später zugleich die höchsten Stellen in der Verwaltung der Stadt und dem Commando des Heeres bekleidete. Seine Vettern und Verwandten wurden mit Ehren überhäuft; j e enger befreundet man mit Sejan war, desto eher durfte man auf des Kaisers Freundschaft rechnen; wem dagegen Sejan feind war, der schwebte in beständiger Gefahr und verfiel in Unehre. Ich nenne hier keine Beispiele: aber in meinem Prozess allein will ich alle die verteidigen, die, wie ich, von den letzten verruchten Plänen Sejans nichts haben wissen wollen. Denn nicht dem Sejan von Vulsinii, sondern einem Glied des JulischClaudischen Hauses, in das er durch verwandtschaftliche Bande aufgenommen war, Deinem 2 ) Schwiegersohne, mein Kaiser, Deinem Amtsgenossen im Consulat, Deinem Mitregenten galt ») Tac. Ann. VI, 8. Vgl. Dio Cass. 58, 19, 3. f. Der Kaiser war selbstverständlich bei der Verhandlung nicht zugegen, wird aber durch eine rhetorische Figur als gegenwärtig angeredet, ebenso wie Nero von Soranus' Tochter Servilia, Ann. X V I , 31. 2)
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unsere Freundschaft. Uns steht kein Urteil darüber zu, wen Du über die andern Bürger erhebst, noch warum Du es thust. Dir haben die Götter die oberste Entscheidung über alles übertragen: uns bleibt nur der Ruhm unbedingten Gehorsams. Wir sehen nur auf das, w a s offenkundig vor aller Augen liegt, wer von Dir Macht und Ehre erlangt, wer die meiste Macht hat zu nützen oder zu schaden. Dass diese Vorzüge Sejan besessen hat, wird niemand leugnen wollen. Den verborgenen Sinn des Kaisers und seine geheimen Pläne darf man nicht auszuforschen suchen, und man würde damit doch nichts erreichen. Nicht nur auf den letzten T a g des Seianus dürft ihr sehen, Senatoren, sondern ihr müsst die sechszehn letzten J a h r e bedenken. Wir verehrten sogar Satrius und Pomponius; es galt für eine grosse Auszeichnung, auch nur bei Sejans Freigelassenen gut zu stehen. Will ich damit etwa meine Verteidigung ganz allgemein auf alle ohne Unterschied-ausgedehnt wissen? Durchaus nicht! Vielmehr lasset die verschiedenen Arten von Vergehen richtig geschieden werden. Anschläge gegen den Staat, Mordpläne gegen den Kaiser mag man bestrafen; aber was freundschaftliche Beziehungen zu Sejan betrifft, so bin ich dadurch der Schuld enthoben, dass ich jene Freundschaft zur selben Zeit aufgegeben habe, als Du." — Der Erfolg dieser Kühnheit war die Freisprechung
— 77 des Terentius Ankläger').
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die Verurteilung
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Ein unmittelbares Einschreiten des Tiberius zu Gunsten eines zur Verurteilung ausersehenen Opfers fand statt in dem Prozess des Cotta Messallinus, der wegen unehrerbietiger Aeusserungen über den Kaiser angeklagt war. Tiberius bat, man solle doch dem Angeklagten ein par unüberlegte Worte, die ihm einmal bei einem Gelage entschlüpft seien, nicht zum Verbrechen stempeln.8) Aehnliche Milde zeigte er in einem Falle, in den fünf der hervorragendsten Männer verwickelt waren. Zwei von ihnen wurden durch ihren Advokaten gerettet, der Prozess der andern drei wTurde auf Bitten des Tiberius vertagt, bis er selbst wieder nach Rom kommen würde, was er aber nie vorhatte 3 ). Diese Fälle genügen, um uns zu zeigen, dass sich Tiberius nicht durch rohe Blutgier zu einer allgemeinen Schlächterei treiben liess. Wenn viele Fälle von Verurteilung und Todesstrafe vorkamen, können wir sicher sein, dass die meisten, wenn nicht alle verdient waren. In einigen Fällen können wir das beweisen; in andern macht es unsere unvollkommene Kenntnis der Einzelheiten unmöglich, uns eine feste Meinung zu bilden. Aber unsere Achtung für ') Tae. Ann. VI, 9. Dio Cass. 58, 19, 5. Tac. Ann. VI, 5 ff. 3 ) Tac. Ann. VI, 9.
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die Unparteilichkeit des Tacitus wird allerdings stark erschüttert, wenn wir ihn seine rhetorische Sympathie solch schlechten Subjecten wie Fulcinius Trio und Paconianus zuwenden sehen. 1 ) Späte, aber gerechte Vergeltung ereilte auch Aemilia Lepida, die Gattin des unglücklichen Drusus, des Sohnes des Germanicus. Auch sie hatte sich des Ehebruchs mit Sejan schuldig gemacht, dem sie beim Sturze ihres Gatten behilflich gewesen war. Nun wurde sie auch noch unzüchtiger Beziehungen zu einem Sclaven überführt und kam der Vollstreckung des Urteils durch Selbstmord zuvor 2 ). Die gerichtlichen Formen, die bei den Prozessen aller derer, welche der Teilnahme an der Sejan'schen Verschwörung beschuldigt waren, so streng beobachtet wurden, stehen in Widerspruch zu dem, was im Jahre 33 vorgefallen sein soll. Tacitus erzählt nämlich, dass in diesem Jahr Tiberius einen Befehl erlassen habe, demzufolge alle, die wegen des genannten Verbrechens im Gefängnis sassen, ohne weitere Untersuchung unterschiedslos hingerichtet werden sollten. Im Anschluss an diese Notiz entwirft dann der Geschichtsschreiber ein grauenerregendes Bild. E r spricht von einem endlosen Gemetzel unter Menschen jedes Alters und Geschlechtes, ') Tac. Ann. VI, 38. 39. ') Tac. Ann. VI, 40. Dio Cass. 58, 3, 8.
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von Leichen hoher und geringer Männer, die bald zerstreut, bald übereinandergehäuft umhergelegen hätten 1 ). Dass dies eine grosse Uebertreibung ist, geht aus Sueton hervor, der berichtet , dass zwanzig an einem Tage hingerichtet worden seien*). Wie gross die wirkliche Zahl der Opfer auch gewesen sein mag, es scheint, dass des Kaisers Zweck bei dieser Massregel der war, den blutigen Scenen ein für allemal ein Ende zu machen; und aus diesem Grunde ordnete er auch die Hinrichtung der berüchtigtsten Ankläger an s ). Allein die Häupter der schrecklichen Hydra wuchsen nach, und Tiberius konnte den Strom des Blutes nicht mehr eindämmen. VIII. Die Umwandlung der römischen Republik in eine Monarchie war von Augustus ohne eine entsprechende Aenderung in den herkömmlichen Formen und Namen durchgeführt worden. Er ') Tac. Ann. VI, 19. Inritatusque suppliciis cunctos, qui carcerc attincbantur accusati societatis cum Sviauo, necari iubet. Jacitit itnmensa strages, omnis sexus, omttis aetas, iillustres ignobiles, dispersi aut aggerati. Xeque propinquis aut inlacrimare, ne visere quidem diuaut amicis adsistere tius dabatur; sed circumiecti custodt's et in tnaerorem cuiusque intenti Corpora putrefacta adsectabantur, dum in Tiber im traherentur, ubi ßuitantia aut ripis adpulsa non crcmare quisquam, non contingere. Interciderat sortis humauae commercium vi metus; quantumque saeiitia glisceret, miseratio arcebatur. >) Suet. Tib. 61. •») Tac. Ann. VI, 30.
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behielt nicht nur die alten Aemter der Republik mit ihren Namen, Abzeichen und Geschäften, sowie die ehrwürdige Institution des Senates, des eigentlichen Sitzes und Mittelpunktes des republikanischen Lebens bei, sondern auch die Volksversammlungen, trotzdem sie ein seiner Regierungsgewalt feindliches Element zu enthalten scheinen konnten. Die Aufgabe des Tiberius war damit bedeutend vereinfacht und erleichtert. Er hatte nur den von Augustus aufgestellten weisen Grundsätzen zu folgen, und er that das sehr taktvoll und mit fester Hand 1 ). Die Dinge hatten sich bis jetzt noch durchaus nicht zu einer ganz festen Ordnung und einer allgemein anerkannten Staatsordnung endgiltig entwickelt. E s waren noch manche am Leben die sich der T a g e erinnern konnten, da „Freiheit" die Losung der aristokratischen Partei gewesen war 2 ). Tiberius war noch der erste seines Hauses und konnte die Bestätigung und Anerkennung seines Rechtes, über seine Zeit genossen zu herrschen, noch nicht aus der Zeit herleiten. Aber im ganzen hatte er doch von irgend welcher systematischen oder patriotischen Opposition wenig zu fürchten. Er mochte einzelne Feinde zu fürchten haben, eine feindliche P a r t e i gewiss nicht. Alle waren durch die Schrecken und Leiden der Bürgerkriege ein') Tac. Ann. III, 68. IV, 37. Strabo VI, 4, 2 (p. 287). ) Tac. Ann. I. 4.
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geschüchtert und zur Unterwerfung, j a noch mehr, zur sclavischen Kriecherei niedergebeugt worden, und zwar so sehr, dass Tiberius nicht gegen Unabhängigkeitsgelüste der Aristokratie zu kämpfen hatte, sondern sich vielmehr, wenn auch vergeblich, die grösste Mühe gab, in diesen Männern, die nur Sclaven sein und ihr Leben gemessen wollten, einen Geist männlicher Selbstachtung und Vaterlandsliebe zu wecken und zu erhalten. Der Senat war zu allen Zeiten der Schwerpunkt der römischen Verfassung gewesen. Im Senat war die ganze Verwaltung und thatsächlich der beste Teil der gesetzgebenden Gewalt vereinigt, wozu das Volk wenig mehr als die äussere Maschinerie lieferte. Der Senat war deshalb der Sitz und Werkzeug des aristokratischen Einflusses während der republikanischen Zeit und der hauptsächlichste Gegner derer, die unter dem Vorwand, die Interessen des Volkes zu vertreten, die Sympathieen desselben zu ihrer eigenen Erhebung benützten, und denen es schliesslich gelang, die Monarchie auf den Trümmern der Aristokratie aufzurichten. Es war daher Julius Caesars Politik gewesen, den Senat zu schwächen und seine Würde möglichst zu verringern. A b e r seitdem der ') Ebenso, wie es die Politik L u d w i g s XI. von F r a n k r e i c h und aller seiner Nachahmcr gewesen ist, die Machtstellung der feudalen Aristokratie möglichst zu schwächen. 6
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grosse Kampf sich schliesslich zugunsten des monarchischen Princips entschieden hatte, seitdem der Senat aufgehört hatte, gefährlich zu sein, war es das Interesse und die Politik des Augustus und seiner Nachfolger, seinen früheren Glanz und seine frühere Würde wiederherzustellen und ihm all den Einfluss und die Macht wiederzugeben, die, ohne ihn gefährlich oder hinderlich zu machen, geeignet war, ihn zum nützlichsten Werkzeug der Regierung in ihren Händen zu gestalten. In dem Senat, der aus den durch Reichtum und Geschlecht einflussreichsten Männern der Gesellschaft bestand, hatte der Kaiser — oder mochte wenigstens hoffen sie zu haben — die fähigsten und unabhängigsten Berater, die geschicktesten und erfahrensten Staatsmänner, die natürlichen und besten Ratgeber eines von keiner besserorganisierten Vertretimg gestützten Monarchen. — So wurde der Senat nicht nur die oberste Verwaltungsbehörde, sondern auch der oberste Gerichtshof, besonders für politische Vergehen, und Tiberius übertrug ihm auch den Rest von gesetzgebender Gewalt und Wahlrecht, den Augustus der Volksversammlung noch gelassen hatte.') Der Senat wurde daher ein geheimer Rat oder Staatsrat, allein dem Kaiser unterstellt, aber von solcher Bedeutung und Würde, und so ') Tac. Ann. I, 15. Vell. II, 124, 3; 126, 2. DioCass. 58, 20,3 f. Vgl. auch Plin. panefjyr. 91.
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unentbehrlich, dass er gehofft haben könnte in dem ungeheuren Bereich seiner Wirksamkeit eine Entschädigung für den Verlust seines Parteieinflusses in der republikanischen Zeit zu finden. Allerdings konnte der Senat die Würde einer unabhängigen Körperschaft, wie etwa der erblichen Kronräte oder der Volksvertreter eines konstitutionellen Staates nicht erlangen. Seine Debatten fanden unter dem Schatten des kaiserlichen Purpurs statt; allein wir können die lebensvolle Darstellung des Tacitus nicht lesen, ohne zu der Ueberzeugung zu kommen, dass nicht der Mangel an Macht, sondern der Mangel an Vaterlandsliebe, Staatstüchtigkeit, Mut und Selbstachtung, den die grosse Mehrzahl der Senatoren an den T a g legte, dem allesverschlingenden Despotismus der Zeit Vorschub leistete und ihn notwendig machte. Ich sage „notwendig machte", denn es ist notwendig, dass das Hauptgewicht der politischen Macht sich auf einen bestimmten Punkt concentriere; in einem lebendigen politischen Organismus kann es nicht beseitigt oder aufgehoben werden; und wenn ein Teil des Gemeinwesens es aus der Hand gleiten lässt, wird es sich dahin wenden, wo die nötige Kraft und Energie vorhanden ist, um es festzuhalten. W i e leicht es für den Senat gewesen wäre, Bedeutung und Einfluss zu erlangen, und so den überhandnehmenden Despotismus des Kaisers,
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zu mildern, geht deutlich genug aus zahlreichen Aussagen der Geschichtsschreiber hervor ')• Dass die Senatoren bei Debatten über wichtige Gegenstände ein grosses Mass von Redefreiheit genossen und sich sogar eine Art Opposition erlauben durften, sehen wir aus folgendem Vorfall. Den Einwohnern der Stadt Trebia war zum Zweck der Erbauung eines Theaters eine Summe Geld vermacht worden. Die Trebianer indess waren vernünftig genug, eine gute Strasse einem neuen Theater vorzuziehen, und wandten sich an den römischen Senat um die Erlaubnis, das Vermächtnis zu diesem Zweck verwenden zu dürfen. Sie konnten bei dieser Bitte der nachdrücklichsten Unterstützung des Kaisers gewiss sein, der dafür bekannt war, dass er an der Schauspielkunst nicht eben viel Freude hatte, aber der Senat gewann über die Wünsche •) Nach Suet. Tib. 30. „liess Tiberius dem Senat und den Behörden ihre frühere W ü r d e und Machtbefugnis. Keine Angelegenheit, mochte sie den Staat oder einen einzelnen Bürger angehen, war ihm zu bedeutsam oder zu geringfügig, um sie vor den Senat zu bringen. Zölle und Monopole, Neubauten und Reparaturen, Aushebung und Entlassung der Truppen, Einteilung der Legionen und Hilfstruppen, Verlängerung der Dauer der amtlichen Befugnisse für einen Provinzialstatthalter, ausserordentliche Kriege, j a sogar Briefe an auswärtige Herrscher und ihr Wortlaut, alles wurde im Senat verhandelt." Sueton fügt (a. a. 0.) hinzu, dass Tiberius nie anders als allein den Senat betrat, und wenn er sich wegen Unwohlseins zur Sitzung tragen lassen musste, die T r ä g e r vor dem Senat entliess. Tacitus macht weniger Worte, ist aber eben so deutlich als Sueton. E r sagt Ann. IV, 6: Pttblica negotia et priratorum maxitna apud patres tractabantur. Vgl. bes. auch Ann. IV, 15.
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des Tiberius die Oberhand, und verweigerte die Erlaubnis.') Das Entgegenkommen des Tiberius gegen ausgesprochene Wünsche des Senats geht auch noch aus einem anderen Vorfall, aus dem zweiten Jahr seiner Regierung, hervor. Die Römer hatten in jener Zeit, ebenso wie in unsern Tagen, eine grosse Vorliebe für Spotten und Lästern. Die einzige Gattung der Poesie in der sie original waren und in der sie sich wirklich auszeichneten, war die Satire. Ihr Witz war scharf und treffend, und darin, dass sie ihm freien Lauf Hessen, suchten sie eine Entschädigung für den Verlust der Freiheit im politischen Reden und Handeln. Seitdem das Forum still geworden war, boten die Theater einen willkommenen Ort für Kundgebungen der Volkssympathie und des Volkshasses. Es war, als ob eine bittere Ironie des Schicksals die Bühne zum geeignetsten Schauplatz dieses Schattens, dieser Mummerei von Freiheit ausgewählt hätte. Ein improvisierter Witz, ein W o r t , ja nur eine ausdrucks volle Geberde, an einer ganz unschuldigen Stelle, fiel wie ein Funken unter die erregbare Zuhörerschaft und konnte, wie wir es selbst zu unsrer Zeit in Nachbarstaaten gesehen haben, leicht heftige Erregungen hervorrufen. Auf die Dauer konnten diese Dinge für die Regierung, ') Suet. Tib. 31.
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gegen die sie sich selbstverständlich auch richteten, sehr unangenehm und höchst ärgerlich werden. Dies war ein Grund mehr für Tiberius, alle diese Vergnügungen nicht mit freundlichen Augen anzusehen, und die Freiheit der Bühne durch einschränkende Bestimmungen einzudämmen. Eine Gelegenheit dazu bot sich dar in einem Aufruhr im Theater, der den Tod mehrerer Personen herbeiführte, unter denen sich einige Praetorianer befanden und auch ein Hauptmann, der sich vergeblich bemüht hatte, die Ordnung wieder herzustellen. Die Sache ward vor den Senat gebracht, und es ward der Vorschlag gemacht, den Praetoren unbeschränkte Jurisdiction über die Schauspieler zuzugestehen, mit dem Recht, körperliche Züchtigung über sie zu verhängen (jus virgarum). Dieser von Tiberius jedenfalls unterstützte Vorschlag fand lebhaften Widerspruch von seiten des Tribunen Haterius Agrippa, dem kein Hindernis in den Weg gelegt ward, von der einst gefürchteten Waffe der tribunicischen Intercession Gebrauch zu machen, indem er sich auf eine ausdrückliche Erklärung des Augustus berief, wonach Schauspieler der entehrenden Strafe der Sclaven nicht verfallen sollten. Tiberius gab nach und suchte durch einige andere mildere Massregeln die Freiheit der Bühne zu beschränken. 1 ) >) Suet. Tib. 37. Tac. Ann. I, 77. Aehnliche Beispiele Tac. Ann. II, 34. 35. 36. 37.
