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German Pages 260 [155] Year 1991
Zeitschrift für Psychologie
ISSN 0044-3409 Z. Psychol. Leipzig • 198 (1990) 2 S. 145-292
Zeitschrift für Psychologie
mit Zeitschrift für angewandte Psychologie
Schriftleitung F. Klix, Berlin W. Hacker, Dresden Elke van der Meer, Berlin Redaktion J. Mehl, Berlin F. Kukla, Berlin
Johann Ambrosius Barth Leipzig
2/90
Unter Mitwirkung
von
J. E. Azcoaga (Buenos Aires) • P. B. Baltes (Berlin/West) • N. Bischof (Zürich) • A. A. Bodaljow (Moskau) • H. Dörner (Bamberg) • J. Engelkamp (Saarbrücken) • P. Fraisse (Paris) • H.-G. Geißler (Leipzig) • D. J. Herrmann (New York) • A. Kossakowski (Berlin) D. Kovac (Bratislava) • D. Magnussen (Stockholm) • K. Pawlik (Hamburg) • P. Petzold (Jena) • T. Radil (Prag) • H.-D. Rosier ( Rostock) • E. Roth (Salzburg) • H.-D. Schmidt (Berlin) • B. M. Velichkowsky (Moskau) • M. Wertheimer (Boulder) • G. d'Ydewall (Leuven)
Inhalt John, M.; Eckardt, G. (Jena). Die „Zeitschrift für Psychologie" in ihren ersten Jahrzehnten
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Klix, F. (Berlin). Wissensrepräsentation und geistige Leistungsfähigkeit im Lichte neuer Forschungsergebnisse der kognitiven Psychologie
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Engelkamp, J.; Zimmer, H. D.; Mohr, G. (Saarbrücken). Differential memory effects of concrete nouns and action verbs
189
Kämpf, U. (Berlin). Zur Kaskadierung aufsteigender und absteigender Verarbeitung: „kontrolliert" vs. „automatisch" synchronisiertes Zusammenspiel von Merkmalsextraktion und Klassenrepräsentation
217
Lander, H.-J. (Leipzig). Die Abschätzung von Interventionseffekten mittels einer linearen Prä-Posttest-Analyse
247
Herrmann, D. J. (Bethesda). The representational bias of acquired memory processes
265
Autorenhinweise
292
Buchbesprechungen
164, 188, 245, 282
Zeitschrift für Psychologie
2/90
Band 198 (1990) 2
Band 104
mit Zeitschrift für angewandte Psychologie Z. Psychol. 198 (1990) 1 4 5 - 1 6 3
J. A . Barth, Leipzig
Sektion Psychologie der Friedrich-Schiller-Unversität Jena
Die „Zeitschrift für Psychologie" in ihren ersten Jahrzehnten Ein Beitrag zum 100 Jahr Jubiläum M. John und G. Eckardt Zusammenfassung: Ausgehend von einer Skizzierung der Lage der Psychologie um 1890 werden die Intentionen der Gründer und maßgeblichen Mitarbeiter der „Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane" beschrieben. Daran schließt sich ein Überblick über inhaltliche Schwerpunkte der ersten Jahrzehnte, das Profil der Zeitschrift sowie wichtige Kontroversen an. Es wird herausgestellt, daß die Zeitschrift insbesondere in ihren ersten Jahrzenten die Psychologieentwicklung in Deutschland in vielfältiger Weise mitgestaltet und reflektiert hat. Korrespondenzanschrift: Doz. Dr. sc. G. Eckardt, Sektion Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität, Universitätshochhaus 19. OG, Schillerstraße, Jena, DDR-6900
Einleitung Zweifellos ist in den letzten 2 5 - 3 0 Jahren national und international ein zunehmendes Interesse der Psychologen an der Geschichte ihres Faches zu konstatieren. Die Psychologiegeschichte hat sich als Disziplin etabliert und versteht sich als konstruktiver Bestandteil einer theoretischen Psychologie. Aber auch in vielen originären Teildisziplinen der Psychologie selbst wächst die Neigung, sich auf Vorläufer, Traditionen und (teilweise verschüttete) Quellen zu besinnen. So enthalten etwa neuere allgemeinpsychologische Darstellungen (Liier, 1987; Klix in Mandl/Spada, 1988) ausdrückliche Hinweise auf Historisches, und auch in der „Zeitschrift für Psychologie", von deren Geschichte im folgenden Aufsatz die Rede sein soll, wurde in den letzten Jahren eine Reihe von historisch orientierten Arbeiten publiziert: Arbeiten, die nicht nur im Stile einer steril-plakativen Denkmalspflege bestimmten Jubiläumsanlässen geschuldet sind, sondern die den Anspruch erheben, heuristischen Nutzen für die Bearbeitung aktueller Fachprobleme zu erbringen. Das reicht bis hin zur Wiederholung alter Experimente als einer spezifischen Form der Anknüpfung und Aktualisierung von wissenschaftlichen Traditionen (vgl. R. Schmidt 1987). In sinnfälliger Weise kam die fruchtbare Verzahnung von historischer Perspektive und Diskussion aktueller For-
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Abb. 1. Hermann Ebbinghaus
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Abb. 2. Arthur König
schungsergebnisse auf dem 1986 in Berlin „in memoriam" des Begründers der Zeitschrift, Hermann Ebbinghaus, veranstalteten internationalen Symposium zum Ausdruck. In den letzten Jahrgängen der Zeitschrift (wenn von „der Zeitschrift" die Rede ist, ist im folgenden immer die „Zeitschrift für Psychologie" gemeint), erfuhren neben Ebbinghaus eine Reihe weiterer Autoren aus der Frühzeit dieses Publikationsorganes spezielle Würdigungen: Carl Stumpf, William Thierry Prexer, David Katz, Wolfgang Köhler, Max Wertheimer. Obwohl einerseits nicht wenige Lehrbücher und Monographien der jüngeren Vergangenheit dazu neigen, „den Sinn des Wissenschaftlers für die Geschichte der Disziplin abzustumpfen" und — nachdem ihnen das gelungen zu sein scheint - „für das von ihnen ausgeschaltete einen Ersatz (zu) liefern" (Kuhn, 1973, S. 183), gibt es andererseits erfreulicherweise gegenläufige Trends, die auf ein fachspezifisches Geschichtsbewußtsein hindeuten. Nicht nur Velickovsky (1988) fügt seiner Darstellung der modernen kognitiven Psychologie einen historischen Abriß bei, der weit über die üblichen Marginalien hinausgeht. Auch in Lüers „Allgemeiner experimenteller Psychologie" (1987) wird nicht nur das 100. Jubiläum des Göttinger Institutes aus gegebenem Anlaß gewürdigt, sondern es wird auch mit Detailtreue
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und Respekt auf G. E. Müller Gedächtnispsychologie und seine konsequente Experimentaltechnik eingegangen. Die beiden zuletzt genannten Arbeiten würdigen darüber hinaus auch die Rolle der „Zeitschrift" in ihren ersten Jahrzehnten bei der Herausbildung der experimentellen Psychologie. Bei Sarris (1988) erfahren wir in diesem Zusammenhang auch, daß beispielsweise Max Wertheimer während seiner Studienzeit im Jahre 1903 alle bis dahin vorliegenden Bände der „Zeitschrift" gründlich durchgearbeit hatte. So ist es keineswegs verwunderlich und eben nicht nur einem Jubiläum geschuldet, wenn in der „Zeitschrift für Psychologie" verstärkt auf die eigenen Anfänge verwiesen wird und sich ihre frühen Jahrgänge wieder einer eigentlich nie ganz verlorengegangenen Aufmerksamkeit erfreuen. Der jetzige langjährige Herausgeber F. Klix versäumt es nicht, in seinen eigenen Arbeiten zur Gedächtnispsychologie (z.B. Klix, 1988) auf die klassischen Vorläufer einzugehen, die alle in dieser Zeitschrift publiziert haben. So spielen die Arbeiten von Ebbinghaus, Höffding, Müller und Pilzecker auch in neueren Publikationen zur Gedächtnispsychologie eine Rolle, sie gehören zu den Namen, die immer wieder zitiert werden. Im folgenden wollen wir versuchen, die Intentionen der Gründer, das Profil der Zeitschrift und wichtige Kontroversen in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens nachzuzeichnen. Zuvor aber ist es - um die wissenschaftshistorischen Kontextbedingungen der Zeitschriftengründung zumindest skizzenhaft zu erfassen - erforderlich, einige Aussagen über die Lage der Psychologie um 1890 zu machen.
Die Lage der Psychologie um 1890 Es ist nicht leicht, die dynamische Entwicklung, in der die Psychologie um 1890 begriffen ist, sozusagen in einer Momentaufnahme festzuhalten. Wir stützen uns bei diesem Versuch auf neuere Arbeiten zu dieser Zeit (Ash, 1986; Müller, 1987; Fries, 1987), ältere Überblicke (Boring, 1950; Überweg, 1916; Stern, 1900) sowie auf authentische Aussagen uiid Originalarbeiten. In dem vielfach herangezogenen Aufsatz von Stern (1900) „Die psychologische Arbeit des 19. Jahrhunderts" ist von „ungeheurer Betriebsamkeit" und einem Vielerlei die Rede: „multum et multa". „In der That, meine Herren, die psychologische Landkarte der Gegenwart weist eine ähnliche Buntscheckigkeit auf, wie die politische unseres Vaterlandes in den Tagen der seligen Kleinstaaterei" (a.a.O., S. 414). Diese Aussage steht in gewissem Gegensatz zu Bühler (1929, S. 11), der zur Psychologie um 1890 vermerkt hatte: „Denn damals gab es so etwas wie ein gemeinsames Programm und eine gemeinsame Hoffnung." Daß es eine gemeinsame Hoffnung gegeben haben mag, sei einmals unterstellt, zumindest hat sie sich nicht ganz erfüllt. „Viele Psychologie gibt es, aber nicht die neue Psychologie", heißt es dazu bei Stern (a.a.O., S. 415). Die Psychologie hat es womöglich nie gegeben, als einheitliche Wissenschaft ist sie höchstens eine Abstraktion, die zu viele Details ignorieren müßte. Auch die Psychologie um 1890 ist kein einheitliches Gebilde. „Außer der stark empirischen Tendenz und der Verwertung der experimentellen Ergebnisse
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gibt es kaum wesentliche Merkmale, die ihnen allen gemeinsam sind", stellt Stern (a. a. O.) fest. Aber: „Raum für alle hat das große Haus der Psychologie" (Bühler 1929, S. 61). Die verschiedenen Lehrbücher, Kompendien und Grundzüge „ . . . sprechen oft verschiedene Sprachen, und die Portraits, die sie von der Psyche entwerfen, sind mit so verschiedenen Farben und mit so abweichender Accentuierung bestimmter Züge bemalt, daß es einem oft schwer wird, die Identität des dargestellten Objectes zu erkennen" (Stern, a.a.O.). Ash (1986) vertritt die Auffassung, daß es eine Einheit der Psychologie nur in ihren Abgrenzungen, also in etwas Negativem gegeben habe. Eindeutig habe sich die akademische experimentelle Psychologie von der philosophischen Spekulation und allen Arten des Spiritismus abgegrenzt, der sich damals mitunter auch als experimentelle Psychologie etikettierte. Aber selbst im Methodenverständnis, bei dem man sich nur einig war in der Hinwendung zu naturwissenschaftlich-experimenteller Methodik, gab es eine große Vielfalt. Das Selbstverständnis der neuen Psychologie als einer exakten, experimentellen Wissenschaft mußte in den folgenden Jahrzehnten weiter ausgebaut und verteidigt werden; hingewiesen sei hier nur auf die berühmte Kontroverse zwischen Dilthey und Ebbinghaus 1894-1896 und an den Streit mit den Philosophen vom 1913, bei denen es neben Fragen des Gegenstands- und Methodenverständnisses auch um Wissenschaftspolitisches ging. Stumpf (1909, S. 6) bringt diese Abgrenzung sehr deutlich zum Ausdruck, indem er ausführt: „Mir selbst erscheint zunächst das Beiwort,experimentell' gegenüber gewissen bloß räsonierenden, abstrakt deduzierenden Richtungen, die in Deutschland noch nicht ganz ausgestorben sind, immerhin nützlich." Fries (1987, S. 28) unterscheidet fünf methodische Varianten, die mit dem Begriff „experimentell" in der Psychologie um 1890 verbunden sind: 1. i. S. einer gezielten, kontrollierten und wiederholbaren Variation phänomenerzeugender Bedingungen und der Kausalanalyse von Bedingungsvariation und Effekt (z. B. klassische Psychophysik); 2. i. S. einer Kombination von Experiment nach naturwissenschaftlichem Vorbild mit der Methode der Selbstbeobachtung als der eigentlichen psychologiespezifischen Methodik (z. B. bei Wundt und seinen Schülern); 3. i. S. einer statistischen Erhebung von bestimmten Merkmalen an größeren Populationen (z.B. Scripture 1896); 4. i. S. einer systematischen Einzelfallbeobachtung (z. B. in der Psychiatrie und Psychopathologie); 5. i.S. einer willkürlich erzeugten Gelegenheit zur Selbstbeobachtung von Phänomenen (z. B. Untersuchung bestimmter optischer Täuschungen; später auch Würzburger Schule). Es gibt 1890 bereits Traditionslinien im Methoden- und Gegenstandsverständnis, an die mit einem gewachsenen Selbstverständnis angekünpft werden kann. Müller (1987, S. 214ff.) unterscheidet drei Etappen bzw. vier Hauptlinien der Methodenentwicklung innerhalb der experimentellen Psychologie des 19. Jahrhunderts. An erster Stelle steht die Herausbildung des Psychophysik, die bereits gegen 1860 ein gut entwickeltes Methodenrepertoire für perzeptive Prozesse herausgebildet hatte. Zum zweiten entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Handhabung der Zeit als Variable in experimentalpsychologischen
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Untersuchungen, und zwar sowohl im Hinblick auf Zeitsinn, Reaktionsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit als auch in Fragen der Dauer psychischer Prozesse. Schließlich wird insbesondere durch Ebbinghaus ab 1880 die experimentelle Methodik auch auf höhere kognitive Prozesse angewendet, es steht ein Methodenrepertoire zur Lern- und Gedächtnispsychologie zur Verfügung, das lange Zeit hindurch paradigmatisch auf diesem Teilgebiet bleiben wird. Wenn hier zunächst methodische Grundzüge des Hauptstromes der Psychologie um 1890 beschrieben wurden, dann deshalb, weil darin vielleicht noch am ehesten eine gewisse Einheit als programmatisches Element zu finden ist. Ein weiteres Charakteristikum der Psychologie um 1890 ist ihr rasches institutionelles Wachstum auf breiter Ebene. Nicht nur die Gründung wichtiger Laboratorien und Institute (bis 1890 in Bonn, Breslau, Freiburg, Göttingen, Leibzig und München - bis zum Ersten Weltkrieg kommen noch etwa ein Dutzend dazu; nach Geuter, 1986) ist hierzu zu zählen, sondern auch die wachsende Anzahl von Publikationen und Dissertationen (die „Zeitschrift" wird hier einen weiteren Baustein hinzufügen) und eine größere Anzahl von Grundlagenwerken und Lehrbüchern. Eine „scientific Community" ist im Entstehen, die Ash (a. a. O.) jedoch erst im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts als fest etabliert ansieht. Betrachten wir im folgenden einmal die bereits vorliegenden Lehrbücher und Überblicksdarstellungen, so wird deutlich, welche große Vielfalt und welche Differenzen gleichzeitig in der philosophischen Fundierung, im Gegenstandsverständnis und in der Terminologie vorliegen. Stern (1900) teilt diese Strömungen in zwei Gruppen - eine Formulierung, die später (u.a. von Staeuble, 1985) gern wieder aufgegriffen wird: die „subjektlose" und die „Subjektpsychologie". Während etwa Wundts „Grundzüge der physiologischen Psychologie" (1873/74) zum „Vademecum der psychologischen Laboratorien der ganzen Welt" werden (St. Hall 1914, 2. 220), stellt Brentanos „Psychologie vom empirischen Standpunkt" (1874) die andere Seite des Spektrums dar, eine Psychologie, die sich zwar nicht dem experimentellen Zugang verschließt, jedoch mit einer sehr eigenen Begrifflichkeit arbeitet. Auch diese Richtung wird im Ensemble der Psychologieschulen in der Folge eine Stimme haben, jedoch mitunter weniger deutlich als die streng mit naturwissenschaftlicher Kausalität arbeitende „Psychologie ohne Seele".
