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German Pages 556 [544]
bohlauWien
GRENZENLOSES
OSTERREICH
Max Haller Identität und Nationalstolz der Österreicher Gesellschaftliche Ursachen und Funktionen Herausbildung und Transformation seit 1945 Internationaler Vergleich
Mit Textbeiträgen von
Max Haller Stefan Gruber Josef Langer Günter Paier Albert F. Reiterer Peter Teibenbacher
BÖHLAU VERLAG WIEN • KÖLN • WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und Forschung Umschlagentwurf: Tino Erben, Cornelia Steinborn Umschlagabbildung: Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky im Gespräch mit Kardinal Dr. Franz König. Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Identität und Nationalstolz der Österreicher : Gesellschaftliche Ursachen und Funktionen / Herausbildung und Transformation seit 1945 / Internationaler Vergleich / Max Haller - W i e n ; Köln ; Weimar: Böhlau, 1996 (Grenzenloses Österreich) ISBN 3-205-98562-1 NE: Haller, Max ; GT Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1996 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG. Wien • Köln • Weimar Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier. Satz: J. Holzschuster/S. Gruber Druck: Berger, A-3580 Horn
Günther Burkert, Christina Lutter, Gerhard Pfeisinger
„Grenzenloses Österreich" Das Forschungsprogramm des BMWVK zu den Anniversarien 1995/1996 Die inhaltliche Ausrichtung des Forschungsprogrammes „Grenzenloses Österreich" war von Anfang an aus einem dynamischen Prozeß hervorgegangen und sollte keinerlei räumliche oder zeitliche Begrenzungen aufweisen. Zwar stand am Beginn des Nachdenkens und Planens der Bezug zu den Gedenkjahren 1995/96 - „2. Republik" und „Millennium" - noch im Vordergrund, mittlerweile aber geht der aktuelle Stand des Forschungsprogrammes weit über den ursprünglichen Anlaß hinaus. Ein „Grenzenloses Österreich" mußte auf zwei auch die Entwicklung der österreichischen Gesellschaft grundlegend beeinflussende politische Prozesse in mehrfacher Weise Bezug nehmen: Einerseits auf die demokratische Transformation der Länder Osteuropas, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Österreich liegen, und andererseits auf die europäische Integration. Dabei ging es nicht so sehr darum, auf die wirtschaftsstrategische und geopolitische Veränderung der Stellung Österreichs in Europa zu reagieren, sondern Annäherungen an die Dynamisierung gesellschaftlicher Entwicklungen und Veränderungen anzuregen. Dies betrifft nicht nur die Auseinandersetzung mit Fragen nach dem Bedeutungswandel von Identität und Nation, nach der kulturellen Standortbestimmung und dem politischen (Selbst)-Bewußtsein sowie nach den Verarbeitungsformen einer demokratischen Gesellschaft im Umgang mit dem „Anderen" und Fremden, sondern auch ein Nachdenken über eine Modernisierung, die eine Umorientierung der österreichischen Gesellschaft auf offenere Strukturen erhoffen läßt. Daraus hat sich die lose Einteilung des Forschungsprogrammes in fünf thematische Gruppen (Stereotypen - Identitäten, Kommunikation - Konfrontation, Wanderungen - Grenzen, Brüche - Kontinuitäten, Kulturtraditionen Kulturinnovationen) ergeben, die selbst wiederum Offenheit, Zukunftsorientierung und Aufbruch signalisieren sollen. Als Forum für die gegenseitige Vorstellung der schon erfolgten wissenschaftlichen Arbeit und ihrer (Zwischen-)Ergebnisse bzw. deren Diskussion und gegenseitige Anregungen dienen einerseits Workshops und Kleinsymposien für die einzelnen Projekte sowie Symposien für das Gesamtprogramm und deren Publikation als Arbeitsdokumentationen. Andererseits sollen ausgewählte Studien, die im Rahmen des Forschungsprogrammes entstanden sind, nunmehr im Programm des Böhlau-Verlages vorgelegt werden. Diese Präsentationsformen sollen - auf unterschiedlicher Informationsebene - sowohl allein verwendbar und für die verschiedenen Interessentengruppen ansprechend sein, als auch das dahinterstehende - offene - Gesamtkonzept des Forschungsprogrammes zum Ausdruck bringen. Gerade darin liegt ein wesentlicher methodischer Aspekt der „Grenzenlosigkeit" des Forschungsprogrammes, das die Schaffung über einzelne Projekte oder Anlässe hinausreichender wissenschaftlicher Kooperationen fördern will.
Inhalt Vorwort I.
II.
EINLEITUNG UND ÜBERBLICK 1. Nationale Identität in modernen Gesellschaften eine vernachlässigte Problematik im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Politik Max Haller
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DIE NATIONALE IDENTITÄT DER ÖSTERREICHER HEUTE. SOZIOLOGISCHE ASPEKTE 2. Die Österreicher und ihre Nation - Patrioten oder Chauvinisten? Gesellschaftliche Formen, Bedingungen und Funktionen nationaler Identität Max Haller und Stefan Gruber 61 3. Menschen im Übergang. Österreichbilder und nationale Identität von Ex- und NeoÖsterreicherinnen Günter Paier 149
III. HERAUSBILDUNG, STABILISIERUNG UND PERSPEKTIVEN DES ÖSTERREICHBEWUSSTSEINS IN DER ZWEITEN REPUBLIK 4. Die Ausformung der österreichischen Identität während kritischer, zeithistorischer Ereignisse 1945-1996 Peter Teibenbacher 5. Intellektuelle und politische Eliten in der Nationwerdung Österreichs Albert F. Reiterer 271 6. Nation - schwindende Basis für soziale Identität? Eine Studie über 17- bis 19jährige Schüler und Schülerinnen Josef Langer 327 IV. NATIONALE IDENTITÄT UND NATIONALSTOLZ IM INTERNATIONALEN VERGLEICH 7. Die Identität der Österreicher zwischen lokal-regionaler, nationaler und europäischer Zugehörigkeit Max Haller und Stefan Gruber 383 8. Der Nationalstolz der Österreicher im internationalen Vergleich Max Haller und Stefan Gruber 431 V.
RESÜMEE UND FOLGERUNGEN 9. Elf Thesen zu den Grundlagen und Zukunftsperspektiven der nationalen Identität Österreichs und der Österreicher Max Haller
Über die Autoren
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Vorwort Dieses Buch ist Resultat eines Forschungsprojektes zum Thema "Nationale Identität und die Rolle von Kleinstaaten im Prozeß der Einigung Europas. Erfahrungen und Perspektiven für Österreich und Mitteleuropa", das unter Leitung des Unterfertigten im Rahmen der Milleniums-Projekte des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung 1995/96 durchgeführt wurde. Dabei trafen eigene Forschungsinteressen mit Interessen von seiten der Öffentlichkeit in glücklicher Weise zusammen. Schon seit 1985 nimmt eine Arbeitsgruppe an der Abteilung „Gesamtgesellschaftliche Analysen und Methoden der empirischen Sozialforschung" des Instituts für Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz kontinuierlich am „International Social Survey Programme" (ISSP) teil, in dessen Rahmen jährlich in nunmehr über zwanzig Ländern der Erde eine kurze, repräsentative Umfrage zu wechselnden Themenstellungen durchgeführt wird. Schon vor mehreren Jahren hatte der Unterzeichnete im Rahmen dieses Projekts vorgeschlagen, eine Erhebung dem Thema „Nationale Identität" zu widmen, was er nach viel Überzeugungsarbeit angesichts der Komplexität dieses Themas für Länder nicht nur in West- und Osteuropa, sondern auch in Amerika (USA, Kanada), Israel, Australien, und dem Fernen Osten (Philippinen, Japan) schlußendlich auch erreichen konnte. Es gelang darüberhinaus, mehrere Kolleginnen in Nachbarländern Österreichs dafür zu gewinnen, im Rahmen ihrer ISSP-Erhebung einige Zusatzfragen zu Mitteleuropa aufzunehmen und uns die Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Dafür möchte ich besonders Prof. Gabriele Calvi und Dr. Giovanna Guidorossi von EURISKO in Mailand, Prof. Nico Tos vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Ljubljana, Prof. Petr. Mateju und Dr. Tomas Kostelecky vom Institut für Soziologie der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag und Dr. Matild Sagi von TARKI in Budapest danken. Aufgrund der Mittel im Rahmen der Milleniumsprojekte konnte auch die Finanzierungsfrage gelöst werden, die bei allen anderen ISSP-Erhebungen sehr schwierig ist, obwohl man immer wieder den (scheinbaren) Mangel internationaler Forschungskooperationen beklagt. Unser Projekt war bewußt interdisziplinär angelegt, wenngleich der Schwerpunkt auf soziologischen Studien liegt. So wurde versucht, Historiker und Politikwissenschaftler einzubeziehen, was mit Peter Teibenbacher und Albert Reiterer auch gelang. Von Anfang an was es ein zentrales Anliegen, die verschiedenen Ansätze und Teile des Projektes inhaltlich eng miteinander zu verknüpfen. Zu diesem Zwecke führten wir drei Symposien durch, in denen das Projekt intern diskutiert und interessierten Kolleginnen vorgestellt wurde. Im Rahmen dieser drei Symposien, am Institut für 7
Soziologie der Universität Graz am 1. März 1995, im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien am 10./11. Jänner 1996, und an der Karl-Franzens-Universität Graz am 21./22. Mai 1996 (dieses Symposium wurde von der Landesregierung Steiermark unterstützt), erhielten wir eine Reihe wertvoller Anregungen. Im Anschluß an eine kleine Pressekonferenz in Wien am 11. Jänner 1996 berichteten auch mehrere Tageszeitungen recht ausführlich über die Ergebnisse; eine Reihe von Rückfragen zeigte, daß das Thema in der Öffentlichkeit auf erhebliches Interesse stößt. Dies konnte der Unterfertigte auch bei Vorträgen in akademischen Kreisen feststellen (so an der Universität Cambridge, an der Europäischen Akademie in Bozen und im Rahmen des Symposiums „Der Fremde" beim Mitteleuropa Institut Muerz, Mürzzuschlag). Ich möchte an dieser Stelle allen Damen und Herren sehr herzlich danken, die wesentlich dazu beigetragen haben, daß vergleichsweise rasch nach Durchführung der empirischen Erhebung diese Buchveröffentlichung vorgelegt werden kann. (Die Arbeit war besonders zeitaufwendig, weil auch Datensätze aus mehreren anderen Ländern eingearbeitet werden mußten.) Mein Dank gilt hier in erster Linie den Projektmitarbeitern, die trotz meiner ständigen Hinweise auf die drängenden Termine mit großem Engagement bei der Sache blieben. Für ihre kontinuierliche Unterstützung sind namentlich zu nennen Herr Univ.Doz. Günther Burkert, Dr. Gerhard Pfeisinger und Mag. Maria Christine Lutter vom Bundesministerium für Wissenschaft, Verkehr und Forschung. Dem Böhlau Verlag danke ich für die Bereitschaft, die Publikation in sein Programm, das ja bereits eine Reihe ausgezeichneter Arbeiten zum Thema enthält, aufzunehmen; hier standen uns stets hilfreich zur Seite Frau Dr. Eva Reinhold-Weisz und Frau Ulrike Dietmayer. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen gaben uns wertvolle inhaltliche Kommentare; besonders danken möchten wir Univ.Prof. Dr. Helmut Kuzmics und Univ.Doz. Dr. Franz Höllinger, die größere Teile des Manuskriptes kommentierten. Die einzelnen Kapitel des Buches tragen jeweils individuelle Autorennamen, wobei jedoch nochmals festzuhalten ist, daß die Mitarbeiter alle Beiträge gegenseitig gelesen und kommentiert haben, die Arbeit insofern also ein „kollektives" Produkt darstellt. Ein ganz besonderer Dank gebührt schließlich Frau Irmgard Holzschuster, Sekretärin an der Abteilung, die Korrektur und Umbruch der meisten Teile des Textes mit größtem Einsatz und Sorgfalt durchführte.
Graz, Juli 1996
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Max Haller
I. EINLEITUNG UND ÜBERBLICK
1. Nationale Identität in modernen Gesellschaften eine vernachlässigte Problematik im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Politik Max HALLER 1. Die Aktualität der Problematik ethnisch-nationaler Identifikationen, Beziehungen und Konflikte
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Gesellschaftliche und politische Umbrüche in Europa am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts * Österreich in den europäischen Umbrüchen * Historiker über die schwierige, aber letztlich erfolgreiche Geburt der „Nation Österreich" * Warum sich die historischen Wissenschaften viel mehr für Nationenbildung und nationale Identität interessieren als die Politikwissenschaft und Soziologie 2. Der Begriff der „Nation" als soziologische Perspektive auf die Staatsgesellschaft
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Nation als lebensfähige, von den Bürgern subjektiv bejahte politische Gemeinschaft * Variationen von Nationen: Ethnonationen versus Staatsnationen * Ethnisch homogene, pluriethnische, Majoritäts- und multinationale politische Gemeinschaften * Österreich als ethnisch heterogene „Majoritätsgesellschaft" und unvollendete Staatsnation 3. Die Bedeutung nationaler Identität Selbstbewußtsein des modernen Menschen
für
das 38
Entwicklung und Anwendungsbereiche des Begriffes der „Identität" * Grundannahmen der Theorie der sozialen Identität * Der Begriff der nationalen Identität - Abgrenzung vom Begriff des „Nationalcharakters" * "Gründungsakte" und andere kritische Ereignisse in der Herausbildung nationaler Identität * Generationen, Intellektuelle und politische Eliten und Persönlichkeiten als „kritische Akteure" im Prozeß der Nationenbildung 4. Überblick über den Inhalt des Buches
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Literatur
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1. Die Aktualität der Problematik ethnisch-nationaler Identifikation und Konflikte Gesellschaftliche und politische Umbrüche in Europa am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Der Übergang von den Achtziger zu den Neunziger Jahren brachte grundlegende Veränderungen der wirtschaftlich-gesellschaftlichen und politischen Situation Europas mit sich. Mit dem Vertrag von Maastricht 1992 erreichte die Integration (West-) Europas im Rahmen der Europäischen Union eine qualitativ neue Stufe. Mit der vollen Durchsetzung der „vier Freiheiten", des Güter-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehrs, mit der Festlegung konkreter Schritte zur Etablierung einer Währungsunion nimmt die Enststehung einer völlig neuen supranationalen Einheit (LEPSIUS 1991; BACH 1994) konkrete Formen an; in ihrer Folge könnte sich in der Tat so etwas wie eine „europäische Gesellschaft" (KAELBLE 1987; IMMERFALL 1994) herausbilden. Zu diesen Entwicklungen kommt, daß der Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme Osteuropas und der Fall des Eisernen Vorhangs völlig neue Möglichkeiten des wirtschaftlich-sozialen Austausches und der politischen Kooperation zwischen West- und Osteuropa eröffnet. Ist tatsächlich zu erwarten, daß als Folge dieser Prozesse Europa „immer mehr als eine Einheit mit einer eigenen Identität in den Mittelpunkt unseres Lebens (rückt) und die alten nationalstaatlichen Identitäten in den Hintergrund gedrängt werden" (MÜNCH 1993:8)? Befinden wir uns auf dem Weg zu einer „europäischen Nation" (HALLER/RICHTER 1994)? Mit all diesen Transformationen werden nicht nur die seit einem halben Jahrhundert bestehenden Strukturen des europäischen Staatensystems, sondern der Nationalstaat selber in Frage gestellt. Diese seit Beginn der Neuzeit grundlegende politische Einheit kommt von verschiedenen Seiten her zusehends in Bedrängnis und verliert an Kapazität zur Lösung vieler Probleme. In einer Phase sich intensivierender interkontinentaler Wirtschaftsverflechtungen und weltweiter Konkurrenz („Globalisierung") ist der Optimismus im Hinblick auf die Plan- und Steuerbarkeit von Wirtschaft und Gesellschaft auf nationaler Ebene geschwunden. Dies gilt insbesondere für Westeuropa mit seiner nun schon zwei Jahrzehnte andauernden strukturellen Arbeitslosigkeit (HALLER 1993, 1996), der die Politiker auf nationaler wir auf europäischer Ebene weitgehend ratlos gegenüberstehen. Heute lassen sich auch viele auf breitem Konsens beruhende Vorhaben heute nicht mehr realisieren, weil sie von schlagkräftigen pressure groups und Bürgerinitiativen verhindert werden. „Unregierbarkeit" wurde zu einem Schlagwort der politischen Diskussion, dem man eine gewisse Berechtigung schwer absprechen kann (vgl. PRISCHING 1986); der Staat 10
selbst ist als „blockierte Institution" bezeichnet worden (GALLI 1991; van DETH 1995), für die man nach grundsätzlichen Alternativen sucht (KNIEPER 1991; WEHNER 1992). Am deutlichsten wurde die Brüchigkeit des bisherigen Staatensystems im Falle der postkommunistischen Länder Mittelost- und Osteuropas. Drei multinationale Staaten dieser Region, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion, sind in der Folge von Prozessen ethnisch-nationaler Mobilisierung in über ein Dutzend unabhängige Länder zerfallen. Im südlichen Nachbarland Österreichs war damit ein grausamer Bürgerkrieg und die Vertreibung ganzer Völker, mit Hunderttausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen, verbunden. Nicht wenige dieser Nachfolgestaaten, darunter auch hier wieder unmittelbare Nachbarländer Österreichs, wie Kroatien und die Slowakei, kann man noch keineswegs als wirklich demokratisch bezeichnen, da politisch-staatliche Bevormundung der Öffentlichkeit, Unterdrückung der freien Presse, bis hin zu skandalösen Einschüchterungsversuchen oppositioneller Politiker, fast zur Tagesordnung gehören. Der Zerfall der ehedem nahezu totalitären kommunistischen Systeme Osteuropas wie auch die schwierige Transformation dieser Gesellschaften zu Marktwirtschaften und Demokratien sind Prozesse, die die Sozial- und Politikwissenschaften mit ihren tradierten Begriffen und Theorien bis heute nicht adäquat erklären können - geschweige denn, daß sie sie vorhergesehen hatten (von BEYME 1994; RUDOLPH 1995). Die Problematik des (Wieder-)Aufbrechens alter und neuer ethnisch-nationaler Loyalitäten und Konflikte, die die traditionellen Nationalstaaten unter erhebliche interne und externe -Spannungen setzen, stellt sich aber auch in den entwickelten Staaten Westeuropas, ja der ganzen westlichen Welt. Hier zeigen „alte", autochthone nationale Minderheiten eine erstaunliche Persistenz und Lebenskraft; man denke an den nach wie vor ungelösten Konflikt zwischen den Sprachgruppen in Belgien, oder an die mit blutigen Terroraktionen verknüpften Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheiten in Irland und Spanien. Selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Einwanderungsland par excellence, hat sich die Idee des multikulturellen „melting pot", in dem sich alle Einwanderer rasch in die Kultur des neuen Landes integrieren, nur sehr begrenzt als richtig erwiesen (HIRSCHMAN 1983). Ethnisch-rassische Vorurteile bestehen in einem erheblichen Ausmaße fort; die Diskriminierung der Schwarzen, wie auch der stark zunehmenden Hispano-Amerikaner, bleibt eines der zentralen Probleme Amerikas, wenn auch manche Autoren im Hinblick auf die Schwarzen von einer abnehmenden Bedeutung des Rassenproblems sprechen (WILSON 1980). Die Problematik der ethnisch-nationalen Mobilisierung ist also keineswegs nur ein Problem wirtschaftlich zurückgebliebener Länder und Regionen oder eine Begleiterscheinung verzögerter (oder auch zu rascher) Ent11
Wicklung, wie Modernisierungstheoretiker vielfach annahmen. Tatsächlich führen viele Aspekte des Modernisierungsprozesses selbst - die Ausdehnung der Bildung auf alle Bevölkerungsschichten, die Wiederbelebung alter Sprachen und Kulturen durch Wissenschaftler und Intellektuelle, die Zunahme politischer Partizipation der Bevölkerung, der steigende Wettbewerb zwischen Ländern und Regionen um Investitionen und Arbeitsplätze - eher zu einer Stärkung lokal-regionaler, ethnischer und nationaler Identifikationen und Konflikte denn zu ihrer Überwindung. Die z.T. friedliche, z.T militante Neubelebung des kulturellen und politisch-nationalen Selbstbewußseins bei Basken und Katalanen, Walisern und Schotten, Korsen und Oberitalienern, Südtirolern und Rätoromanen sind Zeugnisse dieser Tendenzen (FRANCIS 1976; SMITH 1976; NIELSEN 1985; YINGER 1985; HALLER 1987, 1992a; REITERER 1986, 1988). Der Alpenraum stellt geradezu ein „Laboratorium" derartiger Minderheiten dar (GUNTHER 1930; ARGE Alpen Adria 1990). Der Nationalstaat selber bleibt - auch angesichts zunehmender weltweiter Vernetzung - ein zentraler Rahmen für gesellschaftlich-politische Prozesse (HALLER 1992a, 1992c; van DETH 1995). Österreich in den europäischen Umbrüchen Österreich ist, wie kaum ein anderes westliches Land außerhalb des ehemaligen Eisernen Vorhanges, aufgrund seiner Geschichte und seiner geographischen Lage von den aktuellen Umwälzungen unmittelbar betroffen und es hat auch selbst bereits entscheidende neue Weichenstellungen seiner wirtschaftlich-politischen Grundorientierung getroffen. Mit einem sensationellen Votum von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (bei einer Abstimmmungsbeteiligung von 81%) hat die österreichische Bevölkerung am 12. Juni 1994 für den Beitritt zur Europäischen Union votiert. Allerdings war dieser Abstimmung eine massive Informations- bzw. Werbekampagne der Regierung vorangegangen, in der umfangreiche wissenschaftliche Gutachten und „Prognosen" ebenso zum Einsatz kamen wie prononcierte und eindeutige Pro-Eu-Stellungnahmen führender Interessenvertreter aus dem Lager der Arbeitgeber und -nehmer; dabei wurden vor allem die vermeintlich gravierenden Folgen eines negativen Votums herausgestellt.1 Seit dem EU-Beitritt sind in Österreich ohne Zweifel manche Preise ebenso wie die Inflationsratedeutlich gesunken; zugleich ist aber auch die Arbeitslosigkeit von 6,5% (als Anteil an den
1 Nicht unähnlich scheint es beim zweiten Votum der Dänen am 18. Mai 1993 zugegangen zu sein, in dem diese endlich - wie von den einflußreichen europäischen Staatsmännern eingefordert - für die Annahme des MaastrichtVertrages stimmten (NIELSEN 1994; für Österreich vgl. HALLER 1994b; KRAMER 1991).
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unselbständig Erwerbstätigen) im Jahre 1994 auf prognostizierte 9% in diesem Jahr (1996) angestiegen.2 Die zur Erreichung der Konvergenzkriterien zum Beitritt in die Europäische Währungsgemeinschaft im Zweijahres-Budget 1996/97 gesetzten rigorosen Sparmaßnahmen der erneuerten großen Koalition haben dazu ohne Zweifel beigetragen. Ob der EU-Beitritt insgesamt bis jetzt als positiv oder negativ zu beurteilen ist, wird sich kaum entscheiden lassen (vgl. dazu die neue Publikation TALOS/FALKNER 1996). Fest steht, daß die Zustimmung der Bevölkerung zur EU seit dem Beitritt in spektakulärer Weise abgenommen hat. Dabei mag sicherlich die österreichische Tendenz des „Raunzens" gegen „die da oben" eine Rolle spielen, die sich nun auch gegen die Bürokratie in Brüssel wendet. Es wird aber schwer zu bestreiten sein, daß dazu auch die vorhin angedeuteten, überhöhten Versprechungen der herrschenden politischen Eliten ihr Teil beigetragen haben. Österreich ist heute aber dabei, sich auch in außen- und sicherheitspolitischer Hinsicht neu zu orientieren. Auf einer Landkarte kann man leicht erkennen, daß die österreichische Hauptstadt Wien weiter östlich liegt als Prag und Laibach, zwei Hauptstädte sog. „osteuropäischer Länder". Heute bietet sich die Chance, die für nahezu ein halbes Jahrhundert auf unnatürliche Weise unterbrochenen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Beziehungen mit diesen Ländern auf einer neuen Basis zu reaktivieren und zu vertiefen (BUSEK/BRIX 1986). Es eröffnen sich damit auch für einen Kleinstaat wie Österreich in einem integrierten, größeren Europa Möglichkeiten ein neues Selbstverständnis zu entwickeln und eine neue Rolle zu spielen. Inwieweit diese Chance in den Augen der Österreicher gesehen wird, werden wir in Kapitel 7 systematisch untersuchen. Es wird sich zeigen, daß die bewußtseinsmäßige „Distanz" der Österreicher zu diesen Ländern noch immer sehr groß ist; sie sind für die meisten Österreicher (auch jene im Osten des Landes) noch kaum zu wirklichen Nachbarn geworden. Umso problematischer erscheint es daher, wenn mit dem Auftrag an Österreich zur „Sicherung der EU-Außengrenzen" eine systematische Verschärfung der Grenzkontrollen damit in realer Weise die Errichtung eines neuen, unsichtbaren Vorhangs an der ehemaligen Systemgrenze auch von Seiten der offiziellen österreichischen Politik aus versucht würde. Es ist auf jeden Fall erstaunlich, daß die diesbezüglichen aktuellen Absichten des Innenministeriums (u.a. Ankauf zusätzlicher Hubschrauber) in der Öffentlichkeit derzeit kaum diskutiert werden. Die Frage der Priorität in den wirtschaftlichen Außenbeziehungen wurde mit dem EU-Beitritt Österreichs in mittelfristiger Sicht eindeutig
2 Österreichisches Statistisches Zentralamt, Österreichischer Zahlenspiegel, 16. Jg., Mai 1996
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entschieden. Offen ist derzeit noch die Frage, wie die zuklinfige Sicherheitspolitik Österreichs aussehen soll, vor allem, ob das am 26. 10. 1955 beschlossene Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs (vgl. dazu ADAMOVICH/ FUNK 1985:88ff.) mehr oder weniger stillschweigend zu den Akten der Geschichte gelegt werden soll, wie es maßgebliche politische Kräfte in- und außerhalb der Regierung derzeit fordern. Wir werden im folgenden Kapitel zeigen, daß die österreichische Bevölkerung in dieser Hinsicht eine ganz andere Haltung vertritt und der Neutralität weiterhin einen außerordentlich hohen Stellenwert beimißt und glauben, daß sie deswegen keineswegs als uninformiert oder naiv bezeichnet werden darf. All die angeführten Tendenzen, sowohl jene auf europäischer Ebene wie jene innerhalb Österreichs selber, haben - so die Grundthese dieses Buches - entscheidend mit dem Wandel des Selbstverständnisses des modernen „Nationalstaates" zu tun. Darüber darf auch das Faktum nicht hinwegtäuschen, daß in West- und Osteuropa anscheinend konträre Entwicklungen stattgefunden haben und stattfinden: ein Trend zur übernationalen Integration auf der einen Seite, ein Trend zur Zerschlagung multinationaler Einheiten zugunsten ethnisch, kulturell, wirtschaftlich und politisch homogenerer kleiner Einheiten und kompakterer „Nationen", auf der anderen Seite. Diese streben allerdings ihrerseits wieder mit aller Kraft danach, Teil der neuen, noch größeren Einheit „EU" zu werden. Versuchen wir daher, etwas genauer zu bestimmen, was mit den Begriffen der „Nation" und „nationalen Identität" gemeint ist und welche Implikationen sie für Österreich und seine Bevölkerung haben. Zuvor soll jedoch das wissenssoziologisch auffallende Faktum diskutiert werden, daß dem Begriff der „Nation" in verschiedenen Sozialwissenschaften sehr unterschiedliche Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Historiker über die schwierige, aber letztlich erfolgreiche Geburt der „Nation Österreich" Starkes, in keiner anderen Sozialwissenschaft vergleichbares Interesse findet die Problematik der Nationenbildung und der nationalen Identität unter Historikern. Für die neuere Diskussion in Österreich kann man hier zumindest drei große Arbeiten zitieren. An erster Stelle ist zu nennen das beeindruckende Werk von Friedrich HEER „Der Kampf um die österreichische Identität", veröffentlicht 1981. Dieser große und leidenschaftliche, wenn auch nicht im Zentrum der akademischen Welt stehende österreichische Historiker befaßte sich, wie er im Vorwort schreibt, „in der Mitte seines siebten Lebensjahrzehnts zum ersten Mal mit einem Phänomen der österreichischen Geschichte" und fügt dann später an: „Österreichische Vergangenheiten: Sie bereiteten mir so viel Schmerz, daß ich als Historiker vor ihnen immer wieder erschrak. Mein Erschrecken ist nicht geringer
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geworden im Laufe dieser Arbeit..." (HEER 1981:7). Man wird hier erinnert an die Erfahrung eines britischen Historikerteams, das seine Arbeit mit einer kritisch-polemischen Einstellung begann, die die Begriffe der Nation und des Nationalstolzes als reine Mythen und Fiktionen betrachtete, im Laufe der Arbeit jedoch entdeckte, daß diese Begriffe historisch nicht nur im Dienste konservativer, sondern auch revolutionärer Kräfte und Bewegungen eingesetzt wurden, daß mit ihnen tiefe Emotionen und Gefühle verknüpft waren, Gefühle, mit denen sie selber als Wissenschaftler bis zum Ende nie wirklich zu Rande kamen (SAMUEL 1987:XI). Zurück zu HEER: Für ihn hängt die Beschäftigung mit der Idee der „Nation Österreich" - und wir stimmen ihm dabei zu - mit einer Grundfrage der modernen Human- und Sozialwissenschaften im 20. Jahrhundert zusammen: „Das Ringen um Identität: Identitätskrise und Identitätsverlust, lange zuvor von Dichtern zwischen Shakespeare und Ibsen und Strindberg und einigen Österreichern des 19. Jahrhunderts entdeckt, werden von der Tiefenpsychologie, sodann von Psychotherapeuten, ja sogar von 'klassischen' Psychiatern, von Kinderärzten, Fürsorgern, Soziologen und Politologen als Lebensprobleme allerersten Ranges erkannt - fiir Millionen von Menschen zunächst in den hochindustriellen Gesellschaften, als Gesellschaften von einzelnen und Einsamen... Identität: Verlust von Identität, Wiedergewinnung von Identität, als ein Erringen, Erkämpfen von Personalität, dem permanenten Bürgerkrieg im 'Ich' entronnen: Dieser riesenhafte Problemkreis wird von Sigmund Freud, seinen Schülern und früheren Gegnern in Wien in einer Zeit entdeckt, in der die österreichische Identitätskrise einem explosiven Höhepunkt zusteuert: zwischen 1900 und 1914. "(HEER 1981:9) Für HEER stellt die Thematik der „Identität" und damit auch jene der „nationalen Identität" eine zentrale Problematik moderner Gesellschaften dar; er trifft sich hierin mit dem amerikanischen Tiefenpsychologen und Sozialwissenschaftler Erik ERIKSON, auf den wir noch zurückkommen werden. Für Österreich, so HEER, stellte sich diese Thematik seit jeher in ganz besonderer Schärfe: „Es gibt kein geschichtliches Gebilde in Europa, dessen Existenz so sehr mit den Identitätsproblemen seiner Mitglieder verbunden ist wie Österreich." Und trotzdem wurden diese österreichischen Identitätsprobleme wissenschaftlich viel zu wenig behandelt. Warum? „'Heiße Eisen' werden gemieden, verharmlost oder gar nicht gesehen" (HEER 1981, ebenda). Dies galt, so HEER, insbesondere für die Diskussion des Verhältnisses zwischen Österreich und Deutschland. In seiner Arbeit verfolgt HEER die konflikthafte Entstehung der österreichischen Nation von Reformation und Gegenreformation über Absolutismus und Aufbrechen der nationalen Konflikte im Zeitalter Franz Josephs bis 15
hin zur Ersten Republik und dem Anschluß an das Großdeutsche Reich 1938. Historischen Persönlichkeiten wie Metternich, Franz Joseph, Hitler und Schuschnigg wird dabei ebenso Aufmerksamkeit gewidmet wie geistes- und kulturgeschichtlichen Strömungen. Sein Band endet mit einem Epilog, in dem er das Leben des aus Galizien stammenden, jüdisch-österreichischen Schriftstellers Joseph Roth darstellt und mit den Geschehnissen der österreichischen Geschichte von den frühen 20er bis zu den späten 30er Jahren in Zusammenhang bringt. Roth wurde am 30. Mai 1939 in Paris bestattet, im Beisein von österreichischen Emigranten aus allen politischen Lagern: „Zerbrochen vom Schicksal der Heimat: Joseph Roth schuf sein Werk als Dichter, als Schriftsteller, in der Nachfolge der vielen 'Zerrissenen', Einzelnen, Einsamen, die es wagten, österreichische Patrioten zu sein - ständig angefochten, immer wieder verfolgt, in äußere und innere Emigration gewiesen, am stärksten und furchtbarsten angefochten in ihrem Herzen, in ihrem Glauben an Österreich, der so oft in ihnen selbst starb. Und wieder auferstand." (HEER 1981:442) Etwa zugleich bzw. kurz nach HEERs Studie erscheinen zwei weitere historische Standardwerke zur österreichischen Nation. Eines davon wurde verfaßt vom linksliberalen, in Frankreich lehrenden österreichischen Historiker Felix KREISSLER. Es befaßt sich mit der neueren Geschichte Österreichs vom Untergang der Ersten Republik 1938 bis zum Anfang der 80er Jahre. KREISSLER geht von einigen Grundthesen aus, die wir weitgehend teilen: „Welchen Sinn hat es also, das Bewußtwerden der österreichischen Nation zu untersuchen und zu studieren ? In unserer Zeit ist die Nation ob sie nun groß oder klein ist - als eine in der Geschichte verwurzelte eigene Einheit sowohl Akteur als Zeuge, ist eine originelle Gemeinschaft der Kultur, der Tradition, eines gemeinsamen Erlebens und bleibt als solche immer noch der Rahmen, in dem sich das politische, wirtschaftliche und soziale Leben abspielt. Ja sie bleibt nicht nur dieser Rahmen, sondern eine große Zahl junger Nationen ist gerade dabei, sich ihn mit Hilfe der staatlichen Unabhängigkeit und ihrer damit verbundenen Nationswerdung zu erobern." (KREISSLER 1984:544; hervorgehoben im Original) Das Werden Österreichs stellt laut KREISSLER (1984:15), wie das jeder anderen Nation, einen "dialektischen Prozeß" dar, der „eher in Form von Erschütterungen" vonstatten geht als in Form einer linearen Entwicklung. Als die entscheidenden Etappen in der Nationwerdung Österreichs sieht er den „brutalen Schock der Annexion" durch Hitler-Deutschland; den inneren Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime; die Erfahrungen der politischen Eliten in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten
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und den Kriegsgefangenenlagern der Allliierten; die Befreiung im Jahre 1945 und den Abschluß des Staatsvertrages 1955. Man sieht, daß KREISSLER hier viele Ereignisse, die von manchen zeitgenössischen Historikern eher als problematisch und dem österreichischen Selbstbewußtsein abträglich interpretiert werden, durchaus positiv sieht. Auch teilt KREISSLER den von uns im folgenden vertretenen Nationsbegriff als einer von ihren Bürgern bejahten und unterstützten politischen Gemeinschaft, die mehr ist als ein bloßer Herrschafts- und Verwaltungsapparat. Einige der Schlußfolgerungen von KREISSLER stimmen in erstaunlicher Weise mit Befunden überein, die wir in diesem Bande präsentieren werden. Als wesentliche Elemente der Festigung des österreichischen nationalen Selbstbewußtseins sieht er die permanente und aktive Neutralität, die „Österreich ein internationales Vertrauenskapital erworben (hat), wie nie zuvor in der Vergangenheit"; die Überwindung pangermanistischer Ideologien, die durchaus mit der Aufrechterhaltung und Pflege enger kultureller Beziehungen zum deutschen Volk einhergehen könne; sowie die Anerkennung des „pluri-sprachlichen, pluri-ethnischen Charakters" der östereichischen Nation angesichts seiner autochthonen Minderheiten (KREISSLER 1984:542ff.). Das dritte bedeutende Werk zur Nation Österreich stammt vom Wiener Sozialhistoriker Ernst BRUCKMÜLLER. Zuerst erschienen 1984 unter dem Titel „Nation Österreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung", wurde es kürzlich überarbeitet und erweitert neu aufgelegt mit dem Untertitel „Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse" (BRUCKMÜLLER 1984, 1996). Schon diese Tatsache, daß ein doch primär wissenschaftliches Werk anscheinend genügend Leser findet, um einem Verlag eine Neuauflage als attraktiv erscheinen zu lassen, zeigt, daß „nationale Identität ein Thema darstellt, das auf ein außerordentlich großes Interesse des allgemeinen, gebildeten Publikums stößt. 3 Die Arbeit
3 Im Zuge der Vorarbeiten zu diesem Projekt machte ich mehrfach die Erfahrung, daß das Interesse an der Thematik der nationalen Identität unter dem allgemeinen Publikum erheblich größer zu sein scheint als unter Sozialwissenschaftlern. So bedurfte es mehrjähriger Diskussions- und Überzeugungsarbeit, bis dieses Thema als Forschungsschwerpunkt für 1995 im ISSP-Projekt durchgesetzt werden konnte. (Es war dies allerdings auch durch die Schwierigkeit seiner Abfrage in einer internationalen Umfrage bedingt.) Umso überraschter war ich, als ich bei der diesjährigen Arbeitstagung des ISSPProjektes in Portoroz (Slowenien) von zumindest zwei Kollegen erfuhr, in ihrem Lande sei die Präsentation erster Befunde auf großes öffentliches Interesse gestoßen. Mehrere andere Kollegen baten die übrigen um die Originaldaten der Ergebnisse ihrer Länder, um schon vor Vorliegen des gesamten Datensatzes Vergleiche durchführen zu können. Auf ein überraschend großes, für uns natürlich erfreuliches, Echo stieß auch unsere Präsentation von Befunden im Rahmen einer kleinen Pressekonferenz in Wien am 11.1.1996.