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Für diesen selben Punkt ist noch ein andrer Vorfall characteristisch, den uns Dio Cassius berichtet. Tiberius hatte eine Proclamation erlassen, durch die er sich für die Zukunft alle Neujahrsgeschenke verbat. 1 ) In der folgenden Nacht fiel ihm ein, dass er darin ein nicht ganz rein lateinisches W o r t gebraucht hatte. Das ärgerte und beunruhigte ihn so sehr, dass er nicht ruhen konnte, bis er einige Gelehrte hatte rufen lassen, um sie um ihre Meinung zu befragen. Unter diesen war einer, Ateius Capito, der ein Höfling am Hofe Ludwigs X I V . hätte sein können, denn mit dem Geist und dem W i t z eines Franzosen äusserte er sich dahin, nach seiner Meinung sei der betreffende Ausdruck, und wenn er auch vorher durchaus nicht gebräuchlich gewesen sei, nun, nachdem ihn der Kaiser angewandt habe, gutes Latein. Diese Wohldienerei erregte die gerechte Entrüstung des Marcellus, der in einem Anflug alt-römischen Freimutes erklärte, dass der Kaiser wohl Männern aber nicht Worten das römische Bürgerrecht verleihen könne. 2 ) Wenn ähnliche freimütige Aeusserungen nicht häufiger vorkamen, so kam das nicht daher, dass Tiberius sie unterdrückte oder bestrafte (er scheint im Gegenteil sie begünstigt ' ) V g l . Suet. Tib. 34. a. E. •) Dio Cass, 57, 17, 1. 2: S ù . K a ì c a p , ttvd'póiitot? (lèv noXiteinv 'Pu>|iaiu)V Sùvaaat Soùvai, £r(|jiaa: òè ou.
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zu haben), sondern daher, dass es kaum noch Ehrlichkeit, Mut, Bürgertugend unter den Staatsmännern dieser Zeit gab, und dass ihr knechtischer Sinn stets bereit war, den Wünschen des Kaisers zuvorzukommen und ihn durch ihre freiwillige Erniedrigung mehr und mehr zu der schwindelnden Höhe despotischer Gewalt zu erheben.') IX. Die Verwaltungsgrundsätze des Tiberius waren bestimmt durch die Revolution, welche die Herrschaft der Aristokratie gestürzt hatte. Sie bedeuteten einen Schritt weg von der Freiheit, aber zwei Schritte vorwärts zur Gleichheit. Die Herrschaft einer Clique von Familien über die Masse freier römischer Bürger einerseits und die Herrschaft aller freien römischen Bürger insgesammt über die Provinzen zu gunsten der regierenden Minderheit andrerseits war für immer zu Ende. Das gleiche Joch des Despotismus beugte den stolzen Nacken der Patricier, erhob aber dafür die bisher niedergetretenen Provinzialen wenigstens zu einem gleichen Anspruch auf billige Berücksichtigung ihrer Rechte und auf Achtung ihrer Interessen. Zum erstenmal seit ihrer Unterwerfung ward das Wohl ') Vgl. Tac. Ann. IV, 6. Publica negotia apud patres tractabantur dabaturque primoribus disserere et in adulationem lapsos cohibebet ipse.
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der Provinzen als ein der Aufmerksamkeit der Regierung würdiger Gegenstand angesehen. Dieser grosse Umschwung hatte unter Augustus begonnen; er vollzog sich noch gründlicher unter seinem Nachfolger. Tiberius wählte die Männer, die er zur Verwaltung der kaiserlichen Provinzen aussandte, mit der grössten Sorgfalt aus1), und während zur Zeit der Republik der jährliche Wechsel der Proconsuln und Propraetoren eine Quelle beständiger Missregierung, ja wiederholter Ausplünderung gewesen war, beliess Tiberius dieselben Männer auf ihrem Posten, so lange ihre Verwaltung tadellos war8). Dies allein war schon ein grosser Segen; aber er wurde noch vergrössert durch die Wachsamkeit des Kaisers, der gegen alle die, welche sich der alten Sünden der römischen Proconsuln schuldig machten, unerbittlich streng war. ') Tacit. Ann. IV, 6. ) Tac. Ann. I, 80. Jos. Antt. XVIII, 6, 5. Wegen dieser verständigen Politik warf ihm der unvernünftige Hass seiner Verkleinerer, deren Gerede Sueton (Tib. 41) sorgfältig wiedergiebt und billigt, T r ä g h e i t und Vernachlässigung seiner Pflichten vor. Sehr bezeichnend ist das Gleichnis, mit dem nach J o s e p h u s a. a. O. Tiberius die von Tac. u. Suet. a. a. O. getadelte Massregel rechtfertigte: Ein Verwundeter lag am W e g e und wurde von einem grossen Fliegenschwarm gequält, der gierig an seinem Blute sog. Ein Vorübergehender wollte, von Mitleid ergriffen, und in der Meinung, der Verwundete k ö n n e sich n u r nicht helfen, die Fliegen vertreiben. Dieser indess wehrte ihm ab, und sagte: „ W e n n diese Fliegen sich an Blut gesättigt haben, belästigen sie mich nicht mehr viel. Kommen aber neue, die noch nach Blut dürsten, so geht die Qual von neuem an. Also lass diese ruhig sitzen!" s
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Bei der Analyse der Majestätsprocesse werden wir finden, dass, was man Tiberius als Grausamkeit vorwirft, in vielen Fällen nur Gerechtigkeit gegen die grosse Mehrzahl seiner Unterthanen ist'). So erhielt Gaius Silanus, wegen Erpressungen angeklagt und schuldig befunden, seine wohlverdiente Strafe 2 ); ebenso auch Lucilius Capito3), Vibius Serenus*) und andere1). Es war aber nicht nur offenbare Räuberei und Unterdrückung, was Tiberius zu verhindern bemüht war. Er wollte seine Provinzen gerecht und mild regiert wissen; und so sagte er einmal, er wolle seine Schafe scheeren, aber ihnen nicht das ganze Fell abziehen6). Der Erfolg dieser Wachsamkeit zeigte sich bald in dem steigenden Wohlstand und der immer grösseren Zufriedenheit der Provinzen. Sie lebten auf wie Länder nach einer verwüstenden Pest, und sie wetteiferten mit einander, ihre Dankbarkeit gegen ihren Wohlthäter zu erweisen, zumal diejenigen, welche bei der von ') Eine vollständige Liste aller während der Regierung des Tiberius wegen Erpressungen oder schlechter Verwaltung angeklagten Provinzialstatthalter giebt W. Rein, Criminalrecht der Römer, Leipzig 1844, p. 667. ') Tac. Ann. III, 66 ff. Weiter unten S. ») Tac. Ann. IV, 15. «) Tac. Ann. IV, 13. ') Der letzte Fall dieser A r t war der des Pomponius Labeo, 34 n. Chr. Tac. Ann. VI, 29. 6) Der von Dio Cass. 57, 10, 5 erzählte einzelne F a l l wird von Suet. Tib. 32 verallgemeinert.
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Augustus getroffenen Einteilung der Provinzen in senatorische und kaiserliche der letzteren Klasse zugeteilt waren, und so unmittelbarer unter der genauen Controle des Kaisers standen. E s ward als eine Wohlthat für eine Provinz angesehen, der Verwaltung des Senates, dessen Vertreter und Beamte noch etwas von der republikanischen Ungebundenheit beibehielten, entnommen und Statthaltern übergeben zu werden, die unmittelbar unter der Aufsicht ihres kaiserlichen Herrn standen 1 ). Es ist überraschend, welch ungeheure Menge von Geschäften dadurch mehr oder weniger direct dem Mittelpunkt der Verwaltung dieses ungeheuren Reiches zufiel, und unter den unermüdlichen Händen des Kaisers selbst ihre endgiltige Entscheidung erwartete. Keine Provinz war so entfernt, keine Stadt so unbedeutend, kein Interesse so geringfügig, dass es der Kenntnis des Tiberius entgangen wäre. E r begnügte sich nicht damit, seinen Beamten allgemeine Anweisungen zu geben, sondern er wachte auch aufmerksam über ihre Ausführung 8 ). E r hatte niemand, auf den er sich fest verlassen konnte, als sich selbst. Und diese erstaunliche Organisation einer centralisierten Regierung wurde in einer Zeit durchgeführt, die uns gar nicht die mechanischen Mittel zu ihrer ') Tac. Ann. I, 76. ) Dio Cass. 57, 10, 4.
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Ausführung in solch weitem Umfange besessen zu haben scheint. Dieser Umstand war ein grosses Unglück. Es wurde dadurch die selbständige, unabhängige Lebenskraft der verschiedenen Teile der alten Welt untergraben und sie wurden schliesslich eine leichte Beute der eindringenden Barbaren; aber es war ein Unglück, das aus dem Wesen und der Verfassung des römischen Staates sich mit Notwendigkeit ergab, eines Staates, der aus den örtlich getrennten Gliedern verschiedenartigster Provinzen und Volksstämme zusammengesetzt, allein durch den Druck einer mächtigen, centralisierten Regierung zusammengehalten werden konnte. Rom konnte nicht in Gallien und Aegypten, in Spanien und Pontus herrschen, ohne den Keim des nationalen Lebens und der Selbstverwaltung auszurotten, der, wenn man ihn hätte wachsen lassen, bald das kleine Latium und die SiebenHügel-Stadt überschattet haben würde. Die Einzelheiten über die ungeheure Thätigkeit der Centraiverwaltung sind uns verloren gegangen, und würden auch, wenn sie erhalten wären, für moderne Leser kein allgemeines Interesse haben; aber wir finden zahlreiche Beispiele, die zeigen, welcher Art das Verwaltungssystem war; von diesen mag es vielleicht belehrend sein, das folgende anzuführen. Als Folge der Unsicherheit des Rechtszustandes in einer rohen und gewaltthätigen
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Zeit bestanden in den meisten griechischen Städten besondere Heiligtümer, die unter dem Namen „Asyle" den Schutz der nationalen Götter denen sichern sollten, welche die bürgerlichen Gerichte vor der Rache eines mächtigen Feindes zu schützen nicht imstande waren. Diese Asyle, in Zeiten der Barbarei und der Anarchie nötig und nützlich, hätten unter der stetigeren Herrschaft billiger Gesetze verschwinden sollen. Aber vermöge ihres Zusammenhangs mit der Volksreligion blieben sie nicht nur bestehen, sondern arteten aus und vermehrten sich in solchem Grade, dass sie zuletzt fast in jeder Stadt beliebte Sicherheitsplätze für Diebe und Mörder bildeten. E s waren mehrere Versuche gemacht worden, diesen wachsenden Uebelstand zu beseitigen, aber sie hatten im allgemeinen nur zu Unzufriedenheit und Aufruhr geführt und waren gänzlich fruchtlos geblieben. Zuletzt beschloss Tiberius, wenigstens eine Linderung für ein Uebel zu schaffen, dessen gänzliche Beseitigung durch gewaltsamen Eingriff die Rücksicht auf die Denkweise der Menge unweise oder sogar gefährlich erscheinen liess. Demgemäss wurden alle griechischen Städte in Asien, die auf das Asylrecht Anspruch erhoben, aufgefordert, ihre Sache vor dem römischen Senat zu verteidigen. Gross erschien die Erhabenheit und Würde des Senats an dem Tage, als er, wie in den Zeiten seiner republikanischen Allmacht, zu Gericht
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sass, um über die Rechtsansprüche der Städte zu entscheiden, die teils „auf die Privilegien ihrer Vorfahren oder von den Römern entsetzter Dynastieen, oder auch auf heilige Gebräuche und ehrwürdige Legenden gegründet waren". Da wiesen die Epheser hin auf des Alter und die Heiligkeit des Dianatempels, die Magnesier zeigten die Urkunden der ihnen von Scipio und Sulla, die Aphrodisier und Stratonicenser der von Caesar und Augustus ihnen verliehenen Rechte. Die Hierocaesarienser führten ihr Heiligtum auf den grossen König Cyrus zurück, die Cyprier bis auf die Zeiten des Trojanischen Krieges, und noch viele andere zeigten gleichen Eifer und gleiche Gelehrsamkeit in der Verteidigung der Missbräuche, an denen sie ihre Freude hatten, sodass schliesslich die Geduld der würdigen Väter des Reiches gänzlich zu Ende zu gehen schien und die Sache an eine — besondere Kommission verwiesen wurde1). Von Osten wandte sich dann wohl plötzlich die Aufmerksamkeit des Kaisers nach dem fernen Westen. Einmal ist er damit beschäftigt, die barbarischen Gebräuche der Druidenreligion in Gallien zu mildern, wo er die Menschenopfer abschafft2); dann wieder ist er gezwungen, seine Aufmerksamkeit nach Spanien zu wenden, um sich die Ehre der Erhebung zum Gott und >) Tac. Ann. III, 60 ff. Suet. Tib. 37. «) Plin. N. H. X X X , 1, 13.
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die Errichtung von Tempeln für sich vonseiten dieser Provinz zu verbitten. Unter Augustus war ein solches Verfahren in den Provinzen aufgekommen; aber Tiberius mit seinem gesunden Verstände war entschieden, sich dem entgegenzustellen. Seine Rede bei dieser Gelegenheit verdient hier wiedergegeben zu werden. „Ich bin nur ein Mensch," sagte er; „menschliche Pflichten habe ich zu erfüllen und bin zufrieden, wenn ich den ersten Platz im Staate würdig ausfülle: das bezeuge ich vor Euch und wünsche, dass auch die Nachwelt dessen stets gedenke. S i e wird mein G e d ä c h t n i s m e h r als g e n u g e h r e n , wenn sie mir das Zeugn i s a u s s t e l l t , dass ich m e i n e r V o r f a h r e n mich würdig g e z e i g t , für E u e r W o h l nach K r ä f t e n g e s o r g t , in G e f a h r e n S t a n d h a f t i g keit b e w a h r t , und, wo es des S t a a t e s W o h l f a h r t g a l t , nicht Hass und V e r l ä u m dung g e s c h e u t habe. Dies sind für mich die schönsten Tempel, in Euren Herzen, dies die schönsten Standbilder, die ewig dauern; denn Tempel und Bilder aus Stein werden als tote Gräber verabscheut, wenn das Urteil der Nachwelt sich in Hass verwandelt hat. Darum flehe ich zu den Göttern, sie mögen mir allezeit bis an mein Ende einen ruhigen Geist und sichere Kenntnis des göttlichen und menschlichen Rechtes verleihen; meine Mitbürger und Bundesgenossen aber bitte ich, wenn ich einmal dahingegangen
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bin, mich in gutem Andenken zu behalten und mir ein ehrendes Gedächtnis zu bewahren"1). Von den Provinzen abgesehen, scheint auch Italien allein schon reichliche Arbeit für die Verwaltung geliefert zu haben. Und auch hier bemerken wir überall, in grossen wie in geringen Angelegenheiten, die thätige Mitwirkung des Kaisers. Wir haben bereits der Entscheidung des Senates in den localen Angelegenheiten der Stadt Trebia gedacht2). Aehnliche Fragen, die in andern Städten der Halbinsel entstanden, wurden ohne Zweifel fortwährend zur Entscheidung vor die Centraiverwaltungsbehörde gebracht. Ausser diesen localen Gegenständen erforderten allgemeine Massregeln von grösster ') Tac. Ann. IV. 38. — W i e diese W o r t e die Besorgtheit des Tiberius um einen unbefleckten guten Namen kennzeichnen, so zeigt sich auch seine V e r a c h t u n g schmeichlerischer E h r e n bezeugungen bei mehreren Gelegenheiten. E r wollte sich nicht „Vater des Vaterlandes" (patcr patriae) oder ,.Augustus*, nennen lassen; mit E n t r ü s t u n g wies er die Bezeichnung „ H e r r " (dominus, ursprünglich die Anrede des Sclaven an seinen H e r r n ) zurück (Suet. Tib. 26. 27. T a c . Ann. II, 87); er wollte nicht gestatten, dass der Möns Caelius, dessen Gebäude er n a c h dem grossen Brand hatte wiederherstellen lassen, Möns Tiberinus genannt würde (vgl. Tac. Ann. IV, 64; Sueton behauptet allerdings, er h a b e befohlen (!), den Berg Möns Augustus zu nennen: Tib. 48); und als der Senat den V o r s c h l a g machte, den Monat September, in dem er geboren war, „Tiberius" zu nennen, fragte er spöttisch, was sie zu thun gedächten, wenn es einmal dreizehn Kaiser gäbe. (Dio Cass. 57, 18, 2; Suet. Tib. 26.) Bei den Verhandlungen des Senates hörte er nicht auf schmeichelnde Wendungen gegen seine Person, sondern pflegte die Redner zu unterbrechen, und sie zur Aenderung ihrer Ausdrücke aufzufordern (Suet. Tib. 27). ') S. oben S. 84.
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Wichtigkeit des Kaisers Aufmerksamkeit. Die Sicherung der Strassen in Italien und in Rom selbst, die Wiederbelebung des darniederliegenden Ackerbaues, die Versorgung Roms mit Lebensmitteln und zahlreiche andere Dinge nahmen seine Zeit und seine Aufmerksamkeit unablässig in Anspruch 1 ). Zur Illustration diene folgendes Beispiel: Ein grosser Teil Roms war häufigen Ueberschwemmungen des Tiber ausgesetzt. Eine solche ereignete sich im fünfzehnten Jahre unsrer Zeitrechnung und verursachte den Einsturz vieler Häuser, jedenfalls hauptsächlich grosser Mietskasernen der ärmeren Klassen (insulaej2). Elend, Krankheit und grosse Sterblichkeit waren die Folgen. Der Senat, als oberster Verwaltungsrat, beriet über Massregeln zur Abhilfe. Wir lesen, dass Asinius Gallus vorschlug, die sibyllinischen Bücher einzusehen, ohne Zweifel in dem Glauben, dass sich die Zeiten nicht geändert hätten, seitdem das Orakel in Delphi wegen der Ueberschwemmungen des Albanersees befragt worden war. Tiberius war vernünftig und entschieden genug, um solch veraltetem Unsinn schroff entgegenzutreten, und dafür die Ernennung einer Kommission von Senatoren vorzuschlagen, deren Aufgabe es sein sollte, die Ursachen des Uebels zu erforschen ') S. Suet. Tib. 37. Tac. Ann. III, 54. ') Dasselbe geschah auch imjahre 70 n.Chr.S. Tac.Hist. I, 86. 7
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und Massregeln für seine künftige Verhütung in Vorschlag zu bringen. Die Kommission wusste allerdings weder das eine noch das andere ausfindig zu machen, aber wir können doch unsere Anerkennung dem Kaiser nicht versagen, der alles that, was er konnte, um der abergläubischen Thorheit seiner Beiräte entgegenzutreten und sie auf den W e g thatkräftigen Handelns zu weisen, welcher allein Erfolg versprechen konnte 1 ). Eine Hauptquelle der Verderbtheit der Zeit war die zügellose Verschwendung in den höheren Klassen. Etwas Neues war sie nicht. Sie hatte mit der fortschreitenden Ausdehnung des Staates immer mehr Boden gewonnen, und die Armut eines Cincinnatus oder Curius war schon zu Zeiten der Scipionen ebensogut ein Ding der Vergangenheit, als ein Einfall der Aequer oder Volsker ins römische Gebiet. Die Staatsweisheit des Altertums suchte Mittel gegen diese unausbleibliche Folge des Wohlstandes nicht in Religion und Sitte, sondern in Gesetzen gegen den Luxus, befangen von dem Wahne, dass sich die natürlichen Triebe der Menschen durch staatliche Massregeln unterdrücken liessen. So wurden Gesetze gegeben, um das Maximum des Goldund Silberschmuckes für die Frauen festzusetzen, und die übermässigen Ausgaben für Dienerschaft, ') Tac. Ann. I, 76. 79.
Dio Cass. 57, 14, 7 ff.