Die Männer von 1890 Im ersten Heft der „Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane" (diesen Titel trug die Zeitschrift bis zur Teilung in zwei selbständige Reihen 1906) gibt es nur eine kurze programmatische Erklärung: vier Seiten „Zur Einführung" (vermutlich von Hermann Ebbinghaus selbst verfaßt; Bd. 1, 1890). Darin ist von einem „Aufschwung der letzten Jahre" die Rede, von dem Einfluß der Fortschritte der Naturwissenschaften, insbesondere der biologischen und physiolgischen Wissenschaften (einschließlich ihrer neuen Apparate). Die Psychologie habe begonnen, mit Hilfe von Zählung und Messung sich zu einer „soweit als möglich exakten Wissenschaft" zu gestalten. Die Physiologie des Nervensy-
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stems, insbesondere die Sinnesphysiologie, gehöre mit „innerer Notwendigkeit" dazu, es wird sogar von einer „Doppelwissenschaft" gesprochen. Der Überblick über die Fortschritte, über das Ganze, sei bisher schwer gewesen, da ein eigenes Organ gefehlt habe. Dies nun soll die neugegründete Zeitschrift sowohl mit Originalarbeiten als auch mit möglichst treuem Bericht „über alle einschlägigen literarischen Erscheinungen" (auch aus bloß benachbarten Disziplinen) leisten. Zum inhaltlichen Programm der Zeitschrift heißt es nur ganz lakonisch: „Zur näheren Umgrenzung ihres Arbeitsgebietes werden die Namen der Männer genügen, welche der Redaktion mit großer Bereitwilligkeit ihre thätige Mitarbeit und Unterstützung zugesagt haben. Die Aufgaben und Ziele der Zeitschrift liegen in eben diesen Namen ausgepägt: sie erstrebt eine Vereinigung der Personen und Anschauungen zum wissenschaftlichen Dienst an einer einheitlichen großen Sache" (a.aO.). Tatsächlich steckt in dieser kurzen „Einführung" viel Programm und ein Entwurf, der in großen Zügen in den nächsten Jahrzehnten auch zur Ausführung gelangen wird. Doch die Vision einer „einheitlichen großen Sache" ist so einfach nicht, wie sie in dieser sozusagen jugendlichen Aufbruchsphase der Psychologie sich dargestellt haben mag. Neben einer eindeutigen Orientierung an den „exakten" (Natur-)Wissenschaften, an einer physiologisch untermauerten - fast möchte man mit Boring sagen „brass-metall"-Psychologie ist gleichzeitig der Anspruch erhoben, einen Überblick über das „Ganze" zu ermöglichen. Über den intendierten Gegenstandsbereich erfahren wir in dieser Einleitung allerdings tatsächlich wenig mehr, als die Namen der Männer, die ihn repräsentieren sollen. Wer sind nun die Männer von 1890? Die Legitimation einer solchen „personalistischen" Fragestellung innerhalb der Psychologiegeschichte gibt uns nicht nur die eben besprochene Einleitung, sondern u. a. auch Karl Bühler, der als Ausgangspunkt seiner „Krise der Psychologie" (1929) den Stand der Psychologie um 1890 wählt, sozusagen als „neutralen Nullpunkt" - und er nimmt dabei ausdrücklich auf die „Zeitschrift" Bezug. Er nennt die Namen der Herausgeber klangvoll, scheint jedoch auch Namen zu vermissen. Auf dem ersten Titelblatt stehen neben den Namen der Herausgeber Hermann Ebbinghaus und Arthur König weitere neun Namen, („in Gemeinschaft mit" heißt es da): H. Aubert, H. v. Helmholtz, E. Hering, J. v. Kries, Th. Lipps, G. E. Müller, W. Preyer und C. Stumpf. Sehen wir uns diese Mitarbeiter einmal genauer an, nicht alle sind heute gleich gut bekannt. Sechs von ihnen, einschließlich des Herausgebers König, sind ordentliche Professoren der Physiologie: Aubert (1826-1892) in Rostock, Exner (1846-1926) in Wien, Hering (1834-1918) in Prag, später in Leipzig, König (1856-1901) in Berlin, v. Kries (1853-1928) zunächst in Freiburg/Br., ab 1895 in Berlin, dann München und wieder Freiburg, Preyer (1841-1897) aus Jena kommend in Berlin. Der universelle Naturwissenschaftler Helmholtz (1821-1894) ist der Älteste in dieser Runde, sein Name ist in der Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts einer der klangvollsten; er war seinerzeit Ordinarius für Physik in Berlin, hatte zuvor in Königsberg, Bonn und Heidelberg allerdings auch physiologische Lehrstühle inne. Helmholtz, der immerhin noch ganze fünf Artikel zur Zeitschrift beisteuert, alle auf dem Gebiet der „physiologischen Optik", kann daher als Siebenter getrost der Gruppe der Physiologen zugerechnet werden. Dann bleiben noch vier Namen: Stumpf, Lipps, Müller und Ebbinghaus, die aus unserer
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Sicht der „eigentlichen", engeren Psychologiegeschichte angehören und die uns jedenfalls noch mehr als die anderen beschäftigen werden. Stumpf (1848-1936) war damals Philosophieprofessor in München, ab 1894 dann in Berlin, wo er das psychologische Institut aufbaute; Lipps (1851-1914) war Philosoph in Breslau, ab 1894 als Nachfolger Stumpfs in München; G. E. Müller (1850-1934) war seit 1881 fest mit dem psychologischen Institut in Göttingen verbunden, und schließlich Ebbinghaus (1850-1909) hatte philosophische Professuren in Berlin, Breslau und Halle inne - alle vier eben genannten waren also nominell Professoren der Philosophie. Was repräsentieren diese Namen? Wieweit nehmen diese Männer tatsächlich Einfluß auf die Entwicklung der Zeitschrift? Unübersehbar ist die gewichtige akademische Verankerung in wichtigen Hochschulen Deutschlands und Österreichs, das Gewicht der Physiologie und die Ansiedlung zwischen Physiologie und Philosophie. Freilich sind diese Persönlichkeiten durch mehr zu kennzeichnen als durch Titel und formale Fachrichtung. Wichtige Standardwerke entsprangen ihrer Feder, ja ganze Wissenschaftlergenerationen gingen bei manchen von ihnen in die Lehre. Was war davon 1890 schon abzusehen? Von überragendem Einfluß und von großer Autorität war zweifellos Helmholtz. Mit streng experimentell-naturwissenschaftlichem Vorgehen hatte er maßgebliche Beiträge für die physiologische und sinnesphysiologische Seite der neuen Psychologie geliefert. Seine Beiträge zum Hören, zur Leitungsgeschwindigkeit der Nerven und vor allem das „Handbuch der physiologischen Optik" (1856/1866) waren anerkannte, zumindest stark beachtete Marksteine. Nicht nur Wundt, sondern auch die hier in Frage stehenden Mitarbeiter Exner, Kries und König waren Schüler bzw. Mitarbeiter von Helmholtz gewesen, wenn sich auch mit der Zeit unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen herausbildeten, so besonders bei Exner, der sich ziemlich weit von der Helmholtzschen Richtung entfernte. Aubert hatte eine eigene „Physiologische Optik" (1876) veröffentlicht, Preyer verschiedene Arbeiten zur Sinnesphysiologie, zum Schlaf und vor allem 1882 das maßgebliche kinderpsychologische Werk „Die Seele des Kindes". Von der Gruppe der „Philosophen" ist Lipps sicherlich der „philosophischste", der jedenfalls, der Psychologie am fernsten steht und der vor allem mit Beiträgen zur psychologischen Ästhetik eine Rolle spielt; immerhin ist auch er Schüler von Wundt. G. E. Müller war bis 1890 vor allem mit Schriften zur Psychophysik, zur Aufmerksamkeit und zum Farbensehen hervorgetreten, dann entfaltet er eine sehr einflußreiche, für das Schicksal der „Zeitschrift" nicht unbedeutende Tätigkeit als Hochschullehrer am Göttinger Institut und ist vor allem mit der Entwicklung der Gedächtnispsychologie verbunden. Eine große Anzahl von Schülern publizieren wiederum zunächst in der „Zeitschrift". Stumpf war bereits mit der „Tonpsychologie" (1883-1890) hervorgetreten, bevor auch er mit der Entwicklung am Berliner Institut eine breite Entfaltung von Schülergenerationen mitformte. Ebbinghaus selbst stehen wichtige Werke noch bevor, jedoch die folgenreiche Schrift „Über das Gedächtnis" ist bereits 1885 erschienen. Sein Programm entfaltet sich in den „Grundzügen" (ab 1897) und dem „Abriß der Psychologie" (1908) und nicht zuletzt auch in der Gestaltung der „Zeitschrift". Unterschiedlich ist der Anteil der Gründer an der tatsächlichen inhaltlichen Ausgestaltung der „Zeitschrift". Im ersten Jahrzehnt (Bd. 1 - 2 5 ) bestreiten allein die Autoren Kries (14), Lipps (13) und Stumpf (11) zusammen beinahe 12% aller Originalbeiträge, wobei inhaltlich
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die dominierenden Themen der Zeitschrift in jener Zeit bedient werden: Farbensehen, Kontrastphänomene, optische Täuschungen, Ästhetik und Tonpsychologie. Auch König bringt bis zu seinem frühen Tode fünf Beiträge aus seinem speziellen Gebiet: Farbe, Licht, Kontrast. Der direkte und indirekte Einfluß von Helmholtz wurde bereits erwähnt. Ein Autor, der die „Zeitschrift" von Anfang an bis weit in die 20iger Jahre mitbestimmt, ist G. E. Müller. Er veröffentlicht in der Zeitschrift insgesamt 18 größere Arbeiten und tritt als Mentor vieler Schülerarbeiten in Erscheinung. Das von ihm mitbestimmte Themenfeld ist die Psychophysik, optische Wahrnehmung und (z. T. zusammen mit Pilzecker) die Gedächtnispsychologie. Bereits im ersten Jahrzehnt der „Zeitschrift" tritt auch sein Schüler Friedrich Schumann (1863-1940) mit einer größeren Anzahl von Artikeln zur Zeitwahrnehmung, zu Problemen des Sehens und auch schon zum Gedächtnis in Erscheinung. Ebbinghaus tritt als Autor in der „Zeitschrift" mit nur sieben Beiträgen zu recht verschiedenen Themen hervor. Neben einem Beitrag zur Farbenpsychologie trägt er weiterhin zu einer Kontroverse über Probleme der Psychophysik bei, 1896 zur Grundlagenauseinandersetzung mit „Erklärender und verstehender Psychologie" und steckt schließlich mit einem Aufsatz zur Diagnostik geistiger Fähigkeiten von Schuldkindern den Rahmen weiter, als er damals von der „Zeitschrift" ausgefüllt wird: Psychodiagnostik und Entwicklungspsychologie sind in den ersten beiden Jahrzehnten innerhalb der „Zeitschrift" wenig behandelte Gebiete. Alle „Männer von 1890" arbeiten an der „Zeitschrift" bis zu ihrem Tode mit. Im ersten Jahrzehnt scheiden Aubert (t 1892), Helmholtz (t 1894) und Preyer (t 1897) aus; 1901 stirbt König und 1909 Ebbinghaus - so daß man mit der Übernahme der „Zeitschrift" durch Schumann (1909) von dieser Seite her eine erste Zäsur in der Geschichte der „Zeitschrift" ansetzen könnte; später kommt es 1922 noch einmal zu einer größeren Veränderung der Mitherausgeberschaft, von 1933 ganz zu schweigen. Von den „Gelehrten auf dem Titel" sind Aubert und Hering die mit dem geringsten Einfluß auf den Fortgang des Unternehmens; Hering wirkt eher noch indirekt nach durch die große Anzahl seiner Schüler. Auch Preyer kommt nur noch mit drei Arbeiten zum Zuge, eine davon zur Entwicklung des Farbensehens beim Kinde — gerade das Gebiet, das mit seinem Namen am meisten verbunden ist, die Kinderpsychologie, entfaltet sich später außerhalb der „Zeitschrift". Die zu Beginn sehr umfängliche Publikationstätigkeit von Lipps kommt nach 1903 zum Erliegen, obwohl sein Name auf dem Titel bleibt. Das hängt möglicherweise mit seiner 1903 beginnenden Mitarbeit am „Archiv für Psychologie" (im folgenden nur als „Archiv" bezeichnet) zusammen. Ab 1906 steht ihm auch die „Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft" für sein spezielles Gebiet zur Verfügung. Von den wichtigen Autoren der Anfangszeit, die zumindest quantitativ bestimmte Problemfelder mitbestimmen, sei hier noch der Stumpf-Schüler Max Meyer (1873-1967) genannt, der ab 1895 in der „Zeitschrift" immerhin zehn Beiträge zur Tonpsychologie bringt und auch nach seiner Übersiedlung nach Amerika 1901 (wo er eine nicht unbeachtete Rolle spielt, vgl. Hilgard 1984) Autor der Zeitschrift bleibt. Seine Erwähnung an dieser Stelle soll zumindest eines deutlich machen: die „Zeitschrift" war kein Organ der alten Männer, auch in den folgenden Jahren wird sie immer auch eine Plattform für die Profilierung jüngerer Wissenschaftler sein. Von den nachrückenden Mitarbeitern seien hier nur Ziehen und
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Meinong erwähnt, die unter der Herausgeberschaft von Ebbinghaus (1899 bzw. 1903) das Spektrum der Gelehrten auf dem Titelblatt erweitern: Ziehen als physiologischer Psychologe in Opposition zu Wundt und als Psychiater mit zunehmend erkenntnistheoretischen Ambitionen (vgl. Eckardt, 1973) sowie Meinong als exponierter Vertreter der Grazer Schule. Die Aufzählung der Wissenschaftler, die als potentielle Herausgeber oder Mitarbeiter hätten in Frage kommen können, tatsächlich aber nicht als solche in Erscheinung traten, sagt möglicherweise ebenso etwas über die programmatischen Intentionen der „Zeitschrift" aus wie die obige Charakterisierung der „Titelblatt-Repräsentanten". Wir halten diese Fragestellung nicht nur für ein Gedankenspiel, sondern für wesentlich in bezug auf die Einordnung der „Zeitschrift" in das Spektrum der Psychologie ihrer Zeit. Der anfangs schon zitierte Bühler (1929) hatte Mach vermißt und sein Fehlen bei den Herausgebern der Zeitschrift einen Zufall genannt. Bei Mach komme „die reinste Ausprägung jenes Forscherkreises von 1890" (a. a. O., S. 2) zum Ausdruck. Mach kommt allerdings auch unter den Autoren der „Zeitschrift" nicht vor, jedoch werden seine Werke rezensiert. Sicherlich hat er einige der Beiträge der „Zeitschrift" entscheidend beeinflußt. Aus seinem Wirkungskreis haben Brentano und Meinong an der „Zeitschrift" mitgearbeitet, und manche seiner Anregungen sind vor allem in die Diskussion erkenntnistheoretischer Kontroversen eingeflossen. Ebbinghaus selbst stand Mach jedoch ferner als Bühler es von seinem theoretischen Standpunkt aus annahm - möglicherweise haben bei der Auswahl der Mitarbeiter auf dem Titel auch persönliche und wissenschaftspolitische Gründe eine Rolle gespielt, die sich heute nicht mehr bis ins Detail rekonstruieren lassen. Am bemerkenswertesten ist natürlich, daß Wundt und viele seiner Schüler und Mitarbeiter konsequent außerhalb der „Zeitschrift" stehen, ja die „Zeitschrift für Psychologie" wird von manchen Psychologiehistorikern (Boring, Zusne) regelrecht als Gegenentwurf zu den „Philosophischen Studien" Wundts betrachtet, was nur bedingt richtig ist. Dieses Thema wird im Abschnitt der Kontroversen noch einmal aufgegriffen; hier sei nur soviel gesagt: die „Philosophischen Studien" beanspruchten gar nicht, das gesamte Gebiet der Psychologie abzudecken, sie enthielten keine umfängliche Referate und Überblicksdarstellungen und waren tatsächlich weitgehend dem Kreise um Wundt vorbehalten, während die „Zeitschrift" einen breiten Überblick anstrebte und auch formal einem der damals so bezeichneten „Zentralblätter" (wie es sie für medizinische Disziplinen schon länger gab, nachempfunden war. Die eigentliche Gegengründung war die des „Archivs" 1903 (als Nachfolger der „Philosophischen Studien"), das eindeutig das Gebiet der „Zeitschrift" überschnitt und sozusagen konkurrierende Ansprüche stellte. Wenn man jedoch der Frage nachgeht, wer auf dem Titelblatt der „Zeitschrift" hätte noch stehen können, der eben nicht dort stand, lohnt sich ein Vergleich mit dem ersten Band des „Archives" von 1903: Kraepelin, Külpe, Lehmann, Martius, Störring, Wirth und natürlich Wundt und Meumann als Herausgeber - hätten diese 1890 auch schon für eine Zeitschrift der gesamten Psychologie zeichnen können? Die Frage stellen heißt, sie verneinen. Eine ganz neue Generation ist hier angetreten, mit Ausnahme von Wundt natürlich, die um 1890 kaum promoviert, geschweige denn habilitiert war, gerade Martius und Kraepelin hatten damals bereits einen Lehrstuhl bezogen.
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Aus den Archivmaterialien ergibt sich ein weiterer Hinweis auf die programmatischen Namen auf dem Titelblatt. Leider ist nicht viel mehr als der erste Verlagsvertrag dazu überliefert, in dem es heißt: „§ 5 Eine kleine Anzahl hervorragender Gelehrter ist um die Gewährung ihrer Namensnennung in dem Titel zu ersuchen. In Aussicht genommen sind vorläufig die Herren Du Bois Reymond, von Helmholtz, Hering, Lipps, G. E. Müller, Stumpf, Aubert, J. v. Kries und B. Erdmann." Warum es nicht dazu kam, daß etwa der 72-jährige, sehr angesehene Physiologie-Ordinarius Du Bois Reymond aus Berlin (1818-1896), der zugleich Herausgeber des „Archives für Anatomie und Physiologie" war, gewonnen werden konnte, läßt sich nicht mehr feststellen. Auch der Philosoph und Helmholtzschüler Benno Erdmann (1851 - 1 9 2 1 ) , der seinerzeit in Halle lehrte, taucht nicht mit auf dem Titel, sondern nur einmal als Autor in der „Zeitschrift" auf. D a f ü r kommen die ursprünglich nicht vorgesehenen Physiologen Preyer und Exner hinzu. Von der Betrachtung wichtiger Autoren und Mitgestalter wollen wir nun zu inhaltlichen Schwerpunkten der „Zeitschrift" übergehen. Zum inhaltlichen Profil Es gibt verschiedene Wege, sich dem eigentlichen Inhalt der„Zeitschrift" zu nähern, ihre Entwicklungen und Wandlungen zu verfolgen und dabei Wesentliches zu würdigen. Wie hat die „Zeitschrift" die Entwicklung der Psychologie in den folgenden Jahrzehnten bestimmt, begleitet, widergespiegelt? Wir gehen von der These aus, daß die „Zeitschrift für Psychologie" eine maßgebliche, eine Zeitlang die maßgebliche deutsche Psychologiezeitschrift gewesen ist (vor allem in ihrem ersten Jahrzehnt). Im übrigen hat sie ja noch heute ihren geachteten Platz im Ensemble der Psychologiezeitschriften. Um diese These zu untermauern, werden wir hier zunächst mit u . a . bibliometrischen Methoden Aussagen zu Umfang und Inhalt, zu Themenschwerpunkten in den ersten vier Jahrzehnten der „Zeitschrift" machen. Dieser Weg scheint uns geeignet zu sein, in den großen Stoffumfang einzusteigen und Hinweise für Problemaufarbeitungen zu bekommen, die natürlich mit dieser eher äußerlichdeskriptiven Methode nicht zu leisten sind. Im darauffolgenden Abschnitt wird dann anhand von Kontroversen, für die dieses Herangehen wertvolle Hinweise liefert, eine genauere Analyse der vielfältigen inhaltlichen Problemstellungen, die sich in der „Zeitschrift" niederschlugen, versucht werden. Im Zeitraum von 1890-1933, also in 44 Jahren, erschienen 130 Bände. Waren es in den ersten drei Jahren nur je einer pro Jahr, kommen schon ab 1896 durchschnittlich drei Bände pro Jahr heraus. Der Verlagsvertrag von 1902 im Archiv des Barth-Verlages enthält die Klausel, daß der Verlag nicht verpflichtet sei, mehr als drei Bände im Jahr herauszubringen, was dennoch bis 1933 gelegentlich vorkommt. Eine schnell wachsende Produktivität, ja geradezu eine Blütezeit in jenen Jahrzehnten wird allein an folgenden Fakten deutlich: Bis 1933 werden mehr als 60000 Druckseiten mit etwa 1500 Originalarbeiten und 5000 Besprechungen publiziert. Von Anfang an nahm der breitgefächerte Referateteil etwa ein Drittel des Umfanges ein.
