250 62 45MB
German Pages 215 [159] Year 1991
Zeitschrift für Psychologie
ISSN 0044-3409 Z. Psychol. Leipzig • 198 (1990) 1 S. 1-144
Zeitschrift för . Psycholog
mit Zeitschrift für angewandte Psychologie
Schriftleitung F. Klix, Berlin W. Hacker, Dresden Elke van der Meer, Berlin Redaktion J.Mehl, Berlin F. Kukla, Berlin
Johann Ambrosius Barth Leipzig
1/90
Unter Mitwirkung
von
J. E. Azcoaga (Buenos Aires) • P. B. Baltes (Berlin [West]) • N. Bischof (Zürich) • A. A. Bodaljow (Moskau) • H. Dörner (Bamberg) • J. Engelkamp (Saarbrücken) • P. Fraisse (Paris) • H.-G. Geißler (Leipzig) • D. J. Herrmann (New York) • A. Kossakowski (Berlin) D. Koväc (Bratislava) • D. Magnusson (Stockholm) • K. Pawlik (Hamburg) • P. Petzold (Jena) • T. Radil (Prag) • H.-D. Rösler (Rostock) • E. Roth (Salzburg) • H.-D. Schmidt (Berlin) • L. S. Svetkova (Moskau) • H. Sydow (Berlin) • H. Spada (Freiburg) • M. Wertheimer (Boulder) • G. d'Ydewalle (Leuven)
Inhalt Klix, F. (Berlin). H u n d e r t Jahre Zeitschrift f ü r Psychologie — Gedanken beim Durchblättern ihrer Hefte
3
Nachruf Boris Fjodorovitsch Lomow
7
Beyer, R . ; Artz, Elke; Guthke, T. (Berlin). Zur Differenzierung des kognitiven Aufwandes bei der Anregung von Vorwissen
9
Wolf, M. (Berlin). Untersuchungen statt finden
an Erkennungsprozessen, die zwischen
Gedächtnisinhalten 35
Petzold, P. (Jena). Einfluß von Klassifizierungen auf die Beurteilung von Eigenschafteil
59
Müsseier, J . ; Rickhcit, G. (Bielefeld). Komplexbildung in der Textverarbeitung: Die kognitive Auflösung pluraler Pronomen
69
Scliuub, H. (Bamberg). Die Situationsspezifität des Problemlöseverhaltens
83
Strohmer, H. (Bielefeld). Systemische Textverarbeitung
97
Lange, Lydia (Berlin). Externe Einflüsse auf die Wissenschaft und die Reaktion der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" am Beispiel von E. R. Jaensch und der Zeitschrift f ü r Psychologie 1933—1944 121 Autorenhinweise Buchbesprechungen
143 6, 8, 33, 58, 82, 96, 137
Unter Mitwirkung
von
J. E. Azcoaga (Buenos Aires) • P. B. Baltes (Berlin [West]) • N. Bischof (Zürich) • A. A. Bodaljow (Moskau) • H. Dörner (Bamberg) • J. Engelkamp (Saarbrücken) • P. Fraisse (Paris) • H.-G. Geißler (Leipzig) • D. J. Herrmann (New York) • A. Kossakowski (Berlin) D. Koväc (Bratislava) • D. Magnusson (Stockholm) • K. Pawlik (Hamburg) • P. Petzold (Jena) • T. Radil (Prag) • H.-D. Rösler (Rostock) • E. Roth (Salzburg) • H.-D. Schmidt (Berlin) • L. S. Svetkova (Moskau) • H. Sydow (Berlin) • H. Spada (Freiburg) • M. Wertheimer (Boulder) • G. d'Ydewalle (Leuven)
Inhalt Klix, F. (Berlin). H u n d e r t Jahre Zeitschrift f ü r Psychologie — Gedanken beim Durchblättern ihrer Hefte
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Nachruf Boris Fjodorovitsch Lomow
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Beyer, R . ; Artz, Elke; Guthke, T. (Berlin). Zur Differenzierung des kognitiven Aufwandes bei der Anregung von Vorwissen
9
Wolf, M. (Berlin). Untersuchungen statt finden
an Erkennungsprozessen, die zwischen
Gedächtnisinhalten 35
Petzold, P. (Jena). Einfluß von Klassifizierungen auf die Beurteilung von Eigenschafteil
59
Müsseier, J . ; Rickhcit, G. (Bielefeld). Komplexbildung in der Textverarbeitung: Die kognitive Auflösung pluraler Pronomen
69
Scliuub, H. (Bamberg). Die Situationsspezifität des Problemlöseverhaltens
83
Strohmer, H. (Bielefeld). Systemische Textverarbeitung
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Lange, Lydia (Berlin). Externe Einflüsse auf die Wissenschaft und die Reaktion der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" am Beispiel von E. R. Jaensch und der Zeitschrift f ü r Psychologie 1933—1944 121 Autorenhinweise Buchbesprechungen
143 6, 8, 33, 58, 82, 96, 137
Seit r 4 * t f t fit
JJfeWafif JlbsfiPlagir iirr Sintrsorpir In G e m e i n s c h a f t mit
H H u b e r t , S. Exne'r, II. > H e l m h o l t z , K H e r i n g , ,T. v. K r i e s , Th. L i p p s , G. E. M u l l e W. P r e y e r , C. Stumpf herausgegeben von
Herrn. Ebbinghaus und Arthur
König.
Erster Band.
Hamburg und Leipzig, V e r l a g von Leopold
IftüO.
Voss.
Inhaltsverzeichnis. Zur Einführung
j AMbsait8flg6B.
H. v. MSIMUQUSZ. Die Störung der Wahrnehmung kleinster Helligkeitsunteirohiede durch dm EigeaHcht de- Netzhaut 5 E. BDmsro. Beitrag zur Lehre vom Simultanko ntrast 18 6. Tu. Wmuma. 0her negative Empindungs werte. Briefe au W, Par««?.; herausgegeben vos W. PRSTER (Dezhr. 1873 — Febr. 1 8 1 4 ) . . . . . . . . . . 29 8. Essim. Das Verschwinden der Nachbilder bei Âugenbewegungeu 47 H. Awrnr, Die innerliche Sprache und ihr Verhalten zu den SinnesWahrnehmungen u«4 Bewegusgen 52 Ta. LIPPS. Über ein® falsche N&chbildlokalisatiou «o F. ScacKanÄ. Ober das Gedächtnis für Komplexe regelmäfsig aufeinander folgender, gleicher Sehalleindrücke 75 K. I». SCHARFER. Über die Wahrnehmung und Lokalisation von Schwebuagen und Differenztönen Hl 99 H . MÜNSTERBKR«. Die Association successiver Vorstellungen G. T H . FECHNER. Über negative Empfindungswerte. Briefe au W . P a r a » ; herausgegeben von W . PREYER ( März 1874 — Juli 1874) ]08 W . UHTHOFF. über die kleinsten wahrnehmbaren Gesichtswinkel in den verschiedenen Teilen des Spektrumy 155 A. .Data». Die ästhetischen Gefühle i»;i J. v. KRIES. über das Erkennen der Schallrichtung 235 TH. L I W S . Zur Psychologie der Kausalität 252 K . L. SCHARFER. Zur interaurealen Lokalisation diotischer Wahrnehmungen 300 R. W A H L E . Zur Psychologie der Frage 310 H . EBBINGHAUS. Über negative Empfindungswerte, I. u. 11 320 C. STCKPF. Über Vergleichungen von Tondistanzen JJH H. EBBINGHAUS. Über negative Empfindungswerte. III, IV u. Nachtrag 1»> * W. v. BEZOI.». Urteilstäuschungen nach Beseitigung einseitiger Harthörigkeit .ist) J. V. KRIES. Nachtrag zu der Abhandlung ,,Über das Erkemieu der Schallrichtung" 4s>-
Zeitschrift für Psychologie B a n d 198 (190) 1 mit Zeitschrift für angwandte Psychologie Z. Psychol. 198 (1990) 3 - 5
1/90 Band 104 J . A. Barth, Leipzig
Hundert J a h r e Zeitschrift f ü r Psychologie - Gedanken beim Durchblättern ihrer Hefte F. Klix Die Psychologie habe eine lange Geschichte aber nur eine kurze Entwicklung hinter sich, so schrieb Herrmann Ebbinghaus, — neben Arthur König Mitbegründer dieser Zeitschrift vor fast hundert Jahren. Und er selbst hat als Herausgeber und Autor dieser zuerst so benannten „Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane" eben dieser Entwicklung Impulse verliehen, wie das nur wenigen seines Faches vergönnt war. Der Nachhall seines Wirkens wurde erst unlängst in einem zweibändigen Würdigungssymposium bezeugt.1 Wie wohl in keiner anderen Schriftenreihe belegen die 198 Bände mitsamt ihren Supplementausgaben Glanz und Elend der Psychologie. Aber aufgerechnet und im ganzen: E s sind bei weitem mehr Höhen da als Tiefen. Was die schlimmsten Zeiten mit der Hereinnahme der faschistischen Ideologie anlangt, so wird darauf gesondert einzugehen sein. Hier wollen wir uns mit der anderen Seite befassen: Es war ein glänzender Anfang. Persönlichkeiten, die Wissenschaftsgeschichte bedeuten, gehören zu den frühen Mitarbeitern oder zu den ersten Autoren: Aubert, Exner, Fechner, v. Helmholtz, Hering, v. Kries, Lipps, G. E. Müller, W. Preyer und C. Stumpf. Wenn man die vergilbten Seiten jener ersten Jahrzehnte, so bis zum Ende der zwanziger Jahre hin, als dann Schumann Herausgeber war, Revue passieren läßt, so imponiert im Detail die außerordentliche Verschiedenartigkeit der Inhalte, die Spanne vom kleinsten Experiment z. B. über Tonhöhenunterschiede bis hin zur Psychologie der Gemütsbewegungen oder zum Leib-Seele-Problem als Ganzem. Und dennoch: Legt man sich so eine Art mentalen Zeitraffer zu und blickt mit ihm über die Seiten der einzelnen Bände, dann wird man noch andere Konturen gewahr, die sich aus diesem Strome von Singularitäten geistiger Produktivität herausheben. Beim Blick auf das momentane Detail, selbst in der Titelstatistik, wird man sie kaum bemerken. Es entsteht dadurch ein in seinen Kontrasten sich entfaltendes, charakteristisches Zeitgemälde vom Ablauf wissenschaftlichen Denkens. Einige dieser Konturen wollen wir uns, sozusagen im Vorübergehen, ansehen: Vgl. Klix, F . ; Hagendorf, H. (Hrsg.): Human Memory and Cognitive Capabilities. Mechanisms and Performances, 2 Bde. Amsterdam — New York — Oxford — Tokyo: North Holland 1986. 1
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Zeitschrift für Psychologie B a n d 198 (190) 1 mit Zeitschrift für angwandte Psychologie Z. Psychol. 198 (1990) 3 - 5
1/90 Band 104 J . A. Barth, Leipzig
Hundert J a h r e Zeitschrift f ü r Psychologie - Gedanken beim Durchblättern ihrer Hefte F. Klix Die Psychologie habe eine lange Geschichte aber nur eine kurze Entwicklung hinter sich, so schrieb Herrmann Ebbinghaus, — neben Arthur König Mitbegründer dieser Zeitschrift vor fast hundert Jahren. Und er selbst hat als Herausgeber und Autor dieser zuerst so benannten „Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane" eben dieser Entwicklung Impulse verliehen, wie das nur wenigen seines Faches vergönnt war. Der Nachhall seines Wirkens wurde erst unlängst in einem zweibändigen Würdigungssymposium bezeugt.1 Wie wohl in keiner anderen Schriftenreihe belegen die 198 Bände mitsamt ihren Supplementausgaben Glanz und Elend der Psychologie. Aber aufgerechnet und im ganzen: E s sind bei weitem mehr Höhen da als Tiefen. Was die schlimmsten Zeiten mit der Hereinnahme der faschistischen Ideologie anlangt, so wird darauf gesondert einzugehen sein. Hier wollen wir uns mit der anderen Seite befassen: Es war ein glänzender Anfang. Persönlichkeiten, die Wissenschaftsgeschichte bedeuten, gehören zu den frühen Mitarbeitern oder zu den ersten Autoren: Aubert, Exner, Fechner, v. Helmholtz, Hering, v. Kries, Lipps, G. E. Müller, W. Preyer und C. Stumpf. Wenn man die vergilbten Seiten jener ersten Jahrzehnte, so bis zum Ende der zwanziger Jahre hin, als dann Schumann Herausgeber war, Revue passieren läßt, so imponiert im Detail die außerordentliche Verschiedenartigkeit der Inhalte, die Spanne vom kleinsten Experiment z. B. über Tonhöhenunterschiede bis hin zur Psychologie der Gemütsbewegungen oder zum Leib-Seele-Problem als Ganzem. Und dennoch: Legt man sich so eine Art mentalen Zeitraffer zu und blickt mit ihm über die Seiten der einzelnen Bände, dann wird man noch andere Konturen gewahr, die sich aus diesem Strome von Singularitäten geistiger Produktivität herausheben. Beim Blick auf das momentane Detail, selbst in der Titelstatistik, wird man sie kaum bemerken. Es entsteht dadurch ein in seinen Kontrasten sich entfaltendes, charakteristisches Zeitgemälde vom Ablauf wissenschaftlichen Denkens. Einige dieser Konturen wollen wir uns, sozusagen im Vorübergehen, ansehen: Vgl. Klix, F . ; Hagendorf, H. (Hrsg.): Human Memory and Cognitive Capabilities. Mechanisms and Performances, 2 Bde. Amsterdam — New York — Oxford — Tokyo: North Holland 1986. 1
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Z. Psychol. 198 (1990) 1
Ab und an, doch auch immer wieder, tauchen neben den Größen ihrer Zeit neue Namen junger Leute auf, die ihre ersten Arbeiten vorstellen, oft noch ganz unscheinbar, aber exakt im Detail und zumeist noch ohne große theoretische Ambitionen. So z. B. 1909 ein Dr. Koffka mit Experimenten zur Lehre von Rhythmus (der sich aber schon ein paar Jahre später ganz hart mit V. Benussi anlegt (1914)); dann ein Dr. Köhler, der seine Akustischen Untersuchungen I vorlegt, denen dann alsbald weitere, anspruchsvollere, folgen. Dr. Lewin tritt auf den Plan mit Willensvorgängen bei Assoziationsexperimenten, und nachdem sich 1918 Dr. K. Bühler vorgestellt hat, folgt ihm ein Jahr danach Dr. Ch. Bühler mit einer Studie über Satzbildung. J . Révész, D. Katz und H. Werner kommen neben anderen alsbald hinzu; Namen alles, die für ein Stück nachmaliger Geschichte der deutschsprachigen Psychologie stehen. Was dem Zeitrafferblick als eine zweite Kontur der Zeitschrift auffällt, das ist ihre starke Interdisziplinarität. Und das von Anfang an: Neurologie und Psychiatrie, Allgemeine Medizin und (natürlich) Physiologie, und selbst eine mathematisch stark angereicherte Psychophysik ist vertreten, — bis hin zu physikalischen Betrachtungen sui generis. Dabei sind diese Arbeiten keineswegs von zweitrangigen Geistern geschrieben, im Gegenteil: v. Helmholtz ist so an ein halbdutzend Male Autor, v. Monakow, Bechterew, Hans Berger, Gelb und Goldstein, Trendenlenburg sind mit Originalarbeiten vertreten und Amerikaner, wie z. B. Herr Stratton, haben in Deutsch publiziert. Eine andere, weniger umfänglich wirkende aber doch die kontrastreichste Kontur ist in den Auseinandersetzungen um methodologische oder theoretische Positionen zu erkennen. Meinungsstreit hat sich abgespielt in der Zeitschrift; du lieber Himmel, was hat man sich da nicht alles um die Ohren geschlagen. Man lese dazu den Kontroverseteil Ebbinghaus gegen Wundt wegen eines Tannery-Zitats oder C. Stumpfs Artikel „Mein Schlußwort gegen Wundt" oder G. E. Müller's Kritik an Köhler nach dessen Auseinandersetzung mit der Komplextheorie. Da ist von Unsinn die Rede, von Eselei, von Texten, die von Affekten statt von Intelligenz diktiert worden seien, und dies nicht nur in dieser Zeitschrift. Immerhin : Man ist (wenn auch im doppelten Sinne) aufeinander eingegangen in einer Weise und mit einer Gründlichkeit, die wir heute nicht mehr kennen. Derzeitige wissenschaftliche Literatur, das ist in dieser Hinsicht ein riesiges Monologisieren geworden mit Zitathäufungen aus den gegenseitig sich selbst bewundernden Zirkeln oder wie in einem Telefonverzeichnis (mit Jahreszahlen statt Anschlußnummern). Bei allen Entgleisungen da und dort, möge die Frage erlaubt sein, ob solche starken Kontroversen nicht auch etwas Klärendes haben, daß sie den gedanklichen Auflösungsgrad einer Problemsicht verfeinern und zugleich verschärfen können und schließlich dazu herausfordern, letzte Kräfte auch im Geistigen zu mobilisieren. Die das Zeitgemälde am stärksten bestimmende Kontur ist mit dem Entstehen und Vergehen von Schulmeinungen gegeben. Man kann das zwischen größeren zeitlichen Abständen verfolgen: Wie sich mit der Resonanz auf vorgelegte Arbeiten Strömungen ankündigen, wie Konzepte diskutiert werden, die andere in ihren Bann ziehen oder abstoßen. Zeitweilig ist auch zu erkennen, wie die Schulenbildung einsetzt: da ist die außerhalb bleibende Wundt-Schule, an der man sich immer wieder gerne reibt; da ist die sich ankündigende Kontroverse zwischen der Grazer und der Berliner Schule über die Faktoren
Jubiläumsbeitrag
5
der Gestaltbildung; die zwischen den „Leipzigern" (nach Wundt) und den „Würzburgern" über Denken und Urteilsbildung, da ist der entstehende aber einsam bleibende Personalismus dokumentiert. (W. Stern hat dazu mehrfach eine Art Gründungsartikel verfaßt.) Und dann sieht man im Bewährungsfeld der verschiedenen Ansätze immer wieder Versuche, vom Elementaren, sensorisch Gebundenen aus zu komplexen psychischen Gebilden vorzudringen, sie von den Bindungen und Wirkungsrichtungen elementarer Größen herzuleiten. Dazu gehören dann auch die Versuche, in umgekehrter Richtung vorzugehen: die Eigenschaften nervaler Trägerprozesse vom psychologischen Experiment aus zu erschließen. Zwar gibt es in diesem Punkte bis heute noch keine eindeutigen Zugänge, aber doch erhebliche Fortschritte. Im Streben nach solchen Fortschritten liegt übrigens eine starke Kontinuität der Zeitschrift. Das gilt auch für die Zeit nach ihrer Neugründung im Jahre 1953 durch K. Gottschaidt. Ein neuer Blick aufs ganze kam für die Psychologie von außerhalb: wissenschaftlich wie geographisch. Und auch diese Zeitschrift hat ihn hereingenommen in ihre Spalten: Den Informationsbegriff mit seinem theoretischen Hintergrund, Modellideen der Kybernetik, die Psychologisches mit Biologischem verbinden; Aspekte der Selbstorganisation komplexer Systeme, parallele Verarbeitung und verteilte Speicherung von Information, um nur einige begriffliche Ansatzpunkte zu nennen. Es ist noch nicht objektivierbar, ob hier reale neue Entwicklungen für die Grundlagen der Psychologie eingleitet wurden, wenngleich so manches Symptom in unseren Tagen dafür spricht. Das muß später entschieden werden, von nachfolgenden Generationen. Die Zeitschrift wird ihr zweihundertjähriges Jubiläum haben. Etwa vierhundert Bände könnten dann erschienen sein, wenn, ja wenn ihr humanistisches Anliegen, ganz im Kleinen gepflegt, auch im Großen durchsetzungskräftig genug bleibt dahin, daß wir einer friedlichen Zukunft entgegengehen, daß Menschlichkeit die Oberhand behält oder gewinnt, daß der originäre Variantenreichtum menschlichen Daseins sich in seiner Reichhaltigkeit und seinen möglichen Werten erproben und verwirklichen kann und daß mit ihm der Ansporn an die Psychologie erhalten bleibt, die mögliche Vielfalt menschlicher Persönlichkeiten von der Einheitlichkeit der Psychologie aus zu begreifen und das Allgemeine im Einzelnen sowie das Einzigartige im Allgemeinen zu erkennen.