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Tafel und Hausrat zu beschränken 1 ). Allein die Erfahrung lehrte, dass alle solche Gesetze vergeblich waren. Als der Reichtum der eroberten Provinzen in Rom zusammenströmte, gewöhnten sich die römischen Adligen in ihrem Aufwand an den Massstab grosser Fürsten; ihre Wohnungen in der Stadt wurden Paläste, gefüllt mit Bildwerken und Gemälden Griechenlands; ihre Landhäuser verwandelten sich in prächtige Villen, umgeben von ausgedehnten Parkanlagen, die die Ackerfelder verschlangen und die Heimstätten des freien Bauern der alten Zeiten entfernten2). Ein grosser Teil Italiens verwandelte sich in Besitztümer einiger reicher Familien; Kornfelder wurden in Lustgärten oder Wälder für den Sport der Grossen verwandelt, und Italien selbst immer mehr abhängig von den Provinzen, sogar in der Beschaffung der nötigen Lebensmittel^). Fabelhafte Preise wurden gezahlt für den Luxus der Tafel, für Seltenheiten, Kunstwerke, Sclaven, Tänzer, Schauspieler und Diener der Lüste und Ausschweifungen. Alle Luxusgesetze erwiesen sich als unnütz. Nichtsdestoweniger machte Augustus nochmals den Versuch, das wachsende Uebel durch eine neue Reihe von einschränkenden Gesetzen zu heilen, ') Die erste eigtl. lex sumptuaria w a r die lex Oppia Jahre L'15 v. Chr. Liv. ai, 1 IT., die umfassendste die lex Caesaris. Suet. Caes. 43. '') Vgl. bes. Sali. Cat. 12. Horat. Carm. II, 15. 3 ) Tac. Ann. III, 54.
vom Julia
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aber auch seine Anstrengungen fruchteten nichts 1 ). Aber alle diese Erfahrungen vermochten die Vertreter der sozialen Reformpläne jener Zeit noch nicht von der Vergeblichkeit ihrer Bemühungen zu überzeugen. So wurde im achten Jahre des Tiberius vonseiten der Aedilen ein Versuch gemacht, die alten Luxusgesetze wieder in Kraft zu setzen, und sie glaubten dabei jedenfalls mit Sicherheit auf die Zustimmung des Tiberius rechnen zu können, dessen Sparsamkeit und Einfachheit 2 ) zu dem allgemeinen Luxus seiner Zeitgenossen in scharfem Gegensatz stand. Die Sache ward vor ihn gebracht und von ihm in reifliche Erwägung gezogen. Das Ergebnis seiner Ueberlegungen ist zusammengefasst in einem Briefe an den Senat, den uns Tacitus ausführlich mitteilt, und der ein deutlicher Beweis des gesunden Urteils und der Festigkeit des Kaisers ist. Er constatiert die Unmöglichkeit, mit gesetzlichen Massregeln gegen Uebelstände von diesem Umfange vorzugehen, die ihre Quelle in dem wirtschaftlichen und sittlichen Zustand der Gesellschaft haben. E r zeigt, dass das anzuwendende Heilmittel ein ebenso grosses Uebel in sich schliesst als dasjenige ist, dessen Beseitigung man versucht; dass halbe Massregeln lächerlich sind und die Frechheit ') Suet. Aug. 34. 40.
Dio Cass. 54, 2, 3 f., 54, 16, 3 ff.
' ) T a c . Ann. IV, 7. Suet. Tib. 46. Dio Cass. 57, 10, 3 eXäy^Ta et? aotöv Sareaväiv.
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der Uebertretcr der Gesetze nur steigern; mit Recht beschwert er sich über die thörichten Declamationen der phantastischen Sittenpeiniger, die selbst am meisten zögern würden, wenn es gälte, die Consequenzen ihrer theoretischen Abhilfevorschläge praktisch durchzuführen; und endlich bittet er, ihm den Hass zu ersparen, den er durch die gewaltsame Einführung von Gesetzen auf sich laden würde, welche, so hart sie auch manchen treffen müssten, doch für den Staat keinen Nutzen bringen könnten 1 ).
X. Eine gute Ordnung der Finanzen und billige Vertheilung der Steuern ist die erste Bedingung einer geordneten und gerechten Staatsverwaltung. Da das Geld die Macht ist, die alle Federn der Regierung in Bewegung setzt, so liegt es auf der Hand, dass ohne ein gesundes Finanzsystem die Gesellschaft keiner der Segnungen teilhaftig werden kann, welche sie von der Regierung, der sie untersteht, mit Recht erwarten kann. Missstände aller Art müssen sich daraus ergeben, wenn Steuern und Finanzen nicht in geordnetem Zustand sind, und man kann wohl sagen, dass ') Tac. Ann. III, 52 ff. Vgl. Isocrat. Areopag. 41 f. (41: oü Y«; To ¡? '^-rjtfiijicta'.v, ak\ä. TOis r ^ s a t und Aristot. Polit. n > 2> 10 , p. 12b3 b, 36 ff.
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der grossen Mehrzahl politischer Verirrungen finanzielle Schäden zu gründe liegen. Wenn dieser Satz irgend welcher Beweise bedürfte, so würden sich dieselben auf jeder Seite der Geschichte Englands, Frankreichs und jedes europäischen Landes im Ueberfluss finden. Es giebt kein Uebermass der Erpressung, keine Tyrannei und Verkehrung des Rechtes, zu der eine Regierung in Geldnot nicht ihre Zuflucht nähme, um die Staatskassen zu füllen. Der Despotismus türkischer Paschas und Sultane, die Bestechlichkeit des russischen Beamtentums, die unauslöschliche Schande deutscher Fürsten, die mit dem Fleisch und Blut ihrer Unterthanen schnöden Handel trieben, der Ablasskram der Päpste, die schmählichen Geschenke, die ein englischer König von Frankreich annahm für die Unterdrückung der religiösen und politischen Freiheit seiner Unterthanen, die unbillige Ueberbürdung des Bauernstandes in Frankreich, die sich später so furchtbar rächte, — alle diese Uebel, und tausend andre entsprangen aus dieser politischen Pandora-Büchse, aus einer leeren Staatskasse. Man muss dies im Sinne behalten, wenn man dem Kaiser Tiberius gerecht werden will. Er war ein tüchtiger Finanzmann, keiner von denen, die Geld des Geldes wegen lieben, die ausschliesslich nur darauf sinnen, Schätze zu häufen, die alle Mittel für erlaubt halten, wenn
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sie nur Geld einbringen. E r w a r weder habsüchtig in seiner Eigenschaft als Vertreter des Staates, wie Heinrich VII., noch befleckt von der schmutzigeren Gier, Reichtum für sich oder seine Familie zu sammeln, wie Louis Philipp, oder der erste König von Holland, oder der schändliche Kurfürst von Hessen; auch war er nicht einem Laster ergeben, welches weniger verhasst, aber für den Staat noch nachteiliger ist, der Prunksucht, wie sie der Fluch Europas von den Zeiten Ludwigs XIV. an fast bis auf unsere Zeit gewesen ist. Tiberius war weder geizig noch verschwenderisch. Er übte weise Sparsamkeit, begründet auf natürliche Vorliebe, auf Einsicht und Grundsätze. Seine Sparsamkeit verleitete ihn nie zu Erpressungen oder auch nur Härte in der Eintreibung der Steuern, und sie verhinderte ihn niemals an der grossmütigsten Freigebigkeit, zu deren Ausübung sie ihm vielmehr die Mittel verschaffte. Unter seinen verworfenen Nachfolgern gehörten gerichtliche Verfolgungen reicher Familien zu den beliebtesten finanziellen Massregeln. Tiberius weigerte sich sogar, freiwillige Geschenke und Legate von seinen Untergebenen anzunehmen 1 ). Augustus hatte dadurch Popularität und Ruhm zu erlangen gesucht, dass er die Stadt verschönerte, die er, wie er auf seinem Totenbette sagte, aus Ziegel') Tue. Ann. II, 48. Dio Cass. 37, 10, 5.
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steinen gebaut vorfand und aus Marmor gebaut hinterliess 1 ). Tiberius war frei von dem thörichten Ehrgeiz, welcher Ruhm und unsterblichen Namen in Bau- und Bildwerken sucht und unbedenklich die Mittel, die auf nützlichere und nötigere Dinge verwandt werden sollten, an zwecklose Prachtbauten verschwendet. E r baute keine Amphitheater, keine Triumphbogen oder Säulen 8 ). E r beschränkte sich darauf, die Gebäude zu vollenden, die sein Vorgänger unvollendet gelassen hatte, und die ehrwürdigen Denkmäler der Vorzeit wiederherzustellen und auszuschmücken; und frei von aller Eitelkeit, verzichtete er darauf, in den Weihinschriften seine Mitwirkung dabei zu erwähnen 9 ). Die Geschichte ist verpflichtet, einem Manne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, der aus den ehrenwertesten Beweggründen freiwillig auf die Gunst und Liebe seiner Zeitgenossen verzichtete. Es ist bekannt, dass nichts so sehr den Beifall der Menge hervorruft, als der verschwenderische Aufwand der Grossen, während strenge Sparsamkeit, welche die grosse Masse oft als Knauserei zu bezeichnen liebt, das Missfallen derselben zur Folge hat. Es macht in den Augen der Menge wenig aus, wie der Reichtum erworben ist, wenn nur freigebig wieder davon ') Suet. Aug. 28. ) Sueton. Tib. 47. Dio Cass. 57, 10, 1. 3 ) Dio Cass. 57, 1. 2. Sueton. a. a. O.
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gespendet wird. Mag ein Fürst die Millionen, die er der sauren Arbeit seiner unterdrückten Unterthanen abgepresst hat, toll verschwenden — der grosse Glanz seines Hofes und der Beifall seiner Schmeichler und Schmarotzer wird das Murren derer übertäuben, die schwach genug waren, sich ausplündern zu lassen. Selbst die Geschichte hat zu oft in den Chorus der Hofdichter und -Schmeichler eingestimmt, die den Glanz eines „grossen Fürsten" erhoben. Und so finden wir selbst bei Tacitus das Echo des missvergnügten Gemurres des römischen Pöbels, der unter Tiberius die Spenden vermisste, mit denen Augustus sich seines Beifalles zu versichern gewusst hatte '). Tiberius kannte seine Römer sehr wohl; er wusste, dass sie ihn für „Brot und Spiele" vergöttern würden. Aber er war stark, und fügen wir hinzu, stolz und hochmütig genug, um dieser Versuchung zu widerstehen. Er hatte keinen Gefallen an dem Lieblingsvergnügen der Römer, an den blutigen Gladiatoren-Kämpfen, und wenn er einmal gezwungen war, solche zu erlauben, so nahm er selbst nicht daran teil 8 ). Augustus hatte sich bei den zahlreichen Schaustellungen, mit denen er um Popularität buhlte und sie auch ' ) Tac. A n n . I, 76. III. 38. — V g l . Suct. T i b . 47. — feinmal liess Tib. eine Spende unter das V o l k verteilen, und z w a r zu Ehren des Germanicus, bei dessen T r i u m p h im Jahre 17 n. Chr. T a c . Ann. II, 41 f. V g l . oben S. 37. ' ) Dio Cass. ;Y7, 14, 3 f. T a c . Ann. I, 54. u a. a. 0. Suet. a. a. 0.
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erlangte, ganz ungezwungen unter die Reihen des Volks gemischt'). Alles dies änderte sich unter seinem trübgelaunten Nachfolger, der nicht nur der thörichten Unzufriedenheit der Hauptstadt, sondern auch dem Murren der Legionen trotzen konnte, die er pünktlich bezahlte, während er sich nie dazu herabliess, sie durch Geschenke zu bestechen. 2 ) Den Hass, den Tiberius so auf sich lud, indem er die öffentlichen Vergnügungen einschränkte, erhöhte er noch durch seine persönliche Sparsamkeit; Pomp und Gepränge liebte er nicht; sein Hof unterschied sich in nichts von dem Hause eines gewöhnlichen, bemittelten Bürgers. Einfach und genügsam in seiner eigenen Lebensweise, machte er dieselbe Sparsamkeit andern zur Pflicht. Mehrere Verschwender, die ihr Erbgut vergeudet hatten, stiess er mit Schimpf und Schande aus dem Senat 3 ); er verschleuderte keine Schätze an Günstlinge, Schmarotzer oder Verwandte, und war so in einer Zeit der Ueppigkeit und Verschwendungssucht ein glänzendes Muster der viel gerühmten altrömischen Einfachheit, Genügsamkeit und Anspruchslosigkeit, ') Suct. Aug. 43. 44. ) E r bezahlte ihnen das L e g a t des Augustus (Tac. Ann. I, 8) aus, aber nur ein einzigesmal machte er ihnen ein Gcscheiik von sich aus, und das war bei einer sehr denkwürdigen und kritischen Veranlassung, n a c h dem Sturz des Seianus; damals l i e s s e r unter die Praetorianer und unter die Legionen in Syrien ein Geldgeschenk verteilen. Suet. Tib. 48. a ) T a c . Ann. II, 48. J
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ein Muster, das unglücklicherweise gänzlich unbeachtet bleiben sollte. Solche Sparsamkeit im staatlichen wie im privaten Leben lieferte denn auch reichliche Mittel, um bei Unglücksfallen helfend eintreten und die Leiden von Tausenden lindern zu können. So finden wir darum Tiberius in den Stand gesetzt und allezeit bereit, seine leidenden Unterthanen mit freigebiger Hand zu unterstützen und für Zwecke der Wohlthätigkeit ungeheure Geldsummen zu spenden, die er sich aufs strengste weigerte für die Belustigung einer faulen Menge zu verschwenden. Wenn wir bedenken, dass Wohlthätigkeitssin und Menschenliebe Haupttugenden unsrer christlichen Gesittung sind, dass besonders staatliche Wohlthätigkeits-Anstalten, die edlen Früchte der Religion der Liebe dem unvollkommenen Altertum so gut wie unbekannt waren, so müssen wir den Mann ehren und bewundern, der, trotz äusserlicher Härte und Gefühllosigkeit, sein Mitleid ungebeten und wider aller Erwarten seinen leidenden Unterthanen so reichlich bewies. Veranlassung dazu fehlte unter seiner Regierung nicht. Das furchtbarste Erdbeben, das im Altertum bekannt war, zerstörte in einer schrecklichen Nacht zwölf der blühendsten Städte von Kleinasien, darunter Sardes und Ephesus. Die erstere Stadt allein erhielt von Tiberius die Summe von 10,000,000 Sesterzen (ca. 2,000,000 Mk.), und alle wurden
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für 5 Jahre von sämtlichen öffentlichen Lasten befreit.') Später suchte noch ein anderes Erdbeben Teile von Kleinasien und Griechenland heim, und der Kaiser unterstützte die Betroffenen in ähnlicher Weise. Zwei grosse Brände zerstörten Teile der Stadt R o m ; beidemale ersetzte Tiberius den Betroffenen ihren ganzen Verlust. 2 ) W i r lesen, dass er beim zweitenmale 100,000,000 Sesterzen (ca. 20,000,000 Mk.) spendete, und dies ganz kurz vor seinem Tode s ), zu einer Zeit also, in der er nach der allgemein verbreiteten Ansicht alle die erheuchelten Tugenden seiner früheren Jahre abgelegt, alle Sorge für den Staat aufgegeben und sich selbst der zügellosen Befriedigung der schändlichsten Lüste hingegeben haben sollte 4 ). Wären uns die Einzelheiten der Verwaltung des Tiberius vollständiger bekannt, so würden wir finden, dass er denselben Geist in allem walten liess 5 ). W i r würden erkennen, dass er bereit war einzelnen wie grösseren Gesamtheiten beizustehen, und doch würden wir auch sehen, ') Plin. N. H. 2, 200. T a c . Ann. II, 47. Suet. Tib. 48 a. E . Dio Cass 57, 17, 7. 2 ) Tac. Ann. IV, M u. V I , 45. a ) Im J a h r e 36 n. Chr. T a c . Ann. V I , 43. 4 ) Tac. Ann. V I , 51 a. E . Vgl. oben S. 68 f. 5 ) W ä h r e n d einer Teuerung liess er die Getreidepreise ganz niedrig ansetzen und bezahlte den Händlern die Differenz dieser Preise mit den wirklichen aus seiner eigenen Kasse. T a c . Ann. II 87. W ä h r e n d einer Gcldkrisis g a b er ein unverzinsliches Darlehen von 100,000,000 Sesterzen (ca. 20,000,000 Mk.) auf drei J a h r e . T a c . Ann. VI, 17.
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dass er — und dies ist sehr charakteristisch für seine Art — nie aus Ostentation, sondern stets aus Ueberzeugung und Pflichtgefühl seine Unterstützung gewährte oder verweigerte. So erfahren wTir, dass er Senatoren, die in unverschuldete Not und Armut geraten waren, grosse Summen spendete, dagegen anderen, die seine Güte ebenfalls in Anspruch nehmen wollten, ohne sie zu verdienen, dieselbe Wohlthat streng verweigerte ')• Ein Fall ist für den Scharfsinn des Kaisers, für die Furchtlosigkeit, mit der er Unzufriedenheit und Widerspruch geradezu herausforderte,*) und für die Bereitwilligkeit, mit der er seine innerste Meinung auszusprechen pflegte, so bezeichnend, dass ich nicht umhin kann, ihn hier nach dem Bericht des Tacitus wiederzugeben. Ein gewisser Marcus Hortalus, der von Augustus die Summe von 1,000,000 Sesterzen (ca. 200,000 Mk.) erhalten hatte, um sich die senatorische W ü r d e erhalten zu können, trotzdem aber schon unter seinem Nachfolger wieder in Armut geraten war, vergass so sehr den Stolz eines römischen Senators und die W ü r d e eines freien Mannes, dass er, den Lauf der Debatte in dem versammelten Senat unterbrechend, eine äusserst unwürdige Bitte an Tiberius richtete, indem er ihn anflehte, mit ihm und seinen vier ') T a c . A n n . I. 75. Suct Tih. 48. ) T a c . A n n . II, 38: Inclinatio senatus Tibcrio fuit, quo promptius advcrsarclur. 2
incitamentum
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Kindern Mitleid zu haben, und eine so grosse ruhmreiche Familie nicht in das schrecklichste Elend versinken zu lassen. Der Senat schien, wie Tacitus erzählt, geneigt, den Bittsteller zu unterstützen; aber als Tiberius das merkte, machte er seiner gerechten Entrüstung in folgenden Worten Luft: „Wenn jeder Arme hierher kommen und für seine Kinder um Geld betteln wollte, dann würde der Staatsschatz bald erschöpft sein, ohne dass damit die einzelnen befriedigt wären. Und die Bestimmung, dass man unter Umständen von der Tagesordnung abgehen und einen Vorschlag zum besten des Staates frei vorbringen darf, ist jedenfalls von unsern Vorfahren nicht dazu getroffen worden, damit man nun hier seine Privatangelegenheiten und Familieninteressen vorbringen dürfe und damit den Senat und den Fürsten, mögen sie der Bitte folgeleisten oder sie abschlagen, in Misskredit bringe. Das ist aber keine Bitte mehr, sondern unverschämte Forderung, noch dazu sehr thöricht und zur Unzeit vorgebracht — denn zu andern Dingen hat sich der Senat versammelt —, dass man hier aufsteht, von Zahl und Alter seiner Kinder dem Senat etwas vorjammert, und so aut ihn einen Druck ausübt, und ebenso auch mir Gewalt anthun und ich möchte fast sagen die Staatskasse erbrechen will, d i e wir mit v e r b r e c h e r i s c h e n Mitteln wieder w e r d e n füllen müssen, wenn wir
— Ill — sie, um i r g e n d j e m a n d e m uns g e f ä l l i g zu e r w e i s e n , e r s c h ö p f e n . " ') Nichts kann für jene Zeit bezeichnender sein, als dass diese offene, gerade, verständige und gerechte Sprache von der edlen Körperschaft der Senatoren, der Elite des Volkes, mit kaum unterdrücktem Unwillen aufgenommen wurde, sodass sich sogar der stolze Tiberius veranlasst sah, einzulenken und den Wünschen des Senates wenigstens soweit nachzugeben, dass er jedem der vier Sühne des Hortalus 200,000 Sesterzen (ca. 40,000 Mk.) bewilligte. 2 ) Nur ein Umstand kann uns noch mehr befremden: dassTacitus, der philosophische Geschichtsschreiber, der stolze Republikaner, der Verteidiger der angeborenen Würde des Menschen, seine Sympathie offenbar dem erbärmlichen Bettler und seinen elenden Genossen zuwendet. Er gibt zu verstehen, Tiberius' Worte hätten den Tadel der Guten verdient, Hortalus, wenn auch durch des Kaisers Schmährede zum Schweigen gebracht, habe doch „die Würde seines adligen Hauses gewahrt", und der Kaiser habe kein Mitleid gezeigt, als später das Haus ') Diese Rede ist eins der vielen Beispiele, die mit der Bemerkung des Tacitus ganz im Widerspruch stehen, Tiberius habe gewöhnlich seine wahre Meinung verhüllt, auch wenn dazu kein besonderer Grund vorhanden gewesen sei (Tac. Ann. I, 2: Tiberioque etiam in rebus quas non occuleret, seu natura sive adsuetudine, suspensa semper et obscura verba). 2 ) Tac. Ann. II, 37. 38. — Suet. Tib. 47.