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Bereits im ersten Band erschien darüber hinaus eine „psychophysiologische Bibliographie" des Jahres 1889, ein Unternehmen, das mit großer Akribie in all diesen Jahrzehnten durchgeführt wurde und noch heute dem historisch Forschenden gute Überblicke gewährt. Die „Zeitschrift" erfüllt also - und das soll hier ausdrücklich einmal nicht nur als Fußnote erwähnt werden - auch die Aufgabe, über das Gebiet der Psychologie und Sinnesphysiologie sowie benachbarte Disziplinen zu referieren und ausführliche Literaturinformationen zu geben. Auf diese Zusammenstellungen und auch das Register der „Zeitschrift" wurde viel Sorgfalt und übrigens auch ein höheres Honorar als für Originalbeiträge verwandt. Das Register der ersten 25 Bände und der Entwurf der Systematik wurden noch von Hermann Ebbinghaus selbst bearbeitet, weswegen wir bei den Auswertungen und Recherchen gern darauf zurückgreifen, auch weil es in den Grundzügen der Systematik über die Jahrzehnte als äußerst tragfähig und konsistent sich erwiesen hat. Zum Publikationsprofil gehörten auch die Ergänzungsbände, die ab 1900 erschienen (bis 1936 waren es insgesamt 25 Ergänzungsbände), zu denen so entscheidende Schriften gehören wie die Müller-Pilzeckerschen Untersuchungen zum Gedächtnis (Bd. 1, 1900), beinahe alle wichtigen Gedächtnismonographien von G. E. Müller überhaupt, darüber hinaus wichtige wahrnehmungspsychologische Schriften wie Katz' „Aufbau der Farbwelt" (1911) und „Aufbau der Tastwelt" (1925) sowie später typenpsychologische Arbeiten von Jaensch und Kroh - womit das inhaltliche Spektrum der Ergänzungsbände im wesentlichen schon umrissen wäre. Das ist nur ein Teil der Themenschwerpunkte des Hauptteils der Zeitschrift, der im folgenden beschrieben werden soll. Die Analyse erstreckt sich auf die Bände 1 - 1 5 0 , die ausgewertet wurden. Hier sollen jedoch vor allem nur die Jahrzehnte bis 1933 interpretiert werden. Dieser Versuch kann natürlich nur eine Annäherung sein. Angesichts der Stoffülle sowie im Sinne einer ganzheitlichen historischen Würdigung scheint uns jedoch dieses Verfahren legitim, weil wir somit ohne die Voreinstellung, bestimmte Hauptlinien bestimmen zu wollen, einfach erst einmal zur Kenntnis nehmen, worüber in welchem Umfang publiziert wurde. Das entlastet uns natürlich nicht von der Aufgabe, das Vorgefundene in seinen wissenschaftshistorischen Zusammenhängen tiefer zu analysieren. Wie wir sehen werden, bleibt die mengenmäßige Gewichtung der einzelnen Themenbereiche bis 1933 ziemlich konstant (Abb. 3, 4). Bei einem Gesamtüberblick (Tab. I) beziehen wir uns in der Gliederung auf die weitsichtig von Ebbinghaus entworfene Struktur des Registers, haben jedoch einige Bereiche mit zusammenfassenden, z. T. „präsentistischen" Überschriften versehen. Wie zu erwarten, nehmen Probleme der Wahrnehmung den breitesten Raum ein. Daran ändert sich über Jahrzehnte nichts, beinahe zwei Drittel aller Beiträge sind hier einzuordnen. Den Löwenanteil hat dabei naturgemäß das Sehen, das mit den Schwerpunkten Farbensehen, Tiefensehen und optische Täuschung ein Drittel des Gesamtumfanges der Originalbeiträge ausmacht. Wollte man eine weitere Gruppe von Arbeiten mit den modernen Begriffen „Kognition, Emotion, Motivation" bezeichnen, so wäre hiermit das zweite große inhaltliche Feld der „Zeitschrift" abgesteckt. Von Anfang an waren in der „Zeitschrift" Arbeiten zu Problemfeldern zu finden, die man heute als (höhere) kognitive Prozesse bezeichnet und die in der alten Terminologie unter der
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Anzahl
ArtiMt
der
I n m i i n
80
nu r u 70 -
50 -
»90- 1901 Bd 1-25 1901•1909 • 25-50 1909- 1916 51 -75 1916- 1927 76 -100 1927-1932 101-125 126-150 1932-mi
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Ln 10
-
innrirrw i n i r y y r Al($emeinesi
Methodik Theorie;
Sehen
insgesamt
riiürrir Licht, Farbe Kontrast
ISEWVW. IIENZW Hören Täuschungen Raumsehen
Abb. 3
Systematik „Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Denken" zu finden sind. Dazu gehören paradigmatische Arbeiten von G. E. Müller, Pilzecker und Schumann sowie ihrer Schüler, die gelegentlich bis heute, nicht nur aus Pietät, zitiert werden. Einen nicht zu großen Raum nehmen Artikel über allgemeine Frage, Theoretisches und Methodisches ein. Jedoch wurde die Auseinandersetzung darüber nie vernachlässigt, sie nimmt sogar mit der Zeit etwas zu (vgl. Abb. 1). Sie reicht von philosophischen Fragen (Erkenntnistheorie, Monismus, Parallelismus - also unmitelbar mit der Psychologie zusammenhängende philosophische Probleme) bis hin zu „handwerklichen" Dingen wie die Verwendung neuer Apparate und Methoden. Andere Bereiche der Psychologie und auch die Nachbargebiete wie Psychopathologie, Neurologie, Nervenphysiologie kommen nur in geringem Umfang vor. Während die „Zeitschrift" in den 90iger Jahren nahezu das Monopol innerhalb deutschsprachiger psychologischer Periodika diesen Umfanges innehat, sind von der Jahrhundertwende an andere Zeitschriften im Entstehen, die sowohl den Bereich der allgemeinen Psychologie mit umfassen („Archiv" ab 1903) als auch die Ausdehnung der Psychologie auf angewandte und benachbarte Problemfelder vorantreiben. Insbesondere sind hier Fragen der Pädagogik, der Ent-
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I ff II ff I IT
Anzahl der Artikel
1890 - 1901 - 1909
1901 1909 1916 1927 1932
- 1916 " 1927 " 1932 -W1
50 -
¡fO -
30
20
-
III I I B Aufmerksamk. Gedächtnis Denken
r
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I I I Ell
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Tierpsychologie
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Entwichlr psyehologie
Abb. 4
Wicklungspsychologie, der angewandten Psychologie zu nennen, aber auch Beiträge zu Bereichen, die wir heute als Persönlichkeits- und Sozialpsychologie bezeichnen, die allesamt in der „Zeitschrift" immer nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Kontroversen in der „Zeitschrift für Psychologie" Um einen Einblick in die Lebendigkeit der wissenschaftlichen Publizistik innerhalb der „Zeitschrift" in ihren ersten Jahrzehnten zu bekommen, soll hier auf einige Kontroversen, die in ihr geführt wurden, eingegangen werden. Die „Zeitschrift" war von Anfang an ein Ort äußerst lebhafter und oft recht fruchtbarer Auseinandersetzungen um prinzipielle oder auch detaillierte Fragen. In diesen Kontroversen kommen recht deutlich wichtige Problemfelder und Entwicklungen zum Ausdruck. Allgemein bekannt sind in der Psychologie-
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geschichte die berühmte Ebbinghaus-Dilthey-Debatte (1894-1896) oder der Streit mit den Philosophen (1913) - wichtige Teile davon sind jeweils in der „Zeitschrift" erschienen. Aber auch weniger bekannte Debatten spiegeln Wichtiges wider: so die ständige Auseinan-
Tab. I. Themengebiete in Prozent von Bd. 1 - 1 5 0 ( 1 8 9 0 - 1 9 4 0 ) Wahrnehmung
58,5 Sehen, Farbsehen speziell: Tiefensehen, Täuschungen Hören „niedere Sinne" allg. z. Wahrn./Psychophysik
20 10 7 7,5 14
[Kognition, Emotion, Motivation] „Aufmerksamkeit/Gedächtnis/Denken Gefühle/Ausdruck Ästhetik, Schöpfertum Wille, willkürliche Bewegungen Sprache
18,5 9 1,5 3 3 2
Allg. Fragen (Theorie, Methode)
7
[Persönlichkeits- u. Sozialps.] „Individuum u. Gesellschaft"
5
Entwicklungspsychologie
4
Tierpsychologie („Vergleichende Psychologie") Psychopathologie Neurologie/Physiologie des Nervensystems
3 1,5 1,5
insgesamt ca. 2000 Artikel =
100
alle Angaben in %
dersetzung mit Wundt und seinen Schülern, Flügelkämpfe zwischen Brentano-Schülern, Polemiken, die die Herausbildung der Würzburger Schule und die Gestaltpsychologie betreffen, und sogar zur Psychoanalyse findet sich mehr, als man annehmen mag, dies allerdings im Rezensionsteil und hier nicht mit in die Betrachtung einbezogen. Pongratz (1988) hatte die Idee, eine Geschichte der Psychologie anhand ihrer Kontroversen zu schreiben und Thomae (1988) verwies auf verschiedene Reaktionsstile in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Psychologie. Wir greifen hier auf seine Klassifizierung zurück, die zwischen vorwiegend sachbezogener Argumentation, primär sozial
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orientierter Interaktion (meist abwertende Kritik) und einer Mischung aus beiden Formen unterscheidet. Diese Einteilung ist recht grob, jedoch soll es hier auch nur sekundär um die Art und Weise der Kontroversen gehen, mehr interessieren uns die wichtigsten Inhalte. Inwieweit haben nun diese die Entwicklung der Psychologie ihrer Zeit mitgestaltet oder spiegeln diese wider? Kontroverse Meinungsäußerungen und Artikel, die auf andere direkt kritisch Bezug nehmen, finden sich in beinahe jedem Band der „Zeitschrift" und zu allen wichtigen Themenschwerpunkten. Wir beschränken uns hier auf die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg, weil sich in dieser Zeit die Herausbildung von Schulen und Richtungen besonders deutlich abzeichnet und dabei die These untermauert werden kann, daß sich ein wichtiger Teil dieser Differenzierungen innerhalb der Psychologie auch in der „Zeitschrift" widerspiegelt. Nach ihrer Wichtigkeit und Breite lassen sich dabei drei große Gruppen unterscheiden: 1. Auseinandersetzungen um Grundsatzfragen, übergreifende Theorien und prinzipielle Standpunkte; 2. z.T. länger sich hinziehende und mehrere Autoren umfassende Dispute um wichtige Teilfragen und auf einzelnen Teilgebieten, die unter Umständen zu Schlüsselfragen für Prinzipielles werden, so etwa die optischen Täuschungen und 3. kleinere Diskurse um partikuläre methodische und experimentelle Details. Ausgeklammert bleiben auch in den Kontroversen Themenbereiche wie die angewandte Psychologie, pädagogische und entwicklungspsychologische Fragen sowie psychotherapeutische Probleme - wie es dem Profil der „Zeitschrift" und dem Selbstverständnis der damaligen akademischen Psychologie entspricht. Dagegen sind die Strömungen innerhalb der akademischen Psychologie auf die eine oder andere Weise alle mit in der „Zeitschrift" repräsentiert. Dabei ist besonders interessant, inwieweit zu Beginn die Auseinandersetzung mit Wundt und seiner Schule sich gestaltet. Wie bereits erwähnt, ist die Behauptung, daß die „Zeitschrift" direkt als Gegenwurf zu Wundts „Philosophischen Studien" gegründet wurde, nur bedingt richtig. Zutreffend ist, daß eine Reihe von Kontroversen zwischen Autoren beider Zeitschriften und später auch dem „Archiv" ausgetragen wurden. Als ein Beispiel wird hier ein Streit zwischen Stumpf und Wundt angeführt werden. Die kritischen Diskurse spielen sich also nicht nur innerhalb der „Zeitschrift" ab, sondern überschreiten oft diesen Rahmen; Repliken finden sich oft besonders im „Archiv für Psychologie", das von dem Wundt-Schüler Meumann geleitet wird. Gleich im ersten Band der „Zeitschrift" wird ein Briefwechsel zwischen G. Th. Fechner und W. Th. Preyer mit einem Kommentar von Ebbinghaus wiedergegeben, der anhand von speziellen Begriffsklärungen Grundsätzliches anspricht und sozusagen programmatisch ist für Thematik und Stil der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die noch kommen sollen. Es geht dabei um sogenannte „negative Empfindungswerte" innerhalb der Untersuchungen zum Weberschen Gesetz. Fechner verteidigt den Begriff der Schwelle und beschreibt mit „negativen Empfindungswerten" so etwas wie „unterschwellige" Empfindungen, während Ebbinghaus gegen die Annahme von „negativen" Empfindungen jenseits des Nullpunktes polemisiert. Auch wenn es sich hier um einen Streit über unterschiedliche Begriffsbildungen handelt, der im weiteren keine bedeutende Rolle spielt, zeigt diese erste kleinere Debatte, daß man sich in die von Fechner begründete Tradition stellt und sie kritisch weiterent-
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wickelt, spielt doch das Gebiet der Psychophysik in der neuen Psychologie und auch innerhalb der „Zeitschrift" kontinuierlich eine Rolle. Innerhalb grundsätzlicher, philosophischer Fragestellungen gibt es in den Anfangsjahren Auseinandersetzungen zwischen Rehmke und Fluegel (Bd. 2/1891) sowie Edinger und Storch (Bd. 24 u. 26, 1900 u. 1901), Autoren, die heute beinahe vergessen sind, die jedoch immer noch aktuelle philosophische Fragen nach materiellen Grundlagen des Psychischen und der Herausbildung des Bewußtseins berühren, wobei man sich nachdrücklich bemüht, nicht in den Verdacht des Materialismus zu kommen (Fluegel) oder streng an der Auffassung des Parallelismus festzuhalten (Rehmke). Gewichtiger in grundsätzlicher Richtung ist die programmatische Auseinandersetzung Ebbinghaus' (Bd. 9, 1896) mit Diltheys „Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie", die an anderem Ort 1894 veröffentlicht worden waren. Darüber ist schon viel geschrieben worden, doch ist diese Stellungnahme tatsächlich von großer Bedeutung für die Ausrichtung der experimentellen Psychologie überhaupt und die Abgrenzung von geisteswissenschaftlich-idiographischen Methoden. Man möchte an dieser Stelle beinahe von einem Schisma der Psychologie sprechen, doch wäre da vorauszusetzen, daß die Psychologie jemals eine Einheit gebildet hat, was wir jedoch bereits selbst für die Zeit um 1890 in Zweifel gezogen hatten. Ebbinghaus' Zurückweisung der Diltheyschen Kritik an der erklärenden Psychologie weist deutlich spekulative Ansätze in der Art Herbarts zurück und beruft sich auf strenge Kausalanalyse mit Hilfe naturwissenschaftlich-experimenteller Methoden, ist insofern auch eine Verteidigung und Fortschreibung des Programmes, das Ebbinghaus in Heft 1 der „Zeitschrift" formuliert hatte. Diese Kontroverse stellt einen Höhepunkt in der theoretischen Selbstklärung der frühen sich verselbständigenden Psychologie dar. Zu den Auseinandersetzungen grundlegender Art gehört weiterhin der Streit mit den Philosophen, der durch eine Erklärung von Philosophieordinarien 1912 ausgelöst worden war und eine Flut von Stellungnahmen und Streitschriften hervorgerufen hatte (u. a. Wundt, 1913 „Die Psychologie im Kampf ums Dasein"). Dabei ging es neben Fragen der Besetzung von Philosophielehrstühlen durch Experimentalpsychologen (die härteste Kritik stammt von Bloch: „Was hat die Psychologie anderes mit der Philosophie zu tun, als daß sie ihre Lehrstühle besetzt?", (nach Zudeik, 1987) auch um das Selbstverständnis der Psychologie, eine Frage, die das Fach wohl schon immer begleitet. Diese Kontroverse schlägt sich in der „Zeitschrift" in einem Artikel von Hillebrandt (Bd. 67, 1913) „Die Aussperrung der Psychologen" nieder, der alle Aspekte der Debatte abwägt und den vorsichtigen Schluß zieht, „es bliebe besser wohl bei der bisherigen Praxis", wobei es dann schließlich auch noch einige Zeit blieb. Nach der kurzen Charakterisierung einiger wichtiger übergreifender Diskussionsthemen wollen wir uns nun den Kontroversen zu Teilgebieten und Spezialfragen zuwenden. Nach der zeitlichen Abfolge der Diskussionsschwerpunkte wären hier zunächst die sehr umfangreichen Auseinandersetzungen mit Phänomenen optischer Täuschungen zu behandeln, danach Fragen der Ästhetik und Tonpsychologie; alles Gebiete, die eng mit der Dominanz der Wahrnehmungspsychologie in den 90er Jahren zusammenhängen. Dabei ist das Gebiet der optischen Täuschungen das umfangreichste und bedeutendste, insofern sich hier verschiedene psychologische Richtungskämpfe abspielen und ihre Anknüpfungspunkte gerade hier finden.
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Die wichtigsten Autoren zu diesem Thema sind Brentano, Lipps, Auerbach, Filhene, Müller-Lyer, Heymans, Burmester und Witasek. Die Diskussion begann mit dem Artikel von Müller-Lyer „Optische Urteilstäuschungen" im „Archiv für Physiologie" 1889. Zur Erklärung des Phänomens, insbesondere der Müller-Lyerschen Täuschung, traten nun eine ganze Reihe von konkurrierenden Theorien auf den Plan. In der „Zeitschrift" wird die Diskussion zunächst zwischen Lipps und Brentano geführt. Lipps trägt seine Thesen von „ästhetischen Faktoren der Raumanschauung" vor, während Brentano die Fehleinschätzung kleiner bzw. großer Winkel als Ursache der Täuschung sehen möchte. Heymans favorisiert physiologische Prozesse bei der unwillkürlichen Augenbewegung und verwirft andere Erklärungsversuche. Daneben werden von ihm systematische Versuche über den Grad der Täuschung unter verschiedenen Bedingungen angestellt, ein Herangehen, das noch lange Zeit die experimentelle Praxis auf diesem Gebiet mitbestimmt. Witasek macht Urteils- und Einstellungsschwankungen verantwortlich für eine große Klasse von Täuschungen. Jeschonnek (1979) hat insgesamt fünf verschiedene Erklärungsansätze für optische Täuschungen aus jener Zeit zusammengefaßt, wovon mindestens vier in den Kontroversen der „Zeitschrift" auftauchen. Noch nicht zu finden sind hier verständlicherweise explizit gestaltpsychologische Ansätze, jedoch finden sich Vorläufer der Perspektiv-Theorie, wie sie heute noch vertreten wird, bei Filhene auch in der „Zeitschrift" (Bd. 13, 1897). Somit ist für ein weiteres Problemfeld gezeigt, daß es in der „Zeitschrift" diskutiert wurde, in diesem Fall kann man sogar sagen, daß sich der größte Teil der einschlägigen Kontroversen in ihr abgespielt hat. Übrigens ist der Stil der Kontroversen bei den optischen Täuschungen recht sachbezogen und fast nie direkt gegen bestimmte Personen oder Schulen gerichtet. Anders verhält es sich bei einem Streit im Bereich der Tonpsychologie, in dem der Berliner Psychologe Stumpf führend war. Er wendet sich scharf gegen Wundt (Bd. 1/2, 1890, 1891), der ihn in den „Philosophischen Studien" kritisiert hatte und behauptet, Wundt habe in allen Punkten Unterstellungen und Verdrehungen gebraucht. In der Sache geht es um die Methode des Vergleichs von Tondistanzen, wobei Wundt die Ansicht vertritt, es handele sich dabei um reine Distanzurteile, während Stumpf ein musikalisches Intervallbewußtsein unterstellt, ein Urteilsgebiet, das heute von Witte's Partialsystemtheorie beherrscht wird. Doch für die damalige Debatte ist hier festzuhalten, daß Stumpf schließlich in einem scharfen „Schlußwort gegen Wundt" die Diskussion abbricht - ein Beispiel für einen mehr sozialbezogenen Interaktionsstil, der weniger fruchtbar ist. Die psychologische Ästhetik befindet sich um die Jahrhundertwende in einer Konjunktur und ist auch in der „Zeitschrift" reichlich vertreten. Etwa 20 Artikel, die vielfach kritisch und kontrovers aufeinander bezogen sind, finden sich in den ersten beiden Jahrzehnten in der „Zeitschrift" versammelt. Viele wichtige Autoren dieses Themengebietes veröffentlichten hier: Stumpf, Lange, Titchener, Allesch, Lipps u. a. Später geht das Interesse für psychologische Ästhetik zurück, die Auseinandersetzungen um die Ästhetik werden dann auch in anderen Organen geführt („Zeitschrift für Ästhetik . . . " ab 1906). Dies ist ein Beispiel, wie sich ein Randgebiet, zunächst von der experimentellen Wahrnehmungspsychologie mitgetragen, abspaltet und wandelt. Anders verhält es sich sich mit einem uns heute recht randständig erscheinenden Gebiet der Wahrnehmung, nämlich der Psychologie des Geruchs. Beinahe unbemerkt von der „gro-
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ßen" Psychologiegeschichtsschreibung und den Hauptgebieten der Wahrnehmungspsychologie, hat sich bis hinein in die 20er Jahre ein Fundament der Geruchspsychologie herausgebildet, das lange Zeit nahezu unverändert blieb und erst in den 60er Jahren neu belebt wurde. Die grundlegenden Theorien dafür wurden nach und nach hauptsächlich auch in der „Zeitschrift" diskutiert und zwar in einer langdauernden fruchtbaren Kontroverse zwischen Nagel, Hennig und Zwaardemaker. Aber zurück zu Gebieten, die sich besser in die Entwicklung des Hauptstromes der Psychologie einordnen lassen. Zwei wichtige Problemfelder sind noch zu erwähnen, die sich bis zum Ersten Weltkrieg innerhalb der deutschen Psychologie herausbildeten und neue Richtungen hervorbrachten. Hier hat die „Zeitschrift" schon nicht mehr maßgeblichen Anteil am Umfang der Diskussion. Es geht um die Denkpsychologie und die Erörterung der Gestaltqualitäten. Immerhin begann bereits 1898 eine breite Auseinandersetzung um den Begriff der Gestaltqualitäten, an der sich Schumann, Meinong, Cornelius und Lipps beteiligten. In Schumann findet sich ein ernstzunehmender Kritiker des Gestaltbegriffes, der für eine streng elementare experimentelle Untersuchung eintritt, die bisher jedoch noch keinen Beweis für „Gestaltqualitäten" erbracht habe. Auch Cornelius kritisiert den Gestaltbegriff von einer elementaristischen Position aus und stützt sich dabei auf G. E. Müller. Verständlicherweise verteidigt Meinong die Auffassung von Ehrenfels über die Existenz von Gestaltqualitäten mit den bekannten Beispielen der Melodie- und Raumgestalt. Diese frühe Kontroverse über den Gestaltbegriff, die später noch ihre Fortsetzung findet, zeugt von der Aufgeschlossenheit auch der strengeren älteren Experimentalpsychologen für diese neue Richtung innerhalb des psychologischen Denkens, die gerade Schumann auch später noch kritisch, aber nicht „vernichtend" begleitet hat. Schärfer verlaufen die Auseinandersetzungen um die Denkpsychologie, die ihre Spuren auch in der „Zeitschrift" hinterlassen haben. Gerade Bühler nutzt sie hierbei als Plattform gegen Wundt, der in den neuen „Ausfrageexperimenten" eine unzulässige Überstrapazierung des Experimentes für ungeeignete Zwecke sieht. Ebenfalls sehr scharf fällt die Kritik von G. E. Müller an Otto Selz' theoretischen Ansätzen und praktischen Versuchen zum Denken aus (Bd. 83, 1920). Diese Polemik ist jedoch sehr sachbezogen und würdigt die Leistung von Selz, der schließlich auf klassischen Ansätzen aufgebaut hat. Das fällt jedoch schon in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als sich die einzelnen Schulen ganz deutlich voneinander abzusetzen beginnen und nahezu unüberwindbare Gegensätze zwischen ihnen aufkommen. Die „Zeitschrift" bleibt in dieser Zeit das Organ der strengeren, elementaristischeren Psychologie, der sie mit zum Durchbruch verholfen hat, ohne sich anderen Richtungen ganz zu verschließen. Diese Betrachtung wichtiger Kontroversen in den Anfangsjahrzehnten sollte einen Einblick in die Lebendigkeit der damaligen Psychologielandschaft und deren Abbild in der „Zeitschrift für Psychologie" geben. Vielleicht konnte gerade die Darstellung der KontroversenProblematik einen besonders plastischen Eindruck von der Rolle vermitteln, die die „Zeitschrift" in der Psychologieentwicklung in Deutschland spielte. Freilich wird damit nur ein - wenn auch wesentlicher - Aspekt der wissenschaftshistorischen Würdigung der „Zeitschrift" thematisiert.