Z. Psychol. 198 (1990) 6
J . A. B a r t h , Leipzig
Buchbesprechung Bibel, W.; J o r r a n d , P. (Hrsg.): Fundamentals of Artificial Intelligence. 2. Aufl. 313 S., 18 Abb., 2 4 x 1 6 , 5 cm. Berlin — Heidelberg — New York — London — Paris — Tokyo: Springer-Verlag 1987. Soft cover 3 8 , - DM. Das Buch entstand im Ergebnis eines Weiterbildungskurses auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz d e r 1985 in Vignieu, Frankreich, s t a t t f a n d . Es e n t h ä l t die überarbeiteten und erweiterten Vorträge von 7 ausgewiesenen Experten, die sich verschiedenen theoretischen Grundfragen der Künstlichen Intelligenz zuwenden. Wissen und Wissensrepräsentation zählen zu den Grundkonzepten im Rahmen der Künstlichen Intelligenz. In einem 1. Kapitel setzen sich Delgrande und Mylopoulos m i t verschiedenen Charakteristika von Wissen auseinander. Zugänge zur Formalisierung und Analyse von Wissetskörpern werden dargestellt und verglichen. In einem 2. Kapitel stehen Aspekte der Verarbeitung von Wissen i m Mittelpunkt. Da eine angemessene Wissensrepräsentation Voraussetzung f ü r eine effektive Wissensverarbeitung ist und andererseits auch die Wissensverarbeitung die Spezifik der Wissensrepräsentation beeinflußt, werden in diesem 2. Kapitel Inhalte des 1. Kapitels aus veränderter Perspektive erneut aufgegriffen. Heut befaßt sich mit der Darstellung eines einheitlichen Zuganges zur formalen Logik und Berechnungstheorie. In diesem Sinne sind Deduktion und Berechnung (Computation) n u r verschiedene Aspekte ein- und desselben Grundmechanismus der Wissensverarbeitung. Stickel f ü h r t den Leser in grundlegende Aspekte der Deduktion, speziell der Resolutionsmethode, ein. Biermann beschreibt verschiedene Mechanismen maschinellen Lernens und gibt dem Leser einen guten Überblick über das angesprochene Problemgebiet. Bibel schließlich stellt verschiedene Aspekte und Methoden zur Formalisierung und Automatisierung von Inferenzprozessen dar. Er betrachtet automatisches Inferieren als eine maschinenorientierte Simulation menschlicher Schlußprozesse. In diesem Sinne erscheinen klassische Deduktionsmethoden wie z. B. die Resolution als abgeleitete Formen natürlichen Schließens. In einem 3. Kapitel des Buches werden Fragen der Wissensprogrammierung behandelt. J o r r a n d f ü h r t in seinem Beitrag aus, daß sowohl die semantische Eleganz als auch die mathematischen Charakteristika des funktionalen Programmierens bei einer Programmiersprache beibehalten werden können, in der Inferenzen als Netzwerk miteinander kooperierender paralleler Prozesse darstellbar sind. Dies wird am Beispiel der Sprache F P 2 gezeigt. Shapiro beschließt das Buch, indem er die Grundbegriffe und wesentlichen Programmiertechniken einer von i h m und seinen Mitarbeitern entwickelten PROLOG-Version ausführlich kennzeichnet. Die Mehrzahl der Beiträge ist in F o r m von Lehrtexten verfaßt. Auf diese Weise verkörpert das vorliegende Buch eine wertvolle, formal anspruchsvolle Einführung in grundlegende Fragestellungen und Probleme der Künstlichen Intelligenz. Elke van der Meer (Berlin)
Z. Psychol. 198 (1990) 7 - 8
J. A. Barth, Leipzig
Nachruf
Boris Fjodorovitsch Lomow 1926 - 1 9 8 9 Herausgeber und Mitarbeiter der Zeitschrift für Psychologie erfüllen in Trauer ihre Pflicht, den Tod ihres langjährigen treuen Autors Boris Fjodorovitsch Lomow anzuzeigen. Mit Boris Lomow verliert die sowjetische Psychologie ihren herausragenden Vertreter und die internationale Psychologie einen ihrer bedeutendsten Anwälte. Jahrzehntelang hat er nach zwei Seiten hin gestrebt, gearbeitet, Erfolge erzielt und auch herbe Kritik durchlitten: Einmal dahin, in wenigen Jahren eines der größten und leistungsfähigsten Institute zu schaffen; ein Institut, das auf experimenteller Basis arbeitet, interdisziplinäre Bezüge pflegt und mit hochqualifizierten Mitarbeitern Spitzenleistungen psychologischer Forschung vorlegt. Zum anderen dahin, die methodologischen Grundlagen des Fachs zu vertiefen und dabei zugleich von den Grundlagen aus Beziehungen zur gesellschaftlichen Praxis seines großen Heimatlandes zu suchen, zu vertiefen oder auszubauen. Von seinem bedeutenden Erstlingswerk „Mensch und Technik" ausgehend, hat er der Psychologie im ganzen neue Wege gewiesen: von Anwendungen der Psychologie in der Kosmosforschung bis zum psychologisch durchdachten Aufbau eines weltweit vernetzten Kommunikationssystems. Mitten im Planen und Vorbereiten, vor großen, selbst gesetzten Anforderungen stehend, h a t ein heimlich nahender Tod seinem nach Vollendung strebenden Werk ein jähes Ende gesetzt. Oft und gern war Boris Lomow unter uns; bei strengem Vortrag wie in froher
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Z. Psychol. 198 (1990) 1
Runde. Wir Psychologen der D D R haben mit ihm einen wahren Freund verloren, einen Freund, dessen warmherziges Wesen und dessen wissenschaftliche Lauterkeit unserem Andenken und dankbaren Erinnern bewahrt bleiben. Z. Psychol. 198 (1990) 8
J . A. Barth, Leipzig
Buchbesprechung Pratt, G. J . ; Wood, D. P.; Alman, B. M.: A Clinical Hypnosis Primer. 407 S., 1 6 x 2 3 cm. New York Chichester — Brisbane — Toronto — Singapore: John Wiley & Sons 1988. Leinen 38,95 h . Drei klinische Psychologen mit praktischer und Lehrtätigkeit an der California-Universität berichten in diesem Grundriß der klinischen Hypnose über den aktuellen Stand in Amerika. J)ie von der American Medical Association 1958 ausdrücklich anerkannte Behandlungsmethode wird von der American Society of Clinical Hypnosis gepflegt, die nur promovierte Ärzte und Psychologen aufnimmt und jetzt etwa 4300|Mitglieder zählt. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Theorie und Praxis erfolgen in reicher Zahl. Der Grundriß beginnt mit einem Überblick über Geschichte und moderne Betrachtungsweisen der Hypnose (112 Seiten). Dabei wird speziell auf den veränderten Bewußtseinszustand, seine Herbeiführung, die bildhafte Vorstellungsweise und die Selbst-Hypnose eingegangen. Der breiteste Raum wird den Behandlungsgebieten eingeräumt (248 Seiten). Die Erfahrungsberichte betreffen namentlich Rauchen, Enuresis, Asthma, Migräne, Hypertonie, Diabetes, Warzen, Krebswachstum, präoperative Entängstigung, operative Narkotikaminderung, postoperative Schmerzbehandlung, zahnärztliche Schmerzstillung, schmerzarme Geburt, Behandlung chronischer Schmerzzustände, Hypnose im Rahmen der Psychotherapie, bei Verwirrtheitszuständen, bei Sexualstörungen, zur Gewichtsabnahme und Streßbewältigung. Die Ergebnisse sind bei der Fülle in knappe Informationen gefaßt, beispielsweise bei schwerer Faktor-VIIIHämophilie: 15 Patienten benötigten nach intensivem Selbsthypnose-Training signifikant weniger Faktorkonzentrat als die Kontrollgruppe in 18wöchiger Nachbeobachtungszeit. Die für eine kritische Würdigung erforderliche Primärliteratur ist überall angegeben. Jeweils sind auch grundsätzliche Überlegungen, oft Fallbeispiele und Formulierungsbeispiele für die speziellen Suggestionen dargelegt. Die künftige Entwicklung der Hypnose wird diskutiert, und 12 der namhaftesten Fachleute geben ihre Einschätzung dazu ab. Das Buch beschließt ein Test für indirekte hypnotische Suggestionen (AWIHSS). Aus europäischer Sicht ist eine Verwässerung des Hypnosebegriffs in Amerika zu beachten. Placeboeffekte, Selbstentspannung u. ä. werden als Hypnose bezeichnet, während wir dabei von Wachsuggestionen, Autosuggestionen, autogenem Trainieren usw. sprechen. Die Autoren selbst unterscheiden deshalb zwischen Hypnose im engeren und weiteren Sinne (S. 351) und nennen Wirkungsunterschiede. Der Gesamtbericht zeugt von großer Umsicht Und Kompetenz. G. Klumbies (Jena)
Z. Psychol. 198 (1990) 9 - 3 3
J . A. Barth, Leipzig
Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Berlin
Zur Differenzierung des kognitiven Aufwandes bei der Anregung von Vorwissen R. Beyer, Elke Artz und T. Guthke Zusammenfassung: Eine nach wie vor aktuelle Fragestellung betrifft den Einfluß von Vorwissen auf Textverarbeitungsprozesse. Kintsch (1988) bietet unter starker Berücksichtigung dieser Frage eine modifizierte Variante seines Modells zur Textverarbeitung an — den sog. Konstruktions-Integrationsansatz. Der Konstruktionsprozeß setzt sich aus vier Phasen zusammen: Formierung von Propositionen, Bildung von Assoziationen bzw. Elaborationen, Bildung von Inferenzen und die Zuordnung von Verbindungsstärken zwischen den Elementen der Repräsentation. Im Integrationsprozeß erfolgt die Herausbildung einer kohärenten Textbasis, gesteuert über Gewichtungs- und Selektionsprozesse. Eine wesentliche Grundlage dafür und damit für das Modell insgesamt bilden die im Konstruktionsprozeß bestimmten assoziativen Verbindungsstärken. Mit Hilfe empirischer Untersuchungen kann Kintsch Bearbeitungsphasen ableiten, die in guter Übereinstimmung zu seinem Modellansatz stehen. Ausgehend von diesen Untersuchungen wird eine Bearbeitungsphase — die Bildung von assoziativen Verknüpfungen zu benachbart gespeicherten Begriffen — problematisiert. Unter Berücksichtigung von Modellvorstellungen von Klix (1984, 1988) zur Repräsentation von Wissen im Gedächtnis wird eine Differenzierung des Prozesses der Bereitstellung derartiger Verbindungen vorgeschlagen und durch zwei empirische Untersuchungen gestützt. Als günstiges Mittel dieser Differenzierung erwies sich eine Klassifikation semantischer Relationen bezüglich ihres begrifflichen Vernetzungsgrades Summary: The study focusses on investigations, dealing with the influence of knowlege on text processing. The inspiration for our experiments was a new model on text comprehension created by Kintsch (1988) — a Construction- Integration Model. There are distinguished four steps in the construction process: formation of propositions, production of associates, production of inferences and the assignment of connection strengths to all pairs of elements. The integration process is used to exclude unwanted elements and to establish the text coherence. The essential point of the model is the assignment of the connection strengths in our opinion. Kintsch can support his assumptions by empirical results. In some experiments we tried to differentiate the process of elaboration text elements by selecting associated neighbors from the general knowledge net. Based on assumptions of knowledge representation in memory (Klix, 1984, 1988) we classify such associates by semantic relations. The experimental results confirm the assumption of a different cognitive effort in activation such associates or semantic relations. Eingegangen: 25. 5. 1989 Korrespondenzanschrift: Dr. R. Beyer, Sektion Psychologie der Humboldt-Universität, Oranienburger Str. 18, Berlin, D D R - 1020
Nach wie vor bleibt bei Untersuchungen zum Satz- und Textverstehen die Frage in der Diskussion, wie der Einfluß von Vorwissen exakt beschrieben, modelliert oder prädiktiert werden kann. D. h. es dürfte unumstritten sein, daß Vorwissen als Einflußgröße auf die Verarbeitung sprachlich gebundener Information wirkt. Problematisch ist vielmehr, theoretisch begründete und empirisch gestützte Annahmen zur Repräsentation textlich dargebotener Information einerseits und der Repräsentation von relevantem Vorwissen andererseits sowie deren Interaktion zu kennzeichnen. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, die genannten Problemklassen in einer Modellkonzeption aufzuarbeiten.
Z. Psychol. 198 (1990) 9 - 3 3
J . A. Barth, Leipzig
Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Berlin
Zur Differenzierung des kognitiven Aufwandes bei der Anregung von Vorwissen R. Beyer, Elke Artz und T. Guthke Zusammenfassung: Eine nach wie vor aktuelle Fragestellung betrifft den Einfluß von Vorwissen auf Textverarbeitungsprozesse. Kintsch (1988) bietet unter starker Berücksichtigung dieser Frage eine modifizierte Variante seines Modells zur Textverarbeitung an — den sog. Konstruktions-Integrationsansatz. Der Konstruktionsprozeß setzt sich aus vier Phasen zusammen: Formierung von Propositionen, Bildung von Assoziationen bzw. Elaborationen, Bildung von Inferenzen und die Zuordnung von Verbindungsstärken zwischen den Elementen der Repräsentation. Im Integrationsprozeß erfolgt die Herausbildung einer kohärenten Textbasis, gesteuert über Gewichtungs- und Selektionsprozesse. Eine wesentliche Grundlage dafür und damit für das Modell insgesamt bilden die im Konstruktionsprozeß bestimmten assoziativen Verbindungsstärken. Mit Hilfe empirischer Untersuchungen kann Kintsch Bearbeitungsphasen ableiten, die in guter Übereinstimmung zu seinem Modellansatz stehen. Ausgehend von diesen Untersuchungen wird eine Bearbeitungsphase — die Bildung von assoziativen Verknüpfungen zu benachbart gespeicherten Begriffen — problematisiert. Unter Berücksichtigung von Modellvorstellungen von Klix (1984, 1988) zur Repräsentation von Wissen im Gedächtnis wird eine Differenzierung des Prozesses der Bereitstellung derartiger Verbindungen vorgeschlagen und durch zwei empirische Untersuchungen gestützt. Als günstiges Mittel dieser Differenzierung erwies sich eine Klassifikation semantischer Relationen bezüglich ihres begrifflichen Vernetzungsgrades Summary: The study focusses on investigations, dealing with the influence of knowlege on text processing. The inspiration for our experiments was a new model on text comprehension created by Kintsch (1988) — a Construction- Integration Model. There are distinguished four steps in the construction process: formation of propositions, production of associates, production of inferences and the assignment of connection strengths to all pairs of elements. The integration process is used to exclude unwanted elements and to establish the text coherence. The essential point of the model is the assignment of the connection strengths in our opinion. Kintsch can support his assumptions by empirical results. In some experiments we tried to differentiate the process of elaboration text elements by selecting associated neighbors from the general knowledge net. Based on assumptions of knowledge representation in memory (Klix, 1984, 1988) we classify such associates by semantic relations. The experimental results confirm the assumption of a different cognitive effort in activation such associates or semantic relations. Eingegangen: 25. 5. 1989 Korrespondenzanschrift: Dr. R. Beyer, Sektion Psychologie der Humboldt-Universität, Oranienburger Str. 18, Berlin, D D R - 1020
Nach wie vor bleibt bei Untersuchungen zum Satz- und Textverstehen die Frage in der Diskussion, wie der Einfluß von Vorwissen exakt beschrieben, modelliert oder prädiktiert werden kann. D. h. es dürfte unumstritten sein, daß Vorwissen als Einflußgröße auf die Verarbeitung sprachlich gebundener Information wirkt. Problematisch ist vielmehr, theoretisch begründete und empirisch gestützte Annahmen zur Repräsentation textlich dargebotener Information einerseits und der Repräsentation von relevantem Vorwissen andererseits sowie deren Interaktion zu kennzeichnen. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, die genannten Problemklassen in einer Modellkonzeption aufzuarbeiten.
Z. Psychol. 198 (1990) 1
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Wie wir bereits an anderer Stelle beschrieben haben (Ankert, Beyer, 1987), versuchen Kintsch und v. Dijk, sich diesem Anspruch in einer langfristig angelegten Forschungsarbeit schrittweise zu nähern. Interessant ist dabei die Entwicklung eines modifizierten Modellansatzes zum Verstehen von Texten (Kintsch, 1988), in dem zum Teil wesentliche Veränderungen insbesondere zur Modellvariante von 1978 enthalten sind. Kintsch spricht vom sog. Konstruktion — Integrationsmodell. In unserer Arbeit wollen wir zunächst die Grundidee dieser Modellvariante erläutern, dabei zumindest einen kritischen Aspekt herausarbeiten und einen Vorschlag zur Präzisierung anbieten und empirisch prüfen. 1. Das Konstruktions - Integrationsmodell von Kintsch (1988) Drei Gruppen von Annahmen bilden das Gerüst dieser Modellkonzeption von Kintsch zum Verstehen von Texten: 1. Annahmen zur Repräsentation von begrifflichem Wissen, 2. Annahmen zur Konstruktion der internen Repräsentation von Textinhalten unter Berücksichtigung von Vorwissen des Lesers, 3. Annahmen zur Integration der relevanten Text- bzw. Vorwissenselemente zur Herstellung einer kohärenten Textstruktur. 1.1. Annahmen zur Repräsentation
von Wissen
Den Annahmen von Kintsch zur Repräsentation von Wissen liegt die Konzeption eines assoziativen Netzwerkes, bestehend aus Knoten und Kanten, zugrunde. Einige Besonderheiten dieses Netzwerkes sollen eine flexible, kontextabhängige Strukturerzeugung ermöglichen (s. a. Abb., 1, 2, Tab. I). Folgende Eigenschaften sind wesentlich: 1. Knoten bilden Begriffe oder Propositionen ab, 2. Knoten sind mit unterschiedlicher Stärke verbunden, 3. Knoten können aus einem Prädikat („head") und einer Anzahl von Leerstellen („slots") bestehen, 4. Leerstellen spezifizieren die Relationen zwischen Prädikat und Argumenten. 1.2. Annahmen zur Konstruktion der internen Repräsentation
von
Textinhalten
Vier Phasen des Konstruktionsprozesses werden unterschieden: 1. die Formierung von Propositionen, 2. die Bildung von Assoziationen bzw. Elaborationen zu repräsentierten Begriffen und Propositionen, 3. die Ableitung von Inferenzen bzw. zusätzlichen Propositionen, 4. die Zuordnung von Verbindungsstärken zu allen Elementepaaren. Die Grundlage für die Formierung von Propositionen bilden bereits zerlegte linguistische Einheiten des Textes — also Wörter mit syntaktischen Funktionen. Kintsch veranschaulicht dies an folgendem einfachen Beispiel (s. a. v. Dijk, Kintsch 1983). Ausgangspunkt für die Bildung von Propositionen zu dem Satz „Maria bäckt einen Kuchen" ist das Parser-Output „Maria (Agent von BACKEN)", „backen (Prädikat)" und „ein Kuchen
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
11
(Objekt von BACKEN)", „Maria", „backen" und „Kuchen" aktivieren in Verbindung zu ihnen stehende Knoten, wodurch MARIA und K U C H E N die Rolle von Agent und Objekt in der BACKEN-Proposition zugewiesen werden. Diese Rollenzuweisung stützt sich auf die Information, daß BACKEN eine Person als Agent benötigt und die Prüfung, ob MARIA eine Person ist. Diese Prüfung kann sowohl durch die Suche im Netz nach der Proposition I S T E I N E (MARIA, PERSON) als auch durch das Inferieren dieser Proposition vollzogen werden. Eine nicht unwichtige Zusatzannahme im Vergleich zur früheren Modellkonzeption besteht darin, daß zeitweise auch „falsche" oder unvollständige Propositionen erzeugt werden können, z. B. wenn man davon ausgeht, daß schon während des Lesens unvollständiger Textinformationen mit dem Konstruktionsprozeß begonnen wird. Als zweiten Verarbeitungsschritt benennt Kintsch die Bildung von Elaborationen bzw. die Aktivierung von assoziativen Verknüpfungen zu benachbarten Begriffen im semantischen Netz. Betont wird dabei die Cue-Funktion jedes repräsentierten Begriffs (bzw jede Proposition) aus der ersten Prozeßphase zum Aufruf assoziierter Knoten im Wissensnetz. Der Modellierung dieses Prozesses liegt folgende Formel zur Abschätzung der Aufrufwahrscheinlichkeit des eues (also des Begriffs oder der Proposition) i f ü r den Knoten j zugrunde :
2
Si,, h,
h
Dabei wird vorausgesetzt, daß Knoten i zu n anderen Knoten eine positive Verbindung besitzt und daß die Propositionen/Begriffe der Textbasis unabCängige cue's darstellen. S(i,j) bezeichnet die assoziative Verbindungsstärke zwischen den Knoten i und j. Im Modell werden auf diese Weise zwei bis drei Elaborationen bzw. Assoziationen selektiert. 1 und in die weitere Verarbeitung einbezogen. Das entscheidende Problem liegt hier natürlich in der Bestimmung der assoziativen Verbindungsstärken. Auf dieses Problem werden wir noch zurückkommen. Neben der Bildung von Elaborationen, die eher als ungerichtete, unspezifische oder gar zufällige Zusatz nformationen charakterisiert werden können, wird ein dritter Konstruktionsschritt unterschieden — die Erzeugung von zusätzlichen Inferenzen. Inferenzen, in diesem Fall spezifischer Zusatzinformationen, sind z. B. notwendig, wenn die oben genannten Elaborationen die Erzeugung einer ausreichenden Textkohärenz nicht gestatten oder keine ausreichende Grundlage für die Ableitung von Makrostrukturen darstellen. Wesentliche Klassen solcher Inferenzen sind sog. Brückeninferenzen und Makropro positionen. Der vierte Schritt des konstruktiven Prozesses dient der Spezifizierung der Beziehungen zwischen allen Elementen, die Teile der bisherigen internen Repräsentation darstellen (Textinhalte, Assoziationen, Inferenzen). Kennzeichnen dieser Beziehungen sind assoziative Verbindungsstärken, die Werte zwischen — 1 und + 1 annehmen können. — 1 bildet 1
Die Festlegung auf zwei bis drei Assoziationen erfolgt aus pragmatischen Gründen. Fünf bis sieben Assoziationen würden nach Kintsch eher der Realität entsprechen.
12
Z. Psychol. 198 (1990) 1
dabei ein sich gegenseitig ausschließendes Verhältnis der Begriffe (Propositionen) und Werte nahe + 1 eine sehr enge assoziative Beziehung ab. Zwei Quellen für die Zuordnung eines derartigen Verknüpfungswertes werden von Kintsch benannt: 1. Verbindungen in der Textrepräsentation (Propositionen die direkt aus dem Text abgeleitet wurden) Zwischen ihnen besteht grundsätzlich eine positive Verbindung. Der Wert hängt ab von der Nähe der Proposition in der internen Textrepräsentation. „Nähe" äußert sich in der Distanz innerhalb der Textbasis (Anzahl zu überspringender Knoten) und kann in der Regel über Argumentüberlappungen abgeleitet werden. 2. Verbindungen zwischen Begriffen (Propositionen) in der Wissensrepräsentation Propositionen, die im allgemeinen Wissensnetz mit einem spezifischen Wert verbunden sind und Elemente des Textes sind, übernehmen diesen Verbindungswert in der Textrepräsentation. Unterstellt ist dabei eine vergleichbare Repräsentationsform von Wissen und von Texten. Der absolute Wert von Verbindungsstärken kann sich additiv verhalten, gespeist aus beiden genannten Quellen, und einen maximalen Wert von 1 erreichen. Zwei Beispiele sollen das Resultat des bisher beschriebenen Konstruktionsprozesses veranschaulichen. In Abbildung 1 ist die Repräsentation, die durch das Wort „ b a n k " (Ufer) angeregt wird, durch einen Netzwerkausschnitt mit Angabe der Verbindungsstärken dargestellt. In Abbildung 2 folgt die Repräsentation (Textbasis) für den S a t z „Manolita tried to weed her fathers garden." (Manolita versuchte, den Garten des Vaters zu jäten.). FIRST-NTL-BANK
MONEY
I S A(BANK2,RIYERBAWK)
I S A (BANK1,FINAN.INST.)
OVERFLOW (RIVER,BANK2)
Verbindungsmatrix für einen Teil der Graphik Proposition
1
1. 2. 3. 4.