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des Hortensius in die schmachvollste Armut versunken sei.') Wenn wir diesen Vorgang ruhig betrachten — können wir dann zu einem andern Schlüsse kommen, als zu dem, dass Tiberius in seinen Begriffen von den Pflichten eines Bürgers der Gesellschaft gegenüber seiner Zeit weit voraus war? W i r können mit seinen Anschauungen im Fall des Hortalus völlig übereinstimmen; kein Staatsmann unserer Zeit würde anders entscheiden. W e r könnte sich in einem Parlamente unterstehen, für die Bewilligung einer Unterstützung aus der Staatskasse zu sprechen, mit der den zerrütteten Vermögens verhältnissen eines bankerotten Adligen aufgeholfen werden soll, nicht, weil er irgend ein Verdienst um den Staat aufzuweisen hätte, sondern allein inanbetracht des Adels seines Hauses? Aber die Zeitgenossen des Tiberius urteilten anders: so auch sein Geschichtsschreiber. Sie gingen von ganz andern Voraussetzungen aus: ihre politischen Ueberzeugungen wurzelten in der republikanischen Zeit; ihr Ideal war der Glanz und Reichtum, Einfluss und Ruhm ihrer grossen Familien. Alle anderen Erwägungen waren für sie untergeordnet und sie hassten den Kaiser, der sich weigerte, die Finanzen des Staates als das Erbgut einiger wenigen adligen Familien zu betrachten. ') Tac. a. a. 0.
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XI. Nach dem, was wir über die Art der Verwaltung im allgemeinen und der des Finanzwesens im besonderen gesagt haben, können wir vermuten, dass unter Tiberius die heiligste aller politischen Interessen der Gesellschaft, die redliche und unparteiische Verwaltung der Rechtspflege, so gesichert und verbürgt war, als es bei den damals herrschenden Vorstellungen von Recht und der damaligen Rechtsordnung möglich war. Wo weise Sparsamkeit alle Versuchungen, die finanzielle Notstände mit sich bringen können, fernhielt, wo Geldgier und Habsucht dem Fürsten fremd waren und durch seine unermüdliche Wachsamkeit auch bei anderen mit starker, unbeugsamer Hand niedergehalten wurden, da lässt sich vermuten, dass in allen Civilstreitigkeiten der Gerechtigkeit freier Lauf gelassen wurde. Aber hier kann die Frage aufgeworfen werden, ob dieselbe Unabhängigkeit auch bei Criminalprozessen vorhanden war, wenigstens in all den Fällen, welche die Wohlfahrt, Sicherheit und das Interesse des Kaisers betrafen, d. h. in allen Fällen von mehr oder weniger politischem Charakter. Diese Frage ist von solcher Wichtigkeit, dass es nötig sein wird, sie sorgfältig zu erörtern. 8
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W a s iür Vorzüge wir auch dem römischen Recht vom wissenschaftlichen Standpunkte aus zuerkennen mögen, die Handhabung desjenigen Zweiges, welchen wir das Criminalrecht nennen, während die Römer ihn als öffentliches Recht (iuspublicum) bezeichneten, war äusserst mangelhaft. Sein hauptsächlichster Fehler war der, dass er von den politischen Gewalten des Staates nicht getrennt und unabhängig war. Die hohen Beamten des Staates waren die Richter, und das V o l k in seiner Gesammtheit bildete den Gerichtshof. Auf diese Weise musste notwendig die Verwaltung der Rechtspflege einen poliitschen Charakter annehmen, Parteirücksichten mussten sich anstelle richterlicher Unparteilichkeit eindrängen, und das Recht Urteile zu fällen musste ein heftig umstrittener Gegenstand politischer Kämpfe werden. Die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, die Einsetzung unabhängiger Gerichtshöfe ist ein Gedanke neuerer Zeiten, der den Alten nie in den Sinn kam. Jeder Staatsbeamte war bei ihnen mit dem Recht der Jurisdiction ausgestattet. In Rom war der Consul in erster Linie oberster Richter; und obgleich seit der Errichtung der Praetur d i e s e s Amt als vorzugsweise richterliches betrachtet wurde, hatte doch nach wie vor j e d e r Beamte des Staates in allen mit seinen speciellen Functionen zusammenhängenden Dingen das Recht der Jurisdiction. Wenn wir uns von der Tragweite einer
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solchen Einrichtung eine rechte Vorstellung machen wollen, müssen wir uns etwa den Finanzminister als obersten Richter denken, der in allen die Einkünfte des Staates betreffenden Dingen die Entscheidung hätte, oder den Handelsminister als Richter in allen Angelegenheiten des Handels, der Zölle u. s. w. Nehmen wir dazu eine Einrichtung wie die des jährlichen Wechsels dieser obersten Aemter, der mit den heftigsten Wahlkämpfen notwendig verbunden sein musste, so werden wir bald imstande sein, den W e r t eines Collegiums von Richtern zu schätzen, die, Uber alle Parteirücksichten erhaben, unabhängig von dem Ausgang aller Parteikämpfe, sich keinen andern Interessen widmen als der Reinheit und Heiligkeit der Gerichtshöfe, in denen sie den Vorsitz führen. Um dem grossen Uebel der Parteilichkeit abzuhelfen, griffen die Römer zu einer Massregel, die ein noch grösseres Uebel war. Sie übertrugen die Entscheidung aller Fälle, in denen es sich um Leib und Seele eines Bürgers han. delte, dem ganzen Volke. Eine Volksversammlung ist der allerschlechteste Gerichtshof, den es geben kann. Jedes Gefühl der persönlichen Verantwortlichkeit schwindet, wenn Tausende es unter sich teilen; eine grosse Volksmenge ist zu ruhiger Ueberlegung nicht befähigt; Leidenschaft verdrängt die sachliche Erwägung, Sympathie oder Abneigung siegt über Unparteilich-
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keit, Parteigeist über Gerechtigkeit. Alle diese Uebelstände machten sich natürlich in gesteigertem Masse in politischen Prozessen geltend, in denen das Volk zugleich Richter und Partei war. W i r können es kaum begreifen, wie es möglich war, an einem solchen System auch nur eine Zeitlang festzuhalten. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, das ganze Volk oder auch, wie z. B. in Athen, nur einen Teil desselben als Richter zur Entscheidung von Clriminalfällen zu versammeln, sollte man doch denken, dass die unvermeidliche schwere Schädigung der Gerechtigkeit den grossen Staatsmännern des Altertums irgend eine Massregel zur Abhilfe nahegelegt haben sollte. Aber sie fanden keine, und selbst als die Häufigkeit der Verbrechen in der späteren Zeit der Republik die Errichtung stehender Gerichtshöfe (quaestiones perpetuae) für die schwereren Criminalfälle gebieterisch erforderte 1 ), wurden die zwei Hauptschäden des alten Systems im grossen Ganzen beibehalten, denn die Vorsitzenden dieser Gerichtshöfe wurden aus den Beamten genommen, und die Geschworenen waren eine zahlreiche Körperschaft politischer Parteigänger. Zuerst bestanden sie aus Senatoren. Die Bestechlichkeit und Parteilichkeit derselben führte ') Die erste quaestio perpetua, de repetundis, wurde im Jahr 149 v. Chr. auf Antrag des Cn. Calpurnius Piso eingesetzt. Cic. Verr. IV, 25, 56.
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zu dem Sempronischen Gesetz des C. Gracchus, welches ihnen dieses Recht (oder, wie wir sagen würden, diese Pflicht) nahm und den Richtern übertrug 1 )- Von dieser Zeit an bis zum Ende der Republik war jeder Parteisieg in den furchtbaren Schwankungen ihres Niedergangs von einem Wechsel in der Zusammensetzung der Richtercollegien begleitet, und, wie es scheint, brachte jede neue Einrichtung dieselben Fehler einer parteiischen Rechtspflege hervor. Die alte Gewohnheit, jede Rechtsfrage durch ein politisches Medium zu betrachten, die Familie und Verwandtschaft, den politischen Einfluss und die Parteistellungeines angeklagten Verbrechers mehr zu berücksichtigen, als seine Schuld oder Unschuld in dem betreffenden Falle, hatte in Rom nicht nur die Praxis in der Verwaltung der Rechtspflege, sondern sogar die Begriffe von Recht und Unrecht verkehrt. Ciceros Reden geben ein getreues Bild des jammervollen Standes der Dinge, und sie wären, auch wenn es keine andern gäbe, ein deutlicher Beweis dafür, dass der Staat in allen seinen edlen Teilen krank, dass eine politische Wiedergeburt zur unbedingten Notwendigkeit geworden und die Errichtung der Monarchie, obgleich dieselbe eine gänzliche Vernichtung der politischen Freiheit mit sich brachte, für die Menschheit ein grosser Segen war. ') Vell. Pat. II, 13, 2. Tac. Ann. XII, 60.
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Die Stellung der Kaiser unterschied sich von derjenigen aller Parteien dadurch, dass sie mächtig genug waren, um selbst nicht Partei zu sein, sondern über allen Parteiungen zu stehen. D a s war allein schon ein grosses Glück für ein Volk, das so viel von Bürgerkriegen zu leiden gehabt hatte; aber mit den Mitteln, die den Kaisern zu Gebote standen, vermochten sie nicht sofort ihre Unabhängigkeit von Partei-Interessen zur vollen Geltung zu bringen. Alle politischen Umwandlungen müssen durchgeführt werden mit Hilfe des Mechanismus des abgeschafften Systems und derselben Männer, welche noch wesentlich von denselben Grundsätzen, Vorurteilen und Gewohnheiten beeinflusst sind, wie die Träger desselben. So geschieht es leicht, dass trotz der Veränderung der Form doch der alte Geist wieder die neue Organisation durchdringt, und selbst unter den günstigsten Umständen, und wenn ein Genie erster Grösse die Umgestaltung der Dinge leitet und überwacht, kann es unmöglich ausbleiben, dass Mängel ganz unvermerkt von dem alten in das neue System sich miteinschleichen. So war es auch mit den von Augustus und Tiberius eingeführten Reformen in der Verwaltung der Rechtspflege. Augustus hatte schon frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, den widersinnigen Prozessen vor der Volksversammlung ein Ende zu machen, und er gab sich alle Mühe,
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die Gerichtshöfe für Criminalfalle auf eine gesunde Grundlage zu stellen. >) Aber Tiberius fand den alten Parteigeist doch noch immer übermächtig, und obgleich er ihm kräftig entgegenzuarbeiten bemüht war, erzielte er doch nur sehr mangelhafte Erfolge. W i e Tacitus und Dio Cassius erzählen, war es seine Gewohnheit, persönlich die verschiedenen Gerichtshöfe zu besuchen und ihre Verhandlungen zu überwachen. 2) Sein Zweck dabei war der, die Beugung des Rechts durch den Partei-Einfluss der Grossen zu verhindern 3 ). Ohne Zweifel zwang er durch sein Dazwischentreten die Richtercollegien, den Gesetzen der Gerechtigkeit statt Parteirücksichten zu folgen; aber dass es ihm nicht gelang, ihnen die Grundsätze einer unverfälschten Rechtspflege aufzunötigen, geht deutlich aus der gehässigen Bemerkung des Tacitus hervor, dass über der Sorge für die Gerechtigkeit die Freiheit (der Gerichtshöfe) verloren gegangen sei. 4 ) Dies zeigt, dass selbst nach der Anschauung des grossen Historikers die Freiheit, das Recht zugunsten der Grossen zu beugen, wünschenswerter war, als der Zwang, gerechte Urteile zu fällen. ') Vgl. Suet. Aug. 32. 33. Tac. Ann. I, 75. Dio Cass. 57, 7, 2. Vgl. Suet. Tib. 33. ') Tac. a. a. O. Multaqtte eo coram adversas ambitum et poten! iu m preces constituía. 4 ) a. a. 0. Sed dum ver i! al i c on sti li! ur , líber las c or r u m pe b al u r. 2)
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W i r sprachen oben von der Rührigkeit und eifrigen Thätigkeit des Tiberius in der allgemeinen Verwaltung.') Nicht weniger eifrig war er in der Ueberwachung der Gerichte. W i r müssen uns wundern, wie er die Zeit und die körperliche Kraft und Energie finden konnte» das alles zu leisten, was er that. E r war stets auf der Wacht und jeden Augenblick bereit zu handeln, wo sich dazu Gelegenheit und Veranlassung bot. W e r Tacitus gelesen hat, bedarf dafür keiner Beweise. W i r wollen daher nur 6in Beispiel auswählen, welches zu charakteristisch ist, als dass wir es übergehen könnten. Der Praetor Plautius Silvanus ward angeklagt, seine Gattin ermordet zu haben, indem er sie aus dem Fenster des Schlafgemaches herabstürzte. Silvanus bemühte sich, die Sache so darzustellen, als ob seine Gattin freiwillig den Tod gesucht habe. Sobald Tiberius von dieser Anklage hörte, begab er sich persönlich in das Haus des Praetors, sah das Gemach genau ein, überzeugte sich, dass deutliche Spuren eines Kampfes zwischen der unglücklichen Frau und ihrem Mörder vorhanden waren, und brachte die Sache vor den Senat und den entsprechenden Gerichtshof. Der Selbstmord des Silvanus endete die Untersuchung, welche die ehrenwerte Haltung des Tiberius in vollem Lichte zeigt und beweist, dass er in dem Eifer für das allgemeine Beste ') S. oben S. 88 ff.
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ohne Bedenken seine eigene Bequemlichkeit opferte und den Einfluss seiner Stellung dazu benützte, um auch für einen adligen Verbrecher die gerechte Strafe auszuwirken. >) Aber des Kaisers Eingreifen in die Rechtspflege wäre das Gegentheil einer Wohlthat gewesen, wenn seine Auffassung vom Recht nicht besser gewesen wäre, als die war, welche in den gewöhnlichen Gerichtshöfen vorherrschte, und wenn seine richtigen Anschauungen nicht auf festen Willen gestützt gewesen wären. Nach einer Stelle des Tacitus könnte es scheinen, als ob Tiberius desshalb so grosses Interesse für solche gerichtliche Verhandlungen gehabt hätte, weil er an Criminalprozessen Vergnügen fand. ! ) Aber diese Behauptung ist nichts als eine rhetorische Phrase des Schriftstellers, die nur den Zweck hat, seine Declamationen gegen den Kaiser zu würzen. Wir müssen von dem Rhetor Tacitus an den Gerichtsschreiber Tacitus appellieren, und dieser erzählt uns, dass die Rechtspflege, die Hochverratsprozesse ausgenommen, unter diesem Kaiser eine durchaus gerechte und billige war'). Das ist ein sehr wichtiges Zugeständnis, zumal wenn wir be') Tac. Ann. IV, 22. ) Tac. Ann. I, 75: Nec patrmn cognifiontbits satiatus iudiciis adsidebat J ) Wenigstens bis zu der Periode des überwiegenden Einflusses des Seianus. Tac. Ann. IV, b: Li'gt's, si maiestatis quacstio eximeretitr, boiio iti usu. a
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denken, von wem es gemacht wird. Es erhält seine volle Bestätigung durch zahlreiche Stellen aus Tacitus selbst und anderen Geschichtsschreibern, die hier alle anzuführen ermüdend sein würde. Des Kaisers Gerechtigkeitsliebe war durch einen Umstand noch ganz besonders ausgezeich net, dadurch nämlich, dass er, während er gegen alle die, welche sich gegen das Gemeinwohl vergingen, unnachsichtlich streng war und seinen ganzen Einfluss aufbot, die verdiente Strafe für sie auszuwirken, doch in solchen Fällen, die ihn selbst direkt betrafen, darauf verzichtete, das Gewicht seiner höheren Stellung geltend zu machen 1 ), und gegen diejenigen, die ihn persönlich beleidigten, mit Grossmut und Nachsicht verfuhr 4 ). Solche Geduld zeigte er besonders in den häufigen Fällen gemeiner Schmähungen durch anonyme Pasquille, denen er infolge seiner Unbeliebtheit fortwährend ausgesetzt war'). Nur bei 6iner Gelegenheit schien er erbittert und Tac. Ann. IV, 7: Si qttando cum privatis disceptaret, forum et ins. Cognitionen ') Tac. Ann. II, 50: In se iacta nolle ad vocari. Ibid. IV, 31: C. Cominium, probrosi in se carminis convictum, Caesar preeibus fratris, qui Senator erat, concessit. Sueton. Tib. 28: Scd adversus convicia malosque rumorcs et famosa de sc ac suis carmina firmus ac pattens etc. Wenn man solche Stellen gelesen hat, ist man überrascht Tacitus im Widerspruch mit sich selbst sagen zu hören (Ann. I. 72 a. E.): Hunc quoqitc (Tiberium) asperavere carmina in saevitiam superbiamque eius et discordem cum matre animum. 3 ) Tac. Ann. VI, 5 ff. Suet. Tib. 59.