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J. A. Barth, Leipzig
Buchbesprechungen Schüller, A.; Heim, N. (Hrsg.): Vermessene Sexualität. 262 S. Berlin-Heidelberg-New York-Lond o n - P a r i s - T o k y o : Springer-Verlag 1987. Broschur 5 8 - DM. Es handelt sich um einen Sammelband, dessen 14 Beiträge nicht weiter thematisch gruppiert wurden und auch keinerlei roten Faden erkennen lassen. Fünfzehn Autoren; Philosophen, Soziologen, Historiker, ein Pädagoge; ein Ethnologe, ein Literaturwissenschaftler sowie ein Psychologe reflektieren aus ihrer Sicht und in ihren Sprachen Sexualität; genauer gesagt: die historisch übermittelten, soziologisch vermittelten und philosophisch bzw. literarisch gebrochenen Erscheinungsformen von Sexualität. Zweifelsohne handelt es sich hierbei um gewichtige Beiträge zum sexuologischen Diskurs. Allerdings ist die zumeist gewählte sprachliche Darstellung abstrakt und theoretisch. Mitunter ahnt man nur vage, was „gemeint" sein könnte und hat die Möglichkeit, den Sinn des Satzes, Gedankens oder der Erkenntnis selbst herauszufinden. Das Buch ist durchweg sehr anspruchsvoll. Der Rezensent muß verzagen oder versagen, wollte er die Beträge inhaltlich wiedergeben oder gar bewerten. Im strengen Sinne empirisch ist allenfalls der Beitrag von A . E . Imhof: „Sexualität aus historisch-demographischer Sicht". Die Essays oder die essyistische Darstellungsweise überwiegen jedoch. Die Kapitelüberschriften geben einen Eindruck von der Spannweite und Differenziertheit dieses Sammelbandes: „Sexuelle Anomalie und sozialer Wandel" (E. A. Tiryakian), „Die Suche nach sich selbst - Die Entwicklung von Moral, Sexualität, Liebe, Familie und Erziehung" (G. Runkel), „Sexuelle Befreiung als utopisches Projekt" (N. Sombart), „Das pornographische Dilemma" (R. Lautmann), „Pornographie und sexuelle Wirklichkeit - Vom notwendigen Ende des pornographischen Diskurses" (D. Lenzen), „Über den Prozeß der Syphilisation - Körper und Sexualität um 1900 aus ärztlicher Sicht" (U. Linse), „Die strengen Träume des Marquis" (I. Schreiber). N. Heim gibt in seinen Betrag („Die Vertreibung des Triebes: Psychoanalyse und Sexualität") eine gelungene, knapp bemessene und kritisierende Einführung in die Psychoanalyse und deren neuere Entwicklungen. Andere Titel erwecken falsche Vorstellungen über deren Inhalt. Hinter „Stillgelegte Sexualität" von U. Niemeyer und N. Bolz verbergen sich Nietzsches Auffassungen über Wahrheit und Weib. Der wichtigste Beitrag für die Klinische Praxis handelt „Von der Hoffnung der Sexualtherapie". G. Lischke liefert hier eine fundierte Kritik an der weitgehend pragmatisch entstandenen und betriebenen Sexualtherapie und diskutiert alternative Konzepte. Nur der letzte Beitrag von A. Schuller über „Die Transformation der Sexualität: vom Fleisch zum Geist" sagt noch etwas darüber aus, was im Titel avisiert wird und im Vorwort vom gleichen Autor versprochen wurde. Dennoch hat diese Lektüre (dem Rezensenten) intellektuellen Spaß bereitet. H.-H. Fröhlich (Berlin)
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J. A. Barth, Leipzig
Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Wissensrepräsentation und geistige Leistungsfähigkeit im Lichte neuer Forschungsergebnisse der kognitiven Psychologie F. Klix Zusammenfassung: Es wird ein Modell der menschlichen Wissensrepräsentation dargestellt, das von zwei Basiskomponenten des menschlichen Gedächtnisses ausgeht: von begrifflichen Strukturbildungen einerseits sowie modular gespeicherten Prozeduren andererseits. Aus der Wechselwirkung beider Komponenten lassen sich wesentliche Eigenschaften geistiger Leistungsfähigkeit des Menschen, einschließlich neuerer experimenteller Befunde dazu, ableiten. Zusammenhänge ergeben sich auch zur Kreativität und Hochbegabung, zum geistigen Zurückbleiben sowie zu krankhaften Veränderungen der menschlichen Gedächtnistätigkeit. Korrespondenzanschrift: Prof. Dr. Dr. F. Klix, Sektion Psychologie der Humboldt-Universität, Oranienburger Str. 18. Berlin, DDR-1020
Lehren, Lernen und Gedächtnisbesitz Das klassische Schema der Lehr- und Lernvorgänge ist in starkem Maße vom Vorbild der Ausarbeitung bedingter Reaktionen geprägt. Die Schule I. Pawlows und Richtungen des älteren wie des neueren Behaviorismus haben in zahlreichen Experimenten nachgewiesen, daß die Bekräftigung eines Reizes mit einer passenden oder gewünschten Reaktion zum Behalten führt und daß die systematische Bestrafung von Reiz- oder Reaktionsfolgen Vermeidungslernen bedingt. Lohn und Strafe werden danach als die wichtigsten Prinzipien des Lehrens und als die entscheidenden Regulatoren aller Lernvorgänge angesehen. Im Rahmen von Entwicklungen der kognitiven Psychologie ist gezeigt worden, daß diese Prinzipien zwar wichtig sind, daß sie aber nur einen Grenzbereich des menschlichen Lernens betreffen. Sie sind vor allem in den Anfangsstadien kindlicher Entwicklung sowie in Grenzsituationen einschneidender Bedeutsamkeit von Belang. Statt dessen ist mehr und mehr erkannt worden, daß Lernvorgänge mit zunehmendem Alter mehr von der Motivationslage, insbesondere von den Wissensbedürfnissen des Lernenden, bestimmt sind. Wissensbedürfnisse werden Interessen genannt. Sie haben Wissensgebiete des individuellen Gedächtnisses als Hintergrund. Dieser Gedächtnisbesitz wird durch Wissenserwerb korrigiert, verfeinert, vertieft oder partiell als Irrtum erkannt. Lernen ist also Korrektur von Gedächtnisbesitz auf der Basis von Informationsverarbeitungsprozessen. Lernen muß danach stets in bezug auf eine vorhandene Gedächtnisausstattung gesehen werden. Für die wissenschaftliche Durchdringung der Lehr- und Lernprozesse und damit der geistigen Leistungsfähigkeit des Menschen ist daher die Erforschung der Architektur des
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menschlichen Gedächtnisses von zentraler Bedeutung. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Organisation des Wissensbesitzes. Über die Ursprünge menschlichen Wissens Die Ankerstellen allen menschlichen Wissens sind die Begriffe. Begriffe sind Klassifizierungen von Objektmengen nach gemeinsamen oder invarianten Merkmalen. Solche Klassifizierungsleistungen beruhen auf angeborenen Funktionsprinzipien des Nervensystems. Wahrnehmbare Objekte oder Vorgänge werden nach den ihnen gemeinsamen Eigenschaften durchmustert. Das allen Gemeinsame, das Klassenspezifische, wird als Merkmalssatz im Gedächtnis fixiert. Dies ermöglicht, beliebig viele weitere Objekte als Angehörige einer Klasse bzw. eines Begriffes zu erkennen. Solche klassenspezifischen Merkmalgruppen fungieren als Erkennungssysteme: Ist einmal das allen Bäumen Gemeinsame gespeichert, dann ermöglicht dies, jede beliebige Art von Bäumen in Zukunft fehlerfrei zu erkennen. Das gilt nicht nur für einfache, sondern auch für so kompliziert zusammengesetzte Begriffe wie Fußballspiel, Trabrennen, Einfrieren, Auftauen, Spiegeln etc. Die Ursprünge menschlichen Wissens gehen von drei Quellen aus, wenn wir einmal von dem relativ geringen Anteil angeborenen Wissensbesitzes beim Menschen absehen: 1. Die erste Quelle, das sind die eingeprägten Inhalte und Zusammenhänge aus der selbst erfahrenen Welt: die Bilder der Kindheit, die Begebenheiten aus Urlaub, Krankheit; Erlebnisse bei Freude und Leid im Zusammenleben mit anderen Menschen, Betrachtetes oder Erfahrenes in der Natur, in den regelmäßigen Veränderungen beim Ablauf von Zeit oder unter dem Einfluß von Kräften der Natur oder der Technik. 2. Eine zweite Quelle, das sind die durch sprachliche Belehrung erfahrenen Inhalte und Zusammenhänge aus fernen Welten und Zeiten: historisches Wissen, geographische Kenntnisse, physikalische Gesetze und ihre Gültigkeit, biologische Vorgänge usf. 3. Eine dritte Quellen bilden die durch eigenes Denken erzeugten Erkenntnisse über nicht selbst erfahrene Zusammenhänge, Übereinstimmungen oder Widersprüche. Dieser letzten Quelle menschlichen Wissensbesitzes werden wir uns im weiteren besonders zuwenden, denn die Entstehungs- und Wirkungsweise dieses Wissens ist erst in jüngster Zeit Gegenstand psychologischer Forschungsarbeit geworden. Sie hat vor allem zutage gebracht, daß das menschliche Gedächtnis kein passiver Wissensspeicher ist, der auf Anfragen hin wie eine Zahlbox funktioniert, sondern als ein aktives, mit differenzierten Funktionen ausgestattetes Organ zu begreifen ist. Ein Organ auch, das mit der Fähigkeit zur Selbstorganisation ausgestattet ist. Die Existenz solcher wissenskorrigierender Prozesse verweist darauf, daß statische Wissensinhalte mit algorithmusähnlichen Schlußprozeduren in Wechselwirkung treten können. Solche Wechselwirkungen werden wir im weiteren noch betrachten. Zuvor wenden wir uns der quasi-stationären Seite menschlichen Wissens zu, den Begriffen und ihren Eigenschaften.
Wissensrepräsentation mit geistiger Leistungsfähigkeit
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Über unterschiedliche Klassen von Begriffen Zwar wird die Bildung von Begriffen nach gleichen Funktionsprinzipien des Nervensystems gesteuert, die Reichhaltigkeit individuellen Gedächtnisbesitzes jedoch hängt von den Inhalten der Wahrnehmungs- und Denkwelten ab, die klassifizierend geordnet werden, insbesondere von der Feinheit und dem Nuancenreichtum, mit dem dies geschieht. Schließlich spielen dabei auch jene Prozesse eine fundamentale Rolle, die in der Erscheinungsweise ihrer Wirkungen unter dem Sammelnamen Abstraktion zusammengefaßt werden. Diese Prozesse ermöglichen es auch, die Begriffswelt des menschlichen Gedächtnisses nach Klassen von Eigenschaften zu ordnen, also Begriffe über Begriffen zu bilden. Eine große Zahl experimenteller Befunde (van der Meer, 1985, 1986, 1988; Beyer, 1986, 1988; Hagendorf, 1985, 1987, 1988; Preuß 1985; Wolf, 1984; Kempe, 1987, Klix, 1988) hat zu der Einsicht geführt, daß wenigstens vier wesentlich verschiedene Klassen von Begriffen gesondert betrachtet werden müssen: Die
Objektbegriffe
Es sind dies Klassenbildungen über anschaubaren Dingen, die auf Grund der ihnen gemeinsamen Merkmale im Gedächtnis fixiert sind. Abbildung 1 gibt zwei Beispiele. PFLANZE BLUME SOMMERBLUME HERBSTBLUME R05E COSMEA ASTER DAHLIE
* AN ## ** AN Q m *** ANQ P m *** ANQ s m **** ANQP o m u ***** ANQP R ODD ***** ANQS T ### ***** ANQS U m
* AB M i t TIER ** AB C### VOGEL ** AB3C DU» HAUSTIER GEFLUEBEL *** ABCD E ## **** ABCDE F HH HAUSHUHN **** ABCDEF w (t HENNE **** ABCDEF m # HAHN **** ABCDEF n » KUECKEN
Abb. 1. Objektbegriffe als Zuordnungen von Worten zu Merkmalen. Die Merkmale sind als kontextfreie, durch Wahrnehmungseigenschaften beschreibbare Klassifizierungen von Objektmengen zu verstehen. Was die AN, AB, . . . , A N Q S oder A B C D E F im einzelnen sind, hängt neben den Eigenschaften der Objektmenge von den Kenntnissen des Trägers einer Gedächtnisstruktur ab. Sie bilden sich in den Feinheiten der differenzierenden Merkmale ab. Die hierarchische Gliederung in Ober-Unterbegriffe und Nebenordnungen ist demgegenüber invariant. Die Mengenverhältnisse der Begriffsmerkmale bestimmen diese Relation, nicht die Merkmale selbst
Links ist eine begriffliche Ordnung über Pflanzen- und rechts über Tiernamen angegeben. In beiden Fällen ist deutlich, daß die begriffliche Ordnungsbildung durch gemeinsame bzw. verschiedene Merkmale bestimmt ist. (Die Fortsetzung nach links durch Sterne und nach rechts durch Kreuze zeigt an, daß weitere Merkmale angegeben werden können.) Die Ordnungsbildung in der Begriffshierarchie ist durch die Merkmalssätze ANQ . . . bzw. AB . . . bestimmt. Dabei zeigt sich, daß die Beziehungen zwischen Unter-Oberbegriffen aus den gemeinsamen bzw. verschiedenen Merkmalsanteilen abgeleitet werden können (also Rose : Sommerblume (1 : 2 in der Hierarchie) oder Rose : Blume (1 : 3 in der Hierarchie)). Das
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gleiche gilt für die Umkehrung ebenso wie für die Nebenordnungen (Rose : Lilie mit Sommerblume als erstem Oberbegriff oder Rose : Dahlie mit Blume als nächstem gemeinsamen Oberbegriff). Die Merkmale eines Oberbegriffes sind stets im Unterbegriff enthalten, der noch weitere, spezifizierende Merkmale enthält (vgl. Baum : Birke). Die Nebenordnung ist durch gemeinsame und jeweils spezifische Merkmale bestimmt. Begriffliche Beziehungen wie Synonymie, Antonymie, allgemeime Ähnlichkeiten zwischen Begriffen oder Komparationen ergeben sich ebenfalls aus Merkmalseigenschaften der Begriffe. „Ergeben sich" heißt aber auch, daß diese Beziehungen nicht expliziert vorhanden sind, sondern aus Vergleichsprozessen zwischen den Begriffen hervorgehen können. Und was die Merkmale betrifft, so muß man sie als Variable ansehen. Ihre Ausfüllung durch konkrete, wahrgenommene wie wahrnehmbare Eigenschaften hängt vom Erfahrungshintergrund des Trägers dieser Gedächtnisinhalte ab: grob differenzierend bei einem kleinen Kind, verfeinert bei einem Gärtner, aufs höchste nuanciert bei einem Botaniker oder Zoologen. Nur: Die hierarchischen Über-Unterordnungen bleiben immer aus den gleichen Merkmalsrelationen zwischen den Begriffen herleitbar. Das ist das Invariante in den hierarchischen Beziehungen objektbegrifflicher Ordnungen. Die Ereignisbegriffe Sie sind Klassenbildungen über Situationen oder Ereignissen. Der zentrale oder charakteristische Begriff heißt semantischer Kern. Beispiele für semantische Kerne sind: Lehren, Unterrichten, Kaufen, Schenken, Behandeln etc. Der semantische Kern bindet semantische Relationen wie Actor, Rezipient, Objekt, Instrument, Lokation, Finalität. Abbildung 2 gibt ein Beispiel. KLINIK
Abb. 2. Beispiel für einen Ereignisbegriff. Vom semantischen Kern BEHANDELN gehen semantische Relationen aus, die Objektbegriffe binden. Es läßt sich experimentell zeigen, daß die Relationen in den Objektbegriffen ganz bestimmte Merkmale aktivieren, andere inhibieren (z. B. fressen - Pferd stimuliert andere Objektmerkmale als fressen - Hyäne). Die Konfiguration als ganzes bestimmt den Ereignistyp und nicht nur einzelne Teile (behandeln - Gefangener z. B. führt zu anderen Objektbegriffen und Merkmalsakzentuierungen als die hier vorgestellte medizinische Behandlung)
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Es zeigt, wie semantische Relationen, vom Kern ausgehend, zu Objektbegriffen zeigen und dort charakteristische, durch das Ereignis mitbestimmte Merkmalsanteile aktivieren. So stimuliert die Relation Spielen (OBJ) -»Klavier gegenüber Umzug - (OBJ) Klavier jeweils andere Merkmale des Objekts Klavier (Gewicht vs. Klangeigenschaften). Da ereignisgebundene Begriffe wie Lehrer, Schule, Fachgebiet keine Merkmale gemeinsam haben, aber doch durch ein Ereignis gebunden sind und mit ihm auch zusammen reproduziert werden (Schmieschek, 1987), kann man die Annahme begründen, daß solche Ereignisbegriffe als semantische Konfigurationen explizit im Gedächtnis gespeichert sein müssen. Die Ereignisfolgen Es sind dies Klassifizierungsstrukturen höherer Komplexität, in die zeitliche Abfolgen, räumliche Veränderungen, Bedingungen oder kausale Verknüpfungen zwischen Ereignisbegriffen eingehen. So verweist „Medizin Behandlung" auf eine vorangegangene Schädigung des Organismus wie Infektion, Unfall z. B. und auf eine Wirkung (Heilung z. B.). Begriffe wie Reise, Urlaub, Restaurantbesuch verweisen auf raum-zeitliche Ereignisfolgen mit zahlreichen (aber nicht beliebigen) Verknüpfungsmöglichkeiten. KRANKHEIT
GENESUNG
Abb. 3. Ereignisfolgen sind Klassifizierungen über Mengen von Ereignisbegriffen, die zeitlich kohärent sind und die durch Konditionen, Ursache-Wirkungsketten oder durch naturgegebenen Zeitverlauf miteinander verbunden sind. Der Begriff Krankheit z. B. umfaßt (im Deutschen) die Erkrankung (Infektion z. B.), die Behandlung (Abb. 2) und die (verursachte) Genesung. Hier ist der Zusammenhang zwischen Bedingungsereignis, Ereignis und Folgeereignis eingezeichnet
Die relationalen
Komponenten
Es sind dies Klassifizierungen über Zustandsänderungen, die zeitliche, räumliche oder komplexere Wirkungsrelationen ausdrücken. Sie können durch Naturgesetze determiniert sein wie Wachsen, Einfrieren, Auftauen, Schmelzen. Sie können aber auch andere regel-
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hafte Erscheinungsformen klassifizieren wie z. B. Aufsteigen (Befördern), Überholen etc. Relationale Klassifizierungen sind hier gesondert aufgeführt, weil sie gegenüber den anderen Begriffsklassen eine Sonderstellung einnehmen. Sie beschreiben einen Merkmals-, Zustands- oder Prozeßwandel. Schmelzen, Einholen, Überholen z. B. haben zwar auch eine anschauliche Merkmalscharakteristik, aber sie ist dynamisch, sie hängt von inneren bzw. Zeit- oder äußeren Wirkungsfaktoren ab wie Schwerkraft, Siede- oder Schmelzpunkt etc. Andererseits können solche relationalen Klassenbildungen auch als Substrukturen in Ereignis- oder Ereignisfolgebegriffen gebunden sein, wie z.B. Faulen oder Gären bei Lagern, Abbrechen bei Anspitzen, Abfärben bei Anmalen. Daß solche relationalen Klassifizierungen an sehr verschiedene Geschehenstypen gebunden sein können, das haben sie mit den Objektbegriffen gemeinsam (man denke an Begriffe wie Abfallen oder Beginnen usf.). Die damit ausgedrückte Relation zwischen Zuständen, Bedingungen, Verlaufseigenschaften oder Wirkungen ist das Invariante in der Menge der klassifizierten Vorgänge und in diesem Sinne die klassifizierungsrelevante, die begriffsbildende Größe. Abbildung 4 soll einen Eindruck von den bisher erörterten Strukturen sowie Zusammenhängen zwischen ihnen vermitteln: Die untere Zone ( P i E . . . ) . . . (P 3 E) und ( P N E . . . ) . . . (PXE) stellt die Erinnerungsgebiete individuellen Erlebens dar; Bilder z.B. aus Kindheit und Jugend, Inseln vergleichbar, zwischen denen nicht ausfüllbare Lücken vergessener Zeitabschnitte liegen können. Hier bestimmt der Zeitablauf die Ordnung. Es sind zumeist nicht klassifizierte Einzelbilder, sondern Folgen von Erinnerungsbildern oder -szenen. Die mittlere, stark gezeichnete Ebene, beschreibt die Ebene der klassifizierten Ereignisse. Wortmarken WM bezeichnen die Ereignisbegriffe E A , E B etc., deren semantische Kerne zu Objektbegriffen verzweigen, die ihrerseits durch Merkmale bestimmt sind. Objektbegriffe können wiederum zu zahlreichen anderen semantischen Kernen verzweigen und dadurch Bindungen an ganz andere Objektbegriffe haben. So kann z. B. ein Weg vom Objektbegriff Gießen zu Blume gehen, von wo Bindungen bestehen zu Pflücken, Kaufen, Verkaufen, Schenken, Säen usf. Zwischen den Ereignisbegriffen gibt es aber auch raum-zeitlich verbindende semantische Verknüpfbarkeiten: solche der Konditionalität, der Kausalität, der zeitlichen Determiniertheit. Vor Behandlung steht Erkrankung (bzw. Infektion), danach als mögliche KausRelation Genesung (Heilung) oder Tod (Sterben). Im Unterschied zur unteren Ebene handelt es sich hier um Klassifizierungen von Situationen, zwischen denen Beziehungen bestehen, die von kognitiven Prozeduren her konstruiert werden können. Mögliche Ursachen können Ereignisklassen binden, andere aber ausschließen. Das gilt für physikalisch determinierte Zusammenhänge wie für soziale Abhängigkeiten oder Üblichkeiten. Die obere Ebene mit Wörtmarken WM C , WM S etc. enthält Begriffe hoher und höchster Abstraktionsstufen, in denen Klassen von Ereignissen verdichtet zusammengefaßt sind. Aus Fußballspiel, Schach, Skat, Halma . . . , die alle in der mittleren Ebene liegen, kann in der höchsten Abstraktionsstufe durch erneute Invariantenbildung Spiel werden. Von hier kann dann die Untersetzung in die mittlere Ebene erfolgen (Schachspiel als Beispiel) und von dort in die unterste, individuelle Ebene untersetzt werden, z.B. in eine bestimmte Schachpartie, sei es eine selbst gespielte oder eine nachgespielte, berühmte Partie. Zwischen diesen drei großen Abstraktionsebenen (wobei es auch Zwischenstufen gibt) sind Begriffe E/Y, S/K sowie E*/Y*, SVK* eingezeichnet. E/Y, S/K bezeichnen die soeben
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Abb. 4. Überblick über die begriffliche Architektur des menschlichen Gedächtnisses. Die drei Schichten können noch weiter untersetzt werden. Sie lassen aber die hier relevanten Niveaustufen erkennen. Untere Reihe: episodische (singulare) Erinnerungszusammenhänge. Mittlere (betonte) Reihe: die Ereignisbegriffe mit möglichen Abfolgen in Raum und Zeit. Obere Ebene: abstrakte Klassenbildung mit komplexen Begriffen aus Staats- bzw. Rechtslehre oder Ökonomie bzw. aus den Naturwissenschaften. Kleinere Konfigurationen, die symbolisch Schrägstriche ( / ) als Relationszeichen enthalten, bezeichnen relationale Begriffsbildungen, wie sie aus der Beobachtung physikalischer, chemischer, biologischer u.ä. Zusammenhänge resultieren. Hierher gehören Begriffe wie Schmelzen, Spiegeln, Überholen, Fallen z. B.
