Zerstörungs- und Aufbaudiskurse: Diskursgrammatische Muster der städtischen Erinnerungskultur seit 1945 9783110691580, 9783110691467

The publication takes a discourse-grammatical perspective to address discourses about destruction in the Second World Wa

213 29 5MB

German Pages 566 [568] Year 2020

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik als kulturwissenschaftlich inspirierter Korpuslinguistik
3 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung
4 Korpusbeschreibung
5 Methode
6 Korpusanalysen
7 Ergebnisse
8 Schluss und Ausblick
9 Literaturverzeichnis
Index
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Zerstörungs- und Aufbaudiskurse: Diskursgrammatische Muster der städtischen Erinnerungskultur seit 1945
 9783110691580, 9783110691467

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Nicole M. Wilk Zerstörungs- und Aufbaudiskurse

Sprache und Wissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert, Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning, Ingo H. Warnke und Martin Wengeler

Band 45

Nicole M. Wilk

Zerstörungs- und Aufbaudiskurse Diskursgrammatische Muster der städtischen Erinnerungskultur seit 1945

Diese Publikation wurde unterstützt durch eine Druckkostenförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

ISBN 978-3-11-069146-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069158-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069160-3 ISSN 1864-2284 Library of Congress Control Number: 2020943828 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Viele der jetzigen Parkplätze verdanken ihre Entstehung der Flächenzerstörung (...).

MA 1955 BIB Pichler

In Bremen hatte sich im Krieg die Bevölkerung um ca. ein Drittel auf 292.000 vermindert, damit war jedoch der Verlust an Wohnraum keineswegs ausgeglichen.

HB 1976 SGe Brandt

Städte sind, da sie von Menschen gemacht, bewohnt und benutzt werden, selber wie Wesen.

PB 1983 BIB Dressler

Vorwort Die vorliegende Studie ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner im Sommersemester 2018 an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn eingereichten Habilitationsschrift. Ohne die Anregung und Unterstützung vieler wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Einige von ihnen möchte ich an dieser Stelle namentlich nennen. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Britt-Marie Schuster und Prof. Dr. Doris Tophinke für ihren fachlichen Rat und ihre ermutigenden Hinweise, mit der sie meine Denkbewegungen zu diesem Projekt begleitet haben. Der Universität Paderborn bin ich für die familienfreundliche Arbeitsumgebung dankbar, die mir das Forschen und Schreiben in den Jahren meiner Juniorprofessur (2008–2018) sehr erleichtert hat. Auch die im Rahmen der Gleichstellungsförderung finanzierte wissenschaftliche Hilfskraft hat mir bei der Digitalisierung und Korpusaufbereitung unschätzbare Dienste geleistet. Außerdem habe ich der Universitätsbibliothek Paderborn die unkomplizierte Unterstützung bei der Anfertigung hochwertiger Digitalisate zu verdanken. Für die konstruktiven Gespräche und Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieser Arbeit danke ich Dr. Karina Lammert und Dr. Christian D. Kreuz. Anregend und hilfreich für manchen interdisziplinären Seitenblick waren die vielen Stunden, die ich dank Prof. Dr. Hannelore Bublitz’ Einladung in den Veranstaltungen des Graduiertenkollegs „Automatismen“ an der Universität Paderborn verbracht habe. Auch für Prof. Dr. Hartmut Winklers Zuversicht, dass sich medientheoretische Konzepte und diskurslinguistische Methodologie zusammendenken lassen, bin ich sehr dankbar. Ich danke Prof. Dr. Marcus Müller für die instruktiven Anmerkungen und Kommentare im Rahmen seiner externen Begutachtung. Für Korrekturen in der Überarbeitung des Manuskripts bis zur Publikation bin ich Dr. Friedrich Markewitz zu großem Dank verpflichtet. Für alle Ungereimtheiten, Fehler und Kapriolen, die noch immer in der Arbeit zu finden sind, bin ich natürlich selbst verantwortlich. Dem Reihenherausgeber Prof. Dr. Ekkehard Felder danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Sprache und Wissen“. Auch die Betreuung durch den De Gruyter Verlag ließ keine Wünsche offen. Nicht zuletzt gilt mein Dank noch einmal Prof. Schuster für die großzügige Förderung der Druckkosten aus DFG-Mitteln. Schließlich danke ich Simon für seine Unterstützung bei der Gestaltung von Grafiken und für alles andere. Über die Neugier, mit der Anton und Karla mein Projekt begleitet haben, bin ich sehr froh. Ich widme dieses Buch meiner Großmutter Janina Wilk, die 1944 in Warschau von der Gestapo verhaftet wurde und danach spurlos verschwunden ist. Altenbeken im September 2020 Nicole M. Wilk https://doi.org/10.1515/9783110691580-202

Inhalt Vorwort  VII Abkürzungsverzeichnis  XIII Abbildungsverzeichnis  XV Tabellenverzeichnis  XIX  1 1 Einleitung 1.1 Anlass, Forschungsansatz und Fragestellungen  1 1.2 Hypothesenbildung anhand von „surprising facts“ (vier Beispiele)  10 1.3 Relevanz der Untersuchung und Aufbau  17 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik als kulturwissenschaftlich inspirierter Korpuslinguistik  23 Diskursgrammatik als funktionale Grammatik  23 Kulturelle Bedeutung, kollektives Gedächtnis und Dispositiv Musterbildung und Kontextualisierung  54 Oberflächen: Corpus driven, Idiomatizität  70 Sinnherstellung: Framing und Metaphern  86

3 3.1 3.2 3.3 3.4

 105 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung Sprachliche und gesellschaftliche Umbruchsituationen  105 Die Städtezerstörung und die Schuldfrage  113 Aufbau, Wiederaufbau, Neu(auf)bau  125 Multimodalisierung: Raum und Architektur  133

 140 4 Korpusbeschreibung 4.1 Auswahl und Zusammenstellung  140 4.2 Datenerhebung und Datenaufbereitung 4.3 Metadaten  145 4.3.1 Zeiträume  146 4.3.2 Gattungen  148 4.3.3 Akteure/Diskurspositionen  151 4.4 Vergleichskorpora  155

 142

 157 5 Methode 5.1 Serielle Evidenz als Leitprinzip einer digitalen Kulturlinguistik  157 5.2 Die Analyseverfahren im Einzelnen  160

 37

X  5.2.1 5.2.2 5.2.3

 Inhalt

Digitale Mustererkennung  160 Framesemantische Annotation  162 Diskursanalyse und Bezugnahmepraktiken

 164

 168 6 Korpusanalysen 6.1 Diskursgrammatische Konfigurationen  168 6.1.1 Vom Wort zum Cluster: Frequenzabfragen  169 6.1.2 Zirrus-Wolken zu den Teilkorpora in Voyant  170 6.1.3 N-Gramme in AntConc  175 6.1.4 Schlüsselwörter in AntConc  180 6.1.4.1 Phase 1 (1945–1957)  194 6.1.4.2 Phase 2 (1958–1985)  222 6.1.4.3 Phase 3 (1986–2005)  240 6.1.4.4 Phase 4 (2006–2016)  257 6.1.4.5 Gattungen  279 6.1.5 POS-Gramme im LDA-Toolkit  298 6.1.6 Schlussfolgerungen aus den frequenzbasierten Analysen  347 6.2 Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau  352 6.2.1 Die Zerstörungsereignisse im Spiegel der Ereignisbezeichnungen für das Kriegsende  354 6.2.2 Zerstörung und Aufbau – lexikalische und grammatische Variation  362 6.2.3 Füller und Interaktion der Frame-Elemente im Destroying-/BuildingFrame  369 6.2.4 Die Nominalisierungskonstruktion erfolgte der Wiederaufbau als Fokuskonstruktion  386 Schlussfolgerungen aus den framebezogenen Analysen 6.2.5  428  433 7 Ergebnisse Die diskursgrammatische Kontextualisierung im ZAD der Städte 7.1 Mannheim, Paderborn und Bremen  433 Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im 7.2 K-Profil  440 Varianten des K-Profils im Spiegel verschiedener Belege 7.3  455 7.3.1 Paderborn – Historisches Erbe  457 7.3.2 Mannheim – Geschichtsbewusstsein und Modernisierung  467 7.3.3 Bremen – De-/Ästhetisierung  475

Inhalt 

7.4

8

Die Kontextualisierung von Zerstörung und Aufbau zwischen Diskurstypik und diskursiver Variation (städtische Eigenlogik!?)  485 Schluss und Ausblick

9 Literaturverzeichnis 10 Index

 541

 495  501

 XI

Abkürzungsverzeichnis ZAD Zerstörung-Aufbau-Dispositiv TK Teilkorpus K-Profil Kontextualisierungsprofil AUD Audioguide APP webbasierte oder Smartphone-App Bildband BIB BRO Broschüre Schulbuch/ didaktisches Werk DID DOK Dokumentation HYP Hypertext KAT Katalog PUL Pult SGe Stadtgeschichte (Experte) Stadtgeschichtlich (populär) SGp STF Stadtführer TAF Tafel ADJA1 attributives Adjektiv adverbiales oder prädikatives Adjektiv ADJD ADV Adverb APPR Präposition bestimmter oder unbestimmter Artikel ART CARD Kardinalzahl Nomen/ Eigenname NE NN Nomen substituierendes Relativpronomen PRELS zu vor Infinitiv PTKZU VV Vollverb finites Vollverb VVFIN Imperativ, Vollverb VVIMP Infinitiv, Vollverb VVINF Infinitiv mit zu, Vollverb VVIZU Partizip Perfekt, Vollverb VVPP Hilfsverb (Auxiliar) VA VM Modalverb VP Vorgangspassiv PVM-Komplex Passivischer Modalverbkomplex SBM Sprache-Bild-Medien REF Reflexionsgattungen GEB Gebrauchsgattungen NKZ Nachkriegszeittexte GEG Gegenwartstexte FV Funktionsverb NV Nominalisierungsverb NP Nominalphrase PP Präpositionalphrase IP Infinitivphrase https://doi.org/10.1515/9783110691580-204

Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18:

Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23:

Abb. 24:

Ein frühes Nachkriegsfoto aus derselben Perspektive wie dieses um 1947 entstandene trägt bei Kühne die Bildlegende: „Inmitten der Verwüstung blieb der Brunnen mit der Figur des Heiligen Liborius unversehrt. Der Anblick dürfte den Schutzpatron Paderborn nicht erfreut haben. Sah er doch nur noch auf Brandmauern und in Fenster, hinter denen das Leben erloschen schien.“ (PB 2005 SGp Kühne, 45). Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv  15 Paderborn / Karl Lucas Innenraum der Marienkirche Lübeck. Foto: privat im Oktober 2016  16 Nachgezeichneter Kartenausschnitt mit Gebirgslandschaft und See  55 Gesamtkorpus: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr in Zehnjahresschritten (Σ 146)  147 Gesamtkorpus: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 146 )  147 Teilkorpus Paderborn: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 55)  147 Teilkorpus Mannheim: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 43)  148 Teilkorpus Bremen: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 48)  148 Verteilung der Textsorten nach Anzahl der Veröffentlichungen  150 Verteilung der Textsorten nach Anzahl der Wortformen (Tokens)  150 Verteilung der Textsorten nach Jahren  151 In Voyant erstellte Zirrus-Wolken mit 200 Tokens zum Teilkorpus Paderborn  171 In Voyant erstellte Zirrus-Wolken mit 200 Tokens zum Teilkorpus Mannheim  171 In Voyant erstellte Zirrus-Wolken mit 200 Tokens zum Teilkorpus Bremen  172 Keyness-Berechnung für das ZAD-Gesamtkorpus mit dem DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ in AntConc 3.4.4m  179 Keyness-Berechnung für die Teilkorpora der 2. (oben) und 3. Phase (vgl. Tab. 9) in AntConc 3.4.4m  181 Cluster zum Artikelwort des im DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ (rechts) und im ZAD-Gesamtkorpus, ermittelt in AntConc 3.4.4m  183 Clusterauswertung in AntConc 3.4.4m zu den rechtsseitigen Kookkurrenten der Präposition für; unten wurde durch Zeilenauswahl die Verbindung für alle ausgewählt, deren Be-lege sich als Konkordanzen anzeigen lassen  184 Konkordanzansicht für die Belege zum Cluster für viele sortiert nach rechtsseitigem Kotext in AntConc 3.4.4m  184 Nach linksseitigem Kotext sortierte Konkordanzliste zur Suchanfrage für die Opfer in AntConc 3.4.4m; zusätzlich wurde die Markierung des Genitivattributs eingestellt  187 Zeiteinordnungen innerhalb des Kontextualisierungsprofils der Gebrauchstexte im ZAD  284 Der Bildband von Vogt zeigt die Mühlenstraße im zeitlichen Kontrast 1937 und 1981 (PB 2002 BIB Vogt, 54). Bildnachweis (beide Fotos): Ulrich Vogt  294 Screenshots aus dem LDA-Tookit 2.7b zum Arbeitsstand der Berechnung gefilterter und ungefilterter POS-Bi- und Trigramme für das ZAD-Gesamtkorpus mit den drei DeReKoKontrastkorpora (oben) und zur Detailsicht auf die Zeile der gefilterten POS-Trigramme mit dem DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ (unten)  302 Satzreduktion im Teilkorpus Nachkriegszeit (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Gegenwart (oberer Balken) für Verben der Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus  337

https://doi.org/10.1515/9783110691580-205

XVI 

 Abbildungsverzichnis

Abb. 25: Satzreduktion im Teilkorpus Reflexionstexte (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Gebrauchstexte (oberer Balken) für Verben der POS-Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus  338 Abb. 26: Satzreduktion im Teilkorpus Gegenwart (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Gebrauchstexte (oberer Balken) für Verben der POS-Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus  339 Abb. 27: Satzreduktion im Teilkorpus Nachkriegszeit (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Reflexionstexte (oberer Balken) für Verben der POS-Fokuskonstruktion  340 [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus Abb. 28: Skizze zum Kontextualisierungsprofil des ZAD-Gesamtkorpus mit exemplarischen Belegen aus der frequenzanalytischen Auswertung  347 Abb. 29: Im Bildband von Schminck trägt dieses Foto von Walter Cüppers die Bildlegende: „Blick auf die ausgebrannte Johannis-Kirche im Schnoor 92. Luftangriff vom 26. Juni 1942“ (HB 1995 BIB Schminck, 112). Bildnachweis: Staatsarchiv Bremen  426 Abb. 30: Das Foto gibt vom Chor der Abdinghofkirche den Blick auf den Domturm frei. Es ist in verschiedenen Dokumentationen und Broschüren zur Stadtgeschichte abgebildet (PB 1980 SGe Claus, 94; PB 1995 KAT, 148; PB 2005 BRO Stadt). Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn  426 Abb. 31: Keller verwendet das Foto in seiner Stadtgeschichte mit folgender Bildlegende: „Die katholische Pfarrkirche St. Joseph am 13. September 1944. Die 1904/1907 erbaute Kirche auf dem Lindenhof erlitt bereits am 9. Mai 1941 Volltreffer, konnte jedoch am 15. November 1942 wieder eingeweiht werden. In der Nacht vom 5./6. September 1943 brennt sie völlig aus.“ (MA 2003 SGp Keller, 33) Bildnachweis: MARCHIVUM Mannheim, Bildsammlung  426 Abb. 32: Das Foto von Hans Werner Krysl aus einem Bildband zur Bremer Stadtgeschichte richtet den „Blick von einem Ruinengrundstück am Stephani-Ufer hinüber zum Gelände der Brauerei Beck & Co.“ (HB 1997 BIB Aschenbeck, 42) Bildnachweis: Horst Temmen  426 Abb. 33: Das 1945 entstandene Foto richtet den Blick von der zerstörten Jesuitenkirche auf die Abdinghoftürme und das Rathaus. Es wird im Dokumentationsfilm „Paderborn – Der Dokufilm – Geschichten einer Generation“ von Julian Jakobsmeyer und Tim Bolte eingeblendet (https://jakobsmeyer.de/paderborn-der-dokufilm/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020, 1:15:48). Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn/ Kurt  427 Zecher Abb. 34: Das Foto aus dem Haus Marienplatz 11 (Levermann) zeigt den Marienplatz 1945 und ist in einer stadthistorischen Dokumentation abgebildet (PB SGp Kühne 2005, 46) Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn / Paul Michels  427 Abb. 35: Das um 1953 entstandene Foto mit einem Blick aus einer Ruine auf die Zeilenneubauten in den F-Quadraten, Gemeinnützige Baugesellschaft m.b.H., stammt aus einem Ausstellungskatalog (MA KAT Schenk 1999, 21). Bildnachweis: Robert Häusser – Robert-Häusser-Archiv / Curt-Engelhorn-Stiftung, Mannheim  427 Abb. 36: Skizze zum Kontextualisierungsprofil des ZAD-Gesamtkorpus mit exemplarischen Belegen aus der frameanalytischen Auswertung  431 Abb. 37: Das Kontextualisierungsprofil zum ZAD-Korpus mit exemplarischen Belegen  441 Abb. 38: Emergente Deutungsmuster zum ZAD-Korpus mit exemplarischen Belegen  442 Abb. 39: Kontextualisierungsprofil der Nachkriegsphase im ZAD am Leitfaden des SchlüsselZeitworts Zukunft  451

Abbildungsverzeichnis 

 XVII

Abb. 40: Städtespezifische Kontextualisierungsprofile im ZAD-Korpus mit exemplarischen Belegen  454 Abb. 41: Inschrift auf der Südseite des Paderborner Doms: Zum Gedenken 11. Jan 22. März 29. März 1945. Foto: Privat, Januar 2018. Darüber ist eine Totenleuchte angebracht, die an den Tagen der drei stärksten Luftangriffe, d.h. am 17. Januar, 22. März und 27. März eines Jahres, brennt. Inschrift am Paderborner Dom: Zum Gedenken 11. Jan 22. März 29. März 1945. Foto: privat im Juni 2020  493

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8:

Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11:

Tab. 12:

Tab. 13: Tab. 14:

Tab. 15:

Tab. 16:

Tab. 17:

Tab. 18: Tab. 19: Tab. 20: Tab. 21:

Relationierung der Funktionsdimensionen in der diskursgrammatischen Methodologie  31 Das Dispositiv als zyklische Realisierung diskursiver und materieller Kulturinstanzen, an denen Sprache beteiligt ist  44 Slotbesetzungen zum präteritalen Vorgangspassiv von angreifen für V2- und  90 Vl-Stellung Slotbesetzungen zur Nominalform Angriff  90 Größe der Städte-Teilkorpora  145 Bi-, Tri- und Quattrogramme in den drei Städte-Teilkorpora  174 Keywords im ZAD-Gesamtkorpus, ermittelt mit vier Kontrastkorpora in AntConc 3.4.4m mit Frequenzangabe und nach Keyness sortiert  178 Übersicht über die Zuordnung der Dokumente zu den sich überlappenden Teilkorpora entlang der Parameter „Gattung“ und „Zeit“, weiß: Gegenwart 1986–2006 (1.183.944 Tokens), grau eingefasst: Nachkriegszeit 1945–1985 (179.500 Tokens)  192 Keyword-Analyse der Phasen-Teilkorpora in AntConc 3.4.4m, nach Signifikanz (Keyness) sortiert  194 Modalverben im PVM-Komplex für die ZAD-Phase 1986–2005  246 Verbalgrammatische Kodierung der Partizipien in Verbindungen mit PVM-Komplexen für Modalverben in unterschiedlichen Flexionsformen, erhoben im DeReKo über Cosmas II  249 Verbgrammatische Kodierung der im thematischen Kontext von Zerstörung und Aufbau auftretenden Partizipien in Verbindung mit passivischen Modalverbkomplexen für Modalverben in unterschiedlichen Flexionsformen, erhoben im ZAD-Teilkorpus für Phase 3  250 Frequenz der PVM-Komplexe in der 4. Phase  258 Verbalgrammatische Kodierung (Aktionsart und Aktionalität) der im thematischen Kontext von Zerstörung, Aufbau und Opfererinnerung bzw. -gedenken auftreten-den Partizipien in Verbindung mit PVM-Komplexen für die Modalver-ben konnte/n und sollte/n, erhoben im ZAD-Teilkorpus für Phase 4  261 Kontextualisierungsprofile für alle drei Teilkorpora mit verschiedenen kookkurrierenden Kontextualisierungshinweisen ausgehend vom PVM-Komplex mit präteritalem konnte/n und egressiven Handlungsverben  262 Kontextualisierungsprofile für alle drei Teilkorpora mit verschiedenen kookkurrierenden Kontextua-lisierungshinweisen ausgehend vom PVM-Komplex mit präteritalem konnte/n und kursiven Handlungs- (HB, PB) und Kommunikationsverben (MH)  264 Kontextualisierungsprofile für die Teilkorpora HB und MH mit verschiedenen kookkurrierenden Kontex-tualisierungshinweisen ausgehend vom PVM-Komplex mit präteritalem sollte/n  267 Syntaktische Funktionen der temporalen Präpositionalphrasen mit den Ereignisbezeichnungen Zweiter Weltkrieg/Krieg in Phase 4 des ZAD  270 Aktiv-Passiv-Spektrum in der 4. Phase des ZAD  273 Kotextmuster der zäsurindizierenden PP nach Kriegsende  275 Keyword-Analyse der ZAD-Gattungen in AntConc 3.4.4m  280

https://doi.org/10.1515/9783110691580-206

XX 

 Tabellenverzeichnis

Tab. 22: Füller der Konstruktionen [NN wurde CARD VVPP] und [CARD wurde NN VVPP] für Aufbau- und Zerstörungsverben mit Jahreszahl als Knotenpunkt (node)  285 Tab. 23: Übersicht zu den kontrastiven Parametern der vier Referenzkorpora, die zur Ermittlung der POS-Bi- und Trigramme in verschiedenen Untersuchungskorpora eingesetzt wurden  300 Tab. 24: POS-Gramme für das Teilkorpus „Nachkriegszeit“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen  303 ermittelten Bi- bzw. Trigrammen) Tab. 25: POS-Gramme für das Teilkorpus „Gegenwart“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen)  305 Tab. 26: POS-Gramme für das Teilkorpus „Reflexionsgattungen“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen)  307 Tab. 27: POS-Gramme für das Teilkorpus „Gebrauchsgattungen“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen)  309 Tab. 28: POS-Gramme für das ZAD-Gesamtkorpus mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bibzw. Trigrammen) 310 Tab. 29: POS-Trigramme im ZAD-Gesamtkorpus mit Signifikanz im Abgleich mit den DeReKoVergleichs- bzw. Kontrastkorpora  312 Tab. 30: Zeitliche und gattungsbezogene Veränderungen der POS-Bi- und Trigramme, die in allen, mindestens aber im komplementären Teilkorpus und den beiden Kontrastkorpora vorkommen  314 Tab. 31: POS-Bi- und Trigramme mit verbaler zu-Partikel und statistischer Signifikanz für das jeweilige Komplementär- sowie das DeReKo-Vergleichskorpus „Zweiter Weltkrieg“  318 Tab. 32: Infinitivkonstruktionen mit zu und vorausgehendem Nomen (POS-Trigramm: NN PTKZU VVINF)  319 Tab. 33: Kookkurrenzprofile (Wörter und POS-Tags) in 8-Wort-Umgebung (rechts und links)  328 zum POS-Bigramm VVPP werden in den getaggten Teilkorpora Tab. 34: Frequenzerhebung zu 20 Verben, die in den Teilkorpora der Zieldomänen (Gebrauchstexte und Gegenwart) am häufigsten in den verbalen Slot der Fokuskonstruktion [VVPP werden] eintreten  333 Tab. 35: Vergleichskorpora zur Ermittlung von Desentenzialisierungsverläufen  335 Tab. 36: Frequenzen der Ereignisbezeichnungen für das Kriegsende im ZAD-Gesamtkorpus sowie im Städtevergleich  356 Tab. 37: Zahlenmäßige und prozentuale Verteilung frequenter Verbformen/-stämme von Verben aus den semantischen Feldern Zerstörung und Aufbau  365 Tab. 38: Wortverbindungsmuster mit den Verbformen/-stämmen der Zerstörungs- und Aufbauverben in verschiedenen verbalgrammatischen Gestaltungen  367 Tab. 39: Das Frameprofil für die Äußerung in drei großen angriffen (...) wurde die stadt also wirklich opfer von äh (Geste) ja großen zerstörungen aus einer Paderborner Gästeführung  374 Tab. 40: Vergleich der Destroying-Frame-Füller mit Kollokatoren zu partizipialem zerstört und nominaler Zerstörung  376

Tabellenverzeichnis 

 XXI

Tab. 41: Kookkurrenten aus den Kookkurrenzlisten (bis 200 Treffer) für zerstört und aufbau im Vergleich ohne feste Zuordnung zu einem Frame-Element  378 Tab. 42: Verknüpfung der Frame-Elemente zu den Frames „Destroying“ und „Building“ mitsamt zugeordneter Kollokatoren-Füller zu partizipialem zerstört und Nominalisierungen mit (A)ufbau  379 Tab. 43: Kopplung der Destroying- und Building-Slots im Defending-Frame mitsamt zugeordneter Füller  384 Tab. 44: Syntaktische Funktionen der Vorkommen von Wiederaufbau/s und Neuaufbau/s im  386 ZAD-Gesamtkorpus Tab. 45: Füllerelemente für die Rahmenkonstruktion [X Wiederaufbau X erfolgte X] mit 502 Treffern im DeReKo und 413 auswertbaren Belegen in Lexpan  398 Tab. 46: Füllerelemente für die Rahmenkonstruktion [X erfolgte X Wiederaufbau X] mit 555 Treffern im DeReKo und 493 auswertbaren Belegen in Lexpan  399 Tab. 47: Kontextualisierungsprofil zum Vorwort des Bürgermeisters in PB 2005 SGp Kühne, 6 und 9 (GEG, REF)  457 Tab. 48: Kontextualisierungsprofil zur Gästeführer-Broschüre in PB 2011 BRO Schäfer, 78–81 (GEG, GEB)  463 Tab. 49: Kontextualisierungsprofil zur Internetseite der Stadt Paderborn PB HYP City, Paderquellgebiet (GEG, GEB), Quelle: https://www.paderborn.de/tourismus-kultur/ sehenswuerdigkeiten/Pader_Sehensw.php#Das_Paderquellgebiet_im_Wandel_der_ Zeit (zuletzt abgerufen am 19.03.2020)  465 Tab. 50: Kontextualisierungsprofil zu einer Mannheimer Stadtgeschichte in MA 2013 SGp Ellrich, 124 (GEG, REF)  467 Tab. 51: Kontextualisierungsprofil zu einem Ausschnitt aus der Foto-Dokumentation „Alt-Mannheim im Wandel“ in MA 2014 SGp Keller, 39 (Bildunterschrift) und 40 (GEG, REF)  471 Tab. 52: Kontextualisierungsprofil zur Stadtpunkte-Tafel „Palais Pigage“, MA 2007 TAF Stadtpunkte (GEG, GEB)  473 Tab. 53: Kontextualisierungsprofil zu einem Bildband von Aschenbeck, HB 1997 BIB Aschenbeck, 14-17 (GEG, REF)  475 Tab. 54: Kontextualisierungsprofil zum Ausstellungskatalog „1952“ – bremisch und doch modern" in HB 2006 KAT Syring, Kapitel „Verkehr – Bgm.-Smidt-Brücke“, o.S. (GEG,  479 REF) Tab. 55: Kontextualisierungsprofil zur Internetseite von BremenpediA HB HYP BremenpediA, M-Trakt (GEG, GEB), Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/M-Trakt_der_Hochschule_ Bremen und BremenpediA und HB HB HYP Bremenpedia St. Pauli Stift (GEG, GEB), Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Altenwohnanlage_St._Pauli_Stift (beide zuletzt abgerufen am 19.03.2020)  482

1 Einleitung 1.1 Anlass, Forschungsansatz und Fragestellungen In deutschen Innenstädten werden Städtebesucher immer häufiger darüber informiert, wann ein Gebäude im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und wie es wiedererrichtet worden ist. Dies geschieht über spezielle Informationsmedien, ortsfeste Tafeln und neuerdings auch per App. Nicht selten begleiten fotografische Eindrücke die (beeindruckende) Rekonstruktion oder den (modernisierten) Neubau. Damit kehren Spuren eines Diskurses ins kollektive Gedächtnis zurück, der gegenwärtig durch eine „erinnerungskulturelle Schwellensituation“ (ArichGerz 2009:71) gekennzeichnet ist: Mit dem Aussterben der Zeitzeugen und bald auch der Aufbau-Generation geht – vereinfacht gesagt – das kommunikative Gedächtnis dieser Luftkriegserfahrung in ein kollektives Gedächtnis über. Im kollektiven Gedächtnis entwickeln sich schriftliche Gattungen weiter, mit denen die historischen Ereignisse memoriert und dabei verändert bzw. (medial) transkribiert werden (vgl. Jäger 2004). Koselleck (1994:117) bringt die „methodische(n) Konsequenzen“ des Generationenwechsels auf folgende Formel: „Bald sprechen nur noch die Akten (...) (u)nd die Forschungskriterien werden nüchterner, (...) farbloser, weniger empiriegesättigt, auch wenn sie mehr zu erkennen oder zu objektivieren versprechen.“ Welzer (2010:o.S.) geht im Zuge der wissenschaftlichen Aufbereitung der Ereignisse im Nationalsozialismus vom „Kaltwerden“ der Erinnerung aus: Und schließlich treten Nationalsozialismus und Holocaust mit dem Verschwinden der Zeitzeugengeneration in den Aggregatzustand des kulturellen Gedächtnisses und der Historisierung. Die Erinnerungen daran werden kalt, die Aushandlungen weniger emotional.

Allerdings stellt Assmann (2009:14) für die medialen Verarbeitungen des Holocausts fest, dass das Ereignis „mit zeitlicher Distanz nicht farbloser und blasser geworden, sondern paradoxerweise näher gerückt und vitaler geworden“ ist. Damit sind zugleich auch Verschiebungen in der öffentlichen Auseinandersetzung über Themen der Erinnerungspolitik verbunden: Die ehedem virulenten Klagen über die Schuldfreiheit nationalsozialistischer Täter oder über die nicht geleistete Trauerarbeit weichen einem Diskurs darüber, welche Erinnerungen an die Vergangenheit bewahrt werden sollen und an welchen Orten Reflexionen über die jüngste Geschichte angemessen sind (vgl. Frei 2009:54). Texte, Fotografien und Audiofiles bereiten Stadtgeschichte sprachlich, bildlich und multimodal auf. Damit transformieren sie die Ereignisse in etwas, das vor Ort z.B. als Wandel oder als Kontinuität erfahrbar wird. Geschichtswissen erzeugt https://doi.org/10.1515/9783110691580-001

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ein Bewusstsein, sich z.B. durch ein altes, aufgebautes, geschundenes, autogerecht entworfenes oder angenehm durchgrüntes Stadtviertel zu bewegen. Doch mit welchen diskursiven Bezügen kehrt die Erinnerung an die Zerstörungsereignisse am Ende des Zweiten Weltkriegs in die Städte zurück? In welchen sprachlichen Forme(l)n hat sich die Erfahrung des schockierenden Bombardements, bei Cunningham (2002:118) entworfen als „extremes Zerbrechen, Zerschlagen, Fragmentieren, ein Schaffen von Löchern, Lücken, Leerstellen, Kratern, von Leere und Abwesenheit“, im kulturellen Gedächtnis der Städte verfestigt? Das vorliegende Buch widmet sich den Diskursen der Kriegszerstörung und des Aufbaus deutscher Städte aus einer besonderen fachlichen Perspektive: einer diskursgrammatischen. Diese basiert auf dem Grundgedanken, dass nicht nur Wörter und Bezeichnungen das Verhältnis zu geschichtlichen Ereignissen prägen, sondern auch Formulierungsweisen, die unterhalb der Schwelle der bewussten Wahrnehmung liegen. Eine grammatische Form wie das Vorgangspassiv beispielsweise setzt in der Beschreibung der Zerstörungsereignisse den Fokus auf das Geschehen: Die Innenstadt wurde zerstört. Zugleich gewinnt in der passivischen Perspektive der Zerstörungsgrad an Bedeutung (Die Innenstadt wurde weitgehend, enorm... zerstört). Im Themenfeld des Städteaufbaus wird durch das Funktionsverb erfolgen (der Aufbau erfolgte) die Nominalisierung (der Aufbau) in eine Handlungskategorie verwandelt. Und doch ist der notwendige Aufbau ein hart umkämpftes Feld, in dem die Städte unterschiedliche Wege beschritten haben: vom historisierenden Wiederaufbau über das funktionsorientierte Neue Wohnen bis zur städtebaulichen Avantgarde. Immer auch werfen Aufbauprojekte Fragen der Sichtbarkeit von Geschichte und Vergangenheit auf. In den Züricher Vorlesungen 1997 beklagt Sebald (2013:11f.), dass die „in der Geschichte bis dahin einzigartige Vernichtungsaktion (...) nur in Form vager Verallgemeinerungen“ in die Annalen eingegangen ist und keinerlei Schmerzensspur im kollektiven Bewusstsein hinterlassen hat. Im Unterschied zu dieser „linguistischen Laubsägearbeit“ (Sebald 2013:64) existieren aus seiner Sicht nur wenige Werke, die die Zerstörungserfahrung angemessen nachvollziehen wie z.B. der dokumentarische Gestus zur Darstellung des Unfassbaren in Alexander Kluges Fresko von der Zerstörung Halberstadts (vgl. Baumgart 1999:2; van Hoorn 2016:221f.). In dem unter Luftkrieg und Literatur erschienenen Band führt Sebald schließlich das Grauen des area bombing in Form von nahezu unkommentierten Fotografien vor Augen. Hinter Schuttbergen, auf denen große dunkle Holzkreuze stehen, sind jene zu Visiotypen (Pörksen 2000) geronnenen Häuserskelette erkennbar, die bereits in der frühen Nachkriegsliteratur als „beredte Synekdo-

Anlass, Forschungsansatz und Fragestellungen 

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chen, laute Metonymien des Krieges“1 beschrieben worden sind. Daneben zeigt Sebald fotografische Vergleiche, die vermutlich einem Bildband und einer Postkarte entstammen, und auf denen sich die von ihm identifizierte gesellschaftliche Verdrängungsstrategie der Luftkriegserfahrung offenbart: Nicht als das grauenvolle Ende einer kollektiven Aberration erscheint also diese totale Zerstörung, sondern, sozusagen, als die erste Stufe des erfolgreichen Wiederaufbaus. (Sebald 2013: 14)

So erstrahlt Frankfurt in den 1990er Jahren in einem eigenwilligen Kontrast aus Alt und Neu: Hinter dem historistischen Römerviertel mit seinen schmalen Giebelhäuschen ragt die imposante Bankensilhouette der europäischen Finanzmetropole hervor, als die sich die Weltstadt am Main heute inszeniert. Über die „Krämerstraße“ heißt es in der Original-Bildunterschrift „Schöner und breiter erstand sie wieder“ (Sebald 2013:14). Dabei geht es Sebald weniger um eine Kritik an der Ästhetisierung des Wiederaufbaus oder der Trümmerlandschaften als vielmehr um die bisher unausgeschöpften Möglichkeiten, den „Interimszustand(s) des Zerstörtseins“ dauerhaft zu vergegenwärtigen (vgl. Mielke 2007:134). Bereits in der frühen Nachkriegszeit wurde die „blindwütige Aufbaulust“ der „Interpretationselite“ zum Prisma der Kritik an der Weigerung, die Erfahrung des Kriegsendes ins kollektive Selbstverständnis zu integrieren: Den Deutschen konnte gar nichts besseres passieren, (sic) als die vollkommene Zerstörung von Städten und Existenzen – die Sorge ums Überleben ist Vorwand, die blindwütige Aufbaulust ist Kompensation. Solche Bewertungen kollektiver nachkriegsdeutscher Verweigerung durchziehen den Diskurs über den gesamten hier betrachteten Zeitraum. (Kämper 2005:146)

Aus diesen Beobachtungen zur integrativen Darstellung der Themen „Zerstörung“ und „Aufbau“ in verschiedenen klassischen und neueren Formaten der Erinnerungskultur ergibt sich die Frage nach der Verschränkung dieser beiden Diskurse im Rahmen der städtischen Erinnerungskultur. Dabei stellt sich für diese Formen der kollektiven Bewältigung immer auch die kulturkritische Frage nach Verdrängung und Machteffekten. Im Sinne einer kritischen Diskursanalyse rückt Kumiega (2012:33) den Begriff der Diskursverschränkung in die Nähe der Foucaultschen Definition eines machtpolitisch wirksamen Dispositivs, das im

1 Cummingham 2002:121 nennt in diesem Zusammenhang Werke der so genannten Trümmerliteratur von Böll und Nossack. Nur wenige dieser Bombenruinen sind als Mahnmale im Stadtbild deutscher Städte erhalten. Meist handelt es sich um religiöse Bauwerke wie die Berliner Gedächtniskirche oder die Ruine der Hauptkirche St. Nikolai in Hamburg.

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späteren Analysekapitel einen zentralen Bezugspunkt der framesemantischen Beschreibung impliziter Wissensinhalte darstellen wird (vgl. Kap. 6.2). Sprachlich beginnt für Sebald die Verdrängung und verrätselnde Darstellung des Bombenkriegs, der in deutschen Städten 305.000 bis 600.000 Zivilpersonen das Leben gekostet hat, mit den stereotyp anmutenden Formulierungen der Augenzeugenberichte. Diese würden ihre Leidenserfahrung verdecken hinter einschlägigen Formulierungen wie „ein Raub der Flammen“, „verhängnisvolle Nacht“, „es brannte lichterloh“, „die Hölle war los“, „starrten wir ins Inferno“, „das furchtbare Schicksal der deutschen Städte“ und dergleichen mehr. (Sebald 2013:32)

Formelhafte Phrasen wie „‚(a)n jenem Tag, an dem unsere schöne Stadt dem Erdboden gleichgemacht wurde‘“, wie sie in ähnlich konventionalisierter Form auch in den Tagebucheinträgen Klemperers über „das Ende von Dresden“ zu finden seien (vgl. Sebald 2013:32 mit Bezug auf Klemperer 1995:661ff.), hält Sebald für Gesten der Abwehr traumatischer Erinnerungen. Der Schriftsteller Timm, 1940 geboren, der den Hamburger Feuersturm 1943 als kleiner Junge miterlebt hat, gibt Beispiele von dichten verblosen Konstruktionen, die durch Wiederholung das Unfassbare „erzählbar“ gemacht haben: Das Eigentümliche war, wie der Schock, der Schreck, das Entsetzen durch das wiederholte Erzählen langsam fasslich wurden, wie das Erlebte langsam in seinen Sprachformeln verblasste: Hamburg in Schutt und Asche. Die Stadt ein Flammenmeer. Der Feuersturm. (Timm zitiert nach Assmann 2006:191, Hervorh. i. O.)

Kurz vor dem 60. Gedenkjahr des Kriegsendes setzt Assmann (2006:189) zufolge ein „Zurückfluten der Erinnerungen“ ein, das die Auflösung des von Sebald beschriebenen Erinnerungstabus ab den Jahren 2002/2003 markiert. Weil, so Assmanns (2006:188) Erklärung, die jüdische Opfererfahrung im Gedächtnis der Deutschen verankert ist, können andere Leidensgeschichten in dieses Bild mit eingezeichnet werden, ohne das gesamte Gefüge zu verschieben.

So hat die Opfergruppe der vom Bombenkrieg traumatisierten Zivilbevölkerung in der öffentlichen Aufmerksamkeit neben den Holocaustopfern Platz. Assmann (2006:188) wertet dies als Indiz dafür, dass die historischen Zusammenhänge des Bombenkriegs im kollektiven Bewusstsein verankert sind.2

2 Empörung hat jedoch die Bezeichnung „Bombenholocaust“ im Zusammenhang mit der Zer-

Anlass, Forschungsansatz und Fragestellungen 

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Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, den Prozess der Verfestigung, der Konventionalisierung und ggf. das Abstrakterwerden der sprachlichen Repräsentation der Städtezerstörung im Zweiten Weltkrieg und des Aufbaus an der Schwelle zur Kollektivierung der Erinnerungskultur(en) diskurslinguistisch zu beschreiben. Gewählt wird dafür ein diskursgrammatischer Ansatz, der bei grammatischen Varianten von Schlüsselwörtern ansetzt, um syntagmatische Kotextmuster und weitere emergente Musterbildungen (POS-Gramme, verbalgrammatische Gestaltungen u.a.) induktiv zu ermitteln. Auch die korpuslinguistische Mustersuche, der Einsatz quantifizierender Tools und die Annotation werden als epistemische Faktoren für die Darstellung von Mustern aufgefasst. Alle korpuslinguistischen Verfahren sind somit in einen qualitativen Forschungsprozess eingebettet. Dieser beginnt bei der Korpusbildung durch die Anlage verschiedener variierender Teil- und Kontrastkorpora und konzentriert sich danach auf die Auswahl jenes Sprachmaterials, das nach Wortarten automatisch getaggt, teilweise manuell annotiert und schließlich mit Blick auf die Diskursfunktion interpretiert wird. Die hier eingenommene diskursgrammatische Perspektive basiert auf der Grundüberlegung der funktionalen Grammatiken, dass sich das grammatische Potential sprachlicher Konstruktionen und Mehrworteinheiten diskursspezifisch entfaltet. Unter der Annahme, dass sich Städte in der Verarbeitung von Katastrophen und Wendepunkten unterscheiden und somit in einem eigenlogischen Zugriff auf ihre Vergangenheit verschiedene Ausdrucksformen herausbilden (vgl. Löw 2010), wurden drei Städte-Teilkorpora gebildet, die Texte im Zeitraum zwischen 1945 und 2015 zu den Themen der Städtezerstörung und des Aufbaus enthalten. Neben diesem inhaltlichen Kriterium waren Verfügbarkeit und Erscheinen vor Ort eine wichtige, wenngleich „weiche“ Bedingung für die Aufnahme ins Korpus, die wiederum für internetbasierte Angebote und Smartphone-Apps keine Gültigkeit hat. Die Kommunikate sind somit in den drei Städten überwiegend in Institutionen wie Stadtbüchereien, in der Touristinformation oder auf Informationstafeln verfügbar. Die (stark) kriegszerstörten Städte Bremen, Paderborn und Mannheim boten sich aus unterschiedlichen Gründen als Vergleichsstädte an. Auch haben Beobachtungen zu den Gedenkpulten in Paderborn sowie den ortsfesten Geschichtstafeln in Mannheim den Anstoß für weitere Beschäftigungen mit den Repräsentati-

störung Dresdens hervorgerufen, die daher auch 2005 zum Unwort des Jahres gewählt wurde mit der Begründung, dass sie die Judenvernichtung herunterzuspielen droht (vgl. Hoberg 2015:13). Zur „neue(n) Debatte um den Bombenkrieg 1940-45“ vgl. die gleichnamige Sammelpublikation von Kettenacker 2003.

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onen des Luftkriegs und seinen Folgen geliefert. Während die Kriegszerstörungen in Dresden, Köln oder Hamburg im gesamtdeutschen Diskurs immer wieder Anlass geben, über Motive (Rache, moral bombing), Gründe (Verkehrsknotenpunkte) oder die Zahl der Todesopfer (Hamburg soll mit 40.000 die meisten zu verzeichnen gehabt haben) nachzudenken, werden die kriegsbedingten Zerstörungen in Bremen, Paderborn und Mannheim im überregionalen Diskurs kaum prominent diskutiert. Dies wurde als Vorteil für die Ermittlung transtextueller Musterhaftigkeit angesehen, da die Texte eines Städtekorpus somit primär untereinander intertextuell vernetzt sind. Methodisch und methodologisch bewegt sich die Studie an der Schnittstelle von Korpuslinguistik und Diskursgrammatik, Framesemantik und Kontextualisierungsforschung. Das entwickelte diskursgrammatische Programm versteht sich als konsequent oberflächenbasiertes Verfahren und geht von der kulturellen „Signifikanz sprachlicher Gestalt“ aus (Feilke/Linke 2009:5). Einen wichtigen Bezugspunkt bildet dabei die indexikalische Qualität sprachlicher Formen im grammatischen und weiteren Text-Kontext (vgl. Müller 2016). Rekurrente Formen, die ihre pragmatische Prägung über morphosyntaktische Beziehungen zu umgebenden sprachlichen Einheiten erhalten, werden als Ausgangspunkt genommen, um kulturanalytisch motivierten Fragen nachzugehen wie: – Welche Täter- und Opferrollen werden im Kontext der Zerstörungs- und Aufbau-Ereignisse konstruiert? – Welche Ereignisdeutungen gehen mit diesen Akteursbildern (standardisiert) einher (Vergeltung, Befreiung, Wende, Kapitulation, Zusammenbruch)? – Welche deontischen bzw. evaluativen Züge gewinnt die schriftbasierte Erinnerungsarbeit durch ihre medialen Vertextungen? So variiert der Aussagenkomplex zum Gedächtnisthema der Städtezerstörung von der Bewertung des Wiederaufbaus als heilender Wiederherstellung, staunenswerter Wandlung bis zum beklagenswerten „Gesichtsverlust“. Dabei wird im Folgenden und mit Bezug auf einen breiten Konsens innerhalb der modernen Geschichtswissenschaft angenommen, dass dem Wiederauftauchen des Zerstörungsthemas eine Orientierung an der Vergangenheit für die Zukunft anhaftet. Denn „(j)ede Beschäftigung mit Vergangenem entspringt gegenwärtiger Zeiterfahrung und ist für die handelnde Orientierung des Menschen unerlässlich.“ (Goertz 2007:34) Die sprachlich geronnenen Muster werden somit im Hinblick auf die Gestaltung einer Zukunftsorientierung geordnet. Dabei muss nicht zwingend von einer nostalgischen Erinnerung an den Vorkriegs- und Zerstörungszustand ausgegangen werden und damit von einem „gestörten Vergangenheitsbezug und eine(r) ebenso gestörte(n) Konnexion von Vergangenheit und Zukunft“ (Mielke 2007:129).

Anlass, Forschungsansatz und Fragestellungen 

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Die Herausforderung für ein diskursgrammatisches Projekt liegt darin, zu ermitteln, mit welchen sprachlichen Routinen die zentrale kommunikative Aufgabe erfüllt wird, Geschichtsinhalte für eine künftige Handlungsorientierung verfügbar zu machen. Hierbei gilt das Augenmerk auch den verbergenden, verdeckenden oder kaschierenden Kontextualisierungsverfahren. Diese hinterlassen Spuren in den sprachlichen Formen, z.B. als Verneinungen, Passivierung oder Modalisierung. Auch das lexikalische Material kann als Kern diskursspezifischer Muster3 auf ein Verdrängen hindeuten bzw. indiziert die hohe „Vergessensbereitschaft“ (Kämper 2005:144). Bei der Mustererkennung werden strukturentdeckende Verfahren einer Korpuslinguistik im Corpus-driven-Paradigma eingesetzt (Scharloth/Bubenhofer 2013, Müller 2016), wie sie im Rahmen der lexikologischen Forschungsarbeit von Steyer 2013 unter dem Dachkonzept der usuellen Mehrwortverbindung entwickelt worden ist. Dieses korpusgrammatische Paradigma basiert im Wesentlichen auf der Grundannahme, dass Wortverbindungen und Wortverbindungsmuster jeweils eine holistische Qualität aufweisen: Diese kann sich in einer übersummativen denotativen Bedeutung manifestieren, aber auch auf einer sehr abstrakten Ebene angesiedelt sein und auch nur eine gemeinsame kommunikative Funktion aller Musterkonstituenten betreffen. (Steyer 2014:338)

Die Konstituenten der Muster bestehen nicht zwangsläufig z.B. aus Schlüsseloder Fahnenwörtern im Sinne der Diskurslinguistik oder aus syntaktischen Kollokationen im Sinne der Phraseologie. Es kann sich auch um „anarchische“ Verbindungen handeln, so genannte Chunks, die weder für den Diskursausschnitt relevantes lexikalisches Sprachmaterial aufweisen noch grammatisch relationiert sind, und die sich doch für die Herausbildung einbettender Muster als produktiv erweisen. Schließlich wird die erinnerungskulturelle Versprachlichung von Zerstörungsereignissen und Aufbauprozessen in verschiedenen korpuslinguistischen Granularitätsstufen untersucht: Auf die an Wortverbindungen mit lexikalischen Ankerpunkten orientierte Analyse folgt die abstraktere Musterermittlung in Form einer POS-Gramm-Analyse mit einem weniger thematisch und stärker auf die kommunikative Funktion und den kommunikativen Mehrwert von sprachlichen Einheiten ausgerichteten Blick auf den Diskurs. Der Arbeit liegt eine pragmati-

3 In korpuspragmatischen Studien wurden grammatische Muster bisher etwa als Hinweise auf diskursive Kämpfe (Felder 2015) oder Rollen (Müller 2015) aufgefasst. Eher diskurssemantisch ausgerichtet sind Untersuchungen zur sprachlichen Verankerung von Diskurspositionen (Spieß 2011) oder Einstellungen und Affekten (Rothenhöfer 2008 und 2014).

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sche Grammatikauffassung zugrunde, die impliziert, dass jede „syntaktische Prägung“ durch ihre Einbindung in die sprachliche Oberfläche an pragmatischsemantische Ordnungsleistungen angeschlossen ist (vgl. Feilke 1996:221f.). Es ist jeweils herauszuarbeiten, welche kontinuierlichen und diskontinuierlichen sprachlichen, strukturellen und multimodalen Phänomene zu dieser Oberfläche zusammenkommen, an der eine Wiederholung im Kontext beobachtbar ist. Damit verbunden, aber stärker semantisch motiviert bezogen auf verstehensrelevante Wissensinhalte, fragt ein zweiter Komplex nach den Prozessen der Verknappung, der Kürze, Abstraktion und Verdichtung von Formen. Diese ergeben sich aus der funktionalen Anpassung an kleinere, in erinnerungskulturelle Praktiken eingebundene Textsorten: Flyer, Internetseiten, Apps, Broschüren zur Stadtgeschichte, teilweise auch Gedenktafeln, die die Tradition der durch Formelhaftigkeit geprägten Mahnmaltexte aufgreifen (vgl. Haß-Zumkehr 1994:301f.). All diese Kommunikate hinterlassen Spuren eines Erinnerns im Dienste übergeordneter Deutungsmuster. Sie sind verbunden mit Ereignisinterpretationen wie (Zusammen-)Bruch, Wende, Befreiung, Katastrophe und Neubeginn, entfalten sich aber ebenso am Leitfaden der Analogisierung von materialen und seelischen Trümmern, wie sie für den Schulddiskurs der Nichttäter zwischen 1945 und 1955 von Kämper (2005:151f.) beschrieben wurden. Für die zeitabhängige Kontexteinbettung der Wörter und Mehrworteinheiten zur zerstörten und aufgebauten Stadt wird ein framesemantisches Annotationsschema herangezogen (vgl. Kap. 5.2.2), mit dem sich Anschlüsse an multimodale Diskursanalysen bieten (vgl. Fraas/ Meyer 2011). Am Rande werden auch Bildelemente in ihrer multimodalgrammatischen Rolle als Füller/Füllwerte berücksichtigt. Darüber hinaus zielt die Untersuchung auf ein städtespezifisches diskursives Placemaking. Darunter soll mit Busse/Warnke (2014:2) die „In-Wert-Setzung von Raum in der Stadt“ verstanden werden. Sie wird für die drei ausgewählten Städte vergleichend betrachtet. Der Beitrag zur methodologischen Weiterentwicklung des diskursgrammatischen Ansatzes orientiert sich an kulturellen Praktiken. Diese schließen auch sprachlich-multimodale Mittel der städtekulturellen Erinnerungsarbeit im Rahmen einer zeitbedingten Verarbeitungspraxis ein. Zusammengefasst ergeben sich die folgenden drei Hauptaspekte der Untersuchung: – Konstitutionsweisen der kommunikativen Aufgabe (i.w.S. Historisieren) durch spezifische diskursgrammatische Konfigurationen (Kontextualisierung) – Frameentwicklung und -verschränkung im semantischen Bereich von Zerstörung und Aufbau (Standardisierung, Verfestigung unter der Bedingung sprachlicher Reduktionsprozesse) sowie

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– die diskursiv-referentielle Herstellung erinnerungskultureller Orte als Schauplätze der Zerstörung im Rahmen einer typischen Gedächtnisperspektive der Geschichtskommunikation der untersuchten Städte. In dieser Triangulation entstehen Zugriffsmöglichkeiten auf die Transformationen von Erinnerungskultur, in denen Vergangenes sprachlich konstruiert und (unter dieser Voraussetzung) räumlich-medial sichtbar wird. Mittels einer Corpus-driven-Methodik werden in einem ersten Schritt auf der Basis von Frequenzen und Regelmäßigkeiten sprachliche Einheiten identifiziert und zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. Kap. 2.1). Die ermittelten Muster sind Basis für die nachfolgende semantische Analyse, bei der die verknüpften Phänomene der sprachlichen Oberfläche den Elementen der Zerstörungs- und Aufbauframes zugeordnet werden. Ziel dieser Zuordnung ist die Beschreibung von Kontextualisierungsprofilen. Sie enthalten sprachliche Indikatoren, die auf erinnerungskulturelle Deutungsmuster hindeuten. Zudem wird eine Differenzierung nach Themen und Städten vorgenommen. Die diskursgrammatische Beschreibung erfasst integrativ die folgenden Analyseebenen: Keywords, Mehrworteinheiten, POS-Gramme, Kookkurrenzen und Frames. Die Verknüpfung der Einheiten wird über eine Systematik der Konnektivität anhand der vorgefundenen diskursspezifischen Kontextualisierungshinweise verdeutlicht (vgl. Kap. 7). Bevor der Aufbau der Studie im Einzelnen vorgestellt wird, sollen einige Beobachtungen zu sprachlichen und bildlichen Darstellungsweisen der Kriegszerstörung einen Eindruck von den Besonderheiten dieser urbanen Diskursverschränkung geben. Bereits die dieser Einleitung vorangestellten Belegstellen aus dem Gesamtkorpus wirken für sich genommen möglicherweise etwas skurril: Der „Flächenzerstörung“ sei es zu danken, dass Parkplätze entstanden sind, der Verlust an Wohnraum wird durch kriegsbedingte Todesfälle nicht vollständig ausgeglichen und die Stadt als solche besitzt ein Wesen. Sie fügen sich jedoch, wie später gezeigt wird, in ein Kontextualisierungsprofil der Zerstörungsereignisse und Aufbauprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg ein, das weniger von seiner Inhaltsseite – was Sache der HistorikerInnen ist – und auch nicht topologisch oder in erster Linie diskurssemantisch beschrieben wird. Die diskursgrammatische Untersuchung setzt dagegen bei den rekurrenten (morpho-)syntaktischen Erscheinungen an und legt einen Schwerpunkt auf der verbalgrammatischen Gestaltung sowie der Herausbildung von Mehrwortverbindungen und Kollokationen.

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1.2 Hypothesenbildung anhand von „suprising facts“ (vier Beispiele) Die folgenden Beispiele stammen aus ganz unterschiedlichen Gattungen und Medien und dienen als Impuls, um erste Hypothesen über Art und Fokus der Darstellung von Zerstörung und Aufbau zu formulieren. Sie enthalten keine gesicherten, sondern abduktiv4 gewonnene Schlüsse, die im Theorieteil der Arbeit mit den Forschungsständen aus der sozialwissenschaftlichen Gedächtnistheorie und der Diskurssemantik zu konfrontieren bzw. zusammenzubringen sind, bevor ein vertiefendes diskursgrammatisches Projekt skizziert werden kann. Im Lichte abduktiv gewonnener Hypothesen erscheint das Wahrgenommene (der Diskurs mit all seinen spezifischen Sprechweisen) nicht weiter überraschend. Mithilfe des gebildeten Schlussverfahrens lässt sich schließlich rekonstruieren, was der Fall ist,5 hier bezogen auf die Narrative eines bestimmten Ausschnitts aus der deutschen Erinnerungskultur. Im ersten Beispiel bildet eine Reparatur den Ausgangspunkt eines abduktiven Schlussverfahrens. Sie ist mir im Rahmen einer videografierten Gästeführung durch die Paderborner Altstadt aufgefallen.6 In der Überleitungssequenz lenkt die verantwortliche Person der Gästeführung (im Folgenden: der Gästeführer) die Aufmerksamkeit auf das nächste Ziel, das älteste Fachwerkhaus in Paderborn mit dem Namen Adam-und-Eva-Haus, und verwendet dafür eine in dieser kommunikativen Gattung strukturierend wirkende Technik: Der Gästeführer bereitet die Aufmerksamkeit auf das vor, was er nach einem kurzen gemeinsamen Gang als nächstes zeigen möchte, und macht es als etwas Sehenswertes verfügbar, das in seiner historischen Qualität für Paderborn singulär ist (vgl. Transkript). Mit einem verallgemeinernden Konditionalsatz etabliert er den umgebenden Raum

4 Die Methode der Abduktion besitzt nach Peirce das Potential, Erklärungen für ein beobachtetes Phänomen (Resultat) zu bilden (CP 5.171). 5 Zur Veranschaulichung der Schlussverfahren hat Peirce das Bohnensackbeispiel herangezogen (vgl. Nöth 2000:68). Die Abduktion, dem Schluss auf Fall und Regel, geht von einem beobachtbaren Resultat aus: Resultat: Diese Bohnen sind weiß. Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. 6 Die stadtgeschichtliche Gästeführung fand im Juni 2015 zum Zweck der linguistischen Datenerhebung statt. Es nahmen 18 Mitarbeitende und Studierende der Universität Paderborn mit Freunden und Verwandten an dem 1,5-stündigen Rundgang teil, denen an dieser Stelle ebenso wie der organisierenden Person herzlich gedankt sei. Bei dem transkribierten Ausschnitt handelt es sich um den einzigen Gesprächsausschnitt, in dem die Städtezerstörung thematisiert wurde.

Hypothesenbildung anhand von „surprising facts“ (vier Beispiele) 

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der Teilnehmenden als baulich modern: wenn man offenen auges durch die stadt geht sieht man dass paderborn doch baulich eine relativ moderne stadt ist; (Z. 3–5). Er schafft gleich im Anschluss einen Kontrast zu den mittelalterlichen Architekturen im faktischen Modus des Präsens: es gibt nicht mehr viele mittelalterliche gebäude (Z. 6). Die nachfolgende Begründung unterstreicht er mit einer offenen Handgeste, und es kommt nach einer Verzögerung (äh) direkt vor dem hervorgehobenen Nomen Schicksal (der Stadt) in Z. 9 zu einer Rahmung der Zerstörungsereignisse als Leidensgeschichte der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Die Pause in Z. 11 und das längere Einatmen kündigen den schwerwiegenden Charakter der nachfolgenden Ausführungen an. Die Passivformulierung Paderborn wurde zu fü über fünfundachzig prozent zerstört erstreckt sich über drei Intonationsphrasen (Z. 12–14) und weist mehrere Besonderheiten in der Äußerungsgestaltung auf. Sie enthält zwei kurze Pausen und endet nach dem rhematischen Partizip zerstört, das eine eigene Turnkonstruktion bildet, in Z. 15 mit einer eigentümlich langen Pause von 1.3 Sekunden. Das Hilfsverb wurde veranschaulicht mit der verlangsamten, leicht gedehnten Aussprache den prozessualen Ereignischarakter, der zu dem Resultat führt, dass Paderborn zu über 85 Prozent zerstört wurde. Die in dieser Phrase enthaltene selbstinitiierte Reparatur bildet vermutlich einen Kompromiss aus den Angaben des Zerstörungsgrades für die Gesamtstadt, die zwischen 80 und 85 Prozent schwanken. Die reparierende, Nebenakzent tragende Gradpartikel über7 besitzt einen dramaturgischen Effekt: Sie fügt der erläuterten Zerstörung eine wertende Komponente in Richtung eines nicht in Worte zu fassenden Ausmaßes hinzu. Der Bewertungsrahmen wurde eingangs mit dem metaphorischen Pfad der Schicksalhaftigkeit (schicksal; Z. 9) abgesteckt. Er wird fortgesetzt in der nachfolgenden Perspektivierung der Stadt als opfer in Z. 21, der durch das Partikelcluster also wirklich Nachdruck verliehen wird. Aber wovon wurde die Stadt Opfer? Der Gästeführer ergänzt in Z. 22–23 das Ereignisabstraktum von ja großen zerstörungen. Opfer von X – das sind im Deutschen stets Opfer von etwas Schrecklichem, als feste Wortverbindungen ergeben sich laut Suchanfrage im DWDS die Opfer von Gewalttaten und die Opfer von Gewalt.8 Groß werden in diesem Beispiel die mit Gewalt assoziierten Zerstörungen genannt; ebenso wurden zuvor im Adverbial die Angriffe als groß bezeichnet (in drei großen angriffen). Diese Wort-Brücke deutet darauf hin, dass beide Einheiten, der Angriff und die Zerstörung, in dieser Passage zusammengespannt werden. Angriffe verursachen eine Zerstörung und die Nominalisierung beider

7 Zur Verwendung der Präposition über als Gradpartikel vgl. Duden 2016:871. 8 Platz 3 und 4 mit einer Signifikanz von 8,2 im syntagmatischen Muster mit von-Präpositionalgruppe, vgl. https://www.dwds.de/wp/Opfer, zuletzt abgerufen am 19.03.2020.

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Einheiten erlaubt es, nicht genauer zu sagen, wer hier wen angreift und was von wem zerstört wird. Parallel zur Äußerung von ja großen zerstörungen vollzieht der Gästeführer während des Verzögerungssignals äh eine ausladende Geste. Sein linker Unterarm sinkt herab und veranschaulicht damit womöglich die Verursachung der Zerstörung in Form von herabfallenden Bomben.9 Inhaltlich ist damit die Thematisierung des Bombenabwurfs im Luftkrieg in der körperlichen Performanz eingeschlossen, mit der die gewaltsame Einwirkung auf den als leidend entworfenen städtischen Körper performativ abgebildet wird. Transkript „opfer von großen zerstörungen“10 Gf-v 01 . (1.0) 02 kOmmen wir zum thema SEHenswürdigkeiten.= 03 =wenn man offenen auges dUrch die STADT geht.= (1.0) 04 =sieht man dass paderborn doch BAUlich-= 05 =eine relativ moDERne stadt ist, 06 es gibt nicht mehr vIEle MITtelalterliche gebäude; 07 (0.8) Gf-g ~~~~~ Gf-v 08 das liegt DAran dass, Gf-g **********;;;;;;;;;;; (offene Handgeste) Gf-v 09 die STADT das äh schicksal VIEler europäischer städte 10 im zweiten weltkrieg geTEILT hat, 11 (0.8)°hhh 12 PAderborn ; (0.3) → 13 zu fü- Über fünfundachzig proZENT- (0.1) 14 zerSTÖRT. 15 (1.3) 16 in DREI- (0.2)

9 Dass es sich hierbei nicht um eine redundante Geste zur Untermalung des sprachlichen Ausdrucks handelt, sondern sprachlich und gestisch zwei verschiedene Kernslots des DestroyingFrames realisiert werden, lässt sich auch strukturell begründen: Die Koordination des gestischen und adjektivischen Attributs wird möglicherweise mithilfe der resümierenden Partikel ja (Z. 23) verbunden. 10 Für die Gestennotation wurde zwischen Vorbereitungsphase (*), Höhepunkt (~) und Rückzugsbewegung (;) unterschieden (vgl. Stukenbrock 2013:229). In der angloamerikanischen Gestikforschung haben sich die Bezeichnungen preparation, stroke und retraction durchgesetzt (vgl. Rohlfing 2013:153).

Hypothesenbildung anhand von „surprising facts“ (vier Beispiele) 

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17 gro:ssen ANgriffen; 18 im JAnuar und 19 märz neunzehnhundertFÜNFundvierzig; 20 (.) wurde die STADT also wirklich (0.1) Gf-v 21 !OP!fer; (0.4) ~~~~~ Strecken des linken Unterarms Gf-g Gf-v 22 VON äh- (0.2) Gf-g ****;;;; Unterarm nach unten (ikonische Geste, die den Bombenabwurf imitieren könnte) Gf-v 23 ja grOssen zerSTÖrungen;= 24 =und heute gibt es nur noch punktu!ELL!, 25 (.) wirklich hisTOrische, (.) 26 BAUwerke 27 (.) und da:zu ZÄHLT; 28 unter ANderem; 29 ein gebäude mit einem ganz besonderen ↑NAmen;= 30 =und das ist das, (.) 31 Adam und; 32 Evahaus.= Gf-v 33 =und da GEhen wir jetztGf-g ~~~~~~~~**************** Gf-v 34 MAL; Gf-g ;;;;;; Gf-v 35 DIrekt; 36 . Was sich hinter den großen angriffen verbirgt, welche Angreifer vor welchem Hintergrund in der Stadt Zerstörungen verursacht haben, wird als Standardwert im Destroying-Frame lediglich präsupponiert (vgl. Ziem 2008:95). Semantisches Agens der Städtezerstörung können nicht nur die Alliierten, sondern auch die Nationalsozialisten selbst sein, die durch ihre aggressive Expansionspolitik, wie es im Nachkriegsjargon heißt, „aus Deutschland einen Trümmerhaufen gemacht“ haben (Böckler 1945 zitiert nach Kämper 2005:151). Das zweite Beispiel camoufliert noch deutlicher Hintergrundinformationen der Städtezerstörung. Dabei ist fraglich, ob ein kondensiertes Geschichtswissen bei der Lektüre von Gedenktafeln für die Opfer des Nationalsozialismus tatsächlich alle wichtigen rahmenden Fakten beisteuert. Unter der Überschrift „Gedenken, ohne zu erinnern“ rügt ein Zeit-Artikel den abstrahierenden Duktus von Tafeln zum Gedenken an die Ereignisse des Novemberpogroms. Lediglich das Datum

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einer Aufschrift auf einer Wandtafel in der Nähe der Hamburger Rathausschleuse lasse Rückschlüsse auf Akteure und Motive der Zerstörung zu: „Zum Gedenken an die / Gebr. Hirschfeld / die hier ihr Modehaus führten / bis ihr Lebenswerk / am 9. November 1938 / zerstört wurde“ (zitiert nach Erens 2016:o.S.). Auch wenn Geschichtswissen grundsätzlich im Sinne einer wissensorientierten Semantik (vgl. Busse 2012) rekonstruierbar ist, und die Datumsnennung entsprechend die Ereignisse des Luftkriegs am Ende der Nazi-Herrschaft evozieren mag, verwährt doch die sprachliche Oberfläche ein aufklärendes Benennen und Explizieren im Sinne eines ethischen Gedenkens. Die Deklarative gewinnen somit keine Bewältigungsdimension im Kontext friedenspolitischer Erinnerungsarbeit. Diese fordert der Artikel ironisch kommentierend ein: Der Betrachter rätselt: Irgendetwas muss an diesem 9. November 1938 hier passiert sein. Etwas Schreckliches. Aber was, um Himmels willen? War es Wasser? War es Feuer? Ein Erdbeben? Brach ein Rohr? Drang Wasser aus dem Fleet herein? Traf ein Blitz die beiden Häuser? Oder war es Menschenwerk? Aber wer? Warum? (Erenz 2016:o.S.)

Linguistisch und kommunikationsgeschichtlich ist davon auszugehen, dass die Formulierungen auf den Tafeln Ergebnis einer Verdichtung sind,11 die in Abhängigkeit von Genre, Medien und Zeit Verknüpfungsroutinen von sprachlichen Elementen bilden, mit denen semantische Gewichtungen und Diskursverbindungen nicht nur entstehen, sondern auch verloren gehen können. Ähnlich wie sich in der Jahreszahl 1945 im öffentlichen Diskurs die Deutungsfolie der Kapitulation, der Wende oder der Befreiung kondensiert hat, scheint die Jahreszahl 1943/1944 oder die Ereignisbezeichnung Zweiter Weltkrieg in vergleichbarer Weise schlagwortartig auf den Zusammenhang der Städtezerstörung durch den Luftkrieg der Alliierten Bezug zu nehmen. Aber welche Diskursentwicklung muss vorausgesetzt werden, damit dieser Reduktionsprozess ablaufen kann? Wie lässt sich die semantische Aufladung nachweisen? Wie verschwindet – diachron betrachtet – die ausdrucksseitige Füllung des Slots unter der Voraussetzung, dass sich der semantische Standardwert im kulturellen Wissen ablagert? Es ist der Geschichtswissenschaft vorbehalten, diskursive und zeitbedingte Hintergründe für diese Entwicklung zu benennen und zu erläutern. Das historische Narrativieren wiederum ist selbst kennzeichnend für einige Texte, die im empirischen Teil dieser Arbeit als Quellen behandelt werden, darunter Ausschnitte aus mehrbändigen

11 Es wird noch zu klären sein, inwiefern diese auf öffentlichen Trägermedien serialisierte komprimierte Form als Ausdruck des Vergessens hinein in die Struktur (vgl. Winkler 2008:278) eine immanente strukturelle Vagheit entwickelt hat.

Hypothesenbildung anhand von „surprising facts“ (vier Beispiele) 

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Stadtgeschichten und regionalgeschichtlichen Kurzabhandlungen von auf Stadtgeschichte spezialisierten Historikern. In einem dritten Beispiel möchte ich die Reichweite der vorherrschenden Narra-

Abb. 1: Ein frühes Nachkriegsfoto aus derselben Perspektive wie dieses um 1947 entstandene trägt bei Kühne die Bildlegende: „Inmitten der Verwüstung blieb der Brunnen mit der Figur des Heiligen Liborius unversehrt. Der Anblick dürfte den Schutzpatron Paderborn nicht erfreut haben. Sah er doch nur noch auf Brandmauern und in Fenster, hinter denen das Leben erloschen schien.“ (PB 2005 SGp Kühne, 45). Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn / Karl Lucas

tive zur Städtezerstörung aufzeigen. In Paderborn kursieren Fotos und Berichte von der Unversehrtheit der Liborius-Figur, die trotz der verheerenden Zerstörungen ringsum bei den Luftangriffen kaum beschädigt wurde. Die Sandsteinfigur befindet sich am Kamp auf einem spätmittelalterlichen Wasserkump direkt am legendären Hellweg in der Innenstadt Paderborns. Die Fotografie des über das Trümmerfeld blickenden Schutzheiligen der Stadt ist zu einem identitätsstiftenden bildphraseologischen Motiv geworden: Der 1894 von dem Bildhauer Joseph E. Paschen (1853–1916) erschaffene und von zwei Professoren des Gymnasiums Theodorianum gestiftete Schutzpatron blickt auf die zertrümmerte Stadt in Richtung Dom (vgl. Zacharias 1997). Das stereotype Foto ruft in einem bildlinguistischen Sinn sprachlich geprägte Bilder wach, in denen der Heilige trotz allem triumphierend über die Stadt hinwegblickt, wie Phönix aus der Asche steigt, unvergänglich ist u.ä. (vgl. Abb. 1). Das „Wunder“ seiner Unversehrtheit wurde in einer anderen Gästeführung, an der ich ohne Videokamera teilgenommen habe, vom Gästeführer dahingehend „überzeichnet“, dass er die Figur als „barocken“ Liborius einführte und drei Zeiten zu einer Kontinuitätserzählung aufspannte: Er forderte in der Situation alle Teilnehmenden dazu auf, sich vorzustellen, dass

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Abb. 2: Innenraum der Marienkirche Lübeck. Foto: privat im Oktober 2016

die Stadt „kaputt“ gewesen sei (1945) und nur Liborius (aus alter Zeit stammend) von seinem nun erhöhten Standpunkt aus das Trümmerfeld überblickte. Auf eine erstaunte Nachfrage zur Datierung der in Wirklichkeit nur gut hundert Jahre alten Figur hält der Gästeführer an der Rückdatierung in die Barockzeit fest, die für Paderborn mit dem enormen Kunstschaffen der Paderborner Fürstbischöfe verbunden ist.12 Diese Traditionslinie soll nun die animierte kunsthistorisch bedeutsame Liborius-Statue verkörpern. Auch wenn sachlich falsch, ist seine Intuition zur Bedeutung der Epoche für Paderborn durchaus richtig. Der Gästeführer bewegt sich mit seiner Behauptung im Feld des Sagbaren. Sein Wissen geht im Kern konform mit einem Narrativ, das die Stadt und die in ihr habitualisierte Wahrnehmung Paderborns als sehr alte historische Stadt kennzeichnet. Die Beobachtung macht deutlich, dass sich das städtische Gedächtnis mit einer bestimmten Interpretation der Zerstörung als einschneidendem Ereignis im Stadtraum materialisiert. Es entsteht dabei eine praxeologische Verknüpfung von Artefakten, Bauwerken und Architekturen mit der zentralen Behauptung der Unzerstörbarkeit Paderborns.

12 Allerdings befindet sich in der Umgebung hinter dem Libori-Kump das barocke Portal der Liborius-Buchhandlung aus dem Jahr 1735, das ursprünglich zu einem kriegszerstörten Gerichtsgefängnis an der Königstraße gehörte und 1980 versetzt wurde.

Relevanz der Untersuchung und Aufbau 

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Ein abschließendes Beispiel betrachtet Sprache-Bild-Verknüpfungen in einer Dokumentation des Vorher-Nachher-Zustands in einem Seitenflügel der Lübecker Marienkirche (vgl. Abb. 2). Die DIN A3 großen bedruckten und rückwändig beleuchteten Leinwände hängen in einem Seiteneingang von St. Marien und sind in roten Majuskeln jeweils überschrieben mit den Phrasen „VOR DER ZERSTÖRUNG“ (zweimal, außen und innen), „DIE KIRCHE BRENNT“, „DIE ZERSTÖRTE KIRCHE“ und „DER WIEDERAUFBAU“. Fotografischer Höhepunkt ist das Zerstörungsereignis. Der Brand wird mittig durch eine Großaufnahme dokumentiert, während auf drei weiteren Postern bis zu vier Fotografien angeordnet sind. Die Präsensform brennt führt die zerstörerische Kraft der um die beiden Helme herumzüngelnden Flammen des Feuersturms vor Augen. Ein Helm ist bereits eingebrochen. Dass es ihm der andere gleichtun wird, nehmen die Fotos der beiden enthelmten Türme auf den benachbarten Postern vorweg. Sichtbar werden soll im transkriptiven Wort-Bild-Reißverschluss (Holly 2009) nicht die brennende Kirche analog zur zerstörten Kirche und ihrem ebenfalls infinit gestalteten Wiederaufbau. Das Ereignis wird vielmehr über das finite brennt als ein Zurückversetzen in die Zerstörungsszene erinnerungskulturell verfügbar. Die Deverbativa Zerstörung und Wiederaufbau und das Partizipialattribut zerstörte stehen dem finiten brennt gegenüber, das eine Zäsur markiert, die nicht primär in der Veranschaulichung der Zerstörungsresultate liegt, sondern im aktualisierenden Vorführen der Verwundbarkeit des sakralen Bauwerks. Der Wiederaufbau erscheint als Heilung des Katastrophalen im Bild. Durch die Ähnlichkeit der Aufnahmeperspektiven suggeriert der Nachkriegszustand Wiederherstellung – und das nicht in einem prozessualen (die Kirche wird wiederaufgebaut) oder resultativen (die wiederaufgebaute Kirche) grammatischen Zuschnitt, sondern in nominalisierter zeitloser Form als Wiederaufbau. Es ist nicht allein diese einzelne Kirche, die wiederaufgebaut worden ist. Bezeichnet wird das Wirken einer reifizierten Kraft namens Wiederaufbau, von der die Kirche ein Zeichen (geworden) ist.

1.3 Relevanz der Untersuchung und Aufbau Das historische „Was bleibt?“ wird auf zweierlei Weise manifest: Einmal ist es die Architektur selbst, die die Erinnerung an Krieg und Zerstörung bewahrt, und einmal sind es Texte und Quellen wie Zeitzeugenberichte und Geschichtsbücher, aus denen sich nachkommende Generationen über die Stadtentwicklung informieren können. Die übergeordnete Fragestellung der diskurslinguistischen bzw. diskursgrammatischen Untersuchung richtet sich auf beide Ressourcen. Sie lautet: Wie wird die Erinnerung an die Zerstörung und den Aufbau in (populären) Texten (und vermittelt über Texte auch in der Architektur) wachgehalten? Die

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besondere Aktualität dieser Frage zeigt sich darin, dass 70 Jahre nach Kriegsende die letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs sterben und somit dieser geschichtliche Abschnitt gegenwärtig aus dem aktiven kommunikativen Gedächtnis mehr und mehr verschwindet. Die Erinnerung geht in das kulturelle Gedächtnis der Stadt ein, das die geschichtlichen Ereignisse, ihre Emotionen und Kontexte durch vielfältigen Medieneinsatz bewahrt. Jedoch gibt es dabei nicht die eine Erinnerung. Vielmehr schließen sich an die Ereignisse vielfältige Erinnerungskulturen an, die oftmals Gebäude im städtischen Raum zum Ausgangspunkt nehmen. Dieser Ortsbezug wird in den letzten Jahren verstärkt durch Angebote des Stadtmarketings hergestellt: Smartphone-Apps zur Stadtgeschichte, Häusertafeln mit Angaben zu Zerstörung und Aufbau, historische Lehrpfade durch Alt- und Innenstädte mit Schwerpunkt auf dem architektonischen Wandel. Hierbei entsteht nur allzu oft der Eindruck, die Städte hätte zwischen 1940 und 1945 eine Katastrophe heimgesucht. Die Stadt erscheint als Opfer einer schicksalhaften Tabula Rasa und ihr Aufbau liest sich wie eine Erfolgsgeschichte, wenn bspw. der Wiederaufbau nach historischen Vorbildern erfolgte, die Kirche wiederhergestellt werden konnte oder die Innenstadt ein neues Gesicht bekommen hat. Die diskursgrammatische Analyse zeigt anhand von umfassendem Belegmaterial auf, wie sich diese Lesart über die letzten 60 bis 70 Jahre hinweg in bestimmten Formulierungen (der morphosyntaktischen Struktur) verfestigt hat. Erinnerungskultur besitzt somit nicht eine sprachliche Dimension auf der einen und eine materielle Dimension auf der anderen Seite. Ihre Sprachlichkeit ist immer schon an materielle Oberflächen gebunden (Medien, Schriftbildlichkeit, Layout) und auch der materielle Raum und seine Artefakte, auf die sich Texte beziehen, ist zeichenhaft. Der diskursgrammatische Zugang bringt sprachliche und materielle Dimension zusammen, indem der kommunikative Sinn von Textpassagen über rekurrente Erscheinungen an medialen Oberflächen erfasst wird. Sprachliche Phänomene werden somit situativ-kontextbezogen und in der Kookkurrenz mit anderen sprachlichen und semiotischen Phänomenen erkennbar. Dies geschieht unter der bereits skizzierten Voraussetzung, dass sich Themenkomplexe in bestimmten grammatischen Formationen herausbilden. Diese sind Indikatoren einer geschichtlichen Deutung und zugleich Faktor für diese Deutung in einer bestimmten zeitlichen, materiell-medialen und gattungsspezifischen Umgebung. Somit spiegelt der sprachliche Ausdruck das diskursive Geschehen und bildet selbst Schemata heraus. Diese städtespezifischen Repräsentationsformen der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der Aufbauzeit stabilisieren sich über verschiedene Gattungen hinweg. Die Identifikation dieser Muster ist Ziel der vorliegenden Studie. Sie sind im Rahmen des diskursgrammatischen Verfahrens auf

Relevanz der Untersuchung und Aufbau 

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folgenden Ebenen mit ihren unterschiedlichen auch medienabhängigen Verfestigungslogiken anzusiedeln: – Frames (z.B. durch Frameverknüpfung und Leerstellenreduktion) – Satz (z.B. durch Wortstellung oder syntaktische Degradierung) sowie – Text (z.B. die satzübergreifende Realisierung von Aktanten). Weniger aber geht es um die (natürlich von Sprache ausgehende) inhaltliche Beschreibung der beiden Diskursstränge. Im Vordergrund stehen vielmehr die dispositiven Techniken ihrer Verschränkung, d.h. die Verbindung der Diskurse innerhalb eines auch materiell-formal geprägten Dispositivs, dem ZerstörungAufbau-Dispositiv (im Folgenden ZAD). Das emergierende kollektive Gedächtnis wird als historisierende Fiktion und gleichsam als Sediment von Formulierungsroutinen verstanden, die sich in Geschichtsgattungen herausbilden. Die linguistische Diskursanalyse bindet in diesem diskursgrammatischen Zuschnitt die rekurrenten Phänomene an die Kotextmuster und weitere Kontextualisierungsmittel der Frames Zerstörung und Aufbau zurück. Mit dieser theoretischen Ausrichtung sind weniger diskurssemantische Formationen wie Topoi oder diskursive Grundfiguren adressiert, für die es „sekundär (ist), in welcher konkreten Gestalt sie im Diskurs auftreten“ (Busse 2013: 38). Im Zentrum stehen korpus- und performanzlinguistische Phänomene. Diese werden in solchen diskursbezogenen Ansätzen behandelt, die von einer Mustergenese durch Wiederholung von morphologischen und syntagmatischen Verbindungen ausgehen, die dann wiederum als Index für (gedächtnis-)kulturelle Perspektiven auf ein Thema aufgefasst werden. Der damit kombinierte korpusfundierte Ansatz der Framesemantik knüpft an Fillmores Überlegungen aus der frühen Phase der Entwicklung framesemantischer Konzepte an.13 Durch die enge Kopplung der Frame-Elemente an ihre syntaktische Realisierung lässt sich korpuslinguistisch nach den Bedingungen des Verschwindens, Reduzierens und Standardisierens fragen, ohne davon auszugehen, dass sich kulturelles Wissen in den Faltungen der Diskurse „versteckt“ hält. Vielmehr sind es die (Wiederholungen von) Konstellationen sprachlich-medialer „Hinweise“, mit denen sich grammatische Funktionalitäten so herausbilden, dass diskursives Wissen und Diskursgegenstände in bestimmten soziosemantischen Domänen erscheinen. Ziel der Studie ist es, die sprachlichen Kontextualisierungsmerkmale für das Erinnerungsdispositiv von Zerstörung und Aufbau in Bremen, Paderborn und Mannheim in ihrer ko-konstruierenden Beziehung zu beschreiben. Dafür soll der

13 Einen instruktiven Überblick zu den Arbeiten Fillmores und zur Entwicklung der Frames aus der ursprünglich syntaktisch begründeten Kasus(-rollen-)theorie bietet Busse (2002:23ff.).

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ursprünglich aus der Konversationsanalyse stammende Begriff der Kontextualisierung auf das Schriftmedium übertragen werden. Das ursprüngliche Konzept wird dabei weiterentwickelt, um die Konnektivität redundanter sprachlicher Hinweise auf ein Deutungsmuster zu beschreiben. Vor dem Hintergrund kontextualisierter Sprachformen erscheint das Verfestigte als Wiederholung musterhafter Arrangements unter Beteiligung vieler verschiedener Zeichenressourcen. Frequenz spielt für die Typizität der Konstellation und ihrer Musterhaftigkeit eine Rolle, ist jedoch nicht für alle diskurstypischen Sprachmerkmale grundlegend: Es ist nicht die Frequenz oder Häufigkeit der Wiederholung oder Repetition, die dazu führt, daß wir sie kennen. Wie oft hätten Sie als Leser etwa in den letzten Monaten ihrer Biografie zum Beispiel ‚Geld oder Leben!‘ gehört oder gar gesagt. (...) Dennoch kann man annehmen, daß Sie diesen Ausdruck kennen, daß heißt wissen, welchen Sinn er hat und wofür er wann gebraucht werden kann. Dies ist der entscheidende Punkt. Was sich hier wiederholt, ist die kontextuelle Einbettung der Ausdrücke bzw., semasiologisch betrachtet, ihre Prägung im Blick auf typisierte Situationen bzw. Situationsparameter ihres Gebrauchs. (Feilke 1996:267)

Mit der wiederholten Einbettung sprachlicher Einheiten in syntaktische, mediale und situative Umfelder entwickelt sich eine spezifische Funktion bzw. die übersummative Konstruktionsbedeutung (vgl. Bücker 2012:58f.). Im Gebrauch entstehende sprachliche Muster werden als soziale Gestalt fassbar, wenn sich die Sprachausschnitte auf bestimmte Themen und Themenverschränkungen beziehen. Aus diesem Grund orientiert sich die Korpuszusammenstellung daran, dass die Texte Zerstörung oder Aufbau zum Thema haben, aber auch beide Themen verbinden (was vor allem in den Gebrauchstexten zur Stadtgeschichte der Fall ist), so dass außerdem Gerinnungsprozesse der Themenverschränkung in den Blick kommen. Durch die unterschiedlichen Formate verändert sich die Repräsentationsform erinnerungskultureller Themen im Medienwechsel. Medienlinguistisch betrachtet formt das Medium das Thema, es verklammert Themenaspekte, so dass semantisierende Verknüpfungen entstehen, die in qualitativen Schritten nur punktuell eingeholt werden können. So finden sich beispielsweise in Paderborn unter dem Titel „Erinnern und Gedenken“ einerseits Tafeln, die sich mit den Folgen der Bombardierung und dem Wiederaufbau befassen, und andererseits solche, die unter dieser Zwillingsformel das Schicksal Paderborner Juden zur Zeit des Nationalsozialismus thematisieren. Deutlich wird hierbei, wie die Erinnerungskultur den traditionellen Gedenkrahmen ergänzt oder ablöst. Neben den Formulierungsroutinen und Gattungsmustern finden sich auch mediale Bedingungen, die für die Thematisierungen des Zerstörungsereignisses einen multimodalen Kontext liefern. Zur Operationalisierung der Anzeigeleistung wird von netzwerkartigen Mustern ausgegangen, die die Satzgrenze übersteigen und Ver-

Relevanz der Untersuchung und Aufbau 

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bindungen zu parasprachlichen Eigenschaften wie Textposition, Materialität des Textes, Medium und Anbringungsort schaffen. Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut. Es orientiert sich im Theoriekapitel an der Entwicklung einer Diskursgrammatik als kulturwissenschaftlich inspirierter Korpuslinguistik. Nach einem kurzen Überblick über den Stand der (angewandten) Diskursgrammatik werden zunächst die allgemeinen Voraussetzungen für die Schema- und Musterbildung auf verschiedenen sprachlichen Ebenen dargelegt. Anschließend soll bereits hier ein Bezug zu kulturellen Frames und metaphorischen Rahmungen hergestellt werden, bis schließlich konkrete korpuslinguistische Verfahren in den Mittelpunkt rücken. Hierbei werden Ansätze der Frame- und Kontextualisierungstheorie für das in der empirischen Untersuchung genutzte diskursgrammatische Modell aufbereitet. In einem weiteren Abschnitt werden Ergebnisse diskurslinguistischer Arbeiten zu gedächtniskulturellen bzw. -politischen Inhalten im betrachteten Zeitraum dargelegt (vgl. Rothenhöfer 2015; Kämper 2005). Der Abschnitt zur Beschreibung der drei Teilkorpora (Kap. 4) legt auch die Gesichtspunkte der digitalen Auswertungen offen (Gattungen, Städte etc.), da entsprechende Teilkorpora gebildet wurden. Zudem wird die Zusammenstellung der für die Keyword-Analysen benötigten Kontrastkorpora begründet. Das Methodenkapitel erläutert auf der Basis des Theorieteils die einzelnen Analyseschritte, denen das Datenmaterial unter Verwendung der beiden Konkordanzprogramme AntConc und LDA Toolkit unterzogen wird. Der empirische Komplex (Kap. 6) gliedert sich in zwei große Teile, in denen das induktive Programm der Diskursgrammatik entfaltet wird, und zwar einmal aus der oberflächenstrukturellen Perspektive der diskursgrammatischen Konfiguration und einmal aus der semantischen Perspektive der Frame-Entwicklung. Der erste Teil konzentriert sich auf die Ermittlung kookkurrenter Kontextualisierungsmittel. Hierbei werden Lexeme/Lexemverbände in verschiedenen morphosyntaktischen Varianten korpuslinguistisch ausgewertet. Ausgangspunkt des zweiten Teils bilden die framesemantisch annotierten lexikalischen Einheiten zu Zerstörung und (Wieder-)Aufbau. Die Frameanalysen erlauben anhand von distributionellen Unterschieden frequenter Lexemvarianten wie zerstört, Aufbau oder Inferno und festen Wortverbindungen wie in Schutt und Asche oder dem Erdboden gleichgemacht Rückschlüsse auf die Entwicklung und Verschränkung der Frames sowie die Herausbildung von Standardwerten innerhalb von Slots, deren Füller zuvor ausgewertet wurden. Beide Teile operationalisieren das Placemaking der drei ausgewählten Städte Bremen, Paderborn und Mannheim entlang der sprachlichen Formen der Bezugnahme auf Entitäten des kollektiven Gedächtnisses. Schließlich werden Unterschiede in der Gesamtnarration geprüft, die mög-

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licherweise Hinweise auf eigenlogische Verarbeitungsweisen des „Zerstörungstraumas“ in den jeweiligen Städten geben. Eine Zusammenführung der Analyseebenen zu einem diskursgrammatischen Modell bietet Kap. 7. Die nachgewiesenen Kontextualisierungshinweise werden auf der Basis grammatischer Konnektivitäten einem oder mehreren Kontextualisierungsprofilen zugeordnet. Auf diese Weise wird anschaulich, wie bestimmte Aspekte der Erinnerungskultur innerhalb des Dispositivs zur Zerstörungs- und Aufbauthematik fokussiert werden. Die diskursgrammatische Verbindung der Kontextualisierungshinweise auf Textebene veranschaulichen flankierende Feinanalysen. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die Fortführung des diskursgrammatischen Programms in Richtung Dispositivanalyse.

2 Das Forschungsprogramm der Diskurs­grammatik als kulturwissenschaftlich inspirierter Korpuslinguistik 2.1 Diskursgrammatik als funktionale Grammatik Diskursgrammatik liefert keine konsistente Grammatikbeschreibung neben den bereits existierenden Wort-, Satz- und Textgrammatiken einer Einzelsprache. Indem sie das In-Funktion-Setzen grammatischer Muster in Diskursen beschreibt, teilt sie (scheinbar) das Sisyphosschicksal der Konstruktionsgrammatik, viele miteinander verwobene Einzelkonstruktionen samt ihrer Vererbungsrelationen analytisch erfassen zu müssen, die in einem zeitlich und funktional ausdifferenzierten Konstruktikon angeordnet sind,14 das selbst ebenso offen, fluide, dynamisch wie fiktiv ist.15 Unter dem Dach eines Diskursgrammatikons würden sich analog dazu eine Reihe diskursspezifischer Grammatikphänomene versammeln, die ihre kommunikative Bedeutung über medienvermittelte Diskurse gewinnen und transtextuell entfalten. Einer solchen Reifizierung grammatischer Phänomene steht entgegen, dass die auf Diskursfunktionen kalibrierten grammatischen Phänomene als Spuren von Machtverhältnissen und Aushandlungen sozialer Wirklichkeit auf einer sprachsystematischen Ebene nie generell fixierbar sind. Wenn Haspelmath (2002:270, Hervorh. i.O.) feststellt, „Grammatik ist geronnener Diskurs“, trägt zu den Beharrungskräften des Geronnenen gerade die Unauffälligkeit der Wahlen zwischen grammatischen Formen wie z.B. Satzstellung, Tempus oder valenzielle Realisierung bei. Selbst in praxeologischer Sicht kommt der Diskursgrammatik weniger der Status einer eigenständigen, terminologisch revisionierten Grammatik zu. Vielmehr eröffnet sie – und das scheint mir das produktivere Verständnis im Rahmen einer Diskurslinguistik zu sein – eine grammatische Perspektive auf Diskurse und bietet eine nach Diskursgesichtspunkten (Topoi,

14 Im Konstruktions-Index des Deutschen (https://gsw.phil.hhu.de/constructicon/constructionindex, zuletzt abgerufen am 19.03.2020) sind Konstruktionen alphabetisch aufgeführt. Zwar werden konzeptionelle Verwandtschaften erfasst, Hinweise auf diskursspezifische Ausprägungen und Vernetzungen sind jedoch weder synchron noch diachron systematisch verfügbar. 15 Die gemeinsame Basis von Diskurs- und Konstruktionsgrammatik sieht Roth (2015:54) in der Auffassung einer grundsätzlich in morphosyntaktische Konstruktionen eingebundenen Lexik. Entgegen der von ihm behaupteten engen Bindung der Diskursgrammatik an die konstruktionsgrammatische Tradition wird jedoch im Folgenden eher ein phraseologisch-pragmatischer und lexikologisch inspirierter Zugriff auf Oberflächenphänomene der Sprache entwickelt. https://doi.org/10.1515/9783110691580-002

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

Themen, Akteure, Zeit etc.) geordnete Beschreibung grammatischer Konstellationen. Wenn also aus diskursgrammatischer Perspektive Konstruktionen, Phraseme, Metaphern etc. zusammengestellt werden, dann geschieht dies im zeitlichen Feld eines Diskurses, seiner Argumentationsfiguren und Deutungsmuster. Dass es sich bei der diskursgrammatischen Analyse um eine Art methodologisch ausgearbeiteter Spurensuche auf der Basis funktionaler gebrauchsbasierter Grammatikmodelle handelt, ist in verschiedenen korpus- und diskurslinguistischen Theorieentwicklungen der letzten Jahre verdeutlicht worden (vgl. Müller 2018). So fordern Reisigl und Warnke (2016:280), dass eine „Diskurslinguistik jenseits und in Ergänzung thematischer Analysen“ zu klären habe, (a) warum und wie grammatische Konstruktionen diskurslinguistisch modelliert werden können und (b) warum grammatische Konstruktionen sowohl als Symbole und Typen wie auch als struktur-, funktions- und zweckbezogene Spracheinheiten bzw. Prozeduren in textund gesprächsübergreifenden Zusammenhängen beschrieben werden sollten.

Die Beschreibung der diskursspezifischen Funktion grammatischer Phänomene bezeichnet Müller (2016:304) als forensisch. Neben der Erfassung der tiefer in die Sprache eingelassenen Mittel der epistemischen Ratifikation besitzt die Diskursgrammatik noch eine weitere, explorative Seite, die auf die Ermittlung emergenter Spracheinheiten ausgerichtet ist. Insbesondere mithilfe digitaler Verfahren können grammatische Muster so als völlig neue, diskursiv geprägte grammatische Einheiten „entdeckt“ werden (vgl. Müller 2016:304f.). Eine Nähe dieser Seite der Diskursgrammatik zu gebrauchsbasierten Ansätzen wie der Usage-based-Theory ist unverkennbar. Musterbildung wird dabei auch in abstrakterer Form über Regelmäßigkeiten erkannt, die das Part-of-Speech-Tagging zutage fördert. Über POS-Gramme ermittelte abstrakte Konstruktionen bezeichnet Müller (2015:207) als Geisterkonstruktionen, da sie „existieren, wenn man sie nicht sieht, und verschwinden, wenn sie erscheinen.“ Müller spielt hier mit zwei verschiedenen Perspektiven der Mustererkennung, einmal auf der Ebene des Sprachmaterials und einmal auf der Ebene kategorial bestimmter Worteinheiten. So löst sich beispielsweise die von ihm im Bioethik-Korpus ermittelte Wortarten-Konstruktion PPER ADV ADV, bestehend aus einem Pseudoaktant und zwei Modalpartikeln, in Wortverbindungen auf wie es natürlich auch oder uns auch gerne, die für mündliche Argumentationspraktiken funktional sind. Hierbei ist m.E. zu betonen, dass schematische Clusterbildung immer nur eine Spur zu sprachlichen Regelmäßigkeiten liefert, die sich im Rücken des Subjekts als Phänomene einer Kontextrelation von Wörtern untereinander herausbilden. Immer aber müssen diese Wörter, um diskursgrammatisch relevant zu sein, auf die eine oder andere Weise

Diskursgrammatik als funktionale Grammatik 

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holistisch zusammenwirken, so dass sie im weiteren Sinn einen Form-FunktionsZusammenhang bilden (z.B. als Lesart, Deutungsmuster, Machteffekt etc.). Über das Zusammenspiel der Wörter lässt sich die Typik des Sprachgebrauchs einholen, indem die POS-basierten Cluster nach sprachlichen Ankerpunkten abgesucht werden, die eine Ausdifferenzierung in Subkonstruktionen nahelegen. So kann die Grundannahme der vorliegenden Studie operationalisiert werden, dass geronnene Merkmale oder Konstellationen von Merkmalen an der Textoberfläche als gebündelte Kontextindikatoren fungieren. Bubenhofer (2009:66) spricht im Anschluss an Feilkes Kontextualisierungsdefinition im Sinne einer konstruktiven Kontexterzeugung durch idiomatische Prägungen auch von der Möglichkeit der Kookkurrenz salienter Sprachgebrauchsmuster: Diese Umkehrung der Fragerichtung und die Erkenntnis, dass letztlich Sprachgebrauchsmuster (oder eben: typische Ausdrücke, idiomatische Prägungen) auf der Textoberfläche die Kontextualisierung ermöglichen, sind die Schlüssel für einen korpuslinguistischen, induktiven Zugang zu Sprachgebrauchsanalysen, die sich als Diskursanalyse verstehen. Wenn die Sprachgebrauchsmuster erkannt werden können, sind Rückschlüsse ihrer typischen Kontextualisierungsleistungen und die Verortung dieser Muster in Diskursen möglich. Dazu ist es nötig, die Distribution dieser Muster in einem Korpus, deren Veränderungen bezüglich Frequenzen, Form oder bezüglich deren Vorkommen mit anderen Mustern zu beobachten.

Mit dem nachfolgend vorgestellten diskursgrammatischen Ansatz soll diese Kontextualisierungsleistung an konkrete grammatische Ausprägungen sprachlicher Einheiten rückgebunden werden, da für die Bestimmung des Kontextualisierungspotenzials entscheidend ist, in welcher Gestalt, d.h. bspw. welcher Flexionsvariante, mit welchen morphologischen Ausprägungen und syntaktischen Einbettungen ein Ausgangswort erscheint. Auch die Kontextualisierung beruht auf der Vorstellung grammatisch bedingter Kontextualisiertheit jenseits der Prämisse eines strategischen Sprachgebrauchs. Damit verbunden ist die Bestrebung, kommunikative Funktionen auf grammatische Funktionen zu beziehen, womit diskursspezifische Entfaltungen eines grammatischen Potenzials von Ausdrucksgestalten adressiert sind. Dies stellt gewissermaßen eine diskursgrammatische Konkretisierung der funktional geprägten Grammatikauffassung dar, wie sie in der IDS-Grammatik vertreten wird: „Grammatik betrachten wir als Systematik der Formen und Mittel sprachlichen Handelns.“ (Zifonun et al. 1997:3). Während Sprachgebrauchsmuster Diskurse repräsentieren und von Bubenhofer (2009:43) als „Effekte sozialen Sprachhandelns“ beschrieben werden, soll mit dem Fokus auf diskursgrammatische Sprachanalysen auch und zugleich die Perspektive auf inhärente und epistemische Musterbildung eingestellt werden. Musterbildung wird dabei aufgefasst als Teil einer sprachlich-grammatischen Strukturlogik, die in extremo als

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

verselbstständigt gedacht wird. Damit verbunden sind die (Wahrnehmungs-) Bedingungen der Musterbildung. Diese werden als Teil einer epistemologisch im Forschungsprozess situierten Beobachtung behandelt, die sich digitaler Verfahren der Analyse und Sichtbarmachung bedient. Beide Aspekte der Herausbildung von Mustern, der technische und der wahrnehmungsbezogene, antworten auf das „Was?“ der korpuslinguistischen Beobachtung. Es handelt sich somit um grammatische Erscheinungen, die immer schon im Sinne eines grammatiktheoretischen Zugriffs vorinterpretiert sind. Es sind über Abstraktionen hinweg ermittelte Einheiten, die mit einem mehr oder weniger großen Abstand zum Material im Rahmen von Frequenzberechnungen, Wahrscheinlichkeitsmessungen und Vergleichsgrößen bestimmt wurden.16 Das bedeutet für die methodologische Grundlegung, den Weg der Vervielfältigung in Form eines algorithmischen Pluralismus einzuschlagen: Auf der Grundlage des elaborierten Forschungsstands der funktionalgrammatischen Beschreibungen des Deutschen werden grammatische Analysen diskutiert und verschiedene Auswertungsverfahren vergleichend eingesetzt. Neben einer starken Orientierung an der IDS-Grammatik und ihren terminologischen Wahlen erfordert der kulturbasierte Zugriff auf Diskursphänomene ein Grammatikmodell, das die textuelle oder dispositive Umgebung auch auf formaler Ebene einfängt. Hierfür wird eine Bezugsgröße herangezogen, die bei Weinrich (2007) als „Text“ modelliert ist, die aber ebenso mediale Rahmungen bzw. Gattungsfaktoren umfassen kann. In Orientierung an einer kommunikativen Grammatik bzw. Textgrammatik wird als Text ein dispositiver Ausschnitt modelliert, der einen materiell geformten und mit „Weltfaktoren“ angereicherten Kontext umfasst. Innerhalb dieses sprachlichen Umfelds realisieren sich verbalgrammatische und valenzbezogene Verknüpfungsarten. Analog zum Text bei Weinrich wird im diskursgrammatischen Ansatz ein Diskursfragment als „Illustrationsbasis für die grammatischen Erklärungen“ herangezogen, aber auch darüberhinausgehend als „grundsätzliches Erklärprinzip für die Grammatik überhaupt angesehen“ (Helbig 2003:20). Damit einher geht die analytisch bedeutsame Annahme einer Zentralität des Verbs für die Äußerung bezogen auf die syntaktische Valenz, auf Finitheit (insbesondere Genus und Tempus) sowie klammerbildende Verbalkomplexe in einem für das

16 Gemeint sind somit keine Chiffren (Busse 2008) oder semantischen Knotenpunkte (Bär 2000), die für die Diskurssemantik eine zentrale Rolle spielen (vgl. Kämper 2012:37). Diese operieren vorwiegend auf der lexikalischen Ebene und besitzen das Potenzial, auf Wortebene zumeist als Nomen schlagwortartig ganze Diskurse zusammenzufassen wie z.B. Faschismus, Globalisierung oder Medienkonsum.

Diskursgrammatik als funktionale Grammatik 

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Deutsche wichtigen topologischen Sinn, der die Informationsgewichtung der Einheiten betrifft. Diskursgrammatik vor dem Hintergrund der kulturellen Typik sprachlicher Oberflächenphänomene an grammatiktheoretische Überlegungen rückzubinden, bedeutet gleichzeitig, sie von dem Anspruch zu befreien, ein neues nach Diskursen geordnetes Tableau grammatischer Konstruktionen zu präsentieren, die womöglich in statistischen Effekten aufgehen. Auch wenn aus den Ergebnissen Ergänzungen für Grammatikschreibung(en) zu erwarten sind, liegt allein in dieser empirischen Fundierung m.E. nicht die Stärke eines diskursgrammatischen Ansatzes. Denn in allen gebrauchsbasierten Ansätzen werden theoretische Fragen konsequent aus der Analyse des natürlichen Sprachgebrauchs gewonnen. Auch Ansätze wie die Usage-based-Theory „examine the use of grammar in discourse with an eye toward determining how discourse use shapes grammar“ (Bybee/ Beckner 2010:953). Das IDS-Projekt der Korpusgrammatik verfolgt ebenfalls das Ziel der „Aufdeckung bislang unerkannter grammatischer Muster und Generalisierungen“ (https://www1.ids-mannheim.de/gra/projekte/korpusgrammatik.html, zuletzt abgerufen am 19.03.2020) und setzt Mustererkennung als übergeordnetes epistemologisches Prinzip an. Den extremen Pol des Usage-based-Paradigmas bilden kybernetisch inspirierte Auffassungen von Sprache als einem sich selbst organisierenden System wie die so genannte Emergenztheorie, die auf das Werk von Hopper zurückgeht. Für Hopper (1987:142) bilden konkrete sprachliche Verankerungen innerhalb bestimmter sprachlicher Routinen die Basis der Grammatik. Dabei unterscheidet er mit den emerging und emergent constructions zwischen synchronen und diachronen Emergenzphänomenen. Auer/Pfänder (2011:5) kommen zu dem Schluss, dass beide Konstruktionstypen unterschiedlichen Arten von Zeitlichkeit folgen: Emerging grammar focuses on the resultative states and investigates how they are reached in time, while emergent grammar focuses on the processuality of an ongoing, temporally structured, never-finished process of „languaging“.

Als ertragreich hat sich die Emergenzgrammatik bisher vor allem in interaktionslinguistischen Untersuchungen erwiesen. So verdeutlichen beispielsweise Konstruktionswechsel oder Überlagerungen von Konstruktionen den prozessualen Charakter grammatischer Strukturen im gesprochenen Deutsch (i.S. der emerging constructions). Die Vorzüge der Diskursgrammatik liegen vielmehr auf der anderen, der forensischen Seite. Hier verfährt die diskursgrammatische Analyse abduktiv: Die vorgefundene sprachliche Einheit – mit Müller: Fokuskonstruktion – wird regelhaft und kulturanalytisch motiviert mit kommunikativen Zwecken und Aufgaben

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

in Verbindung gebracht. Sprachliche Zeichen aller Art werden dabei als Elemente einer verzweigten Hinweisstruktur auf Interpretationen und diskursiv erzeugtes Wissen erkannt. Müller (2015:65) bezeichnet die Diskursgrammatik daher auch im Anschluss an Silverstein als Formation „komplexer indexikalischer Ordnungen“, wobei das indexikalische Verhältnis zwischen Sprachgebrauchsmustern und Kontext über Frequenzanalysen und Signifikanztests bestimmt sein kann (vgl. Rothenhöfer 2015:260). Diese Ordnungen sind nach Foucault Ordnungen des Diskurses mit vielfältigen Möglichkeiten, Diskursgegenstände hervorzubringen. Darunter verstehen Warnke/Wildfeuer/Schmidt-Brücken/Karg (2014:69) in erster Linie Wissensgegenstände. Sie bestimmen die Diskursgrammatik grundlegend als grammatische Analyse von Diskursen im Horizont funktionaler (Diskurs-) Grammatiken. In diesem Zusammenhang schlagen sie einen Bogen zum Begriff der kommunikativen Funktion, wie er auch der IDS-Grammatik zugrunde liegt. Das Grundprinzip dieser funktionalen Grammatik, Sprachmittel durch kommunikative Aufgaben im Handlungszusammenhang zu erklären,17 wird für die Diskursgrammatik in Anspruch genommen und in den Horizont der Wissenskommunikation gestellt. Diskursgrammatik beschreibt, analysiert und deutet morphologisch-lexikalische und syntaktische Elemente sowie Strukturen und Propositionen im Kontext verstehensrelevanten Wissens. Die dabei in Betracht kommenden grammatischen Phänomene werden sowohl als Hinweise auf Wissen wie auch als Faktoren der Hervorbringung von Wissen verstanden. (Warnke et al. 2014:70)

Quantitative und (diskurs-)hermeneutische Verfahren werden zur Ermittlung kontextualisierender Elemente in einen einheitlichen theoretisch-methodologischen Rahmen gebracht. Auf diese Weise werden quantitative Analyseschritte durch „corpus-hermeneutic reflections“ neu bewertet (vgl. Dang-Anh/Rüdiger 2015:58). Auch Müller (2015:149) empfiehlt den Einsatz einer Spirale aus quantitativen und qualitativen Zugriffen, in denen der Mikro-Makrolink, also die jeweilige kontextsensitive Gebrauchspraktik einer Konstruktion, sozusagen von beiden Seiten umkreist wird.

Die nachfolgenden diskursgrammatischen Analysen zum kulturellen Gedächtnis bieten eine Konkretisierung dieser spiralförmigen Methodologie, für die ein

17 Hierbei sei darauf verwiesen, dass in der IDS-Grammatik der Terminus „diskursgrammatisch“ nur im engeren Kontext der funktionalen Satzperspektive (Eroms) bzw. einer systemischfunktionalen Grammatiktheorie (Halliday) verwendet wird (vgl. Zifonun 1998:1080 und 1849).

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grammatischer und ein kommunikativer Funktionsbegriff aufeinander bezogen werden sollen. Für die Beschreibung der Funktionalität sprachlicher Formen liegen den funktionalen Grammatiken unterschiedliche Funktionsbegriffe zugrunde. Smirnova/Mortelmans (2010:19f.) unterscheiden im Anschluss an Dik zwischen semantischen (semantische Rollen wie Agens und Patiens), syntaktischen (Argumente wie Subjekt und weitere Komplemente) und pragmatischen Funktionen (Informationsgewichtung durch Topik oder Fokus). Vor allem letztere basieren auf der Grundeinsicht funktionaler Grammatiken, Sprache im Hinblick darauf zu untersuchen, was Menschen mit ihr in sozialen Interaktionen tun und erreichen (vgl. Smirnova/Mortelmans 2010:18 mit Bezug auf Dik 1997). Eine Trennung zwischen diesen kern- und diskursgrammatischen „Schichtungen“, wie sie Müller (2015:304f.) andeutet, scheint dabei nicht immer möglich, weil grammatische Diskursstrategien nicht unabhängig von einem vorausgesetzten Grammatikverstehen auftreten. Der Gewinn funktionaler Sprachanalysen liegt eher in der Betrachtung der Verwobenheit dieser drei Funktionsbegriffe, die ich als Funktionen auf der Seite der sprachlichen Oberfläche einordnen möchte und die zu unterscheiden sind von den Funktionen auf der Kontextebene: den kommunikativen Funktionen. Darüber hinaus lassen sich unter dem Einfluss von konversationsanalytischen und multimodalitätslinguistischen Ansätzen textstrukturierende Funktionen von Funktionen auf der Ebene der Diskursorganisation unterscheiden. Die Ausweitung einer funktionalen Grammatiktheorie zur funktionalen Diskursgrammatik bezeichnet Dik (1997:441) als Herausforderung, die als Angelpunkt auf Kohärenz kalibrierte Formen besitzt. Hierfür skizziert Dik die funktionale Beziehung der Diskurseinheiten untereinander (nach dem Vorbild der Relationen der Satzglieder) sowie die Kohärenzbildung durch Konnektoren oder Framing (vgl. Dik 1997:431ff.). Über das indexikalische Potenzial sprachlicher Mittel sind auch die Funktionen von Sprache und Kontext aufeinander bezogen, wie später anhand eines Kontextualisierungsprofils verdeutlicht wird. Dass Konnektoren einen zentralen Verknüpfungsmodus auf textstruktureller und semantisch-pragmatischer Ebene bilden, mag das folgende Beispiel veranschaulichen. In (1) stiftet das anknüpfende Adverbial dennoch syntaktisch Kohärenz zu einem vorausgehenden Kotext, der den ganzen ersten Absatz umfasst. Es ruft durch eine einzige Verknüpfungsoperation ein ganzes Deutungsmuster auf, nämlich die Behauptung eines ungerechtfertigten Bombenkriegs: (1) Angesichts des ungeheueren Zerstörungswerks und der Opfer, die der Luftkrieg forderte, stellt sich die Frage nach der militärischen Effektivität, aber auch nach der moralischen Dimension jener Strategie.Fn Gewiß, der Weltkrieg war von Nazi-Deutschland entfesselt und ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, auf Frauen und Kinder gnadenlos brutalisiert

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik worden. Daß die englischen Städte nach 1941 kaum noch von deutschen Bombern erreicht wurden, lag sicher nicht an der Absicht des NS-Regimes, Zivilopfer zu vermeiden. Dennoch läßt sich eine Rechtfertigung für den alliierten Bombenkrieg schwerlich finden. (MA 1993 BIB Schadt, 90)

Die Konnektivpartikel dennoch leitet die Konsequens-Behauptung eines nicht zu rechtfertigenden Bombenkriegs ein, die sich als besonders kritikfest erweist, weil im vorausgehenden konzessiven Antezedens die deutsche Aggressionspolitik moralisierend (gnadenlos brutalisiert) vergegenwärtigt wird. Gerade dieser konzessive Adverbkonnektor besitzt ein besonderes argumentationskatalysierendes Gewicht, weil er anders als Subjunktoren nicht nur die Proposition des zugehörigen Matrixsatzes, sondern diverse vorausgegangene Aussagen und Argumentationen entkräften oder zumindest relativieren kann.18 Die Diskursfunktion kann sich ausweiten: Neben einzelnen relationierenden Handlungsmustern der Adversativität oder Konzessivität werden auch größere soziale oder zeitgeschichtliche Kontexte durch grammatische Konstruktionen im Diskurs indiziert. Ferner ist in korpuslinguistischen Studien gezeigt worden, dass rekurrente Konstruktionen und Mehrwortverbindungen eine sowohl diskursgeprägte als auch diskurserzeugende emotionale Wirkkraft aufweisen (vgl. Rothenhöfer 2015). Sie wurden außerdem als Indizes sozialer Rollen aufgefasst (vgl. Müller 2015); ebenso können sie politische Zugehörigkeit bzw. die Inanspruchnahme von Räumen signalisieren (vgl. Schmidt-Brücken 2016). Die indizierbaren Kontexte sind im Modell der Diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) untergliedert in eine transtextuelle und eine Akteursebene (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011:135ff.). Akteure lassen sich dabei auf der Ebene der Medialität, über Diskurspositionen und Interaktionsrollen unterscheiden. Transtextualität umfasst u.a. intertextuelle und sozialsymbolische Bezüge, diskurssemantische Grundfiguren, Frames und Topoi. In Anlehnung an diese Unterscheidungen vollzieht die diskursgrammatische Methodologie einen Dreischritt von der sprachlichen über die

18 Den pragmatischen Mehrwert der Konnektorenwahl verdeutlicht instruktiv Meier 2016 am Beispiel begründender faktiver wenn-Sätze, die auf Akteursebene einen Expertenstatus anzeigen. Sie besitzen gegenüber weil-Sätzen den Vorteil, dass mit ihnen die Faktizität durch die Versprachlichung des rein hypothetischen Gehalts leichter wieder abgeschwächt werden kann. Zugleich erweisen sie sich als gattungs- und domänenspezifisch, wie Meier an einem Beispiel aus einer politischen Talkrunde zeigt: „wenn ma kurz vor der wahl mit zehn punkten abstand immer noch auf ne konstellation setzt die keine chance auf ne mehrheit hat wird man nicht äh äh glaubwürdig“ (Meier 2016:298, Hervorh. i.O.). Eine vergleichbare implizite Kausalität weisen die im Analyseteil diskutierten adverbialen Infinitivkonstruktionen mit um auf (vgl. Kap. 6.1). Sie kontextualisieren mit dem Rekurs auf das Erwart- und Wünschbare eine spezifische epistemische Dimension.

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sprachhandlungs(muster)bezogene bis zur kommunikativen Funktion (vgl. Tab. 1). Von diesem Schema ausgehend soll im Folgenden ein Modell entwickelt werden, in dem diese drei Funktionsdimensionen so aufeinander bezogen sind, dass die formale Gestaltung als kulturindexikalische Ressource zur Herstellung bestimmter Perspektiven auf (geschichtliche) Ereignisse in einem (räumlichen) Dispositiv konzeptualisiert wird. Bei den Funktionsaspekten der drei Dimensionen Grammatik, Sprachhandlung und Kultur soll eine spezifische Anpassung des Funktionspotenzials kookkurrenter Sprachmittel an die diskursive Umgebung gewährleistet sein, wie sie in Zwiebel- und Architekturmodellen nur bedingt zum Ausdruck kommt. Zudem können verschiedenartige Beziehungen zwischen sprachlichen Einheiten und Kontexten eher in einem Strukturmodell verdeutlicht werden, das das Zusammenspiel von Formen als Zusammenwirken von Funktionen erfasst. So kann beispielsweise die semantische Rolle des Patiens (Satzsemantik) durch verschiedene syntaktische Funktionen (Akkusativkomplement, Passivsubjekt, Attribut) ausgedrückt werden, eine Relationierung, die sich auf die illokutionäre Rolle auswirkt und funktional ist für eine diskursspezifische Argumentationsweise. Diese wiederum erfüllt durch die Lizenzierung ausgewählter semantischer Aspekte auf einer übergeordneten Ebene eine kommunikative Funktion im Rahmen des zugehörigen soziokulturellen Dispositivs, das auch die materielle Seite des Diskurses, seine Materialisierungsbedingungen bzw. räumlichen Settings und Machtstrukturen umfasst. Tab. 1: Relationierung der Funktionsdimensionen in der diskursgrammatischen Methodologie Grammatik

Sprachhandlung

Kultur

funktional ↓

z.B. syntaktische Funktion

z.B. Illokutionsmarker

kommunikative Funktion

für

(Satz-)Semantik

→ Argumentation

→ Dispositiv

Lizenzierung ausgewählter Bedeutungsaspekte

Für die Bestimmung der diskursbildenden Funktion sprachlicher Mittel haben sich in Bezug auf die unterschiedlichen Sprachhandlungstypen die in der IDSGrammatik entwickelten Funktionsbereiche der Sachverhaltskonstituierung als ertragreich erwiesen, die aus der Sachverhaltsklassifizierung, der Sachverhaltsverknüpfung sowie der Sachverhaltsbewertung bestehen (vgl. Felder 2015). Zwar werden auch sie in der pragma-semiotischen, d.h. diskurspragmatisch ausgerich-

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

teten Textarbeit mit rekurrenten Sprachmitteln korreliert. Es handelt sich jedoch bezogen auf die sprachliche Oberflächengestalt um eine eher „einheitenorientierte“ Herangehensweise, die von Lexemen, Syntagmen, Sätzen, Texten und Bildern als konstituierenden Hinweisen auf Themen, soziale Rollen oder Wertungen ausgeht. Die in der diskursgrammatischen Analyse in den Vordergrund gerückten Phänomene wie Mehrworteinheiten mit und ohne linguistischen Phrasenstatus, konkrete Flexionsvarianten von Lexemen und auch sloteröffnende Mehrwortverbindungen sind in der korpuspragmatischen Methodologie nicht zentral angesprochen. Der grammatische Zugang ist in der pragma-semiotischen Textarbeit zudem auf eine konkrete Zielstellung abgestimmt: die Ermittlung agonaler Zentren im Rahmen eines diskursiven Wettstreits verschiedener Diskursakteure um Ereignisdeutungen und Geltungsansprüche von Wahrheitsaussagen (vgl. Felder 2015:108). Forschungspraktisch werden hierfür gezielt Lexeme in der Umgebung konzessiver, adversativer und substitutiver Konnektoren erhoben.19 Neben der Konstruktion von Wissen in Diskursen fragt die Diskurssemantik nach den Bedingungen der Verstehbarkeit, d.h. den epistemischen Voraussetzungen der Bedeutungskonstruktion in (historischen) Diskursen (vgl. Busse 2013). Zur Beschreibung des impliziten, verstehensrelevanten Wissens schlägt Busse ein Arbeitsmodell der Frame-Semantik im Rahmen einer weiter gefassten linguistischen Epistemologie vor (vgl. Busse 2008). Die komplexen kulturellen Wissensvoraussetzungen in prototypisch strukturierte Schemata zu fassen, stellt ein Unterfangen dar, das weit über den linguistischen Tellerrand hinausreicht. Es entfernt sich aber dabei von der Betrachtung der spezifischen sprachlichen Routinen, die „durch Iteration, Intertextualität und Routineformeln, also durch serielle Praxis“ (Warnke 2009:135) Wissen im Diskurs herstellen. Vielfach unklar bleibt zudem, wie Konventionalisierungsprozesse auf der semantischen Ebene mit solchen auf der Ausdrucksebene zusammenhängen. Ein funktionaler Ansatz, der eine Substituierbarkeit von Äußerungen aufgrund funktionaler Äquivalenz behauptet, kann nicht anders als von der singulären Form abstrahieren. Nur so gelingt die angestrebte Einordnung in ein mehr oder weniger festes Tableau vorab definierter Sprachhandlungsmuster. Der Erkenntnisgewinn, den demgegenüber die diskursgrammatische Analyse verspricht, liegt auf der Seite der diskursiv geronnenen, wenngleich immer wieder verflüssigbaren, da diskursiv emergenten Form. Diskursgrammatik fragt nach den vielfältigen Spuren im sprachlichen Material, die sich zu Kontextualisierungsmustern zusammenspannen, um eine

19 Dass nach Lyotard aus agonalen Zentren Wissen hervorgeht (vgl. Warnke 2009:114), stellt die Grundannahme vieler diskurslinguistischer Arbeiten dar, die u.a. im Umfeld des Forschungsnetzwerks „Sprache und Wissen“ entstanden sind (vgl. Wengeler 2013, Roth 2009, Ziem 2013).

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im vorliegenden Fall themenspezifische erinnerungskulturelle Aufgabe zu erfüllen. Die diskursive Funktionalität erscheint dabei als Angelpunkt der sprachlichen Konstitution kollektiver Gedächtnisinhalte. Eine Grammatik des kollektiven Gedächtnisses fragt also zunächst nach dem Inventar von diskursspezifischen Sprachgebrauchsmustern und im zweiten Schritt analysiert sie hinsichtlich der Funktion, die sie (eine Konstruktion, N.W.) konkret in einem bestimmten Erinnerungsdiskurs erfüllen. (Czachur 2016:428f.)

Aus dieser materialitäts- und oberflächenorientierten Sicht auf Diskurse leiten sich zwei Charakteristika der hier vorgestellten Version einer Diskursgrammatik ab, die auf den ersten Blick kaum miteinander verbunden scheinen, bei genauerer Betrachtung aber konzeptionell auf grundlegende Weise verschränkt sind und eine Hinführung zu einem dispositivbezogenen Diskursbegriff ermöglichen, der im folgenden Abschnitt dargelegt werden soll. Dies geschieht durch den Dispositivbegriff auf der Basis einer kulturellen Machtkonstellation, die „an der Oberfläche“ wirksam und sichtbar, aber nicht immer bewusst gesehen wird. Es handelt sich somit um die diskursgrammatische Bestimmung des „Inventars“ in der Unauffälligkeit seiner grammatischen Verfasstheit. Diese tief in die Formulierungsroutinen hineinreichenden Formen korrespondieren mit Diskursfunktionen, die in vielen Diskursanalysen schwerpunktmäßig an lexikalischen Besonderheiten (vor allem Schlüsselwörtern) festgemacht wurden. An der sprachlich-medialen Oberfläche setzt ein „fluider“ Grammatikbegriff an, der die Grenze zwischen Grammatik und Lexikon zugunsten komplexer semiotischer Einheiten öffnet. Ein zentraler Angelpunkt dieser Durchlässigkeit ist die Beschäftigung mit sprachlichen Idiomen, (...) denn (i) Mehrwortausdrücke können wie Wörter Einheiten des Lexikons sein, (ii) viele Idiome und andere Phraseologismen verhalten sich insofern ähnlich wie freie Wortverbindungen, als sie häufig kompositionell sind und (iii) auch Wörter (manche Komposita und „phrasal verbs“) können als Idiome betrachtet werden. Damit ist auch die Dichotomie zwischen Wort und Syntagma infrage gestellt (...). (Engelberg/Holler/Proost 2011:17)

In einer diachronen Betrachtung fallen unter diese Mehrworteinheiten grammatikalisierte Varianten wie auf Grund und aufgrund, aber auch synonyme grammatische Wörter ein und desselben Paradigmas wie eigentlich und im Grunde. Die Verflüssigung der Grenze zwischen Wörtern und Syntagmen ist über ihre funktionale Äquivalenz nachweisbar, wie Burger (2007:56) an der Ausdrucksskala zur Beschreibung von Windstärken verdeutlicht: Windstille, Sturm und Orkan befinden sich in einem semantischen Feld mit den komplexen NPen mäßige Brise, frische Brise und stürmischer Wind. Mit einem weiten Begriff von dem, was in

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

der Sprache durch Sprechen, d.h. durch institutionell gebundene Kommunikationspraxis fest geworden ist, lässt sich Idiomatizität pragmatisch fundieren: Idiomatisch geprägt sind die Ausdrücke, die „als Handlungsmodelle fungieren können, indem sie Schemata sozialer Koorientierung indizieren“ (Feilke 1994, 369). Dabei kommt ihnen nicht die Funktion der Zeichen der sekundären Nomination, der Lückenbüßer im Sinne von expressiven Konkurrenzbildungen zu Einzellexemen zu, sondern die der primären und einzig möglichen konstituierenden Mechanismen des sprachlichen Handels (Coulmas 1981, 88; Feilke 1994, 369; Feilke 1996, 199). (Filatkina 2007:139)

Von den gesprächsstrukturierenden und partnerorientierten Routineformeln der mündlichen Interaktion20 unterscheidet Feilke (1996:217) die idiomatischen Prägungen. Darunter fallen im Einzelnen pragmatische, semantische und syntaktische Prägungen. In einem lexikologischen Vorgehen auf der Basis großer Korpora werden „(v)erfestigte Syntagmen als eigenständige kommunikative Einheiten“ ermittelt (Steyer 2013:35). Sie weisen kollokative oder phrasenstrukturelle Bindekräfte auf, können aber auch wie Chunks oder POS-Gramme aus systemlinguistischer Warte anarchisch wirken. Manche dieser Erscheinungen sind konstruktionsgrammatisch schwer in den Griff zu bekommen. Denn die in der Konstruktionsgrammatik definierten Form-Funktions-Einheiten sind i.d.R. linguistisch vorinterpretierte Größen, die in bestimmten sprachlichen Umgebungen auch unabhängig vom weiteren Kotext „funktionieren“. Handelt es sich um abstraktere, schematische Konstruktionen, besitzen auch ihre Slots einen festen linguistischen Zuschnitt, während diskurstypische Wortverbindungen in einem Diskursfragment auch mosaikartig zusammentreten können. Es ist in lexikologischen Forschungszusammenhängen bereits verschiedentlich diskutiert worden, inwiefern konstruktionsgrammatische Beschreibungen ein lexikologisch motiviertes Mehrworteinheiten-Modell methodisch sinnvoll ergänzen können. Auch für das diskursgrammatische Programm wird der Konstruktionsbegriff eingebracht, um die syntagmatische Einbettung von Mehrworteinheiten und die Verknüpftheit diskontinuierlicher Einheiten zu beschreiben. Diskontinuierlich realisierte Konstruktionen wie Modal- oder Passivkonstruktionen spannen einen Konstruktionsrahmen auf, in dem verschiedene sprachliche Einheiten unterhalb der Satzebene verknüpft werden. Da zumeist der Satzrahmen als Obergrenze der Konstruktion angesetzt

20 Neben institutions-, situations- und funktionsspezifischen Routineformeln (z.B. Die Sitzung ist eröffnet, Guten Appetit oder Herzlichen Glückwunsch) werden in der Phraseologie weitere gesprächsspezifische Phraseme (ich würde sagen, was weiß ich) unterschieden, vgl. den Überblick in Filatkina 2007:139f.

Diskursgrammatik als funktionale Grammatik 

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wird, ist zur Modellierung einer diskursgrammatischen Konstellation aus diskursiv geprägten Sprachmitteln der Kontextualisierungsansatz besser geeignet. Ein weiterer Grund dafür, den Konstruktionsansatz nicht primär zur Fundierung der Diskursgrammatik heranzuziehen, liegt darin, dass die Konstruktion als einzelne morphologische oder syntaktische Einheit idiomatisch mehrwertig ist, jedoch der übersummative Deutungsanspruch von Diskursformationen erst in größeren, auch sequenziell musterbildenden Abschnitten entsteht. Anders herum liegen die Pointen der Konstruktionseigenschaften quer zur diskursgrammatischen Einheitenbildung. So treten in diskursiv verbundenen Phänomenen i.d.R. keine coercion-Effekte auf, d. h. für ein diskursgrammatisches Profil kann nicht festgestellt werden, dass in ihm abstrakte Konstruktionen wirksam sind, die bestimmten Wörtern, vorzugsweise Verben, eine eigene Lesart „aufzwingen“.21 Verknüpfung wird hier in vielerlei Hinsicht entworfen. Neben der grammatischen Konnektivität in Form von Konnektoren und valenziellen Forderungen wird auch die (frame-)semantische Motiviertheit berücksichtigt. Ein zentrales Kriterium für das Erkennen konstruktionell relevanter Spuren im Text ist der kommunikative Mehrwert, der wiederum auch Angelpunkt der usuellen Wortverbindungen (UWV) ist und ggf. Mehrworteinheiten und Konstruktionen22 verbinden kann: Zunächst wird Musterhaftigkeit aus der Sicht von spezifischen Gebrauchsrestriktionen von UWV-Komponenten und ihrer kotextuellen Einbettungen diskutiert. Anschließend wechselt die Perspektive, UWV werden als holistische Entitäten mit übersummativen Bedeutungen und Funktionen auf verschiedenen Abstraktionsebenen betrachtet. (Steyer 2013:41)

Am Beispiel von (aussageförmigen) phraseologischen Einheiten wie Das Boot ist voll, in denen sich ganze Diskurse kondensieren und in anderen Kontexten aufgerufen werden können, haben Stumpf/Kreuz 2016 Verbindungsmöglichkeiten zwischen phraseologischer und diskursanalytischer Methodologie aufgezeigt. Diesen epistemischen Kondensatoren sind die im diskursgrammatischen Ansatz in den Blick genommenen Mehrworteinheiten insofern ähnlich, als beide nicht

21 Vgl. die bewegungsverursachende Lesart des an sich intransitiven Verbs to sneeze in dem Satz Pat sneezed the foam off the cappuccino. (nach einem Beispiel von Goldberg 1998, vgl. Imo 2015:564.) 22 Unter usuelle Wortverbindungen fallen nicht nur Einheiten mit phraseologischem Mehrwert. Auch Sätze und Mehrworteinheiten wie z.B. Irgendwo bellte ein Hund., die innerhalb bestimmter Textsorten dramaturgische Effekte erzeugen und wie in diesem Beispiel den narrativen Spannungsaufbau unterstützen, haben aufgrund ihrer Verwendungsgeschichte genau dieses Kontextualisierungspotenzial.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

rein kompositionell interpretierbar sind und sowohl kontinuierlich als auch diskontinuierlich realisiert werden können. Da jedoch grammatische Bedeutungen und Konstruktionsbedeutungen abstraktere, polyvalentere Bedeutungsdimensionen umfassen, sind für diese sprachlichen Einheiten auch andere Formen pragmatischer bzw. kontextueller Bedeutung zu erwarten, die ihnen durch Musterbildung zukommt. Musterbildung in einem diskursgrammatischen Sinn entfaltet sich u.a. in einer Sequenz aus diskursspezifischen Sprechweisen: (A)lso word order, style or coherence, among many other properties of discourse, may be described not only as abstract structures, as we do in linguistics, but also in terms of the strategic accomplishments of language users in action: for instance, speakers and writers are constantly engaged in making their discourses coherent. (van Dijk 1997:3, Hervorh. i.O.)

In den Bedeutungen diskursiv geronnener, verketteter Formen spiegelt sich unterschwellig eine Diskursdynamik, die Machtbeziehungen als soziale Regulation (re-)produziert, an der Akteure nur insofern beteiligt sind, als sie ihre Positionen im Diskurs (de-)stabilisieren. In diesem Sinne legt auch Müller (2013:122) seine kritische Diskursgrammatik als „induktive Machtanalyse“ vor, die an unauffälligen Sprachphänomen aufzuzeigen vermag, „wie serielle Ausdrucksverwendungen als Spuren der stillschweigenden, vorreflexiven Vorannahmen (...) gedeutet werden können.“ In diesem Sinn legitimieren typische erinnerungskulturelle Formulierungen Geschichtsbilder, die an der Oberfläche medial vermittelter, sprachlich-bildlicher Perspektivgestaltungen auftauchen und wie alle Diskurse nicht – nicht mehr – (...) als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln sind, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. (Foucault 1981:74)

Da die Hervorbringung des Erinnerungswürdigen durch eine „kohärente Erzählung“ Materialisierungen in Form von Architektur, Verhaltensweisen in Form von Besichtigungspraktiken und auch Subjektivierungsprozesse in der urbanen Umwelt auf den Plan rufen, bietet sich die Orientierung an einem auf das Foucault’sche Dispositiv ausgeweiteten Diskursbegriff an. Das Dispositiv als kulturell produzierte Umgangsweise mit Diskursgegenständen, in der symbolische und materielle Ausdrucksformen zusammenkommen (vgl. Bührmann/Schneider 2008:65), wird im Folgenden mit kulturlinguistischen Überlegungen zur Herausbildung von Inhalten des kollektiven Gedächtnisses zusammengebracht. Die Dispositivanalyse ist m.E. das einzige diskurslinguistische Konzept, das die Ebene der Praktiken vollständig einholt. In diese Praktiken sind im Sinne einer funktionalgrammatischen Analyse auch bildliche und räumlich-gegenständliche Artefakte eingeschlossen. In seinem funktionallinguistischen und sozialsemi-

Kulturelle Bedeutung, kollektives Gedächtnis und Dispositiv 

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otischen Ansatz setzt Halliday (1996) drei Ebenen an, auf denen sich Sprachliches funktional mit Bildlichem zu einer Aussage verbindet. Dies geschieht auf der ersten Ebene hinsichtlich der Gegenstandskonstitution (ideational), auf der zweiten Ebene bezogen auf eine (mehrfache) Adressatenorientierung (interpersonal) und auf der dritten Ebene hinsichtlich der semiotischen Verknüpfungsoperationen (textual). Im Sinne einer multimodalen Aussagenkonstitution (vgl. Fricke 2012) werden Elemente anderer Modalitäten wie Gesten, Bilder und weitere Darstellungselemente Teil einer Aussage bzw. einer kommunikativen Handlung. Bilder sind durch ihre gestalterischen Submodalitäten (Farbe, Größe, Komposition) ebenso wie die materielle Schriftgestaltung auf der qualitativen Seite des korpuslinguistischen Zirkels aus Makro-Mikro-Analyseschritten zu veranschlagen. Dennoch können auch in diesen hochgradig individuell anmutenden Materialien, die etwa, wie bei der Fotografie, von medialen Aufnahmebedingungen, technischem Können oder Standort abhängen, Serialisierungseffekte auftreten, die fernab bewusst verfolgter Zwecke kulturellen Sinn entfalten. So wie die „datengeleitete Analyse sprachlicher Muster (...) das Potenzial (hat), den Eigensinn der sprachlichen Oberfläche zuungunsten von Konzepten wie Souveränität und Zweckhaftigkeit stark zu machen“ (Scharloth 2016:323), können rekurrente Sprache-Bild-Muster auf diskursive Prägungen hindeuten, bei denen auch die Wahl der Modalität und die Verteilung der Aussagenelemente auf die Modalitäten semantisierend wirkt.

2.2 Kulturelle Bedeutung, kollektives Gedächtnis und Dispositiv In diesem Abschnitt möchte ich den Dispositivbegriff für eine Verbindung der Konzepte des kollektiven Gedächtnisses und einer kulturlinguistisch erweiterten kommunikativen Aufgabe aufbereiten, die von Gattungen ebenso wie von Mikrokonstruktionen erfüllt wird. In der Medienlinguistik wird der Dispositivbegriff gemeinhin als Erweiterung des Foucault’schen Diskursbegriffs aufgefasst, so dass neben einer Textsammlung zu einem Thema, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich etc. (vgl. Konerding 2009:165) auch außersprachliche Praktiken in den Blick kommen (vgl. Dreesen/Kumiega/Spieß 2012:17). In seiner Dispositivdefinition listet Foucault so heterogene Elemente auf wie Institutionen, Architektur, administrative Maßnahmen und Lehrsätze (vgl. Foucault 1978:119f.). Die Wirkung des im Folgenden für die Geschichtsgattungen entworfenen Dispositivs lässt sich in situ im multimodalen Interaktionstyp der Gästeführung oder in den situativen Verwendungen von Informationsmaterialien und Locative Media wie Apps beobachten. Die so durch die Stadt gelenk-

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ten Besucher vollziehen eine aussageförmige Praxis des Gehens und Schauens, die Artefakte und Architekturen mit diskursivem Wissen nicht nur überzieht, sondern überhaupt erst sichtbar, sehens- und oft auch staunenswert macht (vgl. Kesselheim 2010). Die „Rhetoriken des Gehens“ (Certeau 1988:192) bestehen in einer Kunst des Rundendrehens als Art und Weise des Handelns im urbanen Symbolraum (bei de Certeau analog zu den Äußerungen des sprachlichen Handelns). Zu seiner Orientierung nutzt das Subjekt ein Dispositiv und gerät durch diese Orientierung zugleich in den Prozess bzw. Strudel der Subjektivierung, der sich in den globalisierten kapitalistischen Gesellschaften nach der kritischen Betrachtung von Agamben (2008:36) zunehmend als Desubjektivierung gestaltet. Solche Distanznahmen von der eigenen Subjektivität können etwa in Form von Beichten rituell vollzogen werden,23 sie entstehen aber auch mit den kommunikativen Zwängen der mobilen Medien und der Neukalibrierung der Wahrnehmung durch z.B. Smartphone-Features wie Augmented Reality oder Gamification. Aktuelle Formate der Geschichtskommunikation reihen sich hier ein. In den Wahrnehmungsweisen und der kommunikativen Verarbeitung des Entdeckten sowie der indirekten Erinnerungsappelle ortsgebundener Informationen entsteht eine (subjektivierende) Haltung zu den Dingen (der Vergangenheit) und zugleich ein Erfahren der Gegenwart durch die „Brille“ des Vergangenen, was als Sinnhaftigkeit von Auseinandersetzung mit Geschichte überhaupt gelten kann. Als „Bedingtheit gegenwärtiger Lebensverhältnisse“ (Rüsen 1995:527) ist das Vergangene als Vorgegebenheit immer schon prä-narrativ gegeben. Seine Gegenwärtigkeit ist durch „Historisieren“, d.h. durch die Vermittlung des Vergangenen mit der Gegenwart, teilweise einholbar. Für diese historische Sinnbildung, die in einem interaktionslinguistischen Sinn als kommunikative Aufgabe der Stadtgeschichtsangebote identifiziert werden kann, sind nach Rüsen (1994:515) fünf Regulative maßgebend: Orientierungsbedürfnisse, Deutungshinsichten, Vermittlungsmethoden, Repräsentationsformen und Funktionen der kulturellen Orientierung. Das Zusammenwirken dieser Aspekte erfasst der Begriff der „Geschichtskultur“: Er wurde als „Gesamtheit der Formen, in denen Geschichtswissen in einer Gesellschaft präsent ist“ (Hartwig 1990), als „praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewußtsein im Leben einer Gesellschaft“ (Rüsen 1994) und in Anlehnung an Johan Huizinga als „Modus, nach dem eine Gegenwart Rechenschaft von ihrer Vergangenheit gibt“ (Tenfelde 1996) definiert. In jedem Fall zieht er die Konsequenz aus der Einsicht, dass die Vergangenheit einer Gruppe oder Gesellschaft nicht naturwüchsig gegeben, sondern kulturell

23 Vgl. hierzu die instruktiven Beobachtungen von Bublitz 2010 zur Subjektbildung durch Beichtpraktiken in der anonymen Medienöffentlichkeit.

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geschaffen ist, dass sie im Modus wie in der Komplexität ihrer Darstellung unterschiedliche Formen symbolischer Verdichtung annimmt (...). (Hartwig 1998:233f.)

Sprachliche und visuelle Darstellungen unterliegen sowohl in der multimodalen Geschichtsvermittlung als auch in professionellen Darstellungen der Geschichtswissenschaft diversen Konstruktionsverfahren, aus denen historische Ereignisse als solche erst hervorgehen. Müller (2007:9) nennt das sinn- und identitätsbildende Schaffen des Historikers einen an eine wissenschaftliche Gemeinschaft rückgebundenen „Perspektivierungsprozess“, der erzählende, beschreibende und argumentierende Handlungen vereint. Mit Bezug auf Stierle beschreibt er den integrativen Prozess der Überführung fachlicher Ergebnisse in bereits vorgefertigte Textstrukturen, welche die Handlungsmuster der sozialen Wirklichkeit auf die Vergangenheit projizieren. Diese Textstrukturen werden nun nicht von jedem Historiker neu entworfen, sondern prägen sich als Textmuster im historischen Diskurs aus. Das „Wissen“ höherer Ordnung, in dem Gegenstandswissen und Handlungswissen zu einer gesellschaftlich wirksamen Vergangenheitserfahrung integriert sind, kann als Beitrag des Historikers zur gesellschaftlichen Identitätsbildung begriffen werden. (Müller 2007:311)

Darstellung und Darstellbarkeit hängen nicht nur von der Zugänglichkeit und Beschaffenheit der Quellen, der hermeneutischen Perspektive des Historikers, sondern auch den sprachlichen und multimedialen Darstellungspotenzialen und -grenzen sowie den kulturellen Restriktionen für eine (multimodale) historische Aussage ab. Gehrke/Sénécheau (2010:12) stellen in ihrer Einleitung zu einem Sammelband über populäre Antikedarstellungen in audiovisuellen Printmedien bspw. fest, dass auf historisch überlieferte Ethnien oft generalisierend („die“ Kelten, „die“ Römer) und teilweise auch stereotypisierend Bezug genommen wird. Bezogen auf Darstellungen der NS-Zeit kommt Winter (2014:161ff.) in einer Untersuchung zu Geschichtspolitiken in Fernsehdokumentationen der Nachkriegszeit zu dem Ergebnis, dass nationalsozialistische Verbrechen oft als etwas von außen Kommendes dargestellt werden (Externalisierung), so dass die ermordeten Juden hinter Zahlen oder Nominalisierungen wie „Verluste in den Konzentrationslagern“ verschwinden und dass darüber hinaus Akteure verbrecherischer Handlungen durch Passivierung ungenannt bleiben (Ent-Akteurisierung). Die auf diese Weise interpretierbaren Aussagepraktiken sind folglich darauf spezialisiert, geschichtliche Zusammenhänge in eine Ordnung zu bringen, mit der sie manche Inhalte hervorheben und andere tendenziell vergessen machen. Foucault definiert Dispositive als machtstrategische Verknüpfungen von (so perspektivierten) Aussagen mit Praktiken (vgl. Fink-Eitel 1992:80). Der Dispositivbegriff geht insofern über den Diskursbegriff hinaus, als er erstens auf historische

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Herausforderungen antwortet, die in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bzw. Interaktionen entstehen, zweitens diskursive und nicht-diskursive Elemente verkoppelt und drittens die sozialstratifikatorische Dimension der Macht einschließt (vgl. Link 2016:124). Wenn Wissen im Diskurs sozial hergestellt wird und der Diskurs zugleich auch Ort der Bedeutungsaushandlung sein soll, dann ist es das Dispositiv, das die Texte des Diskurses und die emergenten Diskursgegenstände zu jenem Praxiszusammenhang „verwebt“, durch den die Subjektivierung in Gang gehalten wird. Der strategische Aspekt des Dispositivs ist die Doppelheit einer Subjektivierungs-Unterwerfung (asujetissement). Das zugrundeliegende Machtkonzept entspricht einer gouvernementalen Anreizmacht, die das urbane Subjekt anregt, sich mit einer bestimmten Haltung „entdeckend“, „suchend“, „nachvollziehend“ durch den Raum zu bewegen, womit sich Bewegungsweisen und Nutzungsformen des urbanen Raums „diskursivieren“.24 Thematische Kommunikationsangebote, aber auch andere symbolische Darstellungen in Architekturen oder städtischer Infrastruktur bilden kommunikative Schnittstellen heraus, mit denen sich Diskurse im öffentlichen Raum performatisieren (z.B. in Bezug auf die physische und soziosymbolische Sicherheit, vgl. dazu Habscheid/Reuther 2013). Ich möchte den Begriff des Dispositivs im Folgenden einsetzen, um das diskursiv Verfasste mit dem Performativen als regulative Einheit zu denken, wobei die „Stunde Null“ bzw. das Ende des Zweiten Weltkriegs als jene historische Herausforderung gelten kann, auf die das hier betrachtete erinnerungskulturelle Dispositiv reagiert. An die Idee eines funktionalen Regulativs lässt sich das Konzept der kommunikativen Aufgabe anschließen, mit der das Problem des Vergessens gesellschaftlich bearbeitet wird. Dies geschieht im dispositiven Wandel des Erinnerns, das rund 70 Jahre später nicht mehr durch das Sich-Erinnern erzählender Beteiligter, sondern durch das Erinnertwerden mithilfe von Medien organisiert ist. Dispositive konstruieren ihre eigene Geschichte: Sie sind ausgewiesen als strategische Reaktion auf einen Notstand und bringen in sich transformierenden Wiederholungen etliche Ableger ihres Gegenstandes hervor. Beispielsweise konstituiert das Dispositiv der Inhaftierung, das vorgeblich auf Kriminalität reagiert,

24 Im Sinne eines produktiven Machtansatzes bringt sich das Subjekt in den urbanen u.a. Praktiken selbst hervor. In einer langen kulturwissenschaftlichen Tradition wird Urbanität als Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsfaktor bzw. nach Mauss als gesellschaftliches Totalphänomen betrachtet (vgl. Schäfers 2010:16). Luger (1994:39) bestimmt gegenwartsbezogen Urbanität als kulturelle Lebensform: „Urbanität ist subjektiv erlebte und handelnd gestaltete Lebenswelt der Menschen in dem durch diese Gestaltung geprägten Lebensraum. Sie kann als stadtspezifisches Muster von Aktivitäten, Kommunikationsmöglichkeiten und -formen, Nutzungsgelegenheiten und -gewohnheiten in einem abgrenzbaren städtischen Raum verstanden werden.“

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ein ganzes Milieu der Delinquenz, und erst im Dispositiv der Kontrolle des Wahnsinns entwickeln sich verschiedene neurotische Erkrankungen (vgl. Foucault 1978:120f.). Die Vermutung liegt nahe, dass auch das Zerstörung-Aufbau-Dispositiv (ZAD) mit seinen Deutungen der Geschichte zwangsläufig ein Stück Vergessen institutionalisiert. Es richtet sich auf Akteure und ihre Dispositionen, nachträgliche Zerstörungen ebenso wie auf diskursive Kämpfe während der Aufbauplanungen. Die sprachlichen Diskursausschnitte (Bücher, Audioguides, Broschüren etc.) erzeugen dabei einen medialen Rahmen des Erinnerns. Seine Wirkung ähnelt dem, was Halbwachs anhand einer Anekdote über den Spaziergang eines Fremden durch London beschrieben hat, die Erll (211:154) zur Veranschaulichung der medialen Geprägtheit des Erinnerns wiedergibt: Die Art seiner Wahrnehmung des Neuen, seine Gedanken und Gefühle sind für Halbwachs keineswegs rein individuellen Ursprungs. Im Gegenteil, Halbwachs will anhand seines Beispiels verdeutlichen, dass Wahrnehmung und Erinnerung durch cadres sociaux, soziale Bezugsrahmen, geprägt sind und dass diese Bezugsrahmen aus der Kommunikation und Interaktion sozialer Gruppen hervorgehen. Die Wahrnehmung Londons, so erklärt Halbwachs, ist in hohem Maße durch andere Menschen (...) beeinflusst: Gespräche mit dem Architekten, dem Historiker, dem Maler oder dem Kaufmann richten die Aufmerksamkeit des Besuchers auf jeweils andere Facetten der überwältigenden Fülle von Eindrücken. Dazu müssen diese Personen nicht einmal anwesend sein – es genügt die Erinnerung an Gesagtes, die Lektüre ihrer Schriften, das Studieren von Plänen, Betrachten von Bildern.

Erfahrungen und Deutungen der Vergangenheit sind in verschiedenen gedächtnisbildenden Medien konserviert. Sie werden nicht einfach abgerufen, sondern in Gattungen, Techniken und institutionellen Rahmungen performativ aktualisiert. Diese technische, mediale und ortsbezogene Reproduktion kultureller Gedächtnisinhalte erfasst Sandl (2005:100) mit dem Terminus der Erinnerungskulturen. In dialektischer Wechselwirkung zum Speicherort des Gedächtnisses verweist dieser auf die Pluralität von Vergangenheitsbezügen, die sich nicht nur diachron in unterschiedlichen Ausgestaltungen des kulturellen Gedächtnisses manifestiert, sondern auch synchron in verschiedenartigen Modi der Konstitution der Erinnerung, die komplementäre ebenso wie konkurrierende, universale wie partikulare, auf Interaktion wie auf Distanz- und Speichermedien beruhende Entwürfe beinhalten können.

Indem sich Erinnerungskulturen in Erinnerungsgattungen, -medien25 und -techniken ausformen, entstehen unterschiedliche Darstellungs- und Inszenierungs-

25 Für das ZAD sind erinnerungsmedial sowohl die architektonischen „Zeugen“ als Spuren des

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formen für Kontinuität, Kausalität oder zeitliche Progression. Sandl (2005:107) geht im Zuge dieser Ausdifferenzierung von „Brüche(n) zwischen akademischen und populären Erinnerungsformen“ aus, wobei sich die zugehörigen Gattungen in der „Art der Geltungssicherung von Aussagen, durch die Lösung der Kontinuitätsproblematik oder die Handhabung von Dichotomien und Widersprüchen“ unterscheiden. Die Vielfalt der Textsorten zu den unterschiedlichsten Erinnerungsanlässen auch im vorliegenden ZAD-Korpus zeigen jedoch, dass eine strikte Trennung zwischen populären und akademischen Gattungen kaum möglich ist und eher ein Transfer der Narrative, Symbole und Formulierungsroutinen von der einen in die andere Richtung anzunehmen ist – wenn auch mit domänenspezifischen Epistemifizierungen. Beide sind gleichermaßen an der Produktion kollektiver Gedächtnisinhalte beteiligt: „Populäre Erinnerungskulturen wie auch die akademische Geschichtsschreibung sind Produkte reflektierter Erinnerungsarbeit und transportieren kollektive Mentalitäten.“ (Schläppi 2013:260) Die Ausdifferenzierung von Erinnerungskulturen bzw. ihre Verbreitung durch verschiedene Medien und Interaktionsformen hat die Trennung von Gegenwart und Vergangenheit zur Folge, die nach Sandl (2005:118) Voraussetzung für die moderne Geschichtsschreibung (seit 1800) ist.26 Diese medial, sprachlich und bildlich zu bewältigende Trennung ist eine Konstruktionsleistung aller erinnerungskulturell relevanter Gattungen. Sie umfasst die produktive Konstruktion von Geschichtsbildern im Modus der Erneuerung und verweist dabei zugleich auf eine gestaltbare Zukunft. Vergangenheit und Zukunft erscheinen somit beide als Umgangsmodi mit Phänomenen der Gegenwart (vgl. Esposito 2002:31). Diese an Vergangenheit und Zukunft ausgerichtete Operation produziert und organisiert gleichsam das Vergessen, Vernachlässigen und Verwerfen historischer Fakten (vgl. Assmann 2006:52f.). Insofern ist die Auflösung des Einzelfalls in den Verfestigungsprozess kultureller Gedächtnisinhalte eingeschlossen. Durch die Abstraktion von Einzelaspekten der Phänomene bleibt eine Form bestehen, „mit deren Hilfe auf die Phänomene weiterhin zurückgegriffen werden kann.“ (Esposito 2002:30) Winkler (2002:143ff.) zeichnet diesen diskursiven Prozess des Vergessens anhand der Freud’schen Gedächtnismetapher des Wunderblocks nach, auf dem durch viele einzelne Erinnerungseindrücke Strukturen vergangener Szenen und

Vergangenen von Interesse als auch die Apps und Internetseiten unter der Voraussetzung, dass die „Medienevolution einen erinnerungskulturellen Wandel hervorruft beziehungsweise einen solchen widerspiegelt“ (Leggewie 2009:21). 26 Die Perspektive des kulturellen Gedächtnisses fügt in die Geschichtsschreibung eine emotionale, eine memoriale und eine ethische Dimension ein (vgl. Assmann 2006:50).

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Eindrücke sichtbar werden. Die daraus abgeleitete dialektische Formel „Vergessen hinein in die Struktur“ verbindet das Zyklische der Wiederholung mit der Verstärkung und der Perspektivierung, die sich beide im Zuge einer selegierenden Darstellungspraxis ergeben. Insofern vollzieht sich durch die Restriktion dessen, was durch das „Nadelöhr der Versprachlichung“ (Koschorke 2013:29) gelangt, eine Bündelung und Intensivierung von Bedeutungsaspekten, ökonomisch gesprochen lässt sich „sagen, die eingesparte Energie werde in Formungsenergie umgewandelt“ (Koschorke 2013:29). Im Anschluss an die Frage, wie sich Diskurse fortschreiben, modifizieren und dennoch erhalten, greift Winkler (2004:114ff.) auf Assmanns Unterscheidung der Tradierungsformen Monumentalisierung und Wiederholung zurück und betrachtet diese nicht als einander entgegengesetzt, sondern als wechselseitig inhärent. So kann beispielsweise ein schriftlich niedergelegter Text in sich wiederholenden Praktiken kulturell auf unterschiedliche Weise genutzt werden (vgl. Winkler 2004:115). In ähnlicher Weise argumentiert Jäger (2004), der die medialen Implikationen der Assmann’schen Gedächtnissorten freilegt. Für das kollektive Gedächtnis reklamiert er die schriftliche Niederlegung, für das kommunikative Gedächtnis die mündliche Weitergabepraxis, wodurch für das kulturelle Gedächtnis immer ein komplexes kommunikativ-performatives Prozessieren vorausgesetzt ist.27 Mit dieser Annahme begründet er seine Diagnose einer Kultur kommunikativer Transkriptivität, in der über Zitate, Paraphrasen und Explikationen Inhalte des kulturellen Gedächtnisses in den Operationen des kommunikativen Gedächtnisses aufscheinen. Auf diese Weise schreibt sich das kulturelle Gedächtnis in das kommunikative Gedächtnis ein, mehr noch: Auf diese Weise wird das kulturelle Gedächtnis durch kommunikative Praktiken fundiert und das kommunikative Gedächtnis durch die Skripturen kultureller Niederlegungen28 angeleitet. So entwickelt Jäger in kritischer Auseinandersetzung mit Assmann die Verbindung von Stase und Fluktuanz, die als „Vergangenheitsregister“ nicht verschiedene Verfahren des Erinnerns beschreiben, sondern „beide einerseits bereits in die Logik kommunikativer Interaktion konstitutionell eingeschrieben und andererseits auch für schriftgestützte Sinn-Traditionen wesentlich sind.“ (Jäger 2006:65) Winkler (2004:116) fasst die Bewegung vom Sedimentierten zum

27 Das kommunikative Gedächtnis wird auch als soziales Gedächtnis aufgefasst (z.B. von Assmann), bei Feilke 2014 erscheint das soziale Gedächtnis als eines, das stetig kommunikativ stabilisiert wird. Zur soziologischen Fundierung des sozialen Gedächtnisses vgl. Dimbath/Heinlein 2014. 28 Das ung-Derivat changiert an dieser Stelle zwischen Produkt und Prozess, so dass ein rekursives Prozess-Produkt auch sprachlich fassbar gemacht werden kann.

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Prozessualen medientheoretisch als Zurückschreiben: „(D)as Monument entfaltet Wirkung, gerade weil es nicht einfach bei sich bleibt, sondern sich in die Praxen zurückschreibt.“ Dass diese Praxen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit mit der Modellierung sprachlich-kommunikativer Nähe- und Distanzformate zusammengeht, hat wiederum Müller (2013b) aufgezeigt. Schriftliche und mündliche Bezugnahmepraktiken auf kollektive Gedächtnisinhalte variieren mit dem Grad der Situations- und Partnerorientierung, die sprachlich auf vielfältige Weise (Anrede, Deixis, Stile etc.) ausgedrückt werden können – in beiden medialen Varianten der Sprache. Das konversationsanalytische Konzept des Adressatendesigns fasst die grammatikalisierte Orientierung an imaginierten Rezipienten, deren Wissen, Erfahrungen, Erwartungen etc. präsupponiert werden.29 Dass das kulturelle Gedächtnis keineswegs alltagsfern oder -transzendent ist, wie mitunter Assmann (1988:12) nahelegt, sondern seine kulturelle Bedeutung in verschiedenen kommunikativen Kontexten erlangt, soll nicht zuletzt mithilfe der vorliegenden Korpusanalysen anhand von Alltags- und Gebrauchsgattungen zur Stadtgeschichte demonstriert werden.30 Tab. 2: Das Dispositiv als zyklische Realisierung diskursiver und materieller Kulturinstanzen, an denen Sprache beteiligt ist Zweiseitigkeit des Dispositivs (mit Zukunftsbezug) Prozessuale Perspektive

Materielle Perspektive

Praxis

Diskurs

Wiederholung

Monument

kommunikatives Gedächtnis

kollektives Gedächtnis

eher nähesprachlich

eher distanzsprachlich

Vergessen – Erinnern

Erinnern – Vergessen

Reziproke transkriptive Prozesse in verschiedenen Medien (geschrieben, gesprochen, gebaut, komponiert...)

29 Analog dazu dient ein sprachlicher Funktionsbereich dem Raum- und Situationszuschnitt (vgl. Imo 2015). 30 Für Apps und Audioguides zur Stadtgeschichte ist eine Transkription zu beobachten, bei der Passivformulierungen aus der Geschichtsschreibung in den interaktiven Rahmen persönlicher Anreden und deiktischer Versetzungen eintreten (vgl. Wilk 2018).

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Die Transkription erinnerungskulturellen Wissens ist in mehrfacher Hinsicht sprachlich vermittelt.31 Analog zu den „Szenen“ bei Wygotski (1987:626ff.) oder den „Praxisfiguren“ bei Lorenzer (2000) ist die Bedeutung sprachlicher Symbole immer schon angereichert mit szenisch mitgeprägter Kontextinformation. Laut Müller (2013b:111) gehört es zur Prozessualität von Diskursen, dass situationsgebundene sprachliche Performanzen den Charakter der mit ihnen korrelierten Situation irgendwann strukturell in sich aufnehmen und die entsprechende Situation dann durch den Strukturtyp der Performanz indiziert wird, wie FEILKE gezeigt hat.32

Der sedimentierten Praxis liegen Erfahrungen mit Interaktionsformen zugrunde, die diese und neue Erfahrungen als sozial vermittelte hervorbringen. So konstituiert sich Sprache als Erinnerungsmittel an vergangene Situationen, das nicht primär individuell Erlebtes beinhaltet, sondern eher sozial verteilte und geteilte Wissensbestände über Umgangsweisen mit gesellschaftlichen Themen und Aufgaben: Die Sprache funktioniert (...) nicht eigentlich – wie wir es erwarten möchten und wie es auch in jeder Einführung in die Sprachwissenschaft gelehrt wird – symbolisch als ein repräsentatives Zeichen, sondern primär indexikalisch als ein Anzeichen, als Steuerungsmittel, mit dem auf in der Spracherfahrung vorausgegangene Kontexte des Verstehens verwiesen wird. (Feilke 2014:91)

Das kulturelle Gedächtnis ist damit nicht einfach nur Sediment einer textuellen Oberfläche, mit der einige wenige kulturell Interessierte in Berührung kommen, es ist Momentaufnahme einer kulturellen Alltagspraxis, die von einer im doppelten Wortsinn signifikanten Oberflächenstruktur koordiniert und reproduziert wird. Den Bezug zur performativen Musterbildung im Diskurs nutzt auch Kämper (2015) für eine kulturlinguistische Fundierung des kollektiven Gedächtnisses. Ein Kerngedanke ihres Gedächtnismodells ist, dass die Instanzen des kollektiven Gedächtnisses, z.B. Personen- oder Ereignisnamen, ihren semantisch-kom-

31 Domke 2014 beschreibt diverse intra- und intermediale Verfahren der Herstellung kulturellen Sinns, bei denen Sprache durch ihre rekursive Organisation eine auch kulturtechnisch besondere Rolle zukommt. 32 Diese Einsicht wird kognitionslinguistisch als Repräsentation außersprachlicher Kontexte beschrieben. So heben Bybee/Beckner (2009:962) hervor, „that the speaker/learner is also registering in memory the extra-linguistic contexts in which the linguistic material occurs; in this way semantic and pragmatic representations are also set up.“

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munikativen Status erst über die Kontexte erhalten, in denen sie auftreten (vgl. Kämper 2015:178). In einer nicht-memorialen entritualisierten Aktualisierung kann ein Gedächtnisinhalt zusätzlich semantisiert werden. Als Beispiele hierfür nennt Kämper (2015:178) den Ortsnamen Auschwitz als Begriff für den „größten Zivilisationsbruch der Menschheitsgeschichte“ und den Eigennamen Einstein als Metonymie für einen „Genius“. Bei beiden dokumentiert sich eine fortgeschrittene Konventionalisierung. Im kommunikativen Gebrauch wird der Name oder auch die Datumsangabe zu einem Appellativum und somit zur Bezeichnung für ein geschichtliches Ereignis bzw. einen Prozess oder eine mit sozialer Wertung versehene Eigenschaft: Diese Eigenschaften konstituieren eine semantische Struktur, man kann auch sagen: Sie verschaffen der Bezeichnung ein Evokationspotenzial, mit dem beim Gebrauch gerechnet werden kann (...). (Kämper 2015:177)

Doch wie sind die kontextuellen Hinweise beschaffen, die darauf hindeuten, dass mit der Aktivierung kollektiven Geschichtswissens gerechnet werden kann? Gibt es eine Hinweisstruktur, die die Aktivierung gezielt gewährleistet oder die sie umgekehrt erschwert? Ist die Konstellation kontextualisierender Elemente vielleicht selbst ein signifikanter Faktor in der Hervorbringung von kulturellem Wissen, das zum Verständnis nötig ist? Und mehr noch: Handelt es sich möglicherweise nicht nur um ein bloßes Aufrufen von Vorwissen, das hermeneutisch explizierbar ist, sondern bringen die verdichteten Kontexte vielmehr selbst ein gegenwartsabhängiges, immer anders gewichtetes, gerahmtes Wissen von einem historischen Ereignis hervor? Für eine perspektivisch angelegte Erinnerung setzt Assmann (2009:408) die bereits oben diskutierten Bedingungen an: die Zukunftsausrichtung als Angelpunkt für das Erinnern sowie das Vergessen als Folge dieser Fokussierung. Sie bringt sie in ein eindrückliches Bild: (...) von einer bestimmten Gegenwart aus wird ein Ausschnitt der Vergangenheit auf eine Weise beleuchtet, daß er einen Zukunftshorizont freigibt. Was zur Erinnerung ausgewählt wird, ist stets von den Rändern des Vergessens profiliert. Fokussierendes und konzentrierendes Erinnern schließt Vergessen notwendig mit ein, so wie man, um noch einmal ein Bild von Bacon zu gebrauchen, den Rest des Raumes verdunkelt, wenn man eine Kerze in die Ecke trägt.

Dieses Bild der erleuchteten Ecke mag mit der Vorstellung von einem Oberflächengewebe an Ausdrucksformen korrespondieren, die sich zu kulturellen Narrativen für ein geschichtliches Ereignis „unter dem Druck auf konventionalisierende Verknappung hin“ (Koschorke 2013:38f.) verfestigen haben. Neben dem

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Vergessen als konstitutiver Bedingung für Erinnerung (und nicht als deren Störfall) nennt Welzer (2010:o.S.) den Zukunftsbezug als Motiv des Erinnerns, so dass die Erinnerungspraxis einen normativen Grund erhält: Und da der funktionale Überlebenswert des Gedächtnisses von seinem Zukunftsbezug abhängt, ist es die Zukunft, die konstitutiv für das Gedächtnis ist, nicht die Vergangenheit. Die Zukunft macht Vergangenheit erst verstehbar und motiviert Geschichtsbewusstsein.

Der kommunikative Gebrauch semantisch verdichteter Spracheinheiten zieht folglich nicht nur Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch zwischen Gegenwart und Zukunftsideen ein. Erinnerungspraktiken materialisieren sich als Akte der Grenzziehung zwischen dem, was im städtischen Raum durch Architektur und Infrastruktur eine Spur in die Vergangenheit weist, und dem, was in der Gegenwart reinen Funktionswert besitzt. Diese kognitive Operation ist in soziale Handlungsschemata eingelassen und lässt sich als tradierende Kulturtechnik beschreiben. Das hiermit adressierte Konzept der Kulturtechnik hat sich in kritischer Auseinandersetzung mit einem privilegierten Begriff bewusst steuernder menschlicher Akteure entwickelt: The basic anthropological implication consists in the retrojection backwards into the dawn of species developments. What we call the human is always already an emergent product arising from the processual interaction of domains that in time are all too neatly divided up into the technical and the human, with the former relegated to a secondary, supplementary status. (Winthrop-Young 2013:10)

Wenn menschliche Akteure mit körper- und wahrnehmungserweiternden Apparaten, Texten und Medien interagieren, um sich (kunst-)historischen Artefakten oder Architekturen zu nähern, entsteht im städtischen Raum eine Kulturtechnik als Körpertechnik des Gehens, Schauens und Begreifens, die zwischen den Ausdrucksformen museal-aneignend, (vorbei-)flanierend und kommunikativ-partizipativ changiert. In dieser ganzheitlichen Situation können materielle Dinge Aussagencharakter gewinnen oder sich mit sprachlichen Elementen zu einer komplexen Aussage suppletiv oder komplementär verbinden. Während die klassische Stadtgeschichtsschreibung Bildmaterialien verwendet, um den zur Publikationszeit aktuellen Zustand eines Gebäudes z.B. im zeitlichen Vergleich zu einem früheren zu dokumentieren, kann der Blick auf das Gebäude am Standort einer Touristenführung oder einer ortsfesten Geschichtstafel diese deiktische Funktion übernehmen und dazu auffordern, den früheren mit dem heutigen Zustand zu vergleichen. Latour (2006:371f.) gibt ein instruktives Beispiel dafür, dass ein Objekt in einer bestimmten Situation die Wirkung einer performativen Aussage gewinnt, was ihn zu der interaktionslinguistisch äußerst interessanten

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Einsicht führt, dass Text und Kontext simultan hervorgebracht werden. Statt die Gäste mit dem Aufforderungssatz „Geben Sie Ihren Schlüssel ab!“ dazu zu bringen, den Schlüssel regelmäßig beim Verlassen des Hotels an der Rezeption abzugeben, beschwert der Hotelmanager den Schlüssel mit einem Gewicht, das denselben auf engere Weise mit der Rezeption als mit den Taschen der Gäste verbindet, weil es die Gäste, die sich des lästigen Fremdkörpers entledigen möchten, dazu bewegt, den Schlüssel abzugeben. Das aussageförmige Objekt und die Beziehung zwischen Hotelmanager und Gästen sind somit weder alltagssprachlich noch sozialwissenschaftlich zu trennen: Niemals werden wir mit bloßen Objekten oder sozialen Beziehungen konfrontiert, sondern mit Ketten, die aus Menschen (M) und Nichtmenschen (N) bestehen. Niemand hat jemals eine lediglich soziale Beziehung gesehen – wenn nicht in der Form des Hotelmanagers, der seine Gäste nicht disziplinieren kann –, noch hat jemand eine lediglich technische Beziehung gesehen – wenn nicht in Form von Schlüsseln und Gewichten, die alle vergessen haben. Stattdessen werden wir stets mit Ketten konfrontiert, die das Muster M-N-M-N-N-N-M-MM-M-N aufweisen, wobei „M“ für menschlicher, „N“ für nicht-menschlicher Akteur steht. (Latour 2006:376)

Schulz-Schaeffer (2000:209) weist darauf hin, dass den Artefakten in diesem Beispiel eine überlegene Moralität zukommt, da der Schlüsselanhänger in seiner Effektivität den Bitten des Hoteliers überlegen ist, ähnlich wie der Piepton des Sicherheitsgurtes eher dazu beiträgt, die Anschnallpflicht durchzusetzen als Vernunft und Einsicht des einzelnen Autofahrers. Wenn aber selbst Moral als Kategorie nicht mehr im Menschen verwurzelt ist, sondern als Effekt aus materialbasierten Kommunikationszusammenhängen hervorgeht, an denen Menschen beteiligt sind, dann ist auch der Akteur nicht mehr vollständig der, der eine Aussage tätigt. Vielmehr ist er Teil eines (auch sprachlich-kommunikativen) Kontexts, der die Aussage hervorbringt. Mit Blick auf die Ortsbindung der ZAD-Texte bedeutet dies, dass diese – teilweise auch in ihrer medialen Festigkeit – primär in den Operationsketten urbaner Praktiken existieren, „in denen sie technisch wirksam werden“ (Maye 2010:132), und somit ihre (erinnerungs-)kulturelle Sinnstiftung von pragmatischen Diskursbedingungen abhängt: Wo sind die Texte verfügbar? Wie werden sie eingebunden und genutzt? Welche transkriptiven Bezüge garantieren ihre Verständlichkeit? In welchen (auf Zukunft gerichteten) Konstellationen entwickeln sie ihre spezifische Gegenwartsdefinition? Sie folgen wie die Unterwegskommunikation zur Stadtgeschichte vom Städteführer bis zur App, vielleicht nicht direkt den interessegeleiteten Lenkungsabsichten eines Latourschen Hoteliers bzw. Stadtmarketings. Und doch entfalten sie ihre Aufrufe zur Besichtigung, zum Flanieren, zum Staunen

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und Vergleichen in einer Weise, die Akteursbewegung, städtebauliche Materialität und Medien im kulturtechnischen Sinn verkoppelt. Der Foucault’sche Diskursbegriff erscheint schließlich geeignet, diesen Praxiszusammenhang einzufangen und gleichzeitig die zu leistende Verknüpfung zwischen sprachlichen Äußerungen und Praktiken zu konzeptualisieren. Die diskursanalytisch arbeitenden Fächer sind nach Warnkes (2013:99) Einschätzung zu dem Minimalkonsens gelangt, dass der Diskurs nach Foucault als Bündel bzw. Arrangement von Aussagen definiert werden kann, die derselben diskursiven Formation angehören. Das Konzept der diskursiven Formation besitzt aus Sicht der Kulturtechniken einige Vorzüge gegenüber dem Diskursbegriff. Sie bezieht sich auf die produktive Kraft des Diskurses, durch den sich Gegenstände prozessual formieren. In diese Diskursgestaltungen fließen diskursive Praktiken ein, die den Handlungszusammenhang aus Akteuren, Institutionen, Objekten und Aussagen bilden. Methodisch entwickelt Foucault (1981:62ff.) für die Analyse der diskursiven Formation von Gegenständen drei Untersuchungsschwerpunkte: die Oberflächen ihres Auftretens, die Instanzen ihrer Abgrenzung und die Spezifikationsraster, in denen sie organisiert sind und die im Folgenden auf das Konzept der Aussage bezogen werden. Die diskursive Formation besteht nach Foucault zunächst aus textübergreifend auftretenden Aussagen. Kulturlinguistisch sind allerdings von hier aus Verbindungen zu außerdiskursiven Praktiken im Rahmen diverser Dispositivanalysen möglich (vgl. Linke 2015 zum Genderdispositiv in Geburtsanzeigen oder Spieß 2012 zum Dispositiv, das den Diskurs um das Betreuungsgeld mitkonstituiert). Die Behandlung transtextueller Phänomene wie Zitate, Frames, Argumentationsmuster, Sozialsymboliken und indexikalische Ordnungen wird von Warnke/ Spitzmüller (2008:39) als Hauptaufgabe einer allgemeinen linguistischen Diskursanalyse gesehen. Sprache ist in dieser Ordnung des Diskurses für Foucault nur ein möglicher „Stoff“, mit dem sich eine Aussage formiert bzw. der an der Aussagenbildung beteiligt ist. Dabei können nicht nur sprachliche Einheiten Aussagen bilden, sondern auch Graphiken, Tabellen, Wachstumskurven, Alterspyramiden usw. und „was die Sätze anbelangt, von denen sie begleitet werden können, so sind sie die Interpretation oder der Kommentar; sie sind nicht deren Äquivalent“ (Foucault 1981:120).33 Eine Aussage, so Foucault weiter, sei zwar nicht durch rein sprachliche Merkmale zu definieren, was aber nicht den Umkehrschluss erlaubt, dass die sprachliche Gestaltung für die Aussagegestalt keine Rolle spielt. Die raum-zeitlich situierte und (in verschiedenen Modalitä-

33 Zur multimodalen Aussagenkonstitution durch Bild und Legende als Fall von Bildschriftlichkeit vgl. Raible 2012.

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ten) materialisierte Aussage ist nicht allein etwas Materielles, kein stimmlicher oder schriftlicher Akt, kein Resultat34 und erst recht keine Absicht (vgl. Foucault 1981:120f.). Es gibt unterschiedliche Auffassungen dazu, inwiefern auch die Aussage und nicht (nur) – wie in der linguistischen Rezeption der Diskursanalyse – die Äußerung als diskursives Ereignis gefasst werden kann. In jedem Fall aber ist die Zuordnung der Aussage zur Ebene der langue und der Äußerung zur Ebene der parole wohl etwas zu holzschnittartig. Angermüller (2007:61) verweist darauf, dass gerade mit der Aussagenformation kein vorgängiges Gesetz realisiert wird, sondern die Aussage mit Foucault als „Hereinbrechen des Ereignisses (1969:37)“ zu verstehen ist, „das mit vorhergehenden und nachfolgenden Diskurs(f)akten verbunden wird.“ In dieser Formulierung ist m.E. auch die Doppelung von Praxis und Produkt angelegt, als die auch im Folgenden die Aussage verstanden werden soll. Sie besitzt gegenüber der Äußerung den Vorzug, dass in ihr die Bedingung ihrer Hervorbringung und ihre systematische Kookkurrenz mit anderen sprachlichen und nicht-sprachlichen Phänomenen eingeschlossen ist. Die Aussage wird von Foucault als Operation definiert, die im Rücken der Subjekte regelhaft, aber nicht vorhersehbar abläuft. Die Regelhaftigkeit bezieht sich auf die Formationsebenen der Gegenstände, der Begriffe, der Äußerungsmodalität und der Strategien, mit denen sich nicht nur diskursive Gegenstände konstituieren, wie Spieß (2008:240f.) herausstellt, sondern auch Subjektpositionen und Äußerungsorte angezeigt werden. So wird durch eine dynamische Kontextualisierung der Subjektpositionen im Diskurs die Heteronomie des Subjekts vorstellbar, das innerhalb eines Diskurses unterschiedliche Funktionen, Positionen und Rollen einnehmen kann. Die diskurspragmatische Hinwendung zu der Frage der Produktion der Spezifizität, Singularität und Kontingenz der Aussage bedeutet nun nicht, dass sich diskursive Formationen willkürlich bilden und der analytischen Beschreibbarkeit entziehen. Foucault interessiert sich für die „Existenzfunktion“ der Zeichen, die als „gesagte Dinge“ (sic) als Positivitäten des Diskurses fungieren und keine verdrängte, verborgene, vordiskursive Objektivität kennen. Sein Regelbegriff steht damit Wittgenstein, Austin und Grice insofern nahe, als eine Regel erst in ihrer Anwendung als Regel konstituiert wird. Die Anwendung ist niemals eine einfache Wiederholung oder Ausführung; sie verändert die Regel immer auch in einem bestimmten Ausmaß und instituiert sie erst als solche (Maingueneau 1995). (Angermüller 2007:61)

34 Materialisate von Diskurshandlungen bezeichnet Foucault als énoncé (Äußerung). Angermüller (2007:60, Hervorh. i.O.) fasst sie als einen Diskursakt auf, der „den Vollzug seiner énonciation (= Aussage, N.W.) mitträgt und somit, anders als die Sätze der formalen Linguistik, nicht wiederholt werden kann, ohne eine neue Aussage hervorzubringen“.

Kulturelle Bedeutung, kollektives Gedächtnis und Dispositiv 

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Die Regelmäßigkeiten, mit denen Aussagen in situierter Verbindung mit Artefakten und Institutionen in diskursiven Formationen aufscheinen, sind in Spuren niedergelegt, die sich ständig erneuern und funktional anpassen. Dabei entsteht der operative Charakter der Aussage durch ihre besondere Existenzweise im Diskurs. Derselbe Satz kann also unterschiedlich in Funktion gesetzt werden je nach operativem Kontext, in dem er sich durch seine Einbindung in eine diskursive Formation befindet: Die Aussage hat, selbst wenn sie auf ein Nominalsyntagma reduziert ist („Das Boot!“), selbst wenn sie auf einen Eigennamen reduziert wird („Peter!“) nicht dasselbe Verhältnis zu dem, was sie aussagt, wie der Name zu dem, was er bezeichnet oder was er bedeutet. (Foucault 1981:129)

Da die Aussage ihre diskursive Funktion über die Beziehung ihrer einzelnen Elemente/Modi (der Lexik, Syntax, Layout, Bild, Raum und Objektrelation) gewinnt, zielt eine diskurslinguistische Aussagenanalyse auf die Beschreibung der Formation dieser materialisierten sprachlichen Ankerpunkte ab. Zur Ermittlung der Serialität von Aussagen können schließlich verschiedene sprachliche Ebenen zusammengebracht werden, so dass sich aus Merkmalen wie z.B. Modalität, Valenzrealisierung, Nebensatztyp, aber auch Platzierung von Textelementen und Ortsbezug der sprachlichen Mittel bestimmte Diskursfunktionen ableiten lassen. Die Regelhaftigkeiten innerhalb der diskursiven Formationen sind auch auf die Ästhetik ihres Erscheinens (als Ereignis) hin zu befragen, die ihrer Wahrnehmung zugrunde liegen. Denn es geht in einer kulturanalytischen Linguistik (...) nicht nur um regelhafte Vollzüge, sondern um das Zusammenspiel von Ereignis und Routine. Da eine solche Linguistik nicht nur Muster extrahiert, sondern ebenso deren ästhetisches Erscheinen erfasst, ist diese nicht nur verallgemeinernd, sondern ebenfalls individuierend, d.h. sie verfährt gleichermaßen gesetzbildend wie ereignisorientiert. (Metten 2014:439)

Zugleich eröffnet sich mit der Ereignisorientierung ein Zugriff auf die einzelnen sprachlichen Belege innerhalb eines Musters, die wiederum in Verbindung mit anderen Elementen einen Interpretationszusammenhang bilden, der für einen spezifischen kulturellen Kontext Anzeigeleistungen besitzt. Dieser Zusammenhang wird deutlich, wenn man versucht, das Verwobensein von lexikalischen und syntaktischen Merkmalen kontextualisierender Sprachmuster zu beschreiben. Ein im ZAD identifizierbares sprachliches Muster wie [Allein in dieser Nacht wurden/sind NN VVPP (worden)] entwickelt seinen Aussagecharakter einer katastrophischen Spitze des Eisbergs erst durch das Zusammenspiel der Zeitangabe

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

– bestehend aus der PP in dieser Nacht im Vorfeld,35 die durch die Fokuspartikel allein auf ein unbeschreiblich hohes Ausmaß verweist36 – mit dem präteritalen Vorgangspassiv und einem transitiven Verb, das die semantische Komponente ‘zerstören/beenden’ beisteuert. Dass diese Konstellation sprachlicher Mittel auf eine kontextspezifische Aussagenqualität hindeutet, zeigt ein Abgleich mit dem Deutschen Referenzkorpus DeReKo (über Cosmas II): Eine Kookkurrenzanalyse zur Verbindung allein in diese* ergibt, dass der rechtsseitig anschließende nominale Füller Nacht und das in 5-Wort-Umgebung auftretende Passivauxiliar im Präteritum wurden hochfrequent, aber in zwei getrennten syntagmatischen Mustern auftreten, nämlich in der Mehrworteinheit allein in dieser Nacht (Platz 10) und in der musterhaften Phrase [allein in dieser NNZeitraum wurden] (Platz 11). Beide Varianten verleihen der Aussage den globalen Charakter eines Schrecknisses, wobei die Verbindung der topikalisierten Partikel allein mit der PP mit Nacht als Kern (2) interessanterweise keinen musterhaften Passivanschluss aufweist. Der semantische Mehrwert kommt auch mit anderen Zeitlexemen zustande (3), jedoch etwas seltener bei Platzierung der PP in Mittelfeldposition (4), wenngleich mit demselben potenzierenden Effekt im Zusammenhang mit argumentativ stützenden Zahlen. Die Dunkelmetaphorik des Substantivs Nacht steuert möglicherweise zusätzlich die kulturelle Komponente des Unheilvollen bei. Diese Konnotation fehlt in vielen Belegen für das zweite im DeReKo ermittelte Muster. In den nominalen Slot treten verschiedene Zeitraumbezeichnungen ein und es wird das Staunenswerte profiliert (5). Es kann aber auch auf sehr erfreuliche Sachverhalte Bezug genommen werden (6). (2) Allein in dieser Nacht sollen 30 000 Menschen gestorben sein. (Hamburger Morgenpost, 24.07.2013, S. 24) (3) Allein in dieser Woche wurden landesweit bei Anschlägen mindestens 40 Polizisten getötet. (NZZ am Sonntag, 05.12.2004, S. 9) (4) Unbekannte beschädigten allein in dieser Nacht 31 Ruhestätten. (Rhein-Zeitung, 20.06.2007) (5) Mehr als zehn neue Dörfer (= Feriendörfer, Anm. N.W.) wurden allein in dieser Saison eröffnet. (Nürnberger Nachrichten, 17.1.2009) (6) Zehn Erdenbürger wurden allein in dieser Woche wieder begrüßt. (Nordkurier, 24.07.2004)

35 Mit anderen Zeitraumbezeichnungen (allein in dieser Woche/Saison oder allein in diesem Monat/Jahr) fällt dieser semantische Effekt geringer aus. 36 Außerhalb des Musters liegen Verwendungen von allein als Adverb: „Sie essen, trinken, singen, erzählen, hören zu – und sie sind nicht allein in dieser hochheiligen Nacht.“ (RheinZeitung, 24.12.2005)

Musterbildung und Kontextualisierung 

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Die Belege verdeutlichen, dass Musterbildung auf verschiedenen sprachlichen Ebenen zugleich (Konnotation/Metapher, fokussierte Phrasen, Stellung im Satz, Genus verbi) für das Zustandekommen einer Aussage im Foucault’schen Sinne verantwortlich ist. Die Funktion der Aussage ist für Diskursformationen innerhalb einer Praxis der kollektiven Vergangenheitsbewältigung relevant. Die Aussage entsteht damit nicht getrennt vom Ort ihrer Produktion und Wirksamkeit, vom städtischen Raum, seiner Aneignung und der Kommunikation in ihm und über ihn. Wenn die Aussage als komplexer und sequenziell geordneter Äußerungsfall in der diskursiven Formation erscheint, wirft dies die Frage auf, wie viel von ihrer Musterhaftigkeit in den Blick kommen muss, um Musterhaftigkeit innerhalb einer diskursiven Formation überhaupt festzustellen. In Anlehnung an die Kontextualisierungstheorie ist davon auszugehen, dass sich auch in der Konstellation einiger oberflächengrammatischer Merkmale sozialer Sinn als Kontext etablieren kann, da alle Kontextualisierungsmerkmale grundsätzlich überdeterminiert sind, d.h. Signalisierungsmöglichkeiten in verschiedenen Feldern aufweisen (Genres, Themen, institutionelle Kontexte etc.). Wird Überdeterminierung in Anlehnung an Freuds Analyse der Traumsymbolik als Ergebnis einer Verdichtung aufgefasst (vgl. Freud 2000/1900:293), so ist die überdeterminierte sprachliche Einheit in verschiedenen Bedeutungsregistern verankert, die jedoch – anders als in der psychoanalytischen Lesart – nicht allesamt unbewusst oder Produkte von Verdrängungen sind. Die Bildung verweist auf mannigfache unbewußte Elemente, die sich in verschiedenen Bedeutungsreihen anordnen, von denen jede auf einem bestimmten Deutungsniveau ihren eigenen Zusammenhang hat. (Laplanche/Pontalis 1972:544)

Zwar sind nicht alle Deutungen ebenso mannigfaltig, wie sie in der Analyse von Träumen oder neurotischen Symptomen im Rahmen der Metapsychologie vorgeführt werden. Wie sich in den Auswertungskapiteln ergeben wird, sind Kontextualisierungsmerkmale insofern überdeterminiert, als sie beispielsweise zugleich Füllwerte für ein Frame-Element (z.B. Flammen als Ursache der Zerstörung) sowie Knotenpunkt einer Kollokation (fressende Flammen, den Flammen zum Opfer fallen) sein können und dabei ggf. in einer diskurstypischen Metaphorik verwurzelt sind (Feuermetaphern).

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

2.3 Musterbildung und Kontextualisierung Der sprach- und kulturwissenschaftliche Musterbegriff ist schillernd. Er wird auf ganz unterschiedliche Zeichenphänomene angewandt, die sich grob sortieren lassen in kulturell-pragmatische Muster (Kulturlinguistik), Text- und Argumentationsmuster (Text-/Diskurslinguistik), oberflächenbezogene Muster (Korpuslinguistik) und schemabasierte Deutungsmuster (Framesemantik). Muster kommen in einer gebrauchsorientieren Sicht auf Sprache in besonderer Weise in den Blick, weil hier Rekurrenz als Voraussetzung für die (gebrauchsbezogene wie analytische) Stabilisierung sprachlicher Phänomene aller Art erscheint. Feilke (2007:65) hebt mit dem berühmten Diktum Hermann Pauls von 1880, „(e)rst wo Sprechen und Verstehen auf Reproduktion beruht, ist Sprache da“, hervor, dass sprachliche Ausdrucksmittel pragmatisch fundiert sind und erst durch ihre wiederholte Verwendung in spezifischen Kontexten verfügbar werden. Bei der Musterbeschreibung bleibt in vielen linguistischen Theoriekontexten unklar, welches die Voraussetzungen sind, die ein Muster sichtbar „machen“: Ist es die Wahrnehmung der Schriftgestalt bzw. Lautform? Ist es die Datenauswahl im Zusammenspiel mit einem Auswahlalgorithmus? Hängt das Mustererkennen von der Visualisierung ab? Oder wirken all diese Faktoren zusammen und wenn ja, wie? Vielleicht ist den unterschiedlichen Verwendungen des Musterbegriffs nicht mehr gemein, als dass alle Definitionen auf der Annahme kombinierter Merkmale beruhen. Die Kombination kann für eine bestimmte sprachliche Handlung kennzeichnend sein (Sprachhandlungsmuster). Sie kann die Gleichheit der Sprachmittel voraussetzen (musterhafter Gebrauch von Wertadjektiven) oder ganz unterschiedliche Merkmale (von Sprachmitteln über das Medium bis zum Anbringungsort) umfassen wie bei der Charakterisierung von Textsorten (vgl. Hausendorf/Kesselheim 2008:29). Dass in dieser Vagheit weniger ein Manko der mit Text und Diskurs befassten Begriffsarbeit zu sehen ist als vielmehr eine epistemologische Stärke, soll der vorliegende Abschnitt anhand verschiedener Szenarien von Musterbildung demonstrieren. Als zentralen Aspekt von Musterbildung möchte ich aus Sicht einer kulturlinguistisch inspirierten Diskursgrammatik dabei die Entstehung von pragmatisch-diskursivem Mehrwert durch (semantische) Abstraktion in den Blick nehmen. Ziel des folgenden Abschnitts ist es, diese Musterauffassung mit den konversationsanalytischen Grundannahmen zur Hinweisstruktur von Kontextualisierungsmerkmalen zusammenzubringen. In einem ersten Zugang zur Mustererkennung möchte ich anhand der kartografischen Metaphorik die These erläutern, dass Mustererkennung nicht nur von Ausschnitten und Granularitäten abhängig ist, sondern auch von der Funktion, nach der gesucht wird. Dafür ziehe ich einen digital nachgezeichneten Kartenausschnitt mit Gebirgslandschaft und See heran (vgl. Abb. 3). Die topografische Impression deutet ver-

Musterbildung und Kontextualisierung 

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schiedene Geländeformen an, die beim (Rad-)Wandern einen Eindruck von der Steigung und der Beschaffenheit der Wege vermitteln.

Abb. 3: Nachgezeichneter Kartenausschnitt mit Gebirgslandschaft und See

Der Ausschnitt zeigt, dass die Verkehrswege entlang des Sees und durch die Täler hindurchführen, wo sie teilweise ein dichtes verschlungenes Netz serpentinenförmiger Straßen ausbilden, das bis auf den Berg hinaufreicht.37 Die Seilbahn schlägt ungefähr bis zur Bildmitte eine gerade Schneise durch den bewaldeten Berghang. Es ergibt sich ein kookkurrentes Nebeneinander aus See und breiter Straße, eine Abhängigkeit zwischen Straßenform (gerade/geschlängelt) und Steigung, aber auch ein (klimabedingter) Zusammenhang zwischen Gebirgshöhe und Schneegrenze bzw. Baumbestand mit einer sichtbaren Waldgrenze. Die Art der musterbildenden Elemente und damit die Gründe für die Musterbildung sind jeweils ganz unterschiedliche, teils natur- und teils z.B. verkehrsbedingt. Dadurch aber dass die Elemente in einem kohärenten Darstellungsformat zusammengeführt werden, ergeben sich komplexe Muster aus verschiedenen Zugängen, Ballungen und Geflechten rund um den See, die metaphorisch als Verkehrsnetz oder Verkehrsadern mit dem See im Herzen des dünn besiedelten Erholungsgebietes konzeptualisiert werden können. Das Beispiel zeigt die Unentwirrbarkeit der verschiedenen Arten von Primärdaten (Berge, Wald, Straßen, Seilbahn) mit dem Darstellungsformat und seiner Perspektive (Vogelperspektive) als epistemologischem Filter, dem wiederum kartografische Konventionen und Entscheidungen für ästhetische Gestaltungen zugrunde liegen. Aus diesem Grund ist ein multiperspektivischer Zugang

37 Die Idee zu dieser kartografischen Modellierung stammt von Imo (2011:129ff.), der sich dabei auf die Granularitätstheorie von Bittner/Smith 2001 bezieht, in der durch Satellitenfotos benachbarter Berge unscharfe Grenzen zwischen sprachlichen Kategorien veranschaulicht werden.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

zur (digitalen) Mustererkennung immer schon präferiert, der das Situierte und das Situierende in ihren Überlagerungen beschreibt, d.h. bezogen auf Sprache Wörter und Wortverbindungen, aber auch Argumentstrukturen, Valenzrahmen, textorganisierende bzw. kohärenzbildende Faktoren ebenso wie die physischen und institutionellen Einbindungen des Sprechens und Schreibens berücksichtigt (vgl. Imo 2015:573). Diese über die Regeln einer Einzelsprache nicht erklärbare Musterbildung beschreibt ein kulturlinguistischer Musterbegriff, der Muster als soziokulturelle Resultate diskursiven Handelns, weniger aber als Folge von Sachzwängen und intentionalen Stilentscheidungen begreift. In ihrem Entwurf einer Sprachgebrauchsanalyse als Kulturanalyse erläutert Linke (2011:28) für unterschiedliche sprachliche Phänomene von der Intonation bis zur Lexik, dass die Wahlen bestimmter Ausdrucksweisen, d.h. das subjektive, aber nicht individuell unterschiedliche Gefallen an Formulierungen, einen Mehrwert erzeugt, der Vielfältiges signalisieren kann: Höflichkeit, Stimmungen, soziale Zugehörigkeit, Solidarität/Abgrenzung etc. Die Entdeckung sprachlicher Muster kann in diesem Sinne auf kulturelle Phänomene und Veränderungen aufmerksam machen (vgl. Linke 2011:40), wobei wiederum, wie Conradi/Ecker/Eke/Muhle (2014:13) für die Verschränkung von Schemata und Praktiken festhalten, die epistemologische Frage aufscheint, ob emergente Phänomene aus gewonnenen Daten herausgelesen werden, nur in der Wahrnehmung der BeobachterInnen entstehen oder letztlich Artefakte der spezifischen Repräsentationssysteme darstellen.