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von BRUCKMÜLLER ist am umfassendsten unter allen drei besprochenen angelegt; sie beschreibt nicht nur die historische Entstehung der Nation Österreich in der Habsburgermonarchie (hier stellt sie auch die Geschichte der nichtdeutschen Nationen von 1848 bis 1918 dar) und in der Ersten und Zweiten Republik, sondern analysiert auch die unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Konzeptionen von „Nation", die Rolle von Bildern, Stereotypen und Institutionen „historischer Mythenbildung", wie Literatur und Architektur, Feste und Feiern, Armee und Schule in der Nationsbildung im allgemeinen und in Österreich im besonderen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Befunde von BRUCKMÜLLER im Detail einzugehen; wir werden auf sie an verschiedenen Stellen zurückkommen. Kurz diskutiert werden soll jedoch ein interessanter Befund bzw. eine Schlußfolgerung, weil sie es uns gestattet, die unterschiedliche Schwerpunktsetzung des historischen und soziologischen Ansatzes etwas zu verdeutlichen. Nach einer Zusammenfassung der verschiedensten, einander z.T. widersprechenden historischen Konzepte von der „Nation Österreich" (bei Monarchisten, Deutschnationalen, Österreichpatrioten, Kommunisten usw.), die z.T. durchaus bis heute nachwirken, und in der Konfrontation dieser mit dem jüngeren Umfragen zum Nationalbewußtsein und Nationalstolz stellt BRUCKMÜLLER fest: „Die Konfrontation der uneinheitlichen Symbollandschaft der österreichischen Identität mit der Intensität und dem Ausmaß des österreichischen Nationalstolzes ergibt ein verblüffendes Ergebnis: Ein hoch entwickelter Nationalstolz korrespondiert mit einem in sich uneinheitlichen, widersprüchlichen Symbolhaushalt... ... Die Österreicher sind... mehrheitlich sehr stolz darauf, Österreicher zu sein (...). Sie brauchen dazu ganz offenkundig ... nicht einmal eine in sich relativ konsistente, widerspruchsfreie mythologische Ausstattung... Wieso 'hält' die österreichische Nation dennoch zusammenT' (BRUCKMÜLLER 1996:396) BRUCKMÜLLER nennt als Ursache dafür vor allem „die Kraft des Faktischen": wir gehören einfach zu Österreich, aktiv (durch politische Teilnahme) und passiv (durch die ständige Konfrontation mit kulturellen Symbolen und Umwelten). Wichtig erscheint ihm - und wir stimmen ihm darin zu - daß erst die „aktive Anteilnahme", das „Gefühl einer irgendwie erfolgreichen, irgendwie Sicherheit vermittelnden Teilnahme, Teilhabe, Mitarbeit und Mitentscheidung entstehende Zusammengehörigkeitsgefühl (...) die Basis für ein Nationalbewußtsein" bietet (BRUCKMÜLLER 1996:396). Daher sei es auch wichtig, Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte auf allen Ebenen, nicht nur denen der Gemeinden und Länder, sondern auch auf denen des Staates und der Europäischen Union, zu sichern und auszu-
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bauen; ansonsten werde „die Unzufriedenheit mit undurchschaubaren Machtzentren noch wachsen" (ebenda, S. 399). BRUCKMÜLLER spricht hier einen ganz zentralen Aspekt der Bedeutung des Nationalbewußtseins an. In Kapitel 2 wird sich zeigen, daß es vor allem das politische und gesellschaftliche „Grundvertrauen" ist, also das Gefühl, daß die politischen Eliten verantwortungsbewußt und transparent handeln, daß die politischen Handlungen des Bürgers (etwa in der Wahlurne) auch Konsequenzen haben. Aus einer solchen Sicht entschärft sich das von BRUCKMÜLLER konstatierte Paradoxon, daß hoher Nationalstolz anscheinend vereinbar ist mit zunehmender Privatisierung und stagnierender oder sogar zurückgehender politischer Partizipation. Zunehmende Bedeutung privat-familialer oder freizeitbezogener Lebenswerte muß weder einen generellen Rückgang von Leistungsorientierungen noch einen Rückzug aus öffentlichen oder sozialen Verpflichtungen involvieren (HONDRICH et al. 1988; HONDRICH/ARZBERGER 1992). Tatsächlich zeigt sich, daß zwar das generelle Interesse an Politik in den letzten Jahren stagniert, gleichzeitig demokratische Grundhaltungen doch an Boden gewonnen und deutlich autoritäre Grundhaltungen abgenommen haben, wenngleich diese heute in Österreich noch immer erschreckend stark sind (HOLM 1996). Unserer Meinung nach muß man den Widerspruch zwischen „uneinheitlichen Symbolhaushalt" und einem hohem Nationalstolz aber noch aus einer anderen Perspektive sehen. Das „historische Gedächtnis" einer Nation, die Mythen, die sie zu ihrer Selbstlegitimierung schafft, ist nur als einer unter vielen anderen Faktoren zu sehen, die nationale Identität und Nationalstolz hervorrufen können. So werden wir verschiedentlich Hinweise darauf bringen, daß das historische Wissen und die emotionale Bewertung der Vergangenheit, selbst wenn man sich auf dieses Jahrhundert beschränkt, in der österreichischen Bevölkerung heute außerordentlich begrenzt sind. Es muß also noch andere Gründe für den hohen Nationalstolz der Österreicher geben. Diese kann man erst sehen, wenn man Österreich systematisch mit anderen Ländern vergleicht. Es wird sich zeigen, daß es aus dieser Vergleichsperspektive in der Tat eine Reihe von plausiblen Gründen für den hohen Nationalstolz gibt - Gründe, die sein Weiterbestehen in Zukunft aber keineswegs als selbstverständlich erscheinen lassen. Warum sich die historischen Wissenschaften viel mehr für Nationenbildung und nationale Identität interessieren als die Politikwissenschaft und Soziologie Mit diesen drei Werken sind die Beiträge der österreichischen Historiker zum Thema der „nationalen Identität" keineswegs erschöpft. Es gibt darüberhinaus mehrere gründliche Arbeiten über die Begriffe „Österreich" 19
und das Österreichbewußtsein (STOURZH 1990; KLINGENSTEIN 1995; PLASCHKA et al. 1996), sowie zahlreiche Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften, die hier nicht zitiert werden müssen. Man kann wohl sagen, daß sich alle namhaften Historiker in der einen oder anderen Form an der Debatte über die Entstehung der österreichischen Identität beteiligt haben. (Dabei wurden, etwa von F. Fellner, auch Positionen vertreten, die keineswegs eine so eindeutige Befürwortung der Eigenständigkeit der „Nation Österreich" beinhalten, wie dies bei den drei oben angeführten Autoren der Fall ist; vgl. dazu auch BOTZ 1994a.) Betrachtet man im Vergleich zu dieser Fülle an Auseinandersetzungen die neuere soziologische und politikwissenschaftliche Literatur, so findet man weit weniger Beiträge zum Stichwort „Nation Österreich". In einer Liste soziologischer Buchpublikationen von 1981 bis 1991 (HALLER 1992b), die immerhin rund 330 Titel umfaßt, sucht man das Stichwort „Nation" vergeblich. Eine ältere Broschüre von BURGHART/M ATIS (1976) ist bis dato wohl die einzige soziologisch einschlägige Monographie. Ein von HALLER und RICHTER (1994) herausgegebener Band befaßt sich vor allem mit der Frage einer möglichen „europäischen" Nation, nicht speziell mit Österreich. Mehr Beiträge zum Thema der Nation finden wir bei den österreichischen Politikwissenschaftlern, wobei es allerdings meist eher um kürzere Gelegenheitsarbeiten handelt, als um größere Studien oder Monographien. In der zweiten Auflage des umfangreichen „Handbuchs des Politischen Systems Österreichs" (DACHS et al. 1991) findet sich der Begriff „Nation" im Inhaltsverzeichnis nicht; im Stichwortverzeichnis taucht er zweimal auf. 4 Es gibt allerdings zwei größere Monographien zum Begriff der „Nation" bzw. zur „Nation Österreich" von Politikwissenschaftlern, von denen jedoch bezeichnend ist, daß sie eine im Grund sehr skeptische Haltung zu beiden Konzepten einnehmen. Eine kenntnisreiche Monographie zum Begriff und den verschiedenen Theorien der Nation hat der Politik- und Sozialwissenschaftler Albert REITERER 1988 vorgelegt. Für REITERER (1988:285ff.) ist die Nationenbildung eine Strategie, die über eine einheitliche Kultur die Einheitlichkeit eines sozioökonomischen Systems herstellt und legitimiert. Nachdem diese Einheit in modernen Gesellschaften heute gegeben ist, wird die Integrationsfunktion der Nation überflüssig und kann in „nachnationalen 4 Auf S. 275f. erwähnt der Sozialhistoriker Josef Ehmer den Kommunisten Alfred Klahr als einen frühen Vertreter des Konzepts der „Nation Österreich" im heutigen Sinne; in einem Artikel von Helmut Kramer zur Außenpolitik (S. 643) werden in Tabellenform die häufig (auch von uns im folgenden Kapitel) zitierten Umfragedaten dargestellt, wonach der Anteil der Österreicher, die sich zu einer eigenen Nation bekennen, seit 1956 stark gestiegen ist; die gleichen Daten werden auch auf S. 469 dargestellt (vgl. DACHS et al. 1991).
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Gesellschaften" von anderen Syndromen übernommen werden, etwa „transnationalen Sachzwangparadigmen". Neben dieser konzeptuellen Arbeit hat REITERER eine große Anzahl empirisch fundierter Studien insbesondere zu den Minderheiten in Österreich (z.B. REITERER 1986, 1990) sowie zur österreichischen Sozialstruktur (REITERER 1995) vorgelegt, sodaß er heute ohne Zweifel einer der kompetentesten Sozialwissenschafter in diesem Bereich ist. Trotz mancher theoretischer Divergenzen zu unserem Ansatz, die der/die Leserin vielleicht selber bemerken wird, sind wir daher sehr froh, ihn zur Mitarbeit an diesem Projekt gewonnen zu haben. Eine neuere Monographie zum Thema der österreichischen Nation hat der sehr produktive Politikwissenschaftler Anton PELINKA (1990) verfaßt. Sein Buch „Zur österreichischen Identität. Zwischen deutscher Vereinigung und Mitteleuropa" definiert der Autor selber als „sozialwissenschaftliche Analyse mit dem Anspruch, über die Grenzen einer wissenschaftlichen Debatte im engeren Sinn hinaus gehört zu werden" (S. 7). Es handelt sich um eine interessante Zusammenstellung historischer Befunde und aktueller sozialwissenschaftlicher Daten, jedoch wird dabei wohl nicht der Anspruch einer systematischen sozialwissenschaftlichen Analyse der Thematik der Nation Österreich erhoben. Der Grundton des Buches ist recht skeptisch; so spricht der Autor von einer immer wiederkehrenden Verspätung Österreichs; seine Entstehung verdanke es einem „Ergebnis weltpolitischer Konstellationen, die einem der Demokratie eher widerwillig gegenüberstehenden Volk die demokratischen Freiheiten aufzwangen" (S. 24); im Zusammenhang mit dem Fall Waldheim in den 80er Jahren glaubt er gar den „Zusammenbruch des Glaubens an den 'Österreichischen Weg', gekennzeichnet durch gemischte Wirtschaft, Sozialpartnerschaft und Vollbeschäftigung", konstatieren zu müssen (S. 143). PELINKA sieht die Situation heute also viel pessimistischer als die vorhin genannten Historiker (und die meisten Autoren dieses Bandes); für ihn steht derzeit „die Substanz österreichischer Selbstverständlichkeit" und „Existenz überhaupt" in Frage. PELINKA hat seine Position nicht lange nach Veröffentlichung dieser Arbeit allerdings erheblich geändert, was ein deutliches Indiz dafür ist, daß bei Publikationen zu diesem Thema die persönlichen politisch-weltanschaulichen Interessen und Anschauungen des Verfassers, die sich bei Änderung der gesamtgesellschaftlichen bzw. politischen Rahmenbedingungen oft ändern, eine erhebliche Rolle spielen (vgl. dazu im Detail den Beitrag von Albert REITERER in Kapitel 5). Eine deutlich skeptische Haltung, ja eine tendenzielle Ablehnung des Begriffes der „Nation" überhaupt, läßt sich auch bei anderen Sozialwissenschaftlern und Intellektuellen konstatieren. Der in Frankfurt lehrende österreichische Soziologe Heinz STEINERT (1988) meint, die österreichische Identität sei von den dominanten Eliten der Nachkriegszeit nur „erzwungen" und von Konservativen neuerdings „wiederaufgewärmt" 21
worden; der Sozialphilosoph Rudolf BURGER (1994) sieht im österreichischen Patriotismus ein „grundsätzliches Problem", vor allem angesichts der Verdrängung der nationalsozialistischen Epoche durch die Österreicher (vgl. dazu auch die Kapitel 5 und 8). Eine ähnliche Haltung vertrat der viel zu früh verstorbene Grazer Soziologe Gunter FALK in einer Interpretation der Umfrageergebnisse zur Entwicklung des österreichischen Nationsbewußtseins, die dessen kontinuierliche Steigerung zeigen; das heutige starke österreichische Identitätsbewußtsein sei nicht als „eine Quelle der subjektiven Zufriedenheit mit der Gegenwart" zu sehen, sondern nur auf „die ökonomischen, sozial- und sicherheitspolitischen Rekonstruktionsleistungen und Wohlstandssteigerungen in der 2. Republik" zurückzuführen (FALK 1987:6). Hier wird fälschlicherweise suggeriert, die politische Ausrichtung Österreichs in der Nachkriegszeit sei nur eine Wiederherstellung des Status vor 1938 oder 1934 gewesen und nicht eine klare Neuorientierung; eine solche stellte aber sowohl die eindeutige Abkehr vom Anschlußgedanken wie auch die Übernahme der immerwährenden Neutralität de facto dar. Man muß also einen doch recht deutlichen Unterschied im Interesse am Begriff der „österreichischen Nation" bei Historikern einerseits, Soziologen und Politikwissenschaftlern andererseits feststellen. Dafür mögen zumindest fünf Gründe eine Rolle spielen. 1) Der Begriff der „Nation" enthält "irrationale", symbolische und emotionale Elemente, die dem seit jeher stark rationalistischen Denken der modernen Sozialwissenschaften fremd sind. Dabei geht es insbesondere um subjektiv-emotionale Haltungen und Reaktionen und um kollektive Mythen und Bilder, die beide mit den individualistisch-rationalistischen Modellen sozialen Handelns, wie sie in der Politik- und Sozialwissenschaft heute vorherrschen, kaum erfaßt werden können (SCHEFF 1994:65). (Man denke hier nur an die neuerdings stark vordringenden rational-choice-Theorien, aber auch an Systemtheorien, die marxistische Gesellschaftstheorie und andere.) Demgegenüber beschreibt die Geschichtswissenschaft in viel anschaulicherer Tiefe und Breite reale historische Geschehnisse, „berührt" damit auch den nichtwissenschaftlichen Leser viel stärker. 2) Im Prozeß der Nationenbildung spielen individuelle Persönlichkeiten immer wieder eine ausschlaggebende Rolle. Die Geschichtswissenschaft hat diese seit jeher zu einem Hauptobjekt ihres Interesses gemacht, was ihr zu Recht von der neueren Sozialgeschichte kritisch angekreidet wurde. Demgegenüber wird in nahezu allen sozialwissenschaftlichen Theorien eine strukturelle Orientierung gefordert, die Befassung mit Persönlichkeiten gilt als eine ungebührliche „Personalisierung". 3) Nationenbildung und nationales Bewußtsein sind Prozesse bzw. Phänomene, die eher in spektakulären Ausnahmesituationen als im alltäglichen Leben eine Rolle spielen. Nicht umsonst waren es neben Historikern vor allem Schriftsteller, die die Erweckung nationaler Emotionen 22
und nationalistischer Exzesse am eindrücklichsten geschildert haben. (Vgl. z.B. Stefan Zweig's Darstellung der heute völlig unverständlichen, enthusiastischen Reaktionen der Wiener Bevölkerung auf die Nachricht von der Kriegserklärung an Serbien und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in „Die letzten Tagen der Menschheit".) Für Sozialwissenschaftler ist es bislang noch kaum üblich, sich mit allgemeinen Aspekten singulärer Ereignisse zu befassen, was jedoch durchaus notwendig wäre. 4) Die Geschichtswissenschaft denkt und arbeitet mit viel längeren Zeiträumen als die Politik- und Sozialwissenschaften im engeren Sinne, die sich vor allem auf die Herausarbeitung und Analyse aktueller Strukturen und Prozesse konzentrieren (dies wird zu Recht kritisiert von BOTZ 1994b). Dabei gerät diesen allerdings der Blick für die grundsätzliche Brüchigkeit derartiger Strukturen häufig aus dem Blick. Am spektakulärsten hat sich diese „Kurzsichtigkeit" der Politik- und Sozialwissenschaften noch kürzlich in ihrer (falschen) Bewertung der Stabilität der staatssozialistischen Gesellschaften Osteuropas gezeigt. 5) Die Begriffe der „Nation" und des „Nationalismus" stehen im Geruch des Konservativen, ja des Reaktionären, was angesichts ihrer Perversion in Faschismus und Nationalsozialismus wie auch jüngeren Exzessen, etwa in Jugoslawien und der Ex-Sowjetunion, nicht verwunderlich ist. Die modernen Sozialwissenschaften aber verstehen sich seit ihrem Beginn bei Comte, Saint Simon, Herbert Spencer und anderen als die Träger von Aufklärung und Fortschritt. Die westlich-demokratischen Nationen haben sich von groben nationalistischen Exzessen inzwischen zwar gelöst, aber auch sie haben das Bedürfnis nach einem positiven nationalen Selbstbild und seiner kontinuierlichen Bestätigung. BRUCKMÜLLER (1996:395f.) weist in diesem Zusammenhang auf das Dilemma der Historiker hin, daß sie durch ihre berufliche Arbeit selber neue Bilder und Mythen produzieren (vgl. dazu auch selbstkritisch BOTZ 1994a). Sie werden in dieser ihrer Funktion von Gesellschaft und Politik auch offensichtlich stark unterstützt, wie das ansonsten schwer zu erklärende Faktum belegt, daß von öffentlicher Seite für die Forschung im Bereich der historischen Wissenschaften in Österreich anscheinend mehr ausgegeben wird als für die Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zusammen. 5
5 So machten die Förderungsmittel, die der Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF), die Hauptquelle für wissenschaftliche Grundlagenforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften, im Jahre 1992 für die historischen Wissenschaften ausgab, mit 46 Millionen um fast zwei Drittel mehr aus als die Summe (rund 30 Millionen), die für die Rechts-, Sozialund Wirtschaftswissenschaften insgesamt ausgegeben wurde (vgl. dazu die Jahresberichte des FWF, sowie HALLER/TRAXLER 1995).
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Versuchen wir abschließend, den spezifischen Beitrag der politischen Soziologie zur Problematik der Nationenbildung in einigen Stichworten anzudeuten; dabei geht es auch um eine klare Abgrenzung zur Geschichtswissenschaft, jedoch nicht im Sinne einer Abschottung, sondern einer Bestimmung der jeweiligen unterschiedlichen Gesichtspunkte, auf deren Hintergrund eine fruchtbare Zusammenarbeit erst möglich ist. Wir würden sagen, daß es der Soziologie im allgemeinen und in unserer Studie im besonderen geht um: •
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die systematische Beschreibung der verschiedenen Facetten der nationalen Identifikation und des Nationalstolzes; dabei soll vor allem die Bedeutung dessen herausgearbeitet werden, was die Menschen meinen, wenn sie sagen, sie fühlten sich als „Österreicher" oder sie seien auf ihre Nation stolz; die - zumindest ansatzweise - systematische Erklärung der Determinanten dieser nationalen Identifikation, wie wir sie aus den Lebensumständen der Einzelnen und dem Vergleich verschiedener gesellschaftlicher Gruppen erschließen können; die Herausarbeitung der Funktionen von nationaler Identität und Nationalstolz für Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen in anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen; die Durchführung methodisch systematischer, rigoroser Vergleiche mit anderen Ländern, auf deren Basis wichtige Fragen in diesem Zusammenhang überhaupt erst beantwortet werden können.
In all diesen Aspekten werden wir, im folgenden in allgemeiner Form, und in den einzelnen Kapiteln dann in speziellerer Weise, konkrete Hypothesen über die Ursachen der Entstehung nationaler Identität und ihre Folgen entwickeln. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen und Hypothesen wird es möglich sein, fallweise wieder auf die Befunde von Historikern zurückzukommen und diese schlüssiger zu interpretieren, als es im Streit der Historiker selber oft möglich erscheint, der j a häufig - nicht anders als in anderen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften - stark durch die Wertungen der jeweiligen Autoren mitbestimmt ist. Hauptziel unserer Analyse ist es dabei, Soziologie mit Max WEBER als „Wirklichkeitswissenschaft" zu betreiben, also soziale Phänomen nicht nur in Analogie zu den Naturwissenschaften als kausale Regelmäßigkeiten zu sehen und durch unwandelbare Gesetze zu erklären, sondern „die uns umgebende Wirklichkeit des Lebens ... in ihrer Eigenart (zu) verstehen", d.h. „den Zusammenhang und die Kulturbedeutung ihrer einzelnen Erscheinungen in ihrer heutigen Gestaltung einerseits, die Gründe ihres geschichtlichen So-und-nicht-anders-Gewordenseins andererseits" (WEBER 1973:212; vgl. auch LEPSIUS 1988; TENBRUCK 1989). Es geht also um die Verbindung eines erklärenden Ansatzes, der die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit des Auftretens verschiedener Phänomene und Zusammen24
hänge darstellt, mit einem verstehenden Ansatz, der die Interpretation und Bewertung dieser Phänomene in den Augen der Beteiligten und Betroffenen erfassen will.
2. Der Begriff der „Nation" als soziologische Perspektive auf die Staatsgesellschaft In der Diskussion der Begriffe „Nation" und „nationale Identität" müssen wir konsequent zwischen zwei Ebenen unterscheiden: zwischen der Ebene des politischen Gemeinwesens auf der einen Seite, und der Ebene der individuellen Haltungen der Angehörigen dieses Gemeinwesens zu ihrem Staat und ihrer Nation auf der anderen Seite. Im ersteren Falle geht es um öffentliche und kollektive Prozesse der Entwicklung von Vorstellungen, der Gestaltung von Verfassungen und politischen Institutionen, des Fällens von mehr oder weniger weitreichenden Entscheidungen. Im letzteren Fall geht es darum, wie Individuen auf diese globalen Prozesse reagieren, wie sie jene aber auch selber durch ihre individuellen Haltungen und Reaktionen mit beeinflussen. Ob jemand Gefühle der Loyalität, Bindung und Verpflichtung gegenüber seiner Nation entwickelt, ist abhängig von seinen persönlichen Erfahrungen und Wertorientierungen, Interessen und Lebensumständen, aber auch von der „objektiven" Struktur der Nation, der er angehört. Auf der anderen Seite bleibt ein Staat ein bloßes Gehäuse, ein Kartenhaus, das beim ersten größeren Windstoß zusammenbrechen würde, wenn er nicht auf die Loyalität und Partizipation seiner Angehörigen bauen kann. Betrachten wir diese beiden Perspektiven nun genauer.
„Nation" als lebensfähige, von den Bürgern subjektiv bejahte politische Gemeinschaft Wir gehen davon aus, daß der Begriff der „Nation" eine wesentliche und notwendige Ergänzung zum Zwillingsbegriff des Staates darstellt. Unter „Nation" verstehen wir, kurz gesagt, eine politische Gemeinschaft, mit der sich die Bürger identifizieren. Es geht also nicht nur um die formale Mitgliedschaft in einem politisch-organisatorischen Gebilde mit allen Attributen einer solchen, wie einer Bevölkerung, einem Territorium, einer Verfassung, einer Regierung die das Monopol legitimer physischer Gewaltausübung innehat (so die klassische Definition von WEBER; vgl. dazu R.O. SCHULTZE in NOHLEN 1991:733f.), sondern auch um ein kognitiv fundiertes, affektiv und wertbesetztes Gefühl der „nationalen Zugehörigkeit", einer „Gemeinsamkeit" und eines „Solidaritätsempfindens" der Staatsangehörigen zu ihrer politischen Gemeinschaft (WEBER 1964:313, 675). Eine solche Gemeinschaft muß nicht unbedingt einen eigenen Staat darstellen; entscheidend ist lediglich, daß in einer größeren gesellschaftlichen 25
Einheit der Wille (und natürlich auch die Chance) vorhanden ist, die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Geschicke gemeinsam und selber zu bestimmen. Die soziologische Betrachtung, die wir hier ins Zentrum stellen, konzentriert sich damit auf einen Aspekt der politischen Gemeinschaft, der - wie bereits angedeutet - in den Politik- und Sozialwissenschaften in aller Regel stark unterbelichtet, wenn nicht völlig vernachlässigt wird. Nicht nur die ältere, vergleichende Regierungslehre, auch die neuere Politikwissenschaft und politische Soziologie, die z.B. mit dem Begriff des „politischen Systems" arbeiten, konzentrieren sich in erster Linie auf die rechtlich fixierten, organisatorisch und verbandsmäßig mehr oder weniger eindeutig festgelegten Strukturen des Staates und anderer politischer Einheiten (Verbände, Parteien usw.). Dies ist auch verständlich, sind doch formale Strukturen dieser Art rationaler Rekonstruktion und wissenschaftlicher Analyse viel leichter zugänglich als grundlegende Wertorientierungen und Ziele, vielfach diffuse Emotionen und Leidenschaften. Die Konzentration auf den Staat als „formales Zweckgebilde" entspricht der WEBERschen Grundregel soziologischer Betrachtung, streng zweckrationales Verhalten zum Ausgangspunkt aller Typenbildung zu machen und „alle irrationalen, affektuell bedingten, Sinnzusammenhänge des Sichverhaltens, die das Handeln beeinflussen, am übersichtlichsten als 'Ablenkungen' von einem konstruierten rein zweckrationalen Verlauf darzustellen (WEBER 1964:4ff.). Mit dieser Grundregel widerspricht er sich allerdings selber in gewisser Hinsicht, wenn er an anderer Stelle von zweckrationalem, wertrationalem, affektuell-emotionalem und gewohnheitsmäßig-traditionalem Handeln spricht und diese alle als Objekt soziologischer Analyse bestimmt (WEBER 1964:17). Wie ebenfalls schon Max WEBER (1964/1:313-316,11:674-677) betonte, kann sich das Gefühl der nationalen Gemeinsamkeit an sehr unterschiedliche Kriterien knüpfen. Die wichtigsten darunter sind ein gemeinsames, „ererbtes" Territorium, historische Mythen und Erinnerungen, eine gemeinsame Sprache und Kultur, für alle Mitglieder gültige gleiche Rechte und Pflichten, eine integrierte und leistungsfähige Wirtschaft. All diese Merkmale, sowie das zusätzliche Merkmal eines gemeinsamen Namens, führt einer der bedeutendsten zeitgenössischen Theoretiker der Nation, der Engländer Anthony D. SMITH (1991:14), aufzählend als Definitionskriterien von „Nation" an. (Unklar bleibt dabei, was der Fall ist, wenn eines oder mehrere davon nicht gegeben sind.) Wir möchten hier aber mit WEBER (1964:313) primär und ganz eindeutig auf die Tatsache abstellen, daß im Zentrum nationaler Gemeinsamkeitsgefühle der politische Verband steht. Versuchen wir, diesen Begriff von zwei anderen, verbreiteten Konzeptionen abzugrenzen. Eine davon könnte man als „nominalistisch", die andere als „substantialistisch" bezeichnen.
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Man kann die Nation mit ANDERSON als (bloß) vorgestellte politische Gemeinschaft (imagined Community) bezeichnen, da es in einem großen politischen Gemeinwesen unmöglich ist, daß alle Angehörigen einander persönlich kennen. Damit darf aber nicht suggeriert werden, daß die Nation nur eine symbolische, vom realen Handeln abgehobene Bedeutung hätte. Auf der anderen Seite folgen wir auch nicht Auffassungen, die stattdessen einen „harten Kern" von Nationen ausmachen wollen, der letztlich in ethnischer Gemeinschaftsbildung liege. In diesem Sinn schreibt etwa A. D. SMITH (1986:18), es gebe alte „ethnische Wurzeln", die in einem erheblichen Ausmaß Natur und Grenzen moderner Nationen bestimmen. Ähnlich argumentieren E. FRANCIS (1965) und Friedrich HECKMANN (1992:50, 53); letzterer definiert in einer Einführung „Nation" als „ethnisches Kollektiv, das ein ethnisches Gemeinsamkeitsbewußtsein teilt und politisch-verbandlich in der Form des Nationalstaats organisiert ist". Ethnisch-kulturelle Merkmale, zu denen neben den oben genannten vor allem auch eine gemeinsame Abstammung (oder der zumindest der Glaube daran), gemeinsame Sitten, Bräuche und Lebensformen gehören, spielen in der Tat auch für moderne Nationalstaaten eine zentrale Rolle; ihre Bedeutung ist jedoch grundsätzlich als kontingent und austauschbar zu sehen; Josef MARKO (1995:90ff.) wirft den vorhin genannten Konzeptionen daher zu Recht eine Tendenz zu einer unzulässigen Begriffs-Substantialisierung vor (vgl. auch WEBER 1964:303-316, 674-678). Dies gilt in besonderer Weise für den Begriff des „Volkes", der durch seinen essentialistisch-rassistischen Gebrauch im Nationalsozialismus heute stark vorbelastet ist. Trotzdem würden wir HECKMANN (1992:50) zustimmen, der meint, man sollte diesen alltagssprachlich weithin verwendeten Begriff auch sozialwissenschaftlich aufgreifen; er definiert „Volk" als „das umfassendste ethnische Kollektiv, das durch den Glauben an eine gemeinsame Herkunft, Gemeinsamkeit von Kultur und Geschichte sowie ein bestimmtes Identitäts- und Zusammengehörigkeitsbewußtsein gekennzeichnet ist". Wir würden „Volk" aber keinesfalls als „ethnisches Gebilde" sehen, sondern es dahingehend definieren, daß es die Gesamtheit der einer Nation objektiv und subjektiv zugehörigen Bürger umfaßt. „Objektiv" heißt, daß jemand im Lande lebt und dessen Staatsbürgerschaft besitzt, „subjektiv", daß er sich diesem Lande zugehörig fühlt und bereit ist, die damit verbundenen Rechte und Pflichten zu respektieren bzw. zu erfüllen. Zwischen „objektiv" und „subjektiv" besteht hier eine enge Wechselwirkung: ohne Staatsbürgerschaft kann man nicht am politischen Leben der Nation teilnehmen; ohne Zugehörigkeitsgefühl wird sich ein Einwanderer nicht zum Erwerb der Staatsangehörigkeit entschließen. Nur bei einer solchen Begriffsbestimmung kann man von einem „österreichischen" Volk im Unterschied zu einem deutschen oder einem Schweizer Volk sprechen (HALLER 1994a), ohne damit nationalistischen Mythologien Vorschub zu leisten. Bei einem „ethnischen" Volksbegriff 27
würde man dagegen vielleicht in sinnvoller Weise von einem „süddeutschen" (oder sogar „bayrischen") Volke im Gegensatz zu einem „norddeutschen" sprechen, da die „Stammes"- Herkunft, konfessionelle Zugehörigkeit, Mentalität usw. eher nach einer solchen Trennlinie zu ziehen wäre. Verstehen wir „Volk" als die Gesamtheit der in einem Nationalstaat lebenden, ihm durch Staatsangehörigkeit und (tendenziell) auch subjektive Identifikation zugehörigen Menschen, so kann z. B. auch eine erst im Erwachsenenalter eingewanderte, lange Zeit hier lebende Person als „Österreicher" bezeichnet werden, selbst wenn sie bestimmte, „typisch österreichische" Merkmale in ethnisch-kultureller Hinsicht nicht besitzt. Man könnte eine Reihe prominenter Österreicher (Schriftsteller, Journalisten usw.) benennen, die etwa im Zuge der niedergeschlagenen Revolutionen in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 nach Österreich geflüchtet sind, sich hier auf Dauer niedergelassen haben und heute wesentliche Beiträge zum Geistesleben dieser Nation leisten (vgl. einige Biographien solcher „NeoÖsterreicher" in SUNJIC/WOLF 1995 sowie die Fallstudien in Kapitel 3 von G. PAIER). Ein erheblicher Anteil führender Kommunal- und Landespolitiker ist in einer anderen Stadt oder einem anderen Bundesland aufgewachsen als dem, in dem sie ihre politische Karriere gemacht haben. Unsere Begriffsbestimmung steht auch in Kontinuität zum „klassischen" Gebrauch dieses Begriffes seit der französischen Revolution, in der der moderne Nationalstaat erst geboren wurde: als das grundlegend Neue an der französischen Nation wurde gesehen, daß sie die Repräsentation des „dritten Standes" neben Adel und Klerus, also des ganzen Volkes, sei (vgl. dazu die Stichwörter „Nation" bzw. „nazione" in BERNSDORF 1969:736-738; DEMARCHI et al. 1987:1349-1359, sowie auch die Unterscheidung zwischen „Ethnos" und „Demos" bei FRANCIS 1965). Der Elan der französischen Revolutionsheere, den sich noch NAPOLEON in seiner Unterwerfung fast ganz Europas zunutze machen konnte, hat sich zu einem großen Teil aus dieser Idee gespeist. Von einer „Nation" im vollen Sinne des Wortes sprechen wir also dann, wenn die zentralen politischen Institutionen des modernen Staates, wie Verfassung, Regierung, Parlament, Justiz, Polizei usw., von den Bürgern nicht nur als faktisch herrschende Instanzen und Mächte gesehen, sondern auch als rechtmäßig installierte, den eigenen Interessen, Lebensformen und Werthaltungen entsprechende, damit bewahrens- und unterstützenswerte Einrichtungen anerkannt werden und ihnen gegenüber ein Gefühl der Loyalität und Zugehörigkeit entwickelt wird. Die Grundthese lautet, daß politische Gemeinwesen nur dann in der Lage sind, die in jeder Gesellschaft auftretenden Phänomene sozialer Desorganisation (ausufernde Streiks und Kriminalität, Korruption usw.) in einem erträglichen Rahmen zu halten, tiefe innere Krisen und Konflikte sowie ernsthafte äußere Bedrohungen zu überstehen, wenn sich bei ihren Bürgern eine ausreichend starke nationale Identifikation in diesem Sinne entwickelt hat. 28
Wir können aber auch von einer potentiellen oder im Entstehen begriffenen Nation sprechen, wenn sich territorial und/oder kulturell fundierte Gemeinschaften das Ziel setzen, um politische Autonomie zu kämpfen und sich eventuell sogar als selbständig zu erkären. Die entscheidende Motivation für Selbständigkeitsstreben in diesem Sinne ist das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit. Nur wenn man dies sieht, kann man die Sprengkraft der nationalen Idee im Laufe der vergangenen zwei Jahrhunderte - 1789 und 1989 stehen hiefür als markante Daten! - verstehen, die zum Untergang aller großen, multi-nationalen Reiche Europas (des Osmanischen Reiches, Österreich-Ungarns und des Zarenreiches bzw. der Sowjetunion) wie auch der weltumspannenden Kolonialreiche Spaniens, Hollands, Frankreichs und Großbritanniens geführt hat. Nur so kann man aber auch verstehen, warum viele der neuentstandenen Staaten selber wieder höchst instabil waren. Man denke hier an die immer wieder aufflammenden blutigen Bürgerkriege in vielen postkolonialistischen Staaten der Dritten Welt, deren Grenzen häufig willkürlich von den ehemaligen Kolonialmächten festgelegt wurden. In all diesen Fällen war das Gefühl der nationalen Einheit und Zusammengehörigkeit nicht stark genug ausgebildet, sodaß die Schwächung der herrschenden Eliten als Folge äußerer oder innerer Bedrohungen (Weltkriegsniederlage, wirtschaftlicher Niedergang, politische Unterdrückung) zum Zerfall der politischen Einheit führte. Auch der Zerfall der multinationalen Staaten Osteuropas war in allererster Linie auf einen Mangel an Nationalbewußtsein in diesem Sinne zurückzuführen. Die Geschichte Österreichs in diesem Jahrhundert liefert selbst ein schlagendes Beispiel dafür, wie essentiell es ist, daß sich ein nur dynastisch zusammengehaltenes oder durch äußere Intervention geschaffenes politisches Gebilde zu einer gefestigten Nation entwickelt. Schon die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie ging zugrunde, weil die Legitimität und Existenzberechtigung dieses vielgestaltigen, kulturell höchst produktiven, wirtschaftlich durchaus dynamischen, politisch allerdings stets konflikthaften Gemeinwesens nicht nur von den nach Autonomie strebenden „nicht herrschenden" Tschechen, Kroaten usw. in Frage gestellt wurde, sondern vor allem auch von den Deutschnationalen unter den herrschenden deutschsprachigen Eliten selber. Ebenso war die Erste Republik in dieser Hinsicht mit einem entscheidenden „Geburtsfehler" behaftet, da führende politische Kräfte von vornherein nicht an ihre Lebensfähigkeit glaubten (vgl. dazu den Beitrag von A. REITERER in Kapitel 5 sowie u.a. ADAMOVICH/FUNK 1985:73). Während die Schweizer in den Dreißiger Jahren auf Wirtschaftskrise und Bedrohung durch den in Italien und Deutschland aufsteigenden Faschismus und Nationalsozialismus durch einen bis heute gültigen „Friedenspakt" zwischen den großen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Interessengruppen reagierten, brach in Österreich zur gleichen Zeit ein Bürgerkrieg aus, der schließlich vom bürgert ich-kon-
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servativen Lager durch Oktroyierung einer Ordnung mit Gewalt beendet wurde.