besprochenen relationalen Klassifizierungen, wie sie aus unmittelbarer, d.h. perzeptiv gebundener Erfahrung hervorgehen: daß Wasser bei Kälte gefriert, bei Erwärmung auftaut, daß Erhitzung zu Verdampfung oder in geschlossenen Räumen zu Druckanstieg führt; daß Feuer einen Stoff verbrennt oder Metall zum Schmelzen bringen kann usf. Es sind dies Bestandteile der naiven Naturerkenntnis des gesunden Menschenverstandes. Aus ihr entstehen, wiederum bedingt durch kognitive Prozesse, die abstrakten Kategorien wissenschaftlichen Denkens, deren Zusammenhänge und Abhängigkeiten physikalische oder (abgeschwächt) soziale Gesetzmäßigkeiten abbilden. So ist in dieser Ebene die Beziehung zwischen Druck/Temperatur/Volumen durch das Boyle-Mariott'sche Gesetz repräsentiert, das Fallen eines festen Körpers ist durch das Gesetz des freien Falls bestimmt, Kraft ist eine Relation zwischen Masse und Beschleunigung usf. Wie die kognitiven Prozesse arbeiten, die aus der (messenden) Beobachtung diese weiträumigen Relationen zu bestimmen gestat-
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ten, auch das ist Gegenstand der kognitiven Psychologie (vgl. Spada, 1982; Mandl, 1980; Rost, 1980). Das Schema der Abbildung 4 betont die mittlere Ebene begrifflicher Strukturbildungen. Das hat Gründe: Es ist dies jene Abstraktionsstufe, in der die drei Ebenen des Wissenserwerbs zusammentreffen und von der aus die anderen Ebenen am leichtesten zugänglich sind. Es ist dies die Ebene der geringsten individuellen Spezifik, jene begriffliche Ebene auch, die weitgehend den gemeinten Bedeutungshintergrund der sprachlichen Kommunikation trägt und auf der sprachliches Verstehen zuerst abgebildet wird. Es ist dies der sozial am stärksten normierte 1 und daher am geringsten individualisierte Wissensbereich. Es ist die Wissensebene, in der sich alltägliches Denken abspielt: herunterführbar in die Erfahrungswelt der Beispiele individueller Wissensrepräsentation oder heraufführbar in die Ebene abstrakt kategorialen Denkens, in der die Erkenntnis weiträumiger Gesetzmäßigkeiten möglich ist. Die Beispiele für die inhaltliche Ausfüllung begrifflicher Repräsentationen verweisen darauf, daß kognitive Prozesse an diesen Wissensstrukturen angreifen und daß der Interaktion zwischen Strukturen einerseits sowie ihren Verknüpfungen oder Transformationen durch kognitive Prozesse andererseits entscheidende Bedeutung für das Verständnis geistigen Lebens überhaupt zukommt.
Begriffsstrukturen und Denkprozesse Im Schema der Abbildung 5 sind die wesentlichen Instanzen unserer weiteren Betrachtung eingetragen. Informationseingänge über die Sinnesorgane, herstammend aus der äußeren Welt, hervorgerufen durch Objekte oder Ereignisse oder durch eigenes Handeln. Auf der Innenseite ist das Langzeitgedächtnis (LTM) zweifach vertreten, nämlich einmal durch einen prozeduralen und zum anderen durch einen stationären Teil. Der letztere ist bestimmt durch Begriffe und Relationen zwischen ihnen, sofern sie fest eingetragen sind. Die linke Seite verweist auf die noch zu besprechenden prozeduralen Strukturen. Sie verarbeiten Informationen sowohl aus der Umgebung als auch aus dem begrifflichen Gedächtnis. Die funktionelle Einheit, in der das geschieht, heißt operatives Kompartment. In ihm findet das Zusammentreffen zwischen Umwelt- und Gedächtnisinformation statt, von ihm aus werden Erkenntnisprozesse gesteuert, sei es Objekt- oder Spracherkennung; hier werden Antworten auf Fragen gesucht oder produziert, Lösungsprozesse bei vorgegebenen oder selbstgestellten Problemen in Gang gehalten bzw. einer Lösung zugeführt. Dazu müssen Zwischenresultate zeitweilig verfügbar gehalten werden: Kurzzeitgedächtnisspannen hängen hier von der Anforderung ab (Murdock, 1974). Die zeitweilig fixierten Gedächtnisinhalte gehen nach weiterer Verarbeitung verloren. Welcher Art sind nun die Prozesse, die hier ablaufen? 1
In der abstraktesten Ebene gilt das auch für die explizit standardisierten Begriffe aus Gebieten wissenschaftlichen Denkens.
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Abb. 5. Das operative Kompartment als funktionelles Gebiet des Zusammentreffens von perzeptiven Informationen und informationellen Strukturbildungen des Langzeitgedächtnisses. Die aktiven Komponenten (i.e. die Prozeduren des Langzeitgedächtnisses (LZG)) verarbeiten Wahrnehmungsund Gedächtniseindrücke. Begriffliches Erkennen ist ein Ergebnis der Verfügbarkeit solcher Prozeduren. Es resultiert nämlich aus Vergleichen zwischen Wahrnehmungseigenschaften und einer von ihnen aus anregbaren begrifflichen Gedächtniseintragung. Prozedurale Wechselwirkungen können aber auch zwischen den Prozeßmodulen des Langzeitgedächtnisses und dessen stationären begrifflichen Strukturen stattfinden. Dies macht das Wesen von (intern motivierten) Denkprozessen aus. Auch darin liegt eine wesentliche Quelle menschlicher Erkenntnis
Modulare Prozeduren in kognitiven Prozessen Bei Berücksichtigung zahlreicher neuerer Forschungsergebnisse der kognitiven Psychologie lassen sich eine Fülle von Beispielen für die nachfolgend genannten kognitiven Prozeduren angeben. Sie sind in höheren kognitiven Leistungen als Komponenten nachweisbar, bei elementaren Anforderungen aber auch isoliert untersucht worden. Es sind dies: (1) Vergleichsprozesse (2) Verkettungen (3) Verdichtungen (4) Verkürzungen und (5) Transformationen, bei denen zu unterscheiden sind: (5.1.) Selektion (5.2.) Substitution (5.3.) Projektion (5.4.) Inversion Wir betrachten nun die einzelnen Prozeduren an Beispielen, aus denen ihre Wirkungsweise deutlich wird. Vergleichsprozesse Sie spielen nicht nur bei der perzeptiven Urteilsbildung eine Rolle, etwa wenn die Ähnlichkeiten zweier Wahrnehmungseindrücke, wie etwa von Gesichtern oder Landschaften, abgeschätzt werden sollen, vielmehr spielen sie auch beim Vergleich von Gedächtnisinhalten,
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insbesondere bei begrifflichen Eigenschaften, eine bedeutsame Rolle. Abbildung 1 legt die Vermutung nahe, daß die Erkennung von Unter-Oberbegriffen und umgekehrt oder die Erkennung von begrifflichen Ähnlichkeiten, der Nebenordnung zweier Begriffe (die auf der gleichen Hierarchieebene liegen), der Komparation, der Synonymie oder der Antonymie auf Merkmalsvergleichsprozessen beruhen. In einer großen Zahl von Experimenten konnten Preuß (1985, 1987), Wolf (1984), Ricken (1987), Karzek (1987) nachweisen, daß diese Annahme mit Sicherheit für Unter-Oberbegriffsbeziehungen, Nebenordnung, Synonymie und Antonymie gilt. Abbildung 6 gibt ein Beispiel für Synonymieerkennung (nach Karzek, (ms).
1 ¿00 -
*
ZF2
1300 -
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1000 "
I
„ww
0
|
0,5
>
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1,0
>
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I
| '
2.0 Merkmale
I
|
^
2,5 (Mittelwerte)
Abb. 6. Vpn haben die Übereinstimmungen bzw. die Nichtübereinstimmung hochgradig bedeutungsähnlicher Wortpaare zu schätzen (Synonymie vs. Nicht-Synonymie). Auf der Abszisse sind die für die positive Entscheidung relevanten Merkmale eingetragen. Auf der Ordinate ist die Erkennungszeit in ms angegeben. Man sieht, daß die Entscheidungszeit von der Merkmalsanzahl abhängt, die (wahrscheinlich auch im Reaktionszeitversuch vor dem Bildschirm) für das Begriffspaar als relevant angesehen wurde. (Die Merkmale wurden in einem Prä- und in einem Postversuch ermittelt.) Beispiele für einfache Synonyma sind Schrippe - Brötchen, Senf - Mostrich und für komplexere: Schwung Elan, Gestatten - Erlauben (nach Karzek, 1987)
1987) wieder. Es zeigt sich, daß die Erkennung zweier Begriffe als Synonym von der Menge der ihnen gemeinsamen im Verhältnis zu den sie unterscheidenden Merkmalen abhängt. Abbildung 7 zeigt die algorithmusähnlichen Erkennungsstrukturken, und Abbildung 8 veranschaulicht das Verhältnis der relevanten Merkmalsmengen. Diese Verhältnisse erlauben es, eine große Anzahl experimentell bestimmter Ergebnisse zu erklären bzw. Resultate vorherzusagen (vgl. Legende zu Abb. 9). Insbesondere läßt sich zeigen, daß der Erkennungsaufwand bei der Ermittlung dieser Begriffsbeziehungen von den Verhältnissen in den Merk-
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A\ ¡1:
AistUnterbegriff
A< ¡2: .10] and there was no interaction between word class, the type of modality-specific encoding and the type of learning instructions. We can assume, therefore, that the organization under modality-specific processing is the same as under standard learning instructions. The modality-specific encoding appears not to have influenced the processing of relational information.
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Z. Psychol. 198 (1990) 2 nouns
verbs
Fig. 2. Levels of subjective organization in FR for nouns and verbs under the different encoding instructions for the 4 subsequent FR pairs
Correlations Between Subjective Organization and Free Recall In order to assess the relation between the degree of subjective organization and recall, we calculated the correlations between the PF-score and recall performance. Each PF-score from FRn and F R n + 1 was correlated with the performance from FRn +1. In figure 3, the mean correlations between PF and FR are shown separately for the different conditions.
Fig. 3. Correlations between FR-performances and PF-scores for words and nouns under the different encoding instructions (correlations above r = .40 are significant [p < .05])
Differential memory effects
199
From figure 3 it can be seen that the question of whether PF and FR performance correlate for nouns can be answered affirmatively. The correlations between PF and FR were significant with only one exception for both instruction conditions. That one exception is the correlation between PF1 and FR2 under modality-unspecific learning instructions (r = -.20). This exception is mainly due to the fact that four subjects hardly organized at all, but had an extremely high recall performance. If this is removed from the data, then the correlation increases to r = .38. It can be surmised that these subjects used another, probably itemspecific, strategy. The results for verbs were different. Here, correlations differed according to the learning instructions. Under modality-specific learning instructions, that is, for learning by enacting, there was no correlation of any note between PF and recall performance. None of the correlations were significant. In contrast to this, the correlations under unspecific learning instructions were, in general, higher than under enacting. They were either close to the level of significance or were significant. Discussion There was a noun superiority effect in recall. However, this main effect, as seen from the interaction of word class and encoding instructions, was due to the standard learning condition. Under this condition there was a clear-cut recall advantage of nouns. This advantage, however, was eliminated when modality-specific encoding instructions were given. These findings fit in well with our theoretical analysis that verbs are abstracter and referentially vaguer than nouns, and that their item-specific encoding is therefore poorer than that of nouns under standard learning instructions. Because of this abstractness and vagueness, verbs should prove to profit more strongly than nouns from good concretization. According to our theoretical considerations, enacting should achieve a suitably good concretization of verbs. Nouns which by nature are less abstract and referentially vague do not benefit from having images formed as much as verbs do from being enacted. However, without taking into account the scores of subjective organization, it cannot be assessed how far relational encoding contributed to the findings. The analysis of the organizational scores showed that nouns were organized better than verbs. However, this organization was independent of encoding instructions. Thus it may be that the noun superiority was based on better item-specific information as well as on better relational information compared to verbs under standard learning instructions. But the elimination of this effect under modality-specific encoding was clearly due to item-specific encoding, because relational encoding remained unchanged and the recall improvement was greater for verbs under enacting than for nouns under imagining. The assumption that relational encoding is independent of modality-specific encoding is supported, in the case of enactment, by the lack of correlation between recall and subjective organization under this condition. Under enactment, none of the scores correlated significantly with the recall performance. The improvement in recall performance, therefore, cannot be due to an improvement in organization, since they did not correlate under any of the conditions.
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The case was different when nouns were imaginally encoded. As a rule, the subject had a better recall performance the better he or she organized. However, since no increase in the degree of organization could be observed from the listening condition to the imagining condition, the enhancement in performance for imagining cannot be due to an improvement in the organization itself. For this type of encoding, however, stable organization led at least to an improvement in performance. Only under a standard learning condition was there a consistent correlation between organization and recall performance. This should mean that the noun advantage under this encoding condition was at least also determined by better relational encoding of nouns. Experiment 2 We had two reasons for conducting Experiment 2, in which subjects learned the verb list with the instructions to imagine somebody performing the actions: (a) modality-specific encoding instructions in Experiment 1 were confounded with word class, and it could be objected that the performing instructions might have induced an imaginal encoding strategy with verbs; (b) not only do we refute this possibility, but, additionally, we claim that imaginal encoding of verbs does not improve item-specific encoding of verbs very much. Method Twenty-four subjects learned the same verb-lists as in Experiment 1 under the instruction to form an image of the denoted action. The data of this experiment were analyzed in comparison to Experiment 1. The results are depicted in figure 4.
Fig. 4. FR-performances for verbs under an image-forming instruction (the shown performances for the nouns and those for the verbs under standard learning and under enacting are the same as those in fig. 1)
Differential memory effects
201
Recall performance for verbs was - in contrast to that for nouns — not significantly improved by the instructions to form images. Recall performance was as good under this condition as under standard learning instructions (.66 as compared to .63, nonsignificant), where as performances under both conditions were worse than under enacting conditions [.77, t(34) = 4.1, p < .001], The subjective organization of verbs was also unchanged by imagining, when compared to standard learning conditions (cf. fig. 2). Discussion Whereas imaginal processing of nouns improved recall of them, imaginal processing of verbs did not. This is in line with our expectations. Imagining the actions of someone else contributes little to making the referential aspects of verb meanings available to the subject. We attribute this to the fact that imagining actions would focus attention to the concretization of specific objects involved in the action and/or of other persons performing the actions. These sensory pieces of information contribute little to those referential aspects of verbs that define their qualities. In other words, imaginal encoding of verbs adds not enough item-specific information to make them unique and which is critical for retrieving the names. The inefficacy of imaginal instructions for verbs attests to sensory vagueness of verbs.
Experiment 3 The main goal of this experiment was to show that nouns profit more from a taxonomic list structure than verbs, and that this holds less true for episodically structured lists. At the same time, we wanted to explore whether the recall advantage of nouns covaries with these changes in organization. It is well known that the taxonomic structure of a list is encoded spontaneously and probably automatically (cf. Hunt and Einstein, 1981; McDaniel et al., 1988), but that subjects can increase their relational encoding if they are explicitly induced to do so by a sorting task. It interested us to know whether the same holds true for episodically structured lists. We assume that episodic structure is not used spontaneously to the same degree as taxonomic structure is. We expected, therefore, that providing the subjects with explicit information on list structure would be more useful with episodic lists than with taxonomic lists. To test this assumption we introduced a further factor into this experiment: half the subjects were informed about list structure, half were not. The information about list structure was intended to induce the explicit use of the categorial structure during encoding.
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Method Materials and Design Two nouns lists and two verb lists were set up; each type had an episodic and a taxonomic list. For the nouns, the episodes were "at a restaurant," "at a bank," "at school," "at a camping-place," "in a train," and "at a construction site"; the taxonomic categories were "fruit," "clothing," "furniture," "parts of the body," "animals," and "tools." For the verbs, the episodes were "working with wood,", "driving a car," "washing clothes," "working in the garden," "working in an office," and "cooking;" the taxonomic categories were " t o empty something," " t o clean something," " t o touch something," " t o ingest something," " t o produce tones," and " t o form something." The complete lists of items are to be found in the Appendix. These episodic and taxonomic lists formed the first factor, the list structure, which was a between-subjects variable. The second factor, the word class, was a within-subjects variable. Each subject had to learn a noun list as well as a verb list. In order to observe sequence effects, the sequence of the lists was changed, so that two independent groups of subjects had to learn either a taxonomic or an episodic verb list and noun list, one group in the sequence verb-list, noun-list; the other in the sequence noun-list, verb-list. From this procedure the third factor was formed, the verb-noun-sequence. The fourth factor, the categorial information, was a between-subjects variable. One half of the subjects received categorial information, the other half did not. The fifth factor was the trial. The list was presented to each subject twice, with a free recall after each presentation. This was so that we could appraise the material-specific practise effects. The result was a 2 X 2 x 2 x (2 x 2 x S) design. Subjects There were 64 subjects for this experiment, male and female students at the University of the Saarland. Procedure The lists were presented orally at a rate of 5 sec per item. The subjects were told to memorize the items, and were informed that they should write them down afterwards. The group without categorial information received no further instructions. The subjects from the group with categorial information were told that the words came from the categories we listed above, and were told the names of the categories. They were told to use this categorial information to help them learn the words by classifying the words according to the categories. Next came the presentation, and after a delay of half a minute came the free recall. Another presentation followed, and so on. The subjects were told to write down all the words they recalled, each below the other on a piece of paper.
203
Differential memory effects
Results3 We analyzed the number of words or their synonyms which were correctly recalled, and the degree of clustering (ARC). We shall first discuss recall performance, displayed in table I. Tab. I. Free recall performances (relative frequencies) for taxonomic and episodic verb- and nounlists which were learned with or without category information taxonomic FR1
FR2
episodic mean
FR1
FR2
noun verb
verb noun
.80 .79
without category information nouns .91 .85 .69 .89 .90 .84 .92 .66
noun verb
- verb noun
.56 .51
.71 .67
noun - verb verb - noun
.74 .79
.91 .92
noun verb
.54 .52
.80 .70
- verb noun
.64 .59
verbs .47 .50
mean
.79 .79
.76 .69
.62 .60
with category information nouns .97 .83 .80 .85 .85 .96
.86 .91
verbs .78 .62
.84 .71
.67 .61
.90 .79
Note: 'noun-verb' refers to a learning order where first the list of nouns and then the list of verbs was learned by a subject, 'verb-noun' refers to the reversed order
An analysis of variance performed on this data revealed the following effects. There was higher recall with presentation of categorial information (.79) than without (.72), [F(l,56) = 6.98, p < .01]. This interacted with list structure [F(l,56) = 5.55, p < .02], and both interacted with trial [F(l,56) = 14.22, p < .01]. Figure 5 depicts the last mentioned threefold interaction. This interaction shows that with a taxonomic list-structure, naming the categories has no effect, whereas with an episodic structure, it leads to a definite improvement in performance [t(30) = 4.07, p < .01], so that the episodic lists are recalled even better than the taxonomic ones. Without information about categorial structure the episodic lists were recalled worse only in the first FR [t(30) = 2.01, p < .05]; in the second FR it was balanced out again. 3 The data collected with the episodic verb-list reported in this and the following experiment are partially reported in Zimmer and Engelkamp, 1989.
204
Z. Psychol. 198 (1990) 2 taxonomic
episodic
1-
rel. freq.
rel. f r e q .