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bestrafte den Verbrecher mit Verbannung 1 ); alle andern Anklagen dieser Art — und sie waren sehr zahlreich — schlug er nieder, und es ist Uberraschend, dass sie sich trotzdem so oft wiederholen konnten. XII. In der oben citierten Stelle aus Tacitus, in der die Verwaltung der Rechtspflege unter Tibcrius in allgemeinen Ausdrücken gelobt wird, wird zugleich eine sehr wichtige Ausnahme gemacht, — eine Ausnahme, die das Verdienst des Herrschers geradezu völlig aufzuheben geeignet ist. Diese Ausnahme bezieht sich auf das Verbrechen des H o c h v e r r a t s 2 ) . Wir können uns sehr wohl vorstellen, dass auch ein grausamer Tyrann in allen Prozessen von Privatpersonen der Gerechtigkeit völlig freien Lauf lässt und doch alle ihre Principien ausser acht lässt, wenn sein politisches Interesse es verlangt. Eine solche Verkehrung der Gerechtigkeit für politische Zwecke wird naturgemäss leichter in Zeiten der bürgerlichen Erregung vorkommen, während oder nach einer Revolution, bevor die Gesellschaft eine neue Ordnung der Dinge angenommen und sich daran gewöhnt hat. In solchen Zeiten ist das Recht, das in ') Tac. Ann. IV. 42. *) Tac. Ann. IV, ó: Lcgcs, c.ximerctur, bono in ttsu.
si
maicstntis
quaestio
— 124 — Friedenszeiten gilt, zu schwach, und wir sind gewöhnt, dass das Kriegsrecht an seine Stelle tritt oder dass auf andere Weise die Hände der herrschenden Partei stark genug sind, um jeden Widerstand, ja jede Unzufriedenheit sofort niederzuschlagen. Die Fälle von Härte oder Ungerechtigkeit, die sich aus solchen Umständen unvermeidlich ergeben müssen, wurden bei den Römern noch vermehrt durch die besondere Beschaffenheit ihres Gerichtsverfahrens, wonach selbst in allgemeinen Criminalfällen der politischen Agitation und dem Parteigeist zuviel Einfluss gestattet war. Wären auch die Gesetze über Hochverrat bei den Römern in der Zeit der noch unversehrten republikanischen Verfassung untadelig gewesen, so könnten wir doch kaum erwarten, dass sie in den langen Bürgerkriegen gerecht gehandhabt worden wären. Aber sie waren schon von Anfang an in einem wesentlichen Punkte mit einem grossen Mangel behaftet. Die Definition des „Hochverrats" war äusserst unbestimmt, so dass sie sich je nach den Interessen der jeweilig herrschenden Partei drehen und wenden liess. Hochverrat, oder, wie die Römer es nannten, imminuta maiestcis, schloss jedes Vergehen wider die Hoheit und das Wohl des Gemeinwesens in sich1)- Ein Hauptzweck der ') Cic. de inv. II, 17; de or. II, 25 u. 49; auct. ad Her. II, 12. V g l . Quint. V I I , 3, 35.
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lex maiestatis war der Schutz der Staatsbeamten in der Ausführung ihrer Pflichten, und es hat viel Wahrscheinlichkeit, dass das erste Gesetz dieser Art, die lex Appuleia1), hauptsächlich darauf angelegt war, den Volkstribunen grössere Sicherheit zu verbürgen. Die Kaiser fanden dieses Gesetz vortrefflich geeignet, ihren Thron zu sichern. Sie stellten in ihrer eigenen Person die Hoheit (maiestas) des römischen Volkes dar, und Hessen sich ausser andern Aemtern auch noch die tribunicia potestas auf Lebenszeit übertragen, welche ihnen die geheiligte Unverletzlichkeit der alten Tribunen gab. Es ist klar, dass diese von Augustus so klug ersonnene Benutzung des alten republikanischen Staatsrechtes bei dem noch ungesicherten Zustand der römischen Monarchie nicht überflüssig war. Neben der Erschöpfung des Volkes und seiner Bereitwilligkeit, 6inem Herrn zu gehorchen, war sie das beste Sicherungsmittel für die neuen Gewalthaber. Die ersten Kaiser hatten, obgleich sie in den entfernten Provinzen Uber grosse Heere verfügten, doch in Rom unmittelbar unter ihren Händen nur sehr wenige Truppen. Es hätte schwer werden können, einer >) A u s d e m J a h r e 100 v. Chr. Z u e r s t w a r e n die T r i b u n e n nur d u r c h die sacralio g e s c h ü t z t , d. h. d u r c h den F l u c h g e g e n die. w e l c h e s i c h g e g e n sie v e r g a n g e n h a t t e n . D i e W i r k s a m k e i t d i e s e s G e s e t z e s w a r v o r b e i , s o b a l d der a l l g e m e i n e E i n f l u s s d e s Aberglaubens g e s c h w u n d e n war. D a d u r c h machte sich dann das Bedürfnis nach einem wirksameren Schutz geltend.
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Verschwörung Herr zu werden, wenn dieselbe einmal zum vollen Ausbruch gekommen wäre. Es war daher notwendig, jeden Widerstand im Keim zu ersticken, und es braucht kaum hinzug e f ü g t zu werden, dass es, wie das allezeit der Fall ist, für die, welche gerade die Oberhand hatten, eine grosse Versuchung war, alle ihre Gegner zu erdrücken und zu vernichten, und alle Gefahr, ja selbst jede Möglichkeit einer Opposition für immer zu beseitigen. Wenn wir nach diesen Bemerkungen die gemeingültige Vorstellung von Tiberius als einem grausamen, blutdürstigen und rücksichtslosen Tyrannen durch die Geschichte der Criminalprozesse während seiner Regierung bestätigt zu finden erwarten, so werden wir uns sehr getäuscht sehen. Um indessen der Wahrheit ganz auf den Grund zu kommen, müssen wir jeden uns berichteten Fall, von dem wir genug wissen, um ihm die Bedeutung eines geschichtlichen Beweismittels beimessen zu können, aufs sorgfältigste untersuchen. W i r dürfen dabei nicht auf die allgemeinen Bemerkungen der Historiker, alter wie neuer Zeit, achten; i h r e verkehrten Darstellungen sind die Hauptursache zur Entstehung der Karrikatur gewesen, welche die Geschichte bis jetzt für das wahre Bild des Tiberius ausgegeben hat. W i r müssen uns dav o r hüten:
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1. es für ausgemacht zu halten, däss alle auf Hochverrat Angeklagten auch wirklich schuldig befunden und verurteilt wurden; 2. die wegen anderer Verbrechen Verurteilten, aber von dem Verbrechen des Hochverrats Freigesprochenen als Opfer der letzteren Anklage zu betrachten; 3. allen denen als unschuldigen Opfern der Tyrannei unsre Teilnahme zuzuwenden, welche des Hochverrats für schuldig befunden wurden, als ob ein solches Verbrechen undenkbar gewesen wäre. Für jede dieser drei Kategorien geben uns unsre Quellen falsche Darstellungen, die wir im folgenden aufzudecken versuchen wollen. Tacitus leitet seine Erzählung der Hochverratsprozesse mit der gehässigen Bemerkung ein, Tiberius habe seine Genehmigung dazu erteilt, das Gesetz über Hochverrat wieder in Kraft zu setzen'): als ob ein altes Gesetz der Republik, das für die blosse Existenz des Staates so wichtig war, wie nur irgend ein anderes, je als nutzlos hätte beiseite gelegt werden können, und zwar von einem Fürsten, dessen eigene Machtstellung so ohne jeglichen gesetzlichen Schutz den Angriffen jeder unzufriedenen Partei ausgesetzt gewesen wäre. Nach dieser unvernünftigen und boshaften Bemerkung giebt Tacitus seinem Miss') Tac. Ann. I, 72.
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fallen an Tiberius auf Kosten der Wahrheit Ausdruck, indem er behauptet, erst unter den Kaisern sei das Gesetz angewandt worden um anstössige W o r t e zu bestrafen, während es sich früher nur auf H a n d l u n g e n erstreckt habe.') Das ist ein entschiedener Irrtum, wenn nicht eine absichtliche Verdrehung; denn wir wissen, dass im 3. Jahrh. v. Chr. gegen die Schwester des Claudius Pulcher wegen einiger thörichter Aeusserungen, die sie hatte fallen lassen, ein Prozess wegen Hochverrats eingeleitet wurde»). Es war also keine neue Erfindung zur Stärkung der despotischen Gewalt, die Tiberius einführte, sondern ein altes, nie abgeschafftes und nie vergessenes Gesetz, das er nicht nur zu seiner eigenen Sicherheit, sondern ebensowohl auch um derjenigen des Staates willen beibehielt. Die erste Anklage auf Grund dieses Gesetzes war gegen einen sonst unbekannten Ritter Falanius gerichtet. 3 ) W i e andere Leute, hatte auch er in seinem Hause eine gottesdienstliche Feier zu Ehren des Augustus eingeführt. Zur Teilnahme daran hatte er unter andern auch einen mimischen Schauspieler Cassius zugelassen, der wegen seines schändlichen Lebenswandels ' ) T a c . a. a. 0. Facta arguebantur, Suet. Tib. 2. S. oben S. 2. ' ) Tac. A n n . I, 73.
a)
dicta
impune
erant.
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berüchtigt war. Das ward als ein Frevel gegen den vergötterten Augustus ausgelegt. Eine andere Anklage ähnlicher Art gegen Falanius war die, dass er beim Verkauf eines Gutes auch eine Statue des verstorbenen Kaisers mitverkauft haben sollte. Ebenso nichtig war die Anklage, die gegen einen gleichfalls unbekannten Mann, Rubrius, erhoben wurde, nämlich dass er bei der Gottheit des Augustus einen Meineid geschworen habe. Es scheint klar, dass diese gleich am Anfang von Tiberius' Regierung erhobenen Anklagen von gewissen politischen Parteien ausgingen, die auf diese Weise die Gesinnung des Tiberius erkunden und versuchen wollten, wie weit sich das Hochverratsgesetz ausnützen liesse. War dem so, so müssen die Ankläger sich bitter enttäuscht gefühlt haben, denn Tiberius sandte an den Senat einen Brief folgenden Inhalts: „Die Vergötterung des Augustus ist nicht desshalb beschlossen worden, um daraus ein Mittel zum Ruin irgend eines Bürgers zu machen; der Schauspieler Cassius hat oft bei Spielen mitgewirkt, die von Livia selbst dem Andenken des Augustus gewidmet waren; auch darin liegt nichts Frevelhaftes, dass bei einem allgemeinen Verkauf auch die Statuen des Augustus oder andrer Götter mitverkauft wurden. Der Meineid aber ist so zu behandeln, als ob ihn Rubrius bei Jupiter geschworen hätte; 9
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die Götter werden für ihren eigenen sorgen 1 )-"
Schutz
So entgingen diese beiden Ritter der Strafe dank dem geraden Sinn und der Gerechtigkeit des Tiberius. Sehen wir nun, mit welch systematischer Bosheit hier die Geschichtschreiber den Kaiser zu verdächtigen suchen. Tacitus hat kein W o r t der Anerkennung für diese That der Gerechtigkeit; und Dio Cassius versteigt sich sogar zu der Behauptung, Tiberius hätte Falanius zum Tode verurteilen lassen, wenn ihn der Consul beim Prozess nicht zuerst um sein Urteil befragt hätte' so aber habe er aus Scham für die Freisprechung gestimmt, weil es eine ihn persönlich betreffende Sache gewesen sei8). Dies scheint denn doch ein nicht ganz billiges Verfahren eines Geschichtschreibers. Um einer guten That mit Recht ein schlechtes Motiv unterzuschieben, müssen wir genügende und überzeugende Beweise haben. Dio vermag dieselben nicht zu liefern; vielmehr lässt er sich eine grobe Fälschung in seiner Darstellung zuschulden kommen; denn aus dem ausführlichen Bericht des Tacitus geht hervor, dass Tiberius bei der Gerichtsverhandlung gar nicht zugegen war, ') Tac. Ann. I. 73. Die W o r t e des Kaisers widerlegen am besten die ihörichte Phrase des Plinius im Panegyricus, c. 11: Dicavit Tiberius caelo August um, sed ut maiestatis crimen inducerct (.'). ä ) Dio Cass. 57, 24 , 7.
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also auch überhaupt nicht aufgefordert werden konnte, sein Urteil zuerst abzugeben, sondern dass er vielmehr seine Stellung zu diesem Fall in einem Brieie an die Consuln darlegte. Die Richtigkeit der taciteischen Darstellung wird noch bestätigt durch das Verhalten des Kaisers in einem andern Fall, der einige Jahre später (22 n. Chr.) eintraf. L. Ennius wurde des Hochverrats angeklagt, weil er eine Silberstatue des Kaisers eingeschmolzen hatte. Der gelehrte Jurist Ateius Capito gab sich dazu her, eifrig für die Anklage zu sprechen; aber Tiberius wollte nicht darauf hören und schlug die ganze Sache nieder 1 ). Bei dem nächsten Prozess handelte es sich um eine Anklage, in welcher mehrere Vergehen verschiedener Art zusammengefasst waren. Granius Marcellus, Praetor von Bithynien, wurde von seinem eigenen Quaestor Caepio Crispinus wegen Erpressungen, die er sich während seiner Provinzialverwaltung hatte zuschulden kommen lassen, und daneben wegen Hochverrats angeklagt, weil er böse Reden über Tiberius geführt, seine eigene Büste höher als die des Kaisers gestellt und der Statue des Augustus den Kopf abgenommen habe, um dafür den des Tiberius aufzusetzen. Dieses letztere würde heutzutage nur als etwas sehr Lächerliches erscheinen; ») Tac. Ann. III, 70.
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Tiberius aber scheint dadurch im höchsten Grade aufgebracht worden zu sein1). Allein schnell lenkte er ein und liess Marcellus von der Anklage auf Hochverrat freisprechen. Die Anklage auf Erpressung wurde an den für diesen einzelnen Fall eingerichteten Civil-Gerichtshof, die Recuperatores, verwiesen'). Tacitus teilt den Ausgang dieses Prozesses nicht mit; aber auch wenn Granius Marcellus schuldig befunden wurde, so kann die Strafe nur in einer Geldbusse bestanden haben, da der Gerichtshof der Recuperatores nur Civilgerichtsbarkeit besass. Bei diesem Prozess haben wir wieder Gelegenheit, die böswillige Verleumdungssucht der Geschichtschreiber zu beobachten. Tacitus bezeichnet die Anklage wegen feindseliger Reden gegen Tiberius als eine solche, bei der eine Freisprechung gänzlich unmöglich gewesen sei8), und deutet dabei an, Tiberius habe denen, die ihn persönlich beleidigten, das nie vergeben können. Wir haben bereits gesehen, dass das gerade Gegenteil davon der Fall war4). Sueton geht noch weiter; nachdem er gesagt, Tiberius ') E s erklärt sich das genügend daraus, dass es Sitte war, die Statue eines gestürzten Tyrannen zu enthaupten, worauf sich Hieronymus bezieht Icomm. in proph. Habacuc c. 4): Cumtyrannus detruncatur, imagines quoque eius depotiunlur et statuae vullu tantummodo commutato ablatoquc capite eius facies, qui viceril, superponitur. a ) T a c . Ann. I, 74. 3) Inevitabile crimen. «) S. oben S. 122 f.
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habe verlangt, dass das Majestätsgesetz gehandhabt werden solle, wobei er noch bemerkt, er habe das in „äusserst grausamer Weise" gethan 1 ), erzählt er von der Aenderung des Kopfes einer Stafue des Augustus und behauptet, der desshalb Angeklagte sei v e r u r t e i l t (I) worden. Eine derartige Verdrehung der Thatsachen kennzeichnet die Parteilichkeit des Geschichtschreibers. In diesem Falle sind wir glücklicherweise in der Lage, den Irrtum ausfindig machen und berichtigen zu können. W e r aber kann sagen, in wie vielen andern Fällen wir ebenso dazu imstande wären, wenn wir einen vollständigeren und weniger parteiischen Bericht über die Ereignisse während dieser Regierung besässen ? Selbst Tacitus steht, trotz aller Vorurteile gegen Tiberius, unendlich weit über Dio Cassius und Sueton, weil er im allgemeinen wenigstens als Zeuge von Thatsachen zuverlässig ist. Diese lassen sich zuweilen durch sorgfältige historische Kritik von den rhetorischen Zusätzen der Annalisten scheiden. Allein der unersetzliche Verlust desjenigen Abschnittes des taciteischen Geschichtswerkes, welcher die Verschwörung des Sejan, ihre Unterdrückung und die nächstfolgenden Ereignisse behandelt, nötigt uns, die beiden Schriftsteller, deren Mangel an Genauigkeit und ') Suet. Tib. 58. ...exercendas cissime exercuit.
leges respondit
et
atro-
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Wahrhaftigkeit, wie wir gesehen haben, klar zu Tage liegt, zu unseren hauptsächlichsten Führern zu wählen. Die nächste Anklage auf Hochverrat leitet Tacitus mit Worten ein, die uns auf Blut- und Schreckensscenen gefasst machen. „Mittlerweile", sagt er, „nahm das Hochverratsgesetz und seine Anwendung grössere Verhältnisse an." Das unglückliche Opfer in diesem Fall ist eine adlige Frau, Apuleia Varilla, eine Grossnichte des Augustus. Die Anklage bezog sich auch hier auf zwei ganz verschiedene Verbrechen: erstens Schmähreden gegen Augustus, Livia und Tiberius; zweitens Ehebruch. Es ist der Mühe wert, zu beobachten, wie Tiberius diese beiden Klagepunkte behandelte. Zuerst verbot er alle weiteren Untersuchungen über die Schmähung seiner eigenen Person, und nachdem er mit Livia Rücksprache genommen, auch über die, welche diese betrafen. Was sie gegen Augustus gesagt hatte, wollte er zuerst bestraft wissen, zuletzt aber verzichtete er auch hierauf; für das Verbrechen des Ehebruchs bat er von einer besonders harten Strafe abzusehen und beschränkte dieselbe auf Verbannung aus Rom1). Das also waren die „grösseren Verhältnisse", welche nach Tacitus die Anwendung des Hochverratsgesetzes angenommen hatte! ') Tac. Ann. II, 50.
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Von einigen weniger wichtigen Fällen abgesehen 1 ), ist der nächste Prozess der Zeitfolge nach der des unglücklichen Dichters C. Lutorius Priscus. Dieser hatte auf den Tod des Germanicus ein Gedicht verfasst, für welches er von Tiberius eine Summe Geld erhalten hatte. Nun wurde er angeklagt, ein ähnliches Klagelied auf den Tod des Drusus verfasst zu haben, als derselbe an einer schweren Krankheit darniederlag, von der er indess wieder genas. Diese poetische Anticipation des Todes des Kaiserlichen Prinzen wurde von seinem Ankläger als ein abscheuliches Verbrechen dargestellt und er von dem Senat, in dem nur zwei Männer die Kühnheit hatten, für ihn zu stimmen, in Abwesenheit des Tiberius zum Tode verurteilt. Das blutige Urteil ward sofort an ihm vollstreckt. Es sollte das offenbar ein Zeichen des Eilers und der loyalen Anhänglichkeit des Senats an das regierende Haus sein. Als Tiberius von diesen Vorgängen hörte, tadelte er den Senat wegen seines unzeitigen Eifers und seiner Eile, und um ähnliche Vorkommnisse für die Zukunft zu verhüten, veranlasste er die Annahme eines Beschlusses, wonach in Zukunft zwischen einem Urteil und seiner Vollstreckung immer zehn Tage verstreichen sollten 8 ). Es ist dies ein deutlicher Beweis, dass die servilen Anhänger des ') S. Tac. Ann. III, 37. 38. =) Tac. Ann. III, 49 ff.