Während Muster auf der sprachlichen Oberfläche über Frequenzeffekte sichtbar werden, sind Praktiken zugleich – mit unterschiedlichen Gewichtungen – auf zwei Seiten zu verorten: im Sprachgebrauch bzw. sprachlichen Handeln und im sozialen Kontext, der zugleich sprachlich hergestellt wird. Musterhafter Sprachgebrauch wirkt als Ausdruck sprachlichen Handels kontextualisierend, d.h. korpuslinguistisch gewendet, Sprachgebrauchsmuster sind Ausdruck sozialen Handelns und bestimmte Sprachgebrauchsmuster können deshalb als Indikatoren für bestimmtes soziales Handeln gelesen werden. (Bubenhofer 2009:53)

Wenn Musterhaftigkeit nachträglich und in Abhängigkeit von Darstellungsformen, Annotationen und Korpuswahl gefunden wird, ist die Frage der Signifikanz keine rein statistische, sondern eine zu großen Teilen genuin hermeneutische, da ein interpretierender Zugang zu den Ergebnissen der digitalen Auswertung kulturanalytisch signifikante Muster auf doppelte Weise bestimmt: über die Wahl der statistischen Ermittlungsverfahren und über die Auswahl sprachlicher Einheiten,

Musterbildung und Kontextualisierung 

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die als Teil eines größeren Schemas, d.h. als Kontextualisierungshinweis für Gattungen, Diskurse oder Akteursrollen aufgefasst werden. Die Herstellung dieses „Symbolnetzes“ (Cassirer) oder „Bedeutungsgewebes“ (Geertz) ist nach Tienken (2015:466f.) durch eine indexikalische Ordnung vermittelt, die sie für ihre kulturlinguistische Musterdefinition aus ethnomethodologischen Prämissen herleitet: Zeichentheoretisch relevant ist dabei Garfinkels (1967) Indexikalitätskonzept, in dem das Potential sprachlicher Zeichen fokussiert wird, den Kontext sozialer Wertungen, von Interaktionsrollen oder Lebensweisen aufzurufen. Ähnlich wie der Ethnomethodologie geht es der kulturanalytischen Linguistik um die Beschreibung der Herstellung sozialen Sinns sowie darum, diesen Sinngebungsprozess auch theoretisch zu erklären. (Tienken 2015:467)

Methodisch identifiziert Tienken (2015:470f.) in Anlehnung an Garfinkels Theorie der Kontextherstellung zwei Verfahren zur Mustererkennung in Texten, und zwar Kontrastivität und Serialität, die sie auf der Ebene der Teilnehmerwahrnehmung verortet, und die mitunter erst über korpuslinguistische Berechnungen in Erscheinung treten. Welche sprachlichen Merkmale in welcher Reichweite zu einem „‚Verweisungsganzen‘“ (Tienken 2015:471) relationiert werden, wird exemplarisch an so unterschiedlichen Beispielen veranschaulicht wie Gattungen mit ihren verschiedenen Gattungsmerkmalen, die nicht nur sprachliche Phänomene umfassen, dem Sprachhandlungsmuster des Begrüßens und Verabschiedens sowie der wertend-moralisierenden Ausdrucksbildung in Diskursen durch z.B. Komposita wie Sozialtourismus. Aus dem Dargelegten ergibt sich m.E. ein dreifacher Klärungsbedarf für den Begriff „Kontext“ in der korpuslinguistisch und kulturanalytisch fundierten Diskursgrammatik: 1. Auf welchen Ebenen entsteht Kontext, wenn er der Wahrnehmung klar assoziierter Muster und ihrer (festen) Bezeichnungen (für eine Gattung, ein Thema, eine Diskursposition etc.) entzogen ist? 2. Wodurch sind kontextindizierende Merkmale verknüpft (Frequenz, Wiederholung, Abstraktion, Adjazenz, Kohärenzbildung, Situierung) und inwiefern ist ihre Verknüpfung Voraussetzung für die Herausbildung übersummativer (= kultureller) Bedeutungen? 3. Welche Verbindung besitzen Kontextualisierungshinweise zu ihrem symbolischen und materiellen „Grund“, der Arbitrarität im Sinne der Soziabilität grammatischer und lexikalischer Phänomene? Anders gefragt: Entfalten sie Bedeutungspotential durch ihr regelmäßiges Auftreten in Praxiszusammenhängen oder außerdem durch ihre Beschaffenheit? Insbesondere grammatische Phänomene stellen durch ihre Unauffälligkeit eine methodische Herausforderung für die Korpuslinguistik dar. Tienken (2015:481) plädiert auch bei einer primär syntaktisch ausgerichteten Analyse im Rahmen

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

kulturlinguistischer Fragestellungen klar für eine interaktionslinguistische und gesprächsanalytische Methodenfundierung: Tendenziell lässt sich sagen, dass sich textuelle, lexikalische oder morphologische Muster leichter identifizieren, erfassen und deuten lassen als beispielsweise prosodische oder syntaktische Musterbildungen. Aus diesem Grund wäre es sinnvoll zu untersuchen, inwiefern Ergebnisse und Methodik der Kognitionswissenschaften für kulturanalytische Linguistik relevant sein können. Innerhalb der Linguistik sind es vor allem die Konstruktionsgrammatik, die Interaktionslinguistik und die Gesprächsanalyse, die nach den Möglichkeiten von Erfassung und Deutung dieser weniger auffälligen musterhaften Erscheinungen zu befragen wären.

Über das Konzept der Indexikalität ist die bis hierhin entworfene Diskursgrammatik an eine für die Analyse von Gesprächen entwickelte Kontextualisierungstheorie anschlussfähig. Gesprächsbeiträge sind dadurch kontextualisiert, dass Gesprächsbeteiligte einander (z.B. durch prosodische und gestische Mittel) anzeigen, wie ihre Äußerung aufgefasst werden soll: „the semiotic resources employed are crucial in order to create the proper context, in which the verbal message is to be understood.“ (Auer 1992:4, Hervorh. i.O.) Beispielsweise kann durch den Wechsel der Stimmlage, des Sprechtempos oder des Stilregisters ein Äußerungsabschnitt als Ironie, als wörtliches Zitat oder als Anlass für eine Empörung verfügbar gemacht werden. Diese produzentenseitige Leistung (accomplishment) verschränkt sich im Gespräch mit einer Rezeptionsleistung, in der ein angezeigter Interpretationsrahmen erschlossen wird. Da diese Kontextherstellung auf Schlussprozessen beruht, behandelt Gumperz Kontextualisierungsverfahren innerhalb des Theorierahmens der konversationellen Inferenz. Mithilfe von Kontextualisierungsverfahren werden verschiedene sprachliche Hinweise mit verstehensrelevanten Schemata in Verbindung gebracht, wobei keiner dieser Kontextualisierungshinweise eine inhärente symbolische Bedeutung besitzt (vgl. Auer 1986:26). Für die Schlussprozesse, die auf der Basis kookkurrenter Kontextualisierungshinweise vollzogen werden, greifen Interaktionsteilnehmer auf erfahrungsbasierte Wissensstrukturen zurück, die u.a. in der Framesemantik schematisch beschrieben werden (vgl. Beckers 2012:76ff.). Die Kontextualisierungstheorie betont hierbei die kollaborative Konstruktion des verstehensrelevanten Wissens, das nicht einfach als common ground aktiviert, sondern in einem weiter gefassten „Prozeß der interaktiven Konstitution sozialer Ordnung“ (Schmitt 1993:351) hergestellt wird. Gesprächsteilnehmer signalisieren einander wechselseitig, worüber sie sprechen, wann sie das Rederecht abgeben möchten, wie sie zueinander stehen usw. Ihre Äußerungen sind janusköpfig: Mit jedem Turn ratifizieren sie Kontextualisierungshinweise und gestalten zugleich neue. Kontextualisierungsverfahren lassen sich im Sinne der gesprächsanaly-

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tischen Display-Methodik – d.h. der Annahme, dass sich Gesprächsteilnehmer gegenseitig anzeigen, wie ihr Beitrag aufzufassen ist – aus den Untersuchungsdaten belegen, indem Indikatoren für die interaktive Ratifizierung von Kontextualisierungshinweisen präsentiert werden. In der Korpuspragmatik kann eine Konstruktion dann als Indikator für habituelle Kontextualisierungsverfahren gelten, wenn sie als Serie in ähnlichen Kontexten eruiert wird. Auffindbar werden serielle Konstruktionen relativ zu Kontexten durch die Analyse bedingter Häufigkeiten in durch Kontextparameter definierten Vergleichskorpora. (Müller 2012:75)

Korpuspragmatische Methoden eröffnen vielfältige Möglichkeiten für die Anwendung der Kontextualisierungstheorie auf schriftliche Diskurse, in denen die transtextuelle Wiederholung und Serialisierung ein sprachliches Phänomen als diskursspezifisches Kontextualisierungsmerkmal ausweisen kann. Für die Lektüren vor Ort sind als Ratifizierungen auch Anschlusshandlungen in Form von Körpertechniken denkbar, die in der Ausrichtung des Blicks oder in der Bewegung durch den Raum bestehen. In geschriebenen Texten treten medial andere und vielfältige Ressourcen zur Kontextualisierung auf. Während in der interaktiven Schriftlichkeit, z.B. in E-Mails, Chatprotokollen oder Forenthreads, graphostilistische und schriftbildliche Gestaltungen, Bilder und Emoticons genutzt werden, deren Ausdrucksqualität, wenn auch nicht äquivalent, so doch vergleichbar ist mit paraverbalen Zeichen, ergeben sich in massenmedialen Texten, Fachtexten oder institutionellen Broschüren Signalisierungsquellen auf sprachlichen und auf schriftbildlichen Ebenen. In der Auer’schen Rezeption der Kontextualisierungstheorie sind die Ressourcen für Kontextualisierungen zunächst auf Varietäten- und Stilvariation, Prosodie und Gestik, Blickverhalten und Hörersignale (backchanneling) begrenzt.38 Bereits Gumperz 1992 nennt darüber hinaus die Wahl lexikalischer Mittel wie formelhafte Ausdrücke für Eröffnungs- und Beendigungsroutinen und metaphorische Ausdrücke.39

38 Vgl. Schmitt 1993:347. Zu den parasprachlichen Kontextualisierungsmitteln der Face-to-FaceKommunikation zählt Beckers (2012:167) außerdem Tempo, Pausierung, Verzögerung, Unterbrechung, Überlappungen und den tone of voice. 39 In einer Darstellung von Beckers 2012:168. Busse (2007:88) weitet die indexikalische Zeichendimension sprachlicher Symbole für eine allgemeinere verstehenstheoretische Semantik auf semantisch-funktionale Kontextualisierungen von Wörtern aus, die nicht nur in Syntagmen, sondern auch in Wortfelder, Prädikations- und Wissensrahmen eingebettet sind. Für diese Musterbildung oder Schematisierung auf semantischer Seite soll in dieser Arbeit der Framebegriff vorbehalten sein. Zum Kontextualisierungsbegriff, der auf Konzepten als semantischer Kategori-

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Als erste Eigenschaft von Kontextualisierungsweisen gibt Auer ihr redundantes und kookkurrentes Auftreten an. Dabei sind Ressourcenüberlappungen in multimodal angelegten Gesprächen die Regel, d.h. die scherzhafte Rahmung einer mündlichen Erzählung wird nicht allein durch ironisches Sprechen oder Lachpartikeln, sondern zusätzlich durch eine hyperbolische Ausdrucksweise sowie eine begleitende gestisch-mimische Inszenierung angezeigt. Darüber hinaus haben Kontextualisierungshinweise nicht-referentiellen Charakter. Sie gewinnen somit keinen Konstruktionsstatus, da die Bedeutung von Stilregistern, Dialekten, Phraseologismen, redebegleitenden Hand- oder Kopfbewegungen bzw. bildlichen oder typografischen Gestaltungen nicht fix ist. Dies führt zur dritten und zentralen Eigenschaft der Kontextualisierungshinweise, Kontraste aufzubauen. Sie kann die Sprachwahl und Lexik ebenso betreffen wie Prosodie oder Stimmführung. Viele Kontextualisierungshinweise gewinnen eine Doppelfunktion: Sie machen auf einen Wechsel der Deutungsmodalität aufmerksam und steuern zugleich neue Bedeutungsaspekte bei. Diese können je nach Beschaffenheit des Kontextualisierungshinweises konventionalisiert (arbiträr) sein wie die Daumen-hoch-Geste oder natürlich (nicht arbiträr) wie das Blickverhalten, wenngleich auch hierbei kulturelle Konventionen zur Vermittlung „einspringen“. Immer jedoch besteht die Möglichkeit, dass Kontextualisierungshinweise ikonisch wirken und nicht absichtsvoll gesendet, aber gedeutet werden, so kann eine nervöse Verfassung durch eine sich überschlagende Stimme angezeigt oder in Erzählungen simulativ eingesetzt werden. Schließlich führt Auer (1992:34) das doppelte Zeigen auf den Kontext durch einen einzelnen Hinweis als fünfte Eigenschaft an, die mit Blick auf die kontextualisierende Musterbildung von Interesse ist. Als Beispiel nennt Auer die Arzt-Patienten-Kommunikation, in der beide soziale Rollen zwar institutionell vordefiniert sind (context brought along), aber im Gespräch bestätigt und damit dynamisch hervorgebracht werden (context brought about). Kennzeichnend ist u.a. die über das Turn-Taking hergestellte asymmetrische Beziehung: Die Möglichkeit der Selbstwahl durch den Patienten gegenüber dem Arzt unterliegt Einschränkungen. Das Rollenverhalten regelt auf Gesprächsebene auch die Zuweisung der Sprecherrolle, z.B. durch das Frage-Antwort-Paar. Handelt es sich bei den vordefinierten Kontextelementen um solche der materiellen Umgebung, geht das zweigliedrige Schema jedoch m.E. nicht mehr ganz auf: Die Materialität der räumlichen Umgebung ist nicht per se im Zuge des Gesprächs pragmatisiert. Man denke an die Wirkung von zerstörter Architektur, die, wenn sie gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden ist, nur in der Verbindung mit weiteren erinnerungskul-

sierung von Kontexten beruht, vgl. außerdem Kämper 2012:35.

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turellen Medien thematisierbar ist. Ihre Bedeutung wird nicht nur im Gespräch hergestellt. Die Bauten enthalten Elemente kultureller stilistischer Rahmungen, die diskursiv vorgeprägt sind und als Agenten des brought along für die Interaktion relevant gemacht werden können (durch körperliches Einwirken, gestischen Verweis, Bezeichnung, Lektüren usw.). Das methodische Prinzip der Kontrastivität (vgl. auch Tienken 2015) ist an das vorliegende diskursgrammatische Projekt angepasst: Kontraste werden dabei nicht über außersprachliche oder ethnokategorielle Einordnungen wie Textsorten oder Akteure „erzeugt“, um dann in einem zweiten Schritt die sprachliche Musterbildung in jeder Gruppierung zu vergleichen. Vielmehr wird eine dispositive Brechung des Diskurses über verschiedene Medien, Orte und Akteursgruppen hinweg vorausgesetzt, so dass umgekehrt die ermittelte Form den Ausgangspunkt für einen Abgleich der Metadaten bildet. Ermittelt wird so die Situiertheit der betrachteten sprachlichen Einheit in ihrer spezifischen Verwendung innerhalb eines thematischen (erinnerungskulturellen, politischen, massenmedialen, ...) Diskurses. Vom einzelnen Kontextualisierungselement ausgehend entsteht eine musterhafte Verknüpfung verschiedener Kontextschichten, die Müller (2012:48ff.) im Zwiebelmodell der Kontextualisierung mit verschiedenen Kontextdimensionen um eine Fokuskonstruktion herum anordnet. Alle genannten Kontexte werden als und über Diskurszusammenhänge konstituiert („Diskurs“ hier wieder im weiten Sinne nach van Dijk, s. o.). Zum Beispiel kann eine Fokuskonstruktion (z.B. Verantwortung für x), (sic) das berichtende Textmuster mündlicher Distanzsprache, den situativen Kontext „parlamentarische Anhörung“, die soziale Sprecherrolle „Jurist“ sowie den thematischen Kontext „Transplantationsmedizin“ indizieren. (Müller 2012:50)

Der signalisierte Kontext erscheint m.E. darüber hinaus als komplexe Konstellation, in der nicht nur die jeweils herausgegriffene einzelne Konstruktion, sondern auch ihre kotextuelle Einbettung einen soziokommunikativen Kontext indiziert. Die signalisierenden Einheiten bilden ausgehend von einer mehr oder weniger exponierten Fokuskonstruktion eine musterhafte Ausdrucksgestalt. Der Saussure’sche Balken verläuft somit zwischen Kotext und Kontext, zwischen dem gesamten Oberflächenmuster und den Kontextdimensionen der jeweiligen Handlungs-, Gesellschafts- und Wissensdomäne. Wie lässt sich in ein solches Kontextualisierungsprofil der Gedanke einer kookkurrenten, Redundanz erzeugenden Konstellation aus Kontextualisierungshinweisen einfügen, die ganz unterschiedlichen sprachlichen und gestalterischen Ressourcen entspringen? Sprachhandlung und interaktiver, d.h. trans- und intertextueller Kontextaufbau sind aus der Perspektive der Kontextualisierung zu einem Prozess fusioniert

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(vgl. Beckers 2012:152), der mit einer materiellen Zeichenkonfiguration indexikalisch verbunden ist. Dieser Prozess ist m.E. sowohl auf der Ebene der flächigen Textgestaltung als auch intertextuell zwischen Texten manifest. Analog zu Prosodie und Gestik stellen für Texte zudem Typografie (Spitzmüller 2013) und Layout (Steinseifer 2011) Ressourcen für Kontextualisierungshinweise bereit. Auch liegen Besonderheiten für die Wechsel auf Stil- und Varietätenebene vor. Mit orthografischen und graphostilistischen Varianten entstehen zudem mehrfachadressierte Formen, die Anspielungen an die vielfältigen Traditionen interaktiver und monologischer Schriftkultur enthalten. Neben dem materiellen Bezug innerhalb des Textdokuments und dem Bezug auf andere Texte können nicht zuletzt diachron Konnexionen in der Entwicklung von Makromustern (Gattungen etc.) entstehen. Mit Blick auf die Herausbildung fachsprachlicher Stile hat Schuster (2010:105f.) Kontextualisierung als Mittel der Kontextfortbildung beschrieben. Diese umfasst die Selektion und Kombination bereits bestehender Lexeme, Kollokationen und Phraseologismen, um im psychiatrischen Diskurs u.a. Befindlichkeiten zu versprachlichen. Mit ihren intertextuellen Bezugnahmen auf Formulierungsroutinen der Anthropologie oder Naturphilosophie ähnelt die Kontextfortbildung einem transkriptiven Prozess, in dem ein Diskursobjekt, z.B. eine psychische Krankheit, in der Sprache der modernen Psychiatrie diagnostisch gefasst wird (vgl. Schuster 2010:440f.). Der sich herausbildende Kontext besteht in diesem Fall aus institutionalisierten ärztlichen Praktiken. Die Stilmischungen der Geschichtsgebrauchstexte hingegen, in die Alltagsdiskurse ebenso wie Historiker- und Architekturdiskurse einfließen, münden weniger in ein eigenes erinnerungskulturelles Stilregister. Ihr Prozessieren ist verwoben mit Darstellungsweisen verschiedener Alltagskulturen. Überdies ist mit den diskursgrammatischen Signalisierungsformen eine stilistisch eher unauffällige Ressource angesprochen, die sich auf recht unterschiedliche Weise in einer konkreten kommunikativen Funktion (erinnern, mahnen, erzählen, beschreiben, Zusammenhänge stiften etc.) kristallisiert. Die diskursgrammatische Analyse kann sich den sprachlichen Konfigurationen – so hier entfaltete grammatiktheoretische Grundverständnis – aus verschiedenen Richtungen nähern, immer aber sind Relationen zu anderen Einheiten zu prüfen. Dies ruft ein breites Spektrum grammatischer Verknüpfungsformen auf. Es können Einheiten in ihrer spezifischen syntaktischen Funktion, z.B. als Subjekt in bestimmten Sprachhandlungen, untersucht werden, es können ebenso musterhafte Füller innerhalb von Nominalgruppen ausgewertet werden. Die vorliegende Untersuchung richtet die Aufmerksamkeit insbesondere auf Tempus, Modus und aspektuelle Differenzierungen, die innerhalb ausgewählter Verbalkomplexe, Komplementsätze etc. auftreten. Auf diese Weise ergeben sich diskursspezifische Kontextualisierungsprofile, die dann musterhaft sind, wenn

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sie eine kommunikative Aufgabe im Diskurs erfüllen, die pragmatisch betrachtet mit einer übersummativen Bedeutung korrespondiert. Ein Zeichenkomplex kann als Muster verwendet werden, sobald er für einen Diskurs funktional ist. In diesem Sinne werden Muster als Muster erkannt (vgl. Bubenhofer 2009:24), ganz ähnlich wie Zeichen zu Zeichen werden in dem Moment, wo sie im Diskurs eine (arbiträre) Bedeutung gewinnen. Der Entscheidung, ob ein Zeichenkomplex als Muster fungiert, geht immer eine interpretierende Einordnung voraus: Eine Konfiguration aus Kontextualisierungshinweisen ist nur dann musterhaft, wenn sie in irgendeiner Hinsicht als funktional für einen Diskurs(-ausschnitt) beschrieben werden kann. Unter welchen Bedingungen ein Zeichenkomplex als Muster wahrgenommen werden kann, entscheidet sich über Auswahl und Qualität der Daten, in gleichem Maße aber über die Anreicherung der Daten mit Annotationen und die Wahl der digitalen Auswertungsmethode mit den dahinterliegenden Algorithmen. Als methodische Begründung für Musterhaftigkeit reicht, wie oben argumentiert, die Frequenz einzelner Konstruktionen nicht aus, denn „nicht alles, was diskurslinguistisch relevant ist, ist in einem Korpus frequent“ (Bubenhofer/Scharloth 2013:109). Frequenz ist in der diskurslinguistischen Methodologie immer auf musterhafte Umgebungsfaktoren zu beziehen, durch die sich u.a. statistisch signifikante Korrelationen ergeben. Frequenz muss aber auch mit Bezug auf die Dispersion sprachlicher Einheiten beurteilt werden (vgl. Perkuhn/Keibel/ Kupietz 2012:94f.). Als Dispersion wird die Verteilung eines Wortes oder einer Konstruktion im Korpus bezeichnet. Mit der Art der Verteilung entscheidet sich, ob Typizität innerhalb eines Textes, eines Korpussegments oder eines ganzen Diskursausschnitts vorliegt. Neben den Dispersionswerten gibt es eine Reihe weiterer statistischer Maße, die als Indikatoren für kontextualisierende Sprachmittel fungieren. Statistische Auffälligkeit basiert nach Bubenhofer (2009:116) auf Frequenzeffekten sowie auf mit gängigen Verfahren festgestellten Signifikanzen. Von der statistischen Auffälligkeit lässt sich der Bogen zur Distribution und Clusterbildung sprachlicher Elemente schlagen. In einem statistischen Sinn sind Wortkombinationen in einer Diskursdomäne musterhaft, wenn sie häufig im selben Kotext auftreten oder wenn die Einheiten überzufällig aufeinandertreffen und die Nullhypothese ihres gemeinsamen Erscheinens verworfen werden muss. In vielen Ansätzen ist aber die Bezugsgröße die syntagmatische Verknüpfung innerhalb eines Satzes. Der satzbezogene Rahmen wird durch die Auffassung musterrelevanter Kontextualisierungshinweise überschritten. Hierbei spielen grammatische Beziehungen über die Satzebene hinaus eine Rolle, wichtig sind aber auch solche Verfestigungen, die im Diskurs aufgrund syntaktischer Besonderheiten und anderer Herausstellungen Salienz gewinnen (vgl. Pfänder et al. 2013:24).

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Die Auftretenshäufigkeit sprachlicher Einheiten gibt in jedem Fall einen ersten Impuls, um die exakte Gestalt des ggf. kontextualisierenden Sprachphänomens zu ermitteln. Ferner lässt sich die Redundanz als Überlagerung funktionaler Qualitäten operationalisieren. Redundante Elemente weisen eine ähnliche oder sich wechselseitig verstärkende funktionale Qualität auf, die sich u.U. zu einer Gesamtperspektive auf einen Gegenstand verbindet. Denkbar sind weiterhin integrative Phänomene in Form von syntaktischer Kohärenz, Framekombinationen oder kookkurrenten epistemischen Markern. Ohnehin erscheint aus Schriftperspektive Kookkurrenz, wenigstens bestimmte Formen kookkurrenter Einheiten, eine Spielart dessen zu sein, was auf der Ebene der Mündlichkeit als Redundanz beschrieben wird, so dass das, was häufig zusammenauftritt, im Sinne eines übergeordneten Musters weniger Verarbeitungsaufwand erfordert und somit als holistische Gestalt wahrgenommen werden kann. Für ein die Satzgrenze übersteigendendes Geflecht aus deiktischen, valenziell o.ä. verknüpften sprachlichen Einheiten wird im Folgenden der Ausdruck Kontextualisierungsprofil (K-Profil) gewählt. Das K-Profil enthält eine Reihe von Kontextualisierungshinweisen, von denen einige bezogen auf Zeitphasen, Gattungen oder Medien musterhaft miteinander auftreten.40 Ähnlich wie das Kookkurrenzprofil im Korpusmanagementsystem Cosmas II umfasst das K-Profil statistisch relevante Verbindungen zwischen Wörtern, die zu syntagmatischen Mustern (für Kookkurrenzen zu den Suchausdrücken im DeReKo) kombiniert werden können.41 Es stiftet über Konnektoren, Valenzforderungen, deiktische Mittel oder multimodale Vektoren über die Satzgrenze hinausgehende Verknüpfungen. In ähnlicher Weise grenzt sich das K-Profil von den Sequenzmustern und den syntagmatischen Profilen ab, die Steyer (2013) im Zusammenhang mit der Ermittlung usueller Wortverbindungen und Wortverbindungsmuster als mitverfestigte Kotexte definiert. Auch ein linguistisch nicht näher klassifizierbarer Chunk kann den Ausgangspunkt eines Sequenzmusters bilden, indem er sich als

40 Kontextualisierungshinweise können im Falle musterhafter Verwendung für eine Textsorte, ein Thema o.Ä. im engeren Sinne als Kontextualisierungsmerkmale bezeichnet werden. Zur Begründung der Unterscheidung zwischen Kontextualisierungshinweisen und -merkmalen in der Textlinguistik vgl. Hausendorf/Kesselheim 2008:21ff. 41 Die Notwendigkeit der kotexuellen Beschränkung ergibt sich aus der rekursiven Methodik, die zur Ermittlung syntagmatischer Muster im DeReKo zum Einsatz kommt. Nachdem die Kollokatoren für eine Bezugseinheit bestimmt worden sind, werden wiederum „zu diesen ermittelten primären Kollokationspartnern der Bezugseinheit statistisch signifikante sekundäre Kookkurrenzen berechnet“ (Bubenhofer 2009:119). Diese Prozedur wiederholt sich so lange, bis keine signifikanten Einheiten mehr gefunden werden. Als Resultat ergeben sich Kollokatoren und Cluster in einer bestimmten Reihenfolge und auch typische Füllungen zwischen ihnen.

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funktional verfestigtes Syntagma mit weiteren Einheiten im Umfeld verbindet, so dass beide zusammen semantischen Mehrwert generieren. So können z.B. der Chunk und das, der einen Sachverhalt zur Bewertung besonders hervorheben kann, und das kausale Schema [aus X] zu einem Sequenzmuster [und das aus X (vollem Herzen/dem Munde von etc.)] zusammenkommen (vgl. Steyer 2013:286f.). Das syntagmatische Profil dagegen besteht aus „rekurrenten Syntagmen in der unmittelbaren Umgebung einer Wortform“ (Steyer 2013:378). Hierbei handelt es sich um kategoriell definierte Füller wie attributive Adjektive, z.B. in der schematischen Mehrwortphrase [wegen ADJA (mangelnder) Nachfrage] (vgl. Steyer 2013:214). Beide Bestimmungen (Sequenzmuster und syntagmatisches Profil) weisen eine große Nähe zu den syntagmatischen Mustern im Kookkurrenzprofil (Cosmas) auf. Die Sequenzialität schriftsprachlicher Einheiten über den Satz hinaus ist in diesen Definitionen erst einmal nicht angelegt. Ihr wird später in der für die vorliegende Studie durchgeführten Kookkurrenzanalyse mit AntConc dadurch Rechnung getragen, dass die kookkurierenden Einheiten auch über Satzgrenzen hinweg berechnet werden. Im diskursgrammatischen Rahmen soll die syntaktische Analyse somit nicht auf den Satz beschränkt sein. Wie in der textlinguistischen Konnektorenforschung Bezugskonnekte auch ganze Absätze umfassen können (vgl. Peyer 1997:228ff.) oder in der Gesprochene-Sprache-Forschung die projizierten Einheiten häufig komplexe Sequenzen umfassen (vgl. Imo 2017:67), tragen auch valenzielle Realisierungen im weiteren Kontext zur Kohärenzbildung bei (vgl. Kap. 6.2.1). Die Qualität von Kontextualisierungshinweisen kann mit der konventionellen lexikalischen und grammatischen Bedeutung auf verschiedene Weise verbunden sein. Was dabei als pragmatischer Mehrwert erscheint, entfaltet sich häufig sequenziell. Aus der Abfolge sprachlicher Einheiten geht eine Sinnherstellung in interaktiv und textuell koordinierten Mustern hervor, die soziales Handelns ermöglichen. Für Habscheid (2000:137f.) gelingt mit dem Begriff des Handlungsmusters der theoretische Brückenschlag zwischen Handlungs- und Struktur­ ebene. Er erläutert ferner, dass die Struktur institutionalisierte Gattungs- und Interaktionstypen als Ganze umfasst, mit denen Bedeutungen in verschiedenen Aufgabenfeldern dynamisch konstituiert werden. Auch in die Musterbildung ist Handeln in Form von Handlungsmustern, aber auch als Wahrnehmungsprozess eingelassen. Musterbildung ist rezeptionsseitig ein Formerkennen, das auf Abstraktion beruht. Nicht mehr die Fülle der einzelnen Verwendungen addieren sich in der Betrachtung auf, sondern die Essenz dessen, was all diesen Verwendungen gemein ist und auf einen typischen Sprachgebrauch hindeutet, von dem ausgehend sozialer Sinn emergiert. Diese Reproduktion sozialer Ordnung durch Subjekte und in ihrem Rücken zielt weniger auf Vokabulare und Stilregister, sondern

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adressiert insbesondere solche sprachlichen Phänomene, die sich der bewussten Entscheidung entziehen und die eine „stillschweigende“ Wahl z.B. zwischen finiten und infiniten Konstruktionen oder Agens-/Patiens-/Rezipient-Subjekten darstellen kann. Die Konstitution diskursiver Formationen durch Grundoperationen der Sachverhaltskonstitution (durch Bezugnahme, Spezifikation usw.) erfolgt über Kontextualisierungshinweise erster Ordnung analog zu den grundlegenden Mechanismen der sequenziellen Organisation in mündlichen Interaktionstypen (vgl. Schmitt 1994:344). Mündliche Äußerungen sind in sequenziellen Zusammenhängen nach vorne und nach hinten ausgerichtet, sind projektiv und retrospektiv, Teile adjazenter Strukturierungen, denen der Gesprächsfluss entspringt und die ihn am Laufen halten. Schmitt (1994:343) bringt das auf die Formel, dass NichtKontextualisieren im Gespräch unmöglich sei. Übertragen auf massenmediale mehrfachadressierte Diskurse bedeutet dies, dass sich der geschriebene Text den Mechanismen der Kohärenzherstellung, der Linerarisierung sowie der intertextuellen Bezugnahme durch Verfestigung im Sprachgebrauch nicht entziehen kann. Mitgedacht ist dabei auch die elementare Perspektiviertheit, die grammatischen Formen inhärent ist (vgl. Köller 2014). Wenngleich im Kontextualisierungsprofil diskursiver Formationen auch Kontextualisierungen zweiter Ordnung auftreten, setzt das diskursgrammatische Programm einen Akzent auf die „unbemerkten“ Verfahren grammatischer Rahmung. Kontextualisierungen zweiter Ordnung haben nach Schmitt (1994) den Status kommunikativer Praktiken, mit denen Gesprächsteilnehmer ihre eigene Beteiligungsrolle anzeigen oder einen passenden Interpretationshintergrund für ihre Äußerung etablieren. Die Nähe zu (meta-)kommunikativen Strategien ist unverkennbar. Als Beispiele für sekundäre Kontextualisierungen in Diskursformationen können vor allem lexikalische Strategien herangezogen werden, so zum Beispiel sprachliche Inklusions- und Exklusionshandlungen mit den deiktischen Pronomen der 1. und 2. Person (vgl. Müller 2013), serielle Verwendungen „kleinerer“ Wörter42 oder Verfahren der (De-)Legitimierung von Positionen mithilfe von adjektivischen oder metaphorischen Zuschreibungen in urbanen Diskursen.43

42 Kämper (2005:167) identifiziert z.B. die Verwendung des Adverbs wieder (teilweise auch Erstglied verbaler Komposita) als Semantisierung von Kontinuität und Rückkehr zu alten Gewohnheiten. 43 Vgl. Rothenhöfer 2014 am Beispiel des Placemakings im Heidelberger Stadthallenstreit, in dem z.B. Expertenrollen durch elaborierte Geschmacksurteile autorisiert werden. Auch Schmitt (1994:344) nennt exemplarisch den Sprecherverweis auf den eigenen Expertenstatus, der durch Unterbrechungen oder Belehrungen legitimiert wird. Er sieht dabei noch weitere Kontextdimensionen des sozialen Hintergrundwissens berührt.

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Beide Kontextualisierungsverfahren haben unterschiedliche Bezüge zur Musterbildung. Während die Kontextualisierung erster Ordnung musterhafte Strukturen erzeugt, die in einer Analyse zur Verteilung von Wörtern und grammatischen Regelmäßigkeiten erkannt werden, besitzen Kontextualisierungen zweiter Ordnung einen direkten Bezug zum Inhalt der Aussage, in der sie vorkommen und die sie durch eine explizite Subjektposition erweitern. Insofern unterliegen sie einem geringeren Abstraktionsgrad und sind Ausdruck sozialer Aussagenformationen, die Ereignisdeutungen beinhalten. Link (2016:122) hebt diesbezüglich unter einem literatursoziologischen Blickwinkel hervor, dass nicht die einzelne Aussage interpretatorisch gefasst wird, sondern ihr Geflecht, in dem sich Gegenstände herausbilden: Die Aussage wird also nicht interpretiert, sondern auf ihren „Ereignis“-Charakter und ihre „Streuung“ hin analysiert: Wo taucht sie auf und wann − wo gehäuft − wie oft (Wiederholung) − zusammen mit welchen anderen Aussagen (Kombination) − in welcher hierarchischen Position (Strukturbildung). Jede einzelne Aussage stellt insofern also bereits ein (mikroskopisches) „diskursives Ereignis“ dar.

Diese Auslegung schärft die Abgrenzung der Diskursgrammatik von einer fach-, d.h. geschichtswissenschaftlichen Interpretation, sie zeigt aber auch deutlich die Grenzen einer Muster- und Strukturbildungsanalyse auf, die das Sprachliche fokussiert: Es kommen nicht alle supplementären oder substituierenden Umgebungsmedien in den Blick. Latours Schlüssel etwa läge außerhalb der empirischen Reichweite. An Abstraktionsprozessen, die diskursiven Formationen zugrunde liegen, haben vor allem Kontextualisierungen erster Ordnung teil. Die mithilfe verschiedener Filteroperationen identifizierten musterhaften Strukturen können wiederum „Ausgangspunkt sein, um die Verwendung und die Gestalt des Musters konkreter zu beschreiben.“ (Bubenhofer 2009:153). Die Konkretisierung musterhafter Strukturen wird somit durch die Reduktionen gelenkt, die eine eigene korpuslinguistische Perspektive mit sich bringt (vgl. Bubenhofer/Scharloth 2015). Die technischen und computerlinguistischen Möglichkeiten der Korpusabfrage bestimmen, welche Belege gesichtet und als Ausgangspunkt für anschließende Suchanfragen genommen werden. Den Zielpunkt bilden Auffälligkeiten in Form von oberflächennahen Musterbildungen. Die Sichtbarkeitsbedingungen für Musterhaftes ergeben sich aber nicht schon am Anfang einer diskursgrammatischen Analyse. Die eingeschobenen Prozesse der Annotationen heben das Datenmaterial auf ein neues Abstraktionsniveau, gliedern und filtern es. Die semantische Seite erscheint eingangs als bloßer Effekt korpuslinguistischer Musteranalysen. Semantisch ist das Einschleifen von sprachlichen Formen zu „Verklumpungen“ im Text mit dem Auf- und Ausbau eines indexikalischen

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Potenzials verbunden, mit dem sich das so Abstrahierte als etwas Neues kondensiert. Die Inhaltsseite des Musters ist als hervorgebrachter Kontext stets dynamisch. Sie gliedert sich ein in ein semantisches Kategoriensystem, das z.B. innerhalb einer Frame-Architektur beschreibbar ist. Bedeutung ist dabei nicht nur durch Frame-Elemente organisiert, sie entsteht auch in den Faltungen routinierter Versprachlichung semantischer Slots. Wie Behrends (2009:434) für die Spracherwerbssituation verdeutlicht, wird die Sinnhaftigkeit grammatischer Kategorisierungen (z.B. das durch Flexionsmorpheme angezeigte Vergangenheitstempus) als Folge einer Verfestigung (entrenchment) über Analogien erfassbar: Man registriert wiederkehrende sprachliche Strukturen, seien es einzelne Segmente, Wörter oder auch größere Einheiten wie Phraseologismen und Kollokationen. Dies führt zur Stabilisierung und Automatisierung in deren Verarbeitung. Nur unter der Voraussetzung, dass man Gehörtes abgespeichert hat, kann man es mit anderen Sequenzen vergleichen und Ähnlichkeiten feststellen: So entstehen erste Strukturen, wenn Gemeinsamkeiten verstärkt werden, indem man semantische oder morphologische Ähnlichkeiten wahrnimmt (knew, loved, made, faked, hated, swam, borrowed, kneeled, typed). Dabei kann der Vergleich zur Kategorisierung führen, indem man ein neues Item mit einer etablierten Einheit abgleicht, also etwa den oben genannten Verben weitere auf -ed endende Vergangenheitsformen hinzufügt.

Durch Analogie vollzieht sich in der Spracherwerbssituation eine Operation der Verallgemeinerung, so dass aus einer Fülle von Fällen eine Form mit grammatischer Bedeutung als musterbildendes Element übrigbleibt. Hierbei kommt die Fähigkeit zur Schemabildung zum Tragen, womit Konstruktionen auf unterschiedlichen Granularitätsstufen in Erscheinung treten (vgl. Behrends 2009:434f.). Je nachdem, wie nah man an sprachliche Strukturen heranzoomt oder wie weit man sich entfernt, treten unterschiedliche Musterbildungen auf morphologischer, syntaktischer oder Kotext-Ebene zutage. In Ergänzung zu den umfassenden Vererbungsrelationen zwischen Konstruktionen schlägt Imo 2011 einen konsequent granularen Blick auf Sprache vor. Bereits auf der Ebene einer einzelnen Konstruktion können unterschiedliche Granulationsstufen angesetzt werden. Denn mit Hopper 2004 produzieren Sprecher keine Konstruktionen als solche, sondern sie verbinden verschiedene Konstruktionsfragmente (vgl. Imo 2011:115) zu Konstruktionen, in denen im Ganzen neue Strukturmerkmale kondensieren. Der damit entwickelte netzwerkartige Musterbegriff kann am Leitfaden der Kontextherstellung die ihm eigene Theoriearmut dergestalt nutzen,44 dass theorieübergreifende

44 Dies ist in einem durchaus produktiven Sinn zu verstehen: Bücker (2015:456) fasst den Mus-

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Oberflächenphänomene der schriftsprachlichen Gestaltung als Muster zusammengespannt werden. Ergänzend dazu entwirft Bücker 2015 einen Schemabegriff, der eine klare Trennung von sprachsystemgebundenen (symbolische und indexikalische Schemata) und nicht sprachsystemgebundenen (Konzept- und Handlungsschemata) Einheiten voraussetzt. Neben den sprachsystemgebundenen symbolischen Schemata, die den Konstruktionen entsprechen, geht er in Anlehnung an die Arbeiten Bybees und Köpckes zur Entwicklung grammatischer Funktionsklassen von analogiebasierten indexikalischen Schemata aus, die vollständig aus Analogieschlüssen und Abstraktionsleistungen auf der Grundlage bereits erworbener Symbole hervorgehen und das bestehende grammatische Verhalten der Elemente in dem sprachlichen Teilsystem, in dem sie entstanden sind, nicht verändern (Bücker 2015:456).

Für eine explorative Diskursgrammatik ist allerdings das Zusammenwirken konzeptioneller und oberflächenbasierter Phänomene immer schon vorausgesetzt, da sie auf der Vorannahme basiert, dass nicht nur Lexikalisches, sondern auch materiell spezifisch ausgeprägte grammatische Formen eine diskursive Prägung besitzen. Inwieweit schließlich diskursspezifische Abweichungen von prototypischen Valenzeigenschaften, Variationen in der kollokativen Festigkeit oder die Spezialisierung bestimmter Flexionsvarianten eines Lexems auf bestimmte Kookkurrenzpartner mit einer übergeordneten Diskursformation so stark korrelieren, das sie das „grammatische Verhalten der Elemente in dem sprachlichen Teilsystem“ insgesamt verändern, müsste mit Blick auf ein größeres Referenzkorpus jeweils überprüft werden. Eine zusätzliche Ebene der Mustererkennung ergibt sich mit korpuslinguistischen Berechnungen, die eher auf der Seite der Algorithmen und weniger in den kognitiven Repräsentationen der erkannten Rahmungen und Muster zu veranschlagen sind. Ausgangspunkt bilden somit rekurrente Erscheinungen an der sprachlichen Oberfläche, die für funktional gehalten werden können, damit ein Text eine bestimmte kommunikative Aufgabe erfüllt. Im Weiteren werden die Eigenschaften, insbesondere die medialen Bedingungen des Erscheinens sprachlicher Muster beleuchtet. Nicht zuletzt hängen auch die linguistischen Kategorisierungen der Muster vom Theoriedesign ab.

terbegriff der Text-, Gesprächs- und Diskurslinguistik mit Bezug auf Dürscheid/Schneider 2015 als theoriearme Beschreibungskategorie für Zeichenkonstellationen auf, „die bei Bedarf als Ausgangspunkte für die Entwicklung theoriegesättigterer schemabasierter Modelle kognitiv und sozio-kulturell realer Phänomene herangezogen werden können“.

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2.4 Oberflächen: Corpus driven, Idiomatizität Die Frage nach den Signalisierungsweisen der sprachlichen Oberfläche ist zugleich eine Frage nach dem Worauf des Zeigens: Was kann Sprache anzeigen und wie unterscheidet sich diese Anzeigeleistung, die aus diskursiven Gebrauchsbedingungen hervorgeht, von der konventionellen Bedeutung? Geschichtlicher Sinn ist nicht einfach in Formulierungsroutinen enthalten, so dass er ihnen mithilfe der Analyse wieder entnommen werden kann. Er entfaltet sich auf der Basis grammatischer Potenziale in kommunikativen Gebrauchskontexten. Dies hat zur Folge, dass die konventionelle Dimension des Diskurses in die indexikalische Dimension hineinragt und umgekehrt vorstellbar wird, dass der Anteil an indexikalischer Verwobenheit in konventionelle Bedeutung umschlägt. Eine scharfe Trennung zwischen Grammatik und Diskursbedeutung, wie sie gelegentlich in der Critical Discourse Analysis (CDA) vorgenommen wird,45 ist daher kaum plausibel, wenn, wie im vorigen Abschnitt argumentiert wurde, Musterbildung zwischen Handlungs- und Strukturebenen entsteht, so dass Handeln Struktur (re-)produziert und Struktur sich in die Praktiken zurückschreibt (vgl. Winkler 2004:116). Die Methoden der Kritischen Diskursanalyse fokussieren zwar die komplexen Beziehungen zwischen Sozial- und Diskursstruktur, und befassen sich damit, „how discourse structures may vary or be influenced by social structure.“ (van Dijk 2008:4) Zugleich aber geht van Dijk davon aus, dass grammatische Strukturen vorgegeben sind, so wie beispielsweise Artikel in der Nominalgruppe eine feste Position haben, und schlussfolgert etwas plakativ: „Whether you are on the Left or on the Right, the grammar of the language is the same for everyone.“ (van Dijk 2008:4) Damit entsteht die Vorstellung getrennter sprachlicher Bereiche, in denen auf der einen Seite Ausdrucksvariation möglich ist – van Dijk (2008:5) nennt hier exemplarisch Aktiv/Passiv,46 Lexik und Präsuppositionen – und auf der anderen Seite Sprechern keine Alternativen bleiben. Doch selbst die von van Dijk angeführte Wahl des Determinativs (in/-definit) ruft den ganzen Handlungsbereich der Referenzherstellung auf den Plan: Der referenzielle Gebrauch eines Arguments, mit dem ein Gegenstand gesetzt wird, ist abhängig von Vorannahmen über die Kenntnisse der Hörer, die insbesondere bei einer definiten Charak-

45 Zur Darstellung verschiedener Strömungen innerhalb der Kritischen Diskursanalyse vgl. Wodak 2002. 46 Die Diathese wird hier überraschenderweise nicht der grammatischen Ebene zugeschlagen, was bereits darauf hindeutet, dass auch weitere Phänomene wie Wortstellung, Tempus oder Präfigierungen in den diskurskonstituierenden Bereich hineinragen.

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terisierung mit der Aufgabe konfrontiert sind, den Gegenstand zu identifizieren, von dem ausgegangen wird, dass sie ihn kennen (vgl. Zifonun et al. 1998:767). Diskursobjekten wie dem Dom ist beispielsweise die Einzigartigkeit allein über die Ungebräuchlichkeit des indefiniten Artikels eingeschrieben. Auch werden über die Art der grammatischen Deixis in der NP die Bedingungen der Attribuierbarkeit eingestellt. So wird der Dom selten, außer in der onymischen NP Hoher Dom, durch Adjektive spezifiziert. Aus kulturhistorischen Gründen spielt für ihn auch das Adjektiv alt kaum eine Rolle, das zudem für die NPen das alte Rathaus und die alte Kirche jeweils semantisch ganz anders konventionalisiert ist. Während ein altes Rathaus oft in Kontrast zum neuen vor Ort genannt wird und dann altersmäßig etwa 100 bis 150 Jahre zählt, ist eine alte Kirche allein aufgrund der diskursiven Usualisierung mit viel weiter zurückliegenden Epochen wie Renaissance oder Mittelalter assoziiert. Mit welchen Arten von Prägungen hat es die Diskursgrammatik im Einzelnen zu tun? Die Konfiguration von Kontextualisierungshinweisen ist ebenso wie die von Feilke (1996:312) beschriebene Ordnung der sprachlichen Typik „ein dynamisches Netzwerk sozial stabilisierter Prägungen, die die grammatischen Eigenschaften von Ausdrücken nicht aufheben, sondern nutzen.“ Anders als idiomatische Prägungen, mit denen Sprache als soziale Gestalt im Sinne einer „Ausdrucks-Gestalt“ (Feilke 1996:45, Hervorh. i.O.) in Erscheinung tritt, vollzieht sich diskursive Musterhaftigkeit satz- und textübergreifend, so dass nicht jede einzelne sprachliche Prägung genau einem Handlungsvollzug entspricht. So kann mit einer Routineformel wie „Hallo!“ ein Begrüßungsakt vollzogen, aber auch ein Erstaunen ausgedrückt werden. Selbst mit der konstruktionell bedingt relativ klar definierten infiniten Prädikationskonstruktion wie „Ich und Reiten?“ kann eine Distanzierung einerseits empört andererseits scherzhaft vollzogen werden. Feilkes (1996:217) frühe Systematik idiomatischer Prägungen umfasst syntaktische (geschweige denn), semantische (ins Gras beißen) und pragmatische Prägungen (soviel ich weiß), die als sprechaktindizierende Gestalten in Texten und Gesprächen eine übersummative Bedeutung entfalten. Die weniger idiomatisch geprägten Textroutinen sind kontextualisierend für Gattungen und Genre und treten oft im Verbund auf wie z.B. die Phraseme auf den Trümmern errichtet, Sorgen und Mühen, am Markt bestehen, Die Konkurrenz schläft nicht und erhebe mein Glas, die Bubenhofer (2009:62ff.) als typische Elemente einer Rede des Firmeninhabers anlässlich eines Betriebsjubiläums identifiziert hat. Er entwickelt im Anschluss an diese exemplarischen Kombinationen mehr oder weniger idiomatisch geprägter Ausdrücke einen korpuslinguistischen Ansatz, der die Beziehung zwischen sozialem Handeln und Sprachgebrauch generell über einen induktiven Zugang zu Sprachgebrauchsmustern erschließt. Distribution und Einbettung diskurstypischer Formulierungen erlauben dabei Rückschlüsse auf

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typische Kontextualisierungen für Gattungen und Diskursfunktionen, die relativ offen als konnotativer oder pragmatischer Mehrwert gefasst werden. Dieser stellt wiederum eine Bedingung für eine vorverständigte Diskurssituation durch typisierten Sprachgebrauch dar. Dabei sind es, wie bereits hervorgehoben, nicht die absoluten Frequenzen der rekurrenten Ausdrucksverwendung, die die Typik bestimmen, sondern Frequenzen, die relativ zu Genre und Diskursen verzeichnet werden. Nicht zuletzt spielen hierbei usuelle Kombinatorik und Sequenzierung eine Rolle. Der Spannungsaufbau konstituiert sich z.B. erst als (mittige) Teilsequenz einer Erzählung, und jede Ereignisbezeichnung wie Stunde Null ist stets mit ihren Gebrauchsroutinen im weiteren sprachlichen Umfeld verbunden, etwa in Form von Prädikationen oder satzwertigen Zuschreibungen. Zur Ermittlung des sprachlichen Umfelds werden in der korpuslinguistischen Methodologie statistische Messverfahren eingesetzt, die die Wahrscheinlichkeit berechnen, mit der zwei sprachliche Größen in einer vorab definierten Wortumgebung gemeinsam auftreten. Diese Kookkurrenzen liefern stets Anhaltspunkte für weitere Suchanfragen, so dass die Mustererkennung insgesamt in einen hermeneutischen Analyseprozess eingebettet ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sprachliche Muster aus Daten induktiv (corpus driven) ermittelt wurden. Der in der Korpuslinguistik etablierte Gegensatz zwischen einer hypothesengenerierenden und einer klassischen hypothesenüberprüfenden Herangehensweise (corpus based) verdeckt jedoch m.E. eine entscheidende Herausforderung, die sich für die digitale Diskurslinguistik ergibt. Sie liegt darin, das „Wie“ des Diskurses, seine Stile, polyphonen Sprechweisen und Kontextualisierungen als Musterhaftigkeiten von der Oberfläche her zu erfassen. Die hierbei entstehenden Eindrücke kookkurrierender Formen, die diskursbezogen auftreten, müssen schließlich als Spuren emergenter Deutungsmuster erkannt und einem hermeneutischen Rahmen zugeordnet werden. Bei dieser Suche sind Entscheidungen für Kategorisierungen zu treffen und anzuwenden, die der Computer nicht übernehmen kann. Ist nach der Reichweite metaphorischer Konzepte gefragt, werden gezielt Wörter aus dem Wort(-verbindungs-)feld der Spendermetapher gesucht (vgl. Gries/Stefanowitsch 2004). Anhaltspunkte liefert u.a. das DWDS-Wortprofil über Partnerwörter. Zum metaphorischen Flut-Konzept lassen sich etwa verbale Kollokatoren wie eindämmen und hereinbrechen ermitteln. Außerdem kann das Vorkommen verwandter Nomen wie Fluss und Hochwasser oder attributiver Adjektive wie reißend oder anschwellend getestet werden. Nicht zuletzt ergeben Wörter aus dem antonymischen Begriffsumfeld (Ebbe) ein Bild von den Gegen-

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kontexten, die aufgrund ihrer konventionalisierten Zielkontexte auf Frameverknüpfungen hindeuten.47 Warum mag das Etikett corpus driven trotz verhältnismäßig kleiner Datenmengen und dem Hin- und Herpendeln zwischen hermeneutischen und quantitativen Verfahren für ein diskursgrammatisches Projekt dennoch passend erscheinen? Es ist dadurch motiviert, dass nachfolgende Suchanfragen nicht nur durch close reading inspiriert sind, also durch Auffälligkeiten im Zuge der Lektüre, sondern statistische Muster den Anstoß für nachfolgende Korpusabfragen geben. Wenn schließlich mithilfe eines korpuslinguistischen Verfahrens Strukturen sichtbar gemacht werden, die erst im Nachhinein klassifiziert werden können (vgl. Bubenhofer 2008:412), geschieht dies natürlich auf der Basis von Vorannahmen und Wahlen, die qualitativen Forschungsprinzipien folgen (Themenkorpus, Referenzkorpora, Wahl der Grammatiktheorie bzw. der linguistischen Klassifikationsansätze, auf denen diskursgrammatische Suchanfragen basieren). Eine als Pendelbewegung zwischen korpusbasierten und induktiven Verfahren48 verstandene Corpus-driven-Hermeneutik gewinnt vor dem Hintergrund der folgenden Fragestellungen Konturen: 1. Welche Motive und Motivationen leiten die Korpusauswertung an? 2. Zu welchem Muster bzw. K-Profil gehören diejenigen Verbindungen, die im Einzelnen interpretiert werden? 3. Welcher Deutungsrahmen (Kontext) wird durch die spezifische Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungshinweise hergestellt? Auch wenn im Rahmen von Corpus-driven-Ansätzen einerseits gefordert wird, jeden Treffer gleich ernst zu nehmen, gilt doch andererseits als empfehlenswert, die Treffer im Auswertungsprozess nach Relevanz zu sortieren (vgl. Perkuhn/ Keibel/Kupietz 2012:74). Dabei können verschiedene Attribute eingeführt werden (z.B. Entstehungszeit, Kotext oder Textsorte). Für Wörter und Verbindungen, die im Anschluss an eine solche Sortierung als mögliche Hinweise für ein Kontextualisierungsmuster erkannt werden, wird im Folgenden angenommen, dass sie strukturelle Kontextinformationen inkorporieren, und damit Hinweise auf eine diskursspezifische Bedeutung geben. Diese geht in erster Linie vom grammati-

47 Für das Nomen Ebbe deutet sich das konzeptuelle Blending (Natur – Finanzen) beispielsweise über modifizierende Präpositionalattribute an: in den Staats-/Gemeinde-/Haushaltskassen. 48 Bubenhofer/Scharloth (2016:927) beschreiben auch im Sinne einer methodischen Spiralisierung, auf welche Weise sich die beiden Ansätze gemeinhin ergänzen: „Der erste Zugriff auf die Daten erfolgt datengeleitet, um sprachliche Auffälligkeiten zu ermitteln, die dann für die Operationalisierung zentraler Konzepte benutzt werden. Die eigentliche Analyse erfolgt dann datenbasiert mithilfe des datengeleitet ermittelten Messinstruments.“

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schen Funktionsspektrum der jeweiligen Einheiten aus. Der Idiomatizitätsgrad ist entsprechend als schwach oder sekundär zu veranschlagen. Zur Beschreibung der induktiv ermittelten sprachlichen Phänomene bedarf es einiger Begriffsklärungen, bei denen insbesondere diejenigen Einheiten zu definieren sind, die als Bestandteile kontextualisierender Muster auftreten. Konkordanzprogramme werden nicht nur für diskurslinguistische Zwecke eingesetzt, sondern auch für konstruktionsgrammatische und phraseologische Fragestellungen genutzt. In der Phraseologie-Forschung kommen sie vor allem aus einem lexikografischen Interesse an Mehrworteinheiten zum Einsatz. Der Fokus konstruktionsgrammatischer Verfahren liegt auf der Kombination sprachlicher Mittel, während die Lexikografie eher nach kotextuellen Bindekräften sucht, die von einzelnen Wortformen ausgehen. Was die verschiedenen Ansätze eint, ist die Intuition, dass Bedeutung auch auf der syntagmatischen Achse entsteht. Der dabei erzeugte semantische Mehrwert geht von ganz unterschiedlichen Bindekräften zwischen Wörtern aus. Kollokationen zeigen aus einer semantischen Perspektive, dass Bedeutungen nicht an Einzelwörtern festmachbar sind, sondern erst durch den Kontext entstehen und damit komplexere Zeichen sind, denen ein Gebrauchswert eingeschrieben ist. (Scharloth/Bubenhofer 2016:925)

Zwar zeichnet sich der Zugriff auf Mehrwortkomplexe in der Diskurslinguistik bisher nicht nur durch die Ermittlung satzfunktioneller Einheiten aus.49 Allerdings präferieren viele syntaxorientierte empirische Fallstudien zumeist einen konstruktionsgrammatischen Ansatz. Konstruktionen besitzen konzeptionell den Vorteil, dass sie auf allen Ebenen des Sprachsystems angesetzt werden können. Sie reichen von Morphemen über Wörter, Phrasen und Sätze bis zu Einheiten, die in Texten oder Gesprächen mehrere kommunikative Abschnitte oder Turns umfassen (vgl. Imo 2015:552). Im Anschluss an Lakoff definiert Goldberg (1995) die Konstruktion über ihre semantischen Eigenschaften: So handelt es sich bei einem Form-Bedeutungs-Paar um eine Konstruktion im Sinne der Konstruktionsgrammatik (im Folgenden auch KxG), wenn wenigstens ein Bedeutungsaspekt der Konstruktion nicht aus ihren einzelnen Teilen vorhersagbar ist (vgl. Lasch/ Ziem 2013:11). Bei den lexikalisch vollspezifizierten Konstruktionen entstehen Überlappungen zu phraseologisch definierten Einheiten, die entweder als refe-

49 Hier sind vor allem die lexikografischen Arbeiten von Kämper 2005 und 2012, aber auch die Mehrebenenanalysen mit semantisch-pragmatischen Schwerpunkten u.a. von Spieß 2011 und Roth 2015 zu nennen.

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rentielle Phraseme,50 kommunikative Phraseme51 oder strukturelle Phraseme52 klassifizierbar sind. Strukturelle bzw. grammatische Phraseme, die syntaktisch z.B. als Präposition (an Hand von) oder Konjunktion (auch wenn) gebraucht werden, haben in der KxG besondere Beachtung gefunden, werden jedoch in der Phraseologie nur am Rande behandelt (vgl. Burger 2015:32). Auch bei den Phraseo-Schablonen mit Leerstellen wie So ein X! (z.B. So ein Glück!) ergeben sich Überschneidungen zum Gegenstandsbereich der Konstruktionsgrammatik. Wird ein weiter Konstruktionsbegriff angesetzt, stellen sogar alle Typen von Phrasemen auch Konstruktionen im Sinne der KxG dar (vgl. Dobrovol’skij 2011:112). Da die KxG Konstruktionen auf ganz unterschiedlichen Abstraktionsebenen behandelt, ist der Konstruktionsbegriff wesentlich weiter gefasst als der Phrasembegriff, so dass die KxG nicht auf die Untersuchung von Phrasemen beschränkt ist. Zu den schematischen Konstruktionen zählen beispielsweise ArgumentstrukturKonstruktionen, die lexikalisch un- oder teilspezifiziert sind wie die Ditransitivkonstruktion, diverse Passivkonstruktionen, die Resultativkonstruktion (er fegte den Boden sauber) oder die Bewegungskonstruktion (sie pustete das Taschentuch vom Tisch). Bei der Konstruktionsbedeutung spielt, wie bereits weiter oben erwähnt, coercion eine wichtige Rolle. Darunter wird die Bedeutungsmodifikation verstanden, die beispielsweise das Verb pusten durch die kotexuelle Einbettung in den syntaktischen Kontext der Bewegungskonstruktion erfährt. Es kann festgehalten werden: Phraseme bilden einen Teilbereich der Konstruktionen, aber (...) eine Konstruktion ohne lexikalischen Anker ist kein Phrasem. [...] Je abstrakter und produktiver die jeweilige Konstruktion ist, desto näher befindet sie sich am grammatischen Pol auf der Lexikon-Grammatik-Achse. Je „phraseologischer“, d.h. je stärker lexikalisch spezifiziert sie ist, desto näher liegt die betreffende Konstruktion am lexikalischen Pol. Viele Typen der Konstruktionen, die sozusagen dazwischen liegen, können in gewissem Sinne auch als „quasi-phraseologisch“ betrachtet werden, aber nicht weil sie lexikalisch spezifiziert sind, sondern nur weil sie einem bestimmten Muster folgen und nicht auf einer produktiven, mehr oder weniger allgemeinen Regel basiert sind, d.h. sie sind coined (im Sinne von Fillmore) und nicht generated. (Dobrovol’skij 2011:113f.)

50 Darunter fasst Burger (2015:31) einen Großteil der Phraseologismen wie z.B. jemanden übers Ohr hauen ebenso wie Sprichwörter wie Morgenstund hat Gold im Mund. 51 Zum Beispiel äußerungskommentierende Formeln wie ehrlich gesagt oder Routineformeln wie verstehst du?. 52 Darunter fallen argumentationsrelevante Formeln, z.B. wie dem auch sei oder grammatische Phraseme wie geschweige denn.

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Konstruktionsgrammatisch interessant sind Phraseme dann, wenn sie einem syntaktischen Muster folgen und schematische Slots für lexikalische Füllungen eröffnen, womit sie ins Überschneidungsfeld von Phraseologie und KxG gelangen. Es handelt sich in einem solchen Fall um Phraseme, „die nicht ganz fest ‚eingefroren‘ sind“ (Dobrovol’skij 2011:117). In der schwachen Idiomatizität von Konstruktionen, auch der Phraseo-Konstruktionen, besteht ein weiteres Unterscheidungskriterium zwischen Konstruktionen und einem typischen Phrasem mit seiner zusätzlichen phraseologischen, d.h. übertragenen Bedeutung, die sich nicht kompositionell aus den Teilkomponenten herleiten lässt. Als Beispiele für quasi-phraseologische Konstruktionen, denen Muster zugrunde liegen, nennt Dobrovol’skij (2011:115) von Tag zu Tag mit dem Muster [von N zu N], die Realisierungen futsch ist futsch, Krieg ist Krieg zu [X ist X], aber auch redestrukturierende und teilweise schematische Formeln wie [was X betrifft] und Die Sache/das Ding ist. Sie zählen zu den phraseological patterns, die nach Fillmore einen Großteil alltagssprachlicher Diskursstrukturen ausmachen, auch wenn sich nach Dobrovol’skijs Einschätzung die traditionelle Phraseologieforschung um solche Konstruktionen bisher kaum gekümmert hat. Eine typische syntaktische Idiomatizität besitzt m.E. die von Bücker (2012) eingehend untersuchte nicht-finite Prädikationskonstruktion [Ich und X], die neben der Kontrastbedeutung, die bereits deutlich über die Semantik der Koordination hinausgeht, den illokutiven Gehalt eines erstaunten Zweifels besitzt. Sie suggeriert ferner strukturell eine Dialogsituation, deren rhetorischer Charakter offensichtlich ist, da die implizit gegebene Antwort konstruktionsbedingt negativ ausfällt. Die KxG nimmt sich (neuerdings) auch dieser phraseo-haften Muster an, die in weiten Teilen mit den kommunikativen Fragmenten der neueren und durch die Birmingham-Schule etablierten Corpus-driven-Lexikografie übereinstimmen, jenen „semi-preconstructed phrases, that constitute single choices, even though they might appear to be analysable into segments“ (Sinclair 1991 zitiert nach Dobrovol’skij 2011:119). Nicht zufällig macht daher auch Staffeld (2011:133f.) die Beobachtung, dass sich Phraseologie und KxG annähern, da sie aus verschiedenen Richtungen dieselben Gegenstände „entdecken“: usuell gebrauchte mehr oder weniger feste Mehrworteinheiten, die (soziale) Verwendungsweisen inkorporieren, nur bedingt idiomatisch und bedingt nicht-kompositional sind. Diese Einheiten geraten bevorzugt auch in diskursgrammatischen Studien in den Blick. So konnte etwa Rothenhöfer (2015) zeigen, wie mithilfe von POS-Trigrammen Konstruktionsmuster in den Tagebucheinträgen aus dem Getto von Lodz als gettospezifische expressive Äußerungen erkannt werden können. Mit der Formel [Was ist mit X (geschehen)?] wird z.B. aus einer jüdisch-deutschen Opfererfah-

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rung heraus der Emotionstyp der Sorge um jemanden in einer Situation quälender Ungewissheit ausgedrückt, verarbeitet und hervorgebracht. Wiederum diskursspezifisch sind die von Ziem/Scholz/Römer (2012) beschriebenen Konstruktionen zum Lexem Krise in einem thematischen Pressetextkorpus zu ausgewählten gesellschaftlichen Ereignissen. Morphologischen Niederschlag findet das Lexem konstruktionell als Bestimmungswort (Ölkrise, Finanzkrise etc.), syntaktisch ist es in Transitivkonstruktionen mit Krise als Subjekt oder als Possessivkonstruktion wiederzufinden mit Bezugsnomen wie Schaden/Opfer/ Lösung der Krise, die nach Kategorien wie Ursachen, Zeit, Akteure etc. sortiert werden können (vgl. Scholz/Ziem 2015:302). Das diskursmarkierende bzw. -bildende Potenzial von Phraseologismen veranschaulichen Stumpf/Kreuz (2016) anhand von Diskurskarrieren der Politiker- bzw. Fußballtrainerzitate und weisen zudem darauf hin, dass Phraseme und feste Wendungen wie und schon gar nicht als Teile komplexer Argumentationsfiguren auch in diskurslinguistischen Untersuchungen bereits nachgewiesen worden sind.53 Über diese bisherigen Verbindungslinien hinaus werden für das vorliegende diskursgrammatische Projekt weitere Grundgedanken einer lexikologisch motivierten Corpus-driven-Linguistik aufgegriffen. Sie betreffen das diskursspezifische Zusammenspiel von Wörtern und syntagmatisch-kotextuellen Faktoren. Dabei entstehen aus Bedeutungsaspekten der Wörter, die wie in einer metaphorischen Interaktion zwischen semantischen Feldern aktiviert werden, durch das grammatische Potenzial der beteiligten Wortformen und ihrer kotextuellen Präferenz komplexere Ausdrucksgestalten (hier als K-Profile bezeichnet), die in einem semantisch-pragmatischen Sinne holistisch wirksam sind. Ihre holistische Bedeutung ist auf der Folie lexikografischer Beschreibungen von Mehrworteinheiten sinnvoll an das verwendete Zeichenmaterial rückzubinden. Für Mehrworteinheiten kann, wie bisher gezeigt wurde, eine Skala mit geprägten Phrasemen auf der einen und schematischen Konstruktionen auf der anderen Seite erstellt werden. Im lexikografischen Konzept der usuellen Wortverbindung werden festgewordene Einheiten in Wortverbindungen und Wortverbindungsmuster unterteilt, wobei für letztere definitorisch festgelegt ist, dass sie einen Slot eröffnen. Beide heben sich von anderen, regulären Verwendungen

53 Das Beispiel stammt von Bubenhofer, weitere Beispiele, die Stumpf/Kreuz 2016:10f. zusammenstellen, finden sich u.a. bei Stöckl und Wengeler. Steyer 2012 untersucht ebenfalls für den öffentlichen Sprachgebrauch Verwendungsweisen von Sprichwörtern, Slogans und Redensarten und stellt fest, dass diese Wortverbindungen textstrukturierend wirken, Illokutionen anzeigen oder konnotative Zuschreibungen bewirken. Zum Sprichwort als kulturellem Schema vgl. auch Lewandowska 2008:153.

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dadurch ab, dass sie aufgrund ihrer Kombinatorik bzw. ihrer Eigenschaft, Füller zu selegieren, insgesamt eine kommunikative Funktion erfüllen. Diesen semantischen Mehrwert verdeutlicht Steyer (2013:257) am Beispiel des kausalen Wortverbindungsmusters [aus welchen SUB-GUrsacheMotiv auch immer] mit der typischen Realisierung als usueller Wortverbindung aus welchen Gründen auch immer: Sprecher thematisieren einen konkreten Sachverhalt oder entsprechende Folgen und drücken gleichzeitig aus, dass die Ursachen oder Motive dafür nicht bekannt oder nicht nachvollziehbar sind. Mit diesem bewussten Offenlassen kann eine gewisse Distanz, ein Zweifel bzw. sogar eine Zurückweisung präsupponiert werden, ohne sich aber darauf festlegen zu müssen.

Mit dieser in den Bereich der sozio-kommunikativen Sinnherstellung hineinreichenden Beschreibung gelingt es Steyer, die in der Phraseologie-Forschung vorherrschende Dichotomisierung aus Kompositionalität vs. Holismus in Frage zu stellen. Viele Wortverbindungen seien problemlos dekomponierbar, weisen aber eine „holistische Qualität höherer Ordnung“ auf, die sich erst in der „Logik der syntaktischen Struktur“ entfaltet (Steyer 2013:351). Diese syntaktische Strukturierung betrifft neben der kotextuellen Einbettung auch die Regularitäten der Slotbesetzung. Diese Auffassung vernetzter Syntagmen, die m.E. in ihrer korpuslinguistischen Fundierung über den Konstruktionsgedanken hinausweist, wird im Folgenden auch der diskursgrammatischen Ermittlung von K-Profilen zugrunde gelegt. Was bei Jakobson noch für den Sonderfall des poetischen Sprachprinzips vorbehalten war, nämlich dass ein Ausdruck auf der syntagmatischen Achse Projektionen auslöst, lässt sich auf den verbalen Domino-Effekt innerhalb thematischer Gattungen zur Herstellung sozialen Sinns ausweiten. Bei Jakobson (1979:49) entstehen ästhetisch-kreative Wirkungen im Text dadurch, dass Gleichheits- und Kontrastbeziehungen, d.h. die Äquivalenz von Ausdrücken auf der paradigmatischen Achse der Selektion auf die syntagmatische Achse der Kombination übertragen werden. Auch wenn dieser Projektionsmechanismus in den Poetik-Vorlesungen am ausführlichsten konzeptualisiert ist, hat Jakobson seinen Projektions-Gedanken bereits in einem früheren Text für textsortenspezifische Kollokationen spezifiziert. Mit syntaktischer Kontiguität bezeichnet er dort assoziative Ergänzungen, die auf einen konkreten Interaktionsrahmen hindeuten: Zum Lexem Hütte bildet nach seinem Beispiel die Prädikation ist abgebrannt einen Erzählkontext, während die prädikative Phrase ist ein ärmliches kleines Haus eine semantisch substituierende und eher beschreibende Kontextbildung evoziert (vgl. Jakobson 1960:168). Sinclair (2005:170), auf den sich Steyer zur Fundierung ihres Ansatzes vielfach beruft, geht generell von einer „syntagmatic meaning“ jeder usuellen Wortverbindung aus, die durch die Wahl eines Lexems in Abhängigkeit von der

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sprachlichen Umgebung ausgelöst werden kann. Diese paradigmatische Wahl erzeugt eine – wie idiomatisch oder phraseologisch auch immer wirkende – Kettenreaktion bzw. einen Dominoeffekt („knock-on effect“) auf der syntagmatischen Achse. Die Wirkung geht aber auch in die umgekehrte Richtung, d.h. von der Kombinatorik zur Selektion des Wortmaterials: If we start from the other axis, then any existing or proposed pattern of choice on the syntagmatic axis provides a framework for the interpretation of any choice to be made on the paradigmatic axis. (Sinclair 2005:170)

Da aus lexikologischer Sicht die lexemspezifischen „syntagmatic patterns of lexis“ (Sinclair 2005:169) möglichst erschöpfend ermittelt werden sollen, wird großen Korpora (mit einer Größe von mindestens 500 Mio. Tokens) gegenüber small data der Vorzug gegeben. Die Angaben relativieren sich allerdings angesichts der Varianz, die ein Korpus thematisch, gattungsbezogen etc. bietet. Für die Musterbildung von zentralen Bezeichnungen in thematischen Korpora sind die Kombinationsmöglichkeiten insofern sinnvoll begrenzt, als die meisten Treffer eines Suchausdrucks bereits in den interessierenden Themenfeldern vorkommen (z.B. das Partizip zerstört im Kontext des Zweiten Weltkriegs). Wie sich in den empirischen Abschnitten herausstellen wird, kann die Varianz der Vorkommen spezieller Wortformen und Kollokationen selbst in großen Referenzkorpora zu gering sein, um Musterbildung rein statistisch nachzuweisen. Nichtsdestotrotz erscheint es wichtig, die in Diskursen vorgefundenen Muster mit der kotextuellen Einbettung der Verbindungen in Referenzkorpora abzugleichen. Mit ihrem kotextuellen sprachlichen Umfeld vergrößern sich die „units of meaning“ (Sinclair 1996), die in einem strengen korpuslinguistischen Zugang rein statistisch definiert sind (vgl. Stubbs 2011:7f.). Sie fransen gleichsam aus und bilden „signifikante Inseln“ innerhalb des K-Profils. Diskursgrammatisch sind auch parallele Musterbildungen nachweisbar mit ähnlichen semantischen Effekten wie im Referenzkorpus. Erst ein Korpusvergleich kann aufschließen, wie lokal die jeweiligen Muster sind. Da ein und dasselbe Lexem seine Semantik in ganz unterschiedlichen Phrasen entfalten kann, wäre eine absolute Frequenzberechnung als alleinige Basis irreführend.54 Insbesondere wenn Phrasen Prozessen der Delexikalisierung unterworfen sind, gehen Bedeutungen auf die gesamte sprachliche Einheit über. Sinclair (2004:21f.) verdeutlicht am Beispiel englischer

54 Stubbs 2011:11 arbeitet in seinem Nachruf auf Sinclair dessen semantiktheoretisches Kernargument heraus, das besagt, „‚the normal career of meaning is the phrase‘ (Sinclair 2005)“. Mit ihm verabschiedet Sinclair eine rein wortzentrierte Semantik ebenso wie eine „misleading separation of lexis and grammar“.

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Adjektive diesen nicht seltenen Fall, dass manche Adjektive in einer erweiterten NP keine vom Nomen unabhängige Bedeutung beisteuern, sondern einen Bedeutungsaspekt des Nomens aktivieren, verstärken oder in den Vordergrund bringen wie physical in den NPen physical assault/confrontation/bodies oder general in den NPen general trend/opinion/consent. Die Verbindung zwischen Adjektiv und Nomen in der NP hat auch von Seiten des Adjektivs eine kollokative Festigkeit. Über die Bestimmung der verschiedenen Partnerwörter gelingt Dalmas/Dobrovol’skij/Goldhahn/Quasthoff (2015) eine lexikologische Beschreibung vermeintlich synonymer Adjektive, die laut Wörterbüchern alle ‘sehr gut’ bedeuten wie ausgezeichnet, exzellent, herausragend, herrlich, hervorragend, vortrefflich und vorzüglich. Neben lexikalischen Präferenzen für bestimmte Themenbereiche (herrliches Wetter, vorzügliche Küche, vortreffliche Leistung, exzellenter Wein) variiert der Adjektivgebrauch mit den Diskurspraktiken und ihren medialen Bedingungen (Brief, E-Mail, Stammtisch- oder mediengestütztes Fachgespräch). Die beschränkte Kombinierbarkeit schlägt sich in einem kombinatorischen Profil nieder, das korpuslinguistisch über Gebrauchsunterschiede erfassbar ist. Diese sind meist weder morphologisch motiviert noch linguistisch vorhersehbar: The unpredictability of such combinations arises from the fact that out of a range of possible collocates for a base, only one or several – but not all – can be regarded as established in language use. Thus, heavy applies to rain, rainfall, storm, gale, smoker or drinking but not to tea, coffee or taste, whereas strong can be used for wind, gale, tea, coffee and taste but not storm, rain, rainfall, smoker or drinking etc. Interestingly, the semantic contribution of these collocates can be characterized in terms of degree of intensity in some way or another. (Herbst 2011:30)

Ausgangspunkt für die Ermittlung diskursbildender Mehrwortverbindungen ist zunächst das Lexem in all seinen Wortformen und materiellen Oberflächenrealisierungen, worunter Schreibvarianten, graphostilistische Variation, aber auch Modalisierungen mittels Kursivschrift oder Anführungszeichen fallen. Für variierende Tempusformen, auch für nominale Singular- und Pluralformen, gibt es mittlerweile reichlich Evidenz, dass die untersuchten Varianten korpuslinguistisch (und vermutlich auch kognitionslinguistisch) nicht derselben lexikalischen Einheit („lexical item“) angehören. Sinclair/Jones/Daley (2004:119ff.) belegen beispielsweise anhand eines kleineren gesprochensprachlichen Korpus, dass sich das Kookkurrenzverhalten der Singular- und Pluralformen der Nomen year/ years und word/words signifikant unterscheidet. Um diese Unterschiede zu erfassen, sortieren sie die Kookkurrenzpartner für year/years nach ihrer Positionierung rechts- und linksseitig vom Ausgangswort und ermitteln auf diese Weise die festen Phrasen couple of years und about (numeral) years ago. Für die Wortfor-

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men word/words ergeben sich wiederum zwei Gruppen mit Schlüsselwörtern: (1) in, other, knew und (2): speak, English, French mit der festen Wortverbindung in other words für die Pluralform (vgl. Sinclair/Jones/Daley 2004:120ff.).55 Morphologisch besteht der Ausgangsterm oder Knotenpunkt (node) einer Untersuchung somit nicht aus der Grundform des Wortes, sondern aus einer Flexionsvariante. Für Synkretismen sind einschränkende Suchanfragen zu stellen, um die Präzision der Treffer zu erhöhen, dabei aber einen maximalen Recall zu erhalten und möglichst alle gewünschten Treffer zu finden.56 Über rechts- und linksseitig sortierte Konkordanzlisten werden häufige Verbindungen sichtbar. Zur Ermittlung der diskontinuierlich realisierten syntagmatischen Muster wird eine Spannweite von fünf bis acht Wörtern um einen Ausgangsterm herum als Kookkurrenz festgelegt.57 Den Ausgangsterm einer Ermittlung (node) bildet ein orthografisches Wort oder eine zweiteilige Wortform. Für diesen Knotenpunkt wird das gemeinsame Vorkommen mit anderen Wörtern, direkten Partnerwörtern oder Wörtern im Satzkontext untersucht. Die Festlegung eines Ausgangsterms und seiner jeweiligen Kookkurrenten bestimmt die Blickrichtung der Untersuchung und erlaubt eine leichtere Identifikation bei Reziprokanalysen, die die Festigkeit von Verbindungen reziprok von einem Kollokator aus ermitteln. Essentially, there is no difference in status between node and collocate; if word A is a node and word B one of its collocates, when word B is studied as a node, word A will be one of its collocates. (Sinclair/Jones/Daley 2004:10)

55 Bezogen auf die Schreibvarianten von Zahlen hat Hoey 2007 ermittelt, dass für das Zahlwort sixty der Kollokator years dreimal so häufig vorkommt wie für das Numeral 60. Andererseits wird 60 für die Altersangabe doppelt so häufig genutzt wie das Zahlwort. Weitere Vergleiche zwischen sixty und sixty-one etc. sowie zwischen sixty und forty erhellen auch assoziativ-konnotative Aspekte von Zahlwörtern. 56 Ein Recall mit falsch negativen Treffern, d.h. einer unvollständigen Trefferzahl ist weit problematischer als einer mit vielen falsch positiven Ergebnissen. Eher können Falsch-Positive durch eine weniger präzise Suchanfrage als fälschlicherweise gefundene Treffer in einem zweiten Schritt aussortiert werden. Zum Konflikt dieser beiden Ansprüche an optimalen Rücklauf und Präzision in der Formulierung von Suchanfragen vgl. Perkuhn/Keibel/Kupietz (2012:39f.) 57 Demgegenüber basiert die Ermittlung syntagmatischer Muster, die den Kookkurrenzprofilen in Cosmas zugeordnet sind, auf rein quantitativen Verfahren. Sie haben im Vergleich zu Phrasemen, Kollokationen oder Wortverbindungsmustern deskriptiven Status. Neben der Reihenfolge von auffälligen Wortkombinationen „werden auch weitere Wörter mit in die Auswertung miteinbezogen, die zwar nicht als statistisch auffällig erkannt worden waren, die aber für bestimmte Lücken zwischen den auffälligen Wörtern oft verzeichnet sind.“ (Belica/Perkuhn 2015:221)

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Was im Forschungskontext des britischen Kontextualismus als „Kollokation“ bezeichnet wird, entspricht in der deutschsprachigen Terminologie dem Terminus „Kookkurrenz“ im technischen Sinn einer statistisch signifikanten Assoziation von Wörtern. Der Begriff „Kollokation“ hingegen bezeichnet mit Hausmanns (1985:118) sprechendem Terminus „Halbfertigprodukte der Sprache“, die als konventionell verfestigte Mehrwortverbindungen linguistische Zusatzbedingungen erfüllen. Kollokationen sind in dieser engeren phraseologischen Definition besondere Fälle von Kookkurrenzen, bei denen der rekurrente Gebrauch von Wörtern oder Wortgruppen auf eine pragmatisch motivierte Musterbildung hindeutet.58 In dieser Verwendungsweise wird auch im Folgenden „Kookkurrenz“ als allgemeinerer Terminus für sprachliche Einheiten gewählt, die in einer bestimmten Wortumgebung mit einer vorab festgelegten Reichweite gemeinsam auftreten. Anders als beim Cluster, bei dem Wörter adjazent aufeinander folgen, können kookkurrente Wörter durch mehrere Wörter im Satz voneinander getrennt stehen. Dies trifft auch auf Kollokationen zu, zu denen insbesondere verbale und nominale Phraseme zählen. Verbale Phraseme haben eine verbale Basis und einen nominalen Kollokator wie Tisch decken oder Opfer fordern. Nominale Phraseme mit Attribut können nur teilweise in Prädikativkonstruktionen aufgelöst werden. So lässt sich die NP heiße Spur in die Prädikation Die Spur ist heiß umwandeln, nicht aber das nominale Phrasem öffentlicher Verkehr. Darüber hinaus zählen adjektivische Phraseme wie bitter nötig zu den Kollokationen. Burger hebt die Bedeutung korpuslinguistischer Verfahren bei der Ermittlung der signifikanten Festigkeit kollokativer Phrasen hervor, von denen jedoch die Phraseologie nur diejenigen betrachtet, die idiomatisch und teil-idiomatisch sind.59 Insgesamt ist Kollokation ein graduelles Phänomen, das von anderen freien oder usuellen Wortverbindungen, aber auch von Idiomen abzugrenzen ist. Stojiç und Košuta (2012:369f.) gehen mit Bezug auf Hausmann und Holderbaum von fünf Arten der Transformation aus, die mit Kollokationen, nicht aber mit Idiomen möglich sind: Ersetzung (ein Rätsel/ein Problem lösen), Attribuierung (ein großes Problem lösen), Erweiterbarkeit/Diskontinuität (ein Problem bis morgen lösen), Umstellung (lösen wird er das Problem) sowie morphologische Veränderung (Probleme lösen). Die Abgrenzung zur freien Wortverbindung wird

58 Vgl. Roth 2014:15, der die Entstehungsgeschichte des Kollokationsbegriffs umfassend nachzeichnet. 59 Vgl. Burger 2015:38–41. Lüger (2004:49), der die idiomatische Bedeutung von Kollokationen generell für schwach ausgeprägt hält, beschreibt darüber hinaus kollokative Possessivkonstruktionen (Entrüstung → Sturm der), Verbindungen aus Verben und Präpositionalphrasen (regnen → in Strömen) sowie Verbindungen aus Verb und Adverbial (kämpfen → verbissen).

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über ein semantisches Kriterium vorgenommen, denn „die meist metaphorisierte Bedeutung des Kollokators verhindert eine paradigmatische Substitution mit möglichen synonymen oder bedeutungsähnlichen Lexemen.“ (Stojiç/Košuta 2012:371) Hinzu tritt die semantische Idiomatizität der phraseologischen Wortverbindungen, mit deren Hilfe Burger (2015:27) die Phraseologie in einen engeren und einen weiteren Bereich gliedert: Dabei rechnet man sowohl die idiomatischen (Öl ins Feuer gießen, jmdm. einen Korb geben) wie die teil-idiomatischen (blinder Passagier) Phraseme zum engeren Bereich der Phraseologie, während nicht-idiomatische feste Wortverbindungen dem weiteren Bereich zugewiesen werden.

Da Burger (2015:19) gleichzeitig von einer Entgegensetzung phraseologischer und freier Wortverbindung ausgeht, überrascht hier die Bezeichnung „nichtidiomatische feste Wortverbindungen“. Sie bestätigt zugleich, dass Burger mit der Existenz von Mehrworteinheiten rechnet, deren strukturelle Festigkeit statistisch nachweisbar ist, die sich jedoch semantisch außerhalb der Idiomatizität im engeren Sinn bewegen. Auf viele Verbindungen, die diskursgrammatisch von Interesse sind, trifft dies zu. Frei ist eine Verbindung nach Burger (2015:19) dann, wenn sie keinen anderen als den „normalen morphosyntaktischen und semantischen Regeln unterliegt“. Der Erforschung dieser unauffälligen usualisierten „Normalität“60 und der zugehörigen Normalitätspraktiken widmen sich verschiedene lexikografische Ansätze. Statt von Idiomatizität spricht Steyer (2013:377) bevorzugt von der holistischen Qualität usueller Wortverbindungen, womit gemeint ist, dass die Mehrwortverbindung eine eigenständige Funktion erfüllt und aus diesem Grund auch eine Lexikoneinheit darstellt. Usuelle Wortverbindungen umfassen sowohl Kollokationen und phrasale Muster als auch mehr oder weniger idiomatische Wortverbindungen; Kriterium für den Status der usuellen Wortverbindung ist jedoch nicht mehr Idiomatizität oder strukturelle Anomalie, sondern in erster Linie Gebrauchshäufigkeit (vgl. Steyer 2013:30). Im Unterschied zu den lexikalisch vollspezifizierten Wortverbindungen mit geringer Variabilität der Komponenten stellen die lexikalisch teilspezifizierten Wortverbindungsmuster Abstraktionen über Wortverbindungen dar. Sie eröffnen Slots, deren lexikalische Fülle semantisch oder pragmatisch restringiert ist. Die Vernetzungen mit den zugehörigen

60 Die Bezeichnung „Normalität“ setze ich hier in Anführungszeichen, da ich nicht annehme, dass normale Wortverbindungen einer Anomalie idiomatischer Phraseme gegenüberstehen. Ich denke vielmehr, dass Geprägtheit auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen kommunikativen Effekten den gesamten Sprachgebrauch durchzieht.

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übergeordneten Schemata lassen sich anhand des Wortverbindungsfelds für Grund nachvollziehen (verfügbar unter http://wvonline.ids-mannheim.de/wvfelder-v3/grund-graphik.html, letzter Zugriff am 19.03.2020). So leiten sich aus dem Schema [aus X Gründen] sowohl das Wortverbindungsmuster [aus ADJ Gründen] als auch die Wortverbindung aus welchem Grund auch immer ab. Dabei liegt mit auch immer ein funktionaler Chunk vor, der wiederum dem Schema [X auch immer] zuzuordnen ist. Die Wortverbindung wie auch immer drückt aus, dass die Ursachen für einen Folgesachverhalt nicht relevant oder explikationsbedürftig sind, weshalb die Verbindung „die grammatische Funktion eines mehrgliedrigen Adverbs in der Bedeutung ‘egal’“ (Steyer 2013:261) erhält. Wie dieses Beispiel zeigt, spielen bei der Musterbestimmung auch Fragen nach der Grenzziehung zwischen musterhafter Phrase und Kotext eine Rolle, der seriell ähnlich gestaltet sein kann oder lexikalisch spezifizierte Kookkurrenten an sich bindet. Rekurrente phrasale Einheiten sind selten von ihrer sprachlichen Umgebung klar abgegrenzt – insbesondere wenn sie Varianten aufweisen. Die unscharfen Grenzen können in Form von musterhaften Verschachtelungen beschrieben werden. Stubbs (2007:172) gibt ein auch für den vorliegenden Diskurszusammenhang erhellendes Beispiel für dieses Problem der Grenzbestimmung phrasaler Muster, die als ineinander verschachtelte patterns in Erscheinung treten: since the end of the Second since the Second the end of the Second the Second the end of

World War World War World War World War World War

In der Beschreibung komplexer Musterbildung unterscheidet ursprünglich Sinclair (2004:141f.) im Anschluss an Firth zwischen Kollokationen (collocations) und Kolligationen (colligations) und fügt mit der semantischen Präferenz (semantic preference) und der semantischen Prosodie (semantic prosody) zwei weitere Kriterien hinzu, die den präzisionsbedürftigen Bereich der Konnotation korpuslinguistisch fundieren. Mithilfe dieser Unterscheidungen lassen sich Musterbildungen mit sprachlichen Komponenten in verschiedenen Granulationsstufen beschreiben. Die Kategorien sind über ansteigende Abstraktionsgrade miteinander verbunden. Während die Kollokation im „physical text“ zu verorten ist, „in that even the inflection of a word may have its own distinctive collocational relationships“ (Sinclair 2004:142), muss zur Ermittlung der Kolligation jedes Wort einer Wortartkategorie zugeordnet werden. Dies erfolgt in korpuslinguistischen Analyseverfahren i.d.R. mithilfe des POS-Taggers. Semantische Präferenz wiede-

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rum abstrahiert von der grammatischen Kategorisierung und bezieht sich primär auf Bedeutungsähnlichkeiten von Worteinheiten, wobei auch innerhalb dieser inhaltlichen Verwandtschaften Kolligationen mit Variablen auftreten können. Eine Verbindung zwischen Kollokation und Kolligation skizziert der an die Birmingham School angelehnte methodische Ansatz der collostructional analysis, der grammatische Strukturen als semantisch und/oder pragmatisch relevante Kookkurrenten lexikalischer Einheiten beschreibt und korpuslinguistisch nachweist (Stefanowitsch/Gries 2009:940f.).61 Die Verknüpfung von Lexik und Grammatik erreicht dieser theoretisch-methodische Rahmen durch die Kombination verschiedener sprachlicher Abstraktionsverfahren auf der Ebene der Wortformen (statt Lexeme), der kookkurrierenden Wortarten, der syntagmatischen Muster (z.B. Ditransitiv-Konstruktion oder Bewegungskonstruktion) und anderer satzbezogener (Wortstellung) und pragmatischer Faktoren (z.B. Illokutionen). Sinclair (2004:141) fasst die Kollokation als Kookkurrenz zwischen nicht mehr als vier Wörtern auf und geht davon aus, dass Partnerwörter nicht untereinander, sondern nur wechselseitig mit dem Ausgangsterm kookkurrieren. Eine Kolligation bzw. Rekombination besteht hingegen aus einer grammatischen Beziehung zwischen einem Wort bzw. einer Phrase und einer grammatischen Kategorie wie der weiter oben beschriebenen PP [aus ADJ Gründen] mit einem Adjektivslot im nominalen Mittelfeld. Ergeben sich bei der Füllerauswertung der Adjektive inhaltliche Übereinstimmungen, so ist die Kombination semantisch restringiert und es besteht eine semantische Präferenz, die zugleich den kommunikativen Mehrwert der Phrase begründet: Der Plural lässt in Verbindung mit dem bereichsbezeichnenden Adjektiv die Gründe vage erscheinen. Es handelt sich nach Steyer (2013:224) um ein „sanktionierte(s) Offenlassen konkreter Gründe“. Die Fülleranalyse belegt eine hohe Typefrequenz mit entsprechend hoher Füllervarianz, bei der auch morphologische Muster zutage treten. Steyer (2013:225) identifiziert drei Gruppen adjektivischer Kompositafüller mit den Grundwörtern politischen (personal-, symbolpolitischen...), taktischen (macht-, verkaufstaktischen...) und technischen (wetter-, platztechnischen...). Als Typefrequenz wird die Häufigkeit

61 In ihrer Definition legen Stefanowitsch/Gries (2009:941) einen Schwerpunkt auf die Assoziationsstärke zwischen lexikalischen Einheiten und grammatischen Strukturen: „If grammatical structures are linguistic signs on a par with lexical items, then the association between grammatical structures and lexical items (or other grammatical structures) can be investigated in the same way as associations between words.“ Es darf jedoch bezweifelt werden, dass an dieser Stelle eine rein quantitative Validierung, der als Assoziationsmaß statistische Berechnungen anhand zweier Größen zugrunde liegen, diskursive Formationen erfassen kann. Neben einer Erweiterung des Musterbegriffs sind für diskursanalytische Zwecke Ergänzungen aus der qualitativhermeneutischen Methodologie erforderlich.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

bezeichnet, mit der ein Slot in den Daten durch unterschiedliche Ausdruckswerte gefüllt wird. Sie gilt als ein Hauptfaktor zur Bestimmung der Produktivität einer Konstruktion. Die Typefrequenz steht dabei in Wechselwirkung mit dem Grad der Schematizität einer Konstruktion: The open slots in constructions are often semantically restricted, as the adjectives that can be used in the construction [X drives me (or someone) ADJ] (as in it drives me mad, it drives me crazy) must suggest some degree of insanity, either literally or figuratively (Boas 2003). Thus productivity is a matter of degree, determined by an interaction of type frequency with schematicity – the degree to which the category is open or restricted. (Bybee/Beckner 2015:966)

Tritt hingegen ein spezifischer Füller in einer Konstruktion frequent auf, liegt eine hohe Token-Frequenz vor, so etwa für den Füller welchen, mit dem sich die Wortverbindung aus welchen Gründen auch immer verfestigt. Die semantische Präferenz schlägt sich in den Beispielen von Sinclair wortartunabhängig nieder und umfasst einen Bedeutungsaspekt, der durch verschiedene formale Einheiten gefüllt werden kann. Ein Beispiel für ein solches komplexes Muster ist [visibility + preposition + the + naked + eye] mit Realisierungen wie you can see it whith the naked eye oder just visible to the naked eye (vgl. Sinclair 2004:32). Sinclair stellt fest, dass über 85 Prozent der Belege die semantische Prosodie der ‘Schwierigkeit’ aufweisen. Dieser latente Bedeutungsaspekt tritt zutage beim Verb to see mit Wörtern wie small, faint, weak, difficult (too faint to be seen with the naked eye) und beim adjektivischen visible mit Wörtern wie barely, rarely oder just (it is not really visible to the naked eye) (vgl. Sinclair 2004:33). In diesem Abschnitt hat sich gezeigt, wie Fragmente der sprachlichen Oberfläche erkannt und wie ihre Komponenten zwischen den Polen flexivischer Formgebung und morpho-syntaktischer Funktionalität eingeordnet werden können. Im folgenden Abschnitt geht es um die für ein diskursgrammatisches Programm produktiven Möglichkeiten, die Inhaltsseite von Formen und Mustern zu beschreiben.

2.5 Sinnherstellung: Framing und Metaphern Alles Verfestigte gewinnt einen kommunikativen Mehrwert. Dieser kommt dadurch zustande, dass mit der Stabilisierung von Formen pragmatische Faktoren wirksam werden wie das Medium, die Umgebung, die kommunikativen Anforderungen oder die Adressatenorientierung. Sprachliche Konventionalisierungen entstehen am Leitfaden situativer Faktoren und schlagen sich in der Semantik kookkurrenter Phänomene nieder. Hierbei sind Form-Bedeutungs-

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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Paare im konstruktionsgrammatischen Sinn und holistische Mehrworteinheiten gleichermaßen geeignet, um als diskursgrammatische Fokuskonstruktionen den Ausgangspunkt eines K-Profils zu bilden. Ein auch in der Diskurslinguistik vielfach unternommener Versuch, den semantischen „Niederschlag“ schematisch zu beschreiben, besteht in der Beschreibung von Bedeutung und Bedeutungsveränderung in Diskursen durch framesemantische Kategorien. Eine framesemantische Modellierung wird im zweiten Analyseabschnitt zu folgenden Zwecken herangezogen: 1. zur Erfassung sprachlicher Ökonomisierung in Form von Verdichtung oder Leerstellenreduktion, 2. zur Beschreibung von Frameverknüpfung und -integration auf Satz- und Text­ebene und 3. zur Beschreibung metaphorischer Prozesse. Zu 1. Ausführliche Beschreibungen des Zerstörungsszenarios und der Aufbauphase weichen ab den 1960er Jahren knapperen Passagen, in denen sich eine bestimmte Art und Weise zu verfestigen beginnt, die Ereignisse rückblickend zu beschreiben. Um diese Ökonomisierung prozessual zu fassen, wird ein framesemantischer Ansatz bevorzugt, der ein dynamisches Linking zwischen den Frameelementen und ihren syntaktischen Rollen voraussetzt. Wie in der Kontextualisierungsforschung geht die diskursgrammatisch motivierte Frameanalyse von einer oberflächennahen Operationalisierung aus, die Kondensation auf der Ausdrucksseite als Form von Verdichtung diskursiver Sinneinheiten erfasst. Von Polenz (2008:24ff.) beschreibt die globalere Entwicklungstendenz des Deutschen von der expliziten zur komprimierten Sprache und zeigt dabei zwei Fälle von Komplexitätssteigerung auf: Zum einen erfordern komplexere (im Sinne von weiter ausdifferenzierten) Sachverhalte auch komplexere Ausdrucksmittel (z.B. durch hypotaktische Gestaltung oder eine hohe attributive Dichte). Die präzisierende Ausdrucksweise komplexer Inhalte erfüllt die Aufgabe, von Einzelfällen zu abstrahieren. Zum anderen – und das sei in der gegenwärtigen Sprachkultur nicht selten der Fall – würden komplexe Inhalte verkürzt und ungenau ausgedrückt, „um Zeit und Raum zu sparen oder um die Hörer/Leser nicht zu langweilen oder sie zu provozieren oder um etwas zu verschleiern.“ (von Polenz 2008:25) Ein dritter Fall lässt sich skizzieren, bei dem Vagheiten dadurch entstehen, dass Sachverhalte eher präsupponiert als prädiziert werden. Dabei wirken sprachliche Habitualisierungen als Komprimierungsakte, die Sachverhalte se­man­tisch reduzieren. Diese Reduktion ist nicht zwangsläufig als sprachliche Öko­no­mie im Sinne eines Weniger an sprachlichem Material aufzufassen. Den kom­mu­ni­kativen Effekt einer Komprimierung innerhalb der Attribution (Adjektivattribut statt Relativsatz) beschreibt Göpferich (2007:417) folgendermaßen:

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

Vielmehr bietet die Integration von Inhalten, die in weniger fachsprachlichen Textsorten in Nebensätzen vermittelt würden, in den übergeordneten Satz die Möglichkeit, an diesen mehr andere Nebensätze anzuhängen, ohne dass die Gefahr einer zu starken Verschachtelung entsteht und einer Ungenauigkeit der Bezüge (...).

Alles in allem bringt eine komprimierte Gestaltung semantische Verluste mit sich. Czicza (2015:147) verdeutlicht dies anhand der Analogie zwischen den strukturellen Domänen Satz und Nominalgruppe. Letztere ist als sprachökonomische Sparform sozialsymbolisch aufgeladen und auf pragmatische Gründe rückführbar. Ähnlich wie bei der Umwandlung satzwertiger Prädikationen in Komposita und Nominalisierungen, in denen satzsemantische Komponenten verloren gehen, ergibt sich bei der Umwandlung von verbalen in nominale Einheiten ein Bedeutungsverlust, der nicht unbedingt mit der Frage zusammenhängt, ob semantische Elemente sprachlich repräsentiert sind, sondern eher auf welche Weise sich diese Repräsentation vollzieht. So weist Ágel darauf hin, dass bei der Umwandlung eines Kausalsatzes mit den Konnektoren weil, da oder denn in eine NP mit wegen die durch Wortstellung und Wahl des Junktors markierte Unterscheidung zwischen Sachverhalts- und Äußerungsbegründung nicht mehr getroffen werden kann, weil die Präposition wegen in dieser Hinsicht unspezifisch ist (vgl. Czicza 2007:149 mit Bezug auf Ágel 2000 und Ágel/Diegelmann 2010).62 Komprimierte Darstellungen gelten als komplexitätssteigernd, wobei in einer solchen Feststellung die Ebene der Komplexität (formal/semantisch/pragmatisch) zu benennen ist. Hennig (2007:177) siedelt sprachliche Komplexität allein auf formaler Ebene in sechs Dimensionen an und weist für den Bereich der strukturellen Komplexität die Attribuierung, insbesondere die Attribuierungstiefe und die Mehrfachattribuierung innerhalb der Nominalgruppe nach.63 Bei der Transformation verbaler in nominale Einheiten wie im Fall von [X ist zerstört worden] in [die Zerstörung von X] liegt die Komplexitätssteigerung wie oben beschrieben

62 Es ist jedoch zu vermuten, dass die wegen-PP die Sachverhaltslesart präferiert und damit epistemische Lesarten und solche auf Sprechaktebene ausschließt. 63 Darüber hinaus nennt sie Koordination vs. Subordination, paarige vs. nicht paarige Junktoren, Ellipse des gesamten Attributs vs. Ellipse eines Attributteils sowie Erweiterungen der Konnekte. Mit Bezug auf Dahl 2004 grenzt Hennig (2007:170) die Komplexität innerhalb eines sprachlichen Strukturbereichs wie der NP von einer globalen Systemkomplexität ab: „Das Ausgehen von struktureller Komplexität betrachten wir als die logische Konsequenz des Bestrebens nach einer ‚well-defined‘ ‚buttom-up-approximation‘. Im Gegensatz zu der globalen Frage nach der Systemkomplexität einer Einzelsprache oder einer einzelnen Varietät bietet die Betrachtung von Komplexität als strukturelle Komplexität die Möglichkeit, einzelne strukturelle Dimensionen herauszugreifen und in Bezug auf diese Dimensionen auszuarbeiten, welche Strukturen im Sinne des Beschreibungsaufwands als komplexer gelten können als andere.“

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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darin, dass die NP wiederum Teil eines Satzes werden kann. Durch den Wegfall der Tempus- und Modusmarkierung am Verb gehen grammatische Informationen zur semantischen Situierung (grounding) verloren (zum Grounding-Konzept bei Langacker vgl. Brisard 2002). Explizitheit nimmt bei Komplexitätssteigerung i.d.R. ebenfalls ab. Vom Prozessschema aus betrachtet kann wiederum die Agensrolle (Amerikaner/amerikanisch) auf ein Genitiv-Attribut (b) und noch einen Schritt weiter auf ein adjektivisches Attribut (c) reduziert werden: (a) Verbale Struktur (Prozessschema): Die Amerikaner haben angegriffen. (b) Nominale Struktur (Dingschema): Angriffe der Amerikaner (c) Nominale Struktur (weiter verdichtet): amerikanische Angriffe In der adjektivischen Form in (c) verliert der Agensausdruck die Eigenschaften des grammatischen Zeigens. Die schwach deiktische Funktion des Determinativs lässt Variationen in der Form der Bezugnahme (definit, indefinit) zu und ermöglicht so die Wiederaufnahme im nachfolgenden Kotext. Satzsemantischpragmatisch betrachtet sind Substantive nicht rein referierende Sprachmittel, sondern weisen eine Kombination aus Bezugnehmen und Prädizieren auf. Die nominale Art des Prädizierens erfolgt stets implizit. Sie ist nicht nur kennzeichnend für deverbale bzw. valente Substantive, die primär prädikativen Charakter besitzen, sondern auch für Personenbezeichnungen wie Opportunisten oder Baader-Meinhof-Gruppe vs. -Bande (vgl. Polenz 2008:125ff.). Mit ihnen werden neben der prädizierenden Bezugnahme zugleich Bewertungen und Stellungnahmen abgegeben. Diese zusätzliche Ebene des nominalen Prädizierens ist auf Diskursebene verschiedentlich anhand von Bezeichnungskonkurrenzen für Diskursgegenstände und Ereignisbezeichnungen dargelegt worden.64 Wirft man einen Blick auf die Formulierungen, die im ZAD-Gesamtkorpus für verbale und nominale Konstruktionen zum Verbstamm {angreif} zu finden sind, fallen Unterschiede in der Slotbesetzung auf. Auf verbaler Ebene sind Konstruktionen mit dem Perfektpartizip angegriffen zu finden, auf nominaler Ebene findet sich das implizite Derivat Angriff, das den Kern einer teilweise komplexeren NP bildet. Das folgende Füllerprofil mit Angreif-Konstruktionen ist an die framese-

64 Vgl. hierzu die Studie von Spieß 2009 zur Bezeichnung der befruchteten Eizelle als Zellhaufen oder menschliches Leben im Diskurs um die embryonale Stammzellforschung oder auch zur Ereignisbezeichnung des Kriegsendes am 8. Mai 1945 als Kapitulation, Katastrophe, Befreiung etc. von Rothenhöfer 2008, auf die in Kap. 6.1 näher eingegangen wird.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

mantische Beschreibung65 von Komplementen und Supplementen angelehnt (zu einer ausführlichen Analyse dieser Beispiele im Rahmen der diskursiven Musterermittlung vgl. Kap. 6.2): Tab. 3: Slotbesetzungen zum präteritalen Vorgangspassiv von angreifen für V2- und Vl-Stellung 1 Paderborn wurde Victim

von 500 Bombern Means

angegriffen.

2 1944 Time

wurde

3 1942 Time

wurde im August der Bahnhof von einem Bomber englischen angegriffen. Time Victim Means Assail

4

als

die Stadt Victim

eines Nachts Time

angegriffen.

neunmal Frequency

eine unserer Geschützbesatzungen Victim

von überRussen raschend Assail Evaluierer

angegriffen wurden.

Tab. 4: Slotbesetzungen zur Nominalform Angriff 5 der

Angriff

6 der

Angriff

7 ein

8 ein

amerikanischer Assail

vom 16. Dezember 1940 Time auf Paderborn Victim

Angriff

Angriff der Engländer am 27. März mit 270 Assail 1945 schweren Time Bombern Means

auf das der etwa 350 StadtTote forderte zentrum, Victim Victim

Ein Vergleich der Verteilung von Kern- und Randelementen zeigt, dass der VictimSlot im verbalen Schema in valenzieller Hinsicht ein Pflichtslot ist (Subjekt des

65 Die Frameelemente wurden für den Attack-Frame aus Frame-Net übernommen, und zwar Assail(ant) und Victim als Kernelemente sowie Frequency und Time als Non-Core-Elements, vgl. https://framenet.icsi.berkeley.edu/fndrupal/frameIndex, zuletzt abgerufen am 19.03.2020.

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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Passivsatzes), während das patientive Präpositionalattribut in der nominalen Formulierung (Angriff) wie in (5) und (8) wegfallen kann. Auch wenn das deverbale Nomen Angriff die Präposition auf regiert, verliert die an das Nomen vererbte Subjektrolle ihren obligatorischen Charakter. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass der Time-Slot in der nominalen Formulierung sein informationsstrukturelles Gewicht verringert und zwar dadurch, dass er nicht mehr im Vorfeld des Satzes steht. Auch Realisierungen im Frequenz-Slot würden im Nominalschema eher sperrig wirken und fallen daher meist weg.66 Für die sprachliche Darstellung der Angreiferrolle (Assail) ergibt sich sowohl im verbalen (4) als auch im nominalen Formulierungsmuster (8) eine besondere Verbindung mit evaluierenden und deiktischen Sprachmitteln, die möglicherweise eine gedenkrelevante Rahmung eröffnen. In (4) ist es die Verblüffung (überraschend), mit der darüber berichtet wird, dass eine deiktisch angezeigte Militäreinheit zu einem nicht näher spezifizierten, aber für die Verteidigung als ungünstig markierten Zeitpunkt (eines Nachts) von explizierten Angreifern (von Russen) angegriffen wird. In (8) werden die schweren Bomben quantifiziert (270), durch die eine exakt bezifferte Personengruppe (350 Tote) zu Tode gekommen ist. Diese Betroffenheitsbekundung mag in (8) mit der Angreiferrolle als Genitivattribut (der Engländer) korrelieren. In der adjektivischen Realisierung im Mittelfeld (7) bleibt die Darstellung ebenso deskriptiv (amerikanischer) wie bei den adjektivischen Realisierungen innerhalb der agentiven PP von einem englischen Bomber, die in erster Linie das Mittel bezeichnet, mit dem der Bahnhof angegriffen wurde (3). Die kookkurrierende doppelte Zeitangabe im Vor- und Mittelfeld deutet auf ein berichtendes Vertextungsmuster hin. Unter der informationsstrukturellen Voraussetzung, dass der Mitteilungswert von Satzgliedern zunimmt, je näher sie dem Satzende stehen (vgl. Eroms 1986:55), besetzt die sprachliche Realisierung der Means-Rolle sowohl in (1) als auch in (2) die mit Neuigkeitswert assoziierte Position im Satz (was späterhin noch von Belang sein wird), wohingegen in (4) die epistemische Figurenperspektive (überraschend ist dies aus Sicht der betroffenen Stadtbewohner) den rhematischen Akzent erhält. Die hiermit exemplifizierte Kopplung von syntaktischer Funktion und FrameElement basiert auf den Frame-Beschreibungen, die im Berkeleyer FrameNet-Projekt von über 1200 vorwiegend lexikalischen Frames auf der Grundlage des nach Textsorten ausgewogenen British National Corpus (BNC) entwickelt wurden. Ziel dieses lexikografischen Projekts mit mehr als 200.000 annotierten Sätzen ist es,

66 Akzeptabel wären allenfalls Formulierungsweisen wie mehrmalige oder alle Angriffe, nicht aber *neunmalige Angriffe. Semantisch vergleichbar ist hierzu das metaphorische Kompositum Angriffswelle.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

to document the range of semantic and syntactic combinatory possibilities – valences – of each word in each of its senses, through computer-assisted annotation of example sentences and automatic tabulation and display of the annotation results. (Ruppenhofer et al. 2016:7)

Dass das FrameNet weit mehr ist als eine lexikografische Sammlung von Inhaltswörtern des englischen Grundwortschatzes, betont insbesondere Ziem (2015:55f.), der lexikalischen Einheiten als Form-Bedeutungs-Paare auffasst und sie somit in eine Verwandtschaftslinie mit Konstruktionen stellt. Dies ist vor allem deshalb möglich, weil sich die Annotationen eng an der ursprünglichen Kasusrollentheorie von Fillmore orientieren. Gegenüber der ursprünglich rein syntaktischen Valenzidee, bei der jeweils ein regierendes Verb bestimmte Frame-Elemente als Mitspieler auswählt, baut Fillmore ab den 1980er Jahren seine Kasusgrammatik zur Frame-Semantik aus. Die postulierten semantischen Rollen haben weiterhin eine oberflächengrammatische Verankerung vor dem Hintergrund, dass wir in einer sorgfältigen Beschreibung der mit Prädikaten assoziierten semantischen Rollen der meisten Verben „Frame-spezifische“ semantische Rollen-Kategorien benötigen, die weit über die üblichen Rollen-Listen hinausgehen, die in gängigen Arbeiten zur Semantik und Grammatik von Verben gefunden werden können. (Fillmore/Atkins 1992:84 zitiert nach Busse 2012:165)

Bedeutung entfaltet sich im Theoriedesign der Frame-Semantik über Valenzbeziehungen und von übergeordneten Matrix-Frames vererbten Rollen-Kategorien. Sie sind nach dem Verfahren der Hyperonymtypenreduktion aus typischen Fragen- bzw. Aussagenkatalogen abgeleitet (vgl. Konerding 1993). Aus diskursgrammatischer Sicht ist insbesondere das aus dieser Rollenverteilung hervorgehende verstehensrelevante Wissen stärker noch an die sprachliche Gestaltung rückzubinden. Dies kann so aussehen, dass wie im obigen Beispiel mit dem Vergleich zwischen verbaler und nominaler Formulierungsweise die typischen Prädikationsarten mit ihren jeweiligen Aussagengewichtungen quantitativ und metadatenbezogen erhoben werden. In Abhängigkeit von diesen ausdrucksbezogenen Framings ist schließlich dasjenige Wissen mithilfe spezieller Darstellungsverfahren sichtbar zu machen, das durch das Aufrufen eines Konzeptframes mit einem Schlag „da“ ist. Dieser Effekt wird in der Frame-Semantik als Folge von regelmäßig ablaufenden Inferenzen aufgefasst. Sie führen zur Herausbildung von verstehensrelevanten Standardwerten. Bestimmte Frame-Elemente werden in Form von Standardwerten ohne direkte sprachliche Anker, d.h. Füllelemente, instanziiert und können für das Verstehen vorausgesetzt werden. Dass beispielsweise bei einer Kindergeburtstagsfeier typischerweise Geschenke überreicht und Spiele gespielt werden, kann auf dieser mittleren Abstraktionsebene vorausgesetzt werden, nicht aber welche konkreten Spiele es sind. Abstraktion oder besser

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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Abstrahierbarkeit erweist sich somit als Voraussetzung zur Bildung standardisierter Attribute für konkrete Frame-Elemente: Je niedriger der Abstraktionsgrad einer Informationseinheit in einem Frame ist, desto eher müssen die Leerstellen eines Frames mit konkreten Daten („fillers“) gefüllt sein und können nicht vorausgesetzt werden. Und umgekehrt gilt: Je abstrakter der Informationsgehalt, desto eher kann dieser gleichsam als Standardwert („default value“) präsupponiert werden. (Ziem 2008b:95)

Für einen notwendigerweise zu ergänzenden common ground gibt Klein (1998:39) folgendes Beispiel: „‚Mein Sohn war gestern auf einer Kindergeburtstagsfeier. Er kann nie genug Süßes kriegen. Jetzt hat er einen verdorbenen Magen.‘“ Erst durch das Wissen, dass auf einer Kindergeburtstagsfeier für gewöhnlich große Mengen an Süßspeisen verzehrt werden, könne die Feier als Begründung für den verdorbenen Magen interpretiert werden. Welcher default-wertige Füller evoziert wird, hängt jedoch nicht allein vom jeweiligen Ausgangslexem ab (im obigen Beispiel ist das Nomen „Kindergeburtstag“ frameauslösend), sondern auch vom Gesamtkontext, in dem es erscheint. So konnte experimentell nachgewiesen werden, dass der Oberbegriff bird in einem Bauernhofkontext eher mit einem Huhn als Prototyp assoziiert wird, während im Zusammenhang mit Vogelstereotypen eher ein Rotkehlchen als typischer Vertreter für die Kategorie „Vogel“ gilt (vgl. Klein 1998:35). Dies zeigt, dass nicht Wörter, sondern ganze Kontextprofile frameevozierend sind. Die Herausbildung solcherart indexikalisch wirksamer Kontextorganisation lässt sich auf Diskursebene anhand von Begriffskarrieren wie Flüchtlingsstrom, Kalter Krieg oder Arabischer Frühling zurückverfolgen, die ein metaphorisches Netz für die Deutung, insbesondere für bewertende Bedeutungsaspekte, aufrufen, ohne es ausdrucksseitig zu explizieren. Dies geschieht über Standardwerte, die die Eigenschaft besitzen, implizit zu prädizieren, wobei die linking and filling-in activity depends, not on information that gets explicitly coded in the linguistic signal, but on what the interpreter knows about the larger scenes that this material activates or creates. (Fillmore 1977:75 zitiert nach Ziem 2008a:335).

Wie bei Implikaturen und Präsuppositionen fließt in den inferentiellen Prozess zur Aktivierung von Standardwerten kulturelles Wissen und Erfahrung ein, die wiederum sprachlich vermittelt sind. In einer kognitivistischen Ausrichtung der Frame-Semantik werden Verfestigungsprozesse im Vorfeld der Standardwertbildung auf konzeptuelle Strukturen bezogen und der Frame löst sich tendenziell von der sprachlichen Realisierung. Demgegenüber wird im vorliegenden diskursgrammatischen Kontext für eine Rückbindung der Frame-Elemente an die sprachliche Oberfläche und damit an Verfestigungsprozesse durch grammatisch-

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

stilistische Bindekräfte plädiert. Diese Entscheidung wirft die Frage nach den Versprachlichungsindikatoren für kommunikativ stabilisierte Standardwerte auf. Zudem ist zu klären, ob sich auf dem Weg der Herausbildung von Standardwerten möglicherweise sprachmaterielle Spuren verfestigter Frame-Instanzen abzeichnen, die nicht nur inhaltlich typisierend wirken, sondern zugleich auf den Grad ihrer Verfestigung hindeuten. Dies ist verbunden mit der Zielsetzung, die rekursive Gestalt der Frames in ihrer Sprachlichkeit zu fassen. Denn wenn ein Standardwert selbst wiederum einen Frame und damit ein ganzes semantisches Netz aus routinemäßig verbundenen Bedeutungsaspekten bildet, liegt es nahe, dass es bestimmter Signale bedarf, die diese Inferenzprozesse in einem kulturellen Sinne habitualisieren. Außerhalb kultureller Praktiken bleiben kommunikative Verfestigungen, verstanden als bloße „Routinisierung individueller Kategorisierungsleistungen“ (Ziem 2008a:118), stets abhängig von einer Reihe hermeneutischer Plausibilisierungen. Schlussfolgerungen sind dabei für den Einzelfall zu interpretieren. Als subjektiv empfundene, kulturelle Erscheinungen, die für objektivierbar gehalten werden, treten Inferenzen in Verbindung mit Kontextualisierungsmustern auf. Sie erscheinen displayed am sprachlichen und multimodalen Material und sind insofern nachweisbar. Auch hier verläuft die Kontextbildung über die sprachlich evozierten Inferenzen: Standardwerte bilden sich im Zuge diskursprägender Sprachgebrauchsmuster heraus, ihre Wirksamkeit ist somit weniger abhängig von einer (vorgängigen) kognitiven Repräsentation. Zu 2. Die Beschreibung von Framebeziehungen sind Momentaufnahmen dynamischer Bedeutungsnetze. Bewegungen innerhalb der Frame-Architektur entstehen nicht nur dadurch, dass frame-auslösende Wörter selbst wieder Instanzen eines übergeordneten (Matrix-)Frames sind. Sie entstehen auch durch die vielfältigen Verbindungen von Frames auf Satz-, Text- und Diskursebene. Die Verbindungen auf Diskursebene werden in Theorieansätzen, die sich auf die Diskursanalyse Jägerscher Prägung beziehen, als Diskurs(-strang-)verschränkungen zwischen mehreren Diskursen beschrieben.67 Mit ihren wurzelartigen Verschlingungen

67 Auch wenn innerhalb der Diskurslinguistik die unvereinbaren Voraussetzungen der angloamerikanischen Critical Discourse Analysis (CDA) und der Kritischen Diskursanalyse am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) betont werden, halte ich das von Link (1983) inspirierte Konzept der Diskursverschränkung mit den Prämissen der CDA durchaus vereinbar. Unter der Voraussetzung, dass Diskurse Machtrelationen nicht nur widerspiegeln, sondern konstituieren und gestalten (vgl. van Dijk 2015:467 mit Bezug auf Fairclough/Wodak 1997), hebt das Konzept der Diskursverschränkung auf solche Phänomene ab, die ihre semantische Wirksamkeit durch die Verkopplung von Diskursen entfalten. Gerade hierbei spielen grammatische Bindekräfte eine wichtige Rolle, weil sie über den diskursiven Kitt von Schlüsselwörtern

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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kommen für die aufeinander bezogenen Diskurse „besondere diskursive Effekte“ (Jäger 1999:160, Hervorh. i.O.) zustande. Damit ist gemeint, dass eine Aussage aus Diskurs A durch eine Aussage aus Diskurs B gestützt, begründet, verteidigt o.ä. wird. Beispielsweise werden in rechtsextremen Kreisen nationale Identitätsbildung und Zu- bzw. Einwanderung argumentativ so miteinander verschränkt, dass sie vollkommen unverträglich erscheinen (vgl. Jäger/Jäger 2007:189). Dies geschieht sprachlich auf vielfältige offene und implizite Weise. Zudem sind hierfür kommunikativ bestimmte Strategien, in diesem Fall politisch motivierte Argumentationsstrategien zu veranschlagen, die der Herstellung einer interessengeleiteten Diskursposition dienen. Von einem solchen starken argumentativen „Sendungsbewusstsein“ ist für das ZAD jedoch gerade nicht auszugehen. Es handelt sich dort um sprachliche Erscheinungen, die von Subjekten nicht in erster Linie zu persuasiven Zwecken getroffen werden. Sie erfüllen vielmehr die Aufgabe, Erinnerungen zu bewahren und aufzuklären, an künftige Generationen zu appellieren und zu mahnen, geschichtliche Zusammenhänge (paradigmengetreu) darzustellen, um sie mit dem Ziel einer zukünftigen Gestaltung des städtischen Lebens zu beschreiben. Für die diskursgrammatische Verknüpfung von Zerstörungs- und Aufbauereignissen sind hierbei zwei Anpassungen vorzunehmen, die miteinander zusammenhängen. Das eine ist die Kalibrierung auf die sprachliche Oberfläche, die über die Evokationsanalyse der frameinduzierenden Lexik, aber auch über die Beschreibung verschiedener konstruktioneller Konnektivitäten gelingt. Das andere und damit zusammenhängende Ziel umfasst die Herstellung erinnerungskultureller Profile, aus denen weniger geschlossene Diskurspositionen hervorgehen – weswegen auch Agonalität trotz unterschiedlicher Sichtweisen auf die Aufbauleistung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr kristallisieren sich Sagbarkeitsfelder heraus, in denen die erinnerungskulturelle Diskurspraxis die Städtezerstörung sowie die Bedingungen, Umstände und Vorgaben eines Wieder- bzw. Neuaufbaus als eine Art „Anleitung“ zur zukunftsorientierten Nutzung der Stadt entwirft. In der Untersuchung diskursgrammatischer Aussageformationen sind „institutionalisierte, geregelte Redeweisen als Räume möglicher Aussagen, die an Handlungen gekoppelt sind“ (Link 2016:121) nicht nur auf Schlüsselwörter bezogen, die ggf. noch im Zusammenspiel von modalisierenden Sprachmitteln Geltungsweisen von Positionen zum Ausdruck bringen. Im diskursgrammatischen Zuschnitt der Diskursanalyse bilden vielmehr Formulierungsroutinen die satz- und kontextbezogenen Grenzen der Sagbarkeits- und Wissensräume mit der jeweils resultierenden Sprechersubjektivität. Sagbarkei-

und Kollektivsymbolen (Link 1983) hinaus Verknüpfungsarten unterhalb der Schwelle des bewussten Sprachgebrauchs aufzeigen.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

ten können sich wie oben demonstriert im verbal- und nominalgrammatischen Bereich oder in der topologischen Verteilung der Einheiten manifestieren; oft verbinden sie Diskurseinheiten, ohne selbst als Bindemittel greifbar zu werden. Die Diskurspraxis im Raum des Sagbaren hat Ähnlichkeit mit dem, was Felder unter einem handlungsleitenden Konzept versteht. Es entwickelt sich überall dort, wo soziale Praktiken auf sprachlichen Routinen basieren: Werden spezifische Konzeptualisierungen in einem Diskurs in dominanter Weise versprachlicht, spreche ich von handlungsleitenden Konzepten (Felder 1995: 3 und Felder 2006: 18) des Diskurses. Geht es darüber hinaus um konfligierende Geltungsansprüche (die sich in diesen Konzepten verdichten bzw. kristallisieren), so wird in Weiterführung von Lyotard (1987), Assmann (1999) und Warnke (2009) von agonalen Zentren gesprochen. (Felder 2015:98)

Für die diskursgrammatischen Verbindungsweisen der Diskursstränge im ZAD werde ich im Folgenden zwei Verfahren unterscheiden: die Frameverknüpfung und die Frameintegration. Ausgangspunkt dieser Unterscheidung ist die Organisation der Themenverschränkung auf der sprachlichen Oberfläche, mit der wiederum spezifische Bedeutungsaspekte emergieren. Ziem hat diesen Gedanken in Anlehnung an die Blending-Theorie von Fauconnier/Turner (2002) zur Beschreibung von metaphorischen Bedeutungserweiterungen aufgegriffen und anhand mehrerer Fallbeispiele weiterentwickelt. Bezugspunkt für den Emergenzeffekt ist hierbei der mental space: Durch die Verbindung von zwei mentalen Räumen entsteht über die Vermittlung eines generischen Raums ein dritter Raum, der abstrakte Informationseinheiten umfasst, die die beiden Ausgangsbereiche miteinander teilen, die jedoch unterschiedlich spezifiziert sein können. In den emergenten Raum gehen Aspekte beider Input-Bereiche ein (vgl. Ziem 2008a:379). Das Emergenzphänomen weist jedoch auch in die umgekehrte Richtung: Aktualisierte und rekombinierte Wissenselemente können rückwirkend die Qualität und die Gewichtung der Elemente aus den Quelldomänen verändern. Diese Wirkung geht für den hier entwickelten Begriff der Frameintegration nicht von einer mentalen, sondern von einer syntaktischen Raumdimension aus: Exemplarisch geschieht dies etwa bei der Kombination der Diskursstränge im ZAD innerhalb einer nominalgrammatischen Formulierung wie den Wiederaufbau des 1945 zerstörten Gebäudes. Das erweiterte Genitivattribut steuert semantisch eine Einordnung für das adverbielle Kompositionsglied wieder in Wiederaufbau bei: Die Behauptung, dass ein Zustand von vor 1945 wiederherstellbar ist, wird nominal aber nur als Möglichkeit prädiziert. Die Verbindung zeigt außerdem eine diskursgrammatische Gewichtung an: Thema ist der Wiederaufbau, den die Zerstörung nötig macht bzw. machen würde. Der vollständige Einbettungsrahmen, der diese Möglichkeit allerdings verneint, lautet:

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(7) Auf den Wiederaufbau des 1945 zerstörten Gebäudes wurde zugunsten der Verbreiterung des Kamp verzichtet. (PB 2008 BRO Stadt, 11 – Erzbischöfliches Palais)

Überprüfbar wäre nun, ob dies eine typische nominalgrammatische Integration der beiden Diskursstränge ist, um anzuzeigen, dass sich der Aufbau an bestimmten Maßgaben des modernen Städtebaus orientiert hat. Beim Vergleich zu frameintegrativen Formulierungen mit dem Deverbativum Aufbau mögen ähnliche oder völlig andere attributive Kontexte zutage treten. Ebenso ist denkbar, dass anhand dieses Parameters keinerlei Korrelationen mit einem Deutungsmuster zu verzeichnen sind. Während die Frameintegration in der Wortgruppe oder auf Satzebene vorliegt, treten Frameverknüpfungen durch Konnexion innerhalb von Sätzen, zwischen Sätzen, im Absatzkontext und multimodalgrammatisch auf. Der nach einem Spiegelstrich angeknüpfte Adversativsatz in (8) wird durch seine Subjektanalepse stärker an den Vorgängersatz angebunden. Zu ergänzend sind die Häfen, die längst wieder aufgebaut (...) sind. Der Adverbkonnektor aber befindet sich im Mittelfeld und kontrastiert die beiden Propositionen. Aber zeigt an, dass die zweite Proposition entgegen der allgemeinen Erwartung eintritt (vgl. Zifonun 1998:2402): (8) Der Krieg schlug die Wunden: 90 % der Häfen wurden zerstört – sind aber längst wieder aufgebaut und leistungsfähiger geworden als zuvor. (HB 1965 STF Lindemann, 41)

Kontrast und „Fokusumlenkung“ (Zifonun 1998:2403) werden ikonisch mithilfe des Gedankenstrichs zwischen den Konjunkten unterstützt. Dadurch erhält der zweite Teil ein besonderes Gewicht, „es ist das, was der Sprecher primär und nachdrücklich assertieren will, auf das sich der Adressat vorrangig einlassen soll“ (Zifonun 1998:2403). Das Zerstörungsereignis wird versachlicht und als „objektive“ Prozentangabe (90 %) in seiner Auswirkung beschrieben. In der Koordination wieder aufgebaut und leistungsfähiger geworden als zuvor wirkt das Partizip aufgebaut als Voraussetzung des Komparativs leistungsfähiger als zuvor, der sich mit partizipialem geworden zur Perfektform des adjektivischen Prädikativs (sind ... leistungsfähiger geworden) verbindet. Das Perfekt profiliert an dieser Stelle den „verbesserten“ Ist-Zustand. Ebenfalls kontrastierend, jedoch nicht im selben Satzkontext, zeigt sich im nachfolgenden Beleg die Verknüpfung mit dem Subjunktor während. Er leitet einen Konfrontativsatz ein, mit dem der Gegensatz zwischen wiederaufgebauter Außenhaut und (teilweise) verloren gegangenem Innerem erzeugt wird: (9) Im Oktober 1944 wurde ein großer Teil der Straße durch Brandbomben zerstört. Während die Fassaden mit wenigen Veränderungen bis 1954 wiederhergestellt waren, sind

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

die von Runge & Scotland oder Bernhard Hoetger gestalteten Innenräume bis auf wenige Ausnahmen verloren. (HB HYP Boettcher, Boettcherstraße)

Das Motiv des schweren Verlusts manifestiert sich in der expliziten Nennung des Architekturbüros und des Bildhauers sowie in der Wahl des prädikativ gebrauchten Partizips verloren, in dem semantisch kaum Hoffnungen auf eine mögliche Rekonstruktion angelegt sind. Die lexikalische Negation im partizipialen Adjektiv verloren verbindet sich mit einer semantischen Prosodie des Unwiderbringlichen und zu Betrauernden. Die Negation ist – fürs Englische wie fürs Deutsche – ein zentrales Beispiel für einen „Dammbruch“ zwischen Grammatik und Semantik (vgl. Sinclair 2004:172). Wie bei den Bedeutungskategorien „modal“ oder „possessiv“ können auch für Negationen grammatische und lexikalische Strategien gewählt werden, die das Framing informationsstrukturell jeweils unterschiedlich akzentuieren. Ihr kommunikativer Sinn variiert mit den Erwartungen und Normalitätsansprüchen, die durch Existenz- (Niemand hat diesen Film gesehen.), Satz- (Wir haben diesen Film nicht gesehen.) oder Sondernegationen (Nicht diesen Film haben wir gesehen.) aus unterschiedlichen Perspektiven erhoben werden (vgl. Adamzik 1987:376ff.). Die spezifischen Ausprägungen des Zerstörungs- und Aufbau-Framings durch das sprachliche Material stellen anhand der gewählten Negationsverfahren den Blick auf die Diskursverbindung ein. Werden die Folgen des alliierten Bombardements als Verlust konzeptualisiert (verloren im Zuge einer lexikalischen Negationsstrategie), verändern sich die Bedingungen der Slotevozierung: Verlust impliziert eine Besitzbeziehung, die in FrameNet in Form von Frame-Elementen des Besitzers (Owner) und des Besitzes als Objekt (Possession) ausgedrückt werden. Eine vergleichbare Verfügungsmacht wird im Framing der Zerstörung (z.B. durch die passivische Formulierung wurde zerstört) nicht imaginiert. Dieser korpuslinguistische Zugriff auf Variation und Verfestigung von Formulierungen für diese spezifische Diskurssituation, die heutigen erinnerungskulturellen Praktiken zugrunde liegt, eröffnet die Möglichkeit – ähnlich wie es Ziem (2006:333f.) für die semantische Epistemologie beschreibt – die historischen Möglichkeitsbedingungen der Slot-Evozierung und der Filler-Instantiierung in Hinsicht auf ihre konkreten Entstehungszusammenhänge und ihre epistemische Wirksamkeit zu analysieren.

Auf Basis dieser Framebeschreibungen kann der Nachweis einer Frameentwicklung, d.h. des Verblassens, Verschiebens oder anderer Dynamiken von Default-Werten der jeweiligen Slots erbracht werden. Während in der diskurssemantischen Beschreibung die einzelne Aussage mitunter als formal zufällige Realisierung diskursiven Wissens betrachtet wird (vgl. Roth 2015:49), betont die Diskursgrammatik die Gestaltung der Aussage, die „auf vorgeformtes, erprobtes,

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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im äußersten Fall auch regelrecht konventionalisiertes Sprachmaterial“ (Roth 2015:52) zurückgreift und in Abhängigkeit von Subjektivierungsprozessen entsteht. Haß-Zumkehr (1994) beschreibt die verknüpften Texthandlungen Erinnern und Mahnen auf Mahnmaltexten korpusbasiert mithilfe satzsemantischer Kategorien, die frappierende Verwandtschaften aufweisen zu der an Fillmores Rollentheorie anschließenden Version der Frame-Semantik. Sie veranschaulicht u.a., dass die Verknüpfung von Erinnern und Mahnen über eine Negationsbeziehung zwischen dem Ziel-Slot des Mahnens (mit prototypischen Füllwerten wie Frieden, Recht) und dem Motiv-Slot erfolgt, den sich beide Texthandlungen teilen, und der typischerweise durch Ausdrücke wie Rassenhass, Totalitarismus und Faschismus gefüllt ist. Das Motiv gehört auf einer übergeordneten Ebene für die Texthandlung des Erinnerns wiederum zum Prädikat „Verfolgen & Ermorden“. Weitere Slots, die diese Prädikate der beiden Texthandlungen teilen, sind Agens (NSRegime), Patiens (Opfer), Zeit (1933–1945), Ort (hier) sowie Modus (grausam) (vgl. Haß-Zumkehr 1994:307). Die Motiv-Ausdrücke wie z.B. Gewaltherrschaft besitzen eine so starke deontische Bedeutung, dass die Texthandlung des Mahnens auch ohne weitere Sprachmittel aufgerufen werden kann, damit folgender Appell zum Ausdruck kommt: „Nicht zulassen, dass so etwas noch einmal geschieht“. Zugleich deckt Haß-Zumkehr mit diesem Ausdruck eine Leerstelle in der erinnerungskulturellen Verarbeitung der Ermordung europäischer Juden in der Zeit des Nationalsozialismus auf. Im satzsemantischen Modell verdeutlicht sie, wie die Komprimierung des Ausdrucks auf Mahnmaltexten Täter-Rollen hinter OpferBezeichnungen wie Opfer des Nationalsozialismus bzw. der Gewaltherrschaft verschwinden lässt (vgl. Haß-Zumkehr 1994:304ff.).68 Auch wenn der resümierenden Formel grundsätzlich zuzustimmen ist, kann es sich dennoch nicht um ein Kontinuum handeln, für das gilt, je geringer die Zahl, umso komplexer der semantisch-pragmatische Gehalt der Lexeme. An dieser Stelle müsste die Frameentwicklung gezielt für deontische Lexeme mit Bewertungs- und Appellcharakter (vgl. Hermanns 1994), z.B. für die rahmende Ereignisbezeichnung Zweiter Weltkrieg untersucht werden, um die Wirksamkeit ausdrucksseitig nicht genannter Bedeutungsaspekte zu beschreiben wie ‘Diktatur’, ‘Aggressionspolitik’, ‘Verfolgung’ und ‘Ermordung von diskriminierten Personengruppen’. Dabei wäre vorausgesetzt, dass in einem pragmalinguistischen Prozess usualisierte Verknüpfungen hergestellt und inferenziell notwendige Standardwerte ergänzt werden.

68 Teilweise wird die agentive Rolle in die Temporal-Angabe verschoben, z.B. während des Nationalsozialismus.

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

Zu einem weiteren Ergebnis kommt Haß-Zumkehr (1996:311) für die Gegenüberstellung der Bezeichnungsweisen für Täter und Opfer. Als typische Formulierung für die Opfer- und indirekt für die Tätergruppe in Mahnmaltexten ermittelt sie unseren Opfern, Opfer des Nationalsozialismus und Opfer der Gewaltherrschaft, mit denen ein zweistelliger Prädikatsausdruck umgesetzt wird: eine mitleidende Gruppe (wir) auf der einen und eine Täter-Verursacherrolle auf der anderen Seite, die der Semantik von Opfer textsortenspezifisch eine „stärkere Akzentuierung des Passiven und Duldenden“ (Haß-Zumkehr 1996:312) verleiht. In diesem Zusammenhang legt Haß-Zumkehr den inneren Widerspruch der Standardbezeichnung jüdischen Mitbürger frei, der ebenfalls das Ziel-Prädikat des Mahnen-Frames bedient (Füller: humanistisch-aufgeklärte Einstellung). Er soll ausdrücken, dass zwar im Texte die Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden verurteilt wird und Juden sich heute und im Nachhinein als gleichberechtigte Bürger anerkannt wissen. In der Folge scheint hier ein ähnlicher auf Leiderfahrung fußender Opferbegriff auf.69 Die Täter wiederum werden durch deagentive Formulierungen zum Verschwinden gebracht oder syntaktisch marginalisiert durch die „Verschiebung des Agens in die Temporalangabe während oder zur Zeit des Nationalsozialismus oder – komprimierter – in zwei Jahreszahlen“ (Haß-Zumkehr 1996:313). Aus handlungstheoretischer Sicht ist dieser Prozess als semantische Aufladung beschreibbar, die für politische Leitvokabeln ebenso beobachtbar ist wie auch für Metaphern (vgl. Liedtke 1996:5), deren stabilisierte Inferenzprozesse methodisch schwer nachweisbar sind. In den empirischen Abschnitten werden späterhin die Ergänzungen durch Geschichtswissen, die das semantisch-pragmatische Surplus einzelner Ereignisnamen oder Jahreszahlen erfordert, oder die Ausblendungen, die es erzeugt, zu rekonstruieren versucht (vgl. Kap. 6). Zu 3. Eine weitere Analysekategorie, die sich in einer tiefensemantischen Dimension mit wechselnden sprachlichen Realisierungen bewegt, ist die der Metapher. Diese dritte Ebene, auf welcher framesemantische Modellierungen Untersuchungszwecken der Diskursgrammatik dienlich sind, markiert vielfältige Verbindungen zwischen Ausdrucks- und Inhaltsebene. Böke (2006:201) bezeichnet Metaphern und Kollektivsymbole als „sprachliche Kondensate“ bzw. mit Bezug auf Koselleck als Bedeutungskondensate, die für den Sprachgebrauch sowohl

69 Haß-Zumkehr (1996:312) zitiert in diesem Zusammenhang Thomas Bernhard, der mit Bezug auf George Tabori erklärt, dass ihm seine „christlich-nazistischen Mitbürger die Familie im KZ umgebracht und ihn selber über Wien, Prag, London ins Exil in die USA vertrieben haben“ (Bernhard 1989:1) Zur heutigen Scheu vor dem Wort „Jude“, das auf deutschen Schulhöfen neben „Opfer“ und „schwul“ zu den häufigsten Beschimpfungen gehören soll, vgl. Wuliger 2016.

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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Indikator als auch Faktor sind, d.h. sie liefern Hinweise auf Diskursgegenstände und tragen gleichzeitig zu ihrer Herausbildung bei. Für eine diskurslinguistische Metaphernanalyse bringt Böke (2006:208) Grundannahmen klassischer Metapherntheorien mit dem frameauslösenden Potenzial diskursspezifischer Schlüsselbegriffe zusammen: So ist auch Weinrichs Erläuterung zu verstehen, daß jeder Teil der metaphorischen Aussage seine „Nachbarn“ aus dem „Sinnbezirk“, aus dem er „stammt“, mit assoziieren läßt (1958, 283); und ebenfalls die in Anlehnung an Fillmores Frametheorie vertretene Auffassung, nach der die Verwendung eines sprachlichen Zeichens den ganzen Frame, d.h. das gesamte Konzept mitsamt seiner semantischen Struktur, „evoziert“ (Liebert 1992, 53). In der konkreten metaphorischen Aussage findet demnach über Fokus und Rahmen eine „Kopplung zweier Sinnbezirke“ (Weinrich 1958, 283) statt, die gemeinsam einen „Metaphernbereich“ (Liebert 1992) bzw. ein „Bildfeld“ (Weinrich 1958, 284) bilden.

Im öffentlichen Sprachgebrauch funktioniert die Metapher als Black Box, die den Diskurs hinsichtlich der emergierenden Positionen strukturiert. Diese sind nicht nur akteursgebunden, sondern scheinen auch als Produkt einer Diskursformation auf. Hierbei bilden vielfach Natur-, Körper- und Technikmetaphern eine Ressource, um einen Diskursgegenstand insgesamt als nicht-intentional und wie von selbst ablaufend zu beschreiben. Die Bezeichnung Arabischer Frühling für das Demokratiestreben in den nordafrikanischen Ländern setzt beispielsweise im öffentlichen Diskurs einen zyklischen Automatismus frei, mit dem der Frühling mit entsprechend pessimistischen Wertungen versehen in einen Herbst und Winter übergeht. Ebenso versinnbildlicht die Metapher Flüchtlingsstrom eine nicht kontrollierbare entindividualisierte Menge an Geflüchteten, die in diesem metaphorischen Konzept als bedrohlich wahrgenommen wird. Einerseits verleiht die Fortführung von Metaphern den indizierten Deutungen Kohärenz, andererseits sind es gerade Bildbrüche, die Widersprüche überbrücken, Plausibilitäten und Akzeptanz erzeugen und somit nach Jäger die Macht der Diskurse verstärken. In seinem Beispiel für einen solchen Bildbruch (Katachrese), in dem die „Lokomotive des Fortschritts“ durch die „Flut der Einwanderer (...) gebremst“ zu werden droht, führt Jäger (2001:84) vor, wie kulturelle Dichotomien (Technik – Natur) machtvolle Deutungsschablonen liefern, um Handlungsbedarf anzuzeigen (machtbezogener deontischer Sinn). Auf kognitionsanalytischer Basis identifiziert Ziem mithilfe der BlendingTheorie diejenigen Bedeutungsaspekte, die im blended space die Herstellung einer emergenten metaphorischen Bedeutung auslösen. Sie entsteht ebenfalls übersummativ aus einer „konzeptuellen Integration bestimmter Informationen aus beiden Inputs unter der Zuhilfenahme zusätzlicher Standardannahmen“ (Ziem 2008a:382). Die im generischen Space angeordneten Slotkategorien ent-

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

sprechen im Großen und Ganzen den aus semantischen Rollen abgeleiteten Frame-Elementen (Agens, Patiens, Ort etc.). Am Beispiel der Metapher Heuschrecke für die Personengruppe der Kapitalisten verdeutlicht Ziem (2008:382f.), wie die konzeptuelle Vermischung am Angelpunkt des Bedeutungsaspekts „Aktivität“ geschieht. Es sind die Verwüstungen des fruchtbaren Feldes, die vom Aktivitätsslot der Heuschrecke auf das ökonomische Handeln anonymer Investoren übertragen werden. Zugleich steht die Metapher metonymisch für den dabei angerichteten „Schaden“, d.h. schlechtere Arbeitsbedingungen, Entlassungen und im Extremfall die Insolvenz des Unternehmens. Die diskursstrukturierende Funktion der Metapher macht Ziem daran fest, dass mit ihr ein ganzer Argumentationszusammenhang über diskursiv verfestigte Standardwerte in einer Überschrift aufgerufen werden kann, ohne dass die Metapher im Text wieder aufgegriffen wird. Dies ist nicht nur für die Metapher, sondern im Allgemeinen für jede diskurssemantische Grundfigur kennzeichnend. Denn für sie ist charakteristisch, dass ihre Standardwerte diskursspezifisch entstehen, aber diskursübergreifend wirksam werden. Diskurssemantische Grundfiguren bilden insofern Schemata der Wahrnehmung, als die zu Inhaltsrastern verwobenen Standardwerte das Auftreten bestimmter Diskurselemente systematisch steuern (so etwa durch indirekt-anaphorische Verweise auf Standardwerte, vgl. Abschnitt VI.5.), ohne kontextspezifische Vereinnahmungen, also die Einsetzung von konkreten Füllwerten in unbesetzte Leerstellen zu verhindern. (Ziem 2008a:405)

Wie oben bereits angedeutet, entfaltet Ziem ferner den Gedanken, dass durch metaphorische Prozesse auch der Ausgangsbereich modifiziert wird. Dies ist für die Untersuchung des ZAD von besonderer methodologischer Relevanz, da es diese Rückwirkung (backward projection) ist (vgl. Ziem 2010:322), die die Wahrnehmung des (wieder) aufgebauten urbanen Raums strukturiert und mit Deutung versieht. In seiner Analyse der fußballspezifischen Ausdrücke in Wirtschafts- und Kulturdomänen kommt Ziem (2010:321) zu dem Schluss, dass die konzeptuelle Vermischung eine rückwärtsgerichtete Projektion auslöst und die Quelldomäne re-konzeptualisiert. Auf das ZAD bezogen lässt sich feststellen, dass seit der traumatischen Erfahrung des Bombenkriegs u.a. die materielle Ruine als Quelldomäne genutzt wurde, um die Zerstörung auch des gesellschaftlichen, moralischen und seelischen Lebens zu versinnbildlichen. Das komplexe Wechselverhältnis zwischen der zerstörten Stadt und dem Individuum in einem zum Stillstand gekommenen gesellschaftlichen Leben ist in vielen filmischen (Trümmerfilme), fotografischen (Trümmerfotografie) und literarischen Produktionen der Nachkriegszeit symbolisch verarbeitet worden. Die Krise des Raumes ist dabei körpermetaphorisch als Wunde, Gesichts- und Geschichtsverlust beschrieben worden: „Der Außenzertrümmerung des Raums entspricht die Innenzer-

Sinnherstellung: Framing und Metaphern 

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trümmerung des geschichtlichen Sinns.“ (Großklaus 2007:104) Die Metaphern des Stadtkörpers, der leidensfähig und verwundbar erscheint, oder des städtischen Organismus mit seinen Verkehrswegen als Adern und einem pulsierenden Herzen sind in literarischen, populären und wissenschaftlichen Diskursen vielfach konzeptualisiert worden. Aus ihren emergenten Metaphernaspekten geht u.a. das moderne Subjekt hervor, das sich durch urbane Praktiken vergesellschaftet und durch sie mit einer Innerlichkeit ausstattet. Die Trümmerfelder des antiken Roms dienten auch Freud als Metapher für das Unbewusste, das in seiner „ruinösen Verfassung“ (Emden 2002:80) in der psychoanalytischen Kur besichtigt und bearbeitet werden kann. Die Bruchstücke und Fragmente können als Spuren der Geschichte immer wieder rekonstruiert, neu aufgeschichtet und verschoben werden. Die archäologische Arbeit, von Freud für die Metapsychologie und von Foucault für die Diskursanalyse zur Methode erhoben, basiert auf einem entdeckenden Impuls: Das Freilegen verschütteter Wertobjekte besitzt einen „reinigenden“, dekontextualisierenden Zug. Konserviert und wiedererschaffen wird das, was nachträglich als rettenswert erscheint. Die ZAD-Analyse zielt auf die Repräsentation des Zerstörtseins deutscher Städte, die das gezielte Konservieren des Historischen, die modernisierte Rekonstruktion oder das Neuerschaffen rechtfertigen. In dieser Hinsicht richten sich ihre Fragen auf den Zusammenhang von Stadtbild und Stadtimage: Werden unabhängig von den Leitlinien des Aufbaus Spuren im Stadtraum lesbar gemacht, die die Zerstörtheit vergegenwärtigen? Wird die Zerstörung als eine Art Krankheit aufgefasst, von der der Wiederaufbau die Städte heilt? Welche Art der Metaphorisierung, d.h. Ästhetisierung, Dämonisierung etc. verbindet sich mit dem sprachlich und bildlich vor Augen geführten Zerstörungszustand, der der architektonischen und gesellschaftlichen Aufbauleistung vorausgeht? usw. Gerade die Metapher ist eine Figur, deren Oberflächenerscheinung vielgestaltig ist. Ihre sprachliche Realisierung reicht von morphologischen über syntaktische und lexikalische Ausprägungen bis hin zu phraseologischen Formen. Aber auch semantische Rollen und Konstruktionen der Bewegung oder der Auslösung können metaphorische Lesarten lizenzieren. Dabei fallen stets Grenzverläufe zwischen Konstruktionen und phraseologischen Einheiten auf, wie der folgende Internet-Beleg exemplarisch aufzuzeigen vermag: (10) (...) . ein (sic) Feuersturm fegte über die Stadt und vernichtet, was die Bomber noch nicht zerstört hatten (MA HYP Zeitgeschichtliches)

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 Das Forschungsprogramm der Diskursgrammatik

Der laut DWDS am stärksten mit dem Nomen Bombennächten assoziierte Feuersturm70 ist als Naturgewalt konventionell metaphorisiert und auch seine Subjektrolle im Aktiv ist kollokativ mit der verbalen Bewegungskollokation über etwas hinwegfegen verbunden. Dieser metaphorische Anschluss (hinwegfegen) fungiert schließlich agentiv als Komplement zum transitiven Verb vernichten, das das Resultat und das Ausmaß der Städtezerstörung über die Negation (noch nicht zerstört) der Phantasie überlässt. Mit seinen Möglichkeiten der Differenzierung formaler und semantischer Metaphernprozeduren wird dieses phraseologische Diskursphänomen in ein Kontextualisierungsfeld einzubinden sein, in dem es „netzartig“ weitere Aussagen oder Aussagenkomplexe hervorbringt. Die Aussagen entstehen inhaltlich mit Bezug auf einschlägiges lexikalisches Material in den Themenbereichen Zerstörung und Aufbau. Es bildet den Ausgangspunkt einer Suche nach Kontextualisierungsmarkern für die erinnerungskulturelle Sinnproduktion (vgl. Kap. 6.1.2).

70 Am häufigsten in der syntaktischen Funktion des Genitivattributs Feuersturm der Bombennächte (vgl. https://www.dwds.de/wp/Feuersturm, letzter Zugriff am 19.03.2020)

3 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung 3.1 Sprachliche und gesellschaftliche Umbruchsituationen Zur Bezeichnung der Zäsur zwischen der nationalsozialistischen Vergangenheit und der demokratischen Gegenwart kursieren verschiedene „Zentralvokabeln“ (Stötzel 2005:405) – Neubeginn, Katastrophe, Befreiung, Niederlage, Zusammenbruch etc. –, denen gemeinsam ist, dass sie das Kennzeichen des „nie zuvor“ tragen, d.h. sie sind als Umbruchsituation sprachlich in ihrer Unvergleichlichkeit markiert (vgl. Kämper 2005:485).71 Bereits im ersten Band ihres Wörterbuchs zur „Vergangenheitsbewältigung“ widmen sich Eitz/Stötzel (2007) unter dem Eintrag „Stunde Null“ ausführlich der Konzeptualisierung der Epochenzensur 1945. Unter der Zielsetzung einer systematischen sprachwissenschaftlichen Aufarbeitung auch problematischer kommunikativer Ausdrucksformen sind in dem Projekt sowohl Weiterverwendungen nazitypischen Vokabulars nach 1945 als auch gesinnungskritische Thematisierungen von „belasteten“ Ausdrücken dokumentiert (Stötzel 2005:400f.). Der Wortschatz, der sich zur sprachbezogenen Bewältigung der Ereignisse des 8. Mai 1945 herausgebildet hat, zeugt von vielfältigen Versuchen, das Unfassbare und Unsägliche zu verarbeiten und aus einer Perspektive der Nichttäter für die Gestaltung freiheitlich-demokratischer Zukunftsentwürfe erinnerungskulturell aufzuarbeiten. Als eine Art „Schizophrenie des öffentlichen Bewusstseins“ bezeichnet Stötzel (2005:403) die Tatsache, dass die Öffentlichkeit Vergleiche mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ablehnt, während gleichzeitig das unter Verdacht gestellte Vokabular im Dienste einer „Instrumentalisierungspraxis“ (Stötzel 2005:404) argumentativ weiterhin genutzt werde. Exemplarisch sind hierfür Vergleiche in gegenwärtigen politischen Diskursen mit Personen (Hitler), Methoden (Gestapo), Institutionen (SA) oder Verbrechen (KZ), die nicht im Sinne der Vergangenheitsbewältigung, sondern zur Diffamierung einer gegnerischen Position gebraucht werden (vgl. Eitz 2010a).72 Die Gebrauchs-

71 Zum „Netz geschichtsdeutender Selbstinterpretationen“, das sich um den Streit über die Bezeichnungsweisen des Kriegsendes aufgespannt hat, gehören außerdem Bezeichnungsvarianten wie Machtergreifung/-übernahme/-übergabe, Kollektiv-/Mitschuld/Schuld, Reichskristallnacht/pogromnacht/Pogromnacht, Drittes und Viertes Reich, Invasion/Landung der Alliierten (vgl. Stötzel 1997:250). 72 Die mediale Aufmerksamkeit ist besonders hoch beim Vergleich mit Opfergruppen. Eitz 2010a zitiert exemplarisch die Diskreditierung durch den ifo-Chef Hans-Werner Sinn, der 2008 im Berliner Tagesspiegel auf die „Managerschelte in Folge der Wirtschaftskrise“ mit der Klage https://doi.org/10.1515/9783110691580-003

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 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung

weisen und Bedeutungszuschreibungen von Umbruchsbezeichnungen sollen aus diskurs­semantischer Sicht „etwas über Kontinuitäten und Änderungen in der öffent­lichen Selbstinterpretation der Deutschen seit 1945 sichtbar (zu) machen“ (Stötzel 197:251). Der im Handbuch als Lemma aufgeführte Ereignisbegriff der „Stunde Null“ verweist auf eine Sprachverwendung der Nachkriegszeit, die das Kriegsende als Diskontinuität der Rechtsstaatlichkeit in der Geschichte, als Bruch mit allem, was davor gewesen ist, begreift – eine Deutung, die bereits Ende der 1940er Jahre abgelehnt worden ist, verbunden mit der Forderung, die deutsche Niederlage anzuerkennen. Fortan, und das gilt bis heute, wird die Bezeichnung mit Skepsis, mitunter auch mit völliger Ablehnung versehen. Der Politikwissenschaftler Peter Graf von Kielmannsegg ersetzt erstmals 1970 in der öffentlichen Diskussion in einem FAZArtikel diese und verwandte Bezeichnungen wie Tabula rasa, Schlussstrich oder Formeln wie Schwamm drüber oder Strich drunter (vgl. Kämper 1997:324) durch den interpretierenden Ereignisbegriff „Wendepunkt“ (Eitz/Stötzel 2007:592). Im selben Jahr sprechen Bundespräsident Gustav Heinemann von einem „schmerzvollen und schweren neuen Anfang“ (Eitz/Stötzel 2007:591), Bundeskanzler Willy Brandt von einer „Chance zum Neubeginn“ bzw. einem „Einschnitt“ (Eitz/Stötzel 2007:590) und Volker Hauff von einer „Chance zur demokratischen und rechtsstaatlichen Neuorientierung“ (Eitz/Stötzel 2007:591). 1975 bringt Bundeskanzler Helmut Schmidt in einer Ansprache zum 30. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Bundeskabinett neben den Bezeichnungen Anfang und Neuorientierung die Formulierung demokratischer Neubeginn ein (Eitz/Stötzel 2007:592). Wenn er den 8. Mai 1945 mit der „Erinnerung an unbeschreibliches Elend, an nie gekannte Zerstörungen und tiefes Leid“ verbindet, gewinnen die Zerstörungen eine weit über die materielle Dimension hinausreichende Bedeutung, die das gesamte städtisch organisierte und gesellschaftlich-kulturelle Leben einbezieht. So sehr hatte sich die Zäsurmarkierung etabliert, dass der SPD-Abgeordnete Hansen 1979 darauf aufmerksam macht, es sei bis vor kurzem kaum sagbar gewesen, dass es in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens keine einschneidenden Veränderungen und auch keinen moralischen Neubeginn gegeben hat. Wiederum nur drei Jahre später bezeichnet der Historiker Christoph Kleßmann die Annahme zahlreicher Kontinuitätslinien zwischen Drittem Reich und Nachkriegsdeutschland als Gemeinplatz (vgl. Eitz/Stötzel 2007:593f.). Im Zuge dieser Debatten, die auch von der Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust“ ausgelöst wurden, erhielt der Stunde-Null-Begriff stark ambivalente Züge und gilt allmählich als überstrapaziert. Er wird als „Fluch und Gnade der Stunde Null“ (CDU-Kanzlerkandidat Franz

regierte, damals habe es „in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager“.

Sprachliche und gesellschaftliche Umbruchsituationen 

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Josef Strauß) umgedeutet und soll die Komponenten „Besatzung und Befreiung“ (Kleßmann) beinhalten (vgl. Eitz/Stötzel 2007:593). Einen neuen Höhepunkt erreichten die Deutungskämpfe im Vorfeld des 40. Jahrestages anlässlich der Auseinandersetzung um US-Präsident Ronald Reagans und Bundeskanzler Helmut Kohls umstrittenen Besuch des Bitburger Soldatenfriedhofs, auf dem auch SS-Angehörige liegen. Kohl hielt derweil an der Nullpunkt-Interpretation fest, während andere wie der Grünen-Politiker Joschka Fischer die „verdrängte(r) Kontinuität“ anprangerten (vgl. Eitz/Stötzel 2007:594). Ähnlich argumentiert Günther Grass, der die Stunde Null als schillernde Umschreibung ablehnt, weil sie die Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik ignoriere (vgl. Eitz/Stötzel 2007:595). Eitz/Stötzel (2007:595) diagnostizieren schließlich, dass die geschichtspolitische Auseinandersetzung seitdem von einem heterogenen Sprachgebrauch geprägt ist, die Metapher der Stunde Null zwar häufig im Sinne eines Neuanfangs verwendet werde, aber auch zunehmend kritisiert und mit sprachlichen Distanzmarkern (wie Anführungszeichen) versehen wird. Überdies wird der Ausdruck als Mythos, Märchen, Fiktion oder Legende verklärt und daher explizit modalisiert gebraucht durch Attribute wie angebliche, vermeintliche oder sogenannte (vgl. Eitz/Stötzel 2007:596). Hinsichtlich der Diskurspositionen fassen Eitz/Stötzel (2007:600) das indexikalische Potenzial der Bezeichnung – mit und ohne Distanzmarkierung – folgendermaßen zusammen: Befürworter und Gegner der Angemessenheit der Bezeichnung Stunde Null unterscheiden sich auch dadurch, dass die einen die Nachkriegszeit oder die Wendezeit als „Neuanfang“ interpretierten und die anderen die Kontinuitäten als vorherrschend ansahen.73

Auch können in der Metapher beide Bedeutungsaspekte zugleich aufscheinen: Befreiung und Niederlage, die den tiefen „Ambivalenzkonflikt vieler Deutscher in der Bewertung der Ereignisse von 1945“ markieren (Assmann/Frevert 1999:99). In den ersten Nachkriegsjahren waren diese Bedeutungsaspekte auf verschiedene Rollen verteilt. Während die Opfer von Befreiung und befreit sprachen, empfanden die Regimeanhänger den verlorenen Krieg als Niederlage bzw. Zusammenbruch. Diese Rollenzuordnung lässt sich jedoch heute nicht mehr ohne Weiteres an der Lexik festmachen. Die generelle Schwierigkeit, den Ereignissen in der Zeit des Nationalsozialismus einen Sinn zuzuschreiben, betrifft vor allem die ohnehin traumatisierten Opfer. Gleichzeitig hat die Unmöglichkeit, an herkömmliche identitätsbildende Narrative anzuknüpfen, bei Tätern häufig zu sprachlichen Verdrängungsstrategien geführt. Diesem psychologischen Ausblenden entspricht die Deutungsfolie eines Kontinuitäten verschleiernden historischen point of no return:

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 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung

Diese Formel lenkt den Blick ab von persönlichen und institutionellen Kontinuitäten sowie der Last der Vergangenheit und suggeriert die tabula-rasa-Situation eines radikalen Neubeginns. (Assmann/Frevert 1999:100).

Neben diesen semantischen Schattenwürfen der Stunde Null sind nach Assmann/ Frevert (1999:97) mit der Jahreszahl 1945 auch weiterhin die Konstruktion eines in seinem moralischen Wesen völlig neuen Menschen und auch die Kollektivschuldthese bzw. die „Dauerrepräsentation unserer Schande“ (Walser) verknüpft. In den 1950er Jahren existiert neben einer Öffentlichkeitskultur, die von Schuld ausgeht, eine Kultur des Schweigens, die durch Scham und schamkulturelle Reaktionen gekennzeichnet ist. Assmann/Frevert (1999:113) machen deutlich, dass sich Traumata auf beiden Seiten finden: Täter und opferbezogene Traumata haben eine unterschiedliche Qualität. Auf der Seite der Opfer äußert sich die Tragik des Überlebens und Weiterlebenmüssens, auf Täterseite findet sich der Abwehr-Gestus einer aufgezwungenen belastenden Erinnerung, der in eine Generalkritik gegenüber Medien und Gedenkpraxis mündet. Das Opfer-Syndrom als Entlastungsmechanismus, für den der Ausdruck Kollektivunschuld prägend ist, verhinderte durch die Selbstthematisierung der Deutschen als Opfer die Anerkennung anderer Opfergruppen. Das von Lübbe geprägte „kommunikative Beschweigen“ wird von Assmann/Frevert (1999:141) als „Kitt“ bezeichnet, „der die bundesrepublikanische Gesellschaft in ihrer Gründungsphase zusammenhielt“. Assmann/Frevert (1999:143ff.) nehmen schließlich eine Unterteilung der deutschen Erinnerungsgeschichte in drei Phasen vor, die der Korpusanalyse zugrunde gelegt wurde: die Vergangenheitspolitik (1945–1957), die Kritik der Vergangenheitsbewältigung (1958–1984) und die Erinnerungsphase ab 1985. Durch die Vergangenheitspolitik der frühen Nachkriegszeit werden Kriegserinnerungen blockiert, Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus in kommunikatives Schweigen gehüllt. Es dominiert die Politik der Wiedergutmachung mit einer Entschädigung der Opfer. Angestrebt wird auch die Wiedereingliederung ehemaliger Akteure des Naziregimes. Die Kritik der Vergangenheitsbewältigung ist eine Phase der Aufklärung: Unter dem Eindruck der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt und inspiriert durch die Kritische Theorie entwickelt die „skeptische Generation“ in den 1960er Jahren eine Form des kritischen Diskurses, auf den die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik zurückgeht. Ab 1985 gewinnt die offizielle Kommemoration mit ihren symbolisch-rituellen Zeichensetzungen an Bedeutung. Auch die Medien sind an der Herausbildung einer neuen Erinnerungspolitik beteiligt, die in zwei Richtungen geht: Vergangenheitsbewältigung (Helmut Kohl) und Vergangenheitsbewahrung (Richard von Weizsäcker). Der Bewältigung dienen Versöhnungsrituale zwischen

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Siegern und Besiegten sowie Demutsgebärden (Kniefall Willy Brandts vor dem Monument des Aufstands im Warschauer Ghetto) zwischen Tätern und Opfern, wobei die Grenze zwischen Kriegs- und Verfolgungsopfern teilweise verwischt worden ist, wie z.B. in der von Kohl geschaffenen nationalen Gedenkstätte der Neuen Wache in Berlin, „die ‚den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft‘ gewidmet ist“ (Assmann/Frevert 1999:145). Eine Bewahrung der Vergangenheit markiert die Rede von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, in der er mahnend hervorhebt, dass Versöhnung nur durch dauerhaftes Erinnern möglich ist. Seine Umbruchsbezeichnung Befreiung bringt einen „gegenwartsbezogene(n) Minimalkonsens“ (Rothenhöfer 2010:47) zum Ausdruck,74 dessen semantischer Kern nicht von der Befreiung der Deutschen als Opfer gefüllt ist, „sondern von Deutschen als politisch schuldigen und gesellschaftlich schuldhaften und nicht wissen wollenden Mittätern“ (Stötzel 1997:262). Insofern wurde Deutschland von einer selbstverschuldeten Gewaltherrschaft befreit, bei der sich allerdings die „Sprachgemeinschaft“ als Opfer sprachlicher Manipulationen gesehen hat. Dieses Selbstverständnis steht im Zusammenhang mit dem Verfahren der Dämonisierung der politischen Hauptverantwortlichen (vgl. Ehlich 1997:291). Nicht übersehen werden darf hierbei, dass der für die Opfersicht charakteristische Ausdruck Befreiung jeweils unterschiedlich besetzt wird: Während die Bedeutungsaspekte im Opferdiskurs mit der Überlebensschuld verknüpft und assoziiert sind mit Einsamkeit, Überlebthaben und Zukunftsleere (vgl. Kämper 2005:123), entfaltet Weizsäckers Befreiungsvokabel die Bedeutung des Aufatmens und Neubeginnens. Allerdings nähern sich Deutsche, die sich als Befreite vom „Hitler-Terrorismus“ fühlen, sprachlich und argumentativ nicht den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen an, sondern eher denjenigen, die ihre Mitschuld bekennen und als „Besiegte“ von einer erlittenen „Niederlage“ ausgehen. Aus einer handlungstheoretisch-konstruktivistischen Perspektive betrachtet Rothenhöfer 2008 und 2010 diese Ereignisbezeichnungen als lexikalische Bestandteile ganz unterschiedlicher Formulierungsmuster, die nicht immer einheitliche Perspektivierungen und Sprecherpositionen im Diskurs anzeigen. Kennzeichnend für die von ihm interpretierten Stimmen aus politischen und literarischen Diskursen ist, dass sie eine deutsche Identität konstruieren, indem ihre narrativen Strategien einschneidende Ereignisse der Vergangenheit an der Gegenwart ausrichten (vgl. Rothenhöfer 2008:88). Für die Ereignisbezeichnung Befreiung arbeitet Rothenhöfer (2008:78ff.) drei personengebundene politisch motivierte Deutungsmodelle heraus: Befreiung 1. als konsensuelle Gedächtnis-

74 „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ (Weizsäcker 1985:o.S.)

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perspektive (von Weizsäcker), 2. als Gegenbegriff zu Niederlage, wobei konträre Beteiligungsrollen indiziert werden (Böll), und 3. als Ausdruck einer Schuldverdrängung durch die Ausdehnung und Inanspruchnahme der Opferrolle (Grass). Methodisch bleibt die Symptomhaftigkeit der Ereignisbezeichnung und ihrer Kotextmuster für eine Haltung oder Eigenschaft an die hermeneutische Aktivität und das Rezipientenwissen gebunden (vgl. Rothenhöfer 2008:79). Rothenhöfer eröffnet in diesem Zusammenhang eine für die vorliegende Studie relevante Perspektive, indem er die Indizierbarkeit von emergenten Kotextmustern modelliert, die sich auch abgelöst von einer individuellen Sprecherhaltung als Regelmäßigkeit im Diskurs darstellt. Die Schwierigkeiten, das Korpus der vorliegenden Studie durch Metadaten akteursbezogen zu sortieren, zeigt sich insbesondere in der mehrfachen Vergesellschaftung von Mitgliedern der Erlebnisgeneration, die zugleich Historiker sind oder Nachgeborene, die durch ihr familiäres Gedächtnis Betroffenenstatus haben und möglicherweise gleichzeitig ein Amt in einer städtischen Institution (Stadtarchiv, Stadtmarketing u.Ä.) bekleiden. Musterbildungen sind so nicht unbedingt auf Berufsrollen zurückzuführen. Sie erlauben dennoch Rückschlüsse auf eine kanonisch gewordene Erinnerungsarbeit, die sich überindividuell als ggf. städtespezifische Verarbeitung des einschneidenden Geschehens präsentiert. Nichtsdestotrotz werden die sich teilweise überlagernden kommunikativen Hintergründe der Dokumente (insbesondere Zeit und Gattung) zur Ermittlung einer kontextsensiblen Indexikalität der Muster herangezogen. Die Korpusanalysen versprechen damit weniger Aufschluss über rollenbedingte Sprechereinstellungen, die häufig durch Ambivalenzen, mehrfache Vergesellschaftungen, Textsortenadaptionen oder auch durch Anpassungen an den jeweiligen Schreibanlass geprägt sind. Sie versprechen hingegen Einblick in die Perspektivierungsarten, die sich auch über grammatische Mittel der Äußerungsperspektivierung niederschlagen und die weniger strategisch als vielmehr emergent an einer Verstetigung von Aussagen und Modi der Erinnerungskultur mitwirken. Hierfür gibt Rothenhöfers methodische Ausrichtung an der satzsemantisch-valenziellen Analyse entscheidende Impulse. Rothenhöfer (2010:50) betont, dass Einzelwörter zur Bezeichnung des Kriegsendes nicht per se als „Gesinnungsindikatoren“ gewertet werden können. Vielmehr müssen sie kontextuell spezifiziert werden. Ihre grammatischen und metaphorischen Eigenschaften evozieren Anschlussstellen für ein deutungsrelevantes Framing. So trägt die Aktionsart des dem Deverbativum zugrundeliegenden Verbs zur Perspektivierung bei: Die Nomen Zerfall, Untergang und Zusammenbruch sind gebildet auf der Grundlage egressiver Verben, die das Ende eines Prozesses markieren, und heben somit nicht nur den Einschnitt hervor, sondern präsentieren das Kriegsende auch als „sich selbst ereignenden Vorgang, der eine Person oder Sache als PATIENS betrifft“, wie Rothenhöfer (2010:52) für die Bezeichnung Zusammen-

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bruch vermerkt. Dieser erweist sich zudem als besonders übertragungsfreudig auf sittliche, religiöse oder kulturelle Kontexte, was sich auch an Possessivkonstruktionen festmachen lässt (Zusammenbruch der sittlichen und der religiösen Werte, vgl. Rothenhöfer 2010:54). Im Unterschied zum passivischen Agens der Vorgangsverben (untergehen, zusammenbrechen, unterliegen) modellieren Handlungsverben einen Akteur, der für sein Handeln verantwortlich gemacht werden kann (befreien, besiegen, zerstören). Das Verb zerbrechen kann nun aber in beiden Varianten auftreten, transitiv (jmd. zerbricht etw.) und im Mediopassiv (etw. zerbricht), ein Unterschied, der die Notwendigkeit kotextueller Einbettungen hervortreten lässt. Die grammatischen Eigenschaften für Aktionsart und semantische Rolle legt Rothenhöfer (2008:84) seiner Sortierung der Deutungsvokabeln für den 8. Mai 1945 zugrunde, deren Eigenschaften in der folgenden Übersicht teilweise in abgewandelter und ergänzter Form aufgeführt sind. transformativ Niederwerfung, Niederlage, Kapitulation, Unterwerfung (malefaktiv) Befreiung (benefaktiv) Wendepunkt, Bruch, Stunde Null (ambivalent) Katastrophe (initial gebraucht von Adenauer) telisch Untergang, Zusammenbruch, Zerfall, Befreiung (egressiv) Anfang, Neubeginn, Geburtsstunde (ingressiv) Als Grenzzeichen zwischen zwei Epochen initiiert jede Bezeichnung für das Kriegsende eine janusköpfige Deutung: Sie ist auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 gerichtet und schafft einen identitätssymbolischen Zukunftsbezug, der – wie z.B. die sowohl transformativ als auch telisch eingeordnete Bezeichnung Befreiung zeigt – nicht allein über die Interpretationsvokabel aufgerufen wird. Wortgeschichtliche Entwicklung ist immer an Kommunikationspraktiken und argumentative Muster gebunden, die sich im medialen Kontext herausbilden. Die kotextuelle Umgebung prägt verschiedene Gebrauchsvarianten, so dass die einzelne Bezeichnung weder eindeutiger Indikator noch zuverlässiger Faktor einer Diskursposition ist. Kämper (2005:152) kommt aus diesem Grund zu dem Schluss, dass die ideologisierende Festlegung des als Gegensatzpaar beschriebenen Zusammenbruch (resp. Katastrophe) vs Befreiung zu relativieren (ist). Die These, dass, wer das Ende von Naziherrschaft und Krieg mit Zusammenbruch oder Katastrophe bezeichnet, Bedauern über

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dieses Ende ausdrücke und damit geistige Verwandtschaft mit dem Nationalsozialismus offenbare (Stötzel 1998, Krell 2001, S. 190), ist nicht haltbar.

Haltungen kondensieren sich somit nicht im einzelnen Lexem. Die diskursgrammatische Differenzierung geht aber auch über den unmittelbaren Anschluss beispielsweise von Wortgruppen wie den Zielobjekten der Genitivattribute hinaus (z.B. Befreiung von Auschwitz/vom Nationalsozialismus/von Terrorherrschaft). Es sind einschlägige Passagen auf größere kollokative Muster zu prüfen, in denen verschiedene inhaltliche Aspekte durch ein bestimmtes Formulierungsgerüst ein Deutungsmuster generieren. Die Beteiligungsgruppen sind in wenigen Fällen trennscharf. Widersprüchliche Positionsbestimmungen bringen dabei argumentativ nicht so sehr Ergebnisse semantischer Kämpfe zum Ausdruck. Sie spiegeln vielmehr die grundlegende Ambivalenz, mit der die Deutschen ab 1945 ihre Lebensverhältnisse und etwaige Verstrickungen mit der NS-Vergangenheit beurteilen. Die Bezeichnung Stunde Null scheint – selbst in Anführungszeichen – diesem Bedürfnis nach Hervorbringung diverser Aspekte und persönlicher Rollenverständnisse entgegenzukommen. Über ihre Bedeutung und Verwendungsweise ist viel gestritten worden. Schließlich verwenden Historiker den schillernden Ausdruck Stunde Null gar nicht mehr oder nur noch mit Distanzmarkierungen wie im folgenden typisch wirkenden Beleg aus einer Paderborner Stadtgeschichte: (1) Die Energie der Menschen richtete sich jetzt darauf, die Alltagsnöte in der zerbombten Stadt zu bestehen und in der sogenannten „Stunde Null“ das eigene Überleben zu organisieren. (PB 1999 SGe Hüser, 251)

Trotz zahlreicher Ausdrucksalternativen beruft man sich hier dennoch auf die Gebräuchlichkeit und kennzeichnet zugleich eine Reflexion des aktuellen Diskurses auf die damalige Sicht der notleidenden Menschen, für die der Ausdruck eine Lebenswirklichkeit beschreiben sollte: Wer das nackte Überlegeben organisiert, ist am Nullpunkt angekommen. Auffällig aber sind die Implikationen, dass es zuvor wohl etwas gab, das die Menschen „im Plusbereich“ am Leben erhalten hat. Im Zuge sprachlicher Komprimierung in Gebrauchsgattungen zur Stadtgeschichte verweisen nur noch Jahreszahlen pragmatisch verdichtet auf Kriegswirkung und Kriegsende. Auch für diese Termporalangaben ist das Kookkurrenzgeflecht zu ermitteln, in dem sich ein K-Profil aus typischen Formulierungsweisen ergibt. Ob dabei beispielsweise das Vorgangspassiv als distanzmarkierende Form gedeutet werden kann oder die Mehrwortverbindung bis auf die im Kontext der Zerstörung wie z.B. in (...) brannte 1945 bis auf die Fassade nieder (PB HYP Zeit)

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als negatives Augmentativ fungiert, kann sich erst über das Zusammenspiel mit weiteren Markern im ZAD entscheiden. Viele Zeugnisse, auf die sich die Darlegungen der diskurssemantischen und diskurshistorischen Erforschung von Umbruchsbezeichnungen stützen, stammen von Personen, die aus bestimmten Beweggründen heraus argumentierend einen politischen Standpunkt vertreten. Ihre historisierenden Beschreibungen sind Teil einer kommunikativen Aktivität, in der Diskurspositionen durch Verweise und Zitate legitimiert und gefestigt werden. Ihre Rolle wird durch Abgrenzung und Zustimmung abgesichert, die eigene Haltung durch Topoi u.a. pragmatische Figuren begründet. Das intertextuelle Geflecht des zum ZAD gebildeten Korpus ist lediglich an den Rändern in dieser Weise metakommunikativ, nur in den akademischen Texten, den von Historikern oder Archivaren verfassten Textabschnitten positionierend und unterliegt insgesamt jener Serialität, mit der eine sukzessive Herausbildung erinnerungskultureller und an Sprache gebundener Geschichtsbilder und Stereotype erforschbar zu werden verspricht. In diesem Sinne sind Erinnerungsdiskurse, wie Czachur (2011:140) im Kontext einer handlungsorientierten Diskurslinguistik annimmt, zwar „Orte, in denen Geschichtsdeutung ausgehandelt“ und geschichtliches Wissen mitkonstituiert wird. Sie bringen jedoch, auch ohne Spuren kontroverser Aushandlungen zu tragen, in der Wiederholung von Elementen eine Wirklichkeit hervor, dadurch dass sie diejenigen Aspekte betonen (Not, Aufbauwille, Chance, Wende, ...), die grundsätzlich und in welcher Form auch immer erinnerungswürdig erscheinen. Diese Verwertung der Geschichte für eine Zukunftsorientierung geschieht über sprachliche Routinen (und nicht so sehr Strategien) innerhalb des K-Profils und wird an diesem korpuslinguistisch greifbar. Erinnerungsdiskurse sind in diesem Sinn weniger Ausdruck individueller Meinungen, die im Sprachlichen „wiedergefunden“ werden, sie sind auch nicht zwangsläufig politisch positioniert oder primär persuasiv. Sie verdeutlichen und beschreiben, erklären und argumentieren am Angelpunkt einer Erinnerungsfunktion, deren Merkmale sich über diskursgrammatische Konstellationen identifizieren lassen und die manchmal auch – wie sich zeigen wird – einen Kontrast zu dem bilden, was in überregionalen Debatten als angemessene Rede- und (Ge-) Denkweise festgesetzt wird. Ihre Funktionalität ist insgesamt aus der Kombination verschiedenartiger Kontextualisierungshinweise heraus erklärbar.

3.2 Die Städtezerstörung und die Schuldfrage Unabhängig davon, ob die erinnerungskulturelle Situation aus heutiger Sicht als Ent-Emotionalisierung der Geschichte im kollektiven Gedächtnis oder als Erinne-

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rungsboom beschrieben wird, kann eine wie auch immer geartete, ob frameanalytische oder diskurshistorische, Beschreibung die volle diskursgeschichtliche Dimension der Deutungsvarianten kaum einholen. Sie liefert Momentaufnahmen, die auf größere Zusammenhänge verweisen, wie sie in diskurssemantischen und diskurshistorischen Arbeiten untersucht worden sind. Für das ZAD sind aus diesen Forschungskontexten verschiedene Schlüsselwörter relevant, die den Sprachgebrauch über die Zeit ab Kriegsende bis zum frühen Aufbau in der Bundesrepublik geprägt haben und von denen in diesem Abschnitt zwei zentral behandelt werden sollen: Die Unterscheidung zwischen Tätern, Nichttätern und Opfern sowie die Frage nach der Schuld bzw. dem Schuldvorwurf, die einen Schnittpunkt der drei Akteurs-Diskurse bildet. Zu beiden Komplexen werden im Folgenden Ergebnisse dargelegt mit dem Ziel, in der späteren frameanalytischen Beschreibung ausgewählter Belege Differenzierungen innerhalb der Slots Destroyer, Patient, Event, Cause etc. vornehmen zu können und dabei auch gattungsspezifische Versprachlichungsstrategien zu berücksichtigen. Die kulturellen Muster des Erinnerns und Vergessens sind bei ehemaligen Täternationen wie Deutschland, aber auch Japan oder der Türkei entlang der Trennlinie „Täter/Opfer“ strukturiert, während so genannte Siegernationen sich ihrer Akteure als Helden und Gefallene erinnern (vgl. Rauer 2014:62). Beide narrativen Gestaltungen neigen zur Ausblendung: Im Fall der Siegernationen sind es die Gräueltaten, im Fall der deutschen Vergangenheitsbewältigung ist es die Gruppe derjenigen, die weder als Täter noch als Opfer gehandelt haben. Kämper (2005:11) wählt für letztere in ihrer Studie über den Schulddiskurs der frühen Nachkriegszeit die Bezeichnung „Nichttäter“, auch wenn diese einem binären Täter-Opfer-Konzept entspringt, das in der Realität der Subjektivierungsprozesse nicht aufgeht. Assmann (2006:85) bricht diese Dyade mithilfe der Figur des Dritten auf, die der Zeuge in verschiedenen Rollen verkörpert: der Zeuge vor Gericht, der historische Zeuge, der religiöse Zeuge und der moralische Zeuge.75 Letzterer ist für die Opferrolle konstitutiv, denn erst durch die Moralisierung, d.h. die Zuschreibung von Würde, Ehre, Menschlichkeit innerhalb einer sozialen Gemeinschaft entsteht die Vorstellung einer universalen menschlichen Integrität, auf deren Verletzung sich der Opferstatus gründet (vgl. Assmann 2006:89). Sowohl für Opfer als auch für Täter haben sich verschiedene Bezeichnungsvarianten etabliert. Darunter finden sich zahlreiche Stereotypien. Wie oben für die Mahnmaltexte erläutert, kann das Gedenken der jüdischen Mitbürger den Opfer-

75 Kämper definiert Opfer als „diejenigen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, diskriminiert, inhaftiert waren“ (Kämper 2005:VII) und zählt sie wiederum zu den Zeugen im engeren Sinne von Augenzeugen.

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status von Juden vertiefen. Dass das Opfergedächtnis wiederum stereotyp auf die Gruppe der Juden zugeschnitten ist, belegt die vielfach aufgegriffene Formel sechs Millionen Juden und andere (in einer Darstellung von Assmann 2006:256). In der Opfererfahrung verbietet sich jede Konkurrenz und Hierarchisierung, auch wenn es in der Aufarbeitung historischer Traumata wichtig war, den Holocaust als das Schlimmere im Vergleich zum Schlimmen (Bombenkrieg, Vertreibung) zu behandeln (vgl. Assmann 2006:268). Aus sozialpsychologischer Sicht stand stets zu befürchten, dass die Unfähigkeit um das verlorene Ich-Ideal zu trauern, das Hitler verkörperte, dazu führt, dass in der Verdrängung (der Anhängerschaft, der Zustimmung zur antisemitischen Haltung, der Euphorie über die Kriegspläne o.ä.) und der einhergehenden Ich-Entleerung die alten Ideale (in entstellter Form) wiederauftauchen und weiterwirken. So diagnostizierten Mitscherlich/Mitscherlich (1987) die Derealisierung als eine Art der kollektiven Amnesie und damit als den wirkmächtigsten Verdrängungsmechanismus der frühen Nachkriegszeit. Die verschobenen emotionalen Bindungen würden im Konsum der Wirtschaftswunderzeit eingelöst, die vorherrschende Abwehrform sei „ein manisches Ungeschehenmachen durch den ökonomischen und technischen Wiederaufbau, auf den in werktätigem Eifer alle Energien gerichtet wurden.“ (Pohl 2016:255) Angesichts der Kritik eines neuen deutschen Opferdiskurses, die sich an der „Entlarvungsschrift“ über die Unfähigkeit zu trauern entzündet, reklamiert Pohl (2016:257), dass eine Anerkennung der deutschen Leiden nur im historischen Kontext und vor dem Hintergrund einer klaren Schulddimension des Verbrechensregimes möglich ist. Und doch ruft die Thematisierung der Opfer des Bombenkriegs in der öffentlichen Aufmerksamkeit ein allgemeines Unbehagen hervor, das in jüngerer Zeit in einer Empörung über die 2005 zum Unwort erhobene Bezeichnung Bombenholocaust gipfelte. Als Begründung wurde genannt, es handle sich dabei um eine widerliche Umschreibung der Zerstörung Dresdens, mit der der eigentliche Holocaust heruntergespielt werde. Doch so empörenswert diese Metaphernbildung auch sein mag, so wenig außergewöhnlich stellt sie sich aus Sicht der Lexikografie zur sprachlichen Bewältigung des Nationalsozialismus dar. Sie wird von Hoberg (2015:13) als Teil eines breiten Vokabulars der Abwehr nationalsozialistischer Gräueltaten rekonstruiert, „die es uns erspart, etwa von Judenmord, Judenvernichtung, Völkermord/Massenmord an den Juden, Endlösung der Judenfrage oder Auschwitz zu sprechen.“ Die inhaltsleereren Bezeichnungen Holocaust, Shoa oder Pogrom und nicht zuletzt die verhüllende Pseudo-Metonymie Kristallnacht76

76 Der Ausdruck Reichskristallnacht wird nach einer Einschätzung von Stötzel (2005:405) mittlerweile in „politisch korrekten“ Texten ersetzt. Wikipedia führt das historische Ereignis des

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seien beliebter, weil mit ihnen nur wenig vom Schrecken der Konzentrationslager und der Katastrophe des Krieges und seiner Folgen ins Bewusstsein rückt. Die Kritik richtet sich in erster Linie gegen die drohende Gefahr, dass das erwachende Opferbewusstsein für die durch den Bombenkrieg Getöteten „die scheinbar gesicherten Trennlinien, vor allem die Trennlinie zwischen ‚deutscher‘ Täterschaft und ‚nicht-deutschem‘ Opferstatus“ (Klenke 2008:56) verwischt. Das Tabu der deutschen Opferrolle galt lange Zeit als selbstverständliche Folge einer erfolgreichen Vergangenheitsbewältigung. Im aktuellen Zeitalter der „Opferkonkurrenz“ beobachtet Frei (2009:30), dass auch die Nachfolgegenerationen der Mitläufer und Täter die Chance nutzen, sich selbst und die eigene Kohorte als Opfer zu erkennen: des Bombenkriegs, der Vertreibung, der ererbten Schuldgefühle. Die Identifikation mit den Opfern des Holocaust, einstmals Ausdruck einer bewußten Distanzierung von der Elterngeneration, tritt darüber offenbar in den Hintergrund.

Frei spricht ferner von einem „Gezeitenwechsel“ (Frei 2009:36) im Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Das Ende der Zeitgenossenschaft und das Eintreten der Gedenkkultur in eine Welt vernetzter Gedächtnisse mache schließlich den Holocaust zur Metapher, „die für vieles stehen kann, und Hitler – auch – zur Gruselgröße einer multimedialen Popkultur.“ (Frei 2009:37) Klenke (2008 57ff.) weist darauf hin, dass mit der Anerkennung der deutschen Opferrolle immer auch eine Klärung einhergehen muss, welche Gräueltaten in welchem Kontext und vor welchem Hintergrund begangen wurden. Nur so lasse sich der Gefahr entgegenwirken, deutsche und alliierte Opfer gegeneinander aufzurechnen oder aber in übertriebenes Selbstmitleid zu verfallen. Vielfach und von prominenter Seite wurde die Zerstörung deutscher Städte als Vergeltung für die Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe auf englische Städte (Coventry, Canterbury, London) gewertet. In einer Sondersendung der Radioansprache „Deutsche Hörer“, die ihm den Vorwurf der Genugtuung des Exilanten eingebracht hat, wünscht Thomas Mann im April 1942 der RAF sogar guten Erfolg: Aber ich denke an Coventry – und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, daß alles bezahlt werden muß. Es wird mehr Lübecker geben, mehr Hamburger, Kölner und Düsseldorfer, die dagegen auch nichts einzuwenden haben und, wenn sie das Dröhnen der RAF über ihren Köpfen hören, ihr guten Erfolg wünschen. (Mann 1945:56)

9./10. November 1938 seit 2002 unter der Bezeichnung Novemberpogrome 1938.

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Der Aufrechnungs-Diskurs hat Tradition. Er war bereits in nationalkonservativen Kreisen der Nachkriegszeit eine gängige Verteidigungsstrategie auch gegen den so genannten Kollektivschuldvorwurf. Klenke (2010) rekonstruiert, wie das nationalapologetische Opferbewusstsein nach 1945 aus der Verkopplung der beiden Weltkriege zu einem einzigen Täter-Opfer-Diskurs hervorgegangen ist. In diesem werden die deutschen Opfer des Ersten Weltkriegs größtenteils auf dem Schuld-Konto der Alliierten verbucht. Selbst in linksbürgerlichen Kreisen und im sozialdemokratischen Meinungslager war laut Klenke (2010:62) in den 1920er bis 1950er Jahren der Glaube an eine deutsche Opferrolle im Ersten Weltkrieg weit verbreitet. Dieses Phänomen des deutschen Opferbewusstseins oder zumindest die auf der Schulddimension basierende Wut auf die anderen wurde von der nationalsozialistischen Propaganda instrumentalisiert und ist nach dem Zweiten Weltkrieg in einem „überkommene(n) Aufrechnungsdiskurs“ (Klenke 2010:59) der bundesdeutschen Erinnerungskultur zur nationalen Selbstentlastung eingesetzt worden. Die Folgen, die der Mythos der Deutschen als Opfer, auch im Sinne der politisch Verführten und (neuerdings) auch als Opfer des Bombenkriegs, nach sich zieht, beschreibt Hammerstein (2007:28) treffend: Die Selbstviktimisierung ließ die Grenzen zwischen Tätern und Opfern in beiden deutschen Staaten verschwimmen, was eine Relativierung bzw. Ausblendung des verbrecherischen Charakters des Nationalsozialismus, des Massenkonsenses mit ihm sowie ganzer Opfergruppen zur Folge hatte.

Im Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung findet sich unter dem „Opfer“Lemma eine Reihe zeitgenössischer Zitate, die den Opferstatus aus einer kriminellen oder dämonischen Machtwirkung heraus begründen.77 Als weitere begünstigende Faktoren für die Konsolidierung der Opferrolle werden die Entnazifizierungspraxis der Alliierten und die Unterscheidung zwischen Volk und Kriegsverbrechern genannt, die der amerikanische Chefankläger Robert H. Jackson in den Nürnberger Prozessen (1945–1949) eingeführt hat. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung fühlte sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg weniger befreit als besiegt und sah sich in vielfältiger Weise als Opfer von Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung sowie des gesamten Nazibetrugs

77 Die Süddeutsche Zeitung vom 16.10.1945 bezeichnete „7 ½ Millionen Deutsche als Opfer des Krieges“ und Die Zeit vom 3.4.1947 beklagte den „unerhörten Nazibetrug“. Der Nationalsozialismus wird metaphorisch häufig gefasst als „Ausgeburt des Dämons Masse und eines satanischen Führers“ (vgl. Eitz/Stötzel 2009:288ff.). 1946 schreibt Asmussen über die gegenwärtige Geschichte, sie sei „nur apokalyptisch zu begreifen, und nur mit einem eschatologischen Worte kann man ihrer Herr werden.“ (1946:4 zitiert nach Kämper 2005:160)

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durch die Dämonen- und Zauberwirkung Hitlers, die seiner Person in den frühen Nachkriegsjahren zugeschrieben wurde (vgl. Kämper 2005:315). Hinzu kam der Eindruck einer nicht gerechten Persil-Schein-Handhabe der alliierten Militärregierung und der omnipräsenten, jedoch zu weiten Teilen selbst mitkonstruierten Kollektivschuldthese (vgl. Eitz/Stötzel 2009:288). Erst die 68er Generation hat diese Selbstviktimisierung zugunsten einer Anerkennung der NS-Verfolgten aufgedeckt und kritisiert (vgl. Eitz/Stötzel 2009:303). Einen Bewusstseinswandel löste schließlich auch die im Januar 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlte TV-Serie „Holocaust“ aus, die das Schicksal einer jüdischen Familie behandelt und damit den Verbrechen an sechs Millionen Juden ein Gesicht verlieh (vgl. Eitz/Stötzel 2009:305f. mit Bezug auf Frevert 2003). Die Ausstrahlung riss viele, die darauf beharrten und weiterhin beharren wollten, von den Verbrechen am europäischen Judentum nichts gewusst zu haben, aus einem Somnabulismus, jenem schlafähnlichen Zustand, der für eine rasche Wiederaufnahme des täglichen Lebens nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht förderlich gewesen sein mag. Der Filmproduktion wurden zwar selbst von Seiten der HolocaustÜberlebenden Tendenzen zur Trivialisierung und Sentimentalität vorgeworfen. Dennoch machte die vierteilige Geschichte der Familie Weiß den Horror ein Stückchen greifbarer. Postone (1980:97) sieht in diesen Schwächen des Films gerade seinen Vorzug, eine heftige Reaktion hervorzurufen und eine Diskussion über das Unfassbare in Gang zu setzen. Der Film bietet keinerlei Erklärungsmuster für die Entstehung des Antisemitismus und seiner Erscheinungsformen im Nationalsozialismus an. Er zeigt ebenso wenig soziale oder historische Bedingungen auf, die für sein Erstarken begünstigend gewirkt haben mögen. Daher seien die Zuschauer gezwungen, bisher Unverarbeitetes auf eine Weise zu behandeln, die dem Vor-Augen-Geführten nicht sofort die moralischen Kategorien von Scham und Schuld aufzwängt. Die weitere kritische Diskussion des Films ging in zweierlei Richtung: Zum einen wurde ihm vorgeworfen, dass die Konzentration auf Verfolgung und Ermordung der Juden (d.h. auf die Sündenbock-Theorie) die Sicht auf das Kriegsende als vollständigen Bruch bestätigt und eine Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ verhindert. Zum anderen richtete sich die Kritik darauf, dass der Antisemitismus vorschnell als Fall von Vorurteilen und Diskriminierung behandelt wurde, was sich mit Postones (1980:98) Einschätzung trifft, dass die inneren Beziehungen zwischen Nazismus und Antisemitismus verdeckt worden sind. Diese beginnen damit, dass die Entwicklung des industriellen Kapitalismus und damit auch die ihn begleitenden ökonomischen Krisen durch „den Juden“ personifiziert wurden. Durch Fetischbildung erscheint das mit dem Judentum identifizierte Finanz-Kapital als abstrakter Prozess (vgl. Postone 1980:110), der eine Verkopplung von Blut und Maschine als Gegenprinzip umfasst:

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The point is that, in this form of fetishized „anti-capitalism,“ BOTH blood and the machine are seen as concrete counter-principles to the abstract. The positive emphasis on „nature,“ on blood, the soil, concrete labor, and Gemeinschaft, can easily go hand in hand with a glorification to technology and industrial capital. (Postone 1980:110f., Hervorh. i.O.)