autoritär-ständestaatlichen
Variationen von Nationen: Ethnonationen versus Staatsnationen Nationen stellen sich historisch und im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich dar. Eine Unterscheidung betrifft die zwischen Ethnonationen und Willens- oder Staatsnationen. Man könnte sagen, daß es dabei im starken Maße um die Bedeutung der „ethnischen Grundlagen" einer Nation für ihr Selbstverständnis geht. Dieser Aspekt hängt auch eng mit der historischen Entwicklung der Idee der Nation zusammen: die Idee der Willens- oder Staatsnation entwickelte sich vor allem in westlichen Ländern, wie Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, in denen historisch weit zurückreichende Prozesse der Staatsbildung die Bildung der Nation zur Folge hatten (KOHN 1962; REITERER 1988; SMITH 1991). Demgegenüber entzündete sich das nationale Erwachen in Mitteleuropa, in Deutschland und Italien, gerade am Fehlen eines Nationalstaates im Sinne Frankreichs, Englands oder Amerikas. Die nationale Einigung wurde hier an in erster Linie an die Sprach- und Kulturgemeinschaft geknüpft, sie wurde, vor allem in ihren ersten Phasen, getragen von den Intellektuellen, Sprachwissenschaftlern, Historikern und Schriftstellern der Romantik und des Idealismus. Das ethnische Element im engeren Sinne, die Betonung von Abstammung und Territorium, volksverhafteten gemeinsamen Sitten und Bräuchen, trat noch stärker hervor in der dritten Welle nationaler Befreiungsbewegungen in Osteuropa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die nicht über so hoch entwickelte und traditionsreiche Sprachen und Kulturen verfügten wie Deutschland und Italien. Mit dieser unterschiedlichen historischen Abfolge waren und sind bis heute auch deutlich unterschiedliche Konzepte von „Nation" verbunden. Das Konzept der „Staatsnation" betont die politische Gemeinsamkeit aller auf dem Territorium des Staates lebenden Bürger, ihre gleichen Rechte und Pflichten; das Konzept der „Kultur-" oder „Ethnonation" betont die Ähnlichkeit oder Verwandtschaft der Angehörigen einer Nation in bezug auf Sprache und Kultur, Sitten und Gebräuche, bis hin zu ihrer Blutsverwandtschaft durch gemeinsame Abstammung. Sehr deutlich zum Ausdruck kommt der Unterschied zwischen den beiden Konzepten von Nation in der Art und Weise, wie die Staatsbürgerschaft verliehen wird: im Falle der „Staatsnation" hat jeder auf dem Territorium eines Staates Geborene ein Anrecht auf Erlangung der Staatsbürgerschaft (ius soli), im Falle der „Ethnonation" wird dieses Recht tendenziell geknüpft an Merkmale, die allen „echten" Angehörigen einer Nation gemeinsam sind (ius sanguinis). So erlangten Kinder von Ausländern, die in Frankreich geboren wurden, noch bis vor kurzem automatisch die französische Staatsbürgerschaft, während die Bundesrepublik Deutschland dabei viel restriktiver ist. Die extre30
men Konsequenzen einer Zielvorstellung der Schaffung ethnisch-national oder sogar „rassisch" homogener Staaten sind Vertreibung und Völkermord, wie sich nicht nur im nationalsozialistischen Holocaust, sondern jüngst noch im Zuge der Zerschlagung Jugoslawiens durch die neuen, nach Tito an die Macht gekommenen nationalistischen Führer gezeigt hat. Der Besitz einer Staatsbürgerschaft als „Mitgliedskarte" eines Nationalstaates wird heute immer unentbehrlicher; wer sie nicht hat, ist von nahezu allen Grundrechten ausgeschlossen, wie die immer verzweifelteren Versuche politischer Flüchtlinge und anderer Emigranten zeigen, Zutritt zu westlichen Ländern zu finden (NOIRIEL 1991). Es erscheint in diesem Zusammenhang naheliegend, das Konzept der Staatsnation mit einer „offenen", das der „Ethno-" oder „Kulturnation" mit einer „geschlossenen Gesellschaft" gleichzusetzen (vgl. KOHN 1968:66). Das erstere ist ohne Zweifel viel eher „modern": die Rechte eines Mitgliedes der Nation sind politisch definiert, universell und für alle offen, die in ein Land einwandern. Paradefall hiefür sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Nation ist weder auf Abstammung noch auf eine bestimmte Religion oder eine spezifische kulturelle Tradition begründet. Sie ist vielmehr begründet auf den modernen Ideen des Individualismus und der Emanzipation, der individuellen Leistung, Mobilität und Assimilation; auf einer freiheitlichen Verfassung mit klar eingegrenzten Befugnissen des Staates. Auf diese Weise war Amerika imstande, aus Menschen unterschiedlichster Herkunft die „erste neue Nation" hervorzubringen (LIPSET 1963; MÜNCH 1986). Demgegenüber beruht Mitgliedschaft in einer Ethnonation auf zugeschriebenen Merkmalen wie Abstammung und einem in der frühesten Kindheit beginnenden Prozeß der Sozialisation in die spezifischen Sitten und Bräuche einer Nation, deren Eigenart stark hervorgehoben wird (vgl. auch HECKMANN 1992:210ff.). Wer immer die Kriterien der Nationalität in diesem Sinne aufweist, ist Mitglied und hat ein Recht auf den Erwerb der nationalen Staatsbürgerschaft, wo immer er lebt. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland, dem bedeutendsten Fall einer „Ethnonation" in diesem Sinne, hatten (und haben) daher konsequenterweise nicht nur die Bürger der ehemaligen DDR, sondern auch „Volksdeutsche" in allen osteuropäischen Ländern ein Recht auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft der BRD (HECKMANN 1992). Die Unterscheidung zwischen Ethnonationen und Staatsnationen darf allerdings nicht zu einer „Wesensdifferenz" und die historische Entwicklung zu einem säkularen Trend von Ethno- zu Staatsnationen hochstilisiert werden. Zum einen ist es ein Faktum, daß selbst in einer Staatsnation par excellence wie den Vereinigten Staaten Forderungen nach Schaffung einer „Kultur-" und „Ethnonation" stets gegenwärtig waren. KOHN (1968:65) zitiert den Amerikaner Noah WEBSTER, der schon 1785 forderte, daß das amerikanische Volk auch einen eigenen „Nationalcharakter" entwickeln müsse; er berief sich hierbei auch auf HERDERs Idee vom „Volksgeist". In 31
den USA gab und gibt es seit jeher rechtsradikale Kreise, die glauben, gegen „antiamerikanische Umtriebe" zu Felde ziehen zu müssen. Daß es so etwas wie einen „amerikanischen Nationalcharakter" tatsächlich gibt, behauptet der englische Anthropologe Geoffrey Gorer (1756) in seiner geistreichen „völkerpsychologischen Studie" über den Charakter der Amerikaner. Ähnliches könnte man ohne Zweifel auch für die Schweiz behaupten, ein anderes Beispiel einer ausgesprochenen „Staatsnation"; in ihrem Falle zeigte etwa ein amüsanter Film („Die Schweizermacher"), wieviel an diffizilen ethnisch-kulturellen Eigenschaften ein Ausländer erwerben muß, um der Ehre einer Schweizer Staatsbürgerschaft teilhaftig werden zu können. Auf der anderen Seite weist die Bundesrepublik Deutschland ohne Zweifel seit ihrer Gründung sehr klare Elemente einer „Staatsnation" auf; die Forderung nach der Entwicklung eines deutschen „Verfassungspatriotismus" (Dolf Sternberger, Jürgen Habermas), so idealistisch sie auch sein mag (RUSCONI 1993:123ff.), wird im Prinzip wahrscheinlich von der großen Mehrheit der Deutschen heute bejaht. Man muß sich weiters bewußt sein, daß die Unterscheidung zwischen „Ethnonation" und „Staatsnation" auch viel mit Wertungen zu tun hat (MARKO 1995:5lf.). So bevorzugen westliche Länder die eigenen Nationen als „Staatsnationen" und damit als modern, fortschrittlich und offen zu charakterisieren. Ist die eigene Gesellschaft dem ethnonationalen Pol näher, so kann man andere positive Elemente hervorheben, wie ihre Einfachheit, Duldsamkeit, Gastfreundlichkeit usw.; dies sind etwa die von Russen in der neuesten Zeit am häufigsten genannten typischen Charakterzüge ihrer eigenen Nationalität (LEWADA 1992:167).
Ethnisch homogene, pluriethnische, Majorität- und multinationale politische Gemeinschaften Ein zweites Faktum ist, daß man keineswegs von einem eindeutigen, säkularen Trend weg von der traditionellen, partikularistischen Ethnonation und hin zur modernen, universalistischen Staatsnation sprechen kann. Dagegen spricht zunächst schon das evidente Faktum, daß sich in der Folge des Siegeszuges der Idee des Nationalstaates seit der französischen Revolution die Zahl jener Nationen, die man als relativ homogene „Ethnonationen" bezeichnen könnte, vervielfacht hat. Man kann hier unterscheiden zwischen vier unterschiedlichen Formen von Staatsgesellschaften, wobei die folgenden Differenzierungskriterien wichtig sind (vgl. HALLER 1993): (1) die Existenz und numerische Stärke ethnisch-nationaler Subgruppen innerhalb einer Gesellschaft; (2) der Grad der territorialen Konzentration, (3) das wirtschaftliche Entwicklungsniveau und (4) die „soziokulturelle Stärke" dieser Subgruppen. Je größer, je stärker konzentriert, je entwickelter die Wirtschaft und je ausgeprägter die kulturelle Eigenart ethnisch-nationaler Gruppen ist (meßbar etwa am Be-
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sitz einer eigenen Sprache, Schrift usw.), desto eher ist zu erwarten, daß sie sich artikulieren und Forderungen nach sozialer, kultureller undpolitischer Autonomie innerhalb der Gesamtgesellschaft erheben. Man kann aus diesen Kriterien vier Basistypen nationalstaatlich verfaßter Staats-Gesellschaften ableiten: • •
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ethnisch homogene Gesellschaften ohne nennenswerte ethnische Subgruppen; pluriethnische Gesellschaften mit numerisch relevanten ethnischen Minderheiten, die jedoch territorial nicht konzentriert sind und nur einen geringen Grad an soziokultureller Stärke und politischer Mobilisierung aufweisen; Majoritätsgesellschaften mit einer dominanten und einer oder mehreren kleineren, territorial konzentrierten und sich soziokulturell deutlich artikulierenden Minderheiten; multinationale Gesellschaften mit zwei oder mehr nationalen Gruppen von erheblicher numerischer, wirtschaftlicher, soziokultureller und politischer Stärke und Durchsetzungskraft.
Zwischen den vorher dargestellten beiden Idealtypen von Nationen und der unterschiedlichen ethnisch-nationalen Strukturierung von Staatsgesellschaften besteht ohne Zweifel ein Zusammenhang. Man könnte diesbezüglich zwei allgemeine Hypothesen aufstellen: a) das Konzept der „Ethnonation" wird umso eher gültig sein, je homogener eine Gesellschaft ist, das Konzept einer „Staatsnation" wird sich eher durchsetzen, je heterogener eine Gesellschaft in ethnisch-nationaler Hinsicht ist; b) je stärker die politische Verfassung ethnisch-national heterogener Gesellschaften dem (homogenisierenden) Konzept der Ethnonation zuneigt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs interner ethnisch-nationaler Konflikte bis hin zur Gefahr des Auseinanderbrechens des Staates. Bei der Beantwortung der Frage, inwieweit eine Staatsgesellschaft de facto als „Ethnonation" oder „Staatsnation" anzusehen ist, darf man sich nicht auf die formale Verfassung eines Landes allein verlassen. So ist zu vermuten, daß etwa die ethnisch sehr homogenen skandinavischen Gesellschaften trotz ihrer stark universalistisch orientierten Wohlfahrtsstaaten ebenso wie das moderne Japan mit seiner nach westlichen Normen entwickelten Nachkriegsverfassung de facto in hohem Maße als „Ethnonationen" mit erheblicher Abschließung nach außen wirken. Auf der anderen Seite war in der sowjetischen Staatsgesellschaft trotz ihrer formal stark föderalistisch geprägten Verfassung offenkundig ein starker Druck zur „Russifizierung" nichtrussischer Teilrepubliken und -regionen am Werk. 33
Probleme ethnisch-nationaler Beziehungen und Konflikte stellen sich heute in vielen westeuropäischen Ländern vor allem in bezug auf die „neuen Minderheiten" der Zuwanderer und Flüchtlinge. Was für die Arbeitsimmigranten der Sechziger und Siebziger Jahre inzwischen außer Frage steht, wird auch für einen großen Teil der Zuwanderer der Achtziger und Neunziger Jahre gelten, nämlich daß sie auf Dauer nicht im Status bloß temporärer „Gastarbeiter" oder Flüchtlinge verharren, sondern zu dauerhaften Mitgliedern ihrer Aufnahmegesellschaften werden wollen. Als Folge der massiven Wanderungen aus Süd- und Osteuropa, zunehmend auch aus Afrika und Asien, nach Süd-, Mittel- und Nordeuropa, bilden sich heute in den wohlhabenden Ländern Europas neue ethnische Minderheiten, brechen Spannungen und Konflikte zwischen Eingesessenen und Zuwanderern aus (vgl. FASSMANN/MÜNZ 1995 für Österreich, HECKMANN 1992 für die BRD). Diese Konflikte sind auf der einen Seite bedingt durch die Langsamkeit, mit der ethnisch-kulturelle Assimilierung von Zuwanderern erfolgt, aber auch durch ein zunehmendes Streben nach Bewahrung der Kultur (besonders Sprache und Religion) der neuen Minderheiten. Sie sind auf der anderen Seite bedingt durch das zunehmende Hervortreten ethnisch-rassischer Vorurteile auf Seiten der Bevölkerung der Aufnahmeländer, die sich vor allem in Phasen wirtschaftlicher Rezession und steigender Arbeitslosigkeit beobachten läßt, in denen nach „Sündenböcken" gesucht wird. Das Hervortreten derartiger Vorurteile, in erheblichem Ausmaß selbst unter Jüngeren und Höhergebildeten, war eines der beunruhigendsten Ergebnisse eines großen, von der TIMES 1991 initiierten Survey in Ost- und Westeuropa. Wie sieht es in Österreich in dieser Hinsicht heute aus und was sind die Implikationen für das nationale Selbstverständnis dieses Landes?
Österreich als ethnisch heterogene „Majoritätsgesellschaft" und unvollendete Staatsnation Man kann hier zunächst wohl feststellen, daß Österreich nach dem Wortlaut der Verfassung als Staatsnation und nicht als Ethnonation versteht. „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus", heißt es in Art. 1 der Bundesverfassung, was bedeutet, daß sich der Staat Österreich in allererster Linie als „Rechtsgemeinschaft der auf einem bestimmten Territorium lebenden Menschen" versteht, dessen ,.Existenz manifest (wird) in der Verwirklichung seiner Rechtsordnung, speziell seiner Verfassung" (RINGHOFER 1977:13f.). Auch die Bestimmungen über die grundlegenden Freiheiten, darunter die Freiheit des Religionsbekenntnisses, weisen in diese Richtung. Für das Verständnis einer Staatsnation spricht auch die Tatsache, daß den alteingesessenen Minderheiten, den Slowenen in Kärnten und Steiermark, und den Kroaten im Burgenland, im Staatsvertrag von 1955 ausdrücklich nicht nur die gleichen Rechte wie 34
allen anderen Staatsangehörigen eingeräumt werden, sondern auch das Recht auf Unterricht in der eigenen Sprache in Volks- und Mittelschulen sowie den Gebrauch der Amtssprache bei Behörden. Es gibt aber auch Verfassungsbestimmungen und andere wichtige Gesetze, die den universalistischen Charakter der politischen Gemeinschaft Österreichs deutlich limitieren. Hier sollen nur vier davon beispielhaft angeführt werden. Ein erster findet sich in Art. 8 der Bundesverfassung: „Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik" (RINGHOFER 1977:25). Obwohl Österreich seit Ende des Zweiten Weltkriegs jeden Gedanken eines Anschlusses an Deutschland weit von sich weist, deklariert es sich in diesem Paragraph doch auch als ein „deutscher" Staat. In dieser Hinsicht besteht etwa ein klarer Unterschied zur Schweiz, die weder eine noch mehrere „Staatssprachen" in diesem Sinn kennt und die Sprachen in der Bundesverfassung überhaupt kaum erwähnt (WEIBEL 1988). Sie werden lediglich als „Amtssprachen" ausführlicher behandelt, wobei neben deutsch, französisch und italienisch in jüngster Zeit sogar gleichberechtigt rätoromanisch angeführt wird, obwohl diese Sprache nur von rund 50.000 Personen (1980) gesprochen wird (ebenda, S. 81). Ein zweiter Aspekt ist die Stellung der katholischen Kirche in Österreich, die zwar ihre jahrhundertealte Funktion als „Staats- und Herrschaftsreligion" (HÖLLINGER 1996) heute weitgehend eingebüßt hat, in mancherlei Hinsicht aber - trotz formaler Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften doch noch eine deutliche Vorzugsstellung besitzt (etwa in der besonderen Unterstützung katholischen Privatschulen). Ein dritter Aspekt betrifft die Gesetzgebung in Bezug auf die Staatsbürgerschaft (vgl. RINGHOFER 1977:600ff.). Auf das Konzept der „Ethnonation" verweist hier die Tatsache, daß „Abstammung" das erste und grundlegendste Prinzip ihrer Erlangung ist. Für die Verleihung an Ausländer ist die hohe Hürde von 10 Jahren Aufenthalt im Lande festgelegt. Interessanterweise wird von einem Bewerber um die Staatsbürgerschaft neben Unbescholtenheit auch noch verlangt, daß er „nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist" (Staatsbürgerschaftsgesetz 1965, §10 (1) und auch - was ebenfalls auf einen exklusiven Charakter hinweist - aus seiner bisherigen Staatsbürgerschaft ausscheidet. 6 So ist es nicht überraschend, daß noch Anfang der 90er Jahre pro Jahr nur rund 10.000 bis 11.000 Ausländer eingebürgert wurden (STATISTISCHES JAHRBUCH 1993:18, 50).
6 In einer kleinen empirischen Studie in Graz wurde festgestellt, daß auch noch den einzelnen Sachbearbeiterinnen bei Anträgen auf Verleihung der Staatsbürgerschaft ein erheblicher Ermessensspielraum verbleibt (vgl. DRENIG u.a. 1996).
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Betrachtet man die interne ethnische Struktur, so stellt sich das kleine Österreich heute im Vergleich zu der extrem vielfältigen, multinationalen österreichisch-ungarischen Monarchie als ethnisch homogene Gesellschaft dar. Und doch ist Österreich nicht nur durch alle vorhin genannten Tendenzen der Entstehung neuer Minderheiten unmittelbar betroffen, sondern es besitzt, wie bereits erwähnt, auch noch alte, autochthone Minderheiten. Verfassungmäßig verankerte institutionelle Voraussetzungen zur dauerhaften Sicherung ihrer Sprache und Kultur sind allerdings noch nicht voll realisiert (REITERER 1986, 1990; BAUMGARTNER/PERCHINIG 1991), was sich nicht zuletzt in ihrem kontinuierlichen numerischen Rückgang seit 1945 zeigt. 7 Besonders deutlich wird dies, wenn man die für diese Minderheiten vorgesehenen Rechte und institutionellen Förderungen mit den entsprechenden Rechten der Südtiroler vergleicht: dort erhält jedes Kind deutscher Muttersprache vom Kindergarten bis zur Matura eine vollständige Ausbildung in seiner Sprache; sämtliche öffentlichen Behörden und Ämter sind verpflichtet, nach Wunsch mit den Bürgern auf deutsch zu verkehren; Beamte mit italienischer Muttersprache müssen sich entsprechend der hierarchischen Ebene, auf der sie tätig sind, Deutschkenntnisse aneignen (Autonome Provinz Bozen-Südtirol 1984). Ähnliches gilt für die Lage der alten, stigmatisierten, durch den Holocaust numerisch ohnehin auf kleine Zahlen geschrumpften Minderheiten der Juden, Sinti und Roma. Ihnen gegenüber bestehen in Österreich auch heute noch starke Vorurteile und ein erschreckendes Potential zu gewaltsamen Aktionen, wie es sich zuletzt zeigte in der Briefbombenserie und im brutalen Mordanschlag auf vier Angehörige burgenländischer Roma am 5.2.1995. Zunehmend werden ethnisch-rassische Vorurteile, ausländerfeindliche und antisemitische Haltungen auch in der Öffentlichkeit geäußert, vor allem im Dunstkreis der Freiheitlichen von Jörg Haider (vgl. WEISS 1978; BUNZL/MARIN 1983; FLECK/MÜLLER 1992; SCHARSACH 1992; HALLER 1995). Über 400.000 Österreicher haben zu Beginn des Jahres 1993 das von dieser Partei initiierte, eindeutig gegen Ausländer gerichtete Volksbegehren „Österreich zuerst" unterzeichnet. Es gibt allerdings Anzeichen dafür, daß sich auch die erklärten Gegner ausländerfeindlicher Haltungen und Aktionen immer stärker zu Wort melden. So war der Erfolg des genannten Volksbegehrens erheblich geringer als erhofft, und am 30. Jänner 1993 nahmen über 200.000 Menschen an einer von der Aktion „SOS-Mitmensch" initiierten Demonstration („Lichtermeer") gegen Ausländerfeindlichkeit in Wien teil; es war dies die
7 Heute gibt es in Kärnten laut Volkszählung 1991 noch 17.000 Slowenen, im Burgenland 20.000 Personen mit kroatischer Umgangssprache; vor 100 Jahren waren die entsprechenden Zahlen noch über 100.000 bzw. 44.000 (REITERER 1995:79ff.).
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größte, europaweit aufmerksam registrierte Demonstration seit Bestehen der Zweiten Republik! In Österreich stellen sich schließlich heute auch massiv die Probleme der Integration von Einwanderern und Flüchtlingen aus anderen Sprachund Kulturregionen Europas. 1991 wohnten bereits über eine halbe Million Ausländer in Österreich (genau 517.690), das sind 6,6% der Wohnbevölkerung; darunter 382.000 Personen mit einem nichtchristlichen Religionsbekenntnis (STATISTISCHES JAHRBUCH 1993:18). Seit 1945 kamen Arbeitsmigranten, Asylwerber, Vertriebene und andere Zuwanderer zu Hunderttausenden in das Land, rund 16% der Wohnbevölkerung sind außerhalb der heutigen Grenzen der Republik Österreich geboren. Trotzdem versteht sich Österreich nicht als Einwanderungsland; treffend wurde hier festgestellt: „Realität und Selbsteinschätzung klaffen auch heute noch in Österreich weit auseinander" (FASSMANN/MÜNZ 1995:9). Massive Zuwanderung in das Gebiet des heutigen Österreich ist historisch nichts Neues. Wie schon die ungarischen, tschechischen und polnischen Zuwanderer nach Wien um die Jahrhundertwende, sind auch die heutigen Zuwanderer aus Jugoslawien, der Türkei und anderen südosteuropäischen Ländern in aller Regel nicht als hochgebildete, zahlungskräftige und unabhängige Einzelpersonen nach Österreich gekommen, sondern als junge Menschen, oft mit einer Familie zuhause, auf der Suche nach einer für ihre früheren Verhältnisse immer noch relativ gut bezahlten Arbeit in einfachen Arbeiter- und Dienstleistungsberufen (LICHTENBERGER 1984). Die Frage der Integration dieser Menschen und ihrer Familien ist nicht nur eine der Menschenrechte und Humanität, sondern auch eine der wirtschaftlichen Zukunft dieses Landes. Man braucht sich nur das enorme Potential an begabten und leistungswilligen Kindern und Jugendlichen dieser Familien vor Augen halten, das leichtfertig verschüttet wird, wenn man ihnen, wie es derzeit noch weithin der Fall ist, die vollen Möglichkeiten der frühzeitigen sprachlichen und schulischen Förderung vorenthält (SELBER 1994). Leider liegt Österreich „sowohl in der Setzung ... (wie auch) in der öffentlichen Diskussion um neue Integrationsmaßnahmen vergleichsweise weit hinter der überwiegenden Mehrzahl der westeuropäischen Länder zurück" (BEIWL et al. 1995). Im Verhältnis zwischen Inund Ausländern erfolgt offenkundig ein - von den Zuwanderern mehr erlittener als gewollter - Prozeß der Zuschreibung eines „Ausländerstatus" von Seiten der österreichischen Mehrheitsbevölkerung, der mit erheblichen Vorurteilen verbunden ist und auf ein ethnonational geprägtes österreichisches Nationalbewußtsein hinzuweisen scheint (BEIWL et al. 1995). Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, werden wir im folgenden selbst untersuchen.
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3. Die Bedeutung nationaler Identität für das Selbstbewußtsein des modernen Menschen Entwicklung und Anwendungsbereiche des Begriffes der „Identität" Der Begriff der„Identität" tritt in den Human- und Sozialwissenschaften in jüngster Zeit immer stärker in den Vordergrund und wird heute in verschiedenen theoretischen Strängen der Sozialpsychologie und Soziologie verwendet, um eine Vielfalt von Phänomenen zu erkären (WEIGERT et al. 1986). Wir geben hier eine kurze Darstellung der Genese und Anwendungsbereiche des Begriffes, um seine Anwendung auf die Problematik der „nationalen Identität" plausibler werden zu lassen. Bahnbrechend für die Entwicklung des Begriffs der „Identität" waren die Arbeiten des österreichisch-amerikanischen Psychoanalytikers und Sozialwissenschaftlers Erik H. ERIKSON; er untersuchte und belegte, daß sich Kinder in vielerlei Hinsicht mit ihren Eltern identifizieren und daraus ihre eigenen Vorstelllungen und Gefühle von Sicherheit oder Unsicherheit, Sexualität, Autonomie, Stolz und Scham entwickeln. Identität ist für ERIKSON eine geglückte Synthese aus Kindheitsbeziehungen und -erfahrungen und den sozialen aus späteren Erwachsenenrollen: „Die heranwachsenden, sich entwickelnden Jugendlichen sind... vor allem daran interessiert, wie sie in den Augen anderer erscheinen, verglichen mit ihrem eigenen Gefiihl, das sie von sich haben, und wie sie ihre früher geübten Rollen und Geschicklichkeiten nun mit den augenblicklich vorherrschenden Idealtypen in Verbindung bringen können... Die Integration, die nun in Form der Ich-Identität stattfindet, ist mehr als nur die Summe der Kindheits-Identifikationen... Das Gefühl der IchIdentität ist also die angesammelte Zuversicht des Individuums, daß der inneren Gleichheit und Kontinuität auch die Gleichheit und Kontinuität seines Wesens in den Augen anderer entspricht, wie es sich nun in der greifbaren Ausicht auf eine 'Laufbahn' bezeugt." (ERIKSON 1957:239) Eine sich rasch wandelnde Zeit macht uns nach ERIKSON alle zu Heranwachsenden; die typischen Perspönlichkeitskrisen des modernen Menschen sind daher Identitätskrisen (WEIGERT et al. 1986:8). Eine zentrale Stellung hatte der Begriff der „Identität" seit jeher bei symbolisch-interaktionistischen Sozialwissenschaftern. Anknüpfend an amerikanische Autoren dieser Tradition (N. Foote, H. Lynd, A. Strauss) untersuchte vor allem Erving GOFFMAN, daß die Art und Weise, wie sich Menschen gegenüber ihren Mitmenschen darstellen, ein zentrales Element sozialer Interaktion und sozialer Konflikte ist; am anschaulichsten zeigte er dies bei Menschen mit verschiedenen Stigmata (GOFFMAN 1967, 38
1974). In Anknüpfung an soziologische Klassiker in der Tradition des Pragmatismus (G. H. Mead, C. Cooley), der klassischen europäischen Soziologie (E. Dürkheim, G. Simmel, M. Weber, A. Schütz) und der Wissenssoziologie untersuchten Peter BERGER und Thomas LUCKMANN (1969) in ihrem bahnbrechenden Werk über „Die soziale Konstrukion der Realität" die Problematik der Konstruktion persönlicher und sozialer Identität aus dem Zusammenspiel von biographischen Erfahrungen und sozialen Kontexten. Die Konzepte der Identität werden heute auf eine Vielfalt von sozialen Phänomen und Prozessen angewandt: zu Erklärungen auf der Ebene der individuellen Persönlichkeit; zur Funktion der Religion für die Identitätssicherung; zu sozialer Abweichung; zur Frage, wie sich Hierarchien verschiedener Identitäten herausbilden und wie sie miteinander vereinbart werden können; zur Erklärung „normaler" und abweichender geschlechtlicher Identität (McCALL/SIMMONS 1966; KRAPPMAN 1975; WEIGERT et al. 1986). Auf institutioneller Ebene werden bildungsmäßige, berufliche, rechtliche, familiäre und andere Identitäten untersucht. Gemeinsam ist all diesen Ansätzen, daß sie auf eine soziologische Sozialpsychologie (WEIGERT et al. 1986:30) hinauslaufen, deren zentrale Frage lautet: Was ist der Mensch, warum ist er sich seiner selbst und seiner Mitmenschen bewußt? Welche Formen und Implikationen hat dieses Selbstbewußtsein für soziale Beziehungen, für die Entstehung von Konflikt und Kooperation? Die Grundthese lautet, daß das Selbstbild des Menschen sozial konstruiert ist: „Als totales gesellschaftliches Produkt wird Identität als sinnhaftes Objekt vom Menschen konstruiert, definiert und aufrechterhalten. Um als menschliches Wesen gelten zu können, muß ein Organismus als sinnhafte Identität interpretiert werden; das heißt, als ein Objekt. Ein 'Objekt' ist jede Realität, an welche Menschen ihre symbolischen Reaktionen richten und ihm damit Sinn verleihen. Das Objekt ist sozial sinnhaft in dem Ausmaß, in dem die Reaktionen anderer und des Selbst darauf zusammenstimmen, sodaß die Ziele und Intentionen der interagierenden Individuen erreicht werden können und das kollektive Handeln der Gruppe richtig dargestellt wird." (WEIGERT et al. 1986:31; Übersetzung M.H.) Identität ist, kurz definiert, die sozial konstruierte Definition eines Individuums. Als soziale Konstruktion knüpft sie an die jeweils gegebenen kulturellen Muster und Interaktionsregeln an. Die Bedeutung eines Individuums - seine Identität - ergibt sich aus diesen sozial konstruierten Definitionen. „Identität" ist aber nicht nur ein neuer Begriff, sondern auch ein zentrales Element einer neuen Theorie der sozialen Persönlichkeit, ihrer Stellung und ihres Handelns im gesellschaftlichen Kontext. Einige Grundannahmen dieser Theorie sollen nun in Stichworten festgehalten werden. 39
Grundannahmen der Theorie der sozialen Identität Die folgenden sechs Punkte unterscheiden eine identitätsbezogene Sozialtheorie grundlegend von anderen, derzeit viel häufiger herangezogenen theoretischen Ansätzen der Human- und Sozialwissenschaften: 1) Identität stellt die Gesamtheit der einem Individuum mehr oder weniger deutlich bewußten Ordnungs- und Bezugspunkte dar, die seine Orientierung und sein Handeln in bezug auf die Umwelt bestimmen (vgl. die Wörterbücher zur Soziologie von HARTF1EL/HILLMANN und ENDRUWEIT/TROMMSDORFF). Es wird also angenommen, daß ein Individuum ein bestimmtes Bild von sich selber, von seinen Mitmenschen und von der Welt entwickelt und daß dieses Bild in entscheidender Weise sein Denken und Handeln beeinflußt und nicht nur die einem Individuum zur Verfügung stehenden Ressourcen und Interessen, wie z.B. die rational-choice Theorie annimmt (vgl. z.B. COLEMAN 1991/93). 2) Ein wesentlicher Aspekt dieser Identität sind einerseits die eigene Körperlichkeit und geistig-seelischen Anlagen und Fähigkeiten eines Menschen, andererseits die Beziehungen zu anderen Menschen. Ich erkenne mich selbst und meine Eigenheiten (als Mann oder Frau, als Kind oder ein Erwachsener, als „Normaler" oder Behinderter usw.) erst „durch die Brille der anderen". Es wird daher auch unterschieden zwischen zwei Aspekten der Identität; dem „Ich" („I nach MEAD 1973) bzw. der „persönlichen Identität" als der vom Individuum, im Zusammenhang mit seinen höchst persönlichen körperlichen und geistigen Antrieben, Fähigkeiten und Erfahrungen, erlebten Identität, und der „sozialen Identität", dem Selbstbild, das durch die Brille von anderen gesehen und durch die verschiedenen sozialen Rollen vermittelt ist, die man innehat (etwa als Schüler, Hausfrau, Soziologin oder Soziologe, Angehöriger einer bestimmten sozialen Schicht, als Angehöriger einer bestimmten Schicht usw.; vgl. HALLER 1983: lOlff.)3) Identität enthält nicht nur kognitive, sondern auch bewertende und emotionale Elemente. Für Thomas SCHEFF (1994; SCHEFF/RETZINGER 1991) ist die Problematik der Sicherung oder Bedrohung menschlicher Identität in engster Weise mit den beiden menschlichen Grundemotionen („master emotions") Stolz und Scham verknüpft. So wie Furcht eine physische Lebensbedrohung signalisiert, deutet Scham auf eine Bedrohung des sozialen Selbst hin. Die Emotionen Stolz und Scham haben - wie alle Emotionen - eine instinktive Basis; ihr Erleben löst unmittelbare körperliche Empfindungen, Gefühle und Reaktionen aus (Erröten, hastigeres Sprechen usw.; SCHEFF 1994:39ff). Emotionen als menschliche Ausdrucksformen stellen stets „eine Einheit aus geistigen, seelischen und körperlichen Komponenten" dar (PLESSNER 1970:24). 40
4) Identität ist nichts Monolithisches, ein- für allemal Festgelegtes, sondern unterschiedlich deutlich ausgeprägt und stark situations- und kontextabhängig. Ich kann (und muß) eine Identität gegenüber anderen präsentieren und „darstellen" (GOFFMAN 1969). Ich-Identität als Balance zwischen Akzeptieren der Erwartungen anderer und Festhalten seiner eigenen Idividualität ist kein fester Besitz des „Individuums", sondern muß ständig neu formuliert werden (KRAPPMAN 1975:208). 5) Darin impliziert ist auch die Möglichkeit, daß man mehrfache (multiple) Identitäten besitzen kann, die jeweils in unterschiedlichen Kontexten in unterschiedlichem Grade aktiviert werden. Georg SIMMEL (1923:305ff.) sah es geradezu als ein Merkmal des modernen Menschen an, zugleich verschiedenen, voneinander unabhängigen Kreisen angehören zu können und durch die einmalige Kombination solcher Mitgliedschaften eine besondere Individualität entwickeln zu können. 6) Der Begriff der Identität ist auf Individuen ebenso anwendbar wie auf soziale Gruppen, Organisationen und globale Einheiten (Staaten, Nationen). Auch diese Einheiten stehen vor der Notwendigkeit, Identitäten zu entwickeln und unter geänderten Bedingungen neu zu definieren. Zwischen individuellen und kollektiven Identitäten besteht eine Analogie: genauso wie Identität nichts ein- für allemal Festgelegtes, Statisches, keine individuelle „Eigenschaft" ist, sondern stets als Teil eines Prozesses zu sehen ist, gilt auch für Gruppen oder größere kollektive Einheiten, daß ihre Identität entsteht aus der Interaktion mit anderen Einheiten, in der Wechselwirkung zwischen kulturell vorgegebenen normativen Vorstellungen und Bildern und den Vorstellungen und Interessen der jeweiligen Einheit. Es ergibt sich damit eine neue Sicht des MikroMakro-Problems: man steht nicht mehr vor der (unlösbaren) Schwierigkeit, wie man aus individuellen Eigenschaften und Verhaltensweisen Prozesse auf der Makroebene „erklärt", sondern darum, Analogien, „Wahlverwandtschaften" (ein Konzept, das klassische deutsche Soziologen wie Simmel, Weber und Mannheim betonten), wechselseitige Übertragungen von sinnhaften Definitionen und Zuschreibungen zu erfassen. Das Selbstbild (und die ihm entsprechenden Fremdbilder) oder die Identität eines Menschen ist ein soziales Faktum von größter Bedeutung. Die Grundthese der Theorie sozialer Identität lautet, daß Menschen danach streben, ein möglichst positives Selbstbild von sich selber zu entwickeln. Ein Individuum wird erst dann zu einem wirklichen „Menschen", wenn es eine derartige, sozial und kulturell sinnhaft definierte Identität entwickelt hat und sie ihm von seinen Mitmenschen in der alltäglichen Interaktion quasi immer wieder bestätigt wird (McCALL/SIMMONS 1966; GOFFMAN 1969, 1974; ERIKSON 1957; WEIGERT et al. 1986:30ff.). Dies gilt auch für die mit Identität verknüpften „master emotions" Stolz und Scham: Die Entstehung von Scham hat unmittelbar mit sozialen Beziehungen zu tun: sie signalisiert Nichtanerkennung, Zurückgestoßenwer41