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herrschenden Fürsten in ihrer politischen Leidenschaft heftiger und unversöhnlicher waren als ihr Gebieter, eine Erscheinung, die in der Geschichte alter wie neuer Zeiten keineswegs selten oder nur ausnahmsweise vorkommt. Den nächsten Fall leitet Tacitus wieder mit einer der kurzen, bitteren Bemerkungen ein, die von Anfang an das Urteil eines unvorsichtigen Lesers irre führen. „Nach und nach", sagt er, „traten Grausamkeiten an die Stelle unwürdiger Thaten". Sehen wir, wer diesesmal das unschuldige Opfer war. C. Silanus, Proconsul von Asien, einer senatorischen Provinz '), wurde von den Bewohnern des Landes, das er ausgesogen hatte, der Erpressungen angeklagt. Dazu wurde dann noch die Anklage auf Hochverrat hinzugefugt, aber der Prozess, wie es scheint einer der wichtigsten, drehte sich zuletzt ausschliesslich um die schlechte Pro vinzialverwaltung des Silanus. Sein eigener Quaestor und Legat nahm an der Anklage teil. Aus der ganzen Provinz Asien wurden die bedeutendsten Redner ausgewählt, um für die Anklage zu sprechen. Tiberius, der immer aufs eifrigste darauf bedacht war, die Not jeder misshandelten Provinz zu lindern, griff selbst in die Verhandlungen ein. „Und man betrachtete es als ganz unzweifelhaft," sagt ') In diesen Provinzen war, wie wir oben gesehen haben (S. 91), Ausschreitungen der Provinzialstatthalter ein grösserer Spielraum gegeben, als in denjenigen, die unmittelbar der Controle des Kaisers unterstellt waren.
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Tacitus, „dass Silanus sich Grausamkeiten und Räubereien hatte zuschulden kommen lassen." Welches andere Ergebnis wäre demnach überhaupt denkbar gewesen, als Verurteilung und Strafe ? Tacitus meint aber, Tiberius habe noch eine Entschuldigung oder einen Vorwand finden Beschluss gesucht, den er fasste. Er sagt, der Kaiser habe in dieser Absicht einen Senatsbeschluss verlesen lassen, der das Urteil über ein ähnliches Verbrechen des Messalla unter der Regierung des Augustus enthielt. Ein ungewöhnliches Verfahren mag das gewesen sein; jedenfalls war es ein sehr vernünftiges, und wie ich glaube, war es nicht durch irgend einen Zweifel des Tiberius an der Gerechtigkeit des Urteils veranlasst, sondern vielmehr nur durch den Wunsch, noch eine Bestätigung dafür zu haben. Uebrigens war das Urteil verhältnismässig noch sehr mild: Silanus ward nach der Insel Gyarus verbannt und sein Vermögen nur teilweise eingezogen ')• Unter den römischen Frauen, die sich ebenso durch alten Adel, wie durch schamlose Unsittlichkeit auszeichneten, war Lepida, aus dem edlen Hause der Aemilier, das unter seinen Ahnen zwei solche Männer wie Sulla und Pompeius den Grossen aufweisen konnte. Sie war verheiratet gewesen an P. Quirinus, einen Mann von ungeheurem Reichtum, aber plebeischer ') Tac. Ann. III, 66 ff.
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Abstammung, der sich unter Augustus als Provinzialstatthalter und Befehlshaber ausgezeichnet hatte, i) Er scheint mit seiner hochadligen, viel jüngeren Gattin nicht in sehr glücklicher Ehe gelebt zu haben. Schändliche, verruchte Thaten wurden von Lepida ausgeführt oder wenigstens versucht. Ehebruch und der Versuch, ihren Gatten zu vergiften, waren für diesen Grund genug, sich von ihr zu scheiden. Er überliess sie ihrem sittenlosen Leben ohne sie für das, was sie gethan, zu bestrafen. Nach Verlauf von zwanzig Jahren finden wir nun diese edle römische Frau des Hochverrats angeklagt. Die Anklage lautete dahin, sie habe chaldaeische Wahrsager über das kaiserliche Haus befragt. Diese Anklage, die uns sehr verächtlich erscheint, erhielt damals durch den allgemeinen Aberglauben der Zeit ihre Bedeutung. Man schrieb Beschwörern und Zauberern grosse Gewalt zu, und man folgerte, dass niemand ein Interesse haben könne, über das Schicksal der kaiserlichen Familie nachzuforschen, als derjenige, welcher ehrgeizige oder verbrecherische Hoffnungen und Absichten hege 2 ). Nichtsdestoweniger liess Tiberius in seiner gewöhnlichen Hochherzigkeit alle Anklagen, die ihn betrafen, unbeachtet. Das andere Verbrechen der Lepida, ihre Sittenlosigkeit und ihre verbrecherischen Mordanschläge ') Er ist der im Ev. Luc. 2, 2 erwähnte Kop^vios. ») Vgl. Tertull. Apol. 35.
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betrachtete er mit Recht als schwer genug, um die strengste Untersuchung und Bestrafung notwendig erscheinen zu lassen. E r bestand deshalb auf einem strengen Prozessverfahren. Die Vorgänge, die diesen Prozess einleiteten, sind äusserst bezeichnend für die Anschauungen von Recht und Unrecht, die damals herrschten. An einem Schauspieltage begab sich Lepida, begleitet von einer Anzahl edler Frauen, in das Theater, und indem sie unter Jammern und Wehgeschrei ihre Ahnen, und vor allen den Pompeius anrief, dessen Statue das Gebäude, das selbst ein Denkmal seines Namens war, schmückten, riss sie die Zuschauer zu solchem Mitleid hin, dass sie mit Thränen in den Augen wilde Verwünschungen gegen Quirinus ausstiessen, „den alten, kinderlosen Mann aus gemeiner Familie, dem eine Frau zum Opfer fallen solle, die einst bestimmt gewesen sei, die Gattin des L. Caesar und Stieftochter des Augustus zu werden." Allein Tiberius war nicht der Mann, der sich von dem Geschrei der Masse hätte beeinflussen lassen. Der Prozess kam zur regelmässigen Zeit zur Verhandlung. Um den Richtern volle Freiheit zu geben, bat Tiberius, seinen Sohn Drusus, der als designierter Consul seine Stimme zuerst hätte abgeben müssen, von dieser Pflicht zu entbinden. E s konnte im Senat kein Zweifel an der Schuld der Lepida herrschen. Es handelte
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Tag gelegt. War es denn dem grossen Historiker nicht verständlich, dass Milde und Gerechtigkeit sich sehr wohl miteinander vereinigen lassen? dass ein Richter edelmütig Vergehen gegen seine Person übersehen und trotzdem diejenigen» welche die Gesellschaft betreffen, strenge bestrafen kann? Es scheint fast, als habe der aristokratische Republikaner mehr Sympathie mit Lepida empfunden, wegen ihres Adels, als Abscheu vor ihr wegen ihrer Verbrechen und ihrer Sittenlosigkeit. Die Parteilichkeit des Tacitus und die rhetorische Färbung seiner Darstellung treten eben so deutlich zu Tage, wenn er gezwungen ist, Dinge zu erzählen, die für den Gegenstand seiner Abneigung günstig sind. Die Begnadigung des C. Cominius, der überführt war, der Verfasser eines Pasquills gegen Tiberius zu sein, leitet er mit einer Bemerkung ein, welche dieselbe als einen nur ausnahmsweisen Akt des Edelmuts darstellt, und schliesst sie mit einem Ausdruck des Bedauerns, dass Tiberius, obgleich er das Bessere sehr wohl kannte, doch im Schlechten verharrte.') Diese Bemerkung ist darauf berechnet, auf einen anderen Akt der Gerechtigkeit, den Tacitus unmittelbar darauf berichten muss, von vornherein ein möglichst ungünstiges Licht fallen zu lassen. Es war dies die Bestrafung des P. Suillius, der sich als Richter der Annahme ') Tac. Ann. IV, 31. S. oben S. 122, Anm. 2.
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von Geschenken schuldig gemacht hatte. Tiberius wurde bei dieser Gelegenheit wegen seiner Strenge getadelt, aber die Gerechtigkeit seiner Entscheidung zeigte sich unter seinem Nachfolger Claudius, als Suillius, aus der Verbannung zurückgekehrt, seinen Einfluss auf diesen schwachen Fürsten schmählich missbrauchte.') Wenn die Bestrafung eines solchen Mannes, wie Suillius, mit Murren aufgenommen wurde, so müssen wir sehr vorsichtig sein, ehe wir es als ausgemacht betrachten, dass die verurteilten Personen, wenn wir von ihrem Fall nicht mehr wissen, als dass er Mitleid erregte, unschuldig waren. E s wäre doch in der That sehr wunderbar, wenn in einer so verdorbenen Zeit, wie diejenige des Augustus und seiner Nachfolger war, keine Attentate auf das Leben des Kaisers, keine Geheimbünde und Verschwörungen zum Sturz der bestehenden Verfassung oder andere Verbrechen derart vorgekommen sein sollten, die ohne Verdrehung der bestehenden Gesetze unter den Begriff des Hochverrats fallen mussten. Wir haben im vorhergehenden eine Reihe von Fällen erwähnt, aus denen deutlich hervorgeht, dass Tiberius von dem Vorwurf freizusprechen ist, das Gesetz zum Werkzeug despotischer Grausamkeit gemissbraucht zu haben. Daraus ergiebt sich aber noch nicht etwa, dass seine Macht so fest begründet war, um den Schutz des Ge') Tac. Ann. IV, 31.
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setzes ganz entbehren zu können; ebensowenig aber können wir erwarten, dass bei der äusserst mangelhaften Verfassung der römischen Gerichtshöfe das Hochverratsgesetz, namentlich für hochgestellte und hochstrebendc Männer, ganz ungefährlich gewesen sein sollte. Der Gerichtshof, vor dem die Hochverratsprozesse verhandelt wurden, war der Senat. Wir kennen dessen sclavische Kriecherei, sein ängstliches Streben, den geheimen Wünschen des Kaisers zuvorzukommen, seine Feinde auszuspüren und seinen Eifer in schneller Verhängung blutiger Urteile zu beweisen. Die Geschichte der Criminalprozesse unter Tiberius zeigt, dass in Wirklichkeit dieser gezwungen w a r , die Senatoren in den Grenzen der Gerechtigkeit und Mässigung zu halten. Hätte er sie noch dahin gedrängt, wohin sie ihre eigne Gesinnung trieb, so würden sie vor keinem Akt der Grausamkeit zurückgeschreckt sein. XIII. Solcher Art waren die Richter, Männer, die Tiberius nur mit Widerwillen ansah und deren Versammlung er nie verliess, ohne die Worte eines griechischen Verses auszurufen: „O diese erbärmlichen Sclavenseelen I"1) Aber sie waren ') Tac. Ann. Ill, 65: Memoriae proditur Tiberium, quoticns curia egrederetiir, Graccis verbis in hunc modum eloqui solitum : O homines ad servitutem paratos !
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rein und ehrenwert im Vergleich zu einer andern Klasse von Menschen, die bei diesen traurigen Prozessen eine Rolle spielten, den Anklägern. Im römischen Gerichtsverfahren waren Staatsanwälte unbekannt. Um Verbrecher der Bestrafung nicht entgehen zu lassen, stellten daher viele Strafgesetze dem Ankläger einen Teil der Geldbusse oder des eingezogenen Vermögens des Angeklagten in Aussicht. So wurden Anklagen zu einem Gewerbe, und zwar zum allergemeinsten und schmählichsten; und wenn auch falsche und böswillige Angeber oft bestraft 1 ) und gelegentlich durch umfassende Proscriptionen getroffen wurden, so lag doch — und zwar nicht nur für arme Abenteurer aus den unteren Klassen, sondern oft für die edelsten Senatoren — in der Aussicht auf Gewinn und Gunst eine unwiderstehliche Versuchung. Die Wirkung des eben beschriebenen Systems zeigt deutlich der Prozess des L. Scribonius Libo. Dieser unglückliche junge Mann, ein Nachkomme des grossen Pompeius, und mit dem kaiserlichen Haus selbst verwandt, wurde das Opfer eines falschen Freundes, des Senators Firmius Catus, der in der verräterischsten Weise und in der schändlichsten Absicht ihn mit ehrgeizigen Hoffnungen erfüllte und ihn zu Handlungen hochverräterischer Art wie zur Befragung chaldaeischer Wahrsager über seine Aussichten ") S. Tac. Ann. III, 37; III, 56; IV, 31.
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auf den kaiserlichen Thron, drängte. Um seinen Einfluss zu vergrössern, verleitete ihn Catus, sich einem verschwenderischen Leben zu ergeben. Nachdem Catus genügende Beweise gesammelt hatte, gab er Tiberius von Libos verräterischem Beginnen Nachricht. Es fiel dies in eine Zeit, worin der Aufstand der illyrischen und germanischen Legionen und die Verschwörung des Sclaven Clemens, der sich für Posihumus Agrippa ausgab 1 ), die L a g e des Tiberius zu einer äusserst kritischen machten. E r hatte allen Grund zu der Befürchtung, dass die Anschläge Libos direkt gegen sein Leben gerichtet seien. Trotzdem ergriff er vorläufig noch keine entscheidenden Massregeln, ob aus Mangel an Vertrauen auf ihren Erfolg, oder weil er keine genügenden Beweise von Libos Schuld in Händen hatte, wissen wir nicht. E r begnügte sich desshalb damit, Libo zu überwachen und für den Augenblick Vorsichtsmassregeln zu reffen ), um sich vor Mord zu schützen. Schliessli. h machte ein gewisser Julius einem der berüchtigsten Angeber, Fulcinius Trio, Mitteilung von neuen Akten magischer Beschwörungen. Nun wurde die Sache vor den Senat gebracht. Zwei Ankläger stritten sich um die Schande und den Vorteil, die Anklage führen zu dürfen. Aber die Sache war nahe daran, an der Hin) T;ic. Ann. II, 39. Suet. Tib. 25. ) Sueton a. a. O.
Dio Cass. 57, 16. 3. 4.
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fälligkeit der Beweise zu scheitern, die sich hauptsächlich auf die thörichten Beschwörungen und Zaubereien der chaldaeischen Betrüger bezogen, als Libo in einem Anfall von Verzweiflung seinem Leben ein Ende machte1). Tiberius hielt ihn jedenfalls für schuldig, wenigstens verräterischer Absichten, aber er erklärte trotzdem, dass er, wenn L i b o nicht voreilig dem Urteil durch seinen selbstgewählten Tod vorgegriffen hätte, zu seinen Gunsten würde eingeschritten sein. W i e wir nun Uber diese Erklärung auch denken mögen, das liegt auf der Hand, dass, wenn Libo auch mehr thöricht als verbrecherisch handelte, dem Tiberius doch nichts weiter übrig blieb, als die Sache genau zu untersuchen und seine Entschlossenheit zu zeigen, alle ähnlichen Versuche verräterischer A r t zu bestrafen2). Eine noch schändlichere Verräterei des Catus wurde im vierzehnten Jahre gierung des Tiberius begangen, zu der der Sejan noch unbeschränkte Macht
als die der ReZeit, in besass.
J) Im Laufe dieses Prozesses wurden einige von Libos Sclaven gegen ihren Herrn vernommen. Da dies eigentlich ungesetzlich war, so umging man das Gesetz durch vorläufigen Verkauf der Sclaven, so dass sie dem Libo nicht mehr gehörten; wegen der ,,Erfindung" dieses Auskunftsmittels nennt Tacitus den Kaiser hämisch: „callidus novi iuris repertor", womit er jedenfalls sagen will, dass ein ähnliches Verfahren vor ihm noch nie stattgefunden habe. Das ist, wie wir sicher wissen, unrichtig. Die Ehre, jenes thörichte Gesetz zuerst umgangen zu haben, hat Augustus (S. Dio Cass. 55, 5, 4). Dasselbe gilt auch von Tac. Ann. III, 67. a ) Tac. Ann. II, 27 ff. Dio Cass. 57, 15, 4 ff. Suet. Tib. 25
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Vier Senatoren praetorischen Ranges, die durch den Einfluss dieses mächtigen Giinstlings das Consulat zu erlangen trachteten, beschlossen seine Gunst dadurch zu gewinnen, dass sie sich zum Sturze des Titius Sabinus vereinigten, der jenem durch seine treue Anhänglichkeit an das Haus des Germanicus verhasst war. Latiaris, einer von dieser nichtswürdigen Gesellschaft, schlich sich in die Freundschaft und das Vertrauen des ahnungslosen Sabinus ein, indem er gegen die Tyrannei des Tiberius loszog und das traurige Geschick der Agrippina und ihrer Kinder beklagte. Nach und nach entlockte er dem Sabinus ähnliche Klagen. Der Anschslag versprach vollen Erfolg. Eines Tages nahm er den Sabinus mit in sein Haus, unter dem Vorwande, ihm wichtige Neuigkeiten mitteilen zu wollen. Seine drei Helfershelfer versteckten sich zwischen Dach und Zimmerdecke, um von da aus zuzuhorchen. Die Unterhaltung lieferte genügenden Stoff für eine Anklage auf Hochverrat. Es scheint dabei etwas wie ein Mordplan gegen Tiberius besprochen oder erwähnt worden zu sein. Das musste natürlich für den unglücklichen Sabinus verhängnisvoll werden: seine Anklage, Verurteilung und Hinrichtung war das Werk
und S. 22, A. 2. Die Schuld der Agrippina und ihrer Söhne wird selbst von Ranke zugegeben. W. G.III, 1, S. 73: „man darf unbedenklich annehmen, dass der Mutter sowohl wie den Söhnen Entwürfe zur Empörung n a c h g e w i e s e n worden sind". Selbst Hoeck urteilt a. a. O. S. 170 über Agrippina, dass sie „grösstenteils selber durch ihr Verhalten
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das Verderben auf ihr Haupt herabbeschworen" habe. Frey tag a. a. O. S. 242 nennt Agr. sehr scharf: „ein zuchtloses Mannweib, das sich aller weiblichen Scham und Scheu entäussert und ihrer blinden Herrschsucht zu liebe sich und ihre Familie ins Verderben reisst". — B e n / i ' Blut des Germ. S. 45 findet dagegen bezeichnender Weise die Hauptschuld der Agrippina (und des Germanicus) darin, dass sie nicht genug Opfermut und Edelsinn besassen, um „die Freiheit" [d. h. die Misere der republikanischen Wirtschaft! von den Ufern des Rheins nach Rom zu bringen, und glaubt annehmen zu müssen, dass — A g r i p p i n a es gewesen, die den Germanicus abgehalten habe, den Wünschen der Legionen folgezugeben und sich zum Kaiser zu machen. Von ungünstigen Beurteilungen des Vorgehens des Tiberius gegen die Familie des Germanicus sei hier noch erwähnt die Darstellung Duruy's a . a . O . S. 514 ff. S. 515: „Tiberius hatte nun zwar diese L a g e (d. h. die Gefahren vonseiten seiner nächsten Verwandten, deren thatsächliches Vorhandensein D u r u y anerkennt) nicht selbst geschaffen, aber er verschlimmerte sie durch sein tiefes Misstrauen, durch seine Menschenverachtung, endlich durch eine gefahrliche Bereitwilligkeit, Blut zu vergiessen". — „Die Menschen bedeuteten ihm zuletzt nicht viel mehr als einem Schachspieler die Figuren seines Schachbretts; was ihm hinderlich wurde, statt ihm zu dienen,
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musste sich gefallen lassen, beiseitegeworfen oder zertrümmert zu werden. Die Söhne des Germanicus wurden Anlass zu unruhigen Bewegungen, also mussten sie vom Schauplatz verschwinden." V.