Der abstrakten Seite des Kapitalismus entspricht die Gestalt des Juden, die als Verkörperung des Abstrakten ebenso stofflich gefasst wird wie das Konkrete, dem sie entgegengesetzt ist. Beide entsprechen dem rassischen Gegensatz von Arier und Jude. Die physische Vernichtung der Juden stellte somit in einem ersten Schritt die Vernichtung des personifizierten Abstrakten dar, das die Häftlinge in den Vernichtungslagern verkörpern als (...) shadows, ciphers, abstractions. The second step was then to eradicate that abstractness, to transform it into smoke, trying in the process to wrest away the last remnants of the concrete material „use-value“: clothes, goald, hair, soap. (Postone 1980:114)

Diskussionen um die angemessene Gestaltung von Mahnmalen oder Gedenktagen basieren auf der Forderung, dass die Anerkennung von sechs Millionen europäischen Juden als Opfer von Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit in der erinnerungskulturellen Praxis an erster Stelle stehen sollte. Im Zuge der politischen Anerkennung vieler weiterer Opfergruppen wie der Sinti und Roma als rassisch Verfolgte, der Homosexuellen, Kommunisten oder Widerstandskämpfer, wird auch von Opfern zweiter Klasse oder vergessenen Opfern gesprochen (vgl. Eitz/Stötzel 2009:312). Zum Diskurs der Nachkriegszeit leisten Opfer einen berichtenden, dokumentierenden Beitrag, denn Opfer gleich welcher Provenienz liefern mit ihren Texten zum Schulddiskurs Berichte. In ihren Reportagen dokumentieren und referieren, bezeugen und verbürgen sie, was ihnen widerfuhr, was sie zu Opfern machte also. Das dominierende Handlungsmuster des Schulddiskurses der Opfer ist berichten. Insofern erfüllen Opfer mit ihren Berichten die Funktion von Zeugen. Diese Zeugen sind, als Opfer, unmittelbar Beteiligte, der Wahrheitsanspruch, den Berichte und den diese Zeugen vor allem erheben, ist geschützt durch das Tabu. KZBerichte sind unantastbar. (Kämper 2005:39)

Das Schlüsselwort Freiheit ist für die Opferdiskurse der frühen Nachkriegszeit wie kaum ein anderer nominaler Ausdruck kennzeichnend (vgl. Kämper 2005:117). Die diskursspezifischen Ausdrucksmuster, die die Leidenserfahrung im Lodzer Getto und die jüdisch-deutsche Opferperspektive anzeigen und „diskursivieren“, ermittelt Rothenhöfer (2015) in den Tagebuchtexten des Prager deutsch-jüdi-

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schen Autors Oskar Rosenfels. Neben dem Schlüsselwort Angst78 weist er auf der Basis signifikanter Trigramme die Konstruktionen [Es gibt keine(n) NP] und [Was ist mit NP (geschehen)?] nach. Von diesen Sprachhandlungen unterscheiden sich die Ausdrucksmittel, die für den Täterdiskurs typisch sind, fundamental. Handlungsbezogen beschreibt Kämper (2005:491) den Beitrag der Täter nach 1945 als strategisch argumentierend. Die kommunikativen Akte der Schuldabwehr und der Rechtfertigung haben sich insgesamt tief in das nationale Stereotyp der Deutschen eingeschrieben. Sie entsprechen den Argumentationshandlungen Umdeuten, MarginalisierenIdealisieren-Egalisieren und der Gegenklage, die eine exkulpierende Funktion erfüllen. Als lexikalische Ankerpunkte identifiziert Kämper (2005:497) die Schlüsselwörter Irrtum, Glaube, dienen/Dienst, Pflicht, machtlos, Befehl sowie die formelhafte Verbindung nicht gewusst. An anderer Stelle (2006:247) macht sie die lexikalische Instrumentalisierung des nationalsozialistischen Gehorsams mit dem Argument „ich musste“ auch an solchen Wörtern fest, die wie persönlich und befohlen einem Abwehrschema folgen oder die kollokativ als Bausteine einer Rechtfertigungshandlung fungieren wie bedingungsloser Gehorsam, keine Überlegung, hatte durchzuführen, kein Urteil, Führer selbst, alter Nationalsozialist und immer richtig. In verschiedenen Diskursen haben sich seit 1945 Bezeichnungsvarianten für NS-Täter herausgebildet, darunter Kriegsverbrecher, Gestapo, Schreibtischtäter und Komposita mit Mörder (Nazimörder, NS-Mörder) sowie Kollokationen mit Mörder (beamtete Mörder, Mörder in der Robe, Mörder am Schreibtisch, Mörder unter uns, Mörder mit weißen Handschuhen, vgl. Eitz/Stötzel 2009:506f.). Auf Diskurse wie den Auschwitzprozess oder die Verjährungsdebatte verweisen „Interpretationsvokabeln“ (Eitz/Stötzel 2009:513) wie Exzess-Täter, Eichmänner, Himmlers Schergentrupp und die entlastende Unterscheidung zwischen Mörder und Gehilfen oder auch Helfershelfer. Berichterstattungen regen auch zu metaphorischen Bildungen an: 1985 wird der KZ-Arzt Josef Mengele als Todesengel von Auschwitz bezeichnet und der Täter-Typus des „gewöhnlichen Deutschen“ erhält einen festen Status in der Debatte um das umstrittene Buch des amerikanischen Historikers Daniel J. Goldhagen mit dem Titel Hitlers willige Vollstrecker. Eitzl/ Stötzel (2009:527) beschreiben die erinnerungspolitische Wende ab dem Jahr 2000 als „Ende des Erinnerns an die Täter“, die im Zuge der Wehrmachtsausstellung und der Beteiligung deutscher Soldaten am Holocaust noch einmal auflebte: „Nach jahrelanger Fokussierung auf die NS-Täter rücken die Opfer, dabei besonders die Opferperspektive der Deutschen, wieder in den Vordergrund des öffentlichen Bewusstseins.“

78 Auch Kämper (2005:197) stellt darüber hinaus Angst als Leitwort des Opferdiskurses heraus.

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Was nicht nur den Täter-, sondern auch den Nichttäterdiskurs kennzeichnet, ist die Metaphernwahl, mit der die „dunkle“ Gestalt Hitlers die Deutschen zwischen 1933 und 1945 regiert hat. Kämper (2005:314) stellt fest, dass sich in der Dämonisierung Hitlers Nichttäter- und Täterdiskurse treffen und verweist auf Fritz Hermanns Beschreibung sprachgeprägter Menschenbilder für diese Zeit, in der man „mit Teufeln und Dämonen, mit Geistesgestörten und Glückspielern, mit Psychopathen und Bacillen ‚linguistisch rechnen‘ (Hermanns)“ muss (Kämper 2005:313, Hervorh. i.O.). Der Diskurs der Nichttäter ist durch eine diagnostizierende Grundhaltung gekennzeichnet und auf eine Zukunft hin ausgerichtet, für die der Nationalsozialismus die Bezugsgröße abgibt. Die Zukunftsorientierung kristallisiert sich in gegenwartsbezogenen Zeiteinordnungen wie Gebot der Stunde und Forderungen der Stunde (vgl. Kämper 2005:385) oder auch heute, heutig, das/unser Heute, jetzt, unsere/in dieser/in solch einer Zeit, in dieser Stunde, die die Gegenwart als Zeit und Zustand der Befreiung entwerfen (vgl. Kämper 2005:473). Diese Perspektive verfestigt sich zudem mithilfe der Adverbphrase gerade heute als lexikalische Repräsentation dieses Denkens, das gekennzeichnet ist von dem Bedürfnis, die Gegenwart als Konsequenz einer historischen Entwicklung zu akzentuieren, die mit dem Ende des Nationalsozialismus abschließt: es [ist] gerade heute höchster Aufmerksamkeit wert, daß schon im zehnten Jahrhundert keiner der im ostfränkischen Reich vereinigten Stämme eine staatliche Existenz für sich allein erstrebt! (Teilenbach 1946a, S. 237) Gerade heute — diese bewertende Herausstellung der Gegenwart ist nicht denkbar ohne die Zäsur von 1945. (Kämper 2005:163, Hervorh. i.O.)

Die Diskursgemeinschaft der Nichttäter, darunter Künstler, Dichter, Theologen, Juristen und Gesellschaftskritiker, setzt sich mit der Schuldfrage am intensivsten auseinander. Die komplexen Argumentationen des Nichttäterdiskurses thematisieren deskriptiv, explikativ-erläuternd und exkulpativ79 außerdem den in der frühen Nachkriegszeit diskursiv wirksamen Kollektivschuldvorwurf (vgl. Kämper 2005:277 und 280). Teilweise klagen sich die Nichttäter auch selbst an und gestehen eine allgemeine Schuld, Verbrechen zugelassen bzw. passiv hingenommen zu haben. Sie tun dies insbesondere mit den sprachlichen Wendungen nichts getan, unser Versagen, unterschätzt, wie blind gewesen, verharmlost, geschwiegen, ohne Widerstand geduldet, Feigheit, zugelassen, sich fügen (...). Der mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis in der Version nicht mutiger .., nicht treuer .., nicht fröhlicher .., nicht brennender aufgekommene Hauptvorwurf nicht genug bezeichnet im Zuge dieser Bekennt-

79 Mit den Nationalismen und Exkulpismen rückt der Nichttäter- in die Nähe des Täterdiskurses (Kämper 2005:507).

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nisstrategie die Vorstellung eines zwar ungenügenden, aber eben doch vorhandenen Gegen-Potenzials (...) (Kämper 2005:476).

Im Zusammenhang mit einem Schuldbekennen, das sich auf tragische, aber nicht auf kollektive Schuld richtet, treten auch metaphorische Prozeduren auf, in denen beklagt wird, sich schmutzig gemacht zu haben, und denen mit Reinigungsmetaphoriken begegnet wird, die auch religiöse Anklänge besitzen (vgl. Kämper 2005:390).80 Es ist Karl Jaspers Verdienst, in seiner Nachkriegschrift „Die Schuldfrage“ von 1946 die „Stigmavokabel“ (Eitz/Stötzel 2007:371) Kollektivschuld in vierfacher Hinsicht zu differenzieren in kriminelle, politische, moralische und metaphysische Schuld (vgl. Eitz/Stötzel 2007:377). So wurde als Gegenbeleg zur politisch-moralischen Kollektivschuld der deutsche Widerstand angeführt (vgl. Eitz/Stötzel 2007:385). Auch wenn eine Verurteilung aller Deutschen durch die Siegermächte in keinem Dokument überliefert ist und von Historikern bestritten wird (vgl. Assmann/Frevert 1999:116), bilden ihre Maßnahmen zur Entnazifizierung und ihre Umerziehungspolitik einen Hintergrund, vor dem die Deutschen zur kritischen Beurteilung befähigt und damit grundsätzlich zur Verantwortung gezogen werden sollten.81 Assmann/Frevert (1999:117) entfalten die These, dass eine dieser pädagogischen Maßnahmen, nämlich die erzwungene Wahrnehmung der Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern, eine Erfahrungsgrundlage für das Trauma bildet, „das die Anamnese von Schuld blockiert und damit die

80 Um das Wort Deutschland wieder verwendungsfähig zu machen, sucht die Besucherin des Schriftstellerkongresses Gebhard 1947 nach Wegen, „das Wort Deutschland wieder aus der Schmutzumkrustung, in der es drinsteckt, (zu) lösen und es sauber(zu)machen, nicht es wieder blank (zu) polieren wie einen Uniformknopf, da sei Gott vor, wohl aber es – alle zusammen, wir, die wir uns um die deutsche Kultur mühen – rein(zu)waschen mit dem reinen Wasser des Geistes.“ (Gebhard zitiert nach Kämper 2005:390, Hervorh. i.O.) 81 Jaspers nimmt Maßnahmen der alliierten Entnazifizierungspolitik wie die Verordnung von KZ-Besichtigungen oder die Plakataktion im Sommer 1945, bei der Plakate mit Bildern von Leichenbergen und der Bildunterschrift „Das ist eure Schuld“ aufgestellt wurden, als eindeutigen Beleg für einen Schuldvorwurf (vgl. Kämper 2005:279). Am 5. März 1946 wird zudem das Befreiungsgesetz erlassen, mit dem die Alliierten den Deutschen die Entnazifizierung übertrugen, was Kämper (1997:318) als Versuch wertet, „die ‚Schuld Nationalsozialismus‘ justiziabel zu machen“. Die Richter klassifizierten die Angeklagten in die fünf Gruppen Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Kämper (1997:318) kommt zu dem Ergebnis, dass Opfer bezeichnet werden als „Opfer, Gegner, ausländische Zivilisten und Kriegsgefangene“, Taten als „Verbrechen, völkerrechtswidrige Behandlung, Ausschreitungen, Plünderungen, Verschleppungen oder sonstige Gewalttaten, Tötungen, Folterungen oder sonstige Grausamkeiten, Denunzierungen und Verfolgung“, auf schuldhaftes Handeln wird verwiesen durch „eine führende Stellung, außerordentliche Unterstützung oder Nutznießung, aktive Tätigkeit in oder Zusammenarbeit mit Gestapo, SS, SD“ (Hervorh.i.O.).

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deutsche Erinnerungsgeschichte von ihrem Anfang an verformt hat.“ Weil zur gleichen Zeit die Welt auf die Deutschen schaut, die Schauenden zu Beschauten werden, entwickelt sich nach Assmann/Frevert (1999:122) kein Trauma der Schuld, sondern eines der Scham, von anderen für schuldig gehalten zu werden. Für diese Annahme spricht auch, dass die Konfrontation mit den Toten der Konzentrationslager als Schock-Therapie fotografisch dokumentiert wurde – nur dass diese Bilder nicht wie intendiert ein kollektives Gedächtnis der Reue und Schuld, sondern der Scham prägten (vgl. Assmann/Frevert 1999:125). Als neutrale Alternative zur generalisierenden Kollektivschuld wurde der Ausdruck Verantwortlichkeit vorgeschlagen, der anders als der Schuldvorwurf nicht reflexartig ein Rechtfertigungsschema aktiviert. Rechtfertigend wurde zur Entlastung der Befehlsgehorsam vieler Deutscher angeführt, was jedoch gleichzeitig die Identifikation mit der Rolle der unwissenden, verführten Opfer erhöht (vgl. Eitz/Stötzel 2007:382). Alternativbezeichnungen als Reaktion auf den ungerechtfertigten Vorwurf waren Kollektivscham (Theodor Heuss82) und Kollektivunschuld (Carlo Schmidt), die sich allerdings nicht durchsetzen konnten. Kämper (2005:297) macht zurecht geltend, dass es einer Begründung bedarf, warum die „Diskursgemeinschaft (...) zwei Gelegenheiten zur Verabschiedung der unterstellten Kollektivschuldvorstellung nicht wahr(nimmt)“. Sie erkennt in der Selbstrehabilitierung der Deutschen einen zentralen Grund dafür, am Vorwurf einer Kollektivschuld als krimineller Kategorie festzuhalten. So füllten diejenigen, die eine deutsche Kollektivschuld abstritten, diesen Begriff mit einer konkret strafbaren Handlung und einer tatsächlichen Mittäterschaft (vgl. Kämper 2005:298). Psychoanalytisch lässt sich die Erfindung der Kollektivschuldthese dahingehend deuten, dass sie den Deutschen ein indirektes Schuldgeständnis im Gestus der Abwehr ermöglichte. Statt das unermessliche Leid der Opfer anzuerkennen, verhalf die Abwehr den Deutschen dazu, sich als Opfer wahrzunehmen (vgl. Assmann/Frevert 1999:117). Somit bestätigt sich aus dem Diskurs der Nichttäter heraus für Kämper (2005:300) das,

82 Kämper (2005:295) zitiert Heuss mit folgendem Schlüsselzitat: „Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat – und er hat uns viel angetan – , ist doch dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen.“ (Heuss 1949a:100f.). Überdies lässt sie mit Giordano (1990:269) eine kritische Stimme zu Wort kommen (zitiert nach Kämper 2005:296): Die superlativische „Wendung ‚Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat ... ‘ bestätigt die Absicht, egal, ob sie bewußt oder unbewußt erfolgte: ein Täter – und sechzig Millionen Gehilfen ... die A-Historie schlechthin.“

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was der Historiker Peter Reichel als Option erwägt, dass der Kollektivschuld-Vorwurf vielleicht „den Siegern nur unterstellt [wurde], damit ihn die Besiegten umso nachdrücklicher zurückweisen konnten“ (Reichel 2001a, S. 28).

Hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung macht Kämper (2005:382) die Beobachtung, dass im zukunftsorientierten Schulddiskurs der Nichttäter ein „Hochwertregister“ eingesetzt wird, von dem ihrer Ansicht nach von Polenz zu Unrecht behauptet hatte, dass es nach 1945 kaum mehr verwendet würde. Dazu zählen Wörter wir Abendland, deutsch, Ehre, ewig, fanatisch, Glaube, heilig, opferbereit und Pflicht. Einerseits dokumentieren sich im entschuldigenden Gestus der Nichttäter weiterhin Chauvinismen und Nationalismen, andererseits tragen die Nichttäterdiskurse maßgeblich zur Demokratisierung der jungen Bundesrepublik bei. Kämper (2005:507) setzt die Nichttäterdiskurse daher sowohl dem Schuld abwehrenden Täterdiskurs als auch dem Beschweigen, Ausweichen und Ignorieren der Diskurse in den 50er und 60er Jahren entgegen. 1945 kursiert auch aus der Perspektive des Nichttäterdiskurses prominent das Deutungsmuster um das partizipiale Schlüsselwort verschüttet (vgl. Kämper 2005:477). Es wird als Erklärung für das Ausbrechen einer „vertierten KZ-Bestie“ herangezogen. Die Semantisierungsprozesse zu dieser metaphorischen Diagnose haben auf der Seite der Quelldomäne die zerstörte Stadt mit ihren verschütteten Kulturgütern zum Vorbild. Die Stadtzerstörung richtet sich an einer Topografie des Gesellschaftlichen sowie des Psychischen aus. So wie der Kameraschwenk in dem frühen Trümmerfilm „Die Mörder sind unter uns“ von den Kriegsruinen zur Großaufnahme des traumatisierten Protagonisten städtische und menschliche „Gesichter“ wechselseitig projiziert, wird auch in vielen Nachkriegstexten die Ruine als Allegorie für den Niedergang einer Zivilisation, als Metapher für die Hinfälligkeit des menschlichen Körpers, als „Gedächtnisort“ und „Erinnerungszeichen“ für ganze Kulturen oder konkrete historische Ereignisse (Arnold-de Simine 2007:253)

aufgefasst.83 Kolbenhoff lässt den Heimkehrer in seinem Roman „Heimkehr in die Fremde“ beim Anblick der zerstörten Stadt den direkten Analogieschluss ziehen: „Heute aber stehen wir vor einer furchtbaren Erbschaft, vor einem Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte.“ (Kolbenhoff 1949:91 zitiert nach Kämper 2005:142, Hervorh. i.O.) Hier entstehen Anschlüsse an die Metaphorisierung der

83 Kirchmann (2007:280) problematisiert den ästhetischen Blick auf die Trümmerwüsten hinsichtlich des moralischen Dilemmas dieser Filme, Mitglieder einer kriegsverantwortlichen Täternation als vom Bombenkrieg betroffene Bewohner von Ruinenfeldern zu zeigen.

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Gedächtnisarbeit, der kollektiven wie der individuellen, bei der der Analytiker wie ein Archäologe, „eine zerstörte und verschüttete Wohnstätte oder ein Bauwerk der Vergangenheit ausgräbt“ (Freud 2000:397). In der psychoanalytischen Arbeit stellen die im Schutt gefundenen Reste (Erinnerungsbrocken, Assoziationen) den Ausgangspunkt für eine Rekonstruktion unbewusster Gedächtnisinhalte dar. Aus dieser Doppelung gesellschaftlicher und psychologischer Motive leiten sich verschiedene Untersuchungsgesichtspunkte ab, insbesondere die Frage danach, welche scham- oder schuldkulturellen Kategorisierungen sich in Gebrauchstexten zur Erinnerungskultur wiederfinden und in welchen Formulierungen sich die Erfahrungen von Zerstörung und Aufbau kristallisieren. Oder noch allgemeiner ausgedrückt: Wie werden die für diese Umbruchszeit von Anfang an als Vergessen und Verdrängen beklagten Inhalte sprachlich sichtbar (gemacht)? Unmittelbar nach Kriegsende setzt eine breite Diskussion ein, wie und nach welchen Leitbildern die zerstörten Städte neuaufgebaut oder rekonstruiert werden sollen.

3.3 Aufbau, Wiederaufbau, Neu(auf)bau Die Rede vom deutschen Wiederaufbau wird regelmäßig mit Stoßseufzern begonnen. Das hat verschiedene Gründe. Sie werden zumeist von einem zentralen ästhetischen Argument begleitet: Unwirtlich, öde, hässlich seien die urbanen Silhuetten geworden, die nach dem Krieg ganze Stadtteile kennzeichnen, in denen überwiegend neu gebaut wurde. Das Ausmaß der Zerstörung wird nach dem Zerstörungsgrad der Wohnungen, der Innenstadt und der Industriegebäude ermittelt und fällt für deutsche Großstädte wesentlich höher aus als für Mittel- und Kleinstädte (vgl. Zirbel 2013:170). Die Wohnungsnot begründete die Dringlichkeit eines raschen Aufbaus, der in deutschen Städten zwischen 1953 und 1955 als abgeschlossen gilt (vgl. Körner 2000:37). Beziffert wird der Wohnraumverlust bei Kriegsende auf 4,8 Mio. zerstörte bzw. beschädigte Wohnungen von den 18,8 Mio. Wohnungen des Deutschen Reichs. 13 Mio. Menschen waren von Obdachlosigkeit betroffen und die stattliche Zahl von 400 Mio. m3 Trümmern macht vorstellbar, welche Hürden beim frühen Aufbau zu nehmen waren (vgl. Bode 2002:88). Den stärksten Zerstörungsgrad des Wohnraums weist Würzburg (75 %) auf gefolgt von Dessau, Kassel, Mainz und Hamburg. Vergleichsweise geringe Schäden entstanden in Lübeck, Wiesbaden, Halle und Erfurt. In 30 von 54 Großstädten auf dem heutigen Gebiet Deutschlands wurde die Innenstadt zu über 70% zerstört wie in Dresden, Köln, Hannover, Nürnberg oder Münster. Paderborn wird in dieser Statistik von Bode (2002:88) als Mittelstadt geführt, der es „(e)benso erging“. Insbesondere die Darstellung der meist als „dramatisch“ bezeichneten Wohnungsnot

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rechtfertigt den raschen Wiederaufbau als günstige und zweckmäßige Rekonstruktion zerstörter Wohnungen. Die Leitbilder, die dem Aufbau der kriegszerstörten Städte zugrunde lagen, sind häufig argumentativ verknüpft mit den Deutungsmustern des Kriegsendes und dem Anknüpfungswillen an städtebauliche und (stadt-)historische Traditionen. Zunächst lässt sich die Konzeption eines rekonstruktiven Wiederaufbaus wie in Münster und Nürnberg von der des Neubaus nach den Gesichtspunkten moderner Baukultur wie in Hannover und Kassel unterscheiden (vgl. Bode 2002:88).84 Gemeinsam ist den Baustilen nach Kriegsende eine Abkehr vom „gezwungenen monumentalen Reichskanzleistil von Speer und Konsorten“ (Krajewski 2015:41). Der nationalsozialistische Städtebau fußte auf keiner Architekturtheorie und zielte darauf, die Städte durch eine Mischung konservativer Baustile in repräsentative Zentren zu verwandeln, die Macht demonstrierten oder einer pathetisch-heroischen Geste folgten wie die als „Bauten des Glaubens“ bezeichneten Ordensburgen der NSDAP Vogelsang in der Eifel und Sonthofen im Allgäu (vgl. Zirbel 2013:141ff.). Dass das moderne Bauen von den Nationalsozialisten vehement abgelehnt wurde, gilt als wesentlicher Faktor für seinen Aufstieg nach 1945.85 Trotz der von den Trümmern ausgehenden überwältigenden Atmosphäre wich der Eindruck der tabula rasa einer städtebaulich-historischen Kontinuität, die auch durch manche vor 1945 tätige Stadtplaner und Architekten wie Neufert, Göderitz oder Schmidthenner hergestellt wurde (vgl. Zirbel 2013:171). Zirbel (2013:172) kommt zu dem Schluss, dass der aufkommende Rekonstruktionswille die Grundlage des Städtebaus bis in die 80er Jahre hinein bildet:

84 Diese Polarisierung von Rekonstruktion und Neubau identifiziert ein Kunsthistoriker auf einem Kongress für Internationale Ingenieurausbildung 1947 treffend als Scheinproblem: „Den historisch-rekonstruierenden Wiederaufbau unserer Städte etwa wird gerade auch derjenige ablehnen, der historisch besonders tief gebildet ist! Denn nur er weiß, daß in der Geschichte jede Gegenwart ihre eigene Formwelt finden mußte, und daß nicht wiederholt werden kann, was geschehen ist, daß wir nicht zweimal in denselben Fluß steigen können. Andererseits wird der begeisterte Anhänger moderner Architekten nicht außer acht (sic) lassen dürfen, daß unsere Städte organisch gewachsene Lebewesen von individuellem Charakter sind, gegen deren historische Grundstruktur nicht ohne Schaden auch für die Zukunft verstoßen werden kann. So gesehen wird die Fragestellung beim Neuaufbau ‚historisch oder neu?‘ zu einem Scheinproblem.“ (Schmoll, gen. Eisenwerth zitiert nach Gutschow/Stiemer 1982:20) 85 Mit Bezug auf Norbert Borrmann, der behauptet, es wäre dem „Kulturbolschewismus“ nichts nützlicher gewesen als der Sieg, der 1933 über ihn errungen wurde, vertritt Maaß (2015:88) die These, dass die „Feindschaft des NS-Regimes gegenüber der abstrakten Formgebung des Bauhauses (...) deren späteren Siegeszug (begünstigte)“.

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Die städtebaulichen Leitbilder und Impulse der Jahre 1945–1950 fußten auf der schnell ergriffenen Chance, die zerstörten Städte neu wiederaufzubauen. Die Bedeutung des baukulturellen Verlustes trat sehr bald in den Hintergrund, das Entsetzen über den Verlust wich den übergeordneten Werten des Neu- und Wiederaufbaus.

Die Chance des Neubaus wird mitunter recht unverhohlen begrüßt. Auch für Berlin hält Müller-Mertens (2000:380) fest, dass der Aufbau weniger als Wiederherstellung betrieben wurde, und vielmehr eine völlige Erneuerung städtischer Strukturen zur Folge hatte. Die Planungen zum „radikale(n) Neubau“ richteten sich gegen das gründerzeitliche und wilhelminische, gegen das mietskasernengepflasterte und steinerne Berlin. Wie in den meisten anderen deutschen Städten stand der Aufbau unter dem Leitbild der verkehrsgerechten, gegliederten, aufgelockerten, entmischten Stadtlandschaft. In ihr ist eine räumliche Trennung von Wohnen, Arbeiten und Erholen vorherrschend mit entsprechend durchgrünten Wohnquartieren neben gesonderten Einkaufszonen. Das Leitbild der Stadtlandschaft ist eng mit dem Namen des Architekten Hans Scharoun (1893–1872) verbunden. Der Vertreter der organischen Architektur wird vielfach mit seiner Vision einer „aufgelockerten“ Neuen Stadt zitiert: Was blieb, nachdem Bombenangriffe und Endkampf eine mechanische Auflockerung vollzogen, gibt uns die Möglichkeit, eine „Stadtlandschaft“ zu gestalten. Die Stadtlandschaft ist für den Städtebauer ein Gestaltungsprinzip, um der Großsiedlungen Herr zu werden. Durch sie ist es möglich, Unüberschaubares, Maßstabloses in unübersehbare und maßvolle Teile aufzugliedern und diese Teile so zueinander zu ordnen, wie Wald, Wiese, Berg und See in einer schönen Landschaft zusammenwirken. So also, daß das Maß dem Sinn und dem Wert der Teile entspricht und so, daß aus Natur und Gebäuden, aus Niedrigem und Hohem, Engem und Weitem eine neue lebendige Ordnung wird.86

Durth/Sigel (2009) rekonstruieren den Streit um die Prämissen des Städteaufbaus exemplarisch anhand der Debatten zwischen Politikern, Architekten und Bevölkerung der Städte Berlin und Frankfurt am Main. Diese politischen Stadtdiskurse rechnet Rothenhöfer (2014:13) zu den konkurrierenden Place-MakingHandlungen. Dem Anspruch der Architekten, zeitgemäß, funktions- und sachgerecht zu bauen, steht ein Begehren der Bürger nach spurloser Wiederherstellung des Zerstörten gegenüber (vgl. Durth/Sigel 2009:413) – ein semantischer Kampf, der auch heute noch viele Debatten zur Altstadtsanierung kennzeichnet (z.B. um die Bauprojekte im Frankfurter Römer-Viertel). Die von Rothenhöfer (2014) für den Streit um einen modernen Anbau für die Heidelberger Gründerzeit-Stadthalle ermittelten kommunikativen Strategien der Ästhetisierung, Partizipation und Aneignung, mit denen die Akteure ihre Interessen glaubhaft machen und durchzusetzen versuchen, finden sich in ähnlicher Weise auch in Wieder- und Neubaudebatten wieder. So führen alle Seiten ästhetische Argumente ins Feld,

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um 1. den modernen Baustil (Architekten), 2. die historische Rekonstruktion bzw. den Wiederaufbau87 (Bürger) oder 3. die soziale Urbanität (Soziologen) zu legitimieren. Um in der grammatischen Musterbildung der ZAD-Texte zu Wieder- und Neu(auf)bau Begründungsfiguren für die Stadtentwicklung zu identifizieren, werden im Folgenden Aspekte erläutert, die auf den Umgang mit dem historischen Erbe, den Konsumorten und den Erholungsgebieten im städtischen Raum gerichtet sind. Diese Argumentationselemente im Aufbaudiskurs treten selten in Reinform durch klar abgrenzbare Standpunkte auf. Zur Rechtfertigung von Bauprojekten finden sich meist verschiedenartige Mischungen aus den folgenden Positionen: 1. Für einen Großteil der Architekten der Nachkriegszeit gilt, dass sie die Zerstörungen in den deutschen Städten eher als Chance denn als Verlust des materiellen und baukulturellen Erbes begreifen. Als Begründung werden u.a. die ungesunden Wohnverhältnisse in den Großstädten mit ihren verbauten und verwohnten Altstädten genannt (vgl. Zirbel 2013:167). Die „ungeregelten“ Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts waren gekennzeichnet durch enge Straßen und dunkle Hinterhöfe. Sie erfuhren eine besondere Geringschätzung – von Bauhaus-, aber auch von NS-Architekten. Letztere bestimmten den Wiederaufbau in der jungen Bundesrepublik entscheidend mit (vgl. Maaß 2015:91): NS-Architekten wie Konstanty Gutschow, Rudolf Wolters, Ernst Neufert oder Hans Dustmann begannen ihr Werk als abstrakt entwerfende Architekten, welche sogar die Großsiedlungen Sowjetrußlands mitplanten, bis sie ihr Werk 1933 zumindest in der Gestaltung traditionell anpaßten, um dann 1945 abermals ihr Fähnchen zu schwenken. (Maaß 2015:89)

Dass sich die Bauformen der Abstraktion und Reduktion bis in die Gegenwart hinein durchgesetzt haben, erklärt Maaß darüber hinaus mit der internationalen Tendenz, nicht nur kriegszerstörte Städte aufzubauen, sondern auch wie im unzerstörten Stockholm Teile der Innenstadt abzureißen und im Stil des Neuen Bauens neu zu errichten. Die damit einhergehende Ablehnung historisierender Bauformen mit Ornament und tradierter Parzellenstruktur wird nicht nur ästhetisch, sondern zugleich ethisch und gesellschaftlich

87 Eine Rekonstruktion erfolgt in größerem zeitlichen Abstand nach einem oft lang anhaltenden Verfall, während mit Wiederaufbau die meist originalgetreue Wiederherstellung von Bauwerken nach einer kurz zurückliegenden Zerstörung durch Krieg oder Naturgewalten bezeichnet wird (vgl. Mörsch 1986 zitiert nach Buttlar et al. 2013:109; zur Rekonstruktion vgl. außerdem Maaß 2015:16f.).

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legitimiert: So gilt die abstrakt-reduzierte Architektur als Inbegriff gesellschaftlicher Fortschrittlichkeit und demokratischer Grundwerte (vgl. Maaß 2015:136ff.). Das zugehörige städtebauliche Prinzip der Auflockerung soll im Rahmen der zeitgenössischen „organischen“ Architekturtheorie kein geringeres Ziel haben, als die Kriegszerstörungen und die damit zusammenhängenden „Schädigungen am Volkskörper“ (Göderitz/Rainer/Hoffman 1957:84, Hervorh. i.O.) wiedergutzumachen. Das Ideal des „gesunden und leistungsfähigen Stadtkörper(s)“ ist schließlich an naturverbundenes Wohnen, luftige Bebauung und Stadtzellen gekoppelt, die quasi ein Eigenleben führen, aber doch nur als Gesamtorganismus Stadt funktionieren. 2. Die Rekonstruktion führt argumentativ das Versprechen mit sich, einen Heilungsprozess von moralisch-politischen Kränkungen der Vergangenheit zu initiieren. Die Vorstellung, mit der Rekonstruktion an die gewachsenen Strukturen anzuknüpfen, vertrat z.B. der Architekt und Städtebauer Friedrich Schumacher, der auch am Bremer Aufbau federführend beteiligt war. Personifizierend beschreibt er deutsche Vorkriegsstädte als „Galerie von ‚Charakterköpfen der Kultur‘“ (Schumacher 1982:193), deren undefinierbare Seele sich nicht auf historische Sehenswürdigkeiten beschränke. Dieses historische Fluidum einzufangen, sei ihm Ziel und zugleich Einwand gegen die Wohnzelle als dominierendes Gestaltungsprinzip. Auch in den Augen des Bremer Historikers Syring befördert die Wohnzelle als Grundeinheit der modernen Stadtlandschaft eine „Entarchitekturalisierung“, was bedeutet, dass den rein aus Optimierungsgesichtspunkten errichteten Gebäuden eine Handschrift bzw. ein Gesicht fehlt. Wenngleich jüngere Rekonstruktionsvorhaben in der Anfangsphase kontrovers diskutiert wurden, ist nach Vollendung des Baus oft eine breite Zustimmung der Bürger zu verzeichnen, die durch journalistische Berichte und Aktionen aktiv unterstützt werden – und das bis heute. Als Beispiel für solcherlei identitätsstiftende Maßnahmen führt Marek (2010) neben Stadtfesten und bildlichen Inszenierungen eine der Tageszeitung beigefügte Bastelvorlage zur historischen Römerzeile an, die den Aufbau der Dresdner Frauenkirche kurz vor Baubeginn 1983 veranschaulichen soll. Sie bietet die Möglichkeit, „eine persönliche Verbindung zur Rekonstruktion aufzubauen, um diese später als für die Identität notwendig bestätigen zu können“ (Marek 2010:25). Epochengeschichtlich sind es neben Barock und Renaissance vor allem die mittelalterlichen Gebäude und Traditionen, die im Stadtbild neuerdings vermehrt und vor allem aus Marketinggründen sichtbar gemacht werden. Bereits im Vorfeld des Denkmalschutzjahres 1975 wurden allerdings Warnungen laut, dass Altstädte in uniformierender Weise immer historischer werden, weil den Restaurie-

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rungsprozessen immer dasselbe mittelalterliche Klischee zugrunde liegt (vgl. Meier 2006:163). Von einer „zweiten“ Denkmalzerstörung ist auch die Rede, wenn werbewirksames Stadtmarketing ohne Anknüpfung an die ursprüngliche Bausubstanz Denkmalattrappen als Fiktionen von Denkmälern errichtet, statt im Sinne einer verantwortlichen Denkmalpflege neu zu bauen und Erinnerungsarchitektur zu schaffen (vgl. von Buttlar 2011:169). Erinnerungsarchitektur umfasst zudem eine reflektierte Vermittlung des kreativen, abstrahierenden und transformierenden Wiederaufbauens als materialisierte Konstruktion, die auf Fragen und Bedürfnisse der Gegenwart antwortet (vgl. von Buttlar 2011:168). 3. Eine Krise in dieser Stadtentwicklung wurde schon frühzeitig durch die Diagnose der „Unwirtlichkeit der Städte“ ausgerufen, mit der Alexander Mitscherlich in den 1960er Jahren zu belegen versuchte, dass der Wohnungsbau der Nachkriegszeit das Attribut „sozial“ nicht verdiene, sondern im Gegenteil „asozial“ mache, etwa Kriminalität fördere, indem er Bürger aus den städtischen Traditionen ausgliedert und Vergemeinschaftung verhindert (vgl. Mitscherlich 1967:39). Mit ihrer Kritik am „‚autogerechten‘ Kahlschlag der Innenstädte“ (Meier 2006:161) rückt die neue „städtebauliche Denkmalpflege“ den Erhalt historischer Bausubstanz und Denkmäler in den Blick. Es war auch die Denkmalpflege der ersten Aufbauzeit, von der es heißt, sie hätte unterstützt, dass unter dem Diktum des modernen Wiederaufbaus mehr historische Substanz zerstört wurde als durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs.88 Aus Sicht der Denkmalpflege war schon damals klar, dass das neue Interesse an der alten Stadt nicht zwingend den Erhalt alter Bauten förderte. „Historisch“ gemeinte „Verschönerungen“ in Stadt und Land hatten mit der jeweiligen geschichtlichen Realität oft wenig zu tun und führten zuweilen sogar zur Zerstörung denkmalwürdiger Substanz. (Meier 2006:162)

Auch ein Teil des Bremer Aufbaus wird als Zerstörungswerk betrachtet, das die Kriegsschäden weit übersteigt. Syring (2010:21f.) resümiert angesichts der Flächensanierungen, die keine Rücksicht auf historische Bausubstanz vor allem aus der Gründerzeit nahmen: „Schon bald setzte sich die Erkenntnis

88 Die Nachzerstörung infolge der „Originalitätswut mancher Architekten“ wird von Kleihues (1993:317) im Rahmen seiner Begründung einer kritischen Rekonstruktion der Stadt behandelt. Für diese ist kennzeichnend, dass sie die Widersprüche zwischen Gegenwart und Erinnerung, die Vielfalt in der Einheit, die die Europäische Stadt auszeichne, sichtbar hält.

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durch, dass in den Aufbaujahren mehr historische Substanz zerstört worden sei als im Krieg.“ Eine typische Fassadengestaltung des Neuen Wohnens wertet Krajewski (2015) als Schibboleth der Verdrängung. Sie stellt eine Hygiene zur Schau und trachtet in Form verkachelter, sauberer Oberflächen auf eine sozialsymbolische Weise „reinen Tisch“ zu machen. Sie lässt „durch ihre gleichförmige Anordnung und glatte Oberfläche keinen Ansatzpunkt für Kritik oder Anschuldigungen von außen“ zu (Krajewski 2015:42). Dabei verbindet die Kachel als Medium des Verdrängungsprozesses zwei Eigenschaften: das Raster als Muster der Verweigerung, Geschichten zu erzählen, und die kathartische Funktion der quasi automatisierten Selbstreinigung (vgl. Krajewski 2015:44). Zu dieser psychologischen Verkapselung passt die Diagnose der Atomisierung der Stadt. Sie führt nach Sennett (2008:517ff.) dazu, dass die Gemeinschaft nach dem Krieg prekär geworden ist. Eröffnete die vorindustrielle Stadt einen komplexen Erfahrungsraum durch Überlagerung mehrerer Funktionen auf einem Territorium, sind die Areale in den Nachkriegsstädten festen Nutzungsvorgaben (Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Konsum) unterworfen, die es Menschen schwerer machen zusammenzukommen.89 Vielfach wird die Nachkriegszerstörung als Folge der Bedürfnisse nach großzügigem Wohnund Büroraum gesehen. Der Aktivist und Gentrifizierungsgegner Twickel (2010:26) beklagt für Hamburg bis in die 1970er Jahre die „megalomane(n) Vernichtungsfantasien gegenüber dem Altbaubestand der inneren Stadt, den die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs übrig gelassen haben.“ Nach dem Wegzug des Bürgertums ins Haus mit Garten am Stadtrand sind marode Altbauten von Künstlern und Menschen auf der Suche nach alternativen Lebensformen (um-)gestaltet worden. Die Gentrifizierung dieser Szeneviertel in Form von Sanierungen zu hochpreisigen Eigentumswohnungen wird vielfach von Protesten begleitet und stellt so ebenfalls einen Diskursgegenstand dar, der durch Metaphern der Invasion und Bedrohung gekennzeichnet ist (vgl. Warnke 2013:197f.). Die Auffassungen vom gesellschaftlichen Zusammenleben werden auch auf politischer Ebene (körper-)metaphorisch strukturiert. Der „Gesundung“ des Stadtkörpers durch einen organischen Städtebau steht eine Debatte über Föderalismus und Dezentralismus der jungen Bundesrepublik zur Seite, in der das

89 Sennett beschreibt weiterhin, wie das Vereinsleben das Bedürfnis nach Zusammenkunft kompensiert, das sich zugleich auf den neuen hochgehaltenen Wert der Gemeinschaft gründet.

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Metaphernfeld des Körpers ebenfalls argumentativ genutzt wird. Die Vorstellung einer „organisch gegliederten Gesellschaft“ (Böke 1996:27) hat sich in der Adenauer-Ära weiter etabliert. Die Länder erscheinen hierbei als Teile eines komplexen staatlichen Organismus, dessen Einheit über die Vielheit bzw. Vielfalt seiner freien, unabhängigen Teile garantiert wird, die ihre spezifische Funktion behalten und mit den andern Teilen so zusammenwirken, dass sie das Ganze stabilisieren.90 Die Interpretationsvokabel Vielfalt avanciert dabei zum „Werbewort“ (Böke 1996:101) der Föderalisten, dem die Stigmawörter Wirrwarr, Zersplitterung und Partikularismus entgegengesetzt werden. Dem Chaos der inneren und äußeren Zerstörung wird somit ein Ordnungsprinzip zugeführt, das gelegentlich auch als Prüfstein für die moralische Verfasstheit der jungen Demokratie genommen wird. Die Vokabeln des Aufbaus, Wiederaufbaus und der Erneuerung treten sowohl in städtebaulichen als auch in gesellschaftspolitischen Kontexten auf und führen wechselseitig diese doppelte semantische Valenz mit: Der Wiederaufbau gesellschaftlicher Wertorientierungen kann sich in den architektonischen Schöpfungen niederschlagen ebenso wie architektonische Stile die Erneuerung des Staatsund Gesellschaftssystems anzeigen können. Als vorherrschendes Deutungsmuster identifiziert Böke (1996:26f.) das Ideal einer Harmonisierung von Gegensätzen aus gesellschaftlicher Vielfalt und individueller Eigenart, wie sie z.B. in der Definition von Gleichberechtigung als „‚Gleichwertigkeit, die die Andersartigkeit anerkennt‘“ (1996:27) zum Ausdruck kommt. Eine städtische Umgebung, die die Vereinbarkeit dieser Bedürfnisse nach Partizipation und urbaner Anonymität fördert, ruft Vergangenheit als etwas auf, das für die Gestaltungsanforderungen der Gegenwart in Dienst genommen werden kann. Die Stadt ist ein Raum, in dem sich historische Erfahrung und Verarbeitung durch Architektur-Zitate, Kombinationen von Baustilen, Überlagerungen etc. kondensieren. Welchen Eindruck die Beschreibungen der städtebaulichen Veränderung hinterlassen, hängt von Bezeichnungsweisen des Aufbaus (als Wiederaufbau, Neuaufbau, Rekonstruktion) ebenso ab wie von typischen Attribuierungen und grammatischer Musterbildung, d.h. vom Zusammenspiel morphologisch-lexikalischer und syntaktischer Eigenschaften. So steht beispielsweise das Kompositum Neuaufbau zumeist in einer Kontrastkonstruktion zu Wiederaufbau oder Wiederherstellung (in Form von Reparaturkonstruktionen wie nicht Wiederaufbau, sondern Neuaufbau oder Neuaufbau statt Wiederaufbau). Auch stellt sich die syntaktische Koordination von Zerstörung und Wiederaufbau für die Mannheimer und Paderborner Texte als relativ geläufig heraus, während die

90 Vgl. Böke (1996:87, 99), die den Föderalismus als Leitvokabel des bundesstaatlichen Aufbaus identifiziert.

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Verbindung Zerstörung und Neuaufbau überhaupt nicht vorkommt. Daraus lässt sich für das Lexem Zerstörung schlussfolgern, dass durch die morphosyntaktische Formelhaftigkeit in seine Semantik weniger die Unwiederbringlichkeit als vielmehr die reflexhafte Orientierung an der Wiederherstellung eines vergangenen Zustands eingelassen ist. Hier könnte sich Evidenz für die in der Einleitung dargelegte These Sebalds andeuten, die Zerstörung werde als Vorstufe eines seit Langem entworfenen Wiederaufbaus dargestellt.

3.4 Multimodalisierung: Raum und Architektur Der Ortsbezug spielt für die Texte des vorliegenden Korpus in mehrfacher Hinsicht eine Rolle: Erstens wurde ein überwiegender Teil der Publikationen vor Ort verlegt und gedruckt. Zweitens sind einige Texte nur vor Ort lesbar, da sie dort angebracht oder auf die Lektüresituation vor Ort zugeschnitten sind (z.B. mittels Lokaldeiktika und Demonstrativpronomen). Drittens enthalten die Texte materielle Bilder von Orten, die einen Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit veranschaulichen, und viertens hat die sprachliche Beschreibung bzw. Erzählung den Ort zum Thema. In diesen vier Dimensionen geschieht es, dass sich wie de Certeau (1988:219) im Sinne eines doing urban life beschreibt, ein Ort in einen Raum verwandelt, unter der Bedingung, dass ein Raum ein Ort ist, mit oder an dem man etwas macht. Die Interpretation des Ortes „übersetzt“ sich in einen Prozess des Gehens, der nach de Certeau durch verschiedene Äußerungseinheiten gegliedert ist. Im Gehen entsteht ein Raum der Äußerung, die der Gehende durch die Entscheidung für Annäherung und Entfernung erzeugt (vgl. de Certeau 1988:189ff.). Broschüren, Stadtführer, Tafeln, mobile Onlineangebote etc. bieten Texte, die die Praktiken des Gehens im städtischen Raum durch Wissen und Interesse steuern, i.d.R. durch eine Mischung aus Staunen(machen) und Ignorieren. Zwar sind Praxisstudien zur Aneignungsweise städtischer Räume nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Doch auch unabhängig von der vollzogenen Bewegung im Raum tragen die Geh-Figuren zu jener Verdichtung bei, aus der nach de Certeau Inseln einer bedeutungsvollen Aneignung des Raums als Raum des Konsums, der Besichtigung, der Durchquerung etc. hervorgehen. Die GehFiguren der textgebundenen Deixis am Phantasma sowie der Deixis der materiellen Bilder schaffen das, was den historischen Raum im Hier und Jetzt ausmacht. Er besteht aus mehr oder weniger lose verbundenen Punkten historischer Relevanz, die narrativ und durch Wissen und Erinnerung angereichert sind, und damit erinnerungskulturellen Sinn stiften. De Certeau spricht von Vergrößerung der Details und Verkleinerung des Ganzen; das bedeutet ein Zugleich an Zerstörung und Herstellung von Kontinuitäten: „Der von Praktiken so veränderte

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 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung

Raum verwandelt sich in vergrößerte Singularitäten und voneinander getrennte Inseln.“ (Certeau 1988:195) Eingedenk der Diagnose Augés (2012:77), dass die wie Visitenkarten wirkenden Hinweisschilder auf historische Ortskerne Autofahrer weniger anlocken und eher davon abhalten, die Städte zu erkunden,91 stellt sich die Frage, ob auch neuere Texte im Raum die geschichtsträchtigen Orte ihrer performativen Aufgaben für die urbane Identitätsbildung berauben, ob sie eine neue Einübung in Rituale der Geschichtsaneignung darstellen oder völlig andere Nutzungsszenarien des öffentlichen Raums anleiten. Die historischen Traditionsinseln, wie sie in vielen deutschen Städten, so auch in Paderborn, Bremen und Mannheim entstanden sind, befinden sich inmitten von architektonischen Gegensätzen, in denen kulturgeschichtlich geronnene Vergangenheiten friedlich nebeneinander existieren und gelegentlich auch zu neuen so genannten NichtOrten verschmelzen. In diese geraten die Besucherströme hinein, nur um geradewegs wieder herauszufließen. Sie stellen keine anthropologischen Orte dar, d.h. keine gewachsenen Orte mit identitätsbildenden Ritualen (z.B. Feste oder Märkte), die zum Verweilen einladen. Sie laden höchstens zum Konsumieren ein. Dabei erfahren die Orte zunächst eine Verdoppelung, die sich in der Situation überlagert: Sie sind diskursive und zugleich sichtbare Orte und nehmen in beiden Dimensionen sinnbildende Prozesse in sich auf. Diese Sinnbildung richtet sich auf eine Hoffnung für die Zukunft ebenso wie auf Modalitäten der Verarbeitung von Vergangenem und ggf. auf aktuelle Konflikte, die aus der gesellschaftlichen Organisation des öffentlichen Lebens in der Gegenwart resultieren (Gentrifizierung, Kriminalität, Partizipation, u.a.). Die Überlegung, dass die ausgewählten ZAD-Texte in irgendeiner Form zur Produktion von sozialem Raum beitragen, ist auch aus der Beobachtung der Vervielfältigung von Textsorten und einer verstärkten institutionellen Einbindung gespeist (Schulen greifen auf Materialien zurück, das Stadtmarketing empfiehlt Apps, Gästeführer weisen auf Tafeln hin etc.). Raum ist somit als urbaner Raum Ergebnis von Geschichte, die den Routinen der Nutzung eingelagert ist. Rituale der Nutzung und Nutzbarkeit stellen tagtäglich sicher, welche Räume exklusiv sind, welche Räume offen und abgeschlossen, angenehm und unangenehm, verlassen oder belebt sind (weil sie dekoriert werden, sich in ihnen Gastronomie befindet, dort Straßenkunst stattfindet usw.). Dazu tragen nach Löw (2008:37–42) so genannte Spacing-Prozesse bei, die Güter, Menschen und Verkehr platzieren und so zueinander anordnen, dass nicht in

91 Die Geschichtsappelle, die in Metropolen wie Paris von Straßennamen und Namen für Plätze sowie U-Bahn-Stationen ausgehen, bewirken für Augé (2012:74) ein „mechanische(s) Eintauchen in die Geschichte“, bei dem etwa „Alésia, Bastille oder Solférino eher räumliche Orientierungshilfen als Geschichtslektionen bezeichnen.“

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erster Linie ein reibungsloser Ablauf gewährleistet ist, sondern dass sich eine gesellschaftliche Ordnung reproduzieren kann. Die materielle Realität des Raumes spiegelt Traditionen und schafft durch Anordnung und Funktionsteilung Atmosphären, in denen die gesellschaftliche Sinngebung erfahrbar und im Handeln reproduzier- und ggf. transformierbar wird. Zunehmend wird ein „roter Faden“ aus stadtgeschichtlichen Informationen über ortsgebundene Leitsysteme gesponnen, da der offenbar kommunikativ gewebte Faden des Erzählens auf offener Straße einstweilen gerissen ist – wie sehr dieser auch zuvor als Mythos gewirkt haben mag. Mobilität, Digitalisierung und die Vorherrschaft des Konsums tragen zur Vereinzelung bei und schaffen die Voraussetzung für Angebote zur Restrukturierung des urbanen Raums mit geschichtlichem Charakter. Auch diese haben kommerziellen Sinn: Sie setzen auf die Belebung der Innenstädte durch Konsumpraktiken, auf die Intensivierung der Nutzung mobiler Medien sowie auf die Bereitschaft von Tagestouristen, über die geschichtsvermittelnden Angebote den individuellen (Wiedererkennungs-) Wert der Stadt – seltener aber die Stadt selbst – zu erleben. Handlungsbezogen sind auch die Akteure des urbanen Raums nicht exklusiv an einen menschlichen Willen gebunden. Weber (2012:30) zeigt mit Bezug auf die Akteur-Netzwerk-Theorie, wie sich die urbanen Materialitäten als Aktanten der Stadtgeschichte mit scheinbar natürlichen Kreisläufen verbinden und Situationen schaffen, die nur über eine Verkettung von Materialitäten und Reaktionen beschreibbar sind. Als Beispiel nennt sie die Versiegelung der Fläche, die Städte zu Wärme-Inseln macht. Für die urbane Geschichtskommunikation wäre hier etwa an die verstärkte Nutzung „natürlicher“ Sitzgelegenheiten wie Treppen, Mauern oder Vorsprünge zu denken, die den Blick auf historische Prachtbauten freigeben und lenken. Asphaltdschungel, urbanes Wohlstandsleben und Funktionstrennung stehen im Verdacht, einer „Desurbanisierung“ Vorschub zu leisten, die gerade nicht an jene Zeiten anknüpft, von denen die wiederhergestellten und sanierten historischen Bauwerke zeugen sollen (vgl. Lüscher/Makropoulos 1982). Bühne für eine Vielfalt widersprüchlicher und emanzipativer Lebensformen zu sein, ist das globale Versprechen der urbanen Kultur, deren Bedingungen seit den Anfängen der Stadtsoziologie intensiv diskutiert werden. In den Definitionen von Urbanität wird immer wieder das Moment der Heterogenität an einem Ort hervorgehoben, das raumzeitliche Zugleich von Spielen, Wohnen, Arbeiten und Vergnügen, so dass als Kernbedeutung der Eindruck entsteht, Urbanität impliziere ein Mindestmaß an Gewimmel und Gewühl (vgl. Häußermann 1994:69). Häußermann (1994:67) definiert Urbanität als „historisch spezifische Prägung von Stadtkultur, wie sie sich in der mitteleuropäischen Bürgerstadt ausgeformt hat.“ Die Faktizität der Vielfalt kultureller Angebote umfasst dabei nicht nur bewusste Inszenie-

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 Geschichte und Erinnerungskultur der Kriegszerstörung

rungen. Die urbane Lebensweise akzentuiert in sozialpsychologischer Hinsicht vielmehr die Mischung aus Fremdheit und Nähe, Anonymität und Kontakt (vgl. Häußermann 1994:70). Zudem ist auch Geschichte ein wichtiger Faktor in der Herausbildung der Urbanität von Städten, „weil die Präsenz der Zeugnisse vergangener Arbeits- und Lebensweisen, Herrschaftsstrukturen und künstlerischer Ausdrucksformen selbst Element von Urbanität ist“ (Häußermann 1994:71). Und doch trägt sie eine utopische Perspektive, man erkennt Urbanität erst dann, wenn sie abhandengekommen ist (vgl. Häußermann 1994:77, 79). Die moderne City-Bildung stellt wohl die größte Bedrohung für die Vision der urbanen Heterogenität dar. Makropoulos (2004:92f.) beschreibt am Beispiel der Neugestaltung des Potsdamer Platzes in Berlin, wie sich an diesem historischen Ort der spätkapitalistische Stil einer „Erlebnislandschaft“ mit Shopping-Malls als zentralen Elementen reproduziert. Dieser vollklimatisierte „Nicht-Ort“ mit seinen „phantasmagorische(n) Warenwelten“ hat das Eaton-Centre in Toronto zum Vorbild, das „einen Umschlagpunkt(es) in der Stadtarchitektur und der Entwicklung der postmodernen Konsumkultur“ darstellt (Göttlich/Winter 2004:97). Wenn die ortsgebundenen ZAD-Kommunikate auf diese drohende Austauschbarkeit reagieren, liegt hier durchaus eine Chance, das historisch Gewachsene von seiner Zerstörungs- und Transformationsgeschichte her in den Blick zu nehmen. Sie zeigen und behaupten in diesem Verständnis möglicherweise Wandel aus verschiedenen Perspektiven: Sie führen die Verwundbarkeit des städtischen „Körpers“ vor, sie zeigen Erneuerung und sie geben Beispiele für Zitat oder Integration historischer Bausubstanz in moderne(n) Architekturen. Angesicht der City-Bildung aber stehen sie im Kontext einer Konsumkultur, die schließlich auch Geschichte konsumierbar macht. Denn sie sind auch umgeben von ahistorischen Architekturen, die wie organlose Körper „eine glatte Oberfläche, ein undifferenziertes Fließen von Wunschströmen“ ermöglichen (Bublitz/ Spreen 2004:146). Bublitz/Spreen (2004) greifen auf die Wunschströme-Metapher von Deleuze/Guattari zurück, um die in der Mall-Architektur widergespiegelte Vermischung zwischen innen und außen, weiblich und männlich, öffentlich und privat aufzuzeigen. Seit Ende der 1990er Jahre gelten Einkaufscenter als Mittel zur Belebung von Innenstädten, deren schlechte Integration in die bauliche Struktur der Innenstädte ebenso kritisiert worden ist wie der Trading-Down-Effekt für den umliegenden Geschäftsbesatz (Krüger/Walther 2007:201). Die Urbanisierung wird infolge der Expansion, Kommerzialisierung und Globalisierungstendenzen der Städte auch als Tod der Städte begriffen, insofern die Stadt als präkapitalistische europäische Stadt des Mittelalters oder der Renaissance nach Lefebvre definiert wird:

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Wegen der Haussmannisierung und dem Modernismus ist die urbane Erfahrung folglich immer weniger von chaotischer Heterogenität, Kosmopolitanismus und dem lebhaften Straßenleben der historischen Stadt oder des Metropolenkerns des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet, sondern von verstreuten, funktional zerfallenen und politisch-ökonomisch verwalteten Formen des Lebens. (Kipfer/Saberi/Wieditz 2012:170)

Aus dieser Diagnose leitet Lefebvre seine Forderung nach Recht auf Stadt als Recht auf Differenz ab, die noch heute angesichts des großen Ausmaßes an sozial-räumlicher Segmentierung Relevanz hat, und die mit dem Ziel verbunden ist, Formen der Zentralität, Festivalität und Teilhabe in urbanen Regionen zu stärken (vgl. Kipfer/Saberi/Wieditz 2012:173, 176). Teilhabe in einem praktischen Sinne wird über textvermittelte Kulturen ermöglicht. Das Wissen um Veränderung, Ereignisse, Schleichwege, bedeutsame „Ecken“ ist Bedingung für einen identitätsstiftenden „Zugang“ zum städtischen Leben. Ein Teil der Geschichte wird in Geschichten konserviert, so dass hier wiederum kollektive Gedächtnisinhalte im städtischen Raum eine kommunikative Verflüssigung erfahren – dezidiert bei Stadtführungen, denkbarerweise aber bei jedem gemeinsamen Gang durch die Stadt. Das Placemaking beinhaltet somit große Geschichte und kleine Geschichten als Formen diskursiver Aktivitäten mit kommerziellen ebenso wie denkmalpflegerisch motivierten Faktoren der Herstellung urbaner und individueller Subjektivität: The study of places is therefore important to us because the stories we tell about them are intrinsically of interest: they give meaning to our life and sometimes they are constitutive of our identity as well. (Friedmann 2007:260)

Auf der Basis verschiedener Stadtdiskurse wird die Stadt lesbar und präsentiert sich als „eine Art lebendiges Geschichtsbuch“ (Syring 2010:4). Städtische Architektur und Infrastruktur wird jeweils zu einer eigenen Zeichenressource im multimodal signmaking (Jewit/Henriksen 2016) urbaner Diskurse. In der empirischen Musterermittlung wird aus forschungspraktischen Gründen weniger der räumliche und eher der bimodale Zusammenhang zwischen Sprache und Bild berücksichtigt. Die bimodale Eigenschaft der meisten ZAD-Texte gründet auf der Kontrastbildung zwischen verschiedenen zeitlichen Zuständen. Die Bilder sind durch den Text verankert im Sinne der Barthes’schen Bildfunktion des Anchorage, bei der die Sprache illustrierende Bildelemente selektiv beleuchtet. Sie führt den Leser über ein subtiles dispatching „durch die Signifikate des Bildes hindurch“ (Barthes 1990:35) und aktiviert dabei bestimmte Bedeutungsaspekte, während sie andere ausschaltet. Die für Filme oder Comics typische Relaisfunktion, bei der sich die Modalitäten zu einer Aussage ergänzen und ein komplementäres Verhältnis bilden (vgl. Barthes 1990:36f.), findet sich im

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Korpus nur selten bzw. bedingt wieder (je nach Lesart des Bildes). In der Bildverwendung überwiegt die Beweisfunktion, die meist nur eine scheinbare ist, wie Stegu (2000:313) für die Pressefotografie feststellt. Der Grund liegt darin, dass beispielsweise Menschen, aber keine Zusammenhänge, Ereignisse und Begründungen gezeigt werden, die wiederum erst der Textzusammenhang liefert. Letzterer gibt oftmals auch zeitliche Einordnungen oder baustilistische Informationen, so dass in der Bildrezeption eine metonymische Konzeptassoziation entsteht (vgl. Stöckl 2004:256ff.), die das Bauwerk pars pro toto für eine Epoche, einen Baustil oder eine historische Situation aufschließt á la „Dies ist ein typischer Blick auf den Platz zu dieser Zeit“. Der Betrachter kann in Fotografien modellhaft eingeschlossen sein, z.B. als Tourist, als Flaneur oder Verkehrsteilnehmer. Größere Touristengruppen können in der gediegenen Atmosphäre enger mittelalterlicher Gassen oder anderer historisch bedeutsamer Räume auch etwas Bedrohliches darstellen. Sie wirken als metonymisches Zeichen für den Konsum des Historischen mitsamt seinen Folgen für die Altstädte, die er unter Stress setzt. Während Tourismus in neueren Stadtmarketingkampagnen konzeptuell als Belebung visualisiert wird, galten die unachtsamen Städtebesucher in den 1960er und 1970er Jahren auch als Insignie des Zerstörerischen für ein „gewachsenes“ Idyll, das unter studierenden Blicken museal zu werden droht. Diese im Korpus überwiegenden metonymischen Bildverwendungen werden im Folgenden nur punktuell auf der Basis des sozialsemiotischen Multimodalitätsansatzes mit einem Bildanalyseverfahren untersucht, das bildliche Elemente in einem framesemantischen Rahmen als potenzielle Instantiierungen von FrameElementen begreift.92 Das Bild trägt zu einer Sprache-Bild-Gesamtaussage bei, die über die Dichotomie aus Verankerung und Relais hinaus ergänzende Funktionen von Bildelementen erfasst. Diese Funktionen müssen nicht immer direkt innerhalb von Slots verortet werden, sie können auch analog zu grammatischen Funktionen Relationen zwischen Frame-Elementen markieren. Eine solche Argumentation kann beispielsweise zwischen der Eigenschaft einer Person bzw. eines Objekts und den Verhaltens- bzw. Nutzungsweisen gestiftet werden: Ein Bauwerk kann Behördenort und historischer Raum sein und gleichzeitig kunstgeschichtliche Artefakte beheimaten. Allein durch verschiedene Bauphasen und Stile ist es Zeuge einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Interessant ist an diesem Ansatz nicht nur die Möglichkeit, Bildelemente in einen komplexen semantischen Rahmen einzusortieren, sondern auch ihre Nachbarschaften, die Typeund Tokenfrequenz ihrer Slots oder die alternativen Gestaltungsmittel zu erken-

92 Zur multimodalen Stil- und Frameanalyse am Beispiel von Online-Berichten vgl. Fraas/Meier 2001.

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nen, mit denen sich Slots füllen lassen. Schließlich stellt auch die Verteilung der Informationen auf die Modalitäten (mode) eine semantische Ressource dar (vgl. Kress 2009). Anders als in der sozialsemiotischen Schule mitunter üblich soll in der (nur punktuellen) Betrachtung von Sprache-Bild-Bezug nicht die Eigengesetzlichkeit der Modalitäten in den Mittelpunkt gestellt werden, sondern der transkriptive Prozess, mit dem sich die Aussagen in den bildlichen Eindruck einschreiben und damit zum Placemaking beitragen. Eine Bremer Stadtgeschichte beschreibt beispielsweise das von Kriegszerstörungen verschonte Schnoorviertel als einzige(n) im Wesentlichen zusammenhängend über den Krieg und die erste Wiederaufbauphase hinaus erhalten gebliebene(n) Stadtteil der Altstadt. Obwohl die Gebäude aus unterschiedlichen Epochen stammten, wirkte das Viertel in seiner Struktur, Bebauung und Bauart sowie in der Zusammensetzung seiner Bürger homogen. Im Schatten der City gelegen, blieb das Gebiet, dessen baulicher Gesamtzustand angegriffen war, von Straßenplanungen und Flächensanierungen unangetastet. Doch Ende der 1950er Jahre wurde die Bedeutung dieses Kleinods für die Stadtgeschichte entdeckt. (Barfuß/Müller/Tilgner 2008:583)

In der kollokativen Verbindung mit „unangetastet bleiben“ machen die „Straßenplanungen und Flächensanierungen“ den Anschein, als würden sie die Ursprünglichkeit einer Naturlandschaft zerstören. Dies ist kollokativ motiviert, denn einzig das Nomen Natur verbindet sich laut DWDS hochfrequent mit unangetastet, so dass hier mit dieser Formulierung der Mythos der mittelalterlichen Kernstadt in naturalisierter Weise aufscheint: Die Historizität der Bebauung ist mit Barthes’ (1964:112f.) Definition der mythischen Aussage ein Stück in Natur verwandelte Geschichte – eine Beobachtung, die für die Analysen eine wichtige Rolle spielen wird.

4 Korpusbeschreibung 4.1 Auswahl und Zusammenstellung Um eine erste Stichprobe für die vorliegende Untersuchung zu gewinnen, habe ich im Sommer 2015 begonnen, ein Stadtgeschichtskorpus für Paderborn zusammenzustellen. Mein Interesse ging von den ortsfesten Geschichtstafeln aus, die im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag des Kriegsendes 2005 in der Paderborner Innen- und Altstadt aufgestellt und die 2013 erneuert und durch weitere Tafeln ergänzt wurden. Von einem der Verfasser, einem His­toriker des Paderborner Stadtarchivs, erhielt ich dankenswerterweise Hinweise auf weitere Texte, die zur Erstellung der Pultaufschriften herangezogen wurden. Über diese indirekten, aber auch über explizite Intertextualitätshinweise gelangte ich zu einer kleinen Textsammlung, die ich systema­tisch diachron und mit dem Ziel einer Vergrößerung der Textsortenvarianz erweitert habe. Die Verfügbarkeit der Texte vor Ort in den hiesigen Bibliotheken und Stadtbüchereien, in der Tou­ristInformation und in den Buchhandlungen stellte ein zentrales Auswahlkriterium für die Korpusbildung dar. Auch wenn einige andernorts verlegte Stadtführer oder Internetseiten wie Wikipedia dieses Kriterium nicht erfüllen, so bieten sie oftmals durch Karten, deiktische Sprachmittel oder Wegbeschreibun­gen direkte Anschlüsse an die Wahrnehmung der Sehenswürdigkeiten vor Ort. Bevor das Korpusdesign näher beschrieben wird, soll vorerst die Städtewahl begründet werden. Mit dem Vergleich der Städte Paderborn, Mannheim und Bremen ergibt sich eine Varianz der Stadtimages: Einem klerikal-konservativem Paderborn steht das sozialdemokratisch geprägte Bremen gegenüber, während das weltoffene Mannheim seinem Ruf als öde Industriestadt mit kultureller Vielfalt begegnet. Es handelt sich zudem um Großstädte unterschiedlicher Größe. Paderborn hat als kleinere Großstadt 148.000 Einwohner, Mannheim besitzt mit 305.000 gut doppelt so viele Einwohner und in Bremen verdoppelt sich die Einwohnerzahl wiederum knapp auf 557.000. Haben diese Größenverhältnisse oder die Stadtimages eine Auswirkung auf die Eigenlogik der erinnerungskulturellen Verarbeitung von Luftkrieg und Wiederaufbau? Alle drei Städte sind im Zweiten Weltkrieg bombardiert und mehr oder weniger stark zerstört worden. In der Stadtgeschichte Paderborns sind diesbezüglich die drei Angriffe im Januar und März 1945 einschneidend. Als schwerster Angriff auf Bremen gilt die Zerstörung, die 500 Bomber im Au­gust 1944 verursachten, und Mannheim wurde bereits im September 1943 stark zerstört. Die Kriegsschäden werden unterschiedlich beziffert, für Paderborn liegen die Zahlen bei 80 bis 85 Prozent, für Bremen bei 60 bis 65 Prozent (bzw. 90 Prozent für das Hafengebiet) und für Mannheim bei 50 https://doi.org/10.1515/9783110691580-004

Auswahl und Zusammenstellung 

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bis 55 Prozent.93 Damit der stadtinterne Diskurs möglichst wenig Überlage­rungen mit einem überregionalen Diskurs zur Luftkriegs- und Wiederaufbauthematik aufweist, wurden solche Städte ausgewählt, die anders als Köln, Halberstadt, Dresden, Berlin, Würzburg, Pforzheim oder Nürnberg in der Geschichtswissenschaft, in den Massenmedien, in Lehrmateri­alien und literarischen Bearbeitungen möglichst selten exemplarisch herangezogen werden. Sie besitzen zudem kein Bauprojekt, dessen Diskurs den eigenen Stadtdiskurs überlagert, indem die „semantischen Kämpfe“ überregionaler Diskurse in die Debatten um das regionale Wohnen, Arbeiten, die Mobilität und die städtische Infrastruktur hineingetragen werden, wie etwa im Falle der Dresdner Frauenkirche, dem Berliner Schloss oder dem Frankfurter Römerviertel. Gleichsam sind sie auch untereinander intertextuell, soweit ich das überblicke, nicht weiter ver­netzt. Sie haben damit optimale Bedingungen, einen eigenen bzw. „eigenlogischen“ (Löw) erin­ nerungskulturellen Diskurs(-strang) mitsamt einem materialisierten Dispositiv herauszubilden. Überdies sollte sich auch die neuere Entwicklung des historischen Informierens durch ortsge­bundene Gattungen in der Innen- und Altstadt niederschlagen. Das Geschichtsbewusstsein vor Ort wird in Mannheim unterstützt durch eine mehrteilige Stelenserie, während die ortsfesten Texte in Bremen traditioneller gestaltet und an Häusern angebracht sind. Sie bilden Spuren dis­kursiver Stadtgeschichtsschreibung im öffentlichen Raum und treffen somit die Motivation der vorliegenden Studie, medial vielfältige und transformative Verarbeitungsprozeduren diskurs­grammatisch zu beschreiben. Der Diskursausschnitt mit den drei Teilkorpora für Paderborn (PB), Mannheim (MA) und Bremen (HB) ist somit repräsentativ für die geschichts­und erinne­ rungskulturelle Verfasstheit zum stadtinternen, nicht aber zwingend für den gesamtdeutschen Diskurs zu Städtezerstörung und Wiederaufbau. Ein ausgewogenes Korpus, das dem Forschungsinteresse folgt, Formulierungsroutinen in Ab­hängigkeit von den Faktoren Zeit, Ereignis und Gattung zu beschreiben, darf Medienwandel und gesellschaftliche Voraussetzungen der Textproduktion nicht außer Acht lassen. So sind es in den frühen Nachkriegsjahren Zeitzeugen, die über die Zerstörung berichten und den Wieder­ aufbau kommunikativ begleiten. Ins Korpus aufgenommen wurden jedoch nur Veröffentlichun­gen von Autoren, die in einer Doppelrolle als Zeitzeuge und His-

93 Dass die Augmentativformulierung zu mehr als X Prozent in den Stadtgeschichtstexten für Paderborn und Mannheim rekurrent auftritt, lässt den Rückschluss zu, dass das Ausmaß des Verlustes auch unabhängig vom faktischen Zerstörungsgrad in beiden Stadtdiskursen als erheblich eingeschätzt wird.

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 Korpusbeschreibung

toriker, Heimatpfleger o.ä. zur stadtgeschichtlichen Erinnerungskultur beitragen. Sie bewegen sich dann in verschiedenen Texttraditionen und leisten einen Beitrag zur Reflexion in der frühen Aufbauzeit. Weitere Zeit­zeugenberichte, die im Analyseteil auch als Belege herangezogen werden, sind in vielfältige geschichtsvermittelnde Texthandlungen eingebunden, insbesondere als Quellenmaterial für Do­kumentationen, aber auch innerhalb stadtgeschichtlicher Darstellungen. Die Stimmen der Zeit­zeugen sind vor allem in ihrer intertextuellen Verflochtenheit für das vorliegende Projekt rele­vant. So deutet bspw. die Vorwortautorschaft eines Bürgermeisters in einem 1949 erschienenen Buch des Historikers Rudolf Kiepke (1903–1987) darauf hin, dass es sich um eine wichtige Veröffentlichung im frühen ZAD handelt. Dies bestätigt sich durch die mehrfache Referenzie­rung in sechs späteren Veröffentlichungen, die Teil des Paderborn-TKs sind. Im Vergleich dazu wird die nicht ins Korpus aufgenommene Zeitzeugenmonografie des Priesters Hermann Bieker „Das brennende Paderborn“ in nur zwei Veröffentlichungen zitiert. Aufgrund der Multimodalisierung und Mediatisierung stadtgeschichtlicher Publikationen sieht es in den folgenden Jahren nicht anders aus: Auch Verfasser von Marketingbroschüren, Stadt­führern und Internetseiten mit stadtgeschichtlichem Schwerpunkt haben von Berufs wegen und durch institutionelle Vernetzung ein vielfältiges soziales Rollverhalten, so dass diese Variable später auf Textebene herangezogen wird, nicht aber externes Kriterium zur Korpuserstellung war. Eine Ausgewogenheit liegt somit in Menge und Verteilung der Textsorten auf einen Zeitraum zwi­schen 1948 und 2016 vor, nicht aber medial, da mündliche Gattungen im fraglichen Zeitraum (Reden, Ansprachen, Gästeführungen zum Thema Kriegszerstörungen etc.) nicht berücksichtigt wurden. Das Korpus bildet in seiner quantitativen Zusammensetzung eine erinnerungskulturelle „Lücke“ in den 1960er Jahren ab und dokumentiert eine Intensivierung des Diskurses ab Mitte der 1980er Jahre (vgl. Kap. 4.3). Es spiegelt damit auch die Verschiebung von der Erlebnisver­arbeitung der Nachkriegsjahre zur Konventionsbildung an der Grenze der kommunikativen Ge­dächtnisarbeit der Aufbaugeneration wider.

4.2 Datenerhebung und Datenaufbereitung Die gesammelten Textausschnitte lagen nur zu einem geringen Teil in elektronischer Form vor und mussten für die korpuslinguistische Auswertung digitalisiert werden. Da die zum großen Teil urheberrechtlich geschützten Daten zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch und nicht für kommerzielle Zwecke erhoben wurden, unterliegen sie der Schrankenregelung des Urheberrechts, wonach

Datenerhebung und Datenaufbereitung 

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Kopien zu Forschungszwecken in gewissem Umfang angefertigt werden dürfen.94 Die weiteren Regelungen des Urheberrechts (insbesondere das Vervielfältigungsrecht) wurden dahingehend beachtet, dass die Werke nicht vollständig, sondern nur kapitel- und aus­schnittweise gescannt wurden. Daher wurden jeweils nicht mehr als 80 Prozent einer Quelle digitalisiert. Zur Herstellung einer computerlesbaren Version wurden die Digitalisate mithilfe der OCR-Software Abbyy FineReader für die Auswertung in AntConc (vgl. www.laurenceanthony.net/software/ antconc/, zuletzt abgerufen am 17.07.2020) in die Norm (Western Latin) ISO 8859-1 übertra­gen und für die POS-Analysen im LDA-Toolkit 2.7beta95 mit UTF-8-Kodierung gespeichert. Die txt-Dokumente können so mit den deutschen Umlauten und scharfem S (ß) ausgelesen werden. Elektronisch verfügbar sind neben den Internetseiten und einigen online hinterlegten Broschüren die meisten ortsfesten Schilder und Lehrpfade, die im Netz abrufbar sind oder die mir von den Autoren auf Anfrage als PDF übermittelt wurden. Während in Paderborn alle wichtigen Stadtgeschichtswerke und Stadtführer in der Universitätsbibliothek verfügbar sind, befinden sich diese Bücher in Mannheim und Bremen in den jeweili­gen Stadtbüchereien. Bei der Recherche wurde aus diesem Grund der GBV-Katalog (GBV = Gemeinsamer Bibliotheksverbund) genutzt, zu dessen Verbundbibliotheken auch die öffentli­chen Bibliotheken zählen. Der GBV-Katalog ist vom KVK (Karlsruher Virtueller Katalog) aus durchsuchbar. Stichwörter bei der Suche waren neben den drei Städtenamen Varianten der Le­xeme Zerstörung, Aufbau und (Zweiter) Weltkrieg. Für das Korpus ausgewählt wurden einschlägige Abschnitte aus allen Buchtiteln, die sich zu touristisch-werbenden Zwecken, wissen­schaftlich, narrativ oder informierend mit der Stadt, mit Stadtgeschichte oder im Schwerpunkt mit Zerstörung und Aufbau befassen. Der Umfang der ausgewählten Passagen variiert je nach Textsorte von einzelnen Absätzen (z.B. aus Stadtführern) bis zu ganzen Kapiteln (z.B. bei Abhandlungen über die Städtezerstörung oder Ausstellungskatalogen). Die über die externen Themenkriterien Zerstörung und/oder Auf­bau gewählten Ausschnitte weisen je nach Textsorte und Komprimierungsgrad auch Themen­verknüpfungen im Satz oder Absatzkontext auf. Selbst in Abschnitten, die schwerpunktmäßig einem der beiden Themen gewidmet sind, finden sich Bezugnahmen auf das jeweils andere

94 Die Urheberrechtsschranke erlaubt hingegen nicht die Zugänglichmachung oder Weitergabe einer Kopie des Textkorpus (DFG:14), was die Überprüfbarkeit der nachfolgenden Ergebnisse erheblich einschränkt. Eine Möglich­keit, dies auszugleichen, besteht in der Transparenz der Datenstruktur sowie in der Datenaus­wertung. 95 https://diskurslinguistik.net/forschung/software/lda-toolkit/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020.

144 

 Korpusbeschreibung

Thema, z.B. in Texten zur Zerstörung in Form eines Ausblicks auf Möglichkeiten des Aufbaus oder in Aufbautexten in Form von Beschreibungen der Zerstörung als Ausgangszustand vor dem Aufbau. Insgesamt wurden die Kotextabschnitte aus den Bremer und Mannheimer Publi­kationen weiter gefasst als im PaderbornTeilkorpus, was sich in der Gesamtgröße (Tokenmen­ ge) geringfügig niederschlägt, nicht jedoch in der Anzahl der Kommunikate (vgl. Tab. 5). Die­ses leichte Ungleichgewicht hängt damit zusammen, dass es sich um Fernleihen handelte, die nach Ablauf der Leihfrist nicht kontinuierlich zur Verfügung standen, so dass spontan benötigte Kontextinformationen nicht mehr so leicht im Nachhinein zu beschaffen waren. Aus diesem Grund wurden auch Farbinformationen, Einbände und Inhaltsverzeichnisse mitdigitalisiert. Die deutungsrelevanten Kontexte wurden schließlich im Zuge der Datenbereinigung noch einmal eingegrenzt. Der Korpusaufbau wurde im Rahmen der Gleichstellungsförderungslinie der Universität Pader­born durch zwei wissenschaftliche Hilfskräfte unterstützt, die später schwerpunktmäßig die notwendige Datenbereinigung übernommen haben.96 Textelemente, die im Zuge der Bereinigung annotiert wurden, sind Überschriften, Bildunterschriften und auch der Hinweis auf Bildmaterial, das jeweils in der zugehörigen pdf-Datei eingesehen werden kann. Orthografie- und Gramma­tikfehler wurden nicht normalisiert, sondern mit einem Sic-Tag versehen.97 Quellen wie Briefe, Flugschriften oder Zeitungsausschnitte wurden nicht immer vollständig und teilweise nur mit Verweis auf ein Originaldokument übernommen.98 Um (teil-)schematische Suchanfragen mit Wortarten-Tags zu formulieren, wurde das Korpus mithilfe von TagAnt für die Auswertungen in AntConc getaggt. Diese Suchfunktion wurde hauptsächlich zum Filtern von Belegsammlun­gen eingesetzt. Für die Auswertung nach POS-Grammen im LDA­Toolkit musste der TreeTag­ger verwendet werden. Die windowsbasierte Software LDA-Toolkit von Friedemann Vogel ermöglicht die Erhebung der Clusterbildung auf der schematischen Ebene der Wortarten (vgl. https://diskurslinguistik.net/ forschung/software/lda-toolkit/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Weitere manuelle Annotationen auf (morpho-)syntaktischer und semantischer Ebene

96 An dieser Stelle danke ich Stefanie Borgolte und Mariella Papa für die sorgfältige und umsichtige Erledigung der mitunter mühseligen Datenbereinigung. 97 Das in eckige Klammern gesetzte [sic] lässt sich über die globalen Einstellungen in AntConc für die Suchanfra­gen verbergen („Hide tags“). Jedoch weisen die gedruckten Werke nur ganz vereinzelt orthografische Fehler auf, so dass auf diese Option verzichtet wurde. 98 Dabei war stets die Angemessenheit des Arbeitsaufwands Maßstab, so dass Ausschnitte, die aufgrund der schlechten Scanqualität abzutippen waren, nur in geringem Umfang übernommen wurden, während Publikationen, die bereits im Internet digitalisiert vorlagen, in größeren Ausschnitten erfasst wurden.

Metadaten 

 145

wurden für ausgewählte Treffer im Rahmen der diskursgrammatischen Analyse für das ZAD-Korpus (vgl. Kap. 6) vorgenommen. Eine systematische Füllerauswertung mithilfe von Lexpan bot sich für Treffer aus dem vergleichend herangezogenen Referenzkorpus DeReKo immer dann an, wenn die diskursgrammatische Typevariation innerhalb eines Slots über Suchanfragen in Cosmas II nur schwer zu ermitteln war. Tab. 5: Größe der drei Städte-Teilkorpora Teilkorpus (TK) Paderborn Mannheim Bremen Summe

Anzahl Tokens99

Anzahl Kommunikate

360.696 482.065 498.523

55 43 48

1.341.284

146

4.3 Metadaten Neben den bibliografischen Angaben gehören Zeit-, Gattungs- und Akteurszuordnungen100 zu den Informationen, die für jedes Textdokument der drei Teilkorpora des ZAD-Korpus erhoben wurden. In der Korpusübersicht (Kap. 9.1) wurden für jedes Dokument die Stadt-, Zeit- und Gattungszuordnung aufgeführt. Diese drei Metadaten liegen auch der Bildung der weiteren Subkorpora zugrunde. Es handelt sich dabei um Querschnittkorpora, die entweder alle Texte einer Stadt, einer Phase oder derselben Gattung beinhalten. Da die Akteure unterschiedliche Diskurspositionen einnehmen und herstellen, wird die Diskursrolle als unabhängige Variable gesetzt, d.h. als Kontext, der brought about hergestellt wird, und zwar im Sinne einer Produktion von Subjektivität durch Intersubjektivität und Intertextualität, d.h. Vernetzung im Dispositivraum. Die Korpusübersicht gibt Einblick in die Gattungszuordnungen der Texte, die neben dem Erscheinungsdatum auch anhand der Sigle erkennbar ist (vgl. Kap. 9.1).

99 Die Tokenisierung wurde mithilfe der Standardeinstellungen in AntConc 3.4.4 vorgenommen. 100 Akteursangaben sind indirekt in die Gattungszuordnungen eingeflossen. Stadtgeschichtliche Darstellungen mit Expertise (Sigle: SGe) sind von Historikern verfasst, die aber gleichzeitig Autoren von Beiträgen in Ausstellungskatalogen oder von Internetseiten sein können, ebenso wie ein Historiker gleichzeitig Zeitzeuge, Ausstellungskurator oder Vorstandsmitglied in einem Verein sein kann, der die Stadtimagepflege (auch aus kommerziellem Interesse) zum Ziel hat.

146 

 Korpusbeschreibung

4.3.1 Zeiträume Die vorliegenden Daten erlauben Rückschlüsse auf die Entwicklung der ZAD-Thematik ab 1948 und können sprachliche Veränderungen ab 1980 auf einer relativ belastbaren Datenbasis beschreiben. Wie die Verteilung der Texte auf die Jahrzehnte veranschaulicht, nehmen die heute verfügbaren Kommunikate zur thematisch relevanten Stadtgeschichte in den 1980er Jahren allmählich zu, um dann ab den 2000er Jahren deutlich anzusteigen (vgl. Abb. 4 und 5). Die Textexplosion erreicht für die gedruckten Veröffentlichungen um 2000 einen Gipfel, zugleich haben sich bis dahin die Gebrauchstextsorten zur Stadtgeschichte ausdifferenziert. Unter den 43 Kommunikaten, die für den Zeitraum von 2011 bis 2016 aufgeführt sind, befinden sich 24 Internetseiten mit deutlich geringerer Textmenge (zur Gewichtung der Gattungen vgl. Kap. 4.3.2).101 Die geringe Textdichte um das Jahr 1960 herum wurde nicht durch weitere Recherchen nach geeigneten Veröffentlichungen kompensiert (vgl. Abb. 5). Sie kann intuitiv mit der zeittypischen Verdrängungskultur in Verbindung gebracht werden, sagt aber de facto nur etwas über das Interesse an und die heutige Verfügbarkeit von Texten dieser Zeit aus. Sichtbar werden zwei Anstiege, die auch für die steigende Gesamttendenz von Veröffentlichungen (gestrichelte Linie) verantwortlich sind. Sie setzen Mitte der 1980er Jahre ein und noch mal um das Jahr 2005, in dem der 60. Jahrestag des Kriegsendes begangen wurde. Dies passt zu der bereits diskutierten Beobachtung (u.a. von Assmann), dass die Erinnerungsarbeit in dieser Auflösungsphase des kommunikativen Gedächtnisses der lebenden Zeitzeugen eine Art Dammbruch erfährt. Für die in Kap. 3.1 beschriebene Phase der deutschen Erinnerungsgeschichte ist festzustellen, dass die intensive und konfliktreiche Erinnerungsphase ab 1985 ihren Niederschlag in einer Zunahme von ZAD-Texten samt einer Vervielfältigung von Textsorten findet, wohingegen die Phasen der Vergangenheitspolitik (1945–1957) und der Bewältigung (1958–1984) eine deutlich geringere Textmenge aufweisen. In der zeitlichen Verteilung der zusammengestellten Texte gibt es insgesamt kaum Abweichungen im Vergleich der drei Städte untereinander (vgl. Abb. 6–8).

101 Wenn das Entstehungsdatum der Texte nicht eindeutig vermerkt war, wurde für die Hypertexte das Jahr der Datenerhebung 2016 gewählt.

Metadaten 

 147

60 50 48

40

43

30 20

0

20

16

10 4

5

4

6

1948–1950 1951–1960 1961–1970 1971–1980 1981–1990 1991–2000 2001–2010 2011–2016

Abb.5.4:Gesamtkorpus: Gesamtkorpus: Zahl Kommunikate nach Erscheinungsjahr in Zehnjahresschritten Abb. Zahl derder Kommunikate nach Erscheinungsjahr in Zehnjahresschritten (å 146) (Σ 146) 30 25 20 15 10 5 0 1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

2010

2020

2010

2020

Abb. 5: Gesamtkorpus: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 146)

12 10 8 6 4 2 0 1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

Abb. 7. 6:Teilkorpus TeilkorpusPaderborn: Paderborn: Zahlder der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 55) Abb. Zahl Kommunikate nach Erscheinungsjahr (å 55)

148 

 Korpusbeschreibung

6 5 4 3 2 1 0 1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

2010

2020

Abb. Teilkorpus Mannheim: Mannheim:Zahl Zahlder derKommunikate Kommunikatenach nachErscheinungsjahr Erscheinungsjahr Abb. 7: 8. Teilkorpus (å (Σ 43)43)

10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

2010

2020

Abb. 8: Teilkorpus Bremen: Zahl der Kommunikate nach Erscheinungsjahr (Σ 48)

4.3.2 Gattungen Das Korpus spiegelt das Spektrum stadthistorischer Gattungen insofern wider, als alle in den lokalen Bibliotheken verfügbaren Veröffentlichungen ausschnittweise berücksichtigt wurden. Die Textsorten wandeln sich über den Erhebungszeitraum (vgl. Abb. 11). In der frühen Nachkriegszeit liegen für Paderborn und Mannheim narrativ gestaltete „Schicksalschroniken“ vor, wie bereits die Titel ankündigen: „Schicksalschronik einer Stadt“ (Kiepke 1951, 2. Aufl.) und „Schicksal einer deutschen Stadt. Geschichte Mannheims 1907–1945“ (Walter 1950).

Metadaten 

 149

Beide sind von Historikern verfasst und wurden trotz ihrer Zeitzeugenqualität den fachlichen Geschichtsdarstellungen zugeschlagen. In Bremen hingegen existiert für diese Zeit eine dokumentarische Sammlung mit dem zukunftweisenden Titel „Neues Bremen. Zeugnisse vom Wiederaufbau. Frühe Nachkriegsbroschüre“ (Unbekannt 1948), die unter Dokumentationen/Berichte einsortiert wurde. Eine Zuordnung über externe Kriterien wird dadurch erschwert, dass den Veröffentlichungen unterschiedliche institutionelle Anlässe wie z.B. Ausstellungseröffnungen, Jahrestage oder Stadtimagekampagnen zugrunde liegen, die zur Ausdifferenzierung der Gattungen beitragen. Auch verfolgen Objektbeschreibungen und historische Beiträge in einem Ausstellungskatalog andere kommunikative Ziele als eine wissenschaftliche Abhandlung, ein populäres Stadtgeschichtsbüchlein oder eine Pultaufschrift, auch wenn die Texte von derselben Person in unterschiedlichen Rollen verfasst worden sind. Da sich die Verteilung der Textsorten in den drei Städten nicht wesentlich unterscheidet, wird im Folgenden lediglich die Gesamtstatistik visualisiert (vgl. Abb. 9–10). Die Einordnung der einzelnen Kommunikate ist der Gesamtliste (vgl. 9.1) zu entnehmen.102 Wie die beiden Kreisdiagramme veranschaulichen, bestehen vor allem für die Gattungen Hypertext, Stadtführer und fachliche Stadtgeschichte deutliche Verteilungsunterschiede im Verhältnis von Publikationsanzahl und Wortformen. Für die Ausschnitte, die den Internetseiten entnommen wurden, hängt das damit zusammen, dass sie erheblich kürzer sind als die Ausschnitte aus den stadtgeschichtlichen Darstellungen. Dass letztere erheblich mehr Tokens aufweisen als Internetseiten, erlaubt jedoch keinen Rückschluss auf die Trefferzahl zu den abgefragten Themenkomplexen Zerstörung und Aufbau. Ausführliche Begründungen, Hintergrunderläuterungen oder architektonische Beschreibungen in Fachtexten reduzieren die Trefferdichte erheblich. Demgegenüber enthalten Stadtführer in komprimierter Form wenige kurze Absätze zu Kriegsereignissen und baulicher Entwicklung (oft in verschiedenen Kapiteln eines Buches). Ausstellungskataloge und Stadtgeschichtsdarstellungen, sowohl in populärer als auch in fachlicher Form, sind über den Erhebungseitraum hinweg gleichmäßig verteilt (vgl. Abb. 11). Bis 1995 gehören die erhobenen Textausschnitte zu den weiteren Gattungen Bildbände, Dokumentationen/Berichte und Stadtführer. Ab 1996 kommen Geschichtstafeln, Audioguides, Broschüren und Internetseiten hinzu, mit denen sich die Gattungsvarianz erhöht und die Zahl der Dokumente ansteigt, was aber nicht mit einer Steigerung der Textmenge einhergeht. Die Metadaten der Gattungszuordnung erweisen sich nur dann als

102 Als einziges Ungleichgewicht ist zu vermerken, dass Unterrichtsmaterialien lediglich für das Paderborner Teilkorpus erhoben werden konnten.

150 

 Korpusbeschreibung

nützlich, wenn die Belege einzeln gesichtet werden. Denn nicht selten treten diese in Dokumentationsabschnitten innerhalb von Zitatkontexten oder Quellenmaterialien auf, so dass die Faktoren „Zeit“ und „Gattung“ als kontrollierende Variablen für jeden Treffer einzeln zu prüfen waren. Unterrichts- Audioguides; 2 Ausstellungsmateralien; 4 kataloge; 8

gebrauchskult. Stadtgeschichte; 20

Bildbände; 14 Broschüren; 6

fachl. Stadtgeschichte; 20

Dokumentationen; 15

Geschichtstafeln; 8

Internetseiten; 31 Stadtführer; 19

Abb. 9: Verteilung der Textsorten nach Anzahl der Veröffentlichungen UnterrichtsAudioguides; 17737 materialien; 19658

gebrauchskult. Stadtgeschichte; 254683

Ausstellungskataloge; 105051

Bildbände; 168077 Broschüren; 33752

fachl. Stadtgeschichte; 415951

Dokumentationen; 155894

Geschichtstafeln; 35489 Stadtführer; 68073

Internetseiten; 111675

Abb. 10: Verteilung der Textsorten nach Anzahl der Wortformen (Tokens)

Metadaten 

 151

30 25

Stadtgeschichtswerke, Broschüren & Stadtführer

20

Geschichtstafeln & Unterrichtsmaterialien

15

Ausstellungskataloge & Bildbände

10

Internetseiten & Audioguides

0

1948 1949 1950 1951 1955 1957 1965 1968 1969 1971 1976 1978 1979 1980 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1995 1996 1997 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

5

Abb. 11: Verteilung der Textsorten nach Jahren

4.3.3 Akteure/Diskurspositionen Akteursbezogene Daten zu Ausbildung, Berufsrolle oder Vereinszugehörigkeit wurden, soweit möglich, erhoben und können nachträglich mit Diskurspositionen und anderen Musterinstanzen korreliert werden. Dies geschieht im Rahmen eines interpretativen Zugriffs im Anschluss an die oberflächensyntaktische Mustererkennung. Ein Grundproblem liegt jedoch in den Überschneidungen der personellen Zugehörigkeiten zu Institutionen, die nicht nur ein berufsrollenspezifisches Schreiben, sondern auch die Orientierung an Gattungen, zeit- oder stadtimagebedingten Positionen erfordern. Diese hängen auch mit zeittypischen Adressierungsweisen zusammen. Zur Differenzierung dieser Akteursrollen bietet sich für die Diskurslinguistik das Footing-Konzept von Goffman an. Es weist über das binäre Schema Sprecher – Hörer hinaus und unterscheidet den Akteur der Äußerung (animator) vom Akteur der Formulierung (author) und vom Akteur der Beauftragung (principal) (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011:174f.). Damit trägt es der Multidimensionalität sozialer Rollen Rechnung, die nicht zuletzt auch durch die Multimodalität kommunikativer Handlungen (verbal und gestisch bzw. bildlich) eingelöst wird. Goffman knüpft mit diesem Konzept an Gumperz’ Überlegungen zum Code Shifting an, in erster Linie um Wechsel in der Sprecherorientierung zu beschreiben (vgl. Gerhard 2004:389). Letztere ist in zweierlei Hinsicht in interaktionale Kontexte eingebettet: durch Intertextualität (Zitate, Performanz) und durch Adressierung/Partizipation (appellativer, deontischer, altersspezifischer etc. Adressatenzuschnitt). Der author kann sich aufspalten in einen Akteur (ani-

152 

 Korpusbeschreibung

mator), den er zitiert oder dessen Grundpositionen er wiedergibt, und einen gesellschaftlich Handelnden (principal).103 Als principal hat er die Möglichkeit, institutionelle Bindungen performativ anzuzeigen oder metakommunikativ zu reflektieren, und damit die Appellstruktur seiner Rede zu verändern. Günthner (2016:420) verdeutlicht am Beispiel von Dialogen einer Ratgebersendung, wie Footing-Wechsel durch Anredepraktiken (mit dem Vornamen) kritisierende oder moralisierende Äußerungsmodi erzeugen können. Zudem kann der Aktivitätswechsel in der Mündlichkeit auch Expressivität oder Nichtübereinstimmungen anzeigen, wobei die „metapragmatischen Zeichen oftmals als diskursstrukturierende Mittel zur Markierung eines ‚Übergangs‘ (Goffman 1974/82: 118ff.) eingesetzt“ werden (Günthner 2016:432). Dieser Übergang kann in der Schriftlichkeit durch metakommunikative Formeln eingeleitet werden, die mit Narrautor-Funktion eine fremde Rede anzeigen oder eine Positionierung bzw. evaluative Zuspitzung ankündigen (kurz gesagt, mit anderen Worten, zusammengefasst). In Textabschnitten ergeben sich Footing-Verfahren in den vorliegenden Dokumenten vor allem durch ein dramaturgisches Zusammenspiel von Lexik und grammatischer Einbettung im Dienste einer dispositivtypischen Aussage. So wird beispielsweise die Wiederherstellung von etwas Einzigartigem durch eine Wiederaufnahme am Ende des Textabschnitts ikonisch angezeigt. Der unbekannte Verfasser einer Bremer Internetseite berichtet zunächst im Präteritum von der Einweihung des Glockenspiels und beschreibt anschließend im Präsens seine Einzigartigkeit: (1) Im Mai 1934 wurde das erste Glockenspiel aus 30 Meißener Porzellanglocken eingeweiht. Das Einzigartige an diesem Glockenspiel ist die Kombination mit einem drehbaren Turm im Mauerwerk zwischen dem Haus des Glockenspiels und dem Roselius-Haus. Hier rotieren zum Klang des Glockenspiels 10 geschnitzte und farbig gefasste Holztafeln, die bekannte Ozeanbezwinger zeigen. (...) (HB Hyp Cityguide, Glockenspiel)

Der nachfolgende Wechsel ins Präteritum markiert Zerstörung und Erneuerung: (...) Nach der teilweisen Zerstörung im zweiten Weltkrieg wurde 1954 das zweite Glockenspiel installiert, diesmal aus rein weißen Glocken. Seit 1991, nach umfangreicher Restaurierung auch der Holztafeln, befindet sich das dritte Glockenspiel zwischen den beiden Giebeln des Hauses, ebenfalls aus 30 Meißener Porzellanglocken. (HB Hyp Cityguide, Glockenspiel)

Die Wiederaufnahme derselben Phrase (ebenfalls aus 30 Meißener Porzellanglocken) rahmt den Textabsatz und ikonisiert das Überdauern des wertvollen

103 Zur Kritik an einem soziologisch geweiteten Akteurskonzept, das nicht nur Personen, sondern auch soziale Gruppen und Institutionen umfasst, vgl. Müller 2012:37ff.

Metadaten 

 153

Artefakts. Dazwischen ereignet sich ein (Tempus-)Wechsel vom präterital Memorierten hin zum aktuellen Wahrnehmungseindruck des Stadtbesuchers (Das Einzigartige ... ist. Hier rotieren... befindet sich...). Die Textpassage suggeriert die wünschenswerte, geradezu „heilsame“ Orientierung am Originalzustand, für den gestalterische Besonderheiten hervorgehoben werden. Wie problematisch sich der Rahmen darstellt, in dem von der Einweihung der ersten Glocken erzählt wird, zeigt eine Recherche zu den hier nur mit dem Datum 1934 aufgerufenen „Feierlichkeiten“ der Zweiten Nordischen Thing-Veranstaltung, die im Zeichen der nationalsozialistischen Volksideologien stand.104 Fasst man die Parallelität der Anfangs- und Schlusssätze als Teil eines adressatenbezogenen Footings auf, sind Verfahren vorherrschend, die Kontinuität und Dauerhaftigkeit akzentuieren.105 In der Erfüllung der erinnerungskulturellen Aufgabe, die Entstehung, den Erhalt und Wert der Glocken zu beschreiben, wird der Text in ein rahmendes und ein intertextuell erzählendes Footing aufgeteilt. Die Passagen unterscheiden sich jeweils durch Tempuswechsel (Präteritum – Präsens), Konstruktionswechsel (agensabgewandte Narrativität durch Vorgangspassiv vs. Prädikative/Zustandskonstruktionen) und Wertzuschreibung (Einzigartige, Meißener Porzellan). Die deontische Dimension der Adressierung entfaltet sich nicht durch den persönlichen Appell des Autors, sondern durch die Verkettung von Medium und Text/Bild, die die Aufforderung pragmatisieren, die Einzigartigkeit des inzwischen originalgetreu wiederhergestellten kunsthistorischen Objekts (in der Betrachtung vor Ort) wertzuschätzen, ja zu bestauen gerade aufgrund der „perfekten“ Rekonstruktion. Wenn man von dieser angereicherten Situation der Textproduktion als Produktion für jemanden ausgeht, ggf. mit Mehrfachorientierungen an einem beruflichen Ethos, an institutionellen Anforderungen und an Gattungskonventionen, dann ist auch die kommunikative Aufgabe in diese Situation eingebettet. Latour (1996) hat, wie bereits in Abschnitt 2.1 dargestellt, dieser medialen Transformation von Aussagen am Beispiel des beschwerten Schlüsselanhängers höchste Anschaulichkeit verliehen. Indem der Anhänger den Appell des Hoteliers substituiert, gewinnt er sein moralisches Gewicht. Die Aussage „Geben Sie den Schlüssel an der Rezeption ab!“ verschiebt sich auf eine gusseiserne Kugel (vgl. Latour 1996:53), hat aber eine lange Geschichte durchlaufen, in die der sprachlich vollzogene Appell essentiell eingeht: Als Übergangs-

104 Die nordischen Thinge standen als Propaganda-Veranstaltungen ganz im Zeichen der NSIdeologie, vgl. Mahsarski 2016:90f. 105 Die Abbildung unterhalb der Überschrift zeigt die historischen Glocken mit blauer Glasur und vergoldetem Innerem. Die heutigen Glocken sind daher nur bedingt originalgetreu wiederhergestellt, da auch ihr Inneres weiß ist.

154 

 Korpusbeschreibung

stadium, in dem das Footing der Personaldeixis dem Schlüssel eine Stimme verleiht, lässt sich der aufgedruckte bittende Satz „Ich ... bleibe hier“ neben einer Abbildung des Zimmerschlüssels auf der Hotelzimmerrechnung werten, der „beweist, daß man den Worten immer Aussprüche und Inskriptionen hinzufügen muß, selbst wenn die Worte zu Gußeisen geworden sind.“ (Latour 1996:52) Ganz ähnlich wird in dem obigen Beispiel der Internetseite zur Bremer Boettcherstraße den Glocken eine Stimme verliehen. Die interaktive Seite erlaubt es, den Glockenklang per Mausklick hörbar zu machen. Die darunterliegende klickbare Klaviertastatur verbindet den Hörgenuss mit einer musikalischen Episteme: Die über zweieinhalb Oktaven reichenden Glockenklänge führen vom haptischen Klick zur Vorstellung des schwingenden Meißner Porzellans, dem der User mit pianistischen Vorkenntnissen seine individuellen Melodien anverwandeln kann. Alternativ kann man zwischen zehn Volksliedern auswählen, die die Einzigartigkeit des Glockenspiels durch die klangliche Modalität erheblich eindrücklicher veranschaulicht (durch Zusammenklänge, Arpeggios und Dynamikwechsel) als geschriebene Texte das vermögen würden. Diese Idee verteilter Handlungsmacht in der kommunikativen Aussage hat methodisch gesehen viel weitreichendere Konsequenzen, als sie die vorliegende Studie einlösen kann. Doch richtet allein die materielle Existenz der vor Sehenswürdigkeiten angebrachten Pulte den Blick auf die historische Bausubstanz aus, ähnlich wie Reiseführertexte ideale Betrachterpositionen (oft umständlich) beschreiben oder Karten Standpunktempfehlungen über die ikonische Dopplung geben. Zudem sitzen auch die kleinen Texte (vgl. Hausendorf 2009), NebenbeiTexte106, die in Broschüren, Stadtführern, auf Häusertafeln oder in einer App erscheinen, einem Diskurs auf, der sich durch Formulierungen, stilistische und grammatische Variation so entfaltet, dass er eine erinnerungskulturell verfestigte Aussage gegenüber diesem Stück städtischer Zerstörungsgeschichte vollzieht. Die Idee ist, die Figur des Autors an diese kommunikative Aufgabe rückzubinden und im Sinne aktueller Diskurse der digitalen Geisteswissenschaft nach einer Autorfunktion zu fragen, die sich kollaborativ in einer Art kreativer „Versionierung“ realisiert: The question is no longer “what is an author?” but what is the author function when reshaped around the plurality of creative design, open compositional practices, and the reality of versioning? (Burdick et al. 2012:83)

106 Schmitz (2004:100–102) versteht unter Nebenbei-Medien Zettel, Aufkleber, Geldscheine, Verpackungen, Graffiti u.a. und hebt mit der Bezeichnung hervor, dass diese in die Alltagsgegenwart integriert und meist multimodal gestaltet sind.

Vergleichskorpora 

 155

Die materielle Basis der Bücher oder Bildschirme liefert mit der Navigation jeweils eigene Bedingungen für Interpretationen. Die Materialisate werden dabei als Produkte einer Medienpraxis aufgefasst und weniger als Objekte subjektiver Erinnerungen einzelner an vormals „authentisch“ Gehörtes, Getanes und Widerfahrenes.

4.4 Vergleichskorpora Um die Diskurssensibilität der potenziellen grammatischen Muster zu überprüfen und damit zerstörungs- und aufbaudiskurstypische Muster zu ermitteln, werden mehrere Vergleichskorpora herangezogen. Zum einen dient das IDSReferenzkorpus DeReKo einem Abgleich der gefundenen Mehrwortverbindungen und Kollokationen, bei dem nicht nur Frequenz-, sondern auch Salienzkriterien berücksichtigt werden. Unter Salienzen werden Auffälligkeiten verstanden, die bedingt sein können durch Faktoren wie Keyness (Schlüsselhaftigkeit), Positionierung auf der Layout-Seite oder – am anderen bildlinguistischen Pol – hervorstechende Rahmungen durch metaphorische Konzepte. Zum anderen werden als Vergleichskorpora in der computergestützten Auswertung zwei Korpora gewählt: Bei dem kleineren WikiWarsDE-Korpus handelt es sich um ein tempusannotiertes Korpus mit 95.604 Wortformen, das im Rahmen der Entwicklung automatischer Temporal-Taggingverfahren an der Universität Heidelberg aufgebaut wurde und im Internet frei verfügbar ist.107 Zum anderen wurde ein mit Belegen zum Ereignisnamen Zweiter Weltkrieg aus dem DeReKo zusammengestelltes Korpus herangezogen, das 738.123 Wortformen umfasst. Die Wahl fällt damit auf zwei Korpora, die keine thematischen, sondern textsorten- und kontextbezogene Unterschiede zu den ZAD-Texten aufweisen. Das WikiWarsDE-Korpus enthält Texte mit dem Gattungsmerkmal der Ortsunabhängigkeit, die weltweite Revolutionen und (Bürger-)Kriege zum Thema haben. Darüber hinaus fungieren die Teilkorpora untereinander als Vergleichskorpora, da mit ihnen die Signifikanz eigenlogischer Diskursstrategien überprüft werden kann. Die Vergleichskorpora haben somit jeweils Erkenntniswert in der Überprüfung folgender Parameter: Gesamtes DeReKo: Usualität und Habitualität der für das ZAD ermittelten Mehrworteinheiten

107 Für die Annotation wurde der temporale Tagger HeidelTime entwickelt. Weitere Informationen unter https://dbs.ifi.uni-heidelberg.de/resources/temporal-tagging/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020.

156 

 Korpusbeschreibung

Probenkorpus zum Ereignisnamen Zweiter Weltkrieg (DeReKo): Typizität für erinnerungskulturelle Positionen in Stadtdiskursgattungen (im Vergleich zu journalistischen und belletristischen Gattungen) WikiWarsDE-Korpus: Typizität für Stadtdiskursgattungen und für das Thema Zweiter Weltkrieg (im Vergleich zu anderen Kriegsereignissen) Weitere Teilkorpora des ZAD-Spezialkorpus: Stadtspezifische erinnerungskulturelle Musterhaftigkeit bzw. Eigenlogik Als Kontrastkorpora wurden zwei weitere Probenkorpora aus dem DeReKo mit den Suchanfragen „Popmusik“ und „Bundestagswahl“ zusammengestellt, die der zeitlichen Verteilung der Texte im ZAD-Korpus entsprechen, jedoch thematisch und genrebezogen sehr weit von den Quellen des ZAD entfernt sind. Sie weisen eine große Bandbreite an journalistischen Textsorten (Bericht, Nachruf, Servicetipps Theaterrezension etc.) auf und umfassen auch belletristische, essayistische und juristische Passagen. Rothenhöfer (2015:260) bezeichnet als Kontrastkorpus ein Vergleichskorpus, das die für die Zusammensetzung des Untersuchungskorpus relevanten Merkmale bewusst ausspart, also hinsichtlich der Untersuchungsparameter komplementäre Eigenschaften zum Untersuchungskorpus aufweist.

In diesem Sinne sind die Belegsammlungen „Popmusik“ und „Bundestagswahl“ sowohl thematisch als auch strukturell kontrastiv. Die Belege stammen aus demselben zeitlichen Bereich wie das ZAD-Korpus zwischen 1950 bzw. 1960 und 2009 mit zunehmender Frequenz. Für beide Sammlungen ist der Volltext jeweils zehn bzw. 20 Absätze vor und nach dem Stichwort exportiert worden. Er enthält für das Suchstichwort „Bundestagswahl“ 1.423.801 und für das Suchstichwort „Popmusik“ 1.339.189 Tokens. Diese Zusammensetzung der Vergleichs- und Kontrastkorpora ermöglicht eine gestufte Signifikanzprüfung der ZAD-spezifischen Schlüsselwörter. Die Schlüsselwörter wurden zudem punktuell mit den Häufigkeitsklassen abgeglichen, die das IDS wortformenbezogen für das DeReKo zur Verfügung stellt.108

108 Vgl. http://www1.ids-mannheim.de/kl/projekte/methoden/derewo.html, zuletzt abgerufen am 19.03.2020. Müller (2015:142) geht von Keyness bei Abweichung um eine Häufigkeitsklasse aus. Die Häufigkeitsklassen setzen eine Wortform ins Verhältnis zur Häufigkeit des bestimmten Artikels als frequentestem Wort im DeReKo.

5 Methode 5.1 Serielle Evidenz als Leitprinzip einer digitalen Kulturlinguistik Eine „empirische Wende“ (Thiel 2014) kann durch den Einsatz digitaler Analysewerkzeuge nur dann vollzogen werden, wenn das Entdecken von Regelmäßigkeiten im Diskurs einem hermeneutischen Zugriff auf die Daten nicht nachgelagert ist, sondern diesem vorausgeht. Die digitale Hermeneutik wird von qualitativen Auswertungsschritten flankiert und motiviert. Für den untersuchten Gegenstand erweist es sich als Vorteil, dass bereits diskurslinguistische, insbesondere diskurssemantische Studien zur Bezeichnungsvariation des Kriegsendes, zu Schlüsselwörtern der Nachkriegszeit und zum Schulddiskurs existieren (vgl. Kämper 2005, Rothenhöfer 2008 und 2010, zu diskurssemantischen Verfahren auf der Folie der Kulturlinguistik vgl. grundlegend Scharloth 2005), deren Ergebnisse zur Beschreibung der diskursgrammatischen Musterbildung herangezogen werden können. Ausgehend von der bisherigen Erkenntnis, dass sich in einzelnen Schlüsselwörtern allein noch kein diskursspezifisches Deutungsmuster kondensiert, werden die einbettenden Kotexte zunächst aus einer strikt oberflächenorientierten Analysesichtweise auf Ähnlichkeiten und Rekurrenz untersucht. Potenzielle Muster bestehen aus Konfigurationen mit redundanten, kookkurrenten, teils ikonischen, teils konventionalisierten Kontextualisierungshinweisen, die einen Kontrast zu „Standardumgebungen“ bilden, wie sie für viele sprachliche Phänomene durch Referenzkorpora repräsentiert werden. Diese digital auf der Basis statistischer Assoziation erstellten Netze aus Kontextualisierungshinweisen bilden das Forschungsobjekt einer hier vorgeschlagenen diskursgrammatisch zugeschnittenen digitalen Kulturlinguistik. Der Gegenstand wird im Rahmen einer qualitativen Forschungsumgebung erfasst und tritt zugleich methodologisch aus ihr heraus, da die Verknüpfungen und Bindekräfte zwischen den Phänomenen aus quantitativen Auswertungsprozeduren unterschiedlicher Granularität abgeleitet werden. Lexikalische Schlüsselwörter (z.B. Jahre) werden hinsichtlich folgender Merkmale überprüft: flexionsmorphologische Gestalt und präferierte Kontexte (z.B. der Stadt, Gen. Sg.), syntaktische Umgebung (z.B. während des Krieges) sowie weitere Einheiten, die mit den genannten korrelieren und die strukturell auf den ersten Blick anarchisch wirken mögen (vor allem die). Die interpretative Seite der digitalen Kulturwissenschaft setzt an der Stelle an, wo es gilt, holistische kommunikative Einheiten zu identifizieren. Wenn Aussagenkomplexe entstehen, die eine bestimmte Deutung der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft evozieren, liegen Frequenz- oder Assoziationsverhttps://doi.org/10.1515/9783110691580-005

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 Methode

hältnisse vor, die vom betrachteten Belegsample ausgehend im Verhältnis zu anderen Diskursausschnitten festgestellt werden. Probeweise können verschiedene Zuschnitte getestet werden. In diesem Sinn besitzt die digitale Kulturanalyse (in Zukunft) eine kritische und eine experimentelle Seite: „The practice of digital humanities cannot be reduced to ‚doing the humanities digitally‘; both criticality and experimentation must shape its future development.“ (Burdick et al. 2012: 101)109 Das mit Skepsis bedachte Versprechen der Digital Humanities, mithilfe digitaler Verfahren neues, vielleicht sogar neuartiges Wissen hervorzubringen (vgl. Kaat/Schaal/Dumm 2015), kann nur dann eingelöst werden, wenn Korrelationen gefunden werden, die sich nicht schon in qualitativen Auswertungen angedeutet haben. Die diskursgrammatische Methodologie wählt hier gerade solche Phänomene aus, die im close reading nur schwer zu fassen sind, da sich die Aufmerksamkeit im hermeneutischen Prozess bevorzugt auf Inhaltswörter (Schlüsselwörter), stilistische Besonderheiten und auffällige Konstruktionen richtet. Die grammatische Gestaltung hingegen tritt zumeist weniger im normalen Rezeptionsprozess, umso deutlicher dafür im digitalen distant reading hervor, so etwa als Prävalenz von Singular- oder Pluralvarianten, von Vor- oder Nachfeldbesetzungen bestimmter Phrasen, von Tempusformen oder der regelmäßigen Besetzung nominaler Mittelfelder mit partizipialen Adjektiven, deren Erkennen ein automatisches POS-Tagging erfordert. Natürlich ruht dieses Verfahren auf einer linguistischen Systematik auf, so wie jeder automatischen und manuellen Annotation theoriegeleitete Vorannahmen über die Strukturen ihres Gegenstandes zugrunde liegen.110 Die Berechnung beruht hier auf der Wahl der Abstraktionsgrade bzw. bei den Schlüsselwortberechnungen auf der Wahl der Vergleichskorpora. Denn immer gehen der Berechnung nicht nur eine, sondern diverse hypothesengeleitete Entscheidungen voraus. Bei den fraglichen diskursgrammatischen Korrelationen, die auf Kontextualisierungsmuster hindeuten, stellt sich etwa die Frage nach der vorab bestimmten Reichweite (Satz, Absatz, Text) und den berücksichtigen Modalitäten (Bilder, Typografie, graphostilistische Variation). Phänomene, die testweise als Variablen in einen Zusammenhang

109 Im selben Atemzug warnen Burdick et al. (2012:103) vor einer Objektivierung der digitalen Auswertungsergebnisse: „As digital tools become naturalized, the digital humanities will struggle to retain its critical, experimental character.“ 110 Ein hier nicht weiter betrachteter Theoriezufluss liegt im computerlinguistischen Bereich. Kaat/Schaal/Dumm (2015:32) heben hervor, dass „Programme und Algorithmen (...) erkenntnistheoretisch nicht neutral (sind), da jeder komplexere Algorithmus Theorie ist (...). Wenn Algorithmen Theorie sind, dann müssen Standards der theoretischen Güte von Algorithmen entwickelt werden, d.h. der digitalen Modellierung von Theorie.“

Serielle Evidenz als Leitprinzip einer digitalen Kulturlinguistik 

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gebracht werden, müssen weder formal noch semantisch in einer evidenten Relation zueinander stehen. Die digital einsetzbare Formel „Wiederholung im Kontext“ ist somit auf die konkretisierende Angabe angewiesen, was sich wiederholt und welche Umgebung als Bezugskontext definiert wird. Der diskursgrammatische Ansatz ist für diese Modellierung vor allem deswegen anschlussfähig, weil die „Automatisierung der sprachlichen Formen“ (Roth 2015:52) den Ausgangspunkt für eine theoriegeleitete, d.h. funktionalgrammatische digitale Datenanalyse bildet. In dieser Spiralisierung von Interpretation und Berechnung, bei der durch Auswahl (von Daten, Fokuskonstruktionen etc.) oder Abstraktion (Wortarten-Tagging, Annotation von semantischen Rollen etc.) Theoriekonzepte in die digitalen Methoden eingelassen sind, erscheint „the gap between oberservable data and the theoretical level“ (Keibel et al. 2011:331) kleiner als vermutet. Keibel et al. (2011) empfehlen diese Kluft durch Falsifikation und Abduktion zu überbrücken. Nur: Welche Deutungsmuster können für abduktive Schlussverfahren leitend sein? Werden die Kontextualisierungsprofile vorab festgelegt, so läuft man leicht Gefahr, Textfunktionen zu generalisieren und jede Mehrworteinheit mit den vorab kategorisierten Kontextualitätshinweisen abzugleichen. Aus diesem Grund werden die Muster induktiv erst im Rahmen der Datenanalyse identifiziert und in ihrer spezifischen kommunikativen Funktion für die Erinnerungsarbeit bestimmt. Formulierungsmuster, die informierende, appellierende oder kontaktstiftende Funktion haben,111 werden „auf ein mögliches Wirkpotenzial hinsichtlich des Aufbaus historischer Gruppenidentität hin zu interpretieren“ (Müller 2007:19) versucht. Diese Vergesellschaftung entsteht aus Kommunikation, insofern sich in ihr Handlungs- und Formulierungsweisen verfestigen und damit antizipierbar werden (vgl. Tienken 2015:467). An der sprachlichen Oberfläche sind seriell auftretende Phänomene unterschiedlicher Abstraktionsstufen zusammengefasst: Wortarten, Sprachhandlungsmuster, Feldbesetzungen und Kookkurrenzkräfte, die von Wörtern, ihren Kollokatoren und Wortverbindungen ausgehen, können musterhaft in bestimmten Umgebungen oder seriell im Sinne einer Wiederholung im Kontext auftreten. Um eine Verkettung von sprachlichen Phänomenen zu einer Serie zu identifizieren, ist es notwendig, Ebenen der Musterbildung zu bestimmen, um Formen sprachlicher Ähnlichkeit softwarebasiert und mithilfe von Annotationen zu ermitteln. Rekurrente Sprachphänomene werden dabei nicht unmittelbar als

111 In seiner Kritik an der Sprecherzentriertheit der Sprechakttheorie fügt Brinker mit Blick auf interaktive Prozesse außerdem die Obligations- und die Deklarationsfunktion hinzu (vgl. Brinker 1992:104 in einer Darstellung von Rolf 2000:428).

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 Methode

Indikatoren einer Sprachhandlung gedeutet, da der pragmatische Gehalt etwas weiter in Form einer historisierenden kommunikativen Aufgabe gefasst wird. Wiederholung im Kontext wird somit methodisch als potenzielle Wiederholung von Konfigurationen operationalisiert. Dazu gehören kontinuierliche und diskontinuierliche, sprachliche und bildliche Einheiten, die sich im Rahmen eines linguistischen Theorieansatzes in irgendeiner Form als „Partnerwörter“ oder als „sprache-bild-rhetorische“ Ensembles beschreiben lassen.

5.2 Die Analyseverfahren im Einzelnen 5.2.1 Digitale Mustererkennung Das sprachliche Material bietet verschiedene unmittelbare Zugänge zu „Verklumpungen“ an der Textoberfläche, die als wiederholt auftretende kontinuierliche Einheiten (Cluster) oder in diskontinuierlicher Weise (Kookkurrenzen) auftreten. In der Clusteranalyse werden zunächst Mehrworteinheiten ermittelt, die in einer statistisch relevanten Häufigkeit aufeinanderfolgen. Auch Schlüsselwörter bilden den Ausgangspunkt für die Abfrage von Mehrworteinheiten. Sie gehen aus Bezeichnungskonkurrenzen für zentrale Ereignisse, Orte und Akteure innerhalb der Diskursformation hervor, wie sie in Kap. 3.1 diskutiert wurden. Zusätzlich werden Schlüsselwörter mithilfe verschiedener Vergleichs- und Kontrastkorpora ermittelt und auf Clusterbildungen hin untersucht. Unabhängig vom Wortmaterial soll gemäß der programmatischen Forderung der Korpuslinguistik jeder Treffer ernst genommen und hinsichtlich seiner dispositivspezifischen Leistung geprüft werden. Abgefragt werden darüber hinaus Schlüsselbegriffe, die in bisherigen korpuslinguistischen Studien als Kondensate diskursiver Positionen identifiziert wurden. Praktikabel erscheint auch ein Zugriff auf die typischen Vokabulare der Gruppierungen im Schulddiskurs (Täter, Nicht-Täter, Opfer, Zeuge), die im webbasierten IDS-Projekt Owid dokumentiert sind (http://www.owid.de/ docs/disk45/stw_idx.jsp, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Im folgenden Schritt ist das Augenmerk auf solche Tokens gerichtet, die bestimmte Slots innerhalb von Wortverbindungsmustern seriell füllen. So ist beispielsweise im PP-Schema [in der NN] die Semantik der Präposition als Angabe mit Dativ festgelegt und das Nomen ist typischerweise eine Zeit- oder Ortsbezeichnung. Als Variante kommt nur im in Frage, nicht aber in das, in die oder in den mit Richtungsbedeutung. Auch das nominale Mittelfeld eröffnet Möglichkeiten für Adjektiv-Füller, die einer oder verschiedenen semantischen Kategorien zugeordnet werden können. Ausgewählte Slots werden auf dieser Weise mithilfe semantischer Annotationen (z.B. ausgehend von der Zuordnung zu Frame-Elementen)

Die Analyseverfahren im Einzelnen 

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ausgewertet. Die zentrierten Konkordanzen können hierbei eine Orientierung für die Kotexte der betreffenden Suchwörter liefern. Die gewählte Sortierung nach rechts- und linksseitigem Kotext kann zudem Hinweise auf andere diskontinuierliche Formen wie beispielsweise Nomen-Verb-Verbindungen geben. Ein Großteil der Kollokationen umfasst valenziell motivierte Verbindungen (vgl. Imo 2015:569). Anders als in der Begriffsprägung des britischen Kontextualismus (Firth) wird der Kollokationsbegriff in der Auswertung nicht auf alle rekurrenten Wortkombinationen ausgeweitet (im Sinne einer Kookkurrenz), sondern „auf konventionalisierte Mehrwortverbindungen vom Typ Tisch decken, fruchtlose Diskussion oder Aussicht auf Erfolg“ beschränkt (Roth 2014:11, Hervorh. i.O.). In diesem terminologischen Zuschnitt können Kookkurrenzen genutzt werden, um Kollokationen zu finden.112 Die Zuordnung der Kookkurrenzen erfolgt wiederum auf der Grundlage phraseologischer Kategorisierungen. Der phraseologische Mehrwert bzw. Idiomatizitätsgrad einer Verbindung entscheidet sich zum einen mit der Frage nach der Kompositionalität der einzelnen Glieder113 und zum anderen mit den hermeneutischen Einordnungen eines pragmatisch geprägten kulturellen Sinns. Morphologische und syntagmatische Musterhaftigkeiten treten auch als Assoziationen zwischen spezifischem Wortmaterial und abstrakteren Wortartkategorien auf. Die Musteranalyse dieser Art der Kollokation, die Sinclair (2004:141f.) Kolligationen (colligations) nennt, erfolgt ebenfalls durch semantische Slotanalysen. Mit dem Begriffspaar „Basis“ und „Kollokator“ soll flexibel verfahren werden, so dass wie bei Sinclair die Frage nach dem Knoten (node) und dem Kollokator von der Untersuchungsperspektive abhängig gemacht wird.114 Dabei können Reziprokanalysen ergeben, dass die Festigkeit von der einen Seite her stärker ist als von der anderen.115 Musterhafte Wortverbindungen gewinnen Konstruktionsstatus dann, wenn nicht nur syntaktische Bindekräfte wie Valenz oder besondere Wortstellungen wie Vorfeldbesetzung vorliegen, sondern darüber hinaus Besonderheiten im Satzbau (wie bei der

112 Vgl. Roth 2014:17, der in diesem Abschnitt auch die Entwicklungen des Kollokationsbegriffs nachzeichnet. 113 Kollokationen gelten dabei als schwach, Phraseologismen als stärker idiomatisch. 114 In einem korpusgrammatischen Datenzugriff, der auch dem DeReKo (über Cosmas II) zugrunde liegt, werden als Knotenwörter Lemmata gewählt, während es sich bei den Kollokatoren um konkrete Wortformen handelt (vgl. Keibel et al. 2011:334). Auch die am IDS entwickelte Kookkurrenzdatenbank (http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020) von Belica folgt einer lemmabasierten Auswertung. 115 Dies trifft beispielsweise auf das Adjektiv schulterlang zu, das mit höherem Assoziationsmaß an das Nomen Haar gebunden ist als umgekehrt, wohingegen in der NP blondes Haar beide Partner einander gleichermaßen favorisieren.

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 Methode

nicht-finiten Prädikationskonstruktion: Ich und Theater?) oder in der Verwendungsweise durch Vererbungsbeziehungen bestehen, wie sie für Konstruktionen im Sinne der Konstruktionsgrammatik typisch sind (z.B. Geräuschverben, die in die Bewegungskonstruktion eintreten: durchs Dorf knattern). Die syntaktischlineare Dimension wird daher weniger als „epiphenomen of phraseological patterning“ (Mason 2013:370) betrachtet wie in der digitalen Lexikologie, sondern als Gestaltungsebene sui generis, die zur Aussagengewichtung beiträgt. Diskursrelevante, induktiv ermittelte und statistisch auffällige Verbindungen werden mit dem DeReKo über Cosmas II abgeglichen, um die Typizität für Thema und Gattung einzuschätzen. Für diese Beurteilung greife ich Roths Unterscheidung zwischen typischen und gebräuchlichen Verbindungen auf. Verbindungen, die in den Kernbereich der Phraseologie fallen, bezeichnet Roth (2014:29) als typisch und solche, die in ihrem Randbereich angesiedelt sind, als gebräuchlich. Hierbei wird ein Abgleich vorgenommen mit den Kookkurrenzprofilen der Kookkurrenzdatenbank sowie den syntagmatischen Mustern im DeReKo, die zu den Suchwörtern in Cosmas II ermittelt werden. Ziel dieses frequenzbasierten ersten Analyseabschnitts ist eine Vorsortierung jener sprachlichen Mittel, die zu einem oder mehreren K-Profilen (mit semantischen Komponenten aus den Bereichen Kontinuität, Bruch, Ästhetisierung etc.) im Rahmen der kollektiven Erinnerungsarbeit gehören. In der Erfassung der Mehrwortverbindungen spielen Phrasengrenzen und in der Linguistik üblicherweise vorgenommene Segmentierungen zunächst keine Rolle, damit auch chunks, überlappende nested constructions, die wechselseitig eingebettet sind, und sloteröffnende Kolligationen (=Mehrwortverbindungsmuster) erfasst werden.

5.2.2 Framesemantische Annotation Vor dem Hintergrund der herausgehobenen Rolle des Erzählens in historischen Gebrauchs-, aber auch in Fachtexten entfaltet sich in den vorliegenden Texten des ZAD eine Geschichte für die Zukunft, die zwischen lokalisierender Beschreibung und appellierend-erklärender Argumentation erinnerungskulturelle Deutungsfolien entfaltet. Handlungen und Ereignisse werden im Erzählen verbal rekonstruiert als etwas Erzählenswertes (vgl. Gülich/Hausendorf 2000). Die soziale Relevanz der Texte116 bildet sich mit den Konstituenten der Geschichte(n) heraus

116 Mit Bezug auf Stierle (1979) verdeutlicht Müller (2007:21f.), wie mithilfe der Erzählperspektivik Relevanzen geschaffen werden: „Wenn der historische Text soziale Relevanz haben soll, dann muss er in seiner Form an den Erfahrungsschatz der Gesellschaft appellieren, er muss his-

Die Analyseverfahren im Einzelnen 

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– was sich unter welchen Bedingungen und wodurch gewandelt hat, ist Sediment einer kulturellen Ordnung, die sich anhand der aufgerufenen Wissensaspekte mithilfe von Framestrukturen beschreiben lässt. Die Orientierung an Referenzwerten für Leerstellen samt ihrer morphosyntaktischen Gestalt (syntaktische Funktion/semantische Rolle) via FrameNet liefert (erste) Anhaltspunkte für die aufgerufenen Bedeutungselemente und ihren Status (z.B. explizit/implizit; Komplement/Attribut) im erinnerungskulturellen Wissensrahmen von Zerstörung und Aufbau. Wandel und Kombination von (auch multimodal realisierten) Frames werden ausgehend von der Framestruktur in FrameNet beschrieben und an die Diskursverhältnisse angepasst. Durch die ausdrucksseitige Unterscheidung zwischen Frameintegration (Satzkontext) und Frameverknüpfung (weiterer Kotext) treten zu Frame-Elementen zugeordnete sprachliche Einheiten als Konstituenten eines Argumentationszusammenhangs in Erscheinung. Die Verknüpfung der Inhalte von Frame-Elementen kann auf lexikalischer Ebene durch Konnektoren oder komplexe Ausdrücke und auf syntaktischer Ebene durch nominale und verbale Klammern markiert sein (vgl. Fabricius-Hansen 2011:23). Bei asyndetischer Verknüpfung liefern Satzzeichen (Kommata und Punkte) und Anschlussphrasen Hinweise auf Relationierungen.117 Im Umfeld rechtfertigender, erklärender und historisch sinnstiftender Sprachhandlungen ist die Verwendung kausaler Konnektoren zu erwarten, die die Erinnerungswürdigkeit eines Ereignisses begründen. Als Verknüpfungsmodi werden zwei Formen von Kausalität fokussiert: die Markierung des Konnekts als Antezedens durch Antezedens-Marker wie weil, denn, nämlich und um...zu sowie die Markierung des Konnekts als Konsequens mit konsekutivem Charakter durch Konsequens-Marker wie sodass, jedoch, darum und aber (vgl. Breindl/Walter 2011:503). Die sprachliche Gestalt der Werte wird zwar als Prädikation aufgefasst, jedoch nicht in Form von paraphrasierenden Prädikationen vereinheitlicht. In der Annotation der semantischen Rollen118 bleiben die (multimodal-)gramma-

torische Entwicklung als soziales oder para-soziales Handlungsgefüge präsentieren, indem er handelnde und von der Handlung betroffene Figuren, die Handlung voranbringende und retardierende Ereignisse, Handlungsziele und Handlungsverknüpfungen darstellt. Der Modus einer solchen Darstellung ist die Erzählung“. Für den vorliegenden Zusammenhang wäre die Möglichkeit zu diskutieren, die Kategorie des Handelns durch Vorgangs- und Ereignis-Kategorisierungen zu ergänzen. 117 In einer multimodalen Dimension spielen inhaltliche Verbindungen zu Bildelementen eine Rolle, aber auch Kohärenzmittel wie Farbe, Typografie und Design. Zur multimodalen FrameAnalyse vgl. Fraas/Meier 2011 sowie Fraas/Penzold 2015. 118 Hierbei wird auf die in FrameNet verwendeten Terminologien zurückgegriffen (vgl. Ruppenhofer 2016:79ff.). Für Ausdruckseinheiten, die über diese Heuristik nicht abgedeckt sind, werden

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 Methode

tischen Eigenschaften erhalten und werden auf einer Skala zwischen expliziter und impliziter Prädikation eingeordnet, wobei Formen am expliziten Pol in erster Linie auf Satzebene und Formen am impliziten Pol nominal bis morphologisch ausgeprägt sind. Ziel dieses semantischen Analyseteils ist die Darstellung der netzwerkartigen Verbindungen zwischen Zerstörungs- und Aufbauframe, insbesondere aber deren Entwicklung, Reduktion und Standardisierung, soweit sich diese abzeichnen. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Frame-Elemente in einer rekursiven Ordnung selbst wieder Frames evozieren, so dass strukturelle Verdichtungen und Funktionalisierungen innerhalb des ZAD erkennbar werden. Diese werden auch für den späteren Nachweis der Standardwertbildung herangezogen, so dass sie die Konstitution (impliziten) historischen Wissens belegen, das auch, aber nicht primär über frameevozierende Schlüsselwörter aufgerufen wird.

5.2.3 Diskursanalyse und Bezugnahmepraktiken Zur Herstellung erinnerungskulturell wichtiger Orte kommt es in einer diskursgrammatischen Betrachtungsweise auf das Zusammenspiel von Nomination, Attribuierung und Deixis an. Orte werden appellativ oder onymisch benannt, sie können durch Attribute näher bestimmt und damit auch prädikativ (in Wert) gesetzt und darüber hinaus deiktisch mit Personen und Zeitpunkten relationiert werden. Die Referenz bzw. Referenzrolle wird aus Sicht einer kommunikativen Grammatik als Bezugseinheit zu den Diskursakteuren (Produzent/Rezipient) gefasst: Es handelt sich um das, worauf sich der Aufmerksamkeitsfokus des Produzenten und der Interaktionsteilnehmer richtet. Der semantische Ausdruck der Referenz erfolgt über Nomina und ihre Stellvertreter. Ausgangspunkt für die Analyse der Ortsreferenz sind die Städtenamen, ihre Bezeichnungsvarianten (z.B. Alt-Mannheim, Paderstadt) oder auch der hochfrequente Rekurrenzausdruck Stadt. Die Bezugnahme dient nicht nur der Identifikation von Redegegenständen, sondern ist auch eine wichtige Ressource, um Einstellungen zu bekunden: „Ein Sprecher kann durch die Art und Weise der Bezugnahme herausstreichen, in welcher Beziehung er zu dem gemeinten Gegenstand steht.“ (Zifonun et al. 1997:780) In der IDS-Grammatik sind die drei Verfahren des Bezugnehmens mit den Ausdruckstypen Charakterisieren, Nennen und deiktisches Verweisen verbunden (vgl. Zifonun et al. 1997:771). Für das Charakterisieren können definite oder indefinite Verweise eingesetzt werden, wobei das definite Verweisen eine deiktische Verweisform darstellt. Während das reine Verweisen auf Situatives gerichtet ist, zielt die grammatische Deixis mittels Defi-

zusätzliche Leerstellen aus dem Datenmaterial entwickelt (vgl. Scholz/Ziem 2015:300).

Die Analyseverfahren im Einzelnen 

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nitartikeln oder Possessiva auf einen Sinnbereich, der in der ZAD-Situation als erinnerungskultureller Schauplatz semantisch „entworfen“ wird. Somit sind indefinite Charakterisierungen von Orten in besonderem Maße funktional für die Herstellung von Räumen, vor allem weil sie sich als „unbegrenzt ausbaufähig“ (Zifonun et al. 1997:772) erweisen. Nicht-restriktiv gebrauchte Attribute besitzen eine wichtige kommunikative Funktion für die impliziten Wissensvoraussetzungen, die Sinnerzeugung und die Einstellungsbekundung im Zuge des Referierens (vgl. Zifonun et al. 1997:780f.). Hierbei gewinnen die Formen eine reichhaltige indexikalische Dimension, die u.a. beinhaltet, dass der Sprecher sich als Sympathisant oder Gegner darstellt, seinen Gegenstand in einem guten oder ungünstigen Licht erscheinen lässt oder seine persönliche Beziehung zum Gegenstand zum Ausdruck bringt. Diese diskurs- und sprecherbezogenen Hintergrundinformationen, Kommentare, Einstellungsbekundungen oder metatextuellen Hinweise werden durch nicht-restriktive Attribute gewissermaßen in den Text, „‚reingeschmuggel(t)‘, ohne den Hauptstrang des Textes, der sich auf der Ebene der selbständigen Sätze und Abschnitte entfaltet, zu unterbrechen“ (Fabricius-Hansen 2007:265), wie es bei einer expliziten Prädikation der Fall wäre. Für definite Charakterisierungen mit einer Bezugnahme auf Personen nennen Zifonun et al. (1997:779) exemplarisch u.a. der erste Bundeskanzler, der Alte aus Rhöndorf, der damalige Regierungschef und der Nachkriegskanzler, womit sich ein Zusammenspiel aus Attribuierung und morphologischen Bezeichnungsverfahren ergibt. Auch die beiden weiteren Formen der Bezugnahme, das Nennen und deiktische Verweisen, zählen zu den definiten Verfahren. Dabei gilt das Nennen als besonders präzise und ökonomisch (Konrad Adenauer), kann aber ebenfalls die genannten kommunikativen Funktionen erfüllen (Conny, Dr. Adenauer). Deiktische Mittel treten situativ meist koordiniert mit Gesten und Körperverhalten auf, sind aber keineswegs immer neutral (der da drüben). Der Terminus referentieller Gebrauch bezieht sich sowohl auf reale als auch auf fiktive Bezugnahmen und ist vom essentiellem Gebrauch von Argumenten zu unterscheiden. In der Regel können nur Charakterisierungen essentiell gebraucht werden. Sie haben essentielle Wirkung dann, wenn sie einen Gegenstandsentwurf präsentieren (vgl. Zifonun et al. 1997:781). Hierbei können auch Generalisierungen oder Stereotypien auftreten, wie anhand der Beispiele Ein Indianer weint nicht. oder Der Löwe lebt in Afrika. deutlich wird. Der Verwendungszweck essentiell gebrauchter Argumente wird negativ bestimmt. Argumente sind immer dann essentiell, wenn sie nicht der Bezugnahme dienen, d.h. nicht referentiell gebraucht werden. Es gibt Zifonun et al. (1997:783) zufolge keinen dritten Funktionsbereich. Gelegentlich kann es zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Doppelfunktionen bei definiten Charakterisierungen kommen. Die Funktionsbestimmung hängt maßgeblich vom Prädikatsausdruck ab:

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 Methode

Definite Charakterisierungen bilden ein Potential für das Setzen von Gegenständen bei essentiellem Gebrauch von Argumenten. Dieses Potential kann in verschiedenen Verbindungen genutzt werden. Wie es zu nutzen ist, bestimmt das Prädikat, das auf die Gegenstände angewandt werden soll: Das Prädikat spezifiziert für jede seiner Argumentstellen, wie aufzufassen ist, was das Argument ausführt. Es legt sich gewissermaßen den Gegenstand zurecht, soweit die Charakteristika, die mit dem Argument aufgeführt werden, dem nicht zuwiderlaufen. (Zifonun et al. 1997:786)

Als Beispiel für diese konstruktionelle Bedeutungszuweisung wird der Satz Der Zerziko hat vier Beine, einen haarigen Schwanz und lebt von Nüssen. genannt, bei dem das erdachte Subjekt durch die Prädikation in eine bestimmte Kategorie (Tier) fällt. Auch kann eine metaphorische Umdeutung vorliegen, wie sie das Beispiel Der Glaube hat vier Beine. auslöst. Dieses Zusammenspiel von Referenzausdruck und Verbrahmen soll anhand von Bezugnahmen auf zerstörte und aufgebaute Bauwerke bzw. prozessbeschreibende Ausdrücke rund um Zerstörung und Aufbau so untersucht werden, dass die Prädikation als Ganze einem Deutungsmuster zugeordnet werden kann. Dabei werden Annotationen immer nur für Einheiten in einer bestimmten morphosyntaktischen Form vorgenommen (z.B. für die NP die Stadt als Subjekt und die marginal auftretende NP der Stadt als Objekt). Der Kotext wird so modelliert, dass er die graduelle „Beimischung“ der essentiellen Funktion in die referentielle Ausdrucksform steuert oder zumindest bedingt. Eine generelle Trennung zwischen den Akten der Referenz und denen der Nomination, d.h. der Identifikation von Gegenständen auf der einen und ihrer Bewertung auf der anderen Seite (wie etwa bei Bellmann 1996, vgl. dazu die Darstellung von Spieß 2011:197), wird damit vermieden. Beide Funktionsbereiche sind stets miteinander verwoben. Mehr noch: Der eine Akt kann durch den anderen ausgedrückt, verschleiert oder auf eine metakommunikative bzw. intertextuelle Stufe gehoben werden (z.B. durch das Zitieren eines Ausdrucks, der eine bekannte Diskursposition indiziert). Diskursgrammatisch von besonderem Interesse ist hierbei die Frage der Argumentbildung durch nominale Einheiten, die ggf. Prozesse der Nominalisierung durchlaufen haben und denen in kommunikativ ähnlichen Kontexten verbalgrammatische Formulierungsalternativen gegenüberstehen. In dieser Hinsicht untersucht werden insbesondere die nominalisierten Formen Zerstörung und Aufbau in den Konzeptvarianten als Ereignis, Zustand und Prozess. Auf Orte wird nicht nur im Rahmen eines Argumentausdrucks Bezug genommen, sondern wesentlich häufiger adverbial oder attributiv, d.h. propositionsspezifizierend. Mithilfe von PPen wie in Paderborn oder auf dem Gelände der karolingischen Kaiserpfalz werden neben der Bestimmung des Ortes bzw. Gegenstandes Relationen zwischen einem Sachverhalt und einem Ort gestiftet (vgl. Zifonun et al. 1997:803).

Die Analyseverfahren im Einzelnen 

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Das heißt: Was wir als Ortsspezifikation bezeichnen, wird genaugenommen in zwei Schritten erreicht: Es wird ein Ort genannt oder eine definite oder indefinite Charakterisierung eines Ort (sic) gegeben. Dieser Ort dient dann als Basis für die „eigentliche“ Ortsspezifikation. (Zifonun et al. 1997:803)

Die diskursive Herstellung von Räumen (Placemaking) basiert sprachlich auf zwei Bewertungsschritten innerhalb der Herstellung von Referenz und der Charakterisierung. Hierbei können sich unterschiedliche Footing-Verfahren vermischen (z.B. beim Aufrufen von Traditionen und beim Bewerten nach modernen Maßstäben). Wie weiter oben für die Ereignisbezeichnung des Kriegsendes diskutiert, haben auch Orte teilweise konventionalisierte Namen, die in einem bestimmten sprachlichen Umfeld affektive, historisierende etc. Diskurspositionen indizieren. Die Ortsspezifikation wird von Zifonun et al. (1997:802) nach denselben Gesichtspunkten differenziert wie der referentielle Argumentgebrauch, d.h. nach ihrer Form (Nennen, Charakterisieren, Verweisen) und ihrer grammatischen Deixis (definit, indefinit, generisch). Bei letzterer wird im Folgenden die definite NP im Vordergrund stehen.119 Zusätzlich wird die Art der lokalen Verankerung betrachtet: Diese kann auf absoluten Koordinaten beruhen (in Rothenburg), sie kann sich auf die Sprechsituation (keine zehn Meilen von hier) oder auf einen Betrachterstandort beziehen (drei Kilometer weiter) bzw. flexibel (dort) gestaltet sein. In der Auswertung der Placemaking-Faktoren werden schließlich die (z.B. präpositionale) Einbettung von Ortsbezeichnungen und ihre Attribuierung als Verfahren der indirekten Prädikation berücksichtigt.

119 Zifonun et al. (1997:802) nennen als Beispiele für generische Verwendungen Im Mischwald wachsen die meisten Pilze. und für indefinite Ortsspezifikation In einem südbadischen Dorf haben wir einen hervorragenden Wein getrunken.

6 Korpusanalysen 6.1 Diskursgrammatische Konfigurationen Am Anfang einer linguistisch motivierten quantitativen Untersuchung mag die Sorge der Überbewertung oder Hervorbringung von Interpretationen durch Frequenzeffekte im Berechnungsprozess stehen. Sie lässt sich abfangen durch die Motivation der Forschungsfrage und spezifisch durch die Reflexion der medialen Bedingungen, unter denen frequenzbasierte Muster vermutet werden. Musterhaften Sprachgebrauch quantitativ zu ermitteln, ist eine Aufgabe, bei der verschiedene Verfahren zusammenwirken. Dies ist wichtig, um der verobjektivierenden Wirkung von Frequenzdiagnosen eine qualitativ inspirierte Gegenstandsperspektive an die Seite zu stellen, die die ästhetische Überzeugungskraft diagrammatischer Formen (Tabellen, Grafiken, Diagramme) ebenso problematisiert wie nutzbar macht, um die Spiralität des empirischen Prozesses fortzuführen. Was die Software mit dem Gegenstand tut, spiegelt nicht nur das Ergebnis gegenstandsbezogener Diskurse, sondern auch die Bedingungen und Prämissen der Softwareentwicklung wider. Somit dienen Visualisierungen nicht nur der Transparenz immanenter Forschungsergebnisse. Sie sind in erster Linie konstitutiv für eine neue datengestützte Sichtweise auf Diskurse, die im Folgenden in einem quantitativ-qualitativen Auswertungsprozess zur Erstellung von K-Profilen modelliert wird. Interpretationen, die durch statistische Signifikanztests, Annotationsergebnisse und Visualisierung ermöglicht werden, basieren auf Reduktionen (vgl. Kap. 2.3): Das Herausfiltern von Einheiten mit ähnlichen Eigenschaften macht Relationen erkennbar, die i.d.R. unterhalb der Wahrnehmungsschwelle musterhaft auftreten.119 Das Desiderat frequenzanalytischer Vielfalt korrespondiert daher auch mit dem Ziel der Ermittlung eines K-Profils, in dem Cluster und Kookkurrenzen am Angelpunkt erinnerungskultureller Topoi, verstanden als habitualisierte Haltungen gegenüber einem bestimmten Ausschnitt der Geschichte, interpretativ zusammengeführt werden. Das K-Profil bietet einen Rahmen, um die sprachlichen Elemente den Deutungsmustern der städtischen Vergangenheit zuzuordnen. Im Zentrum stehen dabei nicht Lexeme, sondern Wortformen und

119 Dieser Befund korrespondiert mit dem Sinn des Lacanschen Diktums (vgl. Lacan 1973), dass die Sprache automatisch spricht, indem das Subjekt gesprochen wird. Somit ist die korpusanalytische Methodologie vom Sprechen der Sprache in einem doppelten Sinne fundiert, zum einen als Sprache, die gesprochen wird, und zum anderen als Sprache, die selber spricht im Sinne einer Anzeigeleistung. https://doi.org/10.1515/9783110691580-006

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Wortverbindungen in einem Geflecht aus indexikalischen Relationen. Diese oberflächenbasierten Muster nehmen ebenso wie die diskurssemantische Grundfigur oder der Topos „Bezug auf ein kollektives Erbe, das unbewusst in der Gesellschaft vorhanden ist“ (Spieß 2011:217). Sie spannen aber anders als rein semantisch definierte Diskursphänomene verschiedene sprachliche Merkmale diskurs- und genrespezifisch zusammen. Für einen ersten Überblick zu Schlüsselwörtern, Clusterbildung, n-Grammen, POS-Grammen und potenziellen Slots der syntagmatischen Muster werden verschiedene korpuslinguistische Tools (Voyant, AntConc und LDA Toolkit) mit variierenden Vergleichs- und Kontrastkorpora eingesetzt (WikiWars, Bundestagswahl, Popmusik). Potenzielle Kandidaten für diskursgrammatisch relevante Mehrworteinheiten werden überdies mit den syntagmatischen Mustern im DeReKo abgeglichen. Die diskurslinguistisch motivierten Abfragen nehmen ihren Ausgang bei themenspezifischen Schlüsselwörtern, die nicht primär Ereignisbezeichnungen für Städtezerstörung, Kriegsende und Aufbau sowie Bezeichnungen für die am Diskurs beteiligten Personengruppen umfassen, sondern die im Schwerpunkt Fährten zur deutungsrelevanten grammatischen Gestalt der erinnerungskulturellen Texte liefern.

6.1.1 Vom Wort zum Cluster: Frequenzabfragen Das Dispositiv, das Gegenstände mit Diskurspositionen auf konstitutive Weise verknüpft, organisiert Erinnern und Vergessen durch eine grammatische Orchestrierung: Formulierungsweisen mit verschiedenen Perspektiven auf Zerstörung und Aufbau werden an- und zugeschaltet, bis aus dem polyphonen Gemisch aus mahnenden, berichtenden und appellierenden Äußerungen Haltungen konventionell werden. Ihre spezifischen Text- und Diskursfunktionen (z.B. erinnerungskulturelle Werthaltungen) kondensieren sich in kotextuellen Musterbildungen, die auf Phrasen- und Satzebene, aber auch absatz- und textbezogen auftreten. Hier setzt das Konzept der K-Profile an, die in ihren geronnenen Sprachfragmenten von verschiedenen Auswertungsalgorithmen (re-)konstruiert werden, wobei bestenfalls sozial-kognitiv Prozesse „simuliert“, schlimmstenfalls eine allgemeine Wahrnehmung durch den Zerrspiegel wissenschaftlicher Diskurse und Materialitäten ontologisiert wird. Kristallisationspunkt diskursiver Formationen sind somit diskontinuierliche Erscheinungen, die sich an der sprachlichen Oberfläche in einem Wechselspiel aus Serialität und Kontrast, Rekurrenz und Musterbildung verfestigen. Erst in diesen den Phrasen- und teilweise auch den Satzkontext übersteigenden Verbindungen können diskursspezifische Bewertungsdimensionen identifiziert werden.

170 

 Korpusanalysen

Der Auswertungsschwerpunkt liegt im ersten Analysekapitel auf den Mehrworteinheiten von der klassischen Kollokation bis zum syntagmatisch schwer zu kategorisierenden Chunk. Sie treten unter Einsatz softwarebasierter Mustererkennung in Erscheinung und werden in unterschiedlichen Granularitätsstufen erfasst. Aus dieser Erhebung gehen diejenigen Einheiten hervor, die in einzelnen Unterkapiteln eingehender auf ihren Status im K-Profil des ZAD geprüft werden. Und doch sind nicht alle hochfrequenten oder statistisch auffälligen Wörter, Mehrworteinheiten und Chunks automatisch für ein Deutungsmuster des ZAD relevant. Die Entscheidung für eine Position im K-Profil bedarf weiterer qualitativer Auswertungsschritte. Anhaltspunkte für die kontrastive Korpusanalyse mit verschiedenen Referenz- und Vergleichskorpora liefert die Keyness. Sie beschreibt die Typizität eines Wortes für das jeweilige Korpus (vgl. Bubenhofer/Scharloth 2015:8 mit Bezug auf Bondi/Scott 2010). Der Wert setzt die Häufigkeit eines Wortes ins Verhältnis zu den jeweiligen Korpusgrößen. Für die Berechnungen in AntConc wurde der Likelihood-Ratio-Test gewählt. Ist der Frequenzunterschied nicht zufällig, so ergibt sich ein Keynesswert von über 6.63 bei einer Wahrscheinlichkeit von 1 Prozent, dass es sich um zufällige Verteilungsunterschiede handelt (p < 0.01).120 Je höher der Signifikanzwert liegt, um so wahrscheinlicher ist die nicht-zufällige Prävalenz eines Wortes in einem Untersuchungskorpus im Vergleich zum jeweiligen Referenzkorpus. Ein sehr sicherer Nachweis der Keyness liegt beim Überschreiten des kritischen Werts von 15.13 vor. Dabei ergibt sich eine Sicherheitswahrscheinlichkeit von 99 Prozent mit einem Signifikanzniveau von 0.01 % (p < 0.0001).

6.1.2 Zirrus-Wolken zu den Teilkopora in Voyant Reine Wortfrequenz macht thematische Schwerpunkte und ggf. erste diskurs­ gramma­tisch saliente Ausgangswörter (nodes) sichtbar. Voyant, ein web­ba­sier­tes Tool, das für die computergestützte Analyse literarischer Texte entwickelt wurde, ermöglicht die Visualisierung von Wortfrequenzen für lexikalische Wörter mithilfe von Tagclouds. Diese Zirrus-Wolken mit 200 Wörtern/Zeichen zu den drei TK Paderborn, Bremen und Mannheim vermitteln einen ersten Eindruck von der Ähnlichkeit der behandelten Diskursgegenstände (vgl. Abb. 12–14).121 Die Städtenamen und die zugehörigen Adjektive bzw. vereinzelt auch Personenbezeichnun-

120 Zu den kritischen Werten in der statistischen Signifikanzmessung vgl. Jones/Waller 2015:44f. 121 Sie wurden generiert mit der Standard-Einstellung in Voyant für Stoppwörter, so dass hochfrequente Funktionswörter, Artikel und Pronomen automatisch rausgefiltert werden.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 171

gen (Paderborner, Bremer, Mannheimer) treten als häufigste Wörter hervor und lassen auf den ersten Blick erkennen, dass es sich um Spezialkorpora mit konkretem Stadtbezug handelt. Die nennenden und charakterisierenden Bezugnahmen über den jeweiligen Städtenamen und die Bezeichnung Stadt zeigen zudem, dass die Stadt und ihre Entwicklung Hauptthemen dieser Texte sind. Für Städtenamen und Bezeichnungsvarianten wird zu klären sein, wie Zusätze und Attribuierungen geschichtliche Ereignisse mit einem modernen Placemaking verbinden.

Abb. 12: In Voyant erstellte Zirrus-Wolken mit 205 Tokens zum Teilkorpus Paderborn

Abb. 13: In Voyant erstellte Zirrus-Wolken mit 205 Tokens zum Teilkorpus Mannheim

172 

 Korpusanalysen

Abb. 14: In Voyant erstellte Zirrus-Wolken mit 205 Tokens zum Teilkorpus Bremen

Die Visualisierung hat gegenüber einer Liste mit Wortfrequenzen den Vorzug, dass die Salienzen der Keywords für die drei Teilkorpora im Städtevergleich anschaulich werden. So ist beispielsweise sofort ersichtlich, dass die numerische Bezeichnung des Schlüsseljahrs 1945 im Paderborn-Korpus die höchste Frequenz besitzt. Innerhalb des Paderborn-Korpus tritt es sogar häufiger auf als die vom Städtenamen abgeleitete und zumeist attributiv verwendete Wortform Paderborner. Im Mannheimer und Bremer Korpus liegen die Frequenzverhältnisse anders herum: Die Attribute bzw. Personenbezeichnungen Bremer und Mannheimer treten etwas häufiger auf als die numerische Bezeichnung des Schlüsseljahrs 1945. Weshalb spielt die Jahreszahl 1945 für Paderborn eine größere Rolle als für Mannheim und Bremen? Sind es die großen Zerstörungen im Luftkrieg der letzten Kriegswochen, auf die mit der Jahreszahl Bezug genommen wird (darauf deutet auch der gehäuft auftretende Monatsname März hin)? Und wird mit ihnen zugleich etwas von der Semantik des Kriegsendes und seiner stadtgeschichtlichen Bedeutung bzw. Instrumentalisierung aufgerufen, die sich möglicherweise in der Jahreszahl kondensiert?122 In allen drei Teilkorpora treten nach den Städtenamen die Verbformen wurde und wurden hochfrequent auf. Beide Flexionsvarianten zusammengefasst übersteigen deutlich die Frequenz des Städtenamens. Die Clusterbildungen deuten darauf hin, dass hier keinerlei Unterschiede in der Funktion vorliegen, Singular- und Pluralform wurde/wurden verbinden sich am

122 Im DWDS kann zu Ziffernkombinationen kein Wortprofil erstellt werden, zur Auswertung der Kookkurrenzen in Cosmas vgl. Kap. 6.2.3.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 173

häufigsten mit einem definiten Artikel, gefolgt von den Präpositionen in und von sowie der Partikel auch. Anhand von Kollokationsanalysen wird die Funktion des Finitums als Kopula oder Auxiliar zu prüfen sein (vgl. Kap. 6.1.4.1). Dass die Verwendungsweise als Hilfsverb überwiegt, deutet sich bereits durch das hochfrequente und nur für das Perfekt des Vorgangspassivs genutzte worden an, in dieselbe Richtung weisen auch die gehäuft auftretenden Partizipialformen errichtet, beschädigt und zerstört. Hochfrequent treten darüber hinaus in allen drei Teilkorpora zeitsemantische Wörter auf, darunter Zeit, Jahre/n, Ende,123 Anfang, seit, heute, immer, bereits und auch verschiedene Jahreszahlen, die auf Zeitreflexionen und Einordnungsprozeduren im Verhältnis zur Gegenwart hindeuten. Eingehender zu untersuchen ist ferner der Komparativ mehr, der in allen Teilkorpora häufig vorkommt und sich dort musterbildend mit als zu einer Konjunktionalphrase verbindet. Schließlich deutet der gehäufte Gebrauch der präteritalen Modalverben konnte/n und sollten auf eine argumentative Fokussierung der Leistungen, Kraftaufwendungen und Gebote bzw. in negiertem Umfeld der strukturell bedingen Unmöglichkeiten und des Unerwünschten hin. Frequente Personenbezeichnungen mit zugehörigen Adjektiven (Deutsche, deutschen, Juden, jüdischen) sind ebenfalls auf ihre kotextuellen Einbettungen hin zu untersuchen (Kap. 6.2). Der entgegensetzende Konnektor jedoch (Adverbkonnektor bzw. Konnektivpartikel) spielt für das Mannheimer und für das Paderborner Korpus eine etwas größere Rolle als für das Teilkorpus Bremen und kookkurriert mit Negator, wie noch näher zu untersuchen sein wird, zur Wortverbindung jedoch nicht in zentraler argumentativer Funktion.

123 Für das Wort Ende, aber auch für das isolierte s ergibt sich eine Verzerrung dadurch, dass bei der Erstellung der Wortwolke alle Tags berücksichtig wurden. Diese verweisen in spitzen Klammern auf das Ende einer Seite () oder liefern eine Seitenangabe für die letzte Seite des Buchausschnitts () In AntConc lassen sich die Tags bei der Suche verbergen, so dass sich für das Lexem Ende mit 288 Treffern der Rang 122 der Wörterliste ergibt – gegenüber einer weit höheren Platzierung, wenn die Verwendungen von Ende in den Tags berücksichtigt werden: Rang 61 bei 557 Treffern.

174 

 Korpusanalysen

Tab. 6: Bi-, Tri- und Quattrogramme in den drei Städte-Teilkorpora Paderborn

Mannheim

Bremen

Freq

Freq

Freq

2Gramme

1414 900 752 644 633 592 545 452 440 438 429 397 381 373 363 356 355 340 309 276

3Gramme

142 119 88 68 64 61 54 49 48 46 43 42 41 40 40 38 15 38 37 36 36

n-Gramm in der in den der Stadt in Paderborn für die und die an der die Stadt in die und der auf die aus dem mit dem von der mit der durch die nach dem auf dem an die auch die

der Stadt Paderborn in der Stadt die Stadt Paderborn in den Jahren nach dem Krieg den er Jahren in den er und in der im Zweiten Weltkrieg auch in Paderborn die Zahl der aus dem Jahre in den ersten bis auf die (Außenmauern) in der Nacht des Zweiten Weltkrieges des Zweiten Weltkriegs in die Stadt bis in die aus dem Jahrhundert der er Jahre

1919 1243 920 872 676 599 583 575 566 554 532 520 455 455 439 428 415 363 355 354 347 347 343

n-Gramm in der in den in Mannheim für die und die mit der von der mit dem der Stadt in die auf die und der an der auf dem nach dem bei der durch die die Stadt über die der Mannheimer an die aus dem auch die

der er Jahre der Stadt Mannheim im Zweiten Weltkrieg den er Jahren in den er in den Jahren in der Stadt die Stadt Mannheim im Dritten Reich auch in Mannheim die Zahl der in der Nacht und in der des Zweiten Weltkriegs des Zweiten Weltkrieges in den letzten der NS-Zeit Blick auf die die Opfer des Opfer des National­ sozialismus 33 bis in die 16 in die Stadt

169 130 129 119 106 78 71 70 64 59 58 57 52 44 24 44 43 42 42 42

2336 1389 1219 1104 968 870 644 621 607 573 513 505 488 464 433 431 420 414 406 400 399 293 191 182 161 91 86 85 84 77 68 61 60 60 55 54 52 50 50 49 49 48 46 43 33 30 28 23

n-Gramm in der in den in Bremen für die an der und die von der mit dem und der mit der auf die in die durch die auf dem vor allem aus dem auch die nach dem über die an die der Stadt die Stadt der er Jahre den er Jahren in den er im Zweiten Weltkrieg die Zahl der nach dem Krieg während der Krieges in der Stadt in dieser Zeit vor allem die der freien Hansestadt in den Jahren die in der auch in Bremen in der Nacht der Stadt Bremen in Bremen und in Bremen die sich in den die in den und in der in den letzten bis in die des Zweiten Weltkriegs des Zweiten Weltkrieges in die Stadt

Diskursgrammatische Konfigurationen 

4Gramme

in den er Jahren in den Jahren bis in Schutt und Asche Ende des Zweiten Weltkrieges 20 bis auf die Außenmauern 10 nach dem Zweiten Weltkrieg (...) 27 in der Nacht vom/des/ zum

111 26 22 21

91 in den er Jahren 36 in der Nacht vom 31 nach dem Zweiten Weltkrieg 26 Anfang der er Jahre 26 Ende der er Jahre 24 in Schutt und Asche

 175

146 in den er Jahren 64 Anfang der er Jahre 59 der freien Hansestadt Bremen 35 in der Nacht vom 32 nach dem Zweiten Weltkrieg (...) 6 in Schutt und Asche

6.1.3 N-Gramme in AntConc Da in AntConc alle Wortformen als Tokens berücksichtigt werden, kommen in der Clusteranalyse nicht nur Mehrworteinheiten mit lexikalischem Sprachmaterial vor, sondern und sogar in erster Linie Funktionswörter. In die Liste aufgenommen wurden für die Auswertung (vgl. Tab. 6) der Bi- und Trigramme jeweils 20 und für die Quattrogramme jeweils fünf Verbindungen,124 die in mindestens zehn Dokumenten vorkommen. Der Verteilungswert wird bei der Clusteranalyse in AntConc ab Version 3.4.4m (2014) in einer eigenen Spalte als Reichweite („Range“) aufgeführt (vgl. Abb. 18). Gefettet dargestellt sind Mehrwortverbindungen, die Teil lokalisierender oder temporaler nested constructions sind oder einen phraseologisch zentralen Status besitzen. Zu den häufigsten Verbindungen zählen Präpositionalphrasen mit den Präpositionen in, an, auf, aus, von, durch, nach und über, die überwiegend für temporale und lokale Bestimmungen verwendet werden (vgl. Tab. 6). Eine andere Bedeutung entfalten die Präpositionen für, mit und von. Die Verbindung für die eröffnet zwei Slots: auf der linken Seite das Bezugsnomen eines Präpositionalattributs, auf der rechten Seite die präpositional eingeleiteten NPen, deren Plural (die) für das ZAD möglicherweise charakteristisch ist.125 In dieser Position sind definite Charakterisierungen von Personengruppen (für die deutschen Juden) auswertbar, auf manche Gruppen wird auch indirekt referiert (für die deutschen Angriffe mit Bezug auf die Alliierten als „Zielobjekt“). Der Präposition mit folgen die Artikelwörter im Dativ dem und der in etwa gleicher Häufigkeit. Eine Clustersuche bestätigt die Bedeutung der Präpositio-

124 Weitere Belege wurden dann aufgenommen, wenn sie das Vorkommen einer für die anderen beiden Teilkorpora rekurrenten Verbindung belegen. 125 Die Wortverbindung für die kommt auf 2609 Belege gegenüber für den mit 941 und für das mit 497 Fundstellen. Für eine Beurteilung der Pluraldominanz müssen jedoch die femininen Nomen im Singular abgezogen werden.

176 

 Korpusanalysen

nalphrase für den Diskursausschnitt. Ihr häufigstes Bezugsnomen Auseinandersetzung mit (71 Belege) bezeichnet die metadiskursive Thematisierung, dieselbe Funktion kommt der Verbindung Beschäftigung mit (39 Treffer) zu. Die zweitplatzierte Präpositionalphrase (in/m) Zusammenhang mit besitzt als strukturelles Phrasem eine höhere Festigkeit und führt eine Vagheit in die Relationierung zweier Entitäten ein. Sie lässt die Ausgestaltung der sachlogischen Abhängigkeiten offen. Die Präposition von selegiert als rechtsseitigen Partner in allen drei Teilkorpora das Artikelwort der und erweitert sich zum Relativsatz einleitenden Chunk [PRELS von der] und zur Präpositionalphrase von der Stadt. Die Referenz herstellende Genitiv-NP der Stadt ist wiederum Teil von zwei sich teilweise überlappenden Clusterbildungen: zum einen der Rektionsbindung an eine Präposition (APPR der Stadt), zum anderen der Possessivkonstruktion mit einem Nomen als Bezugswort (NN der Stadt). Weiterhin ist zu prüfen, inwiefern die frequenten PPen mit von und durch die Agensrollen des Vorgangspassivs füllen. Auffällig ist ferner die kombinatorische Präferenz von auch mit einer von definitem die (1039), der (391) oder das (308) eingeleiteten NP. Die usuelle Wortverbindung vor allem geht im Bremer Korpus eine häufige Verbindung mit dem Artikelwort die ein und hat 61 Treffer gegenüber 36 im Mannheimer und 27 im Paderborner Korpus. Ob dieses Phrasem der fokussetzenden Hervorhebung für das ZAD oder den Bremer Städtediskurs insgesamt charakteristisch ist, wird im Zusammenhang mit anderen Mitteln der thematischen Fokussierung (Kap. 6.1.4.1) zu klären sein. Unter den Tri- und Quattrogrammen treten die temporalsemantischen Verbindungen mit Zahlen als Platzhaltern hervor. Die Kollokatoren der PPen in den er Jahren, der er Jahre sowie Anfang/Ende der er Jahre sind für verschiedene Zeitabschnitte (Jahrzehnte) getrennt zu prüfen (Kap. 6.1.5). Für das stark flektierende Nomen Jahr besteht die Möglichkeit zur Variantenbildung bei der Genitivendung -(e)s und beim Dativ-e, das in der 7. und 8. Auflage des Grammatik-Duden (2005/2009: §317) als „fakultativ“ galt, während die endungslose Flexionsvariante schließlich ab der 9. Auflage (2016: §317) als „Normalfall“ angesehen wird. Das Dativ-e tritt inzwischen nur noch in festen Wendung und in der traditionellen Literatursprache auf. Internetbelege dokumentieren die damit entstehenden Möglichkeiten zur Funktionalisierung. Die ältere bzw. veraltete Form wird gezielt aus Gründen der stilistischen Differenzierung verwendet. Als phonologische Bedingung für die Doppelform nennt der aktuelle Duden (2016:206) die Möglichkeit dieser Substantive, eine lange Genitivendung (-es) zu bilden (Faktor 3). Für die hochfrequenten Lexeme Jahr und Krieg ergeben sich somit acht potenzielle Knoten, die als Einheiten von K-Profilen im ZAD in Frage

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 177

kommen: Jahres/Jahrs und Jahr/Jahre (Dat.) sowie Krieges/Kriegs und Krieg/ Kriege. Doppelformen liegen in den Mehrwortverbindungen (Ende) des Zweiten Weltkrieg(e)s, während des Krieg(e)s, nach dem Krieg(e) und aus dem Jahr(e) vor. Die PP nach dem Zweiten Weltkriege hat keinen Treffer. Hier bildet lediglich die Variante nach dem Zweiten Weltkrieg als statistisch signifikantes Quattrogramm in allen drei Teilkorpora den Ausgangspunkt für detailliertere Musteranalysen. Weitere temporale Mehrworteinheiten, die zur Informationsgewichtung beitragen, verbergen sich hinter dem Trigramm in den ersten/letzten, das einen Slot für Zeitnomen (z.B. Monaten, Wochen, Tagen) eröffnet. Die weitere Kasus berücksichtigende Suchanfrage in d* ersten/letzten erzielt 357 Treffer (212/145) und belegt damit die strukturierende Leistung des temporalen PP-Musters: Geschichte wird am Leitfaden von Ereignissen erzählt, die ihren Schatten in beide Richtungen werfen: Sie imaginieren ein Davor (in den letzten) und ein Danach (in den ersten), das sich vor einem bestimmten Hintergrund entfaltet, der über die Annotation der Einzelbelege konkretisierbar ist. Die Einbettung der Städtenamen gestaltet sich für alle Städte ähnlich, das Bigramm in Paderborn/Mannheim/Bremen erfährt eine diskursrelevante Linkserweiterung durch die Fokuspartikel auch, die vor dem Stadt-NE-Adjektiv auftritt: [auch die Paderborner/Mannheimer/Bremer NN/NE]. Ebenso ist der Frage nachzugehen, ob die Genitiv-NPen mit appositivem Eigennamen (der Stadt NE) andere Bezugsnomen selegieren als die nicht erweiterte attributive NP mit Appellativum (der Stadt). Aus lexikalischen Gründen fokussierenden Charakter besitzt die Wortverbindung die Zahl der, deren attributive Kerne eine semantische Präferenz für ein tragisches Geschehen, einen Rechtsbruch o.ä. aufweisen (z.B. Zahl der Diebstähle/Überfälle/Todesopfer) und die evaluativ auf eine staunenswerte Menge verweisen. Diskurstypisch erscheinen darüber hinaus die verfestigten PPen in der Nacht, bis auf die Außenmauern und in Schutt und Asche; ihr phraseologischer Status weist eine hohe „Verknüpfungsidiomatizität“ für die Diskursformation zur Städtezerstörung auf. Als Indikator des Andauerns ist schließlich der zwar seltener auftretende, aber in allen Teilkorpora breit gestreute Chunk bis in die mit dem potenziellen Muster [bis in die NP] von Bedeutung. Es ist zu vermuten, dass in Verbindung mit Zeitausdrücken wie Gegenwart und heutige Zeit Vergangenes für eine gegenwärtige Sicht auf urbane Entwicklungen verfügbar gemacht wird. Ohne pragmatischen Mehrwert sind vermutlich die Verbindungen und in der sowie das für das Bremer Korpus ermittelte Cluster die in der/den, das als Indikator für attributive Unterordnung mit dem höheren Anteil an fachsprachlicher Kommunikation zu erklären sein mag. Übrig bleiben Wortverbindungen, die jeweils nur für ein Teilkorpus nachgewiesen wurden und die in den anderen TK keine oder nur eine untergeordnete

178 

 Korpusanalysen

Rolle spielen.126 Für das Paderborn-Korpus ist dies das Wortverbindungsmuster aus dem X. Jahrhundert sowie die verfestigte Konjunktionalphrase bis auf die Außenmauern mit den Perfektpartizipien zerstört oder ausgebrannt als Kollokatoren. Für das Mannheimer Teilkorpus sind das zwei Ereignisbezeichnungen, die in Kap. 6.2.1 näher untersucht werden: die NPen für die rahmende politische Situation im Dritten Reich sowie das possessive der NS-Zeit. Als städtespezifisch erweisen sich für Mannheim zudem die Verbindungen die Opfer des (42) und Opfer des Nationalsozialismus (42), die Anteil an der nested construction die Opfer des Nationalsozialismus (23) haben. Schließlich fällt im Bremer Teilkorpus der Chunk sich in den auf, der auf eine Schlüsselrolle reflexiver und/oder medialer Verben hindeutet. Tab. 7: Keywords im ZAD-Gesamtkorpus, ermittelt mit vier Kontrastkorpora in AntConc 3.4.4m mit Frequenzangabe und nach Keyness sortiert127 Vergleichskorpus

Frequenz

Keywords

DeReKo „Zweiter Weltkrieg“

3.911 (2.159 3.726 1.295 52.076 606 759 928 400 2.061

Stadt daß) waren Haus die Architekten Wiederaufbau Straße Militärregierung wir

DeReKo „Popmusik“

15.299 3.911 6.593 3.856 57.716 7.078 3.726 1.262 925 1.006

des Stadt wurde wurden der war waren Juden zerstört Gebäude

Forts.

Forts. 1.006 315 432 1.262 1.346 500 (312 400 57.716 781

Gebäude Bürgerschaft Wohnungen Juden hatten Innenstadt mußten) Neubau der alten

6.846 759 740 863 4.468 945 850 717 625 616

nach Wiederaufbau NS jüdischen durch Krieg Bevölkerung Weltkrieg Angriff Architekten

126 Auch hierbei werden nicht alle Verbindungen betrachtet, da sie z.B. wie die PP in dieser Zeit für den Individualstil eines Autors (z.B. Schwarzwälder, Verfasser der Stadtgeschichte Bremens) kennzeichnend sind.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

DeReKo „Bundestagswahl“

Wiki Wars

6.593 15.299 3.856 3.911 39.449 3.726 7.0784.46 8 1.262 1.006 8.554 3.497 4.763 (2.159 2.197 28.210 15.513 39.449 2.127 2.061

wurde des wurden Stadt und waren war durch Juden Gebäude

925 863 11.052 759 740 717 1.295 945 (2.159 928

zerstört jüdischen dem Wiederaufbau NS Weltkrieg Haus Krieg daß) Straße

für über ist daß) ich in das und sind wir

2.393 57.716 1.295 1.262 1.006 2.140 983 928 925 900

wird der Haus Juden Gebäude Jahre während Straße zerstört großen

 179

Abb. 15: Keyness-Berechnung für das ZAD-Gesamtkorpus mit dem DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ in AntConc 3.4.4m

180 

 Korpusanalysen

6.1.4 Schlüsselwörter in AntConc Neben der Serialität ist die Kontrastivität ein wichtiger Faktor, um diskursspezifische Wörter und Mehrworteinheiten zu identifizieren. AntConc ermöglicht die Ermittlung von Kontrasten auf Wortebene, indem Vergleichskorpora eingesetzt werden, die unterschiedliche Bedingungen für den Kontrast erfüllen. Nicht berücksichtigt wurden – anders als im Keyword-Vergleich der Städte (vgl. Kap. 6.2) – für die Keyword-Liste in Tab. 7 Städtenamen und ihre Ableitungen, Namen für Flüsse, Straßen und Personen sowie Abkürzungen wie Nr., Abb., S. oder vgl. Auch wurden Quellenbezeichnungen wie Akten und Rubrikbezeichnungen wie Fußnoten bei der Erhebung der jeweils 20 Keywords pro TK ebenfalls ausgelassen (vgl. Abb. 15). Auch zwei weit oben platzierte Schlüsselwörter (Entwarnung und Alarm) wurden entfernt, da sich ihre Signifikanz aus dem Vorkommen in einer einzigen Dokumentationsschrift zur Zerstörung Mannheims ergibt und somit das Dispersionsmaß trotz hoher Frequenz zu gering ausfällt. Als statistisches Signifikanzmaß zur Keyness-Berechnung bietet AntConc 3.4.4m die Wahl zwischen den beiden Signifikanztests Chi-Quadrat und Log-Likelihood. Für die vorliegenden Analysen wurde der Likelihood-Ratio-Test für alle Schwellenwerte (Threshold Values) eingestellt (vgl. Abb. 16, rechtes Fenster). Der Keywert wird im Folgenden nicht für jedes einzelne Schlüsselwort angegeben, da sich Schwankungen auch aus der unterschiedlichen Korpusgröße ergeben und Vergleichbarkeit somit nicht unmittelbar gegeben ist. Generell besitzen alle tabellarisch erfassten Keywords eine Keyness von über 17. Sie sind dadurch mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99 Prozent für das jeweilige TK signifikant. Teilweise reicht der Wert bis in den vierstelligen Bereich hinein, ein Ergebnis, das etwa für die Städtenamen der ZAD-Dokumente im Vergleich zur DeReKo-Belegsammlung Zweiter Weltkrieg eine hohe Plausibilität besitzt. Demgegenüber erreichen die phasenbezogen erhobenen Keywords Höchstwerte im zwei- und dreistelligen Bereich (vgl. Abb. 16). Als weiteres Kriterium der Typizität für Phase oder Gattung wurde ein Dispersionsmaß mit einer Häufigkeitsverteilung für das TK bei 25 Prozent gewählt, so dass ein Schlüsselwort in mindestens einem Viertel der Textdokumente vorkommen muss, um aufgeführt zu werden.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

181

Abb. 16: Keyness-Berechnung für die Teilkorpora der 2. (oben) und 3. Phase (vgl. Tab. 9) in AntConc 3.4.4m

Mit den DeReKo-Belegsammlungen wird jeweils ein Kontrast zur Textsorte (massenmediale und belletristische Texte) erzielt, was sich auf den ersten Blick an den Schlüsselwörtern Stadt, Innenstadt, Haus, Straße und Gebäude manifestiert. Auch der thematische Kontrast zum Aufbau zeigt sich in allen Korpora anhand von Wörtern aus diesem semantischen Feld: Architekten, Wiederaufbau, Wohnungen, Neubau. Der wortprofilierende Vergleich zur Belegsammlung „Zweiter Weltkrieg“ enthält die Artikelwörter die und der, wobei letzteres nicht nur vor maskulinen Nomen, sondern auch im Rahmen attributiver Genitive auftreten kann, was spä-

182 

 Korpusanalysen

terhin genauer zu überprüfen ist. Das definite Artikelwort des ist indexikalisch für den thematischen Rahmen, da es typischerweise das Genitivattribut mit dem rahmenden Ereignis ((Welt-)Krieg, Nationalsozialismus) einleitet. Für das städtespezifische ZAD-Korpus zeigt sich im Unterschied zum gesamtdeutschen Diskurs über das Kriegsgeschehen ein zusätzlicher Indikator für das Wiederaufbauthema (vgl. Abb. 17). Auch ist die thematische Vermischung für die attributiven Architekturbezeichnungen feststellbar: Die NPen des Hauses, des Schlosses, des Domes oder des Rathauses haben Bezugsnomen aus dem semantischen Bereich sowohl von Zerstörung als auch von Aufbau. Neben der hervorgehobenen Rolle der sozialen Gruppe der Juden sowie der Institution der Militärregierung lässt das Adjektiv alten die besondere Bedeutung zeitlicher Kontrastbildung vermuten. Die deiktischen Personalpronomina wir und ich erweisen sich offenbar als negativ signifikant für Sachtexte zum Kriegsthema und liefern einen potenziellen Kontextualisierungshinweis auf Zeitzeugenberichte. Die hier am höchsten gerankte Subjunktion daß hingegen ist vermutlich auch für die anderen drei Kontrastkorpora kaum relevant, da hier nur die veränderte Schreibweise indiziert ist, nicht aber die Funktion von Komplementsätzen als Teil eines K-Profils zu erwägen ist. Zu allen drei DeReKo-Belegsammlungen ergibt sich die präteritale Kopula bzw. das Perfekt- oder Passiv-Hilfsverb waren als Schlüsselwortform. Da auch hatten eine relativ hohe Keyness besitzt, ist der Vermutung nachzugehen, ob es sich bei beiden um perfektive Hilfsverben handelt. Demgegenüber scheint wurde/n für die Kriegsthematik charakteristisch zu sein, da hierfür lediglich im Bundestagswahl- und Popmusik-Korpus Signifikanzen auftreten. So lassen sich bspw. für das Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ zu wurde/n die partizipialen Kollokatoren befördert, ernannt und eingesetzt (zu wurde) bzw. zerstört, eingesetzt und getötet (zu wurden) ermitteln, die teilweise auch für das ZAD kennzeichnend sind. Möglicherweise fügt sich auch die Präposition durch in dieses Profil, die im Verhältnis zum Sprachmaterial der themenfernen Kontrastkorpora („Popmusik“ und „Bundestagswahl“) in Erscheinung tritt, da mit ihr – neben von – die Agensrolle in Passivkonstruktionen verbalisiert werden kann. Die Flexionsformen der Adjektive alten und großen stechen bei der kontrastiven Berechnung mit den beiden kriegsthematischen Kontrastkorpora heraus, das erste indiziert den Zeitvergleich, das zweite dient der Beschreibung von Zerstörungsgraden.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

[des x] im ZAD-Gesamtkorpus

 183

[des x] im DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“

Abb. 17: Cluster zum Artikelwort des im DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ (rechts) und im ZAD-Gesamtkorpus, ermittelt in AntConc 3.4.4m

Die Korpora „Popmusik“ und „Bundestagswahl“ mit ihrer thematischen Ferne zum Kriegsgeschehen – sieht man davon ab, dass auch das Ereignis der Bundestagswahl ein politisches ist – indiziert mit ihrem Kontrasteffekt das Zerstörungsthema im ZAD-Korpus über das Partizip zerstört, das gegenüber dem Infinitiv, den finiten Formen und auch dem ung-Derivat Zerstörung überwiegt. Zudem erhalten die Ereignisnomen Krieg und Weltkrieg höhere Signifikanzen. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 wird im ZAD-Korpus häufig mit dem Akronym NS aufgerufen, das überwiegend als Erstglied in den Komposita NS-Zeit, NS-Regime und NS-Vergangenheit auftritt (vgl. Kap. 6.1.4.3). Schließlich wird in dem weiteren kriegsbezogenen Kontrastkorpus Wiki Wars das vorwiegend präpositional verwendete während salient, das in der PP während des (Zweiten Welt-)Krieg(e)s bereits über die Clusteranalyse in AntConc identifiziert wurde. Kontrastiv zum WikiWars-Kontrastkorpus bestätigen die Nomen Gebäude, Haus und Straße und auch die verbale Wortform zerstört auf lexikalischer Ebene den Themenschwerpunkt des ZAD-Spezialkorpus. Nicht ganz so leicht erklärbar ist dagegen die Signifikanz der Präpositionen für und über gleich an erster und zweiter Position. In der Sichtung der für-Belege für das ZAD-Gesamtkorpus treten zwei Cluster hervor, die im Folgenden exemplarisch anhand der Cluster- und Konkordanz-Ansichten in AntConc gezeigt werden: erstens die Konstruktion [für (viele/einige) NP] zur Spezifizierung sozialer Bezugsgruppen und zweitens die Wortverbindung auch für zur normalisierenden Einordnung in einen Gesamtkontext (vgl. Abb. 18). Dieses fokussierende Cluster wurde in einem weiteren Aus-

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 Korpusanalysen

wertungsschritt in einer Verfestigung mit den Städtenamen entdeckt (auch für Bremen/Mannheim/Paderborn). Hier wird der Anschluss der Stadt an überregionale Faktoren oder Sachverhalte reklamiert. Darüber hinaus konnten die phrasalen Trigramme für die Opfer und für den Wiederaufbau nachgewiesen werden.

Abb. 18: Clusterauswertung in AntConc 3.4.4m zu den rechtsseitigen Kookkurrenten der Präposition für

Abb. 19: Konkordanzansicht für die Belege zum Cluster für viele sortiert nach rechtsseitigem Kotext in AntConc 3.4.4m

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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In Verbindung mit dem Pronominaladjektiv viele bietet für viele einen rechtsseitigen nominalen oder präpositionalen Anschluss. Es wird in diesem Fall als stellvertretendes Pronomen aufgefasst. Referiert wird zumeist auf eine Gruppe Betroffener, denen kriegsbedingte Gefahren und Unglück zuteil wurden (vgl. Abb. 19). Für die drei Städte wurden jeweils zwei Belege ausgewählt, in denen Kriegssituation und Wiederaufbau vogelperspektivisch rekapituliert und bewertet werden. Dabei stellt sich heraus, dass im Paderborner TK des ZAD auf diese Weise die Paderborner Bürger als Luftkriegsopfer genannt werden (1) oder dass den im präpositionalen Anschluss mit von uns inkludierten Lesern das Leid der Paderborner durch die unvorstellbar schrecklichen Ereignisse des Bombenkriegs Mahnung zum Frieden sein soll (2). Die Belegkontexte aus dem Umfeld des Mannheimer TK adressieren mit der für-Phrase ebenfalls die deutsche Zivilbevölkerung, die vom Luftkrieg traumatisiert ist (3). In eine andere Richtung geht (4), wenn mit der Phrase für viele Überlebende die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen bezeichnet werden. Im Bremer ZAD sind es die leidenden Bürger nach Kriegsende, die mit der Besatzung zunächst noch keine Demokratie erfahren (5), und denen mit dem Kriegsende das Ende der Diktatur als Zusammenbruch bewusst wird (6). (1) Die alliierten Militärs begründeten die kurz vor der Kapitulation Deutschlands (8. Mai 1945) für viele Menschen sinnlose Bombardierung der Stadt damit, dass durch diese Aktion der so genannte „Ruhrkessel“, in dem ca. 325.000 deutsche Soldaten der Heeresgruppe B festsaßen, in der Region Paderborn endgültig geschlossen werden sollte. Ein (sic) weitere Begründung für die Notwendigkeit der „Schlacht um Paderborn“ war, dass über dieses Gebiet die letzten, noch intakten deutschen Nachschublinien für den Rhein-RuhrBereich liegen. Für die Paderborner war der Krieg am 1. April 1945, am Ostersonntag, mit dem Einmarsch der Amerikaner in ihre Stadt zuende. (PB 2002 BIB Vogt, 17) (2) Die nach 60 Friedensjahren für viele von uns heute unbegreiflichen und unvorstellbar schrecklichen Ereignisse, die so viel Leid über die Menschen in Paderborn gebracht haben, müssen uns dauerhaft Mahnung zum Frieden sein! (PB 2005 SGp Kühne, 6) (3) Für viele Angehörige der Kriegsgenerationen wurde das Sirenengeheul allerdings zum traumatischen Erlebnis. Auch Feuerwerke weckten bei manchen noch lange nach 1945 nur grausige Erinnerungen an die Bombennächte. (MA 1993 BIB Schadt, 192) (4) Und dennoch findet dieses Prinzip Gurs, das die Vernichtung des Lebens in der natürlichen Auslese der Schwächsten sucht, noch eine Steigerung, ist es doch für viele Überlebende nur der Vorhof zu einer Hölle, die sie in den folgenden Jahren in Auschwitz, Treblinka oder Majdanek kennen lernen: denn dort werden sie ermordet. (MA 2005 SGp Hirsch, 62f.) (5) Hinzu kam, dass dieses Mal auf Anordnung der Militärregierung noch weit mehr Bremer als ein Jahr zuvor als ehemalige NSDAP-Mitglieder nicht wahlberechtigt waren, sodass auch für viele von dieser Regelung nicht Betroffene von einer wirklich „freien“ Wahl wohl keine Rede sein konnte. Eine von allen Parteien gemeinsam getragene Eingabe an die Militärregierung, nur denjenigen das Stimmrecht zu verweigern, die der NSDAP vor der nationalsozialistischen Machtübernahme aus Überzeugung beigetreten waren, nicht aber

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 Korpusanalysen

auch denen, die dies später „unter dem Druck der Verhältnisse“ getan hätten, war erfolglos geblieben. (HB 2008 SGe Barfuß, 53) (6) Der Schock des verlorenen Krieges wird für viele Bremer tief gesessen haben. Den einmarschierenden britischen Truppen erschien die Bevölkerung – wie anfangs bereits geschildert – geistig gebrochen und gleichgültig, wehrlos, verwirrt und ohne Hoffnung. (HB 2005 DOK Müller, 87f.)

In der indefiniten Referenzierung auf die städtische Bevölkerung (Menschen, viele, Angehörige der Kriegsgeneration, Bremer) sind die Opfer nationalsozialistischer Gewalt in (1–3, 6) wohl kaum eingeschlossen. Vielfach wird ein namenloses Grauen benannt (2), das über die Stadt kam, eine sinnlose Bombardierung (1), die Rätsel aufgibt im Kontext der Kapitulation, die als Schock des verlorenen Krieges für viele Bremer tief gesessen haben soll (6). Der Beleg führt im epistemischen Futur die teilnahmsvolle Vermutung an, dass die Bremer, die auf die Amerikaner gebrochen und gleichgültig gewirkt haben, einen Schock erlitten hatten. Im Zusammenhang mit der Deutung des Kriegsendes als verlorenem Krieg können hier nur diejenigen gemeint sein, die von der Idee des Nationalsozialismus bis zuletzt überzeugt gewesen sind. Von Insignien des Nichttäter- und erst recht des Opferdiskurses ist diese Positionierung weit entfernt. Der unterstellte Kollektivschuldvorwurf hat seine Nachwirkung auch in der Empörung darüber, einer nationalsozialistischen Gesinnung bezichtigt zu werden (5). Da eine Parteimitgliedschaft in der NSDAP unter der Militärregung generell zum Entzug der Wahlberechtigung führte, erscheinen die Bremer hier im Rahmen von Pauschalisierung und Entpersonifizierung (keine freie Wahl) als Opfer einer ungerechten Behandlung. Zwar wird im Mannheimer Diskurs in (4) die Opfergruppe der nationalsozialistischen Verbrechen konkret bezeichnet. Es sind jedoch nur die Überlebenden der Arbeitslager, die diese als Vorhof zu einer Hölle wahrgenommen haben, und die in der Chronologie der Beschreibung die Erfahrung der Hölle durch die Deportation in eines der genannten Konzentrationslager noch vor sich haben. Auffällig ist, dass die euphemistische Phrase natürliche Auslese, die aus der darwinistischen Rassenlehre der Nationalsozialisten stammt (vgl. Schmitz-Berning 2007:77f.), hier von dem Historiker und Mitarbeiter des Mannheimer Stadtarchivs deskriptiv und ohne Distanzierungshinweis gebraucht wird. Auch das gewählte religiöse Bild (Hölle) von der nationalsozialistischen Ermordungsmaschinerie führt kaum zu einer dem Deutungsmuster der Befreiung eignenden Vergegenwärtigung des Leidens jüdischer Opfer. Die häufig als traumatisch beschriebene Erfahrung der Überlebenden aus den Arbeits- und Vernichtungslagern wird mit der Diagnose eines traumatischen Erlebnis(ses) (3) auf die Erfahrung des Fliegeralarms und der Bombenangriffe übertragen. Für die Belege, die aus der Phase der Anerkennung weiterer Opfergruppen stammen, insbesondere der Toten, Verletzten und obdachlos gewordenen Städter

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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infolge der alliierten Luftangriffe, fällt insgesamt auf, dass die Opfer des Nationalsozialismus nur bedingt sichtbar werden. Die sprachlichen Kategorien, in die im gesamtdeutschen Diskurs das Leiden der NS-Verfolgten gefasst wird, werden ab den späten 1980er Jahren auch zur Beschreibung der Leiden der Luftkriegsopfer eingesetzt.

Abb. 20: Nach linksseitigem Kotext sortierte Konkordanzliste zur Suchanfrage für die Opfer in AntConc 3.4.4m; zusätzlich wurde die Markierung des Genitivattributs eingestellt

Die PP für die Opfer der/des deutet auf einen hohen Verfestigungsgrad für die Bezeichnung der vom NS-Regime verfolgten und ermordeten Personen erkennen, die häufig attributiv zu nominalen Einheiten auftreten, mit denen Gedenkveranstaltungen bezeichnet werden (vgl. Abb. 20). In der mehrfach attribuierten Nominalphrase Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus ist die ZeitBezeichnung des Nationalsozialismus relativ fix,128 während das Bezugsnomen ausdrucksseitig variiert, jedoch überwiegend nur für das Grundwort des Kompositums (Feier, Veranstaltung, Ort etc.),129 so dass sich die Phrase für die Opfer als

128 Nur vereinzelt werden die Verfolgten und Ermordeten des NS-Regimes als Opfer des Faschismus, Opfer des Holocaust oder Opfer des NS-Terrors bezeichnet. 129 Neben Gedenkfeier finden sich die Bezugsnomen Gedenkveranstaltung, Gedenkwoche, Dokumentations-, Ausstellungs- und Gedenkort, Mahnmal, Tag des Gedächtnisses, Gedenktafel, Gedenktag, Gedächtnisrede, Denkmal, Gedenkstein und Gedenkstätte.

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 Korpusanalysen

im Gedenkkontext verfestigt erweist. Die Vielfalt der kulturellen Aufführungspraxen belegt die breite Institutionalisierung der Gedenkanlässe. Die Opferbezeichnung mithilfe der Phrase für die Opfer des lässt kaum Raum für die Bezeichnung anderer Opfergruppen wie etwa der vom Bombenkrieg Betroffenen. Die sprachliche Einstellung der Opferperspektive auf die vom Luftkrieg geschädigte städtische Bevölkerung erfolgt demgegenüber durch die Markierung der Herkunft. Kennzeichnend hierfür ist das phrasale Muster [für viele NEStadtbewoh]. Dies konnte anhand der obigen Belege bereits gezeigt werden: Die für-vielener Phrase fungiert semantisch i.w.S. als Benefaktiv, was jedoch die diskursiven Verhältnisse im vorliegenden Zusammenhang noch nicht ganz angemessen erfasst, ebenso wenig wie die Feststellung der mit für-Phrasen verbundenen Adressaten- oder Rezipienten-Perspektive. Passender erscheint dagegen die in der IDSGrammatik beschriebene restriktive Verwendungsweise, bei der die für-Phrase modusrestriktiv wirkt, „wenn die Gültigkeit eines Sachverhaltes an die Einschätzung bestimmter Personen(gruppen) gebunden wird“ (Zifonun et al. 1997:2132f.). Dabei kann es sich um einen weiteren gedanklichen Topos oder um eine Grundannahme handeln, die von vielen Menschen geteilt wird wie in dem Beispiel „Für die alten Römer war die Erde eine Scheibe.“ (Zifonun et al. 1997:2133, Hervorh.i.O.) In einem anderen Fall ist die im Prädikat enthaltene Wahrnehmung für die in der für-Phrase genannte Instanz exklusiv wie in dem Beispiel „Sein Vortrag war für mich unverständlich.“ (Zifonun et al. 1997:2133, Hervorh.i.O.) Die beschriebenen Varianten der restriktiven Verwendung der für-Phrase präzisieren die Lesart der aufgeführten Belege. Zwar wird nominal auf eine größere Gruppe von Menschen (1), auf Angehörige einer Generation (3) und auf Bremer (6) Bezug genommen. Jedoch wird über die im weiteren Satzkotext genannten Adjektive nichts anderes adressiert als das subjektive Empfinden jedes einzelnen. Es wird also implizit behauptet, dass viele Menschen die Bombardierung für sinnlos hielten (1),130 dass viele von uns die Ereignisse unbegreiflich und unvorstellbar schrecklich fanden (2), dass viele Angehörige der Kriegsgenerationen traumatisiert sind (3), dass viele Überlebende das Lager als Vorhof zur Hölle erlebten (4), dass manche Bremer die ersten Wahlen unter der Militärregierung nicht als frei empfunden haben (5) und dass schließlich viele Bremer den Krieg im Mai 1945 nicht nur als verlorenen Krieg betrachtet haben, sondern angesichts dieser Tatsache sogar einen Schock erlitten

130 Die für-Phrase ist in (1) innerhalb des Attributs zum Bezugsnomen Bombardierung nochmals attributiv (2. Ebene) zum Adjektiv sinnlose (1. Ebene), dessen Wertung im Attributstatus präsuppositiv wirkt: die [[kurz vor der Kapitulation [Deutschlands] (8. Mai 1945)] [für viele Menschen]2 [sinnlose]1] Bombardierung [der Stadt].