den, Trennung von anderen. Das Gegengefühl Stolz entsteht, wenn man eine Leistung erbracht hat, die besondere Anerkennung erfährt und sich dadurch also anderen besonders verbunden fühlt (SCHEFF 1994). In der psychologisch-soziologischen Theorie von Thomas SCHEFF (1994: 57ff.) wird Identität und ihre Beziehung zu den Emotionen Stolz und Scham verknüpft mit den Grundformen sozialer Interaktion: Konflikt und Kooperation. Sie läßt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: sichere soziale Beziehungen und Bindungen sind verbunden mit Zugehörigkeitsund Stolzgefühlen, sie führen zu „funktionalen Formen" zwischenmenschlicher Kommunikation (d.h. einer Kommunikation, in der die Partner die jeweiligen Inhalte richtig verstehen und erwartungsgemäß reagieren) und zu Kooperation; unsichere, bedrohte oder ambivalente Beziehungen führen zu unterdrückten Schamgefühlen, dysfunktionaler Kommunikation und permanenten, häufig sich vertiefenden Konflikten. In der modernen Sozialpsychologie wurde der Zusammenhang zwischen Selbstbild und Gruppenzugehörigkeit herausgearbeitet (TAJFEL 1982; zum Überblick vgl. MUMMENDEY 1985). Die Gruppenzugehörigkeit eines Menschen wird als entscheidend für sein Selbstbild betrachtet; die Identität eines Individuums leitet sich geradezu aus der Mitgliedschaft in verschiedenen Gruppen ab. Aus dieser These folgt, daß ein Individuum dazu neigen wird, Mitglied jener Gruppen zu bleiben (oder zu werden), die positiv zu seiner Identität beitragen; daß es Gruppen eher verlassen wird, die seinen Erwartungen nicht entsprechen; daß es sich von Gruppen abgrenzen möchte, die wenig geschätzte Merkmale besitzen, oder dazu tendiert, sie zu übersehen oder abzuwerten („negative Bezugsgruppen"). Man kann hier also die Entstehung von Stereotypen und Vorurteilen erklären und zwar ebenfalls auf eine Weise, die soziale Beziehungen in den Mittelpunkt stellt und nicht anscheinend unveränderbare menschliche Eigenschaften (wie es im Konzept des „Ethnozentrismus" suggeriert wird). Wir können nun dazu übergehen, diese Begriffe und Theoreme auf die Problematik der „nationalen Identität" anzuwenden. Der Begriff der nationalen Identität - Abgrenzung vom Begriff des „Nationalcharakters" Analog zu den oben angeführten sechs Grundannahmen der Identitätstheorie können wir nun näher angeben, worin „nationale Identität" besteht: • Nationale Identität ist eine bewußte, intellektuell-geistig, wertend und emotional-affektiv begründete Bejahung der Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen. Wesentlich ist hier das Wort „politisch": nationale Identität in modernen Gesellschaften stellt keineswegs einen Ersatz für traditionellere Formen der Bindung an kleinräumige, verwandtschaftliche u.a. Formen von gemeinschaftlichen Beziehungen dar; diese 42
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bestehen in modernen Gesellschaften durchaus weiter, die nationale Identität kommt als eine andere Form von Identität dazu. Nachdem sich der Staat heute zu einer sämtliche gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden, den gesamten Lebensablauf des Menschen bestimmenden Institution entwickelt hat, ist anzunehmen, daß nationale Identität einen potentiell sehr bedeutenden Teilaspekt von sozialer Identität darstellt: Heute hängt „echte Identität (ab) ... von der Unterstützung, die das junge Individuum von dem kollektiven Identitätsgefühl erhält, das die für es wichtigsten Gruppen charakterisiert: von seiner Klasse, seiner Nation, seiner Kultur" (ERIKSON 1971:80). Die Bedrohung der Existenz einer Nation und ihrer Angehörigen kann in diesen die stärksten Gefühle der Erregung, die größte Bereitschaft zum „Zusammenstehen" im Kampf gegen den gemeinsamen Feind auslösen. Dies gilt aber auch für weniger bedrohliche Krisensituationen, die von Politikern häufig konstruiert oder herbeigeführt werden, um Popularität zu gewinnen. Nationale Identität wird im alltäglichen Leben kaum „aktualisiert", kommt jedoch zu Bewußtsein bzw. spielt eine Rolle in Situationen, in denen man Fremden begegnet bzw. zu diesen Stellung nimmt: bei Begegnungen mit Ausländern und bei Reisen ins Ausland; bei Diskussionen und Entscheidungen über die Stellung von Ausländern im eigenen Land; bei der Beurteilung und Behandlung von anderen Nationen. Dieses Faktum erklärt, warum sich die hitzigsten Nationalisten oft in Grenzgebieten eines Landes finden. Eine Vorstellung liberal-progressiver Sozialtheoretiker lautet, nationale Identität stelle im Zeitalter der Globalisierung wirtschaftlich-politischer Beziehungen, der Säkularisierung und Universalisierung von Werten und Lebensformen eine nicht mehr zeitgemäße traditionelle Form der Loyalität dar, die durch eine universale „Weltorientierung" zu ersetzen sei (vgl. z.B. GIDDENS 1985). Von Linken wird häufig darauf hingewiesen, der Appell an die nationale Gesinnung diene oft nur dazu, latente Interessendivergenzen zu maskieren. Aus der Sicht der Theorie der Identität ergibt sich hier eine völlig andere Perspektive: die Relativierung des Nationalstaates und die Zunahme weltweiter Verflechtungen muß keineswegs zu einer Ersetzung der nationalen Identität durch übergreifendere Identitäten führen, sondern kann viel besser dadurch bewältigt werden, daß nationale Identität ergänzt bzw. erweitert wird durch solche zusätzlichen Loyalitäten.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich als zentrale These: die Entstehung, Entwicklung und Veränderung von nationaler Identität ist zu erklären (1) als Teil einer Theorie, in deren Zentrum die Funktionsweise sozialer Prozesse und sozialer Beziehungen steht; (2) nationale Identität entsteht insbesondere als Folge der Bedrohung der Selbständigkeit und des Bestandes
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ethnisch-nationaler oder territorial-regional basierter Gemeinschaften bzw. Einheiten. Wir können diese These zunächst alternativen Erklärungsansätzen gegenüberstellen, die davon ausgehen, daß nationale Identität auf einer Reihe von strukturellen Faktoren oder Dimensionen beruht. Eine konzise Liste der hier am öftesten genannten Faktoren gibt der führende englische Nationalismustheoretiker Anthony SMITH (1991:14). Demnach gibt es fünf fundamentale Charakteristika einer Nation: ein historisches Territorium (Heimatland), gemeinsame historische Erinnerungen und Mythen; eine gemeinsame Massenkultur; gleiche Rechte und Pflichten für alle Mitglieder; eine gemeinsame Ökonomie. Die Entstehung einer voll entwickelten Nation, die alle diese Merkmale umfaßt, läßt sich letztlich zurückführen auf eine „ethnische Kerngemeinschaft", die ihrerseits wieder ähnlich definiert ist wie eine Nation (durch einen kollektiven Namen, einen Mythos gemeinsamer Abstammung, gemeinsame historische Erinnerungen, eine gemeinsame Kultur, ein eigenes Heimatland, ein Gefühl der Solidarität unter ihren Mitgliedern (SMITH 1991:21, 39). Diese in ähnlicher Form weitverbreitete Definition und Erklärung der Entstehung von Nationen (ähnlich auch HECKMANN 1992:53) besagt also, daß überall dort, wo sich mehr oder weniger deutlich von anderen abgehobene „ethnische Gruppen" herausgebildet haben, diese früher oder später auch dahin streben, eine Nation, also eine politische Gemeinschaft, zu werden. Das Problem dieser Erklärung liegt darin, daß sie das, was sie zu erklären vorgibt, bereits voraussetzt. Die Rückbeziehung der Entstehung der Nation auf eine „ethnische Kerngruppe" verschiebt die Notwendigkeit einer Erklärung nur auf diese. Es ist aber ein Faktum, daß auch ethnischkulturelle Einheiten nicht quasi „natürlich", durch allmähliche Verschmelzung vieler Menschen zu einer soziokulturell homogenen Gemeinschaft entstehen, sondern durch bewußte, langfristige Aktionen und Prozesse, wie SMITH zu Recht betont (vgl. auch OLZACK 1983). Die dabei relevanten „Faktoren" - Abstammung, gemeinsame Sprache und Religion, territoriale Bindung usw. - erklären für sich selber nichts, sondern sind als kontingente, d.h. abhängige Variablen zu sehen. Am Beispiel der Rolle der Sprache in der Bildung von Nationen soll dies illustriert werden (vgl. ausführlicher dazu HALLER 1992a, 1992d). Eine gemeinsame Sprache ist ohne Zweifel eine der wichtigsten und scheinbar „natürlichsten" Grundlagen für ethnisch-nationale Gemeinschaftsbildung. Der größte Teil der heutigen Nationen der Welt hat wenn nicht eine einzige, so doch zumindest eine dominante „Staatssprache", nahezu alle Minderheiten werden aufgrund ihrer von der Mehrheit abweichenden Sprache als solche definiert (STEPHENS 1979). Es ist aus soziologischer Sicht auch berechtigt, der Sprache eine herausragende Bedeutung für die Bildung ethnisch-nationaler Gemeinschaften zuzuschreiben, da 44
Sprache das Medium aller Kommunikation darstellt und in der Moderne, mit der Verbreitung von Massenbildung und Massenmedien, an Bedeutung noch gewonnen hat. Und trotzdem muß man sagen, daß Sprache im Prozeß der Nationenbildung als abhängige und nicht als unabhängige Variable zu sehen ist. Die Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft konstituiert an sich noch keine gemeinsamen Interessen; Sprache an sich besitzt nicht notwendig die „Aura" eines zentralen Gemeinschaftssymbols (so sind einzelne Menschen ebenso wie sprachliche Minderheiten oft bereit, ihre Sprache aufzugeben, wenn dies wirtschaftlich günstiger ist); es gibt eine Reihe von Weltsprachen, die in mehreren Nationen gesprochen werden (eine solche „plurizentrische Sprache" ist auch deutsch und wir werden sowohl in den Kapiteln 2 und 9 ausführlich darauf eingehen, was dies für die österreichische Identität bedeutet); es gibt moderne, westliche Nationen, in denen von großen nationalen Subgruppen unterschiedliche Sprachen gesprochen werden (z.B. Schweiz, Belgien, Spanien, Kanada). Sprache wird nur unter zwei Bedingungen zu einem zentralen Kennzeichen („marker") einer ethnisch-nationalen Gemeinschaft: (1) wenn sich eine politische Gemeinschaft bereits herausgebildet hat; (2) wenn der Bestand oder die Eigenständigkeit einer Sprache bedroht wird. Das beste Beispiel für (1) ist Frankreich: diese im Hinblick auf ihre starke politische Zentralisierung, historische Kontinuität und kulturelle Integration moderne „Paradenation" war in sprachlicher Hinsicht keineswegs von Anfang an so homogen, wie sie es heute ist (oder für den Außenstehenden zu sein scheint); es wurden vielmehr eine große Zahl auch quantitativ bedeutender sprachlicher Minderheiten mit mehr oder weniger offenem Druck kulturell-sprachlich assimiliert (STEPHENS 1979; GOEBL 1993). Frankreich enthält ein weiteres Beispiel, das wohl nur im Rahmen unserer Theorie erklärbar ist: die deutschsprachige Bevölkerung des Elsaß konnte ihre Sprache nur bewahren, weil der französische Staat ihr gegenüber besonders liberal war; als das Elsaß nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 unter preußisch-deutsche Herrschaft kam und diese mit arroganten Maßnahmen das „Deutschtum" zu festigen suchte, wandte sich die Bevölkerung von Deutschland ab und wurde frankophil! Ähnliche Fälle, in denen eine sprachliche Minderheit oder Subgruppe erst dann militant für ihre Sprache zu kämpfen begann, sobald die Mehrheit oder der Zentralstaat ihr eine andere Sprache aufzwingen wollte, gibt es in großer Zahl; einer der historisch verhängnisvollsten darunter war die österreichischungarische Monarchie. Ebenso könnte man zahlreiche Beispiele dafür anführen, wo Minderheiten freiwillig und ohne erkennbaren Zwang ihre Sprache allmählich aufgeben; auch die österreichischen Sprachminderheiten der Slowenen und Kroaten in Kärnten, Steiermark und Burgenland gehören wohl dazu. Wir gehen also davon aus, daß eine sozialwissenschaftliche Theorie nationaler Identität in erster Linie an den Prozessen ansetzen muß, die bei
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ihrer Entstehung und Transformation im Spiele sind. Die zentrale These dabei lautet - um sie nochmals zu wiederholen -: Nation als politische Gemeinschaft entsteht nur durch den Kampf einer großen, territorial, kulturell oder sonstwie definierten Gruppe um politische Unabhängigkeit und Freiheit. Kulturelle, soziale und wirtschaftliche „Faktoren" sind dabei Mittel, die in unterschiedlicher Weise eingesetzt werden können, sie sind aber nicht die Ursache für diesen Kampf. Die Ursache ist immer eine Verstärkung einer bestehenden Abhängigkeit oder Unterdrückung, oder gar eine (Existenz-) Bedrohung der jeweiligen Gruppe durch eine Mehrheit. Nationale Identität und Nationalismus entwickeln sich in diesem Kampfe und zwar auch dann, wenn er über Generationen hinweg (scheinbar) erfolglos ist. Klar abzugrenzen ist der Begriff der nationalen Identität daher auch von dem mit ihm eng verwandten Begriff des „Nationalcharakters". Dieser in der älteren Kulturanthropologie, aber auch in der neueren interkulturell und international vergleichenden Psychologie und Soziologie weiterhin verwendete Begriff soll die „modale" oder „typische Persönlichkeit" einer Gesellschaft bezeichnen (INKELES 1989; PEABODY 1985). Die neuere Forschung betont zwar, daß es innerhalb einer Gesellschaft, nach Schichten, religiösen Subgruppen usw., durchaus unterschiedliche Varianten des Nationalcharakters geben kann und dieser sich im Laufe der Zeit auch wandeln könne. Wir betrachten wir diesen Begriff für unsere Fragestellung trotzdem nicht als brauchbar, und zwar sowohl wegen seiner inhaltlichen Unbestimmtheit wie auch wegen seines unübersehbar statischen Charakters. Die Unbestimmtheit der Definition ergibt sich aus der vorhin genannten Definition schon beim ersten Augenschein: wenn ich den „Nationalcharakter" nur formal als „Modalpersönlichkeit" bestimme, bleibt völlig offen, was er nun wirklich ist, welche Dimensionen dabei relevant sind, auf welche Einheiten er zu beziehen ist (Staaten? Regionen? Ethnische Subgruppen innerhalb von Staaten?). Auch der statisch-beschreibende Charakter des Begriffes ist evident; es geht vor allem um Merkmale und Eigenschaften von Menschengruppen. Diese Schwächen des Begriffes sind auch bei der Verwendung des analogen Begriffes des „Habitus" bei theoretisch anspruchsvollen Autoren wie Norbert ELIAS oder Pierre BOURDIEU evident8, wenngleich sich beide dann doch primär auf empirisch beantwortbare Fragen konzentrieren wie jene der Folgen langfristiger Staatsbildungsprozesse für die Herausbildung des nationalen Habitus (ELIAS),
8 Vgl. z.B. die folgenden Ausführungen von BOURDIEU (1979:181): „Denn ihre allgegenwärtige wie vergangene Position innerhalb der Sozialstruktur tragen die als physische Personen verstandenen Individuen überall und allezeit in Gestalt der Habitusformen mit sich herum, die erst die soziale Person mit allen ihren Dispositionen ergeben...". BOURDIEU wendet sich zwar wortreich gegen eine Objektivierung des Begriffs, erliegt ihr de facto jedoch immer wieder selbst.
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bzw. auf klassen- und schichtspezifische Determinanten des Habitus (BOURDIEU). Evident ist auch, daß die international vergleichende Forschung über Nationalcharaktere und nationale Stereotypen sich letztlich fast durchwegs auf ein Sammeln empirischer Fakten reduziert, die zwar interessant sein mögen, theoretisch aber weitgehend in der Luft hängen bleiben.9 Eine prozeßbezogene Theorie nationaler Identität muß, wie festgestellt, zwei Aspekten besondere Aufmerksamkeit widmen: der Art der wichtigsten Prozesse und den dabei invollierten Akteuren. Mit einigen Bemerkungen dazu beschließen wir diese Einleitung. „Gründungsakte" und andere kritische Ereignisse in der Herausbildung nationaler Identität 10 Ein höchst kritisches und langfristig nachwirkendes Element in der Geschichte von Nationen betrifft die Frage, wie und warum sie als solche entstanden sind. Die Art und Weise dieser Entstehung, die wir als „Gründungsakt" bezeichnen, kann das Selbstbild einer Nation, die Art und Weise, wie sie mit ihren Minderheiten und mit anderen Nationen umgeht, für Jahrzehnte, ja Jahrhunderte bestimmen. Man kann zwei idealtypische Formen solcher Gründungsakte unterscheiden: eine einem Land von außen mehr oder weniger aufoktroyierte, „erzwungene" oder „heteronome Gründung" und eine von den Einwohnern eines Landes selbst erkämpfte, also eine „selbstbestimmte" oder „autonome und demokratische Gründung". Von einer „heteronomen Gründung" sprechen wir, wenn die Entstehung eines Staates in erster Linie 9 Diese Tendenz ist evident in den beiden oben genannten neueren empirischen Studien. Alex INKELES (1989), ein sehr renommierter amerikanischer Soziologe, vergleicht etwa - unter Heranziehung der EUROBAROMETERDaten - den Anteil derer, die sagen, sie seien „glücklich" in verschiedenen europäischen Ländern Europas und findet, daß er in Nordeuropa am höchsten, in Südeuropa am niedrigsten ist; als Erklärung findet sich dann aber nichts als eine wenig systematische Diskussion einiger möglicher Faktoren (Wohlstand der Nationen, gesellschaftliche Zwänge usw.). Ähnliches gilt für die Studie von PEABODY (1985), in der kleine Gruppen von 40-60 ,judges" in rund einem Dutzend Länder die typischen Merkmale der Angehörigen anderer Nationen angeben mußten. Es ergeben sich reliable und wohl auch stabile Befunde über nationale Stereotypen, als theoretischer Hintergrund wird auch hier wieder nur ad hoc die alte Typologie von eher gemeinschaftlichen und eher gesellschaftlichen Beziehungen (nach Parsons u.a.) herangezogen. Eine Verknüpfung zwischen theoretischen Annahmen und empirischen Befunden ist nicht zu erkennen. lODie folgenden Ausführungen sind z.T. übernommen aus HALLER 1992a, S. 32ff.
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oder zu einem guten Teil das Ergebnis der Entscheidungen fremder Mächte war, von einer autonomen Gründung, wenn die Angehörigen der Nation sich ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit selber errungen haben. Ersteres war in der jüngeren Geschichte mehrfach der Fall. So etwa im Falle von Belgien (einer Nation, die noch heute ein sehr niedriges Maß an nationaler Integration aufweist, wie unsere Befunde in Kapitel 8 zeigen werden). Einen schweren „Geburtsfehler" dieser Art wies auch das 1918 gegründete „Vereinte Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" auf, der Vorläufer der vor kurzem in einem blutigen Krieg zerfallenen Volksrepublik Jugoslawien. Der Geburtsfehler lag nicht sosehr in der Tatsache, daß dies eine multinationaler Staat mit neun verschiedenen ethnisch-nationalen Subgruppen war, sondern in der Tatsache, daß die chauvinistischen Serben den neuen Staat von Anfang an dominierten und ihm eine zentralistische Verfassung aufoktroyierten 11 , während sie von Slowenen, Kroaten und Mazedoniern gleichzeitig verachtet bzw. gehaßt wurden (SPENCER 1967/11:107). Es traf dies zu selbst im Falle der jungen Tschechoslowakei, wo die im Vergleich zu den Tschechen rückständigen Slowaken den neuen, von den Tschechen dominierten Staat nur wiederwillig, vor allem wegen der damit verbundenen ökonomischen Vorteile, akzeptierten (ebenda, S.104). Wären uns diese historischen Tatsachen besser bewußt gewesen, hätten wir auch das Auseinanderfallen dieser beiden Staaten nicht als eine so große Überraschung empfunden. Von einer „heteronomen Gründung" muß man schließlich auch bei den meisten postkolonialen Staaten der Dritten Welt sprechen, die nach der Unabhängigkeitseuphorie in den 60er und 70er Jahren eine verhängnisvolle innere Entwicklung erlebten und heute immer wieder Schauplatz blutigster ethnischer Säuberungen und zwischenstaatlicher Kriege sind. Paradebeispiele autonomer Gründungen sind demgegenüber die Großbritannien, die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Falle der beiden letzteren ist evident, welch bedeutende Rolle der Mythos ihres Unabhängigkeitskampfes gegen Habsburger bzw. Engländer bis heute spielt; Wilhelm Teil und George Washington sind unbestrittene Nationalheroen, selbst wenn sie - wie Wilhelm Teil - nur „erfundene Motive einer die historische Wirklichkeit im märchenhaft-poetischen Bereich reflektierenden Volkserzählung" sind (VAJDA 1980:116). Kein Mythos ist allerdings, daß die wehrhaften schweizerischen Bauern, Holzfäller und Hand-
11 „Aufokrtoyiert" ist allerdings nicht ganz der richtige Begriff. Die zentralistische Verfassung fand im Parlament des jungen Königreiches 1921 nur deswegen eine Mehrheit, weil die gegen die Verfassung eingestellten kroatischen Delegierten den Saal vor der Abstimmung verließen. In diesem wie in vielen anderen Fällen war der Beginn einer langdauernden Unterdrückung nur möglich, weil sich die Unterdrückten anfänglich zu passiv in ihr Schicksal fügten.
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werker den sicherlich beeindruckenden, aber schwerfälligen Ritterheeren der Habsburger mehrere entscheidende Niederlagen beibrachten. Die Verfassungen der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika wurden in der Folge nicht zufällig so gestaltet, daß den beteiligten territorialen Einheiten (Staaten, Kantonen), so klein sie numerisch auch sein mochten (einige Schweizer Kantone, aber auch amerikanische Staaten, haben nur einige hunderttausend Einwohner) sehr starke Rechte eingeräumt wurden. Ein autonom-demokratischer Gründungsprozeß fand aber auch im Falle Englands statt: für einen der geistigen Väter der englischen Nation, John Milton (1608-1674) galt Nationalismus zwar „nicht als Kampfparole für kollektive Unabhängigkeit von 'fremdem Joch'", aber doch als „Sicherung der Freiheit des Einzelnen gegenüber staatlicher oder religiöser Autorität, als Selbstbehauptung der Persönlichkeit angesichts der eigenen Regierung oder Kirche" (KOHN 1964:22). Alle drei Länder gehören heute zu den am stärksten gefestigen Nationen der Erde mit einem hohen Nationalstolz ihrer Bürger, wie sich in Kapitel 9 für Großbritannien und für die USA zeigen wird. Die Problematik des Gründungsaktes spielt auch im Falle Österreichs eine zentrale Rolle. Es ist eine auf dem Hintergrund unseres theoretischen Ansatzes verständlicherweise stark umstrittene Frage, inwieweit Österreich 1945 bzw. 1955 die Unabhängigkeit und Selbständigkeit aus eigenem Antrieb und durch eigenes Bemühen erreicht hat, oder inwieweit dies und die damit verbundene Erklärung der „immerwährenden Neutralität" etwas von außen Aufoktroyiertes war, so wie es das Verbot des Anschlusses an Deutschland nach der Auflösung der k.u.k.-Monarchie war. Unsere Ergebnisse legen nahe, daß man keinesfalls von einer erzwungenen Gründung sprechen kann; sie lassen es auch verständlich werden, warum der österreichischen Bevölkerung die politische Neutralität weiterhin so wichtig ist. Aufgrund der theoretisch ableitbaren Bedeutung, die „kritische Ereignisse" für die Entwicklung einer Nation haben, haben wir im Forschungsprojekt, das diesem Buch zugrundeliegt, alle aus der Perspektive der Nationsbildung wichtigen zeithistorischen Ereignisse seit 1945 genauer untersucht um festzustellen, inwieweit sie auf ein noch grundsätzlich brüchiges, oder aber auf ein bereits gefestigtes Identitätsbewußtsein der Österreicher hinweisen. Die Ergebnisse dieser Analysen werden präsentiert in Kapitel 4 von Peter TEIBENBACHER. Es kann vorweggenommen werden, daß die Befunde viel eher für die letztere These sprechen: bei keinem der untersuchen Ereignisse - u.a. dem Streit um die Wiedereinreise der Habsburger, die Affäre um den deutschnationalen Wiener Professor Borodajkewycz, die Affäre Waldheim - stand die Identität des neuen, selbständigen und demokratischen Österreich für die Mehrheit der Bürger des Landes zur Debatte; meist handelte es sich um Streitigkeiten, die eher als parteipolitische Querelen zu qualifizieren sind. Wir können also schon hier vorwegnehmend 49
feststellen, daß mit der Wiedererrichtung der Republik im Jahre 1945 und den ihr vorausgegangenen Ereignissen, aber natürlich auch mit der insgesamt sehr positiven wirtschaftlich-gesellschaftlichen Entwicklung der Nachkriegszeit eine grundlegende Festigung der österreichischen nationalen Identität stattgefunden hatte. Das der Wiedererrichtung der 2. Republik vorausgegangene, entscheidende kritische Ereignis aber war die Auslöschung der Eigenständigkeit Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland - eine Erfahrung, die das noch zwei Jahrzehnte davor vorherrschende Anschlußstreben innerhalb weniger Jahre völlig eliminierte! Unserer Meinung nach kann die Bedeutung dieses Ereignisses für die weitere Entwicklung der österreichischen Nation Österreich gar nicht überschätzt werden. Generationen, Intellektuelle und politische Eliten und Persönlichkeiten als „kritische Akteure" im Prozeß der Nationenbildung Kaum überschätzt werden kann auch die Bedeutung historischer Persönlichkeiten und Führer in Prozessen ethnisch-nationaler Mobilisierung. Sie können als „politische Unternehmer" charakterisiert werden, die wie der Schumpetersche Wirtschaftsunternehmer durch „schöpferische Zerstörung" alter Strukturen den Aufbau neuer politischer Einheiten in Angriff nehmen. Durch ihr Wirken werden nationale Gefühle in der breiten Masse der Bevölkerung vielfach erst erweckt und oft bis zu Kräften entfesselt, die zum Sturz von Regimes, zum Zusammenbruch von Imperien und zur Entstehung neuer Staaten führen können. Intellektuelle und politische Führer fürdern dieses „nationale Erwachen" nicht zuletzt deshalb, weil es ihnen Zugang zu Einfluß und Macht verschafft, ihnen die Möglichkeit eröffnet, als nationale Führer historische Statur und Größe, Ruhm und Unsterblichkeit zu erlangen. Wir konnten durch eigene Anschauung erleben, wie das Wirken derartiger Führer drei osteuropäische Staaten zerstörte bzw. zwang, große Teile ihrer Territorien abzugeben, und ganz neue Staaten gegründet wurden. Im Prozeß der Nationenbildung spielen zwei Typen nationaler Eliten eine wichtige Rolle. Intellektuelle - Schriftsteller, Historiker, Literaturund Sprachwissenschaftler, Sozialwissenschaftler und andere - waren vor allem in den frühen Phasen der Nationsbildung in Mittel- und Osteuropa von strategischer Bedeutung: sie „schaffen" die Idee einer Nation gewissermaßen erst, indem sie ihre Geschichte ans Tageslicht bringen, alte Mythen und Sprachen wiederbeleben, Schriftsprachen entwickeln und dadurch ihrem Volke ein völlig neues historisch-kulturelles Selbstbewußtsein vermitteln. Diese ihre Aktivitäten sind selbstverständlich nicht nur rein wissenschaftlichen Charakters: historische Fakten werden vielfach tendenziös interpretiert, wenn nicht überhaupt schlicht gefälscht oder erfunden, wie im Falle eines wichtigen historischen Dokuments zur Entwick50
lung Österreichs, dem „Privilegium Maius" von 1359. 1 2 Die politischen Intentionen im Wirken der Intellektuellen liegen also auf der Hand wie auch die politischen Karrieren ehemaliger Literaten wie Vaclav Havel, Vytautas Landsbergis, Swiad Gamsachurdia, Franjo Tudjman und anderer belegen, daß die Grenzen zwischen kulturellem und politischem Kampf für nationale Autonomie und Unabhängigkeit vielfach verschwimmen. Im Falle der Zweiten Republik Österreich, deren Existenz und Integration j a von Anfang an nicht umstritten war, mag die Rolle intellektueller und politischer Eliten und Persönlichkeiten nicht von so herausragender Bedeutung gewesen sein wie in Mittelosteuropa, das eine revolutionäre Umbruchphase hinter sich hat. Aufgrund unseres Ansatzes dürfen wir diese Rolle jedoch auch in politisch-historischen „Normalzeiten" nicht unterschätzen. Es werden sich in der Tat deutliche Hinweise darauf ergeben, daß sowohl die Entwicklung seit 1945 wie auch die Ausprägung und Stärke der nationalen Identität und des Nationalstolzes der Österreicher heute in erheblichem Maße mit dem Wirken ganz konkreter politischer Persönlichkeiten seit 1945 zusammenhängen. In diesem Buch wird sich daher Albert R E I T E R E R in Kapitel 5 ausführlich der Frage widmen, welche Haltung politische und intellektuelle Eliten seit 1945 zur Frage der österreichischen Nation eingenommen haben. Gesellschaftliche Entwicklungsprozesse und Prozesse kulturellen Wandels verlaufen selten so, daß die gesamte Bevölkerung eines Landes daran in gleicher Weise partizipiert bzw. davon mehr oder weniger gleichmäßig betroffen wird. Grundlegende Neuerungen werden zuerst meist von den jungen Kohorten aufgegriffen und übernommen; die älteren Menschen schließen sich den neuen Trends oft erst später an. Dies gilt auch für die Problematik der nationalen Identität. Von „Generationen" (MANNHEIM 1970) spricht man dann, wenn eine bestimmte Altersgruppe oder -kohorte in der Jugendphase spezifischen historisch-gesellschaftlichen Erfahrungen und Umständen ausgesetzt ist und man erwarten kann, daß die dadurch geprägten Einstellungen und Verhaltensweisen im Laufe ihres ganzen Lebens nachwirken werden (KERTZER 1983). Wenn wir daher empirisch fundierte Aussagen über die Zukunftsperspektiven der „Nation Österreich"
12In diesem vom österreichischen Habsburger-Herzog Rudolph IV., dem Gründer von Stephansdom und Universität Wien, in Auftrag gegebenen Dokument wurden alte, bis auf die Zeit von Kaiser Barbarossa zurückgehende Urkunden, darunter insbesondere jene des „Privilegium Minus" von 1156, neu reproduziert und mit frei erfundenen Zusätzen versehen, die die Rechte der österreichischen Erzherzöge im Römischen Reich Deutscher Nation erweitert darstellten (VAJDA 1980:128ff.). Die praktischen Auswirkungen des Dokuments waren allerdings bescheiden, da es von Angang an angezweifelt wurde und seine Auftraggeber teilweise der Lächerlichkeit preisgab, sodaß sie es später lieber nicht mehr erwähnten.
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treffen wollen, müssen wir vor allem die heutige junge Generation betrachten. Eine solche Betrachtung wird anhand einer Studie über 17-18jährige Berufsschüler und Gymnasiasten von Josef LANGER in Kapitel 6 durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: es gibt unter den Jugendlichen in Wien, Klagenfurt und Innsbruck (die drei Städte, die für die Befragung ausgewählt wurden) in der Tat eine nicht unbeträchtliche Minderheit, die mit dem Begriff der „Nation" überhaupt nicht mehr viel anfangen kann. Möglich ist, daß dies zum Teil durch ein generelles Desinteresse an politischen Fragen bedingt ist (so sind unter dieser Gruppe Berufsschüler stark überrepräsentiert). Es kann zum Teil aber auch durch das nicht gerade begeisternde Bild mitbedingt sein, das die wirtschaftliche Entwicklung und die politischen Eliten in Österreich derzeit bieten. Auf jeden Fall ergibt sich sowohl aus unserem theoretischen Ansatz wie aus unseren empirischen Befunden, daß Form und Stärke von nationaler Identität und Nationalstolz in hohem Maße davon abhängen, wie die Vorstellungen von der „Nation Österreich" auf intellektuell-geistiger Ebene weiterentwickelt werden und welches Bild die Entscheidungen und Handlungen der politischen Eliten bieten.
4. Überblick über den Inhalt des Buches Abschließend soll noch ein kurzer Überblick über den Inhalt und Aufbau diese Buches gegeben werden. In Teil II werden empirische Befunde über die Vorstellungen der Österreicher von ihrer Nation, über Ausmaß und Formen ihrer nationalen Identität präsentiert. Die Leitfrage dabei lautet, ob es möglich ist empirisch zu unterscheiden zwischen „Patriotismus" und Nationalstolz auf der einen Seite und (aggressivem) „Nationalismus" und „Ethnozentrismus" auf der anderen Seite. Als Basis dafür dient eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, die im vergangenen Jahre in Österreich durchgeführt wurde. Diese Umfrage war Teil des „Internationalen Sozialen Survey" (ISSP) und wurde in ähnlicher Form inzwischen in über einem Dutzend weiterer Länder durchgeführt. Die österreichische Erhebung enthielt neben den allgemeinen Fragen zum Nationsverständnis der Befragten auch einen Teil mit Fragen zur österreichischen Geschichte und zu aktuellen Problemen und politischen Persönlichkeiten. In Kapitel 3 werden als Ergänzung dieser Analysen, die auch quantitative Aussagen ermöglichen, die Befunde aus längeren, offenen Interviews mit Ex- und NeoÖsterreichern präsentiert, also mit Menschen, die vor langer Zeit aus Österreich ausgewandert bzw. nach Österreich zugewandert sind. Eine zentrale Frage lautet hier, ob sich diese „Menschen im Übergang" eher mit ihrer Herkunfts- oder ihrer Wahlnation identifizieren. 52
Im dritten Teil des Buches werden zwei historische Aspekte der jüngeren Entwicklung der österreichischen Nation analysiert. Peter TEIBENBACHER untersucht in Kapitel 4, welche Rolle „kritische Ereignisse" in der Geschichte der 2. Republik, wie der Abschluß des Staatsvertrags, die Südtirolfrage, die Affären Borodajkewiycz und Waldheim und andere, gespielt haben. Albert REITERER geht sodann der Frage nach, welche Positionen Parteien, politische Eliten und Intellektuelle zur Frage der österreichischen Nation seit 1945 eingenommen haben und wie sich diese Haltungen in der jüngsten Zeit, etwa im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Österreichs, gewandelt haben. Josef LANGER präsentiert in Kapitel 6 die Ergebnisse einer Befragung von Berufsschülern und Gymnasiasten, sowie einer Analyse ihrer Schulbücher, um zu sehen, welche Entwicklungsperspektiven sich daraus für das Bild der „Nation Österreich" ergeben. Im vierten Teil des Buches werden nationale Identität und Nationalstolz der Österreich international vergleichend dargestellt und analysiert. In Kapitel 7 geht es zuerst um die Frage der Beziehungen zwischen lokalregionalen, nationalen und übernationalen Identifikationen. Dann wird hier das Bild untersucht, das sich die Österreicher von der Lage ihres Landes in Europa, insbesondere in Mitteleuropa, machen. Hier können wir auch Ergebnisse analoger Umfragen aus einigen ost- und westeuropäischen Nachbarländern Österreichs präsentieren. In Kapitel 8 wird der Nationalstolz der Österreicher in einem größeren internationalen Vergleich dargestellt. Unter Heranziehung des World Value Survey aus dem Jahre 1990, aber auch neuer Daten aus dem ISSP-Projekt 1995/96, können wir hier zeigen, daß der relativ hohe Nationalstolz der Österreicher, wie auch der Nationalstolz der Bevölkerung in anderen Ländern sehr deutlich mit ganz spezifischen aktuellen Leistungen und historischen Erfahrungen dieser Länder verküpft werden kann. Im abschließenden Kapitel 9 werden schließlich einige allgemeinen Folgerungen gezogen. Dabei werden nochmals die pointiertesten bzw. überraschendsten Befunde herausgehoben und sodann einige kritischen Überlegungen über die Implikationen dieser Befunde für die weitere Entwicklung der nationalen Identität der Österreicher angestellt.
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n. DIE NATIONALE IDENTITÄT DER ÖSTERREICHER HEUTE. SOZIOLOGISCHE ASPEKTE
2. Die Österreicher und ihre Nation - Patrioten oder Chauvinisten? Gesellschaftliche Formen, Bedingungen und Funktionen nationaler Identität Max HALLER/Stefan GRUBER 1. Fragestellung und Datenbasis
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2. Verbundenheit mit Österreich und die Bedeutung „nationaler Identität"
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Wie ausgeprägt ist die Identifikation der Österreicher mit ihrem Land? * Was macht Österreich zu einer Nation? Die emotionale, kulturelle und politische Komponente nationaler Zugehörigkeit * Die Komplexität der Einstellungen zu Ausländern * Können sich die Österreicher eine „plurikulturelle Gesellschaft" vorstellen? * Einstellungen zu „ethnisch-kulturell verwandten" und zu „fremden" Minderheiten und Zuwanderern 3. Die österreichische Nation: kollektives Gedächtnis und aktuelles kulturell-politisches Profil
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Österreichidentifikation und österreichisches Geschichtsbewußtsein * Wird Österreich noch als ein katholisches Land gesehen? * Politische Neutralität als wesentlicher Bestandteil österreichischer Identität * Politische Persönlichkeiten als Symbole österreichischer Identität * Politische Grundorientierung und Parteipräferenzen als Determinanten nationaler Identität * Der Kleinstaat Österreich im Kontext der europäischen Einigung 4. Patriotismus und Nationalstolz zwischen Chauvinismus und Weltoffenheit
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Aussagen zur Unterscheidung von Patrioten und Chauvinisten * Das nationalistisch-chauvinistische oder „abgrenzende" Element im „Österreichpatriotismus" * Nationalstolz als positives Selbstwertgefühl * Die Unteilbarkeit des Nationalstolzes * Beziehungen zwischen nationaler Identität, Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz * Typische Einstellungen patrioti61
scher und auf ihr Land stolzer Österreicher * Sind die HaiderWähler Neonazis?