Die Uebersiedelung des Tiberius nach Capreae führen Alerivale a. a. O. S. 229 und Jillg a. a. O. S. 24 auf die Einflüsterungen Sejans, S t a h r a. a. 0. S. 189 ff. hauptsächlich auf die Mitrcgierungsgelüste der Kaiserin-Mutter, Wicdemeister a. a. O. S. 48 und nach ihm Schedlbatier, Kaiser Tiberius, Progr. Straubing 1875, S. 18 auf „Verfolgungswahn" zurück. Wahrscheinlicher ist, dass die in Rom ihm t h a t s ä c h lich drohenden Gefahren ihn von dort vertrieben. — Die Erzählungen von den Ausschweifungen des Kaisers in seiner Einsamkeit halten Bayerl a. a. O. S. 29, Abraham a. a. O. S. 7 und Durny a. a. O. S. 427 für übertrieben, aber nicht für g a n z auf Erfindung beruhend, Ranke W. G. III, 2, S. 337 nennt sie „Phantasieen eines durchtriebenen Wollüstlings"; Wiedemeister a. a.0.S.60fif.giebt zu, dass manches übertrieben ist, glaubt aber, dass die Aerzte desTiberius als eine Art Cur gegen die „terminale Stupidität", in die sein Zustand allmählich übergegangen sei, „das schon vor Luther erfundene Trifolium Wein, Weib und Gesang" (!!) angewandt haben.
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Dass die Regierung des Tiberius hinsichtlich der Sorgfalt in der Verwaltung sich seit der Uebersiedelung nach Capreae verschlechtert Tue. und d. Gcsch. habe, nimmt selbst Binder, des röni. Rciches unter Tiberius in den sechs ersten Bb. ab excessu divi Augusti' Wien 18S0, S. 21 nicht a n ; Schiller a. a. 0 . S. 283 giebt es bis zu einem gewissen Grade zu, will aber dem Tiberius keinen Vorwurf daraus gemacht wissen. VI. Ueber die taciteische Einteilung des Lebens und Charakters des Tiberius in verschiedene scharf abgegrenzte Perioden, die Bayerl a. a. O. S. 31 zu halten sucht, urteilt Duruy a. a. O. S. -W2: „Ein so kraftvoll ausgearbeitetes Naturell, wie das des Tiberius, unterliegt im reiferen Alter nicht mehr solchen periodischen Veränderungen. Wenn wir dagegen finden, dass die allgemeine Lage sich verändert, dass die Gefahren für den Princeps wachsen, so können wir es verstehen, dass in entsprechendem Grade Besorgnis, Argwohn und Grausamkeit hervortreten und zunehmend sich steigern. W a s hier vorliegt, ist die Weiterentwicklung eines von Anfang an höchst bedenklichen Zustandes und eines zu äusserster Strenge neigenden Charakters, — nicht aber eine Reihe sprungvoller Veränderungen, wie sie nur die Bühne kennt." — Wiedemeister a. a. O. S. 33: „Ich glaube, solche Ge 12
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danken (Tac. Ann. VI, 51) können nur Schul meister (!) ausbrüten." Inbetreff der sejanischen Umsturzbewegung weist Schiller a. a. O. S. 299 Anm. 4 noch auf zwei wichtige Stellen ausjosephushin: Antt. IS,6,6: xa: T Y J S X £ ¡3O o).TJ; ol icO).).O T *ai TIÜV äicsXsuftspwv R O O C : ftgvro, xa: to jtfiaTtiuT'.xöv ö-apto, i: po i y. o it t s ts rj ¡5•) /. r( EITI
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ein Beweis mehr für die Gefährlichkeit und weite Verbreitung der sejanischen Verschwörung, und Antt. 18, 7, 2: xarrjöpr. 2s a'ttO'j (sc. TOÜ ",\yv'"'j') o Taioi) ¿¡i0/.0Ytav TS irpi; ü-rj'iaviv xaxä Tijüspio1) äy/rfi, wonach selbst mit auswärtigen Fürsten Verhandlungen geführt worden zu sein scheinen. Noch wichtiger sind zwei ebenfalls von Schiller a. a. O. S. '299 Anm. 5 angeführte (von Jillg auffallenderweise ganz übergangene) Inschriften. Die betr. Stelle aus der einen, zuerst von Marin i, Gli atti c monumenti de' Fratclli Arvali, I., Rom 1795, S. 43 mitgeteilten lautet: Sciani scfelerati invitatio et improba comitia (ill)a fuerunt in Aventino, ubi (Sei)anus consul /actus est. Nach Mo mm sc n, Die römischen Tribus, Altona 1844. S. 207 f. handelt es sich hier um einen Versuch zur Wiederherstellung der politischen Macht der Tribus, d. h. der Tributcomitien, um eine „republikanische Verschwörung, deren Haupt Sejan gewesen", der sich an die Spitze einer gegen Tiberius gerichteten Ver-
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schwörung zum Zweck der Wiederherstellung der Republik stellte, um auf diesem sichersten W e g e für sich selbst die Kaiserkrone zu gewinnen. Die andre von Schiller angeführte Inschrift von Interamna (bei (•'. Wittnaus, Exempla inscriptionum latt., I., Berlin 1873, Xo 64», bei Oretli, Collectio inscriptt. latt., I., Zürich 1828, Xo. 689) stammt aus dem J. 32 und lautet: Providentiae Ti. Caesaris Angnsti nati ad aeternitatem Romam Hominis, snblato hoste perniciosissiino P. R. iSeiano) etc. — Pistner a. a. O. S. 53 meint, der Verhaftungsbefehl habe den Sejan desshalb so unvorbereitet getroffen, weil er ein ganz reines Gewissen gehabt habe. — Ben Ii, Tib. S. 117 tadelt den Kaiser und beschuldigt ihn der Feigheit, weil er nicht offen, mit bewaffneter Macht, dem Sejan entgegengetreten sei. Die Uebertrcibungen der Quellen in den Berichten über die dem Sturze Sejan's folgenden Executionen werden unbedenklich hingenommen von Stahr a. a. O. S. 232, sowie von Boissier a. a. O. S. 215 ff, und Bernoulli, lieber den Charakter des Kaisers Tiber ins, Progr. Basel 1859, S. 25, die beide die Zeit nach Sejan's Fall mit der Septembertagen der französischen Revolution vergleichen, wogegen s. Gentilc, a. a.O. S.57 A.2. Vgl. auch noch die Zusätze zu Abschn. XI. Um den auch von Ho eck a. a. O. S. 172 als übertrieben anerkannten Bericht bei Tac. ann. VI, 19 (oben S. 79 A. 1) gegenüber der offenbar aut
— ISO — den gleichen Fall sich beziehenden Angabe Suetons (Tib. 61) ganz zu halten, hat Erncsti zu Tac. Ann. VI, 19 vorgeschlagen, bei Sueton für XX die Zahl M einzusetzen, sodass also tausend an ¿inem T a g hingerichtet worden wären. (!) Merivale, der a. a. O. S. 262 den Bericht des Tacitus wörtlich in den Text herübergenommen hat, nennt selbst kurz darauf (S. 263 A. 36) die Sprache desselben „ganz bedeutend übertrieben". VII. Dass Tiberius autrichtig bestrebt war, mit dem Adel gemeinschaftlich zu regieren, und dass er in der Hauptsache auch während seiner ganzen Regierung die Grenzen zwischen dem Anteil des Kaisers und dem des Senats an der Regierung streng beobachtet hat, wird jetzt allgemeiner zugegeben. S. Schiller a. a. O. S. 2T>4. Per nie e, Die ersten römischen Kaiser, der Adel und die Staatsverwaltung, Preuss. Jahrbb. Bd. 46, Helt 1, S. 23 ff. Weniger günstig für Tiberius Abraham, a. a. O. S. 14: „Es ist nicht klar zu erkennen, was Tiberius zu diesem Verhalten .(dem Senat gegenüber) bewogen hat. Ein Versuch, den Senat in dem früherangedeuteten Sinne zum Organ des Fürsten zu machen, ist es kaum zu nennen; wenn es einer war, so misslang er vollständig. Wahrscheinlicher ist, dass T. diese Politik im Anfange befolgte, weil er
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den Senat als Stütze gegen die aufrührerischen Legionen brauchte, und dass er später aus dem einmal eingeschlagenen W e g e gewissermassen nicht wieder herauszufinden vermochte. Sicher ist, dass dieses Verhältnis keineswegs nach seinem Geschmacke war, und dass er es nur widerwillig ertrug" u. s. w. — Gewiss zu weit geht Hersog, wenn er a. a. O. S. 249 die Ansicht ausspricht, „dass jeder Akt des Senates dem Misstrauen des Herrschers begegnete, und die Ausübung der Funktion des Senators nicht mehr ein Recht, sondern ein Zwang war, dem unter der stets wachsamen Controlle ängstlich gehorcht wurde".
VIII. Hinsichtlich der Verwaltung, deren Vortrefflichkeit jetzt fast allgemein anerkannt ist (so z. B. selbst von Wolterstorff, U?ber den Einßuss, den Tiberius auf die im Senat verhandelten Prosesse ausgeübt hat, Progr. Halberstadt 1853, S. 4 f.), vergleicht der Rezensent der zweiten Auflage von Stahrs Tiberius im Philologischen Anseiger VI (1874) S. 245 ff (J. J. Müller) auf S. 253 den Kaiser mit einem „Tagelöhner, der einen T a g wie den andern in die Fabrik geht und seine Maschine in Gang setzt", und vermisst in der Verwaltungsthätigkeit des Kaisers „jeden grossartigen Zug". Dagegen nennt Ranke II'. G. III, 1, S. 83 Tiberius „einen geborenen
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Herrscher". Nach Boissicr a. a. O. S. 23 soll die gute Verwaltung der Provinzen von a l l e n Kaisern, und zwar l e d i g l i c h aus selbstsüchtigem Interesse, geübt worden sein. Die mehrjährige Belassung erprobter Provinzialstatthalter auf ihrem Posten, ein so bedeutungsvoller Schritt zur Schaffung eines festen Beamtenstandes, wird noch immer nach Mass gäbe der Quellen ungünstig beurteilt oder wenigstens nicht genügend gewürdigt, so von Champagny a. a. O. S. 289, 312, Hertzberg a. a. O. S. 77, und selbst von Pcrnice a. a. O. S. 34: „In der ersten Zeit mahnte er wohl: ein guter Hirt müsse die Schafe scheeren, nicht schinden; aber in s e i n e n l e t z t e n J a h r e n [nach Tac. Ann. I, 80 geschah es indess von Anfang an], wo er in einer Art von wahnsinnigem Ekel an der Menschheit die Sachen gehen liess. wie sie gehen wollten, meinte er, man müsse die Statthalter möglichst lang auf ihrem Posten lassen : „satte Mücken stechen nicht so arg, wie hungrige". — Auch Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine, I.B, Leipzig 1888, S. 259 bezweifelt den besonders hohen W e r t dieses Verwaltungsgrundsatzes des Tiberius. Der Verzicht auf Anwendung äusserlicher, von vornherein doch als nutzlos erkannter Gesetzesbestimmungen gegen den überhand-
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nehmenden Schaden der steigenden Verschwend ungssucht der Grossen wird nur von wenigen dem Kaiser zum Vorwurf gemacht, so von Champagny a. a. O. S. 310 f: „Wenn es sich um eine der Lebensfragen (?) dieser Zeit handelte, um die Luxusgesetze, die Bestimmungen Uber die Ehe, um alle jene Schranken, die Augustus dem Verfall der römischen Sitten hatte setzen wollen, die aber der Strom der Zeit täglich umzuwerfen drohte, so zog Tiberius nach seiner Art die Stirne kraus, warf mit bitteren, tadelnden Worten um sich, und begann seine Rede im Ton seiner Ahnen, der alten Appier, um zuletzt doch im Sinne des Zeitgeistes zu schliessen. E r öffnete diesem eine Hinterthüre, durch die er aus dem Gefängnis entkommen konnte, in das Augustus ihn hatte eingeschlossen wissen wollen, oder hielt wenigstens die offen, die würdige Eiferer lieber für immer geschlossen zu sehen gewünscht hätten. E r für seine Person gab allerdings ein gutes Beispiel: äusserst sparsam in seinem Haushalt, liess er wohl bei festlichen Mahlzeiten einen halben Eber auftragen (Suet. Tib. Sl), und seitdem ihm der Beifall des Volks die Freiheit eines seiner Sclaven, eines Mimen, gekostet hatte, hatte er geschworen, sich niemals mehr im Theater sehen zu lassen, und seitdem g a b er dem Volk keine Schauspiele mehr (Suet. Tib. 47). Aber diese Sparsamkeit w a r eben rein
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Privatsache; als Fürst kümmerte es ihn nicht gerade sehr viel, dass die grossen, reichen Familien, vor denen er stets Angst hatte, sich mit goldnem Tafelgeschirr, seidenen Kleidern, ungeheuren Lustschlössern und grossen Sclavenheerden ruinirten [vgl. indess Tac. Ann. II, 33], dass die unsinnigen, unersättlichen Leidenschaften, die die Jugend verzehrten, immer rasender und unheilvoller wurden, dass der Hass der einzelnen Familien gegeneinander sich immer mehr verschärfte, und dass endlich die Träger der grossen adligen Namen sich in häuslichen Zwistigkeiten, in Mord und Ehebruch schändeten und zugrunde richteten. D a s a l l e s s c h a d e t e j a s e i n e r P o l i t i k n i c h t s . (!)" — Dass das Bestreben des Kaisers, statt durch äusserliche Gesetzesbestimmungen, vielmehr durch das eigene Beispiel dem überhandnehmenden Luxus entgegenzuwirken (Suet. Tib. 34), von Tacitus so wenig verstanden und gewürdigt wird, ist um so auffallender, als er selbst hervorhebt, wie viel die Macht des Beispiels bei Vespasian in dieser. Hinsicht ausgerichtet habe (III, 55: sed praccipiius adstricti ipse moris anctor Vespasianus fuit, antiquo cultu victuque; obsequinm inde in principe in et aemulandi amor validior quam poena ex legibus et metus). Vgl. Fricdlaender a. a. O. S. 79 ff.
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IX. Dem Tadel des Seneca (de benef. II, 7,2 f.; S, 1; vgl. Tac. Ann. I, 7~>) darüber, dass der Kaiser den mit Gesuchen um Unterstützungen sich an ihn wendenden heruntergekommenen adligen Herren eine genaue Untersuchung ihrer Verhältnisse und der Gründe ihrer Geldnot nicht ersparte, schliesst sich Bot ssier an, a. a. O. S. 173: „Wenn ihn einmal die Laune ankam (!), freigebig zu sein, was allerdings selten (!) war, so schenkte er mit saurer Miene und verletzte die Empfangenden, indem er sie sich verpflichtete, wie es denn überhaupt seine Art war, auch das Beste verkehrt und ungeschickt anzufassen." Der Auffassung des Tacitus von dem Verhalten des Tiberius gegen Hortalus folgt Merivale a. a. O. S. 168: „Geschah es nun aus Politik, um den Träger eines grossen republikanischen Namens zu demütigen und zu" erniedrigen, oder aus persönlicher Abneigung, oder wie Tacitus bemerkt, aus blossem trotzigen Widerstande gegen die Neigung der Senatoren, kurz, Tiberius wies nicht nur die Bitte zurück, sondern rügte sie auch als vermessen und zudringlich." Von Geiz und Habgier bei Tiberius sprechen jezt nur noch ganz vereinzelte Forscher, so Wicdemeister a. a. O. S. 30 f.: „Melancholiker,
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in der Furcht, verhungern zu müssen, pflegen häufig geizig zu w e r d e n ; Tiberius ward wenigstens knickerig sparsam. [Folgen die Anekdoten Suet. Tib. 34, Sen. epp. 15, 3 [95], 4 2 ] . . . . Gegen Ende seines Lebens zeigte er sogar eine förmliche Gier nach dem Gelde und scheute sich nicht, Hinrichtungen (!) zu befehlen, um das Vermögen der Verurteilten einziehen zu können. S o gelang es ihm einen Schatz von 143 Mill. Thalern zu sammeln." — Dass Tiberius gerade durch seine Sparsamkeit und Einfachheit der populärste Fürst geworden wäre, wenn er sich nicht durch andre Eigenschaften missliebig gemacht hätte, nimmt Bernoulli an, a. a. O. S. 16 X. Den Zusatz des Tacitus (Ann. I, 74) zu seiner Darstellung der eifrigen Fürsorge des Kaisers für unparteiliche Rechtsprechung: seil dum veritati consulitur, libertas corrtimpebatur halten Bayerl a. a. O. S. 9 und Chantpagny a. a. O. S. 313 für völlig gerechtfertigt. Dagegen bemerkt zu diesen Worten des Tacitus sehr richtig Sievers a. a. O. S. 30: „Gerechtigkeit scheint überhaupt das zu sein, was die Schriftsteller, denen wir die Kenntnis der Kaiserzeit verdanken, am wenigsten wünschen. XI. Von den Uebertreibungen, in denen sich neuere Forscher, oft noch weit über die über-
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triebendsten Quellenangaben hinausgreifend, bei der Darstellung der Criminaljustiz unter Tiberius ergangen haben, hier nur einige Beispiele. A. W. Schmidt, Gesch. der Denk- und Glaubensfreiheit im 1. Jahrh. des Christentums und der Kaiserherr schaft, Berlin 1847, behauptet S. unbedenklich, unter völliger Ignorierung der Thatsachen: „Fortan (seit dem Prozesse des Libo Drusus) brachte j e d e nachteilige Aeusserung über des Fürsten Worte und Handlungen sichern Untergang." Nach A. W. Grube, Charakterbilder aus der Geschichte und Sage, IIIä, Leipzig 1868, S. 14, soll sogar in der zweiten Hälfte der Regierung des Tiberius „ f a s t k e i n T a g " vergangen sein, „an w e l c h e m T. n i c h t eine Menge von T o d e s u r t e i l e n u n t e r z e i c h n c t e . " (!!) Champagny a. a. O. S. 326: „Am Ende seines Lebens handelte es sich für Tiberius nicht mehr blos darum, seine Feinde umzubringen, sondern darum, möglichst viel zu morden, ähnlich wie bei Marat mit seinen „200,000 Köpfen"." Eigentümlich argumentiert Beult, Hb. S. 125: „ W a r die Anklage formuliert, so war der Tod sicher; d e n n [so genau nach der französischen Ausgabe] oft starb der Angeklagte eines freiwilligen Todes, um der Hinrichtung [?] zu entgehen. Auch Merivale a. a. O. S. 186 und selbst Gentile a. a. O. S. 52 sind ganz von den Quellen abhängig. — Vgl. oben die Zusätze zu Abschn. VI.