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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(6). Die mit der für-Phrase vollzogene Referenz kookkurriert offenbar regelmäßig mit der Prädikation (unterstellter) subjektiv empfundener Ein- und Innensichten. Standardisierte Opferreferenz steht einem sprachlich intensiven Verfügbarmachen des kollektiven Empfindens gegenüber, bei dem das Leiden der städtischen Bevölkerung am Ende des Krieges und danach in vielfältiger Weise Ausdruck findet. Diese Unterschiede mögen dem besonderen Themenspektrum des Gesamt-ZAD-Ausschnitts geschuldet sein. Und doch lässt sich aus dieser gruppenbezogenen Perspektivierung mittels modusrestriktiver für-(viele)-Phrasen in der Umgebung von Wertadjektiven ein Beitrag zur Kontextualisierung der Städtezerstörung ablesen, die Krieg und Kriegsende als subjektiv empfundenen Schicksalsschlag einer unschuldigen städtischen Bevölkerung auffasst. An die betrachtete für-Phrase dockt gelegentlich linksseitig die Fokuspartikel auch an. Ein Abgleich der Kontexte des Chunks auch für mit den in Cosmas ermittelten Kookkurrenzen belegt keinerlei diskursspezifische Affinität für das ZAD. In beiden Domänen ist gilt/galt der häufigste verbale Kollokator. Die kookkurrenten adversativen Konnektoren aber und sondern geben Hinweise auf ein argumentatives Umfeld. In den ausgewählten Belegen liefert die mit auch erweiterte PP, die die eingebetteten Bezeichnungen für Stadtbewohner enthält (auch adjektivisch), einen Kontextualisierungshinweis auf eine Sachlage, in der sich die Stadt vom gesamtdeutschen Diskurs – so die Interpretation, die auch erzeugt – nicht unterscheiden soll. Insofern handelt es sich bei der Konstruktion [auch für X] um einen Normalisierungsmarker, der nicht spezifisch für das ZAD ist, aber funktional, um eine als global behauptete Tatsache, ein geradezu vorherrschendes Phänomen zu konstatieren, an das sich die Lage der Stadt anschließt. Das Fokus-Adverb auch besitzt das semantische Merkmal ‘Ausweitung’ und liefert einen kommunikativen Hinweis darauf, dass ein zusätzliches Element wirksam wird (vgl. Weinrich 2007: 598). Für Paderborn gibt diese Fokussierung Evidenz für eine exemplarische Katastrophe, die – dies ist die Voraussetzung, die die Partikel macht – ganz viele Städte im Land betrifft (7). In Mannheim ist es ein Projekt zur Erinnerung an die Schicksale jüdischer Bürger (8) und in Bremen eine Klage über die Tabus der Stadtgeschichtsschreibung (9). (7) Wenn wir nach über 60 Jahren an die Opfer, an den Tod und das Leid erinnern, das unsere Bevölkerung, das unsere Stadt und ihre Bürger getroffen hat, dann wollen wir unser Leid nicht aufrechnen mit dem Leid, das ein verbrecherisches Regime im deutschen Namen über Millionen von Menschen gebracht hat. Wir wollen und dürfen aber nicht ausblenden, welche brutalen Folgen die Nazidiktatur am Ende des Krieges auch für Paderborn hatte: die schlimmste Katastrophe unserer Stadtgeschichte. (PB 2005 SGp Kühne, 6 Vorwort) (8) Es ist die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die ein weiteres Projekt anregt, das wie in anderen großen Städten der Bundesrepublik auch für Mannheim realisiert werden soll. Ein „Memorbuch“ zur Dokumentation der Schicksale ehemaliger

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 Korpusanalysen

jüdischer Bürger erscheint auch dem Mannheimer Archivdirektor Gustaf Jacob besonders erwünscht. (MA 2005 SGp Hirsch, 79) (9) So ist denn die Geschichte der NS-Zeit, vor allem aber auch die der Nachkriegszeit mit vielen Zweifeln belastet. Das gilt auch für die bremische Geschichtsschreibung für die Zeit nach 1945. (...) Wer heute in diesem Bereich arbeiten will, muß entweder mit der herrschenden Meinung schwimmen oder aber – wenn er seinen eigenen Weg gehen will – gute Nerven, Durchstehvermögen sowie finanzkräftige Mäzene haben. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 641f.)

Die Phrase wirkt in ihrer Generalisierung, jener impliziten Behauptung des Anschlusses an eine Norm, normalisierend. Es ist etwas gültig, das viele andere Städte, die deutsche Geschichtsschreibung im Allgemeinen etc. betrifft. Die inhaltlichen Kontexte enthalten Hinweise dafür, dass sich Paderborn eher als von der Katastrophe „heimgesuchte Stadt“, Mannheim als Stadt der lebendigen Erinnerungskultur an die Opfer des Nationalsozialismus und Bremen als besiegte Stadt versteht, die nach ihrem Untergang wieder neues Selbstbewusstsein errungen hat. So weist allerdings der als Augenzeuge argumentierende Historiker Schwarzwälder als Reflex einer abgelehnten Kollektivschuld131 die Deutung des Kriegsendes als Befreiung zurück. Im Umfeld dieser Skizze des Zusammenbruchs und der von außen aufgezwungenen Niederlage behauptet er eine Umkehrung der Verhältnisse, bei der den Besatzern die Täterrolle zukommt – und dies nicht nur als Urheber des Städtebombardements: (10) Gewiß, man war nun frei vom Terror des totalen NS-Staates, von den Luftangriffen und dem Kampf an den Fronten; aber das Morden und Plündern ging weiter. Auch in Bremen gab es mancherlei Gewalttat, die sich durch nichts rechtfertigen läßt. Anderwärts blieben sogar die Konzentrationslager in Benutzung, und die neuen Insassen bestanden nicht nur aus Nazis. Es gab Verhöre, die denen im Gosselhaus132 durch die SA 1933 in fataler Weise ähnelten. Tausende von Bremern waren zudem noch Jahre nach der Kapitulation in Kriegsgefangenschaft und mußten harte Zwangsarbeit leisten, z.T. unter Bedingungen, die denen in den NS-Konzentrationslagern glichen. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 638)

131 Der Eindruck entsteht durch den Vorwurf der Pauschalisierung, der mit dem Attribut total dem vom NS-Regime angezettelten totalen Krieg eine totale Niederlage beiseite stellt: Wer andern eine totale Niederlage aufzwingt, der ist zwar in der Lage, die Verbrechen der Gegenseite zu pauschalisieren und zu strafen; doch gehört sehr viel mehr dazu, wenn er mit seiner Friedensmoral und seiner Humanitätsidee auch allgemein überzeugen will. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 640) 132 In dem ehemaligen Haus der kommunistischen Partei, das die SA 1933 beschlagnahmt und nach einem NSDAP-Mitglied in „Johann-Gossel-Haus“ umbenannt hat, wurden verhaftete Kommunisten misshandelt und gefoltert.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Legt man die aus dieser Belegbasis extrahierbaren Deutungen der Zerstörung zugrunde, d.h. tendenziell als Tabula rasa in Paderborn, als Niederlage in Bremen und als Chance für ein Opferbewusstsein in Mannheim, dann passen sich die Kotexte zur Phrase für den Wiederaufbau in diese Perspektiven recht schlüssig ein. Hochfrequent kommt die PP als Attribut lediglich in Mannheim vor. Das Attribut markiert hier eine Detaillierung der Aufbauplanung, die die Deutung des Kriegsendes als Chance zum Neubeginn stützt. Es entstehen Entwürfe, Planungen, Ideenskizzen usw. für den Wiederaufbau, woraus sich der Eindruck intensiver gedanklich-diskursiver Aktivitäten und Wahlmöglichkeiten ergibt. Davon unterscheiden sich die Bezugsnomen der PP im Paderborner Teilkorpus deutlich. Dort handelt es sich eher um die eine Lösung, um das klar zu benennende Problem und um ein eindeutiges Symbol für den Wiederaufbau mit Betonung auf der singulären Referenz, weil anscheinend völlig klar ist, was man in Paderborn unter Wiederaufbau versteht. Doch nicht immer findet sich im Umfeld von dispositivtypischen Wortverbindungen auch ein Hinweis auf städtespezifische Unterschiede. Sie sind in der quantitativen Analyse nicht eigens durch statistische Kontrastierung erhoben worden. Stattdessen wurde einer Auswertung nach Phasen der Vorzug gegeben, bei der Keywords eine Einstiegsmöglichkeit in die diskursgrammatische Auswertung bieten, damit die diskursspezifische Indexikalität der statistisch relevanten Sprachmittel in weiteren Auswertungschritten geprüft werden kann.

192 

 Korpusanalysen

Tab. 8: Übersicht über die Zuordnung der Dokumente zu den sich überlappenden Teilkorpora entlang der Parameter „Gattung“ und „Zeit“, weiß: Gegenwart 1986–2006 (1.183.944 Tokens), grau eingefasst: Nachkriegszeit 1945–1985 (179.500 Tokens) Gebrauchsgattungen in Unterwegsmedien (289.118 Tokens) AUD MA 2009–2016 AUD Tomis133 PB 2009–2014 AUD MA 2014 APP Verdrängt BRO HB 2010 BRO Focke PB 2011 BRO Schäfer PB 2005 BRO Stadt PB 2014 BRO Baukultur/Stadtarchiv PB 2009 BRO Stadtarchiv PB 2008 BRO Verkehrsverein MA 1996 GED Puvogel HB 1996 GED Puvogel PB 1996 GED Puvogel DID PB 2003 DID Runte PB 1999 DID Dressler PB 1991 DID Düsterloh PB 1992 DID Klönne TAF MA 2007 TAF Stadtpunkte HB 2006 TAF Bauwerke PB 2005–13 PUL Müller

HYP PB HYP Zeit PB HYP Dom PB HYP Erzb PB HYP Heimat PB HYP Westf PB HYP Libo PB HYP Museum PB HYP City PB HYP Land PB HYP Hase PB HYP Feuer PB HYP Wiki MA HYP Rhein-Neckar-Wiki MA HYP Stadtarchiv MA HYP Stadtportrait MA HYP Schlossgeschichte MA HYP Wikipedia MA HYP Zeitgeschichtliches HB HYP Boettcher HB HYP Tourismus HB HYP Cityguide HB HYP Feuerwehr HB HYP Goruma HB HYP Historic HB HYP BremenpediA HB HYP Landesportal HB HYP Radiobremen HB HYP Relikte HB HYP Stolpersteine HB HYP Wikipedia

STF PB 1987 STF Hohmann PB 2004 STF Fischer PB 2013 STF Imhof PB 2006 STF Walder MA 1988 STF Baedeker/1998 MA 2007 STF Ellrich MA 2005 STF Probst MA 1990 STF Svoboda HB 2002 STF Baedecker HB 2006 STF Dappen HB 1992 STF Gutmann HB 2004 STF Kootz HB 2010 STF Möbst

STF HB 1965 STF Lindemann HB 1983 STF Baedecker HB 1985 STF Holtgrefe PB 1968 STF Hohmann PB 1985 STF Maasjost MA 1984 STF Büscher

133 Die Siglen enthalten Angaben zu Stadt (nach Autokennzeichen), Erscheinungsdatum und Gattung (vgl. Abkürzungsverzeichnis).

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Reflexionsgattungen in Buchmedien (1.042.717 Tokens) BIB PB 2002 BIB Vogt PB 2003 BIB Linde MA 1993 BIB Schadt MA 1997 BIB Schadt HB 1995 BIB Schminck HB 1997 BIB Aschenbeck HB 1999 BIB Gutmann HB 1999 BIB Spiess DOK PB 1989 DOK Stambolis PB 1991 DOK Hüser PB 2012 DOK Verein MA 2002 DOK Peters MA 2003 DOK Wolf MA 2009 DOK Reichenbecher HB 2005 DOK Müller HB 2007 DOK Lohse HB 2009 DOK Verein

SGp PB 2000 SGp Pöppinghege PB 2001 SGp Flüter PB 2005 SGp Faassen PB 2005 SGp Kühne MA 2003 SGp Keller MA 2005 SGp Hirsch MA 2006 SGp Fiedler MA 2007 SGp Pflug MA 2009 SGp Caroli MA 2009 SGp Mehler MA 2013 SGp Ellrich MA 2013 SGp Fritsche MA 2014 SGp Keller MA 2013 SGp Stockert HB 1986 SGp Meyer HB 2005 SGp Stute HB 2006 SGp Chronik HB 2007 SGp Elmshäuser

SGe PB 1988 SGe Naarmann PB 1999 SGe Hüser PB 2008 SGe Grabe PB 2008 SGe Westhoff MA 2004 SGe Connert MA 2008 SGe Perrey MA 2009 SGe Kaiser MA 2011 SGe Brenneisen MA 2012 SGe Stadtforschung HB 1995 SGe Schwarzwälder HB 2005 SGe Obenaus HB 2008 SGe Barfuß HB 2010 SGe Meyer HB 2014 SGe Syring KAT PB 1987 KAT Stambolis PB 1995 KAT Museen PB 2008 KAT Stadtarchiv MA 1995 KAT Peters MA 1999 KAT Schenk MA 2012 KAT Pfau HB 2006 KAT Syring

BIB PB 1983 BIB Dressler PB 1985 BIB Golücke MA 1955 BIB Pichler DOK MA 1948 DOK Peters PB 1955 DOK Schmidt HB 1955 DOK Gläbe HB 1965 DOK Beidatsch HB 1978 DOK Dresses

SGp HB 1948 SGp Zeugnisse PB 1969 SGp Tack MA 1979 SGp Salm MA 1950 SG Walter

SGe PB 1951 SGe Kiepke PB 1949 SGe Kiepk PB 1980 SGe Claus PB 1984 SGe Mues MA 1971 SGe Fliedner HB 1976 SGe Brandt HB 1985 SGe Wollenberg

KAT HB 1957 KAT Kunsthalle PB 1979 KAT Stadtarchiv

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 Korpusanalysen

Tab. 9: Keyword-Analyse der Phasen-Teilkorpora in AntConc 3.4.4m, nach Signifikanz (Keyness) sortiert PhasenTeilkorpora

Keywords134

mit Vergleichs­ korpus

Phase 1 (1945–1957)

wird, Brücke, werden, Verkehr, neuen, Stadt, ich, wieder, Stadtverwaltung, Dezember, auf, jetzt, schwerer, Brücken, Wiederaufbau

Phase 2 (1958–1985)

Phase 2 (1958–1985)

Antifaschisten, Nationalsozialismus, Juden, Aufbau, US-, jedoch, Verfasser, Beginn, meist, wurden, waren, Situation, oder, Widerstand, Kommunisten, hatten, amerikanischen, Dokumentation, Arbeiter

Phase 1 (1945–1957)

Phase 3 (1986–2005)

ich, vgl., er, Ereignisse, sei, Bunker, November, Zug, keine, Phase 2 Oberbürgermeister, Juden, mich, jüdische, Dezember, Kinder, (2058–1985) NS, wir, Stadtverwaltung, Foto, Synagoge Ereignisse, keine, gegen, Juden, Gestapo, dann, September, Kriege, noch, haben, sei, es, nicht, Luftangriff, Mann, wir, Fotos, nur, Partei, Krieges

Phase 4 (2006–2016)

Phase 4 (2006–2016)

Architekten, das, Gebäude, Haus, Weltkrieg, Architekt, Arisie- Phase 3 rung, ich, Schloss, Erdgeschoss, Neubau, zweiten, aufgenom- (1986–2005) men, Fassade, Jahrhundert, Schule, Kirche, entstand, Prozent, hier

6.1.4.1 Phase 1 (1945–1957) Mit der Einteilung der Städtekorpora nach Gattungen ergeben sich zwei größere Blöcke, wobei die Dokumente der Nachkriegszeit (1945–1985) jeweils nur einen kleinen Anteil ausmachen (vgl. die grau eingefassten Kästen in Tab. 8). Zunächst wurden gattungsunspezifisch Keywords für die vier soziopolitischen Phasen erhoben (vgl. Tab. 9), in denen durch den medialen Gattungswandel bedingt

134 In dieser Erhebung wurden max. 20 Schlüsselwörter nach Rängen gesichtet und bis zum Signifikanzwert >17 in die Keyword-Liste aufgenommen, wenn sie keine onymische Qualität besaßen (wie Mannheim, Marienplatz etc.) oder aufgrund der neuen s-Schreibung signifikant werden (wie musste, daß etc.) und wenn sie einen Streuungsgrad von mind. ¼ besitzen, d.h. – in absoluten Zahlen ausgedrückt – in mind. 3 Dokumenten für die 1. Phase, in 5 Dokumenten für die 2. Phase, in 13 Dokumenten für die 3. und in 18 Dokumenten für die 4. Phase vorkommen. Das Dispersionskriterium gewährleistet, dass Eigennamen von Plätzen und Personen oder Spezialausdrücke wie Flaktätigkeit, die in einigen wenigen Publikationen gehäuft auftreten, nicht als typische Sprachmittel für die gesamte Phase gewertet werden.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Medialitätskriterien natürlich auch eine Rolle spielen. Die vier Teilkorpora unterschiedlicher Größe wurden untereinander als Vergleichskorpora herangezogen.135 Um die Verfestigungsprozesse chronologisch kleinschrittig abzubilden, wurden die Schlüsselwörter für das Teilkorpus der ersten vergangenheitspolitischen Phase 1945 –1957 über das Vergleichskorpus der zweiten Phase 1958–1985 ermittelt und so weiter, nur für Phase 3 wurde retro- und prospektiv verglichen, d.h. mit den Phasen-Teilkorpora 2 und 4. Die als potentielle Knotenpunkte der ersten Phase hervortretenden Schlüsselwörter sind im Großen und Ganzen für den Augenzeugen- und für den zeitgenössischen Bericht kennzeichnend. Statistisch ganz vorne befinden sich die Auxiliarformen wird und werden (vgl. Tab. 9),136 die in unterschiedlichen morphosyntaktischen Umgebungen auftreten, als Auxiliare des Futur I sowie des werden- bzw. Vorgangspassivs. Im Futur I zeigt sich für die Präsensverwendung mit wird (3. Ps. Sg.) ein völlig anderes Funktionsspektrum als für werden (3. Ps. Pl.).137 Zu unterscheiden sind Kontexte, in denen wird innerhalb von Zitaten als Versprechen und Prophezeiung im Footing des nationalsozialistisch propagandistischen Sprachgebrauchs auftritt138 (11–13), von solchen, in denen es dem Ausdruck einer Hoffnung für eine noch ungewisse Zukunft dient (14–18):

135 Orientiert an den von Assmann/Frevert (1999:143ff.) festgestellten drei Phasen der deutschen Erinnerungsgeschichte – Vergangenheitspolitik (1945–1957), Kritik der Vergangenheitsbewältigung (1958–1984) und Erinnerungsphase ab 1985 – wurden für den frühen Zeitraum Textausschnitte aus acht Publikationen (97.385 Tokens) und für den Zeitraum von 1958 bis 1985 Ausschnitte aus 18 Publikationen (82.215 Tokens) zu einer Textgruppe zusammengefasst. Von 1986 bis zum größer begangenen Gedenkjahr 2005 kamen Ausschnitte aus 66 Veröffentlichungen zusammen (563.229 Tokens) und der letzte Zeitraum von 2006–2016 umfasst mit 71 Dokumenten nicht nur Gedrucktes, sondern auch kleinere Ausschnitte von Internetseiten (616.778 Tokens). Vgl. Tab 8. 136 Sie befinden sich auf Rang 4 und 5. Städtenamen (Mannheim und Ludwigshafen auf Platz 1 und 2) und Gebäudebezeichnungen (wie z.B. Brücke auf Platz 3) wurden in dieser KeywordErhebung nicht berücksichtigt. 137 Um einen groben Überblick über die Frequenzverhältnisse zu gewinnen, wurden die rechtsund linksseitigen POS-Kollokatoren VVINF und VVPP zu den Wortformen wird und werden verglichen. Die Quote der falsch positiven Treffer ist dabei aufgrund von Treffern außerhalb des Satzkontextes relativ hoch. Für wird ergeben sich 31 infinite Vollverbkollokatoren gegenüber 50 Treffern für werden. Ein anderes Bild ergibt sich für die partizipialen Kollokatoren, die im Umfeld von werden etwa dreimal so häufig auftreten wie bei wird (309 Mal im Vergleich zu 106 Mal). Für werden fällt weiterhin die Kombination mit finiten Modalverben auf (120 Belege). 138 In diesem Kontext tritt auch eine werden-Verwendung in der 1. Ps. Pl. auf: Der Kreisleiter der NSDAP in einer Ansprache auf dem Domshof: Der Sieg ist nicht nur in unsern Herzen, sondern wir werden auch beweisen, daß aus unserm Wollen die Tat wird. (HB 1955 STF Gläbe, 118)

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 Korpusanalysen

(11) Im Januar 1945 verkündet der Kreisleiter der NSDAP auf einer Kundgebung in der „Glocke“: „Ein neuer deutscher Frühling wird anbrechen.“139 (HB 1955 DOK Gläbe, 118) (12) Aus einem Tagesbefehl Hitlers: „Der Einbruch unserer Gegner im Westen wird scheitern!“ (HB 1955 DOK Gläbe, 121) (13) Die Arbeiter sollen selbst die Maschinen zerstören. Die Parole „Diese Stadt wird niemals kapitulieren!“ erscheint jetzt in ihrer wahren Bedeutung. Nur zerstört, verödet soll sie dem Sieger in die Hände fallen. (MA 1950 SG Walter, 285f.) (14) Von der Gestaltung des Westerntores wird es weitgehend abhängen, ob die Innenstadt voll lebensfähig bleibt und organisch mit dem Bahnhofsviertel zusammenwächst. (PB 1949 SGe Kiepke, 198) (15) Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, muß ein Weg gefunden werden, der Mannheim die Stellung verschafft, die ihm als geographischen und wirtschaftlichen Mittelpunkt des Rhein-Neckar-Raumes und als Kern der großstädtischen Agglomeration an der Neckarmündung zukommt. Davon wird das künftige Schicksal der Stadt ganz wesentlich abhängen. (MA 1955 BIB Pichler, 9; Geleitwort von Oberbürgermeister Heimerich) (16) Von heute ab wird es dauernd besser werden! (MA 1950 SG Walter, 369; Zeittafel) (17) Wird die Demokratie, für die Hunger, Not und Chaos ein schlechter Nährboden sind, als Regierungsprinzip Festigung und Stabilität gewinnen? (...) Und in weiterem Rahmen gesehen: Wird die Erkenntnis der Solidarität und Schicksalsgemeinschaft der europäischen Nationen die dicken Panzerplatten des Vorurteils durchdringen? (MA 1950 SG Walter, 6; Präludium) (18) Im Verlauf der sich hier noch anbietenden weiteren Bebauung wird deshalb darauf zu achten sein, daß die Wohngebiete durch genügend breite Grünflächen getrennt werden, in die auch Wiesen- und Ackerflächen, Klein- und Erwerbsgärten einbezogen werden können. (PB 1955 DOK Schmidt, 35) (19) Was wird sie (die Zukunft, N.W.) bringen? (PB 1951 SGe Kiepke, 143)

Die Belege demonstrieren ein Funktionsspektrum, das in den bisherigen Arbeiten zum so genannten modalen Futur nicht im Vordergrund steht. In einer zusammenfassenden Darstellung der Debatte um werden als Modal- oder Evidentialmarker im Futur I stellt Letnes (2011:118) heraus, dass sich die evidentielle Grundbedeutung, aus der nach Diewald (2005:32) die futurische, die modale und die expressive Lesart situationsbedingt hervorgehen, bereits in früheren Arbeiten zur Futurentwicklung im Deutschen andeutet. Für modale Konstruktionsvarianten, in denen das Futur I primär Gegenwartsbezug besitzt, wie in Die frische Luft wird Ihnen gut tun, Glaubst du, Herman wird sich ärgern? oder Das wird sich nach dem Krieg zeigen, ist die evidentiell-subjektive (Fritz 2000) bzw. subjektive (Matzel/ Ulvestad 1982) oder auch expressive (Diewald 2005) Komponente festgehalten

139 Der Fettdruck sprachlicher Einheiten wurde hier und im Folgenden von mir vorgenommen, um die diskutierten sprachlichen Phänomene hervorzuheben. Im Original gefettete oder kursiv gesetzte Wörter können leider aufgrund der Aufwandsbegrenzung im Datenbereinigungsverfahren nicht angegeben werden.

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worden (in einer Darstellung von Letnes 2011:118f.). Verschiedentlich wurde gezeigt, dass das Verhältnis von Zukunftsbezug und modalem Ausdruck bei der Fügung werden + Infinitiv kontextabhängig variiert, so dass die Verwendungen meist sowohl modale als auch temporale140 Züge tragen (vgl. Letnes 2011:112f.). Selbst wenn das Futur häufig gebraucht wird, um eine Vermutung auszudrücken, gibt es nicht zwangsläufig einen Grund, von zwei verschiedenen Arten des Futur I zu sprechen, denn jeder Vorausschau in die Zukunft haftet notwendig eine gewisse Unsicherheit an. Dabei braucht es sich nicht einmal unbedingt um eine Unsicherheit über Zukünftiges zu handeln; auch eine Unsicherheit über Gegenwärtiges kann mit dem Futur zum Ausdruck gebracht werden. (Weinrich 2007:234)

Weinrich exemplifiziert diese ambige Semantik anhand des Satzes Der Dolmetscher wird wohl schon im Konferenzraum sein,141 der auch ohne das Modalwort wohl als vermutende Vorausschau gedeutet werden kann. Noch stärker kann mit der Form des Vor-Futur eine unsichere Geltung ausgedrückt werden (Das wird wohl ein professioneller Dieb gewesen sein), gestützt durch modales wohl oder bestimmt. In Anlehnung an dieses Modus-Tempus-Kontinuum wird im Duden unterschieden zwischen einem Futur I mit Zukunftsbezug (1), der auch ausdrücklich hervorgehoben werden kann, dem modalen Futur (2), das häufiger zukunftsstatt geltungsbezogen verwendet wird, und dem Futurperfekt, für das die modale Lesart überwiegt (3).142 In den obigen Belegen ist ein modaler bzw. evidentieller Bezug weniger sprecher- als vielmehr hörerorientiert festzustellen. Die an den Hörer gerichtete deontische Bedeutung der wird+Infinitiv-Verwendungen entsteht in den Belegen (11–13) aus dem Appell der NS-Funktionäre, an das Prophezeite zu glauben. Gläbe zitiert in seinem Stadtführer neben Hitler den Kreisleiter der NSDAP, Walter gibt in seiner Stadtgeschichte eine Durchhalteparole in der Verteidigungssituation der Städte wörtlich wieder. Anders als in diesen Suggestivformeln gestaltet sich

140 Auf Positionen, die an der Zeitsemantik des Futurs, sprich an seiner Einordnung in das Tempussystem des Deutschen festhalten, insbesondere weil seine Verwendung im Vergleich zum Zukunftspräsens auch eine besondere Sicherheit signalisieren kann, soll an dieser Stelle nur knapp verwiesen werden (eine kritische Diskussion der Tempusinterpretation findet sich bei Thieroff 1992:120ff. sowie Rothstein 2007:41ff.). 141 Das Modaladverb/Modalwort wohl verstärkt die Geltungsabschwächung durch eine lexikalische Strategie. 142 Dies ist anhand der folgenden Beispiele nachvollziehbar: (1) Es wird schneien. (2) Da stehe ich jetzt zu, und da werde ich auch noch in zwei Wochen zu stehen. (3) Viel Freude wird Professor Bach an seinem Volontärassistenten Musil nicht gehabt haben. (Duden 2016: §735 und §733)

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 Korpusanalysen

der appellative Gehalt des Modalverbs wird in den übrigen Belegen sprecherseitig als Wunsch bzw. Zuversicht (16), Hoffnung (17), Mahnung (18) und als Ausdruck der Unsicherheit (19). Die darin eingeschlossenen Zukunftsentwürfe entfalten ihre deontische Kraft aus einer ganz anderen Diskursposition heraus, nämlich in einer Situation großer Verunsicherung und Werteerosion. Mit der zusätzlichen Modalisierung – wird es weitgehend abhängen, wird ... ganz wesentlich abhängen, wird es dauernd besser werden, V1-Fragesätze (17) und Einbettung in eine modale Infinitivkonstruktion mit sein (18) – entsteht ein Adressatendesign, das Verantwortungsbewusstsein bei der Mitgestaltung zukünftiger Belange implizit einfordert (Gestaltung des Westerntors, Schicksal der Stadt, Demokratie, Zukunft). Diskursgrammatisch ist die Konstruktion [von X wird MOD abhängen] als eine für die Futur-I-Kontexte im frühen ZAD typische Musterbildung gekennzeichnet durch die Singular-Verwendung der modal-temporalen Verbform wird. Hiermit bestätigt sich, dass die kollokative Bindekraft nicht vom Lemma ausgeht, wie oftmals angenommen wird (u.a. von Keibel et al. 2011:334), sondern von Flexionsformen, die auch die Charakteristika der Anschlusspositionen bestimmen wie in diesem Fall die Subjekte im Singular. Sie rufen die bereits erwähnten kollektiven oder abstrakten zukunftsrelevanten Entitäten auf: die Gestaltung des Westerntors, das Schicksal der Stadt und die Demokratie. Besitzt nun diese spezifische diskursgrammatische werden+Infinitiv-Verwendung mit den Merkmalen „modales wird (3. Ps. Sg.)“, „Modalisierer“, ggf. „Fragesatz“, „abstraktes zukunftsbezogenes SUBJ“ auch evidentiellen Charakter wie Diewald und Letnes für diesen Konstruktionstyp generell annehmen? Die evidentielle Seite der Konstruktion wird mit Subjektivität, Emotionalität und Expressivität in Verbindung gebracht (vgl. Letnes 2011:119). Herauspräpariert wurde dabei vor allem der Sprecherbezug:143 In der Betroffenheit des Sprechers liegt der Anlass bzw. das Motiv für seine Äußerung. In den Belegen (14–18) für die Konstruktion im frühen ZAD findet sich allerdings ein starker Hörerbezug, der dem Adressaten nicht nur die propositional formulierten Sachverhalte nahebringt, sondern insofern eine spezifische hörerseitige Evidentialitätsform realisiert, als das, was propositional behauptet wird, dem Hörer Evidenz geben soll, sich für eine zukunftsgerichtete Sache (z.B. Demokratie, Stadtentwicklung) einzusetzen. Besonders typisch erscheint daher die Konstruktionsvariante mit dem Verbrahmen von etw. abhängen (15), da hier

143 Fritz 2000, auf den sich Diewald 2005 bezieht, spricht von einem „Sprecherverweis“ als Grundbedeutung der werden+Infinitiv-Konstruktion, den Diewald als Evidentialität fasst, die wiederum nach Letnes (2011:122) bereits in dem Merkmalspaar [+/− Geltung] angelegt ist, mit dem Matzel/Ulvestad 1982 das Funktionsspektrum des Futur I beschreiben. Insofern hat man es hier mit mehrfachen Überschneidungsfällen zu tun.

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zwei Slots eröffnet werden, die diesen Hörerbezug stiften: Das Zukunftssujet ist durch das im von-Komplement Aufgerufene zu sichern. Für dieses Ziel ergeht an den Hörer der Appell, es evidentiell zu fassen, um sein persönliches Engagement an ihm auszurichten. Die hohe Frequenz von werden als Schlüsselwortform kommt jedoch nicht durch die Verwendung als Futurauxiliar zustande. Als Präsens-Auxiliar144 oder Kopula145 im Futurkontext kommt es nur vereinzelt vor, hochfrequent erscheint es in Passivkonstruktionen, häufig in Kombination mit Modalverben. Modalverben treten allerdings auch in die werden+Infinitiv-Konstruktion ein, so dass die Partizipation an der Zukunftsgestaltung und das erinnerungspolitische Engagement ganz explizit eingefordert werden (20). In diesem modalen Funktionskreis finden sich sowohl Plural- (20) als auch Singular-Futurauxiliare (21): (20) Aus Büchern werden sie sich lückenhaft erlesen müssen, was uns lebenerfüllte Wirklichkeit war. Mögen sie stets ohne eigene Bitterkeit aus der Zerstörung ihrer Stadt die furchtbare Wirkung der Mächte der Vernichtung erkennen, die unsere Generation an die Grenzen des Ertragbaren führten. Die Zahl der Toten, die dieses Buch nennt, derer, die im Kampf an den Fronten fielen, in den Gefangenenlagern starben, der Vermißten, das endlose Heer der Leiderfüllten, die ihr Liebstes opferten, sie mahnen. (PB 1949 SGe Kiepke, 203; Ausklang) (21) Niemand wird leugnen können, daß Mannheim, von harten Notwendigkeiten gezwungen, im letzten Jahrzehnt um eine umfassende Erneuerung gerungen hat. (MA 1955 BIB Pichler, 9; Geleitwort von Oberbürgermeister Heimerich)

Das Erinnern an das unbeschreiblich Schreckliche soll einerseits ohne ... Bitterkeit, andererseits in vollem Bewusstsein der furchtbare(n) Wirkung der Mächte der Vernichtung (20) geschehen. Die Mächte bleiben namenlos. So wie die Bedingungen, unter denen die Städte aufgebaut wurden (21), lexikalisch beschrieben werden als von harten Notwendigkeiten gezwungen, so werden sie auch durch die grammatische Modalisierung als Zwang zur Anerkennung versprachlicht. Erinnerungsarbeit erscheint ohne die Stütze des eigenen Erlebens mühevoll. Die Aufgabe des Mahnens wird in (20) als Höhepunkt einer Aufzählung explizit per-

144 Zwar ist die Vorkommenshäufigkeit gering, die Verbindung mit dem inkludierenden wir jedoch zeittypisch: Wir werden den Fluch nicht bannen, wenn weite Kreise der Bevölkerung sich weiter müde und gleichgültig verhalten. (HB 1955 STF Gläbe, 136) 145 Darunter finden sich auch prädikativ verfestigte Verwendungen mit dem typischen modalfuturischen wird: Zweifellos ist der neue Standort städtebaulich günstig, weil die Lage am Ring vor allem auch die notwendigen Verkehrsverbindungen für die Besucher aufweist und den zukünftigen Anforderungen ausreichend gerecht werden wird. (MA 1955 BIB Pichler, 24)

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 Korpusanalysen

formativ im Konjunktiv des auf die Zukunft gerichteten Wunsches festgehalten (mögen sie sie mahnen), um die leidvolle lebenerfüllte Wirklichkeit gegen das Vergessen der Zeit im kollektiven Gedächtnis zu bewahren. In den Passivkonstruktionen erscheint das werden-Auxiliar in Kombination mit Modalverben einschließlich modalem werden mit Ausnahme von wollen. Die zugehörigen transitiven Vollverben146 stammen aus dem Illokutionsbereich des Erinnerns, Mahnens und der Einsicht: (22) Jede Frage ist genau und gewissenhaft zu beantworten, und keine Frage darf unbeantwortet gelassen werden. (MA 1995 KAT Peters, 29) (23) Was in dreiundzwanzig Minuten vernichtet wurde, konnte in zehn Jahren nicht aufgebaut werden. Aber auch, wenn das geschehen ist, darf die Erinnerung daran nicht ausgelöscht, die darin liegende Mahnung nicht vergessen werden. (HB 1955 DOK Gläbe, 112) (24) Wir werden den Fluch nicht bannen, wenn weite Kreise der Bevölkerung sich weiter müde und gleichgültig verhalten. Wir wissen, was dem Volke jahrelang an Täuschung und Entbehrung zugemutet worden ist, es war für die Menschen zu viel. Und doch muß es geschafft werden, – wir müssen die Einsicht aufbringen und verbreiten helfen, daß das Einfache und gegenwärtig Notwendige allein darin besteht, seine Pflicht zu tun dort, wo man hingestellt ist, und unter schweren Entbehrungen zu arbeiten ... (HB 1955 DOK Gläbe, 136) (25) Auch in den anderen Siedlungsgebieten der Stadt, sei es im Norden, im Westen oder im Osten, wird die Neubautätigkeit von der Stadt sorgsam gehegt und unterstützt werden. (PB Kiepke SGe 1949, 200) (26) Wer mag immer wieder daran erinnert werden, daß es damals darum ging, neu zu beginnen, wiederaufzubauen und neu zu bauen, wo nur noch Trümmer vorhanden waren? (HB 1957 KAT Kunsthalle, 3) (27) Die Entnazifizierung blieb in ihren Widersprüchen stecken, ohne daß daraus das Recht abgeleitet werden sollte, ihr Scheitern einfach den Besatzungsmächten in die Schuhe zu schieben. (MA 1948 DOK Peters, 38)

Die hier aufgeführten deontisch, d.h. nicht epistemisch verwendeten Modalverben rufen eine moralische Instanz auf, die nicht nur das Aufklären und Erinnern einfordert (22, 23), sondern auch das Engagement zum Aufbau der Städte (24, 25). Für dürfen ist in der Kookkurrenz mit Negation die Funktion des moralischen Verbietens evident. Ein Zwiespalt tut sich inhaltlich auf: Einerseits darf ... Erinnerung ... nicht ausgelöscht werden (23), andererseits muß Erneuerung geschafft werden (24). Auch wird durch das volitive mag die Kehrseite des Erinnerungsappells angesprochen (26). Bereits Anfang der 1950er Jahre tritt das Erinnern an die Kata-

146 Alle Vollverben sind transitiv, da der Verbalkomplex im Vorgangspassiv steht. In geringerem Umfang treten „echte“ Zustandspassivvarianten auf (unter der Bedingung, dass sie aus einem Vorgangspassiv abgeleitet wurden bzw. ableitbar sind), z.B. soll ausgestattet sein.

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strophe in Verbindung mit dem Motiv des Handlungsdrucks in den Hintergrund. Die Subjektrollen sind nun durch die von der Zerstörung betroffene Infrastruktur und durch reifizierte Aufbauprozesse (Neubautätigkeit) gefüllt. Sie tangieren gleichzeitig virulente Fragen nach einer Neugestaltung der rechtlichen und moralischen Ordnung. Einerseits finden sich Aufforderungen, nicht zu klagen oder anzuklagen. Andererseits ruft etwa die Modalverbverwendung im Präteritum konnte (23) mit dem Subjektsatz Was in dreiundzwanzig Minuten vernichtet wurde und dem zeiträumlichen Kontrast zur zehnjährigen Aufbauaktivität den ganzen Schrecken der Gewalteinwirkung auf, ohne sie im Übrigen zu bezeichnen (durch Luftangriffe, Bomben o.ä.). Akteure bleiben auf beiden Seiten vage (z.B. durch das Interrogativpronomen wer).147 Die mehrfachadressierten Appelle besitzen wie in (24) auch in ihrem pronominalen Bezug einen weiten Skopus: Das phorische es im Mittelfeld der Konstruktion (muß es geschafft werden) verweist janusköpfig vor und zurück. Es umfasst auf recht globale Weise die Gebote, den nationalsozialistischen Fluch zu bannen und sich aktiv an der Aufbauarbeit zu beteiligen. Da das Modalverb sollte in (27) im Konjunktiv steht, besitzt es einen besonderen Moment der Kritik an der allgemeinen Schuldzuweisung (Kollektivschuldthese). Die dispositionellen und deontischen Aussagen entfalten sich bevorzugt im negierten Umfeld, in (22) mit negiertem Komplement, in (23) dreimal mit Negationswort nicht, und pragmatisch negiert in (26) über die präsupponierte Ablehnung eines enervierenden Dauerappells. Nicht nur die Frequenz der Modalverb-Verwendung, auch das Spektrum ihrer Gebrauchsweisen ist auffällig. So wurden für sollen fünf Verwendungsweisen festgestellt, von denen die beiden letzten (31–32) in gängigen Darstellungen zur Grammatikalisierung der Modalverben gar nicht auftauchen. Die von Diewald (1999) aufgeführte deontische, epistemische und futurische Lesart für sollen wurden im Teilkorpus wiedergefunden (28–30). Die Wortform sollte in der Verwendung im Bedingungssatz ist wiederum nicht präterital, sondern als Konjunktiv II zu interpretieren (31). Schließlich besitzt die narrative Verwendungsweise (32) einen Zukunftsbezug aus der Sprecherposition der Vergangenheit, mit dem die Spannung vor dem sich ereignenden Grauen gesteigert wird: (28) Deontisch: Gleichzeitig findet im Kupferstichkabinett eine Ausstellung dokumentarischer Art statt, die eine Erinnerung an die schweren Verluste der Kunsthalle durch die Aktion „Entartete Kunst“ (1937) und infolge des letzten Krieges geben soll. (HB 1957 KAT Kunsthalle: ohne Seitenzahl; Vorwort) (29) Quotativ: Gerüchte, wonach die Stadt zur Festung erklärt worden sein soll, wonach der damalige stellvertretende Bürgermeister und Stadtkommandant ein amerikanisches

147 Lediglich in (14) tritt in Form der agentiven von-Phrase die Stadt als Aufbauinstanz auf.

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 Korpusanalysen

Übergabeultimatum unbeantwortet gelassen haben soll, sind bis heute in der Bevölkerung noch nicht verstummt. Für eine Auseinandersetzung mit diesen beiden Anschuldigungen, die nur auf Grund einer umfassenden Untersuchung und eines kritischen Beweismaterials zu einem Ergebnis geführt werden könnten, ist in diesem Buch kein Raum. (PB 1949 SGe Kiepke, 110) (30) Futurisch (innerhalb des historischen Präsens): Eine weitere Ratssitzung beschäftigt sich mit dem großen Wohnungsbauprogramm des Reiches, das sofort nach Kriegsende verwirklicht werden soll. (MA 1950 SG Walter, 246) (31) Konditional: Andererseits mußte der Wiederaufbau in den verschiedenen Sparten gleichzeitig schnell und zügig vorangetrieben werden, wenn nicht fluktuierendes und neu aufkommendes Verkehrsvolumen sich anderweitig verlagern und daher für Mannheim endgültig verloren gehen sollte. (MA 1955 BIB Pichler, 25) (32) Narrativ: Dann wurde es dunkel. Dunkel für viele lange bange Jahre. Nie wieder sollte der gleiche Anblick dieses abendlichen Stadtbildes den Bewohnern vergönnt sein (PB 1949 SGe Kiepke, 27)

Neben dem passivischen Modalverbkomplex mit sollen finden sich Belege für eine Aktiv-Verwendung mit deontischem soll in (28) und für das Perfekt in (29). In unterschiedlichen Funktionen für die Themenentfaltung treten zwei Futurbelege in (30) und (31) auf und eine Besonderheit stellt das narrative sollte in (32) dar, das in Verbindung mit dem zeittypischen Adverbcluster nie wieder die ganze Tragik des Verlusts kulturhistorischer Werte erzählerisch vor Augen führt. Durch die Semantik des Modalverbs wird eine weitere Instanz auf den Plan gerufen, die häufig ein Gebot verkörpert, eine Gefahr aufzeigt und das Wirken nicht genau bezeichneter Kräfte voraussetzt. Diese wirken zudem normativ: Die IDS-Grammatik charakterisiert das Modalverb sollen durch seinen normativen Redehintergrund, den es erzeugt. Es besitzt einen geringen Grad an Verbindlichkeit – im Unterschied zu müssen – und beinhaltet „neben dem Befohlenen und Geforderten auch das Empfohlene, Wünschenswerte, Angeratene“ (Zifonun et al. 1997:1887). Im Unterschied zu können und müssen bringen dürfen und sollen ein Ideal zum Ausdruck. Die deontischen, nicht-epistemischen Verwendungsweisen von sollen implizieren immer auch bestimmte Notwendigkeiten, etwas Erstrebenswertes zu erreichen (teleologische Semantik). Diese Semantik von sollen ist in den in die Zukunft hinausweisenden Belegen deutlich erkennbar, auch die Verwendung im Konjunktiv II in (31) konstruiert das Ideal einer Stadt, durch die der Verkehr hindurchgeht, was Mannheim wirtschaftliche Vorteile bringen mag. Es geht in dem Abschnitt, aus dem der Beleg stammt, um den Wiederaufbau des Mannheimer Hafens. Die Dringlichkeit des Aufbauprojekts sei für die gesamte Region „von entscheidender, lebenswichtiger Natur“ (MA 1955 BIB Pichler, 25). Die Natur-Metapher erzeugt eine Naturalisierung von Zwecken, die im Rahmen der deontischen Bedeutung von sollen lediglich als empfehlenswert erscheinen. Das Modalverb sollen wird für diese implizite Normkonstruktion in den konjunk-

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tivischen Restriktiv gesetzt (vgl. Weinrich 2007:249ff.), der im Unterschied zur würde-Form nicht einfach eingeschränkte Geltung anzeigt, sondern eine mögliche Einschränkung als fatal markiert: Ein angedeutetes Schreckens-Szenario (das verlorene Verkehrsvolumen) mit lexikalisch negiertem Perfektpartizip verloren bildet die Bedingung und gleichsam die Rechtfertigung für das Gebotene: den schnellen und zügigen Wiederaufbau des Hafens. Der Quotativbeleg (29) sticht durch das Perfekttempus heraus. Es löst häufig und so auch hier die epistemische Lesart aus. Für die ansonsten mehrheitlichen Passivbelege sind kaum epistemische Varianten der Modalverben zu erwarten. Das epistemische sollen in (29) markiert, dass jemand „sich nicht auf einen Faktizitätswert festlegt und dass eine andere Instanz die Geltung der Proposition behauptet hat.“ (Hundt 2003:346) Das in dieser Verwendungsweise daher auch quotatives bzw. reportives sollen genannte Modalverb erzeugt anders als der Konjunktiv in der indirekten Rede keine Origoverschiebung und weist „eine höhere Kompatibilität mit Distanz und Skepsis auf als der Konjunktiv I“ (Mortelmans/ Vanderbiesen 2011:75). Letnes (2011:119f.) vertritt anders als Diewald die Ansicht, dass ein quotatives sollen durch das implizite Aufrufen einer externen Wissensquelle auch evidentiellen Charakter148 besitzt, da es als Informationsquelle ein unspezifisches Hörensagen einbezieht und nicht nur auf der eigenen Sinneswahrnehmung beruht. Diese Distanzmarkierung scheint in (29) angesichts der kolportierten „Gerüchte“ geboten. Diese werden nicht zufällig wiedergegeben und in ihrem Wahrheitsgehalt offengelassen – wenngleich ein Untersuchungsergebnis in Aussicht gestellt wird (was eigentlich dem Charakter des Gerüchts widerspricht). Was aber sagen die Gerüchte über die Sicht auf die geschichtlichen Ereignisse aus, unabhängig davon, ob sie einer nachträglichen Überprüfung standhalten? Sie liefern doch wohl so etwas wie eine Erklärung, die die Möglichkeit bietet, das Unfassbare aus den komplexen politischen Zusammenhängen herauszulösen und von einem Zufall abhängig zu machen (der Stadtkommandant, der nicht rechtzeitig zum Telefonhörer gegriffen hat). Da einzelne Gründe, weshalb die Gerüchte distanzierungswürdig sind, nicht genannt oder diskutiert werden, bleiben mit der Quelle auch Motiv und Hintergrund rätselhaft. Somit könnte die Tatsache, dass besagte Gerüchte bis heute in der Bevölkerung noch nicht verstummt sind, gar als Zeichen für die Triftigkeit der Annahmen aufgefasst werden. In der narrativen Verwendung wie in (32) ist das präteritale sollte grammatischer Indikator des Innehaltens vor dem Unbeschreiblichen. Der Perspektivwech-

148 Evidenziale wie offenbar geben als lexikalische Evidenzmarker Hinweise auf die Frage nach der Herkunft des Wissens (Woher weißt du das?).

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 Korpusanalysen

sel in die Zukunft, der in der deontischen Lesart dem Ausdruck des Wünschbaren dient, zeigt an, wie unvorstellbar das Zerstörungsereignis zum Erzählzeitpunkt erschienen sein mag. Es ereignet sich in dieser Narrativierung geradezu schicksalhaft: „(W)as zum erzählten Zeitpunkt nur möglich erschien, hat sich in der Retrospektive als tatsächlich herausgestellt“ (Zifonun et al. 1997:1894). Die in diese Möglichkeit eingelassene Bedingung ist so stark, dass man sich der „Vernichtung“ ergibt, damit der Krieg ein Ende findet. Derselbe Autor, aus dessen Darstellung der narrative sollen-Beleg stammt, lässt etwa 20 Seiten später einen Augenzeugen zu Wort kommen, der dieselbe sollen-Variante verwendet, um den Blick aus der Vergangenheit in eine verhängnisvolle Zukunft zu richten: „Die Zeit war da, sich für das Letzte zu rüsten. Der Eindruck wuchs, daß wir das Ende des Krieges nur durch die Vernichtung hindurch erreichen sollten.“ (Kiepke 1949, 48)149 In einem Mannheimer Bildband kommt mit dem narrativen sollen ein Hoffen zum Ausdruck, das antizipierend zerschlagen wird: „Die Städte sanken in Trümmer; fast schien es, als sollte die Brücke die grausige Kriegszeit überstehen.“ (MA 1948 DOK Peters, 39) Stets aber geht es um die Versprachlichung des Unausweichlichen. In der IDS-Grammatik wird diese Verwendungsweise der sollte-Form neben sollte in Bedingungssätzen analog zu wenn-dann-Nebensätzen und rhetorischen Fragen nach dem Muster [Sollte X wirklich Y?] gesondert aufgeführt. Eine Verwandtschaft mit dem epistemischen Gebrauch ist übrigens auszuschließen, da diese Verwendungsweisen den Sprachhandlungsmustern des hypothetischen Reflektierens über Gewissheiten aus Sprechersicht zuzuordnen sind. Die in den bisherigen Beispielen diskutierte und für die frühen Texte des ZAD festzustellende Orientierung auf eine Zukunft hin lässt sich durch die methodologische Frage nach der diskursgrammatischen Musterbildung zuspitzen: Kann auf der Basis dieser Beispiele die Konstruktion [VMFIN VVPP werden] als dispositivrelevant betrachtet werden, die in dieser ersten erinnerungskulturellen Phase aufkommt und ggf. in verschiedenen Varianten fortgeführt wird? Die Leistung der Modalverben konzentriert sich auf die Semantik des Wünschens und Sollens für

149 Auch andere Zerstörungsereignisse werden mit dem innehaltenden sollte/n dramatisiert: Bezogen auf den nahenden Dreißigjährigen Krieg gibt Pichler eine Anekdote wieder, in der die Parteien weder genannt noch referenziert werden: Als im März 1606 Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz den Grundstein der Stadt und Festung Mannheim legte, geschah es – nach einem zeitgenössischen Bericht – „bey grossem ungewöhnlichen Wind und Regen, so den gantzen Tag gewähret, der die Bäume aus der Erde gerissen, die Kutschen umgeworfen und die Leuthe an ihren Verrichtungen gehindert“. Ein „glückselig Zeichen“ erschien es dem einen, andere wiederum erblickten darin ahnungsvoll die Vorboten kommenden Unheils. Sie sollten recht behalten! (MA 1955 BIB Pichler, 10)

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die Zukunft, eine Zukunft, die sich in Abgrenzung vom bedingungslosen Appell eines einst totalitären Müssens konstituiert. Die akteurlosen Konstruktionen mit dem Vorgangspassiv als typischer Realisierung drücken im Wesentlichen zwei Handlungsformen aus: die des Reflektierens und Erinnerns und die des Schaffens und Gestaltens mit Blick auf gute Lebensbedingungen für die Zukunft. Für die Wortverbindung aus Partizip II und werden finden sich in der ersten Phase des ZAD insgesamt 266 Belege, von denen 36 aussortiert wurden, da sie nicht Teil eines Modalverbkomplexes sind. Die übrig gebliebenen 230 Belege für den passivischen Modalverbkomplex (PVM-Komplex) entspringen einem nichtdeiktischen Gebrauch. Entsprechend der Verteilung im Deutschen tritt können auch im ZAD-Korpus als häufigstes Modalverb auf. Es zählt zusammen mit müssen zu den dispositionellen Modalverben. Sein Gebrauch „beruht auf der Erfahrung, daß einer Handlung in ihrem Umfeld oft Hindernisse entgegenstehen“ (Weinrich 2007:297), die überwunden werden (33) oder aber – im negierten Umfeld – nicht bzw. nur mit Einschränkungen überwunden werden konnten (23a, 34–37). Als hindernisreich stellen sich in dieser frühen Phase des ZAD typischerweise Aufbauprojekte dar, die als besonders kostspielig und arbeitsintensiv eingeschätzt werden: (33) Der Wiederaufbau der durch die Kriegseinwirkungen zum größten Teil zerstörten Motoren-Werke Mannheim AG stellte an alle Beteiligten die größten Anforderungen. Nur durch die enge Verbundenheit von Mensch und Werk konnte diese Aufgabe bewältigt werden. (MA 1955 BIB Pichler, 262; Anhang) (23a) Was in dreiundzwanzig Minuten vernichtet wurde, konnte in zehn Jahren nicht aufgebaut werden. Aber auch, wenn das geschehen ist, darf die Erinnerung daran nicht ausgelöscht, die darin liegende Mahnung nicht vergessen werden. (HB 1955 DOK Gläbe, 112; Vorspann) (34) Nachdem in den Jahren 1935 und 36 wohl gewisse Vorarbeiten geleistet waren, die Planung endgültig jedoch nicht in Angriff genommen werden konnte, betraute die Stadt Herrn Landesrat Niemeyer auf Grund seiner jahrzehntelangen städtebaulichen Tätigkeit mit der wichtigen Aufgabe der Neuplanung Paderborns. (PB 1949 SGe Kiepke, 186) (35) Um einen größeren Verlust baulicher Ausnutzung infolge der Verbesserung des Straßennetzes zu vermeiden, wurden in mehreren Teilplänen die Fußgängerwege durch Anlage von Arkaden ausgewiesen und damit eine Überbauung der Straßenfläche gestattet. So konnten ohne wesentliche Beeinträchtigung der bebaubaren Fläche die Heiersstraße und die Westernstraße den neuzeitlichen Verkehrsverhältnissen angepaßt werden. (PB 1955 DOK Schmidt, 14) (36) Die Bahnhofstraße wurde durch Zurücksetzen der Fluchtlinie auf der Nordseite um rund 4,00 m verbreitert. Die neuen Bauten berücksichtigen bereits diese Linie. Die Straße konnte so auf vier Fahrspuren ausgebaut werden (...). (PB 1955 DOK Schmidt, 14) (37) Mannheim war vor dem Kriege für seine großzügigen Grünanlagen bekannt. Auch diese sind den Bomben zum Opfer gefallen und konnten erst allmählich wieder geschaffen werden. Die großen Flächenzerstörungen boten die Möglichkeit, eine intensivere Durch-

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grünung der Innenstadt zu planen und teilweise auch schon auszuführen. (MA 1955 BIB Pichler, 24)

Diese Verwendungsweisen von konnte/n transportieren Bewertungen all jener Entwicklungen, die an das Zerstörungsereignis anschließen. Die Aufbauaktivitäten erreichen in den negierten oder einschränkenden Kontexten (37) das Wünschenswerte und optimieren das Gewesene (35–36) aus einer vom einzelnen Subjekt abgelösten Position heraus (extrasubjektiv-circumstantieller Redehintergrund). Die IDS-Grammatik unterscheidet für die hier vorliegenden nicht-epistemischen Verwendungen der Modalverben noch einmal zwischen extrasubjektiv- und intrasubjektiv-circumstantiellen Redehintergründen, womit sich für die vorliegenden Beispiele der Fokus auf die agentive von-Phrase als Subjektrolle richtet,150 die in den Daten in dieser Konstellation mit Modalverbkomplex ausdrucksseitig jedoch nicht realisiert wird und wohl auch nur für wenige Vollverben in dieser Konstruktion grammatische Akzeptabilität erzielt.151 Das im Passiv implizit bleibende Agens bildet die Quelle des Redehintergrunds, von der aus das Gelingen beurteilt wird. Die ausdrucksseitig nicht genannte Kollektivinstanz (Stadtplaner und Angestellte, die den Aufbau dank Marshallplan umsetzen), deren Können beurteilt wird, gerät im Falle des Nichtschaffens bzw. der Unfähigkeit, etwas (in einer bestimmten Zeit) zu leisten, nicht in die Position, auf dieses Vermögen hin befragt zu werden. Die Unmöglichkeit des Aufbaus verweist vielmehr auf eine sachbezogene Begründung im Umfeld hin, mit der die Unmöglichkeit der Wiederherstellung mit dem Ausmaß der Vernichtung begründet werden kann oder aber das Wunder des schnellen Aufbaus mit dem bemerkenswerten Überlebenswillen und der Widerstandskraft der Überlebenden zu begründen ist. In dieser „Möglichkeit“, die die Zerstörung den nicht namentlich Genannten eröffnet, scheint in (37) im Anschluss an den konnten-Satz eine Subjektposition auf, die die Flächenzerstörung als Chance zur Umsetzung städteplanerischer Leitkonzepte (Durchgrünung) umdeutet. Durch diese Identifikation mit den Akteuren der Vergangenheit ist das implizite Subjekt semantisch zugleich nach innen und nach außen (intra- und extrasubjektiv) gerichtet. Die Kookkurrenz zum adverbialen wieder signalisiert eine Rückkehr zum Alten (vgl. Kämper 2005:167), die dann von der Umsetzung eines modernen Konzepts der Durchgrünung übertroffen wird. Aus

150 Als Beispiele für die beiden Varianten des nicht-epistemischen Gebrauchs führen Zifonun et al. (1997:1267f.) folgende Beispiele an: Sie können meinetwegen gehen. (extrasubjektiv) und Er konnte vor Müdigkeit nicht mehr weitergehen. (intrasubjektiv) 151 Für den nicht negierten passivischen Modalverbkomplex mit dem Vollverb aufbauen wäre eine solche Verwendung denkbar: Das Haus konnte durch die Stadt in zehn Jahren wieder aufgebaut werden.

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der Kookkurrenz mit Negatoren wie nicht in (23a) lässt sich die Vorstellung eines vorhandenen Hindernisses ableiten, dessen Ursache nicht konkret bezeichnet, aber in seiner Auswirkung eindrucksvoll formuliert wird (in dreiundzwanzig Minuten vernichtet). Nominalstilhaft bleibt der Zweck in (35) in die Präpositionalphrase infolge der Verbesserung des Straßennetzes eingeschlossen. Dass mithilfe des PVM-Komplexes die Anpassung der Verkehrswege an den Bedarf an Wohnraum als Erfolg (konnten angepasst werden) gewertet wird, deutet zugleich auf die Präsenz kritischer Stimmen hin, die das Bild der alten Stadt wiederersehnen. In diesem Rechtfertigungs- oder gar Immunisierungsverfahren entfaltet der passivische Modalverbkomplex sein grammatisches Potenzial. Die globale Epochenbeschreibung der neuzeitliche(n) Verkehrsverhältnisse erhält ahistorische Gültigkeit. Besonders deutlich wird dieses Verfahren dann, wenn Gesichtspunkte und Folgen des Aufbaus später einer ganz anderen Bewertung unterliegen, wie dies in (36) mit Bezug auf die Einrichtung vierspuriger Straßen der Fall ist. Der passivische Modalverbkomplex mit können entwirft nicht allein das Ermöglichte. Er stellt das Erreichte als das Gelungene, das Bestmögliche dar. Diese diskursgrammatisch indizierte Erfolgsgeschichte beginnt in (36) bereits bei den Voraussetzungen für das Gelungene, das sich mithilfe des konsekutiven Adverbkonnektors an diese Vorgeschichte „dranhängt“. Es ist eine Vorgeschichte, in der durch Passiv (wurde verbreitert) und Subjektschub (Bauten berücksichtigen etwas) die Bauten selbst für den nachfolgenden Zweck (Verbreiterung auf vier Fahrspuren) „aktiv“ geworden sind. In (34) werden die Unwägbarkeiten des Aufbaus mit dem durch die usuelle Verbindung jedoch nicht152 negierten Phrasem in Angriff nehmen innerhalb einer passivischen Modalverbkonstruktion beschrieben. Der Bremer Stadtführer bringt dagegen in (23a) durch einen zeitlichen Kontrast die katastrophale Wirkung zum Ausdruck: auf der einen Seite 23 Minuten, die der Fliegerangriff im August 1944 für die Zerstörung des Stadtmittelpunktes benötigte, auf der anderen Seite zehn Jahre, die der noch nicht abgeschlossene Aufbau bis zum Veröffentlichungszeitpunkt dauert. Der Vergleich mit den (minder frequenten) Präsensformen kann/können offenbart leichte Unterschiede im Sprachhandlungscharakter: Während in der präteritalen Variante mit konnte/n Rechtfertigungspraktiken überwiegen, bei denen die Lesenden indirekt adressiert werden, weisen die Präsensvorkom-

152 Die Verbindung jedoch nicht erscheint auch für neuere Pressetexte in Cosmas als geläufigstes Cluster, das in dem Konnekt, das den Konnektor jedoch im Mittelfeld enthält, einen nachteiligen Aspekt unterbringt, der gegen eine allgemein vom Weltwissen hervorgerufene Erwartung verstößt.

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men häufiger eine narrative Umgebung auf, in der kleinteilig über das jeweilige Geschehen berichtet, es diskursiv betrachtet wird.153 Diese Kontexte sind mehr oder weniger stark assoziiert mit den Fragen der erinnerungskulturellen Verarbeitung einer einzigartigen Kriegszerstörung sowie der Umsetzung und Bewertung von Konzepten zum frühen Aufbau. An zweiter Stelle der Gebrauchshäufigkeit von Modalverben steht das Modalverb müssen, das analog zum Imperativ mit dem semantischen Merkmal ‘Gebot’ ausgestattet ist (vgl. Weinrich 2007:300). Anders als bei der morphologischen Befehlsform spielt es für müssen keine Rolle, von welcher Machtposition aus etwas gefordert oder angeordnet wird. Im Unterschied zu können sind bei müssen sowohl Präsens- als auch Präteritalformen indexikalisch mit der Erinnerungskonstruktion verbunden. (38) Die Straßen waren sehr eng. Ihre Breiten reichten schon vor der Zerstörung nicht mehr aus, den angewachsenen Verkehr aufzunehmen±. Mit dem Wiederaufbau mußte daher eine Neugestaltung erfolgen, und es mußten Verbesserungen der Straßen-, Wohn- und Grundstücksverhältnisse erreicht werden. (PB 1955 DOK Schmidt, 20) (39) Viele der jetzigen Parkplätze verdanken ihre Entstehung der Flächenzerstörung; bei weiterem Bedarf an Bauland müssen daher diese Parkplätze in oder über die Erde gebaut werden. Es muß alles getan werden, daß der Verkehr nicht die Menschen beherrscht, sondern der Mensch des Verkehrs Herr wird. (MA 1955 BIB Pichler, 22)154 (40) Vor allem mußte die Altstadt – unter Ausmerzung der früheren Unzulänglichkeiten – organisch und zweckmäßig in den Gesamtkörper der Stadt eingefügt werden. Es mußte also – um mit anderen Worten zu sprechen – die Frage der „Tore“ so gelöst werden, daß die neue Bebauung auf mehrere Menschenalter den zu stellenden Anforderungen entsprach. (PB 1949 SGe Kiepke, 198) (41) Die neue Eisenbahnbrücke wurde nach dem Entwurf des Reichsbahnoberrates Krabbe­ Essen ausgeführt, der einen auf vier Stützen aufliegenden 274 m langen durchlaufenden Parallelträger mit Rautenfachwerk ohne Gelenke aus hochwertigem Baustahl vorsah. Die Brücke hatte von der alten Eisenbahnbrücke einen Achsabstand von nur 15,50 m. Wegen dieses geringen Abstandes mußte ein Teil der alten Pfeiler und Widerlager abgebrochen werden, um Platz für die Unterbauten der neuen Brücke zu schaffen. Die Widerlager mußten bis zu den alten Brückenportalen entfernt und deren Türme durchbrochen werden, um Platz für den Fußgängerverkehr zu gewinnen. (MA 1948 DOK Peters, 9)

In (38) tritt der passivische Modalverbkomplex argumentativ im Anschluss an eine Bewertung (sehr eng) auf,155 vor dem Vorgangspassiv steht eine Konstruktion

153 So „kann“ beispielsweise „trotz der Kampfhandlungen“ die Wasserversorgung „glücklicherweise aufrecht erhalten werden“ (MA 1950 SG Walter, 288) 154 Und doch muß es geschafft werden (HB 1955 DOK Gläbe, 136), vgl. Beleg (24) 155 Noch stärker fällt der Bewertungseffekt in den Nebensatzkonstruktionen aus. Die Verbalkomplexe der Nebensätze mit Endstellung des finiten Modalverbs folgen dem Rechts-determi-

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mit erfolgen, die passivischen Charakter hat, weil sie dem Subjekt Patienscharakter verleiht. Neben der Nominalphrase Verbesserungen der Straßen-, Wohnund Grundstücksverhältnisse trägt auch das Nomen Neugestaltung den Charakter eines teleologischen Patiens: Die Lösung erscheint als einzig wirksame für die zuvor geschilderte Problemlage. In (39) wird die Zerstörung unverhohlen als Vorzug für die Verkehrsplanung entworfen und dies um so deutlicher, je drastischer die Problematik eines schier unbeherrschbaren Verkehrsaufkommens skizziert wird, das „der Mensch“ mit allen Mitteln (Es muß alles getan werden) wie ein Ungetüm zu bezwingen hat. In (40) wird ohne erkennbare Sensibilisierung für die Stigmavokabel156 der NS-Propaganda in einer Art Gesundungsprogramm die Ausmerzung der früheren Unzulänglichkeiten begrüßt. Kiepke inszeniert die Notwendigkeit nicht allein mit der Gebot-Semantik von musste, sondern kookkurrierend auch mithilfe der fokussierenden Wortverbindung vor allem sowie der syntaktisch hervorgehobenen adverbialen Koordination organisch und zweckmäßig, die direkt auf das unbetonte Mittelfeld-Subjekt (Wackernagel-Position) und den Einschub folgt. Die Formel organisch und zweckmäßig, mit der die Altstadt in den städtischen Körper einzufügen sein soll, wirkt in dieser kotextuellen Einbettung im Sinne einer Ästhetik des modernen organischen Bauens. Auch werden diese Zwecke zusätzlich über finale Infinitive formuliert (um Platz zu schaffen, 41) und dabei von keiner personalen Instanz begründet. Es

niert-links-Prinzip (vgl. Ágel 2001:321f.) und legen den rhematischen Akzent auf die Semantik des Modalverbs als des Möglichen, Denkbaren oder Gebotenen. In der Mehrheit der Fälle treten sie in durch konjunktionales dass, ob oder wie eingeleiteten Attribut- oder Objektsätzen auf und sind Gegenstand einer Einschätzung oder Bewertung (Grundsatz), die der Matrixsatz ausdrückt: Es ist allgemein anerkannter Grundsatz, daß außer dem Ortsverkehr auch der Ziel- und Flächenverkehr im Innern der Stadt ohne Schwierigkeiten aufgenommen und bewältigt werden muß. (PB 1949 SGe Kiepke, 199) 156 Für die frühe Nachkriegszeit hält Eitz 2010b fest, dass das Stigmaverb des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs ausmerzen als unbelastet wahrgenommen wurde. Die Wortverlaufskurve in DTA und DWDS dokumentiert gerade für Zeitungstexte zwischen 1940 und 1949 einen Gebrauchshöhepunkt, der nur von den Wissenschaftstexten zwischen 1920 und 1929 übertroffen wird. Der ursprünglich aus der Schafzucht stammende Begriff Ausmerze bezeichnete im Rahmen des sozialdarwinistischen Programms im Nationalsozialismus die Zwangssterilisation und Ermordung von Menschen, die aus rassenbiologischen Gründen als minderwertig galten. Anders als der Gegenbegriff Auslese oder auch der Begriff Euthanasie wird Ausmerze nach 1945 gemieden, während ausmerzen und Ausmerzung weiterverwendet werden. Ihre belastete Gebrauchsgeschichte ist nach einer Beobachtung von Eitz 2010 nicht einmal in deutschen Wörterbüchern belegt. Etwas anders verhält es sich mit der ebenfalls für den nationalsozialistischen Sprachgebrauch typischen Bezeichnung Terrorangriff, die im betrachteten Zeitraum signifikant auftritt und die Unrechtmäßigkeit des Luftkriegs zum Ausdruck bringt. Sie tritt vermehrt nur in der Publikation von Walter 1950 und auch dort nur innerhalb der Chronik auf.

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scheinen keine intentionalen Diskursaktivitäten im (berichteten) Hintergrund auf. Vielmehr handelt es sich um solche Zwecke, die ohne Referenzbezug zwangsläufige Entwicklungen anzeigen. Dies leistet auch das Gerundiv. Es steht in (40) zusammen mit dem semantisch relativ leeren Funktionsverb stellen in der zweiten Stufe des partizipialen Infinitivs (den zu stellenden Anforderungen). Da der dahinterstehende Stellende allein aus grammatischen Gründen kaum bildbar ist, verschwindet das Agens ausdrucksseitig hinter den möglichen und gebotenen Anforderungen. Die Ambiguität zwischen der können- und der müssenInterpretation bringt der partizipiale Infinitiv mit sich, der auf die modale Infinitivkonstruktion mit sein zurückgeführt werden kann: Die Anforderungen sind zu stellen, so dass nicht klar ist, wer sie stellen kann oder muss, sondern nur, dass sie gestellt werden können oder müssen. Dies führt zu einer Vervielfältigung der hier nicht näher bezeichneten Anforderungen, die, so sie bereits formuliert wurden, das Gebot der Stunde darstellen, und für die, so sie sich erst künftig herauskristallisieren, optimale Bedingungen geschaffen werden müssen. Auch für den subjektlosen Finalsatz in (41), der den Zweck explizit nennt (Platz für den Fußgängerverkehr gewinnen), liegt auffälligerweise keine Subjektergänzung aus dem passivischen Matrixsatzes vor. Das Erforderliche (Wiederlader entfernen und Türme durchbrechen) wird an den Zweck gebunden, entlang der „Organe“ des Stadtkörpers Verkehrsströme zu begünstigen, wobei die Infinitheit der Proposition einen Allgemeingültigkeits- und Überzeitlichkeitsanspruch verleiht (vgl. Wilk 2019:27f.). Der wichtigste Kollokator des Key-Nomens Verkehr ist in dieser frühen Aufbauphase das passivische übergeben, das die den Verkehrsfluss fördernde Funktion der Architektur unterstreicht. Die im öffentlichen Sprachgebrauch geläufigere und begrifflich stärker an die Stadtbauplanung angeschlossene Kollokation für den Verkehr freigeben lässt sich auch im DeReKo mit hohem Verfestigungsgrad nachweisen. Ferner sind als Kollokatoren der PPen aus den/dem Verkehr die syntagmatischen Muster aus dem Verkehr gezogen und für den Verkehr gesperrt belegt. Auf den hinteren Rängen erscheint auch der Kollokator übergeben, der im Kookkurrenzprofil die Passivsubjekte Brücke, Teilstück, Strecke, Tunnel, Bauwerk und Autobahn lizenziert und zudem mit dem zeittypischen Adverb wieder und dem Partizip eingeweiht kookkurriert. So mag die gefundene Einweihung in einem Weiheakt kollokativ nicht weiter überraschen (42). Die Deutung des Ereignisses als einem mit hohem geschichtlichen Rang, der zu Bewusstsein kommen soll, ist vermutlich zeittypisch. Die Position dieser Modalverbkomplexe mit sollen und dürfen im übergeordneten Matrixsatz ist funktional für ein Räsonnement, das von der einzelnen Position des Autors abstrahiert und eine überindividuelle Position reklamiert (43):

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(42) Wenn Flußbrücken gebaut und in einem Weiheakt dem allgemeinen Verkehr übergeben werden, so soll man sich dessen bewußt sein, daß große geschichtliche Zusammenhänge sich ein Stelldichein geben. (MA 1948 DOK Peters, 41) (43) Es darf noch bemerkt werden, daß im Interesse des möglichst ungehindert durchlaufenden Verkehrs, aber auch der Sicherheit der Fußgänger nur wenige Übergänge angelegt wurden. (PB 1955 DOK Schmidt, 31)

Auch das Modalverb sollen wird abschließend in dieser auf die Zukunft gerichteten Lesart des Verbalkomplex betrachtet. Neben dürfen tritt es in der appellativen Wortverbindung sollte/darf nicht vergessen werden dispositivtypisch für diese frühe Nachkriegsphase auf. Auch werden mit der Unsicherheit und dem Wunsch, sich über das Verpflichtende, Vorgeschriebene und Notwendige zu verständigen, das die Semantik von sollen im Kern ausmacht (Zifonun et al. 1997:1891), offene (44) und rhetorische Fragen (45) formuliert, die auf den ersten Blick die Unwägbarkeiten der jungen demokratischen Ordnung oder der Funktionen wiedererrichteter Institutionen aufrufen. Vordergründig mag der verfestigte Verbalkomplex nicht vergessen werden im Kontext der Mahnung gegen das Vergessen (23a, 44) eingesetzt werden, um mit der Angst und der Ungewissheit vor zukünftigen Entwicklungen umzugehen. Er tritt aber gerade auch dann auf, wenn Ungewissheiten eher zugedeckt werden und zwar mit einer euphorisierten Zuversicht, die sich im überbordenden Lob der Aufbauprojekte widerspiegelt. Der damalige Leiter des Statistischen Amts Mannheim Hook sieht in der neu gebauten Rheinbrücke, die Mannheim und Ludwigshafen verbindet, gar eine große Chance der politischen Wiedergutmachung Jahrhunderte währender Konkurrenzen zwischen der rechts- und linksrheinischen Pfalz (45). Zu dieser symbolischen Aufladung der glatten, stolzen Aufbauarchitektur mit Werten wie Gleichklang, Zuversicht und Harmonie passt es außerdem, dass äußere Insignien der Mahnung in Form von Erinnerungsarchitektur gar nicht erst erwogen werden, sondern die Erinnerung als diffuser Stoff, der versöhnlich um das Zerstörte gespannt werden kann, im kommunikativen Gedächtnis wachgehalten werden soll. (23a) Was in dreiundzwanzig Minuten vernichtet wurde, konnte in zehn Jahren nicht aufgebaut werden. Aber auch, wenn das geschehen ist, darf die Erinnerung daran nicht ausgelöscht, die darin liegende Mahnung nicht vergessen werden. (HB 1955 DOK Gläbe, 112, Vorspann) (44) Wer mag immer wieder daran erinnert werden, daß es damals darum ging, neu zu beginnen, wiederaufzubauen und neu zu bauen, wo nur noch Trümmer vorhanden waren? Und doch sollte nicht vergessen werden, daß die Kunsthalle durch den Krieg und durch gewisse kulturpolitische Vorkriegsmaßnahmen das am schwersten getroffene Kunstmuseum überhaupt in Westdeutschland geworden war. Für uns stellte sich die Forderung nach Wiederaufbau dringlicher als für andere Häuser. Wo sollte angefangen werden? (HB 1957 KAT Kunsthalle, 3)

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(45) Sollte die große Chance, den einst begangenen politischen Fehler wieder gutzumachen, abermals vertan werden? (MA 1948 DOK Peters, 41)

Im DeReKo bestätigen sich darf und sollte als die beiden häufigsten Kollokatoren zur Konstruktion [VM nicht vergessen werden]; zwischen ihnen liegt auf Platz 2 die mit der Konstruktion kookkurrierende Subjunktion dass, die das projizierte direkte Objekt des Vollverbs vergessen propositional einleitet und realisiert. Die Proposition im dass-Satz entwirft inhaltlich eine Wende zu den vorausgehenden Ausführungen. Beide sich oftmals durch kontrastierende Konnektorencluster verbunden, in (23a) (a)ber auch, in (44) (u)nd doch. Eine Fülle weiterer adversativ-konzessiver Konnektoren findet sich in der Kookkurrenzliste wie allerdings, jedoch, trotzdem oder bei alledem, für die überdies charakteristisch ist, dass sie in Konstellationen des Bewertens auftreten (vgl. Bührig 2009:542). Der mit der formelhaften Projektorkonstruktion darf/sollte nicht vergessen werden, dass157 entworfene Gegensatz verläuft zwischen dem Sicht- und dem Unsichtbaren: Trotz Aufbauleistung sollen die Erinnerung an die Trümmer wach gehalten werden. Dabei wird der Zerstörungszustand in seiner Unvorstellbarkeit konstruiert. Ihm steht die enorme und zugleich identitätsbildende Wiederaufbauleistung gegenüber, so optimal, „organisch“, bruchlos, dass sie das Ausmaß der Zerstörung vergessen zu machen droht. Somit ist paradoxerweise das, was nicht vergessen werden sollte, das, was als lebendige Erfahrung im Diskurs über den Glanz des Neubaus vergessen gemacht wird. Es bestätigt sich hier möglicherweise die diskutierte Sicht auf die Zerstörung als erste Etappe eines gelungenen Wiederaufbaus. Die Zerstörung wird als Ereignis nicht erinnert, sondern in Erinnerungsformeln wie darf/sollte nicht vergessen werden, dass gebannt und im doppelten Sinne aufgehoben. Wie Kämper (2006:473) für den Nichttäterdiskurs der frühen Nachkriegszeit belegt hat, ist diese Ausrichtung auf die Zukunft von dem Bedürfnis getragen, mit der Zeit des Nationalsozialismus abzuschließen. Am Endpunkt dieser dunklen Epoche liegt eine auf Freiheit hin orientierte Gegenwart, die lexikalisch mit temporalen Gegenwartsbezügen wie (gerade) jetzt, in dieser Stunde,

157 Allerdings finden sich für die Wortverbindung nicht vergessen werden Einbettungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Konstruktionen wie die DeReKo-Kookkurrenzübersicht zeigt. Während die Umklammerung mit den Modalverben darf bzw. sollte und Objektsatz semantisch für Leib und Leben ernstliche Kontexte evoziert, erzeugt der Anschluss mit pluralem sollten und Objekt einen Textsortenhinweis auf Veranstaltungsankündigungen (Badesachen/Schuhwerk/ Gummistiefel sollten nicht vergessen werden). Als pragmatischer Superlativ für den Kunst- und Kulturgenuss verschmilzt die Kombination mit der Adverbphrase so schnell zum Relativsatz-Attribut (Erlebnis/Tag/Abend/Spiel/Konzert, das die Besucher/Zuschauer so schnell nicht vergessen werden), so dass sich hier ein weitverzweigtes Netz von Konstruktionen mit ganz unterschiedlicher pragmatisch-holistischer Qualität auftut, ausgehend von nicht vergessen werden im Kern.

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heute etc. aufgerufen wird, um Konsequenzen aus der Erfahrung des Totalitarismus zu ziehen. Auch wenn das Adverb jetzt (74 Belege) seltener auftritt als heute (99 Belege), besitzt es für das TK der ersten Phase (1945–1957) eine hohe Keyness, die sich dadurch erklärt, dass Zerstörung und Aufbaustadium vorwiegend narrativ von Zeitzeugen vergegenwärtigt werden. Der Zukunftsblick konstituiert sich u.a. über die Cluster bis jetzt, ggf. auch schon jetzt: (46) Aber auch für die am Rhein entstehende Umschlagstelle des Schwerstlastkrans „Goliath“ (100 t) ist eine direkte Zubringerstraße zur Autobahn äußerst wertvoll. Schwerste und vor allem sperrige Güter konnten bis jetzt, wie die bisherige Praxis erwies, nur sehr erschwert und mit großen Verzögerungen von und zum Hafen transportiert werden. (MA 1955 BIB Pichler, 27) (47) Der Übergang der Autobahn über den Rhein von Frankenthal nach Mannheim-Sandhofen, der die Autobahn Kaiserslautern-Saarbrücken an die Autobahn Mannheim-Frankfurt anschließen soll, stand zu Kriegsbeginn kurz vor der Vollendung, konnte aber bis jetzt noch nicht fertiggestellt werden. (MA 1948 DOK Peters, Adolf Elsaesser, 5) (48) Der Eingang zur Westernstraße ist durch zwei moderne, repräsentative Bauten bereits fertiggestellt. Die begonnene Nord- und Südbebauung zeigt schon jetzt das künftige Gesicht dieses Platzes. (PB 1955 DOK Schmidt, 15)

In mittlerer Stärke kookkurriert das Zeitadverb jetzt innerhalb der adverbialpräpositionalen Cluster mit dem passivischen Modalwortkomplex. Diese für das frühe ZAD ermittelte nested construction lässt sich semantisch als Abfolge der pragma-grammatischen Werte ‘patsubj’– ‘neg’ – ‘konz-adv’ – ‘nonvolitiv’ fassen. Ihre Einheiten sind überlappend: [VMFIN VVPP werden] [VMFIN aber] [jetzt] [aber jetzt] [bis jetzt] [jetzt noch nicht] [nicht VVPP werden] Die erinnerungskulturelle Konstruktion einer schnellen Aufbauleistung über alle Widrigkeiten hinweg fokussiert über die Negation und die adversative Verknüpftheit das noch Ausstehende und Ersehnte. In dieser Bewegung wachsen und entwickeln sich die Aufbauobjekte nahezu von selbst. Die partizipial aktualisierten Handlungen haben keine Willenslenkung, kein Bewusstsein, sind ohne Diskurs und Geschichte. Doch insbesondere das in (48) beschriebene Gesicht des

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Westerntors wird späterhin Anlass für Kritik an den „Bausünden“ des Aufbaus geben.158 Wie sehr die Aufbauwerke für eine friedliche Zukunft richtungweisend sein sollen, belegt ein weiterer Ausschnitt zum Neubau der Mannheimer Rheinbrücke, der dem Beleg (45) vorausgeht. Die Brücke wird zum Teil einer Symbolarchitektur des Friedens, die ihre Schönheit aus ihrer zu Stein gewordenen literalisierbaren Funktion gewinnt, eine Brücke zu schlagen und Positionen zu überbrücken. Der nachfolgende Auszug aus einer Ansprache liest sich wie eine Anleitung zur Völkerverständigung durch Architektur. Die Errichtung der Rheinbrücke wird als organische Prävention (Adern des Verkehrs) für Kriege und andere Fehden gedeutet, die etwas verharmlosend als Dissonanz bezeichnet werden. Die Verantwortung für das Bauwerk (Obhut, gute Hut) leitet sich aus dem Nutzen ab, den Fluss des wirtschaftlichen Lebens zu erhalten und zu fördern. (49) Und doch will uns scheinen, daß eine Brücke (...) dem Schicksal derer verhaftet ist, unter deren Augen sie geworden und deren Obhut man sie anvertraut. Wie die einfallenden Strahlen des Lichts in einer Linse gesammelt werden, so leiten die Adern des Verkehrs im Brückenkopf zueinander und verzweigen sich wieder zu beiden Stromseiten in den verästelten Kanälen des wirtschaftlichen Lebens. [...] Wer diesen Menschen eine Brücke zur Verwaltung anvertraut, stellt sie in gute Hut. Nach seinem weltoffenen Wesen ist der Pfälzer sich dessen bewußt, daß es heute mehr denn je nottut, Brücken zu schlagen von hier nach dort, ist er doch leibhaftiger Zeuge davon, daß im Gleichklang der Menschen aller Aufbau, in der Dissonanz jedoch alle Zerstörung begründet liegt; mehr noch als bei allen Anderen geht sein Verlangen dahin, daß man heute aus den alten ausgefahrenen Geleisen nicht mehr zeitgemäßer Denkformen herauskommen muß. Denn heute – an der Schwelle des heraufziehenden Atomzeitalters, in dem uns die Erkenntnis geworden, daß Stoff Energie ist – ist kein Raum mehr für engstirnige Nationalstaaten, die es zu überwinden gilt, wenn nicht alles zum Fluch und Verhängnis werden soll, was der Mensch zu seinem Nutzen erdacht hat. (MA 1948 DOK Peters, 41 und 43)

Im zweiten Abschnitt fallen drei Verwendungen des Lexems Mensch auf, das im Plural auch in der Keyword-Liste enthalten ist. Während mit der ersten Verwendung die Gruppe der links- und rechtsrheinischen Pfälzer bezeichnet wird, stellen die beiden generischen Referenzen eine Distanzsituation her, wie sie von Müller (2014:214f.) für den rollenspezifischen Sprachgebrauch von Theologen in

158 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch die Beschreibung eines Antiquars, der das offerierte Buch als „(U)ngewollt eine Dokumentation der gröbsten Nachkriegs-Bausünden der Stadt Paderborn“ etikettiert (vgl. http://www.ebay.de/itm/Tolle-Stadt-Paderborn-ein-JahrzehntAufbau-und-Planung-1945-55-Nachkriegszeit-/351613628403?hash=item51ddce2ff3, zuletzt abgerufen am 25.1.2018)

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Bioethikdebatten beschrieben wurde. Er nennt als typische syntaktische Kontexte für diesen Ausdruck großer sozialer und gedanklicher Distanz die Seinsprädikationen [der Mensch ist x] und die attributive Umgebung Würde des Menschen, die die kommunikative Funktion besitzen, ethische Kontexte zu erzeugen (vgl. Müller 2014:215). Die Augenzeugenschaft der Zerstörung (Dissonanz) fördert nun eine Einsicht, die generell dem Zweck des friedlichen Zusammenlebens folgt – es heißt, die Aufgabe der Brücke sei „zeitlos wie alles Große, dem jede Begrenzung fremd ist“ (MA 1948 DOK Peters, 41). Und doch geht es um eine konkrete wirtschaftliche Aufgabe innerhalb des Gemeinschaftslebens, und zwar den Aufbau und die Expansion von Verkehrs-, Waren- und Geldströmen, deren schier eigengesetzliche Zirkulation nicht behindert werden soll. Der Blick in die Zukunft ist somit geprägt von den Interessen kapitalistischer Wertschöpfung, die weniger als apriorischer Zweck entworfen werden, als vielmehr Mittel zur Herstellung von und Garantie für eine friedliche Gesellschaftsordnung fungieren. Diese lexikalische Verankerung der Zeitthematik, d.h. der Betrachtung der Gegenwart unmittelbar nach der „schwersten Stunde unserer Geschichte“ (HB 1948 SGp Zeugnisse, ohne Seitenzahl) markiert jene Zäsur zwischen Kriegs-, Vor- und Nachkriegszeit bzw. Hitler- und Friedenszeit, die selbst von den Nationalsozialisten im letzten Kriegsjahr auch als „geschichtliche Wende“ vorangekündigt war.159 Die Beschäftigung mit Zeit, Wendepunkten und Perspektiven erscheint in Owid160 als sprachliches Charakteristikum für den Schulddiskurs der Nichttäter in der Zeit zwischen 1945 und 1955. Dort werden die temporalen Lexeme Zukunft, Zeit, Gegenwart und nie als Stichwörter der Beteiligungsrolle der Nichttäter zugeordnet. Die Kotexte dieser Stichwörter im ZAD zeigen, dass der gesamte Aufbau- und Abbruchdiskurs als metaphorische Ressource zur Bewältigung dieser historischen Krise aufgeschlossen wird. Die Vorkommen sind jedoch nicht allein Ausdruck einer Zeitreflexion der Intelligenz (vgl. http://www.owid.de/artikel/309238, Artikel nie, zuletzt abgerufen am 19.03.2020), da sie für diesen Zeitabschnitt verschiedenen FootingWechseln unterworfen sind. Mit ihnen vermischen sich die nach vorne gerichte-

159 Die Hoffnung auf eine Wende versprach Hitler den Menschen in den letzten Kriegsmonaten: Ein trostloses Jahr des Schreckens ist angebrochen, doch unentwegt wiederholt Hitler: „Die Welt muß wissen, daß dieser Staat niemals kapitulieren wird!“ Das neue Jahr müsse Äußerstes an Mut und Tatkraft fordern, aber es werde zugleich das Jahr geschichtlicher Wende sein. Am Ende dieses Ringens stehe ein glorreicher, in der deutschen Geschichte einmaliger Erfolg, versichert sein Neujahrsbefehl an die Wehrmacht. (MA 1950 SG Walter, 281f.) 160 Das Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch (OWID) ist ein korpusbasiertes lexikografisches Portal des IDS Mannheim, das Bibliografien und Wortartikel zu verschiedenen politischen Diskursen, u.a. dem Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit enthält.

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ten und rückwärts gewandten Stimmen im Diskurs. Dabei wird deutlich, wie sich spezifische Ausdrucksweisen etwa aus Zeitzeugenberichten, aus Reflexionen der integrierten Gesellschaft oder aus NS-Propaganda-Schriften im Gesamtdiskurs verfestigen. Der wohl häufigste Fall für einen Footing-Wechsel oder genauer eine Überlagerung verschiedener „Sprechgründe“ in einer Äußerungseinheit liegt vor, wenn ein Autor (animator) einen anderen (author) zitiert. In (50) gibt der Historiker Walter in seiner Abhandlung einen Pressetext aus der NS-Propaganda-Zeitung „Hakenkreuzbanner“ vom 13. Oktober 1944 wieder, in dem die Siegesgewissheit durch einen Krieg getrübt wird, der als ein leibhaftiges Ungetüm personifiziert und dämonisiert wird (Atem des Krieges) und dem die Menschen wie gegen heranbrausende Wassermassen (Gefahrenflut) standhalten müssen. Der Beleg enthält zudem das für den Sprachgebrauch der Nichttäterrolle typische Adverb nie. In (51) offenbart der Anschluss auf der folgenden Doppelseite, dass Walter auf die personifizierende Atem-Metapher und auf ein den Wassermassen analoges metaphorisches Natur-Konzept zugreift, das Menschen in den Abgrund reißt. (50) Noch nie hat uns in den vergangenen Jahren der Atem des Krieges näher berührt, uns so deutlich zum Bewußtsein gebracht, welche Gefahrenflut gegen den Damm unserer Heimat brandet. (MA 1950 SG Walter, 278) (51) Da ist keiner, der nicht den heißen Atem des Krieges verspürt. Den nicht der dumpfe, kalte Todeshauch des klaffenden Abgrunds umwittert. (MA 1950 SG Walter, 280) (52) Ausgehend von dem Gedanken, die Wirtschaftskraft Paderborns durch einen möglichst starken Ausbau der Garnison zu heben, bewarb man sich um die Verlegung neuer Einheiten in die Stadt. So entstand die riesige Anlage der Kasernenbauten eines Panzerregiments an der Driburger Landstraße. Der Wiederaufbau und Ausbau des 1919/20 zerstörten Fliegerhorstes vernichtete 1934 den prächtigen Stadtwald. Mit der Herstellung einer immer furchtbarer werdenden Kriegsmaschinerie hielt die schicksalhafte Verdichtung der Zukunft gleichen Schritt. Und als im September 1939 der zweite Weltkrieg Wirklichkeit wurde, da hielt auch hier der Herzschlag des Lebens für kurze Zeit inne, denn nun stand der moderne Luftkrieg als gräßliches Schreckgespenst über der Stadt, in der seit dem 2. September 1939 abends und nachts kein Lichtstrahl durch die verdunkelten Fenster fallen durfte. (PB 1951 SGe Kiepke, 145f.)

Die Adverbphrase noch nie besitzt hier in dieser Rückschau eine ganz andere als zeitreflektive Funktion. Sie korreliert mit Metaphoriken, die den Krieg als naturgewaltig und eigengesetzlich fassen, aus seinem heißen Atem tritt fast plastisch ein Metonymie gewordener Feuerdrache hervor. Während Wortverbindungen mit nie (niemals ... als, niemals vorher, nie so ... als, noch nie, wie nie, wie niemals, wie noch nie, wie noch nie zuvor) in den Reflexionen der Nachkriegszeit das Lebensgefühl derjenigen zum Ausdruck bringen, „die das Jahr 1945 als Bruch wahrnehmen“ (vgl. http://www.owid.de/artikel/309238, zuletzt abgerufen am 19.03.2020),

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steckt in dieser Retrospektive das Erleben einer Zuspitzung. Ein Schreckgespenst (52) wütete auf zerstörerische Weise, aber das Territorium, auf dem es sich bewegt, bleibt trotz Abgrund unverändert. Seine Ursachen liegen in einer nebulösen „schicksalhaften Verdichtung“ jener Zukunft, die jetzt zum Zeitpunkt der Textproduktion Vergangenheit ist. Wie bereits das präteritale sollte wird hier das Lexem Zukunft eingesetzt, um aus der imaginierten Vor-Vergangenheit auf die kommende Zerstörung zu schauen, die Ergebnis eines Schicksalsschlags sein wird, dem die Stadt und das Leben in ihr (Herzschlag des Lebens) zum Opfer fällt. In der Konzeptmischung von Autor- und Performatorstimme, wie sie aufgrund der narrativen Stilmittel auch in Gläbes Chronik vorkommt, ist die Wirkung dieser Naturgewalten ein die innere und äußere Wahrnehmung umspannendes Prinzip. Überdies tritt im frühen Teilkorpus des ZAD die Kombination von nie und wieder vermehrt auf, mit der das verhängnisvolle Geschehen zwar als Bruch versprachlicht wird, jedoch mit Kontrast zum Glanze, zur „Schönheit der Lichter“ bzw. zum nackten Leben (32a): (53) „Hier kommst du nie wieder raus“, dachte sie und hatte immer wieder nur diesen Gedanken. Glasscheiben schlugen splitternd auf die Straße. Plötzlich wurde das Haus wie von einem Erdbeben geschüttelt. Das Nebenhaus fiel zusammen. (HB 1955 DOK Gläbe, 115) (32a) So war es am vierten Augustsonntag des Jahres 1939, dem letzten Sonntag, an dem Paderborn erstrahlte im Glanze seiner Lichter. Dann wurde es dunkel. Dunkel für viele lange bange Jahre. Nie wieder sollte der gleiche Anblick dieses abendlichen Stadtbildes den Bewohnern vergönnt sein. (PB 1949 SGe Kiepke, 27)

Komplementär zur Wortverbindung noch nie beschreibt die Adverbphrase nie wieder den Verlust des Gewesenen. Während noch nie als formelhafte Realisierung des Singularitätstopos (meist gepaart mit dem Topos der düsteren Zukunft) in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Krisendiskursen nach 1945 fungiert hat (vgl. Wengeler 2015:54),161 ist der mit nie wieder indizierte Verlust in Beleg (32a) ein wahrgewordenes Menetekel durch den Blick in die zum Erzählzeitpunkt bereits Gegenwart gewordene Zukunft. Zum Sprachgebrauch der Nichttäter passt an dieser Stelle der Einsatz der Hell-Dunkel-Metaphorik zur Darstellung der Angst vor existentiellen Verlusten.162 In der wehmütigen Erinnerung an das im

161 Dieser Topos wird auch mit anderen temporalsemantischen Mitteln umgesetzt, wie z.B. mit dem Lexem Zeit: In mehr als einem halben Jahrtausend sah Roland viel Not und Elend; aber keine Zeit brachte solches Unglück über die Stadt wie die, die im Jahre 1933 begann. (HB 1955 DOK Gläbe, 111). 162 Der Spenderbereich sitzt auf der Tradition der Lichtmetaphorik auf, ist aber zusätzlich durch die ab Kriegsbeginn getroffenen Verdunklungsmaßnahmen motiviert. Dem Schlüsselwort Finsternis sind in Owid auch die Lexeme Verfinsterung, dunkel und Nacht zugeordnet.

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doppelten Wortsinn helle Paderborn, das unwiederbringlich verloren ist, ist der Zerstörungszustand, die tabula rasa ein apokalyptisches Dunkel. Im Nichttäterdiskurs sind mit dieser Metaphorik (das heutige Düster/Dunkel) allerdings auch die zahlreich aufgedeckten Nachkriegszerstörungen angesprochen. Dies jedoch sind kontextuelle Verknüpfungen, die sich in den frühen Dokumenten des ZAD gerade nicht finden. Denn das Wiederaufgebaute erscheint voll und ganz als das Neue, Geheilte und Gesundete (54), das besser Angepasste. Es bietet oft einen nahtlosen Anschluss an ein „gutes Früher“ und gibt Anlass, stolz zu sein, da es Kraft und Opferbereitschaft der Bewohner zum Ausdruck bringt (55–56). (54) Bremen gestern und heute [...] Heilung und Aufbau (HB 1948 SGp Zeugnisse, Überschriften, ohne Seitenangabe) (55) Die großen Verlagshäuser Schöningh, Bonifacius-Druckerei, der Betrieb des Westfälischen Volksblattes und die Junfermannsche Buchdruckerei waren restlos vernichtet. Heute sind diese Betriebe zum Teil wieder aufgebaut, und die Rotationsmaschinen donnern teilweise wieder ihr Lied. (PB 1949 SGe Kiepke, 184) (56) In harter Arbeit und unter zahllosen Opfern hat Bremen diese Schäden ausgebessert. Und wenn heute der Überseehafen – das Herzstück der bremischen Häfen – nach Umschlaggerät und Lagerfläche bis auf geringe Lücken wieder friedensmäßig ausgerüstet ist, wenn weiterhin Schuppen mit einer Bodenfläche bis zu 27000 qm, Speicher von nahezu 40000 qm, Holz- und Kalischuppen, ein großes modernes Kühlhaus und eine technisch vorbildliche Getreideanlage entstanden sind, und wenn endlich in Bremen selbst Neubauten ohne Zahl erstehen, so ist das ein Zeichen des Willens aller Bremer, den Ruf ihrer alten Handelsstadt neu zu begründen. (HB 1948 SGp Zeugnisse, ohne Seitenangabe) (57) Wie in nur wenigen Städten erkannten Rat und Verwaltung aber auch die einmaligen städtebaulichen Möglichkeiten, die ihnen die nahezu völlige Zerstörung der Innenstadt bot. Die rechtzeitig aufgestellte maßvolle und doch großzügige Planung und die darauf aufgebaute heute abgeschlossene Umlegung schufen die Voraussetzungen dafür, daß der Wiederaufbau der Innenstadt von Anfang an planvoll und zügig erfolgen konnte. (PB 1955 DOK Schmidt, 66f.)

Auf die in (51) mit Bremen gestern und heute überschriebene Doppelseite folgt eine weitere Doppelseite mit der Überschrift Heilung und Aufbau. Die Aufbauarchitektur – so der Eindruck – heilt die Wunden des Stadtkörpers. Was geheilt werden muss, erscheint in diesem Kontext weniger im Rahmen der Scham für den verlorenen Krieg oder für die Ermordung von Millionen Menschen, die vom Unrechtsregime im eigenen Land ausging, sondern eher noch im Rahmen einer Scham, die von den Folgen eines demütigenden demoralisierenden Luftkriegs verursacht wurde, der wiederum – soweit man das sagen kann – aus Sicht der Alliierten entnazifizierend und damit eigentlich „heilsam“ wirken sollte. Eine Anknüpfung an das demütigende Erlebnis des Ausgebombtwerdens bietet auch die metaphorische Formulierung des Liederdonnerns (55). Das der Realität geschuldete abschwächende Adverbial teilweise wird geradezu „über-

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tönt“ von den donnernden Liedern und dem zweimaligen Adverbvorkommen von wieder, das die Herstellung eines früheren Zustands verspricht. Die Maschinen beantworten das furchtbare Donnern der Bombeneinschläge mit den wohltönenden Zeichen ihrer Leistungsfähigkeit, die in einem weiteren kulturellen Sinn für die elaborierte Produktion (analog zur Komposition in der Musik) steht.163 Wenn das Heute eingetrübt ist, dann weil es mit Blick in die Zukunft (der Waffentechnik) an der Schwelle des heraufziehenden Atomzeitalters liegt (49). Die poetisierende Reihung faktiver und gleichzeitig prognostizierender wennSätze in (56), die vom Faktiven ausgehend (wenn die Aufbauarbeit voranschreitet wie bisher) eine goldene Zukunft voraussagen, konstituieren über das konditionale Muster einen Zusammenhang zwischen dem neu erschaffenen Herzstück im Heute und dem Zeichen des Willens aller Bremer. Schließlich verweist in (57) das deiktische Adverbattribut heute auf die Voraussetzung für einen schnellen Wiederaufbau (die darauf aufgebaute heute abgeschlossene Umlegung). Das Bedingungsgefüge erzeugt den Eindruck einer „durchdachten“ Lösung, die nicht von ihren Alternativen, sondern von der Chance und Aufgabe her präsentiert wird, die die Zerstörung den Bremern bietet, nämlich den Ruf ihrer alten Handelsstadt neu zu begründen (56). Als Zeichen einer sicheren Zukunft wird steingewordene Heilung erhofft, Lösungen, die das Stadtbild schöner machen und einen „alten Reiz“ wiederherstellen (58). Sie sollen endgültig sein (59), wie Pichler mit dem auch für NS-Propagandazwecke eingesetzten Adjektiv beschreibt, das durch den ersten Bestandteil end- einen anvisierten Idealzustand bezeichnet. Dieser erinnert in der NP endgültige Lösung rhetorisch an die Endlösung des NS-Regimes. Die programmatische Ermordung der jüdischen Bevölkerung während des Nationalsozialismus wurde seit 1941 durch die neutral wirkende Bezeichnung Endlösung der Judenfrage verschleiert.164

163 Zwei Fundstellen aus späteren Publikationen belegen diese semantische Kollokation: Da, gegen 1 Uhr ein furchtbares Krachen und Donnern! Feindliche Jäger beschossen Twistringen. (HB 1989 DOK Focke, 125) Unberechenbar, oft mehrmals am Tag (...), dröhnen die Flugzeuge, sirren die Sprengbomben, donnern die Einschläge, prasseln Splitter und Trümmer. Die Strategie und die Technik der Angreifer steigern ihre Effizienz im infernalischen Ausmaß. (MA 2003 SGp Keller, 8) 164 In einer Diskussion der verschiedenen Begrifflichkeiten für den Genozid an den europäischen Juden im Nationalsozialismus stellt von Glasenapp (2006:128) fest, dass das Syntagma Endlösung der Judenfrage seit 1945 nur noch in Anführungszeichen und in solchen Kontexten verwendet wird, die die Verbindung zu den nationalsozialistischen Verbrechen kenntlich machen. Die „antijüdische(n) Ausgrenzungs- und Verfolgungsstrategie“ (Lüdicke 2016: 113) wurde nicht erst seit der Wannsee-Konferenz (20. Januar 1942) so genannt, sondern kam bereits in einer

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(58) Der alte Reiz der Paderquellen wird in Zukunft durch die Freilegung dieses Gebietes um so größer und schöner werden. (PB 1949 SGe Kiepke, 190) (59) Es ist eine Aufgabe der Zukunft, auch hier eine endgültige Lösung zu finden. (MA 1955 BIB Pichler, 24)

Die zeitliche Kontextualisierung durch Zeitwörter wie Gegenwart und Zukunft, wieder und nie, die auf den ersten Blick für den Nichttäterdiskurs der frühen Nachkriegszeit signifikant zu sein scheint, verbindet sich mit einer modalgrammatischen Gestaltung, die einen zweckorientierten Zukunftsbegriff am Leitfaden städtebaulicher Erfordernisse prozessiert. Zerstörung wird zur Chance, das Gebotene, Erforderliche, Gewünschte im Hier und Jetzt umzusetzen. Diese Verpflichtung gegenüber den überhistorischen Zwecken ist weder konnotativ noch geht sie aus der Funktion des Grammatischen direkt hervor: Sie entsteht im Netzwerk des ZAD – hier nachgewiesen zunächst für diese erste Phase der Vergangenheitspolitik –, d.h. aus einem K-Profil heraus, das als Entfaltungsweise eines grammatischen Potenzials beschreibbar ist. Der Mehrwert der diskursgrammatischen Methodologie für die Diskursanalyse liegt in der Identifikation der K-Profile, in denen diese diskursspezifischen (verbal-)grammatischen Formen (PVM-Komplexe) auftreten. Dazu gehören für die frühe Nachkriegszeit die Dunkelmetaphern, die Zeitwörter(cluster) sowie die Übernahme (mäßig oder implizit) belasteter Wörter (endgültig, ausmerzen). In der diskursgrammatischen Auswertung bildet eine solche sprachliche Gestalt(ung) als Bündel zentraler Kontextualisierungsmerkmale den Knotenpunkt des K-Profils. Ähnlich wie im Rahmen lexikografischer Interessen wird so deutlich, wie spezifische semantische Aspekte von Wörtern in Wortverbindungen und sprachlichen Umfeldern für Deutungsmuster in Dienst genommen werden. Als erstes Ergebnis zu den aufscheinenden K-Profilen lässt sich festhalten, dass weder rein transformative (Wende) noch rein telische (Ende/Anfang) Deutungsweisen des Kriegsendes vorherrschen, sondern beide vermischt sind. So entsteht der Eindruck als würde ein Abschnitt der Geschichte durch einen Vorhang geschlossen, der sich alsbald wie von Geisterhand wieder öffnet, um vor einer neuen Kulisse neue, modernere, glänzendere Stoffe zu präsentieren – eine Wandlung, für die die Komplettzerstörung nachträglich als Vorbedingung erscheint. Diesen Neuanfang markiert nicht zuletzt auch die Adjektivform neuen, die in Genitiv-NPen attributiv und in Präpositionalphrasen rekurrent auftritt, meist mit Bezugsnomen aus dem Bereich der Architektur (der neuen Bebauung,

unter Historikern viel diskutieren Denkschrift von Theodor Dannecker zum Ausdruck, in der es heißt, dass die Judenfrage nach dem Krieg „einer endgültigen Lösung zugeführt werden“ soll (zitiert nach Lüdicke 2016:113).

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des neuen Rathauses, der neuen Innenstadt) sowie aus dem Bereich des gesellschaftlichen Lebens (für einen neuen Anfang, zu neuen Daseinsmöglichkeiten, des neuen Lebens). Schließlich empfiehlt der erste Nachkriegsbürgermeister Paderborns Christoph Tölle in einem Vorwort zur Publikation des Augenzeugen Kiepke den Weg zu neuer (geschichtlicher) Erkenntnis (50). Es ist in Paderborn ein Anschluss an das Alte, ein historisch bedeutsames Erscheinungsbild, das durch Trübung hässlich geworden ist und nun wieder voll zur Geltung kommen soll und kann (60–61). Hier findet sich wie in (40) die belastete Vokabel ausmerzen nun in einem moralischen Sinne, es sind die Bausünden der Vergangenheit, von denen man die Stadt befreien möchte. In Bremen wirkt das Alte wiederum eher verschüttet, ohne dass diese Schlüsselvokabel des Nichttäterdiskurses ausdrucksseitig erscheint. Sie begründet jedoch die kommunikative Aufgabe eines Stadtführers, die der Autor Gläbe aus der städtischen Innensicht (in unserem alten Bremen) vollzieht (62). Und in Mannheim ist es der alte(n) Stil, mit dem die Wiederherstellung des Wertvollen als gelungene Aufgabe des Wiederaufbaus betrachtet wird (63). (60) So wurde die Gelegenheit, alte Bausünden der Vergangenheit auszumerzen und der Stadt ein Gepräge zu geben, das auch in Zukunft Leben und Wirken ermöglicht, ausgenutzt (PB 1949 SGe Kiepke, ohne Seitenangabe, Vorwort) (61) Daß wir uns aber zur Mitverantwortung aufgerufen fühlen, damit aus unseren zerstörten Kirchen und kulturgeschichtlichen Bauten, aus dem Schutt des wunderlichen Dächergewirrs unserer einst liebevoll umhegten Fachwerkhäuser, aus dem Opfertod unserer vielen Mitmenschen ein Mahnmal werde und ein Weg zu neuer geschichtlicher Erkenntnis, dazu möge dieses Buch beitragen. (PB 1949 SGe Kiepke, 202) (62) Aber vieles von dem, was in unserem alten Bremen war und ist, wann und wie es entstand, warum es so und nicht anders wurde, kennt und wißt Ihr kaum (HB 1955 STF Gläbe, ohne Seitenangabe, Vorwort) (63) Das kunsthistorisch wertvolle Gebäude wurde kurz vor Kriegsende durch Luftangriff weitgehend zerstört, darnach aber im alten Stil wiederhergestellt. (MA 1955 BIB Pichler, 264)

Aus diesen Kontexten geht die Zerstörung als Gelegenheit (60) für das Leben und Wirken der Zukunft hervor, in der auch der als Opfertod bezeichnete Tod der Bombenopfer nicht mehr länger sinnlos erscheint (61),165 als (nicht mehr sichtbare) Erfahrung eines unwiederbringlichen Verlusts (62) und als etwas, das durch einen originalgetreuen Wiederaufbau so gut wie möglich kompensiert worden ist (63).166 Im Ergebnisteil werden die Befunde für diese erste erinnerungskulturelle

165 Auch Hitler bezeichnete den sinnlosen Tod von Soldaten im Zweiten Weltkrieg als „Opfertod“ für die Idee des Nationalsozialismus. 166 In genanntem Vorwort konstatiert Tölle mit einem durch seine atelisch-prozessuale Akti-

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Phase des ZAD am Leitfaden des zentralen Zeitworts Zukunft visualisiert (vgl. Kap. 7.1). 6.1.4.2 Phase 2 (1958–1985) Das Neue wird in dieser Reflexionsphase der Erinnerungskultur 1958–1985 in Bezug zur gesellschaftlichen Ordnung gesetzt und tritt gehäuft in Zitatkontexten auf. Es werden Kontraste gebildet zwischen neu und wiederhergestellt (64), neu und belastet (65) und auch zwischen dem Neubau vor dem Hintergrund älterer Grundstücksrechte (66). (64) Auf der Tagesordnung stand nun die Schaffung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung, die es den Faschisten und ihren großkapitalistischen Hintermännern niemals wieder gestatten sollte, Unheil über das deutsche Volk zu verbreiten. „Der Aufbau einer neuen Ordnung darf kein ‚Wiederaufbau‘ sein, kein Wiederaufbau dessen, was vergangen ist, was von der Geschichte mit harter Hand hinweggefegt wurde!“ (HB 1978 DOK Dresses, 3) (65) Die Angehörigen der „neuen“ Organisationen wurden dagegen zwar häufig zurückgestellt, kommen jedoch erfahrungsgemäß als Angehörige „belasteter“ Organisationen für eine Befragung kaum in Betracht. (MA 1971 SGe Fliedner, 26) (66) „Die Schaffung einer notwendigen Voraussetzung, die korrekterweise ebenfalls erledigt werden muß, ehe es an die Ausführung des Neuen gehen kann.“ (HB 1965 DOK Beidatsch, 14)

Die Ablehnung des Wiederaufbaus im Sinne einer Wiederherstellung historischer Bauwerke durchzieht den Bremer Aufbaudiskurs von Anfang an durch das zentrale Organ der Bremer Aufbauzeitung Der Aufbau, aus deren Einleitung die zitierte Forderung in (64) stammt. In ihr scheint die Deutung des Kriegsendes als Befreiung auf. Die Konfliktlinien, die im Zuge einer korpuspragmatischen Methodologie anhand der Auswertung der Kotexte und der kookkurierenden Lexeme adversativer Konnektoren wie aber, doch und jedoch aufgezeigt werden,167 erhalten in dieser Phase der Kritik der Vergangenheitsbewältigung eine besondere Ausprägung. So ist die Schlüsselposition von jedoch gerade darauf zurückzuführen, dass sich zwischenzeitlich Gegenstände der kritischen Reflexion etabliert haben. Damit sind zwei Zeitebenen aufgerufen: ein „blindes“ Früher und

onsart ungewöhnlich wirkenden Zerstörungslexem zergehen (vgl. Kap. 3.3): Was in der Stadt im Jahre 1945 zerging, ist unwiederbringlich. (PB 1949 SGe Kiepke, ohne Seitenangabe, Vorwort). 167 Vgl. Felder 2012, der jedoch eine Verknüpfungsleistung zwischen zwei Sachverhalten nur den konzessiven Konnektoren zuspricht, nicht aber den adversativen (S. 153ff.). Adversative Konnektoren tendieren regelmäßig zur konzessiven Lesart. Sie können überdies neben der Herstellung von Kontrast auch einen Hintergrund etablieren, vor dem eine gegenwärtige Situation ein Profil gewinnt (z.B. eine Rekonstruktion mit Konzessionen an moderne Baustile).

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ein „aufgeklärtes“ Heute. Diese „Einsicht“ wird insbesondere für solche Themen suggeriert, die für die Verarbeitung der NS-Katastrophe unmittelbar symbolisch werden. Passend zur Funktion der aktuellen Relevanzmarkierung lässt sich die Temporaldeixis heute als Kollokator des adversativen Konnektors jedoch bestätigen, der im Vergleich zur ersten Phase als Schlüsselwort in Erscheinung tritt (vgl. Tab. 8). Er beruht semantisch nicht auf einer reinen Kontrastrelation wie aber; er fügt vielmehr dem ersten Konjunkt eine Einschränkung hinzu (vgl. Zifonun et al. 1997: 2412). Mit der Explikation einschränkender Aspekte vollzieht sich eine kritische Haltung gegenüber verschiedenen Themen, die sich in der Auswertung der 83 Kotexte mit konnektintegriertem jedoch manifestieren (im Mittelfeld oder in Nacherstposition). Zu den größeren Reflexionsanlässen gehören z.B. das Vorgehen der Militärregierung in Bremen, die mit dem Entnazifizierungsprogramm auf Schwierigkeiten stieß (67, 68) sowie die Begründung für den späten großen Bombenangriff auf Paderborn in den letzten Kriegsmonaten (69). (67) Durch das „Befreiungsgesetz“ vom Frühjahr 1946 bekam die Entnazifizierung den Charakter eines inquisitorischen Reinigungsprozesses, dem sich die gesamte erwachsene Bevölkerung unterziehen mußte. Das letztendliche Resultat war jedoch nicht die Ausschaltung der Funktionsträger des faschistischen Systems in Staat und Wirtschaft, sondern lediglich die zeitweise soziale Degradierung einer großen Zahl mehr oder weniger stark Belasteter. (HB 1976 SGe Brandt, 68) (68) Die in die Städte einrückenden alliierten Soldaten wurden von jungen Offizieren begleitet, die mit Hilfe dieser weißen Listen Kontakte zu Hitler-Gegnern aufnahmen und mit ihnen erste Vorbereitungen für eine politische Neuordnung vorantrieben. Bei der „Beseitigung des Nazismus und des Militarismus“ stießen sie jedoch zusehends auf Schwierigkeiten. (HB 1985 SGe Wollenberg, 5) (69) Fragt man nach der Verantwortlichkeit für all dieses Elend und diese Zerstörung, so ist diese nach Meinung des Kriegschronisten bei denjenigen zu suchen, die Paderborn zur Festung erklärt haben sollen, um den Vormarsch der Amerikaner aufzuhalten. Vom heutigen Standpunkt läßt sich dieses jedoch folgendermaßen erklären: Paderborn wurde in den letzten Kriegswochen deswegen so schwer bombardiert, weil sich dort zwei aus dem Münsterland bzw. Sauerland vorrückende amerikanische Armeen vereinigen und auf diese Weise die im Ruhrgebiet befindliche deutsche Heeresgruppe einschließen sollten. (PB 1980 SGe Claus, 46)

Anders als im Nichttäterdiskurs der frühen Nachkriegszeit (vgl. Kämper 2005:501f.) gebraucht der Historiker Brandt in (67) den Begriff Reinigung in Verbindung mit dem anklagenden Attribut inquisitorisch als Kritik gegen Entnazifizierungsmaßnahmen. Dies mag als Abwehrbewegung gegen den Vorwurf der Kollektivschuld angesehen werden. In der signifikanten Verbindung mit dem Negator nicht stellt jedoch durchaus einen harten Kontrast her zwischen dem, was gewollt und dem, was erreicht worden ist. In der Bezeichnung derjenigen, die das Gesetz sozial degradiert, als mehr oder weniger stark Belastete(r) entsteht ein

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von Nichttäterseite konstruierter Abstand zu den wirklich Schuldigen, von denen sich die Masse der Deutschen abhebt (vgl. Kämper 2005:503ff.). In der harschen Kritik am Befreiungsgesetz kommt eine Distanz des Autors zu den typischen Sprachmustern des Nichttäterdiskurses zum Ausdruck. Dies setzt sich in der eher unreflektierten Übertragung einer Programmbezeichnung aus der NS-Zeit auf die Zielsetzung der alliierten Entnazifizierung fort. Das Syntagma Ausschaltung der Funktionsträger des faschistischen Systems in Staat und Wirtschaft enthält Anklänge an die Bezeichnung Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, die u.a. in NS-Lageberichten die „Verdrängung der Juden aus allen Erwerbsmöglichkeiten“ (Schmitz-Berning 2007:82) bezeichnet hat. Der Historiker und Pädagoge Wollenberg stellt die Probleme der Entnazifizierungsmaßnahmen differenzierter dar (68). Die Schwierigkeiten, geeignete Personen für politische Posten zu finden, von denen er kritisch berichtet, gingen offenbar mit peinlich genauen Befragungen zur Erfassung des Belastungsgrads einher. Zusammen mit der Wertung Schwierigkeiten kontextualisiert in (68) der Konnektor jedoch die zeittypische kritische Betrachtung. Schließlich bringt der Ausschnitt von Claus in (69) die für Paderborn virulente Frage nach den Gründen der späten Bombardierung in den Diskurs ein. Wie bei den beiden anderen Belegen im Mittelfeld platziert befindet sich der Konnektor bezogen auf den weiteren Kotext in einer Scharnierfunktion. Das Korrigierte wird mit temporaldeiktischer Relevanz versehen: Der heutige Standpunkt entlarvt die vormals kolportierte Provokation der Paderborner, die die Stadt zur Festung erklärt haben sollen, als Gerücht. Die Quelle wird mit quotativem sollen distanziert aus dritter Hand zitiert. Die Erzählung von der Wehrhaftigkeit der Paderborner in ihrer Festung wirkt neutral berichtend und doch rührend, sie wird konterkariert durch die neueren Erkenntnisse über die Kesselschließung des amerikanischen Militärs im Ruhrgebiet, die die Zerstörung in gewisser Weise als planvoll ausweisen. Im Übrigen wird auch das alleinige Motiv des moral bombing für Paderborn zugunsten der Erklärung zurückgewiesen, dass mit dem Bombardement Paderborns eine Unterbrechung der Nachschublinien erreicht werden sollte (vgl. PB Westhoff 2008 SGe, 22f.). Ein weiteres zentrales Thema, ebenfalls indexikalisiert mit dem adversativen Konnektor jedoch, ist der (Wieder-)Aufbau verbunden mit Bewertungen und Lösungsansätzen z.B. für die Wohnraumnot oder das gesteigerte Verkehrsaufkommen. Hierbei sind Spuren jener Verdrängungsstrategie erkennbar, die Mitscherlich/Mitscherlich (1987) als Unfähigkeit zu trauern bezeichnet haben und deren Symptome Pohl (2016) u.a. in einer manischen Wiederaufbau-Tätigkeit erkennt. So tritt in (70) der Verlust urbaner Infrastruktur gegenüber Flucht und Tod der Bremer Bevölkerung in den Vordergrund, denn mit den Gestorbenen sei jedoch der Verlust an Wohnraum keineswegs ausgeglichen. Das Leid der Menschen verschiebt sich auf die architektonischen „Wunden“, die der Aufbau heilt, indem

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er der Stadt den Anschluss an die moderne Welt der Mobilität eröffnet und indem er zugleich baulich an historische Traditionen anknüpft. Die programmatische Entscheidung Bewahren oder Modernisieren erweist sich als strittiger Punkt, was vor allem dadurch sichtbar wird, dass der rasche Wiederaufbau in dieser zweiten erinnerungskulturellen Phase mit all seinen Nachteilen beschrieben wird. Anlass boten die zahlreichen Umsetzungen von Bauprojekten unter Berücksichtigung der Leitlinien der verkehrsgerechten Stadt in allen drei Städten. Der Moloch Verkehr (71) oder das gestörte Idyll eines historischen Bildstocks (72), der heute von einer Hauptverkehrsstraße flankiert ist, wie auf der Fotografie zu sehen ist, sind in Propositionen untergebracht, die informationsstrukturell das Nachteilige besonders stark gewichten. Denn das mit jedoch eingeleitete interne Konnekt enthält stets die gewichtigere Proposition (vgl. Breindl 2014:948). (70) In Bremen hatte sich im Krieg die Bevölkerung um ca. ein Drittel auf 292000 vermindert, damit war jedoch der Verlust an Wohnraum keineswegs ausgeglichen. Allein bis März 1946 wurden 22000 Flüchtlinge angesiedelt,Fn und durch das Hineinströmen von Evakuierten und Kriegsheimkehrern schwoll die Einwohnerzahl bis Ende August 1946 auf 382000 an. (HB 1976 SGe Brandt, 88) (71) Diese Planungsidee ist durch die erfolgte Bebauung weitgehend realisiert. Rückblickend muß jedoch festgestellt werden, daß der Moloch Verkehr einige Konzessionen abgefordert hat, aufgrund von Anforderungen, die zur Zeit der Planung in den Jahren 1952– 1954 nicht zu übersehen waren. (HB 1965 DOK Beidatsch, 11) (72) Verändert hat sich jedoch die Umgebung: Die so beschaulich wirkende Anlage liegt heute an einer geräuschvollen Hauptverkehrsstraße. (PB 1983 BIB Dressler, 57, Bildlegende)

Die modernisierungskritische Personifizierung des Verkehrs durch die verschlingende Macht eines Molochs zeigt den einst so erstrebenswerten Zweck als monströses Subjekt, das mit schreckenerregender Fratze in den Lebensraum zurückkehrt. In ihm verkörpern sich die Inhalte der Verdrängung, d.h. Zustimmung zur gewaltsamen Expansion des nationalsozialistischen Regimes, aber auch die Verantwortlichkeit für die Zwecke. Nicht zuletzt wird Mobilität als Ausdruck moderner individualisierter und flexibilisierter Lebensart zunehmend angreifbar. Häufig tritt der Konnektor jedoch in die passivische Modalverbkonstruktion ein, die von der ersten Phase der Erinnerungskultur als prägendes grammatisches Muster in die anderen Phasen übergeht und sich als Kern des K-Profils etabliert (vgl. Kap. 7). Auf Formulierungsebene wird das verbalgrammatische Muster in (71) mit dem Modalverb müssen verwendet (muß jedoch festgestellt werden), um inhaltlich das, was mithilfe dieses Musters unter Verwendung von konnte und sollte in der ersten Phase als Sinn der Aufbautätigkeit genannt wurde, zum Gegenstand der Kritik an den einschneidenden Veränderungen der Nachkriegszeit zu machen. Dabei bleibt es nicht bei der ästhetischen Abwertung. Das neue

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Erscheinungsbild der für den Verkehr optimierten Städte wird nicht einfach als kalt und hässlich deklariert und deästhetisiert. Es gerät vielmehr zum Schibboleth eines sehr viel gravierenderen Identitätsverlusts, einem „Gesichtsverlust“ der Städte (73). Somit ist tatsächlich die Abwertung der frühen Aufbaukriterien für diese zweite Phase der Erinnerungskultur prägend. Dies gilt allerdings uneingeschränkt nur für die TK der Städte Paderborn und Bremen, aus denen die Belege (70)–(72) stammen. Zumindest ist hierfür im Mannheim-Korpus nicht der Konnektor jedoch verantwortlich. Dieser tritt marginal auf. Eine Suche nach verwandten adversativ-konzessiven Konnektoren wie doch oder aber in ähnlicher Verwendung im Mittelfeld ergibt allerdings durchaus Treffer im Wiederaufbaukontext. In (73) wird inhaltlich ein etwas anderes Bild vom Ergebnis der Aufbaumaßnahmen gezeichnet: eine Harmonisierung der Gegensätze aus Barockem und Funktionalisiertem, ein stimmiges Zugleich des Ungleichzeitigen. (73) Das Gesicht Mannheims Modernes verbindet sich mit Altem zum Mannheim heute. Ein Adelspalais im barocken Gelb zum Beispiel, heute Sitz einer Bank mit zeitgemäß-funktionaler Inneneinrichtung. Oder das Kongreßzentrum Rosengarten, harmonische Verbindung des Gewachsenen mit neuester technischer Ausstattung, Einheit von liebenswerter Jugendstilfassade aus warmrotem Neckartalsandstein und zeitloser Sachlichkeit in Glas, Stahl und Stein. Ausdruck wie Sehnsucht unserer Zeit, Hinwendung zur menschlichen Stadt: geglückte fußgängerfreundliche Bereiche mit braunen Holzbänken, Blumenkübeln, schattigen Bäumen, geheimnisvollen Plastiken und rätselhaften Brunnen. Häuser, durch getreue Renovierung ihrer Fassaden zum Erzählen aus früherer Zeit gebracht. Stark hat sich das Gesicht der Stadt im vorigen Jahrzehnt gewandelt. Nicht immer glatt und schön, aber offen und wahrhaft, freundlich, heiter und jugendlich. Für den Mannheimer ist es das Gesicht seiner Heimat, solange er den Wasserturm sieht, Mannheims Wahrzeichen, im römisch-triumphalen Stil erbaut, zerbombt und wiederaufgebaut, belächelt und geliebt, 300 000fach. (MA 1984 STF Büscher, 7) (74) Nein, die Erklärung dieser Nachkriegs-Aktivität korrigiert keinen Fehler, der dabei entstanden ist, sie schafft keine falsche Planung aus der Welt (auch aus Paderborn nicht), nicht einmal ist es möglich, die Richtung, die damals für die „neue Stadt“ eingeschlagen wurde, radikal zu ändern. Das macht Kritik zwar nicht stumm, erst recht nicht überflüssig – nur wäre es nicht fair, zöge man die Moral der Großväter in Zweifel und ihr Können. Sie waren vielleicht besserwisserisch und unbelehrbar, handelten voreilig, vordergründig und mit ideologisch getrübter Naivität – liederlich jedoch oder böse oder dumm waren sie nicht, als sie darangingen, die kaputte Stadt zu flicken und ihr wieder ein Gesicht zu geben, eins, das in vielen Partien neu ist und in viel zu wenigen die alten Züge erkennen, zumindest ahnen läßt. Wer in den Bildern dieses Buchs blättert, wird der gleichen Neugier erliegen wie der Betrachter eines Gesichts, aus dem – durch Frisur und Make up – „das Beste gemacht“, oder eines Menschen, dem durch eine kosmetische Operation Häßlichkeit genommen und Schönheit zugefügt worden ist. Städte sind, da sie von Menschen gemacht, bewohnt und benutzt werden, selber wie Wesen. (PB 1983 BIB Dressler, 8f.)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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In (74) überlässt Dressler die Einleitung zu seinem Paderborner Bildband dem Hamburger Architekturkritiker Manfred Sack, der in sein Essay mit einem populären Vergleich der Stadt mit einer schönen Frau einsteigt.168 Wie die Rubrik der Typberatung in Frauenzeitschriften, die mit Vorher-/Nachher-Bildern Ratschläge zur Verschönerung des Äußeren erteilt, so bietet auch der Bildband vom wiederaufgebauten Paderborn Vergleiche zwischen dem Vorkriegs- und dem Nachkriegszustand zentraler Paderborner Bauten und Plätze an. Der Vergleich in (74) wirbt dafür, die Bilder so zu betrachten, als haben Frisur und Make up das Beste aus dem Modell gemacht, oder wie es heißt, durch eine kosmetische Operation Häßlichkeit genommen und Schönheit zugefügt.169 Dieser mildtätige Duktus des Werbens rügt zaghaft die Fehler all derjenigen, die, besserwisserisch und unbelehrbar, sich der Aufgabe des Aufbaus voreilig, vordergründig und mit ideologisch getrübter Naivität angenommen haben. Die Verantwortlichen des Paderborner Aufbaus werden mit moralischen Kategorien belegt, wie sie eigentlich besser auf die Schuldigen des NS-Regimes zutreffen würden. In dieser Verschiebung werden „Aufbau-Verbrechen“ großzügig verziehen, auch wenn sie die heutigen Bewohner städtischen Torturen aussetzen in Form eines feuermetaphorischen Fanal(s) zur modern und gesund gegliederten Stadt. Auch in dieser Metapher findet sich ein Kennzeichen der Verschiebung in der (moralischen) Bewertung von der Kriegszur Nachkriegszerstörung. Die ganze Hilflosigkeit, mit der nach Kriegsende darum gerungen wurde, das seelische Geschehen und Temperament der Akteure zu beschreiben, charakterisiert das Handeln der Aufbau-Verantwortlichen gerade

168 Löw, die in der Untersuchung von Stadtimages die Gendercodierung „Liebe“ für München und „Sex“ für Berlin nachweist, unterscheidet neben der Sexualisierung der Stadt als erotische femme fatal und als verschlingende Hure, die beide die Warnung vor Kontrollverlust transportieren, „die Idee von der Stadt als Mutter“, die „vor allem in Phasen der Neugründung und des Wiederaufbaus aktualisiert wird.“ (Löw 2010:205). Die von Sack behandelte Schönheit lässt sich wohl beiden Frauentypen gleichermaßen idealisierend zuschreiben. 169 In folgendem Abschnitt wird der verschobene Täterbegriff durch die Personenbezeichnung Aufbautäter explizit: Tadel für die Aufbautäter? Nicht so heftig: Sie haben, durch die Umstände zur Eile getrieben, mehr an den Schutz ihrer, unserer nackten Existenz gedacht als an die Kleider der Zukunft. Sie haben so sorgfältig gehandelt, wie es ihnen möglich zu sein schien, und mit optischem Starrsinn und in gutem Glauben viele Irrtümer begangen. Indem sie alte Fehler der Geschichte korrigierten – einfacher: die wirklichen und die vermeintlichen Fehler ihrer Vorgänger –, machten sie im Handumdrehen neue. Zum Beispiel ahnten sie, kaum daß die Benommenheit der Zerstörung gewichen war, den technischen Aufschwung, hatten sie die jubelnde Begrüßung im Ohr, wie sie etwa Le Corbusier dem Auto entboten hatte. Auch die Charta von Athen hatten sie im Kopf, das in den dreißiger Jahren formulierte Fanal zur modern und gesund gegliederten Stadt. (PB 1983 BIB Dressler, 8)

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 Korpusanalysen

auch in jener Proposition, die in Verbindung mit jedoch negiert ist, und die mit der Negation der charakterlichen Attribute viele Vorurteile aufruft: (L)iederlich, böse und dumm sollen die Väter des Aufbaus nicht gewesen sein. Um wen aber geht es hier und um wessen Taten? In der Nacherstposition hebt der Konnektor jedoch das Adjektiv liederlich hervor, sein Skopus erfasst wohl aber auch die beiden anderen Adjektive. Moralisierende Kategorien werden von den Verantwortlichen für nationalsozialistische Verbrechen auf die Verantwortlichen des Wiederaufbaus verschoben. Dieser Abschnitt des ZAD-Diskurses hat damit die Wirkung, das Sprechen über Taten von NS-Tätern zu erschweren, indem er die Beschreibung für „Taten“ vokabularisch in Deckung bringt. Für das weniger gebräuchliche Adjektiv liederlich lassen sich in Cosmas kollokative Bindekräfte zum Nomen Umgang nachweisen. Im Kotext befindet sich auch das Präpositionalattribut mit der Wahrheit als häufigste rechtsseitige Clusterbildung. Zu dieser Wahrheitsmoral gesellt sich die Personenbezeichnung Aufbautäter, die von Sack durch eine verräterische Beschwichtigung (nicht so heftig) als nicht treffend eingeschätzt wird. Stattdessen wirbt der Autor für Verständnis (Sanftmut und Nachsicht) angesichts des enormen Ausmaßes der Zerstörung durch de(n) furchtbarste(n) aller Kriege, der naturgewaltig wütete.170 Diese Trümmerbilder seien verschüttet unter neuem Wohlergehen. Sie markieren tatsächlich auch für den Bildband eine Leerstelle, die beim Vergleich der Fotografien aus den Jahren 1937–38 und 1979–83 zu füllen ist. Nur noch anhand der Zahl der Neubauten kann das Ausmaß der Zerstörung nachträglich rekonstruiert werden. Auch wenn hier ein Außenstehender kommentiert, sei darauf verwiesen, dass die Kritik am Wiederaufbau ein typischer Duktus ist, mit dem der Vergleich fotografischer Ansichten vom alten und neuen Paderborn begleitet wird. So resümiert auch Vogt in seinem Bildband 2002 in nostalgischer Anrufung seiner Heimatstadt: (75) Mit einem Blick von 1937, 1981 und 2002 vom Turm der Herz-Jesu-Kirche auf eine alte Stadt endet die Spurensuche. Fazit: Paderborn – wie hast du dich verändert! (PB 2002 BIB Vogt, 115)

Während die Aufklärung über baukulturelle Entscheidungen und die Sensibilisierung für die städtebauliche Vielfalt in Paderborn erst in jüngerer Zeit einsetzen

170 Die Narrativierung dieser Geschehenperspektive, der die Stadt ausgesetzt ist, wird in dieser Passage durch die kommunikative Formel „ehe man sich’s versah“ verstärkt: Doch dann wütete der furchtbarste aller Kriege, und als er – weit weg von hier, wie es schien – endlich zu Ende ging, wurden zwischen Januar und März 1945, während nur zweier Monate, Bomben auf sie geworfen. Ehe man sich‘s versah, war die geschichtsreiche Stadt zu achtzig Prozent zerstört. (PB 1983 BIB Dressler, 7f.)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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(z.B. durch den Baukultur-Atlas von 2014), wird die Wandlung des Innenstadtbereichs durch den Wiederaufbau in Mannheim bereits in den 1980er Jahren ganz anders bewertet. Dort wurden nicht im Entferntesten die Menschen auf dem Weg zur menschlichen Stadt immer größeren städtischen Torturen ausgesetzt, vielmehr zeigen die im gegliederten Städtebau entstandenen Räume wie in (73) beschrieben eine Hinwendung zur menschlichen Stadt als Ausdruck der Sehnsucht unserer Zeit mit geglückte(n) fußgängerfreundliche(n) Bereiche(n). Der Schlüsselsatz aus diesem Stadtführer enthält die Kombination aus dem Städtenamen Mannheim und temporaldeiktischem heute: Modernes verbindet sich mit Altem zum Mannheim heute. Dass der Aufbau in Mannheim keine Heilung verspricht, sondern gestalterisch und identitätsbildend etwas Neues und Funktionales sichtbar umgesetzt hat, drückt der Konnektor aber in Nacherstposition zur Profilierung der NP der neue Stadtteil Vogelstang aus. Unter dem Skopus der Gegensatzrelation stehen auch die genannten Wiederaufbauten (Wohntürme und Terrassenhäuser am Neckar, Rheinbrücke, Sakralbauten, der neue Stadtteil Vogelstang), deren Motivation (Ausdruck des Wiederaufbauwillens) sowie deren Voraussetzung (so schwer getroffenen Stadt) ausdrucksseitig offen zutage treten. Was aber an dieser Stelle leistet, lässt sich als Fokusumlenkung fassen, mit der die IDS-Grammatik die epistemisch präsuppositive Semantik von aber beschreibt (vgl. Zifonun et al. 1997:2403). In diesem Fall wird mit aber gerade kein Gegensatz konstruiert, es wird vielmehr ein Wissen um etwas gemeinhin als gegensätzlich Geltendes ins Gedächtnis gerufen, um anschließend dieses im öffentlichen Diskurs so Perspektivierte und vermeintlich Gegensätzliche als etwas Neues zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht der Gebrauch von aber, daß der Sprecher den faktischen oder möglichen Wissens-Kontrast und das aber-Konjunkt gleichwohl für epistemisch integrierbar hält (...) Durch die Fokusumlenkung auf das im zweiten Konjunkt Gesagte erhält dieses ein besonderes Gewicht; es ist das, was der Sprecher primär und nachdrücklich assertieren will, auf das sich der Adressat vorrangig einlassen soll (bis hin zur Korrektur eigener Äußerungen und Einstellungen) (Zifonun et al. 1997:2403).

Der perlokutionäre Handlungscharakter dieser aber-Variante ist von der weiter oben für jedoch diskutierten nicht weit entfernt. Beide adversativen Konnektoren besitzen eine ähnliche diskursgrammatische Funktion. Die konnektorintegrierenden Propositionen lenken beide die Aufmerksamkeit auf das interne Konnekt (im Falle von aber in (74) ...sind zeitgenössischer Ausdruck des Wiederaufbauwillens der im Zweiten Weltkrieg so schwer getroffenen Stadt). Für die Verwendung von jedoch in (72) ist hierfür die Bewertung der baukulturellen Veränderung in Folge des zerstörungsbedingten Wiederaufbaus als Verlust zu nennen. Demgegenüber lenkt das aber-Konjunkt in dem Mannheimer Beleg (74) die Aufmerksamkeit auf den gelungenen Wiederaufbau. Ein weiterer Beleg findet sich auch in

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 Korpusanalysen

einem Bremer Stadtführer aus dieser Zeit, in dem eine gesteigerte Leistungsfähigkeit als Vorzug genannt wird:

Ästhetisiert wird im Bremer und Mannheimer Aufbaudiskurs im Unterschied zum Paderborner ZAD nicht das Rekonstruierte, sondern die effiziente oder harmonische Neuschöpfung bzw. die Verbindung aus Alt und Modern. Diese Deutungsmuster kondensieren sich für die beiden Städte in den Adjektiven leistungsfähig (Bremen) und vereinfacht (Mannheim). Mannheimer Veröffentlichungen werten die Verbindung aus der (loseren) Anknüpfung an einen traditionellen Eindruck und eine zweckmäßig-funktionale Gestaltung auf, in Bremen wiederum wird die Aufbauleistung an der ökonomischen Leistung der Wirtschaftskraft bemessen. Der Hafen wird in (76) zum staunenswerten Wirtschaftsstandort vor dem Hintergrund der „Wunde“, auf der er neu entsteht. Dass dieser Aufbaustolz die Verwundung als Voraussetzung hat, befördert das Unsichtbarwerden von Zielvorgaben für den Wiederaufbau, d.h. für Bremen die ökonomisch definierte Effizienz oder den zugrundeliegenden Begriff des wirtschaftlichen Wachstums. Dieses (ausdrucksseitige) Verschwinden hängt bezogen auf die diskursspezifische grammatische Gestaltung auch mit der Zunahme der (meist) präteritalen Passivauxiliare wurden und waren zusammen. Sie sind die grammatischen Steigbügel einer Handlungsfokussierung, bei der menschliche Akteure grammatisch degradiert werden und konzeptionell in der Latenz verbleiben. Inwiefern ihre Zunahme eher diskursgrammatisch als über die Entwicklung deagentiver und anderer textsortenspezifischer Muster zu erklären ist, wird bezogen auf das Gesamtkorpus im Anschluss an die POS-Analysen diskutiert (vgl. Kap. 6.1.5). Quantitativ ergibt die Annotation der 256 Verbvorkommen von waren, dass ca. 40 Prozent in der Konstruktion des Vorgangspassivs, jeweils ca. 20 Prozent als Prädikativkonstruktionen mit Adjektiven/Adverbien und Nomen, ca. zehn Prozent im Perfekt mit sein und jeweils ca. fünf Prozent in der modalen Infinitivkonstruktion bzw. innerhalb von Phrasemen auftreten. Als passivisch wurden solche Konstruktionen eingestuft, in denen die sein-Konverse auf ein werden-Vorgangspassiv zurückführbar (vgl. Zifonun et al. 1997:1817; Helbig/Buscha 2005:160) und/oder verbspezifisch erweiterbar ist, z.B. durch die Zusätze mehr oder stärker, aber nicht durch ein adjektivspezifisches Negations- oder Steigerungsmorphem.171 Zustandsfor-

171 Die Beispiele aus Zifonun et al. (1997:1822) Ich war daran mehr interessiert (...) und Die Bank ist grün gestrichen enthalten verbspezifische adverbiale Erweiterungen als Indikatoren für die

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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men mit lexikalisierten Partizipien hingegen werden in vielen Grammatiken nicht mehr zum Zustandspassiv gerechnet. Die IDS-Grammatik behandelt sie als sein-Konverse und als nicht-konverse Zustandsform,172 bei Helbig/Buscha fallen sie unter allgemeine Zustandsformen.173 Überzeugende Schritte zur Plausibilisierung eines mehrdimensionalen Kontinuums zwischen Zustandspassiv, Zustandsform, askriptiven Konstruktionen oder Prädikativen leistet ein Beitrag von Gese/Hohaus (2012:294). Anhand der Steigerungsmöglichkeiten des partizipialen Adjektivs verdeutlichen die Autorinnen, dass das Zustandspassiv unabhängig von den Verbeigenschaften stets eine adjektivische Semantik aufweist.174 Sie leiten daraus die Konsequenz ab, das Zustandspassiv als rein pragmatische Angelegenheit zu behandeln. Für das ZAD bedeutet das, dass der signifikante Gebrauch des Vorgangspassivs für das Zustandspassiv eine semantische Parallelität stiftet, die zur Betonung der Handlungsergebnisse beiträgt. Das prozessierende Moment der (abgeschlossenen) Handlung steht im Zustandspassiv still, mit ihm vollziehen sich eher deskriptive Textmuster: (77) Der noch stark gotisierende Bau Bachstraße 1 von 1563, vor allem aber das prächtigste unter den Renaissancewohnhäusern der Paderstadt, das Haus Marienplatz 2 (heute Verkehrsverein), im Anfang des 17. Jahrhunderts von Felix Baumhauer errichtet, waren arg beschädigt. (PB 1969 SGp Tack, 171) (78) Fast alle Betriebsbahnhöfe, Werkstätten und nicht zuletzt die Gleisanlagen waren stark beschädigt, 80 % des Fahrleitungsnetzes zerstört. Die für Bremen bedeutsame Binnenschiffahrt hatte ebenfalls schwere Schäden erlitten. (HB 1976 SGe Brandt, 77)

zustandspassivische Form, während Negation und Komparation auf einen Adjektivstatus des Partizips hindeuten wie in den folgenden Belegen Kein Thema ist derzeit diskutierter als Fukushima aus Gese/Hohaus (2012:294) und Die Dresdner Bürger sind von solchen Problemen unbeeindruckt aus Rapp (1996:235). 172 Sein-Konversen besitzen kein paralleles werden-Passiv, können aber eine valenziell regierte Präposition enthalten, wie z.B. in Ich bin erstaunt über etwas (vgl. Zifonun et al. 1997:1818). Das dortige Beispiel für eine nicht-konverse, d.h. nicht auf ein werden-Passiv rückführbare Zustandsform Der Kranke ist erholt. besitzt einen Bezug zum Reflexivsatz Der Kranke erholt sich. 173 Helbig/Buscha 2005 unterscheiden vier Varianten der allgemeinen Zustandsform, für die kennzeichnend ist, dass sie im Unterschied zum Zustandspassiv keinen Folgezustand eines vorausgegangenen Prozesses bezeichnet und somit weder einen agentiven Subjektsaktanten im parallelen Aktiv besitzt noch eine werden-Passivvariante mit prozessualer Bedeutung bilden kann. Helbig/Buscha (2005:160f.) nennen u.a. folgende Beispiele: Die Flasche enthält Milch / Milch ist in der Flasche enthalten und Kerzen beleuchten das Zimmer / Das Zimmer ist/wird von Kerzen beleuchtet. 174 Für eine konsequente Reanalyse des partizipialen Adjektivs plädiert auch Rapp 1996, für die das Zustandspassiv keine eigenständiges Genus verbi darstellt. Mit dem Anspruch einer konstruktionsgrammatischen Beschreibung subsumiert Lasch 2014 alle Vorkommen von sein + Partizip II unter eine übergeordnete Konstruktion der Eigenschaftszuweisung (Askription).

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 Korpusanalysen

In den Belegen und ihrer Textumgebung wird der Zustand der Bauten, konkret der Verlust historischer Kulturgüter oder der Zusammenbruch der Versorgung beschrieben. Die verursachenden Akteure treten ausdrucksseitig nicht nur nicht in Erscheinung. Sie sind für das Zustandspassiv aus grammatischen Gründen kaum evozierbar, da das Zustandspassiv „als Ausdruck eines Resultats auch nicht-prozessual ist und sich vom Prozess des verbalen Geschehens abgelöst hat“ (Helbig/Buscha 2004:162). Auch wenn gelegentlich zu lesen ist, dass der Agensanschluss im Allgemeinen nicht möglich sei,175 räumen Helbig/Buscha (2004:162) ein, dass die Hinzufügung dann grammatisch akzeptabel ist, wenn die Affiziertheit des Objekts durch das Verbgeschehen nur vorübergehend und nicht sonderlich stark ist, der Zustand also grundsätzlich so erscheint, als könnte er rückgängig gemacht werden wie in den Beispielsätzen Die Thesen sind vom Lehrstuhlleiter gebilligt. und Seine Ernennung ist vom Minister bestätigt. Aufschlussreich ist eine Erläuterung in der IDS-Grammatik zu den pragmatischen Gründen für diese grammatische Restriktion. Dort wird argumentiert, dass Zustände Agens-Rollen generell ausschließen. Daher kann eine fakultativ angeschlossene von-Phrase überhaupt nicht als Verursachung gedeutet werden. Sie kann höchstens den Grund für das Anhalten eines Zustandes anzeigen wie in Der Gefangene wurde/ war den ganzen Tag von drei Soldaten bewacht (vgl. Zifonun et al. 1997:1812). Diese Beschreibungen der Passivfunktionen lassen den Schluss zu, dass die zustandspassivischen Varianten den Verlust (deskriptiv) dokumentieren, das Zerstörungsereignis in seiner erinnerungskulturellen Dimension jedoch in keinerlei Weise aufrufen können. Die Vertextungsverfahren deuten außerdem darauf hin, dass das Rahmenereignis mit zeitlicher Einordnung, Ausdehnung und Aggressor bevorzugt und typischerweise im Vorgangspassiv formuliert wird. In (79) entsteht ein Übergang von einer narrativen zu einer deskriptiven Themenentfaltung, für den das Vorgangspassiv zusätzlich ein Scharnier bildet. (79) Die HERZ-JESU-KIRCHE, ein neugotischer Bau von 1896/1898, hat beim letzten Angriff am 27. März ihr Dach und teilweise ihre Gewölbe verloren. Das gesamte Inventar wurde vernichtet oder beschädigt. Der Turm, der seinen Helm, wenn auch zerfetzt, behalten hat, war im Mauerwerk stark beschädigt. (PB 1969 SGp Tack, 158)

Das mit dem Abschnittsthema Herz-Jesu-Kirche koreferierende Subjekt (Inventar) des Vorgangspassivs bezeichnet einen Teil dieses Gebäudes (Teilsubstitut), das in Verbindung mit dem Verb verloren bereits als Patienssubjekt eingeführt

175 Helbig/Buscha (2004:162) verdeutlichen dies an den grammatisch inakzeptablen Sätzen *Das Fenster ist von ihnen geöffnet. und *Das Insekt ist von ihm gefangen.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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wird. Für die valenzbedingten Leerstellen des Verbalkomplexes (wurden vernichtet oder beschädigt) kann der zuvor genannte Angriff am 27. März als Zeit- und Ursachen-Angabe ergänzt werden. Dies gelingt für das darauffolgende Zustandspassiv keineswegs. Es liefert eine reine Beschreibung mit einer lokalen Präzisierung, die sich auf das (stark beschädigte) Mauerwerk richtet. Im Vergleich mit den zustandspassivischen Kotexten offenbart sich noch eine weitere scharnierhafte Eigenschaft des Vorgangspassivs in eine andere Richtung, die aber insgesamt für die Formulierungsweisen im ZAD eine wichtige Funktion gewinnt. Allein mit dem Vorgangs-, aber nicht mit dem Zustandspassiv ist ein Anschluss an Prozesse und Ergebnisse des Wiederaufbaus zu beobachten, was in (80) mit der diskurstypischen Abfolge für komprimierte Textabschnitte [wurden (MOD) beschädigt – VM (aber wieder) VVPP werden] belegt ist. (80) Im Zweiten Weltkrieg wurde Bremen in 173 Luftangriffen zu 62 %, das Hafengebiet zu 90 % zerstört. Die Altstadt verlor die meisten ihrer schönen Bürgerhäuser, u.a. auch die St. Ansgariikirche, deren hoher Turm das Wahrzeichen der Altstadt war; andere Kirchen und Profanbauten wurden schwer beschädigt, konnten aber wieder instandgesetzt werden, u.a. der Dom, die Liebfrauenkirche, die Martinikirche und die Stephanikirche. (HB 1983 STF Baedecker, 16) (81) Blick vom Domturm auf den Markt: Am unteren Bildrand ein Ensemble von Fachwerkhäusern. Den südlichen und westlichen Rand des Platzes säumen noble Wohn- und Geschäftsgebäude. In der westlichen Hälfte des Platzes der alte Neptunbrunnen mit dekorativer Pflastereinfassung. Alle Bauten am Markt wurden gegen Kriegsende von Bomben zerstört oder schwer beschädigt. (PB 1983 BIB Dressler, 12, Bildlegende) (82) In Mannheim kam es nicht mehr zur Zerstörung der Versorgungsanlagen. Ostern 1945 besetzten die Amerikaner die Stadt, zuvor hatten Kommandos der Wehrmacht sämtliche Neckarbrücken gesprengt. Die Versorgungsbetriebe blieben, soweit sie nicht durch Bomben und Beschuß beschädigt worden waren, intakt. (MA SGp 1979 Salm, 236)

Bei der satzübergreifenden Verbindung in (80) handelt es sich um eine Frameintegration. In (81) dagegen liegt eine bildliche Realisierung vor: Die zitierte Bildunterschrift befindet sich auf einer linken Doppelseite unterhalb der Vorkriegsansicht des Domplatzes. Gegenüber auf der rechten Seite ist laut Bildunterschrift (d)er Markt heute auf einer Fotografie der wiederaufgebauten Gebäudeensembles zu sehen (gleicher Ausschnitt, gleiche Perspektive). Nicht zuletzt mag die hohe Frequenz der Wortform waren das saliente Vorkommen des Vorgangspassivs nahelegen, da sie in einigen Fällen wie in (82) auch in perfektiver Verwendung des Vorgangspassivs auftritt. Schließlich sei noch für das abschließend in der Tabelle aufgeführte Nomen Widerstand ein auffälliger städtebezogener Unterschied festgehalten: Die Thematisierungen im Mannheimer und Bremer Korpus beziehen sich auf den Widerstand gegen den Faschismus. In Bremen werden hierbei die kommunistischen

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Widerstandskreise und die sozialistischen Gruppierungen genannt. In einer Paderborner Schrift dagegen bezeichnet Mues (1984) mit Widerstand das Opponieren der Deutschen gegen die Einnahme durch die alliierten Truppen.176 Im DWDS-Wortprofil besitzt die attributive PP [gegen X] nominale Füller, die belegen, dass die Lesart des nationalsozialistischen Widerstands zwar kanonisch geworden ist, aber u.a. auch die Besatzungsmacht als Bezugskontext fungiert: Widerstand gegen ... Staatsgewalt/Vollstreckungsbeamte/Nationalsozialismus/Regime/ Besatzung/Pläne/Nazis/Besatzer/Diktatur (vgl. https://www.dwds.de/wp/Widerstand (zuletzt abgerufen am 19.03.2020), in der angeführten Reihenfolge mit LogDice als Signifikanzwert von 9.5 bis 7.3). Um das Zusammenspiel von Zustands- und Vorgangspassivvorkommen im Textkontext zu verdeutlichen, werden in Kap. 7 ausgehend von den passivischen Modalverbkomplexen K-Profile für Texte der drei Städteteilkorpora präsentiert und hinsichtlich der kontextualisierten Deutungsmuster interpretiert.177 Hierbei ist die kotextuelle Umgebung zum einen für die Modalverben können und sollen zu unterscheiden, zum anderen für Präsens-und Präteritalformen, aber auch für die jeweilige Kombination mit Singular- oder Plural-Subjekten. Bei der Durchsicht der Belege fällt im Vergleich zur ersten Phase auf, dass die erinnerungskulturelle Formel sollte/darf nicht vergessen werden in den ausgesuchten ZAD-Quellen ab 1958 nicht mehr zu finden ist. Das Gesollte wird zum Gegenstand der Reflexion, die aus der Unsicherheit heraus entsteht, wie die Deutschen sich an den 8. Mai 1945 erinnern sollen, so in einem Vorwort des Herausgebers zur Bremer Stadtgeschichte Wollenberg (1985:I, Vorbemerkung). Die damit einhergehende erinnerungskulturelle Vagheit kondensiert sich in dieser Phase mittels der Modalverbkomplexe grob sortiert auf zweierlei Weise: 1. durch Rechtfertigungshandlungen, die das Gebotene als unhinterfragten Zweck präsentieren (meist mit den Modalverben können und müssen im Präteritum) und 2. durch historische Narrativierung, die der Reflexion dient oder eine Kontinuitätslinie konstruiert (meist mit den Modalverben müssen und sollen sowie abstrakten Subjekten). Die Belege zu 1. präsentieren unterschiedliche Notwendigkeiten und Leitvorstellungen des Aufbaus. Sie werden oft in eine direkte Abhängigkeit zu Verkehrser-

176 Auch Hitler ruft in seinen letzten Reden das deutsche Volk vermehrt zum Widerstand gegen „Feindangriffe“ auf. 177 Die rein modale Verwendung des Futur I, das für die erste Phase Schlüsselwert besitzt, tritt in den Belegen dieses Zeitraums nicht auf.

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weiterungen, städtebaulicher Ästhetik (83) und Problemen der Wohnungsknappheit (84–85) gebracht. (83) Es wurde vielmehr die Trasse der Großenstraße und ihr Abstand vom Ufer beibehalten, in ihm aber die Bebauung in einer solchen Form vorgesehen, daß eine optische Verbindung zum Wasser hin hergestellt werden konnte. Vor dem Turm der Stephani-Kirche soll die Öffnung zum Wasser hin durch Ausweisung einer öffentlichen Grünfläche besonders betont werden. Hier soll später eine Möglichkeit, den unten am Wasser verlaufenden Fußund Radweg zu erreichen, geschaffen werden. (HB 1965 DOK Beidatsch, 10) (84) Neues Bauen Bremen liegt im Wohnungsbau der Nachkriegszeit, prozentual auf die Einwohnerzahl berechnet, an der Spitze des Bundesgebietes. Die Stadt wurde im Kriege zu 62 % zerstört, rund 50 000 Wohnungen wurden vernichtet. 1955 war der Verlust zwar wieder ausgeglichen, aber die Einwohnerzahl war gegen 1939 um 20 % gestiegen; also mußte weitergebaut werden. So wuchsen an den Rändern der Stadt völlig neue Wohnviertel auf Wiesenund Ackerland aus dem Boden. (HB 1965 STF Lindemann, 35) (85) Die Amis belegten schätzungsweise 5000 Wohnungen, die aus diesen Wohnungen hinausgeworfenen Mannheimer mußten untergebracht werden. Hinzu kam, daß die evakuierten Bürger in die ausgebombte Stadt zurückfluteten. Es war zum Verzweifeln. (MA 1979 SGp Salm, 237)

In (83) ist es der Grundsatz der Durchgrünung bebauter Flächen, die sich ästhetisch an die natürliche Umgebung anpassen. Die ist ein Gesichtspunkt, der für die Bremer Aufbauarbeit kennzeichnend ist. Der deiktisch als Zielpunkt der Konsekutivspezifikation (in einer solchen Form (...), daß) verfügbar gemachten optischen Verbindung zum Wasser folgen zwei passivische Modalverbkomplexe mit futurischem sollen. Sie beschreiben in ihrer Redundanz die Notwendigkeit dieses Aufbaukonzepts, das mit der Öffnung von Räumen und ihrer Durchlässigkeit für den Fuß- und Radverkehr auch eine Umsetzung sozialer Transparenz beinhaltet. In (84) wird deutlich, für welche metaphorische Strategie diese diskursgrammatische Gestaltung Anschlüsse liefert. Der auf die PVM-Konstruktion im internen also-Konnekt (also mußte weitergebaut werden) folgende Satz eröffnet mit dem Adverbkonnektor so eine Verknüpfungsstrategie, mit der sich das Konzept der Handlungsfokussierung (eine Handlung, die gezwungenermaßen durchgeführt wurde) lexikalisch fortsetzt und sogar zur naturalisierten Vorstellung eines „realen“ organischen Bauens steigert. Das Bild des automatisierten Weiterbauens wird semantisch fortgeführt durch die Natürlichkeit, mit der aus dem Ackerrand ganze Wohnviertel wachsen. Die zum Phrasem aus dem Boden wachsen kookkurrente Konjunktionalphrase wie Pilze erzeugt eine zusätzliche Vorstellung vom Städtebau ohne Planung und Baumeister. Die völlig neue(n) Wohnviertel geraten assoziativ in die Nähe wildwuchernder Unkräuter, die hier einen Steigbügel zur Kritik an den typischen „Bausünden“ am Stadtrand liefern. Dieses organische

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 Korpusanalysen

Metaphernkonzept bildet in (84) den Gipfel einer Reihe kontextualisierender diskursgrammatischer Elemente vom Vorgangs- (wurde ... zerstört, wurden ... vernichtet) über das Zustandspassiv (war ... ausgeglichen, war ... gestiegen) bis zum durch Semikolon abgetrennten Scharniersatz mit passivischem Modalverbkomplex (mußte weitergebaut werden), an den die organische Metaphorik anschließt. Selbst dieser Anschluss mit dem Adverbkonnektor so präsentiert im Vorfeld eine (unmittelbare) Folge. Inhaltlich schließt sie direkt an die Proposition des PVMKomplexes an (musste weitergebaut werden → so wuchsen). Eine ähnliche Zwangslogik stellt die in (85) beschriebene Wohnungsnot der Nachkriegszeit dar. Genannt wird in kritischer Absicht als Ursache der gewaltsame Wohnungsanspruch der Befreier. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Mannheimer aus ihren Wohnungen hinausgeworfen(en) haben. Wieder ist die Notwendigkeit ihrer Unterbringung durch einen PVM-Komplex angezeigt (mußten untergebracht werden). Hier wird nun die Situation, die diese Unterbringung so dringlich erscheinen lässt, mithilfe des Sprachbilds von der Flut in eine leere (weil ausgebombte) Stadt metaphorisiert. Wohl ist es weniger die sequenzielle Abfolge als die Tatsache der Serialisierung grammatischer und lexikalischer Formen, die im Zuge der Herstellung eines diskursspezifischen pragmatischen Sinns zu Redundanz führt, wie sie für Kontextualisierungen typisch ist. Die syntaktisch verketteten Sprachmittel haben füreinander wechselseitig Relaisfunktion: Sie schalten Bedeutungsaspekte in Abhängigkeit von ihren kollokativen u.a. Bindungen zu, so dass sich ein Deutungsmuster entfalten kann. Dieses Ausfalten oder Zuschalten erzeugt Redundanz all jener semantisch-pragmatischen Aspekte, die den Diskurs insgesamt prägen (z.B. die Imagination eines die Städte antreibenden Aufbau-Automats). In den betrachteten Fällen handelt es sich um Legitimationshandlungen. Ihnen entspricht eine semantische Strategie der Naturalisierung. Diese wiederum setzt auf der diskursgrammatischen Kopplung von Modalverb und Vorgangspassiv auf. In der Umgebung sind verknüpfende konsekutive Adverbkonnektoren feststellbar. Dem unter 2. aufgeführten Verfahren der historischen Narrativierung werden zwei verschiedene Kotexte zugeordnet: das Vorkommen innerhalb von Zitaten (86–88) sowie innerhalb narrativer Geschichtsdarstellungen, die auch Reflexionen beinhalten (89–91). (86) Die Rolle der KGF beim Wiederaufbau Bremens „Wenn wir leben wollen, so müssen die Trümmer beiseite geräumt und mit dem Aufbau begonnen werden.“ Diese programmatischen Worte, die sich in der ersten Nummer des „Aufbau“ finden, machen deutlich, daß die Bremer Antifaschisten ihre wichtigste Aufgabe in der Überwindung der durch Naziherrschaft und Krieg hervorgerufenen Schäden sahen. (HB 1978 DOK Dresses, 6)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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(87) „Eine unerträgliche Belastung einer guten Sache, die nach dem Willen von Senat und Bürgerschaft ausgeführt werden soll, eine unerhörte Behinderung Vieler durch Einzelne.“ So sieht es die eine Seite, die dynamisch vorwärtsdrängt. „Die Schaffung einer notwendigen Voraussetzung, die korrekterweise ebenfalls erledigt werden muß, ehe es an die Ausführung des Neuen gehen kann.“ (HB 1965 DOK Beidatsch, 14) (88) Der Brückenzubringerstraße muß nunmehr eine Teilfläche der Grünanlage, die das Stephanigebiet bisher vom Verkehr abgeriegelt hat, geopfert werden. (HB 1965 DOK Beidatsch, 11) (89) 1945 – Die totale Zerstörung Paderborns Zu Beginn des Jahres 1945 ahnte in Paderborn wohl kaum jemand, daß das endgültige Schicksal der Stadt innerhalb weniger Monate besiegelt werden sollte. (PB1980 SGe Claus, 35) (90) Bei der Betrachtung des alten Paderborn sollte ein Mißverständnis vermieden werden. Die alte Stadt war keine Idylle. Das tägliche Leben im alten Paderborn war karg. Der Bürger hatte kaum das Bewußtsein, ein malerisches Fachwerkhaus zu besitzen, sondern, wenn er seine unmittelbare Umgebung überhaupt bewußt zur Kenntnis nahm, hatte er eher das Gefühl, in einem alten, unmodernen Hause zu wohnen, dessen sanitäre Einrichtungen, sofern vorhanden, restlos veraltet waren; in dem, wenn es an der Pader stand, die Ratten umherliefen. (PB 1985 BIB Golücke, 13) (91) Dabei sollen auch jene Kontinuitäten nicht ausgeklammert werden, die heute Erinnerungen an Versäumnisse wachrufen. (HB 1985 SGe Wollenberg, I, Vorbemerkung des Herausgebers)

Der als Korrelat zum konditionalen wenn verwendete Adverbkonnektor so leitet das Konsequens-Konnekt der konditionalen Relation ein, in der sich ein PVMKomplex befindet. Trümmerbeseitigung und Aufbau werden zur Bedingung für den Willen zum Leben (86). Der Abschnitt aus der Dokumentation von Dresses beschreibt die Funktion der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus (KGF), eine politische Organisation von Vertretern linker Parteien, insbesondere der kommunistischen Partei Deutschland (KPD), die am 6. Mai 1945 gegründet und noch im Dezember desselben Jahres aufgelöst wurde. Ihre Informationsschrift Der Aufbau richtete sich bewusst gegen historisierende und rekonstruktive Stile, um – wie Autor Dresses im Folgenden darlegt – die Schäden durch Naziherrschaft und Krieg zu überwinden, wobei die Schäden auch gesellschaftliche und moralische Dimensionen umfassen. Die Rigorosität, mit der die Forderung nach einem Trümmer und Schäden verschwinden lassenden Aufbau wiedergegeben wird, spiegelt sich auf Formulierungsebene in den späteren Praktiken der Rechtfertigung wider, in die u.a. der PVM-Komplex Einzug hält. In (87) wird wiederum durch ein Zitat der Diskursposition eine Stimme verliehen, die den Wiederaufbau durch langwierige Verhandlungen von Grundstücksangelegenheiten ausbremst. Diese Regelungen bilden notwendige Voraussetzungen, deren Schaffung erledigt werden muß. In dieser Äußerung stellt die deverbale Nominalisierung zusätzlich zum Zwangsmechanismus des Aufbaus-

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 Korpusanalysen

zenarios (genauer seiner Vorbedingungen) die Prozesse still. Diese Verzögerungen der Bauphasen im Bremer Stephanieviertel werden vom Autor im folgenden Abschnitt offen kritisiert. Er bekennt sich zur ersten, dynamisch drängenden Position, in der eine(r) gute Sache (...) nach dem Willen von Senat und Bürgerschaft ausgeführt werden soll. Die moralische Empörung über diejenigen, die die gute Sache behindern, verabsolutiert den Aufbau zum Zwangsprojekt, aber macht ihn nicht zum Diskursgegenstand (oder nur in sehr polarisierender und apodiktischer Weise). Das Opfer wird in (88) außerhalb des Zitatkontexts diskursgrammatisch für den ungenannten Agens als zwingend gefasst (muß nunmehr geopfert werden). In das Konnekt ist der Adverbkonnektor nunmehr integriert, der an sich temporale Semantik aufweist, hier aber in einer Tendenz zur üblichen Abfolge der Grammatikalisierungsrelationen kausal interpretierbar ist. Antezendes der Kausalrelation ist der vorangegangene Absatz, aus dem die Begründung des neuen Themas ((d)er Brückenzubringerstraße in der Rezipiens-Rolle) hervorgeht: Ihr muss eine Grünfläche geopfert werden. Der vorausgehende Absatz schildert die weitere Verdichtung des Verkehrs, hebt die heutigen und künftigen Anforderungen des Verkehrs hervor, die den Ausbau eines „Knotenpunktes“ erforderlich machen. Im Anschluss daran fügt der Konnektor nunmehr einen zeitlich und logisch zwingend wirkenden Schluss an. Dass hier lexikalisch ein Opfer erbracht wird (geopfert), wertet die „Persönlichkeit“ dieser Vernetzung verheißenden Brückenzubringerstraße auf. Die auch in narrativierenden Passagen angestellte Reflexion beruht auf den bereits für die erste Phase der Erinnerungspolitik diskutierten sollte-Belegen wie in (88). Sie umfasst wie in (90) Aufklärungen über die Bürger des alten Paderborn in einem etwas betulichen Duktus, in dem die passivischen Modalverbkomplexe der Moralisierung dienen. Claus warnt in (91) vor Idealisierungen des alten Paderborn, Wollenberg deckt in (92) für Bremen auf, dass trotz Entnazifizierungsmaßnahmen einige durch ihre Mitwirkung im Hitlerregime politisch belastete Personen in der Nachkriegszeit erneut wichtige Posten bekleideten. Die Kritik an personellen, baukulturellen und ideellen Kontinuitäten zur Nazi-Zeit spielt als Reflexionsgegenstand und Verschiebungsphänomen für den Bremer Stadtdiskurs eine wichtige Rolle. Zum einen wird die Fortsetzung von NS-Traditionen oder die Beschäftigung von Personen mit NS-Vergangenheit kritisiert, zum anderen werden aber auch unterschwellig über sprachliche Vokabulare Homologien geschaffen. Dies geschieht insbesondere durch die Verwendung belasteter Attribute für die Zustandsbeschreibung der Zerstörung und ist wiederum für alle drei Städte nachweisbar. In der Überschrift Die totale Zerstörung Paderborns klingt diese Übertragung an und auch die Beschreibung des städtischen Schicksals als endgültiges Schicksal der Stadt verschiebt mit dem Personifikationsverfahren die Opferrolle von den vom NS-Apparat Verfolgen und Ermordeten auf die Bausubs-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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tanz und damit möglicherweise auch auf einen in Identitätskategorien gefassten und in seinen moralischen Grundfesten erschütterten Gesellschaftskörper der Deutschen. Die Übertragung impliziert den Vorwurf, dass die Alliierten, die im Hintergrund als Aggressoren der Städtezerstörung aufscheinen, am Stadt-Körper eine vergleichbare „Vernichtungspolitik“ vollzogen haben wie die Nationalsozialisten an menschlichen Körpern. Abgesehen davon wirkt die beschriebene Endgültigkeit im Sinne der später im K-Profil erfassten Schutt-und-Asche-Narration. Beim Leser hinterlassen die Beschreibungen des drohendendes „Todes“ der Stadt um so mehr Erstaunen als jeder weiß, dass sie am Ort der Zerstörung wiederaufgebaut worden ist. Abschließend veranschaulicht eine längere narrative Sequenz aus einer Paderborner Stadtgeschichte das Zusammenspiel einiger in diesem Abschnitt erläuterter Merkmale, die sich zu einem diskursgrammatisch konnektierten Profil mit dem pragmatischen Effekt der Rechtfertigung verdichten. Der Ausschnitt enthält narrative Elemente aus der Perspektive architektonischer Subjekte des Vorgangspassivs wie Kunst- und Kulturgut, Kunstwerke, (Kirchen-)Schätze und Liborischrein. Er ist unterbrochen von modalisierend-bewertenden Passagen (mit auch deiktisch gebrauchten Modalverben, mag ... befremden, und modalisierenden Formen, ist ... erklärlich, läßt ... verstehen). Die einbettende Rechtfertigungshandlung gewinnt ihr Überzeugungsvermögen aus der narrativen Pointe (für immer verloren). Die implizierte Lehre daraus relativiert den Schrecken, da das Verlagerte im Exil zerstört wurde: vielleicht wäre es zuhause sicherer gewesen. (92) Als im Jahre 1945 über Paderborn das Kriegsunglück in einem grausigen Maße hereinbrach, wurde auch eine Menge Kunst- und Kulturgut vernichtet. Leider waren nur wenige Kunstwerke nach auswärts verlagert worden. Diese Tatsache mag auf den ersten Blick befremden, ist aber aus historischen Gründen erklärlich; denn 1806 hatte man mit einer Verlagerung traurige Erfahrungen gemacht. Damals waren auf Befehl des Königs von Preußen, unter dessen Herrschaft Paderborn kurz vorher gekommen war, Kirchenschätze der Paderstadt gegen den Willen ihrer Betreuer in die als absolut sicher geltende Festung Magdeburg übergeführt worden. Auch der Liborischrein sollte dahin gebracht werden, blieb aber schließlich auf besondere Verwendung des Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg hin doch in Paderborn. Den Abtransport der übrigen Sachen konnten weder der Fürstbischof noch die andern Verantwortlichen verhindern. Die Schätze wurden in die Elbfestung gebracht und gingen gerade durch diese Maßnahme für immer verloren. So etwas wirkt lange nach und läßt die Scheu der verantwortlichen Leute verstehen, das damals mißglückte Experiment zu wiederholen. (PB 1969 SGp Tack, 145)178

178 Der Aufsatz von Tack muss kurz nach dem Krieg verfasst worden sein, denn diese Erzählung wird bereits 1949 von Kiepke zitiert. Allerdings sind die gesammelten kunstgeschichtlichen Abhandlungen Tacks erst 1969 von Honselmann veröffentlicht worden, worauf die Zuordnung im

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 Korpusanalysen

Ein dämonisierter Krieg ohne Akteure sucht hier als Unglück die Stadt und ihre Bewohner heim. Der Beginn dieser Passage mutet wie ein modernes Märchen an. Das Grausige, das hereinbrach, steht laut DWDS-Wortprofil zum Verb hereinbrechen am häufigsten mit Naturphänomenen als Subjekten in Verbindung, nämlich Dämmerung, Dunkelheit, Nacht, Flut, Winter, Unwetter, Flutwelle und Sturm. Dazwischen finden sich auch wertende Abstrakta wie Unheil und Katastrophe. Für die Person Hitler und andere Verantwortliche des Naziregimes stellt Kämper (2006:313) fest, dass sie sowohl von Täter- als auch von Nicht-Täter-Seite mit dem Teuflischen assoziiert werden, eine Sprachstrategie, die in (92) auf den Krieg selbst – losgelöst von allen politischen Rahmungen der NS-Zeit – angewendet wird. Zu dieser Strategie der Dämonisierung des Krieges passt, dass auch die französische Besetzung von 1806 bis 1813 nicht genannt wird, womit der Grund für die Bedrohung der Kunstschätze Anfang des 19. Jahrhunderts im Unklaren bleibt. Dass hier eine 150 Jahre zurückliegende historische Erfahrung der Paderborner als Erklärung herhält, ist verwunderlich; der argumentative Aufwand, der diese narrative Passage durchzieht, ist beachtlich. Die modalisierenden Formen, die das Befremden antizipieren, um Verständnis werben oder Einsicht fordern, tragen zur Rechtfertigung der Entscheidungen bei und reklamieren ein Kulturbewusstsein für die Entscheider der NS-Zeit. Die Aufbewahrung der Schätze in Paderborn wird mit einer historischen Erfahrung so erklärt, dass sie im Nachhinein verständlich, sogar richtig erscheint. Warum allerdings die Paderborner schon im 19. Jahrhundert Bedenken trugen, obwohl doch der Aufbewahrungsort Magdeburg als sicher galt, kann nur mit Instanzen wie Intuition oder Skepsis vor dem neuen Herrscher erklärt werden. 6.1.4.3 Phase 3 (1986–2005) Die Erinnerungsphase ab 1985 ist im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik von der Deutung des Kriegsendes als Befreiung geprägt. Diese Deutung wurde prominent durch die Rede zum 40. Jahrestag des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Von Weizsäcker repräsentiert den Anspruch, das Erinnerte zu bewahren statt zu bewältigen, und damit unter dem Deutungsprimat der Befreiung die Erinnerung an das Leiden der verschiedenen Opfergruppen wachzuhalten. Rothenhöfer beschreibt für die Ereignisbezeichnung Befreiung neben ihrer Eigenschaft, sich als Vokabel des erinnerungskulturellen Konsenses verfestigt zu haben, in literarischen Diskursen zwei weitere Deutungsfolien für den 8. Mai 1945: Er weist sie einmal als Gegenbegriff zu Kapitulation oder Nieder-

Korpus gründet.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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lage nach und einmal als Begriff, der zur Schuldverdrängung beiträgt, da er die Deutschen als (befreite) Opfernation in Augenschein nimmt. Verändert sich vor diesem Hintergrund die diskursgrammatische Indexikalität in der Zeit nach der Weizsäcker-Gedenkrede? Auch in der diskursgrammatischen Beschreibung der Texte dieser Phase orientiere ich mich zunächst an der Liste der ermittelten Keywords für diesen Zeitabschnitt (vgl. Tab. 9). Dabei wurden zwei verschiedene Vergleichskorpora hinzugezogen, um die Veränderungen im Zeitenlauf (Vergleich zu Phase 2) und mit Blick auf die künftige Entwicklung (Vergleich zu Phase 4) zu erheben. Beide geben Hinweis auf die hochfrequente NP keine Ereignisse, die jedoch nur in einer Mannheimer Chronik über die Luftkriegsereignisse (MA 2003 DOK Wolf) wiederholt auftritt.179 Im Vergleich zu Phase 2 tritt – wie bereits von Phase 1 zu Phase 2 – das Schicksal jüdischer Menschen thematisch in den Vordergrund, erkennbar anhand der Schlüsselwörter Juden und jüdische. Hier zeigt sich, dass Stadtgeschichten oder Dokumentationen aus dieser Zeit in den umgebenden Kapiteln verschiedenste Aspekt der Verfolgung von Juden und anderen Gruppierungen thematisieren: den Kampf gegen die Juden (HB 1986 SGp Meyer, 3), die Ausrottung der Juden (MA 1997 BIB Schadt, 142; HB 1995 BIB Schmink, 104; PB 1988 SGe Naarmann, 394), ihre Deportation (PB 1992 DID Klönne) und Ermordung (HB 1996 GED Puvogel), Sonderregelungen (MA 1997 BIB Schadt, 121) oder Ausgangsbeschränkungen (PB 1999 SGe Hüser, 248). Die Signifikanz der Präposition gegen gründet zum einen auf Phrasen im Kontext der nationalsozialistischen Aktionen gegen Juden (gegen ... Juden bzw. [gegen jüdische NP]) und zum anderen auf Kontexte des Widerstands gegen das NS-Regime (gegen den Nationalsozialismus/Faschismus). Das Akronym NS hat sich in diesem Zeitabschnitt verfestigt und ist in 302 Komposita mit 109 unterschiedlichen Lexemen von NS-Aktivisten über NS-Diktatur und NSRegime bis NS-Zerstörungstrupps belegt. Die Schlüsselwörter dokumentieren darüber hinaus eine Intensivierung der Diskursaktivitäten ab den 1980er Jahren anhand von Bezugnahmen (vgl.), Bebilderungen (Foto/s) und Datumsangaben (November, Dezember, September), aber auch durch die historischen Akteure, die zu Wort kommen. Sie sprechen als Beteiligte in Überlieferungen oder in Form von Zitaten der Überlebenden von sich in der 1. Person (ich, wir). Musterhaft ist ihr Erlebnishorizont durch die deiktische Verschiebung über den Konjunktiv I markiert (sei). Zeitzeugen, die die Zerstörung beschreiben, setzen die indirekte Rede als Marker der authentischen Wiedergabe

179 Beide Wörter haben dennoch den eingesetzten Keyword-Filter passiert, weil sie – wenn auch in geringem Umfang – in jedem vierten Dokument des TKs der 3. Phase auftreten.

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 Korpusanalysen

vergangener Gesprächssituationen (93), die man sich aus heutiger Sicht eher als Gesprächsfetzen vorzustellen vermag. Die Schilderungen ähneln einander in der Beschreibung der buchstäblichen Ausweglosigkeit. Immer wieder ist die chaotische Situation zentral (94), in der alles brennt (93), kracht und donnert (95), und kein Durchkommen ist (93): (93) „Aus Trümmern schafften Männer der Feuerwehr Verletzte heraus. Ich erinnere mich an das Stöhnen einer schwer verletzten Frau mittleren Alters, der durch Trümmer ein Bein zerschmettert worden war. Ich fragte einen der Feuerwehrleute, ob das Michaelskloster getroffen sei. Der Feuerwehrmann war der Schuhmachermeister Konrad Brand, der mir sagte: ‚Du kommst nicht durch! Da brennt alles! Sieh’ zu, dass du wegkommst. Hier explodieren immer noch Blindgänger und Zeitzünderbomben!‘“ (PB 2005 SGp Kühne, 51) (94) Eigentlich müßte ich auch zur Schule gehen – aber in diesem Chaos? Mama sagt, daß man auch sehen müsse, irgendwo noch etwas Eßbares zu bekommen – das Brot sei fast alle. Papa ist irgendwo in der Nachbarschaft bei Löscharbeiten. Ich beschließe, einen Orientierungsgang durch die Stadt zu machen. Es brennt überall noch, aber der Funkenflug in unserer Straße hat aufgehört, weil die Kuppel der Jesuitenkirche inzwischen in sich zusammengebrochen ist. In der Innenstadt geht es chaotisch zu. Planken und Breite Straße sind stellenweise nur noch ein Trümmerhaufen (MA 2003 SGp Keller, 31) (95) „So kam der 7. April, ein Samstag, der Namenstag des Herrn Dechanten, heran. Aufregende Gerüchte durchschwirrten das Dorf; man lebte in einer beängstigenden Ungewißheit. Es gab keine Zeitung, kein Radio mehr. Keine Sirene ertönte mehr. Der Twistringer Volkssturm wollte nicht kämpfen, aber es waren Hitlerjungen und SS-Leute aus Bassum und Syke gekommen, die unaufgefordert das Dorf verteidigen wollten; doch die gütige Vorsehung hat es verhütet. Da, gegen 1 Uhr ein furchtbares Krachen und Donnern! Feindliche Jäger beschossen Twistringen. Als es wieder ruhig geworden war, hörten wir, daß die Pfarrkirche getroffen sei. Dach, Fenster und Empore an der Männerseite waren beschädigt, doch so, daß das Gotteshaus noch gut benutzt werden konnte.“ (HB 1989 DOK Focke, aus der Chronik des St. Annen-Stiftes Twistringen, 125)

Interessanterweise findet sich auch die eingangs erwähnte Befreiungsformel in einer Bremer Stadtgeschichte mit dem Distanzsignal der indirekten Rede. Der Verfasser setzt es zur Vermittlung zwischen der (vermeintlich konsensuellen) zeitgenössischen Stimmung und der gegenwärtigen erinnerungskulturellen Deutung ein: (96) 1985 wurde auch die griffige Formel geprägt, die bedingungslose Kapitulation am 8./9. Mai 1945 sei ein Tag der „Befreiung“ gewesen. Die meisten Bremer sahen das damals anders. Gewiß, man war nun frei vom Terror des totalen NS-Staates, von den Luftangriffen und dem Kampf an den Fronten; aber das Morden und Plündern ging weiter. Auch in Bremen gab es mancherlei Gewalttat, die sich durch nichts rechtfertigen läßt. Anderwärts blieben sogar die Konzentrationslager in Benutzung, und die neuen Insassen bestanden nicht nur aus Nazis. Es gab Verhöre, die denen im Gosselhaus durch die SA 1933 in fataler Weise ähnelten.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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(...) Der Verfasser dieser bremischen Geschichte war Ohren- und Augenzeuge von manchen Kriegs- und Nachkriegsgreueln, über die kein Gericht urteilte, und er war auch selbst Leidtragender von Zuständen und Ereignissen, die damals kaum das Gefühl aufkommen ließen, Deutschland sei nun „befreit“. (HB 1995 Sge Schwarzwälder, 638)

Möglicherweise ist es kein Zufall, dass in drei Augenzeugenbelegen das gegenüber Phase 4 kontrastive Schlüsselwort nicht auftritt, das sich im Kontext der Beschreibung der Endphase des Krieges zur Adverbphrase nicht mehr verbindet. Gefolgt von nicht nur mit 181 Treffern ist die Verbindung nicht mehr die häufigste Phrase mit 275 Belegen. Sie tritt bevorzugt innerhalb von Zitaten auf und ruft im bewertenden Footing des Augenzeugens (animator) die Konstruktionen der Verlusterfahrung in der frühen Nachkriegszeit auf. Der Gestus des Verlorenseins erscheint in unterschiedlichen Kontexten. Während z.B. der Lagebericht eines Polizeipräsidenten nach einem Luftangriff auf Bremen 1943 die Unmöglichkeit der baulichen Rekonstruktion zum Ausdruck bringt (97), wird in der Quellenpassage einer Paderborner Stadtgeschichte eine Position zitiert, die den Verlust für nicht heilbar hält (98): (97) Wo eine völlige Rettung der getroffenen Wohnhäuser nicht mehr möglich war, setzte sich der SHD (Sicherheits- und Hilfsdienst) tatkräftig für die Bergung und Sicherstellung des gefährdeten Hausrats ein. (HB 1995 BIB Schminck, 158) (98) Man könne sich „bei aller Berücksichtigung des besonderen Charakters der Paderstadt nicht mehr erlauben [...], ‚neckische Giebelhäuser‘ zu bauen“. (PB 1999 SGe Hüser, 290)

Syntaktisch sind in diesen Belegen Verbindungen mit einem Prädikativ (möglich war, 97) ebenso wie solche mit einem adverbiellen Bezugsrahmen (erlauben, 98) zu finden; auch attributive Modifikationen kommen vor. Auf der Folie dieses animatorischen Author-Footings gewinnt die Positionierung mit nicht mehr den Anstrich des persönlichen Betrauerns. Auf diese Beschreibung des Verlorenen folgt im nächsten Beleg argumentativ Kritik an der zerstörerisch wirkenden entpersonalisierten Luftkriegsmaschinerie: (99) Bald gab es nicht mehr viel, das noch intakt war. Die riesige Luftkriegsmaschinerie lief jedoch auf Hochtouren, ohne dass allzu viele Gedanken darauf verschwendet wurden, wo ihr Einsatz am sinnvollsten sei und wo nicht. (PB 2005 SGp Kühne, 27)

Ähnlich wie in der Verlustkonstruktion für die frühe Nachkriegszeit unterhält der Negator nicht auch späterhin eine kookkurrente Bindung zur Partikel zu (Rang 7 mit 330 Belegen hinter den Artikelwörtern die, der und den, dem pronominalen es, der Konjunktion und sowie der Präposition in). Im Cluster selegiert die Partikel zu wiederum können als Kollokator (hinter machen und gleichauf mit werden). Das Modalverb erscheint musterhaft in mit zu erweiterten Infinitiv-

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 Korpusanalysen

konstruktion, die syntaktisch in verschiedenen Funktionen auftreten, darunter (in absteigender Häufigkeit) als Ergänzungssätze, als Finalsätze mit um...zu, als Attribute und als Restriktivsätze mit ohne...zu. Sie kookkurrieren nicht nur mit expliziten Negatoren (102), sondern haben durch die einbettende Konstruktion einen Negationssinn, d.h. semantisch eine Fehleinschätzung zum Gegenstand. So enthält der hohe Anteil an Ergänzungssätzen die regierenden Verben glauben und hoffen, die als Bezugsnomen für Attributsätze mit dem modalen Infinitiv zu können auftreten.180 Gemeinsam bilden sie eine infinite Konstruktion des Aufrufens, aber Nicht-Setzens von Sachverhalten, die den (Irr-)Glauben der Menschen dokumentiert: (100) Teile eines beim Angriff vom 8/9.8.1940 abgeschossenen britischen Bombers. Wo die Flugzeugtrümmer ausgestellt wurden, ist nicht bekannt. Auch über den Zweck der Präsentation sind wir nicht informiert. Es ist zu vermuten, daß man in dieser frühen Kriegsphase noch glaubte, den Flugzeugen der Angreifer Paroli bieten zu können. (MA 1993 BIB Schadt, 89, Bildunterschrift) (101) Es plündern aber auch die eigenen Volksgenossen. Viele glauben, sich in dem allgemeinen Durcheinander noch schnell bereichern zu können. Die negativen Wesenszüge eines Volkskörpers kommen eben in solchen Zeiten der Rechtlosigkeit sofort zum Vorschein. Diese negativen Seiten niederzuhalten, wird auch dem uns beherrschenden Gegner sehr schwer werden. (HB 2005 DOK Müller, 95) (102) Mit der VVN (Verein der Verfolgten des Naziregimes, N.W.) wurde in den Augen vieler Sozialdemokraten nicht nur eine effektive Interessenvertretung aufgegeben, auf die man glaubte nicht verzichten zu können,Fn sondern auch ein Stück Hoffnung zu Grabe getragen. Das feierliche Versprechen der Verfolgten, gemeinsam für ein besseres Deutschland zu streiten, hatte keinen Bestand. (MA 2002 DOK Peters, 48f.)

Infinitivkonstruktionen repräsentieren im Unterschied zu den finiten dass-Komplementsätzen, durch die sie paraphrasierbar sind, latente Sachverhalte. Als subjektlose Konstruktionen bieten sie keine Spezifikation der Sachverhaltsbeteiligten und ihre latente Faktizität korrespondiert in der vorliegenden Musterbildung mit der Semantik des Modalverbs können: Die Potenzialität ist epistemisch gedoppelt, der Inhalt des Glaubens als realitätsfern markiert. Die Bildunterschrift in (100) macht die Fotografie eines britischen Bomberwracks aus der Nachkriegssicht zum Symbol des nationalsozialistischen Größenwahns. Die propagandistische Ausstellung der Wrackteile konnte in dieser frühen Kriegsphase möglicherweise noch eine hier als irrgläubig markierte Siegesgewissheit ausstrahlen. Auch in einem weiteren Beleg für den von glauben regierten zu-Infinitiv mit können drückt die Konstruktion Kritik an einem fehlgeleiteten Glauben aus. In einem

180 Belege wurden lediglich für das Mannheimer und das Bremer TK gefunden.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Tagebucheintrag vom 11.5.1945 in (101) belegt der Nervenarzt und Direktor der Städtischen Nervenklinik Bremen-Osterholz Dr. Walter Kaldewey (1896–1954) das Verhalten seiner zeitgenössischen Mitbürger mit moralischer Skepsis. Die materielle Bereicherung, sprich das Rauben und Plündern, wird mithilfe der infiniten können-Konstruktion eingangs missbilligt und schließlich mit Verweis auf die Gefahr eines Ausbruchs negativer(r) Wesenszüge eines Volkskörpers untermauert. Diese diskursgrammatische Bewertungsstrategie belegt auch das dritte Beispiel aus der frühen Aufbauzeit. Es übermittelt die Desillusionierung über die 1949 gescheiterte Kooperation der SPD mit den im Verein der Verfolgten des Naziregimes organisierten Betroffenen. Diese Konstruktion entfaltete das pragmatische Potenzial, in einem kritisch-entlarvendem Duktus die Befindlichkeiten, Ressentiments, den Größenwahn oder andere als moralisch unangemessen eingestufte Urteile zu rekonstruieren. Sie lässt sich als Element einer globaleren Strategie der (moralisierenden) Distanzierung identifizieren. In diesen Funktionsbereich des Urteilens, Konstruierens und Imaginierens fallen auch die bereits diskutierten PVM-Komplexe, die für diese dritte erinnerungskulturelle Phase in der Nebensatzstellung [VVPP werden VMFIN] vollständig erhoben und einer Feincodierung unterzogen wurden. Für die Annotation wurden die leicht frequenteren Nebensatzvorkommen ausgewählt (vgl. Tab. 10), da sich nur mit dieser Clusterbildung in der rechten Verbklammer ein später angestellter Vergleich mit den Kookkurrenzen im DeReKo durchführen lässt.181 Die Verteilung der Modalverben zeigt zunächst keine Abweichung zum DeReKo, in der Wortgrundformenliste DeReWo182 erscheinen die Modalver­ben können und sollen knapp vor müs­sen. Auch in den DeReKo-Abfragen zeigen sich für die Verbindungen werden konnte/konnten im Vergleich zu werden musste/ mussten und werden sollte/sollten ähnliche Verteilungen wie im ZAD, d.h. gut doppelt so viele Vorkommen für das Modalverb können sowie ein leichter Vorsprung von sollen vor müssen.183 Die Anteile sind im Vergleich zum Treffersample aus dem DeReKo jedoch für die sollen-Variante im ZAD signifikant. Betrachtet man die Distribution für die drei Modalverben in den beiden Präteritalvarianten 3. Sg./Pl., dann beträgt die

181 Die passivischen Modalverbcluster in V2-Stellung (rechte Spalte) wurden über die Collocation-Abfrage mit 1-10 Tokens im linksseitigem Kotext in AntConc ermittelt. Die Suchanfragen wurden nach dem Muster *_VVPP werden_VAINF konnte gestellt. 182 Korpusbasierte Wortgrundformenliste DeReWo, v-ww-bll-320000g-2012-12-31-1.0, mit Benutzerdokumentation, http://www.ids-mannheim.de/derewo, zuletzt abgerufen am 19.03.2020 183 Die DeReKo-Trefferzahlen für die Präteritalformen sind im Einzelnen: konnte (291.943)/ konnten (189.873); sollte (166.397)/sollten (83.719); musste (94.768)/mussten (76.127).

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 Korpusanalysen

prozentuale Verteilung für werden konnte/n – werden sollte/n – werden musste/n im ZAD 50–39–21 und im DeReKo 53–28–20. Tab. 10: Modalverben im PVM-Komplex für die ZAD-Phase 1986–2005, * alle Flexionsformen VVPP werden VMFIN

VMFIN ... VVPP werden

können* konnte konnten

194 66 46

136

sollen* sollte sollten

112 45 42

88

müssen* musste mussten

94 20 27

110

dürfen*

9

14

wollen*

1

2

mögen*

0

2

Summe

410

352

MVFIN

Diese auf den ersten Blick nur für sollte auffällige Modalverbverteilung wurde aufgrund des hohen Keynessfaktors der Modalverben und der einbettenden Passivkonstruktionen einer weiteren Annotation unterzogen, um ggf. Besonderheiten in der semantischen Qualität der Verben aufzeigen zu können, die in die Konstruktion eintreten und die im Zusammenspiel mit weiteren Satzkonstituenten entstehen. Zunächst wurden alle Belege des passivischen Modalverbkomplexes in der Nebensatzklammer thematisch nach Zerstörungs- und Aufbaukontexten im engeren Sinn gefiltert, um die Annotation auf der Basis eines überschaubaren Abschnitts vornehmen zu können. Für die Partizipien der so gewonnenen 158 Belege wurden Aktionsart und Aktionalität bestimmt. Nach demselben Kodierungsschema sind auch die partizipialen Slots der passivischen Modalverbkomplexe im DeReKo annotiert worden. Tab. 10 und 11 zeigen Übereinstimmungen und Abweichungen, die besonders für die präteritalen Varianten von sollen und können von Interesse sind, die den Anstoß für diese Form der semantischen Verbkodierung gegeben haben: sollen aufgrund der Abweichungen im Vergleich zur

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 247

DeReKo-Verteilung und können aufgrund des Keyness-Faktors im Vergleich zum nachfolgenden Zeitabschnitt. Das Annotationsschema erfasst die semantische Seite der Verben, die den Partizipien zugrunde liegen, auf zwei verknüpfte Weisen: 1. mit der Bestimmung der Aktionsart, die auch für die Hilfsverbselektion im Perfekt verantwortlich und die diskursgrammatisch für die Ereignisperspektivierung relevant ist, und 2. in Kombination mit den Eigenschaften eines (mehr oder weniger aktiv handelnden) Subjektaktanten, was mit dem Kriterium der Aktionalität wiedergegeben wird (Handlungs- oder Kognitions-/Kommunikationsverben). Unter der Voraussetzung, dass mit dieser Schlüsselkonstruktion wesentliche Transformationen im ZAD beschrieben werden, liegt die Vermutung nahe, dass ein für diesen Diskursausschnitt typisches sprachliches Muster in Erscheinung tritt, für das die telische Aktionsart transitiver Verben charakteristisch ist. Denn das Bombardement bewirkt einen Zustand, der als Grad und Ausmaß der Zerstörung beschrieben wird, und auch den Aufbautätigkeiten wohnt ein gewünschter und begründeter Zielzustand inne. Das Telos des Zerstörungsereignisses wird möglicherweise im Prozess des Aufbaugeschehens „kompensiert“. Die IDS-Grammatik unterscheidet zwischen Transformativität und Telizität explizit am Beispiel der Aktionsart für die Verben zerstören und aufbauen (vgl. Zifonun 1998:1867). Beide werden als transformativ eingestuft, da sie eine Zustandsveränderung, nicht aber notwendigerweise einen Endzustand implizieren, und somit keinen Grenzphasenbezug aufweisen. Für die vollständige Semantik beider Verben gilt: Wie stark die Zerstörung ist, wie lange sie andauert oder womit eine Aufbauleistung vollbracht wird, kann über Adverbiale ergänzt werden. Telizität ist somit keine feste semantische Eigenschaft allein von Verben. Sie entsteht vielmehr im Zusammenspiel von Verb und Aktanten. Die zweiwertigen transformativen Verben zerstören und aufbauen können durch das Akkusativkomplement telische Qualität erlangen (Zifonun 1998:1868), und die Annahme scheint plausibel, dass die Telizität mit der Subjektpromotion des Patiens im Vorgangspassiv weiter ansteigt. Transformativität ist Bedingung von Telizität, wobei die Markierung der Phasengrenze (d.h. Beginn und Ende bzw. inchoative und egressive Aktionsart) vom weiteren Kotext abhängt. Bezogen auf ihr syntaktisches Verhalten können die transformativen Verben anders als nicht-transformative i.d.R. attribuierbare Perfektpartizipien bilden (z.B. die zerstörte Stadt, das wiederaufgebaute Rathaus). Unter die nicht-transformativen Verben subsumieren Zifonun et al. (1998: 1864f.) kursive und intransformative Verben. Kursive oder auch atelische (vgl. Duden 2016:416) Verben konstituieren eine Ereignisperspektive ohne inhärenten Kulminations- oder Endpunkt (z.B. blühen, schlafen, arbeiten, beobachten, streicheln, sich ärgern, abnehmen). Der Vollzug einer Handlung oder eines Prozesses

248 

 Korpusanalysen

kann durch unterschiedliche konventionelle Zeitvorstellungen und auch durch Wiederholungen geprägt sein. Als intransformativ (Zifonun 1997:1864f.) bzw. kontinuativ (Duden 2016:416) gelten Verben dann, wenn sie das Nichteintreten einer Zustandsänderung bezeichnen (bleiben, fortfahren). Unter der Verbklassifizierung Aktionalität fasst der Duden (2016:419) die semantische Rolle des Subjektaktanten, der ein Agentivitätsgefälle von den Handlungs- (singen) über die Vorgangs- (wachsen) und Zustands- (liegen) bis zu den kausativen Verben (Die Kleider trocknen.) aufweist. Für das Annotationsschema wurde aufgrund der Beleglage zwischen Handlungs- und solchen Verben unterschieden, die Denk- und Kommunikationsprozesse bezeichnen. Eindeutige Zuordnungen sind an dieser Stelle immer dann schwierig, wenn die Bedingungen der Handlungsdurchführung nicht ganz klar sind, wenn z.B. durch einen kommunikativen oder gedanklichen Aufwand Probleme gelöst werden konnten, deren materiell-physische Begleithandlungen (Gespräche, Reparaturen u.Ä.) der Vorstellung überlassen sind. Tab. 11 zeigt in der verbalgrammatischen Auswertung für das DeReKo eine Prävalenz der egressiven Aktionsart, die den Endzustand einer Handlung profiliert. Eine andere Richtung schlägt die frequente Partizipialform des kursiven Verbs nutzen ein, die sich mit dem PVM-Komplex zur Beschreibung eines Potenzials verfestigt und somit den Charakter einer Eigenschaftszuschreibung erhält. So können Waren oder Dienstleistungen kostenlos, weiter, ganzjährig oder längerfristig genutzt werden. Der hochfrequente Kollokator des PVM-Komplexes nicht (Rang 1–4) verbindet sich jedoch selten mit dem kursiven Verb nutzen. Er tritt bevorzugt mit den für den Verbalkomplex referenzkorpustypischen egressiven Verben erreichen, nachweisen und verhindern bzw. auch mit inchoativem umsetzen auf. Abgesehen von den PVM-Komplexen mit konnten – das zahlreiche Funktionsverbgefüge mit sozial-kognitiver Semantik aufweist wie in Einklang gebracht werden konnten, auf einen Nenner gebracht werden konnten oder auch festere AdjektivVerb-Verbindungen wie geltend und verantwortlich gemacht werden konnten – überwiegen in den PVM-Komplexen im DeReKo negierte Handlungsverben mit telisch-egressiver Aktionsart. Noch stärker dominiert die egressive Aktionsart bei den Verben im PVM-Komplex mit sollen, allerdings ist hier das Verhältnis von Handlungs- und Kommunikationsverben ausgeglichener. Dies hängt vermutlich mit der Prävalenz von Funktions- und Nominalisierungsverbgefügen in diesem syntaktischen Kontext zusammen. Auch hier finden sich zahlreiche Verbindungen aus NPen und PPen mit den Funktionsverben machen, bringen und stellen. Es entstehen Phraseme, die für die Versprachlichung kommunikativer Handlungen im öffentlichen Sprachgebrauch kennzeichnend sind: in Einklang gebracht werden sollen, unter einen Hut gebracht werden sollen, Gebrauch gemacht werden

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 249

Tab. 11: Verbalgrammatische Kodierung der Partizipien in Verbindungen mit PVM- Komplexen für Modalverben in unterschiedlichen Flexionsformen, Anzahl der (codierbaren) VVPPen ohne absolute Belegzahlen, erhoben im DeReKo über Cosmas II Aktionsart (VVPP) PVM-Komplexe mit den drei jeweils häufigsten partizipialen Verbindungen (VVPP)

telisch inchoat.

egressiv

VVPP werden kann genutzt, erreicht, umgesetzt

2

7 erreicht

VVPP werden können genutzt, eingesetzt, vermieden

2

VVPP werden konnte erreicht, genutzt, nachgewiesen

Aktionalität

transformativ

kursiv in-transf.