5. Gesellschaftliche Determinanten nationaler Identität
und
Funktionen 122
Sozialstrukturelle Determinanten nationaler Identität * Nationalstolz als Aspekt soziokultureller Integration * Nationalstolz und gesellschaftlich-politisches Grundvertrauen
6. Zusammenfassung
139
Literatur
142
1. Fragestellung und Datenbasis Zielsetzung dieses Abschnittes ist es, einen systematischen Überblick über Ausmaß und Inhalt nationaler Identität in der österreichischen Bevölkerung heute zu geben. Hierzu wird in Abschnitt 2 zunächst untersucht, was sich die Österreicher unter „nationaler Identität" vorstellen; dabei ergibt sich eine Möglichkeit, empirisch zu analysieren, inwieweit dahinter die Konzepte der „Ethnonation" und der „Willens-" oder „Staatsnation" stehen. Es werden sodann drei Hauptdimensionen nationaler Identität konzeptuell unterschieden und empirisch herausgearbeitet: die Verbundenheit oder Identifikation mit Österreich, der „Österreichpatriotismus" und der Nationalstolz. Sodann werden die Beziehungen zwischen diesen drei Dimensionen und einem weiteren, damit eng verknüpften Themenbereich untersucht, nämlich der Einstellung zu Einwanderung und Minderheiten. In Abschnitt 3 geht es um die politische Seite nationaler Identität: Hier untersuchen wir Aspekte des österreichischen Geschichtsbewußtseins (Beurteilung der österreichisch-ungarischen Monarchie, der Ersten Republik und des Nationalsozialismus); die Haltung zu aktuellen politischen Fragen und zeitgenössischen Politikerpersönlichkeiten; die Beurteilung der Neutralität und der Rolle von Klein- versus Großstaaten; und die Rolle Österreichs im Rahmen der Europäischen Union. In Abschnitt 4 wird eine zentrale Frage jeder Nationalismusforschung behandelt, nämlich jene der Unterscheidbarkeit zwischen „Patriotismus" im positiven Sinne und „Nationalismus" oder „Chauvinismus" im negati62
ven Sinne, das heißt, einer idealisierenden Sicht des eigenen Landes, die tendenziell mit einer Abwertung von Minderheiten oder anderen Nationen einhergeht. In Abschnitt 5 werden schließlich sozialstrukturelle Determinanten von nationaler Identität untersucht und es wird gezeigt, daß der Nationalstolz eine sehr bedeutsame gesellschaftlich-politische Grundhaltung reflektiert, die in viele andere Lebensbereiche ausstrahlt. Mit diesen Analysen präsentieren wir die Befunde aus einem zentralen Teil des Millenium-Projektes „Nationale Identität und die Rolle von Kleinstaaten im Prozeß der Einigung Europas". Es war dies die Durchführung einer repräsentativen Umfrage unter der Bevölkerung Österreichs, mit der wir erstmals einen systematischen Überblick über Ausmaß, Inhalt und Formen, sowie über gesellschaftliche Determinanten und Funktionen nationaler Identität erhalten. Diese Erhebung, die im Juni 1995 durchgeführt wurde und rund 1000 Erwachsene (14 Jahre und älter) umfaßte, stellt damit eine wichtige Ergänzung zu der nun schon seit rund drei Jahrzehnten immer wieder erhobenen Frage nach dem generellen Nationalbewußtsein der Österreicher dar, die gezeigt hat, daß das Bewußtsein von Österreich als einer „eigenen Nation" inzwischen sehr hoch ist. Unsere Umfrage bestand aus drei Teilen: • dem international vergleichenden ISSP-Teil (Teil A), der allgemeine und grundlegende Fragen zu nationaler Identität, Patriotismus und Nationalstolz, einige damit zusammenhängende spezifische Themen (Einwanderung), sowie einen relativ ausführlichen demographischen Teil enthielt; • dem kurzen „Mitteleuropa-Teil" (Teil B), in dem Fragen über die Lage Österreichs und anderer Staaten in Mitteleuropa sowie ihre Beziehungen zueinander gestellt wurden; diese Fragen wurden auch in Erhebungen in Nachbarländern Österreichs gestellt, sodaß wir die Möglichkeit haben, die Befunde für Österreich mit jenen in diesen Ländern zu vergleichen (dies geschieht in Kapitel 8); • einem „Österreich-Teil" (Teil C), in dem mehrere österreichspezifische Fragen zum Geschichtsbewußtsein (Monarchie, Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus usw.) und zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen gestellt wurden. Zusätzlich zu dieser Umfrage ziehen wir in Abschnitt 5 dieses Kapitels sowie in Kapitel 8 die Daten des „World Value Survev" (WVS) heran, der im Jahre 1990 in mehr als 40 Ländern durchgeführt worden ist. Der Vorteil dieses Datensatzes liegt darin, daß er auf einem sehr umfangreichen Fragebogen beruht, in dem Fragen zu allen wichtigen Lebensbereichen (Beruf, Familie, Religion, Politik, Werte allgemein) enthalten waren. Damit ist es möglich, Fragen zur nationalen Identität zur Situation und zu den Einstellungen in anderen Lebensbereichen in Zusammenhang zu brin63
gen. Diese Untersuchung ist die Fortsetzung eines 1981 begonnenen Projektes der „European Values Systems Study Group" (EVSSG), welches 1990 auf fast alle Kontinente ausgeweitet wurde. Inhaltliche Koordinatoren des Projektes waren Jean STOETZEL, Ronald INGLEHART, in Österreich Paul ZULEHNER u.a. Die Zusammenführung der einzelnen Länderdaten erfolgte allerdings durch verschiedene Forschergruppen unabhängig voneinander, was für uns zu erheblichen Problemen bei der Auswertung der Daten führte. Trotzdem sind wir der spanischen Gruppe, die uns die Daten zur Verfügung stellte, sowie Prof. ZULEHNER für das bereitwillige Entgegenkommen bei der Überlassung der Daten und Fragebögen sowie Erteilung von verschiedenen Auskünften sehr zu Dank verpflichtet. Die WVSErhebung umfaßte in Österreich rund 1400 Personen. In den Analysen dieses Kapitels knüpfen wir an die allgemeinen theoretischen Ausführungen des vorhergehenden, einleitenden Kapitels an, ergänzen diese jedoch zum Teil in manchen Aspekten. In der Datenanalyse gehen wir zum Teil beschreibend vor, verwenden fallweise jedoch auch Standardmethoden multivariater Datenanalyse (Faktorenanalyse, multiple Regression), um bei umfangreichen Frage- bzw. Itembatterien zu klären, ob sich diese auf einige wenige Grunddimensionen zurückführen lassen bzw. um die Relevanz verschiedener soziodemographischer Merkmale für die Einstellungen zur nationalen Identität abschätzen zu können.
2. Verbundenheit mit Österreich und die Bedeutung „nationaler Identität" Hier geht es zunächst um die Frage, wie stark sich die Österreicher mit ihrem Land identifizieren und welche Eigenschaften bzw. Haltungen ein der „Nation Österreich" zugehöriger Mensch aufweisen sollte. Im Anschluß daran untersuchen wir, wie „Österreichidentifikation" in diesem Sinne mit anderen gesellschaftlichen und politischen Haltungen zusammenhängt, nämlich mit Haltungen zur Einwanderung und zu einer multikulturellen Gesellschaft, mit Vorstellungen von der neueren österreichischen Geschichte, sowie mit Einstellungen zu aktuellen gesellschaftlichpolitischen Fragen (insbesondere Katholizismus und Neutralität) und politischen Persönlichkeiten. Wie ausgeprägt ist die Identifikation der Österreicher mit ihrem Land? Betrachten wir als erstes, welcher Nation sich die Österreicher heute zugehörig fühlen. Um dies möglichst genau zu erfassen, wurden in unserer Erhebung mehrere Fragen gestellt, von denen wir hier die folgenden drei näher betrachten wollen:
64
Frage A20 (VI 16) lautete: „Welcher Nation fühlen Sie sich am ehesten zugehörig?" Dazu wurden - in der folgenden Reihenfolge - 10 Möglichkeiten vorgegeben: „deutsch, griechisch, italienisch, einer Volksgruppe des ehemaligen Jugoslawien, österreichisch, polnisch, türkisch, tschechisch/slowakisch, ungarisch, einer anderen Nationalität, und zwar..."; Frage A21 (VI 17) lautete: „Wie stark fühlen Sie sich dieser Nationalität verbunden? sehr stark verbunden, stark verbunden, nicht sehr stark verbunden, überhaupt nicht verbunden". Frage C9 (V342) lautete, in Wiederholung einer ähnlichen Frage, die vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) in Wien seit 1965 bereits elfmal gestellt wurde: „Manche Leute sagen: Die Österreicher sind eine Nation. Andere sagen: Die Österreicher sind keine Nation. Wieder andere sagen: Die Österreicher beginnen sich erst langsam als Nation zu fühlen. Wer hat recht?" Tabelle 1: Das nationale Zugehörigkeitsgefühl der Österreicher Fühlen sich dieser Nationalität...
sehr stark verbunden
Fühlen sich am ehesten zugehörig der.: .. Nationalität deutschen
österreichischen
% 54
% 58
anderen
Zus.
%
% 56
(30)
stark verbunden
33
35
(40)
35
nicht sehr stark verbunden
11
6
(25)
7
überhaupt nicht verbunden
1
-
-
1
keine Angabe
1
1
(5)
1
Zusammen Insgesamt
100
100
(100)
100
(n)
(93)
(890)
(20)
(1005)
%
9
89
2
100
ISSP-95/Österreich
Fragt man die Österreicher selber nach ihrer Nationalität, so sagen fast 90%, daß sie sich der österreichischen Nationalität zugehörig fühlen; 9% nennen als Nationalität „deutsch", 2% eine andere (vgl. Tabelle 1). Gliedert man die Befragten, die als ihre Nation „Österreich" angeben, weiter danach auf, wie stark sie sich dieser Nation zugehörig fühlen, so geben über die Hälfte an „sehr stark", ein weiteres Drittel „stark". Eine gleichzeitige Aufgliederung nach nationalem Zugehörigkeitsgefühl und Stärke dieses Gefühls zeigt (vgl. Abbildung 1). daß die Hälfte der Österreicher als sehr stark österreichverbunden eingestuft werden kann, etwa ein Drittel als „stark österreichverbunden", 6% als wenig österreichverbunden; und daß
65
sich ferner 9% der deutschen und 2% einer anderen Nationalität zugehörig fühlen. Diese Ergebnisse bestätigen sehr deutlich, was wiederholte Umfragen in den letzten Jahrzehnten bereits angedeutet haben: man kann bei den Österreicherinnen und Österreichern heute von einer sehr starken Verankerung des Bewußtseins sprechen, daß Österreich eine eigenständige Nation darstellt, mit der man sich voll identifizieren kann. Österreich wird offenkundig als eine staatliche Einheit gesehen, deren Existenz man sehr entschieden bejaht, wenn man unterstellt, daß die Befragten unsere Konzeption von „Nation" als einer bewußt gewollten und unterstützten politischen Einheit teilen. Abbildung 1: Die Identifikation der Österreicher mit ihrem Land •Österreich sehr stark verbunden E3 Österreich stark verbunden 13Österreich weniger verbunden ¡3 deutscher Nationalität zugehörig • anderer Nationalitä zugehörig
Quelle: ISSPSS/Österrelch; N-1007
Dies bestätigt sich auch, wenn man die Frage stellt, ob Österreich eine Nation darstelle. Es zeigt sich, daß heute, 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, 40 Jahre nach Erlangung der politischen Unabhängigkeit und Souveränität, 85% der befragten Österreicher der Meinung sind, Österreich sei eine Nation; 9% sagen, die Österreicher „beginnen, sich als Nation zu fühlen", 4%, Österreich sei keine Nation. Es ist bekannt, daß diese Auffassung kontinuierlich zugenommen hat, seit diese Frage in Umfragen gestellt wird. Der Anteil derer, die meinen, Österreich sei eine Nation, stieg von 47% im Jahre 1965 auf über 60% in den Siebziger Jahren, und bis Ende der 80er Jahre nochmals auf über 70% (vgl. Abbildung 2). Der Anteil derer, die meinen, Österreich sei keine Nation, fiel dagegen von 46% im Jahre 1953 auf 14% 1964 und beträgt seit den frühen Siebziger Jahren weniger als 10% (vgl. auch BRUCKMÜLLER 1984:23ff„ LYON et al. 1985:33, DACHS et al. 1991:643, 469).
66
Abbildung 2: Die Entwicklung des Österreichbewußtseins 1964 -1995
««• Die Österreicher sind keine Nation Die Österreicher beginnen sich allmählich als Nation zu fühlen ~ Die Österreicher sind eine Nation Quellen: 1964-1994: SWS-Rundschau 34, H.2,1994. S.210 1995:1 SSP-95/Österreich, N=1007
Was macht Österreich zu einer „Nation"? Die emotionale, kulturelle und politische Komponente nationaler Zugehörigkeit Was meinen die Befragten, wenn sie sagen, daß Österreich heute eine eigene Nation sei, und sie sich selber als Österreicher fühlen? Wir haben oben unterstellt, daß die Befragten unsere Konzeption von „Nation" als einer mehr oder weniger bewußt gewollten politischen Einheit teilen. Ob dies wirklich stimmt, können wir anhand unserer Daten untersuchen. Mit Hilfe einer Fragebatterie versuchten wir näher zu erfassen, was die Befragten unter einem „wirklichen Österreicher" verstehen; als Antwortmöglichkeit wurden sieben Kategorien vorgegeben. Wir können diese Kategorien in vier Gruppen einteilen: •
Versteht man Österreich als Willens- oder Staatsnation, so ist darunter eine bewußt bejahte, politische Einheit gemeint, der man beitreten oder aus der man austreten kann, die man positiv, aber auch kritisch oder sogar negativ sehen kann. Hierunter fallen die Aussagen „ein wirklicher Österreicher muß die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen" und er muß „die österreichischen politischen Institutionen und Gesetze achten".
67
•
•
•
Für Österreich als „Kulturnation" ist in erster Linie relevant, ein Österreicher müsse „deutsch sprechen können", aber auch: „ein Christ sein". Man kann Österreich weiters als „Ethnonation" sehen, wobei man auf Merkmale abstellt, die nicht frei wählbar bzw. die man sich nicht über Nacht aneignen kann, also Merkmale, welche die soziale Identität eines Menschen bis in tiefe Schichten hinein prägen: hier sind die Aussagen relevant: „in Österreich geboren zu sein" und „den größten Teil des Lebens in Österreich gelebt zu haben". Österreich als „Gefühlsnation" meint schließlich, daß es mehr als nur eine Sache des Verstandes ist, ob man ein „wirklicher Österreicher" sei oder nicht; hierauf bezog sich die Aussage „sich als Österreicher fühlen.
Abbildung 3 zeigt, daß die Befragten zumindest drei dieser vier Konzepte als wesentlich für nationale Zugehörigkeit zu Österreich betrachten: es sind dies die Konzepte der Willensnation (Staatsangehörigkeit und Achten der österreichischen Gesetze), der Kulturnation (deutsch sprechen), und das Konzept der Nation als einer „Gefühlsgemeinschaft"; alle darauf bezogenen Aussagen werden von gut einem Drittel als „sehr wichtig", von rund 90% der Befragten als „sehr wichtig" oder „eher wichtig" angesehen. (Die in Abbildung 3 auf 100 fehlenden Prozentwerte fallen großteils in die Kategorien „nicht sehr wichtig" und „überhaupt nicht wichtig"; die Nichtbeantwortungsquoten liegen nur zwischen 1% und 3%.) Etwas weniger häufig, aber immer noch von drei Viertel der Befragten als „sehr" oder „eher wichtig", werden die beiden Konzepte genannt, die wir als Indikatoren für ein ethnonationales Verständnis nannten, also das Geborensein sowie das Aufwachsen und langjährige Leben in Österreich. (Hier fehlt leider eine weitere wichtige Dimension eines solchen Verständnisses, die Abstammung aus einer österreichischen Familie.) Der einzige Aspekt, der gegenüber allen anderen deutlich abfällt, ist das christliche Glaubensbekenntnis. Hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten im Zuge der allgemeinen Säkularisierung, insbesondere der heute doch weitgehend (wenn auch keineswegs vollkommenen) Trennung zwischen Staat und (katholischer) Kirche, wahrscheinlich ein recht deutlicher Wandel ergeben. Es ist auch kaum anzunehmen, daß die kulturgeschichtlich treffendere Kennzeichnung der „wirklichen Österreicher" als „katholisch" mehr Zustimmung erbracht hätte, als die allgemeine Formulierung "Christ", die wegen der internationalen Vergleichbarkeit gewählt wurde. Hinweise auf eine doch stärkere Bedeutung der christlichen bzw. katholischen Religion als Element der österreichischen Identität ergeben sich allerdings, wenn man genauer nach der Rolle der katholischen Kirche in Geschichte und Gegenwart Österreichs fragt (vgl. folgenden Abschnitt). 68
Abbildung 3:
Merkmale eines „echten Österreichers" nach Meinung der Befragten
• ... sehr wichtig El... eher wichtig Quelle: ISSP95/Österreich; N=1007
Wie hängen die verschiedenen Aspekte der nationalen Identität zusammen? Schon die hohe Zustimmung zu allen Teilaspekten läßt vermuten, daß ein positiver Zusammenhang bestehen muß. Dies zeigt sich auch in der Tat (vgl. Tabelle 2): eine Faktorenanalyse ergab einen allgemeinen ersten Faktor, der Aspekte der Ethno-, Kultur- und Staatsnation enthält (geboren sein und leben in Österreich; deutsche Sprache und Staatsbürgerschaft). Auch ein zweiter Faktor (der statistisch aber nur schwach ausgeprägt ist) enthält offenkundig beide Elemente („Gesetze achten" und „sich als Österreicher fühlen"). Tatsächlich sind alle Aussagen positiv miteinander korreliert, sodaß man im Grunde nur von einer einzigen Dimension der „nationalen Identität" sprechen kann. Wir können als wichtiges Fazit aus diesen Befunden festhalten: die Zugehörigkeit zur Nation Österreich wird von den Befragten ganz klar als etwas Mehrdimensionales gesehen: zu ihm gehören kognitiv-willensmäßige Komponenten ebenso wie gefühlsmäßige, politische Dimensionen ebenso wie kulturelle und geographisch-territoriale. Dies ist ein sehr wichtiger Befund, ist er doch ein erster Hinweis darauf, daß alle wissenschaftlichen Versuche, „Nation" ausschließlich oder primär von einer dieser Komponenten her zu definieren, nicht sinnvoll sind. Damit wird auch unsere eigene Hypothese in bezug auf die Unterscheidbarkeit zwischen „Willensnationen" und „Ethnonationen" - zumindest nach der Wahrnehmung durch die beteiligten Bürger - falsifiziert. Die Österreicher selber
69
verstehen ihre nationale Identität weder ausschließlich im Sinne einer „Willens-" oder „Staatsnation" (was aufgrund ihrer bewußt verfolgten Politik staatlicher Selbständigkeit seit 1945 zu erwarten gewesen wäre) noch im Sinne einer reinen „Ethno-" oder „Kulturnation" (was im Sinne seiner restriktiven Ausländerpolitik und zum Teil auch seiner Verfassung zu erwarten gewesen wäre). Tabelle 2: Merkmale eines „wirklichen Österreichers" (Faktorenanalyse) Um wirklich Österreicher zu sein, ist es wichtig... ... den größten Teil des Lebens in Österreich gelebt zu haben
Faktor 1
Faktor 2
.80
.16
... in Österreich geboren zu sein
.82
.04
... die österreichische Staatsbürgerschaft zu besitzen
.75
.16
... ein Christ zu sein
.66
.13
... deutsch sprechen zu können
.61
.31
... sich als Österreicher zu fühlen
.47
.62
... die österreichischen politischen Institutionen und Gesetze zu achten
.02
.02
Eigenwert erklärte Varianz
3,3
1,0
47%
14%
Methode: Hauptkomponentenanalyse mit rechtwinkeliger Rotation, rotierte Faktormatrix. Quelle: ISSP-95/Österreich; Anzahl Befragte: 1007.
Dies ist ein sehr wichtiger Befund, der auch eine Reihe von Stereotypen widerlegt, die in der Öffentlichkeit immer wieder auftauchen. Dafür nur ein Beispiel. Nach unseren Ergebnisse eindeutig falsch ist etwa die folgende Behauptung des Schriftstellers Robert MENASSE (1992:25f.), der in seinem Essay „Das Land ohne Eigenschaften" schreibt, man könne „empirisch belegen, daß es keine signifikante Anzahl von Österreichern gibt, die zum Begriff österreichische Nation die Implikationen des Begriffs Staatsnation impliziert..."; er behauptet letztlich, daß wir uns nur über unsere Kultur bzw. Sprache (als deutsch) definieren. Voll bestätigt wird durch unsere Befunde jedoch die These von Sprachwissenschaftlern, daß sich die Identität der Österreicher (im Unterschied zu jener der Deutschen) nicht primär aus der deutschen Sprache ableitet, weil Deutsch eine „plurizentrische Sprache" darstellt, die in mehreren Staaten bzw. Nationen gesprochen wird (MUHR 1996:33; vgl. auch MUHR u.a. 1995). Dies bedeutet keineswegs, daß die Sprache für die österreichische Identität unerheblich sei - im Gegenteil: auch durch die Ausbildung und Bewahrung einer in vielerlei Hinsicht spezifische österreichischen Variante des Deutschen im Unterschied zum Bundesdeutschen wird die österreichische nationale Identität defimiert und gestärkt.
70
Die Komplexität der Einstellungen zu Ausländern Zur Systematisierung und Vereinfachung der weiteren Datenanalyse bildeten wir aus den beiden Fragen nach der subjektiven Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität und der Stärke der Verbundenheit mit dieser (Variablen VI 16 und VI 17) einen Index der „Österreichidentifikation". Er hat drei Ausprägungen: • • •
als „stark österreichverbunden" bezeichnen wir all jene Befragten, die sich der österreichischen Nationalität sehr stark verbunden fühlen; als „österreichverbunden" bezeichnen wir jene, die sich der österreichischen Nationalität „stark verbunden" fühlen; als „nicht österreichverbunden" bezeichnen wir all jene, die sich zwar als „Österreicher" bezeichnen, dieser Nation aber „nicht sehr stark" verbunden fühlen sowie all jene, die sich einer anderen Nationalität zugehörig fühlen.
Betrachten wir nun die Zusammenhänge zwischen dieser Dimension und einer Reihe anderer gesellschaftlicher und politischer Einstellungen, um ihre Bedeutung näher zu bestimmen. In Tabelle 3 werden die SpearmanRangkorrelationskoeffizienten zwischen der Österreichidentifikation in diesem Sinne und vier Gruppen von Variablen (insgesamt 25) dargestellt, die wir jeweils aus einer größeren Anzahl von Fragen zu den verschiedenen Themenkreisen ausgewählt haben.1 Das erste Bündel von Einstellungen betrifft die Haltung zu Einwanderung, ausländischen Arbeitnehmern und Flüchtlingen. Dies ist heute ohne Zweifel eine Frage, die im Zentrum des nationalen Selbstverständnisses der Bevölkerung vieler Länder steht und auch ein sehr wichtiges gesellschaftliches und politisches Problem darstellt. In Tabelle 3 zeigt sich hierzu: es bestehen zwar nur schwache, aber doch durchgehende und meist auch statistisch signifikante Zusammenhänge in der Richtung, daß Befragte mit starker Österreichverbundenheit ethnisch-nationalen „Fremdgruppen" und Ausländern eher negativ gegenüberstehen als die weniger oder gar nicht Österreichverbundenen.
1 Der Spearman-Rangkorrelationskoeffizient erscheint hier als angemessenste Maßzahl für die Erfassung der Stärke der Zusammenhänge, da es sich sowohl bei den Indikatoren der nationalen Identität (Österreichpatriotismus, Nationalstolz) wie bei den anderen Einstellungsfragen durchwegs um ordinale Variablen handelt. Nicht ganz der Fall ist dies allerdings bei der Skala der „Österreichidentifikation", wo die Kategorie „nicht österreichverbunden" Befragte umfaßt, die sich einer anderen als der österreichischen Nationalität auch stark verbunden fühlen können. Die empirischen Zusammenhänge werden in ihrer Stärke damit aber eher nur unterschätzt, nicht überschätzt.
71
Tabelle 3: Zusammenhänge zwischen den Dimensionen der nationalen Identität und anderen gesellschaftlichen und politischen Einstellungen 1 ) ÖsteiTeich-
Einstellungsbereiche FinwantVmny
identifikation
AnslSlnrW
V95
Fremde nationale Gruppen sollen ihre Sitten beibehalten (sich anpassen) V96 Einwanderer erhöhen die Kriminalitätsrate V97 Einwanderer sind gut für die Wirtschaft VI00 Zahl der Einwanderer sollte erhöht werden VI02 SUdtirolern sollte der Erwerb der österr. Staatsbürgerschaft erleichtert werden Kollektives historisches Gedächtnis V318 Bedaure, daß die k. u. k.-Monarchie auseinanderfiel V319 Nach der Auflösung der Monarchie war Restösterreich wirtschaftlich nicht mehr lebensfähig V320 1938 hätte Österreich bewaffneten Widerstand gegen den deutschen Einmarsch leisten sollen V323 Hitler kam zu seinen Ideen erst in Deutschland V324 Hitler wußte von der Vergasung der Juden V325 Hitler erreichte wirtschaftlichen Aufschwung Aktuelle politische Fragen und Persönlichkeiten V339 Konsequente Neutralitätspolitik brachte Österreich hohes internationales Ansehen V341 Nach Ende des Kalten Krieges hat die Neutralität ihren Sinn verloren V335 Der Religionsunterricht sollte abgeschafft werden V327 ^ n i n o Kreisky111^
on iol
8 e de" Politikern
V328 Kurt Waldheim V329 Jörg Haider V330 Franz Vranitzky Österreich im internationalen Kontext V301 Kleinstaaten bieten mehr Möglichkeiten zur demokratischen Mitgestaltung V304 Kleinstaaten sind offener für andere Kulturen V307 Großstaaten haben mehr Einfluß in der Welt V308 Großstaaten werden seltener wirtschaftlich beherrscht V310 Ich war für den EU-Beitritt Österreichs VI 19 Der Beitritt Österreichs zur EU war von Vorteil VI20 Österreich sollte sich voll mit der EU vereinigen (seine Unabhängigkeit in der EU sichern) V343 Die Abschaffung des Schilling für eine europäische Einheitswähning würde mir etwas ausmachen
Österreichpatriotismus
Nationalstolz
- SPEARMAN - Rangkorrelationen - ,14** - ,14** ,03 ,09** - ,04 - ,10** .07**
- ,10** - ,28** .18**
,05 ,16** -,01 .16**
,05 ,08*
- ,11** ,07
-.04 ,09*
,00
- ,13**
-,02
,08* ,07* ,12*
,27** -,08* ,16**
,26** -,02 ,07
,12**
,36**
.19**
,26** -,04
- ,10**
,00
- ,07*
- ,11**
-,16**
,07* ,04 ,01 ,07*
,10** ,16** ,18** ,16**
,18** ,23** -,03 ,33**
,11*
,14**
,16**
,03 ,09* ,09*
,27** ,19** ,16**
,20** ,14** ,13**
- ,02 - ,06 - ,06
,00 - ,10** ,01
,17** ,17** -,02
.13**
.13**
.06
1) Erklärung zum Lesen der Tabelle: Ein Koeffizient von 0 bedeutet keinen Zusammenhang, ein Koeffizient ±1 einen vollkommenen (positiven oder negativen) Zusammenhang. Statistische Signifikanz: * p
1
33
26
35
5
100
Lehre
(310)
i%
2
36
26
30
6
100
Mittl/höh. Bildung
(345)
8
45
22
19
6
100
c
,h
Für deutschsprachige Einwanderer aus Südtirol und anderen ehemaligen österreichischen Gebieten sollte es leichter sein, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben stimme voll und ganz zu
Insgesamt
stimme zu
weder/ noch
stimme nicht zu
stimme überhaupt nicht zu
k^nn ich nicht sagen
zusammen
10
4
5
100
(1007)
%
32
38
11
Bildung Pflichtschule
(352)
%
33
41
10
7
3
6
100
Lehre
(310)
%
33
34
12
10
6
5
100
Mittl/höh. Bildung
(345)
%
30
38
12
13
4
3
100
Quelle: ISSP-95/Österreich
Ganz anders die Ergebnisse zur zweiten Frage: Für Südtiroler und andere Einwanderer aus ehemals österreichischen Gebieten wird eine Erleichterung des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft von der überwältigenden Mehrheit (70%) der Befragten befürwortet; nur 14% lehnen dies ab. Hier hat das Bildungsniveau, wie auch andere Variablen, offenkundig keinen Effekt. Einzig in der jüngsten Generation der unter 78
30jährigen ist der Anteil der Befürworter etwas geringer; es mag damit zu erklären sein, daß diese Südtirol nur mehr als ein relativ wohlhabendes, in seiner kulturellen Identität durch die starke Autonomie weitgehend gesichertes Land kennen. Die Einstellung zur Zuwanderung ist sicherlich auch durch Überlegungen und Vermutungen über wirtschaftlich-materielle Effekte der Einwanderung auf die einheimische Bevölkerung bestimmt (etwa die Vermutung einer möglichen Arbeitsplatzkonkurrenz durch Einwanderer). Man muß aber doch klar sagen, daß auch hier wieder eine Haltung dominiert, die die ethnisch-kulturelle Homogenität der „Nation Österreich" in den Vordergrund stellt und Zuwanderung nur dann toleriert oder sogar begrüßt, wenn es um Menschen geht, die bereits eine Identität quasi mitbringen, wie sie die Österreicher selber besitzen oder zumindest bereit sind, sich in die österreichische Gesellschaft und Kultur zu integrieren. Aus einer solchen Perspektive stellt sich die bisherige Leistung Österreichs bezüglich der Integration von „Fremden" allerdings durchaus als „Erfolgsgeschichte" dar, wie die Autoren eines Buches schreiben, in dem sie zwanzig Leute zum Teil prominente, nach Österreich Geflüchtete ausführlich über ihre Aufnahme in Österreich und ihre Erfahrungen hierzulande befragten (SUNJIC/VOLF 1995). Nachdem wir nun dargestellt haben, welche Vorstellungen die Österreicherinnen und Österreicher von einer „österreichischen Identität" in bezug auf einige generelle Merkmale haben, betrachten wir nun genauer, was für ein politisch-kulturelles Profil dieser Nation zugeschrieben wird.
3. Die österreichische Nation: kollektives Gedächtnis und aktuelles politisch-kulturelles Profil Eine erste Frage betrifft hier jene, inwieweit das Bild Österreichs heute von wichtigen historischen Ereignissen und Erfahrungen dieses Landes im Laufe seiner jüngeren Geschichte geprägt wird (bzw. wie deren Interpretation aus heutiger Sicht aussieht). Wir betrachten dann kurz, welche Rolle das Christentum bzw. die katholische Kirche im Selbstverständnis Österreichs besitzt. Schließlich untersuchen wir einige aktuelle Fragen der Politik und deren Bezug zur „Nation Österreich". Österreichidentifikation und österreichisches Geschichtsbewußtsein Ein Block von Fragen, mit denen wir das nationale Selbstverständnis der Österreicherinnen und Österreicher heute näher zu erfassen versuchten, betraf das „kollektive historische Gedächtnis" (diese Fragen wurden großteils nur in Österreich erhoben). Darunter verstehen wir, ganz allge79
mein gesprochen, das Bild, das sich die Befragten von der Vergangenheit dieses Landes machen; wichtig darin ist insbesondere die Beurteilung wichtiger historischer Ereignisse und Phasen im Hinblick auf die Rolle, die Österreich nach Meinung der jeweiligen Befragten heute hätte spielen sollen. Diese Vorstellungen über die Vergangenheit, die bis hin zur Erzeugung historischer „Mythen" gehen können, stellen einen zentralen Aspekt des Selbstverständnisses jeder Nation dar. „Kollektiv" werden sie genannt, weil sie in einem umfassenden Prozeß der Diskussion und des .Aushandelns" zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Eliten und Interessengruppen (Historikern und anderen Intellektuellen, Lehrern, politischen Führern, unterschiedlichen politischen „Lagern" usw.) entstehen, kontinuierlich weiterentwickelt und den Interessen der jeweiligen Epoche entsprechend umgedeutet werden (vgl. allgemein dazu HALBWACHS 1985; NORA 1990; ASSMANN 1992; in Kapitel 5 untersucht Albert REITERER diese Prozesse systematisch für die Zweite Republik. Für das heutige kollektive Gedächtnis Österreichs in diesem Sinne sind vier Epochen bzw. damit zusammenhängende Ereignisse von Bedeutung. Wir kommen auf diese Thematik noch mehrfach zurück. Hier geht es vor allem um den Zusammenhang zwischen dem historischen Gedächtnis der Österreicher und ihrem aktuellen Österreichbewußtsein. Betrachten wir zunächst kurz die in Frage stehenden Epochen bzw. Ereignisse. Die erste ist die Epoche der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihr Zusammenbruch am Ende des Ersten Weltkriegs. Die Bedeutung dieser Epoche und ihres Endes steht wohl außer Frage, stellte der Zusammenbruch der Monarchie, den ein Historiker sogar als „Revolution" bezeichnet hat (HANISCH 1994:263), doch für die Bewohner des heutigen Österreich nicht nur das Ende eines mehrhundertjährigen Zusammenlebens in einem der ethnisch-kulturell vielfältigsten Staaten der Erde dar, sondern auch - zumindest für die jahrhundertelang herrschenden Eliten „Deutschösterreichs" - das Ende einer hegemonialen Rolle in Verwaltung und Militär, Wirtschaft und Kultur einer europäischen Großmacht (vgl. auch HANISCH 1994:269). In seinem bekannten Werk „Der Habsburgermythos in der österreichischen Literatur" hat der italienische Schriftsteller Claudio MAGRIS (1988) gezeigt, welch tiefe Spuren der Zusammenbruch dieses Vielvölkerstaates in der österreichischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinterlassen hat. In unserer Erhebung stellten wir mehrere Fragen zur Beurteilung der Leistungen der österreichisch-ungarischen Monarchie, von denen wir hier nur die Frage der generellen Bewertung ihres Zerfalls betrachten (auf die anderen werden wir noch zurückkommen). In bezug auf diesen Einschnitt ist vor allem die Frage von Interesse, inwieweit die Österreicher heute das damalige Rest-Österreich als eine lebensfähige politische Gemeinschaft sehen oder nicht. Eine durchgängige These lautet hier, der Mangel an Identitätsbewußtsein, der die Erste Republik charakterisierte und fast allen seinerzeitigen Eliten den An80
schluß an Deutschland als erstrebenswert erscheinen ließ (UHL 1992), sei eine der Hauptursachen für den späteren Untergang dieser Republik gewesen. Als zweite markante Epoche der jüngeren österreichischen Geschichte kann man die Zeit der Ersten Republik, von 1919 bis zu ihrer Auflösung nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Jahre 1938, bezeichnen. Für das heutige Nationalbewußtsein der Österreicher ist diese Phase vor allem insoferne von Bedeutung, als sich in ihr Österreich erstmals in seinem gegenwärtigen Umfang konstituierte; auch wurde in der 1920 verabschiedeten Verfassung und in vielen damals eingerichteten sozialpartnerschaftlichen und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen das heutige politische System Österreichs weitgehend begründet. Die politischen Eliten insbesondere der Sozialdemokratie betrachteten „Restösterreich" nach dem Zerfall der Monarchie wirtschaftlich nicht als lebensfähig (vgl. dazu die Beiträge von Peter TEIBENBACHER und Albert REITERER in den Kapiteln 4 und 5). Wir versuchten in unserer Umfrage auch eine Stellungnahme zu dieser Problematik zu erhalten. Darüber hinaus versuchten wir die Meinung der Befragten zur Haltung der österreichischen Regierung im Jahre 1938 zu erfassen, die zwar bekanntlich gegen den Einmarsch der Hitler-Truppen protestierte, der Armee aber bewaffneten Widerstand untersagte. Die dritte markante Epoche der jüngeren österreichischen Geschichte ist die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Osterreich. Wenn diese auch nur relativ kurz, von 1938 bis 1945, währte, ist ihre Beurteilung aus heutiger Sicht doch instruktiv aus zweierlei Hinsicht. Zum ersten im Hinblick auf die Bewertung der politischen Eigenständigkeit Österreichs im Vergleich zu einer möglichen Vereinigung mit Deutschland, zum zweiten im Hinblick auf die Beurteilung der Person des Begründers des nationalsozialistischen Regimes, Adolf Hitler. Hitler ist bekanntlich nicht nur in Österreich (Braunau/OÖ) geboren, sondern er hat in den von krisenhaften Zusammenstößen zwischen den verschiedenen Nationalismen der Monarchie geprägten Städten Linz und Wien seine entscheidenden Jugendjahre verbracht und damit eine Prägung für sein Leben erhalten (er verbrachte hier die Jahre 1900 bis 1913, also die Periode zwischen seinem 11. und 25. Lebensjahr; vgl. auch BRACHER 1993:22). Die Frage nach der Einschätzung politischer Persönlichkeiten erscheint uns im Zusammenhang einer soziologischen Analyse des Phänomens der nationalen Identität als sehr wichtig; historische und aktuelle Persönlichkeiten, zu denen neben Politikern auch Intellektuelle, Künstler, Sportler und andere zu zählen sind, stellen, wie im Kapitel 1 ausgeführt, immer wieder zentrale Identifikationselemente für nationale Identität und Nationalstolz dar (vgl. auch HALLER 1992). Die letzte markante Epoche der jüngeren österreichischen Geschichte umfaßt die Nachkriegszeit bis heute; sie beginnt mit dem Jahre 1945, 81
erreicht einen ersten Höhepunkt mit der Erlangung der vollen Unabhängigkeit 1955, umfaßt dann eine gut zwei Jahrzehnte währende Phase der wirtschaftlichen Prosperität und politischen Stabilität (von etwa 1960 bis 1980), und ist durch neue Krisenphänomene seit Anfang der 80er Jahre gekennzeichnet. Diese markieren den Beginn einer neuen Ära - mit neuerlichem Ansteigen der Arbeitslosigkeit, einer Vervielfältigung des politischen Parteienspektrums und dem Eintritt in die Europäische Gemeinschaft. Hier erscheint uns vor allem die Frage der politischen Neutralität Österreichs relevant, die bis noch vor kurzem ja einen zentralen Teil des Selbstverständnisses dieses Landes darstellte. Im Zusammenhang damit haben wir auch die Haltung der Befragten zu vier zeitgenössischen Politikerpersönlichkeiten erfaßt, die zum Teil gerade in bezug auf die Frage der nationalen Identität zu starken Polarisierungen geführt haben bzw. führen. Eine weitere Gruppe von Fragen bezog sich auf die Rolle der katholischen Kirche in Österreich heute. In bezug auf die Zusammenhänge zwischen historischem Bewußtsein und nationaler Identität gehen wir von folgenden Annahmen aus. Starke Österreichidentifikation sollte einhergehen mit: •
•
•
einer positiven Beurteilung der Lebensfähigkeit „Restösterreichs" nach dem Auseinanderfallen der Habsburgermonarchie und wohl auch mit einer positiven Beurteilung der Monarchie insgesamt, da diese - bei aller Vielfalt ihrer inneren Gliederung und äußeren Erscheinung - doch auch schon deutlich ein spezifisches „Österreichbewußtsein" entwickelt hatte (HEER 1991; KLINGENSTEIN 1995; BRUCKMÜLLER, 1984, betont die Bedeutung der Länder in der Monarchie für dieses Bewußtsein); einer Befürwortung des Widerstandes gegen die Besetzung Österreichs durch Nazi-Deutschland, mit einer negativen Beurteilung der nationalsozialistischen Periode und der Person Hitlers für Österreich, da er ja die Eigenstaatlichkeit dieses Landes beseitigte; mit einer positiven Beurteilung der Neutralität und jener Politikerpersönlichkeiten der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart, die stark für sie eingetreten sind.