0,5 -0,5 0
MONEY BANK 1 BANK 2 RIVER
2 0,5 -
-1,0 -0,5
3
4
-0,5 -1,0
0 -0,5 0,5
—
0,5
-
Abb. 1. Repräsentation, die durch das Wort „ b a n k " angeregt wird, dargestellt in Form eines Netzwerkausschnittes und einer Verbindungsmatrix (modifiziert nach Kintsch 1988)
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
13
PULL-OUT
Verbindung zwischen Textpropositionen — —— —
Verbindung zu Assoziationen
Abb. 2. Elaborierte Textbasis zu dem Satz „Manolita tried to weed her father's garden" und Kennzeichnung der Verbindungsstärken (modifiziert nach Kintsch 1988)
Bei der Festlegung der Verbindungsstärken orientierten wir uns an vorläufigen Regeln, die Kintsch verwendete: — Die Bestimmung des Wertes für Verbindungen zwischen Propositionen, die direkt aus dem Text abgeleitet wurden, erfolgt in Abhängigkeit von der Distanz in der Textbasis. — Verbindungen zwischen Textpropositionen und Assoziationen (aus dem Vorwissen) erhalten einen Wert von 0,5. — Sich gegenseitig ausschließende Begriffsbeziehungen erhalten einen negativen Wert. Es wird deutlich, daß mit Hilfe dieser Regeln eine Differenzierung der Aktivierungswahrscheinlichkeit für relevante Vorwissenselemente (z. B. für die sog. Assoziationen bzw. Elaborationen), angeregt durch spezifische Textinhalte, nur schwer möglich ist. 1.3. Annahmen
zum Integrationsprozeß
Die bisher erzeugte Textrepräsentation zeichnet sich dadurch aus, daß sie z. B. durch nicht ausreichende Beachtung von Kontexteinflüssen inkohärent sein kann oder daß sie Elemente enthält, die eigentlich unwesentlich für die Konstruktion der Textbasis oder die Zielstellung des Lesers/Autor sind. Der Integrationsprozeß hat die Aufgabe, nicht notwendige Elemente der Textbasis auszuschließen, Kohärenz zu erzeugen sowie eine Gewichtung aller einbezogenen Verbindungen vorzunehmen. Der Prozeß der Integration ist in Zyklen organisiert. Dabei wird die Grundidee der Modellvariante von 1978 genutzt (Kintsch, v. Dijk, 1978). Eine Gruppe von Informationen aus dem Text wird eingelesen. Ein semantisches Netz wird erzeugt, über den Integrationsprozeß werden wesentliche Textinhalte bzw. Propositionen ausgewählt und in einem Kurzzeit-Puffer für den nächsten Verarbeitungszyklus aufbewahrt. Im nächsten Zyklus wird erneut Textinformation
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Z. Psychol. 198 (1990) 1
encodiert und gemeinsam mit den im Kurzzeit-Puffer gespeicherten Propositionen verarbeitet. Ein wichtiger Unterschied zum Modell von 1978 liegt in der Charakteristik des Integrationsprozesses (Gewichtungs- und Selektionsprozeß). Im Modell von 1978 wird in starkem Maße eine sog. Linking-age strategy zur Selektion in jedem Zyklus eingesetzt, mit der insbesondere hierarchiehohen und zuletzt encodierten Propositionen eine bevorzugte Position in der internen Repräsentation eingeräumt wird. Es handelt sich also um ein relativ formales Kriterium, da die Konstruktion des hierarchisch geordneten Kohärenzgraphen nach dem Kriterium „Argumentüberlappung" erzeugt wird und nur schwer die Berücksichtigung von Kontext- bzw. Vorwissenseinflüssen zuläßt (s. a. Beyer, 1987). In der Modellvariante von 1988 wird zwar der zyklische Grundprozeß von 1978 übernommen, die Datenbasis für den Integrations- und Selektionsprozeß jedoch verändert und erweitert. Tab. I. Beispiel für die Formalisierung des Integrationsprozesses an einem S a t z Beispielsatz: „The linguists knew the Solution of the problem would not be e a s y " Propositionsliste und AktivierungsVerbindungsmatrix vektor
Propositionen
1
2. 3. 2. 4.
(1) 0,9 0,7 0,9
KNOW KNOW (SOL) E A S Y (SOL) NOT
2 0,9 (1) -1,0 0
3
4
0,7 -1,0
0,9 0 0,9
(1) 0,91
(1)
Erste Multiplikation am Beispiel 1
0,9
0,9 0,7 0,9
1
- 1 , 0
0
0,7 1,0
0,9"] r0,25-| 0 0,25 1 0,9 X 0,25 0,91 1 L0,25J J
[0,25-1 0,25 0,25 1.0,25-1 Normierung
0,875-1 0,225 0,400 Lo,453J
Exk= 1,953
r0,448"! 0,115 0,205 LO,232J xt Ëtk
Veränderung des normierten Aktivierungsvektors bis zur Stabilisierung 2. "0,374-, 0,129 0,253 .0,244-
3. -0,3900,094 0,267 .0,249.
4. -0,381" 0,076 0,288 .0,255.
5. -0,3780,057 0,305 .0,260.
6. -0,376-, 0,039 0,320 .0,265-
7. -0,3720,024 0,334 .0,269.
8. "0,371" 0,011 0,346 .0,272.
9. "0,368" 0 0,357 .0,275.
10. ¡-0,3670 0,367 -0,278.
11. r0,367-i 0 0,367 -0,278-
Stabilisierung nach 10 Multiplikationen Nach jeder Multiplikation wird der Vektor normiert (Division jedes Einzelwertes durch S u m m e der Einzelwerte). Nach zehn Durchläufen h a t sich der Vektor stabilisiert. Der Aktivierungswert der irrelevanten Proposition 2 geht gegen Null
15
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
1. Neben den Propositionen, die aus dem T e x t abgeleitet wurden, werden auch Elaborationen (Assoziationen) und Inferenzen in starkem Maße einbezogen. Dadurch soll die Einbeziehung des relevanten Vorwissens gesichert werden. 2. Ausgangswerte für Integration und Selektion von Propositionen sind die assoziativen Yerbindungsstärken zwischen den Propositionen der Textbasis und ein initialer Aktivierungsvektor. Der Aktivierungsvektor bildet die Ausgangsangsaktivierung jedes Elementes ab. Der Prozeß der Integration wird durch die mehrmalige Multiplikation der Verbindungsmatrix mit dem Aktivierungsvektor simuliert. Abbruchkriterium ist eine hinreichende Stabilisierung des Systems, d. h. das Auftreten nur noch minimaler Differenzen im Vektor durch die Multiplikation. Mit dieser Formalisierung soll die Aktivierungsausbreitung und -Veränderung im semantischen Netz (spreading activation) abgebildet werden. Kintsch kann an Beispielen zeigen, daß das Gewicht relevanter Informationen (Propositionen) durch diese Prozedur zunimmt (Aktivierungswert erhöht sich) und irrelevanter
Pro-
positionen abnimmt (Aktivierungswert geht gegen 0). In den von Kintsch verwendeten Beispielen wurden die Aktivierungswerte des Vektors für Propositionen, die im T e x t direkt enthalten waren, gleichgroß festgelegt (Annahme; alle Textpropostionen sind anfangs gleich stark aktiviert), die für Elaborationen und Inferenzen mit 0. Kintsch erkennt diese Vorgehens weise auch als eine (vorläufige) Vereinfachung. U m diese Vorgehensweise etwas verständlicher zu machen, haben wir in Tabelle I für ein einfaches Beispiel, bestehend aus nur vier im Text enthaltenen Propositionen, diesen Prozeß so genau wie möglich nachvollzogen. Nach der Beschreibung dieser Konzeption von Kintsch wird deutlich, daß der kritische Punkt des Modells inbesondere in der Bestimmung der assoziativen Verbindungsstärken und der W e r t e des Aktivierungsvektors liegt. Durch diese Festlegung wird das Ergebnis des Textverstehensprozesses (Gewichtung und Selektion v o n Textinhalten) weitgehend bestimmt. 1.4. Empirische
Prüfung
von Annahmen des Konstruktions-
Integrations- Ansatzes
Mit verschiedenen Mitteln versucht Kintsch, empirische Belege für die Gültigkeit des zuvor beschriebenen Modells beizubringen. Dabei schlägt er zwei W e g e ein: a) Differenzierung v o n Worterkennungsprozessen unter Verwendung v o n Priming A n forderungen und der Variation von Kontexteinflüssen (Kintsch, Mross, 1985: Till, Kintsch, Mross, 1988), b) Simulation des Verstehensprozesses unter Verwendung spezieller Texttypen (Textaufgaben): Vergleich zwischen prädiktierter Schwierigkeit und Lösungsverhalten. W i r möchten uns hier auf die kurze Beschreibung einer experimentellen Serie zur W o r t erkennung (Kintsch, Mross, 1985: Till, Kintsch, Mross, 1988) beschränken, da deren Ergebnisse den Anknüpfungspunkt unserer Untersuchungen bilden. Experimentelle Anforderung Den Vpn wurden Sätze mit der Aufforderung „Lesen und Verstehen" dargeboten. D i e Sätze enthielten Homonyme, die die Funktion eines Priming-Wortes erhielten. Nach der Darbietung des Homonyms wurde ein Testwort präsentiert, und es war so schnell wie möglich zu entscheiden, ob es sich dabei um ein englisches W o r t handelt oder nicht. Vari-
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Z. Psychol. 198 (1990) 1
iert wurde der T y p des Testwortes und die zeitliche Distanz zwischen der Darbietung von Prime und Testwort. Ein Beispiel zur Illustration: Satz: „After an unusually heavy thunderstorm the water overflowed the bank . . . (Testwort), of the river. Variation: 1. Testworttyp: kontextgemäße Assoziation river nichtkontextgemäße Assoziation money kontextgemäße Inferenz flood Kontrollwörter pencil 2. Zeitliche Distanz zwischen Prime und Testwort: 200 ms, 300 ms, 400 ms, 500 ms, 1000 ms, 1500 ms. Ergebnisse und Interpretation Kontexteffekt Diff.(IA-AA) bzw. D i f f . ( X - AI) in m s
60.
40.
/
20.
0. * -20 200
y
x—• ' 300
' too
/
1— 500
/
/
T
1000
1500
Distanz P/T BS
Abb. 3. Beschleunigungseffekte bei der lexikalischen Entscheidung, dargestellt als Entscheidungszeitdifferenz zwischen nichtkontextgemäßen (IA) und kontextgemäßen (AA) Assoziationen (—) bzw. zwischen Kontrollwörtern (K) und Inferenzen (AI, ) in Abhängigkeit von der zeitlichen Distanz zwischen Prime und Testwort (nach Kiritsch, 1988; Till, Mross und Kintsch, 1988)
In Abbildung 3 sind wesentliche Ergebnisse zusammengefaßt dargestellt. Zwei Befunde sind hervorzuheben: 1. Bis zu einer Prime/Testwort-Distanz von etwa 400 ms zeigt sich ein Primeeffekt sowohl bei der Erkennung von kontextgemäßen als auch von nichtkontextgemäßen Assoziationen. 2 Ab 400 ms ist ein Primeeffekt nur noch für kontextgemäße Assoziationen feststellbar. 2. Erst nach einer zeitlichen Distanz von etwa 1000 ms zwischen Prime und Testwort kann für Inferenzen ein Primeeffekt nachgewiesen werden. Dies ergibt sich einerseits aus einer Differenz der Entscheidungszeiten zwischen nichtkontextgemäßen und kontextgemäßen Assoziationen, die sich nicht von Null unterscheiden, und andererseits eines Primeeffektes bei beiden Testworttypen (IA, AA) gegenüber Kontrollwörtern. Die zuletzt genannten Befunde sind in Abb. 3 nicht dargestellt (s. a. Kintsch, 1986; Kintsch, Mross, 1985). 2
17
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
Kintsch erklärt derartige Befunde durch solche Bearbeitungsphasen wie Worterkennung, Bedeutungsaktivierung, Bedeutungsselektion und nimmt eine Schätzung der zeitlichen Taktung für derartige Phasen vor. In Abbildung 4 ist diese Interpretation in einer etwas idealisierten Form (wie auch Kintsch betont) dargestellt. Aktivierung (#)
Worterkennung
Bedeutungsaktivierung
BedeutungsSelektion
Bedeutungselaborationen
Abb. 4. Zeitliche Abschätzung für Verarbeitungsphasen bei einer Wortidentifizierungsanforderung (nach Kintsch, 1986)
Die Beziehung der genannten Befunde und Interpretationen zum eingangs beschriebenen Konstruktions-Integrationsansatz wird deutlich. Die in diesem Modell angenommenen Konstruktionsphasen Worterkennung, Bedeutungsaktivierung (Elaboration von Assoziationen zu benachbarten Knoten) und Inferenzbildung (gerichtete Elaborationen) stehen prinzipiell in guter Übereinstimmung zu den genannten empirischen Daten. Ähnliches gilt für das Grundprinzip des Integrationsprozesses — eines schrittweisen, kontextgesteuerten Selektionsprozesses von Informationen. Dafür spricht die Veränderung der Primewirkung gegenüber den Testworttypen „nichtkontextgemäße Assoziation" und „Inferenz".
2. Ansatzpunkte für weiter differenzierende Fragestellungen Verschiedene empirische Befunde aus Untersuchungen unserer Forschungsgruppe führen uns zu Fragestellungen, deren Beantwortung die von Kintsch vorgestellten Annahmen in einigen Aspekten präzisieren würden. Bei der Bildung von assoziativen Verbindungen, ausgehend von aus dem Text abgeleiteten Propositionen, wird eine gleichmäßige Aktivierungsausbreitung im semantischen Netz angenommen. Dies äußert sich z. B. in der Zuordnung eines einheitlichen Wertes für die 2 Z. Psychol. 198-1
18
Z. Psychol. 198 (1990) 1
Verbindungsstärke einer Textproposition zu allen Assoziationen (s. Abb. 2 ; 0,5). Betrachtet man die Beispiele solcher assoziativer Verbindungen ( z . B . J Ä T E N — G A R T E N ; J Ä T E N — H E L F E N ) , so wird deutlich, daß eine Differenzierung in verschiedene Typen semantischer Relationen möglich ist. Bezieht man in diese Überlegung Modellannahmen von Klix (1984, 1988) zur Repräsentation von Wissen im Gedächtnis ein, so kann z. B . ein unterschiedlicher kognitiver Aufwand bei der Bereitstellung semantischer Relationen angenommen werden. 1. Die Kenntnis dieser empirisch gestützten Annahmen führt zu der Frage, ob die im Modellansatz von Kintsch (1988) beschriebenen Assoziationen als gleichwertig bezüglich des kognitiven Aufwandes zu ihrer Anregung betrachtet werden können. Gelänge es, Regeln für eine Differenzierung dieser Klasse von Begriffsbeziehungen zu begründen, ließe sich möglicherweise eine Präzisierung bei der Zuweisung der sog. assoziativen Verbindungsstärken, die entscheidend für Modellprädiktionen sind, im Ansatz von Kintsch erreichen. Eine zweite Fragestellung betrifft den Prozeß der Bereitstellung von semantischen Beziehungen aus dem Vorwissen: 2. Kann für alle im Modell von Kintsch durch Textinhalte angeregten Wissenbeziehungen Assoziationen, Inferenzen) ein gleichartiger Anregungsprozeß angenommen werden, z. B. im Sinne einer spreading-activation-Annahme? Oder ließe sich auch bezüglich der Prozedur der Erzeugung von Verbindungen zwischen Begriffen bzw. Propositionen eine Differenzierung vornehmen? Zwei Befunde sollen die Möglichkeit solcher Fragestellungen begründen. Zur Frage der Differenzierung des Aufrufs con Assoziationen Durchgeführt wurde ein Wiedererkennungsexperiment (Ankert, Beyer, 1987). Den Vpn wurde ein Text dargeboten. Anschließend wurden Worte dargeboten. Die Vpn hatten so schnell wie möglich zu entscheiden, ob das Wort im zuvor gebotenen Text enthalten war oder nicht. Registriert wurden Entscheidungszeiten und Fehler. Zu erwähnen ist, daß sich der Text aus mehreren Episoden zusammensetzte, die sich aus einem zentralen Begriff (z. B. „ U N T E R R I C H T E N " ) und Begriffen, die spezifische semantische Relationen zu jenem Begriff abbildeten (z. B . Lokation „ S C H U L E " , Finalität „ W I S S E N V E R M I T T E L N " , Handlungsträger „ L E H R E R " , Rezipient „ S C H Ü L E R " ) , konstituierten. Entscheidend war, daß diese kritischen Begriffe in Pro Positionen verankert waren, die der gleichen Hierarchieebene im Kohärenzgraphen zuordenbar waren (vgl. Kintsch, v. Dijk, 1978), als Argumente einer Textproposition betrachtet werden konnten (vgl. v. Dijk, Kintsch, 1983) oder im Sinne des Konstruktions-Integrationsansatzes als Assoziationen zu einem Ausgangsbegriff (im Beispiel zu „ U N T E R R I C H T E N " ) gekennzeichnet werden können. Das heißt, eine Prädikation für eine differenzierte Gewichtung der kritischen Textaussagen und abzuleitende Unterschiede bei Wiedererkennungs- oder Reproduktionsanforderungen würde nach diesen Konzeptionen schwierig sein. In Abbildung 5 ist das Ergebnis des Wiedererkennungsexperimentes dargestellt. Die Daten zeigen deutliche Unterschiede in der Wiedererkennungsleistung in Abhängigkeit vom Relationstyp, der vom wiedererkannten Wort abgebildet wird. Der Schluß
19
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
I^M'I Fehler
1
[Entscheidungezeit
Abb. 5. Erkennungszeiten (ET) und Fehler im Wiedererkennungsexperiment in Abhängigkeit vom Relationstyp zu erkennender Textaussagen
liegt nahe, unterschiedliche Gewichtungen für derart klassifizierte Textaussagen in der Textrepräsentation anzunehmen. Modellvorstellungen von Klix (Klix, v. d. Meer, 1984: Klix, 1988) folgend vermuten wir die Quellen für solche Differenzierungen in allgemeinen Regelhaftigkeiten bei der Strukturierung einer Wissensrepräsentation. Wir kommen auf diese Überlegung ausführlicher im dritten Abschnitt dieser Arbeit zurück. Zur Frage der Differenzierung
des Anregungsprozesses
von semantischen
Beziehungen
Zur zweiten Fragestellung soll der Vollständigkeit halber ebenfalls ein empirischer Befund angeführt werden, obwohl wir uns in dieser Arbeit auf diesen Aspekt weniger beziehen werden. Klix formuliert in seiner Modellvorstellung die Hypothese, daß bei der Bereitstellung von begrifflichen Wissen wenigstens zwei Prinzipien zu vermuten sind — Aktivierung fest gespeicherter Verbidnungen zwischen Begriffen und — die anforderungsbedingte Erzeugung von Verbindungen zwischen Begriffen über Vergleichsprozeduren (Merkmalsvergleichsprozesse). Der Befund eines von zahlreichen Experimenten, die der Klärung dieser Hypothese dienten, soll dargestellt werden. Küchler (1988) präsentierte in ihrer Untersuchung den Vpn Wortpaare auf einem Bildschirm. Die Vpn hatten so schnell und sicher wie möglich zu entscheiden, ob eine sinnvolle Beziehung zwischen den dargebotenen Begriffen existierte. Dabei wurden zwei Versuchsgruppen und zwei Typen von Wortpaaren eingesetzt: Versuchsgruppe A (VGA) — Wortpaare, deren Verbindung als über Merkmalsvergleichsprozeß erzeugt angenommen wird, Versuchsgruppe B (VGB) — Wortpaare, deren Verbindung als fest gespeichert angenommen wird. 2*
20
Z. Psychol. 198 (1990) 1
Wichtig ist, daß für beide Versuchsgruppen die gleichen Distraktoren eingesetzt wurden („sinnlose Beziehung", mit „Nein" zu beurteilende Wortpaare). Die Vergleichbarkeit der Versuchsgruppen wurden über eine Kovariable abgesichert. In Abbildung 6 ist das Ergebnis des Experiments dargestellt. ET in ms
700.
VGA - Annahme:Erzeugung über Merkmalsvergleich
650.
VGB - Annahme: feste Speicherung
600.
n.s.
550 500.
450. 400
350. 0
if JA
NEIN Antworten
Abb. 6. Mittlere Entscheidungszeiten (ET) in Abhängigkeit vom vermuteten Erkennungszeiten von Distraktoren (Nein — Antworten)
Speicherprinzip
und
Das wesentliche Ergebnis liegt im' Vergleich von „ J A " und „ N E I N " — Antworten pro Wortpaartyp: VGA — eine signifikante Differenz bei Wortpaaren deren Beziehung als über Merkmalsprozesse erzeugt angenommen wird, VGB — keine signifikante Differenz bei Wortpaaren, deren Verbindung als fest gespeichert angenommen wird. Genau diese Trennung war auf Grund der unterschiedlichen Speicherannahme zu erwarten : VGA — Bei angenommenem Merkmalsvergleichsprozeß war bei positiven Beispielen ein abbrechender Vergleichsprozeß (schnellere „JA-Entscheidung") und bei sinnlosen Beispielen eine Verlängerung des Prüfprozesses mit dem Resultat „keine gemeinsamen Merkmale" (längere „NEIN-Entscheidung") zu vermuten. VGB — bei fester Speicherung kommt es zur binären Entscheidung „sinnvolle Beziehung vorhanden/nicht vorhanden". D. h. in Abhängigkeit vom Speichertyp der zu beurteilenden Wortpaare werden unterschiedliche Entscheidungsstrategien eingeschlagen.