Kognitions-/ Hand­lungs­ Kommunika­ verb tionsverb

2

11

3

9 verhindert

3

12

2

1

10 erreicht

2

10

4

VVPP werden konnten genutzt, eingesetzt, umgesetzt

2

11 Probleme gelöst

1

4

10

VVPP werden muss/ muß getan, neu aufgerollt

1

7 bezahlt

6 getan

10

4

VVPP werden müssen bezahlt, (stationär) behandelt

1

6 bezahlt

7 behandelt

8

6

VVPP werden musste/ mußte (ins Krankenhaus) gebracht/eingeliefert, abgesagt

2

9 ins Krkh. gebracht

3

14

13 in Einkl. gebracht

1

9

5

VVPP werden mussten/ mußten behandelt, in Einklang gebracht

3

nichttransformativ

VVPP werden soll gebaut, in die Tat umgesetzt

1

10 gebaut

1

2

8

6

VVPP werden sollen finanziert, in die Tat umgesetzt

2

8 gebaut

2

2

10

4

13 gebaut

1

6

8

8 gebracht

3

8

6

VVPP werden sollte gebaut, rückgängig gemacht VVPP werden sollten eingesetzt, gebracht

3

250 

 Korpusanalysen

Tab. 12: Verbalgrammatische Kodierung der im thematischen Kontext von Zerstörung und Aufbau auftretenden Partizipien in Verbindung mit passivischen Modalverbkomplexen für Modalverben in unterschiedlichen Flexionsformen, erhoben im ZAD-Teilkorpus für Phase 3 Aktionsart (VVPP) telisch

PVM-Komplex

inchoativ

egressiv

VVPP werden kann

Aktionalität

transformativ

1

VVPP werden können

nichttransformativ kursiv intransf. 9

4

1

VVPP werden konnte

5

12

9

VVPP werden konnten

6

11

11

1

1

Kognitions-/ Hand­lungs­ Kommunika­ verb tionsverb 4

7

4

1

26

1

22

5

VVPP werden könnte

2

1

1

VVPP werden könnten

4

3

1

VVPP werden muss/muß

1

1

1

1

2

2

2

3

VVPP werden müssen

1

VVPP werden musste

2

1

1

4

VVPP werden mussten

4

1

2

5

VVPP werden müsste

1

1

3

3

VVPP werden müssten

1

VVPP werden sollen

2 5

1

VVPP werden sollte VVPP werden sollten

13 2

10

2

2

2 1

7

1

14

9

3

1

13

3

sollte, zum Ausdruck gebracht werden sollte, zur Verfügung gestellt werden sollten und Weichen gestellt werden sollten. Für die Verbalkomplexe in der dritten ZAD-Phase sind im Vergleich zu diesen Ergebnissen drei Besonderheiten festzustellen, die die tabellarische Übersicht (vgl. Tab. 12) veranschaulicht: 1. die geringen Vorkommen des Clusters ohne jede semantische Profilierung für das Modalverb müssen, 2. das verstärkte Eintreten kursiver Verben in die PVM-Komplexe für die Präteritalvarianten konnte/n und sollte/n und 3. die Dominanz der Handlungsverben für alle Komplexvarianten. Die verbalgrammatischen Profile für die Komplexe mit den präteritalen Formen sollte/n und konnte/n prägen ein semantisches Merkmal aus, das im Aufbaudiskurs das Entstehen, aber auch das (Weiter-)Bestehen eines Vorzugs der städtebaulichen Aufbaugestaltung anlegt. Insofern eine Vorgeschichte für den

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 251

gegenwärtigen Eindruck verfügbar gemacht wird, handelt es sich um einen erinnerungskulturellen Akt, der über die Wahl des Modalverbs können rechtfertigenden Charakter erhält: Die im Können implizierte Anstrengung, d.h. die Freude über das Gelingen, wird nicht allein diskursiv oder über das Beisteuern eines Wissenshintergrunds hergestellt, sondern in erster Linie über grammatische Präsuppositionsfaktoren erzeugt. Der emergente diskursgrammatische Sinn umfasst grob gesprochen die Konstitution einer Erfolgsstory. Wohnviertel und Grünflächen wurden nicht einfach geschaffen, ein Aufbauprojekt realisiert, sondern etwas wurde zum langfristigen Wohl erreicht: eine starre Zeilenbauweise konnte vermieden (103), eine Grünanlage genutzt (Implikation: bis heute nutzbar) (104), Wohnungen preiswert angeboten und ein Neubau bezogen werden (105). Über die aufgerufene Erfahrung gesellschaftlicher und materieller Hindernisse (Weinrich 1997:297, vgl. Abschn. oben) werden die Aufbauprojekte als beachtliche Leistung entworfen, die fortdauert und in die Gegenwart hineinragt. Hierzu tragen insbesondere die kursiven und transformativen Verben bei, die in die Konstruktion eintreten. Hinzu kommt für einige Beispiele, die dem Muster aus PVM-Komplex mit präteritalem können und einem kursiven oder kursiv auffassbaren Verb folgen, eine handlungsimplizierende Aktionalität des passivierten Verbalgeschehens. Über den Aktionsartkontrast zum Gebrauchsmuster des PVM-Komplexes in der öffentlichen Kommunikation treten saliente Kontexte im ZAD hervor, in denen sich der PVM-Komplex mit kursiven Verben als möglicher Knotenpunkt des K-Profils für den erfolgreichen Aufbau der Stadt in der Nachkriegszeit erweist. In den folgenden Beispielen finden sich im Umfeld der Konstruktion die Hochwertwörter stolz, Natur oder Freiheit, aber auch Identifikationskonstruktionen für Bewohner und Leser wie „Lieblingskind“ dieser Epoche oder das possessive ihren Wolkenkratzer: (103) Mannheim-Feudenheim, Lageplan der Aubuckel-Siedlung, Gemeinnützige Baugesellschaft m.b.H. Mannheim, 1955–1958. Verschiedene Häusertypen wurden locker um den geschwungenen Verlauf des Adolf-Damaschke-Rings angeordnet, so daß die starre Zeilenbauweise vermieden werden konnte. (MA 1999 KAT Schenk, 28, Bildunterschrift) (104) Eine weitere städtebauliche Besonderheit der 50er Jahre sind die Wohnhochhäuser, die als „Lieblingskind“ dieser Epoche bezeichnet werden können. Sie ermöglichten es, viel Wohnraum bei einer nur geringen Überbauung der Grundfläche zu schaffen, so daß der gewonnene Freiraum für Grünanlagen genutzt werden konnte. Gleichzeitig bildeten die Wohnhochhäuser in Bauensembles oder auch als alleinstehende Punkthochhäuser städtebaulich prägnante Punkte. Ein Mannheimer Beispiel stellt das Frauenwohnheim am Stephanienufer dar, das die GBG 1952 errichtete.33 Es sollte mit seinen 99 Wohneinheiten alleinstehenden berufstätigen Frauen, „unter Wahrung ihrer persönlichen Freiheit eine individuelle Wohnmöglichkeit“34 bieten und gleichzeitig die Untermietverhältnisse entflechten. (...) Das zehngeschossige Hochhaus beinhaltet durch seine Lage am Waldpark zugleich den städtebaulichen Grundgedanken der Einbeziehung der Natur. Das Gebäude

252 

 Korpusanalysen

war zu dieser Zeit das höchste Wohnhochhaus Mannheims, weshalb die gesamte Stadt „stolz auf ihren Wolkenkratzer“Fn war. (MA 1999 KAT Schenk, 29) (105) Heute steht an dieser Stelle der Neubau des Rot-Kreuz-Krankenhauses, die Seefahrtsschule (inzwischen Hochschule für Nautik) war nach dem Krieg zuerst an verschiedenen Stellen provisorisch untergebracht, bis 1958 der Neubau auf der Werderinsel bezogen werden konnte. (HB 1999 BIB Spiess, 13)

Für die Verbindung genutzt werden können finden sich auch in der 4. Phase des ZAD zahlreiche Beispiele. In (105) tritt genutzt in Kombination mit wahrgenommen auf. Als weitere kursive Verben mit präsupponiertem Agens und passivischem Patienssubjekt sind u.a. beginnen, feiern und unterrichten belegt (107–108). In einem Bremer Stadtgeschichtsbuch (109) wird die Effektivität von Provisorien während des Krieges hervorgehoben: (106) An erster Stelle stand die vielerörterte Frage, ob aus der traurigen Bilanz der Zerstörung wenigstens ein Aktivposten wahrgenommen und genutzt werden konnte: nämlich die Chance, in den zerstörten Stadtbereichen städtebaulich neu zu ordnen und zu gestalten. Diese Frage wurde auch im Hinblick auf das Mannheimer Schloß und seine eigenartige Lage inmitten der Verkehrswege von Bahn- und Fahrverkehr nach Ludwigshafen erörtert. (MA STF Svoboda 1990, 53) (107) Nach Kriegsende bemühte man sich, so schnell wie möglich die Reste der baulichen Substanz des zerstörten Domes zu sichern. Am wichtigsten war es deshalb, dass der Dom zunächst einmal ein Dach bekam. Auf dem Foto von 1946 ist die 30 Tonnen schwere stählerne Dachkonstruktion schon aufgesetzt und der östliche Teil des Daches geschlossen. Später wurde es mit Kupferblech gedeckt. Danach konnten die Sicherungsarbeiten im Dom beginnen, sodass zu Libori 1948 – neben dem weltlichen Fest der Paderborner Liborikirmes in der Stadt – die Gottesdienste wieder im Dom gefeiert werden konnten. Die sieben Glocken des Domgeläuts wurden 1951 in den Turm gehängt, der 1954/55 in Anlehnung an die Türme der Pfarrkirche in Erwitte und der Patroklikirche Soest einen neuen Helm bekam. (PB 2002 BIB Vogt, 19; Bildunterschrift) (108) Die Bonifatiusschule, die hier als Beispiel dienen soll, hatte gegen Ende des Krieges als Militär- und anschließend als Seuchenkrankenhaus gedient, bevor rund 500 Schüler, in zehn Klassen aufgeteilt, in nur 5 Räumen von neun Lehrern wieder unterrichtet werden konnten. (PB 1999 SGe Hüser, 313) (109) Bis Februar 1945 erholte sich der Güterverkehr in Bremen wieder etwas, behielt aber doch nur ein sehr niedriges Niveau (etwa ein Drittel des Volumens von Anfang 1944). Umleitungen und fieberhafte Wiederherstellungsarbeiten unter Einsatz von zahlreichen Arbeitern, u. a. von Ausländern und Strafgefangenen, erreichten, daß der Verkehr bis Ende März 1945 einigermaßen aufrechterhalten werden konnte. (HB SGe 1995 Schwarzwälder, 492)

Es bleibt festzuhalten, dass das K-Profil des gelungenen Aufbaus hinsichtlich neuer Erfordernisse und auch im Anschluss an Traditionen mit dem PVM-Komplex mit konnte/n und sollte/n in den Teilkorpora im Aufbaukontext zur Aufwertung der Arbeitsleistung diskursspezifisch nachweisbar ist.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 253

Die Chance zur Neugestaltung kompensiert in Beleg (106) aus einem Mannheimer Stadtführer die Negativbilanz der Zerstörung. Die Neugestaltung besitzt im Wirtschaftsjargon als Aktivposten den Vorteil, dass sie der Stadt nicht nur ästhetisch, sondern auch – die Metapher ist sprechend – ökonomischen Zugewinn verspricht. Selbst das historisch bedeutsame Mannheimer Barockschloss wird hinsichtlich seiner verkehrsgünstigen Lage betrachtet. Bessere Verkehrswege und eine städtebauliche Umgestaltung zugunsten der Verkehrsströme sind der ökonomischen, zukunftsgerichteten Aufbauperspektive geschuldet, die in den Bremer Dokumenten etwas stärker durch reflektierende Stimmen gebrochen ist als in den Kommunikaten der beiden anderen Städte. In den Paderborner Belegen aus einem Bildband (107) und einer Stadtgeschichte (108) erscheint der Aufbau auch auf Lexemebene als Wiederaufnahme des alltäglichen Lebens, das mit den kursiven Verben feiern und unterrichten beschrieben wird. Die Kookkurrenzen zum Adjektiv bzw. Verbpartikel neu in den Belegen aus Mannheim und diejenigen zum Adverb bzw. Verbpartikel wieder in den Belegen aus Paderborn sind in der Einbettung in den präteritalen PVM-Komplex mit können Teil eines Deutungsmusters, das in der diskursgrammatischen Konstellation semantisch ein Wiedererwachen des Alltagslebens impliziert. Sie stützen die kursive atelische Lesart. Als weitere Komponenten bzw. Kontextualisierungshinweise können im unmittelbaren Kotext mit den weiteren Vorkommen von können sowie dem Vorgangspassiv Grounding-Faktoren identifiziert werden, die die Ereignisperspektive und ihre modale Hinderniskonstitution in einem konzessiven Sinn verankern (‘trotzdem wurde so schnell und effizient wieder aufgebaut’). Die ermittelte diskursgrammatische Figur findet sich im Bremer Teilkorpus auch im Kontext der Zerstörung. Die Binnenperspektivierung der kursiven Verben wie hindern in (110) bewirkt hier die Übernahme der Perspektive des deutschen Militärs, durch dessen schwindende Kraft nur noch geringe Hoffnung besteht, den zerstörerischen Akten etwas entgegenzusetzen (konnte ... ein Ende bereiten). (110) In dieser Zeit wurde jedem deutlich, daß die britischen Flugzeuge nicht mehr daran gehindert werden konnten, nach Norddeutschland einzufliegen; nur eine Invasion in England, mit der damals noch allgemein gerechnet wurde, konnte den Luftangriffen ein Ende bereiten. (HB 1995 Schwarzwälder, 564)

Auch die mit einer Außenperspektive (Duden 2016:418) assoziierten telischen Verben treten im Teilkorpus dieser ZAD-Phase in die PVM-Komplexe ein, sie unterscheiden sich kaum von den typischen Vorkommen im DeReKo und narrativieren – so sie ohne Negator auftreten – für den Aufbaudiskurs die Vorzüge der Aufbauprojekte.

254 

 Korpusanalysen

(111) Die markanten Baudenkmäler der Stadt waren zwar überwiegend ausgebrannt, doch waren die Umfassungswände fast überall soweit erhalten, daß ein Wiederaufbau möglich war, und diese Bauten als städtebauliche Mittelpunkte in die Neugestaltung einbezogen werden konnten. (PB 1991 DID Düsterloh, 77)

Die Abgrenzung zur kursiven Verbsemantik ist hier nicht eindeutig, eine Interpretation ist denkbar, in der auch für weitere Bauprojekte die einmal entstandenen Mittelpunkte einbezogen werden. Es treten somit auch nicht prototypisch telische Verben in dieses verbalgrammatische Schema ein. Sie profilieren das Ende einer Handlung oder eines Prozesses, und vermitteln grundsätzlich eine Vorstellung des Andauerns (aus der Binnenperspektive heutiger Aufbaumaßnahmen). Die in (111) beschriebenen erhaltenen Fassaden bilden den Ausgangspunkt einer Neugestaltung und werden zur Rekonstruktion genutzt. Als übersummatives Ziel wird hier greifbar, das Alte als etwas Bewahrenswertes in die Neugestaltung einzubeziehen. Die Nachteile einer modernen Neugestaltung werden als deagentivierte Prozesse präsentiert, dabei jedoch weder erläutert noch begründet. Sie sind in einer Vorstellung des Bewirkens festzustellen und werden durch die Substantivierung im Entstehen einer „City“, die den Wohnbau... verdrängte, zu verselbständigten Akteuren einer Wirtschaftssphäre mit der ihr eigenen Prozesslogik: (112) Es entstand eine „Neue Stadt“ als Wohnort, in der die städtebaulichen Leitgedanken der 50er Jahre mit ihrem großen Platzbedarf unbeschwert verwirklicht werden konnten. Das Gegenstück zu dieser Entwicklung war das Entstehen einer „City“, die den Wohnbau immer stärker aus der Innenstadt verdrängte.Fn Auch in Mannheim war eine erhebliche Zunahme von unbewohnten Flächen in der Innenstadt festzustellen, einerseits durch unbebaute Quadrate zur Auflockerung des Stadtgefüges, andererseits durch das Hereindrängen von Geschäftsbauten oder Träger zentraler und wirtschaftlicher Funktionen, die teilweise ganze Quadrate einnahmen. (MA 1999 KAT Schenk, 26f.)

In der grammatischen Gestaltung dieser Passage werden zwei Deutungsmuster manifest, die durch den Wechsel von präteritalem entstand zum nominalen Konvertat Entstehen symbolisiert werden. Auch diesen Formen ist der Kontrast zwischen telisch abgeschlossener Vergangenheit (entstand) und kursivem Prozess (Entstehen) inhärent. Die präteritale Verbform entstand zielt auf das mit leerem es eingeleitete Pseudocleft-Schema „Neue Stadt“ als mehrfach erweitertem komplexen Subjekt. Der attributive Relativsatz endet mit dem rhematischen PVM-Komplex verwirklicht werden konnten und rückt besonders deutlich mit der Endstellung des Modalverbs die Entfaltung eines Potenzials in den Mittelpunkt (trotz denkbarer Hindernisse bzw. allen Unwägbarkeiten zum Trotz). Nicht nur inhaltliches, sondern auch grammatisches Gegenstück der folgenden Passage stellt das syntaktische Konvertat Entstehen dar. Der vergegenständlichte andauernde Prozess gewinnt die Kraft, einen anderen vergegenständlichten Prozess,

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 255

nämlich den Wohnbau (...) aus der Innenstadt zu verdrängen. Die Deverbativa Entstehen, Wohnbau und Zunahme treten auf der obersten Funktionsebene des Satzes in Komplementrollen (Subjekte und Prädikativa) auf, so dass Akteure dieser reifizierten Handlungen gedanklich und potenziell auch grammatisch einsetzbar sind. Jedoch verschwindet die Akteursrolle mit der Nominalisierung Auflockerung auf der dritten Ebene der Gliedposition, d.h. konkret in der PP zur Auflockerung des Stadtgefüges, die selbst das Kausaladverbial durch unbebaute Quadrate attribuiert. Dass es Personen oder Institutionen gegeben haben mag, die diese Auflockerung mitentschieden haben, ist an dieser Stelle grammatisch, konzeptionell und somit gedanklich schwer ergänzbar. Abschließend seien für die PVM-Komplexe mit sollte/n zwei Aspekte skizziert. Lexikalisch sticht die im DeReKo ermittelte Wortverbindung gebaut werden sollte heraus, enthält sie doch einen Themenhinweis auf die Errichtung von Bauwerken. Die Subjekte verweisen auf die pressetextsortentypischen Zentren diskursiver Agonalität: Man streitet darum, ob irgendwo eine Mülldeponie gebaut werden sollte oder im Plural Windräder und (generisch aufzufassende) Kraftwerke gebaut werden sollten. Die kookkurrierende konditionale Einbettung über den Konnektor wenn auf Rang 2 selegiert die Konjunktivlesart (wenn eine Mülldeponie gebaut werden sollte), womit ein weit reichender Unterschied zu den ZADKotexten vorliegt, in denen die präteritale Lesart der beiden Formen überwiegt. Wiedergegeben werden in der sozial-zeitlichen Distanz die Interessen anderer. Die Sprecherperspektive changiert zwischen Referat und Unterstützung, wobei sie sich mal bruchlos und ohne geltungseinschränkende Mittel an das Gebotene anschließt, mal Positionen in distanzierender Modalität wiedergegeben werden. Mit den Allianzen, die in den Kotexten mit sollte/n gestiftet werden, treten auch unterschiedliche Bewertungen zutage. Sie reichen vom Bedauern über das Scheitern einer als geboten empfundenen Wiedererrichtung historischer Bauten in einer Bremer Stadtgeschichte – verbunden mit dem Betrauern des Verlusts der Kirche, deren Turm die Stadtsilhouette der Vorkriegszeit wie keine andere geprägt haben soll (113) – über das Lob des Pragmatismus der Neubau-Phase in einem Katalog der Stadt Mannheim (114) bis zum Übertreffen einstiger Erwartungen in der Paderborner Stadtgeschichtsschreibung (115), in der die Zerstörung der Altstadt als historischer Glücksfall (historische Sensation) gewertet wird. Dieser Beleg verstärkt das Image Paderborns als Stadt eines frühmittelalterlichen Erbes: Denn, so die Argumentation in (115), hätten die Trümmer der Fachwerkhäuser am Ikenberg infolge der Zerstörung nicht abgetragen werden müssen, wäre die schon lange in Paderborn vermutete Kaiserpfalz Karls des Großen bis heute unentdeckt geblieben:

256 

 Korpusanalysen

(113) Unterdessen entwickelte sich die Innenstadt immer mehr zu einer Dienstleistungscity. Die vielen Baracken, die in den Ruinen entstanden waren, mußten Kontorhäusern, Kaufhäusern und Parkhäusern Platz machen. Die Reste der Ansgarii-Kirche wurden abgerissen, damit Hertie bauen konnte. Auf der Grundfläche des alten Katarinenklosters entstand eine Hochgarage. Dort, wo das Kornhaus wiederaufgebaut werden sollte, befindet sich heute ein Parkplatz (Am Fangturm). Die Jacobi-Bierhalle, die in einer alten Klosterkirche lag, mußte dem Martinistraßen-Ausbau weichen (HB 1997 BIB Aschenbeck, 14) (114) Hinsichtlich der Gestaltung der neu gebauten Wohnungen im geförderten Wohnungsbau setzte das I. Wohnungsbaugesetz von 1950 wichtige Rahmenbedingungen. Es formulierte als Ziel, die zwangsbewirtschafteten Wohngemeinschaften aufzulösen, weshalb möglichst viele kleine Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 32 und 65 qm pro Familie gebaut werden sollten. 75% der neu gebauten Wohnungen waren zu diesem geforderten Kleinstwohnungsbau zu rechnen. (MA 1999 KAT Schenk, 24) (115) Der Ikenberg, das war doch nur ein schlichter Abhang zwischen dem östlichen Paderquellbecken und dem Dom – ein Trümmergrundstück aus dem 2. Weltkrieg, das 1963 endlich neu bebaut werden sollte. Dass der Ikenberg ein Geheimnis barg, dessen Entdeckung einer historischen Sensation gleichkommen sollte, war unvorstellbar. (PB 2001 SGp Flüter, 25)

In diesem kotextuellen Umfeld des PVM-Komplexes mit sollte geht es inhaltlich um den Verlust eines Wahrzeichens (Bremen), den Zugewinn einer historischen Sehenswürdigkeit (Paderborn) sowie das Schaffen von Wohn- und Lebensbedingungen, die an moderne Bedürfnisse angepasst sind (Mannheim). Die eigenlogischen Aspekte der Erinnerungskultur werden diskursgramma­ tisch in ähnlicher Weise über die Wertungsstrategie des PVM-Komplexes mit sollte/n verfügbar gemacht. Die kommunikative Maxime von sollte in der Präte­ ri­­talform liegt pragmatisch betrachtet in der Anführung „guter Gründe“, die Diewald (1999:200f.) für alle Vorkommen der sollte-Variante in ihrem Korpus feststellt. Diese Form erhält die ethisch gefärbte Konnotation, die in den Paraphrasen ‚Ratschlag‘, ‚Empfehlung‘, ‚Maxime‘ anklingt: Jeder vernunftbegabte Mensch wird die Gültigkeit der Bedingung anerkennen und daher auch die daraus sich ergebende Forderung. Der Sprecher selbst hat sich scheinbar völlig zurückgenommen.

Es ist offensichtlich, dass die vorliegenden sollte-Vorkommen weder dem sollte im Konjunktiv von Bedingungssätzen entsprechen noch der deontischen Lesart, die das Gebotene wiedergibt (Diewald), geschweige denn der epistemischen Lesart, bei der die Behauptung Dritter in distanzierter Weise wiedergegeben wird, wie es für das indirekte Referat von Presseberichten kennzeichnend ist. Doch auch die bereits diskutierte narrative Verwendung liegt hier nicht vor. Es fehlt der ihr

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 257

eigene, Spannung erzeugende Zukunftsverweis aus der Vergangenheit.184 Die diskursgrammatische Bedeutsamkeit für das ZAD kommt durch die Verwendung in Kombination mit dem Vorgangspassiv zustande, dessen Perfektpartizip die Funktion aufweist, das symbolisch Benannte an dem Endpunkt der Geschichte zu lokalisieren, welcher für dessen Entfaltung wesentlich ist, womit das Benannte in seiner Zweck- oder Resultatcharakteristik kommunikativ zur Geltung kommt. (Redder 2003:174, Hervorh.i.O.)

Dieser Zweck- oder Ergebnischarakter des historischen Aufbauprozesses wird mit den Passivsubjekten eingelöst: Das Kornhaus, möglichst viele kleine Wohnungen mit einer Wohnfläche zwischen 32 und 65 qm pro Familie und der Ikenberg rücken ins Zentrum einer verräumlichten Erinnerungskultur, in der sich folgende inhaltliche Topoi kristallisieren: das verborgene „alte“ Bremen, das an das moderne Leben angepasste Mannheim und das wiederentdeckte mittelalterliche Paderborn. 6.1.4.4 Phase 4 (2006–2016) Wie werden die bisher besprochenen Kontextualisierungen prozessiert? Wel­che Wiederholungen garantieren ihr Fortbestehen, aber auch ihre Ver­än­de­rung (vgl. Winkler 2016:67ff.) mit verschiedenen Arten der An­passung an kom­pri­mierte Formate der Erinnerungskultur, die ab der Jahrtausendwende hin­zu­treten, wie Wikipedia-Seiten, Städte-Apps, Stadtführer und Geschichts­tafeln? Die präteritalen PVM-Kom­plexe ver­­festigen sich in neueren Darstellungen als Formen der Aktu­a­li­sierung des Zerstö­rungs­geschehens und der Aufbaudynamik mit hohen Frequenzen für das präteritale konnte und sollte wie erstmals in der dritten ZADPhase (vgl. Tab. 14) Methodisch war die Verfestigung für die Aufbaukontexte durch Frequenzen, je­­doch nicht direkt durch Verteilungs­un­­ter­­schiede zum Referenzkorpus nach­ weis­­bar. Unterschiede lagen vielmehr in der Semantik der Verben (Aktionsart und Ak­tio­nalität), die auch oder typischer­weise in die verbalgrammatischen Komplexe eintreten. Darüber hinaus wurde das Deutungsmuster durch die Untersuchung der diskursgrammatisch einschlägigen Verknüpftheit mit lexikalischen Kontextualisierungshinweisen weiter konkretisiert. Die PVM-Komplexe mit konnte/n und sollte/n bilden in dem Geflecht aus indexikalischen Relationen

184 Die folgenden Beispiele aus Zifonun (1997:1894) sind einem Medizin-Essay (a) und einer Tageszeitung (b) entnommen: (a) Diese Annahme sollte sich als richtig erweisen. (b) Aber das sollte sich ändern.

258 

 Korpusanalysen

Knotenpunkte. Dieser sich wiederholende Kern setzt die Dynamik einer kontinuierlichen oder diskontinuierlichen Clusterbildung in Gang. Das Cluster aus Kontextualisierungshinweisen verdichtet sich um diesen Kern herum, so die Vorstellung, und ist, auch wenn es sich herausgebildet hat, mit Blick auf ein diskursbezogenes Deutungsmuster in Bezug auf die Lexik dynamisch. Eine geeignete Veranschaulichung dieser Verfestigung durch Dynamik stellen m.E. die im Zeitablauf dargestellten Wörter-Bubbles in Voyant dar, die sich – je nach Frequenz in einem Zeitabschnitt – vergrößern oder verkleinern, annähern oder distanzieren, für gewisse Zeiträume Cluster bilden, um sich wieder voneinander abzustoßen. Ihre prozessuale Musterhaftigkeit ist indexikalisch für eine zeitliche Diskursentwicklung. Tab. 13: Frequenz der PVM-Komplexe in der 4. Phase Modalverben im PVM-Komplex

Anzahl

können [VVPP werden konnte]

78

[VVPP werden konnten]

29

[konnte (...) VVPP werden]

42

[konnten (...) VVPP werden]

28

müssen [VVPP werden musste]

20

[VVPP werden mussten]

9

[musste (...) VVPP werden]

25

[mussten (...) VVPP werden]

18

sollen [VVPP werden sollte]

60

[VVPP werden sollten]

17

[sollte (...) VVPP werden]

38

[sollten (...) VVPP werden]

12

Insofern Verfestigung nur über Dynamik erklärbar ist, bleibt sie, wie Winkler (2016:68) mit Bezug auf Krämer und Derrida argumentiert, in Wiederholungsprozeduren eingeschlossen. Wiederholung impliziert an sich bereits Dynamik,

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 259

so dass sie als raumzeitlich spezifische Wiederaufführung eine Form der performativen Reinszenierung darstellt. Damit wird die Vorstellung verabschiedet, Serialisierung bestünde in der Wiederholung des Immer-Gleichen. Das serielle Auftreten einer sprachlichen Figur entsteht durch Performanz, die diskursiven Sinn über den Konnex verschiedenartiger Bedeutungsaspekte hervorbringt. Dass am Entstehen dieses Zusammenschlusses nicht nur lexikalische Einheiten beteiligt sind, wird in der vorliegenden Studie über diskursgrammatisch relevante Konnektivitätstypen modelliert. Dies geschieht unter der Voraussetzung, dass Schlüsselwörter und Vokabulare ihre Bedeutungsaspekte erst innerhalb eines morphosyntaktisch gewebten Netzes entfalten, in dem die Semantik der Formen (Partizip, Artikel, Flexionsmerkmale etc.) gerade nicht unmittelbar und nur über die digitale Auswertung zutage tritt. Während in der Sprachwandeltheorie kritische Kontexte identifiziert werden, die eine neue Lesart auslösen, hat der hermeneutische Kontext im Diskurs, der die Entwicklung eines Deutungsmusters steuert, wesentlich mehr Spielraum für Transferprozesse. Für Prozesse der Grammatikalisierung spielen sich die Interpretationen auf einer überschaubaren Fläche funktional verwandter Wörter und Sätze ab. Nach dem untypischen Kontext, der die Vorbedingung der Grammatikalisierung beschreibt, entsteht in der zweiten Stufe im kritischen Kontext eine Mehrdeutigkeit, die eine neue Lesart hinzufügt. Damit tritt die betreffende Form aus dem lexikalischen System heraus und wird grammatisch. Für die Modalpartikel eben führt Diewald (2009:454) den folgenden Beispielsatz aus einer Schrift des 18. Jahrhunderts an: „Man befahl, eben die Marter an mir vorzunehmen.“ Hier kann eben als Temporaladverb (in einem ursprünglichen zeitlichen Sinne) verstanden oder als Skalar- (im präzisierenden Sinne) und als Modalpartikel reanalysiert werden. In der modalen Lesart entfaltet die Partikel im pragmatischen Sinn die Präsupposition, dass der Sprecher betont, er wiederhole etwas Gegebenes. Auf diesen kritischen Kontext, der „als eine Art Katalysator der Grammatikalisierung (fungiert), der sehr oft in der weiteren Entwicklung wieder verloren geht“ (Diewald 2009:454), folgen isolierende Kontexte der Reorganisation, bis schließlich in der von Diewald (2009:453) ergänzten Kontextdimension der „paradigmatischen Kontexte“ eine Integration der Form in ein bestehendes grammatisches Paradigma stattfindet (das der Modalpartikeln, des verbalen Tempus etc.). Die diskursiven Arten des Festwerdens sprachlicher Formen bzw. die Arten der Diskursivierung grammatischer Formen verstanden als Anpassung an typische Formulierungsweisen im Diskurs unterscheiden sich von der Grammatikalisierung, also dem Grammatischwerden sprachlicher Formen in (mindestens) zweierlei Weise: 1. Diskursmuster unterliegen keiner paradigmatischen Organisation, sondern entfalten sich syntagmatisch, d.h. auf der Ebene der Konnektivität. 2. Der Wandel vollzieht sich nicht typischerweise über Ambiguierung der einen Form

260 

 Korpusanalysen

im kritischen Kontext, sondern über die Produktion von Sinn-Verwandtschaften durch metaphorische und andere Kontext-Verschiebungen (Transfer), d.h. ein und dasselbe Muster/Idiom/Wort tritt nicht nur in Verbindung mit dem Thema Aufbau, sondern auch mit der kriegsbedingten Zerstörung, der Neuordnung des Gesellschaftslebens oder im Zusammenhang mit dem Opfergedenken auf. Auf diesen Punkt und entsprechende Beispiele werde ich mit Bezug auf grammatische Pfade der Opfer- und Täterkonzepte im Rahmen der framesemantischen Auswertung (Kap. 6.2) ausführlicher eingehen.185 Für die PVM-Komplexe mit konnte/n und sollte/n hat diese Übertragung insofern Relevanz, als in der letzten und aktuellen Phase der erinnerungskulturellen Verarbeitung regelmäßige Vorkommen sowohl im Rahmen der Zerstörungs- und Aufbauthematik, als auch im sprachlichen Erinnerungshandeln zu verzeichnen sind. Wenn sich diskursiv für die syntagmatische Dimension Ähnliches vollzieht wie in der Grammatikalisierung im Paradigma, sich also Beziehungen zwischen Wörtern zu Kollokationen und Formulierungsroutinen verfestigten, dann entwickelt sich ein Deutungsmuster, das formal als K-Profil gefasst werden kann und dessen Kontextualisierungsleistung etwa für die Aufbauthematik von der Sicht auf die Zerstörungsereignisse im Zuge einer Verschränkung der Diskursstränge nicht zu trennen ist. Hierbei sind grammatische Bindekräfte wirksam oder anders ausgedrückt: Verbalkomplexe oder Valenzbeziehungen „grammatikalisieren“ sich diskursspezifisch, d.h. sie werden diskursgrammatisch. Die Auswertung in Tab. 14 bezieht diesmal nicht nur den Verbalkomplex in Verbletztstellung, sondern auch die V2-Varianten ein, die wie schon in Phase 3 ein weitaus geringeres Vorkommen aufweisen. Es liegt ebenfalls ein Aktionsartkontrast zum Referenzkorpus vor, da vermehrt kursive Verben in die Konstruktion eintreten. Die Belege des PVM-Komplexes mit egressiven und kursiven Handlungsverben werden nach weiteren kotextuellen Besonderheiten wie z.B. einbettenden Konnektoren im Detail ausgewertet. Die Übersicht in Tab. 14 enthält Satz- und Abschnittskontexe sowohl für die Singular- als auch für Plural-Formen. Ebenso werden Haupt- und Nebensatz-Vorkommen zusammenfassend betrachtet, da davon auszugehen ist, dass die Kriterien der Aktionsart bzw. Aktionalität gegenüber diesen Eigenschaften dominieren.

185 Es sei an dieser Stelle nur kurz auf das eingängige und diskursprägende Beispiel der diskursiv selegierten Subjekte für die Kollokation zum Opfer fallen verwiesen. Während im Kontext der Städtezerstörung etwa Barockhäuser den Flammen zum Opfer fallen, wird zehn Jahre später das Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass Innenstädte der Citybildung zum Opfer fallen. Geläufig ist im Gedenkzusammenhang, dass „Menschen aus dem jüdischen Kulturkreis (...) dem Nationalsozialismus (...) zum Opfer (...) fielen.“ (MA HYP Wikipedia).

 261

Diskursgrammatische Konfigurationen 

Tab. 14: Verbalgrammatische Kodierung (Aktionsart und Aktionalität) der im thematischen Kontext von Zerstörung, Aufbau und Opfererinnerung bzw. -gedenken auftretenden Partizipien in Verbindung mit PVM-Komplexen für die Modalverben konnte/n und sollte/n, erhoben im ZADTeilkorpus für Phase 4 Aktionsart des VVPP PVM-Komplex

VVPP werden konnte/konnte VVPP werden

telisch

nicht-transformativ

egressive inchoative egressive Kognitions-/ Handlungsverben Handlungsverben Kommunikationsverben

kursive kursive Kognitions-/ HandlungsKommunikationsverben verben

8

VVPP werden konnten/ konnten VVPP werden VVPP werden sollte/sollte VVPP werden VVPP werden sollten/sollten VVPP werden

2

22

18

11

19

1

10

1

14

1

19

8

8

6

Die Übersichten verdeutlichen, welche Formen sich im diskursgrammatischen Profil um den PVM-Komplex mit konnte/n und sollte/n herum verfestigen. Das kotextuelle Umfeld erweist sich ausgehend von dieser verbalgrammatischen Gestaltung als Kristallisationspunkt für die erinnerungskulturelle Sinnstiftung auch dieser vierten Phase (vgl. Tab. 15). Auf der Ebene der Satzverknüpfung sind konsekutive und adversative Konnektoren zu finden (so, aber, dennoch), während auf lexikalischer Ebene vor allem das Adjektiv neu (speziell für Mannheim), das Adverb bzw. die Präfigierung wieder und auch der Negator nicht (speziell für Paderborn) als Indikatoren auftreten. Inhaltlich werden unterschiedliche Gesichtspunkte des Aufbaus präsentiert. In den Subjektrollen manifestieren sich spezifische Leitlinien: Für Bremen ist es das Primat des öffentlichen Lebens mit der Wiederaufnahme des Betriebs in den Gemeinschaftsbauten und Institutionen, in Mannheim ist es das Primat der Neuerung und Neuschöpfung unter Berücksichtigung historischer Gegebenheiten und in Paderborn zeichnet sich das Primat des rekonstruktiven Aufbaus ab. Es mag auf den ersten Blick nicht zum Deutungsmuster des erfolgreichen Aufbaus passen, dass in (122) und (123) das Scheitern der Wiederherstellung dokumentiert wird. Doch möglicherweise stützen gerade diese Belege, bei denen die inhaltliche Seite in eine andere Rich-

262 

 Korpusanalysen

Tab. 15: Kontextualisierungsprofile für alle drei Teilkorpora mit verschiedenen kookkurrierenden Kontextualisierungshinweisen ausgehend vom PVM-Komplex mit präteritalem konnte/n und egressiven Handlungsverben Bremen

(116) Die Bebauung des „Neuen Bremer Westens“ konnte so ab 1953 zügig durchgeführt werden. (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Kapitel „Wohnen“) (117) In Bremen war von den beiden Spielstätten nur das ehemalige Schauspielhaus am Goetheplatz übrig geblieben, das zwar auch erhebliche Schäden aufwies, aber bis 1950 wiederhergestellt werden konnte (Architekt: Hans Storm) und als Mehrspartenhaus diente. (HB 2014 SGe Syring, 85f.)

Mannheim

(118) Bis 1957 konnten 30 Schulgebäude wiederhergestellt werden, ab 1954 wurde darüber hinaus auch mit dem Neubau von Schulen begonnen. (MA SGp Caroli 2009, 468) (119) So musste manches Projekt vor allem im kulturellen Bereich verschoben werden, etwa die schon Ende der 1950er Jahre geplante Erweiterung der Kunsthalle, die erst Anfang der 1980er Jahre realisiert werden konnte oder der Neubau des zerstörten großen Nibelungensaals, der erst 1974 – nach gewaltigen Kostenüberschreitungen – eingeweiht werden konnte. (MA 2012 SGe Berking, 84) (120) Dabei wurde vor der Neugestaltung eines jeden Saals eingehend die Frage erwogen, wie mit den vorhandenen kostbaren Beständen an Möbeln, Porzellan, Fayence, Silber, Gemälden und anderen Objekten unter Beibehaltung der Stoffbespannungen das Bestmögliche an historischer Raumvorstellung geschaffen werden konnte. (MA 2013 SGp Ellrich, 120)

Paderborn

(121) Zwar stand der Haxthausenhof unter Denkmalschutz, doch in Anbetracht allzu hoher Sanierungskosten konnte er 2006 dennoch abgerissen werden. (PB HP Zeit, Haxthausenhof) (122) Der Wiederaufbau nahm ab 1947 acht Jahre in Anspruch. Nicht alles konnte wiederhergestellt werden. (PB HP Zeit, Markt mit Neptunbrunnen) (123) Nicht wieder hergestellt werden konnte die völlig zerstörte Westempore, die ehemals als Orgelempore diente. (PB 2011 BRO Schäfer, 31)

tung weist, das erinnerungskulturelle Verfahren mit dem Deutungsmuster des gelungenen Aufbaus. Die diskursgrammatischen Indikatoren bestätigen das Desiderat, die zerstörten Elemente, wenn sie nicht wiederzubeleben sind, dann wenigstens zu beschreiben und ihren Verlust als Ausnahme zu markieren. Insbesondere das pronominale Subjekt alles in (122) stiftet die Relation zum Ideal der vollständig „reparierten“ Stadt. Es ist zudem anzumerken, dass die Quantifizierung nicht alles hyperbolische Züge trägt, da historische Bauten in Paderborn anders als im nahe gelegenen Soest oder Münster nur inselartig rekonstruiert wurden. Während die egressiven Handlungsverben im PVM-Komplex mit konnte/n indexikalisch mit dem Aufbauthema in Verbindung stehen, erweist sich die thematische Präferenz für kursive Verben als weniger eindeutig. Gezählt wurden auch einschlägige Belege für den mit den Opfern der NS-Verfolgung assoziierten

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 263

Themenbereich „Erinnern und Gedenken“, so dass hier durch die kotextuellen Bedingungen eine Variante des Deutungsmusters entsteht, die globaler wirkt und nicht auf einzelne Aufbauprojekte zugeschnitten ist: Es ist das trotz diverser Hindernisse Erreichte, das lobend erwähnt wird eingedenk dem vorausgesetzten Vermögen, das Gebotene nach allem, was moralisch, praktisch und erkenntnisbezogen realisierbar war, auch zu vollziehen. In den weiteren Belegen in Tab. 16 sind die Einheiten mit den semantischen Aspekten von ‘Widrigkeit’ und ‘Missstand’ jeweils durch gestrichelte Rahmen markiert. In (130) ist das zu behebende Problem indirekt über die Pläne zur Erweiterung eingeschlossen, denen das Ideal einer Art Konsummeile zugrunde liegt. Die präsuppositive Eigenschaft von weiter stützt die kursive Semantik des Vollverbs steigern, und belegt einmal mehr die Bedeutung von Faktoren im weiteren Satzkontext für die Feststellung der Aktionsart: Unter der Voraussetzung, dass die Westernstraße schon vorher direkt nach dem Aufbau attraktiv war, konnte die Anziehungskraft weiter gesteigert werden. Die adversativen und konsekutiven Konnektoren legen teilweise Spuren zu agonalen Zentren der Aufbauprojekte, dienen aber vor allem der Rechtfertigung eines schnellen pragmatischen Aufbaus vor dem Hintergrund der Wohnungsnot und der Notwendigkeit der Wohnraumbeschaffung. Der in (126) erwähnte Anschluss an Vorkriegsplanungen und die damit verbundenen personellen Kontinuitäten stehen im Zentrum der Aufbaukritik insbesondere für den Bremer Stadtdiskurs. In Paderborn ist es das enorme Ausmaß der Zerstörung, das erinnerungskulturell verfügbar gemacht wird, um damit die Orientierung an konsumund verkehrstechnischen Zielen wertschätzend zu begründen. In Verbindung mit der erinnerungspolitischen Repräsentation der Ereignisse und der Verantwortungsübernahme wird in (132) aus der Stadtgeschichte von Grabe die frühe Nachkriegshaltung (Opfermythos) historisch erklärt, die das kritische Pendant zur Opferrolle der Stadt in vielen Paderborner Veröffentlichungen bildet (131). In Mannheim dagegen tritt das verbale Schlüsselcluster in Erscheinung, um die Frage der Schuld zu bearbeiten und dabei Verantwortlichkeit auf Seiten der deutschen Bevölkerung zu reklamieren (128–129). Zudem findet Erwähnung, dass die Zerstörung nicht nur durch Bombeneinwirkung verursacht wurde, sondern wie etwa in (127) um die Not der Kälte zu lindern – durch besonders kostbares Brennmaterial. Es sind somit insgesamt nicht so sehr verschiedene Antworten auf dieselbe Grundfrage nach der baulichen oder der moralischen Neuorientierung, auf die diese Kontextbildungen antworten. Vielmehr unterscheiden sich die Passagen durch die historischen Grundfragen, die für die einzelnen Städte in den Vordergrund rücken: In Bremen ist es offenbar das Problem, die schlimmste Not der Bremer zu lindern, um dann in kleinen narrativen Einheiten auch einzelne Bürger

264 

 Korpusanalysen

mit individuellen Aufbauleistungen als Helden darzustellen (124, 125). In (124) findet sich dabei das für die vierte Phase signifikante Lokaladverb hier (vgl. Tab. 8), das in der typischen phorisch-deiktischen Funktion auftritt, d.h. sowohl auf einen vorausgehenden Referenten bezogen werden als auch vor Ort als Hinweis fungieren kann. Für Mannheim geht es um die Frage nach den Bedingungen für eine moralische Erneuerung in entsprechend aufklärerischem Duktus. In Paderborn steht wiederum die Herausforderung im Zentrum, städtisches Selbstbewusstsein wiederzuerlangen z.B. angesichts der in (132) narrativ aktualisierten schwierigen Situation, dass selbst diejenigen, die dem NS-Geschehen kritisch gegenüberstanden (hier der Borchener Pastor), nicht Juden als Hauptopfergruppe der NS-Zeit gegenüber verfolgten Christen kenntlich machen. Tab. 16: Kontextualisierungsprofile für alle drei Teilkorpora mit verschiedenen kookkurrierenden Kontextualisie­rungs­hinweisen ausgehend vom PVM-Komplex mit präteritalem konnte/n und kursiven Handlungs- (HB, PB) und Kommunikationsverben (MA) Bremen

(124) Maurermeister Lüder Rutenberg baute 1853 deshalb für Lürman neben der Villa ein Galeriegebäude, das Gartenhaus, das 1942 stark zerstört wurde, aber behelfsweise genutzt werden konnte. 1963 bis 1965 erfolgte hier und auf dem benachbarten Smidtschen Grundstück der dreigeschossige Neubau für den Innensenator. (HB HYP BremenpediA, Contrescarpe 21/22) (125) Das ab 1889 entstandene Arbeiterwohnquartier wurde 1944 völlig zerstört. Da westlich der Nordstraße ein Hafenerweiterungsgebiet entstehen sollte, war ein Wiederaufbau zunächst ausgeschlossen. Einem Bewohner, Paul Falck, gelang es, Nachbarn zu einer Aufbaugemeinschaft gegen die offizielle Planung zu vereinen, Gelder für die Finanzierung zu sichern und Bausenator Theil dafür zu gewinnen, eine gut funktionierende Nachbarschaft zu erhalten. Die bescheidenen Neubauten waren als Zwei-Familienhäuser konzipiert, so dass eine Etage vermietet werden konnte. (HB 2014 SGe Syring, 96) (126) Nach dem Krieg waren aufgrund der weitgehenden Zerstörungen prinzipielle Überlegungen gefragt. Dabei konnte an die älteren Planungen angeschlossen werden. Nur die Terminologie hatte sich verändert. Statt von Grünverbindungen war nun die Rede von Stadtlandschaft und der gliedernden Funktion von Grünzügen oder Grüngürteln. (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Kapitel „Freizeit“)

Mannheim

(127) Während der Verbleib des gleichfalls herausgenommenen Deckenbilds später nicht geklärt werden konnte, wurde das reiche Intarsienparkett sprichwörtlich verheizt. (MA 2013 SGp Ellrich, 126) (128) Eindeutig unwahr ist jedoch, wie gezeigt werden konnte, die Behauptung vereinzelter SandhoferInnen, dass die Bevölkerung nichts von dem KZ gewusst habe (...) (MA 2011 SGe Brenneisen, 177) (129) Bei aller Kritik am gesamten Entnazifizierungsverfahren bleibt indes zu bedenken, dass so überhaupt eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nötig wurde und über die tiefe Verstrickung vieler Deutscher in das NS-Regime nicht stillschweigend hinweggegangen werden konnte. Ein besonderes Augenmerk der Amerikaner im Rahmen ihrer „Umerziehung“ – „reeducation to democracy“ – galt vor allem der Heranführung der Jugend an die Demokratie. (MA 2007 Sgp Caroli, 448)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

Paderborn

 265

(130) Die Westernstraße ist das Hauptgeschäftszentrum Paderborn geblieben. Durch die Erweiterung der Fußgängerzone bis zum Kamp konnte die Anziehungskraft weiter gesteigert werden. (PB HYP Zeit, Westernstraße, Bildunterschrift) (131) Die Schäden waren so gewaltig, dass ihr Ausmaß im Gegensatz zu allen vorangegangenen Angriffen nur noch geschätzt werden konnte. „2.000 Gebäude total zerstört, 500 schwer beschädigt, 700 mittel schwer beschädigt, 400 leicht beschädigt. (...)“ (PB HYP City, Paderborn im Bombenkrieg) (132) Ebenfalls eine Außenseiterposition nahm in dieser Hinsicht der Borchener Pastor Ringe ein, der vom Standpunkt des katholischen Geistlichen offenbar eine Distanz zum NS-Regime gewahrt hatte. (...) Dass neben den Christen vor allem die jüdische Bevölkerung verfolgt und ermordet worden war, entging dem Geistlichen offenbar. (...) Die Jahre zwischen 1933 und 1945 waren plötzlich die „Hitlerherrschaft“, womit die Verantwortlichkeit auf die Person des Diktators abgewälzt und der Mythos von der Opferrolle der Deutschen vorbereitet werden konnte: „Ist das deutsche Volk von der Staatsführung, an die es bis zuletzt glaubte, in verbrecherischer Weise betrogen?“ fragte sich scheinheilig der Salzkottener Bürgermeister Seidler. (PB 2008 SGe Grabe, 21f.)

Anders als die PVM-Komplexe mit konnte/n erweisen sich die PVM-Komplexe mit sollte/n auch als Marker für strittige Diskurse, deren zur Sprache kommende Agonalität weniger einzelne Diskurspositionen argumentativ schärft als vielmehr insgesamt einen Beitrag für das K-Profil leistet.186 Hinsichtlich der Aktionalität findet sich eine leichte Präferenz der kursiven Verben, wobei das Verb befreien nur schwach egressiv und das Verb zuführen nur in der Kombination mit Bebauungen egressiven Charakter erhält.187 Die inhärenten Grenzvorstellungen (frei bzw. bebaut sein) haben einen dehnbaren Zielpunkt. Zu den agonalen Indikatoren gehören im Umfeld des verbalgrammatischen Musters Lexeme, die Konflikte explizit als solche benennen wie in (133) die Konflikte über bauästhetische(n) und baukulturelle(n) Fragen und in (135) die heftige Diskussion über die Rekonstruktion der traditionellen Giebelarchitektur (vgl. Tab. 17). Der in Bremen virulente Konflikt wird polarisierend und ideologisierend als Kulturkampf bezeichnet, so dass eine Vereinbarkeit der Ziele konservativer Baukultur mit den Entwürfen der Modernisierungsbefürworter unmöglich erscheint. Dabei ist in der Realität bei vielen Bauprojekten eine architektonische Mischung aus baustilistischen Zitaten, modernen Rekonstruktionen u.Ä. keine Seltenheit. In (137) erscheint dagegen die Bezeichnung des zentralen Gegenstands der Aus-

186 Womit ein diskurspragmatischer Faktor (Sprachhandlungsmuster, die Agonalität indizieren) auf verbalgrammatische Füße gestellt wäre. 187 Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, dass Kursivierung eine semantische Tendenz darstellen kann bzw. häufig darstellt: Bebauung ist als Zielpunkt hinlänglich abstrakt, um darunter auch ausgedehntere Bauphasen zu fassen, die nicht die Vorstellung eines konkreten Endergebnisses implizieren.

266 

 Korpusanalysen

einandersetzung mit Wiederherstellung des Schlosses für verschiedene baukulturelle Umsetzungen aushandelbar. Als weitere Kontextualisierungshinweise fallen in diesen Beispielen verschiedene Merkmale einer narrativen Themenentfaltung auf, bei der die Erzählung auf die genannten strittigen Tatsachen zusteuert. Der PVM-Komplex mit sollte/n bringt dabei entweder das, worum gestritten wird, zum Ausdruck (die Frage ... wie genutzt werden sollte, 137; wie in der Altstadt gebaut werden sollte, 135) oder bezieht sich auf Aspekte, die unstrittig sind: (dass) befreit werden sollte (133), einer Bebauung zugeführt werden sollte (134), womit der Gesamteindruck eines in sich geschlossenen Organismus vermittelt werden sollte (136). Die im Paderborner TK für die dritte erinnerungspolitische Phase gefundene formelhafte Konstruktion sollte nicht vergessen tritt nicht mehr auf. Im Umfeld der sollte/n-Kontexte befinden sich verschiedene Spannung erzeugende Sprachmittel, die z.B. in (125) auf die Auflösung der Komplikation zusteuern, die die PVM-Konstruktion versprachlicht. In dispositivtypischer Weise wird die Zerstörung und der zunächst ausgeschlossene Wiederaufbau beschrieben. Die Komplikation löst sich durch den Gemeinschaftssinn eines einzelnen Bewohners auf: Er schafft es, die offizielle Planung zu durchkreuzen und durch Zwei-Familien-Häuser zu ersetzen. Das Happy End besteht diskursgrammatisch in der dauerhaften Lösung, dass eine Etage vermietet werden konnte. Eine andere narrative Inszenierung liefert das Zitat in (131), das das Ausmaß in Form eines „Replayings“ (Goffman 1980) der historischen Quelle vor Augen führt. Das bezifferte Ausmaß wird anschaulich. Doch die Wohnungsnot ist dank des Bürgerengagements beendet worden. In Bremen und Mannheim wird der Widerstreit von Positionen in den Gebrauchstexten zur Stadtgeschichte nicht nur narrativ impliziert, agonale Pointen werden darüber hinaus metadiskursiv beschrieben, z.B. zur Frage der Bauvorhaben (Parkplatz vs. Grünfläche) oder der bauästhetischen Ziele (traditioneller Giebel vs. traufständige Bebauung).188 Im Paderborner TK sind die recht kleinen Erzählsequenzen von derartigen Reflexionen nur selten flankiert. Eine – wenn auch nur bedingt aussagekräftige – Gegenprobe zum Ver-

188 Als weiteren Beleg aus HB Syring (2014:50f.) lässt sich eine längere narrative Passage anführen, in der der Streit um die Bebauung des Herdertorplatzes narrativ dargestellt wird. Die Erzähltempora Präteritum und Plusquamperfekt münden im letzten Satz in den präteritalen PVM-Komplex. Die Spannung, dass auf dem attraktiven Bauplatz ein namhafter Konzern ein Luxushotel gebaut hat, wird erst 200 Seiten später aufgelöst: Nachdem 1958 Hertie an einer Bebauung Interesse gezeigt hatte, folgte ein Jahr später die Firma Siemens. (...) 1964 interessierte sich wieder ein Warenhauskonzern - diesmal Horten - für das Grundstück, aber auch hier bot sich schließlich eine Lösung in der Altstadt an. Es sollten noch mehr als zwei Jahrzehnte vergehen, bis auf dem attraktiven Bauplatz endlich ein Neubau eingeweiht werden konnte (...).

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Tab. 17: Kontextualisierungsprofile für die Teilkorpora HB und MH mit verschiedenen kookkurrierenden Kontextualisierungshinweisen ausgehend vom PVM-Komplex mit präteritalem sollte/n Bremen

egressives Handlungsverb

egressives Handlungsverb

kursives Handlungsverb119

kursives Kommunika­ tionsverb

(133) In Bremen hatten sowohl das sozialdemokratische als auch das bürgerliche Milieu in baukulturellen und stadtplanerischen Fragen starke Interessenvertretungen, die gelegentlich hart aufeinanderstießen. Die Planungsbehörden (Stadtplanungsamt, Hochbauamt) standen in einem sozialdemokratisch geführten Ressort der ersten Seite zwar näher, waren insgesamt aber um einen Ausgleich bemüht. Einigkeit ließ sich am ehesten in Verkehrsfragen erzielen. Dass die Innenstadt vom Durchgangsverkehr befreit werden sollte und die Verkehrsfrage allgemein als vorrangig zu betrachten sei, war auf beiden Seiten unstrittig. Konflikte gab es dagegen vor allem in bauästhetischen und baukulturellen Fragen. Sie nahmen mitunter den Charakter eines Kulturkampfes an. Besonders augenfällig wurde das in dem Streit um das Haus der Bürgerschaft. (HB 2014 SGe Syring, 22) (134) Im Hollerland in Horn-Lehe kauften auf Grund von Informationen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Richard Boljahn nicht nur die bremische Grundstücksgesellschaft Weser sondern auch die Wohnungsgesellschaft Neue Heimat (Boljahn war im Aufsichtsrat) und der Makler Willi Lohmann spekulativ riesige Flächen, die später einer Bebauung zugeführt werden sollten. Bausenator Wilhelm Blase (SPD) und Boljahn verloren ihre Ämter. Erst 25 Jahre später wurde ein kleinerer Teilbereich des Hollerlandes dann tatsächlich bebaut. (HB HYP Wikipedia, Geschichte der Stadt Bremen) (135) Das schmale, giebelständige, viergeschossige und vierachsige Ronning-Haus aus Backstein mit einem zweigeschossigen Erker entstand von 1949 bis 1950 nach den Plänen des Architekten Heinz Logemann. Der markante, ornamentale Giebel löste 1950 in Bremen eine heftige Diskussion darüber aus, wie in der Altstadt gebaut werden sollte. In der schmaleren Sögestraße waren einheitlich traufständige Häuser vorgeschrieben. Bauherr Carl Ronning und Logemann bauten aber hinter Bauplanen versteckt und entgegen der Baugenehmigung das Giebelhaus. (HB HYP BremenpediA, Ronning-Haus) 136) In Material und Form ähnlich, aber differenzierter in seinen Raumsetzungen erscheint das von der Treuhand entwickelte neue Stephaniviertel.Fn Der 1955 über einen Wettbewerb ermittelte städtebauliche Entwurf stammte von den im Stadtplanungsamt beschäftigten Architekten Almstadt, Eilers und Nielsen. Das einzige geschlossene Wohnquartier innerhalb des Altstadtrings zeigte eine moderne Zeilenstruktur in dem völlig zerstörten mittelalterlichen Speicher- und Gängeviertel, von dem allein die Stephanikirche als Relikt erhalten war. Der Kirchplatz wurde mit Reihenhäusern und den Pfarrhäusern umrandet, drei- und vierstöckige Wohnzeilen mit Eigentumswohnungen bilden eine äußere Umfang des Quartiers, womit der Gesamteindruck eines in sich „geschlossenen Organismus“ vermittelt werden sollte – eine Art Dorf in der Stadt Abb. 80. Die überwiegend von Bernhard Wessel entworfenen Gebäude gaben sich architektonisch zurückhaltend. (HB 2014 SGe Syring, 58, 60)

119 Im Satzkontext von (135) fehlt das Akkusativkomplement, das Gebaute scheint somit valenziell in generischer Bedeutung, so dass das Bauen keine konkrete Zieldimension besitzt. Da das Verb bauen erst durch die Konkretisierung im Akkusativkomplement telisch-egressiven Charakter erhält, wird es in diesem Beleg als Verb mit nicht-transformativer kursiver Aktionsart gewertet.

268  Mannheim kursives Handlungs­ verb

 Korpusanalysen

(137) Doch stellte sich die Frage, wie sechseinhalb Meter hohe Räume als Wohnräume genutzt werden sollten. Der in der Presse aufgeworfene Plan einer nochmaligen Teilung der Geschosshöhen wurde geprüft, man kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die unteren Räume zu viel und die oberen zu wenig Fensteranteil erhalten hätten. Ein anderer Fürsprecher einer Wiederherstellung des Schlosses, wenngleich in arrondierter Form um den Ehrenhof herum, war Oberbürgermeister Fritz Cahn-Garnier. Er sah als Befürworter einer vereinigten links- und rechtsrheinischen Kurpfalz im Schloss ein identitätsstiftendes Symbol. (MA 2013 SGp Ellrich, 132)

gleich der agonalen Aktivität mit den Lexemen Konflikt (HB = 7, MA = 7, PB = 0), Streit, (HB = 10, MA = 6, PB = 2) strittig (HB = 11, MA = 3, PB = 0) und Krise (HB = 18, MA = 3, PB = 0) gibt Anhaltpunkte dafür, dass die Diskursaktivitäten in Bremen und Mannheim für diesen Zeitraum ausdrucksseitig stärker von Kontroversen geprägt sind. Abschließend sei noch einmal die kontrastive Eigenschaft des musterhaft auftretenden PVM-Komplexes hervorgehoben, der sich auch für die vierte Phase als Kern eines ZAD-K-Profils erwiesen hat. Seine Anpassung an die erinnerungskulturelle Aufgabe im Diskurs kommt durch das Eintreten von Verben in dieses Muster zustande, die kursiven Charakter besitzen, im Satzkontext kursiviert bzw. kursiv interpretierbar sind, deren Vorgang somit in seinem Andauern und Fortwirken vorstellbar ist. Verben können zudem durch die (Nicht-)Kombination mit Satzgliedern kursiviert werden. Ein weiteres Beispiel für das Atelischwerden ist die Phrase einer Bebauung zugeführt werden sollten, die zwar formalsyntaktisch mit dem Deverbativum Bebauung ein direktes Objekt besitzt. Dieses ruft jedoch in seiner nominalen Gestalt eher prozessuale Bedeutungsaspekte auf und verliert daher aus morphologischen Gründen an Teloshaftigkeit. In dieser Spezifik liegt die syntagmatische Dynamik der im K-Profil verfestigten PVM-Komplexe, die Kontinuität und Erfolg indizieren. Das semantische Merkmal der Kontinuität ist diskursgrammatisch angelegt in der kursiven Aktionalität der Verben (und ggf. ihrer Mitspieler), die in den PVM-Komplex mit konnte/n und sollte/n eintreten. Es kann zudem lexikalisch durch die Adverbien bzw. Verbpartikeln wieder und fort zutage treten, so dass das diskursgrammatische Muster mit der Wiederherstellung eines vergangenen oder verloren geglaubten Zustandes assoziiert ist. Die komprimierten Darstellungen in dieser vierten Phase machen die Einordnung in den historischen Kontext zunehmend erforderlich. Dies geschieht gegenüber dem vorausgehenden Zeitabschnitt frequent über die mit vergleichsweise hoher Keyness versehene Ereignisbezeichnung Zweiter Weltkrieg, die als stark flektierter Nominativ nur in Überschriftkontexten vorkommt. Die überwiegende Großschreibung des Zahladjektivs belegt die abgeschlossene Onymisierung der Phrase als Ereignisnamen. In seiner Untersuchung der DWDS-Wörterbücher zu

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 269

sprachlichen Routinen und Sprachgebrauchsmustern im Umfeld der Ereignisbezeichnung Zweiter Weltkrieg kommt Czachur (2016) zu dem Ergebnis, dass der politisch-mediale Diskurs in diesem thematischen Ausschnitt durch die beiden syntaktischen Muster der Attribuierung und Passivierung geprägt ist. Attributiv wird die NP (Zweiter) Weltkrieg vorzugsweise ergänzt durch die erweiterten Adjektivphrasen von Deutschland/vom deutschen Faschismus/von Hitler ausgegangener/ausgelöster/entfesselter etc., passivisch wird der Zweite Weltkrieg – vor allem in Relativsätzen – modifiziert als einer, der von Deutschland, dem Deutschen Reich/Hitler etc. ausgegangen ist/herbeigeführt/aufgezwungen etc. wurde (vgl. Czachur 2016:424). Bezogen auf die Versprachlichung der agentiven Instanz stellt Czachur eine Distanzierung der Ereigniszeit zum gegenwärtigen demokratischen Deutschland fest. Das Agens wird in der vorgangspassivischen Diathese zwar grundsätzlich spezifiziert, bleibt allerdings in metonymische oder metaphorische Kollektive eingeschlossen (Nazi-Deutschland, Deutsches Reich) oder ist personifiziert durch den Diktator Hitler. Im Unterschied dazu kommen im parallelen Bildungsdiskurs verschiedener Sekundarstufenlehrwerke historische Akteure wie deutsche Truppen, Waffen-SS oder Nationalsozialisten vor: Als Subjekte eines im Aktiv erzählten Kriegsgeschehens treten sie strategisch auf den Plan, drohen mit Krieg, beginnen Krieg oder marschieren gewaltsam in ein anderes Land ein (vgl. Czachur 2016:425f.). Im DeReKo-Kookkurrenzprofil bestätigt sich das Vorherrschen passivischer Konstruktionen für das sprachliche Umfeld der NN/des NE Zweiter Weltkrieg189 mit den vermutlich überwiegend passivisch verwendeten Auxiliarformen wurde/n (Rang 9 und 20) und worden (Rang 68). Darauf deutet wiederum die Wortform zerstört auf Rang 15 hin. Phrasal dominieren die zeitliche Einordnung mit den Einbettungen am Ende des Zweiten Weltkriegs, nach dem Zweiten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg sowie die Themenpräferenz für die luftkriegsbedingten Zerstörungen mit den kookkurrenten Formen zerstört, Fliegerbombe (25), Zerstörung/en (Rang 33 und 31) und beschädigt (Rang 37). Auf Rang 39 tritt auch das Nomen Wiederaufbau in Erscheinung, aufgebaut besetzt Rang 158. Die als Akteure klassifizierbaren Partnerwörter reichen von Wehrmacht (Rang 21), über Soldat/Soldaten (Rang 28 und 42) und deutschen/deutscher (Rang 29/38), insbesondere in Verbindung mit Offizier (Rang 44), bis hin zu Alliierten (Rang 34) und Siegermächte (47). Eine ähnliche Verteilung spiegelt sich auch in der jüngsten ZAD-Phase wider. Die Dat./Akk./(Gen.)-NP Zweiten Weltkrieg ist am häufigsten durch präpositionales im eingeleitet (203 Belege), gefolgt von der PP nach dem Zweiten Weltkrieg (47 Belege), wobei für nach und vor die Verwendung

189 Die Kookkurrenzen wurden auf der Basis der 307.494 Treffer für die Anfrage &zweit &weltkrieg ermittelt, die alle Flexionsvarianten umfasst.

270 

 Korpusanalysen

mit dem morphologischen Simplex Krieg überwiegen (88 und 22 Belege gegenüber 47 und 6 Belegen). Hier zeigt sich eine diskursindexikalische Abweichung vom DeReKo, in welchem das syntagmatische Muster nach dem Zweiten Weltkrieg (Rang 3) eindeutig vor der PP im Zweiten Weltkrieg rangiert (Rang 5). Die linksseitige Präferenz der PP im Zweiten Weltkrieg für die Lexeme Zerstörung/en sowie die rechtsseitige Clusterbildung mit dem Partizip zerstört stimmen wiederum mit der Verteilung der Wortverbindungen im DeReKo-Referenzkorpus überein. Weitere deutliche Abweichungen sind für die PPen nach dem Zweiten Weltkrieg/Krieg festzustellen, die in der vierten Phase des ZAD am häufigsten als Adverbiale zu Voll- bzw. vereinzelt zu Modalverben im Aktiv auftreten (vgl. Tab. 18), während die auf das Passiv hindeutende Wortform wurde den ersten Rang der DeReKo-Kookkurrenzliste belegt.190 Tab. 18: Syntaktische Funktionen der temporalen Präpositionalphrasen mit den Ereignisbezeichnungen Zweiter Weltkrieg/Krieg in Phase 4 des ZAD im Z/zweiten Weltkrieg

nach dem Z/zweiten Weltkrieg

nach dem Krieg

Attribut zu VVPP

23

2

3

Attribut zu NN

54

7

12

Adverbial zu VV/MV Aktiv

9

19

43

Adverbial zu VV V-Passiv

39

6

19

Adverbial zu VV Z-Passiv

1

2

1

126

36

78

gesamt

Diese Aktiv-Prävalenz ist bei den phrasalen Einheiten nach dem (Zweiten Welt-) Krieg und auch für die komprimiertere PP nach Kriegsende zu verzeichnen. Für letztere soll im Folgenden genauer demonstriert werden, wie durch verschiedene Satzbauweisen hindurch eine ausdrucksseitige Setzung der Agensrollen diskursgrammatisch funktional ist. Dieser „Agentivitätseffekt“ des Kompositums tritt gerade auch in den passivischen syntaktischen Rahmungen auf. Insgesamt kommt die PP nach Kriegsende im ZAD-Korpus 49 mal vor, davon 30 mal

190 Dies gilt für das Kookkurrenzprofil von nach dem Zweiten Weltkrieg, die Pluralform wurden befindet sich auf Rang 6. Verschiedentlich geben die syntagmatischen Muster Hinweise auf die Dominanz der Verwendung als Passivauxiliar.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 271

in Aktivsätzen.191 Während das Passivauxiliar wurde für die PP nach Kriegsende im DeReko als erste Verbform Rang 4 der Kookkurrenzen einnimmt,192 hat das Vorgangspassiv für die Belege der letzten ZAD-Phase – ebenso wie bei der PP nach dem Zweiten Weltkrieg – eher geringe Bedeutung. In den unterschiedlichen grammatischen Ausgestaltungen zeigt sich nun eine Gemeinsamkeit in der pragmatischen Rolle der agentiven Instanz. Die folgenden Belege geben einen Eindruck von den Dynamiken hinter der diskursspezifischen Verfestigung agentiver Verbschemata innerhalb der mit den Adverbialen nach Kriegsende modifizierten Sätze. Die spezifische Agentivität lässt sich aus den Verbmodi und den Satzmustern kaum direkt ableiten. Die Belege demonstrieren vielmehr ein Kontinuum von Aktiv-Passiv-Sätzen, bei denen eine agentive Instanz in der näheren Umgebung realisiert oder präsupponierbar ist. Somit sind in diesen passivischen Belegen agentive Rollen jeweils salient. Das gilt für das Vorgangs-, nicht aber für das Zustandspassiv, so dass (142) die einzige non-agentive Formulierung darstellt, während etwa in (138) die agentive PP als Standardwert ergänzbar ist. Informationsstrukturell ist in diesem Beleg durch die Topikalisierung des Partizips der Endpunkt des Aufbauprozesses thematisch. Die folgenden Belege (vgl. Tab. 19) bilden das Genus-verbi-Spektrum der Sätze mit dem Temporaladverbial193 nach Kriegsende ab. Die dabei oft saliente Rolle des Agens wurde jeweils in der Spalte Diathese eingetragen. Am Leitfaden handelnder Akteure wird somit nicht nur versprachlicht, was diese in den Jahren nach dem Krieg oder unmittelbar nach Kriegsende tun, sondern vor allem profiliert, dass diese gehandelt haben. Dabei kommen eine Reihe passiv­ähnlicher Konstruktionen zum Einsatz, die aus dem AgensActio-Schema herausfallen.194 Die Betonung der Aufbauaktivitäten vermittelt

191 Dabei wurden in der Auswertung auch komplexe Adverbphrasen wie kurz nach Kriegsende, erst nach Kriegsende oder 13 Jahre nach Kriegsende berücksichtigt. 192 Das kookkurrierende Adverb wieder erscheint auf Rang 9 mit syntagmatischen Mustern wie wieder aufgenommen und wieder aufgebaut. Die erste kookkurrierende Verbform im Aktiv kehrte zurück liegt auf Rang 8. 193 Nur in (35) ist die PP Teil des Temporaladverbials (ein Jahr nach Kriegsende). 194 Dazu zählen ferner Modalkonstruktionen (mit dem Halbmodalverb lassen und Infinitiv oder modale Infinitivkonstruktion mit sein oder haben), das Mediopassiv bzw. Medialkonstruktionen und Passivkonstruktionen, die unter dem Oberbegriff des unpersönlichen Passivs zusammengefasst werden und für die das Fehlen des Subjekts kennzeichnend ist. Welke (2005:259) trifft eine Unterscheidung zwischen Medialkonstruktionen, die immer ein modifizierendes Adverbial enthalten (Das Gras mäht sich leicht.) und dem eigentlichen Mediopassiv mit Medialverb (Der Zweig bewegt sich.), das ein transitives Pendant besitzt (jmd. bewegt etw.). Darüber hinaus weisen auch ergative Verben patienshafte Subjekte auf. Im Korpus nicht nachweisbar mit der temporaladverbialen Einordnung nach Kriegsende waren Formen des unpersönlichen Passivs intransitiver oder

272 

 Korpusanalysen

über diese verbalgrammatische Gestaltung den Eindruck, dass die Bewohner ihr Schicksal selten einfach über sich ergehen lassen, es vielmehr selbst in die Hand nehmen: Sie benutzen einen Bunker als Unterkunft (140), sie leiden unter Plünderungen (146), sie erzeugen Nachfrage (147), sie fordern den Bürgermeister zu einer Entscheidung auf (143), treffen Entscheidungen für eine Reparatur (148), übernehmen ein Gebäude (149) oder suchen sich eine Wohnung (150). In diesem narrativen Zug, den die diskursgrammatische Gestaltung an dieser Stelle markiert, gewinnen auch architektonische „Akteure“ eine Art Eigenleben: Drei Glocken haben kein Glück und kehren nicht nach Mannheim zurück (151a).

subjektlos gebrauchter transitiver Verben (Ihm wurde geholfen., Es wird getanzt bzw. gegessen.), Formen des Reflexivpassivs sowie des bekommen/kriegen-Passivs. Eine kontroverse Diskussion über die Mitglieder der Passivfamilie des Deutschen bieten Abraham 2015 und Welke 2015.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 273

Tab. 19: Aktiv-Passiv-Spektrum in der 4. Phase des ZAD Beleg

Diathese

(138) Wiederaufgebaut wurde nach Kriegsende nur ein Teil des Westflügels mit dem Portal über einer hohen Treppenanlage (...) (PB 2014 BRO Baukultur, 25)

Vorgangspassiv mit präsupponiertem Agens (ggf. als Standardwert: die Stadt)

(139) Im Zweiten Weltkrieg brannte das Gebäude zwar aus, konnte jedoch nach Kriegsende bis 1951 wiederhergestellt werden (...) (MA 2007 STF Ellrich, 94)

Vorgangspassiv mit PVM-Komplex und adversativem Adverbkonnektor jedoch und implizitem Agens (die Stadt Mannheim und ihre Bewohner)

(140) Viele der Bunker werden nach Kriegsende als Notunterkünfte benutzt. Die Bewohner haben ein strenges Reglement zu beachten (...) (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Hochbuker Neckarvorlandstraße, Bildunterschrift)

Vorgangspassiv mit Agensrolle (die Bewohner) als Subjekt des nachfolgenden Satzes

(141) Die weitläufigen Zerstörungen der Luftangriffe stellten natürlich auch die US-Truppen vor diverse Probleme, so wurde schon direkt nach Kriegsende mit Aufräumarbeiten und Instandsetzungen begonnen. (HB HYP Relikte)

Vorgangspassiv mit Agensrolle (die US-Truppen u.a.) im Matrixsatz

(142) (...) und das in einer Zeit, die immer noch, sieben Jahre nach Kriegsende, von großer Not geprägt ist. (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Kapitel „Freizeit“)

Zustandspassiv

(143) Schon kurz nach Kriegsende, nämlich am 17. September 1945, wurde Bürgermeister Kaisen von einem „Bremer Bürger (...)“ schriftlich gebeten, die Platten entfernen zu lassen (...) (HB HYP BremenpediA, Landgericht Bremen)

VP mit agentiver von-PP (von einem „Bremer Bürger (...)“)

(144) Die Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung (...) beschränkte sich in den meisten Fällen auf diese kriminellen Gewaltakte, wobei die Darstellungen bis weit nach Kriegsende mit Relikten der rassistischen NS-Propaganda durchsetzt waren. (PB 2008 SGe Grabe, 14)

Prädikativ mit verblasstem Partizip (Pseudopartizip) bzw. Zustandform (wg. Parallelität durchsetzt wurden/waren) mit Agens aus SubjektAttribut (der deutschen Bevölkerung)

274 

 Korpusanalysen

(145) Die gleich nach Kriegsende begonnene Aktivsatz mit deverbativem Patienssubjekt notdürftige Instandsetzung der Brücken (...) (Instandsetzung) erlitt im März 1947 einen herben Rückschlag (...) (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Kapitel „Verkehr“) (146) (...) und nach Kriegsende hätte die Zivilbevölkerung unter Racheakten ehemaliger ZwangsarbeiterInnen und Plünderungen durch die amerikanischen Truppen ebenso zu leiden gehabt. (MA 2011 SGe Brenneisen, 177)

Modale Infinitivkonstruktion mit haben im Konj2 und Subjekt (die Zivilbevölkerung) mit Patienscharakter195

(147) Obwohl die Massenautomobilisierung noch nicht eingesetzt hatte, bestand für Kraftfahrzeuge schon gleich nach Kriegsende eine große Nachfrage. (HB 2014 SGe Syring, 68f.)

Aktivsatz des nicht-passivfähigen Verbs bestehen (für) (ohne Agentivitätsgefälle vom Subjekt (Nachfrage) zum (Präpositional-) Objekt, vgl. Eisenberg 2013:121)

(148) Fast 20 Jahre nach Kriegsende entschied man sich einige Schäden am Bunker zu reparieren und in Teilen des Bauwerkes Ersatzteile für die Marine unterzubringen (HB STF 2006 Dappen, 99)

Aktivsatz mit man-Subjekt196

(149) Nach Kriegsende übernahm die britiAktivsatz mit agentivem Kollektivsubjekt (die sche Besatzung die Wehrmachtsgebäude. (PB britische Besatzung) HYP Zeit, Husarenkaserne) (150) Ein Jahr nach Kriegsende suchten etwa 70.000 Mannheimer nach einer intakten Behausung. (MA 2012 KAT Pfau, 12)

Aktivsatz mit Handlungsverb und Agensrolle aus Einzelsubjekten (etwa 70.000 Mannheimer)

(151) Weniger Glück hatten die drei Glocken. Zwei von ihnen, darunter die der Elisabeth geweihte, kehrten nach Kriegsende nicht zurück. (MA 2007 STF Ellrich, 113)

Aktivsatz mit agentiviertem Dingsubjekt (zwei Glocken)

195 Die modale Infinitivkonstruktion mit sein wird von Köller (1997:104) zu den passivähnlichen Formen gezählt. 196 Zum Passivstatus von Konstruktionen mit unpersönlichem man-Subjekt im Vergleich zu Konstruktionen mit es vgl. Mihailova 1997 und Helbig 1997.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 275

Tab. 20: Kotextmuster der zäsurindizierenden PP nach Kriegsende Belege

Kontextualisierungs-Marker

(151a) Weniger Glück hatten die drei Glocken. zäsurindizierende PP nach Kriegsende Zwei von ihnen, darunter die der Elisabeth Adverbkonnektor allerdings geweihte, kehrten nach Kriegsende nicht PVM-Komplex mit konnten zurück. Allerdings konnten bereits 1947 die Schäden so weit beseitigt werden, dass St. Elisabeth als die erste wiederhergestellte Kirche Mannheims der Nachkriegszeit gilt. (MA 2007 STF Ellrich, 113) (152) Nach Ausbruch des Krieges blieb auch das Haus von Engelhorn & Sturm nicht von den Luftangriffen verschont. Allerdings konnte der Verkauf nach Kriegsende in den Kellerräumen des stark beschädigten Hauses bereits im August 1945 wieder aufgenommen werden. Zum 60. Betriebsjubiläum veranstaltete das Unternehmen seine erste Modenschau – mit Verkäuferinnen als Mannequins. (MA 2007 STF Ellrich, 85f.)

zäsurindizierende PP nach Kriegsende Adverbkonnektor allerdings PVM-Komplex mit konnte Adverb wieder

(153) Dennoch konnte die Mehrbelastung durch Einsparungen kompensiert werden, weil Investitionen für Bau und Erhaltung von Straßen, Kanälen und Gebäuden weitgehend zurückgestellt wurden. Um diese nach Kriegsende nachzuholen, bildete die Stadt umfangreiche Rückstellungen, die allerdings hauptsächlich in Reichsanleihen angelegt waren. (MA 2007 SGp Caroli, 361)

PVM-Komplex mit konnte zäsurindizierende PP nach Kriegsende Adverbkonnektor allerdings ZP mit versprachlichter Agensrolle im Satzkontext (die Stadt)197

197 Die Möglichkeit des Agensanschlusses wird im Zustandspassiv i.d.R. aus semantischen Gründen ausgeschlossen. Allerdings kann eine ausdrucksseitig gesetzte PP so gedeutet werden, dass der Akteur das Andauern des Zustands garantiert. Rapp (1996:247) analysiert anhand des Nebensatzes weil das Haus bewohnt von Studenten ist die von-Phrase als Argument eines 3. Status (der adjektivischen 2. statt der 1. Stufe infiniter Verbformen nach Bech), was Evidenz dafür gibt, das Zustandspassiv nicht als verbale Konstruktion, sondern als adjektivische Zustandskonstruktion aufzufassen.

276 

 Korpusanalysen

(154) Eine flächendeckende Dokumentation zäsurindizierende PP nach Kriegsende der Räume blieb allerdings aus. So waren Adverbkonnektor allerdings nach Kriegsende kaum zeichnerische Aufnah- Aktiv-Schema (prädikativ) men und nur wenige Farbdias vom Schloss vorhanden. (MA 2013 SGp Ellrich, 125) (155) Noch 1935 wurden alle drei Niederlassungen des Kaufhauses von der AnkerKaufstätte „arisiert“. Sie betrieb die Filiale in der Neckarstadt auch nach Kriegsende weiter, inzwischen allerdings als Tochtergesellschaft der Westdeutschen Kaufhof AG. (MA 2014 APP verdrängt, Mittelstraße 56–58)

zäsurindizierende PP nach Kriegsende Adverbkonnektor allerdings Aktiv-Schema Adverb weiter

Zum Darstellungsformat der Fokussierung von Handlungen und Entscheidungen der Nachkriegszeit tritt ein bewertender Kontextualisierungshinweis hinzu. Es handelt sich um die Konnektivpartikel allerdings, die mit der zäsurindizierenden PP nach Kriegsende innerhalb der agentiven Textmuster für das Teilkorpus Mannheim nachweisbar kookkurriert.198 Die Bewertung hat einen impliziten Charakter, die Operation der kritischen Bewertung wird nicht offen vollzogen, sondern bleibt dem Leser überlassen (vgl. Bührig 2009:533). In dem bereits besprochenen Beleg (151a) für die Agentivierung eines kunsthistorischen Gegenstandes kündigt der topikalisierte Konnektor die Bewertungsoperation an: Er verbindet den bedauernswerten Sachverhalt mit einer Aufbauleistung, die über den PVM-Komplex mit konnten als Kontextualisierungshinweis innerhalb des Profils „Wiederbaufbau als Erfolg“ verortet werden kann. Zielpunkt des mit Korrelat-so angekündigten dass-Projektor-Nebensatzes ist die als allgemeines Wissen präsupponierte Tatsache des frühen Kirchenaufbaus mit St. Elisabeth als stolzer Vorreiterin, deren Beispiel weitere Kirchen folgen sollten. Die Belege in Tab. 20 sind nach steigender Agentivität geordnet. Der Umschlagpunkt wird dort angesetzt, wo die Agensrolle in den Passivbelegen ausdrucksseitig realisiert ist. Dies geschieht in (153) auf grammatischem Weg über die Subjektkontrolle: Das Subjekt des Matrixsatzes entspricht dem ausdrucksseitig nicht gegebenen Subjekt des Finalsat-

198 Trotz der Kritik von Pasch et al. (2003:491f.) an der Vermischung semantischer und syntaktischer Kriterien, die zur Abgrenzung der Konnektivpartikeln von Konnektivadverbien wie dennoch, gleichwohl oder wenigstens führen, wird in Übereinstimmung mit der IDS-Grammatik an der Bezeichnung Konnektivpartikeln festgehalten, da sie – auch wenn die ihr zugeschriebenen konnektiv-relationierenden Eigenschaften mit der Wortartdefinition für Partikeln nicht ganz stimmig erscheint – mit anderen Partikeln die Eigenschaft teilt, auf einen vorausgesetzten Kontext Bezug zu nehmen (und diesen zu konstituieren) und damit auch einen wichtigen Beitrag zur sprachlich-pragmatischen Konstitution sozialer Bedeutung leistet.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 277

zes, d.h. es steuert ein Subjekt für den Finalsatz bei. Somit ist das prominentere Subjekt gleichsam agentive Instanz im Satz der Zäsur-PP, die anders als im Passivsatz zum Zweck der Hervorhebung nicht realisiert werden kann.199 Zur sinnkonstituierenden Leistung von allerdings zählt, dass eine indirekte Aufforderung an den Leser ergeht, sein Weltwissen zu nutzen, um einen Widerspruch zur vorausgehenden Äußerung herzustellen. In (151/a) wird nun dem Verlust der Glocken die Beseitigung der Kriegsschäden gegenübergestellt. Das topikalisierte allerdings vollzieht eine inhaltliche Schwerpunktsetzung auf den Erfolgen der Wiederherstellung. In (152) spannt sich ein Gegensatz zwischen den Folgen der Luftangriffe und der Tatsache auf, dass der Kleidungsverkauf alsbald wieder aufgenommen werden konnte. Dass diese Relationierung nicht nur zwischen zwei Satzeinheiten hergestellt wird, sondern auch ein weiterer Vorgängerkontext aufgerufen werden kann, garantiert die symbolische Bedeutung von {dings} im Sinne der Genitivphrase der Dinge, die entsprechend vorher behauptet wurden. Von dieser Konstruktion des Widerspruchs ist sodann nicht nur die konnektintegrierte Proposition betroffen, sondern auch Vorgängeräußerungen und alles, was semantisch mit ihnen in Verbindung gebracht wird. Dies betrifft in (151a) und (152) alle Folgen der vorausgehend beschriebenen Zerstörung. Denn nur unter der Voraussetzung, dass die enormen Zerstörungsgrade gerade keine schnelle Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Lebens erwarten lassen, erscheint es überraschend (bis zum Widerspruch), dass die Kirche sofort wiederhergestellt wird oder der Verkauf sogleich wieder einsetzt. Im Zusammenhang mit den Aufbauleistungen der Stadt erweist sich dieser Gebrauch der Konnektivpartikel allerdings zumindest für das Mannheimer TK in Verbindung mit der zäsurindizierenden PP nach Kriegsende als musterhaft: Verschiedene Hürden für den (schnellen) Aufbau – Geldmangel (153), Versäumnisse in der Dokumentation des Vorkriegszustands (154), Folgen durch die Belastung mit dem Arisierungsprogramm im Nationalsozialismus (155) – werden ganz selbstverständlich genommen. Ist aber diese kommunikative Strategie für die Erinnerungskultur zu Kriegszerstörung und Aufbau in Paderborn und Bremen vollkommen unbedeutend? Unterschiede zeigen sich bereits in der Frequenz der Konnektivpartikel allerdings. 130 Vorkommen in Mannheim stehen 85 für das Bremer und 28 für das Paderborner TK gegenüber. Das deutet darauf hin, dass sich das K-Profil in diesem Ausschnitt unterscheidet. Im Bremer TK tritt die Partikel im Umfeld des

199 Wenn der strukturell degradierte Agensaktant im Passiv gesetzt ist, wird er zum Träger neuer rhematischer Information und erhält ein stärkeres Informationsgewicht, was dem Sachverhalt entspricht, „daß das Weglaßbare, wenn es denn gesetzt wird, in der Regel gewichtiger ist als das Strukturnotwendige.“ (Zifonun et al. 1997:1845).

278 

 Korpusanalysen

negierten PVM-Komplexes mit konnte (konnte ... weder erhalten noch originalgetreu rekonstruiert werden) und vorausgehender Thematisierung der Rekonstruktion mit wieder als Partikelpräfix auf (wiederhergestellt), um gerade umgekehrt das Bedauern über das Verschwinden der alten Stadt auszudrücken: (156) Ab 1955 wurden viele Gebäude nach alten Vorbildern wiederhergestellt, innen saniert und bedarfsgerecht umgebaut. Aufgrund der Veränderungen über Jahrhunderte konnte allerdings der ursprüngliche Zustand der Gebäude in den meisten Fällen weder erhalten noch originalgetreu rekonstruiert werden. (HB HYP BremenpediA, Schnoor)

Dass Gebäude bis in die Gegenwart hinein erhalten geblieben sind, wird mit allerdings im Bremer Korpus als Besonderheit exponiert (157). Anders als in den beiden anderen Städten wird jedoch im Bremer TK als Ursache neben der Kriegszerstörung syntaktisch gleichrangig die „Nachzerstörung“ bzw. „Zweite Zerstörung“ in der Nachkriegszeit genannt. Auch der Internetbeleg (158) regt mit der Verwendung von allerdings zur kritischen Beurteilung der Zerstörung historischer Bausubstanz zugunsten einer verkehrsfreundlichen Stadtplanung an. (157) Das erste Haus in der Hutfilterstraße musste einem Straßendurchbruch weichen, das zweite im Bremer Westen wurde 1944 zerstört. Unbeschädigt blieb allerdings das barocke Portal, das alle drei Standorte schmückte. Die in drei Bauabschnitten errichtete Anlage mit Kleinwohnung für pensionierte Kapitäne bildet einen geräumigen baumbestandenen Hof, der sich zu einem reizvollen Ausblick auf das Weideland zwischen Jesum und Weser eröffnet. Die zweistöckigen Walmdachzeilen in Sichtmauerwerk sind in schlichter traditioneller Bauweise ausgeführt. (HB 2014 SGe Syring 2014, 102) (158) Einem geplanten Innenstadtring fiel unter anderem das Katharinenkloster zum Opfer, das zwischen Domshof und Sögestraße stand. Das Kloster hatte Jahrhunderte überstanden, um einer Straße zu weichen, die dann gar nicht mehr gebaut wurde. Als die Stadt das feststellte, war das Kloster allerdings schon weg. Heute steht an der Stelle eine Hochgarage. (HB HYP Radiobremen, Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg) (159) Die Luftangriffe 1945 überstanden weder Kloster noch Kirche. Allein die barocke Straßenfassade blieb erhalten. Bereits 1946 konnte die Schule wieder eröffnet werden, heute besuchen etwa 1.500 Mädchen die Realschule oder das Gymnasium des Klosters. Die Kirche wurde außen unverändert wieder aufgebaut, der gesamte Kloster- und Schulkomplex allerdings baulich stark verändert. Die Ostfassade (Kat.-Nr. 25) gilt als einzigartiges Kunstwerk des flämischen Barocks und wurde Anfang der 1990er Jahre renoviert. (PB 2008 KAT Stadtarchiv, 68)

Die Hochgarage bildet semantisch einen pointierten Kontrast zum Katharinenkloster. Immer wieder ist der Abriss von Parkhäusern in Bremens Innenstadt im

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 279

Gespräch.200 Die Debatten lösen gleichzeitig die Frage nach alternativen Parkräumen aus. An der Attraktivitätssteigerung durch die Umwandlung in eine City-Mall o.Ä. scheint kein Zweifel zu bestehen. Unter den Paderborner Belegen findet sich lediglich ein unmittelbar mit dem Aufbauthema assoziierter Beleg (159), der den Kontrast zwischen Rekonstruktion und Neubau akzentuiert. In dieser Konstellation aus Kontextualisierungsmarkern tritt das inchoative Vollverb eröffnen in den PVM-Komplex mit können ein. Es hat in Kombination mit dem iterativen Adverb wieder einen kursivierenden Effekt, der bereits in (152) mit der Verbindung wieder aufgenommen werden vorlag. Impliziert ist der (dauernde) Zyklus (wieder) aus vorausgesetzter Zerstörung/Unterbrechung und Beginn/Aufnahme (durch die Präfixe auf-/-er indiziert), der der Stadt einen Anstrich von Unverwundbarkeit verleiht. Anders als in Bremen bildet der mit allerdings eingeführte Kontrast in (159) für Paderborn keinen kritischen Diskurs heraus, sondern präsentiert die überraschende Tatsache, dass trotz der historisch originalgetreuen Rekonstruktion des Klosters für die Komplexe ringsherum eine bauliche Anpassung stattgefunden hat. Die barocke Straßenfassade wird als Ausgangspunkt eines Wiederaufbaus stilisiert, dessen Hauptmerkmal (unverändert) nur dadurch gebrochen wird, dass die Nutzung der Bauten gewandelten Bedürfnissen folgt. Das Image Paderborner Bauwerke mit der ihnen zugeschriebenen Funktion, durch ihr mittelalterliches Erbe Traditionen zu stiften und zu bestätigen, wird im Weiteren mithilfe einer Analyse des diskursgrammatischen Framings von Zerstörung und Aufbau überprüft (Kap. 6.2). 6.1.4.5 Gattungen Da die Einzeltextsorten teilweise nur wenige Exemplare umfassen, wurden die Texte nach pragmatisch-kommunikativen Gesichtspunkten zu Makro-Gattungen zusammengefasst. Die den Gattungen zugrundeliegenden Praktiken unterscheiden sich in ihrem Adressatenbezug und in ihrer Gebrauchsfunktion, d.h. die vorliegenden Texte sind auf unterschiedliche Weise in die Orientierungs- und Kommunikationspraktiken der Stadtbesichtigung eingebunden, setzen diese voraus oder lenken die Wahrnehmung beim nächsten Stadtbesuch auf bestimmte Ziele und Details. In diesem Sinne wird die Vernetzung von Textsorten auf Handlungsfelder bezogen, in denen die Texte ergänzend und konkurrierend in Gebrauch sind. Diese Textsortennetze stellen nicht so sehr die systematische Verwandtschaft zwischen intertextuell verbundenen Textexemplaren in den Vordergrund, „(v)ielmehr stehen Textsortenrelationen im Vordergrund, die innerhalb von kom-

200 Entsprechende Debatten geben die Lokalzeitungen wieder, vgl. https://www.kreiszeitung. de/lokales/bremen/bremen-einkaufspassage-parkhaus-abriss-8463926.html (zuletzt abgerufen am 19.03.2020)

280 

 Korpusanalysen

munikativen Handlungsfeldern relevant sind.“ (Hauser 2014:278) Vielfach ist jedoch beobachtet worden, dass sich mit der Überführung von Inhalten in neue Medien, und damit verbunden auch in neue kommunikative Praktiken, sprachliche Formen nicht sofort anpassen. Manchmal werden ganze Textbausteine von der gedruckten Broschüre intermedial 1:1 auf eine Internetseite oder in eine App überführt (vgl. Wilk 2015b:13f.). Die für das ZAD ausgesuchten neueren Formate (Hypertexte, Apps) vollziehen jedoch durchweg den Medienwechsel auch sprachlich, was auch damit zusammenhängen mag, dass selten parallele konventionelle Produkte vorliegen (Broschüren, Flyer, Stelentexte o.ä.). Tab. 21: Keyword-Analyse der ZAD-Gattungen in AntConc 3.4.4m Gattungen

Dokumente (Tokens)

Keywords

mit Vergleichskorpus

Gebrauchsgattungen 68 (289.118) in Unterwegsmedien AUD, HYP, STF, TAF, BRO, DID

Gebäude, heute, Kirche, BIB, DOK, KAT, SGe/p Jahrhundert/s, Denkmalschutz, errichtet, bis, wurde, Leichtverletzte, Museum, Jh., Weltkrieg, Haus, seit, Plänen, Sitz, Rathaus, Schloss, zerstört, steht, befindet, des, Fassade, genutzt, früher

Reflexionsgattungen in Buchmedien BIB, DOK, KAT, SGp, SGe

77 (1.042.717)

ich, Entwarnung, nicht, Alarm, wir, zu, und, keine, waren, sei, war, hatten, meine, habe, es, mich, aber, wie, Ereignisse, so, wenn, bei, ohne, ja, da, mir, mein, was, hatte

20 (216.189)

Luftangriff, Seite, Bild, heute, DOK, SGe/p sind, ist, Turm, hat, Domturms, rechts, rechte, Fotografie, Bilder, Fotografen, Foto, haben, links, Wiederaufbau, linke, hast

Sprache-BildMedien BIB, KAT

Texte und 57 (826.528) Materialien DOK, SGp, SGe

Alarm, Entwarnung, Fußnoten, Text, Ereignisse, SPD, Juden, Flaktätigkeit, Arisierung, Holocaust, KGF, RAF, jüdischen, gab, Freimaurerei, Senator, Gedenken, Wiedergutmachung

AUD, HYP, STF, TAF, BRO, DID

BIB, KAT

Im Sinne adressierungsspezifischer Handlungsfelder wurde bei der Zuordnung zunächst zwischen Gebrauchs- und Reflexionsgattungen unterschieden. Erstere finden sich in den Medien der Unterwegskultur (Stadtführer, Broschüren mit Kar-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 281

tenausschnitten, teilweise GPS-gestützte Audioguides, Internetseiten mit direkten Verweisen auf Positionen und Kartenmaterial) und letztere sind typischerweise in städtischen Kultureinrichtungen (Bibliotheken, Theatern) verfügbar bzw. zur Lektüre an beliebten Orten der Stadt vorgesehen. Reflexionsgattungen liegen in Buchform vor. Sie können längere schriftliche Abhandlungen zur Stadtgeschichte umfassen und sind oft verbunden mit kommentiertem Bildmaterial, Quellen wie Zeitungsartikeln, Flugblättern, Briefen etc. Das Ungleichgewicht in der Verteilung ist evident: Durch die sprachliche Komprimierung enthält die nur geringfügig kleinere Menge an Stadtgeschichtsdokumenten eine deutlich niedrigere Token-Zahl, nämlich weniger als ein Drittel der Token-Menge, die die Reflexionsgattungen umfassen. Die rund eine Million Tokens der Reflexionsgattungen wurden daher abermals aufgesplittet in Medien mit Sprache-Bild-Kombinationen und solche, die im Dienst einer historischen Aussage Texte und Materialien verknüpfen (Quellen, architektonische Skizzen, Zeichnungen etc.). In Tab. 21 sind in der linken Spalte die Zuordnungen der Subgattungen zu übergeordneten Gattungskategorien aufgeführt. Die Keywords wurden für diese Kategorien kontrastiv mithilfe der angegebenen Vergleichskorpora der Gebrauchs- bzw. Reflexionsgattungen ermittelt. Das große TK der Reflexionsgattungen ist wie bereits erwähnt noch einmal gesondert ausgewertet worden nach den TKs „Sprache-Bild-Medien“ und „Texte/Materialen“, die reziprok für eine kontrastive Keywordanalyse herangezogen wurden. In der gattungsbezogenen Auswertung gilt mein Interesse hauptsächlich der Frage, inwieweit in der Entwicklung neuer Kommunikationsangebote vor Ort auf bereits etablierte sprachliche Muster zurückgegriffen wird, diese ggf. vermischt oder hybridisiert werden, und welche Muster sich in den neuen oft raumsparend angelegten medialen Darstellungsformen themen- und diskursspezifisch entwickeln. Der Abschnitt ist gleichzeitig dem Grundgedanken verpflichtet, dass sich kulturelle Gedächtnispraktiken gattungsübergreifend herausbilden, auch wenn in Schulbüchern oder anderen zielgruppenspezifischen Formaten Didaktisierungen mit einer alternativen Gedächtnisperspektivierung vorzufinden sind. Ähnliche diskursgrammatische Gestaltungen innerhalb eines K-Profils ermöglichen dennoch – das hat sich bis hierhin bereits abgezeichnet – die Herausbildung städte-, gattungs- und ggf. institutionenspezifischer Werte und Akzentuierungen. Aus der Perspektive der Zielgattung mit den komprimierten Darstellungen betrachtet, sticht das Passivauxiliar wurde heraus, das an dieser Stelle auch als Zeichen einer fachsprachlichen Textgestaltung in Alltagstexten diskutiert werden soll. Gebrauchstexte sind häufig sachorientiert. Die ZAD-Texte der Unterwegsmedien haben die kommunikative Aufgabe, im Raum zu orientieren, und dabei Geschichtliches im Rahmen der aktuellen Erinnerungskultur zu einem Thema mit all seinen Appellen und Tabus aufzurufen. Sie lösen diese Teilaufgaben in

282 

 Korpusanalysen

sprachlicher Hinsicht meist integrativ. Es ist somit naheliegend, dass bei dieser Orientierung an der Sache der für Sach-, Wissenschafts- und Behördentexte charakteristische Nominalstil vorzufinden ist. Dazu zählen Adamzik/Rolf (1998:589) neben Abstrakta auch Partizipialkonstruktionen, Genitivketten, die Häufung von Verbalsubstantiven und Funktionsverbgefügen sowie Passivkonstruktionen (mit und ohne „Agensausblendung“). Trotz der mit diesen Formen erzielten Fokussierung der Handlung anstelle der handelnden Akteure, ihrer Hypostasierung und (nominalgrammatischen) Vergegenständlichung wird die Funktion dieser Sprachphänomene auf Prestige- und Machtaspekte reduziert: Die Funktion solcher Phänomene ist vielfach weniger sachbestimmt als prestigebestimmt, sie dienen wenn nicht der Einschüchterung, dann dem Selbstschutz und/oder der Verschleierung. Das folgende, einer Speisekarte entnommene Beispiel mag hier für viele stehen: „Dieses Schlemmermenü kann aus küchentechnischen Gründen an Sonntagen nicht serviert werden.“ Adamzik/Rolf (1998:589, Hervorh. i.O.)

An der Hervorhebung wird ersichtlich, dass die Funktion nicht spezifisch an der Verbindung von Passiv mit Modalverben festgemacht wird, sondern das Passiv zur Suggestion von Expertise in Kombination mit einer vagen Angabe von Gründen beiträgt.201 Die im ZAD vielfach musterbildende Passivvariante mit Modalverb tritt in diesem Beispiel exemplarisch in einem Dienstleistungskontext auf, der von den Gebrauchsbedingungen der erinnerungskulturellen Texte doch recht weit entfernt ist und in Verbindung mit einschlägigen sprachlich-stilistischen Merkmalen wohl eher einem K-Profil innerhalb der Werbekommunikation zuzuordnen ist.202 Ein isoliertes grammatisches Merkmal wie die Passivkonstruktion mit Modalverb ist somit wenig geeignet, um über die kommunikative Aufgabe diskurs- und raumspezifisch situierter Texte Aufschluss zu geben. Welche Musterbildung aber ist mit Blick auf diskursgrammatische Beziehungen des Passivauxiliars zu weiteren Keywords feststellbar? In den Gebrauchsgattungen treten als Kookkurrenten gehäuft Wörter der zeitlichen Einordnung in unterschiedlichen Wortarten in Erscheinung: heute, Jahrhundert/s bzw. Jh., bis, Weltkrieg, seit und früher (vgl. Abb. 22). In der Clusterbildung der 1.978 POSgetaggten wurde-Belege zeigt sich, dass zeitliche Datierungen gehäuft rechtsoder linksseitig in Fünf-Wort-Umgebung auftreten. Die mit CARD getaggten Jahreszahlen stehen an vierter Stelle der POS-Kookkurrenten von wurde (nach NN,

201 Zur Funktion dieser PP mit dem für das Adjektiv typischen hinteren Bestandteil -technischen vgl. Steyer 2013:225. 202 Ein Vergleich der diskursgrammatischen Einbettung könnte sich dennoch als lohnend erweisen.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 283

VAFIN und ART). Den 822 Belegen liegen zum großen Teil vorgangspassivische Konstruktionen zugrunde. Sie sind vielfach direkt mit der Dokumentation von Zerstörungsereignissen und Aufbauwillen assoziiert, was sich auch anhand der Häufung der Jahreszahlen 1944 und 1945 abzeichnet. Die Belege für die syntagmatischen Muster [CARD wurde NN VVPP] und [NN wurde CARD VVPP] lassen eine konstruktionale Tendenz zur Topikalisierung der Zeit-Einheiten bzw. ihrer informationsstrukturell hervorgehobenen Positionierung am Beginn des Mittelfelds in der Beschreibung der Zerstörung erkennen.203 Sollte diese beobachtete Tendenz einem weiter verzweigten Muster folgen, stellt sich die Frage nach der Aufteilung der Informationseinheiten im Satz sowie der Verbindung zu anderen Kontextualisierungshinweisen. Für die aufgeführten Satzkontexte lässt sich diskursgrammatisch an dieser Stelle ableiten, dass erstens in der Beschreibung des Aufbaus die Bauten thematisiert werden und zweitens in der Beschreibung der Zerstörung die Zeit und für die Paderborner Belege ebenfalls die Bauten thematisch sind. Diese unterschiedliche Art der Aufmerksamkeitslenkung auf die Zerstörungsund Aufbauereignisse hat Folgen für die Versprachlichung der Akteure. Was das Vorgangspassiv leisten soll, wird häufig mit dem Oberbegriff der Deagentivierung gefasst, den Oksaar (1973:169) folgendermaßen konkretisiert: Durch das Vorgangs- und Zustandspassiv wird die Aufmerksamkeit auf die Handlung, den Vorgang, die Sache oder das Ereignis gerichtet und nicht auf die handelnden Personen. Passiv bewirkt Agensabgewandtheit, Deagentivierung. Es wird auch bevorzugt, um das Generelle, das Allgemeingültige darzustellen.

Semantische Generalisierung passt zur zeitlichen Einordnung durch die Jahreszahl sowie die standardisierte Beschreibungsweise des Zerstörungszustandes als enorm (völlig, fast vollständig, schwer, bis auf die Fassade). Agentive Instanzen treten in diesen Rahmen nur „mittelbar“ ein: als Bomben oder aggressorbezogene Bombenangriffe und meist ohne Agensergänzung in der NP.

203 Eine exakte Auszählung der Belege birgt die Schwierigkeit, zwischen Zerstörungsursachen, dem frühen Nachkriegsaufbau und weiteren Aufbauphasen zu unterscheiden, aber auch Mustervarianten zu berücksichtigen, in denen Aufbau oder Abbruch attributiv beschrieben wird, wie z.B. in folgendem Beleg aus einem Mannheimer Stadtführer (Relativsatzattribut): 1829 erwarb Lauer das benachbarte Haus M 5, 7, dessen Ruine jedoch 1952 abgebrochen wurde. (MA 2007 STF Ellrich, 22)

284 

 Korpusanalysen

Jahrhundert/s Jh.

NN wurde CARD VVPP

heute

CARD wurde NN VVPP

‚Zeit‘ Weltkrieg

während des (Zweiten Welt-)Krieg(e)s

(Ende) des Zweiten Weltkrieg(e)s

nach dem Zweiten Weltkrieg(e)

Abb. 21: Zeiteinordnungen innerhalb des Kontextualisierungsprofils der Gebrauchstexte im ZAD

Dass die Zerstörungsthematik auch diskursgrammatisch eine Akzentuierung erfährt, möchte ich kurz anhand der Gegenüberstellung der Belege (160)–(162) und (163) diskutieren. Während die Zerstörungsfolgen in (163) innerhalb der erweiterten PP untergebracht sind und das Passivpartizip die Wiederherstellung fokussiert, trägt in (160)–(162) die Zerstörung den rhematischen Akzent. Bei gleichzeitiger Thematisierung des Gebäudes im Vorfeld wird der Grad der Zerstörung zum Zentrum der Aussage. Mit der thematischen Jahreszahl im Vorfeld wie in (170), (171) und (173) konzentriert sich die Satzaussage hingegen darauf, welches Gebäude getroffen wurde. Dabei wird ebenfalls wie in (160)–(163) der Zerstörungsgrad am Satzende rhematisch. In der diskurssyntaktischen Realisierung des Zerstörungsgeschehens im Vorgangspassiv erhält somit der Zerstörungsgrad ein besonderes informationsstrukturelles Gewicht am Satzende. Auf den Mannheimer Tafeln findet sich diese Musterhaftigkeit auch für das aktualisierende historische Präsens, was für eine starke Verfestigung der Passivvariante samt der weiteren Aktanten (Zeitangabe, Verursachungsinstanz) im Satz spricht. Die Aufbauleistung wird daran anknüpfend koordinativ ergänzt. (174) Das Gebäude wird 1943 bei einem Luftangriff zerstört und 1951 wieder als Wohnheim aufgebaut (...) (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Ökumenisches Bildungszentrum)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 285

Tab. 22: Füller der Konstruktionen [NN wurde CARD VVPP] und [CARD wurde NN VVPP] für Aufbau- und Zerstörungsverben mit Jahreszahl als Knotenpunkt (node) NN

wurde CARD

VVPP

(160) Der gesamte Baukomplex

wurde 1945

fast vollständig

zerstört.

(PB BRO Stadt, 33)

(161) Der Haxhausenhof (sic: Haxthausenhof)

wurde 1945

durch Bomben schwer

getroffen.

(PB HYP Zeit, Haxthausenhof)

(162) Die ganze Häusergruppe

wurde 1942

völlig

zerstört.

(HB HYP Historic, Bremen im Krieg)

(163) Die 1944 völlig ausgebrannte Kirche

wurde 1950–60

wiederher- (HB 1983 STF gestellt. Baedecker, 47)

(164) Auch die Stephani­ wurde von 1947 nach Rekonstruk- wiederher- (HB HYP BremenpediA, kirche bis 1959 tionsplänen von gestellt. Arthur Bothe aus Stephaniviertel) der Ruine (165) Die Kurpfalzbrücke in der Mitte

wurde 1948–50 anstelle der zerstörten Friedrichsbrücke

errichtet.

(MA 1998 STF Baedeker, 45)

(166) Ein Neubau

wurde in den 1950er Jahren

errichtet

(MA 2009–2016 AUD Tomis, Nationaltheater)

(167) Die Ruine

wurde 1955

gebaut.

(MA 2014 APP verdrängt, F 2, 13)

CARD

wurde NN

VVPP

(168) In der Nacht zum 5. September 1942

wurde die Kunsthalle von einer Brandbombe

getroffen, die das Treppenhaus und sechs Säle im Obergeschoss zerstörte.

(HB HYP BremenpediA, Kunsthalle)

(169) 1944

wurde das Roselius-Haus bis auf die Fassade

zerstört.

(HB HYP Boettcher, RoseliusHaus)

abgerissen und ein neues Haus

286 

 Korpusanalysen

(170) Im Jahre 1944

wurde das Gebäude bis auf die Außenmauern

zerstört.

(HB 1992 STF Gutmann, 17)

(171) 1945

wurde das Rathaus bis auf die Außenmauern

zerstört und brannte aus.

(PB 2005 BRO Stadt, 39)

(172) Beim großen Bombenangriff vom 27. März 1945

wurde das Franziskanerkloster

zerstört.

(PB HYP Zeit, Franziskanerkloster)

(173) Bei einem Bomben- wurde das alte Planetarium schwer beschädigt (MA 2009–2016 angriff im Jahr 1943 und nicht AUD Tomis, wieder auf- Planetarium, gebaut. Sprechertext)

Die Thematisierung der Gebäude als „Opfer“ der Zerstörung erscheint für die neueren, insbesondere hypertextuellen Gattungen als musterhaft in der diskursgrammatischen Konstellation aus Handlungsfokussierung durch Vorgangspassiv und adversativer Konnektivität. Der BremenpediA-Beleg (175) dokumentiert, wie die genannten Kontextualisierungsmerkmale mit der temporalen PP nach dem Krieg und dem für diese gegenwärtige Phase der Erinnerungskultur an die Kriegszerstörung hochfrequenten Lexem Gebäude zusammenwirken: (175) Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört. Nach dem Krieg wurden Reparaturen am Gebäude vorgenommen, jedoch ohne den Wiederaufbau von Turm, Giebel und Satteldach (...) (HB HYP BremenpediA, M-Trakt der Hochschule Bremen)

Die Wiederaufnahme mit demselben Ausdruck ist gattungsfunktional und offenbar stilistisch nicht markiert. Der Ausdruck Gebäude auf der Basisebene hat 550 Vorkommen in 50 von 68 Dokumenten und tritt gehäuft in hypertextuellen Formaten und Apptexten auf. Die Thema-Position des passivischen Patienssubjekts legt eine Fährte zum Leidenssubjekt personifizierender Aktivsätze, in die das Lexem Gebäude (176– 178), aber natürlich ebenso konkrete Einzelbauten (179–180) eintreten: (176) Das Gebäude überstand sogar den Zweiten Weltkrieg. (PB 2003 DID Runte, 19, Bildunterschrift) (177) Von Kinkel hatte Glück, denn sein inzwischen stattliches zweigeschossiges Gebäude überlebte das Bombardement. (MA 2007 STF Ellrich, 35) (178) Beide Gebäude überstanden den Bombenkrieg fast unbeschädigt. (MA 2005 STF Probst, 133)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 287

(179) 1969 wurde das Gebäude abgerissen. Dabei hatte es den Krieg im Gegensatz zu seiner Umgebung nur leicht beschädigt überstanden. (HB HYP Radiobremen, Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg) (180) 1944 erlitt der Backsteinbau schwerste Zerstörungen, die in den 1950er Jahren beseitigt wurden. (HB HYP Wikipedia, Geschichte der Stadt Bremen) (181) Im darauffolgenden Kriegsjahr erlitt die Kirche weitere Bombentreffer. (HB HYP BremenpediA, Bremer Dom)

Wiederum liegen im diathetischen Raum zwischen Passiv und Aktiv diverse nicht passivfähige Verben (182–183) und solche, die kein typisches Agenssubjekt lizenzieren. Es treten aber auch Agentivierungen zutage (184–185): (182) Das Gebäude verbindet die Jesuitenkirche mit dem Westflügel des Schlosses. (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Lyceum, Bildunterschrift) (183) Am Krummen Ellenbogen erhielt das Gebäude 1902 den zum Kamp hin drei Fensterachsen breiten Flügelanbau. (PB 2005 BRO Stadt, 29) (184) Seither beherbergt das Gebäude die Stadtbibliothek. (PB 2011 BRO Schäfer, 45) (185) Im Laufe der Jahrhunderte wechselte das Gebäude mehrfach seine Besitzer. (PB 20092016 AUD Tomis, Adam-und-Eva-Haus)

Die Schlüsselwörter der Reflexionsgattungen besitzen ein hohes Indikatorpotenzial für die Beharrungskräfte diskursiver Muster im zeitlichen Verlauf. Was hervortritt, sind gerade nicht die bereits eingeschliffenen Passivierungen (mit wurde/n-Auxiliaren und thematisch einschlägigen Partizipien). Die Übersicht zeigt im Vergleich zu den neueren Kommunikationsangeboten zu Stadtgeschichte und Erinnerungskultur Merkmale persönlicher Erlebnisberichte. Dokumentationen, stadtgeschichtliche Darstellungen und Bildbände greifen auf Zitate von Zeitund Augenzeugen zurück, die direkt zu Wort kommen (ich, wir, meine, mein) oder deren Erlebnisse referiert werden (sei ggf. habe). All diese Formen der intertextuellen Verknüpfung und Authentifizierung finden in die reduzierten Darstellungen zur Stadtgeschichte i.d.R. keinen Eingang. Mit der Betroffenensicht ist auch die Negationspartikel nicht im Bigramm nicht mehr verbunden, das in den 537 Vorkommen oft Schmerz und Trauer versprachlicht. Es markiert eine Zäsur in den Kontexten der nationalsozialistischen Gewalterfahrung, des Krieges, der Zerstörung, aber auch der Angst vor der Besatzungssituation unmittelbar nach Kriegsende. Welche konkreten Verluste kommen mit der zäsurindizierenden Wortverbindung nicht mehr zur Sprache? In welchen sprachlichen Handlungsmustern tritt sie auf? Es können für die Verlustkonstruktion wenigstens zwei stärker verfestigte Konstruktionsvarianten beschrieben werden:

288 

 Korpusanalysen

1. mit Modalisierern in der Bedeutung ‘die Möglichkeit/Fähigkeit ist verloren’, wobei die Modalisierungsfunktion unterschiedlich realisiert sein kann, z.B. durch die modale Infinitivkonstruktion mit sein, durch eine morphologische Ableitung auf -bar oder mithilfe des Modalverbs können. Negationscluster Modalisierer nicht mehr zu x-en sein/können [Vermögen] → Verlust des physischen und sozialen Lebens (186) Das Krankenhaus war auch noch jahrelang dort untergebracht, denn das DiakonissenHaus selbst war völlig ausgebombt und nicht mehr zu benutzen. (HB 1995 BIB Schminck, 295) (187) Auch das nördliche Seitenschiff des Doms erhielt einen Treffer, der das Gewölbe durchschlug, die Eisenbahnbrücke wurde so sehr beschädigt, daß sie nicht mehr zu befahren war. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 613) (188) An einen deutschen Angriff war nach den schweren Kämpfen nicht mehr zu denken. (PB 2008 SGe Westhoff, 61) (189) Die bis jetzt bestehenden Zubringerstraßen vom Hafen zur Autobahn und umgekehrt waren der ständig steigenden Verkehrsbelastung nicht mehr gewachsen. (MA 1955 BIB Pichler, 27) (190) Die Befreiung erlebte ich in Lyon. Es waren bewegende Tage, aber auch Stunden der Trauer um diejenigen, die nicht mehr dabei sein konnten, und von Ungewissheit über das Schicksal der Familie. (MA 2009 SGp Mehler, 114) (191) Diese Toten zu beerdigen, ist vorläufig unmöglich, da die Kräfte dazu fehlen. Und doch graben einige Menschen in den Trümmern, sie schaufeln, sie hacken, sie räumen. Sie vergaßen, was Zeit ist, sie verloren den Sinn für jede Gefahr, was kümmert sie noch, was die Zukunft bringt. Nur graben und finden. Darüber hinaus vermögen sie nicht mehr zu denken. (PB 1949 SGe Kiepke, 106)

2. mit Existenzpräsupposition und der Voraussetzung ‘etwas hat mal funktioniert/war mal existent’ Negationscluster VVFIN [Existenz/Funktion] nicht mehr existieren/funktionieren/gelten als/geben → Verlust der materiellen und kulturellen Ordnung (192) Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser funktionierte nicht mehr, viele Straßen waren durch Trümmer unpassierbar, und mit Ausnahme des Weserwehrs waren alle Flussübergänge zerstört. Der Betrieb der Straßenbahn ruhte vollständig seit der Zerstörung des städtischen Kraftwerkes (...) (HB 2008 SGe Barfuß, 245) (193) Die Köpfe Millionen Deutscher sind noch vernebelt, vermufft, das normale Denken funktioniert bei ihnen nicht mehr .... Der Hunger nach sauberer, unverfälschter Kost ist

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 289

groß in unserem Volk. Möge eine Presse erstehen, die dem deutschen Volk den Wahnsinn und die Verbrechen des Nazisystems zum Bewußtsein (bringt)! (HB 1978 DOK Dresses, 5) (194) „Mannheim existiert nicht mehr“. Mit diesen Worten beschrieb ein Augenzeuge das Resultat des Luftangriffs vom 5./6. September 1943, bei dem mehr als 600 alliierte Flugzeuge weite Teile der Innenstadt zerstörten. (MA 2013 SGp Stockert, 104) (195) Wenn diese Unterscheidung für viele Paderborner im Frühjahr 1942 noch galt, dann galt sie spätestens im Frühjahr 1945 nicht mehr. Front war nicht mehr nur da, wo die Truppen sich in den Schützengräben gegenüberlagen, sondern auch in allen Städten, die von den Bombern erreicht werden konnten. Die grausamen Erlebnisse der Soldaten an der Front wurden nun auch für die Frauen und Kinder in den Städten zum Alltag. Jeder konnte jeden Augenblick sterben. (PB 2008 SGe Westhoff, 23) (196) Bald gab es nicht mehr viel, das noch intakt war. (PB SGp 2005 Kühne, 27)

Abgesehen von den Verwendungsvarianten in (191) mit adjektivischem mehr, die einem anderen Konstruktionstyp zugehören, und in (196) mit Bezug auf das Adjektiv viel bezieht sich das Partikelcluster nicht mehr auf das Verb bzw. den Verbalkomplex. Das Cluster steht in der ersten Konstruktionsvariante eher in Verbindung mit mental-physischen Kontexten und in der zweiten eher mit einer äußeren baulichen und infrastrukturellen Ordnung. Die Formulierungen bringen die enormen Ausmaße der Kriegsfolgen zum Ausdruck. Die zitierten Augenzeugenberichte und die empathische Aneignung der Geschehnisse durch die (teilweise zeitgenössischen) Verfasser konstruieren das Zerstörte als Zusammenbruch eines vormals intakt(en) (196) gesellschaftlichen Lebens. Und nicht nur dies: In der Konstruktion werden sowohl physisch-materielle als auch moralisch-gesellschaftliche Ausfälle gefasst, ja sie werden möglicherweise durch die serielle Nutzung wechselseitig impliziert. Dies geschieht selten, aber mitunter auch innerhalb eines Belegs wie in (193), wenn der Mangel an unverfälschter Kost im physischen und im geistigen Sinn als Ursache dafür erscheint, dass das normale Denken nicht mehr funktioniert. Umgekehrt wird die in Hygienemetaphern gekleidete „unsaubere“ im Vergleich zur sauberen Kost als Ursache für die Pathologie angesehen, der ein ganzes Volk erlegen war: für den Wahnsinn. Dass nun diese diskursiv so aufgeladene und für den Zeitzeugenbericht als Kontextualisierungsmerkmal fungierende Konstruktion in der frühen Nachkriegszeit auch für die Notsituation der ständig steigenden Verkehrsbelastung (189) eingesetzt wird, mag irritieren. Durch die Kollokation nicht mehr gewachsen sein erhält das Subjekt potenzielle Handlungsmacht, ja es entsteht ein Zwang zu handeln, denn die Straßen in Subjektrolle schaffen das hohe Verkehrsaufkommen nicht mehr. Sie können den „natürlichen Verkehrsfluss“ nicht mehr garantieren. Die Können-Modalität wird hier nicht durch eine grammatische Form (z.B. durch den modalen Infinitiv) hergestellt, sondern lexikalisch expliziert über die phraseologische Prädikation einer Sache gewachsen sein. Damit entsteht der Eindruck eines zügigen Handlungsbedarfs aus dem Wunsch, Abhilfe zu schaffen.

290 

 Korpusanalysen

Durch die Lexikalisierung liegt hier konstruktionell kein modaler Infinitiv vor. Der modale Infinitiv besitzt die spezifische Eigensemantik einer ambigen passivischen Konstruktion. D.h. er lässt in seiner Bedeutung sowohl die ‘können’- als auch die ‘müssen’-Lesart zu (vgl. Holl 2010:219). Bei Unentschiedenheit über die beiden Lesarten wie in Die Aufgaben sind zu lösen. ergeht zum einen der Appell, die Aufgaben zu erledigen, und zum anderen wird eine Aussage über den Schweregrad der Aufgaben getroffen. Die modalen Infinitivkonstruktionen mit sein in (186) bis (188) sind eindeutig der ‘können’-Lesart zuzuordnen. Eine weitere modalsemantische Komponente ergibt sich durch die Kombination mit der Negationspartikel zum Cluster nicht mehr. Die so negierte ‘können’-Lesart gewinnt eine semantische Nuance der Nicht-dürfen-Modalität: Diakonissen-Haus und Eisenbahnbrücke durften aufgrund der starken Beschädigungen nicht mehr benutzt werden, ein weiterer deutsche(r) Angriff durfte (aufgrund der vorstellbaren Verluste) nicht mehr geplant werden. Dass dieses Gebot, das mit der Gefahreneinschätzung durch die in Stellung gebrachte US-Panzerdivision begründet wird, hier in (188) pragmatisch implikatiert ist und damit grundsätzlich durchbrochen werden kann, belegen die im Anschluss erzählten Angriffspläne eines Panzerkommandanten, die begünstigt haben sollen, dass der amerikanische General Rose in Kirchborchen kurz vor Paderborn erschossen wurde.204 Als weiteres Negationscluster wurde für die Reflexionsgattungen nicht nur mit 418 Vorkommen nachgewiesen. Seine Verwendung als Teil des Universalkonjunktors205 nicht nur ... sondern (auch) ist von der des korrigierenden AdversativJunktors sondern mit verneintem Erstkonnekt zu unterscheiden. Mit aber teilt

204 In der Paderborner Stadtgeschichtsschreibung heißt es mitunter, der US-amerikanische Generalmajor Maurice Rose sei in der „Battle of Paderborn“ gefallen (vgl. PB 1995 KAT Museen, 159). Er ist laut Wikipedia am 31. März 1945 bei dem (als zögerlich interpretierten) Versuch sich zu ergeben von deutschen Soldaten erschossen worden (https://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Rose, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Jedoch kursierten aufgrund einer zeitgenössischen Pressemeldung Gerüchte, dass er durch Zivilisten erschossen wurde (PB 1984 SGe Mues, 572), weil er Jude war, was sich jedoch rasch als „Werwolf“-Propaganda entpuppte. Die Ente schreibt Westhoff der amerikanischen „Desinformation“ zu und kommt zu der für die deutsche Seite entlastenden Deutung, es habe sich um einen tragischen Unglücksfall gehandelt: Die Tötung des amerikanischen Generals Rose durch Paderborner Bürger hat nie stattgefunden. Diese Legende beruht auf einer falschen Zeitungsmeldung. Obwohl die Erkenntnis nicht neu ist, so ist doch die amerikanische Sichtweise auf dieses Ereignis entscheidend. Eine Untersuchungskommission stellte fest, dass es sich um einen tragischen Unglücksfall gehandelt haben muss. (PB 2008 SGe Westhoff, 75) 205 Die IDS-Grammatik wählt diese Bezeichnung, weil der zweiteilige Konjunktor ganz verschiedenartige Konnekte (Morpheme, Wörter, Phrasen, Verbgruppen, Sätze und kommunikative Minimaleinheiten) verbinden kann (vgl. Zifonun et al. 1997:2419).

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 291

sondern das semantische Merkmal ‘Wendung’ (vgl. Weinrich 2007:813); während aber kontrastiert, wird mittels sondern pragmatisch eine Korrektur vollzogen. Der zweiteilige Konjunktor nicht nur ... sondern (auch) indiziert dagegen eine Erweiterung der Einschränkung.206 Die Gültigkeit des ersten externen Konnekts bleibt bestehen und erhält durch das nachfolgende interne Konnekt eine Ausweitung des Negierten, wobei der präsuppositive Kontext gebildet wird, dies verstoße gegen die Erwartung, was für den Aufbaukontext und die Hervorhebung der erfolgreichen Aufbauprojekte von entscheidender Bedeutung ist. Die wichtige Rolle des Negationsclusters nicht nur in dieser Konnektorverbindung zeigt sich dadurch, dass der Konjunktor sondern weglassbar ist bzw. durch Juxtaposition ersetzt werden kann. Schließlich unterscheiden Zifonun et al. (1997:2420) zwischen einem kataleptischen und einem analeptischen Verfahren, wobei ersteres für stilistisch effektvoller gehalten wird, da es durch die Parallelstruktur eine besondere Akzentuierung erzeugt. Diese erhält in Beispiel (a) aus Benjamins Passagen-Werk das jeweils zweite Phrasenglied, d.h. Interieur und Freie. Die von Zifonun et al. (1997:2420) in (b) konstruierte Analepse erzielt diesen Effekt hingegen nicht: (a) Nicht nur die Stadt und das Interieur [], die Stadt und das Freie vermögen sich zu verschränken. (b) Nicht nur die Stadt und das Interieur vermögen sich zu verschränken, sondern auch die Stadt und das Freie [].

Den Akzent erhält durch die Wiederholung des ersten Koordinationsglieds (Stadt) das zweite Glied (Freie), er füllt in anderen Fällen die ganze auf nicht nur folgende sprachliche Einheit aus. Eine vergleichbare kontrastierend überbietende Gestalt findet sich in der Beschreibung der Aufbauleistung in paralleler Juxtaposition (197) sowie mit den Konnektor(-verbindung-)en sondern (200), sondern auch (198) und sondern noch (199). Die konstruktionsbedingt hervorgehobenen Einheiten sind ebenfalls gefettet. (197) Seit 1945 sind in Mannheim insgesamt 28 230 Wohnungen erbaut bzw. wiederhergestellt worden. In allen Stadtteilen wird aber nicht nur gebaut, es wird auch gestaltet. (HB 1955 BIB Pichler, 8, Geleitwort von Oberbürgermeister Heimerich) (198) Sechs Jahre später konnte sein Nachfolger Hermann Heimerich einen Bildband präsentieren, der die bis dahin erbrachte Wiederaufbauleistung in beeindruckender Weise dokumentiert: Nicht nur Wohnungen und Schulen, sondern auch Hafen- und Indust-

206 Funktional ähnlich verhalten sich die nicht weiter ins Gewicht fallenden Varianten der gehobenen und umgangssprachlichen Stilebene nicht allein mit 24 und nicht bloß mit drei Belegen (vgl. Zifonun et al. 1997:2420).

292 

 Korpusanalysen

rieanlagen, Geschäftshäuser sowie Straßen, Brücken und technische Einrichtungen waren in den ersten zehn Nachkriegsjahren wieder erstanden. (MA 2007 SGp Caroli, 471f.) (199) Es galt also, nicht nur die vorhandenen Grünflächen sorgfältig zu erhalten, sondern noch weitere Grünflächen freizulegen. (PB 1949 SGe Kiepke, 188) (200) Sie hat nicht nur eine weitgehende Auflockerung, Belichtung und Besonnung herbeigeführt, sondern die wirtschaftlichen, baulichen und gesundheitlichen Verhältnisse in den betreffenden Gebieten gegenüber den Zuständen im alten Paderborn ganz wesentlich verbessert. (PB 1955 DOK Schmidt, 11)

Die diskursgrammatische Gewichtung ergibt für die ausgewählten Belege eine Auffassung des Aufbaus als Gestaltung (Bremen), als Wiederherstellung infrastrukturell bedeutsamer Bauten wie Hafenanlagen, Brücken und Geschäftshäuser (Mannheim) und die Verbesserung der baulichen Situation mit Blick auf Wirtschaft und Gesundheit (Paderborn). Die Betonungen können gleichsam im Rahmen einer Rechtfertigung der Aufbaukriterien und -prozesse gelesen werden, die auf Kritik reagiert und beschwichtigend wirkt. Von den Präsuppositionen ausgehend ist dies die Kritik an stilblinder Bauwut (Bremen), an der Vernachlässigung der wirtschaftsrelevanten Infrastruktur (Mannheim) und am Verschwinden des alten Stadtbildes (Paderborn). Im Umkehrschluss liegen die Schwerpunkte auf der ästhetischen Gestaltung (Bremen), der wirtschaftlichen Entwicklung (Mannheim) und dem Festhalten an historisch gewachsenen Traditionen und Baustilen (Paderborn). Die diskursgrammatische Indikatorfunktion des Universalkonjunktors nicht beschränkt sich nicht auf Aufbaukontexte. Das K-Profil mit seinen städtespezifischen inhaltlichen Ausprägungen ist durch weitere sprachliche Merkmale im Umfeld der nicht-Cluster gekennzeichnet. Die Belege zu i.w.S. Moralkontexten weisen zusätzlich vor allem solche sprachlich-pragmatischen Mittel auf, die das Gesagte als bereits bekannt und selbstverständlich kennzeichnen und damit eine Norm konstruieren, die die Folie bildet für u.a. konkrete Aufbau-Entscheidungen. Der längere Quellentext mit dem argumentativen Topos „keine andere Wahl haben“ für einen schnellen Aufbau in (201) stammt aus der frühen Nachkriegszeitschrift „Der Aufbau“, herausgegeben von der Bremer „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“, die mit genau dieser Passage in zwei späteren Dokumentationen (Dresses und Schminck) zitiert wird. Sie besitzt ein hohes transkriptives Potenzial auch für die Prägung erinnerungskultureller Sprachroutinen. (201/86) Zur materiellen Zerstörung und Verwüstung kommen die seelische und sittliche Verwilderung und Aushöhlung des deutschen Volkes. (...) Der Aufbau einer neuen Ordnung darf kein „Wiederaufbau“ sein, kein Wiederaufbau dessen, was vergangen ist, was von der Geschichte mit harter Hand hinweggefegt wurde. Es ist ja nicht nur das Hitlertum, das zu Grabe getragen wird. Der unheilvolle Geist des Preußentums, der Geist der Untertanendemut und des beschränkten Untertanenverstandes, des blinden Gehorchens, der subalter-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 293

nen Hoffnung auf die Weisheit und Fürsorge der „Vorgesetzten“, die feige Gedankenlosigkeit, die nichts von sich selbst und alles von anderen – vom Führer, von der „Obrigkeit“, von der „Regierung“ erhofft – sie waren die Wurzeln, aus denen das „Dritte Reich“ erwuchs und die mit ihm ausgerottet werden müssen. Wir haben keine Wahl. Wenn wir leben wollen, so müssen die Trümmer beiseite geräumt und mit dem Aufbau begonnen werden. (HB 1978 DOK Dresses, ohne Seitenangabe; HB 1995 BIB Schminck, 270) (202) Einen einfachen Rückgriff auf eine demokratische Tradition, die der Nationalsozialismus unterbrochen hatte, konnte es nicht geben. Im übrigen ging es ja nicht nur darum, wieder wachzurufen, was unterdrückt, verlernt oder vergessen worden war. Für ein demokratisches Zusammenleben, für die Akzeptanz der demokratischen Institutionen fehlten die elementare Einübung und positive historische Erfahrung. (MA 2002 DOK Peters, 39f.)

Auch in (202) suggeriert das nicht-Cluster die Einsicht in etwas Selbstverständliches, womit zugleich um Verständnis für die Menschen geworben wird, die sich nach Kriegsende mit einem Neuanfang schwer tun. Sie, so wird behauptet, könnten aus Mangel an Erfahrungen und aufgrund fehlender institutioneller Bedingungen in der Gegenwart zu keiner demokratischen Tagesordnung zurückkehren. Das Negationscluster ist Teil einer Projektorphrase, die das Defizitäre in einem ersten Schritt im Satzmuster maximal profiliert. Dazu erscheint laut DeReKo-Kookkurrenzprofil musterhaft ein expletives es im Vorfeld der Matrixsätze wie in (201) mit Prädikativ und fokussiertem Prädikatsausdruck Es ist ja nicht nur das Hitlertum, das (...). Als präferiertes Verb erweist sich im DeReKoKookkurrenzprofil gehen um, wie es in (202) vorliegt. Bei einem kursorischen Blick auf die Treffer zeichnet sich eine holistische Sinnkonstitution dahingehend ab, dass ein bewusst enger Rahmen referiert wird, der in einem zweiten Schritt durch eine sondern-Phrase erweitert wird. Die Konstruktion hat durch die Entgegensetzung einer verengten Vorstellung von einem Gegenstand und der Darstellung seiner Komplexität einen Blick-über-den-Tellerrand-Effekt (Im übrigen ging es ja nicht nur darum...). In der Aufsplittung der Reflexionsgattungen ist abschließend eine Auffälligkeit erwähnenswert, und zwar die signifikante Häufung des Temporaladverbs heute in den Gattungen der Sprache-Bild-Medien. Das Deiktikon verbindet sich in 23 Fällen zum Adverbcluster heute noch; die invertierte Variante noch heute erzielt weitere 15 Belege. Beide Cluster sind gleichmäßig über das TK SpracheBild-Medien innerhalb des TKs Reflexionsgattungen verteilt.207 Die Verbindungen markieren offensichtlich die Relevanz der baulichen Gestaltung für die Gegenwart. Sie treten in den Bildbänden bevorzugt als sprachliches Mittel der temporalen Kontrastbildung auf und sind musterhaft mit historischen Fotografien verbunden. Die Veränderungen werden teils nur sprachlich, teils auch

207 Auch die Wortverbindung bis heute reiht sich hier semantisch ein.

294 

 Korpusanalysen

bildlich beschrieben. In Abb. 22 liegt die Bildfunktion zunächst in der Verankerung des im Text Beschriebenen: Es liefert eine Suchanweisung für das Foto von 1981. Die Aufnahme zeigt, dass von den historischen Fachwerkhäusern heute nur noch der Torbogen übriggeblieben ist. Was in der Rezeptionssituation relaishaft durch die historische Aufnahme ergänzt werden kann, ist bereits in der Partikel nur angelegt und spezifiziert sich erstens auf interpersonale und zweitens auf kausale Weise.208

Abb. 22: Der Bildband von Vogt zeigt die Mühlenstraße im zeitlichen Kontrast 1937 und 1981 (PB 2002 BIB Vogt, 54). Bildnachweis (beide Fotos): Ulrich Vogt

Den Hintergrund für die interpersonale Spezifikation bildet die Grundannahme der funktionalen Grammatik nach Halliday 1994, dass die interpersonelle Dimension neben der ideationellen und der textuellen eine von drei sprachlichen Metafunktionen darstellt, nach denen sich das grammatische Inventar einer Sprache gliedert. Für die Multimodalität spielen die Metafunktionen eine bedeutende Rolle, weil mit ihnen der Status einer Modalität begründet werden kann: Wenn eine semiotische Ressource auf allen drei Ebenen funktionale Einheiten besitzt, handelt es sich um eine Modalität mit dem Potenzial, Aussagen erzeugen zu können. In den Metafunktionen manifestiert sich Hallidays funktionallinguistische Auffassung von Sprache als sozialem System, das Mittel zur Verfügung stellt, um Sachverhalte zu repräsentieren (ideationell), um Gedankliches mit einem medialen, räumlichen etc. Kontext zu verknüpfen (textuell), und um damit

208 Das Beispiel belegt einmal mehr die Schwierigkeit, Über- und Unterordnungen zwischen Sprache und Bild zu bestimmen, wie es einige multimodalitätslinguistische Annotationsschemata verlangen (vgl. zu dieser Kritik Martinec/Salway 2005:351). Zur Beschreibung der Genese einer emergenten multimodalen Lesart eignen sich hingegen eher Interdependenz-Modelle der wechselseitigen Transkription (Stöckl 2010) oder des Text-Bild-Reißverschlusses (Holly 2009).

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 295

zugleich soziale Beziehungen zu gestalten (interpersonell).209 Dabei werden z.B. kommunikative Mittel eingesetzt, um auszuhandeln, wie die Gesprächspartner zueinander stehen. Bezogen auf die Herstellung sozialer Ordnung geht es darum, wer wann auf welche Art z.B. scherzen darf (ohne das soziale Gesicht eines anderen zu bedrohen), oder auch welche Wertungen aus einer bestimmten Sichtweise hervorgehen. Die Bewunderung des Aufbauergebnisses, die in dem vorliegenden Beispiel den bildlichen Kontrast begleitet, entsteht nun in diesem für den Betrachter arrangierten Zusammenspiel von Sprache und Bildelementen. Auf der sprachlichen Seite ist die Fokuspartikel nur am Satzanfang Ankerpunkt für den Ausdruck eines bedauernswerten Verlusts: Nur der Torbogen am linken Bildrand ist heute noch als Zugang zur Städtischen Jugendmusikschule erhalten. Nach der vorausgegangenen Feststellung einer restlosen Zerstörung (völlig zerstört) mit dem Fokus auf der Handlung und ihrem Ergebnis wird sprachlich die Spurensuche nach einem kleinen Element, dem Torbogen, angeleitet. Mit dieser Anweisung nimmt der Betrachter das historische Überbleibsel auf der Fotografie von 1981 wahr. Diese Aufnahme hat gegenüber der Vorkriegsfotografie eine leicht verschobene Perspektive, so dass eine Litfaßsäule mit rauchender Werbeprotagonistin ins Zentrum gerückt wird, die die ungesunden Seiten des Konsums versinnbildlichen mag und zugleich das Stadtbild mit einer Deutungsfacette von ‘verschandelt’ „stört“. Auch die parkenden Autos zeugen von einer vielleicht nicht gerade verschönernden Zunahme urbaner Infrastruktur. Einen kookkurrenten Kontextualisierungshinweis auf textueller Ebene stellt die Textdeixis auf das Foto (die hier abgebildeten Häuser) dar. Auch für die Repräsentationsebene ist in diesem Beispiel ein ggf. musterhafter Kontextualisierungshinweis erkennbar: Die anekdotenhafte Narrativierung der Bildelemente löst die statische Augenblicksaufnahme in eine kleine Szenerie auf: Vor seinem Haus Mühlenstraße Nr. 21 sitzt der Metzgermeister Karl Kligge, „Kligges Kallo“, der die geschlachteten Schweine immer in dem Türbogen seiner Haustür aufhing. Ob die Person neben ihm seine Schwester „Lisbeth“ ist, die auch unter dem Spitznamen „Ükern Tageblatt“ stadtbekannt war, ist nicht mehr heraszufinden. (PB 2002 BIB Vogt, 54)

Der Metzgermeister und seine klatschfreudige Schwester kommen, beide mit Spitznamen versehen, dem Betrachter näher. Auch wenn nicht fotografisch festgehalten, kann man die beschriebenen im Türrahmen baumelnden Schweine buchstäblich sehen. Während die sprachliche Beschreibung die Momentauf-

209 Vgl. Stöckl 2004:70ff.; für eine Kritik an der materialitätsvergessenen Abstraktion durch axiomatisch wirkende Metafunktionen vgl. Steinseifer 2011:171f.

296 

 Korpusanalysen

nahme durch Szenen und Gesprächssituationen erweitert (Relais), sorgt die zentral platzierte Litfaßsäule im unteren Bild für eine hermeneutische Verankerung. Das Deutungsmuster geht aus der Kritik an den an Verkehr und Kommerz ausgerichteten Aufbauprinzipien hervor, zugleich wird die alte Stadt mit Geselligkeit und Nähekommunikation verknüpft, woraus im Umkehrschluss – überspitzt ausgedrückt – das Stereotyp einer öden und anonymisierten Großstadt hervorgeht. Die kausale Relation lässt sich innerhalb der Sprache-Bild-Relationen bei den Ergänzungen (extension) festmachen, die Halliday neben der Konkretisierung (elaboration) und der Situierung (enhancement) zur Erfassung der semantischen Progression in der Sprache beschreibt (zu dieser Darstellung vgl. Bucher 2011:128). Auf Sprache-Bild-Relationen übertragen kommen verschiedene Lesepfade in Frage: So kann das Bild eine Konkretisierung zum Text beisteuern und umgekehrt kommt es häufiger vor, dass der Text das Bild vereindeutigt. Neben der Situierung durch Straßen- und Personennamen narrativiert die Bildunterschrift das frühe Bild im Sinne einer Konkretisierung und füllt die abgelichteten (Fachwerk-)Häuser an der Pader mit einer historischen Szenerie des Mahlens, Schlachtens und Schwätzens. Umgekehrt bietet das Foto von 1981 eine Ergänzung, d.h. Auflösung für die aufkommende Frage, wie diese Stelle heute baulich gestaltet ist. Tatsächlich liefert das temporale Cluster heute noch das einzige Signal zur Wiedererkennung der „Ecke“ mit der Suchanweisung für den heute noch erhaltenen Torbogen am linken Bildrand. Als Relaisfunktion nach Barthes antwortet das Bild nicht nur auf diese Frage, es vermittelt darüber hinaus einen Eindruck von den Prioritäten des Aufbaus und seinen Folgen. Überdies erzielt die Beschreibung dessen, was mit dem Verlust der Bausubstanz und der Art der Neugestaltung verloren gegangen ist, einen begründenden Effekt: Der Verlust besteht aus der gelebten Stadtkultur mit Gelegenheiten für das Erzählen von vergemeinschaftenden Geschichten, wie sie Lisbeth in ihrer Rolle als Ükern Tageblatt weitergegeben haben mag. In die Kritik am Aufbau mischen sich Facetten der Konsum- und Medienkritik als Kritik am modernen öffentlichen Leben – mit der Folge der Kommerzialisierung von Kommunikation und damit verbunden das Vorherrschen eines Mobilitätsparadigmas, das Autos an all jene Orte bringt, die früher allein dem geselligen Leben – wie hier an der Pader – vorbehalten waren. Die Litfaßsäule im Zentrum der Aufnahme von 1981 wird zum mehrfachen Zielpunkt einer entlang der baulichen Gestaltung geführten Konsumkritik. Werbemedien statt Alltagserzählen, Zigarettengenuss statt Lebensqualität – dies verdanken die Paderborner einer einseitig an Mobilität und Konsum ausgerichteten Urbanität. Das abschließende Beispiel aus einem Bremer Bildband folgt einem ähnlichen multimodalen Muster der Kontrastnarration. Allerdings sind die Kontraste

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 297

zeitlich anders gesetzt als im Paderborner Beispiel, was auch der städtischen Eigenlogik geschuldet sein mag: Es entsteht nämlich hier kein Kontrast zwischen Vor- und Nachkriegszustand mit der Luftkriegszerstörung als einschneidendem Ereignis, sondern ein Gegensatz zwischen der Ansicht des Denkmals acht Jahre nach Kriegsende und dem im Text beschriebenen Abriss. Was heute noch besteh(t) und somit relevant gemacht wird für die Wahrnehmung des stätischen Raums, ist das, was nach dem Krieg von diesem Baudenkmal übrig geblieben ist. Nichts, so erzählt die Bildunterschrift, weil es der Wilhelm-Kaisen-Brücke weichen musste: (203) Das 1907 vom Hamburger Architekten Friedrich Schumacher errichtete FranziusDenkmal hatte den Krieg schadlos überstanden. Bis 1945 reichte die Mauer des Denkmals hinab in die Weser. Nach dem Krieg war der heute noch bestehende Promenadenweg am Wasser aus den Trümmern der zerbombten Häuser aufgeschüttet worden. Das Denkmal mußte dem Neubau der Wilhelm-Kaisen-Brücke weichen. (...) (HB BIB Aschenbeck 1997, 17, Bildunterschrift)

Das 1908 errichtete Denkmal bestand aus einer halbrunden Anlage, direkt an der Weser, die von der dem Fluss abgewandten Seite her eine Nische besaß, in der sich eine Stele mit der bronzenen Büste des Wasserbaumeisters befand. Ludwig Franzius (1832–1903) kam Ende des 19. Jahrhunderts das Verdienst zu, durch eine Weserkorrektion Schiffen mit bis zu fünf Metern Tiefgang dazu zu verhelfen, bei Flut die Bremer Häfen zu erreichen. In BremenpediA, dem Wiki-Projekt zur Hansestadt Bremen, ist über die Büste zu erfahren, dass sie bereits 1942 der Metallspende des deutschen Volkes, also der Rüstungsproduktion zum Opfer gefallen ist. Insofern besitzt die einleitende Aussage der Bildunterschrift, das Denkmal habe den Krieg schadlos überstanden, nur eingeschränkte Gültigkeit. Wenn dann aber mit dem Adverbcluster heute noch die Maßnahme der Nachkriegszeit (das Aufschütten des Promenadenweg aus den Trümmern) ins Gedächtnis gerufen wird und schließlich mit der Formulierung musste dem Neubau weichen der Zwang zur zweiten Zerstörung in der Nachkriegszeit nicht ohne Bedauern zum Ausdruck gebracht wird, dann entstehen hier möglicherweise zwei Verzerrungen: 1. das Verständnis, dass das gesamte Denkmal nach dem Krieg abgebrochen wurde und 2. das Verständnis, dass es bis heute keinerlei Ersatz gibt.210 Doch dies ist nicht ganz richtig. Dank eines erhaltenen Gipsmodells der zerstörten Büste ist 1962 an der Uferpromenade der Weser ein Nachguss auf einer Steinstele montiert worden. Der Platz heißt heute „Franziuseck“, und diese Benennung bezeugt, dass hier ein „lebendiger“ Ort des Gedenkens entstanden ist. Dem städtischen Gedenkkontext

210 Auch wenn die von Fritz Schumacher entworfene Anlage aus Muschelkalkstein mit der puttengeschmückten Nische unzweifelhaft einen hohen kunsthistorischen Wert hatte.

298 

 Korpusanalysen

ist die Person also keineswegs entrissen, nur weil mit der materiellen Identität ihres Ortes gebrochen wurde. Dies aber ist für die Bremer Aktualisierung der Geschichte des Denkmals ausschlaggebend, um ein Verschwinden zu konstatieren, ja zu beklagen.

6.1.5 POS-Gramme im LDA-Toolkit Die POS-basierten Cluster werden verhältnismäßig spät in die Analyse einbezogen, da für Analysen auf dieser Abstraktionsstufe eine Vororientierung hilfreich, wenn nicht sogar notwendig ist. Es handelt sich somit in Umkehrung der gängigen Analyserichtung der Korpuslinguistik um eine qualitativ informierte quantitative Analyse zur Ermittlung abstrakter Muster, die für die erinnerungskulturelle Verarbeitung und die Repräsentation geschichtlicher Ereignisse städteübergreifend entstehen. Im Unterschied zu einer korpusbasierten quantitativen Analyse werden somit nicht Muster in ihrer Reichweite überprüft, sondern Musterermittlungen u.a. entlang bereits nachgewiesener Kontextualisierungsmerkmale durchgeführt. Bisher haben lexikalische und grammatische Anker in den digital erfassten Textdaten den Ausgangspunkt für weitere Kollokations- und Clusteranalysen mitsamt der Zuordnung von Kontextualisierungsmerkmalen zu einem potenziellen K-Profil des ZAD gebildet. Über die Cluster- und Keyword-Analysen mit verschiedenen Vergleichskorpora und Sortierungen der KWICs hinaus ermöglicht das LDA-Toolkit211 die Ermittlung hochfrequenter Abfolgen von Wortarten, so genannter POS-Gramme. Werden diese annotierten Wortfolgen in Token-Cluster aufgelöst, kann sich eine Typik auf funktionaler oder semantischer Ebene herausstellen. Beispielsweise verbirgt sich hinter der POS-Folge NN ART NN funktional eine Serie attributiver Genitivphrasen wie Bundesinnenministerium der Justiz, die in Bezug auf Thema, Textsorte, Sprachhandlungstyp etc. kontextualisierend wirkt (vgl. Vogel 2012:137). Darüber hinaus lassen sich Regelmäßigkeiten in der semantischen Lizenzierung von Wörtern für bestimmte Kategorien feststellen, wie z.B. Akteursbezeichnungen oder Zeitnomen für PPen. POS-Gramme lassen mit und ohne Referenzausdruck eine Musterhaftigkeit auf einem hohen Abstraktionsniveau sprachlicher Kategorien erkennen. Im LDA-Toolkit sind alle Analysen kontrastiv angelegt, so dass zur Frage nach der Teilung des Gesamtkorpus die Frage nach geeigneten Kontrastkorpora hinzutritt.

211 Das LDA-Toolkit ist eine windowsbasierte korpuslinguistische Arbeitsumgebung, die von Friedemann Vogel speziell für diskursanalytische Zwecke entwickelt wurde, vgl. https://diskurslinguistik.net/forschung/software/lda-toolkit/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 299

Auch können zu den einzelnen KWIC-Übersichten lexikalische Marker als Basis für die Identifikation von Mustern gewählt werden. Für die Kollokations- oder Clusteranalysen besteht die Wahl zwischen einer statistischen Auswertung der (dis-)kontinuierlichen Mehrworteinheiten und einer reinen Frequenzabfrage. Diese bietet sich insbesondere dann an, wenn bereits Eckpunkte eines K-Profils in vorgelagerten hermeneutischen Prozessen erkannt wurden. Aus dieser Vororientierung ergibt sich für das ZAD eine Konzentration der Suche auf verbalgrammatische Cluster, an denen Auxiliare, Modalverben, zuInfinitive und Partizipien beteiligt sind. Vielfach für das ZAD-K-Profil diskutierte Sprachphänomene wie die PVM-Komplexe wurden so abgefragt, dass sie sich mit Blick auf zeitliche Entwicklungen und Raumbezogenheit ausdifferenzieren können. Für diese Zielsetzung wurden zwei Typen von Teilkorpora gebildet. Zum einen habe ich die erinnerungskulturellen Phasen grob in Nachkriegszeit (1945–1985) und Gegenwart (1986–2016) gesplittet und dabei jeweils zwei Phasen zusammengefasst. Zum anderen wurden die Textsorten wie bereits für die Auswertungen in Kap. 6.1.4.5 in Reflexions- und Gebrauchstexte unterteilt. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse zur diachronen Verfestigung von Formen in der Umgebung kookkurrenter Phänomene (wobei K-Profile entstehen) liegt zudem ein besonderes Augenmerk auf spezifischen Konnektoren (jedoch, aber, trotzdem u.a.) und Temporaladverbien (wieder, heute u.a.). Als Kontrastkorpora wurden für die Auswertungen das jeweils komplementäre TK sowie das DeReKoVergleichskorpus „Zweiter Weltkrieg“ herangezogen. Themenkontrastiv wurden wiederum die beiden DeReKo-Korpora „Bundestagswahl“ und „Popmusik“ herangezogen, wobei für „Popmusik“ neben den Parametern Thema und Textsorte auch die kommunikativen Stile kontrastiert wurden, da es sich überwiegend um Sprachbelege aus Pressetextsorten handelt. POS-Cluster wurden generell für Zwei- und Dreiwortverbindungen erhoben. Aufgrund der bereits ermittelten verbalgrammatischen Besonderheiten wurde zusätzlich ein POS-Filter eingesetzt, der die POS-Clusterbildung auf Flexionsvarianten der Verben einschließlich der modalen zu-Partikel, auf Adjektive, Nomen und Eigennamen eingrenzt.212 Die wortartenkombinatorische Auswertung verläuft abgewandt vom sprachlichem Material. Eine Fokussierung auf bestimmte Mehrwortverbindungen oder eine Einschätzung der konstruktionalen Serialität kann in diesem Auswertungsverfahren erst nachträglich mit „hermeneutischer Lupe“ erfolgen. Um die Vali-

212  Berücksichtigt wurden in diesem Filter die folgenden gemäß der STTS-Konvention angelegten und im LDA-Toolkit verfügbaren Wortarten: ADJA, NE, NN, PTKZU, VAFIN, VAINF, VAPP, VMFIN, VMINF, VMPP, VVFIN, VVINF, VVIZU, VVPP.

300 

 Korpusanalysen

dität213 der computerlinguistischen Berechnungsgrundlage zu erhöhen, wurde die statistische Signifikanz der Wortartverbindungen über den Chi-Quadrat-Test jeweils für drei bis vier Vergleichskorpora erhoben. Tab. 23: Übersicht zu den kontrastiven Parametern der vier Referenzkorpora, die zur Ermittlung der POS-Bi- und Trigramme in verschiedenen Untersuchungskorpora eingesetzt wurden Untersuchungskorpus

Referenzkorpora Vergleichskorpora

1 – ZAD-TK ZAD-TK Nachkriegsphase Gegenwartsphase

Kontrastkorpora

DeReKo DeReKo Zweiter Weltkrieg Bundestagswahl

DeReKo Popmusik

2 – ZAD-TK Gegenwartsphase

ZAD-TK DeReKo DeReKo Nachkriegs­phase Zweiter Weltkrieg Bundestagswahl

DeReKo Popmusik

3 – ZAD-TK Gebrauchs­ gattungen

ZAD-TK Reflexions­ gattungen

DeReKo DeReKo Zweiter Weltkrieg Bundestagswahl

DeReKo Popmusik

4 – ZAD-TK Reflexions­ gattungen

ZAD-TK Gebrauchs­ gattungen

DeReKo DeReKo Zweiter Weltkrieg Bundestagswahl

DeReKo Popmusik

DeReKo DeReKo Zweiter Weltkrieg Bundestagswahl

DeReKo Popmusik

= Themen, Zeit

= Zeit (Schnittmengen)

= Zeit (Schnittmengen)

Minimal­ kontrastiv zum Parameter Gattungen

Kontrastiv zu Themen (verwandt: Politik) und Gattungen

Kontrastiv zu Themen (entfernt: Musikkultur) und Gattungen

5 – ZADGesamtkorpus Überein­ stimmungen

= Themen, Gattungen

Kontrastive Minimal­ Eigenschaften kontrastiv zu den Parametern Zeit (1–2) bzw. Gattung (3–4)

213  Bezogen auf die Frage, ob wirklich sprachliche Musterhaftigkeit festgestellt wurde, die typisch für die gesammelten Dokumente aus dem ZAD in einem bestimmten zeitlichen erinnerungskulturellen Kontext ist.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

Typizität

für zeitliche Entwicklung: zeittypische sprachliche Formulierungs­ varianten

für Stadtdiskurs: stadtdiskurstypische Formulierungsvarianten

sprachliche Musterbildung (Funktionalität ist nachträglich zu spezifizieren)

 301

sprachliche Musterbildung (Funktionalität ist nachträglich zu spezifizieren)

Tab. 23 gibt eine Übersicht über alle TKs, für die signifikante POS-Verbindungen im Verhältnis zu verschiedenen Vergleichs- und Kontrastumgebungen ermittelt wurden. Insofern ein Kontrastkorpus so definiert ist, dass es bestimmte untersuchungsrelevante Parameter ausspart (vgl. Rothenhöfer 2015:260f.), enthalten alle eingesetzten Vergleichskorpora kontrastive Textumgebungen. Angesichts der vielen Möglichkeiten zur Kontrastierung auf inhaltlichen und kontextuellen Ebenen wird noch einmal der Unterschied zwischen Kontrast- und Vergleichskorpus hervorgehoben. Ein Kontrastkorpus sollte sich so vom Untersuchungskorpus unterscheiden, dass es kein Teilkorpus darstellt und in möglichst konträren oder komplementären Parametern variiert, z.B. syntaktisch und semantisch, zeitlich oder medial vom Untersuchungskorpus abweicht. Vergleichskorpora wiederum variieren in nur wenigen ausgewählten Aspekten, und bilden größere intertextuelle Schnittflächen zum jeweiligen TK, in dem nach Musterhaftigkeit gesucht wird. Insofern kann diese Kontrastivanalyse auch als „minimalkontrastiver Vergleich“ aufgefasst werden. Bei den komplementär abgespaltenen Teilkorpora für die Zeiträume und Gattungstypen handelt es sich somit um Vergleichskorpora. Sie umfassen die jeweiligen Teilkorpora (Zeit/Gattung) sowie die DeReKo-Belegsammlung zum Stichwort „Zweiter Weltkrieg“ als externes Korpus. Für jedes Untersuchungskorpus wurden vier Erhebungen im LDA-Toolkit in Form von POS-Bi- und Trigramm-Analysen einmal mit und einmal ohne Filter vorgenommen, so dass für jedes TK 16 Listen mit POS-Grammen und für das ZAD-Gesamtkorpus zwölf Listen erstellt wurden. Die Auswertung ist exemplarisch anhand der Screenshots in Abb. 23 ersichtlich. Zu sehen sind die Zeilen für Bi- und Trigramme, die für die gefilterten und ungefilterten POS-Cluster im ZADGesamtkorpus erhoben wurden. Auf der rechten Seite der Scrollleiste sind in der Kommentarspalte die drei DeReKo-Kontrastkorpora eingetragen. In der unteren Detailsicht der gefilterten Trigramme ist zusätzlich der Signifikanzwert (Chi-Quadrat) eingetragen. Für die TKs kommt das jeweilige Vergleichskorpus mit weiteren vier Zeilen POS-Grammen hinzu.

302 

 Korpusanalysen

Abb. 23: Screenshots aus dem LDA-Tookit 2.7b zum Arbeitsstand der Berechnung gefilterter und ungefilterter POS-Bi- und Trigramme für das ZAD-Gesamtkorpus mit den drei DeReKoKontrastkorpora (oben) und zur Detailsicht auf die Zeile der gefilterten POS-Trigramme mit dem DeReKo-Kontrastkorpus „Zweiter Weltkrieg“ (unten)

Die ersten 20 Belege der vier Teilanalysen mit verschiedenen Referenzkorpora sind in eine Excel-Tabelle exportiert und hinsichtlich der Übereinstimmungen der POS-Gramme farblich markiert worden. Für eine solche Markierung, d.h. Auswahl zur diskursgrammatischen Feinanalyse, mussten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Die POS-Verbindung sollte in mindestens einer der vier Listen auf den ersten fünf Rängen liegen und musste 2. in mindestens einer weiteren Liste unter den ersten 20 POS-Grammen vertreten sein. Natürlich haben viele POS-Gramme diese Bedingungen übererfüllt, da sie in drei oder auch in allen vier Listen vorgefunden wurden. Auf diese Weise sind pro Analyse zwischen 6 und 12 POS-Gramme für jedes Vorkommenscluster in den Vergleichs- und Kontrast-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 303

korpora tabellarisch erfasst worden (vgl. Tab. 24–28). Im unteren Abschnitt der Tabelle sind jeweils die gefilterten Wortartcluster aufgeführt. Auf die umrahmten Belege wird im Text explizit eingegangen. Tab. 24: POS-Gramme für das Teilkorpus „Nachkriegszeit“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bibzw. Trigrammen) TK Nachkriegszeit POS-Gramme

Gegenwartsphase Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik 1795,102 (2)

Übereinstimmung in vier Korpora NN ART ADJA NN ART

103,97 (1)

433,865 (2)

1476,961 (3)

120,319 (1)

206,773 (6)

1036,812 (3)

600,711 (5)

NN ART NN

67,968 (4)

505,087 (1)

827,294 (7)

1313,957 (1)

ART NN ART

57,162 (6)

479,367 (2)

532,313 (12)

1167,493 (2)

462,803 (6)

Übereinstimmung in drei Korpora ADJA NN

87,352 (2)

2240,4 (1)

ART ADJA

60,074 (5)

510,361 (9)

350,573 (9)

207,471 (5)

1132,693 (2)

342,828 (12) 779,027 (3)

NN NN CARD ART NN KON

194,768 (7)

349,325 (20)

78,224 (3)

129,635 (12)

325,197 (15)

KON NN

42,921 (9)

404,898 (3)

933,134 (7)

NN KON

24,308 (18)

194,663 (5)

1034,054 (5)

29,4 (19)

270,506 (4)

885,449 (5)

NN PDAT

NN KON NN

Übereinstimmung in zwei Korpora NN ADJA

1605,624 (2)

259,943 (12)

CARD ART

283,597 (20)

677,345 (4)

NN PDAT NN

68,52 (3)

98,307 (12)

VAINF KOUS ART

57, 948 (5)

91,706 (16)

NN ADJA NN

42, 508 (9)

CARD NN CARD

1291,311 (1) 194,768 (7)

779, 027 (3)

304 

 Korpusanalysen

POS-Gramme gefiltert

Gegenwartsphase Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

Übereinstimmung in vier Korpora NN ADJA

17,223 (16)

58,145 (13)

2841,683 (1)

606,163 (2)

NN VVPP

40,729 (4)

113,343 (5)

319,058 (6)

649,731 (1)

ADJA NN NN

26,967 (7)

134,108 (3)

1543,468 (5)

432,024 (4)

NN ADJA NN

15,75 (15)

61,971 (15)

2137,55 (1)

486,178 (3)

NN NN VVPP

14,538 (20)

73,458 (11)

141,922 (15)

343,861 (5)

71,63 (1)

492,382 (6)

355,548 (6)

64,4 (2)

2364,803 (2)

547,079 (4)

Übereinstimmung in drei Korpora VVPP ADJA ADJA NN VVPP ADJA NN

61,439 (1)

391,995 (8)

295,193 (6)

ADJA NN ADJA

35,614 (4)

1949,141 (3)

250,216 (8)

NN VVPP ADJA

33,809 (5)

NN NN NN NN NN NN NN ADJA

328,755 (10)

233,692 (9)

894,523 (1)

1541,195 (3)

596,328 (3)

1049,262 (1)

1957,561 (2)

607,093 (1)

65,717 (13)

1749,869 (4)

503,63 (2)

VAFIN VVPP

52,783 (3)

87,866 (7)

VVPP VAINF

18,493 (13)

152,058 (5)

319,953 (6)

44,567 (2)

89,48 (8)

135,872 (20)

NN VAFIN VVPP

120,319 (11)

Übereinstimmung in zwei Korpora ADJA ADJA PTKZU VVINF

1444,269 (4) 26,18 (6)

186,139 (2)

NN PTKZU

19,025 (12)

158,308 (3)

NN VVINF

27,392 (5)

77,234 (8)

VVINF NN

25,912 (7)

93,143 (6)

NN PTKZU VVINF

20,447 (10)

164,418 (2)

VAFIN VVPP ADJA

40,51 (3)

NN VVPP VAINF

144,765 (9)

113, 931 (20) 101,871 (5)

208,317 (11)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 305

Tab. 25: POS-Gramme für das Teilkorpus „Gegenwart“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen) TK Gegenwartsphase POS-Gramme

Nachkriegszeit Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

Übereinstimmung in vier Korpora CARD CARD

180,115 (4)

1569,107 (1)

3541,671 (5)

2576,423 (6)

CARD NN CARD

137,739 (1)

1432,993 (1)

3311,056 (2)

3871,142 (1)

NN CARD CARD

113,265 (2)

634,887 (3)

2209,549 (5)

1761,4 (8)

90,888 (5)

598,598 (4)

3003,252 (4)

2891,522 (3)

NN CARD NN

Übereinstimmung in drei Korpora NN CARD

340,982 (1)

9885,465 (1)

13411,175 (1)

NE CARD

147,972 (5)

1435,994 (13)

1883,9 (9)

ADJA NN CARD

108,548 (3)

3342,063 (1)

3446,247 (2)

2528,873 (6)

3350,109 (2) 1748,457 (9)

NN ART

334,733 (6)

NN NN CARD

316,196 (9)

3034,674 (3)

74,224 (6)

671,498 (2)

1021,065 (18)

CARD NN

139,667 (6)

801,276 (3)

2058,42 (7)

CARD NN

139,667 (6)

801,276 (3)

2058,42 (7)

CARD CARD CARD

Übereinstimmung in zwei Korpora NN ADJA CARD ART

3773,024 (3)

681,292 (19)

1674,097 (9)

2701,586 (3)

KON NN

469,086 (4)

1613,265 (10)

TRUNC KON

357,689 (5)

734,079 (19)

NN NN ART NN

49,333 (15)

5050,281 (2) 1254,612 (2)

3004,75 (3)

NN ART NN

560,065 (5)

2510,51 (4)

ART NN ART

543,892 (6)

2153,527 (5)

306 

 Korpusanalysen

POS-Gramme gefiltert

Nachkriegszeit Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

6936,238 (2)

3247,684 (1)

7461,941 (1)

1527,295 (2)

Übereinstimmung in drei Korpora NN NN

17,37 (8)

NN ADJA

39,495 (20)

NN VVPP

57,412 (13)

432,761 (6)

1191,019 (3)

NN NN NN

3871,243 (1)

8332,242 (1)

3418,871 (1)

NN NN ADJA

169,119 (5)

5004,454 (3)

1702,742 (2)

ADJA NN NN

125,604 (9)

3626,723 (5)

868,129 (4)

3412,35 (1)

17,84 (18)

NE ADJA

35,253 (4)

Übereinstimmung in zwei Korpora ADJA NN

5440,733 (3)

867,756 (4)

ADJA ADJA

3085,06 (4)

306,018 (7)

VVPP ADJA

446,765 (5)

276,833 (8)

VVPP NN

228,692 (7)

635,776 (5)

5597,849 (2)

1193,268 (3)

3742,885 (4)

327,701 (13)

NN ADJA NN ADJA NN ADJA VVPP VAINF

152,023 (4)

475,304 (6)

NN NN VVPP

66,786 (18)

700,761 (5)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 307

Tab. 26: POS-Gramme für das Teilkorpus „Reflexionsgattungen“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen) TK Reflexionsgattungen POS-Gramme

Gebrauchs­gattung Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

Übereinstimmung in vier Korpora NN CARD NN

131,412 (4)

647,163 (2)

3095,28 (3)

2980,362 (3)

CARD NN CARD

93,834 (5)

1440,513 (1)

3320,753 (1)

3883,476 (1)

CARD CARD NN

91,998 (6)

522,728 (6)

1202,44 (14)

1381,569 (9)

Übereinstimmung in drei Korpora ADJA CARD

164,202 (3)

661,731 (18)

760,47 (16)

1340,162 (1)

3078,453 (5)

2127,534 (4)

NN ART

331,022 (5)

2431,748 (6)

3210,923 (2)

NN CARD CARD

544,295 (4)

2010,412 (6)

1545,969 (8)

268,913 (10)

2857,029 (4)

1577,538 (7)

NN CARD

8433,371 (1)

11650,158 (1)

NN ADJA

3886,173 (4)

758,321 (15)

3130,958 (2)

3209,11 (2)

CARD CARD

NN NN CARD

Übereinstimmung in zwei Korpora

ADJA NN CARD PTKZU VVINF

250,155 (1)

288,1 (8)

NN PTKZU

191,308 (2)

203,99 (15)

PIAT NN

147,046 (5)

289,474 (7)

NN PTKZU VVINF

186,08 (1)

214,123 (13)

ADJA CARD NN

146,73 (3)

171,827 (18)

KON NN

454,659 (4)

1545,404 (9)

NN ART NN

539,865 (5)

1282,394 (11)

ART NN

1140,48 (2)

2710,371 (3)

CARD NN

740,301 (3)

1887,994 (6)

308 

 Korpusanalysen

POS-Gramme gefiltert

Gebrauchs­gattung Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

218,353 (4)

26,786 (18)

610,514 (5)

NN NN

3039,088 (1)

6163,647 (2)

2779,215 (1)

NN NN NN

3476,196 (1)

7478,927 (1)

2931,902 (1)

NN NN ADJA

210,098 (4)

5083,712 (3)

1277,401 (3)

ADJA NN NN

151,974 (11)

3640,381 (5)

914,474 (4)

Übereinstimmung in vier Korpora VVPP VAINF

39,545 (19)

Übereinstimmung in drei Korpora

NN VVIZU

161,778 (3)

149,232 (6)

122,64 (13)

Übereinstimmung in zwei Korpora NN ADJA

7485,618 (1)

1615,182 (2)

ADJA NN

5515,137 (3)

965,692 (4)

ADJA ADJA

2999,457 (4)

295,809 (10)

VVPP ADJA

457,938 (5)

288,143 (11)

NN VVPP

456,785 (6)

1207,09 (3)

5648,391 (2)

1788,61 (2)

ADJA NN ADJA

3790,962 (4)

370,765 (11)

NN NN VVPP

219,681 (15)

691,256 (5)

NN ADJA NN



PTKZU VVINF

268,537 (1)

357,084 (2)

NN PTKZU

256,053 (2)

327,476 (3)

VMFIN NN

109,626 (4)

213,68 (5)

VVINF NN

98,806 (5)

130,16 (7)

NN PTKZU VVINF

242,095 (1)

326,457 (2)

NN NN PTKZU

118,087 (2)

162,132 (9)

ADJA NN PTKZU

110,052 (3) 154,377 (10)

PTKZU VVINF NN

109,478 (4)

168,49 (7)

73,21 (5)

92,376 (20)

NN VVIZU NN NN VVPP VAINF

183,357 (5)

477,694 (6)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 309

Tab. 27. POS-Gramme für das Teilkorpus „Gebrauchsgattungen“ mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen) TK Gebrauchsgattungen POS-Gramme

Reflexionsgattung Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

430,91 (4)

1909,55 (6)

2708,994 (4)

314,282 (7)

1928,586 (5)

3166,823 (2)

189,126 (12)

1896,444 (7)

3080,162 (3)

169,889 (16)

2166,122 (1)

927,972 (14)

NN CARD CARD

334,761 (6)

1357,479 (4)

913,738 (15)

CARD NN CARD

509,495 (3)

1357,479 (6)

1655,623 (3) 1550,376 (6)

Übereinstimmung in drei Korpora CARD VVFIN CARD APPR CARD ART NN NN CARD

NN ART NN

511,32 (2)

926,303 (17)

NN NN

152,381 (16)

148,575 (12)

3497,422 (2)

ART NN NN

194,028 (11)

240,816 (9)

1539,509 (3)

Übereinstimmung in zwei Korpora NN CARD

5950,045 (1)

8340,891 (1)

CARD CARD

2287,428 (4)

1359,618 (10)

ADJA NN CARD

1723,779 (2)

1650,482 (4)

1199,463 (8)

2018,439 (1)

1076,885 (11)

1730,37 (2)

CARD ART NN CARD APPR ART APPR CARD

654,916 (1)

515,32 (3)

KON CARD

512,023 (2)

263,456 (8)

1226,834 (11)

TRUNC KON

342,955 (1)

419,367 (4)

908,82 (16)

303,963 (4)

418,97 (5)

887,137 (17)

CARD CARD TRUNC KON KON NN

427,619 (5)

1099,201 (16)

TRUNC KON

479,605 (4)

798,879 (20)

CARD CARD

848,326 (1)

1155,61 (9)

CARD ART NN

936,164 (2)

1682,522 (7)

CARD VAFIN

440,213 (3)

2363,762 (5)

CARD VAFIN ART

340,469 (2)

1380,97 (10)

310 

 Korpusanalysen

POS-Gramme gefiltert

Reflexionsgattung Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

Übereinstimmung in vier Korpora VVPP NN

64,828 (5)

49,259 (4)

301,433 (6)

598,14 (3)

NN NN

16,645 (14)

1904,106 (1)

3218,711 (2)

1489,339 (1)

NN VVPP NN

55,193 (10)

69,513 (6)

316,446 (10)

503,868 (3)

94,92 (4)

87,987 (7)

35,319 (12)

16,79 (13)

398,077 (5)

266,013 (6)

2219,824 (1)

4043,981 (1)

1575,148 (1)

28,948 (11)

2022,934 (3)

505,337 (2)

69,946 (5)

1696,936 (5)

374,581 (5)

24,442 (13)

1533,385 (6)

173,262 (12)

NN ADJA

3270,28 (1)

544,215 (4)

ADJA NN

2447,375 (3)

372,286 (5)

ADJA ADJA

1842,694 (4)

169,809 (7)

NN ADJA NN

2388,228 (2)

411,481 (4)

ADJA NN ADJA

2014,727 (4)

Übereinstimmung in drei Korpora NE ADJA VVPP ADJA NN NN NN NN NN ADJA ADJA NN NN ADJA ADJA NN

Übereinstimmung in zwei Korpora

NN VVP

55,75 (3)

158,72 (13) 623,541 (2)

Tab. 28: POS-Gramme für das ZAD-Gesamtkorpus mit verschiedenen Vergleichskorpora und dem jeweiligen Chi-Quadrat-Wert (in Klammern der Rang unter allen ermittelten Bi- bzw. Trigrammen) Städte gesamt POS-Gramme

Zweiter Weltkrieg

Bundestagswahl

Popmusik

1440,104 (1)

3311,312 (5)

2373,676 (6)

425,98 (5)

2927,745 (6)

3853,431 (2)

Übereinstimmung in drei Korpora CARD CARD NN ART CARD NN CARD

1290,951 (1)

3040,435 (2)

3564,462 (1)

NN ART NN

660,559 (2)

1579,114 (11)

2869,11 (3)

ART NN ART

641,881 (3)

919,633 (20)

2471,249 (5)

NN CARD CARD

565,142 (5)

2054,066 (7)

1619,064 (9)

NN CARD NN

520,531 (6)

2832,093 (4)

2720,526 (4)

NN NN CARD

298,159 (10)

2987,568 (3)

1726,194 (8)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 311

Übereinstimmung in zwei Korpora NN CARD

9399,352 (1)

12843,468 (1)

ADJA NN

5304,501 (2)

691,24 (20)

NN ADJA

4005,614 (4)

761,82 (18)

CARD ART CARD APPR ADJA NN CARD KON NN CARD CARD CARD ART NN

2625,9 (4) 2602,28 (5)

3176,229 (1)

3275,73 (2)

552,391 (4)

1844,9 (9)

617,237 (4)

934,295 (19)

1375,834 (2)

CARD NN

POS-Gramme gefiltert

1618,87 (10) 1478,436 (12)

3336,319 (3)

708,661 (3)

Zweiter Weltkrieg

1917,003 (7)

Bundestagswahl

Popmusik

3452,293 (1)

7176,518 (2)

3333,752 (1)

92,536 (7)

171,218 (11)

489,074 (7)

Übereinstimmung in drei Korpora NN NN VVPP VAPP NN VVPP

81,945 (9)

528,543 (6)

1382,669 (3)

3873,919 (1)

8518,568 (1)

3457,461 (1)

NN NN ADJA

179,476 (5)

5255,017 (3)

1819,179 (2)

NN NN VVPP

84,602 (15)

261,471 (17)

801,581 (5)

NN ADJA

8033,223 (1)

1716,522 (2)

ADJA NN

6065,657 (3)

1057,552 (4)

ADJA ADJA

3252,193 (4)

343,763 (9)

NN NN NN

Übereinstimmung in zwei Korpora

VVPP ADJA

565,215 (5)

374,894 (8)

NN ADJA NN

6050,436 (2)

1348,421 (3)

ADJA NN ADJA

4070,308 (4)

404,843 (9)

ADJA NN NN

3979,627 (5)

1007,18 (4)

VVPP VAINF

167,215 (4)

521,412 (6)

Die Übereinstimmungen in den signifikanten POS-Grammen, die mithilfe verschiedener Referenzkorpora ermittelt wurden, können als valide Hinweise auf die Typizität einer Verbindung bzw. der dahinterliegenden Konstruktion(en) gelten (vgl. Rothenhöfer 2015), wenngleich sich dieser statistische Effekt bei der Auflösung der POS-Gramme in Wortmaterial m.E. leicht verschieben kann, sobald demselben POS-Schema verschiedene Konstruktionen zugeordnet werden. Die Musterbildung lässt sich quantitativ erfassen und darstellen, indem das Vorkommen der POS-Gramme für die einzelnen Referenzkorpora mit Angabe des Chi-

312 

 Korpusanalysen

Quadrat-Quotienten sowie des Rangs notiert werden.214 Evidenz für eine stadtdiskursspezifische und zeittypische Verbindung mit indexikalischem Wert für erinnerungskulturelle Positionen leitet sich aus übereinstimmenden Signifikanzwerten ab: So wurde die Signifikanz einer POS-Verbindung im Abgleich mit vier, drei oder zwei Referenzkorpora nachgewiesen (vgl. Tab. 24–28). POS-Gramme zwischen den TKs der Gattungen und den TKs der Zeitabschnitte variieren auch im Kreuzvergleich mit den DeReKo-Kontrastkorpora nur leicht. Verbindungen aus Nomen, Numeral und Adjektiv sind insgesamt kennzeichnend für das ZAD-Gesamtkorpus. Nimmt man auch die POS-Gramme hinzu, die kontrastiv zu allen drei DeReKo-Korpora im ZAD-Gesamtkorpus hervortreten, ergibt sich das Bild, dass komplexe NPen als charakteristisch für die ZAD-Texte erscheinen. Belege für diese Verbindungen, die über alle ZAD-Teilkorpora hinweg im Vergleich zu den beiden DeReKo-Kontrastkorpora und den drei DeReKoBelegsammlungen signifikant auftreten, sind in Tab. 29 aufgeführt. Dass sich hinter dem POS-Gramm NN ADJA NN und ADJA NN ADJA meist ein possessiver Anschluss ohne Determinativ (Wiedererweckung historischer Stadtbilder) oder eine erweiterte partizipiale Attributphrase ((d)as eine Weltkugel krönende Turmkreuz) verbirgt, deutet ebenfalls darauf hin, dass die nominalen Strukturen im Korpus überdurchschnittlich kompakt gestaltet sind. Tab. 29: POS-Trigramme im ZAD-Gesamtkorpus mit Signifikanz im Abgleich mit den DeReKoVergleichs- und Kontrastkorpora 3-POS-Gramme

Belege

NN ADJA NN

Wandkirchenmalungen alter Art (HB 1997 BIB Aschenbeck, 20), Wiedererweckung historischer Straßenbilder (HB 1997 BIB Aschenbeck, 50), (Das eine) Weltkugel krönende Turmkreuz (HB 1983 STF Baedecker, 65)

CARD APPR ART

(sieben Glocken ... wurden) 1951 in den (Turm gehängt), (wurde) 1947 von der (Stadtvertretung beschlossen) (HB 1992 DID Klönne, 148)

ADJA NN CARD

[Datum] z.B. 7. Oktober 1951 (HB 2008 SGe Barfuß, 62)

ADJA ADJA NN

einzige historische Gebäude (MA 2007 STF Ellrich, 30), schweren deutschen Verlusten (PB 1995 KAT Museen, 133)

214 Dass der Chi-Quadrat-Quotient für das komplementäre Teilkorpus rund zehnmal niedriger ausfällt, erklärt sich über die Korpusgröße. Quantitative Ausgewogenheit besteht nur für die Berechnung der signifikanten POS-Terme im ZAD-Gesamtkorpus (vgl. Tab. 28).

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 313

NN ART NN

Zeugen der Vergangenheit (HB 1997 BIB Aschenbeck, 11), Nordseite der Paderwiesen (PB 2014 BRO Baukultur, 62)

NN NN NN

Bremer Westen Mitte (HB 1997 BIB Aschenbeck, 61, Bildunterschrift); Theater, Museen, Konzertsäle (HB 2008 SGe Barfuß, 274)

NN NN CARD

Anfang April 1945 (u.a. HB 1995 BIB Schminck, 274), Geschäftshaus Martinistraße 26 (HB 2002 STF Baedecker, 50 und HB 1983 STF Baedecker, 43)

Es mag nicht weiter verwundern, dass Verbindungen mit Zahlen in der POS-Musterbildung dominieren, geht es doch um zeitliche Ereignisse, die in unterschiedlichen Präzisierungsgraden von den Stunden vor oder nach einem Bombenangriff bis zu den Jahren des Wiederaufbaus beschrieben und erzählt werden. Dass diese zeitlichen und auch anderen numerischen Einordnungen (wie Hausnummern, Zahl der geborgenen Toten etc.) zunehmen, mag als Effekt der zeitlichen Distanzierung zu den Ereignissen und somit als Teil ihrer sprachlichen Historisierung und Faktizitätsgenerierung gewertet werden. Gegenüber den elf POS-Grammen mit CARD sind in den Wortartmustern der Nachkriegszeit nur zwei signifikante Verbindungen mit dem Tag CARD aufgeführt: CARD ART und CARD NN CARD (vgl. Tab. 24). Für die ungefilterten POS-Gramme, die sich im Vergleich zum jeweils komplementären TK herauspräpariert haben und die zu den anderen beiden DeReKoKontrastkorpora und teilweise zusätzlich zum Vergleichskorpus Zweiter Weltkrieg signifikant sind, sind folgende Entwicklungen feststellbar: 1. Von den Reflexionsgattungen zu den sprachlich dichter gestalteten Ge­­ brauchs­gattungen wandeln sich die Partnerwortarten der Numerale von Nomen zu finiten Vollverben und Präpositionen, was darauf hindeutet, dass einzelne (Jahres-)Zahlen als Platzhalter für Kontexte und Ereignisse fungieren. 2. Die nominalen Cluster des TK Nachkriegszeit, hinter denen sich erweiterte NPen verbergen, werden im TK Gegenwart von Clustern mit Ziffern und Zahlen abgelöst. Tab. 30 macht diese Veränderungen anhand exemplarischer Belege nachvollziehbar.

314 

 Korpusanalysen

Tab. 30: Zeitliche und gattungsbezogene Veränderungen der POS-Bi- und Trigramme, die in allen, mindestens aber im komplementären Teilkorpus und den beiden Kontrastkorpora vorkommen TK Reflexionsgattungen

TK Gebrauchsgattungen

NN CARD NN Juli 1943 Luftangriffe (HB 1995 SGe Schwarzwälder, Inhaltsverzeichnis) März 1945 Mannheim (MA 1993 BIB Schadt, Inhaltsverzeichnis)

CARD NN CARD 24 Leichtverletzte 23.03.1945 (HB HYP Historic, Bremen im Krieg) 23 Jesuitenkirche 31 (MA 1998 STF Baedecker, ohne Seitenangabe)

CARD NN CARD 22. März 1945 (MA 1995 Kat Peters, 16) (während der) drei Tage 35 (Soldaten gestorben) (PB 2008 SGe Westhoff, 69)

CARD VVFIN 1955 erfolgte (HB HYP BremenpediA, Berufsbildungszentrum) 1945 blieb (MA 1984 STF Büscher, 22)

CARD CARD NN (die über die Jahre) 1933–1945 Auskunft (geben) (MA SGe Fliedner, 18) 30–40 Personen (PB 1987 KAT Stambolis, 138)

CARD APPR 1957–58 von (dem Bremer Architekten) (HB 2006 TAF Bauwerke, Sparkasse am Markt) März 1945 (von Bomben getroffen) (HB 1996 GED Puvogel, 219)

ADJA CARD Gute zwei (Wochen später) (PB 2008 SGe Grabe, 7) weitere 15000 (splittersichere Schutzbauten) (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 565)

CARD ART (befand sich noch) 1945 eine (PB Hyp City, Abdinghofkirche) (seit) 1972 eine (Gedenktafel) (MA 2007 STF Ellrich, 107)

TK Nachkriegszeit

TK Gegenwart

NN ART Spuren des (Kriegsgeschehens) (PB 1955 DOK Schmidt, 3) Wiederaufbau der (zerstörten Stadt) (MA 1979 SGp Salm, 237)

CARD CARD (im Winter) 1940/41 (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Verfolgung, Vernichtung Neubeginn) (warfen 170 RAF-Flugzeuge in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni) 1942 246 (Tonnen Bomben) (HB HYP Wikipedia, Bremen zur Zeit des Nationalsozialismus)

ADJA NN ART (die) bunte Vielfalt der (wirtschaftlichen Beziehungen) (MA 1948 DOK Städte, 42) (die) reiche Marmordekoration der (Elisabethkapelle) (PB 1949 SGe Kiepke, 136)

CARD NN CARD (entspringen aus über) 200 Quellen sechs (Bäche) (PB 2003 DID Runte, 9) (Alarm) 14.00 Entwarnung 14.55 (MA 2003 DOC Wolf, 108)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 315

NN ART NN (schweren) Luftangriffen des Januar (MA 1950 SG Walter, 281) (besetzen englische) Truppen die Stadt (HB 1983 STF Baedecker, 26)

NN CARD CARD Wiederaufbau 1945–1960 (HB 1997 BIB Aschenbeck, Titel) (in den) Jahren 1944/45 (PB 2012 DOK Markreich, 239)

ART NN ART Die Gesellschaftspolitik der (amerikanischen Besatzungsmacht) (HB 1976 SGe Brandt, Überschrift) die Novemberpogrome des (Jahres 1938) (MA 1971 Fliedner, 71)

NN CARD NN (wurde) Stutzer 1918 Referendar (HB 1995 SGe Barfuss, 83) (gab es in der) Mühlenstraße fünf Mühlen (PB 2001 SGp Flüter, 72)

ADJA NN (Ursachen für den) raschen Wiederaufbau (HB 1948 SGp Zeugnisse, ohne Seitenangabe) neuzeitliche Wohnkultur (MA1955 BIB Pichler, 20)

(NN/)NE CARD (Verfassungen von Hessen und) Bremen 1949 (HB 2008 SGe Barfuß, 83) Hutfilterstraße 3–5 (HB 2014 SGe Syring, 138)

ART ADJA (entlang) der alten (Stadtmauer) (PB 1955 DOK Schmidt, 31) (inmitten) der modernen (Großstadt) (HB 1965 DOK Beidatsch, 24)

ADJA NN CARD (verloren in) kurzer Zeit zwölf (Männer) (HB 2005 DOK Müller, 43) (erlag seinen) schweren Verletzungen zwei (Tage später) (MA 1997 BIB Schadt, 147)

Die Teilung der Korpora anhand von Zeitspannen und Gattungen hilft, eine Zuoder Abnahme sprachlicher Muster auf der Ebene morphosyntaktischer Verbindungen sichtbar zu machen. Dem jeweiligen TK kommt insofern in der Vergleichsoperation eine Sonderrolle zu, als die signifikanten POS-Gramme nicht komplementär verteilt sein können: Verbindungen, die im Vergleich zum einen TK signifikant sind, können kaum gleichzeitig vice versa als signifikante POSGramme für das jeweils andere TK erscheinen. Eine Entwicklung lässt sich immer erst im Vergleich zwischen den POS-Verbindungen festmachen, die sich für die jeweilige Phase/Gattung unter der Voraussetzung einer allgemeinen Typizität (Signifikanz für weitere Vergleichs- bzw. Kontrastkorpora) als signifikant herausgestellt haben. In der Gegenüberstellung der POS-Muster für die Gebrauchs- und Reflexionsgattungen fällt der Block mit drei POS-Bigrammen und zwei POS-Trigrammen für das TK Reflexionsgattungen auf (vgl. Tab. 24), die sich gegenüber den Vergleichskorpora des ZAD-TK und DeReKo „Zweiter Weltkrieg“ als signifikant erwiesen haben.215 Im TK Gebrauchsgattungen ist in dieser Kontrastivitätssparte lediglich

215 Für die Kontrastkorpora treten diese POS-Gramme zwar in Erscheinung, nicht aber auf den

316 

 Korpusanalysen

die Verbindung APPR CARD aufgeführt. Auch unter Einsatz des beschriebenen Filters, mit dem das musterhafte Auftreten von Verben in unterschiedlicher infiniter Gestalt sowie Verbpartikeln im Zusammenhang mit Nomen/Eigennamen und Adjektiven erhoben wurde, ergibt sich für die Gebrauchsgattungen keine signifikante POS-Verbindung. Anders das Ergebnis für die Reflexionsgattungen: Hier finden sich neun POS-Cluster, die kontrastiv zum strukturell ähnlichen DeReKo-Vergleichskorpus „Zweiter Weltkrieg“ und dem komplementären TK signifikant hervortreten. Alle Cluster der gefilterten POS-Gramme enthalten Verbformen und/oder die Verbpartikel zu, die Evidenz für typische strukturell und nicht thematisch bedingte erinnerungskulturelle Konstruktionen mit der (modalen) Verbpartikel zu (PTKZU) bzw. dem Verbpräfix zu (VVIZU) geben.216 Diese Formulierungsroutinen unterliegen einer Auflösung offenbar nicht nur von den Reflexions- zu den Gebrauchsgattungen, sondern auch von der Nachkriegszeit zur Gegenwart. Während in den gefilterten POS-Grammen für das TK Nachkriegszeit noch fünf verbale POS-Cluster mit kontrastiver Signifikanz zum TK Gebrauchsgattungen und „Zweiter Weltkrieg“ auftreten, ist die Sparte für die Gebrauchsgattungen mangels Übereinstimmungen überhaupt nicht belegt. Auch verbale Wortformen sind nicht aufgeführt. Während für die Texte der ersten zwanzig Nachkriegsjahre und auch innerhalb der Reflexionsgattungen noch zahlreiche POS-Bi- und Trigramme mit PTKZU auftreten, ist für das TK Gegenwartsphase und das TK Gebrauchsgattungen diese Art der Musterhaftigkeit kontrastiv zu den DeReKo-Referenzkorpora nicht mehr feststellbar. Die POS-Verbindungen mit der modalisierenden Verbpartikel zu (PTKZU/ VVIZU) treten ausgeprägt nur in den TKs Reflexionsgattungen und Nachkriegszeit auf. Für die modalisierten syntaktischen Konstruktionen ist damit eine grammatische Blockierung der Referenzialität handlungsbezogener Propositionen kennzeichnend. Das bedeutet, dass Wahrnehmungs- und Handlungsverben, die im TK Reflexionsgattungen in Verbindung mit der zu-Partikel frequent auftre-

oberen 20 Plätzen, weshalb sie in der Tabelle nicht aufgeführt sind. Der gewählte Lackmustest der ersten 20 Ränge für die diskursbezogene Musterhaftigkeit ist Grund für die eingeschränkte Sichtbarkeit. 216 An dieser Stelle sei auf das grundlegende Problem verwiesen, das mit der POS-Suche im Fall der zu-Infinitive verbunden ist: Die gefundenen Partikelpräfixverben mit abtrennbaren Verbpartikeln (z.B. VVIZU_aufzubauen) werden von den mit zu-Partikeln kombinierten in den meisten Fällen unpräfigierten Verben (z.B. zu_PTKZU VVINF_zerstören) getrennt gezählt. M.W. gibt es keine Möglichkeit, beide Vorkommen zusammenzufassen. Die Formen treten etwa im Verhältnis 3:1 auf. Im ZAD-Gesamtkorpus hat die abgetrennte zu-Partikel 6253 Treffer und die morphologische Realisierung 2051. Für die spätere Auswertung spielt dieser Bias keine Rolle, da dort nach den zu-Infinitiven für konkrete Vollverben gesucht wird.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 317

ten wie machen (127 Belege), sehen (104 Belege) oder schaffen (91 Belege), nicht auf zeitlich situierte Sachverhalte der Gegenwart oder Vergangenheit bezogen sind, sondern aus grammatischen Gründen eine Möglichkeit für die Zukunft projizieren. Wöllstein (2005:54f.) beschreibt zu-Infinitive daher resümierend als nicht-referentielle sprachliche Einheiten, die einen Vorzustand ausdrücken. Diese Eigenschaft resultiert aus dem Fehlen flexivischer Spezifiziertheit bezüglich Tempus, Modus, Person und Numerus (vgl. Rapp 2015:178): „Der 2. Status blockiert die Referenzialität der verbalen Kategorie und daher sind zu-markierte Ausdrücke nicht-referentiell und nicht-wahrheitswertfähig.“ (Wöllstein 2005:57) Sie tragen somit aus grammatischen Gründen das semantische Merkmal der Prospektivität: Wenn der zweite supinische Status die Referenzialität, d.h. das raumzeitliche und subjektabhängige Grounding der Äußerung blockiert, stellt sich automatisch eine auf die Zukunft gerichtete Aspektbedeutung (prospektiv)217 ein, die zusätzlich auf den Beginn einer Handlung oder eines Vorgangs (ingressiv) gerichtet sein kann.218 Satzwertige Konstruktionen mit zu-Infinitiven besitzen aufgrund fehlender Person- und Numerusmarkierung kein Subjekt im Nominativ (vgl. Rapp 2015:180).219 Zwar entsprechen nach Rapp/Wöllstein (2013:339f.) zuInfinitive keinem Satztyp mit eigenem illokutionärem Potenzial, sie zeichnen aber Sachverhalte in pragmatischer Hinsicht als latent aus. Im Vergleich zum dassSatz ist die Infinitivkonstruktion mit zu „in zweierlei Hinsicht latent: hinsichtlich der Spezifikation der Sachverhaltsbeteiligten und hinsichtlich der Spezifikation von Faktizität“ (Zifonun et al. 1997:2167). So kann der mit der Infinitivkonstruktion Oft nach Frankfurt zu fahren... aufgerufene latente Sachverhalt als Komplement zusammen mit einer einbettenden Matrixkonstruktion verschiedene Sachverhalte bezeichnen wie z.B. Oft nach Frankfurt zu fahren... macht Peter Spaß./... ist für Isolde eine Last/... ist unter allen Umständen zu unterlassen. (Beispiele aus Zifonun et al. 1997:2167). Im Vergleich dazu konstituiert der konjunktional eingeleitete Nebensatz einen eigenen Sachverhalt: Dass/dass er/sie/man oft nach Frankfurt fährt. Der Latenzcharakter passt auch zu einem weiteren von Wöllstein (2005:60) beschriebenen semantischen Aspekt der Finalsätze mit dem Konnektor um,220 welche den konnektintegrierten Sachverhalt als etwas (vom Subjekt

217 Zur Aspekt-Trichotomie retrospektiv (Perfekt) – imperfektiv (Präsens) – prospektiv und der Frage nach dem Verhältnis zwischen Tempus und Aspekt vgl. Thieroff 1992:76ff. 218 Vgl. das umzugrabene Beet vs. das umgegrabene Beet mit egressiver Bedeutung im 3. supinischen Status (Partizip II) 219 Eisenberg (2013:354) sieht die Leistung des Verbpräfix zu unter Berufung auf Ijbema/Abraham 2000 genau darin, das Subjekt zu unterdrücken. 220 Die Partikel zu allein wird dagegen nicht als Konjunktion(säquivalent) angesehen (vgl. Eisenberg 2013:354ff.).