Die Befunde entsprechen diesen Hypothesen nur zum Teil. Am wenigsten treffen sie zu für die beiden frühesten Perioden des 20. Jahrhunderts. So zeigt sich in Tabelle 3 oben, daß zwischen der Österreichidentifikation und der Beurteilung des Zerfalls der Monarchie kein nennenswerter Zusammenhang besteht, zwischen Identifikation mit Österreich heute und dem Glauben an die Lebensfähigkeit Restösterreichs nach dem 1. Weltkrieg sogar ein statistisch signifikanter, negativer Zusammenhang. Befragte, die sich dem heutigen Österreich „sehr stark verbunden" fühlen, bedauern es tendenziell weniger, daß die Monarchie unterging und sie glauben - wie schon viele der seinerzeit führenden Politiker - selbst heute noch nicht an 82
die wirtschaftliche Lebensfähigkeit „Restösterreichs" nach dem Ersten Weltkrieg. Zur Interpretation dieser doch überraschenden Befunde können wir zwei Anmerkungen machen. Zum ersten zeigt sich, daß die „Monarchie-" oder „Habsburgernostalgie" unter den Österreicherinnen und Österreichern heute äußerst gering ausgeprägt ist. Nur 8% der Befragten bedauern es „sehr stark" oder „stark", daß die Monarchie auseinanderfiel, fast zwei Drittel (65%) dagegen bedauern es nicht (43% überhaupt nicht); der Rest entfällt auf die Kategorie „kann ich nicht sagen". Es ist also offenkundig ein Faktum, daß die Bürger der heutigen Republik Österreich diese doch so „große" Vergangenheit ihres Landes für sie selber als praktisch nicht mehr relevant ansehen. Schon dieser Befund ist sehr wichtig, widerspricht er doch in letzter Zeit immer wieder geäußerten Behauptungen, die Österreicher seien heute immer noch von einer „kollektiven Abstiegsangst", einer heimlichen „Sehnsucht nach Größe" beseelt (PELINKA 1990:30). Das österreichische Drängen in die EU wird vielfach als späte Erfüllung dieses Wunschtraums gesehen, nachdem ihm die naheliegendere Form der Vereinigung mit Deutschland versagt worden sei: „Die offizielle österreichische Politik ist sehr stark eine Politik der Anlehnung. Österreich flüchtet, aus den Schwierigkeiten der achtziger Jahre, aus dem Zusammenbruch traditioneller (Ersatz-) Identitäten, in die Größe ... „ (PELINKA 1990:144; ähnliche Äußerungen vielfach auch von Kolumnisten wie Günther Nenning und Rudolf Burger). Eine solche Interpretation übersieht zunächst schon die Tatsache, daß dieses angebliche Anlehnungs- und Anschlußbedürfnis die Österreicher offenkundig erst Ende der 80er Jahre überkommen ist, vorher aber nicht da war. Es muß also (wenn es überhaupt existiert) in erster Linie mit den seit damals geänderten objektiven Umständen zu tun haben. Am wichtigsten war hier wohl die weltweite wirtschaftspolitische Rechtswende, die auch die SPÖ-Regierung unter Vranitzky teilweise mitvollzog. Bekanntlich war das Hauptargument der Beitrittsbefürworter in wirtschaftlichen und politischen Kreisen immer, der Beitritt werde zum Aufbruch der hierzulande verkrusteten Strukturen führen. Dieser Befund widerlegt auch die These, die Österreicher hätten den Verlust ihres ehemaligen Großmachtstaates noch immer nicht bewältigt. Wie das Beispiel Großbritanniens und Hollands zeigt, ist ein solcher Verlust durchaus verkraftbar (vgl. dazu auch ELIAS 1989). Unsere These ist, daß der Untergang der Monarchie in der Zeit der 1. Republik durchaus ein Trauma darstellte, aber auch damals nur für die davon direkt Betroffenen (vor allem die herrschenden Eliten und die ihnen nahestehenden Intellektuellen; vgl. dazu auch MAGRIS 1988). Was die Habsburgermonarchie im besonderen betrifft, scheint es sogar so zu sein, daß eine gewisse Nostalgie für sie heute eher in manchen Intellektuellenkreisen österreichischer Nachbarstaaten (etwa im italienischen 83
Friaul oder manchen mittelosteuropäischen Ländern) zu bestehen scheint als in Österreich selber (Evidenz dazu in Kapitel 7). Auch hiefür könnte es wieder zwei Gründe geben. Zum einen die Tatsache, daß das „offizielle" Österreich heute - zum Teil aufgrund der eigenen jüngeren Geschichte mit der leidvollen Erfahrung der Auslöschung seiner Eigenstaatlichkeit unter dem Nationalsozialismus ein besonders pointierter Befürworter des nationalen Selbstbestimmungsrechtes aller Völker ist. (Man könnte einen Ausfluß hierin auch noch in der starken Vorreiterrolle Österreichs bei der Anerkennung der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien sehen.) Zum anderen ist anzunehmen, daß die Befragten im Wissen über und in der Beurteilung dieser historischen Ereignisse sich stark von den quasi „offiziellen" Geschichtsinterpretationen der politischen Lager leiten lassen, denen sie jeweils nahestehen. (Dies zeigte sich etwa sehr deutlich in einer Analyse der Medienberichte zu den im Jahre 1988 durchgeführten Bedenkfeiern zum Anschluß 1938; vgl. dazu HALLER 1989.) 1918 waren es gerade die Sozialdemokraten, die die glühendsten Verfechter eines Anschlusses an Deutschland waren und damit die Lebensfähigkeit Österreichs am stärksten in Frage stellten. Was die Aussagen über die Auslöschung der Eigenstaatlichkeit Österreichs und die Rolle der Person Adolf Hitler betrifft, bestehen nur zum Teil signifikante Zusammenhänge und die bestehenden sind nur schwach ausgeprägt und inkonsistent. So sind die stark Österreichverbundenen unter den Befragten zwar häufiger der Meinung, Hitler habe von der Vergasung der Juden gewußt, sie meinen aber auch häufiger, er sei zu seinen Ideen erst in Deutschland gekommen und habe für Österreich einen wirtschaftlichen Aufschwung erreicht. Insgesamt stimmen immerhin 45% unserer Befragten der historisch glatten Unwahrheit zu, Hitler sei erst in Deutschland zu seinen Ideen gekommen. Wilfried DAIM (1995) hat in seinem Buch „Der Mann, der Hitler die Ideen gab" gezeigt, daß viele Passagen in „Mein Kampf' nahezu wortwörtlich aus den Schriften eines unbedeutenden Wiener Schreibers entnommen worden sind. Des weiteren meinen 54% der Befragten, Hitler habe es erreicht, daß es in Österreich wieder aufwärts gehe. Allerdings gibt die überwältigende Mehrheit der Befragten zu, daß Hitler persönlich von den Judenpogromen wußte und dafür verantwortlich zu machen ist. So stimmten 87% der Befragten der Aussage zu „Hitler wußte von der Vernichtung der Juden in den Gaskammern" (V324) und 80% der Aussage „Hitler war einer der größten Massenmörder der Geschichte" (V326); abgelehnt wurden diese Sätze jeweils nur von 2% bzw. 5% der Befragten. Schließlich sind Österreichverbundene auch nicht häufiger als weniger Österreichverbundene der Meinung, Österreich hätte bewaffneten Widerstand gegen den Anschluß leisten sollen. Die Zustimmung und Ablehnung
84
zu dieser Aussage hält sich mit jeweils etwa einem Drittel der Befragten die Waage. Ganz allgemein können wir aus diesen Befunden folgern, daß man die Bedeutung des „kollektiven Gedächtnisses" für die Identität einer Nation auch nicht überschätzen sollte. Das Bewußtsein über historische Fakten und das Interesse an ihnen wird vor allem dann stark verblassen, wenn diese in keinem symbolischen Zusammenhang mit der Gegenwart stehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn eine Nation eine grundlegende Uminterpretation ihres Selbstverständnisses vorgenommen hat. Genau dies ist im Falle Österreichs in der relativ kurzem, aber ereignisreichen Periode zwischen der nationalsozialistischen Besetzung 1938 und der Wiedererlangung der vollen staatlichen Unabhängigkeit und Souveränität 1955 geschehen. Wenn in den Jahrzehnten nachher wenig über die österreichische Mitschuld am Nationalsozialismus, den Ständestaat usw. diskutiert wurde, kann man dies nicht nur als „Verdrängung" sehen, sondern muß es auch als Teilaspekt dieser Neuorientierung anerkennen. Eine Analogie mit Entwicklungs- und Wandlungsprozessen der individuellen Identität scheint hier durchaus angebracht: Auch im Leben eines Menschen kann es Ereignisse geben, die so tiefe Einschnitte verursachen, daß man vom Beginn einer völlig neuen „Lebenskarriere" sprechen kann - und dies im positiven wie im negativen Sinn. Daß ein Mensch, der etwa nach einer kriminellen Karriere durch günstige Umstände zu einem anerkannten und glücklichen neuen Weg gefunden hat, nicht mehr oft über sein früheres Leben sprechen wird, ist ihm wohl kaum zu verdenken. Genauso wird auch jener dazu tendieren, seine Vergangenheit zu „vergessen" oder zu „verdrängen", der auf die schiefe Bahn geraten ist. ACHAM (1988:4) spricht in diesem Zusammenhang auch davon, daß es einen „Grad von rückwärts-gewandter Orientierung" geben könne, „bei dem das Lebendige Schaden nimmt". „Vergessen" wird also erst dann zu einem problematischen „Verdrängen", wenn dafür zuviel psychische Energie aufgewendet werden muß - Energie, die dann für die Bewältigung der neuen Lebensaufgaben fehlt. Auch die Psychoanalyse ist der Meinung, daß nur ein „ungebührliches Maß an Verdrängung der Integrität des Ichs schadet" (BRENNER 1967:102), während schon FREUD selbst (in „Hemmung, Symptom und Angst") darauf hingewiesen hat, daß es auch eine erfolgreiche Verdrängung geben könne, in der ein Wunsch vollkommen verschwinde und nicht mehr mit Energie besetzt sei (BRENNER, ebenda). Zeigen sich zwischen diesen Aspekten des Geschichtsbewußtsein und der aktuellen nationalen Identität nur eher schwache Zusammenhänge, so gilt dies nicht für zwei aktuelle gesellschaftlich-politische Themen, nämlich die Problematik der Kirche und Religion und die der Neutralität. Beide Aspekte erscheinen uns sehr bedeutsam, sodaß wir etwas näher auf sie eingehen wollen.
85
Wird Österreich noch als ein katholisches Land gesehen? Wir haben oben festgestellt, daß das „Christsein" nur unter „ferner liefen" genannt wird, wenn es um die Frage geht, was einen „echten Österreicher" heute kennzeichnet. Die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Dimensionen der nationalen Identität und weiteren Indikatoren der Bewertung der Bedeutung von Christentum und Katholizismus für Österreich ergibt jedoch ein etwas anderes Bild. So zeigt sich in Tabelle 3, daß stark österreichverbundene Menschen signifikant häufiger gegen die Abschaffung des Religionsunterrichts sind; dasselbe gilt für Befragte mit hohem Österreichpatriotismus und Nationalstolz. Hier ist also die weiter oben getroffene Aussage, wonach die christliche bzw. katholische Religion für das Österreichbewußtsein heute nur mehr eine sehr geringe Rolle spiele, doch zu relativieren. Wir behandelten diese Thematik in unserer Umfrage noch von einigen anderen Seiten. So fragten wir danach, wie die Befragten den Einfluß der katholischen Kirche auf die geschichtliche Entwicklung Österreichs einschätzten. Dieser Einfluß kann in seiner - positiven und negativen - Bedeutung ja kaum überschätzt werden, war Österreich - neben Italien und Spanien - ja durch Jahrhunderte eines der ,»Bollwerke" des Katholizismus, etwa gegen die Einfälle der Türken, aber auch gegen die protestantische Reformation in Europa. Auf der positiven Seite ist ohne Zweifel die vielfältige Befruchtung des Kultur- und Geisteslebens, wie auch die Beeinflussung von Gesellschaft und Politik durch Grundsätze christlicher Ethik zu sehen. Das „österreichische Barockzeitalter" steht paradigmatisch für eine große Phase der österreichischen Geschichte in dieser Hinsicht (HEER 1981:88ff.). Später, Anfang des 19. Jahrhunderts, übte der „Reformkatholizismus" einen positiven Einfluß insbesondere in Böhmen aus; ein so typisch österreichischer Schriftsteller wie Adalbert Stifter ist diesem Kontext zuzuordnen (JOHNSTON 1974:284ff.). Für die heutige Zeit zeigen neueste Studien, daß für die Entstehung des modernen Wohlfahrtsstaates neben der Stärke sozialdemokratischer Parteien auch der Einfluß des Katholizismus und ihm nahestehender politischer Parteien objektiv nachweisbar ist. Auf der negativen Seite der historischen Macht des Katholizismus in Österreich steht ohne Zweifel seine Intoleranz, die zur Vertreibung von Zehntausenden von Protestanten, einer jahrhundertelangen Unterdrückung freiheitlich-fortschrittlicher Bewegungen und zur Diskriminierung von Minderheiten (insbesondere der Juden) geführt hat (vgl. u.a. HEER 1981:40ff.). In dieser Hinsicht stellte die katholische Kirche in Österreich eine „Herrschaftskirche" dar - ein Faktum, dessen aktuelle Nachwirkung in einem starken Rückgang von Kirchlichkeit und Religiosität zu sehen ist (HÖLLINGER 1996).
86
Tabelle 6: Die Einschätzung der Bedeutung der Kirche bzw. christlichen Religion für Osterreich Insgesamt (n=1007)
sehr hoch
eher hoch
eher niedrig
sehr niedrig
%
%
%
%
%
29 38 (33)
49 51
47 53
41 59
36 64
7 85 (8)
4 96
5 95
8 92
17 83
Aussage V331 Der Einfluß der katholischen Kirche auf die Entwicklung Österreichs... ...war eher gut ...war eher schlecht (weiß nicht)
Nationalstolz
V335Der Religionsunterricht... ...sollte abgeschafft werden ...nicht abgeschafft werden (weiß nicht) Quelle: ISSP-95/Österreich
Wie sehen die Befragten die historische Rolle der katholischen Kirche für Österreich? Bei ihnen überwiegt offensichtlich die negative Seite: über ein Drittel (38%) meinen, der Einfluß der Kirche sei eher schlecht gewesen, deutlich weniger (29%), er sei eher gut gewesen (vgl. Tabelle 6). Ein für Meinungsumfragen sehr hoher Anteil, ein Drittel der Befragten, konnte sich allerdings keiner der beiden Aussagen anschließen. Dies mag sowohl mit einem objektiven Gefühl zu tun haben, daß man darüber zu wenig weiß; es mag aber auch mit der tatsächlich gegebenen Ambivalenz des Einflusses der Kirche auf die österreichische Geschichte zu tun haben. Wie beurteilt man den Einfluß der Kirche heute? Wir stellten dazu die Frage, ob sich die Kirche zu verschiedenen Fragen des öffentlichen Lebens, insbesondere zu Fragen der Politik, der Moral und zu sozialen Problemen, äußern solle. Hier zeigt sich je nach Bereich ein sehr unterschiedliches Bild. Nur ein Fünftel der Befragten (19%) sind der Meinung, die Kirche solle sich zu politischen Fragen äußern, dagegen meinen gut zwei Drittel, sie solle zu moralischen und zu sozialen Problemen Stellung nehmen (70 bzw. 68%). Dies sind weit höhere Anteile als die der „aktiven Kirchenmitglieder", die heute - je nach Definition - nur mehr etwa ein Fünftel bis ein Drittel der Österreicher betragen (vgl. dazu auch Tabelle 7 sowie HALLER/JANES 1996; HÖLLINGER 1996). Eine - trotz de facto stark abnehmender Kirchenbindung der Österreicher - erstaunlich starke Befürwortung einer positiven Rolle der christlichen Religion zeigt sich schließlich auch in einem dritten Indikator, der kürzlich ja von der Partei der „Liberalen" Heide Schmidts wieder thematisiert wurde und der auch in der Bundesrepublik erheblichen Staub aufwirbelte. Es ist dies die Frage der
87
Abschaffung des Religionsunterrichts: diese wird nach unserer Umfrage von ganzen 7% der Befragten befürwortet, dagegen von 85% abgelehnt. Tabelle 7: Religiosität und Indikatoren nationaler Identität Anteile von Befragten mit... (in %) sehr starker Österreichidentifikation (N)
katholisch
sehr hohem Östeireichpatriotismus
sehr hohem Nationalstolz
starker Weltoffenheit
hoher Ausländerakzeptanz
(511)
(205)
(514)
(263)
(208)
26
(693)
52
25
25
30
anderes
(67)
47
22
11
26
33
keines
(106)
50
19
28
31
23
.06
.10**
.12**
.04
.04
Assoziation (ETA 1 ) Kirchenbesuch l-3mal/Monat
(205)
56
28
30
31
23
mehrmals im Jahr
(232)
50
16
26
26
20
seltener
(209)
50
24
21
26
29
nie
(218)
46
23
17
35
31
.06*
.09**
.14*
.02
-.07
Spearman Rangkoirelation
') Religionsbekenntnis als unabhängige Variable; Quelle: ISSP-95/Österreich
Signifikanz: *) p > .05, **) p < .01
Wir stellten bereits fest, daß eine positive Sicht von Christentum und Katholizismus signifikant zusammenhängt mit unseren drei zentralen Indikatoren für Österreichverbundenheit (Österreichidentifikation, Österreichpatriotismus und Nationalstolz). Ein weiterer Hinweis auf die doch recht deutliche Assoziation zwischen Religiosität und nationaler Identifikation mit Österreich zeigt sich in Tabelle 7: Katholiken sowie Befragte mit aktiver kirchlicher Teilnahme sind tendenziell durchwegs stärker österreichverbunden, Österreich-patriotisch und auf ihr Land stolz als Befragte mit einem anderen Glaubensbekenntnis oder mit nur geringer oder gar keiner kirchlichen Teilnahme. In einem Vorgriff auf den letzten Abschnitt dieses Kapitels können wir auch vermuten, daß der Zusammenhang zwischen Kirchenbindung und Religiosität einerseits, nationaler Identität andererseits nicht nur mit den inhaltlich-moralischen Aussagen des Katholizismus zu tun haben wird, sondern auch mit einer generell stärkeren gesellschaftlich-sozialen Integration von kirchlich aktiven Menschen.
88
Politische Neutralität als wesentlicher Bestandteil österreichischer Identität Wichtig erscheinen uns hier auch die Befunde im Hinblick auf die Bedeutung der politischen Neutralität für die Identität Österreichs. Stark Österreichverbundene unter den Befragten bewerten die Neutralität deutlich positiver als weniger Österreichverbundene. Aus einer Vielzahl laufend durchgeführter Umfragen weiß man, daß die Neutralität den Österreichern außerordentlich wichtig ist und daß hier eine erhebliche Kluft insbesondere zwischen den bürgerlich-konservativen politischen Eliten und der großen Mehrheit der Bevölkerung besteht. Unsere Umfrage, in der wir drei Fragen zu dieser Thematik stellten, bestätigt dies einmal mehr: nicht weniger als 8 4 % der Befragten sind der Meinung, die Neutralitätspolitik habe wesentlich zum internationalen Ansehen Österreichs seit dem Zweiten Weltkrieg beigetragen; nur ein knappes Viertel der Befragten stimmt den in der Öffentlichkeit heute immer wieder vorgetragenen Behauptungen zu, Neutrale seien nur „Trittbrettfahrer", die von den Verteidigungsanstrengungen anderer Länder leben sowie der These, nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks habe die Neutralität ihren Sinn verloren (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5:
Einstellungen zur österreichischen Neutralität und Osterreichidentifikation
V339: Konsequente Neutralitätspolitik erhöhte Österreichs Ansehen V340: Neutrale Länder sind nur "Trittbrettfahrer" V341: Nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks hat die Neutralität ihren Sinn verloren 100% 80%
35%
60% 21%
40% 20%
0%
48%
57%
25%
21%
51%
28%
15% 0
13%
++ + V339
Befragte befürworten Neutralität: • s e h r stark Dstark Quelle: ISSP95/Österreich; N=1007
0
33%
37%
26%
++ + V340
36%
0 0 ++ + -
39%
20%
24%
++ + V341
Alle Befragten sehr stark österreichverbunden stark österreichverbunden nicht österreichverbunden
Die Beurteilung der politischen Neutralität als Teil des positiven Images von Österreich galt anscheinend auch im Ausland. So ergibt sich aus ei-
89
nem der Tiefeninterviews mit einer „NeoÖsterreicherin", die aus dem Iran stammt und in Bulgarien und Schweden aufgewachsen ist, daß sie ihr bereits vor der Einwanderung bestehendes positives Bild von Österreich in erster Linie mit der politischen Neutralität dieses Landes und der Person von Bruno Kreisky assoziierte (vgl. Kapitel 3). Nochmals zu erwähnen ist, daß die politische Neutralität einen signifikanten Bestandteil der „Österreichidentität" unter den Österreichern selber heute darstellt (vgl. Tabelle 3).
Politische Persönlichkeiten als Symbole österreichischer Identität Angesichts dieser Befunde ist es nicht mehr ganz überraschend, daß ein sehr starkes Österreichbewußtsein signifikant mit einer höheren Wertschätzung jener zwei unter den vier von uns genannten zeitgenössischen Politikern einhergeht, die historisch und aktuell am stärksten mit der Entwicklung und Festigung der außenpolitischen Rolle der Neutralität verbunden sind, nämlich der Bundeskanzler Bruno Kreisky und (zumindest noch bis vor kurzem) Franz Vranitzky (vgl. Tabelle 3 und Abbildung 5). Um vor allem die Position Kreiskys in dieser Hinsicht zu belegen, seien einige seiner einschlägigen Äußerungen etwas ausführlicher zitiert (vgl. dazu auch die Ausführungen von Albert REITERER in Kapitel 6). In bezug auf die Neutralität schrieb Bruno Kreisky im zweiten Band seiner 1988 (also bereits vor dem Zerfall des Sowjetblocks, aber bereits nach vier Jahren „Perestroika" in der UdSSR) erschienenen Memoiren: „ Führt man sich die Entwicklung der letzten dreißig Jahre vor Augen, so gibt es im Prinzip nichts, was eine österreichische Teilnahme an der europäischen Integration nicht im höchsten Maße als wünschenswert erscheinen ließe... Dennoch müssen gewisse Grundsätze meiner Meinung nach auch heute beachtet werden, Grundsätze, an denen festzuhalten wichtiger ist als die Teilnahme an der europäischen Integration. Wir verdanken unsere FreiStaatsverheit und unsere staatliche Existenz dem 1955 abgeschlossenen trag und unserer freiwilligen immerwährenden Neutralität. Ihr müssen wir treu bleiben, wollen wir uns einen gesicherten Platz in der Mitte Europas bewahren. Manche Leute meinen, mit Gorbatschow ließe sich vielleicht reden; angesichts der Veränderungen im Kreml brauche man nicht so streng an den eigenen Verpflichtungen festzuhalten. Ich bin anderer Meinung. Für einen kleinen Staat ist Vertragstreue eine Existenzvoraussetzung... Vertragsverpflichtungen gelten über den Tod derer hinaus, die sie eingegangen sind." (KREISKY 1988:173f.).
90
KREISKY sah die Tendenz zum Abrücken von der Neutralität wohl nicht zu Unrecht als Ausdruck eines typisch „österreichischen Lasters", „Verträge zu schließen und sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ignorieren (ebenda, S. 194). Eine weitere Passage aus KREISKYs Memoiren hilft mit zu erklären, warum in der Bevölkerung heute ein positiver Zusammenhang besteht zwischen dem Österreichbewußtsein und einer Sympathie für ihn und andere sozialdemokratische Spitzenpolitiker, die dem Begriff der „Nation" an sich eher skeptisch gegenüberstehen (so kommt der Begriff der „österreichischen Nation" weder in KREISKYs Memoiren noch in seinen Regierungserklärungen an prominenter Stelle vor). Diese Passage betrifft KREISKYs jahrzehntelanges Engagement für die österreichische Südtirolpolitik, von der oben ja indirekt ebenfalls die Rede war. KREISKY schreibt in diesem Zusammenhang über seine Zeit als Staatssekretär im Auswärtigen Amt (1953-59): „Ich war mir im klaren darüber, daß das Problem Südtirol große Bedeutung für unsere außenpolitischen Aktivitäten haben würde... Natürlich standen für den Mann der Straße damals andere Sorgen im Vordergrund; dennoch brachte der neuerwachte österreichische Patriotismus dieser Frage ein beträchtliches Interesse entgegen. Neben politischen Erwägungen gab es für mich auch einen nicht unbedeutenden subjektiven Grund, mich in der Südtirolfrage zu profilieren. Ich mußte verhindern, daß man aus meiner sozialistischen Haltung und meiner kosmopolitischen Neigung, die manchmal vielleicht mit meiner jüdischen Abstammung in Verbindung gebracht wurde, die Schlußfolgerung zog, ich würde mich mit dem Südtirol-Problem nicht intensiv genug beschäftigen." (KREISKY 1988:148f.) KREISKY schildert dann den von Hilde Spiel beschriebenen Fall der Fanny von Arnstein, der Gattin eines jüdischen Wiener Bankiers, die sich aus ähnlichen Motiven sehr stark für die Erhebung der Tiroler unter Andreas Hofers gegen die Bayern und Franzosen engagiert hatte. Wie immer der biographisch-persönliche Hintergrund für dieses besondere „patriotische" Engagement Kreiskys gewesen sein mag, - man wird wohl nicht umhin können festzustellen, daß er vor allem durch seine konsequente und beharrliche, oft vielfach angefeindete Außenpolitik ganz Entscheidendes zur Entstehung eines eigenständigen Österreichbewußtseins seit 1945 beigetragen hat. Stellt die Persönlichkeit von Kreisky somit ein in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzendes Symbol für die neue Rolle Österreichs in der Nachkriegszeit dar, so gilt eher das Gegenteil für einen Politiker wie den Vorsitzenden der FPÖ seit 1986, Jörg Haider. So zeigt Abbildung 6. daß das Ansehen von Haider nicht nur allgemein weit hinter jenem aller drei anderen Politikerpersönlichkeiten liegt, sondern daß er der einzige Politiker ist, von dem Befragte mit geringerem Stolz auf Österreich tendenziell eine bessere Meinung haben, als jene mit hohem Nationalstolz. Haider griff 91
bekanntlich den schon von Hitler in „Mein K a m p f verwendeten Ausdruck von der „Mißgeburt der österreichischen Nation" wieder auf, womit er allerdings nur eine kontinuierliche Linie der „Deutschtümelei" im rechten Flügel der Freiheitlichen Partei fortsetzte (ähnliche Äußerungen gab es vom früheren Parteivorsitzenden Friedrich Peter und vom langjährigen FPÖ-Abgeordneten Otto Scrinzi; SCHARSACH 1992:91f.). Auch die (vorübergehende) Ausmerzung des Namens „Österreich" aus der Bezeichnung der Partei der „Freiheitlichen" liegt auf dieser Linie. Daß Haider diesen Ausspruch inzwischen wahrscheinlich eher vergessen machen möchte, und die Freiheitlichen sich heute als die wahren Verfechter des „Österreichbewußtseins" darstellen (vgl. dazu Kapitel 5 von Albert REITERER), erscheint angesichts der Wendigkeit von Haider als wenig glaubwürdig (vgl. ausführlich dazu PELINKA 1990:91ff). Auf die Frage, wie es mit der gesellschaftlich-politischen Weltanschauung der Wähler von Jörg Haider aussieht, werden wir weiter unten zurückkommen. Abbildung 6: Nationale Identität und Images zeitgenössischer österreichischer Politiker 100% 80% 27%
60% 40%
Kjr&^l
20% 42%
0%
38%
m
""I 1
m
8
45%
33%
56%
o t Kreisky
33%
45%
45%
36% 22%
I
16%
•1
o t l Waldheim
20% 32%
10% 12% 7%
o t l Haider
-
51%
45%
-
26% 11%
o
t
l
Vranitzky
¡ • g u t e Meinung Eleher gute Meinung 0 alle Befragten t Befragte mit hohem Stolz auf Österreich 1 Befragte mit geringem Stolz auf Österreich Quelle: ISSP9E/Österreich; N=1007
Nicht als so scharf profiliert (im positiven wie negativen Sinne) wie diese beiden erscheinen die zwei anderen in unserer Umfrage genannten Politikerpersönlichkeiten, nämlich Kurt Waldheim und Franz Vranitzky. So ist die positive Assoziation zwischen einem starken Österreichbewußtsein und einer besonderen Wertschätzung für den derzeitigen Bundeskanzler Dr. 92
Franz Vranitzky wohl auch auf dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, daß Vranitzky, bei allen Schwächen, die man ihm anlasten kann, seit seinem Regierungsantritt doch eines klargemacht und unbeirrt daran festgehalten hat: nämlich die Absage an jedwede Koalition mit einem Politiker wie Haider, der sich mit seinen zweideutigen Äußerungen zum Nationalsozialismus immer wieder an alt- und neonazistische Kreise anbiedert. Die unbeirrte Haltung von Vranitzky treibt Haider seinerseits immer wieder zu den unflätigsten Beschimpfungen des Bundeskanzlers (vgl. dazu HALLER 1995). Es war wohl nicht zuletzt diese Haltung Vranitzkys, die ihm inzwischen eine Reihe angesehener ausländischer Auszeichnungen (so den Karls-Preis der Stadt Aachen) einbrachte und ihn zu einem in ganz Europa angesehenen Politiker werden ließ. Ganz anders stellt sich dies dar im Falle von Kurt Waldheim. Im Laufe des Jahrzehnts (1971-81), in dem dieser als amtierender Generalsekretär der Vereinten Nationen die Geschicke dieser größten Weltorganisation maßgeblich beeinflußte, trug auch er als Person ohne Zweifel erheblich zu dem gerade in dieser Periode so hohen internationalen Renommee Österreichs bei. Dem Ansehen dieses Landes ohne Zweifel abträglich war dagegen die Reaktion Waldheims während des Präsidentschaftswahlkampfs von 1986, als er der Mittäter- oder zumindest Mitwisserschaft an nationalsozialistischen Kriegsverbrechen auf dem Balkan beschuldigt wurde (PELINKA 1990:44ff.). Wenn sich diese Behauptungen auch zum großen Teil als unhaltbar herausstellten, und die Anschuldigungen auch zweifelsfrei parteipolitisch motiviert waren, blieb doch der Eindruck haften, daß Waldheim in seiner bis dahin veröffentlichen Biographie bewußt bestimmte Lücken gelassen hatte. Die übertrieben kritischen Reaktionen des Auslands führten aber in Österreich selber zu einem Ausbruch nationalistisch-chauvinistischer Aufwallungen (vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Peter TEIBENBACHER in Kapitel 4). So ist es nicht ganz überraschend, daß eine gute Meinung über die Persönlichkeit von Waldheim nicht signifikant positiv mit einer starken Verbundenheit mit Österreich korreliert, wohl jedoch - um dem nächsten Abschnitt vorzugreifen - mit der Dimension des „Österreichpatriotismus", die deutlich ein nationalistischchauvinistisches Element enthält (vgl. dazu Tabelle 3). Die Rolle politischer Persönlichkeiten für die Definition des Bildes von Österreich im In- und Ausland ist - wie bereits indirekt zur Sprache kam auch zu sehen vor dem Hintergrund der politischen Parteien, für welche diese Politiker jeweils stehen. Betrachten wir daher auch deren Bedeutung näher.
93
Politische Grundorientierung und Parteipräferenzen als Determinanten nationaler Identität In Tabelle 8 wird der Zusammenhang zwischen zwei Indikatoren der politischen Einstellung und unseren drei Instrumenten zur Erfassung nationaler Identität sowie mit den Dimensionen der „Weltoffenheit" und „Ausländerakzeptanz" dargestellt. Die Befunde zeigen zunächst, daß nur einer der drei Indikatoren nationaler Identität, nämlich der Österreichpatriotismus, signifikant mit der politischen Links-Rechts Orientierung zusammenhängt: politisch eher Rechtsorientierte unter den Befragten sind tendenziell häufiger patriotisch eingestellt als Linksorientierte. Dieser Befund ist angesichts der Tatsache, daß wir in der Dimension des „Österreichpatriotismus" ein Element des Nationalismus bzw. Chauvinismus identifizierten, nicht überraschend. Dem entspricht auch die Tatsache, daß ein signifikanter Zusammenhang der Links-Rechts Orientierung mit Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz besteht, diesmal aber in umgekehrter Richtung: stark Linksorientierte zeigen hier positivere Haltungen. Tabelle 8: Politische Grundorientierungen, Parteipräferenzen und nationale Identität Anteile von Befragten mit starker (m)...
(n)
Österreichidentifikation %
%
%
%
(107)
45
20
20
46
Politische Grundorientierung 1 ) stark links
ÖsterreichPatriotismus
Nationalstolz
Ausländerakzeptanz
links
(93)
58
20
25
35
Mitte links
(321)
54
24
25
28
Mitte rechts
(138)
50
24
24
23
rechts
(73)
53
30
20
23
stark rechts
(50)
48
28
28
33
.08
.13**
.13
.15**
2
ETA ) 3
Parteipräferenz ) SPÖ
(243)
64
34
39
28
ÖVP
(162)
51
24
28
30
FPÖ
(102)
47
27
16
23
Grüne
(80)
35
4
7
47
Liberales Forum
(40)
44
5
13
23
keine Angabe
(240)
48
21
17
28
.18**
.35**
.33**
.16**
2
ETA )
') Die angeführten Kategorien („stark links" etc.) entsprechen folgenden Ausprägungen auf einer zehnstufigen Skala: 1 - 3 , 4 , 5 , 6 , 7 , 8 - 1 0 . ) Abhängige Variablen: Dimensionen der nationalen Identität 3 ) Erfaßt durch die Frage: „Wenn am nächsten Sonntag Wahlen zum Nationalrat wären, welche Partei würden sie wählen?' Quelle: ISSP-95/Österreich 2
94
Sehr viel stärker sind jedoch die Zusammenhänge der verschiedenen Indikatoren der nationalen Identität mit der Präferenz für die politischen Parteien: Hier zeigt sich ein scharf differenziertes Profil der Anhänger der verschiedenen Parteien: •
•
•
Die ausgeprägteste Identifikation mit Österreich zeigen die Anhänger der Sozialdemokratischen Partei und zwar in allen drei erfaßten Dimensionen, ganz besonders aber in der Verbundenheit mit diesem Land. Die Extremposition auf der anderen Seite nehmen die Wähler der Grünen ein: sie zeigen eine deutlich niedrigere Verbundenheit mit Österreich, einen äußerst niedrigen Österreichpatriotismus und auch einen eher niedrigen Stolz auf Österreich. Positiv zu Buch schlägt bei den Anhängern der Grünen, daß sie sich von allen übrigen durch ihre besondere Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz auszeichnen. Nur in einem ihrer Charakteristika - dem besonders niedrigen „Österreichpatriotismus" - kommen die Anhänger des Liberalen Forums den Grünen nahe. Einander recht ähnlich sind schließlich die Wähler der ÖVP, FPÖ und des Liberalen Forums - man könnte hier geradezu von einem „bürgerlichen Lager" sprechen -: sie sind charakterisiert durch ein mittleres bis überdurchschnittliches Niveau der Identifikation mit Österreich, des Österreichpatriotismus (hier zeigen allerdings die Anhänger des Liberalen Forums deutlich niedrigere Werte) und des Nationalstolzes; ähnliches gilt für die Einstellungen in bezug auf Weltoffenheit und Ausländer.