0,9 0,90,8 0,8 • 0,7 0,7-
0,6-
0,6
ft C. l.PR
2. FR
TFR
2. PR
Fig. 5. Interaction of the factors list structure, categorial information and FR in the analysis of the FR-performances
Word-class showed a highly significant main effect [F(l,56) = 2199.36, p < .001], Nouns were clearly recalled better (.84) than verbs (.66). This also interacted with list-structure [F(l,56) = 37.52, p < .001]. Whereas nouns were recalled equally well for the two types of list-structure (.84 and .84), verbs were recalled somewhat better in an episodic list (.69) than in a taxonomic list (.62). Thus, the difference between recall performances of verbs and nouns was smaller with episodic lists (.15) than with taxonomic lists (.22). This is what we expected. There was also an effect of trial [F(l,56) = 316.88 and an interaction between word-class and verb-noun-sequence. Verbs were recalled better when nouns were learned before them than the other way around [F(l,56) = 52.56, p < .001], The effects for the organization scores were similar (see tab. II). As expected, naming the categories raised the degree of organization (.63 < .81) [F(l,56) = 11.10, p < .01]. However, this is the case mainly for episodic lists, as shown by the interaction with liststructure [F(l,56) = 4.81, p < .05]. Without categorial information, episodic lists were organized worse than taxonomic lists (.56 < .72); with categorial information they were organized better (.84 > .77). It was also shown that for taxonomic noun-lists the categorial information had no effect (.91 and .91), whereas taxonomic verb-lists were organized better with categorial information than without (.64 > .51). However, this effect was only marginally significant [F(l,56) = 3.3, p < .08]. Word-class also showed a main effect by organization. Nouns (.84) were organized better than verbs (.60) [F(l,56) = 44.51, p < .001], This interacted with list-structure [F(l,56) = 5.12, p < .05], Episodic noun-lists (.78) were organized worse than taxonomic noun-lists (.91), whereas there was little effect for verbs (.62 and .58). Also in the degree of organization, the difference between verbs and nouns for episodic lists was less than for taxonomic lists.
205
Differential memory effects
Tab. II. Mean ARC scores for taxonomic and episodic verb- and noun-lists which were learned with or without category information taxonomic
episodic
1st FR
2nd FR
noun - verb verb - noun
.98 .84
without category information nouns .96 .94 .65 .59 .86 .54 .61 .88
noun - verb verb - noun
.66 .39
.73 .28
noun - verb verb - noun
.88 .86
.94 .93
noun - verb verb - noun
.75 .43
.80 .58
mean
.70 .34
1st FR
verbs .63 .40
2nd FR
mean
.62 .58
.58 .41
.61 .41
with category information nouns .91 .96 .98 .90 .93 .96
.97 .95
verbs .88 .53
.89 .56
.77 .51
.91 .58
In the analysis of organization scores, the interaction between word-class and list-sequence continued to be significant [F(l ,56) = 11.29, p < .01]. Verbs were organized better after nouns were learned (.75) than before nouns (.46), whereas nouns showed no dependence upon list-sequence (.86 and .82). Discussion These findings supported our predictions. We expected nouns to be easily embedded in taxonomic structures, easily organizable, and well recalled, and all this better than verbs. Such was the case. We predicted that the differences between verbs and nouns would be less in episodic lists, since verbs that denote action would be grouped in such types of events (cf. Klix, 1984) in a manner similar to nouns. Nouns are clearly organized worse with episodic lists than with taxonomic lists. This difference is not as strong for verbs. Recall, however shows a deviating pattern. In spite of worse organization with episodic lists, nouns are not recalled worse than with taxonomic lists. This difference between organization and recall can be clarified when categorial information is also considered. The interaction between list-structure and recall scores shows that without categorial information, organization and recall of nouns is better with taxonomic lists than with episodic lists. With categorial information, the figures are reversed. For episodic lists, organization and recall are better with categorial information; however, the better organization induced by
206
Z. Psychol. 198 (1990) 2
categorial information does not outweigh the main effect, which favors the taxonomic lists. For verbs, organization and recall with episodic lists are slightly better than with taxonomic lists. Altogether, the recall differences between nouns and verbs are much more pronounced than the differences in organization. This is to be expected, if noun advantage is due to an item-specific advantage as well as to a relational encoding advantage of nouns. With verbs, there is a clear-cut effect of list-sequence. When verb-lists are learned after noun-lists, they are organized and recalled better than when they are learned first. This indicates that the processing for verbs could be improved. It is evidently practised less often than that for nouns. We also conjectured that episodic list-structures are less spontaneously encoded than taxonomic ones. For this reason, we expected that the organization of episodic lists would be stimulated more than that of taxonomic lists with explicit information about categories. This assumption was also supported by our findings. With episodic lists, an enhanced use of relational list information can be achieved by information about list-structure, but also - as the findings show - by a second trial. According to the findings from Experiment 1, it was to be expected that the recall performance in Experiment 3 would correlate with the degree of organization, since in Experiment 3 the learning took place under standard learning instructions. Such is indeed the case when the categories are presented. The correlations lie between .40 and .80. This is the same for episodic lists without categorial presentation, except for the verbs in the first trial; surprisingly enough, it is not the case for taxonomic lists without categorial information. Why this is so, we cannot say for sure. When we look at the raw data, it can be observed that several subjects organized very well, but still had poor recall. This could indicate that the organization took place at the time of recall and not during encoding. In such a case, we could expect only a weak relation between recall performance and the degree of organization. Altogether, our predictions for this experiment were confirmed: (a) Verbs are organized worse than nouns. We conclude from this that the extent of relational organization, and thus of organizability, is less for verbs than for nouns. (b) This difference is more pronounced with a taxonomic list-structure than with an episodic one. (c) Without additional information about categorial structure, taxonomic structures tend to be reconstructed better than episodic ones; only with episodic lists there are clear-cut effects of categorial information. (d) Recall performance covaries with the degree of relational organizationability. These findings show clearly that the extent of availability of relational information is different for verbs and nouns, and that recall performance under standard learning instructions generally follows the same lines of difference. At the same time, is is evident that itemspecific information is also better for nouns than for verbs. We applied ourselves to the relation between item-specific information and relational information in Experiment 4.
Differential memory effects
207
Experiment 4 Experiment 1 showed that modality-specific encoding does not influence the extent of subjective organization. It was seen that the PF-score was the same under modality-specific and standard learning conditions. In Experiment 4 we wished to examine whether the organization of a structured list also remains uninfluenced by modality-specific encoding. Second, we wished to examine whether the noun-superiority effect could be reduced or eliminated by modality-specific instructions. Under the assumption that the nounsuperiority effect for structured lists is due mainly to the better relational information of nouns, we expected a reduction instead of a complete elimination of this effect. Third, we wished to test again whether the correlation between organization and recall collapses under modality-specific learning conditions.
Method In order to examine these questions, we used the same episodic lists which we used in Experiment 3 under standard learning instructions, and had them learned by a further 36 subjects. As in Experiment 1, we had the subjects learn the noun-lists under imaginal instructions and the verb-lists under enacting instructions. The other conditions were the same as in Experiment 3, except that the taxonomic lists were omitted. We decided not to include the taxonomic lists, because the organization scores with figures above .90 and the recall performance with figures of around .85 lead to an assumption of ceiling effects. In any case, it would hardly be possible to improve these figures with taxonomic lists.
Results If the data for the episodic lists from Experiments 3 and 4 are analyzed together, the comparison allows a statement about the influence of modality-specific encoding type upon organization, upon recall, and upon the relation between the two. We shall first consider recall performance. Table III shows a comparison between Experiments 3 and 4 of recall performance for episodic lists. Analyzing this data together also shows a clear-cut word-class effect [F(l,64) = 98.88, p < .001]. Nouns (.85) were recalled better than verbs (.73). An encoding-effect could also be observed [F(l,64) = 4.21, p < .05], Modality-specific learning (.82) was somewhat better than unspecific learning (.78). However, the type of encoding interacted with word-class [F(l,64) = 7.6, p < .01]. Imaginal instructions did not improve the mean of the recall for episodically-structured noun-lists (.85 and .86), whereas episodic verb-lists displayed a notable increase in performance after enacting instructions (.70 < .77). The type of encoding also interacted with the instructions about list-structure [F(l ,64) = 9.39, p < .005], Naming the categories used in the lists remained completely without effect upon recall under modality-specific encoding, whereas recall performance under standard learn-
208
Z. Psychol. 198 (1990) 2
Tab. III. Free recall performances (relative frequencies) for episodic verb- and nounlists which were learned with or without category information and with a standard learning instruction or a modalityspecific instruction modality-specific
standard
1st FR
2nd FR
noun - verb verb - noun
.75 .80
without category information nouns .94 .85 .89 .69 .94 .87 .66 .92
noun - verb verb - noun
.67 .68
.91 .81
noun - verb verb - noun
.82 .71
.97 .91
noun - verb verb - noun
.72 .63
.93 .79
mean
.79 .75
1st FR
verbs .47 .50
2nd FR
mean
.79 .79
.76 .69
.62 .60
with category information nouns .97 .90 .80 .81 .96 .85
.86 .91
verbs .78 .62
.84 .71
.83 .71
.90 .79
ing instructions were enhanced by naming the categories. Figure 6 depicts the relation between word-class, type of encoding, and category-information.
without categorìa! information
0,9j
with categorial information
rei. freq.
0,» •
0,6 • +
4* vefbs
standard learning
modality-specific I.
0,5-
standard learning
verbs
modality-specific I.
Fig. 6. FR-performances for nouns and verbs under standard learning and under modality-specific learning with and without categorial information
Differential memory effects
209
Table IV compares the organization scores for episodic lists of Experiment 3 and 4.
Tab. IV. Mean ARC scores for episodic verb- and noun-lists which were learned with or without category information and with a standard learning or a modality-specific instruction modality-specific 1st FR
2nd FR
noun - verb verb - noun
.67 .77
without category information nouns .77 .72 .65 .59 .78 .54 .78 .61
noun - verb verb - noun
.63 .37
.60 .46
noun - verb verb - noun
.88 .65
.81 .83
noun - verb verb - noun
.61 .36
.77 .70
mean
standard
.67 .42
1st FR
verbs .63 .40
2nd FR
mean
.62 .58
.58 .41
.61 .41
with category information nouns .85 .96 .98 .74 .93 .96
.97 .95
verbs .88 .53
.89 .56
.69 .53
.91 .58
Considering the ARC-score, which mirrors the degree of organization during recall, it can be seen that organization was better with presentation of the categories (.78) than without (.60) [F(l,64) = 10.51, p < .002]. The main effect of word-class was significant, as expected [F(l,64) = 23.73, p < .001]. Nouns (.78) were considerably better organized than verbs (.59). It is also striking that modality-specific encoding did not induce an improvement in organization, and even made it worse under the condition of naming the categories. The factor categorial information interacted with encoding instructions (modality) [F(l,64) = 4.22, p < .05]. This interaction is depicted in figure 7. When the categories were not named, there were hardly any differences in the organization between the two types of encoding (.56 and .63, t < 1), whereas when the categories were named, organization under standard learning instructions was considerably higher (.85) than under modality-specific instructions (.71) [t(32) = 2.16, p < .05; see fig. 7], An analysis of the correlation between organization scores and recall scores under modality-specific encoding yielded no significant correlation figures.
210
Z. Psychol. 198 (1990) 2 ARC +
with categorìa) information
— without categoria! —nation
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
standard learning
m o d a l i t y - s p e c i f i c 1.
Fig. 7. ARC-scores for standard learning and for modality-specific learning with and without categorial information
Discussion On the basis of these findings, we can conclude that modality-specific encoding reduces the noun-superiority effect also for episodically organized lists. Episodically organized noun-lists gain less from modality-specific encoding than do those with verbs. At the same time, information about the categorial structure is effective for recall and for degree of organization only under standard learning instructions, and not under modality-specific encoding. This indicates that relational information, whose formation is induced by categorial information, is not used for recall under modality-specific encoding. This interpretation can be made more specific by taking into account the analysis of organization. Without presentation of categorial information, modality-specific encoding instructions remain without effect upon the degree of organization. This replicates the findings from Experiment 1. Organization is even impaired if the subjects are informed about list structure, in comparison to standard conditions. It appears that modality-specific encoding impedes the explicit and controlled use of relational information. This surprising finding goes beyond the predictions which we had formulated. However, it is well in line with findings from Engelkamp (1986) and Engelkamp, Zimmer & Denis (1989). In these experiments, the integration of verb-pairs was impaired by instructions for the execution of action, as well as by instructions for imagining an action. These findings also support the assumption that modality-specific encoding can hinder the encoding of relational information. We surmise that the automatic encoding of relational information takes place independent of whatever encoding instructions are given, and is determined only by the lists themselves. Controlled encoding processes, however, can be in competition to each other. Evidently there is this kind of competition between modality-specific encoding (which
Differential memory effects
211
makes item-specific information available) and the explicit use of categorial information. For Experiment 1, we interpreted the absence of correlation between organization and recall under modality-specific encoding as an indication that recall under these conditions must be at least co-determined by other factors, and that these factors are independent of relational information. This assumption is supported by the absence of correlation between organization and recall in Experiment 4. However, we are uncertain how the performance improvement through imagining or enacting is accomplished under these conditions. Evidently, not only item-specific is information made available by modality-specific instructions, but also the relation between relational and item-specific information is altered.
General Discussion Our point of departure was the assumption that (a) recall of word-lists depends upon itemspecific information in the same measure as upon relational information, and that (b) with unrelated lists the item-specific encoding tended to be spontaneously utilized, whereas with related lists it was relational encoding. Specially-chosen instructions should be able to strengthen whichever type of encoding is spontaneously employed, and this strengthening should function better, the less the encoding took place spontaneously (e.g. Hunt and Einstein, 1981; McDaniel et al., 1988). Upon this assumption we based our assumptions about the differentiated representation of verbs and nouns. Verbs were assumed to be abstracter and referentially vaguer than nouns, and thus to be less well spontaneously item-specific encoded. Our assumption was supported by the fact that nouns are recalled better than verbs, when learned in unrelated lists under standard learning instructions. Item-specific encoding was expected to be improved for nouns by imagining the referent objects, and for verbs by the enacting of the referent actions; the effect for verbs was expected to be stronger, since they are referentially vaguer than nouns. This is also supported by the findings. Furthermore, the findings support the assumption that visual imagining for verbs does make sensory information available, but that this information is hardly relevant for the verb reference, and thus contributes little towards item-specific encoding. At the same time, nouns were predicted to be taxonomically better to organize than verbs. Organization was expected to be less different between the two word classes when undertaken according to episodic structure, although here also a slight advantage for nouns was conceivable. These assumptions are supported by the better organization and the better recall of nouns in taxonomic lists, and the reduction of this advantage in episodic lists. Furthermore, the findings concerning the effect of instructions about list-structure support the assumption that taxonomic information is encoded more spontaneously than episodic information. Episodic lists gain more from instructions about list-structure than do taxonomic lists. For episodically-structured lists, it can further be shown that item-specific encoding can be improved by imagining the referent object or by enacting the referent action, again more
212
Z. Psychol. 198 (1990) 2
for verbs than for nouns. This improvement of item-specific encoding through modalityspecific encoding proves, as expected, to be independent of relational encoding, so far as it appears in the organization scores. So far, there is a consistent pattern. Verbs spontaneously provide less item-specific information than nouns do. This is a reason for the noun-superiority effect. Such a deficit for verbs can be overcome by suitable modality-specific encoding instructions. In addition, verbs are encoded much worse taxonomically relationally than nouns. This is a further reason for the noun-superiority effect. However, verbs are not basically inferior to nouns in relational encoding. Episodic structures can be as similarly well utilized by verbs as by nouns, and this utilization can be improved for both word-classes when utilization of information is explicitly stimulated. Beyond and above these expected and theory-compatible findings, the experiments reported here also brought to light a surprising finding that forces us to reconsider and to differentiate the assumptions concerning item-specific and relational encoding. Behind the assumptions about item-specific and relation information stands the assumption that both types of information are utilized (and can be improved) basically independently from each other. This assumption is not supported by the data from Experiment 4. Whereas modalityspecific encoding instructions do not influence relational encoding of episodic lists in comparison to standard instructions, they do diminish relational encoding when explicit information about the list-structure is preferred. We conjecture that modality-specific encoding instructions as well as categorial information start controlled processes that compete with each other. This interplay of relational and item-specific encoding has been too little defined in the theory up till now. Further research is desirable in this area. A clarification of the interplay of item-specific and relational information will also be necessary for the findings concerning the correlation of organization and recall. Whereas a positive connection under standard instructions is most often postulated in the literature (e. g. Tulving, 1962), we could observe such a connection only occasionally for nouns under imaginai instructions, and never for verbs under enacting instructions. References Abbott, V.; Black, J. B.; Smith, E. E.: The representation of scripts in memory. J. Memory Language 24 (1985) 179-199. Bâckman, L.; Nilsson, L.-G.: Aging effects in free recall: An exception to the rule. Human Learning 3 (1984) 5 3 - 6 9 . Bates, E.; MacWhinney, B.: Functionalist approaches to grammar. In: Language acquisition: The state of the art. Eds.: Wanner, E. G. L. Cambridge: University Press 1982. P. 173-218. Bousfield, W. A.: The occurence of clustering in the recall of randomly arranged associates. J. General Psychol. 49 (1953) 229-240. Clark, H.: The prediction of recall patterns in simple active sentences. J. Verbal Learning Verbal Behav. 5 (1966) 9 9 - 1 0 6 . Cohen, R.: On the generality of some memory laws. Scand. J. Psychol. 22 (1981) 2 6 7 - 2 8 1 . Cohen, R. L.: The effect of encoding variables on the free recall of words and action events. Memory Cognition 11 (1983) 575-582.