21
Kognitiver A u f w a n d bei Vorwissen-Anregung
Soweit nur ein Beispiel, um zu zeigen daß eine verstärkte Aufmerksamkeit auf eine unterschiedliche Genese von begrifflichen Wissen sinnvoll ist. Das ermöglicht beispielsweise eine exaktere Prädiktion des Einflusses bestimmter Bedingungsvariationen (Differenzen zwischen Merkmalssätzen, Distanzen im semantischen Netz, begrifflicher Vernetzungsgrad semantischer Relationen), was sich möglicherweise auch in einer begründeten Differenzierung von Yerbindungsstärken zwischen Begriffen äußern könnte. 3. Untersuchungen zur Differenzierung der Anregung von Vorwissensbeständen 3.1. Theoretische Grundlagen unserer Untersuchungen — ein Modellansatz Repräsentation von Wissen im menschlichen Gedächtnis
von Klix
zur
Im dritten Teil unserer Arbeit wollen wir uns näher mit der ersten im vergangenem Abschnitt aufgeworfenen Fragestellung beschäftigen — einer möglichen Differenzierung der im Ansatz von Kintsch (1988) unter der Bezeichnung Assoziationen zusammengefaßten Begriffsverbindungen. Bei der empirischen Begründung dieser Fragerichtung haben wir bereits die Grundidee unseres Denkens angedeutet. Als effektiv erwies sich eine Klassifikation von Begriffsverbindungen in verschiedene Typen semantischer Relationen und eine Unterscheidung von wenigstens zwei Speicherprinzipien entsprechender Wissensbestände im menschlichen Gedächtnis. Dabei stützen wir uns auf Modellvorstellungen von Klix (1984, 1988). Er unterscheidet zwei Arten von begrifflichem Wissen: 1. ereignisbestimmtes, stationär gespeichertes Wissen und 2. merkmalsbestimmtes, über Merkmalsvergleichsprozesse erzeugtes Wissen. Unter merkmalsbestimmtem Wissen ist Wissen über Objektklassen zu verstehen, das anforderungsabhängig durch die Anwendung von Operationen auf die Merkmalssätze der Begriffe erzeugt werden kann. Diese Klasse von Wissen betrifft z. B. die Ableitung von Ober- Unterbegriffs- oder von Nebenordnungsrelationen ( P F L A N Z E - B L U M E ; FISCHVOGEL). Der kognitive Aufwand zur Erkennung dieser Relationen sollte von der Anzahl notwendiger Merkmalsvergleichsschritte abhängen. Zahlreiche empirische Untersuchungen können zur Stützung dieser These angeführt werden (v. d. Meer, 1978; Preuß, 1986; Wolf, 1988). Bei ereignisbestimmtem Wissen handelt es sich im Unterschied dazu um die Abbildung raum-zeitlich mitbedingter Zusammenhänge der Realität im Gedächtnis. Es wird angenommen, daß Begriffe, die ereignisbestimmtes Wissen konstituieren, in bestimmten Relationen zueinander stehen und in typischen Strukturen, sog. Geschehenstypen, in unserem Gedächtnis gespeichert sind. Ein solcher Geschehenstyp besteht aus einem zentralen Ereignisbegriff, dem semantischen Kern, der um sich eine Konfiguration von semantischen Relationen aufspannt (z. B. Handlungsträger-, Rezipient-, Objekt-, Instrument-, Finalitätsrelation). Durch diese Relationen werden Merkmalssätze 3 aufgerufen, die BeD. h. diese Merkmalssätze entsprechen Selektionsbeschränkungen für den Aufruf v o n Begriffen, die eine spezifische Rolle (z. B. die des Handlungsträgers) einnehmen können.
3
22
Z. Psychol. 198 (1990) 1 MEDIZIN (a,b,c)
ARZT
(k.l.m) Instrument Handlungsträger
KSO « BEHANDLUNG Finalität
Hezipient 'Lokation
HEILUNG
PATIENT KRANKENHAUS
Abb. 7. Ereignisbegriff, gekennzeichnet durch den semantischen Kern, aufgerufene semantische Relationen mit Merkmalssatz und dem Merkmalssatz entsprechenden Begriffen (modifiziert nach Klix, 1988)
griffe binden, die potentiell diese Relation realisieren können. Abbildung 7 soll diese Überlegung veranschaulichen. Es besteht die Annahmen, daß die Aktivierung bzw. Auffindung einer Begriffsbeziehung innerhalb einer solchen Konfiguration von ihrem begrifflichen Vernetzungsgrad (Relationsstelligkeit, Relationskomplexität) abhängt. Bei zunehmendem Vernetzungsgrad müssen immer mehr benachbart gebundene Begriffe mitaktiviert werden, um die Relation als sinnvoll zu erkennen. Verschiedene Untersuchungen zeigten beispielsweise, daß eine Handlungsträger- und eine Lokationsrelation (Stelligkeit 1 bis 2) in der Regel allein als sinnvolle Beziehung akzeptiert werden, während eine solche Entscheidung bei einer Rezipient-, Objekt- oder Instrumentbeziehung (Stelligkeit 2) jeweils die Aktivierung einer weiteren Relation und bei einer Finalitätsbeziehung (Stelligkeit 3) die Aktivierung von wenigstens zwei weiteren Relationen erfordert (v. d. Meer, 1978; Klix, Preuß, v. d. Meer, 1984; Schmieschek, 1988). Ausgehend von dieser Grundidee können U.E.Hypothesen nicht nur zur Prädiktion des kognitiven Aufwandes bei der Erkennung derartiger Begriffsbeziehungen (z. B. geprüft über die Akzeptierung von Beziehungen innerhalb von Wortpaaren) abgeleitet werden4, sondern auch zur Prädiktion von Phänomenen bei komplexeren Anforderungen. Beispielsweise haben wir bezüglich eines Textreproduktionsexperimentes folgende Annahme formuliert und geprüft: Auf Grund der angenommenen Wissenstruktur sollten bei Aktivierung bzw. Reproduktion einer Finalitätsaussage auch Handlungsträger und Objektbeziehung angeregt und reproduziert werden. Umgekehrt erfordert die Aktivierung einer Handlungsträgerrelation nicht zwingend die Anregung der Finalität. D. h. die Wahrscheinlichkeit für die korrekte Reproduktion von Handlungs« V. d. Meer (1978), Puffe ( 1 9 8 0 ) , Preuß (1986) und Schmieschek (1989) konnten in derartigen Untersuchungen einen steigenden zeitlichen Aufwand mit zunehmender Stelligkeit feststellen.
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Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-AnregUng
träger-Text aus sagen sollte größer sein als die für Finalitätsaussagen. Diese Annahme konnte durch entsprechende Befunde in Reproduktionsexperimenten gestützt werden (höchste Reproduktionsleistung für Handlungsträger, geringste Reproduktionsleistung für Finalität). Das damit in guter Übereinstimmung stehende Ergebnis eines nach der gleichen Grundidee aufgebauten Wiedererkennungsexperimentes hatten wir im zweiten Abschnitt dargestellt (Abb. 5). Eine mögliche Schlußfolgerung aus diesen Experimenten liegt in der Annahme eines unterschiedlichen kognitiven Aufwandes bei der Anregung von ereignisbestimmten Wissen, ausgehend vom semantischen Kern (Ereignisbegriff) und in Abhängigkeit vom begrifflichen Yernetzungsgrad semantischer Relationen — höherer kognitiver Aufwand bei der Bereitstellung von Begriffsbeziehungen höherer Komplexität, da ihre Verfügbarkeit die Anregung einer oder mehrer anderer Relationen voraussetzt. Dieser erhöhte Aufwand kann sich in der Fehleranfälligkeit bei der notwendigen Nutzung derartiger Wissensstrukturen oder auch in einer späteren Verfügbarkeit äußern (Abb. 5). Ein andere Aspekt ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert. In Untersuchungen zur Erfassung von Vorwissensstrukturen (Ankert, Beyer, 1987; Strukturlegetechniken, Urteilsmethodiken, Reproduktionsexperimente) zeigte sich, daß vor allem über Relationen höheren Vernetzungsgrades (Finalität, Kausalität, Zeit-Relation) Verbindungen zwischen Ereignissen realisiert werden und Begriffe, die eine Finalitäts- oder Kausalrelation realisieren, gleichzeitig die Funktion eines semantischen Kerns in einem benachbarten Geschehenstyp einnehmen (Abb. 8). 5 KRIMINALIST
ERMITTLUNGSORT
VERDÄCHTIGER
METHODEN
ANGEKLAGTER
RICHTER
BEWEISE
GERICHT
Abb. 8. Aus Assoziations- und Strukturlegeversuchen gewonnene Hinweise zu Begriffsverknüpfungen
Aus diesem Grund erscheint es uns sinnvoll zwei Gruppen ereignisbestimmter semantischer Relationen zu unterscheiden: 1. Ereignisgebundene Relationen — Dazu zählen wir die Handlungsträger-, die Lokations-, die Rezipient-, Objekt- und die Instrumentbeziehung. Sie stehen in engem Zusammenhang zum semantischen Kern und machen ähnlich einem Merkmalssatz bei Objektbegriffen dessen Bedeutung aus. In Konsequenz solcher Überlegungen schlägt Klix neben Objekt- und ereignisklassifizierenden Begriffen eine Abgrenzung von Begriffen, die Ereignisfolgen charakterisieren, vor.
5
24
Z. Psychol. 198 (1990) 1
2. Ereignisverweisende Relationen — Dazu zählen wir die Relationen mit höherem begrifflichen Vernetzungsgrad (z. B. Finalität, Kausalität, Konditionalität). Sie verweisen in d e r Regel auf einen anderen Ereignisbegriff und regen einen breiteren Ausschnitt semantischen Wissens an. 3.2.
Experiment 1
3.2.1. Fragestellung, Hypothesen und methodische Vorgehensweise Die beschriebene Vorstellung zur R e p r ä s e n t a t i o n ereignisbestimmten Wissens wollten wir durch eine methodische Variation erneut prüfen und weiter präzisieren. Dabei sollte auch eine Vergleichbarkeit zu den im ersten Abschnitt dargestellten E x p e r i m e n t e n und den dort geprüften A n n a h m e n von Kintsch (1988) erreicht werden. Es ging uns speziell u m eine exaktere P r ü f u n g der bisher implizit mitschwingenden Annahmen : 1. daß schon der Aufruf des Ereignisbegriffs bzw. des semantischen Kerns (d. h. eines Teils der typischen S t r u k t u r ereignisbestimmten Wissens) semantische Relationen zu anderen, nicht explizit dargebotenen Begriffen dieser Konfiguration intern angeregt u n d verfügbar sind u n d 2. daß sich der kognitive A u f w a n d beim Aufruf ereignisbestimmter Relationen u n t e r scheidet — höherer kognitiver A u f w a n d , verursacht durch die Anregung umfangreicherer Wissensstrukturen bei ereignisverweisenden Relationen im Vergleich zu ereignisgebundenen Relationen. Die Folge davon m ü ß t e eine spätere Verfügbarkeit ereignisverweisender Relation sein. Bezogen auf den Modellansatz von Kintsch (1988) zielten wir also auf eine Differenzierung der G r u p p e „kontextgemäße Assoziationen" in zunächst zwei G r u p p e n a b (s. a. K a p i t e l 1.2. bzw. 2.). Als Untersuchungsmethodik n u t z t e n wir eine spezielle Primetechnik verbunden mit einer Wiedererkennungsanforderung. Dabei ließen wir uns von der m e t h o dischen Vorgehensweise v o n Till, Mross, Kintsch (1988) u n d von McKoon, Ratcliff (1986) anregen. Folgende Versuchsanforderung w u r d e gewählt. Den Vpn wurde eine Vorinformation in Form eines Satzes auf einem Bildschirm dargeboten. Dieser Satz enthielt ein W o r t , d a s einen Ereignisbegriff (semantischen Kern) abbildete. U n m i t t e l b a r d a n a c h erschien ein Testwort und die Vpn h a t t e n so schnell wie möglich zu entscheiden, ob dieses Wort im zuvor dargebotenen Satz e n t h a l t e n war oder nicht. Zwei Bedingungen wurden variiert: 1. Grad der semantischen Beziehung zwischen Ereignisbegriff im Vorinformationssatz u n d Testwort in zwei S t u f e n : A — semantische Beziehung vorhanden, B — semantische Beziehung nicht vorhanden. 2. Die Art der semantischen Beziehung zwischen Ereignisbegriff und Testwort u n t e r Bedingungen 1. A : 1. über eine ereignisgebundene Relation (Rezipient (REZ)-, Objekt (OBJ)- oder I n s t r u mentrelation (INSTR)), 2. über eine ereignisverweisende Relation (Finalität (FIN), Kausalität (KAUS) oder Konditionalität (KOND)).
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Kognitiver A u f w a n d bei Vorwissen-Anregung
Zusätzlich wurde eine Kontrollbedingung eingeführt, bei der sowohl im Fall 1. A als auch im Fall i . B keine semantische Beziehung bestand. In Tabelle II ist ein Beispiel dargestellt. T a b . II. A n g a b e n zum Versuchsmaterial für E x p e r i m e n t 1 A Semantische Beziehung vorhanden
B Semantische Beziehung nicht vorhanden
Herr N e u m a n n behandelt den Patienten. Instrument Medikament
Herr Neumann h a t eine hohe Qualifikation.
Herr N e u m a n n h a t eine hohe Qualifikation.
T.
Herr N e u m a n n behandelt den Patienten. Finalität Heilung
Kontrollbedingung
T.
Birne
Birne
V. = Vorinformation,
T.
= Testwort
Ereignisgebundene Relation
V.
T. Ereignis verweisende Relation
V.
Medikament
Heilung
Es ist zu betonen, daß die Vpn bei allen in der Tabelle dargestellten Kombinationen mit „ N E I N " (Testwort war nicht im Satz enthalten) reagieren mußten. Wichtig ist weiterhin, daß unter Bedingung A die gleichen Testwörter wie unter Bedingung B verwendet wurden. Darüber hinaus wurden natürlich auch in ausgewogener Menge Distraktoren dargeboten, auf die mit „ J A " (Testwort im Satz vorhanden) zu reagieren war. 6 In einem Vortest, in dem die motorische Reaktion und Lesezeiten für vergleichbar lange Sätze erfaßt und miteinander verrechnet wurden, ermittelten wir pro Vp individuelle Darbietungszeiten für die Vorinformationssätze. Von besonderem Interesse waren für uns in diesem Experiment die Zeiten, die unter den genannten Bedingungen zu einer Ablehnung des Testwortes führen mußten. Folgende Hypothesen können dazu genannt werden: 1. Bei Darbietung der Vorinformation unter Bedingung A (Beziehung zwischen Ereignisbegriff in der Vorinformation und Testwort vorhanden) sollte, ausgehend vom Ereignisbegriff, eine Konfiguration semantischer Relationen intern angeregt werden. Dabei erfolgt auch die Anregung solcher Relationen, die nicht explizit im Satz angeboten wurden. Wenn dann ein die entsprechenden Selektionsbeschränkungen erfüllender, durch ein Wort symbolisierter Begriff erscheint, sollte die Entscheidung, daß dieses Wort nicht 6 In diesem E x p e r i m e n t wurden neben einem kritischen Testwort (ereignisgebunden, ereigmsverweisend) fünf weitere Testwörter pro Vorinformationssatz d a r g e b o t e n , darunter das Kontrolltestwort und Distraktoren ( „ J A " und weitere „ N E I N " Antworten). In die entscheidenden Auswertungen k a m e n nur die Fälle, in denen d a s kritische Testwort unmittelbar nach dem Vorinformationssatz g e b o t e n wurde. Auf ein methodisches Problem dabei kommen wir noch zurück.
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Z. Psycho!. 198 (1990) 1
im Vorsatz enthalten war, erschwert sein. Eine derartige Schwierigkeit ist unter Bedingung B nich tzu erwarten (keine Beziehung zwischen Vorinformation und Testwort). Daraus folgt: Die Ablehnung der Testwörter müßten unter Bedingung A mehr Zeit erfordern als die Ablehnung der gleichen Testwörter unter Bedingung B.7 2. Die Voraktivierung von ereignisverweisenden Relationen sollte im Vergleich zu ereignisgebundenen Relationen einen höheren kognitiven Aufwand, also mehr Zeit zur Bereitstellung der entsprechenden Information erfordern. Ihre Verfügbarkeit setzt die Anregung einer oder mehrerer anderer Relationen voraus. Deshalb erwarten wir, daß der unter 1. genannte Verzögerungseffekt gegenüber Bedingung B bei Testwörtern, die ereignisgebundene Relationen realisieren, stärker ausgeprägt ist als bei Testwörtern, die ereignisverweisende Relationen abbilden. 3.2.2. Ergebnisse und Diskussion Betrachten wir nun die Ergebnisse geordnet nach den Hypothesen. An Abbildung 9 sind die Entscheidungszeiten zur Ablehnung der Testwörter unter Bedingung A (sinnvolle Beziehung zwischen Vorinformationssatz und Testwort) und Bedingung B (sinnlose Beziehung) eingetragen. ET i n ms 800 .
750.
v
sig*
700. 650.
•
1 n
Bedingung A sem.Beziehung vorhanden
Bedingung B sem.Beziehung n i c h t vorhanden
Abb. 9. Vergleich der Entscheidungszeiten zur Ablehnung unter Bedingung A und B
Es tritt eine signifikante Verzögerung der Entscheidungszeit für die Ablehnung der Testwörter unter Bedingung A im Vergleich zu Bedingung B ein. Beim Vergleich der Entscheidungszeiten unter der Kontrollbedingung ist keine signifikante Differenz zwischen Bedingung A und B feststellbar (25 ms). Prüfen wir nun Verzögerungseffekte in Abhängigkeit von der Art der semantischen Be7
Bei der Kontrollbedingung sollte keine Verzögerung auftreten.
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
27
Differenz ET(A)-BT(B) i n bs
150 100
50
Relationstyp -50.
31g.
sig.
sig.
n.s.
REZ
OBJ
INSTR
PIN
Ereignisgebundene Relationen
n.s. KAUS
KOND
Ereignisverweisende Relationen
Abb. 10. Verzögerungseffekte unter Bedingung A bezüglich Bedingung B in Abhängigkeit vom Relationstyp zwischen Ereignisbegriff im Vorinformationssatz und Testwort (mittlere paarweise Differenz: Entscheidungszeit (Bedingung A) — Entscheidungszeit (Bedingung B))
ziehung zwischen Ereignisbegriff im Vorinformationssatz und Testwort, d. h. getrennt für ereignisverweisende und ereignisgebundene Relationen (Abb. 10). Ein Verzögerungseffekt tritt nur ein, wenn die Beziehung zwischen Vorinformation und Testwort über eine ereignisgebundene Relation geknüpft werden kann. Damit sprechen die Ergebnisse im wesentlichen für unsere Hypothesen, d. h. für die interne Anregung von ganzen Konfigurationen ereignisbestimmten Wissens, und dafür, daß diese Anregung in Abhängigkeit vom Typ der semantischen Relation unterschiedlichen Aufwand erfordert. 3.2.
Experiment 2
3.3.1. Fragestellung und Versuchsdurchführung Problematisiert werden] kann, daß im Experiment 1 keine signifikante Verzögerung bei er^ignisverweisenden Relationen beobachtet werden konnte. Betrachten wir unsere zweite Hypothese genau, so haben wir eigentlich nur eine geringere Verzögerung bei diesen Relationen im Vergleich zu den ereignisgebundenen Relationen erwartet. Diese Diskrepanz ist zu prüfen. Bleiben wir bei unserer Grundidee eines Ordnungsprinzips bei der Anregung von ereignisbestimmten Relationen in Abhängigkeit vom kognitiven Aufwand, daß sich in unterschiedlichen Zeiten zur Bereitstellung dieses begrifflichen Wissens äußern kann, so müßte eine Variation der Anregungszeit (also z. B. der Darbietungszeit für den Vorinformationssatz) auch zu einer Modifikation der im Experiment 1 ermittelten Verzögerungseffekte führen. Folgende Veränderungsrichtungen sind danach zu erwarten: 1. Mit einer Verlängerung der Vorinformationsdarbietungszeiten müßten in zunehmenden Maße auch Begriffe angeregt werden, die durch ereignisverweisende Relationen ge-
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Z. Psychol. 198(1990) 1
bunden sind und zu ihrer Bereitstellung einen erhöhten kognitiven Aufwand erfordern. Dies sollte sich, bezogen auf unsere Methodik, in einer beginnenden Verzögerung der Ablehnungszeiten auch bei ereignisverweisenden Relationen niederschlagen. 2. Andererseits gehen wir davon aus, daß auch die Aktivierung von ereignisgebundenen Relationen einen gewissen kognitiven Aufwand erfordert. Dies kann sich darin äußern, daß sich bei einer Verkürzung der Darbietungszeit des Vorinformationssatzes die Verzögerung der Ablehnung bei ereignisgebundenen Relationen stark verringert. Zur Prüfung dieser Hypothesen variierten wir in einem zweiten Experiment, das einen ähnlichen methodischen Aufbau hatte wie Experiment 1, die Darbietungszeiten für die Vorinformationssätze in zwei Stufen; kurze Darbietungszeit — 900 ms, lange Darbietungszeit — 1800 ms. Bei der Festlegung dieser Zeiten stützten wir uns auf die Ergebnisse von Voruntersuchungen. Bei Experiment 1 wurde von der Mehrzahl der Vpn spontan 8 eine Vorinformationszeit zwischen 1200 und 1500 ms realisiert. Bei einer gesonderten Analyse von den Vpn, bei denen Darbietungszeiten außerhalb dieses Zeitbereiches festgestellt werden konnten (1. Extremgruppe: 800—1000 m s ; 2. Ex-tremgruppe; 1600—2000 ms), zeichneten sich die oben vermuteten Veränderungen des Verzögerungseffektes ab. Deshalb wählten wir den mittleren Wert dieser Extremgruppen für die fest gesetzte kurze (900 ms) und die lange Darbietungszeit für den Vorinformationssatz (1800 ms) in Experiment 2. Ein Rückschluß auf absolute Aktivierungszeiten war damit zunächst nicht angestrebt. In Tabelle III ist zur Veranschaulichung noch einmal ein Beispiel für Versuchsmaterial und Versuchsanforderung dargestellt. Im Unterschied zu Experiment 1 wurden die Distraktoren nicht durch mehrere TestwortT a b . I I I . Angabeil z u m Versuchsmaterial und zur Versuchsanforderung für E x p e r i m e n t 2
Ereignisgebundene Relation
Ereignis-verweisende Relation
A
B
Semantische Beziehung vorhanden
Semantische Beziehung nicht vorhanden
K a r l untersucht im Sprechzimmer. Patient (nein)
Bodo zieht die Hose an.
D
Carola stillt das süße B a b y . Baby (ja)
B r i t t a holt d a s B a b y ab. Baby (ja)
VI
Dirk k ä m p f t mit seinem Gegner. Siegen (nein)
Norbert steht wieder im Streß. Siegen
Die Warnung spricht Uta aus. Warnung (ja)
Die Warnung betrifft Florian. Warnung (ja)
VI
D
Patient (nein)
(nein)
V I = Versuchsitem, D = Distraktor In E x p e r i m e n t 1 arbeiteten wir mit individuellen Darbietungszeiten für die Vorinformationssätze. Die Zeiten wurden in einem Vorversuch ermittelt.