Diese Befunde bestätigen sehr klar, daß die kollektive Definition der österreichischen Identität, wie sie durch die Programme, Schriften und Reden der Parteien und ihrer maßgeblichen Persönlichkeiten, aber durch ihre faktische Politik mitgestaltet wurde und wird, einen außerordentlich bedeutsamen Effekt zumindest für die Vorstellungen jener Menschen hat, die ihnen weltanschaulich sehr nahestehen. Die Assoziationskoeffizienten zwischen Parteipräferenz und Österreichpatriotismus bzw. Nationalstolz gehören zu den stärksten überhaupt, die wir in dieser Studie feststellen konnten. Es zeigt sich insbesondere, daß das konsequente Eintreten der SPÖ und ihrer führenden Vertreter (zu erwähnen sind hier Namen wie Renner, Kreisky und Vranitzky) für ein unabhängiges, selbständiges und neutrales Österreich - zumindest seit 1945 (vgl. dazu auch die Beiträge von Peter TEIBENBACHER und Albert REITERER in diesem Band) - offensichtlich deutliche Resultate im Bewußtsein der Anhänger dieser Partei und wohl auch darüber hinaus gezeigt hat. Dabei mag hier zum Teil auch eine Wechselwirkung bestehen: Personen mit starkem Österreichpatriotismus 95
werden auch eher jene Parteien wählen, die sich besonders für eine eigenständige Rolle Österreichs in der Welt einsetzen. Nicht ganz überraschend ist auch die hervorgehobene Position der Anhänger der „Grünen", einer Partei, die ja in vielen direkt mit der österreichischen Identität zusammenhängenden Themen (so insbesondere den Fragen der Einwanderung und Multikulturalität) ein ausgeprägtes eigenständiges Profil entwickelt hat und konsequent den von den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP getragenen, sehr restriktiven, mehrfach von internationalen Organisationen gebrandmarkten Gesetzen gegenüber Zuwanderern entgegengetreten sind. Bemerkenswert ist schließlich, daß sich weder die Anhänger der Österreichischen Volkspartei, früher lange Zeit programmatisch und personell (man denke hier an die Bundeskanzler Leopold Figl und Julius Raab) ein Hauptträger der Vorstellung eines unabhängigen und neutralen Österreich, noch jene der FPÖ durch eine besonders ausgeprägte Form nationaler Identität auszeichnen. Insbesondere der letztere Befund gibt einen ersten Hinweis darauf, daß die von der Führung der heutigen FPÖ ausgegebene Linie keineswegs in allen Punkten von den Wählern dieser Partei mitgetragen wird; wir werden auf einen weiteren Aspekt dieser Frage weiter unten zurückkommen. Der Kleinstaat Österreich im Kontext der europäischen Einigung Ein weiterer Fragenbereich in diesem Zusammenhang betrifft die Rolle von Klein- und Großstaaten aus der Perspektive der nationalen Identität, insbesondere auch im Hinblick auf die Problematik der europäischen Einigung. Hier stellten wir zunächst einige Fragen, die sich mit der Meinung der Befragten vom Leben in Klein- und Großstaaten befaßten. Ein wesentlicher Aspekt Österreichs heute ist ja die Tatsache, daß es nur mehr als ein europäischer Kleinstaat unter vielen anderen und neben einigen wenigen Großstaaten angesehen werden kann. Nun ist es aber im Zeitalter der wirtschaftlichen Globalisierung wie auch der Konzentration militärischer Macht bei den Atommächten ohne Zweifel so, daß alle Nationalstaaten, besonders aber die Kleinstaaten erheblich an Handlungsspielraum einbüßen (vgl. KRAMER/HÖLL 1991). Auf der anderen Seite wird nicht zu Unrecht auch behauptet, daß das Leben in Kleinstaaten durch die größere Übersichtlichkeit, höhere Homogenität der Bevölkerung und die stärkere Integration Vorteile aufweist (vgl. dazu insbesondere KOHR 1986; TAFERNER 1986; HALLER 1992). Daß die europäischen Kleinstaaten in wirtschaftlicher Hinsicht vielfach sogar noch besser als die Großstaaten abschneiden, ist ein Faktum, das sich durch statistische Vergleiche ebenso nachweisen läßt wie durch Fallstudien (für einen statistischen Vergleich siehe HALLER 1992, für eine Fallstudie über Österreich KATZENSTEIN 1985). 96
Wir stellten den Befragten zwei Serien von Fragen, um herauszufinden, ob sie besondere Vorzüge des Lebens in Klein- bzw. Großstaaten sehen. Die Befunde waren allerdings nicht besonders erhellend - nicht zuletzt, weil die Fragen so formuliert waren, daß man ihnen eigentlich großteils zustimmen konnte. So sind etwa drei Viertel der Befragten der Meinung, das Leben in Kleinstaaten biete mehr Möglichkeiten zu demokratischer Mitgestaltung, zur Lösung regionaler und lokaler Probleme und zur Beteiligung der Menschen am Leben ihrer Gemeinde. Lediglich in den wissenschaftlichen Leistungen und der Offenheit für andere Kulturen sieht man keinen besonderen Vorzug kleiner Länder. Auf der anderen Seite finden nahezu 80% der Befragten, große Länder seien „besser", weil sie mehr Einfluß in der Welt haben und weniger Gefahr laufen, durch andere Länder beherrscht zu werden. Zwischen Österreichidentifikation und den Meinungen zu diesen Fragen bestehen zwar einige signifikanten Zusammenhänge, jedoch sind sie nicht konsistent. So zeigt sich in Tabelle 3. daß Österreichverbundene in Kleinstaaten mehr demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten sehen, aber auch Großstaaten eher positive Eigenschaften zuschreiben. Konsistentere, wenngleich meist nur recht schwache Zusammenhänge zeigen sich in bezug auf die Problematik der europäischen Integration. Hier wurde u.a. gefragt, ob man für den EU-Beitritt Österreichs gewesen sei; ob der Beitritt Österreichs zur EU von Vorteil war; und drittens, ob Österreich alles tun sollte, „um sich voll und ganz mit der Europäischen Union zu vereinigen" oder ob es eher seine Unabhängigkeit innerhalb der Europäischen Union sichern sollte; und schließlich, ob es einem etwas ausmachen würde, wenn der Schilling zugunsten einer europäischen Einheitswährung aufgegeben würde. Was die drei letztgenannten Fragen betrifft, ergab sich insgesamt, daß eine überwältigende Mehrheit der Österreicher - gut drei Viertel (78%) die Unabhängigkeit ihres Landes auch innerhalb der Europäischen Union gewahrt sehen möchte. Der Anteil der vollen Integrationsbefürworter liegt mit einem Fünftel der Befragten weit hinter jenen zwei Dritteln (66,58%) der Österreicher, die am 12. Juni 1994 für den Beitritt zur EU gestimmt haben (und damit einen der höchsten Werte bei derartigen Abstimmungen in Europa überhaupt erzielten). Dies bedeutet wohl ganz klar, daß auch der größte Teil der seinerzeitigen Befürworter des EU-Beitritts sehr großen Wert auf die Erhaltung der Eigenart und politischen Selbständigkeit innerhalb der EU legt. Die Annahme, daß alle Pro-Stimmen 1994 auch tatsächlich eine positive Haltung zur EU zum Ausdruck brachten, ist allerdings nicht unbedingt richtig, da damals nicht nur die Regierung eine massive und teure Propagandakampagne durchführte, sondern auch viele Interessenvertreter und Wissenschaftler die negativen Folgen eines Nichtbeitritts in den düstersten Farben darstellten; dadurch wurde das Abstimmungsverhalten ohne Zweifel positiv beeinflußt; dies machte auch der massive Ab97
fall der positiven Einstellung zur EU-Integration im Laufe des Jahres 1995 deutlich (vgl. dazu auch HALLER 1994). Die Präferenz für die Wahrung der Selbständigkeit Österreichs innerhalb der EU geht offensichtlich quer durch die Lager, sie ist bei weniger stark Österreichverbundenen ebenso stark vertreten wie unter den stark Österreichverbundenen oder jenen, die sehr stolz auf Österreich sind. Die hohe Bedeutung, die die Österreicher der Selbständigkeit und Unabhängigkeit ihres Landes im Rahmen eines integrierten Europa beimessen, zeigt sich auch in den Antworten auf die Frage, ob es einem etwas ausmachen würde, wenn der Schilling zugunsten einer europäischen Einheitswährung abgeschafft würde. Nicht weniger als 62% bejahten diese Frage, 37% verneinten sie. Zwischen einer zustimmenden Antwort auf diese Frage und der Österreichidentifikation besteht ein positiver, statistisch signifikanter Zusammenhang. Daß eine eigene Währung offensichtlich ein nicht zu unterschätzendes Symbol nationaler Unabhängigkeit darstellt, ist auch objektiv-ökonomisch begründet im Faktum, daß der Verzicht auf sie mit einer erheblichen Einengung des nationalen wirtschaftspolitischen Spielraums verbunden sein wird (LIPP/REICHERT 1991:36). Angesichts der Tatsache, daß die Europäische Union noch weit von einem „optimalen Währungsraum" mit annähernd gleichen Entwicklungsniveaus der Partner entfernt ist (TICHY 1994), wären mit einer Oktroyierung einer einheitlichen europäischen Währung auf alle Mitgliedsländer enorme Anpassungsprobleme für verschiedene Länder verbunden (HANKEL 1994). Resümieren wir diese Befunde: in allen Dimensionen, die wir hier erfaßten, kommt zum Ausdruck, daß die Österreicher der Erhaltung der nationalen Identität ihres Landes sehr hohe Bedeutung beimessen; diese sollte weder ethnisch-kulturell, etwa durch starke Einwanderung, noch wirtschaftlich und politisch in Frage gestellt werden, wie man es in einem Verzicht auf die Neutralität oder einem weitgehenden Aufgehen Österreichs in der übergeordneten politischen Einheit der Europäischen Union befürchten würde.
4. Patriotismus und Nationalstolz zwischen Chauvinismus und Weltoffenheit Kritiker der Ideologie des Nationalismus weisen zu Recht darauf hin, daß diese Weltanschauung im 19. und 20. Jahrhundert mit unfaßbarem Unheil verknüpft war und vielen menschenverachtenden und aggressiven Regimes in allen Teilen der Welt als Rechtfertigung für die Unterdrückung von Minderheiten im Innern und für die Entfachung imperialistischer Angriffskriege nach außen diente. Immer wieder wurde aber auch von nüchternen wissenschaftlichen Beobachtern festgestellt, daß man unterscheiden müsse zwischen Patriotismus als einer positiven Haltung auf der einen 98
Seite, und einem überschäumenden Nationalismus oder Chauvinismus auf der anderen Seite, der seine Antriebskraft aus einer negativen, gegenüber andere Nationen abwertenden Haltung bezieht (KOHN 1964; BRUCKMÜLLER 1984; KREISSLER 1984; REITERER 1988; SMITH 1991; HALLER 1993). Bevor wir die starke nationale Identifikation der Österreicher heute als etwas Positives bezeichnen können, müssen wir daher genauer untersuchen, was sie bedeutet. Wir widmeten diesem zentralen Thema jeder sozialwissenschaftlichen Nationalismusforschung mehrere Fragebatterien. Diese Fragen wurden entwickelt aus Vorschlägen des Hauptautors dieses Beitrags im Rahmen des Internationalen Sozialen Survey und im Anschluß an die wenigen einschlägigen Studien, die bis dahin vorlagen (so insbesondere KOSTERMAN/FESHBACH 1989; inzwischen wurden Teile unseres Instruments von anderen Studien übernommen, so in der BRD von BLANK/SCHMIDT 1993, 1996; vgl. auch WESTLE 1992). In Österreich, Polen und den USA wurde eine erste Fassung der Items einem Pretest unterzogen. Hier sind zwei dieser Fragebatterien relevant: • •
eine Reihe von sechs Aussagen, die die Dimension Patriotismus versus Nationalismus/Chauvinismus direkt zu erfassen versuchten; acht Aussagen, die mögliche politische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung bzw. Durchsetzung der nationalen Identität Österreichs und seiner Interessen betrafen.
Wir beschreiben zunächst die Reaktionen der Befragten auf diese Aussagen und konstruieren aus ihnen eine Skala des „Österreichpatriotismus". Im Anschluß daran untersuchen wir den Zusammenhang zwischen dieser Dimension - wie auch jener des „Nationalstolzes" - mit einer Reihe anderer gesellschaftlicher und politischer Einstellungen.
Aussagen zur Unterscheidung von Patrioten und Chauvinisten Tabelle 10 bringt die Ergebnisse auf jene Aussagen, die man als mehr oder weniger direkte Indikatoren für Patriotismus bzw. Nationalismus/Chauvinismus ansehen kann. Die ersten drei oder vier Aussagen bringen positiven Stolz auf das eigene Land zum Ausdruck, ohne daß damit notwendig eine Abwertung anderer einhergeht; bei den restlichen Aussagen ist dies tendenziell der Fall. Es zeigt sich zunächst wieder, daß die große Mehrheit der Befragten einen ausgeprägten Stolz auf das eigene Land zeigt. Über drei Viertel der Befragten stimmen Aussagen zu wie: „Österreichische Erfolge im internationalen Sport machen mich stolz" und „Ich bin lieber Bürger Österreichs als irgend eines anderen Landes auf der Welt". Als „kritischen Patriotis-
99
mus" könnte man es bezeichnen, wenn jemand auch negative Aspekte des eigenen Landes - die wohl kaum je wegzuleugnen sind - sieht. Bezüglich der Aussage „Es gibt einige Dinge im heutigen Österreich, derentwegen ich mich für Österreich schäme" sind die Meinungen der Befragten geteilt: über ein Drittel stimmt ihr zu, ein Drittel lehnt sie ab. Gewissermaßen die Gegenprobe dazu ist der Anteil jener, die die eindeutig chauvinistische Aussage .Jeder sollte sein Land unterstützen, auch wenn es sich im Unrecht befindet" ablehnen; auch dieser Anteil beträgt gut ein Drittel (37%). Der Anteil derer, die ihr zustimmen, ist praktisch genauso hoch. Tabelle 10: Indikatoren für patriotische bzw. nationalistisch-chauvinistische Haltungen unter den Österreicherinnen stimme voll und ganz zu
stimme zu
weder/ noch
stimme nicht zu
stimme überhaupt nicht zu
kann ich nicht sagen
zus.
'1c
56
27
7
4
3
3
100
'7o
13
20
15
22
16
4
100
'fo
44
32
12
5
5
2
100
'7o
23
32
20
14
5
7
100
(
fo
27
38
18
8
3
5
100
fc
12
25
18
24
14
8
100
fc
28
25
17
24
-
6
100
Aussage
V71
V76
V72
V73
V74
V75
V93
Ich möchte lieber ein Bürger/eine Bürgerin Österreichs als irgend eines anderen Landes auf der Welt sein Wenn mein Land Erfolge im internationalen Sport hat, macht mich das stolz, ein Österreicher zu sein Es gibt einige Dinge im heutigen Österreich, derentwegen ich mich für Österreich schäme Die Welt wäre besser, wenn die Menschen in anderen Ländern eher so wären wie die Östeneieher Im großen und ganzen ist Österreich ein besseres Land als die meisten anderen Länder Jeder sollte sein Land/jede sollte ihr Land unterstützen, selbst wenn sich das Land im Unrecht befindet Es ist unmöglich, daß Menschen, die die österreichischen Sitten und Gebräuche nicht teilen, wirklich Österreicher werden
Quelle: ISSP-95/Östeireich; Anzahl Befragte: 1007; Reihenfolge der Aussagen gegenüber Fragebogen geändert.
100
Zwei weitere Aussagen, denen ebenfalls zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten zustimmen („Menschen anderswo sollten sein wie Österreicher" und „Es ist unmöglich, daß Menschen, die die österreichischen Sitten nicht teilen, wirklich Österreicher werden"), beinhalten ebenfalls ein deutliches Element des Chauvinismus. Noch stärker ist dieses Element in der Aussage: „Die Welt wäre besser, wenn die Menschen in anderen Ländern eher so wären wie die Österreicher"; ihr stimmen drei Viertel der Befragten zu. Tabelle 11: Befürwortung von Maßnahmen zur Wahrung bzw. Durchsetzung der nationalen Eigenarten und Interessen Österreichs stimme voll und ganz zu
stimme zu
weder/ noch
stimme nicht zu
kann ich nicht sagen
zus.
jb
39
32
11
12
6
100
9i
41
37
12
6
4
100
15>
12
27
22
35
4
101
9b
25
32
17
18
7
99
b
22
24
21
31
3
101
c
tb
38
32
11
16
3
100
9b
26
23
19
27
5
100
Aussage
V88
V89
V93
V90
V92
V87
V90
Bei bestimmten Problemen wie der Umweltverschmutzung sollten internationale Institutionen das Recht haben, Lösungen durchzusetzen Österreichs Schulen sollten sich viel mehr u m einen guten FremdSprachenunterricht bemühen Nationale Minderheiten sollten vom Staat Unterstützung erhalten, damit sie ihre Sitten und Gebräuche bewahren können Österreich sollte seine eigenen Interessen verfolgen, selbst w e n n dies zu Konflikten mit anderen Ländern fuhrt
c
Das österreichische Femsehen sollte österreichischen Filmen und Programmen den Vorzug geben Österreich sollte die Einfuhr ausländischer Produkte beschränken, u m seine eigene Wirtschaft zu schützen Ausländern sollte es nicht erlaubt sein, in Österreich Grund und Boden zu erwerben
ISSP-95/Österreich; Anzahl Befragte: 1007.
Wie hoch ist nun der Anteil der Patrioten bzw. Nationalisten und Chauvinisten? Betrachten wir als Patrioten jene, die den positiven Aussagen zum eigenen Land voll und ganz zustimmen, zugleich aber auch eine kritische Haltung zu seinen problematischen Seiten bewahrt haben, so kann man sie
101
mit einem guten Drittel der Befragten ansetzen. Der Gegentyp, mit einer recht deutlich nationalistisch-chauvinistischen Haltung, umfaßt etwas weniger, etwa ein Viertel bis ein Drittel der Befragten. Der Rest der Befragten kann weder der einen noch der anderen Gruppe zugerechnet werden; von ihnen könnte man sagen, daß sie sowohl für positiv-patriotische wie auch für nationalistisch-chauvinistische Ideen und Emotionen begeistert werden können. Weitere Evidenz für die Unterscheidung zwischen patriotischen und nationalistisch-chauvinistischen Österreicherinnen liefern eine Reihe von Aussagen zu bestimmten politischen Maßnahmen, die man zur Erhaltung der nationalen Identität und Eigenart eines Landes treffen kann (vgl. Tabelle 11). Die drei ersten dieser Aussagen sind eindeutig eher universalistischen Charakters, würden also von einem NationalChauvinisten keinesfalls unterschrieben werden. Sie besagen, daß internationale Organisationen das Recht haben sollten, bestimmte Lösungen (etwa bei länderübergreifender Umweltverschmutzung) auch gegen Nationalstaaten durchzusetzen; daß Österreichs Schulen besseren Fremdsprachenunterricht anbieten sollten (dies kann man allerdings auch aus rein pragmatisch-wirtschaftlichen Gründen für wichtig halten); daß Minderheiten vom Staat Unterstützung erhalten sollten, um ihre Sitten und Bräuche bewahren zu können. Es erscheint uns doch recht bemerkenswert, daß rund 40% der Befragten den beiden ersten Aussagen „voll und ganz" zustimmen, der gleiche Anteil auch noch der dritten Aussage eher positiv gegenübersteht. Auch hier erhalten wir also wieder einen sehr ähnlichen Anteil (rund 40%) von Österreichpatrioten, die durchaus nicht engstirnig nur das Wohl ihres Landes oder die „Reinheit" ihrer Kultur im Auge haben. Die letztere Aussage, die man auch als Einstellung zu einer multioder plurikulturellen Gesellschaft sehen könnte, wird allerdings von gut einem Drittel der Befragten klar abgelehnt. Die weiteren vier Aussagen beinhalten Maßnahmen, über deren Beurteilung aus der Sicht der Polarität Patriotismus/Chauvinismus man geteilter Meinung sein kann. Forderungen wie jene, das österreichische Fernsehen solle österreichische Filme bevorzugen, die Einfuhr ausländischer Produkte sollte zugunsten österreichischer eingeschränkt werden, und Ausländern sollte der Erwerb von Grund und Boden in Österreich untersagt werden, scheinen auf den ersten Blick auf eindeutig chauvinistische Haltungen hinzuweisen. Dabei ist aber zu bedenken, daß ein kleines Land wie Österreich angesichts der Globalisierung von Wirtschaftsbeziehungen und der Durchdringung mit ausländischen (vor allem amerikanischen und deutschen) Produkten der Unterhaltungs- und Medienbranche um gewisse Maßnahmen in dieser Hinsicht gar nicht umhin kann, wenn es seinen eigenen Produktionen auch nur annähernd gleiche Chancen mit jenen starker multinationaler Industrie-, Dienstleistungs- und Medienkonzerne gewährleisten will. So scheuen sich Länder wie Frankreich, ja selbst die 102
Europäische Union, keineswegs, Maßnahmen dieser Art zu setzen, um sich gegen Konkurrenz von Seiten Amerikas oder Japans zu schützen. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Österreicherinnen stimmen diesen Aussagen voll und ganz, ein ebenso großer Anteil eher zu; abgelehnt werden sie von einem Fünftel bis einem Drittel der Befragten. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, die Frage zu untersuchen, ob man zwischen patriotischen und nationalistisch-chauvinistischen Haltungen empirisch unterscheiden kann. Zum ersten können wir die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen, hier betrachteten Aussagen untersuchen; zum zweiten jene Personen, die sich als „Patrioten" erweisen und auf ihr Land sehr stolz sind, mit jenen vergleichen, die dies nicht sind. Das nationalistisch-chauvinistische oder „abgrenzende" Element im „Österreichpatriotismus" Für die Analyse der internen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Aussagen bietet sich wieder die Faktorenanalyse an. Ihre Ergebnisse zeigen uns, ob zwischen all den angeführten Aussagen durchgehend positive bzw. konsistente Zusammenhänge bestehen oder ob die Aussagen näher beim Pol des „Patriotismus" unabhängig sind von bzw. sogar negativ korreliert sind mit jenen beim Pol des „Chauvinismus". Ist letzteres der Fall, so könnte man von zwei unterschiedlichen Einstellungen bzw. Haltungen sprechen. In Tabelle 12 haben wir die beiden soeben besprochenen Aussagebatterien einer gemeinsamen Faktorenanalyse unterzogen, wobei sich drei Faktoren ergeben. Den ersten Faktor bezeichnen wir als „Österreichpatriotismus"; er umfaßt alle Aussagen, die starke Identifikation mit Österreich zum Ausdruck bringen. Viele dieser Aussagen enthalten offenkundig eine starke, oft auch unkritische Identifikation mit Österreich („Im großen und ganzen ist Österreich ein besseres Land als die meisten anderen"; „Die Welt wäre besser, wenn die Menschen in anderen Ländern eher so wären wie die Österreicher"). In dieser Dimension des „Österreichpatriotismus" ist also anscheinend recht deutlich ein gewisses Element des Chauvinismus enthalten. Dies zeigt auch die negative Ladung der Aussage „Ich schäme mich für manches in Österreich" auf Faktor 1. Eine ähnliche Haltung bringt wohl auch der zweite Faktor zum Ausdruck; in ihm sind alle politischen Maßnahmen zum Schutze der Identität und Interessen Österreichs enthalten. Auch hier ist die Unterscheidung zwischen der Verteidigung berechtigter Interessen Österreichs und nationalem Chauvinismus zum Teil schwer. Von ersterem könnte man sicherlich sprechen bei der Beschränkung der Möglichkeiten des Grunderwerbs für Ausländer oder bei der Bevorzugung österreichischer Filme, aber wohl
103
nur begrenzt bei der Aussage, man solle nationale Interessen verfolgen, auch wenn dies zu Konflikten mit anderen Ländern führt. Tabelle 12: Die Dimensionen des „Österreichpatriotismus" und der „Weltoffenheit" (Faktorenanalyse) Aussagen')
Faktor 1
Faktor 2
Faktor 3
V74
Österreich ist besseres Land als die meisten anderen
.77
.10
-.01
V73
Welt wäre besser, wenn alle wären wie Österreicher
.76
.20
-.05
V75
Land auch im Unrecht unterstützen
.58
.36
.04
V76
Stolz auf Sporterfolge
.56
.26
.03
V71
Bin am liebsten Österreicher
.54
.20
.14
V72
Schäme mich dir manches in Österreich
-.48
.03
.30
V91
Kein Grunderwerb für Ausländer
.88
.74
-.13
V93
Ohne österreichische Sitten kein wirklicher Österreicher
.19
.65
-.22
V87
Importe ausländischer Produkte beschränken
.16
.65
.05
V92
Österreichische Filme bevorzugen
.24
.59
.11
V90
Eigene Interessen auch bei Konflikten verfolgen
.23
.55
.22
V94
Minderheiten staatlich unterstützen
.05
-.20
.65
V88
Internationale Lösungen durchsetzen
.03
.03
.61
V89
Fremdsprachenunterricht verbessern
-.08
.12
.60
Eigenwert
3.68
1.40
1.24
Erklärte Varianz
26%
10%
9%
') Genaue Formulierung siehe Tabelle 9 und 10 Methode: Hauptkomponentenanalyse; rechtwinklige Rotation, rotierte Faktorenmatrix Quelle: ISSP-95; n=1007
Diese Befunde entsprechen also nicht unseren Erwartungen, nach denen sich ja eine Differenzierung zwischen einer positiv und einer negativ zu bewertenden Facette der nationalen Identität bzw. des Nationalismus hätte ergeben sollen, eben zwischen „Patrioten" und „Chauvinisten". Es kann sein, daß die enge Verbindung zwischen positiv-patriotischen und chauvinistischen Elementen etwas spezifisch Österreichisches ist. (Dafür spricht die Tatsache, daß etwa KOSTERMAN/FESHBACH eine solche Differenzierung für die USA durchaus erreichen konnten.) Es kann aber auch sein, daß wir in unserer Umfrage lediglich zuwenig bzw. nicht die geeigneten Aussagen dafür hatten. (So verwendeten KOSTERMAN/FESHBACH eine ungleich längere Liste von Aussagen; das ISSP-Projekt muß für die Länge der Fragebögen aus Kostengründen leider strikte Limits setzen.) Eine ge104
nauere Überlegung zeigt aber, daß es hier vielleicht sogar irreführend ist, von „Chauvinismus", also einer andere Länder und Völker abwertenden Haltung zu sprechen. Was in den verschiedenen einschlägigen Aussagen enthalten ist, ist vor allem ein Element der Abgrenzung von Fremden, des Schutzes der eigenen Interessen und Einrichtungen. Aus einer solchen Perspektive gewinnt die Dimension des „Österreichpatriotismus" (man könnte auch von „Österreichnationalismus" sprechen) eine durchaus positive Bedeutung. Wir möchten hier eine allgemeine Feststellung zitieren, die Rudolf MUHR bezüglich der Abgrenzung der Eigenheiten des „österreichischen Deutsch" von jenen des „bundesdeutschen Deutsch"getroffen hat: „ Um als soziales Wesen existieren zu können und wahrnehmbar zu sein, muß daher jeder Mensch und jede soziale Gruppe eine Festlegung bestimmter Merkmale treffen, die für ihn/für sie gültig sind, was gleichbedeutend mit dem Ausschluß anderer, ebenfalls möglicher Merkmale ist. Dabei kann es je nach Gesellschaft und Situation zu rigiden oder toleranten Identitätsfestlegungen kommen.... Das heißt, Ausgrenzung und Eingrenzung, Signalisieren von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu einer Gruppe und zu einem Territorium ist Staaten wie Sprachen inhärent. Zugleich heißt das: Solange es Staaten/Nationen gibt, wird es das Problem der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu diesen geben. Ein undifferenziertes, euphorisches Modell von „interkulturellem Lernen", das diese Begrenzungen übersieht, ist damit von vornherein zum Scheitern verurteilt und auf das Vermitteln von Oberflächlichkeiten (unterschiedliches Essen, Kleidung etc.) reduziert." (MUHR 1996:37) Ein gewisses Ausmaß an Abschließung von anderen erscheint aus dieser Sicht also durchaus nicht nur als negativ, sondern sogar als notwendig, um die Charakteristika der eigenen Gesellschaft und Kultur bewahren zu können. Für Österreich gilt dies in besonderem Maße, da es nicht nur ein kleines Land ist, sondern - etwa in kultureller Hinsicht - aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer großen, „plurizentrischen Sprache" (die in mehreren Ländern gesprochen wird) in besonderer Weise äußeren Einflüssen unterworfen ist. Der dritte Faktor in Tabelle 12 enthält jene drei Aussagen, die eine deutlich andere Haltung zum Ausdruck bringen: die Befürwortung eines besseren Fremdsprachenunterrichts, die Unterstützung kultureller Minderheiten, sowie die Befürwortung die Durchsetzung internationaler Lösungen gegenüber nationalstaatlichen Interessen. In Anlehnung an den Begriff von Helmuth PLESSNER (vgl. dazu SALAMUN 1996) bezeichnen wir diesen Faktor als „Weltoffenheit"; man könnte auch von einer „internationalen" oder universalistischen Orientierung sprechen. Konnten wir mit unseren 105
Daten keine klare Abgrenzung zwischen „Patrioten" und „Nationalisten" (oder Chauvinisten) finden, so entspricht die Ausdifferenzierung dieser Dimension doch den erwähnten, vergleichbaren Studien in den USA und Deutschland.
Nationalstolz als positives Selbstwertgefühl Ein zentraler Aspekt von Nationalbewußtsein und „Patriotismus" im positiven Sinne ist ohne Zweifel ein gewisser „Stolz" auf sein Land: das Empfinden, daß die eigene Nation eine spezifische und gefestigte Individualität oder Identität besitzt; daß sie in der Lage war und ist, diese in Vergangenheit und Gegenwart zu behaupten; daß die Leistungen ihrer Eliten und Bürger sich im internationalen Vergleich sehen lassen können; kurz, daß das Land „Österreich" unter seinen Nachbarn und unter den fortgeschrittenen Nationen der heutigen Welt Respekt und Achtung verdient. Der Begriff „Stolz", den wir zur Erfassung dieses Sachverhalts verwenden, mag durchaus etwas vage sein. Wir nehmen jedoch an, daß man damit eine höchst relevante Dimension der subjektiv-emotionalen Haltung zum eigenen Land erfaßt - eine Haltung, die durchaus auch kognitive Komponenten umfaßt, d. h. ein Wissen um die Stärken und Schwächen dieses Landes. Einige nähere Überlegungen zu diesem Begriff sind jedoch angebracht; dabei scheinen uns vier Facetten wichtig zu sein. Der erste Aspekt betrifft die Tatsache, daß es sich beim Begriff „Stolz" um eine menschliche Empfindung, um ein „Gefühl" handelt, vergleichbar Begriffen wie Schmerz, Freude, Sympathie, Liebe, Haß, Scham usw. Gefühle werden zwar in der Soziologie durchaus als „Elementarkategorien" einer allgemeinen, psychologisch fundierten soziologischen Verhaltenstheorie angesehen, die menschliche Interaktionen entscheidend steuern" (HARTFIEL/HILLMANN 1982:239). De facto aber werden sie in Theoriebildung und Forschung weitgehend vernachlässigt oder, wie neuerdings, allenfalls einer eigenen, speziellen Rubrik („Soziologie der Gefühle") zugewiesen. Gründe dafür sind u.a. das generell stärkere Interesse der Soziologie an makrosoziologischen Problemen, ihre positivistische Orientierung, die vornehmlich standardisierte, leicht abfragbare Phänomene thematisiert; und wohl auch ihre Tendenz zur besonderen Beachtung kognitiv-rational leichter faßbarer Phänomene (vgl. auch DEMARCHI et al. 1987:1836ff.). Ein zweiter Aspekt betrifft die Tatsache, daß „Stolz" zu tun hat mit IchIdentität, Selbstbewußtsein und mit Faktoren, die diese zu fördern in der Lage sind. So wird im „Deutschen Wörterbuch" von MEYERS Enzyklopädischem Lexikon (Bd. 32:2508) „Stolz" definiert als ,,a) ausgeprägtes, jemandem von Natur mitgegebenes Selbstwertgefühl" und ,,b) Selbstbewußtsein und Freude über einen Besitz, eine eigene Leistung". Das Streben nach einem positiven Selbstbild, das in hohem Maße durch die Anerken-
106
nung durch andere realisiert wird, kann als ein Grundbedürfnis menschlicher Individuen, aber auch Kollektive, angesehen werden (ERIKSON 1957; TAJFEL 1982; WEIGERT et al. 1986; SCHEFF 1994). Ein drittes, für uns wichtiges Faktum besteht darin, daß der Begriff des Stolzes durchaus mehrdeutig ist - wie der des Nationalismus selber. Der Sprachbrockhaus etwa umschreibt „Stolz" als „Selbstbewußtsein, Selbstgefühl", aber auch als „Dünkel". Diese weniger positive Seite von „Stolz" wird auch belegt durch eine Reihe einschlägiger Wortverbindungen wie „maßloser", „unbändiger" oder „hochmütiger Stolz"; „stolzieren" wird definiert als ein „sich sehr wichtig nehmend einhergehen" (MEYERS, ebenda, S. 2508). Ein vierter Aspekt betrifft die Tatsache, daß Stolz als Gefühl keineswegs nur etwas Emotionales, sprachlich kaum Faßbares, darstellt, sondern auch kognitiv-rationale Elemente enthält (vgl. GERTH/MILLS 1970:53-62). Gefühle sind zwar eng mit körperlich-physiologischen Reaktionen verbunden: man brüllt auf vor Schmerz, errötet vor Scham, kocht vor Wut usw. Einfache Gefühlszustände, wie Müdigkeit oder Schmerz, können recht diffus sein oder sich - wie Hunger oder Durst - auf eng umgrenzte körperliche Bedürfnisse beziehen. Physiologisch allein lassen sich Gefühle jedoch bei weitem nicht vollständig verstehen. Gerade bei intensiven Gefühlen werden psychisch-kognitive Elemente zunehmend von Bedeutung; menschliche Gebärden, Gefühlsgesten und gefühlsbezogene Verhaltensweisen (Weinen, Lachen usw.) können ihrerseits organisch-physiologische Gefühlsreaktionen stimulieren und verstärken (PLESSNER 1970). Gefühle sind aber auch nichts rein Individuell-Psychisches: ob und wann man Gefühle äußern darf oder soll, wird kulturell definiert; „spontane Emotionen" zu äußern ist gesellschaftlich selten gestattet. Man kann sogar von einer sozialen Fertigkeit im Ausdruck von Gefühlen sprechen; ein Hauptziel von Schriftstellern besteht darin, Begriffe für Gefühlszustände zu entwickeln und diese einfühlsam zu beschreiben. All dies führt dazu, daß es dem Menschen möglich ist, Gefühle zu „entleihen", zur Schau zu stellen, ohne sie „wirklich" zu haben. Dies kann auf Dauer auch zu Bedeutungswandel und Entwertung, ja zur Inflation und zum Mißbrauch von gefühlsbezogenen Begriffen führen. Aktuelle Beispiele in unserem Zusammenhang sind „Vaterlandsliebe", „Heimat" und andere. GERTH und MILLS schreiben in diesem Zusammenhang zu Recht über „Patriotismus": „Emotional gefärbte Ausdrücke für Patriotismus können der Bevölkerung aufgezwungen werden; damit wird ihr die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Gefühle öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Nationalistische Zielsetzungen werden zu 'Missionen' deklariert, und die nationalistisch verstandene Geschichte wird zur glorifizierten Gedenkstätte für Helden und Märtyrer. In solchen Fällen erfahren manche Personen die aufge107
zwungenen Gefiihle als unecht und machen trotzdem die fiir sie sinnentleerten Gesten mit. Andere enthalten sich der Gesten, einige kritisieren diese sogar öffentlich..." (GERTH/MILLS 1970:60J Daß gerade Hitler und seine nationalsozialistische Bewegung die Wiederbelebung alter und Erfindung neuer „Riten" (feierlicher Erklärungen, großer Aufmärsche, Reden usw.) zum Ausdruck patriotisch-nationalistischer Gefühle bewußt betrieben und äußerst erfolgreich eingesetzt haben, steht außer Zweifel. Es dürfte klar sein, daß auch Jörg Haider einen Großteil seines spektakulären Erfolgs gezielten Strategien der Emotionalisierung dieser Art verdankt: der Weckung von Ressentiments durch Beschimpfung „derer da oben", der Karikierung und Verächtlichmachung gegnerischer politischer Persönlichkeiten usw. - Strategien, denen man eine gewisse Originalität sicherlich nicht abstreiten kann (wenngleich bei näherer Betrachtung frappiert ist, wie oft er dabei auf Topoi aus dem alt-braunen Vokabular zurückgreift). Mit dem Sachverhalt einer Entemotionalisierung der Politik hat es wohl auch zu tun, wenn etwa eine NeoÖsterreicherin aus Griechenland Fernsehübertragungen aus dem österreichischen Parlament als „fad" bezeichnet (wie Günter PAIER in Kapitel 3 zeigt). Offensichtlich empfinden dies die Österreicher selber nicht anders, wie zumindest die bescheidenen Einschaltquoten bei solchen Übertragungen anzudeuten scheinen. (Wohl nicht ohne Grund haben sich die Herausgeber eines neueren Bandes zu aktuellen politischen Themen veranlaßt gesehen, diesem den Titel zu geben „Staat = fad"; vgl. KONRAD et al. 1995.) Ein anderer, vielleicht noch gewichtigerer Grund mag allerdings darin liegen, daß der ORF derartige Übertragungen in aller Regel nur zu sehr ungünstigen Zeitpunkten bringt. Daß solche Übertragungen gesellschafts- und staatspolitisch eine sehr wichtige Funktion erfüllen könnten, steht außer Frage. Nicht nur hätten die Bürger eine Möglichkeit, sich aus erster Hand über Inhalte und Personen in der Politik zu informieren, auch die Parlamentarier selber fühlen sich bei Anwesenheit von Fernsehkameras bemüßigt, ihre Präsenzpflicht bei Plenarsitzungen ernster zu nehmen und wohl auch ihre Reden sorgfältiger vorzubereiten. Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammenhang betrifft die positive Rolle von Gefühlen in der Politik, die wir mit dem vorigen Hinweis bereits angedeutet haben. In seinem österreichkritischen Essay „Politik der Gefühle" unterscheidet der Schriftsteller Josef HASLINGER zwei Formen einer solchen Politik. Eine erste stellt die „klassische Agitation" dar, in der der Agitator die Gefühle der Menschen so zu beeinflussen versucht, daß sie seine Argumente und Interpretationen übernehmen. Eine zweite Form ist primitiver: sie will „die Gedanken auf bestimmte Gefühlsebenen lenken, wobei die Gefühle das Unantastbare, Grundlegende sind, und die Gedan-
108
ken das Flexible..." Man wird ihm in der Diagnose einer solchen Strategie weitgehend recht geben müssen: „Paradoxerweise stehen bei der Politik der Gefühle die Emotionen und Affekte gar nicht zur Debatte. Es interessiert einzig der Mechanismus, mit dessen Hilfe politische Aussagen für vorhandene Gefühlslagen gefunden werden können. Das politische Informationsbüro wird, wenn es darauf ankommt, ein reines Werbebüro, das im Prinzip für jedes Produkt werben könnte.... Das Produkt ist dabei nur ein von Gefühlsprojektionen umnebelter Markenname. Es kann Waldheim heißen, oder Pepsi, das spielt keine Rolle." (HASLINGER 1987:42f.) HASLINGER trifft hier wesentliche Tendenzen der jüngeren und jüngsten österreichischen Politik, wobei man nicht nur an Präsidenten- und Nationalratswahlen denken kann, sondern auch an die EU-Beitrittskampagne, in der von den beauftragten Werbe(!)-Agenturen ganz offen gesagt wurde, daß es weniger auf Argumente ankomme, als darauf, den „Bauch" der Bürger zu erreichen. Die Kritik einer Politik, die sich der Gefühle bewußt als Mittel bedient, um bestimmte Ziele unter Verzicht auf umfassend-rationale Begründung und „Überzeugungsarbeit" durchsetzen zu können, ist ohne Zweifel berechtigt. Trotzdem darf man unserer Meinung nach das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Vernachlässigung von Gefühlen in der Politik erfolgt nicht ohne Schaden - auch für gute Argumente und völlig integre politische Persönlichkeiten und ihre Ziele. Ohne gefühlsmäßige „Untermauerung" werden auch diese kaum zu einem durchschlagenden Erfolg kommen können. Nach diesen allgemeinen Überlegungen können wir zur Präsentation der empirischen Befunde über Inhalt und Form des Nationalstolzes der Österreicherinnen heute übergehen. Hier geht es uns nicht um das Niveau des Nationalstolzes der Österreicher und die Frage, inwieweit dieser Stolz objektiv fundiert ist oder nicht. (Wir werden darauf in Kapitel 8 eingehen.) Angemerkt werden kann dazu schon hier, daß dieses Niveau sehr hoch ist. Im Durchschnitt, über alle zehn Teildimensionen hinweg, sind 27% der Befragten „sehr stolz", weitere 41% „etwas stolz" auf Österreich. Besonders stolz sind die Österreicher (mit gut einem Drittel „sehr Stolzen" und drei Viertel „sehr Stolzen" und „etwas Stolzen") auf die sozialstaatlichen Leistungen, die wirtschaftlichen und die wissenschaftlich-technischen Leistungen sowie die sportlichen Erfolge. Zunächst kann man feststellen, daß die hohen Werte im Nationalstolz durchaus jenen in den Dimensionen der „Österreichidentifikation" und des „Österreichpatriotismus" entsprechen.