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215
Differential memory effects
Appendix Noun-list and verb-list of experiment 1 and 2 nouns
verbs
Taschenuhr Bleistift Löffel Butter Krankenwagen Wasserkessel Schleier Nummernschild Tulpe Truhe Messer Zeitung Schwamm Fön Zigarette Pferd Mantel Plakat Brücke Tisch Pistole Schlüssel Regal Telefon
kauen reiben zerkrümeln stricken hinstellen schlucken zupfen wegrücken räuspern verbiegen aufklappen blinzeln umstülpen falten zuknöpfen kratzen nicken herunterziehen aufstapeln zerreißen verknoten auskippen aufwickeln zeichnen
Taxonomic noun-list and taxonomic verb-list of experiment 3 and experiment 4 nouns Banane Apfel Birne Pfirsich
Hose Bluse Jacke Pullover
Schrank Stuhl Tisch Regal
Auge Mund Nase Ohr
Schaf Kuh Ziege Schwein
Zange Bohrer Hammer Säge
216
Z. Psychol. 198 (1990) 2
verbs ausschenken auskippen ausgießen ausschütten
putzen schrubben wischen scheuern
abtasten befühlen berühren streicheln
trinken schlürfen saugen nippen
räuspern husten pfeifen schnarchen
biegen zerknautschen verbeulen zerknüllen
Episodic noun-list and episodic verb-list of experiment 3 and experiment 4 nouns Kellner Speisekarte Wein Trinkgeld
Schalter Sparbuch Scheck Kassierer
Lehrer Ikfel Kreide Heft
Zelt Gaskocher Luftmatratze Schlafsack
Abteil Waggon Schaffner Fahrkarte
Kran Maurer Steine Gerüst
verbs absägen schmirgeln lackieren anschrauben
angurten starten schalten lenken
auswaschen auswringen bügeln zusammenlegen
rechen säen jäten gießen
tippen nachschlagen zusammenheften stempeln
schälen würzen umrühren garnieren
Z. Psychol. 198 (1990) 217-245
J. A. Barth, Leipzig
Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse der Akademie der Wissenschaften der DDR
Zur Kaskadierung aufsteigender und absteigender Verarbeitung: „kontrolliert" vs. „automatisch" synchronisiertes Zusammenspiel von Merkmalsextraktion und Klassenrepräsentation U. Kämpf
Zusammenfassung: Anhand einer experimentellen Replikation und Manipulation der bekannten global-nach-lokal Prioritätseffekte untersuchten wir das intakte vs. gestörte Zusammenspiel aufsteigender und absteigender Komponenten merkmalsgebundenen Bilderkennens. Die Synchronisation zwischen sensorisch frühem vs. spätem Zugriff auf ein Merkmal und seiner Stelligkeit in der kategorialen Hierarchie erwies sich als entscheidend für die Kaskadierbarkeit datengetriebener und konzeptgeleiteter Verarbeitung, meßbar in einer beschleunigten Initiierung und erheblich gestauchten Dynamik (Experiment 1 u. 2) der Latenzen. Es wurde gezeigt, wie flexibel Struktur und Prozeß (Experiment 2 u. 3) gegenüber der ursprünglichen Anforderung redefiniert werden können, wenn damit eine effiziente Kaskadierung erzielt wird. Versucht wurde, die in Größenordnung verschiedenen Spannen für die Bewältigung von Algorithmen, bei denen das kritische Merkmal von Ebene zu Ebene wechselt, vs. solchen, bei denen es gleich blieb, durch die Trennung „kontrollierter" von „automatischen" Betriebsarten zu begründen, die einerseits mehrmalige vs. andererseits nur einmalige zyklische Aktivierung erfordern. Summary: Experimentally replicating and manipulating the well-known effects of global-to-local superiority we investigated in the intact vs. disturbed interaction between bottom-up and top-down components of feature-based picture recognition. The synchronisation between an early vs. late access to a certain sensory feature and its level in the category hierarchy has shown to be decisive for the possibility to cascade data-driven and concept-guided processing, coming out in a considerably speeded up initation and pressed down dynamics (experiment 1 and 2) of the latencies. It has been shown, how flexible structure and process (experiment 2 and 3) can be redefined, as compared with the original task, in order to guarantee for an effective cascading. It has been tried to account for the considerably different latency spans for coping with algorithms involving a change of the critical feature between levels vs. algorithms leaving the critical feature constant by distinguishing between "controlled" vs. "automatic" modes of processing, requiring multiple vs. unique cyclic activation. Korrespondenzanschrift: Dr. U. Kämpf, Zentralinstitut für Kybernitik und Informationsprozesse der Akademie der Wissenschaften der DDR, Bereich Psychologie, Rudower Chaussee 5, Berlin, DDR-1199
Einführung
Der italienische Manierist Guiseppe Arcimboldo malte im 17. Jh. sein bekanntes Bildnis eines Mannes mit den Früchten (Abb. 1). Es illustriert bei der Bilderkennung auf faszinierende Weise die augenscheinliche Dominanz einer hierarchisch übergeordneten Interpreta-
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tion, beruhend auf globalen Merkmalen, die das Ganze als Porträt ausweisen, über untergeordnete Interpretationen von Teilen, die als lokale Merkmale eher auf ein Stilleben hindeuten. Damit werden eine Reihe von Problemen berührt, die sich aus dem Wechselspiel von „bottom-up" aufsteigender und „top-down" absteigender Verarbeitung, dem Ineinandertakten ihrer parallelen und sequentiellen Aspekte, dem Umschalten zwischen automatischen und kontrollierten Komponenten bei der visuellen Merkmalextraktion und Klassenrepräsentation, ergeben. Die vorliegende Untersuchung will diesen Fragen theoretisch und experimentell nachgehen, wobei vor allem die strukturelle Kaskadierung prozessualer Abläufe thematisiert werden soll. Kaskadierung paralleler vs. sequentieller
Verarbeitung
Vorstellungen über massiv parallele Verarbeitung lösen derzeit zunehmend die „klassischen" sequentiellen Modelle der kognitiven Psychologie und der künstlischen Intelligenz zur Beschreibung von Klassifikationsleistung beim merkmalsgebundenen Bilderkennen ab. Die neue Verarbeitungsphilosphie besteht im Kern darin, alle bisher von sequentiellen Algorithmen „kontrollierten" Klassifizierungsschritte nunmehr parallel und „automatisch" abzuwickeln: vermittelt durch eine Vielzahl merkmalsbestimmter Kontakte zwischen datengetriebener, d. h. von der Wahrnehmung her aufsteigender, und konzeptgeleiteter, d. h. vom Gedächtnis her absteigender Netzaktivierung. Oft aber hängen Interpretationen lokaler Merkmale logisch von deren globaleren Deutungen ab, so bei der relationalen Einbettung von Teilen in das Ganze einer hierarchischen Struktur. Die Logik der Klassifikation verlangt dann, daß der aktuelle Prozeß die Verzweigungen solch einer Hierarchie notwendig in sequentielle Schritte umsetzen muß, um der logischen Abhängigkeit untergeordneter von übergeordneten Identitäten der Merkmale zu genügen. Wie aus dem Bildbeispiel ersichtlich, muß dabei die Interpretation des Ganzen vorrangig gegenüber den Teilen erfolgen, um die augenscheinlich schnelle und eindeutige Erkennung zu gewährleisten. Erfordert das Erkennen von Bildern mit relational hierarchischer Merkmalseinbettung folglich, auf eine durchgehend parallele und automatische Aktivierungsausbreitung zu verzichten, um anstatt dessen wieder - wie beim „klassischen" Ansatz - sequentielle Klassifikationsschritte algorithmisch kontrolliert gegeneinander abzugrenzen? Das „Umschalten" von automatischen Arbeitsregimes auf kontrollierte Verarbeitungssteuerung gilt als aufwendig und wenig effizient (vgl. Neumann, 1984). Die Alternative dazu sehen wir darin, die Eigendynamik der aufsteigenden und absteigenden Netzaktivierung auszunutzen, um durch deren „kaskadiertes" Ineinandergreifen die notwendige Hierarchie zu gewährleisten (McClelland, 1979; McClelland u. Rumelhart, 1981; Rumelhart u. McClelland, 1982). Dabei wird davon Gebrauch gemacht, daß die aufsteigenden Daten essentiell parallel, aber wie bei einem „Wettrennen" hinsichtlich ihrer Schnelligkeit gestaffelt „einlaufen", und somit natürliche Angriffsflächen für die sequentiellen Abhängigkeiten bei der hierarchisch absteigenden Klassifikation anbieten (Abb. 2). In diesem Rahmen würde dann soviel parallel verarbeitet, wie irgend möglich, und müßte nicht mehr sequentiell verarbeitet werden, als unbedingt nötig. Das Kaskadierungsprinzip ist dem in der Netzwerktechnik als „Gating" bezeichneten Vorgehen verwandt, und verspricht wesentlich effektiver zu sein, als das kontrollierte Umschal-
Merkmalsextraktion und Klassenrepräsentation
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Abb. 1. Teil-Ganzes-Beziehungen in einem Bildnis mit globaler (das Gesicht) und lokaler (die Früchte) Merkmalsebene
PARALLEL
SEQUENTIELL
KASKADIERT
Abb. 2. Parallele, sequentielle und kaskadierte Verarbeitung
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ten zwischen mehreren Aktivierungszyklen. Denn der Hierarchie würde automatisch im Rahmen eines einzigen Aktivierungszyklus Rechnung getragen, sequentiell getaktet durch das kaskadisch absteigende Ö f f n e n und Schließen von „Toren" für die parallel, aber unterschiedlich schnell aufsteigenden Datenströme. Optimal synchronisierte Abläufe von aufsteigender und absteigender Verarbeitung wären unter diesen Prämissen genau dann erreichbar, wenn die logische Abfolge des Datenzugriffs nachfolgender Verarbeitungsebenen mit der natürlichen Abfolge derjenigen Staffelungen „verzahnt" werden kann, die die vorausgehenden Verarbeitungsebenen ohnehin bereitstellen. Inwieweit dies tatsächlich gegeben ist, entscheidet über die auferlegten Beschränkungen, aber auch über die vorhandenen Freiheitsgrade bei der kaskadierten Umsetzung hierarchischer Klassifikation, was in den beiden folgenden Abschnitten diskutiert werden soll. Relationale Hierarchie globaler und lokaler
Merkmale
Bemerkenswert an unserem Früchteporträt ist vor allem, daß die globale Eindrucksbildung nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich vorrangig gegenüber der lokalen Erkennungsleistung erfolgt. Navon (1977, 1981) hat diese raumzeitliche Priorität in tachistoskopischen Experimenten mit merkmalshierarchischen Reizmustern, „globalen" Lettern, die aus gleichen oder verschiedenen „lokalen" Lettern gebildet wurden, chronometrisch exakt nachgewiesen. Instruktionsgelenkte Referenz auf die übergeordnete Merkmalsebene ermöglichte gegenüber der räumlich untergeordneten bewirkt ein zeitlich beschleunigtes und von Interferenz freies Reagieren, nicht aber umgekehrt. Dies widerspricht dem, was man von der Intuition her vielleicht erwartet hätte. Denn intuitiv mag man den lokalen Merkmalen zubilligen, strukturell elementarer und damit prozessual „beherrschbarer" als die eher komplexen und nur relational faßbaren globalen Merkmale zu sein. Damit wäre eigentlich ein Plasibilitätsrahmen für die Abfolge der Zugriffe von Erkennungsalgorithmen auf Bildmerkmale vorgegeben, an dem zunächst alle Pionierarbeiten zur rechnersimulierten Mustererkennung festhielten (vgl. z.B. Minsky, 1974). Unter Bezug auf die Anatomie unserer Retina als eng gerastertes Rezeptormosaik wurde versucht, punktuelle Bildbausteine (Pixel) zu elementaren Merkmalen, z.B. Kantensegmenten, zu verdichten. Dieses Vorgehen berief sich auf Ableitungen an rezeptiven Feldern, die auf entsprechende „figúrale" Detektoren hindeuteten (vgl. Hubel u. Wiesel, 1962). In zunehmend komplexere Einheiten, z.B. Linienkreuzungen, eingespeist, sollte die Analyse der logisch möglichen Relationen dieser Teile ihrer widerspruchsfreien Synthese zum Ganzen zugrundeliegen. Die Schwachstelle dieses Ansatzes veranschaulichen die Daten zur global-lokal Priorität. Sie gelten deshalb als wichtigstes Argument für eine besondere Rolle der „top-down" absteigenden Verarbeitung beim prozessualen Umsetzen visuellen Erkennens. Man nimmt an, sie wirke der „bottom-up" aufsteigenden Verarbeitung strukturell stützend entgegen, um die enkodierten Sinnesdaten übergreifend zu interpretieren (vgl. Michaels u. Turvey, 1979). Dadurch würde es möglich, datengetrieben bereitgestelltes Material für Teile des Bildes (die Früchte) konzeptgeleitet „aufzufangen" und gegebenenfalls umzudeuten. So wird nach Geissler und Puffe (1983) an der Schnittstelle zwischen aufsteigender und absteigender Verarbeitung ein global kohärentes Schema kategorialer Klassifikationsbeschränkungen
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Merkmalsextraktion und Klassenrepräsentation
„zurückübersetzt" in ein sensorisches Repräsentationsformat, das den Kontakt zwischen den wahrnehmungsgegebenen, nur lokal kohärenten Daten, und den gedächtnisaktivierten, hierarchisch verdichteten Merkmalen, anforderungsabhängig organisiert. Folgt man dem Argument, so hängt der Vorrang bei der Eindrucksbildung von dem kategorial vorgegebenen und in ein sensorisches Repräsentationsformat rückübersetzenden Schema des Ganzen (das Gesicht), d . h . eher von den absteigenden, als von den aufsteigenden Prioritäten, ab. Dieser „postsensorische" Ansatz liegt einer Reihe vergleichbarer Erklärungen zum globallokal Vorrang zugrunde (Wandmacher u. Arend, 1985; Boer u. Keuss, 1982; Kinchla, SolisMacias u. H o f f m a n n , 1983; Miller, 1981). Offen bleibt, wie im Prozeß die absteigende Kenntnis über das Ganze aus der aufsteigenden Information über die Teile gewonnen wird, die dann zu deren Umdeutung genutzt werden soll. Denn einerseits sollte die Struktur des Ganzen vorab bekannt sein, um nachfolgend den Teilen ihre dadurch z.T. neu bestimmten Interpretationen zuzuordnen. Andererseits aber müßte solche Kenntnis über das Ganze doch selbst erst aus dem strukturellen Zueinander der Teile erwachsen. Daraus ist unmittelbar ersichtlich, daß auf der Basis des bisher Erörterten eine prozessuale Synchronisierung von aufsteigender und absteigender Verarbeitung, als Kaskadierung von Datengewinnung und Datennutzung „im Gegentakt", nicht realisiert werden kann. Denn f ü r die Kaskadierung erforderlich wäre ein möglichst frühes, denkbar nach dem bisher Skizzierten aber nur ein spätes Triggern der absteigenden durch die aufsteigende Verarbeitung. Bliebe also abzuwarten, bis sich eine global eindeutige Interpretation „herausschält" aus den aufsteigenden möglicherweise vieldeutigen bzw. irreführenden lokalen Angeboten, um sie ggfs. im Nachhinein absteigend umzudeuten? Dies kann manchmal unabdingbar sein, um einzelne Widersprüche zu klären. Es wäre aber zu wenig effektiv als allgemeines Prinzip für einen Mechanismus hierarchisierten gegenständlichen Klassifizierens unter ökologisch validen Bedingungen, wo die Dinge nicht statisch, sondern mobil sind, die Umwelt nicht gleichbleibend, sondern veränderlich ist (vgl. Velichkovsky, 1977; Kämpf, 1986). Eine „Schaltpause" zwischen aufsteigender und absteigender Verarbeitung ließe es nicht zu, beider Verläufe zu kaskadieren, d. h. „verzahnt" ineinanderzupassen. Eben deren enges Ineinandergreifen aber konnte wahrscheinlich gemacht werden als effektivitätsbestimmend für Erkennungsleistungen und für die Verhaltenslenkung in ökologisch validen Experimentalsituationen (vgl. H o f f m a n n u. Grosser, 1985; H o f f m a n n u. Kämpf, 1985; Kämpf u. H o f f m a n n , 1987; Zießleru. H o f f m a n n , 1985). Filterung in raumzeitlich invers auflösenden
Kanälen
Vor diesem Hintergrund fragen wir nach Alternativen zur bislang ungeprüften Plasibilitätsannahme, daß globale Merkmale nur absteigend gestützt aus lokalen „verdichtet" werden können. Eine Möglichkeit, beide unter bestimmten Bedingungen bereits auf „präkategorialer" Ebene voneinander zu separieren, ergäbe sich vielleicht aus der Option, im aufsteigenden visuellen System mehrere Kanäle pragmatisch nach ihrer jeweils reziproken raumzeitlichen Auflösung zu unterscheiden. Dieses Kriterium läßt sich als Alternative zur figuralen Deutung der oben zitierten musterspezifischen Ableitung aus rezeptiven Feldern - mathematisch elegant durch die Sensitivität des Kanales gegenüber invers miteinander verknüpf-
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ten Bändern räumlicher und zeitlicher Frequenz - zu beschreiben (Blakemore u. Campbell, 1969). Filtert man ein Muster durch einen Kanal, der nur die Anteile relativ niedriger räumlicher Auflösung hindurchläßt, beschneidet man also das gesamte Spektrum höherer räumlicher Auflösung, dann verdrängt der globale Eindruck die lokalen Interpretationen in den Hintergrund, weil das Bild einfach zu unscharf wird. Zur Veranschaulichung dessen betrachte man das Früchteporträt durch die zusammengekniffenen Augen oder ggfs. ohne Brille. In der Terminologie technischer Mustererkennung entspräche dies dem Anlegen eines weit grobmaschigeren Rasters beim Bildparsing, als die Grenzen der Auflösung hergeben würden. Wenn unser visuelles System sich unter bestimmten Bedingungen eben dieses „Tricks" bedient, dann ist darauf fußendes globales Erkennen keine komplexe kategoriale Abstraktion, sondern verfügt wie das lokale Erkennen über eine elementare sensorische Basis (vgl. Harvey, Roberts u. Gervais, 1983). Die hier skizzierten Gedanken binden sich nicht an spezifische Annahmen des Filterzuganges, wie etwa an Spekulationen über eine Fourier-Transformation bei der visuellen Datenübertragung. Vielmehr nehmen sie Bezug auf dessen generell gültige Ergebnisse über eine inverse Verknüpfung von hoher räumlicher mit niedriger zeitlicher Kanalauflösung und umgekehrt. Diese gestatten es, weitgehend ohne sich a priori festlegen zu müssen, wie ein bestimmtes Merkmal repräsentiert ist, bereits vorab etwas darüber auszusagen, was bei gegebener raumzeitlicher Auflösung als Merkmal extrahiert werden kann, und was nicht. Relevant für uns ist, daß die räumlich globale Bandfilterung robuster gegenüber zeitlichem Defizit ist, als die lokale. Herabgesetzte Bildschärfe, d. h. ein verstärkter Einfluß der Kanäle niedriger räumlicher Auflösung, tritt ein als Folge erhöhter Anforderungen an die zeitliche Auflösung des Sehens (Kulikowski u. Tolhurst, 1973; Breitmeyer u. Ganz, 1976): beim flüchtigen Blick auf ein schnelles Fahrzeug, beim Verfolgen eines Fußballspieles etc. Eben diese Anforderungen aber kennzeichnen das schlagartige Aufblenden einer tachistoskopischen Präsentation. Das neuronale Antwortmuster auf einen Tachistoskopreiz läßt sich approximativ darstellen als „Salve" paralleler, aber verschieden schnell übertragener und damit sequentiell gestaffelter Impulse räumlich immer niedrigerer, zeitlich dagegen immer höherer Auflösung in den visuellen Kanälen (Di Lollo, 1980). In diesem System würden demnach die Träger der globalen Information schneller übermittelt, als die der lokalen. Davon ausgehend ließe sich eine „präkategoriale" Komponente der Priorität globaler gegenüber lokaler Merkmalsbildung identifzieren, wie sie von Navon (1977, 1981) ursprünglich vermutet, und von anderen experimentell elaboriert wurde (Martin, 1979; Ward, 1982, 1983). Deren einseitige Verabsolutierung wäre jedoch ebenso fragwürdig, wie die rein „postperzeptiven" Ansätze. Der Schlüssel zum Problem, so nehmen wir an, liegt im Verständnis beider Mechanismen als ökologisch aneinander angepaßte und ineinandergreifend kaskadierte Systeme, welche aufsteigend die Daten bereits so gestaffelt bereitstellen, wie sie absteigend weiterverwertet werden.
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Merkmalsextraktion und Klassenrepräsentation
Synchronisation aufsteigender und absteigender
Verarbeitung
Aus der Sicht des Kaskadenmodells wäre die Verarbeitung in den verschiedenen Ebenen genau dann optimal aufeinander abgestimmt, wenn Datenbereitstellung und Datenverwertung vollständig ineinander getaktet werden können. So sollte es vorteilhaft sein, ein eben bereitgestelltes Datenangebot schnellstmöglich weiterzuverwerten, selbst dann, wenn es sich im Augenblick, nach der Logik der Aufgabe, nicht nahtlos in den aktuell anliegenden Klassifikationsschritt einfügt. Anderenfalls würde die Effektivität drastisch herabgesetzt. Beides scheint prüfbar am Material des global-nach-lokal Vorranges, bei dem nach unserer Hypothese datengetriebene und konzeptgeleitete Verarbeitung normalerweise ineinander verzahnt ablaufen, durch geeignete Manipulationen aber leicht zu desynchronisieren sein sollten. Aus der Sicht der absteigenden vs. der aufsteigenden Verarbeitung leiten sich verschiedene definitorische Beschränkungen für die „globalen" vs. „lokalen" Merkmale ab. Postsensorische Rückübersetzung kategorialer Schemata muß eher auf Teil-Ganzes-Beziehungen, hierarchische Merkmalseinbettungen etc. ihr Hauptaugenmerk legen, während die präkategoriale Ausfilterung sensorischer Auflösungsbereiche unterschiedliche Größenverhältnisse, Verteiltheit vs. Zentriertheit etc. von Merkmalausprägungen berücksichtigen muß. Beide Aspekte sind gewöhnlich schlecht voneinander zu trennen, liegen in der Regel korreliert miteinander vor. In einer Reihe von Arbeiten wurde deshalb versucht, Ansatzpunkte für eventuell aufsteigend wirksame global-nach-lokal Priorität (Größenverhältnisse etc.) zu minimieren, und solche für nur absteigend erklärbare (Merkmalseinbettung etc.) zu maximieren (Wandmacher u. Arend, 1985; Boer u. Keuss, 1982; Pomerantz, 1983). Im Gegensatz dazu war unser Vorgehen darauf gerichtet, einen Satz von Figuren mit geometrischen Merkmalen zu konstruieren, deren räumliche Auslegung sie als potential unterschiedlich robust gegenüber der „Filterung" unter zeitlichem Druck auswies. Relationale hierarchische Einbettungen von Merkmalen aber versuchten wir zu vermeiden, da sie sich methodisch nur schwer beherrschen lassen. So ist es z. B. schlechterdings unmöglich, etwas darüber auszusagen, welchem Algorithmus die unserem Bildbeispiel zugrundeliegende Klassifikation gehorcht, bzw. wie er zu manipulieren wäre. Konsistenz oder Konflikt zwischen aufsteigenden und absteigenden Prioritäten manipulierten wir daher auf andere Weise. Wir verknüpften - nach dem Kriterium räumlicher Robustheit gegenüber zeitlichem Defizit - „globale" und „lokale" Merkmale gleichgerichtet vs. gegensinnig zur mutmaßlichen aufsteigenden Staffelung mit einer Hierarchie kategorialer Zuordnungen. Diese Hierarchie wurde simuliert durch absteigende Abhängigkeiten zwischen den Prüfschritten eines sequentiellen Klassifikationsalgorithmus. Mit Geissler und Puffe (1983) nehmen wir dabei an, daß der per Instruktion konstruierte kategoriale Verzweigungsbaum nach und nach in eine hochverdichtete Repräsentation zurückübersetzt wird, die ein sensorisch anforderungsangepaßtes Format aufweist. Zu fragen wäre also zweierlei. Erstens, ob sich in unserem Versuch, der die absteigenden Wirkungen experimentell kontrolliert, eine aufsteigende Wirkung im Sinne der bekannten global-lokal Priorität auf den ersten Schritt, den Beginn der Klassifikation, nachweisen läßt. Zweitens, ob diese Wirkung auch die Fortsetzung der Klassifikation darüber hinaus,
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ihre weiteren Schritte, differentiell beeinflußt. Zur Prüfung dessen tragen wir die Reaktionslatenzen gegen die Kategorienprioritäten ab, die — wie bei der Ergebnisdiskussion noch genauer begründet werden soll - unter bestimmten Bedingungen als Maß für die prädiktierte Schrittzahl bei der Abarbeitung des Algorithmus fungieren können. Der erste der erwarteten Effekte sollte die Abschnitte der erhaltenen Abhängigkeiten verschieben, der zweite dagegen ihre Anstiege unterschiedlich steil ausfallen lassen. Zusammengenommen wäre beides als Hinweis auf die Kaskadierung von aufsteigender und absteigender Verarbeitung zu werten.