8
29
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
darbietungen pro Versuchssatz realisiert, sondern über
Vorinformationssatz/Testwort-
kombinationen, in denen das Testwort im Gegensatz zur Versuchsbedingung im Vorinformationssatz enthalten war ( „ J A " Antwort). Durch die Variation der Darbietungszeit für die Vorinformationssätze in zwei Stufen war die zweimalige Bearbeitung des Versuchsmaterials notwendig. Der Versuch wurde in zwei Sitzungen durchgeführt (Abstand etwa 14 Tage). Alle Versuchspersonen bearbeiteten alle Items bei kurzer und langer Darbietungszeit. Dabei war das Versuchsmaterial in beiden Sitzungen identisch. Ausbalanciert wurde die Reihenfolge von kurzer und langer Darbietungszeit. 3.3.2. Hypothesen, Ergebnisse und Diskussion Spitzen wir die Hypothesen noch einmal direkt bezogen auf Experiment 2 zu. Entsprechend unseren Vorüberlegungen erwarteten wir, daß sich bei kurzer Darbietungszeit auch bei ereignisgebundenen Relationen zwischen Vorinformationssatz und Testwort keine oder nur eine geringe Verzögerung der Ablehnung des Testwortes bei Bedingung A gegenüber der Ablehnung des gleichen Testwortes unter Bedingung B zeigt. Bei verlängerter Darbietungszeit des Vorinformationssatzes sollte sich dagegen ein deutlicher Verzögerungseffekt bei ereignisgebundenen Relationen und zumindest die Tendenz zur Verzögerung bei ereignisverweisenden Relationen abzeichnen. In Abbildung 11 und 12 sind die Ergebnisse von Experiment 2 dargestellt. Bei kurzer Darbietungszeit
des Vorinformationssatzes können keine signifikanten Ver-
zögerungseffekte nachgewiesen werden. Dies gilt sowohl für ereignisgebundene als auch Differenz ET(A)-ET(B) in m s
kurze Darbietungszeit
60.
40.
20. Relationstyp -20.
n.s. REZ INSTR OBJ Ereignisgebundene Relationen
n.s. KAUS KOND Ereignisverweisende Relationen n.e. PIN
A b b . 11. Verzögerungseffekte bei der Ablehnung unter Bedingung A bezogen auf Bedingung B in Abhängigkeit v o m Relationstyp zwischen Vorinformation und Restwort bei kurzer Darbietungszeit für den Vorinformationssatz (900 ms)
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Differenz ET(A)-ET(B) in ms
lange Dartiietungszeit
80
60
20
0 •20 . I
sig.
sig.
sig.
n.s.
HEZ OBJ
INSTR
FIN
KAUS KOND
Ereignisgebundene Relationen
Relationstyp
Ereignisverweisende Relationen
Abb. 12. Verzögerungseffekte bei langer Darbietungszeit für den Vorinformationssatz (1800 ms)
für ereignisverweisende Relationen. Eine Veränderung des Bildes zeigt sich bei einer Verlängerung der Darbietungszeit für den Vorinformationssatz; signifinante Verzögerungseffekte bei den verwendeten ereignisgebundenen Relationen (INSTR, REZ, OBJ) und zum Teil signifikante Verzögerungen der Ablehnung bei den ereignisverweisenden Relationen (sign. Differenz bei der Finalitätsrelation). 9 Es ist hier noch einmal zu erwähnen, daß bei Experiment 1 bei der Mehrzahl der Vpn eine Vorinformationsdarbietungszeit zwischen 1200 und 1500 ms realisiert wurde. Es handelte sich also um eine Darbietungszeit, die zwischen den in Experiment 2 gewählten Extrembereichen liegt. Dort zeigte sich ein Verzögerungseffekt zunächst nur bei ereignisgebundenen Relationen (REZ, O B J , INSTR, s. Abb. 10). Betrachtet man die Befunde beider Experimente im Zusammenhang, so ergibt sich das Bild einer schrittweisen Ausbildung des Verzögerungseffektes. Damit können wir die Ergebnisse als Hinweise für die Gültigkeit der zugrundeliegenden Annahmen zur Repräsentation und zum Abruf von ereignisbestimmtem Wissen werten. Das betrifft insbesondere die beiden folgenden Aussagen: 1. Es wird ein Ordnungsprinzip bei der Representation von ereignisbestimmtem Wissen in Form typischer Konfigurationen angenommen. Derartige Strukturen wurden als Geschehenstypen bezeichnet, die durch einen zentralen Ereignisbegriff gekennzeichnet sind, der semantische Relationen zu anderen Begriffen aufspannt. Es wird hier eine stationäre Repräsentation angenommen. Davon läßt sich die Anregung von ganzen Die absolut betrachtet geringeren Beträge der Verzögerung im Vergleich zu Experiment 1 führen wir auf die Reduktion der Komplexität der Anforderung bei Experiment 2 zurück (pro Vorinformationssatz nur ein Testwort). Damit konnte der möglicherweise verzerrende Einfluß der Bearbeitung anderer Testwörter in unmittelbarem Zusammenhang mit den kritischen Testwörtern ausgeschlossen werden.
9
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregüng
31
Begriffskonfigurationen, ausgelöst durch die explizite Darbietung von Ereignisbegriffen bzw. Ausschnitten ereignisbestimmten Wissens, ableiten. Für diese Annahme spricht in unseren Experimenten die Verzögerung bei der korrekten Ablehnung der Zugehörigkeit von Begriffen, die nicht explizit im dargebotenen Wissensabschnitt geboten wurden jedoch über spezifische ereignisbestimmte Relationen an den explizit gebotenen Ereignisbegriff gebunden waren. 2. Ein zweiter Aspekt betrifft die Annahme eines unterschiedlichen kognitiven Aufwandes beim Aufruf ereignisbestimmter Relationen. Hier gingen wir von der Überlegung aus, daß Relationen mit höherem begrifflichem Vernetzungsgrad, die von uns sog. ereignisverweisenden Relationen gegenüber ereignisgebundenen Relationen zu ihrer Bereitstellung einen erhöhten kognitiven Aufwand erfordern. Dieser erhöhte kognitive Aufwand sollte u. E. einerseits aus der zuvor notwendigen Anregung von ereignisgebundenen Relationen und/oder durch die Anregung zusätzlicher Geschehenstypstrukturen resultieren. Als Folge des unterschiedlichen Umfangs und Typs von Wissen, der zur Realisierung von ereignisgebundenen und ereignisverweisenden Relationen angeregt werden m»ß, vermuteten wir auch eine entsprechend unterschiedliche zeitliche Verfügbarkeit von ereignisgebundenen und ereignisverweisenden Relationen. Diese Annahme wird insbesondere durch eine Differenzierung der oben genannten Verzögerungseffekte in Abhängigkeit vom begrifflichen Vernetzungsgrad ereignisbestimmter Relationen und durch die Hinweise zum zeitlichen Verlauf bei der Entstehung dieser Verzögerungseffekte gestützt. Es sei hier nur am Rande erwähnt, daß wir diesen Befund auch in einem weiterführenden Experiment bestätigen konnten, dem die gleichen Annahmen zugrunde lagen, das sich in der Anforderung jedoch mehr der Komplexität der „Aufgabe Textverstehen" näherte. Die Vpn hatten Kurztexte zu lesen. Dabei wurde in einem der Sätze ein Ereignisbegriff genannt. Ein nachfolgender Satz enthielt entweder einen Begriff, der eine ereignisgebundene, oder einen Begriff, der eine ereignisverweisende Relation zum Ereignisbegriff im zuvor genannten Satz realisierte. Diese Relationen waren im erstgenannten Satz nicht explizit dargeboten worden. In einer Kontrollbedingung wurde die ereignisgebundene bzw. ereignisverweisende Relation bereits im Satz, der den Ereignisbegriff enthielt, explizit dargeboten. Gemessen wurden die Lesezeiten für den Satz, der implizit (Versuchsbedingung) oder explizit (Kontrollbedingung, Argumentüberlappung) bezug zum Satz mit dem kritischen Ereignisbegriff hatte. Im Ergebnis zeigte sich, daß sich im Vergleich zur Kontrollbedingung (expliziter Bezug) bei implizitem Bezug über eine ereignisgebundene Relation keine signifikante Differenz in der Lesezeit zeigte, während bei impliziten Bezug über eine ereignisverweisende Relation eine Verlängerung der Lesezeit festzustellen war. Dies steht in guter Übereinstimmung mit den Befunden, die im Mittelpunkt dieser Arbeit standen und verweist auf ihre Relevanz bei Textverstehensanforderungen.10 Bezüglich der eingangs beschriebenen Modellkonzeption von Kintsch (1988) werten wir unsere Befunde als einen Hinweis auf eine Differenzierung der von ihm verwendeten Interessant ist dieser letzte Befund auch in Bezug zu Experimenten von Sanford (1985) und Garrod (1985), da sie deren Ergebnisse u. E . präzisieren. 10
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Z. Psychol. 198 (1990) 1
Gruppe von Assoziationen bzw. Elaborationen. Dies betrifft insbesondere den Aspekt der zeitlichen Verfügbarkeit derartiger Assoziationen. Ein wesentliches Kriterium zur Differenzierung ist entsprechend unseren Befunden der Typ der in der assoziativen Verknüpfung realisierten semantischen Relation. Hinter dieser Differenzierung steckt die Überlegung, daß die im Modell von Kintsch unterstellte „spreading-activation" im strengen Sinne nicht anzunehmen ist, sondern daß es sich in der Regel um eine in unterschiedlichem Grade gewichtete Aktivierung handelt. Die auf speziellen Annahmen zur Repräsentation von ereignisbestimmtem Wissen im Gedächtnis beruhende Klassifikation kann möglicherweise ein Mittel zu einer besser begründeten Festlegung der im Modell von Kintsch notwendig zu bestimmenden Verbindungsstärken zwischen Begriffen sein. Literatur Ankert, H.-G.; Beyer, R . : Untersuchungen zur Textverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung von Vorwissenseinflüssen. Z. Psychol. 195 (1987) 385-399. Artz, E . : Untersuchungen zur Aktivierung von Vorwissen. Humboldt-Universität. Dipl. Arb. Berlin 1989. (unveröffentl.). Beyer, R . : Untersuchungen zur Textverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung des Modells von Kintsch und v. Dijk (1978). Z. Psychol., Suppl. 8 (1987) 1 - 9 6 . Dijk, T. A. v . ; Kintsch, W.: Strategies of Discours Comprehension. New York 1983. Garrod, S. C.: Incremental Pragmatic Interpretation versus Occasional Inferencing during Fluent Reading. In: Inferences in Text Processing. Hrsg.: Rickheit, G . ; Strohner, H. Amsterdam 1985. Guthke, T . : Inferenzen beim Textverstehen. Humboldt-Universität. Dipl. Arb. Berlin 1988. (unveröffentl.). Kintsch, W.: The Representation of knowlege and the use of knowledge in Discourse Comprehension. Technical Report 152. University of Colorado 1986. Kintsch, W.: The role of knowledge in Discourse Comprehension: A Construction-Integration Model. Psychol. Rev. 95 (1988) 163-182. Kintsch, W.; Dijk, T. A.: Toward a model of text comprehension and production. Psychol. Rev. 85 (1978) 364-394. Kintsch, W.; Mross, E. F . : Context effects in word identification. J . Mem. Lang. 24 (1985) 336—349. Klix, F . : Über Erkennungsprozesse im menschlichen Gedächtnis. Z. Psychol. 192 (1984) 18—46. Klix, F . : On the role of knowledge in sentence comprehension. Z. Psychol. 196 (1988) 113—128. Klix, F . ; Meer, E. v. d.: Über Begriffsbeziehungen: Untersuchungen an Organisationsformen der menschlichen Gedächtnistätigkeit. Wiss. Zeitschr. der Humboldt-Universität. Math.-Naturwissenschaftl. Reihe 6. Berlin 1984. Klix, F . ; Meer, E. v. d.; Preuß, M.: Semantische Relationen: Erkennungsaufwand und psychophysiologische Reaktionstendenzen. In: Gedächtnis, Wissen, Wissensnutzung. Hrsg.: Klix, F . B e r l i n 1984. Klix, F . ; Meer, E. v. d.; Preuß, M.; Wolf, M.: Über Prozeß- und Strukturkomponenten der Wissensrepräsentation beim Menschen. Z. Psychol. 195 (1987) 39—61. Küchler, E . : Untersuchungen zur Aktivierung von Wissensstrukturen im menschlichen Gedächtnis. Z. Psychol. 196 (1988) 129-145. Preuß, M.: Experimente über Relationserkennungen im menschlichen Langzeitgedächtnis. HumboldtUniversität. Diss. A. Berlin 1986. (unveröffentl.). McKoon, G.; Ratcliff, R . : Inferences about predictable events. J . Exp. Psychol. Learn. Mem. Cognit. 12 (1986) 82-92. Meer, E. v. d.: Über das Erkennen von Analogien. Humboldt-Universität. Diss. A. Berlin 1978. (unveröffentl.). Puffe, H.: Untersuchungen zur Unterscheidbarkeit semantischer Relationen im menschlichen Langzeitgedächtnis. Humboldt-Universität. Dipl. Arb. Berlin 1980. (unveröffentl.).
Kognitiver Aufwand bei Vorwissen-Anregung
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Sanford, A. J . : Aspects of Pronoun Interpretation: Evaluation of Search Formulations of Inference. I n : Inferences in Text Processing. Hrsg. : Rickeit, G. ; Strohner, H. Amsterdam 1985. Schmieschek, M. : Untersuchungen zur S t r u k t u r des semantischen Gedächtnisses. Humboldt-Universität. Diss. A. Berlin 1989. (unveröffentl.). Till, E. R. ; Mross, E. F. ; Kintsch, W. : Time Course of Priming for Associate and Inference Words in a Discourse Context. 1988. (im Druck). Wolf, M.: Prozedurale Erkennungsmechanismen von Begriffsbeziehungen. Humboldt-Universität. Diss. A. Berlin 1989. (unveröffentl.).
Z. Psychol. 198 (1990) 3 3 - 3 4
J . A. Barth, Leipzig
Buchbesprechungen Ernst, K . : Praktische Klinikpsychiatrie. 2., neubearb. und erw. Aufl. 254 S., 13 x 2 1 cm. Berlin — Heidelberg — New York — London — Paris — Tokyo — Hong Kong: Springer-Verlag 1988. Broschiert 39,50 DM. Das Buch versteht sich als praktischer Ratgeber für alle, die im K o n t a k t mit Patienten in psychiatrischen Kliniken arbeiten (Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal, Fürsorger, Arbeits- Und Physiotherapeuten). Es ist aber auch — dank seiner sprachlichen Gestaltung und eines angefügten Kurzlexikons der Fachaüsdrücke — von Laien, insbesondere Patienten und Angehörigen mit Gewinn zu lesen. Die behandelten Themen sind sehr vielgestaltig. Eine zufällige und unvollständige Aufzählung mag das verdeutlichen: Einstellung zum Kranken, übersehene Krankheiten, Intelligenz- und Gedächtnisprüfung, Suizidrisiko, Aufnahme und Entlassung, Duldung von Lärm ijnd Tabakqualm, Exil und Asyl in der geschlossenen Abteilung, Arbeitstherapie, Psychodiagnostische Tests, Formen und Regeln des psychiatrischen Gesprächs, Behandlung mit Psychopharmaka, Information und Diskretion, Gewalt und Liebe in der Psychiatrischen Klinik. Natürlich können ca. hundert solcher Themen in einem Buch n u r angerissen werden. Der Schwerpunkt ihrer Behandlung sind — von ärztlichen und pflegerischen Problemsituationen ausgehend — Empfehlungen f ü r die tägliche Arbeit der Klinikmitarbeiter, die auf Literaturkenntnissen Und umfangreichen eigenen Erfahrungen des Verfassers beruhen. So können häufige und folgenreiche Fehler im Umgang mit psychisch Kranken vermieden werden. Dabei wird auf häufig Übersehenes hingewiesen, z. B. die Belastung von Kindern bei Erkrankungen der Eltern, und viele bedenkenswerte Ratschläge z. B. f ü r die Gestaltung von Visiten oder zur Gesprächsführung werden erteilt. Themen wie Fixierung, Isolierung und Zwangsinjektion bei psychiatrischen Patienten wurden nicht ausgespart. Wenn sich auch nicht jeder Kliniker vorbehaltlos allen Auffassungen des Autors wird anschließen können (schon auf Grund unterschiedlicher Erfahrungshintergründe und Rahmenbedingungen des klinischen Alltags ist das nicht zu erwarten), so verdienen die Empfehlungen Und Richtlinien im ganzen Beachtung — zum Nutzen der Patienten. F. Kukla (Berlin)
3 Z. Psycho). 198-1
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Holding, D. H.: Human Skills. 2. Aufl. 334 S., 59 Abb., 1 Tab., 1 8 x 2 7 cm. Chichester: John Wiley & Sons 1989. Wiley Series in Human Performance. Karton 34,95 L . Innerhalb der wertvollen Wiley-Serie zur menschlichen Leistungsfähigkeit legte D. H. Holding mit einer Gruppe kompetenter Autoren die 2. Auflage des hochinformativen Sammelbands zu psychomotorischen Verrichtungen vor. Gegenüber der 1. Auflage wurden einige Kapitel gänzlich ausgetauscht und alle anderen gründlich überarbeitet, wobei den Aspekten der kognitiven Regulation diskreter und kontinuierlicher psychomotorischer Fertigkeiten vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Von Holding vorzüglich überblicksartig eingeleitet und mit einem perspektivischen Ausblick abgeschlossen, werden in elf gut abgestimmten Kapiteln die wesentlichen Schwerpunkte zum aktuellen Erkenntnisstand über menschliche psychomotorische Verrichtungen in einer auf Erklärung der Sachverhalte und Regelhaftigkeiten orientierten Weise dargestellt. Hauptinhalte betreffen: Arten von psychomotorischen Leistungen und die grundsätzlichen einschlägigen Forschungsgegenstände; sensumotorische Rückkoppelungen, motorische Programme; bewußte Zuwendung und psychisch automatisierte psychomotorische Leistungen; diskrete (diskontinuierliche) Bewegungskomplexe; ihre Phasen und Fehler; sequentielle Bewegungskomplexe unter besonderer Beachtung ihrer zeitlichen Regulation; Führungs-(Tracking-) Bewegungen einschließlich geeigneter Anzeige- sowie Stellteile; Erlernen psychomotorischer Verrichtungen einschließlich relevanter Lerntheorien; „kognitiv zentrierte" psychomotorische Verrichtungen, speziell Schreiben mit Hand bzw. Maschine, Sprechen und musikalische psychomotorische Aktivitäten; psychomotorische Fertigkeiten bei sensorisch bzw. motorisch Behinderten; Formen der und Erkenntnisse aus (vorübergehenden) Störungen psychomotorischer Vollzüge. Die Autoren wenden sich sowohl an fortgeschrittene Studierende der Psychologie mit soliden Kenntnissen in der kognitiven und experimentellen Psychologie, als auch an Praktiker in zahlreichen Anwendungsfeldern der Psychologie, gut vorgebildete Ergonomen, Trainer, Arbeitsingenieüre, angewandt arbeitende Physiologen und Fachleute der Bewegungslehre. Der Rezensent kennt kein vergleichbares Werk in deutscher Sprache. Das anspruchsvolle, aber leicht lesbare Buch bietet unersetzliches Wissen über Merkmale und Regelhaftigkeiten bewegungsgebundener menschlicher Leistungen in Arbeit und Sport. W. Hacker (Dresden)
Schwabe, Ch.: Entspannungstraining mit Musik. 69 S. Leipzig: Georg Thieme Verlag 1984. Paperback 5,50 M. Nachdem Schwabe in dem 1979 erschienen Büch „Regulative Musiktherapie" die Anwendung des Entspannungstrainings mit Musik in der Psychotherapie dargestellt hat, bereitet er es in dieser Broschüre als psychoprophylaktisches Training für gesunde Personen, die an gezielter Entspannung, aber auch an verbesserter Konzentration im Sinne „innerer Sammlung psychischer Kräfte" interessiert sind, auf. Das Trainingsprinzip besteht darin, daß der Klient während des Anhörens ausgesuchter Stücke klassischer Musik die Aufmerksamkeit „ohne Willensanstrengung zwischen der Wahrnehmung der Müsik, der Wahrnehmung des eigenen Körpers sowie der Wahrnehmung der vorhandenen Gedanken, Gefühle und Stimmungen pendeln" läßt. Anders als beim Autogenen Training erfolgt hier Entspannung durch Erweiterung der Wahrnehmungsbereiche über das Prinzip des „beobachtenden Geschehenlassens". Die Spezifik der Wirkung der Musik ermöglicht über die Regulierung von Fehlspannimg hinaus ein Ansprechen der emotionalen Befindlichkeit, deren Veränderung und Vertiefung. Schwabe ist sich bewußt, daß er an tradierte Erfahrungen im Umgang mit Musik anknüpft Und gibt diese in Form des Trainings weiter. B. Rübesame (Berlin)
Z. Psychol. 198 (1990) 35 - 5 8
J . A. Barth, Leipzig
Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse, Bereich Psychologie, der Akademie der Wissenschaften der DDR
Untersuchungen an Erkennungsprozessen, die zwischen Gedächtnisinhalten stattfinden M. Wolf Zusammenfassung: Die Kenntnis über die Repräsentation begrifflichen Wissens ist essentielle Voraussetzung für die Beschreibung intelligenzabhängiger Leistungen beim Menschen. So führt auch der Versuch, Verstehen von Sprache zu bewältigen, zu Überlegungen hinsichtlich der Wissensrepräsentation. Ein Beispiel sind die aus der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Linguistik stammenden Einflüsse auf die psychologische Modellbildung Die Angemessenheit spezieller, sich daraus ergebender Repräsentationsannahmen sollte anhand der Erkennung der Unter-Oberbegriffsrelation, einem sehr spezifischen aber repräsentativen Detail, experimentell überprüft werden. Gemessen wurde der Einfluß ausgewählter Distraktoren auf die Erkennungszeit. Überdies verwendeten wir eine spezielle methodische Variation, die die prozentuale Fehlerhäufigkeit zu einem gleichfalls aussagekräftigen Indikator machte. Neben Experimenten mit natürlich-sprachlichem Wortmaterial führten wir eine Reihe von Simulationsstudien durch. Die distraktorabhängige Änderung der Erkennungszeit für die UB-OB-Relation sowie ausgezeichnete Verläufe bei den prozentualen Fehlerraten sprechen deutlich für die Annahme selbstoptimierender Erkennungsprozesse auf der Basis von Merkmalsvergleichen und damit gegen eine, häufig innerhalb der KI angenommene, Zugehörigkeit dieser Relation zum stationären Wissensbesitz. Summary: The knowledge about conceptual representation is an essential precondition for the description of intelligent performances of man. In order to cope with language comprehension we need assumptions about knowledge representation. The influence on psychological modelling coining from Artificial Intelligence (AI) and Linguistics serves as an example. Special representational assumtions result from that fact. We wanted to prove them experimentally on the basis of a specific but representative detail—the recognition of sub-superconcept relation. We measured the effect of special distractors on the recognition time. Additionally we employed a method which was to make the number of errors a telling indicator. The experiments were performed with natural as well as artificial word pairs. Both distractordependent change of recognition time for the sub-superconcept relation and peculiar rates of errors do not correspond with a stationary storage of these relations (as assumed in AI) but support the assumption of algorithmic recognition processes on the basis of property comparisons. Eingegangen: 9. 6. 1989 Korrespondenzschrift: Dipl.-Psych. M. Wolf, Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse der AdW der DDR, Bereich Psychologie, Kurstr. 33, Berlin, DDR - 1086
1. Einleitung Ein zentrales Thema experimentalpsychologischer Forschung ist die Beschreibung und Erklärung des Zustandekommens von intelligenzintensiven Leistungen beim Menschen. Betrachten wir als ein Beispiel die Sprache. Methodisch gesehen, stellt die Sprache einen Zugang zur Untersuchung begrifflicher Repräsentation dar. Es kann davon ausgegangen werden, daß die sprachlichen Anteile des internen Lexikons begriffliche Strukturen anregen und damit ihre nähere Untersuchung ermöglichen. Ein 3*
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J . A. Barth, Leipzig
Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse, Bereich Psychologie, der Akademie der Wissenschaften der DDR
Untersuchungen an Erkennungsprozessen, die zwischen Gedächtnisinhalten stattfinden M. Wolf Zusammenfassung: Die Kenntnis über die Repräsentation begrifflichen Wissens ist essentielle Voraussetzung für die Beschreibung intelligenzabhängiger Leistungen beim Menschen. So führt auch der Versuch, Verstehen von Sprache zu bewältigen, zu Überlegungen hinsichtlich der Wissensrepräsentation. Ein Beispiel sind die aus der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Linguistik stammenden Einflüsse auf die psychologische Modellbildung Die Angemessenheit spezieller, sich daraus ergebender Repräsentationsannahmen sollte anhand der Erkennung der Unter-Oberbegriffsrelation, einem sehr spezifischen aber repräsentativen Detail, experimentell überprüft werden. Gemessen wurde der Einfluß ausgewählter Distraktoren auf die Erkennungszeit. Überdies verwendeten wir eine spezielle methodische Variation, die die prozentuale Fehlerhäufigkeit zu einem gleichfalls aussagekräftigen Indikator machte. Neben Experimenten mit natürlich-sprachlichem Wortmaterial führten wir eine Reihe von Simulationsstudien durch. Die distraktorabhängige Änderung der Erkennungszeit für die UB-OB-Relation sowie ausgezeichnete Verläufe bei den prozentualen Fehlerraten sprechen deutlich für die Annahme selbstoptimierender Erkennungsprozesse auf der Basis von Merkmalsvergleichen und damit gegen eine, häufig innerhalb der KI angenommene, Zugehörigkeit dieser Relation zum stationären Wissensbesitz. Summary: The knowledge about conceptual representation is an essential precondition for the description of intelligent performances of man. In order to cope with language comprehension we need assumptions about knowledge representation. The influence on psychological modelling coining from Artificial Intelligence (AI) and Linguistics serves as an example. Special representational assumtions result from that fact. We wanted to prove them experimentally on the basis of a specific but representative detail—the recognition of sub-superconcept relation. We measured the effect of special distractors on the recognition time. Additionally we employed a method which was to make the number of errors a telling indicator. The experiments were performed with natural as well as artificial word pairs. Both distractordependent change of recognition time for the sub-superconcept relation and peculiar rates of errors do not correspond with a stationary storage of these relations (as assumed in AI) but support the assumption of algorithmic recognition processes on the basis of property comparisons. Eingegangen: 9. 6. 1989 Korrespondenzschrift: Dipl.-Psych. M. Wolf, Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse der AdW der DDR, Bereich Psychologie, Kurstr. 33, Berlin, DDR - 1086
1. Einleitung Ein zentrales Thema experimentalpsychologischer Forschung ist die Beschreibung und Erklärung des Zustandekommens von intelligenzintensiven Leistungen beim Menschen. Betrachten wir als ein Beispiel die Sprache. Methodisch gesehen, stellt die Sprache einen Zugang zur Untersuchung begrifflicher Repräsentation dar. Es kann davon ausgegangen werden, daß die sprachlichen Anteile des internen Lexikons begriffliche Strukturen anregen und damit ihre nähere Untersuchung ermöglichen. Ein 3*
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Verstehen von Gesprochenem setzt eine Bezugsetzung der Worte zum begrifflichen Hintergrund voraus. Sprachlich ausgedrückte Beziehungen reflektieren damit auch Relationen zwischen den Begriffen. Es gehört zu den Fähigkeiten des Menschen, begriffliche Beziehungen klassifizieren zu können. So kann beispielsweise sofort erkannt werden, daß zwischen zwei Begriffen eine Nebenordnung (NO) oder eine Unter-Oberbegriffsrelation (UB—OB) vorliegt. Diesen Leistungen liegt offensichtlich eine gedächtnismäßige Repräsentation zugrunde. Wenn wir uns die Frage nach der Repräsentation begrifflichen Wissens stellen, so ist das nicht nur dem Streben nach Erkenntnisgewinn zuzuordnen, sondern ihre Beantwortung ist essentielle Voraussetzung für das Verständnis wesentlicher, insbesondere intelligenter Leistungen des Menschen.