318 

 Korpusanalysen

des Matrixsatzes) Gewünschtes auszeichnen. Diese Wunsch-Komponente kann durch eine Paraphrase mit weil-Satz expliziert werden: Die Bedeutung des Satzes Hans fährt an die See, um sich zu erholen. lässt sich explizieren durch die Paraphrase: Hans fährt an die See, weil er sich erholen will. Zur Latenz bezüglich der Referenzverankerung tritt in den purposiven um-zu-Konstruktionen der präsuppositive Charakter des Wunsches hinzu oder zumindest – da nicht zwangsläufig eine Innensicht erzeugt wird – die Erwartung an die Zukunft (prospektive Aspektlesart des 2. supinischen Status). In Tab. 31 sind die ermittelten POS-Bi- und Trigramme mit der verbalen zu-Partikel aufgeführt, die im TK Reflexionsgattungen im Vergleich zum Komplementärkorpus Gebrauchsgattungen sowie für die Texte der Nachkriegszeit im Vergleich zu jüngeren Texten im Komplementärkorpus Gegenwart signifikante Muster aus den gefilterten POS-Grammen herausbilden. Überdies wurden alle Signifikanzwerte mit dem Vergleichskorpus „Zweiter Weltkrieg“ abgeglichen. Somit ist zwar die Musterhaftigkeit extern abgesichert, dennoch sind die Kontexte inhaltlich vollkommen heterogen. Exemplarische Belege zu den POS-Grammen und zu ausgewählten POSGramm-Konstruktionen sind in Tab. 32 nach syntaktischen Funktionen sortiert. Auch ohne Annotation aller Belege deuten die Kollokatoren des Clusters auf die funktionale Präferenz der zu-Infinitive hin. Bei einer Durchsicht erscheint die Zahl der adverbialen zu-Infinitive mit finalem um recht hoch und tatsächlich zeigt der Korrelationskoeffizient für den Konnektor um mit 16,63 bei einer Suche nach linksseitigen Kollokatoren zum POS-Cluster ein signifikantes Vorkommen an. Tab. 31: POS-Bi- und Trigramme mit verbaler zu-Partikel und statistischer Signifikanz für das jeweilige Komplementär- sowie das DeReKo-Vergleichskorpus „Zweiter Weltkrieg“221 Gefilterte POS-Gramme POS-Bigramme

POS-Trigramme

TK Refl.-gattungen

TK Nachkriegszeit

PTKZU VVINF

x*

x

NN PTKZU

x*

x

NN PTKZU VVINF

x

x

NN NN PTKZU

x*



ADJA NN PTKZU

x



PTKZU VVINF NN

x



221 Für die mit Asterisk (*) gekennzeichneten Cluster wurde Signifikanz auch bei den ungefilterten POS-Gramm-Analysen ermittelt,

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 319

Tab. 32: Infinitivkonstruktionen mit zu und vorausgehendem Nomen (POS-Trigramm: NN PTKZU VVINF) Inkohärente (nebensatzwertige) Infinitivkonstruktionen mit zu

Belege aus den Teilkorpora Nachkriegszeit und Reflexionsgattungen

Adverbiale zu-Infinitive mit um

Die Wiederherstellung des Schulraums wurde zunächst in Angriff genommen, um die größte Raumnot zu lindern. (MA 1955 BIB Pichler, 23)

Objektsinfinitiv

Ich habe vermieden, besonders tragische und hässliche Kriegsbilder zu schildern (...). (MA 2009 SGp Mehler, 161, H. Grimm)

Subjektsinfinitiv

Eine adäquate öffentliche Form würdigen Erinnerns zu finden bleibt hier stets eine Gratwanderung. (MA 2005 SGp Hirsch, 6)

Attributive Infinitive

Eine Art wichtige Frage ist die nach der Einstellung der Deutschen zur Chance, den Krieg zu gewinnen. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 454)

Kohärente (nebensatzwertige) Infinitivkonstruktionen mit zu MIK mit sein

(‘können’-Lesart) Weit weniger schnell waren die baulichen Trümmer zu beseitigen. (MA 2009 SGp Caroli, 430) (‘müssen’-Lesart) Von allen Parks, Straßen oder öffentlichen Wegen, welche irgendwie mit dem Nazismus oder deutschen Militarismus in Verbindung stehen, sind die Namen zu entfernen. (MA 2002 DOK Peters, 23)

MIK mit haben

Um 22.50 Uhr spricht der Kreisleiter der NSDAP Max Schümann im Drahtfunk über den Ernst der Lage: „Wer die weiße Fahne zeigt, hat den Tod zu erwarten“. (HB 1995 BIB Schminck, 266)

IK-Konstruktion mit einbettendem (...) die beiden Insassen verlangen den Bürgermeister zu Verb (verlangen) sprechen (...) (HB 1955 DOK Gläbe, 122)

Der adverbiale zu-Infinitiv kommt im Themenkomplex des frühen Aufbaus mehrfach im Zusammenhang mit einem Footing-Wechsel vor, d.h. innerhalb grundlegender Statements, Sentenzen, Gedichte und Zitate. Die folgenden Stellen verdeutlichen dabei auch Serialisierungseffekte durch wiederholtes Zitieren. Verschiedene Autoren holen denselben Akteur (Bausenator Theil) auf die Bühne, und zitieren wörtlich den legitimierenden Duktus für das Leitbild der Stadtlandschaft mit einer aufgelockerten Bauweise und einer Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Konsum. Diese moderne Stadtgestaltung stand

320 

 Korpusanalysen

nicht nur deshalb in der Kritik, weil u.a. Hochhaussiedlungen gerade die Anonymität hervorbrachten, auf die sie reagieren wollten, sie wird auch in kritischer Bewertung der Anknüpfung an die NS-Stadtplanung wiedergegeben. Syring zeichnet kurz nach dem Ausschnitt in (205) weitere Traditionen für das Leitbild der Auflockerung nach, Barfuß verdeutlicht im Anschluss an (206) auch Unterschiede der modernen Baukonzepte zur gegliederten Stadt bzw. Landschaftsstadt der NS-Zeit, die eine rigorose Neuordnung vorsahen. (204) „Die zerstörten Stadtteile sind völlig neu zu gestalten, um die nötige Auflockerung zu erreichen, die Straßen zu verbessern und den für die Grünanlagen und Plätze erforderlichen Raum zu gewinnen. Die Flächenaufteilung der Gebiete soll nach dem Grundsatz der Trennung der einzelnen Funktionen der Arbeit, des Wohnens, des Verkehrs, der Erholung, der Kultur und der Verwaltung erfolgen.“ Was Bremens Bausenator Emil Theil hier formulierte, war weitgehend Konsens unter Architekten, Stadtplanern und Politikern aller Richtungen. (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Einleitung) (205) Bremens erster Bausenator Emil Theil argumentierte in diesem Sinne, als er die Anforderungen des Aufbaus wie folgt beschrieb: „Die zerstörten Stadtteile sind völlig neu zu gestalten, um die nötige Auflockerung zu erreichen, die Straßen zu verbessern und den für die Grünanlagen und Plätze erforderlichen Raum zu gewinnen. (...).“ (HB 2014 SGe Syring, 20) (206) In der ersten Sitzung des Senats am 3. August 1945 erklärte Emil Theil: „Die zerstörten Stadtteile sind völlig neu zu gestalten, um die nötige Auflockerung zu erreichen, die Straßen zu verbessern und den für die Grünanlagen und Plätze erforderlichen Raum zu gewinnen. (...).“ (HB 2008 SGe Barfuß, 251)

Die Infinitivkonstruktionen bewirken durch die fehlende „Erdung“ mittels Tem­­pus und Modus ein Degrounding, so dass das Leitbild der Auflockerung den Kategorien von Zeit, Raum und Kontext enthoben ist. Der Plan wird ohne inkludierende Adressierung als gültige Forderung präsentiert, es heißt nicht wir müssen gestalten, gestalten wir/gestaltet oder es muss (von uns) gestaltet werden verbunden mit der Absicht, darüber zu diskutieren. Mit der Wahl des modalen Infinitivs entfällt jede Möglichkeit, den Appell sprachlich an jemanden zu richten. Die ‘müssen’-Lesart wird durch die ‘können’-Lesart leicht gebrochen, das Gebotene (völlig neu zu gestalten) wird durch die historisch einmalige Chance gerechtfertigt – die völlige Neuordnung erscheint angesichts der völligen Zerstörung als das einzig Mögliche (hier greifen ‘können’- und ‘müssen’-Lesart ineinander). Das diskursgrammatisch durch die nicht-referenziellen zu-Infinitive geprägte kommunikative Muster „X ist zu tun, um Y zu erreichen“ findet Anwendung für diverse zentrale Sachverhalte des Kriegsendes und der Nachkriegsgeschichte. Es tritt in vielen Akteurskontexten aus der frühen Nachkriegszeit auf, so dass hier zu einem frühen Zeitpunkt ein historisches Relief entsteht, das mit der Infinitivkon-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 321

struktion den kommunikativen Sinn des Notwendigen und Gebotenen als einzig Denkbaren verankert. Ein weiterer Beleg (207) stammt aus der Rede des Bürgermeisters Kaisen zehn Monate nach Kriegsende, die mit seinem finalen Satz überschrieben ist „Ein Bremen, das leben will, wird leben!“ Aus ihr zitiert Gläbe am Ende seiner 1955 erschienenen „Chronik – Bremen einst und jetzt“. Der erste adverbiale zu-Infinitiv ist in einen Exklamativsatz eingebettet (Welch aufreibender Arbeit es bedarf, um...). Er hält die Vorstellung wach, dass der Wiederaufbau erhebliche Kosten verursacht, während mit der zweiten Infinitivkonstruktion dem Wiederaufbau Bremens Bedingungen für das einzig wünschbare Aufbaugeschehen eingeschrieben werden. Dies geschieht im Duktus des vorwurfsvollen Entsetzens verbunden mit dem späterhin formulierten Appell an eine neue einsichtsvolle moralische Gesinnung. (207) Auch heute noch, bald zehn Monate nach Kriegsende, ist der Abgrund der Wirtschaftszerrüttung noch nicht völlig in seiner Tiefe zu ermessen, weil immer noch neue Einstürze erfolgen. Das, was der Senat in langen Beratungen an Verheerungen ermitteln konnte, liegt jenseits aller Vorstellungen. Welch aufreibender Arbeit es bedarf, um wieder eine Finanzgrundlage zu finden, die Bürgerschaft wird es bei der Haushaltsberatung noch selbst feststellen und erkennen, daß fünf Jahrespläne nacheinander erforderlich sind, um Bremen wiederaufzubauen. (HB 1955 DOK Gläbe, 136)

Die Konstruktion gewinnt ihr kommunikatives Gewicht auch in anderen großen Fragen verschiedener Aufbauphasen. Freiheiten und Freiräume im Denken, Gestalten und Handeln werden in dieser Konstruktion thematisch: Es ist die Demokratie als solche, die es zu entwickeln gilt (208), der allgemeine Strukturwandel (209), der gefestigt werden will, und die Flächen für Grünanlagen, die in der Stadtbauplanung erhalten werden sollen (210). (208) Die sogenannte „68er Generation“ setzte sich vor allen Dingen mit der totalitären Vergangenheit und Faschismustheorien auseinander, um eine demokratische Gegenwart zu gestalten. (HB 2007 DOK Lohse, 39) (209) Der Aufstieg Paderborns aus den wirtschaftlichen Problemen der unmittelbaren Nachkriegszeit seit der Mitte der fünfziger Jahre zu einer sich konsolidierenden Mittelstadt kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch um die Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren noch weitere intensive Anstrengungen erforderlich waren, um den ansatzweisen strukturellen Wandel zu festigen. (PB 1999 SGe Hüser, 301) (210) Das vorherrschende Thema von Grunds Planung war die für die 50er Jahre übliche Konzentration der Wohnbebauung auf einer geringen Grundfläche, um große Freiflächen für Grünanlagen zu erhalten. (MA 1999 KAT Schenk, 26)

322 

 Korpusanalysen

Die zu-Infinitive bewirken diese nicht-referenzielle Aktualisierung von Zielen, die wünschenswert erscheinen, tragfähig sein sollen, möglichst keinen kurzfristigen Moden unterliegen und die einer Alltagsvernunft zugänglich sind. All diese semantischen Aspekte begründen die Präferenz für die verbalgrammatische Form in den Reflexionsgattungen, wo sie offenbar ein intertextuelles Geflecht bilden. Sind nun diese musterhaften zu-Adverbiale und weitere zu-Infinitiv-Vorkommen im kleineren Gebrauchsgattungs-TK und im deutlich umfangreicheren Gegenwarts-TK marginal, nahezu verschwunden, d.h. ohne Besonderheit, da nicht mehr signifikant? Ihre statistische Unauffälligkeit soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Kontextualisierungsfähigkeit durchaus erhalten bleiben kann. Wenn sie ihre Kraft zur kommunikativen Herstellung zeitloser Aufbauprämissen nicht verloren haben, treten sie das Erbe von Nachkriegsphase bzw. Reflexionsgattungen an, auch dann oder gerade dann, wenn sie – wie in der Phase bzw. den Gattungen der Verfestigung – ausdrucksseitig nicht mehr signifikant oder hochfrequent erscheinen. Für die Gebrauchstypik einer Konstruktion ist Frequenz konstitutiv, jedoch nur bezogen auf weitere kookkurrierende Phänomene. Der digitalmethodische Bias kann hier die Wiederholung in Kontexten nur bedingt abbilden, da vorab linguistisch zu definieren ist, was an sprachlichem Kontext in welcher Granularität erfasst wird (Wörter, syntaktische Funktionen, Finitheitsmerkmale, Nebensatztypen etc.). Das Deutungsmuster prospektiv gültiger Aufbauprinzipien gewinnt eine Fährfunktion für die (adverbialen) Infinitivkonstruktionen hin zu neueren Zeitabschnitten und komprimierten Gattungsformaten. Quantitativ erzielen die Textausschnitte aus den Gattungen AUD, BRO, DID, TAF, HYP und z.T. STF 669 Belege für die POS-Kombination PTKZU VVINF und 421 für das POS-Trigramm NN PTKZU VVINF. Die syntaktischen Muster erstrecken sich in etwa gleichmäßig über modale Infinitivkonstruktionen mit sein, Objektsinfinitive und adverbiale zu-Infinitive. Seltener treten Subjektsinfinitive, Attribute oder Konstruktionen mit zu-Infinitiv-regierenden Verben auf. Auch wenn die POS-Gramme (NN) PTKZU VVINF für die Gebrauchstexte nicht signifikant auftreten, lässt sich die Rolle der zu-Infinitive in Abhängigkeit von der kommunikativen Funktion betrachten, die in dieser Gattung dominiert. Gebrauchstexte konzentrieren sich auf das Verfügbarmachen von Wissen, Geschichten und Beschreibungen für die Wahrnehmung des gegenwärtigen Stadtraums. An der Erfüllung dieser Aufgabe ist die modale Infinitivkonstruktion mit sein insofern beteiligt, als ihre Aufgabe darin besteht, im Präsens durch die ‘können’-Lesart geschichtliche Inhalte an die baulichen Strukturen im urbanen Wahrnehmungsraum anzuheften. So sind beispielsweise im Stadtbild der Gegenwart noch diverse Spuren des Luftkrieges zu finden (HB HYP Relikte). Im Präteritum dominiert eher die ‘müssen’-Lesart, etwa wenn im Jahre 1944 die schwersten Bombardements zu vermelden waren (HB HYP Goruma). Die

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 323

Beleglage für die adverbialen Infinitive im Schnittfeld der Gebrauchsgattungen ab 1986 ist allerdings relativ dünn. Die wenigen Fundstellen sind dennoch im oben diskutierten Sinne funktional. Im TK Paderborn finden sich Belege, die auf die vorrangigen Ansprüche eines Verwaltungsbaus und auf die Verbesserung der Hygiene zielen (211–212). Für das Bremer TK ist es die Ästhetik (Symmetrie) und die bereits besprochene Kritik an der zweiten Zerstörung durch Aufbauprojekte (158a), in der die Teleologie, die der Konstruktion inhärent ist, eine kritisch-ironisierende Pointe erhält. (211) Die Ruinen des Klosters wurden 1951/52 abgerissen, um Platz für die neue Paderborner Stadtverwaltung zu schaffen. (PB HYP Zeit, Abdinghofkloster/-kirche) (212) Grün- und Freiflächen sollten bis in das Stadtzentrum ausgedehnt werden, um einen Ausgleich für die teilweise wenig hygienischen Wohnverhältnisse zu schaffen. (PB HYP City, Paderquellgebiet) (213) Der linke Giebel des Turms neben dem Haupteingang ging verloren. Um die Symmetrie zu erhalten, wurde auch der rechte Giebel abgetragen. (HB HYP BremenpediA, WallForum) (158a) Einem geplanten Innenstadtring fiel unter anderem das Katharinenkloster zum Opfer, das zwischen Domshof und Sögestraße stand. Das Kloster hatte Jahrhunderte überstanden, um einer Straße zu weichen, die dann gar nicht mehr gebaut wurde. (HB HYP Radiobremen, Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg)

Für Mannheim ist der nominal ergänzte zu-Infinitiv im Zusammenhang mit dem Aufbauthema nur attributiv zu finden (214–215). Dies deutet darauf hin, dass die Kernkonstruktion der adverbialen zu-Infinitive nicht mehr ausgeprägt vorhanden ist. Möglicherweise springen hier mit derselben kommunikativen Funktion andere Infinitivkonstruktionen wie Objektsinfinitive oder Attributsätze ein. Diese Verschiebung lässt sich als Teil syntaktischer Verdichtungsprozesse infolge des Medienwechsels skizzieren. Formalgrammatische Verdichtung hat gleichzeitig diskurssemantische Folgen. Weitere Belege für attributive zu-Infinitive (214– 217)222 und Komplementsätze mit zu-Infinitiv (218–219) stützen diese Überlegungen. (214) Mit dem Wiederaufbau ergab sich die Chance, Neues zu schaffen, etwa in Form der Passagen in den P- und Q-Quadraten, die bis heute zum Bummeln und Verweilen einla-

222 Bei der Nebensatzkonstruktion in (217) handelt es sich streng genommen nicht um ein Infinitivattribut, sondern um ein Infinitivkomplement zum Nominalisierungsverbgefüge Anforderungen erfüllen, das die Stelle des präpositionalen Komplements erfüllt (an etwas Anforderungen erfüllen). Allerdings rechtfertigt es die Funktion der infiniten Einheit, die darin liegt, das Nomen Anforderungen näher zu beschreiben, im Sinne der semantischen Valenz von einem Attributstatus auszugehen.

324 

 Korpusanalysen

den, oder der Kauf- und Modehäuser, die sogar Weltstadtniveau nach Mannheim brachten, Gourmet-Restaurants und Spitzenmarken führen und den Kunden wirklich König werden lassen. (MA 2007 STF Ellrich, 12) (215) Die besonders bei Inversionslage sprichwörtlich schlechte Mannheimer Luft gehört der Vergangenheit an. Unübersehbare städtebauliche Akzente setzte Ratzel mit dem Collini-Center, der Neckarufer-Nord- und der Herzogenriedbebauung mit dem Ziel, wieder mehr Menschen in die Innenstadt zu holen. (MA 2005 STF Probst, 142) (216) Zukunftsträchtig war sicherlich die Entscheidung, die Bebauung im Stadtzentrum nur zum Teil zu restaurieren, zu rekonstruieren oder neu zu errichten. (PB 2011 BRO Schäfer, 12) (217) Das Mahnmal wurde von dem Bildhauer Jochen Kitzbihler entworfen. Er wurde als Sieger eines Gestaltungswettbewerbs vom Gemeinderat mit der Realisierung seines Entwurfs beauftragt. Sein Glaskubus erfüllte die Anforderungen am besten, an zentralem Ort die Namen der Opfer zu zeigen und die Menschen damit zumindest symbolisch nach Mannheim zurückzubringen. (MA App verdrängt, P2) (218) Die städtebaulichen Entwürfe in der Wiederaufbauphase sahen vor, einen neuen Stadtmittelpunkt unter Berücksichtigung des Maßstabs der vorhandenen Kirchen zu gestalten, gleichzeitig aber auch ein neuen geschaffenen weitläufigen Grünraum um die Paderquellen mit einzubinden. (PB BRO 2014 Baukultur, 18) (219) Am Dahlienplatz wurde in den 1980er-Jahren versucht, die bis dahin betongraue Fassade durch eine helle und freundliche Architekturmalerei besser ins Wohnumfeld zu integrieren. (MA STF Ellrich, 113)

Die syntaktische Degradierung der zu-Infinitive vom adverbialen Nebensatz zum Attributsatz sorgt dafür, dass sich die latente Proposition in eine verhandelte bzw. verhandelbare verwandelt. Die Aufbauleistungen werden syntaktisch als Gegenstand möglicher und/oder kritischer Diskussionen gefasst. Sie erscheinen sprachlich in dieser diskursgrammatischen Strategie als Zielsetzungen, die auch mit den Bezugsnomen Chance (214), Ziel (215), Entscheidung (216) und Anforderung (217) zum Ausdruck kommen. Resümierend kann über die mit Latenz markierten Infinitivkonstruktionen, die über die POS-Gramme sichtbar geworden sind, ausgesagt werden, dass sich ihre Musterbildung von der adverbialen zu-Infinitivkonstruktion zur attributiven Infinitivphrase verschiebt. Mit diesem Wandel ist eine Auflösung der Latenz auf der Ebene der Sachverhaltsdarstellung verbunden, so dass die Inhalte als Gegenstände der Auseinandersetzung im Diskurs entworfen werden. Die adverbialen Infinitive treten vereinzelt für den Aufbaudiskurs gegenwärtiger Gebrauchstexte auf und tragen dann zur Konstitution städtebaulicher Ideale bei. Dabei werden u.a. Aufbauprinzipien der verkehrsfreundlichen und der durchgrünten Stadt inhaltlich konturiert. Speziell für Paderborn wird mit diesem Muster semantisch das Ideal der Auflockerung durch die Schaffung von Freiflächen in Anspruch genommen. In Bremen hingegen werden eher ästhetische und denkmalpflegerische Gesichtspunkte zur Sachverhaltsbegründung (des jeweils externen Kon-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 325

nekts von um-zu-Adverbialen) aufgerufen. Für Mannheim ist das adverbiale Muster weitgehend von den attributiven zu-Infinitiven abgelöst, die die Diskurssemantik der Belebung, des Neuen und des Gedenkens für die Mannheimer Erinnerungskultur der Gegenwart in Gebrauchstexten belegt. Eine weitere große Entwicklungslinie betrifft weniger eine Erscheinung der Auflösung als vielmehr einen Prozess der Verfestigung, die mit Winkler (2002:148) als diskursives Vergessen hinein in die Struktur bezeichnet werden kann. Die damit angesprochenen diskursiven Reduktionsprozesse werden anhand der partizipialen POS-Muster sichtbar, die eine Spur zu den mehrfach behandelten passivischen (Modal-)Verbkomplexen legen. Für das POS-Muster VVPP VAINF (z.B. zerstört werden) ergibt sich auf der Basis des eingesetzten Filters hohe Signifikanz im TK Reflexionsgattungen im Vergleich zu allen drei DeReKo-Korpora, die vergleichend herangezogen wurden. Jedoch ist dieselbe syntaktische Routine für das TK Gebrauchsgattungen im Kontrast zu den DeReKo-Referenzkorpora nicht feststellbar. Dort finden sich keinerlei frequente Infinitive mehr, was auf eine Zunahme der Nominalisierungsstrategien hindeutet. Zum „ursprünglichen“ Trigramm NN VVPP VAINF im TK Nachkriegszeit und Reflexionsgattungen treten im TK Gebrauchsgattungen nominal dominierte POS-Kombinationen auf, wie das um den verbalen Gehalt reduzierte POS-Gramm NN VVPP, das gegenüber den TKs „Zweiter Weltkrieg“ und „Popmusik“ signifikant ist. Das Trigramm (NN) VVPP NN ist wiederum kontrastiv zu allen DeReKo-Referenzkorpora und auch zum TK Reflexionsgattungen signifikant. Ein etwas anderer Abbauprozess mit „Rest“ zeigt sich in der diachronen Auswertung, d.h. dem Vergleich zwischen den TKs der Nachkriegsphase und der Gegenwart. Als ebenfalls einziges Muster mit Signifikanz für die Vergleichskorpora „Zweiter Weltkrieg“ und „Popmusik“ in der Nachkriegsphase reduziert sich das Trigramm NN VVPP VAINF in der Gegenwartsphase auf den verbalgrammatischen Kern VVPP VAINF und differenziert sich zusätzlich in einem nominalen Verdichtungsprozess zum Trigramm NN NN VVPP aus. Eine Verzerrung bedingt hierbei möglicherweise die (analytisch begründete) Entscheidung, Signifikanzwerte bis zum 20. Rang zu listen: Im IK Nachkriegszeit weist das Bigramm VVPP VAINF gegenüber dem TK Reflexionsgattungen einen Signifikanzwert auf Rang 13 auf, gegenüber den DeReKo-Belegsammlungen liegt der Wert auf Rang 5 und 6. Auch im TK der Gegenwartsphase erweist sich das Bigramm zu den beiden DeReKo-Kontrastkorpora als signifikant. Allerdings ist es mit einem Chi-QuadratWert von 18,493 typischer für die Nachkriegszeit. Zusammengefasst bedeutet das, dass das POS-Muster VVPP VAINF im TK Gegenwart nicht kontrastiv zum komplementären TK Nachkriegszeit in Erscheinung tritt, vielmehr erweist es seine Typik im Kontrast zu zwei DeReKo-Referenzkorpora. Was nun als sprachlicher Schnipsel, Spur oder Kern des Deutungsmusters übrigbleibt, der sich über die

326 

 Korpusanalysen

Phasen und Gattungen hinweg verfestigt hat, ist genau diese im Gesamt-ZAD 2.811 Mal belegte passivische Verbindung VVPP VAINF, in die – abgesehen von rund 160 Belegen für haben und sein – als infinites Auxiliar in den VAINF-Slot bevorzugt werden eintritt. Dieser Befund belegt eine städteübergreifende Verfestigung des POS-Bigramms VVPP VAINF für alle phasen- und gattungsbezogenen Teilkorpora. Die lexikalischen Füllungen für den Partizipialslot stammen in den Gebrauchsgattungen überwiegend aus dem Wortfeld des Bauens: genutzt/wiederhergestellt/(ein)geweiht/errichtet/abgerissen/gebaut/bezogen/erweitert/ geschaffen werden. Demgegenüber rangieren in der Nachkriegsphase vor genutzt werden die Kombinationen gemacht/geschaffen/durchgeführt werden. Auch die weiteren partizipialen Lexeme wie verstanden/eingesetzt/gebracht/erreicht/ gesehen werden (unterbrochen von errichtet/gebaut/wiederhergestellt werden) deuten darauf hin, dass hier gleichzeitig ein Gedächtniskontext etabliert wird, der nicht nur den Aufbau der äußeren Substanz, sondern auch die demokratische und moralische Neuorientierung behandelt. Um zu überprüfen, in welchen Schritten sich das syntaktische Muster VVPP werden im ZAD über die Zeitphasen und Gattungsentwicklungen hinweg verfestigt hat, wurden die Kookkurrenzprofile der beiden Zeitphasen und Gattungsarten erhoben und miteinander verglichen.223 Tab. 33 veranschaulicht die diesbezüglichen Kookkurrenzprofile der vier TKs zum Verbalschema VVPP werden. Die Rahmen um alle Zielbereiche des Verfestigungsprozesses wurden jeweils gefettet. Farblich gekennzeichnet sind diejenigen Kookkurrenten, die in den vorherigen Analysen als Einheiten des erinnerungskulturellen ZAD identifiziert worden sind. Zu ihnen zählen dass-Sätze als Komplemente, die Adverbien auch und wieder – dabei scheint die Verfestigung für wieder in den Gebrauchsgattungen und die von auch in den Gegenwartstexten ausgeprägter zu sein –, der Negator nicht und schließlich finite Modalverben im Präteritum. Der PVM-Komplex mit konnte(n) und sollte(n) tritt jeweils deutlich als Fokuskonstruktion in Erscheinung. Er kann durch seine syntaktische Einbettungskraft Kontexte nicht nur indizieren, sondern (re)produziert sie zugleich dadurch, dass er sich inmitten eines (grammatisch verknüpften) Arrangements aus Kontextualisierungshinweisen befindet. Diese verbalgrammatische Gestaltung durch den PVM-Komplex liefert einen Hauptpfad des K-Profils auf Formulierungs- wie auf performativer Ebene. Die Anreicherung

223 Auf eine reziproke Kontrastanalyse, wie Müller (2015:253) sie durchführt, um ausschließlich signifikant abweichende Kotextpartner zu erheben, wurde an dieser Stelle verzichtet, weil es in der Beschreibung des K-Profils um Beobachtungen zur Musterhaftigkeit der Sprachmittel geht und weniger um die dezidierte Feststellung von Unterschieden zwischen den TKs.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 327

der syntaktischen Umgebung um die Fokuskonstruktion herum ist eine signifikante Ensemblebildung, eine „Verklumpungserscheinung“ mit Hinweisqualität auf ein K-Profil. Um das sprachliche Material dieses Bereichs näher zu erfassen, werden Beispiele aus den Ursprungsbereichen (Nachkriegszeit und Reflexionsgattungen) sowie aus den Zielbereichen (Gegenwart und Gebrauchsgattungen) herangezogen und hinsichtlich der aufgeführten Kontextualisierungshinweise miteinander verglichen. Als Grundgedanke sei hier abermals festgehalten, dass die Indikatorfunktion nicht nur sprachliche Merkmale umfasst, sondern auch solche, die auf die Text- und Diskursebene bzw. auf Medium, Ort und Gebrauchsbedingung bezogen sind. Darüber hinaus gilt es zu bestimmen, auf welche Erinnerungsarbeit und Zukunftsorientierung hin Musterhaftigkeit ausgerichtet ist, die der historischen Deutung innewohnt. Nicht zuletzt ist durch die Gattungsmerkmale der Quellbereiche zu vermuten, dass die Verwendungsweise des PVM-Komplexes in einer Tradition argumentativer Textsorten steht (vgl. Gloning 2001:178), in denen sie die kommunikative Aufgabe erfüllt, Sachverhalte objektzentriert und unter der Prämisse zeitlich entkoppelter Notwendigkeiten und Bedingungen darzustellen. Diesen Zweck verfolgen Sach- und Fachtexte, in denen entpersonalisierende Strategien wirken, die die Nennung des Handlungsträgers oder des Verantwortlichen vermeiden und somit einen Eindruck von Objektivität erzeugen (können). Hierfür stehen im Deutschen verschiedene sprachliche Mittel zur Verfügung, die es ermöglichen, das Agens ausdrucksseitig auszusparen wie im Passiv oder es durch die metonymische Verschiebung von nominalen Einheiten wie Projekten, Texten oder Anforderungen in die Subjektrolle zu verlagern (zum Subjektschub vgl. Schmid 1997). Darüber hinaus ist der Rückgriff auf subjektlose infinite Konstruktionen möglich (vgl. Hennig/Niemann 2013:445). Diese Mittel der Deagentivierung folgen dem Postulat der Anonymität. Sie können darüber hinaus in Gebrauchstexten neben ihrer sachbestimmten Funktion auch Prestige herstellen oder der „Einschüchterung“ dienen. Als kommunikativer Mehrwert werden oft Verschleierung und Ausblendung genannt. Mit diesen Funktionsbestimmungen ist jedoch noch nicht hinreichend beschrieben, was die PVM-Komplexe durch ihre passivische Komponente im ZAD-Korpus für die sprachliche Verfasstheit des kulturellen Gedächtnisses leisten. Einen aufschlussreichen Hinweis auf die syntaktische Leistung der Passivformulierung liefert zunächst Els (1998:399), der die Passivbildungen mit Modalverben zu den Passivsynonymen zählt, die Mittel des Anonymitätsstrebens, aber auch Mittel der Generalisierung darstellen. Strukturell stiften sie in Fachtexten vor allem Kohärenz, und zwar dadurch, dass mit

328 

 Korpusanalysen

der Thema-Rhema-Verschiebung im Passiv der Untersuchungsgegenstand im Anschluss- oder Nebensatz zum neuen Thema gemacht werden kann.224 Tab. 33: Kookkurrenzprofile (Wörter und POS-Tags) in 8-Wort-Umgebung (rechts und links) zum POS-Bigramm VVPP werden in den getaggten Teilkorpora Kookkurrenzrang

TK Nachkriegszeit

TK Gegenwart

TK Gebrauchs­ gattungen

TK Reflexions­ gattungen

1

NN

NN

NN

NN

2

VVPP

VVPP

VVPP

VVPP

3

werden

werden

werden

werden

4

VAINF

VAINF

VAINF

VAINF

5

ART

ART

ART

ART

6

VMFIN

APPR

APPR

APPR

7

APPR

VMFIN

VMFIN

VMFIN

8

ADJA

ADV

ADV

ADV

9

ADV

ADJA

ADJA

ADJA

10

die

die

CARD

die

11

ADJD

der

der

der

12

der

KON

die

ADJD

13

KON

ADJD

KON

KON

14

und

CARD

ADJD

und

15

CARD

und

und

CARD

16

KOUS

VVFIN

VVFIN

in

17

VAFIN

VAFIN

VAFIN

VAFIN

18

in

NE

NE

KOUS

19

nicht

APPRAT

APPRART

NE

20

PTKNEG

in

in

VVFIN

21

VVFIN

KOUS

konnte

APPRART

22

NE

nicht

das

nicht

224 Els (1998:400) exemplifiziert diese informationsstrukturelle Entfaltung anhand eines Essays von Heisenberg (1967): „In der theoretischen Physik [...] verschärfen wir daher die natürliche Sprache, indem wir den für den betreffenden Erfahrungsbereich grundlegenden Begriffen mathematische Symbole zuordnen, die zu den Tatsachen [...] in Beziehung gesetzt werden können [...].“

Diskursgrammatische Konfigurationen 

23

APPRART

PPER

KOUS

 329

PTKNEG

24

konnte

PTKNEG

PPER

PPER

25

PPER

das

nicht

das

26

das

den

im

den

27

daß

PRELS

PRELS

PRELS

28

es

konnte

PIAT

konnte

29

den

sollte

des

sollte

30

PAV

PIAT

den

PAV

31

muß

von

PTKNEG

von

32

von

konnten

von

PIAT

33

PRELS

PAV

konnten

konnten

34

KOKOM

im

wieder

im

35

wieder

auch

sollte

KOKOM

36

PDAT

sollten

es

es

37

als

KOKOM

PDAT

auch

38

konnten

als

PAV

als

39

im

es

nach

daß

40

kann

mit

mit

sollten

41

dem

des

können

dem

42

auch

kann

durch

mit

43

mit

dem

bis

kann

44

des

auf

musste

auf

45

auf

eine

auch

des

46

PIAT

für

sollten

eine

47

so

ein

sie

für

48

mußten

durch

kann

PDAT

49

zu

daß

dem

wieder

50

können

PIS

PIS

ein

51

sollte

PDAT

für

nach

52

mußte

wieder

ein

an

Das folgende Beispiel zeigt, wie sich die einzelnen Kontextualisierungshinweise zu einem Profil verbinden, das im Orientierungstext eines Stadtführers die Aufgabe erfüllt, Kriegszerstörung und Aufbau in knapper Weise darzustellen. Die Fokuskonstruktion [MV VVPP werden] ist hier Teil einer kontrastiven Fortschrittsnarration, die dem Zweck dient, die vollständige Genesung des städtischen Orga-

330 

 Korpusanalysen

nismus anhand von Beschreibungen der baulichen Infrastruktur zu belegen. Die kontinuitätsstiftende Verwendung des Adverbs wieder steht hier weniger im Dienst einer optischen Rekonstruktion als der funktionalen Überbietung und Erneuerung. (220) Im Zweiten Weltkrieg wurde Bremen in 173 Luftangriffen zu 62%, das Hafengebiet zu 90% zerstört. Die Altstadt verlor die meisten ihrer schönen Bürgerhäuser, u.a. auch die St. Ansgariikirche, deren hoher Turm das Wahrzeichen der Altstadt war; andere Kirchen und Profanbauten wurden schwer beschädigt, konnten aber wieder instandgesetzt werden, u.a. der Dom, die Liebfrauenkirche, die Martinikirche und die Stephanikirche. Auch der Hafen hat seine Funktionsfähigkeiten längst wiedererlangt und bewältigt heute einen über dreifachen Umschlag im Vergleich zu 1938. Der Wiederaufbau hat das Gesicht der Stadt vielerorts verändert. In der Altstadt und ihrer Umgebung entstanden moderne Geschäftsund Warenhäuser z.T. Hochhäuser, in den Vororten neue Wohnviertel, von denen besonders „die Neue Vahr“ als erste Großsiedlung dieser Art über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden ist. (...) Ländliche Idylle findet man noch im Werderland an der Lesum und im nördlich gelegenen Blockland am Wümmedeich, aber auch noch in Oberneuland mit seinen Landsitzen unter altem Baumbestand. (HB 1983 STF Baedecker, 16f.)

Der PVM-Komplex befindet sich im Trägerkonnekt eines adversativen Konnektors (aber), der eine konzessive Relation zum vorausgehenden Bezugskonnekt stiftet. Dort werden in diskurstypischer Passivformulierung die schweren Kriegszerstörungen beschrieben. Der Verlust für die Stadt ist lexikalisch durch die metonymische Aussage Bremen verlor versprachlicht. Die Spannung dieser Protasis wird mithilfe der modalpassivischen Formulierung gelöst: konnten aber wieder instandgesetzt werden. Überdies verleiht der adversative Konnektor dem Trägerkonnekt ein stärkeres argumentatives Gewicht (vgl. Breindl 2004:235). In dieser Apodosis mit PVM-Komplex steckt somit mehr als nur Auflösung. Die Auflösung wird durch das im Mittelfeld integrierte aber als etwas Ungewöhnliches und Überraschendes, ja Staunenswertes markiert, das umgekehrt das Ausmaß der schwer(en) Zerstörung indexikalisiert, so dass sich in Kombination mit wieder der Eindruck der gelungenen Aufbauarbeit verstärkt. Beide Relativsätze stützen diese Lesart. Die mit deren und von denen eingeleiteten nicht-restriktiven Attributsätze sind typische Mittel der Aufwertung im Placemaking des Wiederaufbaus. Vermutlich nicht zufällig erscheinen die Relativpronomen (PRELS) für alle TKs auf höheren Rängen. Mit nicht-restriktiven Attributsätzen wird die in der IDSGrammatik beschriebene implizite Wissensvoraussetzung erzeugt. Inhaltlich bleibt in diesen Attributtypen die erinnerungskulturelle Bedeutung der Bauwerke bewahrt: St.-Ansgarii als Wahrzeichen Bremens, die Neue Vahr als deutschlandweit bekannte Großsiedlung. Indem die Bauten sowohl den untergegangenen als auch den neu erschaffenen Stadtraum in Wert setzen, vermitteln sie zwischen der

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 331

Vorstellung der schönen alten225 und der funktionsfähigen neuen Stadt,226 die die alte Stadt in vielerlei Hinsicht gemessen am wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt übertrifft. In dieser Rhetorik des Übertreffens über Vergleiche vermischt sich das architektonische Framing mit einer erinnerungskulturellen Dimension. Dies lässt sich an zwei „Effekten“ des K-Profils festgemachen: 1. Verben wie verlieren, wiedererlangen oder bewältigen in Sätzen, in denen bauliche Subjekte vorkommen, stammen aus einer soziopolitischen Registatur der erinnerungskulturellen Bewältigung und unterliegen somit einer Verschiebung, die als Prozedur am sprachlichen Material von Freud auch als Abwehrmechanismus beschrieben worden ist (wenngleich sie hier nicht mit der psychoanalytischen Verdrängungslehre kurzgeschlossen werden soll). 2. Ein vollständig deagentivierter zum Automaten hypostasierter (Wieder-) Aufbau wirkt auf den städtischen „Körper“ ein, indem er ihm vor allem ein neues „Gesicht“ verleiht. Die Proposition der Fokuskonstruktion mit konnten aber wieder instandgesetzt werden ist wiederum Bezugskonnekt des nachfolgenden mit auch eingeleiteten Satzes. Das Konnektoradverb wirkt mit dem Adverb wieder zusammen: Als Partikelpräfix schleift es die Geschichte urbaner und ökonomischer Steigerung ein und verbindet sich im nachfolgenden Satz zu einer übergeordneten Wirkkraft, deverbativ als Wiederaufbau bezeichnet. Das Zusammenspiel der Konnektoren aber und auch mit den Adverbien wieder und heute bettet die Fokuskonstruktion im K-Profil ein, wobei es inhaltlich ausdrücklich nicht um die Festlegung auf die eine oder andere Leitlinie des Aufbaus geht. Im Gegenteil kennzeichnet die Wortform wieder, dass Art und Weise des Aufbaus nicht festgelegt ist. Die Kontinuitätssuggestion wirkt über die konkrete Semantik hinweg: Schwer beschädigte Kirchen werden wieder instandgesetzt (Rekonstruktion), der Hafen erlangt seine Funktionsfähigkeit wieder (Neubau), der Wiederaufbau verändert das städtische Gesicht (gemischte Baustile). Die Steigerung und Expansion anzeigende Clusterbildung aber auch beschreibt die Vorzüge des Aufbaus (Naturnähe, Lage) und trägt in dem für Städteführer typischen werbesprachlichen Duktus zur Aufwertung der neu gestalteten Stadtgebiete bei. Für die sequenzielle Verknüpfung der Themen „Zerstörung“ und „Aufbau“ ist auch die vorgangspassivische Beschreibung der Zerstörung mit der rahmenden Ereignis-PP im Zweiten Weltkrieg im Vorfeld typisch. Der PVM-Komplex mit konnten tritt nach einer Reihe deagentiver Konstruktionen auf (Vorgangspassiv,

225 Der Ansgarii-Kirchturm war als höchster Turm Wahrzeiten der Altstadt. 226 Die von Alvar Aalto entworfene Siedlung „Neue Vahr“ erlangte in Architekturkreisen weltweit große Bekanntheit.

332 

 Korpusanalysen

Subjektschub, Prädikativ), lässt allerdings selbst eine agensorientierte Interpretation („Fähigkeitslesart“) zu (vgl. Reis 2001:302f.), die insofern von Bedeutung ist, als die Aufbauleistung implizit jemandem zugeschrieben werden kann: den Bremer Bürgern. Den generalisierten Akteuren wird über die generalisierende PVM-Konstruktionen eine Leistung angerechnet, die sie im Modus des Konzessiven vollbracht haben, durch den das Zerstörungsthema wirksam bleibt, ohne behandelt zu werden. Indirekt sind die Leser angehalten, alle Bremer für berechtigt zu halten, angesichts der verheerenden Zerstörungen auf den Aufbau ihrer Stadt stolz zu sein. Die sprachliche Gestaltung der ZAD-Themen in dieser Textsequenz führt entlang der Frage, was wie stark zerstört und auf welche Weise aufgebaut wurde, vom Passiv (wurde zerstört) zur Nominalisierung (Wiederaufbau), die einen noch höheren Grad an Deagentivierung aufweist, da sie valenziell keine feste Leerstelle für den Agensanschluss eröffnet (nur indirekt über Vererbung). Durch die Überführung der Form ins nominale Paradigma werden die Komplemente des transitiven Verbs zu supplementären Attributen degradiert, von denen im obigen Beispiel weder das Was noch das Wer der Aufbautätigkeit ausdrucksseitig realisiert ist. Im Vergleich zur Versprachlichung der Städtezerstörung kommen die Akteure der Aufbauhandlung noch weniger zur Sprache. Während der Aggressor in den Passivbelegen des Zerstörungskontextes häufig als substantivierte Wirkung eines (Luft-, Bomben-)Angriffs in Erscheinung tritt, sind die Akteure des Wiederaufbaus durch die Akteursanonymität des Verbalabstraktums nahezu unsichtbar. Dies wirft u.a. die Frage auf, in welcher Musterhaftigkeit die verbalgrammatische Gestaltung insbesondere der Aufbauverben das Korpus diachron durchzieht. Als Zwischenform zwischen finiten Sätzen (z.B. Bremen baut auf) und Deverbativa (z.B. der Aufbau) finden sich auf der Skala der Desentenzialisierung nach Lehmann (2007) satzwertige Infinitivkonstruktionen (z.B. aufzubauen mit zu-Infinitiv). Unter der Voraussetzung sich wandelnder sprachlicher Konzeptualisierungen wird im Folgenden die Verteilung dieser drei verbalgrammatischen Formen für einschlägige Verben im Diskurs verglichen. Um zu ermitteln, wie in diesen unterschiedlichen Kondensierungsgraden die verbalgrammatische Gestaltung als Teil der Musterbildung im K-Profil hervortritt, wurden Frequenzen für folgende drei Stufen der Satzreduktion (desententialization) erhoben: erstens der Passivinfinitiv mit werden (als VAINF)227, zweitens der Infinitiv mit zu (mit VVIZU

227 Bei der Abfrage wurde zwischen dem infiniten und dem finiten Auxiliar unterschieden, so dass finite Vorkommen mit Verbletztstellung (und ohne Modalverb) in den Zählungen nicht als falsch Positive enthalten sind. Diese zusätzlichen Vorkommen des finiten Auxiliars (1./3. Ps. Pl.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 333

und PTKZU) und drittens eine entsprechend gebildete deverbale Nominalisierung. Ausgewählt wurden für die Zieldomänen Gebrauchstexte und Gegenwart die 20 häufigsten Verben, die in die Fokuskonstruktion [VVPP werden] eintreten. Vorausgesetzt wird hierbei, dass im PVM-Komplex lexikalisches Material konzentriert zutage tritt, das für die Aufbau- und Zerstörungssemantik und darüber hinaus auch für gesellschaftliche Reflexionen und Prozesse der Erneuerung einschlägig ist. Die Formen sind in Tab. 34 für die beiden TKs Gegenwart und Gebrauchstexte als Zieldomänen und für die Spender- oder Ausgangsdomänen Nachkriegszeit und Reflexionstexte aufgeführt. Tab. 34: Frequenzerhebung zu 20 Verben, die in den Teilkorpora der Zieldomänen (Gebrauchstexte und Gegenwart) am häufigsten in den verbalen Slot der Fokuskonstruktion [VVPP werden] eintreten. Gezählt wurden alle Vorkommen im jeweiligen Teilkorpus. TK Gegenwart (1986–2016) Passivinfinitiv

TK Gebrauchstexte

modaler Infinitiv

deverbales Nomen228

Passivinfinitiv

zu machen 126



wiederhergestellt werden

10

geschaffen 28 werden

zu schaffen

88

Schaffung

eingeweiht werden

8

durchgeführt 25 werden

durchzuführen

27

Durchfüh- 128 rung

genutzt werden

genutzt werden

24

zu nutzen

19

Nutzung

errichtet werden

23

zu errichten

53

ver­standen 21 werden

zu ver­ stehen

eingesetzt werden

20

gebracht werden gebaut werden

gemacht werden

modaler Infinitiv

deverbales Nomen

wiederherzustellen

3

Wiederherstellung

44

einzu­ weihen



Einweihung

27

zu nutzen

3

Nutzung

49

abge­schlos­­ 6 sen w.

abzuschließen



Abschluss

30

Errichtung 111

abgerissen werden

6

abzu­reißen

1

Abriss

29

25



errichtet werden

7

zu er­richten 18

Errichtung

36

einzu­ setzen

21

Einsatz

geweiht werden

8

zu weihen



Weihe

10

20

zu bringen

59



durchgeführt w.

4

durchzuführen

2

Durchführung

19

zu bauen

27

Bau

betrieben werden

5

zu be­treiben

3

Betrieb

33

55

86

244

542

12

4 67

wir/sie werden) sind jedoch mengenmäßig beinahe zu vernachlässigen. 228 Gezählt wurden jeweils nur die Vorkommen der Deverbativa im Singular, da Mehrzahlbelege kaum ins Gewicht fallen.

334 

 Korpusanalysen

aufgebaut werden

18

aufzubauen

30

Aufbau

erreicht werden

18

zu er­reichen

54

Erreichen

wiederherge-18 stellt w.

wiederherzustellen

10

gesehen werden

17

zu sehen

realisiert werden

16

zu realisieren

7

Reali­ sierung

berücksich- 15 tigt w.

zu berücksichtigen

8

Berücksichtigung

gestellt werden

15

zu stellen

45

aufgenommen w.

14

aufzunehmen

25

be­zeichnet werden

14

zu bezeichnen

9

140

246

aufgenommen w.

4

aufzunehmen

5

Aufnahme

9

96

beschädigt werden

5

zu beschädigen

1

Beschädigung

2

Wiederher- 132 stellung

besichtigt werden

4

zu be­­sich­ tigen

11

Besichtigung

8



dargestellt werden

4

darzustellen

2

Darstellung

28

33

gebaut werden

6

zu bauen

6

Bau (242) / Bauen (3)

245

28

geschaffen werden

4

zu schaffen

15

Schaffung

7



instandgesetzt werden

3

instandzusetzen

7

Instandsetzung/ Instand­ setzen

7

Aufnahme 153

realisiert werden

4

zu realisieren

1

Reali­ sierung

5

Bezeichnung

73

sicher­ gestellt w.

3

sicherzustellen

1

Sicher­ stellen

1

70

zer­schla­ gen w.

4

zu zerschlagen



Zerschlagung

6

angelegt werden

4

anzu­legen

4

Anlage

abge­rissen 13 werden

abzu­reißen 11

Abriss

angesehen 19 werden

anzu­sehen

15



beseitigt werden

13

zu beseitigen

19

Beseitigung

63

übergeben werden

4

zu übergeben

1

Übergabe

dargestellt werden

13

darzustellen

21

Darstellung

132

abge­ brochen w.

3

abzu­ brechen

1

Abbruch

28

gehalten werden

13

zu halten

48



eingesetzt werden

3

einzu­setzen

1

Einsatz

34

gesprochen 13 werden

zu sprechen

15



erarbeitet werden

3

zu erarbeiten



Erarbeiten



geräumt werden

12

zu räumen

2

Räumung

23

erfüllt werden

3

zu er­füllen

3

Erfüllung

2

unter­gebracht w.

12

unterzubringen

18

Unterbringung

37

fort­gesetzt werden

3

fortzu­setzen 2

Fortsetzung

4

Hissen



61 7

ausgeführt 11 werden

auszu­ führen

8

Ausführung

34

gehisst werden

1

zu hissen

2

abge­schlos­ 10 sen w.

abzuschließen

3

Abschluss

95

gemacht werden

3

zu machen

18





erweitert werden

zu er­weitern

8

Erweiterung

77

genommen werden

3

zu nehmen

4





zu ver­wirk­ lichen

11

Verwirk­ lichung

20

gerettet werden

3

zu retten

9

Rettung

7

10

verwirklicht 9 werden

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 335

Die Balkendiagramme in Abb. 24–27 veranschaulichen die Verfestigungsgrade der Verbformen und Deverbativa in Abhängigkeit von ihrer lexikalischen Gestalt und ihrer Semantik. Erhoben wurden die prozentuale Verteilung der drei Formen Passivinfinitiv als Fokuskonstruktion [VVPP werden], zu-Infinitiv sowie das zugehörige Deverbativum (ung-Derivat oder syntaktisches Konvertat229) für die Verben, die in den Zielkorpora (Gebrauchstexte und Gegenwart) in das konstruktionale Muster des passivischen Verbalkomplexes [VVPP werden] am häufigsten eintreten (vgl. Tab. 34). Die gewählten Formen folgen der Skala abnehmender Satzförmigkeit (vgl. Fabricius-Hansen 2000:332): Im Kontinuum der Desentenzialisierung besitzt die Passivkonstruktion im Haupt- oder Nebensatz zusammen mit dem Modalverb, von dem sie regiert wird, ein eigenes Illokutionspotenzial, das sich für können und sollen meist an der Fähigkeits- und Gebotssemantik ausrichtet (kann errichtet werden). Die zu-Infinitive unterscheiden sich von diesem Konstruktionstyp vor allem durch ihre Subjektlosigkeit. Für die adverbialen Infinitive gilt, dass das Subjekt des Rahmensatzes als Subjekt der Infinitivkonstruktion ergänzt wird, d.h. die Subjektkontrolle übernimmt. Doch nicht nur der adverbiale Infinitiv (um zu errichten), auch die modale Infinitivkonstruktion (ist zu errichten) sowie Komplementsätze (ist bestrebt, x zu errichten) sind subjektlos. Anders als die Passivinfinitive treten sie nicht in Hauptsatzform, sondern immer nur in hypotaktischer Gestalt (Komplementsatz) oder eingebettet in subordinierte Strukturen auf (Final- oder Attributsätze). Ihre Möglichkeitssemantik abstrahiert durch das Fehlen der Finitheitsmerkmale von der temporalen und personalen Bindung (abgesehen von der Subjekt-Kontrolle durch das Subjekt des Matrixsatzes). Tab. 35: Vergleichskorpora zur Ermittlung von Desentenzialisierungsverläufen TK-Vergleich

Vergleichsparameter

Füller für den verbalen Slot

Nachkriegszeit und Gegenwart

Zeit

die 20 häufigsten Verben, die in die POS-Fokuskonstruktion VVPP VAINF im TK „Gegenwart“ eintreten

Reflexions- und Gebrauchstexte

Gattung

die 20 häufigsten Verben, die in die POS-Fokuskonstruktion VVPP VAINF im TK „Gebrauchstexte“ eintreten

229 Bei Formzusammenfall und auch im Falle des morphologischen Konvertats Bau, das als Abstraktum den Prozess und als Konkretum das Produkt bezeichnet, wurde die Form als solche zwar erhoben, aber auf eine Annotation der Einzelbelege verzichtet.

336 

 Korpusanalysen

Nachkriegszeit und Reflexionstexte

Herkunftsdomäne

Gegenwart und Gebrauchstexte

Zieldomäne

zwölf Verben aus dem semantischen Kontext des Aufbaus, die in beiden TKs gehäuft vorkommen

Von der Verbalphrase des zu-Infinitivs, der bereits in nominaler Funktion (als Komplement) auftritt, folgt der Umschlag zur nominalen Struktur: Deverbativa sind als nicht-finite Realisierungsformen (die Errichtung, das Errichten) vollständig in einen Satz integriert und bilden den Kern eines Satzglieds oder sind Attribut. Der Komplexitätszuwachs umfasst somit zwei Schritte: Die syntaktische Komplexität wächst von der Para- oder Hypotaxe (Passivinfinitiv) zur Subordination (satzwertiger zu-Infinitiv als Komplement oder Attributsatz), und sie nimmt abermals von der verbalen zur nominalen Organisation hin zu (vgl. Szczepaniak 2015:109). In diesem letzten Schritt werden in der NP alle Aktanten zu (fakultativen) Attributen degradiert, die strukturelle Komprimierung entsteht über eine attributive (Mehrfach-)Erweiterung. Insgesamt ermöglichen die in Tab. 35 dargestellten Vergleichskategorien sowie die in Abb. 24–27 illustrierten Verteilungsvergleiche einen Einblick in Prozesse der Auflösung und Stabilisierung innerhalb der verbalgrammatischen Schemabildung des ZAD. Diesem Teilschritt der Analyse liegt die bereits dargelegte Überlegung zugrunde, dass sich in der Verfestigung von Mustern Wiederholung und Frequenz entkoppelt. Eine Konstruktion muss nicht besonders häufig auftreten, sondern an besonderen Stellen mit einer spezifischen textpragmatischen Einbettung und Füllung der lexikalischen Slots wiederholt werden, um innerhalb eines K-Profils die Funktion eines Kontextualisierungsmerkmals oder einer Fokuskonstruktion zu erfüllen. Im Vergleich von Ziel- und Herkunftskorpora (vgl. Abb. 24 und 25) lässt sich für die prozentuale Verteilung der drei betrachteten Formen ein leichter Rückgang der modalen Infinitive in den TKs der Zieldomäne (jeweils oberer Balken) sowie eine Verfestigung der Fokuskonstruktion feststellen (schwarz), während gleichzeitig eine Konsolidierung der nominalen Muster erkennbar ist (hellgrau). Dieser Befund ist vor allem deswegen interessant, da, wie bereits erwähnt, die Fokuskonstruktion der Passivinfinitive mit Modalverb als solche für die Zieldomäne Gebrauchstexte nur noch fragmentarisch (NN VVPP) unter den statistisch signifikanten POS-Clustern erscheint. Dennoch weisen die TKs der Zieldomäne in der prozentualen Verteilung der Formen für die Aufbauverben geschaffen, genutzt, errichtet und gebaut dieselben Anteile auf (vgl. Abb. 25). Im Vergleich zur Spenderdomäne ist sogar eine Verfestigung mit Ausbautendenzen der Konstruktion für die Passivinfinitive genutzt, wiederhergestellt, realisiert und abgeschlossen werden zu vermuten (vgl. Abb. 24).

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Vergleich Tk Nachkriegszeit (unten) und Tk Gegenwart (oben) geräumt – zu räumen – Räumung gesprochen – zu sprechen gehalten – zu halten dargestellt – darzustellen – Darstellung beseitigt – zu beseitigen – Beseitigung angesehen – anzusehen abgerissen – abzureißen – Abriss bezeichnet – zu bezeichnen – Bezeichnung aufgenommen – aufzunehmen – Aufnahme gestellt – zu stellen berücksichtigt – zu berücksichtigen – Berücksichtigung gesehen – zu sehen erreicht – zu erreichen – Erreichen/–ung gebracht – zu bringen eingesetzt – einzusetzen – Einsatz verstanden – zu verstehen verwirklicht – zu verwirklichen – Verwirklichung erweitert – zu erweitern – Erweiterung abgeschlossen – abzuschließen – Abschluss ausgeführt – auszuführen – Ausführung untergebracht – unterzubringen – Unterbringung realisiert – zu realisieren – Realisierung wiederhergestellt – wiederherzustellen – Wiederherstellung aufgebaut – aufzubauen – Aufbau gebaut – zu bauen – Bau(en) errichtet – zu errichten – Errichtung genutzt – zu nutzen – Nutzung durchgeführt – durchzuführen – Durchführung geschaffen – zu schaffen – Schaffung gemacht – zu machen 0

Passivinfinitiv

20

Modaler Infinitiv

40

60

80

100

Nominalisierung

Abb. 24: Satzreduktion im Teilkorpus Nachkriegszeit (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Gegenwart (oberer Balken) für Verben der Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus. Die Grafik veranschaulicht die prozentuale Verteilung von Passivinfinitiv, zu-Infinitiv und Deverbativa. Die absolute Frequenz der Verbformvorkommen nimmt von oben nach unten zu.

338 

 Korpusanalysen Vergleich Tk Reflexionstexte (unten) und Tk Gebrauchstexte (oben) gerettet – zu retten – Rettung genommen – zu nehmen gemacht – zu machen gehisst – zu hissen – Hissen fortgesetzt – fortzusetzen – Fortsetzung erfüllt – zu erfüllen – Erfüllung erarbeitet – zu erarbeiten – Erarbeiten eingesetzt – einzusetzen – Einsatz abgebrochen – abzubrechen – Abbruch übergeben – zu übergeben – Übergabe angelegt – anzulegen – Anlage zerschlagen – zu zerschlagen – Zerschlagung sichergestellt – sicherzustellen – Sicherstellen dargestellt – darzustellen – Darstellung besichtigt – zu besichtigen – Besichtigung beschädigt – zu beschädigen – Beschädigung realisiert – zu realisieren – Realisierung

instandgesetzt – instandzusetzen – Instandsetzen/–ung geschaffen – zu schaffen – Schaffung gebaut – zu bauen – Bau(en) aufgenommen – aufzunehmen – Aufnahme betrieben – zu betreiben – Betreiben (Betrieb) durchgeführt – durchzuführen – Durchführung geweiht – zu weihen – Weihe errichtet – zu errichten – Errichtung abgerissen – abzureißen – Abriss abgeschlossen – abzuschließen – Abschluss genutzt – zu nutzen – Nutzung eingeweiht – einzuweihen – Einweihung wiederhergestellt – wiederherzustellen – Wiederherstellung 0

Passivinfinitiv

20

Modaler Infinitiv

40

60

80

100

Nominalisierung

Abb. 25: Satzreduktion im Teilkorpus Reflexionstexte (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Gebrauchstexte (oberer Balken) für Verben der POS-Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus. Die Grafik veranschaulicht die prozentuale Verteilung von Passivinfinitiv, zu-Infinitiv und Deverbativa. Die absolute Frequenz der Verbformvorkommen nimmt von oben nach unten zu.

Diskursgrammatische Konfigurationen 

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Verlgeich Tk Gegenwart (unten) und Tk Gebrauchstexte (oben) abgerissen – abzureißen – Abriss aufgenommen – aufzunehmen – Aufnahme gemacht – zu machen dargestellt – darzustellen – Darstellung eingesetzt – einzusetzen – Einsatz abgeschlossen – abzuschließen – Abschluss realisiert – zu realisieren – Realisierung wiederhergestellt – wiederherzustellen – Wiederherstellung gebaut – zu bauen – Bau errichtet – zu errichten – Errichtung genutzt – zu nutzen – Nutzung geschaffen – zu schaffen – Schaffung 0

Passivinfinitiv

20

Modaler Infinitiv

40

60

80

100

Nominalisierung

Abb. 26: Satzreduktion im Teilkorpus Gegenwart (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Gebrauchstexte (oberer Balken) für Verben der POS-Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus. Die Grafik veranschaulicht die prozentuale Verteilung von Passivinfinitiv, zu-Infinitiv und Deverbativa. Die absolute Frequenz der Verbformvorkommen nimmt von oben nach unten zu.

Die folgenden Belege aus den TKs der Zieldomäne verdeutlichen die diskursgrammatische Konstellation der Verbalstrategien für Zerstörungs- und Aufbauthema mit der Musterbildung wurde zerstört – konnte umgesetzt werden – der Aufbau. Somit deutet die Umgebung der Belege für das POS-Bigramm VVPP VAFIN (gefettet) auf zwei diskursgrammatische Besonderheiten für die Zerstörungs- und Aufbauformulierungen hin: Für den Vorgängersatz findet sich eine kookkurrente passivische Aktualisierung230 des Zerstörungsgeschehens (z.B. genutzt oder wiederhergestellt werden konnte) und im nachfolgenden Satz werden meist substantivierende Zugriffspraktiken auf die Situation des Wiederaufbaus vollzogen (z.B. Neu- oder Umbau).

230 Durch die Verbindung mit dem Perfektpartizip (VVPP) wird die als VAFIN kategorisierte Form grammatisch als Auxiliar desambiguisiert, da der TreeTagger nicht zwischen Hilfs- und Kopulaverben unterscheidet.

340 

 Korpusanalysen Vergleich Tk Nachkriegszeit (unten) und Tk Reflexionsgattung (oben) abgerissen – abzureißen – Abriss aufgenommen – aufzunehmen – Aufnahme gemacht – zu machen dargestellt – darzustellen – Darstellung eingesetzt – einzusetzen – Einsatz abgeschlossen – abzuschließen – Abschluss realisiert – zu realisieren – Realisierung

wiederhergestellt – wiederherzustellen – Wiederherstellung gebaut – zu bauen – Bau(en) errichtet – zu errichten – Errichtung genutzt – zu nutzen – Nutzung geschaffen – zu schaffen – Schaffung

0 Passivinfinitiv

20 Modaler Infinitiv

40

60

80

100

Nominalisierung

Abb. 27: Satzreduktion im Teilkorpus Nachkriegszeit (unterer Balken) im Vergleich zum Teilkorpus Reflexionstexte (oberer Balken) für Verben der POS-Fokuskonstruktion [VVPP werden] im semantischen Feld des (Wieder-)Aufbaus. Die Grafik veranschaulicht die prozentuale Verteilung von Passivinfinitiv, zu-Infinitiv und Deverbativa. Die absolute Frequenz der Verbformvorkommen nimmt von oben nach unten zu.

(221) Maurermeister Lüder Rutenberg baute 1853 deshalb für Lürman neben der Villa ein Galeriegebäude, das Gartenhaus, das 1942 stark zerstört wurde, aber behelfsweise genutzt werden konnte. 1963 bis 1965 erfolgte hier und auf dem benachbarten Smidtschen Grundstück der dreigeschossige Neubau für den Innensenator. Die zwei Karyatiden, die einst das Galeriegebäude zierten, wurden vor dem Haupthaus aufgestellt. Der zweigeschossige Umbau der Villa erfolgte 1866 für den Sohn des Erbauers, Konsul Johannes Theodor Lürman (1816– ? )Fn (Fragezeichen im Original, N.W.) nach Plänen von Heinrich Müller durch die Baufirma Rutenberg. (HB HYP Bremenpedia, Contrescarpe 21/22) (222) Heute Auch dieser Bereich der Innenstadt wurde stark von den Bomben des Zweiten Weltkriegs in Mitleidenschaft gezogen. Haus Nr. 2 war völlig zerstört; der Nachfolgebau stammt aus dem Jahre 1953. Nr. 4 wurde stark beschädigt, die beiden unteren Etagen konnten wiederhergestellt werden. Nr. 6 und Nr. 8 verschwanden Mitte der 1960er Jahre im Zuge der Neugestaltung des Paderquellgebiets. (PB HYP Zeit, Stadtbibliothek) (223) So musste manches Projekt vor allem im kulturellen Bereich verschoben werden, etwa die schon Ende der 1950er Jahre geplante Erweiterung der Kunsthalle, die erst Anfang der 1980er Jahre realisiert werden konnte oder der Neubau des zerstörten großen Nibelungensaals, der erst 1974 … nach gewaltigen Kostenüberschreitungen – eingeweiht werden konnte.Fn Auch die denkmalsgerechte Wiederherstellung des „geliebten“ Wasserturms

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 341

musste bis 1962 warten und der 1961 schon beschlossene Neubau eines großen Rathauses fiel – obwohl bereits erhebliche Mittel investiert waren – 1967 der Konjunkturkrise zum Opfer.Fn Mit dem Ende der Wiederaufbau-Periode, der Bau der Großsiedlung Vogelstang wird in der Literatur hier als Abschluss genommenFn, zeichneten sich auch die Negativaspekte der Verkehrsentwicklung, Motorisierung und Suburbanisierung immer deutlicher ab, was dann im Vorlauf zur Bundesgartenschau als Anlass für neue Projekte und Verbesserungsmaßnahmen genommen wurde. (MA 2012 SGe Stadtforschung, 84) (224) 1945 wurde die Kapelle weitgehend zerstört. Die Wiederaufbauarbeiten begannen 1955 und konnten erst 1966 abgeschlossen werden. (PB 2005 BRO Stadt, Alexiuskapelle)

Beleg (221) führt die Desentenzialisierung vom Satz zur NP vor Augen: Im finiten Aktivsatz baut der menschliche Akteur in Thema-Subjekt-Rolle ein Gebäude, das dann vorgangspassivisch mit thematischer Zeitangabe im Vorfeld zerstört wurde und doch genutzt werden konnte. Der adversative Konnektor aber spannt den Kontrast zwischen der stark(en) Zerstörung und der Fähigkeit zur wenn auch behelfsweise(n) Nutzung auf. Die nominalisierte Form Neubau des nachfolgenden Satzes erweist sich als semantisch ambig: Als Komplement zum non-agentiven Funktionsverb erfolgen kann es sich nur um ein prozessuales Nomen handeln, zusammen mit dem attributiven Adjektiv dreigeschossige wird jedoch ein konkretes Bauwerk konzeptualisiert. Auf diese Weise bildet das Deverbativum ein Scharnier zwischen dem vergegenständlichenden Zugriff auf den Bauprozess, der an die modalpassivische Fokuskonstruktion anschließt, und dem teilrekurrenten Galeriegebäude(s) als Produkt des Neubaus, zu der die Lesart von Neubau als materiellem Artefakt Kohärenz stiftet. Schematisch betrachtet liegt in (222) derselbe sequenzielle Verlauf vor, jedoch fällt auf, dass das Deverbativum auch die Attributrolle einnimmt. Die ohnehin kaum mitgedachten Aktanten des nominalen Konzepts sind zugunsten einer Periodisierung im Zuge des akteurlosen Prozesses vollkommen verblasst. Dieser hat immerhin das Potenzial, Dinge wie Häuser (Nr. 6 und Nr. 8) zum Verschwinden zu bringen (verschwanden). Eine noch stärkere Einbettung innerhalb des Abschnittes, in dem sich die ZAD-typische Kontextualisierung herausbildet, zeigen die Nominalisierungen in (223), die zweimal durch einen Attributsatz mit dem modalisierten Vorgangspassiv modifiziert werden und einmal in eine modalverbhaltige Rahmenkonstruktion mit müssen eingebettet sind. Diese einbettenden Subjekte sind in gestufter Subordination mehrfach erweitert und besitzen einen hohen Komplexitätsgrad. In der gereihten Adjektivphrase zerstörten großen zum Bezugsnomen Nibelungensaals tritt das Zerstörungslexem partizipial zutage. Die thematische Fortführung besteht aus Beschreibungen der Aufbauleistungen, die musterhaft in Form von deverbalen Prozessnomen (Wiederherstellung, Wiederaufbau und Bau) gefasst werden. Im weiteren Verlauf des Textes werden auch neuere städtebauliche Aktivitäten als Entwicklungen, Suburbanisierung etc. in eben dieser Weise konzeptu-

342 

 Korpusanalysen

alisiert. Beleg (224) zeigt für die Nominalisierung eine weitere Komprimierungsstufe. In den Wiederaufbauarbeiten ist der Aufbauprozess kompositorischer Teil des Subjekts zum PVM-Komplex konnten abgeschlossen werden. In der zeitlichen Entwicklung ist die Verfestigung der Fokuskonstruktion in der vergleichenden Distribution der drei Formen insbesondere für die Verben mit Aufbausemantik evident. Für diese dominieren in den Nachkriegsdokumenten nachvollziehbar die zu-Infinitive, da es sich um zu realisierende Aufbauprojekte handelt, d.h. solche, deren Umsetzung als Ziel für die Zukunft skizziert, diskutiert oder empfohlen wird. So erklären sich auch die wesentlich höheren Anteile an der Fokuskonstruktion für die Verben erreichen und sehen (als Passivinfinitiv erreicht/gesehen werden). Einen typischen Fall stellt für die verbalgrammatische Entwicklung im ZAD wiederherstellen dar: Der Anteil der modalen Infinitive schrumpft, während die passivischen und nominalen Strategien zunehmen. Im diachronen Verlauf zeichnet sich diese Entwicklung insbesondere für die Verben nutzen, errichten, wiederherstellen, realisieren, erweitern und beseitigen ab (vgl. Abb. 24). Im Gattungsvergleich ist diese Tendenz wiederum u.a. für die Verben wiederherstellen, nutzen, abreißen, betreiben, bauen, realisieren, beschädigen, darstellen, sicherstellen, einsetzen zu beobachten (vgl. Abb. 25). Erwartungsgemäß zeichnen sich ähnliche Entwicklungen im Kreuzvergleich der (teilweise überlappenden) TKs Gegenwart und Gebrauchsgattungen sowie Nachkriegszeit und Reflexionsgattungen nicht ab (vgl. Abb. 26 und 27). Ausgewählt wurden hierfür nur die Verben, die in den Komplexen beider TKs häufig vertreten sind. Eine Zunahme der Nominalisierungen ist zwar nicht für die Gattungsentwicklung (von Reflexions- zu Gebrauchsgattungen, vgl. Abb. 25), doch aber im zeitlichen Verlauf feststellbar, und zwar insbesondere für die Handlungsverben, die den Aufbauprozess hypostasieren (vgl. Abb. 24). Nomen wie Durchführung, Erweiterung, Wiederherstellung und Errichtung präsentieren die Bautätigkeit als verdinglichte Aktivität, deren Motivation, Bedingungen und Hintergründe in dieser sprachlichen Form nicht mehr abrufbar sind. Handlungsbeteiligte, aber auch Supplemente der Verbalszene wie die Art und Weise des Aufbaus, die Materialien, die zeitliche Einordnung, die (Hinter-)Gründe und Bedingungen u. dergl. sind ausdrucksseitig schwer ergänzbar und müssen auch nicht zwingend aus Valenzgründen gesetzt werden.231

231 Hierbei fällt auf – was in der tabellarischen Übersicht nicht erfasst wurde –, dass in den Texten der Nachkriegszeit sehr oft von Herstellung die Rede ist (26 Tokens, ebenso viel wie für Wiederherstellung), eine Bezeichnung, die möglicherweise durch Wiederherstellung abgelöst und fortgeführt wurde, da sie in den neueren Texten gegenüber Wiederherstellung deutlich abfällt (38 im Verhältnis zu 128 Tokens). Dieser Befund mag belegen, dass sich das (hier präfigierte)

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 343

Im PVM-Komplex werden in der zeitlichen Entwicklung einige Verben neu instanziiert wie realisiert, genutzt, abgeschlossen, verstanden, berücksichtigt und abgerissen (vgl. Abb. 24). Auch an anderen Verben, mit denen die Fokuskonstruktion im TK Gegenwart auftritt, wird deutlich, dass die Konstruktion noch eine weitere semantische Domäne besitzt, die als Nutzung oder Gestaltung von Wohnraum inhaltlich direkt an das Aufbauthema gekoppelt ist. Zu diesen Verwendungen passt die vorgefundene Musterbildung mit kursiven Verben bzw. die festgestellte Tendenz zur Kursivierung von Verben, die in die Fokuskonstruktion eintreten. Es handelt sich bei dieser Semantik um eine metasprachliche Reflexion, zu der vor allem die Verben gesprochen, angesehen, bezeichnet, gestellt, berücksichtigt und verstanden beitragen. Die Belegstellen werden großzügig zitiert, damit die moralische Aufladung anschaulich wird, die die PVM-Komplexe mit Verben aus dieser Reflexionssemantik umgibt. Sie reicht von der rührseligen anekdotenhaften Demonstration der guten, da katholisch orientierten Paderborner (225) über mahnende Worte zur Gefahr, Kriegsverbrechen und Holocaust zu vergessen (228) bzw. zu relativieren und bagatellisieren (226) bis zum feierlichstolzen Zelebrieren der Aufbauleistung (227), ihrer berichteten Würdigung (230) sowie der Beurteilung einer versäumten Aufbauentscheidung, die die Zerstörung einer Kirchenruine nach sich zog (229). (225) Die ersten Entscheidungen fanden in einer für die damalige Zeit typischen bürokratischen Grauzone statt. Die Schriftquellen geben jedoch durchaus Aufschluß darüber, daß die Deutschen nicht nur Objekt der Besatzungsmacht waren, wenngleich von Handlungsfreiheit nicht gesprochen werden konnte.Fn Bezeichnend für den selbstbewußten Umgang von Vertretern der katholischen Amtskirche mit der Besatzungsmacht ist zum Beispiel eine Begegnung des Paderborner Generalvikars mit dem Stadtkommandanten, die von der Frage bestimmt war, ob der Erzbischof mit den Engländern zusammenarbeiten werde. Auf diese Frage soll Rintelen geantwortet haben, das Kirchenoberhaupt werde „sicher nach Kräften mit für Ruhe und Ordnung sorgen“; die Kirche sei ja in diesem Chaos die einzige ordnende Macht. Darauf lächelte der Kommandant und sagte: „Doch auch die englische Militärregierung.“Fn (PB 1999 Sge Hüser, 259) (226) Diese neue Sichtweise auf den Bombenkrieg kann jedoch auch leicht als Relativierung der deutschen Kriegsverbrechen missverstanden werden. Besonders in rechtsradikalen Kreisen wurde diese Diskussion so verstanden. In seinem Buch „Der Brand“ spricht Friedrich von Luftschutzkellern, die zu Krematorien wurden, und von Menschen, die durch die Brandrauchgase in den Bunkern vergast wurden. Diese Wortwahl, die sehr stark an den Holocaust erinnert und vielleicht auch erinnern soll, dient nicht dazu, die Diskussion zu entschärfen, sondern im Gegenteil: Sie heizt sie weiter an. (PB 2008 Sge Westhoff, 47)

Adverb wieder als kookkurrentes Kontextualisierungsmerkmal etabliert. Zu prüfen wären allerdings die Verwendungskontexte im Einzelnen, da sie nach einer kursorischen Sichtung nicht regelmäßig auf den Aufbau zielen.

344 

 Korpusanalysen

(227) Eine weitere städtebauliche Besonderheit der 50er Jahre sind die Wohnhochhäuser, die als „Lieblingskind“ dieser Epoche bezeichnet werden können. Sie ermöglichten es, viel Wohnraum bei einer nur geringen Überbauung der Grundfläche zu schaffen, so daß der gewonnene Freiraum für Grünanlagen genutzt werden konnte. (MA 1999 KAT Schenk, 29) (228) Die dazugehörige Inschrift der Stadt sollte lauten: Es mahnen die Toten sowie 1933– 1945. Alle, die das Denkmal von Marcks zum ersten Mal sahen, zeigten sich skeptisch, bevor die anfängliche Reserviertheit in Zustimmung und Bewunderung umschlug.Fn Und so konnte es mit Recht als ein sehr befriedigendes Ergebnis bezeichnet werden, als in der entscheidenden Sitzung des Verwaltungsausschusses am 8. April 1952 alle Betrachter der Fraktionen und verschiedensten Weltanschauungen zu einem übereinstimmenden Urteil gelangten und den Ankauf des Marcksschen Engels genehmigten. (MA 2002 DOK Peters, 68f.) (229) In dieser Zeit, in der in Bremen große Teile der Stadt verwüstet wurden, verschwand eins der markantesten Bauwerde aus dem Stadtbild: Die Ansgariikirche. (...) Nur die Räumungsbefehle für die nächstgelegenen Häuser konnten als zweckmäßig angesehen werden. Die Verstärkungen im Turm, die für die nächsten drei Monate vorgesehen waren, konnten keine Rettung bringen. Am 1. September 1944 um 12.25 Uhr stürzten die gewaltigen Steinmassen des Turmes in das Kirchenschiff und zerstörten auch dieses. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 536) (230) Das neue Focke-Museum 1953 wurde das Focke-Museum im Hauptgebäude eines Gutes aus dem 18. Jahrhundert eingerichtet. Auf dem Gelände wurde 1959 der Grundstein für den ersten Neubau eines Landesmuseums nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik gelegt. (...) Dieser Bau im Stil der klassischen Moderne, der sich behutsam in die Landschaft einfügt und durch Glasfronten den Außenbezug betont, gilt heute als eines der qualitätsvollsten Gebäude Bremens aus dem 20. Jahrhundert. Der Bund Deutscher Architekten bescheinigt 1974 dem Neubau: „Das Focke-Museum kann als eine der schönsten Museumsanlagen des Kontinents bezeichnet werden“ (HYP Bremenpedia, Focke-Museum)

Als Kookkurrenten ergeben sich Flexionsformen des Modalverbs können sowie verschiedene konditionale und konzessive Konnektive. Weitere Kontextualisierungshinweise liegen eher auf semantischer Ebene, so die kondensierte Behauptung, die Hochhäuser seien hoch willkommen geheißen, haben sich sofort zum Vertrautheitssymbol entwickelt und seien heute Teil der städtischen Identitätsbildung, worauf die Metapher „Lieblingskind“ (227) hindeute. Ferner werden mithilfe einer als kontrovers markierten Diskursorganisation mit den konditionalen und adversativen Konnektoren wenngleich, jedoch und nur verschiedene erinnerungspolitische Positionen der Diskursgemeinschaft gegenübergestellt, abgewogen oder verbunden. Die begriffliche Ausrichtung des K-Profils entsteht innerhalb des Satzes, in dem die Konstruktion auftritt, abgesehen von einem Präpositivkomplement in (225) durch die folgenden Adjunktorkomplemente: von Handlungsfreiheit als Relativierung der deutschen Kriegsverbrechen als „Lieblingskind“ dieser Epoche

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 345

als ein sehr befriedigendes Ergebnis als zweckmäßig als eine der schönsten Museumsanlagen des Kontinents

Diesen diskursgrammatisch ausgezeichneten inhaltsbezogenen Kernen des ZAD ist jeweils eine bestimmte Facette deutscher Schulderfahrung eingeschrieben. Unterschiedliche Schuldaspekte werden hier aufgerufen, um eine Geschichte für eine wünschenswerte Zukunft zu erzählen. Einmal ist es eine ästhetisierende Erfolgsgeschichte des Wiederaufbaus (Lieblingskind, schönsten) als Reaktion auf den Vorwurf der Schuldverdrängung, die von der schlichten, funktionalistischen Nachkriegsarchitektur mit ihrer Kacheloptik und den zeitlosen Formen des neuen Wohnens repräsentiert sein soll. Es sind Geschichten von der moralischen Autonomie kirchlicher Instanzen, so dass sich die Erinnerungsarbeit in Paderborn auf das Bewusstsein stützt, die Kirche habe im städtischen Bereich ihre Ordnungsfunktion sofort nach Kriegsende wieder aufgenommen, wenn nicht insgeheim immer (im Widerstand?) aufrechterhalten. Der nach 1945 wieder eingesetzte Grundwert der (Handlungs-)Freiheit wird über die Institution kirchlicher Würdenträger garantiert. Für die Gewährsleute der Demokratie, die britische Besatzungsmacht, wird implizit ein Zweifel an ihrer Rolle als Befreier fortgeschrieben. Im erinnerungspolitischen Placemaking Mannheims ist es das Gedenken an die Holocaust-Opfer, das in (228) als sehr befriedigendes Ergebnis mit einem übereinstimmenden Urteil in Form eines Mahnmals im Stadtraum umgesetzt wird. Die Bremer Wikipedia-Seite wirbt in (230) für das Ergebnis des Neubaus und hebt mit einer abgeschwächten Augmentativkonstruktion, wie sie für werbende Beschreibungstexte in Reiseführern kennzeichnend ist (vgl. Fandrych/Thurmair 2010:182), den Anschluss an die internationale Architekturentwicklung hervor: eine der schönsten Museumsanlagen des Kontinents. Wiederum zeigt die erklärende Passage in (229) den Umgang mit dem Untergang historischer Baudenkmäler in Bremen. Die dramatische Schilderung der selbstverschuldeten Zerstörung der Ansgarii-Kirche samt der Beurteilung ihres nicht zweckmäßigen Schutzes mögen darüber hinwegtäuschen, dass gerade diese Kirche, die wegen ihres hohen Turms den Charakter eines Wahrzeichen besaß, auch später nicht rekonstruiert wurde, womit schließlich auch städtebauliche Weichen für die Zukunft gestellt worden sind. Im Vergleich zu den Reflexionstexten spielt die Fokuskonstruktion im TK Gebrauchstexte eine wesentlich größere Rolle für die zentralen Aufbauverben wie wiederhergestellt, eingeweiht, genutzt, geweiht, durchgeführt, realisiert, angelegt, übergeben, abgebrochen, eingesetzt und ggf. auch erfüllt, fortgesetzt, genommen und gerettet. Während die Nominalisierungen im Gattungsvergleich vielfach ähnlich verteilt sind, treten die modalen Infinitive deutlich zurück. Die Muster-

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 Korpusanalysen

tendenz [+ VVPP] und [+ NOM] lässt sich bei abnehmenden zu-Infinitiven für die Varianten genutzt, dargestellt und eingesetzt werden feststellen (vgl. Abb. 25). Die Belege zeigen die Verfestigung eines K-Profils, das die Zerstörung in eine Chance für den Wiederaufbau verwandelt: dem katastrophalen Ereignis wird ein Resultat gegenübergestellt, das das Vorherige ästhetisch und funktional übertrifft. Sie geben gleichzeitig einen Eindruck von den Dynamiken, die sich um diesen passivischen Kern herum abspielen und deren Variabilität Teil des Verfestigungsprozesses ist. Mit diesem Auswertungsschritt wurde die sinnherstellende Formgebung der grammatischen Fokuskonstruktion des PVM-Komplexes bestätigt und anhand der kookkurrierenden Wörter und Cluster konkretisiert. Somit konnte methodisch mithilfe von Frequenzentwicklungen und Clusterbildungen auf der abstrakten Ebene von Wortart-Verbindungen gezeigt werden, wie die Fokuskonstruktion über Anschlussstellen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen ihren Kontext generiert. Für die Interpretation dieses erinnerungspolitischen Deutungsmusters ist in erster Linie die Konnektivität der kookkurrierenden Merkmale verantwortlich, in der auch ein kontrastierendes Moment liegt, da die Lexiken der Zerstörung, des Aufbaus sowie der Mahnung/Reflexion unterschiedliche verbalgrammatische Strategien kontrastiv selegieren. Einen musterhaften sequenziellen Verlauf bilden die Konzeptualisierung der Zerstörungsereignisse im Vorgangspassiv, die modalisierten Aufbauhandlungen als akteursentkoppelte gewünschte oder gebotene Vorgänge sowie die vergegenständlichten Aufbauprozesse, die sich mithilfe der Nominalisierung der verbal vererbten Komplemente entledigen können – wobei im folgenden Kapitel (Kap. 6.2) zu klären ist, welche semantischen Rollen musterhaft attributiv eingelöst werden. Die sequenzielle Musterbildung wurde infolge der Wiederholung von Spuren eines K-Profils (Passivauxiliare, Partizipien, VVPP VAINF) in rekurrenten Umgebungen (Modalverben, Konnektoren, Partikeln) als qualitativer Emergenzeffekt gefasst. Dabei ist festgestellt worden, dass sowohl Transformationsprozesse (im Bereich der zu-Infinitive) als auch Verfestigungen (im Bereich der modalisierten Passivkomplexe) dem Prinzip der Kontrastivität in der Ermittlung erinnerungskultureller Kontextualisierungshinweise folgen: zum einen durch zeitliche Veränderung, zum anderen durch den Kontrast zum DeReKo (kursive Verben, die in die Fokuskonstruktion eintreten). Abschließend soll ein kurzes Fazit über die frequenzanalytischen Auswertungen gezogen werden, bevor in einem weiteren framesemantischen Analyseschritt die semantische Variation innerhalb der beiden großen Felder Zerstörung und Aufbau betrachtet wird, mit denen im erinnerungskulturellen K-Profil – so die bisherige Evidenz – die historischen Ereignisse der Zerstörung im „Glanze“ des Aufbaus erscheinen.

347

Diskursgrammatische Konfigurationen 

6.1.6 Schlussfolgerungen aus den frequenzbasierten Analysen Für eine diskursgrammatisch orientierte Korpusanalyse hat sich der Einstieg mit der Frequenzvisualisierung durch Zirrus-Wolken in Voyant angeboten. Als Auftakt der frequenzbasierten Analysen erlauben Wortwolken eine Einschätzung zu den Themenschwerpunkten der jeweiligen Städtekorpora, aber auch zu einzelnen Wortformen, die als Kandidaten für ein diskursgrammatisches Kontextualisierungsmerkmal im K-Profil in Frage kommen, weil sie hinsichtlich verbaler Finitheit, textueller Kohärenzbildung oder Konnektivität spezifische Eigenschaften aufweisen. Für die hierbei hervorgetretenen Passivauxiliare im Präteritum ließ sich späterhin erkennen, dass sie bevorzugt innerhalb von Formulierungsroutinen des Zerstörungs-Framings auftreten. Gleichsam war mit dem in allen drei Städte-Grafiken in mittlerer Größe gut sichtbaren konnte bereits eine typi-

semantisches Spektrum ZERSTÖRUNG VAFIN VVPP wurde/n zerstört beschädigt getroffen VO

A

R G A N G S PA S S I V

jedoch aber allerdings S DV ES E K O R S . / K O N ZE N NNEKTOR

Entstehen Zunahme Auflockerung Neubau Wiederherstellung

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OM

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LE DEVERBA

TI

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semantisches Spektrum AUFBAU

X zu x-en

neu

 Verlustkonstruktion

VM Zukunft PTKZU VVINF / VVIZU um Auflockerung zu erreichen Chance, Neues zu gestalten ZU-INFINITIVE

konnte/n sollte/n muss/te darf

VVPP VAINF genutzt (=kursiv) wiederhergestellt gebaut werden gesteigert angesehen bezeichnet

wieder

P VM-KOMPL E X

Abb. 28: Skizze zum Kontextualisierungsprofil des ZAD-Gesamtkorpus mit exemplarischen Belegen aus der frequenzanalytischen Auswertung

348 

 Korpusanalysen

sche Modalverbform der Fokuskonstruktion des PVM-Komplexes für das Schema [konnte ge-x-t/en werden] erkennbar. Die besondere Bedeutung für das ZAD, die grammatische „Anziehungskraft“, mit der das modalisierte Vorgangspassiv weitere Kookkurrenten des K-Profils selegiert, deutete sich in der kontrastiven Schlüsselwortanalyse an und ist im Rahmen der verbalgrammatisch angelegten POS-Clusteranalysen bestätigt worden. Es bildet das Zentrum des visualisierten K-Profils in Abb. 28. Dieses diskurstypische modale Vorgangspassiv, das quantitativ in der ersten Phase kontrastiv zur zweiten Phase mit dem Infinitiv werden hervortritt, verfestigt sich im K-Profil über die vier Phasen des ZAD hinweg mit Präteritalformen der Modalverben sollen und können. Dieser Verfestigungsprozess ist nicht über Signifikanzen belegt, sondern wurde in weiteren qualitativen Schritten über die Mitverfestigung kookkurrenter Ausdruckseinheiten nachgewiesen. In dieser Kombination entfalten die PVM-Komplexe ein spezifisches Bedeutungsspektrum innerhalb der erinnerungskulturellen Konstruktion des erfolgreichen Aufbaus wie „aus dem Nichts“. Diese Semantik erweist sich als wesentlich spezifischer gegenüber der Typik, die das Vorgangspassiv als themenbezogene Prävalenz im Kriegskontext besitzt und auch gegenüber der gattungsspezifischen Merkmalhaftigkeit der PVM-Komplexe in Texten aus Verwaltung und Wissenschaft. Hier gestaltet sich die textlinguistische Bestimmung des deagentiven Sprachhandlungsmusters als Verursachung „wie von Geisterhand“ diskurstypisch aus. Während in der ersten Phase diverse Modalverben in formal und funktional unterschiedlichen Flexionsformen in den Komplex eintreten, reduziert sich das Spektrum zur zweiten und dritten Phase auf konnte/n, dessen Funktion sich auf die Rechtfertigung der erfolgreichen Aufbauleistung spezialisiert (das Gebäude, das schon bald wieder genutzt oder das Haus, das bereits in der frühen Nachkriegszeit wieder aufgebaut werden konnte), sowie auf sollte/n, das vielfach als Marker für gebotene oder vernünftige Gründe dient. Formelhaftes, das sich in der frühen Zeit zur Reflexion über den namenlosen Schrecken kondensiert wie die Verlustformeln [nicht mehr zu x-en sein] oder [x existiert nicht mehr], zeigt sich in späteren Dokumenten kaum noch, so dass eine schablonenhafte Verengung auf Formulierungsebene und das Festwerden von Ausdrucksformen für den schmerzlichen Verlust einer identitätsstiftenden Umwelt nur für die Texte der Nachkriegszeit bestätigt werden können. Im Unterschied dazu entfaltet sich über das Gesamtkorpus hinweg mit der Konstruktion [(auch)-für-viele-(NE)] der Anschluss an ein Gefühlskollektiv, das den (normativen) Konsens zum Erleben von (Bomben-)Krieg, Verfolgung, Gefangenschaft u.ä. repräsentiert. Zum PVM-Komplex mit konnte/n und sollte/n treten kookkurrent adversative und konzessive Konnektoren auf (insbesondere aber und jedoch), daneben wurden zeitsemantische Lexeme und Cluster (Zukunft, in den x-er Jahren) nach-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 349

gewiesen. Ebenso wie die ermittelten Gebäude-Bezeichnungen werden sie den Frames „Zerstörung“ und „Aufbau“ zugeordnet und mithilfe präzisierender framesemantischen Untersuchungen in einzelnen Slots dargestellt (vgl. Kap. 6.2). Nur vereinzelt und mit statistisch ungesichertem Status erscheinen die PVMKomplexe mit müssen und sollen im Rahmen narrativer und reflektierender Passagen, die näherer Betrachtung bedürften als es hier bisher geleistet wurde. Im weiteren Kontext von Naturmetaphern des Wachsens, Auflebens und Gesichtbewahrens hat sich ein phraseologisches Umfeld herauskristallisiert, das mit der Ereigniszentrierung des Passivs eine naturalisierte Lesart der Aufbauprozesse begünstigt, die vom Möglichen (Können-Semantik) her argumentiert. Die Verfestigung des Musters wird ab der zweiten Phase nicht mehr am signifikanten Vorkommen festgemacht, sondern vielmehr an der Tatsache, dass der PVM-Komplex kookkurrierende Formen selegiert (Naturmetaphern, Konnektoren, valenzbedingte Anschlüsse). Qualitativ wurden die Verfestigungsarten einer weiteren Prüfung unterzogen, indem Aktionsart und Aktionalität der in den PVM-Komplex eintretenden Verben bestimmt worden sind. Hierbei hat sich im Vergleich zum Referenzkorpus DeReKo eine – möglicherweise diskurstypische – Auffälligkeit hinsichtlich der Aktionsart ergeben. Lexikalisch typische Diskursverben wurden im Unterschied zur Mehrzahl der Verben der Konstruktion im DeReKo nicht telisch, sondern kursiv verwendet (= durativ, atelisch): Somit konnte das Haus nicht einfach neu aufgebaut werden, vielmehr konnte es (mit impliziertem oder nominal ergänztem Aufbau) in bestimmter Weise genutzt werden, so dass sich der Eindruck eines andauernden, ggf. bis in die Gegenwart hineinreichenden Prozesses ergibt. Das Beispiel macht vor allem deutlich, dass sich Diskurstypik nicht aus Frequenz, sondern aus Relationen und Verknüpfungsarten innerhalb eines diskursiv profilierten Bereichs herleitet. Somit verfestigen sich die modalisierten Vorgangspassiv-Konstruktionen diskurstypisch, da sie innerhalb des komplexeren K-Profils auf der Basis diskursgrammatischer Verknüpfungsarten weitere sprachliche Einheiten selegieren. Als Verknüpfungsarten wurden in Abb. 28 die Konnektoren, die Metaphorik und die valenziellen Kräfte deverbativer Nomen (Entstehen, Wohnbau und Zunahme, Auflockerung) eingetragen. Eine weitere Ausdifferenzierung nach Aktionalität und Satzart, die in der Auswertung für die vierte Phase versucht wurde, brachte zunächst keine präzisierenden Ergebnisse. Als kookkurrente Ausdruckseinheiten treten neu und wieder hinzu, deren diskursgrammatische Flexibilität darin besteht, dass sie sowohl durch morphologische Bindekräfte innerhalb von Komposita (Neubau, Wiederherstellung) als auch attributiv und adverbial als Adjektiv bzw. Adverb kontextualisierend wirken. Ihr semantischer Status im Framing von Zerstörung und Aufbau, aus dem weitere diskursgrammatische Konnektivitätsarten abgeleitet werden, wird ebenfalls in Kap. 6.2 zu prüfen sein.

350 

 Korpusanalysen

Umgekehrt konnte der Nachweis erbracht werden, dass nur die zeitlich einordnende Ereignisbezeichnung nach Kriegsende, nicht aber die PP im zweiten Weltkrieg für den Diskurs verfestigt ist. Letztere tritt zwar musterhaft innerhalb von Aussagen zum Zerstörungsgeschehen auf, besitzt jedoch keine kontextualisierende Wirkung für das vorgefundene Deutungsmuster. Die Bezeichnung nach Kriegsende verweist dagegen auf eine diskurstypische Zäsur, teilweise auch im Umfeld der Widerspruch markierenden Konnektivpartikel allerdings. Die Gegenprobe zur Diskurstypik wurde mithilfe der Schlüsselwörter für die Gattungs-TKs erbracht. Dabei ließen sich Verfestigungen für die präteritalen Passivauxiliare im Vorgangspassiv in Verbindung mit Jahreszahlen nachweisen. Für die wurde/nBelegen wurden die syntaktischen Muster [NN wurde CARD VVPP] und [CARD wurde NN VVPP] identifiziert. Mit den Teil-POS-Konstruktionen für Aufbau- und Zerstörungsverben treten musterhaft die PPen in der Nacht und bis auf die Außenmauern auf. Insbesondere in den Reflexionsgattungen ergaben sich Clusterbildungen, die als Verlustkonstruktion die Wortverbindung nicht mehr enthalten wie in [nicht mehr zu x-en sein]. In der separaten Auswertung der bebilderten Gattungen trat das Adverbcluster heute noch und [heute ... nur noch] hervor, für das im bimodalen Kontext eines Fotobandes ein möglicherweise diskurstypischer Bildkontrast nachgewiesen wurde, bei dem bildlich die Ursache für den Wandel (Konsum, Medien, Globalisierung) ergänzt wird. Zu guter Letzt gab die abschließende POS-Gramm-Analyse Evidenz für die besondere Stellung der infiniten Verbformen im ZAD-Gesamtkorpus. In einem auf relevante Verbformen spezialisierten Auswertungsschritt erweisen sich die zu-Infinitive (insbesondere die adverbialen zu-Infinitive und die Komplementsätze) als signifikant für die früheren Texte der Nachkriegszeit sowie die Reflexionsgattungen. In der Nachkriegszeit werden sie herangezogen, um auf die Zukunft gerichtete Planungen zu formulieren, die eine Situation als wünschenswert kennzeichnen, so dass Pläne erforderlich sind, um Bremen wiederaufzubauen, oder eine Auseinandersetzung nötig erscheint, um eine demokratische Gegenwart zu gestalten. Auch wenn die zu-Infinitive in den Gebrauchstexten quantitativ nicht signifikant sind, ist zu überlegen, ob die in Aufbaukontexten nachgewiesenen Infinitivattribute die adverbialen zu-Infinitive ablösen, weil nun Ziele und Entscheidungen getroffen wurden, die in ihrer Qualität bewertet, aber nicht als Zukunftsprogramm zweckmäßig propositional referenziert werden. Die Beleglage reicht nicht aus, um hier von Verfestigung im Rahmen einer signifikanten Kookkurrenz zu sprechen. Bezogen auf den Ausschnitt der zu-Infinitive lässt sich aber doch eine Verschiebung der syntaktischen Kontexte vermuten. Für die POS-Cluster kann eine Zunahme der nominalen Strategien auf der Zeitachse, aber auch in der Gattungsentwicklung festgestellt werden. Dass Verfestigung schließlich auch auf quantitativer Ebene mit Verlust und Differen-

Diskursgrammatische Konfigurationen 

 351

zierung einhergeht, zeigte sich im Clusterabbau um die Perfektpartizipien. Als Kernkonstruktion bleibt hier in den neueren Texten und Gattungen die Rumpfkonstruktion des POS-Bigramms VVPP VAINF bestehen, zu dem sich die bereits verschiedentlich aufgespürten Kookkurrenten wieder, nicht, sollt/e und konnte/n, erstmals aber auch dass-Komplementsätze, als signifikant erweisen. Der PVMKomplex wird hierbei in heterogener Weise für Rechtfertigungshandlungen eingesetzt. Gegenstände sind die Art und Weise des Aufbaus mit den charakteristischen Vermischungen der Baustile, umstrittene Bauprojekte im Bereich des Neuen Wohnens sowie die Funktionalisierung von Architektur. In einem letzten Auswertungsschritt wurde die Lexik einschlägiger Verben im Diskurs einbezogen. Ihre Verteilung der verbalgrammatischen Gestaltung wurde auf der Skala der Desentenzialisierung (Passivinfinitiv mit Modalverb, zu-Infinitiv, Nominalisierung) eingetragen, um Abwanderungen in die Nominalität zu verfolgen. Der Vergleich zu den finiten Varianten wurde nicht miterhoben, weil es nach einer stichprobenartigen Erhebung so schien, als würden diese Formen weit abgeschlagen hinter den infiniten Pendants rangieren. Die Auswertung führte zu dem Ergebnis, dass sich die Passivinfinitive mit Modalverb für bestimmte Verben auf einem höheren Durchschnittsniveau konsolidieren, d.h. eher genutzt werden als die beiden anderen getesteten Formen. Hierzu zählen die Verben genutzt, wiederhergestellt, realisiert und abgeschlossen sowie (mit geringerer Evidenz) geschaffen, genutzt, errichtet und gebaut. Gleichzeitig nehmen die nominalen Varianten im semantischen Bereich der Aufbauprozesse und -resultate zu, darunter Durchführung, Erweiterung, Wiederherstellung und Errichtung. Aus diesen Befunden lässt sich etwas vergröbernd ableiten, dass die diskursgrammatische Konstellation der Verbalstrategien für Zerstörungs- und Aufbauthema dem Muster wurde zerstört – konnte umgesetzt werden – der Aufbau folgt. Es deutet sich ein verbalgrammatisches Skelett der verknüpften Diskurse Zerstörung und Aufbau an. Ihre syntaktisch motivierten Füller werden im folgenden Abschnitt aus den frameanalytischen Erhebungen abgeleitet. Das bis hierher skizzierte diskursgrammatische Modell gewinnt damit das Potenzial, semantisch-grammatische Bindekräfte auch für metaphorische und/oder idiomatische Einheiten wie in Schutt und Asche liegen oder zum Opfer fallen im K-Profil zu identifizieren.

352 

 Korpusanalysen

6.2 Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau Die bisherigen Ergebnisse zur Verbindung der Zerstörungs- und Aufbauthematik im ZAD deuten darauf hin, dass die Städtezerstörung heute erinnerungspolitisch im Framing der städtischen Neuordnung als erste Phase des Wiederaufbaus gefasst wird. In diesem Abschnitt werden nun Zerstörungsereignisse und Aufbauprozesse aus einer korpusanalytisch vorinformierten Perspektive framesemantisch erfasst. Ausgehend von der Musterbildung partizipialer Verben zur Beschreibung der Zerstörung sowie der Kombinationen aus Passivinfinitiven und Deverbativen für die Prozesse des Neu- und Wiederaufbaus zielt die framesemantische Beschreibung auf eine Ausdifferenzierung der K-Profile. Die Variation sprachlicher Verfasstheit und Einbettung bezogen auf die lexikalischen Varianten zur Städtezerstörung und zum Wiederaufbau bilden den Ausgangspunkt der Frameanalyse, mit der vereinzelt auch das methodische Postulat der Umkehrung von Knotenpunkten eingelöst wird, da die Verbstämme zerstör- und aufbau- nicht mehr als Füller schematischer oder teilschematischer Konstruktionen erscheinen, sondern in verschiedenen Varianten die morphosyntaktische Basis von Kollokationen bilden. Die Untersuchung richtet sich jeweils auf die ausdrucksseitigen Instantiierungen der Frame-Elemente und berücksichtigt anschließend die Integration der Frames im Satzkontext sowie ihre Verknüpfung über den Satzkontext hinaus. Scharnierfunktion zwischen den beiden Frames besitzt die Fokuskonstruktion der PVM-Komplexe, wobei nun die Musterhaftigkeit der Verknüpfung auch für die Zwischenstufen verbal- und nominalgrammatischer Formulierungen getestet wird. Bei der Entwicklung diskursgrammatisch motivierter Konzeptframes zu Zerstörung und Aufbau ergeben sich einige Besonderheiten gegenüber der herkömmlichen Frameerstellung. Wie auch in FrameNet bildet ein deverbales Nomen mit valenziellem Kern den Ausgangspunkt der Framebeschreibung (vgl. Busse 2012:442). Auch sind die Frame-Elemente eng an die syntaktische Realisierung der Komplemente und Supplemente gekoppelt. Dieses Linking soll aber nicht nur im herkömmlichen Satzrahmen und nicht nur in Bezug auf einen Frame, sondern in der Interaktion zweier Frames über die Satzgrenze hinaus untersucht werden. Somit kann eine syntaktische Einheit Füller von Konstituenten unterschiedlicher Frames sein bzw. eine Brücke vom Frame-Element des einen zum Frame-Element des anderen Frames bilden. Frames und ihre kontextualisierenden Beziehungen zwischen ihren Elementen werden damit als kognitive Strukturen aus den Diskurspraktiken heraus identifiziert. Eine Herausforderung ergibt sich an dem Punkt, wo eine Konventionalisierung von Gedächtnisinhalten einsetzt. Dann wird Wissen nicht mehr ausdrucksseitig konstruiert, sondern Sachverhalte und Zusammenhänge werden für das

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 353

Verständnis voraussetzt. Wenn Wissensinhalte ins kollektive Gedächtnis bzw. Unbewusste eingehen, ist es möglich, dass sie von der (sprachlichen) Oberfläche weitgehend verschwinden, unter die Wahrnehmungsschwelle absinken (vgl. Winkler 2008:277) und standardisiert werden. Dies trifft gerade dann zu, wenn Diskursinhalte in grammatischen Gestaltungen aufgehoben werden: Syntaktische oder morphologische Gestaltungsmerkmale sind zwar analytisch identifizierbar, ihre Herausbildung und auch ihre Wirksamkeit ist im Sprachgebrauch jedoch nur selten unmittelbar wahrnehmbar. Die Kontinuitäten und Kontraste, die sie stiften, werden nur bedingt erfasst, so dass ihre spezifische Gestalt als Passivkonstruktion, Nominalisierung etc. i.d.R. hinter dem verschwindet, was sie inhaltlich transportiert. Insofern sich im Laufe der Diskursgeschichte die sprachliche Verfasstheit reduziert, organisiert Sprache ein Vergessen, das Winkler als Vergessen hinein in die Struktur bezeichnet hat (vgl. Kap. 2.2), aus dem diskursgrammatisch ein musterhaftes Arrangement von Kontextualisierungshinweisen hervorgeht. Die verknüpften Formen besitzen das Potenzial, Handlungs- und Wissensrahmen aufzuspannen, indem sie durch verschiedene Arten von Konnektivität und Rektion Wörter an sich binden. Die Oberflächenseite dieser Wissensrahmen entspricht dem K-Profil, das im Falle fortgeschrittener Verdichtung mitunter nur noch minimale (grammatische) Spuren im Kommunikat erkennen lässt. Der gewählte Schwerpunkt auf der sprachlichen Oberfläche schließt eine rein inhaltsorientierte Erfassung der Frame-Elemente in Form von ausdrucksunabhängigen Prädikationen aus. Somit wird jedes Frame-Element durch einen sprachlichen oder sprachbegleitenden Anker repräsentiert, der auch positionell durch seine sequenziell, syntaktisch und topologisch motivierte Umgebung bestimmt ist. Angenommen werden darüber hinaus Kondensationsprozesse, die die sprachbezogenen Spuren soweit verändern, dass sie nicht mehr unbedingt mit ihren ursprünglichen Konstituenten wie Wörtern, Phrasen und Mehrwortverbindungen identisch, aber doch zumindest auf Kerne oder Rumpfkonstruktionen rückführbar sind. Entscheidend für die Beurteilung dieser Transformation aus pragmatischer Sicht sind die Veränderungen in Art, Modalität und Explizitheit der Handlungsmuster, die mit sprachlichen Einheiten vollzogen werden. Beim Anfertigen eines Konzeptframes wird zudem häufig in der Formulierung der Propositionen, die zu den Frame-Elementen gehören, vom Sprechakt und von den Modalitäten der Äußerung abstrahiert (zur Kritik daran vgl. Lönneker 2005:136). Gerade diese beiden Aspekte sind jedoch für die Beschreibung der erinnerungskulturellen Kontextualisierung von hoher Relevanz, weswegen für die ausgewählten ZAD-Belege flankierend zur Annotation der nominal-/verbalgrammatischen Gestaltung auch die Art der Diskurshandlung untersucht wird (Reflexion, Kritik, Rechtfertigung, Beschreibung etc.).

354 

 Korpusanalysen

Für die formale Reduktion der Formen werden inhaltliche Verfestigungen somit nicht nur auf der Ebene der Repräsentation von Wissen angenommen – die zudem als abstrakte Inhalte des Gedächtnisses schwer nachweisbar sind.231 Was sich einschleift, sind vielmehr Haltungen und Meinungen zum verlorenen Krieg, zu Befreiung und Wiederaufbau von Städten und gesellschaftlichem Leben. Diese Deutungsmuster, die in den Ereignisbezeichnungen für das Kriegsende als Katastrophe, Wende oder Neuanfang explizit zum Ausdruck gebracht werden, kondensieren in weniger ambiger Weise durch morphologische oder phraseologische Einheiten, die als mögliche Ankerpunkte für konventionalisierte Sichtweisen auf die städtespezifische Nachkriegsgeschichte methodisch gezielt ausgewählt werden. Die semantische Verdichtungsoperation der Metapher mag dabei als Indikator für eine interpretatorische Zuspitzung im Diskurs gewertet werden, da sie neben anderen subliminalen Zeichen für inhaltliche Verfestigungen das Vergangene im Dienste einer (Des-)Orientierung für die Zukunft aufruft. Aus diesem Grund hat Freud die Metapher als Produkt der Verdrängung aufgefasst, da sie, indem sie Bedeutungsaspekte in den Vordergrund rückt, Sinn soweit chiffriert, dass sich spezifische Entstellungen ergeben. Insofern ist die Metapher in der Untersuchung gesellschaftlicher Erinnerungskulturen als Zeichen abgewehrter Inhalte im kollektiven Unbewussten interpretierbar.

6.2.1 Die Zerstörungsereignisse im Spiegel der Ereignisbezeichnungen für das Kriegsende Welche Gestalt diese Zukunftsentwürfe haben und in welchem Netzwerk aus frameinduzierenden Hinweisen sie sich befinden, wird in diesem Abschnitt konkretisiert. Dabei behält die diskursgrammatische Methodologie, auch wenn sie sich semantisch ausrichtet, ihre Analyserichtung bei und fasst alle Frame-Konstituenten als valenzielle, rektionale oder konnektorische Ausdrucksgestalten auf. Was die Framesemantik für die Diskursgrammatik leistet, ist eine Strukturierung desjenigen Feldes, das durch Kontextualisierungshinweise und ihr Netzwerk eröffnet wird und das hier in Anlehnung an das korpuslinguistische Konzept des Kookkurrenzprofils als Kontextualisierungsprofil bezeichnet wurde. Es kookkurrieren darin nicht nur Wissenseinheiten, die einer (historischen) Reflexion

231 So ist nicht belegbar, dass die Mehrheit der Rezipienten den Ereignisrahmen kennen, der mit der Jahreszahl 1945 aufgerufen wird. Vielmehr ist anzunehmen, dass viele Bürger, vor allem Zugewanderte oder Kinder, nicht umfassend über die Kontexte und Ursachen der Städtezerstörung und über das Kriegsende als Wendepunkt der deutschen Geschichte informiert sind.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 355

zugänglich sind, sondern auch solche, die als gesellschaftlich Unbewusstes produziert oder als „Eigengesetzlichkeit“ (Erdheim 1988:169) wirksam werden.232 Dieses „Es in der Geschichte“ ist als nicht organisierte, anarchische Instanz nicht nur dafür verantwortlich, dass Traditionen fortgesetzt werden, die dazu neigen, „das Neue zu erdrosseln und auf diese Weise die Geschichte erstarren zu lassen“, sondern auch dafür, dass Neues in die Geschichte eintritt, das „nicht in Zeit und Raum geortet werden kann“ (Erdheim 1988:170). Erst die (in der Adoleszenz angekurbelte) Es-Bewegung bringt Wandel für Kultur und Gesellschaft. Übertragen auf die sprachlich vermittelte Institution des kulturellen Gedächtnisses bedeutet dies, dass die Mechanismen des Unbewussten (insbesondere metaphorische Verdichtung und metonymische Verschiebung)233 als Bedingung für erinnerungskulturellen Wandel direkt dort am Werk sind, wo Erinnerung fabriziert, verändert und weitergegeben wird. Wenn keine Zeitzeugen mehr existieren, geschieht dies vorwiegend in Texten. Die „Neuerungskräfte“ haben die Funktion, ausgewählte Deutungsaspekte hervortreten und andere verblassen zu lassen. Auf der lexikalischen Ebene entstehen neue Konzept über variierende Bezeichnungen. An den Bezeichnungsvarianten für das Kriegsende ist für das ZAD der drei Städte auf den ersten Blick nachzuvollziehen, dass in den letzten 70 Jahren auch über Ausdrucksvariation unterschiedliche Aspekte dieses einschneidenden Datums aufgerufen wurden (vgl. Tab. 36). Neben den absoluten Vorkommen für die einzelnen Städte wurden zusätzlich die prozentualen Angaben im Verhältnis zur Gesamtzahl der Dokumente erhoben, die in Paderborn etwas höher liegt als in Mannheim und Bremen. Durch einen verstärkten Rahmen wurden die Ergebnisse markiert, bei denen jeweils der höchste Wert im Städtevergleich erzielt wurde und die Bezeichnung in mindestens 20 Prozent, d.h. einem Fünftel aller Dokumente des TK, auftritt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Vorkommen anteilsmäßig sehr dicht beieinanderliegen. Das Ergebnis bietet somit keine valide Basis, um Unterschiede in der gedächtnispolitischen Bewältigung der Themen anhand der Frequenzen für die Bezeichnung des Kriegsendes festzustellen. Allerdings sind Tendenzen erkennbar: In Bremen wird die Vokabel der kanonischen Deutung des Kriegsendes als Befreiung am häufigsten genannt, in Paderborn kreist die Auseinandersetzung eher um

232 Doch nicht alles, was mit den gesellschaftlichen Normen nicht in Einklang gebracht werden kann, gehört dem gesellschaftlich Unbewussten an. Diese Zuordnung bezeichnet Erdheim (1988:169) kritisch als kulturalistische Auffassung. 233 Freud (1916/17:178ff.) nennt in seiner 11. Vorlesung im Abschnitt über die Traumarbeit darüber hinaus als Mechanismen, die im Unbewussten wirksam sind, die Verkehrung ins Gegenteil sowie die Verbildlichung.

356 

 Korpusanalysen

die katastrophale Situation, die als Kapitulation und Untergang bezeichnet wird, während in Mannheim der Zusammenbruch und die Niederlage etwas häufiger als Neubeginn gedeutet werden. Tab. 36: Frequenzen der Ereignisbezeichnungen für das Kriegsende im ZAD-Gesamtkorpus sowie im Städtevergleich Ereignisbezeichnungen

Anzahl Anzahl Tokens234 Dokumente (Dispersion)

Dokumente HB (Σ 48)

MA (Σ 43)

PB (Σ 55)

HB in %

MA in %

PB in %

transformativ Niederwerfung

2

1



2



0

5

0

Niederlage

74

33

12

12

9

25

28

17

Kapitulation

115

35

11

7

17

23

17

31

Unterwerfung

7

7

2



5

5

0

10

Wendepunkt

6

5

2

2

1

5

5

2

Bruch

19

15

6

6

3

13

14

6

Stunde Null

27

9

3

4

2

7

10

4

Katastrophe

169

47

13

15

19

28

35

35

Untergang

48

23

7

5

11

15

12

20

Zusammenbruch

97

39

12

14

13

25

33

24

Zerfall

11

9

4

5



9

12

0

132

36

16

12

8

34

28

15

291235

(89)

(24)

(30)

(35)

(50)

(70)

(64)

telisch

Befreiung Anfang

234 Berücksichtigt wurden in der Zählung auch die in geringem Umfang auftretenden Komposita (mit dem Ausgangswort als Determinans und/oder als Determinatum) 235 Von der Gesamtzahl (688 Tokens) abgezogen werden mussten als falsch positive Treffer Mehrwortphraseme zur zeitlichen Einordnung anhand der Belege mit den drei Kollokatoren Jahre, Jahrhunderts und CARD in rechtsseitiger 6-Wortumgebung: Jahre (115; z.B. Anfang der 40er Jahre), Jahrhunderts (51; Anfang des 20. Jahrhunderts) und CARD (231; Anfang Mai 1945). In den Kardinalzahl-Treffern sind die als Adjektive kategorisierten Einheiten 40er nicht enthalten, so

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

Neubeginn Geburtsstunde

 357

59

31

8

14

9

17

33

17

4

3

2

1



5

3

0

Diese Eindrücke sind insbesondere deswegen mit den Einbettungskontexten abzugleichen, da die Lesarten diagnostischer Vokabeln in erheblicher Weise durch pragmatische Faktoren (affirmativer, anzweifelnder, ablehnender Gebrauch etc.) gesteuert werden.236 So wird beispielsweise der Ausdruck Stunde Null in den neueren Geschichtsdarstellungen selten ohne Modalisierer wie Anführungszeichen oder Distanzmarker wie so genannte verwendet. Sie signalisieren einen Begriffsvorbehalt und verweisen auf den Beitrag dieser Deutungsweise z.B. zur Verdrängung von Naziverbrechen, aber auch auf den breiten kritischen Diskurs dazu, an dessen Ende die Vokabel Wendepunkt (vgl. Kap. 3) als alternative Bezeichnung jenseits der Unterstellung von Kollektivschuldvorwürfen gestanden hat. Selbst die nicht modalisierte vehemente Ablehnung („Es gab keine Stunde Null!“ HB 2005 DOK Müller, 189) oder die polarisierende Frage („‚Zusammenbruuch‘ (sic) oder ‚die Stunde Null‘? ‚Befreiung vom Faschismus‘ oder ‚bedingungslose Kapitulation‘?“ HB 1985 Sge Wollenberg, I, Vorbemerkung des Herausgebers) belegen eine diskursgeschichtlich aufgeladene Verarbeitung der Kategorie, die außerdem die weit verbreitete Skepsis über einen angemessenen Bezug auf die Geschichte vor 1945 jenseits von Mythen und Verklärungen demonstriert. Nicht selten gerinnen die Bezeichnungen zu Zentralvokabeln einer kritischen Distanzierung, z.B. wenn sich die Bezeichnung Stunde Null am anderen Pol des Zusammenbruchs befindet, wenn sie mit Attributen eines Neuanfangs spezifiziert wird wie in (1) oder das Diktum des Bundespräsidenten von Weizsäcker 1985, es habe keine Stunde Null gegeben, zitiert wird, um die politischen Bedingungen hervorzuheben, die die Nazi-Diktatur ermöglicht haben. Der Stunde Null wird oft die Interpretation einer Wende/Wendezeit entgegengesetzt, die Kämper (2005:474) zum Sprachgebrauch des Nichttäterdiskurs rechnet. Mit der Ereignisbezeichnung Stunde Null ist auch der SchlussstrichDiskurs assoziiert, für den wiederum die Vorstellung einer Kollektivschuld Vor-

dass es nicht zu Überschneidungen mit dem Kollokator Jahre kommt. Es ergibt sich nach diesem Abzug eine bereinigte Summe von 291 Belegen. 236 Allein in Mannheim finden sich für das Lexem Neubeginn vier Kontexte innerhalb von Literaturangaben, die abzuziehen wären. Für die Befreiung müssten die attributiven Slots ausgewertet werden, um zu ermitteln, ob es sich um die Befreiung von Lagerinsassen und Kriegsgefangenen oder um die Befreiung vom Nationalsozialismus handelt.

358 

 Korpusanalysen

aussetzung ist, mit der sich viele Deutsche von der Besatzungsmacht drangsaliert fühlten, insbesondere diejenigen, die die Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten als Schikane empfanden. Die Behauptung und Instrumentalisierung dieses Kollektivschuldvorwurfs nennt Frei (2009:47) Ausdruck von „Solidarisierungsbedürfnissen“ und Grundlage „jeglichen vergangenheitsbezogenen Redens und Handelns der politischen Klasse der Bundesrepublik“ weit über die fünfziger Jahre hinaus. Er weist ebenso auf das Paradox hin, dass es in der Praxis der dann folgenden politischen Säuberung doch gerade nicht um kollektive, sondern um individuelle Schuld gegangen (sei); die Entnazifizierung, also das bürokratische Verfahren der massenhaften Prüfung von Einzelfällen, war dafür im Grunde der beste Beweis.

Dass selbst Nazifunktionäre als Entnazifizierungsgeschädigte auftreten konnten, wird in (1) über das eingeklammerte Ausrufezeichen mit Empörung berichtet. Expliziert wird Kritik an personellen und damit ideologischen Kontinuitäten vor dem Hintergrund eines überzeichneten Kollektivschuldvorwurfs, worauf sich der Wunsch nach einem Neuanfang gründet. Die Verschiebung des Diskursfokus von den Verbrechen in der Nazidiktatur auf die „Taten“ der Besatzer – die mit peinlichen Verhören und anderen unangenehmen Maßnahmen die Beteiligung am Unrechtsregime ermittelt haben und so einer breiten Bevölkerung eine Kollektivschuld anlasteten – ist Teil jener „Verdrängungsstrategie“, die womöglich die rasche Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Lebens „erfordert“ und ermöglicht hat. Die Belege zeigen außerdem, wie auch die kritische Verwendung der Bezeichnung Stunde Null für das Deutungsmuster der Schuldverdrängung (1) und damit für die Bestätigung, wenn nicht der Kollektivschuld, so doch zumindest einer weiterhin ungeklärte(n) Schuldfrage, sowie für die Akzentuierung der eigenen Verlust- und Opfererfahrung (2) in Anspruch genommen werden kann. Dabei befindet sich die Passage aus der Paderborner Stadtgeschichte (2) im Kapitel „Orientierungen und Weichenstellungen vor dem Hintergrund der „Stunde Null“: (1) Die nicht nur von rechten Randgruppen der Bevölkerung erhobene Forderung nach einem „Schlussstrich“ verband sich mit dem weit verbreiteten Gefühl der „Stunde Null“ eines Neuanfangs. Dieser Schlussstrich-Forderung standen jedoch die weiterhin ungeklärte Schuldfrage, die strafrechtliche Be- und Verurteilung der Täter sowie die notwendige mentale Neuorientierung im Wege. [...] Dem Gesetz zur „Wiedergutmachung“ gingen etliche Gesetze voraus, die es ermöglichten, die alten „Eliten“ und Nazi-Funktionäre zu rehabilitieren. „Höhepunkt war das sog. 131-er Gesetz, nach dem Hunderttausende sog. „Entnazifizierungs-geschädigter“ (!) ein Rückkehrrecht auf ihre früheren Positionen“ erhielten.Fn (HB 2007 DOK Lohse, 14f.)

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 359

(2) Nur wenige Tage vor dem Einmarsch der Alliierten erlebte Paderborn dann am 27. März 1945 einen letzten, den schwersten Luftangriff; mehr als 340 der noch in der Stadt verbliebenen Bürger starben in den Trümmern der nunmehr zu rund 85% zerstörten Altstadt. „Die Karwoche brachte das gänzliche Ende des alten Paderborn“, so faßte wiederum Rintelen den Gesamteindruck zusammen, der in zahlreichen Zeitzeugenberichten wiederkehrt.Fn In anderen Schilderungen heißt es, Paderborn sei „beinahe dem Erdboden gleichgemacht“ und in ein „Neupompeji“ verwandelt worden.Fn [...] Als Symbol des Untergangs galt überdies die „brennende Fackel“ des Domturmes, der wie die gesamte Kathedrale nach dem 27. März in Trümmern lag.Fn [...] Der Einzug der Amerikaner wurde von der deutschen Bevölkerung buchstäblich als „Stunde Null“ empfunden, wenngleich sich im Rückblick heraussteilen sollte, daß diese Bezeichnung der historischen Analyse nicht standhält.Fn (PB 1999 Sge Hüser, 255–257)

In den Belegen wird mit der Bezeichnung Stunde Null eine weit verbreitete Gefühlsrealität reklamiert, die sich primär auf die Erfahrung der physischen Vernichtung des städtischen Umfelds bezieht. Diese erhält jedoch zugleich eine symbolische Dimension. Zwar bestätigt sich das Wissen um eine wenig erfolgreiche, allzu akribisch angelegte und letztlich im Eilverfahren beendete Entnazifizierung, die von Amnestie-Gesetzen flankiert war und Alt-Nazis in hohe Positionen zurückgebracht hat. Gleichsam aber erweist sich die Formel der Stunde Null als probate Beschreibung einer Gefühlswirklichkeit der Nachkriegszeit: Das Gefühl (1) und das Bewusstsein (...) der ‚Stunde Null‘ (2) liefern Begründungen für die weit verbreitete Haltung, unter die Kriegszeit einen Schlussstrich zu ziehen. Das Ende oder auch der Bruch mit der Geschichte ist als Deutungsmuster ebenfalls in der Beschreibung der sichtbaren Zerstörung angelegt, so dass in der Sicht auf die Trümmer ein Pfad zur Deutung des Kriegsendes entsteht. Dabei soll es in Paderborn tatsächlich Ende und Untergang der Stadt einläuten, was die Metapher Neupompeji unterstreicht. Demgegenüber steht die Bezeichnung Stunde Null im Bremer Stadtdiskurs eher im Zeichen einer kritisch gewürdigten Schuldverdrängung der (frühen) Vergangenheitspolitik. In einem Mannheimer Beleg wird die Begriffskritik ebenfalls genutzt, um die Deutung des Kriegsendes als Befreiung zu begründen, allerdings bestätigt Oberbürgermeister Gerhard Widder in seinem Geleitwort im Katalog zur Ausstellung des Mannheimer Stadtarchivs „Mannheim 1945–49. Der Anfang nach dem Ende“ die Gefühlskategorie Geschmack der Niederlage und beschreibt die Schwierigkeit, demokratische Strukturen aufzubauen angesichts der Tatsache, dass der Nationalsozialismus das kulturelle Leben weitgehend deformiert hat. (3) In der Tat beginnt die „Nachkriegszeit“ mit einem Schlußpunkt, der hier ganz bewußt nicht als „Stunde Null“ aufgefaßt wird. Denn der Wieder- bzw. Neubeginn nach 1945 läßt sich nur aus der Kontinuität der Geschichte begreifen. [...]

360 

 Korpusanalysen

Im gesamten öffentlichen und privaten Leben hatten die zwölf Jahre Diktatur tiefe Spuren eingegraben. Die organisierte Arbeiterbewegung, ja alle demokratischen Traditionen waren zerschlagen, das kulturelle Leben deformiert, eine ganze Generation im Geiste des Nationalsozialismus herangewachsen. Die Befreiung von der Terrorherrschaft durch die Alliierten wurde wohl mehrheitlich mit Erleichterung aufgenommen; aber es blieb der Geschmack der Niederlage. [...] Der materielle Wiederaufbau ist in einem Maße geglückt, wie es 1945 kaum einer für denkbar gehalten hatte. (MA 1995 KAT Peters, 5, Geleitwort)

Der im doppelten Wortsinn geglückte Wiederaufbau wird als Zeichen der Ermutigung für die Zukunft gewertet, bei der die materiellen Leistungen auf die Möglichkeiten der politischen Gestaltung übertragen werden. Die Lehre aus der NS-Zeit ist eine, die die aufgebaute Stadt trotz empfundener Niederlage bis heute ausstrahlt. Sie soll Zeugin und Zukunftsgarant einer demokratischen Neuordnung sein und ordnet das Zerstörungsereignis als Vorgeschichte ihres neuen Glanzes ein. Mit der Wiederaufbauperspektive auf die Städtezerstörung bleibt die Deutung der Stunde Null intakt – trotz der hinlänglich bekannten Anknüpfungen an Pläne der Kriegs- und Vorkriegszeit sowie der Zurückweisung von Verantwortung, die aus der Schlussstrich-Haltung hervorgehen.237 Diese Beobachtung stützt sich auf folgende Grundannahmen: 1. Die Zerstörung wird diskursgrammatisch als Ergebnis unrechtmäßiger Handlungen und als Ende der (materiellen) Stadt aufgefasst. 2. Der gemeinschaftliche Aufbau wird in einem nominal vergegenständlichten Wiederaufbau resultativ eingefroren und mit dem semantischem Wert ‘stolz’ aufgeladen. 3. In der Verknüpfung von Aufbauleistung und Demokratisierung wird mithilfe der materialisierten Aufbauwerke eine Faktizität eingeführt, die das Scheitern der Vergangenheitsbewältigung in den Hintergrund treten lässt. Die „Mutmach-Geschichte“ vom Städteaufbau hat den Blick auf die Städtezerstörung als Endpunkt eines Geschehens und als Bruch (vgl. Hausendorf/Gülich 2000: 374) mit der Normalität städtischen Lebens zur Voraussetzung. Das als staunenswert inszenierte Ereignis des (raschen) Aufbaus setzt einen narrativen Prozess in Gang, der bis in die Zukunft ausstrahlt und dessen evaluative Pointe darin besteht, die (wirtschaftliche, stadtplanerisch entworfene) Funktionalität des Wiederaufgebauten schön zu finden. Dieser evaluative Wahrnehmungseindruck wird weniger aufgrund der Stile und Formen vermittelt, in denen ein

237  Die Kritik an dieser Umgangsweise mit Verbrechen der NS-Vergangenheit entzündete sich u.a. an der Praxis der Wiedereinstellung von NS-Tätern, die in – später oft an deutsche Beamte übergebenen – Entnazifizierungsverfahren zu Mitläufern amnestiert wurden.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 361

Gebäude aufgebaut wurde, als vielmehr weil es, wenn auch verändert oder vereinfacht, wiedererrichtet worden ist. Die Evaluation stellt nach Gülich (2008:408), die sich hierbei auf Labov (1972) bezieht, den „point of the narrative“ heraus, der die Ereignisse „reportable“ macht und verhindert, dass der Hörer mit „So what?“ reagiert. Gülich (2008:408) hebt für die gesprächsanalytische Sicht auf Faktoren der Bewertung hervor, dass sich die Erzählwürdigkeit einer Geschichte nicht auf Fakten stützt, sondern auf die (inter-)subjektive Bedeutsamkeit ihrer einzelnen Inhalte für den Erzähler und die Gesprächsteilnehmer, die die Geschichte interaktiv herstellen. Die interaktionale Perspektive der Praktiken lässt sich auf die Bewegung des Lesers im Raum übertragen. Mit der Wahrnehmung des Stadtraums als funktionalem „Organismus“ kann der Rezipient historischer Gebrauchstexte das Erzählte verifizieren. Die narrativen Versatzstücke machen die Aufbauarchitektur zum Ort der Aneignung von Geschichte und Subjektivität. Diskursgrammatisch sei an dieser Stelle an die beschwichtigenden Rechtfertigungshandlungen (4) und die Erfolgsnarrativierung (5) durch die PVM-Konstruktion mit können erinnert. (4) So konnten ohne wesentliche Beeinträchtigung der bebaubaren Fläche die Heiersstraße und die Westernstraße den neuzeitlichen Verkehrsverhältnissen angepaßt werden. (PB 1955 DOK Schmidt, 14) (5) Trotz einer niedergedrückten Stimmung konnten bis Jahresende 1945 immerhin 1700 Wohnungen mit über 5000 Wohnräumen ausgebessert und neu hergerichtet werden. (MA 1995 KAT Peters 171)

Es lässt sich festhalten, dass die erinnerungskulturelle Stoßrichtung der städtischen Diskurse über Schlüsselwörter allein kaum greifbar wird. Dies liegt aber nicht nur daran, dass sich die Frequenzprofile insgesamt sehr ähneln, sondern auch daran, dass eine einsinnige Zuordnung der Deutungsmuster kaum möglich ist. Die kontextuelle Einbettung der Ereignisbezeichnungen erlaubt also gerade keinen direkten Rückschluss auf die Zuordnungen von Topoi wie Neubeginn für Mannheim, Kapitulation für Paderborn und Befreiung für Bremen. Ein entscheidendes Ergebnis der Übersicht in Tab. 36 scheint mir jedoch zu sein, dass weder zwischen den Städten noch zwischen den transformativen und telischen Deutungsvokabeln des Kriegsendes signifikante Unterschiede erkennbar sind – so liegen quantitativ die Lexeme Katastrophe, Zusammenbruch, Befreiung und Neubeginn etwa gleich auf. Daher ist von einer verknüpften Musterbildung auszugehen, bei der ambivalente Begriffsverwendungen für die meisten erinnerungspolitischen Zentralvokabeln die Regel sind (vgl. Kap. 3.1). Insgesamt kristallisieren sich Verfahren heraus, die die Katastrophe narrativierend als Voraussetzung für den Neubeginn gestalten.

362 

 Korpusanalysen

Auffallend ist das geringe Vorkommen des Lexems Wendepunkt im ZADGesamtkorpus, das zumindest ausdrucksseitig im Grunde keine Rolle für die Bezeichnung der politischen Wende in der Nachkriegszeit spielt.238 Für das Lexem Wende ergibt sich ein ähnliches Bild. In den 33 Belegen für das ZAD wird mit der Bezeichnung mehrfach auf die Maueröffnung 1989 rekurriert. Schließlich sind auch die weiteren so bezeichneten Wendeereignisse wie die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 (MA 2007 TAF, B2, 10), der deutsch-russische Nichtangriffspakt 1939 (MA 1950 SG Walter, 241) oder die Eichmann-Prozesse (HB 2007 DOK Lohse, 37) eben gerade nicht mit der Schlussphase des Kriegs oder der frühen Nachkriegszeit assoziiert. Falls dieses Deutungsmuster wirksam ist, dann nicht über das Schlüsselwort Wende, in dem Kämper (2005:176) ein begriffliches Schibboleth für den zeitkritischen Diskurs der Nachkriegsgegenwart erkennt. Seine interne Zeitstruktur hat dabei drei Ankerpunkte: Fluchtpunkt ist die Gegenwart, diejenige Zeit im Sinn von „Zeitpunkt“, die in dem Deutungsmuster Wende ebenso aufgehoben ist, wie Vergangenheit und Zukunft. Insofern also laufen in dem Begriff der Wende die drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Von diesem Zeitpunkt der Wendezeit aus überschaut man gleichzeitig das „Nicht mehr“ der Vergangenheit, das „Jetzt“ der Gegenwart und das „Bereits wieder“ der Zukunft. (Kämper 2005:176)

Abweichend von dieser Einschätzung scheint sich der heutige Diskurs auf zwei Zeitstellen hin verengt zu haben. Mit dem Vorherrschen einer telischen Semantik des Neubeginns und Wiederherstellens, die das Transformationsereignis als ihre Voraussetzung usurpiert, wurde aus der Matrix das „Jetzt“, die dynamische Instanz eines am Laufen gehaltenen Erinnerungs- und Gestaltungsprozesses getilgt. Damit sind das „Nicht mehr“ und das „Bereits wieder“ nicht mehr direkt in Kontakt, so dass dem „Jetzt“ oftmals nur ein defizitäres Früher gegenübersteht.

6.2.2 Zerstörung und Aufbau – lexikalische und grammatische Variation Zunächst einmal sollen die Bezeichnungsvarianten der beiden Verben zerstören und aufbauen erfasst werden, um den sprachlichen Rahmen für die Frameerstellung abzustecken. Dafür wird vor allem das Duden-Fremd- und Synonymwörter-

238 Bezeichnet werden so der militärische Wendepunkt mit dem Ende der 6. Armee in Stalingrad (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 377), ein Wendepunkt in der Bewertung des Ersten Weltkriegs (MA 1997 BIB Schadt, 175) sowie ein Wendepunkt in der zeitgeschichtlichen Betrachtung des Bombenkriegs (PB 2008 SGe Westhoff, 47).

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 363

buch hinzugezogen. Die Listen in Tab. 37 und 38 erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihnen liegt kein umfassendes Annotationsverfahren der Korpustexte zugrunde. Zur Erfassung aller syntaktischen Wortformen wurde eine POS-Suche ohne Einzelprüfung der Belege eingesetzt. Für alle verbalen Einheiten sind starke und schwache Verbstämme berücksichtigt worden. Bei der Zuordnung der Partizipien (VVPP) ist zu beachten, dass bei einigen Verben der perfektive (hatten überstanden), bei anderen der passivische (wurden errichtet) und bei wieder anderen der prädikative Gebrauch (waren gestorben) überwiegt. Lexikalisch sind die verbalen Basen, die zur Bezeichnung der Zerstörung von Menschenleben, konkret der Ermordung der europäischen Juden (neben ermorden, auch vernichten und liquidieren), und auch zur Bezeichnung der Zerstörung jüdischer Kulturgüter verwendet werden (vgl. Tab. 37), von denen zu trennen, die der Beschreibung des Städtebombardements und seiner Folgen dienen. In dieser Hinsicht kontextualisierend wirken auch die Verben töten und sterben, die dem Bezug auf menschliche Opfer vorbehalten sind, sowohl infolge des Holocausts als auch des Luftkriegs. Eine besondere Gruppe bilden die Zerstörungsverben, die als Ursache die zerstörerische Kraft des Feuers hervorheben: Dazu gehören die Verben niederbrennen, verbrennen und auslöschen. Zugeordnet wurden hier auch die damit verbundene Aktualisierung subjektiv empfundenen Leids (erleiden, leiden, erdulden), das nun auch der städtischen Persona zugeschrieben wird. Bevor diese besonderen semantischen Akzentuierungen in metaphorische Kontexte einsortiert werden können, wurde zunächst nach Musterhaftigkeiten in der grammatischen Gestalt der Verben zur Bezeichnung der Städtezerstörung und des Aufbaus gesucht. Unter den Partizipien, die am häufigsten zur Beschreibung der Zerstörung eingesetzt werden,239 rangiert zerstört an erster Stelle gefolgt von beschädigt und vernichtet. Ähnlich hoch ist der Anteil für die NN Zerstörung/en sowie Brand/ Brände als direkte Verursachungsbezeichnungen. Zweistellige Belegzahlen weisen Partizipien der Verbrennungsverben aus, darunter gebrannt, verbrannt, ausgebrannt, niedergebrannt sowie das Partizip 1 brennend. Auffällig hoch sind die metaphorischen Strategien zur Beschreibung der Zerstörung, hier ist erleiden in finiter Form Spitzenreiter mit über 100 Belegen gefolgt von erdulden sowie Leiden in nominaler Form (49). Im Vergleich dazu wird die Ermordung verfolgter Gruppen als Vernichtung beschrieben mit 119 Belegen für VVPP vernichtet und 43 für finite Verbformen, vereinzelt als Liquidierung. Das Leiden der Menschen hingegen wird perfektiv als getötet und passivisch als gestorben aktualisiert. Im Aktiv sind die Anteile der Zerstörungsverben deutlich geringer (vgl. Tab. 37), nur

239 mit teilweise hohen dreistelligen Belegzahlen

364 

 Korpusanalysen

selten wird versprachlicht, wer etwas zerstört, bombardiert oder angegriffen hat. Lediglich beim ergativen Verb brennen mit non-agentivem Subjekt liegt der Anteil der finiten Formen höher als der der Partizipien und Infinitive. Die Angreifer selbst sind am häufigsten nominativ gefasst innerhalb der Nomen Angriffe (882), Luftangriffe (657), Bomben- (160), Terrorangriffe (68) und zahlreichen weiteren Angriff-Komposita wie Nacht-, Minen-, Überraschungs- und Tieffliegerangriffe (362). Eine mittelhohe Trefferquote240 zeigt sich für die Verben und Phraseme in Schutt und Asche legen/versinken/bombardieren (52), zusammenbrechen (57), zerschlagen (48), zum Opfer fallen (44), zertrümmern (27), zerbomben (18), (aus-) tilgen (17), dem Erdboden gleichmachen (15) und in Trümmer legen (14). Vereinzelte Belege finden sich für zugrunde richten, ausradieren, ruinieren, tilgen und auslöschen. Die Verteilung der Bezeichnungsvarianten im semantischen Bereich der Aufbauarbeiten zeigt im ZAD-Gesamtkorpus eine Prävalenz der Nominalisierungen für (Auf-/Wieder-/Neu-)Aufbau, Gestaltung, Rekonstruktion, Gestaltung241 und Wiederherstellung. Gleichermaßen sind aber auch die partizipialen Vorkommen vor allem im Verbkontext (Passiv) für aufgebaut, wiederhergestellt etc. hoch. Für errichten, erbauen und erschaffen hingegen dominieren die Partizipien im verbalen und adjektivischen Kontext. Sie befinden sich außerhalb der typischen ZADKontexte und liegen semantisch im Bereich der allgemeinen Stadtentwicklung. Im Aktiv fällt wiederum der körpermetaphorische Gesundungsausdruck überstehen242 auf, der finit und partizipial mit jeweils 41 und 74 Treffern zu Buche schlägt. Das ebenfalls antonymische unversehrt sein/bleiben kommt auf 32 Belege. Da die absoluten Frequenzen der lexikalischen Varianten jeweils schwer vergleichbar sind, wurde mit einem grobkörnigen Zugriff auf die Belegzahlen das Verhältnis der Formen für die häufig vertretenen grammatischen Varianten in beiden semantischen Feldern erhoben (vgl. Tab. 37). Hierbei muss für die nominalen Formen zwischen den Bildungen unterschieden werden, die eine rein prozessuale (wie Erneuerung) bzw. eine nur konkrete Bedeutung (wie Brand) haben und solchen, die beide Verwendungsweisen zulassen (wie Zerstörung), die teilweise gleichzeitig eingelöst werden. Insgesamt ist festzustellen, dass die modalisierten Infinitive für diese Verben kaum ins Gewicht fallen. Etwas anders verhält

240 Angegeben sind alle verbalen und adjektivischen Verwendungsweisen. 241 Hochfrequente Komposita sind Neugestaltung, Umgestaltung, Ausgestaltung, Wohnbaugestaltung, Stadtbildgestaltung, Gesamtgestaltung, Fassadengestaltung; abgezogen wurden 19 Komposita wie Freizeitgestaltung und Umschlaggestaltung. 242 Hingegen existiert für das weit plastischere überleben kein Belege im städtebaulichen Kontext.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 365

es sich mit den finiten Formen, die zwar für die Aufbauverben, insbesondere für errichten und bauen, weit hinter den Zahlen für adjektivische und partizipiale Formen zurückbleiben, aber immerhin 12–20 Prozent der Belege ausmachen. Hinzu kommt eine geringe Menge an Perfektbelegen, die zusammen mit den Passivvorkommen unter VVPP einsortiert worden sind.243 Tab. 37: Zahlenmäßige und prozentuale Verteilung der hochfrequenten Verbformen/-stämme von Verben aus den semantischen Feldern Zerstörung und Aufbau, durch graue Rahmung hervorgehoben sind auffällige und im nachfolgenden Teil diskutierte Werte POS-Tags Bezeichnungsvarianten

PTKZU VVINF

VVFIN

VVINF

VVPP

NOM (inklusive Komposita)

ADJA

Anz. in % Anz. in % Anz. in % Anz. in % Anz. in % Anz. in % zerstören

127

5,2

24

1

12

0,5

brennen

123 23,2

4

0,8

3

0,6

ausbrennen245

64 41,6

0

0

0

0

in Schutt und Asche VV

47 90,4

0

0

0

0

beschädigen

29

6,2

3

0,7

4

errichten

166 19,4

54

6,3

(neu) bauen

128 11,9

29

2,7

aufbauen neu aufbauen

885 35,9 586244 23,8 61 11,5 90 (P1) 35 22,8

–246

0

0

0,9

287 60,9

99

21

60

7

319 37,1

132 15,4

129

40

3,7

197 18,2

168 15,5

522 48,2 Bauen/s (70) Neubau/s

3,1

5,8

23

4,5

16

0

0

4

4

0

64 18,2

63 12,22

6

1,2

10

3

2

10

1

0,3

15

4,3

165 46,8

108 30,6

erneuern

7

6,5

0

0

0

0

22 20,4

20 18,6

umbauen

3

1,8

0

0

5

2,9

29 16,8

18 10,5

(neu) erbauen

250 47,1 Brand/Brände

9,7

30

5

17

55 35,8

832 33,8 Zerstörung/en

– 50 10,6 Beschädigung/en 15 Errichtung

382 73,5 Aufbau/s 85

83 Neuaufbau/s

– 59 54,7 Erneuerung 118 68,3 Umbau/s

243 Partizipialbelege erweisen sich als besonders anfällig für Fehlkategorisierungen, wenn die Verbklammer durch Einschübe und Attributsätze unterbrochen ist oder das Auxiliar weit entfernt steht. 244 Darin enthalten sind 19 Komposita (kriegszerstört, teilzerstört, bombenzerstört), 5 Belege für unzerstört und 3 für zerstörerisch. 245 Partikelverben ließen sich bei geringerer Trefferzahl (< 100) händisch zählen und wurden ansosten über eine rechtsseitige Kollokatoranalyse (8R) ermittelt; zusätzlich wurden alle Verbletztbelege über die Suchanfragen „ausbrenn*_VVFIN“ und „ausbrann*_VVFIN“ jeweils mit Präsens- und ggf. mit Präteritalstamm erhoben. 246 Der Strich bedeutet, dass keine geeignete nominale Variante existiert.

366 

 Korpusanalysen

wieder(-) aufbauen

1

0,1

11

1,1

6

0,6

124 11,8

35

3,4

wieder­ herstellen

1

0,4

2

0,8

2

0,8

85 32,1

21

8

875 83,2 Wieder­ aufbau/s 154 58,2 Wieder­ herstellung

Für die Zerstörungsverben spielen die finiten Formen eine größere Rolle, wenn es um die Aktualisierung der Bombeneinwirkung geht, d.h. Gebäude und ganze Städte (aus-)brennen. Die Kombination finiter Verben mit dem Phrasem in Schutt und Asche zeigt außerdem, dass das Ereignis in einigen Texten detailreich im Aktiv aktualisiert wird. Am häufigsten aber wird das Zerstörungsgeschehen aus der Perspektive der in Mitleidenschaft gezogenen Bausubstanz im Vorgangspassiv beschrieben, zerstören und beschädigen erweisen sich hierbei als Hauptverben. Die konkrete Ursache wird über das Partizip ausgebrannt immerhin in einem Fünftel der Belege konzeptualisiert. In Betracht kommt nur eine Verwendung im Zustandspassiv bzw. als Zustandsform, häufiger aber noch tritt die adjektivische Verwendung des Partizips auf, wie z.B. in der NP die ausgebrannte Kirche. Demgegenüber fällt die Verteilung für die verbale Aufbaulexik zugunsten der Nominalisierungen aus. Weit über die Hälfte der Vorkommen des Verbstamms der Hauptverben für das Aufbaugeschehen (bauen, aufbauen, erneuern, umbauen und wiederaufbauen) liegt in den Nominalisierungen, d.h. (Wieder-)Aufbau, Umbau, Wiederherstellung und Erneuerung, die ausschließlich oder überwiegend (wie Neubau) eine prozessuale Semantik aufweisen. Die durch die Präfigierung mit {er} semantisch eher für den (zeitlich weiter zurückliegenden) Erstbau verwendeten Verben errichtet und erbaut treten häufiger in passivischer Form auf und kommen erwartungsgemäß nur selten zur Beschreibung des Aufbaus nach Kriegsende vor. Sie besitzen wie bereits angedeutet für das ZAD einen geringen Kontextualisierungsfaktor.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 367

Tab. 38: Wortverbindungsmuster mit den Verbformen/-stämmen der Zerstörungs- und Aufbauverben in verschiedenen verbalgrammatischen Gestaltungen Aktiv

Passiv

Adjektivisches Nominalisierung Partizip

Zerstörung ART NN (aus) brennen, z.B. die Kirche brennt (aus) in Schutt und Asche VV, z.B. lag in Schutt und Asche

VAFIN zerstört, z.B. wurde zerstört VAFIN be­schä­ digt, z.B. wurde beschädigt VAFIN ausgebrannt, z.B. ist ausgebrannt

ART ausgebrannt* NN, z.B. die ausgebrannte Kirche ART zerstört* NN, z.B. die zerstörte Kirche

die Zerstörung des NN der Brand

VAFIN errichtet, z.B. wurde errichtet VAFIN erbaut, z.B. wurde erbaut

ART neu erbaut* NN, z.B. das neu erbaute Rathaus

Wiederaufbau ART (gen.) NN, z.B. des Rathauses ART Aufbau NN (gen.), z.B. der Aufbau Mannheims ART Umbau ART NN (gen.), z.B. der Umbau des Gebäudes ART Wiederherstellung ART NN (gen.), z.B. die Wiederherstellung des Gebäudes ART Erneuerung ART (gen.), z.B. die Erneuerung der Fassade NN des ADJA Bauens, z.B. Zentren des Neuen Bauens

Aufbau

Für die weitere Auswertung zur Frameverknüpfung und -integration wurden zunächst die bereits nachgewiesenen typischen verbalen Gestaltungen ausgewählt, d.h. die Passivformen für zerstören, ausbrennen und beschädigen sowie die nominalisierten Formen der Aufbauverben. Zusätzlich und vergleichend wurde das Framing für die partizipialen Adjektive und die Nominalisierungen im Zerstörungskontext erhoben. Für die Aufbauverben konzentriert sich die Auswertung auf die nominalen Formen. Schließlich werden phraseologische und metaphorische Formulierungsstrategien gesondert in den Blick genommen. Neben den verfestigten Kollokationen (den Flammen, dem Bombenangriff o.ä.) zum Opfer fallen und in Schutt und Asche VV-en, werden auch solche Mehrwortverbindungen näher betrachtet, die nur vereinzelt auftreten, wie in Trümmer legen, zertrümmern, dem Erdboden gleichmachen etc. Die framesemantisch annotierten Belege für den Suchterm zerstört_VVPP wurden mithilfe der erweiterten Suche in AntConc auf Vorkommen mit den auxiliaren Kollokatoren wird, werden, wurde und wurden eingeschränkt (mit acht

368 

 Korpusanalysen

Wörtern im links- und rechtsseitigen Kontext). Die Auswertung der Slots zu den insgesamt 447 Belegen erfolgte über eine Zuordnung der ersten 200 kookkurrenten Wortformen247 zu den unterschiedlich gewichteten Slots, die direkt aus dem Berkeleyer FrameNet übernommen wurden.248 Dass in der Ermittlung der Kollokatoren die Satzgrenze überschritten wird, hat den Vorteil, dass auch im vorausgehenden oder folgenden Satz lizenzierte kohärenzstiftende Frame-Elemente erfasst werden und insofern das Framing satzübergreifend angelegt ist (vgl. Ziem 2015). Dies spielt sich nicht nur auf der Ebene verbaler Valenzrelationen ab, sondern betrifft auch die nominal vererbten Rollen. Hölzner (2006:166) geht davon aus, „dass Argumente von Substantiven (zum Teil wesentlich) häufiger außerhalb der entsprechenden Nominalphrase realisiert werden als innerhalb.“ Für die strukturelle Verknüpfungsleistung weist er anhand eines Zeitungskorpus mit ca. 45 Mio. Wortformen nach, „dass der für die Leerstellenbesetzung aufgezeigte Gestaltungsspielraum bei der Sprachproduktion als kohärenzstiftendes Mittel eingesetzt und ausgenutzt wird.“ (Hölzner 2006:166) Diese implizite Besetzung von Leerstellen, die vor allem deverbale Substantive eröffnen, ist m.E. nicht auf solche semantischen Rollen begrenzt, die zur engeren Verbszene gehören, sondern kann ohne Weiteres auf ehemalige adverbiale Aktanten ausgeweitet werden. Dafür spricht auch die Gleichstellung der Rollen in der Attribution: In der Phrase der Wiederaufbau des Rathauses oder der Wiederaufbau in den 50er Jahren sind beide Attributphrasen weglassbar, wenngleich die eine dem vererbten obligatorischen Komplement (Rathaus in Subjektrolle) und die andere dem temporalen Supplement des Verbs entspricht (in den 50er Jahren als adverbiale Zeiteinordnung). Mit Blick auf die unterschiedliche Obligatorik der Attribute fordern Fuhrhop/ Thieroff (2005:317f.) die Unterscheidung von Komplementen und Supplementen auch im Bereich der Attribution ein. Als Beispiel für ein Komplement wird die PP in der NP Hoffnung auf Frieden und als Beispiel für ein präpositionales Supplement die PP in der NP Hoffnung im Frieden genannt. Ähnlich verfährt die IDS-Grammatik, die mit der Komplement-Supplement-Unterscheidung sowohl für Verben als auch für Nomen Analogien in den Argumentstrukturen terminologisch sichtbar macht. Dabei wird eingeräumt, dass die Komplemente des Nomens zwar nicht obligatorisch sind, sich ihre funktionale Qualität jedoch nicht allein über die Form herleiten lässt (vgl. Zifonun 1997:1975). Dies mag der Unterschied zwischen den verschiedenen Genitivattributen verdeutlichen: Während die pos-

247 Collocates in Acht-Wortumgebung links und rechts über AntConc 248 Zum Auswertungszeitpunkt war das FrameNet des Deutschen noch nicht verfügbar, mittlerweile online unter https://gsw.phil.hhu.de/framenet/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 369

sessiven Genitive supplementäre Qualität aufweisen (der Wiederaufbau Paderborns), kommt dem Genitivus subjectivus oder objectivus (Angriff der Briten, Wiederaufbau der Kirche)249 jeweils Komplementstatus zu.250 Diese Einordnung ändert jedoch nichts an der Weglassbarkeit und damit strukturellen Gleichrangigkeit der Attribute. Mit diesen Überlegungen eröffnen sich zwei vielversprechende Möglichkeiten für eine diskursgrammatische Sicht auf die Attribution valenter Nomen: Erstens sind durch die Ausweitung der Betrachtungsebene auf den textuellen Bezugsrahmen bzw. die gestaltete Seite im Falle einer multimodalgrammatischen Analyse auch (implizite) Leerstellenbesetzungen außerhalb des Satzes einzubeziehen und zweitens orientiert sich die Gewichtung der valenziellen Argumente an den diskursgrammatischen Gebrauchsmustern, die bezogen auf eine konkrete Diskursformation erhoben werden.

6.2.3 Füller und Interaktion der Frame-Elemente im Destroying-/Building-Frame Zu den Kernelementen des Destroying-Frames werden im Berkeleyer FrameNetProjekt die Ursache (Cause), die zerstörende (Destroyer) und die betroffene Instanz (Patient) gerechnet. Als peripher gekennzeichnet sind der Grad der Zerstörung (Degree), die Instrumente (Instrument), die Art und Weise (Manner), die Mittel (Means), das Medium (Medium), der Ort (Place) und die Zeit (Time). Die Unterscheidung zwischen Instrument (Instrument) und Mittel (Means) wird in FrameNet auf der Basis der physischen Nähe zum Angriffsziel getroffen, wobei das Instrument direkter auf das Objekt einwirkt. Im Falle der Luftkriegszerstörung kann zwischen den Bomben als Mittel und den Kampfflugzeugen als Aggressoren unterschieden werden, die instrumental eingesetzt werden, um die Bombenlast abzuwerfen. Die Art und Weise des Angriffs (Manner) spezifiziert sich morphologisch über das Bestimmungswort Luft in Luftkrieg oder Luftangriff. Als Beispiele für ein Medium, durch das sich die Zerstörung entwickelt, wird in

249 In beiden Fällen ist die jeweils andere Lesart denkbar, jedoch nur am Rande bzw. im Rahmen einer mehrdeutigen Auslegung belegt. Weder der Objectivus für Angriff (im Sinne von wird ‘angegriffen’) noch der Subjectivus für Wiederaufbau (im Sinne von wird ‘bau/t/en auf’) sind diskursiv verfestigt und insofern in der diskursgrammatischen Valenz der nominalen Einheiten nicht angelegt. 250 Dieselbe Unterscheidung kann bei den Präpositionalattributen getroffen werden, die einmal als Nomensupplemente (Skandal wegen der Affäre) und einmal als Nomenkomplemente (Befehl zum Antreten) fungieren (vgl. mitsamt der Bespiele Zifonun 1997:1976f.).

370 

 Korpusanalysen

FrameNet exemplarisch die Explosion genannt, der in den ZAD-Daten das Feuer oder der Brand entsprechen. Überdies kommen als außerthematische Entitäten das enthaltene Ereignis (Containing Event) hinzu sowie die weiteren Teilnehmer/Zeugen des Geschehens (Depictive), die Erklärung bzw. Begründung (Explanation), die Häufigkeit (Frequency), der Zweck (Purpose), das Ergebnis (Result), die Rolle (Role) und der Teilbereich des zerstörten Objekts, auf den die Zerstörungskraft in besonderem Maße einwirkt (Subregion). Diese Zuordnung wird jedoch nur bedingt durch die framesemantische Annotation der verschiedenen Korpora aus den Domänen der Pressekommunikation, Geschichtswissenschaft, Wirtschaft oder der Wissensdomäne Wikipedia repräsentiert (vgl. https://framenet.icsi.berkeley.edu/ fndrupal/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Da die Annotationen nicht systematisch in die Datenbank zurückgespiegelt werden, handelt es sich nicht primär um eine empirisch-induktiv gewonnene Matrix, sondern in erster Linie um eine Reflexion der Identität zwischen semantischen Rollen und syntaktischer Valenz. Die Belegdaten mögen allenfalls eine Idee von den Frequenzverhältnissen geben. Busse (2012:447) kommt daher zu dem Schluss, dass „(t)ypische, aus der Diskussion der Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Ergänzungen und Angaben in der Valenzgrammatik bekannte Probleme“ auch in FrameNet auftreten: Die große Nähe von FrameNet zur herkömmlichen Valenzgrammatik zeigt sich auch darin, dass das Projekt deren Hauptproblem geerbt hat: die (syntaktisch gesprochen) Unterscheidung von Komplementen und Adjunkten (andere Termini: Ergänzungen und Angaben, Argumente und Modifizierer). In FN soll sie aufgefangen werden durch die Unterscheidung von „Kern-Frame-Elementen“ und „Nicht-Kern-Frame-Elementen“. (Busse 2012:446f.)

Auch Kern-Elemente werden nicht aus den Annotationsergebnissen für die im Referenzkorpus realisierten Einheiten hergeleitet. Sie wurden datenunabhängig auf der Basis kognitivsemantischer Eigenschaften der Frames festgelegt. Weiterhin wird unterschieden zwischen weggelassenen und null-instantiierten Elementen, die aufgrund ihrer Konventionalisierung konzeptuell präsent bleiben (vgl. Busse 2012:447). Dieser Entwurf bringt die Vorstellung einer diskursunabhängigen Bedeutungserzeugung mit sich, die sich aus Valenzforderungen ableitet: Dass der Bauen-Frame zwei Kernelemente hat, erklärt sich bspw. aus den beiden Komplementen des transitiven Verbs (vgl. Ruppenhofer 2016:24). Die Herausforderung einer diskursgrammatischen Ausdifferenzierung der Frame-Architektur besteht nun darin, diese Zuordnung durch diskursgrammatische bzw. -semantische Konnektivitäten wie kollokative Bindekräfte, Metaphernfelder etc. zu begründen, wie sie in der vorliegenden Arbeit für das K-Profil erhoben werden. Als problematischer erweist sich das invariante Linking im Bereich der traditionellen Adverbiale. Nicht nur dass auch Komplemente lokale oder temporale

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 371

Semantiken aufweisen können (wie die Verben wohnen oder dauern zeigen). Auch für die diskursgrammatische Gewichtung können sich die peripheren oder außerthematischen Elemente als funktional äquivalent zu Kernelementen (evtl. sogar als salienter) erweisen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn semantische Zusammenhänge zwischen Ereignissen, ihren Ursachen und Verursachern in einer Temporalangabe wie 1945 konvergieren. In diesem Sinne ist das Verhältnis von Kern und Peripherie allenfalls für die Vererbung valenzieller Aktanten relevant, z.B. in der Nominalisierung. Vererbung spielt auch in der rekursiven Ordnung der Frames eine Rolle. Der „Destroying“-Frame erbt seine Slots vom abstrakten Schema der „Transitive action“, für den neben Agent und Patient an dritter Stelle die Ursache (Cause) semantisch spezifiziert ist. Die Werte Cause und Event gehören dagegen zu den nicht ausgedrückten Kern-Elementen (core unexpressed). Die verursachende Instanz wird im Destroying-Frame als drittes gleichwertiges Kern-Element modelliert und erhält somit in der transitiven Szenerie ein besonderes semantisches Gewicht. Der Blick auf die tatsächlich auftretenden Füller zeigt eine Besonderheit der Frame-Gestaltung für die sprachliche Verfasstheit des Verursachers der Zerstörung im ZAD: Der Destroyer taucht in der Form des deverbalen Füllers unter, d.h. er ist in ihr eingeschlossen: Im geläufigen Lexem Angriff scheint konzeptionell die (agentiv blasse) Verursachung auf. Dieses Crossing hat nicht nur einen semantischen, sondern auch in zweierlei Weise einen morphologischen Niederschlag. Dieser liegt zum einen darin, dass sich im Actio-Nomen Angriff auch der Angreifer verbirgt und zum anderen, dass sich in den Komposita Luft-bzw. Bombenangriff agentive, kausative und einsatzmittelbezogene Bedeutungselemente verbinden. Sie wurden aus diesem Grund mehrfach einsortiert: als Füller des Destroyer- und des Cause-, aber auch des Role-Slots, in dem der Füllwert Luftangriff – in dem selbst Cause- und Destroyer-Slot morphologisch verkoppelt sind – die besondere Art der Kriegsführung bezeichnet. Das zweistellige morphologische Konvertat Angriff stellt eine besondere Polarität zwischen den beiden Instanzen des Aggressors und des Opfers her, die sich an den attributiven Sprachgebrauchsmustern ablesen lässt. So sind feindlicher und des Feindes für das Lexem Angriff im DWDS die Attribute mit den höchsten Signifikanzwerten für diese syntaktische Funktion (mit einem logDice von 8,8 bzw. 10). Syntaktisch äquivalent dazu fallen die attributiven Destroyer-Füller für die NP im ZAD aus – einmal mit adjektivischer (alliierte Luftangriffe) und einmal mit possessiver Realisierung (Angriffe der Amerikaner). Die Personenbezeichnung Opfer rangiert als Bezugsnomen mit einem Wert von 7.9 immerhin auf Platz 6. Neben der Feind-Opfer-Achse zieht der morphologisch verdichtete Ausdruck Angriff ein weiteres Konzept in den Zerstörungsframe ein, das als Folge der Angriffshandlung aufscheint: die Abwehr. Sie tritt ausdrucksseitig koordi-

372 

 Korpusanalysen

niert mit dem Nomen Angriff auf: Die NPen Angriff und Abwehr stellen mit einem logDice von 11.1 die statistisch signifikanteste Koordinationsphrase dar,251 mit einem Signifikanzwert von 10.0 tritt die NP der Abwehr an die erste Stelle der Genitivattribute. Überdies bildet die Nomen-Verb-Verbindung Angriff abwehren im DWDS-Wortprofil mit einem Wert von 10.2 eine usuelle Kollokation (https:// www.dwds.de/wp/Angriff, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Die genannten Kollokationen werden als Folie dienen, um die beiden Frames, Zerstörung und Aufbau, integrativ zu beschreiben.252 Die konzeptionellen Konsequenzen dieser Formulierungspraxis zeichnen sich nun ab: Die Konstitution eines Feindes als Täter (Angreifer im (Bomben-)Angriff) blockiert das Deutungsmuster des Kriegsendes als Befreiung. Wer implizit Täter ist, kann nicht zugleich als Befreier auftreten. Zwar sind Kenntnis und Usualisierung der koordinierten Phrase Angriff und Abwehr primär aus dem (Fußball-)Sport abgeleitet. Wenn jedoch der salient253 realisierte Angriff sprachlich-konzeptionell eine Abwehrstrategie erfordert, liegt auf der Hand, dass der Aufbau über das Sprachgebrauchsmuster leicht in diese Position des Abwehr-Füllers gelangen kann. Somit wird Abwehr entworfen als notwendige Reaktion auf die Bedürfnisse der Überlebenden nach Unterkünften. Zudem wird der Aufbau als das präsentiert, was andere dem Zerstörungszustand erfolgreich entgegengesetzt haben. Die Feind-Instanz kann jedoch nicht zugleich als Aggressor und als Unterstützer der Aufbauleistung erscheinen – und dies erst recht nicht angesichts der konzeptionellen und kotextuellen Verknüpfung des Zerstörungs- und Aufbauframes. Dass die Aufbauphase in der frühen Nachkriegszeit nur dank der Unterstützung der Alliierten dermaßen zügig gelungen ist, liegt im ZAD-Kontext außerhalb des diskursstrukturell Sagbaren. Historisch aber lieferte der Marshallplan die finanzielle Grundlage für die frühen Aufbauprojekte. Wofür wird das Feindkonstrukt benötigt? Es unterstreicht das Verständnis, dass der Wiederaufbau eine Leistung der „Opfer“ aus eigener Kraft war, die diskursgrammatisch als zivile Opfer des Luftkriegs nur unschuldige Opfer sein können,

251 Zu vernachlässigen ist hierbei der nominale Kollokator Verteidigung, der durch die geflügelten Worte Angriff ist die beste Verteidigung einen noch höheren logDice von 11.7 erzielt. 252 Es sind sicherlich alternative Darstellungsformate für die rekursive Verbindung zwischen den beiden Frames denkbar. Die Nutzung eines aus objektsprachlichen Daten deduzierten Frame (Abwehr) für den hermeneutischen Zweck erscheint insofern sinnvoll, als beide Rahmungen über die Frame-Elemente leicht zusammenzuführen sind und überdies Verkopplungen an der sprachlichen Oberfläche über Kookkurrenzen und konstruktionale Verknüpfungen vorliegen. Nicht adressiert ist hierbei das psychoanalytische Konzept der Abwehr im Sinne der (kollektiven) Verdrängung. 253 Seine Salienz leitet sich aus der Slotverdichtung ab, wie weiter unten deutlich wird.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 373

eine Assoziation, die sich (mit einem logDice von 9,2) als Adjektiv-Nomen-Verbindung im DWDS nachweisen lässt – unmittelbar nach dem am stärksten mit Opfer assoziierten Adjektivattribut zivile (9,3). Grammatisch fällt die Opferrolle den Gebäudesubjekten im Patient-Slot zu, der eine hohe Typefrequenz aufweist. Die Verschiebung von menschlichen auf Gebäudeopfer, von moralischen auf bauliche, vom Gesichtsverlust zum bis zur Unkenntlichkeit entstellte(n) (...) Antlitz der Stadt, wie es in einer frühen Mannheimer Dokumentation von Peters (1948:40) poetisch heißt, drängt möglicherweise auch schuldauslösende Szenen in den Hintergrund: das Gewusst-, Zugestimmt- und Mitgemachthaben und die wie auch immer praktisch, juristisch und ethisch bemessene Beteiligung am Völkermord der europäischen Juden. Für den Degree-Slot liegt ebenfalls eine hohe Typefrequenz vor, allerdings nur in der finiten Passivvariante (mit Suchterm zerstört_VVPP, z.B. wurde völlig zerstört). Gleichzeitig ist für das Nomen Zerstörung lediglich die AdjP (fast) völligen zu verzeichnen (vgl. Tab. 40). Aus diskursgrammatischer Sicht hat somit der Zerstörungsgrad für die Passivformulierung keineswegs peripheren Status, ist er doch im Gegenteil ein wichtiges Bindeglied zwischen den beiden Frames, deren Integration über den Abwehrframe, der eine Interpretationsebene höher angesiedelt ist, beschrieben wird. Die kommunikative Funktion der augmentativen Füller wie schwer, stark oder in großen Teilen, die musterhaft das enorme Ausmaß der Zerstörung anzeigen, reicht in den Building-Frame hinein und liefert dort eine Begründung für die Dringlichkeit einer „schnellen Lösung“ zugunsten der geflüchteten und ausgebombten Bevölkerung.254 Dass sich dieses Framing in den interaktiven Gattungen der Stadtgeschichtsvermittlung verfestigt hat, konnte punktuell das einleitende Beispiel der gestischen Attribution des Gästeführers belegen. Auch dort bleibt die Frage nach dem Aggressor außen vor und wird nur in ihrer Wirkung beschrieben (in drei großen angriffen). Tab. 39 veranschaulicht die Instantiierung der drei Kernslots, wobei der durch das Kernnomen opfer gefüllte Patient-Slot mit seiner multimodalen Attribuierung besonders hervortritt. Das Kernnomen opfer wird über die PP von großen zerstörungen und im gestischen Modus über die herabsinkende Unterarmgeste modifiziert.

254 Dabei ist sachlich natürlich nicht zu bestreiten, dass es diese Notwendigkeit kurz nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft gegeben hat. Eine Verstetigung dieser Argumentation für Bauphasen in nachfolgenden Jahrzehnten ist jedoch mit diesen Rahmenbedingungen nicht erklärbar, so dass ihr Auftreten einer Begründung bedarf – die an dieser Stelle durch die Engführung der beiden Frames im Abwehr-Schema versucht wird.

374 

 Korpusanalysen

Tab. 39: Das Frameprofil für die Äußerung in drei großen angriffen (...) wurde die stadt also wirklich opfer von äh (Geste) ja großen zerstörungen aus einer Paderborner Gästeführung Frame Destroying

Slots (Gästeführung)

Füller/Füllwerte aus der Gästeführung

Cause

Cause

Ikonische Geste (Unterarmbewegung) für herabfallende Bomben (attr)

Destroyer

Destroyer

Verursacher ist in der PP (adv) in drei großen Angriffen nominalisiert

Patient

Patient

Stadt als Opfer (prädnom)

Result

PP (attr) von äh großen Zerstörungen

Core-Elements:

Non-core Elements: Containing event Degree Result ...

Auf die übrigen Slots verteilen sich die Füller der verbalen und der nominalen Variante im ZAD-Gesamtkorpus sehr ähnlich. Die einzige Differenz ist in der Zuordnung zu den Frame-Elementen Means und Medium erkennbar. Mit der nominalisierten Form Zerstörung werden weder die Waffen (z.B. Bomben) noch ihre Wirkung (z.B. Brände) musterhaft versprachlicht. Der Vergleich der weiteren, keinen Slots zugeordneten Kookkurrenzen erlaubt Rückschlüsse auf die Position des Lexems Zerstörung im Text. Er steht, wie die Ausdrücke Abb, Infos und Stadtarchiv zeigen, häufig in Überschriften, Bildunterschriften und phrasal formulierten Kurzdarstellungen. Eine multimodalgrammatische Realisierung des Frames ist daher anzunehmen (und wird weiter unten überprüft). Der hinzugefügte Slot Perspektive umfasst schließlich sprachlich und fotografisch erzeugte zeitliche Kontrastbildungen. Die größeren Übereinstimmungen in den Kookkurrenzen der beiden zerstörFormen mit den adversativen Konnektoren (aber, jedoch) und den präteritalen Auxiliaren (wurde/n) mögen kaum überraschen (vgl. Tab. 40). Bei den Inhaltswörtern bestätigen die Deverbativa Wiederaufbau, Neubau und Aufbau die starke Verbindung zum nominal konzeptualisierten Aufbau-Frame.255 Ob hingegen die

255 Viele Belege für NN Zerstörung mit den Kookkurrenten (Wieder-)Aufbau stammen aus Über-

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 375

Spezifizierung jüdischen und deutschen in Phrasen wie Befehl zur Zerstörung der jüdischen Geschäfte (HB 2005 SGe Obenaus, 336) auf der einen und mit der Zerstörung der deutschen Städte (MA 2005 SGp Hirsch, 65) auf der anderen Seite einem diskursiven Muster folgt, ist aufgrund der dünnen Beleglage nicht zu entscheiden. Die Vorkommen der NP Zerstörung der Synagoge legen nahe, dass zwar das nominale Lexem, aber nur vereinzelt die Passivvariante von zerstören im Kontext der Schoah auftritt.256 Die Verknüpfung von Zerstörungs- und Aufbauframe veranschaulichen Tab. 41 und 42. Auf Wortebene zeigen sich die sprachlich bedingten Nahtstellen zum jeweils anderen Frame. Zunächst zeigen die nicht in die Frame-Architektur einsortierten Kookkurrenzen eine starke reziproke Kopplung: Unter den oberen kookkurrenten Nomen im Destroying-Frame befindet sich das Nomen Wiederaufbau und entsprechend Zerstörung im Building-Frame. Dabei deutet die Umgebung der Passivauxiliare darauf hin, dass es sich beim Kookkurrent zerstört um eine partizipiale Verwendung handelt. Doch auch der adjektivische Gebrauch (mit der Wortform zerstörten) und der Modifikator weitgehend finden Niederschlag im Building-Frame. Umgekehrt treten im Destroying-Frame mit den Adjektiven neu/neue und dem Adverb wieder Füllwerte des Degree-Slots aus dem BuildingFrame auf. Übereinstimmende Kookkurrenzen finden sich abgesehen von der Präteritalform des Geschehen-Verbs erfolgte, die als Kollokator zum Nomen Wiederaufbau noch zu belegen sein wird, bei zentralen Funktionswörtern, darunter das Adverb noch sowie die Konnektoren aber und auch. Die Verbindung auch in wurde bereits als Kontextualisierungshinweis diskutiert. Als Indikatoren der erinnerungskulturellen Verarbeitung im Themenbereich des ZAD treten erneut die Bestandteile des PVM-Komplexes mit konnte/konnten/sollte samt der Konnektivpartikel jedoch hervor.

schriften und Bildunterschriften. Die Nominalisierung ist hierbei der textstrukturellen Komprimierung geschuldet. 256 Wird die Synagoge hingegen infolge des Luftkriegs getroffen, tritt wiederum musterhaft Vorgangspassivs auf, wie der folgende Bildlegendenbeleg bestätigt: Im 2. Weltkrieg wird die Synagoge in F 2 durch Luftangriffe weiter zerstört. Ein Wiederaufbau scheitert in der Nachkriegszeit ebenso wie die Einrichtung einer Gedenkstätte in der Ruine. (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Hauptsynagoge F2)

376 

 Korpusanalysen

Tab. 40: Vergleich der Destroying-Frame-Füller mit Kollokatoren zu partizipialem zerstört und nominaler Zerstörung Frame-Elemente zum Frame „Destroying“

Verbale Variante Suchterm: zerstört_VVPP

Nominale Variante Suchterm: Zerstörung

Kookkurrenten ohne feste Zu­ordnung zu einem FrameElement257

Verb­ formen

wurde/n, werden, wird, war/en, aufgebaut, ist, worden, erhalten, erfolgte, konnte, hatte, blieben, errichtet, sind, konnten, hat, getroffen, mußten, leben, haben

war/en, wurde/n, werden, wieder, ist, wird, hat/te/n, sind, worden, erhalten, lagen, konnte, blieb, aufgebaut, gab, erinnern, zeigt, erfolgte, kam, entstanden,

Nomen

Wiederaufbau, Teil, Neubau, Menschen, Zustand, Stelle

Wiederaufbau, Teil, Video, Bevölkerung, Abb, Teile, Gedenken, Infos, Geschichte, Chance, Aufbau, Stadtarchiv

Adjektiv/ viele, alle, große, alten, Pronomen neu, zwei, neue, leicht, drei, letzten, industrielle, sämtliche, öffentliche, mehrere, einige, erneut

zweite, große/n, man, ersten, jüdischen, deutschen, alten, städtebauliche, letzten, erste, zerstörte

Adverb/ Junktor/ Partikel

auch, wieder, aber, nicht, bis, nicht, noch, aber, daß/ oder, mehr, noch, während, ss, so während, erst, schon, später, so, erst, daß/ss, jedoch, wenn nahezu, dabei, bereits, schon, etwa, doch

Kern (core) Cause

Angriff/Luftangriffe, Luftangriff, -en, Bombenangriff

Destroyer

(Luft-)Angriffe (indirekt steckt der Angreifer drin), Luftangriff, -en, Bombenangriff

Luftangriffe, Angriff

257 Bei der Sortierung wurde zwischen Voll- und Hilfsverben, (in-)finiten und partizipialen Formen etc. nicht unterschieden, um die relative Kookkurrenzstärke der Verbformen untereinander zu verdeutlichen. Vernachlässigt wurden Artikel, Demonstrativpronomen und Präpositionen (wegen der nur schwachen Konnektoreigenschaften). Bei Formzusammenfällen wurden die Belege durchgesehen und für jeden einzeln entschieden, so geschehen bei der ausschließlich adjektivisch verwendeten Verbform zerstörte, die formidentisch mit der 3.Ps.Sg. Präsens ist.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

Patient

Gebäude, Haus, Häuser, Stadt, Kirche, Wohnungen, Wohnhäuser, Straße, Wohngebäude, Dom, Rathaus, Innenstadt, Altstadt, Brücken, Barockhäuser, Wirtschaftsgebäude, Synagoge, Kloster, Kapelle, Industrie

 377

Stadt, Innenstadt, Städte, Haus, Gebäude, Altstadt, Synagoge, Wohnungen, Städten, Kirche, Straße, Schlosses, Häfen, Häuser, Dom

Peripherie (non-core) Degree

beschädigt, völlig, fast, schwer, vollfast, völligen ständig, stark, in großen Teilen258/zum großen Teil, total, weitgehend, bis auf die Fassade, teilweise, Prozent, Außenmauern

Manner

Luftangriffe, Luftangriff/-en,

Means

Bomben, Brandbomben, Bombenangriff

Medium

Brandbomben, brannte

Place

Paderborn, Bremen, Bremer, Mannheim, Mannheimer, hier

Paderborn, Mannheim, Paderborns Bremen, Mannheimer, Mannheims, Bremer, Paderborner, hier

Time

März, Oktober, September, November, April, Jahre, Ende, Jahren, Nacht, Kriegsende, Jahrhundert, August

Ende, März, Zeit, September, Jahren, Jahre, Jahr, Januar, Kriegsende, Jahrhundert, April, November

Luftangriffe

Außerthematisch (extra-thematic) Containing Event

im zweiten Weltkrieg, Krieg, Kriege, Kriegs, Krieges

(nach/vor) dem/durch den zweiten Weltkrieg, Krieg, (Welt-)Krieg(e)s

Result

Tote, Menschen, Zustand, verloren → Degree

Menschen

Role

Luftkrieg, Luftangriffe/Luftangriff/-en

Luftangriffe

Perspektive

heute, heutiger

heute, Foto, Bild

258 Über die erweitere Suchabfrage wurden Mehrworteinheiten identifiziert und aufgeführt, wenn alle Bestandteile in der Kookkurrenzliste (bis Rang 200) enthalten waren.

378 

 Korpusanalysen

Tab. 41: Kookkurrenten aus den Kookkurrenzlisten (bis 200 Treffer) für zerstört und aufbau im Vergleich ohne feste Zuordnung zu einem Frame-Element Frame-Elemente Füller aus der Kookkurrenzliste zum Frame „Building“ für Suchterm: zerstört_VVPP unterstrichen: Brücken bzw. Verknüpfungs­stellen zum jeweils anderen Frame gefettet: übereinstimmende Ko­okkurrenten (Konnektiv-Element) gepunktet unterstrichen: Kontextualisierungs­ hinweis im K-Profil

Füller aus der Kookkurrenzliste für Suchterm *aufbau*

Verbform

wurde/n, werden, wird, war/en, aufgebaut, ist, worden, erhalten, erfolgte, konnte, hatte, blieben, errichtet, sind, errichtet, konnten, hat, getroffen, mußten, leben, haben

wurde/n, werden, zerstört, waren, zerstörten, wird, sind, hat/te/n, konnte, erfolgte, begann, worden, haben, sollte, begonnen, abgeschlossen, erhalten

Nomen

Wiederaufbau, Teil, Neubau, Zustand, Stelle

Zerstörung, Ende, Krieg, Nachkriegszeit, Bevölkerung, Arbeit, Geschichte, Anfang, Planung/en, Ordnung, Kampfgemeinschaft, Faschismus

Adjektiv/ viele, alle, große, später, Pronomen alten, neu, zwei, neue, leicht, drei, letzten, industrielle, sämtliche, öffentliche, mehrere, einige, erneut Adverb/ Junktor/ Partikel

erste/n, deutschen, zweiten, weitgehend, kein, großen, alten, politischen, demokratischen

auch, wieder, aber, nicht, als, auch, nicht, nur, noch oder, mehr, noch, während, bereits, aber, jedoch, dann, so, erst, daß/ss, wie, zunächst nahezu, dabei, bereits, schon, etwa, doch

Der Building-Frame, dessen Slots in Tab. 42 mit den Elementen aus dem Destroying-Frame in Bezug gesetzt werden, erbt seine Slots vom übergeordneten Schema „Intentionally create“, womit impliziert ist, dass ein an der Durchsetzung eigener Interessen ausgerichteter Creator zielgerichtet agiert. Für diesen semantischen Aspekt der Intentionalität ergeben sich im Building-Frame einige Besonderheiten. Im ZAD ist der Aufbau nämlich nicht länger ein intentionaler Akt. Die Created Entity wird weder aktivisch noch passivisch gefasst. In nominalisierter Form geht es um ihren Wieder- oder Neuaufbau, zu dem die Akteursinstanz, die Created Entity, in keinem der 794 Belege für Wiederaufbau attributiv formuliert

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 379

Tab. 42: Verknüpfung der Frame-Elemente zu den Frames „Destroying“ und „Building“ mitsamt zugeordneter Kollokatoren-Füller zu partizipialem zerstört und Nominalisierungen mit (A)ufbau Frame-Elemente Destroying

Frame-Elemente Building

Füller aus den Kookkurrezen zum Suchlexem *aufbau*

Agent

Architekten

Created Entity

Stadt, Bremen, Paderborn, Städte, Innenstadt, Bremens, Rathauses, Haus, Mannheims, Paderborns, Altstadt, Häuser, Kirche, Gebäude, Schlosses, Häfen, Wohnungsbau, Wohnungen, Verwaltung

Kern (core)

Patient

Peripherie (non-core) Degree →

Manner

Wiederaufbau, wieder, neue, neu, Neugestaltung

Place

Place

Bremer, Mannheimer, Paderborner, hier

Time

Time

Jahre, Zeit, Januar, Kriegsende, Weltkrieg, Beginn (z.B. des Aufbaus259)

Außerthematisch (extra-thematic) Beneficiary

(indirekt: Autos, Menschen, die Wohnraum brauchen, sich erholen möchten)

Depictive

Depictive

heute

Explanation

→ explanation

Umdeutung

wird.260 Nur so ist erklärbar, dass es für das Genitivattribut der Stadt zu keinerlei Mehrdeutigkeiten kommt: Dass hier nur der Genitivus objectivus gemeint sein kann, ergibt sich aus der Musterhaftigkeit, mit der die meist definit, teilweise auch

259 Kookkurrierende Ausdrücke, die nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, sind über eine erweitere Suchanfrage auf ihre Relevanz für das Framing getestet worden (Suchanfrage in AntConc: Suchterm *aufbau* mit Einstellung „Advanced“ und entsprechendem Kookkurrenzwort als „Context Word“) 260 Eine Ausnahme mag der Beleg aus der Paderborner Stadtgeschichte darstellen, in dem die Institution des Wiederaufbaus im präpositionalen Anschluss (unter kirchlicher Regie) erscheint, wobei in dieser gestuften Mehrfachattribuierung bezogen auf das Lexem Wiederaufbau in der komplexen NP Wiederaufbau unter kirchlicher Regie (PB 1999 SGe Hüser, 274f.) die Modifikation des Nomens Wiederaufbau durch die Regie eine verantwortliche Institution aufruft. Der konkrete Auftraggeber bleibt im Hintergrund.