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Mehr oder weniger als misslungen zu bezeichnende Versuche zur Aufstellung einer genauen Statistik der Criminal- bezw. Majestätsprozesse und der Hinrichtungen unter Tiberius sind gemacht worden von Sievers a. a. O. S.^3 (der mit Recht S. 95 bemerkt, dass, wenn man nicht die U n g e r e c h t i g k e i t der Bestrafungen nachweisen könne, die M e n g e derselben nicht als Beweis für die Grausamkeit des Tiberius gelten dürfe), ferner von Frey tag a. a. O. S. ' Ä , Diirr, Die Majestätsprosesse unter dem Kaiser Tiberius. Progr. Heilbronn 1880, S. 16, und Ge utile a. a. O. S. 54 f. Der Rezensent von Frey tag' s Tacitus und Tiberius in v. Sybel's Histor. Zeitschrift,Bd. XXVI (1871) S. 219, glaubt, dass die grössere Ausdehnung der Majestätsgerichte unter Tiberius gegenüber der Regierung andrer Kaiser an der P e r s o n des Tiberius liege. Dagegen berücksichtigt, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, die besonderen V e r h ä l t n i s s e Ho eck a. a. O. S. 50: ,,Indess wer auch das neue System der Herrschaft missbilligt, und noch mehr die Mittel es durchzuführen, der muss doch einräumen, dass Tiberius' Lage sehr verschieden war von der seiner Vorgänger, und dass viele der verhassten Massregeln dem Nachfolger des August zur Erhaltung des Reichs und seiner selbst abgedrungen waren." Dagegen allerdings S. 87: „Trotzdem lastet auf Tiberius der V o r w u r f ,
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dass er der schnöden Ausdehnung der lex maiestatis keine gesetzliche Schranke setzte; es fällt seinem finstern A r g w o h n zur L a s t , dass er diese Schutzwehr der Majestät in ihrem vollen Umfange für seine Sicherheit nötig h i e l t . . . . Die Handhabung des Majestätsgesetzes nimmt d a h e r (in H.'s Sinne mit Recht) Tacitus aus von dem allgemeinen Lob, welches er der Jurisdiction in der ersten Hälfte dieses Principats zollt (T. A. IV, 6)." Ueber die Prozesse des Falanius und Rubrius urteilt Peter a. a. O. S. 175: „Es scheint, als ob Tiberius diese beiden Anklagen nur veranlasst oder zugegeben habe, um die Majestätsklagen zunächst im Prinzip ins Leben zu rufen; auch waren die Angeklagten Männer von untergeordneter Bedeutung; sie wurden also [?] freigesprochen." Die Verallgemeinerungen des e i n e n Falles der A n k l a g e dieser Ritter, wie des Granius Marcellus (T. Ann. I, 74) und des L. Knnius (T. Ann. III, 70) zu r e g e l m ä s s i g e n Verurteilungen aufgrund ähnlicher Beschuldigungen bei Sueton Tib. 58 wiederholt u. a. bei Hoeck a. a. O. S. 76. Auf die häufigen unpassenden und irreführenden Einleitungen und Schlüsse der Darstellung der Prozesse bei Tacitus (Ann. I, 73. III, 37. III, 66 u. a., vgl. auch IV, 31) hat auch Dürr an mehreren Stellen hingewiesen. — Zu der Darstellung der beim Prozess der Aemilia Lepida vorausgehenden Scenen
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durch Tacitus (III, 23) bemerkt Per nie e a. a. O S. 31: „Es ist der grüsste römische Meister der Sprache und Darstellung, der diese und ähnliche Geschichten in einem unnachahmlichen Zwischentone von stolzer historischer Objectivität und stillvergnügtem Behagen berichtet. Wie mussten solche Erzählungen desTacitus die Gesinnung der Leser befestigen und verbreiten!" — Merivalc a. a. O. S. 179 glaubt im unmittelbaren Anschluss an Tacitus für den Prozess der Lepida politische Motive annehmen zu müssen, Jacob im Com mentar z. d. St. behauptet nach Suet. Tib. 49, dass Lepida vom Kaiser aus Habgier verurteilt worden sei. Wicdemcistcr a. a. O. S. 38 1'. und nach ihm Schedlbaucr a. a. O. S. 16 sehen wunderbarerweise in dem Verhalten des Kaisens gerade bei diesem Prozess einen Beweis seiner „Geistesgestürtheit". Aul'die Erzählung des Prozesses desC.Silanus bei Tacitus, deren tendenziöse Entstellungen kaum irgend welchem unbefangenen Leser verborgen bleiben können, gründet Herzog den schweren Vorwurf gegen den Kaiser, dass er zur Vermeidung der „Einförmigkeit" das Repetundengesetz abwechselnd mit dem Majestätsgesetz als persönliche Waffe benützt habe; a. a. O. S. 256: „Aber immer nur das Majestätsgesetz anzuwenden war zu einförmig, und da nun in dem Repetundengesetz eine zweite, analoge Waffe vorhanden w a r , so wurde auch
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diese zuhilfe genommen. Es war an sich gerade eine gute Seite der Verwaltung des Tiberius gewesen, dass er der Ausplünderung der Provinzen entgegentrat; allein auch hier war es nicht schwer, Dinge, die durch das Herkommen den Charakter des Strafbaren verloren hatten, nach strengem Recht zur Strafe zu ziehen. Um das Merkmal des Tendenzprozesses, das hier in der Auswahl derer, die man vor Gericht zog, gegenüber den Unbehelligten liegt, zu erkennen, ist das Material für uns zu unvollständig; doch genügt es immerhin, um den Eindruck zu gewinnen, dass auch hier Missbrauch stattfand." In Anm. 3 wird als Beleg hiefür eben der Pro zess des Silanus angeführt, S. 257 Anm. 5, zugleich auch dafür, dass Tiberius zuweilen „mit gleich bitterer Ironie der Sache wie des Willens mässigend und Garantie gegen allzurasches Vorgehen heuchelnd*' daneben gestanden habe, wenn der Senat sich in „Bluturteilen" überbot. XII. Die „Aufmunterung 1 , die der Kaiser dem Delatorentum habe zuteil werden lassen, bezeichnet Peter a. a. O. S. 175 f. als „das Schlimmste an seiner Regierung". Hoeck a. a. O. S. 79 u. a. finden einen Beweis dafür, dass that sächlich der Kaiser das Delatorenwesen begünstigt habe, in seiner Weigerung, den Delatoren für den Fall, dass der Prozess unent-
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schieden bleibe, die Belohnungen zu entziehen, was er mit den Worten motivierte: subvertcrent potius iura quam custodes eorum amoverent (Tac. Ann. IV, 30). - Boissier a. a. 0 . S. 182 ff. und Champagny a. a. O. S. 316 ff. folgen auch in diesem Punkte ganz der Auffassung der Quellen. Beide geben übrigens zu, dass das Ueberhandnehmen des Delatorentums zum grossen Teile auch dem Einfluss der einscitigrhetorischen Ausbildung der Jugend zuzuschreiben sei. Ganz widerspruchsvoll ist Mcrivalc in der Beurteilung des Delatorenwesens a. a. O. S. 184 ff. So heisst es S. 184: „So ward das Gehässige der Anklage von der Regierung ab und auf den Denunzianten gewälzt: ein ungeheurer Vorteil für eine Gewaltherrschaft, die populär sein wollte. Das gemeinsame Recht zur Anklage, das Geburtsrecht des römischen Bürgers, das vermeintliche Palladium der römischen Freiheit, ward dadurch zu einem ganz b e q u e m e n W e r k z e u g d e s D e s p o t i s m u s " ; dann aber wird auf S. 185 dargelegt, der Kaiser habe allerdings das Delatorenwesen begünstigt, aber anfangs desshalb, weil er es wirklich für e t w a s der Gerechtigkeitspflege Förderliches gehalten habe, dann (nach vergeblichen Versuchen, dasselbe, als diesem Zweck doch nicht recht dienend, einzudämmen), weil er sich dem Strom nicht mehr erfolgreich habe widersetzen können. Ebenso erscheint S. 277 ff. das Dela-
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torentum einmal als ein schändliches W e r k z e u g des Despotismus, wahrend bald darauf zugegeben wird, dass dasselbe doch mehr durch die Um stände, als durch den Willen eines einzelnen, durch planmässige Absicht hervorgerufen worden sei. — Schiller a. a. O. S. 291: „Dass das Delatorenwesen sich mehr und mehr entfaltete, war beklagenswert, aber bis zu einem gewissen Grade nicht zu ändern". — Sicvers a. a. O. S. 36 hat das Delatorenwesen doch wohl zu mild beurteilt und die thatsächlich vorliegenden Ausschreitungen zu wenig berücksichtigt. Dass Libo ,,an der Spitze einer geheimen Verschwörung" gestanden habe, giebt Wiedcmeister a. a. O. S. 29 zu, stellt aber dann im Widerspruche damit die Sache so dar, als ob diese Verschwörung nur in der Phantasie des Tiberius existiert habe, und schliesst die Ausführungen über diesen Fall mit den W o r t e n : „Aehnliche, vielleicht auch noch nichtigere V e r d a c h t g r ü n d e gaben nun die Veranlassung zu vielen Hochverratsprozessen". Für das schmähliche Verfahren gegen Titius Sabinus macht selbst Beiiii Tib. S. 125 lediglich Sejan verantwortlich. Dass Tiberius von der Schuld des Sabinus überzeugt gewesen sei, nimmt auch Jiilg a. a. O. S. 26 an. Vgl. Eisenhuth a. a. O. II. S. 26. — Die übertreibende Verallgemeinerung Suetons (Tib. 61: animadversum in quosdam ineunte anno) finden wir wieder 13
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bei Wiedemeister a. a. O. S. 53; vgl. auch Champagny a. a. O. S. 319 und Boissier a.a.O. S. 201. XIII. Ueber den Charakter der Geschichtschreibung des Tacitus im Zusammenhang mit der gesamten römischen Historiographie hat ausführlich (in für Tacitus durchaus ungünstigem Sinne) gehandelt Merivale a. a. 0. IV, S. ai8 ff. Ein sorgfaltiges Quellenstudium und genaue Quellenkritik nehmeji für Tacitus an Nipperdey in der Einleitung zum Commentar der Annalen, I» (von Andresen), Berlin 1884, S. 23 ff., Binder in der bereits angeführten Schrift, und Wallichs, Die Geschichtschreibung des Tacitus, Progr. Rendsburg 1888, S. 23. Dagegen der Rezensent von Freytag's Tacitus und Tiberiiis in v. Sybel's Hist. Zeitschr. Bd. 26 (1871) S. 220: „Die Philologen haben zwar alsbald die tröstliche Antwort zur Hand, die Geschichtschreibung des Tacitus beruhe auf dem gründlichsten Quellenstudium. Davon kann in Wirklichkeit bei keinem einzigen Römer und vielleicht nur bei einzelnen griechischen Historikern die Rede sein. Die gesamte antike Historiographie von Herodot ab wird von dem Grundsatz beherrscht, dass die Nachfolger vorhandene W e r k e ausschrieben bezw. stilistisch bearbeiteten. Dass Tacitus keine Ausnahme von der Regel bildet, lehrt die Vergleichung seiner Historien mit Plutarch".
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Den starken Einfluss der einseitig rhetorischen Ausbildung der Römer auch auf die Geschichtschreibung des Tacitus haben sehr wohl erkannt Duruy a. a. O. S. 424 Anm. 1 und Boissier a. a. O. S. 286 f., obwohl dieselben die für die Beurteilung des h i s t o r i s c h e n Wertes des Tacitus sich daraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen sich nicht haben entschliessen können. Champagny sucht a. a. O. S. 354 f. nachzuweisen, dass Tacitus gerade gegen „die Herrschaft der rhetorischen Phrase" Opposition gemacht habe. Dass Tacitus sich mit dem Gedanken der Monarchie v o l l s t ä n d i g ausgesöhnt habe, sucht Boissier a. a. O. S. 288 ff. nachzuweisen. Den Einfluss der politischen Stellung des Tacitus auf seine Geschichtsdarstellung giebt selbst Ranke zu. W. G. III. 2, S. 292: „Man kann sich darüber nicht täuschen, dass Tacitus die Vorfälle doch keineswegs ohne Rücksicht auf seine eigene politische Meinung berichtet." Derselbe spricht sich dann S. 293 dahin aus, dass bei Tacitus die von ihm erzählten o b j e c t i v e n T h a t s a c h e n scharf von dem daran geknüpften s u b j e c t i v e n U r t e i l e n des Schriftstellers zu sondern seien. A b s i c h t l i c h und b e w u s s t p a r t e i i s c h e Darstellung nimmt ausser Stahr, Breytag u. a. an J. Asbach in seinem Aufsatz: Cornelius Tacitus, Tl. III (Historisches Taschenbuch, VT.Folge,
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b. Jahrg. [1887]), S. 193: „Die Rolle des Advokaten, der seinen Clienten ins hellste Licht setzt, die Schwächen der Gegenpartei rücksichtslos blosslegt, hat auch der Historiker Tacitus durchgeführt." Der Rezensent Freytags nennt die für Tacitus' Geschichtschreibung in Anspruch genommene „Objectivität" a. a. S. 220 „eine von den Illusionen, an denen die Philologie so grossen Ueberfluss hat". Dürr a. a. O. S. 4 sieht in Tacitus'Annalen „weniger ein reines Geschichtswerk, . . . als eine geniale, grossartige Schöpfung rhetorischer Kunst in ihrer Anwendung auf geschichtliche Darstellung." Pernicc a. a. O. S. 36 zählt Tacitus unter die Vertreter jener unter den Kaisern aufgekommenen „überlegenen politischen Weisheit, welche ihr Urteil auf die Anekdote und das Kammerdienergeflüster gründet, die desshalb von allen denkbaren Motiven den Handlungen des Gegners den niedrigsten oder nichtigsten Beweggrund unterschiebt". Die durchaus einseitige Auflassung des Tacitus von der Aufgabe eines Geschichtsschreibers der Kaiserzeit zeigen besonders seine Worte Ann. IV, 33: nos saeva iussa, continuas accusationes, fallaces amicitias, perniciem innocentium et casdem exitii causas coniungimus, obvia rerum similituditie et satictate. Die häufige Verwechslung zwischen der Beurteilung des künstlerisch-schriftstellerischen und des historischen Wertes des Tacitus tritt
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u. a. in besonders deutlicher Weise hervor bei Meiser, Studien zu Tacitus, Sitzgsber. d. Kgl. bayer. Ak. der W7ss., phil.-hist. Cl. Jahrg. 1884, S. 80 ff., der der Ansicht ist, wenn die moderne Quellenforschung, die ja bekanntlich in J a n s s e n und T r e i t s c h k e (!) die reine Höhe unparteiischer Geschichtschreibung erklommen hat", (S. 80) die unbedingte Autorität des Tacitus als H i s t o r i k e r verneine, müsse man sich schämen, ihn Uberhaupt noch eifrig zu lesen. In eingehender Untersuchung hat Gentile a. a. O. S. 5 ff. die sehr bemerkenswerte Thatsache nachgewiesen, dass das Urteil der Quellen über Tiberius in dem Masse ungünstiger wird, als sie sich von Tiberius entfernen. Vgl. S. 26: „Die Entwickelung der geschichtlichen Tradition über Tiberius stellt sich uns also folgendermassen dar: Die Zeugnisse der Zeitgenossen lauten, soweit sie uns bekannt sind, durchaus lobend für den Fürsten, der nach ihnen mit weiser und fester Hand das Reich lenkt. Dies lobende Urteil wird auch von späteren Zeugnissen bestätigt, aber es wird in denselben daneben auch eine besondere Strenge hervorgehoben, mit welcher die Herrschaft des Fürsten auf der römischen Aristokratie gelastet habe. Diese Seite der Beurteilung überwiegt von da ab so sehr, dass der früher gelobte gute Fürst sich in einen verhassten Tyrannen verwandelt und in einer rätselhaften Doppelgestalt (doppia
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enigmatica sembianza) erscheint, die man sich aus seiner versteckten und heuchlerischen A r t zu erklären sucht. Die Heuchelei bleibt für die späteren Historiker die charakteristische Seite seines Wesens, und durch sie wird dann subjectiven Vermutungen und Auslegungen Thür und Thor geöffnet, bis diese Doppelerscheinung der Person und Regierung des Kaisers Tiberius, die ais ein schwieriges Problem in der Geschichte dasteht und den Gegenstand vieler Untersuchungen für die moderne Kritik bildet, zu einer mit supranaturalistischen Elementen durchsetzten Legende wird". Gegen die Vergleichung des Tiberius mit Friedrich dem Grossen bei Freytag (nach Mo mm seit) a. a. O S. 311 ff. („Wie Friedrich, so ist Tiberius — ,der Einzige'") und Stahr a. a. O. S. 266 haben sich in scharfen Worten ausgesprochen Frey tags Rezensent a. a. O. S.218 und J. J. Müller in der Rezension von Stahrs Tiberius (2. Aufl.) a. a. O. S. 253, welcher der Ansicht ist, „dass man sich an dem Andenken der grössten der deutschen Könige beinahe versündigt, wenn man ihm den Tiberius an die Seite stellt". Zu scharf scheidet zwischen Tiberius als Mensch und als Regent Hoeck a. a. O. Vgl. S. 188: „Die grausen Züge seines Charakters, finstrer Argwohn, heuchlerische Tücke und blutige Rachsucht werfen tiefe Schatten auf dies Prinzipat,
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und für das vielfache Unheil, welches von seinen Leidenschaften ausging, steht er a l s M e n s c h gebrandmarkt in der Geschichte. Dagegen gehörte nach S. 190 die H e r r s c h a f t des Tiberius „zu den ehrenwertesten". Aehnlich erscheint bei der überhaupt in der Beurteilung Merivale, des Tiberius gegenüber den Quellen eine beständig schwankende Unsicherheit zeigt, a. a. O. S. 203 der Kaiser als „ein g u t e r H e r r s c h e r , aber ein unliebenswürdiger Mann", während er kurz darauf folgendermassen charakterisiert wird: „Im Lager ein finstrer Zuchtmeister, im Cabinet ein Sekretär, in der Curie ein Pedant" — Eigenschaften, wie man sie schwerlich bei einem „guten Herrscher" suchen wird. „Das Geheimnis seines Lebens" nennt Champagny a. a. O. S. 289 „die Furcht"; bei Merivale (vgl. z. B. a. a. O. S. 180) erscheint die „Pedanterie" als das treibende Motiv seiner Regierung. Dur uy' s Gesamturteil üb er Tib erius lautet (a. a. O. S. 424): „Das Verdammungsurteil der Geschichte bleibt gerecht; dasselbe gilt aber keineswegs von allen Entscheidungsgründen." Vgl. noch S. 500: „Die Nachwelt hat dieser (der von Tiberius bei Tac. Ann. IV, 38 ausgesprochenen). Hoffnung nicht entsprochen. An wem liegt die Schuld ? Ohne Zweifel an Tiberius selbst, der das ruhige und gerechte Urteil, um welches er die Götter bat, nicht zu behaupten vermochte. Aber auch an den Senatoren, an
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Sejan, an Agrippina, Uberhaupt an allen, die durch ihre Niederträchtigkeit, durch ihre Verräterei, durch ihr wildleidenschaftliches Wesen diesen Princeps dahin getrieben haben, R o m endlich nur noch durch den Schrecken zu regieren. Lediglich von sich aus entwickelt sich nur selten ein Machthaber zum Tyrannen; bei einem solchen Prozess darf man auch die nicht ausser acht lassen, welche eine Tyrannei herausfordern, und die, welche sie möglich machen." Von neueren Verteidigern des taciteischen Charakterbildes des Tiberius sei zum Schluss noch Bayerl angeführt, a. a. 0. S. 34. „Solange man den Ueberlieferungen im allgemeinen Glauben schenkt, nicht nach Willkür bei gleicher Begründung das eine annimmt, das andere verwirft, nicht selbst mit der vorgefassten Meinung, Tiberius müsse ein andrer sein, als ihn Tacitus schildert, an die Darstellung dieses unglücklichen Menschen geht, wird sich sein Bild auch nicht w e s e n t l i c h anders gestalten, als es der erste römische Historiker entworfen hat."
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Druckerei der „Str. Neuesten Nachrichten", A.-G., vorm. H. L. Kayser.