2. €ber einige Ansätze zur Wissensrepräsentation Zwei, für die weitere psychologische Modellbildung wesentlichen Modelle des semantischen Gedächtnisses stammen aus der Künstlichen Intelligenz (KI) bzw. der Computerlinguistik. Dabei handelt es sich zum einen um das Simulationsmodell von Quillian (1968/69) und zum anderen um die Semantiktheorie von Katz und Fodor (1963). Anhand beider Modelle ist es möglich, Hypothesen darüber zu begründen, welche Beziehungen zwischen Begriffen bestehen. Quillian wählte zur Beschreibung für sein Modell ein Netzwerk, bestehend aus Knoten und Kanten. Die Bedeutung eines Begriffs ergibt sich danach aus der Gesamtheit der mit diesem Begriffsknoten verbundenen anderen Begriffe. Im Unterschied zu bereits früher existierenden, assoziativen Netzen (z. B. Kiss, 1967; Wettler, 1972), wurde hier die Art der Verknüpfung durch Markierung der Kanten näher spezifiziert. Durch Annahme gerichteter Kanten wurde es möglich, qualitative Aussagen bzgl. der Verbindungen zwischen den Begriffen zu machen. Die Information über die zwischen den Begriffen bestehenden Verbindungen wird als fest repräsentiert angenommen. So auch die UB—OB-Relation, also zwischen BIRKE, LAUBBAUM und BAUM oder KANARIENVOGEL, VOGEL und TIER (Vgl. Abb. 1). Innerhalb der Semantiktheorie von Katz und Fodor besteht für die psychologische Modellhat Haut
-Chi-Quadrat 0 0 5 / 5 = 11,1). Trotz der Abnahme der Zitierungsraten einiger Nazis 1943/44 kann man sagen, daß die Zitierungsraten der Nazis in dem Maße zunahmen, in dem diejenigen der jüdischen Autoren abnahmen. Die Zitierungsraten der vier genannten Nazis sind in Abbildung 4 wiedergegeben. Was die Begründer der experimentellen Psychologie betrifft, von denen die Zitierungsraten der vier am häufigsten zitierten in Abbildung 5 dargestellt sind, so finden wir hier eine
Pfahler | } Fischer QU Sander •
33,34
35,36
37,38
39,40
41,42
Kroh
43,44
Jahre Abb. 4. Zitierungsverlaüf (in % ) der vier am häufigsten zitierten Nazis (ohne Jaensch)
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Einflüsse auf die Psychologie 1933—1944
generelle Abnahme, die aber nicht kontinuierlich verläuft und sich nicht gleichmäßig auf alle zitierten Autoren erstreckt. Die Ergebnisse verändern sich nicht wesentlich, wenn die in Abbildung 5 nicht berücksichtigten Ebbinghaus und Helmholtz einbezogen werden. (Die Beschränkung auf „Vierergruppen" bei den als jüdisch geltenden Autoren, den Nazis und den Begründern der experimentellen Psychologie erfolgte für die statistischen Signifikanzprüfungen deshalb, weil sich bei den Nazis nicht mehr Autoren finden ließen, die häufig genug zitiert wurden.) 6 5 4 3 2 1
0 33,34
35,36
37,38
39,40
41,42
43,44
Jahre Abb. 5. Zitierungsverlauf (in % ) der vier am häufigsten zitierten Begründer der experimentellen Psychologie in Deutschland
Auch wenn die Zitierungsraten von Begründern der experimentellen Psychologie nicht kontinuierlich sinken, so ist doch aus Abbildung 5 erkennbar, daß der wissenschaftliche Einfluß dieser Psychologen, gemessen an ihren Erwähnungen in der Zeitschrift für Psychologie, in der Nazizeit deutlich abnimmt. Immerhin vereinten die von uns berücksichtigten sechs am häufigsten zitierten Begründer der experimentellen Psychologie (also die vier abgebildeten sowie Ebbinghaus und Helmholtz) 1933/34 6,5 % der Zitierungen in der Zeitschrift für Psychologie auf sich, 1943/44 nur noch 1 % . Wenn man die vier am häufigsten zitierten Begründer der experimentellen Psychologie (s. Abb. 5) mit den oben erwähnten am häufigsten zitierten Nazis (Abb. 4) vergleicht, unterscheiden sich die Zitierungsraten beider Gruppen signifikant (Chi-Quadrat = 31,69;=Chi-Quadrat 0 0 5 / 5 = 11,1). Die höchsten Teil-Chi-Quadrat-Werte ergeben sich für die Jahre 1933/34, wo die Begründer der experimentellen Psychologie deutlich über und die Nazis unter den Erwartungswerten liegen. Nehmen nun die Zitierungsraten der Nazis in dem Maße zu, in dem die der Begründer der experimentellen Psychologie abnehmen? In Abbildung 6 sind die Zitierungsverläufe der drei uns speziell interessierenden Gruppen, also der Nazis, der Begründer der experimentellen Psychologie und der als jüdisch geltenden Autoren, absolut wiedergegeben, also ohne 9 Z. Psychol. 198-1
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sie auf die Gesamtzitierungshäufigkeit des jeweiligen Jahres zu beziehen. Hier sehen wir einen fast kontinuierlichen Anstieg der Nazis bis 1939/40 (im Kontrast zu dem Abfall in den anderen beiden Gruppen), dann aber auch dort einen Abfall. Letzterer ist offenbar durch das wissenschaftliche Vakuum bedingt, das durch den 2. Weltkrieg im fortgeschrittenen Stadium entstand. Man muß hinzufügen, daß 1943/44 generell weniger zitiert wurde als vorher, ganz einfach deshalb, weil in diesen Jahren weniger Artikel erschienen.
ältere Ps. 111
W111 Juden
^ ^
l—I—1—I
1—I—
33 34 35 36 37 38 39 40
Nazis
42 43 44
Jahre
Abb. 6. Absolute Zitierungshäufigkeiten der älteren experimentellen Psychologen, der jüdischen Autoren Und der Nazis (außer Jaensch), jeweils mit den vier am häufigsten zitierten Namen vertreten
Zur Prüfung unserer Hypothese, daß die externen Einflüsse auf die Wissenschaft (speziell die hemmenden politischen Einflüsse auf die Psychologie) über Wissenschaftler der betreffenden „Gemeinschaft" (Disziplin) wirksam werden, müssen wir uns der wissenschaftlichen und politischen Wirkung von Jaensch auf die Psychologie genauer zuwenden, denn er ist offensichtlich der Hauptakteur im Versuch einer nazistischen Infiltration der Psychologie (übrigens nicht nur als Herausgeber der Zeitschrift für Psychologie, sondern auch als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, der er von 1936—1940 war). Jaensch war zu Beginn der Nazizeit ein wissenschaftlich anerkannter Psychologe, der ab 1933 viele Beiträge mit nazistischem Gedankengut veröffentlichte. Wir prüften, wie häufig bestimmte nazistische Termini in den Titeln der zitierten Beiträge auftauchen, wer diese Zitierungen vorgenommen hat und auf wen sie sich beziehen. Als nazistische Termini wurden die Wörter „deutsch" (im nazistischen Sinne) sowie „Rasse" und „rassisch" ausgezählt. Unter „deutsch im nazistischen Sinne" sind folgende Wortkombinationen zu verstehen; „deutsche Wissenschaft", deutsche Psychologie" (auch mit zusätzlichen Attributen), „deutsche Bewegung", „deutsche völkische Bewegung", „deutsches Studententum", „Neudeutschland", „deutscher Kampf", „Entdeutschungsgefahr", „deutsche Weltanschauung", „nordisch-deutsches Seelentum" und „deutsche Erneuerung." Solche Titel werden insgesamt fünfzigmal zitiert (am häufigsten mit der Kombination „deutsche völkische Bewegung"). Aus Abbildung 7 ist ersichtlich, wer diese Zitierungen
Einflüsse auf die Psychologie 1933—1944
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vorgenommen hat und auf wen sie sich beziehen. Es ist deutlich zu sehen, daß sowohl als Zitierender als auch als derjenige, auf den Bezug genommen wird, Jaensch am häufigsten erscheint. An zweiter Stelle beim Zitieren von Beiträgen mit „deutsch" im nazistischen Sinne stehen die Schüler von Jaensch.
Anzahl Abb. 7. Autoren, die Titel mit „deutsch" im nazistischen Sinne zitierten bzw. damit zitiert wurden (Häufigkeiten)
Wir erkennen also, daß bei diesem Indikator für die Einbringung nazistischen Gedankengutes in die Psychologie fast nur Jaensch und seine „Kampfgenossen" als Urheber auszumachen sind. Die anderen Autoren der Zeitschrift für Psychologie in der Nazizeit (mit Ausnahme der offenbar von Jaensch protegierten J . van Essen und H. Mandel) nehmen an dieser Nazifizierung nicht teil. Bei der Auszählung der Termini „ R a s s e " bzw. „rassisch" in den zitierten Titeln tritt Jaensch selbst zwar etwas in den Hintergrund, dafür erscheinen seine Schüler häufiger. Berücksichtigt wurde bei dieser Auszählung nur, wer Titel mit den genannten Worten zitierte. Insgesamt sind 52 solcher Zitierungen auszumachen, davon entfallen 37 auf Schüler von Jaensch, 6 auf Jaensch selbst, 4 auf H. Mandel und 5 auf fünf andere Autoren. Auch hier ist es Jaensch mit seiner Schule, auf den fast der gesamte Anteil nazistischen (hier rassistischen) Gedankengutes entfällt. Die Wörter „ R a s s e " und „rassisch" tauchen nicht nur in den zitierten Titeln auf, sondern ab 1937/38 zunehmend auch in zitierten Zeitschriften (z. B. „Zeitschrift für Rassenkunde", „Volk und Rasse", „ R a s s e " , „Archiv für Rassenbiologie", „Zeitschrift für Rassenphysiologie", „Rassenhygiene"). Auch hier sind es in erster Linie die Jaensch-Schüler, die solche Zeitschriften zitieren. Insgesamt wurden fünfundzwanzigmal „Rassezeitschriften" erwähnt, darunter zwölfmal von G. H. Fischer und zehnmal von E . Lenz. Aus Abbildung 8 ist der Zeitverlauf der Zitierungshäufigkeiten für beide Indikatoren („Rasse" bzw. „rassisch" in zitierten Titeln oder zitierten Zeitschriften) erkennbar. Man 9*
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3,0 _ 2,5. 2,0 _ 1,5. 1,0.
0,5 _ 0,0 33
"•»
34
f-vK'^i
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1
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Jahre Abb. 8. Zitierungsverlauf (in °/ 0 ) von Publikationen bzw. Zeitschriften mit den Termini „ R a s s e " bzw. „rassisch" in der Überschrift
sieht, daß nach einem schnellen Anstieg dieser Zitierungen diese rasch wieder abfallen und 1943/44 gar nicht mehr vorkommen. Die gezeigten Kurven stimmen recht gut mit dem zeitlichen Verlauf des Einflusses von Jaensch in der Zeitschrift für Psychologie überein (s. die Zitierungskurve für Jaensch in Abb. 1!). Von Interesse für die Prüfung unserer zweiten Hypothese (daß die „wissenschaftliche Gemeinschaft" wissenschaftsfeindlichen ideologischen Infiltrationsversuchen aufgrund internalisierter wissenschaftlicher Standards einen Widerstand entgegensetzt) ist die Prüfung des Einflusses von Jaensch auf die anderen Psychologen. Wir können anhand unseres Material nur seine Wirkung auf die Psychologen prüfen, die in der Zeitschrift für Psychologie veröffentlichten. Sein Einfluß auf die Schüler in Marburg steht außer Frage und wir hatten auch schon festgestellt, daß Jaensch mit seinen nazistischen Infiltrationsversuchen in der Zeitschrift für Psychologie wenig erfolgreich war. Wir wollen diese Frage aber noch genauer untersuchen und prüfen, welche Werke von Jaensch von wem zitiert wurden. Seine vor der Nazizeit erschienenen Veröffentlichungen zeigen nämlich keine nazistischen Anklänge und können daher gut mit den ab 1933 erschienenen Beiträge verglichen werden. Für diesen Vergleich berücksichtigten wir nur die acht am häufigsten zitierten Werke von Jaensch. Vier davon waren schon vor 1933 veröffentlicht (ohne nazistische Inhalte), die vier anderen sind von 1933 bis 1938 erschienen und haben bereits in den Titeln nazistische Anklänge. Die Ergebnisse sind in Abbildung 9 wiedergegeben. Bei den dort verwendeten Abkürzungen handelt es sich um folgende Werke von Jaensch: A — Der Gegentypus. Psychologisch-anthropologische Grundlagen deutscher Kulturphilosophie ausgehend von dem, was wir überwinden wollen (1938) B — Die Lage und die Aufgaben der Psychologie. Ihre Sendung in der deutschen Bewegung und an der Kulturwende (1933)
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Einflüsse auf die Psychologie 1933—1944
C — Die Wissenschaft und die deutsche völkische Bewegung (1933) D — Der Kampf der deutschen Psychologie (1934) E — Über den Aufbau der Wahrnehmungswelt und die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis (Teil 1, 1927; Teil 2, 1931) F — Grundformen menschlichen Seins (1929) G - Über den Aufbau des Bewußtseins (Teil l , 1930; Teil 2, 1931) H — Über die Wahnehmung des Raumes (1911) 40 35 30 25
20 15
10 5
0
' A
B
C
D
E
F
G
H
Titel von Jaensch Abb. 9. Zitierte Artikel von Jaensch mit und ohne nazistischen Inhalt (Häufigkeiten, Erläuterungen im Text)
Man sieht, daß insgesamt die Veröffentlichungen von Jaensch ohne nazistische Inhalte häufiger zitiert werden als die anderen (Chi-Quadrat = 50,85 s»-Chi-Quadrat0.0512 — 5,99). Dabei ist interessant, daß es vor allem Jaensch selbst ist, der seine Werke mit nazistischen Anklängen gern zitiert, während die „wissenschaftliche Gemeinschaft" von diesen kaum Notiz nimmt. Selbst die Schüler von Jaensch zitieren mit der Ausnahme des „Gegentypus" (1938) lieber seine Werke von vor 1933. Es ist offensichtlich, daß es Jaensch in seinem Bemühen, Aspekte der nazistischen Weltanschauung mit der Psychologie zu verbinden, nicht gelungen ist, in der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" Einfluß auszuüben. Interpretation Die Hypothese, daß die externe (hier politische) Einflußnahme auf die Wissenschaft durch die Wissenschaftler selbst vorgenommen wird, ist in dem von uns untersuchten Fall klar bestätigt worden. E. R. Jaensch war zu Beginn der Nazizeit knapp 50 Jahre alt, hatte einen guten wissenschaftlichen Ruf und mit seinem Lehrstuhl in Marburg eine anerkannte wissenschaftliche Position. Er übernahm es, nationalistisches und faschistisches Gedankengut in die Psychologie hineinzutragen und andere Psychologen in dem von ihm herausgegebenen Fachorgan auf ihre „Aufgaben" bei der „deutschen Erneuerung" hinzuweisen. Es bestätigt sich also, daß die „Anpassung an die faschistische Doktrin . . . von innen
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heraus vorgenommen (wurde), d. h. im wesentlichen von den Psychologen selbst." (Schröder, 1988) Abgesehen von Jaenschs Schülern und einigen von ihm protegierten Nazis lassen sich in der Zeitschrift für Psychologie keine anderen Psychologen finden, die in ähnlicher Weise versucht haben, die Psychologie mit nazistischer Ideologie zu verbinden. Inhaltlich waren die Arbeiten von Jaensch und seiner Schüler auf eine Verbindung von experimenteller Wahrnehmungspsychologie und Persönlichkeitspsychologie (Typologie) ausgerichtet. Es ist befremdlich zu lesen, wie mit zunehmender Festigung der Naziherrschaft die ursprünglich experimentellen und typologischen Ansätze bei Jaensch zu unwissenschaftlichem Gerede, vermischt mit faschistischen und antisemitischen Inhalten, verkommen. Hier ein Beispiel: „ E s ist nicht einzusehen, warum nicht die Psychologie des Haushuhns auch einmal in einem Auszug selbst bis in deutsche Landschulen dringen und hier dazu beitragen könnte, die Lehren von „Blut und Boden" an einem überall gegenwärtigen und vertrauten Objekt zu demonstrieren und den Menschen so in eindrucksvoller Weise die biologische Einstellung auch gegenüber menschlich-seelischen Dingen nahezubringen. Tritt doch die tiefe biologische Verankerung der seelischen Rasseeigenschaften an dem hier untersuchten Beispiel eindrucksvoll und in nicht wegzuleugnender Weise in Erscheinung." (Jaensch, 1936) Die Psychologen außerhalb der Jaenschen Schule sind seinen ideologischen Anweisungen nicht gefolgt. Dies trifft zumindest auf die Autoren der Zeitschrift für Psychologie zu, die immerhin für ihre Veröffentlichungen die Zustimmung des Herausgebers brauchten. Wie schnell Jaenschs Einfluß verpufft, zeigt sich darin, daß er nach seinem Tode (1940) zwar zunächst noch in einer Reihe von Beiträgen gewürdigt, aber 1943/44 in der Zeitschrift für Psychologie kaum noch erwähnt wird. Dies mag allerdings auch mit dem Krieg und dem zunehmenden Einfluß von Kroh nach Jaenschs Tod zusammenhängen. Für unsere Hypothese, daß die „wissenschaftliche Gemeinschaft", in unserem Falle also die Psychologen in Deutschland in der NS-Zeit, dem in ihr Fach hineingetragenen wissenschaftsfeindlichen Einfluß zu widerstehen versuchten, spricht auch, daß die Nazis unter den Psychologen — mit Ausnahme der Herausgeber Jaensch und Kroh — keine wesentliche Zunahme an wissenschaftlicher Anerkennung unter den Fachkollegen (gemessen an der Zitierungshäufigkeit) erhielten. Pfahler, der im untersuchten Zeitraum in der Zeitschrift für Psychologie nicht veröffentlichte, dürfte seine verhältnismäßig hohe Beliebtheit (Zitierungshäufigkeit) neben seiner Vererbungstheorie seiner Typologie verdankt haben, denn Typologien waren damals populär (E. Kretschmer wird genauso häufig zitiert wie Pfahler). G. H. Fischer als Jaensch-Schüler wurde im wesentlichen nur zu Zeiten von Jaenschs Einflußnahme zitiert. Gegen unsere Hypothese vom Widerstand der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" gegen die hauptsächlich von Jaensch betriebene faschistische Infiltration in die Psychologie scheinen zwei andere Ergebnise zu sprechen, nämlich die Abnahme der Zitierungen der Begründer der experimentellen Psychologie (s. Abb. 5) und besonders die kontinuierliche Abnahme und das schließlich völlige Verschwinden von Zitierungen als jüdisch geltender Autoren. Was die experimentellen Psychologen der älteren Generation betrifft, so sind ihre im ganzen abnehmenden Zitierungsraten wohl zum Teil auf die Tatsache zurückzuführen, daß