380 

 Korpusanalysen

onymisch realisierte Patiensrolle attribuiert wird: Wiederaufbau der/des [NNStadt/ ]. Zudem finden sich einige Beispiele für eine frameintegrative Darstellung Bauwerk mithilfe des partizipialen Attributs zerstört. Sie befinden sich im Umfeld eines PVM-Komplexes mit können im Konjunktiv II Perfekt (6) und mit dem (ebenso wie können) dispositionellen Modalverb musste (7): (6) Gewiß, in mancher Hinsicht hätte der Wiederaufbau der zerstörten Bauten und Anlagen beschleunigt werden können, wenn die wirtschaftlichen Mittel reichlicher verfügbar oder die gebietshoheitliche Einsicht größer gewesen wären. (MA 1948 DOK Peters, 40) (7) Neben dem Wiederaufbau der zerstörten Stadt musste in den 1950er Jahren wegen der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den Ostgebieten, einer positiven Geburtenbilanz und des erhöhten Wohnflächenbedarfs pro Einwohner zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden. (HB HYP Wikipedia, Geschichte der Stadt Bremen)

Die weiteren Rollen der rechtsseitigen Präpositionalattribute weisen lokale, temporale und modale Bedeutungen auf: Lokal: der Wiederaufbau in der Altstadt (HB 2007 SGp Elmshäuser, 107) Temporal: der Wiederaufbau nach Kriegsende (MA 2003 SGp Keller, 39, Bildlegende) Modal: Wiederaufbau in einfacher Form (PB 2005–13 PUL Müller, Theodorianum)

Linksseitige Attribute treten selten auf und sind meist mehrfach erweitert, wie die folgenden Beispiele zeigen: der schon 1946 begonnene Wiederaufbau (PB 2005 BRO Stadt, Rathaus), dem oftmals allzu eilfertigen Wiederaufbau (MA 2007 STF Ellrich, 12), einen den neuzeitlichen Erfordernissen entsprechenden Wiederaufbau (PB 1955 DOK Schmidt, 12). Als Genitivattribut bezieht sich die Phrase des Wiederaufbaus zumeist auf Zeit-Nomen (im Zuge, Abschluss, Beginn). Innerhalb der Präpositionalphrasen beim Wiederaufbau und für den Wiederaufbau werden schließlich Planungsaspekte und Phasen benannt. Sprachlich unterschiedlich realisierte Füllwerte sind zur Beschreibung der Besonderheit des Aufbauobjekts (Descriptor), der Aufbaudauer (Duration) und des Aufbauzwecks (Purpose) zu erwarten. Für letztere wären vermutlich die bereits untersuchten adverbialen Infinitivsätze gute Füllerkandidaten. Die Frame-Elemente Erklärung (Explanation) und Ergebnis (Result) werden inhaltlich durch Emergenzeffekte ausgestaltet (Erfolgsstory und Chance eines gelungenen Wiederaufbaus). Sie gerinnen durch semantische Inferenz zu Standardwerten im Diskurs. Bei der Auswertung des Slots zur Art und Weise des Aufbaus (Manner) überrascht die paritätische Koexistenz der Hauptmodifizierer neu und wieder, die nicht als Polarität entworfen werden, was die Ähnlichkeit ihrer Einbettungskontexte vermuten lässt. Sie treten häufig koordiniert in NPen wie Wiederaufbau und Neugestaltung auf und spiegeln somit keineswegs

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 381

die Konfliktlinien zwischen Traditionalisten und Modernisierern wider. Hinter dem Adjektivpaar steht weniger die Entscheidung, Gebäude zu rekonstruieren oder die Zerstörung als Chance für eine zeitgemäße innovative Architektur zu begreifen. Beide Leitbilder für den Aufbau, der Wieder- und der Neu(-auf-)bau, gewinnen in der Verkopplung der Frames eine Bedeutung als Lösungen für die so entworfene „vollkommene Zerstörung“, deren Abwehrbeitrag durch die Attribuierung mit dem in diesem Zusammenhang vorbelastet wirkenden Adjektiv total zur totale(n) Zerstörung offen zutage tritt: Wenn den Deutschen vorzuwerfen ist, dass sie den „totalen Krieg“ provoziert haben, dann ist die „totale Zerstörung“ durch die militärische Aggression eine Folge dieser Provokation oder aber es ist festzustellen, dass die Alliierten moralisch und menschenrechtlich kaum besser reagiert haben, da sie eine totale Zerstörung über Deutschland gebracht haben. Während die Mannheimer Stadtgeschichte in der Bildunterschrift die Phrase durch den Bezug auf ein zerstörtes Objekt, eine Fertigungshalle, eingrenzt (9), wird die Entwicklungslinie vom „Totale(n) Krieg“ zur totale(n) Zerstörung in einer Paderborner Geschichtsdarstellung tatsächlich expliziert (8). Fraglich ist, ob das Adjektiv innerhalb des Kompositums Totalzerstörung in dem Bremer Beleg (10) denselben Anklang besitzt: (8) Der von Propagandaminister Goebbels ausgerufene „Totale Krieg“ mündete auch hier in eine totale Zerstörung und unermeßliches Leid der Zivilbevölkerung. (PB 1999 SGe Hüser, 251) (9) Totale Zerstörung: die Fertigungshalle der Daimler-Benz-AG in der Unteren Riadstraße nach einem Angriff. Foto, um 1943, StadtA MA. (MA 2009 SGp Caroli, 410, Bildunterschrift) (10) Auch als der Vormarsch der Briten nach Nordwestdeutschland begann, war vor einer Feindbesetzung eine Totalzerstörung der Häfen beabsichtigt. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 635)

Als Perspektive, die der morphologischen Verbindung in (10) inhärent ist, stellt sich in der Kombination mit der Bezeichnung Feindbesetzung die Sicht auf die Deutschen als Opfernation ein. Weitere augmentative Adjektive in attributiver Funktion für das Lexem Zerstörung sind verheerende, vollkommene, vollständige, ungeheure, völlige, weitgehende, weitläufige, massive, zahlreiche, zunehmende und starke mit teils vielfachen Vorkommen. Für leichte Zerstörung findet sich dagegen lediglich ein Beleg. Es ist festzuhalten, dass Destroying- und Building-Frame über die Schaltstelle Manner-Degree verkoppelt sind (vgl. Tab. 42). Der Zustand der extremen Zerstörung ist Voraussetzung für die Frage, ob neu- oder wiederaufgebaut werden soll oder kann. Die Erfolgskategorisierung von Wieder- und Neuaufbau sind gleichermaßen geeignet, andere Themen wie die Schuldfrage, die (Unmöglichkeit der) Wiedergutmachung oder auch die Trauer um die Opfer des Holocaust in den

382 

 Korpusanalysen

Hintergrund zu stellen. Beide machen aus der Zukunft eine Vorkriegszukunft, in der die Verbrechen der Nazizeit von den betroffen machenden Wirkungen des Luftkriegs camoufliert sind. Verleiht man dieser Verschiebung eine dispositivanalytische Grundlage, die die Frameverschränkung erfasst, bietet sich ein Framing auf einer übergeordneten interpretatorischen Ebene an. Setzt man hier abermals den Abwehrframe an (vgl. Tab. 43), wird die Verschiebung auf einer abstrakteren Ebene analytisch als Zurückdrängen eines Zusammenhangs zugunsten eines anderen fassbar. Der erste hat dabei den Inhalt, dass die Deutschen für den Holocaust verantwortlich sind und der Luftkrieg der Alliierten eine Reaktion auf die aggressive Expansionspolitik des Hitler-Regimes darstellt, während der zweite die Aussage beinhaltet, dass die Deutschen Opfer des Luftkriegs sind. Innerhalb dieses Rahmens bildet der Angreifer (Assailant) das erste Kern-Element. Er ist zwar insofern konstruktionell null-instantiiert, als der Agenswegfall im Passiv grammatisch lizenziert ist (vgl. Ziem 2015:68). Allerdings verbirgt sich hinter der deagentivierten Kompaktform Angriff eine Agensinstanz in der Mischrolle des verursachenden Zerstörers (Destroyer/Cause). Aus ihr ergibt sich die Rollenzuweisung Täter bzw. Opfer, wobei als Opfer des Angriffs (Victim) nicht die deutsche Zivilbevölkerung sprachlich sichtbar wird, sondern die zerstörte Bausubstanz (vgl. Tab. 40). Die Sicht auf die Alliierten als feindliche Angreifer statt als Befreier lässt sich inhaltlich mit der „attackierenden“ Wirkung der Kollektivschuldthese füllen, die Gegenwehr herausfordert. Sie ist wiederum Bedingung dafür, dass der Wiederaufbau als Handlung aus eigener Kraft dargestellt werden kann. Denn nur so spaltet sich die Leidensgemeinschaft der überlebenden Deutschen von der Besatzungsmacht ab. Die möglicherweise schambesetzte Tatsache, dass sich die Deutschen dieses verbrecherischen Regimes nicht aus eigenem Antrieb entledigt haben, wird „zugedeckt“ (Deckerinnerung) durch die Erinnerung an die (grandiose) Aufbauleistung. Ausgeblendet werden auch die im doppelten Wortsinn entscheidenden Akteure des Aufbaus, d.h. die Alliierten, die den raschen Wiederaufbau politisch und finanziell durch den Marshallplan ermöglich haben. In der Betrachtung der interagierenden Frames auf der schematischeren Framingfolie der Abwehr komme ich zu dem Ergebnis, dass diese Versprachlichung der Zerstörungsereignisse und der Aufbauphasen gerade nicht die konventionalisierte Deutung des Kriegsendes als Befreiung und das damit von Weizsäcker geforderte Primat des Opfergedenkens (vgl. Kracht 2010:4) evoziert.261 Die vertei-

261 Von den drei Deutungsvarianten der Bezeichnung Befreiung, die Rothenhöfer (2008:78ff.) ermittelt, ist hierbei die erste, gedächtniskulturelle adressiert, weniger die, die Befreiung als Gegenbegriff zu Niederlage interpretiert, allenfalls noch die, die den befreiten Deutschen im Gras’schen Sinn die Opferrolle im Zeichen der Schuldverdrängung zuweist.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 383

digende Instanz (Defender) wird durch das Füller-Nomen Architekten expliziter verbalisiert als die Alliierten, die vorwiegend durch den von ihnen ausgeführten Angriff indirekt als Feinde konzeptualisiert und allenfalls attributiv (z.B. alliierte NN) expliziert sind. Eine Passung der Frames garantiert die Überlappung des Victim-Slots, der in beiden äquivalenten Slots (Patient und Created Entity) über die hohe Typefrequenz besondere Salienz gewinnt. Der Opferstatus der Gebäude ist Angelpunkt der Abwehrrahmung. Die Übertragung des Opferbegriffs, die sich hier sprachlich ihren Weg bahnt, wird durch verschiedene lexikalische Strategien flankiert, die weiter unten noch genauer zu betrachten sein werden. Verbindend wirken darüber hinaus die Übereinstimmungen in der Füllerverteilung auf die peripheren Orts- und Zeit-Angaben. Ferner ist es möglich, den abgewehrten Inhalt und das damit verbundene Deutungsmuster zu identifizieren, das hier als nicht verbalisierter Standardwert inferenziell erschlossen werden kann. Die grammatische Besetzung der Opferrolle mit Gebäudesubjekten und die grammatische Besetzung der Täterrolle mit den Alliierten bewirkt eine Deprofilierung der Vorgeschichte (Explanation) des Bombenkriegs, es sei denn man geht davon aus, dass die historischen Hintergründe durch die Standardwerte von Zeitangabe und Ereignisbenennung zuverlässig aufgerufen werden. Auf sie wird allenfalls implizit mithilfe der einordnenden Füller des Containing Event (im Zweiten Weltkrieg) rekurriert. Für das Deutungsmuster des „Aufbaus als Erfolgsgeschichte“ sind sie verstehensnotwendig insofern, als die implizit prädizierten demokratischen Bedingungen und die politische Freiheit ab Kriegsende den Wiederaufbau ermöglicht haben. Im Bild einer quasi naturgewaltig ausgelöschten Stadt, in der nichts Altes und nur zufälig ein architektonischer Zeuge aus der Vergangenheit übrigbleibt, verschwindet auch die Beteiligungsrolle derjenigen, die diese Städte bewohnt haben sowie derjenigen, für die die Städte neu aufgebaut worden sind. Bestehen bleibt ein Mechanismus der Weiterentwicklung und Erneuerung der Städte nach sich wandelnden gesellschaftlichen technischen und ökonomischen Maßgaben. Die Frage nach einem rekonstruktiven und innovativen Aufbau fördert insgesamt die Vorstellung eines Zustands der vollständigen Zerstörung, die metonymisch auf die enorm zerstörerisch wirkende Kriegsführung des Flächenbombardements aus der Luft verweist. Die Abwehrbewegung der Verschiebung wird als Verlust und Heilung vollzogen, als De- und Re-Materialisierung. Der argumentative Kern, der diese Verschiebung umfasst, lässt sich im Frame-Element der Lokalisierung des Angreifers (Location of Assailant) unterbringen: Dort, wo der Luftkrieg Bauten völlig zerstört hat, besteht die Notwendigkeit des Aufbaus. Insofern ist die wiederaufgebaute Stadt keine, die an eine Vorkriegsgeschichte anknüpft, sondern eine, die in diesen Stadtgeschichtstexten mit der Opferrolle der Städte zum Ausdruck

384 

 Korpusanalysen

bringt, dass an diesem Ort auch Menschen getötet wurden (Bewusstmachen des Results), dass diese Menschen Platz für Autos, ein verkehrsgerechtes Umfeld, Grünanlagen etc. benötigen (Beneficiary) und dass der Aufbau insofern nicht Ergebnis von Entscheidungen, Abhängigkeiten, Vorbedingungen und Kontinuitäten ist, sondern wie ein zwingend notwendiger, automatisierter und heilsamer Fortschritt des modernen Stadtlebens in Erscheinung tritt. Tab. 43: Kopplung der Destroying- und Building-Slots im Defending-Frame mitsamt zugeordneter Füller Frame-Elemente Defending

Füller aus dem Destroying-Frame (zerstört_VVPP)

Füller aus dem Building-Frame (*aufbau*262)

Kern (core) Assailant

Destroyer (Luft-)Angriffe, Luftangriff, -en, Bombenangriff Cause Angriff, Luft-/Bombenangriff, -e, -en

Defender

– (deutsche Luftwaffe/Flugabwehr)

Agent (indirekt) Architekten

Victim

Patient Gebäude, Haus, Häuser, Stadt, Kirche, Wohnungen, Wohnhäuser, Straße, Wohngebäude, Dom, Rathaus, Innenstadt, Altstadt, Brücken, Barockhäuser, Wirtschaftsgebäude, Synagoge, Kloster, Kapelle, Industrie

Created Entity Stadt, Bremen, Paderborn, Städte, Innenstadt, Bremens, Rathauses, Haus, Mannheims, Paderborns, Altstadt, Häuser, Kirche, Gebäude, Schlosses, Häfen, Wohnungen, Verwaltung Components

Peripherie (non-core) Manner

(wehrlose Bevölkerung; deutsche Luftwaffe/Flugabwehr schafft die Abwehr nicht)

Manner Wiederaufbau, wieder, neue, neu, Neugestaltung

262 Durch die Standardeinstellung „nicht case sensive“ in AntConc wird die Groß- und Kleinschreibung bei dieser Suchanfrage mit regulärem Ausdruck für beliebig viele Zeichen links und/ oder rechts vom Suchwort nicht berücksichtigt (so werden auch Treffer wie Aufbau, Aufbauleistungen etc. gefunden).

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 385

Means

Means (Brand-)bomben, Bombenangriff Medium Brandbomben, brannte

Place

Place Paderborn, Bremen/Bremer, Mannheim/Mannheimer, hier

Place Bremer, Mannheimer, Paderborner, hier

Time

Time März, Oktober, September, November, April, Jahre, Ende, Jahren, Nacht, Kriegsende, Jahrhundert, August

Time Jahre, Zeit, Januar, Kriegsende, Weltkrieg, Beginn (z.B. des Aufbaus263)

Außerthematisch (extra-thematic) Depictive

Depictive heute

Explanation

Containing Event im zweiten Weltkrieg, Krieg, Kriege, Kriegs, Krieges

(„Stunde Null“ Erfolgsstory)

Location of assailant

Role Luftkrieg, Luftangriffe/ Luftangriff/-en  Degree beschädigt, völlig, fast, schwer, vollständig, stark, in großen Teilen264/zum großen Teil, total, weitgehend, bis auf die Außenmauern/Fassade, teilweise, Prozent

Manner Wiederaufbau, wieder, neue, neu, Neugestaltung

Purpose

Result Tote, Menschen, Zustand, verloren

Beneficiary

263 Siehe Fußnote 29. 264 Über die erweitere Suchabfrage wurden Mehrworteinheiten identifiziert und dann aufgeführt, wenn sich alle Bestandteile in der Kookkurrenzliste (bis Rang 200) wiederfinden ließen.

386 

 Korpusanalysen

6.2.4 Die Nominalisierungskonstruktion erfolgte der Wiederaufbau als Fokuskonstruktion Es wurde bisher argumentiert, dass der Wiederaufbau als Automatismus im Kontext rechtfertigender und werbender Sprachhandlungen entworfen wird. In dieser Form des nominalen Prädizierens bleibt der Prozess ohne „geforderte“ Beteiligte ein abgeschlossener, verselbstständigter Prozess, in den auch gegenwärtige Bauprojekte eingeschlossen sind. Tab. 44: Syntaktische Funktionen der Vorkommen von Wiederaufbau/s und Neuaufbau/s im ZAD-Gesamtkorpus Syntaktische Einbettung

Wiederaufbau/(e)s

Neuaufbau/s

Komplement

352

28

Subjekt Objekt Präp. Akk. Dat.

191 161 96 47 8

15 13 8 3 2

Der Wiederaufbau 1954/55 stellte das Vorkriegsbild des Turmes im Wesentlichen wieder her (PB 2005 BRO Stadt, 12) Was übrig blieb, fiel dem oftmals allzu eifrigen Wiederaufbau zum Opfer (MA 2007 STF Ellrich, 12)

Supplement

92

7

Nur die Fassade blieb beim Wiederaufbau 1961 erhalten. (MA 2014 SGp Keller, 94)

Attribut Gen.-Attr.

237 105

48 16

Entwurfsskizze für den Wiederaufbau der Heidelberger Straße (MA 1999 KAT Schenk, 9, Bildlegende)

Nicht-finite Konstruktion

198

17

Nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1952 Wiederaufbau hinter der erhalten gebliebenen Fassade (HB 2006 TAF Bauwerke, Kontorhaus) 7. Wiederaufbau Paderborns (PB 1992 DID Klönne, 148, Überschrift)

gesamt

889

100

Exemplarische Belege

Die weitere syntaktische Annotation der Belege für die Prozessnomen Wiederaufbau/s und Neuaufbau/s zeigt (vgl. Tab. 44), dass beide im Gesamtkorpus häufig in attributiver Funktion, aber auch in nicht-finiten Konstruktionen

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 387

auftreten, mit denen Überschriften, Bildunterschriften und zu einem geringen Teil auch Titel von Büchern, Aufzählungen und Namen wie Verein zum Wiederaufbau des Rathauses zusammengefasst wurden. Tab. 44 ist darüber hinaus zu entnehmen, dass das Nomen Wiederaufbau häufig in der Komplementrolle, insbesondere auch als Subjekt auftritt, was angesichts der Substantivierung die Frage aufwirft, inwiefern sich das Aktivitätsniveau des Handlungsverbs (wieder) aufbauen verändert oder erweitert. Das perfektive Verb bauen ist als Tätigkeitsverb bestimmt, das zeitlich aspektuell im Zusammenspiel mit seinem direkten Objekt eine allmähliche Zustandsveränderung (accomplishment), weniger aber einen abrupten Zustandswechsel (achievement) impliziert (vgl. Welke 2005b:124 sowie Welke 2005a:178 mit Bezug auf Rapp 1997). In valenzieller Hinsicht verändert bzw. im konkreten Fall begünstigt die Umwandlung eines Verbs in eine Konstruktion mit Deverbativum und Nominalisierungsverb die Möglichkeiten, modale Spezifikationen anzuschließen. Zwar lizenzieren die Verbszenen von aufbauen bzw. passivischem aufgebaut werden eine nähere Bestimmung der Art und Weise, ihre Komplemente rangieren valenzbedingt aber vor der supplementären Modalbestimmung. Das gestaltet sich für die Nominalisierungskonstruktion Wiederaufbau + erfolgen etwas anders. Hier sind Agens- und Patiens-Rolle gegenüber den Supplementen, die Ort, Zeit und Modalität anzeigen, von Vornherein attributiv degradiert. Das Nominalisierungsverb erfolgen ist im ZAD der häufigste Verbkollokator, mit dem sich das Nomen Wiederaufbau verbindet. Es gehört zu einer allgemeineren Klasse als die Funktionsverben im engeren Sinn, zu denen nach von Polenz (1987:171) nur kommen, geraten, sein, bringen und setzen zählen. Funktionsverbgefüge, bestehend aus einem abstraktem Nomen mit Präposition (meistens) und einem Funktionsverb, haben typischerweise ein paralleles Vollverb (zur Darstellung bringen – darstellen) und sind kollokativ stark verfestigt. Das zugehörige Funktionsverb ist semantisch verblasst. Es ist grammatikalisierter Indikator für eine nominale Perspektivierung des Vorgangs und präsentiert diesen als Übergang oder andauernden aktivischen oder passivischen Prozess (vgl. Zifonun 1997:53). Bei Nominalisierungsverbgefügen handelt es sich ebenfalls um Streckformen des Verbs, die als feste Verbindungen idiomatischen Charakter haben können (einen Besuch abstatten). Sie sind insgesamt inhaltlich stärker gefüllt als Funktionsverben (zur Kenntnis nehmen, eine Vereinbarung treffen). Zu den Nominalisierungsverben zählt von Polenz (1987:170) auch solche, die dazu dienen, einen Prädikatsbegriff durch Nominalisierung als Subjekt eines Satzes zu verwenden, ohne ein NVG (=Nominalisierungsverbgefüge, N.W.) zu bilden: z.B. Die Durchsicht erfolgt/geschieht auf folgende Weise.

388 

 Korpusanalysen

Auch in seinem lexikographischen Entwurf, der Nominalisierungserscheinungen mit verschiedenen verbalen Kollokatoren erfasst, gibt von Polenz (1987:186f.) exemplarisch eine Verbindung mit dem Nominalisierungsverb erfolgt an. Es handelt sich um den Mustereintrag zum Nomen Bewegung mit der Gebrauchsvariante „Bewegung als VORGANG bei unbelebten Subjekten“. Hier wird vermerkt, dass Bewegung mit den Nominalisierungsverben geschieht/erfolgt/läuft ab/vollzieht sich auftreten kann und in Klammern fügt von Polenz „mit Modalangabe“ hinzu. Ein analoger Fall liegt für die Nomen-Verb-Verbindung der Wiederaufbau erfolgt vor. In ihr wird das Supplement der Art und Weise aus syntaktischen Gründen salient. Der an sich intransitive Prädikatsausdruck lizenziert konstruktionell ein Modaladverbial. Ähnlich wie bei den Funktionsverben werden aufgrund der profilierten Prozessualität (Dauer) des Nominalisierungsverbs einzelne Zeitabschnitte relevant gemacht. Dem Verb ist außerdem eine passivische Ereignisperspektivierung inhärent. Es gehört wie geschehen, sich ereignen und stattfinden zu den nicht passivierbaren Verben (vgl. die entsprechenden Einträge in VALBU, https://grammis.ids-mannheim.de/verbvalenz, zuletzt abgerufen am 19.03.2020), da durch das Subjekt im Aktiv kein Agens ausgedrückt wird, ja die Agenshaftigkeit selbst für eine unpersönliche Passivbildung (*Hier wird/ist erfolgt.) nicht ausreichend ist.265 So überrascht nicht weiter, dass sich im DWDSWortprofil unter den „Subjekten“ und „Passivsubjekten“ dieselben Nominalisierungen finden – einmal mit Belegen im Präsens bzw. Präteritum und einmal im sein-Perfekt, wobei das perfektive ist erfolgt im DWDS-Wortprofil irrtümlicherweise als (Zustands-)Passiv bestimmt wird. Unter den ersten 20 Nomen befinden sich in beiden Blöcken für das Aktiv- und das vermeintliche Passivsubjekt Zahlung, Schritt, Trennung, Angriff, Verkauf und Festnahme(n), unter den deverbalen Subjekten findet sich sogar der Aufbau. Die Liste der Adverbialbestimmungen gibt schließlich wichtige korpusgrammatische Hinweise auf eine musterhafte Realisierung der Modalangaben des Lexems erfolgen. Die höchsten statistischen Korrelationswerte (logDice) besitzen die Adverbialia automatisch (7,5) und ausschließlich (7,3), immer noch hoch ist die Signifikanz für schrittweise (7,1), freiwillig und sozialverträglich (beide 6,5). Darüber hinaus treten temporale Adverbiale auf (spätestens, 6,8; frühestens, 6,7; später, 6,2). Schließlich liegt mit auf Grund (7,0) auch ein Beispiel für eine Kausalangabe vor. Gleicht man diesen Befund mit den syntagmatischen Mustern im DeReKo-Kookkurrenzprofil (in 8-Wort-Umgebung links und rechts) für die fünf Verbformen erfolge/erfolgt/erfolgen/erfolgte und erfolgten ab,266 bestätigt

265 Zu den Bedingungen für Passivierbarkeit vgl. Eisenberg 2013:121f. 266 Ausgeschlossen wird mit dieser Auswahl ein Teil der stark flektierten attributiven Treffer in

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 389

sich diese Verteilung. Sie differenziert sich für die Aufbau-Nomen dahingehend aus, dass der Wiederaufbau vor dem Aufbau rangiert, gefolgt vom Kompositum Neuaufbau. Die Nomen-Verb-Kollokation der (Wieder-/Neu-)Aufbau erfolgte ist vor allem in Verbindung mit der Präteritalform auch im öffentlichen Diskurs als semantische Mehrworteinheit verfestigt. Zur semantischen bzw. lexikalischen Valenz dieser Verbindung gehört wenigstens ein weiterer Aktant mit adverbialem Charakter, der eine zeitliche oder modale Einordnung bewirkt. Ist diese textuell nicht realisiert, ist auch die Grammatikalität fraglich (?Der Wiederaufbau erfolgte).267 Die kollokative Kraft erweist sich als tempusabhängig. Damit legt die diskursgrammatische Methodologie die Bedingungen der Perspektivierung auf Textebene frei: Valenz entfaltet sich verbspezifisch auf Diskursebene. Kollokative Bindekräfte entwickeln sich in Abhängigkeit vom verbalen (Tempus/Genus verbi) und nominalen Grounding (Singular/Plural). Dieser Gedanke wird im Schlussteil der Arbeit aufgegriffen, wenn die K-Profile und ihre Bindekräfte konkretisiert werden. Schließlich ergibt sich aus der DeReKo-Kookkurrenzliste noch ein überraschender Fund, der die primäre Funktion der Deagentivierung der nominalisierten Konstruktion in Frage stellt. Er deutet auf den regelmäßigen Anschluss der Agensrolle mithilfe von durch hin. Die Rang 1 besetzende Präposition durch macht in dem zugehörigen syntagmatischen Muster Die ... erfolgt ... durch den Urheber der nominal „eingefrorenen“ Handlung sichtbar. Zumeist sind es Personen oder Institutionen (durch die Firma/die Polizei/den Regisseur...), durch die eine Handlung erfolgt, darunter Amtshandlungen wie die Gründung, Benennung, Grundsteinlegung oder Eingemeindung, häufig auch kleine kommunikative oder kognitive Vollzüge wie Zuordnung, Anmeldung oder Abstimmung, die semantisch einen bürokratischen Anstrich erhalten. Die symbolische Aktivität eines offiziellen Aktes kommt mit einem durch jemanden erfolgenden Spatenstich, durch die Über- oder Vergabe zum Ausdruck. Valenziell ist der Agensanschluss mit durch in der Passivkonstruktion weniger profiliert als der Anschluss mit von-Phasen. Daher wird den durch-Phrasen im Unterschied zu den von-Phrasen auch der agentive Komplementstatus abgesprochen. Sie gelten allgemein als Supplemente (vgl. Zifonun 1997:1056). Was diese Transformation vom Passiv zur Nominalisierung leistet, ist folglich nicht unbedingt eine potenzierte Deagentivierung – was anzunehmen durch die Vorstellung einer stillgestellten Aktivität in der Nominalisierung möglicherweise naheliegend wäre. Zunächst eröffnet die Verbindung aus Deverbativum und

Präpositionalphrasen wie nach erfolgtem Wiederaufbau. 267 Dieses Urteil relativiert sich für die seltene Perfektvariante (Der Wiederaufbau ist erfolgt).

390 

 Korpusanalysen

Nominalisierungsverb ebenso wie das Passiv die Möglichkeit, ein Agens anzuschließen und dieses sogar im Mittelfeld der klammerbildenden Konstruktion zu rhematisieren. Die Leistung wird deutlicher durch einen Vergleich der unterschiedlichen Konstruktionsvarianten: (a) [NNAkteur] baute [NNBauwerk] wieder auf. (b) [NNBauwerk] wurde [PP/ADV/ADJDArt] wieder aufgebaut. (c) Der Wiederaufbau [des Bauwerks] [durch die Stadt] erfolgte [in ADJA Weise].

Während in (a) die handelnde (DO), mindestens aber verursachende (cause) Instanz durch die Vorfeldposition und den Nominativ grammatisch exponiert ist, präsentiert die diathetische Perspektive in (b) das Geschehen aus der Sicht des (neuen) Patienssubjekts. Im Unterschied dazu ist die Bewirkungsdimension aus (c) weitgehend getilgt. Aus der kausativen Leistung in (a) ist eine nicht-kausative Leistung (achievement) in (c) geworden. Die diskursgrammatische Wirkung der Nominalisierungskonstruktion besteht folglich darin, dass sich dieser Zustandswechsel nahezu unabhängig davon vollzieht, wer daran beteiligt ist. Das in ihr ausgedrückte Geschehen wirkt automatisiert. Statt des Akteurs verhilft die Konstruktion – und das ist ihre primäre Leistung – ganz anderen semantischen Einheiten zur Prominenz. Sowohl die vorgangspassivische Variante als auch die Nominalisierungskonstruktion setzen modale bzw. temporale Supplemente konstruktionell relevant. Hierbei lässt sich von einer diskursgrammatischen Überwertigkeit des Verbs (wieder) aufbauen ausgehen.268 Mit der Nominalisierungsvariante ist eine diskursfunktionale Zunahme der Rollenforderung verbunden. Zugleich werden die Komplemente der ursprünglichen Verbszene degradiert, da sie – wenn überhaupt – als Attribute zum Nomen fungieren, wie das über die Genitiv-NP angeschlossene Patiens. Doch auch die temporalen Supplemente trifft eine solche syntaktische Rückstufung. Es handelt sich bei den PPen der Nominalisierungsverbgefüge (bzw. ähnlicher mehrteiliger Prädikatsausdrücke) wie in vereinfachter Weise zwar um Satzglieder erster Ordnung.

268  Unter Überwertigkeit wird in der Valenztheorie eine „okkasionelle Valenz-Erhöhung“ (Weinrich 2007:138) verstanden, die teilweise formal auf NPen beschränkt wird und freie Dative, innere Objekte und Temporal-Objekte umfasst. Auf diese Weise unterscheidet Weinrich (2007:140) Temporal-Objekte (Sie haben letztes Jahr geheiratet.), die zum überwertigen Gebrauch führen, von Temporal-Adjunkten (Sie haben im letzten Jahr geheiratet.), die nicht zu den Valenzforderungen des Verbs gehören. Diese Unterscheidung besitzt jedoch aus diskurspragmatischer Sicht wenig Plausibilität. Vielmehr bietet die Diskursebene eine Chance, die binäre Ordnung der „Zweiklassengesellschaft“ (Àgel 2000:167ff.) aus Komplementen und Supplementen durch Diskursaktanten zu ergänzen, deren Status über die Kombination korpuslinguistischer Methoden präzisiert wird.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 391

Da jedoch die Valenz vom deverbalen Nomen (Wiederaufbau) ausgeht, ergibt sich ein Attribuierungseffekt, der an den Beispielen (11) bis (13) nachvollziehbar ist. (11) Ein Wiederaufbau nach historischem Vorbild erfolgte nicht. (PB 2008_KAT Stadtarchiv, 106) (12) Der Wiederaufbau in leicht veränderter Form erfolgte in den Jahren 1947 bis 1950. (PB 2005 BRO Stadt, Gaukirche) (12’) Der Wiederaufbau in den Jahren 1947 bis 1950 erfolgte in leicht veränderter Form. (13) Das lag an fehlenden Finanzmitteln, aber auch an der fehlenden Einigkeit in der Frage, ob ein Wiederaufbau in der typischen Bremer Haus-Struktur erfolgen oder ein „aufgelockerter“ Stadtteil mit größeren Wohnbauten entstehen sollte. (HB 2014 SGe Syring, 130)

Hinter dem Bezugsnomen schließt sich die Phrase meist attributiv an wie in (11). Für eine eindeutige Komplementfunktion müsste die PP nach historischem Vorbild ins Mittelfeld verschoben werden. In (13) allerdings handelt es sich eher nicht um einen attributiven Anschluss, obwohl sich die PP in der typischen Bremer Haus-Struktur in adjazenter Position zum Nomen Wiederaufbau befindet. Semantisch ist hier jedoch die Prozessualität der Aufbautätigkeit impliziert. In (12) lassen sich die beiden Präpositionalphrasen problemlos austauschen wie mit (12’) gezeigt werden kann. Dies belegt den Bezug der Adverbiale auf den gesamten Prädikatsausdruck bzw. die nominale Einheit innerhalb des Prädikatsausdrucks. Funktional handelt es sich um in-between-Phänomene, die sich der expliziten Prädikation des Matrixsatzes oberflächengrammatisch mehr oder weniger stark entziehen, d.h. sie wirken wie gesetzt. Mit dieser Implizitheit kommt zugleich ein pragmatischer Mehrwert der Konstruktion ins Spiel. Ein „erfolgter Aufbau“ erscheint notwendig, geboten, in seiner architektonischen Ausgestaltung nicht anzweifelbar. Seine Aufwertung vollzieht sich konstruktionell, nicht auf Lexemebene, sondern durch die Salienzsteigerung der Supplemente („Überwertigkeit“) und die syntaktische Degradierung der Komplementstellen. Dies belegen gerade die modalen Adverbialen, die semantisch nicht unbedingt eine Verschönerung des Stadtbildes beinhalten, aber dennoch trotz ihres propositionalen Gehalts im Rahmen des verbalgrammatischen Aufwertungsverfahrens die Vorstellung eines gelungenen Wiederaufbaus der kriegszerstörten Städte zumindest nicht trüben. Die framesemantischen Zuordnungen sind in diesem Fall nützlich, um den pragmatischen Effekt der Konstruktion selbst und auch seine Ursachen zu erklären, die insbesondere darin liegen, dass das Modaladverbial in den Vordergrund tritt. Das Framing der typischen Gebrauchsmuster besitzt im Vergleich zu den selteneren Formulierungen im Vorgangspassiv (wurde wiederaufgebaut) den pragmatischen Effekt, die Aufbauleistung mit einer Qualität (modales, ggf. auch temporales Supplement) auszuzeichnen und damit semantisch die Bedingungen zu schaffen, dass diese Mikronarration mit dem semantischen Wert des Stolzes ver-

392 

 Korpusanalysen

sehen wird. Bei einer Gegenprobe stellt sich heraus, dass die Belege im Vorgangspassiv eher den Charakter haben, eine Notlösung zu versprachlichen. Von den 58 auswertbaren Belegen zur Wortform zerstört mit den Kookkurrenten wurde, wurden und worden (in 6-Wort-Umgebung) befinden sich 35 in einer besonderen syntaktischen Umgebung mit Negation (14, 15), als Analepse (17), innerhalb einer Bildlegende (19) oder einer verbalen Koordination (20). Interessant für den Vergleich mit der Nominalisierungskonstruktion als typischer Formulierungsroutine ist nun, dass der pragmatische Mehrwert nicht mehr auf eine Verbesserung durch den Wiederaufbau hin zugeschnitten ist, vielmehr auch Nachteile genannt werden oder wie im Negationsfall das Scheitern eines Aufbauprojektes beschrieben wird: (14) 1945 zerstörten Bomben viele Gebäude des Paderquellviertels. Sie wurden nicht wieder aufgebaut, sondern ab 1947 nach Plänen des Landesrates Reinhold Niemeyer (1885–1959) endgültig und ersatzlos abgerissen. (PB Hyp Zeit, Paderquellgebiet) (15) Und so wurde manches Barock- und Jugendstilhaus nicht wieder aufgebaut, um an seiner Stelle einen funktionalen Neubau errichten zu können. (MA 2013 SGp Stockert, 112)

Diskurssyntaktisch wird mit der verbalen Formulierung die Art des Aufbaus kontrastiv zu alternativen Planungen dargestellt. Dieses Verfahren wird genutzt, um die konventionelle Implikatur zurückzunehmen, dass es sich beim Wiederaufbau um alle möglichen Formen des Aufbaus oder der Rekonstruktion handeln kann. Mit derselben pragmatischen Funktionalität wird das konventionalisierte wieder für den Kontrast zu neu errichtet motiviert. In (16) geschieht dies innerhalb eines analeptischen Verfahrens. (16) Zwar wurde vieles wieder aufgebaut, mehr jedoch nach aktuellen Bedürfnissen neu errichtet. (PB HYP Zeit, Startseite)

Die Analepse führt auch zu einer Beobachtung der Ausdrucksverknappung, für die eine Passivvariante besser geeignet sein kann als eine Nominalisierungskonstruktion. So gelingt in (17) die komprimierende Frameintegration über ein analeptisches Verfahren, kombiniert mit jedoch als einem typischen Konnektor des K-Profils: (17) Die Wirtschaft „Zum Habereckl“ wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, jedoch wieder aufgebaut. (MA 2014 SGp Keller, 116)

Der Stadtpunkte-Beleg in (18) steuert mit der Footing-Strategie des historischen Präsens eine Art Zoomeffekt auf das historische Geschehen bei. Allerdings wird die Aufbauleistung hier nur als vereinfachtes Wiederherrichten gewürdigt:

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 393

(18) Das Gebäude, das im 2. Weltkrieg teilweise zerstört und etwas vereinfacht wieder hergerichtet wird, gehört seit 1938 der Stadt. (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Börse)

Beide Informationen sind im Relativsatz attributiv zum Nomen Gebäude enthalten. Der Matrixsatz wird fortgeführt mit der Information, dass das Gebäude seit 1938 der Stadt gehört. Das syntaktische Mittel der Eigenschaftszuschreibung in der Attribuierung indiziert das selbstverständliche Gelingen eines funktionalen, da vereinfacht(en) Wiederaufbaus.269 In der Parallelisierung der beiden Partizipien zerstört und wiederhergerichtet wird dieses Stück deutsche Geschichte en passant unter Verwendung des eher untypischen Aufbauverbs wiederherrichten erzählt, das jedoch Hinweise auf die Leichtigkeit des Aufbaus enthält. So hat die umgestaltete Börse nach einigen kosmetischen Reparaturen ihren historistischen Charme ganz offensichtlich nicht eingebüßt. In der Aufeinanderfolge der Modalangaben teilweise und etwas vereinfacht entsteht das typische Scharnier zwischen den beiden modalen Supplementen des Destroying- und Building-Frames, dem Zerstörungsgrad (Degree) und der Art und Weise des Wiederaufbaus (Manner). Die hierbei entstehende Defending-Rahmung macht auch den ungenannten Angreifer und seine Tat unschädlich. Was bleibt, ist der Eindruck, dass die kriegsbedingte Zerstörung der Mannheimer Börse nichts anhaben konnte. Mit dem neobarocken Prachtbau, der in einer Ansicht kurz nach der Errichtung von 1902 auf der Tafel abgebildet ist, kann es die heutige Musikschule, ein Bau, der als beeindruckend gilt, allemal aufnehmen. Abgesehen von einigen Verzierungen im Sockelgeschoss, der fehlenden Uhr und der niedrigen Brüstung am Dachsims wurde das Bauwerk, das während der Lektüre der Tafel vis-à-vis sichtbar ist, vollständig rekonstruiert. In der Frameintegration kann sich die verbalgrammatische Gestaltung umkehren (Nominalisierung – Passiv), dies kommt vereinzelt vor und ist eine eher ungewöhnliche Formulierung im ZAD. Allerdings befindet sich (19) in einer reich bebilderten Textumgebung, so dass hier auch eine Komprimierung für die Bildlegende wirksam ist ebenso wie in (20). (19) Der heutige Dom stammt aus dem 13. Jahrhundert. Nach starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde er wieder aufgebaut. (PB 2011 BRO Schäfer, 18) (20) Der spätgotische Backsteinbau erlitt 1944 schwere Zerstörungen und wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut. Seit 1973 steht das Bauwerk unter Denkmalschutz. (HB HYP Cityguide, St.-Martini-Kirche, Bildlegende)

269 Gerade nicht-restriktive Attribute besitzen die Eigenschaft, dass sie keine explizite Prädikation ermöglichen, sondern Einstellungsbekundungen oder Hintergrundinformationen in den Text „reinschmuggeln“ (vgl. Fabricius-Hansen 2007:265).

394 

 Korpusanalysen

Zur Beurteilung des idiomatischen Gehalts der diskursgrammatischen Formation aus partizipialem zerstört und nominalem Wiederaufbau werden drei weitere Belege vergleichend herangezogen, die darin übereinstimmen, dass sie einen vereinfachten Wiederaufbau beschreiben. Entfaltet aber die Nominalisierungskonstruktion eine aufwertende Lesart? Ist der Wiederaufbau auch dann, wenn er vereinfacht erfolgte, als Verbesserung oder als Zeichen eines gelungenen Wiederaufbaus zu interpretieren? Und bleiben im Vergleich dazu alternative verbalgrammatische Gestaltungen wie die analeptisch koordinierten Partizipien in (21) ohne diesen pragmatischen Effekt? Auch wenn die Vereinfachung im Satzkontext in der Nominalisierung in (22) und (23) zunächst als Abstrich interpretiert wird, sind die direkten Anschlüsse an diese Konstruktion auf Verbesserung und Verschönerung hin ausgerichtet. (21) Das Gebäude, das im 2. Weltkrieg teilweise zerstört und etwas vereinfacht wieder hergerichtet wird, gehört seit 1938 der Stadt. (MA 2007 TAF Stadtpunkte, Börse E4) (22) Das 1900/1901 erbaute Hotel am Friedrichsplatz erhält beim Wiederaufbau nach Kriegsende zunächst ein vereinfachtes Dach. Seit 1984 trägt es einen rekonstruierten, an die Originalform erinnernden Dachaufbau. (MA 2003 SGp Keller, 39, Bildlegende) (23) Herz-Jesu-Kirche Bei einem schweren Bombenangriff 1945 wurde sie zum Teil zerstört. Im November 1948 begann der Wiederaufbau, der zunächst nur in sehr stark vereinfachter Form erfolgte. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Form (Turm mit vier Ecktürmchen, Dach des Kirchenschiffes mit Dachreiter und seitlichen Dachausbauten) erfolgte erst 1979 bis 1982, die Innenrestaurierung 1983. (PB 2011 BRO Schäfer, 80)

Die Verbformen in (23) lesen sich wie eine Klimax zur konstruktionell aufgewerteten Wiederherstellung der ursprünglichen Form, die erst 1979 bis 1982 unter Angabe zahlreicher historisierender Details erfolgte. Insgesamt finden sich im ZAD-Korpus 23 Belege zur Nomen-Verb-Kollokation Wiederaufbau erfolgt in Haupt- und Nebensätzen, in zwei weiteren Belegen tritt das Verb als Perfektpartizip attributiv auf und zweimal ist das so modifizierte Nomen in eine adverbiale PP eingebettet. Die Realisierung der Satzglieder bestätigt den musterhaften Anschluss von modalen und temporalen Adverbialen. In drei Fällen wird mithilfe der Präpositionen unter und durch das Agens genannt.270

270 Die folgenden Belege zeigen, dass der gestaltende, aber nicht ausführende Architekt mittels durch oder unter-Phrase genannt werden kann, und dass die Realisierung beider Phrasen Geldgeber und Gestalter differenziert: Nach weitgehender Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erfolgte 1950 der Wiederaufbau durch den Architekten Herbert Anker. (HB 2006 TAF Bauwerke, Deutsches Haus) Bis 1949 erfolgte der Wiederaufbau durch die Dombauhütte GmbH unter dem Architekten Köster. (PB 2008 KAT Stadtarchiv, 50)

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 395

In sieben Fällen werden temporale und modale Angaben gesetzt, wiederum sieben Mal nur die modale und neun mal nur die temporale Angabe. Die Verteilung auf die drei Städte zeigt zunächst ein Ungleichgewicht: 15 Belege stammen aus dem TK Paderborn, sechs aus dem TK Bremen und nur zwei fanden sich im TK Mannheim. Erst mit diversen Bezeichnungsvarianten für das Nomen Wiederaufbau (z.B. Aufbau oder Wiederherstellung) zeigt die Verteilung ein ausgeglichenes Bild. Die Belege bestätigen die diskursgrammatische Bedeutung der Konstruktion, Aufbauentscheidungen weniger als Ergebnis eines Diskurses, denn als quasi naturgesetzliche Prozesse zu entwerfen. Über die möglicherweise städtespezifische Variation des Deverbativums kommen inhaltlich jeweils etwas andere Dinge in den Blick. Mit der Wiederherstellung des neubarocken Wasserturms setzt sich ein Entwurf durch, dessen Architekt (Mündels) in der unter-Phrase in (24) hervorgehoben wird. Die hypotaktisch-attributive Realisierung in (25) bewirkt, dass die Positionierung der Wohngebäude als optimal(e) Lösung (des Belichtungsproblems) erscheint. Das Antonym Abbruch in (26) bildet schließlich die Ränder der diskursgrammatisch motivierten Kollokation ab: (24) Die Wiederherstellung erfolgte 1962–63 unter Leitung Ferdinand Mündels, der sich mit einem eigenen Entwurf bereits im Wettbewerb von 1955 für die alte Dachform entschieden hatte. (MA 1999 KAT Schenk, 38) (25) Dort, wo die Neubauviertel im unmittelbaren Kontext der alten Stadt entstanden, waren die Neuplanungen in erster Linie Antithesen zum Städtebau der Gründerzeit. Das betraf zum einen die Positionierung der Wohngebäude im Stadtgrundriss, die zum Zwecke einer optimalen Belichtung der Wohnungen in typischer Ost-West oder Nord-Süd ausgerichteter Zeilenbauweise erfolgte. (HB 2008 SGe Barfuß, 548) (26) Das erste Mannheimer Planetarium im Luisenpark war in der Bombennacht vom 23. auf den 24. September 1943 schwer beschädigt worden. Einen Wiederaufbau lehnte die Stadtspitze damals trotz Anfragen aus aller Welt aus Kostengründen ab, der Bau von Wohnungen und Schulen hatte Priorität. Auch andere Verwendungszwecke des Gebäudes wurden verworfen, so dass man die noch vorhandenen Projektionsgeräte 1953 an die Firma Zeiss in Jena verkaufte. Noch im selben Jahr erfolgte der endgültige Abbruch der Ruine.Fn (MA 2009 Sgp Caroli, 588)

Dass die Stadtspitze den Wiederaufbau des Planetariums ablehnt, weil sie dem Bau von Wohnungen und Schulen Priorität einräumt, wird als Begründung für den endgültige(n) Abbruch der Ruine genannt. Ebenso wie das Verb-Nomen-Muster mit Wiederaufbau ein semantisches Surplus aus Erfolg und Verbesserung erzielt, besitzt die Konstruktion mit dem antonymen Lexem einen expressiven Mehrwert und bildet den negativen Höhepunkt einer Kurznarration über die so genannte „zweite Zerstörung“ in der Nachkriegszeit. Die Verbindung hat eine Tendenz dazu, den Wiederaufbau semantisch auch als Wiederherstellung des Alten zu

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 Korpusanalysen

fassen, worauf die Formulierung in (13) hindeutet, weil als Alternative dazu, dass ein Wiederaufbau in der typischen Bremer Haus-Struktur erfolge(t), eine moderne aufgelockerte Bauweise entstehen sollte. Diese Bedeutungsverengung kommt in der Verbindung mit dem Nominalisierungsverb erfolgte zustande. Ein kleiner Exkurs zur diskursspezifischen Semantik des Nomens Wiederaufbau demonstriert über die Implikaturen, dass der Wiederaufbau semantisch unspezifisch und anders als das Partikelpräfix wieder vermuten würde, ohne den Bedeutungsaspekt der originalgetreuen Wiederherstellung gebraucht wird. Somit kann die Art und Weise des Aufbaus in jegliche Richtung spezifiziert werden. Dies geschieht in (27) mit einer formelhaft eingeleiteten Korrekturmarkierung, in (28) mit einem modalen Supplement (völlig neu gestaltet), das widersinnig wirken würde, wenn wieder das Lexem semantisch auf die rekonstruktive Aufbauweise festlegen würde. Gar das Gegenteil einer Wiederherstellung ist in (29) gemeint. Als Voraussetzung für den Neuaufbau wird ein umgestaltender Aufbau, ja ein Abbruch verstanden: (27) In den Kriegsjahren 1944 und 1945 wurde die Innenstadt von Bremen fast vollständig zerstört. Dieses Schicksal teilte Bremen mit vielen deutschen Städten. Heute, nach 20 Jahren, ist in den westdeutschen Städten ein Wiederaufbau – besser gesagt – ein Neuaufbau der zerstörten Gebiete weitgehend durchgeführt, ein Umstand, den 1945 kaum jemand erhofft und erwartet hatte. (HB 1965 DOK Beidatsch, 3) (28) Das Viertel, ursprünglich Sitz vieler Handwerksbetriebe, einiger Ackerbürger-Höfe, vor allem aber wichtiges innerstädtisches Wohngebiet, wurde beim Wiederaufbau vor allem entlang der Heiersstraße, Hathumarstraße, dem Ükern und der Meinwerkstraße völlig neu gestaltet. (PB 2014 BRO Baukultur, 55) (29) Aus diesen verschiedenen Gründen wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beim Wiederaufbau vieler Städte nicht nur zahlreiche Ruinen zugunsten gänzlich neuer Gebäude abgebrochen, auch gut erhaltene Altbauten und ganze Stadtviertel mußten der Modernisierung weichen. (MA 1999 KAT Schenk, 7)

Dadurch dass diese Implikatur bereits konventionalisiert ist, steht das Lexem Wiederaufbau oberbegrifflich für verschiedene Varianten des Aufbaus zur Verfügung. Und doch ist gleichsam mit dem Adverb ausdrucksseitig eine Wiederherstellung impliziert, und zwar in dem Sinn, den Kämper (2005:167) für den Gebrauch von wieder diagnostiziert: mit der Verständnisweise einer Rückkehr zu alten Gewiss- und Gepflogenheiten. Festzuhalten bleibt, dass die Bedeutungserweiterung des nominalisierten Wiederaufbaus und die Kollokation mit dem Nominalisierungsverb erfolgte auf pragmatisch-idiomatische Weise den Eindruck von Kontinuität erzeugt – und das unabhängig davon, in welchem Verhältnis Wieder- und Neuaufbau faktisch zueinander stehen.

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 397

In der öffentlichen Kommunikation weist der nominale Slot des Sprachgebrauchsmusters [NNBauprozess erfolgte] eine gewisse Dynamik auf. Dies lässt sich anhand der DeReKo-Kookkurrenzliste zur Präteritalform erfolgte korpuslinguistisch erfassen. Unter den ersten 200 Kookkurrenzen finden sich ca. 20 Treffer aus dem semantischen Feld „Bauen und Gestalten“. Sie reichen von Grundsteinlegung und Einweihung bis hin zu einschlägigen Nominalisierungen wie Bau, Umbau, Ausbau, Wiederaufbau und Neubau, aber auch Wiederherstellung, Restaurierung, Renovierung und Fertigstellung. Bei Durchsicht weiterer 200 Treffer kommen die antonymen Nomen Abriss, Abbruch und Abbau hinzu. Eingehende Betrachtung verdient der Jahreszahl-Kookkurrent 1945 auf Rang 60 mit dem zugehörigen syntagmatischen Muster [Nach 1945 [...] erfolgte die Wiederherstellung], welches durch eine Reziprokanalyse als stark verfestigt bestätigt werden kann: Im Kookkurrenzprofil zu 1945 findet sich dasselbe syntagmatische Muster zur kookkurrenten Wortform erfolgte auf Rang 121. Den Kern eines erinnerungskulturellen Sprachgebrauchsmusters bildet vermutlich die Rumpfkonstruktion 1945 erfolgte, an die sich ein Slot mit den beschriebenen Prozessnomen anschließt, von denen solche mit Bau- und Gestaltungssemantik einen nicht unerheblichen Teil ausmachen. Denn das vollständige syntagmatische Muster ist Folge einer Verzerrung innerhalb des DeReKo. Das auf der Basis von 1223 Belegen errechnete Muster [Nach 1945 (...) erfolgte die Wiederherstellung] beruht überwiegend auf 302 Wikipedia-Belegen mit dem Satz Nach 1945 erfolgte die Wiederherstellung Oberösterreichs271 zu verschiedenen Orten im Bundesland Oberösterreich. Über die NS-geschichtliche Namensänderung der Orte heißt es dann allein in folgender Satzabfolge 92 Mal: (30) Seit 1918 gehört der Ort zum Bundesland Oberösterreich. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 gehörte der Ort zum „Gau Oberdonau“. Nach 1945 erfolgte die Wiederherstellung Oberösterreichs. (u.a. WPD11/A03.95267: Auberg, In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Auberg: Wikipedia, 2011)

Die statistische Signifikanz wird mit dieser Wiederholung erklärbar, die diskursgrammatische Relevanz relativiert sich damit enorm.

271 Hinzukommen 13 Belege, die ohne die Präposition nach direkt mit 1945 im Vorfeld beginnen.

398 

 Korpusanalysen

Tab. 45: Füllerelemente für die Rahmenkonstruktion [X Wiederaufbau X erfolgte X] mit 502 Treffern im DeReKo und 413 auswertbaren Belegen in Lexpan

nom. Vorfeld

Anz.272

nom. Mittelfeld

Anz.

Der/der

267/38

Ø

286

Temporal in den Jahren/ bis CARD

104

Ein/ein

25/4

der/des [Gebäude], der Kirche (6)/ Stadt (3), des Ortes/ Dorfes (je 3)

68

modal im klassizistischen Stil, in vereinfachter Form, in Fachbauwerkweise

46

Temporal nach 1945/ Kriegsende

15

Akteur unter der Leitung des NN/nach erfolgte Plänen von NE

38

7

ohne Zuordnung, z.B. als kleines, erst wieder, inzwischen, aufgrund der schweren, zum Teil in, in südlicher, danach im, aufgrund der, jedoch so

17

Der/Ein ADJA neuerliche/r, systematischer, städtebau­ licher, original­ getreuer, ...) Ø

37

Wiederaufbau

Modal in der historischen Form/ ohne Apsis

nom. Nachfeld

Anz.

272  Zugeordnet wurden nur eindeutige Belege, was die Zahlenangaben leicht verzerrt. Vereinzelt wurde Beleg mehrfach annotiert, z.B. als Temporal- und Akteursangabe wie in 1957 bis 1962 nach Plänen (...).

 399

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

Tab. 46: Füllerelemente für die Rahmenkonstruktion [X erfolgte X Wiederaufbau X] mit 555 Treffern im DeReKo und 493 auswertbaren Belegen in Lexpan

nom. Vorfeld

Anz.

Temporal Nach dem Zweiten Weltkrieg /Krieg

17/11

Temporal Jahrhundert/s

11

Temporal 1945

10

Temporal Jahreszahl

134

nom. Mittelfeld

Anz.

der

283

der NN (Stadt, 15 der Kirche)

ein

34

des NN (Unter- 6 nehmens, Schlosses)

Ø

12

Genitivattribute ges.

kein

10

erfolgte

Temporal (ab/bis) Jahreszahl (der/ein) ein/der ADJA ‚hohes Tempo’ und ‚einfacher als vorher’ (ein rascher/ der zügige/ein vereinfachter/ in notdürftiger/der teilweise)

42

24

nom. Nachfeld

Anz.

99

ATTR ‚Art und 29 Weise’ (im Stil des Wieder- Barock, als aufbau moderne Stadt) ATTR ‚Akteur’ 20 (unter der Leitung des, durch den)

400 

 Korpusanalysen

Der Füllerauswertung mithilfe des Auswertungstools Lexpan273 liegt allein die Nominalisierung Wiederaufbau zugrunde. Denn auch quantitativ reicht das Lexem Wiederherstellung weder im ZAD-Korpus noch im DeReKo an den Oberbegriff Wiederaufbau heran.274 Im DeReKo machen die Treffer für Wiederherstellung (38.662) etwa ein Drittel der Treffer für Wiederaufbau (99.809) aus, allerdings müssten die Genitiv-Varianten Wiederaufbaus (7.848) hinzuaddiert werden, da in der Wortform Wiederherstellung synkretistisch alle Singularkasus zusammenfallen. Lexpan bietet die Möglichkeit, Lückenelemente systematisch auszuwerten, d.h. nach Oberflächenmerkmalen zu sortieren und damit „Variationen innerhalb der rekurrenten syntagmatischen Einheit zu erfassen“ (Steyer/Brunner 2009:13). Für die diskontinuierlichen Mehrworteinheiten „erfolgte /+w6 Wiederaufbau“ und „Wiederaufbau /+w6 erfolgte“ wurden Lückenelemente an jeweils drei Positionen (vorne, hinten und mittig) erfasst. Hierfür wurde der Suchoperator #* für 0 bis beliebig viele Zeichen verwendet (#1–3). In der Auswertung bestätigt sich die standardsprachliche Obligatorik der Temporal- und Modalsupplemente für die Nomen-Verb-Verbindung (vgl. Tab. 45 und 46). Positionell ergeben sich damit folgende Musterhaftigkeiten: Der [ADJA ‘modal’] Wiederaufbau [Ø / der/des NN ‘Patiens’ / nach Kriegsende] erfolgte [PP ‘temporal’ / PP ‘modal’ / PP ‘Akteur’] (31) Der Wiederaufbau erfolgte im gotischen Stil, doch noch mehrere Male wurde die Kirche beschädigt. (RHZ06/JAN.24807 Rhein-Zeitung, 30.01.2006) (32) Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Werksanlagen zu 40 Prozent zerstört. Der Wiederaufbau nach Kriegsende erfolgte rasch, so dass im Herbst 1945 wieder über 1000 Arbeiter in Lohn und Brot standen. (WPD11/C53.86793: Carl Hugo Steinmüller, In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Hugo_Steinmüller: Wikipedia, 2011) (33) Der Wiederaufbau erfolgte unter Fürst Paul I. Esterhazy. (WPD11/F05.97188: Frauenkirchen, In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenkirchen: Wikipedia, 2011)

273 Der Lexical Pattern Analyzer (Version 2017-11-09) oder kurz Lexpan ist ein Analysewerkzeug zur Untersuchung syntagmatischer Strukturen auf der Basis von Korpusdaten und online verfügbar unter http://uwv.ids-mannheim.de/lexpan/ (zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Er wurde im Projekt „Usuelle Wortverbindungen“ am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache Mannheim entwickelt. 274 Die Resultate der Suchanfragen illustrieren auch die Verzerrung durch das Copy-Paste-Phänomen der Satzwiederholung in Wikipedia: „erfolgte /+w6 Wiederherstellung“ = 400 Treffer (verzerrt) „Wiederherstellung /+w6 erfolgte“ = 77 Treffer „erfolgte /+w6 Wiederaufbau“ = 555 Treffer „Wiederaufbau /+w6 erfolgte“ = 502 Treffer

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 401

(34) Sie wurden zwar nach dem Zweiten Weltkrieg z. T. dem Verfall preisgegeben, ihr originalgetreuer Wiederaufbau erfolgte jedoch in den letzten Jahren. (WPD11/L05.95163: Lądek-Zdrój, In: Wikipedia – URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Lądek-Zdrój: Wikipedia, 2011) (35) Der Wiederaufbau der Hofkirche erfolgte in den Jahren 1960 bis 1966. (WPD11/ H22.88435: Hofkirche Bruchsal, In: Wikipedia – URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Hofkirche_Bruchsal: Wikipedia, 2011)

[CARD ‘temporal’, PP ‘Ereignis’] erfolgte [der] Wiederaufbau [der/des NN ‘Patiens’ / PP ‘modal’ / PP ‘Akteur’] (36) Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau erst ab 1955. (NUN14/ AUG.01455 Nürnberger Nachrichten, 12.08.2014, S. 26) (37) Nach Kriegsende erfolgte der Wiederaufbau des Geschäftes. (RHZ97/OKT.03522 Rhein-Zeitung, 06.10.1997) (38) Von April bis Juli 1950 erfolgte der Wiederaufbau der Brücke. (WPD11/A26.08494: Alte Mainbrücke, In: Wikipedia – URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Mainbrücke: Wikipedia, 2011) (39) Auch sonst erfolgte der Wiederaufbau in vereinfachter Form. (WPD11/G29.44970: Görtz-Palais, In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Görtz-Palais: Wikipedia, 2011) (40) 1962/63 erfolgte der originalgetreue Wiederaufbau. (WPD11/M04.27476: Muhen, In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Muhen: Wikipedia, 2011) (41) Erst ab 1655 erfolgte der Wiederaufbau durch Siedler aus Böhmen,Tirol (sic!) und Bayern. (WPD11/G62.66574: Gabelbachergreut, In: Wikipedia – URL:http://de.wikipedia. org/wiki/Gabelbachergreut: Wikipedia, 2011) (42) Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erfolgte ein Wiederaufbau der Stadt, der sich nicht an die historisch gewachsene Stadtstruktur hielt. (WPD11/M03.24689: Magdeburger Straßen/P, In: Wikipedia – URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburger_Straßen/P: Wikipedia, 2010)

Für die Verbindung Wiederaufbau erfolgte treten Temporalangaben im Mittelund Nachfeld auf, für die invertierte Form erfolgte Wiederaufbau prominent im Vor- und auch im Mittelfeld. Die modale Qualität ist in beiden Varianten frequent im Mittel- und Nachfeld ausgedrückt. Das Nachfeld der Variante Wiederaufbau erfolgte ist in den meisten Fällen besetzt, was in Verbindung mit der seltenen Mittelfeldfüllung darauf hindeutet,275 dass die Konstruktion nur marginal als Nebensatz mit Vl-Stellung gebraucht wird. Die ereignisbezeichnenden PPen nach dem Zweiten Weltkrieg und nach Kriegsende gewinnen im Vor- und Mittelfeld der Konstruktion semantische Standardwerte, die die Grundstimmung der Aufbau-

275 Auch die attributiven Füllungen ändern nichts am Befund eines leeren Mittelfelds, da sie zum Nachfeld der Nominalphrase gehören.

402 

 Korpusanalysen

phase einfangen. Bei ihnen handelt es sich nicht um reine Temporalbestimmungen, denn die Angabe tritt mit weiteren Temporalangaben kombiniert auf wie in (36). Beiden Konstruktionsvarianten kann die in den Keyword-Analysen ermittelte temporale Referenz zugeordnet werden, insbesondere durch die Mehrwortverbindungsmuster in den NUM-er Jahren und in de* ersten/letzten Wochen/Zeit. Belege für präpositional angeschlossene Akteure im Nachfeld treten nur selten im Zerstörungskontext des Zweiten Weltkriegs auf, was diese Form der Musterhaftigkeit leicht zurückstuft. Auch die Realisierung der Patiensrolle im Mittelfeld der Konstruktion [Wiederaufbau ... erfolgte] bzw. im Nachfeld von [erfolgte ... Wiederaufbau] tritt mengenmäßig gegenüber den Angaben zu Zeit und Art und Weise des Aufbaus deutlich in den Hintergrund. Informationsstrukturell bringt die Konstruktion zur Geltung, dass wiederaufgebaut wurde, und weniger was und wie. Das Was ist aber zugleich im größeren Kontext bekannt, so dass die Konstruktion auch auf einen thematischen Schwerpunkt der Aufbaugeschichte von Bauwerken/Bezirken o.Ä. hindeutet. Ist der Gegenstand aus dem Vorgängersatz bekannt, wird er nicht noch einmal explizit genannt. Dies stellt sich konstruktionsbedingt bei der Beschreibung des Zerstörungsereignisses ganz anders dar. Die Konstruktionswahl des Vorgangspassivs erzwingt eine ausdrucksseitige Setzung des promovierten Patienssubjekts, wogegen das Patiens in der Nominalisierungskonstruktion durch die Rückstufung in die Attributfunktion diskurssemantisch verblasst ist. Welche Füllung aber weist das Patiens auf, wenn es ausdrucksseitig gesetzt wird? Gleicht die Benennung den ausdrucksseitigen Füllungen der Genitivattribute, die an das Nomen Zerstörung angeschlossen werden? Von den in Lexpan verarbeiteten DeReKo-Belegen mit attributivem Anschluss einer Genitiv-NP konnten 514 Beispiele für Wiederaufbau des NN ausgewertet werden: Sie präferieren Stadt und (Frauen-/Dresdner/Nürnberger) Kirche als Füllerelemente, während in die 438 nominalen Muster für Wiederaufbau der NN bevorzugt Landes, Pellerhof(e)s, Irak und (Berliner) Stadtschlosses eintreten. Neben erkennbaren Spuren aktueller Diskurse fällt auf, dass die Gebäude in einigen Fällen durch die partizipialen Adjektive zerstört/kriegszerstört attribuiert werden, was sich für die Kollokationsbelege mit erfolgte und Wiederaufbau wiederum als marginal erweist. Auch dies deutet auf einen ausgedehnteren Prätext der Konstruktion hin, in dem das Zerstörungsereignis bereits (passivisch) aufgerufen wurde. Bezogen auf die Adjektivattribute fällt für die kollokative Konstruktion im Vergleich mit allen Vorkommen von Wiederaufbau auf, dass sie mengenmäßig eine ähnlich untergeordnete Rolle spielen. Auch semantisch spezifizieren sie das Tempo und die Stile, jedoch auch in kritischer bzw. die Nachteile beleuchtender Weise, z.B. durch Adjektive wie schnell, langsam, schleppend bzw. historisierend mühevollen, lieblosen oder schlicht. Das deutet darauf hin, dass die Konstruktion semantisch die Qualität bzw. Modalität akzentuiert, die Tendenz der zugrunde-

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 403

liegenden Wertung jedoch diskursspezifisch ausfallen kann und entsprechend im ZAD-Korpus durch die Wahl der Hochwertadjektive als Erfolgsgeschichte des Wiederaufbaus angelegt ist. In der Genitivrolle überwiegen für die NP des Wiederaufbaus Bezugsnomen mit temporaler Semantik. Das häufigste Bezugswort zur NP des Wiederaufbaus ist Zeit, gefolgt von Jahre, Zuge, Phase und Beginn, die gar nicht oder nur am Rande mit dem Zerstörungsthema assoziiert sind. Es tritt bezogen auf die Verschränkung der ZAD-Diskurse somit ein ganz anderer diskursgrammatischer Mehrwert hervor, der kontrastiv die Konstruktionsbedeutung der kollokativen Kräfte zwischen Wiederaufbau und erfolgte belegt. Möglicherweise wirkt die Konstruktion [NNZeitabschnitt des Wiederaufbaus] im allgemeinen Sprachgebrauch auch kontextualisierend für die Einschränkungen, die in dieser politischen Epoche gemacht werden mussten, da der häufigste Adjektiv-Kollokator zu den Temporalnomen eben diese Hindernisse evaluativ benennt: Es ist eine schwierige/mühevolle/karge/harte/entbehrungsreiche etc. Zeit/Phase etc. des Wiederaufbaus. Während diese semantische Präferenz die Schattenseiten der Aufbauleistung zum Ausdruck bringt, verfügt die kollokative Verfestigung des Nomens mit Nominalisierungsverb im ZAD-Korpus über eine semantische Prosodie, die den Wiederaufbau als enorme Leistung profiliert. Und dies hängt nicht zwingend mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Wertadjektive zusammen, die den Wiederaufbau mitunter sogar als vereinfacht oder notdürftig charakterisieren. Vielmehr handelt es sich um ein Resultat aus der besonderen Verknüpfung von Wiederaufbau- und Zerstörungsframe, wobei hinsichtlich der Konnektivität nicht nur die Frameintegration (Satzkontext), sondern vor allem die (satzübergreifende) Verknüpfung im K-Profil wirksam ist. Wie bereits angedeutet, ist die Frameintegration in den Pressetexten im DeReKo vor allem in solchen Kontexten zu beobachten, in denen nicht Zerstörung und Wiederaufbau die eigentlichen Betrachtungsgegenstände sind, sondern primär über etwas anderes berichtet wird, das dann den Rahmen für die Beschreibung von Zerstörung und Aufbau absteckt, wie z.B. die Kritik an der Stadtentwicklung insgesamt (43), das Programm einer Sonderausstellung (44) oder die Ankündigung einer Radtour mit Schwerpunkten auf Themen der Stadtarchitektur (45): (43) Auch der Wiederaufbau des zerstörten Stadtschlosses hätte – ähnlich wie es Dresden mit der Frauenkirche gelang – für Furore sorgen können. Die Chance blieb bislang ungenutzt. (L98/MAI.00667 Berliner Morgenpost, [Tageszeitung], 17.05.1998, S. 2) (44) Die Ausstellung, die noch bis zum 1. Mai zu sehen ist, erzählt vom Wiederaufbau der zerstörten Stadt im Kampf gegen die enorme Wohnungsnot einer ausgebombten Bevölkerung, der Flüchtlinge und Vertriebenen. (BRZ13/JAN.05327 Braunschweiger Zeitung, 15.01.2013, Braunschweiger Zeitung)

404 

 Korpusanalysen

(45) Der Städtebau-Fachmann zeigt dabei – ausgehend vom Treffpunkt im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses – den Wiederaufbau der zerstörten Stadt nach dem zweiten Weltkrieg. (M99/JUL.45913 Mannheimer Morgen, [Tageszeitung], 15.07.1999, Jg. 54)

Ein völlig anderes semantisches Profil ergibt sich mit der Frameverknüpfung (satzübergreifender Kotext), deren rekurrente Musterbildung in dieser Arbeit bereits mehrfach angeklungen ist. Sie kommt beispielsweise in obigem Treffer (34) dadurch zum Ausdruck, dass der konsekutive Konsequenz-Marker sodass ein weiteres Merkmal zur Kontextualisierung erinnerungskultureller Wertsetzung selegiert: (46) Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Werksanlagen zu 40 Prozent zerstört. Der Wiederaufbau nach Kriegsende erfolgte rasch, so dass im Herbst 1945 wieder über 1000 Arbeiter in Lohn und Brot standen. (WPD11/C53.86793: Carl Hugo Steinmüller, In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Hugo_Steinmüller: Wikipedia, 2011)

Konsekutivität wird von Volodina (2014:794) „als informationsstrukturierende Variante der Kausaltät (sic)“ aufgefasst. Ihr liegt eine Konverserelation zugrunde, was bedeutet, dass sie entsprechend umgeformt werden kann: (46’) Weil der Wiederaufbau nach Kriegsende so rasch erfolgte, standen im Herbst 1945 wieder über 1000 Arbeiter in Lohn und Brot.

Für kausale Konnektoren werden grundsätzlich zwei Diskursrelationen unterschieden: eine semantische und eine pragmatische (vgl. Stede/Walter 2011 und Breindl/Walter 2011). Als Konnektor mit eindeutiger Präferenz für eine pragmatische Relation gilt die Subjunktion da (Breindl/Walter 2011:509), die Evidenz für eine Vermutung, Behauptung, Meinung o.ä. liefert, während der Postponierer sodass den einzigen Konnektor darstellt, der eindeutig eine semantische Verknüpfung der Propositionen auf Sachverhaltsebene präferiert. Für den Konnektor sodass zeigt sich eine Tendenz zur non-volitional-cause-Relation zwischen den Konnekten. Damit geht einher, dass der Postponierer kein Agens-Subjekt im Konsequens-Argument aufweist. In (46’) wird in beide Richtungen non-agentiv formuliert: Auch das Antezedens-Argument kommt ohne eine willens- oder interessengesteuerte Verursachungsinstanz aus. Hinzu kommt, dass das von sodass eingeleitete Konsequens-Argument für den Sprecher die Konklusion einer Schlussfolgerung bildet, deren eine (partikuläre) Prämisse die Proposition (f) ist, an die der Untersatz anknüpft. Unterstellt, aber nicht direkt ausgedrückt wird dabei das entsprechende Konditionale „(normalerweise) wenn f, dann y“, das als weitere Prämisse zu einer solchen Schlussfolgerung gehört. Das heißt, das Konditionale muss zu dem Redehintergrund des Sprechers geschlagen werden. Handelt es sich

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 405

nun beim Obersatz um einen unmodalisierten Behauptungssatz (...), so wird die Untersatzproposition als faktisch hingestellt. (Fabricius-Hansen 2009:785)

Die konstruktionsbedingte starke Faktizitätszuschreibung für das interne Konnekt mag für den Sachverhalt in (46’) auf den ersten Blick nicht weiter überraschen. Es ist nachprüfbar, wann wie viele Arbeiter wieder in Lohn und Brot gestanden haben. Doch das Phrasem in Lohn und Brot stehen gibt bereits einen Hinweis auf die evaluative Prosodie, die mit den sodass-Konnekten in diesen Aufbaukontexten verbunden ist. Sie lässt sich für das ZAD bestätigten. Dort finden sich vor allem in frühen Dokumenten Belege für diese implizit ausgedrückte Folge-Beziehung, in denen z.B. die rasche Beseitigung der Spuren des Kriegsgeschehens als Voraussetzung für ein neues tugendhaftes Selbstverständnis (Fleiß, Gemeinschaftssinn, einsichtsvolle Haltung) präsentiert wird: (47) Die nach der Zerstörung ohne Verzug in Angriff genommene Planung und großzügige Umlegung haben den Wiederaufbau erheblich beschleunigt, so daß die Spuren des Kriegsgeschehens nur noch wenig zu bemerken sind. Fleiß und Gemeinschaftssinn der Bürger haben manches ermöglicht, die einsichtsvolle Haltung des Rates der Stadt hat vieles gefördert. (PB 1955 DOK Schmidt, 3)

Dass die Spuren des Kriegsgeschehens nur noch wenig zu bemerken sind, ist aber nicht nur der als faktiv konstruierte Wahrnehmungsinhalt. Es ist implizites Desiderat, dass in geradezu militärischer Beflissenheit die ohne Verzug in Angriff genommene Planung umgesetzt wird. Jenes als nicht mehr sichtbar Behauptete hat erinnerungskulturell eher die Wirkung des Ungeschehenmachen denn vergegenwärtigende Funktion. Die Inversion der katastrophalen Ereignisse, die als günstige Voraussetzung für den Wiederaufbau erscheinen, entsteht durch Rekontextualisierung des für die Zerstörungsszenerie charakteristischen Vokabulars. Dazu gehört auch das rekurrente und ebenfalls im typischen PVM-Komplex auf­tre­tende Phrasem in Angriff nehmen bezogen auf konkrete Wiederaufbau­ projekte.276

276 Die weiteren Belege aus den drei Städten sind Katalogartikeln mit Fachtextcharakter entnommen: Erst nach jahrelangen Überlegungen wurde der Aufbau in Angriff genommen. (PB 1987 KAT Stambolis, 68) Während der Wohnungsbau und die Brücken zu den existentiell notwendigen und damit unbefragt in Angriff genommenen Bauvorhaben gehörten, galt dies für andere Objekte nicht in gleicher Weise. (MA 1995 KAT Peters) Der Ausbau der Nordkaje konnte noch in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre in Angriff genommen werden. (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Kapitel „Arbeit“)

406 

 Korpusanalysen

In weiteren Belegen für den Postponierer sodass im Wiederaufbau-Kontext kristallisieren sich zwei kontextualisierende Muster heraus: Die Tabula-rasa-Formulierungen für das Zerstörungsbild mit Modifizierern wie vollständig oder total werden kombiniert mit Füllern für den Medium-Slot im Zerstörungsframe, der auf die Ursache für die Zerstörung verweist: Hier sind Lexeme im Umfeld von Brand und brennen zu nennen, die die eigentliche Ursache von der Intentionalität ihrer Verursacher (das gezielte Bombardement der Nationen, denen Deutschland ab 1939 den Krieg erklärt hat) auf die verheerende Wirkung der eingesetzten Mittel (Bomben) verschieben. Wenn aber die Bomben ungenannt bleiben, wirkt die verursachende Instanz wie eine Naturgewalt, als wäre die Stadt von einem namenlosen Schicksal erfasst worden und unverschuldet ausgebrannt, nur, um wenig später wie Phönix aus der Asche wiederzuerstehen – leistungsfähiger als je zuvor. Zur Metaphorik des Brennens gesellt sich auch das Regnen der Sprengbomben, der (bereits stärker lexikalisierte) Feuersturm (50), der konsekutiv für den Untergang der Stadt verantwortlich ist, sowie das Phrasem vom Erdboden verschwinden in (49), das die für möglich gehaltene Rekonstruktion um so erstaunlicher werden lässt: (48) Glücklicherweise waren die für Paderborn besonders charakteristischen Bauten nur ausgebrannt, so daß die Möglichkeit bestand, die herrlichen Steinfassaden dieser Baudenkmäler zu erhalten oder beim Wiederaufbau zu ergänzen. (PB 1955 DOK Schmidt, 22) (49) Der alte Brunnen erhielt 1945 einen Bombenvolltreffer und war seitdem vom Erdboden verschwunden. Auf Betreiben einer Bürgerinitiative und auch von dieser finanziert wurde er 1978 an alter Stelle durch einen modernen Neptunbrunnen ersetzt, ein Werk des Paderborner Künstlers Josef Rikus. Bei den Ausschachtungsarbeiten fanden sich in dem verfüllten Bombentrichter etliche bedeutende Fragmente des zerstörten Brunnens, so dass eine Rekonstruktion technisch möglich wäre. Ob und an welcher Stelle sie eines Tages erfolgen wird, bleibt abzuwarten. (PB KAT 2008 Stadtarchiv, 112) (50) Beim letzten und schwersten Angriff auf Paderborn am 27. März regnete es Sprengund Brandbomben, so daß die Stadtmitte in einem ungeheuren Feuersturm unterging. Der mächtige Domturm wurde vom Feuer erfaßt, sein Helm brannte wie eine riesige Fackel und stürzte in sich zusammen, der schwere eichene Glockenstuhl brannte vollständig aus. (PB 1969 SGp Tack, 151) (51) Im Krieg wurde das Focke-Museum in dem 1702 errichteten ehemaligen Armenhaus vollständig zerstört. Aus verkehrsplanerischen Gründen war ein Neubau an dieser Stelle nicht vorgesehen, so dass die Fläche als Teil der Wallanlagen neu gestaltet werden musste. Die in Erinnerung an ihre Vornutzung „Focke-Garten“ genannte Grünanlage bezog die Grundmauern des alten Gebäudes mit ein, die zu Gartenmauern umfunktioniert wurden. (HB 2014 SGe Syring, 101) (52) Die Häuser wurden nach und nach modernisiert, erhielten neue Küchen und Bäder, dazu rekonstruierte man die alten Fassaden. Immer mehr Künstler und Kunsthandwerker zeigten sich von der Atmosphäre der engen Gassen und alten Häuser angezogen. Viele mieteten ein Haus und eröffneten dort Ateliers und Geschäfte. Dadurch wurde der Ort für

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

 407

weitere Gaststätten und originelle Geschäfte interessant, so dass der Schnoor heute wieder zu einem bunten, belebten Stadtteil geworden ist. (HB 2006 STF Dappen, 47) (53) Die Grünfläche um das Wohnheim verband den Scipiogarten in N5 mit den Lauergärten in M6, so daß eine städtebauliche Auflockerung im Innenstadtbereich stattfand. (MA 1999 KAT Schenk, 52)

Die generalisierten unhintergehbaren Zwänge rechtfertigen in (51) mithilfe des Mehrwortverbindungsmusters [aus X Gründen], hier: aus verkehrsplanerischen Gründen, die Neugestaltung. Die Formulierung lässt aber durch die semantische Vagheit des pluralen Adjektivfüllers offen, um welche konkreten Gründe es sich handelt (vgl. Steyer 2013:224). An dieses pragmatische Potenzial schließt die ZAD-spezifische Kollokation vollständig zerstört ebenfalls an. Beide gliedern sich als Kontextualisierungsmerkmale in die Slots des PVM-Komplexes mit müssen ein, der an einen vormaligen Zustand anknüpft, an den der Name „Focke-Garten“, aber auch die aus historisierenden Motiven wiederhergestellte Gartenmauer erinnern soll. Die Akteurlosigkeit des sodass-Satzes, in dem das Vorgangspassiv mit müssen auftritt, korrespondiert mit den Gebrauchsroutinen für den Konnektor und mit seinem Beitrag zur Herstellung von Faktizität und Werthaltigkeit der neueren Baukultur im ZAD. Die Konsequens-Argumente verbalisieren die Wiederaufbauleistung als Prozesse im Rücken der Akteure, mit der sprachlich aufgewertete Ziele erreicht wurden – konsensfähige Ziele, gegen die niemand etwas haben kann. Auf Formulierungsebene immun geworden gegenüber Einwänden sind die Wiederherstellung eines bunten, belebten Stadtteils (52) oder die städtebauliche Auflockerung, die einfach stattfand (53). Das Muster, das mit den kollokativen Komponenten Wiederaufbau erfolgte prototypisch gefüllt sein mag, weist folgende weitere Varianten auf: Wiederaufbau Neuaufbau Wiederherstellung Rekonstruktion Auflockerung ...

erfolgte folgte geschah stattfand vollzog sich ...

Innerhalb dieser Variation zeigt sich auch der bereits in der Clusteranalyse hervortretende vollzugfixierende Chunk sich in den, der auf eine Präferenz medialer und reflexiver Verben hindeutet und rekurrent Zeit- oder Ortsangaben anschließt wie den x-er Jahren oder den meisten Städten. In (54) hinterlässt die nested construction aus der Kollokation der Wiederaufbau vollzog sich und dem NP-verkoppelndem Chunk sich in den den Eindruck einer chemischen Reaktion, die, einmal angestoßen, nicht mehr gestoppt werden kann (und soll):

408 

 Korpusanalysen

(54) Dieser Wiederaufbau im engeren Sinn vollzog sich in den meisten deutschen Städten, schneller als von vielen erwartet, bis Mitte der 1950er Jahre. (HB 2014 SGe Syring, 20f)

Für das DeReKo ist bezogen auf die Gebrauchsroutinen der Konstruktion allerdings nicht zu übersehen, dass ein Großteil der Belege (840 von 1057) aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia stammt. Die Vermutung liegt nahe, dass hier typische Formulierungsroutinen der wissensvermittelnden Wikipedia-Texte erfasst werden. Ferner ist daran zu erinnern, dass die Wikipedia-Artikel für alle drei Städte Schnittstellen zum ZAD-Korpus bilden.277 Die kommunikative Funktionalität zeigt noch einen weiteren Pfad: Anders als feste Verbindungen mit Nominalisierungsverben wie abstatten, erteilen oder leisten, in denen das Nominalisierungsverbgefüge einen ritualisierten Vorgangs- oder Zustandstypus bezeichnet, wie er für Sprachhandlungen in amtssprachlichen, akademischen, technischen oder formal-öffentlichen Textsorten kennzeichnend ist (vgl. von Polenz 1987:170), sind die aufgeführten Formen keineswegs Kennzeichen eines bürokratischen Stils. Sie blackboxen pragmatisch gesehen einen von seinem Diskurs entkoppelten Prozess und vollziehen einen Kontextualisierungswechsel von der historischen Narration zur gedächtnispolitischen Faktizitätsherstellung: Der Wiederaufbau war mit Hürden verbunden, die gemeistert wurden. Funktional würden Merkmale des Presseberichts mit dem entpersönlichten Stil städtebaulicher Beschreibungen durchaus korrespondieren. Beide sind von der Sache her, d.h. ausgehend von der gebauten Architektur formuliert. Journalistische Textpassagen, die einen knappen Abriss über die Geschichte einer Kirche (55), eines Cafés (56) bzw. einer Palmenhalle im Luisenpark (57) geben, enthalten tatsächlich sprachliche Merkmale der im ZAD-Korpus ermittelten K-Profile. Zentral ist dabei die Frameverschränkung, in der der Aufbau als Erfolgsgeschichte verfügbar gemacht wird. Erinnerungskulturell kondensiert bzw. reduziert sich der historische Zusammenhang in den Ereignisnamen Zweiter Weltkrieg, Krieg und 1945. In den drei Beispielen aus dem DeReKo sind die Frames musterhaft verknüpft (wurden zerstört und Wiederaufbau) und korrelieren mit zahlreichen der als Kontextualisierungshinweise identifizierten Sprachmittel. Hinzu kommt ein zeitlicher Kontrast: Die „bewegte“ Geschichte steuert auf eine Auflösung, einen Kulminationspunkt

277 Die Autorschaft dieser Artikel kann jedoch nicht nachvollzogen werden, nicht zuletzt weil die Texte grundsätzlich kollaborativ entstehen. Selbst eine Aufklärung darüber, welche Personen mit welchen Verbindungen zum betreffenden Stadtdiskurs und seinen kommunikativen Domänen jeweils beteiligt sind, könnte die Schwierigkeit nicht vermeiden, korpuslinguistische Muster als kognitiv-soziale Muster zu validieren. Hierbei müssten für einzelne Autoren neben Herkunft, sozialer bzw. Berufsrollen auch deren Lektüre-Erfahrungen berücksichtigt werden.

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zu. Der deiktische Gegenwartsmarker heute zeigt dabei sowohl den Stand der Optimierung an als auch den Verlust wie in (58). Auffälligerweise befindet sich aber auch in (58) die verursachende Instanz für die Narben im Stadtbild Braunschweigs in der Koordination mit den Wiederaufbauprämissen (die Bomben und der Wiederaufbau). Das vergangene Kriegsgeschehen gerät in diesem Wirkungsvergleich mit seiner Vorgeschichte, seinen Beteiligten und seinen Bedingungen nahezu vollständig aus dem Blick. (55) Die Kirche diente zunächst dem evangelischen Gottesdienst, wurde aber bereits 1854 auf dringende Bitte der Nürnberger Katholiken von König Max II. der katholischen Gemeinde Nürnbergs zur Verfügung gestellt. Wie so viele andere Spuren aus klösterlicher Zeit wurde auch sie noch kurz vor Ende des letzten Krieges weitgehend zerstört. Ihr Wiederaufbau erfolgte sehr rasch, so daß sie bereits 1953 wieder geweiht werden konnte. Auf einem kleinen Teil des ehemaligen Klostergeländes erstand 1959 eine Jugendfreizeitstätte, die zu Ehren der großen Äbtissin Caritas-Pirckheimer-Haus genannt wurde. Heute beherbergt das Gebäude die Diözesan-Akademie. (NUN95/SEP.02131 Nürnberger Nachrichten, 28.09.1995, S. 20; Konvent der Klarissinnen bot jungen Nürnbergerinnen den Zugang zu gehobener Bildung) (56) Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Block zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte zunächst nur schrittweise. Erst 1960 startete Marika Buchner, geborene Zechbauer, zusammen mit ihrem Ehemann Paul, Kaufmann und Konditormeister, mit Engagement, Liebe zur Tradition und Verantwortung für die Zukunft eine großangelegte Revitalisierung des geschichtssträchtigen Gevierts. Architekt Reinhard Riemerschmid gestaltete das Café neu, das 1962 mit Grill-Restaurant und Confiserie-Laden wiedereröffnet und von der Fachpresse zu einem der zehn besten Kaffeehäuser der Welt gekürt wurde. Weitere Bauabschnitte waren der Neubau am Amira- und Salvatorplatz (1974/76) sowie die Generalsanierung des Altbaues (1984/86). (U99/JAN.07568 Süddeutsche Zeitung, 30.01.1999, S. 37, Ressort: M; Im Luitpoldblock wird gefeiert) (57) Der Luisenpark wurde von 1892 bis 1903 in seinen ersten Bauabschnitten von den Gebrüdern Siesmayer aus Frankfurt angelegt und 1896 nach der Großherzogin Luise von Baden, Tochter Kaiser Wilhelms I., benannt. 1907 wurde eine Palmenhalle in Höhe der Werderstraße errichtet – Keimzelle des heutigen Pflanzenschauhauses. 1945 wurde das Gebäude durch Luftangriffe zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte 1958. Zum 50-jährigen Bestehen 2008 kamen knapp zehn Millionen Besucher. Der Luisenpark wurde anlässlich der Bundesgartenschau 1975 rundum erneuert. Seitdem hat der Park seine heutige Fläche von 42 Hektar. 2001 wurde der Chinesische Garten mit dem chinesischen Teehaus angelegt. Ein Highlight des Parks ist sein Aquarium. (M12/DEZ.08818 Mannheimer Morgen, 29.12.2012, S. 28; Die grüne Lunge der Stadt) (58) Gravierende Einschnitte brachte der Zweite Weltkrieg. Durch Luftangriffe wurde das historische Zentrum fast ganz zerstört. Die Bomben und der Wiederaufbau hinterließen Narben im Stadtbild, die bis heute sichtbar sind. (HAZ07/NOV.05386 Hannoversche Allgemeine, 20.11.2007, S. 2; Herzog Heinrich prägt Braunschweig) (59) Jeder wird und soll wissen, dass das Originalgebäude zerstört wurde. Mit dem originalgetreuen Wiederaufbau verneigen sich die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt vor einem ihrer größten Baumeister. Qualität wird man Laves wohl kaum absprechen können. (HAZ08/FEB.00331 Hannoversche Allgemeine, 02.02.2008, S. 6)

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 Korpusanalysen

Die kommunikative Aufgabe, Zerstörung und Aufbau in einem Satz oder in zwei Sätzen kondensiert zu erzählen, wird hier auf ähnliche Weise gelöst wie in den (Stadt-)Geschichtstexten des ZAD. Auch wenn in (57) Akteure indirekt genannt sind, handelt es sich doch um eine Zerstörung, von der das zerstörte Objekt (Palmenhalle) nachträglich zu profitieren scheint. Die Zerstörung liefert die Bedingung für einen Wiederaufbau, der nicht nur wiederherstellt, sondern das Gewesene in wirtschaftlicher, baustilistischer o.ä. Hinsicht übertrifft. Entwickelt hat sich eines der zehn besten Kaffeehäuser der Welt (56), entstanden ist mehr Grün, nämlich eine grüne Lunge, die knapp zehn Millionen Besucher angelockt hat (57). Handelt es sich hierbei um dasselbe Sprachgebrauchsmuster, dieselbe Konvention des sprachlichen Erinnerns, wie sie in den ZAD-Stadtgeschichtstexten niedergelegt ist? Festzustellen ist zunächst eine Konventionalisierung musterhafter Elemente, die sich im öffentlichen Diskurs genauso wiederfindet wie in der Stadtgeschichtsschreibung und in neueren Gebrauchstexten zur Stadtgeschichte. Teilweise entstehen Verbindungen zu städtespezifischen Narrativen, wenn beispielsweise Hannover dem Verlust der Bausubstanz begegnet, indem sich die Bewohner vor ihrem größten Baumeister Laves verneigen oder den Braunschweigern die Narben im Stadtkörper noch immer schmerzlich bewusst sind. Die inhaltlichen Variationen dieses frameverknüpfenden Sprachgebrauchsmusters werden im Folgenden auch für die Stadtgeschichtsschreibung in den drei Städte-TKs geprüft. Dafür wurden im ZAD-Gesamtkorpus 47 Treffer für das Nomen Wiederaufbau extrahiert, die mit dem Partizip zerstört als linksseitigem Partnerwort im Vorgängersatz auftreten.278 Die Kombination aus Partizip und Nominalisierung bildet – so die Grundannahme – den Fokus eines K-Profils der „Wendung ins Gute“ und verbindet die beiden Themenkomplexe zu einer holistischen Aussage, die über die Deskription auf der Textebene hinausgeht. Die folgenden Belege aus komprimierten Gebrauchstexten geben einen Eindruck von diesem semantischen Profil des gelungenen Aufbaus aus denkmalpflegerischer (60), aus städtebaulicher (61) und aus architekturrekonstruktiver Sicht (62): (60) Stadtwaage 1587–88 durch Lüder von Bentheim errichtet. Bedeutender Bau der Weserrenaissance mit fein gegliederter Fassade aus rotem Ziegelstein und Sandstein. 1927 begann hier die Bremer Rundfunkgeschichte mit der Einrichtung einer Sendestelle der Norddeutschen Rundfunk

278 Mitsamt der Variante beschädigt werden 52 Treffer erzielt. Mit den Nominalisierungen Zerstörung/en erhält man insgesamt 89 Belege. Die Umgebung, in der beide Deverbativa auftreten, sind zumeist Überschriften und Aufzählungen wie Zweite Zerstörung: Wiederaufbau nach dem Krieg (HB HYP Radiobremen, Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg) oder Paderborn 1945–1955 – Zerstörung und Aufbau (PB 1987 KAT Stambolis, Titel).

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AG. 1944 weitgehend zerstört. Beim Wiederaufbau durch die Sparkasse Bremen 1952–61 Rückgiebel nach Entwürfen des Denkmalpflegers Rudolf Stein neu gestaltet. Innenausbau durch Herbert Anker und Friedrich Heuer. (HB 2006 TAF Bauwerke, Stadtwaage) (61) Sozialer Wohnungsbau im Quadrat F 5 Im 2. Weltkrieg werden die Quadrate F 5 bis F 7 weitgehend zerstört. Beim Wiederaufbau wird hier die bisher typische Blockrandbebauung zugunsten neuer architektonischer und städtebaulicher Vorstellungen aufgegeben. (MA 2007 TAF Stadtpunkte, sozialer Wohnungsbau) (62) 1945 wurde das Erzbischöfliche Palais bis auf die Außenmauern zerstört und brannte aus. Der Wiederaufbau erfolgte 1948/49. Seitdem ist es wieder Wohnsitz des Erzbischofs von Paderborn. Die Farbfassung des Jahres 1979 geht auf historische Befunde zurück. (PB 2005 BRO Stadt, erzbischöfliches Palais) (63) [Foto] Kisau Danach war die Brauerfamilie Nies aus Lippstadt (Brauerei Weissenburg), später auch Miteigentümer der Paderborner Brauerei, Besitzer des Hauses. Es wurde im Krieg total zerstört. Nach dem Wiederaufbau eröffnete dort der bekannte Paderborner Wirt Bernhard Bolzau sein „Bauernstübchen“, eine besonders bei jungen Leuten beliebte Gaststätte, die kurz nur „BBB“ genannt wurde. Heute befindet sich in dem Gebäude das „Paderborner Brauhaus“ mit einem großen und besonders an warmen Tagen viel besuchten Biergarten. (PB 2002 BIB Vogt, 56)

Auch wenn inhaltliche Unterschiede feststellbar sind, erscheint im ZAD-K-Profil die Zerstörung diskursgrammatisch betrachtet als erste Stufe zu einem gelungenen Aufbau. Die Vergangenheit wird auch sprachlich auf Distanz gestellt: In (60) mündet die präteritale Verankerung (begann) in eine verblose Beschreibung des heute Sichtbaren (1944 weitgehend zerstört). Durch das Fehlen des Passivauxiliars wurde und durch die semantisch leeren Nominalisierungsverben zu Wiederaufbau und Innenausbau werden die infiniten Deverbativa noch stärker an die salienten Modalsupplemente (weitgehend, nach Entwürfen des ...) gebunden. In (62) und (63) ist ein Tempuswechsel der Voll- und Hilfsverben zu beobachten (wurde/erfolgte → ist/geht zurück auf; war/wurde/eröffnete/wurde → befindet sich), mit dem die Städtezerstörung in eine kleine historische Narration eingebettet wird (wurde ... zerstört und brannte aus). Das historische Präsens der Mannheimer Tafeltexte stellt die PP beim Wiederaufbau in den Rahmen der Passivkonstruktion wird aufgegeben, die die PP zugunsten neuer architektonischer und städtebaulicher Vorstellungen in den Vordergrund rückt. Von einer städtischen Eigenlogik der erinnerungskulturellen ZAD-Texte im Sinne unterschiedlicher Verfahren der Fabrikation städtischer Images ist somit nicht auszugehen. Vielmehr ist es ihr Inhalt, der variiert: Einmal handelt es sich um den Hinweis darauf, dass bei der Neugestaltung Entwürfe eines Denkmalpflegers berücksichtigt wurden (Bremen), einmal wird begrüßt, dass die Chance zu einer neuen Architektursprache wahrgenommen wurde (Mannheim) und einmal

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 Korpusanalysen

wird die Farbfassung in ihrer Eigenschaft beschrieben, den historischen Farbeindruck wiederzugeben (Paderborn). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den komprimierenden Gebrauchstexten eine Rumpfkonstruktion bestehen bleibt, die in ihren grammatischen Eigenschaften etwas von ihren „Ursprungskontexten“ aufgenommen hat. Dies ist der pragmatisierte Kern einer Bewertungshandlung, in der das Framing des Wiederaufbaus mit dem Zerstörungsframe verkoppelt wird. Am Beispiel der obigen Musterbildung für die Frameverknüpfung möchte ich noch einmal methodologisch verdeutlichen, wie die Frameanalyse für ein diskursgrammatisches Erkenntnisinteresse in Anspruch genommen werden kann, dessen Spurensuche von der sprachlichen Oberfläche ausgeht und diese mit semantischen Phänomenen (Rollen o.ä.) verkoppelt. So ist auf Ausdrucksebene für die Festigkeit des hier betrachteten Musters ausschlaggebend, dass die Subjektrolle des Deverbativums Wiederaufbau dem im Vorgängersatz genannten Passivsubjekt zum Verbalkomplex wurde zerstört entspricht und somit ausdrucksseitig nicht realisiert werden muss. Diese satzübergreifende Füllung der (vererbten) nominalen Valenzstelle schafft auf der Oberfläche die Voraussetzung für eine Fokussierung der Modalund Zeitangaben, wobei insbesondere die Art und Weise des Aufbaus musterhaft in die Ursache-Folgebeziehung ‘tabula rasa’ (mit Füllern wie völlig, total)  ‘ideal’ (mit Füllern wie original, naturnah, wirtschaftlich, verkehrsgerecht) mündet.279 Die Verkopplung geschieht alternativ über den diskursgrammatisch obligatorischen Degree-Slot, in dem die Notwendigkeit angelegt ist, neu aufzubauen, wiederzuerrichten oder umzugestalten. Die Ausdehnung semantisierenden Füller wie stark, total, völlig oder vollständig weisen für Paderborn die Besonderheit auf, dass hier die PP bis auf die Außenmauern rekurrent auftritt, die zudem eine inhärente argumentative Begründung liefert, warum die Fassade so problemlos erhalten werden konnte bzw. musste.280

279 Für die verbalgrammatischen Konstruktionen mit PVM-Komplex gelingt die syntaktische Frameverknüpfung wiederum über Analepsen (z.B. zerstört und wiederaufgebaut wurden) oder über die musterhafte Abfolge von Vorgangspassiv und PVM-Komplex: Im Zweiten Weltkrieg wurde Bremen in 173 Luftangriffen zu 62%, das Hafengebiet zu 90% zerstört. Die Altstadt verlor die meisten ihrer schönen Bürgerhäuser, u.a. auch die St. Ansgariikirche, deren hoher Turm das Wahrzeichen der Altstadt war; andere Kirchen und Profanbauten wurden schwer beschädigt, konnten aber wieder instandgesetzt werden, u.a. der Dom, die Liebfrauenkirche, die Martinikirche und die Stephanikirche. Auch der Hafen hat seine Funktionsfähigkeiten längst wiedererlangt und bewältigt heute einen über dreifachen Umschlag im Vergleich zu 1938. (HB 1983 STF Baedecker, 16) 280 Die in Lexpan ausgewertete Lücke (#) für die Konstruktion [wurde # zerstört] auf der Basis der Kookkurrenzbelege zur Wortform zerstört enthält ganz ähnliche Wortverbindungen. Auf den

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Zeitangabe und Ereignisbezeichnung erfahren in der Konstruktion eine komplexe Standardwertbildung. Hierhin verlagert sich die Frage nach den Gründen und Ursachen für Angriff, Luftkrieg und Bombardement. Rahmenereignis (im Zweiten Weltkrieg) und Jahreszahl (1945) verbinden sich mit der Angabe von Mitteln (Brandbomben), der Art und Weise (brennen, Luftkrieg) oder der besonderen Rolle, mit der dieser Krieg am Ende geführt wurde, zu einem naturalisierenden Ausdrucksmuster. Insbesondere die Feuerbeschreibungen wirken als lexikalische Brückenköpfe für die naturhafte Wirkung. Im Duktus der Kritik der Vergangenheitsbewältigung finden sich (nicht nur in der Phase zwischen 1958– 1985) im Umfeld der Frameverknüpfung Metaphern und Phraseme des Verbrennens (64) und Wachsens (65) sowie des Leidens und Gesundens (66–67): (64) Ausgerechnet das Rathaus in E 5 und die Gebäude der Plankenerweiterung in P 5 und P 6 hatten den verheerenden Krieg überstanden, während ringsum die barocke Stadt in Schutt und Asche lag. Was übrig blieb, fiel dem oftmals allzu eifrigen Wiederaufbau zum Opfer, wie der Kaufhausturm in N 1, das Palais Lanz in A 1, das Kaufhaus Vetter in N 7 oder manches namenlose Bürgerhaus. Mit dem Wiederaufbau ergab sich die Chance, Neues zu schaffen, etwa in Form der Passagen in den P- und Q-0uadraten, die bis heute zum Bummeln und Verweilen einladen, oder der Kauf- und Modehäuser, die sogar Weltstadtniveau nach Mannheim brachten, Gourmet-Restaurants und Spitzenmarken führen und den Kunden wirklich König werden lassen. (MA 2007 STF Ellrich, 12) (65) Neues Bauen Bremen liegt im Wohnungsbau der Nachkriegszeit, prozentual auf die Einwohnerzahl berechnet, an der Spitze des Bundesgebietes. Die Stadt wurde im Kriege zu 62 % zerstört, rund 50 000 Wohnungen wurden vernichtet. 1955 war der Verlust zwar wieder ausgeglichen, aber die Einwohnerzahl war gegen 1939 um 20 % gestiegen; also mußte weitergebaut werden. So wuchsen an den Rändern der Stadt völlig neue Wohnviertel auf Wiesenund Ackerland aus dem Boden. (HB 1965 STF Lindemann, 35) (66) Diese Sachlage zwang dazu, das notwendige Umlegungsverfahren möglichst schnell durchzuführen, um einen gesunden Wiederaufbau der Innenstadt zu ermöglichen. (PB 1949 SGe Kiepke, 194) (67) Nachdem die Volkswahl zu seinen Gunsten entschieden, übernahm Dr.Dr.h.c. Hermann Heimerich energisch, zielbewußt und vertrauensvoll die Aufgabe tatkräftiger Fortsetzung des Neuaufbauwerkes. Möge Mannheims Gesundung unter seiner Führung ungehemmt fortschreiten, damit es im Jahre des 350jährigen Stadtjubiläums von neuer kräftiger Blüte im gesicherten Wachstumsbereich Kunde geben kann! (MA 1950 SG Walter, 295)

ersten Plätzen der Füller-Elemente liegen die Adjektive vollständig, völlig, komplett und total gefolgt von im Krieg, weitgehend, dabei, großflächig vom Wasser und vollkommen. Diskursgrammatisch relevante Effekte ergeben sich für die adversativen Konnektoren jedoch und aber sowie die Clusterbildungen jedoch vollständig und aber weitergehend (vgl. Kap. 6.1.4.2).

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 Korpusanalysen

In der frühen Nachkriegszeit ist das metaphorische Feld der „Gesundung“ charakteristisch für den Nichttäterdiskurs und steht semantisch mit dem Konzept der verschütteten deutsche Werte in Beziehung (vgl. http://www.owid.de/ artikel/309208, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Es impliziert zugleich deontisch den zukunftsbezogenen Appell, moralische und gesellschaftliche Krankheitssymptome der Vergangenheit zu überwinden. Für die späteren Phasen der Erinnerungsgeschichte spielt die metaphorische Krankheitsressource ab 1985 anders als das Metaphernfeld des „Erblühens“ keine Rolle mehr. Damit zeigt sich, dass in der stadtbezogenen Projektion gesellschaftlicher Zusammenhänge eine Verschiebung stattgefunden hat: Der materielle Schutt wird nicht mehr als metaphorischer Spenderbereich für soziale und innere Zustände interpretiert, er verweist vielmehr indexikalisch, d.h. als Metonymie, auf eine Verursachung, durch die die Stadt und ihre Bewohner Opfer geworden sind. Hier wiederum doppelt sich die metonymische Bewegung. Der Opferstatus wird sprachlich auf eine Weise zum Ausdruck gebracht, dass die namenlose Verursachung überwältigend ist und – wie eine Naturkatastrophe281 – buchstäblich aus heiterem Himmel (69) zu kommen scheint. Dem Sprachbild der Naturkatastrophe entspricht der Verursachungsvergleich mit glühender Lava in Pompeji, der in (71) von Hüser aus einem Zeitzeugenbericht zitiert wird. Weit mythologischer wirkt der Vergleich mit einer römischen Rachegöttin (Furie) in (72). Er enthält eine implizit kritische Bewertung der Vergeltungsstrategie der Alliierten, die dadurch abgeschwächt ist, dass ihm die (usuelle) Wortverbindung Furie des Krieges (laut DWDS mit einem logDice von 3.2, vgl. https://www.dwds.de/wp/Furie, zuletzt abgerufen am 19.03.2020) entspricht: (68) Als wäre nicht schon alles vernichtet, wurden Mittelbau und Landgericht in den Nächten des 4./5. und 12./13. Oktobers 1943 erneut zum Zielobjekt alliierter Bomben. Danach waren beide Bereiche zu 70 Prozent zerstört, ähnlich wie die Aufzeichnungen über weitere Kriegsschäden zwischen Dezember 1943 und Juli 1944, die ebenso wie das Schloss selbst den Bomben zum Opfer fielen. (MA 2013 SGp Ellrich, 126) (69) Der Eigentümer von C4.16, der Schlossermeister Jacob Langeloth, wohnte mit seiner Familie im Gebäude und unterhielt im Hinterhaus seine Werkstatt. Das Dachgeschoss war an den Magazinarbeiter F. Rabold vermietet. In der mit einer Lorbeergirlande verzierten Figurennische stand auf einer Weltkugel die Madonna mit dem Christuskind, das mit der

281 Zu dieser Deutung finden sich auch metadiskursive Zurückweisungen, die jedoch auch dann, wenn sie negiert sind, durch das narrativierende sollte paradoxerweise einen Teil der Semantik des Hereinbrechens und Ausgesetztseins (betroffen sein sollte) aufrufen: Und doch war der Krieg, von dem Mannheim schließlich so schmerzlich betroffen sein sollte, kein Schicksalsschlag, keine plötzlich hereinbrechende Naturkatastrophe. (MA 1995 KAT Peters, 14)

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Lanze den Drachen tötet. Das Barockhaus fiel dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. (MA 2014 SGp Keller, 39) (70) Im Jahr 1944 wurden mehr Kulturdenkmäler in der Bremer Innenstadt zerstört als in jedem anderen Kriegsjahr. Unter anderem fielen das nach Plänen von Lüder von Bentheim im Stil der Renaissance gebaute Kornhaus, die St.-Stephani-Kirche, das Portal der Kleinen Weserbrücke, die Sonnenapotheke in der Sögestraße 18 (ebenfalls ein Entwurf Bentheims) und das Pflügersche Haus an der Schlachte 31 B den Bomben zum Opfer. (HB HYP Wikipedia, Bremen im Zweiten Weltkrieg) (71) In anderen Schilderungen heißt es, Paderborn sei „beinahe dem Erdboden gleichgemacht“ und in ein „Neupompeji“ verwandelt worden.Fn (PB 1999 SGe Hüser, 257) (72) Von 86 682 Wohnungen im Jahre 1938 fielen fast 50 Prozent der Kriegsfurie zum Opfer, so daß im Mai 1945 nur noch 44 144 Wohnungen bewohnbar waren (MA 1955 BIB Pichler, 22)

Die feste Verbindung zum Opfer fallen erzeugt einen Anschluss zur so genannten zweiten Städtezerstörung durch städtebauliche Maßnahmen in der Nachkriegszeit, in der die Innenstadt mit wenig Rücksicht auf historische Bausubstanz aus bestimmten Epochen verkehrsgerecht gestaltet wurde. Was hier vordergründig als sachlich berechtigte Kritik wahrgenommen werden mag, wirkt auf der Folie dieser rhetorischen Parallelität (Stadt fällt den Bomben/dem Wiederaufbau zum Opfer) wie eine Bagatellisierung der materiellen Auswirkung des alliierten Bombardements. Es fördert überdies die Phantasie, dass die späteren allzu geschichtsvergessenen Maßnahmen ohnehin besorgt hätten, was Anfang der 1940er Jahre der Luftkrieg verursacht hat. Wenn der Wiederaufbau in den rhetorischen Formen der kriegsbedingten Zerstörung begriffen oder gar als eigentliche Zerstörung aufgefasst wird, relativieren sich nicht nur die beträchtlichen Kriegsschäden, sondern werden auch die Rahmenereignisse im kulturellen Gedächtnis der Städte verblassen. (73) Die Königstraße gehörte zu den wenigen Bereichen der Innenstadt, die nicht durch den II. Weltkrieg zerstört wurden. Zwar waren viele Häuser schwer beschädigt, doch sie konnten – wie die traditionsreiche Gaststätte „Zum Weißen Hirsch“ (Nr. 25) – wiederhergestellt werden. Nördlich der Marienstraße fielen die alten Bauten erst einer „Verdichtung“ der Innenstadt zum Opfer. Zwischen 1974 und 1981 wurde die Königstraße zwischen Western- und Marienstraße zum „Königsplatz“ erweitert und radikal umgestaltet. (PB HYP Zeit, Königstraße) (74) Stadtbild und Umgang mit dem historischen Erbe Das bekannteste und umstrittenste Beispiel dafür war der Abriss des Caesarschen Hauses aus dem 17. Jahrhundert Abb. 49a–c. Es stand an der Nordseite des Domshofs und fiel der Erweiterung des Platzes um zehn Meter nach Norden im Rahmen der Ost-Umfahrung des Marktplatzes (...) zum Opfer. (HB 2014 SGe Syring, 44) (75) Eindrucksvoll war der bis ins Obergeschoß reichende Lichthof. Am 6. Oktober 1944 wurde er völlig zerbombt, nach dem Krieg über zwei Etagen wieder aufgebaut. 1965 fiel er den Rolltreppen zum Opfer. (HB 1999 BIB Spieß, 25)

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Eine weitere sprachbildliche Schnittstelle, die dem Grundmotiv der Heilung „von oben“ entspricht, liefert der wie von Zauberhand „geschehene“ Wiederaufbau mit Formulierungen aus dem Umfeld des „Häuserregens“. Dieses metaphorische Verfahren kann allerdings keinem rekurrentem Muster zugewiesen werden und bleibt eine Einzelbeobachtung. In einem Bremer Ausstellungskatalog wird in einer Überschrift ein Pressezitat aus der Aufbauzeit aufgegriffen und im Text als solches ausgewiesen: (76) Die Stagnation im Bremer Westen schien endlich ein Ende zu haben: „150 Häuser fallen vom Himmel“ – so die Schlagzeile in den Bremer Nachrichten. (HB 2006 KAT Syring, ohne Seitenangabe, Kapitel „Wohnen – ECA-Siedlung“)

Demgegenüber fallen in einer wesentlich geringeren Anzahl an Belegen Menschen den Luftangriffen zum Opfer. Diskursiv besitzen Gebäude als Opfer des Luftkriegs eine stärkere sprachliche Präsenz als die getöteten Stadtbewohner. Diese Verschiebung des Opferbegriffs auf die Bausubstanz entspricht der mit dem DeReKo abgeglichenen Musterbildung für die Kollokation zum Opfer fallen. Die Lexpan-Füllerauswertung der 24.490 Treffer im DeReKo-Kookkurrenzprofil zur Verbalphrase zum Opfer fallen in Verbzweitstellung282 zeigt, dass linksseitig am häufigsten die Dativ-NPen den Flammen, dem Wetter und dem Rotstift auftreten. Erst darauf folgt das Patienssubjekt Menschen. Die Durchsicht der 270 Belege für &fallen Flammen zum Opfer ergibt, dass der Großteil linksseitiger Kollokatoren aus nominalen Einheiten der Kategorien Gebäude, Sachgegenstände und Wälder besteht, jedoch nur ein Beleg gefunden werden konnte, in dem ein Mensch den Flammen zum Opfer gefallen ist (U07/OKT.04060 Süddeutsche Zeitung, 24.10.2007). Überdies treten noch zwölfmal verschiedene Tiere in den Subjektslot ein. Als ebenso konventionalisiert erweist sich die personale Identitätsmetapher für die Stadt und ihre Erinnerungsarchitektur. Sie wird als personal adressiert, ja emphatisch angerufen (77). Ihr modernes, rationales Gesicht erscheint als ideale Verbindung aus Fortschritt und Tradition (78). Es überwiegt der metaphorische Topos des Gesichtswechsels (79), der sowohl mit Erneuerung und Anpassung an die Erfordernisse einer globalisierten Wirtschaft, teils aber auch mit der Angst vor Traditionsverlust assoziiert ist:

282 Die Suchanfrage in Cosmas 2 lautete „&fallen (+8w Max) zum (+1:1w Max) Opfer“ und berücksichtigt somit keine Nebensatzstrukturen.

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(77) Mit einem Blick von 1937, 1981 und 2002 vom Turm der Herz-Jesu-Kirche auf eine alte Stadt endet die Spurensuche. Fazit: Paderborn – wie hast du dich verändert! (PB 2002 BIB Vogt, 115) (78) Die Mannheimer Suche nach einer neuen Stadt, die Aufbruch und Fortschritt symbolisieren und die städtebaulichen Mängel der alten Stadt beheben sollte, endete nicht in einer Neukonstruktion des Stadtzentrums, sondern in einem Stadtneubau auf der geschichtsträchtigen Quadratestruktur der alten Stadt vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Im Neuaufbau (mit dem Erhalt von Denkmalinseln) wurde jedoch architektonisch dem Zentrum Mannheims ein modernes, rationales Gesicht gegeben. Die tradierte – obschon rationale – Quadratur der Stadt und die vom sachlichen Stil Egon Eiermanns beeinflusste Architektur der Aufbaujahre verschmelzen zu einer neuen Stadt und entsprechen wohl dem genius loci dieser Industrie­und Handelsstadt. (MA 2004 SGe Connert, 63) (79) Im März 1945, nur wenige Wochen vor dem Ende des Krieges, versank die Innenstadt nach schweren Bombardierungen fast komplett in Schutt und Asche. Der Wiederaufbau nach dem Krieg wie auch die Baumaßnahmen der letzten Jahre und Jahrzehnte gaben der Innenstadt ein völlig anderes Gesicht. (PB HYP City, Innenstadt – Veränderungen)

Auch wenn sie quantitativ nicht als feste Elemente zu Buche schlagen, treten die adversativen Konnektoren wie aber und jedoch musterhaft innerhalb der Proposition auf, die das Trägerkonnekt mit der Beschreibung des Wiederaufbaus bildet. Das Bezugskonnekt im Vorgängersatz hat regelmäßig den enormen Zerstörungsgrad zum Inhalt. Letzterer hat sich über den Abgleich mit den Füllerelementen im Mittelfeld der Satzklammer zu [wurde (...) zerstört] bereits als kontextualisierendes Merkmal innerhalb des K-Profils gezeigt. In den verschiedenen Domänen des öffentlichen Sprachgebrauchs treten in diesen Slot auch adversative Konnektoren(-cluster) ein, die die Ungewöhnlichkeit und Überraschung markieren, die die (vollständige) Zerstörung mit sich gebracht hat. So heißt es in einem Zeitungsbericht über einen Wohnungsbrand, die Einrichtung wurde jedoch vollständig zerstört (Rhein-Zeitung, 29.12.2010, S. 26). Der Konnektor jedoch zeigt in einer konzessiven Lesart einen Bruch mit der Erwartung an. Wenn im Innern von Gebäuden Feuer ausbricht, ist der dabei entstehende Schaden ein graduelles Phänomen. Nicht notwendig verbrennt gleich alles, so dass die vollständige Zerstörung als (unangenehme und staunenswerte) Überraschung gelten muss, die Rückschlüsse auf die Heftigkeit der verursachenden Instanz auslöst. Als ebenso überraschend ist in den ZAD-Texten der Wiederaufbau markiert: seine Tatsache, sein Stil und sein Tempo. Die Adverbkonnektoren jedoch und aber treten in die Rahmenkonstruktion [X erfolgte aber/jedoch (...) der Wiederaufbau X] ebenso ein wie in den PVMKomplex (konnte aufgebaut werden) und die Passivdiathese (wurde aufgebaut). Sie zählen im Aufbaukontext zu den typischen Elementen des ZAD-spezifischen K-Profils. Es bildet beide Aufbautopoi ab: den erfolgreichen Wiederaufbau (80, 81) und die (selbstverständlichen) Einschränkungen und Zugeständnisse (82, 83),

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 Korpusanalysen

die der Aufbau mit sich brachte. Es handelt sich dabei nicht um eine positive und eine negative Toposvariante, denn die pragmatische Konstruktionsbedeutung, d.h. die Aufwertungs- und Rechtfertigungseffekte wirken auch in der Erwähnung der vereinfachten, eher zweckmäßigen als prachtvollen Aufbauweise (82) fort: (80) Das als Saalkirche 1726 erbaute Schiff wurde im Kriege zerstört, 1952 aber im gleichen Stil wieder aufgebaut (Arch. Schulte-Frohlinde). (HB 1983 STF Baedecker, 64) (81) Nach ihm wurde das Haus 1809 „zum Abbereck“ und im Lauf der Zeit „Habereck“ und „Hawereckl“ genannt, zusammen mit dem einstöckigen Nachbarhaus Nr. 11. Der Bierbrauer Adolph Dingeldein erwarb das Anwesen im Jahr 1902 und später die rechten Nachbarhäuser Nr. 9 und 8. 1936 entstand der weithin sichtbare Turm. Die Wirtschaft „Zum Habereckl“ wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, jedoch wieder aufgebaut. (MA 2014 SGp Keller, 116) (82) Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört. Nach dem Krieg wurden Reparaturen am Gebäude vorgenommen, jedoch ohne den Wiederaufbau von Turm, Giebel und Satteldach; weitere Erweiterungsbauten folgten. (HB HYP BremenpdiA, M-Trakt der Hochschule) (83) Haus Schlechtendal wurde 1945 zerstört; seine Ruinen wichen dem „Kaufhof“, die Fassade konnte 1956 für den Neubau des Hauses Domplatz Nr. 18 verwendet werden. Auch der „Westfälische Hof“ wurde wieder aufgebaut. Die meisten Gebäude mussten nach 1945 jedoch neu errichtet werden (PB HYP Zeit, Westernstraße)

Das adversative jedoch präsentiert die Leistung des Wiederaufbaus als nicht erwartbares Faktum angesichts des (enormen) Ausmaßes der Zerstörung. Gleichzeitig setzen adversative Konnektoren den Wiederaufbau als Regelfall und kennzeichnen Ausnahmen davon mit einem Korrekturoperator der Erwartung. Die enttäuschte Erwartung lässt sich als konditionale Relation formulieren: Wenn etwas so stark zerstört wurde, dann ist es unwahrscheinlich, dass es rasch wiederhergestellt werden kann. Mithilfe der Adversativverknüpfung wird die Erwartung überschrieben und dabei gleichzeitig immer wieder bestätigt. Breindl (2014:912) sieht die Grundbedeutung adversativer Konnektoren darin, dass sie im Vergleich zu konzessiven Konnektoren, zu denen sie eine wechselseitige Durchlässigkeit aufweisen, eine weniger spezifische Grundbedeutung besitzen, „die man als ‚Unterbrechung einer Gleichläufigkeit‘ unterschiedlichster Aspekte vom linear ersten zum linear zweiten Konnekt beschreiben kann.“ Im Bereich der konzessiven Verknüpfungsrelation ist der Konnektor zwar (aber) im ZAD-Korpus vielfach im Zusammenhang mit weiteren Kontextualisierungshinweisen belegt: darunter die Verbindung mit der Wendung zum Opfer fallen mit dem Gebäude in der Subjektrolle (84), die Kombination aus Vorgangspassiv und Nominalisierung für die Verbindung von Zerstörungs- und Aufbauframe (85, 86), die Verschiebung vom Bombenabwurf auf die Brände als Ursache der Zerstörung (85) und nicht zuletzt das hohe Ausmaß der vollständig(en) Zerstörung (86).

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(84) Dem Bombardement vom 6. Oktober 1944 fiel das gesamte Gebäude mit Ausnahme der Außenmauern zum Opfer. Zwar wurde gleich nach dem Krieg mit dem Wiederaufbau begonnen und der (Vorder-)Giebel unter weitgehender Wiederverwendung alter Steine in der ursprünglichen Form rekonstruiert. Da über die Gestaltung des Rückgiebels, der als Brandgiebel bislang ungestaltet gewesen war, keine Einigkeit erzielt werden konnte, brach man die Arbeiten 1953 vorläufig ab. (HB HYP BremenpediA, Liebfrauenkirche) (85) Sie brannte zwar vollständig aus, aber die Außenmauern widerstanden dem Feuer. (PB 1992 DID Klönne, 136) (86) 1945 wurde die Busdorfkirche zwar beschädigt, aber nicht zerstört. Die äußere und innere Sanierung zog sich dennoch bis 1953 hin. (PB HYP Zeit, Am Busdorf)

Die unterschiedlichen Varianten erzeugen den Eindruck, Kontinuität wurde wiederhergestellt, ohne dass Art und Umfang der Anknüpfung an das Vergangene Teil eines Diskurses sein müssen. Dem diskursiv erzeugten Opferbild der Stadt wird Heilung, Gesundung und Erneuerung gegenübergestellt. Das vehemente „Das haben wir überlebt.“, das sich im so bezeichneten Wiederaufbau der Stadt niederschlägt, ist nicht zuletzt Ergebnis einer Verschiebung der Aussage „Wir haben das Hitlerregime überlebt.“, die, auch weil sie den Beigeschmack des verlorenen Kriegs haben mag, aus der Rahmenhandlung – repräsentiert durch den Frame – herausfällt. Sie könnte im Begründungsslot (Explanation) unterkommen, ggf. auch im Zweckslot (Purpose) des Zerstörungsframes. Im Abwehrframe wird die Erfahrungswelt im und mit dem Nationalsozialismus zum Verschwinden gebracht. Er geht aus der diskursgrammatischen Verkopplung von Zerstörungsund Aufbauframe hervor. In dieser wirken als Kitt die Topoi der vollkommenen Zerstörung sowie der Wiederherstellung bzw. Verbesserung und Anpassung städtischer Infrastruktur. Ebenso lässt sich in der metonymischen Verschiebung der Ursache (die abgeworfenen Bomben) auf die Wirkung (Brand, Flammen) ein zentraler Mechanismus der Abwehrrahmung erkennen. In den früheren Zeugnissen kommt hier noch die sinnlich ausschmückende Metaphorik hinzu, wenn die barocke Innenausstattung einer Kirche den gefräßigen Bränden zum Opfer fällt (PB 1949 Sge Kiepke, 144) oder ein mächtiger Feuersturm aufkommt, der jeder Beschreibung trotzt und dessen Brausen beeindruckt. (87) Was für ein Anblick! Er lässt sich nicht beschreiben. Ein mächtiger Feuersturm war aufgekommen. Die Straße zu begehen, war unmöglich. Von beiden Häuserseiten brausten gewaltige Flammen und vereinigten sich in der Straßenmitte. Und am Horizont stürzte der Helm des Domturmes brennend zur Erde. Weltuntergang! ... Es war schon dunkel geworden; die brennenden Häuser spendeten gespensterhaft Licht. Immer noch beeindruckte mich das Brausen des Feuersturmes ... (PB 2005 SGp Kühne, 50, Augenzeugenbericht)

Auch wenn sich in den folgenden Jahrzehnten das metaphorische Feld auf einige wenige Lexeme (Brand, Flammen, ausgebrannt) und Phraseologismen (in Schutt

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 Korpusanalysen

und Asche) verengt hat, ist eine Kontextverschiebung festzustellen: Das Feuer erscheint als Ursache der Zerstörung, die die Stadt unverschuldet in eine Lage bringt, die es schnell wieder zu beseitigen gilt. Die konzeptuelle Kopplung von Zerstörung und Aufbau (im Dienste der Abwehr) bewirkt somit eine Betonung der Schuldlosigkeit. Konstruiert wird das Selbstverständliche, dass alles mindestens so wiederaufgebaut wird, wie es (in der Erinnerung) war. Der Kollokator wieder wirkt hier unabhängig davon, wie gebaut wird, als Marker eines Anspruchs auf Unterstützung und Zuspruchs für eine schnelle Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Lebens. Eine Art konzeptuelle Parallelität der Naturanalogie ist im öffentlichen Diskurs für die Beschreibung von Zerstörungsereignissen durch Naturgewalten feststellbar. Dieselben Formulierungsroutinen treten in Erscheinung, wenn der Verursacher kein Bombenflieger ist, sondern ein Tropensturm in der Karibik (88), ein Hagelschauer (89) oder eine Sturmflut (90): (88) In Cancún und Umgebung sind mindestens 110 Hotels zerstört oder schwer beschädigt worden. Die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau werden vier bis fünf Monate in Anspruch nehmen. (BRZ05/OKT.18877 Braunschweiger Zeitung, 26.10.2005; Tropensturm Alpha bringt Überschwemmung in Haiti) (89) „Beim großen Hagelschauer vor drei Jahren wurden die meisten Gewächshäuser zerstört. Ein Wiederaufbau hätte sich nicht rentiert“, so Moka. (HMP07/APR.02968 Hamburger Morgenpost, 29.04.2007, S. 15–16; Maiglöckchen für die Franzosen) (90) Im vergangenen November war eine Sturmflut ins Innere geschwappt und hatte vieles zerstört – Totalschaden, ein Wiederaufbau von Christa Mälzers Lokal lohnt sich nicht. (HMP08/FEB.00067 Hamburger Morgenpost, 01.02.2008, S. 19; Nach Flut Mama Mälzer gibt auf)

Der Unterschied zu den ZAD-Belegkontexten liegt nun darin, dass in der Pressekommunikation die Naturkatastrophen als Ursachen/Angreifer im Zerstörungsframe direkt bezeichnet werden (Beim großen Hagelschauer) und die Temporalangabe lediglich attributiv dazu erscheint (vor drei Jahren), aber als Füllelement für den Zerstörungsslot in den Hintergrund tritt. Profiliert wird die Ursache im Sinne einer direkten Verursachung. In (90) ist daher auch ein Wechsel vom (Perfekt-) Passiv ins Perfekt-Aktiv intuitiv nachvollziehbar. Der Beleg fällt nicht aus der Reihe: Eine Flut, die etwas zerstört hat, gewinnt eine ähnliche kausative Rolle wie ein zerstörerischer Bombenhagel oder ein Feuersturm. Analog sind andere Ereignisse vorstellbar, denen die Deutschen „ausgesetzt“ waren wie der kontrastiv ins Gedächtnis gerufene „Endsieg“. Das apokalyptische Ende (Flammen-Inferno) formuliert Schminck mit der in infiniter Reihung ikonisierten Fassungslosigkeit: (91) Keine „Weltherrschaft“, kein „Endsieg“, sondern ein Flammen-Inferno, in dem die Städte zu Schutt und Asche verbrannten. (HB 1995 BIB Schminck, 10)

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

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Die in der Nachkriegszeit allgemein diagnostizierte Dämonisierung Hitlers mag sich in diesem Beleg auf die Hölle übertragen, der die Deutschen im Bombenkrieg ausgesetzt waren. Die Gegenklage der Täternation suggeriert die Ohnmacht gegenüber dem charismatischen, dämonischen Wesen Hitlers (vgl. Kämper 2005:471). Nun ist es die Ohnmacht angesichts der Luftangriffe, von der die Gebäudesubjekte stellvertretend für die Zivilbevölkerung betroffen sind und deren reflexhafte Kompensation sich im Wiederaufbau „vollzieht“, vollkommen unabhängig davon, wie sich die Art des Aufbaus gestaltet, welche Stile rekonstruiert, welche Elemente erneuert werden. Das Adverb-Determinans wieder gewinnt hier einen weiteren diskursiv motivierten Sinn, der sich semantisch weniger auf die originalgetreue Rekonstruktion bezieht, sondern mehr noch auf die Hoffnung auf Befreiung von oder Erlösung aus dieser „höllischen Situation“. Eine weitere Überblendung von Empfindungskategorien auf Dingliches ist bereits in der Auflistung der Bezeichnungsvarianten zum telischen Verb zerstören angeklungen. Auch hier manifestiert sich eine Metaphorik, die das Leid der verfolgten und ermordeten jüdischen Bevölkerung in ähnlichen sprachlichen Formen repräsentiert wie das Leiden der Gebäudesubstanz, das ggf. auch für die menschlichen Opfer des Bombenkriegs metonymisch ist.283 Hierzu gehören die Verben erleiden, erdulden, auslöschen und verbrennen, für die im Folgenden jeweils ein Beleg aus dem Kontext nationalsozialistischer Verbrechen (ns), aus dem – teilweise metonymisch aufgerufenen – Diskursbereich der Todesopfer (opf) sowie der Schäden (bom) durch Bombenangriffe gegeben wird: (92ns) Max Schiff und seine Frau Pauline geb. Brader (geb. 5. Juli 1861) mußten noch fast achtzigjährig die Deportation nach Gurs erleiden, ebenso Schiffs Schwiegersohn Samuel Liebermensch. (Ma 1993 BIB Schadt, 63) (93opf) Im August erleidet die Stadt die ersten Todesopfer. (MA SG Walter, 249) (94bom) [Foto] Die katholische Pfarrkirche St. Nikolaus am 23. November 1943. Die 1932 eingeweihte Kirche in der Waldhof Straße erleidet schwere Schäden durch Sprengbomben und brennt aus. Mit dem Wiederaufbau wird 1945 begonnen; schon Mitte 1945 sind wieder Gottesdienste in der Kirche möglich. (MA 2003 SGp Keller, 32, Bildlegende) (95ns) Die schon beschriebenen Szenen in den Warenhäusern Mannheims am 13. März 1933, von der Parteiführung verleugnet, von den Sicherheitsbehörden stillschweigend geduldet, sind nur der Anfang einer langen Reihe von Demütigungen und Überfällen, die Juden in Mannheim von da an zu erdulden haben. (MA 2005 SGp Hirsch, 58) (96opf) Ungeachtet der Tatsache, dass Paderborn seit 1940 immer wieder leichte bis mittlere Bombardements erdulden musste, etablierte sich bei den Einwohnern die Hoffnung,

283 Die menschlichen Opfer des Bombenkriegs, aber auch die Deutschen als Opfernation eines wahnsinnigen Diktators sind im ZAD-Korpus marginal versprachlicht.

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 Korpusanalysen

von wirklich großen, alles vernichtenden Bombenangriffen verschont zu bleiben. (PB 2005 SGp Kühne, 22) (97bom) Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze geheißen, mußte es im Frühjahr 1945 erdulden, wie die über seinen breiten Rücken gespannten Brücken, Zeugen und Diener von Fortschritt und reicher Kultur, in der ganzen Länge seines deutschen Stromverlaufs – 49 Brücken an der Zahl – in wenigen Tagen zum Einsturz gebracht wurden. (MA 1948 DOK Peters, 40) (98ns) Die ehemalige jüdische Gemeinde Paderborn war ausgelöscht. (PB 1988 SGe Naarmann, 347) (99opf) Bei dem schwersten Luftangriff auf Mannheim waren in der Nacht vom 5./6.9.1943 414 Menschen ums Leben gekommen. Teilweise sind ganze Familien ausgelöscht worden. (MA 1993 BIB Schadt, 117, Bildunterschrift) (100bom) Diese Überzeugung war soweit gediehen, dass einige Paderborner auch beim Hauptalarm nicht mehr in die Luftschutzräume gingen, sondern zum Himmel schauten, um mit vor Staunen offenem Mund die unzähligen feindlichen Flugzeuge am Firmament zu zählen, die auf dem Weg waren, eine weitere Stadt auszulöschen. (PB 2005 SGp Kühne, 22) (101ns) Ab Januar 1942 bis Ende November 1944 wurden in den hierzu errichteten Gaskammern des Teillagers Birkenau Menschen systematisch ermordet und ihre Leichen spätestens ab Juni 1943 in Krematorien verbrannnt (sic), um alle Spuren des Massenmords zu verwischen. (MA 1993 BIB Schadt, 66) (102opf) Die Feuerwehr war hilflos und mußte sich darauf beschränken, die in den Bunkern und Kellern durch ein Flammenmeer umgebenen Menschen herauszulotsen. Viele Menschen verbrannten bei dem Versuch, der Hölle zu entkommen, andere erstickten und verbrannten in den Kellern. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 590) (103bom) Nachdem festgestellt worden war, dass einige Städte im Feuersturm verbrannten und andere Städte nicht, überlegte man, wie denn das Wetter sein musste, um den Wirkungsgrad zu maximieren. (PB 2008 SGe Westhoff, 12)284

Eine weitere, bereits diskutierte Art der interdiskursiven Verknüpfung liegt im Aufgreifen des nationalsozialistischen Vokabulars für ZAD-Kontexte, das mit einer Nachlässigkeit des Sprachgebrauchs erklärbar sein mag, das aber auch als Indikator für das Fortwirken nationalsozialistischen Gedankenguts gewertet werden kann. Das Verfahren hat jenen zudeckenden Zug, den die Paradoxie der Weiterverendung belasteter Vokabeln häufig auszeichnet. Über eine Kontextanalyse der betreffenden Wörter lässt sich die erinnerungskulturelle Übertragung freilegen, bei der nicht nur das neu erwachende Bewusstsein der Deutschen als Opfernation dem Selbstbild als Täternation, d.h. der Einsicht in Schuld und Verantwortung, hinzugefügt wird. Vielmehr kommt hier – das sollte mithilfe einer framesemantischen Fundierung der diskursgrammatischen Analyse gezeigt werden – ein Verfahren des Verdeckens zum Zuge, das einer Rückprojektion (backward projection) entspricht, bei der mehr oder weniger das eine Bewusstsein (Opfer des Luftkriegs) gegen das andere Bewusstsein (Beteiligung und Schuld) ausgetauscht und damit das Täterbewusstsein überschrieben zu werden droht. Möglicherweise lässt sich hier auch von einer kontextuellen Begriffsneubesetzung sprechen. Sie kommt in (104) zum Ausdruck, wo sich das Attribut total

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auf die Schutträumung bezieht, oder auch in (105) mit Bezug auf die Vernichtung durch Luftangriffe. Diese totale Zerstörung legitimiert die eigene Opfersituation. Der Anklang an den von Goebbels propagierten totalen Krieg wird durch die Definitheit der NPen gestärkt. Ebenso wie es zum Wesen des „totalen Kriegs“ gehört hat, „die gesamte Kraft eines Volkes“ zu bündeln (Ludendorff zitiert nach Schmitz-Berning 2007:612), sollen auch bei Schutträumung und Wiederaufbau alle Stadtbewohner mit vereinten Kräften zusammenwirken. Es ist dieser Topos der vereinten Kräfte, aus dem das Nationenbewusstsein mit jener Nachträglichkeit hervorgeht, die als Resultat der Aufbauleistung im heutigen Stadtraum zu sehen ist – unabhängig davon, ob wieder, neu oder einfach nur aufgebaut wurde. Mit der NS-Vokabel Ausmerzung wird schließlich die historische Chance zum Aufbau in (104) beschrieben. (104) Voraussetzung für jeden Wiederaufbau war die totale Schutträumung der Innenstadt. (PB 1955 DOK Schmidt, 18) (105) Für die westliche Vorstadt brachte er in einem Feuersturm die totale Vernichtung. Dieser Vorgang ähnelte dem Untergang Hamburgs ein Jahr zuvor, (sic) nur in einem begrenzteren Rahmen. Die Feuerwehr war hilflos und mußte sich darauf beschränken, die in den Bunkern und Kellern durch ein Flammenmeer umgebenen Menschen herauszulotsen. (HB 1995 SGe Schwarzwälder, 590) (106) Vor allem mußte die Altstadt – unter Ausmerzung der früheren Unzulänglichkeiten – organisch und zweckmäßig in den Gesamtkörper der Stadt eingefügt werden. (PB 1949 SGe Kiepke, 198) (107) Das Stadtzentrum Mannheims wurde ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und die Kulturgüter als Vergeltung für die deutschen Angriffe auf Coventry und Southampton zerstört. (MA 2012 KAT Pfau, 11f.)

In (107) wird mit Vergeltung (auch in Komposita mit -aktion, -angriff285 oder -schlag) eine Vokabel der späteren NS-Propaganda aufgegriffen, die die „Bombar-

285 Anders verhält es sich mit dem Ausdruck Terrorangriff, der oft mit Hinweisen auf nationalsozialistische Propagandakontexte gebraucht und entsprechend mit Distanzmarkern versehen wird. Er findet allenfalls in zitierten Quellen Erwähnung: Im Westfälischen Volksblatt veröffentlichte Gauleiter Dr. Meyer einen Nachruf, in dem die Namen von 233 Gefallenen aufgeführt wurden. Der Nachruf hatte folgenden Wortlaut: „Es starben für uns den Heldentod bei dem ruchlosen Terrorangriff auf die alte Paderstadt am 17. Januar 1945 (...) Alfred Meyer, Gauleiter.“ (PB 1989 DOK Stambolis, 79) In diesem frühen Beleg hingegen ist das Footing unklar bzw. tendiert zur moralischen Aneignung des später vermiedenen Ausdrucks: Nach mehrmonatiger Ruhepause steigert sich mit einem furchtbaren Terrorangriff Wucht und Zahl der Luftbombardements. Die Presse schreibt von „Nächten der Bewährung“. (MA SGp 1950 Walter, 370)

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dierung englischer Städte als Revanche für die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte“ interpretiert (Schmitz-Berning 2007:627). Sie war selbst schon während des Krieges von Kritik begleitet und als Mittel entlarvt worden, das Volk, dem die Aussichtslosigkeit des Krieges allmählich bewusst wurde, „bei der Stange“ zu halten (vgl. Schmitz-Berning 2007:629). In (107) fällt die Verwendung hinter diese aufgeklärte Sicht während des Krieges zurück: Pfau wirft den Alliierten vor, dieselbe Strategie zu verfolgten wie das NS-Regime. Dieser Argumentation liegt das rehabilitierende Verfahren zugrunde, sich selbst zu entlasten, indem man anderen nachweist, dass sie nicht besser, sondern mindestens genauso amoralisch gehandelt haben oder zu handeln imstande sind wie man selbst. Die Militärschläge eines Unrechtsregimes werden mit der Reaktion der Angegriffenen parallelisiert und moralisch gleichgesetzt. Die geschichtlichen Zusammenhänge werden dabei ent- bzw. dekontextualisiert. Das so beschriebene K-Profil entsteht in einer diskursgrammatischen Konstellation, die sich am Leitfaden einer Wiederaufbaugeschichte als Erfolgsgeschichte aus eigenem Antrieb entfaltet. (108) Im Gegensatz zu anderen Planungen der ersten Nachkriegsjahre muss das Projekt insgesamt als Erfolgsgeschichte gewertet werden. (HB 2006 KAT Syring, Freizeit) (109) Der materielle Wiederaufbau ist in einem Maße geglückt, wie es 1945 kaum einer für denkbar gehalten hatte. (MA 1995 KAT Peters, 5, Geleitwort)

Doch selbst in (108) fällt das einbettende apodiktisch wirkende von müssen regierte Vorgangspassiv auf und auch die Nominalisierung Wiederaufbau ist in (109) Subjektaktant einer Prädikation, die durch Mittelfeldposition und attributiven Anschluss des Relativsatzes die Modalangabe im informationsstrukturellen Vordergrund des Satzes profiliert (Maße geglückt, wie es 1945 kaum einer für denkbar gehalten hatte). Sind die Stadtbewohner hier nicht portraitiert als Befreite, denen nun kollektiv etwas glückt? Doch die Bedingung des Glückens liegt nicht in der Ereignisdeutung des Kriegsendes als Befreiung. Vielmehr wird der Aufbau trotz der Wirren und Repressionen der Nachkriegszeit gemeistert. Das Befreitwordensein wirkt eher als Eingeständnis nach, die nationalsozialistische Diktatur nicht aus eigener Kraft überwunden zu haben. Immerhin, so die implizite Argumentation, gelingt der Aufbau aus eigener Kraft. Die Deutungsfolie der Befreiung von außen wird durch die gesellschaftliche Konstruktion eines Aufbaus aus eigenem Antrieb und unter eigenen, wenn auch diskursiv strittigen Maßgaben, überdeckt. Bisher wurden zu diesem K-Profil vorwiegend sprachliche Elemente unterschiedlicher Abstraktionsstufen ermittelt. Ergänzend angeführt wird abschießend ein städteübergreifend auftretendes zentrales Bildmotiv, das über verschiedene Publikationsformen hinweg im ZAD-Themenkomplex rekurrent auftritt. Es

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handelt sich um die „Schlüssellochruine“, die den Blick oft in Froschperspektive aus der Innensicht der Ruine heraus auf eine Symbolarchitektur frei gibt (vgl. Wilk 2015). Dieser Subjekt-Standpunkt korrespondiert ganz offensichtlich mit dem passivischen Patienssubjekt des Zerstörungsgeschehens. Von dort aus wird etwas gerahmt, was visionären Charakter gewinnt wie die dunstige Trümmerlandschaft, die sich durch die offene Fassade des Kirchenschiffs auftut (vgl. Abb. 29). Die Rahmung der herausgebrochenen Tore verkörpert überwiegend das transitorische Gegenwartsmoment der Aufnahme. Die herausgebrochenen „Ruinenfenster“ geben den Blick auf Symbolträger einer friedvolleren, besseren Zukunft frei: der Kirchenturm, der in Froschperspektive mahnend über die umliegenden Krater hinausragt (vgl. Abb. 31) und der – ohne Dach und Turmhelm – wie ein steinerner Appell zum Wiederaufbau eine höhere Instanz anzurufen scheint (vgl. Abb. 29, 30 und 33); das Bürgerhaus, durch dessen Fassade gleißendes Sonnenlicht strömt (vgl. Abb. 34); der Ruinenbogen am Uferrand als Teil einer Kultur, die der Zerstörung trotzt und den Blick auf das unversehrte Industriegebäude richtet (vgl. Abb. 32). Der funktionalistische Neubau wird vom ästhetisierten Guckloch der Ruine aus zum Inbegriff des Neuen Wohnens in verkehrsgünstig gelegener, durchgrünter Umgebung (vgl. Abb. 35). Auf dem Foto des Mannheimer Nachkriegsfotografen Robert Häusser (vgl. Abb. 35) sind nicht die stolzen Ruinen selbst, sondern die Repräsentationsbauen des neue Wohnens Zielpunkt der bildlichen Narration. Die abgebrochenen Mauern der Ruine im Vordergrund rufen die Zeitschicht der Zerstörung als Kontrast auf, zu dem die weißen Zeilenbauten ein fotografisches „Trotzdem“ bilden. Zur gleichen Zeit bildet sich in Paderborn ein Visiotyp heraus, erkennbar anhand der Aufnahme des enthelmten Paderborner Doms. Im Vergleich werden hier zwar unterschiedliche Facetten aufgerufen, das Verfahren der bildlichen Figur-GrundKontrastierung aber setzt einen mit Glanz und Stolz assoziierten Spot auf die Sichtbarkeiten des Neuen sowie des „Ewigen“.

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 Korpusanalysen

Abb. 29: Im Bildband von Schminck trägt dieses Foto von Walter Cüppers die Bildlegende: „Blick auf die ausgebrannte Johannis-Kirche im Schnoor 92. Luftangriff vom 26. Juni 1942“ (HB 1995 BIB Schminck, 112). Bildnachweis: Staatsarchiv Bremen

Abb. 31: Keller verwendet das Foto in seiner Stadtgeschichte mit folgender Bildlegende: „Die katholische Pfarrkirche St. Joseph am 13. September 1944. Die 1904/1907 erbaute Kirche auf dem Lindenhof erlitt bereits am 9. Mai 1941 Volltreffer, konnte jedoch am 15. November 1942 wieder eingeweiht werden. In der Nacht vom 5./6. September 1943 brennt sie völlig aus.“ (MA 2003 SGp Keller, 33) Bildnachweis: MARCHIVUM Mannheim, Bildsammlung

Abb. 30: Das Foto gibt vom Chor der Abdinghofkirche den Blick auf den Domturm frei. Es ist in verschiedenen Dokumentationen und Broschüren zur Stadtgeschichte abgebildet (PB 1980 SGe Claus, 94; PB 1995 KAT, 148; PB 2005 BRO Stadt). Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn

Abb. 32: Das Foto von Hans Werner Krysl aus einem Bildband zur Bremer Stadtgeschichte richtet den „Blick von einem Ruinengrundstück am Stephani-Ufer hinüber zum Gelände der Brauerei Beck & Co.“ (HB 1997 BIB Aschenbeck, 42) Bildnachweis: Horst Temmen

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Abb. 33: Das 1945 entstandene Foto richtet den Blick von der zerstörten Jesuitenkirche auf die Abdinghoftürme und das Rathaus. Es wird im Dokumentationsfilm „Paderborn – Der Dokufilm – Geschichten einer Generation“ von Julian Jakobsmeyer und Tim Bolte eingeblendet (https:// jakobsmeyer.de/paderborn-der-dokufilm/, zuletzt abgerufen am 19.03.2020, 1:15:48). Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn / Kurt Zecher

Abb. 34: Das Foto aus dem Haus Marienplatz 11 (Levermann) zeigt den Marienplatz 1945 und ist in einer stadthistorischen Dokumentation abgebildet (PB SGp Kühne 2005, 46) Bildnachweis: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn / Paul Michels

Abb. 35: Das um 1953 entstandene Foto mit einem Blick aus einer Ruine auf die Zeilenneubauten in den F-Quadraten, Gemeinnützige Baugesellschaft m.b.H., stammt aus einem Ausstellungskatalog (MA KAT Schenk 1999, 21). Bildnachweis: Robert Häusser – Robert-Häusser-Archiv / Curt-EngelhornStiftung, Mannheim

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 Korpusanalysen

Auch in der bimodalen Herstellung erinnerungskultureller Werte dominiert die Wertung des erfolgreichen Aufbaus gegenüber der Evokation agonaler Zentren, in denen sich strittige Diskurspositionen herausbilden und transformieren. Die frameanalytische Untersuchung hat gezeigt, dass die K-Profile an einer Perspektivverschiebung ausgerichtet sind. Diese bewirkt, dass die Beteiligungsrolle deutscher Bürger und deutschen Militärs an den Rahmenereignissen in den Hintergrund tritt. Der geschichtliche Rahmen wird begrifflich mit der Ereignisbezeichnung im Zweiten Weltkrieg oder der onymisierten Jahreszahl 1945 aufgerufen, wobei eine Ausdifferenzierung des Begriffskonzepts für das Verständnis der zentralen Erfolgs- und Fortschrittsnarration nicht vorausgesetzt ist. Bei den verknüpften Merkmalen ist vielfach von einer (einheitlichen?) diskursgrammatischen Kontextualisierung ausgegangen worden. Dabei wurde angenommen, dass zwischen den Merkmalen sprachliche Bindekräfte wirksam sind, die in Kap. 7 in Form einer Übersicht der ermittelten Kontextualisierungsmerkmale anhand einiger Ausschnitte aus den drei TKs abschließend systematisch dargelegt werden. Zur Begründung der morphologischen und syntaktischen Konnektivität zwischen den nachgewiesenen Elementen sind für die Ergebnisdarstellung folgende Aspekte zu veranschlagen: Erstens die konkreten grammatischen Prozeduren der Verknüpfung, zweitens der pragmatische Sinn (als Emergenzeffekt) der in dieser diskursgrammatischen Konstellation verbundenen Komponenten des K-Profils und drittens die Herausbildung von Standardwerten im Zeitverlauf, die in der diskursgeschichtlichen Verfestigung der Kontextualisierungsmerkmale und Konstruktionen entstanden sind.

6.2.5 Schlussfolgerungen aus den framebezogenen Analysen In der Modellierung semantischer Faktoren konnte das Plädoyer für eine abduktive Herangehensweise eingelöst und bestätigt werden. Das „entdeckte“ Sprachmaterial kann somit nicht rein induktiv über eine eindeutige Regel einer Diskursbedeutung zugeordnet und damit verallgemeinert werden. Form-Funktions-Einheiten existieren nicht fernab von Diskursen. Sie wurden auch in diesem zweiten empirischen Teil der framesemantischen Darstellung diskursspezifisch als Aspekte einer gesellschaftlichen Funktion des Erinnerns interpretiert. Das funktional-pragmatische Potenzial der grammatisch spezifizierten Formen entfaltet sich mit den sprachlichen Relationen und Einbettungen. Folglich ergibt sich die „Regel“ im abduktiven Schlussverfahren aus der (in einen qualitativen Forschungsprozess eingebundenen) diskursgrammatischen Einordnung von potenziellen Kontextualisierungsmerkmalen in ein K-Profil. Methodologisch leitend waren dabei verschiedene Arten von Konnektivität (vgl. Kap. 7), in denen

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die Prinzipien der Kontrastivität und Seralität aufgehen. Seriell sind in der korpuslinguistischen Methodik solche Formen, die rekurrent in kommunikativen Akten vorkommen. Der Nachweis der Kontrastivität wird anders als in konversationsanalytischen Zusammenhängen nicht in erster Linie sequenziell zum vorausgehenden und nachfolgenden Abschnitt erbracht, sondern wurde über ausgewählte Vergleichskorpora erzielt. Beim korpuslinguistischen Zugang zur Kontextualisierung bzw. Kontextualisiertheit von Sprachgebrauchsmustern ist die diskursgrammatische Konnektivität (über Valenz und kollokative Kräfte) als komplexitätsreduzierendes Ordnungsprinzip des Gesamtmusters wirksam. Sie wurde in diesem Abschnitt um die Ebene der Frames und ihrer Struktureinheiten ergänzt. Ziel von Kap. 6.2. war es, die am Ende von Kap. 6.1. angedeuteten semantischen Spektren von Zerstörung und Aufbau zu strukturieren und dabei ein Darstellungsformat zu wählen, das die produktiven Formen der Verknüpfung auf sprachlicher Ebene verdeutlicht. So ist nicht jede Formulierung Ergebnis einer bewussten Wahl vor dem Hintergrund aller denkbaren sprachlichen Alternativen. Vielmehr bietet der sprachliche Teil des Diskurses im Rahmen dispositiver Musterbildung Pfade an, die aus grammatischen und schließlich auch aus sprachökonomischen Gründen bestimmte Fortsetzungen gegenüber anderen bevorzugen und d.h. grammatisch „vorprägen“. Diese vorgebahnten Verbindungen zwischen den beiden in diesem Abschnitt dargestellten Frames werden auf der Basis des framesemantischen „Radiusmodells“ (vgl. Ziem 2008b: 109ff.) als Umlaufbahnen noch einmal schematisch illustriert (vgl. Abb. 36). Auf den gestrichelten Kreisen bzw. Ovalen befinden sich die salienten Slots mit exemplarischen und teilweise standardisierten Füllern. Ausgehend von den Ereignisbezeichnungen für das Kriegsende, die eine hermeneutische Naht zwischen den beiden Diskursen bilden, konnte festgestellt werden, dass die Varianz und die Heterogenität der Footing-Verfahren es nicht zulassen, den Deutungsvokabeln insgesamt einen resümierenden Charakter für die Diskursverschränkung zuzuschreiben. Die Ausdrücke besitzen keine indexikalische Funktion für die Telizität des Ereignisses oder die Positionierung im Diskurs über die Bedeutung des Kriegsendes. Im Gegenteil scheint die kritische Distanz, mit der sich die onymische Metapher Stunde Null konventionalisiert hat, dem Deutungsmuster der Katastrophe, Tabula rasa und des Schicksalsschlags direkt zu widersprechen. In den Bezeichnungsvarianten für das Zerstörungs- und Aufbaugeschehen hat sich eine klare Tendenz zu passivisch formulierten Zerstörungsereignissen und Nominalisierungsformen als typische Bezeichnungsweisen der Aufbauprozesse ergeben. In Textelementen wie Überschriften und Bildlegenden tritt, wie die Kookkurrenzauswertung gezeigt hat, musterhaft Zerstörung als deverbales

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 Korpusanalysen

Derivat auf. Die Verben brennen und ausbrennen sowie das Phrasem in Schutt und Asche legen/versinken zeigen dagegen eine klare Präferenz für eine finite Gestaltung. Dass gerade für die Brand-Verben ein zeiträumliches und personales Grounding in der Vergangenheit zu verzeichnen ist, verdient auch deshalb Beachtung, weil in dieser Konkretisierung des Zerstörungsgrundes der menschliche Auslöser (z.B. Brandbomben) durch die Naturgewalt des Feuers maskiert wird. Aufgrund der etwa gleichverteilten Varianten zerstört und Zerstörung wurden die Frames mithilfe der Kookkurrenten für beide Ausdruckseinheiten vergleichend erschlossen, wobei sich herausgestellt hat, dass das Framing im sprachlichen Umfeld der Nominalisierung Zerstörung gegenüber dem (unflektierten) Partizip reduziert ist, so dass das Ausdrucksspektrum von Patient, Cause und Degree erheblich geringer ausfällt als in der passivischen Konstruktion. Für die Konzeptualisierung der Verschränkung von Destroying- und Building-Frame wurden in den getaggten Korpora die diskurstypischen Wortformen zerstört_ VVPP und *aufbau* als Ausgangseinheiten gewählt. Die Slots mit hoher Typefrequenz sind in Abb. 36 als (diskurs)valenziell usualisierte Sprachmittel eingetragen. Bereits in dieser Darstellung deutet sich an, dass ein Unterschied zwischen Kern- und Randelementen bzw. Komplementen und Supplementen auf Diskursebene einen neuen Zuschnitt gewinnen muss. Die für den Destroying-Frame auffällige Slotverdichtung in der implizit abgeleiteten Nominalisierung Angriff ist Zielpunkt einer Agressorverschiebung, die von der Patiensverschiebung über das Lexem Opfer aus korpusanalytischer Sicht nicht zu trennen ist. Denn für das Phrasem zum Opfer fallen, mit dem die Schäden an Stadt und Gebäuden beschrieben werden, ergeben sich auf der Basis einer Füllerauswertung mit Lexpan als musterhafte Cause-Instanzen diverse Wetter- und Naturerscheinungen. Diese „Naturgewalten“ kommen durch den diskursiven Zusammenhang implizit in Deckung mit dem (namenlosen) Akteur der Zerstörung, der – so der Eindruck – die Städte heimsucht und nicht auf eine Aggression reagiert, um ein Kriegsende herbeizuführen und damit eine weltpolitische Wende als Befreiung von einem diktatorischen Regime zu initiieren. Feinanalytische Auswertungen mit Lexpan haben dort ihre Vorzüge bewiesen, wo valenziell und/oder sequenziell die diskursgrammatische Realisierung der Füller im Satzkontext betrachtet wurde. Aufgrund der sequenziellen Position der syntaktischen Einheiten mit Wiederaufbau wird der Patiensreferent oft nur pronominal aufgegriffen. Er besitzt einen Rückbezug auf das Patiens der vorausgehenden Einheit. Diese behandelt typischerweise Art, Datum, Ausmaß usw. der Zerstörung von Stadt oder Bauten. Insofern spricht die nominale Degradierung des Patiens (z.B. Aufbau des Hauses) weniger für ein Verblassen des Kernelements und mehr für eine standardisierende Kontinuitätsstiftung, die sich auch in der Verkopplung der Frames über die Slots Degree und Manner ausdrückt.

RGA

N G S PA S

SIV

beschädigt

zerstört

M EDIUM

ausgebrannt

Brandbombe

M EANS

Bombenangriff

R OLE

Luftangriff

C AUSE

bei einem Angriff

 tabula rasa

Bombenhagel

Feuersturm

fällt den Flammen zum Opfer

versinkt/liegt in Schutt und Asche

M ETA P HO R I K/ P HR ASEO LO GISC H ES

D EGREE

fast vollständig bis auf die Außenmauern

DESTROYING FRAME

VO

wurde/n

NNEKTOREN

usuelle Koordination

Angriff und Abwehr

Frameverschränkung

reziprok kookkurrent

KO

jedoch (nicht) dennoch allerdings aber, so (dass) nicht nur ... sondern auch auch in/für NEStadt

NO MI NAL

vollzog sich

erfolgte

NGSKONST

RUK

TIO

N

M ANNER

in vereinfachter Weise

nach historischem Vorbild

TIME

nach Kriegsende

BUILDING FRAME

ISIERU

Neuaufbau

A GENT

PATIENT

Wiederaufbau

durch den Architekten Herbert Anker

des Hauses

Abb. 36: Das Kontextualisierungsprofil des ZAD-Gesamtkorpus mit exemplarischen Belegen aus der frameanalytischen Auswertung

 Slotverdichtung

D ESTROYER

der Alliierten

PATIENT

SUBJEKT

das Gebäude

TIME / C ONT. E VENT

im Zweiten Weltkrieg

Framing der Schlüsselereignisse von Zerstörung und Aufbau 

431

432 

 Korpusanalysen

In den folgenden von mir selbst konstruierten typischen Satzmustern sind die framesemantischen Relais, mit denen die beiden Diskursstränge verbunden sind, gefettet dargestellt. Unterstrichen sind die Patiens-Referenz und Pronomen der Wiederaufnahme. Die Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Ihr Wiederaufbau erfolgte originalgetreu in den Jahren 1947–1950. Die beiden Adjektive der Relais-Slots besitzen Supplementstatus auch dann, wenn originalgetreu attributiv zu Wiederaufbau eingesetzt wird. Das K-Profil zeigt aus framesemantischer Perspektive, dass der Status eines Komplements oder Supplements nicht allein über die Weglassbarkeit, Notwendigkeit oder Prominenz der syntaktischen Einheit zu entscheiden ist. Für die Beurteilung der Konnektivitätskraft zwischen Verb und syntaktischer Einheit spielt die diskursbezogene Musterbildung eine entscheidende Rolle. Die diskursive Usualisierung ist schließlich auch für die grammatische Akzeptabilität prägend. Dies wurde anhand des Nominalisierungsgefüges der Wiederaufbau erfolgt nachgewiesen. Hier haben sich die supplementären „Ergänzungen“ der Art und Weise oder der Zeit(spanne) im Diskurs verfestigt. Wie auch immer man sie bezeichnen mag, es handelt sich bei den Füllwerten für den Manner- und Time-Slot im Building-Frame (Der Wiederaufbau erfolgte in vereinfachter Weise bzw. in den Jahren 1947–1949.) um nicht weglassbare meist rhematische Einheiten, die ausdrucksseitig häufiger gesetzt sind als die Agens-Akteure. Aus diesen Befunden lässt sich schlussfolgern, dass erst eine diskursgrammatisch justierte Valenz (Diskursvalenz) für das betrachtete Verb oder den Verbalkomplex berücksichtigen kann, in welcher morphosyntaktischen Form welche Aktanten usuell selegiert werden. Pragmatisch betrachtet verweisen diese diskurspezifischen Verfestigungen auf argumentative Praktiken, mit denen erinnerungskulturelle Texte unabhängig von den historischen Diskursbeteiligten und den verschiedenen Diskurspositionen Angebote bereitstellen, um sich das gegenwärtige Erscheinungsbild der Stadt anzueignen.

7 Ergebnisse 7.1 Die diskursgrammatischen Kontextualisierungen im ZAD der Städte Mannheim, Paderborn und Bremen Die grammatische Gestaltung spielt für die Texte zur Gedächtniskultur der Ereignisse der Städtezerstörung im Zweiten Weltkrieg und des Aufbaus eine zentrale Rolle. Die Analysen haben gezeigt, dass sich zwischen 1945 und 2015 in verschiedenen Gattungen einzelne Formulierungsweisen durchgesetzt haben und heute als typisch erweisen, wenn es darum geht, an die Kriegszerstörungen und den Wiederaufbau nach historischem Vorbild oder in modernem Stil zu erinnern. Der Schwerpunkt der Ermittlung von Sprechweisen über Zerstörung und Aufbau in den Städten Paderborn, Mannheim und Bremen lag weniger auf den lexikalischen, wortbezogenen Mitteln und auch nicht primär auf den strategischen Akten zur Herstellung von Diskurspositionen. Der Fokus lag auf der unauffälligen grammatischen Musterbildung etwa durch die Wahl der Verbformen, der valenziell eingelösten Aktanten, der Phraseme und Metaphern, aber auch der Verknüpfung durch Konnektoren. Der argumentative Charakter der ZAD-Texte entfaltet sich somit nicht offen durch die Abwertung gegnerischer Argumente verbunden mit der Legitimierung einer präferierten Position. Ihre Argumentationen entfalten sich vielmehr implizit über die Lexik, aber auch über grammatische Gestaltungen. Viele neuere Texte des ZAD verhandeln nicht offen strittige Punkte. Sie sind eher sachlich-deskriptiv gestaltet als kontrovers. Diese Schwerpunktverlagerung von der gezielten Faktizitätsherstellung der Akteure hin zur in erster Linie unbemerkten Konstitution geschichtlichen Sinns spiegelt sich in der Ausrichtung der diskursgrammatischen Methode auf die morphosyntaktische Verfasstheit der sprachlichen Ausschnitte wider. Zwar wird die lexikalische Ebene in einem ersten Schritt durch die Keyword-Berechnung berücksichtigt. Sie bildete jedoch nur den Ausgangspunkt für eine diskursgrammatische Spurensuche und wurde mit Analysegesichtspunkten insbesondere aus den Bereichen Verbmodus und Tempus, syntaktische Clusterbildung und valenzielle Vererbung verschränkt. Die vorliegende Studie macht sich zunutze und belegt gleichsam, dass mithilfe quantitativer Korpusabfragen sprachliche Elemente gefunden und nachgewiesen werden, die diskurstypische „Formulierungspfeiler“ bilden. Zwischen diesen entwickelt sich Varianz durch teilweise auch gattungsspezifische sprachlich-kommunikative Routinen. Die Bindekräfte, die dort entstehen, machen zum Teil das Beharrungsvermögen diskursiver Versprachlichung aus. Es verfestigen sich Deutungsmuster, die die Andeutung und Durchsetzung alternativer Diskurs-

https://doi.org/10.1515/9783110691580-007

434 

 Ergebnisse

verständnisse, aber auch differenziertere Ansichten auf Diskursthemen erschweren. Bevor die diskurstypischen sprachlichen Merkmale zusammengetragen und mit Blick auf ihre kontextualisierende Wirkung eingeordnet werden, möchte ich das Kontextualisierungskonzept noch einmal enger fassen und auf Prozesse der morphosyntaktischen Musterbildung zuschneiden. Bei diesen grammatischen Phänomenen handelt es sich im Vergleich zu Ereignisbezeichnungen, Schlüsselwörtern und strategisch verwendeten Aussagen um Formulierungsroutinen, die als solche nicht zwingend diskursspezifisch sind. Anders als die häufig auf thematische Diskurse spezialisierte Lexik sind grammatische Phänomene wie Passivkonstruktionen, Nominalisierungen, Supplemente in Verbszenen, Partikeln und Subjunktoren in vielfältigen Sprachverwendungszusammenhängen anzutreffen und besitzen in diesem Sinne keine vergleichbare diskursive Indexikalität wie Lexeme und Phrasen, die direkt auf ihre diskursive Herkunft verweisen, wie z.B. Dieselgate oder Spenden-Affäre287. Der diskursgrammatischen Untersuchung lag die Annahme zugrunde, dass nicht nur sprachliche Phänomene wie Schlüsselwörter288 Frames evozieren, sondern auch Phraseologismen über ihre idiomatische Bedeutung und (usuelle) Mehrwortverbindungen auf konventionelle Weise erinnerungskulturellen Sinn indizieren. Grammatische Phänomene wirken in Diskursen stets in ihrer Verknüpftheit kontextualisierend. Abhängig von ihrer Position in Texten und in Verbindung mit anderen Kontextualisierungsmerkmalen bildet sich mit ihnen ein dynamisches Netzwerk aus (= K-Profil). Das K-Profil entsteht durch syntagmatische Projektionen höherer Ordnung, mit denen eine Wortform oder ein Syntagma einen knock-on- bzw. Domino-Effekt auf eine Anschlussformulierung erzeugt. Dies im Einzelfall für ausgewählte grammatische Gestaltungen zu illustrieren, ist Ziel des folgenden Abschnitts (7.1). Ausgangpunkt für die Modellierung des K-Profils bildete die im Theorieteil explizierte Auffassung, dass kontextualisierende Sprachmittel durch ihr kookkurrentes, redundantes und ineinander verschachteltes Auftreten ein Deutungsschema indizieren. Das „Zusammenspiel verschiedener Oberflächenmerkmale“

287 Gemeint ist der Skandal um nicht versteuerte Spenden, die die CDU in den 1980er und 1990er Jahren unter dem Parteivorsitzenden und Bundeskanzler Helmut Kohl erhalten hat, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/CDU-Spendenaffäre (zuletzt abgerufen am 19.03.2020). 288 Hierzu zählen Schlagwörter, Symbolwörter oder Leitvokabeln von Diskursen, aber nicht frequente Wörter in einem Korpusausschnitt oder Wörter mit hoher Keyness, wie sie Konkordanzprogramme (z.B. AntConc) ermitteln. Leitausdrücke dienen der komprimierten und vereinfachenden Darstellung von Sachverhalten. Sie bringen in komplexe Argumentationen meist bewertende Bedeutungsaspekte ein (vgl. Spieß 2011:201).

Die diskursgrammatischen Kontextualisierungen 

 435

(Auer 1986:26) wird in der konversationsanalytischen Kontextualisierungstheorie zeitlich-prozessual gedacht: Bspw. kann die Veränderung des Sprechtempos, der Intonation und der Stimmlage im Gespräch dem Erzählten einen besonderen Akzent verleihen (Affekt, Ironie, Replaying etc.). In der Untersuchung der Ausschnitte aus Stadtgeschichtstexten wurde das Prozessieren von Deutungsmustern durch die Aufteilung der Texte in die folgenden vier Phasen erfasst: die Vergangenheitspolitik (1945–1957), die Kritik der Vergangenheitsbewältigung (1958–1984), die Erinnerungsphase im Zeichen der Befreiung (1985–2015) und die Gedächtniskultur mit digitalen sowie ortsgebundenen Formaten (2006–2016). Dabei haben sich städteübergreifende Präferenzen für die sprachliche Repräsentation von Zerstörung und Aufbau herausgebildet. Sie wurden als musterhafte Kontextualisierungen aufgefasst, in denen sich erinnerungskulturelle Aussagen kristallisieren. In ihnen wird das Vergangene für die Gegenwart relevant. Sie enthalten außerdem über die Bewertung des Aufbaus und seiner Folgen einen indirekten Appell für die Gestaltung des sozialen Lebens in der Zukunft. Das K-Profil entspricht auf sprachlicher Ebene einer diskursiven Formation, die Foucault als dynamisch, unvollständig und historisch kontingent beschrieben hat und die den symbolischen Teil eines Dispositivs bildet. Die kulturell produzierte Umgangsweise mit der städtischen Vergangenheit entspricht für den hier betrachteten Zusammenhang dem Foucaultschen Dispositiv. Ein urbanes Dispositiv materialisiert sich schließlich in der Diskursformation der Städteplanung und im architektonischen Arrangement. Während einzelne Sprecher ein Verfahren zur Kontextualisierung gezielt einsetzen, ist das, was durch Aufgreifen, Übertragen und Transkribieren in den letzten gut 70 Jahren entstanden ist, im Sinne der invisible hand des Sprachwandels (vgl. Keller 2003) dem Bewusstsein der Diskursakteure mehr oder weniger stark entzogen. Auch wenn sich die Frequenz in Form der Geläufigkeit sprachlicher Formen und bildlicher Repräsentationen in der öffentlichen Kommunikation niederschlägt, sind die Entstehungsweisen kollektiver Gedächtnisinhalte nur über solche Diskurspraktiken ermittelbar, die die „Umgangsweisen“ mit dem städtischen Raum begleiten. Daher wurden Gebrauchstexte wie Bildbände, Stadtführer und Pultaufschriften in der Innenstadt ausgewählt, die mit den ebenfalls ins Korpus aufgenommenen Dokumentationen und Stadtgeschichtsdarstellungen intertextuell verknüpft sind. Den Ausgangspunkt der Musterermittlung bildete methodisch ein an Auftretenshäufigkeit (Frequenz) und -wahrscheinlichkeit (Keyness) orientiertes Vorgehen, bei dem lexikalisches Material mit Blick auf seine kollokative Bindungsfreudigkeit betrachtet wurde und bei dem gerade auch Konnektive, Adverbien oder anomische Einheiten interpretativ ausgewertet wurden. Anhand von verschiedenen linguistischen Bruchstücken aus Modalverben und Passivkomplexen wurde der PVM-Komplex (konnte genutzt/wiederhergestellt/... werden)

436 

 Ergebnisse

als Ausgangspunkt (node) für die Kombination mit weiteren formal oder funktional klassifizierten Einheiten ausgewählt. In diesem korpusgesteuerten Zug der diskursgrammatischen Analyse wurden die Belege durch gezielte Annotationen eingegrenzt. Damit schöpft die Diskursgrammatik als Methode das heuristische Potenzial einer quantitativen Analyserichtung aus, die immer wieder auf Ergebnisse aus vorangegangenen Erhebungen zurückgreift: In corpus-driven studies, as in conversation analysis, reliance on the text may lead to unforeseen findings but it may also force the analyst to ad hoc categorization of the data which might profitably be linked to related insights from previous scholarship. (Virtanen 2009:1065)

Während computerbasierte Musterermittlungen zunächst nur Probebohrungen darstellen, ging es in der Auswahl der Belege und ihrer manuellen Annotation darum, Spuren zu identifizieren, die zu einem Geflecht von Hinweisen auf Anschauungs- und Deutungsweisen innerhalb des ZAD gehören. Dabei wurde nach dem Prinzip der Kontrastivität verfahren, das insbesondere Tienken 2016 für die linguistische Medien- und Kulturanalyse methodisch fruchtbar gemacht hat. Als Basis der hier beschriebenen Kontextualisierungsweisen wurde es in der diskursgrammatischen Analyse schriftlicher Texte auf quantitativer und auf qualitativer Seite ausbuchstabiert: Quantitativ wurden Kontrastbildungen über die Wahl verschiedener Referenzkorpora und über den Wechsel der Granularitätsstufen erzeugt. Die Granualität ist in der Unterscheidung zwischen Wortverbindungen und Wortverbindungsmustern bzw. schematischen und lexikalisch spezifizierten Konstruktionen enthalten. Der abstrakte Pol liegt bei den POS-Grammen und der phraseologische bei den Verbindungen mit starker Idiomatizität. Auch qualitativ wurden für die Untersuchung der Kontrastbildung unterschiedliche meist verbalgrammatische Kategorisierungen wie Aspektualität oder Satzreduktionsstufen herangezogen. Dieses diskursgrammatisch motivierte Vorgehen mit Interesse an der sprachlichen Konstitution von Diskursen im Rücken der Subjekte stellt eine innovative Methodologie bereit, die quantitative und qualitative Verfahren kombiniert und dabei nicht nur Kontraste sichtbar macht, sondern in der Sichtbarmachung dieser Strukturen und potenzieller Muster auch den Tool- und Medieneinsatz mitreflektiert. Um ein rekurrentes Sprachphänomen als Puzzlestück eines Musters zu begreifen, etwa als Element eines K-Profils, bedarf es eines hermeneutischen Zugangs, der, wie Virtanen oben betont, von den Ergebnissen bisheriger (Diskurs-)Analysen inspiriert ist. Die Initialzündung jeder Mustererkennung liegt in der Deutung:

Die diskursgrammatischen Kontextualisierungen 

 437

Mit der Identifizierung von Mustern ist allerdings noch keine Analyse vollbracht. Diese kann sich erst durch „Verknüpfungsgabe“ ergeben, die in der kulturanalytischen Linguistik vor allem in der Triangulierung von Theorie, Methode und Material besteht (vgl. Linke 1996; Tienken 2008, 65 f.). Muster können auf diese Weise im Wechselspiel von Bottom-up- und Top-down-Strategien im Verlauf einer „hermeneutischen Spirale“ (Fix 2007, 333) oder im Rahmen einer „quantitativen Hermeneutik“ (Schröter 2012, 363) gedeutet werden. Auf diese Weise ist eine Annäherung an das „Verweisungsganze“ möglich, „aus dem das einzelne kulturelle Phänomen seinen Sinn“ bezieht (Bude 1991, 7). (Tienken 2015:480)

Das K-Profil als „Verweisungsganzes“ umfasst auf Textebene eine Reihe sprachlicher Merkmale, die durch ihre Verknüpftheit eine bestimmte erinnerungskulturelle Aussage mit deontischer oder bewertender Bedeutung der Vergangenheit aufrufen. Das K-Profil besteht aus kookkurrierenden und serialisierten Merkmalen. Die folgenden Abschnitte dieses Kapitels widmen sich nun der Frage nach den Arten der Verknüpfung von Kontextualisierungshinweisen. Ziel ist es dabei, verschiedene, ggf. ineinandergreifende oder zeitlich aufeinander folgende K-Profile mithilfe eines diskursgrammatischen Beschreibungsmodells so zu fassen, dass nicht nur die Anordnung redundanter, kookkurrierender Elemente, sondern auch ihre Sequenzialität nachgewiesen werden kann, mit der diskursspezifische Bedeutungsaspekte wechselseitig „aktiviert“ bzw. zugeschaltet werden. In der Relais-Metapher lässt sich auch die Vorstellung unterbringen, dass Merkmale innerhalb des Profils stärker und schwächer beleuchtet werden. Dies ist synchron und diachron in der Herausbildung von Kontextualisierungsmerkmalen feststellbar. So wie die kontextualisierende Fokuskonstruktion bei Müller 2012 ihre Ge­brauchs­bedingungen in sich aufnimmt, schlägt sich im aktuellen Sprachgebrauch der Kommunikate des ZAD Diskursgeschichtliches nieder. Dabei werden einmal herausgebildete Formulierungen nicht einfach übernommen und weitergeführt. Vielmehr sind sie veränderlich, passen sich an neue Umgebungen an und reduzieren sich mit der zeitlichen Distanzierung auch durch den medialen Formatwandel. In dieser Reduktion schlägt nach Winkler (2002:210) Quantität in Qualität um, was linguistisch bezogen auf die Zweiseitigkeit der sprachlichen Konstruktionen bedeutet, dass eine Reduktion der Form an der sprachlichen Oberfläche mit einer pragmatischen Anreicherung einhergeht. Auch in den „Resten“ von Formulierungsroutinen finden sich typische Darstellungsweisen im ZAD in Form eines semantischen Mehrwerts. Für den ZAD-Komplex entsteht hierbei eine Verkopplung der Diskursstränge zu Themen von Zerstörung und Aufbau. Konkret tritt durch die Akzentuierung der Zerstörungsfolgen das Rahmenereignis der Zerstörung in den Hintergrund. Dies wurde im Metaframe der Abwehr beschrieben. Hierbei ergibt sich die doppelte Verschiebung der Täter-Rolle der Deutschen und zwar zunächst auf die Opferrolle deutscher Bürger in den bombardierten Städten

438 

 Ergebnisse

und von dort aus metonymisch auf die zerstörte Bausubstanz, an die die Leidenskategorie menschlicher Subjekte global vererbt wird. Gleichsam entsteht ein metaphorischer Anschluss, der die Kriegseinwirkung als etwas Naturgewaltiges präsentiert, das von außen schicksalhaft über die Stadt hereinbricht. Damit hat sich die von Winter 2014 für TV-Dokumentationen beobachtete Externalisierung der Ursachen sowohl für die NS-Verbrechen als auch für den Bombenkrieg und seinen geschichtlichen Hintergrund bestätigt. Die Externalisierung geht aus der Opferrolle der Gebäude und der spezifischen ZAD-Frameverschränkung hervor. Bezogen auf das Opferverständnis ist sie framesemantisch als Rückprojektion (backward projection) in den ursprünglichen Opferdiskurs beschreibbar. Eine Ent-Akteurisierung hat sich zwar für die nationalsozialistische Aggressionspolitik und die Ermordung von Juden gezeigt, zu ergänzen ist jedoch, dass diese mit sprachlichen Verfahren zusammenwirkt, die gleichzeitig Architektonisches, Gebäude und ganze Städte re-akteurisieren, indem diese stellvertretend leiden und zu Opfern werden. Hierbei klingt das nationalsozialistisch geprägte organische Architekturprogramm an, das verbunden mit der Vorstellung der städtebaulichen Auflockerung bereits in den 1930er Jahren entwickelt wurde. Wiederaufbau erscheint in dieser Rahmung als Heilung des verwundeten Stadtkörpers. Dieser wird zum Stellvertreter für die Opfer der ganzen Nation. In der maskierten Opferdeutung trägt der Erfolg des Wiederaufbaus zur Rehabilitierung der Deutschen nicht nur in einem materiellen, sondern auch in einem moralischen Sinn bei. Diese Auffassung basiert auf der vielfach weiterwirkenden Annahme eines Kollektivschuldvorwurfs, den die Alliierten oder gar die ganze Welt gegen Deutschland gerichtet haben sollen. Diese sprachlich erweiterte Opferperspektive erschwert es innerhalb des ZAD, das Kriegsende als Wendepunkt zu fassen, weil gerade diejenigen, die diese Wende oder Befreiung ermöglicht haben, als Täter eines sinnlosen Bombenkriegs erscheinen. Das in der diskursgrammatischen Musterbildung weiterhin dominierende Schlussstrichszenario mit Formeln wie Schwamm drüber erstaunt um so mehr als genau diese Tabula-rasa-Sicht auf das Kriegsende spätestens seit den 1980er Jahren offiziell verabschiedet worden ist und auch lexikalisch im öffentlichen Diskurs die „Stunde Null“ nur noch in Anführungszeichen und mit Verweis auf diese Kontroverse angeführt wird. Analytisch schwer zu beschreiben sind die spezifischen Füllungen einiger Standardwerte dieser Diskursformation wie Jahreszahlen (1944), Schlüsselwörter (Stunde Null) und Ereignisbezeichnungen (Zweiter Weltkrieg). Obwohl diese Ausdrucksformen historisches Wissen evozieren, findet das mit ihnen evozierte Wissen keine einheitliche Akzentuierung etwa dadurch, dass auf Vorgängerkontexte verständnissichernd Bezug genommen wird. Die Annahme einer Wissensformation unabhängig von der ausdrucksseitigen Realisierung ist nur dann solide nachweisbar, wenn Bedeutungen im Gebrauchskontext (z.B. Geschichtsunter-

Die diskursgrammatischen Kontextualisierungen 

 439

richt) dezidiert beigesteuert oder Inhalte für das Verstehen vorausgesetzt werden. Gerade in den komprimierten Formaten wird geschichtliches Wissen weder als Standard vorausgesetzt noch wird es regelmäßig aufgerufen und gefestigt. Bereits in Kap. 3 hat sich gezeigt, in welchen Bereichen Besonderheiten in der Diskursverschränkung der Themen Zerstörung und Aufbau liegen. Die Verknüpfungen entstehen dadurch, dass die Städtezerstörung auf den deutschen Opferbegriff Bezug nimmt und damit gleichzeitig auch auf ein schwieriges Verhältnis, das die Deutschen zum Luftkrieg haben, da in ihm viele Zivilisten zu Tode gekommen sind. Hieraus speist sich eine zentrale kommunikative Aufgabe der Gebrauchstexte des ZAD. Sie stehen vor der Herausforderung, die von Historikerseite geäußerte Forderung zu erfüllen (vgl. Klenke 2008 und Pohl 2016), die Städtezerstörung im historischen Kontext so darzustellen, dass die Folgen des Bombenkriegs nicht von den deutschen Kriegsverbrechen abgekoppelt werden. Werden sie dieser Forderung gerecht? Es darf angesichts des Befunde zum ZAD-Profil bezweifelt werden, dass die festgestellten Formen und Formulierungsweisen der erinnerungskulturellen Repräsentation von Städtezerstörung und Aufbau, die sich in den letzten 70 Jahren verfestigt haben, ein adäquates Bewusstsein für den historischen Hintergrund schaffen, vor dem die deutschen Opfer des Bombenkriegs betrachtet werden. Zudem müsste das Opferverständnis mit der Problematik der Selbstviktimisierung vereinbart werden, die vielfach als überwunden gilt, aber im Diskurs weiterhin präsent ist. Was sich im Diskurs zeigt, ist vom bewussten Umgang mit diesen „Verdrängungsverhältnissen“ weit entfernt. Vielmehr zeigte sich insgesamt, dass die stadthistorischen Gebrauchstexte den Wiederaufbau als schier unendliche Progression, als naturgesetzliche Kausalität entwerfen und der Wiederaufbau antritt, die Gesichter personalisierter Städte zu rekonstruieren und zu verschönern. Er mag teilweise Ausdruck einer „Selbstreinigung“ historischer Schuld sein. Aber er hat noch eine andere diskursgrammatisch belegte Funktion. Er bedingt mithilfe verschiedener sprachlich-kommunikativer Verfahren ein Überschreiben der Opferkategorie sowie der Akteursposition. Statt von Juden und vom NS-Regime Verfolgten ist einseitig von architektonischen Opfern die Rede, statt der deutschen Truppen, Waffen-SS und Befürworter des Nationalsozialismus wird vom „Terror“ gesprochen, den die Alliierten mit dem Abwurf des Sprengstoffs auslösten. Wohlgemerkt geht es hierbei um die Feststellung von Sprechweisen und metaphorischen und kollokativen Sprachstilen, das damit repräsentierte Geschichtsbild kann hier nur ansatzweise skizziert werden und wäre geschichtswissenschaftlich zu verifizieren. Die vorliegende Studie war anfangs durch die Frage motiviert, in welchen Sprachforme(l)n und Sprachbildern in Gebrauchstexten zur Stadtgeschichte an die Städtezerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert wird. Mehr und mehr hat sich dabei eine Untersuchung zu den Hintergründen und Bedingungen

440 

 Ergebnisse

des Aufbaus in den drei Städten entwickelt, in deren Licht die „Katastrophe“ der Kriegszerstörung erscheint. Das koordinierende und zwischen den beiden Diskursthemen Zerstörung und Aufbau ist somit mehr als eine lose Verkopplung. Die diskursgrammatische Systematik dieses Zusammenspiels soll abschließend durch das vervollständigte K-Profil visualisiert und anhand von Diskursausschnitten dargestellt werden. Kap. 7.2 liefert eine Zusammenstellung der K-Elemente des ZAD, danach werden die Elemente in Kap. 7.3 auf der Basis verschiedener Konnektivitätsdimensionen einem übergeordneten sowie mehreren zeit- und städtespezifischen K-Profilen bzw. Profilausschnitten zugeordnet.

7.2 Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil Abb. 37 enthält alle Kontextualisierungselemente, die in den Analysekapiteln aufgrund ihres seriellen Erscheinens als Kandidaten für habituelle Kontextualisierungsverfahren identifiziert wurden. Sie sind nach Zeitabschnitten geordnet und wurden ohne kotextuelle Einbettung aufgeführt. Über Kontrastanalysen wurde jeweils nachgewiesen, inwiefern es sich um ein Kontextualisierungsmerkmal handelt und in welchen Mustern und Wortverbindungen es auftritt. Dieser Nachweis beruht nicht nur auf dem Vergleich mit Worthäufigkeiten in Vergleichskorpora, sondern in erster Linie auf formalen Skalierungen zur verbalgrammatischen Gestaltung zwischen finiten und infiniten Formen. Methodisch und methodologisch wurde damit ein neuer Weg eingeschlagen, da semantische und pragmatische Werte nicht nur anhand spezifischer Lexik in besonderen syntaktischen Funktionen ermittelt wurden (z.B. als Attribute), sondern die pragmatische Qualität der lexikalischen Elemente an ihre morphosyntaktischen Eigenschaften wie Finitheit (Tempus, Genus verbi, Modus) oder Rektion rückgebunden wurden. Dies setzt immer auch den Blick auf alternative Formulierungen für Sachverhalte und Szenen auf grammatischer Ebene voraus. Gerade aufgrund ihrer „Wanderschaft“ durch die medial vielfältigen Gattungen schleifen sich Formen in einer diskursiven Musterhaftigkeit im Gebrauch ein. Die Reichweiten des musterhaften Erscheinens sind mit der Diskursverschränkung deutlich geworden: Ein Kontextualisierungshinweis zieht weitere Merkmale nach sich, so dass die einzelnen Phänomene wie Rädchen ein ums andere ineinandergreifen und eine Deutung in Gang setzen. Die unterschiedlichen konnektiven Kräfte, die die Phänomene verkoppeln, wurden gesammelt und systematisch zusammengestellt. Aus ihrer Verkettung entstehen Deutungsmuster mit holistischer Qualität (vgl. Abb. 38) und einem semantischen Mehrwert, der unterhalb der Idiomatizitätsgrenze rangiert. Kräfte,

RGA

N G S PA S

SIV

beschädigt

zerstört

TIME / C ONT. E VENT

kurz vor Kriegsende

1942

x

 tabula rasa

Bombenhagel

Flammeninferno

Feuersturm

nicht mehr nicht mehr

zu x-en

NNEKTO

REN

gebaut

werden

 Reflexion

PVM-KOMPLEX

werden

Frameverschränkung

kann angesehen können bezeichnet konnte/n

werden

angepasst (=kursiv) bewältigt

 Rechtfertigung

konnte/n

 Gute-Gründe- und Agonalitätsmarker

soll/te

 Aufbau als Erfolgsgeschichte

VM VVPP VAINF konnte/n genutzt (=kursiv) werden gesteigert wiederhergestellt realisiert

MI NAL

NGSKONST

neu

wieder

Zeichen des Willens aller Bremer, den Ruf ihrer alten Handelsstadt neu zu begründen

versucht, die bis dahin betongraue Fassade durch eine helle und freundliche Architekturmalerei besser ins Wohnumfeld zu integrieren

weitere satzwertige zu-Infinitive

um einen Ausgleich zu schaffen

um die nötige Auflockerung zu erreichen

adverbiale zu-Infinitive

RUK

TI

ON

vollzog sich fand statt

erfolgte

M ANNER

TIME

in den Jahren 1947 bis 1950

A GENT

durch den Architekten Herbert Anker

Abwehr

DEFENDING

in vereinfachter Weise

nach historischem Vorbild

BUILDING FRAME

ISIERU

Chance, Neues zu gestalten Entscheidung, die Bebauung im Stadtzentrum nur zum Teil zu restaurieren

NO

Neuaufbau Rekonstruktion

Wiederaufbau

PATIENT

des Hauses

attributive zu-Infinitive

MODALISIERUNG deontisch / dispositionell

reziprok kookkurrent

KO

jedoch (nicht) dennoch allerdings aber, so (dass) nicht nur ... sondern auch auch in/für NEStadt

Abb. 37: Das Kontextualisierungsprofil zum ZAD-Korpus mit exemplarischen Belegen

konnte/n sollte/n

 Verlustkonstruktion

ist existiert

D EGREE

bis auf die Außenmauern

total

völlig

fast vollständig

und Abwehr

fällt den Flammen zum Opfer

vom Erdboden verschwunden

versinkt/liegt in Schutt und Asche

METAPHORI K / P HRASEOLOG ISCHES

M EDIUM

ausgebrannt

Brandbombe/Brand

M EANS

Bombenangriff

R OLE

Luftangriff

C AUSE

bei einem Angriff

S TANDARDWERTE

1945

Zweiter Weltkrieg

im Zweiten Weltkrieg

DESTROYING FRAME

VO

wurde/n

usuelle Koordination Angriff

 Slotverdichtung

D ESTROYER

der Alliierten

alliierte

Angriff (indirekt)

PATIENT

SUBJEKT

die Kirche

die Häuser

die Innenstadt

das Gebäude

 Gebäude als Opfer

gaben der Innenstadt ein völlig anderes Gesicht

erleidet, erdulden

fällt/fallen den Flammen/Bomben zum Opfer

ME TAPHORIK /P H RAS EOLOGI S CHES

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

441

Opferdeutung blockiert Täterbewusstsein

D EGREE

bis auf die Außenmauern

total

völlig

fast vollständig

Katastrophe, Apokalypse, Tabula rasa, Schicksalsschlag

wurde/n zerstört die Zerstörung ART

PATIENT

die Kirche

die Häuser

die Innenstadt

das Gebäude

Bombenopfer

C ONT. E VENT

nach dem zweiten Weltkrieg

nach Kriegende

PHÖNIX-AUS-DER-ASCHEN A R R AT I V

Abwehr und Heilung durch

Erste Stufe / Voraussetzung für

Patiensverschiebung: Leidenskategorie auf Gebäude übertragen

Juden und andere NS-Verfolgte

Abb. 38: Emergente Deutungsmuster zum ZAD-Korpus mit exemplarischen Belegen

M EDIUM

ausgebrannt

Brandbombe/Brand

M EANS

Bombenangriff

R OLE

Luftangriff

C AUSE

bei einem Angriff

D ESTROYER

alliierter Angriff

Täterdeutung blockiert Befreiungskonzept

AgressorVerschiebung

E XPL ANATION

nationalsozialistische Vernichtungsund Eroberungskriege

I NVOLVEMENT

Beteiligung und Verstrickung der Deutschen in das NS-System

wieder

neu

M ANNER

in vereinfachter Weise

nach historischem Vorbild

Helden- und Erfolgsgeschichte

der (Wieder-/Neu-)Aufbau konnte/n aufgebaut werden

TIME

in den Jahren 1947 bis 1950

442  Ergebnisse

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

 443

die im Sinne sprachinhärenter Konnektivitäten wirksam sind, wurden auf vielfältigen Ebenen nachgewiesen. Sie können sich wechselseitig verstärken und in diesem Sinne pragmatischen Mehrwert erzeugen. Innerhalb des K-Profils konnten folgende Arten von Konnektivität festgestellt werden, die allesamt in Abb. 37 verzeichnet sind: 1. diskurstypische Kollokation (erfolgte ... der Wiederaufbau) 2. reziproke Kookkurrenz (zerstört – Wiederaufbau) 3. Konnektoren (jedoch) 4. Valenz (Überwertigkeit) (Degree) 5. frameinduzierende Kollokation (Angriff und Abwehr) 6. Frameverschränkung (Degree – Manner) 7. Metaphern-Fähre (Opfer) Für einige der aufgeführten Konnexionsarten, insbesondere aber für die verbalgrammatische Gestaltung unter 2., ist zusätzlich Kontrastivität als Konnexionsform zu veranschlagen, die für den Kontextualisierungseffekt in besonderer Weise entscheidend ist. Stärke und Gerichtetheit dieser kontrastiven Konnektivität jenseits der Wahrnehmungsschwelle tritt primär theoriebezogen in Erscheinung. Hier hängt es von der jeweiligen Entscheidung für ein grammatiktheoretisches Bezugskonzept ab, welche morphosyntaktischen Gestalten innerhalb von Satzförmigkeitsskalen, Valenzrelationen etc. getestet, verglichen und kontrastiv bewertet werden. Auch wenn sich mit den Bindekräften jeweils eine Interpretation oder eine komplexere Diskursbedeutung entfaltet, basieren doch alle aufgeführten Konnektivitätsarten auf oberflächennahen grammatischen Verknüpfungsweisen. Sie tun dies innerhalb des diskursgrammatischen Analyserahmens auch dann, wenn sie sich aus einem framesemantischen Arrangement ableiten. Dies soll im Folgenden durch einige in Abb. 37 aufgeführte Sprachmittel exemplifiziert werden. Anschließend wird das K-Profil anhand ausgewählter Belegstellen für die drei Städte veranschaulicht. Dass die aufgeführten Formen im Sinne der Kontextualisierungstheorie redundante Kontextualisierungsmerkmale darstellen, bedeutet auch, dass in konkreten Textausschnitten nie alle, sondern immer nur einige Merkmale in Kombination miteinander auftreten. Verbindungen zwischen den Merkmalen wurden korpuslinguistisch mithilfe statistischer Kookkurrenzanalysen nachgewiesen. Die diskursgrammatische Einordnung kookkurrierender Merkmale basiert auf grammatischen Konzepten, die die verbalgrammatische und die phraseologische Gestaltung fokussieren. Dabei wurden folgende Mehrworteinheiten unterschieden: – themenspezifische und vorgeprägte Phraseme wie in Schutt und Asche sinken

444 

 Ergebnisse

– Kollokationen mit Variationen wie Wiederaufbau/Neuaufbau/... erfolgte/ vollzog sich/... – rekurrente sprachliche Konstruktionen, die lexikalisches Material in konkreten Wortformen als Angelpunkt aufweisen (z.B. [...] wurde [...] zerstört [...]) – verbalgrammatischen Gestaltprinzipien (zu-Infinitive, PVM-Komplexe mit typischen Modal- und Vollverben) Zu den zentralen Befunden gehört der Nachweis der diskursspezifischen Kollokation der Wiederaufbau erfolgte, die in diversen Varianten auftritt. Sie erwies sich auch beim Abgleich mit dem DeReKo (über Cosmas II) als kontextualisierend für die sprachliche Perspektivierung der Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus zeigte sich für das Lexem Wiederaufbau eine linksseitige Kookkurrenz zum Partizip II zerstört. Diese wurde in Kap. 6.2 als Frameverknüpfung beschrieben, da sie im Unterschied zur Frameintegration den Satzkontext überschreitet. Anders als bei der Integration der Frames, wie sie in der NP Wiederaufbau der zerstörten Stadt vorliegt, bilden die Kookkurrenten Wiederaufbau und zerstört bei der Frameverknüpfung Kerne in jeweils eigenen Konstruktionen. Die beiden Propositionen sind typischerweise durch das präteritale Vorgangspassiv wurde/n zerstört sowie den Nominalisierungsverbkomplex erfolgte der Wiederaufbau mit präteritalem Nominalisierungsverb realisiert. Zwischen ihnen bzw. innerhalb des internen Konnekts können zusätzlich Verknüpfungsmittel auftreten. Häufig stiften adversative und konzessive Konnektoren wie jedoch, allerdings und aber Relationen, die die Besonderheiten des Wiederaufbaus hervorheben. Vor allem adversative Konnektoren fanden sich auch im Umfeld der Fokuskonstruktion des PVM-Komplexes (konnte genutzt/wiederhergestellt/... werden). Wenn im Anschluss an die passivische Beschreibung der Zerstörung (wurde zerstört) Bauwerke allerdings/jedoch/aber wiederhergestellt werden konnten, dann klingt darin der Stolz über die schnelle, historisierte oder im Gegenteil modernisierte und an den Leitlinien des modernen Städtebaus orientierte Aufbauleistung an. In den umfangreicheren Texten aus stadtgeschichtlichen Gattungen sind Modalisierungen mit den meist präterital gebrauchten Modalverben können und sollen vorherrschend. Sie regieren vorwiegend Infinitive und verbinden sich musterhaft mit dem Passivinfinitiv (wiederhergestellt werden) zum PVM-Komplex (VM wiederhergestellt werden). Dieser differenziert sich in verschiedene Konstruktionen aus, wobei die Varianten mit können den größten Teil ausmachen (z.B. konnte wiederhergestellt werden). Dies ist insofern als diskursspezifische Selektion zu betrachten, als andere Modalverben wie müssen und wollen in dieser Konstruktion im Vergleich zum DeReKo unterrepräsentiert sind. Da der PVM-Komplex für Texte der Verwaltungs- und Wissenschaftskommunikation einschlägig ist, mag sein gehäuftes Vorkommen in den sachorientieren Gattungen der Geschichts-

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

 445

vermittlung nicht weiter überraschen und auf den ersten Blick als rein gattungsspezifisches Sprachmittel erscheinen. Bei den Übernahmen in die neueren Gebrauchsgattungen würde es sich entsprechend um ein Transferphänomen handeln. Die besondere diskursgrammatische Funktionalität des PVM-Komplexes im ZAD-Korpus ist jedoch aus seiner Position im Netzwerk der kookkurrenten Kontextualisierungsmerkmale heraus erklärbar. Die diskursspezifischen Verwendungsweisen mit präteritalem könnte/n und sollte/n bilden den Knotenpunkt eines K-Profils, aus dem sich für den Städteaufbau eine Aufbau-Erfolgsgeschichte mit rechtfertigendem Charakter ergibt. Es ist nicht zu übersehen, dass die Kombination aus vorab als katastrophal beschriebenen Zuständen der Verwüstung und der rasanten Dynamik des Aufbaus zum kommunikativen Effekt der Immunisierung gegenüber Kritik führen kann. Diese bezog sich im überregionalen Diskurs insbesondere auf die historisierenden Leitbilder des Aufbaus, auf verkehrsgerechte Konzepte und nicht zuletzt auf die funktionalistischen anonymen „Wohnblocklösungen“. Mithilfe spezifischer verbalgrammatischer Annotationsschemata wurde für den PMV-Komplex festgestellt, dass in diese Passivkonstruktion im Vergleich zu Verwendungen in anderen kommunikativen Domänen wie Presse, Verwaltung und Wissenschaft bevorzugt kursive bzw. durative Verben eintreten, d.h. Verben, die das semantische Merkmal der Dauerhaftigkeit aufweisen. Dadurch entsteht der Eindruck des Weiterwirkens wirtschaftlicher oder baustilistischer Aufbauerfolge. Es ist zu vermuten, dass hieraus ein günstiger Effekt für das Stadtimage entsteht, sich diese historische Narration somit für das Stadtmarketing als nützlich erweist, so dass im städtischen Placemaking die Perspektive auf die enormen Leistungen des Aufbaus eingestellt wird (auch unabhängig von eventuellen Nachteilen der Aufbauweise, die vor allem im Bremer Stadtgeschichtsdiskurs genannt werden). Resümierend lässt sich die diskursgrammatische Fundierung im Sinne der Kontextualisierungsidee damit beschreiben, dass die pragmatische Wirkung der Passivkonstruktion unter kontrastiven Gesichtspunkten untersucht worden ist. Kontrastiv heißt in diesem Fall nicht nur im Abgleich mit verschiedenen Referenzkorpora, sondern vor allem hinsichtlich alternativer Formulierungsweisen. Bezogen auf die Verwendungsweisen des Passivs für das Zerstörungs- und Aufbaugeschehen wurden hier insbesondere verbalgrammatische Gestaltungsweisen geprüft und verglichen. Das modalisierte Vorgangspassiv tritt bevorzugt in Verbindung mit den Modalverben können und sollen auf. Die können-Variante steuert den rechtfertigenden Charakter der Fokuskonstruktion bei. Mit Rechtfertigungen verwandt, aber stärker auf Persuasion ausgerichtet, präsentiert sich die Konstruktionsvariante mit sollte/n als Marker, um Positionen normativ zu begründen. Schließlich erscheint im weiteren Feld der Reflexion die Konstruktionsvariante mit können

446 

 Ergebnisse

zumeist im Präsens. Füllerverben wie bezeichnen, verstanden oder symbolisieren im PVM-Komplex (bezeichnet/verstanden/symbolisiert werden kann) schließen an die Usualisierungen der Form in akademischen Gattungen an. Ihre Semantik wirkt hier ‘absichernd’ und ‘begründend’. Abb. 37 veranschaulicht mit den PVM-Komplexen im Zentrum, wie die Fokuskonstruktionen im Feld sprachlicher Modalisierung (durch die Modalverben können und sollen) über Anschlussstellen auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen ihren Kontext generieren. Dabei zeigt sich eine Tendenz zur Ablösung der modalen Passivformulierungen durch die Nominalisierungskonstruktion (z.B. der Aufbau erfolgte) für die verdichteten Gebrauchsgattungen zur Stadtgeschichte: Das Gesollte und Gekonnte, das Deontische und das Dispositionelle (z.B. sollte/konnte aufgebaut werden) wird in das Erreichte (der Aufbau) überführt. Zielpunkt und Zweck der Aufbauarbeit werden in den Reflexionsgattungen u.a. mithilfe adverbialer zu-Infinitive gefasst. Auf diese Weise wird das Erreichte als das Gewünschte versprachlicht. Infinitive mit Modalfaktor treten in neueren Veröffentlichungen zur Stadtgeschichte auch attributiv in Erscheinung und verhandeln die Aufbauprojekte nicht-referenziell am Leitfaden solcher Nomen, die auf Zukunft ausgerichtet sind. Dies hat zu Folge, dass sich das Ereignis der Zerstörung strukturell in eine Chance für den Wiederaufbau verwandelt. Im Kontext des Aufbaus wurden die kookkurrenten Adverbiale wieder und neu festgestellt, die im Building-Slot als Füllwerte für die Aufbaustile in Erscheinung treten und sich dabei mit den salienten Füllern des benachbarten BuildingFrames zu Wiederaufbau erfolgte zusammenfügen. Dass sich der Manner-Slot als wichtigste sprachliche Einheit herauskristallisiert, ist ein exemplarisches Ergebnis dafür, dass Valenz diskursgrammatisch ausgestaltet werden kann (diskursive Valenz). Die Beschreibung der Art und Weise wird durch die korpuslinguistische Fundierung der valenziellen Eigenschaften der Verben im Kontext von Zerstörung und Aufbau auch syntaktisch zum wichtigsten Mitspieler der Kollokation Wiederaufbau erfolgte und ihrer Varianten. Die Art und Weise des Aufbaus (nach historischem Vorbild, teilweise etc.), aber auch der Grad der Zerstörung (enorm, verheerend etc.) erhalten diskursgrammatisch eine hohe Salienz. Die besondere Bedeutung dieses Slots bzw. seine besondere diskursgrammatische Gewichtung führt für beide ZAD-Frames zur Diagnose einer Überwertigkeit: Neben den (fakultativen) Komplementen erlangen supplementäre Einheiten den Status salienter Mitspieler, die – anders als genuine Supplemente – nicht weglassbar sind, und semantisch besehen nicht bloß Hintergrundinformationen beisteuern. Sie leisten für die Deutungsmuster des Gesamtdispositivs mehr oder anderes, als nur auf eine W-Frage zu antworten (Wie stark ist etwas zerstört worden bzw. nach welchen Gesichtspunkten wurde es aufgebaut?). Sie sind diskursgrammatisch betrachtet Kernelemente der Verbszene und zeichnen sich topologisch durch

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

 447

besondere Positionierungen im Vorfeld oder in rhematischen Bereichen des Nach- und Mittelfelds aus. Sowohl für die Füller des Manner- als auch für die des Time-Slots ergibt sich eine konstruktionell bedingte Rhematisierung. Diese Fokussierung der modalen oder temporalen „Ergänzung“ wird nicht zuletzt topologisch durch die semantisch blassen Nominalisierungsverben erfolgte oder vollzog sich289 ermöglicht. Die diskursgrammatische Beurteilung bündelt diese Salienzkriterien aus Typefrequenz (wie oft wird der Slot ausdrucksseitig realisiert), Positionierung, aber auch Verkopplung mit anderen Frame-Elementen (insbesondere Zerstörungsgrad und Aufbauweise). Dabei ist im Sinne von überdeterminierten Ausdrucksgestalten von vielfältigen Verbindungen zu anderen Frames auszugehen. Die Ausdruckseinheiten können mehrere Slots gleichzeitig bedienen, so dass auch von einer Slotverdichtung gesprochen werden kann, die besonders ausgeprägt für den Destroying-Füller Angriff vorliegt. Das Derivat enthält gleichzeitig Hinweise auf den Angreifer (Destroyer), die Verursachung (Cause) sowie die Mittel (Means). Seltener instantiiert wird das Agens des Building-Frames, teilweise auch nur durch die Nennung einzelner Architekten oder Auftraggeber, nie aber durch den Hinweis auf die von der Besatzungspolitik abgesteckten Rahmenbedingungen (wie z.B. den Marshallplan). Das Patiens wird als genitivus objectivus am Nomen Wiederaufbau versprachlicht und hat ähnliche nominale Füller wie der Patient-Slot im Destroying-Frame. Er besitzt dieselbe Salienz wie der Time- und Degree-Slot. Eine Slotverdichtung liegt, wie in Kap. 6.2. erläutert, für die Slots Cause-Destroyer-Role-Means-Medium vor, die von den Kompositabildungen mit dem Determinatum Angriff ausgeht und somit morphologisch ausgedrückt ist. Sie gründet sich ferner darauf, dass das Nomen Angriff sowohl die verursachende Instanz bezeichnet als auch den Angreifer semantisch inkorporiert. Es kann zudem die Agens-Stelle über Attribute anschließen (alliierte/der Alliierten). Vom Means-Slot für die eingesetzten Mittel (Brandbombe) führt eine lexikalische Brücke zum Medium-Slot (Brand). Der laut DWDS wichtigste nominale Kollokator Abwehr begründet über die Kollokation Angriff und Abwehr den Metaframe Defending (unterer Pfeil). Die metaframeinduzierende Koordination bildet dadurch eine Nahtstelle in der semantisch motivierten Kopplung von Degree- und Manner-Slot. Die starke Zerstörung begründet die Notwendigkeit zum Wieder- und Neuaufbau in eben der

289 In Verbindung mit dem Nomen Wiederaufbau ergibt sich ohne weitere ausdrucksseitige Aktanten eine pragmatisch markierte Konstruktion, mit der der Vollzug mit anderen Geschehensarten kontrastiert werden kann: Der Wiederaufbau vollzieht sich statt abzulaufen, statt vollzogen zu werden o.ä.