Untersuchung Experiment 1 Material und Prozedur Ein Satz geometrischer Figuren wurde konstruiert, deren verschiedene Merkmale aufgrund ihrer jeweiligen räumlichen Auslegung (Größenverhältnisse) versprachen, unterschiedlich robust gegenüber zeitlichem Defizit zu sein. Der Einfachheit halber bezeichnen wir sie, unter Beachtung der etwas anders als üblich gesetzten definitorischen Akzente, weiterhin als globales (den Umriß), mittleres (den Einschnitt) und lokales Merkmal (den Zapfen), die im Versuch jeweils rechteckig, halbrund, oder dreieckig geformt waren. Die Merkmale einer Figur konnten in den drei Ebenen unterschiedlich ausfallen, oder aber teilweise bis völlig übereinstimmen (Abb. 3).
Abb. 3. Beispiele für Reizmuster mit globaler (der Umriß), mittlerer (der Einschnitt) und lokaler (der Zapfen) Merkmalsebene: Im Versuch wurden die Figuren ausgefüllt, d.h. schwarz auf weißem Grund dargeboten
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In einer ersten Bedingung verlangte die darüber definierte Klassifikationsregel von den Probanden, die einzeln und in zufälliger Abfolge auf einem Bildschirm erscheinenden Muster hierarchisch „global-nach-lokal" einer von vier Kategorien schnellstmöglich zuzuordnen. Dazu standen vier Tasten zur Verfügung, die mittels Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und kleinem Finger zu betätigen waren. Einer ersten Kategorie entsprachen die Figuren, wenn ihr Umriß, das wichtigste Merkmal, rechteckig geformt war, unabhängig davon, wie die anderen Merkmale ausfielen. Einer zweiten Kategorie zugeordnet wurden alle Figuren, die im Einschnitt, dem zweitwichtigsten Merkmal, halbrund ausfielen, aber nur dann, wenn der Umriß nicht schon rechteckig war. Einer dritten Kategorie entsprachen Figuren, die im drittwichtigsten Merkmal, dem Zapfen, dreieckig geformt waren, nicht jedoch im Einschnitt halbrund, oder im Umriß rechteckig sein durften. Einer vierten Kategorie, schließlich, wurden alle übrigen Muster zugeordnet, die keine der hierarchisch gestaffelten Bedingungen erfüllten. Anforderungsgemäß kann demnach die Entscheidung über eine untergeordnete Kategorie prinzipiell nur dann endgültig getroffen werden, wenn bereits bezüglich ihrer eventuellen Zugehörigkeit zur jeweils übergeordneten Kategorie ablehnend entschieden wurde. Beim bisher definierten Algorithmus stimmte diese absteigende Prioritätenliste mit der mutmaßlichen aufsteigenden Staffelung des Merkmalsangebotes überein. Einen Konflikt auslösen sollte es, wenn sich diese Zuordnung umkehrt. Deshalb wurde in einer zweiten experimentellen Bedingung eine gleichermaßen hierarchisch aufgebaute „lokal-nach-global" Klassifikation von den Probanden gefordert. Zuerst war zu prüfen, ob der Zapfen rechteckig (Kategorie 1), dann ob der Einschnitt halbrund (Kategorie 2), schließlich, ob der Umriß dreieckig (Kategorie 3) ausfiel, oder ob keine der so ineinander geschachtelten Bedingungen zutraf (Kategorie 4). Am Versuch nahmen 24 Probanden im Alter von 2 1 - 3 2 Jahren mit normalem bzw. dioptrienkorrigiertem Sehvermögen teil. Die Hälfte von ihnen wurde einem Versuch nach der ersten, die andere Hälfte nach der zweiten Klassifikationsregel unterzogen. Das Experiment wurde durch einen Computer gesteuert. In zufälliger Abfolge wurden auf einem Bildschirm nach kurzem Warnton 80 Figuren gezeigt, die die Probanden schnellstmöglich durch entsprechenden Knopfdruck den jeweiligen Kategorien zuordnen mußten. Jede Kategorie war dabei gleichhäufig im Figureneinsatz vertreten, der alle 27 kombinatorisch möglichen Muster enthielt. Die Figuren wurden schlagartig schwarz auf weißem Grund aufgeblendet und bedeckten dort, aus einer Standardentfernung von 1 m betrachtet, eine Fläche von 5 Grad des Sehwinkels, d.h. etwas mehr als ein Drittel des Bildschirms, bei variabler, aber außermittiger Position. Vom Darbietungsbeginn an wurde die Reaktionszeit gemessen. Falsche bzw. mehr als 5 s verzögerte Anworten wurden vom Computer ausgesondert und den Probanden negativ rückgemeldet. Jedoch wurden diese Reize an anderer Stelle wieder in die Zufallsfolge eingespeist, so daß zum Ende des Versuchs ein vollständiger Datensatz der Auswertung zugrundelag. Ergebnisse und Diskussion Bei der Zusammenfassung der Daten wurde noch einmal getrennt nach der ersten vs. der zweiten Hälfte der für eine Bedingung im Verlauf des Versuches akkumulierten Reaktions-
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zeiten, um eine Kontrolle über den Lernfortschritt zu gewährleisten. Die Reaktionslatenzen wurden einem Ausreißertest unterzogen und, nach Klassifikationsregel und Lernfortschritt gemittelt, gegen die Kategorien, bei abnehmender Priorität, abgetragen (Abb. 4). Wir erhalten vier nahezu lineare, gleichsteil ansteigende Kurven. Es wurde eine Varianzanalyse (2 x 4 x 2 ) durchgeführt, die signifikante Hauptwirkungen der Faktoren Klassifikationsregel (A), Kategorienpriorität (B) und Lernfortschritt (C), aber keine signifikanten Wechselwirkungen erbrachte (Tab. I).
—i
1
1
2
KATEGORIENPRIORITÄT
r~
3
Abb. 4. Mittlere Antwortlatenzen des Experimentes 1, getrennt für global nach lokal (gefüllte Kreise) vs. lokal nach global (offene Kreise) klassifizierende Algorithmen und ein frühes (gestrichelte Linien) vs. spätes (durchgezogene Linien) Lernstadium
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Tab. I. Varianzanalyse zum Experiment 1 Quelle
SQ
FG
MQ
ZW
18 615 483
19
A a
3 930 663 14 684 820
1 18
IN
26 567 251
140
B AB b C AC c BC ABC bc
19 359 081 20 590 2 281 009 2 089 861 19 404 1 363 611 62 250 135 776 1 235 665
3 3 54 1 1 18 3 3 54
F
3 930 663,0 815 823,3
6 453 6 42 2 089 19 75 20 45 22
027,2 863,4 240,9 861,2 404,0 756,1 750,2 258,9 882,6
4,81
+
152,76 0,16
+ +
27,58 0,25
+ +
0,90 1,97
-
-
-
-
Faktoren: Regel (A), Kategorie (B), Lernen (C) Fehlerterme in Kleinbuchstaben + + 1%; + 5%; n.s. Wir stellen fest, daß unsere Probanden die Klassifikation nach der Regl global-nach-lokal wesentlich effektiver bewältigen, als umgekehrt. Diese Differenz blieb vom Lernfortschritt, soweit ersichtlich, unbeeinflußt. Unsere Klassifikationsregel, mit ihren asymmetrischen Abhängigkeiten der Zuordnungsentscheidungen von Kategorie zu Kategorie, wurde mit dem Ziel entworfen, den Probanden zunächst ein hierarchisches, Schritt für Schritt aufeinander aufbauendes Vorgehen aufzunötigen, hier nur veranschaulicht für den Fall global nach lokal (Abb. 5). Das gleichmäßige Ansteigen der Reaktionszeiten von Kategorie zu START
I
KAT1 |
KAT.3
K.AT. 2
/¿EIN
( global ) 3A REAKTION
|
/NEIN
( vwi-H-el )
(
kAT.lv
|
/MEIN
lokal
)
|3A
|DA
REAKTION
REAKTION
REAKTION
Abb. 5. Per Instruktion gefordertes, und mit dem Latenzverlauf im wesentlichen kompatibles schrittweises Vorgehen der Probanden bei der Bewältigung der Klassifikation (hier illustriert für den Fall global nach lokal)
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Kategorie soll als Indiz dafür gewertet werden, daß dies in der Tat erreicht wurde. Formal nehmen wir dabei Bezug auf die traditionelle Additivfaktorenlogik: Angelehnt an die Interpretation von Sternbergs (1969) bekannten Ergebnissen zum Vergleich wahrnehmungsgegebener mit gedächtnisgespeicherten Itemmengen nehmen wir an, daß die Reaktionen von Klasse zu Klasse bei fallender Priorität gleichermaßen langsamer wurden, weil jeweils ein Schritt mehr zum Vergleich der sensorischen mit den kategorialen Daten absolviert werden mußte. Entsprechend lassen sich die erhaltenen Daten interpretieren als Abhängigkeiten der Antwortlatenzen von den prädiktierten Schrittzahlen des Algorithmus. Eine Gegenüberstellung der Abschnitte beider Latenzabhängigkeiten an der Ordinate sollte demnach etwas darüber aussagen, wie der Beginn, ihrer Anstiege entlang der Abszisse dagegen darüber, wie das Fortschreiten der Klassifikationsbewältigung experimentell manipuliert wurde. Die kollineare Verschiebung der Kurven ist so gesehen ein Hinweis darauf, daß nur die Initialisierung der absteigenden Verarbeitung, d. h. ausschließlich der Beginn der Exekution unseres Algorithmus, entscheidend beschleunigt bzw. verzögert wurde durch die experimentelle Manipulation seiner Ausrichtung, die im einen Falle beim globalen, im anderen Falle beim lokalen Merkmal ansetzt. Nach unserer Hypothese geht dies auf auflösungsbedingte Unterschiede in der Schnelligkeit aufsteigender Verfügbarkeit beider Arten von Merkmalen zurück. Eine der theoretischen Voraussetzungen, sie dementsprechend mit der absteigenden Verwertung bei der global-nach-lokal gestuften Hierarchie zu kaskadieren, wäre damit erfüllt; dennoch wurde dies praktisch anscheinend nicht erreicht. Denn die Dynamik, das Fortschreiten der einmal in Gang gesetzten Klassifikation, blieb unbeeinflußt vom jeweiligen Algorithmus. Die gegeneinander verschobenen Kurven zeigen die gleiche Steilheit in ihrem nahezu linearen Verlauf, was auf eine einheitliche Prozeßstruktur hindeutet. Kaskadierte Verarbeitung aber hätte unterschiedliche Steilheiten prädiktiert. Denn der Geschwindigkeitsvorteil bei der Gewinnung globaler gegenüber lokalen Merkmalen sollte als relative Zeitersparnis gegenüber der lokal-nach-global gestuften Nutzung zu Buche schlagen, die ihrerseits auf die relevanten Daten warten müßten. Voraussetzung solchen Ineinandergreifens wäre jedoch, daß die Schrittweite der Datenverwertung kleiner ausfällt, als der Schnelligkeitsvorteil der Datenverfügbarkeit. Betrachten wir unter diesem Aspekt die Anstiege der Abhängigkeiten. Nach unserer Annahme sind sie ein Maß für den mittleren Abstand von Schritt zu Schritt der Klassifikation. Sie umfassen jeweils Intervalle von etwa 300 ms. Die Differenz der Abschnitte dagegen, d. h. der mutmaßliche Unterschied in der Merkmalsbereitstellung, liegt mit nur etwa 250 ms deutlich darunter. Ein „Durchschlagen" der Verfügbarkeitsdifferenz auf den Klassifikationsfortschritt wurde also möglicherweise schon dadurch verhindert, daß die erstere nicht an die Schrittweite des letzteren heranreicht. Im übrigen ist der nicht nur relativ, sondern auch absolut gesehen unverhältnismäßig große Abstand von Schritt zu Schritt der Verarbeitung eine der diskussionswürdigen Besonderheiten unserer Daten. Obwohl eine Gegenüberstellung mit den nach Sternbergs (1969) Paradigma erhaltenen Ergebnissen aufgrund der unterschiedlichen Versuchssituation fragmentarisch blieben muß, ist dennoch festzuhalten, daß diese Schrittweite in der Nähe der oberen Grenze dessen läge, was für Vergleiche über Sätzen von Wahrnehmungs- und Gedächtnisitems je gemessen wurde (vgl. Cavanagh, 1972).
Merkmalsextraktion und Klassenrepräsentation
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Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, daß wir die hierarchischen Klassifikationsschritte nicht - wie erhofft - kaskadiert ineinandergetaktet, sondern vielleicht sogar für jeden von ihnen extra einen neuen Aktivierungszyklus inganggesetzt haben. Mit Geissler und Puffe (1983) nahmen wir einleitend an, daß zur Anforderungsbewältigung Datenstrukturen aktiviert werden, die die klassenrelevanten Merkmalsbeziehungen aus dem kategorialen in ein sensorisches Repräsentationsformat zurückübersetzen. Über diesem laufen Such- und Prüfprozesse ab, die sich nach Geissler (1985) auszeichnen durch ihre zyklisch „begrenzte Kohärenz": ein Konstrukt, das neues Licht auf die bekannten Ergebnisse zur limitierten Kapazität kurzfristigen Zwischenspeicherns wirft. Aus dem Kohärenzkonstrukt ableiten läßt sich u. a. auch, daß nur innerhalb der „Kohärenzlänge" eines Aktivierungszyklus die Merkmalsprüfungen automatisch, d.h. kaskadisch vorprogrammiert ablaufen können, bei deren Überschreiten jedoch kontrolliert voneinander separiert und neuprogrammiert werden müssen. Man veranschauliche sich dies vereinfacht als „Überlaufen" des für den Wahrnehmungskontakt jeweils verfügbaren Aktivgedächtnisses. Dies voraussetzend, und unter Bezugnahme auf Schätzungen von Cavanagh (1972; vgl. auch Puffe, 1987), kämen wir zu einer verblüffenden, wenn auch wegen der genannten methodischen Unterschiede nur spekulativen Wertung des Ausmaßes unserer Schrittabstände: Die pro Aktivierungszyklus insgesamt verfügbare „Kohärenzlänge" müßte danach im Mittel vollständig ausgeschöpft werden, um einen einzigen Klassifikationsschritt zu vollziehen - wobei wir allerdings die Dauer der Merkmalsaktivierung, d. h. das „Laden" der rückübersetzten Kategorienrepräsentation, noch nicht mitgerechnet haben - , für jeden Schritt müßte also ein neuer Zyklus gestartet werden. Verblüffen mag dies, weil pro Klasse nur ein einziges relevantes Merkmal definiert war. Dennoch zwang die Klassifikationshierarchie, ungeachtet der doch scheinbar einfachen Merkmalstruktur, zur Prozeßzerlegung in getrennte Aktivierungszyklen: ein Vorgehen, das eingangs der automatischen Kaskadierung als wenig effizient gegenübergestellt wurde, weil dabei jedesmal aufwendig kontrolliert ein neues Schema zurückübersetzt werden müßte. Der Versuch, diesen Aufwand zu minimieren, aber macht vielleicht eine weitere Besonderheit unserer Kurvenverläufe verständlich: deren unmotiviert fortgesetztes lineares Anwachsen nämlich, nach Abschluß des Durchprüfens der positiv definierten Klassen eins bis drei. Unmotiviert, weil die vierte Kategorie „alle übrigen" per Instruktion gegenüber den anderen Klassen in ihren Merkmalen nur negativ bestimmt ist, so daß für ein Muster die Ablehnung der dritten gleichbedeutend mit der Annahme der vierten Klasse sein könnte. Diese Negativbestimmung in die entsprechende Positivdefinition zu übersetzen, um sie als zusätzlichen Schritt abzuprüfen, scheint redundant. Es wäre aufwandserhöhend, anstatt aufwandssenkend, ergäbe also vordergründig keinen Sinn. Sinnvoll aber wäre es, den regelmäßig wiederholten Zyklus von Aktivieren und Durchmustern der Merkmale so zu stereotypisieren, daß er einheitlich vorprogrammiert werden kann: immer als Test aktuelle Kategorie gegen Ebene wechseln, anstatt nur zweimal als solcher, und danach neuprogrammiert als Test Kategorie gegen Kategorie. Damit würde der Zyklusablauf durch einen strukturell betrachtet „scheinbar redundanten" Testschritt (vgl. Geissler, 1985) prozessual vereinheitlicht, und „Programmieraufwand" gespart. Was aber wird bei dem „redundanten" Zyklus überhaupt zur Kategorienbeschreibung aktiviert, wenn keine klassenrelevanten Einzel-
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merkmale definiert sind? Und womit sonst, außer mit definierten Einzelmerkmalen, wird der Überschuß an aktivierbarer Kapazität bei den „normalen" Zyklen ausgelastet? Einleitend kennzeichneten wir unseren Ansatz als frei von Festlegungen zur Repräsentation, nur beschränkt auf solche zur Auflösung beim Extrahieren der Merkmale. Eben deshalb ist der per Instruktion vorgegebene Merkmalssatz für die „Rückübersetzung" nur als vorläufig anzusehen. Zu vermuten ist, daß er weitergehend verdichtet wird, wenn dies einen absteigend effektiven Kontakt mit den aufsteigenden Aktivierungen ermöglicht. So verdichtet oder „redefiniert" könnten bestimmte Relationen zwischen den „deklarierten" Ebenen selbst zum Merkmal werden, so z. B. deren figurale Identitäten. Diesen kommt prozessual u. U. eine besondere Bedeutung zu, denn sie sind, bezogen auf die Gesamtmenge aller möglichen Muster, Ausdruck einer strukturellen Redundanz. Diese aber ist wahrscheinlich Gegenstand des Wirkens autonomer Mechanismen zur anforderungsabhängig vollständigen Klassenrepräsentation (vgl. Schmidt u. Ackermann, 1987). An dieser Stelle soll deshalb eine Zerlegung der gemittelten Kurven nach Mustern, die sich durch Merkmalsgleichheit zwischen den Klassifikationsebenen auszeichnen, das bis jetzt entstandene Bild relativieren und differenzieren helfen. Wir erhalten dabei zwei komplex aufgefächerte Bündel von Abhängigkeiten, die alle in dieser oder jener Weise vom klaren Bild der gemittelten Linearität abweichen, was im einzelnen jedoch hier nicht dargestellt und erörtert werden soll. Vielmehr greifen wir zwei charakteristisch nichtlineare Kurvenpaare heraus, um deren Verlaufsbesonderheiten für die beiden Klassifikationsregeln gegenüberzustellen (Abb. 6). Die typischen Ausbuchtungen wiederholen sich zwischen solchen Kurven, die gleiche Relationen zwischen den funktionell, nicht aber visuell miteinander korrespondierenden Merkmalsebenen aufweisen. Dies gilt für alle, nicht nur die hier willkürlich herausgegriffenen Abhängigkeiten, und stützt unseren bereits anhand der gemittelten Daten gezogenen Schluß über eine nur noch funktionell, nicht mehr visuell determinierte Steuerung des Forschreitens der Klassifikationen über ihre Initialisierung hinaus. Zugleich muß das vereinfachte rein sequentielle Bild vom Ablauf der Klassifikation doch um gewisse parallele Wechselwirkungen erweitert werden. Anders wären die gefundenen Einflüsse der Relationen zwischen den Merkmalsebenen nicht erklärbar. Diese bewirken offenbar, daß die als nahe der hypothetischen Kohärenzlänge eines Aktivierungszyklus liegend bewertete mittlere Schrittdauer, auch wenn sie zum Teil weit überschritten werden muß — hier schlägt wohl die bislang rechnerisch vernachlässigte Merkmalsaktivierung zu Buche zum Teil doch unterschritten werden kann. Inhaltlich könnte dies bedeuten, daß manche Klassifikationsschritte, abhängig von den Relationen zwischen den Merkmalsebenen, separiert werden müssen, andere dagegen zusammengefaßt werden können. So könnte z. B. die Feststellung figuraler Identität mit einer anderen Ebene in der klassenrelevanten Ausprägung die Zuordnung zur abgeprüften Kategorie, in einer nicht relevanten Ausprägung hingegen das Umschalten zum nächsten Test oder sogar die Zuordnung zur alternativen Kategorie beschleunigen. Die Klassenrepräsentation müßte dazu nicht nur einzelne kategorienrelevante Merkmalsausprägungen bereithalten, sondern auch deren Beziehungen zu anderen Klassifikationsebenen der infragekommenden Reizmuster. Dabei handelt es sich um nicht nur „horizontal", sondern auch „vertikal" verdichtete Musterensembles, ausgezeichnet durch Merkmalsrelationen, die alternatives Klassentren-
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