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Jaensch und seine Schule soviel Platz in der Zeitschrift für Psychologie belegten, daß andere Autoren, speziell experimentelle Psychologen, die die alten Meister zitierten, weniger zum Zuge kommen konnten. Jaensch erwähnte zwar gerne, daß er Schüler von Ebbinghaus und G. E. Müller sei, zitierte diese Autoren aber — ebenso wie seine Schüler — nur selten. Wenn der wissenschaftliche Einfluß der Begründer 'der experimentellen Psychologie in Deutschland während der Nazizeit abnahm, d ü r f t e dies aber auch darauf zurückzuführen sein, daß das Festhalten an den überkommenen wissenschaftlichen Standards nachließ. Der in wissenschaftlichen Normen begründete Widerstand der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" gegen nazistische Einflußversuche dürfte auf die Dauer abgeflaut sein, zumindest was das wissenschaftliche Anspruchsniveau betrifft. Dieses Niveau kann sich auf die Dauer nicht halten, wenn die Verantwortlichen (hier der Herausgeber) die wissenschaftlichen Standards selbst nicht einhalten. Noch deutlicher wird die schwindende „Widerstandskraft" der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" gegenüber der Naziideologie an den Zitierungsraten der als jüdisch geltenden Autoren (s. Abb. 3). Immerhin wurden auch Autoren, von denen bekannt sein m u ß t e , daß sie als Juden von den Nazis verfolgt wurden, noch 1939/40 mit ihren Werken erwähnt, so Otto Selz, der 1938 zunächst verhaftet wurde, dann nach Holland fliehen konnte und 1943 in Auschwitz umgebracht wurde, siebenmal. Insgesamt gesehen widerspiegelt sich der rassistische Vernichtungswahn der Nazis aber auch in den Zitierungsraten. In anderen Punkten zeigt sich jedoch, daß eine differenzierte Sicht auf die Psychologie der NS-Zeit in Deutschland angebracht ist und diese durchaus nicht, wie auch Sprung und Sprung (1987) schreiben, einen generellen Niedergang auf allen Gebieten erlebte. Angesichts unserer Ergebnisse, auch wenn diese nur auf eine (immerhin überwiegend von einem Nazi herausgegebene) Zeitschrift beschränkt sind, erscheint es durchaus zweifelhaft, daß es nur „seltene Ausnahmen" waren, „in denen sich Psychologen aus moralischen oder politischen Gründen den restriktiven Maßnahmen des Regimes widersetzten" (Schröder, 1988). Natürlich hängt vieles von der Strenge des Maßstabes ab, den m a n hier zur Bewertung anlegt, aber wir möchten nicht unerwähnt lassen, daß offenbar nicht wenige Autoren der Zeitschrift für Psychologie noch unter der Herausgeberschaft von Jaensch bzw. Kroh in Konflikt mit den Nazis gerieten bzw. sich deren Einfluß zu entziehen versuchten. Ich stütze mich bei dieser Aussage auf die in Geuter (1986) abgedruckten Lebensläufe. Selbst in den späteren Jahren der Nazizeit (ab 1938) lassen sich in der Zeitschrift für Psychologie noch Autoren finden, die nachweislich in Konflikt mit den Nazis gerieten (d. h. zur Emigration gezwungen waren, entlassen wurden oder die Lehrbefugnis entzogen bekamen), so H. Brugger (1938), W. Jacobsen (1938), H . Rohracher (1940), 0 . von Lauenstein (1943). (Die Zahlen in Klammern zeigen das letzte J a h r an, in dem die Genannten in der Zeitschrift für Psychologie veröffentlichten.) Der in wissenschaftlichen Standards begründete Widerstand der „wissenschaftlichen Gemeinschaft" gegenüber wissenschaftsfeindlichen und die Wahrheit verfälschenden Einflüssen ist offenbar zeitlich nur begrenzt wirksam. Weniger durch das Wirken von Jaensch, sondern deutlicher durch Vertreibung und Vernichtung mußten die „Paradigm e n " der experimentellen Psychologie (es handelte sich mit Sicherheit nicht nur um ein
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„Paradigma") allmählich in den Hintergrund treten, weil viele ihrer Vertreter entweder fliehen mußten oder wissenschaftlich kaltgestellt wurden. Diese Zusammenhänge lassen sich mit einer Theorie wie der von Kuhn (1970), nach der die „wissenschaftliche Gemeinschaft" allein bestimmt, was sich in der Wissenschaft durchsetzt und was nicht, nicht vereinbaren. Letztendlich hängt es von der objektiven Wahrheit ab, ob das, was die Wissenschaftler tun, als Wissenschaft betrachtet werden kann und nicht von der „wissenschaftlichen Gemeinschaft". Literatur Ash, M. G.; Geuter, U.: NSDAP-Mitgliedschaft und Universitätskarriere im Nationalsozialismus. I n : Psychologie und Nationalsozialismus. Hrsg.: Graumann, C. F. Berlin — Heidelberg — New York 1985. Bühler, C.: Die Wiener Psychologische Schule in der Emigration. Psychol. Rundsch. 16 (1965) 187—198 Fischer, G. H . : E. R. Jaensch zum Gedenken. Sein Werk und sein Vermächtnis. Z. Psychol. 146 (1940) 19-49. Fleck, L.: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. F r a n k f u r t / M . 1980. (zuerst 1935). Garfield, E . : Is Citation Analysis a Legitimate Evaluation Tool? Scientometrics 1 (1979) 359. Geuter, U.: Psychologie im Nationalsozialismus. I n : Geschichte der Psychologie in Schlüsselbegriffen. Hrsg.: Lück, H . E . ; Miller, R . ; Rechtien, W. München — Wien — Baltimore 1984. Geuter, U.: Nationalsozialistische Ideologie und Psychologie. I n : Geschichte der deutschen Psychologie im 20. J a h r h u n d e r t . Hrsg.: Ash, M. G.; Geuter, U. Opladen 1985. Geuter, U.: Daten zur Geschichte der deutschen Psychologie. Bd. 1: Psychologische Institute, Fachgesellschaften, Fachzeitschriften und Serien, Biographien, Emigranten 1879—1945. Göttingen 1986. Geuter, U.: Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus. F r a n k f u r t / M . 1988. Graumann, C. F. (Hrsg.): Psychologie Und Nationalsozialismus. Berlin — Heidelberg — New York 1985. Jaensch, E. R . : Die biologisch fundierte psychologische Anthropologie, ihre Stellung zur Rassenkünde und Kulturphilosophie, ihr Gegensatz zur unbiologischen Anthropologie. Z. Psychol. 137 (1936) 1—50. J a h n k e , U.: Zur Entwicklung der Psychologie an der Berliner Universität nach 1933. I n : Medizin und Faschismus. Hrsg.: Thom, A.; Spaar, H . Berlin 1985. Kuhn, T. S.: The Structure of Scientific Revolutions. 2. Aufl. Chicago 1970. Kuhn, T. S.: Die E n t s t e h u n g des Neuen. F r a n k f u r t / M . 1977. Lakatos, I.: Philosophische Schriften. Bd. 1: Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme. Braunschweig — Wiesbaden 1982. Merton, R. K.: Die normative S t r u k t u r der Wissenschaft. I n : Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Hrsg.: Merton, R . K. F r a n k f u r t / M . 1985 a. Merton, R. K . : Entwicklung und Wandel von Forschüngsinteressen. F r a n k f u r t / M . 1985 (b). Mocek, R . : Neugier und Nutzen. Blicke in die Wissenschaftsgeschichte. Berlin 1986. Popper, K. R . : Objektive Erkenntnis. 2. Aufl. H a m b u r g 1974. Schröder, C.: Psychologie Und Faschismus — Bemerkungen zu dem vielschichtigen Mißbrauch einer Wissenschaft. Psychologie f ü r die Praxis 3 (1988) 245—260. Sprung, L . ; Sprung, H . : Grundlagen der Methodologie und Methodik der Psychologie. Berlin 1984. Sprung, L.; Sprung, H . : Zur Geschichte der Psychologie an der Berliner Universität I I (1922—1935). Psychol. Prax. 4 (1987) 293-306. Stadler, M.: Das Schicksal der nichtemigrierten Gestaltpsychologen im Nationalsozialismus. I n : Psychologie im Nationalsozialismus. H r s g . : Graümann, C. F. Berlin — Heidelberg — New York 1985. Vinkler, P . : A Quasi-Quantitative Citation Model. Scientometrics 12 (1987) 47—72.
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J . A. B a r t h , Leipzig
Buchbesprechungen Rodriguez-Tomé, H.; Bariaud, F.: Les perspectives temporelles à l'adolescence. 262 S., 8 Abb., 9 Tab., 1 3 x 2 1 cm. Paris: Presse Universitaires de France 1987. Croissance de l'enfant —Genèse de l'homme. Glanzbroschur. I m Mittelpunkt steht eine Fragebogenerhebung von 1978—80 an 950 Jugendlichen im Alter von 14 bzw. 17 Jahren aus Paris und der zentralen Bretagne. Das Ziel war zu erfahren, wie die Jugendlichen ihre Gegenwartsvorstellungen erarbeiten und dabei ihre Vergangenheit und Z u k u n f t interpretieren. Die Studie h a t deskriptiven Charakter und macht daher k a u m Aussagen über die internen Kompetenzen der Probanden. I m Vordergrund stehen Differenzierungen des Zeithorizonts nach Geschlecht, soziokulturellem Milieu, Alter. Ein Großteil der Ergebnisse widerspiegelt daher eher soziologische als psychologische, Tatbestände. Obwohl der Studie eine gründliche Theorieübersicht vorangestellt wurde, gelang es nicht die Ergebnisse mit umfassenderen theoretischen Modellen in Zusammenhang zu bringen. Schuld d a r a n d ü r f t e u. a. der begrenzte Querschnitt sein. Die Genese der Zeitsperspektiven kann letztlich n u r mittels Längsschnittuntersuchungen und detaillierten Fallstudien in ihrem Kausalgefüge erfaßt werden. F. Naumann (Berlin)
Perron, R.: Genese de la personne. 256 S. — 1 3 x 2 1 cm. Paris: Presse Universitaires de France 1985. Le psychologue. Glanzbroschur. Dieser brillant geschriebene Essay soll eine Theorie der Entwicklung der Persönlichkeit liefern. Persönlichkeit wird als organisierte Ganzheit betrachtet, die von den Gesetzen der Selbstregulation u n t e r dem doppelten Aspekt interner Aquilibration und externer Anpassung bestimmt wird. Dabei will der Autor das Individuum in seiner Einzigartigkeit erfassen. E r stützt sich in erster Linie auf die Arbeiten von Freud, ergänzt durch Aussagen von Piaget und Walion. Er liefert eine problemorientierte theoretische Arbeit, in der jedoch Spekulationen oft empirische Belege ersetzen. Die Konzentration auf die Psychoanalyse f ü h r t zur Vernachlässigung anderer psychologischer Und verhaltensbiologischer Erkenntnisse. Verallgemeinerungen aus Befunden der Psycholopathologie f ü r die gesunde Persönlichkeit und deren Entwicklung sind dagegen überdimensioniert. Positiv hervorzuheben ist das Bemühen des Autors u m eine ganzheitliche Problemsicht auf die Entwicklung der Persönlichkeit im Sinne interaktionistischer Bewältigung von Konflikten, die als Entwicklungskrisen in Erscheinung treten. F. Naumann (Berlin)
Sallis, J. C.; Moneta, G.: Taminiaux, J. (Hrsg.): The Collegium Phaenomenologicum. The First Ten Years. 339 S., A n h a n g : Programme des Collegium 1976—1985. Dordrecht — Boston — London: Kluwer Academic Publishers 1988. Phaenomenologica 105. Kunstledereinband. Die Phänomenologie, von E d m u n d Husserl begründet, gehört zu den bedeutendsten nichtmarxistischen philosophischen Strömungen der Gegenwart. Die scharfe Polemik Husserls gegen den „Psychologismus", also gegen die Vermengung von psychischen Abläufen (etwa Denkleistungen) mit deren Resultaten (dem Gedachten, beispielsweise logischen Gesetzen), bei gleichzeitigem Nachdenken über die „Rückgebundenheit" ersterer an letztere ist auch f ü r den methodologisch reflektierenden Psychologen von Bedeutung. Vor allem die F. Brentanos Ideen weiterführenden Überlegungen zur „ I n t e n t i o n a l i t ä t " des Bewußtseins gewinnen trotz ihrer subjektiv — idealistischen Überhöhung heute, da der Selbstorganisationscharakter des
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Psychischen, insbesondere von Willens- und Handlungsleistungen in den Mittelpunkt rückt, neue Bedeutung. Die Frage nach den „Korrelationsapriori", also apriorisch gegebenen Bezügen des intentionalen Bewußtseins zu bestimmten „Gegenstandsarten", entspricht der Annahme relativer Erkenntnisapriori, wie sie nicht nur von der Evolutionären Erkenntnistheorie, sondern auch von marxistischen Erkenntnistheoretikern zunehmend diskutiert werden. Für den philosophisch Interessierten, der solchen Zusammenhängen nachzuspüren gewillt ist, bietet der vorliegende Band eine aufschlußreiche Lektüre. Er ist nicht nur eine schöne Würdigung des Collegium Phaenomenologicum, sondern auch ein Kompendium gegenwärtiger phänomenologischer Strömungen und Themen. Neben den Herausgebern waren so bedeutende Philosophen wie A. Gurwitsch, E. Levinas, S. Ijsseling, W. Marx, H.-G. Gadamer und weitere an den Lehr- und Forschungsveranstaltungen des Collegium beteiligt. Tagungsthemen waren 1. Husserl's Arbeiten, 2. das Denken M. Heideggers, 3. das Werk Merleau-Ponty's, 4. neuere phänomenologische Ansätze (u. a. in Verbindung mit Ästhetik, Sprache, Hermeneutik). Diese Vielfalt wird von den Artikeln des Bandes auszugsweise widergespiegelt, zwei Arbeiten beschäftigen sich explizit mit Husserl, fünf mit Heidegger, eine mit Levinas, sechs mit weiterführenden Themen, darunter A. Lingis mit phänomenologischen Betrachtungen zur sinnlichen Wahrnehmung und J . M. Heaton mit Überlegungen zur Sprechfehlerproblematik. Allerdings wird die Esoterik der meisten Gedankengänge den Nicht-Insider wohl eher abstoßen, als zu weitergehenden Studien ermuntern. J . Erpenbeck (Berlin)
Sachse, R.; Howe, J . (Hrsg.): Zur Zukunft der klientenzentrierten Psychotherapie. 248 S., 14,9 x 2 1 , 2 cm. Heidelberg: Asanger-Verlag 1989. Broschur. Dieser Sammelband vereint in sich Aufsätze von elf Autoren, die sich alle bereits einen Namen in der gesprächspsychotherapeutischen Forschung erworben haben. Diese Aufsätze sind erweiterte, teilweise kommentierte Fassungen von Beiträgen zu einem wissenschaftlichen Symposium der Universität Osnabrück im Herbst 1987. Insgesamt ist es das Anliegen aller Autoren, bisher offene Stellen oder unzureichend Beachtetes im Konzept der GT zu skizzieren und Wege zu deren wissenschaftlichen Bearbeitung aufzuzeigen. Im wesentlichen sehen wir drei Schwerpunkte: Erstens bemühen sich einige Autoren um wissenschaftliche Untersetzungen der GT. Dies geschieht mit Hilfe allgemeinpsychologischer Ansätze über den Rückgriff auf Schema-Theorien durch Sachse, aus systemischer Perspektive bei Kriz oder aber aus einem Ansatz heraus, der Psychotherapie nicht als ein Teilgebiet der klinischen Psychologie versteht, sondern als selbständige Disziplin mit einem eigenen Gegenstandsbereich, mit eigenen Forschungsstrategien und mit spezifischem Selbstverständnis durch Linster. Zweitens geht es einer Reihe von Autoren um die Auseinandersetzung mit Menschenbildfragen und (meistens) impliziten philosophischen Überzeugungen. Gerade der Artikel von Pfeiffer zur GT im „Kontext von Kultur und Mode" ist ausgesprochen lesenswert und läßt den Leser Widersprüchliches in Rogers Auffassungen und Vorgehensweisen besser verstehen, weil der Zusammenhang von persönlicher Biographie Rogers und korrespondierenden gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen hergestellt wird. Demgegenüber fällt seine Darstellung von Entwicklüngslinien und spezifischen Besonderheiten der GT in anderen Ländern — zumindest, was die Charakteristik der GT in der D D R betrifft — weniger gelungen aus, erscheinen uns doch einige der genannten Merkmale allzu vereinfachend beschrieben. Drittens schließlich geht es darum, bisher wenig beachtete Probleme und Problemgebiete aufzuzeigen und Lösungssätze hierfür zu skizzieren. Das betrifft Fragen der Konstruktion einer Krankheitslehre durch Speierer, die Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Widerstandes" in der GT durch Finke, die thesenartig formulierten Ansichten Heinerths zur Rolle der Gefühle, die Diskussion eines an der Störungsspezifik orientierten therapeutischen Handelns in der GT durch Howe sowie den Entwurf einer Entwicklungspsychologie für die GT durch Biermann-Ratjen. Die einzelnen Artikel unterscheiden sich recht deutlich sowohl was ihre Verständlichkeit als auch was ihre zugrundeliegenden Konzepte von Wissenschaftlichkeit betrifft.