109
Die Unteilbarkeit des Nationalstolzes Zur Erfassung des Nationalstolzes wurde den Befragten in der ISSP-Umfrage eine Liste von zehn Aussagen vorgelegt, hinsichtlich derer sie jeweils sagen sollten, ob sie ihretwegen auf Österreich sehr stolz, etwas stolz, nicht sehr stolz oder überhaupt nicht stolz waren. Die genauen Formulierungen finden sich in Tabelle 13. Was uns in diesem Abschnitt interessiert, ist die Frage der Beziehungen zwischen dem Stolz auf unterschiedliche Leistungen Österreichs. Ähnlich wie beim Konzept der „nationalen Identität" könnte man auch hier erwarten, daß man auf bestimmte Aspekte der österreichischen Gesellschaft stolz, auf andere dagegen überhaupt nicht stolz sein kann. Zur Beantwortung dieser Frage muß man die Beziehungen zwischen den Antworten auf die Frage nach den verschiedenen Dimensionen des Nationalstolzes untersuchen, wie sie etwa durch eine Faktorenanalyse herausgearbeitet werden können. Tabelle 9 bringt die Ergebnisse dazu. Tabelle 13: Objekte des Nationalstolzes der Österreicher Wie stolz sind sie auf Österreich hinsichtlich... ... der Art und Weise, wie die Demokratie funktioniert
%
sehr stolz
etwas stolz
nicht sehr stolz
überhaupt nicht stolz
kann ich nicht sagen
Zus.
20
47
22
5
5
99
... seines politischen Einflusses in der Welt
%
12
43
25
7
12
99
... des wirtschaftlichen Erfolgs
%
24
53
14
3
6
100
... der sozialstaatlichen Leistungen
%
37
43
12
4
4
100
... der wissenschaftlichen und technologischen Leistungen
%
34
43
10
1
12
100
... der sportlichen Erfolge
%
44
39
S
3
6
100
... der Leistungen in Kunst und Literatur
%
32
37
12
3
16
100
... des österreichischen Bundesheeres
%
12
29
28
17
14
100
... Österreichs Geschichte
%
37
40
12
3
8
100
... der gerechten und gleichen Behandlung aller gesellschaftlichen Gruppen
%
17
35
26
10
12
99
%
27
41
17
5
9
Durchschnittswerte über alle 10 Aussagen
Quelle: ISSP-95/Österreich; Anzahl Befragte: 1007
Es zeigen sich zwei Faktoren: auf der einen Seite korrelieren der Stolz auf die Demokratie, den Sozialstaat, den Einfluß Österreichs in der Welt, die 110
gerechte Behandlung aller Gruppen und den wirtschaftlichen Erfolg hoch miteinander. Hier geht es also vor allem um einen Stolz auf das politische System und die wirtschaftlichen Leistungen Österreichs. Der zweite, weniger bedeutsame Faktor ist bunt gemischt: an erster Stelle steht der Stolz auf sportliche Leistungen, gefolgt vom Stolz auf wissenschaftlich-technologische Leistungen. Die weiteren Dimensionen (Stolz auf die Geschichte, Kunst und Literatur und das Bundesheer) laden vergleichsweise nur mehr schwach. Eine Betrachtung der Korrelationen zwischen allen Einzelvariablen (auf denen die Faktorenanalyse beruht) zeigt allerdings, daß diese durchwegs positiv sind. Aufgrund dieser beiden Ergebnisse haben wir eine einzige Skala des ..Nationalstolzes" entwickelt, und zwar als einfachen Summenindex aus den Antworten auf alle Einzeldimensionen. Tabelle 14: Hauptdimensionen des Nationalstolzes der Österreicher (Faktorenanalyse) Faktor 1
Faktor 2
der Art und Weise, wie die Demokratie funktioniert
.80
.02
der sozialstaatlichen Leistungen
.71
.14
des politischen Einfluß Österreichs in der Welt
.67
.34
der gerechten und gleichen Behandlung aller gesellschaftlichen Gruppen
.65
.21
des wirtschaftlichen Erfolgs
.61
.34
der sportlichen Erfolge
.01
.78
der wissenschaftlichen und technologischen Leistungen
.19
.73
Österreichs Geschichte
.20
.58
der Leistungen in Kunst und Literatur
.21
.58
des österreichischen Bundesheeres
.29
.54
Wie stolz sind Sie auf Österreich hinsichtlich ...
Eigenwert Erklärte Varianz
3.75
1.27
37.6 %
12.7 %
Hauptkomponentenanalyse; rechtwinkelige Rotation, rotierte Faktormatrix Quelle: ISSP-95/Österreich; n=1007
Die Folgerung aus diesen Resultaten ist eindeutig: es gibt offensichtlich auch in der Dimension des Nationalstolzes keine inhaltlich klar unterscheidbaren Subdimensionen, vielmehr existiert eine recht generelle Dimension „Nationalstolz", die alle Teilaspekte des Stolzes umfaßt. Offensichtlich sind die Befragten tendenziell entweder auf alle Aspekte ihrer Nation stolz, oder auf keine davon. 111
Es gibt nun zwei Möglichkeiten zur Überprüfung dessen, was Nationalstolz und Patriotismus inhaltlich bedeuten. Die erste besteht darin, die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Dimensionen sowie der weiter vorne untersuchten Dimension der „Österreichidentifikation" darzustellen. Die zweite besteht darin, jene Befragten, die wir als „Patrioten" klassifizieren können bzw. die sich selber als „sehr stolz" auf Österreich bezeichnen, in ihren Haltungen und Einstellungen mit jenen zu vergleichen, die dies nicht sind bzw. tun. Dies soll in den folgenden Abschnitten geschehen. Beziehungen zwischen nationaler Identität, Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz Zum Zwecke der Untersuchung dieser Beziehungen haben wir zunächst vier neue Skalen entwickelt: •
• • •
eine Skala des „Nationalstolzes", die einen Summenindex darstellt aus allen 10 Items der Fragebatterie „Wie stolz sind Sie auf Österreich hinsichtlich... „; es wurden dabei einfach die Antworten der Befragten auf alle diese Fragen addiert, sodaß sich ein Minimal wert von 10 (der sehr hohen Nationalstolz zum Ausdruck bringt), und ein Maximalwert von 40 (der sehr niedrigen Nationalstolz ausdrückt), ergibt. Eine Skala „Österreichpatriotismus", die einen Summenindex aus den drei ersten, in der Faktorenanalyse auf Dimension 1 am stärksten ladenden Items darstellt (Items V73 bis V75; vgl. Tabelle 12): Eine Skala der „Weltoffenheit"; sie stellt einen Summenindex aus jenen drei Variablen dar, die Faktor 3 in Tabelle 12 bilden (die Variablen V88, V89 und V94). Zusätzlich dazu bildeten wir noch eine Skala der „Ausländerakzeptanz", die einen Summenindex aus drei Fragen darstellt: der in Tabelle 5 dargestellten Frage nach der Erhöhung oder Reduzierung der Zuwanderung (V100), sowie aus zwei einer Aussagebatterie zu Zuwanderern entnommen Items (V97 „Zuwanderer sind gut für die Wirtschaft" und V99 „Zuwanderer machen Österreich offener für neue Ideen"; Antwortkategorien jeweils von 1 „stimme voll und ganz zu" bis 5 „stimme überhaupt nicht zu"). Diese drei Aussagen hatten sich in einer Faktorenanalyse von 8 Items zur Zuwanderung als die drei am stärksten ladenden auf einem allgemeinen Faktor (mit 6 der 8 Items) ergeben. Wir sprechen hier positiv von ,Ausländerakzeptanz" und nicht, wie üblich, von „Fremdenfeindlichkeit" primär aus technischen Gründen. (Man könnte allerdings auch inhaltlich argumentieren, daß man die Einstellung zu Fremden auch von ihrer positiven Seite her sehen kann.) Damit können wir die Struktur der Beziehungen zwischen den Dimensionen der nationalen Identität und der Einstellung zu Ausländern besser darstellen, da auch bei den Skalen der nationalen Identität ein niedriger Wert jeweils starke Zustimmung, ein hoher Wert Ablehnung bedeutet.
112
Betrachten wir nun als erstes die Beziehungen zwischen den fünf Skalen, die uns damit zur Erfassung der „nationalen Identität" der Österreich zur Verfügung stehen. (Neben den oben angeführten vier Skalen schließen wir auch noch den in Abschnitt 2 entwickelten Index der „Österreichidentifikation" ein.) Abbildung 7 stellt das Resultat in übersichtlicher Form dar. (Zur Erfassung der Zusammenhänge zwischen den Dimensionen wurde der Rangkorrelationskoeffizient von SPEARMAN verwendet, da es sich durchwegs um ordinale Variablen handelt; vgl. dazu auch die Fußnote zu Tabelle 3.) Zunächst zeigt sich, daß die Zusammenhänge in ihrer Richtung im großen und ganzen unseren inhaltlichen Erwartungen entsprechen, wenn sie auch alle eher schwach ausgeprägt sind: •
•
•
•
Die drei Hauptdimensionen Österreichidentifikation, Österreichpatriotismus und Nationalstolz korrelieren - wie zu erwarten - positiv und hochsignifikant miteinander. Der Österreichpatriotismus korreliert recht deutlich und statistisch signifikant negativ mit der Ausländerakzeptanz; es zeigt sich hier also neuerlich, daß die Dimension des Österreichpatriotismus ein chauvinistisches Element enthält. Dies ist dagegen nur abgeschwächt der Fall bei der Identifikation mit Österreich. Sehr bemerkenswert ist schließlich, daß die Dimension des Nationalstolzes eine zentrale Position in den ganzen Zusammenhängen einnimmt; sie korreliert, wie bereits festgestellt, positiv mit Österreichidentifikation und Österreichpatriotismus, aber auch - was uns als sehr bedeutsam erscheint - sehr deutlich positiv mit Weltoffenheit und auch mit Ausländerakzeptanz. Auf seine Nation stolz zu sein, geht also keineswegs einher mit einer Abwertung anderer Nationen oder Kulturen ganz im Gegenteil! Hier bestätigt sich die schon von deutschen und englischen Sozialforschern aufgezeigte Tatsache, daß Nationalstolz eine ganz generelle, in viele andere Lebensbereiche ausstrahlende Grundhaltung darstellt (NOELLE-NEUMANN/KÖCHER 1987; TOPF/MÖHLER u.a. 1990:184ff.). Mangel an Nationalstolz scheint durch stärkere Involviertheit in andere (z.B. private Lebensbereiche) nicht kompensiert zu werden, sondern - ganz im Gegenteil - auf einen generellen Mangel an sozialer Integration und sozialem Vertrauen hinzuweisen. Wir werden diese wichtige Frage in Abschnitt 5 näher untersuchen. Schließlich korrelieren Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz, zwei eindeutig dem Pol des „Universalismus" zuzuordnende Einstellungsdimensionen, wie zu erwarten recht stark und positiv miteinander.
113
Abbildung 7: Zusammenhänge zwischen drei Indikatoren der nationalen Identität, der Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz ')
') SPEARMAN-Rangkorrelationskoeffizienten; zur Erläuterung der Begriffe vgl. Text Signifikanz: *p < .05, ** p < .01; Koeffizienten unter .10 wurden weggelassen Quelle: ISSP-95/Österreich; n=1007
Wir können damit übergehen zu einem Vergleich der Einstellungen von Patrioten und Nicht-Patrioten bzw. nationalstolzen und nicht nationalstolzen Österreicherinnen und Österreichern. Typische Einstellungen patriotischer und auf ihr Land stolzer Österreicher Analog zu Abschnitt 2 betrachten wir nun auch hier vier Bereiche von gesellschaftlich-politischen Einstellungen; die statistischen Zusammenhänge zwischen ihnen untereinander sowie mit Österreichpatriotismus und Nationalstolz sind bereits in Tabelle 3 oben enthalten. Aus Raumgründen 114
können wir nicht zu allen Zusammenhängen detaillierte Tabellen präsentieren. Der erste Bereich betrifft die Einstellungen zu Einwanderung und Ausländern. Tabelle 3 zeigt hierzu im Detail: •
•
•
•
•
•
•
Österreichpatriotismus korreliert durchwegs signifikant und positiv, zum Teil sogar recht stark, mit ausländerfeindlichen, negativ mit ausländerfreundlichen Aussagen. Die Zusammenhänge mit dem historischen Bewußtsein zur Geschichte Österreichs sind eher schwach ausgeprägt, gehen tendenziell jedoch in die Richtung, daß Befragte mit einem hohen „Österreichpatriotismus" den Untergang der Monarchie weniger bedauern, seltener meinen, Österreich hätte 1938 bewaffneten Widerstand leisten sollen und ein positiveres Urteil über Hitler und den Nationalsozialismus haben als weniger patriotische Österreicher. Was aktuelle politische und gesellschaftliche Fragen betrifft, zeigt sich, daß Österreichpatrioten die Abschaffung des Religionsunterrichtes eher ablehnen; weiter oben (vgl. Tabelle 7) haben wir bereits gezeigt, daß sie auch religiös stärker involviert sind. In bezug auf die Neutralitätspolitik zeigt sich der gleiche positive Zusammenhang wie schon bei Österreichidentifikation, und er zeigt sich ebenso beim Nationalstolz: stark mit Österreich verbundene, patriotische und auf ihr Land stolze Österreicher sind sehr deutlich und statistisch hochsignifikant häufiger der Meinung, die konsequente Neutralitätspolitik habe Österreich hohes internationales Ansehen gebracht. Auf den ersten Blick als inkonsistent erscheint die Tatsache, daß Österreichpatrioten von allen vier in der Umfrage genannten zeitgenössischen politischen Persönlichkeiten häufiger eine gute Meinung haben als weniger patriotische Personen. Man könnte dies entweder so erklären, daß die Gründe für die positivere Bewertung jeweils andere sind (etwa das Einstehen von Kreisky und Vranitzky für Neutralität, Sozialstaat usw., dagegen ein „Wir-Sind-Wir"-Standpunkt bei Waldheim und Haider) oder aber, daß Österreichpatrioten generell „obrigkeits-" bzw. „autoritätsgläubiger" eingestellt sind. Ähnliches mag für die Aussagen über die Vorteile von Klein- und Großstaaten gelten, wo Österreichpatrioten generell in beiden mehr Vorteile sehen. Schließlich zeigt sich in bezug auf den EU-Beitritt und die Rolle Österreichs innerhalb der Europäischen Union, daß patriotische Österreicher hier deutlich reservierter sind bzw. stärker auf die Eigenständigkeit Österreichs (etwa die Beibehaltung des Schilling als Währung) pochen.
Vergleicht man die Anzahl statistisch signifikanter Beziehungen zwischen den drei Indikatoren nationaler Identität - Österreichidentifikation, Patrio115
tismus und Nationalstolz - und den Variablen aus verschiedenen Einstellungsbereichen, die in Tabelle 3 zusammengestellt sind, so erscheint der Österreichpatriotismus als jene Dimension, die mit den meisten (de facto mit nahezu allen) Einstellungen signifikante Beziehungen aufweist. Wie Österreichverbundene und Nationalstolze legen die „Patrioten" größeren Wert auf Eigenständigkeit des Landes, Erhaltung seiner historischen Errungenschaften und kulturellen Eigenarten; darüber hinaus sind sie in manchen Aspekten aber auch deutlich negativer gegenüber fremden Einflüssen, Neuerungen usw. eingestellt. Wie bereits mehrfach festgestellt, erscheint in der Dimension des „Patriotismus" die positive Komponente der Hochschätzung des eigenen Landes als nahezu untrennbar verbunden mit einem gewissen nationalistisch-chauvinistischen Element. Anders stellt sich die Situation beim „Nationalstolz" dar, der positiv mit Ausländerakzeptanz korreliert. Auf Österreich stolze Befragte sind insbesondere häufiger der Meinung, Ausländer seien ein positiver Faktor für unsere Wirtschaft (vgl. Tabelle 3). Fast keine signifikanten Zusammenhänge zeigen sich im Bereich „kollektives historisches Gedächtnis". (Die einzige sehr deutliche Ausnahme ist die signifikant häufigere Zustimmung zur Aussage, Hitler sei erst in Deutschland zu seinen Ideen gekommen; in diesem Punkt scheinen alle Österreicher zu einer Verdrängung oder „Abschiebung" eines für das eigene Land weniger angenehmen Faktums zu neigen!) Stark dagegen sind wiederum die Zusammenhänge mit der positiven Beurteilung der Neutralität sowie dreien der vier genannten Politikerpersönlichkeiten, mit Ausnahme von Haider. Hier zeichnet sich also ein deutlich anderes Bild ab als bei den Österreichpatrioten: Befragte mit hohem Nationalstolz tendieren zwar auch zu einer positiveren Bewertung vieler Aspekte ihres Landes, scheinen aber Tendenzen zu einem gewissen „Ethnonationalismus" und Chauvinismus zu vermeiden. Sie scheinen sich schließlich auch mehr an der Gegenwart als an der Vergangenheit zu orientieren und sind in bezug auf die Zukunft eher optimistisch. Hier ist bemerkenswert, daß auf ihr Land stolze Österreicher auch den EU-Beitritt insgesamt positiver bewerten. In dieser Hinsicht mögen sich die „Österreichstolzen" unter unseren Befragten auch stark von jenen politischen Führungspersönlichkeiten, die den EU-Beitritt vehement befürworteten, beeinflussen haben lassen (in diesem Falle etwa Bundeskanzler Vranitzky), da sie von diesen auch eine besonders positive Meinung haben. Weitere Hinweise auf diesen Sachverhalt ergibt die folgende Analyse der sozialstrukturellen und ideologischen Determinanten von Nationalstolz und nationaler Identität. Nachdem wir nun herausgearbeitet haben, was die verschiedenen Dimensionen nationaler Identität inhaltlich bedeuten, verbleiben als wichtige Frage die nach ihren sozialstrukturellen Determinanten und nach ihren Folgen für Persönlichkeit und gesellschaftliche Integration. Zuvor wollen 116
wir jedoch noch eine spezielle Frage etwas genauer untersuchen, die in diesem Zusammenhang von erheblicher Bedeutung ist. Es geht hier um die Frage, welche gesellschaftlich-politischen Orientierungen die Wähler von Haiders „Freiheitlichen" vertreten und zwar insbesondere darum, inwieweit diese Wähler rechtskonservativem bis neonazistischem Gedankengut nahestehen. Dieser Frage wird im In- und Ausland zu Recht größtes Interesse entgegengebracht, hat es Haider doch geschafft wie bislang fast kein anderer der neuen rechten Bewegungen in Europa (nur Gianfranco Fini mit seiner neofaschistischen „Alleanza Nazionale" in Italien scheint bald ebenso erfolgreich zu werden), - einen enormen Anteil von Wählern für sich zu gewinnen. (Zur Thematik des Aufstiegs eines „modernisierten Rechtsradikalismus" in ganz Europa vgl. FETSCHER 1983; KIRFEL/OSWALT 1989.) Ist dies ein Zeichen dafür, daß die Österreicher tatsächlich latent immer noch rechtem Gedankengut sehr nahestehen und auch ihre Haltung zum Nationalsozialismus eher als „Verdrängung" zu sehen ist, oder gibt es andere Gründe, die sie zu solch massenhaftem Zustrom zu einem Politiker und Führer „neuer Art" veranlassen? Sind die Haider-Wähler Neonazis? In der Nationalratswahl vom 17. Dezember 1995 ist der Höhenflug der Freiheitlichen zum erstenmal seit Haiders Wahl zum Parteivorsitzenden zum Stillstand gekommen. Seine Wählerschaft konnte sich jedoch auf dem hohen Niveau von 22% stabilisieren, wie Haider selbst zu Recht feststellte. Es stellt sich nun noch deutlicher als bisher die Frage, wer diese Haiderschen „Stammwähler" sind: Sind es reine Protestwähler, die mit der Arbeit der Koalitionsparteien unzufrieden sind oder sind es doch Rechtsorientierte, ja vielleicht sogar „Neonazis", als die sie von manchen anscheinend dargestellt werden? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst zu klären, was unter einem „Neonazi" zu verstehen ist. Nachdem in Österreich - etwa im Gegensatz zu Italien - deklariert neonazistische Organisationen gesetzlich verboten sind, können wir darunter wohl nur jene verstehen, die zumindest in Wort oder Schrift bestimmte Ideen und Taten des Nationalsozialismus - offen oder verhüllt - auch heute noch gutheißen. Für Haider selbst kann in diesem Sinne wenig Zweifel bestehen: In mehreren Büchern wurde umfassend dokumentiert, daß er vieles vom Gedankengut und den Taten der Nationalsozialisten gutheißt. Jemand, der - wie Haider wieder in seinen jüngsten Äußerungen vor freiwilligen, aus ganz Europa angereisten Angehörigen der Waffen-SS - diese als seine „lieben Freunde" bezeichnet und als „anständige Menschen, die einen Charakter haben", „die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und dieser Überzeugung bis heute treu geblieben sind", hat wohl ein äußerst enges Naheverhältnis zu Neo117
nazis. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt hat nach diesen Aussprüchen Haiders Ermittlungen wegen des Verdachts der nationalsozialistischen Wiederbetätigung eingeleitet (STANDARD, 21.12.1995, S. 5; inzwischen wurden sie allerdings wieder eingestellt). Wie sieht es mit jener guten Million Österreicher aus, die Haider seit der Nationalratswahl 1994 ihre Stimme geben? Würde es sich hier tatsächlich um Menschen handeln, die dem nationalsozialistischen Gedankengut nahestehen, müßte man um die Demokratie in Österreich ernsthaft fürchten. Unsere Studie ermöglicht es, neues Licht auf diese komplexe Frage zu werfen. Umfragen über die Wählerschaft der Freiheitlichen sind stets mit dem Handikap behaftet, daß ein großer Teil der Haider-Wähler die Wahlpräferenz nicht zugibt - ein Faktum, das selbst kein gutes Licht auf die demokratische Reife und politische Kultur der Österreicher wirft. So gaben auch in unserer Umfrage nur 11% der Befragten an, bei der nächsten Nationalratswahl freiheitlich wählen zu wollen (29% waren unentschieden). Hier kann uns jedoch die bereits oben besprochene Frage helfen, die lautete: „Haben Sie von den folgenden politischen Persönlichkeiten eine gute oder eine schlechte Meinung?". Fünf Antwortalternativen wurden vorgegeben: eine „gute", eine „eher gute", eine „eher schlechte" und eine "schlechte Meinung" sowie „kenne ich nicht". Als Politikerpersönlichkeiten wurden genannt: Bruno Kreisky, Kurt Waldheim, Jörg Haider, Franz Vranitzky. Die Antwortbereitschaft auf diese Frage war sehr hoch: nur 3 bis 4% gaben an, „kenne ich nicht", alle anderen beantworteten sie. Was antworten die Österreicherinnen auf diese Fragen? Eine eindeutig „gute Meinung" haben - um die Befunde hier nochmals zu resümieren 42% der Befragten von Kreisky, 26% von Vranitzky, 22% von Waldheim und 10% von Haider. Zählt man die „guten" und „eher guten" Meinungen zusammen, so führen Kreisky und Vranitzky ex aequo mit 79%, dicht gefolgt von Waldheim mit 67%; erst mit großem Abstand folgt Haider mit 32%. Diese beiden Haiderschen Beurteilungswerte sind an sich schon interessant: die 10% derer, die eine gute Meinung von ihm haben (im folgenden „Haider-Sympathisanten" genannt), entsprechen ziemlich genau jenem Anteil von Österreicherinnen, die laut anderen Umfragen Haider auch als Bundeskanzler sehen möchten. Die 32% derer, die eine insgesamt eher positive Meinung von ihm haben, könnte man als den absoluten Plafond von Wählerstimmen betrachten, die Haider in Zukunft noch auf sich vereinen könnte. Diese Vermutung kann belegt werden durch die Tatsache, daß ein sehr enger Zusammenhang besteht zwischen der Meinung über die Person von Dr. Jörg Haider und einer Wahlpräferenz für die Freiheitlichen: So würden fast 60% derer, die von ihm eine „gute" Meinung haben, auch die Freiheitlichen wählen. Auf einer zehnstufigen Links-Rechts-Skala der politi118
sehen Grundorientierung ordnen sich dieselben Personen zu 31% in die vier rechten Kategorien ein, jene mit einer „eher guten Meinung" zu 19%, während es in der Gesamtbevölkerung nur 5% sind (vgl. Tabelle 15). Tabelle 15: Die Parteipräferenzen von Haider-Sympathisanten Wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären, würde ich wählen.. Von Jörg Haider habe ich eine ...
SPÖ
ÖVP
Freiheitliche
Grüne
Liberales Forum
keine Angabe
Zus.
(N)
%
gute Meinung
'%
9
11
59
0
1
20
100
(98)
10
eher gute Meinung
'io
20
19
21
3
3
34
100
(225)
22
eher schlechte Meinung
fc
28
27
1
7
5
32
100
(313)
31
schlechte Meinung
%
38
14
1
18
7
23
99
(340)
34
ü.
19
7
3
0
3
68
100
(31)
3
Kenne ich nicht
£
Quelle: ISSP-95/Österreich
Wie sieht es nun mit der Haltung dieser potentiellen Haider-Wähler zum Nationalsozialismus aus? Wir können hier die ebenfalls bereits besprochenen vier Aussagen zu Hitler heranziehen, die den Befragten vorgelegt wurden. Betrachten wir zunächst die Antworten aller Österreicher zu diesen Fragen, um sie dann mit denen der Haider-Sympathisanten zu vergleichen. Die erste Aussage lautete: „Adolf Hitler war zwar ein gebürtiger Österreicher, zu seinen Ideen kam er jedoch erst in Deutschland". Dieser Aussage, die die österreichischen Wurzeln des Nationalsozialismus verharmlost, stimmten insgesamt 19% der Befragten voll und ganz, weitere 26% teilweise zu. Abgelehnt wird sie von 19% der Befragten. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei einer zweiten Aussage, die die Taten Hitlers durch Hervorhebung eines positiven Effektes der nationalsozialistischen Politik indirekt legitimieren. Die Aussage lautete: „Hitler hat es erreicht, daß es in Österreich wirtschaftlich wieder aufwärts ging". (Die sehr ähnliche Aussage Haiders von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches" führte bekanntlich zu seinem Sturz als Landeshauptmann von Kärnten.) Hier stimmten insgesamt 54% zu, die Ablehnung war mit 19% gleich wie bei der vorigen Frage. Betrachtet man diese beiden Ergebnisse, könnte man sagen, daß gut die Hälfte der Österreicher relativierende Aussagen zum Nationalsozialismus akzeptiert, nur ein Fünftel diese strikt ablehnt. Die zwei folgenden Aussagen waren „härter" formuliert, sodaß sie nur eingefleischte Neonazis ablehnen konnten. Sie lauteten: „Hitler hat von der 119
Vernichtung der Juden in den Gaskammern gewußt" und „Hitler war einer der größten Massenmörder der Geschichte". Diesen Aussagen, deren Verneinung wohl als glatte „Geschichtslüge" zu qualifizieren wäre, stimmten denn auch in der Tat gut 80% der Befragten zu, nur 2 bzw. 5% lehnten sie ab. Hier muß die Folgerung denn auch lauten: der harte Kern von Neonazis liegt deutlich unter einem Zehntel der Österreicher. Tabelle 16: Der Zusammenhang zwischen der Sympathie für Haider und der Haltung zu verschiedenen Aussagen über Hitler Von Jörg Haider habe ich eine .... Aussagen (N)
gute (98)
eher gute (225)
eher schlechte (313)
schlechte Meinung (340)
- Anteile von Befragten, die den Aussagen zustimmen in % Adolf Hitler war zwar ein gebürtiger Österreicher; zu seinen Ideen kam er jedoch erst in Deutschland
48
45
47
44
Hitler hat von der Vernichtung der Juden in den Gaskammern gewußt
84
78
89
94
**)
Hitler hat erreicht, daß es in Österreich wirtschaftlich wieder aufwärts ging
64
62
50
48
**)
Hitler war einer der größten Massenmörder der Geschichte
74
71
80
89
Quelle: ISSP-95/Österreich; N=1007
Signifikanz: ** p < .01
Kommen wir zur letzten Frage, dem Unterschied der Einstellungen zwischen Haider-Sympathisanten und dem österreichischen „Durchschnittswähler". Die Antwort auf diese Frage lautet recht klar und vielleicht auch überraschend: der Unterschied ist eher schwach ausgeprägt. Die Haltung jener Befragten, die von Haider eine „gute" oder auch nur „eher gute" Meinung haben, unterscheidet sich von der der übrigen Befragten durchwegs statistisch signifikant, oft jedoch nur recht schwach (vgl. Tabelle 16). •
•
Unter allen Befragten waren 20% „voll und ganz" der Meinung, Hitler sei erst in Deutschland zu seinen Ideen gekommen, unter den deklarierten Haider-Sympathisanten sind es 21%; zählt man die beiden zustimmenden Kategorien zusammen, so liegen alle Anteile zwischen 44 und 48% (vgl. Tabelle 16): unter allen Befragten meinten 19%, Hitler habe erreicht, daß es in Österreich wieder aufwärts gegangen sei; unter den deutlichen Haider-
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• •
Sympathisanten sind es diesmal etwas mehr, 29%; bei allen positiven Antworten variieren die Anteile stärker, von 48 bis 64%; unter allen Befragten verneinten nur 2%, Hitler habe von der Judenvernichtung gewußt; unter den deutlichen Haider-Sympathisanten sind es 3%; die zustimmenden Aussagen liegen zwischen 84 und 94%; unter allen Befragten lehnten 5% die Aussage ab, Hitler sei einer der größten Massenmörder der Geschichte gewesen; unter den deutlichen Haider-Sympathisanten sind es 3%; die zustimmenden Aussagen variieren auch hier etwas mehr, von 71 bis 89%.
Zwei Folgerungen lassen sich aus diesen Befunden ziehen: • Die Sympathisanten (und potentiellen Wähler) von Haider stehen dem nationalsozialistischen Gedankengut keineswegs viel näher als die Haider-Gegner oder die Wähler der meisten anderen Parteien. • Haider verdankt seinen kometenhaften Aufstieg daher offensichtlich anderen Themen und Problemen. Darunter sind wohl Tatsachen wie jene, daß die FPÖ bei einer „großen" Koalition die einzige größere Oppositionspartei ist; der Tatsache, daß die Regierungsparteien es bislang weithin nicht schafften, auch nur ihre selbstgesetzten politischen Ziele umzusetzen (man denke hier an die Reform des Wahlrechts, die Bundesstaatsreform und die Reform der öffentlichen Verwaltung; die einzige große Ausnahme war wohl der EU-Beitritt); die Tatsache, daß die Regierung auch heute (April 1996) ihr Sparpaket im Parlament in einer Weise durchdrückt, die kaum mit rechtsstaatlich-demokratischen Grundprinzipien vereinbar ist (z.B. indem mit Zweidrittelmehrheit rückwirkend gültige Gesetze in den Verfassungsrang gehoben werden und damit der Kritik des Verfassungsgerichtshofes entzogen werden); erwähnen muß man auch ihre noch bei weitem nicht überzeugend deklarierte Bereitschaft und Fähigkeit zu einem systematischen Abbau der Verfilzungen, die in vier Jahrzehnten sozialpartnerschaftlicher Parteienwirtschaft und -herrschaft aufgebaut wurden. Die letzteren Folgerungen werden bestätigt durch Analysen der Wählerschaft von Haider: die (wahrscheinlich altrechten) Kernwähler stellen darin nur etwa ein Drittel dar, Hauptwähler sind inzwischen wenig Gebildete, von sozialen Benachteiligungen (Arbeitslosigkeit usw.) betroffene, vor allem jüngere Protestwähler (vgl. z.B. den Bericht über Befunde der Wahlforscher P. Ulram, F. Plasser und F. Karmasin in NEWS 51/95, S. 17). Man muß aus der Sicht all dieser Fakten Haider geradezu als einen „tragischen Patrioten" bezeichnen, weil er anscheinend nicht fähig ist, seine berechtigten Forderungen nach Reformen in einer akzeptablen Form zu vertreten bzw. auf seine Anbiederungen an die „Ewiggestrigen" zu verzichten.
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Abschließend ist festzuhalten, daß sich auch die Wähler von Haider - wie schon einmal in der deutschen und österreichischen Geschichte dieses Jahrhunderts - gewaltig täuschen könnten, wenn sie Haider als anscheinend einzigem radikalem Reformpolitiker ihre Stimme geben und seine Haltung zu Demokratie, Nationalsozialismus und „Dritter Republik" als nebensächlich abtun. Eine weitere Stärkung Haiders in kommenden Wahlen - die durchaus als möglich erscheint - werden die anderen Parteien nur bremsen können, wenn sie sich zu echter und durchgreifender Reformpolitik durchringen und damit auch wieder Wähler von Haider zurückgewinnen können. Dies ist eine durchaus optimistische Perspektive für die politische Zukunft Österreichs, legt sie doch nahe, daß das Schicksal dieses Landes noch immer primär in den Händen der eindeutig demokratisch ausgerichteten Parteien liegt.
5. Gesellschaftliche Determinanten und Funktionen nationaler Identität Drei Themenbereiche sollen in diesem abschließenden Teil behandelt werden: zunächst die Frage der soziodemographischen bzw. sozialstrukturellen Determinanten nationaler Identität; sodann die Problematik der sozialen Funktionen nationaler Identität (aus Datengründen können wir hierfür nur mehr den Nationalstolz betrachten); hier werden zwei Themen untersucht: die Frage der Beziehungen zwischen Nationalstolz und der sozialen Situation in anderen Lebensbereichen; sowie die Frage der Beziehungen zwischen Nationalstolz und Vertrauen in verschiedenen gesellschaftlichpolitische Institutionen. Sozialstrukturelle Determinanten nationaler Identität Betrachten wir zunächst einige soziodemographischen Determinanten von Nationalstolz, nämlich Geschlecht, Alter und Wohnortgröße, sowie Variablen des sozialen Status (Bildungsniveau, Berufsstatus und Schichtzugehörigkeit) um weitere Hinweise darauf zu erhalten, was Patriotismus" und „Nationalstolz" inhaltlich genauer bedeuten. Die Frage ist auch hierbei wieder, ob sich aus diesen Zusammenhänge Hinweise darauf ergeben, daß Nationalstolz und Patriotismus als positive gesellschaftlich-politische Haltungen zu sehen sind, die einhergehen mit mehr Wissen, einem stärkeren Interesse und einer intensiveren Partizipation an öffentlichen Angelegenheiten, oder ob sie eher auf eine Eingrenzung des individuellen Problemund Aktionshorizontes auf die eigene, kleinere oder größere Lebenswelt verweisen, und daher wohl auch eher verknüpft sind mit einer Ablehnung fremder Menschen und Kulturen, neuer und fortschrittlicher Ideen.
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Tabelle 17: Die Variation von nationaler Identität, Weltoffenheit und Ausländerakzeptanz nach soziodemographischen Merkmalen Soziodemographische Merkmale
Österreichpatriotismus
(N)
Östeneichidentifikation
(1007)
1,6
Männer
(458)
1,6
2,5
Frauen
(549)
1,6
2,5
-.01
-.04
M Insgesamt
i
t
t
2,5
Weltoffenheit
Nationalstolz e
1
w 2,4
e
r
t
Ausländerakzeptanz e
2,2
2,4
2,5
2,2
2,4
2,4
2,1
2,4
,07*
-.03
,02
Geschlecht
Korrelation',) Altersgruppen bis 24 Jahre
(105)
1,8
2,9
2,7
2,0
2,2
25-29 Jahre
(91)
1,7
2,9
2,8
2,0
2,2
30-39 Jahre
(196)
1,7
2,7
2,6
2,3
2,3
40-49 Jahre
(173)
1,5
2,6
2,4
2,2
2,3
50-59 Jahre
(208)
1,6
2,3
2,3
2,1
2,5
60-69 Jahre
(116)
1,5
2,2
2,1
2,3
2,7
70 und mehr Jahre
(118)
1,6
2,1
2,0
2,3
2,6
-,12»»
-,25*»
-.25»*
,05
,13»*
1,6
2,6
2,5
2,2
2,4
1,5
2,2
2,0
2,2
2,5
1,7
2,6
2,6
2,2
2,4
,01
-,04
-,02
,00
,02
1,6
2,2
2,3
2,2
2,6
2,6
2,4
2,3
2,4 2,1
Korrelation') Erwerbsteilnahme erwerbstätig
(505)
Pensionist
(258)
sonst, nicht Erwerbst.
(244)
Korrelation') Gemeindegröße bis 3000 Einwohner 3001 -20000 EW
(326) (293)
1,6
20001 - 1 Mio EW
(194)
1,7
2,6
2,5
2,0
über 1 Mio (Wien)
(194)
1,6
2,9
2,5
2,1
2,3
,04
,21*»
,08»
-.06
-.14**
Korrelation') 1) SPEARMAN-Rangkorrelation; Quelle: ISSP95/Österreich.
Signifikanz: * p < 05, *» p