448 

 Ergebnisse

Weise, für die sich die Städte entscheiden, d.h. originalgetreu, modern, verkehrsgerecht etc. Diese Frameverschränkung besitzt einen emergenten Diskurseffekt: Es entsteht in Verbindung mit den anderen diskursspezifischen Konstruktionen ein Deutungsmuster, das in Anlehnung an den Metaphernspender „Brand“, der die Diskursverdichtung im Destroying-Frame stützt, als Phönix-aus-der-AscheNarrativ bezeichnet werden kann. Dieser metaphorische Anschluss stellt den letzten Konnektivitätstyp dar. Es handelt sich um eine Metaphern-Fähre, die an die Means- und Medium-Slots anschließt und dabei die Feuermetaphorik mit ihrem semantischen Aspekt der zerstörerischen Wirkung fortführt. Sie ist diskursgeschichtlich bereits in den frühen Zeitzeugenberichten angelegt und entfaltet sich in körper- und naturmetaphorische Richtung. So wird z.B. der Stadtkörper so stark verwundet, dass die Stadt aus tausend Wunden blutet (MA 1950 SG Walter, 273). Semantisch steht die Aktivierung von ‘Plötzlichkeit’ im Vordergrund, die in den frühen Belegen auch narrativierend Ausdruck gewinnt: Plötzlich wurde das Haus wie von einem Erdbeben geschüttelt (HB 1955 DOK Gläbe, 115). In der Nachkriegszeit ist das Ausdrucksspektrum in diese Richtung vielfältig (Feuersturm, Flammeninferno, Neupompeji). Es verengt sich später mehr und mehr auf die verbale Kollokation den Flammen zum Opfer fallen und das resultative Phrasem in Schutt und Asche liegen. Vereinzelt entstehen Anschlüsse an weitere Naturmetaphoriken mit der semantischen Komponente des unkontrollierbaren Hereinbrechens (Bombenhagel, Feuersturm). Weitaus häufiger sind das ebenfalls schicksalhaft wirkende Tabula-rasa-Phrasem vom Erdboden verschwunden sowie die metaphorisch angeschlossene Wendung in Schutt und Asche liegen zu verzeichnen. Die Betroffenensicht wird komplementär dazu ebenfalls metaphorisch untermauert: Hier sind es die Gebäudesubjekte, die nicht nur als patienshafte Passivsubjekte, sondern auch als Akteure im Aktiv zu Opfern werden. Im Phrasem zum Opfer fallen überschneiden sich die beiden metaphorischen Bereiche. Die Stadt, deren substantielle Infrastruktur einen Angriff erleidet, ist als Recipient-Agens ein zweifellos unschuldiges Opfer. Mit dieser Besetzung des sprachlich vielfältig repräsentierten Opferbegriffs durch Gebäudesubjekte geht jedoch zugleich eine Blockierung anderer Opferverständnisse einher: der Bombentoten und – bezogen auf den größeren geschichtlichen Zusammenhang – der Verfolgten des NS-Regimes (vgl. Abb. 38). Dass die menschlichen Opfer in der Bezeichnung Stadt als Metonymie für ihre Bewohner nicht selbstverständlich eingeschlossen sind, demonstriert die Kopplung menschlicher und steinerner Akteure in einer Stadtgeschichte von 1980 (1). Auch der etwa zeitgleiche Beleg (2) aus einer Bremer Stadtgeschichte zeigt die städtebauliche Perspektive als Orientierung sui generis, in der die Zivilopfer als statistische Größe mit dem Gebäudeverlust gegengerechnet werden. Insofern stützen die beiden Belege die Annahme einer Verschiebung.

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

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(1) Aber auch die Innenstadt erlitt in zunehmendem Maße großen Schaden, und damit verbunden gab es oft auch viele Tote und Verletzte. (PB 1980 SGe Claus, 51) (2) In Bremen hatte sich im Krieg die Bevölkerung um ca. ein Drittel auf 292.000 vermindert, damit war jedoch der Verlust an Wohnraum keineswegs ausgeglichen. (HB 1976 SGe Brandt, 88)

Die Besetzung der lexikalischen und grammatischen Opfer-Konzepte in diesem geschichtlichen Kontext mag vielleicht nicht in ein und demselben sprachlichen Kontext die Rede über die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung blockieren. Problematisch ist somit nicht die Tatsache an sich, dass Gebäude in die Opferrolle geraten. Problematisch ist eher, dass die Neubesetzung des Opferbegriffs die gleichzeitige Anerkennung der Holocaustopfer in denselben sprachlichen Bahnen erschwert. Sie kann zugleich als Grund dafür angesehen werden, dass der Ausdruck Holocaust selbst im Kontext der Städtezerstörung verwendet wird (Bombenholocaust). Zu dieser Übertragung gehört auch die Weiterverendung NS-typischer Lexik im ZAD-Kontext mit Bezeichnungen wie Ausschaltung, natürliche Auslese, totale Schutträumung, Vergeltung oder auslöschen (vgl. Kap. 6.1). Die konzeptionelle Besetzung des Opferbegriffs konvergiert mit einem weiteren Deutungsmuster. In diesem Zusammenspiel erfährt die Täterrolle (NSAkteure) eine Verschiebung (alliierte Streitkräfte). Denn da die Akteursgruppe der Alliierten in der Rolle der Angreifer auftritt, deren Handlung (als Reaktion auf Hitlers Aggressionspolitik) von den historischen Kontexten weitestgehend entkoppelt ist, bleiben die Deutschen in ihrer potenziellen Täterschaft für die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen aus sprachlicher Sicht verdeckt. Erklärung und Hintergründe für die Luftangriffe werden sprachlich nicht nur nicht realisiert oder angedeutet – in diesem Fall ließe sich immerhin vermuten, dass sie als Standardwerte aus dem „Weltwissen“ abrufbar sind –, ihre Präsenz wird in der Gesamtnarration des gelungenen Wiederaufbaus mit der Zerstörung als Voraussetzung aufgrund fehlender sprachlicher Anschlussroutinen diskursgrammatisch unwahrscheinlich. Die historisch dekontextualisierende Phönix-aus-der-AscheNarration führt also dazu, dass ein namenloser, einer Naturgewalt gleichender Aggressor verheerende Zerstörungen anrichtet, die anschließend durch einzelne Helden- und Erfolgsgeschichten gewissermaßen „geheilt“ werden. Auf Formulierungsebene wird somit der Luftkrieg von seinen Ursachen ab­ge­schnit­ten. Die Aggressorrolle ist auf die Alliierten verschoben, so dass nicht nur das NS-Regime als Aggressor aus dem Blickfeld gerät, sondern tendenziell auch die Verstrickung mancher Deutscher in die Vernichtungspolitik des national­sozia­listischen Machtapparats. Die Täterblockierung verhindert, wie bereits festgehalten, die Deutung des Kriegsendes als Befreiung, weil die Alliierten diskursgrammatisch auf die Aggres-

450 

 Ergebnisse

sorposition festgelegt sind. Ebenso wenig gibt es Pfade zur Ereignisdeutung des Kriegsendes als Wendepunkt, an dem Moral und politische Orientierung an demokratischen Grundwerten neu ausgerichtet werden könnten. Stattdessen wird eine Deutung installiert, die metadiskursiv meist zurückgewiesen und im Diskurs musterhaft mit Negatoren versehen wird. Sie kondensiert sich in der Ereignisbezeichnung Stunde Null, jenem radikale(n) Neuanfang aus einem Nichts (HB 2005 DOK Müller, 182), der nach Meinung des Autors in den frühen Nachkriegsjahren mit einer Entsorgung der unangenehmen nationalsozialistischen Vergangenheit durch Abspaltung erkauft wird. Die Wahrnehmung der Wiederaufbauleistung als Mystifizierung zeige sich in Losungen wie „Auferstehung aus dem Chaos“, wie sie in der zeitgenössischen Presse zu lesen sind. Trotz dieser Herausbildung einer kritischen Haltung gegenüber der Deutung des Kriegsendes als „Stunde Null“ im städtebezogenen Diskurs weisen die Formulierungsroutinen innerhalb des ZAD insbesondere in den komprimierteren Textformaten in eine andere Richtung. In der inszenierten Gemeinschaftsleistung des Wiederaufbaus manifestiert sich der Topos der vereinten Kräfte, dessen Wirken erklärbar macht, dass sich selbst die Kontroverse um die Leilinien des Wiederaufbaus innerhalb des Narrativs des gelungenen Aufbaus abspielt. Anders als von Assmann (2006:188) angenommen (vgl. Kap. 1.1) kann aufgrund dieser tief in die Formulierungsroutinen des ZADs eingelassenen Mechanismen der Verschiebung die Tatsache der expliziten Thematisierung deutscher Opfererfahrung allein kein Beleg dafür sein, dass der geschichtliche Hintergrund im kollektiven Gedächtnis fest verankert ist. Fast zeitgleich mit der Stabilisierung diskursgrammatischer Formulierungsroutinen, die die Deutung der Städtezerstörung als Schicksalsschlag evozieren, entsteht in den frühen Texten des ZAD ein begleitender Metadiskurs (vgl. Abb. 39), in dem genau diese Deutungsfolie zurückgewiesen wird. Möglicherweise jedoch gewährleistet dieses metadiskursive Durchdringen gerade die Festigkeit der Zerstörung-als-Schicksal-Interpretation. Auch wenn z.B. bei Peters der Krieg, von dem Mannheim schließlich so schmerzlich betroffen sein sollte, kein Schicksalsschlag, keine plötzlich hereinbrechende Naturkatastrophe (MA 1948 DOK Peters, 14) gewesen sein soll, sind es doch die anschließenden Formen der Naturalisierung und Dämonisierung des Bombenkriegs, die dessen sprachliche Repräsentation seit der frühen Nachkriegszeit nachhaltig prägen. Abb. 39 zeigt die verschiedenen metaphorischen Ressourcen, die genutzt werden, um dem namenlosen Schrecken den Anstrich eines Naturschauspiels zu verleihen. Hier finden sich mehrdeutige Beschreibungen des Dunkelwerdens bis zum Krieg als Gefahrenflut. Die lexikalische Variation in diesem Bereich legt nahe, dass die in der Einleitung wiedergegebene Beobachtung zutreffend ist, dass Metaphern zu formelhaften Erinnerungsschablonen wie in Schutt und Asche legen erstarren. Die

neu*

ERB

CLUS

TE R

Was wird die Zukunft bringen?

von X wird MOD abhängen

(modal-futurisch)

wird

Zukunfsungewissheit Zukunfspläne

Zukunft

bis/schon jetzt noch nie nie wieder

DV

werden konnte

sollten/n konnten/n

jedoch nicht in Angriff genommen werden konnte

allmählich wieder geschaffen werden konnte

nested construction

konnte/n aber (bis) jetzt noch nicht VVPP werden

Wiederaufbau erfolgen konnte

erreichen nie wiedersollte sollte vergönnt sein (narratives sollte)

erreichen sollte

verloren gehen sollte

verwirklicht werden soll

sollte/darf nicht vergessen werden (, dass)

Abb. 39: Kontextualisierungsprofil der Nachkriegsphase im ZAD am Leitfaden des Schlüssel-Zeitworts Zukunft

für einen neuen Anfang

zu neuen Daseinsmöglichkeiten

des neuen Lebens

des neuen Rathauses

der neuen Innenstadt

der neuen Bebauung

„Neupompeji“

Dann wurde es dunkel.

Atem des Kriegs

Schicksal der Stadt

Gefahrenflut

gräßliches Schreckgespenst

Jahr des Schreckens

Naturalisierung und Dämonisierung des (Bomben-)Kriegs

Schreckensnacht

Kriegsfurie

A

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

451

452 

 Ergebnisse

metaphorisch in den Vordergrund gerückten Bedeutungsaspekte der akteurlosen Verursachung haben sich überdies in diskurstypischen Konstruktionen verfestigt. Linguistisch beschreibbar sind diese z.B. als Sätze mit Patienssubjekt, als nonagentive Kollokation, als Fokussierung durch valenzielle Ausprägungen etc. Naturalisierende Effekte konnten mithilfe korpuslinguistischer Methoden auch durch latente Kollokatoreffekte nachgewiesen werden. Unter Rückgriff auf das DWDS-Wortprofil wurden Partnerwörter mit Natursemantik ermittelt, so z.B. das Nomen Natur als usueller Kollokator des Adjektivattributs unangetastet, das in dem besprochenen Beleg auf ein von Flächensanierungen unangetastetes Gebiet bezogen wird (vgl. Kap. 3.4). Das Schlüssellexem der Nachkriegsphase Zukunft (vgl. Abb. 39) korreliert mit den zumeist attributiven Verwendungen von neu bezogen auf neue Gebäude und Zukunftsperspektiven bzw. neue erhoffte Daseinsmöglichkeiten. Die spätere Fokuskonstruktion nimmt in dieser Zeit Gestalt an: Sie besitzt im Groben zwei Varianten, von denen sich späterhin nur eine weiterentwickelt. Die erste Variante mit den Modalverben sollen und dürfen im Präsens verbindet sich mit dem Verb vergessen zum Mahnungsmarker soll/darf nicht vergessen werden mit anschließendem dass-Satz. Bei den PVM-Konstruktionen verwirklicht werden soll und verloren gehen sollte handelt es sich um Einzelbelege. Gleichzeitig bildet sich als zweite Variante der später diskurstypisch verfestigte PVM-Komplex mit konnte/n zur nested construction [konnte/n (aber) bis jetzt noch nicht VVPP werden] heraus. Neben den Adverbclustern bis/schon jetzt finden sich auch solche, die das Gewesene aus dem Horizont des Heutigen radikal verbannen mittels der nie-Cluster nie wieder und noch nie, wobei Letzteres den von Wengeler/Ziem (2010:343) beschriebenen Singularitätstopos indiziert. Die Kollokation Wiederaufbau erfolgen wird in dieser frühen Phase des ZAD gelegentlich vom Modalverb konnte/n regiert. Der Vergleich mit den verfestigten Verbalkomplexen (verwirklicht werden soll, darf nicht vergessen werden, ...) zeigt einen Abstraktionsprozess, bei dem in die Konstruktion [VMFIN VVPP werden] diskursspezifisch neben den Aufbauverben kursive Verben eintreten, die das Andauern dieses (begrüßenswerten) Prozesses indizieren. Schließlich hat sich auf der Basis von Worthäufigkeiten und Clusterbildungen eine Besonderheit für die Bezeichnungsroutinen von Zeitlichkeit in den Gebrauchstexten des ZAD herausgestellt (vgl. Abb. 21 in Kap. 6.1). So konstituiert sich mit der Ereignisbezeichnung des Weltkriegs ein einordnender Rahmen, der von der Zeit während des (Zweiten) Weltkriegs bis nach dem Zweiten Weltkrieg(e) bzw. bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg(e)s reicht. Der frameauslösende Ereignisname Zweiter Weltkrieg ist in neueren Gebrauchsgattungen der Stadtgeschichte zunehmend mit der resultativen Bedeutungskompetente ‘verheerende Städtezerstörung’ belegt. Ein Kontrast zur aktuellen Situation wird über das Tem-

Konnektivität der ermittelten Kontextualisierungselemente im K-Profil 

 453

poraldeiktikon heute hergestellt, das in den Clustern heute noch, heute als und heute befindet die jeweilige Aufbauleistung als Vorzug oder Besonderheit eines identitätsstiftenden Stadtbilds verfügbar macht. Die Konstruktionen mit Kardinalzahlen [NN wurde CARD VVPP] und [CARD wurde NN VVPP] enthalten einen vorgangspassivischen Rahmen, in dem die baugeschichtliche Entwicklung, aber ebenso die Ereignisse der Zerstörung und Restauration eine wichtige Rolle spielen. Abschließend ergibt der Städtevergleich für die Frage nach der eigenlogischen Repräsentation der Zerstörungs- und Aufbau-Themen einen Eindruck von den konstruktionellen Besonderheiten und den variierenden inhaltlichen Füllungen der übergeordneten Deutungsmuster, die auf demselben K-Profil aufruhen, wie es anhand der verbundenen Kontextualisierungshinweise dargelegt worden ist (vgl. Abb. 37). Sie werden im Folgenden anhand von Textabschnitten exemplifiziert, die so gewählt sind, dass sie die unterschiedlichen Arten diskursgrammatischer Konnektivität veranschaulichen. Die Unterschiede zwischen den Städten führen jedoch nicht zu drei eigenlogischen K-Profilen. Im Gegenteil tragen auch sie dazu bei – so paradox das klingen mag – das Verbindende des K-Profils mit den beschriebenen Merkmalen einzuschleifen. Als unterschiedlich erweisen sich einige städtespezifische Prägungen von Wörtern und Syntagmen, die jeweils einzelne Bewertungsaspekte und städtische Bedingungen (Wirtschaft, Historie, Infrastruktur) besonders hervortreten lassen. All diese vor allem inhaltlich relevanten Aspekte sind an die K-Verfahren des ZAD angeschlossen. Für Paderborn ist es die Bedeutsamkeit der epochalen Kennzeichnung von Bauwerken (aus dem CARD Jahrhundert) verbunden mit der Markierung des „Schicksalsjahrs“ 1945 mit den drei großen Luftangriffen auf die Innen- und Altstadt. Hinzu kommt die ohnehin saliente, aber für Paderborn besonders charakteristische Beschreibung der Zerstörungsart der Gebäude bis auf die Außenmauern (vgl. Abb. 40). Die Rückblende auf das alte Paderborn bleibt nicht ohne nostalgische Facetten. Insgesamt wurden nur wenige agonale Zentren in Bezug auf das Leitbild des Wiederaufbaus identifiziert, als charakteristisch kann die Bildung identitätsstiftender Traditionsinseln gelten. Dies täuscht mitunter darüber hinweg, dass weite Teile der Stadt nach Gesichtspunkten der optimalen Verkehrslenkung, der innerstädtischen Auflockerung und Begrünung neu entstanden sind. In Mannheim hingegen sind es die verschiedenen Arten des Aufbaus (neu, vereinfacht, ...), die in besonderer Variation hervorgehoben werden und die das Zugleich des Gegensätzlichen, aber auch die Vorzüge des Modernen semantisieren. Hier tritt eine verstärkte agonale Aktivität zutage. Anders als in den beiden anderen Städten ist der geschichtliche Kontext deutlicher markiert (z.B. durch

454 

 Ergebnisse

Paderborn

Gerettete Tradition (Traditionsinseln) Traditionsmarker

Nostalgie geringe Agonalität

„Schicksalsjahr“

Kriegsende als Tabula rasa Aufbauarbeit als Erfolgsgeschichte

aus dem X. Jahrhundert

1945

Anknüpfungspunkt für die Wiederherstellung des alten Stadtbilds

bis auf die Außenmauern (zerstört / ausgebrannt) jedoch (nicht)

Mannheim

Neubeginn mit Traditionsbewusstsein Erneuerung und Modernisierung neu vereinfacht

Geschichtlicher Rahmen als Gegensatz zur Demokratie heute

wirtschaftliche und moralische Erneuerung agonale Aktivität Kriegsende als Chance für einen Neubeginn Aufbauarbeit als Erfolgsgeschichte

der NS-Zeit / -Regime / -Vergangenheit im Dritten Reich

Gedenkkontext

Opfer des Nationalsozialismus

Bremen

Die verborgene Stadt Leistung „heilt“ Verlust

Kritik an der Durchführung von Vorkriegsplanungen

Rechtfertigung von Bauvorhaben Agonale Aktivität

Kriegsende als Niederlage Aufbauarbeit Erfolgsgeschichte und teilweise auch als zweite Zerstörung

leistungsfähig

wie/wo gebaut werden sollte

Kontroverse über Kriterien: Denkmalpflege, neues Bauen / Ästhetik, Rekonstruktion vor allem sich in den

Abb. 40: Städtespezifische Kontextualisierungsprofile im ZAD-Korpus mit exemplarischen Belegen

NS-Zeit). Womöglich wird dies durch die verstärkten Gedenkpraktiken begünstigt.290

290 Die besondere Repräsentation von Gedenkkontexten im Mannheimer TK kann auch der Tatsache geschuldet sein, dass einzelne Publikationen hier Schwerpunkte aufweisen (wie z.B. die Veröffentlichung von Hirsch 2005 über die „Gedenkskulptur für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mannheim“).

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 455

Der Diskurs über Städtezerstörung und Aufbau in Bremen wiederum ist sprachlich von Agonalität geprägt bezogen auf konkrete Bauvorhaben, so dass hier Indikatoren für Kontroversen deutlich zutage treten, wie beispielsweise durch die Nebensatz-Variante des PVM-Komplexes mit sollte, die hierfür indexikalisch ist: wie/wo gebaut werden sollte. Hierbei werden Aspekte der Denkmalpflege, des neuen Bauens und der historischen Rekonstruktion gegeneinander abgewogen. Als adjektivisches Lexem tritt leistungsfähig hervor, das wiederum im Rahmen des gesamten K-Profils auf die Heilung der Verluste bezogen werden kann. Unabhängig von der konkreten Formulierung fallen Passagen auf, in denen die Anknüpfung von Bauvorhaben an die Vorkriegsplanungen kritisiert wurde. Sicherlich spielen hierbei personelle Kontinuitäten eine besondere Rolle. Gerade in Bremen hat die Tatsache Irritationen ausgelöst, dass einige Städteplaner trotz Entnazifizierungsprogramm wieder in ihre alten Positionen gelangt sind.

7.3 Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege Die Kernfrage der vorliegenden Studie richtete sich auf die Verfestigung diskursgrammatischer Muster in neueren Gattungen zur Stadtgeschichte im ZAD. Daher wurden jeweils neuere Textbelege aus den TKs Reflexions- und Gebrauchsgattungen ausgewählt, um die durch verschiedene Konnektivitätstypen organisierten K-Profile zu belegen. Die miteinander verknüpften Kontextualisierungsmerkmale sind jeweils längeren Textpassagen (mehrere Absätze) entnommen worden, die aus Urheberrechtsgründen nicht in Gänze abgedruckt werden können. I.d.R. ist jedem Satz ein hinreichender Kontextualisierungshinweis entnommen worden. In der listenförmigen Anordnung sind von oben nach unten teilweise noch Satzrahmen erkennbar. Die Auswahl berücksichtigt jeweils drei Belege pro Stadt, so dass insgesamt neun Ausschnitte in ihren jeweiligen medialen Umgebungen unterschiedliche Ausprägungen des K-Profils „Aufbau heilt Zerstörung“ und „Aufbau als Erfolgsgeschichte“ veranschaulichen. Da sich dieses diskursive Deutungsmuster trotz einiger Einwände gegen Entscheidungen für die Rekonstruktion oder den Neuaufbau für die einzelnen Städte nicht wesentlich unterscheidet, gehe ich von Varianten und nicht von unterschiedlichen K-Profilen aus. Bezogen auf diese Metanarration kann der bisher in den Kulturwissenschaften beschriebene Bruch (z.B. von Sandl 2005, vgl. Kap. 2.2) zwischen den Textsorten der Geschichtswissenschaft und populäreren Gattungen der Erinnerungskultur nicht direkt bestätigt werden. Zwar geben aus Historikersicht verfasste Dokumente zur Stadtgeschichte einen differenzierten und auf Quellenmaterial gestützten Einblick auch in die widersprüchlichen Positionen zur politisch-demokratischen Entwicklung

456 

 Ergebnisse

Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie bedienen sich dabei aber keiner alternativen, sondern allenfalls der jeweils gattungs- und medienspezifischen Gestaltung (z.B. Chroniken, Infokästen etc.) zum Ausdruck der Zerstörungssituation und der Aufbautätigkeiten. Zudem ist die Annahme wenig plausibel, dass Historiker, die an der Erstellung populärer Formate beteiligt sind, auf völlig andere Kontextualisierungspraktiken für erinnerungskulturelle Darstellungspraktiken zurückgreifen. Eher könnte die Unterscheidung zwischen akademisch geprägten und populären Erinnerungsformen dort zum Tragen kommen, wo zwar Formulierungsweisen für alltagskulturelle Geschichtstexte aus Fachtexten übernommen werden, ihre Einbettung in neuere, insbesondere multimodale Formate zur Stadtgeschichte aber andere Lesarten erzeugt. Weiterhin sind mit Bezug auf die Untersuchung von Czachur (2016) Unterschiede in der didaktischen Aufbereitung zu vermuten, für die jedoch nur vereinzelt städtebezogene Unterrichtsmaterialien (wie für das TK Paderborn) vorlagen. Im Sinne einer formalen Redundanz der Kontextualisierungsmerkmale treffen in einem Belegausschnitt nie alle Elemente gleichzeitig auf. Daher ist jeweils aufzuschlüsseln, was das Profil zusammenhält. Aufgrund der angenommenen Zentralität der Fokuskonstruktionen wurden Belege ausgewählt, die PVM-Komplexe mit sollte oder konnte enthalten. Die Diskursgestaltungen der Texte aus den einzelnen Städten werden vor dem Hintergrund einer übergeordneten diskursgrammatischen Profibildung interpretiert. Auch wenn sich in den Belegstellen eine Verdichtung der Merkmale zu einem K-Profil nachweisen lässt, kommen verschiedene inhaltliche Orientierungen zum Ausdruck. Angenommen wird die Tendenz, dass diese eigenlogischen Imagekonstitutionen auf einer übergeordneten Grundnarration basieren. Diese wird im Folgenden mit Bezug auf die städtespezifischen Erinnerungskulturen exemplifiziert. Dabei konnten nicht alle städtetypischen Aspekte berücksichtigt werden. Dazu zählt etwa der facettenreiche Gedenkrahmen der Opfer nationalsozialistischer Gewalt in Mannheim oder die Argumentationen zur Stärkung demokratisch-partizipativer Strukturen in Bremen. Die nachfolgenden Belegausschnitte zeigen zudem, dass in der Paderborner Erinnerungskultur die Betonung auf dem Erhalt des historischen Erbes liegt und zugleich eine Anknüpfung an baugeschichtliche Traditionen angestrebt wird, die maßgeblich zur Ausprägung eines Deutungsmusters des geglückten Aufbaus als Wiederherstellung beiträgt. In Mannheim sind es vor allem die Aufbruchstimmung und das Streben nach Neuem, die Anknüpfungspunkte an eine wirtschaftlich erstarkende städtische Infrastruktur bieten. Diese Atmosphäre entsteht aus einer Schicksalsdeutung der Städtezerstörung am Kriegsende und entspricht damit ebenfalls im Großen und Ganzen dem beschriebenen Phönix-aus-derAsche-Narrativ. In Bremen wiederum sind die Tendenzen zur Ästhetisierung und

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 457

Deästhetisierung deutlicher, die zugleich den (schmerzlichen) Verlust und die Erinnerung an eine verborgene städtebauliche Vergangenheit wachhalten sollen.

7.3.1 Paderborn – Historisches Erbe Die drei Belege für das erinnerungskulturelle K-Profil Paderborns entstammen zum einen der stadtgeschichtlichen Veröffentlichung von Hans-Jörg Kühne anlässlich des 60. Jahrestags zum Kriegsende, zum anderen der in der Tourist Information verfügbaren Broschüre „Sehenswertes Paderborn. Gästeführerinnen und Gästeführer präsentieren ihre Stadt“ von Karl-Heinz Schäfer und schließlich der städtischen Internetseite zu Sehenswürdigkeiten und ihrer Geschichte. Tab. 47: Kontextualisierungsprofil zum Vorwort des Bürgermeisters in PB 2005 SGp Kühne, 6, 9 (GEG, REF) Kontextualisierungshinweise an die schweren Bombardements

am Ende des Zweiten Weltkrieges

auf Paderborn niedergingen

in der Stadt

fielen diesen Angriffen zum Opfer

der verheerenden Luftangriffe durch die

Alliierten

zu über 85 Prozent zerstört

verlor das Gesicht

1200-jährigen Geschichte

zu den am meisten zerstörten Städten

ausgebrannte

vielen tausend Bomben

von der alten Kaiser- und Bischofsstadt

Zerstört wurden

aber auch

seit dem 11. Jahrhundert

im Stil der Gotik

das historische Rathaus, ein Prachtbau der Weserrenaissance, erbaut 1613 bis 1620

Das Schicksal unserer Stadt

Brutalität und Perversität des Krieges

Das Inferno mit über 200 Luftminen, fast 11 000 Sprengbomben

und mehr als 92 000 Brandbomben

einen Weltkrieg entfesselte

an die Opfer

das unsere Stadt und ihre Bürger getroffen hat

unser Leid

über Millionen von Menschen

am Ende des Krieges

auch für Paderborn

die schlimmste Katastrophe unserer Stadtgeschichte

Geschichte ist Stein und Papier

458 

 Ergebnisse

in fast 1200 Jahren

historischer Relevanz

dennoch bei den alliierten Luftflotten im Zweiten Weltkrieg keine Gnade gefunden.

Das „alte Paderborn“

bis zu den großen Luftangriffen trug.

auf seine noch intakte Stadt

Konnektivitätstypen

Belege

Metaphern-Fähren:

Paderborn unterging unsere Stadt und ihre Bürger (...) unser Leid/Opfer alliierte ... keine Gnade

Framegestaltung mit Anschluss an Aggressor-Verschiebung:

verheerenden (Degree) Angriff, Brandbomben, alliierte (verdichteter und verschobener Destroyer-Cause-Means-Slot)

Frameverschränkung:

Inferno, Schicksal, verlor das Gesicht (Destroying-Narrativ der untergegangenen Stadt)

Deutungsmuster:

Kriegsende als Katastrophe und tabula rasa (telisch)

Bereits Kühnes Titel „Der Tag, an dem Paderborn unterging“ über Paderborns Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs eröffnet einen Deutungsrahmen, der über die materiellen Verluste hinausweist und die Unwiederbringlichkeit des kulturellen Erbes beklagt. So sind es kollokativ gesehen doch zumeist Dynastien und Reiche, die untergehen, so dass hier die Anspielung auf die geläufige Kollokation Untergang des Dritten Reiches den Ausgangspunkt einer kulturellen Deckerinnerung bildet, die durch die Verwendung im Kontext der zerstörten Stadt „verdeckt“, dass eigentlich das Ende des Dritten Reiches ein befreiender Untergang war. Sprachbildlich verwandelt sich Klage in Anklage. Die in der Einleitung bereits diskutierte visuelle Narration einer Fotografie der Liborius-Figur gibt auch in Kühnes Geschichtsbuch den Triumph des Schutzpatrons und damit seiner Bürger über das unheilvolle Geschehen wieder. Auf zwei Fotos wird der unzerstörte Schutzheilige aus Le Mans zum animierten Augpunkt des Bildes. Einmal schaut er zum prächtigen Dom empor und einmal blickt er zum enthelmten Dom über die Trümmerkulisse hinweg (PB 2005 SGp Kühne, 9 und 45). Eine weitere Sprache-Bild-Kombination, die die zentrale Aussage multimodal gestaltet, liegt mit dem sprachlich initiierten Frage-Antwort-Schema für zwei Fotos vor (PB 2005 SGp Kühne, 10). Es erstreckt sich über einen Vektor von der Überschrift zum Foto am unteren Bildrand. In einem von oben nach unten verlaufenden Lesepfad antwortet das Postkartenmotiv aus den Jahren vor 1939: Die ‚Krumme Grube‘ visuell auf die Frage in der Überschrift Ein lohnendes Ziel für Luftangriffe? Es führt fotografisch die Absurdität vor Augen, die abgebildete Fachwerkidylle zu bombardieren. Die ironische Frage verweist auf die Tatsache, dass die Alliierten

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 459

Paderborn nicht im Rahmen einer militärisch zielführenden Operation zerstört haben, sondern, wie im Text erläutert wird, die (zu verurteilende) Demoralisierung (moral bombing) einziger Sinn und Zweck der Angriffe war. Gerade aber auf dieser Ebene des Moralischen wird jede Wirksamkeit zurückgewiesen und im Gegenteil Kontinuität und Widerstandskraft demonstriert, indem der Schutzheilige sinnbildlich aus der Asche emporsteigt und über die Trümmer hinweg den Mythos des mittelalterlichen Paderborns bewahrt und überdauert. Das Deutungsmuster eines infernalen Kriegsendes wird in der Passage vordergründig zunächst über diverse Metaphern hergestellt: So bezeichnet Paderborns Bürgermeister die Zerstörung zusammenfassend als die schlimmste Katastrophe unserer Stadtgeschichte, beschreibt das Inferno mit 200 Luftminen und erinnert an das Leid (...), das unsere Bevölkerung, das unsere Stadt und ihre Bürger getroffen hat. Er wolle es nicht aufrechnen mit dem Leid, das ein verbrecherisches Regime im deutschen Namen über Millionen von Menschen gebracht hat, parallelisiert jedoch vokabularisch das Leid der sechs Millionen jüdischer Opfer mit dem der Stadtbewohner und besetzt schließlich auch die städtische Materie anthropomorphisierend mit der Leidenskategorie (das unsere Stadt (...) getroffen hat). Die Formulierung im deutschen Namen erinnert an Adenauers Worte, mit denen er das Beschämende beschreibt, das Hitler den Deutschen angetan hat: Schuld an diesem namenlosen Jammer, an diesem unbeschreiblichen Elend sind jene Fluchwürdigen, die in dem unseligen Jahre 1933 zur Macht kamen, jene, die den deutschen Namen vor der ganzen zivilisierten Welt mit Schmach bedeckt und geschändet haben, unser Reich zerstörten, die unser verführtes und gelähmtes Volk, als ihr eigener mehr als verdienter Untergang gewiß war, planmäßig und bewußt in das tiefste Elend gestürzt haben. (Adenauer 1945:80)291

Im Vorwort ruft der Paderborner Bürgermeister mit der Modalangabe im deutschen Namen die Verurteilung der nationalsozialistischen Verbrechen auf. Ein verbrecherisches Regime wird hier den Millionen Menschen gegenübergestellt, die die Leiden des Krieges auf die eine oder andere Weise ertragen mussten. Die kollokative Täterbezeichnung verbrecherisches Regime wird in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen gebraucht, an früherer Stelle attributiv zur schlimmen Konsequenz (eines verbrecherischen Regimes), die analog zur schlimmsten Katastrophe

291 Heuss greift wenige Jahre später diesen Gedanken im Zusammenhang mit der Kollektivschuld der Deutschen wieder auf: „Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat – und er hat uns viel angetan –, ist doch dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutscher zu tragen“ (Heuss 1949 zitiert nach Kämper 2007:228).

460 

 Ergebnisse

unserer Stadtgeschichte für den Nationalsozialismus und die Städtezerstörung dieselbe adjektivische Wertkategorie einsetzt. Der Opferbegriff richtet sich passend zum Gedenkanlass auf die mehr als 900 Bürger, Kriegsgefangene(n), Zwangsarbeiter und Fremde(n), die sich zufällig in der Stadt aufhielten und betont damit indirekt die Unschuld und Nicht-Beteiligung d(ies)er Paderborner an den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Die standardisierte Lokalisierung in der Stadt in Verbindung mit dem adverbial gebrauchten zufällig konterkariert und überschreibt die aufgezählten Rollen, hinter denen sich alles andere als ein zufallsgesteuertes Zerstörungsszenario verbirgt.292 Im Übrigen liegt hier eine der seltenen Stellen im Gesamtkorpus vor, an denen Menschen den Angriffen zum Opfer fallen. In der Mehrzahl der Kontexte treten Gebäude in der Opferrolle auf. Für Menschen, die im Zusammenhang mit der Zerstörung der Bausubstanz sterben, ist hier die sprachliche Opferkategorie übertragbar. Ein Gedenkkontext für die Verfolgung und Ermordung der Juden ist aufgrund der besetzten Opferrolle an solche Passagen nur schwer anschließbar. Der Zerstörungsframe wird diskurstypisch – wenn auch im Zustands- statt im Vorgangspassiv – realisiert. Mit der PP zu über 85 Prozent gewinnt der DegreeSlot am rechten Rand des Mittelfelds die höchste Salienz. Die Angriffe werden slotverdichtend als Luftangriffe wiederaufgenommen und erhalten das Attribut verheerend, was die besonders zerstörerische Art und Weise der Kriegsführung in den Fokus rückt. Der Aggressor wird attributiv in der zugehörigen PP genannt. Ein direkter Anschluss an den Aufbau-Frame liegt an dieser Stelle nicht vor. Allerdings ist mit der punktuellen Aktualisierung des historischen Geschehens aus der Jetztzeit heraus allen bewusst, dass Paderborn sein Gesicht zurückerhalten hat. Dieser völlige Gesichtsverlust, verstanden als Verlust einer historischen Identität, dessen Diagnose auch durch die vorangegangene Zustandsbeschreibung vorbereitet wird, wird sogleich mit der bis ins frühe Mittelalter hineinreichenden Geschichtstradition aufgeladen. Mit der fast 1200-jährigen Geschichte realisiert sich eine jener CARD-Phrasen (in fast 1200 Jahren), die für das Paderborner TK mit hoher Signifikanz ermittelt wurden. Auch im folgenden Absatz spielen Zeitangaben für die Wertzuschreibung der architektonischen Verluste eine wesentliche Rolle: Der Dom wird mit seinen Vorgängerbauten auf das 11. Jahrhundert datiert und durch die Abstammung aus der Gotik kunstgeschichtlich in Wert gesetzt. Darüber hinaus wird er mit dem Steigerungscluster aber auch als bauliches Opfer präsentiert. Schließlich ist es das historische Rathaus, das als Pracht-

292 Zudem kann die als zufällig beschriebene Aufenthaltsweise leicht darüber hinwegtäuschen, dass der Aufenthalt von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in Paderborn den Vorgaben des NS-Lagersystems folgte und keineswegs auf Freiwilligkeit beruhte.

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 461

bau der Weserrenaissance mit Errichtungsdaten versehen wird und ebenfalls in Subjektrolle diesmal innerhalb der vorgangspassivischen Zerstörungskonstruktion auf die Bühne der „Leidtragenden“ kommt. Die Empfindungsfähigkeit der baulichen Materie steigert sich bis zur animierten Liboriusfigur, die der Anblick der Verwüstungen nicht erfreut haben dürfte – darunter auch der des Doms, der als altehrwürdiger „Einwohner“ nach dem letzten großen Angriff keinen Helm mehr trug. Die Bildunterschrift dazu lautet: Inmitten der Verwüstung blieb der Brunnen mit der Figur des Heiligen Liborius unversehrt. Der Anblick dürfte den Schutzpatron Paderborn nicht erfreut haben. Sah er doch nur noch auf Brandmauern und in Fenster, hinter denen das Leben erloschen schien. (PB 2005 SGp Kühne, 45)

Noch expliziter wird der historische Schatz Paderborns später im Text als unleugbare(r) Beweis(e) historischer Relevanz, die Identität stiftete, beschrieben. Die Belegstelle zeichnet sich dadurch aus, dass die Akteursgruppe der NS-Funktionäre in generalisierender Weise sprachlich als verbrecherisches Regime und Nazidiktatur gesetzt wird. Mit ihren brutalen Folgen und der durch sie bewirkten schlimmste(n) Katastrophe unserer Stadtgeschichte werden die Folgen der Luftangriffe beschrieben. Was hier brutal genannt wird, ist das Vorgehen der Alliierten, deren Rollenbild als Befreier kaum mehr aufscheinen kann. Wenig zuvor wird mit derselben Vokabel die Brutalität und Perversität des Krieges beklagt, unter die der Angriffskrieg der Deutschen, aber ebenso der Bombenkrieg der Alliierten fällt, denn dieser ist wohl in erster Linie gemeint, wenn es heißt, der Krieg habe das Schicksal der Stadt besiegelt. Mit dieser Zusammenfassung und der bezugsnominalen Wertung Perversität wird eine moralische Kategorie aufgerufen, die keinen Unterschied zwischen Kriegsverursachern und Kriegsbeteiligten macht. Im Vergleich dazu gewinnt der vom NS-Regime entfesselte Weltkrieg eher die dämonische Qualität einer aus ihren Ketten entkommenen Bestie. Auch die historische Einordnung Paderborns als Kaiser- und Bischofsstadt sowie die Nennung weiterer bedeutender Bauwerke wie der Marktkirche veranschaulichen das Schreckensszenario der ausgebrannte(n) Ruinen und Schuttberge; mehr ist von den bedeutenden Bauten nicht geblieben. Diese und weitere Brand-Lexeme wie Brandbomben, Brandmauern und erloschen erweisen sich als Brückenköpfe zu naturmetaphorischen Beschreibungen der Zerstörungsursache, bei der auf die Aggressoren nur mittelbar geschlossen werden kann. Es beginnt mit den schweren Bombardements, (...) die auf Paderborn niedergingen, wie sonst für gewöhnlich Regenschauer, Hagel, Lawinen oder durch Vulkanausbrüche verursachter Ascheregen. Und es endet in einem Inferno. Allerdings lässt sich ein gewisser Konventionalisierungsgrad für die Regen-Metapher im Zusammenhang

462 

 Ergebnisse

mit der Luftkriegsführung verzeichnen: Mit weit geringerem Signifikanzquotienten als Niederschläge gehen statistisch auch Geschosse, Granaten und Bomben auf die Erde nieder (vgl. www.dwds.de/wb/niedergehen#wp-1, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Auch in einer weiteren von Kühne verfassten Textstelle wird das moralische Werturteil der Gnadenlosigkeit auf die Luftangriffe angewandt (keine Gnade). Paderborns Identität verdichtet sich zur Stein und Papier gewordenen Geschichte, deren 1200 Jahre als Zeichen der historischen Relevanz gewertet werden, die ansonsten aber keinerlei Aggressionspotenzial entwickelte, und bei den alliierten Luftflotten im Zweiten Weltkrieg keine Gnade gefunden hat. Natürlich kann von Kulturgütern einer 1200-jährigen Geschichte kein Aggressionspotenzial ausgehen. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass von der 1940 im deutschen Luftkrieg zerstörten St. Paul’s Cathedral, der Londoner Innenstadt oder der historischen Altstadt von Coventry irgendwelche Provokationen ausgingen. Die Betonung der Unschuld deutscher Kulturgüter verdeckt den Zusammenhang zwischen Kriegszielen und Kriegsmotiven und verschiebt die Täterrolle kontextuell auf die Alliierten und die Unschuldskategorie auf deutsche Bürger, Architektur und Kulturgeschichte. Der disparat wirkende Konnektor aber präsupponiert mit ansonsten aber keinerlei Aggressionspotenzial entwickelte auf etwas trotzige Weise sinngemäß den imaginären Einwand „aber wir haben euch nichts getan“ aus Sicht der Kunst- und Kulturschätze. Der Superlativ, mit dem der Bürgermeister an die schlimmste Katastrophe der Stadt erinnert, nimmt sich am Ende der stadtgeschichtlichen Darstellung von Kühne als Steigerung eines Zerstörungstraumas im stadtgeschichtlichen Gedächtnis aus. Er überträgt die Verse eines Augenzeugen am Ende des Dreißigjährigen Krieges293 auf die Situation der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs. Zählen möchte ich vielleicht den Sand / am Strande des Meeres / Oder der Wogen Zahl, welche der Süd erregt; / doch der Paderstadt Leid werde ich nimmer ermessen. (Balde zitiert nach PB 2005 SGp Kühne, 45)

Das Leid der 1945 bombardierten Stadt wird mit dem Leid des Dreißigjährigen Krieges verglichen, es führt zum Untergang, der seinen eigentlichen Raum im Moralisch-Politischen hat und den jene Akteure zu verantworten haben sollen, die innerhalb des Deutungsmusters der Tabula rasa die Rolle der Aggressoren diskursgrammatisch besetzen. So konnte gezeigt werden, dass sich dieser Ver-

293 Das Zitat von Jakob Balde von 1668 ist auch dem Augenzeugenbricht von Kiepke 1949 in lateinischer und in deutscher Sprache als Motto vorangestellt.

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 463

gleich in einem Netzwerk aus sprachlichen Merkmalen befindet, die untereinander durch verschiedene Typen diskursgrammatischer Konnektivität verbunden sind. Wenn aber nicht die einzelne Metapher oder ein Schlüsselsyntagma wie Inferno oder Schicksal der Stadt allein das K-Profil konstituieren, sondern die einbettenden und flankierenden Konstruktionen, dann ist zu erwarten, dass in den komprimierten Formaten gerade dieses sprachliche Gerüst bestehen bleibt und nur einzelne kookkurrierende, an sich redundante K-Merkmale ausdrucksseitig in Erscheinung treten. Das folgende Beispiel stammt aus einer dieser Gebrauchsgattungen zur Stadtgeschichte mit entsprechend kondensierten Formulierungsweisen. Tab. 48: Kontextualisierungsprofil zur Gästeführer-Broschüre in PB 2011 BRO Schäfer, 78–81 (GEG, GEB) Kontextualisierungshinweise 1945

nach Bombenangriffen

nur die Außenmauer

nach dem Krieg

begann der Wiederaufbau

konnte bereits 1948 (...) wieder eröffnet werden

schweren Bombenangriff 1945

wurde (...) zum Teil zerstört

der Wiederaufbau, der (...) in sehr stark vereinfachter Form erfolgte

Die Wiederherstellung der ursprünglichen Form (...) erfolgte

Konnektivitätstypen

Belege

diskurstypische Kollokation:

Wiederaufbau erfolgte

Reziproke Kookkurrenz:

zerstört – Wiederaufbau

Valenz:

wurde zerstört Kirche und Kloster (Patient) zum Teil (Modal-Degree), bei einem schweren Bombenangriff (Modal-Cause) (Wiederherstellung erfolgte) in ursprünglicher Form (ModalManner) erst 1979 bis 1982 (Zeit-Time)

Frameverschränkung:

blieben stehen (Destroying): nur die Außenmauer (Degree) konnte (wieder) eröffnet werden (Building/PVM-Komplex)

Deutungsmuster:

Kriegsende als erste Stufe zum erfolgreichen Wiederaufbau

464 

 Ergebnisse

Das Heft von Schäfer enthält kurze Beschreibungen wichtiger Sehenswürdigkeiten, die durch einen separaten Textblock am unteren Rand durch persönliche Tipps von Paderborner Gästeführer(inne)n ergänzt werden. Es ist für den kurzweiligen Rundgang durch die Stadt konzipiert. Die Beschreibung der Sehenswürdigkeiten enthält jeweils knappe Rückblicke auf die stadthistorische und baugeschichtliche Entwicklung. Die gewählten Textausschnitte entstammen den Beschreibungen zum Franziskanerkloster und zur Herz-Jesu-Kirche. Beide Belege enthalten das Schlüsseldatum 1945, das im Kontext der Zerstörung mit dem rahmenden Supplement nach Bombenangriffen und appositiv zu bei einem schweren Bombenangriff auftritt und eine Frameverknüpfung zum Building-Frame mit der Nominalisierung Wiederaufbau im nachfolgenden Satz aufweist. Auch findet sich im zweiten Beleg der diskurstypische Verbalkollokator erfolgte gleich in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen. Die Routinisierung der Kombination aus Nominalisierungsverb erfolgen und Deverbativum (Wiederaufbau und Wiederherstellung) ist offenbar so stark, dass die Wiederholung des Kollokators stilistisch nicht vermieden wird. Valenziell wurden mit den modalen und temporalen Supplementen in beiden Verbalkomplexen die diskurstypischen Aktanten realisiert. In der Bezeichnung des Zerstörungsresultats mit der fokussierten NP nur die Außenmauer tritt zudem eine städtespezifische Formulierung auf, die das Konzept entfaltet, ausgehend von der Oberfläche des städtischen Gesichts sei auch das identitätsstiftende Innere rekonstruiert worden, so dass die Kirche in der typischen verbalgrammatischen Gestaltung des K-Profils bereits 1948 (...) wieder eröffnet werden konnte. Der für die Diskursverschränkung wichtige Building-Slot Manner (Kopplung mit Destroying-Degree) ist für die Herz-Jesu-Kirche durch die attributive Beschreibung der Rekonstruktion gefüllt (ursprünglichen Form). Die Relevanz des Füllers wird durch die detaillierende Apposition (Turm mit vier Ecktürmchen, Dach des Kirchenschiffes mit Dachreiter und seitlichen Dachausbauten) noch gesteigert. In beiden Fällen tritt das Gebäude-Foto in den Manner-Slot des Building-Frame ein. Somit führt die heutige Aufnahme des teilweise bzw. vollständig wiedererrichteten Gebäudes die gelungene „Heilung“ nach enormen Zerstörungen vor Augen. Diese musterhafte Sprache-Bild-Kombination stützt insgesamt die Abwehrrahmung durch die enge Verkopplung der Frames zur emergenten Deutung einer schier wundersamen Wiederherstellung.

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 465

Tab. 49: Kontextualisierungsprofil zur Internetseite der Stadt Paderborn PB HYP City, Paderquellgebiet (GEG, GEB), Quelle: https://www.paderborn.de/tourismus-kultur/sehenswuerdigkeiten/Pader_Sehensw.php#Das_Paderquellgebiet_im_Wandel_der_Zeit (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) Kontextualisierungshinweise befanden sich

heutige

im Laufe der Jahrhunderte jedoch

bis zur fast völligen Zerstörung Paderborns

durch die Bombenangriffe

im Frühjahr 1945

sollten (...) ausgedehnt werden,

um einen Ausgleich für die teilweise wenig hygienischen Wohnverhältnisse zu schaffen

des Neuaufbaus der zerstörten Stadt

nach dem Zweiten Weltkrieg

im Herzen Paderborns

bis heute

von einer Bebauung freigehalten

jedoch nie wiedererlangt

Konnektivitätstypen

Belege

Konnektoren:

derart, dass, so, um zu (final) jedoch (adversativ)

Valenz:

Paderborns, (Attr.-Patient zu Zerstörung) Stadt (Bezugnomen zu zerstörte) durch die Bombenangriffe (Modal-Cause-Means zu Zerstörung) nach dem Zweiten Weltkrieg (Containing Event zu Neuaufbau) völligen (Modal-Degree zu Zerstörung) als Erholungsbereich (Modal-Manner zu Neuaufbau)

Frameverschränkung:

völligen (Destroying: Degree) sollte ausgedehnt werden (Building/PVM-Komplex) um einen Ausgleich zu schaffen (adverbialer Infinitiv)

Deutungsmuster:

Zerstörung am Kriegsende als Voraussetzung für einen wünschenswerten Neuaufbau

Der kurze Text der Tourismusseite informiert darüber, dass die Zerstörung 1945 für das Paderquellgebiet die einzigartige Chance bot, einen Erholungsbereich im Herzen Paderborns anzulegen. Genutzt wurde die Chance dadurch, dass Pläne aus der NS-Zeit umgesetzt wurden. Sie werden unter Einsatz der Fokuskonstruktion sollte ... ausgedehnt werden als wünschenswerte Lösung für das einzigartige Quellareal in der Stadtmitte dargelegt. Typischerweise liegt eine kursive

466 

 Ergebnisse

Aktionsart des Verbalgeschehens vor: Die Ausdehnung erscheint nach vorn in die Zukunft unbegrenzt. Einen weiteren entzeitlichten Vorzug des Ausbaus bringt der adverbiale zu-Infinitiv (um einen Ausgleich ... zu schaffen) zum Ausdruck. Der Text trägt werbende Züge und präsentiert Paderborn als touristisches Ziel und Ort mit hoher Lebensqualität (Erholungsbereich). Erinnerungskulturell wird dafür auf verschiedene valenziell verfestigte Slotfüller zurückgegriffen. Der geschichtliche Hintergrund der Zerstörung wird in nominalgrammatischer, sprachökonomischer Form aufgerufen: einmal im Zuge der Beschreibung des Neuaufbaus mittels der attributiven PP nach dem Zweiten Weltkrieg und einmal als Adverbial, das durch eine mehrfacherweiterte NP ausgefüllt ist (bis zur fast völligen Zerstörung Paderborns durch die Bombenangriffe im Frühjahr 1945). Diese zweifach gestufte PP294 enthält typische Füller für die Slots Degree, Cause-Means und Time. Auch das Schlüsseljahr 1945 spiegelt das Rahmenereignis, in dem das Bombardement stattgefunden hat. Der adverbiale Kotext für den Neuaufbau ist nicht weniger komplex (im Zuge des Neuaufbaus der zerstörten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg). Es handelt sich um eine auf dritter Stufe untergeordnete Attribut-PP (übergeordnete Kerne: Zuge, Neuaufbaus) innerhalb einer mehrfacherweiterten PP mit dem temporalen Prozessnomen Zuge als erstem Bezugsnominal. Die Integration von Zerstörungs- und Aufbauframe bringt auf diese Weise Anlass und Notwendigkeit für die Neugestaltung zusammen. Die auf der dritten Stufe attributiver Subordination versprachlichte Zerstörung (durch das adjektivische zerstörten) wird zur Voraussetzung für die städtebauliche Verbesserung im Zuge des Neuaufbausgenattr/ der zerstörtenadjattr/Stufe3 Stadtgenattr/Stufe2 nach dem Zweiten Weltkrieg PPattr/Stufe1. Stufe1 Das städtebauliche Gutachten, das 1938 die „Freimachung“ des Paderquellgebiets fordert, wird über einen Subjektschub zitiert, mit dem zwar die Nennung der Akteure, in diesem Fall Verwaltungsangestellte einer NS-Behörde, vermieden wird. Ihre Rhetorik jedoch wird aktualisiert und normalisiert: Denn was hier euphemistisch, wenn auch in Anführungszeichen, kurz vor der Machtübernahme Hitlers 1938 als „Freimachung“ bezeichnet wurde, ist als Vorteil und Voraussetzung für die Neugestaltung am Kriegsende eingetreten: Die Altstadt oberhalb des Paderquellgebiets ist seit 1945 verschwunden. Natürlich kann man für das Gutachten von 1938 nicht per se unterstellen, dass bereits dort die Bezeichnung Freimachung kaschierend für die vorausgesehene Kriegszerstörung gebraucht worden ist. Wie also sind die Anführungszeichen aufzufassen? Sie wirken wie eine Distanznahme von einer problematischen Euphemisierung der Kriegszerstörung, an die 1938 zumindest gedacht worden sein muss. Eingetreten aber ist sie dann als in Kauf genommene Kriegsfolge. Grammatisch ist an dieser Stelle zu

294 Bzw. dreifach, wenn man die Apposition 1945 mitzählt.

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 467

beobachten, dass durch die Verschiebung des Subjekts auf das Adverbial (im Gutachten) die „Freimachung“ auch als Zitat gelesen werden kann. Die Vorzüge der städtebaulichen Planung von 1938 und die Vorteile, die sich schließlich aus der großflächigen Zerstörung des Bereiches ergab, werden sprachlich parallelisiert, ohne dass der euphemistische Anklang verschwindet. Der Einsatz des finalen Konnektors um...zu begünstigt die zweckrationale Interpretation des Zerstörungszustands: Das Hauptziel, die hygienischen Verhältnisse zu verbessern, wurde erreicht. Der nostalgische, auf das Ökologische bezogene Rückblick auf einen ursprünglichen Naturzustand der Quellbecken, wie er im Mittelalter zur Zeit der Besiedlung Paderborns bestanden haben mag, beschließt diesen Absatz und wirkt mit der für das ZAD typischen Clusterbildung jedoch nie wieder wie eine Hinwendung zu einem nicht näher datierten Davor, das zugleich den Lauf der Dinge markiert: Sobald ein Gebiet in kulturelle Infrastruktur überführt wird, folgen daraus für das ökologische System Wandel und Zerstörung. Einen ganz anderen Maßstab setzt die Zielvorstellung der Naturbelassenheit, die für das Paderquellgebiet als unwiederbringlich betrachtet wird. Unabhängig von den Ursachen für die Einwirkung auf das Naturgebiet – ob Zerstörung durch Kriege oder Bauprojekte – steht die Gestaltung des Paderquellgebiets als Park fortan in einem Spannungsverhältnis zur Natur.

7.3.2 Mannheim: Geschichtsbewusstsein und Modernisierung Für das erinnerungskulturelle K-Profil Mannheims wurden zwei Belege aus neueren Dokumentationen ausgewählt: Ellrich und Wischniewski erzählen „Geschichte und Geschichten“ rund um das „Barockschloss Mannheim“ und Keller beschreibt anhand eines umfangreichen Fotomaterials Bauten und Fassaden im „Alt-Mannheim vor 100 Jahren“. Das dritte Beispiel stammt von der ortsfesten Stadtpunkte-Tafel zum seit Langem aus dem Stadtbild verschwundenen „Palais Pigage“. Tab. 50: Kontextualisierungsprofil zu einer Mannheimer Stadtgeschichte in MA 2013 SGp Ellrich, 124 (GEG, REF) Kontextualisierungshinweise Kurz vor der endgültigen Zerstörung

schwer beschädigt

blieb allerdings aus

nach Kriegsende

brannte der Westflügel (...) aus

wertvoller Kunstbesitz vernichtet

468 

 Ergebnisse

Weitere Angriffe

fügten (...) Brand- und Sprengbombenschäden zu

die Nächte

„zu einer Stätte grausamster Verwüstung“

entfachte Brand

bis zum nächsten Angriff

fand er (= der Brand) reichlich Nahrung

Als wäre nicht schon alles vernichtet

in den Nächten des

erneut zum Zielobjekt alliierter Bomben

waren (...) zu 70 Prozent zerstört

weitere Kriegsschäden

den Bomben zum Opfer fielen

durften (...) durchgeführt werden

aber auch (...) auszulagern

wurden (...) gerettet

so hatte der Krieg (...) fatale Folgen

für die wertvolle wandfeste Ausstattung des Schlosses

ein Raub der Flammen

wie durch ein Wunder

nicht mehr ganz intakt

konnte es (...) ausgebaut und damit vor der wohl sicheren Vernichtung bewahrt werden

nicht geklärt werden konnte

kurz vor der totalen Beschädigung der wertvollen Räume

durch vermehrte Fliegerangriffe

die Angriffe auf Stadt und Schlossanlage

mit Neubauplanungen in der Stadt befasst

Die endgültige Entscheidung darüber sollte jedoch durch Hitler selbst gefällt werden.

Konnektivitätstypen

Belege

Metaphern-Fähre:

Naturalisierung der Ursachen (Raub der Flammen, Brand fand Nahrung) Schloss als Opfer (fügten Schäden zu, zum Opfer fielen)

Valenz:

waren zerstört – Patient (Mittelbau und Landgericht), Modal-Cause-Means (alliierter Bomben) Time (in den Nächten des 4./5. und 12./13. Oktobers 1943) Modal-Degree (zu 70 Prozent) Neuaufbau: Modal-Manner (als Erholungsbereich)

Frameverschränkung:

Destroying (Degree: endgültig, fatale Folgen) – Building=Rettung (Fokuskonstruktion PVM-Komplex: konnte ... ausgebaut ... und bewahrt werden/nicht geklärt werden konnte)

Deutungsmuster:

Kriegszerstörung als (Natur-)Katastrophe

Der Ausschnitt aus der umfangreichen narrativ angelegten Dokumentation von Ellrich über die Zerstörung des Mannheimer Barockschlosses ist inhaltlich von

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 469

einer intensiven Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit über die Frage getragen, ob und wie das Schloss wiederaufgebaut werden soll(te). In der ausgewählten Passage manifestiert sich die Ohnmacht des Kunsthistorikers angesichts der etappenweisen Zerstörung der historischen Bausubstanz. Die zuvor als Wunder beschriebene Rettung des Bibliothekskabinetts mündet in die Fokuskonstruktion, in die das kursive Verb bewahrt eintritt: Es konnte ... vor der wohl sicheren Vernichtung bewahrt werden. Auch künftige Generationen sollen davon einen Nutzen haben. Zuvor lenkt das verlustindizierende Cluster nicht mehr auf die Versehrtheit: wenn auch nicht mehr ganz intakt – ausgebaut werden. Im Vergleich zur Verlustkonstruktion mit modalem Infinitiv [nicht mehr zu x-en sein] wird hier lediglich eine Einschränkung vorgenommen, die außerdem durch das Erfolgsnarrrativ mit der Fokuskonstruktion konnte (...) ausgebaut werden gerahmt ist. Der Spannungsbogen über diese bedeutungsvolle Rettung wird erzählerisch durch die Hinzufügung wie es scheint im letzten Augenblick geschlagen. Wiederum reflektierend tritt der PVM-Komplex im übernächsten Satz in Erscheinung, der beschreibt, dass der Verbleib ... des Deckenbilds ... nicht geklärt werden konnte. Dieses Wunder wird vorab in der Passage auch lexikalisch mithilfe der Vergleichsphrase wie durch ein Wunder versprachlicht. Das Wunder kann natürlich nur auf der Folie einer Gewalteinwirkung erscheinen, die so enorm ist, dass nur wenig Hoffnung auf Erhalt der wertvollen Innenausstattung besteht. Die Beschreibung des Zerstörungsresultats wird absatzeinleitend durch ein Zitat aus der NS-Dokumentation VBAMA-Registratur, 1940–1945 gegeben: Im Sommer 1944 wurden im Auftrag des Landesdenkmalamts Karlsruhe „kurz vor der totalen Beschädigung der wertvollen Räume [...] Aufnahmen der noch vorhandenen Kunstwerte“ gemacht. Allerdings sei der Abtransport verschiedenster Objekte „infolge Fehlens der erforderlichen Fahrzeuge nicht mehr wie vorgesehen durchgeführt [worden], zumal durch vermehrte Fliegerangriffe alle Einsatzfahrzeuge zum Transport lebenswichtiger Güter eingesetzt waren“.

Die NP totale(n) Beschädigung der wertvollen Räume knüpft mit dem Adjektiv total an die NS-typische Steigerungssemantik an und kennzeichnet die nachfolgende detaillierte Beschädigung aus der Perspektiv vom Sommer 1944 als großen Kulturverlust. Der Aggressor wird nicht direkt bezeichnet. Das verdichtende morphologische Konvertat Angriff benennt attributiv oder determinativ die Art (Fliegerangriffe) und das Ziel des Angriffs (auf Stadt und Schlossanlage). Im oberem Absatz treten die Angreifer adjektivisch in der NP alliierte(r) Bomben auf, womit der Aggressor nur durch die possessive Relation des Mittels (Means) sprachlich sichtbar wird. Die Beschreibung der Zerstörungszustände gipfelt in einem Bericht darüber, dass ihre Dokumentation irgendwann zwecklos erschien. Das bis ins Unfassbare reichende Vernichten wird im „abgeklärten“ Konjunktiv des Neben-

470 

 Ergebnisse

satzes als wäre nicht schon alles vernichtet zum Ausdruck gebracht. Schließlich endet die passivisch gestaltete Passage mit einem narrativen sollte, jenem „historischen Konjunktiv“, der eine schicksalhaft längst entschiedene Zukunft ankündigt. Die rein deontisch-präteritale Lesart impliziert eine (normative) Instanz, die die Ansicht enthält, dass Hitlers Entscheidung in dieser Sache gefragt ist: Hitler sollte entscheiden. Es ist klar, dass es zu dieser Entscheidung nicht mehr kam. Doch zeigt die Doppeldeutigkeit hier auf Sachebene einmal mehr, dass die Wiederaufbauplanung nicht mit dem Kriegsende begann. Die Zerstörung wird zustandspassivisch dokumentiert und dabei mit dem typischen Degree-Füller zu 70 Prozent zerstört versehen. Es überrascht, dass in der Opferrolle das Schloss und die Aufzeichnungen über Kriegsschäden in einem Atemzug genannt werden: Letztere seien ebenso wie das Schloss den Bomben zum Opfer gefallen. Auch wenn zuvor infolge der Angriffe den Bauwerken, d.h. verschiedenen Höfen und dem Ballhaus, Brand- und Sprengbombenschäden zugefügt wurden, wirkt die Prägung des zumeist menschlichen Rezipiens auf die Bausubstanz zurück. Ansehen, Feind, Volk und Gegner treten laut DWDSWortprofil signifikant als Dativobjekte des Partikelverbs zufügen auf. In der Rolle des Akkusativobjekts finden sich auf den oberen Plätzen Schaden, Schmerzen, Niederlage, Verletzungen und Leid. Auffällig hierbei ist das Subjekt Angriffe: Es sollen die Angriffe sein, die der Stadt ein Leid getan haben, nicht aber die Brandund Sprengbomben, die doch die Schäden verursacht haben. Der verkürzte Satzrahmen lautet: Angriffe fügten den Bauten Brandbombenschäden zu. Die Formulierung ist diskursgrammatisch auf spezifische Weise motiviert: Sie rückt das Nomen Angriffe in die Subjektposition und ermöglicht es somit, den Brand und gleichzeitig die Auswirkung des (feindlichen) Angriffs informationsstrukturell zu profilieren. Das Ver- und Ausbrennen wird nachfolgend variationsreich und mit hohem Metapherneinsatz beschrieben. So findet der Brand reichlich Nahrung und die Wandvertäfelung wurde ein Raub der Flammen. Schließlich verbindet sich mit dem sprichwörtlich verheizt(en) Parkett das Verbrennen mit einer ganz anderen Ursache (Not der frierenden Bevölkerung). In der Argumentationsweise des Textes wird hier eine erweiterte Kausalität von den Brandbomben zum drohenden Erfrierungstod der Menschen gestiftet, die ihr Überleben auch auf Kosten der Kulturschätze sichern müssen.

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 471

Tab. 51: Kontextualisierungsprofil zu einem Ausschnitt aus der Foto-Dokumentation „Alt-Mannheim im Wandel“ in MA 2014 SGp Keller, 39 (Bildunterschrift) und 40 (GEG, REF) Kontextualisierungshinweise der jüngste kurfürstliche Monumentalbau der Stadt

Nach dem Wiederaufbau

erfolgte die Generalsanierung

die Wiederherstellung der historischen Dachform

Heute sind hier Konnektivitätstypen

Belege

diskurstypische Kollokation:

Generalsanierung/Wiederherstellung/Errichtung erfolgte

Reziproke Kookkurrenz:

zerstört (implizit evoziert) – Wiederaufbau

Metaphern-Fähre:

Naturalisierung der Ursachen: Bombenhagel, zum Opfer fallen

Valenz:

in ursprünglicher Form (Manner zu Wiederherstellung erfolgte) erst 1979 bis 1982 (Zeit-Time)

Frameverschränkung:

fiel zum Opfer (Destroying) der historischen Dachform (Manner zu Wiederherstellung)

Deutungsmuster:

Kriegsende als Chance zur Erneuerung

In der Foto-Dokumentation Alt-Mannheim im Wandel beschreibt Keller die Zerstörungen und die Aufbautätigkeiten im und nach dem Zweiten Weltkrieg als Teil der Gebäudeentwicklung. Sie sind detailliert, nehmen aber nicht viel Raum ein. Der reich bebilderte Band zur Stadtgeschichte enthält somit ausdrucksseitig nur wenige Kontextualisierungshinweise des vollständigen K-Profils. Dennoch entsteht aus der Kombination der wenigen Sprachmittel das Deutungsmuster des identitätsbildenden Aufbaus nach einer Zerstörung, die in ihren historischen Zusammenhängen allenfalls über Standardwerte der Ereignisnamen/Daten (Zweiten Weltkriegs/1957) aktualisiert wird. Auch die Frameverknüpfung bleibt implizit. In der ausgewählten Bildunterschrift zur Fotografie eines reich verzierten zweigeschössigen Altbaus werden nur die Zerstörungsereignisse genannt, während im Fließtext nur Aufbauprozesse beschrieben sind. Beide Abschnitte entfalten eine diskurstypische Musterhaftigkeit. In der Metapher Bombenhagel manifestiert sich ein Teil der im vorherigen Beispiel festgestellten Naturalisierung des Luftkriegs. Die Opfersemantik wird ausdruckseitig im Phrasem zum Opfer fallen expliziert. Die Akteure dieses Geschehens könnten zwar durch das

472 

 Ergebnisse

in der NP des Zweiten Weltkriegs genannte Rahmenereignis evoziert werden. Da die NP jedoch subordiniert den Bombenhagel attributiv näher bestimmt, wirkt die Kriegskatastrophe geradezu wie ein Golem, der die Stadt gewaltsam heimsucht. So kommt es schließlich zu der Feststellung: Das Barockhaus fiel dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Für die Standardwerte, die aus der Frameverknüpfung resultieren, ist aber wohl relevant, dass die fehlende Beschreibung des Aufbaus darauf schließen lässt, dass das Gebäude aus dem Stadtbild verschwunden ist. Diesmal geht es anders als in der Geschichte des Mannheimer Schlosses nicht um die Beschreibung der Schäden als vielmehr um die Angaben, in welchen Etappen das Zeughaus wiederaufgebaut wurde. Das Gelingen des Aufbaus wird in der Klimax aus Wiederaufbau, Generalsanierung und Wiederherstellung der historischen Dachform des Gebäudes präsentiert. Rekonstruiert werden muss die Vorgeschichte der Zerstörung sowie das Rahmenereignis. Letzteres ist inferenziell ergänzbar aus den Jahresangaben 1925 und 1957 und dem damit angegebenen Zeitraum zwischen der Museumseröffnung und dem Jahr nach dem Wiederaufbau.295 Die starke Kookkurrenz von zerstört und Wiederaufbau ist diskursspezifisch und wirkt für die Kriegszerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs kontextualisierend. Es handelt sich um eine über das ZAD hinausweisende Kookkurrenz mit wechselseitiger Evokation. Dies mag durch die nicht diskursspezifische, aber diskurstypische Kollokation der deverbalen Aufbaunomen mit dem Nominalisierungsverb erfolgte gestützt werden. Den Abschluss der Passage bildet das für die Gebrauchsgattungen typische Zeitdeiktikon heute, das in Kombination mit dem psychologischen Nähemarker hier die stadtgeschichtliche Bedeutung des Ortes für die städtische Identität Mannheims konsolidiert: Das Zeughaus ist heute Ausstellungsort für die bedeutenden Exponate der Reiss-Engelhorn-Museen.

295 Aufgebaut war das Haus bereits 1947, der Museumsbetrieb wurde 1950 wiederaufgenommen (vgl. Caroli 2007:494).

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 473

Tab. 52: Kontextualisierungsprofil zur Stadtpunkte-Tafel „Palais Pigage“, MA 2007 TAF Stadtpunkte (GEG, GEB) Kontextualisierungshinweise das Palais mit reicher Innenausstattung

erfolgreiche Führer der badischen Landtagsopposition des Vormärz

Jahre der Anerkennung und persönlichen Glücks

das Anwesen zu verkaufen

In den Bombennächten des 2. Weltkriegs

versinkt in Schutt und Asche

das später mit einer Gedenktafel geschmückte „Heckerhaus“ Konnektivitätstypen

Belege

Metaphern-Fähre:

versinkt in Schutt und Asche (Wassermetapher/Naturalisierung der Ursachen)

Frameverschränkung:

versinkt in Schutt und Asche (Destroying) gelingt es ... das Anwesen zu verkaufen (Rettung/zu-Infinitiv)

Deutungsmuster:

Kriegsende als Naturkatastrophe

Die Tafel zum aus dem Stadtbild verschwundenen „Palais Pigage“ der Mannheimer Stadtpunkte-Serie ist den beiden thematischen Routen „Festung – Planstadt – Residenz“ und „Bürgertum – Handel – Industrie“ zugeordnet. Der Großteil des Textes verbindet die Biografie des Mannheimer Revolutionärs Friedrich Hecker mit dem prachtvollen Palais. Die In-Wert-Setzung des Bauwerks beginnt mit der namentlichen Nennung des über dem Sockel der Tafel abgebildeten Schlossarchitekten Nicolas de Pigage, der das Wohnhaus der Renaissance nicht nur von außen gestaltet, sondern auch von innen prächtig ausgestattet hat (mit reicher Innenausstattung). Die Bedeutung des Bauwerks als Wohnhaus des jungen Revolutionsführers Hecker und seiner Familie wird durch zahlreiche Attribute gesteigert, die nicht nur das persönliche Wohlergehen, sondern auch die respektablen Ziele seiner politischen Karriere im Dienste seiner dezidiert demokratischen Ideen hervorheben (der erfolgreiche Führer der badischen Landtagsopposition des Vormärz Jahre, Jahre der Anerkennung und persönlichen Glücks im Kreis der besseren Gesellschaft). Mit einer vom Vollverb gelingen regierten Infinitivkonstruktion wird das Ziel der Rettung als Zweck versprachlicht, den Heckers Frau verfolgt, nachdem ihr Ehemann ins Exil geflohen ist. Mit der Wahl des Infinitivs (das Anwesen zu verkaufen) wird semantisch das Gelingen unabhängig von der Bedeutung des Ziels wirksam, das verfolgt wurde (der Verkauf), um den persönlichen

474 

 Ergebnisse

Besitzstand zu garantieren (bevor der badische Fiskus seine Hand darauf legen kann). Doch das Ziel ist, einmal erreicht, fast nebensächlich. Es hätte an dieser Stelle ein Happy End geben können. Für den nachfolgenden Überraschungseffekt leistet das gerade noch rechtzeitig Gelungene ein Plateau der Beruhigung, bevor sich das Unfassbare ereignet. Die Narrativierung kommt im folgenden Satz durch die topikalisierte PP mit den Bombennächten im Kern in Gang. Das Unerwartete bricht lärmend metaphorisch in die zuvor in geordneter Hypotaxe präsentierte Chronologie ein: In den Bombennächten des 2. Weltkriegs versinkt das später mit einer Gedenktafel geschmückte „Heckerhaus“ in Schutt und Asche. Wenn es der Zweck des Mythos bei Barthes (1964:113f.) ist, Geschichte in Natur zu verwandeln, kann der Rezipient mit diesem Satzanschluss Zeuge dieser Verwandlung werden. Das leicht idiomatische Phrasem in Schutt und Asche befindet sich laut korpusgrammatischer Auswertung des DWDS-Wortprofils innerhalb des Verbrahmens von versinken in einem phraseologischen Paradigma mit verschiedenen PPen, die den semantischen Mehrwert der ‘Ordnunglosigkeit’ (im Chaos, in Anarchie), der ‘Irrelevanz’ (in Bedeutungslosigkeit, im Mittelmaß), am häufigsten aber der Naturelementhaftigkeit (in Fluten, im Sumpf, in, im Morast, im Schnee, im Meer) aufweisen. Zu Letzteren zählt wohl auch die komplexe statistisch signifikante Kollokation in Schutt und Asche versinken (mit einem logDice im DWDS von 7.6). Versinken schließt außerdem an die Metaphorik des Untergangs an und ist mit Naturkatastrophen assoziiert, an denen häufig Wasser als Element beteiligt ist. Zur Tragik des Untergangs kommt der angezeigte kulturelle Wert des Gebäudes für die demokratische Identität Mannheims hinzu: Auch die Gedenktafel für den Revolutionär der badischen und deutschen Revolution von 1948/49 geht im Bombardement unter. Das Foto des mit der Gedenktafel geschmückten Gebäudes – wie es eigentümlich pathetisch, aber den metaphorischen Stil konsequent fortführend heißt – wirkt wie ein Gedenkappell angesichts der in der NS-Zeit zeitweilig „verschütteten“ demokratischen Grundwerte. Diese erinnerungskulturelle Überblendung von materiellem Schutt zu verschütteter Moral wird inferentiell aufgegriffen. Dies ist auch ein Beispiel für eine Kontextualisierung über den Kontrast: Die metaphorischen Kontextualisierungsmerkmale des abschließenden Satzes unterstützen sowohl die Verschiebung des Opferbegriffs (Gebäude) als auch die des Aggressors (namenlose nächtliche Gewalteinwirkung). Dass das Rahmenereignis (des 2. Weltkriegs) attributiv die Bombennächte spezifiziert, wirkt nicht zuletzt auf die Interpretation des geschichtlichen „Dunkels“ ein, das mit dieser semantischen Prosodie die Bombenangriffe der Befreier mit dem NS-Eroberungskrieg zusammenfasst. Dass das Stichwort 2. Weltkrieg diese Differenzierung innerhalb des Ereignisframes von sich aus leistet, mag bezweifelt werden. Die Alliierten treten somit gleichermaßen wie Deutsche als Aggressoren dieses Kriegs auf. Und doch werden sie hier nicht einmal genannt. Ihr Agieren ist Teil eines

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

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katastrophischen Kriegsgeschehens, von dem tunnelartig nur eines in den Blick genommen wird: die ihm zum Opfer gefallenen kostbaren Kulturgüter.

7.3.3 Bremen: De-/Ästhetisierung Zwei der drei Belege für das erinnerungskulturelle K-Profil Bremens stammen aus bebilderten Druckwerken, erstens dem Bildband von Aschenbeck mit dem Schwerpunkt auf dem Wiederaufbau zwischen 1945 und 1960 und zweitens dem Ausstellungskatalog mit der Gretchenfrage im Titel „Bremisch oder doch modern?“. Das dritte Beispiel umfasst zwei Belege der Internetsite BremenpediA zur Bremer Hochschule und zum St. Pauli Stift. Tab. 53: Kontextualisierungsprofil zu einem Bildband von Aschenbeck, HB 1997 BIB Aschenbeck, 14-17 (GEG, REF) Kontextualisierungshinweise Wiederaufbau

wurden (...) errichtet

sollten modellhaften Charakter bekommen

sollte das ideale, demokratische Wohnen der Zukunft verwirklicht werden

froh, endlich den Barackenbehausungen oder Altbauwohnungen entronnen zu sein

entwickelte sich die Innenstadt immer mehr zu einer Dienstleistungscity

mußten Kontorhäusern, Kaufhäusern und Parkhäusern Platz machen

des alten Katarinenklosters

Dort, wo das Kornhaus wiederaufgebaut werden sollte

befindet sich heute ein Parkplatz

in einer alten Klosterkirche

mußte dem Martinistraßen-Ausbau weichen

die Neuordnung Bremens weitgehend abgeschlossen

der zerstörten Hansestadt

war nach dem Krieg eine neue Stadt gewachsen

nur einige Traditionsinseln

an eine große Vergangenheit

476 

 Ergebnisse

Konnektivitätstypen

Belege

Metaphern-Fähre:

goldene Zeiten (Kapitalismuskritik) war gewachsen (Aufbau als Wachstum) endlich entronnen sein (Wohnungsbau als Missstand im Gewand der Leiderfahrung NS-Verfolgter) nur einige Traditionsinseln (Verlust stadtgeschichtlicher Identität)

Valenz:

Neuordnung abschließen: weitgehend (Manner) Mitte der 60er Jahre (Time)

Frameintegration:

zerstörten (Destroying): Hansestadt (Patient) nur einige Traditionsinseln (Degree/Komplettverlust des baulichen Erbes) gewachsen (Building): eine neue Stadt, in der nur ... (Agent) nach dem Krieg (Time) zu-Infinitive (kritische Reflexion)

Deutungsmuster:

Kriegsende als Voraussetzung für einen wirtschaftsorientierten Neuaufbau

Der Ausschnitt aus dem Bildband von Aschenbeck erläutert das Leitbild des Neuen Bauens in Bremen anhand konkreter Aufbauprojekte mit der für Bremen typischen Skepsis gegenüber den fortschrittsorientierten Aufbauzielen der Nachkriegszeit. Und doch stand Bremens Aufbau ganz im Zeichen des Fortschritts. In der Kritik an der Verabschiedung des alten Bremens mit seinen historischen Bauten wie der Ansgarii-Kirche werden die Ziele des funktionalen Baustils typischerweise infinit aufgerufen und zum Gegenstand von Bewertung und Reflexion gemacht. Die IP endlich den Barackenbehausungen oder Altbauwohnungen entronnen zu sein wird regiert vom Adjektiv froh der Prädikativkonstruktion Menschen ... waren froh (über etwas). Sie hebt die existenziellen Vorzüge der gut belüftbaren, hellen Wohneinheiten des modernen Bauens hervor, wie sie für die von Alvar Aalto konzipierte Gartenstadt Vahr und Neue Vahr kennzeichnend sind. Die zweite zu-Infinitiv-Konstruktion dieses Abschnitts ist durch ihre Abhängigkeit vom Verb schien in den Verbrahmen integriert. Sie ist zusammenfassender Endpunkt einer Aufzählung von Fortschrittsanzeichen und bringt die für den Bremer Diskurs häufig explizierten Zweifel an dieser Zielsetzung zum Ausdruck: Bremen schien goldenen Zeiten entgegen zu gehen (sic). Die von Aschenbeck gewählte hyperbolische Metapher der goldenen Zeiten kontextualisiert auch die einst kapitalismusfreundliche Perspektive auf eine im Nachhinein kritisch beurteilte Entwicklung. Ihr steht eine denkmalpflegerische geschichtsbewusste Lösung gegenüber. Trotz-

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

 477

dem wecken die im ersten Absatz serialisierten sollte-Sätze des PVM-Komplexes Verständnis für die Ideale des frühen Aufbaus (sollte das ideale, demokratische Wohnen der Zukunft verwirklicht werden). Man fühlte sich damals als Vorreiter, weil man mit dem Neubau Probleme gelöst hatte (und war es wohl auch, worauf man heute stolz sein kann). Mehr noch, man war etwas Schrecklichem entronnen: Die Menschen sind froh – erneut im prädikativen zu-Infinitiv – endlich den Barackenbehausungen oder Altbauwohnungen entronnen zu sein. Der Inhalt des Komplements, d.h. dasjenige, dem sie entronnen sind (Altbauwohnungen), befindet sich laut DWDS-Wortprofil im Umfeld der nominalen Einheiten Teufelskreis, Abstieg, Gaskammern, Häschern, Schuldenfalle, Inferno und Hölle, die hochfrequent in den Dativ-Slot eintreten. Das diskursgrammatische Geflecht, in dem sich die Metapher entrinnen befindet, deutet somit darauf hin, dass mit diesem Verb kollokativ das Hauptschrecknis der NS-Zeit aufgerufen wird, die Ermordung von Menschen in Internierungslagern. Ggf. werden auch andere Katastrophen, nicht zuletzt das Erleben der Städtebombardierung als Hintergrund aktualisiert. In jedem Fall tritt auch in dieser kritisch referierenden Passage der Aufbau als diejenige Instanz auf, die dieses Schrecknis heilt und kompensiert, auch wenn dort, wo das Kornhaus wiederaufgebaut werden sollte, heute ein Parkplatz ist. Hier changiert das deontische Modalverb zwischen der referierten Absicht und der Zustimmung gegenüber der Verpflichtung zum Wiederaufbau: Aufbau wird grundsätzlich begrüßt (bevorzugt rein rekonstruktiv), die Prioritäten im Einzelnen werden jedoch in Frage gestellt (verkehrsgerechter Aufbau). Aufbau durch Abriss ist dagegen konstruktionell keine Erfolgsstory: Hier dominiert das Vorgangspassiv gegenüber der Nominalisierungskonstruktion und der zweifelhafte Zweck wird im Nebensatz mit finalem Konnektor damit gleich angefügt: Die Reste der Ansgarii-Kirche wurden abgerissen, damit Hertie bauen konnte. Die Kritik richtet sich gegen den Vorrang von Kommerz und Verkehr vor historischem Bewusstsein und damit gegen das fast blinde(s) Vertrauen in Wachstum und Fortschritt. Wenn in diesem Kontext die verloren gegangenen historischen Bauten aufgewertet werden, zeichnet sich das kulturell Hochwertige im Adjektiv alt gegenüber dem mit Fortschrittsglauben assoziierten vergangenheitsvergessenen Neuen ab: das alte Katarinenkloster, die alte(n) Klosterkirche, eine große Vergangenheit einer Stadt mit Tradition (Traditionsinseln), einer mittelalterlichen Hansestadt. Die antonymische Neuordnung Bremens, die Mitte der 60er Jahre ... weitgehend abgeschlossen (war), erhält mit dem Manner-Füller weitgehend die Gestalt der diskurstypischen Aufbau-Kollokation (Neuordnung abschließen). Sie kontextualisiert sodann die erfolgreiche Wiederherstellung aller städtischen Funktionen. Auch in der integrativen Verschränkung von Zerstörungs- und Aufbau-Frame hebt die Städtebezeichnung Hansestadt die Zerstörung gerade des historischen Erbes hervor (zerstörten Hansestadt), so dass indirekt der Degree-

478 

 Ergebnisse

Slot mit dem Komplettverlust dieser Tradition der einstigen Wirtschaftsmacht296 gefüllt ist. Auch der im Attributsatz zur NP eine neue Stadt verwendete gegenbegriffliche Ausdruck Traditionsinseln offenbart die Marginalisierung des historischen Stadtbildes, das als Erinnerungszeichen einer große(n) Vergangenheit gesetzt wird. Bedauern und kritische Würdigung dieses (unterlassenen) Aufbaus kristallisieren sich in der Bewertungspartikel nur und dem Pronomen einige in der NP nur einige Traditionsinseln. Der Aufbau erscheint in dieser Frameintegration als organisches Wachstum, das nicht im Anschluss an die Städtezerstörung einsetzt, sondern an dessen „Wurzel“ oder „Ursprung“ die zerstörte Stadt steht. Die einmal gepflanzte Saat sprießt und vermehrt sich ohne das Zutun Dritter mit geringen Steuerungsmöglichkeiten und allen Vorstellungen von Verselbständigung, die dem Wachstumskonzept innewohnen, welches in der Wachstumsmetapher (war eine neue Stadt gewachsen) seinen Höhepunkt findet. Bereits zuvor tritt die Stadt als Akteurin ihres eigenen Aufbaus in Erscheinung: Sie schien goldenen Zeiten entgegenzugehen, sie entwickelt sich in reflexiver Eigendynamik, ihre Bauten mussten auf deagentivierte Weise Platz machen und weichen. Letztlich vollzieht sich ihre Veränderung im non-agentiven Modus verbaler Geschehensaktionalität (entstand). Dass die Bezeichnung für das Rahmenereignis nach dem Krieg in dieser Einbettung den historischen Kontext in komplexerer Weise aufruft, ist recht unwahrscheinlich. Semantisch profiliert sind mit dieser Kontextualisierung weder das Gedenken noch die geschichtlichen Ursachen der Kriegszerstörung. Vielmehr wird in der Kritik am Aufbau ein problematisches Desiderat der Wiederherstellung offenbar, bei dem die Heilung „der geschlagenen Wunden“, nicht aber das Ende einer von Deutschland ausgegangenen Aggressionspolitik im Vordergrund steht, die die Wende zum demokratischen Neubeginn ermöglicht. Die Analogie von Wohnen und politischer Ordnung im ideale(n), demokratische(n) Wohnen der Zukunft, das die Baustile der Neuen Vahr garantieren wollten, fokussiert auch den überbordenden Konsum und die Euphorie des „Wirtschaftswunders“, die die neue demokratische Ordnung flankieren. Hiermit wird ein weiteres Mal Kritik an der Wertorientierung jener „Zerstörer-Befreier“ eingelöst, die erst den Abbruch der materialisierten Geschichtstradition (mit-)verschulden und späterhin eine fragwürdige Konsumorientierung fördern (im Zuge der Umwandlung der Innenstadt in eine Dienstleistungscity). Die Aggressorverschiebung begünstigt zugleich die obige Lesart: Die Erleichterung

296 Die Städtebezeichnung Hansestadt erinnert symbolisch an die wirtschaftliche Stärke durch Bremens Hafenanlage. Die spätmittelalterliche Hansezeit dauerte 252 Jahre und endete für Bremen 1669 (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Stadt_Bremen, zuletzt abgerufen am 19.03.2020).

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

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über das Entronnensein einer todbringenden, entbehrungsreichen und traumatischen NS-Zeit wird sprachlich parallelisiert mit der Erleichterung, der Wohnsituation der 30er/40er-Jahre entkommen zu sein. Tab. 54: Kontextualisierungsprofil zum Ausstellungskatalog „1952“ – bremisch und doch modern" in HB 2006 KAT Syring, Kapitel „Verkehr – Bgm.-Smidt-Brücke“, o.S. (GEG, REF) Kontextualisierungshinweise wirklich leistungsfähige Brücke

die neue Brücke

sich als Bestandteil des gesamten städtischen Straßenverkehrssystems zu bewähren

durch Bombenangriffe

zerstört wurde

sprengten am 28. April 1945 deutsche Militärs,

um den Vorstoß der britischen Truppen zu stoppen

allerdings

nach Kriegsende

notdürftige Instandsetzung der Brücken

erlitt (...) einen herben Rückschlag durch Eisgang sämtliche Bremer Brücken zerstört wurden

konnten aber nur als Zwischenlösungen betrachtete [sic] werden

wirklich leistungsfähige Brücke Bremens

nach der Eiskatastrophe

Konnektivitätstypen

Belege

Metaphern-Fähre:

erlitt herben Rückschlag (Scheitern des Aufbauprojekts der Besatzungsmacht)

Konnektoren:

aber (adversativ) dagegen (adversativ)

Valenz:

zerstört wurde: durch Bombenangriffe (Cause-Means) nur eine (...) „Adolf-Hitler-Brücke“ (Patient) Instandsetzung: Brücke (Patient) gleich nach Kriegsende (Time) notdürftig (Manner)

Frameverschränkung:

zerstört wurde (Destroying) – Instandsetzung (Building) nur als Zwischenlösungen, achtzehn Meter Fahrbahnbreite (Manner) sich als Bestandteil des gesamten städtischen Straßenverkehrs­systems zu bewähren (Building/zu-Infinitiv) konnten betrachtet werden (Building/PVM-Komplex)

480 

 Ergebnisse

Deutungsmuster:

Kriegsende als Chance für eine Leistungssteigerung, die in einer künstlerischen Auseinandersetzung das Placemaking Bremens stützt

Die zweite Belegpassage aus einem ansprechend gestalteten, mit ausklappbaren Elementen versehenen und reich illustrierten Ausstellungskatalog von Syring wirft einen Blick auf Bremens neue Leistungsfähigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Fast möchte man meinen, dass die oben bei Aschenbeck beschriebenen goldenen Zeiten hier fotografisch mit einem Blick von der Brücke auf die gegenüberliegende Weserseite farbillustriert werden. Die neue industrielle Identität am Hafen wird zum Ausgangspunkt künstlerischer Ästhetisierung, die das Zusammenspiel von Licht, Beton, Stahl, Wasser und Fahrzeugbewegungen atmosphärisch einfängt. Die dabei entstehenden Verwischungen erschließen das Zugleich von Geschichte und Mobilität, Tradition und Zukunft. So ragen bspw. die Silhouetten der Kirchtürme als Zitate der alten Stadt in die Lichtspiele der Straßenbahnen hinein. Die Fokuskonstruktion des PVM-Komplexes konnten aber nur als Zwischenlösungen betrachtete [sic] werden signalisiert den ersten Schritt zur abschließenden Bewertung des Bauwerks als „erste neuzeitliche und wirklich leistungsfähige Brücke Bremens“. Dieses Zitat des Senatsbaudirektors Franz Rosenberg bildet die Zwischenüberschrift für die erläuternden Textabschnitte des Katalogs neben sechs fotografischen Inszenierungen des Verkehrs auf der Brücke. Das animator-Footing mit Zitatverweis ist im Fließtext doppelt indiziert durch die Konjunktivform sei und die Anführungszeichen. Es bringt damit auch den principal als Instanz der Deutungshoheit ins Spiel. In der evaluativen Fokuskonstruktion konnten aber nur als Zwischenlösung betrachtet werden wird der ganze Anspruch des noch steigerungsfähigen Aufbauprojekts offenbar: Das Nachfolgende ist durch den Einsatz des Konnektors aber im Kontrast zur bisherigen Instandsetzung angelegt (nur als Zwischenlösungen). Gegen einigen Widerstand sollte es also gelingen, dass die noch zu schmalen Brücken durch neue, leistungsfähige ersetzt werden, was bereits in der Überschrift angekündigt ist. Der mit dem adversativen Adverbkonnektor dagegen eingeleitete Vergleich – nun sah die Brücke mit achtzehn Metern Fahrbahnbreite schon ganz anders aus – mündet in jene Bewertung des Baudirektors, deren Zitatform den FootingWechsel zum author vollzieht. Dieser verbrieft die vom animator quasi vorab behauptete Qualität (höhere Leistungsfähigkeit). Der Startpunkt des Ausschnitts kontextualisiert die Hintergründe und Etappen bis zu dieser Leistungsfähigkeit mithilfe des zu-Infinitivs als Komplement-Satz (zum Verbalkomplex eine Aufgabe besitzen). Er bringt die als Zweck raumzeitlich nicht verortete und somit generalisierte Aufgabe der neue(n) Brücke zum Ausdruck, sich als Bestandteil des gesamten städtischen Straßenverkehrssystems zu bewähren. Diese Proposition bildet

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

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den hinteren Teil des zweiteiligen Adverbkonnektors so... so, dessen vorderer Teil die angesichts der verkehrstechnischen Funktionalität zunächst zurückgestufte Aufgabe einer wirkungsvollen Inszenierung zwischen Altstadt und Neustadt beinhaltet (so wirkungsvoll die Inszenierung eines Brückenschlags ... auch war). Dieser (Re-)Inszenierung des (Stein gewordenen) Brückenschlags zwischen Alt und Neu gibt der Katalog Raum. Darüber hinaus wird die Verbindung der Propositionen beider so-Sätze in den künstlerischen Fotografien manifest: Funktionalität und Ästhetik verbinden sich in einer Art und Weise, die das alte Bremen auf der Folie der Erneuerung der städtischen und baulichen Infrastruktur konserviert. Das Straßenverkehrssystem entwickelt sich nachfolgend in einer Nominalsatzkonstruktion wie von selbst: 1952 (...) befand es sich (...) im Planungsstadium. Für seinen weiteren Verlauf folgt agenslos ein Stadium dem nächsten. Der folgende Abschnitt holt weiter aus und bringt mit der satzeinleitenden literarisierenden Konjunktion und die Hauptdeutung zum Ausdruck, die ein zentrales Morphem {schuld} der Bewältigungsarbeit enthält: Und der war zum Teil selbst verschuldet. Der Brückennotstand sei selbst verschuldet gewesen, weil deutsche Militärs (...) die Kaiserbrücke kurz vor Kriegsende sprengten (...), um den Vorstoß der britischen Truppen zu stoppen. Als wäre dieses im tempus- und moduslosen zu-Infinitiv aktualisierte Ziel zu diesem Zeitpunkt noch erreichbar, in irgendeiner Art sinnvoll oder vernünftig gewesen, sagt der anschließende Relativsatz über die britischen Truppen aus, dass diese allerdings, d.h. gegen die Erwartung, wenige Kilometer weiter stromaufwärts schon längst das andere Weserufer erreicht hatten. Der Abschnitt wirft einige Fragen auf: Wer waren die deutschen Militärs, die bis zum Schluss den Einmarsch der britischen Truppen verhindern wollten? Waren es Angehörige der Schutzstaffel, die bis zuletzt an den Sieg glaubten? Sie haben den Verlust der Brücke verschuldet, weil sie sie selbst gesprengt haben. Aber welcher Zusammenhang besteht zu den restlichen Zerstörungen? Ist vielleicht der gesamte Bombenkrieg über Deutschland auch zum Teil selbst verschuldet? Unabhängig davon, zu welcher Ansicht man hier gelangt, ist das Aufwerfen der Schulfrage in diesem Kontext der Brückensprengungen durch Angehörige der Wehrmacht irritierend, da die Akteure aus dem Bremen der 50er Jahre völlig andere waren als die deutschen Akteure der 40er Jahre: Bremen hatte Anfang der fünfziger Jahre einen akuten Brückennotstand. Und der war zum Teil selbst verschuldet. Formal ist die Zerstörung diskurstypisch im Vorgangspassiv gefasst. Der Relativsatz beschreibt, dass von drei Brücken nur die erst 1939 fertig gestellte „Adolf-Hitler-Brücke“ ... durch Bombenangriffe ... zerstört wurde. Die Zerstörung durch deutsche Militärs ist auffallend agentiv: Die Aggressoren befinden sich in Subjektrolle und sprengten in der transitiven Satzkonstruktion (d)ie beiden anderen Brücken. Der nachfolgende Zerstörungsfall durch ein Naturereignis wird analog zu den

482 

 Ergebnisse

Bombenangriffen formuliert: Durch Eisgang ... wurden ... sämtliche Brücken ... zerstört. Das Scheitern wird durch das Phrasem erlitt einen herben Rückschlag eingeleitet. Der in der Bildunterschrift als Naturkatastrophe bezeichnete Eisgang macht die Aufbauarbeit der Besatzungsmacht zunichte. Die beiden provisorische(n) Brücken der amerikanischen Besatzungsmacht sind im Vorgangspassiv instand gesetzt und fertig gestellt worden. Die typische Erfolgskonstruktion des Aufbaus fehlt, sobald die Amerikaner als Akteure ausdrucksseitig zugeschaltet werden. Gelungen ist der Aufbau der Nachkriegszeit aus einer ästhetischen Perspektive, auf die der Katalog durch seine zahlreichen Farbfotografien abzielt. Das Gelingen zeigt sich vor allem dann, wenn die Architektur den natürlichen Gegebenheiten des Flusses trotzt oder die Brücke als mehrspurige Straße über die Weser in das Stadtbild integriert ist. Entsprechend bilden die künstlerischen Repräsentationen der Brücke laut Bildunterschrift eine erste neuzeitliche und wirklich leistungsfähige Brücke ab. Durch Formulierungsanalogien kommt es in diesem Abschnitt zu zwei diskursiven Verschiebungen, die den Bombenkrieg sprachlich auf die Bühne eines Kampfes gegen Naturgewalten bringen und seine Ursachen und damit das historische Rahmenereignis der Befreiung von der NSDiktatur de-fokussieren und zwar dadurch, dass die Deutschen abschnittsweise in die Rolle der Verteidiger geraten, die beabsichtigen, den Vorstoß der britischen Truppen zu stoppen. Tab. 55: Kontextualisierungsprofil zur Internetseite von BremenpediA HB HYP BremenpediA, M-Trakt (GEG, GEB), Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/M-Trakt_der_Hochschule_Bremen und BremenpediA und HB HB HYP Bremenpedia St. Pauli Stift (GEG, GEB), Quelle: https:// de.wikipedia.org/wiki/Altenwohnanlage_St._Pauli_Stift (beide zuletzt abgerufen am 19.03.2020) Kontextualisierungshinweise M-Trakt

wurde (...) teilweise zerstört

im Zweiten Weltkrieg

Nach dem Krieg

Reparaturen am Gebäude

jedoch ohne den Wiederaufbau von Turm, Giebel und Satteldach

weitere Erweiterungsbauten folgten

Die moderne Fassade dieses Geschosses

in Kontrast zur historischen Fassade

es entstanden

aus der Zeit des Nationalsozialismus

der Opfer beider Weltkriege

Heute (2014) befinden sich

St. Pauli Stift

Die alte St.-Pauli-Kirche

1944 im Zweiten Weltkrieg

zerstört wurde

zum Neubau

Varianten des K-Profils im Spiegel ausgewählter Belege 

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ein Ort, der die Gemeinschaft der Bewohner (...) architektonisch zum Ausdruck bringt Konnektivitätstypen

Belege

diskurstypische Kollokation:

Erweiterungsbauten folgten

Reziproke Kookkurrenz:

zerstört – (ohne) Wiederaufbau alte ... Kirche zerstört – Neubau

Valenz:

wurde zerstört: Das Gebäude (Patient) im Zweiten Weltkrieg (Containing Event) teilweise (Degree) zerstört wurde: der Saalbau (Patient) 1944 (Time) im Zweiten Weltkrieg (Containing Event)

Frameverschränkung:

wurde zerstört (Destroying): teilweise (Degree) folgten (Building): Erweiterungsbauten, um ein Geschoss für Seminarräume ... aufgestockt, es entstanden Räume für die Bibliothek (Manner) war ein einfacher Saalbau (Prät.) ‘komplett’ (Degree) Beschreibung des Neubaus (Building): städteräumlich wirksames Zeichen, Ort, der die Gemeinschaft der Bewohner ... architektonisch zum Ausdruck bringt (Manner)

Deutungsmuster:

Kriegsende als Chance für neue, innovative architektonische Lösungen

Die letzten beiden Belegabschnitte für Bremen stammen aus der Bremer Wikipedia BremenpediA, in der Bremer Bürger bis Ende 2014 über 80 Beiträge verfasst haben, die u.a. mit dem QRpedia-Projekt „Bauwerke erzählen Geschichte“ in Verbindung stehen, bei dem 145 Bremer Infotafeln mit QRpedia-Codes ausgestattet wurden (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Bremen/ BremenpediA, zuletzt abgerufen am 19.03.2020). Beide Textpassagen beschreiben Nutzung und Baustile zur Zeit der Errichtung der Gebäude und machen Angaben zur kriegsbedingten Zerstörung. In beiden Belegen findet sich die diskurstypische Kookkurrenz zwischen partizipialem zerstört und nominalisiertem Wiederaufbau bzw. Neubau. Zur Kollokation Wiederaufbau erfolgte lässt sich die Variante weitere Erweiterungsbauten folgten zuordnen, auch wenn Bau/Bauten

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 Ergebnisse

nicht als prozessurale Nomen gebraucht werden, sondern Konkreta darstellen. Auch das diskurstypische adversative Konnektoradverb jedoch tritt hier musterhaft auf, um Verluste zu markieren. Dass Turm, Giebel und Satteldach im Neubau des historistisch gebauten Technikums und heutigen Universitätsgebäudes tatsächlich fehlen, wird bildlich durch den Kontrast der beiden untereinander angeordneten Fotografien von 1917 und ca. 2014 nachvollziehbar. Der Kontrast wird zusätzlich sprachlich vermittelt. Alt und neu, im zweiten Beleg explizit genannt (alte St.-Pauli-Kirche, Neubau), werden mit den Attributen historisch (in Kontrast zur historischen Fassade) und modern (moderne Fassade dieses Geschosses in Glas und grauen Brüstungselementen sowie dem transparenten Überdach) übersetzt. Die historische Fassade wird im vorangehenden Abschnitt ausführlicher beschrieben als Fassade mit Anklängen an die Renaissance und mit weiteren Elementen wie dem barockisierende(n) Turm sowie einem mehrteiligen Turmhelm. Auch wenn dieser Kontrast nur noch anhand der abgebildeten Postkarte von 1917 nachvollziehbar ist, weisen doch Zuschnitt und Anordnung der Sprossenfenster architektonische Anklänge an das historistische Gebäude auf. Zudem scheint das Portal erhalten geblieben zu sein. Das umgestürzte Gefallenendenkmal ist allerdings auf dem aktuellen Foto nicht erkennbar. Die historischen Zusammenhänge werden in beiden Belegen mit der onymischen PP im Zweiten Weltkrieg aufgerufen. Im ersten Beleg beginnt der Satz mit topikalisierter PP nach dem Krieg. In der Inschrift findet sich die attributive NP der Opfer beider Weltkriege zum NN Gedenken. In welche Verbindung werden die Opfer der Weltkriege mit den Geschehnissen der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gebracht? Was die Zerstörung verursacht hat, wird ausdrucksseitig nicht beschrieben, weder Luftangriffe noch Bomben oder Brandschäden werden genannt. Es liegt eine minimale Rahmung vor (im Zweiten Weltkrieg), was der primären Aufgabe des Textes entsprechen mag, den Wandel der materiellen Bausubstanz und ihrer Nutzung über die Jahre und Jahrhunderte hinweg zu beschreiben. In der Verschränkung der Frames aber zeigt sich eine Steigerungsnarration: Kontextualisiert wird die Deutung, dass der Aufbau Neues und Historisches architekturästhetisch (am Leitfaden der Wahrnehmung von Kontrast) zusammenwirken lässt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Neugestaltung Erweiterungen umfasst (Erweiterungsbauten, Räume für die Bibliothek). Der Versuch, den Gedenkkontext in diese Erfolgsstory durch Erwähnung der Gedenktafel einzubringen, kann wiederum als Beispiel einer Verschiebung des Opferbegriffs gesehen werden, die keine Einordnung in einen größeren geschichtlichen Rahmen leistet. Der Zusammenfassung der Opfer beider Weltkriege liegt eine begriffliche Ausweitung zugrunde, durch die im Grunde alle zu Schaden gekommenen Gruppen – vom gefallenen Soldaten über den Zwangsarbeiter und die Bombentoten bis zur zerstörten Bausubstanz – unter die Opfer-Kategorie fallen. Dass weder das Gefalle-

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nendenkmal noch der Gedenkstein auf dem Foto zu sehen sind, trägt weiterhin dazu bei, dass der Opferbegriff semantisch „ausfranst“. Diese sprachökonomische Realisierung des K-Profils schneidet die Zerstörungs- und Aufbauereignisse von den historischen Zusammenhängen insofern ab, als weder der Grund für die Zerstörung noch das Ereignis des Luftkriegs genannt werden, nicht einmal z.B. das Attribut alliierte auf die Akteursgruppe hindeutet oder Bomben als Zerstörungsmittel die Ursache indizieren. Zwar finden sich in diesen Abschnitten keinerlei Metaphern, die die Zerstörung als Naturgewalt beschreiben. Doch tragen die entstandenen Leerstellen in Verbindung mit den typischen diskursgrammatischen Strategien dazu bei, dass die Städtezerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs von der Schmach der Niederlage oder dem Glück der Befreiung, die sie in einem geschichtlichen Sinn bedeutet, zur Chance für die Infrastruktur deutscher Städte umgedeutet wird.

7.4 Die Kontextualisierung von Zerstörung und Aufbau zwischen Diskurstypik und diskursiver Variation (städtische Eigenlogik!?) Es stellt sich jetzt noch einmal ganz anders und neu die Frage: Was kann Kontextualisierung für diese städtebezogene schriftkulturelle Gedächtnisgattung bedeuten? Ich habe im Theorieteil dafür plädiert, vom Dispositiv auszugehen und die Spuren des ZAD nicht auf Diskurszusammenhänge zu beschränken, d.h. allein Transkriptionen und wechselseitige Referenzen zu untersuchen, sondern außerdem die Texte in ihrer kommunikativen Funktion mitsamt den kulturellen Praktiken im städtischen Raum zu erfassen, die die Kultur des historisierenden Besichtigens in Form des Hinsehens, Wegsehens und Sehens-als anleiten. Diese erinnerungskulturellen Praktiken sind zusammen mit der Architektur und den Orten, an denen sie stattfinden, sowie den Texten, die sie vorbereiten, steuern und begleiten, Teil eines erinnerungskulturellen Dispositivs, das in der vorliegenden Studie mit dem Themenfokus Kriegszerstörung und Aufbau untersucht wurde. In einer ethnokategoriellen Formulierung erscheint die Stadt damit als „lebendiges Geschichtsbuch“ (Syring 2010:4), das den Blick auf die Architektur, ihre räumliche Nutzung, ihre Rolle als kommunikative Ressource und ihre Thematisierung im Gespräch prägt.297

297 Auch dies ließe sich interaktionslinguistisch durch Nutzungsstudien näher untersuchen, die die Verwobenheit von Bewegung, Kommunikation und interaktiver Relevantsetzung von Architektur systematisch erfassen.

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 Ergebnisse

Die Feinanalysen neuerer Reflexions- und Gebrauchstexte für die drei untersuchten Städte sollten die Realisierungsweisen eines übergeordneten Kontextualisierungsprofils veranschaulichen. Es umfasst eine Reihe kookkurrierender Kontextualisierungshinweise, die gemäß der klassischen Definition einen Kontrast aufbauen, der auf unterschiedlichen Ebenen liegen kann. Es wurden im Laufe der korpuslinguistischen Untersuchungen Ebenen auf verschiedenen Granualitätsstufen von Sprache unterschieden – ausgehend von der konkreten Lexik über Konstruktionen mit semantischen Präferenzen für einzelne Slots bis zu abstrakten Wortart-Clustern. Dabei wurden verschiedene Formen sprachlicher Kontrastivität eingesetzt. Im Zentrum standen die Fokuskonstruktionen des PVM-Komplexes, die kontrastiv zum allgemeinen Sprachgebrauch eine diskursspezifische Präferenz in der Kombination mit Präteritalformen der Modalverben können und sollen zeigen. Zusätzlich wurde abweichend von den Sprachgebrauchsmustern der öffentlichen Kommunikation eine Variante mit kursiven Verben ermittelt. Für den Abgleich wurden jeweils die DeReKo-Kookkurrenzprofile herangezogen. Kontrast hat sich auch lexikalisch gezeigt. Es wurde vielfach nachgewiesen, dass für den Aufbau kriegszerstörter Gebäude fast nie das Verb errichten verwendet wird, auch dann nicht, wenn kein einziger Stein des zerstörten Bauwerks wiederverwendet wurde. Bereits das Partikelpräfix {auf} in Aufbau impliziert die Anknüpfung an einen vormaligen Zustand. Die Einbettungen der Nomen Aufbau, Neuaufbau, Wiederaufbau und Wiederherstellung ähneln einander so stark, dass hier eine andere diskursgrammatische Strategie diese lexikalische Wahl dominiert: Sie besteht in der Nominalisierung von Aufbauverben, die musterhaft in Verbindung mit Zeiteinordnungen den Aufbau nach den Kriegszerstörungen indiziert und dabei auf globale Weise die Vorzüge fokussiert. Der diskurstypische Kontrast liegt damit nicht auf lexikalischer, sondern auf grammatischer Ebene. Er wird in der Interaktion mit verschiedenen Referenzkorpora aber auch auf der Basis der Algorithmen des Analysetools erzeugt. Dabei können sich in Kontrastanalysen verschiedenartige Muster ergeben, wie die Schlüsselwortermittlung mit wechselnden Kontrastkorpora gezeigt hat. Hier sind jeweils verschiedene themen- und gattungsbezogene Aspekte in Kontrast gebracht worden. Unabhängig davon, in welchem Stil nach dem Krieg gebaut wurde, ob vereinfacht, rekonstruktiv oder modern, ist das diskursgrammatische K-Profil als Formulierungsnetz mit redundanten Kontextualisierungshinweisen wirksam. Sie basieren auf verschiedenen sprachlichen Konnektivitätsarten. Im Sinne der Kontextualisierung entsteht eine emergente Deutung als Kontext, wobei die Indikatoren für diesen Deutungsrahmen als unbemerkte Kontextualisierungshinweise fungieren. Sie tun dies nicht über Intonation, Sprecherwechsel oder unter Rückgriff auf die multimodalen Ressourcen körperbasierter Kommunikation wie in Gesprächen. Die Unbemerktheit betrifft die Ebene der Formulierungsroutinen,

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deren Wirken als diskursgrammatische Gestaltungsweisen für das (diachrone) Entstehen und die einzeltextuelle Reproduktion des K-Profils erfasst wurde. Beide Aspekte der Kontextualisierungstheorie, die Kontrastivität zu einem oder mehreren Referenzkorpora und die Fokussierung unbemerkter sprachlicher Phänomene (verbalgrammatische Gestaltung, Valenz, Konnektoren, Framing etc.) wurden mit Blick auf die Weiterentwicklung der diskursgrammatischen Methodologie genutzt und für erinnerungskulturelle Schriftgattungen umgesetzt. Die Bindekräfte zwischen den in verschiedenen korpuslinguistischen Analysen ermittelten Phänomenen wurden in diesem letzten Abschnitt anhand von verschiedenen Konnektivitätsarten beschrieben. Zu ihrer Festigkeit tragen insbesondere reziproke Kookkurrenzbeziehungen bei, so dass Knoten (node) und Kollokator je nach Blickrichtung der Analyse wechseln. Bestimmte Slots (z.B. Vollverben) sind in ihrer Typizität durch feinere diskursanalytisch motivierte Annotationen ausgewertet worden, wobei sich inhaltlich städtespezifische Unterschiede gezeigt haben. Musterhaftigkeit wurde dabei in Abhängigkeit von der Funktionalität für das Zusammenspiel rekurrenter Phänomene ermittelt. Die einzelne Konstruktion, wie der PVM-Komplex bzw. die [VMFIN VVPP werden]Konstruktion mit verschiedenen Modalverben, besitzt ein reichhaltigeres pragmatisches Potenzial als sie im (einzelstädtischen) Diskurs einzulösen vermag. Allerdings lässt sich schwerlich behaupten, dass diese schematische Konstruktion oder allein die Präferenz für das modalisierte Passiv per se diskurstypisch wirken. Konstruktionen mit den beschriebenen Passiveigenschaften tun dies in bestimmten Einbettungen und in Verbindung mit anderen Kollokationen und Konstruktionen. Hierbei haben sich teilweise Varianten ergeben (V2-/Vl-Stellung, sollte/konnte, Numeruslizenzierung etc.). Das Konzept der Kontextualisierung lässt sich aus der diskursgrammatischen Perspektive für Schriftgattungen dahingehend präzisieren, dass nicht einzelne sprachliche Phänomene, auch nicht die Fokuskonstruktion an sich einen Kontext i.S. eines Deutungsmusters herstellen, sondern vielmehr ihre Verknüpftheit, Konnektivität und Verschachtelung mit anderen sprachlichen Einheiten Grundbedingung für die Entfaltung einer dispositivspezifischen Sichtweise auf die Vergangenheit deutscher Städte ist. Im städtischen Dispositiv stehen die untersuchten Texte in Verbindung mit Praktiken und Materialitäten, die Aussagen bilden. So kann der Appell der Ruine ähnlich wirken wie die Aufschrift auf einer Gedenktafel. Auch Beschreibungen dessen, was baulich-architektonisch sichtbar ist, können zur Wahrnehmung der Baustile anleiten, die mal als historisierend, mal als modern, als Bruch mit der Vergangenheit oder als Harmonisierung von Alt und Neu klassifiziert werden. Der diskursgrammatische Charakter der Konnektivitätstypen gründet auf ihrer Oberflächengestalt, die immer einen Ankerpunkt im Sprachlichen besitzt.

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 Ergebnisse

Dieser reicht von der Lexik über Phraseneigenschaften und usuelle Kookkurrenzen bis zu verbalgrammatischen Formen oder Kasuswahl. Grenzgänger stellen hier die Metaphern dar, die durch Wortfelder (z.B. das Verb brennen mit zahlreichen Ableitungen) oder um Schlüsselwörter herum organisiert sind (wie z.B. die Personenbezeichnung Opfer, die auch in das Phrasem zum Opfer fallen eingeht). Die quantitativen Vorstudien lieferten Anhaltspunkte für weitere methodologische Schritte einer qualitativen Analyse. In dieser Spiralisierung quantitativer und qualitativer Methoden lösen sich Potenziale der digitalen Kulturanalyse insofern ein, als Auswertungsschritte wie die Codierung von Aspektualität oder attributiver Dichte kulturanalytisch motiviert sind. Das bedeutet auch, dass sie je nach Bezugsthese aus Soziologie, Sozialpsychologie oder Medienwissenschaft auch anders gewählt werden können. Die Auswertung besitzt eine experimentelle, von explorativen Algorithmen getriebene Seite, die durch die kritische Sichtung der Treffer und durch die Identifikation von Wortverbindungen oder Konstruktionen ergänzt wird. Speziell für Konstruktionen im Sinne von Argumentstrukturen gilt, dass sie nicht nur Varianten bilden, sondern auch abstraktere Slots (POS, Aktionalität etc.) enthalten und diskontinuierlich realisiert sein können. Das manuelle Nachcodieren der in quantitativen Analysenschritten ermittelten Konstruktionen geht über die standardisierte Annotation hinaus, wie sie u.a. für semantische Rollen vorliegt. Die Anpassung des Annotationsschemas an den Forschungsgegenstand ist gerade in der diskursgrammatischen Analyse von besonderer Bedeutung, da ihr die Auffassung zugrunde liegt, dass die spezifische grammatische Verfasstheit pragmatische Markierungen beisteuert. Diese können dann in einem anderen flexivischen, morphologischen oder syntaktischen Gewand auch wieder verschwinden. Ihre Sichtbarkeit hängt von der sprachlichen Umgebung und dem gewählten Ausschnitt ab. In diesem Rahmen wurden konkrete Kodierungen der Aktionsarten und Aktionalität sowie der verbalgrammatischen Stufen der Desentenzialisierung vorgenommen. Ausgehend von Frequenzeffekten auf verschiedenen Ebenen und Abstraktionsstufen stellt das K-Profil eine Möglichkeit dar, die Serialisierung sprachlicher Phänomene zu beschreiben. Diskurstypisch ist in dieser Lesart der Diskursanalyse nicht das, was häufig auftritt, sondern das, was ineinandergreift bzw. zur Herausbildung einer übergeordneten Aussage zusammenwirkt. Ob die statistisch signifikante Kookkurrenz von zwei oder mehr Wörtern ein rekurrentes Textsegment bildet, entscheidet nicht der Computer, sondern das, was im Diskurs darüber gesagt wird. Textsegmente sind die Bausteine eines Diskurses, der sich selber immer wieder neu und durchaus widersprüchlich seine Ordnungen und Konventionen schafft. (Teubert 2013:75)

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So sind bspw. die (adverbialen) zu-Infinitive im Aufbaudiskurs auch dann noch funktional, wenn sie mengenmäßig zurückgehen. Ihre Verfestigung ist über ihre Konjunktur in einem frühen Stadium des Diskurses erklärbar. Ihre nachfolgende Konventionalisierung wirkt verfestigend, spiegelt sich jedoch nicht in der anhaltenden Frequenz wider, sondern eher im rekurrenten Vorkommen in Zusammenhängen, die die Leitbilder, Chancen und Ziele des Aufbaus kommunikativ aktualisieren. Dies ist in zahlreichen Kurzformaten allerdings nicht mehr vorgesehen. Die exemplarischen Analysen haben dahingehend gezeigt, wie sich das K-Profil aus einer Reihe verschachtelter Kontextualisierungshinweise zusammensetzt. Sie wirken im Feld der Diskursverschränkung Destroying–Building aufgrund ihrer morphosyntaktischen Eigenschaften verbindend. Es ist außerdem deutlich geworden, dass die so modellierte Konnektivität als Phänomen oberhalb des Satzes wirksam ist. Das Konzept der Valenz ist entsprechend anzupassen: Zum Beispiel können Füller verbaler Konstruktionen, die z.B. das Ausmaß der Zerstörung beschreiben, über einen ganzen Absatz hinweg aufgebaut und präzisiert werden. Aus dieser Beobachtung ergibt sich die Notwendigkeit, für die gängige Trennung von supplementären und komplementären Aktanten eine neue diskursgrammatisch gestützte Lösung zu finden. Denn es wurde nachgewiesen, dass die Musterbildung für valenzielle Verhältnisse stets medien- und diskursabhängig ist. Womöglich fußt auch das (subjektive) Grammatikalitätsurteil auf der Summe dieser spezifischen Muster. Weil Adjektive oder PPen als rekurrente und saliente Modal- und Temporalangaben für Zerstör- und Aufbauverben auftreten, liegen mit ihnen diskurstypische Valenzen für die passivische Genusvariante vor, die sich in der funktionalen Grammatiktheorie sinnvoll als Diskurssupplemente modellieren ließen. Aus dem Gesagten leitet sich das Desiderat für ein Konzept der Diskursvalenz neben der semantischen Valenz ab. Konnektivität ist Voraussetzung dafür, dass die ermittelten (potenziellen) Kontextualisierungsmerkmale zu einem Profil zusammenfasst werden. Es enthält in sich auch Umwege, Widersprüchliches und Vagheiten. Effekt der syntaktischen Verknüpftheit von Diskurseinheiten (z.B. durch die Verbindung von Frames) ist holistischer Sinn, in dem sich die kommunikative Aufgabe der Diskursfragmente kristallisiert. Insbesondere in den neueren Genres lag der Beitrag vieler ZAD-Texte zum Placemaking auf der Hand: Die Inwertsetzung der Stadt geschieht durch Sensibilisierung für die Leitbilder des Aufbaus und der Neugestaltung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus der einstigen Kritik an einer blindwütige(n) Aufbaulust als Kompensation erfahrener Schmach (vgl. Kap. 1.1) ist durch die (diskursgrammatische) Hintertür ein Stolz auf die symbolisch ausgestatteten Aufbauprojekte geworden, die wirtschaftlichen Erfolg verheißen, gemeinschaftliches (Aufbau-) Engagement dokumentieren oder Traditionen fortführen.

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 Ergebnisse

Dass Bedarf besteht, Innenstädte heute vor dem Problem der (weiteren) Abwanderung von Geschäften zu schützen und die Risiken ihrer zunehmenden Unwirtlichkeit zu verringern, ist dabei vorausgesetzt. Insofern sind Wiederaufbau-Geschichten als Formen des Placemaking zu verstehen, die einen Ort als sozialen Raum hervorbringen, dessen Nutzungs-, um nicht zu sagen Konsumwert, von der gewaltsamen Unterbrechung allen städtischen Lebens auch profitiert hat. Der Bruch bzw. die Zäsur wird narrativierend im Sinne einer günstigen Voraussetzung für den erfolgreichen Wiederaufbau kontextualisiert. Dieses Kontextualisierungsverfahren hat zur Folge, dass die Erfahrung des Bombenkriegs im kulturellen Gedächtnis verblasst bzw. in stereotypen Phrasemen wie in Schutt und Asche, dem Erdboden gleichgemacht oder zum Opfer gefallen erstarrt. Geschichtsgattungen produzieren charakteristische Kontextualisierungen sowohl in Gebrauchs- als auch Reflexionstexten. Bezogen auf das kollektive Geschichtsbewusstsein ist das K-Profil Angelpunkt grammatischer Gestaltungsweisen, in denen verschiedene Kontextualisierungsverfahren zusammenwirken. Die Übersummativität der Kontextualisierungsmerkmale zeigte sich vor allem in den Verfahren der metaphorischen Verschiebung der Stadt-Opfer-Rolle, der Naturalisierung der Zerstörungsursache sowie der Verschmelzung von Ursache-Täter-Mittel-Konzepten im überdeterminierten stark verfestigten Ausdruck Angriff. In der zentralen Konstruktion des ZAD, in die verstärkt und abweichend zum Sprachgebrauchsmuster des öffentlichen Diskurses auch kursive Verben eintreten (konnte angeknüpft, genutzt, wahrgenommen werden), entstehen sowohl Semantiken der Kontinuität als auch solche der Steigerung (konnte gesteigert werden, kann heute als eines der schönsten x angesehen werden). Schließlich wurden auch Verben festgestellt, die die Aufbauleistung als erfolgreiche Bewältigung von Hindernissen darstellen (konnte aufgebaut, bewältigt, geschaffen werden). Pragmatisch trägt der Komplex in der Variante mit sollte und musste (sollte/musste gebaut, angelegt, erweitert, gelöst werden) zur Rechtfertigung von Aufbauentscheidungen bei. Er bringt Vorwissen so in Stellung, dass eine erinnerungskulturelle Perspektive auf die verschränkten ZAD-Diskurse entsteht, die den Anschluss von Gedenkkontexten durch begriffliche Verschiebungen erschwert, die durch Mechanismen an der sprachlichen Oberfläche ausgelöst wurden. Das hervorgebrachte Wissen verschränkt somit nicht nur Diskurse durch die beschriebenen Verfahren der Frameintegration und Frameverknüpfung, es schneidet auch – wenigstens für den jeweils gegebenen Einbettungsrahmen – Diskurse durch metonymische Verschiebungen ab. Anders als in der Frameanalyse üblich, ist in der hier verfolgten diskursgrammatischen Methodologie weniger von vorgängigen Standardwerten als Wissensspeicher ausgegangen worden. Stattdessen wurde das vorausgesetzte Wissen eher als Ergebnis einer diskursiven Hervorbringung betrachtet. Denn das kul-

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turelle Gedächtnis der Städtezerstörung manifestiert sich nicht durch das bloße Aufrufen von Vorwissen, das hermeneutisch explizierbar ist. Vielmehr bringen die zunehmend verdichteten Kontexte selbst eine gewichtete und perspektivierte Erinnerung an das historische Geschehen hervor. Assmann (2009:408) setzt diese in Abhängigkeit zur Zukunftsausrichtung und zum Vergessen als Folge dieser Fokussierung. Beides lässt sich im Prozess der Verfestigung sprachlichkommunikativer Muster des ZAD wiederfinden. Die identitätsbildende Ausrichtung einer Stadt auf Werte wie Traditionsbewusstsein, Industrieentwicklung o.ä. (die innerhalb des K-Profils variieren können) soll die Stadt als Ort des Flanierens, des Konsums und der Feste attraktiv machen. Im Zuge des organisierten Vergessens zerstreut dieses Placemaking-Verfahren für den städtischen Raum die Vorstellung von den Hintergründen für die Städtezerstörung der Alliierten, die zur Reflexion einer deutschen Täterschaft im Verhältnis zur Opferrolle der Deutschen, insbesondere der deutschen Juden, führen würden. Eine wichtige Operation, die dazu beiträgt, die kanonische Interpretation des Kriegsendes als Befreiung zu blockieren, ist die Verschiebung der Aggressorrolle. Das Ursachen, Mittel und Medium verdichtende Konvertat Angriff/e mit Determinans-Wörtern wie Bomben und Brandbomben identifiziert den Angreifenden als Akteur ohne Willen und Plan. Die Wirkung ist verheerend und eingefasst in katastrophische, brand-, wasser- und wettermetaphorische Sprachbilder, die als Naturmetaphern im Barthes’schen Sinne ein Stück Geschichte in Natur verwandeln. Ihr rollenkonstitutiver Effekt besteht in einer Unschuldszuschreibung an die Gebäude und ihre Bewohner bzw. im diskurstypischen Vokabular formuliert „an die Gebäude und andere Opfer“. Das Leidensszenario des städtischen Körpers führt zu einer zweiten Verschiebung, die beim zugehörigen Opferbegriff ansetzt. Die personifizierende Übertragung der sprachlichen Opfer-Schablonen auf die Bausubstanz bleibt der Ebene der materiellen Verwüstung verhaftet und bildet – anders als vermutet – kaum die politische, moralische und psychologische Situation der zerschlagenen Hoffnung, der abgerissenen Geschichte oder der fragmentierten Kultur ab. Auch die Verwendung von Vokabeln der NS-Propaganda, z.B. die NP totale Schutträumung (PB 1955 DOK Schmidt, 18) oder die Formulierung (g)anze Stadtteile wurden ausgelöscht (MA 2013 SGp Stockert, 104) lösen für die Gedenkkultur relevante semantische Verschiebungen im ZAD-Kontext aus. Sie parallelisieren sprachlich Verbrechen des NS-Regimes mit den Wirkungen des Bombardements jener, die Deutschland von einem verbrecherischen System befreit haben. Die Beschreibungen erzeugen einen Eindruck von der Stadt am Kriegsende als Inbegriff der Tabula rasa, deren Aufbau einer staunenswerten Leistung gleichkommt, die – und dies wäre ein dispositiver Aspekt der ZAD-Kontexte – an den Resultaten ablesbar ist, die den Aufbau verkörpern und in denen er sich verselbständigt hat.

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 Ergebnisse

Sie sind das verschobene Terrain, auf dem Leid und Linderung in ein nominalisiertes Optimum münden. Parallel zu den Aufbauwerken ist von Gedenkarchitektur oder gedenkrelevanten Spuren im Stadtraum kaum die Rede. Angesichts der vorherrschenden (modalisierten) Infinitheit und der deagentiven Formen werden gedenkkulturelle Inhalte selten angebunden. Die verbalgrammatisch angelegten Aufbau-Leistungs-Steigerungs-Konstruktionen wirken identitätsbildend und kontextualisierend für die Interpretation des Aufbaus als enormes Verdienst deutscher Städte. Die Neubesetzung von Bauten als leidensfähigen Akteuren, das Stillstellen der Prozesse in der Infinitheit sowie die modal-dispositionelle und agensabgewandte Rahmung der Aufbauprozesse bilden insgesamt das diskursgrammatische Gerüst des ZAD-K-Profils für Bremen, Mannheim und Paderborn. Es bietet „Halt“ für lexikalische Ankerpunkte wie das Adverb wieder, die Metapher des Bombenhagels, die „Fähre“ zur Fokussierung der „natürlichen“ Wirkung der Bomben durch das Lexem Brand oder die adversative Konnexion, die durch Kontrastierung Sinn erzeugt und Aspekte hervorhebt wie die Leistungssteigerung, die originalgetreue Rekonstruktion oder die verkehrsgerechte Gestaltung. Gleichsam sind aber gerade nicht Lexeme die Stützpfeiler des Profils, die – im Gegenteil – auch dann, wenn sie durch ausdrucksseitige Variation wie in Wiederund Neuaufbau unterschiedliche Diskurspositionen anzeigen, innerhalb derselben diskursgrammatischen Konstellation von dieser überlagert werden. In der kookkurrenten Rumpfkonstruktion wurden vollständig zerstört, der Wiederaufbau erfolgte im ... Stil widerspricht die emergente Deutung des Aufbaus als Optimierung/Heilung/Versöhnung der Kontroverse über Leitbilder des Aufbaus, wie sie bis heute im überregionalen Diskurs anlässlich neuerer Wiederaufbauprojekte geführt wird (z.B. zum Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche). Im ZAD wird die Aufbauleistung angesichts der apokalyptischen Zerstörung für eine städtische Identitätsbildung verfügbar gemacht, die sich für Paderborn, Mannheim und Bremen in drei inhaltlichen Varianten ausprägt, die auf demselben diskursgrammatischen K-Profil aufruhen. Sie lassen sich zusammenfassend grob charakterisieren durch folgende Beschreibungen: Tradition und Bewahrung des historischen Erbes für Paderborn, diskursive Vermittlung und Ästhetisierung von Alt und Neu für Bremen sowie Modernisierung und Wachstum für Mannheim. Mit der Übernahme von Begrifflichkeiten und Formulierungsroutinen aus dem Holocaust-Gedenkkontext geht eine Abspaltung jener Verbrechen des Nationalsozialismus einher, die den Hintergrund für das Bombardement der britischen und amerikanischen Luftwaffe bilden. Insofern wird mit dem Erinnern und Gedenken im untersuchten Ausschnitt des ZAD auch ein Stück geschichtliches Vergessen organisiert, das anhand seiner formalen Bezüge zur Verfolgung und Ermordung von Juden und anderer sozialer Gruppen in ganz Europa identifiziert

Die Kontextualisierung von Zerstörung und Aufbau 

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wurde, das aber in dieser diskurslinguistischen Arbeit nicht annähernd so detailliert behandelt werden kann wie innerhalb des zeitgeschichtlichen Historikerdiskurses. Die Diskursverschränkung aus Kriegszerstörung und Aufbau deutscher Städte nach dem Zweiten Weltkrieg wird somit von einer Entkopplung des Opferdiskurses begleitet. Sie erklärt zugleich die tief in die Formulierungsweisen eingelassene Schwierigkeit, angesichts der Neubesetzung des Gedenk- und Erinnerungsvokabulars im Diskurs der Städtezerstörung der Opfer des Völker- und Massenmords zu gedenken und den Hintergrund nationalsozialistischer „Gräueltaten“ erinnerungskulturell zu reflektieren. Wenn Welzer (2010:o.S.) feststellt, dass Zukunft, Zukunftsorientierung oder gar Zukunftserfindung Vergangenheit erst verstehbar macht, ist damit das vielfach beschriebene Gedenkmotiv eingeschlossen, sich an Vergangenes zu erinnern, um einen Zukunftshorizont zu skizzieren. Denn erst die Zukunftsorientierung motiviert Geschichtsbewusstsein. Im Rahmen der Gebrauchstexte des K-Profils tritt hierbei das Moment des Katastrophischen als Ausgangspunkt einer sich quasi automatisch fortsetzenden Erfolgsgeschichte des Aufbaus in den Vordergrund.

Abb. 41: Inschrift auf der Südseite des Paderborner Doms: Zum Gedenken 11. Jan 22. März 29. März 1945. Foto: privat im Juni 2020

Die Frage nach der Konventionalisierung des kulturellen Gedächtnisses der Städtezerstörung in den neueren Gebrauchstextsorten kann dahingehend beantwortet werden, dass in den komprimierten Formaten keinerlei Hinweise dafür

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 Ergebnisse

zu finden sich, dass die rassistische, nationalisistische und kriegsauslösende Aggressionspolitik des NS-Regimes im weiteren Gedenkkontext als Standardwert für das Textverständnis aufgerufen wird. Die Zeit- oder Ereignisbezeichnungen und die Reduktionsformen erinnerungskultureller Texte weisen keine Spuren von Wissensinhalten auf, die das Bewusstsein über das historische Geschehen in der einen oder anderen Weise wachhalten oder schärfen. Abschließend sei ein steinerner Zeuge zitiert (vgl. Abb. 41), der das Gedenken auf seinem wiederaufgebauten Kirchenkorpus in Form einer PP trägt: zum Gedenken 11. Jan 22. März 29. März 1945. Der Paderborner Dom verkörpert damit das Leid dieser Tage mit den drei schwersten Luftangriffen auf die Stadt und weitet den semantischen Horizont des Gedenkens aus. Gemeint ist sein eigenes „Leid“, das Leid der Bombentoten und wohl auch das Leid aller ermordeter Stadtbewohner? Oder aller Opfer des Zweiten Weltkriegs?

8 Schluss und Ausblick „Der Anfang nach dem Ende“, „Paderborn kaputt“, „Die Totalzerstörung“ – unter solchen Titeln beginnen deutsche Städte ab 1945 die Kriegszerstörung durch britische und amerikanische Bombentreffer zu verarbeiten. Was sich dabei ergibt, ist eine Mischung aus wehmütigen Blicken in die Vergangenheit, optimistischen Zukunftsentwürfen und einer umfassenden Neuorientierung in Architektur und Gesellschaft. Bremen, Mannheim und Paderborn waren den Bombardements infolge der Kriegsentwicklung ab 1940 unterschiedlich stark ausgesetzt. Während sich in Mannheim die Kriegsschäden auf die Industriebereiche konzentrierten, hatte Bremen hohe Verluste auch im Innenstadtbereich zu verzeichnen. Paderborns Altstadt gilt als fast vollständig zerstört (zu knapp 90 Prozent). Neben dem unterschiedlichen Zerstörungsrad unterscheiden sich Bremen, Mannheim und Paderborn zudem in ihrer Größe, ihrer Geschichte als Arbeiterstadt, Industriezentrum und mittelalterliche Metropole und nicht zuletzt zeigen die drei Großstädte in der Nachkriegszeit ganz unterschiedliche politische und demografische Profile. In der vorliegenden Studie wurde danach gefragt, inwiefern die Städte eigene Sprechweisen entwickelt haben, um das Zerstörungsereignis zu bewältigen und den Aufbau mit all seinen Vorzügen (z.B. die verkehrsgerechte Gestaltung) und Nachteilen (z.B. den Verlust bedeutender Bauwerke durch Nichtinstandhaltung und nachträglichen Abriss) zu beschreiben. Angesetzt wurde bei den unbemerkten sprachlichen Mustern, die sich von 1945 an in Sachtexten zur Stadtgeschichte herausgebildet haben. Insgesamt konnte gezeigt werden, wie die eher unauffällige grammatische Musterbildung in der Diskursverschränkung aus Städtezerstörung und Aufbau zur Konstitution kollektiver Gedächtnisinhalte beiträgt. Geschichtsbilder, die über Nebenbei-Medien wie Apps, Webseiten oder Broschüren generiert werden, wirken wie ein Brille für die Wahrnehmung: Die Stadt erscheint in einer Kontinuitätslinie mit ihren ästhetisch aufgeladenen mittelalterlichen, barocken oder gründerzeitlichen Traditionen, die in deontischer Weise präsentiert werden: Man soll sie schön finden. Doch was sich hinter dem gemischten Gebäudebestand verbirgt, ist oft das Zugleich des Ungleichzeitigen, das Ergebnis auch von kontroversen Debatten über Neubaukriterien: rekonstruktiv vs. modern, klassisch vs. funktional, autofreundlich vs. umweltverträglich etc. Wenn von der Kriegszerstörung im Modus des Geschehens erzählt wird, wird Geschichte zu einem quasi-naturhaften Sich-Ereignen mit angedeuteten Akteuren als Aggressoren (z.B. im alliierten Bombenangriff). Die Angriffe werden damit von jenen geschichtlichen Hintergründen abgeschnitten, die einen Teil der Städtebewohner selbst als Mitverantwortliche an der Katastrophe ausweisen müssten, so sie dem nationalsozialistischen Regime nahestanden und Hitlers https://doi.org/10.1515/9783110691580-008

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 Schluss und Ausblick

Eroberungskrieg begrüßt haben. Im sprachlichen Duktus bleibt es eine Katastrophe ohne Handelnde, ein Stück Ereignisgeschichte ohne Bezug auf die geschichtlichen Zusammenhänge. Diese ins Bewusstsein zu bringen, würde einen Beitrag zur gelebten demokratischen Kultur in der Stadt bedeuten. Das Image der untersuchten Städte ist von Debatten über die Stadtentwicklung und vom Stadtmarketing abhängig. Bremen als gewerkschaftlich aktive Arbeiter- und Hansestadt, Mannheim als multikulturell und künstlerisch geprägte Industriestadt und Paderborn als „musealer“ Ort für sakrale, mittelalterliche und Renaissance-Bauten konstituieren sich über verschiedene Aktivitäten wie Ausstellungen oder Gästeführungen. Trotz der Unterschiede, die sich auch in der Bezeichnung Wiederaufbau (Paderborn) und Neubau/Aufbau (Bremen, Mannheim) niederschlagen, wurden für die drei Städte ähnliche Formulierungsroutinen für die Verbindung der Themen Zerstörung und Aufbau nachgewiesen. Im Zerstörungsdiskurs wird ein „städtischer Körper“ Opfer von Bombenangriffen. Passivformulierungen und Nominalisierungen setzen den Grad der Zerstörung relevant. Er weist die semantische Präferenz ‚enorm’ auf, d.h. es handelt sich um große, erhebliche, vollständige Zerstörungen. Die verursachende Instanz wird attributiv als Aggressor versprachlicht (die Bombenangriffe der RAF, die alliierten Angriffe). Für den Aufbau erweist sich der (passivische) Modalverbkomplex als typisch, um das Gelingen anzuzeigen: ein Bauwerk konnte wiederhergestellt, verkehrsgerecht gestaltet oder in moderner Form wiederaufgebaut werden. Mit dieser unbemerkten grammatischen Wahl, die sich in der erinnerungskulturellen Texttradition verfestigt hat, werden manche Aspekte der Stadtgeschichte sprachlich marginalisiert: Alternative Aufbau-Entwürfe, nicht aufgebaute Bauwerke, Strittigkeiten in der Frage des Wiederaufbaus sowie Ursachen und Hintergründe der Zerstörung. In der Diskurslinguistik wurden bisher brisante Diskurse (z.B. Migration, Stammzellforschung) von ihren Schlagwörtern und Metaphern her beschrieben (z.B. Flüchtlingswelle, Lebensbeginn). Die vorliegende Studie präsentiert dagegen eine konsequent an grammatischen Varianten ausgerichtete Vorgehensweise, die dank der weitreichenden Möglichkeiten zur digitalen Textauswertung unter vielfältigen korpuslinguistischen Aspekten vollzogen wurde (Schlüsselwörter, Wortcluster, statistisch signifikante Partnerwörter, Konkordanzen zu ausgewählten Suchbegriffen, abstrakte POS-Cluster, systematische Slot-Auswertung in Wortgruppen). Die identifizierten Musterbildungen für die Themen Zerstörung und Aufbau wurden jeweils in die Belege zurückgespiegelt, so dass sich das zentrale Ergebnis der Studie auf ihre Verknüpfung richten konnte: Zerstörung wird grammatisch so perspektiviert, dass sie aus der Sicht eines gelungenen Neu-/Wiederaufbaus „erzählt“ wird. Die perspektivierenden Formen (Passivkonstruktionen, Funktionsverbgefüge etc.) wurden in ein Kontextualisierungsprofil eingetragen,

Schluss und Ausblick 

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mit dem deutlich wird, dass sich grammatische Phänomene nicht losgelöst von Diskursen, sondern vielmehr diskursspezifisch ausprägen. Die digitale Textauswertung (Data Mining und Corpus-driven-Ansätze) benötigt Methodenreflexion. Gefragt sind Methodologien, die die Ergebnisse der digitalen Mustererkennung einordnen und interpretieren und auf dieser Basis neue Annotationen (Textauszeichnungen) und Suchanfragen motivieren. In der Korpus- und Diskurslinguistik wird das Potenzial der frequenz- und wahrscheinlichkeitsbasierten Auswertung von Diskursen bereits dahingehend genutzt, dass Einzelphänomene erfasst und in ihrer Typizität für Diskurse beschrieben werden. Die vorliegende Studie macht einen Vorschlag zur Beschreibung korpuslinguistisch erfasster Merkmale in ihrem Zusammenspiel und Zusammenwirken für ein diskursives Deutungsmuster und identifiziert anhand von diskursgrammatischen Perspektivierungen das „Phönix aus der Asche“-Narrativ als vorherrschendes Deutungsmuster für die drei untersuchten städtespezifischen Zerstörungs- und Aufbaudiskurse. Dabei lässt sich das Narrativ gerade nicht oder nicht in erster Linie am Wortschatz festmachen, ja wird sogar im Diskurs metakommunikativ zurückgewiesen. Das Deutungsmuster entsteht vielmehr durch die ereignismodellierende Wirkung grammatischer Varianten. Die Studie versteht sich damit als Beitrag der Diskursgrammatik zur Ausgestaltung einer digitalen Hermeneutik. Die Beschreibung der Musterbildung in Form von K-Profilen steht in einer Spannung zur Heterogenität der Einzelbelege. Es entstehen Brechungen aufgrund von Akteurspositionen, Gattungsmerkmalen oder Medienbezügen. Als prävalentes Muster der Diskursverschränkung stellte sich die Kombination aus passivischem Zerstören (wurde zerstört) und nominalisiertem (der Aufbau) oder modalisiertem Aufbau (konnte aufgebaut werden) heraus, die je nach Gattung, Textumgebung und Situation Abweichungen unterworfen ist. Die Varianz richtet sich nach den jeweiligen Verfahren, die z.B. für Gattungen der Kürze oder ortsfeste Texte kennzeichnend sind. Varianz kann auch dadurch entstehen, dass für einzelne Formate Vorgaben existieren, so z.B. das historische Präsens für die Stelentexte zur Mannheimer Stadtgeschichte. Dies zeigt, dass es auf Formulierungsebene viele Faktoren gibt, die Variation bewirken, so dass das Prozessieren von K-Profilen nur als verfestigende und Wandel bedingende Wiederholung vorstellbar ist. Der Wiederaufbau wird insgesamt nicht als Ergebnis diskursiver Kräfte präsentiert, sondern als „gegeben“. Durch diese Perspektivierung wird die (architektonische) Gestaltungsfreiheit für die Zukunft kaum bewusst. Zerstörungsereignisse und ihre historischen Zusammenhänge verschwinden hinter einer Inszenierung der Aufbauwerke als Architekturen des Wohlstands. Dieses Deutungsmuster trägt zur Identitätsbildung der Städte bei, um nicht zu sagen: wird für ihr Placemaking (in einem dispositiv-strategischen Sinne) instrumentalisiert.

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 Schluss und Ausblick

In der diskurgrammatischen Analyse der städtespezifischen Kommunikate zu Zerstörung und Aufbau hat sich herausgestellt, dass das ZAD durch diverse Verschiebungen gekennzeichnet ist, durch die das Ereignis der Städtezerstörung als fundamentale Leiderfahrung nicht nur abgemildert, sondern auch von seinen historischen Bedingungen abgekoppelt wird. Die Kontextualisierung auf morpho-syntaktischer Ebene ebnet einem Deutungsmuster den Weg, in dem Schuld und Scham durch Anklage und Aufbauaktivitäten zugedeckt werden. Der Schuldkomplex zielt insbesondere auf die Verantwortlichkeit für die Ermordung von sechs Millionen europäischer Juden, und die Scham entsteht aus der Zustimmung und dem (teilweise zum Schein und rein strategisch aufrecht erhaltenen) Anschluss an das verbrecherische Hitler-Regime. Die Anklage richtet sich gegen die alliierten Streitkräfte mit ihrem Luftkrieg über Deutschland als Ursache für Bombenopfer und zerbombte Städte und trifft oft in einer Doppelnarration mit der Leistungsdemonstration auf, die einem rasanten und moderneren Wiederaufbau verpflichtet ist. Eine der Grundannahmen der vorliegenden Arbeit lag darin, dass die im K-Profil indizierte Deutung aus der Interaktion lexikalischer und grammatischer Elemente hervorgeht. In verschiedenen analytischen Granularitätsstufen, von Schlüsselwörtern und Clusterbildung ausgehend bis zum abstrakten POS-Muster, wurden Wortverbindungen, Konstruktionen, Verbalkomplexe und valenziell verbundene Einheiten in ihrer Verknüpftheit durch verschiedene ausdrucksbasierte Konnektivitätstypen diskursgrammatisch gefasst. Den Ausgangspunkt der Beschreibung bildeten die Fokuskonstruktion des PVM-Komplexes und die über die Satzgrenze hinausweisenden Formulierungsroutinen aus Vorgangspassiv und Nominalisierung mit den reziprok kookkurrenten Formen zerstört und Wiederaufbau (samt Varianten) als Kernen. Die kanonische Kritik an der Ereignisbezeichnung der Stunde Null hat die Deutung des Kriegsendes als Bruch und als Untergang des NS-Regimes zwar auf der Ebene der Aussagen und Propositionen verabschiedet. Mit der vorgefundenen diskursgrammatischen Strategie tritt jedoch ein Deutungsmuster zutage, das die Transformation weniger als Wende oder Neubeginn, und vielmehr als von den Kriegs- und Vorkriegsereignissen abgetrennten Prozess der Erneuerung hypostasiert. Doch es ist eine Erneuerung ohne Befreier, eine Leistungssteigerung ohne vorausgegangene Niederlage und eine Katastrophe ohne erkennbares Ursachenprofil. Das einende „Phönix aus der Asche“-Narrativ rückt in den Stadtgeschichtstexten dieser drei Städte jeweils die eigenlogische Entwicklungskraft der Stadt in den Vordergrund. Dem Konzept der Zerstörung ist der Neu- und Wiederaufbau eingeschrieben. Die Zerstörung erst hat es ermöglicht, moderne städtebauliche Leitbilder umzusetzen. Sie lassen semantisch die numerische Zäsurbezeichnung 1945 und den Ereignisnamen Zweiter Weltkrieg als Bedingung der imagestützenden Auf-

Schluss und Ausblick 

 499

bauaktivitäten in Erscheinung treten. Der Destroying-Frame, seine Entfaltung und die Art und Weise, wie er mit dem Building-Frame verknüpft ist, rücken die Architektur weniger als Medium des Gedenkens in den Blick. Vielmehr gerinnt es zum Zeichen einer städtischen Identität, das von neuen Nutzungskonzepten wie Funktionsteilung, Auflockerung etc. bestimmt ist. Insofern sind die Beschreibungen zur Stadtgeschichte nicht vom materiellen Stadtraum getrennt, sie ragen wörtlich in ihn hinein, verbinden sich mit anderen Materialitäten zu neuen Sichtbarkeiten und machen als Dispositiv aus den Städten „Maschinen“ des Erinnerns und Vergessens. Die materielle Seite des Dispositivs könnte weiterführend vor Ort in den kommunikativen Bezügen zur Architektur mittels Foto- und Videografie erfasst werden. Eine solche Studie zum kommunikativen Gedächtnis würde Nutzungsweisen im Innenstadtbereich anhand verschiedener Interaktionstypen in den Blick nehmen, darunter klassische Gästeführungen oder Gespräche während der (gemeinsamen) Anwendung mobiler Städte-Apps. Hierbei ist vor allem interessant zu betrachten, wie die Formen der Erinnerungsarchitektur und die Spuren, die den Stadtraum als geschichtlichen Raum lesbar machen, durch die vorgefundenen sprachlichen Muster im ZAD kommunikativ aktualisiert werden. Dies geschieht auf Diskursebene durch die Einsetzung von Gebäuden als Gedenkappellen wie im Falle der Berliner Gedächtniskirche. Auf Gesprächsebene werden Gegenstände des Wissens und Erinnerns ko-konstruktiv bestätigt bzw. verändert. Auch hier sind abhängig von Sprechergruppen weitere kommunikative Transkriptionen des städtischen Placemakings zu erwarten, die mit konversationsanalytischen Methoden die Relevanz des K-Profils für die Kommunikation in der Stadt überprüfen könnten. In der Ausweitung der vorliegenden Studie hin zu einer multimodalen Dispositivanalyse wäre für die schriftbasierten Belege eine Klärung vonnöten, welche musterhaften Kombinationen von Texten und Bildern die gängigen Narrative perpetuieren. Greifen Illustrationen und Bebilderungen ähnlich wie die sprachlichen Reduktionsformen auf Standardwerte der Wissenskommunikation zum Zweiten Weltkrieg zurück? Weil Standardwerte vielfach für das Verstehen der Zusammenhänge im ZAD gerade nicht rekonstruierbar sind und somit ein implizites Geschichtswissen weder aufgerufen noch voraussetzen, ist für diesen Diskurszusammenhang von einer Enthistorisierung der Epochenzäsur 1945 auszugehen. Die Zerstörungs- und Aufbaunarrationen im Dispositiv setzen nicht die historischen Inhalte relevant, die tiefer gehende Auseinandersetzungen über den Verlust des kulturellen Erbes, seinen Hintergrund und seine Symbolik für die Vergegenwärtigung von Vergangenheit im heutigen Stadtbild bieten. In einer sprachvergleichenden Perspektive stellt sich die Frage, ob sich für diese vorgefundenen unauffälligen Formulierungsroutinen in Stadtgeschichtskorpora anderer kriegs-

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 Schluss und Ausblick

zerstörter Städte oder für angrenzende Diskursthemen wie z.B. zur Entwicklung des Rechtsstaates ähnliche Musterbildungen finden. Obwohl die Musterbildung im ZAD in vielfältiger Variation aufgezeigt wurde, konnten für die drei Städte keine Gegenbeispiele zu dieser erinnerungskulturellen Kontextualisierung der Zerstörung als Bedingung für den gelungenen Wiederaufbau gefunden werden. Es waren über den rein korpuslinguistischen Zugang keine Spuren eines alternativen Bewältigungsprozesses erkennbar. Auch könnten sich andere Verständnisse über die Architektur als Medium, sozusagen als architektonische Chiffre der Erinnerung, Bewältigung, Lehre aus der Geschichte veräußerlichen. Doch wie müssten Narrative diskursgrammatisch gestaltet sein, wenn sie Anlässe bieten sollen, die geschichtliche Hintergründe zu explizieren und dabei so zur Sprache zu bringen, dass Erinnerung nicht in Formeln erstarrt? Das K-Profil müsste vermutlich in Richtung Finitheit, Agenshaftigkeit und Explizitheit in der Prädikation umgestaltet werden, d.h. weniger attribuierungs- und präsuppositionsreich formuliert sein. So ergäbe sich die Chance, im Zuge eines verantwortungsbewussten Umgangs mit der Rolle der Deutschen zwischen 1933 und 1945 den Bombenkrieg als Endpunkt des Wirkens eines verbrecherischen Regimes in ganz Europa aufzufassen, um das Deutungsmuster der Befreiung oder Wende auch grammatisch-strukturell zu realisieren. Zur Beantwortung dieser Fragen ließe sich bei den Blockierungen ansetzen, die aus dem Opferbild einer „verwundeten“ Stadt hervorgehen und die durch die naturkatastrophische Rahmung der Zerstörungsereignisse und eine Analogisierung des Aufbaus als zweiter Zerstörung gestützt werden. In jedem Fall wäre die Sichtbarmachung der Vor- und Nachkriegsdiskurse zu Krieg und Vergangenheitsbewältigung darauf angewiesen, den Aufbau als kontingentes Produkt gesellschaftspolitisch, stadtplanerisch u.a. motivierter Entscheidungen zu präsentieren. Insofern brauchen wir nicht eine völlig neue „Sprache“ der Erinnerungskultur oder mehr Sprachbewusstsein über eingeschliffene Formulierungsweisen. Wünschenswert wäre eher ein Mehr an Explikation, an Benennung von Akteuren und Darstellung von Kausalitäten. So unvorstellbar es angesichts des Medienechos erscheint, dass es über die umstrittene Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonskirche irgendwann heißt: ihr Wiederaufbau sei erfolgt – so wenig wünschenswert mag es sein. Denn gerade in der Diskussion über die Symbolik dieses Ortes als Versöhnungsort, über die Bedeutung dieser Kirche als Wallfahrtsort der Nationalsozialisten oder als Wiege der Kirchenmusik zeigt sich: Was Orte für die Zukunft bedeuten und welche Erinnerungen mit ihnen geweckt und aufrechterhalten werden, entscheidet sich auch über die zur Verfügung stehenden „Halbfertigprodukte“ sprachlicher Routinen für städtische Erinnerungsdiskurse.

9 Literaturverzeichnis Korpusübersicht (Quellen) Teilkorpus „Paderborn“ Geschichtspulte und -tafeln (GED, PUL)

PB 1996 GED Puvogel Ortsfeste Texte (meist auf Tafeln und Steinen) zum Gedenken an die jüdischen Opfer, dokumentiert in: Puvogel, Ulrike und Martin Stankowski (1996): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. 2., überarbeitete und erweiterte Aufl. Bd. 1. Bundeszentrale für politische Bildung. Berlin. PB 2005–13 PUL Müller Paderborner Geschichtspulte aus der Reihe „Erinnern und Gedenken – Die Zerstörung der Stadt im Zeiten Weltkrieg“ (Tafel 1–16 und 18) und zum Schicksal Paderborner Juden im Zweiten Weltkrieg unter dem Titel „Erinnern und Gedenken“ (Tafel 17, 19, 20–21) 2005–2007–2013. Autoren: Rolf-Dietrich Müller, Historiker und ehemaliger Leiter des Stadtarchivs Paderborn; Andreas Gaidt, Historiker im Stadtarchiv Paderborn sowie Paderborner Geschichtspulte aus der Reihe „Zeitgeschichte. Stadt Paderborn – früher und heute“ (Tafel 22–35) 2013. Autoren: Rolf-Dietrich Müller, Historiker und Leiter des Stadtarchivs Paderborn; Andreas Gaidt, Historiker im Stadtarchiv Paderborn; Klaus Hohmann, Heimatverein Paderborn (Tafel 36–41)

Broschüren (BRO)

PB 2005 BRO Stadt Stadt Paderborn (2005): Erinnern und Gedenken – Die Zerstörung der Stadt vor 60 Jahren. Broschüre im Gedenkjahr. Paderborn. (auch als pdf auf der Webseite der Stadt Paderborn verfügbar). PB 2008 BRO Verkehrsverein Verkehrsverein Paderborn e.V. (Hrsg.) (2008): Historischer Stadtrundgang Paderborn. Vielfalt, die für sich spricht. Paderborn: Media-Print. PB 2009 BRO Liborius Stadtarchiv Paderborn und Amt für Öffentlichkeitsarbeit und Stadtmarketing Paderborn (Hrsg.) (2009): Paderborn in historischen Fotografien 1. Libori – Facetten des Paderborner Volksfestes. Texte: Andreas Gaidt. Marsberg. PB 2011 BRO Schäfer Schäfer, Karl-Heinz (2011): Sehenswertes Paderborn. Gästeführerinnen und Gästeführer präsentieren ihre Stadt. 2. Aufl. Paderborn: „Das Heft“-Zeitschriftenverlag. PB 2014 BRO Baukultur Stadt Paderborn (2014): Baukulturatlas Paderborn, Paderborn: Westfalia Druck.

Ausstellungskataloge (KAT)

PB 1979 KAT Stadtarchiv Stadtarchiv Paderborn (Hrsg.) (1979): 700 Jahre Paderborner Rathaus. Ereignisse und https://doi.org/10.1515/9783110691580-009

502 

 Literaturverzeichnis

Episoden der Stadtgeschichte. Katalog zur Ausstellung des Stadtarchivs im Museum für Stadtgeschichte Paderborn vom 21. Oktober bis 2. Dezember 1979. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung. PB 1987 KAT Stambolis Stambolis, Barbara/Hüser, Karl/Riesenberger, Dieter/Graen, Monika/Säuberlich, Hartmut/Müller, Rolf-Dieter/Stadt Paderborn und Universität-Gesamthochschule Paderborn (Hrsg.) (1987): Paderborn 1945–1955: Zerstörung und Aufbau. Ausstellung in der Städtischen Galerie Paderborn vom 13.12.1987–31.01.1988. Paderborn: Paderborn Druck Centrum. PB 1995 KAT Museen Städtische Museen und Städtische Galerie Am Abdinghof (1995): Paderborn 1945. Leben im Nationalsozialismus und im Krieg; Ausstellung der Städtischen Museen, des Stadtarchivs und der Volkshochschule Paderborn, städtische Galerie am Abdinghof 26.3.–25.6. Paderborn: Bonifatius-Verlag. PB 2008 KAT Gaidt Gaidt, Andreas im Auftrag der Stadt Paderborn, Stadtarchiv (Hrsg.) (2008): Albert Renger-Patzsch zum 111. Geburtstag. Die Paderborner Aufnahmen. Eine Ausstellung des Stadtarchivs Paderborn im Museum für Stadtgeschichte vom 20.01. bis 6.04.2008. Bonn: VG Bild-Kunst.

Dokumentationen und Berichte (DOK)

PB 1955 DOK Schmidt Schmidt, Willi (1955): Stadt Paderborn. Ein Jahrzehnt Aufbau und Planung 1945–1955. Mit einem Geleitwort von Christoph Tölle. Stuttgart. Wirtschafts-Monographien: Bd. 10. Stuttgart: AWAG Verlag Max Kurz KG. PB 1989 DOK Stambolis Stambolis, Barbara und Karl Hüser (1989): Nachkriegszeit – Aufbaujahre 1945–1955. Paderborn. Geschichte in Bildern, Dokumenten, Zeugnissen. Eine Schriftenreihe der Stadt Paderborn, herausgegeben von Wilhelm Ferlings, Georg Hagenhoff und Franz-Josef Weber. Heft 4, Paderborn: Bonifatius. PB 1991 DOK Hüser Hüser, Karl und Barbara Stambolis (1991): Unter dem Hakenkreuz: Im Gleichschritt, marsch! 1935 – 1945. Paderborn. Geschichte in Bildern, Dokumenten, Zeugnissen. Eine Schriftenreihe der Stadt Paderborn, Heft 3, 2. Aufl. Paderborn: Bonifatius. PB 2012 DOK Verein Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Paderborn e.V. (Hrsg.) (2012): Für ein erneuertes Verhältnis von Christen und Juden. 25 Jahre Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Paderborn e.V. Paderborn: Bonifatius Druck.

Bildbände (BIB)

PB 1983 BIB Dressler Dressler, Günther/Lindemann, Otto/Korn, Sigwart/Sack, Manfred (1983): Veränderungen. Bilder aus Paderborn 1937–38/1979–83. Paderborn: Verlag Bonifacius Druckerei. PB 1985 BIB Golücke Golücke, Friedhelm (Hrsg.) (1985): Paderborn – wie es war. Lichtbilder aus der Zeit vor 1945 von Wilhelm Lange, Paul Michels u.a. Paderborn: Schöningh.

Literaturverzeichnis 

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PB 2002 BIB Vogt Vogt, Ulrich (2002): Farbiges Paderborn – einst und jetzt. Spurensuche in einer alten Stadt mit Farbfotos von 1937, 1981 und 2002. Paderborn: H&S Verlag. PB 2003 BIB Linde Linde, Roland und Andreas Neuwöhner (2003): Paderborn – ein verlorenes Stadtbild. Gudensberg-Gleichen: Wartberg.

Stadtführer (STF)

PB 1968 STF Hohmann Hohmann, Friedrich Gerhard (1968): Paderborn – alte Stadt an hundert Quellen. Führer durch das alte und neue Paderborn. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung. PB 1985 STF Maasjost Maasjost, Ludwig (1985): Paderborn heute: Geographie, Geschichte, Kultur und Wirtschaft. Paderborn: Schöningh-Verlag. PB 1987 STF Hohmann Hohmann, Friedrich Gerhard (1987): Die Stadt Paderborn mit Bildern von Heinz Bauer. 4. neubearb. Aufl. Paderborn: Bonifatius-Druckerei Paderborn.  PB 2004 STF Fischer Fischer, Anette (2004): Paderborn. Paderborn: Bonifatius. PB 2006 STF Walder Walder, Achim (2006): Sehenswertes in Paderborn und Umgebung. Walder Reiseführer. Kreuztal: Walder-Verlag. PB 2013 STF Imhof Imhof, Michael (2013): Paderborn Stadtführer. Paderborn: Michael Imhof Verlag.

Unterrichtsmaterialien (DID)

PB 1991 DID Düsterloh Düsterloh, Diethelm (1991): Paderborn – Vom Werden und Wachsen unserer Stadt. Materialien, Unterrichtsentwürfe, Arbeitsmittel. Paderborn: Universität-Gesamthochschule Paderborn. PB 1992 DID Klönne Klönne, Arno (Hrsg.) (1992): Unser Paderborn. Bausteine der Stadtentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert; für den Sachunterricht. Borchen: Janus-Druck. PB 1999 DID Dressler Dressler, Günther (1999): Treffpunkt Paderborn. Wo 799 das Tor zum römisch-deutschen Kaisertum aufgestoßen wurde. Paderborn: H&S Verlag. PB 2003 DID Runte Runte, Markus (2003): Geheimnisvolles Paderborn – eine Entdeckungsreise mit Bobby und Molly. Kassel: Geheimnisvoller Verlag.

Stadtgeschichte – Populäre Darstellung (SGp)

PB 1969 SGp Tack Tack, Wilhelm (1969): Paderborn, die alte Stadt: eine Auswahl kunst- und kulturgeschichtlicher Veröffentlichungen. Aus dem Nachlass herausgegeben von Klemens Honselmann. Selbstverlag des Altertumsvereins.

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 Literaturverzeichnis

PB 2000 SGp Pöppinghege Pöppinghege, Rainer (2000): Leben an der Pader. Alltag in Paderborn 1914–1960. Erfurt: Sutton. PB 2001 SGp Flüter Flüter, Karl-Martin (2001): Paderborn – Streifzüge durch die Geschichte. Paderborn: TAKT-Verlag. PB 2005 SGp Kühne Kühne, Hans-Jörg (2005): Der Tag, an dem Paderborn unterging. Gudensberg-Gleichen: Wartberg. PB 2005 SGp Faassen Faassen, Dina van/Köllner, Manfred/Linde, Roland (2005): Paderborn von A bis Z. Paderborn: Bonifatius.

Stadtgeschichte – Fachlich fundierte Darstellung (Experten) (SGe)

PB 1949 SGe Kiepke Kiepke, Rudolf im Auftrag der Stadt Paderborn (Hrsg.) (1949): Paderborn: Werden – Untergang – Wiedererstehen. Künstlerische Gestaltung Heinrich Niedieck. Paderborn: Bonifacius. PB 1951 SGe Kiepke Kiepke, Rudolf (1951): Schicksalschronik einer Stadt. 2. Aufl. Paderborn. PB 1980 SGe Claus Claus, Rainard/Fricke, Hans-Werner/Kühlert, Andreas u. a. (1980): Die Luftangriffe auf Paderborn 1939-1945. Paderborn: Selbstverlag. PB 1984 SGe Mues Mues, Willi (1984): Eine Dokumentation über das Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen Lippe und Ruhr, Sieg und Senne. 3. Aufl. Erwitte, Lippstadt. PB 1988 SGe Naarmann Naarmann, Margit (1988): Die Paderborner Juden 1802–1945. Emanzipation, Integration und Vernichtung, Paderborn: Verein für Geschichte an der Universität-GH-Paderborn. (Paderborner Historische Forschungen Nr. 1) PB 1999 SGe Hüser Hüser, Karl (Hrsg.) (1999): Das 19. und 20. Jahrhundert. Traditionsbildung und Modernisierung. Paderborn. Geschichte der Stadt in ihrer Region. Bd. 3. Paderborn/München/ Wien/Zürich: Schöningh. PB 2008 SGe Grabe Grabe, Wilhelm (Hrsg.) (2008): „Das ewig denkwürdige Jahr“. Das Kriegsende 1945 im Kreis Paderborn. Schriftenreihe des Kreisarchivs Paderborn, daraus Pöppinghege (7–24), Golücke (25–44) und Becker (45–52) PB 2008 SGe Westhoff Westhoff, Stefan (2008): Das Kriegsende in Paderborn. Die letzten 11 Tage vom 22. März bis zum 1. April 1945. Norderstedt.

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Hypertexte zur Stadtgeschichte (HYP)

PB HYP City Paderborn City-Portal, www.paderborn.de (zuletzt abgerufen am 19.03.2020)298 PB HYP Dom Der Dom http://www.derdom.de/Die-Schande-von-Paderborn.226.0.html (zuletzt abgerufen am 31.08.2016) PB HYP Erzb Erzbischöfliche Akademische Bibliothek Paderborn http://www.eab-paderborn.de/ (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) PB HYP Feuer Kreisfeuerwehrverband Paderborn Artikel „Die schweren Luftangriffe auf Paderborn im 2. Weltkrieg“ http://www.kfv-paderborn.de/index.php/verband/history/11-die-schwerenluftangriffe-auf-paderborn-im-2-weltkrieg (zuletzt abgerufen am 31.08.2016) PB HYP Hase Drei-Hasen-Rallye zum Buch „Paderborn – einst und jetzt“ von Ulrich Vogt, http:// altpaderborn.de/start.html (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) PB HYP Heimat Heimatverein Paderborn, http://heimatverein-paderborn.de/ (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) PB HYP Land Paderborner Land http://www.paderborner-land.de/deu/ausflugsziele/marktkirche.php (zuletzt abgerufen am 31.08.2016) PB HYP Libo Liborianum http://www.liborianum.de/Unser-Haus/Unsere-Geschichte/Zerstoerung-undWiederaufbau-der-Kapuzinerkirche-1945-1952.html (zuletzt abgerufen am 27.08.2016) PB HYP Museum Museum für Stadtgeschichte Artikel „Paderborn im Bombenkrieg“ http://www.paderborn. de/microsite/adam_eva/stadtgeschichte/109010100000031217.php (zuletzt abgerufen am 27.08.2016) PB HYP Westf Internetportal „Westfälische Geschichte“ http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/ portal/Internet/input_felder/langDatensatz_ebene4.php?urlID=41&url_tabelle=tab_ websegmente (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) PB HYP Wiki Wikipedia: „Geschichte der Stadt Paderborn“ http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_ der_Stadt_Paderborn (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) Jüdische Gemeinde Paderborn http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdische_Gemeinde_ Paderborn (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) Wikipedia: „Luftangriffe auf Paderborn“

298 Es ist auch dann das neuere Zugriffsdatum angegeben, wenn sich die digitalen Quellen durch Erweiterungen, Überarbeitungen etc. verändert haben. Die ins Korpus aufgenommenen Texte wurden den Webseiten im Erhebungszeitraum zwischen August und Dezember 2016 entnommen.

506 

 Literaturverzeichnis

http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Paderborn (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) PB HYP Zeit Paderborn Früher und Heute, www.zeitreise-paderborn.de (zuletzt abgerufen am 19.03.2020)

Audioguide (AUD)

PB 2009–2014 AUD Tourist Information Paderborn (2009–2014): tomis Audioguides Paderborn. MP3guide: http://www.paderborn.tomis.mobi (zuletzt abgerufen am 19.03.2020)

Teilkorpus „Mannheim“ Geschichtspulte und -tafeln (GED, TAF)

MA 1996 GED Puvogel Ortsfeste Texte (meist auf Tafeln und Steinen) zum Gedenken an die jüdischen Opfer, dokumentiert in: Puvogel, Ulrike und Martin Stankowski (1996): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. 2., überarbeitete und erweiterte Aufl. Bd. 1. Bundeszentrale für politische Bildung. Berlin. MA 2007 TAF Stadtpunkte Stadtarchiv Mannheim (2007): Stadtpunkte – Mannheimer Geschichte vor Ort. 167 Tafeln. Online verfügbar unter https://www.mannheim.de/tourismus-entdecken/ stadtpunkte-mannheimer-geschichte-vor-ort (auch als App auf Smartphone) (zuletzt abgerufen am 19.03.2020) MA 2014 APP Verdrängt Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte (2014): „Verdrängt und ausgeplündert“: Mannheimer Juden im Dritten Reich. Kostenlose App.

Ausstellungskataloge (KAT)

MA 1995 KAT Peters Peters, Christian/Caroli, Michael (1995): Mannheim 1945–1949. Der Anfang nach dem Ende. 3. Auflage. Sonderveröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim. Mannheim: Edition Quadrat. MA 1999 KAT Schenk Schenk, Andreas/Wagner, Sandra (1999): Eine neue Stadt muß her!: Architektur und Städtebau der 50er Jahre in Mannheim. Begleitschrift anläßlich der Ausstellung des Stadtarchivs Mannheim und des Mannheimer Architektur- und Bauarchivs e.V. vom 16. Januar bis zum 13. März 1999 in der Handwerkskammer Mannheim. Berlin: Lukas.

Dokumentationen und Berichte (DOK, BER)

MA 1948 DOK Städte Stadt Mannheim und Stadt Ludwigshafen (Hrsg.) (1948): Rheinbrücke MannheimLudwigshafen. Mannheim: Druckerei- und Verlags-Gesellschaft.

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Bildbände (BIB)

MA 1955 BIB Pichler Pichler, Fritz (Hrsg.) (1955): Mannheim im Aufbau. Ein Bildband über den Wiederaufbau einer zerstörten Stadt. Mannheim: Pichler & Casse. MA 1993 BIB Schadt Schadt, Jörg/Caroli, Michael (Hrsg.) (1993): Mannheim im Zweiten Weltkrieg 1939–1945: ein Bildband. 1. Auflage. Mannheim: Edition Quadrat. MA 1997 BIB Schadt Schadt, Jörg/Caroli, Michael (Hrsg.) (1997): Mannheim unter der Diktatur 1933–1939. Herausgegeben vom Stadtarchiv Mannheim. Mannheim: Edition Quadrat. MA 2012 KAT Pfau Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim/Stadtarchiv Mannheim und Mannheimer Altertumsverein von 1859 (Hrsg.) (2012): Artur Pfau (1909–2002). Fotograf und Zeitzeuge Mannheims. Katalogbuch zur Ausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim 2012. Beiträge zur Mannheimer Kunst- und Stadtgeschichte, Bd. 2. Heidelberg: verlag regionalkultur. MA 2013 SGp Mannheim! Stockert, Harald (2013): Mannheim! Geschichte erzählt in vergleichenden Ansichten. Heidelberg: verlag regionalkultur. MA 2014 BIB Keller Keller, Volker (2014): Alt-Mannheim vor 100 Jahren. Ein Stadtbild im Wandel. Mannheim: Wellhöfer.

Stadtführer (STF)

MA 1984 STF Büscher Büscher, Klaus u. a. (1984): Mannheimer Stadtführer. Mannheim: SVA Südwestdeutsche. MA 1988 STF Baedeker Baedeker, Karl (1988): Stadtführer Mannheim. Der bewährte Stadtführer mit allen Sehens-

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 Literaturverzeichnis

würdigkeiten, vielen praktischen Hinweisen und mehrfarbigen Stadtplänen. Freiburg: Baedeker. MA 1990 STF Svoboda Svoboda, Karl J. (1990): Das Mannheimer Schloß. Geschichte des Wiederaufbaus. München: Bavaria. MA 2005 STF Probst Probst, Hansjörg (2005): Kleine Mannheimer Stadtgeschichte. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet. MA 2007 STF Ellrich Ellrich, Hartmut (2007): Mannheim. Rundgänge durch die Geschichte. Erfurt: Sutton Verlag.

Stadtgeschichte – Populäre Darstellung (SGp)

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Audioguide (AUD)

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Teilkorpus „Bremen“ Geschichtspulte und –tafeln (GED, TAF)

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Broschüren (BRO)

HB 2010 BRO Focke Focke-Museum (2010): Bremen 1945 bis 2010 – Soviel Wandel war nie. Flyer zur Sonderausstellung. Online unter: http://aulbremen.de/downloads/BU_Sonder.pdf (zuletzt abgerufen am 19.03.2020)

Ausstellungskataloge (KAT)

HB 1957 KAT Schünemann Schünemann, Carl (1957): Kunsthalle Bremen. Zwölf Jahre Wiederaufbau. Ausstellung Kunsthalle Bremen 13. Juni bis 28. Juni 1957. Bremen: Schünemann.

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Dokumentationen und Berichte (DOK)

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Bildbände (BIB)

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Stadtführer (STF)

HB 1955 STF Gläbe Gläbe, Friedrich (1955): Bremen einst und jetzt: eine Chronik. Herausgegeben von der Arebitsgemeinschaft „Bremer Schule“ e.V. Bremen: Eilers & Schünemann. HB 1965 STF Lindemann Lindemann, Marie (1965). Stadtführer Bremen. In Zusammenarbeit mit dem Verkehrsverein der Freien Hansestadt Bremen. Bremen: Carl Schünemann Verlag.

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Stadtgeschichte – Populäre Darstellung (SGp)

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Stadtgeschichte – Fachlich fundierte Darstellung (Experten) (SGe)

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Index Abbruch 395–396 Abriss 397, 477 Abstraktion 83 Abstraktionsprozess 67, 452 Abstraktionsstufe 159, 298, 424 Adressierung 153, 320 Agentivität 271, 276 Agentivitätsgefälle 248, 274 Aggressorverschiebung 478 Agonalität 95, 455 Akteur-Netzwerk-Theorie 135 Aktionalität 248, 251, 261, 265, 268, 349, 488 Aktionsart 110–111, 246, 248, 261, 263, 359, 466, 488 Aktionsartkontrast 251 Annotation 67, 92, 166, 230, 246, 436 – framesemantische 164, 370 – nominal-/verbalgrammatische 353 Annotationsschema 247, 445 AntConc 175 Architektur 127, 133 Aspektbedeutung 317 Ästhetisierung 103, 127, 456 Attributsätze 244, 323, 330 Aufbau – Leitbilder des 126, 381, 489, 492 Aufbauprozesse 201, 257, 271, 342, 346, 349 Aufbauverben 332, 345, 367 Augenzeugenbericht 243, 289 Aussage – deontische 201 – metonymische 330 – performative 47 Aussageformation 95 Befreiung 109, 121, 186, 190, 220, 240, 359, 361, 372, 382, 424, 430 Blockierung 316, 448 Chunk 65, 84, 176–178, 189 Cluster – Adverb- 293 – diskontinuierliches 258, 400 – Negations- 288, 290–293 https://doi.org/10.1515/9783110691580-010

– Partikel- 289 – POS- 299, 316, 318, 336, 350 – verbalgrammatisches 299, 322, 332 Clusteranalyse 160, 175 Clusterbildung 144, 172, 176, 270, 346 Corpus driven 72–73, 77 Deagentivierung 283, 332, 289 Degradierung 324, 391, 430 Deprofilierung 383 DeReKo-Kookkurrenzprofil 162, 269, 293, 388, 416, 486 Desentenzialisierung 332, 335, 341, 351 digitale Hermeneutik 157, 497 Diskursformation 53, 69, 160, 177, 369 Diskursfunktion 23, 30, 51, 72, 169 Diskursgrammatik – diskursgrammatische Indikatoren 262, 292 – diskursgrammatische Konfiguration 21, 168 – diskursgrammatische Konnektivität 370, 429, 463 – diskursgrammatische Muster(-bildung) 157, 268 Diskursmuster 259 Diskursposition 59, 107, 145, 151, 167, 169, 198, 237, 265 diskurssemantische Grundfigur 30, 102, 169 Diskursverschränkung 429, 439–440, 464, 489, 493, 495 Dispositiv – das Foucault’sche 36, 39, 40 – Zerstörung-Aufbau- (ZAD) 19, 41, 96, 114, 164, 170, 198, 231, 282, 326, 336, 341, 345, 348, 352, 355, 366, 372, 387, 393, 403, 407, 411, 417, 433, 437, 446, 450, 467, 472, 490, 492 Distribution 63, 71, 245, 342 Eigenlogik 140, 297, 411, 485 Emergenzeffekt 96, 346, 380, 428 Erinnerungskultur 18, 42, 105, 222, 256–257, 281, 286, 354, 456 Fährfunktion 322

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 Index

Finalsatz 210, 244, 277, 317 Footing 151, 153–154, 167, 195, 215, 243, 429 Footing-Wechsel 152, 216, 319, 480 Formulierungsroutine 70, 260, 408, 420, 434, 437, 450, 486 Frame – Building- 369, 375, 381, 393, 430, 432 – Destroying- 369, 371, 375, 448 – Meta- (Defending) 437, 447 Frame-Elemente 68, 93, 102, 138, 164, 352–353, 369, 380 Framing – der Schlüsselereignisse 352 – informationsstrukturelles 98 – reduziertes 89, 408 – satzübergreifendes 368, 404 Frameintegration 96–97, 163, 392–393, 403, 444, 490 FrameNet 91–92, 98, 163, 369, 370 Framesemantik 58, 354 Frameverknüpfung 97, 163, 367, 404, 412, 413, 444, 464, 471, 490 Frameverschränkung 382, 404, 431, 438, 441, 443, 448 Füllerauswertung 85, 400, 416, 430 Füllerprofil 90 Füllervarianz 85 Funktion – Diskurs- 23, 30, 33, 51 – kommunikative 25, 28–29, 62, 78, 159, 165, 215, 322–323, 373, 485 – Relais- 236, 296 – syntaktische 31, 62, 86, 91, 318, 322, 371, 440 Funktionsverb 210, 248, 341, 387, 388 Funktionsverbgefüge 248, 282 Gattungen 37, 57, 62, 148–149, 156, 279–281, 315–316, 322, 325–326, 342, 444, 446, 455, 487 Gewichtung – Aussagen- 92 – der valenziellen Argumente 369 – diskursgrammatische 97, 292, 371, 446 – Informations- 27 Granularitätsstufen 68, 170, 436

Handlungsfokussierung 230, 235, 286 Handlungsverben 248, 250, 260, 262, 316, 342 historisches Präsens 202, 284, 392, 411, 497 Indexikalität 110, 191, 241, 434 Indexikalitätskonzept 57–58 Indexikalisches Potenzial 29, 67–68, 107 Idiomatizität 34, 76, 83, 161, 436 Infinitiv – adverbialer zu- 318, 319, 322–324, 350, 466 – attributiver zu- 323, 441 – modaler 322, 336, 345, 350 – Subjekts- 319, 322 – Objekts- 319, 322–323 Katastrophe 105, 111, 361, 429, 440 Keyness 170, 180 Knotenpunkt (node) 81, 195, 220 Kollektives Gedächtnis 19, 21, 36–37, 43–45, 123, 137, 200, 353, 450 Kollektivschuld(-these) 108, 117–118, 121–124, 186, 223, 357–358, 382, 438 Kollokation 82, 161, 170, 210, 260, 352, 372, 389, 394–395, 407, 416, 444, 447–448, 452, 458 – diskurstypische 443, 463, 471, 477 – und Kolligation 84–85 kollokative Bindekräfte 228, 370, 389 Kommunikationsverben 248, 264 Kommunikative Aufgabe 37, 40, 63, 69, 153, 160, 221, 281–282, 327, 410, 439 Kommunikatives Gedächtnis 18, 43, 44, 142, 146, 211, 499 Komplemente 90, 104, 163, 182, 199, 201, 323, 326, 335–336, 341, 346, 350–352, 368, 370, 386, 387, 390–391, 432, 446, 480 Komplexität 88, 293, 336 Komplexitätssteigerung 89 Komprimierung 99, 112, 281, 336, 393 Komprimierungsstufe 342 Konnektivität 20, 35, 73, 259, 286, 346–347, 370, 403, 428–429, 440, 443 Konnektoren – adversative 189, 226, 229, 263, 344, 374, 413, 418, 444

Index  – kausale 163, 404 – konsekutive 263 – konzessive 348, 418, 444 – Zusammenspiel der 331 Konstruktionsgrammatik 34, 75, 162 Kontextualisierung 25, 66, 72, 189 Kontextualisierungshinweis 57–65, 157, 253, 258, 266, 276, 283, 295, 327, 346, 354, 375, 437, 453, 455, 486, 489 Kontextualisierungsmerkmal 53, 455–456, 490 Kontextualisierungsmuster 32, 148 Kontextualisierungsprofil (K-Profil) 62–64, 262, 264, 267, 284, 331–332, 344, 347, 348–349, 354, 431, 441–442, 454, 496 Kontextualisierungstheorie 58–59 Kontinuität 107, 133, 238, 263, 358, 419, 455, 459, 490 Kontrastive Keywordanalyse 281 Kontrastivität 57, 61, 180, 346, 429, 443 Kontrastkorpus 159, 178, 182–183, 298–299, 301–302 Kookkurrenzanalyse 65, 443 Kookkurrenzpartner 80 Kookkurrenzprofil, siehe DeReKo-Kookkurenzprofil Kulturelles Gedächtnis 18, 41–45, 281, 327, 355, 415, 490, 493 Kulturtechnik 47–49 Latenz 230, 318, 324 LDA-Toolkit 143–144, 298, 301 Leerstellen 99, 163, 233, 332, 368, 485 Leerstellenreduktion 87 Likelihood-Ratio-Test 180 Mehrfachattribuierung 88 Metafunktionen 294–295 Metaphern/Metaphorik – Brand/Feuer- 406, 448 – Hell-dunkel- 217 – Natur-/ Wetter- 202, 349, 413–414, 448, 474, 461, 491–492 – Organismus- 103, 132, 216, 236 Metonymie 216, 414, 448 modale Infinitivkonstruktion 198, 230, 244, 288, 290

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Muster – Deutungs- 29, 54, 72, 112, 132, 166, 186, 234, 257, 261, 263, 296, 322, 325, 346, 350, 354, 362, 372, 383, 433, 440, 448–449, 453, 455–456, 459, 462, 497–498, 500 – (diskurs-)grammatische 128, 132, 157, 225, 268, 455 – phrasale 83–84 – Sequenz- 65 – Sprachgebrauchs- 25, 28, 56, 269, 372 – Sprachhandlungs- 54, 57, 204 – syntagmatische/syntaktische 81, 162, 169, 270, 283, 350, 397 Musterbildung 21, 24–26, 54–56, 58, 60, 67–68, 82, 84, 110, 157, 169, 301, 311, 346, 429, 438, 495 Musterhaftigkeit 20, 35, 63, 258, 298, 316, 318, 332, 379, 471, 487 Narration/Narrative – bildliche 425 – Erfolgs-/Erfolgsgeschichte 428 – Fortschritts-/Steigerungs- 329, 428, 484 – Kontrast- 296 – Phönix-aus-der-Asche- 449 – Schutt-und-Asche- 239 Neuaufbau 132–133, 378, 389, 396, 407, 431, 441, 444 Neubau 126–127, 201, 222, 251, 331, 341, 366, 425, 477 nested constructions 162, 175, 178, 213, 407, 451, 452 N-Gramme – Bigramm 177, 287 – POS-Bigramm 303, 305, 307, 309–310, 318, 325–326, 339, 351 – POS-Trigramm 301, 303, 305, 307, 309, 310, 318, 325 – Trigramm 177, 184 Niederlage 106–107, 109–111, 190–191, 356, 359–360, 454, 485 Nominalisierung 88, 237, 255, 332, 337–340, 341–342, 345–346, 364, 366, 371, 389, 498 Nominalisierungskonstruktion 386–387, 390, 394, 402, 446

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 Index

Nominalisierungsverb(-gefüge) 248, 387–388, 390, 411, 432, 447 Oberflächen – mediale 33 – sprachliche 56, 70, 95, 159, 353, 412, 490 Oberflächenmuster 61 Opfer – des Bombenkriegs 115, 421, 439 – des Luftkriegs 416, 422 – des Nationalsozialismus 178, 186, 187, 190 – von Verfolgung 119, 449 Opfergedenken 382 Opfergruppen 108, 119, 188 Opferrolle 114, 116, 238, 263, 373, 383, 437, 438, 460, 470 Passiv – Vorgangs- 173, 230, 247, 257, 271, 283–284, 286, 350, 391, 402, 407, 445, 477 – unpersönliche Passivbildung 388 – Zustands- 231–233, 271, 283, 366 Passivinfinitive 332, 335–336 passivischer Modalverbkomplex (PVM-Komplex) 205–207, 246, 249, 250–258, 260–268, 326–327, 330–331, 348–349, 441, 446, 498 Passivkonstruktionen 200, 282, 389 Passivsubjekt 210, 257, 388 Phraseme 75–76, 77, 82, 248, 364 Placemaking 137, 167, 330, 489–491, 499 POS-Gramme, siehe N-Gramme Projektion 78, 102, 395, 434 Projektorkonstruktion 212 Reduktionsprozess 325 Rekonstruktion 103, 128–132, 153, 243, 265, 279, 330–331, 392, 407 reziproke Kookkurrenz 443, 471, 483, 487 Rhematischer Akzent 91, 284 Rückprojektion 422, 438 Rumpfkonstruktion 353, 412, 492 Salienz 63, 155, 172, 383, 446–447, 460 Schematizität 86 Schuldfrage 113, 121–122, 381 semantische Präferenz 84–86, 403, 486, 496

semantische Prosodie 84, 98, 403, 474 semantische Rolle 31, 92, 102–103, 163–164, 248, 368 – Agens- 89, 176, 182, 274–275, 276, 389 – Patiens- 380, 402 Serialität 51, 57, 113, 169, 299 Standardisierung 164 Standardwert 92–94, 102, 271, 273, 383, 413, 428, 438, 441, 449, 471–472, 499 Stunde Null 72, 105–108, 111–112, 356, 357–360, 385, 429, 438, 450 Subjektivierung(-sprozess) 38, 40, 99, 114 Subjektkontrolle 276, 335 Subjektschub 207, 466 Supplemente – modale 393, 396, 400, 411 – temporale 368, 390, 464 Tabula rasa 126, 218, 406, 412, 431, 438, 441, 442, 448 , 462, 491 Täterrolle 190, 383, 449, 462 Telizität 247, 429 Transformativität 247 Transkriptiver Prozess 44, 62, 139 Type- und Tokenfrequenz 138 Überdeterminierung 53 Valenz – Diskurs- 432, 446, 489 – satzübergreifende 412 – semantische 132, 389, 489 – Vererbung 332, 371, 433 Verben – egressive 248, 261 – inchoative 247, 279, 261 – kursive 250, 252, 260, 261, 262 – telische 253–254 Verdichtung 87, 323, 456 – Slot- 447 Verfestigung 98, 184, 258, 284, 299, 336, 342, 349–350, 403, 428, 455, 489 Verfestigungsprozesse 195, 326 Vergangenheitsbewältigung 105, 108, 116–117, 222, 360, 413 Vergangenheitspolitik 108, 359

Index  Vergleichskorpus 155–156, 158, 180, 241, 281, 298–301 Verknüpfungsart 349 Verlustkonstruktion 287, 347, 350, 441, 469 Wende(-punkt) 106, 220, 354, 356, 357, 362, 438, 450 Wiederaufbau 126–133, 191, 225–230, 291–292, 321, 331, 345, 360, 368–369, 327–375, 376, 378–379, 380, 386, 391–392, 394–397, 398–399, 400–413, 432, 443–444, 472, 496 Wiederherstellung 268, 292, 337–340, 394, 400, 407, 464 Wissen – diskursives 32, 38, 98–99 – implizites 165, 330 Zerstörungsereignis 97, 204, 247, 260, 346, 354, 382, 402, 420, 429, 500 Zerstörungsverben 285, 350, 363, 366 Zukunftsentwurf 105, 198, 354

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