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Für uns wird offensichtlich, daß es immer mehr Autoren zu geben scheint, die adaptives Vorgehen in der GT für notwendig erachten, weisen doch gerade die Überlegungen zum störungsbezogenen Handeln oder zum Krankheitsmodell genau in diese Richtung. Insgesamt stellt dieses Buch eine Bestandsaufnahme bisheriger Leistungen in der GT und GT-Forschung dar und vermittelt zugleich eine Vorstellung davon, wieviel auf dem Feld der GT noch zu „beackern" ist. Daß hierfür — um in diesem Bild zu bleiben — bereits sowohl Saatgut als auch entsprechende Technologie und Methodik vorhanden scheint, stimmt optimistisch und läßt den Leser gespannt auf weiterführende Publikationen dieser Autoren sein. J . Mehl, A. J a c o b (Berlin)
Fischbein, E . : Intuition in Science and Malhematics. Dordrecht: D. Reidel Publishing Company 1987. Der Begriff Intuition wird umgangssprachlich für Denkprozesse genutzt, die sich einer genauen Analyse durch Introspektion und andere Verfahren weitestgehend entziehen. Da aber diese Art von Denkprozessen eine wesentliche Quelle unseres naturwissenschaftlichen und mathematischen Wissens darstellt, lohnt es sich, dem Autor in seinem Bemühen zu folgen, aus einer umfassenden Betrachtung dieses Begriffs wesentliche Merkmale festlegen zu können. Intuition setzt dann ein, wenn beispielsweise problemspezifisches Wissen unzureichend vorhanden ist oder aktiviert werden kann. Der Autor zeigt dies anhand einer Vielzahl von Beispielen und experimentell gefundenen Ergebnissen und demonstriert, welche Faktoren die intuitiven kognitiven Prozesse beeinflussen. Analoges Schließen bei mathematischen und physikalischen Problemen und das Bilden von Modellen rücken unter anderem ins Zentrum seiner Betrachtungen. Besonders interessant sind Versuche zu Problemlösungen, bei denen unbewußt ablaufende, auf nicht adäquaten Modellen basierende, kognitive Prozesse dazu führen, daß der Schüler beim analogen Schließen nur unter großen Mühen die existierenden Zusammenhänge erfaßt oder gar einen falschen Lösungsweg einschlägt. Intuition ermöglicht es dem Menschen im Gegensatz zum Rechner, auch mit unvollständigen Informationen sinnvoll umzugehen. Obwohl das Buch wesentliche Anstöße vermittelt und wenig sinnvolle Ansätze verwirft, bleiben, und das liegt in der Natur des Gegenstands, eine Reihe von Fragen ungeklärt, die aber zu weiteren Experimenten anregen sollten. Am Ende gelangt der Autor folgerichtig zu Maßstäben, die an eine moderne naturwissenschaftliche Und mathematische Ausbildung, insbesondere in der Schule, angelegt werden sollten. R. Schmitt (Berlin)
Fleischmann, U . M . : Gedächtnis und Alter. 419 S., 45 Abb., 43 Tab. 46 Tab., 3 Abb. 1 5 , 5 x 2 2 , 5 cm. Bern — Stuttgart — Toronto: H. Huber 1989. Paperback. Die vorliegende Publikation stellt eine verkürzte Version der Habilitationsschrift des Autors dar und ist der Frage nach altersbezogenen Differenzen und Veränderungen des menschlichen Gedächtnisses gewidmet. Unter Gedächtnis werden „Aktivitäten und Resultate des Aufnehmens, Behaltens und Wiedergebens von Informationen über eine gewisse Zeit" verstanden, Leistungen also, die aufs engste mit Lern- und Denkprozessen verknüpft sind. Ausgehend von Aspekten gedächtnispsychologischer Forschung wie Grundlagen und Methoden der Gedächtnispsychologie, Gedächtnisanalysen im Rahmen der Differentiellen und Entwicklungspsychologie, stellt der Autor in einem sehr umfangreichen Kapitel grundlegende Befunde über Gedächtnisleistungen im hohen Lebensalter dar. Die in der Literatur vertretenen wesentlichen Aiternshypothesen (Kapazitätshypothese zur Aufmerksamkeit und Speicherung, Verarbeitungshypothese, Abrufhypothese, Tempohypothese, Dedifferenzierungshypothese) werden detailliert
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charakterisiert und mit einer großen Anzahl empirischer Befunde wertend und gegenüberstellend untersetzt. Hierbei finden auch pathologische Veränderungen von Gedächtnisleistungen — am Beispiel der senilen Demenz vom T y p Alzheimer — Erwähnung. Ausgehend von diesen Hypothesen und Befunden begründet der Autor seinen multivariaten Untersüchungsansatz. Eine wesentliche G r u n d a n n a h m e bebesteht darin, daß sich Gedächtnis als das Ergebnis verschiedener kognitiver Teilleistungen darstellt, die möglicherweise unterschiedlich eng mit dem chronologischen Alter v e r k n ü p f t sind. Anliegen des Autors ist es, intraindividuelle Veränderungen von Behaltensleistüngen und deren interindividuelle Ähnlichkeit zu beschreiben. Auf der Grundlage eines breit gefächerten Spektrums psychometrischer Verfahren zur Erfassung verschiedener Gedächtnisbereiche wird ein Strukturmodell des menschlichen Gedächtnisses entwickelt, das verschiedene Aspekte von Gedächtnisleistungen und deren Entwicklung bis ins hohe Lebensalter einschließt. Die Gültigkeit des Modells wird durch Querschnitt- und Längsschnittuntersuchungen unter Einbeziehung pathologischer Aiternsformen (Alzheimer Patienten) geprüft. Bei den untersuchten Gedächtnisleistungen im hohen Lebensalter lassen sich deutliche Altersverläufe in allen analysierten Leistungsdimensionen beobachten (vgl. S. 351). Diese weisen primär auf ein quantitatives, aber auch auf ein qualitatives Entwicklungsgeschehen hin. Abschließend diskutiert der Autor anwendungsbezogene Konsequenzen seiner theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde und verweist auf weiterführende Schwerpunktfragen gerontopsychologischer Forschung. Elke van der Meer (Berlin)
Hoellen, B.: Stoizismus und rational-emotive Therapie (RET). Ein Vergleich. 296 S., 6 Abb., 1 5 x 2 1 cm. Pfaffenweiler: Centaurus-Verlagsgesellschaft 1986. Reihe Psychologie, Band 11. Broschur 39,— DM. Die Rational-Emotive Therapie (RET) des Amerikaners Albert Ellis h a t sich in der westlichen Welt zu einer der etablierten Psychotherapieformen entwickelt. Sie postuliert das Vorhandensein sogenannter „irrationaler Ideen" (Ideen dabei weitgehend als Synonym für Grundüberzeugungen) als zentrales Elem e n t bei der Verursachung und Aufrechterhaltung neurotischer Störungen. Therapie vollzieht sich im wesentlichen durch Infragestellen dieser Ideen Und daraus resultierend Aufbau rationalerer, a d ä q u a t e r e r Ideen. Der Autor der vorliegenden Monographie u n t e r n i m m t den interessanten Versuch, eine von Ellis immer wieder behauptete Verwandtschaft seines Therapiemodells mit der Ideenwelt des antiken Stoizismus detailliert zu hinterfragen mit dem Ziel, Menschenbildannahmen als mehr allgemeine Eingangsgrößen speziell der R E T , letztendlich jeder Psychotherapie präziser zu fassen. I m Laufe der sehr sorgfältig und kritisch geführten Analyse erweisen sich neben einigen Unterschieden in der T a t recht große Übereinstimmungen zwischen Stoizismus und R E T , die faktisch bis in einzelne Praktiken hineinreichen. Bedeutsamer als die Feststellung derartiger Übereinstimmungen erscheint mir jedoch das Ergebnis, d a ß die eigentlich wirksamen Faktoren des therapeutischen Prozesses wohl zu einem großen Teil von Therapeut zu Patient transportierte Menschenbildannahmen/Grundüberzeugungen sind, wogegen die Praktiken (Techniken) eher untergeordneten Wert haben. Mit anderen Worten, die Stärke der R E T liegt in ihrer Ideenwelt und der Überzeugung der Therapeuten von deren Gültigkeit. Insgesamt nicht n u r f ü r R E T Freunde ein durchaus lesenswertes Büch. E r d m a n n (Berlin)
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Klimesch, W.: Struktur und Aktivierung des Gedächtnisses. 201 S., 45 Abb., 18 Tab., 1 5 , 5 x 2 2 , 5 cm. Bern - S t u t t g a r t — Toronto: H . Huber 1988. Kartoniert 6 4 , - DM. D a s vorliegende Buch geht von der Auffassung aus, daß Kognitive Psychologie ohne die Berücksichtigung spezifischer Hypothesen über die Repräsentation von Information im menschlichen Gedächtnis nicht sinnvoll betrieben werden kann. Dies wird an Hand eines problemgeschichtlichen E x k u r s e s sowie durch traditionelle Theorien und Experimente über das Vergessen bekräftigt. Dabei wird deutlich, daß d a s Umgehen expliziter Repräsentationsannahmen zur impliziten Annahme ganzheitlicher Codes führt, die widersprüchliche Prädikationen nach sich ziehen. Um die aufgezeigten Widersprüche zu lösen, entwickelt der Autor eine neue, umfassende Gedächtnistheorie, das sog. Vernetzungsmodell. Dieses Modell basiert auf drei Grundannahmen: auf der Strukturannahme vernetzter Komponentencodes und auf den Prozeßannahmen der indirekten Aktivierung sowie der unbegrenzten K a p a z i t ä t der Aktivierungsausbreitung. Dieses Vernetzungsmodell wird auf das semantische Gedächtnis angewendet, um seinen Erklärungs- und Prädiktionswert einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei zeigt sich, daß die Bedeutung tragender Konzepte der Kognitiven Psychologie, wie z. B. Typikalität, Kontextabhängigkeit der Begriffsbedeutung, Basisbegriffe, sinnvoll erklärt und vielfach gestützte experimentelle Befunde (z. B. die raschere Verarbeitung von Bildern im Vergleich zu Wörtern, verbunden mit der besseren Merkleistung für Bilder im Vergleich zu Wörtern) sowohl vorhergesagt als auch erklärt werden können. In diesem Zusammenhang setzt sich der Autor detailliert mit den einflußreichsten Netzwerktheorien auseinander, die d a s sog. Abrufinterferenzparadoxon nach sich ziehen. Mittels der zentralen Vorhersage des Vernetzungsmodells kann dieses Paradoxon der Gedächtnispsychologie überwunden werden. E s läßt sich d a s experimentell gestützte F a k t u m begründen, daß informationsreiche Gedächtnisstrukturen rascher aktiviert und abgesucht werden als informationsärmere. Das Vernetzungsmodell erscheint als ein fruchtbarer, theoretisch wie experimentell Stimuliertender Ansatz, die Entwicklung komplexer Gedächtnistheorien mit weitreichendem Erklärungswert zu befördern. Das vorliegende Buch zeichnet sich zudem durch eine übersichtliche und klare Darstellung theoretischer Positionen und empirischer Befunde aus. Elke v a n der Meer (Berlin)
Noizet, G.: Bélanger, D.; Bresson, F . (Hrsg.): L a communication. 345 S., 10 Abb., 3 Tab., 1 3 x 2 1 cm. Paris : Presse Universitaires de France 1985. Psychologie d'aujourd'hui. Broschur. Dieser Sammelband enthält die Beiträge, die für die 19. Studientage der Gesellschaft für wissenschaftliche Psychologie im französischen Sprachgebiet (abgehalten v o m 7 . - 9 . 9. 83 in Montréal) vorbereitet wurden. Die Artikel umfassen d a s Gebiet der psychologischen Probleme der Kommunikation i m weitesten Sinne ; sie reichen von Biokommunikation, nonverbaler Kommunikation des Menschen (besonders Mutter-Kind-Beziehung) bis zu methodologischen, sozialpsychologischen, psychopathologischen und Problemen der Mensch-Computer-Kommunikation. Die T e x t e zeichnen sich durch Gründlichkeit und Allgemeinverständlichkeit aus ; sie geben sowohl eine allgemeine Einführung in die behandelten Fragen wie auch eine Diskussion neuer Ergebnisse und offener Probleme. Die Autoren versuchen, den engen informationstheoretischen Ansatz zu überschreiten und Kommunikation als Wesensmerkmal sozialer Interaktion in der Einheit syntaktischer, semantischer und pragmatischer Aspekte zu behandeln und dabei auf die gesamte Breite internationaler Diskussion zurückzugreifen. F . N a u m a n n (Berlin)
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Fry, P. S. (Hrsg.): Psychological Perspectives of Helplessness and Controlin theElderly. 442 S. Amsterdam — New York — Oxford - Tokyo: North-Holland 1989. Advances in Psychology Nr. 57. Auf der einen Seite werden alte Menschen immer wieder als „Opfer" von sozialen und biologischen Vorgängen gesehen, über die sie selbst kaum Kontrolle zu haben scheinen. Auf der anderen Seite mehren sich die Meinungen, nach denen Menschen bis in die höchsten Lebensjahre hinein kompetent und selbstbestimmt sind und ein sinnvolles, zufriedenes Leben führen. Diesem Widerspruch widmet sich der vorliegende 57. Band der Reihe „Advances in Psychology". Herausgeberin P. S. E r y will beide Aspekte verbinden: Die in der Tat auftretenden problematischen Lebensereignisse des Alters und die offensichtliche Variabilität der Anpassung an diese Situationen durch das altgewordene Indivi d u u m . Der geläufigen Rede vom „differentiellon Altern" tragen die Autoren aus sehr unterschiedlichen B1 ickwinkeln Rechnung. Psychologen, Sozialwissenschaftler, Gerontologen der USA, Canadas und der B R D diskutieren die Möglichkeiten der produktiven Anpassung im Alter über die Variable der Kontrolle. Seligmans Studien über erlernte Hilflosigkeit sind auch in der Gerontologie immer wieder Anstoß, über die Bedeutung der Kontrolle f ü r die Erhaltung der Kompetenz im Alter nachzudenken. In der hier vorgelegten Publikation sind die inzwischen vorhandenen Belege über die Effekte tatsächlich gegebener Kontrollmöglichkeiten nachzulesen. Ein guter Überblick f ü r alle, die sich mit psychologischen Komponenten der Kompetenzerhaltung im Alter befassen. Adelheid Kuhlmey-Oehlert (Berlin)
Beauvols, J.-L.: La Psychologie quotidienne. 213 S. 4 Abb., 1 3 x 2 1 cm. Paris: Presse Universitaires de France 1984. Le psychologue. Glanzbroschur. J e d e r m a n n neigt im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen dazu deren Charakterzüge zu bestimmen, um ihr Verhalten einschätzen zu können. Der Autor will mit seinem Buch eine Kritik dieser „Alltagspsychologie" liefern. Dabei sieht er einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Alltags- und wissenschaftlicher Psychologie, wobei erstere eine ideologische, d. h. Gesellschaftsstrukturen konservierende und verschleiernde Funktion erfülle. Das zeige sich darin, d a ß der „Alltagspyschologe" die Ursachen von Verhaltensakten nicht in situativen Bedingungen, sondern in konstanten Charakterzügen der beteiligten Personen suche. Mit einer solchen „Internationalisierung" sozialer Verhältnisse würden Gesellschaftsstrukturen naturalisiert, der menschlichen N a t u r angelastet. Diese Konzeption f ü h r t den Autor nicht n u r zu einer maßlosen Überschätzung des praktischen Einflusses der Alltagspsychologie auf die Bewahrung von Sozialstrukturen, sondern er lehnt mit ihr auch jede psychologische Persönlichkeitstheorie, die Individuen konstante Persönlichkeitseigenschaften zuschreibt, a b ; denn Attribute wie „großzügig", „geizig" usw. würden keine realen Sachverhalte, sondern n u r Bewertungen der Nützlichkeit von Verhaltensweisen f ü r den Beobachter abbilden. F. N a u m a n n (Berlin)
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Autorenhinweise Manuskripte können in deutscher oder englischer Sprache an Herrn Dr. J . Mehl Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Oranienburger Str. 18, Berlin, DDR - 1020 eingereicht werden. Dabei wird das Urheberrecht des Autors vorausgesetzt. Die Beiträge sind in zweifacher Ausfertigung und in druckreifer F o r m einzusenden. F o r m a t A4, einseitig beschrieben, Schreibmaschine, 2zeilig, 30 Zeilen pro Seite, ca. 60 Anschläge pro Zeile, breiter Rand oben und links. Streichungen oder Zusätze im Manuskript sind nicht zulässig. Der Umfang soll in der Regel 10 Schreibmaschinenseiten nicht überschreiten. Gliederung der Manuskripte 1. Titelblatt: oben breiterer R a n d ; Klinik- und Institutsbezeichnungen; knapper aber informativer Titel, dazu Kurztitel (maximal 40 Buchstaben); Namen und Vornamen aller Autoren. 2. Zusammenfassung: in deutscher Sprache, Zusammenfassung in englischer Sprache und Korrespondenzanschrift. 3. Text, gegliedert in Einführung, Material und Methoden, Ergebnisse, Diskussion (deutlich gliedern). 4. Tabellen: Jede Tabelle auf gesondertem Blatt, kurze Legende darüber, fortlaufend römisch numerieren (Tab. I., I I . usw.), weitere Erklärungen unter die Tabelle schreiben. Am Manuskriptrand vermerken, an welcher Stelle die Tabelle eingefügt werden soll. 5. Abbildungen: Ein Satz reproduktionsfähiger Vorlagen in separatem Umschlag wird benötigt (schwarzweiße Hochglanz-Fotoabzüge, saubere Strichzeichnungen mit tiefschwarzem, einheitlichem Strich, oder Computergrafiken auf weißem Papier im Doppeldruckverfahren, in ca. zweifacher Größe des endgültigen Bildes, Beschriftung in der Vorlage mindestens 4—5 m m hoch, extreme Größenvarianten der Beschriftung vermeiden). Auf der Rückseite mit Bleistift fortlaufend arabisch numerieren, Namen des Autors vermerken Und mit einem Pfeil angeben, was „oben" ist. Am Manuskriptrand markieren, wo die Abbildungen eingefügt werden sollen. Abbildungslegenden auf gesondertem Blatt (nie auf die Abbildungen schreiben), in numerischer (arabischer) Reihenfolge. 6. Literatur: neue Seite anfangen und alphabetisch ordnen. Die Anfangsbuchstaben der Vornamen werden den Autorennamen stets nachgestellt. Die Titel der zitierten Artikel oder Bücher sind vollständig anzugeben. Kurzbezeichnüngen der Zeitschriften nach TGL 20969 vom J u n i 1984 bzw. Med.-Rep. 15 (1986) 5/6. Beispiele: Krause, W . : Über menschliches Denken. — Denken als Ordnungsbildung. Z. Psychol. 197 (1989) 1—30. Thomas, L . ; Mehl, J . : Normierung und Validierung eines Angstlichkeitsfragebogens f ü r die Neurosendiagnostik. I n : Neurodiagnostik. Hrsg.: Helm, J . ; Kasielke, E . ; Mehl, J . Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1974. S. 153-178.
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Autorenhinweise Manuskripte können in deutscher oder englischer Sprache an Herrn Dr. J . Mehl Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Oranienburger Str. 18, Berlin, DDR - 1020 eingereicht werden. Dabei wird das Urheberrecht des Autors vorausgesetzt. Die Beiträge sind in zweifacher Ausfertigung und in druckreifer F o r m einzusenden. F o r m a t A4, einseitig beschrieben, Schreibmaschine, 2zeilig, 30 Zeilen pro Seite, ca. 60 Anschläge pro Zeile, breiter Rand oben und links. Streichungen oder Zusätze im Manuskript sind nicht zulässig. Der Umfang soll in der Regel 10 Schreibmaschinenseiten nicht überschreiten. Gliederung der Manuskripte 1. Titelblatt: oben breiterer R a n d ; Klinik- und Institutsbezeichnungen; knapper aber informativer Titel, dazu Kurztitel (maximal 40 Buchstaben); Namen und Vornamen aller Autoren. 2. Zusammenfassung: in deutscher Sprache, Zusammenfassung in englischer Sprache und Korrespondenzanschrift. 3. Text, gegliedert in Einführung, Material und Methoden, Ergebnisse, Diskussion (deutlich gliedern). 4. Tabellen: Jede Tabelle auf gesondertem Blatt, kurze Legende darüber, fortlaufend römisch numerieren (Tab. I., I I . usw.), weitere Erklärungen unter die Tabelle schreiben. Am Manuskriptrand vermerken, an welcher Stelle die Tabelle eingefügt werden soll. 5. Abbildungen: Ein Satz reproduktionsfähiger Vorlagen in separatem Umschlag wird benötigt (schwarzweiße Hochglanz-Fotoabzüge, saubere Strichzeichnungen mit tiefschwarzem, einheitlichem Strich, oder Computergrafiken auf weißem Papier im Doppeldruckverfahren, in ca. zweifacher Größe des endgültigen Bildes, Beschriftung in der Vorlage mindestens 4—5 m m hoch, extreme Größenvarianten der Beschriftung vermeiden). Auf der Rückseite mit Bleistift fortlaufend arabisch numerieren, Namen des Autors vermerken Und mit einem Pfeil angeben, was „oben" ist. Am Manuskriptrand markieren, wo die Abbildungen eingefügt werden sollen. Abbildungslegenden auf gesondertem Blatt (nie auf die Abbildungen schreiben), in numerischer (arabischer) Reihenfolge. 6. Literatur: neue Seite anfangen und alphabetisch ordnen. Die Anfangsbuchstaben der Vornamen werden den Autorennamen stets nachgestellt. Die Titel der zitierten Artikel oder Bücher sind vollständig anzugeben. Kurzbezeichnüngen der Zeitschriften nach TGL 20969 vom J u n i 1984 bzw. Med.-Rep. 15 (1986) 5/6. Beispiele: Krause, W . : Über menschliches Denken. — Denken als Ordnungsbildung. Z. Psychol. 197 (1989) 1—30. Thomas, L . ; Mehl, J . : Normierung und Validierung eines Angstlichkeitsfragebogens f ü r die Neurosendiagnostik. I n : Neurodiagnostik. Hrsg.: Helm, J . ; Kasielke, E . ; Mehl, J . Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften 1974. S. 153-178.
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Preisänderung in der DDR Sehr geehrter Leser! Die ökonomische Notwendigkeit, künftig auf eine realistische Kosten-Nutzen-Rechnung zu achten und Subventionen abzubauen, macht es unumgänglich, die Preise der wissenschaftlichen Zeitschriften den Erfordernissen anzupassen. Viele von Ihnen haben schon seit längerem darauf hingewiesen, daß bisher wissenschaftliche Arbeitsergebnisse in Form von Publikationen in Zeitschriften unter Wert verkauft wurden. Das hat nicht selten ihr Ansehen gemindert. Für den Verlag würde eine Fortsetzung der bisherigen Verfahrensweise letztendlich bedeuten, diese Zeitschriften in Kürze einstellen oder die polygraphische Qualität (noch weiter) zu verringern. Beides läge nicht im Interesse von Lesern, Autor und Verlag. Aus diesen Gründen hat sich der Verlag entschlossen, ab Heft 3/90 den Zeitschriftenpreis zu verändern. Ein Heft der Zeitschrift für Psychologie kostet nunmehr 18,— Mark. Wir bitten Sie um Verständnis für diese Entscheidung und hoffen, daß Sie der Zeitschrift weiterhin treu bleiben. Johann Ambrosius Barth
Anschrift der Redaktion: Dr. J . Mehl, Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Str. 18, Berlin, D D R - 1020, Ruf 2 80 5115.
Oranienburger
Anschrift des Verlages: Johann Ambrosius Barth, Salomonstr. 18 b, Postfach 109, Leipzig, D D R - 7010, Ruf 7 01 31. Für die Zeitschrift werden grundsätzlich nur Arbeiten angenommen, die vorher weder im Inland noch im Ausland veröffentlicht worden sind. Mit der Annahme des Manuskripts und seiner Veröffentlichung geht das alleinige Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Ubersetzung einschließlich des Rechts der Herstellung von Sonderdrucken an den Verlag über. Von den Beiträgen liefert der Verlag an Stelle eines Honorars 50 Sonderdrucke kostenlos. Anzeigen werden erbeten an: V E B Fachbuchverlag, Verlag Joliann Ambrosius Barth. Bestellungen nehmen entgegen: In der D D R der Postzeitungsvertrieb und der Verlag Johann Ambrosius Barth. In den sozialistischen Ländern der zuständige Postzeitungsvertrieb, in der B R D und Berlin (West) besitzt jede einschlägige Buchhandlung die Möglichkeit der Beschaffung. In allen anderen Staaten der örtliche Buch- und Zeitschriftenhandel. Bezugsbedingungen: Von der Zeitschrift erscheinen jährlich 4 Hefte, die zwanglos ausgegeben werden. Die Lieferung erfolgt bis zur Abbestellung.
Zeitschrift für Psychologie — Johann Ambrosius Barth, Salomonstr. 18 b, Leipzig, DDR - 7010, Ruf 70131. — Chefredakteur: Prof. Dr. F. Klix, Sektion Psychologie der Humboldt-Universität, Oranienburger Str. 18, Berlin, DDR - 1020. — Veröffentlicht unter der Lizenz-Nr. 1394 des Presse-und Informationsdienstes der Regierung der D D R . — Gesamtherstcllung: V E B Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", Grafenhainichen, DDR - 4450, 1V/2/14, 920. - AN (EDV) 47030. - Erscheint jährlich ein Band zu 4 Heften. - Jahresbezugspreis: DDR 5 0 , - M, Ausland 9 ü , - DM. Einzelheft: D D R 12,50 M, Ausland 2 4 , - DM
Neuerscheinung
Methodik des psychotherapeutischen Einzelgesprächs Von Prof. Dr. sc. med. Michael Geyer, Leipzig 1989. 142 Seiten, 20 Abbildungen und 6 Übersichten, 14,5 cm X 21,5 cm Broschur, 1 9 , - M Bestellangaben: 793 825 8 / Geyer, Einzelgespräch I S B N 3-335-00099-4 Vertriebsrechte für das gesamte nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet beim Springer Verlag Wien
Diagnostisch-therapeutische Strategien werden anhand klinischer Fallbeispiele demonstriert und eindeutige Handlungsweisen zum Erreichen der Teilziele gegeben. Der Leser soll durch die Lektüre des Buches in die Lage versetzt werden, die methodischen Grundprinzipien einer Beeinflussung durch das Gespräch zu verstehen, die der therapeutischen Beziehung innewohnenden Potenzen zielgerichtet in Gesprächen einzusetzen und hei unterschiedlichen Zielgruppen in Prävention, Therapie und Rehabilitation anzuwenden.
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